Deutscher und antiker Vers: Der falsche Spondeus und angrenzende Fragen [Reprint 2017 ed.] 9783111345802, 9783110992861


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German Pages 185 [196] Year 1917

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Inhaltsverzeichnis
1. Die Fragestellung. Wie bilden wir antike Verse nach?
2. Die erste Antwort
3. Die zweite Antwort
4. Mischung der beiden. Positionslänge
5. Die dritte Antwort
6. Die vierte Antwort
7. Hebungskürze und Senkungslänge
8. Taktmaß des Hexameters; seine dreisilbigen Takte
9. Trochäus und Spondeus. Das Trochäenverbot
10. Die falschen Spondeen: der gleichgewogene und der umgedrehte
11. Arten des umgedrehten. Vorgeneigte Versschlüsse
12. Falsche Spondeen und anderes bei Voß
13. Bei A. W. Schlegel und Platen
14. Bei Klopstock
15. Bei Schiller
16. In Goethes kleineren Dichtungen
17. Im Reineke Fuchs
18. In Hermann und Dorothea
19. In der Achilleis
20. Goethe und seine Versberater. Der schwächliche Iktus
21. Falsche Spondeen und anderes in Odenversen
22. Platensche Formvollendung. Richtig und schön
23. Die subjektiven Voraussetzungen
24. Schätzung des Hexameters
25. Schätzung der Odenverse
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Deutscher und antiker Vers: Der falsche Spondeus und angrenzende Fragen [Reprint 2017 ed.]
 9783111345802, 9783110992861

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QUELLEN UND FORSCHUNGEN ZUR

SPRACH- I M ) CULTURGrE SCHICHTE DER

GERMANISCHEN VÖLKER.

HERAUSGEGEBEN VON

ALOIS BRANDL, ANDREAS HEUSLER, FRANZ SCHULTZ.

CXXIII. DEUTSCHER UND ANTIKER VERS.

STRASSBÜRG KARL

J. T R Ü R N E R 1917.

DEUTSCHER UND ANTIKER YER8 DER FALSCHE SPONDEUS UND ANGRENZENDE FRAGEN

UNTERSUCHT VON

ANDREAS HEUSLER.

STRASSBURG. KARL

J. T R Ü B N E R . 1917.

Dem Andenken

ERICH SCHMIDTS

Alle Rechte vorbehalten.

M. DuMont Schauberg, Straßbarg.

INHALTSVERZEICHNIS. Seite

1. Die Fragestellung. Wie bilden wir antike Verse nach? . . . . 2. Die erste Antwort 3. Die zweite Antwort 4. Mischung der beiden. Positionslänge 5. Die dritte Antwort 6. Die vierte Antwort -' 7. Hebungskürze und Senkungslänge 8. Taktmaß des Hexameters; seine dreisilbigen Takte 9. Trochäus und Spondeus. Das Trochäenverbot 10. Die falschen Spondeen: der gleichgewogene und der umgedrehte 11. Arten des umgedrehten. Vorgeneigte Versschlüsse 12. Falsche Spondeen und anderes bei Voß 13. Bei A. W. Schlegel und Platen 14. Bei Klopstock 15. Bei Schiller 16. In Goethes kleineren Dichtungen 17. Im Reineke Fuchs 18. In Hermann und Dorothea 19. In der Achilleis 20. Goethe und seine Versberater. Der schwächliche Iktus . . . . 21. Falsche Spondeen und anderes in Odenversen 22. Platensche Formvollendung. Richtig und schön 23. Die subjektiven Voraussetzungen 24. Schätzung des Hexameters 25. Schätzung der Odenverse Register

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1. Oft findet man den Gedanken ausgesprochen: die Yerse Platens sind richtiger als die Goethischen, aber weniger schön, weniger deutsch. Man denkt dabei an die antikisierenden Maße, in erster Linie den Hexameter. Bei den vielen Yersarten andren Ursprungs spielt dieser Gegensatz nicht. Aber was meint man eigentlich, wenn man so den schönen Vers gegen den richtigen stellt? — Es birgt sich viel Unklarheit in dieser Kontrastierung. Wollen wir der Sache auf den Grand gehn, so sehen wir uns hingeführt auf die Frage: w i e k ö n n e n w i r i n d e u t s c h e r S p r a c h e a n t i k e V e r s m a ß e n a c h b i l d e n ? Man darf auch sagen: in germanischer Sprache; denn in den grundsätzlichen Dingen verhalten sich das Niederländische, das Englische und das Skandinavische ebenso wie das Deutsche. Um diese Frage kommt keine umfassende Darstellung der deutschen Verskunst herum. Unsre Lehrbücher stellen sie in ungleicher Schärfe; befriedigend beantwortet scheint sie mir noch nicht zu sein. Eine gewisse Unsicherheit besteht bis heute auch bei Dichtern und Dichtungsfreunden: Welches Heimatrecht hat in unsrer Verskunst die griechelnde Gruppe, der Homerische Sechsfüßler und die äolischen Odenstrophen ? Sprechen sie zu einem von Grund aus andern Formgefühl als der Knittelvers oder die heimischen Liedmaße? Unter den Einzelfragen hebt sich hervor die nach dem Spondeus: ist er deutschen Versen notwendig oder erlaubt oder verboten — oder gar unmöglich? Man kann der Frage v e r s g e s c h i c h t l i c h nacbgehn. Wie man die Maße der Alten nachzubilden habe, das hat bekanntlich schon unsren klassischen Dichtern von Klopstock bis QF. cxxni. 1

2

Die Fragestellung.

Platen Sorge gemacht. Es gab schon eine gewisse Spannung zwischen Schule und freiem Dichterschaffen, zwischen Theorie und Sprachgefühl. Aber diese Sorgen b e g a n n e n viel früher: in der Humanistenzeit — seit eben die Dichtung der Alten als formales Yorbild auftauchte. Wohl waren die Hauptmaße der deutschen Renaissance- und Barockdichtung, der Alexandriner und der fünfhebige „gemeine Vers", den Franzosen, nicht den Griechen und Römern entlehnt. Aber wie diese metrischen Umrisse mit sprachlichem Stoff zu füllen seien, das wollte man vom Beginn des 17. Jahrhunderts an nicht mehr den wälschen Nachbarn ablernen, denen man rückständige Silbenzählerei vorwarf: die Gesetze d e s i n n e r n V e r s b a u s legte man sich im Blick auf das antike Muster zurecht. Von Anfang an stellten sich die Verslehrer die nachzuahmenden Maße in Gestalt von m e t r i s c h e n S c h e m a t a vor mit den bekannten Strichen und Häkchen. Und daß diese Formeln als Versbilder unvollständig, mangelhaft waren, das hat zu Opitzens wie zu Gottscheds und Platens Zeit Unheil gestiftet. Für unsre Betrachtung ist von vornherein zu merken: die sämtlichen Schablonen bestritt man aus den zwei Zeichen _ und w, „Längen" und „Kürzen". Daß es bei den Alten, aber auch bei uns, mehr als zwei Zeitwerte gebe, kam nicht zum Ausdruck. Daß einige dieser Zeichen einen Iktus trugen, andere nicht, also die dynamische Abstufung im metrischen Rahmen: das trat nur zu selten über die Schwelle des Bewußtseins. Das übliche Schema war, kurz gesagt, ein grammatisches Schemen, kein Abbild des Rhythmus; denn was den Rhythmus ausmacht, Zeitverhältnisse und Nachdruck, davon schwieg die Formel. Die Frage stellte sich so: was f ü r d e u t s c h e S i l b e n s e t z e n w i r den antiken L ä n g e n u n d K ü r z e n g e g e n über? Diese Frage hat seit dem 16. Jahrhundert vier verschiedene Autworten erfahren. Die letzte ist die richtige, d. h. der deutschen Sprache gemäße Lösung; die drei vorangehenden nähern sich ihr stufenweise. Nur war es, zeitlich betrachtet, kein stetiger Anstieg von der ersten zur vierten

3

Die erste Antwort.

Stufe: die verschiedenen Antworten gehn z. T. neben einander her, besonders Nr. 3 tritt mehr vereinzelt hervor in dem langen Zeitraum, wo noch Nr. 2 die Leitung hat. 2. Die erste Antwort war die roh quantitierende Lehre des 16. Jahrhunderts. Sie war von romanischen Dichtergelehrten ausgegangen, fand aber auch in den meisten Ländern germanischer Sprache vereinzelte Nachfolge l ). Im deutschen Schrifttum war Gesner ihr erster dichtender, Clajus ihr theoretischer Yerfechter. Man sagte: der antiken Länge entspricht die deutsche Silbenlänge, der antiken Kürze die deutsche Silbenkürze. W a s aber im Deutschen Länge und Kürze sei, das bestimmte sich nach Regeln, die mechanisch und nicht einmal folgerecht dem Lateinischen nachgesprochen waren. Man maß die Dauer nach Zahl und Art der Laute — oder der Buchstaben. Die Gruppe gedrungen das kann ein bilden, denn diese Silben sind positione lang. Aus demselben Grunde ergibt unser der ein _.£_, und das nämliche Maß füllt ein schwebet der mit seiner natura langen ersten Silbe schwe-. (Die Ikten sind hier erst unsre Zugabe.) Warum dann freilich vogel bei dem Sachsen Clajus mit kurzer erster Silbe als (_t)ww passiert, darf man nicht fragen. Das Ergebnis waren Hexameter dieser A r t : Ö vatter uns6r, der du dyn ¿ewige wönung Erhöchst inn himmlta, dyn nämen w6rde geh6ilget (Gesner). £ i n vogel hoch schwebst, der nicht als ändere 16bet; Wird doch g6drung6n, das oft mit schalle geklungen (Clajus).

Äußerlich genommen ist das nicht so sehr viel anders als gewisse Versuche schon aus dem 14. und 15. Jahrhundert 8 ): Der sel6n sinö si göt gnädig ane pine; Plänte kol Urbani, werp w6et, rove säet Kiliäni. *) Saran, Rhythmus des französischen Verses S. 12 ff.; Paludan, Renaissancebevaegelsen i Danmarks Literatur S. 423 ff.; Hjärne in der Zeitschrift Spräk och Stil 13, 301. *) Bei W. Wackernagel, Geschichte des deutschen Hexameters S. 9. 12. 1*

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Die erste Antwort.

Aber damals war es ein naives Nachstümpern der antiken Form: an „Silbenmessung" dachte man noch nicht, nur an die Silben zahl, 2 oder 3 Silben auf den Takt. Bei unsern Humanisten ist es einigermaßen System geworden; man fragt nach den Bestandteilen des antiken und des deutschen Versfußes, nach Länge und Kürze; man sucht ein Rezept der Nachahmung. Der Grundirrtum lag darin: das dynamische im Yers wie in der Sprache war schlechthin mißachtet; daher auch alle Ansprüche des deutschen Sprachstoffs an den metrischen Rhythmus. Wobei wir uns erinnern müssen, daß es die Zeit der Meistersingerlyrik war und der Lobwasser-Schedischen „Renaissanceverse": an unbegrenzte Tonbeugung, mindestens im sangbaren Gedicht, war man gewohnt. Daß man auch über die wirkliche D a u e r der deutschen Silben völlig im Dunkeln war, ging mit in den Kauf. Glücklicherweise hat dieser erste Lösungsversuch in der deutschen Dichtung keine weiten Wellen geworfen; er blieb im ganzen eine folgenlose Abirrung von dem geraden Wege. Das Bemerkenswerte daran ist, daß noch die spätem Yerslehrer, Gottsched inbegriffen, die in ihrer Praxis diesem Wahnsinn nicht erlagen, den g r u n d s ä t z l i c h e n Fehler daran gar nicht erkannten. Für sie handelt es sich um eine Frage der Quantitätsmessung. Daß sie diese Yerse als „Teutschen Ohren widerig und unpoetisch" empfinden1), schieben sie darauf, daß die Länge der Silben nicht richtig geschätzt sei; daß Gesner „fast alle deutsche Sylben für lang gehalten" habe. Ein andrer Maßstab stand diesen Metrikern nicht zu Gebote; da sie, auf Stufe 2 stehend (s. u.), den Begriff der Betonung unter dem Begriff der Länge begruben, konnten sie nicht einfach sagen: unsre natürliche deutsche Betonung ist in diesen Versen vergewaltigt. Das Irrige der Kritik lag nicht nur in einer falschen Wortwahl, so daß wir einfach für „lang" das richtige „betont" einzusetzen hätten. Denn Gottsched tadelt in unsern zwei ersten Beispielsversen den n ä m l i c h e n Fehler in Vatir unsir wie in ndmen: dort wie hier sei eine „kurze" Endsilbe lang gebraucht, für einen ') Schottel, Teutsche Vers- oder Reimkunst S. Ii (1645).

Die erste Antwort.

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Strich im Schema 1 ). Das Schema bot ja für alle diese Silben das Zeichen und von guten und schlechten Taktteilen wußte man nichts. So tonnte man überhören, daß ein vaUr ganz andren Schlages war als ein rmmen\ daß dort eine Sprachmißhandlung vorlag, hier nicht. Gottsched konnte denn auch auf den Gedanken kommen, bei Gesner sei die Mundart mit schuld; diese anstößigen vielen Längen könnten „nach einer schweren Zürcher-Zunge vielleicht so geklungen haben". „Man sieht leicht, daß die schwerfällige ZürcherMundart diesen ehrlichen Mann und wohlmeynenden Patrioten mehr, als die Natur der Sache selbst, gehindert, etwas taugliches zu machen." Ein hübsches Beispiel, wie man eine den Versbau regierende Grundeigenschaft der germanischen Sprachfamilie verwechseln konnte mit metrisch bedeutungslosen, oberflächlichen Mundartverschiedenheiten! Freilich, bei Clajus, dem Hertzberger, hat Gottsched die genau entsprechenden Fehler nicht aus der schweren Zunge erklärt! Da schlägt er andre Töne an als bei dem Landsmann der Bodmer und Breitinger. „Die rechte Ehre, das deutsche Sylbenmaß in Regeln und Ordnung zu bringen, war also abermal Obersachsen oder Meißen aufgehoben"; und nach Proben aus Clajus: „Sind nun gleich diese Exempel nicht ganz untadelich: so sieht man doch, daß ein gelehrter Sprachkenner schon der Sache Möglichkeit eingesehen, und den Anfang dazu nicht ganz unglücklich gemachet hat"2). Bis tief ins 19. Jahrhundert herab sehen wir das verkannt, was uns heute so einfach und selbstverständlich vorkommt: daß die germanischen Sprachen, vermöge ihres Nachdrucktons, an den Vers andre Bedingungen stellen als die antiken. Messungen wie vaUr unser konnte man nur auf Umwegen bekämpfen, sozusagen nur auf Grund gefälschter Akten; und andre Tonmißhandlungen, die uns fast ebenso böse und mißverständlich dünken, kann Voß noch rechtfertigen durch Hinweis auf den Römer mit seinem intir sesi magnd vi (Abschn. 10). A. W. Schlegel kann der Meinung verfallen, das Gotische hätte „sich in rhythmische Silbenmaße, ') Deutsche Sprachkunst4 S. 655. *) Deutsche Sprachkunst8 S. 577 f.

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Die zweite Antwort.

ganz nach den Gesetzen der griechischen Metrik, fügen" können 1 ). Und selbst Lachmann noch war sich nicht im klaren, daß eine Yersmessung nur nach der Silbendauer in allen germanischen Sprachen seit Tuistos Zeiten wider die Natur wäre; denn er sprach 1831 die Ansicht aus 2 ), „die althochdeutsche Sprache hätte sich ganz gewiß zur völligen Nachahmung antiker Yersarten geeignet" 3 ): der Zusammenhang zeigt, daß er an eine quantitierende Nachahmung dachte, wozu die scharfe Unterscheidung von Länge und Kürze auch in Formsilben das Althochdeutsche besonders befähigt hätte. Daß auch in den geschicktesten Nachahmungen antiker Versmaße der Streit zwischen Rhythmus und Akzent so selten erscheine, erwähnt er offenbar als Mangel. Wir werden sehen, wie das Längemessen im Sinne des Clajus nachwirkte, nachdem seit Menschenaltern schon eine neue Antwort auf unsre Frage gefunden war. 3. Diese zweite Lösung des Problems war die, die von Rebhun bis Minckwitz, mehr als drei Jahrhunderte lang, in Theorie und Yersübung v o r h e r r s c h t e ; die eigentliche Vulgatansicht dieses langen Zeitraums. Hier ging man nicht, wie Gesner und Genossen, vom Hexameter aus, sondern von den jambisch-trochäischen Yersen, den alternierenden Rhythmen. „Nachmals ist auch ein jeder Yers entweder ein iambicus oder trochaicus", kann noch Opitz sagen. Das Schema:

(•-') _ ^ _ ....

war anfangs die Universalformel. Daktylen und Anapäste baute man erst nach Opitz. Mit dem S p o n d e u s wissen die Verslehren des 17. Jahrhunderts nichts rechtes anzufangen 1 ); manche sprechen ihn der ') Sämtliche Werke 7, 266 (aus dem Jahr 1827). *) Kleinere Schriften 1, 364. •') Was noch 1886 Borinski nachsprach, Poetik der Renaissance S. 26. *) Sieh unter anderm Titz, Zwei Bücher usw. I c. 2 § 6; c. 10 § 5; Hannman, Prosodia germanica S. 168; Schottel und Fürst Ludwig von Anhalt bei Krause, der Fruchtbringenden Gesellschaft ältester

Die zweite Antwort.

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deutschen Sprache ab; darin sind sie wohl alle einig, daß | wiltmeer | oder | bergduf | keine Spondeen bilden. Die künstlicheren Füße, als da sind der Amphibrachys, der Creticus, die Päone und der Choriambus, bleiben in der vor-Klopstockischen Zeit unwirksame Schaustücke der Lehrparagraphen. Die beiden Bausteine des Universalschemas, den Strich und den Haken, nahm man für gewöhnlich nicht als Zeitwerte, sondern als sprachliche, prosodische Sinnbilder: der Strich meint eine sprachlich lange Silbe, der Haken eine sprachlich kurze Silbe. Daher kam man folgerichtig zu dem Satze: ein „Vers" ist eine stetige Abwechslung von Länge und Kürze. Eine Begriffsbestimmung, die nur möglich war, weil das Ohr — oder das Auge — auf jenen ärmlichen Ausschnitt aus dem antiken Formenreichtum gebannt war. Der Hexameter und beliebige Odenmaße widersprechen dieser Bestimmung, und es zeugt für die Macht der Gewohnheit, wenn noch bei Gottsched, da wo der Begriff „Yers" oder „Sylbenmaß" ins Spiel kommt, automatisch das Schlagwort „Abwechselung langer und kurzer Sylben" hervorspringt1). Wie bildete man die Formel im Deutschen nach ? Die Antwort lautete zunächst ganz ebenso wie auf der ersten Stufe: eine deutsche Länge für die antike Länge, eine deutsche Kürze für die antike Kürze. Allein, w o n a c h sich Länge und Kürze im Deutschen bestimme, d i e s entschied man anders. Statt des fühllosen Irrtums der Gesner-Clajus trat eine feinere, jedenfalls unschädlichere Selbsttäuschung und Begriffsverwechslung ein 2 ). Man v e r w e c h s e l t e Quantität Erzschrein S. 283. 289f.; Neumark, Poetische Tafeln S. 116. Dazu Baesecke, Euphorion 13, 437; Borcherdt, Andreas Tscherning S. 197. 214; Schuster, Hofmanswaldau S. 79, sowie unten Abschn. 6. ') z. B. Critische Dichtkunst' S. 70. 73.347. 349; Deutsche Sprachkunst 6 S. 565 f. 601. *) Ich verweise auf die eindringende und meisterhaft klare Darstellung Jellineks, Zeitschrift für deutsches Altertum 48, 227 ff., dazu Geschichte der nhd. Grammatik 2, 42 f. (1914). Die entsprechenden dänischen Erscheinungen behandelt J. Paludan, Renaissancebevsegelsen (1887) S. 410 ff., bes. 427 ff., die schwedischen Sandwall in der Zeitschrift Spräk och Stil 13, 21 ff. (1913).

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Die zweite Antwort.

u n d A k z e n t . Die starken (betonten) Silben des Deutschen hielt man für lang, die schwachen (unbetonten) Silben des Deutschen für kurz. Unbefangene Beobachtung des deutschen Prosarhythmus zeigt, daß es sich nicht so verhält. Über deutsche Silbendauer hat man ja höchst widersprechend geurteilt. Im Jahr 1746 lehrte Johann Friedrich Christ (wie übrigens schon zwei Jahrhunderte früher Conrad Gesner): das Deutsche habe fast nur Längen und könne darum antike Versfüße nur sehr beschränkt nachbilden 1 ). Im Jahr 1912 erklärte Kobilinski, das Deutsche habe im Grunde nur Kürzen und könne deshalb den Wechsel von _ und w nicht widergeben 2 ). Hat sich die deutsche Sprache in den 166 Jahren nach Christ so von Grund aus verändert? — Schwerlich! Im 18. Jahrhundert wird es schon so wie im 20. gelegen haben: daß man alle neuhochdeutschen Silben als „Kürzen" sprechen und im Verse einem griechischen xpovoq TrpuiTO) S. 38.

') S. .39.

s

) Euphorion 13, 444.

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Die vierte Antwort.

gangskürze und daher für ein lang-lang tauglich. Das folgende Beispiel bestätigt dies, die trochäische Zeile: Wie wol ist doch dem geschehen:

das „von Natur lange" wol soll offenbar, um die „sonderliche Bewegung darzustellen", einen fühlbaren Spondeus bewirken, einen, der in Vossischer Sprache ein geschleifter hieße (s. u.); aber an fünf Hebungen denkt Buchner auch hier nicht. Oder man nehme etwa Hannman, a. a. 0. S. 181 ff.: wenn er als Eingangsfuß der „unreinen Anapästischen" {Die nichtige lust verschwindet bald) einen Spondeus und einen Jambus, und w _, zur Wahl stellt, ist ihm doch klar, daß dies für die Taktzahl des Verses nichts ausmacht. — Der Spondeus bleibt in den Lehrbüchern vor Klopstock unwirksam, nicht weil er zu zwei Hebungssilben gezwungen hätte, sondern weil Silbengruppen wie ehstand, bäum blüht; glück zu, gleich wie von Anfang an als Trochäen bzw. Jamben kanonisiert waren; daneben hatte der Spondeus keinen rechten Raum mehr. Der deutsche Hexameter hat doch noch völlig unter dem Dache der Opitzischen Werkhütte seine ersten Schritte getan (Omeis, Heräus, Gottsched), und doch ward man nie daran irre, daß er sechs Hebungssilben und nicht mehr verlange. Was aber A. W. Schlegel betrifft, so hat er doch seine Spondeen, auch die umgedrehten, nicht zweihebig gedacht x ), und Baesecke wird nicht im Ernst zweifeln, daß die Zeile: Hoch trat und fest auf dein kothurngang, Aeschylus

die Absicht hat, ein Sechstakter zu sein! In Minckwitzens Lehrbuch finde ich allerdings eine Stelle, die von dem Spondeus als einer zweihebigen Größe redet 2 ). Nachdem der Verfasser geklagt hat, für die „deutschen Volksgedichte" seien Wörter wie Wachslicht nichts weiter als Trochäen, erwähnt er als Ausnahme die Messungen m&rkgrdf(eri), Dänkwärt im Nibelungenlied: hier trete ein Spondeus heraus, und diese Spondeen hätten im Epos dazu gedient, etwas Schreckliches, Überraschendes oder Merkwürdiges hervorzuheben. Seine weiteren Worte zeigen aber, daß er *) Man sehe seine Äußerungen Sämtl. Werke 7, 191 f. ») Deutsche Prosodie (1844) S. 65. 67.

Hebungskürze und Senkungslänge.

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eine (ihm halbklar vorschwebende) Messung J J Ü), mit zwei guten Taktteilen, nicht mehr „Spondeus" genannt hätte; dieser Name gölte nur, wenn die beiden Akzente in 6inem Fuße zusammenstießen. Daß ihm der moderne Spondeus einhebig ist, versteht sich von selbst. 7. Wir kehren zu Stufe 3 zurück: für die antike Länge eine betonte Silbe, für die antike Kürze eine unbetonte. Der Irrtum dieses Grundsatzes enthüllt sich, wie Baesecke gesehen hat, sobald man antike Versfüße nachbilden will wie | |, den Spondeus, oder | ¿ww |, den Tribrachys als Stellvertreter des Trochäus, oder | w w i w |, den Proceleusmaticus als Stellvertreter des Anapästs. In | i w w | darf man nicht mehr der ersten, in I w w w w I nicht mehr der dritten Kürze eine unbetonte Silbe gegenüberstellen, sondern eine betonte. Denn es ist eine Hebung. In | ± _ \ braucht es für die zweite Länge nicht mehr eine betonte Silbe, sondern eine verhältnismäßig unbetonte, d. h. eine, die schwächer ist als die vorangehende und die nachfolgende. Denn diese Länge steht in der Senkung. In die Sprache der zweiten Stufe übertragen, hieße es, scheinbar paradox: für die g e h o b e n e Kürze brauchen wir eine Länge, für die g e s e n k t e Länge brauchen wir eine Kürze. Tribrachys und Proceleusmaticus haben begreiflicherweise unsre Dichter wenig geplagt. Es mutet uns als Curiosum an, doch lehrreich für das Irrige der Theorie, wenn "W". Schlegel vermeint, die Formel _ ^ ^ w _ _ (d. h. _ -L w ^ + _) zu treffen mit den Silben: Fröhlicheren festtanz:

als ob die erste Hebungskürze durch die schwachtonige Silbe -Ii- irgend echter herauskäme als durch eine hebungsfähige Silbe, eine vermeintliche Länge! Die Silbengruppe: Doch fröhlichen festtanz

würde den Rhythmus _ i ^ w j. _ a m n ) genau so treu wiedergeben, mit dem Unterschied, daß diese zweite Axt deutsch wäre, die erste undeutsch! Aber Schlegels Versuch

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Hebungskürze und Senkungslänge.

war vom Standpunkt der zweiten (wie auch der dritten) Stufe untadelig; denn die antike Kürze kehrte ja als deutsche „Kürze" ( = unbetonte Silbe) wieder. Ja, diese Theorie hätte auch erlaubt, das ^ durch eine „Kürze" mit schwachem -ewiederzugeben: feUrten den festtanz oder schritten sie den festtanz hätte dem Leitsatze nicht widersprochen, wäre ein richtiges _ w w ^ gewesen. Diese härteste Sprachverletzung, diesen Rückfall zu Gesner und den Meistersingern, hat nur das unbewußte Gefühl hintangehalten: man hörte eben doch die Ikten, auch wenn man sie im Schema vergaß. Apels Metrik stellt ganz ernsthaft die Unterscheidungen auf 1 ): das Schema _ | w _ | _, mit „anapästischem Daktylus" in der Mitte, geben wir untadelhaft wieder mit tod öder siegrühm; floh vön dem schlachtfüd; „fast ebenso gut" mit kein diadem strählt; „notdürftig" auch mit herrischer zurüf; unerlaubt aber sei hassti gewalttdt — und ebenso unstatthaft sieghdfte heerschär, dies nicht wegen der Tonmißhandlung, sondern weil -haft- keine wahre Kürze sei! Ein andermal will er ein wiedergeben mit: Peinigenderis, unvergihendes w6h*).

Er sieht oder hört nicht, daß so vertraute Yerse wie: Wir singen und sagen vom grafen so gern die vollkommene Wiedergabe jener Schablone wären, denn er kommt von dem Glauben nicht los, die deutschen Wurzelsilben seien Längen und forderten im Yerse notwendig mehr als ein Achtel (w). Mitunter gings ohne Tonbeugung ab, d. h. für die antike Hebungskürze bot sich eine deutsche Silbe, die trotz ihrer vermeintlichen Kürze (will sagen Schwäche) hebungsfähig und damit versgemäß war. In der Wiedergabe eines Pindarischen Hymnus versieht Schlegel die Zeile: Wie sie beschneit steht all das jähr durch

mit den Zeichen w^ über den zwei Anfangssilben 3 ). (Die entsprechende Zeile in der spätem Strophe lautet: In dem gemüt solch edlen Wohnort. Hier fand er die Kennzeichnung ') 2, 204 f. (1816). *) 2, 583. 3 ) Sämtliche Werke 3,132.

Hebungskürze und Senkungslänge.

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der Kürzen unnötig.) Schlegel meint also das Schema ^^w ; aber bei den drei Anfangskürzen denkt er nicht an dreisilbigen Auftakt : me und in sollen eine Hebung bekommen; also wieder ein Tribrachys, ¿ w , aber diesmal ohne das Opfer der Sprachrichtigkeit, weil die vermeintlichen Kürzen wie und in (soll man sagen: zufällig?) stärker sind als die zwei folgenden Kürzen und sich ihnen daher als Hebung überordnen dürfen. Wo der Irrtum, unsre Starktonsilben seien unabänderlich „lang", zusammentrat mit der richtigen Forderung, für den Iktus brauchten wir eine hebungsfähige, in der Regel starktonige Silbe, da kam man folgerecht zu der Lehre : eine Gruppe wie ^ ü b e r h a u p t eine Kürze in Hebung, sei bei uns Deutschen ein Ding der Unmöglichkeit. Diesen Standpunkt vertrat das gescheite und temperamentvolle Buch von Otto Friedrich Gruppe, Deutsche Übersetzerkunst1). Wir haben bei diesem Autor eine Mischung von Stufe 2 und 4. Es versteht sich, daß auch die ^ in S e n k u n g beliebig als deutsche Wurzelsilben erscheinen dürfen, sofern nur die Nachdrucks Verhältnisse gewahrt sind. Voß baut in seinem Dithyrambus an Friedrich August Wolf 56 Galliamben, deren zweite Hälfte nach seiner eigenen Auffassung 2 ) diesen Rhythmus hat:

'U N I J N N I J Eine uns sehr geläufige Figur; man nehme Schnaderhüpflverse wie: Aber | mèi diandle bist du | nit ; Aber | zsämkemman wermers | bald ; Und a | mllchsupp in aller | frua.

Hätte sich Yoß seinem Gehör oder dem rhythmisch klaren Notenbilde anvertraut, so hätte er ohne Gewissensbisse Wurzelsilben verwendet für die ungeraden Achtel des Taktes. Aber nun stand da die Strich-Hakenformel also vier „Kürzen" zwischen den guten Taktteilen — und deutsche Kürzen, das waren ja nur die unbetonten Silben! So baut !) Sieh in der zweiten Auflage (1866) S. 370. Ebenso wohl die meisten Späteren, z. B. Minor, Nhd. Metrik S. 35. • ») Zeitmessung ' S. 145. 148.

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Hebungskürze und Senkungslänge.

denn Voß im Schweiße seines Angesichts die 56 Halb verse mit vier aufeinander folgenden „Kürzen": 0 besélìger dù erschéinst; Und den schàumènderèn pokàl; Zu dem ménschlìcherèn veréin; Mit den lilien in dem klée. Eine Folge wie: Und der firnwèin im runden kélch wäre für Voß immer nur ein gewesen, also unbrauchbar für seinen Galliambus, wiewohl er sich als musikalischer Mann sagen mußte, daß diese Silbengruppe den gewollten Rhythmus aufs beste herstellt. Fünf Kürzen nach einander, ^ ^ w w w, irepivécpeXov, glaubte man wiederkehren zu sehen in dem deutschen: furcht- | erlkhere ge \ -hört; donn- \ erer in dem ge \ -rieht. Klopstock treibt sogar ein Gegenstück auf zu sechs Kürzen, w ^ ^ w w ^ : ei- | ligeres in dem ge | -sang '). Denn man stand unter der Anschauung: das Zeichen ^ ist nicht ein Zeitwert, sondern ein grammatisches Sinnbild: es meint die sprachlich kurze Silbe ; und die schwachen, senkungsfähigen Silben des Deutschen sind sprachlich kurz (nach Stufe 3 : sind Gegenwerte der sprachlichen Kürzen). In Wirklichkeit müßte man fragen : wie sind diese griechischen Kürzenreihen, TrepivécpeXov, rcupì cpXtfójievov, in dem besonderen Falle r h y t h m i s i e r t , wo liegen die Ikten? Dann erst könnte man nach dem deutschen Gegenbilde fragen, und die Antwort wäre eben, daß jedem i eine hebungsfähige und jedem w eine senkungsfähige Silbe entsprechen müßte. "Wo mehr als sechs Kürzen sich häuften, da schienen die deutschen Gegenstücke zu versagen. Terse wie die Euripideischen : ?TI ßpitpo?, ?TI vtov, ITI ÖdXo? ' «puToiba narptbo? ¿uro f^vóiaevov oder der Äschyleische : àuó\€|io? ö&e T' Ò uóXenoi; äitopa irópino? oiiò' mußten als völlig unnachahmbar gelten. Man denke, 12 bis 16 *) Bei Back und Spindler 3, 187 ; vgl. 4, 43.

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Hebungskürze und Senkungslänge.

kurze, will sagen schwache, senkungheischende Silben hinter einander! Nun, welchen Rhythmus diese Zeilen hatten, darüber sind sich ja die Gräzisten nicht einig. Gesetzt der Fall, es war kein Taktwechsel und keine fünfteiligen Takte, sondern es ging drei- oder vierteiliger Takt, | i ^ w | oder | ¿ w w durch das ganze Versinnere durch, dann hätte die deutsche Nachbildung keinerlei Schwierigkeit. Nach der Vorschrift „ f ü r das £ eine hebungs-, für das ^ eine senkungsfähige Silbe" würden wir das Urbild rhythmisch genau und zugleich deutsch-sprachgemäß wiedergeben können. Dem Mißverständnis, ein antikes £ fordere bei uns eine „kurze", will sagen schwache, Silbe, entsprang noch eine besondere Klasse von Fehlern ; das sind die Pentameterschlüsse im Komparativ, wie Schlegel und Platen sie liebten: Vieles darum: nie gabs eine gewaltigere; Schönere wurden gemalt, keine vollendetere.

Die Formel erlaubte für die Schlußsilbe so gut ein u wie ein somit schien ein kurzes deutsches End-e berechtigt. Aber diese Schlußsilbe ist H e b u n g s s i l b e , und daß ein (gewaltige)re, obwohl unter Umständen hebungsfähig, für den Schlußtakt des Pentameters zu schwächlich ist, hätten unsre Dichter ganz gewiß empfunden, wenn sie nur nach dem Ohre gedichtet hätten. Als Schlegel noch unbefangener war, hat er solche Kadenzen für „sehr schlecht" erklärt 1 ). Eine verwandte Erscheinung treffen wir in Klopstocks Oden. An seinen alkäischen, asklepiadeischen und glykonischen Zeilen fällt auf, wie oft sie mit schwachtoniger Endsilbe schließen; z. B.: Noch ungekeltert, aber schon feuriger; Die mein steigendes herz himmlisch erweiterte.

Woher diese dem Metrum gewiß nicht zuträgliche Neigung ? Sie hängt offenbar damit zusammen, daß Klopstock diesen Zeilen fast immer das Schema vorsetzt mit dem Ausgang _ w L> anstatt _ ^ _ ; wie auch z. B. Moriz erklärt, die beiden ersten Verse der alkäischen Strophe endigten auf zwei Daktylen: ') Sämtliche Werke 10, 78 (vom Jahr 1796). QF. CXXIII.

3

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Hebungskürze und Senkungslänge.

Caelo tonantem credidimus Iovem ').

Nicht als ob Klopstocks eigne Verse diese Ultima als Senkung behandelten: überwiegend setzt er ja eine volltonige Silbe an diese Stelle: dbendlüft; glücklich mächt, so daß ihm sicher auch jene schwächeren Kadenzen als zweihebig vorschwebten: fiwrighr, erwiiterÜ. Die verkehrte Formel hat also nicht die Zahl der Ikten verkürzt, nur die trübe Vorstellung geweckt: als w kann eine schwache deutsche Endsilbe dienen, auch wenn sie in Hebung tritt. Es ist, wie bei Klopstock fast immer, der mehr grammatische als rhythmische Blick auf die Sache. Rhythmisch könnte ein zweihebiges fiurigbr niemals Ausdruck finden in den Zeichen _ ^ dem gewöhnlichen Abbild des einhebigen Daktylus! Da Klopstock, wie gesagt, diese Schlüsse bald mit -luft, bald mit -Ü bildet, wäre es von seinem Standpunkt logisch gewesen, im Schema ein zu schreiben 2 ) oder nach seinem sonstigen Brauch ein . . . w ^ (_). Das anceps-Zeichen hätte hier den Sinn: diese Silbe ist eine, sprachlich bald schwache, bald starke Hebung. Viel öfter, bei Klopstock und Späteren, hat das anceps-Zeichen den Sinn: diese Silbe ist eine, sprachlich bald schwache, bald starke S e n k u n g . Beidemal muß nach Rezept 2 und 3 das deutsche anceps als gerechtes Gegenstück des antiken gelten. Akustisch genommen, sind es zwei unvergleichbare Dinge. Das antike ^ drückt aus, daß an der Versstelle eine sprachlich lange o d e r kurze Silbe stehn darf, womit über das Zeitmaß dieser Silben noch nicht entschieden ist, doch handelt es sich um eine rein durative Erscheinung. Das deutsche anceps bezeichnet wechselnde sprachliche Stärke einer Silbe, sei es einer gehobenen, sei es einer gesenkten; eine rein dynamische Erscheinung. — In Klopstocks Oden gibt es noch eine dritte Verwendung des anceps-Zeichens: w (_) und _ (w) sagen aus, daß die Silbe jenachdem H e b u n g o d e r S e n k u n g sein kann; im zweiten Fall tritt ergänzend eine Hebungspause ein. Ein Beispiel aus der Ode „Unsre ') Versuch einer deutschen Prosodie (1786) S. 80. Das richtige bei Voss, Zeitmessung 2 S. 128; vgl. Rossbach-Westphal, Theorie III 2,575. *) Was er ausnahmsweise tut in der Ode „An Fanny" 1748.

Hebungskürze und Senkungslänge.

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Fürsten" 1766, Zeile 4: es entsprechen sich in Strophe 9 und 1: Und der hain rufts in den schatten; Wir entflammten mit dem feuer.

Die Klopstocksche Formel sieht so aus: W W

W,

(

*_
) Zeitmessung' S. 120f.

Arten des falschen Spondeus.

69

11. War jenes erste Spondeenrezept (leblos, nicht leben) eine hemmende Einengung des Dichters, so war das zweite (d4nn leblös) ein Freibrief für sprachwidrige Verse. Gewiß, ähnliche Tonverdrehungen haben sich unsre Dichter auch in den Jambenversen erlaubt, wo keine Jagd nach dem Spondeus mitspielte. Aber schon das Zahlenverhältnis ist ja gar nicht zu vergleichen; man atmet doch auf, wenn man von Schlegels oder Platens Hexametern zu ihren Sonetten oder Blankversen oder Gaselen kommt! "Was würden wir zum Schlegelschen Shakespeare sagen, wenn jeder dritte Vers ein meerflüt, einsätn brächte? In den Jamben waren die Tonbeugungen g e d u l d e t : in den antikisierenden Maßen wurden sie g e s u c h t als eine besondre Feinheit und Regelrichtigkeit, die den Vers der Kenner und Meister abhob von dem „natürlichsten Naturalismus" der Goethe und Schiller. Dem Jambus v e r b i e t e t Schlegel Messungen wie leblös-, solche wie leblöse, wehmütig, unglücklicher, freiwilliges, also mit drei- und viersilbigen Wörtern, will er g e w i s s e n Verss t e l l e n erlauben1). Außerdem wird ein Maß wie der jambische reimlose Bühnenvers durch diese Tonversetzungen sehr viel weniger geschädigt: seine schematische Einfachheit, verbunden mit den mancherlei Freiheiten seiner Füllung, macht ihn zu einem metrisch unempfindlicheren Gebilde. D i e Regelmäßigkeit, die der Hörer von ihm erwartet, kommt durch diese Ausweichungen nicht stark ins Wanken, mag nun der Vortragende zur schwebenden Betonung greifen oder durch Wahren des sprachlichen Tons den alternierenden Fall durchbrechen. Geprägtere, prosafernere Formen, wie der Hexameter und die Odenverse, sind gegen beides, die Tonverschleierung und das Zerreißen der metrischen Linie, empfindlicher. Innerhalb der umgedrehten Spondeen gibt es härtere und gelindere Arten. Härter wirkt es, wenn ein S u f f i x die Hebung an sich reißt auf Kosten der Wurzelsilbe: ein schönhöit oder gar hoffnüng, hemmnis mutet deutschen Ohren mehr ') Sämtliche Werke 7, 191.

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Arlen des falschen Spondeus.

zu als ein leblós, riickkéhr, nachdhmen und ist denn auch ohne Vergleich seltener. Zu den häßlicheren Species gehören ferner die eidéchsen und améisen, auch die arbéiten: sie setzen eine Silbe auf den Ehrenstuhl, die, ohne begrifflichen Gehalt, einem Suffix ähnelt. Einen Unterschied macht es sodann, ob die gebeugte Silbe eine Hebung vor sich hat, die sich ihr nach dem natürlichen Rhythmus pröklitisch anschmiegt: séin zornféuer entbrannt ; dà antwórtete . . ; die langbéinige ; vóli trotzbietender kraft ; du bist mutwillig ; als voll würde das jähr ; aber es hM hnechtschdft\ — oder ob eine sprachlich ebenbürtige Silbe vorangeht, so daß man den einen Starkton unter zwei starktonige Nachbarn herabsinken läßt : wie er das wort aussprdch ; da die zéit hinróllt ; aber ich lasse den géist abirren ; des réichs zukünftige hoffnung; Idut wehklagend. Ähnlich dieser zweiten Art ist es, wenn dem gebeugten Ton eine Pause, eine deutliche Kolongrenze, vorausliegt: Wem von Ilios féld ; riickkéhr nach hause bestimmt sei; Kaum hegt, irgend umhér, einfàchere menschen die erde; Aber du zaudertest noch, vorsichtiger nachbar, und sagtest: Machen Sie Karl nicht rót. Gut séin ist besser denn vornehm ; Pomp, zieräten und dorische säulen . . . ; Jä, mooräffen sollten sie heißen . . .

In dem erstgenannten Falle wird die Folge _ ~ - umstilisiert zu ~~ _ ~ : es verschiebt sich das dynamische Verhältnis der mittleren Silbe zu b e i d e n Nachbarsilben, und zugleich schnellt in den ersten Iktus eine Silbe hinauf, die nach ihrer angeborenen Schwäche dazu gar nicht fähig wäre. In den folgenden Gruppen ist es eine e i n f a c h e Verschiebung: die erste der drei Silben bleibt ungekränkt; und die dritte liefert keine so baufällige Hebung wie dort das vorgeneigte Glied. Wo die erste Silbe m e h r sprachliches Gewicht hat als der folgende Wortton, da kann auch die Prosa zu der Abstufung > v « ( 1 . 3 . 2 ) neigen: (über den) sand wegspült; (wo in den) schutt hinsank ; (wenn) not eintrat ; (den) schmuck anleg(en); (die) tür aufschließend), so daß die Messung . wenig Vertuschungskünste fordert. Anderseits kann man nach einer Kolonpause, wie auch im Versanfang, leichter

Arten des falschen Spondeus.

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einen Starkton in der Senkung unterbringen. Man halte neben einander die beiden Verse aus dem Eeineke Fuchs, III 102 und 97: Alle wie wir hier sind, hat 6r Stiefkinder geheißen;

Grüß euch gött! stiefkinderchen! sagt er . .:

der erste greift rauher in die rhythmische Kurve ein. Einen Dichter, der nur die leichtere Art (mit volltoniger erster Hebung oder Pause) zuließe, hab ich nicht gefunden. Aber die andre, härtere Art (die „vorgeneigte") ist in den meisten Werken seltener. Eine mittlere Stellung nehmen ein die minder häufigen Fälle, wo die erste Silbe vorgeneigt, die dritte aber sprachlich ungefähr gleichstark ist wie die zweite: _ : ist Borns tcdhlspruch; mit oft wiilendem gang; dinn kennt jSmand den herrn; . . . helfe was helfen kann! d6nn hier Gilt es den hals.

Solche Silbengruppen erleiden zwar nur eine Umdrehung, aber das Verstärken der vorgeneigten Silbe, diese empfindlichste Störung des Sprachrhythmus, teilen sie mit unsren ersten Beispielen. Ebenfalls einfache Umdrehung, aber von besonders ohrenfälliger und schwer zu verhüllender Art, entsteht dann, wenn der Schlußtakt die entschieden stärkere Silbe in die Senkung drückt, mag nun die Pänultima vorgeneigt sein: wehe, sie sank hin-, . . der kömmt an; jammerten Idut auf, oder rückgeneigt: stand auf einer mitternächt still', schaute sein vätergefüd an-, lachende täler und tdusenderlii grün. Verschiedene Grade der Tonverschiebung hat man auch finden wollen in den drei Typen: 6r, freimütigen sinns . . . er, freimütig, kühn . . . 6r, freimüt im herzen . . .:

die erste Art sei die mildeste, die dritte die härteste. Es scheint nicht, daß diese Abstufung für die Praxis der Dichter etwas bedeutet hat. Dies betraf die umgedrehten Spondeen. Die g l e i c h g e w o g e n e n grenzen sich nicht haarscharf von ihnen ab; denn von einem als fallender Spondeus mißbrauchten _ 4

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Arten des falschen Spondeus.

kommt man stufenweise zum reinen ± dessen „Gleichgewicht" irgendwie syntaktisch gesichert ist, und weiterhin zu dem ± das den zweiten Teil um eine Schwebung schwächer nimmt und so hinüberführt zu dem sprachgemäßen ISblosTakte. Man sehe die Beispiele im vorigen Abschnitt. All diese Stufen ergeben Yersschäden sehr ungleichen Ranges; aber eine Zweiteilung wie vorhin bei den umgedrehten Takten drängt sich hier nicht auf. Wir bemerkten, wie die gleichgewogenen Spondeen mit Vorliebe den Schlußtakt angreifen, und der ist beim Hexameter, wie auch sonst, das edelste Organ. Zu unterscheiden von den gleichgewogenen Ausgängen, und doch in der Wirkung mit ihnen verwandt, sind solche wie: Aber der weise Bhagirathas nun, sein strahlend geschirr stets Zügelend, eilte voran . . . (W. Schlegel):

stets ist zwar nicht zu schwer für eine Senkung, aber diese Senkung müßte sich, der natürlichen Betonung nach, proklitisch an die folgende Hebung lehnen, sie ist vorgeneigt: sein strahlend geschirr I stets zügelnd. Wenn, wie in unserm Falle, die Versgrenze dazwischen tritt, verliert stets seinen Halt und will sich dem vorangehenden Starkton geschirr nicht recht als Senkung anschmiegen. Hexameterschlüsse dieser Art wird man da finden, wo auch die gleichgewogenen heimisch sind; z. B. in Hermann und Dorothea stehn nicht wenige (s. u. Abschn. 18). Mitunter liegt es auf der Grenze zum gleichgewogenen hin; der Vers Herders: Alexanders edle gestalt, sein wagender müt lebt Hier im bilde Lysipps . . .

läßt die Wahl, ob lebt als volltoniges Glied, mit Pause dahinter, zu sprechen oder proklitisch zum folgenden hier hinüberzuziehen sei. Die Kadenz des Verses wird beidemal verwischt. Im übrigen kommt es gerade beim Versschluß auf sehr feine Schwingungen an, ob man ihn noch als sprachgemäß empfinde. Der Vossische Satzübergriff, beispielsweise: Rauschend schleppten sie alle dem ströme näch, und das schiff stand Still, weil keiner mehr . . . (Odyssee 1781 12, 204)

macht mir beim Sprechen keine Ungelegenheit, d. h. er nötigt

Arlen des falschen Spondeus.

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mich nicht, in fühlbarem Grade sei es den gesunden Satzrhythmus zu vertuschen, sei es die Hexameterkurve zu knicken. Objektive Satztonregeln lassen uns hier im Stich: jeder einzelne Fall will nach seinen geistigen und lautlichen Bedingungen belauscht sein. Der Usus ist zwar auch hier der Richter, aber landschaftliche und persönliche Zufälligkeiten spalten ihn in hohem Maße. Die Auswahl der gleichgewogenen und vorgeneigten Schlüsse in Abschn. 12—21 ist vermutlich subjektiver ausgefallen als das übrige. Bei den folgenden statistischen Angaben lasse ich durchweg außer Spiel die Beiwörter mit der Vorsilbe un-, weil ich mir nicht getraue zwischen sprachgemäßem und versetztem Tone zu scheiden. Diese Komposita hatten zu Goethes Zeit offenbar in viel weiterem Umfang als heute den Hauptton auf dem zweiten Gliede, und das un- galt selbst den Gestrengen als schwach genug für die Kürze im Daktylus. Hätte Schlegel in seiner Prosa betont wie wir, dann hätte er sich niemals Takte und Yerse erlaubt wie die folgenden: . . die . . die Diese Auch

spur von dem röß ungesöhn blieb; sehnsucht blieb unerfüllt ihm; nur waren gedrückt; ungedrückte noch kommen in zukunft, ungesehene dann, auch ungeschriebne hinzu').

Daß man hier mit „einer Art schwebender Betonung" nachhelfen müsse2), leuchtet mir nicht ein. Solche Daktylen hat auch Klopstock in der letzten Fassung des Messias noch zugelassen: nöch ungebildet; die unverwändt; ¿inen unschuldigen; göttheit unsMdvischer geister. Bei Voß sogar: Nöch unvollendet (Ilias I 526 u. ö.). Apel rechnet als gute „deutsche Wortanapäste" Partizipien wie ungeliebt3). In dem Reinekevers II 131 lesen die Drucke: Mm unglücklichen bären, die Handschrift H aber: um den unglücklichen bären-. diese letzte Messung setzt gewiß den sprachlichen Hauptton auf glück •voraus, und danach werden wir auch die erste nicht als umgedrehten Spondeus nehmen. Ebenso verhält sich Hermann ') Sämtliche Werke 2, 278; vgl. Briefwechsel zwischen W. v. Humboldt und A. W. Schlegel S. 26. ') Pniower, Anzeiger f. d. Alt. 21, 128. ') Metrik 2, 180 (1816).

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Voß.

IV 89: döch unruhiger neben der Lesart von H: äber unruhiger-, Achilleis 339: wenn du unwiibliche scharen neben H 1 : wenn dti die unwiiblichen scharen. In Alexis und Dora 152 läßt Goethe das von Schlegel getadelte stehn: diesen unglücklichen mast1). Der erste Takt wird ihm anders geklungen haben als ein diesen willkürlichen; diesen leichtsinnigen2). 12 Beginnen wir mit den Klassizisten, den eigentlichen Pflegern des falschen Spondeus, die nicht leicht ein Dutzend Hexameter dichten können ohne diese planvolle Sprachverletzung. Yoß ist der theoretische Begründer und Rechtfertiger der tonbeugenden Takte. Er galt zu Anfang des vorigen Jahrhunderts gewissermaßen als der Schutzheilige der falschen Spondeen, auch über die deutschen Grenzen hinaus: Tegn6r rief einem schwedischen Landsmann, der in einer Disputation seine klassischen Yerse verteidigte, den launigen Hexameter zu: Matte dig Voss bistä' — förlät jag menade bistä! 3 ) ,Möge dir Voß beistihn — verzeih, ich dachte an biistehn!'

Aufgebracht hat Yoß diese Sprachbehandlung nicht: schon eh er zu Ende der 1770 er Jahre die Odyssee übertrug, bestand sie in viel hundert Vertretern in Klopstocks Messias. Aber dessen Maß hat Yoß weit überschritten. Wir erinnern uns, daß er dem Verse: Düsterer zog sturmnächt, graunvöll rings wogte das meer auf

den Namen gab „durch Kunst veredelte Natur", also einem Vers, der in sechs aufeinanderfolgenden Silben, von zog bis rings, die sprachlich gegebenen Nachdrucksverhältnisse umwirft. Danach wären wir eigentlich auf alles vorbereitet in Vossens Praxis. Doch bezeichnet die angeführte Zeile ein selten erreichtes Ideal, und im ganzen erscheint uns. Vossens Haltung noch maßvoll, weil seine Jünger, W. Schlegel und dann Platen, ihn so fühlbar überboten haben. ') Weim. Ausg. 1, 437. s ) Fälle dieser Art s. Abschn. 16. 8 ) Mitgeteilt von Sandwall, Spräk och Stil 13. 60.

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Voß.

Ich habe auf unsere Frage untersucht: die Luise, gedichtet 1795, mit 1766 Hexametern; aus den Homerischen Epen nach der 3. Ausgabe 1806: von der Ilias Gesang 1 und 24 mit 1413 Versen, von der Odyssee Gesang 1, 2, 23 und 24 mit 1800 Versen; außerdem diesen selben Teil der Odyssee nach der ersten Fassung von 1781. Die äußern Zahlenverhältnisse sind diese: falsche Spond. zusammen: einer auf

gleichgewogene: einer auf

umgedrehte: einer auf

Odyssee 1781 13,4 Verse 200 Verse 14,4 Verse Dias 1806 8,3 ,, 130 „ 8,8 „ Odyssee 1806 6,8 „ 100 „ 7,3 „ Luise 5,8 „ 196 „ 6 „ Der Text von 1781 liegt von den anderen ab: Vossens Anfänge waren mit umgedrehten Takten noch sparsamer (obwohl sie über Klopstock schon hinausgingen); in der späteren Fassung dieser Odysseegesänge haben sie sich verdoppelt; und dabei ist doch fast die Hälfte der frühern Fälle aus stilistischen Gründen entfernt worden. Als Wahrzeichen nehme man, daß es 1781 noch hieß: der wolkenversammler Kronion (vetpeXrirepeTa Zeuc); erst später glaubte Voß hier die Senkungsstellung von Zeuc im Deutschen nachbilden zu dürfen: nach Stufe 2 ganz logisch, da ja Zeus, ob griechisch oder deutsch, eine „Länge" war; und so gab es das bekannte: der herrscher im donnergewölk, Zeus. Schon in den frühesten handschriftlichen Entwürfen1) steht: warum denn zürnest du sö, Zeus? (ibbucrao, Zeö); aber das ist ein viel gelinderer Fall: der Vokativ spricht sich leicht als Senkung; an der ersten Stelle bilden die Silben herr-, donn- und Zeus im natürlichen Satzrhythmus drei gleichhohe Nachdrucksgipfel: -

Die gewagtesten Schlußtakte der 1781er

Odyssee dürften sein: dem düstern himmel entsdnk nacht 5, 294 u. ö.; die brechenden äugen umschlöß nacht 22, 85; laut wie rindergebrüll scholls 12, 396; und Übt wohl! 13, 39; kleine gaben erfrdun auch (sinnwidrig) 6, 208; und sehen, was *) M. Bernays in der Einleitung zu Vossens Odyssee, 1881, S. LXXII.

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Vofi.

dies sei (gleichfalls) 10, 44. Daß sich die Yerse der ersten Ausgabe so viel besser lesen, liegt wohl auch am metrischen, mehr noch daran, daß ihre "Wortstellung, ihr ganzes Sprachgewand, so sehr viel deutscher und empfundener ist. Man fühlt sich an das Verhältnis zwischen ßeineke und Achilleis erinnert. Im Lauf der 1780er Jahre gewann Yoß seinen „strengern" und an Tonversetzungen reicheren Versstil. Die Zahlen aus den drei weitern Texten liegen verhältnismäßig nahe beisammen (man vergleiche die Abstände bei Goethe, am Schluß von Abschn. 19). Die Luise, die gewiß am sorgfältigsten geformt wurde, enthält m e h r tonbeugende Takte; ein Zeichen, daß diese erstrebt, nicht geduldet sind. Später hat der Dichter auch an der Luise noch die Undeutschheiten gesteigert (was Goethe mißfällig bemerkte')). Im dritten Gesang die Prachtstelle vom Spiel auf der Kremonageige vermehrte sich um ein Hexameterpaar, worin Yoß all seinen Jüngern zuzurufen scheint: mich werdet ihr nie erreichen! Es lautet: Bald, wie gezwängt bergflut im geklüft weint, weinte der tonfall Unruhvoll, langsam mißkläng' auflösend in einklang.

Die Mißkläng' zu „malen", ist zweifellos geglückt; der Einklang ist fraglicher. Bis zu Ende bilden die g l e i c h g e w o g e n e n Spondeen bei Voß einen auffallend kleinen Bruchteil; nur bei Schlegel finden wir z. T. noch ähnliche Proportionen. Etwa fünf Sechstel der Fälle gehören dem Schlußtakte. Die Luise hat 5 dieser gleichgewogenen Kadenzen, die drei härtesten sind: II 131 . . . religion sei Uns zum gedeihn, und nicht untätiger religion wir! II 146 . . . war es die nacht kalt, || Lieber söhn? III 482 . . . und begänn so: _ »).

In den Übertragungen sind ebenfalls diese und begänn soSchlüsse und die mit dem ordnet• der wät Zeus und ähnliche die ohrenfälligsten. Dazu treten einige Kadenzen mit u m g e d r e h t e n Takten, die z. T. schrill hereingellen, wie di& ') Goethes Gespräche 8, 6. *) Zwei leichtere Fälle II 274; III 483.

Voß.

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vorhin besprochenen, oder etwa Od. 24, 93 (noch nicht im Text von 1781): Also auch nicht im tod erlosch dein name; vielmehr stets Währt bei allen menschen . . . Aber auch dies sind Ausnahmen, die den Leser jedesmal überraschen: im ganzen darf man den Yossischen Hexametern noch in den Zeiten des Niedergangs nachrühmen, daß sie ihre Schlüsse feinfühlig bilden; hierin ist der Fortschritt über Klopstock groß. Obgleich Yoß das Übergreifen des Satzes liebt, erspart er uns jene formlösenden Ausgänge mit vorgeneigter Schlußsilbe, mit denen sich Goethe im Hermann befreundete. Unter den u m g e d r e h t e n Spondeen beträgt die härtere Art, mit proklitischer Hebungssilbe, im Durchschnitt ein Drittel der Fälle; nur in dem Frühtext 1781 auffälligerweise mehr als die Hälfte. Verhältnismäßig häufig sind die gelindesten Arten, wie: mit Vernunft beiwöhnt; hSil anwtlnschend; des läng abwesenden. Verpflanzung des Iktus auf ein S u f f i x finde ich in den 5000 Versen nur achtmal; Luise: wahrhaft; arbiiten; Homer: heröld(en) 3 Fälle; reichtüm, schicksäl, vormals; dazu 1781 botschäften. Es ist somit bei Voß nur eine gelegentliche Freiheit 1 ). Tonverschiebungen, die mir bei andern Dichtern im Hexameter nicht aufstießen, sind diese: dbschdttungen, anfichtungen, einwindungen, Wahrsagungen, aufmirksame: das Mißfällige an ihnen liegt darin, daß sie der Prosabetonung z w i e f a c h widersprechen. Da wo das Idyll den Alltagston anschlägt, klingen diese Spondeen unserm Ohre noch wunderlicher als in der ohnedies gestelzten Sprache der Heldenepen: Kinder, so kömmt arglös auf ein stück rehbräten zu mittag: der naturtreue Ausdruck scheint uns die unnatürliche Tonbehandlung zu parodieren. Aber Voß hatte sich da ein andres Gefühl anerzogen; dieses Ballspiel mit den Akzenten war ihm eine „veredelnde" Stilisierung, die den Hexameter überallhin begleiten durfte. Auch seine plattdeutschen Idyllen ') W. Schlegel rügt es in seiner Anzeige der zweiten Vossischen Homerausgabe, Sämtl. Werke 10,180.

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A. W. Schlegel und Platen.

kennen den fälschen Spondeus; z.B.: man ik wehddge bi waddik;

lat mi tovoer updäun;

mien lübfolcische f f Und;

Füj, balstürige keerl, de dät wief ansnäuet un pisackt.

13. Voß hat sich, wie wir früher sahen, den sogen. Trochäus. | leben |, | lebt ge- |, noch erlaubt und hat manches noch als Daktylus gelten lassen, was Spätere für einen Creticus _ w _ oder Palimbacchius hielten. Mit dieser (sprachlich wohlbegründeten) Läßlichkeit hängt es zusammen, daß der künstliche Spondee bei Voß die erwähnten Grenzen hält. Bei S c h l e g e l und P l a t e n hat sich beides, Hand in Hand, zum „strengeren" gewendet. Wer die Trochäen verpönt und für die Senkungen des Daktylus peinlich nach deutschen „Kürzen-1 suchen muß, den drängt es von selbst zum „Spondeus" hin, und wie man dieses lang-lang im Deutschen aufs kraftvollste glaubte formen zu können, wissen wir ja. Rezitiert man Schlegels oder Platens Hexameter und Distichen, so empfindet man ein Geflecht von eleganten, leichten, hüpfenden -Takten, wozwischen immer wieder mit Tücke die klobigen Wacken der falschen Spondeen geklemmt sind, von denen ja kein Mensch urkundlich sagen kann, wie sie denn eigentlich gesprochen werden wollen, — nur so viel steht fest, daß dem arglosen Vortragenden unaufhörlich ein Bein gestellt wird. Der schroffe Gegensatz zwischen den befiederten dreisilbigen und den lastenden zweisilbigen Takten macht die Eigenart dieser angeblich formgerechten Verse aus; und wie sich der Geschmack dazu stellen mag, sicher ist, daß bei Homer und Virgil Daktylus und Spondeus nicht in diesem aufdringlichen Kontraste standen. Wo Schlegel auf der Höhe seiner Technik steht, in „Rom" und den zwei Ramayanagesängen, überschreitet er weit die Vossischen Zahlen. „Rom" bringt auf 148 Distichen 75 umgedrehte, 3 gleichgewogene Spondeen. Das ist ein Fall auf 3,8 Verse (wobei zu bedenken, daß der Pentameter

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A. W. Schlegel und Platen.

nur an zwei Stellen Gelegenheit zu einem Spondeus gibt). Von den 75 enthält ziemlich die Hälfte die schwerere Art, mit Torgeneigter Silbe in Hebung. Dagegen gehobene Ableitungssilbe (ivahrhMt) vermeidet Schlegel treulich. Die zwei indischen Gesänge, 424 Hexameter, bringen es noch etwas höher. Ich zähle 147 umgedrehte, 11 gleichgewogene Spondeen. Zusammen 158 = einer auf 2,7 Yerse. 18 Yerse sind doppelt gezeichnet. Der Bruchteil der „vorgeneigten" Fälle ist aber gesunken: es sind 38, etwa ein Viertel der umgedrehten. Einige Proben findet man oben Abschn. 10 und nachher S. 81. 83. Diese Schlegelschen Hexameter sind es, die Wilhelm von Humboldt „überaus schön", „unendlich korrekt", „wahrhaft meisterhaft" genannt hat1). Heute wird man sich fragen, ob das überhaupt nooh deutsche Verse sind. Da wo Schlegel sein Bestes geben wollte, in kleinen, blankgeschliffenen Kabinettstücken, da steigt er freilich noch zu andern Teilzahlen auf. Die 7 Musterdistichen „Elegie" wagen 8 Tonbeugungen, und die 18 Musterhexameter, die alle Reize dieses Versmaßes spielen lassen sollen, erreichen 13 sprachwidrige Spondeen2). Berühmt wurde der Vers: Wie oft s6efahrt kaum vorrückt, mühvölleres rüdern.

Das soll nämlich ein Hexameter sein. Der natürliche Sprachrhythmus wäre etwa dieser:

N J. J

J J J I J. F N J

/

Sollte daraus ein Vers gemacht werden, so könnte es allenfalls dieser Viertakter sein:

N i J 11 1 J J i J J73 1 J

Es gäbe noch andere Möglichkeiten; z. B. eine gar nicht üble Schnaderhüpfl-Langzeile:

N I J J J I J J 11J J J ; I J J

Aber ein Hexameter — nein, darauf hätte der Dichter nicht bestehn sollen! Mit Schlegels Spondeenmenge tritt wohl nur der Phi') Briefwechsel zwischen Humboldt und Schlegel S. 7. 9. *) Sämtliche Werke 2, 32 f.

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lolog F r i e d r i c h August Wolf in "Wettbewerb; die beiden teilten sich auch in den Ruhm, das Trochäenverbot erlassen zu haben1). Wolfs 9 Odysseeverse, der Inbegriff genauester Nachbildung2), bergen 6 umgedrehte Takte (3 mit proklitischer Hebung). Das ist ein Fall auf l 1 /« Zeilen. Diese Spannung der Saite konnte auch Wolf nur auf kürzeste Strecke hin festhalten: in der zweiten, hundertversigen Probe3) begnügt er sich mit 20 tonbeugenden Spondeen; das geht wenig über Vossens Luise hinaus. Schlegel stellt einmal zur Vergleichung die Klopstockische und die Yossische Übersetzung von 7 Yirgilversen (iEneis VI 847 ff.) neben einander und läßt darauf einen eignen Versuch „nach meinen Grundsätzen des Vorbaues" folgen4): Klopstock und Voß dichten je 6inen umgedrehten Spondeus (anmütiger; anördnung) — Schlegel bringt es auf viere (anmutiger, einbilden, aufginge, welthirrschende). Nur wenig bleibt hinter den Schlegelschen Zahlen ein größerer Dichter, Platen, zurück. Seine vier Idyllen in Hexametern5), zusammen 187 Zeilen, enthalten 59 umgedrehte und 7 gleichgewogene Spondeen; das ergibt einen Fall auf 2,8 Verse. Von den 59 sind nur 14 „vorgeneigt". Von den 7 stehn 6 im Versende. Als zusammenhängendes Beispiel lasse man den Schluß von Amalfi auf sich wirken: Aber es läßt ehrgeiziger brüst unstäte begier mich Wieder verlassen den sitz preiswürdiger erdebewohner, Bannt am ende vielleicht in des nörds schneewüste zurück mich, Wo mein lautendes wört gleichläutendem worte begegnet.

Unter den gleichgewogenen Kadenzen beachte man diese (Die Fischer auf Capri 29): Nicht die gefilde der insel bewohnt dies arme geschlicht, nie Pflückt es des Ölbaums frucht . .:

hier müßte man schon ein Ausländer sein, um das nie als Senkung des sechsten Taktes über die Zunge zu bringen: ') *) 8 ) 4 ) »)

W. Schlegel, Sämtliche Werke 10, 186. 188 f. Litterarische Analekten 1, 219. Ebd. 2,137ff.; vgl. Gruppe, Deutsche Übersetzerkunst' S. 103£f. Sämtliche Werke 7, 267 f. (aus dem Jahr 1827). Ausgabe von Koch und Petzet 4,139 ff. (Nr. 1, 3, 7 und 8).

81

A . W . Schlegel u n d Platen.

sprechen wir Deutsch, so bewirkt die notwendige Pause vor nie und der Nachdruck dieses emphatischen Wortes, daß ein deutlicher — Heptameter entsteht. W i e es der Dichter wohl anfing? Nur noch etwa zwei Fünftel der Verse haben eine Schlußsenkung mit schwachem End-e: im Reineke Fuchs sind es fast vier Fünftel, in Hermann und Dorothea zwei Drittel. Daß Platen in jenen vier Stücken die S u f f i x hebung meidet, sieht nach Zufall aus, denn in seinen Epigrammen, die zeitlich nicht weit abliegen, wuchern diese Blüten reichlich. Platens Epigramme bezeichnen überhaupt einen Hochstand undeutscher Verskunst. Man sieht hier ein großes Formtalent den bedauerlichen alten Holzweg (Rezept 2) mit kalter Leidenschaft verfolgen. W i r nehmen von diesen Epigrammen die ersten 148 Distichen, soviel wie Schlegels „Rom". Ich finde in ihnen 67 umgedrehte, 9 gleichgewogene Spondeen. Das ist 1 Fall auf 3,9 Verse. Diese Summe stimmt fast genau zu der von „Rom", nur machen bei Platen die gleichgewogenen einen größern Bruchteil aus. Von den 67 umgedrehten haben 34 eine vorgeneigte Silbe in der Hebung: auch dies entspricht der Teilzahl bei Schlegel. Ein grundsätzlicher Unterschied liegt darin, daß die von Schlegel gemiedene Suffixhebung bei Platen in nicht weniger als 19 Fällen auftritt. Platen ist, wie es scheint, der erste, der sie bewußt verwendet, ja sucht. Zeilen wie: A b e r soviel Wahrheit ist ein fataler genuß; G e b e n j e d o c h Zeugnis meine g e s ä n g e v o n euch; Noch sich verliebt furchtbär schnell in den britischen lord; Hemmt, er verwirkt

Schonung; fort.an

den

galgen

mit ihm

werden immer an erster Stelle stehn unter den Zeugnissen dafür, w i e weit ein ungenügendes Schema und eine verirrte Theorie das deutsche Sprachgefühl vom rechten W e g e ablocken konnten. W i e man sieht, ist es mit Vorliebe die Pentametermitte, die Platen mit diesen schwächlichen, sprachwidrigen Hebungen bedenkt. Die Vorgänger bei Schlegel, z. B.: Bis zu d e m m6er jenseits dort v o m

Sabinergebirg;

Als in d e r nacht graunvöll krachte der

flamme

ruin;

Kennst du der hüld anhäuch, gleichwie der große gewaltr QF. CXXIII.

6

82

A. W. Schlegel und Platen.

sind noch erheblich sprechbarer, eben weil sie kein bloßes Suffix in die Fuge stellen. Der dritte Pentametertakt war für den auf die Formel schauenden Dichter ein —, eine „Länge" wie jede andere auch: daß es eine Überlänge ist, richtiger: daß dieser einsilbige Takt ein Glied mit vollem sprachlichem Nachdruck verlangt, das hätte ja das Ohr leicht verraten können. Aber Platen folgt dem Ohre so wenig, daß er sogar eine proklitische Schwachtonsilbe an diese Versstelle setzen kann: Doch du erwartetest voll ruhe das tödliche blei: eigentlich hätte dieses voll auch für Platen eine „Kürze" sein müssen; er hat wohl das Wort in seinem Status absolutus abgeschätzt und die besondern Tonverhältnisse der präpositionalen Verwendung überhört. Dagegen suche ich vergebens die Erklärung für den Fall: Streng ausbilde bis ins kleinste das kleinste gedieht:

dies nimmt der altehrwürdige Irrtum der Stufe 2 nicht mehr unter seine Flügel; kam etwa Platen von der Lektüre des Clajus und fand ins positione lang? — Was zutage kommen kann, wenn ein gleichgewogener und ein umgedrehter Spondeus in der ersten Pentameterhälfte sich verbünden, zeige der Jugendvers1): Dumpf schallt, wäs voll ist, lieblicher klingelt, was hohl:

man stelle wieder bei den ersten fünf Silben Prosarhythmus und metrische Formung gegen einander; etwa: J J. , > Ji und J J^ J J^ s .

t

Dieses Stilisieren ist ein Denaturieren.

Als Beispiele, wie die Kadenz des Hexameters durch falsche Spondeen zerbrochen wird, nehme man: doch wird das gedieht stets || Bleiben der stolz . .; durch geist zu ergänzen des stöffs fehl; Ariosto vielleicht sah || Deines geschlechts ahnherrn; und den verdrehtesten aller deutschen Hexameterschlüsse: lachende täler und tamenderUi grün, — was nach dem getreuen Minckwitz „rhythmische Malerei" sein soll („eine Gegend, wo ein Fluß ströme")!! 2 ) ') Bei Koch-Petzet 6, 314. ») Prosodie S. 24.

83

A. W. Schlegel und Platen.

Auch darin geht Platen über die Früheren hinaus, daß er gern den Eigennamen den Ton verdreht. Man kennt die: künden, o söhn Friedrichs; jetzt, da beréits Raupäch; werde, so riet Dalbérg; lachender dis Addms; aber es trdt Hermès. Gemeinsam mit Schlegel ist unserm Dichter eine s y n t a k t i s c h e Neigung, die mit dem falschen Spondeus ähnlich verschwistert ist wie die gekünstelten Daktylen (zügelend, eiferig, sechzigbejahrt) mit der Kürzenscheu: nämlich die undeutsche Stellung der trennbaren Zeitwortpräfixe, ihre Vorwegnahme im Hauptsatz. Schon Yoß erkaufte sich ein paar geschleifte durch Stellungen wie: Laut mit bekümmerter sêel' aufschrieen sie. Aber das ist in seinem Homer verschwindende Ausnahme1), in der Luise hab ichs nicht bemerkt. Schlegel, der es im Jahr 1796 tadelte2), begeht später den Fehler öfter und hörbarer: Hier ausgieße den vätern gesamt von dem wasser die spende; Selber gereiniget dann, heim kéhret er wieder zu seiner ; Dennoch weder das röß aufspüren wir, weder den roßdieb.

Dem reiht sich Platen an mit Versen wie: Dort anléhnt sich mit rundlichem dach . . ; Schnéll austrieben die kunst jesuiten . .; Wie es den wassern entstéigt, ausbréitet sich abendgewölk schon; . . . im heißen gebét anrief ich.

Solche Geschöpfe, die von zwei Seiten, syntaktisch und rhythmisch, der deutschen Sprache den Atem verschnüren, sind wohl geeignet, den Gegnern des antiken Stils als schreckende Beispiele zu dienen. Hier haben wir den vielberufenen „Schulstaub", der unsre griechelnden Verse verhaßt gemacht hat. Hören wir Platen selbst: Höchst genial zwar nénnt sprachwidrige verse die mitweit; Aber du wirst, nachwélt, lieben ein edleres deutsch!

Poeta — propheta. •) Daß er im dritten Druck getrennt schreibt: auf schrieen sie; stets nach tobte, ist eine Besserung fürs Auge! — Einwandfrei sind natürlich die emphatischen Satzspitzen: auf stand er; nach stürmten sie (vgl. Voß, Zeitmessung s S. 273). s ) Sämtliche Werke 10, 167. 6*

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Klopstock.

14. Wenden wir uns von der „Schule" zu Klopstock, bei welchem triebhaftes Schaffen und theoretisches Grübeln lebenslang so merkwürdig sich verflechten. Als sich der Zweiundzwanzigjährige zu dem Wagnis Hexameter entschloß, stand er dem Schema so frei gegenüber wie wohl keiner mehr unter seinen Nachfolgern. Das zeigt sich an den drei Dingen: den unbegrenzt zugelassenen „Trochäen", den übermäßig gedrängten Daktylen und den beispiellos selbstherrlichen Zäsuren. Die erste dieser Freiheiten hat Klopstock bewußt beibehalten: wir sahen, wie er aus der Not eine Tugend machte (Abschn. 9); die zweite hat er mehr und mehr eingeschränkt, so daß er in seinen reifen Jahren etwa die Grundsätze des Reineke Fuchs befolgt; über den dritten Punkt, die Zäsuren, wahrte er sich — zur Unzufriedenheit Tossens — seine unantikische Privatmeinung. Man darf danach erwarten, daß der Messias des ersten Drucks, 1748, dem | — | des Schemas keine sonderlichen Opfer schlachtete. In gewissem Sinne trifft dies auch zu. Zwar finden sich von Anfang an falsche Spondeen: die gleichgewogenen nur spärlich und fast lauter harmlosere Fälle; die drei härtesten in Gesang 1 und 2 dürften sein 1 ): Zwar er selber, das erdengeschöpf, von dem der proph6t träumt II 584; Doch das getöse der wandelnden erde, die itzt mit der nacht kam II 901; Fleuch, fleuch, 6rde, wir kommen mit tod und hölle bewaffnet II 730.

Zahlreicher sind die umgedrehten Spondeen: ich zähle auf die ersten 1600 Yerse gegen 40 Fälle — eine Bruchzahl, die Goethe nur in der Achilleis überschreitet. Allein, diese den engein nur weinbdre tränen; mir anständige wege; rauschend wie din Sturmwind; im erdbSben versinkt, langsdm zur erde sich nieder (II 831); winn gott alle bezirke; und klagt ¿inen besessenen mann; sündigen und gott schmähn — sie *) Die Verszahlen nach dem Neudruck Munckers, Deutsche Litteraturdenkmale des 18. Jahrhunderts Heft 11. Die oben ausgehobenen Verse aus den zwei ersten Gesängen kehren alle gleichlautend wieder in dem Druck von 1761.

Klopstock.

85

wirken in ihrer Umgebung anders als die entsprechenden Takte bei Voß und Schlegel. Das liegt daran, daß gleichartige Tonbeugungen massenhaft auch den dreisilbigen Takten erlaubt sind: es wimmelt bei dem jungen Klopstock von „Daktylen" wie: diine nachähmerin; jiner tiefsinnigen; mit riger sorgfältiger; ¿wig einsiedlerisch; ünsern umstShenden; schöne, weltrichter; stimme nachrufen; sdtan antwörtete; — Als selbst die Schöpfung, die du durch deinen söhn 6hmals vollbrachtest (I 85);

ohne Verhüllung, frei, 6hm die dämmrung; ich, der herr, ndnn ihn; über das töte meer finster hinüber; tvie der gott, dir ihn vertrieb; dergleichen tat sähe; da der Schöpfung gott sägte; Wenn er sich, einen großen tag, uns offenbarend eröffnet (I 385).

Solche Fälle, schier doppelt so häufig als die umgedrehten Spondeen, rücken diese letzten in ein andres Licht: der Hauptton in der einsilbigen Senkung fällt dem Ohre nicht auf als ein Mittel, den zweigliedrigen Yerstakt kraftvoll herauszutreiben; denn gleiche Haupttöne hören wir ja fortwährend in die zweisilbige Senkung gebeugt. Yom Standpunkt des Dichters betrachtet: die starke Senkungssilbe von im erdbiben; und gott schmähn ist nicht angestrebt dem Strich des Spondeus zuliebe, denn in schöne, weltrichter; wie der gott, dir ihn stehn ebensolche Silben dem Haken des Daktylus gegenüber. Beides, die tonbeugenden zweisilbigen und dreisilbigen Takte, erklärt sich als Sorg- und Kunstlosigkeit des Anfängers, der eine ungewohnte Form handhabt und noch nicht im Ohre hat, was für Silbengruppen diesen Rahmen geschmeidig ausfüllen. Es erinnert an die frühesten Teile von Otfrids Evangelienbuch; nur daß dort die Verse anfangs zu mager gerieten, bei Klopstock zu gedrängt. Wenn Minckwitz sagt: „Der Accent äußerte damals (in Klopstocks Hexametern) noch zu große Gewalt"1), so wollen wir das lieber umdrehen: der Akzent hatte zu w e n i g Eechte; der rhythmische Rahmen preßte so manches in die Senkung, was eine Hebung verdient hätte. Aber Betäubung durch die papierne Formel war es nicht. ») Prosodie S. 77.

86

Klopstock.

Auch in andrer Hinsicht zeigen ja diese Erstlinge prosodische Unverfrorenheiten, die später auch dem rohesten Empiriker nicht mehr beifielen. Klopstock kann noch das End-e dreisilbiger Wörter in die Hexameterhebung setzen: Spâlteté, wenn brausend auf ehernen wagen der nordwind II 425; Léiteté sie jauchzend bis zu den pforten der hölle II 743').

Anders wird man diese Zeilen kaum messen wollen. deutig ist dagegen: Seliger als Eva, die mutter der menschen.

Zwei-

Unzählbar II 18:

neben Séligér als Èva . . muß man hier auch erwägen: Séliger dis Evâ. Schwanken kann man auch bei: Rund, unermeßlich, das urbild der weiten, die fülle I 231:

nimmt man hier nicht mit fünf Takten vorlieb, so stehn zur Wahl: rund, unerméfilich, das urbild . . und: rûnd, unérmeßlich, das urbild . . . Die zweite Messung würde uns freilich in die Nähe von Gesner-Clajus zurückführen! Aber auch vor den beiden folgenden Zeilen muß man sich fragen, ob nicht stark Ahnenhaftes hereinspiele: Jesus, unaufhörlich voll entzückung und ehrfurcht genennet II 480; Siehe das lamm gottes, das der erden Sünde versöhnet II 570:

bedeutet dies: Jésus, undufhörllch . .; Siehe, das lamm gottés . . ? Abhelfen kann dem nur die Annahme viersilbiger Takte an dritter Stelle — wofür man sich ja auf Hermann und Dorothea berufen könnte! 2 ) Man würde an Druckfehler glauben, wenn nicht die drei folgenden Ausgaben, bis 1760, die fünf zuletzt angezogenen Yerse in gleichem, oder doch metrisch gleichem, Wortlaut wiederholten. Hexameter von u n k l a r e m , m e h r d e u t i g e m R h y t h m u s begegnen auch sonst bei dem jungen Klopstock öfter als bei Anderen, weil seine Technik sehr leichte und sehr schwere Taktfüllung zuläßt, weil sie mit dem Akzent, be'Ì Fälle wie Aber ein héiligerés läßt auch Voß gelten, wofern als Senkung „eine Länge oder zwei Kürzen" folgen (Zeitmessung* S. 173 f.). Apel billigt sie vor der Hauptzäsur des Verses (Metrik 1, 361). 8 ) Weim. Ausg. 50, 378 f. Noch ein Klopstockscher Fall bei Linckenheld a. a. 0. S. 61.

Klopstock.

87

sonders dem Satzton, frei umspringt, und weil Zäsuren fast an beliebiger Stelle eintreten dürfen. Die Zeile: Oder kann sich gott nicht vor uns ohnmächtigen schützen II 687

kann ihre Hebungen auf vier ungleiche Arten verteilen, ohne Klopstocks metrischen Brauch zu verfehlen, und die Zeile: Itzo stand auf einmal, bei des allerheiligsten eingang I 336

sogar auf fünf Arten! Derartiges kennzeichnet gut den lockern Bau der Klopstockischen Jugendhexameter. Sonst eignet ja solche Polymorphie nur der Familie der Knittelverse und der Freien Verse. Bei Goethe und Schiller gibt es nur selten polymorphe Hexameter (wohl immer nur mit zwei Messungsmöglichkeiten l )), und bei Schlegel und Platen wären sie kaum mehr denkbar. Anfangs, wie gesagt, waren Klopstocks tonbeugende zweisilbige Takte keine richtigen „umgedrehten Spondeen". Aber sie wurden es. Klopstocks weitere Entwicklung ging darauf, die schweren Daktylen in Zucht zu nehmen: die Haupttöne in zweisilbiger Senkung zogen ab — und die in einsilbiger blieben am Leben, nicht etwa nur geduldet, sondern mit deutlicher Vorliebe vermehrt. Kurz, der „Spondeus" war entdeckt, und die Tonbeugung wurde zu seinem Merkmal: die Senkungsl ä n g e ( - ) durfte einen sprachlichen Hauptton konsumieren. Theoretisch konnte Klopstock nichts dagegen haben. Er war, so gut wie einer, in den Anschauungen von Stufe 2 befangen. Er wußte, daß es ein Fehler ist, Längen kurz und Kürzen lang zu brauchen2); er tadelte den Jambus und Angst wehktdgt, denn der Jambus hat ja das Schema also die Länge weh- ist hier kurz gebraucht. Aber wenn genau diese Silben im Hexameter standen, dann füllten sie eben ein ii , und die Länge weh- war lang gebraucht, ganz nach dem Gesetz! Übrigens kenne ich keine Stelle, wo Klopstock den tonwidrigen Spondeus eigens rechtfertigte. ') Dreideutig war allenfalls der Alexis und Dora-Vers 47 im ersten Drucke: Schöne nachbarin, so war ich gewöhnt dich zu sehen (W. A. 1, 426). Durch Ginschub des bösen Schlegelschen ja (vor so) näherte er sich der Eindeutigkeit. J ) Z. B. bei Back und Spindler 3, 95. 150.

88,

Klopstock.

Er scheint ihn selbstverständlich gefunden zu haben. Da in seinen Formeln und Gedankengängen der Begriff des Yersiktus nicht vorkommt, konnte es über Widerspruch von Iktus und Sprachton keine Erörterungen geben, wie sie uns bei Yoß begegnet sind (Abschn. 10). Nur das natürliche Gefühl hätte gegen den falschen Spondeus, den die Theorie deckte, waffnen können: bei Klopstock versagte es in diesem Falle; er gehört in d i e s e m Punkte nicht zu den Unbefangenen. Die letzte Gestalt des Messias ist in der Spondeenfrage ein großer Rückschritt hinter die Gesänge von 1748 (—60). Jene 1600 Verse haben es auf 25 gleichgewogene Spondeen gebracht, darunter merklich härtere als einst: Die allein bei sich, mit seiner gottheit gefühl, gott Ganz empfindet; Fürchterlich bleich, wie bebend gebein, herübergestrickt liegt; . . . dich hass ich, du schrecklicher! mich, mich, Diesen unsterblichen geist . . fordr er . . von dir.

Die umgedrehten sind auf 55 gestiegen; nur etwa ein Drittel davon geht auf den ältesten Text zurück. An zahlreichen Stellen des Messias ist der falsche Spondeus als metrische Schlimmbesserung hereingekommen. Gewöhnlich als Abhilfe gegen (mehr oder weniger unschädliche) schwere Daktylen; das einzige Wort | mitternacht | rief manchen umgedrehten herbei. Einige Beispiele hat Hamel gesammelt1). Y 819, wo es bis 1760 hieß: Auch blieb Elöa, Sank und neigte sein haupt in eine mitternachtwölke,

da lesen wir später: Auch Elöa Blieb, sank, neigte sein haupt in eine trübere wölke:

ein Spondiacus; ein gleichgewogener Spondeus, der den Yers unweigerlich aus der Form treibt, und drittens ein gekünstelter Daktylus {trübere): der Preis ist etwas hoch, und dabei ist das einzige, was an dem frühern Text mangelhaft war, die schwächliche Hebung in | eine |, stehn geblieben! ') Klopstockstudien 1,20 ff., 46 f.

89

Klopstock.

Auch dem Verse Y I 293: D e n die mitternacht hört, der g r ä b e r heulen mit ausspricht

hat das unverfängliche | mitternacht | eine dreifache

Ver-

schlechterung angehängt: D6m die mitternAcht aufhorcht, grabheulen mit ä u s s p r i c h t :

mitternacht auf zwei Ikten ausgewalzt und dann zwei umgedrehte Spondeen; zu schweigen von dem syntaktischen Schaden.

Aber Freund Cramer klatschte Beifall: „ W i e hat

der Vers in der Feile gewonnen! Jetzt heult er in der T a t . . . " Ferner V 332, ursprünglich: Still auf einer mitternacht stand der seraph u n d

schaute;

später: U n d der gesendete stand auf einer mitternacht still.

Das beste, was diesem Vers geschehen könnte, wäre, daß man ihn als Pentameter spräche! Überhaupt die K a d e n z , dieser verwundbarste Teil des Verses, erfährt im spätem Messias eigentümliche und gewagte Rhythmisierungen.

Man müßte auch bei Voß und seinen

Jüngern lange suchen, bis man zwei so wahrhaft pathologische Gestaltungen fände wie die folgenden. V 319 lautete bis 1760: Der

du stehst auf d e m thron u n d hältst des Weltgerichts

wägschal:

der vermeintliche Fehler | Weltgerichts | forderte den Kampf heraus; es entstand ein: Du, der ruht auf dem thron u n d des Weltgerichts w a g s c h ä l

hält

(nebenbei auch mit syntaktischer Entnervung: die gleichlaufende Lage der Zeitwörter ist verschwunden). Hieße es: des wdltgerichts wagschäle, so wäre es eine einfache Umdrehung der leichtern Art (nach Kolongrenze); nun aber wird das künstlich gesteigerte -schal wieder dem folgenden hält übergeordnet, welche Silbe nicht einmal zu wägschal, geschweige zu -schal im natürlichen Senkungsverhältnis steht. So gibt es einen Mißklang zweiter Potenz. Wieder applaudiert Cramer: „vortrefflicher Zeitausdruck!" Und auch Voß findet, Klopstock habe dies mit Glück gewagt (Zeitmessung4 S. 89). Lehrreich sind die drei Altersstufen bei dem Verse I I 738: 1748/51:

W i l l i g t darein, d e n messias zu töten. Seit der Schöpfung die ewigkeit nicht.

Dergleichen tat sähe

90

Klopstock.

1755/60: Willigt darein, den messias zu töten. S6 eine tat sah Seit der Schöpfung die ewigkeit nicht. Endlich: Williget ein, den messias zu töten. Seitdem gott schuf, sah Eine tat wie diese die ewigkeit nicht.

Die erste Fassung hat den etwas wilden, aber für den Vortrag nicht hoffnungslosen Daktylus | -gleichen tat |, dazu das altertümelnde sähe. Die zweite darf man metrisch einwandfrei nennen (die Schlußsilbe sah kann sich als Senkung unterordnen und verträgt, wegen der folgenden Zeitklausel, die Yersgrenze nach sich); stilistisch fällt das schlichte „so eine tat" vielleicht aus der messianischen Gehobenheit etwas heraus. Dies mochte zu der dritten Formung anregen, die gewiß mehr dem Schema als dem Ohre folgt: eine gefährliche Verbindung von umgedrehtem Spondeus, gleichgewogenem Spondeus und kühnem Enjambement, Man hat hier die Wahl, das einfache sprachliche Verständnis zu gefährden oder die Versbewegung auf drei Takte hin auszuschalten. Daß Klopstock von seiner mittleren Zeit ab den tonwidrigen Spondeus als vollberechtigt anerkannte, sehen wir auch daran, daß er ihn in den Musterversen seiner Aufsätze freigebig zuließ. Die Abhandlung von 1769 stellt 18 paradigmatische Hexameter mit ihren Schablonen auf1), nicht weniger als 10 mit den bewußten Spondeen; wir merken diesen gleichgewogenen Fall an: Jeder, dem jetzt am tage des herrn das gericht weh zurief.

Die Schrift von 1779 bringt u. a. diese zwei Hexameter: 2 ) Aber da nun hochwogig die flut schiffbrüchige hertrieb; Wut, wehklag, angstausruf laut aufscholl von dem Schlachtfeld.

Dies hat auch Schlegel mit jenem Verse vom mühsamem Rudern nicht überbieten können; und in Klopstocks letzter Zeile kommt noch die regelwidrige Zäsur dazu. Man sieht, wie verkehrt es ist, die vom Schema gezeugten Sprachfehler des deutschen Hexameters erst vom Jahr 1781, dem Erscheinen der Vossischen Odüßee, zu datieren. An Zahl der falschen Spondeen reicht allerdings der Messias, soviel ich gesehen habe, bei weitem nicht an Voß heran; ») Bei Back und Spindler 3, 78 ff. ») Ebenda 3, 173. 187.

Schiller.

91

dagegen übertrifft er bedeutend die Stolbergsche Ilias (erschienen 1778): in deren 5. und 20. Gesang, zusammen 1373 Versen, fand ich 4 gleichgewogene Spondeen (einen auf 343 Zeilen) und 23 umgedrehte (einen auf 60 Zeilen), von diesen letzten mehr als 3 h mit vorgeneigter Iktussilbe. Die Erhebung eines S u f f i x e s über die Wurzelsilbe hat Klopstock in seiner naturalistischen Frühtechnik mehrmals durchschlüpfen lassen: ein giist boshafter als satan; nür wänbäre tränen; versinkt, langsäm zur erde; warum flöhet ihr so, eUnde. Später scheint er dies gemieden zu haben; in der letzten Fassung von Gesang 1 und 2 finde ich noch ein arbSUet1). Hierin ist Platen, wie wir sahen, weiter gegangen. 15. Als S c h i l l e r in seine kurze Hexameterperiode eintrat, hatte er über Strich und Haken noch blutwenig gegrübelt, und schon war sein „Spaziergang" und anderes gedruckt, da konnte er sich noch gegen Humboldt als rohesten Empiriker im Versbau bekennen; außer Moriz habe er aber auch gar nichts über Prosodie gelesen 2 ). „Empiriker", das meint, daß er eine Instanz g e g e n sein Sprachgefühl bisher nicht anerkannte; gewiß ein Vorzug in einer Zeit, wo die Doktrin so krumme Pfade ging. Aber Schiller war keineswegs gesonnen, der metrischen Rechtgläubigkeit der 1790er Jahre zu trotzen. Erließ sich von Freund Humboldt gern „das Gewissen schärfen" und erbat wiederholt seine Zurechtweisung 3 ); an W. Schlegel schrieb er, er habe es „von jeher mit der rigoristischen Partei gehalten" und erkenne Schlegels metrische Kritik in denmehresten Punkten als richtig an 4 ). Ausnahmsweise wehrt er sich gegen die Einwürfe der beiden und sieht, „daß die Empirie zuweilen gegen die Regel Recht hat"; da gibt ihm sein gesunder Sprach') Bei Linckenheld, a. a. 0. S. 48 f., die Angabe, daß Klopstock niemals die Suffixe -tum und -heit auf Kosten der Wurzelsilbe in die Hebung setzt. ») Schillers Briefe 4, 334 (vom 29. Nov. 1795). ») Ebenda 4, 254. 285. 334 ff. 4 ) Ebenda 4, 385 f. (vom 9. Jan. 1796).

92

Schiller.

sinn treffende Antworten ein; so wenn er auf Humboldts Tadel erwidert: w

w

doch nur der rühm kam zurücke

„klingt mir darum nicht hart, weil der starke Accent auf rühm, das kam gar nicht aufkommen läßt": das könnte kaum besser gesagt werden; Schiller überwindet hier, ganz beiläufig, die allbeherrschende Lang-kurz-Lehre seines Zeitalters! Aber freilich, die gleich folgende Begründung fällt in die übliche Kunstsprache zurück, und was mehr sagen will: er hat diesen Yers dann doch geändert (doch der rühm nur kehrte zurücke Spaz. 95), und er räumt ein, Takte wie | rückkehr für | wiUkür ver- | seien gar nicht zu entschuldigen; hier spielt er Yoß gegen Goethe aus. Seine handschriftlichen Noten zum „Spaziergang"1) bezeugen eine Haltung, die in der Tat rigoristisch heißen darf; soll doch sogar | eigentums | eine tadelhafte Schlußlänge haben! Doch ist die Hälfte dieser angestrichnen Stellen schließlich stehn geblieben. Die Nachricht Goethes, er sei daran, seine Gedichte im Sinne der Silbenmäßler zu verbessern, beantwortet Schiller mit beifälligen Betrachtungen2); ich weiß nicht, ob man einen Unterton von Ironie heraushören darf aus dem Satze: „Ihre Genauigkeit in der Metrik wird die Herrn Humboldt und Brinkmann nicht wenig erbauen". Daran zweifelt Schiller nicht, daß die Schullehre die „Reinheit des Silbenmaßes" bedeutet, mögen auch streitige Punkte übrig bleiben. Was von der prosodischen Gesetzgebung abweicht, das sieht er in dem Lichte von Lizenzen, die „eine gewisse Willkürlichkeit fühlbar machen". Die Freiheiten, die er sich selbst genommen hat, bewußt und unbewußt, sind im großen und ganzen die gleichen wie bei Goethe; wir haben sie z. T. schon kennen lernen. Ein Unterschied ist der, daß Schiller sich schon früher die unhomerische Zäsur post quartum trochaeum, dieses Ärgernis der Yossianer, als unschön einreden ließ, was bei Goethe erst in den Schlegeljahren 1799f. geschah: im Reineke steht sie dichtgesät, im Hermann ist sie noch ziemlich beliebt. Schillers ') Mitgeteilt von Minor, Aus dem Schillerarchiv (1890), S. 116. ») Schillers Briefe 6, 67 f. 79 (vom August 1799).

Schiller.

93

eigne Hexameter in der endgültigen Fassung zeigen mir diesen Einschnitt nur in 9 entschiedenen Fällen 1 ), z.B. Pompeji 9: Aufgetan ist das weite theater, j es stürze durch seine.

Der ganze „Spaziergang" vermeidet diese Zäsur — in den Hören 1795 hatte er sie noch achtmal zugelassen; da hieß es z. B. noch für Z. 197 : Wiegest auf gleichem mutterschoose : die wechselnden alter.

Im Xenienjahr 1796 haben sich noch beide Dichter der freieren Bewegung erfreut, so daß das Vorkommen dieser Zäsur — ich zähle in den 926 Distichen der handschriftlichen „Xenien 1796" einige 70 Vertreter — keine Handhabe bietet zur Scheidung des Goethischen und Schillerschen Anteils; die Mehrzahl wird immerhin auf Goethe entfallen. Doch kommen wir zum falschen Spondeus! Schiller ist ihm nicht aus dem Wege gegangen; er bringt ihn öfter als Goethe in seiner selbstherrlichen Zeit — aber sehr viel seltener als Goethe in seinen zwei späteren Epen, mit Voß und seinen Jüngern gar nicht zu vergleichen. Also hier, wo es unmittelbar um das Wohl und Wehe der Sprache ging, ist der Empiriker leidlich auf s e i n e r Fährte geblieben. Ich zähle in Schillers Distichenwerken 2 gleichgewogene Spondeen, 8 umgedrehte (darunter die Hälfte von der schwereren Art)2). Zehn Fälle auf einige 440 Distichen — darüber schreitet sogar ein heutiger Hexametermeister, Eudolf Alexander Schröder, in seiner Odyssee hinaus. Annähernd dieselbe Verhältniszahl begegnet in Schillers und Goethes Tabulae votivae und Xenien: ein oder zwei gleichgewogene, 8 umgedrehte Spondeen (5 nach vorgeneigter Silbe). Eine Mißgeburt von Hexameter wie: Sieh dort erblaßt ein gewisser, errötet, entsetzet sich, g ä h n t , k o c h t Rache»)

fand in den Druck keine Aufnahme. ') N i c h t mitgezählt die Verse, wo der betr. Wortschluß im vierten Takte verschwinden kann hinter einem Einschnitt an andrer Stelle, wie Spaz. 117. 121. 147; Nänie 3; Das Glück 13. 25. 31. 49. 59: Alles menschliche muß j erst werden und wachsen und reifen. ') Pompeji 31; Tonkunst 1; — Spaziergang 123. 141. 173; Der Genius 18; Die Geschlechter 27; Weisheit und Klugheit 3; Der Nachahmer 3; Güte und Größe 1. •) Schriften der Goethe-Gesellschaft 8, 87 Nr. 759.

94

Goethes kleinere Dichtungen.

Ein einziger Fall bei Schiller belastet das Suffix — oder scheint es zu tun; der einzige seiner 10 tonbeugenden Spondeen, der erst nach dem ersten Drucke hereinkam. Es ist der von den Metrikern gern zitierte Spaziergangvers: Fieiheit ruft die Vernunft, f r e i h e i t die w i l d e begierde.

Der ist offenbar von besonderm Schlage: hier hat nicht der Längestrich des Schemas gelockt, sondern Schiller wollte eine leidenschaftliche Tonmalerei. Das zweite freiheit — nicht mit verschleiertem Ton zu sprechen, sondern genau so markig wie das erste, dessen Echo es ist — soll den gewohnten wiegenden Schritt des Yerses zerreißen:

eine grell einschneidende Synkope, ein rhythmisches Chaos, malt das Chaos des Umsturzes. Die frühere Fassung1): Freiheit heischt die Vernunft, n a c h freiheit r u f e n die sinne

klang in der Tat zahmer, ausdrucksärmer. Hätten alle tonbeugenden Takte so guten Grund wie der, wir sprächen nicht von „falschen" Spondeen! 16. Goethes Stellung zum falschen Spondeus versteht man nur, wenn man unterscheidet zwischen seinem angestammten Formgefühl und den Einflüssen der Schule, die sich im Jahr 1797 verkörperten in "Wilhelm von Humboldt, in den Jahren 1798—1800 in August Wilhelm Schlegel. Von Hause aus war Goethe den Mißklängen des gleichgewogenen und umgedrehten Spondeus so abhold wie kaum ein anderer; aber in den genannten Jahren hat er sein Yersgefühl zu Zugeständnissen erzogen. Dies hat da und dort leichte Spuren in seiner Dichtung geritzt, tiefere Furchen aber gegraben in den zwei Werken, dem Hermann und der Achilleis. Nehmen wir zuerst die D i s t i c h e n - und die k l e i n e r e n H e x a m e t e r s t ü c k e . Das von Goethe selbst Yeröffentlichte macht gegen 2300 Zeilen aus2). Darin kann man zählen ') In den Hören, Zehntes Stück S . 8 1 (1795). Die X e n i e n bleiben im folgenden w e g .

Goethes kleinere Dichtungen.

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4 gleichgewogene, .15 umgedrehte Spondeen. In den vorSchlegelschen Zeitraum aber g e h n nur e i n g l e i c h g e w o g e n e r , drei u m g e d r e h t e zurück. Es sind diese: Der gleichgewogene: Alexis und Dora 29: Ist es endlich entdeckt, dann heitert sich jedes gern ut auf.

Die drei umgedrehten: Venez. Epigr. 81 : . . . wenn nur willkürliche schläge ; Vier Jahreszeiten 48 : Viel zudringlicher noch . . . Episteln 154: Dort sieht jeglicher held in heim und hämisch, es sieht hier Sich der bettler sogar in seinen lumpen veredelt:

der Kontrast zu dem sprachgemäßen Dórt sieht macht das sieht hier, als wirklich „umgedrehte" Betonung, ohrenfällig. Eine schwache, vorgeneigte Silbe hat sich in keinem dieser 3 Fälle die Hebung angemaßt. Ist somit der falsche Spondeus bei Goethe vor dem Eingreifen der Berater eine verschwindende Seltenheit, so werden wir nicht zweifeln, wie Yers 439 der Römischen Elegien zu lesen ist: Und der alte war so hahnrei und hielt sie nur fester:

bei Yoß wäre dies todsicher ein umgedrehter: war só hahnréi; bei Goethe ergibt die sprachgemäße Betonung (.. . wàr I so hahnrei . ..) keine Kola oder Taktfüllungen, die er nicht auch sonst zuließe. Ein eleganter Yers ist es freilich nicht: die magere Füllung der drei ersten Takte prallt unsanft zusammen mit den zwei folgenden, gedrängten: der Vers kippt gleichsam über. Schwanken kann man bei Rom. El. 23 : So verfolgte das liedchen Malbrough, den reisenden Briten:

betonen wir Mälbrough (wie gleich im drittnächsten Verse zweimal), so müssen wir die Hauptzäsur nach der ersten Senkung des vierten Taktes legen, und diesen Einschnitt hat Goethe, unter Schlegels Druck, aus der letzten Fassung der Elegien und Epigramme (nicht der Episteln) mit merkwürdiger Strenge entfernt (auch hier nicht ohne stilistische Einbußen). Entschließen wir uns zu der Betonung Malbróugh, so haben wir die gewohnte Zäsur „nach dem dritten Trochäus",

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Goethes kleinere Dichtungen.

nach liedchen, was hier ja mehr Ausdruck gibt. Ein umgedrehter Spondeus entstände dadurch nicht, denn Malschließt einen Daktylus. W. Schlegel denkt an diese zweite Messung, wenn er an Goethe schreibt 1 ): „so mag sich Malbrough immerhin gefallen lassen, was ja dem Mars beim Homer widerfährt ("Ape?, "Ape? ßporoXoife), einmal als Jambus und einmal als Trochäe skandiert zu werden". W. Schlegels metrische Einwirkung auf Goethe wird spätestens im Jahr 1798 angefangen haben 2 ). Im August 1799 überarbeitet Goethe, in seiner Garteneinsamkeit, die Epigramme und Elegien für die neue Ausgabe, „löscht manchen prosodischen Fehler mit Glück weg" und „zeigt seine Perfectibilität, so wie auch Respect für die Fortschritte in der Prosodie, welche man Vossen und seiner Schule nicht absprechen kann"3). Im Februar und März 1800 schickt er an Schlegel diese Dichtungen „zu n o c h m a l i g e r gefälliger Durchsicht": „vielleicht finden Sie Mittel, die bisher refractairen Stellen zu zwingen". Darauf erfolgen jene umfangreichen schriftlichen Änderungsvorschläge aus Jena, die Schlegels Grundsätze und Yersgefühl so hell beleuchten, und die wir uns in Abschn. 8 und 9 zunutze machten 4 ). Yieles davon hat Goethe in seine Ausgabe übernommen, vieles blieb draußen. Beim Trochäenverbot haben wir schon gesehen, daß sich Schlegel grundsätzlich zu einem Mittelweg verstand: von seinen eignen Versen verlangte er damals schon mehr als von den Goethischen. Er schreibt an Goethe 6 ): „Ich bin ganz Ihrer Meinung, daß man manches nicht darf erzwingen wollen, in vielen Fällen habe ich daher gegen die Beibehaltung der alten Lesarten nichts einzuwenden. Die Liebe zu diesen erwacht auch immer wieder, wenn man nicht grade in der ») Am 28. 2. 1800, Schriften der Goethe-Gesellschaft 13, 64. ») Vgl. Goethes Brief W. A. IV 13, 361. Schlegels Briefe in den Schriften der Goethe-Gesellschaft Bd. 13 ergeben für die Jahre vor 1800 nichts. 3 ) W. A. IV 14, 142. 145 f. (Gräf, Goethe über seine Dichtungen III 1, 337fT.) 4 ) Vgl. die Briefstellen W. A. IV 15, 2. 30 f. 33. 40 f. 50. 5 ) Schriften der Goethe-Gesellschaft 13, 64.

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Goethes kleinere Dichtungen.

corrigirenden Stimmung oder incorrigibel correct ist, was man doch dem Himmel sei Dank bei den meisten Lesern nicht voraussetzen darf". An falschen Spondeen entstand durch die Textänderung dieser Jahre folgendes. Zwei gleichgewogene: Episteln 18 f.: mir bringen liebliche lüfte Über die wallende flüt süß duftende kühlung herüber:

gewiß eine leichte Tonbeugung, aber der Druck von 1795 hatte das noch sprachgemäßere: es bringen liebliche lüfte Über die wallende flut mir duftende kühlung herüber. Ven. Epigr. 125: Ist überall ja doch Sardinien, wo man allein schläft:

auch dies kein harter Fall, sogar eine Milderung gegenüber der frühern Fassung (1796), die die beiden Starktöne in einem dreisilbigen Takte vereinigte: Überall ist Sardinien, wo man allein schläft, und Tibur l ).

Sieben umgedrehte: Alexis und Dora 8 (Pentameter): Einer nur stöht rückwärts traurig gewendet am mast:

verdient ein locus classicus des Metrikers zu werden! Diese bei Platen, wie wir sahen, so beliebte, bei Goethe aus allen Himmeln werfende Beugung vor der Pentametermitte hat Schlegel angeregt2). Die ältere Fassung lautete, auch im Satzbau noch gesund und in ihrer Schlichtheit so viel ergreifender: Nur ein trauriger steht, rückwärts gewendet, am mast;

hier hatte der Daktylus | rückwärts ge- | beunruhigt. Goethe hatte zuerst eine tiefer greifende Änderung übergeschrieben, von der wir nur wissen, daß sie rückioärts durch zurück ersetzte (also jedenfalls den falschen Spondeus noch nicht enthielt!). Darauf schlägt der Berater vor: Traurig nur steht rückwärts einer gewendet am mast, *) Daktylen von gleicher Härte baut Goethe wohl nur noch in drei handschriftlichen Hexametern, denen des Hermann, Text H: III 2 fuhr in der Art fort, in dir er begonnen; VII 8 fuhr aus dem staunenden träum auf und windete . ., und dem des Nachlasses W. A. 4, 323 Z. 59: Nähm ich den treffenden gott bei seiner gebürt auf! die manschen. *) Weim. Ausg. 1, 425. QF. CXXIII.

7

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Goethes kleinere Dichtungen.

und diese Virgilische oder skaldische "Wortverrenkung hat Goethe dann gemildert zu jener endgültigen Form, die immer noch an der kaum glaublichen Trennung von rückwärts und gewendet hängen bleibt! Der zweite dieser harten Pentameterfälle ist Ven. Epigr. 220: Singend, mit mächt neugier in dem verwunderten ohr:

dies hat unmittelbar war diese:

Schlegel gedichtet.

Goethes

Form

Tönend die nöugier mit mächt in dem . ..,

und hier sollte wieder das vermeintliche |

^ | weg! 1 )

Yen. Epigr. 55: Diese gondel vergleich ich der sanft einschäukelnden wiege für älteres: Diese gondel vergleich ich der wiege, sie schaukelt gefällig:

hier wird zur Änderung gereizt haben die Zäsur post quartum trochaeum, die Schlegel so oft mit Erfolg, oft vergeblich angeschwärzt hat; außerdem aber gewiß die vier „amphibrachischen" Kola (w _ w): zwar dienen sie dem Dichter, wohl ungesucht, als anmutigster Ausdruck des Schaukeins — aber was kümmerte sich die Papiertheorie um solche Rücksichten des Gehörs und Gemütes? Yen. Epigr. 215: So verwirret mit dumpf willkürlich verwebten gestalten:

der ältere Druck hatte hier einen jener überlasteten Daktylen, die wir bei dem jungen Klopstock wuchern sahen: So verwirret mit seltnen willkdrlich verwebten gestalten.

Einen zweiten Fall dieser Art bringt das Epigramm „Zeitmaß": Wie? leichtsinniger gott, missest du doppelt die zeit?

für früheres: Wie ? der leichtsinnige gott, mißt er uns doppelt die zeit ? s ) ») Ebd. 1, 454. •) Ebd. 2,125/325. Einen Daktylus dieses Baues, bei Goethe eine Seltenheit, bringt noch das späte Stück „Die Kränze" (W. A. 2, 136): Hin auf Golgathas gipfel, ausländische götter zu ehren. Auch der Reineke hat einen (ü. S. 103 Note); der Hermann und die Achilleis nur in der hschr. Fassung (u. Abschn. 18. 19).

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Goethes kleinere Dichtungen.

Yier Jahreszeiten 129: Willst du, mein söhn, frei bleiben, so lerne was rechtes, und halte:

diese schwere Beugung (die nach einem gleichgewogenen Spondeus hinüberliegt) verdrängte den Text: Willst du fr6i sein, mein söhn, so lerne

hier mochte wieder der Takt | frei sein mein | als undaktylisch erscheinen. Ebd. 182:

Mit ohnmächtiger wut . . . .

kommt mittelbar auf Schlegels Rechnung (er schlug vor: Im ohnmdchtgen gefühl); die ältere Gestalt: Blaß und im ohnmachtsgefühl hatte einen ungewöhnlich gedrängten Daktylus1). Diejenigen Stücke, die erst 1799 oder später im Druck erschienen, also von vornherein den neu angelernten Grundsätzen folgen konnten, bringen diese tonbeugenden Takte: Einen gleichgewogenen: Spiegel der Muse 1 (W. A. 2, 133): Sich zu schmücken begierig verfolgte den rinnenden bäch einst.

Fünf umgedrehte: Elegie Hermann und Dorothea 11: Ja, sogar der bessere selbst, gutmütig und bieder.

Metamorphose der Tiere 34 (W. A. 3, 90): Wie er durchbräche den kreis, Willkür zu schaffen den formen.

Weissagungen des Bakis 9: Nicht zukünftiges nur verkündet Bakis . . .

Phöbos und Hermes 5 (W. A. 2, 134): D6nn rasch dränget sich Ares heran . . .

Die Kränze 2 (W. A. 2, 136): . . . uns soll inländische eiche genügen.

Fügen wir hinzu die paar Fälle, wo ein falscher Spondeus der älteren Fassung durch die jüngere entfernt ist: Metamorphose der Pflanzen 43: Um die achse bildet sich so der bergende kflch aus (1799),

später gemildert zu: Um die achse gedrängt entscheidet der bergende kelch sich. ') Die Messung Hans Ohnsdrge in den Episteln I 92 wird prosagemäß sein. 7*

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Goethes kleinere Dichtungen.

Episteln II 135: Klug zu wechseln, und käum reift ihr der sommer die früchte (1795),

nachmals : . . ., und reift nur eben der sommer die früchte.

Nur in zwei H a n d s c h r i f t e n begegnet die Lesart (Der Park 3, W. A. 2, 129/328): Wohl ahmt ihr dem Schöpfer nach . . .,

während die Ausgabe von 1790 schon hat: Wohl den Schöpfer ahmet ihr nach . . .

Anderseits hat Schlegel ein paarmal tonwidrige Spondeen vorgeschlagen, die bei Goethe keine Gnade fanden : Der neue Pausias 54 (W. A. 1,428); Episteln II 109.135.137 (ebd. 435), im letzten Yerse sogar mit einem schmackhdft, während Goethe nicht ein einzigmal die Tonversetzung zugunsten eines S u f f i x e s erlaubt! Werfen wir noch einen Blick auf die Hexameter und Distichen in Goethes h a n d s c h r i f t l i c h e m N a c h l a ß ! Die zurückbehaltenen Teile der Römischen Elegien stellen éinen umgedrehten Spondeus (W. A. 1, 420) : Jetzt, wer hütet sich nicht, langwéilige treue zu brechen,

und die Übertragungen aus dem Griechischen, W. A. 4, 321—26, sind in ihren 179 Hexametern völlig frei von diesen Tonverstößen. Man kann bei diesen zwanglos strömenden, im wahren Sinne formgerechten Versen einen wehmütigen Gedanken an Vossens Homer nicht unterdrücken 1 )! Auffällt, daß die weiteren 120 Zeilen aus Hias und Odyssee, W. A. 5 II, 382 ff., die aus der selben Zeit, der ersten Hälfte der 1790er Jahre, stammen sollen, einen gleichgewogenen und 4 umgedrehte Spondeen (drei der härtern Art) bringen: langten.. im ehernen hdus an; ihr antwörtete drauf; ihm antwörtete drauf; dés abwêsenden königs; bdt inständig den künstler. Sollten sie nicht dennoch in spätere Jahre fallen? Die Dichtigkeit der tonbeugenden Takte nähert sich der in der Achilleis. ') Ihre stilistische Überlegenheit über Voß betont Suphan, GoetheJahrbuch 22, 3 ff.

Goethes kleinere Dichtungen.

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Auch bei den nachgelassenen Epigrammen „Antiker Form sich nähernd", W. A. 4, 119—26, hebt sich das Spätere merkbar von dem Früheren ab: nicht weniger als sechs falsche Spondeen zählt diese Gruppe, und fünf davon gehören offenbar den vorgerückten, nach-Schlegelschen Jahren, darunter -wohl der schroffste gleichgewogene, den Goethe je gedichtet hat (S. 124 V. 9):*) Was den jüngling ergreift, den männ hält, greise noch labet:

ein klassisches Gegenbeispiel! Diesen Widerstreit zwischen dem syntaktischen und dem metrischen Gleichlauf hätte Goethe vor dem Druck gewiß noch geschlichtet. Das bisher Betrachtete hat uns gezeigt: den von Klopstock erst geduldeten, dann begünstigten, von Voß ins System gebrachten falschen Spondeus hat Goethe in seinen Hexametern und Pentametern anfangs so gut wie völlig gemieden, später da und dort zugelassen, aber auch dann ohne Vergleich seltener als die Genannten und nur ganz vereinzelt in harten Vertretern. Die Meinung, Goethes erste Distichen schlössen an die Technik Klopstocks an, übersieht auch andre Unterschiede. In der Bildung der Zäsuren und der Versschlüsse folgt Goethe von Anfang an einem unklopstockischen Gefühl; der Hexameter ist ihm nicht nur eine auftaktlose sechshebige Reihe mit zweisilbigem Schlußtakt und Wechsel zwei- und dreisilbiger Innentakte: er empfindet seinen geschlossenen Umriß und seine innere Gliederung, wenn auch diese nicht nach der Homerischen Sonderregel. Goethes Hexameter sind glatter, sanglicher und sprachgemäßer als die des Messias. Mit diesen t e i l e n sie die zweisilbigen Takte mit ganz gewichtloser Senkung, die sogen. Trochäen; ferner die schwächlichen Ikten an erster und vierter Versstelle. Aber diese Züge hat, in ähnlicher Häufigkeit, auch Vossens Jugendvers. Nach dem Gesamteindruck ist Vossens Odyssee von 1781 Goethes früheren Hexametern verwandter als der Messias. Erst später, als Voß seine Zäsuren und seine Daktylen schulmäßiger regelte und tiefer in die Ton Verdrehungen ') Die vier weiteren, umgedrehten Takte sind S. 121, 13; 124, 1. 3; 126, 2. In frühere Zeit fällt S. 121, 5.

102

Reineke Fuohs.

hineinkam, verbreiterte sich die Kluft zwischen seinem und Goethes Yerse. 17. Aus seinem eignen, unverkümmerten Formgefühl schuf Goethe auch im Frühjahr 1793, als er den R e i n e k e F u c h s dichtete. Die 4312 Hexameter dieses Epos stellen sich zum falschen Spondeus so wie die Distichenwerke der nächst vorangegangenen und folgenden Jahre. Ich würde ansetzen 6 gleichgewogene, 13 umgedrehte Spondeen. Das ergibt zusammen 6inen Fall auf 227 Yerse: eine Verhältniszahl, die Klopstock um das elffache übersteigt, Voß um das 38 fache, Schlegel und Platen um das 7 5 fache. Noch günstiger wird es für Reineke, wenn wir, wie billig, die Fälle auch wägen. Unter dem halben Dutzend g l e i c h g e w o g e n e r ist keiner, der von fern an jene Beispiele aus Schlegel, Platen und Klopstock heranreichte, d. h. die zweite Silbe kann man ohne große Gewaltsamkeit als Senkung unterordnen. Ich habe folgendes hierher gerechnet; es betrifft immer den Versschluß. III 443 und Reineke fuchs verwandte das hdupt nicht || Von den hühnern (in Prosa: das hdupt j nicht von den huhnern) ; V 75 so war ich dahinter und spürte den gdng aus; VI 115 und -fing sogleich aus dem brich an; IX 9 der kühne sucht die gefdhr auf; I X 118 und ein jeder führe sein rieht aus; X 160 wo denkt doch der hirr hin? Andre, noch harmlosere Fälle wird man nicht als falsche Spondeen buchen wollen, wie etwa: I 119 bot dem freunde den rSst an; VI 23 als frommer pilger nach Röm gehn; XI 178 so dachte der schalk auf meine gefdhr erst || Abzuwarten. Oder im Versinnern: IX 232 Denn mich jammert dein elend; alUin erst söllst du mir schwören. Auch jene in Abschn. 11 besprochenen Versschlüsse, die eine vorgeneigte Ultima von der zugehörigen Starktonsilbe losreißen, begegnen selten; die drei kühnsten Fälle sind wohl II 272; III 246; I X 192. Die 13 Takte, die als u m g e d r e h t gelten können, sind diese:

Reineke Fuchs.

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a) die erste Silbe ist proklitisch, 9 Fälle: VI 149 mit einfältigem wesen; IX 82 dinn vorgistern; VIII 74 die langbeinige; II 154 dir krummMinige Schlappe mit dim breitndsigen Ludolf; III 102 hat er Stiefkinder geheißen; III 150 und fiel ohnmächtig zur erden; — mit Beugung des Satztons: IY 175 dinn hier || Gilt es den hals; YIII 61 der wdr erst || Mit sechs nageln beschlagen. b) die erste Silbe ist volltonig, 4 Fälle: III 97 grüß euch gött, Stiefkinderchen; I X 185 mir schMnts, aufrichtig; X I 276 ja, moordffen sollten sie heißen; — mit Beugung des Satztons: IV 27 falscher, leidiger dieb! eins ndch dem andern entrissen. Die drei Satztonfälle sind gewiß leichter Art. Noch unverfänglicheres hab ich nicht mitgezählt. 1 ) Verpflanzung des Iktus auf ein Suffix kommt nicht vor. All diese tonbeugenden Takte standen schon im ersten Druck von 1794. Eine dem Druck vorausliegende Fassung entbehren wir beim Reineke. Der handschriftliche Text H ist Überarbeitung. Diese hatte keinen Anlaß, die paar gleichgewogenen und umgedrehten zu entfernen; den „strengeren" Grundsätzen dieses Verbesserers galten ja solche Spondeen als löblich. Die metrische Untersuchung der H-Lesarten bestätigt die Vermutung der Weimarischen Ausgabe 50, 350, daß dieser vom Schreiber Geist kopierte Text unter Schlegels Anleitung (im Jahr 1800) zustande gekommen ist. Er zeigt W. Schlegels metrische Handschrift: Kampf gegen vermeintlich unreine Daktylen ^ bis herab zu solchen wie | oheim er |; | damals be- | (wogegen der Typus bösewicht, Zimmermann, dieser Liebling des Reineke, meist durchschlüpft); Nachsicht gegen die Goethischen Trochäen, dagegen Streben nach mannigfacheren „Wortfüßen" (Kola) und nach Kräftigung schwächlicher Ikten; scharfe Abneigung gegen weib') Z. B. III 26; V 41; VI 205; VII 23. 170. Die Betonungen völlauf II 104, gleichviel III 126, kleinpde V 102 werden prosagemäß sein. — Tonverschiebung im Daktylus: VI 154 manchen gutmütigen mann; ein Unicum bei Goethe XI 99 biiberei, täuschung und trotz, zu vergleichen mit dem (wohl Schillerschen) Himmelan flögen sie gern in den Tabulae votivae (Xenien 1796 Nr. 305).

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Reineke Fuchs.

liehe Zäsur im vierten Takt (die Goethen ohne Schuldbewußtsein aus der Feder floß), auch Vorliebe für die schätzbare Tmesis bucolica 1 ); endlich, nicht zu vergessen: Schlimmbesserung durch falsche Spondeen: gleich schon Zeile 5 kündet sich das neue Regiment vielfärbig an, und später gibts etwa einen Versschluß w i e : so lautete, was man vertieft las, also von ganz andrer Tonart als das gleichgewogene halbe Dutzend vorhin S. 102! Die weibliche Zäsur im vierten Takte, K c u a TtTotp-rov T p o x a i o v , durch männliche zu ersetzen, dies ist, wie auch bei der Hobelung der Distichen, ein Hauptziel des Bemühens. Aus diesem Grunde sollte gleich der erste Vers umgedichtet werden: Pfingsten,

das liebliche

fest, j w a r

gekommen; j es

grünten

und

blühten.

Schon Johann Heinrich Voß hatte seine zweite Hälfte als „zu matt und zu einförmig" getadelt 2 ); Voß hatte eine wahre Idiosynkrasie gegen Amphibrachen, die er „weich, unedel, schwächlich" schalt: es grünten i und blühten. Darin ließ der Bearbeiter H mit sich reden; wenns nach ihm gegangen wäre, finge der Reineke so an: Pfingsten kam, j das liebliche fest, j schon

grünten u n d blühten®).

Ob dies rhythmisch eine Verschönerung wäre, wird der und jener bezweifeln. Objektiv ist da zu sagen: daß eine Hexameterdichtung e i n s e t z t mit zwei Zweisilblertakten, ist weniger gut, weil der dreisilbige Takt gleichsam das Grundmaß regiert. Empfängt uns ein Pfingsten kam, das liebliche fest, so stellen wir uns ein auf Tempo und Zweiviertelstakt des Knittelverses: Epheu und ein zärtlich gemüt; Hätte gott mich anders gewollt. Von Goethes drei Epen und dreißig Elegien (usw.) *) D. h. Kolonschluß

nach viertem

bei gleichzeitiger Z ä s u r im dritten. fanden

sieh hier

mit vielerlei

und höhlen, vielerlei

Takt (nicht bloß 3 silbigem)

So stellt H in II 25 h e r : gänge

Löcher

f ü r das ältere: . . höhlen

gangen.

*) In dem Brief a n Goethe v o m 17. Juli 1794,

Goethe.-Jahrbuch

5,39. 3)

fallen

V o n den acht Beispielen bei Köster, Zschr. f. d. Alt. 46, 120,

sieben

sub

speciem

caesurae.

Köster

sieht

in H

die

ältere

Textgestalt und glaubt, es handle sich u m Erstattung einsilbiger Senkungen durch zweisilbige.

Reineke Fuchs.

105

fängt k e i n e e i n z i g e mit zwei zweisilbigen Takten an! Das ist kein Zufall. Nicht alle diese Eingriffe in den ßeineketext bedeuteten Irrtum oder alexandrinische Laune: ein Teil hat metrisch gebessert. Aber nicht zu überschauen ist. was sie abstreiften von dem Blütenstaub der Goethischen Naivetät, dieser gewachsenen, unschulhaften Deutschheit in Wortwahl und "Wortfügung. Es war unglaublich schwer, sogar für Goethe selbst, Goethische Verse metrisch zu kämmen, ohne die Heimlichkeiten ihrer Sprache zu verstören. Das hat auch der Korrektor von Hermann und Dorothea, Humboldt, bekannt; fast immer opfere man eine kleine Schönheit der Diktion1). Vergleichen wir jene beiden Gestalten des Eingangsverses: war gekommen ist deutscher, idiomatischer als kam; bei einem „Pfingsten kam" erwartet man Dinge zu hören, die noch vor der Schwelle liegen; sodann die Vorwegnahme des Zeitworts: pfingsten kam, dann Pause, dann das schmückende Beiwort, legt einen Nachdruck auf das Verbum, der hier nicht begründet ist. Endlich das schon, der Beitrag zu einem „Spondeus", bringt die Anschauung hinein, als ob zu Pfingsten das Grünen und Blühen anfinge, was ja freilich der Lübecker Geibel auch normal findet (Der Mai ist gekommen . .), der Lübecker Beinke de vos aber und der Frankfurter Goethe nicht sagen wollten. Oder greifen wir noch diese zwei Stellen heraus: I 101 ff., im Druck: Denn im winter einmal erduldet er große gefahren Euretwegen. Ein fuhrmann, er hatte fische geladen, Fuhr die straße; ihr spürtet ihn aus . .

In der Bearbeitung H: Eurentwegen im winter erduldet er große gefahren. Denn ein fuhrmann fuhr, den karn mit fischen geladen, Seine straße; da spürtet ihr ihn . .

(Die Stellung des denn, die Zeitangabe, das eindringliche Nachschleppen des euretwegen, der allerliebste Goethischvolkstümliche Schaltsatz für den Relativsatz: alles ist verschlechtert! Dazu der schwere Tritt im zweiten Verse!) ') W. v. Humboldts Werke 2, 317 (Berlin 1904).

106

Reineke Fuchs.

III 300 f., im Druck: Dennoch beharrte der tor auf seinem vorsatz und bat mich, Daß ich ihm sollte mit ehren zu einer platte verhelfen.

In der Bearbeitung H: Dennoch beharrte der tor und bat mit eifrigem vorsatz, Daß ich ihm doch mit ehren zur mönchischen platt verhülfe.

(Hier klingt der erste Vers wie von einem Landfremden, der zweite wie von einem Schulmeister.) Glücklicherweise kam die Durchsicht ins Stocken, und das Heft blieb ungenutzt in Goethes Schubfach liegen. Dem verdanken wir es, daß der Reineke Fuchs die Gestalt bewahrte, die er in Goethes selbstherrlicher, schulfreier Zeit empfangen hatte; er blieb, seinem Versbau nach, das Goethischeste der drei größern Hexameterwerke. E r traf es halt so glücklich, daß sein erster Druck zu früh kam für Humboldt und Schlegel und sein zweiter, 1808, zu spät. Inzwischen hatten zwar die beiden Wilhelme einen kleineren Nachfolger gefunden in Heinrich Voß dem jüngern, der es wahrlich nicht weniger streng nahm. Aber bei Goethe selbst reichte der „Respect für die Fortschritte in der Prosodie" nachgerade nicht mehr so weit, daß er auch seinen Reineke in vervoßter Gestalt hätte neudrucken mögen. Hehn wird schon recht haben, wenn er dem Hexameter des Reineke Fuchs den ersten Platz gibt1). Die meisten der Distichenwerke würde ich freilich auf die gleiche Höhe stellen; daß sie, schon vor der Schlegelschen Glättung, im Bilden der Daktylen zimperlicher waren, verspürt man kaum als Gebrechen. Anders dachte Vater Voß über den Reinekevers. An seine Frau schreibt er: „Goethe bat mich, ihm die schlechten Hexameter anzumerken; ich muß sie ihm alle nennen, wenn ich aufrichtig sein will"2). In seinem Brief an Goethe macht er eine Einwendung, die aus Klopstockischer Anschauung ') Goethe-Jahrbuch 6, 192. In der Abhandlung über Hermann und Dorothea (vor 1855) hat Hehn noch nicht beachtet, wieviel sprachreiner der Vers des ältern Epos ist; Humboldts Einfluß auf das jüngere erschien ihm damals noch zu harmlos (S. 138). s ) Angeführt in der Goethe-Jubiläums-Ausgabe 6, XII.

Hermann und Dorothea.

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fließt, und fährt fort: „Spondeen fehlen fast ganz"1). In der Tat, die B l ü t e der Spondeen, die „kraftvolleren", tonbeugenden, mußten ihm mit einem Fall auf 227 Yerse, statt auf 6 oder 8, allzu kärglich zugemessen scheinen. 18. Der Eeineke Fuchs mit den kürzeren lyrisch-epigrammatischen Dichtungen bildet das eine Lager: in dem andern stehn der Hermann und die Achilleis. H e r m a n n und D o r o t h e a , vollendet im Frühjahr 1797, fällt noch in die Zeit, wo Goethe den Spondeen gegenüber im Stande der Unschuld war. Aber, er hat dieses Epos nicht a l l e i n gedichtet: er hat seine äußere Form dringlich der Pflege und Vollmacht Wilhelm von Humboldts unterstellt2). So hören wir im Hermann merklich andre Klänge als im ßeineke. Wie Humboldt über deutsche Hexameter dachte, erfahren wir aus manchen Stellen seiner Briefe 3 ). In seinen spätem Jahren wurde er so unfrei und schemagläubig, daß er sogar an Wolfs und Schlegels Kunststücken dies und jenes — nur leider nicht die Tonverdrehungen — „nicht tolerieren" konnte, und von seinen eignen Hexametern dürfte z. B. der Anfang des Lukrez4) als Musterblatt der antikischen Unarten dienen. Die Jenaer Zeit war noch milder, bei ihm wie bei Schlegel. Im ganzen stellt Humboldt die uns von Schlegel her bekannten Forderungen. Halten wir Goethes Epos daneben, so sehen wir: n i c h t durchgedrungen sind die Zäsurenfuchsereien und die Einbildung, „Wort- und Versfüße" dürften nicht zusammenfallen; wenig ausgerichtet hat Hum') Goethe-Jahrbuch 5, 39. ) Sieh in Goethes Briefen, Weim. Ausg. IV, 12, 41. 84. 87. 120. 134; 13, 215. 8 ) An Goethe: Goethes Briefwechsel mit den Gebrüdern von Humboldt, hg. von Bratranek, S. 28 ff.; Goethe-Jahrbuch 8, 67 ff. An Schiller: Briefwechsel zwischen Schiller und W. v. H. mit Anmerkungen von Leitzmann» S. 79f. 108ff. 174f. An F. A. Wolf: W. v. Hs. gesammelte Werke 5, 298 ff. An W. Schlegel: Briefwechsel zwischen W. v. H. und A. W. Schlegel S. 7. *) Werke 8, 266 ff. (Berlin 1909). s

108

Hermann und Dorothea.

boldt gegen die Daktylen der Form mitternacht: sie sind nicht v i e l spärlicher als im Reineke (o.S.36f.); vollends die Daktylen weiriberg und, die kamen bei Schlegel drei Jahre darauf schärfer in die Zange (obwohl auch Humboldt sie „durchaus unstatthaft" nennt: Werke 2, 137); Yerse wie IV 139 uud I X 18: Meinem väterland hülfreich zu s i i n und schrecklich den feinden; Aller üngeduld äusriß, daß äuch kein fäschen zurück blieb

hat Schlegel bei s e i n e n Pfleglingen nicht durchgelassen! Dagegen gelang es Humboldt besser, bei Goethe den falschen Spondeus einzuschmeicheln. Schon die u m g e d r e h t e n sind ein gut Teil häufiger als im Reineke: auf die 2031 Verse kommen 21 Fälle; also einer auf 97 Zeilen (im Reineke einer auf 330 Zeilen). Darunter sind freilich 10 Satztonbeugungen, wie sie auch in schlichteren deutschen "Versen gedeihen; z. B. II 183 nür wohl dusgestattet; IY 25 Auch den schritt sie hinauf; Y 33 auf ihm liegt nicht der drück1). E i n satzphonetischer Fall entrückt uns in die Luft der Rigoristen: V 32 . . . welcher ländlich gewerb mit bürgergewerb paart.

Goethen selbst war bei dieser Kadenz nicht wohl; aber die Besserung kam zu spät nach Berlin, und so haben denn auch alle folgenden Drucke den Yers als ewige Krankheit fortgeerbt. Die 10 übrigen umgedrehten sind diese: a) mit vorgeneigter Hebungssilbe: IY 136 duf halbwähren worten; 197 dd antwörtete drauf; YI 105 die hochhirzige; 113 aufs hochherzige. b) mit tonstarker Hebungssilbe (bezw. Pause): III 11 keine spür nachlassend; Y 141 der leicht hinziehenden pferde; VI 189 sttbst hinging; 293 schnMl heimführte (wohl ein Druckfehler; der erste Druck hatte noch ihn führte: W. A. 50, 407); 298 zaudertest nöch, vorsichtiger; VII 173 sagtest inddß, ehrwürdiger2). Aber die eigentliche Marke von Hermann und Dorothea ist die M e n g e der g l e i c h g e w o g e n e n S p o n d e e n . Ich zähle deren 52, einen auf 39 Zeilen. Also im Verhältnis !) Ferner I 205; II 43; IV 119; VI 168; V I I 1 6 9 ; VIII14; IX 170. s ) Halbsiiden II 212 und gutidel IV 29 mögen der Prosabetonung entsprechen.

Hermann und Dorothea.

109

18 mal so viel wie im Reineke. Selbst die Achilleis bleibt dahinter zurück. Während sonst überall die gleichgewogenen Spondeen einen kleineren Anbau zu den umgedrehten bilden, treffen wir hier, und meines Wissens in keiner zweiten Dichtung, das Verhältnis 52 : 21! Die Summe ist allerdings nicht mit objektiver Genauigkeit zu bestimmen: es geht allmählich über von den sprachgemäßen Takten zu denen, die ein „stark-stark" als Hebung + Senkung abstufen. Als unverfänglich betrachte ich z. B.: I 49 überreif ist das körn schon; II 84 wer . . . in seinem haus nur altein lebt; IY 211 versetzte lebhaft der söhn drauf; YIII 91 streckte . . . den arm aus; IX 83 ob er sich eigenen wört fühlt. Von den 52, die ich als mehr oder minder tonbeugend empfinde, stehn nur 7 im Versinnern: II 229 und laut auf lachten die mädchen; IV 198 söhn, mehr wünschest du nicht1). Dagegen 4 5 b i l d e n d e n V e r s s c h l u ß ; z.B.: III 53 Denn ich weiß es, er ist der guter, die er dereinst erbt; V 170 Schön geschnürt,und es liegt das schwarze mieder ihr knapp an; VI 238 Argwohn und zweifei und alles, was nur ein liebendes h6rz kränkt; VII 134 Trat, ein kind an jeglicher hand, der richter zugleich ein2).

Diese Beispiele gehören schon zu den härtesten. Man sieht, Voß und die seinen wagen ganz anderes; allein bei Goethe sind wir eben durch den Zusammenhang der Verse viel verwundbarer gestimmt, da ja die deutsche Sprache bei ihm ganz anders geschont und geliebkost wird als bei den Schemamännern. Das selbe Formgefühl, das uns Goethes übrige Hexameterdichtung anerzieht, fühlt sich beunruhigt, bedrängt, unsicher gemacht durch diese 45 Kadenzen im Hermann. Ihre Wirkung wird verstärkt durch jene Schlußtakte mit vorgeneigter Senkungssilbe 3 ): Sei es, wie ihm auch sei! versetzte der jüngling, der kaum auf Alle die worte gehört . . . (VI 275) ') Ferner: I 28 dueh dein; II 230 laut auf; III 2 in der drt fort; VI 229 gewählt, glück dir; VII 8 träum auf. ! ) Ferner im Schlußtakt: I 13. 85. 86. 130; II 44. 63. 107. 121. 183; III 58; IV 221. 235. 240. 247; V 5. 39. 56. 67. 121. 185. 216. 218; VI49. 58. 71. 120. 138. 251. 252. 299. 310; VII 29. 111. 148; VIII11. 27. 47. 68. 101; IX 286. 317. a ) s. o. Abschn. 11.

110

Hermann und Dorothea.

Mit ähnlichen spielt Goethe schon im Reineke, aber erst im Hermann werden sie so zahlreich und so verwegen, daß sie für die Schallwirkung des Epos und das Wohlbefinden seines Rhapsoden mitzählen1). Nun, ich zweifle nicht, für manche werden diese Enjambements ein besondrer Leckerbissen sein. De gustibus . . . Objektive Tatsache dagegen ist, daß jene gleichgewogenen Schlüsse unser Epos scharf unterscheiden von Goethes früherer Hexametermasse. Da drängt sich die Annahme auf, daß hier eine Liebhaberei Humboldts hereinspielt. Schwerlich so, daß er Kadenzen wie die hier besprochenen unmittelbar angeraten hätte. Aber als Yossianer fand er „spondeische" Schlußtakte im allgemeinen, auch sprachgemäße wie fußpfad, kühlung, gut ist, schöner als schlicht „trochäische" wie führe, tadeln, friedens. Diese Schlüsse mit schwachem End-e in Senkung hat Goethe im Reineke Fuchs noch in voller Unbefangenheit gebraucht: im Hermann sind sie viel seltener geworden. Sobald man aber dazu neigte, die Ultima irgendwie „lang" zu bilden, stand für einen Klassizisten wie Humboldt nichts im Wege, eine hebungheischende Silbe hinzusetzen; daher die gleichgewogenen Spondeen. Daß dieses metrische Schildzeichen des Hermann wirklich durch Humboldt vorgemalt war, wollen wir nicht aus seinen eignen, viel späteren Hexametern folgern, die ein paar schroffe Fälle der Art enthalten2)-, es läßt sich vielleicht aus dem Hermann selbst, statistisch, erweisen. Die 52 gleichgewogenen Takte verteilen sich auf die neun Gesänge so: im ersten kommt einer auf 42 Verse, im zweiten einer auf 39, dann auf 37, auf 50, auf 27, auf 29, auf 41, auf 21, auf 159 Verse: d. h. im Schlußgesang fällt die Zahl stark herab — und diesen Gesang hat Goethe erst nach Humboldts Abreise gedichtet! Humboldt lernte ihn erst in Dresden kennen3), während er über die vier vorangehenden noch mit dem Dichter „ein genaues prosodisches Gericht gehalten" hatte4). Humboldt schreibt denn auch: ') 220; V *) a ) 4 )

Man sehe I 114. 142; II 11. 28. 111. 117; III 45. 87; IV 194. 6. 54. 138; VI 248. 285; X 46. 294. Lucretius 13: . . getroffen die herzen von deiner gewdlt macht. Sieh seinen Brief vom 28. Juni 1797. Goethe an Schiller 8. April 1797.

Hermann und Dorothea.

111

der neunte Gesang „schien mir sich noch nicht so rein und ohne Anstoß lesen zu lassen als die vorigen Gesänge". Bei Goethe hatte sich also in den wenigen Wochen, seit der Berater fort war, das Sprachgefühl nach der Ruhelage zurückbewegt. Auch in den Distichenwerken der Jahre 1797—99 bringt ja Goethe verschwindend wenig gleichgewogene Spondeen und keine so entschiedenen wie im Hermann. "Wie stellt sich der handschriftliche Text H zu unsrer Frage? — Von unsren 73 tonbeugenden Spondeen fehlen ihm nur 7 1 ). Mit andern Worten: die Fassung H — deren Grundstock ja zweifellos dem ersten Druck vorausliegt — hat in diesem Hauptpunkte wesentlich schon das Gepräge, das wir als antikisierend-schulmäßig, als Humboldtisch, erklären müssen. Daraus folgt: Text H führt uns nicht zurück hinter Goethes und Humboldts gemeinsame Arbeit, hinter ihre „prosodischen Gerichte" über Hermann; ein „erster Entwurf" ist er als g a n z e s nicht, mögen auch manche Einzelheiten das Unfertige bewahrt haben, vielleicht vom ersten Diktat her 2 ): die Beratung mit Humboldt braucht ja nicht jeden Vers ins reine gebracht zu haben. Daß Humboldts Druckmanuskript H 1 „im wesentlichen zu H stimmt"3), spricht für unsre Annahme; in den Druck gab man selbstverständlich einen Text, der die Ergebnisse der GoetheHumboldtschen Durchsicht aufgenommen hatte. Die Handschrift H wird doch wohl erst nach Goethes Rückkehr aus Jena (31. 3. 1797) entstanden sein; denn die in den ersten Apriltagen mit Humboldt vollzogene gründliche „Reinigung" der letzten Gesänge (Gesang 9 entstand später) ist H gewiß noch zugute gekommen (sonst müßten diese Teile stärker vom Druck abweichen). Die am 8. April erwähnte Neueinteilung nach den neun Musen ist H ursprünglich noch fremd; aber die kann ja in den allerletzten Tagen vor dem genannten terminus ad quem beschlossen worden sein. ») III 11. 70; VI 293; VIII 14; — DI 2; VI 113; VII 8. drei letzten Stellen hatte H tonbeugende D a k t y l e n . s ) Vgl. Weim. Ausg. 50, 375 ff. 8 ) Ebd. S. 376.

An den

112

Achilleis.

Versgeschichtlich ist unser Epos, man kann es nicht leugnen, einigermaßen eine Zwitter: dem Ideal eines d e u t s c h e n Hexameters bleibt es fem er als der Reineke (neben dessen Natürlichkeit im Satzbau es oft wie ein Präparat wirkt); zugleich aber konnte es dem Anspruch der gelernten Prosodiker keineswegs genügen und erhielt bei Platen die Note „holpricht". Der Ziehvater selbst, Wilhelm von Humboldt, gab das Urteil ab: diese Hexameter seien unter allen Goethischen bei weitem die besten 1 ) (also die eigne Mühewaltang fand er nicht weggeworfen); aber er konnte doch nicht verschweigen: der Stoff habe sich dem Dichter „nicht gleich bei dem ersten Wurf hinlänglich rhythmisch geformt dargestellt, und sein nachheriger offenbar sichtbarer Fleiß hat diesem Mangel nicht überall nachhelfen können. Die Vorzüge also, die ihm der Versbau darbot, hat er nicht ebenso, als alle übrigen geltend gemacht; er hat nicht einmal hier durch strenge Beobachtung der Regeln die notwendige Correctheit erlangt"2). Als Goethe acht Jahre später sein Bildwerk dem jüngern Voß auslieferte, damit jetzt der Schritt ganz getan werde, der unter Humboldt zu einem Viertel geschehen war, da drohte, notwendigerweise, eine Neumeißelung der ganzen Epidermis. Aber von diesen stillen handschriftlichen Versuchen bekam die deutsche Lesewelt nichts zu spüren. 19. Endlich die A c h i l l e i s , gedichtet im Frühjahr 1799. Sie bezeichnet, mehr als die Distichenstücke jener Zeit, den klassizistischen Endpunkt in Goethes Hexameterdichtung. Die Summe der falschen Spondeen beträgt 32 auf 651 Verse: ein Fall auf 20 Zeilen — höher hat es Goethe nirgends gebracht. Dieselbe Verhältniszahl trafen wir bei Klopstock in der letzten Fassung der zwei ersten Messiasgesänge. Die g l e i c h g e w o g e n e n Takte sind seltener als in der Humboldtschen Ära: 10 Fälle, alle im Schlußtakt. Die beiden hörbarsten sind: ') Das war auch Vossens Meinung; s. Neue Briefe W. v. Humboldts an Schiller S. 206. *) W. v. Humboldts Werke 2, 316 (Berlin 1904).

113

Achilleis.

191 Die das nahe geschick des sohnes, bekümmert, umhér klagt; 312 Selbst den Achilleus bekämpfen, der endlich seinem geschick naht. 1 )

Auch jene zerfließenden Schlüsse mit proklitischer Ultima haben abgenommen 2 ). Yon den 22 u m g e d r e h t e n verschieben 6 den Satzton3). Nur 2 erlauben sich eine vorgeneigte Silbe im Iktus : 535 auch ehrwürdig] 376 von déni ausgéhet (dies erst 1830, s. u.). Die 14 übrigen setzen meistens (11 mal) die gebeugte Haupttonsilbe hinter die Penthemimeres, was J. H. Voß als besonders gut bezeichnet 4 ); z.B. 33: Gleichsam schützenden wäll 1 aufführend gegen des feindes 6 ).

Zweimal kommt eine Art Suffix in die Hebung: es sind die einzigen Fälle bei Goethe überhaupt: 412 Gleich der beweglichen schär améisen, deren geschäfte; 623 Aber diesen ist nicht, den tréu arbéitenden männern:

der erste Vers recht hart, der zweite wegen der natürlichen Stärke von treu gefügiger. Man kann sagen: nicht nur durch ihre Zahl, auch durch ihre Art wirken die tonbeugenden Takte in der Achilleis bewußter, planmäßiger als sonst bei Goethe. Ebenfalls in der Linie der „strengen" Technik liegen folgende Eigenschaften. Der dreisilbige Takt meidet die schwereren Füllungen der beiden ältern Epen : Typus | mitternacht | ist verschwunden, Goethe mißt jetzt durchweg mit z w e i Hebungen überfällt ângenéhm usw. (12 mal) 6 ); Takte wie | Herrschsucht und |, | anhält in | begegnen noch 6mal 7 ). Iin übrigen könnten sich die Daktylen der Achilleis zwar ') Die übrigen sind: 78. 80. 91. 207. 251. 299. 317. 608. Als unverfänglich empfinde ich die Kadenzen in 75. 215. 254. 265.492. 547 u. a. *) 292. 375. 489 ; leichter 454. 3 ) 24. 155. 208. 440. 548. 559. Nicht gerechnet 75 (Und so urle ichs). 177 (dâch wohl héhrt er zurück). 184 (Und doch séh ich dich). 4 ) Zeitmessung 8 S. 89, allerdings mit der Bedingung, nach der nächsten Hebung solle der Satz schließen ; was Goethe nicht anstrebt. 6 ) Ebenso 13. 59. 70. 203. 263. 348. 412 (s. o.). 420. 444. 527. In andern Stellungen: 558. 623 (s. o.). 637. 8 ) Daher zu lesen: dllgemdch und zugléich 14; wohl auch: Überdll sind gefahren 607. T

) 45. 49. 59. 423. 509. 601.

QF. CXXIII.

8

114

Achilleis.

nicht in Schlegels „ßom", aber in Tossens „Luise" hören lassen. An „gekünstelten Daktylen" findet sich ein Dutzend1). Die Schlußtakte mit schwachem End-e in Senkung sind noch mehr zurückgegangen als im Hermann. Deutliche Zäsur nach dem vierten Trochäus ist ganz selten geworden2), dagegen der bukolische Einschnitt wird unverkennbar gesucht; z . B . : 9 0 Und sie lächelten sanft, j die beweglichen, : nickten dem alten; 267 Zürnend sprach sie und hoch, j die einzige, : würdiges wesens; 8 Wo er die stunden durchwachte, i die nächtlichen, j schaute der flammen; 186 Ja, daß er alles bewilligt, : der schreckliche, j mich zu verkürzen:

man sieht, dies ist geradezu eine s y n t a k t i s c h e Formel geworden. Anderseits ragt, als schulwidriger Zug, die alte Neigung zu den „allerlieblichsten Trochäen" ungeschwächt in die Achilleis herein (o. S. 58). Das Gesagte gilt der letzten Fassung, vom Jahr 1830. Das Diktat von 1799 steht metrisch schon ziemlich auf derselben Stufe: die späteren Korrekturen von Goethe, Heinrich Voß, ßiemer, Göttling — soweit sie nämlich in die Drucke gelangten — haben das Bild im großen nicht verändert. Am öftesten noch wurden — ^ Takte beseitigt, teils durch Voß, teils durch Goethe selber, und dies konnte die Wortstellung angreifen, ähnlich wie wir es an Euphrosyne 55 beobachteten

(Abschn. 8); aus: von höchmut entzündet; in ünmut zu ¿nden; in flammendem änteH bewSgte wurde: entzündet von hochmut; zu enden in unmut\ bewegte in flammendem anteil (176. 357. 534). Der vereinzelte Takt | augenblicks \ 310 mußte erst 1830 weichen. Die zwei gewaltsamen Daktylen: öder einheimische 550, verkünden zehnjährigen 558 wurden geebnet Mehrere der gekünstelten Daktylen stammen erst von den Helfern®). Die Trochäentilgung hat im übrigen wenig zu bedeuten.

*) z. B. bespületen 52, die jüngere wut 871. Gekünstelte Schlußtrochäen : genennet 545, verflechtet (3. Sing.) 580. ! ) 65. 122. 179. 191. 287. 384. 528. 6 0 8 ; in der ersten Niederschrift noch ein paar Fälle. 3) Schmückete 15, hineilete 348, ausgehet die 376, edeler 682, abende 629.

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Achilleis.

Yon den 32 tonbeugenden Spondeen sind nur drei in der Handschrift, zwei erst im letzten Drucke nachgetragen1). Also die große Mehrzahl hat Goethe schon diktiert, — auch einen, der nachher getilgt wurde, gleich im ersten Takte des Gedichtes: Höch auffldmmend mtbrannte. So können wir feststellen, daß die Achilleis, zum Unterschied von Hermann und den kürzeren Stücken, ihren verhältnismäßig antikisch-gebundnen Versbau nicht erst durch die Feile der Berater erhalten hat: vielmehr war Goethes Formgefühl in dieser von Wilhelm Schlegel beeinflußten Zeitspanne so klassizistisch durchtränkt, daß es aus sich heraus, im ersten Wurfe, diesen Versstil traf. Diese homerische Studie sollte — metrisch wie auch in Wortwahl und Satzbau — etwas Besonderes sein; daher der Abstand von den gleichzeitigen Distichenwerken. Ich fasse einen Teil der statistischen Angaben aus Abschnitt 16 und 19 in dieser Tafel zusammen. Überall ist die endgültige Textfassung gemeint. Zur Vergleichung wiederhole ich einige Zahlen aus Abschnitt 12—14. Daß die Schwere der Tonverstöße in einer solchen Liste nicht zum Ausdruck kommt, versteht sich von selbst; sonst würde der Abstand zwischen Goethe und den anderen noch viel größer.

Reineke Fuchs Kleinere Werke Hermann Achilleis

gleich-

falsche Spond. zusammen: einer auf

gewogene : einer auf

227 120 28 20

720 Verse 570 „ 39 „ 65 „

Stolberg, Ilias V. X X 50 Klopstock, Messias I. n 20 Voß, Luise 5,8 Schlegel, Ganga 2,7 Platen, Vier Idyllen 2,8

Verse „ „ „ „ „ „ „ „

343 64 196

„ „ „

38



27



um-

gedrehte : einer auf

330 150 97 29

Verse „ „ „

60 29

„ „

6 3 3,2

„ „ „

') 263. 348 (diese beiden von Voß herrührend). 376. 658. 608. Die drei ersten sind metrische Schlimmbesserungen. 8*

116

Goethe und seine Versberater. 20.

In den Beziehungen zwischen Goethe und seinen metrischen Beratern kommt so vieles vor, was für uns Heutige ans Unbegreifliche grenzt. Wenn wir lesen, was Voß der jüngere schreibt: „Ich habe Goethes Hermann und Dorothea in beste Hexameter umgeschmolzen, wozu ich vierzehn angestrengte Tage gebraucht. Goethe hat mir seinen Beifall gegeben . . .", und an andrer Stelle: „Ich darf ändern, wo und wie viel ich will . . .; nun habe ich, da er es nicht anders haben will, auch toll hineincorrigiert" 1 ); wenn ein feiner Kopf wie Humboldt kein Arg darin findet, den schwedischen Diplomaten und Schriftsteller Brinkman — dessen D i c h t e r gabe er nicht hoch anschlägt — Johann Wolfgang Goethen zum prosodischen Wächter zu empfehlen2), und Goethe darauf antwortet: er wünsche sich eine Prosodie aus Brinkmans und Humboldts Hand: „es wäre kein geringes Verdienst, besonders um Poeten von meiner Natur, die nun einmal keine grammatische Ader in sich fühlen" 3 ) — bei diesen und Dutzenden von ähnlichen Stellen zweifeln wir ein wenig an der Vernunft des Weltgeistes. Sieht es nicht so aus, als hätte man eine Arbeitsteilung erwogen: der eine ist der Dichter, der andre macht die Yerse? Dabei gehört Goethe, trotz der abwesenden „grammatischen Ader", keineswegs zu d6n großen Dichtern, die, wie Kleist, metrisch indifferent sind; in deren Seele keine Notwendigkeit für Yersbindung liegt; auch nicht zu denen, die, wie Heine, ihre Formgewandtheit in den leichtesten, zwanglosesten der überlieferten Maße ausleben. Goethe ist nicht nur, neben ßückert, der metrisch mannigfaltigste unsrer Dichter: er ist in seiner Verskunst zeugerisch, obwohl er keine neuen Spielarten der Asklepiadeen p. p. erfunden hat wie Klopstock und Platen: sein Neuschaffen liegt in seiner intimen sangbaren Lyrik ') Goethes Gespräche 8, 291 f.; Goethe-Jahrbuch 17, 90. ) Goethes Briefwechsel mit den Gebrüdern von Humboldt, S. 45. Brinkman nannte sich selbst „einen poetischen Menschen mehr als einen Dichter, einen Leser mehr als einen Schriftsteller": Warburg, Illustrerad svensk Litteraturhistoria 3, 465. ») Brief vom 16. Juli 1798. s

Goethe und seine Versberater.

117

und knüpft an deutsche Liedformen, nicht an Horaz, an; doch davon schweigen ja unsre metrischen Lehrbücher 1 ). Daß Goethe ein Formgenie ist, tritt deshalb zurück, weil er noch nicht die Form als etwas vom Inhalt Trennbares bedenkt und pflegt, wie dies anderwärts die Art der Nachfahren ist, in unsrer deutschen Dichtung aber auch schon die Art Klopstocks. Über alles mögliche am Dichterhandwerk hat Goethe theoretisiert viel mehr als über die Verskunst; darin ist er der Gegenpol Klopstocks. Was eine Gedächtnisrede von Goethe berichtet: daß er tagelang Gespräche über „die Metrik" führen und die Rhythmen seiner Gedichte nach ihren Gesetzen beurteilen konnte2), davon ist ein ganz Teil nekrologische Übertreibung abzuziehen; was bleibt, ist in Goethes Leben gekommen erst durch den persönlichen Umgang mit Yoß und seinen Jüngern, und auch dann wurde die bewußte „Ader" in Goethe nicht so stark, daß in den Stunden des Schaffens die Erfüllung der Formregel ihn geleitet hätte; seine Freunde erwähnen es mehrmals, daß der vollkommne Ausdruck der einzelnen Stelle — „den Gedanken rein zu haben", wie er selbst es nannte — ihm im Blickpunkte stand, und die „Schönheit und Pracht des Verses" bei ihm schwerlich das Übergewicht gewann3). Goethe hat die glückliche Ungebrochenheit gewahrt, daß er an den Inhalt denkt, und die Form kommt schier unbewußt dazu oder daraus. „Der Takt", sagt der Achtzigjährige, „kommt aus der poetischen Stimmung, wie unbewußt. Wollte man darüber denken, wenn man ein Gedicht macht, man würde verrückt und brächte nichts Gescheites zustande" 4 ). Und in dieses organische, „dumpfe" Verhalten zur Versform treten nun jene drei klar Bewußten ein, Humboldt, ') Daher die ahnungslose Äußerung, Goethe habe keine einzige neue Form verwendet, bei Müller-Freienfels, Zeitschrift für Ästhetik 8, 178 (1913). 2 ) Eichstädt am 1. Oktober 1832, Goethe-Jahrbuch 17, 254. a ) Vgl. Schiller an W. Schlegel 9. Jan. 1796 (Schillers Briefe 4, 386); W. v. Humboldt, Werke 2, 316 (Berlin 1904), Brief an G. Körner vom 21. Dez. 1797 (Ansichten über Ästhetik usw., herausg. von Jonas, S. 84 f.). 4 ) Goethes Gespräche 7, 57.

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Goethe und seine Versberater.

Schlegel, Heinrich Yoß, alle drei mehr Gelehrte als Dichter, an Formensinn und Sprachgefühl mit Goethe überhaupt nicht zu vergleichen. Die halten nun Poesie und Yers für zweierlei, und während sie Goethes Dichten ehrfürchtig bewundern, ist es ihnen ausgemacht, daß sie den Vers sehr viel besser verstehn. Und Goethe hat ihnen dies ein paar Jahre lang geglaubt. Auch diese Paradoxie hat ihre Gründe. Zum Teil liegen sie in den Persönlichkeiten; Knebel spricht einmal von Goethes „zu vieler Nachsicht und Gutheit". Der sachliche Hauptgrund ist der: hinter diesen jugendlichen Lehrmeistern stand das unbedingte Ansehen der Antike; sie waren, so schien es, dank ihrer philologischen Schulung im Besitz des wahren Schlüssels zur antiken Yersform, während Goethe „nur sehr mäßig Griechisch wußte"1). Goethes Lieder-, Balladen- und Dramenverse zu meistern, hätten sie sich nicht herausgenommen, und h i e r hätte Goethe auch nicht an die Überlegenheit der Vossischen Schule geglaubt. Das ganze läuft auf den Aberglauben hinaus, als ständen die antikisierenden und die andern Gattungen unter zweierlei Grundgesetzen; als hätten nur jene eine wirkliche Prosodie. Deutsche Verse in antiker Art dürfen nicht bloß nach dem Ohre gedichtet werden, denn sie haben ja ihr Schema. Das Ohr hat sich dem Schema zu fügen — das zeigen zehntausend Verse von Klopstock bis Platen. Also wer das Schema versteht, kann wie Voß junior von sich sagen: hundert schulgerechte Hexameter wolle er allenfalls in der höchsten Vollkommenheit liefern 2 ). Von hundert schlichten deutschen Lied- oder Spruchversen hätte er das wahrscheinlich nicht gesagt. Daß Schlegel gelegentlich sein Aufseheramt belächelt und von seinen „grammatischen Kleinigkeitskrämereien" redet, ist eine Art Herzenshöflichkeit. Dagegen rührt es an das Grundsätzliche der ganzen Frage, wenn Humboldt, ') W. v. Humboldt an Schiller am 6. Nov. 1795 (Briefwechsel herausg. von Leitzmann S. 193). Vgl. Humboldt an F. A. Wolf am 31. März 1797: Schiller und Goethen fehlt es an Kenntnis des antiken Versbaus (Humboldts gesammelte Werke 5, 190). s ) Goethe-Jahrbuch 5, 48.

Goethe und seine Versberater.

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dieser Meister der Selbstkritik, einmal an Schiller schreibt: „Es ist mir sehr lächerlich, daß ich über Prosodie krittle, da ich ein völlig unmusikalisches Ohr habe". Körner nehme es mit dem Silbenmaß leichter als er und einige Andere. „Nun haben Sie und Körner doch gewiß ein ohne Vergleichung beßres Ohr als ich und diese Andern. Wir aber unterscheiden uns bloß durch eine genauere Lektüre der alten Dichter"1). Und ein paar Wochen früher: „Mein Ohr ist bei weitem nicht geübt genug, als daß mir so kleine Flecken sonderlich anstößig sein sollten, aber es gibt jetzt, vorzüglich seit der Yossischen Schule, eine Menge Menschen, die, wenn sie auch vielleicht nicht einmal Ohr haben, doch dies affectieren.... Diese lamentieren nun grausam, daß bloß Yoß Hexameter machen könne, und ich weiß, was ich über die [Römischen] Elegien habe hören müssen"2). Diese Einsicht hat allerdings Humboldt nicht gehindert, ein paar Jahre später über den Yers des Goethischen Epos zu richten, und auch hierbei war es doch wohl nicht das Ohr, was ihm den Yorsprung vor Goethe gab; es war die genauere Beachtung der geschriebenen Formel. Nun muß man zugeben, daß der Hexameter für seine Zäsuren, auch wenn man sie unpedantisch nimmt, eine gewisse Unterweisung verlangt, die nicht einfach ersetzt wird durch das unverdorbene deutsche Yersgefühl. An etwas so Zartes und doch die Yerskurve Bestimmendes, wie die Einschnitte im Hexameter, haben uns eben die heimisch-deutschen Formen, und auch die halbfremden, nicht gewöhnt. Also die Zäsuren sind eine Angelegenheit für sich, wiewohl in letzter Linie auch nur das Ohr sie befehligt. Was im übrigen die Einfügung des Sprachstoffs in den metrischen Rahmen ausmacht, die Wertung der Stärkegrade und der Dauer, darin muß der Hexameter dem nämlichen Machtspruch folgen wie der Knittelvers oder irgend eine andre Gattung. Für alle ohne Unterschied muß gelten: ¿Kofi tou jSuönou KpiTlKr|. l ) Im Briefwechsel zwischen Schiller und W. v. Humboldt S. 175 (vom 23. Oktober 1795). s ) Ebd. S. 109 (vom 31. August 1795).

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Goethe und seine Versberater.

Hätte man dem Gehör das r i c h t i g e Schema zur Seite gestellt, so hätte es keinen Zwist gegeben: ein sichtbares Abbild der Rhythmen, die der unbefangene deutsche Hexameter verwirklicht, wäre dem Ohr nur eine Hilfe gewesen. Aber die Formel, die den Beratern die Schlüsselgewalt verlieh zum Homerischen Yerse, war ja ein doppelter Irrtum: sie täuschte über den Rhythmus des deutschen Hexameters hinweg, und man legte sie aus nach dem falschen zweiten Rezepte: für die Länge, mag sie in Arsis oder Thesis stehn, eine deutsche „Länge", will sagen starke Silbe. Daß Goethes Ohr einer m i ß v e r s t a n d e n e n , t r ü g e r i s c h e n Formel nachgeben sollte, darin liegt die Ironie oder vielmehr Tragik der Geschichte. Mit diesem Mißverständnis fristete sich bei den Yossianern bis Minckwitz und Westphal, und zum Teil bis heute, der Glaube, Goethes Hexameter seien metrisch minderwertig. „Durch Goethe und Schiller wurde die Sprache mild und sanft, wozu dann in jüngster Zeit die richtige prosodische und rhythmische Messung durch Platen und Andere . . . glücklich sich gesellt hat"1). „Goethes Hexameter und Elegien geben in ihrer Form ebenso viel Anstoß wie die Schillerschen" ? ). Auch ein Goethephilolog wie Pniower ergreift in der Sache Goethe contra Schlegel — man wird den Ausdruck richtig verstehn — vorbehaltslos die Partei des Klassizisten und ruft Platen, den „feinen Metriker", als Zeugen an3). Auch bei Walzel+) hören wir nichts davon, daß Schlegels Eingriffe neben einigem Gewinn so schweren Schaden stifteten, daß wir heute gern wieder Goethes Distichen in der ältern, mehr Goethischen Gestalt auf dem Bücherbrett stehn hätten. Stellen wir uns in Abstand und betrachten wir diese Goethischen Yerse vom „Ackermann" bis zu den „Kränzen", ohne Rücksicht auf das Trennende, als einheitliche Masse, dann können wir nicht zweifeln: sie sind in ihrem Yersbau unvergleichlich besser, richtiger, das ist sprachgemäßer, als *) ) s ) 4 ) 2

Minckwitz, Lehrbuch der deutschen Prosodie (1844) S. 78. Westphal, Theorie der nhd. Metrik» (1877) S. 216. Anzeiger für deutsches Altertum 21, 128 f. (1895). Schriften der Goethe-Gesellschaft 13, XXXIV f. (1898).

Der schwächliche Iktus.

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die der Spondeengläubigen. Sie haben die Mißhandlung des deutschen Akzentes nicht zum Leitsatz erhoben. Nicht als ob wir Goethes Hexameter metrisch vollkommen nennen wollten. Hätten wir, statt einer begrenzten Gruppe von Fragen, die Versart allseitig zu behandeln gesucht, dann wäre von den Schwächen des Goethischen Hexameters zu reden gewesen. Hier nur ein paar "Worte darüber! Zu diesen Mängeln rechne ich kaum die Freiheiten in der Zäsur und die Unbefangenheit, gleiche „Wortfüße" zu wiederholen. Man kann sich zwar hineindenken, wie Yoß und die Seinen diese Dinge allmählich als störend empfinden lernten. Aber das ist Dressur auf bestimmte Vorbilder hin; daß der deutsche Hexameter durch diese Sonderregeln notwendig gewinne, kann ich nicht finden, und eben durch Goethes Verse scheint es mir widerlegt zu werden. Aber eine Schwäche im eigentlichen Sinne sind die vielen s c h w ä c h l i c h e n H e b u n g e n : d. h. die zweisilbigen Takte, in denen nicht etwa die Senkung zu „kurz" ist (das kann sie gar nicht sein), sondern die Hebung zu schwach. Der zweisilbige Hexametertakt verlangt eine gewichtigere Iktussilbe als die zweisilbigen Takte der meisten andern Maße, weil er die Wage halten muß den umgebenden und als taktsetzend empfundenen dreisilbigen Takten; quantitativ ausgedrückt: weil seine Hebungssilbe zwei Morae mißt I J ^ I. Daß solche schwächlichen Hebungen die Hexameter und ersten Pentameterhälften Goethes wie Schillers schädigen, hat Paul hervorgehoben1). Im Übermaß begegnen sie bei Klopstock, auch bei Stolberg, seltener bei Voß. An zwei Stellen des Verses pflegen sie zu erscheinen: im e r s t e n Takte — hier gleichsam als Auflehnung gegen die starre Auftaktlosigkeit des Hexameters und Pentameters; man nehme Römische Elegien 21 und 106: Wiederhölet, politisch und zwecklos, jegliche meinung; Überfällt sie der schlaf, lieg ich und denke mir viel;

Amyntas 5: Widerlegen kann ich dich nicht; ich sage mir alles; l

) In seinem Grundriß II 2, 106.

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Der schwächliche Iktus.

Alexis und Dora 131: . . . ein Lager Zu bereiten, das uns traulich und weichlich empfängt:

in diesem letzten Yerse hat man Mühe, das Lautbild züberhiten zu vermeiden. Das Yorlesen von Alexis und Dora wird geradezu erschwert durch die besonders große Zahl der lahmen Anfangshebungen. Hervorstechender aber und für Goethe eigentümlicher sind die schwächlichen Ikten im v i e r t e n Hexametertakte, so zwar, daß die vorangehende Senkungssilbe sprachlich etwas stärker ist: der Leser wird verlockt, die Hebung auf diese Silbe zurückzuziehn; dies würde den Satzrhythmus entschieden bessern, aber eine unmögliche, sicher auch von Goethe nicht gewollte Zäsur schaffen. Man spreche sich diese Beispiele aus Hermann und Dorothea vor: IV 107 Geh ich gerad in die Stadt und übergebe den kriegern; VI 34 0, wie froh ist die zeit, wenn mit der braut sich der bräutgam; II 161 Aber besser ist besser. Nicht einen jeden betrifft es; V 115 Aber ich will euch zusammen nicht widerstehen; was hülf es?

Einen Goethischen Vers dieser Art konnte Minor wirklich so mißverstehn, als lege er die Zäsur ans Ende des dritten Taktes1): Sei dann hülfreich dem volke, ; wie du es sterblicher wolltest.

Dergleichen hat sich Klopstock erlaubt und Fritz Stolberg2), Goethe nicht. Goethe dachte zuverlässig an die Form: . . tote du es . . . , und die spätere Fassung: Hülfreich werde dem volke, so wie du ein sterblicher wolltest

hat nicht die Zäsur berichtigt, sondern die vierte Hebung gestärkt (der A n s t o ß zu der Änderung lag übrigens in dem vermeintlich zu schweren zweiten Takte). Ich kenne bei Goethe nur feinen Hexameter, der bei richtiger Zäsur dermaßen tonwidrig wird, daß man im Ernst versucht ist, den formwidrigen Einschnitt, als das kleinere Übel, für beabsichtigt zu halten; Xenien Nr. 175: Gelbrot und grün macht das gelbe, g r ü n u n d violblau das blaue! l

) Nhd. Metrik S. 284. ) In dessen Ilias, Gesang V, begegnen nicht weniger als 10 von diesen unschönen Halbpart-Zäsuren. s

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Diese unfeste, wacklige Zeilen mitte ist recht eigentlich die sterbliche Ferse — oder eher Hüfte — des Goethischen Hexameters. Die Erscheinung zieht sich ohne starkes Schwanken durch Goethes ganze Hexameterdichtung hin. Sehn wir ab von den tonverdrehenden Spondeen, die erst unter dem Regiment Humboldt-Schlegel in nennenswerter Zahl erscheinen, und bemessen wir den Hexameter nach den Ansprüchen seines d e u t s c h e n Rhythmus, nicht des papierenen Lang-kurz-kurz, so gehn die Goethischen Zeilen, die man „hart" nennen könnte, auf eine Oktavseite zusammen: mehrere Hunderte aber sind zu „weich", ermangeln im ersten oder vierten Gipfel der stählernen Festigkeit, die den Hexameter federn macht. Wo die Helfer, oder Goethe selbst, lahme Hebungen kräftigten (allzu oft geschah es nicht), da haben sie wirklich verbessert 1 ). Für die Gestrengen lag ja die Sache so: eine Hebungssilbe dieser Art stieß sie nicht, denn sie galt ihnen als „Mittelzeit", nicht als unbedingte „Kürze"; also der e i g e n t l i c h e Fehler verbarg sich ihnen. Aber einen Takt wie die vorgeführten mußten sie deshalb mißbilligen, weil er ja den verpönten Trochäus in sich schloß: | über- |, | mit der | usw. 2 ). Schwächliche Hebungen begegnen allerdings auch bei ihnen, aber nur vor volltoniger Senkung, also im umgedrehten Spondeus der proklitischen Art: mit fuchspelze; für hofschrämen; und solche stehn selten im vierten Takte, wie etwa in der Luise III 798: Rolleten unter dem bogen, wie voll einschmeichelnder wehmut;

in der Odyssee 3 XIV 381: Kam zu meinem gehege, wo ich gutherzig ihn aufnahm.

Goethe selbst hat zuweilen das Unbefriedigende am schwächlichen Iktus empfunden (und dies bestätigt uns, daß wir keine launische Regel an seine Verse herantragen). In dem Euphrosynevers 121: Laß nicht ungerühmt mich zu den schatten hinabgehn ') Sieh z. B. Alexis und Dora 47. 49. 120; Pausias 60. 61. 81. 83; Episteln 57. 150. Bemerkenswert Ven. Epigr. 297, ursprünglich: Ob ein ¿pigrdmm . . (Weim. Ausg. 1, 459). *) „Der Trochäe wird noch leerer, wenn die erste Silbe nicht recht lang ist": Schlegel, Sämtliche Werke 10, 79.

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schreibt er die Zeichen _ o _ über die Silben -rühmt mich zu1); das bedeutet nach unsrer Redeweise: zu ist hier per nefas als Hebung gebraucht; das vorangehende mich wäre hebungsfähiger. (Denn mich darf sich ja, aus Gründen der Zäsur, unmöglich an -rühmt anschmiegen: d a n n dürfte es Senkung sein! Wir müssen mich proklitisch an zu lehnen.) Daß ungerühmt zwei Ikten bekommt, entspricht dem allgemeinen Brauch der Elegien (o. Abschn. 8) und ist an unsrer Stelle von eigener Wirkung; aber daß dann auf die drei mächtigen Eingangstakte die lahme Hüfte folgt, ist bei diesem Yerse, der Achse des ganzen Gedichts, besonders schmerzlich. Indessen — lieber ein Dutzend schwächlicher Ikten als 6in „kraftvoller" Spondeus! Mit dem Gesagten hängt zusammen, daß Goethe hin und wieder eine Lautmasse zum Hexameter formt, die bei ausdrucksvoller Prosabetonung nur 5 oder gar nur 4 iktuskräftige Silben darbietet. Man lese diese Zeilen zuerst als Prosa und dann als Hexameter: Hermann und Dorothea IY 244 und VI 42: Sind nun zwischen ihm und seinen freunden gewechselt; Sie ermordeten sich und unterdrückten die neuen;

Achilleis 237. 593. 595: Angenehm vor vielen, die als getreue dämonen; Da Kronion erzürnt dem klugen Iapetiden; Damals war beschlossen der unvermeidliche jammer.

Hierbei entstehn allerdings sogenannte Trochäen, d. h. Takte mit ganz schwacher Senkungssilbe; aber das bedenkliche liegt nicht daran, sondern an der Mattheit der H e b u n g s silben; die Senkung mag so schwach sein, wie sie will! Dieser flüchtige Hinweis auf die Hebungsschwäche bei Goethe soll uns genügen. Man sieht, die rhythmische Reinheit des Hexameters hängt auch von Umständen ab, die im Streit um das Schema unbeachtet blieben. Man fragte immer nur nach der Senkung, ob die zu lang oder zu kurz sei; nie nach der Hebung, ob die zu schwach sei. Die r i c h t i g e Formel des d e u t s c h e n Hexameters mit ihrem I J J M oder | .¿w | für den zweisilbigen Takt hätte hier nützen können. ') Weim. Ausg. 1, 429.

Der schwächliche Iktus.

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Es lohnt sich noch eine Stelle herzusetzen aus Wilhelm von Humboldts Bericht über Voß im August 1796'); sie beleuchtet gut das Gedankenhafte, Unhörbare der damaligen Yerszerglied erung. „Der Hexameter nemlich — nach Vossens Ansicht — verlange durchaus einen gleichen Takt, immer von 4 Zeiten. Diese Zeiten richtig zu verteilen, ist die Kunst des Dichters und des Lesers. Beispiel einer beinah subtilen Feinheit hierin: Der hoch | donnernde kann einen Hexameter anfangen. Denn da hoch als lang zwei Zeiten hat, so kann der Mittelzeit Der2) auch, besonders im Anfange des Verses eine Zeit zugelegt werden, obgleich es ein Extrem, und die äußerste Grenze hierin ist. Allein Der ge- | fällige kann keinen Hexameter anfangen. Denn da ge- nur eine Zeit hat, so müßte Der drei annehmen, welches nicht angeht." Hier haben wir also zwei Beispiele für „schwächliche Ikten". W i r würden nun sagen: der gefällige ist ein zwar lahmer, doch nicht tonverdrehender Hexametereingang; der kann sich immerhin dem ge- überordnen. Dagegen in der hoch donnernde ist der Artikel eine völlig gewichtlose vorgeneigte Silbe, die in keinem deutschen Versmaße hebungsfähig wäre, und deren Überordnung über hoch einen falschen Spondeus der härtern Gattung ergibt. Wie man das Zeitmaß des Taktes auf die zwei Silben der hoch verteilen will, ob 2 : 1 oder 2 : 2 oder meinethalb 1 : 2, kommt neben der dynamischen Frage gar nicht in Betracht. Bei Voß aber spielt die Stärke überhaupt nicht mit; das ganze wird durativ berechnet, und zwar so, daß man von der Senkungssilbe ausgeht und ihr einen vorbestimmten Zeitwert zuschreibt: was übrig bleibt, fällt der Hebung zu. Dabei geht Voß hinter das ordentliche zweite Rezept, das Titz-Gottschedische, noch zurück; denn nach diesem müßte er sich sagen, daß der Artikel der in dem ersten Falle schlechthin „kurz" ist, in dem zweiten aber eine „Mittelzeit"; daß er folglich d o r t nur ein h i e r aber ein — füllen kann. Dann wäre das Ergebnis praktisch gleich dem der richtigen, dynamischen Abschätzung. l

) Tagebuch W. v. Humboldts S. 69. *) Durch ein Versehen hat der Druck das sinnstörende don.

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Odenverse.

Man könnte ein Mißverständnis bei Humboldt vermuten, wenn nicht Vossens Verse die Lehre bestätigten: so schwächliche Ikten wie diesen erlaubt er sich fast nur in umgedrehten Takten. 21. Nicht nur Hexameter und Pentameter, auch die deutschen O d e n m a ß e haben unter dem Spondeenglauben gelitten. Die zaghaften Versuche der Opitz-Gottschedischen Zeit, diese „mengtrittigen" Verse, die sich in gemessenem Abstand von den Horazischen Formen halten, kennen im allgemeinen keinen Strich in Senkung und damit keine Aufforderung, die Hebungs- und Senkungssilben zu verwechseln. Auf diesem Standpunkt bleibt Ramler. Der zweisilbige Odentakt ist für ihn — ^ kurzweg, was schon Moriz zu tadeln fand 1 ); die Formeln der Horazstrophen stellt er ohne Spondeen auf (nur mit gelegentlichem ^ im Versschluß)2). Ja auch dem antiken Joniker w w — setzt er ohne Umstände ein deutsches —« gegenüber, während doch in dieser Taktform, ausnahmsweise, die Senkungslänge ihren guten Grund hätte! Von den Späteren verzichten z. B. Hölderlin, "Waiblinger, Leuthold grundsätzlich auf den Spondeus; sachgemäßer ausgedrückt: sie bilden den zweisilbigen Takt beliebig mit sprachlich schwacher oder nebentoniger Senkungssilbe. Die günstige Folge ist, daß all diese Dichter die hebungsbedürftige Silbe in Senkung nicht a n s t r e b e n ; ihre gelegentlichen Tonbeugungen sind von der Schablone unabhängig, sind planlose Freiheiten, so wie in Blank- oder Knittelversen. Dem steht eine „strengere" Richtung gegenüber, vertreten durch Voß, Platen, Geibel u. a. Hier will man die | nach Maßgabe der antiken Formeln unter| — w | und | schieden wissen und wähnt diese Unterscheidung dadurch zu verwirklichen, daß man für den Senkungsstrich eine sprachlich starke Silbe setzt, eine haupttonige, hebungheischende ebenso gut oder lieber als eine nebentonige, senkungsfähige. ') Prosodie S. 234 f. ») Oden aus dem Horaz S. 63 ff. (1769).

Odenverse.

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Genau nach den Grundsätzen, die wir beim Hexameter kennen lernten. Die unzulänglichen Schemata, nach denen diese Odenmeister dichteten, versteckten unter dem einen Zeichen des Striches, der Länge, mindestens drei verschiedene "Werte: 1. einen einsilbigen Takt, 2. die Hebung eines zwei- oder mehrsilbigen Taktes, 3. eine Senkung. Diese drei Werte müßten im Deutschen eine dreifache akzentuelle Behandlung fordern. Das Gehör würde über diese Anforderungen aufklären, oder dann die r i c h t i g e Formel, das getreue Spiegelbild der zu verwirklichenden Stärke- und Dauerverhältnisse. Wo statt dieser beiden Instanzen das verkehrte Schema waltete, da konnte es nicht ausbleiben, daß auch ein Platen die drei Größen über 6inen Kamm schor. Der Begründer der deutschen Odenmaße, K l o p s t o c k , steht der ersten Richtung, der freieren und sprachgemäßeren, näher als der zweiten. Frei von Tonverschiebungen sind seine Oden nicht. Die A u f t a k t e mit sprachlichem Hauptton wird man am unverfänglichsten finden: Lied, wSrde sanfter; Eiländ herüber; nur in ersten Fassungen Fälle wie: Liedir, die sah ich; UnUr den bildern. Im übrigen begegnen gleichgewogene wie umgedrehte Takte: . . . nicht wähnt, rühm || Wasche vom . .; Hell vom kelche des bundes, ¿ilt, eilt ||; — Mit einwühendem. lächeln; ist, stillschwSigen an ihm. Aber sie sind verhältnismäßig selten und meist nicht durch die Formel verschuldet, d. h. die gebeugte Silbe gibt ein w wieder; also kein falscher „Spondeus"! Die p l a n m ä ß i g e Tonbeugung ist in KLopstocks Oden deshalb so viel spärlicher als in seinen Hexametern, weil jene den Spondeus, auch den fakultativen, nur seltener ins Schema aufnehmen. Die alkäischen, sapphischen, asklepiadeischen Maße erscheinen bei Klopstock, wie bei Ramler, mit — w und w— anstatt . Entsprechendes gilt von Klopstocks neu erfundenen Metra. Mit einer gleich zu besprechenden Einschränkung ist festzustellen: Klopstocks Formeln kennen keinen Strich in der Senkung; jeder Strich der Formel will als Hebung gelesen werden. Das ist ein großer Unterschied von Voß und Platen. Träfen

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Odenverse.

wir bei diesen die Aufschrift ww die b e i d e n Rhythmen:

so kämen zunächst

n i j J i J J i und n i j i j i J J als gleichwertige Möglichkeiten in Betracht, weil der mittlere Strich an und für sich ebenso gut Senkung wie Hebung bedeuten könnte. Wo wir diese Zeichen bei Hopstock finden, „Der Selige" 1764 Zeile 1, da dürfen wir mit Bestimmtheit auf die zweite, dreihebige Form schließen: auch in Str. 3:

Wie erhöht, w61th6rrscher; In den stäub hier unten.

Für die Dreihebigkeit spricht in d i e s e r Ode der besondre Umstand, daß die zweite Zeile 4, die dritte 5, die vierte 6 Hebungen hat: offenbar will diese von Klopstock ersonnene Form damit spielen, daß die Hebungszahl versweise um eines wachse. Zeile 1 verlangt also drei Ikten. Ich kenne nur einen Fall in Klopstocks Formeln, wo ein Strich, ohne begleitendes w, eine (nebentonige) S e n k u n g meint: die Ode „Der Jüngling" 1764 schließt Zeile 1 und 3 mit während die Textworte {die bekränzte, wie des aufgangs usw.), sowie der Rhythmus von Zeile 2 und 4, klar machen, daß ein zweisilbiger Schlußtakt vorschwebt. Man kann sich fragen, ob diese Deutung der Schemastriche auszudehnen ist auf alle die phantasievollen Strophenmaße, die Klopstock im Schlußgesang des Messias versammelt, und die er in der Einleitung „Tom gleichen Verse" 1773 mit ihren Formeln versieht 1 ). Hier begegnen nämlich so gehäufte „Längen" wie in den sonstigen Oden nicht. In diesen bilden z w e i einsilbige Innentakte nach einander, also drei „zusammenstoßende Hebungen", die obere Grenze, und die wird nur ganz vereinzelt erreicht, so in der angeführten Zeile: Wie erhöht, wäthSrrscher; vielleicht noch in der Ode „Die Zukunft" 1764 Z. 3: Um sich silber sich drdhn; stürmwinde (s. u.). Jene Messiasstrophen dagegen können die Erscheinung 3—6 mal in 6inem Gesätze, sogar 3 mal in einer Zeile bringen: Empörschwäng, nähm zu dem 6rb' äuf 6r, den am kräuz gött sah. ') Wieder gedruckt bei Back und Spindler 3, 21 ff.

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Odenverse.

Und mehr als das: es können auch 3—5 einsilbige Takte im Yersinnern auf einander folgen, also 4 — 6 Hebungen „zusammenstoßen"; so in den zwei Zeilen: W , www_,

w w

Das gewänd wiiß, blüthöll, hob zum thron Sie sich empör, ständ ernst, änschäunsölig da.

Wir zweifeln nicht, daß der unvorbereitete Leser anders mäße: er würde in dem ersten Yerse nur drei Hebungen zusammentreffen lassen (-wdnd wiiß blut-), in dem zweiten gar nur zweie (Srnst, an-). Und die vorher genannte Zeile Emporschwang . . . würde er als sechshebigen Anapäst, ohne jeden einsilbigen Innentakt, behandeln. Denn eine N ö t i g u n g zum Iktus üben nur d i e Silben aus, die g l e i c h s t a r k sind wie ihre Nachbarn; daher: das gewänd, wSiß, blüthell. ., aber: stand ¿rnst, dnschaunsdlig. Unsre Dichtung ist von dem einsilbigen Innentakt so weit entwöhnt, daß der Leser ihn nicht ohne Not anbringt! Klopstock selbst aber hat diese Schemastriche sämtlich als Hebungen gedacht; die Vergleichung seines Brauches in der Menge der Oden führt bestimmt zu dieser Annahme. In jenen Messiasstrophen w o l l t e er Außerordentliches wagen, alle Möglichkeiten des deutschen Yerses im "Wetteifer mit den attischen Chören erschöpfen; stellt er doch auch bis zu fünf K ü r z e n neben einander. Wie weit er damit faßliche und genießbare deutsche Formen geschaffen hat, ist eine Frage für sich. Liegt es denn so, daß Klopstocks Oden überhaupt keine Senkungslänge, keinen „Spondeus" | | kennen? — Doch, sie kennen ihn, aber i m m e r n u r f r e i g e g e b e n , d.h. die Formel stellt Strich und Haken zur Wahl, entweder so: w (_) oder seltener _ (w). Diese Doppelzeichen verlangen aber eine zwiefache Deutung. In einem Teil der Fälle bezeichnet der Strich auch hier eine H e b u n g s s i l b e . Z. B. in der Ode „Die Gestirne" 1764 hat Zeile 4 das Schema: «W< W W , ( J W ^J ww , Das bedeutet zunächst so viel: die vierte Silbe kann Senkung oder Hebung sein. Senkung ist sie z. B. in: QF. CXXIII.

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Str. 2 Von den wipfeln und der berg' haupt es herab; „ 7 Den begl6iter. Mit dem pfeil zielet und blitzt.

Hebung ist sie z. B. in: Str. 8 Und der fisch spielet und bläst ströme der glut; -„ 15 Zum gericht hällts, und das grab hörts und der tod.

Es ist eine Art Polyschematismus, womit Klopstock wohl einsam geblieben ist: die sich antwortenden Strophenglieder haben unveränderliche Taktzahl und Silbensumme, aber wechselnde Verteilung der Silben auf die Taktreihe, und zwar in der eigenartigen Weise, daß als Gegenwerte gelten: I J J l 1 / 3 1 (oder J J I J J I ?) und J I J Z J I In andern Fällen jedoch meint das neben ^ zur Wahl gestellte _ keine Hebung, sondern einfach e i n e s p r a c h l i c h s t a r k t o n i g e Senkung. Z. B. in dem „Seligen" 1764 sieht Zeile 4 so aus: ^ ( —) ^ w

Die fünftletzte Silbe ist in Str. 3 und 5 schwachtoniges -e-: . . . über gott wie im träum; in den drei übrigen Strophen ist sie auch nicht tonstark genug, um einen ganzen Takt zu füllen: . . . etwas Seligkeit dann; außerdem soll der Yers offenbar s e c h s Hebungen haben (s. o.). Der wirkliche Rhythmus der Zeile ist in allen Strophen dieser:

; J / 3 I J / 3 I J I J Jl J/3IJ

In solchen Fällen mithin bezeichnet das ~ (_) der Formel einen s p r a c h l i c h e n Umstand, der uns gar nicht als m e t r i s c h e r Unterschied gilt (o. Abschn. 9): es werden der vermeintliche Trochäus | über \ und der vermeintliche Spondeus | etwas \ als gleicherweise erlaubt, als Gegenwerte, angezeichnet. Hier haben wir also den „freigegebenen" Spondeus. Wenn die Oden „Aganippe und Phiala" 1764, „Unsre Fürsten" 1766 und „Die Sprache" 1782 ihrer ersten Strophenzeile das dreifache Abbild vorsetzen:

') Sieh das Beispiel o. Abschn. 7 und die Bemerkung über „Formwandel" bei Klopstock u. Abschn. 25.

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Odenverse.

so ist das eine täuschende Buntheit: der Rhythmus, den der Dichter verwirklicht hat, ist jedesmal derselbe, nämlich: n \ j J I ¡ n \ j JIj J Die eingeklammerten Striche oder Haken sagen nur aus, daß die betreffende Senkung eine sprachlich schwächere oder stärkere Silbe zuläßt. In der erwähnten Ode „Der Selige" hat dieses Verfahren keine falschen Spondeen bewirkt: in anderen führte es zu Tonbeugungen, weil eben der Senkungsstrich, nach bekannter Anschauung, als „Länge" schlechthin behandelt wurde. Man nehme die Ode „Der Unterschied" 1771; hier hat Zeile 3 das Schema: Die Erwägung des Textes zeigt, daß durchweg der schlichte Viertakter gemeint ist: J J I J / 3 1 J J I J J. (Die in Klopstocks Formel durch das Komma angezeichnete Zäsur ist gar nicht in allen Strophen vorhanden.) Von den 13 Strophen füllen 11 den vorletzten Takt durchaus sprachgemäß, und zwar immer mit einer tonschwachen Senkungssilbe: also ein sogenannter Trochäus; nur in Str. 4 und 11 hat sich der Dichter des eingeklammerten Striches erinnert und eine hebungsbedürftige Silbe hingetan: also ein tonbeugender Spondeus: alUin fortgrünet; im sand aufführend. Dasselbe begegnet einmal in der gleichgebauten Ode „Die Maßbestimmung" 1781, Str. 1 Zeile 3: .. auf mich herströmet. Die sonst übereinstimmende Zeile 3 der Ode „Mein Wissen" 1782 stellt auch neben die e r s t e Senkungskürze ein (_): auch hier zeigt der Zusammenhang, daß keine Hebung, sondern eine sprachlich starktonige Senkung vorschwebt; und wieder hat dies zweimal eine hebungheischende Senkung verschuldet (in Str. 1 und 4): Durch vieljährigen schweiß errungen; Nicht nachahmend, die auch ursprünglich.

Noch ein Beispiel für einen harten g l e i c h g e w o g e n e n Spondeus, der durch das (_) der Formel verursacht wurde. „Aganippe und Phiala" 1764 hat für Zeile 2 das Schema: 9*

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Odenverse.

Auch hier kann kaum ein Zweifel bleiben, daß die rhythmische Form einheitlich ist, nämlich der Fünfheber:

J / 3 I J I J Jl J / 3 I J Von den 9 Strophen hat eine, Nr. 2, das (_) ausgenützt zu dem sprachwidrigen Takte: Rauschet der ström, schäumt, fliegt, stürzt sich herab.

Sechzehn Oden sind es bei Klopstock, die derartige „Spondeen" im Schema zur Wahl stellen, und zusammen haben sie in diesen Takten 24 Tonbeugungen erlitten: eine sehr bescheidene Zahl, verglichen mit Platen! Bin "Viertel dieser Beugungen fällt auf die ¿ine Ode „Die Zukunft" 1764 Zeile 3 : da mag doch vielleicht der Rhythmus:

i 11 i n | ! | 11 i i

Um sich selber sich drehn.

Sturmwinde

den Vorzug verdienen. Indem wir das (_) als Hebung behandeln, entgehn wir den sechs Tonverdrehungen. Auch die kunstreichen Hymnen des Messias zeigen in ihren Formeln die anscheinenden anceps-Zeichen c und ^ (hier wählt Klopstock diese Schreibung). Auch hier muß man aus dem Text ergründen, was diese Zeichen sagen wollen. Das eine Mal stellen sie eine Hebungs- und eine Senkungssilbe zur Wahl, das andre Mal einfach eine stärkere und eine schwächere Senkungssilbe, also den freigegebenen Spondeus. Fassen wir zusammen. In der Behandlung der überlieferten und in der Gestaltung der eignen Odenmaße hat sich Klopstock dem Spondeus, der Senkungslänge, frei gegenübergestellt, oder eigentlich abwehrend: er fand nicht nur, wie in seinen Hexametern, den Trochäus ebenso gut, sondern er fand ihn besser. Nur in einer kleinen Minderzahl von Oden machte er dem Spondeus das Zugeständnis, daß er ihn neben dem Trochäus ins Schema aufnahm. Daher kommt es, daß dieser Anstifter von Sprachwidrigkeiten in Klopstocks Oden ein enges Feld der Tätigkeit fand. Und so ist der f a l s c h e Spondeus, dieses Grandübel der antikisierenden Verse, bei Klopstock dem Odendichter über Erwarten spärlich. Wenn W. Schlegel einmal behauptet, Klopstock sei in seinen

Odenverse.

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eigenen lyrischen Silbenmaßen zu dem „vollkommensten Rigorismus" gelangt 1 ), so ist dies, zum Glück für Klopstock, ein Irrtum. Bei Voß liegt es handgreiflich so: wo wir auf eine Tonverdrehung stoßen, dürfen wir nur auf das vorgesetzte Schema blicken, und wir finden den Schuldigen in dem Senkungsstrich. Den meisten Metra erteilt Yoß, an zukommender Stelle, den f r e i g e g e b e n e n Spondeus; z. B. dem alkäischen Elfsilbler: Nur die sapphische Strophe erhält den g e f o r d e r t e n Spondeus. Der bloße Anblick dieser Formel: in ihrer iktenlosen Unhörbarkeit weissagt der deutschen Nachbildung Unheil. Es muß da ja vom blinden Zufall abhängen, ob die Haupttöne in die Hebung oder die Senkung geraten! Die drei folgenden Zeilen sind 6ine so schemagerecht wie die andre: Stumme sehnsucht eures gesprächs und eures ; Rege kraft, schönhöit und des volks gemeinsinn; * Rufen 16bt wohl! euch die gefährten, gluck auf!

Diesen dritten Yers hab ich, ehrlich gestanden, bisher bei keinem Dichter gefunden; metrisch könnte er Yoß und Platen nicht betrüben. Sprachgemäß gebaut sind Vossens Joniker-Oden. Die Füße w ~ J_ _ kann man nicht leicht tonwidrig bilden, zumal wenn man, wie Voß, eine Zäsur nach der zweiten Länge zu setzen pflegt. Der Strich in Senkung (oder wie man hier sagen könnte: in Nebenhebung) wird hier nicht zur Gefahr. Unter den spondeenhaltigen Gedichten dagegen, also der großen Mehrheit, findet man kaum ein sprachreines. Daß die sapphischen am meisten falsche Takte verüben, ist nach dem Gesagten begreiflich. Die fünf Strophen „An den Pfarrer von Grünau" bringen es auf 9, die drei Strophen „An Gerstenberg" auf 7 umgedrehte Spondeen. Aus der alkäischen „Bundeseiche" heben wir diesen Yers heraus: Dem musenchor nachtragt des bärbarn: ') In den Berliner Vorlesungen 1, 325.

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Odenverse.

eine so überaus einfache Form -wäre nicht doppelt zu Schaden gekommen, stände nicht im Schema: ~ _ - _ - _ ! Außer den tonversetzenden Takten kommt in das Schuldbuch des Spondeendranges ein gut Teil der Mastigkeit, die Vossens Strophen so anmutlos und undeklamierbar macht. Man versuche es etwa mit diesem sapphischen Gesätee an Fr. L. von Stolberg: Keine ruh, einschläferung nur mit angsttraum, Schafft dir mönchsablaß um verdienst des andern, Augendrehn, räuchwerk und kastein, und bannspruch Plärrendes anflehns.

Diesen letzten Mangel hat auch P l a t e n s überlegne Kunst nicht immer überwunden, nachdem er einmal zum harten Spondeendienst übergegangen war. Schon bei den daktylischen Maßen sahen wir, wie Platen nicht in gerader Linie den Rigorismus des altern Geschlechts fortsetzt (Abschnitt 9). So auch bei den Oden: die paar Stücke des Fünfzehn- bis Achtzehnjährigen und selbst noch das Ineditum an Napoleon vom Juli 1825 sowie die Huldigung an König Ludwig aus demselben Jahre, sie sind gleichsam Hölderlinsche, nicht Yossische Schule: an allen Versstellen gedeiht der „Trochäus" unbeschränkt, und Tonbeugungen sind verschwindend selten, wenn wir wieder die im Verseingang außer Rechnung lassen. Die Sprache in den beiden Oden des Neunundzwanzigjährigen ist ein ungepreßtes, atmendes Deutsch, ähnlich wie in den Liedern heimischer Maße. Einen Übergang bildet die Ode „Florenz" vom Oktober 1826. Den o der Formel erlaubt sie nur selten unbedingt „kurze" Silben, und die unbedingt „langen", d. h. die hebungsbedürftigen, haben sich in den 13 Strophen fünfmal eingestellt. Die beiden Fälle: 42 Zum strengsten ¿rast anfeuert die zeit nur ihn (früher: Zum strengsten ernste feuert die zeit ihn an); 47 Und mehr und m6hr zukünft im herzen (früher: Und mehr und mehr gewiß der zukunft)

sind erst durch die Feile hereingekommen. Denn schon nach wenig Monaten warf Platen dem Gedichte „metrische Schwäche" vor, weil „der Spondeus zu selten gebraucht" sei, wie er

Odenverse.

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später auch an den Oden seines Freundes Kopisch einige Yerse als „zu schlaff und spondeusarm" rügte 1 ). Von da ab war Platen Vossisch. Die alkäische Ode „Acqua Paolina" und namentlich die sapphische „Die Pyramide des Cestius" bringen schon eine etwas größere Bruchzahl tonwidriger Takte. Außerdem kranken sie an vorgeneigten Versschlüssen, die der Dichter im Jahr 1825 noch aus gutem Gefühl vermieden hatte: Sich der weit aufdrang, der erschreckten durch die Leiche des Cäsar; Da hob sich manch jahrhundert über Giebel und zinne das kreuz und herrschte.

Dergleichen wiederholt sich in den späteren Gedichten; durch Pindars Vorbild, in den „Festgesängen", ist es nicht gesteigert worden. Daß einzig der Strich in Senkung die mißhandelten Sprachtöne auf dem Gewissen hat, wird klar aus folgendem Umstände. Von den sechs neuen Metra, die Platen im Winter 1826 auf 27 anwandte, haben viere keine Senkungslänge im Versinnern; und diese vier Oden, Nr. IV, V, VII und I X mit zusammen 19 Strophen, s i n d f r e i v o n T o n v e r d r e h u n g e n . Die zwei übrigen, Nr. VIII und X, „Lebensstimmung" und „Der Turm des Nero", enthalten Senkungslängen im Schema und erzielen damit auf 11 Strophen 16 verdrehte Innentakte — dazu 9 haupttonige Auftakte: man wird zugeben, daß diese Eingänge: wegligt er ...; ghichstimmige . . ., so gehäuft, die verletzbaren Linien der Ode stärker gefährden als den unverwüstlichen Jambus. Man lese Nr. X X V I I I „An Karl den Zehnten", wo ungefähr die Hälfte der Verse diese Fußangel legt. Eine Tücke ist es, wenn gleich die erste Silbe des Gedichts einen Iktus vortäuscht, während doch ein Auftakt gemeint ist! Auch in den weiteren Jahren entgehn den falschen Innentakten nur die paar Gedichte, die keinen Senkungsstrich konstruieren. Es sind die „Morgenklage" Nr. XXI, vom Januar 1829, die unbenannte Nr. X X X V I I und das „Trinklied" Nr. XXXVIII, vom Juli 1831. Dieses letzte Gedicht hat nur ') Schlösser, August Graf von Platen 2, 89 f. (1913).

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Odenverse.

scheinbar in der Mitte der zwei ersten Zeilen eine lange Binnensenkung: in Wirklichkeit ist diese Silbe ein Auftakt, denn die zwei Yerse wollen als achttaktige Langzeilen gesprochen werden. Dieses Trinklied schwelgt leider in haupttonigen Auftakten; die beiden andern Oden dürften das Sprachreinste sein, was Platen in antiken Maßen geschaffen hat. Auch die Strophenform ist wohl die glücklichste, die ein deutscher Odendichter ersonnen hat. Da das vorgesetzte Schema, in bekannter Weise, den wahren Aufbau verschleiert, setze ich hier den Rhythmus her nebst einer Textstrophe:

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Parthenope ragt so schön Am seestrand empor, Umspannt den berauschten sinn Mit stahlfestem netz, Läßt fließen des lebens bäche Aus ihrem goldnen quell. Das eigne Verdienst dieser ungesuchten, leicht fließenden Form liegt darin, daß sie den einsilbigen Innentakt, in Zeile 2 und 4, wirklich zur Geltung bringt, weil sie keine starke Zäsur dahinter legt. Ich wüßte bei Klopstock kaum eine Form, die sozusagen das Geheimnis des einsilbigen Innentaktes, in seinem altdeutschen Sinne, so erfaßt hätte (dem Knittelvers war dieses Geheimnis ja immer kündlich geblieben). Man beachte noch, wie der einzige klingende Schluß inmitten der fünf stumpfen den Abgesang gefällig einleitet. Wo von Platenscher Sprachschönheit die Rede ist, wäre die „Morgenklage" mitzunennen. Von sprachwidrigen Innenspondeen ist sie, wie gesagt, frei. Vers 4: Schließ einen bund mit gott darf man ruhig als J J~j I J • I J sprechen; bei Vers 15: Schwermütige wucht, gedanke muß man schon mit der Stimmerhöhung nachhelfen. Die beiden einzigen Flecke auf dem schönen

Odenverse.

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Kunstwerk sind der schwächlich gefüllte einsilbige Takt in Vers 13: Vergebens, die hand erstarrt, da voll stolzen frosts

und der wacklige, vorgeneigte Kurzversschluß in Yers 21 : 0 seliger mann, woférn || Gelebt einer, der.

Auch dies sind keine Flüchtigkeiten (solche gibt es bei Platen kaum), sondern die verwaschene Schablone ist wieder der Sünder, sofern sie die gesteigerte Dauer der betreffenden Silben versteckt. Auch andre Male ist Platen darüber gestrauchelt, daß er den einsilbigen Takt zu schwächlich füllt ; nicht weniger als viermal in Ode IV, z. B. Zeile 8 : Lispelt déin Römermund.

Man lese sich noch VII Zeile 9. 10 vor nach dem ihnen zukommenden Rhythmus : Aber in s é i n schwärmergesicht prägest dü Den lebéndigen géist und jéne, wiewóhl frohliché.

Indessen, dieser Mangel verschwindet neben den tonverdrehenden Spondeen. Deren Dichtigkeit wechselt ; das sapphische Maß gibt ihnen, wie schon bei Voß, am meisten Spielraum. Aber den im „Turm des Nero" aufgestellten Rekord schlägt Platen nicht mehr, er kommt ihm am nächsten in Ode XII (17 Beugungen auf 14 Strophen), XVI (16 Beugungen auf 7 Strophen) und 48 „Europas Wünsche" (9 Beugungen auf 6 Strophen). Von ganzen Strophen möchte ich diese als die entdeutschteste anführen (XVI 21): Wehe mir, mir, wélcher ein einzigmal dich Durfte sehn ! nie leuchtet ein wiederséhn uns ! Deiner spür nachforscht ich das große Rom durch, Ewig erfolglos.

Als einzelne Zeile hat wohl die folgende aus der „Kassandra" das obere Maß der Sprachfremdheit erreicht: Sélbst dem béil fruchtloser begéisterung trotzt.

Wie das geschriebene Schema vermöge seiner rhythmischen Undeutlichkeit den Dichter auf Abwege leiten kann und dem Leser die erhoffte Hilfe versagt, läßt sich an dem

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Odenverse.

„Turm des Nero" besonders anschaulich darlegen. zeichnet dieses Schema vor:

Platen

Die vierte Zeile ist klar: ein sogen, vierhebiger Jambus. Die drei ersten Zeilen sehen uns mit Sphinxaugen an: was für Rhythmen sollen in diesen quallenhaften Silbenhaufen stecken? Anstatt daß die Formel uns den Schlüssel zum Text gäbe, versuchen wirs umgekehrt, aus dem Text die Formel zu enträtseln. Die erste Zeile von Strophe 1 lautet so: Glaubwürdiges wort, wohnt anders es noch beim volk.

Mäßen wir dies sprachrichtig, nach dem Gehör, so kämen wir auf diese Form: j i j - n i j i i j i J / 3 U JIJ Gewiß ein vortrefflicher Rhythmus, aber — erlaubt das Schema die Annahme, so habe es der Dichter gemeint? (und darauf kommts uns doch an!). Wir würden den ersten Strich als einsilbigen Takt deuten, den vierten und siebenten als Senkungsmora: kann das Schema so unfolgerecht sein? Wir wenden uns also an Zeile 1 der zweiten Strophe: Mordbrenner umher aussendete sein machtwort.

Hier würden wir sprachgemäß-unbefangen lesen: J I J / 3 I J I Q i ) I J I - m ^ l J J Merkwürdig, wie ungleich die zweiten Yershälften sind! Verlieren wir den Mut nicht und nehmen wir noch die Anfangszeile der beiden übrigen Strophen: Hoch rühm ich das feur, sang jener, es ist goldgleich; Komm, leuchtender gott! reblaub in dem haar, tanz uns.

Die fünf ersten Silben stimmen schön zu dem frühem Ergebnis ; die zweite Vershälfte führt uns dort zu einem: und hier zu einem: JIJJJIJIJJ

Odenverse.

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Also für j e d e der Strophen ein andrer Rhythmus, vier so verschiedene Formen, daß die Abwechslung über das noch hinausgeht, was wir von kühnen Knittelversen gewohnt sind! In einer Ode antiken Stils k a n n dieser Polyschematismus nicht beabsichtigt sein. Aber ebenso gewiß ist, daß der einheitliche Rhythmus, den wir bisher fruchtlos gesucht haben, nur g e g e n den Sprachstoff bestehn kann. Ziehen wir nun die zweite Strophenzeile heran, die ja das gleiche Schema hat, so verlieren wir auch das noch, was wir fest zu besitzen glaubten: die Form der fünf ersten Silben. Denn die Verse in Str. 2 und 3: Bacchantinnen gleich . . .; Ist wert des Titans . . . können doch nicht gut mit einsilbigem Takt einsetzen; man kann hier nur schwanken zwischen:

J I J I J J I J und J I J J"J I J Zu ähnlichen Nachforschungen und Unsicherheiten würde uns die dritte Strophenzeile nötigen. Kürzen wir uns den Weg ab und fällen wir dieses Urteil: In Anbetracht, daß 1. die Schlußzeile unzweifelhaft vierhebig ist, daß 2. Platen in k e i n e m sichern Falle, auch in den kunstvollen Festgesängen nicht, drei zusammenstoßende Hebungen braucht; daß 3. diese Platensche Strophenform offenbar eine Spielart der alkäischen ist mit zwei Fünfhebern -f- zwei Vierhebern, — wird erkannt: der Turm des Nero besteht aus zwei fünfhebigen -f- zwei vierhebigen Zeilen; die rätselhaften Zeilen 1—3 haben diesen Rhythmus:

Jl JFLL J, Jl JTJI J J I J I r l l J I J J IJ J I J J I J J I Eine Form von anspruchsloser Einfachheit! Der Dichter hat sie bis zur Unkenntlichkeit verlarvt in jenem von Strichen starrenden Schema — warum? Weil er auf Spondeen aus war, diese Würze der gelehrten Verskunst. Als er die drei Zeilen mit je 6—8 Strichen ausstattete, dachte er nicht an 6—8 gute Taktteile, nur an reichliche Längen, in Arsis und Thesis, gleichviel! Und diese Striche vor sich, berauscht von ihrem Anblick, fügte er dann seine Verse zusammen, die für jeden Strich zur Not eine starktonige Silbe auftreiben (genau darf mans ja nicht damit nehmen!), während sie das Ur-

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Odenverse.

gesetz deutschen Versbaus, den Einklang von Iktus und Sprachton, in selten erlebtem Maße mißachten. Denn rädern muß man ja die deutsche Sprache, wenn man Platens Zeilen auf unsern mühsam gefundenen Rhythmus liest, und wir gäben viel darum, wenn sich eine andre, schonendere Form glaubhaft machen ließe. Verständlich werden solche Verse nur aus der Annahme, daß das Schriftbild sie gleichsam gezeugt hat, dieses von Irrtümern durchtränkte Schriftbild, diese Strich-Hakenkette, die alles eher ist als ein Rhythmus! Der natürliche, gesunde Hergang wäre der gewesen, daß die vom Dichter gewählte Form als R h y t h m u s , hörbar, tastbar, schreitbar, sein Nervensystem in Schwingung versetzte und die konforme Silbenreihe aus sich hervortrieb. Bei der Ode XVII, „Roms Mauern . . .", sind Schema wie Text in dem Grade mehrdeutig, daß der Verf. einmal mit einem Sachverständigen lange darüber streiten konnte, wieviel Hebungen wohl gemeint seien, — bis uns Kopischs Antwort-Ode beisprang: die hatte augenscheinlich dasselbe Metrum gewählt, und der kleinere Dichter baute zum Glück seine Verse sprachgemäßer, so daß sie lehren konnten, wie der größere zu lesen sei! Ähnlich liegt es bei den umfangreichen Strophengebäuden der Platenschen „Festgesänge". Hier braucht es noch mehr vergleichendes Studium, um dem Gehörbild auf die Spur zu kommen; bei manchen Zeilen wird man vielleicht dauernd zweifeln können, was der Dichter eigentlich gewollt hat. Die Vergleichung mit dem Vorbilde Pindar kann nur lehren, ob Platen die nämlichen prosodischen Ketten zusammenfügt. Aber für das Akustische ist damit nichts gewonnen. Wir ahnen ja nicht, wie Platen diese vielen Längen und Kürzen nach Dauer und Nachdruck gestaltet hat. Seine eigne Formel neckt uns durch ihre Vieldeutigkeit, und was schlimmer ist, sein eigner Text erlaubt keine einheitliche sprachgemäße Rhythmengebung für die entsprechenden Glieder der Strophen: was für die eine Strophe paßt, widerstrebt der nächsten. Begnügen wir uns, aus dem „Abschied von Rom" die erste Zeile von Strophe 1, 2, 3, 5, 10 und 14 herzusetzen

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Odenverse.

mit den Iktenzeichen, die die nächstliegende, sprachgemäßzwanglose Messung andeuten, und dies dann in Rhythmenbildern auszudrücken. 1. 2. 3. 5. 10. 14.

Wer vorböiziehn därf an dem Äppischen w6g, südwärts gewändt; Frommt der sihnsucht längeverschöllener tät lebloser häuch? WüstenGin bloß blieben und trümmer. Erspähn mag, zeigen mäg; Zwar es fällt längsam, wie das dauernde fällt, großartigem; Steigen läßt sein wört Obelisken empör, gölddecken wölbt; Aber dies lied gleicht dem verirrenden Weidmann; nächtigäll-

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Man hört und sieht, das sind sechs recht ungleiche Figuren; die festen 15 Silben der Zeile verteilen sich ungemein wechselnd über den Rahmen der sechs Takte (nur der dritte Takt hat unveränderliche Eüllung), ja in Z. 2 und 14 überschreitet es sogar die Taktzahl. So kann es Platen natürlich nicht gemeint haben; die Gattung fordert gebieterisch den einheitlichen Füllungstypus. Das Schema des Dichters nun sieht so aus:

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Wie ihm dies nur im Ohre klang? Das wahrscheinliche ist mir diese Form, die der obigen zweiten nahekommt: j

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Auch dies wieder ein Rhythmus, der eigentlich nicht viel einfacher sein könnte; besteht doch seine ganze Abwechslung aus zwei- und dreisilbigen Innentakten! Und nun mache man den Versuch und lege unsre sechs Beispielverse in diese Matrize hinein: selbstverständlich knirscht die mißhandelte Sprache dabei, denn der Text ist ja nicht aus diesem Rhythmus geboren, wie es recht wäre, sondern aus einem verschwommenen Wechselbalge. So verwundert es

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Odenverse.

nicht, daß von den 17 Anfangszeilen des Hymnus nur s e c h s vollkommen sprachgemäß sich einschmiegen (in Str. 4, 7, 8, 11, 13 und 17). Entschiede man sich für einen andern Rhythmus, so träten die Sprachverstöße an andern Stellen ein; um sie herum kommt man nicht. Wie ist es möglich, so fragen wir, daß ein deutscher Dichter da, wo er sein Bestes geben will, in einen so heillosen Kampf mit seiner Muttersprache gerät? — Wir haben die Antwort in Abschn. 10 gegeben. Das Grundübel war, daß man Silbenreihen nachahmen wollte anstatt Rhythmen. Die Folge war, daß man die Werte des Schemas nur prosodisch bestimmte (kurz — lang, nichts weiter), daß man die Zeitverhältnisse und die Stärkeabstufung aus dem Spiel ließ. Damit verband sich der weitere, selbständige Irrtum: daß man unsre starken und schwachen Silben für lang und kurz hielt (Stufe 2) oder für Gegenwerte der alten Längen und Kürzen (Stufe 3). Damit war das Grundgesetz des akzentuierenden Verses ausgeschaltet. Für jede „Länge" im Schema d u r f t e man nun eine hebungsbedürftige Silbe setzen, denn — Länge war Länge. Aber wie soll sich der L e s e r zu solchen irregeleiteten Dichtungen stellen? — Er hat die Wahl. Entweder liest er sprachgemäß; dann erhält er Yerse von bunt wechselnder Füllung und z. T. sogar freier Taktzahl; Rhythmen, die den sogenannten Freien Yersen, etwa in Klopstocks „Frühlingsfeier", nahe stehn, nur daß die Silbensumme gebunden ist. Klanglich wäre dieser Weg der weit bessere; aber er ist eine Stillosigkeit und macht aus den Versen bewußt etwas anderes, als der Dichter wollte, verstößt also gegen den ersten Grundsatz eines gebildeten Vortrags. Der zweite Weg ist der, daß man die vieldeutige Schablone in einen faßbaren Rhythmus umzuwandeln trachtet, der bei Erwägung aller Umstände als der dem Dichter vorschwebende gelten mag, und daß man diesen Rhythmus nun, so gut oder schlecht es geht, in dem widerstrebenden Texte zur Wahrnehmung bringt. Wie weit dieses stilvolle Verfahren unser Ohr befriedigt, hängt ab von der Kunst des Vortragenden — und von dem Geschmack der Hörer. Darüber in Abschn. 23 noch ein Wort.

Richtig und schön.

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Bei einer gesunden, ungekünstelten Dichtung hätte der Sprachgenosse nicht nötig, sich mit solchen Fragen zu quälen. Daß ein Lyriker wie Platen in die Formgleise Tossens und Schlegels geriet, anstatt Goethes und Hölderlins, ist eine schmerzliche Schickung für die deutsche Sprachgemeinde. Seine Oden und auch seine Festgesänge bergen herzbezwingende Poesie. Welches politische Gedicht möchte sich messen mit dem „Künftigen Helden", dessen Zeilen, in Gold gegraben, den siegreich heimkehrenden Hindenburg als Ehrentafel begrüßen könnten? Bei welchem deutschen Dichter findet man Offenbarungen wie in der „Pyramide des Cestius", der „Lebensstimmung", der „Morgenklage" oder in dieser Strophe des von uns besprochenen Festgesangs: Selig, wem tatkraft und behaglichen sinn leiht gegenwart, Wer neu sich selbst fühlt, neues zu bilden bedacht ist, Wem das dasein ewig erscheint, und der tod selbst eine despotenerfindung, Deren gedanke des glücks pulsschläge hemmt: Gerne verläßt er und froh, Kapitol, dein schattenreich, Eure pracht, kirchhöfe Roms!

Wer aber Dichtung nur hörend, nicht mit dem Auge, genießen kann, der erlebt es bei diesen Werken immer wieder, daß in den schönsten Augenblicken der Vers feindlich dazwischen tritt! Die Geschichte der antiken Maße in unsrer Dichtung ist großenteils Krankengeschichte. Sie erzählt von merkwürdigen Irrtümern, Selbsttäuschungen, Selbstbetäubungen; die folgenschwereren Gegenstücke dazu findet man in der Geschichte der Religionen, des Aberglaubens. Hunderte von hohen Kunstwerken tragen Wunden, die nicht von Ungeschick und Formlosigkeit herrühren. Dadurch nur werden all diese Versfehler so eingehender Betrachtung wert, daß sie planvoll sind, der folgerechte Ausdruck einer Lehre, die drei Jahrhunderte in Kraft gestanden hat. 22.

„Platensche Formvollendung": das Wort bestand zu Recht, solange man der alten Lehre Glauben schenkte, wie

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Richtig und schön.

ein antiker Vers im Deutschen nachzubilden sei. Für den Strich die Länge, für den Haken die Kürze; oder, was dieselbe Wirkung hatte, nach Stufe 3: für den Strich die betonte Silbe, für den Haken die unbetonte. Diesen Grundsatz hat Platen so gewissenhaft befolgt wie kein andrer unsrer großen Dichter. Und solange man den Grundsatz für richtig hielt, mochte man Platens Kunst marmorglatt und vollendet nennen. "Was Platen für sich selbst in Anspruch nahm: daß er formgerechtere Verse baute als Goethe, das haben ihm so viele Literaturgeschichten bis heute nachgesprochen. Und doch, ein unbedingtes Lob der Platenschen Form findet man seit Jahrzehnten kaum mehr. Die Beiwörter, die Walzel spendet 1 ): „streng und voll Selbstzucht in der Form, immer auf reine und klare Rhythmik bedacht" möchten unter den heutigen Urteilen etwa die obere Grenze bezeichnen. Man vergleiche, wie es vor fünfzig Jahren bei Gruppe klang: „Da ist Elastizität ohne Härte, Weichheit ohne Zerlassenheit, da ist nicht das Kleinste von Flickwerk und Nothülfe, sondern alles frei und streng, ein lustiges, fröhliches Tanzen auf dem straffen Seil"2). Diese Worte spricht heute niemand mehr nach. Die vielen Sprachverstöße in Platens Versen haben den Hörer verletzt oder beunruhigt, mochte er nun an Regeln denken oder nicht; . . . doch wird das gedieht stets || Bleiben der stölz Deutschlands, dies und hundert ähnliche Stellen, ja, darüber kam man doch nicht weg. Auch unter den Theoretikern fehlte es nicht an Stimmen, die den falschen Spondeus rundweg verurteilten; ich nenne von den ältern Hehn, Cholevius3), Brücke. Die Mehrzahl allerdings, noch in den letzten Jahrzehnten, ließ sich aufs Rechtfertigen ein; dem einen und andern gelang es auch nach wie vor, sich diese Dinge als ') Deutsche Romantik 8 (1912) S. 111. ) Deutsche Übersetzerkunst» S. 237 (1866). Zwei Jahre später bei Gildersleeve, „Platens Poems", Ausdrücke wie: the exquisite finish of his work; exquisite beauty of form; as a master of the form, he is still unequalled . . . (Essays and studies S. 403. 411. 445). ä ) Geschichte der deutschen Poesie nach ihren antiken Elementen (1854—56) 2, 431. s

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Schönheiten zurecht zu legen1). Aber gegen den Goethischen Yersbau mochte man sie doch nicht mehr ausspielen. Daran war gewiß nicht nur kritiklose Goetheverhimmelung schuld. Unser Formgefühl ist seit Platens Tode deutscher und freiluftiger geworden; und die Kunst der Platenschen Epigramme, mag man sie preisen oder beklagen, deutsch und freiluftig ist sie ganz gewiß nicht. Kurz, während das Verständnis für Platens Leidenschaft und Phantasie zunahm, konnte man seinen Vers, den anth kisierenden nämlich, nicht mehr ohne Vorbehalt bejahen. Aber das gewohnte Wort von der Platenschen Formvollendung war damit nicht entwurzelt.... Es fand sich ein versöhnender Mittelweg: Platen ist „zu streng", „zu korrekt"; das ist sein Mangel. Die vielberufene Marmorglätte bedeutet auch Nachteil. Aus dem Paare „frei und streng" wurde ein „streng und voll Selbstzucht": eine Verschiebung in malam partem, ins Moralische. In summa: Platen vertritt eine Übersteigerung der Form2). Wer so redet, durchschaut die Sachlage nicht. Verstehn wir uns wohl: uns kümmert hier nicht die allgemeine Frage, wieweit Inhalt, sprachlicher Stil und metrische Form sich teilen in die künstlerische Wirkung; auch nicht die Frage, wie hoch Platens innere Dichterkraft einzuschätzen sei. Wir denken hier nur an die Urteile, die der Platenschen F o r m gelten; die diese Form als vollendet loben und doch auch wieder in ihrer übermäßigen Strenge und Korrektheit einen Nachteil sehen. Hierauf ist zu erwidern: was an Platens Versen notwendig mißfiel, nämlich die Tonverstöße, die sind niemals „zu korrekt"; sie sind immer ein Fehler. Und eine r i c h t i g e Norm kann der Dichter nicht „zu streng" befolgen; einer richtigen Norm gegenüber ist ein Weniger an Strenge kein Vorzug, in der Verskunst so wenig wie in der Ton') Sieh Albert Fries, Platen-Forschungen (1903) S. 101 ff. ») Vgl. Westphal, Theorie der nhd. Metrik S. III; Hehn, Über Goethes Hermann und Dorothea S. 133: selbst bei Platen „überwiegt das Interesse der glänzenden Technik des Verses zu sehr, um den lauteren und vollen ästhetischen Eindruck nicht zu stören". QF. CXXIII.

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kunst oder der Baukunst und der Bildnerei. Platen folgt© einer verkehrten Norm; darum gerieten ihm Verse, die f a l s c h sind. Seine Formgerechtigkeit war nicht zu groß, sie war irregeleitet. Wollte man es aber so wenden: Platens Yerse sind n a c h der a n t i k e n R e g e l dermaßen korrekt, daß sie darüber undeutsch werden, so verfiele man einer neuen Verwechslung. Das, worauf alles ankommt, ist ja doch dies: Platen, als Opfer von Rezept 2, täuscht sich über die deutschen Gegenwerte der griechischen Striche und Haken und kommt so dazu, ohne Rücksicht auf die Stärkeabstufung des Taktes Senkungslängen mit hebungsbedürftigen Silben wiederzugeben. Damit erfüllt er ja aber keine antike Regel! Ob wir unsre Sprachtöne schonen oder nicht, das ist eine rein innere Angelegenheit des deutschen Versbaus und berührt sich überhaupt nicht mit Ansprüchen der antiken Norm. Platens Grundsatz, die Takte | | und | | in der bekannten Weise zu unterscheiden, bringt seine Verse um kein Haar näher an die Vorbilder heran; ein umgedrehter Spondeus ist dem antiken | ± _ | nicht ähnlicher als ein deutsch-sprachgemäßer, eher ließe sich das Gegenteil verfechten (weil der sprachgemäße den Iktus reiner herausbringt). Also auch „antikisch-korrekt" — oder „antik-akademisch", oder wie mans nun genannt hat — ist kein Name für Platens Verse 1 ). Platens Sinn für sprachlichen Wohllaut — Klangfarbe, auch „Musik" oder „Melodie" genannt — wird wohl nur von ganz wenigen unserer Dichter erreicht. Was für ein Abstand ihn hier von Klopstock trennt, kann man sich etwa vergegenwärtigen, wenn man erst Klopstocks „Edone" (1771), dann Platens kleinen spielerischen Dreistropher „Du denkst an mich so selten" (1834) vorträgt; beide im selben schlichten Strophenmaß, unzernagt von den Giftzähnen eines falschen Schemas. Daß zwischen den beiden Dichtern die zwei schöpferischen Menschenalter unsres Schrifttums liegen, ') Richtig Schlösser, Platen 2, 94. Dagegen vgl. Kauffmann, Deutsche Metrik S. 211: „Zu den besten Hexametern konnte man die von A. W. v. Schlegel nur rechnen, so lange man den griechischen, nicht den deutschen Hexameter suchte".

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kommt der Platenschen Sprachkultur fast in jedem Yers zugute. Aber uns berührt ja in dieser Schrift nur die eine Zone: die r h y t h m i s c h e Behandlung der Sprache. Klopstock als Rhythmenerfinder — ich möchte sagen: als rhythmenbedürftiger Schöpfer — steht staunenswert hoch. Das Wort Feingefühl drängt sich bei seinem Versbau nicht gerade auf; Klopstock bleibt, bei jahrzehntelangem Feilen, etwas von einem Freskanten mit breitem und zuweilen gewaltsamem Strich. Daß bei Platen das rhythmische Feingefühl von Haus aus stumpfer war als bei Klopstock'), glaube ich nicht; dagegen zeugen seine Verse in den schlichteren Maßen und am Ende auch eine ganze Menge schöner, sprachgerechter Zeilen in den kunstreicheren Formen. Platen ist vielmehr das große Beispiel eines Dichters, der sein Versgefühl durch die mißdeutete Formel vergewaltigt, den Gehöreindruck dem Gesichtsbilde geopfert hat. Man mißverstehe dies nicht! Platens verunglückte Verse sind nicht „papieren" in dem Sinne, daß sie, stumm hingeschrieben, für stummes Lesen berechnet waren. Aus seinen Selbstzeugnissen geht hervor, daß ihm die tönende Form ungewöhnlich lebhaft vorschwebte, und zwar ein stark stilisierender, musikhaltiger Vortrag, der zu der ganzen Art dieser Gedichte ja auch am besten stimmt2). Ähnliches ist von Voß bezeugt, und auch W. Schlegel sagt von sich: „ich begnüge mich damit, die Praxis der Alten genau zu bemerken und dann mein Gehör zu Kate zu ziehen"3). Wir zweifeln nicht, daß Platen seine Verse akustisch durchempfunden hat. Das hindert jedoch nicht, daß sein Schallbild durch die geschriebene Formel beherrscht wurde. Die Formel suggerierte ihm Tonverstöße, also Mißklänge, die er selber in den schlichteren Metra, da wo keine Formel im Wege stand, mißbilligte und vermied. Im Blick auf das Schema hat er sich diese Mißklänge als erlaubt und notwendig eingeredet. Sehr glaubhaft, daß ihm diese Ver') Unger, Platen in seinem Verhältnis zu Goethe S. 164. Minor, Germ.-rom. Mon. 3,435, glaubt zu wissen, daß Platen „ein viel feineres Gehör für den Rhythmus als für die Melodie hatte"! s ) Schlösser, Platen 2, 94. 8 ) Briefwechsel zwischen W. v. Humboldt und A. W. Schlegel S. 24 f. (aus dem Jahr 1821). 10*

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standesforderung mit der Zeit ins Gefühl überging; daß er allmählich einen Yers wie: Mordbrenner umher aussendete s£in machtwört

nicht nur als richtig, sondern als wohlklingend empfand. Dann hätte er sich einen zwiefachen sprachlichen Schönheitssinn anerzogen, einen mit Schema und einen ohne. Dem mag eine zwiefache Vortragsweise entsprochen haben. Aber man mache sich klar, daß gerade ein Vortrag, der „den Tonfall des Verses ungleich entschiedener hervorhebt, als wir es gewohnt sind"1), die Beugungen des Sprachtons notwendigerweise am schärfsten zu Gehör bringt. Wir schreiben damit Platen nichts im Grunde anderes zu als Goethen. Wenn Goethe in seinem dritten Epos künstliche Takte auspoliert, die ihm im ersten nur wie Hobelspäne entschlüpft waren; wenn er das Schlegelsche Kuckucksei aufnimmt, den metrisch wie syntaktisch mißschaffenen Pentameter: Einer nur steht rückwärts traurig gewendet am mast

und dafür das eigene Kind zum Nest hinauswirft: Nur ein trauriger steht, rückwärts gewendet, am mast:

dann hat Goethe ebenfalls, und zwar als Meister der Zunft, sich eine sprachlich-metrische Schönheit einreden lassen, die bisher nicht die seine war, und die ihren Kechtstitel in einer irreführenden Schablone und einer falschen Theorie hatte. Nur hat Goethe bloß einzelne Monate seines Lebens dieser ästhetischen Zweigötterei gehuldigt und dann den Silbenstechern Valet gesagt — allerdings auch dem Hexameter! Wogegen Platen ein Jahrzehnt lang, bis zum Grabe, an der Selbsttäuschung festhielt, ein: war Shakespiare formlös sei zwar ein Verbrechen, wenn das Schema _ ~ _ ^ _ zeige, also im Trochäus, dagegen eine schätzbare Zierde, wenn auf dem Papier ein stehe! Zwar nicht von Platen, aber von seinen Vorgängern in der Verskunst, Voß und Schlegel, hat Köster gesagt (Zschr. f. d. Alt. 46, 125): Was sie „mit allzu klarem Bewußtsein sich abquälten, das sind zum großen Teil zwar äußerlich ') Schlösser, a. a. 0.

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richtige, aber melodielose Exerzitien geworden. Der antiquarische Reiz ist für den Kenner größer als der ästhetische. Goethes Hexameter aber sind, auch wenn sie akademischer Strenge nicht genügen, künstlerisch der schönste Ersatz für antike epische Yerse, den wir haben". Diese Worte dürften die heute herrschende Auffassung widergeben. Aber wir sind damit aus dem alten Irrtum noch nicht heraus. Zugegeben, daß weder Yoß noch Schlegel die sogenannte Melodie der Goethischen Yerssprache erreichen, d. h. die Klangfarben, die nicht auf metrischen, sondern auf sprachlichen Bedingungen ruhen und auch Goethes Prosa in gleicher Weise auszeichnen. Hängt doch die Schallform eines Yerses keineswegs bloß von seinen metrischen Tugenden ab. Schlegel selbst war sich des wohl bewußt und erklärte sogar seinem Bruder, sinnlicher Wohlklang der Sprache trage über die Anforderungen der Prosodie hinweg: „so sind wir Menschen — sinnliche Geschöpfe!"1). Nur daß sein eignes Sprachvermögen dem nicht nachkam; seltsame Mißklänge trifft man in seinen Yersen (von den metrischen Fehltritten ganz abgesehen): Welcherlei leben und l u s t g i b t s ohne die g o l d n ' Aphrodite? 8 ) Nimmer begriff e u r o h r jenes hellenische maß 3 ).

Allein, was jeder Fühlende als Grundmangel an den VoßSchlegelschen Hexametern empfinden wird, was ihnen den Beigeschmack der „Exerzitien" gibt, das ist nicht dieses Weniger an sprachlicher Klangfarbe, sondern die sehr greifbaren, sehr bestimmt zu bezeichnenden Verstöße gegen die deutsche Betonung. Diese Yerse sind eben n i c h t „äußerlich richtig"; sie sind, zufolge einer irrigen Versregel, ganz einfach unrichtig. Ob sie, dem ästhetischen Mangel zum Trotz, einen „antiquarischen Reiz" ausstrahlen, das wird Geschmackssache sein. Wiederum, der metrische Vorzug der Goethischen Hexameter ist nicht dadurch gleichsam erkauft, daß l ) Sämtliche Werke 7,157 f., vgl. 178 f. Anders dachte darüber Klopstock, bei Back und Spindler 3, 137 ff. 181. 231. ») Sämtliche Werke 3, 107. s ) „Wo eur Ohr erst recht das Ohr beleidigt", sagt Hehn, GoetheJahrbuch 6,188.

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Richtig und schön.

sie sich einer akademischen Strenge zu entziehen wagen, sondern er beruht darauf, daß sie von einer falschen Schulregel weniger bestimmt sind. Weil man es gläubig hinnahm, daß Platens Verse die richtigsten seien, und weil man zugleich, mehr oder weniger klar, seine Tonverletzungen als unschön fühlte, deshalb glaubte man hier einen G e g e n s a t z v o n „ r i c h t i g " und „ s c h ö n " aufstellen zu müssen. Platen vertrete die höhere Richtigkeit, Goethe die höhere Schönheit. Dieser Glaube ist ein Überbleibsel einer irrigen Verstheorie, Stufe 2 oder 3. Einen Gegensatz zwischen richtig und schön kann die Verskunst nicht anerkennen. Soweit Goethes Verse schlechthin „schön" sind, sind sie auch richtig; und die „unschönen" Verse Platens sind unrichtig und eben d a d u r c h unschön. Nicht jeder formal richtige Vers ist „schön"; der Zauber der Schönheit hat noch andre Voraussetzungen. Und gewiß kann der besondre Reiz eines Verses, in Gedanken oder "Wortfügung oder Klang, einen metrischen Mangel vergessen machen. Darum wollen wir nicht so weit gehn und sagen: jeder schöne — d. h. doch wohlgefällige — Vers ist zugleich richtig. Nur daran dürfen wir festhalten: vollendete Schönheit schließt die Richtigkeit in sich. Die antikisierende deutsche Dichtung nötigt uns nicht, eine Ausnahme von diesen allgemeinen Sätzen aufzustellen. Es gibt in unsrer Verskunst keine Richtigkeit g e g e n die Sprache und gegen unser Ohr, und dasselbe Sprachgefühl, das über die richtige Form urteilt, bemißt auch die Schönheit des Verses. Widerspruch fordert auch heraus, was Minor zugunsten der Vossischen Sprachbehandlung vorbringt1). Nachdem er die Betonungsfehler der griechelnden Verse ausführlich kritisiert hat, meint er einlenkend: mit diesen Fehlern bezahle man „das Streben nach genauerer Einhaltung der Taktdauer" — wogegen schon einzuwenden ist, daß die Taktdauer durch Akzentverstöße keinesfalls gewinnt. Und er fährt fort: „Die ') Nhd. Metrik S. 306. 171 f.

Zum folgenden: Verf., Anz. f. d. Alt. 21,

Die subjektiven Voraussetzungen.

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größere rhythmische Vollkommenheit wird hier zu einer metrischen Unvollkommenheit". Bei rhythmischer Vollkommenheit denkt Minor an die Eigenschaften der rhythmischen Linie unabhängig von ihrem sprachlichen Substrat, bei metrischer Vollkommenheit denkt er an den Einklang zwischen Vers- und Sprachrhythmus. Auch wenn man diesen Wortgebrauch mitmachte, müßte man bestreiten, daß die tonwidrigen Verse der Gestrengen schönere oder antik-echtere Rhythmen ergeben. In Wirklichkeit aber können wir einen Gegensatz zwischen „rhythmischer" und „metrischer" Vollkommenheit überhaupt nicht anerkennen. Ein mit seinem Sprachstoff im Streit liegender Rhythmus ist bei Deutschen so gut wie bei Griechen unvollkommen, eine dem Ohre mißfällige Erscheinung. 23.

Aber freilich, was mißfällt und w a s gefällt, darin werden sich nie alle einigen, und darüber sei hier noch ein Wort zur Verständigung gesagt. Untersuchungen wie die hier angestellten haben es nicht so gut, daß sie den Lessingschen Satz zum Leitstern nehmen dürften: „Was die Meister der Kunst zu beobachten für gut befinden, das sind Regeln". Kein Zweifel, es wäre der Wunsch des Versforschers, daß er sich so mit dem Einfühlen und Beschreiben begnügen könnte! Ob dies einer noch lebenden Sprache und Kunst gegenüber jemals möglich war, weiß ich nicht Bei u n s e r n Meistern der Kunst ist es n i c h t möglich, schon deshalb, weil diese Meister sehr widersprechendes für gut befanden; weil sich, um mit Goethes Freund Knebel zu reden, „unsre einzigen Muster unter die Regel einseitiger oder fühlloser Pedanten schmiegten" und einer Theorie folgten, die nicht nur grau, sondern nachweislich falsch war. Das Fehlen einer kerngesunden Überlieferung, woraus die Meister vertrauend und ohne Grübeln ihren Formensinn genährt hätten, kennzeichnet die Verskunst unsrer klassischen Zeit. So laufen denn unsre Betrachtungen aus auf Urteile über sprachgemäß und sprachwidrig — oder versgemäß und verswidrig; ästhetische Werturteile, die not-

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wendig auf dem persönlichen Formgefühl des Verfassers ruhen. Und jeder Verfasser ist sich bewußt, daß n u r bei einem Teil der Leser ein gleiches Formgefühl ihm antworten wird. Hat doch die große Uneinigkeit, die seit Alters die Versforschung, nicht n u r die deutsche, zerteilt, ihren Hauptgrund nicht in verschiednen Methoden und dergleichen, sondern im verschiednen Nacherleben kunstrhythmischer Sprachbehandlung. Und bei Versen in unsrer eignen Sprachform müssen sich diese subjektiven Gegensätze am unmittelbarsten äußern. "Wer in einem Hexameter wie : Wunder und doch Wahrheit, ehrfurcht vor dem göttlichen lern er

einen zwiefachen Fehler beklagt, kann es aas zwei Gründen tun. Entweder er setzt voraus, daß die rhythmische Kurve des Hexameters das Übergeordnete ist und der Sprachton sich ihr zu fügen hat. Dann besteht der Fehler hier in einer zweimaligen Tonbeugung. Diese Auffassung hat mich auf den obigen Blättern geleitet. Oder aber, er betrachtet den natürlichen Sprachrhythmus als das unverbrüchliche, er betont also in unserm Falle Wahrheit, ehrfurcht nach der Prosa. Dann sieht er den Verstoß darin, daß die gewohnte Hexameterbewegung durchbrochen wird. Bei denen, die unsre Zeile als einwandfrei oder wohlgefällig empfinden, kehren die beiden Standpunkte wieder. Dem einen ist Wahrheit, ehrfurcht als Träger des Rhythmus » J * J unverfänglich, wenn man n u r die Tonversetzung im Vortrag gebührend mildert. Der andre, der die Wörter nach der Prosa betont, nimmt den dadurch entstehenden Knick in der Hexameterkurve willig in Kauf. Der erste stellt kleinere Ansprüche an kräftige Ausprägung des Sprachrhythmus, der zweite an die Wahrung der einheitlichen Verslinie. Den ersten Standpunkt findet man in den neueren Metriken öfter vertreten, wenn auch nicht vorzugsweise bei den antiken Formen 1 ). Das Versmaß, die rhythmische Linie, *) Saran tadelt den umgedrehten Spondeus im Hexameter, während er in Jambenversen unter Umständen alle erdenklichen „Drückungen" gutheißt; man vergleiche in seiner Deutschen Verslehre S. 340 f. mit S. 304.

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setzt sich schon durch, wenn der Sprachstoff nicht allzu widerspenstig ist, und wenn der Vortragende es nur geschickt anfängt; es braucht eben „die nachhelfende Betonung des Lesers" (Hamerling). Es ist ja nicht zu leugnen, mit Tonverschleierung erreicht man viel. Bei Minor frage ich mich zuweilen: könnte man mit diesen Rezepten des schwebenden Tones usw. nicht im Grunde alle deutschen Verse rechtfertigen? So erklärt Minor z. B., Platen habe diesen fünfhebigen Jambus mit Unrecht getadelt: Bracht er den fraun schild, heim, speer und gewand1).

Hier könnt ich nur sagen: diese Zeile gäbe den Stoff her zu einem guten deutschen Yerse, nämlich:

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als fünfhebiger Jambus aber ist sie elend. Ich bekenne mich zu der Ansicht: der Vortragende mag nach Belieben verschleiern, da wo er in Notlage ist, d. h. wo der Sprachton dem Metrum widerstreitet; wem fiele es ein: ausbreitet sich dbendgewölk schon mit den gleichen frisch-fröhlichen Ikten z u rezitieren w i e : mit hurtigen rudern entweichend?

— Aber,

ein guter Yers ist der, der uns nicht in Notlage bringt; der nicht zu verschleiern braucht. Und ob ein Yers „gut" in diesem Sinne sei, eben dies haben wir als Metriker festzustellen. Dem Deklamator wollen wir damit seine mildernden Künste nicht ausreden. Über den Vortrag des Yossischen Homer durch Goethe, im Herbst 1794, berichtet Böttiger: „Die härtesten Stellen wurden durch Goethes treffliche Deklamation und richtig wechselndes Andante und Adagio außerordentlich sanft und milde"2). Diese Tugend des Vortrags macht die Härten oder Fehler des Verses nicht ungeschehen. Der Meinung war auch Goethe, sonst hätte er Hexameter gemacht wie Voß, mit 700 falschen Spondeen im Keineke anstatt 19! Und die metrische Untersuchung, wir wiederholen, gilt den objektiven Eigenschaften des Verses, nicht den wandelbaren Mitteln des Vortrags, aus jedwedem Verse etwas klanglich ') Germ.-rom. Mon. 3, 435. ) Angeführt von Schiiddekopf, Goethe-Jahrbuch 19, 19.

!

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Annehmbares zu machen. So kann ich mir auch nichts dabei denken, wenn man Verse „fehlerhaft in metrischer Hinsicht", aber „für die Deklamation vollkommen" nennt 1 ). Deklamation ist Wiedergabe des Yerses, a u c h seines Metrums; sie soll unter anderm das M e t r u m zu Gehör bringen. Diese Aufgabe erschwert ihr ein metrisch fehlerhafter Vers. Für die heute verbreitete Forderung, Verse müsse man recht natürlich, recht wie Prosa, sprechen, trete ich gewiß nicht ein. Der Vers, und also der Vortrag, s o l l die Sprache stilisieren, und in den Maßen der Alten darf er es mehr als sonst. Die Erscheinungen jedoch, die uns hier beschäftigt haben, liegen nach meinem Gefühl jenseits der Grenze, die das sprachgemäße Stilisieren vom sprachwidrigen Verzerren scheidet. Aber auch den zweiten Standpunkt kenne ich bei Poesiefreunden, deren Schönheitsgefühl im übrigen mir außer Zweifel steht. Sie sprechen: Aber sö viel währheit ist ein fatäler gentiß; Durch 6ichwälder und lichende täler und täusenderlei grün

mit unverkümmerter Sprachbetonung, und daß hierbei, sozusagen, kein Pentameter und kein Hexameter herauskommt, gibt ihnen keinen Anstoß; ja sie verspüren diesen gelegentlichen Bruch des vertrauten Umrisses als besondern Eeiz. Dies werden sie sich kaum verhehlen, daß solche Verse bei solchem Vortrag nicht etwa nur die Nachdrucksgipfel verrücken, sondern auch die Zeitverhältnisse mehr oder weniger gründlich verschieben. Man hat gesagt: in dem transparenten Musterpentameter des Romantischen Oedipus: Kehrt er zurück, weh euch! wehe dem freiergeschlecht!

möge man weh euch! herzhaft gebe eine besondre Wirkung. haupt noch ein Sechstakter? ich mich jedesmal auf einem

nach der Natur betonen; das Mag sein. Aber ist das überWenn ich so betone, ertappe Siebentakter, ungefähr so:

W i l l der Dichter, daß sein tonbeugender Spondeus so dy') So Muncker über die Hexameter des jungen Klopstock (Fr. G. Klopstock S. 140).

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namitartig auf seinen Pentameter wirke? — Die Gegner antworten vielleicht: für u n s e r rhythmisches Bedürfnis g e w i n n e n die Verse durch diese Unregelmäßigkeiten; der sogenannte „falsche Spondeus" ist für uns nichts Sprachwidriges, sondern eine erwünschte Gelegenheit, die Monotonie des Versmaßes zu brechen. Die Folge davon müßte freilich sein, daß ihnen die Goethischen Distichen — die so harte Fälle nicht ein einzigmal bringen — metrisch reizloser wären; in den Hexametern der Achilleis müßten sie wohl einen Fortschritt über die der Römischen Elegien und des Reineke sehen. Doch w i e o f t ein solcher Rhythmusbruch ihnen begehrenswert scheint, mögen sie mit sich ausmachen; und daß Voß und Platen (wie vermutlich die meisten ihrer Zeitgenossen) diesen naturalistischen Vortrag als höchst stillos abgelehnt hätten, damit mögen sie sich abfinden. Ich kann nur feststellen, daß hier eine nicht zu hebende Geschmacksverschiedenheit besteht. Für mein Erleben sind nun einmal d i e Verse die metrisch schönsten, in denen die Linie des Hexameters, der alkäischen Strophe usw., klar ausgeprägt, f r e i w i l l i g a u s der S i l b e n k e t t e h e r v o r g e h t . Man muß den Hexameter, sagte Hamerling, so gestalten, daß kein Vorleser ihn verderben kann 1 ). Dabei denkt er an den minderwertigen Vorleser. Wenden wir es dahin: der ideale Vers ist so, daß der gute Vorleser weder das Metrum noch die Sprache verderben muß. Wenn alle paar hundert Zeilen einmal die Leidenschaft des Dichters seine eigne Form umbiegt, wie wir das in dem Schillerschen Verse Freiheit ruft die Vernunft antrafen, so gehn wir gerne mit. Aber man wird einräumen : aus der Legion unsrer falschen Spondeen sind herzlich wenige in dem Bett der Leidenschaft gezeugt worden! Und im übrigen: man nehme unsern formzerreißenden Rhythmus des Schillerschen Verses (Abschn. 15) und halte ihn gegen die rechte Hexameterform: die Abweichung streckt noch nicht über ein Sechstel der Verslänge. Wie anders ist das bei unsern. Platenschen Beispielen, den ruhigen und dem bewegten! *) Hamerlings Sämtliche Werke 5, 299.

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„Kampf und Kompromiß" zwischen Sprache und Kunstform 1 ), also Wunden und Selbstentäußerung hüben und drüben, das ist zum Glück nicht der normale oder gar notwendige Zustand beim Yersemachen. Wo das Metrum der Sprache sitzt; wo keine falsche Lehrmeinung verlockt; wo der Dichter feinhörig und sprachgewandt ist — : da schmiegen sich Stoff und Form friedfertig aneinander. Und diese drei Bedingungen kommen immerhin manchmal zusammen. 24. Von allen der Antike abgelernten Maßen hat der Hexameter in der Neuzeit ohne Vergleich die stärkste Lebenskraft bewiesen. Ist er doch sogar in die litauische Dichtung gedrungen, und zwar vor dem Klopstockschen Messias, und nimmt sich hier, nach Bezzenbergers Urteil, „durchaus volkstümlich, wahr und einfach" aus 2 ). Da ihm bei uns in Deutschland auch Dichter, die außerhalb der antikisierenden Gleise gehn, mit Glück gehuldigt haben, selbst Mundartdichter vom Range Hebels und Klaus Groths, kann man nicht mehr mit Schiller sagen, der Hexameter erinnre unausbleiblich an die griechische Welt 3 ). Noch weniger geht es an, so sollte man denken, diese herrliche Versart, wie Goethe sie nannte, kurzer Hand als frostigen Fremdling zu verurteilen. Ob man sie, wie Platen wollte, von dem großen Epos fernhalten soll 4 ), ist eine Frage zweiter Ordnung. Auch dem sprachgewaltigen Versuche von Julius Schultz, die gereinigte Ilias in Nibelungenzeilen zu fassen 5 ), mag man zugestehn, daß er heimische und schlicht-heldische Klänge erreicht, die uns Deutschen der Hexameter nicht hergibt. Diese Stilfragen liegen nicht auf unserm Wege. Für uns handelt es sich darum, ob der Hexameter, einfach als Vers, als sprachrhythmische Figur genommen, im Deutschen einem unverbildeten Gefühl eingeht. „Volkstümlich" braucht er darum noch nicht zu sein, ») ») 3 ) 4 ) ')

Vgl. Saran, Deutsche Verslehre S. 135 f. Kultur der Gegenwart 9, 362. Schillers Briefe 5, 207 (vom 26. Juni 1797). Epigramm Nr. 118 bei Koch-Petzet 4,195; vgl. 11, 120. 127. Das Lied vom Zorn Achills, Berlin 1901.

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und man wird gern zugeben, daß ihn nicht jeder gut zu sprechen vermag, der Jamben oder Knittelverse ohne Mühe vorträgt. Schon Klopstock machte die Beobachtung, wie das neue Silbenmaß Beifall gefunden habe „am gewöhnlichsten bei völligen Laien, die unverwahrlost von theoretischer Hörsagerei sich dem Eindrucke überließen"1). Dem steht gegenüber eine Aussage des jungen Herder 2 ): „Gebet einem guten gesunden Verstände ohne Schulweisheit Jamben, Daktylen und Trochäen zu lesen; er wird sogleich, wenn sie gut sind, scandiren; gebet ihm einen gemischten Hexameter — er wird nicht damit fortkommen". Das stammt freilich aus den Kinderjahren des deutschen Hexameters. Der Widerspruch der beiden Äußerungen mag sich daraus erklären, daß Klopstock an Hörer, Herder an Sprecher dachte. Das macht noch heute einen Unterschied. Im übrigen fragt sich, mit welchen Bildungskreisen man diese Versprobe anstellt. Da seit jenen Jahren ein goldenes und ein silbernes Menschenalter unsrer Dichtkunst den Hexameter eifrig gepflegt haben und er auch in der ehernen und eisernen Zeit nicht verschwunden ist aus unsern Schulbüchern und unsrer täglichen Lektüre, sollte die gesellschaftliche Grenzlinie, die den Hexameterfähigen umfaßt, heute etwas tiefer gelegt werden können. "Wenn Herder die Schwierigkeit in dem „gemischten" Wesen des Hexameters findet, also doch wohl in dem Durcheinander zwei- und dreisilbiger Takte, so ist zu erwidern, daß gerade d i e s unserm Verse gemeinsam ist mit der volksmäßigen Kunst; was ihn von dieser t r e n n t , sind Taktzahl, Zäsuren, Verbot des Auftaktes und Reimlosigkeit. Den wohlgebauten Hexameter als ein „dem Deutschen mundgerechtes, für den Vortrag dankbares Versmaß" von „unvergänglichem rhythmischem Reiz" preist Hamerling mit Berufung auf Lewinskys Deklamieren3). Als Amalie von Imhoff 1798 Goethen ihr Epos vorlesen durfte, da wurde sie — ein zweiter Bourgeois gentilhomme — mit der Ent') Bei Back und Spindler 3, 88 (aus dem Jahr 1779). *) Fragmente I 174 (aus dem Jahr 1766). s ) Sämtliche Werke 13, 230.

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deckung überrascht, das seien ja Hexameter, und Goethe sagte: „Ich verstehe: das Kind hat die Hexameter gemacht, wie der Rosenstock die Rosen trägt"1). Ein besseres Zeugnis für die Einpflanzbarkeit dieser fremden Form wäre kaum zu verlangen. Heute will man bemerkt haben, daß unsern Frauen, auch den sehr gebildeten, jedes lebendige Gefühl für den Hexameter fehle. Und doch können unsre Frauen sonst "Walzer tanzen. Ich möchte vorläufig glauben, daß bei dieser Erfahrung der Inhalt der Gedichte mit im Spiel war; es gibt ja, bei Goethe und Anderen, viel Hexametrisches, was durch Abstraktheit oder durch Nacktheit die Frauen ferner hält. Und dann käm es drauf an, w a s für Hexameter man erprobt, ob solche mit metrischen Wolfsgruben oder andre. Wählt man Verse, die nach dem Gehör, nicht dem mißverstandnen Schema, gedichtet sind, und läßt diese Sechsfüßler recht unbefangen auf das Gehör und den Muskelsinn wirken, dann müßte jeder, scheint mir, ihren Reiz triebhaft nacherleben und sich freuen, daß unsre Buchdichtung diese ausdrucksfähige Form von stärkster Eigenart gewonnen hat. D6r Vorwurf wird nachgerade verstummt sein, man könne im deutschen Hexameter weder zum „lieben Gott" beten noch vom „deutschen Vaterland" reden noch dem Nachbar „guten Tag" wünschen 2 ): alles drei kann man ruhig tun, sobald man vom Spondeenaberglauben geheilt ist. Vom Vaterland haben wir in Abschn. 9 gesprochen; der liebe gott trägt füglich zwei Ikten, während die Formel guten tag auch sehr wohl ein n J sein kann. Daß man dem Hexameter seine Laufbahn in unsrer Dichtung durch eingebildete, unnütze Schranken verquält hat, darf gerechterweise bei seiner Abschätzung nicht mitreden. Der Hexameter erfüllt seine eigne Zone in unsrer Poesie; dächte man ihn weg, so klaffte eine unausfüllbare Lücke. Er ist viel metrischer, rhythmusgesättigter, tanzhafter als der Blankvers, dessen Wert ja gerade in der prosanahen Lockerkeit besteht; und gegenüber dem Viertakter mit volksmäßig freier Füllung (dem Knittelvers und seinem lyrischen Bruder) ') Goethes Gespräche 8, 267. ") Heinrich Kruse bei Westphal, Allgemeine Metrik S. 196.

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hat er den tiefern Atem, ein Etwas von "Würde und Vornehmheit, ohne das nun einmal ein sehr großer Teil unsrer Dichtung nicht zu denken ist. Wen 6inmal nur die Hochgebirgsvision am Anfang der Euphrosvne ergriffen hat, der wird sich gestehn, daß dieses griechisch-deutsche Versmaß seinen Teil hat an den erhabensten Wirkungen unsrer Dichtkunst. Dank seinem kenntlichen, formhaltigen Gange wirkt der Hexameter nicht leicht irgendwo als zufällige Hülle, die sich mit einer andern vertauschen ließe. Wenn Wilhelm von Humboldt noch aussprechen konnte, der Reim gebe immer ein dem Auge sich aufdrängendes Kolorit, während der Hexameter, „so wie jedes alte Silbenmaß, seinen . . . Farbenschleier immer nur als bescheidnes Gewand um die Schönheit der Formen gießt"1), so kennzeichnet dies die Jahre, da der antike Einfluß auf seiner Mittagshöhe stand und der Reimvers in der Buchdichtung beinah das Ungewohntere geworden war. Konnte doch Humboldt an andrer Stelle sagen: „ein Hexameter, ein Pentameter, so wunderbar künstlich er auch gebaut ist, hat doch im Grunde einen Gang, der . . von selbst und natürlich so hinrollen könnte . . . Dagegen hat schon der Reim . . unmittelbar, wie er auftritt, etwas Künstliches; . . daher ich ein ganz naives Produkt immer lieber in den Silbenmaßen der Alten lese"2). Bei solchen Äußerungen packt es uns, w i e s e h r wir mittlerweile aus dem Antikischen herausgekommen sind, und wie uns der Reimvers wieder, wenn auch nicht wie im Mittelalter, zum heimischeren Ausdruck geworden ist. Wir Heutigen werden umgekehrt den Hexameter als eine besonders spezifische Form empfinden, ihm eine besonders g r o ß e Prägekraft zuschreiben; was ja nun als Vorteil oder Nachteil gelten mag. Aber ich weiß wohl, im Gespräch und in Büchern begegnet man dem Urteil, unser Vers sei eine fragwürdige ») Werke 2,171 (Berlin 1904), aus dem Jahr 1798. ») Neue Briefe W. v. Humboldts an Schiller hg. v. Ebrard S. 55. 58. Schiller antwortet zustimmend, Briefe 4, 434 f. Ähnlich äußert sich einmal A. W. Schlegel über den Reim, sieh C. Alt, Schiller und die Brüder Schlegel S. 50.

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Bereicherung des deutschen Formenschatzes; die Ehrfurcht vor den Alten — oder die „verdammte Nachahmungssucht"1) — habe uns da ein Metrum beschert, das in unsern Landen nur im Treibhaus gedeihe. Die strengste Verdammung des deutschen Hexameters, die mir im Druck bekannt ist, steht bei Adalbert Schroeter, Geschichte der deutschen HomerÜbersetzung (1882) S. 340 ff. Es Hegt reichlich viel Verwechslung und Trugschluß am Grunde dieses Sündenregisters, und es lohnte sich nicht, all die Klagepunkte, die einer heftigen Abneigung unklar entbrodeln, einzeln herauszufischen und zu widerlegen. Daß der deutsche Hexameter mit seinen „unendlichen Lizenzen" ein „viel zu wohlfeiles schnellfertiges Geschöpf" sei, ein „schmiegsames, schwankes Maß, nach welchem man dichterische Prosa verrechnet"; daß er „kläglich grau" erscheine, weil dem Deutschen die freie Wortfolge des Griechischen und der üppige Schmuck seiner Diphthonge fehle; daß unser an Gleichtakt gewöhntes Ohr die zweisilbigen Takte inmitten der dreisilbigen als „Lücken" empfinde: über derartiges läßt sich im Ernst nicht reden. An die Spitze stellt Schroeter die Vorwürfe: der deutsche Hexameter mache die „jedesmalige Skansion" nicht immer klar und deutlich, er diktiere nicht genügend die Betonungsart der Einzelsilbe; und damit zusammenhängend: Kürzen und Längen seien im Deutschen zu wenig normiert, „Pyrrhichius, Spondeus, Trochäus rinnen hier völlig in einander"; ein Verseingang wie Sie aber ging könnte ein so gut wie ein _ ~ - _ sein. (Man sieht, das ist Stufe 1 + 2!) Diesen zweiten Umstand, die streckbare Silbenprosodie des Deutschen, haben wir in Abschnitt 3 besprochen: sie ist ein Kreuz für den grammatischen Regelmacher, nicht für den unbefangenen Dichter. Überdies äußert sich diese Eigenschaft des deutschen Sprachstoffs notwendig in allen Versen deutscher Zunge. Der erste Einwand meint das, was wir rhythmische Mehrdeutigkeit, Polymorphie genannt haben (Abschn. 14). Sie ist eine Schwäche, die der nach-Klopstockische Hexameter früh überwunden hat; sie gehört keineswegs zu den anhaftenden Zügen dieser Versart: viel weitern Spielraum hat sie im ') Sieh Klopstocks Zitat bei Back und Spindler 3, 91.

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deutsch-volksmäßigen Verse und im Freien Yerse, also in Gattungen, die der Hexameterfeind zu schätzen pflegt. Es ist Schroeter nicht gelungen, dem deutschen Hexameter mit treffenden Gründen beizukommen. Doch mit oder ohne Gründe, die ablehnenden Stimmen sind da, und sie werden sich mehren, je weiter wir abkommen von jener gottesfürchtigen Schätzung der antiken Kultur, die um die Wende des 18. Jahrhunderts zum letztenmal nicht nur einzelne Forscher, sondern weite Kreise beseelte. Und es geht nicht an, hier den Spruch vorzuhalten: Ars non habet osorem nisi ignorantem. Nicht nur der Mediziner Möbius, der Goethebiograph, ruft aus: „Wie kann ein wahrhaft deutsches Gedicht in Hexametern geschrieben werden? . . . mit ihnen kommt ein für allemal der Schulstaub geflogen" 1 ). Auch der Humanist Burdach äußert über Hermann und Dorothea 2 ): „Dieses wunderbare Gedicht . . bannt seine Herzenslaute . . in das Schema des antiken Metrums", und darin sieht auch er einen „Erdenrest des klassizistischen Schulstaubes". Ich würde erwidern, daß auch Inhalt und Sprache dieses idyllischen Epos in dem Grade durch ein hellenisierendes Formgefühl hindurchgegangen sind, daß zwischen ihnen und dem metrischen Gewände kein Widerstreit zu spüren ist. Soll das Metrum klassizistischer Schulstaub sein, warum dann nicht auch die Diktion mit den hundert Wendungen, die an der Sonne Homers gereift sind? Und wer könnte von dieser Sprache trennen den eigentlichen G e i s t des Gedichtes? Darin bezeichnet ja eben das Werk einen Gipfel der „zweiten deutschen Renaissance", daß es nicht rein-deutsches Lebensgefühl birgt, sondern Deutsches mit Hellenischem verschmelzt. Und wer etwa bedauert, daß bei dieser Legierung der Yers nicht aus dem deutschen Erze genommen wurde, der mag sich doch fragen, in welche Versform man die Dichtung umgesetzt denken könnte, ohne daß etwas ganz Neues aus ihr würde. Den fünfhebigen Jambus, gereimt oder reimlos, wünscht gewiß niemand an die Stelle. Yon den wirklich deutschen Maßen käme wohl ») Möbius, Goethe 1, 222. ) Deutsche Renaissance, Berlin 1916, S. 73.

2

QF. CXXIII.

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Schätzung des Hexameters.

nur der veredelte Knittelvers in Frage, so wie ihn Goethe in den 1770er Jahren baute. Der übertrifft noch an Mannigfaltigkeit den Hexameter; er gönnt so ziemlich allen Silbengruppen der deutschen Sprache Einlaß (was der Hexameter nicht tut), er ist unsrem Sprachstoff auf den Leib gegossen wie kein andrer Yers seit dem alten stabreimenden; die Zeile läßt er nach Bedarf mit der Hebung oder mit ein- uud mehrsilbigem Auftakt einsetzen, wo der Hexameter dem vorwaltenden deutschen Satzrhythmus seinen fallenden Eingang schroff entgegenstellt; seine Vierzahl der Takte und das geradteilige Taktgeschlecht gehn uns ganz anders ein als die Sechszahl und der Tripeltakt; der Reim ist freilich ein Zwang, der dem andern Verse erspart ist, dafür gibt es da keine Zäsuren, die vom Dichter wie vom Leser ein stetes Aufmerken heischen. Aber nun mache man in Gedanken den Versuch: Hermann und Dorothea in dem Verse von Künstlers Erdewallen! Kein Zweifel, auch der Stil, im weitesten Sinne, würde mitgewandelt. Es wäre nicht mehr der Goethe der 1790er Jahre, sondern der Erankfurtische Jüngling. Wer diese Wandlung wünschte, nun, der möchte Hermann und Dorothea ungeschehen machen. Mein Wunsch beschränkte sich darauf: daß die mißratenen Verse des Gedichts in die Form kämen, die mit den falschen Spondeen, mit den bröckligen Schlüssen und die mit den schwächlichen Hebungen, zusammen wohl noch nicht zehn vom Hundert: dann möchte immerhin diese milde Sprache ihren griechischen Reigen tanzen! Mit mehr Grund könnte man an dem Hebeischen Karfunkel, der Wiese, dem Geisterbesuch auf dem Feldberg eine unorganische, von einer Zeitlaune verschuldete Formwahl tadeln. Denn was hier in den jonischen Rhythmen erklingt, das ist bis auf wenige buchhafte Stellen urdeutsch und bäuerlich-volkshaft, nicht nur die mundartlichen Laute, sondern auch Gedanken, Stimmung, innere Sprachform. Und doch — die Empfindung von Schule und Schulstaub haben die Mundartgenossen bei diesen Hexametern nicht; wenigstens nicht wir Städter mit Buchbildung. Sie muten uns so gewachsen und selbstverständlich an, als hätte der Inhalt die

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Schätzung der Odenverse.

Form aus sich hervorgetrieben. Ob auch die Hausener Bauern den Vers eurhythmisch sprechen können, weiß ich nicht. Wieweit von Tossens und Groths holsteinischen Hexametern gleiches gilt, mögen die in der Mundart Aufgewachsenen entscheiden.

25. Hat der Hexameter seine Gegner, wie viel mehr die Oden- und Hymnenmaße! Sie zählen unter unsern Schaffenden eine weit kleinere Gemeinde, und auch von so vielen dichtungsfreundlichen Lesern, heute mehr als zu Großvaters Zeiten, werden sie schelen Auges angesehen. Sie gelten als leblos, undeutsch, den Gesetzen heimischer Dichtkunst widerstrebend; als Verse nur fürs Auge. In dieser so allgemein begründeten Ablehnung fließt unterschiedliches zusammen, berechtigtes und unberechtigtes. Berechtigt ist die — bewußte oder unbewußte — Mißbilligung der sprachwidrigen Verse, im besondern der falschen Spondeen, die wir bei Odenmeistern wie Voß und Platen wuchern sahen. Aber wir wissen, diese Ton Verletzungen gehören keineswegs zum W e s e n unsrer Versart. Man könnte die scheinbar schwierigsten Metra Platens in deutscher Sprache verwirklichen, ohne ein einzigmal gegen die natürliche Betonung zu sündigen, und Platen selber hätte dies ohne Zweifel getan, wenn nicht der schulmäßige Irrtum sein angeborenes Sprachgefühl übertäubt hätte. Hölderlin beispielsweise kam ohne diese geflissentlichen Sprachfehler durch; wohl hat er sich auf leichtere Odenformen beschränkt, aber mit den ungewohnteren hätte er ebenso verfahren können. Gestört wird das Vorlesen seiner Oden durch die vorgeneigten Versschlüsse; aber diese Laune oder unbedachte Horazerei gehört ja ebenso wenig zu dem Unvermeidbaren der Odenform! Berechtigt ist ferner die Anklage, wenn es denn eine sein soll: daß diesen horazischen und pindarischen Formen ein Maß von Strenge und zugleich Künstlichkeit anhafte, wie wir es von anderen deutschen Versfamilien nicht gewohnt sind. Das liegt in der Artbestimmung dieser Metra. 11»

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Schätzung der Odenverse.

Die deutschen „Odenmaße" vereinen die zwei Eigenschaften: erstens sind Taktzahl und Silbensumme gebunden, desgleichen die Silbenzahl aller Yersglieder, so daß jeder Stelle jedes Verses ihre Füllung vorbestimmt ist; zweitens ist die Füllung, die rhythmische Bewegung, mannigfaltig: die Auftakte können sich zwischen 0 und 3 Silben bewegen, die Innentakte zwischen einer und vier (bei Klopstock sechs) Silben. Die erste Eigenschaft, die Gebundenheit, kommt auch den meisten unsrer jambisch-trochäischen Arten zu, aber denen fehlt die zweite, die Mannigfaltigkeit. Umgekehrt, diese Mannigfaltigkeit eignet in gleichem Maße dem neuern Knittelverse, in geringerm Grade dem volkstümlichen Liedverse, in noch geringerm dem Hexameter und Trimeter: d i e s e Gattungen aber sind nicht gebunden in der Füllung, wie die Oden. Die Oden allein vereinigen Reichtum mit Unfreiheit, und darin liegt allerdings eine Schwierigkeit und Künstlichkeit, die den frühern deutschen Versarten unbekannt war. Deshalb haben Goethe und Schiller, mit geringen Ausnahmen, die Hände davon gelassen. Zwar nicht den einfachsten Formen wie der sapphischen und alkäischen, wohl aber den längern und den verwickeiteren Gebilden, mögen sie von Pindar oder einem Neuen stammen, kann man vorhalten, daß der Aufwand an Strenge nicht im Verhältnis zur Wirkung steht. Wenn der einsilbige Takt oder der viersilbige nach Bedarf seine Stelle wechseln dürfte, wenn der Auftakt gelegentlich einmal fehlen oder eine Silbe mehr haben dürfte, usw., dann würde dies dem Dichter die Fessel lockern, ohne daß doch der Hörer einen Mangel verspürte. Schon der redliche Titz 1642 meint 1 ): „Es könnte aber vielleicht iemand nicht unbillich fragen, ob denn uns im Deutschen nicht auch vergönnet sein möchte, bisweilen in einem Felde einen Pedem mit einem andern zu verwechseln?" Ohne zu wissen, daß auch die Alten ihren Polyschematismus hatten, kommt er zu dem Schluß: „Traun, wann unterweilen Lust halben fremde Pedes mit eingemischet werden, muß man es sonder allen Zweifel der poetischen Freyheit verzeihen." Indessen, gerade die Gattung der Ode l

) Zwey Bücher usw. I c. 10 § 9.

Schätzung der Odenverse.

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ist fast durchaus bei der starren Füllung geblieben: Klopstocks kühne Versuche in Formenwandel — mit wechselnder oder fester Silbensumme — sind ohne Nachfolge geblieben1). Die Wandlungsfähigkeit des Galliambus haben unsre Dichter meines Wissens gar wenig ausgenützt. Für sich stehn der Hexameter und seine Abarten, die ja noch Yoß gern zu lyrischen Strophen verwendet. Wir räumen also eine gewisse Starrheit und anspruchsvolle Formgebung ein. Aber schließlich braucht ja nicht j e d e Kunstform den Vorzug der freibeweglichen Abwechslung und der Heineschen Hemdsermligkeit zu haben! Mag sich die Ode an die engere Gemeinde derer wenden, denen die Form als solche am Herzen liegt. Wir werden uns nicht auf den Standpunkt des Banausen stellen: „Die zu kunstvollen Maße hätte Platen nicht gebrauchen sollen, weil doch niemand Lust hat, sie lesen zu lernen"! 2 ) Warum soll der deutsche Leser sich von seinen Poeten nicht erziehen lassen ? Es gibt noch etwas anderes, sagt Erich Schmidt, als „des Knaben Wunderhorn zu blasen und dem Volk schlichte Weisen zu singen" 3 ). Als unberechtigt, d. h. irrtümlich, nennen wir dagegen den Glauben, daß unsre deutschen Odenverse aus gelahrten, fremdländischen Füßen oder Takten beständen, von denen sich die volksmäßige Dichtung der Deutschen nichts träumen lasse. Freilich, diesen Glauben haben die Odendichter selbst geteilt, und sie waren stolz auf diesen fürnehmen Nimbus. Das fing schon im 17. Jahrhundert an. Wenn beispielsweise Tscherning in seiner Poetik schreibt 4 ): „Und noch in meinem 4 ) Ich denke an die Gedichte „Der Vorhof und der Tempel" 1765, „Der Kamin" 1770. Mehrmals variiert er, innerhalb öiner Ode, den asklepiadeischen Vers und seine Gefährten : „Der Lehrling der Griechen" 1747, „Der Kranz" 1782 u. ö. Auch die oben S. 34 f. und 130 erwähnte Erscheinung gehört hierher. Sui generis ist „Das Gehör" 1783, ein höchst merkwürdiges Experiment in metrischem Gestaltenwechsel (auch die Taktzahl schwebt zwischen 6 und 10, während die Silbensumme gleichmäßig 17 beträgt). Schade, daß die beigegebene Formel von noch böswilligerer Unklarheit ist als gewöhnlich! ») Cholevius, a. a. 0. 2, 432 (1856). 3 ) Charakteristiken s 2, 331. ") Borcherdt, A. Tscherning S. 230.

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Schätzung der Odenverse.

Vortrabe des Sommers liesestu eine Glycon-Ithyphall- und Phalecische Ode . . .", so mag man sich denken, wie ihm bei diesen gewichtigen Worten der Busen schwoll! Wie hoch mußte er sich erhaben fühlen über die Pritschmeister und Yolkssänger, denen nichts dämmerte von solcher Weisheit! Und nun hören wir uns dieses hellenische Wunderwerk an; eine Strophe lautet so (die Iktenstriche habe ich zugefügt): Ö daß Cästalis mir nicht fleußt, Wie er ändermal sich ergSußt! Ö daß Erato von mir s6tzt, Die sonst miine gedänken w6tzt, Ein getichte zu singen, Als ich mfeinte zu bringen, Wo sich himmel und feuer in mir rührte, Daß mein eifriger geist Apöllisierte.

Überrascht vernehmen wir: das sind ja Rhythmen von einer Einfachheit, die außerhalb des Jambentrabs nicht zu unterbieten wäre! Es sind, landläufig gesprochen, drei- bis fünfhebige Trochäen mit der einzigen Abwechslung, daß jedesmal der zweite Verstakt drei Silben hat. Das hätte auch, wenn nicht der Pritschmeister, so doch der Volkssänger geleistet. Und däfür jener Aufwand von südländischen Namen! Aber man glaube nicht, daß die Odenmeister des 18. 19. Jahrhunderts darin klarer dachten! Wenn Klopstock den zwei Versen: Willkommen, o silberner mond, Schöner, stiller gefährt der nacht

das Schema überschreibt:

so war er zuverlässig des Glaubens, er habe in diesen kurzen Zeilen fünferlei Versfüße gebaut: einen Jambus, zwei Anapäste, einen Trochäus, einen Daktylus und einen Creticus. Ein Blick auf das zutreffende Rhythmenbild: JIJ

Jl-U-T3U

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\JJ:\JJ\J

zeigt uns, daß es einfältig-schlichte Formen sind, die in irgend einem Volkslied erklingen könnten.

Schätzung der Odenverse.

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Oder nehmen wir ein Beispiel mit bewegteren Rhythmen: Wenn der morgen in dem mäi mit der bluten ¿rstem gerüch erwächt.

Hier belehrt uns Klopstock selbst, daß zwei Didymeen, ein Anapäst, ein Daktylus und ein Creticus diesen Vers aufbauen1). Die tatsächliche Form ist diese:

Das sind folgende Bausteine: ein zweisilbiger Auftakt, zwei-, drei- und viersilbige Innentakte und ein einsilbiger Schlußtakt. Der erste beste Knittelvers zeigt dieselben Teile. Es braucht wohl keine weitern Belege; an jeder einzelnen Ode von Klopstock, Yoß, Platen ließe sich dasselbe dartun. Wir können auch auf Abschn. 21 zurückweisen, wo sich die verzwicktesten Formeln Platens als schlichte, eingängige Rhythmen enthüllten. Halten wir nun ein paar beliebige Knittelverse dagegen (aus Künstlers Erdewallen), um uns zu überzeugen, daß sie innerlich nicht anders beschaffen sind. Soll ich so verdarben den himmlischen morgen

wäre ein Anapäst, ein Amphibrachys, ein Didymeus, ein Trochäus. Gutes w6ib, köstbare kleinen:

ein Creticus, ein Daktylus, ein Trochäus. Wo mein pinsel dich berührt, bist du mein:

ein Didymeus, ein Anapäst, ein Creticus. Die ich in seel und sinn, himmlische gestält:

ein vierter Päon, ein Jambus, ein Daktylus, ein Jambus. U. s. f. Zu den scheinbar kunstreichsten Odenversen ließen sich genaue Gegenstücke auftreiben, von der Taktzahl abgesehen. Nur ist es bei diesen urdeutschen Reimversen niemand eingefallen, sie so zu zergliedern und exotisch zu benennen. Man gab ihnen ja auch kein Schema; sonst hätte man für jeden Yers ein neues aufstellen müssen. Denn die streng geregelte W i e d e r k e h r derselben Füllungstypen unterscheidet die Odenmaße, nur sie bedingt ihre Künstlichkeit. Man kann ») Bei Back und Spindler 3, 56. 60.

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Schätzung der Odenverse.

es einer Formel wie ^ ^ _ ^ ^ w ^ _ unmöglich anmerken, ob ein Oden- oder ein Knittelvers dahinter steht. Der große Irrtum lag also darin: die deutschen Verse, die nach einem Schema gedichtet wurden und altgriechische Fußnamen führten, trennte man durch eine hohe Mauer von denen, die beides entbehrten. Yon Didymeen und Kretikern, von Bacchien und Jonikern konnte doch ein ungelehrter Volksdichter nichts wissen, auch Jamben, Trochäen und Daktylen setzte er mehr nur zum Schein; woher hätte er die griechischen Füße haben sollen? Um in solchen zu dichten, brauchte es doch, selbstverständlich, ein Studium der Prosodie! Als Quelle dieses Irrtums zeigt sich uns wieder die herkömmliche Versformel, die mit ihren grammatischen Abstracta „Länge" und „Kürze" das wahre Schallbild verdeckt, das Ohr des Verslehrers verstopft und einen üppigen Nährboden abgibt für metrische Mythologie, worin Klopstock der nicht einmal von Moriz erreichte Meister wurde; waren doch die „Füße" für ihn beseelte "Wesen, die er andichtete und in grammatischen Dialogen leibhaft auftreten ließ. Mit welcher "Willkür man übrigens, auch schon seit dem 17. Jahrhundert, die Silbenreihen in Füße zerlegte; wie man planlos bald die Taktinhalte (Versfüße), bald die sprachlichen Atemgruppen (Kola, „Wortfüße") als Glieder herausschnitt, das wäre ein Kapitel für sich. Nur éin Beispiel noch dafür I W. Schlegel übersetzt Theokrits „Spindel"1). Bs ist die seit Klopstock auch bei uns mehrfach gebrauchte Lange asklepiadeische Zeile, im Deutschen mit dem Rhythmus: i i i ti—Ii 11 i rn i Ii t n i i m i ä é\ééé\d\ééé\d\é

é d \ é é \ e)

Schlegel, der das Strich-Hakenschema vor Augen hat, erklärt, im Deutschen entstehe „ein reizender Gegensatz zwischen den antispastischen Wortfüßen und der Schwungbewegung des Rhythmus, die zum Choriamben hinzieht, welches einem beständigen Auflösen von Dissonanzen gleicht". Das ist bare Einbildung. "Wir wollen nicht darüber rechten, ob man das 1 Glied JI 0P* ¿I einen Choriambus (_ w _) nennen dürfe; ') Sämtliche Werke 3, 161.

Schätzung der Odenverse.

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sicher ist, daß Schlegels eigner Text fast keine antispastischen Wortfüße enthält {mitSchilfrohre): auf die 11 ersten langen Zeilen sind es nur zweie. Ihr Gepräge bekommt die Versart durch die bestimmte Folge von ein-, zwei- und dreisilbigen Takten und die zwei festen Zäsuren; die "Wortfüße sind von buntester Abwechslung, wie in irgend einem Versmaß, und zeigen keinerlei planmäßiges Verhalten zum metrischen Gange. Ich setze die zwei ersten Zeilen mit angezeichneten Wortfußgrenzen her: Spindel, ; hold j dem gespinnst, j gäbe : der blauäugigen j Pallas j du, Arbeit j schaffend j dem hauswirtlichen : weih, : welche dich lenken kann.

Dringen wir durch die täuschende Hülle der falschen Schablonen und der Fußnamen hindurch und nehmen wir die deutschen Verse als akustische Wirklichkeiten, so zeigt sich: die vornehmbetitelten Odenmaße und die bescheidenen Knittel-, Lied- und Spruchverse sind in ihren Bestandteilen e i n s : beide bestehn aus Auftakten von 0 bis drei (vier) Silben und aus Innentakten von einer bis fünf Silben. Der U n t e r s c h i e d ist in erster Linie der, daß diese Teile bei den Oden in gebundner Ordnung stehn, bei den volksmäßigen Versen in freier Folge; in zweiter Linie der, daß die Oden auch fünf- bis siebenhebige Verse kennen, während die heimischen Maße neben dem herrschenden Viertakter nur noch Zweitakter zu gebrauchen pflegen. Aber diese Unterschiede rühren nicht an die Grundlagen der Form, so wenig wie das Fehlen oder Vorhandensein des Reims, und berechtigen nicht zu dem Vorwurf, unsre Odenmetra seien ihrer Substanz nach etwas Fremdartiges. Es kann also keine Rede davon sein, daß wir Deutsche, seitdem wir antike Metra nachbilden, z w e i e r l e i G r u n d sätze des V e r s b a u e s besitzen. So lehrten es Voß, Schlegel und am nachdrücklichsten Minckwitz: Die antikisierenden, meist reimlosen Gedichte sind nach bestimmten prosodischen Regeln gebaut, sie sind wahrhaft metrisch, d. i. gemessen; die übrige Dichtung richtet sich nur nach dem Akzent der Wörter, kennt keine richtig abgewogenen Füße, nur „ein Radebrechen mit Wortfüßen, das durch einen nachhinkenden

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Schätzung der Odenverse.

Beim gutgemacht werden soll"1). Feiner, aber nicht haltbarer ist die Zweiteilung Apels, wonach dieselben Metra, z. B. der Trimeter und der Hexameter, im Deutschen teils quantitierend, teils „accentierend" behandelt werden 2 ). Er gebraucht diese Wörter nicht in dem uns geläufigen Sinne, denn keinen deutschen Vers würde er von aller Rücksicht auf den Sprachakzent entbinden. Man hätte zweifellos erkannt, daß die gesamte deutsche Dichtung, sagen wir seit. Opitz, einem Hauptgesetze der Sprachbehandlung gehorcht, wenn man sich herbeigelassen hätte, wohlgebaute "Verse der volksmäßigen Formen liebevoll zu zergliedern. Dann hätte man gesehen, daß auch sie ihre „Füße" und ihre „Zeitmessung" haben, daß man auch für sie, wenn man will, Formeln aufstellen kann, und daß die Unterschiede von den antikisierenden Gedichten an der Oberfläche liegen. Die planmäßigen Sprachbeugungen der Schulmetrik brauchten daran nicht irre zu machen; denn Gegenstücke dazu versagt auch das Volkslied nicht ganz. Aber mit Staunen sieht man, wie Moriz und alle Folgenden an den urwüchsig deutschen Versen blind und taub vorübergehn, nachdem sie doch Goethe in abgeklärter Gestalt in das höhere Schrifttum eingeführt hatte. Ein einziges der Goethischen Knittelversstücke oder sein Zigeunerlied, sein Epiphanias, hätten es vermocht, den eingeengten Blick auszuweiten und den gesamten Formenschatz unter einheitlichem Gesichtswinkel betrachten zu lehren. Aber wie wenig ist noch bei Westphal davon zu spüren! Hätte Schlegel ein bißchen auf die heimische Verskunst hingehorcht, dann hätte er nie behaupten können, der deutschen Sprache seien „Jamben und Trochäen ihre natürlichsten und gleichsam freiwilligen Silbenmaße"!3). Von jener irrtümlichen Zweiteilung hat sich ein Best länger gehalten: die Meinung, Klopstock habe eine neue Prosodie aufgebracht4). Auf dasselbe läuft hinaus das kecke ») Minckwitz, Prosodie S. 1. 62 ff. ) Metrik 1, 152 ff. u. 5. 8 ) Sämtliche Werke 7, 186 f. 4 ) Vgl. Cramers Ausspruch bei Hamel, Klopstockstudien 1 , 2 3 ; W.Schlegel, Sämtliche Werke 7,237; Hehn, Goethe-Jahrbuch 6,176. a

Schätzung der Odenverse.

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Paradoxon Otto Schröders: daß Horaz, „der sich ionisch und äolisch gebende Römer, die Deutschen des 18. Jahrhunderts zuerst wieder deutsche Verse bauen lehrte"1). Schröder kann sich freilich auf Schillers Epigramm von den „Toten Sprachen" berufen! — Richtig ist, daß Klopstock durch seine Hexameter, seine Odenmaße und seine Freien Yerse den deutschen Formenschatz unermeßlich bereichert hat. Aber der Prosodie, der versmäßigen Sprachbehandlung, hat er weder als Dichter noch als Theoretiker neue Bahnen geöffnet. Wir haben uns gegen die Ansicht gewandt, als stecke in den vielnamigen Füßen der Odenverse etwas Undeutsches. Damit ist auch schon ein weiterer Vorwurf zurückgewiesen, der viel tiefer dringt als all die erwähnten und in der Tat, wäre er begründet, den deutschen Oden und Hymnen das Todesurteil bedeutete. Man hat gesagt: Griechen und Römern haben gewiß diese kunstreichen Formen rhythmisch geklungen: u n s e r m Ohr sind sie nicht faßbar; nach deutschem Formgefühl sind das keine Verse! Auf diesen Irrtum konnte man nur kommen, wenn man dem Auge statt dem Ohre folgte. Die von den deutschen Odendichtern tatsächlich verwirklichten, von dem deutschen Leser tatsächlich gesprochenen Rhythmen sind uns durchaus faßbar. Nehmen wir sie unbefangen in uns auf, ohne den hemmenden Gedanken an das falsche Schema, so haben sie nichts Undeutsches an sich, nichts was sie wesenhaft unterschiede von volksmäßigen deutschen Rhythmen. Eine ganz andre Frage ist es, ob auch die betreffenden Rhythmen der Griechen und Römer unserm Empfinden eingingen. Die deutschen Nachbildungen sind ja keine genaue Kopie; sie gleichen das Fremde unserm ererbten Formgefühl an 2 ). Wie nahe sie den antiken Rhythmen kommen, das könnten wir nur entscheiden, wenn die hier in Frage stehenden gemischten Verse der Alten rhythmisch ebenso bekannt wären, wie sie es prosodisch sind. Das ist nicht der Fall. Die geistvollen Versuche Apels und Westphals, zu dem *) Vorarbeiten zur griechischen Versgeschichte S. 52. *) Vgl. o. Abschn. 6.

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Schätzung der Odenverse.

R h y t h m u s der alten Verse vorzudringen, gelten als gescheitert, und wer sich den neueren Darstellungen rhythmenhungrig naht, der bekommt für Brot die Steine prosodischer, unhörbarer Regeln. Bei Apel, der nur die uns geläufigen Taktgeschlechter annahm, lag es so, daß j e d e r e i n z e l n e griechische Versrhythmus dem Deutschen faßlich und nachbildbar war. Das hat Apel bewiesen, indem er jeder antiken Form eine identische deutsche entgegenstellte (die Vossischen Tonsünden hierbei wären vermeidbar gewesen). Wofern aber diese griechischen Verse fünfteiligen Takt kannten und Taktwechsel irgendwelcher Art innerhalb des Verses, dann zöge uns dies eine Schranke. Diese Dinge sind für unsre Sprechverse nahezu unmöglich. Zwar kann ein musikalischer Sprecher nach einiger Übung die galliambischen Zeilen, z. B. in Vossens Ode an F. A. Wolf, mit dem Taktwechsel vortragen, den Voß für das alte Metrum vermutete 1 ): Wie erbebt in glänz die weinlaub! 0 beseliger, du erscheinst! Du erscheinst, Iacchos, huldreich zu verherrlichen den altar:

Den einen und andern musikalischen Hörer würde wohl auch dieser charaktervolle Rhythmus ergreifen. Aber viel Nachfolge könnte sich solch ein Versuch, bei dem ganzen Stande unsrer literarischen Kultur, nicht versprechen. Und die übrigen Taktwechselarten, die noch in Frage kämen, dürften uns vollends unzugänglich sein. Unsre d e u t s c h e n Odenverse zerfallen nach ihrem Taktgeschlecht in zwei Lager. Die große Menge würde ich als geradteilig, Zweiviertelstakt, bezeichnen: es ist der uns vertraute Takt der Jambo-Trochäen, der Knittelverse usw. Auf dieses Maß hab ich im vorhergehenden und in Abschn. 21 unsre Proben rhythmisiert. Aber ich möchte nicht leugnen, daß man dieselben Zeilen, zumal wo sie viele dreisilbige Takte enthalten, auch im leichten dreiteiligen, im Dreiachtelstakt, sprechen kann. Einen sehr großen Unterschied macht es nicht. ') Sieh o. S. 31.

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Schätzung der Odenverse.

Deutlich hebt sich davon ab die zweite Gruppe, der nur die Verse mit vorherrschenden J o n i k e r n angehören. Diese haben den schweren dreiteiligen, den Dreiviertelstakt. Auch der hat seine Stütze in ererbten deutschen Sangformen, nämlich in den sogen. Schnaderhüpfln. Man lasse sich durch den heitern Beigeschmack dieser älplerischen Liedchen nicht scheu machen: die nämlichen Rhythmen fügen sich aufs beste zu so ernsten Jonikerversen wie in Goethes Pandora. Man versuche es auf diesen Rhythmus: n | i i

n | i |

d * \ S d > 4 d \ 4 J . . . . Pandora 833 ff.: Meinen angstruf, Um mich selbst nicht : Ich bedarfs nicht; Aber hört ihn!

Voß, „Der Zauberanblick": 0 du jungfrau, die so altklug aus der kindheit du hervorblühst.

Und mit einem fünfsilbigen Takt an vorletzter Stelle, wie vorhin im Galliambus: . . . . n \ i n n \ j Yoß, „Der zürnende Jüngling":

J

So entfleuch denn, o du jungfrau, die so freundliche melodie singt; Ich umwand dich mit dem kränzlein: o da lächelte die gestalt mir.

Yoß hat für diese Yerse besondres Geschick; mir klingen seine Joniker am besten unter seinen Oden — es mag daran liegen, daß er hier nicht in Versuchung kommt, stockende und sprachwidrige „Spondeen" zu bauen. Es ist ein Irrtum, wenn Wilamowitz von dem „unsrer Sprache eigentlich unerträglichen Ionicus" spricht 1 ), desgleichen, wenn Kobilinski glaubt, wir müßten den Joniker in zwei Trochäen umsetzen 2 ): möchte er im Ernst jene Goethischen und Vossischen Verse so banalisieren? Daß die Dichter es nicht so meinten, leidet keinen Zweifel. Nur Ramlers Wünschen käme er damit entgegen, denn dieser findet wirklich, die jonischen Silbenfüße klängen „nicht viel anders als doppelte Trochäen"3), und für seine eignen Versuche trifft dies auch zu: weder die Nach') Goethe-Jahrbuch 19, Anhang S. 4. ') Alter und neuer Versrhythmus S. 72 f. s ) Oden aus dem Horaz S. 71.

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Schätzung der Odenverse.

drucksgipfel noch die Atempausen legt er so, wie dieser graziöse Yers es verlangt: Ach welch elend, wenn man w e d e r sich der liebe l u s t e r l a u b e n . . .

Es braucht jedoch nicht unbedingt starktonige Silben f ü r das zweite Taktviertel. So zweifle ich nicht, daß Chamisso steigende Joniker, oder wenn man lieber will Schnaderhüpfl, im Ohr hatte, als er die Zeilen hinwarf: Karoline, Karoline, die du lohntest hold dem dichter

und sie mit der Formel versah: Die Zäsurzeichen stehn für eine Pause; denn fünfzeitige Päonier gibts ja im Deutschen nicht! 1 ). — Auch Klopstock lobte den „schönen Rhythmus des Jonicus" 2 ), dachte bei diesem Lob aber wohl nur an Wortfüße der Form überragt hoch und aufbrausende. Denn seine eignen Oden erlauben, soviel ich bemerke, nirgends eine ungezwungne jonische Messung; Einzelstellen nähmen natürlich den Rhythmus an, aber die Umgebung widerstrebt; so z. B. im „Bündnis" 1789 Z. 3 . 4 : In die wunde der verlaßnen, Selmar, dein heiliges wort.

Den verwandten C h o r i a m b u s ,

rhythmisieren

wir im Deutschen völlig anders, so: | J J~} I J I ; z. B. in der Pandora 789: Mühend versenkt ängstlich der sinn Sich in die nacht, suchet umsonst. . .

Zwar würde da, wo die erste Silbe der vierten die Wage hält, der Messung im Dreiviertelstakte, | J J J J | , nichts entgegenstehn, und dann könnten wir Choriamben und Joniker zu gefälligem Flusse vereinigen, wie z. B.: i 0i 0n0 0i [10i 0i ' 0n0 |I 0i 0h 0h 0n0 |\ & Rings überstrahlt frühlicht || meines berges gewölbtes haupt; ') Hilflos deutet Minor an diesem Rhythmus herum, wie an dem Joniker überhaupt: Nhd. Metrik S. 278; Germ.-rom. Mon. 3, 422 f. Er merkt auch nicht, daß Goethes Schweizerlied ein Schnaderhüpfl ist (vgl. Stolte, Metrische Studien über das deutsche Volkslied S. 27 ff.; Rotter, a. a. 0. S. 87). 2 ) Bei Back und Spindler 3, 48 f.

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Schätzung der Odenverse.

J N

JIJ

JJJ

U

J

N \ J

Heut noch einmal, huldvoll wie einst, || gönn mir deinen blick.

Aber solche Figuren hat die spröde Odendichtung, glaube ich, liegen lassen; in den volkstümlichen Ländlerstrophen träfe man sie, dort aber in freiem Wechsel mit verwandten Füllungen. "Wenn bei Klopstock eine Ode einsetzt mit: Himmlischer ohr hört das gelön der bewegten,

so ließen wir uns gern vom Schema zu wirklichen Choriamben einladen:

.... _ 0i 0n0 011| 0i 4H0 0i |\ . . . . J allein nach der achten Silbe hat es damit ein jähes Ende: es zeigt sich, daß die Zeile ihre Einheit und Harmonie nur gewinnt bei der Rhythmengebung:

J N \ J \ J

N \ J N \ J

J.

und so wird es auch in den andern Fällen gehn, wo die Zeichen eine Folge 2. 1. 1. 2 vortäuschen. Beim Joniker deckt sich wahrscheinlich unser deutscher Rhythmus mit dem der Griechen. Häufiger aber muß sich die antike Form t r a n s p o n i e r e n lassen — nicht melodisch, aber rhythmisch. Dabei wird namentlich das funfzeitige Taktgeschlecht, das päonische usw.), umge1 schmelzt ). Im ganzen läuft es hinaus auf eine Vereinfachung, eine Yerflachung des antiken Reichtums. Es wäre einseitig, darin kurzweg den Rückgang des musischen Formensinns zu sehen; denn man bedenke, daß bei uns eine Arbeitsteilung eingetreten ist: die Musik, besonders die instrumentale, hat sich rhythmisch außerordentlich verfeinert, während sich der Versbau zurückgezogen hat auf einfachere Aufgaben. Wenn Westphal sagt: „Es ist bedauerlich, daß wir die griechischen Metra in unserer Sprache nicht nachbilden können, aber wir k ö n n e n es nicht"2), so behält er dann Recht, wenn bei „nachbilden" völlige Gleichheit mit dem Urbilde verlangt wird. Und so könnte man auch Schlegeln ') Manches Gute über diese Transpositionen bei Kobilinski a. a. 0. S. 74 ff. ') Theorie der musischen Künste III 1, 84.

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Schätzung der Odenverse.

zustimmen, wenn er meint: „Man kann einen starken, aber schwerfälligen Zugochsen unmöglich den Galopp eines englischen Renners lehren"1). Der Mangel ist nur, daß Schlegel bei solchen Äußerungen stets in erster Linie an das Sprachliche denkt, daran daß unsre Silben länger dauerten als die der Alten, daß wir zu viele Konsonanten hätten, und was dergleichen mehr ist. Aber daran liegt es ja nicht! Würde durch Zauberschlag unsre Sprache von heut auf morgen in die altgriechische verwandelt, so wären uns dadurch die schwierigen Metra nicht zugänglicher. Auf die Ausbildung des rhythmischen Organs kommt es an. Einen Rhythmus, den ich in reinen Tönen sicher erfassen und wiedergeben kann, kann ich in der oder jener Sprache ausprägen. Auch den Gegensatz von quantitierendem und akzentuierendem Versgesetz sollte man in diesen Zusammenhang nicht hereinziehen. Das ist ein Unterschied der S p r a c h b e h a n d l u n g , der Art und Weise, wie der metrische Rahmen Rücksicht nimmt auf den hineinzulegenden Sprachstoff. Es ist kein Unterschied des rhythmischen Schallbildes. Ob eine rhythmische Figur uns nachfühlbar und nachschaffbar ist, hängt nicht davon ab, ob sie akzentuierend oder quantitierend ausgeprägt sei. Freilich wird der Irrtum, fürchte ich, nicht auszurotten sein, antike Verse seien von deutschen g r u n d verschieden, denn jene beständen ja aus langen und kurzen Silben, diese aus starken und schwachen; wie gäbe es da ein Nachahmen ? Darin steckt nicht nur die Täuschung von Stufe 3 (s. Abschn. 6), sondern wieder jene bösartige Unklarheit, als ob wir überhaupt Silbenreihen mit ihren sprachlichen Eigenschaften nachahmen wollten! Ziel der Nachahmung sind einzig die abstrakten Rhythmen, die rhythmischen Figuren wir wollen Gesagtes nicht wiederholen! Die sprachliche Materie, worin diese Figuren verwirklicht werden sollen, stellt zwar bei uns andre Bedingungen als bei den Griechen (dies ist eben der Gegensatz akzentuierend: quantitierend) ; aber nicht an dieser sprachlichen Verschiedenheit liegt es, daß wir den fünfteiligen Takt, den Wechsel von l

) Sämtliche Werke 7, 185.

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Schätzung der Odenverse.

zwei- und dreiteiligem und ähnliche Dinge auf deutscher Seite nicht wiederzugeben vermögen. Bei aller Ungleichheit der beiden Lager: der antike und der moderne "Vers fallen doch beide unter den Begriff metrische Form, das ist so viel wie: rationale Rhythmen, in Sprache ausgeprägt. Damit ist gesagt, daß der Gegensatz kein unbedingter sein kann. "Wir haben die Worte Hehns angeführt: „Die Messung nach der Zeit [bei den Alten] ist sinnlich, die nach dem Ton [bei den Neueren] gemütlich". Geistreich, aber grundverkehrt! So tief gehn die Unterschiede nicht innerhalb der Gattung Mensch. Die alte und die neue Versmessung haben immer noch ein gemeinsames Fußgestell; beide sind „sinnlich", notwendigerweise, denn eine „gemütliche Messung" ist nur eine Metapher. Jedes Messen innerhalb der Bewegungskünste geht nach der Zeit; bloß nach dem Ton gibt es kein Maß und keinen Rhythmus. Der richtige Kern in Hehns Satze läßt sich nicht mit zwei Worten herausschälen. Die Rücksicht des Iktus auf den sprachlichen Nachdruck, zumal wenn dieser die Wurzelsilben trifft, verleiht den gehaltvollen Redeteilen eine "Wichtigkeit, die sie im antiken Yers nicht hatten, und darin liegt etwas Gedankliches und unter Umständen Gemütliches. Man halte gegeneinander das deutsche und das Homerische: . . . mich dünkt, auch dies sind l ü g e n g e s p i n n s t e ; . . . Uri Tis I-101 ixpaivqoiv b ö X o v aüre

Dieser griechische, nicht-akzentuierende Yers kann das bedeutsamste Wort in einer Senkung vorüberschweben lassen — ganz einfach, weil das Wort keinen dynamischen Ton besitzt, der nach der Hebung verlangte. Bei uns können im allgemeinen nur gehaltarme Formwörter so gebraucht werden. Dagegen die „Messung" der deutschen Silbengruppe:

ist ebenso wenig übersinnlich und zeitlos wie die der griechischen :

j iJ n iJ j iJ Ji iJ i

QF. CXXIII.

12

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Schätzung der Odenverse.

Den üblen Leumund der Odenmaße verschulden zum guten Teil die Striche und Haken, die unsre Dichter seit Klopstock diesen Liedern voranstellen. Nach allem, was der "Verfasser schon vorgebracht hat, muß er den Leser nicht mehr versichern, daß er an Haß gegen das falsche Schema hinter niemand zurückstehn möchte. Dem Dichter haben diese Zeichen den Weg zur Sprachmißhandlung gepflastert, den Leser haben sie mit unentwirrbaren Silbenphantomen geäfft. Was wir die Umschmelzung und Vereinfachung der antiken Rhythmen nannten, von diesem ganzen Vorgang läßt ja die falsche Formel nichts ahnen. Wenn Voß seiner „Eintracht" eine Zeile überschreibt wie: verführt dies den Arglosen zu dem Glauben, Meister Voß gedenke hier in vier fünfteiligen Takten (Kretikern und Fäonen) zu singen, während es doch ganz geradteilig zugeht: i 11 i I i 11 111 m M | 11 11 d d \ e i \ d 4 \ e ) \ \ d d d 0

\ d

d

\ d

\

l

Sanft in windstille ruht, eben noch gebäumt, der ström.

Durchsichtiger ist die Klopstocksche Zeile: Nieder zu dem haine der barden senkt,

und doch fiel der Metriker Gottfried Hermann ihr zum Opfer, schrieb sie um i n : J * d * und teilte dies dann so: I h M M 4

d

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„seiner Meinung nach taktmäßig", wie Apel höhnt i ). Dieses „rhythmische Ungeheuer" ersetzt Apel durch die Form: M

d-

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^

dT d

M

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I d t

M l \

0.

Da wir den Zweiviertelstakt vorziehen, lautet es uns so: n r u - j i N j i j Man sieht, wer die Striche und Haken als Zeitwerte nähme, statt als grammatische Sinnbilder, der müßte an ») Apel, Metrik 1, 185.

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Schätzung der Odenverse.

der Taktgliederung ganz verzweifeln. Und so könnten die Schemata am Ende den deutschen Oden noch die Anklage zuziehen, diese Yersfamilie lasse dafe primäre Bedürfnis des metrischen Rhythmus unbefriedigt1). Dagegen hilft nur, daß man sich an den lauten Vortrag halte. Der stellt den Takt automatisch her. Wie wär es nun aber, wenn statt der verwirrenden Strich-Hakenzeilen v e r n ü n f t i g e Formeln, klare Abbilder der Rhythmen, über unsern Oden ständen ? — Hier ist einer letzten Beschwerde zu gedenken, die man oft gegen die Odenmaße erheben hört. Wir wollen keine Verse, so sagt man, denen das Leserezept an die Stirn geheftet werden muß; deutschen Versen soll man ihr Metrum auf den ersten Blick anmerken2), jedem fühlenden Leser soll es einfach aus dem Sprachstoffe entgegentreten. In dieser Forderung steckt ein unberechtigter Naturalismus. Der Vers wiederholt nicht einfach den natürlichen Sprachrhythmus, er stilisiert ihn: sonst wäre er kein Vers. Daß ein und dieselbe Silbengruppe sprachgemäß zu ungleichen Versrhythmen geformt werden kann, gilt für das Deutsche •wie für das Altgriechische; rhythmisch eindeutig muß eine geschriebene Zeile nicht sein. Somit wäre grundsätzlich nichts dagegen einzuwenden, daß der Dichter uns bei jedem seiner Gedichte den Wink gäbe, wie er in diesem Falle die Silbenreihe stilisiert wissen will; in welche rhythmischen Linien wir den mit dem Auge erfaßten Sprachstoff legen sollen. Nur ist dieser Wink bei den meisten unsrer Metra dem Geübten entbehrlich: der bloße Anblick der geschriebenen Verszeile ruft ihm das Bild eines bekannten Versmaßes wach, womit dem verständnisvollen Leser die weitern Haltepunkte für den Vortrag gegeben sind. Wo nun aber der Dichter ein minder bekanntes oder unbekanntes Versmaß gewählt hat: warum soll er uns nicht durch ein Rhythmenbild erl e i c h t e r n , die von ihm gewollte Stilisierung der Silbenfolgen gleich zu Anfang klar zu erfassen? Damit ist in keiner Weise gesagt, daß das Metrum künstle. Es kann sich *) Was Paul in seinem Grundriß II 2, 98 f. zurückweist. ) Vgl. Muncker, Klopstock S. 141.

s

12*

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vollkommen sprachgemäß den Zeilen anschmiegen. Nicht nur antike, unter gelehrten Namen gehende Formen sind es, bei denen eine solche Wegweisung erwünscht sein kann. Man denke an Wanderers Nachtlied, die Rastlose Liebe, an mehrere der Mignon- und Harfnerlieder, an viele Gesätze im zweiten Faust: wer von uns vermäße sich, aus diesen rhythmisch mehrdeutigen Zeilen die vom Dichter gewollten Betonungen und Zeitwerte mit voller Sicherheit herauszulesen? Diese gewiß deutschen, von Schulstaub freien Gedichte widerlegen die Meinung, aus jeder rechtschaffenen heimischen Verszeile müsse ihr Rhythmus ohne weiteres herausspringen. So sagen wir denn: die vorgesetzten Hilfszeichen rechtfertigen keine Anklage gegen die Familie der Odenverse. Die Formel an sich wäre nicht schlimm, nur sollte sie durchempfunden und klar sein, ein Bild der g e h ö r t e n Rhythmen, sei es in Notenschrift oder in gleichwertigen Zeichen. Sie müßte mehr „zur Mitempfindung als zum Nachrechnen auffordern" (Erich Schmidt a. a. 0.). Sie müßte den Leser, der sie sich vorsummt, in die rhythmische Bewegung versetzen, die dann dem Texte den vom Dichter gewollten Fluß verleiht. Daß die vom Dichter gesetzte Form für uns, die Vortragenden, verbindlich ist; daß wir nicht irgend einen uns bequemeren Rhythmus, sei er noch so sprachrichtig, unterschieben und dadurch die sorgsame Silbenwahl des Künstlers fruchtlos machen dürfen, hätte man nie bestreiten sollen. „Das vorgedruckte Metrum muß deutlich vernommen werden" (Saran, Deutsche Verslehre S. 326). Die Gegenleistung des Dichters sollte allerdings sein, daß dieses Metrum eindeutig wäre und dem Texte angegossen; es ist übel, wenn wir die Treue gegen die Vorschrift mit Sprachhärten bezahlen müssen! Erinnern wir uns an Vossens Galliamben, oben S. 172. Die große Mehrzahl dieser Zeilen gäbe völlig sprachreine Trochäen her, unterbrochen durch einen dreisilbigen Takt an sechster Stelle der Langzeile: Wie erb6bt in glänz die wöinlaub! 6 besäiger, du erscheinst!

Vermutlich würden die meisten so zu lesen anfangen, — bis dann eine Zeile kommt mit dem Eingang: Den deiner macht...;

Schätzung der Odenverse.

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da würde es stocken. Aber auch wenn es nirgends stockte, müßte der Blick auf das Schema diesen "Vortrag verbieten: Voß hat nicht _ ~ _ ~ . . . . gesetzt, sondern ~ ~ _ _ . . . . und uns damit auf jene andre, viel belebtere Form hingewiesen. "Wie der weitere Verlauf der Zeile zu gestalten sei, lehrt die ungenügende Schablone nicht; da muß der Leser schon seinen Catull oder Tossens „Zeitmessung" im Gedächtnis haben: ein Zug von Schulmeisterlichkeit, den uns ein g u t e s Schema erspart hätte. Wir haben zu zeigen gesucht, daß die deutschen Oden nicht notwendig Tonverstöße begehn; daß die Gebundenheit ihrer Form kein unbedingter Nachteil ist; daß sie nur scheinbar aus fremdländischen Versfüßen bestehn und kein im Grunde anderes Formgefühl voraussetzen als unsre ungelehrten Maße; endlich daß übergeschriebene Schemata, wenn sinngemäß angelegt, ihre gute Seite hätten. Bei alledem verhehlen wir uns nicht, daß dieses Versgeschlecht, mehr als der Hexameter, in einer antikenfreundlichen Luft atmet und eine hingebende Liebe zur Form verlangt. Ganz zugewachsen ist der Pfad nicht, den Klopstock einst g e b a h n t A b e r lebendig geblieben sind die paar Maße, die schon der alte Horaz vorgezogen hat; Rudolf Alexander Schröders „Deutsche Oden", sämtlich alkäisch, haben erreicht, was dem Hexameter vor mehr als hundert Jahren gelungen ist: die antike Form mit einer nordischeren Sprache und Stimmung zu füllen. Die zusammengesetzteren Metra, auch wo sie uns in Platenschen Kleinoden fortdauern, sind Museumsstücke für Liebhaber, und die Zeiten sind gewesen, wo große Dichter ihre Phantasie wandten an die Erfindung neuer Silbengruppen. Zu dem männlichen Ernst unsrer Tage will diese beschauliche Formfreude nicht stimmen. Formenreichtum wollen unsre Dichter nicht durch Geb u n d e n h e i t erkaufen, und daher ist der Widerstand gegen die jambische Einförmigkeit zugute gekommen den heimischen Viertaktern und den Freien Versen, nicht der hyazinthen*) Geibel an Jakob Burckhardt, Gesammelte Werke 5, 67.

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Schätzung der Odenverse.

artigen tinienpracht der Ode. Auch ist die heutige Vortragsart einem Versbau ungünstig, der viel rhythmische Gleichgewogenheit verlangt und sachliche Plastik; das eilige Zeitmaß unsrer Städtersprache hat wenig übrig für jene einsilbigen Takte, auf denen Klopstock und Platen feierlich verweilten. Drei Menschenalter hat der antike Versstil in unsrer Dichtung geblüht. Die Jahre 1746 und 1835 mag man als Grenzen nehmen, Klopstocks Entscheidung für den „Vers der Alten" und Platens Tod. Diesen ganzen Zeitraum beherrschte eine irregeleitete Versregel: wir haben uns vor Augen gestellt, was dies für die Werke unsrer Dichter bedeutete. Sollte den Formen Homers und Horazens eine Zukunft bei uns vergönnt sein, so werden, hoffen wir, nicht täuschende Schriftbilder und Entfremdung von der heimischen Rede die Dichter leiten, sondern der lebendige Rhythmus und ein ungebeugtes Sprachgefühl.

Register. Akzentuierender Grundsatz 5f. 19. 21. 46. 66. 142. 170. 176 f. Alkäischer Vers 33f. 127. 133.139. 164. 181. Altdeutscher Vers 6.19. 21. 28.162. Amphibrachys 7. 98. 104. Anakreontischer Achtsilbler 25. Anapäst 28. 50 f. Anceps 34 f. 129 ff. Apel, August 10. 13. 30. 53. 65. 73. 86. 170 ff. 178. Arrebo 17. Asklepiadeischer Vers 21. 33.116. 127. 165. 168. Auftakt 14.121.127.135f. 162.164. Betonung llff. 16ff. 40. 61. 67.69ff. 85 f. 89 f. 92.103.108 f. 124f. 152. Breitinger 17. Brinkman, K. G. von 92. 116. Buchner, A. 27 f. Bukolischer Einschnitt 104. 114. Bürger, G. A. 43. Chamisso 174. Choriambus 168. 174 f. Christ, Joh. Friedrich 8. 12 f. 53. Clajus, J. 3 ff. 13. 16 f. 82. 86. Cramer, J. A. 89. 170. Daktylus 6. 36 ff. 51 f. 55. 57. 73. 78. 83ff.88 f. 97 ff. 103. 106. 108. 111. 113 f. Dauer der Silben 4.7 ff. 16 ff. 52.160. Deutsch-volksmäßiger Vers 1. 14. 28. 68.118 f. 156 ff. 164.167.169 f. Eigennamen mit Tonverdrehung 83. 95f. Einsilbiger Takt 27 f. 61. 82. 127 ff. 136 f. 182. End-e in Hebung 13. 30. 33 f. 86.

Euphonie s. Wohlklang. Formeln, metrische, im allg. 2. 7. 21. 31 ff. 68. 120. 127. 137ff. 168. 178 ff. Freie Verse 87.142. 161. 171. 181. Galliambus 31 f. 165. 172 f. 180. Geibel 105. 126. 181. Gekünstelte Daktylen 52. 57 f. 83. 88. 114. „Geschleifte" Spondeen 28. 60. 62. Gesner, Conrad, 3 ff. 8. 13. 86. Goethe 1. 8. 16. 35. 51. 54. 56ff. 65. 69. 76. 87. 92 f. 94—124. 143 ff. 148 ff. 153. 157 f. 164. 170. 180. Achilleis 37. 58. 74. 84. 94. 98. 100. 109. 1 1 2 - 1 1 5 . 124. 155. Hermann und Dorothea 36f. 40. 44. 72 ff. 81. 86. 92. 94. 97 f. 107—112. Höf. 122.124.161f. Kleinere Hexameterwerke 37. 39 ff. 57 f. 74. 87. 94—101. 106. 111. 115. 121 ff. 148. 155. Künstlers Erdewallen 162. 167. Pandora 173f. Reineke Fuchs 36 f. 44. 58. 71. 73. 81. 84. 92. 98. 102—107. 110. 112. 115. 155. Gottsched 2. 4 f. 7. 13. 18 f. 125 f. Groth, Klaus 156. 163. Hadewig, J. H. 11 f. 17. Hamerling 13. 49. 153. 155. 157. Hannman, A. 17 ff. 28. Hebel, J. P. 44. 156. 162. Hebungspause 34f. 130. Heine, H. 116. 165. Heinsius, Daniel 16. Herder 72. 157. Hermann, Gottfried 178.

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Register.

Hexameter 1.7.13 f. 24.27f. 35—45. 49—116. 119—126. 132. 148f. 152—165. 170f. 181. Hölderlin 126. 134. 143. 163. Holospondeios 27. 56. Horaz 9. 117. 126. 171. 181. Humboldt, W. von 51. 54. 56. 64. 79. 91 f. 94. 105-112. 116 ff. 125 f. 159. Iktus 2. 11. 25ff. 63. 66f. 88. 146. Imhoff, Amalie von 157. Jambisch-trochäische Verse 6. 9 f. 24. 44. 46f. 61. 69. 87. 135. 152 f.. 157. 161. 164. 170. Jensen, Peder 17. Joniker 126. 133. 173 ff. Kleist, H. von 116. Klopstock 1. 12. 23. 32 ff. 37. 48f. 52ff.59 f. 64.68. 73 ff. 80.84—91. 98. 101 f. 112. llöff. 121 f. 127 bis 133. 136. 146 f. 149. 157. . 165 ff. 170 f. 174f. 178. 181f. Knebel, K. L. von 118. 151. Knittelvers 1. 61. 87. 104. 126. 136. 139. 157. 162. 167. Kola 20. 70. 98. 103. 121. 168 f. Kopisch 135. 140. Körner, Gottfried 119. Kürzen, gehäufte 31 ff. 129. Lagerlööf, Petrus 17. Lessing 151. Leuthold 126. Milius, vander 16 ff. Minckwitz 6. 19. 22. 28 f. 48. 65. 67. 82. 85. 120. 169 f. Morhof, D. G. 17. Moriz, K. Ph. 8. 15f. 19. 33. 48f. 60. 62. 68. 91. 126. 168. 170. Mythologie, metrische 48. 54. 61. 64. 168. Odenverse 1. 7. 24 f. 30 ff. 68 f. 126-143. 163-182. Opitz 2. 6. 16 f. 20. 66. 170. Otfrid 85. Pentameter 33. 78f. 81 f. 97f. 121. 148. 154 f.

Pindar 30. 135. 140. 164. Platen If. 15f. 33. 42f. 47. 49ff. 60. 69. 74. 78. 80—83. 87. 91. 97. 102. 112. 115 f. 120. 126 f. 132-150. 153 ff. 163. 165. 181f. Polymorphie (rhythmische Mehrdeutigkeit) 86 f. 160. 179 f. Polyschematismus (Formwandel) 34 f. 130. 139. 141. 164f. Positionslänge 3. 12 ff. 82. Präfixe, verstellte 83. Proceleusmaticus 29. Pyrrhichius 13 f. 20. 47. 160. Quantitieren 3 ff. 12. 19. 170. 176. Ramler 126f. 173. Rebhun, P. 6. 16 f. 66. Reim 159. 162. 169 f. Rhythmus im allg. 2. 67 f. 140. 142. 176f. Riemer, Fr. W. 37. 114. Rückert, Fr. 116. Sapphischer Vers 25. 127. 133f. 137. 164. Schemata s. Formeln. Schiller 35. 37. 40. 44. 51. 56. 69. 87. 91—94.103. 117 ff. 121. 155 f. 159. 164. 171. Schlegel, A. W. 5f. 14ff. 19f. 28ff. 33. 35. 39 ff. 48 ff. 55 ff. 60 f. 64. 68 f. 73 f. 76 f. 78—83. 87. 90 f. 102. 107. 115. 123. 132 f. 143. 147ff. 168ff. 175f.; als Berater Goethes 15. 39 ff. 56 f. 74. 87. 94—100. 103. 106. 108. 115. 118. 148. Schlußtakt des Hexameters 56. 60. 71 ff. 75ff.80 ff. 89.102.104.108 ff. Schnaderhüpfl 31. 38. 70. 173f. Schottel, J. G. 4. 19 f. Schröder, Rudolf Alexander 93. 181.

Schultz, Julius 156. Schwächliche Ikten 33. 57. 88. 101. 103. 121-126. 137. Schwebende Betonung 69. 73. 94. 136. 153.

Register. Sidney, Phillip 16. Spondeus 1. 6f. 27ff. 35f. 4 5 - 1 1 5 . 123—139. 144. 146. 152. 154f. 160. 163. 173. Sprechvers 23 f. 47. 172. Stolberg, Fr. L. von 91. 115. 121f. Suffixhebung 69 f. 77. 79. 81 f. 91. 94. 100. 113. Takt, metrischer 24. 66.150.160. 179. Taktgeschlecht 9 f. 24. 33. 36. 38. 44ff. 54f. 67 f. 125. 162. 172 ff. 178. Taktwechsel 33. 46. 49. 172. Tegn6r 74. Titz, J. P. 10. 17 ff. 125. 164. Tribrachys 29 ff. 36. Trimeter 164. 170. Trochäus 28. 35 f. 45—62. 84. 101. 110. 114. 121. 123 f. 130 ff. 148. 160. 173. Tscherning, A. 13. 165 f. ««-Komposita 73 f. Uz, J. P. 15. Versfüße 6f. 12f. 20. 28f. 165ff.

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Virgil 66. 80. Vorgeneigte Silben 63f. 70ff. 82. 91. 95. 102 f. 108 ff. 125. 135. 137. 163. Vorträg 142. 147 f. 152 ff. 180.182. Voß, Heinrich, der jüngere 56. 106. 112. 114 ff. 118. Voß, Job. Heinr. 5. 10. 19. 31 f. 34. 37 ff. 44. 46. 53ff. 59 f. 62. 65 ff. 72 f. 74—78. 80. 83f. 86. 89 f. 93. 95f. 100 ff. 104. 106.109.113. 115. 117. 119. 121. 123. 125 f. 133 f. 143. 147 ff. 153. 155. 163. 165. 169. 172 f. 178. 180f. Waiblinger 48. 126. Wohlklang 15f. 52. 146. 149f. Wolf, Fr. Aug. 80. 107. Wortfüße s. Kola. Xenien 37. 93. 103. 122. Zäsuren des Hexameters 57. 84. 92 f. 95. 98. 101. 104. 107. 114. 119. 121 f. 124. 162. Zeitmessung 23 ff. 43. 51. 53 ff. 125. 177. Zesen, Ph. 19 f.