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German Pages 316 [318] Year 2018
Bodo Pieroth Deutsche Schriftsteller als angehende Juristen Juristische Zeitgeschichte Abteilung 6, Band 51
Juristische Zeitgeschichte Hrsg. von Prof. Dr. Dr. Thomas Vormbaum (FernUniversität in Hagen, Institut für Juristische Zeitgeschichte)
Abteilung 6: Recht in der Kunst – Kunst im Recht Mithrsg. Prof. Dr. Gunter Reiß (Universität Münster) Band 51 Redaktion: Anne Gipperich
De Gruyter
Bodo Pieroth
Deutsche Schriftsteller als angehende Juristen
De Gruyter
Professor Dr. Bodo Pieroth, Jahrgang 1945, hat nach dem Jurastudium in München, Bonn und Freiburg, dem Erwerb eines Diploms in Nizza und der Referendarzeit in Baden-Württemberg bis zu seinem Eintritt in den Ruhestand 42 Jahre lang an Universitäten gelehrt: als Doktorand und Habilitand in Heidelberg, als Professor für Öffentliches Recht in Bochum, Marburg und Münster, wo er auch das Institut für Öffentliches Recht und Politik geleitet hat, sowie als Gastprofessor in Frankreich und den USA. Auf den Gebieten des Verfassungsrechts, der Verfassungsgeschichte, des Polizeirechts und des Kulturrechts sowie zum Thema Recht und Literatur hat er über 400 Publika tionen vorgelegt. Für Literatur hat er sich sein Leben lang begeistert.
ISBN 978-3-11-061487-9 e-ISBN (PDF) 978-3-11-061733-7 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-061494-7
Library of Congress Control Number: 2018951337 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2018 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Abbildung auf dem Schutzumschlag: akg-images / Franz Kafka: Zeichnung von Johann Brandstetter Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com
Inhaltsverzeichnis VORWORT.................................................................................... XI EINLEITUNG ...............................................................................XIII DEUTSCHE JURISTENAUSBILDUNG IM WANDEL DER ZEITEN ... XVII 1. MATTHIAS CLAUDIUS Weiß von Staats- und Völkerrecht nicht viel.......................... 1 2. GOTTFRIED AUGUST BÜRGER Dem Trunk zu sehr ergeben.................................................... 5 3. JOHANN WOLFGANG VON GOETHE Das Studium der Rechtswissenschaft ist das herrlichste ...... 10 4. ANTON MATHIAS SPRICKMANN Meine Collegia wurden bald abgedankt ............................... 20 5. ADOLPH FREIHERR VON KNIGGE Dieser Wust von alten römischen, auf unsere Zeit wenig passenden Gesetzen .......................... 24 6. AUGUST VON KOTZEBUE Advokat aus Connexion und Gunst ...................................... 28 7. NOVALIS Der höhern Pflicht treu zu bleiben ........................................ 31 8. WILHELM HEINRICH WACKENRODER Als Juristen wird meine Empfindsamkeit mir auch eine wahre Bürde seyn........................................... 36
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9. E. T. A. HOFFMANN Muß mich zwingen ein Jurist zu werden .............................. 40 10. HEINRICH VON KLEIST An die Rechte meines Herzens will ich mich halten ............ 45 11. IGNAZ FRANZ CASTELLI Zur Erlangung einer sehr guten Bedienstung ....................... 50 12. JACOB UND WILHELM GRIMM Von Savignys Vorlesungen aufs gewaltigste ergriffen ........ 54 13. LUDWIG BÖRNE Das ganze Gebiet des Lebens zu erfassen müssen wir strebend uns bemühen ....................................... 59 14. LUDWIG UHLAND Des Rechts beflissen gegen meines Herzens Drang ............. 63 15. JOSEPH FREIHERR VON EICHENDORFF Das ganze Studentenwesen ein wildschönes Märchen ......... 67 16. FRANZ GRILLPARZER Kothiger Fahrweg mit den Tritten aller dieser juridischen Lastesel .................................................... 74 17. KARL LEBERECHT IMMERMANN Gegen die Trainkolonne, die unmittelbar zum Amte fuhr.... 77 18. AUGUST GRAF VON PLATEN Mit zuviel Phantasie begabt .................................................. 83 19. HEINRICH HEINE Welch ein fürchterliches Buch ist das Corpus Juris, die Bibel des Egoismus......................................................... 88
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20. WILLIBALD ALEXIS Der Jurist ist mit dem Poeten in lebhaften Streit geraten ..... 93 21. CHRISTIAN DIETRICH GRABBE Nicht zu dem erbärmlichsten Brodgelehrten versauern ....... 97 22. EDUARD VON BAUERNFELD Ich bin ein Jusbeflissener / Und innerlich Zerrissener ....... 102 23. ADALBERT STIFTER Wacker aufhorchen und gewissenhaft nachschreiben ........ 105 24. FRIEDRICH HEBBEL Elende Juristerei, die mich anwidert................................... 110 25. THEODOR STORM Alleine unter den schönen Holsteinerinnen ........................ 113 26. GOTTFRIED KELLER Vom Recht ein paar Fäden zu erhaschen............................ 117 27. JOSEPH VICTOR VON SCHEFFEL Wahre Rechtsgelehrsamkeit / Lehret mich die Schenke .... 121 28. ERNST WICHERT Anregende Lehrer gab es nicht ........................................... 127 29. FELIX DAHN Das Examen ist immer eine Gemeinheit ............................ 131 30. GEORG EBERS Sonnenlicht der Freiheit und Zauber der Freundschaft ...... 136 31. TIMM KRÖGER In der Kneipe fühlte ich mich kannibalisch ........................ 139
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32. KARL EMIL FRANZOS Pandektenkolleg als Vergnügung Wiens ............................ 143 33. RUDOLF HUCH Ich lasse nichts auf die Corps kommen .............................. 147 34. HERMANN BAHR Zu laut das „Heim zum Reiche“ ausgerufen ...................... 150 35. FRANK WEDEKIND Mehr lernen statt viel studieren .......................................... 153 36. OTTO JULIUS BIERBAUM In Wahrheit nur der Fakultät des Lebens angehörend ........ 156 37. MAX HALBE An den verabreichten logisch-juristischen Definitionen die Zähne ausgebissen ................................... 160 38. LUDWIG THOMA Vom bestimmenden Einflusse eines Lehrers nichts zu fühlen bekommen ................................................ 163 39. RUDOLF G. BINDING Die juristische Praxis gab mir noch weniger als das Studium ............................................ 167 40. HUGO VON HOFMANNSTHAl Diese Wissenschaft dringt nirgends in die Tiefen des Menschen ................................................ 170 41. HERBERT EULENBERG Über den gewöhnlichen Lehrstoff hinaus in das Reich des Sittlichen .................................................. 173
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42. EMIL LUDWIG In 14 Tagen eine leere Sitzarbeit kompiliert ...................... 177 43. FRANZ KAFKA Unter reichlicher Mitnahme der Nerven geistig förmlich von Holzmehl genährt .............................. 182 44. MAX BROD Das „eigentliche“ juristische Brotstudium sank zum Schattenwesen herab........................................................... 188 45. HEINRICH SPOERL Theologe zu fromm, Mediziner zu unappetitlich, Philologe zu mühsam; bleibt Jurist ..................................... 192 46. GEORG HEYM § § § § § Scheiß, Scheiß, Scheiß......................................... 196 47. HANS FRIEDRICH BLUNCK Staatsmann werden, um im Volk „Gesag“ zu haben .......... 201 48. FRANZ JUNG Es war ein großes Mißverständnis ...................................... 205 49. WALTER SERNER Ich war von je eine sehr trübe Prüfungsfigur ..................... 210 50. KURT TUCHOLSKY Der Repetitor als illegitime Amme der Rechtsbeflissenen . 215 51. MAX ZWEIG Schwere Sünde gegen den Geist meines Lebens ................ 220 52. CARL ZUCKMAYER Büffelochsen und Sturböcke ............................................... 225
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53. FRIEDRICH GEORG JÜNGER Begriffe stärken die Fähigkeit, Unterscheidungen wahrzunehmen ...................................... 228 54. HANS ERICH NOSSACK Die Studentenverbindungen waren 1920 schon völlig überlebt ................................................. 233 55. ERNST OTTWALT Rechtswissenschaft ist Memorierstoff, nichts weiter ......... 237 56. ALBERT DRACH Das schriftliche Examen aus Unkenntnis der Meinung des Prüfers in diesem widersprechenden Sinne gelöst ....... 241 57. ALEXANDER KLUGE Aus der Juristerei wieder herauskommen ........................... 244 58. HERBERT ROSENDORFER Es war gut für mich, einen bürgerlichen Beruf zu haben ... 247 59. PETER HANDKE Ich habe die schwarze Wolke des Nichts vor mir gesehen. 251 60. GEORG M. OSWALD Kafka als Vorbild – das juristische Studium als Tarnung .. 256
ANHANG TEXTNACHWEIS ......................................................................... 261 REGISTER................................................................................... 263
Vorwort Dieses Buch ist aus einer Serie von 45 kleinen Artikeln hervorgegangen, die ich zwischen 1986 und 2001 in der Zeitschrift „Juristische Ausbildung“ veröffentlicht habe. Sie waren unter der Gesamtüberschrift „Das juristische Studium im literarischen Zeugnis“ jeweils einem deutschen Schriftsteller gewidmet, der Jura studiert und darüber geschrieben hat. Auf diese Weise habe ich meine seit den Schulzeiten bestehende und immer noch andauernde Literaturbegeisterung für meinen Beruf als Universitätsprofessor für Öffentliches Recht nutzbar gemacht. In diesen biographischen Miniaturen lassen sich nämlich die Interessen an der akademischen Lehre des Rechts sowie an der Rechts-, Verfassungs- und Kulturgeschichte mit der Freude an Sprache und Literatur verbinden. Auf diesen Fundus literarischer Bildung habe ich dann auch zurückgegriffen, wenn für Reden an der Universität statt eines schweren Fachvortrags die leichte Muse angebracht war. Als ich nunmehr das Angebot des Herausgebers dieser Reihe, Herrn Prof. Dr. Dr. Thomas Vormbaum, bekam, die Artikelserie in einem Buch zusammenzufassen, habe ich es gern angenommen; ich danke ihm herzlich dafür. Ich habe die teilweise über dreißig Jahre alten Artikel gründlich überarbeitet, d.h. mal gekürzt, mal erweitert, auf den neuesten Stand gebracht sowie in Aufbau und Stil vereinheitlicht, und ich habe zu 15 Schriftstellern neue Artikel geschrieben. Münster, 13. April 2018
https://doi.org/10.1515/9783110617337-001
Bodo Pieroth
Einleitung Schriftsteller, die zugleich Juristen waren, werden als Dichterjuristen bezeichnet1. Im strengen Sinn versteht man nur diejenigen darunter, die ihr schriftstellerisches Schaffen jedenfalls für eine gewisse Zeit mit der Ausübung eines juristischen Berufs verbunden haben. Viele bekannte Literaten haben zwar keinen juristischen Beruf ausgeübt, aber mehr oder weniger lang und intensiv, mit oder ohne Abschluss Jura studiert. Auch sie sind in dieses Buch aufgenommen worden, weil nur auf ihr juristisches Studium eingegangen wird. Nicht behandelt werden die Zusammenhänge zwischen der juristischen Ausbildung des Autors sowie dem Recht und seinem literarischen Werk. Auf entsprechende Untersuchungen über prominente Dichterjuristen wird lediglich in den Anmerkungen hingewiesen.
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Klassisch: Eugen Wohlhaupter, Dichterjuristen, hg. von H. G. Seifert, 3 Bände, Tübingen 1953–1957; überblicksweise: Michael Kilian, Literatur und Jurisprudenz – Anmerkungen zum Berufsbild des Juristen, in: DRiZ 1985, S. 18–21; aus neuerer Zeit: Bände 2 und 6 der von Hermann Weber herausgegebenen Reihe „Recht, Literatur und Kunst in der Neuen Juristischen Wochenschrift“: Juristen als Dichter, Baden-Baden 2002, und Dichter als Juristen, Berlin 2004; Ludwig Fertig, „Abends auf den Helikon“. Dichter und ihre Berufe von Lessing bis Kafka, Darmstadt 1996; Michael Kilian (Hg.), Jenseits von Bologna – Jurisprudentia literarisch. Von Woyzeck bis Weimar, von Hoffmann bis Luhmann, Berlin 2006; Yvonne Nilges (Hg.), Dichterjuristen. Studien zur Poesie des Rechts vom 16. bis 21. Jahrhundert, Würzburg 2014; Barbara Sternthal, Juristen als Schriftsteller. Porträts dichtender Rechtsgelehrter, Wien 2006; Lovis Maxim Wambach, Die Dichterjuristen des Expressionismus, Baden-Baden 2002; Theodore Ziolkowski, Das Amt der Poeten. Die deutsche Romantik und ihre Institutionen, Stuttgart 1992 (Das Recht: S. 83–172; Die Universität: S. 277–390).
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Einleitung
Mit dieser Beschränkung auf eine kurze Spanne in der Biographie von Dichterjuristen 2 berührt das Buch nur einen kleinen Ausschnitt aus dem großen Themenbereich „Recht und Literatur“. Es versteht sich zudem als Beitrag zur Universitätsgeschichte als Teil der Rechts- und Wissenschaftsgeschichte; so wird über insgesamt dreißig Universitäten und viele berühmte Juraprofessoren berichtet. Aus persönlichem Interesse habe ich ein besonderes Augenmerk auf die Verfassungsgeschichte gelegt3. Den Abschnitten über die einzelnen Schriftsteller wird daher ein Kapitel über die Geschichte der Juristenausbildung vorangeschickt. Darüber hinaus sind die Schilderungen der Schriftsteller über das studentische Leben in der sie prägenden Zeit auf der Universität häufig sozialund allgemeingeschichtlich interessant. In diesen Schilderungen tauchen oft die Begriffe des Brotstudiums und des Brotberufs auf, d.h. eines Studiums und eines Berufs, die nicht aus Neigung, sondern zum Zweck des Erwerbs des Le2
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Diesem Ansatz folgen Heino Schöbel, Juristische Prüfungen im literarischen Zeugnis, in: BayVBl. 2004, S. 1–11; Meinhard Schröder, Die juristische Ausbildung in der deutschen Literatur. Eine Spurensuche, in: Trierer Festschrift für Walter F. Lindacher zum 80. Geburtstag, München 2017, S. 393–404. Vgl. zur Französischen Revolution: Gottfried August Bürger (2), Adolph Freiherr von Knigge (5), E.T.A. Hoffmann (9), Heinrich Heine (19); zur napoleonischen Ära in Deutschland: E.T.A. Hoffmann (9), Ludwig Börne (13), Joseph Freiherr von Eichendorff (15), Karl Leberecht Immermann (17), Willibald Alexis (20); zu den Verfassungskämpfen in Württemberg: Ludwig Uhland (14); zu den Karlsbader Beschlüssen: August von Kotzebue (6); zum Hannoverschen Verfassungskonflikt: Jacob und Wilhelm Grimm (12); zur Revolution von 1848: Ludwig Uhland (14), Eduard von Bauernfeld (22), Adalbert Stifter (23), Gottfried Keller (26), Joseph Victor Scheffel (27); zur schleswig-holsteinischen Frage: Theodor Storm (25); zur Deutschnationalen Bewegung in Österreich: Karl Emil Franzos (32), Hermann Bahr (34); zum Wilhelminismus: Frank Wedekind (35), Ludwig Thoma (38); zur Weimarer Republik: Emil Ludwig (42), Kurt Tucholsky (50), Carl Zuckmayer (52), Hans Erich Nossack (54), Ernst Ottwalt (55); zum Nationalsozialismus: Rudolf G. Binding (39), Heinrich Spoerl (45), Hans Friedrich Blunck (47), Walter Serner (49), Alexander Kluge (57).
Einleitung
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bensunterhalts gewählt werden. Immer wieder standen junge Leute vor dem Problem, ob sie sich für die Juristerei oder die „brotlose Kunst“ entscheiden sollten. Der Begriff des Brotstudiums ist der Basso continuo des vorliegenden Buchs. Dabei sollen die Schriftsteller vornehmlich selbst zu Wort kommen, denn gerade das ist es ja, wofür wir sie im kollektiven Gedächtnis behalten. Die Auswahl der vorgestellten Schriftsteller wurde in erster Linie nach dem Kriterium der Bekanntheit im literaturwissenschaftlichen Diskurs getroffen. Unter den weniger bekannten Autoren wurden vor allem diejenigen berücksichtigt, die besonders eindringlich über ihr Jurastudium Rechnung abgelegt haben. Zitiert wird aus ihren Autobiographien, Briefen und Tagebüchern, teilweise auch aus ihrem Prosa- und Lyrikwerk, soweit es nachweisbare Bezüge zum juristischen Studium des Autors enthält. Insgesamt geht es mir also sowohl um wissenschaftliche Belehrung als auch um literarisches Vergnügen: Früher nannte man das im Anschluss an Horaz „prodesse et delectare“; in der modernen Kommunikationswissenschaft hat man dafür den Ausdruck „edutainment“ erfunden.
Deutsche Juristenausbildung im Wandel der Zeiten I. Seit die Juristenausbildung im Deutschen Reich mit den Reichsjustizgesetzen von 1877 vereinheitlicht wurde, wird um ihre Inhalte und ihre Form gestritten 1 . Trotz vieler Vorschläge und gelegentlicher Experimente mit weiterreichenden Neuerungen hat sich aber in den letzten 140 Jahren und teilweise noch länger nicht sehr viel geändert2. Man lese nur die Schilderung einer mündlichen Prüfung von 1836 durch Friedrich Hebbel (24). Zu Beginn dieses Jahrhunderts schienen die zentralen Elemente des herkömmlichen Systems3 ins Wanken zu geraten: die Zweiteilung in einen mehr theoretischen und einen mehr praktischen, allein von der Staatsverwaltung verantworteten Abschnitt, die 1
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Die Literatur wird zu Recht als „unübersehbar“ bezeichnet; vgl. schon Karl Michaelis, Die heutige Juristenausbildung und ihr Verhältnis zur Rechtswirklichkeit, in: JuS 1991, S. 798–805 (798 Fn. 1); zur jüngsten Reformdiskussion vgl. Hinnerk Wißmann, Reform der Juristenausbildung in NRW 2017 ff. – Herausforderungen und Perspektiven, in: NWVBl. 2017, S. 327– 330. Uwe Wesel, Geschichte des Rechts. Von den Frühformen bis zum Vertrag von Maastricht, München 1997, S. 534, bezeichnet das als „besondere Art des bethlehemitischen Kindermords“; Janbernd Oebbecke, Festansprache, in: Bodo Pieroth (Hg.), Juristenausbildung zwischen Staat und Hochschule. Dokumentation der 100-Jahr-Feier der Rechtswissenschaftlichen Fakultät Münster und des Justizprüfungsamtes Hamm, Heidelberg 2003, S. 25–35 analysiert die Gründe für das Ausbleiben eines wirklichen Systemwechsels; zu den mannigfachen Änderungen im Detail vgl. Ulrich Kühn, Die Reform des Rechtsstudiums zwischen 1848 und 1933 in Bayern und Preußen, Berlin 2000. Vgl. Manfred Braun, Juristenausbildung in Deutschland, Berlin / New York 1980; Tino Bargel / Frank Multrus / Michael Ramm, Das Studium der Rechtswissenschaft. Eine Fachmonographie aus studentischer Sicht. Kurzfassung, Bonn 1996; Peter J. Tettinger, Universitäre Juristenausbildung am Wirtschaftsstandort Deutschland, in: NWVBl. 1998, S. 337–343.
https://doi.org/10.1515/9783110617337-003
XVIII Deutsche Juristenausbildung im Wandel der Zeiten Eigenschaft der Studienabschlussprüfung als Staats- und nicht als Hochschulexamen sowie das Ausbildungsziel des Einheitsjuristen. Angestoßen wurde die radikale Infragestellung zu einem guten Teil durch Europa und den seit der Erklärung von Bologna vom 19. Juni 1999 in Gang gekommenen Harmonisierungsprozess4. Aber die Juristenausbildungsreform 2002/03 bestand am Ende nur in einer halbherzigen Abwendung von der exklusiven Staatlichkeit der Prüfung, mit der das Jurastudium an der Hochschule abgeschlossen wird: Der staatlichen Pflichtfachprüfung wurde eine universitäre Schwerpunktbereichsprüfung mit einer Gewichtung von 70:30% an die Seite gestellt5, und in den Prüfungsausschüssen der Pflichtfachprüfung bilden die Praktiker regelmäßig die Mehrheit (der Anteil der Professoren liegt am Justizprüfungsamt Hamm bei ca. 25%). In Politik, Hochschulen und juristischen Berufsverbänden bestand und besteht eine verbreitete Abwehrhaltung gegen die Übertragung wesentlicher Elemente des Bologna-Prozesses auf die deutsche Juristenausbildung6. Aber gerade die Europäisierung und die internationale Verflechtung lassen die Singularität der deutschen Juristenausbildung erkennen. Und der Blick in die Geschichte verdeutlicht die spezifischen Entstehungsbedingungen dieses preußisch-deutschen Sonderwegs der „entschiedenen Verstaatlichung“7; er hilft auch, 4
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Vgl. Heribert Hirte / Sebastian Mock, Die Juristenausbildung in Europa vor dem Hintergrund des Bologna-Prozesses, in: JuS-Beilage zu Heft 12/2005, S. 3–14; Otfried Seewald, Juristenausbildung und Bologna, Passau 2007. Vgl. §§ 5–5d des Deutschen Richtergesetzes mit den entsprechenden Änderungen der Juristenausbildungsgesetze der Länder. Vgl. als ein Beispiel von vielen Matthias v. Wulffen / Rainer Schlegel, Der Bologna-Prozess und seine möglichen Auswirkungen auf die Justiz, in: NVwZ 2005, S. 890–896. Anders aber die Hochschulrektorenkonferenz; vgl. ihre Pressemitteilung vom 12. Dezember 2005: „Befreit die Universitäten aus der babylonischen Gefangenschaft der Staatsexamina.“ Gerhard Dilcher, Die preußischen Juristen und die Staatsprüfungen. Zur Entwicklung der Professionalisierung im 18. Jahrhundert, in: Festschrift für
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sich so vor Einseitigkeiten und Verabsolutierungen zu hüten. Für die folgende Skizze der Geschichte der Juristenausbildung kann ich mich auf eine umfangreiche rechtshistorische Forschung stützen 8 . Die Veranschaulichung folgt durch die literarischen Zeugnisse, auf die mit der Nummer in der Klammer verwiesen wird. II. Das Studium der Rechte in der frühen Neuzeit bis gegen Ende des 18. Jahrhunderts war keine Ausbildung für eine praktische juristische Berufsausübung, sondern diente vornehmlich der allgemeinen Bildung und der Verschaffung von „Rechtsgelehrsamkeit“. Es gliederte sich in zwei Teile: An der niederen, nämlich der Artisten-Fakultät musste sich der Rechtsstudent zunächst in Fächern wie Logik, Physik und Ethik, Grammatik, Rhetorik und Dialektik, Psychologie und Metaphysik schulen lassen. Ein Vorbereitungsstudium mit philosophischen Fächern vor dem eigentlichen Jurastudium wurde teilweise noch im 19. Jahrhundert verlangt, bezeugt etwa von Franz Grillparzer (16) für Wien. Erst nach einem Zwischenabschluss konnte an der Rechtswissenschaftlichen als einer der drei höheren Fakultäten neben Theologie und Medizin studiert werden9. Dieser Zwischenabschluss war das
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Hans Thieme zu seinem 80. Geburtstag, Sigmaringen 1986, S. 295–305 (297). Vgl. zunächst die Überblicksaufsätze von Hans Hattenhauer, Juristenausbildung – Geschichte und Probleme, in: JuS 1989, S. 513–520; Gerhard Köbler, Zur Geschichte der Juristenausbildung in Deutschland, in: JZ 1971, S. 768–773; Hubertus Leo, Einheitsjurist und Zweistufigkeit. Eine kleine Geschichte der juristischen Ausbildung in Deutschland, in: JR 1991, S. 53– 58; Jürgen Penz, Die Geschichte der Juristenausbildung in Württemberg unter besonderer Berücksichtigung des 19. Jahrhunderts, in: VBlBW 1986, S. 433–438, 474–478. Vgl. Karl Heinz Burmeister, Das Studium der Rechte im Zeitalter des Humanismus im deutschen Rechtsbereich, Wiesbaden 1974; Hans-Rudolf
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Baccalaureat. Verschiedentlich wurde der Titel des Baccalaureus auch für einen niederen rechtswissenschaftlichen Abschluss vergeben oder für das Bestehen der mündlichen Doktorprüfung, wie Friedrich Georg Jünger berichtet hat (53). Dieser alte Begriff ist heute neu besetzt worden: Der aus dem Baccalaureus hervorgegangene Bachelor (den alten deutschen Bakkalar hat man offensichtlich vergessen) ist der Grad für den Abschluss eines ersten berufsqualifizierenden Hochschulabschlusses. In der Literatur begegnet uns das Baccalaureat noch bei Matthias Claudius (1), wenn das im Trauregister der Wandsbecker Kirche hinter seinem Namen vermerkte „J.V.B.“ als „Juris Utriusque Baccalaureus“ zu lesen ist. Die Abschlussprüfung war verbreitet das Lizentiat, während das Doktorat daneben „mehr eine Formsache bzw. Geldfrage“ war10. Es gab Universitäten, wo der Doktortitel im wahrsten Sinne des Wortes zu kaufen war, wie es Anton Mathias Sprickmann (4) tat. Andernorts stellte das Doktorexamen auch ohne eine schriftliche Dissertation den juristischen Studienabschluss dar, wie bei Heinrich Heine (19) nachzulesen ist. Johann Wolfgang Goethe (3) hat mit einer Dissertation und einer Disputation im Jahr 1771 in Straßburg den Lizentiatentitel erworben. Durch eine kostspielige Zeremonie hätte er auch noch den Doktortitel erwerben können. Goethe war es auch, der bei seinem Wechsel von Leipzig nach Straßburg die Besonderheit deutscher Juristenausbildung jener Zeit erfuhr: die ausgesprochene Theorielastigkeit. Die Trennung von Theorie und Praxis blieb bestimmendes Kennzeichen der
Hagemann, Rechtsunterricht im 16. Jahrhundert. Die juristischen Vorlesungen im Basler Amerbachnachlaß, in: ZNR 1992, S. 162–190; an einem individuellen Beispiel Markus Rafael Ackermann, Der Jurist Johannes Reuchlin (1455–1522), Berlin 1999, S. 31 ff. 10 Burmeister (Fn. 9), S. 287.
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deutschen Juristenausbildung im ganzen 19. Jahrhundert und bis ins 20. Jahrhundert hinein11. Das Römische Recht in der Form des Gemeinen Rechts und damit die Pandektenwissenschaft beherrschten den Unterricht in Jura an den deutschen Universitäten12. Hierfür gibt es zwei wesentliche Gründe: In einem aus vielen Territorialherrschaften bestehenden Deutschen Reich war das Gemeine Recht ein einigendes Band und stellte gewissermaßen die Verkehrsfähigkeit des Rechts her. Außerdem war man vom Vorbildcharakter des Römischen Rechts zutiefst überzeugt. Die gemeinrechtliche Wissenschaft vermittelte die allgemeinen Lehren für die gesamte Rechtswissenschaft über Rechtsgeltung, Rechtsquellen und Rechtsmethodik. Bei Joseph Freiherr von Eichendorff (15) findet man beide Gründe wieder: Er äußerte sich einerseits verächtlich über ein „sogenanntes Naturrecht, das nirgends galt und niemals gelten konnte“, aber andererseits meinte er auch: „Nur etwa die Lehrer des römischen Rechts machten hier und da eine auffallende Ausnahme, weil der Gegenstand sie zwang, sich in das Positive einer großartigen Vergangenheit zu vertiefen.“ Im Übrigen ist die Literatur voll von Klagen über das Römische Recht. Sie äußerten sich aufklärerisch bei Adolph Freiherr von Knigge (5), antirationalistisch bei Wilhelm Heinrich Wackenroder (8), ideologiekritisch bei Heinrich Heine (19) und in den meisten Fällen schlicht verzweifelnd. 11 Vgl. rechtsvergleichend mit England, Frankreich und den USA dazu Theodore Ziolkowski, Das Amt der Poeten. Die deutsche Romantik und ihre Institutionen, Stuttgart 1992, S. 89 ff. 12 Die Vormachtstellung des römischen Rechts wird von Cornelie Butz, Die Juristenausbildung an den preußischen Universitäten Berlin und Bonn zwischen 1810 und 1850. Ein Studienfach im Spannungsfeld zwischen neuhumanistischem Bildungsideal und Praxisnähe, Phil. Diss. Berlin 1992, S. 220 ff. statistisch belegt; Kühn (Fn. 2), S. 179, spricht von „Überbetonung“ des römischen Rechts.
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Bis ins 19. Jahrhundert hinein war das Jurastudium auch nicht Voraussetzung für die Ernennung zum Richter. Wenn überhaupt etwas geprüft wurde, dann geschah das an hohen Gerichten durch das Kollegium selbst. Beispielsweise gab es beim Reichskammergericht seit 1570 eine Proberelation und waren die Beisitzer des Gerichts einem sog. General-Examen unterworfen, in dem das Kollegium mündlich prüfte, ob der Kandidat die fachlichen, sozialen und moralischen Eingangsvoraussetzungen erfüllte13. Im Übrigen gaben für eine Einstellung Stand, Herkunft und daraus erwachsene persönliche Beziehungen den Ausschlag. So wurde Gottfried August Bürger (2) durch die Fürsprache eines befreundeten Hofrats Richter, obwohl er keinen Universitätsabschluss gemacht hat und lediglich Zeugnisse von Göttinger Juraprofessoren vorlegen konnte. Adolph Freiherr von Knigge (5) konnte ohne einen Universitätsabschluss eine Hofkarriere, Jacob Grimm (12) eine Staatskarriere beginnen. August von Kotzebue (6) wurde Advokat „mehr aus Connexion und Gunst, als de jure“. Heinrich von Kleist (10) wurde nach nur drei Semestern Studium an der Philosophischen Fakultät als Auskultator, d.h. im juristischen Vorbereitungsdienst, eingestellt. III. Seit der Mitte des 18. Jahrhunderts wird die Juristenausbildung zu einem gezielten staatlichen Regelungsobjekt. Die deutschen Territorialstaaten verfolgten dabei das Ziel, ihre Herrschaft durch eine leistungsfähige Staatsdienerschaft auszubauen; dabei bedienten sie sich vornehmlich juristisch Vorgebildeter und begründeten das sogenannte Juristenmonopol14. 13 Vgl. Dilcher (Fn. 7). 14 Vgl. Wilhelm Bleek, Von der Kameralausbildung zum Juristenprivileg. Studium, Prüfung und Ausbildung der höheren Beamten des allgemeinen Verwaltungsdienstes in Deutschland im 18. und 19. Jahrhundert, Berlin
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Die juristische Professionalisierung nahm ihren Ausgang von Preußen15. Eine wichtige Rolle spielten dabei die Staatsprüfungen für Juristen, an denen sich in der Folge das Studium ausrichtete bzw. neben denen das Studium zeitweise in der Bedeutungslosigkeit versank. Ein Edikt des Königs Friedrich Wilhelm I. von 1737 gilt als die erste eigentliche Prüfungsordnung für Juristen in Deutschland. Als Kandidat für eine Oberrichterstelle musste man sich am Hof des Königs zwei Tag lang in Gegenwart aller Richter, Advokaten und „anderer gelahrten Leute“ über die „Theoria Juris“ und am dritten Tag über das Prozessrecht der jeweiligen Heimatprovinz befragen lassen. Anschließend bekam man einen schwierigen Aktenfall eines Obergerichts vorgelegt und musste eine Proberelation hierüber anfertigen. Durch die Reformen unter Friedrich II. und seinem Justizminister Samuel von Cocceji wurden die Juristenausbildung und die Qualifikationsforderungen zum ersten Mal in ein System gebracht. Dieses „Project des Codicis Friedericiani“ sah im Wesentlichen ein Universitätsstudium und einen zweigliedrigen praktischen Vorbereitungsdienst bei den Gerichten mit insgesamt drei Prüfungen vor. 1849 wurde der immer noch unbesoldete Vorbereitungsdienst auf insgesamt vier Jahre, mit einer Auskultatur von anderthalb und einem Referendariat von zweieinhalb Jahren, festgesetzt16. Die drei Prüfungen, auch Auskultatorexamen, Re1972; Heinz Hübner, Die Einwirkung des Staates auf den Rechtsunterricht – Eine historische Skizze –, in: Festschrift für Wilhelm Felgentraeger zum siebzigsten Geburtstag, Göttingen 1969, S. 99–127 (108 ff.). 15 Zum Folgenden vgl. Dilcher (Fn. 7), S. 298 ff.; Ina Ebert, Die Normierung der juristischen Staatsexamina und des juristischen Vorbereitungsdienstes in Preußen (1849–1934), Berlin 1995. 16 Vgl. Levin Goldschmidt, Rechtsstudium und Prüfungsordnung. Ein Beitrag zur preußischen und deutschen Rechtsgeschichte, Stuttgart 1897, S. 172 f.; Konrad Weber, Die Entwicklung des juristischen Prüfungs- und Ausbildungswesens in Preußen, in: Zeitschrift für Zivilprozeß 1935, S. 1–53, 96– 168, 253–290 (106).
XXIV Deutsche Juristenausbildung im Wandel der Zeiten ferendarexamen und Assessorexamen genannt, stellten hohe Hürden dar und konnten sich im Einzelfall über einen längeren Zeitraum hinziehen, wie sich an den Biographien von E.T.A. Hoffmann (9) und Karl Immermann (17) ablesen lässt. Die Konzentration auf die Staatsexamina ging einher mit einer Vereinheitlichung der juristischen Berufe. Erst während des Referendardienstes trennten sich die Ausbildungswege des Gerichtsreferendars und des Regierungsreferendars, der aber auch eine große Staatsprüfung ähnlich der der Gerichtsreferendare ablegen musste 17 . Bis 1869 waren auch Anwälte (sog. Justizkommissare und Assistenzräte) preußische Staatsbeamte. Schließlich wurden mit den drop-outs aus den Staatsprüfungen die mittleren oder subalternen Beamtenränge gefüllt. Das preußische System setzte sich 1877 in ganz Deutschland durch und ist bis heute bestimmend geblieben. Professionalisierung und Vereinheitlichung können als die Lichtseiten des preußischen Systems angesehen werden. Es hatte aber auch Schattenseiten: Erstens war die soziale Kontrolle sehr groß. Um 1800 lag der Anteil des Adels unter den Auskultatoren und Referendaren bei 10 %, unter den Räten der Justizkollegien aber bei 33 %, hatten also Adelige eine dreimal größere Chance als Bürgerliche, einen höheren Posten im Justizdienst zu bekommen18. Für die Zeit um 1900 wird die Durchlässigkeit der preußischen Juristenschicht nach unten als noch geringer angesehen. Dazu trug wesentlich die sog. Subsistenzverpflichtung als Zulassungsvoraussetzung für das erste Staatsexamen bei19. Danach musste der Antragsteller den Nachweis über hinreichende Vermögensverhältnisse erbringen, die ihm den standesgemäßen Lebensunterhalt während der folgenden Jahre ermöglichten, etwa durch Erklä17 Vgl. Ebert (Fn.15), S. 306 ff.; Michaelis (Fn. 1), S. 804. 18 Vgl. Dilcher (Fn. 7), S. 303. 19 Vgl. Ebert (Fn. 15), S. 303 ff.
Deutsche Juristenausbildung im Wandel der Zeiten XXV rungen der Eltern, in denen diese sich zur Zahlung von Unterhalt verpflichteten. In die gleiche Richtung wirkte das Erfordernis der Schuldenfreiheit. Erwähnt werden muss auch, dass die Assessorentätigkeit, die seit 1849 mindestens vier Jahre dauerte20, abgesehen von vereinzelten kurzen Phasen des Juristenmangels weitgehend unbezahlt zu erfolgen hatte. 1883 ist schließlich noch die Zulassungsverweigerung wegen Unwürdigkeit hinzugekommen; allerdings sollen Fälle, in denen ein Oberlandesgerichtspräsident nach zeitgenössischer Auffassung missbräuchlich Kandidaten unter dem Vorwand der Unwürdigkeit nicht zum Referendariat zugelassen hätte, sehr selten gewesen sein 21 . Gleichwohl wird man mit der Annahme nicht fehl gehen, dass auch unter den juristischen Staatsdienern vornehmlich preußischer Untertanengeist geweht hat. So scheint die Einschätzung plausibel, dass mit der Verstaatlichung aller juristischen Berufe „dann auch die Grundlage für die Verbindung der Juristen mit dem zuerst ständischen, dann modernen Parlamentarismus“ gefehlt hat22. Man vergleiche dazu den „Rat an einen Bewerber für den höheren Staatsdienst“, den Willibald Alexis (20) geben lässt: „Nie etwas besser wissen wollen als Ihre Vorgesetzten. Wenn’s auch mal falsch wäre, nie den Mund aufgetan. Sie wissen nicht, warum Sie’s falsch machen. Keine Silbe mehr gedruckt, das versteht sich von selbst. Wenn Sie Bücher lesen müssen, tun Sie’s für sich. Nötig ist’s nicht. Stört immer im Dienst. Gelehrte sind schlechte Offizianten.“
Und Heinrich Spoerl (45) zitiert fast hundert Jahre später einen Prüfer, dem widersprochen wird, mit den Worten: „Der Vorge-
20 Vgl. Weber (Fn. 16), S. 104. 21 Vgl. Ebert (Fn.15), S. 179 f. 22 Vgl. Dilcher (Fn. 7), S. 305.
XXVI Deutsche Juristenausbildung im Wandel der Zeiten setzte hat immer recht, auch dann, wenn er einmal unrecht haben sollte.“ Die zweite Schattenseite war, dass das Jurastudium an der Universität nur noch eine untergeordnete Rolle spielte. Das lag einmal an den Inhalten der universitären Lehre, die stark rechtshistorisch, insbesondere auf das römische Recht ausgerichtet war und die vorrangig geltenden Landes- und Provinzialrechte vernachlässigte. Zwar wurde so durchaus juristisches Denken vermittelt, aber nicht die Fähigkeit, das theoretische Wissen in rechtspraktisches Handeln umzusetzen; es entstand eine große Kluft zwischen Theorie und Praxis23. Ein weiterer wichtiger Faktor war die Ausgestaltung der ersten juristischen Staatsprüfung. Sie war Staatsdienstaufnahme- und nicht Hochschulstudiumsabschlussprüfung24. Gegenständlich und personell fielen Studium und Prüfung auseinander. Vielerorts waren die Professoren an der Staatsprüfung überhaupt nicht beteiligt, wie bei Christian Dietrich Grabbe (21) und Theodor Storm (25) deutlich wird. Viele der an der Universität gelehrten Rechtsgebiete wurden so überhaupt nicht geprüft. In Preußen bestand diese Rechtslage bis 1864, als neben drei Praktiker zwei Hochschullehrer traten, die vom Unterrichtsministerium für jeweils zwei Jahre benannt wurden25. Damit wurde auf ein Dilemma reagiert, das Rudolf von Jhering 1862 in seinem berühmten Buch „Scherz und Ernst in der Jurisprudenz“26 wie folgt beschrieben hatte: „Versetzen Sie sich in die 23 Vgl. Bleek (Fn. 14), S. 51 ff.; Hans-Heinrich Jescheck, Die juristische Ausbildung in Preußen und im Reich, Berlin 1939, S. 45 ff. 24 Vgl. Knut Wolfgang Nörr, Rechtsbegriff und Juristenausbildung. Bemerkungen zur Reformdiskussion im Kaiserreich und in der Weimarer Republik am Beispiel Preußens, in: ZNR 1992, S. 217–226 (219). 25 Vgl. Weber (Fn. 16), S. 97 ff. 26 Nachdruck Darmstadt 1980 der 13. Aufl., Leipzig 1924, S. 42.
Deutsche Juristenausbildung im Wandel der Zeiten XXVII Lage eines Kandidaten, der schwerbeladen mit Kenntnissen des Weges kommt, und der jetzt vor einer aus Praktikern besetzten Examinationskommission Halt machen muß. Er führt die schönsten Sachen mit sich: Versteinerungen aus den ältesten Zeiten der römischen Rechtsgeschichte, Mammutknochen, Mumien und das Allerneueste an bahnbrechenden Entdeckungen, scharfsinnigen Theorien und kühnen Hypothesen, was zu haben ist. Aber was hilft ihm das bei dem Praktiker? Der hat für diese Dinge in der Regel ebenso wenig Interesse und Verständnis, wie ein gewöhnlicher Zollbeamter für die kostbarsten Kristalle, Versteinerungen und anatomischen Präparate.“ Dementsprechend wurden die frisch Examinierten von ihren Ausbildern häufig mit der Aufforderung empfangen, „den gelehrten Universitätskram schleunigst zu vergessen“27. Bezeichnend ist auch die Äußerung eines Richters gegenüber August Graf von Platen (18), die Rechtspraxis verlange nur „wenige Sätze und einen gesunden Menschenverstand“. Die Vorbereitungszeit war mit rund vier Jahren in Preußen immer länger als das seit 180428 mit drei Jahren angesetzte Studium. Auf dieses durfte dann auch noch die Militärdienstzeit von einem Jahr angerechnet werden. So war es kein Wunder, dass das Studieren an der Universität vielfach auf die leichte Schulter genommen wurde, abzulesen beispielsweise an den Lebensläufen von Willibald Alexis (20), Georg Ebers (30) und Timm Kröger (31); Christian Dietrich Grabbe (21) sprach von „sonstiger wüster Wirthschaft“. Die meisten Studenten absolvierten nur noch „Brotstudien“, die sich ganz an den Erfordernissen der ersten juristischen Staatsprüfung ausrichteten: „Das Bestehen des Examens wurde zum Zweck des Studi-
27 Heinrich Gerland, Die Reform des juristischen Studiums, Bonn 1911, S. 5 f. 28 Vgl. Goldschmidt (Fn. 16), S. 183.
XXVIII Deutsche Juristenausbildung im Wandel der Zeiten ums“29. Die ministeriellen Erlasse, die diesen Missstand bekämpfen sollten30, kurierten allenfalls an Symptomen. Kehrseite dieser Irrelevanz des Universitätsstudiums war dann allerdings die Intensität der Examensvorbereitung. Sie hat viele Schriftsteller gequält. Hugo von Hofmansthal (40) notierte: „Dieses mechanische Büffeln erschlägt mir fast völlig die Regsamkeit des Denkens und Träumens.“ Franz Kafka (43) sprach davon, „daß ich mich in den paar Monaten vor den Prüfungen unter reichlicher Mitnahme der Nerven geistig förmlich von Holzmehl nährte, das mir überdies schon von Tausenden Mäulern vorgekaut war“. Georg Heym (46) wütete: „Und nun muß ich mich vollstopfen wie eine alte Sau auf der Mast mit der Arsch-ScheißLause-Sau Juristerei, es ist zum Kotzen.“ IV. Die Diskrepanz zwischen Studium und Prüfung war auch die wesentliche Ursache für das Aufblühen der Repetitoren, über die man in Lebensberichten um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert mehr hört als über das Studium an der Universität. Rudolf Huch (33) hat diesen Zusammenhang klar benannt: „Die Anforderungen an die Juristen wurden aber damals in der ersten Prüfung so gestellt, daß es genügte, wenn man in den letzten Semestern ein Repetitor[ium] besucht hatte.“ Für die Vorbereitung auf die erste juristische Prüfung spielte dann die Universität keine Rolle mehr, ja: „Der Repetitor ersetzte juristisch die Fakultät“31. 29 Daniela Westphalen, Karl Binding (1841–1920). Materialien zur Biographie eines Strafrechtsgelehrten, Frankfurt am Main 1989, S.13 mit Nachweisen aus der seit langem geführten Reformdiskussion. 30 Vgl. Uwe Bake, Die Entstehung des dualistischen Systems der Juristenausbildung in Preußen, Diss. Jur. Kiel 1971, S. 144; Bleek (Fn. 14), S. 110; Goldschmidt (Fn. 16), S. 185 f. 31 Eckart von Naso, Ich liebe das Leben. Erinnerungen aus fünf Jahrzehnten, Hamburg 1953, S. 232.
Deutsche Juristenausbildung im Wandel der Zeiten XXIX Der Repetitor, auch als „Einpauker“32 bekannt, zeichnete sich in erster Linie dadurch aus, dass er sich konsequent auf den für das Bestehen des Staatsexamens erforderlichen Stoff beschränkte und „in aller Hast zur Prüfungsreife“33 verhalf. Der so erzielte Zeitgewinn (daher auch „Schnellsiederkurse“ genannt 34 ) zog viele Jurastudenten an, wie von vielen Schriftstellern bezeugt wird. Darüber hinaus halfen die Repetitoren nicht selten den Examenskandidaten auch bei der Hausarbeit, den Klausuren und der mündlichen Prüfung, was bei einer Entdeckung zur Aberkennung der Prüfungsleistung und möglicherweise der Prüfung insgesamt führte, aber nicht strafbar war (und ist). Hinzu kam, dass viele Repetitoren einfach bessere Lehrer waren als die meisten Professoren. Man lese nur nach, was Johann Wolfgang von Goethe (3) über junge Professoren schrieb, die „ihre Bildung durchaus auf Unkosten der Zuhörer“ erwarben, im Gegensatz zu älteren, von denen „manche schon lange Zeit stationär“ waren, und wie Joseph Freiherr von Eichendorff (15) Professoren als „Halbinvaliden“ und „Stockjuristen, sämtlich von dem wohlfeilen Kunststück vornehmen Ignorierens fleißig Gebrauch machend“ charakterisierte. Hans Friedrich Blunck (47) hatte „den Eindruck, daß sie ihrer Sache müde waren.“ Und Peter Handke (59) beklagte, dass sie „unablässig nur leierten, abhakten, skandierten […] bis die Müdigkeit des Hörers in Unwillen, der Unwille in Übelwollen umschlug.“ Viele Schriftsteller bemerkten auch, dass die Vorlesungen aus nichts anderem als dem Vorlesen eines
32 Emil Ertl, Lebensfrühling. Erinnerungen aus dem lieben alten Wien meiner Jugend, Leipzig 1932, S. 191; Kurt Martens, Schonungslose Lebenschronik 1870–1900, Wien 1921, S. 133. 33 Otto Freiherr von Taube, Wanderjahre. Erinnerungen aus meiner Jugendzeit, Stuttgart 1950, S. 98. 34 Ernst Lothar, Das Wunder des Überlebens. Erinnerungen und Ergebnisse, Hamburg / Wien 1960, S. 21.
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Textes bestanden, den man genauso gut oder besser zu Hause lesen konnte. Die Repetitoren bedienten sich der sokratischen Methode der Mäeutik, d.h. der Hebammenkunst, wonach durch die Beteiligung der Studenten in Frage und Antwort Erkenntnisse nicht nur herausgeholt, sondern auch verlässlich eingepflanzt wurden. So äußerten Hans Friedrich Blunck (47), Kurt Tucholsky (50) und Friedrich Georg Jünger (53) hohe Wertschätzung für ihre Repetitoren. Das dürfte zum Teil auch daran gelegen haben, dass sie nicht selten eindrucksvolle Persönlichkeiten, „Originale“, waren und unterhaltsame „Schrullen“ hatten. Aber in der Hauptsache waren sie eben Könner des praktizierten und von den Praktikern in der Prüfung erwarteten Rechtsstoffs. Weil ein solcher Privatunterricht finanziell sehr ertragreich war – „ein schönes Stück Geld“ heißt es bei Ernst Ottwalt (55) –, zog er auch gute Juristen an. Sie wussten (und wissen) im Übrigen in aller Regel durch geschicktes Nutzen der Examensangst und Werben mit Erfolgen ihren Zulauf zu steigern. Nur ganz selten einmal ist wie bei Rudolf Huch (33) von einem Repetitor die Rede, der „sich mit der Ausbildung von Rechtskandidaten zu der ersten Staatsprüfung ohne Entgelt“ befasste: ein offensichtlich nicht ausgelasteter Amtsrichter vom Lande. Der Zusammenhang zwischen Staatsexamina und Repetitoren wird gelegentlich bestritten35, weil schon Goethe (3) und Novalis (7) „Repetenten“ gehabt haben, die auch schon „Hefte, welche in Fragen und Antworten geschrieben waren“ herausgaben und als „Treiber“ apostrophiert wurden. Aber das waren die Zeiten, in denen sich die studierenden Söhne von Adligen und reichen Bürgern auch einen persönlichen Diener leisteten; den Repetitor 35 Vgl. Heino Schöbel, Juristische Prüfungen im literarischen Zeugnis, in: BayVBl. 2004, S. 1–11 (3).
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als Institution für die breite Masse der Studenten gab es erst seit dem Ende des 19. Jahrhunderts36. An der Tatsache, dass man mit dem beim Repetitor gewonnenen Rechtsanwendungswissen das Examen gut bestehen kann, und an der daraus folgenden Diskrepanz zwischen dem Anspruch eines wissenschaftlichen Studiums und der Realität eines Einpaukexamens hat sich übrigens bis heute kaum etwas geändert37. Eine weitere Folge der Dominanz der Praxis war, dass der genuine juristische Hochschulabschluss, die Promotion zum Doktor jur., vielerorts, auch außerhalb Preußens, im Wert gesunken war. Emil Ludwig (42) „kompilierte in 14 Tagen eine leere Sitzarbeit“, die in Breslau mit cum laude bewertet wurde. Franz Kafka (43) brauchte in Prag zur Erlangung des juristischen Doktorgrads gar keine Dissertation vorzulegen, sondern musste nur drei mündliche Prüfungen – übrigens mit Ach und Krach – bestehen. Georg Heym (46), Walter Serner (49) und Kurt Tucholsky (50), die allesamt erklärtermaßen mit der Juristerei nicht viel am Hut hatten, gelang es gleichwohl, den Doktorhut – wenn auch teilweise erst nach mehreren Anläufen – zu erwerben. V. Angesichts dieser Befunde stellte und stellt sich die Frage nach Remedur oder gar nach Alternativen. Beispielsweise rieb sich Felix Dahn (29) an der preußischen Juristenausbildung: „Der ganze Betrieb ist häufig so banausisch, so unwissenschaftlich wie möglich […] die preußische Drillung der Juristen muß nicht sein 36 Vgl. Wolfgang Martin, Juristische Repetitorien und staatliches Ausbildungsmonopol in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1993; Stefan Lueg, Die Entstehung und Entwicklung des juristischen Privatunterrichts in den Repetitorien. Ein Beitrag zur Diskussion über die Reform der Juristenausbildung, Frankfurt am Main, 1994. 37 Vgl. Hans-Uwe Erichsen, Thesen zum Elend und zur Reform des Jurastudiums, in: Jura 1998, S. 449–452.
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und hat alle Erfolge gegen sich: sie ist ein Jammer, ein Elend und – nun, wahrlich keine Ehre für den leitenden deutschen Staat.“ Die Juristenausbildung in Süddeutschland (Österreich, Bayern, Württemberg38) war bis 1877 etwas andere Wege gegangen als in Preußen. Vor dem Hintergrund, dass dort teilweise Rechtskodifikationen einheitlich für das ganze Land galten, die inhaltlich den gemeinrechtlichen Lehren nahe standen, fielen dort Theorie und Praxis, Studium und Vorbereitungsdienst nicht so weit auseinander. Der Staat selbst kümmerte sich um eine den Bedürfnissen des Staatsdienstes entsprechende Einrichtung der Lehrgegenstände. Dementsprechend waren etwa in Württemberg die Fakultäten selbst Prüfungsbehörde – bezeugt etwa von Ludwig Uhland (14) – und prüften dort so wie in Bayern nur Professoren, allerdings unter dem Vorsitz eines Staatskommissars. Als Folge wird berichtet, dass in Tübingen bis in die 70er Jahre unseres Jahrhunderts Repetitoren praktisch unbekannt gewesen sind39. Ein weiteres Spezifikum der süddeutschen Juristenausbildung, das große Gewicht von Klausuren im Examen, findet sich inzwischen mehr und mehr im gegenwärtigen Prüfungssystem aller Bundesländer. Die letzte Juristenausbildungsreform 40 hat zwar eine Zwischenprüfung wieder eingeführt und die Möglichkeit der Stoffabschichtung in der Ersten Prüfung erweitert. Aber die Zwischenprüfung wird nicht als wirkliche Hürde praktiziert, und die Modalitäten der Stoffabschichtung sind sehr unterschiedlich in den Ländern. So bleibt es im Wesentlichen nach wie vor eines der bestgehüteten Geheimnisse „juristischer Prüfungskultur“, „warum der Gipfel erstiegen werden soll, von dem alsbald wieder abzu38 Vgl. Penz (Fn. 8); Ders., Die Geschichte der Juristenausbildung in Württemberg unter besonderer Berücksichtigung des 19. Jahrhunderts, Rechtswiss. Diss. Freiburg 1985. 39 Vgl. Martin (Fn. 36), S. 143 Fn. 208. 40 Vgl. oben zu Fn. 5.
Deutsche Juristenausbildung im Wandel der Zeiten XXXIII steigen nach aller Erfahrung unabweislich ist“41. In der Tat sind Stoffabschichtungen und fortdauernde, ins Endergebnis eingehende Leistungsnachweise in der ganzen Welt verbreitet und werden jetzt auch nach den Prüfungsordnungen mancher juristischer Fakultäten im Schwerpunktbereichsstudium praktiziert. Früher waren regelmäßige Semesterabschlussprüfungen gang und gäbe, bezeugt etwa bei Franz Grillparzer (16) und Adalbert Stifter (23) für Wien, bei August von Platen (18) für Würzburg und bei Franz Kafka (43) für Prag. Auch in meiner Fakultät in Münster haben sich die 1994 an die Stelle der so genannten kleinen Übungen getretenen Semesterabschlussklausuren meines Erachtens sehr bewährt, weil sich Lehre und Prüfung sinnvoll aufeinander beziehen und ein Anreiz für die Studierenden besteht, die Vorlesungen zu besuchen, obwohl diese Semesterabschlussklausuren außerhalb des Schwerpunktbereichsstudiums weder für die Endnote zählen noch zu einer Stoffabschichtung führen. An der Bedeutung der kommerziellen Repetitoren hat die Reform von 2002/03 allerdings wenig geändert. Trotz gut strukturierter und didaktisch fortschrittlicher Universitäts-Repetitorien nehmen nach wie vor bis zu 90% aller Examenskandidaten die Dienste kommerzieller Repetitoren in Anspruch 42 . Sie sind angesichts einer überwiegend aus der Universität ausgelagerten Abschlussprüfung, die zu drei Vierteln von Praktikern abgenommen wird, und der – im Vergleich etwa zu den USA miserablen – Professoren-/Studierenden-Relation wohl unvermeidlich. Die zentrale Frage einer Therapie ist, welches Ziel die Juristenausbildung verfolgen soll. Damit rücken die fundamentalen Bezugsgrößen ins Bild: das Verhältnis des Juristen zum Staat und das 41 Erichsen (Fn. 37), S. 451. 42 Dass es auch gut anders geht, zeigt z.B. Thorsten Deppner, Examen ohne Repetitor. Leitfaden für eine selbstbestimmte und erfolgreiche Examensvorbereitung, 4. Aufl., Baden-Baden 2017.
XXXIV Deutsche Juristenausbildung im Wandel der Zeiten Verhältnis der Ausbildung zur Wissenschaft und zum Beruf. Die jüngsten Empfehlungen des Wissenschaftsrats zum rechtswissenschaftlichen Studium verlassen grundsätzlich nicht „den Rahmen der staatlichen Prüfungselemente“43, wollen aber einerseits die Wissenschaftlichkeit erhöhen und andererseits der Aufgabe der Berufsvorbereitung des Jurastudiums gerecht werden. Dem ersten Ziel dienen Vorschläge zur „Beförderung der Reflexionskompetenz“ (früher nannte man das, juristisch denken zu lernen). Für das zweite Ziel sollen „Rechtsgestaltungs- und Rechtsberatungskompetenzen als Gegenstand des rechtswissenschaftlichen Studiums“ verstärkt werden. Zu der zentralen Frage des Ziels der Juristenausbildung sind die hier präsentierten literarischen Zeugnisse nicht sehr aussagekräftig. Viele deutschen Schriftsteller haben gelitten unter ihrem Jurastudium, das sie nur fremdbestimmt oder notgedrungen oder aus Mangel an Alternativen aufgenommen haben. In sehr vielen Fällen galt ihr wahres Interesse anderen Fächern, häufig der Literatur. So war es nur konsequent, dass das Jurastudium nicht selten abgebrochen oder selbst nach erfolgreichem Abschluss kein juristischer Beruf ergriffen wurde. Es ist daher auch nicht überraschend, dass man in den hier vorgestellten literarischen Zeugnissen überwiegend einem distanzierten Verhältnis zu Recht und Staat begegnet. Für viele Schriftsteller war Jura eben nur das „Brotstudium“. Soweit sie später einen juristischen Beruf ausübten, war er nicht selten Last im Gegensatz zur Lust an der Literatur, oder mit dem Vers von Platen: „Morgens zur Kanzlei mit Akten / Abends auf den Helikon“44. Das muss 43 Wissenschaftsrat, Perspektiven der Rechtswissenschaft in Deutschland. Situation, Analysen, Empfehlungen, Drs. 2558–12, Hamburg 9 11 2012, S. 53–65. 44 Graf August von Platen, Gesammelte Werke in fünf Bänden, Bd. 4, Stuttgart und Tübingen 1854, S. 18.
Deutsche Juristenausbildung im Wandel der Zeiten XXXV nicht verwundern. Denn zwar benutzen Recht und Literatur das gleiche Medium der Sprache, aber sie verwenden es zu anderen Zielen. Das Recht zieht Grenzen; die Kunst überschreitet Grenzen. Insoweit bilden Reichtum und Vielfalt der schönen Literatur einen nicht völlig zu überbrückenden Gegensatz zur rechtlichen und wissenschaftlichen Prosa.
1. Matthias Claudius
Weiß von Staats- und Völkerrecht nicht viel Matthias Claudius (1740–1815), Lyriker und Journalist, wurde 1759 von seinem Vater, dem Reinfelder Pastor gleichen Namens, zum Studium der „Gottesgelahrtheit“ an die Universität Jena geschickt, deren Theologische Fakultät in jener Zeit „in bestem Rufe weithin“ stand1. Doch schon bald wechselte er zum Studium der Jurisprudenz und der Kameralwissenschaften. Als Gründe hierfür werden angegeben: ein Brustleiden, das Claudius daran zweifeln ließ, jemals die Pflichten eines Predigers erfüllen zu können, sowie eine Abneigung gegen die Art und Weise, wie an der Universität von den konkurrierenden Schulen der Orthodoxen und der Wolffianer Theologie betrieben wurde: Keine von beiden „konnte seiner positiven, doch aufgeschlossenen Religiosität Genüge tun“2. Aus der Jenaer Zeit ist nur ein einziger Brief erhalten, der aber keinen Bezug zum Studium enthält3. Kurz nach dem Ende des Studiums schrieb Claudius in einem Brief, dass er hauptsächlich „die Polizei- und nützlichen Wissenschaften“ studiert habe4. Viele Jahre später bekannte er, ebenfalls in einem Brief: 1 2 3 4
Wolfgang Stammler, Matthias Claudius der Wandsbecker Bothe. Ein Beitrag zur deutschen Literatur- und Geistesgeschichte, Halle 1915, S. 11. Herbert Rowland, Matthias Claudius, München 1990, S. 12. In: Matthias Claudius 1740–1815. Ausstellung zum 250. Geburtstag, Heide in Holstein 1990, S. 63. Matthias Claudius, Botengänge. Briefe an Freunde, hg. von Hans Jessen, 2. Aufl., Berlin 1965, S. 18.
https://doi.org/10.1515/9783110617337-004
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Matthias Claudius weiß von Staats- und Völkerrecht nicht viel […] habe die Institutions und Pandekten gehört und Historie, weiß aber von Institutions, Pandekten und Historie nicht mehr als eben zur Leibesnahrung und 5 Notdurft usw.
Claudius hat das von den Dozenten Diktierte brav mitgeschrieben – Mitte des letzten Jahrhunderts sollen noch nachgeschriebene Kollegienhefte von seiner Hand über Kameralwissenschaften und die elementa juris publici existiert haben6 –, aber gefesselt hat ihn das Studium nicht. In dem Artikel „Eine Chria [schriftliche Behandlung eines vorgegebenen Satzes in streng logischer Ordnung], darin ich von meinem akademischen Leben und Wandel Nachricht gebe“7, dem allgemein ein autobiographischer Hintergrund attestiert wird, machte er sich über die Universitätslehre lustig: Bin auch auf Unverstädten gewesen, und hab auch studiert. Ne, studiert hab ich nicht, aber auf Unverstädten bin ich gewesen, und weiß von allem Bescheid. Ich ward von ohngefähr mit einigen Studenten bekannt, und die haben mir die ganze Unverstädt gewiesen, und mich allenthalben mit hingenommen, auch ins Kollegium. Da sitzen die Herren Studenten alle neben’nander auf Bänken wie in der Kirch, und am Fenster steht eine Hittsche [Hocker], darauf sitzt ‘n Professor oder so etwas, und führt über dies und das allerlei Reden, und das heißen sie denn dozieren. Das auf der Hittschen saß, als ich drin war, das war ‘n Magister, und hatt eine große krause Paruque auf’m Kopf, und die Studenten sagten, daß seine Gelehrsamkeit noch viel größer und krauser, und er unter der Hand ein so kapitaler Freigeist sei, als irgendeiner in Frankreich und England. Mochte wohl was dran sein, denn ‘s ging ihm vom Maule weg als wenn’s aus’m Mostschlauch gekommen wär; und demonstrieren konnt er, wie der Wind. Wenn er etwas vornahm, so fing er nur so eben ‘n bißchen an, und, eh man sich umsah, da war’s demonstriert. So demonstriert’ er z. Ex. daß ‘n Student ‘n Student und kein Rhinozeros sei. Denn sagte er, ‘n Student ist entweder ‘n Student oder 5 6 7
Claudius (Fn. 4), S. 150. In: Wilhelm Herbst, Matthias Claudius der Wandsbecker Bote. Ein deutsches Stillleben, 3. Aufl., Gotha 1863, S. 39. Matthias Claudius, Sämtliche Werke, 5. Aufl., München 1984, S. 19 f.
Matthias Claudius
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‘n Rhinozeros; nun ist aber ‘n Student kein Rhinozeros, denn sonst müßt ‘n Rhinozeros auch ‘n Student sein; ‘n Rhinozeros ist aber kein Student, also ist ‘n Student ‘n Student. Man sollte denken, das verstünd sich von selbst, aber unsereins weiß das nicht besser. Er sagte, das Ding „daß ‘n Student kein Rhinozeros sondern ‘n Student wäre“ sei eine Hauptstütze der ganzen Philosophie, und die Magisters könnten den Rücken nicht fest genug gegenstemmen, daß sie nicht umkippe.
Auch vom Recht hatte Claudius keine sehr hohe Meinung, wie folgende beiden Gedichte bezeugen: Hinz und Kunz (Dem Gerichtshalter in – gewidmet) K.: Hinz, wäre Recht wohl in der Welt? H.: Recht nun wohl eben nicht, Kunz, aber Geld. K.: Sind doch so viele die des Rechtes pflegen! H.: Eben deswegen.
Der Bauer, nach geendigtem Prozess Gottlob, daß ich ein Bauer bin; Und nicht ein Advokat, Der alle Tage seinen Sinn Auf Zank und Streiten hat. Und wenn er noch so ehrlich ist, Wie sie nicht alle sind; Fahr ich doch lieber meinen M… In Regen und in Wind. Denn davon wächst die Saat herfür, Ohn Hülfe des Gerichts; Aus nichts wird etwas denn bei mir, Bei ihm aus etwas nichts. Gottlob, daß ich ein Bauer bin; Und nicht ein Advokat! Und fahr ich wieder zu ihm hin; 8 So breche mir das Rad! 8
Claudius (Fn. 7), S. 54 und 345.
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Anfang 1763 oder Ende 1762 hat Claudius Jena verlassen – ob mit oder ohne akademischen Abschluss ist Gegenstand einer Kontroverse in der Claudius-Forschung. Der Auffassung, Claudius sei als „verkrachter Student“ ins Elternhaus zurückgekehrt9, wird entgegengehalten, im Trauregister der Wandsbeker Kirche sei unter dem 15. März 1772 hinter Claudius’ Namen „J.V.B.“ vermerkt, was als „Juris Utriusque Baccalaureus“ zu lesen sei und den untersten akademischen Grad bezeichne 10 . Dagegen wiederum wird geltend gemacht, dass dieser Titel damals in Jena nicht vergeben worden sei11. Wie dem auch sei, Claudius hat sich selbst auch nach seinem Studium nur als „étudiant en droit“ tituliert12. Er konnte aber in keinem bürgerlichen Beruf Fuß fassen und seine zwölfköpfige Familie nur notdürftig ernähren, bis er 1784 vom dänischen König eine Sinekure als Revisor der „SchleswigHolsteinischen Bank zu Altona“ erhielt13. (Für wertvolle Hinweise danke ich Herrn Dr. Reinhard Görisch, Marburg.).
9 Helmut Glagla, in: Wandsbek informativ 8/1991, S. 14–16 (16). 10 Rolf Siebke, in: Wandsbek informativ 3/1989, S. 19. 11 Vgl. Annelen Kranefuss, Matthias Claudius. Eine Biographie, Hamburg 2011, S. 32. 12 Claudius (Fn. 4), S. 25. 13 Vgl. Dietrich Emme, Die Berufsprobleme des Matthias Claudius, in: MDR 1975, S. 730–732.
2. Gottfried August Bürger
Dem Trunk zu sehr ergeben Gottfried August Bürger (1747–1794), Lyriker und Balladendichter, von Arthur Schopenhauer als „Dichtergenie“ geadelt, studierte zunächst von 1764 an in Halle Theologie, aber „sein freyes, lustiges Leben“ verhinderte „die Herrn Theologen […], ihm gute Zeugnisse zu geben“1. Als er auch noch an der Gründung einer verbotenen studentischen Landsmannschaft teilnahm und bestraft wurde, hat ihn sein Großvater, von dem er finanziell abhing, Universität und Studium wechseln lassen. Von Ostern 1768 bis März 1772 studierte Bürger Jura in Göttingen. Über den Eifer, mit dem er dieses Studium betrieb, gibt es unterschiedliche Einschätzungen: Einerseits heißt es, Bürger habe nur „nebenbei“ Jura studiert, während seine eigentliche Aufmerksamkeit den jungen Literaten gegolten habe, die sich 1772 im Göttinger Hain zusammenschlossen 2 . Dafür spricht auch, dass Bürger 1769 wegen seiner Homer-Nachdichtungen als Beisitzer in die Göttinger ,,Deutsche Gesellschaft“ aufgenommen wurde und seine Gedichte seit 1771 im Göttinger Musenalmanach veröffentlicht wurden. Andererseits wird unter Hinweis auf die erhaltenen Ausleihebücher der Göttinger Universitätsbibliothek, die über jedes verliehene Buch an jedem Tag Rechenschaft geben, Bürger
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Vgl. Adolf Strodtmann (Hg.), Briefe von und an Gottfried August Bürger, Berlin 1874, Bd. I, S. 22. Günter Häntzschel, Gottfried August Bürger, München 1988, S. 9.
https://doi.org/10.1515/9783110617337-005
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Gottfried August Bürger
als „einer der fleißigsten Benutzer der Bibliothek“ bezeichnet3. Ganz überwiegend waren es in der Tat juristische Bücher, die Bürger ausgeliehen hat (auch ein Kopp war schon dabei: ,,Proben des Lehnrechts“). Sehr solide war Bürgers Lebenswandel aber weiterhin nicht: Indeß brachte ihn eine unglückliche Gewohnheit und Mangel an guter Gesellschaft noch immer wieder in seine vorigen Ausschweifungen, und dadurch wurde sein Großvater so aufgebracht, daß er 4 seine Hand gänzlich von ihm abzog.
Im Klartext hieß das, ,,daß er sich dem Trunk zu sehr ergeben hat“ 5 . Ein besorgter Biograph hielt dem entgegen, auch über Goethe sei viel geklatscht und die Behauptung in Umlauf gebracht worden, ,,Goethe besaufe sich den ganzen Tag in Branntwein“6. Wie dem auch sei, Bürgers anschließende briefliche Ausfälle gegen seinen Großvater, der ihn bisher finanziert hatte, wirken nicht gerade einnehmend: Sie können sich gar nicht vorstellen, was das für ein Mann ist. Höchst geizig, ohne Gefühl in der Brust und dabei von seinem Alter lächerlich und kindisch! Was ist mit einem solchen wohl anzufangen? Was er bisher an mir gethan, das hat nicht sein gutes Herz, sondern seine bis zum Lächerlichen ausschweifende Eigenliebe ge7 than.
Die Geldnot zwang Bürger, sich nach einer Beschäftigung umzusehen. Im Juli 1771 verdingte er sich als Gehilfe des Juris Practicus Dr. Hesse; doch die Zusammenarbeit währte nur drei Monate. Dann setzte sich sein Freund Heinrich Christian Boie bei einem Bekannten, einem Hofrat Listn, für Bürger ein. Listn war Vor3 4 5 6 7
Karl Goedeke, Gottfried August Bürger in Göttingen und Gelliehausen, Hannover 1873, S. 17. Vgl. Strodtmann (Fn. 1), S. 22 f. Vgl. Strodtmann (Fn. 1), S. 18. Goedeke (Fn. 3), S. 11. Vgl. Strodtmann (Fn. 1), S. 27.
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mund für zwei Kinder der Familie von Uslar, die unter der Oberhoheit des Königs von Hannover über ein kleines Territorium herrschte und das Privileg der Patrimonialgerichtsbarkeit besaß. Für die wiederzubesetzende Stelle eines Gerichtshalters mit dem Titel „Justizamtmann“ des von Uslarschen Gerichts Altengleichen mit Sitz in Gelliehausen bei Göttingen schlug nun Listn dem siebenköpfigen Familienrat Bürger vor. Der hatte sein Jurastudium nicht zu einem formellen Abschluss gebracht, war also Candidatus juris, was aber einer Bewerbung um die Gerichtshalterstelle nicht im Wege stand. Er legte drei Zeugnisse von Göttinger Juraprofessoren vor, darunter das folgende: Demnach der Candidatus Juris, Herr Gottfried August Bürger aus dem Halberstädtischen, mich um Ertheilung eines glaubwürdigen Zeugnisses von Seinem bisherigen Verhalten allhier gebeten: und dann derselbe, wie mir wolbekannt ist, unter Beobachtung einer vorzüglich guten Aufführung in der Zeit den Studien mit größtem Eifer und bestem Fortgang obgelegen, insonderheit auch den juristischen Vorlesungen überhaupt, und namentlich meinen Collegiis über die Institutionen, Pandecten und das peinliche Recht vollkommen fleißig und aufmerksam beygewohnt, anbey aber in einem bey mir gehaltenen collegio examinatorio privatissimo auch durch seine fertigen und richtigen Antworten auf die Ihm vorgelegten Fragen, von Seiner ausgebreiteten, gründlichen und brauchbaren Rechtswißenschaft überzeugt hat: Alß habe ich demselben hierüber gegenwärtiges der Wahrheit gemäßes Attestat auszustellen keinen Anstand genommen. Göttingen den 14. März 1772. (L. S.) D. Christ. 8 Fr. Georg Meister, Hofrath und Professor Juris.
Wegen heftiger Streitigkeiten innerhalb des von Uslarschen Familienrats waren aber noch große Schwierigkeiten zu überwinden, bevor Bürger am 1. Juli 1772 auf sein Amt vereidigt wurde. Er versah es zwölf Jahre9, wurde aber nicht glücklich dabei 8 9
In: Goedeke (Fn. 3), S. 82. Vgl. Wilfried Barner, Gerichtshalter und Poet: Gottfried August Bürger in Gelliehausen, in: Jahrbuch der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen 2007, S. 334–353; Heinrich Dörner, Gottfried August Bürger – Ein Beitrag
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(„Amtsquälereien“, „Jammertal“, „dumpfes Grab“). Der Konflikt zwischen Amt und Poesie, zwischen beruflichen Verpflichtungen und dichterischen Ambitionen hat ihn zermürbt. In seinem Werk ist dies allerdings kaum thematisiert worden; vgl. aber folgende Gedichte, die als Vor- und Endfassung gelten: Nickel, der Advokat, und Ich, der Dichter Nickel Manch hübsches Lied hast du gedichtet, Doch das ist alles, was du kannst. Ich Was, Nickel, hast denn du verrichtet, Worauf du lauter pochen kannst? Nickel O ich! – Kann in Verdienst mich sonnen, Von weit reellerem Gewicht. Was an Prozessen ich gewonnen Bezeugt mir das Zivilgericht. Ich Recht, Nickel, du hast viel gewonnen; Denn dein Klient gewann es nicht.
Advokatenprahlerei Raps fragt, Triumph im Angesicht: Wer hat an Händeln mehr gewonnen, Als ich, vor Stadt- und Landgericht? Ganz recht! Genug hat er gewonnen: 10 Denn sein Klient gewann es nicht.
Erst 1784 gelang es Bürger, „der Monotonie jener abgelegenen Richterstelle zu entkommen“ 11 . Er wurde Privatdozent, später zur Situation des deutschen Dorfrichters im 18. Jahrhundert, in: DRiZ 1978, S. 22 f.; Dietrich Emme, Der Patrimonialrichter, in: MDR 1980, S. 729–731. 10 Gottfried August Bürger, Sämtliche Werke, hg. von Günter und Hiltrud Häntzschel, München 1987, S. 320, 1237. 11 Häntzschel (Fn. 2), S. 12.
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außerordentlicher Professor an der Universität Göttingen und hielt ohne festes Gehalt („gratis et frustra“) Vorlesungen über Ästhetik, deutsche Sprache, deutschen Stil und Philosophie. Sein Eintreten für die Französische Revolution verhinderte weiteres berufliches Vorankommen. Von der Jurisprudenz hatte er mit folgenden Worten Abschied genommen: Jurisprudenz, ich meine die gemeine, gewöhnliche […], scheint mir, unter uns, ein des Menschen gar zu unwürdiges Studium zu seyn. Es ist eine Gelehrsamkeit, die kaum bis an die Stadt- oder Landesgrenzen dafür gelten kann. Ueber dieselbe hinaus ist sie Stroh. […] Zwar kann Jurisprudenz allerdings auch bis zum Wissenschaftlichen empor veredelt werden; aber alsdann – dürfte sie auch noch weniger als irgendein anderes Studium einbringen. Selbst ein Montesquieu würde weniger Zuhörer, als der alltäglichste Pandecten-Ritter ha12 ben.
12 Vgl. Strodtmann (Fn. 1), Bd. III, S. 137.
3. Johann Wolfgang von Goethe
Das Studium der Rechtswissenschaft ist das herrlichste Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832) ist außer als vermeintlich größter deutscher Dichter auch als Jurist ein offensichtlich unerschöpfliches Thema. Er stammte mütterlicherseits aus einer Frankfurter Patrizier-Familie, die seit Generationen Richter oder rechtsgelehrte Verwaltungsbeamte hervorgebracht hatte. Er studierte Jura und war als Anwalt, Regierungsbeamter und Staatsmann tätig. So gibt es nicht nur zu all diesen Aspekten1, sondern sogar zu einzelnen Abschnitten seines Studiums2 und zu den Thesen seiner mündlichen Prüfung3 Aufsätze und Monographien. Angesichts dessen soll hier nur Goethe selbst zu Wort
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Vgl. Meinhard Heinze, Der Advokat Goethe, in: NJW 1999, S. 1897–1904; Werner Hülle, Versuch einer Annäherung an Goethe als Juristen, in: DRiZ 1982, S. 88–95; Alfons Pausch / Jutta Pausch, Goethes Juristenlaufbahn. Rechtsstudent, Advokat, Staatsdiener. Eine Fachbiographie, Köln 1996; Peter Sina, Goethe als Jurist, in: NJW 1993, S. 1430–1435. Vgl. Detlef Merten, Goethe in Straßburg, in: Dietrich Murswiek u.a. (Hg,), Staat – Souveränität – Verfassung. Festschrift für Helmut Quaritsch, Berlin 2000, S. 493–509; Ernst Trautmann, Goethe als Straßburger Student, 2. Aufl., Leipzig 1923; Julius Vogel, Goethes Leipziger Studentenjahre, 4. Aufl., Leipzig 1923. Vgl. Elisabeth Genton (Hg.), Goethes Straßburger Promotion, Basel 1971; Gertrud Schubart-Fikentscher, Goethes 56 Straßburger Thesen, Weimar 1949; vgl. auch Klaus Kastner, Literatur und Wandel im Rechtsdenken, Stuttgart u.a. 1993, S. 40 ff. zur These „Soll ein Weib, das sein neugeborenes Kind tötet, am Leben bestraft werden?“
https://doi.org/10.1515/9783110617337-006
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kommen, vor allem mit seiner von 1811 bis 1814 erschienenen Autobiographie „Dichtung und Wahrheit“4 und seinen Briefen5. [1764/65] Er [mein Vater] suchte mein Gedächtniß, meine Gabe, etwas zu fassen und zu combiniren, auf juristische Gegenstände zu lenken, und gab mir daher ein kleines Buch, in Gestalt eines Catechismus, von Hopp [Examen institutionum imperialium, 1684, seither in vielen Auflagen], nach Form und Inhalt der Institutionen gearbeitet, in die Hände. Ich lernte Fragen und Antworten bald auswendig, und konnte sogut den Catecheten [Lehrender] als den Catechumenen [Lernender] vorstellen; und wie bey dem damaligen Religionsunterricht eine der Hauptübungen war, daß man auf das behendeste in der Bibel aufschlagen lernte, so wurde auch hier eine gleiche Bekanntschaft mit dem Corpus Juris für nöthig befunden, worin ich auch bald auf das vollkommenste bewandert war. Mein Vater wollte weiter gehen, und der kleine Struve [Jurisprudentia Romano-Germanica forensis“, 1670 ff.] ward vorgenommen; aber hier ging es nicht so rasch. Die Form des Buches war für den Anfänger nicht so günstig, daß er sich selbst hätte aushelfen können, und meines Vaters Art zu dociren nicht so liberal, daß sie mich angesprochen hätte (124).
[WS 1765/66 bis SS 1768 auf Wunsch des Vaters Studium der Rechte an der Universität Leipzig, obwohl Goethe lieber das „Studium der Alten“ gewählt hätte] Noch eins! sie können nicht glauben was es eine schöne sache um einen Professor ist. Ich binn ganz enzückt geweßen da ich einige von diesen leuten in ihrer Herrlichkeit sah (Brief vom 13. Oktober 1765 an die Schwester Cornelia). Meine Collegia besuchte ich Anfangs emsig und treulich; die Philosophie wollte mich jedoch keineswegs aufklären. In der Logik kam 4
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Goethe, Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Historisch-kritische Ausgabe bearbeitet von Siegfried Scheibe, Bd. 1, Berlin 1970; die Zahlen im Text geben Seiten aus dieser Ausgabe an. Zitiert nach Robert Steiger, Goethes Leben von Tag zu Tag. Eine dokumentarische Chronik, Bd. I, Zürich und München 1982.
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Johann Wolfgang von Goethe es mir wunderlich vor, daß ich diejenigen Geistesoperationen, die ich von Jugend auf mit der größten Bequemlichkeit verrichtete, so auseinander zerren, vereinzelnen und gleichsam zerstören sollte, um den rechten Gebrauch derselben einzusehen. Von dem Dinge, von der Welt, von Gott glaubte ich ohngefähr so viel zu wissen als der Lehrer selbst, und es schien mir an mehr als einer Stelle gewaltig zu hapern. Doch ging alles noch in ziemlicher Folge bis gegen Fastnacht, wo in der Nähe des Professor Winkler auf dem Thomasplan, gerade um die Stunde, die köstlichsten KräpfeI heiß aus der Pfanne kamen, welche uns denn dergestalt verspäteten, daß unsere Hefte locker wurden, und das Ende derselben gegen das Frühjahr mit dem Schnee zugleich verschmolz und sich verlor. Mit den juristischen Collegien ward es bald eben so schlimm: denn ich wußte gerade schon so viel, als uns der Lehrer zu überliefern für gut fand. Mein erst hartnäckiger Fleiß im Nachschreiben wurde nach und nach gelähmt, indem ich es höchst langweilig fand, dasjenige nochmals aufzuzeichnen, was ich bey meinem Vater, theils fragend, theils antwortend, oft genug wiederholt hatte, um es für immer im Gedächtniß zu behalten (207). Noch ein anderes Uebel, wodurch Studirende sehr bedrängt sind, erwähne ich hier beyläufig. Professoren, so gut wie andere in Aemtern angestellte Männer, können nicht alle von Einem Alter seyn; da aber die jüngeren eigentlich nur lehren, um zu lernen, und noch dazu, wenn sie gute Köpfe sind, dem Zeitalter voreilen, so erwerben sie ihre Bildung durchaus auf Unkosten der Zuhörer, weil diese nicht in dem unterrichtet werden, was sie eigentlich brauchen, sondern in dem, was der Lehrer für sich zu bearbeiten nöthig findet. Unter den ältesten Professoren dagegen sind manche schon lange Zeit stationär; sie überliefern im Ganzen nur fixe Ansichten und, was das Einzelne betrifft, Vieles, was die Zeit schon als unnütz und falsch verurtheilt hat. Durch beydes entsteht ein trauriger Conflict, zwischen welchem junge Geister hin und her gezerrt werden, und welcher kaum durch die Lehrer des mittleren Alters, die, obschon genugsam unterrichtet und gebildet, doch immer noch ein thätiges Streben zum Wissen und Nachdenken bey sich empfinden, ins Gleiche gebracht werden kann (208). Die Pandeckten haben mein Gedächtniß dieses halbe Jahr her geplagt. [...] Unser Docente hat’s auch sauber gemacht und ist biß ins 21 Buch gekommen [von insgesamt 50]. Das ist noch weit denn ein
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andrer war an Michael im 13ten. [...] So ist mir’s auch mit den Instituten [Institutiones], mit der Hist[o ria] Juris gegangen, die Narren schwätzen im ersten Buche einem zum Eckel die Ohren voll und die letzten, da wissen sie nichts [...] Zum Exempel in der Hist. Jur. Sind wir biß auf die Zeiten des zweeten Punischen Kriegs gekommen. Da kannst Du Dir eine Vorstellung von einem Studioso Juris machen, was der vollständiges Wissen kann. Ich lasse mich hängen ich weiß nichts (Brief vom 14. Oktober 1767 an die Schwester Cornelia).
[Nach anderthalbjährigem krankheitsbedingtem Aufenthalt bei den Eltern in Frankfurt SS 1770–SS 1771 Studium der Rechte in Straßburg] Ich fügte mich daher ohne Widerstreben, nachdem ich so manchen guten Vorsatz vereitelt, so manche redliche Hoffnung verschwinden sehn, in die Absicht meines Vaters, mich nach Straßburg zu schicken, wo man mir ein heiteres, lustiges Leben versprach, indessen ich meine Studien weiter fortsetzen und am Ende promoviren sollte (296). Mit diesem Manne [Doktor Salzmann, Aktuar beim Vormundschaftsgericht] beredete ich meinen Vorsatz, mich hier in Straßburg der Rechtswissenschaft ferner zu befleißigen, um baldmöglichst promoviren zu können. Da er von allem genau unterrichtet war, so befragte ich ihn über die Collegia, die ich zu hören hätte, und was er allenfalls von der Sache denke? Darauf erwiederte er mir, daß es sich in Straßburg nicht etwa wie auf deutschen Academieen verhalte, wo man wohl Juristen im weiten und gelehrten Sinne zu bilden suche. Hier sey alles, dem Verhältniß gegen Frankreich gemäß, eigentlich auf das Practische gerichtet und nach dem Sinne der Franzosen eingeleitet, welche gern bey dem Gegebnen verharren. Gewisse allgemeine Grundsätze, gewisse Vorkenntnisse suche man einem Jeden beyzubringen, man fasse sich so kurz wie möglich und überliefere nur das Nothwendigste. Er machte mich darauf mit einem Manne bekannt, zu dem man, als Repetenten, ein großes Vertrauen hegte [wahrscheinlich der lothringische Jurist Engelbach, der, bereits im Dienst des Fürsten von Nassau-Saarbrücken stehend, zum Zweck der Promotion an die Universität zurückgekehrt war]; welches dieser sich auch bey mir sehr bald zu erwerben wußte. Ich fing an mit ihm zur Einleitung über Gegenstände der Rechtswissenschaft zu sprechen, und er wunderte sich nicht wenig über mein Schwadroniren:
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Johann Wolfgang von Goethe denn mehr als ich in meiner bisherigen Darstellung aufzuführen Gelegenheit nahm, hatte ich bey meinem Aufenthalte in Leipzig an Einsicht in die Rechtserfordernisse gewonnen, obgleich mein ganzer Erwerb nur als ein allgemeiner encyklopädischer Ueberblick, und nicht als eigentliche bestimmte Kenntniß gelten konnte. Das academische Leben, wenn wir uns auch bey demselben des eigentlichen Fleißes nicht zu rühmen haben, gewährt doch in jeder Art von Ausbildung unendliche Vortheile, weil wir stets von Menschen umgeben sind, welche die Wissenschaft besitzen oder suchen, so daß wir aus einer solchen Atmosphäre, wenn auch unbewußt, immer einige Nahrung ziehen. Mein Repetent, nachdem er mit meinem Umhervagiren im Discurse einige Zeit Geduld gehabt, machte mir zuletzt begreiflich, daß ich vor allen Dingen meine nächste Absicht im Auge behalten müsse, die nämlich, mich examiniren zu lassen, zu promoviren und alsdann allenfalls in die Praxis überzugehen. Um bey dem ersten stehen zu bleiben, sagte er, so wird die Sache keineswegs im Weiten gesucht. Es wird nicht nachgefragt, wie und wo ein Gesetz entsprungen, was die innere oder äußere Veranlassung dazu gegeben; man untersucht nicht, wie es sich durch Zeit und Gewohnheit abgeändert, so wenig als in wiefern es sich durch falsche Auslegung oder verkehrten Gerichtsbrauch vielleicht gar umgewendet. In solchen Forschungen bringen gelehrte Männer ganz eigens ihr Leben zu; wir aber fragen nach dem was gegenwärtig besteht, dieß prägen wir unserm Gedächtniß fest ein, daß es uns stets gegenwärtig sey, wenn wir uns dessen zu Nutz und Schutz unsrer Clienten bedienen wollen. So statten wir unsre jungen Leute fürs nächste Leben aus, und das Weitere findet sich nach Verhältniß ihrer Talente und ihrer Thätigkeit. Er übergab mir hierauf seine Hefte, welche in Fragen und Antworten geschrieben waren und woraus ich mich sogleich ziemlich konnte examiniren lassen, weil Hopps kleiner juristischer Katechismus mir noch vollkommen im Gedächtniß stand; das Uebrige supplirte [ergänzte] ich mit einigem Fleiße und qualificirte mich, wider meinen Willen, auf die leichteste Art zum Candidaten (299 f.). Was ich studiere? Zuförderst die Distinktionen und Subtilitäten, wodurch man Recht und Unrecht einander ziemlich ähnlich gemacht hat. Das heisst ich studiere auf einen Docktor beider Rechte (Brief vom 11. Mai 1770 an den Leipziger Freund Langer).
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Wäre meine Absicht gewesen, mich in der Rechtswissenschaft vollkommener zu machen; so hätte ich keinen unschicklichern Ort als Straßburg erwählen können. Die Professoren sämmtlich, besonders aber die Juristen, waren mit so vortrefflichen Pfründen begabt, daß sie nicht nöthig hatten, sich um der wenigen Studenten willen, viele Mühe zu geben. Die älteren folgten einem gewissen Schlendrian; die jüngern waren wohl geistreich, wurden aber nicht gleich begriffen, und was das schlimmste war, bey mir kamen so viel Umstände zusammen, die mir jene Hörsäle bald verleideten. So wie es mir in Leipzig gegangen war, ging es mir hier noch schlimmer. Ich hörte nichts als was ich schon wußte (Paralipomenon zu Dichtung 6 und Wahrheit ).
[25. und 27. September 1770 Bestehen der mündlichen Prüfungen mit „insigni cum laude“ und „mascule“, wonach Goethe keine Vorlesungen mehr besuchen musste und sich ein Dissertationsthema frei wählen durfte; Arbeit daran bis Frühjahr 1771] Da ich eigentlich nach Straßburg gegangen war, um zu promoviren, so gehörte es freylich unter die Unregelmäßigkeiten meines Lebens, daß ich ein solches Hauptgeschäft als eine Nebensache betrachtete. Die Sorge wegen des Examens hatte ich mir auf eine leichte Weise bey Seite geschafft; es war nun aber auch an die Disputation [gemeint ist: Dissertation] zu denken: denn von Frankfurt abreisend hatte ich meinem Vater versprochen und mir selbst fest vorgesetzt, eine solche zu schreiben. Es ist der Fehler derjenigen die manches, ja viel vermögen, daß sie sich alles zutrauen, und die Jugend muß sogar in diesem Falle seyn, damit nur etwas aus ihr werde. Eine Uebersicht der Rechtswissenschaft und ihres ganzen Fachwerks hatte ich mir so ziemlich verschafft, einzelne rechtliche Gegenstände interessirten mich hinlänglich und ich glaubte, da ich mir den braven Leyser [Verfasser der „Meditationes ad Pandectas“, 1717–1748] zum Vorbild genommen hatte, mit meinem kleinen Menschenverstand ziemlich durchzukommen. Es zeigten sich große Bewegungen in der Jurisprudenz; es sollte mehr nach Billigkeit geurtheilt werden; alle Gewohnheitsrechte sah man täglich gefährdet und besonders dem Criminalwesen stand eine große Veränderung bevor. Was mich selbst betraf, so fühlte ich wohl, daß mir zur Ausfüllung jener 6
In: Steiger (Fn. 5), S. 385.
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Johann Wolfgang von Goethe Rechts-Topik, die ich mir gemacht hatte, unendlich vieles fehle; das eigentliche Wissen ging mir ab, und keine innere Richtung drängte mich zu diesen Gegenständen. Auch mangelte der Anstoß von außen, ja mich hatte eine ganz andere Facultät mit fortgerissen [die medizinische]. Ueberhaupt, wenn ich Interesse finden sollte, so mußte ich einer Sache irgend etwas abgewinnen, ich mußte etwas an ihr gewahr werden, das mir fruchtbar schien und Aussichten gab. So hatte ich mir einige Materien wohl gemerkt, auch sogar darauf gesammelt, und nahm auch meine Collectaneen [Auszüge] vor, überlegte das was ich behaupten, das Schema, wonach ich die einzelnen Elemente ordnen wollte, nochmals, und arbeitete so eine Zeit lang; allein ich war klug genug, bald zu sehen, daß ich nicht fortkommen könne und daß, um eine besondere Materie abzuhandeln, auch ein besonderer und lang anhaltender Fleiß erforderlich sey, ja, daß man nicht einmal ein solches Besondere mit Glück vollführen werde, wenn man nicht im Ganzen wo nicht Meister, doch wenigstens Altgeselle sey. Die Freunde, denen ich meine Verlegenheit mittheilte, fanden mich lächerlich, weil man über Theses eben so gut, ja noch besser als über einen Tractat disputiren könne; in Straßburg sey das gar nicht ungewöhnlich. Ich ließ mich zu einem solchen Ausweg sehr geneigt finden, allein mein Vater, dem ich deshalb schrieb, verlangte ein ordentliches Werk, das ich, wie er meynte, sehr wohl ausfertigen könnte, wenn ich nur wollte und mir die gehörige Zeit dazu nähme. Ich war nun genöthigt, mich auf irgend ein Allgemeines zu werfen, und etwas zu wählen, was mir geläufig wäre (390 f.).
Die daraufhin von Goethe verfasste Dissertation „De legislatoribus“ [Über die Gesetzgeber] ist nicht erhalten. Sie soll die aufklärerische These verfochten haben, dass der Staat den religiösen Kultus festsetzen müsse, und zwar im Sinn einer über allen Konfessionen stehenden Religionsausübung; im Übrigen herrsche Glaubensfreiheit. Nicht Christus, sondern einige andere weise Männer hätten in seinem Namen die christliche Religion begründet. Diese sei nichts anderes als eine vernünftige politische Einrichtung. Man kann die Empörung des Straßburger Theologen Elias Stöber verstehen, der in einem Brief schrieb:
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Der Herr Goethe hat eine Rolle hier gespielt, die ihn als einen überwitzigen Halbgelehrten und als einen wahnsinnigen Religions-Verächter hier eben nicht nur verdächtig, sondern ziemlich bekannt gemacht hat. Er muß, wie man durchgängig von ihm glaubt, in 7 seinem Obergebäude einen Sparren zuviel oder zuwenig haben.
Goethe selbst bemerkte dazu sowohl realistisch als auch möglicherweise beschönigend: ,,Ich ging bey dieser Arbeit um so kühner zu Werke, als ich sie eigentlich nur meinen Vater zu befriedigen schrieb, und nichts sehnlicher wünschte und hoffte, als daß sie die Censur nicht passiren möchte“ (392). Sobald ich damit zu Rande war, ging ich sie mit einem guten Lateiner durch, der, ob er gleich meinen Styl im Ganzen nicht verbessern konnte, doch alle auffallenden Mängel mit leichter Hand vertilgte, so daß etwas zu Stande kam, das sich aufzeigen ließ. Eine reinliche Abschrift wurde meinem Vater sogleich zugeschickt, welcher zwar nicht billigte, daß keiner von den früher vorgenommenen Gegenständen ausgeführt worden sey; jedoch mit der Kühnheit des Unternehmens als ein völlig protestantisch Gesinnter wohl zufrieden war. Mein Seltsames wurde geduldet, meine Anstrengung gelobt, und er versprach sich von der Bekanntmachung dieses Werkchens eine vorzügliche Wirkung. Ich überreichte nun meine Hefte der Facultät, und diese betrug sich glücklicher Weise so klug als artig. Der Decan, ein lebhafter, gescheidter Mann, fing mit vielen Lobeserhebungen meiner Arbeit an, ging dann zum Bedenklichen derselben über, welches er nach und nach in ein Gefährliches zu verwandeln wußte und damit schloß, daß es nicht räthlich seyn möchte, diese Arbeit als academische Dissertation bekannt zu machen. Der Aspirant habe sich der Facultät als einen denkenden jungen Mann gezeigt, von dem sie das Beste hoffen dürfe; sie wolle mich gern, um die Sache nicht aufzuhalten, über Theses disputiren lassen. Ich könne ja in der Folge meine Abhandlung, wie sie vorliege oder weiter ausgearbeitet, lateinisch oder in einer andern Sprache herausgeben; dieß würde mir, als einem Pri7
In: Wolfgang Herwig (Hg.), Goethes Gespräche. Eine Sammlung zeitgenössischer Berichte aus seinem Umgang, Bd. 1, Zürich und Stuttgart 1965, S. 51.
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Johann Wolfgang von Goethe vatmann und Protestanten, überall leicht werden, und ich hätte mich des Beyfalls um desto reiner und allgemeiner alsdann zu erfreuen. Kaum verbarg ich dem guten Manne, welchen Stein mir sein Zureden vom Herzen wälzte; bey jedem neuen Argument das er vorbrachte, um mich durch seine Weigerung nicht zu betrüben oder zu erzürnen, ward es mir immer leichter im Gemüth, und ihm zuletzt auch, als ich ganz unerwartet seinen Gründen nichts entgegensetzte, sie vielmehr höchst einleuchtend fand und versprach, mich in allem nach seinem Rath und nach seiner Anleitung zu benehmen. Ich setzte mich nun wieder mit meinem Repetenten zusammen. Theses wurden ausgewählt und gedruckt, und die Disputation ging, unter Opposition meiner Tischgenossen, mit großer Lustigkeit ja Leichtfertigkeit vorüber; da mir denn meine alte Uebung, im Corpus juris aufzuschlagen, gar sehr zu Statten kam, und ich für einen wohlunterrichteten Menschen gelten konnte. Ein guter herkömmlicher Schmaus beschloß die Feyerlichkeit (392 f.).
Die Disputation über die 56 Thesen fand am 6. August 1771 statt. Goethe hatte damit den Lizentiaten-, nicht den Doktortitel erworben. Er hätte allerdings durch eine sehr kostspielige Zeremonie, die allerdings im 18. Jahrhundert selten vorgekommen sein soll8, den Doktortitel erwerben können. Dazu bemerkte er: auch das Cärimoniel weggerechnet, ist mirs vergangen Doktor zu seyn. Ich hab so satt am Lizentieren, so satt an aller Praxis, daß ich höchstens nur des Scheins wegen meine Schuldigkeit thue, und in Teutschland haben beide Gradus gleichen Werth (Brief von Mitte / Ende Dezember 1771 an Salzmann).
Wie lautete noch die These 41 der Disputation? ,,Das Studium der Rechtswissenschaft ist das herrlichste“. Wie anders heißt es dann aber in den Versen des „Faust“, die Goethe kurz nach dem Ende seines Studiums schrieb: SCHÜLER. Zur Rechtsgelehrsamkeit kann ich mich nicht bequemen. MEPHISTOPHELES. Ich kann es Euch so sehr nicht übel nehmen, Ich weiß, wie es um diese Lehre steht. 8
Vgl. Froitzheim, Goethe und Heinrich Leopold Wagner, in: Beiträge zur Landes- und Volkskunde von Elsaß-Lothringen, Straßburg 1889, S. 63 f.
Johann Wolfgang von Goethe Es erben sich Gesetz’ und Rechte Wie eine ew’ge Krankheit fort, Sie schleppen von Geschlecht sich zum Geschlechte Und rücken sacht von Ort zu Ort. Vernunft wird Unsinn, Wohltat Plage; Weh dir, daß du ein Enkel bist! Vom Rechte, das mit uns geboren ist, 9 Von dem ist leider! Nie die Frage.
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Goethe, Faust. Der Tragödie erster Teil, Vers 1969–1979.
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4. Anton Mathias Sprickmann
Meine Collegia wurden bald abgedankt Anton Mathias Sprickmann (1749–1833), einst bewunderter, dann geschmähter („interessante Erscheinung in der Pathologie der Geniezeit“1) und jüngst wiederentdeckter2 Dichter des Sturm und Drang, hörte schon auf dem Gymnasium Paulinum in Münster juristische Vorlesungen, studierte dann von Oktober 1766 bis Sommer 1768 Jura in Göttingen, ohne einen Abschluss zu machen, und erwarb während eines kurzen Aufenthalts in Harderwijk in den Niederlanden den Doktorgrad. Für einen derartigen kurzen Prozess war die Stadt, in der von 1648 bis 1811 eine Universität bestand, berüchtigt: „Harderwijk ist eine Stadt der Waren, man kauft dort Bücklinge, Blaubeeren und Doctordiplome“3. Sprickmann berichtete über sein Studium in seinem autobiographischen Fragment „Meine Geschichte“4, die als „eines der originellsten
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Erich Schmidt, Sprickmann, Anton Matthias, in: Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 35, München / Leipzig 1893, S. 305–313 (305); vgl. aber auch Johannes Venhofen, Anton Matthias Sprickmann als Mensch und Dichter 1749–1781. Ein Beitrag zur westfälischen Literaturgeschichte des 18. Jahrhunderts, Münster 1910. Vgl. Erpho Bell (Hg.), Anton Matthias Sprickmann (1749–1833). „Dank Gott und Fürstenberg, dass sie mich auf den Weg brachten“, Ausstellung zum 250. Geburtstag, Münster 1999; Thomas Vormbaum (Hg.), Anton Matthias Sprickmann. Dichter und Jurist, Berlin 2006. Wolf Lammers, A. M. Sprickmann – ein Juristenleben, 2. Aufl., Münster 2007, S.11. In: Jörg Löffler (Hg.), Anton Matthias Sprickmann. Erzählungen und autobiographische Prosa, Bielefeld 2005, S. 60–120 (80, 82, 84 f., 107 f.).
https://doi.org/10.1515/9783110617337-007
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Selbstzeugnisse aus der Zeit des Sturm und Drang“ bezeichnet worden ist5, Folgendes: Um Ostern 1765 fieng ich an, die juristischen Vorlesungen über das Naturrecht, und über die Instituzionen zu besuchen; ich fand aber keinen Geschmack daran, und blieb bald aus; im Herbste fieng ich mit mehrerm Ernste an, der aber auch eben so bald wieder erkaltete, und im Sommer 1766, als ich von ungefehr einmal gefragt wurde, in welchem Buche der Instituzionen wir wären, antwortete ich aus wahrer Unwissenheit: im 20sten. Was ich diese anderthalb Jahre hindurch mit dem größten Eifer trieb, war Musik; sonst lebte ich sehr müßig, arbeitete mit der Phantasie, wiegte mich in Hofnungen ein, und erträumte mir Welten, in denen ich lebte […]. Ich wünschte Arzneywissenschaft zu studieren, konnte es aber bey meiner Mutter nicht dazu bringen, daß sie einwilligte: ich war endlich des Herumschlenderns müde, und drang auf diese Weise zur Universität. Göttingen sollte der Ort seyn, und der Herbst 1766 die Zeit […]. [Göttingen] Meine Collegia waren Naturrecht, Instituzionen und Geschichte des römischen Rechts: alles bey Beckmann. Das Naturrecht gefiel mir anfangs; alles, was Philosophie hieß, hatte den Reiz der Neuheit für mich; in seinen Instituzionen gefiel mir das Systematische, das Tabellarische seines Vortrags; in Ansehung der Methode gewann ich hier viel, aber bald fieng sein Naturrecht an, mir Langeweile zu machen; seine ewigen Kriege mit Wolf [Christian Wolff] schienen mir Wortkriege, und eckelten mich bald an; ich fieng an, auszubleiben, und gegen Neujahr besuchte ich fast keine einzige Stunde mehr […]. Das erste Halbjahr hatt ich an schlechten Dichtern verschwendet, das zweyte schenkt’ ich den bessern; Nun erhielten auch Kleist, Uz etc. bey mir Gerechtigkeit; Meine Collegia wurden auch diesen Sommer hindurch bald abgedankt; ich schwärmte mit Klopstock und Geßner in der Gegend umher, und genoß in der Fülle der Nahrung, die Natur 5
Walter Gödden, Der Schwärmer. Die verlorene Lebensgeschichte des westfälischen Sturm-und-Drang-Dichters Anton Mathias Sprickmann, Paderborn 1994, S. 32.
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Anton Mathias Sprickmann und Kunst mir gaben, eine Seligkeit, aus der mich kein Gedanke an Zukunft aufstören konnte. […] in der Gewißheit, etwas aufgeben zu müßen, fiel mirs denn auf, was der Erfolg seyn würde, wenn ich keine Jurisprudenz mit nach Hause brächte, und nun gab ich, so weh mirs that, aus einem Gefühle von schmerzlicher Pflicht meine Lieblingsstunden auf, und fuhr nun in der Jurisprudenz mit Ernst fort. Neigung zu dieser Wissenschaft hatt ich eigentlich nicht, lernte sie auch in der That in Göttingen nicht auf eine Art kennen, die diese Neigung in mir hätte hervorbringen können; wenn etwa die ersten sechs Wochen vorbey waren, und ich zurücksah und überschlug, was ich nun gelernt hätte, so kam mirs vor, als hätt ich das wohl von mir selbst aus Büchern eben so gut lernen können; und dafür hatt’ ich dann jene philosophischen Collegia aufgeopfert! Der Gedanke machte mir die Pandekten dann noch verhaßter; ich gab sie auf, und schaffte mir aus Aukzionen und bey Antiquarien die besten juristischen Werke an, und hoffte mit diesen zu Hause wohl selbst fertig werden zu können; […]. Nur das einzige dritte Halbjahr hindurch studierte ich eigentlich Jurisprudenz mit mehrerm Eifer; das vierte fieng ich gut an, verlor es aber völlig, […]. [Zurück in Münster] Ich schaffte mir die nöthigsten juristischen Werke an; nach und nach fieng ich auch in der that an, etwas zu arbeiten; aber auch erst recht zu fühlen, was ich versäumt hatte. Aber mit meinem guten Mute gelang mirs bald besser, als ich es anfangs fast nur gehofft hatte. Indeß eckelte mich vor Advocatur: und wenn meine Mutter das Lied davon anstimmte, suchte ich sie mit der Vorstellung aufzuhalten, daß ich zuvor in aller Ruhe meine inaugural dissertation ausarbeiten müße: daß mir diese, wenn sie gelinge, den Weg zu einer Beförderung bahnen könne, u.s.w; ich schrieb nun wirklich eine inaugural dissertation: De successione conjugis superstitis in bona praedefuncti sec. ord. politicam monasteriensem: [Über die Erbfolge der überlebenden Ehefrau in das Vermögen des Verstorbenen nach der Münsterischen Gesetzeslage] ich muß gestehen, daß ich sie noch jezt mit Vergnügen ansehe, wenn ich bedenke, daß ich damals ohne alle Logik und Philosophie, fast ohne alle Kultur des Verstandes doch mit dieser Ordnung schreiben konnte, die wirklich darin herrscht. Im Herbste 1769 reiste ich nach Holland, über Arnheim nach Harderovik, um da mich promovieren zu laßen. ich hatte meine eigene kindische Freude daran, bey dem Professor, der mich promovierte,
Anton Mathias Sprickmann
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den Charlatan zu machen, und mit Gelehrsamkeit zu prahlen, die doch im Grunde erbärmliches Flickwerk war. Am 24sten 7ber [September] kam ich des Abends in Harderovik an, und am 25sten reiste ich, legitime promotus, zu Schiffe nach Amsterdam ab. Man muß das Possenspiel, das man dort mit dieser Zeremonie spielt, und den kaufmännischen Geist, mit dem man die doctoral würde behandelt, kennen, um das zu begreifen. Ich lebte die beyden Tage in Harderovik höchst wild; […].
Trotz seines „Ekels“ wurde Sprickmann 1770 Advokat in Münster und arbeitete zugleich als „advocatus patriae“ ohne Gehalt für den leitenden Minister und Generalvikar des Fürstbistums Münster, Franz von Fürstenberg. Dabei bewährte er sich so, dass Fürstenberg ihm 1773 – da war Sprickmann gerade einmal 24 Jahre alt – eine „Lehrstelle des Staatsrechts und der Rechtsgeschichte antrug. Seine Universität war noch ein Embryo, aber es folgten doch damals die Entbindungswehen näher und dringender“6. 1775/76 schickte er Sprickmann noch einmal auf die Universität Göttingen, „um sich zum Professorat des Juris Publici bey der Universität Münster vorzubereiten und fähig zu machen“7, er beteiligte ihn an der Ausarbeitung seines großen Reformwerks für die Schulen und ließ ihn 1777 – mit Erfolg – einen Prozess für das Fürstbistum am Reichskammergericht in Wetzlar führen. Im Wintersemester 1778/79 begann Sprickmann an der Universität Münster zu lesen: Reichsgeschichte, Staatsrecht und Lehensrecht. Später war er noch Professor in Breslau und Berlin.
6 7
Lammers (Fn. 3), S. 14. Vgl. Lammers (Fn. 3), S. 15.
5. Adolph Freiherr von Knigge
Dieser Wust von alten römischen, auf unsere Zeit wenig passenden Gesetzen Adolph Freiherr von Knigge (1752–1796), dessen eigentlich soziologisches Hauptwerk „Über den Umgang mit Menschen“ von 1788 zu einer Anleitung für gutes Benehmen umfunktioniert wurde, war ein bedeutender Aufklärer: ein Adeliger, der die Impulse der Französischen Revolution aufgriff und die Gedanken der europäischen Aufklärung verbreitete; einer der ersten deutschen Publizisten und Journalisten, der zu den aktuellen Fragen seiner Zeit Stellung nahm, auch wenn ihn das die Kritik und Verachtung seiner Standesgenossen und die Verfolgung durch 1 staatliche Behörden einbrachte.
Heinrich Heine pries ihn als „tiefen Kenner der Menschen und Bestien“. Knigge, dessen Vater promovierter Jurist und Hofbeamter in Hannover war, studierte von 1769 bis 1772 Jura und Kameralistik in Göttingen, u.a. bei Johann Stephan Pütter, der ihn in seiner „Selbstbiographie“ von 1798 erwähnt hat2. Mit welchen Vorstellungen er sein Studium begonnen hat, lässt sich aus dem „Roman meines Lebens“, erschienen in vier Teilen von 1781 bis 1783, entnehmen, der in der Vorrede „wahre Begebenheiten, welche ich selbst theils selbst erlebt, theils in der Nähe oder von
1 2
Ingo Hermann, Knigge. Die Biografie, Berlin 2007, S. 11. Vgl. Wolfgang Fenner, Knigges Leben anhand seiner Briefe und Schriften, in: Adolph Freiherr Knigge, Ausgewählte Werke in zehn Bänden, hg. von Wolfgang Fenner, Hannover 1991–1996, Bd. 10, S. 163 (167); im Folgenden zitiert als AW.
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Adolph Freiherr von Knigge
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Weitem betrachtet habe“, wiederzugeben verspricht 3 und allgemein für stark autobiographisch angesehen wird. In einem Brief an den Hofmeister Meyer, der die Hauptfigur des Briefromans, den jungen Herrn Carl von Hohenau, bei seinem Jura-Studium in Göttingen begleitet, schreibt der väterliche Freund, der Freiherr von Leidthal: Sie wissen meinen ganzen Erziehungsplan für den jungen Hohenau. Gelehrt wird man nie auf Universitäten; Er soll dort nur Metode lernen, selbst arbeiten und einsammlen zu können; Er soll aus den Beyspielen der Menge junger Leute von verschiedenen Nationen, Erziehungen, Anlagen, Richtungen, Temperamenten u.s.f. lernen Aufmerksamkeit auf sich selbst haben; Er soll lernen mit Freyheit, Geld und Zeit wirthschaften; Er soll lernen sich unter Leuten Achtung verdienen, die mit ihm in keiner andren Verbindung stehen, und daher keine Ursache haben, ihm zu schmeicheln (SW I 88 f.).
Meyer seinerseits liefert kritische Berichte: Wir laufen fleissig, mit unsern Büchern unter dem Arm aus einem Collegium ins andre, hören viel Gutes, aber auch viel sagen, das uns nie zu nichts nützen wird, da es nur erzählt wird, weil der Lehrer sich gewöhnt hat, es alle halbe Jahre vorzubringen, oder um seine Gelehrsamkeit zu zeigen, und hören viel nicht anführen, welches nöthiger für uns seyn würde (SW I 144). Wenn daher nur jeder wüßte, zu welcher Laufbahn ihn das Schicksal bestimmt hat; so glaube ich, man könnte auf Universitäten eine Menge unnützer Dinge zur Seite liegen lassen, die viel Zeit und Geld zu erlernen kosten, und uns oft in der Folge zu gar nichts nützen. Wie mancher studiert drey Jahre lang die römischen Rechte, und ist nachher, mit einem weitschweifigen, juristischen Styl, und einer völligen Unwissenheit von dem Zustande des Landes und der Landwirthschaft, der elendeste Rath bey dem Cammercollegio, und der Gottesgelehrte, der voll orientalischer Sprachkenntniß steckt, predigt, wenn er Landpriester wird, den Bauern unverständliches Zeug vor. Überhaupt halten die sogenannten Brodstudien manchen 3
Adolph Freiherr Knigge, Sämtliche Werke, hg. von Paul Raabe, 24 Bände, Nendeln / Liechtenstein, 1978–1993, Bd. 1, S. 11; im Folgenden zitiert als SW.
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Adolph Freiherr von Knigge ab, solche Wissenschaften zu treiben, deren Einsicht dem Menschen in jeder Situation Nutzen und Freude schaffen, den Kopf aufklären, und zu allen übrigen Geschäften tüchtig machen. Dahin rechne ich hauptsächlich Mathematik, Naturkenntniß und Sprachen (SW II 102 f.).
Der kritische Blick auf die „Brodstudien“ nimmt vorweg, was Knigge später in seinem Hauptwerk über die Ausbildung der Juristen schrieb: Da widmen sich dann die schiefsten Köpfe dem Studium der Rechtsgelehrsamkeit, womit sie keine andre feine Kenntnisse verbinden, dennoch aber so stolz auf diesen Wust von alten römischen, auf unsre Zeiten wenig passenden Gesetzen sind, daß sie von dem Manne, der die edlen Pandecten nicht am Schnürchen hat, glauben, er könnte gar nichts gelernt haben. Ihre ganze Gedanken-Reyhe knüpft sich nur an ihr Buch aller Bücher, an das Corpus Juris an, und ein steifer Civilist ist wahrlich im gesellschaftlichen Leben das langweiligste Geschöpf, das man sich denken mag. In allen übrigen menschlichen Dingen, in allen andern den Geist aufklärenden, das Herz bildenden Kenntnissen unerfahren, treten sie dann in öffentliche Ämter. Ihr barbarischer Styl, ihre bogenlangen Perioden, ihre Gabe, die einfachste, deutlichste Sache weitschweifig und unverständlich zu machen, erfüllt Jeden, der Geschmack und Gefühl für Klarheit hat, mit Ekel und Ungeduld (AW VI 354).
Andere Ziele des „Erziehungsplans“ von Leidthal wurden durchaus erreicht, schaut man auf die ebenfalls autobiographisch inspirierten Ausführungen in dem Roman „Das Zauberschloß oder Geschichte des Grafen Tunger“ von 1791: (W)ir zogen in Ein Haus zusammen. Wir waren nicht Alle gleich reich; aber es herrschte eine Art von Gemeinschaft der Güter unter uns […]. Wir waren wohl mit andern Dingen beschäftigt, als viel an den Werth des elenden Geldes zu denken, nährten unsre Phantasie mit herrlichen Bildern der Zukunft und lasen miteinander Werke, die theils unsern Feuer-Eifer entflammten und kühne, von allem conventionellen Zwange und allen Vorurtheilen freye Wahrheiten lehrten, theils feine anatomische Zeichnungen des menschlichen Herzens darstellten. […] Wir verachteten den faden, glattzüngigen,
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geschwätzigen Persifleur [Spötter] Voltaire und nährten uns mit der männlichen Weisheit des markigen J. J. Rousseau (AW III 55).
Knigge machte keinen regelrechten Abschluss seines Studiums an der Universität. Einen Hinweis auf mögliche Gründe hierfür gibt Carls Brief an Leidthal: Aber, bester Pflegevater! flehendlichst bitte ich Sie, lassen sie mich eine andre Lebensart ergreifen! Lassen Sie nicht mehr meinen Kopf in der unbedeutenden, trocknen Jurisprudenz grübeln, die den Menschen weder gerechter, weiser, noch besser macht – Was sind alle Wissenschaften, die nur die kläglichen Verderbnisse des Menschen, Neid, Hader, Eitelkeit, Hochmuth, Geiz und Bosheit erfunden haben? Lieber will ich Brod und klares Wasser geniessen, als durch diese Wege mein Glück machen – Auch glückt es mir nicht. Gott weiß, woher es kömmt, aber mit aller Anstrengung lerne ich doch in dem Fache nichts – Und was ist denn auch der elende Ballast von Gelehrsamkeit dieser Welt werth? Lindert er wohl auch nur im mindesten die Schmerzen eines verwundeten Herzens? Klärt er uns im mindesten über unsre künftige Bestimmung auf? (SW I 490 f.)
Knigge selbst hat seine Hofkarriere nach wenigen Jahren aufgegeben und sich ganz der Schriftstellerei gewidmet.
6. August von Kotzebue
Advokat aus Connexion und Gunst August von Kotzebue (1761–1819) dürfte vielen heutzutage weniger wegen seiner Rolle in der Literatur- als in der Verfassungsgeschichte bekannt sein. Er war es, den der radikale Burschenschafter Karl Sand im März 1819 in Mannheim ermordete und damit Metternich willkommenen Anlass bot, mit den Karlsbader Beschlüssen gegen die demokratischen und nationalen Bestrebungen vorzugehen 1 . Mit seinen über 200 Stücken war Kotzebue der bei weitem erfolgreichste Theaterschriftsteller seiner Zeit; heute wird er aber kaum noch aufgeführt. Als sein bestes Schauspiel gilt „Die deutschen Kleinstädter“, dessen Schauplatz Krähwinkel zum Begriff geworden ist. Kotzebue studierte, dem Beispiel seines Vaters, eines herzoglich-weimarischen Legationsrats, folgend, von 1777 bis 1780 in Jena, Duisburg und wieder Jena Jura, beschäftigte sich aber überwiegend mit Theaterspielen und ersten literarischen Versuchen. So schrieb er über seinen Studienaufenthalt in Duisburg nur, wie es ihm gelang, ein Liebhabertheater zu errichten2. Und aus Jena wird über ihn berichtet, dass er „der Inbegriff aller Händel1
2
Vgl. Werner Frotscher / Bodo Pieroth, Verfassungsgeschichte, 16. Aufl., München 2017, Rn. 265 ff.; Hermann Lübbe, Terror oder die höhere Mordmoral. Wieso der Dichter Kotzebue sterben musste, in: Universitas 12/2004, S. 1252–1261. August von Kotzebue, Mein literärischer Lebenslauf, Leipzig 1797, S. 186 ff.; in: Otto C. A. zur Nedden, August von Kotzebue, ein berühmter Duisburger Student, in: Duisburger Forschungen, Bd. 1, Duisburg 1957, S. 103–112 (105 f.).
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macherey, oder das was man einen Stänker nennt“ gewesen sei: „Schmähreden und Schmähschriften machten sein Lieblingsgeschäft aus“3. Der Studienabschluss wird von einem zeitgenössischen Biographen wie folgt geschildert: Um aber öffentlich zu zeigen, daß er seine Zeit nicht blos mit der Dichtkunst und den schönen Wissenschaften überhaupt vertändelt habe, beschloß Kotzebue in seinem neunzehnten Jahre die academische Laufbahn mit der Rolle eines Opponenten bei einer DoctorPromotion. Nach Weimar zurückgekehrt, beschäftigte er sich mit dem Studium der Pandekten, wurde von der Regierung examiniert und zum Advokaten creiert, freilich mehr aus Connexion und Gunst, als de jure. Des barbarischen Deutschlateins nicht zu gedenken, das er beim Examen sprach, besaß Kotzebue vom Geist und der Qualität eines Advokaten nichts, als die Streitlust. Jenes besonnene Urtheil, dessen der Rechtskundige bedarf, um auch in den ähnlichsten Fällen die kleinste Verschiedenheit wahrzunehmen, die auf die Entscheidung Einfluß haben kann, war Kotzebue’s Stärke nicht. Bei ihm herrschte der muthwillige Witz vor, der in den verschiedensten Gegenständen eine Ähnlichkeit herausfindet. Es ist sehr zu bezweifeln, daß Kotzebue während seiner kurzen Advokatenlaufbahn einen förmlichen Prozeß geführt hat. Er, der Empfindliche, Kampflustige, würde mit dem eigenen Clienten einen bekommen haben und mit dem Richter obendrein. Statt dessen fuhr er fort, ein eifriger Client 4 der Musen zu sein.
In dem 1799 uraufgeführten und 1801 gedruckten Schauspiel ,,Das Epigramm“ hat sich Kotzebue in dem Helden, August Warning, ,,zweifellos selbst darstellen wollen“ 5 . Dieser schmeichelt der Mutter der von ihm angebeteten Karoline: ,,Ich ward Jurist, um Ihrem Gemahl im Alter beyzustehn –“, worauf dieser – ,,KanzleyDirektor und Geheimer Referendar des Fürsten“ – bemerkt: ,,Auch 3
Anonym, Auszug aus einem Briefe, in: Obersächsische Provinzialblätter 1804, S. 172–188 (181).
4 5
Heinrich Döring, August von Kotzebue’s Leben, Weimar 1830, S. 50 f. Frithjof Stock, Kotzebue im literarischen Leben der Goethezeit, Düsseldorf 1971, S. 20.
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August von Kotzebue
Jurist? ey, ey, wir wollen ein kleines Tentamen versuchen.“ Das verhindert allerdings seine resolute Ehefrau, die auch seine weiteren juristischen Einwürfe mit dem Satz abtut: ,,Sie reden wie ein Perückenstock“. Obwohl Warning selber nichts Juristisches äußert, bescheinigt ihm der Kanzley-Director am Schluss: ,,Ein wackerer Jurist“. Als Jurist arbeitete Kotzebue nur selten: als Rechtsanwalt kurze Zeit nach dem Examen6 und zu Beginn seines Dienstes als zaristischer Beamter in der Stellung eines Assessors am Obersten Gerichtshof in Reval7. Die meiste Zeit seines Lebens zwischen Deutschland und Russland arbeitete Kotzebue als Schriftsteller, Journalist und Verleger. Dabei wandte er sich scharf gegen die nationalen und liberalen Bewegungen. Als er ermordet wurde, war er russischer Generalkonsul in Deutschland, galt den Deutschnationalen aber als russischer Spion.
6 7
Vgl. Axel Schröter, August von Kotzebue. Erfolgsautor zwischen Aufklärung, Klassik und Frühromantik, Weimar 2011, S. 24. Vgl. Sven Lachhein, August von Kotzebue. Ein politischer Schriftsteller mit Geist und Herz, Weimar 2015, S. 39.
7. Novalis
Der höhern Pflicht treu zu bleiben Novalis (1772–1801), romantischer Dichter, hieß eigentlich Georg Philipp Friedrich von Hardenberg. Er verwendete das Pseudonym, das ,,Brachfeld“ bedeutet und der Familienname italienischer Verwandter war, erstmals 1798. Aus ironischer Distanz wird der Jüngling wie folgt charakterisiert: Er muß äußerst leichtbeweglichen Geistes gewesen sein. Aus der kleinsten Beobachtung macht er einen Weltentwurf. Auf schmalstem empirischen Fundament türmen sich gewaltige Luftschlösser. Zwischen ihnen zuckt ein Gewitter von Geistesblitzen. Auch wenn an der Solidität vieler Ideen Zweifel angebracht sind – das Schauspiel 1 ist staunenswert.
Man kann gut verstehen, dass Novalis nur auf Wunsch des Vaters, eines kursächsischen Salinendirektors, das Studium der Rechte im Wintersemester 1790 in Jena2 begann. Über seinen Kampf zwischen Pflicht und Neigung schrieb er an den von ihm bewunderten Jenaer Lehrer Friedrich Schiller3:
1
Hermann Kurzke, Novalis, München 1988, S. 17. – Neuere Biographien: Wolfgang Hädecke, Novalis. Biographie, München 2011; Gerhard Schulz, Novalis. Leben und Werk Friedrich von Hardenbergs, München 2011.
2
Zu den dortigen Studienbedingungen vgl. Theodore Ziolkowski, Das Amt der Poeten. Die deutsche Romantik und ihre Institutionen, Stuttgart 1992, S. 289 ff.
3
Novalis, Schriften, 4. Band: Tagebücher, Briefwechsel, Zeitgenössische Zeugnisse, hg. von Richard Samuel, 2. Aufl., Stuttgart 1975; die Zahlen im Text geben Seiten aus dieser Ausgabe an.
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Novalis Ihnen größestentheils werde ich es zuschreiben, wenn diesen Winter mein eifrigster Wille meine Kräfte unterstützt, um die gefährlichste Klippe eines jungen, lebendigen Kopfs die sauren und anhaltenden Vorarbeiten zu einem künftigen, bestimmten Beruf glücklich zu übersteigen, denn Sie machten mich auf den mehr als alltäglichen Zweck aufmercksam, den ein gesunder Kopf sich hier wählen könne und müsse und gaben mir damit den lezten, entscheidenden Stoß, der wenigstens meinen Willen sogleich festbestimmte und meiner herumirrenden Thätigkeit eine zu allen meinen Verhältnissen leichtbezogne und passende Richtung gab. Ich kann Ihnen zwar nicht verheelen, daß ich fest glaube, daß meine Neigung zu den süßen Künsten der Musen nie erlöschen und meine liebe, freundliche Begleiterinn durchs Leben seyn wird, daß immer die Werke der Lieblinge Apolls einen unnennbaren Zauber für meine Seele behalten werden, und ich nie ungeneigt seyn werde dem Wunsche des Königs von Preußen beyzupflichten, wenn gleich auf eine ganz verschiedne Art, der die Zayre [ein Trauerspiel] Voltairs lieber gemacht haben wollte als Sieger in so vielen Schlachten gewesen zu seyn; daß ich endlich selbst in manchen süßen, heimlichen Augenblicken Funken vom heiligen Altar der Kunst zu entwenden mir nicht entbrechen werde und selbst an der Seite der strengen Göttin, zu deren Priester ich mich an Kopf und Herzen combabisiren [entmannen] lassen soll, noch manchen verstohlnen Blick und manchen liebeathmenden Seufzer den glücklicheren Lieblingen der Grazien und Musen und ihren Schutzgöttinnen zuzuwerfen, aber demohngeachtet hoffe ich auch zu Gunsten meines bessern aber vielleicht kleinsten Selbsts, der Vernunft meinem gefaßten Vorsatz und dem mir am fernen Ziel winkenden Genius der höhern Pflicht treu zu bleiben und dem Rufe des Schicksals gehorsam zu seyn, das aus meinen Verhältnissen unverkennbar deutlich zu mir spricht. Aber zuseufzen werde ich Ihnen doch noch wol zuweilen: ora pro nobis [bete für uns] (90 f.).
Schiller war es auch, der Novalis zur Fortsetzung des Studiums der „Brodwissenschaft“ (97) ermunterte, nachdem er von einem Freund von Novalis’ Vater brieflich wie folgt darum gebeten worden war: Der brave Vater des jungen Hardenberg [...] freut sich, daß seines Sohnes ganzes Herz mit Achtung und Vertrauen Ihnen zugehört; und darauf stützt sich seine Bitte, die ich Ihnen vorzulegen Auftrag habe,
Novalis
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Sie möchten das unbedingte Zutrauen, das dieser junge Mensch einem so würdigen Manne gewidmet hat, durch eine gelegentliche und gleichsam ungefähre Unterredung, die ihm sein Rechtsstudium und die ernste Vorbereitung zum künftigen Geschäftsleben wichtig und interessant machte, zu seinem eigenen Besten und zur Beförderung des Wohls seiner Familie, die in seiner Person eine Stütze erwartet, nach Ihrer besten Überzeugung benützen (570).
Novalis war einsichtig: „Ich muß mehr Festigkeit, mehr Bestimmtheit, mehr Plan, mehr Zweck mir zu erringen suchen […] und gewissenhafte Enthaltsamkeit von allem zweckwidrigen hab ich mir zum strengsten Gesez gemacht“ (97). Er wechselte zum Wintersemester 1791/92 nach Leipzig und studierte „Jurisprudenz, Mathematik und Philosophie, [...] denen ich diesen Winter mich mit Leib und Seele ergeben will und im strengsten Sinne ergebe“ (97). Allerdings wurde er im Jahr darauf durch eine junge Frau, die sein neuer Freund Friedrich Schlegel als „ein schönes, sehr coquettes Ding“ beschrieb (772), dermaßen aus der Bahn geworfen, dass er Soldat werden wollte. Dem darob gar nicht begeisterten Vater versuchte er es in einem acht Druckseiten langen Brief u.a. so zu begründen: So aufmercksam ich auch seit langer Zeit schon auf mich bin, so gut ich vorher glaubte mich ganz zu kennen, so hat mir doch diese Begebenheit erst die Augen geöffnet. Von meiner Leidenschaftlichkeit wußte ich wenig. Ich glaubte nie, daß mich etwas so allgewaltig in so kurzer Zeit unmercklich ergreifen, mich so in meiner innersten Seele gefangen nehmen könne. Ich habe nun die Erfahrung gemacht. Bin ich sicher, daß heut oder morgen mich nicht wieder so ein Unfall trifft?, als Soldat bin ich gezwungen durch strenge Disziplin, meine Pflichten gewissenhaft zu thun und überdem sind es größestentheils mechanische Pflichten, die meinem Kopf und Herzen alle mögliche Freyheit verstatten, hingegen als Zivillist, Gott im Himmel, wie würde das mit meinen Geschäfften aussehn, wenn solche Pausen von gänzlicher Kopfabwesenheit kämen. Ich würde euch, mich selbst und meine Pflichten täuschen, obendrein unglücklich seyn und keinen Trost haben. Meine leidenschaftliche Unruhe und Hefftigkeit würde sich auf alles erstrecken und leider würden die trocknen
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Novalis Geistesarbeiten davon den wenigsten Nutzen haben. Ich muß noch erzogen werden, vielleicht muß ich mich bis an mein Ende erziehn. Im Zivilstande werde ich verweichlicht, Mein Character leidet zu wenig hefftige Stöße und nur diese können ihn bilden und fest machen. […] Mir wird die Subordination, die Ordnung, die Einförmigkeit, die Geistlosigkeit des Militairs sehr dienlich seyn. Hier wird meine Fantasie das Kindische, Jugendliche verlieren, was ihr anhängt und gezwungen seyn sich nach den festen Regeln eines Systems zu richten (107, 109).
Der Plan scheiterte vor allem am Geldmangel für eine angemessene Ausstattung. Novalis erklärte, dass er seinen „Hauptzweck doch noch eher beym Studiren erreichen würde“ (113), und wechselte im Sommer 1793 mit neuem Schwung an die Universität Wittenberg4: Ich mache ziemlich beträchtliche Fortschritte. Mein Repetent Mangold ist bey mir jetzt Mode. [...] Ich freue mich sehr auf Michaelis – und noch mehr auf mein Examen. Der Philisterstand ist herrlich (122 f.).
Zehn Monate später hieß es in einem Brief an den Vater zwar noch: Was meinen Fleiß belangt, so hab ich nun keinen Treiber mehr nöthig. [...]. Die Arbeit schmeckt mir. Staatsrecht, Statistik, Völkerrecht und Referiren füllen meine Stunden völlig (136).
Aber gegenüber Friedrich Schlegel bekannte er, dass „ein Tag mir nach dem andern vor dem Examen trüb und seelenlos hinfloß“ (138 f.). Im Sommer 1794 legte Novalis sein Abschlussexamen am Hofgericht in Wittenberg „mit der ersten Censur“ (140) ab und wurde Viceaktuarius (Schreiber) beim Kreisamt in Tennstedt. Die Pläne, in den preußischen Staatsdienst zu treten, zerschlugen sich, und so 4
Ausführlich Hermann F. Weiss, Unbeachtete Zeugnisse zu Novalis’ Wittenberger Studienzeit, in: Literaturwissenschaftliches Jahrbuch 1997, S. 27–61; vgl. ferner Dietrich Emme, Der Salinenassessor (Novalis), in: MDR 1979, S. 904–906.
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wurde Novalis Akzessist (Anwärter) und später Beamter bei der Salinendirektion, der sein Vater vorstand. In seinem Beruf war er tüchtig und voller Realitätssinn. Das steht in einem unerklärten Gegensatz zu seinen schwärmerischen Dichtungen: ,,Das Berufliche und das Dichten scheinen sich auf verschiedenen Feldern abgespielt zu haben, die nicht zur Einheit kommen“5.
5
Kurzke (Fn. 1), S. 21; vgl. auch Michael Kilian, Novalis als Dichterjurist, in: Wolfhard Kohte / Michael Kilian (Hg.), Staatsbeamte als Dichterjuristen, Halle an der Saale 2010, S. 61–66; Herbert Uerlings, Novalis (Friedrich von Hardenberg), Stuttgart 1998, S. 53 ff.
8. Wilhelm Heinrich Wackenroder
Als Juristen wird meine Empfindsamkeit mir auch eine wahre Bürde seyn Wilhelm Heinrich Wackenroder (1773–1798), Dichter der Frühromantik, wuchs als Sohn des Justizbürgermeisters von Berlin, d.h. des für die Rechtspflege der Stadt zuständigen hohen preußischen Beamten, in einer geistig lebendigen, von der Spätaufklärung geprägten Gesellschaft auf. Sein Vater wollte, dass er Jura studierte, und in seinem Abiturzeugnis stand: „Ueberhaupt hat er alle Anlagen und Vorkenntnisse, um einst ein gründlicher, gelehrter und geschmackvoller Jurist zu werden“1. Zur Vorbereitung auf ein erfolgreiches Studium organisierte der Vater von Ostern 1792 bis Ostern 1793 privaten Unterricht für seinen Sohn. Sein Hauptlehrer war ein Assessor am Berliner Kammergericht (493); außerdem unterrichtete ihn ein „für die Zeit ungewöhnlich kompetenter“2 Prediger in philologischen Fächern. Schon auf dem Gymnasium hatte Wackenroder eine enge Freundschaft mit Ludwig Tieck geschlossen. Beide begeisterten sich in großer geistiger Verwandtschaft für Kunst, Musik und Literatur, und begründeten in der Auseinandersetzung mit dem
1
Vgl. Wilhelm Heinrich Wackenroder, Sämtliche Werke und Briefe. Historisch-kritische Ausgabe, hg. von Silvio Vietta / Richard Littlejohns, Bd. 2, Heidelberg 1991, S. 407; die Zahlen im Text geben Seiten aus dieser Ausgabe an.
2
Dirk Kemper, Sprache der Dichtung. Wilhelm Heinrich Wackenroder im Kontext der Spätaufklärung, Stuttgart, Weimar 1993, S. 28.
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herrschenden Rationalismus die Frühromantik3. In ihrem Briefwechsel 1792/1793, als Tieck schon das (Philologie-) Studium in Halle begonnen hatte, wird deutlich, dass Wackenroder scharfsinnig die Eigenart des juristischen Denkens erkennt und beschreibt. Dem darin verkörperten Rationalismus gesteht er durchaus einen Wert zu, weil der Staat das Recht braucht, aber für sich selbst lehnt er den Beruf des Juristen ab, weil die bloße Verstandestätigkeit (er nennt sie „Kritik“) noch nicht „das höchste Verdienst des Menschen“ ist; das ist vielmehr erst das künstlerische Schöpfertum: Ach! die Jurisprudenz! Wann werde ich mich überwinden können, nur mein Gedächtniß mit der Terminologie, Definitionen, Distincktionen usw. zu bemühen! Was ist das Röm. Recht für ein seltsam Gewebe von Worten u Worten u Worten womit die einfachsten Sachen umsponnen sind! Und was führt ein Richter für ein Amt! Eine Begebenheit die Herzen zersprengen u Köpfe wahnsinnig machen kann, eine Sache der Leidenschaft, der menschl. Seele, wie sieht er sie an? Er sucht unter den verschiedenen barbarischen Namen welche die Röm. den Klagen gegeben haben, den aus, der für den Fall paßt; u nun wird das Uhrwerk aufgezogen; es geht seinen Gang, u läuft ab. Es ist grade so, als wenn der Knabe der rechnen lernt, auf seinem schematisch aufgesetzten Einmal Eins oben 4 an der Seite 5 aufsucht, u mit beyden Fingern zusammenfährt, bis er auf 20 trifft. Ehe diese Sache zu Ende ist, sind schon 100 neue eingelaufen: das Räderwerk geht immer u ewig, – jene Menschen trotzen aller menschl. Empfindung, nähren sich v. Blut u Thränen; – o man kann sich das Bild sehr schreckl. machen! Aber freil. sprech ich wohl etwas einseitig. Ich selbst indeß mag nie Richter, nie ein großer Jurist seyn – (94). Als Juristen, wenn ich je einer werden sollte, wird meine Empfindsamkeit mir auch eine wahre Bürde seyn. Ein paar Abende hat mir
3
Vgl. Wolfgang Bunzel (Hg), Romantik. Epoche – Autoren – Werke, Darmstadt 2010; Detlef Kremer, Romantik, Stuttgart 2003; Helmut Schanze (Hg.), Romantik-Handbuch, Stuttgart 1994; Silvio Vietta (Hg.), Die literarische Frühromantik, Göttingen 1983; Benno von Wiese (Hg.), Deutsche Dichter der Romantik. Ihr Leben und Werk, 2. Aufl., Berlin 1983.
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Wilhelm Heinrich Wackenroder mein Vater die Akten eines kl. Prozesses gezeigt, u sie mich ganz durchlesen lassen. Es ist wahr, zur rechten Darstellung der Hauptumstände des Faktums, zur Beurtheilung desselben, u zur Anwendung der Gesetze darauf, gehört eine gewisse Kritik, die allerdings den Verstand beschäftigt u schärft, wenigstens bey etwas schwierigen Sachen. Und alle Kritik ist, wie ich jetzt ganz wohl einsehe, eine schätzbare u liebenswürdige Thätigkeit des Geistes. Aber, abgerechnet, daß sie in der Jurisprud. oft höchst unsicher ist, daß ihre Freiheit durch positive Gesetze, Gewohnheiten u tausend Kleinigkeiten eingeschränkt wird, u daß es kein sehr tröstl. Gedanke seyn kann, sich mit seinem guten Gewissen allein zu beruhigen, u gänzl. ungewiß zu seyn, ob man, weil der Mensch nicht allwissend ist, u Prozesse doch ein Ende haben müssen, wirkl. nach der Gerechtigkeit entschieden, oder, getäuscht, wer weiß wie viel Menschen unglückl. gemacht habe: – das alles abgerechnet, ist es schon eine mir äußerst widrige Aussicht: daß ich meinen kalten Verstand brauchen soll, wo Herzen gegeneinander stoßen; daß ich das Feuer der Leidenschaft mit Wasser ersticken, – den Knoten des mannigfaltig verschlungenen Interesses so vieler / zerhauen, – einen Vorfall, über den ich, wenn ich ihn auf der Bühne dargestellt sähe, von dem innigsten Mitleid durchdrungen, in Thränen zerflöße, einen solchen Vorfall – wie eine Variante einer gemeinen Lesart ansehen, u überlegen, ausrechnen soll, ob er in den Zusammenhang paßt, oder nicht. Freilich ist eine Jurisprud. im Staate nöthig; freil. ist es nöthig, daß der Richter, (ich kann nicht anders sprechen, weil ich durchaus nicht sehe wie das Gegentheil seyn könnte,) daß er menschl. Empfindung verläugnen, u sich zu einem kalt die Handlungen der Menschen abwägenden Wesen, über die Menschheit erhöhen muß; freilich! – Nur ich! – Und, um wieder auf Kritik zurückzukommen, so gestehst Du mir gewiß leicht ein, daß sie nicht das edelste Bestreben, u das höchste Verdienst des Menschen seyn kann. Sie besteht immer nur in Vergleichung, Zusammensetzung u Trennung dessen was schon da ist, Verwandlung des schon existirenden. Nur schaffen bringt uns der Gottheit näher; u der Künstler, der Dichter, ist Schöpfer. Es lebe die Kunst! Sie allein erhebt uns über die Erde, u macht uns unsers Himmels würdig – (101).
Wackenroder begann das Jurastudium im Sommer 1793 in Erlangen, das kurz zuvor preußisch geworden war; Tieck kam mit ihm dorthin. Das Studium spielte allerdings eine Nebenrolle. Die
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Freunde unternahmen Ausflüge und Reisen in Süddeutschland und hatten so „die entscheidenden Bildungserlebnisse“4 für ihre späteren (teilweise gemeinsamen) literarischen Werke. Im Herbst wechselten sie für zwei Semester nach Göttingen. Zurück in Berlin wurde Wackenroder 1795 Auskultator am Stadtgericht und 1797 Referendar am Kammergericht. Er starb im Alter von 24 Jahren an Typhus.
4
Fritz Redenbacher, Wackenroders Erlanger Semester. Ein Beitrag zur Geistesgeschichte der Frühromantik, in: Hermann Dollinger (Hg.), Zeugnisse fränkischer Kultur, Nürnberg 1931, S. 45–56 (46).
9. E. T. A. Hoffmann
Muß mich zwingen ein Jurist zu werden Ernst Theodor Amadeus Hoffmann (1776–1822), vielseitiger Schriftsteller der Romantik, stammte aus einer Juristenfamilie und begann ein Studium der Rechte zu Ostern 1792 an der Universität Königsberg. Hauptsächlich betätigte er sich allerdings künstlerisch: Er dichtete, musizierte und malte. Die Jurisprudenz „trieb er nur als Brotwissenschaft, war aber vorzüglich fleißig“1. Einblicke in die juristische Praxis erhielt er dadurch, dass ihn sein Großonkel, ein Rechtsanwalt, als Protokollführer zu Verhandlungen mitnahm. Als 1795 das erste Examen nahte, schrieb er an seinen Freund Theodor Gottlieb Hippel: „Das Studiren geht langsam und traurig – ich muß mich zwingen ein Jurist zu werden“2. Seinem Antrag auf Zulassung zum Examen an die Ostpreußische Regierung, in der die Obergerichte der landesherrlichen Gerichtsbarkeit zusammengefasst waren und aus der 1815 das Oberlandesgericht Königsberg hervorging, legte er folgendes Attest über seine akademischen Studien bei (63): Der Candidat der Rechte Ernst Theodor Wilhelm Hoffmann ein Sohn des Hrn. Criminalrath Hoffmann zu Insterburg hat während seines 31/2 jährigen Aufenthalts an hiesiger Universität die Vorle-
1
Eduard Grisebach, Biographische Einleitung, in: Ders. (Hg.), E. T. A. Hoffmanns sämtliche Werke in fünfzehn Bänden, 1. Bd., Leipzig 1900, S. V–CXI (XV).
2
E. T. A. Hoffmanns Briefwechsel, hg. von Friedrich Schnapp, 1. Bd. Königsberg bis Leipzig 1794–1814, Darmstadt 1967, S. 62; die Zahlen im Text geben Seiten aus dieser Ausgabe an.
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E. T. A. Hoffmann
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sungen des Unterzeichneten als Institutionen, Pandekten, Criminalrecht, Lehnrecht, Wechselrecht und das Allgemeine Landrecht mit ausgezeichnetem Fleiße besucht in den Examinatoriis Beweise einer guten Repetition und vorzüglicher Fähigkeiten gegeben, und sich allezeit musterhaft geführet, welches demselben mit Vergnügen pflichtgemäß bezeuget Koenigsberg d. 18ten July 1795
Reidenitz Dr. Königl. Prß. Regierungsassessor und ordentl. Prof. der Rechte
Kurz darauf bestand Hoffmann das erste Examen, „wobei er zwar nicht alle Fragen mit gehöriger Bestimmung und Reife beantwortet, jedoch aber gute Fähigkeiten und sonstige Kenntnisse gezeigt“ (91), wie in den Akten vermerkt ist, und wurde am 7. August 1795 zum Auscultator (wörtlich „Zuhörer“, von Hoffmann als „Ohrenspitzer“ übersetzt) vereidigt. Über seinen Dienst bei der Ostpreußischen Regierung schrieb er: Ich lebe in einer Geschäftslosigkeit, die meinen Thätigkeitstrieb abstumpft und mich zu jeder Anstrengung unfähig macht. Auf der Regierung werde ich unter der Menge ganz übersehn und muß mich glücklich schätzen, wenn ich mich dazu drängen kann Supplikanten zu vernehmen oder Protokoll zu führen (72).
Außer einer Liebesaffäre mit einer neun Jahre älteren verheirateten Frau galt sein vornehmliches Interesse weiterhin seinen künstlerischen Neigungen, wie folgende Briefstellen zeigen: Wenn ich von mir selbst abhinge, würd’ ich Componist, und hätte die Hoffnung in meinem Fache groß zu werden, da ich in dem jetzt gewählten ewig ein Stümper bleiben werde (71). Die Wochentage bin ich Jurist und höchstens etwas Musiker, Sontags am Tage wird gezeichnet und Abends bin ich ein sehr witziger Autor bis in die späte Nacht (78). […] denn was sollen beim Relationenschmieden oder sonst – die Grazien auf dem Tintenfaß, die sich bey allem, was nur nach Juristerei riecht, so sans coup de trompette wegstehlen […] (83). Aus Ueberzeugung der Nothwendigkeit studire ich mein jus, und aus Hang (leidenschaftlich) füllt Musik die Stunden der Erholung (85).
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E. T. A. Hoffmann
Mitte 1796 ließ sich Hoffmann nach Glogau versetzen und machte 1798 das zweite Examen, nachdem er „in der Jurisprudenz solchen festen Tritt“ gehalten (128) und mit „erstaunenswerter Aemsigkeit die trockensten Dinge“ studiert hatte (130) sowie „schon seit langer Zeit wirklich an das Treibrad der Justiz geschmiedet“ war (131). Er berichtete darüber Ende Juni 1798 seinem Freund Hippel Folgendes: Mit meiner juristischen Laufbahn geht’s sehr pianissimo. Vorigen Februar meldete ich mich zum zweiten Examen, nach der hier üblichen Verzögerung wurde ich aber erst vor 3 Wochen, nachdem ich schon vor 6 Wochen die Proberelation verlesen hatte, mündlich examiniert, und bin daher erst jetzt ins Referendariat eingeschritten (132).
Kurz darauf richtete er folgendes Gesuch an den König Friedrich Wilhelm III. von Preußen: Aller Durchlauchtigster Großmächtigster König! Aller Gnädigster König und Herr! Ew. Königl. Majestät haben die Gnade gehabt auf den Bericht der hiesigen OberAmtsRegierung vom 25 Jun: 1798 meine Ascension zum Referendariat zu genehmigen und meine Anstellung als Referendarius dem Collegio aufzugeben. [Darlegung der Veränderung persönlicher Umstände.] Ew. Königl. Majestät wage ich daher allerunterthänigst zu bitten mich von der hiesigen OberAmtsRegierung an Höchstdero KammerGericht zu Berlin als Referendarius allergnädigst zu versetzen, und dieserhalb das erforderliche an das leztere Collegium zu erlassen (133 f.).
In dem Examinations-Protokoll der Oberamtsregierung hieß es über Hoffmann, „daß er sich eine sehr zusammenhängende und gründliche Sach-Kenntnis von den erwehnten Theilen der practischen Rechts-Gelehrsamkeit zu eigen gemacht“ habe 3 . Knapp 3
In: Alfred Hoffmann, E. T. A. Hoffmann. Leben und Arbeit eines preußischen Richters, Baden-Baden 1990, S. 26.
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zwei Jahre arbeitete Hoffmann als Referendar am Kammergericht. Seine Briefe zeigen, dass er einerseits mit Eifer seine dienstlichen Aufgaben erledigte und andererseits unvermindert seinen künstlerischen Interessen nachging: Im Anfange bekam ich hier, ob ich gleich schon längst zum zweitenmahle examiniert bin, gar keine Arbeiten. Dieß veranlaßte mich, den Präsident K[ircheisen] ausdrücklich um Instruktionen und Spruchsachen zu bitten. – Dies hat gewirkt, denn seit dem 11 Oct: habe ich 15 Instr[uktions]Term[ine], 2 Spruchsachen, 1 CriminalS[ache] zum Gutachten erhalten und nebenher noch 2 Appell[ations]Berichte, 2 Deduct[ionen] und einen SchlußBericht anzufertigen (140). – Meine Carriere geht langsam, und ich bin nicht unzufrieden damit, weil ich jetzt die Zeit sehr nutze, und meinen LieblingsStudien, Musik und Mahlerey schlechterdings nicht ganz entsagen kann (146 f.).
Hoffmann bestand das dritte oder große Examen, das er auch als „Feuerprobe“ bezeichnete (140), mit der Note „vorzüglich“ und wurde im Mai 1800 zum Assessor bei der Regierung (Obergericht) in Posen ernannt. Durch die Auflösung der preußischen Behörden in Polen 1806 stellungslos geworden schlug er sich als Kapellmeister, Theaterdirektor, Zeichner und Schriftsteller durch, bis er 1814 wieder in den preußischen Staatsdienst aufgenommen wurde und einen glänzenden und unbestechlichen Richter am Berliner Kammergericht abgab 4 , dessen juristische Schriftsätze eigens veröffentlicht worden sind5.
4
Vgl. Arwed Blomeyer, E. T. A. Hoffmann als Jurist. Eine Würdigung zu seinem 200. Geburtstag, Berlin 1978; Jürgen Goydke, E. T. A. / W. Hoffmann als Jurist, in: Michael Kilian (Hg.), Jenseits von Bologna – Jurisprudentia literarisch. Von Woyzeck bis Weimar, von Hoffmann bis Luhmann, Berlin 2006, S. 19–58; Hoffmann (Fn. 3), S. 51–67; Ulrich Mückenberger, Ernst Theodor Amadeus Hoffmann (1776–1822) „Das Literarische macht frei …“, in: Kritische Justiz (Hg.), Streitbare Juristen. Eine andere Tradition, Baden-Baden 1988, S. 19–32; Wulf Segebrecht, E. T. A. Hoffmanns Auffassung vom Richteramt und vom Dichterberuf, in: Jahrbuch der deutschen Schillergesellschaft 1967, S. 62–138; Stefan Weich-
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Während das Recht und die Justiz eine beachtliche Rolle im literarischen Werk Hoffmanns spielen6, finden sich nur wenige Bezugnahmen auf die juristische Ausbildung: In der Schauergeschichte um die Erbschaftsstreitigkeiten eines Adelsgeschlechts „Das Majorat“ von 18177 bemerkt der Ich-Erzähler Theodor mit deutlicher autobiographischer Anspielung, „daß ich, trockner, langweiliger Juristerei, der ich mich ergeben, unerachtet, den Flügel mit ziemlicher Fertigkeit spiele, singe und auch wohl schon manches Lied gesetzt habe“. In der phantastischen Geschichte „Die Brautwahl“ von 1819/21 taucht am Ende der Referendarius Gloxin auf; er hat „schon das zweite Examen bei dem Kammergericht gemacht und ist nach Aussage der Examinatoren, die ihn in der frühsten Morgenstunde sattsam gequält oder, wie man zu sagen pflegt, auf den Zahn gefühlt haben, welches weh tut, vorzüglich wenn der Zahn hohl, vortrefflich bestanden“. brodt, E. T. A. Hoffmann (1776 bis 1822), in: JuS 2008, S. 7–13; Wolfgang Schütz, E. T. A. Hoffmann – ein Richter im Spannungsfeld zwischen Terrorismus und Staatsmacht, in: DRiZ 1980, S. 127–135.
5
Vgl. E. T. A. Hoffmann, Juristische Arbeiten, hg. von Friedrich Schnapp, München 1973.
6
Vgl. Petra Buck, Wo der Richter strafen muß – Die Welten des E. T. A. Hoffmann, in: Michael Kilian (Hg.), Jurisprudenz zwischen Techne und Kunst, Tübingen 1987, S. 98–115; Hoffmann (Fn. 3), S. 69–231; Marek Jaroszewski, Zum Verhältnis von Literatur und Justiz bei E. T. A. Hoffmann, in: Hans-Albrecht Koch u.a. (Hg.), Grenzfrevel. Rechtskultur und literarische Kultur, Bonn 1988, S. 47–57; Hartmut Mangold, Gerechtigkeit durch Poesie. Rechtliche Konfliktsituationen und ihre literarische Gestaltung bei E. T. A. Hoffmann, Wiesbaden 1989; Bodo Pieroth, Recht und Literatur. Von Friedrich Schiller bis Martin Walser, München 2015, S. 227–246; Uwe Schadwill, Poeta Judex. Eine Studie zum Leben und Werk des Dichterjuristen E. T. A. Hoffmann, Münster / Hamburg 1993.
7
Zu den rechtshistorischen Hintergründen vgl. Günter Dammann, Die Diskussion über das Institut des Fideikommisses im Gefolge der Revolution und der Befreiungskriege und E. T. A. Hoffmanns Erzählung „Das Majorat“, in: Gonthier-Louis Fink (Hg.), Die deutsche Romantik und die französische Revolution, Strasbourg 1989, S. 309–319.
10. Heinrich von Kleist
An die Rechte meines Herzens will ich mich halten Heinrich von Kleist (1777–1811) gilt als Dichter, der „von den großen Problemen des Rechts- und Staatslebens geradezu besessen ist“1 und dessen Werk „wie kaum ein zweites literarisches Fragen des Rechts, seiner Geltung und Durchsetzung aufgreift“2; heute wird zudem dessen kritisches Potential betont3. Nachdem Kleist gegen die Tradition und den Wunsch der Familie die aussichtsreiche militärische Laufbahn aufgegeben hatte, studierte er vom Sommersemester 1799 an drei Semester lang an der Philosophischen Fakultät der Universität Frankfurt/Oder. Dort hat er auch juristische Vorlesungen gehört, namentlich bei Ludwig Gottfried Madihn, der ein Buch über „Grundsätze des Naturrechts zum Gebrauch seiner Vorlesungen“ geschrieben und Kleist in aufklärerischem Sinn beeinflusst hat4. Anfang 1800 schrieb er an seine Verlobte Wilhelmine von Zenge5: 1
Eugen Wohlhaupter, Dichterjuristen, Bd. I, Tübingen 1953, S. 467–563 (468).
2
Heinz Müller-Dietz, Besprechung des Kleist-Jahrbuchs 1985, in: JZ 1987, S. 36 f.
3
Vgl. Georgia Stefanopoulou, Heinrich von Kleist (1777–1811): Ein kritischer Rechtsdenker, in: JZ 2011, S. 1154–1157.
4
Vgl. Bodo Pieroth, Recht und Literatur. Von Friedrich Schiller bis Martin Walser, München 2015, S. 167 f.
5
Heinrich von Kleist, Sämtliche Werke und Briefe, hg. von Helmut Sembdner, Bd. II, 2. Aufl., München 1961; die Zahlen im Text geben Seiten aus dieser Ausgabe an.
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Heinrich von Kleist Und nun noch eine Hauptsache, Wilhelmine. Sie wissen, daß ich bereits entschlossen bin, mich für ein Amt zu bilden; aber noch bin ich nicht entschieden, für welches Amt ich mich bilden soll. Ich wende jede müßige Stunde zum Behufe der Überlegung über diesen Gegenstand an. Ich wäge die Wünsche meines Herzens gegen die Forderungen meiner Vernunft ab; aber die Schalen der Waage schwanken unter den unbestimmten Gewichten. Soll ich die Rechte studieren? – Ach, Wilhelmine, ich hörte letzthin in dem Naturrechte die Frage aufwerfen, ob die Verträge der Liebenden gelten könnten, weil sie in der Leidenschaft geschehen –und was soll ich von einer Wissenschaft halten, die sich den Kopf darüber zerbricht ob es ein Eigentum in der Welt gibt, und die mir daher nur zweifeln lehren würde, ob ich Sie auch wohl jemals mit Recht die Meine nennen darf? Nein, nein, Wilhelmine, nicht die Rechte will ich studieren, nicht die schwankenden ungewissen, zweideutigen Rechte der Vernunft will ich studieren, an die Rechte meines Herzens will ich mich halten, und ausüben will ich sie, was auch alle Systeme der Philosophen dagegen einwenden mögen. – Oder soll ich mich für das diplomatische Fach bestimmen? – Ach, Wilhelmine, ich erkenne nur ein höchstes Gesetz an, die Rechtschaffenheit, und die Politik kennt nur ihren Vorteil. Auch wäre der Aufenthalt an fremden Höfen kein Schauplatz für das Glück der Liebe. An den Höfen herrscht die Mode, und die Liebe flieht vor der unbescheidnen Spötterin. – Oder soll ich mich für das Finanzfach bestimmen? – Das wäre etwas. Wenn mir auch gleich der Klang rollender Münzen eben nicht lieb und angenehm ist, so sei es dennoch. Der Einklang unsrer Herzen möge mich entschädigen, und ich verwerfe diesen Lebensweg nicht, wenn er zu unserm Ziele führen kann. – Auch noch ein Amt steht mir offen, ein ehrenvolles Amt, das mir zugleich alle wissenschaftlichen Genüsse gewähren würde, aber freilich kein glänzendes Amt, ein Amt, von dem man freilich als Bürger des Staates nicht, wohl aber als Weltbürger weiterschreiten kann – ich meine ein akademisches Amt. – Endlich bleibt es mir noch übrig die Ökonomie zu studieren, um die wichtige Kunst zu lernen, mit geringen Kräften große Wirkungen hervorzubringen. Wenn ich mir diese große Kunst aneignen könnte, dann Wilhelmine, könnte ich ganz glücklich sein, dann könnte ich, ein freier Mensch, mein ganzes Leben Ihren und meinem höchsten Zwecke – oder vielmehr, weil es die Rangordnung so will – meinem höchsten Zwecke und Ihnen widmen (503 f.).
Heinrich von Kleist
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Kleists Bemühungen um ein Amt hatten schnell Erfolg: Er wurde als Auskultator im Preußischen Amt für „Akzise-, Zoll-, Handelsund Fabrikwesen“ eingestellt, trat aber schon nach zwei Wochen eine geheimnisvolle Reise zu einer 6-wöchigen Kur in Würzburg an. In Leipzig ließen er und sein Reisebegleiter Ludwig von Brockes sich unter falschem Namen zum Schein immatrikulieren, um leichter Pässe für die Weiterreise zu bekommen: Wir gingen zu dem Magnifikus, Prof. Wenk, eröffneten ihm wir wären aus der Insel Rügen, wollten kommenden Winter auf der hiesigen Universität zubringen; vorher aber noch eine Reise ins Erzgebirge machen und wünschten daher jetzt gleich Matrikeln zu erhalten. Er fragte nach unsern Vätern. Brokes Vater war ein Amtmann, meiner ein invalider schwedischer Kapitän. Er machte weiter keine Schwierigkeiten, las uns die akademischen Gesetze vor, gab sie uns gedruckt, streute viele weise Ermahnungen ein, überlieferte uns dann die Matrikeln und entließ uns in Gnaden. Wir gingen zu Hause, bestellten Post, wickelten unsre Schuhe und Stiefeln in die akademischen Gesetze und hoben sorgsam die Matrikeln auf (538).
Kleist hielt es nur bis zum April 1801 im Vorbereitungsdienst aus. Nach den Wander- und Irrfahrten der folgenden Jahre unternahm er 1805 einen zweiten Anlauf zum Staatsdienst; sein Amt als Diätar (Referent) bei der Kriegs- und Domänenkammer Königsberg hatte er knapp eineinhalb Jahre lang inne. Es ist nicht auszuschließen, dass der neuerliche Abschied aus dem Staatsdienst auch aus Angst vor dem Examen geschah, das er zu seiner endgültigen Anstellung noch hätte ablegen müssen. Schon im Jahr 1800 erschreckte ihn der Zustand eines aus dem juristischen Staatsexamen kommenden Studienfreunds: „triefend von Schweiß“ (520). Wie dem auch sei, Kleist hat in dem Essay „Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden“ von
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1805/06 folgende eindringliche Analyse des mündlichen Teils eines juristischen Staatsexamens6 geliefert: Wie notwendig eine gewisse Erregung des Gemüts ist, auch selbst nur, um Vorstellungen, die wir schon gehabt haben, wieder zu erzeugen, sieht man oft, wenn offene, und unterrichtete Köpfe examiniert werden, und man ihnen ohne vorhergegangene Einleitung, Fragen vorlegt, wie diese: was ist der Staat? Oder: was ist das Eigentum? Oder dergleichen. Wenn diese jungen Leute sich in einer Gesellschaft befunden hätten, wo man sich vom Staat, oder vom Eigentum, schon eine Zeitlang unterhalten hätte, so würden sie vielleicht mit Leichtigkeit durch Vergleichung, Absonderung, und Zusammenfassung der Begriffe, die Definition gefunden haben. Hier aber, wo diese Vorbereitung des Gemüts gänzlich fehlt, sieht man sie stocken, und nur ein unverständiger Examinator wird daraus schließen daß sie nicht wissen. Denn nicht wir wissen, es ist allererst ein gewisser Zustand unsrer, welcher weiß. Nur ganz gemeine Geister, Leute, die, was der Staat sei, gestern auswendig gelernt, und morgen schon wieder vergessen haben, werden hier mit der Antwort bei der Hand sein. Vielleicht gibt es überhaupt keine schlechtere Gelegenheit, sich von einer vorteilhaften Seite zu zeigen, als grade ein öffentliches Examen. Abgerechnet, daß es schon widerwärtig und das Zartgefühl verletzend ist, und daß es reizt, sich stetig [widerspenstig] zu zeigen, wenn solch ein gelehrter Roßkamm uns nach den Kenntnissen sieht, um uns, je nachdem es fünf oder sechs sind, zu kaufen oder wieder abtreten zu lassen: es ist so schwer, auf ein menschliches Gemüt zu spielen und ihm seinen eigentümlichen Laut abzulocken, es verstimmt sich so leicht unter ungeschickten Händen, daß selbst der geübteste Menschenkenner, der in der Hebeammenkunst der Gedanken, wie Kant sie nennt, auf das Meisterhafteste bewandert wäre, hier noch, wegen der Unbekanntschaft mit seinem Sechswöchner, Mißgriffe tun könnte. Was übrigens solchen jungen Leuten, auch selbst den unwissendsten noch, in den meisten Fällen ein gutes Zeugnis verschafft, ist der Umstand, daß die Gemüter der Examinatoren, wenn die Prüfung öffentlich geschieht, selbst zu sehr befangen sind, um ein freies Urteil fällen zu können. Denn nicht nur 6
Vgl. Jens Petersen, Heinrich von Kleists „Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden“ im Spiegel der mündlichen Staatsprüfung, in: Jura 2011, S. 818–820.
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fühlen sie häufig die Unanständigkeit dieses ganzen Verfahrens: man würde sich schon schämen, von jemandem, daß er seine Geldbörse vor uns ausschütte, zu fordern, viel weniger, seine Seele: sondern ihr eigener Verstand muß hier eine gefährliche Musterung passieren, und sie mögen oft ihrem Gott danken, wenn sie selbst aus dem Examen gehen können, ohne sich Blößen, schmachvoller vielleicht, als der, eben von der Universität kommende, Jüngling gegeben zu haben, den sie examinierten (323 f.).
11. Ignaz Franz Castelli
Zur Erlangung einer sehr guten Bedienstung Ignaz Franz Castelli (1781–1862) stammte aus einer Beamtenfamilie und war ein zu seiner Zeit sehr erfolgreicher österreichischer Schriftsteller, wird heute aber als „Unterhaltungsschriftsteller“1 und „künstlerisch bedeutungslos“ 2 eingeschätzt. Immerhin gilt er als Begründer der niederösterreichischen Dialektdichtung und stellen die „Memoiren meines Lebens. Gefundenes und Empfundenes. Erlebtes und Erstrebtes“3 ein aufschlussreiches sozial- und literaturgeschichtliches Dokument dar. Darin berichtete Castelli über sein juristisches Studium: Im Jahre 1799 trat ich in die Jura. Die Wiener Universität, sowie das ganze Studienfach war damals nicht so bestellt wie jetzt, wo die meisten Professuren, vorzugsweise jene der untern Schulen, von Geistlichen besetzt sind. Im ganzen Jus hatten wir nur einen einzigen Pedanten zum Professor, und dieser war Hupka. Er versuchte, wenn er auf das Katheder stieg, immer durch einige Minuten den Ton, bis er seinen gewöhnlichen Nasenton traf, und dann ging es in diesem einen Tone die ganze Stunde fort. Er lehrte aber auch die allertrockenste Wissenschaft, nämlich die Pandekten. Der gelehrte Zeiller lehrte das Natur- und peinliche Recht, Fölsch das Völkerrecht und die Reichsgeschichte, Scheidlein die politischen Wissenschaften, und im kanonischen 1 2 3
Cornelia Fischer, in: Walther Killy (Hg.), Literaturlexikon, Bd. 2, Gütersloh / München 1989, S. 389. Gero von Wilpert, Deutsches Dichterlexikon, 3. Aufl., Stuttgart 1988, S. 125. 4 Bände, Wien 1861; Neudruck in 2 Bänden, München 1913; die Zahlen im Text geben Seiten aus dem Neudruck an.
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Rechte hatten wir gar einen Professor, welcher von einer unbeliebten Universität hieher kam, von welcher man jetzt gewiss keinen Professor mehr annehmen würde, nämlich Petzeck von Freiburg. Ich war nicht unfleißig und habe im ganzen Jus nebst einigen Eminenzen lauter erste Klassen, keine einzige zweite in meinen Attesten aufzuweisen. Ich war mit mir nicht ganz einig, sollte ich mich nach vollendeten Studien zur Advokatie oder zum Auditoriat [Militärbeamtenschaft] wenden, jedenfalls aber freute ich mich, dass ich die Jura vollendete, weil mir dies in der Folge zur Erlangung einer sehr guten Bedienstung zustatten kam. Als ich während der Ferien meinen Vater in Weitra besuchte und ihn um Rat fragte, was ich denn eigentlich nach vollendeten Studien als Broterwerb ergreifen sollte, sagte er mir, er habe einen alten Freund, der bei dem Hofkriegsrate angestellt sei; an diesen wolle er mir ein Schreiben mitgeben und ihn bitten, mir eine Praktikantenstelle bei diesem Amte zu verschaffen. Ich willigte um so lieber ein, als eben die Vorschrift erschienen war, daß jeder, der die Jura absolvierte und sich der Advokatie widmen wolle, erst drei Jahre bei einem Advokaten praktizieren müsse. Das war mir etwas zu weit aussehend. Auf Empfehlung des Freundes meines Vaters ward mir gestattet, mich bei dem Hofkriegskommissariate, und zwar im Bureau des Kriegskommissärs Mayer, zu verwenden. Das heißt, ich durfte da abschreiben, was man mir gab, durfte meinen Vorgesetzten durch die Nase reden und fulminieren [toben] hören, hatte aber keinen Anspruch auf Vorrückung, doch erhielt ich dabei die Erlaubnis, meine Studien vollenden zu dürfen. Ich besuchte daher das Amt nur, wenn ich eben konnte und wollte. Nach einem Jahre suchte ich neuerdings um eine beeidete Praktikantenstelle an und wurde mit dem Bescheide abgespeist: „Wenn Bittsteller seine Studien vollendet haben wird, so wird dann auf ihn Bedacht genommen werden“. Als ich nun meine Studien wirklich vollendet hatte, schritt ich neuerdings ein und erhielt zur Antwort: „Seiner guten Studienzeugnisse wegen wird Bittsteller zu einer unentgeltlichen Praktikantenstelle vorgemerkt“.
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Ignaz Franz Castelli Vorgemerkt, erst vorgemerkt und noch ein paar Jahre warten, bis man endlich ein unentgeltliches Nichts wird, das war mir zu arg, ich ließ mich im Kriegsamtshause nicht mehr sehen (I 89–92).
Der „trostlose“ Zustand dauerte nicht lange. Noch im Jahr 1802 kam Castelli bei der „landständischen Buchhaltung“ unter, der er bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1843 als „Sekretär, Herrenstandsagent und ständischer Häuserrevident“ diente. Diese Beamtenstellung hinderte ihn aber weder an einem umfangreichen literarischen Schaffen (u.a. schrieb er rund 200 Theaterstücke, allerdings Schablonenarbeiten nach meist französischen Vorlagen) noch an der aktiven Mitgliedschaft in zahlreichen geselligen Vereinigungen und Künstlerzirkeln, u.a. der legendären „Ludlamshöhle“. Die „Ludlamshöhle“ war eine Wiener Herrenrunde aus Bürgern und Künstlern, das „bisher unerreichte Urbild aller mit Kunstgenüssen gewürzten geselligen Vereine in Wien“ (II 1). Man traf sich zwischen 1816 und 1826 fast täglich, und neben literarischem Meinungsaustausch war Heiterkeit, Scherz und Witz angesagt. Die Behauptung Castellis, es habe „nie und nirgends eine fröhlichere, lebenslustigere und dabei doch auch harmlosere Gesellschaft gegeben“ (I 1), ist nicht die ganze Wahrheit. In der Kommission, die die Prüfung zur Aufnahme in die Gesellschaft abnahm, war Castelli der „Professor für Frivolitätswissenschaft“, und sein Spitzname war „der Höhlenzote“ (II 26). Zudem musste er bekennen, dass von den vielen Texten und Karikaturen, die in der „Ludlamshöhle“ entstanden waren, „auch nicht einer zur Veröffentlichung geeignet sei, wenigstens nicht vollständig“, und dass „viel Zweideutiges mit unterlief“ (II 51).
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Heute gilt Castelli als Verfasser einiger erhaltener pornographischer Texte4. Man vergleiche dazu die Auszüge aus dem Knittel-Epos, das zu Beginn seines Jura-Studiums unter dem Titel „Institutionum juris amatorii libri VI“ entstand: Die Liebe wird eingeteilt in die platonische Amour Und in jene des Epikur. Erstere ist das, was für einen, den der Hunger begrüßt, Der Geruch und das Anschauen der Speisen ist. Sie ist bloß geistig, lebt bloß von Blicken, Höchstens noch von Seufzern und Händedrücken. Die epikuräische Liebe aber, Das ist das Wahre für einen Liebhaber, Die schaut nicht auf den Kern der Marille, Sondern nur, ob das Fleisch süß ist, auf die Hülle (I 89).
4
Vgl. Joseph Kiermeier-Debre / Fritz Franz Vogel (Hg.), Der VolksSchiller. Gesänge aus der Ludlamshöhle. Pornographische Parodien aus dem Biedermeier, Wien 1995, S. 89 ff., 134 ff.
12. Jacob und Wilhelm Grimm
Von Savignys Vorlesungen aufs gewaltigste ergriffen Die Brüder Jacob und Wilhelm Grimm (1785–1863, 1786–1859), gleichermaßen bekannt und berühmt durch ihre Kinder- und Hausmärchen und das Deutsche Wörterbuch, haben gemeinsam in Marburg Jura studiert. Als Bürgerliche – ihr Vater war Amtmann – bedurften sie dafür einer Erlaubnis des Landesherrn1. Dies war der Beginn einer „einmaligen Lebens- und Arbeitsgemeinschaft“ 2 . Ihre „Selbstbiographien“ stammen aus dem Juli (Jacob) und September (Wilhelm) 18303. Im Frühjahr 1802, ein Jahr früher als Wilhelm, der um diese Zeit lange und gefährlich kränkelte, bezog ich die Universität Marburg. Die Trennung von ihm, mit dem ich stets in einer Stube gewohnt und in einem Bett geschlafen hatte, ging mir sehr nahe; allein es galt, der geliebten Mutter, deren Vermögen fast zusammengeschmolzen war, durch eine zeitige Beendigung meiner Studien und den Erfolg einer gewünschten Anstellung einen Theil ihrer Sorge abnehmen und ei1
2 3
Vgl. Barbara Dölemeyer, Jacob und Wilhelm Grimm – Beiträge zur Rechtswissenschaft und Rechtsgeschichte, in: Bernd Heidenreich / Ewald Grothe (Hg.), Kultur und Politik – Die Grimms, Frankfurt 2003, S. 129– 148 (130). Heinz Rölleke, Die Märchen der Brüder Grimm, München und Zürich 1985, S. 27. In: Karl Wilhelm Justi (Hg.), Grundlage zu einer hessischen Gelehrten-, Schriftsteller- und Künstler-Geschichte vom Jahre 1806 bis zum Jahre 1830, Marburg 1831; Neuausgabe von Ingeborg Schnack, in: Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft 1958, S. 162–217 (Jacob S. 172–194, Wilhelm S. 195–217); die Zahlen im Text geben Seiten aus der Neuausgabe an.
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nen kleinen Theil der großen Liebe, die sie uns mit der standhaftesten Selbstverleugnung bewies, ersetzen zu können. Jura studierte ich hauptsächlich, weil mein seel. Vater ein Jurist gewesen war und es die Mutter so am liebsten hatte; denn was verstehen Kinder oder Jünglinge zu der Zeit, wo sie solche Entschlüsse fest und entschieden fassen von der wahren Bedeutung eines solchen Studiums? Es liegt aber in diesem Haften bei dem Stande des Vaters an sich etwas natürliches, unschädliches und sogar rathsames. In viel späteren Jahren hätte mich zu keiner andern Wissenschaft Lust angewandelt, als etwa zur Botanik. Der seel. Vater selbst hatte auch gewissermaßen vorgearbeitet und mir noch vor dem zehnten Jahr allerhand Definitionen und Regeln aus dem Corpus Juris eingeprägt, er hatte auch wohl zum dereinstigen Gebrauch seiner Kinder aus seiner Praxis merkwürdige Fälle mit saubrer Hand aufgeschrieben. Zu Marburg mußte ich eingeschränkt leben; es war uns aller Verheißungen ungeachtet, nie gelungen die geringste Unterstützung zu erlangen, obgleich die Mutter Witwe eines Amtmanns war, und fünf Söhne für den Staat groß zog; die fettesten Stipendien wurden daneben an meinen Schulcameraden von der Malsburg ausgetheilt, der zu dem vornehmen hessischen Adel gehörte und einmal der reichste Gutsbesitzer des Landes werden sollte. Doch hat es mich nie geschmerzt; vielmehr habe ich oft hernach das Glück und auch die Freiheit mäßiger Vermögensumstände empfunden. Dürftigkeit spornt zu Fleiß und Arbeit an, bewahrt vor mancher Zerstreuung und flößt einen nicht unedlen Stolz ein, den das Bewußtsein des Selbstverdienstes, gegenüber dem, was andern Stand und Reichthum gewähren, aufrecht erhält. Ich möchte sogar die Behauptung allgemeiner fassen und vieles von dem, was Deutsche überhaupt geleistet haben, gerade dem beilegen, daß sie kein reiches Volk sind. Sie arbeiten von unten herauf und brechen sich viele eigenthümliche Wege, während andere Völker mehr auf einer breiten, gebahnten Heerstraße wandeln. In Marburg hörte ich nacheinander bei Bering Logik und Naturrecht (ohne aus beiden wahre Frucht zu ziehen); bei Weiß Institutionen, Pandecten, zuletzt auch ein lat. Examinatorium; bei Erxleben Pandecten u. Canonicum; bei Robert Reichsgeschichte, Staatsrecht, Lehnrecht und die Practica; bei Bauer deutsches Privatrecht und Criminale; unter diesen allen zog mich wohl der muntere und gelehrte Vortrag von Weiß am meisten an, bei Erxleben herrschte Eintönigkeit und eine bereits veraltende Manier. Was kann ich aber von Savignys Vorlesungen anders sagen, als daß sie mich aufs ge-
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Jacob und Wilhelm Grimm waltigste ergriffen und auf mein ganzes Leben und Studieren entschiedensten Einfluß erlangten? Ich hörte bei ihm Winter 1802 bis 1803 juristische Methodologie, sowie Intestaterbfolge (das im Sommer 1802 von ihm gelesene testamentarische Erbrecht wurde aus Heften anderer Studenten abgeschrieben und nachgeholt); Sommer 1803 römische Rechtsgeschichte, Winter 1803–4 Institutionen und Obligationenrecht. Im Jahr 1803 war das Buch über den Besitz erschienen, welches begierig gelesen und studiert wurde. Savigny pflegte damals in seinen Collegien den Zuhörern die Interpretation einzelner schwieriger Gesetzstellen aufzugeben und die eingegangenen Arbeiten erst schriftlich auf dem eingereichten Bogen selbst und dann öffentlich zu recensieren. Einer meiner ersten Aufsätze betraf die Collation und ich hatte die darin aufgestellte Frage vollkommen begriffen und richtig gelöst; welche unbeschreibliche Freude mir das machte und welchen neuen Eifer das meinen Studien gab, wäre zu bemerken unnöthig. Das Überbringen dieser Ausarbeitungen veranlaßte nun öfters Besuche bei Savigny. In seiner damals schon reichen und auserwählten Bibliothek bekam ich dann auch andere nicht juristische Bücher zu sehen, z.B. die Bodmer’sche Ausg. der deutschen Minnesinger, die ich später so oft in die Hand nehmen sollte und auf welche Tieks Buch und dessen hinreißende Vorrede mich gespannt gemacht hatte. Im Sommer 1804 verließ Savigny die Universität, um eine literarische Reise nach Paris anzutreten […]. Savigny schlug mir vor, ungesäumt nach Paris zu kommen und ihm dort bei seinen literarischen Arbeiten zu helfen. […] Ich befand mich [dort] trefflich aufgehoben und verlebte das Frühjahr und den Sommer [1805] auf die angenehmste und lehrreichste Weise. Was ich von Savigny empfieng überwog bei weitem die Dienste, die ich ihm leisten konnte4 […] (176–180). Ich habe mit meinem Bruder dieselben Lehrer gehabt und so ziemlich dieselben Collegia gehört; auch ich darf mich Savignys Wohlwollen rühmen und ich weiß nicht leicht etwas, daß so großen Eindruck auf mich gemacht hat, als sein Vortrag. Ich glaube es war die Freiheit und Lebendigkeit, zugleich das Gemeßene und Ruhige
4
Exzerpieren von Schriften und Handschriften der Glossatoren; vgl. Heinz Rölleke (Hg.), Briefwechsel zwischen Jacob und Wilhelm Grimm. Teil 1, Stuttgart 2001, S. 29, 39.
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dabei, was so sehr anzog und festhielt. Rhetorische Gaben können für eine Zeitlang blenden, aber sie feßeln nicht. Er sprach frei und blickte nur von Zeit zu Zeit auf ein einzelnes beschriebenes Blatt, und es war bei vollkommener Klarheit und dem Ausdruck innerer Überzeugung eine gewiße Zurückhaltung und Mäßigung in seiner Darstellung, deren Wirkung kein rednerischer Überfluß würde erreicht haben. Seine ganze äußere Erscheinung war diesem Eindrucke völlig angemessen. Ich hörte zuerst Rechtsgeschichte nach Hugo, dann Institutionen. Savigny richtete zuweilen, während der Vorlesung, Fragen an die Zuhörer, schwierigere wurden schriftlich beantwortet. Ich schrieb nach, aber was ich mit nach Haus brachte, ward durch das, was in Gedanken geblieben war, ergänzt und das Ganze überarbeitet. Wir beide erhielten die Erlaubniß Savigny zu besuchen und uns Raths bei ihm zu erholen; die Anregung, die nicht blos von seinen Vorlesungen ausgieng, die Einsicht von dem Werthe geschichtlicher Betrachtung und einer richtigen Methode bei dem Studium war ein Gewinn, den ich nicht hoch genug anschlagen kann, ja ich weiß nicht, ob ich sonst je auf einen ordentlichen Weg gekommen wäre. Für wie vieles andere hat er uns den Sinn erschlossen, und wie manches noch unbekannte Buch ward aus seiner Bibliothek nach Haus getragen! Die anmuthige Weise, mit welcher er wohl gelegentlich etwas vorlas, eine Stelle aus Wilhelm Meister, ein Lied von Göthe, ist mir noch so lebhaft in Gedanken, als habe ich ihm erst gestern zugehört. Manchmal kommt es mir vor, als sey heut zu Tage strenger Eifer für Gelehrsamkeit wohl zu finden, eine solche Richtung nach freier Ausbildung aber seltener und dem Ernste die Heiterkeit entzogen worden; oder täusche ich mich und sollte ich bloß beklagen, daß die Zeit der ersten jugendlichen Anregung und der eben erwachten Theilnahme für das Geistige vorübergeht (202 f.)?
Während Wilhelm sich im Sommer 1806 „öffentlich examinieren“ ließ und „ein günstiges Zeugnis der Facultät“ erhielt, hat Jacob nie ein Examen gemacht und stets ablehnend von solchen Prüfungen gesprochen. Den „Access beim Secretariat des Kriegs Collegiums“ (181) erhielt Jacob Anfang 1806 dessen ungeachtet, und auch die Ernennung der Brüder zu Doctores h.c. der philosophischen Fakultät in Marburg im Jahre 1819 wurde von ihnen eher
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zurückhaltend angenommen 5 . In ihrem Lebenswerk der Dokumentation und Erforschung der mittelalterlichen deutschen Literatur und der Volkspoesie war das Recht nur ein Teilaspekt6. So sprach Wilhelm für die Zeit nach seinem Examen vom „Eifer, womit die altdeutschen Studien getrieben wurden. Die Jurisprudenz konnte um so eher beiseite gelegt werden, als meine Kränklichkeit mir nicht erlaubte, an eine Anstellung zu denken“ (204). Bei Jacob wirkten die von Savigny erhaltenen Anregungen deutlicher nach: 1828 veröffentlichte er die „Deutschen Rechtsaltertümer“, in deren Vorrede es heißt: „Ich wollte meine ebenfalls liebgewonnenen, nur noch lässig fortgeführten Sammlungen für das altdeutsche Recht in dem Eifer einer emsigen Nachlese und frisch darangesetzten Prüfung beleben.“ Später kamen mehrere Bände „Weistümer“ hinzu7. Allerdings wurden die Brüder Grimm jeweils als Professoren der Philosophie an die Universitäten Göttingen (1830) und Berlin (1840) berufen. Als Männer wahrhaft rechtlicher Gesinnung haben Jacob und Wilhelm Grimm sich gezeigt, als sie gemeinsam mit fünf Kollegen gegen die willkürliche Aufhebung des Hannoverschen Staatsgrundgesetzes durch den Monarchen im Jahr 1837 protestierten, wofür sie mit der Entlassung aus dem Staatsdienst, Jacob darüber hinaus auch mit der Ausweisung aus dem Königreich einstehen mussten8. 5 6 7
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Vgl. Alfred Höck, Die Brüder Grimm als Studenten in Marburg, in: Ludwig Denecke / Ina-Maria Greverus (Hg.), Brüder Grimm Gedenken 1963, Marburg 1963, S. 67–96 (91). Vgl. Gunhild Ginschel, Der junge Jacob Grimm 1805–1819, 2. Aufl., Stuttgart 1989, S. 58 ff. Vgl. Gerhard Dilcher, Jacob Grimm als Jurist, in: JuS 1985, S. 931–93; Dölemeyer (Fn. 1), S. 141 ff.; Wilhelm Ebel, Jacob Grimm und die deutsche Rechtswissenschaft, Göttingen 1963. Vgl. Jörn Ipsen, Macht versus Recht. Der Hannoversche Verfassungskonflikt 1837–1840, München 2017, S. 189 ff.
13. Ludwig Börne
Das ganze Gebiet des Lebens zu erfassen müssen wir strebend uns bemühen Ludwig Börne (1786–1837), Essayist, Literatur- und Theaterkritiker sowie „neben Heine der geistreichste und aggressivste Analytiker und Kommentator der politischen Zustände seiner Zeit“1, stammte aus einer vermögenden jüdischen Bankiers- und Kaufmannsfamilie und wurde als Juda Löw Baruch geboren. Als Rufname bürgerten sich Louis und Ludwig ein. 1818 ließ er sich taufen und nahm den Namen Ludwig Börne an. Er studierte von 1804 bis 1807 Medizin in Halle, besuchte aber aus mangelndem Interesse an diesem Fach vorwiegend Veranstaltungen anderer Fakultäten, namentlich der Philosophischen 2 . So begeisterte er sich für das akademische Leben in Halle: Ich erinnere mich mit Entzücken jener akademischen Jahre, die ich in Halle gelebt. Zwar ist die Jugend jedem schön, wo und wie sie ihm auch vorübergehe; aber akademischen Jünglingen ist sie es doppelt. Es ist der nämliche Weg, auf dem ihnen Scherz und Ernst begegnen, und die schmerzliche Wahl zwischen Lust und Mühe ist ihnen erlassen; die andern aber stehen allzufrühe am Scheideweg des Herkules. In Halle herrschte damals ein frisches, seelenvolles, höchst bewegtes wissenschaftliches Leben. Göttingen war, was es immer gewesen, was es noch ist: der Staat des ehrwürdigen altherkömmli1 2
Walter Hinderer, Der Poet der Tagesgeschichte, in: SZ vom 24./25. Mai 1986, S. 14. Vgl. zur Biographie Helmut Bock, Ludwig Börne. Vom Gettojuden zum Nationalschriftsteller, Berlin 1962; Alfred Estermann (Bearb.), Ludwig Börne 1786–1837, Frankfurt a.M. 1986; Willi Jasper, Keinem Vaterland geboren. Ludwig Börne. Eine Biographie, Hamburg 1989.
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Ludwig Börne chen Wissens, ein hochgeachteter Adelstand, reich an festen, sichern, unveräußerlichen Grundbesitzungen. In Halle aber herrschte mehr der bürgerliche Gewerbefleiß, die Geldwirtschaft des Geistes, und die Lehre wie das Gelernte ging rasch und froh von Mund zu Mund, von Hand zu Hand. Die weise und gütige Sorgfalt der preußischen Regierung hatte einen Verein von akademischen Lehrern gebildet, die, ohne sich vom alten Bewährten abzukehren, dem 3 Neuen zugewendet waren.
1807 ging Börne nach Heidelberg, wo es ihm ebenfalls gefiel: „Die Herrlichkeit der Gegend um Heidelberg und das hübsche Leben überhaupt, das man hier führt, kann ich nicht genug beschreiben“ (IV 163). Er studierte Kameralistik und Nationalökonomie; diese Verbindung von Verwaltungs- und Wirtschaftswissenschaften ressortierte in der Philosophischen Fakultät und kam seinem Streben nach allgemeiner Bildung und der Integration von Theorie und Praxis 4 entgegen. In einem nachgelassenen Manuskript aus dieser Zeit hatte er sich Gedanken über Geist und Zweck des akademischen Lebens gemacht, indem er die berühmten Verse aus Goethes „Faust“: „Hab’ ich nun, ach! Philosophie …“ wie folgt kommentierte: So läßt Goethe seinen Faust reden. Wer aber mit diesem Geständnis die Akademie verließe, der wäre wahrhaft zu beklagen; denn er gesteht nicht bloß, daß er seinen Zweck nicht erreicht habe, sondern er zeiget auch, daß er den wahren Zweck des akademischen Lebens gar nicht kenne, daß er ihn wenigstens nicht umfassend begriffen habe. Nicht das, was wir das Wissen zu nennen gewohnt sind, allein ist es, was wir auf der Akademie uns anzueignen streben müssen: nimmermehr. Das ganze Gebiet des Lebens zu erfassen müssen wir strebend uns bemühen (I 4). 3
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Ludwig Börne, Die Apostaten des Wissens und die Neophyten des Glaubens (1828), in: Ders., Sämtliche Schriften, hg. von Inge und Peter Rippmann, 5 Bände, Düsseldorf 1964–1968, Bd. 1, S. 597 f.; die römischen und arabischen Zahlen im Text geben Band und Seite dieser Ausgabe an. Vgl. seinen Aufsatz „Über Theorie und Praxis in der Politik (Das Leben und die Wissenschaft)“ (1808), in: Börne (Fn. 3), S. 106–116.
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Über das Studium Börnes in Heidelberg sind keine autobiographischen Zeugnisse überliefert, aber er reflektierte das Gehörte intensiv, wie man den nachgelassenen Staatswissenschaftlichen Fragmenten entnehmen kann. Hier zwei Kostproben: Man pflegt zu definieren: Der Zweck des Staats ist Sicherheit. Es ist dieses ebenso erklärt, als wenn man sagte, der Zweck des menschlichen Lebens sei die Gesundheit. Sicherheit (d.i. die feste Zuversicht eines jeden auf das Fortbestehen der rechtlichen Verhältnisse) kann wohl ein Kriterium abgeben, daß der Staatszweck erreicht sei; sie ist aber keineswegs dieser Zweck selbst (I 100). [Man wird] die in verschiedenen Staaten des Rheinbundes eingeführten Modifikationen des Code Napoléon keineswegs billigen können. Man könnte hierauf erwidern, daß eine von der französischen abweichende Staatsverfassung Modifikationen des Zivilrechts nötig machte. Allein hier wird nur ein Fehler mit dem andern entschuldigt. Freilich sollte man an die Einführung des Code Napoléon nicht eher denken, als bis man die Staatsverfassung desjenigen Landes, worin er eingeführt werden soll, der französischen analog gemacht. Allein, wer hindert dieses zu tun? Nichts ist in den Sitten, dem Charakter oder der physischen Lage der deutschen Lande enthalten, was eine von der französischen abweichende Staatsverfassung erforderlich machte, diejenigen Modifikationen ausgenommen, die durch die geringere Ausdehnung des Staates notwendig gemacht werden (I 105).
1808 wechselte Börne nochmals den Studienort: In Gießen war sein früherer Internatslehrer A. F. W. Crome Professor für Statistik (damals eine Mischung von Staats-, Verwaltungs- und Wirtschaftswissenschaft) und Dekan der Philosophischen Fakultät geworden. Er führte Börne in drei Monaten zur Promotion, indem mehrere Essays von Börne als Dissertation angenommen und ihm die üblicherweise verlangte Disputation erlassen wurde. Immerhin wurden die Essays anschließend in verschiedenen Zeitschriften veröffentlicht5.
5
Vgl. Estermann (Fn. 2), S. 28 ff.
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Frankfurt kam 1806 unter französische Herrschaft, die 1810 das Großherzogtum Frankfurt als napoleonischen Satellitenstaat gründete und den Juden die bürgerlichen Rechte einräumte. So konnte Börne 1811 Aktuar bei der Oberpolizeidirektion in Frankfurt werden. Er hatte „einen großen Teil der deutschen und französischen Korrespondenz zu führen, Entwürfe über verschiedene Polizei-Einrichtungen zu machen, öffentliche Bekanntmachungen und Verordnungen zu verfassen usw. Als laufendes Geschäft ward mir die Registratur gegeben“ (V 609). Mit der Restauration der alten Stadtrechte im Jahr 1815 wurden Juden nicht mehr im Staatsdienst geduldet, und Börne wurde entlassen. Immerhin konnte er sich auf juristischem Weg die Fortzahlung einer Pension in Höhe eines halben Jahresgehalts erstreiten. Das publizistische Lebenswerk des Radikaldemokraten bestand im Streit für Gleichheit und Freiheit als Menschenrechte6.
6
Vgl. Wolfgang Labuhn, Literatur und Öffentlichkeit im Vormärz. Das Beispiel Ludwig Börne, Königstein/Ts. 1980, S. 109 ff.; Inge Rippmann, „Freiheit ist das Schönste und Höchste in Leben und Kunst“. Ludwig Börne zwischen Literatur und Politik, Bielefeld 2004.
14. Ludwig Uhland
Des Rechts beflissen gegen meines Herzens Drang Ludwig Uhland (1787–1862), Dichter idyllischer Verse und Balladen, wurde wie sein Vater, der als Universitätssekretär arbeitete, Jurist. Schon mit 14 Jahren ließ er sich im Wintersemester 1801/02 an der Universität Tübingen als Student der Rechtswissenschaft einschreiben; doch waren die ersten Jahre der allgemeinen Bildung an der sog. Artisten-Fakultät gewidmet. Erst ab 1805 setzte das eigentliche Jurastudium ein; allerdings galt auch weiterhin Uhlands Hauptaugenmerk nicht den „trockenen Brodstudien“ 1 , sondern der Literatur und der eigenen dichterischen Produktion. In den ersten Versen des Gedichts „Die neue Muse“ findet das folgenden Ausdruck: Als ich mich des Rechts beflissen Gegen meines Herzens Drang Und mich halb nur losgerissen 2 Von dem lockenden Gesang.
So richtig ernst scheint es erst ein reichliches halbes Jahr vor dem Examen geworden zu sein. In seinen Briefen aus dieser Zeit liest man darüber: In iure hab’ ich seit dem Herbste, außer der Vollendung der Hofacker’schen Pandekten, Folgendes gelesen: Hofackers Institutionen; einen kleinen Rest im Canonicum; Runde’s deutsches Privatrecht; Meisters Criminale; Pütters Wechselrecht und einige Abhandlungen in Gönners Handbuch, das mir sehr gefällt. Nun hab’ ich noch 1 2
Friedrich Notter, Ludwig Uhland. Sein Leben und seine Dichtungen, Stuttgart 1863, S. 25. Ludwig Uhlands Werke in vier Bänden, Berlin 1911, 1. Bd., S. 87.
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Ludwig Uhland Lehnrecht und Landrecht vor mir. überdies will ich noch Gönners Handbuch absolviren, auch hab’ ich besonders den Concursproceß noch zu reiten, überdies les’ ich noch ein Pandekten-Compendium. Nehm’ ich hiezu noch die Recapitulation des Ganzen, so gehen schon noch 2 Monate vorbei, bis ich mich zum ersten Examen 3 melden kann . – Die gestrenge Themis [Göttin der Gerechtigkeit] verjagt mit ihrem großen Schwerde alle eleganteren Gottheiten. [...] die widrigen Examens- und Disputations-Plackereien, […] das ertödtende Geschäft meiner Examenspräparation. […] Examen und Dissertation, diese Wörter sind aber verflucht bös zu buchstabiren und könnten Einem ein gutes Glas Wein vergällen. […] Überhaupt 4 es ist nimmer das freie, frische Studentenleben.
An das erste, mündliche Examen vor der Juristen-Fakultät im Juli 1808 mit den beiden Teilen des „Tentamen“ und des „Rigorosum“5, in dem ihm „gute juridische Kenntnisse“ bescheinigt wurden 6 , schloss sich schon wenige Monate später das zweite, sog. Advocaten-Examen vor dem Obertribunal in Tübingen an. Was für die Zulassung zu tun war, erläuterte Uhland einem Freund wie folgt: Dein Exhibitum [Eingabe] um’s Examen adressierst Du: ‘An den König, links unten: Königliches Justiz-Ministerium’. Du führst (auf einem Stempelbogen) ganz kurz aus, daß Du die gehörige Zeit studirt habest, etwa mit Beilegung der Facultätstestimonien, wodurch dies constatirt wird, und nunmehr wünschest, zum Adcocaten-Examen zugelassen und nachher unter die Zahl der Königlichen Advocaten 7 aufgenommen zu werden.
Für das Examen waren zunächst schriftliche Arbeiten zu fertigen: ,,ein Consilium; schriftliche Recesse; Gravatorial-Libell, Exception, Replik, Duplik“; daran schloss sich eine mündliche Prüfung 3 4 5 6 7
In: Karl Mayer, Ludwig Uhland, seine Freunde und Zeitgenossen. Erinnerungen, Bd. 1, Stuttgart 1867, S. 74. Uhlands Briefwechsel, hg. von Julius Hartmann, l. Teil 1795–1815, Stuttgart und Berlin 1911, S. 41, 51, 60, 61 und 95. Mayer (Fn. 3), S. 88. Notter (Fn. 1), S. 40. In: Mayer (Fn. 3), S. 92.
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an8. Auf Wunsch seines Vaters machte sich Uhland sodann an eine Dissertation im römischen Recht9, die er aber erst im März 1810 abschließen konnte – kein Wunder, musste er doch „gestehn, daß mir das Universitätswesen ziemlich entleidet ist“. Über seine Schwierigkeiten schrieb er folgendes Gedicht: Nur selten komm’ ich aus dem Zimmer, Doch will die Arbeit nicht vom Ort, Geöffnet sind die Bücher immer, Doch rück ich keine Seite fort. Bald spielt man Nachbar auf der Flöte Und führt mir die Gedanken hin, Bald sitzt am Fenster, beim Filete, 10 Die angenehme Nachbarin.
Uhland hatte ein einigermaßen bewegtes berufliches Leben: Nach zwei Jahren als Rechtsanwalt in Tübingen schlossen sich anderthalb Jahre als „Accessist“, d.h. Volontär, beim württembergischen Justizministerium und, nachdem seine Gesuche um eine feste Anstellung keinen Erfolg hatten, wiederum sechszehn Jahre als Anwalt in Stuttgart an. In den politischen Auseinandersetzungen um eine neue Verfassung nach 1815 11 nahm er Partei für die überkommene ständische Ordnung, die er in mehreren Gedichten12 würdigte, so im Folgenden: Wo je bei altem, gutem Wein Der Württemberger zecht, Da soll der erste Trinkspruch sein: 13 Das gute alte Recht! 8 9 10 11 12 13
Mayer (Fn. 3), S. 92, 94. Ausführlich Jan Schröder, Ludwig Uhland als Jurist, in: ZNR 2013, S. 67–85 (70 ff.). Uhlands Briefwechsel (Fn. 4), S. 100, 101, 144. Vgl. Werner Frotscher / Bodo Pieroth, Verfassungsgeschichte, 16. Aufl., München 2017, Rn. 284 ff. In: Hans Fehr, Das Recht in der Dichtung, Bern 1931, S. 470 f. Ludwig Uhland, Werke, hg. von Hans-Rüdiger Schwab, Bd. 1, Frankfurt a.M. 1983, S. 69. – Vgl. zu Uhlands Rechtsdenken Hartmut Froeschle,
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Von 1830 bis 1832 war Uhland Professor für deutsche Literatur in Tübingen. Dieses Amt gab er auf, um sich – nachdem er von 1819 bis 1826 schon Landtagsabgeordneter gewesen war – ganz dem neuerlich errungenen Mandat zu widmen. 1938 schied er aus dem Landtag aus und arbeitete als Privatlehrer. Später war er einige Zeit Mitglied des württembergischen Staatsgerichtshofs14. Den Höhepunkt seines politischen Wirkens bildete die Teilnahme an der deutschen Nationalversammlung (1848/ 49). Er war Demokrat, ,,freisinniger“ Kämpfer für Grundrechte, der meistens mit der Linken stimmte. Dabei war Uhland kein Umstürzler; seine Fortschrittlichkeit erwuchs aus bodenständiger Rechtlichkeit. So wurde er in der zu seinem fünfzigjährigen Doktorjubiläum im Jahr 1860 erneuerten Urkunde der Tübinger Juristen-Fakultät als „erster unter den jetzt lebenden Dichtern“ und als „tapferster und unbestechlichster Vorkämpfer für Recht und Gesetz“15 gewürdigt.
Ludwig Uhland und die Romantik, Köln 1973, S. 127 ff.; Schröder (Fn. 9), S. 80 ff.; Volker Siegel, Ludwig Uhland, der Dichter zwischen Romantik und Moderne, in: Michael Kilian (Hg.), Jenseits von Bologna – Jurisprudentia literarisch. Von Woyzeck bis Weimar, von Hoffmann bis Luhmann, Berlin 2006, S. 95–119; Peter Sina, Ludwig Uhland – Poesie als Ordnung des Chaos, in: NJW 2001, S. 550–555 (551 f.); Eugen Wohlhaupter, Dichterjuristen, Bd. II, Tübingen 1955, S. 191–283 (250 ff.). 14 Vgl. Hartmut Maurer, Die Verfassungsgewähr im konstitutionellen Staatsrecht des 19. Jahrhunderts, in: Heinrich de Wall / Michael Germann (Hg.), Bürgerliche Freiheit und Christliche Verantwortung. Festschrift für Christoph Link zum siebzigsten Geburtstag, Tübingen 2003, S. 725–750 (745). 15 Notter (Fn. 1), S. 40.
15. Joseph Freiherr von Eichendorff
Das ganze Studentenwesen ein wildschönes Märchen Joseph Freiherr von Eichendorff (1788–1857) stammte aus einer schlesischen Adelsfamilie und ist wohl der bekannteste deutsche Dichter der Romantik. Sein Ruhm beruht vor allem auf seinen Gedichten, die vielfach vertont wurden und eine weitgehend anonyme Popularität erreicht haben, und der aus dem Schulunterricht früher kaum wegzudenkenden Erzählung „Aus dem Leben eines Taugenichts“. Eichendorff1 wurde im Frühjahr 1805 in Halle als Juris Studiosus immatrikuliert (HKA XVIII 1, 10 f.) 2 . Halle war die „damals frequenteste Universität“ (W 424):
1
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Es wird aus folgenden Werken zitiert: HKA = Freiherr Joseph von Eichendorff, Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe, begr. 1908 von Wilhelm Kosch, hg. ab 1962 von Hermann Kunisch; XI/1, 2 = Band 11 Tagebücher, Text und Kommentar, hg. von Ursula Regener, Tübingen 2006; Band XII = Band 12 Briefe 1794–1857, hg. von Sibylle von Steinsdorff, Stuttgart 1992; XVIII 1, 2 = Band 18 Joseph von Eichendorff im Urteil seiner Zeit, hg. von Günter und Irmgard Niggl, Stuttgart 1975 f. – W = Joseph von Eichendorff, Werke in sechs Bänden, hg. von Wolfgang Frühwald u.a., Band 5, Frankfurt a.M. 1993, darin S. 416–451 „Halle und Heidelberg“, das in Eichendorffs letztem Lebensjahr entstandene Kapitel für die nicht mehr vollendeten Memoiren mit dem erwogenen Titel „Erlebtes, Ansichten, Skizzen und Betrachtungen“. – Chr = EichendorffChronik. Daten zu Leben und Werk, zusammengestellt von Wolfgang Frühwald, München, Wien 1977. Zu Eichendorffs Studentenleben in Halle vgl. Heiner Lück, Eichendorff als Student der Rechte in Halle 1805/06, in: Wolfhard Kohte / Michael Kilian (Hg.), Staatsbeamte als Dichterjuristen, Halle an der Saale 2010, S. 15–21;
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Joseph Freiherr von Eichendorff Gegen 4 Uhr erreichten wir Halle, u. bezogen alsobald die Residentz, wo uns H. Ronge 2 Stiegen hoch 2 Stuben auf ein halbes Jahr gemiethet hatte. Der seltsame Eindruck, den die Furchtsamkeit der Bürger u. Offiziere, die schon von weitem vom breiten Steine weichen, die Höflichkeit der Proffessoren, u. das Prosit u. überhaubtige Betragen der Studenten, die bald, die Beine auf die Gaße heraushängend, in den Fenstern saßen u. brüllten, bald in Stürmern [ledernen Helmen mit Federbusch], Canonen [hohen Schaftstiefeln], Helmen, Uniformen, Pumphosen etc. bey mir vorbeydonnerten, ferner das Geklirre der Rappiere [Fechtdegen] auf den Straßen u.d. gl. auf mich machten, läßt sich nicht beschreiben. Auch konnten wir uns lange nicht gewöhnen, vor Bekanndten nicht den Hut abzunehmen (HKA XI/1 146).
Er blieb drei Semester lang und hörte „mit rühmlichem Fleiße“ (vgl. HKA XVIII 1, 12 f.) neben Vorlesungen in klassischer Philologie und Philosophie folgende „Collegien“ zur Jurisprudenz: Altertümer des Römischen Rechts, Institutionen, Staatsrecht, Naturrecht, Rechtsgeschichte und Privatrecht (vgl. HKA XI/1 147, 198, 202). Unter den Professoren waren keine von fortdauernder Berühmtheit3; Eichendorff charakterisierte sie denn auch als „Halbinvaliden“ und „Stockjuristen, sämtlich von dem wohlfeilen Kunststück vornehmen Ignorierens fleißig Gebrauch machend“ (W 424, 426) und führte aus: Jene halbinvaliden und philosophischen Handlanger dagegen, da sie an sich so wenig Anziehungskraft besaßen, suchten nun mit allerlei schlauen Kunststücken zu werben; die Derbsten unter ihnen durch zum Teil sehr schmutzige Witze und Späße, die alljährlich bei demselben Paragraphen wiederkehrten; die vornehmeren, zumal wenn sie heiratslustige Töchter hatten, durch intime Soireen und Plaudertees, um die bärtigen Burschen zu zivilisieren. Und das gelang auch ganz vortrefflich, denn zu ihnen hielt in der Tat beiweitem die Mehrzahl der jungen Leute, nämlich alle die unsterblichen Bet-
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Günther Schiwy, Eichendorff. Der Dichter in seiner Zeit. Eine Biographie, München 2000, S. 138 ff.; Theodore Ziolkowski, Das Amt der Poeten. Die deutsche Romantik und ihre Institutionen, Stuttgart 1992, S. 347 ff. Zu ihnen im Einzelnen Lück (Fn. 2), S. 18 ff.
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telstudenten, wie man sie billigerweise nennen sollte, da sie bloß auf Brot studieren. Es war wahrhaft rührend anzusehen, wie da in den überfüllten Auditorien in der schwülen Atmosphäre der entsetzlichsten Langenweile Lehrer und Schüler um die Wette verzweiflungsvoll mit dem Schlummer rangen, und dennoch überall die Federn unermüdlich fortschwirrten, um die verschlafene Wissenschaft zu Papier zu bringen und in sauberen Heften gewissenhaft heimzutragen (W 419).
Die Tagebücher sind angefüllt mit Berichten aus dem Studentenleben. Die Studenten waren in Halle nicht nur ein bestimmendes Element, sondern konnten sich offensichtlich auch allerhand herausnehmen. Als einmal ein Postillon sich mit einem Peitschenhieb gegenüber einem Studenten Durchlass verschaffte, stürzte ein gantzer Hauffen herbey, riß den Postillon vom Boke, u. prügelte ihn derb durch. Da sich die Häscher wegen der Menge nicht heranwagten, so blieb alles ohne weitere Folgen. Hiebey wird auch nicht umständlich erwähnt, wie oft des Nachts Schaaren besoffner Studenten auf dem Markte die Häscher aus ihrem Rathhause zum Kampfe brüllend herausforderten, oder als Gespenster verkappt in der Stadt spuken liefen (HKA XI/1 150 f.).
Rückblickend heißt es verklärt: So war das ganze Studentenwesen eigentlich ein wildschönes Märchen, dem gegenüber die übrige Menschheit, die altklug den Maßstab des gewöhnlichen Lebens daran legte, notwendig, wie Sancho Pansa neben Don Quijote, philisterhaft und lächerlich erscheinen mußte (W 421).
Auch von den Professoren ließen sich die Hallenser Studenten nicht alles gefallen. Über einen von ihnen wird vermerkt, dass er zunächst für „eine kleine Lustreise“ seine Vorlesungen ausfallen ließ und sodann verdoppelte, „um seine häufigen Faulheitslücken wieder zu ergäntzen“. Als er die Woche darauf nach der akademischen Viertelstunde nicht erschienen war, stürzte alles mit solchem Gebrülle aus dem Auditorio, daß das gantze Haus erbebte, u. die Dämchen, die im gegenüberstehenden Hause zum Fenster heraussahen, mit ängstlicher Aufmerksamkeit die Scene
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Joseph Freiherr von Eichendorff beobachteten. Als nun so der gantze Hauffe schimpfend u. lärmend unter Wolfs Fenstern stand, riß endlich Wolf, durch das Geschrey aufmerksam gemacht, die Fenster auf, deprecirte [leistete Abbitte] zu wiederholtenmalen auf die Gaße hinaus, versicherte: die Uhr verhört zu haben, u. bat die Herren zurükzukehren, um wenigstens noch die halbe Stunde zu lesen, welches denn auch geschah mit Händeklatschen (HKA XI/1 161, 163, 165).
Das Wintersemester 1806/07 fiel aus, nachdem Napoleon die Universität Halle hatte schließen lassen: „[…] die Studenten wurden mit unerhörtem Vandalismus plötzlich und unter großem Wehgeschrei der Bürger nach allen Weltgegenden auseinandergetrieben und mußten, ausgeplündert und zum Teil selbst der nötigen Kleidungsstücke beraubt, sich einzeln nach Hause betteln“ (W 430). Eichendorff verbrachte die Zeit hauptsächlich auf dem elterlichen Schloss Lubowitz bei Ratibor. Zum Sommersemester 1807 wurde er in Heidelberg immatrikuliert (HKA XVIII 1, 15)4. Heidelberg war damals eine typische Arbeitsuniversität, an der – nach Joseph Görres, damals Privatdozent an der Philosophischen Fakultät – das Studium getrieben wurde, „als ob es das ganze Jahr Karwoche wäre“ (Chr 44). Eichendorff hörte in seinen beiden Heidelberger Semestern – wiederum neben philologischen und philosophischen Vorlesungen – Institutionen und Pandekten, Diplomatik, Kirchenrecht und Kriminalrecht. Außerdem nahm er Französisch-, Italienisch- und Gitarrenunterricht (vgl. HKA XI/1 291, 316 f.). In Heidelberg hatte Eichendorff berühmte akademische Lehrer: Der als Antipode von Savigny bekannte Thibaut wird wie folgt gewürdigt: „Schon seine äußere Erscheinung mit den lang herabwallenden, damals noch dunkelen Locken, was ihm ein gewis4
Ausführlich zu Eichendorffs Heidelberger Semestern: Günther Debon, Das Heidelberger Jahr Joseph von Eichendorffs, Heidelberg 1991; Klaus-Peter Schroeder, „Lange Canapé-Unterhaltung mit Hofrath Thibaut“, in: NJW 2008, S. 729–735.
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ses apostolisches Ansehen gab, noch mehr der eingeborene Widerwille gegen alles Kleinliche und Gemeine unterschied ihn sehr fühlbar von dem Troß seiner eigentlichen Zunftgenossen […]“ (W 434 f.). Ihn hatte Eichendorff wohl auch vor Augen, als er seine verächtliche Bemerkung über die Juristen, die ein „sog. Naturrecht“ lehrten, „das nirgends galt und niemals gelten konnte“, folgendermaßen einschränkte: „Nur etwa die Lehrer des römischen Rechts machten hie und da eine auffallende Ausnahme, weil der Gegenstand sie zwang, sich in das Positive einer großartigen Vergangenheit zu vertiefen“ (W 418). Am meisten aber beeindruckte ihn Görres: „einsiedlerischer Zauberer, Himmel und Erde, Vergangenheit und Zukunft mit seinen magischen Kreisen umschreibend“ (W 430); er hielt ein „göttliches“, „himmlisches Collegium“ (HKA XI/1 317, 324) 5 . Auch über den Heidelberger Vorlesungsbesuch sowie über das „gesittete und anständige“ Betragen Eichendorffs existieren Testate (HKA XVIII 1, 17 f., 24 f.; 2, 1298). Der typische Tagesablauf, an dem „eisern“ festgehalten wurde, sah so aus: Früh um halb 5 Uhr aufgestanden u. italienisch. Nach Kopps Stunde eine Stunde Guitarre geübt. Zu Mittag wieder a la Halle ausgezogen u. friedlich zu Hause eßend. Nach Tische Ruhepause auf dem Canapé. Darauf den gantzen Nachmittag Institutionen. (Fast alle Wochen beschwerl. diplomatische Ausarbeitungen für Kopp.) Nach Görres Stunde wieder Guitarre. Darauf Spaziergang allein vor das Mannheimer Thor auf der Schwetzinger Chaussée (HKA XI/1 303).
Das folgende Jahr unterstützte Eichendorff gemeinsam mit seinem Bruder Wilhelm, mit dem er auch alle Studienstationen absolvierte, seinen Vater bei der Verwaltung der Güter. Den Winter verbrachte er in Berlin, wo er die öffentlichen Vorlesungen von Johann Gottlieb Fichte hörte. Im folgenden Sommer wurde unter dem Eindruck des wirtschaftlichen Niedergangs der Familiengüter 5
Zu Görres’ Einfluss auf Eichendorff vgl. Klaus Lüderssen, Eichendorff und das Recht, Frankfurt a.M. / Leipzig 2007.
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der Entschluss gefasst, in Wien das Jurastudium abzuschließen und eine Anstellung im österreichischen Staatsdienst anzustreben. Mit folgendem Schreiben vom 23. November 1810 ersuchten die Brüder Eichendorff die Studienhofkommission in Wien um Anrechnung ihres bisherigen Studiums (HKA XII 18 f.): Hochlöbliche Studien-Hof-Commission. Die Unterzeichneten, gebohrne Preußische Unterthanen, haben auf den Universitäten Halle und Heidelberg durch fünf Jahre Jura studiert, wie zum Theil beyliegende Zeugniße von Halle und Heidelberg bewähren; und sie durch nachträgliche Zeugniße von Heidelberg weiter darthun wollen; sie wünschen sich aber Österreichische juridische Studien-Zeugniße durch Privat Fleiß zu verschaffen, ohne den Zeitraum von fünf Jahren zu verlieren. Sie bitten daher um die Erlaubniß, daß sie aus sämtlichen hier vorgeschriebenen juridischen Fächern, in der Ordnung, jedoch nur in solchen Zwischenräumen Privat-Prüfungen machen dürfen, welche ihnen eine hinlängliche Vorbereitung nöthig machen wird. Erstens. Sind ihnen die meisten Gegenstände ohnehin schon bekandt. Zweitens. Können sie unmöglich jemand in der Philosophie mit ihnen Gleichzeitigem mehr vorkommen.
Nachdem das Gesuch innerhalb weniger Tage genehmigt und Eichendorff immatrikuliert worden war (HKA XVIII 1, 40), begannen anderthalb Jahre harter Arbeit, in denen sieben mündliche Prüfungen über Natur-, Staats- und Völkerrecht, Strafrecht, europäische Staatenkunde und Statistik, Römisches Recht und Privatrecht, Kirchenrecht und österreichisches Privatrecht abgelegt werden mussten. Eichendorff erhielt in allen die Note „erste Klasse mit Vorzug“ (HKA XVlll 1, 42 f.; 2, 1299–1301). Die Bewunderung des Lesers hierfür lässt etwas nach, wenn man über den Ablauf einiger Prüfungen in den Tagebüchern liest: „Er examinirte uns sehr wenig, meist sich bloß unterhaltend mit uns u. fertigte uns sogleich unsere guten testimonia aus“ (HKA XI/1 415 f.; vgl. auch 424). Im Übrigen sprach Eichendorff von einem
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„abentheuerlichen standhaften Hungerleben“ und schilderte den regelmäßigen Tagesablauf wie folgt: Früh näml. gar nichts. Zu Mittag Brodt. Butter (im Rasirbeken), Saltz u. 1 Seidel Wein zusammen, bei verschloßener Thüre. Zum Desert: Loebens Briefe und mein Tagebuch von Lubowitz. Darauf immer wieder un girò, wobei Pflaumen u. Bilderbesehn auf dem Michaelerplatze. Abends Brodt, Saltz u. 3 Seidel Bier. Früh von 7– 10 immer Jurisprudentz, dann bis 1 Poesie. Nachmittags von 3–5 u. später Jurispr: dann Poesie etc. (HKA XI/1 415).
Die Belohnung blieb mit dem erfolgreichen Abschluss im September 1812 nicht aus. Trotz seinem intensiven juristischen Lernen verfolgte Eichendorff seine literarischen Interessen weiter, er besuchte häufig das Theater und machte ausgedehnte Ausflüge. Es entstanden viele Gedichte und der Roman „Ahnung und Gegenwart“. Gleichwohl meinte er: „Ich kann mein poetisches Talent nicht als so entschieden und mir und der Welt genügend betrachten, um mich zu einer Ausschließung von aller anderen tüchtigen Arbeit zu berechtigen“ (Chr 70). So wurde er 1816 in den preußischen Staatsdienst aufgenommen und arbeitete fast 30 Jahre lang als Verwaltungsbeamter, zuletzt im Rang eines Geheimen Regierungsrats, in Breslau, Danzig, Königsberg und Berlin6. Das Recht spielte auch in seinen literarischen Werken eine wichtige Rolle7.
6
7
Vgl. Wolfgang Frühwald, Der Regierungsrat Joseph von Eichendorff, in: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur 1979, S. 37–67; Antonie Magen, Der Dichter im Staatsdienst. Eichendorffs Karriere als Beamter, in: Eichendorff wieder finden. Joseph von Eichendorff 1788–1857, hg. von Anne Bohnenkamp / Ursula Regener, Frankfurt a.M. 2007, S. 131–140; Eugen Wohlhaupter, Dichterjuristen, Tübingen 1955, Bd. II, S. 99–190 (117 ff.). Vgl. Klaus Lüderssen, Eichendorff und das Recht, Frankfurt a.M. / Leipzig 2007; weitere Nachweise bei Bodo Pieroth, Recht und Literatur. Von Friedrich Schiller bis Martin Walser, München 2015, S. 294 f.
16. Franz Grillparzer
Kothiger Fahrweg mit den Tritten aller dieser juridischen Lastesel Franz Grillparzer (1791–1872), österreichischer Dramatiker, stammte aus einer Wiener Juristenfamilie. Sein Großvater mütterlicherseits war Dekan der Rechtsfakultät der Wiener Universität gewesen, von dessen zehn Kindern acht selbst Juristen wurden oder Juristen heirateten. Sein Vater war Beamter am Hof Kaiser Josephs II.; er hatte mit aufklärerischer Tendenz über das neue Verhältnis von Kirche und Staat promoviert1 . So war es keine Frage, dass auch Franz Grillparzer von 1807 bis 1811 Staats- und Rechtswissenschaften an der Universität Wien studierte. Das erste Jahr war ein obligatorisches philosophisches Vorbereitungsstudium mit den Fächern Philosophie, Mathematik, Philosophische Philologie, Geschichte, Naturgeschichte und Ästhetik. Grillparzer berichtete darüber in seiner im Auftrag der Akademie der Wissenschaften 1853/54 verfassten, aber erst nach seinem Tod veröffentlichten Selbstbiographie u.a. folgendes2: Nun kommt eine trübe wüste Zeit, die aber glücklicherweise nur Ein Jahr dauerte. Ich trat in die Universitätsstudien über. Die Ideen von akademischer Freiheit, die Jeden anwandelten, befielen mich stärker als jeden Andern. Leider waren unsere Professoren von solcher Art, daß nur die Gewohnheit des Fleißes, die meine Sache nicht war, zur Fortsetzung desselben aneifern konnte. In dem Professor der Philo1 2
Vgl. Gerhard Scheit, Franz Grillparzer, Reinbek bei Hamburg, 1989, S. 9. Franz Grillparzer, Sämtliche Werke. Historisch-kritische Gesamtausgabe, hg. von August Sauer, 1. Abt., 16. Bd., Wien 1925, S. 84 f.; die Zahlen im Text geben Seiten aus dieser Ausgabe an.
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sophie hatten wir einen Pedanten, aber nicht nur in gewöhnlichem Sinn, sondern als eigentliche Lustspielfigur, als ob der Dottore aus der italienischen comedia dell’arte sich in ihm verkörpert hätte. Er hatte eine „Philosophie ohne Beinamen“ als Vorlesebuch geschrieben und hielt sich für ganz selbständig, bloß weil er die Neuerungen Kants von sich stieß, indes sein System nichts als der bare Wolfianismus war. Oft, erinnere ich mich, rief er während der Vorlesung aus: Komm her, o Kant, und widerlege mir diesen Beweis! Seine Philosophie bestand bloß aus Distinkzionen und Divisionen, zwischen denen sich die Definizionen notdürftig Platz machten. Auf sein schematisches Gerüst war er so stolz, daß er den Schülern erlaubte, dasselbe bei den Prüfungen in Handschrift vor sich zu haben, wo dann die mit scharfen Augen Begabten sich die Definizionen mit kleiner Schrift dazwischen schrieben. Ich, der ich ein so kurzes Gesicht hatte als der Professor selbst, entbehrte leider dieses Hilfsmittels. Das Ganze wurde in Küchenlatein abgehandelt, nur bei heftigen Aufwallungen bediente sich der, übrigens höchst gutmütige Mann der deutschen Sprache.
Erst im zweiten Jahr begann das eigentliche Rechtsstudium, das Grillparzer aber inhaltlich weder gefordert noch interessiert hat. In seinen Tagebüchern findet sich dazu überhaupt nur eine, allerdings deutliche Stelle: „Kann man denn auf keinem andern Wege glücklich werden als auf diesem kothigen Fahrwege, auf dem die Tritte aller dieser juridischen Lastesel eingedrükt sind!“3 In seiner Selbstbiographie ist Grillparzer etwas ausführlicher, aber nicht weniger deutlich: Zu größern Eifer in den nun beginnenden Rechtsstudien wurde ich vielmehr dadurch angetrieben, daß mein Vater ein leidenschaftlicher Jurist war und ich wohl wußte, daß ich ihm keine größere Freude machen konnte, als wenn ich ihm ausgezeichnete Zeugnisse nach Hause brachte. Das trieb ich aber ganz äußerlich. Während des ganzen Halbjahrs nahm ich von dem laufenden Studium gar keine Notiz, sechs oder acht Wochen vor der Prüfung aber warf ich mich auf den Gegenstand mit einem solchen alles andere vergessenden Eifer, studierte von anbrechendem Tage bis in die späte Nacht so 3
Grillparzer (Fn. 2), 2. Abt., 7. Bd., Wien 1914, S. 54 f.
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Franz Grillparzer ausdauernd und eisern, daß die guten Zeugnisse nie ausblieben; woran sich mein Vater wohl heimlich erfreuen mochte, ohne daß er mir aber je ein Zeichen davon gab. Alle meine Professoren hielten mich für einen ausgemachten Juristen und nur ich wußte, daß ich es nicht war, denn es fehlte mir Lust und Liebe und daher auch der Geist und der Zusammenhang (92).
Im vorletzten Jahr seines Studiums starb Grillparzers Vater, was die Familie in eine „beinahe hilflose Lage“ versetzte. Da kam es mir zu statten, daß meine Professoren mich für einen guten Juristen hielten. Sie verschafften mir, soviel ich weiß, unaufgefordert, Informazionsstunden bei zwei jungen Kavalieren, die mich so gut bezahlten, daß meine Bedürfnisse gedeckt waren und wohl auch etwas für die Familie übrig blieb (103 f.).
Über den Studienabschluss ist lediglich vermerkt: „Ich hatte unterdessen meine Studien vollendet, fühlte aber einen Widerwillen gegen die Staatsdienste“ (105). Daher wurde Grillparzer Privatlehrer bei einem reichen Grafen, dessen Neffen er rechtswissenschaftlichen Unterricht erteilen sollte. Die „Langweiligkeit der Sache“ (108) brachte ihn dann aber doch dazu, seinen Widerwillen gegen die Staatsdienste zu überwinden, in denen er von 1813 bis 1856 blieb. Dabei erkannte er die Brüchigkeit der Habsburger Monarchie, trat als Mitglied des Herrenhauses für Presse- und Gedankenfreiheit ein, war aber ein Feind jeder Umwälzung: „Größer als die Liebe ist die Ruah“4.
4
Günther Nenning, in: SZ am Wochenende vom 12./13.01.1991, S. 1; vgl. auch Wilhelm R. Beyer, Grillparzers staats- und rechtsphilosophisches Bekenntnis, in: ARSP 1963, S. 77–83; Alfred Verdross, Recht, Staat und Reich in der Dichtung Grillparzers, in: Österreichische Zeitschrift für öffentliches Recht (Neue Folge) 1961, S. 518–530.
17. Karl Leberecht Immermann
Gegen die Trainkolonne, die unmittelbar zum Amte fuhr Karl Leberecht Immermann (1796–1840), Dichter zwischen Klassik und Realismus, war Sohn eines Kriegs- und Domänenrats. Heute ist er vor allem durch seinen Roman „Münchhausen“ von 1838/391 noch bekannt. Doch wird immer wieder dazu aufgerufen, „diesen vergessenen Romancier und Zeitschriftsteller wieder zu entdecken“2. Als „Immermanns wichtigste Leistung für die deutsche Literatur“ werden heutzutage seine autobiographischen Schriften angesehen 3 . Für autobiographisch werden auch die folgenden Worte von Hermann gehalten, eines drei- oder vierundzwanzig Jahre alten Jünglings, in einer bruchstückhaften ersten Fassung des Romans „Die Epigonen“ von 1836: 1
2
3
Karl Immermann, Werke in fünf Bänden, hg. von Benno von Wiese, Frankfurt 1971–1977, Bd. III; im Folgenden zitiert als W I–V mit Seitenangabe. Walter Hinderer, Zwischen Frost und Glut, in: SZ vom 25./26.8.1990, S. 130; vgl. auch Benno von Wiese, Karl Immermann. Sein Werk und sein Leben, 1969; Joseph A. Kruse (Hg.), Karl Immermann. 1796–1840. Ein Dichter zwischen Poesie und sozialer Wirklichkeit, Düsseldorf 1990; Peter Hasubek (Hg.), „Widerspruch, du Herr der Welt!“ Neue Studien zu Karl Immermann, 1990; Ders. (Hg.), Karl Leberecht Immermann – Ein Dichter zwischen Romantik und Realismus, Köln u.a. 1996. Benno von Wiese, Vorwort, in: Immermann (Fn. 1), Bd. I; es sind dies die „Memorabilien“, von denen als erster und einziger autorisiert der Band „Die Jugend vor fünfundzwanzig Jahren“ im Jahr 1839 erschienen ist (W IV), und Karl Immermann, Sein Leben und seine Werke, aus Tagebüchern und Briefen an seine Familie zusammengestellt, 1. Bd., Berlin 1870 (P); bei dem als Herausgeber bezeichneten Gustav zu Putlitz handelt es sich in Wirklichkeit um Immermanns Ehefrau Marianne.
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Karl Leberecht Immermann Ich wurde Jurist, weil mein Vater Jurist war, und weil ich von Kindheit an nicht anders gehört hatte, als daß ich Jurist werden würde, daher ich diese Bestimmung für eine Art von Notwendigkeit ansehen lernte, ungefähr wie man an den Tod denkt, weil uns stets vorgesagt wird, daß keiner demselben entgehen könne. An meinem guten Vater lag es nicht, daß ich nicht ein zweiter Ulpian geworden bin. Er hatte den gründlichsten Plan entworfen, mich zum vollkommenen Rechtsmann zu bilden. Ich sollte zuvörderst die Justiz mehrerer deutscher Länder kennenlernen, und dann in meine Vaterstadt zurückkehren; denn alle wahre Einsicht, pflegte er zu sagen, beruhe auf der Vergleichung (W II 726). Im April 1813 bezog ich die Universität Halle. Mein Vater hatte, in dem sehr richtigen Gefühle, daß Lebensabschnitte die besten Früchte tragen, wenn der neue Boden unvermischt gelassen wird, festgesetzt, daß ich ein ganzes Jahr lang nicht nach Hause kommen und die ersten Ferien zu einer Reise nach Thüringen und Franken benutzen solle. Die Honigmonate meiner jungen Freiheit, welche mit den blutigen Rosenmonaten der deutschen Freiheit zusammentrafen, waren süß. Nach Giebichenstein und Crellwitz wurde allabendlich gepilgert, die Saale in Kähnen, die nicht viel breiter und sicherer waren als die Canots der Wilden, bis zur Höltybank befahren: zwischen den grünen Büschen des Giebichensteiner Gartens oder unter den Felsen von Crellwitz lagerte sich die junge Horde, seelenvergnügt bei der schmalsten Kost, und dort ging uns Tiecks Gestirn auf, welches wir eben kennengelernt hatten und das uns mit unsäglicher Freude erfüllte (W IV 448 f.).
Literatur und Theater standen denn auch viel mehr im Mittelpunkt als die Rechtswissenschaft. Zwar betonte Immermann, „daß der Student denn doch auch studierenshalber sich auf der Universität befindet“, und teilte mit, daß „Logik, Metaphysik, Institutionen, Naturrecht sehr gewissenhaft angenommen und bezahlt“ wurden. Aber besucht wurden die Vorlesungen nur „nach Gelegenheit“. „Regelmäßig hörte ich dagegen Schütz über Horazens ‘Episteln’ und die ‘Frösche’ des Aristophanes“ (W IV 449 f.). Er sah diese Befassung „mit Lehrvorträgen außer seinem ‘Fache’“ als eine „ganz ehrenvolle“ an und blickte herab auf die meisten, die „in der
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Trainkolonne, die unmittelbar zum Amte fuhr“, blieben und nur „empfingen, was auf diesem Wege ihnen als Proviant zugemessen wurde“ (W IV 480). Doch schon nach wenigen Monaten, am 13. Juli 1813, wurde die Universität von dem aus Russland geschlagen zurückkehrenden Napoleon geschlossen: Ich wollte eines Vormittags mir aus den Institutionen das Nötige über die Falzidische Quart [Pflichtteilsviertel des römischen Erbrechts] holen, fand aber statt eines gesammelten Auditoriums nur einen Haufen unruhiger Kommilitonen, denen der Fiskal eben angekündigt hatte, daß nicht gelesen werde. Auf ferneres Befragen eröffnete er uns, daß der Kaiser soeben der Universität eine andere und zwar eine tödliche Quart [Fechthieb] versetzt habe. Die Universität war nämlich aufgehoben, oder hatte, wie der damalige Kurialstil lautete, aufgehört zu sein. Napoleon war in der Nacht an Halle durchpassiert, hatte draußen vor dem Tore umspannen lassen, die akademischen Behörden, die ihm ihre Aufwartung machen wollten, heftig angelassen und ihnen unter schweren Drohworten für ihre Personen kurzweg erklärt, er brauche keine Studenten, sondern nur Soldaten und Bauern. Er war darauf, wie der Dämon, in das Dunkel entschwunden, in der Frühe aber hatte ein offizieller Aufhebungsbefehl aller Ungewißheit ein Ende gemacht. Die Professoren hingen die Köpfe, die Logik kam nicht bis zu den Schlüssen, die Metaphysik blieb in der Ontologie stehen, Professor Hoffbauer konnte sich, ungestört vom Naturrechte, der alleinigen Beobachtung seiner Hunde widmen, die Scherze des alten Schütz gerieten unter Schloß und Riegel. Die Studenten bezahlten ihre Wirte, oder bezahlten sie auch nicht, und reisten ab, die Weimaraner gingen nach Weimar zurück, die Fridericiana [Universität Halle] wurde wüst und leer (W IV 450 f.).
Auch in Immermanns weiteren Lebensdaten spiegeln sich die großen Turbulenzen jener Zeit: Meldung als freiwilliger Jäger im Krieg gegen Napoleon, längerfristige Erkrankung, Wiedereröffnung der Universität Halle am 19. Juli 1814, erneute Meldung als freiwilliger Jäger im April 1815 nach Napoleons Rückkehr von Elba, Teilnahme an der preußischen Niederlage in der Schlacht von Ligny am 16. Juni 1815, Erlebnis des Siegs von Waterloo am
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18. Juni 1815 und Einmarsch in Paris am 7. Juli 1815, Entlassung als Secondeleutnant im Dezember 1815, Wiederaufnahme des Jurastudiums im Jahr 1816. Die verbleibenden anderthalb Jahre waren wiederum nicht durch ausschließliche Konzentration auf das Jurastudium gekennzeichnet. Immermann geriet im Frühjahr 1817 in einen Konflikt mit der Burschenschaft Teutonia, die sich „wie die befehlende Macht in Studentensachen“ gebärdete und sich „zu einem Sittengerichte, von dem Tugend und Moral mit der Klinge in der Faust gepredigt werden sollten,“ gestaltete (P 33)4. Folgender konkreter Einzelfall ließ Immermann aktiv werden: Ein armer Student, der angeblich einen Nachdruck verkauft haben sollte, entzog sich einer Forderung zum Duell und wurde daraufhin vor einem Hörsaal von einem Trupp Studenten der Teutonia überfallen und „schrecklich mißhandelt“. Der von Immermann initiierten Protesterklärung wurde „der Anschlag am schwarzen Brett verweigert“ (P 34). In den anschließenden heftigen öffentlichen Auseinandersetzungen ging die Universitätsleitung nicht gegen die Teutonen vor, was Immermann schließlich zum Anlass nahm, mit zwei Kommilitonen nach Berlin zu reisen und um Audienz beim preußischen König zu ersuchen. Es gelang ihnen zwar nicht, den König zu sprechen, aber sie erwirkten folgende Kabinettsordre mit der Unterschrift Friedrich Wilhelms III. vom 21. März 1817: Auf Ihre gemeinschaftliche Vorstellung vom 19. d.M. ist der Minister des Innern beauftragt worden, die nachdrücklichsten Maßregeln gegen den auf der Universität zu Halle obwaltenden Unfug zu ergreifen; es wird demgemäß alles Erforderliche verfügt werden, und Sie können daher ruhig zur Fortsetzung ihrer Studien zurückkehren. Ihr guter Sinn für Ordnung und Gesetzmäßigkeit hat meinen ganzen Beifall (P 34). 4
Zu dieser Abkürzung siehe Fn. 3.
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Aus dieser Auseinandersetzung entstand im Jahr 1817 Immermanns Erstlingsschrift „Ein Wort zur Beherzigung“ (W V 689 ff.), der dann als Antwort auf eine gegnerische Replik noch im selben Jahr ein „Letztes Wort über die Streitigkeiten der Studierenden zu Halle seit dem 4ten März 1817“ folgte. Die erste Schrift ist übrigens auf dem Wartburgfest 1817 verbrannt worden. Daher verwundert es nicht, welch negative Charakterisierung Immermann in den „Memorabilien“ dem Burschenleben zuteil werden ließ: Zwischen der Schule und Universität ist eine große Kluft. Den Sprung vom erzwungenen zum freien Lernen macht niemand, ohne daß eine Entwickelungskrankheit ihn befiele. Diese bestand in jenen Zeiten für die meisten, nämlich für diejenigen, welche nicht berufen waren, dereinst als Lehrer der Nation zu glänzen, in dem sogenannten Burschenleben. Es ist untergegangen, weil die Freiheit, deren Surrogat es war, begonnen hat selbst in das deutsche Leben einzusickern. Die Studenten sind auch jetzt noch vergnügt oder dissolut, sie glauben aber nicht mehr, daß ihre Possen oder Ausschweifungen in ein System gebracht werden müßten. Das Burschenleben war ein ausgebildetes Nichtstun, eine Tabulatur phantastischer Gesetze von Müßiggängern für Müßiggänger gegeben, ein problematischer Staat, in welchem kindische Tätigkeit, kindische Ehre, kindische Tapferkeit regierten, nebst einiger wahren Freundschaften, Hingebung und Brüderlichkeit. Es war die deutsche Komödie, der nationale Schwank. Die mittleren Köpfe füllten damit ihre Zeit aus, bis das Gespenst des Examens herandrohte und sie zu den Studien scheuchte, zu dem Studium, welches damals für die Mehrzahl noch keinen verächtlichen Nebenbegriff hatte. Dies war das Brotstudium (W IV 479 f.).
Im Januar 1818 bestand Immermann die Erste juristische Staatsprüfung am Oberlandesgericht Halberstadt, wurde Auskultator am Kreisgericht Oschersleben und am Oberlandesgericht Magdeburg, wo er im Mai 1819 die Zweite juristische Staatsprüfung ablegte. Danach wurde er Auditeur beim Generalkommando in Münster und Referendar bei den Oberlandesgerichten Münster und Magdeburg. Erst im September 1826 legte er die Dritte juristische Staatsprüfung in Berlin mit der Note „vorzüglich“ ab. Ab März
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1827 bis zu seinem Tod war er Landgerichtsrat in Düsseldorf, hatte aber ein durchaus gebrochenes Verhältnis zu seinem juristischen Beruf5. Von seinem Richterdienst zeitweise beurlaubt leitete er von 1834 bis 1837 das Düsseldorfer Stadttheater6.
5
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Vgl. Stephan Liermann, Karl Leberecht Immermann (1796–1840) – Lebensbild eines Richters und Dichters, in: NJW 1996, 1087–1094; Bodo Pieroth, Karl Immermann in und über Münster, in: Bernhard Großfeld u.a. (Hg.), Westfälische Jurisprudenz. Beiträge zur deutschen und europäischen Rechtskultur, Münster u.a. 2000, S. 219–227 (223). Vgl. Sabine Brenner-Wilczek u.a. (Hg.), Immermanns theatralische Sendung. Karl Leberecht Immermanns Jahre als Dramatiker und Theaterintendant in Düsseldorf (1827–1837), Frankfurt a.M. 2016.
18. August Graf von Platen
Mit zuviel Phantasie begabt August Graf von Platen (1796–1835), Lyriker der Nachromantik und des Frührealismus, wird einerseits große Formbegabung attestiert, andererseits gelten seine Verse als marmorglatt und marmorkalt. Immerhin waren Balladen wie „Das Grab im Busento“ noch im 20. Jahrhundert Pflichtlektüre in den Schulen. Seine in der Nachfolge der „Confessions“ von Jean Jacques Rousseau geführten Tagebücher 1 , in denen Platen den gesellschaftlichen Zwang zur Tarnung seiner starken homoerotischen Veranlagung durch ein „akribisches Protokoll seines Innenlebens“ 2 in gewisser Weise kompensierte, sind besonders aufschlussreich. Platen stammte aus altem aber verarmten Adel, wurde mit zehn Jahren ins bayerische Kadettencorps geschickt und schlug anschließend die Militärlaufbahn ein. Im Bestreben, der Beschränktheit des Militärdienstes zu entfliehen3, gelang es ihm 1818 nach mehreren kürzeren Beurlaubungen, „zur Fortsetzung seiner wissenschaftlichen Ausbildung auf einer inländischen Universität für die gewöhnlichen drei Universitätsjahre“ beurlaubt zu werden 1
2 3
Hg. von Georg von Laubmann und Ludwig von Scheffler, 2 Bände, Stuttgart 1896 und 1900, Nachdruck 1969; im Folgenden zitiert als T I und II mit Seite. Richard Dove, in: Walther Killy (Hg.), Literaturlexikon, Bd. 9, Gütersloh / Berlin 1991, S. 176–179 (177). Vgl. Helmut Flachenecker, Die ungeliebte Pflicht – Platen als bayerischer Offizier, in: Hartmut Bobzin / Gunnar Och (Hg.), August Graf von Platen. Leben Werk Wirkung, Paderborn 1998, S. 1–20.
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und dafür einen „Studienbeitrag von jährlich 600 Gulden“ zu erhalten 4 . Mit durchaus gemischten Gefühlen strebte er eine Diplomatenlaufbahn an: Trotz meiner Hoffnungen fühle ich mich nicht heiter. Das langweilige Geschäftsleben, dem ich entgegensehe, lacht mich nicht an. Drei Jahre auf Universitäten zugebracht, muss ich vielleicht ebensolange bei einer Regierung praktizieren, bis ich diplomatischer Eleve werden kann, und wie viele Zeit wird auch dann noch bis zu einer Anstellung verstreichen! So werde ich alt bei traurigen Geschäften. Mein jetziger Stand beut mir wenigstens von Zeit zu Zeit Muße dar; ich kann vier bis fünf Monate im Jahr in Urlaub zubringen. Dann weiß ich kaum, was schlimmer sei, der Exerzierplatz oder ein Stoß von Akten (T II 17)?
An der Universität Würzburg konnte sich Platen zunächst nicht immatrikulieren, weil er keine Gymnasialzeugnisse besaß. Er hatte aber die Möglichkeit, bei den einzelnen Professoren privatim zu subskribieren und an einem örtlichen Gymnasium nachträglich die Reifeprüfung („Gymnasialabsolutorium“) abzulegen. Aber auch dies erfreute Platen nicht: Dies Examen ist mir ebenso verhaßt, als die Folgen, die es haben wird; da dann meine Studien, wie die der anderen Studenten, kontrolliert werden, und ich all diejenigen Kollegien hören muss, welche vorgeschrieben sind, seien sie noch so unpraktisch und schlecht vorgetragen (T II 45).
Im Sommersemester 1818 hörte Platen vier Vorlesungen, die zusammen 36 Gulden kosteten: Zoologie und Botanik, Ideal- und Naturphilosophie, Geschichte der Deutschen sowie Völkerrecht (T II 42). Aber schon bald stellte sich heraus, dass er mit dem Studium nicht glücklich wurde; seiner Zerrissenheit zwischen seiner Liebe zur Poesie, d.h. Sprachen und Literatur, und der wissenschaftlichen Berufsvorbereitung beschrieb er wie folgt:
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Vgl. Gunnar Och (Hg.), August Graf von Platen. Katalog, Erlangen 1996, S. 186.
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Ich bin unzufrieden mit mir selbst. Kann ich wohl hoffen, ein großer Staatsmann zu werden? Ebensowenig ein großer Dichter. Wollte Gott, ich könnte meine Thätigkeit nur nach einer Seite richten. Wollte Gott, ich hätte nie einen Vers gemacht und dürfte mich ganz in die Arme der Wissenschaft werfen. Ich würde dann etwas leisten können, da ich Geistesgaben, das heißt Verstand und Gedächtnis besitze. So aber hemmen beständig die täuschenden, nutzlosen Träume der Phantasie das stete Fortschreiten meines Geistes. Ein großer Dichter zu werden, habe ich verfehlt. Wie vielen Genuß zwar hat die Poesie mir verschafft, aber immer nur die fremde, nicht, was ich selbst darin leistete. Auf jener hätte ich mich beschränken sollen, statt mich in den Dilettantismus hineinzupfuschen. Wie glücklich würde ich dann nicht sein! Wie manche Zeit würde ich gewonnen haben! So konnte sich nur eine einseitige Bildung in mir entwickeln. Wie oft nahm ich mir nicht vor, diese schädliche Gewohnheit des Reimens zu lassen (T II 57).
Nach dem bestandenen Gymnasialexamen mit der Note „vorzüglich würdig“5 konnte Platen sich immatrikulieren. Im Wintersemester 1818/19 belegte er wiederum nur zwei juristische Vorlesungen, Institutionen des Römischen Rechts und Methodologie des juristischen Studiums, im Übrigen unterschiedliche Gegenstände nach Lust und Laune, von der Physik und Mineralogie bis zur Philosophie und Weltgeschichte. Gleichwohl klagte er über „die Menge und Überhäufung der juristischen Studien“ und erwog, „den diplomatischen Plan fahren zu lassen, und mich lieber für das Forstwesen auszubilden, das mir mehr zusagen würde, da ich Land und Wälder und Naturwissenschaften mehr liebe, als die Höfe und die große Welt, für die ich nicht tauge“ (T II 130). Der um Rat gefragte Freund, Nathan Schlichtegroll, ebenfalls Jurastudent, später Landrichter und Honorarprofessor, antwortete auf entwaffnend pragmatische Art und Weise: Du nimmst das Studium der Jurisprudenz, als Brodstudium wirklich zu ernsthaft, u. siehst zu viel Schwierigkeiten, welche andern, die die 5
Peter Bumm, August Graf von Platen. Eine Biographie, 2. Aufl., Paderborn 1996, S. 191.
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August Graf von Platen Sache legèrement forttreiben gar nicht auffallen, u. doch können diese auch den Zweck noch recht gut erreichen; besonders in praxi gestaltet sich dieses ganz anders, u. reducirt sich auf wenige Sätze u. einen gesunden Menschenverstand. Laß Dir daher über die Menge der verschiedenartigen Gegenstände, welche unseren jurist. Cursus bilden, keine grauen Haare wachsen und arbeite frisch drauf los; es 6 giebt sich alles nach u. nach.
Platen war jedoch zu einer derartigen Einstellung zu seinem Studium nicht fähig. Mal klagte er: „Ich werde nichts wahrhaft Großes in den Wissenschaften leisten. Ich bin dazu unfähig, zu zerstreut, mit zuviel Phantasie begabt. Ich werde nichts leisten im Staate; ich werde nie ein großer Diplomat werden“ (T II 145 f.). Mal stellte er fest: „Meiner Kollegialstudien darf ich mich diese Zeit nicht rühmen; ich that nur das Nötigste. Die juridischen Studien sprechen mich nicht an“ (T II 171). Im Sommersemester 1819 hörte er nur noch eine Vorlesung juristischer Art, politische und forensische Rhetorik, ansonsten Philologie, bayerische Geschichte, Geometrie, mathematische Philosophie und Agrarwissenschaften (vgl. T II 268). Zum Wintersemester 1819/20 wechselte er nach Erlangen, ließ sich nochmals als Juris Studiosus immatrikulieren, stöhnte aber schon vor Vorlesungsbeginn über „des études insupportables de la jurisprudence“ (T II 329). Auf dem Programm standen nunmehr Vorlesungen über Mathematik, Statistik, Volkswirtschaft und Finanzwissenschaften sowie Europäische Staatengeschichte, aber auch noch einmal etwas Juristisches: Enzyklopädie der juristischen Wissenschaften. Doch am Ende des Semesters rang sich Platen endgültig zu der seit langem fälligen Entscheidung durch: Es war am verwichenen Neunzehnten, als mir zuerst die Unerträglichkeit des juridischen Studiums und mein vollkommenes Ungeschick dazu den Gedanken eingaben, diese Fesseln von mir zu 6
In: Paul Bornstein (Hg.), Der Briefwechsel des Grafen August von Platen, Bd. II, München 1914, S. 46 f.; im Folgenden zitiert als B II mit Seite.
August Graf von Platen
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werfen, nicht ferner Anspruch auf eine diplomatische Carriere zu machen, mich dafür aber den Rest meines nun freilich halbverschwendeten Universitätslebens emsig mit den historischen und Naturwissenschaften zu beschäftigen und meinem Triebe zur Poesie zu folgen, um lieber ein ganzer Mensch zu werden, sollte mir’s auch in Zukunft schlecht gehen, als ein halber zu sein, und wär’s auch ein Gesandter. In der That, wenn die Muse mich nicht erheben und berühmt machen kann, meine diplomatischen Fähigkeiten werden es noch viel weniger. Der großen Welt sage ich gern ab. Ueberdies bringt es in unserer Zeit eben nicht viel Ehre, Diplomat zu sein. Wie selten läßt sich dabei die Integrität des Charakters behaupten. Ich will dem Staate sehr gerne dienen, sobald er mir eine Stelle anweist, die meinen Talenten angemessen; wo nicht, so will ich lieber betteln, als meine Individualität aufopfern (T II 364).
In einem Brief an Schlichtegroll begründete Platen seinen Entschluss in Anbetracht des juristischen Horizonts seines Freundes wie folgt: Da ich unversehens an die Jurisprudenz anstolpere, so muß ich das offene Geständnis ablegen, daß ich sie gänzlich bey Seite geworfen habe. Sie war mir nicht etwa bloß unerträglich, sondern ich konnte in diese Satzungsgelahrtheit gar nicht einmal hineinkommen. Was mich in den Wissenschaften festhält, das sind Facta und Ideen und diese kann ich auch festhalten. In die Begriffswelt aber konnte ich mich nie finden, am wenigsten in eine solche (B II 139).
Platen machte keinen universitären Abschluss, sondern widmete sich Sprachstudien und seiner Dichtung. 1826 erhielt er von der Militärbehörde die Erlaubnis für einen zweijährigen Studienaufenthalt in Italien, von dem er nicht mehr in die Heimat zurückkehrte.
19. Heinrich Heine
Welch ein fürchterliches Buch ist das Corpus Juris, die Bibel des Egoismus Heinrich Heine (1797–1856), Lyriker, Feuilletonist und Revolutionär1, stammte aus einer assimilierten jüdischen Kaufmannsfamilie. Er hat in seinen 1853/54 entstandenen, aber erst 1884 erstmalig veröffentlichten „Memoiren“ 2 seine sechs Jahre dauernde juristische Ausbildung wie folgt knapp zusammengefasst. Es war eine Abrechnung: Ein berühmter Kaufmann, bey welchem ich ein apprenti millionnaire werden wollte, meinte ich hätte kein Talent zum Erwerb und lachend gestand ich ihm daß er wohl Recht haben mochte. Da bald darauf eine große Handelskrisis entstand und wie viele unserer Freunde auch mein Vater sein Vermögen verlor und ich auf keine Geldfonds rechnen konnte, da platzte die merkantilische Seifenblase und meine Mutter mußte wohl eine andre Laufbahn für mich träumen. Sie meinte jetzt ich müsse durchaus Jurisprudenz studiren. Sie hatte nemlich bemerkt wie längst in England, aber jetzt auch in Frankreich und im konstituzionellen Deutschland, der Juristenstand allmächtig sey und besonders die Advokaten, durch die Gewohnheit des öffentlichen Vortrags, in den Kammern die schwatzenden Hauptrollen spielen und dadurch zu den höchsten Staatsämtern gelangten. Da eben die neue Universität Bonn errichtet worden, wo die juristische Fakultät von den berühmtesten Professoren besetzt war, schickte mich meine Mutter unverzüglich nach Bonn, wo ich bald zu den 1
2
Thomas Vormbaum, Einführung: „Kraft meiner akademischen Befugniß als Doktor beider Rechte“, in: Ders. (Hg.), Recht, Rechtswissenschaft und Juristen im Werk Heinrich Heines, Berlin 2006, S. 1–33 (8). Heinrich Heine, Historisch-kritischen Gesamtausgabe der Werke (Düsseldorfer Ausgabe), hg. von Manfred Windfuhr, Bd. 15, 1982, S. 63 f.
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Füßen Mackeldeys und Welkers saß und die Manna ihres Wissens einschlürfte. Von den sieben Jahren die ich auf deutschen Universitäten zubrachte vergeudete ich drey schöne blühende Lebensjahre durch das Studium der römischen Casuistik. Welch ein fürchterliches Buch ist das Corpus Juris, die Bibel des Egoismus. Wie die Römer selbst blieb mir immer verhaßt ihr Rechtskodex. Diese Räuber wollten ihren Raub sicherstellen und was sie mit dem Schwerte erbeutet suchten sie durch Gesetze zu schützen; deßhalb war der Römer zu gleicher Zeit Soldat und Advokat. Wahrhaftig jenen Dieben verdanken wir die Theorie des Eigenthums, das vorher nur als Thatsache bestand, und die Ausbildung dieser Lehre in ihren schnödesten Consequenzen ist jenes gepriesene römische Recht, das allen unseren heutigen Legislazionen. ja allen modernen Staatsinstituten zu Grunde liegt, obgleich es im grellsten Widerspruch mit der Religion, der Moral, dem Menschengefühl und der Vernunft. Ich brachte jene gottverfluchten Studien zu Ende, aber ich konnte mich nimmer entschließen von solcher Errungenschaft Gebrauch zu machen, und vielleicht auch weil ich fühlte daß Andre mich in der Advokasserie und Rabulisterey leicht überflügeln würden, hing ich meinen juristischen Doktorhut an den Nagel.
Die einzelnen Stationen waren die folgenden: Das erste Jahr 1819/20 studierte er an der gerade erst gegründeten „Preußischen Rhein-Universität“ in Bonn. Er war fleißig; man hat anhand der Registraturbände der Universitätsbibliothek festgestellt, dass in dieser Zeit nur einer seiner rund 500 Kommilitonen mehr Bücher entliehen hat als er 3 . Ganz überwiegend betrafen sie aber Geschichte und Literatur. Heine hat überhaupt nur zwei juristische Vorlesungen bei den beiden in den „Memoiren“ genannten Professoren gehört. Zum Wintersemester 1820/21 wechselte Heine, wie er in einem Brief schrieb: „des Ochsens halber“, an die Universität Göttingen, wo die Professoren „viel lederner als in Bonn“4 waren. Aber schon 3 4
Vgl. Stefan Grote, Pandekten und Poesie – Heinrich Heine als Studiosus iuris, in: JuS 1999, 1153–1159 (1155). Heinrich Heine, Säkularausgabe, hg. von den Nationalen Forschungs- und Gedenkstätten der klassischen deutschen Literatur in Weimar und dem
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im Januar 1821 wurde er wegen eines geplanten Duells nach mehrtägiger Verhandlung vor dem Universitätsgericht auf ein halbes Jahr von der Universität verwiesen („consilium abeundi“)5. Heine bezeichnete Göttingen in einem Brief denn auch als „verfluchtes Nest“ (HSA XX 147). Die nächsten beiden Jahre verbrachte Heine in Berlin. Er genoss vor allem das sehr lebendige kulturelle Leben, beschäftigte sich aber auch mit der Rechtswissenschaft. Er hörte wohl Vorlesungen von Savigny über die Institutionen und von Hegel über Rechtsphilosophie. Er freundete sich mit dem gleichaltrigen Privatdozenten der Rechte Eduard Gans an6 und schrieb ein „Historisches Staatsrecht des germanischen Mittelalters“, das er aber selbst als ungenügend erkannte und vernichtete. An Savigny und seiner Historischen Rechtsschule rieb er sich vor allem aus politischen Gründen: als Hort der Reaktion7. In Heines viel später verfasstem satirischen Gedicht „Die Menge tut es“ heißt es über ihn: Wie geht es dem elegant geleckten Süßlichen Troubadour der Pandekten, Dem Savigny? Die holde Person Vielleicht ist sie längst gestorben schon – Ich weiß es nicht – ihr dürft’s mir entdecken, Ich werde nicht zu sehr erschrecken (HSA II 243 f.).
Nach einer krisenhaften halbjährigen Unterbrechung ging er nochmals an die Universität Göttingen, entschlossen einen juristischen Abschluss zu erlangen, um „aus der Waagschale der Themis“
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Centre National de la Recherche Scientifique in Paris, Berlin / Paris, 1970 ff., Bd. XX, S. 33; im Folgenden zitiert als HSA. Vgl. Wolfgang Hädecke, Heinrich Heine. Eine Biographie, Reinbek bei Hamburg 1989, S. 124; Edda Ziegler, Heinrich Heine. Leben – Werk – Wirkung, München 1993, S. 41. Ausführlich Johann Braun, „Doktor Eli und Monsieur Ane“ – Fragmente einer juristisch-literarischen Freundschaft, in: NJW 1989, 321–329. Vgl. Hans Hattenhauer, Die geistesgeschichtlichen Grundlagen des deutschen Rechts, 4. Aufl., Heidelberg 1996, Rn. 245.
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sein „Mittagsbrod“ zu essen (HSA XX 142). In seinen Briefen werden die Qualen deutlich, die ihn die anderthalbjährige Examensvorbereitung kostete: Noch immer kenne ich die Titel der skottschen Romane und die Novellen des Bockaz oder Tieks viel besser als die Titel und Novellen im Corpus juris. O heiliger Justinean, erbarme Dich meiner (HSA XX 148)! Meine Muse trägt einen Maulkorb, damit sie mich beym juristischen Strohdreschen mit ihren Melodien nicht störe (HSA XX 154 f.). […] das juristische Wischiwaschi (HSA XX 160).
Der juristische Studienabschluss war das Doktorexamen, das aus zwei Teilen bestand: einer mündlichen Prüfung, in der Heine zwei Digestenstellen interpretieren musste und für die er die Note 3 („rite“) erhielt, obwohl er selbst meinte, dass es „ganz vorzüglich“ gelaufen sei (HSA XX 201), sowie einer öffentlichen Disputation in lateinischer Sprache am 20. Juli 1825, zu der der er fünf Thesen aufstellen und verteidigen musste. In seiner anschließenden Lobrede hat der Dekan, Professor Hugo, Heine sogar mit Goethe verglichen und seiner Bewunderung Ausdruck verliehen, dass er nicht nur ein großer Dichter, sondern auch ein großer Jurist sei8. Nach einigen erfolglosen Versuchen, Anwalts- bzw. Syndikus-Stellen zu erhalten, verzichtete Heine auf eine Juristenlaufbahn. Hierfür wird eine einleuchtende Erklärung gegeben: „Der phantasiebegabte junge Literat, der von lebendiger Anschauung, genialer Intuition und poetischer Imaginationskraft geprägt wurde, war weder willens noch in der Lage, sich der systematischen Strenge der abstrakten Rechtswissenschaft zu unterwerfen“9.
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Einzelheiten bei Okko Behrends, Heine und die Rechtswissenschaft, in: Volker Lipp / Christoph Möllers / Dietmar von der Pfordten (Hg.), Heinrich Heine. Dichter und Jurist in Göttingen, Göttingen 2007, S. 49–68; Stefan Söhn, „Diese illiberalste Wissenschaft“ Heinrich Heine und die Juristerei, in: NJW 1998, 1358–1363 (1360 f). Grote, JuS 1999, 1159.
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Die Kenntnis des Rechts aber war wichtiger Bestandteil der sein gesamtes Werk kennzeichnenden Parteinahme für die Ideen der Französischen Revolution: „Mag Heine für die Jurisprudenz nicht sein Herzblut vergossen haben, so tat er es doch für die Gerechtigkeit und für die Menschenrechte“10.
10 Vormbaum (Fn. 1), S. 33; vgl. noch Claus Eiselstein, Heinrich Heine als Jurist, in: Michael Kilian (Hg.), Jurisprudenz zwischen Techne und Kunst, Tübingen 1987, S. 148–171; Alfred Fuhrmann, Recht und Staat bei Heinrich Heine, Köln 1961; Walter Kanowsky, Vernunft und Geschichte. Heinrich Heines Studium als Grundlegung seiner Welt- und Kunstanschauung, Bonn 1975; Eugen Wohlhaupter, Dichterjuristen, Bd. II, Tübingen 1955, S. 440–523 (473).
20. Willibald Alexis
Der Jurist ist mit dem Poeten in lebhaften Streit geraten Willibald Alexis (1798–1871) hieß eigentlich Georg Wilhelm Heinrich Häring und war der Sohn eines preßischen Kanzleidirektors. Mit seinen „vaterländischen Romanen“ aus der preußischen Geschichte gilt er als ein früher Vertreter des bürgerlichen Realismus und Vorläufer Theodor Fontanes. Alexis studierte von 1817 bis 1820 Jura und Geschichte in Berlin, unterbrochen vom Sommersemester 1818 in seiner Heimatstadt Breslau. Als einer seiner Lehrer in Berlin wird Friedrich Carl von Savigny genannt. Sehr intensiv kann die Beschäftigung mit der Juristerei in diesen drei Jahren nicht gewesen sein; denn es sind mannigfache andere Beschäftigungen des jungen Alexis überliefert: Er unternahm in den Semesterferien große Wanderungen und weite Reisen; er studierte Literatur, lernte Fremdsprachen und übersetzte aus dem Englischen; er schrieb selber Gedichte, Balladen und Märchen; er suchte, fand und pflegte Kontakte zu anderen Literaten wie Friedrich de la Motte Fouqué, Ludwig Tieck und E. T. A. Hoffmann. Nach dem bestandenen Ersten juristischen Staatsexamen wurde Alexis Auskultator und anschließend Referendar. Er verbrachte auch eine Station am Kriminalsenat des Berliner Kammergerichts. In dieser Zeit lernte er Julius Eduard Hitzig kennen, den engen Freund E. T. A. Hoffmanns, mit dem er 1842 das Buch „Der neue Pitaval. Eine Sammlung der interessantesten Criminalgeschichten aller Länder aus älterer und neuerer Zeit“ herausgab. Dabei fir-
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mierte er als Dr. W. Häring; er war nämlich 1828 zum Doktor der Philosophie promoviert worden. Kriminelles Geschehen und psychologische Deutung sind auch eine Besonderheit in seinen Romanen. Gegenüber seiner Tätigkeit als Referendar standen aber weiterhin die literarischen Interessen im Vordergrund. Er wurde nach und nach Mitarbeiter mehrerer bedeutender Zeitungen und Zeitschriften jener Zeit. Nachdem er mit dem Roman „Walladmor. Frei nach dem Englischen des Walter Scott“ einen großen Publikumserfolg errungen hatte, wagte er im August 1824, seine Stelle als Referendar aufzugeben und auf eine juristische Karriere zu verzichten1 – ein Schritt, um den er schon längere Zeit mit sich gerungen hatte, wie folgende Passage aus einem Brief an den Publizisten Theodor Hell vom April 1824 zeigt: Ihre gütige Aufforderung [zu einer Veröffentlichung von Hell beizutragen] war für mich sehr schmeichelhaft. Leider aber weiß ich in keiner Art, ob ich genügen kann. Der Jurist ist mit dem Poeten und Kritiker jetzt in lebhaften Streit geraten, welcher fast einem Kampfe auf Leben und Tod gleicht. Überall halbe Aussichten, dann reizen gute Freunde zu einem Kampfe der Bundesgenossen: Kritik und 2 Poesie; und eine ruft oft in mir zur andern: Schlage sie tot!
In seinem Roman „Ruhe ist die erste Bürgerpflicht“ von 1852 hat Alexis ein breit angelegtes gesellschaftliches Panorama der Zeit vor der Niederlage Preußens gegen Napoleon (1805/1806) entworfen, das mit der berühmten Proklamation des Stadtgouverneurs von Berlin nach der Schlacht von Jena und Auerstedt schließt, die auch dem Roman den Titel gegeben hat: ,,Der König hat eine Bataille verloren. Jetzt ist Ruhe die erste Bürgerpflicht“. In dem damaligen preußischen Niedergang wird von Alexis die Ver1 2
Vgl. Max Ewert, Willibald Alexis, in: Willibald Alexis, Erinnerungen, hg. von Max Ewert, Berlin 1900, S. XI (XIX). In: Lionel Thomas, Willibald Alexis. A German Writer of the Nineteenth Century, Oxford 1964, S. 26.
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kommenheit des Systems der Reaktion nach 1849 reflektiert3. In einem Brief schrieb er 1851: „Was ist die Misere von ehemals gegen die absolute Niederträchtigkeit von heut!“4 Kein Wunder, dass die durchweg systemtreuen Juristen in dem Roman nicht gut wegkommen5: Es ist mit den Juristen wie mit Ihren Puppen und Vogelscheuchen, Bovillard. In der Regel sind sie trefflich zu nutzen, wenn man ihr Formelwesen sich zum Panzer ajustiert, wenn sie aber widerborstig werden, sind sie Stacheln in unserm Fleisch. [Minister:] Unser Minos vom Kammergericht fertigte neulich einen Bekannten, der ihm einen genialen Juristen für das Kollegium empfahl, mit den Worten ab: „Ich brauche nur zwei für die knifflichen Sachen, für die andern sind Ochsen ausreichend“. – Ochsen mögen eine Weile die Tretmühle treiben, wie Exzellenz das selbst am besten wissen, im übrigen meine ich, daß Ochsen noch nie eine Mühle in Gang gebracht haben. [Rat an einen Bewerber für den höheren Staatsdienst:] Nie etwas besser wissen wollen als Ihre Vorgesetzten. Wenn’s auch mal falsch wäre, nie den Mund aufgetan. Sie wissen nicht, warum Sie’s falsch machen. Keine Silbe mehr gedruckt, das versteht sich von selbst. Wenn Sie Bücher lesen müssen, tun Sie’s für sich. Nötig ist’s nicht. Stört immer im Dienst. Gelehrte sind schlechte Offizianten.
Einen möglicherweise autobiographischen Hintergrund hat folgende kleine Szene aus dem Theater, als das Publikum nach der
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Vgl. Wolfgang Beutin, Willibald Alexis: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht (1852). Eine „Zeit, die nicht mehr ist, in ihren großen Lineamenten“, in: Romane und Erzählungen des Bürgerlichen Realismus. Neue Interpretationen, hg. von Horst Denkler, Stuttgart 1980, S. 65 (74). Vgl. Wolfgang Beutin, Melpomenes Dolch und Klios noch schärferer Griffel. Die brandenburg-preußischen („vaterländischen“) Romane von Willibald Alexis, in: Ders. / Peter Stein (Hg.), Willibald Alexis (1789– 1871). Ein Autor des Vor- und Nachmärz, Bielefeld 2000, S. 177–194 (182). Die folgenden Zitate nach der Ausgabe Berlin 1969, Bd. I, S. 170, 180, 440 und 667 f.
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Aufführung die Ankündigung des Programms für den folgenden Tag vermisste: Ein Unterbeamter des Theaters blickte scheu durch die Kulissen und erklärte demütig einem hochverehrten Publikum: Herr Direktor Iffland und alle Regisseure hätten sich schon entfernt, ohne eine Anweisung hinterlassen zu haben. Das vermehrte erst den Lärm; das Publikum wollte sein Recht. Plötzlich sprang ein junger, elegant gekleideter Mann vom Parterre auf die Bühne, verneigte sich und sprach: „Morgen: ‘Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben, Originallustspiel aus dem Französischen in drei Akten’. Hierauf: ‘Heute rot, morgen tot, politische Burleske in einem Akt’. Zum Schluß: ‘Ende gut, alles gut, Schauspiel aus dem Englischen des Shakespeare’“. Applaus begleitete das Impromptu. Es war ein Kammergerichtsreferendarius, man nannte seinen Namen. Seine Freunde jubelten über den Geniestreich. Es gab viel Gerede darüber in allen Zirkeln der Stadt. Ältere Männer, die Räte des Gerichtes, schüttelten den Kopf: In diesem politischen Treiben ginge Sitte und Ordnung zugrunde.
21. Christian Dietrich Grabbe
Nicht zu dem erbärmlichsten Brodgelehrten versauern Christian Dietrich Grabbe (1801–1836), zu seiner Zeit als genialisch betrachteter, heute aber wenig gespielter Dramatiker, war der Sohn eines lippischen Zuchthausaufsehers. Sein bekanntestes Stück ist das Lustspiel „Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung“ von 1822. Er hat zunächst (Sommersemester 1820 bis Wintersemester 1821/22) in Leipzig, dann zwei Semester lang in Berlin Jura studiert, tatsächlich aber überwiegend historische Vorlesungen gehört 1 und sich hauptsächlich für Literatur und Theater interessiert; er führte das Leben eines Bohemien2. Im Frühjahr 1823 erschreckte ihn die Aussicht, im Fürstentum Lippe „zu dem erbärmlichsten Brodgelehrten [zu] versauern“ 3 , und statt sich zum Examen zu melden, wollte er am Theater Fuß fassen. Nach vergeblichen Bemühungen in verschiedenen Städten kehrte er auf Drängen seiner Eltern Ende August zurück in die ungeliebte Heimatstadt Detmold:
1 2
3
Vgl. Lothar Ehrlich, Christian Dietrich Grabbe. Leben und Werk, Leipzig 1986, S. 22. Vgl. Jörg Aufenanger, Das Lachen der Verzweiflung. Grabbe. Ein Leben, Frankfurt a.M. 2001, S. 73 ff.; Maurice Edwards, Christin Dietrich Grabbe. His Life and His Works, New York 2015, S. 51; Ehrlich (Fn. 1), S. 34; Ladislaus Löb, Christian Dietrich Grabbe, Stuttgart Weimar 1996, S. 11 ff. Christian Dietrich Grabbe, Werke und Briefe. Historisch-kritische Gesamtausgabe in 6 Bänden, Bd. V: Briefe I, Emsdetten 1970, S. 64; die Zahlen im Text geben Seiten aus dieser Ausgabe an.
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Christian Dietrich Grabbe Bin von Berlin über Dresden, Leipzig, Braunschweig […] nach dem tristen Neste gestürzt, in welchem ich jetzt sitze, und dessen Namen ich vor Ingrimm kaum ausschreiben kann, habe aber noch nicht den Hals gebrochen (94).
Nach einigen Monaten „wüster Wirthschaft“ (148) rang er sich durch, doch noch Examen zu machen. Während der etwa zweimonatigen Examensvorbereitung bekannte er: Wäre übrigens meine Situation nicht etwas triste, so würde ich ziemlich vergnügt seyn, weil mir die Wissenschaften wirklich wieder Spaß machen: mein Gemüth ist ein unruhiger Hund, dem man ein Stück Fleisch vorwerfen muß, damit es etwas zu kauen hat, und so ein Stück Fleisch mit einem Knochen darin ist das corpus juris Romanorum civilis (99).
Anfang 1824 reichte er bei der Fürstlich Lippischen Regierung in Detmold folgendes Gesuch ein: An Hochfürstliche Regierung! Unterthänigste Vorstellung und Bitte des Candidaten der Rechte Christian Dietrich Grabbe. Zulassung zum Examen betreffend. Nachdem ich, wie die Anlagen A, B, und C ausweisen, acht Jahre das Gymnasium zu Detmold besucht und drei Jahre auf den Universitäten Leipzig und Berlin die Rechte studirt und die dem Juristen nöthigen Collegia gehört habe, so bitte ich, in das Vaterland zurückgekehrt, und wünschend, demselben meine Dienste zu weihen, die Hochfürstliche Regierung unterthänigst um Zulassung zum Examen und um Zuschickung der Acten zum Behuf der Proberelation (100).
Die genannten Anlagen waren Bescheinigungen des Direktors des Gymnasiums und der Rektoren der Universitäten Leipzig und Berlin sowie des Dekans der Berliner juristischen Fakultät darüber, dass Grabbe „laut der beygebrachten Zeugnisse wirklich studieret hat, auch gegen sein Betragen binnen solcher Zeit etwas
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widriges nicht vorgekommen“4. Die Regierung bestellte daraufhin eine Examinationskommission aus zwei Prüfern, die zunächst ein Aktenstück zur Proberelation5 stellten und dann eine mündliche Prüfung abhielten, die Grabbe gemäß folgendem Aktenvermerk bestand: Actum Detmold den 2ten Jul [richtig: Jun] 1824. Gegenwärtig Herr Canzleydirector Ballhorn Rosen Herr Regierungsrath Petri Im heutigen Termine wurde mit der Prüfung des Candidati juris Ch. D. Grabbe hieselbst verfahren und ist derselbe nach dem Urtheil der Commission mit hinreichenden Kenntnissen ausgerüstet um in die Zahl der expectivirten Advocaten aufgenommen zu werden. Gelesen. LeopoldFzL. TKellner. a. u. s. in fidem Mit abschriftlicher Mittheilung dieses Protocolls wird nunmero dem Candidato iuris Christian Dietrich Grabbe hieselbst die Ausübung der Advocatur nach Vorschrift der Verordnung vom 27t. Sept. 1793 hiemit bewilligt. Detmold d 8t. Jun: 1824 vF. (108).
Oben links sind die Prüfer verzeichnet; in der Mitte rechts hat Heinrich Theodor Kellner, der Regierungssekretär, „a[ctum] u[t] s[upra]“, d.h. verhandelt wie in der Kopfleiste angegeben, „in fidem“, d.h. zur Beglaubigung, unterschrieben; in der Mitte links hat der Fürst zu Lippe Paul Alexander Leopold „gelesen“, und die abschließende Paraphe stammt von dem Präsidenten der Regierung mit dem Titel Kanzler, Regierungsdirektor Funck von Senftenau. Grabbe hatte für sein Examen an die Prüfer und die 4 5
Grabbe im Original. Autographen Bilder Dokumente, Detmold 2001, S. 23. In: Grabbe (Fn. 3), Bd. IV: Werke 4, Emsdetten 1966, S. 9–26.
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Bibliothek je 4 und an den Regierungssekretär 1 Reichstaler zu zahlen; die Prüfer haben ihm die Gebühren aber erlassen (484). Grabbe hat sein Jurastudium und den Berufseinstieg in einem heiteren Schreiben an seinen Freund und Verleger, Georg Ferdinand Kettembeil, zu Beginn einer neuen Periode literarischen Schaffens im Jahr 1827 wie folgt geschildert: Ewr Wohlgeboren wissen aus jahrelanger Beobachtung, daß der gerupfte Hahn, die Lippische Krabbe, welche nur dann ihre Krebsscheeren hat, wenn sie vom Schneider dergleichen leiht, nicht zu jener Thier-Classe gehört, welche auch noch nach dem Verlauf des ersten Fuchssemesters, die Collegia besucht, sondern daß sie höchstens aus Neugier einmal vorspricht. Fürerst war es daher schwer, die nöthigen testimonia zu erhalten. Aber die Berliner Freunde verschafften sie mir umsonst. Sodann wurde mir, der ich in Jahren nicht an das jus (bei dem sachkundigen Römer auch Brühe bedeutend) gedacht hatte, terminus zum Examen binnen 4 Wochen angesetzt, und es ist die hiesige Prüfung eines Juristen nicht leicht. Was geschah? Zu vieler Leute Erstaunen erhielt ich weder den Durchfall noch fiel ich selbst durch, – ich bestand. Fuimus Troes [Wir sind Trojaner gewesen, d.h. es ist anders gekommen als gedacht], ich ward Advocat. Meine Praxis vermehrte sich bald, mein juristischer (denk Dir!) Ruf wuchs, ich machte alle wilde Zeiten vergessen, selbst die ersten Personen des Landes beehrten mich mit ihrem Zutrauen, ja, ohne daß ich irgend angetragen hatte, übertrug mir, dem Menschen, der hier im Lande keine bedeutende Connexion besitzt, die Regierung die Geschäfte des Militairauditeurs, also die Gerichtsbarkeit über 1.200 Mann Soldaten (die aber natürlich sich nicht alle stets in activem Dienst befinden). Den Titel „Auditeur“ habe ich aber noch nicht, da der alte kränkliche Auditeur noch lebt: 6 nenne mich daher nur simpel: Advocat . Lieber zu wenig als zu viel (148 f.).
1828 wurde Grabbe nunmehr auch besoldeter Auditeur, gab das Amt aber 1834 wieder auf. Auch andere berufliche Versuche, wie 6
Vgl. auch Alfred Bergmann, Advokat Grabbe, in: Lippische Mitteilungen aus Geschichte und Landeskunde, 41. Bd. 1972, S. 181–190.
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die Zusammenarbeit mit Karl Immermann an dessen Düsseldorfer Stadttheater, scheiterten wegen seinen Alkoholexzessen und Depressionen.
22. Eduard von Bauernfeld
Ich bin ein Jusbeflissener / Und innerlich Zerrissener Eduard von Bauernfeld (1802–1890), dessen Herkommen ungeklärt ist, war der erfolgreichste Lustspielautor seiner Zeit in Österreich. Das Wiener Burgtheater ließ bis 1902 über 1.100 Aufführungen seiner 43 Stücke über die Bühne gehen. Seinen Stücken wird attestiert, dass sie einen Beitrag zur politischen Meinungsbildung leisten, für evolutionären Fortschritt eintreten, einen antirestaurativen Effekt haben, aber nie zu echter Gesellschaftskritik vordringen1. Heute werden sie nicht mehr aufgeführt. Bauernfeld studierte zunächst von 1818 bis 1821 Philosophie, dann von 1821 bis 1825 Jura in Wien. In seinem „Poetischen Tagebuch“2 hat er aus dieser Zeit, d.h. für die Jahre 1821, 1822 und 1825, folgende Reime überliefert: Die Nächte durchschwärmt – Wir grämen uns! Getollt und gelärmt – Wir schämen uns, Doch später ins Himmels Namen 1
2
Alain Michel, in: Walther Killy (Hg.), Literaturlexikon, Bd. 1, Gütersloh / München 1988, S. 346; Zdenko Škreb, Die Gesellschaft in den Dramen Eduard von Bauernfelds, in: Institut für Österreichkunde (Hg.), Zeit- und Gesellschaftskritik in der österreichischen Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts, Wien 1973, S. 57–73. – Als Beispiel für seine liberale Publizistik vgl. seine „Denkschrift über die gegenwärtigen Zustände der Zensur in Österreich“ von 1845, in: Stefan Hock (Hg.), Eduard von Bauernfelds Gesammelte Aufsätze, Wien 1905, S. 1–27. 3. Aufl., Berlin 1887; die Zahlen im Text geben Seiten aus diesem Buch an.
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Gebüffelt fürs Examen! Ich bin ein Jusbeflissener Und innerlich Zerrissener Drei Dinge, die vertragen sich nie: Das Jus, die Liebe, die Poesie; Das Jus ist feindlich gesinnt den beiden, Und diese mögen das Jus nicht leiden; Dichtkunst und Liebe, ungern im Vereine, Will jedes herrschen für sich alleine. Befreit von schweren Banden Jus und Shakespeare überstanden! Soll ich in einem Amt verrosten? Besser freie Luft verkosten (7, 10 und 18)!
Statt der freien Luft hat Bauernfeld sich 1826 dann doch für den Staatsdienst verpflichtet. Er wurde Konzeptspraktikant bei der niederösterreichischen Regierung und kommentierte das wie folgt: Im Bureau, zu Eid verpflichtet … Mir ward, als würd’ ich hingerichtet. Vierzig Jahr’ auf einer Säule steh’n – Wunderliches Bestreben! Vierzig Jahr’ in’s Amt zu geh’n – Nicht viel amusanter eben (20).
Es wurden keine vierzig Jahre. Denn nach verschiedenen Verwaltungsstationen (1827 Kreisamt unter dem Wienerwald, 1830 Hofkammer, 1843 Lottodirektion) wurde er 1849 aus dem Staatsdienst entlassen. Grund dafür war seine Teilnahme an der Märzrevolution von 1848 als Liberaler. Er war sogar zum Abgeordneten des Frankfurter Paulskirchenparlaments gewählt worden, konnte das Mandat aber wegen einer langwierigen Gehirnhautentzündung nicht annehmen. Im gleichen Jahr war er zum Mitglied der Wiener Akademie der Wissenschaften ernannt worden. In der Folge lebte er als freier Schriftsteller in Wien. 1882 erhielt Bauernfeld die Ehrenbürgerwürde der Stadt und 1883 den Dr. phil. h.c. der Universität Wien. Das kommentierte er so:
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Eduard von Bauernfeld
Da haben sie zu guterletzt Den Doktorhut mir aufgesetzt! Muß mich der großen Ehr’ fast schämen, Doch gilt’s, sie dankbar anzunehmen, Ein König wird durch der Krone Pracht, Der Hut noch keinen Gelehrten macht (155).
23. Adalbert Stifter
Wacker aufhorchen und gewissenhaft nachschreiben Adalbert Stifter (1805–1868), österreichischer Erzähler, war Sohn eines Tuchhändlers. Er erhielt sein prägendes Bildungserlebnis als Gymnasiast im oberösterreichischen Benediktinerstift Kremsmünster. Aus dieser Zeit stammen erste Dichtungs- und Malversuche. Notgedrungen wählte er aber als Brotstudium die Rechtswissenschaft, um Aussicht auf den Staatsdienst zu haben. Der daraus erwachsende Zwiespalt bewegt auch die Titelfigur seiner ersten erhaltenen, posthum veröffentlichten Erzählung „Julius“1: In seinem 19ten Jahre ging er auf die Universität, und wollte die Vorlesungen der juridischen Studien hören. Er fing es mit Feuer und Eifer an, und hatte ziemliche Erfolge. Allein im 3ten Jahre kam er auf ein Mahl wieder nach L… mit der Erklärung, daß es ihm unmöglich sey, sich in eine Kanzley zwischen Actenberge einzukerkern, er tauge nichts zum Jus, habe aber zu nichts solche Anlage und solche Liebe, als zur Mahlerey, Gott habe ihm eine Mahlerseele gegeben, und er schätze sich glücklich, dem Fingerzeige seines Meisters nachkommen zu können, ohne erst rings um hofmeisternde Verwandte und zwingende Verhältniße um Rath fragen zu dürfen. Trotz dem, daß er sich durch eigene Arbeit und Mühe die Mittel seiner Existenz herbeischaffen müsse, habe er sich doch kühn und fest entschloßen, dem Genius im Herzen zu folgen, und von nun an auf immer und ewig der schönen Kunst zu leben, und stehe er auch jetzt noch tief unter dem Kranze der unsterblichen Künstler, so fühle er doch Feuer und Muth und Kraft in sich, ihnen rastlos nachzustreben. Dem zu Folge wurde der künftige Frühling zu einer Reise 1
Erstausgabe nach der Handschrift. Mit einer Einführung von Franz Hüller, Augsburg o.J. (1950), S. 14 ff.
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nach Italien festgesetzt. Den Sommer und künftigen Winter wollte er noch in seinem geliebten L… bleiben. Seine Freunde verwiesen ihm diese Chimäre, wie sie seinen Entschluß nannten, nachdrücklich: es wäre rasend, wie ein Mensch mit solchen schönen Kenntnißen, die ihm Hoffnungen zu baldigen und guten Ämtern machten, wo er bequem leben könne, dieß alles in den Staub tretten, und nichts weiter, als ein Mahler werden wolle. „Ich bin nicht auf Erden, um ein Amt zu haben, damit es mir Brod gebe, sondern daß ich thätig bin, wie ich es am besten kann, und auch allenfalls ein härteres Brod dazu esse. Und recht – ein Mahler will ich werden, kein Anstreicher.“ Dieß war seine gewöhnliche Antwort, und er verharrte trotz allen Vorstellungen von allen Seiten bey dem ein Mahl gefaßtem Entschluße.
Stifters Zeit als Student in Wien (1826–1830) ist in der einhellig als autobiographisch angesehenen Skizze „Leben und Haushalt dreier Wiener Studenten“ von 1844 geschildert; er selbst ist mit drei Freunden zum Studium nach Wien gekommen 2 . Sehr anschaulich lebt darin sein erster Vorlesungstag wieder auf: Also, da sie in dem alten Pallast eingezogen waren, und die weite Stube mit ihren Geräthschaften bevölkerten, aber freilich nicht ausfüllten, da bereits das Heimweh sich zu mildern begann, schlug endlich die Stunde des ersten Collegiums. Man war förmlich und richtig eingeschrieben worden, und begab sich nun zusammen auf die Universität – aber wie war das stille ernste Gebäude, welches sie vor ein paar Wochen, als noch Ferien waren, mit beklemmenden Vorgefühlen betreten hatten – wie war es verwandelt! Einen wimmelnden Ameisenhaufen trafen sie heute an. Schon unter dem Schwibbogen, der von der Wollzeil auf den Universitätsplatz führt, standen Gruppen bärtiger und unbärtiger Leute, sämmtlich als Musensöhne erkennbar, und lasen die ungeheuren angeklebten Zettel, auf denen Kost, Wohnung, Unterricht, Theater, Meerschaum, verlorne Gelder, Lehrbücher, verlaufene Hunde, Bälle und Conzerte angeschlagen waren; die nicht lasen, neckten sich, oder rauchten gar Cigarren. Der Gang rechts an dem Schwibbogen wimmelte schwarz 2
Vgl. Wolfgang Matz, Adalbert Stifter oder Diese fürchterliche Wendung der Dinge, München Wien 1995, S. 63 ff.; Peter A. Schoenborn, Adalbert Stifter. Sein Leben und Werk, 2. Aufl., Tübingen und Basel 1999, S. 15 ff.
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und grau von denen, die die Philosophie bezogen und sich eben Pfeifen und Röcke und die wichtige Miene angeschafft hatten, – weiter hin auf dem Platze standen oder wandelten ganze Parthien solcher, die in die höhern Fächer rückten, und da unsre Freunde die Hallen betraten, schlug erst das rechte Brausen über ihnen zusammen, als wären sie in den Bauch eines ungeheuren Resonanzkastens gekommen; dicht und schwarz drängte sich die Menge durcheinander, das Schallen von tausend Fußtritten, das Gewirre der Stimmen, das Klappern der Stöcke, das Rufen, das Lachen, alles wie ein Chaos, wälzte sich durch die Räume, die Saaltüren standen offen, es strömte aus ihnen aus und ein, und trieb sich auf den Stiegen auf und nieder, der alte Studiosus bewegte sich leicht in seinem Elemente, und ließ es dem Neuling fühlen, daß er hier zu Hause sei, und poltern dürfe, während der andere verdutzt und schüchtern auftrat, und glotzte; ein Professor schreitet hie und da durch die Menge, und die Hüte flogen von den Häuptern in der Gegend, wo er ging – die fröhlichen Gesichter, die zuversichtlichen Mienen, die leichte Haltung, die dem Großstädter eigen ist, die prächtigen Kleider, die grimmigen Bärte – das alles imponierte unsern Freunden so sehr, daß selbst Pfeiffer kleinlaut zu werden anfing, und er wollte sich in der That recht dumm vorkommen unter all diesen, die da so rasch auftraten, und gewiß das Glänzendste leisten werden. Nur durch den festen Vorsatz, ungeheuer studiren zu wollen, um nicht zurückzubleiben, konnte er seiner gedrückten Stimmung ein wenig aufhelfen – wie hätte es ihm auch ahnen können, daß er nach kaum anderthalb Jahren auch so dastehen werde, eine Cigarre im Munde, und selber den ungeheuersten Bart, und daß er aus den Pandekten disputiren werde, ja daß er sogar keck aus dem Barte heraussagen werde, es sei gar nicht so außerordentlich viel mit Justinians Sachen, und sie seien eitle Casuistik – jetzt stand er einstweilen im grünen Flause da, wie ein Specht, und schaute verwundert unter der Stirne hervor. Endlich leerten sich gemach die Hallen, und die Säle füllten sich. Da gab es nun darinnen ein Rufen, ein Grüßen, ein Steigen über die Bänke, ein Zusammenschlagen der Stöcke, ein Suchen der Plätze, daß Jeder den ihm tauglichsten erhalte, welcher freilich nicht immer der vorderste war – ja es gibt eine Art Weltbürger, die sich aus freier Wahl um die hintersten umthun, weil sie dort am besten ihren kosmopolitischen Ideen und Thaten nachhängen können, als da sind: Tarok spielen, Schlafen, Romane lesen, gar nicht da sein etc. Alle unsre drei Freunde geriethen unter diese kosmopolitischen Clubbs, nicht aus
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Faktionsgeist, sondern aus purer Bescheidenheit – leider müssen wir aber berichten, daß sie sich nicht ganz rein von diesem Geiste erhalten konnten, und sich nachgerade recht wohl auf jenen Grenzgebieten fühlten. Endlich legte sich der Tumult nach und nach; ein bedeutend großer Saal saß voll Menschen, die Thürflügel thaten sich auf und – Stille überall – denn der Professor war hereingetreten. Da wir jedoch nicht des Professors Biographie, sondern die der Studenten schreiben, ein ruhiger, horchender Mensch aber ein schlechter Gegenstand für einen Schriftsteller ist, so werden wir nicht nur diese, sondern alle künftigen Vorlesungen unbeschrieben vorübergehen lassen, nur das erwähnen wir, daß unsre drei Freunde wacker aufhorchten und ge3 wissenhaft nachschrieben.
Der damals geltende Lehrplan für die „juridischen Vorlesungen“ an der Wiener Universität umfasste im 1. Jahr Naturrecht, Kriminalrecht und Statistik (d.h. Staatenkunde unter Einschluss des positiven Staatsrechts), im 2. Jahr Römisches Recht, Kirchenrecht und Ökonomie, im 3. Jahr Österreichisches bürgerliches Recht, Lehensrecht, Wechsel- und Handelsrecht, schließlich im 4. Jahr Politisches Wissen und Gesetzeskunde sowie Geschäftsstil und Gerichtsverfahren4. Obwohl Stifters Eifer am juristischen Studium mehr und mehr erlahmte und er sich zunehmend der Malerei sowie der Literatur und dem Theater, an der Universität nebenher auch der Mathematik und den Naturwissenschaften, widmete, legte er die mündlichen Semesterabschlussprüfungen durchweg mit Erfolg, teilweise sogar mit der „Vorzugsklasse“ ab. Nur bei der Prüfung über 3
4
Adalbert Stifter, Wien und die Wiener in Bildern aus dem Leben (1844). Zwölf Beiträge, hg. von Elisabeth Buxbaum, Wien 2005, S. 56 f.; dazu Mathias Mayer, Adalbert Stifter. Erzählen als Erkennen, Stuttgart 2001, S. 189 f. Vgl. Moriz Enzinger, Adalbert Stifters Studienjahre (1818–1830), Zellsee und Augsburg 1950, S. 80 ff.; zu den Universitätslehrern von Stifter vgl. Adalbert Langer, Zu den Quellen des Rechtsdenkens bei Adalbert Stifter. Eine geistesgeschichtliche Studie, Linz 1968, S. 8 ff.
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Geschäftsstil und Gerichtsverfahren versagte er. Zu der möglichen Nachprüfung trat er dann jedoch nicht mehr an, was wie folgt interpretiert wird: Als hätte sein Unbewußtes sich gegen das ‘Philistertum’ einer bürgerlichen Berufsbindung gesträubt, die mit dem Abschluß der juristischen Studien nähergerückt wäre, entzog er sich dieser eher harmlosen Nachprüfung, so daß er es weder zu einem formalen 5 Studienabschluß noch zu einem akademischen Grad brachte.
Er arbeitete als Hauslehrer, bis er Mitte der 1840er Jahre schriftstellerischen Erfolg hatte. Während der Revolution von 1848 wandte er sich gegen jede Gewaltsamkeit 6 . 1851 wurde er Volksschul-Inspektor für Oberösterreich mit dem Titel eines k. k. Schulrates 7 . Sein literarisches Werk lässt sich auch rechtlich deuten8.
5 6
7 8
Franz Baumer, Adalbert Stifter, München 1989, S. 49; weitere Deutungen bei Schoenborn (Fn. 2), S. 19 ff. Vgl. Hubert Lengauer, Stifter und die Politik, in: Johann Lachinger u.a. (Hg.), Sanfte Sensationen. Stifter 2005. Beiträge zum 200. Geburtstag Adalbert Stifters, Linz 2005, S. 113–121. Vgl. Matz (Fn. 2), S. 295. Vgl. Erik Wolf, Vom Wesen des Rechts in deutscher Dichtung. Hölderlin Stifter Hebel Droste, Frankfurt a.M. 1946, S. 61–180.
24. Friedrich Hebbel
Elende Juristerei, die mich anwidert Friedrich Hebbel (1813–1863), Lyriker und Dramendichter, entstammte einfachsten Verhältnissen und erhielt nach harter, entbehrungsreicher Jugend erst im Alter von 22 Jahren durch eine Hamburger Gönnerin die Chance zum Universitätsstudium. Die Wahl der Rechtswissenschaft begründete er wie folgt: Ich freue mich sehr auf die Pandecten und werde mit dem größten Ernst und Fleiß das Unrecht – denn dies ist die Wissenschaft des Rechts! – studiren, nicht sowohl, um mir dadurch den Zutritt zu einem Amt, welches ich schwerlich jemals annehmen werde, zu eröffnen, als vielmehr, um mich geistig nach allen Seiten hin umzuthun und mir Freiheit zu erwirken, den lahmen, steifen Esel, der mir die Brotsäcke nicht schleppen soll, an denjenigen Wegstrecken, wo er gewöhnlich zu stolpern pflegt und wenigstens langsam geht, 1 zu peitschen und zu stacheln.
Hebbel begann das Jurastudium im Sommersemester 1836 in Heidelberg. Weil er kein Abitur besaß, wurde er nicht immatrikuliert, sondern nur als Gasthörer zugelassen. Schon nach wenigen Vorlesungen von Thibaut und Mittermaier heißt es in Briefen: Ich beschäftige mich jetzt in meinen bessern Stunden mit einer Überarbeitung meiner Gedichte, die ich zugleich ins Reine schreibe und vielleicht, wenn ich einen anständigen Verleger finden kann, 2 herausgebe . – [Die Jurisprudenz] ist freilich nicht meine Braut; sie ist in meinen Augen eine feile Maitresse [...], die sich in sehr vielen 1 2
Friedrich Hebbel, Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe, besorgt von Richard Maria Werner, Briefe, 1. Bd., Berlin 1904, S. 46. In: Wilhelm Klinke, Friedrich Hebbel, eine Autobiographie nach Tagebüchern und Briefen, Zürich 1945, S. 101.
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Stücken der Macht und Gewalt willig ergeben und in ehrlosem 3 Beischlaf manchen Gesetz-Bankert erzeugt hat.
Zum Wintersemester 1836/37 ging Hebbel nach München. Unter dem 19. Oktober 1836 notierte er in seinem Tagebuch: Heute Nachmittag hab’ ich zum ersten Mal einer privilegirten Hetzjagd, wo in der Regel Alles, nur der Verstand nicht, aufgejagt wird, beigewohnt, nämlich einem juristischen Examen. Das Vorzimmer: ein mürrischer Pedell, in einem alten Buch lesend, und eine Flasche mit Wasser, aus welcher, auf eine Minute heraustretend, ein Professor trank. Examinationszimmer: ein großer, runder Tisch, belegt mit grüner Decke; auf dem Ehrenplatz der Director des Oberappellationsgerichts, in Uniform, mit seiner neben ihm liegenden goldenen Uhr spielend; um ihn herum die vier Examinatoren, darunter zwei Männer, ein Knabe mit einem Gesicht, wie aus spanischem Wind, leer und flegelhaft, aber süß angelaufen, und ein junger Mensch, der sein neues Zeug an hat, und sich über seinen eignen Glanz verwundert. Rings im Kreis saßen Zuschauer, die sich nach Belieben einfinden konnten, lauter Studenten. auf deren Gesichtern es zu lesen stand, ob sie noch 1/2 oder 3/4 oder gar ein ganzes Jahr bis zum eignen Examen vor sich hatten. Candidatus quäst: (aufgestülpte Nase, brandrothes Haar, kleine Augen, heiseres Organ) saß dem Director gegenüber und machte mit dem linken Daumen dieselben Bewegungen, die der Seiltänzer auf dem Seil mit der Balancirstange zu machen pflegt. Durch das Pfandrecht steuerte er glücklich hindurch, kaum einmal, als er die Sachen gar zu oft natürlich fand, zurecht gewiesen; im Hypotheken-Recht mußte er (dem jungen Menschen in braunem Rock) schon Rechenschaft darüber geben, in wie viele Rubriken man Schuld- und Pfand-Protocolle einzutheilen pflege („lassen Sie mich erst ausreden“, dabei ein gravitätischer Blick), im Kirchen-Recht aber sollt’ er sogar sagen, wie der Cardinal geheißen, der mit Baiern im Auftrag des Pabsts das letzte Concordat abgeschlossen, und erfuhr dabei, daß Herr von Hans Bairischer Bevollmächtigter gewesen sey.4
3 4
Hebbel (Fn. 1), S. 105. Hebbel (Fn. 1), Tagebücher, 1. Bd., Berlin 1905, S. 73 f.
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So ist es kein Wunder, dass dieser Besuch eines juristischen Examens Hebbel dauerhaft abgeschreckt hat: „Ich hab’ in Heidelberg für kein juristisches Collegium etwas gethan und in München in kein’s den Fuß gesetzt“5. Seither „beschäftigen mich Geschichte, Philosophie und plast. Kunst, und solchen Musen kann ich Opfer bringen, wie ich sie gebracht habe, aber bei Gott! nicht der elenden Juristerei, die mich anwidert, seit ich sie von einer anderen, als der practischen Seite kennen gelernt habe“6. Einem anderen Adressaten gegenüber wird die Aufgabe des Jurastudiums so begründet: „Hat der Mensch gewisse Erfahrungen über das Höchste gemacht, so würde Jahre langes, sclavisches Versenken in das rein Positive, wie die Jurisprudenz es verlangt, ihn tödten“7. Gleichwohl wird Hebbels einzigem juristischen Semester, dem auch keinerlei juristische Tätigkeit mehr folgte, eine ,,bleibende Anregung“ für sein dichterisches Werk zuerkannt: „ein gewisser Blick für die Welt des Rechts und kriminologische Einsichten“8.
5 6 7 8
Hebbel (Fn. 1), S. 193. Hebbel (Fn. 1), S. 210, (Fn. 4), S. 164 f. Hebbel (Fn. 1), S. 211, (Fn. 4), S. 165 f. Eugen Wohlhaupter, Dichterjuristen, Bd. III, Tübingen 1957, S. 1–17 (13); vgl. auch Gerhard Ranft, Friedrich Hebbel als Jurist, in: DRiZ 1972, 242 f.; Norbert Müller, Der Rechtsdenker Friedrich Hebbel. Kriminologie und Justiz, Gesetz und Recht, Bonn 1974; Heinz Müller-Dietz, Tagebuch und Recht – am Beispiel Friedrich Hebbels, in: NJW 1989, 329–337; Antje Erdmann-Degenhardt, Juristische und lokale Bezüge in Leben und Werk Friedrich Hebbels, in: Hermann Weber (Hg.), Juristen hinter Literatur und Kunst, 2. Aufl., Münster 2013, S. 91–100.
25. Theodor Storm
Alleine unter den schönen Holsteinerinnen Theodor Storm (1817–1888), norddeutscher Novellist und Lyriker, war Sohn eines Justizrats (Rechtsanwalts). Er fing im April 1837 an, in Kiel Jura zu studieren. Seine Berufswahl hat er später in einem Brief wie folgt begründet: Weshalb ich mich der Juristerei ergab? Es ist das Studium, das man ohne besondere Neigung studieren kann; auch war mein Vater ja Jurist. Da es die Wissenschaft des gesunden Menschenverstandes ist, 1 so wurde ich wohl leidlich mit meinem Richteramte fertig .
Ein Biograph kommentiert: „Trotz der Begeisterung für Musik und Literatur wird die Notwendigkeit eines Brotberufs anerkannt“2. In einer Tagebuchaufzeichnung Storms aus 1837 heißt es: Da bin ich den nun seit einem Vierteljahre unter deutschen Studenten selbst ein deutscher Student. Ich hätte mir den deutschen Studenten anders gedacht: Ein Gemisch aus ritterlicher Galanterie, traulicher Heiterkeit, Begeisterung für seinen freien Stand; Geist, Herz und Gefühl für Alles Schöne. – Aber was finde ich von alle dem? Mut allerdings, Mut fehlt dem deutschen Studenten noch nicht. Aber wo trifft man die schöne, jugendliche Poesie des Lebens, die noch unverkümmert ist von den beengenden Verhältnissen der spätern Jahre, wo die bescheidne Heiterkeit, die ihn charakterisieren soll und den deutschen Studenten bei allen guten Menschen beliebt macht? Ich möchte sagen, der Kieler, und ich glaube sagen zu können, der deutsche Student ist entweder ein Mensch, der viel kneipt und trinkt, 1 2
Theodor Storm, Briefe, hg. von Peter Goldammer, Bd. 2, Berlin und Weimar 1984, S. 69 f. Georg Bollenbeck, Theodor Storm. Eine Biographie, Frankfurt a.M. 1988, S. 48.
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alle Naslang auf der Mensur liegt, sich in Gemeinheiten gefällt, eben von nichts anderm redet, als von Kneipereien und Paukereien, sich irgend ein schmuckes Dienstmädchen an der Hand hält, auch wohl die Farben irgend einer Verbindung und, wenn er ihn hat, einen Schnauzbart trägt und nebenbei etwas ins Kolleg geht, oder er ist arbeitsam, eingezogen, einseitig oder einfältig. So sind, nach meiner Ansicht, die Meisten der Studenten. Ich mag die rechten vielleicht noch nicht haben finden können. – Wie schmerzlich entbehr ich einen Gleichgestimmten, der den Klang und die Dichtung meiner Seele verstehen und erwidern mag. Kiel ist schön, sehr schön, die schönste Stadt im schönen Holstein; aber aller Orten, auf den belebtesten, volkreichsten Spaziergängen wandle ich alleine unter den 3 schönen Holsteinerinnen.
Immerhin heißt es bei einem anderen Biographen: „Die Kieler Studentenzeit bis 1842 muss eine gute Zeit für Storm gewesen sein“4. Wenig vom Studium handelt auch die Erzählung „Auf der Universität“ von 1862, in der offensichtlich manche eigene Erfahrung Storms verarbeitet worden ist5. Der Ich-Erzähler dieser Schrift beginnt seine juristischen Studien auf einer ausländischen Universität, um sodann wie Storm im dritten Jahr auf die Landesuniversität zurückzukehren, ,,um vor dem Examen noch das gesetzlich vorgeschriebene Jahr hier zu absolvieren“. Dieses war, wie man beiläufig erfährt, vor allem mit „Pandektenkontroversen“ angefüllt. Im Mittelpunkt der Erzählung steht aber die schöne Lore, Tochter eines Flickschneiders und jugendlicher Schwarm des Erzählers. Sie verfällt dem „Raugrafen“, einem „ebenso schönen als wüsten jungen Mann, der in den Hörsälen der Professoren selten, dagegen häufig auf der Mensur und regelmäßig auf der Kneipe zu finden war: einer von denen, die auf Universi3 4 5
Theodor Storm, Sämtliche Werke in vier Bänden, hg. von Karl Ernst Laage / Dieter Lohmeier, Bd. 4, Frankfurt a.M. 1988, S. 495. Jochen Missfeldt, Die graue Stadt am Meer. Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie, München 2013, S. 65. In: Storm (Fn. 3), Bd. 1, Frankfurt a.M. 1987, S. 529 ff. mit den Angaben zu den Quellen, S. 1143 ff.
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täten eine Rolle spielen, um dann im späteren Leben spurlos zu verschwinden“. Lore zerbricht an den sozialen Schranken und nimmt sich das Leben. Storm wechselte nach einem Jahr an die Universität Berlin, kam aber im Herbst 1839 nach Kiel zurück. Sein juristisches Abschlussexamen im Herbst 1842 ist in den noch vorhandenen Prüfungsakten dokumentiert 6 . Das „Amtsexamen“ fand vor dem Königlich Schleswig-Holstein-Lauenburgischen Oberappellationsgericht in Kiel statt. Zunächst mussten die „Examinanden“ an drei Tagen Klausuren in folgenden acht Prüfungsfächern schreiben: Rechtsgeschichte und Hermeneutik, Römisches Recht, Kriminalrecht, Kirchenrecht, Zivilprozess, Kriminalprozess, dänisches und vaterländisches (schleswig-holsteinisches) Privatrecht sowie Naturrecht und Geschichte der Philosophie. In der Woche darauf waren drei Hausarbeiten zu schreiben: eine Relation anhand eines Aktenstücks, eine Abhandlung in deutscher und eine in lateinischer Sprache. Storms Themen lauteten: „Zur Begründung der Notwehr“ und „De testamento pestis tempore condito“ (Über das Nottestament). Schließlich fand für die 14 Kandidaten an zwei Tagen eine mündliche Prüfung vor der achtköpfigen, nur aus Richtern bestehenden Prüfungskommission statt, deren Vorsitzender der Präsident des Oberappellationsgerichts war. Gegenstand waren weitgehend dieselben Fächer wie in den Klausuren. Die Fülle des Stoffs wurde durch die Milde der Prüfer aufgewogen: Keiner der Kandidaten fiel durch. Die sechs Notenstufen waren euphemistisch formuliert: Die schlechteste Note war „zum Theil gut“, dann ging es weiter mit „zum großen Theil gut“, „gut“, „zum Theil sehr gut“, „zum großen Theil sehr gut“ und „sehr gut“. Obwohl Storms Noten zwischen „sehr gut“ und „zum Theil gut“ lagen, war er in 6
Vgl. Heiner Mückenberger, Theodor Storm – Dichter und Richter. Eine rechtsgeschichtliche Lebensbeschreibung, Baden-Baden 2001, S. 49–53.
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der Endnote mit bloß „bestanden“ bei den vier schlechtesten Kandidaten. Durch das Bestehen des „Amtsexamens“ hatte Storm die Befähigung zum Richteramt erworben; er hatte also eine einstufige statt der damals in Preußen geltenden dreistufigen Juristenausbildung durchlaufen. Seine Zulassung als Advokat in Husum erhielt er Anfang 1843 vom dänischen König verliehen, nachdem er den Nachweis der Beherrschung der dänischen Sprache erbracht hatte7. Unter der dänischen Herrschaft verlor Storm 1852 seine Bestallung, wurde aber 1853 in den preußischen Justizdienst übernommen. Er war Kreisrichter zunächst in Potsdam und dann in Heiligenstadt im Eichsfeld. 1864 wurde er zum Landvogt in Husum berufen, dem die Führung der gesamten Justiz- und Verwaltungsgeschäfte im Amte Husum unter Ausschluss der Stadt selbst oblag. Nachdem Schleswig-Holstein 1867 preußische Provinz geworden war, wurde die Trennung von Justiz und Verwaltung eingeführt. Storm blieb als Amtsrichter in Husum, wurde 1874 zum Oberamtsrichter befördert und erhielt 1879 den Titel Amtsgerichtsrat. 1880 schied er aus dem Dienst aus, um sich ganz dem Schreiben zu widmen. Freilich hatte ihn „die Dichterei“ vorher schon „abgelenkt“– wie es in einer dienstlichen Beurteilung durch den Landgerichtspräsidenten hieß –, so dass er nur als „leidlicher Richter“8 eingestuft wurde9.
7 8 9
Vgl. Mückenberger (Fn. 6), S. 54. Vgl. Eugen Wohlhaupter, Dichterjuristen, Bd. III, Tübingen 1957, S. 81– 105 (94). Zu Storms Berufsleben vgl. noch Gerhard Ranft, Theodor Storm als Jurist, in DRiZ 1967, 410–412; Antje Erdmann-Degenhardt, Juristen und Dichter – Theodor Storm und Timm Kröger, in: NJW 2002, 544–551 (546 f.).
26. Gottfried Keller
Vom Recht ein paar Fäden zu erhaschen Gottfried Keller (1819–1890), Schweizer realistischer Erzähler und Lyriker, kam als Sohn eines Handwerksmeisters erst mit 29 Jahren an die Universität. Er war mit 15 Jahren wegen eines Jugendstreichs von der Schule verwiesen worden, hatte sich viele Jahre zum Kunst- und Landschaftsmaler ausbilden lassen und dann der Dichtung zugewandt. Politisch engagierte er sich auf Seiten der Liberalen, die 1848 eine im europäischen Vergleich sehr fortschrittliche Verfassung schufen. Zur Belohnung erhielt er von der Zürcher Regierung ein einjähriges Stipendium für das Studium der Geschichte und Staatswissenschaften an der Universität Heidelberg, das ihn auf ein späteres Staatsamt vorbereiten sollte1. Im Wintersemester 1848/49 hörte er statt der eigentlich vorgesehenen Fächer Vorlesungen über Philosophie, Literaturgeschichte, Ästhetik und Physiologie2. Auch freundete er sich mit dem radikalen Philosophen Ludwig Feuerbach an, worüber er einem Freund berichtete, daß ich mit diesem gleichen Feuerbach fast alle Abende zusammen bin, Bier trinke und auf seine Worte lausche. Er ist von hiesigen Studenten und Demokraten angegangen worden, diesen Winter hier 1
2
Vgl. Gottfried Keller, Sämtliche Werke. Historisch-Kritische Ausgabe, hg. von Walter Morgenthaler, Einführungsband, Zürich 1996, S. 147; Michael Andermatt, Biographie, in: Ursula Amrein (Hg.), Gottfried- Keller-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung, Stuttgart 2016, S. 1–14 (6 f.); Eugen Wohlhaupter, Dichterjuristen, Bd. III, Tübingen 1957, S. 106–189 (116). Vgl. Gottfried Keller, Gesammelte Briefe in vier Bänden, hg. von Carl Helbling, Bd. I, Bern 1950, S. 213, 275.
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zu lesen ; er kam und hatte etwa 100 eingeschriebene Zuhörer. Obgleich er eigentlich nicht zum Dozenten geschaffen ist und einen mühseligen schlechten Vortrag hat, so ist es doch höchst interessant, diese gegenwärtig weitaus wichtigste Person in der Philosophie selbst seine Religionsphilosophie vortragen zu hören. […] Aus der Geschichte, die ich hauptsächlich hier betreiben wollte, ist nun soviel als nichts geworden. Das einzige, was ich brauchen konnte, war „deutsche Geschichte“ von Häusser; als er aber in die badische Kammer gewählt wurde, verlegte er seine Stunden auf den Vormit4 tag, und an diesem besuche ich keine Kollegien.
Keller arbeitete nämlich zu dieser Zeit schon an seinem bekanntesten Werk, dem Roman „Der grüne Heinrich“, der 1855 erschien. Über das Sommersemester 1849 schrieb er an den Zürcher Regierungsrat Eduard Sulzer, der mit dafür gesorgt hatte, dass sein Stipendium um ein Jahr verlängert wurde: Ich halte mich diesen Sommer durchaus auf mein Zimmer gebannt und befinde mich innerlich wohl dabei. Die badische Revolution hat freilich, zuerst bei ihrem Entstehen, dann während des Kampfes in der unmittelbaren Nähe von Heidelberg, einige Tage Störung gebracht; indessen haben nun die Preußen eine kühle Ruhe über die Geister gebracht, welche, wenn auch nicht für die hiesigen Zustände nachhaltig, doch für den Unbeteiligten bequem ist. Ich hatte anfangs im Sinne, Mohls angekündigte Vorlesungen über die Enzyklopädie der Staatswissenschaften zu hören, um auch in diesem Gebiete ein paar Fäden zu erhaschen, an welche anzuknüpfen früher oder später einige Ein- und Übersicht, sei sie noch so „zu Faden geschlagen“, doch besser als nichts sein könnte. Herr Mohl hat sich aber nie gezeigt, sowie auch, außer den hauptsächlichsten juristischen und medizinischen Größen, fast alle Lehrer entweder durch die hier etwas triviale Volksjustiz oder durch die Furcht von ihren Posten gedrängt worden sind. Einzig bei Mittermaier habe ich in seinem Kriminalrecht und den daran gehängten Vorlesungen über die Zurechnung und den psychologischen Teil dieses Gegenstandes einige Stunden zugebracht, indem ich dadurch einige Erfahrungen in 3 4
Er war seines Lehramts in Erlangen enthoben worden. Keller (Fn. 2), S. 274, 276.
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Sitten und Seelenzuständen zu gewinnen hoffte. Ich befand mich auch ziemlich gut dabei, allein Mittermaiers politische Tätigkeit und der Drang der Ereignisse brachten auch hier eine so häufige Unterbrechung und Veränderung der Stunden hervor, daß ich, leider schon nicht mehr so disponibel und biegsam wie ein zwanzigjähriger Student, mich zuletzt gänzlich zurückzog. […]. Außerdem daß ich das im verflossenen Winter Aufgenommene möglichst zu verarbeiten suchte, warf ich mich nun hauptsächlich auf 5 das dramaturgische Studium.
Keller verbrachte anschließend fünf Jahre in Berlin und sechs Jahre als freier Schriftsteller in Zürich. Finanziell schaffte er das nur dadurch, dass er Schulden machte und freie Kost und Logis bei seiner Mutter in Zürich hatte. Das war natürlich ein unbefriedigender Zustand, und er schrieb 1861 an den Verleger Georg von Cotta: Ich fange nämlich an, den Mangel eines Amtes oder einer bestimmten bindenden und sicherstellenden Tätigkeit zu fühlen, welche dem poetischen Schaffen eine ruhige Grundlage gäbe. Denn die gänzliche Freiheit ist für Unbemittelte wie für Bemittelte auf Dauer 6 nicht erquicklich.
Im Herbst 1861 gelang Keller es, in das üblicherweise von Volljuristen bekleidete Amt des ersten Staatsschreibers des Kantons Zürich gewählt zu werden. Als solcher leitete er die Staatskanzlei der aus sieben Regierungsräten bestehenden Kantonsregierung. Zu seinen Aufgaben gehörte es, die Protokolle der Regierung zu führen, den amtlichen Verkehr mit den übrigen Kantonsregierungen und mit dem Bundesrat zu unterhalten, Gesetzesentwürfe und Verordnungen zu registrieren und zu redigieren sowie Pässe, Gewerbeerlaubnisse, Eisenbahnkonzessionen und dergleichen mehr zu zeichnen. Fünfzehn Jahre lang hat Keller das Amt mus5 6
Keller (Fn. 2), Bd. IV, Bern 1954, S. 344 f; in originaler Schreibweise auch abgedruckt in: Keller (Fn. 1), Bd. 29, Zürich 2002, S. 389. Keller (Fn. 2), Bd. III 2, Bern 1953, S. 212.
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terhaft geführt; es heißt gar, er habe „als der beste und zuverlässigste Staatsschreiber der damaligen Schweiz gewirkt“7. Dabei hat er sich vom feurigen Demokraten zum bedächtigen Liberalen gewandelt, dem wir folgende Sicht einer guten Verfassung verdanken: Eine Verfassung ist keine stylistische Examensarbeit. Die sogenannten logischen, schönen philosophischen Verfassungen haben sich nie eines langen Lebens erfreut. Wäre mit solchen geholfen, so würden die überlebten Republiken noch da sein, welche sich einst bei Rousseau Verfassungen bestellten, weil sie kein Volk hatten, in welchem die wahren Verfassungen latent sind bis zum letzten Augenblick. Uns scheinen jene Verfassungen die schönsten zu sein, in welchen, ohne Rücksicht auf Styl und Symmetrie, ein Concretum, ein errungenes Recht neben dem andern liegt, wie die harten glänzenden Körner im Granit, und welche zugleich die klarste Ge8 schichte ihrer selbst sind .
7 8
Wohlhaupter (Fn. 1), S. 106. Kantonalbericht für die Sonntagspost vom 25.12.1864, in: Keller (Fn. 1), Bd. 15, Zürich 2012, S. 237 (240).
27. Joseph Victor von Scheffel
Wahre Rechtsgelehrsamkeit / Lehret mich die Schenke Joseph Victor von Scheffel (1826–1886), Sohn eines Ingenieurs, war zu seiner Zeit als Dichter hoch angesehen. Besonders bekannt waren sein Versepos „Der Trompeter von Säckingen“ von 1853, das es bis 1914 auf über 300 Auflagen brachte1, und seine Liedersammlung „Gaudeamus“. Diese Dichtungen empfingen von seiner Studentenzeit und dem Verbindungsleben viele Impulse2. Scheffel studierte nach dem Willen seines Vaters Jura, und zwar ab Wintersemester 1843 zunächst in München. Er tat sich von Anfang an schwer mit dem Jurastudium; entsprechend klagt der gescheiterte Jurastudent Werner Kirchhof in „Der Trompeter von Säckingen“: Also ward ich eine Juriste, Kaufte mir ein großes Tintenfaß Kauft’ mir eine Ledermappe Und ein schweres Corpus Juris Und saß eifrig in dem Hörsaal, Wo mit mumiengelbem Antlitz Samuel Brunnquell, der Professor, 1
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Vgl. Literarische Gesellschaft, Karlsruhe (Hg.), Der Trompeter von Säckingen. Eine Liebesgeschichte. Ein Buch. Ein Bestseller, Karlsruhe 2016, S. 74. Vgl. die im Folgenden als I–IV mit Seite zitierten Bücher: Wilhelm Zentner (Hg.), Joseph Victor von Scheffel. Briefe ins Elternhaus 1843–1849, Karlsruhe 1926 (I); Gerda Ruge (Hg.), Eine Studienfreundschaft. Scheffels Briefe an Friedrich Eggers 1844/1849, Karlsruhe 1936 (II); Josef Victor v. Scheffels Briefe an Karl Schwanitz (1845–1886), Leipzig 1906 (III); Bogdan Krieger, Scheffel als Student, Stuttgart 1926 (IV).
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Uns das römische Recht doziert’. Römisch Recht, gedenk’ ich deiner, Liegt’s wie Alpdruck auf dem Herzen, Liegt’s wie Mühlstein mir im Magen, Ist der Kopf wie brettvernagelt! Ein Geflunker mußt’ ich hören, Wie sie einst auf röm’schem Forum Kläffend miteinander zankten, Wie Herr Gajus dies behauptet Und Herr Ulpianus jenes, Wie dann Spätre drein gepfuschet, Bis der Kaiser Justinianus, Er, der Pfuscher allergrößter, 3 All mit einem Fußtritt heimschickt.
Gleichwohl zwang sich Scheffel immer wieder zum Besuch der juristischen Kollegs, „schmiert Hefte wie im Tagelohn“ und holte Lücken im Selbststudium in den Ferien nach (IV 24, 48, 56). Auch im 3. und 4. Semester in Heidelberg besuchte Scheffel zwar einige Vorlesungen, kam aber kaum zum „Nachstudieren“, das auch damals erforderlich war, „um alle Wege und Stege und Irrgänge der Jurisprudenz genau in [sich] aufzunehmen“ (II 15). Das lag vor allem daran, dass Scheffel mit großer Begeisterung sich gleich in drei Verbindungen engagierte4. Das gemeinsame Trinken, Pauken und Wandern, die literarischen Diskussionen und politischen Auseinandersetzungen pries Scheffel wie folgt: „Der alte burschenschaftliche Geist, die strenge Sittlichkeit, in der sich die einzelnen gegenseitig heranbilden, hat die besten Wirkungen auf Charaktertüchtigkeit“ (I 138). Dazu gehörte dann aber auch die „Pflicht, endlich einmal, wenngleich mit einer gewissen Resignation, dem heiteren in den Tag hinein 3 4
Viktor von Scheffels Werke in 2 Bänden, hg. von Ernst Wiesener, Hamburg 1920, Bd. 2, S. 21. Vgl. Günther Mahal, Joseph Victor von Scheffel. Versuch einer Revision, Karlsruhe 1986, S. 29.
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Leben Valet zu sagen und das dulce est desipere in loco [Süß ist Leichtsinn am rechten Ort] mit einer anderen Maxime zu vertauschen“ (II 39). Zu diesem Zweck ging Scheffel für zwei Semester 1845/46 nach Berlin. „Gleichförmig, und wenn man will, gleich trübselig geht ein Tag nach dem anderen vorbei; in der Frühe mache ich meinen gewohnten Weg an der Spree vorüber zur Universität, – komme abends nach Hause und ochse, wenn mir die Augen nicht weh tun, und schlafe“ (III 27). Es ist ein ledernes Treiben und nimmt eigentlich eine sehr niedere Stufe in der geistigen Tätigkeit in Anspruch, denn die ganze Kunst besteht in Kenntnis der äußeren, vorgeschriebenen Formen und im Unterordnen des einzelnen Falles unter die allgemeinen Rechtsregeln; von freiem geistigen Schaffen, von Phantasie ist natürlich nicht die Rede, und bei dem Bewußtsein, daß das meine Zukunft sein wird, wird es mir oft ein wenig schwül zumute, denn es spukt noch so manches in mir herum, was keinen Zusammenhang mit der Rechtsgelehrsamkeit hat (I 151).
Danach gönnte sich Scheffel im 7. Semester noch einmal den „Strudel des Heidelberger Lebens“. Das folgende Gedicht heißt „So studiert man in Heidelberg“: Statt daß ich in röm’sche Rechte Meinen Geist versenke, Schlag ich zu mein corpus juris Und geh’ in die Schenke. Ob das alte Symbolum Fromme Christen kränke, Laß ich Theologen hadern Und geh’ in die Schenke. Gleich ist’s, wer der Staatsmaschine Morsche Räder lenke: Fällt sie um, ich kann’s nicht ändern, Drum geh’ ich zur Schenke. Gleich ist’s, ob man die Verbrecher Köpfe oder henke:
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Kein Scharfrichter will ich werden, Drum geh’ ich zur Schenke. Heiß’ mich drum nicht faul, Herr Vater! Und dies ein’ bedenke: Wahre Rechtsgelehrsamkeit Lehret mich die Schenke. Als gelehrt Kollegium halten Wir besetzt die Bänke. Lernen nach Hafis’ Naturrecht Abends in der Schenke. Daß man allen Streit und Hader Im Pokal ertränke, Dieses haben wir entdeckt als Urgesetz der Schenke. Kläger und Beklagte alle Ließen ihr Gezänke, Kennten sie, wie wir, die große Rechtswohltat der Schenke. Fort drum werf’ mit Recht das Recht ich Und gelehrte Ränke, Und mit Sang und Klange zieh’ ich Eiligst in die Schenke (IV 214 f.)!
Außerdem gewann Scheffel in diesem Semester noch die Einsicht, dass das deutsche Staatsrecht der einzige Teil der Rechtswissenschaft ist, „worin Leben ist und großer Entwicklungsdrang, – und wo das Recht in die Weltgeschichte übergeht“ (II 50). Er wurde unter dem Einfluss liberaler Professoren ein Anhänger des Konstitutionalismus5. 5
Vgl. Mahal (Fn. 4), S 33; Hansgeorg Schmidt-Bergmann, „mein bester Kern ist immer noch der Zug der Kunst“. Briefe und Notizbücher Joseph Victor von Scheffels zwischen 1848 und 1853, in: Werner Berschin / Werner Wunderlich (Hg.), Joseph Victor von Scheffel (1826–1886). Ein deutscher Poet – gefeiert und geschmäht, Ostfildern 2003, S. 23–34; Rolf Selbmann, Dichterberuf im bürgerlichen Zeitalter. Joseph Victor von Scheffel und seine Literatur, Heidelberg 1982, S. 16 f.
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Scheffel exmatrikulierte sich im März 1847 und meldete sich im April als „Großherzoglich badischer Rechtskandidat“ zum Examen; damit begann das sog. Philisterium. Zunächst schrieb er wie ein „geißelgetriebener, erdedurchfurchender Pflugstier“ (IV 232) die Hausarbeit mit dem Thema „Über die Natur und Bedeutung des Surrogats nach römischem und französischem Recht“ sowie eine Proberelation. Danach begann das „Ochsen“ für die Klausuren und die mündliche Prüfung, die Ostern 1848 abgelegt werden sollte – für Scheffel das „Geschäft […], die juristischen Begriffe wie Häringe in das Faß seines Kopfes hinein zu marinieren“ (III 81). Nach einem halbjährigen Intermezzo als Sekretär des liberalen Staatsrechtlers Karl Theodor Welcker in der Frankfurter Nationalversammlung wurde er Ende Juli 1848 von seinem Vater aufgefordert, in einem Monat das Examen zu machen. Scheffel schilderte dessen Verlauf wie folgt: 5 Tage hatte ich noch übrig bis zum Examen, da schloß ich mich ein, ochste den Code Napoléon und die Pandekten noch im Sturmwind durch, und hurrah, hurrah, hop hop hop ging ich […] in die Examenaffaire hinein. 8 Tage lang wurden wir mit schriftlichen Antworten maltraitiert; es ging mir unverdienter Weise sehr gut, – ich behandelte die Fragen mit großer Nonchalance, schrieb in Prosa und Versen; – item es genügte. Dann wurde ich noch eine Stunde mündlich vorgenommen und wie ich seit dem gehört habe, komme ich jedenfalls durch (III 123).
Nicht nur das: Scheffel bestand mit „Ziemlich Gut“, was so begründet wurde: „Die Antworten des Kandidaten in den vier Fächern – größtenteils richtig und gehörig begründet, aber minder geläufig – zeugten mehr von Talent und allgemeiner Bildung als von ausgedehntem Wissen in den Gegenständen der Prüfung“ (IV 240). Während dem anschließenden Dienst als Rechtspraktikant beim Criminalbureau des großherzoglichen Oberamts in Heidelberg (mit „8 bis 10stündigem Protokollieren und Beschlußfassen“) schrieb er eine Dissertation in lateinischer Sprache und bestand
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schon im Januar 1849 das Rigorosum „summa cum laude“ (IV 241)6. Nach einigen weiteren Stationen als Praktikant schied Scheffel 1852 aus dem Dienst aus: „Die ganze lebensfrische Anschauung der Dinge wird durch dieses ewige Aktenlesen, durch diese Hantierung mit Tinte und Feder demoralisiert“ (III 183). Danach widmete er sich, unterbrochen nur noch von einer anderthalbjährigen Anstellung als Hofbibliothekar, der Literatur und der Malerei7.
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Vgl. Reiner Haehling von Lanzenauer, Der Dichterjurist Scheffel, Karlsruhe 1988; Klaus-Peter Schroeder, Zwischen Pflicht und Neigung – Josef Victor von Scheffels Studien- und Praktikantenjahre, in: JuS 1986, S. 10–14. Vgl. Natalie Gutgesell, „Das Malen als eigenes volles in Farben sich bewegendes Denken“. Zu Joseph Victor von Scheffel als Künstler, Halle (Saale) 2015.
28. Ernst Wichert
Anregende Lehrer gab es nicht Ernst Wichert (1831–1902), nicht zu verwechseln mit Ernst Wiechert, Sohn eines preußischen Richters, war ein populärer Autor von 34 Bühnenwerken und über 40 Prosabüchern. Alfred Kerr bemerkte im Jahr 1895 über ihn spitz: Er schreibt Romane, er schreibt Stücke; er schreibt lustige Stücke, er schreibt traurige Stücke, er schreibt lange und kurze Stücke, er schreibt historische und bürgerliche Stücke, er schreibt gute und schlechte Stücke. An die letzte Art hat er sich am konsequentesten 1 gehalten .
Gleichwohl war Wichert bis zu seiner Pensionierung mit 65 Jahren als Richter tätig: vom Kreisrichter über den Stadtrichter bis zum Oberlandesgerichts- und Kammergerichtsrat. Zudem war er 1871 Mitbegründer eines der ältesten Autorenverbände in Deutschland, der Deutschen Genossenschaft dramatischer Autoren und Komponisten 2 . In seiner Autobiographie „Richter und Dichter. Ein Lebensausweis“3 schrieb er über sein dreijähriges Jurastudium von
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Alfred Kerr, Wo liegt Berlin? Briefe aus der Reichshauptstadt 1895–1900, hg. von Günther Rühle, 2. Aufl., Berlin 1997, S. 18; vgl. auch die ironischen Bezeichnungen Wicherts als einer der „bedeutendsten Leute des Jahrhunderts“ (S. 208 ff.) und als „Heroe“ (S. 334); zu Kerr vgl. Marcel Reich-Ranicki, Der kämpfende Ästhet, in: Ders., Die Anwälte der Literatur, Stuttgart 1994, S. 130–143. Vgl. hierzu und zum literarischen Werk Hermann Weber, Vergessene Dichterjuristen: Ernst Wichert – „Richter und Dichter“, in: NJW 1998, S. 1367–1370. Leipzig 1899; die Zahlen im Text geben Seiten aus diesem Buch an.
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1850 bis 1853, unterbrochen durch das Militärjahr, und den Vorbereitungsdienst in Königsberg: Ich beabsichtigte, Geschichte zu studieren, wozu mich die Neigung stark trieb, gab diesen Plan aber bald auf, vornehmlich weil es für dieses Fach in Königsberg an bedeutenden Lehrkräften fehlte und die unglaublich trockene Behandlung des Gegenstandes mich abschreckte, und liess mich nach einem halben Jahre in die juristische Fakultät einschreiben. Besonders anregende Lehrer gab es auch hier nicht (Eduard Simson war seiner parlamentarischen Tätigkeit wegen meist auswärts), die Kollegia wurden deshalb sehr unregelmäßig besucht, die Hefte selten ordentlich nachgetragen. Es blieb mir sehr viel freie Zeit, nicht nur zu Vergnügungen, sondern auch zum Besuch anderer Kollegien, die mich interessierten […] (54 f.). Mein letztes Universitätsjahr wendete ich hauptsächlich dazu an, mich aus Büchern zum Examen vorzubereiten. Für römisches Recht galt zu diesem Zweck das Lehrbuch von Mackeldey für ausreichend, für deutsches Recht das von Eichhorn. Doch wurden auch die Puchtaschen Pandekten durchgenommen, sowie Werke über Staats-, Lehn- und Kirchenrecht, Rechtsgeschichte und Prozess. Eine wissenschaftliche Grundlage konnte hierdurch nicht gewonnen werden. Unsere Examinatoren für das erste (Auskultator-)Examen waren nicht Universitätslehrer, sondern allein Räte des Oberlandesgerichts, darunter befanden sich Herren, die in dem Ruf standen, sich auffällig an ihren Fragebogen zu klammern (61 f.). Am 24. September 1853 bestand ich glücklich das Auskultatorexamen und leistete demnächst meinen Diensteid im großen Sitzungssaale des Appelationsgerichts zu Königsberg, in welchem unter einem Baldachin von rotem Sammet der Thronsessel steht, der für den ersten König von Preussen, als obersten Gerichtsherrn, aufgestellt und von Friedrich Wilhelm I. auch ein paarmal benutzt ist. Es steht da auch der Tisch mit Marmorplatte und vergoldeten Füssen, von dem der erste König 1701 die Krone genommen hat, und an den Wänden hängen die Bilder der preussischen Regenten vom grossen Kurfürsten ab. Mir ahnte damals nicht, dass ich in diesem Saale einmal selbst als Richter sitzen würde (66). Nach drei Monaten wurde ich dem Bagatellrichter Hencke (später Rechtsanwalt und schließlich Rittergutsbesitzer) zur Ausbildung überwiesen, der wohl im Kollegium der klügste Kopf war. Gleich am
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ersten Tage gab er mir, da er sich auf kurze Zeit entfernen musste, eine Sache zu verhandeln, die mich mir „in meines nichts durchbohrendem Gefühle“ zur Erkenntnis brachte. Sie konnte gar nicht einfacher liegen: ein Fleischer hatte von einem Bauer ein Schwein gekauft und es nicht bezahlt. Der Bauer klagte. Ich sollte nur hören, was der Fleischer zu antworten hätte, das Protokoll zum Spruch fertig machen. Er antwortete aber gar nicht auf die klare Thatsache, sondern brachte die umständlichsten Einwendungen wegen angeblicher Mängel des Schweines vor, worauf nun wieder der Bauer aus dem Hundertsten ins Tausendste replizierte. Dem Fleischer, der mich bald ganz hilflos sah, wuchs der Kamm; er traktierte seinen Gegner mit Schimpfreden, worauf dieser nun ganz störrisch wurde. Von alledem, was ich im Kolleg oder aus dem Mackeldey gelernt hatte, schien da gar nichts brauchbar zu sein. Ich schrieb ein langes Protokoll, mit dem kein Teil zufrieden war, zerriss es und verfasste im Schweisse meines Angesichts ein neues, das den Streitenden noch weniger genügte. Nach einer Stunde war ich so verzweifelt, dass ich die Feder fortwarf und beide Teile reden liess, was sie wollten. Endlich kam der Herr Kreisrichter zurück und erledigte zu meiner höchsten Verwunderung den schwierigen Kasus in wenigen Minuten. Diese Erfahrung machte mich sehr bescheiden; sie bewies mir, dass meine juristische Weisheit völlig unzureichend sei, auch nur den einfachsten Streitfall praktisch zu erledigen. Ich wurde nun der aufmerksamste Schüler und glaubte gerade auf der Bagatellstation hier und später als Referendar beim Stadtgericht am meisten fürs Leben gelernt zu haben (67 f.).
Das dritte Staatsexamen (Assessorexamen) wurde in Berlin abgenommen. Die Kandidaten fuhren üblicherweise einige Wochen vorher dorthin. Zuerst wurde mündlich geprüft, wobei auch über ein kurz vorher zugeschicktes Aktenstück zu referieren war. Nach einigen Wochen bekam man Akten zugeschickt, zu denen ein schriftliches Referat („mehr eine Prüfung des juristischen Verstandes und auf wenigen Seiten erschöpft“ 104), zu verfassen war. Zum Verhältnis von juristischem Beruf und schriftstellerischer Tätigkeit zog Wichert folgendes Fazit: Wenn mich hiernach die Juristerei nicht hinderte, meine dichterischen Neigungen zu betätigen, so kann ich ihr freilich auch nicht
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nachsagen, dass sie dieselben direckt fördernd beeinflusst hat. Die Annahme, dass interessante Rechtsfälle reichlich Stoffe zu Romanen und Novellen hergeben müssten, ist irrtümlich; wenigstens habe ich die Erfahrung gemacht, dass in den allerseltensten Fällen von daher auch nur ein Anstoss gegeben wird. Nicht zu leugnen aber wird sein, dass der Einblick in die verstecktesten Beziehungen des geschäftlichen Lebens und der inquisitorische Verkehr mit Leuten der verschiedensten Alter, Stände und Berufsarten bei prozessualen Verhandlungen und Zeugenvernehmungen viel Lebenserfahrung und Menschenkenntnis einbringt, die dann literarisch nutzbar werden können, und dass die fortwährende Nötigung, klar zu sehen, das Zufällige auszuscheiden und jeden Satz möglichst scharf zu formulieren, auch die Denk- und Schreibweise des Schriftstellers ergreifen mag, was dann freilich ihr ebenso gut Nachteil wie Vorteil bringen kann.
29. Felix Dahn
Das Examen ist immer eine Gemeinheit Felix Dahn (1834–1912), Sohn eines Schauspielers, war im Kaiserreich ein hoch angesehener Professor und erfolgreicher Schriftsteller. Aber weder dem Gelehrten noch dem Dichter war eine dauernde Wirkung beschieden: Seine rechtsgeschichtlichen Bücher und Abhandlungen wurden schon bald nicht mehr zitiert, und in der Literaturgeschichte taucht er nur noch am Rande als ein Vertreter des nicht sehr hoch eingeschätzten „Professorenromans“ auf. Allenfalls kennt man noch Dahns „Ein Kampf um Rom“ von 1876. Auch wo „eine von Vorurteilen befreite Untersuchung“ über Dahn gefordert wird, ist man sich sicher, dass „die lange Reihe seiner nach Belieben entworfenen Dramen und die noch längere Reihe seiner Romane keine Wiederauferstehung erleben“ 1 . In kluger Selbsteinschätzung hat Dahn geschrieben, dass er sich „lediglich für einen Dichter dritten Ranges halte“2. Immerhin gelten die vier Bände seiner „Erinnerungen“3 als „kulturhistorisch reizvoll“ und beweist sich die Breite, die „zu manchem schiefen Urteil über Dahn Anlaß gegeben“ hat4, für unsere
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Klaus-Peter Schroeder, Felix Dahn – Rechtsgelehrter und Erfolgsautor, in: NJW 1986, S. 1234 f. Felix Dahn, Mein Erstling: „Harald und Theano“, in: Karl Emil Franzos (Hg.), Die Geschichte des Erstlingswerks. Selbstbiographische Aufsätze, Leipzig 1894, S. 113–128 (126). Leipzig 1890–1895; die Zahlen im Text geben Seiten aus Bd. 2 an. Eugen Wohlhaupter, Dichterjuristen, Bd. III, Tübingen 1957, S. 285–343 (308).
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Zwecke als aufschlussreich: Dahn hat der „Universitätszeit“ den gesamten, 628seitigen Bd. 2 seiner „Erinnerungen“ gewidmet. Anders als in vielen Lebensläufen war es nicht der Vater, der Dahn zum Studium der Jurisprudenz bestimmte. Ganz freiwillig war aber auch die Wahl dieses Studiums durch Dahn selbst nicht. Er hatte Neigung zu Geschichte, Sprachen und Philosophie und wollte in einem dieser Fächer Professor werden, da er dafür „Redebegabung zu haben schien“: Da jedoch Vermögen nicht vorhanden war und ich aus vielen Gründen darauf brannte, so rasch als irgend thunlich den Aeltern nicht mehr zur Last zu fallen, da ferner die Laufbahn des Hochschullehrers auch bei ämsigstem Fleiß und bei zweifelloser Begabung eine höchst zweifelige war (und ist: wie oft habe ich später als Professor die nämlichen Warnungs-Runen raunen müssen!), so ward beschlossen, ich solle – vorbehaltlich späterer Entscheidung und in einstweiliger Befolgung der höchst segensreichen baierischen Vorschrift, acht philosophische Vorlesungen zu hören – jedesfalls die juristische Abgangsprüfung machen, um, für den Fall des Scheiterns in der Laufbahn als Docent der Philosophie oder Geschichte, einen Rückhalt für mein Fortkommen zu gewinnen (555 f.).
Dahn studierte vom Wintersemester 1850/51 an acht Semester lang Rechtswissenschaft, und zwar die meiste Zeit in München, unterbrochen von einem Jahr in Berlin (1852/53). Und wie er studierte: Ich freute mich, wie dereinst auf den Weihnachtsbaum, von einem Tag zum andern auf die Vorlesungen (nie im Leben hab’ ich eine geschwänzt). Ohne jeden Zwang von außen, ohne Rücksicht auf eine Prüfung, die ja erst nach acht Halbjahren drohte, arbeitete und las ich, soviel ich nur irgend konnte, aus eitel Heißhunger nach Wissen, nach Anregung: um 4 Uhr im Sommer, um 6 im Winter war ich auf und mit der Unterbrechung durch die äußerst kurzen Mittagsmahlzeiten von 1 l/2–1 3/4 (denn um diese Zeit mußte ich ja schon wieder am Fenster stehen!) und eines einstündigen Abendspaziergangs von 7–8 im Sommer, von 4–5 im Winter, las ich und machte Auszüge bis mir – oft erst spät nach Mitternacht – die Augen zufielen und ich
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einschlief: ,,lassatus, nondum satiatus“ (litteris) [müde, aber noch nicht satt (von der Wissenschaft)] (3).
Ist es angesichts dessen ein Wunder, dass ihn faule Studenten in Rage bringen? In einer Philippika gegen das Verbindungswesen erhebt er folgenden „Haupteinwand“: […] die Farbenstudenten – Corps, Burschenschaften, andere Farbenverbände in gleichem Maße – sind ohne Zweifel die schlechtesten d.h. faulsten, und das heißt also pflichtlosesten von allen Studenten: sie besuchen die Vorlesungen am wenigsten, sie studiren zu Hause am wenigsten, sie verbummeln die meisten Halbjahre, sie bedienen sich am häufigsten der schmählichen „Einpauker“, die man wie die Wucherer bestrafen sollte, und sie machen die elendesten Referendarienprüfungen: kurz, sie verletzen in allen Dingen am gröblichsten und am häufigsten die erste Pflicht des Studenten d.h. zu studiren. Was aber ist wahre Ehre? Strengste Pflichterfüllung. Das ist eben das tief Unsittliche, das Gefährliche in diesem Treiben, daß der Einzelne oder der Verband rein willkürlich seine Ehre in dies oder jenes verlegen zu dürfen glaubt: – das zerstört die Substanz der objectiven Sittlichkeit: – da giebt es für die Subjectivität gar keine Schranke mehr: danach kann einer seine „Ehre“ ebensogut darein setzen, jeden Begegnenden anzurempeln, wie darein, möglichst viele Schmisse davon zu tragen: Kraft und Muth, die in einem schönen, aber irregeleiteten Ehrgefühl hierin verpufft werden, gehen für die Volksseele werthlos verloren: ja, jeder Einzelne verlernt es, seine Ehre darin zu suchen, worin allein sie besteht: in selbstverleugnender Pflichterfüllung, in Unterordnung unter ein höheres Ganzes d.h. Familie, Hochschule, Vaterland: denn nicht ein Haufe gleichbebänderter Gesellen ist das „höhere Ganze“, sondern die Hochschule. Dieser gehört der Student von Rechts- und von Pflichtwegen an: dieser Verband schreibt ihm seine Pflichten vor und gewährt ihm wahrhaft werthvolle Rechte (88 ff.).
Dahn weiß, wovon er spricht. Zwischen seiner Habilitation im Jahr 1857 (venia legendi für Deutsches Recht, Rechtsphilosophie, Handels- und Wechselrecht und allgemeines Staatsrecht) und seiner Emeritierung im Jahr 1910 war er über 52 Jahre lang Hochschullehrer (Privatdozent in München, außerordentlicher und dann ordentlicher Professor in Würzburg, Königsberg und Bres-
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lau). Besonders rieb er sich nach seinem Wechsel nach Königsberg im Jahr 1872 an der preußischen Juristenausbildung: An ihr „ist gar nichts gut als das Erforderniß einer schriftlichen Arbeit“ (13). Die preußische Festsetzung der juristischen Studiendauer auf sechs Halbjahre hielt er für „durchaus verwerflich“ (11). Dazu nun noch der schreiende Uebelstand, daß die ‘theoretische’ Prüfung von zwei Praktikern und – in den Universitätsstädten – einem Professor abgehalten wird, statt ausschließlich von Professoren. […] Der ganze Betrieb ist häufig so banausisch, so unwissenschaftlich wie möglich. [...] Man spricht von preußischer Drillung der Recruten: diese muß sein und hat alle Erfolge für sich: aber die preußische Drillung der Juristen muß nicht sein und hat alle Erfolge gegen sich: sie ist ein Jammer, ein Elend und – nun, wahrlich keine Ehre für den leitenden deutschen Stat (13 f.).
In einer Denkschrift an das preußische Unterrichtsministerium verlangte er: I. Wenigstens 8 Halbjahre Universitätsstudium, dafür ein Jahr Referendariat weniger. II. Nichteinrechnung des Jahres der Wehrpflicht in jene 8 Halbjahre. III. Acht Vorlesungen in der philosophischen Facultät für jeden Juristen – mit Belegungszwang, nicht Prüfung aus den belegten. IV. Eine Zwischenprüfung aus dem gesammten (römischen, deutschen, Handels-) Privatrecht nach dem vierten Halbjahr. V. Aufnahme von Volkswirthschaftslehre und Finanzwissenschaft in die Prüfungsgegenstände (zu prüfen durch einen Lehrer der Volkswirthschaft). VI. Ausschließung der Praktiker aus dem „theoretischen“ Examen: die Prüfer sind fünf Docenten der Rechte, einer der Volkswirthschaft, unter Leitung und Stichentscheid eines Praktikers als Prüfungsvorstand: die schriftliche Arbeit wird je von dem einschlägigen Fachlehrer zuerst geprüft: jeder Lehrer prüft nur aus seinem Fach. VII. Zwang zum Besuche der Uebungen vom zweiten Halbjahr an, jedes Halbjahr wenigstens eine schriftliche Uebungsarbeit. VIII. Zwang, die juristischen und volkswirthschaftlichen Vorlesungen in einer von der Facultät vorgeschriebenen Reihenfolge zu belegen (106 f.).
Es ist interessant, welche Begründung Dahn für die Nichtrealisierung seiner Vorschläge gibt:
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Bisher scheiterte jeder Besserungsversuch an dem Geldpunkt! Es heißt, man könne die Dienste nicht entbehren, welche die Referendarien vier Jahre hindurch leisten, indem sie ersetzen die entsprechende Zahl von – Gerichtsschreibern! Darin also besteht die Vorbereitung für die zweite Prüfung – wenigstens zu erheblichem Theil! (11).
Dabei ist seine Schelte Preußens ungerecht in Anbetracht folgender Schilderung des eigenen, 1854 in Bayern abgelegten Ersten juristischen Staatsexamens: Das letzte Jahr an der Hochschule München (1853/54) stand unter dem Zeichen der allerhärtesten, ja, – jedesfalls der Menge, leider auch vielfach der Art nach – der unsinnigsten juristischen Arbeit: der Vorbereitung für die Abgangsprüfung von der Universität. Ein Wort, das ich erst zwanzig Jahre später in Königsberg vernahm, ist ein gutes Wahrwort. Ein ostpreußischer Student von unzähligen Halbjahren schrieb einem Fuchs auf dessen Bitten in das Stammbuch (ähnlich wie der selige Mephistopheles weiland dem jungen Schüler): „mein Sohn! Der Suff ist ein Laster, aber süß. Die Liebe ist eine Thorheit, jedoch die Jugend entschuldigt ihr. Aberst das Examen ist immer eine Gemeinheit“. Der biedere Kraxtepeller [aus dem ostpreußischen Ort Kraxtepellen], der überhaupt nur diese drei Vorstellungen kannte, hatte wenigtens für die erste und die dritte Recht: für die zweite nicht, weil die Liebe nicht eine Thorheit, sondern die höchste Weisheit ist und nur derjenige Junge oder Alte der Entschuldigung bedarf, der ihrer enträth. Das Examen aber ist wirklich „eine Gemeinheit“, und zwar nicht für die Prüflinge nur, auch, wie ich später, als vielgeprüfter Prüfer, lernte, für die Prüfer. Das Lästige liegt darin, daß auch der Hochstrebende zu dem niedrigen Mittel des Auswendiglernens herabgedrückt wird: das Begriffenhaben allein thut es nicht: ,,es muß denn doch auch die Hexe (des Einhämmerns) dran“ (552 f.).
30. Georg Ebers
Sonnenlicht der Freiheit und Zauber der Freundschaft Georg Ebers (1837–1898), aus großbürgerlichen Verhältnissen stammend, gilt neben Felix Dahn als bekanntester Vertreter des Professorenromans: Er nutzte seine kulturhistorischen und archäologischen Kenntnisse als akademischer Forscher und Lehrer für seine literarischen Werke. So enthielt der überaus erfolgreiche Erstlingsroman „Eine ägyptische Königstochter“ von 1864 einen Apparat von über 500 weitschweifigen gelehrten Anmerkungen. Gleichzeitig strebte Ebers nicht historische Rekonstruktion an, sondern drapierte zeitgenössisches Fühlen und Denken historisch, indem er es in altägyptische Kulissen versetzte; insoweit wird ihm ein oberflächlicher Historismus vorgeworfen 1 . Ebers Autobiographie ,,Die Geschichte meines Lebens“2 zeigt ihn als sympathisches, aber wenig originelles Kind seiner Zeit. Über sein 1856 in Göttingen begonnenes Jurastudium berichtete er: Der Entschluß, mich der Rechtsgelehrsamkeit zu widmen und in Göttingen das Studium zu beginnen, stand fest, und er war auch der Mutter genehm. Aus welchem Grunde, infolge welcher Erwägungen ich die juristische den anderen Fakultäten vorzog, wäre schwer zu sagen. Innere Neigung oder ein durch prüfende Einblicke gewonnenes Interesse an
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Vgl. Gero von Wilpert, Deutsches Dichterlexikon, 3. Aufl., Stuttgart 1988, S. 165. 3. Aufl., Stuttgart u.a. 1893; die Zahlen im Text geben Seiten aus diesem Buch an.
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der Wissenschaft, der ich mich hingeben wollte, hatte sicher nicht den Ausschlag gegeben. Ich […] entschied mit geringerem Nachdenken über den Beruf und das gesamte künftige geistige und äußere Leben, als ich etwa bei Gelegenheit der Wahl einer Wohnung in Thätigkeit gesetzt hätte. Leider sah ich später viele wohlbegabte junge Leute ebenso handeln. Die Tradition der Familie oder Kaste, die Winke des Vaters, das Vorangehen eines Bruders oder Freundes veranlaßten sie, sich für einen Beruf zu entscheiden, dessen Inhalt ihnen ein mit sieben Siegeln verschlossenes Buch war (384 f.). 3
Nach den juristischen Kollegien trug ich geringes Verlangen , um so freudiger aber erregte mich der Gedanke, nun bald zu Füßen eines Ernst Curtius zu sitzen und mich von Waitz in das methodische Studium der Geschichte einführen zu lassen. Von Bruder Martin und manchem Freunde wußte ich, daß das erste Semester, besonders wenn es im Corps verbracht wird, für die Wissenschaft verloren sei; ich aber wollte zeigen, daß sich ein flottes Studentenleben sehr wohl mit dem Studium vereinen lasse. Es galt nur Stoffe zu wählen, zu denen die Neigung mich hinzog (388). O der köstlichen Stunden, in denen wir auf der Kneipe mit offener Brust sangen und schwärmten, in der wir in die schöne Umgegend zogen, auf dem Fechtboden und der Mensur Mann gegen Mann den Mut und die Geschicklichkeit bewähren sahen und bewährten. Jeder Morgen weckte zu neuer Lust, und jeder Abend beschloß einen Festtag im Lenze, den das Sonnenlicht der Freiheit und der Zauber der Freundschaft verklärte. Was dem deutschen Corpsstudenten an Freuden blühen konnte, genoß ich in vollen Zügen. Den ganzen Tag vom Morgen bis Abend verbrachten wir in froher Gemeinschaft. Wenigstens mit einigen Corpsbrüdern war ich immer beisammen, bald in der Stadt, bald bei Ausflügen auf dem Lande. Den Vormittag füllte der Fechtboden aus, die Mensur auf dem Ulrici, der Frühschoppen auf der Fink, der Spaziergang um die Stadt, bei 3
Richard Gosche, Georg Ebers der Forscher und Dichter, Leipzig 1890, S. 28 spricht von der „landläufigen Gleichgültigkeit“ gegenüber dem Jurastudium.
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dem die Herren stets eine bestimmte Richtung, die Damen aber die entgegengesetzte innehielten, so daß man sich beim Begegnen ins Gesicht schauen mußte. Das Mittagsmahl genossen wir zusammen in der „Krone“ bei dem jovialsten aller Wirte, dem alten Betmann, auf dessen Adreßkarte das Bild eines Bettes und eines Mannes zu sehen war. Dann kam der Kaffee auf dem Museum oder in einem Lokale vor der Stadt, das Reiten oder eine neue Paukerei; oft gab es auch einen Ausflug oder die Bewirtung der zugereisten Kartellbrüder von anderen Universitäten, bisweilen ein Kolleg und endlich die Kneipe (393 f.). Juristisches ward in jenen Nachtstunden nur im ersten Anfang der Göttinger Zeit versuchsweise getrieben; denn die Fachcollegia, die ich belegt hatte, bekamen mich recht selten zu sehen, obgleich die Knappheit der römischen Rechtsdefinitionen, mit denen mich Ribbentropps Vorlesungen über die Institutionen in Berührung gebracht hatten, mein Wohlgefallen erweckten (395).
So war es nur folgerichtig, dass sich Ebers in der Folgezeit mehr der Geschichte, Philologie und Philosophie widmete, bis er 1859 die Rechtswissenschaft auch formell aufgab: ,,Mein Interesse an der Jurisprudenz als solcher war zu gering“ (440). Er studierte in Berlin Ägyptologie und machte in diesem Fach eine akademische Karriere4.
4
Vgl. Hans Fischer, Der Ägyptologe Georg Ebers. Eine Fallstudie zum Problem Wissenschaft und Öffentlichkeit im 19. Jahrhundert, Wiesbaden 1994, S. 110 ff.; Elisabeth Müller, Georg Ebers. Ein Beitrag zum Problem des literarischen Historismus in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts, Phil. Diss. München 1951, S. 13 ff.
31. Timm Kröger
In der Kneipe fühlte ich mich kannibalisch Timm Kröger (1844–1918), heute weitgehend in Vergessenheit geratener norddeutscher Heimatdichter1 , entstammte einer Bauernfamilie. Er studierte nach einem Jahr an der Philosophischen Fakultät von 1865 an Jura in Kiel, Zürich, Leipzig und Berlin2. Im Anschluss an ein weiteres Kieler Semester legte er im Frühjahr 1869 das Referendarexamen ab. In seiner Autobiographie, deren bis zum Beginn der Universitätsjahre reichende Teil posthum im Jahr 1924 unter dem Titel ,,Aus dämmernder Ferne. Jugenderinnerungen“3 veröffentlicht wurde, schilderte er anschaulich die für viele typische Ungewissheit bei der Wahl des Studienfachs, die materialistische Einstellung der meisten Jurastudenten und den Geist der studentischen Verbindung, die ihn „gekeilt“ hatte: Im allgemeinen hatte ich den Eindruck, daß es wohl auf die Rechtswissenschaft hinauskommen werde. Medizin lehnte ich ab, ich weiß nicht recht mehr, weshalb – wahrscheinlich traute ich mir die äußere handliche Geschicklichkeit nicht zu. Mathematik und Naturwissenschaften? Dafür hatte ich mich freilich einstweilen ein1
2 3
So nannte Kröger sich selbst; vgl. Jacob Bödewadt, Timm Kröger. Ein deutscher Dichter eigener Art, Hamburg 1916, S. 39; vgl. auch die Zeilen Krögers „Wo du auch hinkommen magst, vergiß die Heimat nicht! Deine Liebe gehöre deinem Volke allein!“ als Motto zum Timm-Kröger-Gedenkbuch. Zum 75. Geburtstag des Dichters, hg. von Jacob Bödewadt, Braunschweig 1920. Zu Einzelheiten vgl. Tobias Röhnelt, Timm Kröger. Leben und Werk, Frankfurt a.M. 2009, S. 34 ff. Braunschweig und Hamburg 1924; die Zahlen im Text geben Seiten aus diesem Buch an.
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schreiben lassen, es war aber im Grunde nicht mein Fach, ganz abgesehen davon, daß nichts weniger als ein Sammlerfritze in mir steckt. Bei der Eintragung in die Universitätsmatrikel wollte ich eine tunlichst neutrale Flagge wählen, und als solche schien mir das Fach geeignet. Theologie? Hätte das Predigtamt damals schon in einer so freien Richtung ausgeübt werden dürfen wie jetzt, dann wäre ich vielleicht daran festgeworden. So, wie es war, wie ich es jedenfalls ansah, mußte ich ablehnen. Philologie? In der Erlernung fremder Sprachen erkannte ich meine Stärke nicht. Ein Fach der Philosophie im engeren Sinne? Ich hätte mit beiden Händen zugegriffen, wenn ich das Bewußtsein gehabt hätte, im ausgiebigen Besitz der sogenannten klassischen Bildung zu sein, die doch dazu gehörte. Ich wies übrigens den Plan keineswegs gleich von der Hand, wiegte mich sogar in Stunden, wo ich besonders mit mir zufrieden war, in dem Gedanken, dereinst vom akademischen Lehrstuhl herab (das allein schien mir dann ein würdiges Ziel zu sein) weiterzugeben, was ich empfangen habe, sah aber ein, daß ich Mittel und Wege finden müsse, meine Vorbildung zu ebnen und zu ergänzen. Es blieb die Rechtswissenschaft. Man hat gesagt, die Rechte studieren die jungen Leute, die nicht wissen, was sie werden wollen. Da liegt was drin. Sie haben wohl einen oberflächlichen Begriff von der Staffelung der Beamtenhierarchie, aber die täglichen Sorgen und Freuden der Amtsträger sind ihnen fremd, und nicht viel anders geht es ihnen gegenüber der Rechtsanwaltschaft, gegenüber den Advokaten, wie sie damals bei uns hießen. Man sah in ihnen nicht viel mehr als die Briefordner und spitzfindigen Ausleger ungezählter Gesetze und Verordnungen. Daß es sich bei Recht und Staat um eine sichtbar gewordene, um eine zur Gegenständlichkeit geronnene Philosophie menschlichen Zusammenlebens und ihrer Geschichte, um die Erkennung des Wesens, worin sich das Volk für sein Zusammenleben die Form gegeben hat, handelt – daß das Rechtsstudium mit einem Wort eine wirkliche Wissenschaft und nicht nur eine Technik ist, davon haben die jungen „Dächse“, die sich zur „Immatrikulation“ bei der juristischen Fakultät melden, meistens keine Ahnung. Ihnen genügt das äußere Bild, die Überzeugung, daß die Jurisprudenz ihren Mann ernährt. Ob letzteres gerade so allgemein hingestellt werden darf, ist freilich zweifelhaft. In Preußen hatte der Richter damals sechshundert Taler Gehalt, man konnte es der Jurisprudenz dort also kaum nachsagen. Freilich wurde die Dürftigkeit der Aussichten gemildert durch die Gewohnheit, daß der Assessor eine Bankiers-
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tochter heiratete und der Bankierssohn Assessor wurde. Wir Schleswig-Holsteiner aber waren noch so unschuldig, zu glauben, das gehe uns nichts an, bei uns müsse es immerdar so bleiben, wie die Dinge sich vor unseren Augen abrollten. Wenn ich alles erwog, dann war es wahrscheinlich, daß bei mir aus dem so viel begackerten Ei wohl nichts anderes herauskommen werde als ein Jurist. Und die Schillerträume und Goetheträume? Waren sie aufgegeben? Nein, aufgegeben waren sie nicht. Ich fand sogar, daß die Rechtswissenschaft am Wegrain zum Parnaß liege. Goethe hatte Jura studiert, Heine hatte es auch getan –: also (215– 218)! Die (und sie waren in großer Überzahl vertreten), die ein Brotstudium ergriffen hatten oder ergreifen wollten, sprachen ungemein geringschätzig über das, was sie von der Schule mitgebracht hatten und was die mitgeben könne. Alle rieten mir, es mit der sogenannten (die Lippen kräuselten sich) klassischen Bildung genug sein zu lassen und sofort den Kiel des Fahrzeuges auf den Helgen zu legen, mit dem man im Leben den Frachtlohn verdienen könne und müsse. Ich hörte und sah die klugen Jünglinge an und dachte: Hat denn keiner von euch jemals davon geträumt, ein kleiner Schiller zu werden? Noch immer schien es mir undenkbar, daß einer studiere und dabei zuerst an Geld und Gut und Stellung denke, nicht aber an Dichtkunst und Ruhm, wenn auch nur an einen ganz winzigen. Und eigentlich konnte ich mir einen anderen Ruhm als Dichterruhm kaum vorstellen (222 f.). In der Teutonia fühlte ich mich sehr wohl, in der Kneipe gar kannibalisch. Als Burschenschaft hatte unsere Verbindung drei Prinzipien: Vaterlandsliebe, Wissenschaftlichkeit, Sittlichkeit. Die Auslegung war hinsichtlich der ersten beiden milde. Ein aktives Eingreifen in die Politik wurde nicht erwartet und nicht gewünscht. Daß ein Fuchs in den ersten beiden Semestern arbeite, auch nicht. Strenger wurde die Sittlichkeit verstanden in Beziehung auf eine gewisse hübsche Göttin, die einstmals mit ihrem Muschelwagen an der Insel Paphos gelandet sein soll. Der Dickwanst Bacchus dagegen war Ehrenmitglied unserer Verbindung, der hockte mit seinem breiten, schmierigen Lächeln bei jeder Kneipe auf seinem großen Faß in der Ecke (225 f.).
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Nach dem Vorbereitungsdienst im Bezirk des Kieler Obergerichts (seit 1834 Schleswig-Holsteinisches Oberappellationsgericht, 1867 Appellationsgericht, 1879 Oberlandesgericht Kiel) bestand Kröger im Frühjahr 1873 das Assessorexamen in Berlin. In den nächsten Jahren wurde er, wie es damals zu Beginn des Justizdienstes üblich war, zu teils nur wenige Wochen dauernden Stationen bei Gericht oder der Staatsanwaltschaft in der Provinz herumgeschickt. Dieses Lebens überdrüssig und sich nach seiner Heimat sehnend wurde er ab 1876 Rechtsanwalt und Notar in Flensburg, dann Elmshorn und schließlich Kiel. 1903 gab er den Anwaltsberuf auf und wurde freier Schriftsteller4. In seinen Novellen behandelte er häufig juristische, hauptsächlich strafrechtliche Fragen5. Nach 1933 wurde er für die Blut- und Bodenliteratur der Nationalsozialisten vereinnahmt.
4
5
Eugen Wohlhaupter, Dichterjuristen, Bd. Ill, Tübingen 1957, S. 344–399 (352) drückt es so aus: „Er zog sich aus dem Berufsleben zurück, um in der Stille seines Dichterheimes nun ganz sich und seiner Kunst leben zu können.“ Vgl. Antje Erdmann-Degenhardt, Juristen und Dichter – Theodor Storm und Timm Kröger, in: NJW 2002, S. 544–551 (550 f.); Röhnelt (Fn. 2), S. 69 ff.
32. Karl Emil Franzos
Pandektenkolleg als Vergnügung Wiens Karl Emil Franzos (1847–1904), zu seiner Zeit populärer Erzähler und Feuilletonist, entstammte einer deutsch-jüdischen Familie im damals österreichisch-ungarischen Galizien, heute West-Ukraine; sein Vater war Bezirksarzt. Er wollte klassische Philologie studieren, doch wurde ihm ein Stipendium unter Umständen verweigert, über die er in seinem „Selbstbiographischen Aufsatz“1 Folgendes berichtet: „Ihre Eignung steht außer Zweifel“, sagte mir der Landeschef, „aber –“ Die Taufe! Einem Juden wurde das Stipendium nicht gegeben, es hätte auch keinen rechten Sinn gehabt, denn ein Lehramt war ja damals – im Sommer 1867 – einem Juden unerreichbar. Ich sagte sofort Nein. Ich hatte kein Vorurteil gegen Christen und Christentum, wahrlich nicht! Auch war ich damals leidenschaftlich in ein christliches Mädchen verliebt. Aber mit der Taufe Handel treiben, das ging nicht. Auf das Stipendium mußte ich also verzichten und damit auch auf die Philologie. Ein Mensch mit meinen Pflichten mußte ein Brotstudium wählen.
Franzos begann 1867, in Wien Jura zu studieren2. Er wählte die Jurisprudenz, weil ihm diese sehr viel Zeit für die Erteilung von Lektionen, welche meine Einnahmequelle bildeten, sowie für die Beschäftigung mit anderen 1
2
In: Karl Emil Franzos (Hg.), Die Geschichte des Erstlingswerks. Selbstbiographische Aufsätze, Leipzig 1894, S. 213–240; die Zahlen im Text geben Seiten aus diesem Buch an. Vgl. Anna-Dorothea Ludewig, Zwischen Czernowitz und Berlin. Deutschjüdische Identitätskonstruktionen im Leben und Werk von Karl Emil Franzos (1847–1904), Hildesheim u.a. 2008, S. 53 ff.
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Wissenschaften, namentlich der Philosophie und Literaturgeschichte 3 übrig ließ. Ich wurde Burschenschafter wie mein Vater, schloß mich aus innigster Überzeugung den Deutsch-Nationalen an die trotz 1866 den Ausbau des Norddeutschen Bundes zum Deutschen Reich ersehnten, hielt als einer ihrer Vertreter beim Berliner Burschentag von 1868 eine Rede, die mir nach der Heimkehr nach Wien arge polizeiliche Chikanen eintrug. Kurz, ich fühlte mich nicht bloß als Deutscher, sondern handelte darnach. Aber dazwischen dachte ich zuweilen doch: „So fühlte und handelte auch dein Vater und erfüllte dabei doch auch die Pflicht gegen die Juden“ (233)!
Franzos setzte sein Studium 1868 in Graz fort und legte 1869 die erste und 1871 die zweite juristische Staatsprüfung ab4. Er fing aber auch aus idealistischem Engagement an, über die selbst erlebten Spannungen und Schwierigkeiten der Juden, vor allem durch ihre Ghetto-Existenz, und die kulturelle Vielfalt im Vielvölkerstaat der Donaumonarchie zu schreiben. Im Frühling 1872 gab ich meine Juristerei endgiltig auf; das war ohnehin nur eine Frage der Zeit. Denn Advokat mocht’ ich nicht werden und die Richterlaufbahn war dem Juden, der sich obendrein politisch kompromittiert, verschlossen (239).
Dazu passte, dass er 1885 aus der von ihm 1868 mitgegründeten „progressistisch eingestellten“, d.h. deutschnationalen, Wiener Burschenschaft „Teutonia“ wegen „Zugehörigkeit zur jüdischen Rasse“ ausgeschlossen wurde5. Hinzu kam aber auch, dass er ein großes oppositionelles politisches Engagement für die Deutschnationalen an den Tag legte. Er begeisterte sich für die Gründung des Deutschen Kaiserreiches und wurde für seine Agitation zu
3 4 5
Brief von 1890, in: Ludewig (Fn. 2), S. 48 f. Vgl. Ludewig (Fn. 2), S. 75 f. Vgl. Otto Mühlwerth (Hg.), Hundert Jahre Burschenschaft Teutonia Wien, Horn 1968, S. 4, 18 und 151.
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einer Geldstrafe verurteilt6. Franzos lebte dann auch die letzten zwanzig Jahre als freier Schriftsteller in Berlin. In Franzos’ literarischem Werk spielt das Recht eine beachtliche Rolle. Insbesondere wählte er immer wieder Stoffe für seine Erzählungen, „in denen das Rechtsbewußtsein verletzt wird oder das gebeugte mißhandelte Recht nach seiner Wiederherstellung verlangt“ 7 . Bestes Beispiel ist sein Roman „Ein Kampf um’s Recht“ von 1882. Die Handlung des Romans erinnert an Heinrich von Kleists Erzählung „Michael Kohlhaas“8; Franzos selbst sprach von einem „Kohlhaas, ins Halb-Asiatische übersetzt“9: Ein Dorfrichter in einem Ort am Rande der Karpaten kann trotz aller Bemühungen, einschließlich einer persönlichen Vorsprache beim Kaiser, das vom Feudalherrn an den Bauern des Dorfes begangene Unrecht nicht verhindern oder beheben und greift zur Selbstjustiz. Der Roman war inspiriert durch Rudolf von Jherings berühmter Schrift aus dem Jahr 1872, deren Titel er nur leicht abgewandelt übernahm. So wie Jhering den Kohlhaas schätzte, „seine hohe Achtung vor dem Recht, seinen Glauben an die Heiligkeit desselben, die Thatkraft seines ächten, gesunden Rechtsgefühls“10, pries er auch Franzos’ Roman. Diese Wertschätzung beruhte auf Gegenseitigkeit, wie man dem Nachruf auf Rudolf von Jhering von Franzos und den darin wiedergegebenen Briefen von Jhering 6
Vgl. Herwig Würtz (Hg.), Karl Emil Franzos (1848–1904). Der Dichter Galiziens. Zum 150. Geburtstag, Wien 1998, S. 19. 7 Horst Sendler, Karl Emil Franzos (1848–1904): Ein Kämpfer ums Recht, in: NJW 1987, S. 1361–1369 (1363); vgl. auch Ders., „Ein Kampf ums Recht“ – juristische Bezüge im Werk von Karl Emil Franzos, in: Amy-Diana Colin u.a. (Hg.), Spuren eines Europäers. Karl Emil Franzos als Mittler zwischen den Kulturen, Hildesheim u.a. 2008, S. 159–168. 8 Vgl. Bodo Pieroth, Recht und Literatur. Von Friedrich Schiller bis Martin Walser, München 2015, S.155–176. 9 Vgl. Hans-Günther Thalheim u.a. (Hg.), Geschichte der deutschen Literatur. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, Bd. 8, Berlin 1975, S. 880. 10 Rudolf von Jhering, Der Kampf um’s Recht, Wien 1872, S. 68.
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an Franzos in der von diesem selbst herausgegebenen Zeitschrift „Deutsche Dichtung“ entnehmen kann: Ich habe ihn sehr verehrt, von meiner Jünglingszeit bis heute, und habe als junger Student und mehrere Jahre später als junger Schriftsteller das Wertvollste von ihm empfangen, was ein Mensch dem andern schenken kann: Anregungen, die mich innerlich förderten. […] ich könnte ein Urteil über seine streng juristischen Werke nicht fällen. Dazu bin ich ein zu schlechter Jurist. Daß ich nicht ein noch schlechterer geworden bin, danke ich ihm. Ich hatte nicht freiwillig dies Brotstudium erwählt und fühlte mich recht unglücklich dabei. Daß ich nur eben meine Pflicht that und alle Muße und Liebe auf andere Studien wendete, half mir, so unreif ich auch noch war, doch nicht über die peinliche Empfindung hinweg: „Und mit dem Kram mußt du nun dein Leben verbringen!“ Da kam ich 1869 von der Grazer Hochschule, wo ich damals studierte, auf einige Wochen zu Besuch nach Wien. Wer mir damals prophezeit hätte, daß ich während dieser Zeit den täglichen Besuch eines Pandektenkollegs [von Jhering] zu den Vergnügungen der schönen, ewig heiteren Großstadt zählen würde, ich hätte laut aufgelacht. […] Als ich heimkehrte, begann ich mehr zu thun, als meine Pflicht, sogar juristische Werke zu lesen, vor Allem Jherings Werke. […] ich begriff, daß die Jurisprudenz eine Wissenschaft sei und versöhnte mich mit dem Schicksal, das sie mir zur Herrin gesetzt, zur lebenslänglichen Her11 rin, wie ich damals glaubte.
In demselben Artikel würdigte Franzos Jherings Buch mit Worten, die die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wonach der Rechtsschutz in der Menschenwürde wurzelt, vorwegnahmen: Man hat es ja einige Male auch als eine Aufforderung zur Prozeßsucht bezeichnen hören, aber das sind Stimmen, die man überhören darf; wir Andern Alle wissen, daß es eine Aufforderung ist, die 12 Menschenwürde zu wahren.
11 Karl Emil Franzos, Rudolf von Jhering, in: Deutsche Dichtung, Bd. 13, 1892/93, Heft 2, S. 50–52, 78–80 (50). 12 Franzos (Fn. 11), S. 78.
33. Rudolf Huch
Ich lasse nichts auf die Corps kommen Rudolf Huch (1862–1943), älterer Bruder der bekannteren Schriftstellerin Ricarda Huch und Sohn eines Großkaufmanns, war Autor von rund 30 satirisch-zeitkritischen Romanen. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hatte er ein breites Publikum. Nach 1933 trat er für den Nationalsozialismus ein; nach 1945 geriet er weitgehend in Vergessenheit. In seiner Autobiographie „Mein Weg. Lebenserinnerungen“1 berichtete er anschaulich vom Jurastudium in Heidelberg im Sommersemester 1880 und dann bis Ende des Wintersemesters 1882/83 in Göttingen sowie von der ersten und zweiten juristischen Staatsprüfung. Das Studium war weitgehend beherrscht vom Corpsleben, das Huch in vollen Zügen genoss und das er entschieden verteidigte: „Ich lasse nichts auf die Corps kommen. […] Ich lasse mir nicht nehmen, daß bei den Corps das Gute weit überwiegend war“ (171). Für das erste Semester stellte Huch fest: „In ein Kolleg bin ich nur einmal gegangen“ (158), und das war auch noch ein philosophisches. Trotz des gelegentlich tödlichen Ausgangs legte er „ein Wort für die Mensur“ ein (169). Die Versuche der Universität, dagegen vorzugehen, fielen halbherzig aus, weswegen die Verurteilung zu einem 24stündigen Karzeraufenthalt dazu führte, dass Huch „kaum jemals in [s]einem Leben so viel Bowle getrunken hat“ und er von einem „fidelen Gefängnis“ sprach (176). So war ich denn auch mit Leib und Seele Corpsstudent. Daß ich auf der Universität war, um Kollegien zu hören, kam mir nicht in den 1
Zeulenroda 1937; die Zahlen im Text geben Seiten aus diesem Buch an.
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Sinn. Am Corps lag es an sich nicht, unser einziger Philologe und die Mediziner besuchten Hörsaal und Klinik regelmäßig. Die Anforderungen an die Juristen wurden aber damals in der ersten Prüfung so gestellt, daß es genügte, wenn man in den letzten Semestern ein Repetitor bei einem Referendar besucht hatte, und weiter ging mein Streben nicht (178 f.).
Im letzten aktiven Semester ging Huch zum Repetitor, einem Amtsrichter aus einem Dorf bei Braunschweig: Er befaßte sich mit der Ausbildung von Rechtskandidaten zu der ersten Staatsprüfung, ohne Entgelt, es war ihm um die Sache zu tun, auch wohl um die Gelegenheit zu eigener theoretischer Befassung mit dem Recht. Man mußte Beziehungen zu ihm haben oder bei ihm eingeführt sein, das war bei mir nicht weiter nötig, da er ein alter Herr meines Corps war (196).
Im November 1883 bestand Huch die erste Staatsprüfung, obwohl er „nichts wußte […]. Gut ging die Sache nicht, aber hinlänglich. Das war unser Prädikat, und mehr konnten wir auch wirklich nicht verlangen“ (204 f.). Die Anforderungen in der Referendarzeit waren auch nicht hoch: „Jeder konnte sich etwa während der ersten Hälfte der Referendarzeit sein Leben zimmern wie er wollte, und ich für mein Teil habe das auch noch in der zweiten getan“ (207). Selbst das reichte für die zweite Staatsprüfung: Wir waren unser sechs. Unsere Arbeiten waren sämtlich angenommen, und es war seit Menschengedenken nicht vorgekommen, daß jemand in der mündlichen Prüfung durchfiel. Sie dauerte zwei Tage, begann aber gleich mit einer Katastrophe. Der Präsident Schmid fragte den Sohn eines Domänenpächters, was er tun würde, wenn ihm jemand einen gepachteten Acker widerrechtlich aberntete. Die Antwort sollte sein, man hätte die römische actio rapina anzustrengen, ich glaube wenigstens, daß sie so hieß. Die Antwort des Kandidaten war wohl bedacht: Dann schicke ich nach der Polizei. Der Präsident wurde dunkelrot im Gesicht, sagte aber ganz freundlich, das wäre gewiss eine verständige Maßregel, nun möchte er gern wissen, was der Kandidat tun würde, wenn die Polizei den Täter ermittelt hätte und er seinen Schaden geltend machen wollte. Da der
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Kandidat wohl nicht antworten konnte, dann würde er sich an einen Rechtsanwalt wenden, zog er es vor, zu schweigen. Nach dem Schluß der Prüfung warteten wir in einem Zimmer, das nach dem Dom sah, auf die Verkündung des Ergebnisses. Ich stand allein am Fenster. Ein gutherziger, immer freundlicher Kollege stellte sich neben mich, zeigte, wohl um mich aufzuheitern, auf den stärksten Ast der tausendjährigen Linde, die damals noch vor dem Dom stand, und sagte, wenn er durchfallen würde, würde er sich an dem aufhängen. Das niederschmetternde Ergebnis war, daß er und zwei andere, darunter natürlich der praktische Landwirtssohn, durchgefallen waren. Ich war wie in der ersten Prüfung mit dem Prädikat hinlänglich durchgekommen. Der spätere Schmid-Dankward sagte mir, ich hätte enttäuscht, man hätte mehr von mir erwartet. Mir war das gleichgültig, es lagt mir nichts daran, ob ich als Oberlandesgerichtsrat oder als Amtsrichter enden würde (258 f.).
Trotzdem wurde Huch zunächst Gerichtsassessor. Als er aber herausfand, „daß ich nach aller Wahrscheinlichkeit noch beinahe fünf Jahre unbesoldeter Assessor hätte sein müssen“ (264), wurde er Rechtsanwalt und später Notar. Das blieb er, auch wenn bei Juristenkollegen das Bücherschreiben als „Verrat an der hohen Juristerei und eine unverzeihliche Selbsterniedrigung“ (329) galt. Aber für Huch war entscheidend: „Meine schriftstellerische Tätigkeit war ein Ausruhen von der Frohn der Berufsarbeit und dem Drang des Lebens, ich habe es nie als eine Arbeit empfunden“ (402).
34. Hermann Bahr
Zu laut das „Heim zum Reiche“ ausgerufen Hermann Bahr (1863–1934), vielseitiger österreichischer Schriftsteller, Literatur- und Theaterkritiker, war Sohn eines Rechtsanwalts, Notars und Landtagsabgeordneten. Er begann im Herbst 1881 das Studium der klassischen Philologie an der Universität Wien. Doch in den Vorlesungen hielt er es, wie er in seiner Autobiographie „Selbstbildnis“1 schrieb, vor Langeweile nicht aus: „[…] es fehlte der Geist, es fehlte jede Persönlichkeit, es fehlte das Erlebnis. Unter diesen Herren, die möglichst spät kamen, eiligst vor sich hin etwas von Zetteln ablasen, ohne den Hörer auch nur anzublicken, und aufatmend mit dem Glockenschlag wieder ihre Zettel einpackten, mögen daheim vielleicht ganz achtbare Gelehrte gewesen sein, Kraft der Mitteilung hatten sie keine“ (123 f.). Anders dagegen Lorenz von Stein, der über Nationalökonomie las: Stein bezauberte mich. Auch Theater, ja, doch wirklich „höchstes“, von einer flirrenden, sprühenden, in der Maske von allerhand fast skurrilen Mätzchen und Geckereien doch so sublimen Geistigkeit, daß ich, jugendlich rasch die Sache mit der Person verwechselnd, den begeisterten Dank für die magische Wirkung Steins sogleich auf seine Wissenschaft übertrug, auf diese mir bis dahin kaum dem Namen nach bekannte Nationalökonomie, die mir nun auf einmal der Inbegriff der neuen Zeit, das Siegel unserer Geheimnisse schien (124).
Bahr zog schnell Konsequenzen: „In meinem ratlosen Ärger schmiß ich zunächst die Philologie weg; Weihnachten 1881 fand 1
Berlin 1923 (Neuausgabe Weimar 2012); die Zahlen im Text geben Seiten aus diesem Buch an.
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mich schon an der juristischen Fakultät“ (128). Sein deswegen enttäuschter „geliebter“ Gymnasiallehrer hielt gleichwohl brieflich mit den Worten zu ihm: „[…] so habe ich auch keine Angst, daß Sie etwa einmal ein verknöcherter und lederner Pandektenhengst werden könnten“ (129). Die richtige Liebe war aber auch die Rechtswissenschaft nicht. Über die Tatsache, dass Bahr dort von keinem seiner Professoren gefesselt wurde und sich zu keinem Lehrer ein persönliches Verhältnis entwickelte, tröstete er sich mit der Feststellung hinweg: „Juristen schwänzen ja grundsätzlich“ (129). Die erste Staatsprüfung „stand drohend am Ende des 4. Semesters“ (134), aber die guten Vorsätze, mit der Arbeit dafür zu beginnen, wurden nicht in die Tat umgesetzt. Vor allem engagierte sich Bahr in seiner deutschnationalen Verbindung 2 und wurde von der Wiener Universität relegiert, weil er „zu laut das ‘Heim zum Reiche’ ausgerufen“3, die Wacht am Rhein mitgesungen und nicht die Volkshymne angestimmt hatte (145 f.). In Graz fasste er wieder den Vorsatz, „fortan die drei Monate bis zur ersten Staatsprüfung tagein tagaus nichts als zu büffeln, bis es mir ein Spaß sein müßte, selbst den böswilligsten Examinator zu beschämen“ (147). Er konnte aber auch hier nicht bleiben, weil er nach Zusammenstößen mit der Polizei von seinem Vater nach Hause gerufen wurde; nach anderer Darstellung versäumte er die Immatrikulationsfrist4. Als „letzter Versuch“ (156) wurde er an die Deutsche Universität in Czernowitz geschickt. Als auch hier wieder nach kurzer Zeit die 2
3 4
Vgl. Donald G. Daviau, Hermann Bahr and the Radical Politics of Austria in the 1880s, in: Ders., Understanding Hermann Bahr, St. Ingbert 2002, S. 48–68. Peter Wagner, Der junge Hermann Bahr, Diss. Phil. Gießen 1937, S. 15; hier auch die folgenden Angaben zum Lebenslauf. Vgl. Reinhard Farkas, Hermann Bahr. Dynamik und Dilemma der Moderne, Wien, Köln 1989, S. 15.
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Relegation drohte, weil er sich beim Hoch auf den Kaiser absichtlich nicht erhoben hatte, vermittelte einer seiner wohl insgeheim mit seinen politischen Ansichten sympathisierenden Professoren folgenden Deal: Gegen sein Ehrenwort, die Stadt binnen acht Tagen zu verlassen, wurden ihm zwei Monate vor Semesterschluss seine sämtlichen Vorlesungen testiert (164). Das war zugleich das Ende von Bahrs juristischer Ausbildung. Im April 1884 ging er für drei Jahre nach Berlin mit der Absicht, Nationalökonomie zu studieren5. Er empfing starke Eindrücke von Adolf Wagner und Gustav Schmoller, verwarf dann aber den Gedanken einer akademischen Karriere (206) und verließ Berlin 1887. Nach längeren Reisen wurde er 1890 Redakteur der „Freien Bühne“ in Berlin. So waren die Universitätserfahrungen für Bahr nur „fruchtbare Umwege“6.
5
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Vgl. Gottfried Schnödl, Vom „Zusammenhang im All“ – Hermann Bahr als Student der Nationalökonomie, in: Martin Anton Müller u.a. (Hg.), Hermann Bahr: Österreichischer Kritiker europäischer Avantgarden, Bern 2014, S. 15–37. Heinz Kindermann, Hermann Bahr. Ein Leben für das europäische Theater, Graz – Köln 1954, S. 16 ff.
35. Frank Wedekind
Mehr lernen statt viel studieren Frank Wedekind (1864–1918), provokanter Dramatiker, hat sich früh zur Schriftstellerei berufen gefühlt und nur auf Wunsch seines Vaters, eines in den USA reich gewordenen Arztes, Jura studiert, und zwar vom Wintersemester 1884 bis zum Sommersemester 1886 in München und nach einer Unterbrechung infolge einer schweren Auseinandersetzung mit dem Vater sowie anschließender Wiederversöhnung nochmals 1888 ein Semester lang in Zürich. Als sein Vater im Herbst 1888 starb, gab er das Studium endgültig auf; durch seine Erbschaft konnte er sich ganz dem Schreiben widmen1. In den Briefen an den Vater wird getreulich Rechenschaft über das Studium abgelegt. Hieran lässt sich das übliche Studienprogramm jener Jahre erkennen2: 1. Semester: Deutsche Rechtsgeschichte, Institutionen, Römische Rechtsgeschichte. 2. Semester: „Ich belegte für jeden Morgen von 7 bis 8 Erb- und Familienrecht und von 8 bis 10 Pandekten. […] Bei gegenwärtigem schönen Wetter ist es bedeutend angenehmer, als vergangenen Winter, früh morgens ins Colleg zu gehen, und auch der Stoff, zumal die Pandecten sind nicht so schrecklich dürr, wie sie verschrieen sind“. 3. Semester: „Um acht Uhr besuch’ ich ein sechsstündiges Pandectenrepetitorium, um 9 Uhr das Civilprozeßrecht 7 stündig, um 10 Uhr bei Prof. von Holtzendorff Strafrecht 5 stündig und um 11 Uhr bei demselben allgemeines Staatsrecht 4 1
2
Vgl. Hartmut Vinçon, Frank Wedekind, Stuttgart 1987, S. 37; ausführlich Ders., „Am Ende war ich doch ein Poet…“ Frank Wedekind: Ein Klassiker der Literarischen Moderne. Werk und Person, Würzburg 2014, S. 31–53. Vgl. Artur Kutscher, Frank Wedekind. Sein Leben und seine Werke, 1. Bd., München 1922, S. 114.
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stündig, worin er ja eine bedeutende Autorität ist“. 4. Semester: „Ich höre fünfstündig deutsches Handels-, Wechsel- und Seerecht, fünfstündig Kirchenrecht und vierstündig System der Staatswissenschaft 3 und Politik“.
In Wirklichkeit wurde das Studium „mehr und mehr zum Vorwand“4, wie man aus den Briefen an eine Freundin erfährt: Offen gestanden: ich studire nicht viel, weil ich dabei bedeutend mehr lerne, als wenn ich viel studiren würde. Dies Paradoxon wird Ihnen begreiflich werden, wenn Sie die Annehmlichkeiten der Großstadt bedenken. Ich gehe sechs bis sieben Mal per Woche ins Theater und habe schon viel Schönes gesehen. Ich muß sie [die Mutter] ja im süßen Wahne lassen, daß ich Jurisprudenz studiere, bis ich ihr wenigstens mit einem kleinen [sc.: literarischen] Erfolg vor die Augen treten kann, um meine Wahl zu rechtfertigen. […] Von Jurisprudenz kann ich ja auch nichts schreiben, denn ich weiß nichts davon und meine Eltern so gründlich anlügen, das kann ich auch 5 nicht mehr.
Noch deutlicher heißt es in einem Vorstellungsbrief aus dem Jahr 1887: Nachdem ich in Aarau das Gymnasium absolviert, bezog ich die Münchner Universität, wo ich mich vier Semester hindurch mit philosophischen Studien aller Art beschäftigte. Dank derselben glaub ich mir unter anderem auch ein durch solide Prinzipien begründetes, durch die mannigfachste Erfahrung gerechtfertigtes gesundes Urteil über Kunst, Musik, Theater und Literatur im 6 allgemeinen beimessen zu dürfen.
In dem Text „Autobiographisches“, den Wedekind 1901 geschrieben und Briefpartnern zu literarischen Zwecken zur Verfü-
3 4 5 6
Frank Wedekind, Gesammelte Briefe, hg. von Fritz Stich, 1. Bd., München 1924, S. 93 f., 120, 140. Günter Seehaus, Frank Wedekind, Reinbek bei Hamburg 1974, S. 32. Wedekind (Fn. 3), S. 72, 150. Wedekind (Fn. 3), S. 174.
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gung gestellt hat 7 , fehlt jeder Hinweis auf sein abgebrochenes juristisches Studium. Als Kritiker gesellschaftlicher Zustände, vor allem der Sexualmoral seiner Zeit, hatte Wedekind Zeit seines Lebens Schwierigkeiten mit der Obrigkeit. Wegen seines satirischen Gedichts über Kaiser Wilhelms II. Palästinareise 1898 („Im Heiligen Land“) wurde er wegen Majestätsbeleidigung zu sieben Monaten Gefängnis verurteilt, die gnadenweise in Festungshaft umgewandelt wurden8. In seinem Aufsatz „Torquemada. Zur Psychologie der Zensur“ schrieb er: Es ist keine leichtfertige Übertreibung, sondern eine Tatsache, daß die Knebelung der dramatischen Literatur in Deutschland nie so 9 fanatisch gehandhabt wurde wie heute.
Angesichts dessen gab des Preußische Oberverwaltungsgericht ein schönes Beispiel seiner Liberalität: Es hob 1912 die Verfügung auf, mit der der Königliche Polizeipräsident von Königsberg die Aufführung von Wedekinds Stück „Frühlings Erwachen“ verboten hatte10.
7
Frank Wedekind, Werke. Kritische Studienausgabe in acht Bänden, Bd. 5/II: Vermischte Schriften, hg. von Hartmut Vinçon, Darmstadt 2013, S. 170–172, 355–357; Kommentar in Bd. 5/III, S. 73–86. 8 Vgl. Johannes G. Pankau, Polizeiliche Tugendlichkeit: Frank Wedekind, in: Jörg-Dieter Kogel (Hg.), Schriftsteller vor Gericht. Verfolgte Literatur in vier Jahrhunderten, Frankfurt a.M. 1996, S. 142–170 (154). 9 Frank Wedekind, Werke in drei Bänden, hg. von Manfred Hahn, Berlin und Weimar 1969, Bd. 3, S. 250 ff. 10 PrOVG, Preuß. VerwBl. Bd. 33, 1911/12, S. 683 f.
36. Otto Julius Bierbaum
In Wahrheit nur der Fakultät des Lebens angehörend Otto Julius Bierbaum (1865–1910) wird charakterisiert als „zwischen Naturalismus, Impressionismus und Dekadenz wechselnder und der literarischen Bohème angehöriger Schriftsteller auf allen Gebieten, vielseitig und regsam als literarischer Vermittler auch vergangener Stilformen“1. Zu seiner Zeit anerkannt und erfolgreich, wird Bierbaum heute vorgehalten, dass er kaum Eigenes geschaffen, sondern überwiegend Anleihen in formaler und inhaltlicher Hinsicht getätigt habe2. Bierbaum studierte nach einem Semester 1885 in Zürich drei Semester lang in Leipzig – neben der Militärdienstzeit – offiziell Philosophie und Jura, in Wirklichkeit aber „bald das, bald das [...] und in Wahrheit nur der Fakultät des Lebens angehörend“ 3 . In einer englischen Biographie heißt es lapidar, dass das Studium in Leipzig ,,failed to render any appreciable gains“4.
1 2 3 4
Gero von Wilpert, Deutsches Dichterlexikon, 3. Aufl., Stuttgart 1988, S. 73. Detlef Haberland, in: Walther Killy (Hg.), Literaturlexikon, Bd. 1, Gütersloh / München 1988, S. 504–506 (505). Otto Julius Bierbaum, Selbstbiographie, in: Eugen Schick, Otto Julius Bierbaum, Berlin und Leipzig 1903, S. 63. William H. Wilkening, Otto Julius Bierbaum: The Tragedy of a Poet. A Biography, Stuttgart 1977, S. 16.
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Otto Julius Bierbaum
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In dem ersten Band der „Studenten-Beichten“ 5 schilderte Bierbaum die Klagen eines Jurastudenten, die wohl auch seine eigenen waren. Es ist die Rede von „dem mir an sich widerwärtigen juristischen Studium“ und dem „heftigen Trank der Rechtsgelahrsamkeit“ (45). Weiter heißt es, daß das ein Studium sei, höchstens für einen Lohnknecht gut. Die Paragraphen klapperten mir unendlich widerwärtig in den Sinn [...]. ‘Zuchthaus, Gefängnis, Festung, Ehrverlust, Milderungsgründe’ […] hol’s der Teufel! – Ich versuchte es nacheinander noch mit der Zivilprozeßordnung und dem Handelsgesetzbuch, aber geradezu ein Haß überkam mich gegen Kontokorrentvertrag, Handelskauf, Tausch und dergl. – unausstehlich ledern und sündhaft niederträchtig kam mir das alles vor (52 f.).
Bezeichnend auch, dass der stud. phil. et jur. Willibald Stilpe in dem Roman ,,Stilpe“6, der nach Bierbaums eigenem Bekunden (,,leider nicht erdichtet, sondern erlebt“7) starke autobiographische Züge trägt, seine Zeit als „vir juvenis dominus Stilpe leissnigensis“ [der junge Herr Stilpe aus Leipzig] nicht in Hörsälen, sondern ausschließlich auf Kneipen und Paukböden zubringt. Daher sei hier auch die Charakteristik verschiedener Studentenverbindungen8 wiedergegeben: Das Korps: rückständige Institution aus unfreien Zeiten, daher Fuchsensklaverei, Burschentyrannis, starrer Formelkram; die Burschenschaft: entweder rückständige Romantik, Tugendbund und Keuschheit bis zum Ehebette oder Form ohne Inhalt; die Landsmannschaft: traditionslose Neugründung, bemäntelt mit einem alten 5 6
7 8
1. Aufl., München 1893; 9. Aufl., Berlin und Leipzig 1910; die Zahlen im Text geben Seiten aus dieser Auflage an. 1. Aufl., Berlin 1897; die folgenden Zitate nach Bd. 2 der Gesammelten Werke in zehn Bänden, hg. von Michael Georg Conrad / Hans Brandenburg, München 1921, S. 362 f. Bierbaum (Fn. 3), S. 59. Zum „Corpsstudentischen in Bierbaums Werken“ vgl. auch Peter Muschol, Otto Julius Bierbaum. Dichter und Corpsstudent 1865–1910, Hilden 2010, S. 29–99.
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Otto Julius Bierbaum
Namen, ohne Wurzeln im Alten, ohne Greifranken ins Neue: Zwitter. Die bloße Verbindung dagegen, nun ja: das war eben eine Sache für sich, etwas mehr Improvisiertes, das daher auch nicht so umklammerte und absorbierte. Zweifellos bot sich hier auch die leichtere Möglichkeit, eine beeinflussende Stellung zu erhalten. Und das ist doch wohl das wichtigste!
1887 wechselte Bierbaum an die Universität München, studierte aber nicht mehr Jura, sondern begann eine Schriftstellerkarriere. Im Jahr darauf ging er an das neugegründete Orientalische Seminar in Berlin, um als Vorbereitung einer „Konsulatskarriere“ Chinesisch zu lernen. Durch den Bankrott des elterlichen Gaststättenbetriebs war er „mit einem Male ganz auf mich und meinen Federhalter angewiesen […], der nun auch meine Eltern mit unterhalten mußte. Ich wurde Journalist“9. Bei allem Humor und zur Schau getragenem Verständnis für das pralle Leben blieb Bierbaum Moralist, wie folgendes ,,Zuruf“ betitelte Gedicht, das er für die Matura-[Abitur-]Festschrift der Absolvia [Abitursklasse] 1906/07 des k.k. Staatsgymnasiums Innsbruck verfasst hat, in geradezu aufdringlicher Weise zeigt: Akademische Freiheit: was heißt das? Saufen und Schlagen? – Hieß es bloß das, es wär nicht das Examen wert. Wohl! Ich lob mir noch heute den ritterlich fröhlichen Trubel, Der mich im Corps umfing. Heute noch bin ich ihm treu. Aber die Ritterlichkeit, der fröhliche Sinn, die Freiheit Heiße, Burschen, euch mehr, als nur Mütze und Band. Schwärmt und schlagt euch getrost! Treibts immerhin bunt und verwegen. Aber vergeßt mir nicht: Höheres steht auf dem Spiel. 9
Otto Julius Bierbaum, Im Spiegel. Autobiographische Skizzen XXIV: Otto Julius Bierbaum, in: Das literarische Echo, Bd. 9, 1906/1907, Sp. 1082– 1087 (1084 f.); zum literarischen Werk vgl. Bernhard Maria Holeczek, Otto Julius Bierbaum im künstlerischen Leben der Jahrhundertwende. Studien zur literarischen Situaton des Jugendstils, Phil. Diss., Freiburg / Schweiz 1973; Dushan Stankovich, Otto Julius Bierbaum – eine Werkmonographie, Bern und Frankfurt a.M. 1971.
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Wart ihr Schüler bis jetzt, nun seid ihr Studenten. Was heißt das? Daß ihr euch selbst in Zucht, selbst euch in Freiheit dressiert. Niemand gängelt euch mehr. Wohlan, so schreitet nun selber Würdig zum Ziel, das ihr selbst eurer Begabung erwählt. Nicht bloß Wissenschaft sei’s. Es locke euch mehr als die Aussicht, Warm in Würde und Amt später versorgt zu sein. Frei ist der Bursch, – wozu? Sich festzumachen zur Freiheit Adligen Menschentums, aller Gemeinheit feind. Bildung sei euer Ziel, Gesittung, Lauterkeit, Ehrfurcht Allem, was groß und stark gegen das Niedrige kämpft. Glaubt an Helden und liebt sie! Verachtet das feige Behagen, Das keinen Aufschwung kennt! Heilig sei euch der Geist, Heilig der Mut und die Kraft und die Liebe zum ewig Bewegten, Das voran und empor immer zu Höherem treibt! Dann enthüllt sich auch wohl der Sinn des Lebens: die Schönheit, 10 Und euer Leben selbst wird von Schönheit verklärt.
10 In: Alfred von Klement, Otto Julius Bierbaum Bibliographie, Wien u.a. 1957, S. 26.
37. Max Halbe
An den verabreichten logisch-juristischen Definitionen die Zähne ausgebissen Max Halbe (1865–1944), Sohn eines westpreußischen Gutsbesitzers, gehörte zu den meistgespielten Dramatikern neben Hauptmann und Sudermann (,,Jugend“, ,,Mutter Erde“, ,,Der Strom“). Er verfasste auch die mehrbändige Autobiographie „Scholle und Schicksal“, die als „für die Literaturgeschichte des Naturalismus bedeutsam“ gewertet wird1. In dem ersten Band2 gibt Halbe über sein einjähriges Jurastudium Auskunft, dessen Wahl er dem Einfluss seines Großvaters, einem niederdeutschen Bauern, zuschrieb: Im Wesen gerade dieses Bauerntums hat von jeher (man denke nur an den Sachsenspiegel!) ein sehr ausgesprochenes Rechtsgefühl, ja darüber hinaus eine bewußte Stellungnahme zum Rechtsbegriff, also eine offenkundige juristische Begabung, gelegen. Auch von meinem Großvater konnte man sagen, daß ein Jurist an ihm verloren gegangen war. Er wußte im Preußischen Landrecht, dem Vorgänger des Bürgerlichen Gesetzbuches, wie in allen für ihn einschlägigen Rechtsfragen beinahe so gut Bescheid wie seine Anwälte, was ihm in seinen alten Tagen bei der Verwaltung seines Vermögens als Rentner in Dirschau nicht wenig zustatten kam. Er hat oft mit mir über diese Dinge gesprochen und mich in allerlei juridische Feinheiten und Knifflichkeiten einzuweihen gesucht. Sein heißer Wunsch war, daß ich Jurist werden möchte und in seinem Enkel sich verwirkliche, was ihm selbst nicht beschieden gewesen war. Nicht zum wenigsten 1 2
Gero von Wilpert, Deutsches Dichterlexikon, 3. Aufl., Stuttgart 1988, S. 298. München 1933; die Zahlen im Text geben Seiten aus diesem Werk an.
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ihm zuliebe habe ich mich dann in Heidelberg zwei Semester lang des Rechtsstudiums befleißigt. Ich habe wohl auch eine gewisse ererbte Anlage dafür mitgebracht, es schließlich aber doch an den Nagel gehängt, weil der künstlerische Gestaltungsdrang stärker als alles andere war (40 f.). Was mein Studium betrifft, so schwankte die Waage zwischen Philologie und Jurisprudenz. Sollte ich Gymnasiallehrer werden? Sollte ich einmal als Richter amtieren oder als Rechtsanwalt praktizieren? Letzteres war der Lieblingswunsch meines Großvaters. Wir hatten ja auch schon mehrere Juristen in der Familie, die Brüder meines Vaters und andere. Medizin kam nicht in Frage. Theologie war wohl einmal als ferne Möglichkeit erschienen, aber das war vorbei. Mein ganzes Gehaben schloß geistliche Betätigung aus. Also Lehrfach oder Rechtsfach. Meine Mutter hätte mich gern als Gymnasialprofessor mit sicherem Einkommen gesehen. Dies war die Hauptsache: Staatsanstellung und Pension. Mir war das alles herzlich gleichgültig. Ganz andere Pläne gaukelten vor meiner Phantasie: Schriftsteller. Dichter. Wie man das wird? Ich wußte es nicht, sah nur das Ziel, aber nicht den Weg. Aber da doch ein Weg beschritten, eine Wahl getroffen werden mußte, so zog ich zunächst einmal Jurisprudenz vor. Juristen können ja alles mögliche werden. Auch Goethe war doch Jurist gewesen. Also warum nicht ich? Schiller war Mediziner. Das war ausgeschlossen. Es blieb beim Juristen (243).
Halbe studierte 1883/84 Jura in Heidelberg, mußte aber bald feststellen: ,,Ich ertrug es nicht länger als Jurist. […] Jus war mir bis in die Seele verhaßt geworden“ (311). Die Gründe sind angedeutet in der Beschreibung der Vorlesungen zum Römischen Recht: Ich belegte Vorlesungen bei Bekker, den man den Pandektenbekker nannte, bei Knies, einem der großen Kirchenväter der damals noch ziemlich jungen national-ökonomischen Wissenschaft, und bei Kuno Fischer, der ragenden Leuchte der Universität. Wenigstens sind mir andere Kollegs nicht mehr erinnerlich. Bekker war, wie schon sein Spitzname erweist, Jurist, ein vornehmer, kavalierhafter Herr, dessen Persönlichkeit und Vortragsweise mich sehr anzogen, während allerdings der Stoff selbst sich bald als ein sehr zäher Braten erwies und auch in der Tat unverdaulich für mich blieb. Bekker lehrte die Anfangsgründe des Römischen Rechts, das damals ja noch als die
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Grundlage alles Jus galt und dem Novizen zunächst einmal in den Kopf gehämmert werden mußte. Im ersten Semester las Bekker Institutionen, im zweiten Pandekten. Ich besuchte, wenigstens im ersten Semester, ziemlich regelmäßig seine Kollegs in dem unscheinbaren zweistöckigen grauen Haus, das die Heimstätte der berühmten Ruperto-Carolina war, und biß mir an den verabreichten logisch-juristischen Definitionen die Zähne aus. Sie waren für meine auf das Bildliche und Sinnenhafte gerichtete Phantasie nichts als steinharte ungenießbare Brocken. Geist und Seele, im Aufruhr der geweckten Seele, des erwachenden Bluts, konnten an dieser Kost oder Arznei nicht genesen (271).
1884 wechselte Halbe zur Philosophischen Fakultät in München und wurde dort – nach einigen Semestern in Berlin – 1888 mit einer Dissertation über „Beziehungen zwischen Friedrich II. und dem Päpstlichen Stuhl“ und der Note „magna cum laude“3 zum Dr. phil. promoviert. Anschließend ließ er sich als freier Schriftsteller in Berlin nieder.
3
Vgl. Friedrich Zillmann, Max Halbe. Wesen und Werk, Würzburg 1959, S 4; zum späteren Lebenslauf: Ulrich Erdmann, Vom Naturalismus zum Nationalsozialismus? Zeitgeschichtlich-biographische Studien zu Max Halbe, Gerhart Hauptmann, Johannes Schlaf und Hermann Stehr, Frankfurt a.M. 1997, S. 102 ff.
38. Ludwig Thoma
Vom bestimmenden Einflusse eines Lehrers nichts zu fühlen bekommen Ludwig Thoma (1867–1921), humoristischer Schriftsteller, entstammte einer bayerischen Försterfamilie. Er studierte von 1887 bis Mitte 1890 Jura, zunächst ein Jahr in München und dann an der Universität Erlangen, wo er das Befähigungszeugnis zum Eintritt in den juristischen Vorbereitungsdienst erwarb. Über das Studium schrieb in seinen 1917 begonnenen und 1919 erstmals veröffentlichten „Erinnerungen“1: Zwei Semester war ich an der Forstakademie in Aschaffenburg, dann ging ich zur Rechtswissenschaft über, studierte in München und Erlangen, wo ich nach Ablauf der vorgeschriebenen Zeit das Examen bestand. Meine Erlebnisse auf der Hochschule waren die herkömmlichen, so sehr, daß ich sie nicht zu schildern brauche. Damals, als ich die Schlußprüfung ablegte, war es noch Sitte, dem erfolgreichen Kandidaten den Zylinder einzutreiben. Meine Freunde harrten vor der Türe auf mich und schlugen mir den Hut bis zu den Ohren hinunter. Da wußten die Bürger, die uns begegneten, daß aus dem Studenten ein Rechtspraktikant geworden war und nickten mir beifällig zu.
1
München 1919; die Zahlen im Text geben Seiten aus der Taschenbuchausgabe, München 1983, an. Vgl. aber Martin A. Klaus, Ludwig Thoma. Ein erdichtetes Leben, München 2016, S. 7: „Werk, das über sein wahres Leben, vom zeitlichen Gerüst abgesehen, wenig Zutreffendes berichtet“.
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Am Abend zogen wir zum Bahnhofe hinaus, und ich fuhr heim ins Berufsleben, das mit der Praxis beim Amtsgerichte Traunstein anfing. Rückblickend auf mein Studium, kann ich sagen, daß ich das meiste aus Büchern lernte und vom bestimmenden Einflusse eines Lehrers nichts zu fühlen bekam. Wenn ich lese, daß jemand durch eine führende Persönlichkeit aus dem Dunkel ins Licht geleitet wurde, kann ich mir keine rechte Vorstellung davon machen, denn was ich vom Katheder herunter vortragen hörte, war trockene Wissenschaft, die man nachschrieb, um dann zu finden, daß es gedruckt nicht anders zu lesen war. Dagegen habe ich mir persönliche Erinnerungen an etliche Professoren bewahrt. Sie waren ziemlich alte Herren und wirkten auf mich wie Überbleibsel aus der Uhlandzeit, paßten auch in das Bild der kleinen Universitätsstadt, in der man so viele Erinnerungstafeln an berühmte Theologen, Mediziner und Juristen sieht. Sie waren Sonderlinge von einer Art, nach der man Heimweh haben darf (99 f.).
Ende 1890 bestand Thoma auch die mündliche Doktorprüfung an der Juristischen Fakultät der Universität Erlangen, und das Promotionsverfahren wurde nach der Approbation der strafrechtlichen Dissertation „Zur Lehre von der Nothwehr“ im August 1891 mit der Note „rite“ abgeschlossen. Unklar ist jedoch, ob die gedruckten Pflichtexemplare bei der Fakultät abgeliefert worden sind, ob Thoma die Promotionsurkunde ausgehändigt worden ist und ob er deshalb seinen Doktortitel zu Recht geführt hat2. Schon sofort nach Abschluss des Studiums hatte Thoma den Vorbereitungsdienst als Rechtspraktikant [Referendar] begonnen. Darüber bemerkte er rückblickend: „Von da ab brachte mir fast jeder Tag Enttäuschungen, bis ich von allen lllusionen geheilt war“ (104). Für die Tätigkeit der Juristen am Amts- und Landgericht 2
Vgl. Otto Gritschneder, Angeklagter Ludwig Thoma. Mosaiksteine zu einer Biographie aus unveröffentlichten Akten, 2. Aufl., München 1992, S. 105 ff.
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und am Bezirksamt in Traunstein hatte er fast nur Satire übrig: „Nachmittags gegen fünf verließ der Staatshämorrhoidarius die Kanzlei, schloß sich einem Gleichgesinnten an und spazierte auf dem Bürgersteige auf und ab. Fälle erwägend, Sätze abrundend, Deduktionen zum logischen Ende führend“ (112). Thoma dagegen ging „fleißig auf die Jagd“ und berichtete Ende 1990: „die Praxis nimmt mich nicht zu sehr in Anspruch“3. Die zweite Prüfung für den höheren Justiz- und Verwaltungsdienst (den „Konkurs“) bestand Thoma Ende 1893 mit der Gesamtnote II, Platzziffer 176 unter 303 Kandidaten4. 1894 wurde Thoma Rechtsanwalt, bis 1897 in Dachau, danach in München, hatte aber langfristig literarische Ambitionen. In Briefen von 1896 klagte er über „diese öde, öde Tätigkeit“ und nannte die Juristerei „Ferkelstecherei“5; doch konnte er viel Stoff für seine Rechtssatiren sammeln6. 1899 wurde er Redakteur beim „Simplicissimus“. In dessen Diensten war ihm seine juristische Ausbildung noch öfters von Nutzen. Ein Gedicht von Frank Wedekind auf die Palästinareise des Kaisers Wilhelm II. mit einer Karikatur von Th. Th. Heine wurde gegen den Rat Thomas veröffentlicht und brachte dem Verleger Albert Langen mehrere Jahre Exil sowie Heine und Wedekind wegen Majestätsbeleidigung sechs Monate Gefängnis bzw. Festungshaft ein.
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5 6
Ludwig Thoma, Ein Leben in Briefen (1875–1921), München 1963, S. 24. Abdruck der „Prüfungs-Zeugnisse“ in: Richard Lemp, Ludwig Thoma. Bilder, Dokumente, Materialien zu Leben und Werk, München 1984, S. 54 f., 59. Vgl. Jürgen Seul (Hg.), Ludwig Thoma für Juristen, München 2010, S. 24 f. Zu den juristischen Elementen in Thomas Werk vgl. Michael Kilian, Die Rechtsanwälte und Humoristen Ludwig Thoma und Heinrich Spoerl im Vergleich, in: Ders., Jenseits von Bologna – Jurisprudentia literarisch. Von Woyzeck bis Weimar, von Hoffmann bis Luhmann, Berlin 2006, S. 191– 220 (200 ff.).
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Thoma selbst musste sich mehrmals vor Gericht gegen Anklagen wegen Beleidigung und Gotteslästerung verteidigen; nicht immer wurde er freigesprochen: Im Herbst 1906 verbüßte er eine sechswöchige Freiheitsstrafe im Münchener Gefängnis Stadelheim7. Das war der Preis für seinen publizistischen Einsatz gegen unfreiheitliche Zustände im damaligen Deutschland. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde Thoma allerdings zu einem Gegner der Weimarer Republik8. Keine strafrechtlichen Konsequenzen hatte der auf einen Landgerichtsrat bezogene und zu einem geflügelten Wort gewordene Satz: Er war „ein guter Jurist und auch sonst von mäßigem Verstande“9. Im gesamten Werk Thomas kommen „die Juristen denkbar schlecht weg“10.
7 8
Vgl. Gritschneder (Fn. 2), S. 10 ff. Vgl. Wilhelm Volkert, Ludwig Thoma: Sämtliche Beiträge aus dem „Miesbacher Anzeiger“ 1920/21, München 1989. 9 Vgl. Seul (Fn. 5), S. 128. 10 Helmut Ahrens, Ludwig Thoma. Sein Leben, sein Werk, seine Zeit, Pfaffenhofen 1983, S. 170.
39. Rudolf G. Binding
Die juristische Praxis gab mir noch weniger als das Studium Rudolf G. Binding (1867–1938) gilt einigen als Neuromantiker von Rang1, andere bezeichnen sein Werk als Kitsch und sehen sein völkisch-nationales Denken als Vorstufe zur Hitlerdiktatur 2 . Jedenfalls vermittelt seine Autobiographie „Erlebtes Leben“ 3 einen guten Eindruck des im Bildungsbürgertum jener Zeit vorherrschenden Denkens. Interessant ist auch das darin gezeichnete Bild des den Sohn stark beherrschenden Vaters, des berühmten Strafrechtlers Karl Binding4. Das Jura-Studium wählte Binding nach Beratung mit seinem Vater, weil es „vielleicht das unverbindlichste wäre“ (100). Es wurde von ihm äußerst lustlos in Tübingen und Leipzig betrieben; mit dem Referendardienst ging es ihm nicht besser, so dass er die Juristerei noch vor dem Zweiten Staatsexamen aufgab: Nichts nahm mich wahrhaft gefangen. Die berühmteste Philosophie der Geschichte, die schärfsten, geschultesten römischen Institutionen, die lässig freiesten Vorlesungen über die deutschen Revolutionen und staatbildenden Versuche, so manche andere Gegenstände 1
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Vgl. Gero von Wilpert, Deutsches Dichterlexikon, 3. Aufl., Stuttgart 1988, S. 75: „Formstrenge, vom Eros durchglühte Lyrik in harmonischer, musikalischer Sprache. Klar gegliederte, von zartem Humor durchtränkte Prosa“. Vgl. Bernhard Martin, Dichtung und Ideologie: Völkisch-nationales Denken im Werk Rudolf Georg Bindings, Frankfurt a.M. 1986. Frankfurt a.M. 1927; die Zahlen im Text geben Seiten aus diesem Buch an. Vgl. Gerhard Kleinheyer / Jan Schröder, Deutsche Juristen aus fünf Jahrhunderten, 3. Aufl. 1989, S. 39 ff.
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von angeblicher Bedeutung, womit man sich befaßte, blieben bedeutungslos, unerlebt, so bereit ich war, ihnen etwas abzugewinnen (113). Äußerlich betrachtet durchlief ich von nun ab in der Anzahl der Jahre die man im allgemeinen darauf verwandte mein juristisches Studium bis zur ersten Staatsprüfung, dem Referendarexamen. Ich bestand es schlecht und recht – mehr schlecht als recht in meinen Augen. Jedenfalls hatte ich nicht die geringste Freude daran; ich schämte mich im Grunde daß ich mit so geringen und – wie soll ich sagen? – unangeeigneten Kenntnissen bis dahin gelangt war, das Examen zu bestehen. Ich wurde nicht bevorzugt. Viele andere wußten es auch nicht besser; aber die waren so überzeugt. Ich sah sie aus dem Saal der Entscheidung gehen als ob sie Wunder etwas wären. Als meine Prüfung schon beendet war – es war eine mündliche Prüfung – blieb ich noch lange ganz gebannt in dem Saal nur um dieses Merkwürdige, mir Fremde und Versagte an den andern vielen, die nach mir geprüft wurden und bestanden, zu beobachten oder einen zu entdecken dem es so erginge wie mir. Aber sie waren alle überzeugt von sich –, auch solche die viel weniger wußten als ich, solche die gerade noch davon gekommen waren. Sie schienen alle in der Prüfung etwas geworden zu sein was sie vorher noch nicht waren. Nur ich war nichts geworden (140). Denn es vollzog sich. Die juristische Praxis, in die ich nun eintrat, gab mir noch weniger als das Studium. Da waren diese einfachen Diebstähle, Unterschlagungen, Betrugsfälle, diese Beleidigungen, Körperverletzungen, Tierquälereien, danach auch wirkliche Totschläge und Morde. Da war der Streit um die Ware, das Haus, den Mietzins, den angerichteten Schaden, die Erbschaft, den entgangenen Gewinn. Aber ich wußte eigentlich nicht, warum ich mich mit all diesen Dingen beschäftigte, sie in Protokolle faßte, die gefällten Urteile begründete, die Zeugen vernahm und sie beschwören oder nicht beschwören ließ was sie ausgesagt hatten. Ich fühlte mich wahrhaft betrogen und fühlte mich selber betrügen. Man hatte im sächsischen Staatsdienst als Referendar damals eine gewisse Selbständigkeit, man übte kleine richterliche Funktionen aus, man bezog sogar ein kleines Gehalt – es kam mir groß und unverdient vor für das was ich tat. Ich steckte es jeden Monat halb mit dem unangenehmen Gefühl daß es unverdient war, halb mit dem
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angenehmen daß es Geld war in die Tasche. Denn ich tat immer weniger in meinem Beruf (152). Die Brache wuchs in mir. Ich starb aus diesem Beruf heraus, dem nichts Nahrung zuführte. Statt meine Kenntnisse zu festigen und neue zu erwerben entfielen sie mir wie angemaßtes Gut. Ich hatte sie ja nie besessen. Als ich mich der großen Staatsprüfung näherte, wußte ich tatsächlich nur noch die Hälfte von dem was ich zum Bestehen der ersten gewußt. Keine der gestellten Aufgaben – ich war schon im Voraus und völlig mit Recht davon überzeugt – vermochte ich zu lösen. Trotzdem tat ich so und phantasierte – als ob es bis zu Ende getrieben werden müßte – über juristische Fragen des Erbrechts, des Konkursrechts, die mir verschlossene und sich immer mehr verschließende Gebiete waren, leere und unbegründbare Entscheidungen, wirkliche gewissenlose, unüberzeugte Gespinste auf das Papier. Einer meiner Vorgesetzten der mir wohlwollte – und sie wollten mir alle wohl – riet mir es aufzugeben. Ich gab es auf; ich gab ja eigentlich nichts auf. Ich wäre sicher glatt durchgefallen (154).
Binding wurde freier Schriftsteller, arbeitete als Rennreiter und Pferdezüchter und unternahm Studienreisen nach Italien und Griechenland. Im Ersten Weltkrieg war er Rittmeister und Stabsoffizier. Im Oktober 1933 leistete er wie 87 andere Schriftsteller Adolf Hitler gegenüber das Gelöbnis treuester Gefolgschaft. „Wenn er auch kein Nationalsozialist aus Überzeugung war, so hat sich Binding doch in gewisser Weise vom Nationalsozialismus vereinnahmen lassen“5.
5
Christian Adam, Lesen unter Hitler. Autoren, Bestseller, Leser im Dritten Reich, Berlin 2010, S. 259.
40. Hugo von Hofmannsthal
Diese Wissenschaft dringt nirgends in die Tiefen des Menschen Hugo von Hofmannsthal (1874–1929), österreichischer Lyriker, Dramatiker und Essayist, war der Sohn eines Juristen und Bankdirektors. Er studierte vom Wintersemester 1892/93 an Jura in Wien. Eine zeitliche oder gedankliche Beanspruchung durch das Studium ist im ersten Jahr nicht erkennbar. Sein Leben ist mit Reisen, intensiver Lektüre und eigener literarischer Produktion angefüllt. Ende 1893 heißt es in einem Brief: „Heuer mache ich Staatsprüfung, den Winter über werde ich mich von der Gesellschaft ganz fernhalten. Ich möchte eine Menge tun“1. Damit ist aber auch jetzt noch nicht in erster Linie das Studium gemeint, wie man auch der Fortsetzung entnehmen kann: „Vielleicht gehe ich auf ein, zwei Monate fort.“ Den Zweck verrät er seinem Jugendfreund: ,,Ich will [...] über meine Pflichten und Rechte ein bischen nachdenken; damit meine ich nicht die dumme Staatsprüfung. Eher meine ich den Beruf im tieferen Sinn“2. Den Winter über ist Hofmannsthal mit literarischer Arbeit beschäftigt. Nur ganz gelegentlich oder „zufällig“ findet er Zeit für die Universität, wie folgende Briefstelle zeigt: „Unger liest heute 7 Uhr. Ich habe vorher Bergers Vorlesung“3. Von den Genannten 1 2 3
Hugo von Hofmannsthal, Briefe an Marie Herzfeld, hg. von Horst Weber, Heidelberg 1967, S. 38. Hugo von Hofmannsthal / Edgar Karg von Bebenburg, Briefwechsel, hg. von Mary E. Gilbert, Frankfurt a.M. 1966, S. 36 f. Hugo von Hofmannsthal / Richard Beer-Hofmann, Briefwechsel, hg. von Eugene Weber, Frankfurt a.M. 1972, S. 19.
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war nur Joseph Unger Jurist – und ein prominenter dazu: Neben seiner Professur war er von 1871 bis 1879 Minister und von 1881 bis 1913 Präsident des Reichsgerichts in Wien; er zählte zu den einflussreichsten österreichischen Zivilrechtlern des 19. Jahrhunderts4. Vom gleichen Tag existiert folgende Tagebucheintragung: „Ungers Vortrag: anmutig lebendig in der Form, der Inhalt formalistisch, wie diese ganze Wissenschaft nirgends in die Tiefen des Menschen dringt“5. Die andere erwähnte Vorlesung behandelte „Dramaturgie“, und Alfred Freiherr von Berger war Professor der Ästhetik und zeitweilig Direktor des Burgtheaters. In den Briefen vom Frühjahr und Sommer 1894 liest man: „Ich hab jetzt einen Correpetitor fürs ius, ich stehe um 1/2 7 auf und mit 5–6 Stunden Arbeit im Tag bin ich fertig, es ist nicht amüsant aber weiter kein Unglück“6. – „Dieses mechanische Büffeln erschlägt mir fast völlig die Regsamkeit des Denkens und Träumens“7. – Einerseits spricht er von „dieser stupiden Staatsprüfung“8, andererseits heißt es: „Lieber, ich führe ein merkwürdiges Leben. Fast den ganzen Tag hab ich die Bücher fürs ius in den Händen und dabei fallen mir tausend Dinge ein, daß es mir fast Kopfweh macht, sie zurückzudrängen“9. In Hofmannsthals „Aufzeichnun-
4 5 6
7 8 9
Vgl. Gerd Kleinheyer / Jan Schröder (Hg.), Deutsche und Europäische Juristen aus neun Jahrhunderten, 4. Aufl., Heidelberg 1996, S. 431–434. Briefwechsel (Fn.3), S. 211. Hugo von Hofmannsthal / Leopold von Andrian, Briefwechsel, hg. von Walter H. Perl, Frankfurt a.M. 1968, S. 25; übereinstimmend Hugo von Hofmannsthal, Sämtliche Werke. Kritische Ausgabe, Bd. XXXVIII: Aufzeichnungen. Text, hg. von Rudolf Hirsch und Ellen Ritter, Frankfurt a.M. 2013, S. 274. Briefwechsel (Fn. 2), S. 45. Briefe (Fn. 1), S. 42. Briefwechsel (Fn. 3), S. 33.
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gen“ betreffen in den Jahren von 1892 bis 1894 nur wenige kurze Bemerkungen sein Jurastudium10. Die erste juristische Staatsprüfung, die nach vier Semestern anstand, scheint auch zeitlich nicht sehr umfangreich gewesen zu sein; denn sie fand am 13. Juli 1894 „abends“ statt. Hofmannsthal erreichte einen „mittelmäßigen Erfolg“ und wandte sich – „nicht eine Stunde lang hab’ ich zu diesem Fach eine lebendige Beziehung gewinnen können“ – einem anderen Studium zu: Kunstgeschichte und romanische Philologie 11 . Hierin wurde er 1898 promoviert und strebte er die „gelehrte Laufbahn“ an. Im Zuge der Anfertigung einer Habilitationsschrift wurde ihm klar, dass er keine „Doppelexistenz“ 12 von bürgerlichem Beruf und dichterischer Berufung führen konnte, und er zog sein Gesuch zur Erlangung der Venia legendi (wohl auch, weil es an der Fakultät Probleme mit der Annahme gegeben hatte 13 ) zurück 14 . Hofmannsthal war nie wieder juristisch tätig. Politisch trat er für eine christliche ständische Ordnung ein und wird aus gutem Grund mit Carl Schmitt15 und aus weniger gutem Grund mit Hermann Heller16 in Verbindung gebracht.
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Vgl. Briefwechsel (Fn. 6), S. 147–302 (199, 274). Hugo von Hofmannsthal, Briefe 1890–1901, Berlin 1935, S. 153 f. Hofmannsthal (Fn. 11), S. 338. Vgl. Mathias Meyer / Julian Werlitz (Hg.), Hofmannsthal-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung, Stuttgart 2016, S. 35. 14 Vgl. Werner Volke, Hugo von Hofmannsthal, Reinbek bei Hamburg 1967, S. 52. 15 Marcus Twellmann, Das Drama der Souveränität. Hugo von Hofmannsthal und Carl Schmitt, München 2004. 16 Josef Demmelbauer, Fontane, Hofmannsthal und Broch als politische Dichter, in: NJW 1997, S. 1119–1124 (1121 f.).
41. Herbert Eulenberg
Über den gewöhnlichen Lehrstoff hinaus in das Reich des Sittlichen Herbert Eulenberg (1876–1949), humanistischer Schriftsteller und Journalist, war der Sohn eines rheinischen Maschinenfabrikanten. Er ist „heute mehr oder weniger“1 bzw. „ganz und gründlich“2 vergessen. Zu Beginn der Weimarer Republik war er recht populär, aber von den Nationalsozialisten wurde er „schikaniert, totgeschwiegen, aber auch öffentlich angegriffen“ 3 . Nach 1945 erfuhr er viele Ehrungen und veröffentlichte er die Autobiographie „So war mein Leben“4. Zum Jurastudium kam er durch ein Wort des Vaters: „Als Jurist kannst Du hernach alles werden“ (54). Eulenberg studierte ab dem Sommersemester 1897 ein Jahr lang in Berlin, ging im Sommersemester 1898 nach München und im folgenden Semester wieder nach Berlin zurück (56 f., 76). Er besuchte von Anfang an „ziemlich fleißig und regelmäßig“ (58) die Vorlesungen, hatte aber von den Rechtsgelehrten Berlins „nicht einen sehr großen Eindruck bekommen und behalten“ (58). 1
2
3
4
Joseph A. Kruse, Der Schriftsteller Herbert Eulenberg (1876–1949). Ein „Ehrenbürger der Welt“ aus Kaiserswerth am Rhein, in: Geschichte im Westen 2003, S. 116–128 (117). Bernd Kortländer, Rheinischer Internationalismus am Beispiel Herbert Eulenbergs, in: Ariane Neuhaus-Koch / Gertrude Cepl-Kaufmann (Hg.), Literarische Fundstücke, Heidelberg. Wiederentdeckungen und Neuentdeckungen. Festschrift für Manfred Windfuhr, 2002, S. 256–274 (256). Bernd Kortländer, Weltbürger am Rhein. Leben und Werk Herbert Eulenbergs, in: Sabine Brenner u.a. (Hg.), „Ganges Europas, heiliger Strom!“ Der literarische Rhein (1900–1933), Düsseldorf 2001, S. 75–98 (79). Düsseldorf 1948; die Zahlen im Text geben Seiten aus diesem Buch an.
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Herbert Eulenberg
Ausdrückliche Erwähnung finden Josef Kohler und Heinrich Brunner, letzterer als „einer der verbissensten Gegner des Frauenstudiums“, der aber gerade dadurch in Eulenberg „zum ersten Male das Verständnis für die Befreiung des Frauengeschlechts aus ihrer Unmündigkeit und Abhängigkeit von den Männern“ weckte (59). Am meisten angezogen wurde er dagegen von dem Soziologen Georg Simmel. Daneben verfasste er schon Theaterstücke. Das dritte Kapitel lautet „Der ersten Staatsprüfung entgegen“ (76 ff.)! Die Vorschrift, dass man die letzten beiden Halbjahre vor der juristischen Staatsprüfung an der Universität seiner Heimatprovinz zubringen musste (84), konnte Eulenberg mit Hilfe einer Eingabe dahin abmildern, dass er nur ein Semester, nämlich das Wintersemester 1899/1900, in Bonn verbringen musste und den Sommer vorher noch nach Leipzig gehen konnte. Dort hörte er „bei all den großen Häuptern der Rechtsgelehrsamkeit“, wie Karl Binding, Rudolf Sohm, Adolf Wach, Strohal und Friedberg, aber nur Adolf Wach machte auf Eulenberg einen größeren Eindruck, als er in der letzten Stunde seiner Vorlesung zum Zivilprozess moralisch an seine Hörer appellierte und sie vor übereilten Urteilen warnte, und so „seine Zöglinge über den gewöhnlichen Lehrstoff hinaus in das Reich des Sittlichen führte“ (92). Zurück in Bonn: Zunächst beschloß ich nun, wie dies damals und noch heute allgemeiner Brauch bei den jungen Juristen war und ist, die sich auf die Staatsprüfung einüben wollen, zu einem sogenannten Repetitor zu gehen. Dieser Mann ist dazu da, die Kenntnisse, die der Studiosus sich in den vergangenen drei Jahren aneignen sollte, aber nicht erworben hat, ihm nachdrücklich einzutrichtern. Gewissermaßen in verdichteter und gepreßter Form, und auf solche Weise sein Wissen, das nur Stückwerk geblieben ist, gründlich zu überholen. Mir ist diese Einrichtung darum stets etwas drollig vorgekommen, weil ich mir sagte und mich fragte, warum man denn nicht gleich den ganzen Lehrplan und das Verfahren derart zusammenziehen könnte, daß man sofort mit diesem dicken Ende beginnen würde. Wozu die Zeitverschwendung von Jahren, wenn einem nachher das, was man während dieser Frist hat lernen sollen, aber verabsäumt hat, in we-
Herbert Eulenberg
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nigen Wochen oder Monaten eingestopft wird? Ist dann der ganze langsame Ochsentrab, der auf der Universität in Gang gehalten wird, nicht ein veraltetes Überbleibsel aus der Zeit der Scholastiker oder der Humanisten? Und wäre es nicht möglich, die Vorbereitung auf einen bestimmten Beruf zu beschleunigen und zu vereinfachen zugunsten einer allseitigen Ausbildung, die man dann den Besuchern der Hochschule angedeihen lassen könnte? Es ist ja erschreckend, wie wenig vielseitig die meisten Besitzer einer gelehrten Bildung bei uns sind (97 f.).
Bei dem geachtetsten, aber auch gefürchtetsten Repetitor, Kaufmann, blieb Eulenberg aber nicht lange, weil der seine Hörer herunterzuputzen pflegte. Er „suchte einen harmloseren, wenn auch minder gescheiten Repetitor auf, der sich mühte, die zahllosen Lücken in meinem juristischen Wissen auszufüllen und zu festigen“ (101). Als herausragenden Professor nennt Eulenberg Ernst Zitelmann. Die erste juristische Staatsprüfung vor dem Oberlandesgericht Köln bestand er im Herbst 1900 mit „Glück“ (109). Auch bei der mündlichen Doktorprüfung im Jahr 1901 in Leipzig war Eulenberg, wie er bekannte, das Glück hold. Er war mit drei anderen Prüflingen zusammen, „die über einen verblüffenden Verstand und eine ungewöhnliche Menge von Kenntnissen zu verfügen hatten. Ich beschloß, als ich dies merkte, still beizudrehen und in ihrem Kielwasser zu segeln, indem ich mich in der Hauptsache auf ein zustimmendes Kopfnicken zu ihren vortrefflichen Antworten beschränkte. Hierdurch gelang es mir, wenn auch nicht ein größeres Wissen, so doch ein tieferes Verständnis vorzutäuschen“ (110 f.). Sein Prüfer Karl Binding war von der Klugheit der drei anderen Prüflinge „derart gefesselt, daß er mich kaum noch beachtete und gar nicht mehr zu Fragen an mich kam“ (111). Im Referendariat, in dem er häufig „stumpfsinnige Schreiberdienste“ (114) leisten musste, wurde ihm immer klarer, dass die Juristerei nicht sein Lebensinhalt werden könnte. Er stellte eine
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Herbert Eulenberg
„sinkende Lust an der juristischen Tätigkeit“ (121) fest, erkannte, „daß ich für die Juristerei sehr wenig tauglich und befähigt war“ (123), und sprach vom „juristischen Joch, das mir mehr und mehr unerträglich geworden war“ (126). Mit der Annahme der Tätigkeit als Dramaturg am Berliner Theater vollzog er 1903 schließlich die „Umsattlung vom Amtsschimmel auf das Flügelroß“ (159). Unter den Juristen hatte er sich nur noch „als ein juristischer Außenseiter und unzunftgemäßer Wilderer“, ja als „komische Gestalt“ gefühlt (160).
42. Emil Ludwig
In 14 Tagen eine leere Sitzarbeit kompiliert Emil Ludwig (1881–1948), Sohn eines jüdischen Arztes, war in den 1920er und 1930er Jahren einer der bekanntesten deutschen und ab 1932 Schweizer Schriftsteller. Seine Biographien über Goethe, Napoleon, Wilhelm II., Bismarck und Lincoln waren Bestseller und machten ihn in ganz Europa und in den USA berühmt. Stalin und Mussolini ließen sich von ihm interviewen1. Als Demokrat, Pazifist und Internationalist wurde er von den überwiegend republikfeindlichen Historikern angefeindet 2 und von den Nationalsozialisten bekämpft; seine Bücher waren unter den ersten, die den Bücherverbrennungen im Mai 1933 zum Opfer fielen3. Er ging ins Exil in die Schweiz und später in die USA, wo er deutschlandpolitischer Berater von Präsident Roosevelt war und neben Thomas Mann und Lion Feuchtwanger als der Repräsentant des anderen, besseren Deutschlands galt. Er kehrte nach dem Zweiten Weltkrieg zurück in die Schweiz, wurde aber als Schriftsteller „vergessen“4.
1 2 3 4
Vgl. Mussolinis Gespräche mit Emil Ludwig, Berlin u.a.1932. Vgl. Christoph Gradmann, Historische Belletristik. Populäre historische Biographien in der Weimarer Republik, Frankfurt a.M. / New York 1993. Vgl. Volker Weidermann, Das Buch der verbrannten Bücher, Köln 2008, S. 181–184. Hans-Jürgen Perrey, Emil Ludwig (1881–1948). Dichter – Kämpfer – Menschenfreund. Aufsätze, Kiel 2017, S. 7; zum jüngst neu erwachten Interesse vgl. auch Thomas F. Schneider (Hg.), Emil Ludwig, Hannover 2016 (Non Fiktion 2016 Heft 1/2).
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In seiner Autobiographie „Geschenke des Lebens. Ein Rückblick“5 berichtete er auch über sein sechssemestriges Jurastudium, das er 1899 in Heidelberg begann. Sein Vater hatte gesagt: „Schaff’ dir eine ordentliche bürgerliche Grundlage. Als Assessor oder als Syndikus hast du dein Auskommen und kannst immer noch Dramen schreiben“ (135). Und: „Mach dein Examen, dichten kannst du Sonntags“ (768). In Heidelberg, „wo man überhaupt nur bummelte“, hörte Ludwig „nichts“ (123). Er machte aber der Stadt folgende Liebeserklärung: Ich liebe Heidelberg, und wenn ich in Deutschland lebte, so wäre es dort. Erinnerungen an harmlose Studentenzeiten, insonderheit die Anwesenheit eines vorzüglichen Freundes, ein gewisser Einfluß der Engländer, die relative Frische der Universität, vor allem Fluß und Täler, Burg und Berge, diese zarte und doch frische, liebliche, aber niemals larmoyante Landschaft ziehen mich an; überdies ist mir kein deutscher Stamm so nahe wie die Pfälzer, denn sie sind aufrichtig und schalkhaft zugleich (574). In Lausanne war ich ein Sommersemester, um Französisch zu lernen. Statt dessen lernte ich Deutsch, und zwar bei einem Professor, der Rechtsgeschichte las und dies in deutscher Sprache. Hatte er sie erst gelernt oder besaß er ein besseres Sprachgefühl, gewiß ist, daß er im Anschluß an altdeutsche Rechtsbildungen uns auf die feinsten Schwingungen der Sprachmelodie hinwies oder auf die Bedeutung eines farbigen Zeitwortes. Er schweifte auf produktive Weise von seinem Gegenstande ab, und ich entsinne mich des Augenblicks, wo ich unter seiner Führung zum ersten Male begriff, was es bedeutete, daß es in Mignons Lied am Schlusse der Zeile heißt: „im dunkeln Laub die Goldorangen glühn“, nicht hängen oder schweben. Das war ein geistesgeschichtliches Ereignis für mich, und ich hätte vor der mir fremden Philologie einen größeren Respekt behalten, wäre sie nur immer so bildend gewesen (124).
In seiner Heimatstadt Breslau studierte Ludwig zu Ende, das heißt ich mußte in 8 Monaten nachlernen, was ich in 30 versäumt hatte. Nachdem ich so gut wie nie in ein juristisches Kolleg gegan5
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gen, ochste ich zu Hause alles durch und probierte zum ersten Male einen 10- bis 14-stündigen Arbeitstag, den ich erst zwanzig Jahre später, im Studium historischer Quellen wieder aufnahm, bestand vor Felix Dahn und anderen mein Examen, weigerte mich aber sofort, als Referendar auf ein Gericht zu gehen.
Er forderte „Aufschub“, um „Zeit [zu] gewinnen“ (151 f), und ging nach Berlin, wo ihn Franz von Liszt fesselte. Über ihn und sein Seminar berichtete er: Lebendige Kraft; synthetisches Talent, der herzliche Wunsch nach einer tieferen Form der Gerechtigkeit sprühte aus seinen bewegten, humanen Blicken. Nicht zufällig stand die Büste seines großen Onkels auf dem Klavier, denn es war ein musikalisches Haus, in dem er in der Hardenbergstraße empfing. Hier war ein rascher, freundlicher Zusammenhang mit den Schülern, jeder durfte sagen und fragen, was ihm durch den Sinn ging. Liszt machte sein Seminar zur Schule des Denkens und Kämpfens. So hatte er einmal zwei Teilnehmer vorher einen Streit probieren lassen, der dann an dem langen Tische im Seminar in der Schlüterstraße losbrach. Man stritt, einer der Herren, Referendar von schneidigem Typus, wurde scharf, der andre sprang auf, verbat sich das, wurde noch schärfer, jetzt steigerten sich die Stimmen, der Professor gab sich den Anschein nicht durchzudringen, alles war aufgesprungen, denn im nächsten Augenblicke würden die beiden aufeinander zustürzen. Jetzt klopfte Liszt auf den Tisch und sagte: „Bitte sich zu setzen, meine Herren. Alles, was Sie eben gesehen haben, war vorbereitet. Wir wollen jetzt der Reihe nach jeden Zeugen hören, um nachzurechnen, wie viel verschiedene Abläufe dieser Szene wir erfahren werden. Herr Kollege, hier ist der Zeugentisch, fühlen Sie sich vereidigt und sagen Sie uns: Was haben Sie in den letzten drei Minuten gesehen?“ Das Strafrecht zog mich an, weil es nur halb zum Jus gehörte: hier war Leidenschaft, hier war Tat, war Schuld und Sühne. Was ich schon mit 18 in jenem Artikel verteidigt hatte, suchte ich jetzt mit 23 wissenschaftlich zu begründen und hielt im Seminar einen Vortrag über Tötung im Affekt, worüber es denn eine lebhafte Debatte gab. Als ich ihn, historisch und dogmatisch ausgebaut, als Doktorarbeit der Breslauer Fakultät vorlegte, sagte mir der Kriminalist:
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,,Sehr interessant. Aber das ist keine juristische Dissertation. Reichen Sie sie der philosophischen Fakultät ein“. Als ich dann privatim die Arbeit einem Mitgliede dieser Fakultät gab, sagte er nach der Lektüre: ,,Sehr interessant. Aber das ist keine philosophische Dissertation. Bringen Sie sie zum Kriminalisten und machen Sie darauf Ihren Dr. jur.“ […]. Jetzt setzte ich mich hin, kompilierte in 14 Tagen eine leere Sitzarbeit über das Berufsgeheimnis, die den Vorschriften genügte, so daß man mich cum laude promovierte. Als ich aber die herrliche Aula unserer Breslauer Alma Mater Leopoldina betrat, um nach damaliger Sitte meine Thesen zu verteidigen, hatte ich meine Rache vorbereitet. Ich hatte nämlich als These die Behauptung aufgestellt, daß Tötung im Affekt straffrei bleiben müsse, und mit meinem Kollegen, der mir opponierte, alles zum Triumphe dieser neuen Praxis präpariert. So führte ich meine abgelehnte Arbeit vor meinen Professoren feierlich zum Siege (154–156).
Ludwig wurde zwar 1904 als Referendar vereidigt6, ließ sich aber gleich darauf beurlauben und begann eine kaufmännische Ausbildung in der Kohlenhandlung seines Onkels. Ein Jahr später floh er in eine „mittellose Bohème im Tessin“7, um seine Freundin zu heiraten. Aber: „Wenn ich floh, so war’s nicht bloß mit ihr, sondern auch vor der schwarzen Robe“ (208). In einer anderen kurzen Selbstbeschreibung heißt es: „Mit Fünfundzwanzig gab ich jeden Beruf auf und fing an, viel, auch über See, zu reisen“8. Mit der Juristerei kam Ludwig später noch einmal in nähere Berührung, als er von dem im holländischen Exil lebenden früheren Kaiser Wilhelm II. wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts verklagt wurde, weil Ludwig ihn in einem vielgespielten Stück auf die Bühne gebracht hatte. Ludwig verlor in erster Instanz, gewann den Prozess aber vor dem Berliner Kam6 7 8
Vgl. Perrey (Fn. 4), S. 317. Perrey (Fn. 4), S. 230. Prager Tagblatt vom 1. Oktober 1930, S. 6, in: Schneider (Fn. 4), S. 7–9 (6).
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mergericht mit der zutreffenden Begründung, dass Wilhelm „eine Figur der Geschichte“ (542) war.
43. Franz Kafka
Unter reichlicher Mitnahme der Nerven geistig förmlich von Holzmehl genährt Franz Kafka (1883–1924) entstammte einer jüdischen Kaufmannsfamilie und begann im November 1901 das Studium an der deutschen k. k. Karl-Ferdinands-Universität in Prag. Er schrieb sich für Chemie ein, wechselte aber nach kurzer Zeit zu Jura. Die Vorlesungen, namentlich über die Institute des Römischen Rechts, Römische und Deutsche Rechtsgeschichte, stießen ihn aber so ab, dass er zum Sommersemester 1902 nur Vorlesungen in Kunstgeschichte und Germanistik hörte. Nachdem ihm auch das nicht zusagte und sich Pläne zerschlugen, an die Münchener Universität zu gehen, nahm Kafka zum Wintersemester 1902/03 wieder das Jurastudium auf. Zu der achtsemestrigen Ausbildung zählten auch die Fächer Volkswirtschaftslehre und Finanzwissenschaft. Der Zustand des Rechtsunterrichts ist als „trostlos, um nicht zu sagen skandalös“ beurteilt worden1. In dem 1919 entstandenen „Brief an den Vater“ – nach Max Brod der „umfassendste Versuch einer Selbstbiographie“, den Kafka unternommen hat – geht folgende Passage auf diesen Lebensabschnitt ein: Also eigentliche Freiheit der Berufswahl gab es für mich nicht, ich wußte: alles wird mir gegenüber der Hauptsache genauso gleichgültig sein, wie alle Lehrgegenstände im Gymnasium, es handelt sich also darum, einen Beruf zu finden, der mir, ohne meine Eitelkeit allzusehr zu verletzen, diese Gleichgültigkeit am ehesten erlaubt. Also war Jus das Selbstverständliche. Kleine gegenteilige Versuche der Eitelkeit, der unsinnigen Hoffnung, wie vierzehntägiges Che1
Hartmut Binder (Hg.), Kafka-Handbuch, Bd. 1, Stuttgart 1979, S. 271.
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miestudium, halbjähriges Deutschstudium, verstärkten nur jene Grundüberzeugung. Ich studierte also Jus. Das bedeutete, daß ich mich in den paar Monaten vor den Prüfungen unter reichlicher Mitnahme der Nerven geistig förmlich von Holzmehl nährte, das mir überdies schon von Tausenden Mäulern vorgekaut war. Aber in gewissem Sinn schmeckte mir das gerade, wie in gewissem Sinn früher auch das Gymnasium und später der Beamtenberuf, denn das alles entsprach vollkommen meiner Lage. Jedenfalls zeigte ich hier erstaunliche Voraussicht, schon als kleines Kind hatte ich hinsichtlich der Studien und des Berufes genug klare Vorahnungen. Von hier aus erwartete ich keine Rettung, hier hatte ich schon längst verzich2 tet.
Darüber, dass Kafka sein Jurastudium nicht liebte, sind sich alle Biographen einig: ,,Er absolvierte es relativ gleichgültig und abgelenkt durch diverse literarische Aktivitäten. Die Gleichgültigkeit gegenüber dem Studium und dem Beruf brauchte Kafka, um sich seinem eigentlichen Interesse, der Literatur, mit umso größerem Engagement zuzuwenden“3. Im Frühjahr 1903 bereitete sich Kafka auf die rechtshistorische Zwischenprüfung vor, die er im Sommer „mit gutem Erfolge“ bestand. In den letzten Semestern bedeutete das Studium eine zunehmende Qual. So findet sich in einem Brief an Max Brod aus dem Jahr 1904 das Postscriptum: „Nach zwei verlernten Tagen“ 4 . Rückblickend schrieb er über diese Zeit: ,,Man glaubt [...] man stolpere unaufhörlich durch unvollendete Selbstmorde, jeden Augenblick ist man fertig und muß gleich wieder anfangen und hat in diesem Lernen den Mit2 3
4
Franz Kafka, Hochzeitsvorbereitungen auf dem Lande und andere Prosa aus dem Nachlaß, Frankfurt a.M. 1983, S. 151. Thomas Anz, Franz Kafka, München 1989, S. 71; vgl. auch Peter-André Alt, Franz Kafka. Der ewige Sohn. Eine Biographie, München 2005, S. 104 ff.; Ekkehard W. Haring, Leben und Persönlichkeit, in: Manfred Engel / Bernd Auerochs (Hg.), Kafka-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung, Stuttgart 2010, S. 1–27 (6); Ernst Pawel, Das Leben Franz Kafkas, München Wien 1986, S. 137 ff. Franz Kafka, Briefe 1902–1924, Frankfurt a.M. 1975, S. 31.
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telpunkt der traurigen Welt“ 5 . Erklärt wird dies hauptsächlich damit, dass Kafka „von seiner Persönlichkeit her in einem zwangsläufig auf reproduzierbare Kenntnisse hin angelegten Ausbildungsgang wenig Erfolg haben konnte“6. Die „judizielle Staatsprüfung“ bestand er Ende 1905 vor der „k. k. Staatsprüfungskommission“ mit „genügend“, wobei die damalige Notenskala lautete: ,,gut mit Auszeichnung“, ,,gut“, ,,genügend“ und „nicht genügend“7. Zur Erlangung des juristischen Doktorgrades mussten drei mündliche Prüfungen abgelegt werden (Rigorosum I–III); eine Dissertation wurde nicht verlangt. Kafka bestand sie am 7. November 1905, 16. März 1906 und 13. Juni 1906 jeweils mit der schlechtesten zum Bestehen noch ausreichenden Note, das Rigorosum III (Allgemeines und Österreichisches Staatsrecht, Völkerrecht und politische Ökonomie) auch nur mit 3 von 5 Stimmen8. Er schrieb darüber an Max Brod: Ich hätte Dir eigentlich noch während meiner Prüfung schreiben sollen, denn es ist sicher, daß Du mir drei Monate meines Lebens zu einer andern Verwendung gerettet hast als zum Lernen der Finanzwissenschaft. Nur die Zettelchen haben mich gerettet, denn dadurch erstrahlte ich dem M. als seine eigene Spiegelung mit sogar interessanter österreichischer Färbung, und trotzdem er in dieser großen Menge befangen war, die er dieses halbe Jahr gesprochen hat, ich dagegen nur Deine ganz kleinen Zettelchen in der Erinnerung hatte, kamen wir doch zu der schönsten Übereinstimmung. Aber auch bei den andern war es sehr lustig, wenn auch nicht kenntnis9 reich.
Am 18. Juni 1906 wurde Kafka in einer feierlichen Schlusszeremonie zum Doktor der Rechte promoviert. Als Promotor – das war 5 6 7 8 9
Kafka (Fn. 4), S. 67. Vgl. Binder (Fn. 1), S. 295. Photokopie des Staatsprüfungszeugnisses bei Klaus Wagenbach, Franz Kafka, Reinbek bei Hamburg 1991, S. 48. Vgl. Binder (Fn. 1), S. 298. Kafka (Fn. 4), S. 33.
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derjenige, der die Absolventen dem Rektor vorzustellen hatte – war ihm von der Fakultät der Nationalökonom Alfred Weber, ein Bruder Max Webers, zugewiesen worden, der kurze Zeit zuvor als Professor nach Prag berufen worden war. Allerdings war die Promotion als Qualifikationsnachweis nicht viel wert. Das Prager Tageblatt sprach in einem 1907 erschienenen Artikel aus, was allgemein bekannt war: „daß in Österreich überhaupt keine besonderen Anforderungen bei Erlangung des juridischen Doktorates gestellt werden oder daß diese Anforderungen in der Hauptsache zu einer leeren Formalität geworden sind, so daß der neukreierte Doktor zumeist weder in diesen noch in jenen Wissensgebieten genügend Bescheid weiß“10. Einen gewissen Bezug zum Studium hat folgendes Fragment: Ein junger Student wollte an einem Abend im Januar zur Zeit der großen Gesellschaften seinen besten Freund, den Sohn eines hohen Staatsbeamten, aufsuchen. Er wollte ihm ein Buch zeigen, das er gerade las und von dem er ihm auch schon erzählt hatte. Es war ein schwer verständliches Buch über die Grundzüge der Geschichte der Volkswirtschaft, man konnte nur schwer folgen, der Autor hielt sein Thema, wie es in einer Kritik sehr bezeichnend hieß, an sich gedrückt wie der Vater das Kind, mit dem er durch die Nacht reitet. Trotz aller Schwierigkeit verlockte es aber den Studenten sehr; wenn er eine zusammenhängende Stelle durchdrungen hatte, fühlte er einen großen Gewinn; nicht nur die gerade vorgetragene Ansicht, sondern alles ringsherum schien ihm einleuchtender, besser bewiesen und widerstandskräftiger. Einigemal auf dem Weg zu seinem Freund blieb er unter einer Laterne stehn und las bei dem durch Schneenebel gedämpften Licht einige Sätze. Große, seine Fassungskraft übersteigende Sorgen bedrückten ihn, das Gegenwärtige war zu erfassen, die vor ihm liegende Aufgabe aber erschien ihm undeutlich und ohne Ende, vergleichbar nur seinen Kräften, die er 11 ebenso und noch nicht aufgerufen in sich fühlte.
10 Binder (Fn. 1), S. 298. 11 Kafka (Fn. 2), S. 281.
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Nach einem einjährigen Rechtspraktikum am Landgericht in Prag erhielt Kafka mit Hilfe von verwandtschaftlichen und freundschaftlichen Beziehungen zunächst eine Anstellung bei der Prager Niederlassung einer Triester Versicherungsgesellschaft und im Jahr 1908 bei der „Arbeiter-Unfall-Versicherungs-Anstalt für das Königreich Böhmen in Prag“, die einen halbstaatlichen Status hatte und für ein Drittel des österreichischen Territoriums zuständig war. Kafka stieg bis 1922, als er aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig pensioniert wurde, vom Aushilfsbeamten über vier Ränge zum Obersekretär auf. Kafkas Einstellung zu seinem Beruf war zwiespältig; er beklagte sein „schreckliches Doppelleben“: Einerseits litt er unter der Berufsarbeit, weil sie ihm Zeit und Kraft vom Schreiben wegnahm; denn im Schreiben allein sah er den Sinn seines Lebens: „die ergiebigste Richtung meines Wesens“ hieß es im Tagebuch. Andererseits ging er seiner Berufstätigkeit durchaus gewissenhaft nach, engagierte sich in seinen dienstlichen Stellungnahmen für die Belange der Arbeiter und der Kriegsversehrten und erhielt mannigfache Anregungen für sein literarisches Werk12. Wie kaum ein anderer Großer der deutschen Literatur hat Kafka Begriffe und Institute der Rechtsordnung in seine literarische Rede eingebaut. Das zeigen schon Titel wie „Der Process“, „Das Urteil“, 12 Vgl. zu diesem Zusammenhang Petra Buck-Heeb, Der Dichter Dr. jur. Franz Kafka, in: Michael Kilian (Hg.), Jenseits von Bologna – Jurisprudentia literarisch. Von Woyzeck bis Weimar, von Hoffmann bis Luhmann, Berlin 2006, S. 223–257; Eberhard Eichenhofer, Franz Kafka und die Sozialversicherung, in: Wolfhard Kohte / Michael Kilian (Hg.), Staatsbeamte als Dichterjuristen, Halle an der Saale 2010, S. 31–60; Franz-Rudolf Herber / Nina Limberger, Der Schriftsteller Franz Kafka als Jurist, in: BayVBl. 2015, S. 145–152; Robert Höcherl, Dr. jur. Franz Kafka (1883–1924), in: NJW 1995, S. 829–835; Jörg Tenckhoff, Leiden am Recht. Franz Kafka, Dichter und Jurist, in: Franz Kafka: Der Proceß. Roman (1925), Berlin 2006, S. 223–247; Lovis Maxim Wambach, Die Dichterjuristen des Expressionismus, Baden-Baden 2002, S. 316–325.
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,,Vor dem Gesetz“, aber auch Schlüsselbegriffe in den Texten wie Verhör, Richter, Recht, Unrecht, Gerechtigkeit, Rechtfertigung und Schuld. Konsequent hat die literaturwissenschaftliche Diskussion immer wieder auch am Recht angesetzt13.
13 Ausführliche Nachweise bei Bodo Pieroth, Recht und Literatur. Von Friedrich Schiller bis Martin Walser, München 2015, S. 296 f.
44. Max Brod
Das „eigentliche“ juristische Brotstudium sank zum Schattenwesen herab Max Brod (1884–1968), Sohn eines Bankbeamten, ist als Freund, Biograph und Interpret Kafkas berühmt geworden. Er veröffentlichte ab 1925 Kafkas literarischen Nachlass, den dieser testamentarisch zur Verbrennung bestimmt hatte. Die beiden waren sich an den Debatten- und internen Vortragsabenden der „Sektion für Literatur und Kunst“ in der „Lese- und Redehalle der deutschen Studenten in Prag“ im Jahr 1902 begegnet, als Brod im ersten und Kafka im dritten Semester Jura studierte, und wurden lebenslange Freunde1. Die „Halle“ war ein akademischer Verein deutschliberaler Richtung; ihr standen die deutschnationalen, zusammengeschlossen in der „Germania“, und die tschechischen Verbindungen gegenüber. Innerhalb der „Halle“ gab es schlagende Verbindungen und die „Finkenschaft“, die – wie es in der Autobiographie „Streitbares Leben“2 hieß – „(außer dem Band) keine ‘Couleur’ trug, also keine bunten Kappen, und die sich auch sonst nicht burschenschaftlich betätigte: keine Kneipen, keine ‘Bestimmungsmensuren’, keinerlei ‘Komment’– eine amorphe Masse also, der auch ich angehörte“ (151).
1
2
Vgl. Hans-Gerd Koch, Max Brod und Franz Kafka, in: Max Brod (1884– 1968). Die Erfindung des Prager Kreises, hg. von Steffen Höhne, Anna-Dorothea Ludewig und Julius H. Schoeps, Köln 2016, S. 11–23 (12). Frankfurt a.M. 1979; die Zahlen im Text geben Seiten aus diesem Buch an.
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Brod interessierte sich wie auch Kafka weit mehr für Kunst, Literatur und Philosophie als für Juristerei: ,,Neben diesen wahrhaftigen Studien meiner Universitätszeit sank das ‘eigentliche’ juristische Brotstudium vollends zum Schattenwesen herab“ (172). Es wurde nur „unlustig betrieben“ (203). Bevor Brod ab 1924 als Kunstkritiker, Dramaturg und sehr produktiver freier Autor arbeitete, war er nach seiner Promotion im Jahr 1907 bei der Postdirektion in Prag tätig, nach kurzer Konzipientenzeit als Postsekretär, später als Sektionschef (daher die Kurzcharakteristik von Brod als „Genie vom Postamt“ durch Hermann Kesten3). Ein einziges Mal in seinem Leben schrieb er eine juristische Abhandlung4. Auf diesen Abschnitt seines Berufslebens geht Brod in seiner Autobiographie gar nicht ein; immerhin widmet er seinem juristischen Studium folgende Passagen: Das eigentliche Fach, das ich (dem Willen meines Vaters gemäß) studierte, war die Rechtswissenschaft, die mir erstaunlich fremd geblieben ist, fremder als jede andere Art von Wissenschaft; und so bin ich denn doctor utriusque juris geworden, Doktor der beiden Rechte, wie es im alten Österreich hieß, das bedeutet: Doktor des kanonischen und des staatlichen Rechts. Das kanonische Recht oder Kirchenrecht interessierte mich dabei weit mehr als das weltliche, da der Vortrag des guten Professors Singer, von dem ich gleich berichten werde, in die merkwürdigsten Episoden der Geschichte abirrte. Das Historische aber hat mich seit je gefesselt, nicht das Juristische, in dem ich immer Laie geblieben bin, trotz der nicht schlecht bestandenen Prüfungen, die ich nach gemeinsamem Büffeln (wir nannten es „Stucken“) mit meinem Freunde Felix Weltsch im Fluge nahm. – Kafka war uns um ein Jahr voraus und gemeinsam beseufzten wir alle drei unser papierenes Los […]. 3 4
Vgl. Berndt W. Wessling, Max Brod. Ein Porträt zum 100. Geburtstag, Gerlingen 1984, S. 92. Vgl. Max Brod, Der Prager Kreis, Frankfurt a.M. 1979, S. 26. Dieses Buch Brods ist ebenfalls autobiographisch; vgl. Jörg Krappmann, Streitbare Kreise im Prager Leben. Die Bringschuld der Literaturgeschichte gegenüber den beiden autobiographischen Schriften von Max Brod, in: Max Brod (Fn. 1), S. 145–159.
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Der schon erwähnte gute Professor Singer, greisenhaft, zittrig auf das Katheder schleichend, ein gebrechliches und schrulliges Männchen, doch frisch in seinen Darlegungen, wenn er erst einmal losgelegt hatte, mit ungeheurer Hakennase ausgestattet – er war der einzige unter meinen Jus-Lehrern, der mich etwas anging. Er hatte und behielt etwas Rätselhaftes und Fernes für mich. Deutlich eine Figur von E. T. A. Hoffmann, obwohl der Gottesgelehrsamkeit anheimgegeben, was seiner Bizarrerie noch einen weiteren Flicken anheftete. Er war ein Jude, doch getauft, wie es bei einem Lehrer des Kirchenrechts stilgemäß und vermutlich notwendig war, denn über diesen Lehrstuhl, wiewohl er in die juristische Fakultät eingebaut war, hatte angeblich auch die Kirche ein gewisses Bestimmungsrecht […]. Bei Prüfungen gab sich Singer sarkastisch, geradezu höhnisch und aggressiv, wenn der Kandidat nicht genau das Richtige antwortete, dabei aber war er nur nervös, und oft blinkte eine seltsame Güte durch. Er half dem Stotternden, wie und wo er konnte. Ich erinnere mich an eine unsagbar komische Szene (die Prüfungen waren öffentlich – und im letzten Stadium, ehe man selbst zum Schafott schritt, besuchte man sie als schlichter Zuhörer, um sich „an das Ganze zu gewöhnen“). Singer also inquirierte eines seiner Opfer. „Welche Eigenschaften schließen es aus, daß einer zum Papst gewählt wird?“ Der Kandidat wußte einigermaßen Bescheid, er verfiel nicht dem häufigen Irrtum, daß man Kardinal sein müsse, um Papst zu werden, ja daß es dazu auch nur der niederen Weihen des geistlichen Standes bedürfe. Und er nannte auch die Ausschlußgründe. Einer aber fiel ihm nicht ein. Verheiratet durfte der Papst nicht sein. Er riet und riet. Vergebens. Der wackere Professor will den Geängstigten darauf bringen: „Nun, Herr Kandidat, warum kann, beispielsweise, ich nicht Papst werden?“ Und dabei zeigte er deutlich auf den Ehering an seinem Finger. Der Prüfling scheint zu begreifen, ein verlegenes Lächeln spielt auf seinem Gesicht, und mit echt böhmelndem Akzent bringt er so höflich wie möglich vor: „Herr Professor, weil Sie ein Jud sind“. Weiterer Individualitäten von Belang an meiner Fakultät entsinne ich mich nicht. Von Alfred Weber abgesehen, der inmitten der Wüste als ein wahres Wunder, ein üppiges Labsal des Geistes auftauchte (197– 199).
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Auf die Referendarzeit des Protagonisten bezieht sich die eindringliche Beschreibung des Strafgerichtsgebäudes auf dem Karlsplatz in Prag und der dort herrschenden verzweifelten Stimmung in Brods autobiographisch eingefärbtem Roman „Prager Tagblatt. Roman einer Redaktion“5.
5
Frankfurt a.M. 1979, S. 57.
45. Heinrich Spoerl
Theologe zu fromm, Mediziner zu unappetitlich, Philologe zu mühsam; bleibt Jurist Heinrich Spoerl (1887–1955), Autor humoristischer Romane, Erzählungen und Theaterstücke, war Sohn eines rheinischen Maschinenfabrikanten. Er studierte Jura in Marburg, Berlin und München. Er wurde in Marburg bei Ludwig Enneccerus mit einer Dissertation über „Die gemischten Verträge“ zum Dr. jur. promoviert 1 und war von 1919 bis 1937 Rechtsanwalt in seiner Heimatstadt Düsseldorf. Seit 1937 lebte er als freier Schriftsteller in Berlin, seit 1941 in Rottach-Egern, wo er nach dem Zweiten Weltkrieg nochmals für kurze Zeit eine Anwaltspraxis eröffnete2. Noch heute bekannt ist er vor allem durch die Verfilmung von 1944 seines Romans „Die Feuerzangenbowle“ von 1933 mit Heinz Rühmann als angeblicher Primaner Hans Pfeiffer3. In mehreren seiner Romane und Erzählungen, die zur Zeit des Nationalsozialismus überaus erfolgreich waren, obwohl seinem Werk „ein gewisser subversiver Impetus“ zugestanden wird4, gibt Spoerl in gefälligem Plauderton erhellende Einblicke ins Justiz1
2 3 4
Vgl. Lovis Wambach, „Justiz ist Glücksache“ – Heinrich Spoerl: Vom Rechtsanwalt zum Erfolgsschriftsteller, in: Betrifft: Die Justiz 2008, S. 253–257 (253 f.). Vgl. Joseph A. Kruse (Hg.), Heinrich Spoerl. Buch – Bühne – Leinwand, Düsseldorf 2004, S. 94. Vgl. Oliver Ohmann, Heinz Rühmann und „Die Feuerzangenbowle“. Die Geschichte eines Filmklassikers, Leipzig 2010. Christian Adam, Lesen unter Hitler. Autoren, Bestseller, Leser im Dritten Reich, Berlin 2010, S. 321.
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wesen 5 . Auch der Roman „Der Maulkorb“ 6 war mit „versteckt propagierter Meinungsfreiheit“ zu jener Zeit durchaus „gewagt“7. Die folgende Passage betrifft die Wahl des Jurastudiums. Der sympathisch gezeichnete Staatsanwalt von Treskow muss sich über seinen Referendar ärgern: Es war nicht Treskows Art, seine schlechte Laune an Untergebenen auszulassen. Aber daß dieser Referendar Thürnagel, der ihm zur Ausbildung überwiesen war, Morgen für Morgen erst um zehn Uhr anschob, dick, müde und verschlafen, das war doch nicht in der Ordnung. Als Sohn einer blühenden bergischen Brauerei hätte er in besonderem Maße die Pflicht gehabt, seine Eignung zur Beamtenlaufbahn und insbesondere zum Juristen unter Beweis zu stellen. Dazu genügte es keineswegs, daß er ein wohlgelittener Gast bei Frau Tigges und den anderen renommierten Weinlokalen der Stadt war. Auch die Tatsache, daß er von Tag zu Tag molliger und rosiger wurde, konnte über sein sparsames Wissen und Tun nicht hinwegtäuschen. „Herr Kollege“, begrüßte ihn Treskow, ,,ich meinerseits bin bereits seit halb neun hier“. „Ich weiß, Herr Staatsanwalt, ich weiß. Ich werde morgen versuchen, etwas früher zu kommen“. ,,Weiß der Deibel, warum Sie ausgerechnet Jurist werden mußten“. „Familientradition, Herr Staatsanwalt: Der älteste übernimmt die Brauerei. der Zweite wird Offizier, der Dritte studiert. Was soll man 5 6
7
Näher Wambach (Fn. 1) zu Gerichtsverhandlungen und zur Streitbeilegung. Berlin 1936; die folgende Passage aus der Taschenbuchausgabe, 16. Aufl., München 1984, S. 49 f.; auch in: Heinrich Spoerl’s Gesammelte Werke, München 1963, S. 273–373 (309). Zu den strafprozessualen Aspekten vgl. Heinz Koriath, Heinrich Spoerl: Der Maulkorb. Eine literarische Variante zur materiellen Wahrheit im Strafprozeß, in: Heike Jung (Hg.), Das Recht und die schönen Künste. Heinz Müller-Dietz zum 65. Geburtstag, Baden-Baden 1998, S. 205–219. Michael Kilian, Die Rechtsanwälte und Humoristen Ludwig Thoma und Heinrich Spoerl im Vergleich, in: Ders., Jenseits von Bologna – Jurisprudentia literarisch. Von Woyzeck bis Weimar, von Hoffmann bis Luhmann, Berlin 2006, S. 191–220 (213 f.).
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studieren? Theologe ist zu fromm, Mediziner zu unappetitlich, Philologe zu mühsam; bleibt Jurist“. Treskow sagte nichts. Darauf konnte man nichts sagen. Da konnte man nur eine Gänsehaut kriegen.
In der posthum veröffentlichten Erzählung „Das Prädikat“ berichtet jemand von seiner mündlichen juristischen Prüfung. Die geschilderte Erwartungshaltung gegenüber den Noten dürfte auch heute bei vielen guten Jurastudenten anzutreffen sein, die Reaktion der Prüfer auf einen selbstbewussten Prüfling wohl eher nicht mehr in der gleichen Weise: Ich hatte ein glänzendes Vorexamen hinter mir, und als ich mich zur großen Staatsprüfung meldete, da handelte es sich für mich und alle, die mich kannten, nicht etwa darum, ob ich das Examen bestehen würde, sondern höchstens um die Frage, ob ich es mit Auszeichnung, oder nur mit einem bescheidenen Gut machen würde. Mit einem Examen ohne Prädikat, also mit einem armseligen „Ausreichend“ wäre mir und meinen Plänen auch nicht gedient gewesen. Nun ist ein Examen immer bis zu einem gewissen Grade Glückssache, zum wenigsten das Prädikat mit dem man besteht. Es hängt oft von Zufälligkeiten ab, von einer Stimmung, oder, wie bei mir, von einer Ungeschicklichkeit. Ich hatte eine etwas verzwickte Frage durchaus richtig und sauber gelöst; der Examinator aber erklärte meine Antwort für falsch, und ich begann, meine Ansicht zu verteidigen. Das ist nicht üblich im Examen, solange es nicht ausdrücklich verlangt wird, aber ich war empört über das Unrecht, das man mir tat, und da ich nicht nur über gute Argumente, sondern auch über eine bestechende Beredsamkeit verfügte, so gelang es mir in wenigen Augenblicken, den alten Herrn zu widerlegen und ihn gewissermaßen an die Wand zu spießen. Ich blickte stolz im Kreise, um den Beifall der anderen Examinatoren zu kassieren. Stattdessen sah ich eiserne Gesichter, und der Vorsitzende räusperte sich: „Junger Herr, Sie wollen in den höheren Verwaltungsdienst? Es fehlen Ihnen die obersten Tugenden eines Staatsdieners: Achtung vor der fremden Meinung, Ehrfurcht vor dem Alter und Fügung unter die Autorität. Der Vorgesetzte hat immer recht, auch dann, wenn er einmal unrecht haben sollte“.
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Ich sah das ein. Aber mit dem Wohlwollen war es vorbei. Eine unsichtbare Mauer hatte sich aufgerichtet, man behandelte mich von nun an gleichgültig, fast lieblos, und als der Vorsitzende schließlich auch noch einige Worte an die Herren richtete, „bei denen ein überdurchschnittliches Können erwartet wird“, da wurde ich geflissentlich übergangen. Durchfallen lassen konnten sie mich natürlich nicht, aber ich ersah daraus, daß ich mir mein Prädikat verpatzt hatte und mich mit einem infamen Ausreichend würde begnügen müssen. Das aber wäre für mich schlimmer gewesen, als ein nicht bestandenes Examen, denn das kann man nach sechs Monaten wiederholen und hat dann erneut alle Möglichkeiten; ein Examen mit Ausreichend aber ist eine endgültige Abstempelung und nicht mehr zu ändern. Diese Erwägung brachte mich auf einen Gedanken, so einfach und überzeugend, wie er einem nur in der Examensnot kommen kann: Ich mußte jetzt alles daransetzen, durchzufallen. Das war allerdings nicht so einfach, wie ich es mir vorgenommen hatte, es 8 kostete mich allerhand Überwindung.
8
Heinrich Spoerl, Ich vergaß zu sagen. Heiteres aus der Schublade, 4 Aufl., München 1957, S. 76–78.
46. Georg Heym
§ § § § § Scheiß, Scheiß, Scheiß Georg Heym (1887–1912), expressionistischer Lyriker, wurde durch seinen Vater, Staatsanwalt in Posen und Gnesen sowie Militäranwalt am Reichsmilitärgericht in Berlin, zum Jurastudium bestimmt, obwohl er „ohne jede Neigung zur Jurisprudenz“ war1. Vom Sommersemester 1907 an studierte Heym zunächst drei Semester lang in Würzburg. Sein Leben regierte dabei weniger die Universität als das Corps Rhenania, dem er sogleich beigetreten war, von dem er sich aber schon in einer Tagebucheintragung2 Ende Mai 1907 wie folgt distanzierte: „Das Corpsleben ist furchtbar, geisttötend, stumpfsinnig, lächerlich. Wo ich doch niemals ein stumpfsinniger Jurist werden will, warum schinde ich mich noch“ (III 89)? Obwohl das Tagebuch noch einige Eintragungen mit diesem Tenor enthält (vgl. III 97 f.: „Qual“; 112: „Unsinn“), heißt es erst Ende 1908: „Ich habe endlich meinen Austritt aus dem Korps genommen. Niemand kann zween Herren dienen. Und was soll mir, der die Schönheit und Freiheit liebt, ein solcher Zwang“ (III 120). 1
2
Hermann Weber, Georg Heym – Dichter des Expressionismus und Jurist wider Willen, in: Ders., Juristensöhne als Dichter. Hans Fallada, Johannes R. Becher und Georg Heym, Berlin 2009, S. 101–133 (101); vgl. auch Lovis Maxim Wambach, Die Dichterjuristen des Expressionismus, Baden-Baden 2002, S. 301–307. Die folgenden Zitate aus Georg Heym, Dichtungen und Schriften. Gesamtausgabe, hg. von Karl Ludwig Schneider, Hamburg und München, Bd. I 1964; Bd. II 1962; Bd. III 1960 – zitiert nach Band und Seite; Georg Heym, Dokumente zu seinem Leben und Werk, hg. von Karl Ludwig Schneider und Gerhard Burckhardt, München 1968 – zitiert als D mit Seite.
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Interessant übrigens, wie dieser Vorgang aus anderer Warte kommentiert wurde. Ein Corpsbruder schrieb in seinen Erinnerungen an Georg Heym: „Der eigentliche Grund dafür, daß Heym in diesem Sommer aus dem Corps hinausflog, war, daß ihm der ‘Benimm’ fehlte“ (D 51). Und im Nachrichtenblatt des Corps aus dem Jahr 1955/56 stellte sich der Vorgang dann so dar, daß Heym nach drei aktiven Semestern „von seinem strengen Vater ‘kassiert’“ worden war (D 56). Von November 1908 bis Februar 1910 studierte Heym in Berlin. Allerdings galten seine Energien dem Leben und Schreiben; gelegentliche Beschäftigungen mit der Juristerei wurden als Störungen empfunden, wie folgende Tagebucheintragungen vom September 1909 zeigen: Ich komme von dem Leben Byrons und bin gezwungen in das staubige Mauseloch des ‘öffentlichen Glaubens des Grundbuchs’ zu kriechen. Wer versteht diesen Wechsel, ohne sich dabei zu schaden.“ – „Friedrich Wilhelm von Braunschweig – die Ansprüche aus dem Eigentum. Wieder einmal so ein Sturz. Müßte man doch zuerst die ganzen verstaubten Juristen selber an einen Galgen hängen“ (III 130).
Über die folgende Zeit liest man in den Aufzeichnungen seines engen Studienfreundes Rudolf Balcke: Anfang 1910 mußten wir beide uns mit dem bevorstehenden Referendarexamen beschäftigen. Wir überprüften unsere juristischen Kenntnisse durch Besuche der Prüfungen beim Kammergericht und mußten ein erstaunliches Wissensmanko feststellen. Wir waren der Überzeugung, daß beim Kammergericht in Berlin von uns Unmögliches verlangt wurde und beschlossen, unser Examen außerhalb abzulegen. Wir entschieden uns für das Oberlandesgericht Naumburg, wofür allerdings ein zweisemestriges Studium in Jena Voraussetzung war. April 1910 fuhren wir dorthin. Dort trafen wir Freunde und Bekannte, die einer losen Vereinigung alter Korpsstudenten angehörten. Nach 2 Monaten war uns klar, daß in diesem fröhlichen Kreis eine erfolgversprechende Examensvorbereitung noch schwerer als in Berlin war. Kurz entschlossen verließen wir
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Jena und kehrten nach Berlin zurück. Hier arbeiteten wir dann 8–9 Monate intensiv bei einem Repetitor, Dr. Gebhardt, am Lützowufer. Anfang 1911 meldeten wir uns zum Examen. Heym wurde zuerst einberufen. Die große Arbeit (Zeitdauer 6 Wochen) wurde mit Hilfe befreundeter Juristen erfolgreich abgeschlossen. Dann kamen drei Klausurarbeiten. Heym war mit Recht der Auffassung, daß er diese Klippe allein nicht würde nehmen können. Er verstand es, von dem Examenszimmer aus Verbindung mit der Außenwelt aufzunehmen, die ihm dann die fertigen Ausarbeitungen wieder zuspielte. Das Risiko gelang. Seine schriftlichen Arbeiten wurden gut beurteilt, so daß seine wenigen und meist fehlerhaften Antworten bei der mündlichen Prüfung seiner Erregung zugeschrieben wurden (D 41 f.).
Die erwähnte „Verbindung mit der Außenwelt“ kam übrigens so zustande: Zum Behuf seiner Klausurarbeit im Referendar-Examen mietete er in der Nähe des Prüfungslokals ein Zimmer; dort harrten mit ihren Büchern vier gewiegte juristische Freunde. Sein Thema warf er in einer Glühstrumpfhülse aus dem Hochparterre-Fenster herab; später 3 die Ausarbeitung empfing er in einer Tüte mit Birnen.
Dem Tagebuch Heyms ist entgegen der Darstellung von Balcke zu entnehmen, dass er die Hausarbeit zur ersten juristischen Staatsprüfung mit dem Thema „Die Reform der Städteordnung durch den Freiherrn vom Stein“ schon früher geschrieben hat und für die Examensvorbereitung insgesamt höchstens vier Monate anzusetzen sind, während derer er übrigens in engem brieflichen Kontakt mit Ernst Rowohlt auch noch die Drucklegung seines ersten Gedichtbandes „Der ewige Tag“ vorbereitete. Hier noch einige Tagebucheintragungen aus 1910: Mit welcher Frechheit der verlauste preußische Staat mir eine juristische Arbeit gegeben hat, ist nicht zu sagen. – Ich habe mich jetzt so viel mit diesem elenden-gemeinen-hundsföttischen Juristendreck, diesen kleinen lausigen Scheiß-Zaunkönigen der Wissenschaft: Scheißer N. N., Schwein N.N. etc abzugeben, daß mir das Speien 3
Erwin Loewenson, Georg Heym oder Vom Geist des Schicksals, Hamburg und München 1962, S. 10 f.
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ankommt. – Ich muß es noch mal betonen: Ich habe etwa 7–8 Gedichte liegen, aber der elende preußische Dreckstaat läßt mich zu nichts kommen. – Meine Natur sitzt wie in einer Zwangsjacke. Ich platze schon in allen Gehirnnähten. Müßte mein Drama längst vollendet haben. Und nun muß ich mich vollstopfen wie eine alte Sau auf der Mast mit der Arsch-Scheiß-Lause-Sau Juristerei, es ist zum Kotzen. Ich möchte das Sauzeug lieber anspeien, als es in die Schnauze nehmen. Ich habe solchen Trieb, etwas zu schaffen. Ich habe solche Gesundheit, etwas zu leisten. Ja, es ist zum Scheißen. § § § § § Scheiß. Scheiß. Scheiß (III 144, 145, 146 und 152).
In Wirklichkeit entstanden zu dieser Zeit Gedichte, u.a. das Sonett „Die Professoren“: Zu vieren sitzen sie am grünen Tische, Verschanzt in seines Daches hohe Kanten. Kahlköpfig hocken sie in den Folianten, Wie auf dem Aas die alten Tintenfische. Manchmal erscheinen Hände, die bedreckten Mit Tintenschwärze. Ihre Lippen fliegen Oft lautlos auf. Und ihre Zungen wiegen Wie rote Rüssel über den Pandekten. Sie scheinen manchmal ferne zu verschwimmen, Wie Schatten in der weißgetünchten Wand. Dann klingen wie von weitem ihre Stimmen. Doch plötzlich wächst ihr Maul. Ein weißer Sturm Von Geifer. Stille dann. Und auf dem Rand Wiegt sich der Paragraph, ein grüner Wurm (l 157).
Zwar hat sich Heym nie vorstellen können, einen juristischen Beruf auszuüben. Er bezeichnete die Vorstellung als „lächerlich, wenn ich Amtsrichter oder dergleichen würde und mit 60 Jahren vielleicht endlich stürbe“ (III 104), und notierte wenige Monate vor seinem Tod: „Ich kann keinen bürgerlichen Beruf haben, denn ich habe den, zu lieben“ (III 162). Gleichwohl konnte er mit minimalem Aufwand auch noch weitere Ausbildungsschritte
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absolvieren4. Als er in seiner Amtsgerichtsstation nach etwa drei oder vier Monaten als Referendar eine Grundbuchsache nicht bewältigen konnte, vernichtete er die Akte kurzerhand dadurch, dass er sie in der Toilette des Gerichts hinunterspülte (vgl. D 42). Literarischen Niederschlag hat diese Zeit in dem Gedichtzyklus „Das Grundbuchamt“5 gefunden; daraus eine Kostprobe: Zum letzten Mal sah ich die Richter sitzen Wie schwarze Hennen in dem Staub und Qualm. Und ihre kleinen Schädel blühn und schwitzen Wie leere Seifenblasen auf dem Halm. Sie kratzen sich den Bauch mit dürrer Kralle, Der schwarz und zottig wie ein Maulwurf schien. Ihr dicker Hals war von verdorbner Galle Wie eine ‘farbige’ Leiche gelb und grün (I 273 f.).
Die Entlassung infolge der Aktenunterdrückung stand aber einer Wiederaufnahme in den Referendardienst kurze Zeit später nicht entgegen (vgl. III 257). Diesmal hielt er es ganze elf Tage am Amtsgericht in Wusterhausen an der Dosse aus, bis er in einem Brief verkündete: „Nachdem ich eben zum letzten Mal den Referendarstalar angehabt habe und mich nun in der Freiheit meines Individuums sonne [...]“ (III 262). Im Spätherbst 1911 gelang es Heym sogar noch, von der Universität Rostock mit der zur Dissertation erweiterten 6-Wochen-Hausarbeit promoviert zu werden, nachdem dieser Versuch in Würzburg gescheitert war (vgl. III 256 f.; D 634). Zugleich stellte das Jahr 1911 den Höhepunkt seines literarischen Schaffens dar. Heym ertrank im Alter von 24 Jahren beim Schlittschuhlaufen auf der Havel.
4 5
Einzelheiten bei Weber (Fn. 1), S. 111 ff. Vgl. Johann Demharter, Das Grundbuchamt – Des Lyrikers Georg Heym Albtraum, in: NJW 2010, S. 734 f.
47. Hans Friedrich Blunck
Staatsmann werden, um im Volk „Gesag“ zu haben Hans Friedrich Blunck (1888–1961), Sohn eines Lehrers, war besonders durch seine vorgeschichtlichen und historischen Romane und seine national-völkische und nordisch-germanische Tendenz einer der während des Dritten Reichs meistgelesenen1 und als erster Präsident der Reichsschrifttumskammer ausgesprochen NS-konformen2 Autoren. Aber schon zuvor wurde er als „Dichter des Volkhaften“ gepriesen3. Er studierte einschließlich seiner Militärdienstpflicht ab dem Sommersemester 1907 drei Semester lang Jura in Kiel, wechselte anschließend für ein Jahr nach Heidelberg und ging zum Wintersemester 1909/10 zurück an seine Landesuniversität Kiel. Seine Motive, Jura zu studieren, sowie das Studium schilderte er in seiner Autobiographie „Licht auf den Zügeln. Lebensbericht“4 so: 1 2
3 4
Vgl. Christian Adam, Lesen unter Hitler. Autoren, Bestseller, Leser im Dritten Reich, Berlin 2010, S. 284 f. Vgl. Kai-Uwe Scholz, Chamäleon oder Die vielen Gesichter des Hans Friedrich Blunck. Anpassungsstrategien eines prominenten NS-Kulturfunktionärs vor und nach 1945, in: Ludwig Fischer u.a. (Hg.), Dann waren die Sieger da. Studien zur literarischen Kultur in Hamburg 1945–1950, Hamburg 1999, S. 131–167; Jens-Peter Wagner, Die Kontinuität des Trivialen. Hans Friedrich Blunck (1888–1961), in: Christiane Caemmerer / Walter Delabar (Hg.), Dichtung im Dritten Reich? Zur Literatur 1933– 1945, Opladen 1996, S. 245–264. Lisel Etscheid, Das Gotterlebnis des germanischen Menschen. Weltanschauliches in der Dichtung von Hans Fr. Blunck, Bonn 1932, S. 44 ff. 1. Band, Mannheim 1953; die Zahlen im Text geben Seiten aus diesem Band an. Ein 2. Band mit dem Titel „Unwegsame Zeiten“ ist schon 1952 in Mannheim erschienen. Ein 3. Band mit dem Titel „Und dennoch –
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Denn seit einiger Zeit hatte ich mir nun endgültig vorgenommen, Staatsmann zu werden, um im Volk „Gesag“ zu haben. Und um ein Wort führen zu können, mußte man die Rechte beherrschen. – Der Entschluß war nicht ungewöhnlich. Immer sind die Schriftführer der niederdeutschen Landschaft zugleich Sprecher und Richter in ihrem Volk gewesen, von Eike über Brockes zu Storm und Kröger. Vielleicht sind sie alle den Weg gegangen, daß sie aus Furcht, sich in der Idylle zu verlieren, einen Beruf erzwangen, der ihnen Wort und Ansehen gab und den Heimsprung in die Welt der Dichtung offen ließ. Ich begründete es damals anders. Wir wollten bekehren, unser Volk zu einem neuen freien Vaterland führen – das ganze Volk. Das Bauernblut weckte uns gegen die ständische Erstarrung, der Einfluß der niederländischen und dänischen Nachbarn machte sich geltend gegen eine Zeit ohne Glauben an die inneren Kräfte in uns, die sehr demokratische Geschichte der Hansa und der Seebauernschaften gab uns in der Politik eine ältere, längst überlieferte Haltung und Richtung (112). Die Aufnahmefeier in den Kreis der Universität bot nichts Denkwürdiges; auch wurden wir wohl vom Soldatentum zu sehr in Anspruch genommen. Ich weiß, daß ich die erste Vorlesung mit feierlichem Empfinden besuchte, hatte ich doch nun den Weg begonnen, der mir das große Leben öffnete und der mich zugleich in eine noch unbeschrittene Welt führte. Aber die Vorlesungen, zu denen wir Urlaub erhielten, enttäuschten. Die beiden Soldatensemester waren mit allgemeiner Rechtsphilosophie, mit römischem und mit dem Beginn des bürgerlichen Rechts gefüllt. Die Professoren – Pappenheim, Maschke, Schlosser [wohl: Schlossmann] und andere – wiederholten, was sie viele Semester hindurch vorgetragen hatten; man hatte den Eindruck, daß sie ihrer Sache müde waren. Nur Hänel, einer der Letzten der Schleswig-Holsteinischen Landespartei, er, der zu allen Festen des Reichs die Schwarzrotgoldene Fahne hißte, gefiel mir in seiner rauhen Greisenart. Deutschland!“ ist unveröffentlicht; vgl. Hans-Wilhelm Schäfer, Ein Zeitund Lebenszeugnis des Dichters Hans Friedrich Blunck, in: Hans Friedrich Blunck Jahrbuch 2008, S. 22–33.
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Wir Einjährigen versuchten bald, auf unseren Buden drüben in Gaarden zu lernen und einzuholen, was uns entging. Mein Lehrbuch „Sohm, System des römischen Rechts“, eine an Klarheit des Stils vorzügliche Grundlage des ersten Studiums, war zum Schluß völlig zerlesen und schillerte von roten, blauen und grünen Strichen und endlosen Randbemerkungen. Aber auch solche Art des Lernens blieb unbefriedigend. Ich ging vorerst darüber hinweg oder führte es auf meine soldatischen Hemmungen zurück. Die Bedeutung der Kieler Universität, einer der großen unter den Lehrhallen Deutschlands, war mir aus der Geschichte meiner Heimat, wie ich sie von Vater empfangen hatte, wohlbekannt; nicht oft hat eine Hochschule so sehr ihre Landschaft geführt, beraten, getröstet und wieder aufgerichtet wie sie, die Aufstieg und Not der deutschen Geschichte und den Willen Schleswig-Holsteins begleitet hat. Sie war nicht Hirn, sondern Herz des Landes gewesen; sie war deutsch und zugleich eine der geistigen Mitten des Nordens. Dichter hatten in Kiel die Lehrstühle besetzt, die politischen Lenker unserer Geschichte waren von hier aufgestanden. Schuldig wäre ich geworden, hätte ich ihr nicht Verehrung und höchste Erwartung entgegengebracht. Aber die Lehrer meiner Jugend enttäuschten (130 f.). Nach Beendigung der Soldatenzeit begann in Kiel im 3. Semester ein fröhliches Treiben, nur gestört durch den Trinkzwang, der damals noch wichtig genommen wurde; auch das „Spinnen“ der Füchse lag mir ganz und gar nicht. Dafür fand ich gute Freunde, mit denen ich durch die Landschaft wanderte, mit denen ich segelte und frohe Tage verbachte, recht in der Sorglosigkeit erster akademischer Ungebundenheit (139). Die Universitäten boten damals Urlaub genug zur Arbeit daheim. Über Sommer hatte man Kollegs besucht, hatte im Thüringer Wald Bratäpfel gebacken und Pilzgerichte geschmort und hatte doch vorm neuen Semester immer noch Zeit, zu Haus bei den Eltern einige ruhige, stille Freiwochen zu verbringen (142).
Im nächsten Frühjahr wurde gar eine zweimonatige Reise durch den Balkan bis nach Kairo unternommen; und über das 5. Semester hieß es wieder: ,,Den bunten Sommer am Neckar habe ich in wanderfroher Erinnerung. Auf dem Kamm des Wasgenwaldes
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haben wir uns entlang gesucht. Auch Pfalz und Schwarzwald wurde unser“ (160). Doch danach „rückte das Examen näher“ und hatte Blunck „das Studieren satt“; in Kiel ging er zum Repetitor: Mancher Leser wird die Stirn krausen: „Du auch?“ Ja, und ich halte es für gut, das ganze Gebiet, das man beherrschen soll, noch einmal in Frage und Antwort durchzugehen. Nicht nur, daß man lernt, den Mund aufzutun, man kann auch sein Wissen mit dem der anderen vergleichen und merkt seine Lücken im kleinen Einmaleins der Rechtsbücher. Und wenn die Hochschule später selbst diese Kurse einführte, so hat sie recht getan; ich entsinne mich nicht, daß mir Repetitoren geschadet haben, solange sie die große Schule des Lebens nicht abkürzten (162).
Im Frühjahr 1910 schrieb Blunck eine Dissertation über den „Anefang“, den „Anspruch des frühdeutschen Rechts, der aus einem Besitzverhältnis eine Klage zuließ“ (166) und bestand das Rigorosum in Heidelberg. Nach „einigen Monaten der Vorbereitung“ legte er noch im Jahr 1910 am Oberlandesgericht Kiel auch das Referendarexamen ab und wurde Referendar am preußischen Amtsgericht Blankenese5. Nach dem Kriegsdienst wurde er 1918 durch ein „Notkriegsexamen“ Assessor und arbeitete bis 1928 als Regierungsrat in der Reichsfinanzverwaltung und als Syndikus der Universität Hamburg. Danach lebte er als freier Schriftsteller. Weil Bluncks Bücher auch in den 1950er Jahren wieder Zehntausender-Auflagen erreichten, gehört er zu den erfolgreichsten deutschen Autoren des 20. Jahrhunderts 6 , dem zu seinem 100. Geburtstag eine Gedenkschrift gewidmet worden ist7.
5 6 7
Vgl. Christian Jenssen, Hans Friedrich Blunck. Leben und Werk, Berlin 1935, S. 35. Vgl. Wagner (Fn. 2), S. 245. Beseelte brüderliche Welt, hg. von Jürgen Blunck, Husum 1988.
48. Franz Jung
Es war ein großes Mißverständnis Franz Jung (1888–1963), Sohn eines Uhrmachermeisters, wird mal als „Expressionist, Dadatrommler, Revolutionär, Deserteur, Börsenkorrespondent, Meuterer, Schriftsteller, Agitator“1, mal als „frühexpressionistischer Prosadichter, Erzähler und Dramatiker“ charakterisiert, dessen „linksradikale, sozialkritische Werke im Dienst des Klassenkampfes und der Revolution“ standen2 . Das Kapitel in der Autobiographie „Der Weg nach unten. Aufzeichnungen aus einer großen Zeit“3 über das Studium – überschrieben mit „Es zog ein Bursch hinaus“ – zeigt schon die Gesamtrichtung seines Lebens an: Die Studentenjahre für jeden in die Gesellschaft Hineinwachsenden haben kaum irgendwie Bedeutsames aufzuweisen. Der Zuchtrute der Familie entlaufen, und in die Weide eines Berufes noch nicht eingepfercht, bedeutet das für die Studenten eine Fülle von Geschehnissen, die in ihrer Bedeutung überbetont sein werden. Sie vergilben mit dem Examen und sind schließlich völlig vergessen außer einer künstlich aufrechterhaltenen Tradition, an die sowieso niemand mehr recht glaubt. […] Ich merkte sehr bald, daß ich ausgezogen war, nicht in die Gesellschaft hineinzuwachsen, sondern aus der Gesellschaft entfernt zu werden. Das dauerte zwar noch eine Weile und vollzog sich mit Schwankungen nach oben und unten, aber es fügte sich zu dem Ende 1 2 3
So der Umschlagtext von Franz Jung, Der Weg nach unten. Aufzeichnungen aus einer großen Zeit, 4. Aufl., Hamburg 2013. Gero von Wilpert, Deutsches Dichterlexikon, 3. Aufl., Stuttgart 1988, S. 403 f. Berlin 1961; die Zahlen im Text geben Seiten aus der 2. Aufl. (Fn. 1) an.
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Punkt für Punkt; zusammengetragen nur von mir, nicht von draußen und nicht von anderen (36 f.).
Jung ging im März 1907 nach Leipzig, um Rechtswissenschaft zu studieren. Doch gleich der erste Abend war „ein Fehlstart; nahe genug einer Katastrophe“: Er verlor das Geld, womit er seine „Einschreibungsgebühr und die Kollegs in den juristischen Pflichtfächern bezahlen“ sollte, beim Glücksspiel (37 f.). Danach immatrikulierte er sich an der Musikhochschule, wo dies gebührenfrei möglich war, bestand auch das Aufnahmeexamen, gab aber nach wenigen Stunden im Pflichtkurs in Kontrapunkt bei Max Reger auf. Im April 1907 immatrikulierte Jung sich für zwei Semester Kameralwissenschaften, konzentrierte sich aber im zweiten Semester auf Jura4: Ich besuchte in dieser Zeit die juristischen Kollegs, soweit ich sie nachholen konnte. Ich muß mich schrecklich gelangweilt haben, aber es geschah sonst weiter nichts […]. Ich wechselte im nächsten Semester über nach Jena in die Burschenschaft Germania, zum Teil, weil ich mich dort besser auf meine Säbel-Kontrahagen [Duellanten] vorbereiten konnte, mehr aber, weil ich eine breitere Gesellschaft, offenere Kameradschaft und Zusprache dort zu finden hoffte. Darin wurde ich sehr enttäuscht. Unter den dreißig bis vierzig Aktiven war auch nicht ein einziger, mit dem ich irgendwelche Ansichten oder Erlebnisse auszutauschen gehabt hätte. So würde ich mir das Leben in einer Kaserne vorgestellt haben. Es war alles genau geregelt. Es wurde kommandiert und Ordnung gerufen. Möglicherweise ist eine solche Erziehung für eine spätere Eignung im Beruf ganz angebracht. Ich konnte mir indessen keinen Beruf ausdenken, wo ich der stützenden Hilfe dieser Kommilitonen bedürfen würde. Es wurde ein großes Mißverständnis, auch dann noch, als ich mich Hals über Kopf in den Betrieb stürzte, also Sänger unter den Singenden, Schläger unter den Schlagenden und Säufer
4
Vgl. Peter Ludewig, Schlagschatten der Jugend. Franz Jung in Leipzig, in: Lutz Schulenburg (Hg.), Hommage à Franz Jung. Der Torpedokäfer, Hamburg 1988, S. 93–96.
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unter den Pflichtsaufenden geworden war. Es war eben ein Mißverständnis. Das merkte nicht nur ich. Das merkten noch mehr die anderen. Zwei Semester gingen darüber hin. Die Universität sah ich nur von außen […]. Auch das ging zu Ende. Ich war die Ferien über wieder in Jena geblieben und hatte mich mit einigen älteren Semestern, sogenannten verbummelten Studenten, angefreundet, in der Mehrzahl bereits ältere Herren. Sie waren auf dem besten Wege, sich zu Tode zu saufen und hielten sich mit Injektionen von Strophanthus [Mittel gegen akute Herzschwäche] aufrecht. In dieser Gesellschaft fühlte ich mich wohl, obwohl ich nicht genau weiß, warum – ernstere Fragen dürften wir kaum erörtert haben (46 f.).
Nach einem Skandal in der Burschenschaft – Jung hatte einen alten Herrn verprügelt und war vom Konvent mit dem Rat zum Austritt bestraft worden, war also „abgestempelt mit dem Kainszeichen der Couleur“ – ging er zum Sommersemester 1909 nach Breslau: Es ist schon im folgenden Jahr weggespült worden in Breslau. Die Eltern hatten in langen Beratungen mit Freunden des Hauses beschlossen – ich war nicht hinzugezogen, wurde auch nicht aufgefordert, irgend etwas zu erklären, zu beschönigen oder Besserung zu versprechen – trotz all der bisherigen Mißerfolge das Risiko einzugehen, mich in Breslau das Rechtsstudium zum ersten Abschluß bringen zu lassen. Ich wurde in eine Pension eingemietet mit einem auf fünfzig Pfennig berechneten Taschengeld, das mir täglich mit dem Frühstück ausgezahlt wurde, und gleichzeitig bei einem Repetitor eingekauft, der mich für das Referendar-Examen vorzubereiten hatte und erst alle die versäumten Vorlesungen in abgekürztem Schnellverfahren nachholen mußte. Beide Kontrollstellen hatten monatlich an die Eltern zu berichten, bevor weitere Zahlungen erfolgen würden. Merkwürdigerweise verlief das die längste Zeit ganz gut. Ich besuchte den Repetitor täglich für mehrere Stunden und besuchte nebenbei die noch ausstehenden Pflichtkollegs an der Universität. Aber darüber hinaus geriet ich in eine Art von Trance, vielleicht eher mit völliger Apathie zu beschreiben (48).
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Ich muß noch erwähnen, daß ich in diesem Jahr selbst mit den Behörden in Konflikt gekommen bin. Ich hatte in einer betrunkenen Nacht an die große Portaltür der katholischen Garnisonkirche gepißt und war dabei festgenommen worden. Damals hat mir noch die frühere Verbindung zur Burschenschaft geholfen. Bekannte, die mit mir zusammen ihren Spaß gehabt hatten, mobilisierten am nächsten Morgen einen Burschenschaftler-Anwalt, der mich aus dem Polizeigewahrsam und der Kette von Paragraphen loseiste und mich dem Disziplinargericht der Universität überstellte. Dort kam ich mit einem strengen Verweis davon und drei Tagen Karzer, die ich mit Ausnahme der täglichen Mahlzeiten, für die ich freien Ausgang hatte, in der Wohnung eines der Pedelle in der alten Universitäts-Sternwarte verbringen mußte. Ich hatte die Tage über eine recht lustige und lärmende Gesellschaft um mich versammelt (50).
Kurz vor der mündlichen Schlußprüfung im Referendarexamen – der Repetitor hatte seine Zulassung „fertiggebracht“ (51) – folgte er im Juni 1909 seiner späteren ersten Frau, einer Tänzerin, nach St. Petersburg, wurde Verlagsvolontär, floh aufs Land, machte erste Schreibversuche und im Oktober 1911 mit der Immatrikulation für Nationalökonomie in München nochmals einen Versuch, das Studium zu beenden. Bei Professor Sinzheimer schrieb er eine Doktorarbeit über „Die technisch volkswirtschaftliche Entwicklung der Zündholzindustrie“, wofür er auch einige Wochen in der Zündholzfabrik in Rosenheim verbrachte. Sie konnte nicht eingereicht werden, weil er den Text schon an die „Frankfurter Zeitung“ verkauft hatte5. Die Literatur und die Münchner Bohème nahmen ihn dann immer stärker in Beschlag. „Das Studium störte mich wenig. Ich hatte auf den Prüfungstermin zu warten und die Bekanntgabe der mündlichen Prüfungsfächer. Da Sinzheimer auf ein Jahr nach Amerika gegangen war als Austauschprofessor, würde sich die Sache hinziehen“ (75). Nach vier Semestern gab Jung 1913 das Studium 5
Vgl. Fritz Mierau, Das Verschwinden von Franz Jung. Stationen einer Biographie, Hamburg 1998, S. 287.
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endgültig auf6 und übersiedelte nach Berlin, wo er sich dem Kreis um die ,,Aktion“ von Franz Pfemfert anschloss. Seinen Lebensunterhalt hat er später vor allem als Wirtschaftsjournalist verdient. Im Übrigen hält seine Biographie „dem Vergleich mit einem Abenteuerroman stand“7.
6 7
Vgl. Arnold Imhof, Franz Jung. Leben Werk Wirkung, Bonn 1974, S. 16. Wolfgang Rieger, Glückstechnik und Lebensnot. Leben und Werk Franz Jungs, Freiburg 1987, S. 9; vgl. auch Ernst Schürer, Franz Jungs Leben als permanente Rebellion, in: Ders. (Hg.), Franz Jung. Leben und Werk eines Rebellen, New York 1994, S. 5–50; Lovis Maxim Wambach, Die Dichterjuristen des Expressionismus, Baden-Baden 2002, S. 312–316.
49. Walter Serner
Ich war von je eine sehr trübe Prüfungsfigur Walter Serner (1889–1942), dadaistischer Erzähler und Essayist, war Sohn eines jüdischen Zeitungsverlegers. Er gilt als „großer Stilist der deutschen Sprache“1, war aber zugleich „eine seltsam schillernde Figur“2. Er schilderte sein Leben bis zum Studienabschluss in der autobiographischen Skizze ,,Ich“ von 1925 wie folgt: Ich wurde am 15. März 1889 in Karlsbad geboren. In dieser Stadt besuchte ich das Gymnasium, wo ich in dem römischen Schriftsteller P. Ovidius Naso die erste Bekanntschaft mit einem subtilen Geist machte und in Gestalt des Lehrkörpers mit der menschlichen Niedertracht. Ich galt als subversives Element, obwohl ich mich damals nur für Stubenmädchen interessierte und auch sonst bemühte, dem genannten Schriftsteller Ehre zu machen. Das Jus-Studium, das ich mit achtzehn Jahren begann, kam nicht zur Ausführung, sondern Wien, das zu jener Zeit eine sehr beherzigenswerte Stadt war. Mir ist es noch heute rätselhaft, wie es möglich war, daß ich die rechtshistorische Staatsprüfung bestand. Kurz darauf brachte ich einen Spielgewinn an der Hand eines Münchner Faschings durch und fuhr mit dem letzten Goldstück nach Berlin, wo ich mich vierzehn Tage hindurch langweilte, weil ich nachts schlief. Als ich anfing, es umgekehrt zu halten, amüsierte ich mich drei Jahre dermaßen, daß meine Liebe für diese Stadt ebenso unausrottbar bleibt wie die für 1 2
Jörg Drews, in: Süddeutsche Zeitung vom 25./26. 9. 1999. Christoph Schmitz-Scholemann, Walter Serner (1889–1942): Weltenbummler, Dadaist und Doktor beider Rechte, in: NJW 1989, S. 356–359 (356); vgl. auch Alfons Backe-Haase, „Über topographische Anatomie, psychischen Luftwechsel und Verwandtes“ Walter Serner – Autor der ‘Letzten Lockerung’, Bielefeld 1989, S. 34 f.; Lovis Maxim Wambach, Die Dichterjuristen des Expressionismus, Baden-Baden 2002, S. 359–361.
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ihren Argot. Da eine hinter meinem Rücken für mich ordnende Hand mich in Wien weiter inskribiert hatte, konnte ich der Lockung, meine Schulden bezahlt zu sehen, insofern nicht widerstehen, als ich beabsichtigte, vier Monate in Greifswald zu schlafen. Das Resultat war trotzdem positiv, wofür ich mich bei Ovid zu bedanken habe. Ich brachte nämlich das Gespräch auf ihn, und da meine Examinatoren Menschenkenner waren und echte Humanisten, wurde ich doctor utriusque juris. Es hat mir lange Zeit hindurch sehr genützt. Denn ich entschloß mich bald darauf, keine vorgeschriebene Laufbahn zu ergreifen (gibt es eine schönere Phrase?), sondern in Europa spazieren zu fahren. Der Familienvater, der merkt, daß einer keinen bürgerlichen Lebenswandel führt, ist im allgemeinen sofort davon überzeugt, daß ein ungesetzlicher geführt wird. Das weite Feld der Möglichkeiten, das zwischen diesen beiden Polen liegt, vermöchte ihm nur eine hemmungslose Phantasie zu zeigen. Der Doktortitel nun ver3 zögert jene Überzeugung, indem er die Phantasie zivil anregt .
In Wirklichkeit gestaltete sich der Erwerb des Doktortitels nicht ganz so locker4. Nach Bestehen der ersten Staatsprüfung in Wien schrieb sich Serner im Sommer 1912 in Greifswald ein, wo er die Veranstaltungen Römisches Recht, Zivilprozeß II, Kolonialrecht und Psychiatrische Fälle belegte und seine Dissertation über „Die Haftung des Schenkers wegen Mängel im Rechte und wegen Mängel der verschenkten Sache“ 5 schrieb, die mit „diligentiae specimen laudabile“ bewertet wurde, aber wohl ein Plagiat war6. Die mündliche Doktorprüfung bestand Serner nicht: ,,Römisches Recht in Verbindung mit BGB: sehr schwach; Strafrecht, Prozeß: ungenügend; Handelsrecht: nicht genügend.“ Serner verbrachte den Winter in Wien und bereitete sich in Karlsbad auf die Wie3 4
5 6
Walter Serner, Das gesamte Werk, hg. von Thomas Milch, Erlangen und München 1979–1992, Bd. 8, 1984, S. 87 f. Vgl. Thomas Milch, Chronik zu Leben und Werk Walter Serners, in: Herbert Wiesner (Hg.), Walter Serner. Ausstellungsbuch, Berlin 1989, S. 10–15. Serner (Fn. 3), Supplementband I, 1982. Vgl. die Homepage der Berliner Walter Serner Gesellschaft, abgerufen am 12.5.2017.
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derholungsprüfung vor, von wo er folgenden Brief an seinen Doktorvater Gustav Pescatore schrieb: Es ist mir gelungen, einen kurzen Urlaub von sechs Wochen zu erhalten, so daß ich seit heute hier bin, um in Ruhe das Gelernte zu wiederholen. Ich war den Winter über trotz Brotarbeit und Schriftstellerei sehr fleißig und hoffe, diesmal mehr Erfolg im Examen zu haben. Daß ich das hoffe, ist eigentlich mehr selbstverständlich als wahr: ich war von je eine sehr trübe Prüfungsfigur; sogar auch dann, wenn ich etwas wußte. Da ich zwei Drittel der letzten zehn Jahre nur mit Lesen und Schreiben zubrachte, ist meine angeborene Schüchternheit und Unfähigkeit im Umgang mit Menschen nicht verloren gegangen. Diese unangenehmen Eigenschaften haben mir schon vieles erschwert und mich um manches betrogen; sie steigern sich selbstredend bei einer Prüfung ins Maßlose und was dann zustandekommt, ist Ihnen wohl noch erinnerlich. Und mir ist es geradezu peinlich, Ihnen vielleicht wieder die Unannehmlichkeiten zu bereiten wie im Vorjahr. Aber es ist eben nicht leicht, eine Sache, für die man schon so vieles geopfert hat, hinzuwerfen, solange das Letzte noch unversucht ist. Obwohl ich davon überzeugt bin, Herr Geheimrat, daß Sie bei der Zusammensetzung der Prüfungskommission im August mein Bestes im Auge hatten und wiewohl ich weiß, daß ich völlig zurecht reprobiert wurde, bitte ich Sie dennoch, diesmal statt von Herrn Geheimrat Dr. Weismann von einem Herrn mich prüfen zu lassen, der das bürgerliche Recht zu prüfen pflegt. Ich habe Herrn Geheimrat Dr. Weismann gegenüber am vollständigsten versagt (sofern ein Superlativ hier überhaupt noch möglich war) und sein Veto war durchaus begründet; dennoch aber bitte ich, mich von ihm nicht prüfen zu lassen. Und mir gütigst mitteilen zu wollen, ob Sie dieser meiner Bitte willfahren wollen; ob die Prüfung Mitte April oder in der zweiten Aprilhälfte angesetzt werden kann; und ob somit Röm. Recht, bürg. 7 Recht und Handels- u. Wechsel-Recht in Betracht kämen.
7
Serner (Fn. 5), S. 12 f.
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Nach der am 20. Mai 1913 mit „rite“ bestandenen Doktorprüfung spielte die Juristerei keine Rolle mehr im Leben Serners, sieht man davon ab, dass in seinen pointierten Kriminalgrotesken oder „Hanebüchenen Geschichten“ mal ein eleganter Herr stud. jur. vom Wittenbergplatz als Verführer auftaucht, ein Prof. Dr. Elias Traumdotter über die Verwerflichkeit des Gebrauchs sabotistischer Kampfmittel einen Vortrag hält oder ein Jurist, auf seinen Beruf angesprochen, antwortet: ,,Pech! Aber ich mache es durch den Vorteil wett, daß kein Mensch es mir glaubt“8. Auch in dem „Walter Serner-Gaunerwörterbuch“ 9 , das den Reichtum des Wortschatzes von Serner dokumentiert, sind nur wenige aus dem juristischen Bereich stammende Begriffe verzeichnet. In dem Buch „Letzte Lockerung. Ein Handbrevier für Hochstapler und solche die es werden wollen“, ursprünglich von 1920, erweiterte Ausgabe von 1927, das als radikales dadaistisches Manifest gilt, finden sich im Kapitel „Warnungen“ folgende Fragmente: 553. Prozessiere nie. Das ist nichts für jemanden, der nur auf sein gutes Recht sich berufen kann. 554. Wenn du im Unrecht bist, so hast du bei einem Prozeß doch 10 immer die Chance, ihn zu gewinnen. AUCH DU.
Den Prozess um das Verbot seiner Bücher in den Jahren 1931 bis 1933 focht denn auch nicht Serner selbst, sondern der von seinem Verleger beauftragte Rechtsanwalt Philipp Möhring aus, der die Freiheit des Wortes und der Kunst verteidigte11. Fast alle Bücher Serners sollten auf die Liste der Schund- und Schmutzschriften gesetzt werden: Weil sie von „Narzissen, Homosexuellen, Schlafwagenszenen, Verbrecherhöhlen, javanischer Geschlechtsbetätigung und von Liederlichkeiten in San Remo und Nizza“ 8 9 10 11
Serner (Fn. 3), Bd. 4, 1979, S. 109, 130 f. und 79. Serner (Fn. 3), Supplementband II, 1983. Serner (Fn. 3), Bd. 7, 1981, S. 155. Zum Folgenden Serner (Fn. 3), S. 174 ff.
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handelten, bestünde eine „schwere Gefahr für die nach Verbrecher-Romantik lüsterne Jugend“. Während ein erster Indizierungsantrag 1931 noch scheiterte, wurde einem zweiten nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten stattgegeben; als einziges Mitglied der Prüfstelle stimmte Ernst Rowohlt gegen die Indizierung. 1942 wurden Serner und seine Frau zwangsweise in den Osten transportiert, wo sie vermutlich in einem Vergasungswagen ermordet wurden12.
12 Vgl. Schmitz-Scholemann, NJW 1989, 359.
50. Kurt Tucholsky
Der Repetitor als illegitime Amme der Rechtsbeflissenen Kurt Tucholsky (1890–1935), Journalist und Schriftsteller, war Sohn eines jüdischen Bankkaufmanns. Er studierte vom Wintersemester 1909/1910 an Rechtswissenschaft in Berlin. Von den sechs Vorlesungen, die er belegte, betraf die Hälfte rechtshistorische Gegenstände; hinzukamen Einführung in die Rechtswissenschaft, Gerichtliche Medizin und Einführung in die Nationalökonomie1. Für das Sommersemester 1910 ging er nach Genf, wo juristische Vorlesungen auch auf deutsch gehalten wurden. Zurück in Berlin hörte er u.a. Vorlesungen bei Conrad Bornhak (der 1926 wegen republikfeindlicher Äußerungen von seiner Lehrtätigkeit suspendiert wurde), den Tucholsky vor Augen hatte, als er schrieb: Ihr müßtet nur einmal die Vorlesungen eines preußischen Professors über Staatsrecht mitangehört haben, um zu hören, was es alles auf der Welt gibt: „Der Staat ist mächtig, allmächtig, heilig, verehrenswert, Ziel und Zweck der Erdumdrehung – der Staat ist über-
1
Vgl. Thorsten Miederhoff, Man erspare es mir, mein Juristenherz auszuschütten. Dr. iur. Kurt Tucholsky (1890–1935), Frankfurt a.M. 2008, S. 31 ff., 245 ff.; ferner Andreas Gängel / Michael Schaumburg, „Justitia, Trauerweib, du hast geschlafen…“ Kurt Tucholsky gewidmet, in: NJ 1990, S. 19–22; Michael Hepp, Kurt Tucholsky. Biographische Annäherungen, Reinbek bei Hamburg 1993, S. 50 ff.; Lovis Maxim Wambach, Grenzgänger zwischen Jurisprudenz und Literatur. Werner Krauss, Kurt Tucholsky, Friedrich Georg Jünger und Martin Beradt, Baden-Baden 2000, S. 55–64.
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haupt alles“. Und vor allem: er trägt vor niemand eine Verantwor2 tung!
Tucholskys großer Ehrgeiz galt aber schon während des Studiums dem Schreiben. 1912 erschien „Rheinsberg, ein Bilderbuch für Verliebte“ – ein großer Erfolg bei der Kritik und an der Kasse. Nach sechs Semestern verließ er die Universität und bereitete sich bei einem Repetitor, dieser „illegitimen Amme der Rechtsbeflissenen“ 3 , namens Dr. Walter Pollack, auf die erste juristische Staatsprüfung vor. Ihm hat er ein literarisches Denkmal gesetzt. Er hat nämlich außer unter seinem Namen unter den Pseudonymen Peter Panter, Theobald Tiger, Ignaz Wrobel und Kaspar Hauser veröffentlicht. In der Vorrede seines Buchs „Mit 5 PS“ von 19284 hat er ihre Herkunft erklärt: Woher die Namen stammen –? Die alliterierenden Geschwister sind Kinder eines juristischen Repetitors aus Berlin. Der amtierte stets vor gesteckt vollen Tischen, und wenn der pinselblonde Mann mit den kurzsichtig blinzelnden Augen und dem schweren Birnenbauch dozierte, dann erfand er für die Kasperlebühne seiner „Fälle“ Namen der Paradigmata. Die Personen, an denen er das Bürgerliche Gesetzbuch und die Pfändungsbeschlüsse und die Strafprozeßordnung demonstrierte, hießen nicht A und B, nicht: Erbe und nicht Erblasser. Sie hießen Benno Büffel und Theobald Tiger; Peter Panter und Isidor Iltis und Leopold Löwe und so durchs ganze Alphabet. Seine Alliterationstiere mordeten und stahlen; sie leisteten Bürgschaft und wurden gepfändet; begingen öffentliche Ruhestörung in Idealkonkurrenz mit Abtreibung und benahmen sich überhaupt recht ungebührlich. Zwei dieser Vorbestraften nahm ich mit nach Hause – und, statt Amtsrichter zu werden, zog ich sie auf.
2
3 4
Kurt Tucholsky, Gesammelte Werke in 10 Bänden, hg. von Mary Gerold-Tucholsky / Fritz J. Raddatz, Reinbek bei Hamburg 1975, Bd. 3, S. 138. Tucholsky (Fn. 2), Bd. 1, S. 148. Tucholsky (Fn. 2), Bd. 5, S. 434 f.; vgl. auch schon Bd. 1, S. 148–150.
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Im Übrigen fällte Tucholsky in dem Artikel „Juristen“5 ein zwiespältiges Urteil über seinen Repetitor: Er ist unstreitig einer der besten Pädagogen, die wir in Berlin haben. Er hat eine Fähigkeit, den Inhalt weiter Strecken in eine Formel zu fassen, zu konzentrieren, sehr sicher und knapp die Essenz eines zweimonatigen Kollegs in drei Stunden zu geben, daß sein Name mit Recht wie eine Zauberformel auf uns junge Studenten wirkte. […] Unsere jungen Juristen lassen sich bei den Pollacks einpauken. Aber es ist zu hoffen, daß später, wenn sie zu einem Amt und Verstand gekommen sind, es Fuchs [der Freirechtler Ernst Fuchs] sein wird, der sie aus dem pandekteologischen Sumpf herausführt in das Land der Zukunft, in dem wirklich nach Recht und Billigkeit und nicht nach Begriffen entschieden wird, in dem nicht der junge Assessor und nicht der alte Justinian den Prozeß führen, sondern der Mensch, der im Leben stehende Mensch.
Im März 1913 wurde Tucholsky zur ersten juristische Staatsprüfung zugelassen, brach sie aber während der Arbeit an der schriftlichen Hausarbeit ab. Ein Grund lässt sich wohl seinem Artikel „Referendarexamen“6 entnehmen, wo es u.a. heißt: Schmale Türen öffnen sich, und die Studenten brechen rempelnd herein, auf die krachenden Bänke. Vorne sagt eine leise Stimme etwas, Bücher klappen, Räuspern, die vier schwarzen Examensvögel sitzen wie auf einer langen Stange, mit eingezogenem Hals gebückt. … Einer liest: aus einem umfangreichen Buch trägt er in der alten gewichtigen Sprache der Gelehrsamkeit aller Länder einen Rechtsfall vor, der die Köpfe von vierzehn Jahrhunderten umklammert hielt wie ein eiserner Reifen: [aus der lex Aquilia …]. Antworten kamen, zögernd, eingelernt, aber sie kamen und wurden vorn nur von dem Fragenden vernommen, die andern stierten längst, trüb und starr, in Hefte oder auf die gegenüberliegende Wand. Einer hielt die Augen geschlossen. Es war nicht ihr Fach. … Hinten summte es: die Fragen wurden schneller beantwortet als es je ein Prüfling vermocht hätte, leise Entrüstungsschreie über falsche 5 6
In: Zeit im Bild, 12. Jahrgang (1914), S. 180. –tu, in: Pan vom 22.8.1912, S. 1113–1117.
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Aussagen wurden laut. Man versuchte zu soufflieren, blätterte verzweifelt in kleinen Bücherchen. Einer schrieb heimlich mit. … Einer nach dem andern der zu Eis gefrorenen Professoren und Räte taut auf. Sie fragen: unregelmäßig, gedehnt oder sich überpurzeln, sie reden unaufhörlich. Begriffe wünschen sie definiert zu sehen, Theorien erörtert, Gesetze geschichtlich entwickelt. … Einer, der es mit dem Strafrecht hat, erfindet blutrünstige Geschichten. […]. Und dann werden sie herausgeschickt und wieder hereingerufen werden, und nur einer wird es nicht bestanden haben, und die andern werden mit einem Freund (‘Mensch! Mach bloss dein Examen!’) nach Hause eilen in die Arme der beglückten Mütter, Bräute, Schwestern, an die geldspendende Hand des Vaters. … Sie haben es hinter sich: sie denken nie wieder daran.
Ohne die erste juristische Staatsprüfung bestanden zu haben, reichte Tucholsky im August 1913 die Dissertation „Die Vormerkung aus § 1179 BGB und ihre Wirkungen“7, die aus seinen Studien für die Hausarbeit hervorgegangen war, bei der Universität Jena ein, wo die Anforderungen an die Promotion erheblich geringer als in Berlin waren. Die Dissertation wurde von Professor Heinrich Lehmann als „wissenschaftlich nicht hinlänglich beachtenswert“ abgewiesen8. Er arbeitete sie um und legte sie im Juni 1914 wieder vor. Nachdem er sie nochmals hatte ändern müssen, um auch die Druckerlaubnis zu erhalten, wurde er endlich im Februar 1915 „cum laude“ promoviert. Ein juristischer Beruf kam für Tucholsky, anders als noch zu Beginn seines Studiums, jetzt nicht mehr in Frage. Wie wichtig aber andererseits die rechtswissenschaftliche Ausbildung für ihn war, zeigt sich an der hervorragenden Rolle, die die Kritik an rechtlichen Zuständen, namentlich der (Straf-)Justiz 9 und dem 7 8 9
Neuausgabe Berlin 2015. Das Gutachten ist abgedruckt bei Wambach (Fn. 1), S. 59. Vgl. Fritz Baumgärtel, „Lerne lachen, ohne zu weinen“ Dr. jur. Kurt Tucholsky, in: MDR 1977, S. 552 f.; Jörg Hammerschmidt, Literarische Justizkritik in der Weimarer Republik. Der Beitrag der Schriftsteller in der
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Militär10, in seinem Werk spielt. In einem derartigen Zusammenhang erinnert er sich, von einem seiner akademischen Lehrer etwas Entscheidendes gelernt zu haben: Seit wann ist Leugnen ein Delikt –? Ich besinne mich noch auf den Tadel, den ich einmal im Seminar von Franz von Liszt bekommen habe, als ich in einer strafrechtlichen Arbeit eine Analogie konstruieren wollte. Die langen Federstriche am Rande riefen mich laut zur Ordnung: im Strafrecht gäbe es keine Analogien, sondern nur ausdrücklich angeordnete und vom Gesetzgeber bestimmte Strafen, und wenn der Tatbestand nicht unter einen solchen Paragraphen zu subsummieren sei, so sei eben freizusprechen. Mangelhaft. 11
Mit Recht: mangelhaft .
Auseinandersetzung mit der Justizwirklichkeit unter besonderer Berücksichtigung des Werkes von Kurt Tucholsky, Göttingen 2002; Michael Hepp (Hg.), Kurt Tucholsky und die Justiz, Oldenburg 1998; Bernhard Weck, Wider den „Dreimännerskat der Justitia“. Bemerkungen zur Biographie und Justizkritik Kurt Tucholskys, in: Michael Kilian (Hg.), Dichter, Denker und der Staat. Essays zu einer Beziehung ganz eigener Art, Tübingen 1993, S. 157–229; Uwe Wesel, Auch ein Kampf ums Recht. Kurt Tucholskys Justizkritik, in: Ders., Aufklärungen über Recht. Zehn Beiträge zur Entmythologisierung, Frankfurt a.M. 1981, S. 101 ff.; Hans Wrobel, Dank an Kurt Tucholsky, in: ZRP 1985, S. 313–319. 10 Vgl. Ursula Blanke-Kießling, „… dieser Staat ist nicht mein Staat …“ Über das Staats- und Verfassungsdenken Kurt Tucholskys, Baden-Baden 2008, S. 78 ff. 11 Tucholsky (Fn. 2), Bd. 7, S. 23.
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Schwere Sünde gegen den Geist meines Lebens Max Zweig (1892–1992), Sohn eines jüdischen Rechtsanwalts und Großcousin von Stefan Zweig, hat 22 Dramen geschrieben, von denen aber nur wenige bisher aufgeführt wurden. Sie werden als „straff, formal konventionell gebaut“ charakterisiert und behandeln „historische Stoffe von alttestamentlichen Zeiten bis zur jüngsten Vergangenheit zur Darstellung humanitärer Ideen“1. So behandelt „Die Deutsche Bartholomäusnacht“ von 1940 den Röhm-Putsch und „Ghetto Warschau“ von 1947 den jüdischen Widerstand 2 . Zweig war nach seiner Emigration nach Israel in Deutschland fast vergessen, bis er im Alter von 93 Jahren seine „Lebenserinnerungen“ veröffentlicht hat3. In ihr schilderte Zweig auch seine eigenen qualvollen Erfahrungen mit dem juristischen Studium, das er im Rückblick als eine „schwere Sünde gegen den Geist meines Lebens“ (54) bezeichnete. Er begann im Wintersemester 1910 in Wien zu studieren, wo er 1912 die erste und 1914 die zweite Staatsprüfung ablegte. Weil er zum Militärdienst im Ersten Weltkrieg eingezogen wurde, konnte er das vorgesehene Rigorosum nicht mehr ablegen und musste nach dem Krieg aus der „physischen und moralischen Sklaverei in die geistige“ (80) wechseln und die letzten Prüfungen 1 2 3
Gero von Wilpert, Deutsches Dichterlexikon, 3. Aufl., Stuttgart 1988, S. 898. Vgl. Armin A. Wallas, Deutschsprachige jüdische Literatur im 20. Jahrhundert. Dritter Band, hg. von Andrea M. Lauritsch, Wuppertal 2008, S. 91 ff. Vorwort von Hans Mayer, Gerlingen 1987; die Zahlen im Text geben Seiten aus diesem Buch an.
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ablegen, bis er „im Vorfrühling 1920 an der Deutschen Universität in Prag zum Doktor juris promoviert wurde“ (82). Bei den sozial gutgestellten jüdischen Familien war es ein ungeschriebenes, aber selten durchbrochenes Gesetz, daß der älteste Sohn eines erfolgreichen Vaters dessen Beruf ergreife, unabhängig von den Begabungen, Neigungen und Wünschen des Sohnes. So war ich, nahezu von der Wiege an, dazu bestimmt, wenn die Zeit käme, Jus zu studieren und nach Beendigung des Studiums in die Kanzlei meines Vaters einzutreten, um sie nach dessen Tode zu übernehmen (50). [Nach einigen Wochen des ersten Semesters in Wien] hielt ich die Zeit für gekommen, mir ein juristisches Lehrbuch, über römisches Recht, anzuschaffen. Nachdem ich die ersten Seiten und andere aufs Geratewohl aufgeschlagen, gelesen und das ganze Buch durchgeblättert hatte, wurde ich von Entsetzen gepackt. Das war nicht die Art meines Denkens und sollte und durfte es niemals werden. Ich erkannte sofort mit überdeutlicher Klarheit, daß diese abstrakte, kaltnüchterne, lebensferne Denkweise, wenn ich gezwungen wäre, sie mir anzueignen, die mir eingeborene, die eine sinnliche, anschauliche, phantasievolle war, beschädigen oder gar zerstören könnte. Was mich des Weiteren abstieß, war, wie ich jäh erkannte, die Tatsache, daß es sich beim Jus fast ausschließlich um Geld und Geldeswerte handle; ich aber beabsichtigte, dem Geld in meinem Denken nur einen sehr engen Raum zuzubilligen. Da die abscheulichen Szenen zwischen meinen Eltern zumeist über Geldfragen ausgebrochen waren, sah ich das Geld als ein notwendiges Übel an, mit welchem ich mich möglichst wenig beschäftigen wollte. Ich war entschlossen, während meines nächsten Besuches in Proßnitz meinem Vater mitzuteilen, daß ich das Jusstudium aufgeben wolle. Die erste Jusvorlesung des Semesters, über römisches Recht, welcher beizuwohnen ich mich trotzdem verpflichtet fühlte, fand in dem größten Saale der Universität statt, der dicht gefüllt war. Der Professor, ein älterer Herr, schickte seiner Vorlesung einige Worte voraus. Er erklärte, daß der Saal nicht deshalb so voll sei, weil es so viele lernbegierige Jusstudenten gebe, sondern weil das Jusstudium auch von allen jenen gewählt würde, die nicht recht wüßten, was sie studieren sollten. Diese letzteren würden durch die Vorlesungen gelangweilt und blieben ihnen allmählich fern, so daß schließlich ein weit kleinerer Saal für die wirklich Interessierten genüge. Deshalb
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forderte er alle diejenigen, die nur aus Verlegenheit Jus studierten, auf, schon den nächsten Vorlesungen fernzubleiben. Ich fand diesen Rat sehr klug und beachtenswert, und da die Vorlesung mich tödlich langweilte, blieb sie die einzige juristische, die ich jemals besuchte. Ich wohnte hie und da einer kunst- oder literaturgeschichtlichen bei, welche mich auch nicht sonderlich beeindruckten, aber keiner juristischen mehr (51 f.). [Nach einer mehrtägigen Auseinandersetzung] erklärte der Vater, daß er mir einen Vorschlag machte, den er selbst einen Kompromiß nannte. Er wiederholte, er müsse unerschütterlich darauf bestehen, daß ich ein Brotstudium ergreife, und da ich für kein anderes eine Vorliebe habe, sei das juristische das weitaus beste. Dagegen wolle er sich verpflichten, mich nach Erlangung des Doktorats noch zwei Jahre zu erhalten, damit ich in dieser Zeit zu zeigen vermochte „was ich könnte“, worunter er verstand, zu zeigen, ob ich durch meine literarischen Arbeiten mein Brot verdienen könne. Das sei sein letztes Wort, und es läge nun bei mir, den Kompromiß anzunehmen oder abzulehnen. Wenn ich ablehnte, sei er aber entschlossen, seine Hand sogleich von mir abzuziehen und die Sorge für mich mir selbst zu überlassen. Er forderte keine sofortige Entscheidung und ließ mir unbegrenzte Zeit für die Überlegung. Ich überlegte nun, und je länger ich überlegte, desto mehr glaubte ich zu erkennen, daß dieser Kompromißvorschlag für mich recht günstig sei. Nach der herrschenden Universitätsordnung waren Jusstudenten nicht verpflichtet, Vorlesungen zu besuchen; sie hatten nur zu bestimmten Terminen Prüfungen in jenen Fächern abzulegen, über welche in den jeweiligen Semestern Vorlesungen gehalten worden waren. Ich hatte schon in Erfahrung gebracht, daß private Schnellkurse bestanden, in welchen faulen und säumigen Studenten, wie ich es war, der Prüfungsstoff durch rigorose Methoden in einer verhältnismäßig kurzen Zeit eingehämmert wurde, und so rechnete ich mir aus, daß innerhalb der viereinhalb Jahre, welche ein normales Jusstudium dauerte, ich nur während zweier gezwungen sein würde, zu studieren, zweieinhalb aber mir zur freien Verfügung stehen würden, was mit dem mir vom Vater zugebilligten zweien viereinhalb ausmachte, die ich voll und ganz der geliebten Literatur würde hingeben können. Das schien mir ein für mich vorteilhafter Handel zu sein (53).
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Im Spätherbst 1911 trat ich also in eine der Privatschulen ein, in welchen Jusstudenten, die nicht studiert hatten, für die Prüfungen vorbereitet wurden. Die Lehrer waren erfahrene Juristen, die genau wußten, welche Kenntnisse bei den Prüfungen verlangt wurden und ihren Unterricht auf diese beschränkten, deren Beherrschung aber mit unerbittlicher Strenge forderten. Da der Stoff, der in den Vorlesungen dreier Semester gelehrt wurde, nun in einem einzigen erlernt werden sollte, war angestrengteste Arbeit notwendig. Für mich war dies besonders hart: nicht nur, daß ich für diese Materie unbegabt und unwillig war, sie zu erlernen, erschwerte ich mir das Studium noch auf eine zusätzliche Weise: damit die schöpferische Phantasie nicht durch die Berührung mit diesen ihr fremden oder feindlichen Elementen geschädigt würde, hatte ich beschlossen, keinen Gedanken daran zu wenden, um das zu verstehen, was ich da lernte, sondern es nur durch das Gedächtnis, also rein mechanisch, aufzunehmen, was eine unnatürliche Belastung des Gehirns war. Ich studierte Tag für Tag vom frühen Morgen bis zum späten Abend. Ich glaube nicht, daß ich in diesen Monaten ein anderes Buch als ein juristisches in der Hand hielt oder die Laune verspürte, ein Theater zu besuchen. Ich studierte gleichsam mit geballten Fäusten und zusammengepreßten Zähnen, schwere Seufzer unterdrückend oder hie und da auch ausstoßend. Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, daß das Studium für mich eine lange anhaltende qualvolle Folter war. Ich erinnere mich, wie ich als Kind mich weigerte, grünen Spinat zu essen, und dieser mir so lange in den Mund gestopft wurde, bis ich ihn hinunterwürgte: so weigerte sich mein Hirn, die ihm widerstehende Nahrung aufzunehmen; aber sie wurde ihm so hartnäckig und erbarmungslos aufgezwungen, bis das Gedächtnis sie endlich festhielt. Übrigens war der Inhalt dieser Prüfung, welcher zum größten Teil aus der Geschichte des Rechtes bestand, mir nicht durchaus zuwider; einige Fächer, wie Kirchenrecht oder deutsche Rechtsgeschichte, erweckten in mir sogar ein bescheidenes Interesse. Die volle ungemilderte Qual setzte mit dem Studium für die zweite (die wichtigste) Staatsprüfung ein, deren Gegenstand das Bürgerliche Recht war; hier war, vom Strafrecht abgesehen, der Inhalt des zu Erlernenden Geld und Geld und wiederum Geld, Eigentum, Besitz, Obligationen, Handel, Wechsel usw., lauter Dinge, die meiner Seele widerwärtig waren. Es war eine höllische Qual.
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Ich zweifle nicht daran, daß für einen anders beschaffenen Geist die Jurisprudenz die Quelle großer Freuden und einer vollen Befriedigung zu sein vermag. Ich erfuhr das nicht nur bei meinem Vater, sondern auch bei mehreren Freunden, die ich sehr achtete (55 f.).
52. Carl Zuckmayer
Büffelochsen und Sturböcke Carl Zuckmayer (1896–1977), Autor populärer Theaterstücke, war Sohn eines rheinland-pfälzischen Fabrikanten. Er hat in seiner Autobiographie „Als wär’s ein Stück von mir. Horen der Freundschaft“1 kaum etwas speziell über sein im Wintersemester 1918/19 in Frankfurt begonnenes und im Sommersemester 1919 in Heidelberg für nur kurze Zeit fortgesetztes Jurastudium berichtet, wohl aber einiges Interessantes über die Bedingungen und Umstände des Studiums in jener von Entbehrungen und Umbrüchen bestimmten unmittelbaren Nachkriegszeit festgehalten: Statt die unsagbar langweiligen Kollegs über römisches Recht und klassische Volkswirtschaft zu besuchen – mein Vater hatte zunächst auf diesem Studienzweig bestanden, als Grundlage für alle späteren Möglichkeiten – , arbeitete ich in meiner kleinen, schlechtgeheizten Bude in Sachsenhausen an dramatischen Versuchen (268). Ich hatte bisher unter den Frankfurter Studenten nur kümmerliche Gestalten kennengelernt. Ich mißtraute den Mitgliedern des „revolutionären Studentenrates“ und der „Sozialistischen Arbeitsgruppe“, in denen ich bereits die künftigen Bonzen, Parteisekretäre, Karrieremacher mit Pensionsberechtigung zu sehen glaubte. Für mich waren das mittelmäßige, durchschnittliche, amusische Kleinbürger, trockene Diskutiermaschinen ohne Schwung und Phantasie, die am liebsten etwas „zur Geschäftsordnung“ vorbrachten, oder bestenfalls Ideologen ohne zureichend fundierte Ideologie. Ihr Ziel war nicht 1
Frankfurt a.M. 1966; die Zahlen im Text geben Seiten aus diesem Buch an. Eine frühere Fassung ist 1940 nur in englischer Übersetzung unter dem Titel „Second Wind“ in den USA erschienen; zu deren deutschem Original vgl. Gunther Nickel / Erwin Rotermund (Hg.), Carl Zuckmayers Autobiographie. Eine Erkundung, Göttingen 2014.
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Freiheit und Selbstgestaltung, sondern „Tatsachenpolitik“, und sie gebärdeten sich in diesen „Gruppen“ wie Beamte, Parlamentarier oder engstirnige Kommissare, nicht wie junge Menschen, die neue Lebensformen suchten. Dabei waren das schon die Ausnahmen, denn die Majorität der Studierenden bestand in einem dumpfen, verärgerten Haufen, der – in feindseliger Verachtung der neuen Republik und aller sozialen Entwicklung – dem verlorenen Nimbus seiner Kaste und der höher gehängten Futterkrippe nachtrauerte (273 f.). Wir waren, seit 1917, unterernährt. Wir hatten einen irren Hunger, ein chemisches Bedürfnis nach Süßigkeiten – konnte man welche ergattern, schlang man sie hinunter wie ein Zigeunerkind – und nach Alkohol. Die ausländische Büchsenmilch, den dickflüssigen, gezuckerten Klebstoff, die man manchmal aus Liebesgabenpaketen bekam, fraßen wir mit Löffeln, eine Büchse Corned beef war der Inbegriff des Nährwerts. Wir soffen saueren Wein, den billigsten, oder den aus Kartoffelschalen gebrannten „Monopolschnaps“, den die staatlichen Destillerien verkauften, bis uns der Schädel rauschte. Unsere Anzüge waren aus der letzten, graugrün verschossenen Feldmontur geschneidert, unsere recht schäbig gewordenen Mäntel stammten noch aus der Vorkriegspennälerzeit. Berufliche Aussichten schienen so mager wie das Mittagessen in der mensa academica. Das alles konnte unsere Hochstimmung nicht trüben, unseren Humor nicht säuern (285 f.). 2
Natürlich war der Kreis, von dem ich hier berichte , auch im intellektuellen Höhenklima der Heidelberger Ruperto-Carola eine Minderheit. Die große Masse der Studenten, die für unsere damaligen Begriffe die Universität überfüllte, bestand aus den gleichen Büffelochsen und Sturböcken wie überall. Aber gerade wir, die Außenseiter und Revolteure, hatten das Wohlwollen der bedeutenden Professoren und wurden von ihnen auch zu privatem Verkehr herangezogen – selbst ich, der ich’s in keiner Fakultät lange aushielt. Im Gegensatz zu meinen Freunden, die von Anfang an auf ein bestimmtes Ziel hin arbeiteten, hatte ich nicht mehr das Sitzfleisch zum systematischen Studium – auch ein anderes Ziel Ich wollte an Geistes- und Bildungsgut an mich reißen, was möglich war, ohne mich zu einer bestimmten Disziplin entschließen zu können. […] Im 2
Vgl. Henry Goverts, Unsere Heidelberger Jahre, in: Festschrift für Carl Zuckmayer, Mainz 1976, S. 34–42.
Carl Zuckmayer
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zweiten Heidelberger Jahr rief mich die Annahme meines Dramas „Kreuzweg“ nach Berlin, und damit war das Studium für mich zu Ende (303 f.).
Zuckmayer hat für verschiedene Zeitschriften geschrieben und als Dramaturg und Drehbuchautor bis 1934 hauptsächlich in Berlin gearbeitet, danach in Österreich, der Schweiz und nach der Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit 1939 in den USA, wo er zeitweise Drehbuchautor in Hollywood wurde. Nach dem Krieg lebte er abwechselnd in den USA und in Deutschland und ab 1957 in der Schweiz und hatte mit vielen Theaterstücken großen Erfolg3.
3
Vgl. Thomas Ayck, Carl Zuckmayer, Reinbek bei Hamburg 1977; Hans Wagener, Carl Zuckmayer, München 1983.
53. Friedrich Georg Jünger
Begriffe stärken die Fähigkeit, Unterscheidungen wahrzunehmen Friedrich Georg Jünger (1898–1977), Lyriker, Erzähler und Essayist, war Sohn eines Chemikers und der jüngere Bruder von Ernst Jünger. Er studierte einem Wunsche des Vaters folgend ab Januar 1920 Jura und Kameralwissenschaften in Leipzig sowie ein Semester in Halle-Wittenberg 1 . Für Kriegsteilnehmer wie ihn waren auch sogenannte Zwischensemester während der sonst üblichen Semesterferien eingerichtet, so dass die acht Semester in diesem Falle in nur drei Jahren absolviert wurden: Bereits im Dezember 1922 bestand Jünger die Erste juristische Staatsprüfung mit „befriedigend“. In seiner Autobiographie „Grüne Zweige. Ein Erinnerungsbuch“ 2 schilderte und reflektierte er in treffender Weise, wie er den Zugang zum Recht gewonnen hat und welche Rolle ein privates Repetitorium dabei gespielt hat: Es ist ein seltener Fall, daß das Studium der Rechtswissenschaft aus Neigung begonnen wird, und fast immer führen praktische Erwägungen zu ihm. In der Juristenfakultät schlüpfen die meisten jener Studenten unter, die gezwungen sind, einen Beruf zu ergreifen, dabei aber keinen Hang zu einem bestimmten Beruf in sich spüren. Woher sollte auch die Neigung zu einer Disziplin kommen, mit der man sich nie befaßt hat, die ebenso unzugänglich wie schwierig ist, die ein neues Denken, Fähigkeit zur Abstraktion und einen kasuistischen 1
2
Detailliert zum Studium Ulrich Fröschle, Friedrich Georg Jünger und der ‘radikale Geist’. Eine Fallstudie zum literarischen Radikalismus der Zwischenkriegszeit, Dresden 2008, S. 176–192. München 1951; Neuausgabe „Werke. Autobiographische Schriften“, Stuttgart 1978; die Zahlen im Text geben Seiten aus dieser Ausgabe an.
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Geschmack voraussetzt. Jene römische Teilnahme für Rechtstatsachen, wie sie schon den Knaben eingeboren ist, die das Zwölftafelrecht auswendig hersagen und auf den Gassen in ihren Spielen imaginäre Prozesse entscheiden, gibt es bei uns nicht, denn bei uns ist alles Recht in den Händen der Gelehrten. Die Unterweisung beginnt systematisch, sie vermittelt ein Wissen, das durch die Jahre des Studiums hindurch nur den Kopf beschäftigt, ohne daß sich erkennen läßt, wie es praktisch anwendbar ist. Deshalb ist die Darstellung des Zivil- und Strafprozesses für den Studenten schwer faßbar, denn hier, wo es sich um Formalien handelt, um den Gang eines Verfahrens, das er nicht gesehen hat und mit dem ihn nur die tägliche Übung vertraut machen kann, verläßt ihn alle Anschauung. Ich sehe wohl, daß im Gang meines Studiums vieles Willkürliche war, wenig Plan und Zusammenhang Ich gewann eine Vorliebe zunächst für die älteren deutschen Rechtsbücher, vor allem für den Sachsenspiegel, in dem ich oft las, da er mich ganz heimatlich anmutete. Ich trieb auch mit einiger Neigung das Studium des römischen Rechts, gewiß des klarsten und bestimmtesten von allen, denn es gibt kein anderes Rechtssystem, das so fest und sicher sich ausspricht. Bei ihm ging mir eine Ahnung davon auf, was Recht ist. Die fünf Vorlesungen, die dem Bürgerlichen Gesetzbuch gewidmet waren, einem tüchtigen, schwerfälligen, von juristischen Kommissionen erarbeiteten Werk, ließen mich oft seufzen. Schon die Sprache, der Stil dieses Gesetzbuchs, das jedem ein Buch mit sieben Siegeln bleibt, der nicht Jahre auf seine Entzifferung verwendet, ist schwierig und leblos. Es ist eine Kodifikation, die in jedem Satz die Mühsal verrät, die sie ihren Verfassern bereitet hat, voll barocker Schnörkel, vollgestopft mit Klauseln und dürren Verweisungen, welche die Benutzung auf künstliche Weise erschweren. Kein Laie wird auch nur in die Vorhöfe dieses Gebäudes eindringen. In diesem Labyrinth aber, das aus 2385 Paragraphen zusammengesetzt ist, muß der junge Jurist seine täglichen Künste zeigen, ohne von einer schönen Jungfrau mit einem Faden ausgerüstet zu sein. Die Schwierigkeiten wurden mir bald deutlich, um so deutlicher als der Gedanke, hier einen ersten Preis zu gewinnen, mich nicht verlockte. Doch mißfiel mir, eine Sache, die ich einmal begonnen hatte, liegenzulassen und aufzugeben. Ich entschloß mich vielmehr, sie ernsthaft zu betreiben, und der Entschluß fiel mir nicht schwer, denn bald spürte ich einigen Gewinn von meiner Arbeit, gewann daher
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auch Geschmack daran. Diese Teilnahme war zunächst eine formale. Die Rechtswissenschaft ist zwar nicht, wie Mathematik oder Logik eine rein deduktive Wissenschaft, da sie sich nicht auf Axiome stützt, ihre Verfahren sind aber überwiegend deduktiv, sie stützt sich auf Syllogismen. Die ihr eigentümliche Exaktheit ist eine andere als die der exakten Naturwissenschaften, bei denen durch Induktion die Kenntnis allgemeiner Gesetze gewonnen wird. Ich fand bald heraus, daß für die induktive Methode wenig Neigung in mir war, daß ich keinen Hang zum Experimentieren hatte. Den deduktiven Verfahren der Rechtswissenschaft gewann ich mehr ab. Ich hatte den Eindruck, es mit einer Wissenschaft zu tun zu haben, die noch intakt war, der es an geistiger Kraft und Freiheit nicht mangelte. Insbesondere im Anfang ergötzten mich gewisse Distinktionen durch ihren Scharfsinn und ihre Genauigkeit, so schien mir das römische Schuldrecht in dieser Hinsicht wie aus einem Gusse und ein Muster alles scharfsinnigen Bemühens. Wer aber an solchen Betrachtungen ein Vergnügen hat, wer von der Kürze eines Beweises, von der Treffsicherheit eines Arguments, von einer gelungenen Distinktion belustigt wird, an dem ist Hopfen und Malz nicht ganz verloren. Zunächst mußte ich nun Ordnung und Übersicht in meine Kenntnisse bringen, die ich mir ziemlich hastig erworben hatte; ich mußte einen klaren Begriff von dem Umfang der Arbeit gewinnen, die mich beschäftigte. Die Vorlesungen reichten dazu nicht aus, würden sie doch am Ende des Semesters zumeist abgebrochen, ohne ihren Stoff erschöpft zu haben. Ich sah mich daher nach einem Repetitor um und ging in das Repetitorium des Doktor Auerswald, der seinen Schülern als lebendes Kompendium der Jurisprudenz galt. In der Tat lag diese in allen ihren Disziplinen, einschließlich des römischen Rechts, wohlgeordnet in seinem Kopfe. Dieses genaue, keine Unklarheit duldende Wissen stand ihm stets zur Verfügung, und er trug es frei vor, ohne sich irgendwelcher Hilfsmittel zu bedienen. Er diktierte aus dem Gedächtnis und examinierte unermüdlich den gesamten Stoff. Fragen und Antworten lösten sich dabei ab. Seine Fragen kamen schnell und genau und verlangten eine ebenso schnelle und genaue Antwort. Deshalb gehörten nicht nur Kenntnisse, sondern auch Geistesgegenwart dazu, um sie zu beantworten (224–226). Nun muß man, um ein Bild von diesen Kolloquien zu bekommen, sich auch den Ort vorstellen, an dem sie stattfanden, das schmale, lange, dunkle Zimmer, in dem um den rechteckigen Tisch etwa
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zwanzig Studenten saßen. Oft war auch noch ein Nebenraum gefüllt. Es brannte immer Licht, und Schwaden von beizendem Tabakqualm hüllten den Raum in dichten bläulichen Nebel ein. Die Holzplatte des Tisches war mit Büchern, Heften, Schreibzeugen und großen Aschenbechern bedeckt. Das trockene Geschäft des Lernens wurde durch Scherze, Anekdoten und die Erzählung kurioser Rechtsfälle gemildert. In den Pausen zwischen den einzelnen Repetitorien labten wir uns in einer kleinen Konditorei, die in der Nachbarschaft lag und jenes Gebäck herstellte, das Apfel im Schlafrock heißt (228).
Schon einen Monat nach der Ersten juristischen Staatsprüfung bestand Jünger auch die mündliche Doktorprüfung, wodurch er sich mit der „Würde des Baccalaureus juris“ schmücken konnte3. Die schriftliche Doktorarbeit „Über das Stockwerkeigentum“ 4 verfasste er während der Referendarzeit einschließlich einer geforderten Überarbeitung innerhalb des nächsten Jahres. Die Promotionsurkunde erhielt er im Mai 1924, obwohl die Dissertation ungedruckt blieb. Nach dem Vorbereitungsdienst legte Jünger von Februar bis Mai 1926 die Zweite juristische Staatsprüfung vor dem Oberlandesgericht Dresden ab. Als Kriegsteilnehmer musste er statt der üblichen sechs nur drei Probeschriften anfertigen: zwei Urteilsentwürfe anhand von Akten innerhalb von vierzehn bzw. acht Tagen sowie einen Aufsatz ebenfalls innerhalb von acht Tagen5. Die Gesamtnote nach der mündlichen Prüfung lautete wiederum „befriedigend“. Dennoch blieb diese juristische Ausbildung ungenutzt. Zur Wissenschaft fühlte Jünger sich nicht hingezogen, und eine gewisse Enge des juristischen Denkens behagte ihm nicht mehr: ,,Es 3 4
5
Vgl. Fröschle (Fn. 1), S. 185. Analysiert von Lovis Maxim Wambach, Grenzgänger zwischen Jurisprudenz und Literatur. Werner Krauss, Kurt Tucholsky, Friedrich Georg Jünger und Martin Beradt, Baden-Baden 2000, S. 69 ff. Vgl. Fröschle (Fn. 1), S. 188.
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widersprach meiner Anlage, die auf Anschauung gerichtet war und ihr alles verdankte“ (266). Was also ist ihm von seiner juristischen Ausbildung geblieben? „Alle diese Definitionen und Einteilungen erweitern das Gedächtnis, die Begriffe trennen, sie stärken die Fähigkeit, Unterscheidungen wahrzunehmen“ (259). Außerdem hat man in seinem literarischen Werk „vielfältige Motive des Rechts“ entdeckt 6 . In der Weimarer Republik trat Jünger als national-konservativer bis national-revolutionärer Publizist hervor7.
6 7
Wambach (Fn. 4), S. 72–83. Vgl. Fröschle (Fn. 1), S. 226 ff.; Andreas Geyer, Friedrich Georg Jünger, Werk und Leben, Wien 2007, S. 38 ff.
54. Hans Erich Nossack
Die Studentenverbindungen waren 1920 schon völlig überlebt Hans Erich Nossack (1901–1977), Autor vor allem von Romanen, entstammte einer wohlhabenden Hamburger Kaufmannsfamilie. Obwohl ihn die Literaturkritik als einen der bedeutendsten Nachkriegsautoren eingeschätzt hat1, gelang es ihm nicht, Breitenwirkung zu erzielen; er ist trotz seiner über dreißig Bücher, die in achtzehn Sprachen übersetzt worden sind 2 , relativ unbekannt geblieben. Er kann charakterisiert werden als „eigenwilliger monologischer Erzähler kurzer, intellektualer Romane mit mehrfachen Spiegelungen und zum Teil surrealistischen und kafkaesken Elementen in kühler, beherrschter, glasklarer Prosa, besonders um das Motiv des Ausbruchs aus der bürgerlichen Welt und Gesellschaft ins Unversicherbare, um die Gespaltenheit und Beziehungslosigkeit des modernen Menschen“3. Diese Thematik hat deutliche Bezüge zum Leben Nossacks, wie seinem Buch „Pseudoautobiographische Glossen“4 zu entnehmen ist. Er studierte von 1919 bis 1922 zunächst ein Semester Kunstgeschichte und Literaturwissenschaft in Hamburg, dann Jura und
1 2 3 4
Vgl. Wolfgang Michael Buhr, Hans Erich Nossack: Die Grenzsituation als Schlüssel zum Verständnis seines Werks, Frankfurt a.M. 1994, S. 29. Vgl. Joseph Kraus, Hans E. Nossack, München 1981, S. 7. Gero von Wilpert, Deutsches Dichterlexikon, 3. Aufl., Stuttgart 1988, S. 594. Frankfurt a.M. 1971; die Zahlen im Text geben Seiten aus diesem Buch an.
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Kameralwissenschaften in Jena5. Dann brach er mit der Familie und nahm von ihr kein Geld mehr an: Ich wurde Werkstudent, wie man es damals nannte: ich wurde Hilfsarbeiter in der Glasfabrik von Schott und Söhne. Ich verdiente ganz gut, ich hatte mehr Geld als vorher, doch auf die Dauer ging es nicht. Ich mußte das Studium aufgeben. […] Auch als Fabrikarbeiter wurde ich bald wieder entlassen. Danach führte ich ganz einfach ein Hungerleben (138, 148).
Begeistert von der Russischen Revolution wurde Nossack aktives Mitglied der KPD: „Kommunismus war für uns eine selbstverständliche menschliche Hilfsbereitschaft gegen die Unterdrückung durch erstarrte Fronten, die uns die Bewegungsfreiheit nahmen. […] Und ebenso selbstverständlich war es nach 1945, daß wir uns früher oder später von einer Partei lossagten, die sich zu absolutieren begann“ (146 f.). Über sein Studium berichtete er Folgendes: Die, die mit mir studierten, waren fast durchweg Kriegsteilnehmer, voller Ressentiment wegen der im Schützengraben verlorenen Jahre. Ihre persönliche Leistung und das Opfer ihrer besten Jahre ließ sie glauben, daß der Krieg eigentlich hätte gewonnen werden müssen, wenn nicht – ja, wenn nicht irgend welche Verbrecher vor der Zeit Schluß gemacht hätten. Es galt nur den Schuldigen zu finden; das genügte, um sich für die verlorenen Jahre zu entschädigen und so schnell wie möglich das Leben wieder einzuführen, wie man es noch aus der Zeit vor dem Kriege und vom Elternhaus her kannte. Für mich, der bei Kriegsende gerade erst siebzehn war und sein Abitur machte, gab es dergleichen Ressentiments nicht. Ich bedauerte höchstens, daß ich nicht mehr eingezogen wurde. Nicht etwa, weil ich heldisch oder patriotisch dachte, sondern weil mir das unbürgerliche Abenteuer des Soldatseins entging. Und doch trennten sich an diesem Punkt, also etwa zwischen 1918 und 1920, die Wege meines Jahrgangs deutlich. Die durch den Zusammenbruch verursachte Unruhe beherrschte uns alle im gleichen Maße, doch wie wir auf sie reagierten und mit ihr fertig zu werden versuchten, war völlig 5
Vgl. Gabriele Söhling, Hans Erich Nossack, Hamburg 2003, S. 48 ff.
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verschieden und machte uns zu Gegnern. Die einen – von den Studierenden bürgerlicher Herkunft die überwiegende Mehrheit – bekannten sich zu dem, was vor dem Zusammenbruch war – die meisten aus Bequemlichkeit und Denkfaulheit, doch die besten von ihnen wurden reaktionäre Revolutionäre. Man nannte sie damals Rechtsbolschewisten. Die anderen, ohne daß sie als Zwanzigjährige über besondere politische Einsichten verfügten, bejahten die Unruhe als das ihnen gemäße Lebenselement. Sie gerieten auf diese Weise, ob sie wollten oder nicht, unweigerlich nach links. Das, worin sich beide Gruppen glichen, war ihr Radikalismus (134 f.). Ich hatte im Freikorps nichts zu suchen, aber das mußte ich erst selbst herausfinden. Tagsüber sang ich vorschriftsmäßig alte reaktionäre Marschlieder mit und abends las ich expressionistische und linksradikale Manifeste. Ich hatte dort ebensowenig etwas zu suchen wie ein Jahr später im studentischen Corps, dem ich auf Wunsch meines Vaters beitrat. Mein Vater meinte, es wäre für meine berufliche Zukunft – ich sollte Jurist werden – günstig, mir rechtzeitig Beziehungen zu schaffen. Das Argument hört man auch heute noch. Die Studentenverbindungen waren damals, d.h. um 1920, schon völlig überlebt, da die Standesordnung, für die sie geschaffen waren, nicht mehr existierte. Die Verbindungen verdankten ihr unzeitgemäßes Scheinleben nur den restaurativen Wünschen der Alt-Herrenschaft. Heute wirkt das noch weit makabrer. Wenn ich junge Leute, die ich für moderner halte als mich, in ihren Verbindungshäusern Kommersbuchlieder singen und Salamander reiben höre, erschrecke ich jedesmal über die Verlogenheit, der sie sich unbewußt überlassen. Ich habe das Recht, so zu reden, da ich diese Dinge aktiv mitgemacht habe und bereits 1921 die Folgerungen für mich daraus zog. Immerhin habe ich dem Corps ein paar lächerliche Schmisse zu verdanken, die sich viel später, zur Zeit der Illegalität, als höchst wirksame Tarnung erwiesen. Bei den Haussuchungen um 1933 stutzte die Gestapo jedesmal merklich, wenn sie mich zu Gesicht bekam. Ein Mann mit Mensurnarben konnte doch unmöglich ein Kommunist sein. Die Leute wurden um etliche Grade höflicher; sie suchten in ihrer Verwirrung oberflächlicher nach belastendem Material. Das war ein ganz großes Glück (136). Aus dem Corps trat ich aus, als es für mich soweit war. Es läßt sich nur so ausdrücken; ich entschloß mich nämlich von heute auf morgen dazu und sehr zu meiner eigenen Überraschung. Es war eben
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Hans Erich Nossack
soweit. Meine Austrittserklärung muß ein sehr idealistisches Dokument gewesen sein. Ich nannte das Corps mit seiner Kneipenerziehung eine Entdeutschungsanstalt. Das war natürlich eine schwere Beleidigung. Meine gestrigen Kameraden waren konsterniert und überlegten, ob sie mir eine Säbelforderung schicken oder mich zum 1. Chargierten machen sollten, um das Corps zu reformieren. Welch ein komisches Dilemma auch für mich: ich hockte auf meiner Bude, selber konsterniert über meinen Schritt, und war mir keineswegs klar darüber, ob ich die Säbelforderung den anerzogenen Ehrbegriffen gemäß nicht doch annehmen müßte. Zum Glück begnügte man sich dann mit dem Verbot, mich zu grüßen. In einer kleinen Stadt wie Jena kam das einem Rufmord gleich (137).
Nossack hat ab 1923 als Bankangestellter und Buchhalter und nach 1933 als Prokurist in der väterlichen Importfirma gearbeitet. Er durfte nichts veröffentlichen und schrieb daher heimlich. Seine versteckten Manuskripte und Tagebücher wurden bei einem Luftangriff auf Hamburg 1943 teilweise6 vernichtet. Sein erzählerisches Werk erschien in Deutschland ab Mitte der 1950er Jahre7.
6
7
Vgl. Marcus Czerwionka, Anmerkungen zur Konstruktion von Hans Erich Nossacks Selbstbild, in: Günter Dammann (Hg.), Hans Erich Nossack. Leben – Werk – Kontext, Würzburg 2000, S. 273–285. Zu einer rechtlichen Thematik in seinem Werk vgl. Heinz Müller-Dietz, „Unmögliche Beweisaufnahme“ – Literarische Reminiszenzen zum Strafprozess, in: Ders., Recht und Kriminalität in literarischen Brechungen, Berlin / Boston 2016, S. 77–97.
55. Ernst Ottwalt
Rechtswissenschaft ist Memorierstoff, nichts weiter Ernst Ottwalt (1901–1943), Romanschriftsteller und Journalist, stammte aus einem bürgerlichen Elternhaus und schloss sich gleich nach der Schule und dem Ende des Ersten Weltkriegs den reaktionären Freicorps an, kämpfte im Baltikum und nahm 1920 am Kapp-Putsch teil. 1921/22 studierte er ein Jahr lang Jura in Jena. Anschließend übte er kaufmännische Tätigkeiten aus und schrieb Gerichtsreportagen. Durch marxistische Lektüren und unter dem Einfluss von Bertolt Brecht, mit dem er eine Zeit lang zusammenarbeitete, wurde er Kommunist1. In seinem zweiten Roman „Denn sie wissen, was sie tun. Ein deutscher Justiz-Roman“ 2 rechnete er satirisch mit dem in der Justiz vorherrschenden reaktionären Geist ab. Dieser wird verkörpert in dem Protagonisten des Romans, dem Richter Dickmann, dessen „Laufbahn eines deutschen Durchschnittsjuristen“ 3 geschildert wird. Im Vorspann legt Ottwalt das „wesentliche Kriterium seiner Methode“4 offen: 1 2 3
4
Vgl. Andreas W. Mytze, Ottwalt. Leben und Werk des vergessenen revolutionären deutschen Schriftstellers, Berlin 1977, S. 16 f. Berlin 1931; Reprint-Ausgabe Berlin 1978; die Zahlen im Text geben Seiten aus dieser Ausgabe wieder. Kurt Tucholsky, Gesammelte Werke in zehn Bänden, hg. von Mary Gerold-Tucholsky / Fritz J. Raddatz, Reinbek bei Hamburg 1975, Bd. 10, S. 27. Simone Barck, Denn sie wußten, was sie taten! Zu Ernst Ottwalts deutschem Justiz-Roman „Denn sie wissen, was sie tun“, in: Weimarer Beiträge 1983,
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Dieses Buch ist kein Schlüsselroman. Die Figur des Richters Friedrich Wilhelm Dickmann ist jedoch nur insoweit Phantasieprodukt, als zu ihr kein bestimmter deutscher Richter Modell gestanden hat. Dagegen sind sämtliche Rechtsfälle, Gerichtsverhandlungen, Urteile und Ereignisse, die hier beleuchtet werden, als Tatsachen aus den Jahren 1920–1931 belegbar. Auf Tatsachen beruhen auch sämtliche Schilderungen des inneren Betriebs der deutschen Rechtspflege (7).
Etwa ein Viertel des Romans ist Dickmanns Jura-Studium gewidmet. Die folgenden Passagen zeigen die mangelnde Ernsthaftigkeit, mit der das Studium betrieben wurde, die Verachtung, die sowohl von Seiten der Professoren als auch der Studenten der Weimarer Reichsverfassung (mit antisemitischen Tönen) entgegengebracht wurde, und die Engführung des rechtswissenschaftlichen Studiums durch den Repetitor. Dickmann kommt in diesem Semester nicht viel in die Universität. Die Hauptsache ist, daß man sich rechtzeitig bei Semesterbeginn in der Quästur der Universität einfindet, seine Kollegiengelder bezahlt und dafür sorgt, daß die Professoren den Besuch der belegten Vorlesungen durch ihr Testat bestätigen. Man braucht dazu nicht selbst ins Kolleg zu gehen. Man schickt zweckmäßig einen jungen Fuchs hin, und der freut sich über die Ehre, dem gefürchteten „Ersten“ einen Gefallen tun zu dürfen (50). Dickmann liebt die Rechtswissenschaft. Aber er sagt nicht mehr „Recht und Gerechtigkeit“. Er sagt „Gesetz“. Das Gesetz ist die Gerechtigkeit, und es gibt keine Gerechtigkeit außer im Gesetz. Das Gesetz ist gut. Allerdings, – es gibt auch Gesetze, die nicht gut sind: z.B. die Verfassung der deutschen Republik. Aber da empfindet es Dickmann als große Beruhigung, daß dieses Gesetz, das einzige, welches eine objektive Ungerechtigkeit statuiert, von keinem ernstzunehmenden Menschen anerkannt wird. Er hört Staatsrecht bei einem berühmten Professor, der manche Kommentare und Monographien geschrieben hat. Ein ehrwürdiger
S. 849–858 (853); zum dokumentarischen Charakter vgl. auch Robert Cohen, Die gefährliche Ästhetik Ernst Ottwalts, in: The German Quarterly 1988, S. 229–248 (235 ff.).
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alter Gelehrter. Man kennt seinen Namen. Geheimer Rat, Doktor dreier Fakultäten. Wie beruhigt Dickmann ist! Er trampelt begeistert Beifall, wie er den Professor über die neue deutsche Reichsverfassung vortragen hört: Meine Herren, es gibt einen gewissen Hugo Preuß. Der ist hier Professor an der Handelshochschule. Bedenken Sie: an der Handelshochschule! Der hat die Reichsverfassung geschrieben. Die Reichsverfassung ist teilweise ernst, teilweise Bierzeitung. Wenn ich mir eine lustige Stunde verschaffen will, lese ich hie und da in der Verfassung. Der Professor wartet, bis der Beifallssturm sich etwas legt. Dann sagt er mit todernstem Gesicht: „Wir kommen jetzt zu der sogenannten Präambel der Verfassung. Passen Sie hübsch auf, meine Herren, damit Sie wissen, wie man’s nicht machen soll“. Und kreischend, die Hände zu jüdischem Mauscheln gespreizt, deklamiert der Geheimrat ironisch: „Das deitsche Volk, einig in seinen Stämmen […]“ (65 f.). Er arbeitet. Jeden Tag sitzt er mehrere Stunden in einem großen Zimmer zusammen mit zwanzig anderen Studenten, die sich auf das Referendarexamen vorbereiten wollen. An einem Stehpult steht Dr. Karge und doziert. Dr. Karge ist Repetitor und bei ganzen Generationen von Juristen bekannt dafür, daß er den gesamten Wissensstoff in einem Minimum von Zeit und unter Ausschaltung aller Gesichtspunkte vortragen kann, die nicht unmittelbar zur Sache gehören. Hier gibt es keine Sophistereien mehr, keine Skrupel, kein selbständiges Nachdenken. Hier regiert der Paragraph. Hier ist die Rechtswissenschaft Memorierstoff, nichts weiter. Alles, was Dickmann bisher auf der Universität gelernt hat, erscheint ihm jetzt sinn- und zwecklos. Dr. Karge trägt viel besser vor als die meisten Universitätsprofessoren. Er weiß, was er will und was seine Hörer brauchen. Die Studenten bezahlen ihm in jedem Monat ein schönes Stück Geld und verlangen dafür die größtmögliche Garantie, ihr Examen zu bestehen. Das Geld ist nicht umsonst ausgegeben. Dr. Karge ist einfach unbezahlbar. Wenn ein Kandidat erfährt, vor welche Prüfungskommission er kommen wird, dann kennt Dr. Karge jeden einzelnen der Examinatoren ganz genau. Er weiß, daß Geheimrat Bruchmüller eine Vorliebe für die Paragraphen des Zwangsvollstreckungswesens hat,
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und daß Senatspräsident Laubach gewisse Einzelheiten des Steuerrechts bei seinen Fragen bevorzugt. Für jeden Hörer Dr. Karges besteht das ungeschriebene Gesetz, nach bestandenem Examen seinem Repetitor mitzuteilen, was für Fragen man ihm gestellt hat und ob dieser oder jener Examinator freundlich gewesen ist. Die Antworten werden sorgfältig auf Kartothekkarten eingetragen. Und jeder Kandidat ist in der Lage, sich jederzeit über die wissenschaftlichen Steckenpferde seiner Examinatoren zu informieren […]. So reduziert sich die ganze Rechtswissenschaft unter Dr. Karges eindringlichem und übersichtlichem Vortrag auf eine Reihe von Fundamentalsätzen, die man auswendig lernen muß. Arbeiten, arbeiten! Sich nicht von irgendwelchen Theorien oder Philosophien verwirren lassen (93 f.)!
1932 veröffentlichte Ottwalt mit dem Buch „Deutschland erwache! Geschichte des Nationalsozialismus“ eine kritische Analyse der NSDAP und musste nach der Machtergreifung durch Hitler fliehen. Seine Bücher fielen der nationalsozialistischen Bücherverbrennung zum Opfer5. Er selbst fiel im Exil in der Sowjetunion einer stalinistischen Säuberung zum Opfer.
5
Vgl. Jürgen Serke, Die verbrannten Dichter, Weinheim 1977, S. 239–244; Volker Weidermann, Das Buch der verbrannten Bücher, Köln 2008, S. 148–151.
56. Albert Drach
Das schriftliche Examen aus Unkenntnis der Meinung des Prüfers in diesem widersprechenden Sinne gelöst Albert Drach (1902–1995), Romancier und Träger des GeorgBüchner-Preises von 1988, war Sohn eines österreichischen jüdischen Gymnasialprofessors und späteren Bankvorstandes. Er hat von Ende 1921 bis Anfang 1926 in Wien Jura studiert und ist 1926 zum Dr. jur. promoviert worden. Drachs vornehmliches Interesse galt schon früh der Literatur; mit sechszehn Jahren veröffentlichte er seinen ersten Gedichtband „Kinder der Träumer“. Das Jurastudium nahm er auf Rat des Freundes der Familie Anton Wildgans, Schriftsteller und Burgtheaterdirektor, auf, der sich wie folgt geäußert hat: Der junge Dichter Drach sei zweifellos begabt, aber seinen literarischen Arbeiten fehle noch der Stoff des erlebten Lebens – er möge also im Brotberuf Richter werden, da bekäme er die menschlichen 1 Erfahrungen ins Amt geliefert und habe genug Zeit zum Schreiben .
Richter ist Drach dann nicht geworden, aber er hat vor und nach seiner Emigration und Flucht vor der Verfolgung als Jude in den Jahren 1938 bis 1947 als Rechtsanwalt praktiziert. Ausbildung und Beruf haben im Werk einen deutlichen Niederschlag gefunden: thematisch in den als Protokoll bezeichneten Romanen, die häufig Kriminalfälle behandeln2; formal in der als „umständliches Amts1 2
Vgl. Eva Schobel, Albert Drach. Ein wütender Weiser, Salzburg u.a. 2002, S. 82 f. Vgl. Heinz Müller-Dietz, Vom Kriminalprotokoll zum literarischen Protokoll, in: NJW 1998, S. 1344–1351.
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Albert Drach
deutsch“ und „trockener Kanzleistil“3 gekennzeichneten Schreibweise, deren Künstlichkeit sowohl zynische Anklage wie parodistischen Humor hervorbringt und so „die Sprache der Justiz literarisch fruchtbar macht“ 4 . In seinem autobiographischen 5 Roman ,,’Z. Z.’ das ist die Zwischenzeit. Ein Protokoll“6 behandelte Drach, der von sich nur in der dritten Person als dem „Sohn“ schrieb, die Zeit zwischen Dollfuß’ Ermordung 1935 und dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich 1938. Zum Beruf des „Sohns“ heißt es dort: In seinem Beruf, den er nicht auf eigenen Wunsch, sondern auf Veranlassung seines Vaters angenommen hatte, suchte er zwar vor allem einen Gelderwerb. Trotzdem schämte er sich am Anfang, etwas für diese Dienste zu empfangen oder zu begehren, denn er war nie sicher, ob das, was er getan hatte, Geld wert war. Nur äußerst selten und in späterer Zeit kam er zu der Ansicht, daß seine Leistung außerhalb des Tarifes eine positive Einstufung verdiente. Aber gerade in jenen Fällen, in denen seine Überzeugung, etwas Rechtes und Wertbeständiges getan zu haben, beinahe vorlag, fehlte diese Auffassung gewöhnlich bei seinen Klienten, was ihn noch unzufriedener machte als die sonst ohnehin vorhandene Anschauung, seine Arbeit tauge kaum, weder im allgemeinen und schon gar nicht im besonderen Falle (141).
Das Studium wird nur insoweit erwähnt, als der ,,Sohn“ sich 1933 auf die Insel Capri begeben hatte, ,,damit er sich an diesem abgelegenen Ort für die Anwaltsprüfung entsprechend vorbereite. Es kam allerdings auf der Insel zu nicht viel Studium, dagegen zu 3 4
5
6
Gero von Wilpert, Deutsches Dichterlexikon, 3. Aufl., Stuttgart 1988, S. 159. Georg M. Oswald, Albert Drach – eine Erinnerung, in: NJW 2002, S. 551–557 (552); vgl. auch Matthias Settele, Der Protokollstil des Albert Drach. Recht, Gerechtigkeit, Sprache, Literatur, Frankfurt a.M. 1992, S. 155 ff. Vgl. Bernhard Fetz, Das Opfer im Zerrspiegel. Zu Albert Drachs autobiographischen Texten, in: Gerhard Fuchs / Günther A. Höfler (Hg.), Albert Drach, Graz – Wien 1995, S. 51–77 (53). Hamburg, Düsseldorf 1968; Neuauflage München, Wien 1990; die Zahlen im Text geben Seiten aus dieser Neuauflage an.
Albert Drach
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manchem Abenteuer“ (294). Ein wenig ausführlicher kommt das Examen zur Sprache: Damals wurde dem Sohn [von einem „angejahrten Wahrsager“] der Bestand der Rechtsanwaltsprüfung an einem bestimmten Tage vorausgesagt sowie die gleichzeitige Befassung mit einer der Jurisprudenz nicht verwandten Kunst, die später die Oberhand gewinnen würde. […] Erst als der Sohn in der Garderobe vor dem Prüfungssaal dem diensthabenden Mantelverwahrer sein Überkleid unter Hingabe der damals letzten fünf Schillinge anvertraut hatte, erfuhr er von dem Überzahlten, daß gerade an jenem Tag, an dem er nach des Wahrsagers Vormeinung die Prüfung erfolgreich bestehen sollte, die Herren im Konferenzzimmer sich im gleichen Sinne geäußert hätten. Obwohl der Sohn schlecht vorbereitet war und auch das schriftliche Examen nicht aus Opposition, sondern aus Unkenntnis der Meinung seines Prüfers in diesem widersprechendem Sinne gelöst hatte, war er gern geneigt, der Versicherung des Unbefugten zu glauben, ungeachtet dessen, daß man Steuerrecht prüfen würde, welches sein Mitkandidat unter Verweigerung der Weitergabe der Skripten an ihn noch eifrigst vor dem Einlaß präparierte. Der Sohn verstand es damals, den Examinator auf das Gebührenrecht abzulenken, von dem der andere versicherte, nichts zu wissen, womit er recht hatte, und verhalf so der an ihn ergangenen Weissagung zu einer teilweisen Erfüllung. Der Erfolg mit der zweiten, der Rechtsklugheit nicht verwandten Kunst, stand allerdings noch aus (214 f.).
Drach sah seine Bestimmung lebenslang im Schreiben und übte den Beruf nur aus, weil er vom Schreiben sich und seine Familie nicht unterhalten konnte. So erklärte er in dem unveröffentlichten Typoskript von 1986 „Blinde Kuh/I. Versuch einer Zusammenfassung“: Die mir auferlegte Befassung mit dem Rechtswesen änderte zunächst an meiner Lebensführung wenig und noch weniger an meinem Schrifttum. Dieses setzte sich mit Rechtsproblemen auseinander und mein Stil entwickelte sich unabhängig von diesen bürgerlichen 7 Auflagen .
7
In: Schobel (Fn. 1), S. 87.
57. Alexander Kluge
Aus der Juristerei wieder herauskommen Alexander Kluge (geb. 1932), Schriftsteller, Filmemacher und „multimedialer Intellektueller“1, studierte von 1949 bis 1953 in Marburg und Frankfurt Rechtswissenschaft, Geschichte und Kirchenmusik. Während seiner Referendarzeit wurde er 1956 in Marburg promoviert; die Dissertation wurde 1958 unter dem Titel „Die Universitäts-Selbstverwaltung. Ihre Geschichte und gegenwärtige Rechtsform“ veröffentlicht. Außerdem arbeitete er an der Universität Frankfurt, wo er von Theodor W. Adorno und Jürgen Habermas beeinflusst wurde. Nach dem Assessorexamen 1958 war er Rechtsanwalt in Berlin und später in München. 1961 erschien noch eine weitere juristische Publikation, die Kluge gemeinsam mit Hellmut Becker, dem langjährigen Direktor des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung in Berlin, verfasst hatte: ,,Kulturpolitik und Ausgabenkontrolle“. Obwohl dies die ersten Schritte in einer beachtlichen Juristenkarriere zu sein schienen, versuchte Kluge zu dieser Zeit schon, „aus der Juristerei wieder herauszukommen“, wie er in einem Interview 1966 sagte 2 . Sein Interesse war auf eine kreativere Tätigkeit gerichtet. Um die Jahreswende 1958/59 war er Volontär bei einer Filmproduktion von Fritz Lang in Berlin. Ein erster, 1960 gedrehter Kurzfilm war bei den Westdeutschen Kurzfilmtagen 1962 in Oberhausen sehr erfolgreich. In der Folge wurde Kluge zu einem von Deutschlands produktivsten, originellsten und geach1 2
Lothar Müller, Im Umspannwerk der Neugierde, in: SZ vom 14.2.2002. Vgl. Rainer Lewandowski, Alexander Kluge, München 1980, S. 9.
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tetsten, wenn auch kommerziell nicht sehr erfolgreichen Filmemachern. Zugleich hat er vor allem als Erzähler brilliert. In Kluges erster Buchveröffentlichung, „Lebensläufe“ 3 , die ihn sogleich als Autor von Rang etablierte, sind aber noch manche Erfahrungen aus seiner juristischen Tätigkeit eingegangen. Sie waren bei den „Übungsfällen für den Justiznachwuchs“ komisch, beim Lebenslauf des Amtsrichters Korti („Ein Volksdiener“) bedrückend: 52. A. sieht einen Schatz in einem Bach. B. pfeift seinem Hund, den Schatz zu holen. C. nimmt dem apportierenden Hund den Schatz aus dem Maul. Wem gehört der Schatz? 85. Wenn Fallstaff wegen Trunksucht entmündigt gewesen wäre, was wäre er der Wirtin schuldig geworden, bei der er ohne Zustimmung seines Vormundes für über 8 Schillinge Sekt und für 1/2 Penny Brot konsumiert hätte? 197. Jemand gab Mittwoch, dem 13. Juni 1930, vormittags 10 Uhr das Versprechen, eine Schuld binnen 8 Tagen (14 Tagen, 4 Wochen, 1 Monats, 1 Jahres) zu zahlen. Wann war die-Frist abgelaufen? 228. Ein Blödsinniger versucht ein Mädchen zu küssen. Da sie sich seiner anders nicht erwehren kann, stößt sie ihn in den seitwärts vorbeifließenden Bach, wobei er sich durch Erkältung eine längere Krankheit zuzieht. Muß sie die Kurkosten ersetzen (207 f.)? Ich, Korti, bin geboren am 3.9.1909 in Flörsheim/Main. Ich besuchte die Volksschule und die Höhere Schule in S. In Marburg studierte ich von Sommer 1929 bis Sommer 1931 die Rechtswissenschaften, im Herbst 1931 bestand ich die 1. jur. Staatsprüfung. Die 2. Staatsprüfung legte ich in Berlin im Dezember 1935 nach Absolvierung des Referendardienstes und eines Ertüchtigungslagers in Jüterbog ab. Im Krieg ließ ich mich als Kriegsgerichtsrat beurlauben und meldete mich zur Front, da ich festgestellt hatte, daß ich dann nach Südfrankreich zur Heeresgruppe von Blaskowitz versetzt würde. 3
Stuttgart 1962; neubearbeitete Fassung Frankfurt a.M. 1974; die Zahlen im Text geben Seiten aus dieser Fassung an. Die zitierten Passagen finden sich auch in: Alexander Kluge, Chronik der Gefühle, Bd. II Lebensläufe, Frankfurt a.M. 2000, S. 818 f., 807 f.
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Alexander Kluge
Andernfalls hätte ich weiterhin in Kroatien Kriegsgerichtsurteile unterschreiben müssen. Ich glaubte zwar damals 1942 nicht an einen unglücklichen Ausgang des Krieges, noch weniger an eine Bestrafung durch die deutsche Justiz selbst, wie sie heute offenbar verschiedenen Kollegen droht, aber ich befürchtete Racheakte der von uns bekämpften Partisanen, deren Kameraden ich zum Teil hinrichten lassen mußte. Vom Standpunkt unserer Führung billigte ich diese Kampfmaßnahmen, ich zog es aber gleichzeitig vor, mich diesem Dienst zu entziehen. [...] Ich vermeide im allgemeinen extreme Entscheidungen. Meine Auffassung setzt sich im jeweiligen Moment aus verschiedenen Umständen, Überlegungen, Einfällen, Abwarten und Logik zusammen. Ich möchte sagen, daß fast etwas Schöpferisches dabei ist, denn es gehört viel Erfahrung dazu. Der Einzelne ist auch hier ein Teilchen eines großen Betriebes, im Krieg einer Heeresgruppe oder einer Division, im Frieden ein Glied der Justizverwaltung. Ich glaube nicht, daß es einen praktischen Unterschied macht, wenn einer sich trotzdem als selbständiger Geist fühlt. Die Wahl, Richter zu werden, finde ich noch heute richtig. Zwar verdient ein Richter weniger als ein Wirtschaftler, hinzu kommt aber, daß jeder andere Beruf ein weitaus größeres Risiko enthält. Wenn ein Richter gewisse Vorsichtsmaßnahmen einhält, braucht er weder den Staat, noch die Vorgesetzten, noch die Politik, noch die Kirchen, noch die Verbände zu fürchten, er ist im eigentlichen Sinn des Wortes unabhängiger Richter, dem staatshörigen Richter der 20er Jahre ist der unabhängige Richter der 50er Jahre gefolgt. So ist die Richterbank die geschützteste Stelle in der Gesellschaft, wobei ich, um Mißverständnisse zu vermeiden, bemerken möchte, daß ich keine strafbaren Handlungen begehe und insofern auch nicht gefährdet bin. Meine Erfahrungen, insbesondere im 3. Reich und in der Besatzungszeit, haben mich aber gelehrt, daß der natürliche Trieb zur Vorsicht zu besseren Ergebnissen führt als jeder andere natürliche Trieb (193 f.).4
4
Treffend wird das Buch von Heinz Puknus, Kluges „Lebensläufe“, in: Text+Kritik Heft 85/86, Januar 1985, S. 38–49 im Untertitel mit „Gesellschaftskritik als biographische Fallstudie“ gekennzeichnet; vgl. auch Ulrike Bosse, Alexander Kluge – Formen literarischer Darstellung von Geschichte, Frankfurt a.M. 1989, S. 31 ff.
58. Herbert Rosendorfer
Es war gut für mich, einen bürgerlichen Beruf zu haben Herbert Rosendorfer (1934–2012), vielseitiger satirischer und phantastischer Schriftsteller, studierte nach seiner Jugend in Tirol und München zunächst ein Jahr lang Bühnenbildnerei an der Akademie der Bildenden Künste in München, dann ab 1954 Jura ebendort. Über diese Entscheidung hat er Folgendes geschrieben: Was bleibt einem, wenn man weder an Theologie noch Medizin heißes Bemühen wenden will, wenn man keine Begabung für Naturwissenschaft und Technik verspürt, wenn man nicht Lehrer werden will (womit ja so interessante Sachen wie Philologie, Geschichte und Geographie wegfallen) und wenn man nicht den schwankenden, wenngleich bezaubernden Blütenpfad der Archäologie, Theateroder Musikwissenschaft betreten will? Jura (Schmalspurjuristen 1 weichen auf Betriebs- oder Volkswirtschaft aus.) .
Aus seinem Studium hat Rosendorfer berichtet, dass er eine Drittel Assistentenstelle im Römisch-rechtlichen Institut der Universität hatte und Bücher katalogisieren musste: Chef des Instituts war damals Professor Wolfgang Kunkel, leider längst verstorben, ein Mann, dessen wissenschaftliche Verdienste ich gleichermaßen wie seine menschliche Größe bewundere. Er ist einer der wirklichen Lehrer meines Lebens gewesen, und ihm verdanke ich – auch wenn ich kein Römisch-Rechtler geworden bin – die Liebe zur Geschichte der alten Welt. (Ein anderer Lehrer an der
1
In: Delia Müller, Herbert Rosendorfer. Eine Biographie, Innsbruck 2010, S. 44 f.
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Herbert Rosendorfer
Universität, aber das ist schon fast wieder ein Kapitel für sich, war 2 Professor Murad Ferid, von dem ich das Denken lernte.).
1963 legte Rosendorfer die Zweite juristische Staatsprüfung ab. 1965 wurde er Gerichtsassessor, verbrachte ein Jahr bei der Staatsanwaltschaft in Bayreuth, wurde 1966 Amtsrichter in München und war von 1993 bis zu seiner Pensionierung 1997 Richter am Oberlandesgericht Naumburg. Obwohl er als Autor sehr erfolgreich war – sein Roman „Briefe in die chinesische Vergangenheit“ von 1983 wurde mehr als eine Million mal verkauft –, konnte er sich ein Leben nur als Schriftsteller nicht vorstellen: „Es war gut für mich, einen bürgerlichen Beruf zu haben. Ich empfehle es jedem, der Schriftsteller werden will“3. „Das ist die Strömung, gegen die ich anschwimme, dann merkt man, dass man lebt!“4 Die Berufserfahrung hat sich in vielen Werken Rosendorfers bemerkbar gemacht, etwa in dem Roman ,,Das Messingherz“, dessen „Held“ sich vom Bundesnachrichtendienst anheuern lässt, in den „Vorstadt-Miniaturen“, wenn es um den Kampf des kleinen Mannes gegen Polizisten und Bürokraten geht, oder in dem Roman „Die Donnerstage des Oberstaatsanwalts“, der von bizarren Strafrechtsfällen handelt. Auch der Roman ,,Ballmanns Leiden oder Lehrbuch für Konkursrecht“5 spielt im Justizmilieu, das satirisch geschildert wird. Dabei zeigen sich mögliche autobiographische Bezüge zu Rosendorfer weniger bei dem Vorsitzenden Richter Dr. Martin 2 3 4
5
Herbert Rosendorfer, Autobiographisches. Kindheit in Kitzbühel und andere Geschichten, München 2001, S. 15. Herbert Rosendorfer in: Müller (Fn. 1), S. 46. Vgl. Arno Makowsky, in: SZ vom 29.2.1996. Wie stark die Doppelrolle als Jurist und Schriftsteller Rosendorfer selbst beschäftigte, zeigt auch sein Aufsatz über „Leben und Wirken von drei Dichter-Juristen“, in: NJW 1983, S. 1158–1164. München 1981, S. 42–45.
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Ballmann, der im Verlauf des Romans „aussteigt“, als bei dem Oberstaatsanwalt Dr. F., der als einziger unter lauter funktionierenden Rädchen menschliche Souveränität besitzt. Nur wer selbst dabeigewesen ist, kann so einfühlsam und treffend über die Klausurenphase einer juristischen Staatsprüfung schreiben: Das erste Mal hatte Ballmann den Kommissionsvertrag im Assessorexamen angewandt. Der Kommissionsvertrag ist ein eher abwegiges Rechtsinstitut aus dem Handelsrecht, das kaum geprüft wird und in Klausuren so gut wie nicht vorkommt, schon weil er den Prüfern selber nicht geläufig ist. Damals, im Oktober 1957, in dem schier endlosen, knochenzerreibenden Tunnel der vier Wochen schriftlichen Examens, hatte es einige Kollegen gegeben – immer gab es solche Kollegen –, die sich besonders groß hervortaten. Wanger hatte der schlimmste geheißen, erinnerte sich Ballmann. Wo der hingekommen war, hatte Ballmann nie erfahren. Zur Justiz war er jedenfalls nicht gegangen. Dieser Wanger war einer von denen, die in der Früh, in der aufreizenden Stimmung, wo man der Verteilung der Aufgaben entgegenfieberte, grad noch eine Zigarette mit zitternden Händen anzündete, nervös mit dem Stuhl rückte, während die Aufsichtsführenden geheimnisvoll und wichtig tuschelten und bald schon in die Hände klatschen würden: „Meine Damen und Herren, dann wollen wir mal –“, dieser Wanger war einer von denen, die da noch groß tönten, Gerüchte kolportierten über die enorme Schwierigkeit der heutigen Klausur, wie die vom Ministerium her durchgesickert wären, die todsichere Berechnungen anstellten, welches spezielle Problem heute drankommen müsse, weil es schon so und so lange nicht mehr drangekommen sei, die schnell noch die allerneuesten Aufsätze in der druckfrischen Neuen Juristischen Wochenschrift – NJW – lasen oder gar noch unveröffentlichte, brandneue BGH-Entscheidungen zitierten, kurzum, alle Kollegen mit schwächeren Nerven am Boden zerstörten. Nach den mörderischen sechs oder gar acht Stunden, wenn die meisten schweißgebadet oder im Gefühl, zu Staub zu zerfallen, hinausschlichen und keines Gedankens mehr fähig waren, schwoll der Kollege Wanger erst zur Vollform an. Er wußte genau, mit allen Feinheiten und juristischen Verästelungen, wie die Klausur hätte geschrieben werden müssen. Er nannte die Probleme und wie von den Korrektoren ganz klarerweise die Lösung erwartet würde. Er hielt mit seinem Wissen
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natürlich nicht zurück. Er stand am Ausgang des Saales und schmetterte seine absolut richtigen Ansichten, und daß wahrscheinlich außer ihm keiner erkannt habe, daß die Reichsgerichtsentscheidung im 16. Band Seite 244 selbstverständlich der springende Punkt dieser Klausur gewesen sei, in die vorbeiziehende Schar der Kandidaten. Ballmann ärgerte sich. Er sah, daß schwächlicheren Kollegen fast die Tränen kamen, wenn sie jetzt, wo es zu spät war, von der selbstverständlichen Reichsgerichtsentscheidung erfuhren, an die sie nicht im Traum gedacht hatten, die sie überhaupt nicht kannten. In der zweiten Woche machte Ballmann einen Plan. Soviel Kraft hatte er selbst da noch. Er ging nach der letzten Klausur dieser zweiten Woche langsam mit all den anderen aus dem Saal hinaus, blieb aber draußen stehen, direkt bei Wanger, der wieder tönte. Es war selten, mußte Ballmann einräumen, daß ihm einer so schön in den Rundschlag gelaufen ist, wie der Herr Kollege Wanger. Einige bemitleidenswerte Kandidaten hatten sich um Wanger versammelt und hörten seinen überlegenen Ausführungen zu. Als Wanger einmal Luft holte, fragte Ballmann in die akustische Lücke hinein: „Haben Sie das Problem auch unter dem Gesichtspunkt des Kommissionsvertrages geprüft, Herr Wanger?“ Der Kommissionsvertrag ist, wie gesagt, eine eher abseitige juristische Erscheinung, aber von einer leisen, unscheinbaren Problematik, bei der man nie sicher sein kann, ob sie nicht durch irgendeine Hintertür in den Fall hineinspielte. In der eben abgegebenen Klausur hatte nach menschlichem Ermessen der Kommissionsvertrag zwar keine Rolle gespielt, aber wer konnte das wirklich wissen? Wanger stutzte – sein Gesicht verriet: an den Kommissionsvertrag hatte er nicht gedacht. Die Kollegen, die ihn umstanden, erholten sich ein wenig, wurden aufgerichtet. „Den Kommissionsvertrag, Herr Wanger, Sie wissen, was ich meine?“ sagte Ballmann. Kollege Wanger wurde grün im Gesicht. Er sagte kein weiteres Wort mehr, drehte sich um und ging.
59. Peter Handke
Ich habe die schwarze Wolke des Nichts vor mir gesehen Peter Handke (geb. 1942), vielseitiger und vielfach preisgekrönter Autor, „Popstar der Literatur seit den späten 1960er Jahren“ 1 , wuchs in einem kleinen Dorf in Kärnten auf und besuchte in Klagenfurt das Gymnasium, das er 1961 mit dem Abitur abschloss. Sein größtes Interesse galt der Literatur, aber er immatrikulierte sich im selben Jahr für die Rechtswissenschaft in Graz. Ein Lehrer soll ihm dazu geraten haben, weil ihm beim Jurastudium am meisten Zeit fürs Schreiben bliebe2. Er selbst bezeichnete diese Entscheidung als „Ausdruck der Ratlosigkeit“ 3 . Über die juristischen Vorlesungen schrieb er in seinem langen Essay „Versuch über die Müdigkeit“4: Die Müdigkeit in den Hörsälen ließ mich mit den Stunden im Gegenteil sogar aufsässig oder aufbegehrend werden. Es war in der Regel weniger die schlechte Luft und das Zusammengezwängtsein der Studentenhunderte als die Nichtteilnahme der Vortragenden an dem Stoff, der doch der ihre sein sollte. […] Nie wieder habe ich von ihrer Sache so unbeseelte Menschen erlebt wie jene Professoren und Dozenten der Universität; jeder, ja, jeder Bankangestellte, beim Hinblättern der, gar nicht seiner, Scheine, alle Straßenteerer in den 1
2 3 4
Lothar Müller, Der Schwierige, in: SZ vom 18.11.2010; ähnlich Georg Pichler, Die Beschreibung des Glücks. Peter Handke. Eine Biographie, Wien 2002, S. 69 ff. Vgl. Rainer Nägele / Renate Voris, Peter Handke, München 1978, S. 30. Vgl. Adolf Haslinger, Peter Handke. Jugend eines Schriftstellers, Salzburg und Wien 1992, S. 49. Frankfurt a.M. 1989, S. 10 f.
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Hitzeräumen zwischen Sonne oben und Teerkoch unten wirkten beseelter. Wie mit Sägemehl ausgestopfte Würdenträger, deren Stimmen keinmal von dem, was sie besprachen, in ein Schwingen des Staunens (des guten Lehrers selber über seinen Gegenstand), der Begeisterung, der Zuneigung, des Sich-Fragens, der Verehrung, des Zorns, der Empörung, des Selber-nicht-Wissens gebracht wurden, vielmehr unablässig nur leierten, abhakten, skandierten […] bis die Müdigkeit des Hörers in Unwillen, der Unwille in Übelwollen umschlug.
Eine Ausnahme war der Dozent der Kriminologie; eine seiner kriminalistischen Fallgeschichten wurde zur Vorlage von Handkes Erzählung „Die Angst des Torwarts beim Elfmeter“ 5 . Obwohl Handke nicht sehr viel Zeit auf das Lernen verwandte, erzielte er gute Noten6. In einem Brief an seine Mutter schilderte er höchst anschaulich eine seiner Prüfungen: Vorgestern war die zweite Staatsprüfung. […] Es war eigentlich sehr zum Wundern (daß ich durchgekommen bin). Am Tag vorher hab ich in den Prüfungsräumen zugehört, wie andere geprüft wurden: da hätte mir zum ersten Mal das Grausen aufsteigen können; und es ist mir auch aufgestiegen bis in den Kopf, der sowieso leer genug war und Platz hatte für solche Gefühle: ich merkte nämlich, daß ich ziemlich unwissend war. [Abends im Bett] die Hefte, aus denen ich noch lernen wollte, auf den angezogenen Knien. Und dabei war ich müde wie in einem Frühjahr. Ich raste als mit den Augen und dem Gehirn durch die Seiten und lernte heftig bis eins; dann […] versuchte [ich] gar sehr einzuschlafen; das kam aber erst um zwei; und um vier erwachte ich wieder, als hätte ich ein Jahr geschlafen. […] Ich lernte weiter bis halb 7; um halb 9 fing dann die Prüfung an. Ich muß aber noch sagen, daß ich die ganzen Tage und Wochen vorher fast nichts getan habe, und das ist keine Lüge. […] Vier Stunden bin ich dann hungrig neben fünf anderen in dem Raum gesessen, sehr feierlich in einem Anzug und mit der Krawatte, von der ich das eine 5
6
Vgl. Pichler (Fn. 1), S. 46; Malte Herwig, Meister der Dämmerung. Peter Handke. Eine Biographie, München 2011, S. 121. Der von beiden genannte und in der fraglichen Zeit in Graz lehrende (Paul) Weingartner war allerdings laut Kürschners Deutschem Gelehrten-Kalender Philosoph. Vgl. Haslinger (Fn. 3), S. 66 f.
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Ende zwischen den Gürtel gesteckt habe, (am anderen Ende kaute ich herum, wenn ich grad keinen Kaugummi hatte, oder wenn ich nicht gerade etwas gefragt wurde). Aber irgendwie bin ich durchgekommen, und das hat mich sehr gefreut, vor allem, weil ich so wenig dafür getan habe und so viele andere Dinge: mit einheitlich gutem Erfolg; wenn ich aber in der Nacht vorher es nicht mit dem Grausen zu tun bekommen hätte, würde ich wohl jetzt darüber nachdenken müssen, wie ich Dir eine tragische Botschaft […]. Alles, was ich gefragt wurde, hab ich nämlich in der Nacht vorher ir7 gendwie noch einmal durchgelesen […].
Die in dem Brief erwähnten „vielen anderen Dinge“ waren Literatur, Musik, Kino und Theater. Seit 1963 arbeitete Handke für den Rundfunk: Er schrieb Feuilletons, rezensierte Bücher und dramatisierte Dostojewskijs „Schuld und Sühne“. Dies geschah auch, weil er von seinem Vater keine finanzielle Unterstützung mehr annehmen wollte 8 . Die Annahme seines Romans „Die Hornissen“ durch den Suhrkamp-Verlag im Jahr 1965 war ein entscheidendes Moment für Handkes Entschluss, das Jurastudium aufzugeben. Hinzu kam die Sensation, die sein Stück „Publikumsbeschimpfung“ verursachte, das am 8. Juni 1966 unter der Regie von Claus Peymann in Frankfurt uraufgeführt wurde. Er lehnte es ab, zur dritten und letzten Staatsprüfung anzutreten: „Das brauche ich nicht mehr. Wer garantiert mir, daß ich nicht wegen des Zeitungsgeschreis schikaniert werde, bewußt oder unbewußt“9. Die in der Grazer Zeit entstandenen und teilweise im Radio gesendeten10 kurzen Prosastücke lassen verschiedentlich eine Nähe zum Recht erkennen. Sie erschienen 1967 unter dem Titel „Be7 8
In: Haslinger (Fn. 3), S. 80 f. Vgl. Alfred Holzinger, Peter Handkes literarische Anfänge in Graz, in: Peter Laemmle / Jörg Drews (Hg.), Wie die Grazer auszogen, die Literatur zu erobern, München 1975, S. 183–198 (189). 9 Vgl. Holzinger (Fn. 7), S. 196. 10 Vgl. Haslinger (Fn. 3), S. 94.
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grüßung des Aufsichtsrats“11. Dasselbe gilt für die Justizkritik in einigen Aufsätzen der späten 1960er Jahre12. In dem Text „Das Standrecht“ (85–91) versuchte Handke, die Rechtssprache für die Literatur fruchtbar zu machen, und verwendete in einigen Sätzen sogar den authentischen Gesetzestext. „Augenzeugenbericht“ (94 f.) und „Anekdote“ (95) sind durch Rechtsfälle inspiriert und haben einen Kritiker „in ihrer strengen Form an Kleist’sche Anekdoten“ erinnert13; ebenso der folgende, der mit „Prüfungsfrage 2“ überschrieben ist: Im Spiel mit einem seiner Kinder, das des Gehens noch unfähig ist, wirft ein Mann dasselbe empor und fängt es. Als er, von der Freude des Kindes am Spiel bewogen, den Vorgang wiederholt, rutscht ihm im Fall das Kind aus der Hand, schlägt auf den Boden auf und ist tot. Der Mann wird wegen fahrlässiger Tötung vor Gericht gestellt. Wie er, vom Richter aufgefordert, den Hergang des Unglücks erzählen soll, nimmt er zur Veranschaulichung seiner Erzählung – und um sich zudem von jeder Schuld reinzuwaschen – seiner gleichfalls im Saal anwesenden Gattin das andere Kind vom Arm, tritt vor und wirft das Kind in die Luft. Das Kind fällt herunter, rutscht dem Mann durch die Hände, schlägt auf dem Boden auf und ist tot (93).
Später ließ Handke eine deutliche Distanz zu diesen Texten erkennen14: Die kurzen Prosasachen, die ich noch geschrieben habe, als ich Jura studierte, die ‘Begrüßung des Aufsichtsrats’ heißen, in die schaue ich noch manchmal rein, einfach damit man weiß, was an Kapriolen drin ist, die man nicht mehr mag, und auch um sich zu erinnern, weil das Schreiben damals auch gleichzeitig ein Akt des Vergessens war. Die Erinnerung ist aufgehoben in dem, was ich geschrieben habe, und ich
11 Die Zahlen im Text geben Seiten aus der Ausgabe Frankfurt a.M. 1981 an. 12 Peter Handke, Ich bin ein Bewohner des Elfenbeinturms, Frankfurt a.M. 1972, S. 161 ff.; dazu Herwig (Fn. 5), S. 127 ff. 13 Manfred Mixner, Peter Handke, Kronberg 1977, S. 51. 14 Vgl. Heinz Ludwig Arnold, Gespräch mit Peter Handke, in: Text + Kritik 24/24a, 1976, S. 15–37 (17).
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selber habe gar keine Erinnerung mehr. Und wenn ich es noch mal lese, dann erinnere ich mich dann doch an einiges wieder.
Auf sein Jurastudium schaute er sehr viel später wie folgt zurück: Im Studium habe ich die schwarze Wolke des Nichts vor mir gesehen. Ich habe immer Kafka bewundert, der es geschafft hat, sein Studium zu vollenden und in den Beruf zu gehen. Ich konnte das nicht. Dabei war ich ein guter Jurastudent, ich habe sehr viel auf eigene Faust gelernt, aber ich habe keine Antwort bekommen von 15 den Professoren. Man braucht ja irgendwie eine Erotik.
15 Peter Handke, Ich komme aus dem Traum, in: Die Zeit vom 1.2.2006.
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Kafka als Vorbild – das juristische Studium als Tarnung Georg M. Oswald (geb. 1963), Romanautor und Kolumnist, studierte von 1985 bis 1990 Jura in München. Von 1994 bis 2013 war er dort Rechtsanwalt mit den Schwerpunkten Familien-, Erbund Gesellschaftsrecht. Anschließend leitete er bis Ende 2016 einen belletristischen Verlag. In einem „Brief an junge Juristen“ schrieb er darüber, wie er zur Juristerei gekommen ist und wie diese mit der Schriftstellerei harmoniert: Mein Jurastudium hatte ich zunächst nur zur Tarnung aufgenommen. Ich wollte möglichst unverdächtig erscheinen, während ich in Wahrheit eine äußert fragwürdige und unsolide Absicht verfolgte: Ich wollte Schriftsteller werden. Das war in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts […]. Der Buchdruck wurde in jener Zeit noch den fortschrittlichen Errungenschaften zugerechnet. Es war damals weit schwieriger als heute, Texte zu publizieren. Man musste versuchen, sie in Zeitschriften oder Anthologien unterzubringen. Die Annahme eines Manuskripts durch einen literarischen Verlag kam einer sinnstiftenden Initiation gleich, die alle Mühen und Entbehrungen rechtfertigte. Zu glauben, dass das gelingen könnte, war mehr als kühn. Ich behielt meine Absicht vorerst sorgfältig für mich. Ich las, ich schrieb, ich übte. Ich schickte Manuskripte an Verlage. Sie wurden abgelehnt. Das entmutigte mich nicht, es spornte mich an. Ich wollte besser werden. Das nächste Mal würde ich ihnen etwas schicken, das so gut war, dass sie es annehmen mussten. Einstweilen aber musste ich mich nach einer anderen Möglichkeit umsehen. Was sollte ich studieren? Zu jener Zeit hatte ich eine ausgeprägte Leidenschaft für Lebensläufe und Kurzbiografien von Schriftstellern. Auffallend viele von ihnen hatten Jura studiert. Zum Beispiel Franz Kafka. In seinen Briefen und Tagebüchern las ich,
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wie er versuchte, seine literarischen Ambitionen weiterzuverfolgen, während er dem Anschein nach ein gewöhnlicher Verwaltungsjurist in einer Arbeiter-Unfall-Versicherung war. Kein schlechter oder wenig engagierter übrigens. Das belegen seine unter dem Titel „Amtliche Schriften“ publizierten Aufsätze zu sozialversicherungsrechtlichen Fragen. Mit einer geglückten „Work-Life-Balance“ hatte das bei Kafka leider nichts zu tun. Eher war es ein existenzieller Grundkonflikt, den er nicht zu lösen vermochte. Ein Freund der Familie, den ich bewunderte, war Rechtsanwalt, und er war ein Mann mit vielfältigen kulturellen Interessen. Mit ihm konnte ich mich wunderbar über Literatur unterhalten, er hatte weit mehr gelesen als ich und gab mir Tipps, wies mich auf Neues hin. Ich schrieb mich also an der juristischen Fakultät ein und begann zu studieren, und ich stellte zu meiner Erleichterung fest, dass mich das Fach tatsächlich interessierte. Es handelte sich um eine Schule des Denkens, eine Schule des richtigen Lesens, des Definierens und Auslegens von Begriffen, des Abwägens und Argumentierens. Darüber hinaus stellte ich fest: Literatur und Recht berühren sich in mannigfaltiger Weise. Die belletristische Literatur ist voll von juristisch relevanten „Fällen“. Um bei meinem Säulenheiligen Franz Kafka zu bleiben und nur einen von unzähligen Aspekten herauszugreifen: Sein Roman „Der Process“ wirft, unter vielen anderen, die Frage auf: Wann erscheint ein Verfahren willkürlich, wann legitimiert? Die Geschichte bleibt vom Anfang bis zum schrecklichen Ende immer in der Schwebe zwischen dem Konkret- Satirischen und dem Überhöht-Metaphorischen. Gerade, dass sie sich eindeutigen Interpretationen entzieht, macht sie auch als Gegenstand juristischer Betrachtungen so interessant. Von nun an verfolgte ich also zwei Ziele: Ich wollte Schriftsteller und Jurist werden. Beide Ziele konkretisierten sich mit der Zeit. Etwa gleichzeitig mit dem ersten Staatsexamen bekam ich den ersten Buchvertrag angeboten. Meine Anwaltszulassung erhielt ich einige Monate vor dem Erscheinen meines ersten Buches. Lange Zeit war meine Befürchtung, mein berufliches „Doppelleben“ würde dazu führen, dass ich am Ende in beiden Disziplinen als Sonderling wahrgenommen würde. Mit dieser Wahrnehmung durch andere hatte ich allerdings nur sehr selten zu tun. Viel häufiger geschah es, dass sich die beiden Sphären berührten und vermischten. Ich schrieb für Zeitschriften und Zeitungen über juristische Themen. Menschen, die
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ich aus journalistischen oder literarischen Zusammenhängen kannte, wandten sich an mich, weil sie Rechtsrat suchten. In meinen literarischen Texten spielten juristische Sachverhalte, die Sprache der Juristen, die Organisation und Funktion des Rechtswesens fast immer eine wichtige Rolle. Sie hatten daher auch immer eine gewisse Nähe zum Kriminalroman, der ja seinerseits wiederum zentrale Fragen des Rechts aufgreift. In meiner anwaltlichen Praxis hatte ich mit Verlagen und Autoren und allen für sie relevanten rechtlichen Aspekten zu tun. Beide Themenbereiche wuchsen im Laufe der Zeit 1 zusammen.
Diese Beobachtung passt zu der Feststellung von Jacob Grimm: „Daß Recht und Poesie miteinander aus einem Bette aufgestanden waren, hält nicht schwer zu glauben“2. So hatte die Diskussion von Recht und Literatur vor über 200 Jahren in Deutschland begonnen, und sie ist weiterhin im Gange3.
1
2 3
Georg M. Oswald, Kafka als Vorbild – das juristische Studium als Tarnung, in: Tobias Gostomzyk / Joachim Jahn (Hg.), Briefe an junge Juristen, München 2015, S. 101–105 (102–104). Jacob Grimm, Von der Poesie im Recht, in: Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft, Bd. 2, 1816, S. 25–99 (27). Vgl. meine Zwischenbilanz in: Recht und Literatur. Von Friedrich Schiller bis Martin Walser, München 2015, S. IX–XVI mit den Nachweisen S. 285–288.
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Textnachweis Nr. 44: © Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1979. Alle Rechte vorbehalten durch Suhrkamp Verlag Berlin. Verwendet mit Genehmigung des Verlags. Nr. 45: © Gustav Kiepenheuer Bühnenvertriebs-GmbH Berlin. Verwendet mit Genehmigung des Verlags. Nr. 48: © Edition Nautilus, Hamburg, 4. Auflage 2013. Verwendet mit Genehmigung des Verlags. Nr. 52: © Carl Zuckmayer 1966. Alle Rechte vorbehalten S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main. Verwendet mit Genehmigung des Verlags. Nr. 53: © Klett-Cotta, Stuttgart 1978. Verwendet mit Genehmigung des Verlags. Nr. 54: © Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1971. Alle Rechte vorbehalten durch Suhrkamp Verlag Berlin. Verwendet mit Genehmigung des Verlags. Nr. 56: © Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG, München 1990. Verwendet mit Genehmigung des Verlags. Nr. 57: © Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1974. Alle Rechte vorbehalten durch Suhrkamp Verlag Berlin. Verwendet mit Genehmigung des Verlags. Nr. 58: © Nymphenburger Verlagshandlung GmbH, München 1981. Verwendet mit Genehmigung der Verlagsgruppe Langen Müller / Herbig. Nr. 59: © Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1981 und 1989. Alle Rechte vorbehalten durch Suhrkamp Verlag Berlin. Verwendet mit Genehmigung des Verlags. Nr. 60: © Verlag C. H. Beck oHG, München 2015. Verwendet mit Genehmigung des Verlags.
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Trotz intensiver Nachforschungen konnten die Rechteinhaber folgender Werke nicht ausfindig gemacht werden: Nr. 42: Emil Ludwig, Geschenke des Lebens. Ein Rückblick, Ernst Rowohlt Verlag, Berlin 1931. Nr. 47: Hans Friedrich Blunck, Licht auf den Zügeln. Lebensbericht, Kessler Verlag, Mannheim 1933. Nr. 51: Max Zweig, Lebenserinnerungen, Bleicher Verlag, Gerlingen 1987. Eventuelle Rechteinhaber mögen sich beim Verlag melden.
Register Adorno, Theodor W. ........................................................................... 244 Alexis, Willibald............................................................ XIX, XXI, 93–96 Assessoriat ......................................................................................... XIX Auerswald, Horst .............................................................................230 f. Auskultatur ................................................................................... XVII f. Baccalaureat........................................................................... XIV, 4, 231 Bahr, Hermann ........................................................................... 150–152 Balcke, Rudolf ..................................................................................197 f. Bauer, Anton ......................................................................................... 55 Bauernfeld, Eduard von .............................................................. 102–104 Bayern ............................................................................................. XXVI Becker, Hellmut ................................................................................. 244 Beckmann, Gustav Bernhard ................................................................ 21 Bekker, Ernst Immanuel...................................................................161 f. Berger, Alfred Freiherr von .............................................................170 f. Bering, Johann...................................................................................... 55 Berlin…. 23, 39, 42 f., 58, 71, 80, 90, 93, 97 f., 115, 123, 129, 132, 139, 142, 173, 192, 197 f., 215 Bierbaum, Otto Julius ................................................................. 156–159 Binding, Karl ...........................................................................167, 174 f. Binding, Rudolf G. ...................................................................... 167–169 Bismarck, Otto von ............................................................................. 177 Blunck, Hans Friedrich ............................................... XXIII f., 201–204 Bocaccio ............................................................................................... 91 Bodmer, Johann Jakob ......................................................................... 56 Börne, Ludwig ................................................................................ 59–62 Boie, Heinrich Christian ......................................................................... 6
https://doi.org/10.1515/9783110617337-064
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Bologna ............................................................................................... XII Bonn...........................................................................................88 f., 174 Bornhak, Conrad ................................................................................ 215 Breslau ................................................................ 23, 93, 133, 178, 207 f. Brockes, Ludwig von ..................................................................... 47, 202 Brod, Max ................................................................... 182–184, 188–191 Brotstudium ................................... VIII f., XXVIII, 26, 32, 63, 105, 189 Brunner, Heinrich ............................................................................... 174 Bürger, Gottfried August ........................................................... XVI, 5–9 Byron, George Gordon ....................................................................... 197 Castelli, Ignaz Franz ...................................................................... 50–53 Claudius, Matthias...................................................... ...............XIV, 1–4 Cocceji, Samuel von......................................................................... XVII Code Napoléon ............................................................................. 61, 125 Cotta, Georg von ................................................................................ 119 Crome, A. F. W. .................................................................................... 61 Curtius, Ernst...................................................................................... 137 Czernowitz .......................................................................................... 151 Dahn, Felix ........................................................... XXV f., 131–136, 179 Dichterjuristen ................................................................................. VII f. Disputation....................................................................... XIV, 18, 61, 91 Dissertation .......................................................... s. Lizentiat, Promotion Doktor (-examen, -grad, -titel) .............................................s. Promotion Dollfuß, Engelbert .............................................................................. 242 Dostojewskij, Fjodor........................................................................... 253 Drach, Albert .............................................................................. 241–243 Duisburg ............................................................................................... 28 Ebers,Georg ....................................................................... XXI, 136–138 Eichendorff, Joseph Freiherr von ............................... XV, XXIII, 67–73
Register
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Eichhorn, Karl Friedrich .................................................................... 128 Engelbach, Johann Conrad .................................................................. 13 Enneccerus, Ludwig............................................................................ 192 Erlangen ...............................................................................38, 86, 163 f. Erxleben, Johann Heinrich Christian ................................................... 55 Eulenberg, Herbert ..................................................................... 173–176 Ferid, Murad ...................................................................................... 248 Feuchtwanger, Lion ............................................................................ 177 Feuerbach, Ludwig ............................................................................. 117 Fichte, Johann Gottlieb ........................................................................ 71 Fischer, Kuno ..................................................................................... 161 Fölsch, J. P. .......................................................................................... 50 Fontane, Theodor ................................................................................. 91 Frankfurt/Main......................................................... 13, 61 f., 225 f., 244 Frankfurt/Oder ...................................................................................... 45 Franzos, Karl Emil ..................................................................... 143–146 Friedberg, Emil Albert........................................................................ 174 Friedrich II. ..................................................................................... XVII Friedrich Wilhelm I. .................................................................. XVII, 12 Friedrich Wilhelm III. ..................................................................... 42, 80 Fuchs, Ernst ........................................................................................ 217 Fürstenberg, Franz von ........................................................................ 23 Gans, Eduard ........................................................................................ 90 Gemeines Recht ...................................................................... XV, XXVI Genf .................................................................................................... 215 Geßner, Salomon .................................................................................. 21 Gießen ................................................................................................... 61 Gönner, Nikolaus Thaddäus ..............................................................63 f. Görres, Joseph ...................................................................................70 f.
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Anhang
Goethe, Johann Wolfgang..XIV, XXIII, XXIV, 6, 10–19, 57, 60, 91, 141, 161, 177 Göttingen ........ XVI, 5–8, 20–23, 24 f., 39, 58, 59, 89–91, 136–138, 147 Grabbe, Christian Dietrich .......................................... XX, XXI, 97–100 Graz ................................................................................. 144, 151, 251 f. Greifswald .......................................................................................211 f. Grillparzer, Franz..................................................... XIII, XXVII, 74–76 Grimm, Jacob und Wilhelm ........................................... XVI, 54–58, 258 Habermas, Jürgen............................................................................... 244 Hänel, Albert ...................................................................................... 202 Halbe, Max ................................................................................. 160–162 Halle......................................................... 5, 37, 59 f., 67–70, 78–81, 228 Handke, Peter ................................................................. XXIII, 251–255 Harderwijk ...................................................................................20, 23 f. Häusser, Ludwig ................................................................................. 118 Hebbel, Friedrich ................................................................. XI, 110–112 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich .......................................................... 90 Heidelberg…60 f., 70 f., 110, 117 f., 122, 147, 161 f., 178, 201, 203 f., 226 f. Heine, Heinrich................................................ XIV, XV, 24, 88–92, 141 Heine, Th. Th. ..................................................................................... 172 Heym, Georg ......................................................... XXII, XXV, 196–200 Hitzig, Julius Eduard ............................................................................ 93 Hippel, Theodor Gottlieb ................................................................ 40, 42 Hitler, Adolf ........................................................................................ 169 Hofacker, Christoph ............................................................................. 63 Hoffmann, E. T. A. ................................................ XVIII, 40–44, 93, 190 Hofmannsthal, Hugo von .................................................... XII, 170–172 Holtzendorff, Franz von ...................................................................... 153 Hoppe, Joachim .............................................................................. 11, 14
Register
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Huch, Ricarda ..................................................................................... 147 Huch, Rudolf .........................................................XXII, XXIV, 147–149 Hugo, Gustav .................................................................................. 57, 91 Hupka, Christoph.................................................................................. 50 Iffland, August Wilhelm ........................................................................ 96 Immermann, Karl Leberecht ....................................... XVIII, 77–82, 100 Jena ......................................................... 1, 4, 28, 31, 197, 218, 234, 237 Jhering, Rudolf von.................................................................. XX, 145 f. Joseph II. .............................................................................................. 74 Jünger, Ernst ...................................................................................... 228 Jünger, Friedrich Georg ........................................ XIV, XXIV, 228–232 Jung, Franz ................................................................................. 205–209 Juristenausbildung ........................................................ XI–XXIX, 134 f. Juristenmonopol................................................................................. XVI Kafka, Franz ......................... XXII, XXVII, 182–187, 188 f., 255, 256 f. Kant, Immanuel..................................................................................... 75 Keller, Gottfried.......................................................................... 117–120 Kerr, Alfred ......................................................................................... 127 Kesten, Hermann ................................................................................ 189 Kettembeil, Georg Ferdinand ............................................................. 100 Kiel ..................................................................... 113–116, 139, 201–204 Kircheisen, Friedrich Leopold von ....................................................... 43 Kleist, Heinrich von ....................................................... XVI, 45–49, 145 Klopstock, Friedrich Gottlieb ............................................................... 21 Kluge, Alexander ........................................................................ 244–246 Knies, Karl .......................................................................................... 161 Knigge, Adolph Freiherr von ......................................... XV, XVI, 24–27 Königsberg....................................................... 40 f., 47, 128 f., 133, 135 Kohler, Josef ....................................................................................... 174
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Anhang
Kopp, Johann Adam................................................................................ 6 Kotzebue, August von............................................................. XVI, 28–30 Kröger, Timm............................................................. XXI, 139–142, 202 Kunkel, Wolfgang ............................................................................... 247 Lang, Fritz .......................................................................................... 244 Langen, Albert .................................................................................... 165 Lausanne ............................................................................................. 178 Lehmann, Heinrich ............................................................................. 218 Leipzig ..................11–14, 33, 97 f., 129, 139, 156, 167, 174 f., 206, 228 Leyser, Augustin von ............................................................................. 15 Lincoln, Abraham ............................................................................... 177 Liszt, Franz von .......................................................................179 f., 219 Lizentiat ................................................................................. XIV, 15–18 Ludwig, Emil ............................................................................... 177–181 Mackeldey, Ferdinand .................................................................. 89, 128 Madihn, Ludwig Gottfried .................................................................... 45 Mäeutik ........................................................................................... XXIV Mann, Thomas .................................................................................... 177 Marburg .......................................................................... 54–57, 192, 244 Maschke, Richard ............................................................................... 202 Meister, Friedrich Georg........................................................................ 7 Meister, Georg Jacob Friedrich ........................................................... 63 Metternich, Klemens Wenzel Lothar von ........................................... XXI Mittermaier, Carl Joseph Anton ................................................. 110, 118 Möhring, Philipp................................................................................. 213 Mohl, Robert von ................................................................................ 118 Motte Fouqué, Friedrich de la.............................................................. 93 München..111, 121, 132 f., 135, 153 f., 158, 163, 173, 192, 208, 247, 256 f. Münster ................................................................... XXVII, 20, 22 f., 81
Register
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Mussolini, Benito ................................................................................ 177 Napoleon ........................................................................... 70, 79, 94, 177 Nossack, Erich ............................................................................ 233–236 Novalis ................................................................................ XXIV, 31–35 Österreich........................................................................................ XXVI Oswald, Georg M........................................................................ 256–258 Ottwalt, Ernst.................................................................. XXIV, 237–240 Pappenheim, Max ............................................................................... 202 Pescatore, Gustav ............................................................................... 212 Petzeck, Joseph von .............................................................................. 51 Peymann, Claus .................................................................................. 253 Pfemfert, Franz ................................................................................... 209 Platen, August Graf von ............................ XXI, XXVII, XXVIII, 83–87 Pollack, Walter ................................................................................216 f. Prag ................................................................ XXVII, 182–185, 188, 221 Preuß, Hugo........................................................................................ 239 Preußen .......................................................................... XVII, XX, XXV Promotion…XIV, XXV, 18, 20, 22 f., 57, 61, 65 f., 91, 103, 125, 164, 175, 180, 184 f., 189, 192, 200, 204, 211–213, 218, 221, 231, 244 Puchta, Georg Friedrich .................................................................... 128 Pütter, Johann Stephan ......................................................................... 24 Rechtsanwälte ................................................................................. XVIII Referendariat........................................................................... XVII–XIX Reichskammergericht ........................................................................... 23 Reidenitz, Daniel Christoph.................................................................. 41 Repetitor…XXII–XXVII, 14, 34, 148, 171, 174 f., 204, 216 f., 222 f., 230 f., 239 f. Ribbentrop, Julius ............................................................................... 138 Robert, Georg Friedrich Carl............................................................... 55
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Römisches Recht .................................................................... …XV, XX Roosevelt, Franklin D. ........................................................................ 177 Rosendorfer, Herbert ................................................................. 247–250 Rostock ............................................................................................... 200 Rousseau, Jean Jacques.................................................................. 26, 83 Rowohlt, Ernst ............................................................................ 198, 214 Rühmann, Heinz.................................................................................. 192 Runde, Justus Friedrich ........................................................................ 63 Salzmann, Johann Daniel ..................................................................... 13 Sand, Karl ............................................................................................. 28 Savigny, Friedrich Carl von ......................................... 55–58, 70, 90, 93 Scheffel, Joseph Victor von ......................................................... 121–126 Scheidlein, Georg ................................................................................. 50 Schiller, Friedrich......................................................................31 f., 161 Schlegel, Friedrich ............................................................................33 f. Schlichtegroll, Nathan .................................................................... 85–87 Schlossmann, Siegmund Alexander .................................................... 202 Schmitt, Carl ....................................................................................... 172 Schmoller, Gustav ............................................................................... 152 Schopenhauer, Arthur ............................................................................. 5 Scott, Walter ......................................................................................... 94 Serner, Walter .................................................................. XXV, 210–214 Shakespeare, William ................................................................. . 96, 103 Simmel, Georg .................................................................................... 174 Simson, Eduard ................................................................................... 128 Singer, Heinrich ...............................................................................189 f. Sinzheimer, Hugo................................................................................ 208 Sohm, Rudolf ............................................................................... 174, 203 Spoerl, Heinrich ................................................................. XIX, 192–195
Register
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Sprickmann, Anton Mathias................................................... XIV, 20–23 Staatsexamen…XII, XVI–XXI, 48 f.,64 f.,72, 99, 111, 115 f., 125, 128 f., 135, 148 f., 172, 184, 194 f., 198, 217 f., 231, 243, 249 f., 252 f. Stalin, Josef ......................................................................................... 177 Stein, Lorenz von ................................................................................ 150 Stifter, Adalbert ............................................................. XXVII, 105–109 Stöber, Elias.......................................................................................16 f. Storm, Theodor ........................................................... XX, 113–116, 202 Straßburg ............................................................................... XIV, 13–18 Strohal, Emil ....................................................................................... 174 Struve, Georg Adam.............................................................................. 11 Subsistenzverpflichtung ............................................................... XVIII f. Sulzer, Eduard .................................................................................... 118 Thibaut, Anton Friedrich Justus ................................................70 f., 110 Thoma, Ludwig ........................................................................... 163–166 Tieck, Ludwig................................................................ 36–38, 56, 91, 93 Tucholsky, Kurt .................................................... XXIV, XXV, 215–219 Tübingen ................................................................................. 63–66, 167 Uhland, Ludwig .......................................................... XXVI, 63–66, 164 Unger, Joseph ..................................................................................170 f. Verbindungen ... 1, 122–124, 133, 137 f., 141, 147 f., 157 f., 196 f., 235 f. Verfassungsgeschichte ....................................................................... VIII Voltaire ........................................................................................... 26, 32 Vorbereitungsdienst ................................................................ XVII, XXI Wach, Adolf ........................................................................................ 174 Wackenroder, Wilhelm Heinrich ............................................ XV, 36–39 Wagner, Adolf ..................................................................................... 152 Waitz Georg ........................................................................................ 137
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Anhang
Weber, Alfred .............................................................................. 185, 190 Weber, Max ......................................................................................... 185 Wedekind, Frank ................................................................. 153–155, 165 Weiß, Philipp Friedrich ........................................................................ 55 Welcker, Karl Theodor ................................................................. 89, 125 Weltsch, Felix ..................................................................................... 189 Wenck, Friedrich August Wilhelm ........................................................ 47 Wichert, Ernst ............................................................................. 127–130 Wien……XXVII, 50, 72 f., 74–76, 102, 106–109, 143, 150 f., 170–172, 210 f., 220 f., 241 Wildgans, Anton.................................................................................. 241 Wilhelm II. ............................................................... 155, 165, 177, 180 f. Winckler, Carl Gottfried von ................................................................ 12 Wissenschaftsrat .......................................................................... XXVIII Wittenberg .................................................................................... 34, 228 Wolf, Friedrich August ......................................................................69 f. Wolff, Christian........................................................................... 1, 21, 75 Württemberg ................................................................................... XXVI Würzburg ............................................. XXVII, 47, 84–86, 133, 196, 200 Zeiller, Franz Edler von ....................................................................... 50 Zitelmann, Ernst ................................................................................. 175 Zuckmayer, Carl ......................................................................... 225–227 Zürich.................................................................................. 139, 153, 156 Zweig, Max ................................................................................. 220–224 Zweig, Stefan ...................................................................................... 220 Zwischenprüfung ............................................................. XIII, XXVI, 18
Juristische Zeitgeschichte
Herausgeber: Prof. Dr. Dr. Thomas Vormbaum, FernUniversität in Hagen
Abteilung 1: Allgemeine Reihe
1 Thomas Vormbaum (Hrsg.): Die Sozialdemokratie und die Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Quellen aus der sozialdemokratischen Partei und Presse (1997) 2 Heiko Ahlbrecht: Geschichte der völkerrechtlichen Strafgerichtsbarkeit im 20. Jahrhundert (1999) 3 Dominik Westerkamp: Pressefreiheit und Zensur im Sachsen des Vormärz (1999) 4 Wolfgang Naucke: Über die Zerbrechlichkeit des rechtsstaatlichen Strafrechts. Gesammelte Aufsätze zur Strafrechtsgeschichte (2000) 5 Jörg Ernst August Waldow: Der strafrechtliche Ehrenschutz in der NS-Zeit (2000) 6 Bernhard Diestelkamp: Rechtsgeschichte als Zeitgeschichte. Beiträge zur Rechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts (2001) 7 Michael Damnitz: Bürgerliches Recht zwischen Staat und Kirche. Mitwirkung der Zentrumspartei am Bürgerlichen Gesetzbuch (2001) 8 Massimo Nobili: Die freie richterliche Überzeugungsbildung. Reformdiskussion und Gesetzgebung in Italien, Frankreich und Deutschland seit dem Ausgang des 18. Jahrhunderts (2001) 9 Diemut Majer: Nationalsozialismus im Lichte der Juristischen Zeitgeschichte (2002) 10 Bianca Vieregge: Die Gerichtsbarkeit einer „Elite“. Nationalsozialistische Rechtsprechung am Beispiel der SS- und Polizeigerichtsbarkeit (2002) 11 Norbert Berthold Wagner: Die deutschen Schutzgebiete (2002) 12 Milosˇ Vec: Die Spur des Täters. Methoden der Identifikation in der Kriminalistik (1879–1933), (2002) 13 Christian Amann: Ordentliche Jugendgerichtsbarkeit und Justizalltag im OLGBezirk Hamm von 1939 bis 1945 (2003) 14 Günter Gribbohm: Das Reichskriegsgericht (2004) 15 Martin M. Arnold: Pressefreiheit und Zensur im Baden des Vormärz. Im Spannungsfeld zwischen Bundestreue und Liberalismus (2003) 16 Ettore Dezza: Beiträge zur Geschichte des modernen italienischen Strafrechts (2004) 17 Thomas Vormbaum (Hrsg.): „Euthanasie“ vor Gericht. Die Anklageschrift des Generalstaatsanwalts beim OLG Frankfurt/M. gegen Werner Heyde u. a. vom 22. Mai 1962 (2005) 18 Kai Cornelius: Vom spurlosen Verschwindenlassen zur Benachrichtigungspflicht bei Festnahmen (2006) 19 Kristina Brümmer-Pauly: Desertion im Recht des Nationalsozialismus (2006) 20 Hanns-Jürgen Wiegand: Direktdemokratische Elemente in der deutschen Verfassungsgeschichte (2006) 21 Hans-Peter Marutschke (Hrsg.): Beiträge zur modernen japanischen Rechtsgeschichte (2006) 22 Katrin Stoll: Die Herstellung der Wahrheit (2011)
23 Thorsten Kurtz: Das Oberste Rückerstattungsgericht in Herford (2014) 24 Sebastian Schermaul: Die Umsetzung der Karlsbader Beschlüsse an der Universität Leipzig 1819–1848 (2013)
Abteilung 2: Forum Juristische Zeitgeschichte 1 Franz-Josef Düwell / Thomas Vormbaum (Hrsg.): Themen juristischer Zeit geschichte (1) – Schwerpunktthema: Recht und Nationalsozialismus (1998) 2 Karl-Heinz Keldungs: Das Sondergericht Duisburg 1943–1945 (1998) 3 Franz-Josef Düwell / Thomas Vormbaum (Hrsg.): Themen juristischer Zeit geschichte (2) – Schwerpunktthema: Recht und Juristen in der Revolution von 1848/49 (1998) 4 Thomas Vormbaum: Beiträge zur juristischen Zeitgeschichte (1999) 5 Franz-Josef Düwell / Thomas Vormbaum: Themen juristischer Zeitgeschichte (3), (1999) 6 Thomas Vormbaum (Hrsg.): Themen juristischer Zeitgeschichte (4), (2000) 7 Frank Roeser: Das Sondergericht Essen 1942–1945 (2000) 8 Heinz Müller-Dietz: Recht und Nationalsozialismus – Gesammelte Beiträge (2000) 9 Franz-Josef Düwell (Hrsg.): Licht und Schatten. Der 9. November in der deutschen Geschichte und Rechtsge schichte – Symposium der Arnold-Frey muthGesellschaft, Hamm (2000) 10 Bernd-Rüdiger Kern / Klaus-Peter Schroeder (Hrsg.): Eduard von Simson (1810– 1899). „Chorführer der Deutschen“ und erster Präsident des Reichsgerichts (2001) 11 Norbert Haase / Bert Pampel (Hrsg.): Die Waldheimer „Prozesse“ – fünfzig Jahre danach. Dokumentation der Tagung der Stiftung Sächsische Gedenkstätten am 28. und 29. September in Waldheim (2001) 12 Wolfgang Form (Hrsg.): Literatur- und Urteilsverzeichnis zum politischen NSStrafrecht (2001) Sabine Hain: Die Individualverfassungsbeschwerde nach Bundesrecht (2002) 13 14 Gerhard Pauli / Thomas Vormbaum (Hrsg.): Justiz und Nationalsozialismus – Kontinuität und Diskontinuität. Fachtagung in der Justizakademie des Landes NRW, Recklinghausen, am 19. und 20. November 2001 (2003) 15 Mario Da Passano (Hrsg.): Europäische Strafkolonien im 19. Jahrhundert. Internationaler Kongreß des Dipartimento di Storia der Universität Sassari und des Parco nazionale di Asinara, Porto Torres, 25. Mai 2001 (2006) 16 Sylvia Kesper-Biermann / Petra Overath (Hrsg.): Die Internationalisierung von Strafrechtswissenschaft und Kriminalpolitik (1870–1930). Deutschland im Vergleich (2007) 17 Hermann Weber (Hrsg.): Literatur, Recht und Musik. Tagung im Nordkolleg Rendsburg vom 16. bis 18. September 2005 (2007) 18 Hermann Weber (Hrsg.): Literatur, Recht und (bildende) Kunst. Tagung im Nordkolleg Rendsburg vom 21. bis 23. September 2007 (2008) 19 Francisco Muñoz Conde / Thomas Vormbaum (Hrsg.): Transformation von Diktaturen in Demokratien und Aufarbeitung der Vergangenheit (2010) 20 Kirsten Scheiwe / Johanna Krawietz (Hrsg.): (K)Eine Arbeit wie jede andere? Die Regulierung von Arbeit im Privathaushalt (2014) 21 Helmut Irmen: Das Sondergericht Aachen 1941–1945 (2018)
Abteilung 3: Beiträge zur modernen deutschen Strafgesetzgebung. Materialien zu einem historischen Kommentar 1 Thomas Vormbaum / Jürgen Welp (Hrsg.): Das Strafgesetzbuch seit 1870. Sammlung der Änderungen und Neubekanntmachungen; Vier Textbände (1999–2002) und drei Supplementbände (2005, 2006) 2 Christian Müller: Das Gewohnheitsverbrechergesetz vom 24. November 1933. Kriminalpolitik als Rassenpolitik (1998) 3 Maria Meyer-Höger: Der Jugendarrest. Entstehung und Weiterentwicklung einer Sanktion (1998) 4 Kirsten Gieseler: Unterlassene Hilfeleistung – § 323c StGB. Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1870. (1999) 5 Robert Weber: Die Entwicklung des Nebenstrafrechts 1871–1914 (1999) 6 Frank Nobis: Die Strafprozeßgesetzgebung der späten Weimarer Republik (2000) 7 Karsten Felske: Kriminelle und terroristische Vereinigungen – §§ 129, 129a StGB (2002) 8 Ralf Baumgarten: Zweikampf – §§ 201–210 a.F. StGB (2003) 9 Felix Prinz: Diebstahl – §§ 242 ff. StGB (2003) 10 Werner Schubert / Thomas Vormbaum (Hrsg.): Entstehung des Strafgesetzbuchs. Kommissionsprotokolle und Entwürfe. Band 1: 1869 (2002); Band 2: 1870 (2004) 11 Lars Bernhard: Falsche Verdächtigung (§§ 164, 165 StGB) und Vortäuschen einer Straftat (§ 145d StGB), (2003) 12 Frank Korn: Körperverletzungsdelikte – §§ 223 ff., 340 StGB. Reformdiskussion und Gesetzgebung von 1870 bis 1933 (2003) 13 Christian Gröning: Körperverletzungsdelikte – §§ 223 ff., 340 StGB. Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1933 (2004) 14 Sabine Putzke: Die Strafbarkeit der Abtreibung in der Kaiserzeit und in der Weimarer Zeit. Eine Analyse der Reformdiskussion und der Straftatbestände in den Reformentwürfen (1908–1931), (2003) 15 Eckard Voßiek: Strafbare Veröffentlichung amtlicher Schriftstücke (§ 353d Nr. 3 StGB). Gesetzgebung und Rechtsanwendung seit 1851 (2004) 16 Stefan Lindenberg: Brandstiftungsdelikte – §§ 306 ff. StGB. Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1870 (2004) 17 Ninette Barreneche†: Materialien zu einer Strafrechtsgeschichte der Münchener Räterepublik 1918/1919 (2004) 18 Carsten Thiel: Rechtsbeugung – § 339 StGB. Reformdiskussion und Gesetz gebung seit 1870 (2005) 19 Vera Große-Vehne: Tötung auf Verlangen (§ 216 StGB), „Euthanasie“ und Sterbehilfe. Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1870 (2005) 20 Thomas Vormbaum / Kathrin Rentrop (Hrsg.): Reform des Strafgesetzbuchs. Sammlung der Reformentwürfe. Band 1: 1909 bis 1919. Band 2: 1922 bis 1939. Band 3: 1959 bis 1996 (2008) 21 Dietmar Prechtel: Urkundendelikte (§§ 267 ff. StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1870 (2005) 22 Ilya Hartmann: Prostitution, Kuppelei, Zuhälterei. Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1870 (2006)
23 Ralf Seemann: Strafbare Vereitelung von Gläubigerrechten (§§ 283 ff., 288 StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1870 (2006) 24 Andrea Hartmann: Majestätsbeleidigung (§§ 94 ff. StGB a.F.) und Verunglimpfung des Staatsoberhauptes (§ 90 StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit dem 19. Jahrhundert (2006) 25 Christina Rampf: Hausfriedensbruch (§ 123 StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1870 (2006) 26 Christian Schäfer: „Widernatürliche Unzucht“ (§§ 175, 175a, 175b, 182, a.F. StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1945 (2006) 27 Kathrin Rentrop: Untreue und Unterschlagung (§§ 266 und 246 StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit dem 19. Jahrhundert (2007) 28 Martin Asholt: Straßenverkehrsstrafrecht. Reformdiskussion und Gesetzgebung seit dem Ausgang des 19. Jahrhunderts (2007) 29 Katharina Linka: Mord und Totschlag (§§ 211–213 StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1870 (2008) 30 Juliane Sophia Dettmar: Legalität und Opportunität im Strafprozess. Reformdiskussion und Gesetzgebung von 1877 bis 1933 (2008) 31 Jürgen Durynek: Korruptionsdelikte (§§ 331 ff. StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit dem 19. Jahrhundert (2008) 32 Judith Weber: Das sächsische Strafrecht im 19. Jahrhundert bis zum Reichsstrafgesetzbuch (2009) 33 Denis Matthies: Exemplifikationen und Regelbeispiele. Eine Untersuchung zum 100-jährigen Beitrag von Adolf Wach zur „Legislativen Technik“ (2009) 34 Benedikt Rohrßen: Von der „Anreizung zum Klassenkampf“ zur „Volksverhetzung“ (§ 130 StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit dem 19. Jahrhundert (2009) 35 Friederike Goltsche: Der Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuches von 1922 (Entwurf Radbruch) (2010) 36 Tarig Elobied: Die Entwicklung des Strafbefehlsverfahrens von 1846 bis in die Gegenwart (2010) 37 Christina Müting: Sexuelle Nötigung; Vergewaltigung (§ 177 StGB) (2010) 38 Nadeschda Wilkitzki: Entstehung des Gesetzes über Internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG) (2010) 39 André Brambring: Kindestötung (§ 217 a.F. StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1870 (2010) 40 Wilhelm Rettler: Der strafrechtliche Schutz des sozialistischen Eigentums in der DDR (2010) 41 Yvonne Hötzel: Debatten um die Todesstrafe in der Bundesrepublik Deutschland von 1949 bis 1990 (2010) 42 Dagmar Kolbe: Strafbarkeit im Vorfeld und im Umfeld der Teilnahme (§§ 88a, 110, 111, 130a und 140 StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit dem 19. Jahrhundert (2011) 43 Sami Bdeiwi: Beischlaf zwischen Verwandten (§ 173 StGB). Reform und Gesetzgebung seit 1870 (2014) 44 Michaela Arnold: Verfall, Einziehung und Unbrauchbarmachung (§§ 73 bis 76a StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit dem 19. Jahrhundert (2015) 45 Andrea Schurig: „Republikflucht“ (§§ 213, 214 StGB/DDR). Gesetzgeberische Entwicklung, Einfluss des MfS und Gerichtspraxis am Beispiel von Sachsen (2016)
46 Sandra Knaudt: Das Strafrecht im Großherzogtum Hessen im 19. Jahrhundert bis zum Reichsstrafgesetzbuch (2017) 47 Michael Rudlof: Das Gesetz zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung (§ 217 StGB nF.) (2018)
Abteilung 4: Leben und Werk. Biographien und Werkanalysen 1 Mario A. Cattaneo: Karl Grolmans strafrechtlicher Humanismus (1998) 2 Gerit Thulfaut: Kriminalpolitik und Strafrechtstheorie bei Edmund Mezger (2000) 3 Adolf Laufs: Persönlichkeit und Recht. Gesammelte Aufsätze (2001) 4 Hanno Durth: Der Kampf gegen das Unrecht. Gustav Radbruchs Theorie eines Kulturverfassungsrechts (2001) 5 Volker Tausch: Max Güde (1902–1984). Generalbundesanwalt und Rechtspolitiker (2002) 6 Bernd Schmalhausen: Josef Neuberger (1902–1977). Ein Leben für eine menschliche Justiz (2002) 7 Wolf Christian von Arnswald: Savigny als Strafrechtspraktiker. Ministerium für die Gesetzesrevision (1842–1848), (2003) 8 Thilo Ramm: Ferdinand Lassalle. Der Revolutionär und das Recht (2004) 9 Martin D. Klein: Demokratisches Denken bei Gustav Radbruch (2007) 10 Francisco Muñoz Conde: Edmund Mezger – Beiträge zu einem Juristenleben (2007) 11 Whitney R. Harris: Tyrannen vor Gericht. Das Verfahren gegen die deutschen Hauptkriegsverbrecher nach dem Zweiten Weltkrieg in Nürnberg 1945–1946 (2008) 12 Eric Hilgendorf (Hrsg.): Die deutschsprachige Strafrechtswissenschaft in Selbstdarstellungen (2010) 13 Tamara Cipolla: Friedrich Karl von Strombeck. Leben und Werk – Unter besonderer Berücksichtigung des Entwurfes eines Strafgesetzbuches für ein Norddeutsches Staatsgebiet (2010) 14 Karoline Peters: J. D. H. Temme und das preußische Strafverfahren in der Mitte des 19. Jahrhunderts (2010) 15 Eric Hilgendorf (Hrsg.): Die ausländische Strafrechtswissenschaft in Selbstdarstellungen. Die internationale Rezeption des deutschen Strafrechts (2016) 16 Hannes Ludyga: Otto Kahn-Freund (1900–1979). Ein Arbeitsrechtler in der Weimarer Zeit (2016)
Abteilung 5: Juristisches Zeitgeschehen. Rechtspolitik und Justiz aus zeitgenössischer Perspektive Mitherausgegeben von Gisela Friedrichsen („Der Spiegel“) und RA Prof. Dr. Franz Salditt 1 Diether Posser: Anwalt im Kalten Krieg. Ein Stück deutscher Geschichte in politischen Prozessen 1951–1968. 3. Auflage (1999) 2 Jörg Arnold (Hrsg.): Strafrechtliche Auseinandersetzung mit Systemvergangenheit am Beispiel der DDR (2000)
3 Thomas Vormbaum (Hrsg.): Vichy vor Gericht: Der Papon-Prozeß (2000) 4 Heiko Ahlbrecht / Kai Ambos (Hrsg.): Der Fall Pinochet(s). Auslieferung wegen staatsverstärkter Kriminalität? (1999) 5 Oliver Franz: Ausgehverbot für Jugendliche („Juvenile Curfew“) in den USA. Reformdiskussion und Gesetzgebung seit dem 19. Jahrhundert (2000) 6 Gabriele Zwiehoff (Hrsg.): „Großer Lauschangriff“. Die Entstehung des Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes vom 26. März 1998 und des Gesetzes zur Änderung der Strafprozeßordnung vom 4. Mai 1998 in der Presseberichterstattung 1997/98 (2000) 7 Mario A. Cattaneo: Strafrechtstotalitarismus. Terrorismus und Willkür (2001) 8 Gisela Friedrichsen / Gerhard Mauz: Er oder sie? Der Strafprozeß Böttcher/ Weimar. Prozeßberichte 1987 bis 1999 (2001) 9 Heribert Prantl / Thomas Vormbaum (Hrsg.): Juristisches Zeitgeschehen 2000 in der Süddeutschen Zeitung (2001) 10 Helmut Kreicker: Art. 7 EMRK und die Gewalttaten an der deutsch-deutschen Grenze (2002) 11 Heribert Prantl / Thomas Vormbaum (Hrsg.): Juristisches Zeitgeschehen 2001 in der Süddeutschen Zeitung (2002) 12 Henning Floto: Der Rechtsstatus des Johanniterordens. Eine rechtsgeschichtliche und rechtsdogmatische Untersuchung zum Rechtsstatus der Balley Brandenburg des ritterlichen Ordens St. Johannis vom Spital zu Jerusalem (2003) 13 Heribert Prantl / Thomas Vormbaum (Hrsg.): Juristisches Zeitgeschehen 2002 in der Süddeutschen Zeitung (2003) 14 Kai Ambos / Jörg Arnold (Hrsg.): Der Irak-Krieg und das Völkerrecht (2004) 15 Heribert Prantl / Thomas Vormbaum (Hrsg.): Juristisches Zeitgeschehen 2003 in der Süddeutschen Zeitung (2004) 16 Sascha Rolf Lüder: Völkerrechtliche Verantwortlichkeit bei Teilnahme an „Peacekeeping“-Missionen der Vereinten Nationen (2004) 17 Heribert Prantl / Thomas Vormbaum (Hrsg.): Juristisches Zeitgeschehen 2004 in der Süddeutschen Zeitung (2005) 18 Christian Haumann: Die „gewichtende Arbeitsweise“ der Finanzverwaltung. Eine Untersuchung über die Aufgabenerfüllung der Finanzverwaltung bei der Festsetzung der Veranlagungssteuern (2008) 19 Asmerom Ogbamichael: Das neue deutsche Geldwäscherecht (2011) 20 Lars Chr. Barnewitz: Die Entschädigung der Freimaurerlogen nach 1945 und nach 1989 (2011) 21 Ralf Gnüchtel: Jugendschutztatbestände im 13. Abschnitt des StGB (2013) 22 Helmut Irmen: Stasi und DDR-Militärjustiz. Der Einfluss des MfS auf Militärjustiz und Militärstrafvollzug in der DDR (2014) 24 Zekai Dag˘as¸an: Das Ansehen des Staates im türkischen und deutschen Strafrecht (2015) 25 Camilla Bertheau: Politisch unwürdig? Entschädigung von Kommunisten für nationalsozialistische Gewaltmaßnahmen. Bundesdeutsche Gesetzgebung und Rechtsprechung der 50er Jahre (2016)
Abteilung 6: Recht in der Kunst Mitherausgegeben von Prof. Dr. Gunter Reiß 1 Heinz Müller-Dietz: Recht und Kriminalität im literarischen Widerschein. Gesammelte Aufsätze (1999) 2 Klaus Lüderssen (Hrsg.): »Die wahre Liberalität ist Anerkennung«. Goethe und die Juris prudenz (1999) 3 Bertolt Brecht: Die Dreigroschenoper (1928) / Dreigroschenroman (1934). Mit Kommentaren von Iring Fetscher und Bodo Plachta (2001) 4 Annette von Droste-Hülshoff: Die Judenbuche (1842) / Die Vergeltung (1841). Mit Kommentaren von Heinz Holzhauer und Winfried Woesler (2000) 5 Theodor Fontane: Unterm Birnbaum (1885). Mit Kommentaren von Hugo Aust und Klaus Lüderssen (2001) 6 Heinrich von Kleist: Michael Kohlhaas (1810). Mit Kommentaren von Wolfgang Naucke und Joachim Linder (2000) 7 Anja Sya: Literatur und juristisches Erkenntnisinteresse. Joachim Maass’ Roman „Der Fall Gouffé“ und sein Verhältnis zu der historischen Vorlage (2001) 8 Heiner Mückenberger: Theodor Storm – Dichter und Richter. Eine rechts geschichtliche Lebensbeschreibung (2001) 9 Hermann Weber (Hrsg.): Annäherung an das Thema „Recht und Literatur“. Recht, Literatur und Kunst in der NJW (1), (2002) 10 Hermann Weber (Hrsg.): Juristen als Dichter. Recht, Literatur und Kunst in der NJW (2), (2002) 11 Hermann Weber (Hrsg.): Prozesse und Rechtsstreitigkeiten um Recht, Literatur und Kunst. Recht, Literatur und Kunst in der NJW (3), (2002) 12 Klaus Lüderssen: Produktive Spiegelungen. 2., erweiterte Auflage (2002) 13 Lion Feuchtwanger: Erfolg. Drei Jahre Geschichte einer Provinz. Roman (1929). Mit Kommentaren von Theo Rasehorn und Ernst Ribbat (2002) 14 Jakob Wassermann: Der Fall Maurizius. Roman (1928). Mit Kommentaren von Thomas Vormbaum und Regina Schäfer (2003) 15 Hermann Weber (Hrsg.): Recht, Staat und Politik im Bild der Dichtung. Recht, Literatur und Kunst in der Neuen Juristischen Wochenschrift (4), (2003) 16 Hermann Weber (Hrsg.): Reale und fiktive Kriminalfälle als Gegenstand der Literatur. Recht, Literatur und Kunst in der Neuen Juristischen Wochenschrift (5), (2003) 17 Karl Kraus: Sittlichkeit und Kriminalität. (1908). Mit Kommentaren von Helmut Arntzen und Heinz Müller-Dietz (2004) 18 Hermann Weber (Hrsg.): Dichter als Juristen. Recht, Literatur und Kunst in der Neuen Juristischen Wochenschrift (6), (2004) 19 Hermann Weber (Hrsg.): Recht und Juristen im Bild der Literatur. Recht, Literatur und Kunst in der Neuen Juristischen Wochenschrift (7), (2005) 20 Heinrich von Kleist: Der zerbrochne Krug. Ein Lustspiel (1811). Mit Kommentaren von Michael Walter und Regina Schäfer (2005) 21 Francisco Muñoz Conde / Marta Muñoz Aunión: „Das Urteil von Nürnberg“. Juristischer und filmwissenschaftlicher Kommentar zum Film von Stanley Kramer (1961), (2006)
22 Fjodor Dostojewski: Aufzeichnungen aus einem Totenhaus (1860). Mit Kommentaren von Heinz Müller-Dietz und Dunja Brötz (2005) 23 Thomas Vormbaum (Hrsg.): Anton Matthias Sprickmann. Dichter und Jurist. Mit Kommentaren von Walter Gödden, Jörg Löffler und Thomas Vormbaum (2006) 24 Friedrich Schiller: Verbrecher aus Infamie (1786). Mit Kommentaren von Heinz Müller-Dietz und Martin Huber (2006) 25 Franz Kafka: Der Proceß. Roman (1925). Mit Kommentaren von Detlef Kremer und Jörg Tenckhoff (2006) 26 Heinrich Heine: Deutschland. Ein Wintermährchen. Geschrieben im Januar 1844. Mit Kommentaren von Winfried Woesler und Thomas Vormbaum (2006) 27 Thomas Vormbaum (Hrsg.): Recht, Rechtswissenschaft und Juristen im Werk Heinrich Heines (2006) Heinz Müller-Dietz: Recht und Kriminalität in literarischen Spiegelungen 28 (2007) 29 Alexander Puschkin: Pique Dame (1834). Mit Kommentaren von Barbara Aufschnaiter/Dunja Brötz und Friedrich-Christian Schroeder (2007) 30 Georg Büchner: Danton’s Tod. Dramatische Bilder aus Frankreichs Schre ckensherrschaft. Mit Kommentaren von Sven Kramer und Bodo Pieroth (2007) 31 Daniel Halft: Die Szene wird zum Tribunal! Eine Studie zu den Beziehungen von Recht und Literatur am Beispiel des Schauspiels „Cyankali“ von Friedrich Wolf (2007) 32 Erich Wulffen: Kriminalpsychologie und Psychopathologie in Schillers Räubern (1907). Herausgegeben von Jürgen Seul (2007) 33 Klaus Lüderssen: Produktive Spiegelungen: Recht in Literatur, Theater und Film. Band II (2007) 34 Albert Camus: Der Fall. Roman (1956). Mit Kommentaren von Brigitte Sändig und Sven Grotendiek (2008) 35 Thomas Vormbaum (Hrsg.): Pest, Folter und Schandsäule. Der Mailänder Prozess wegen „Pestschmierereien“ in Rechtskritik und Literatur. Mit Kommentaren von Ezequiel Malarino und Helmut C. Jacobs (2008) 36 E.T.A. Hoffmann: Das Fräulein von Scuderi – Erzählung aus dem Zeitalter Ludwigs des Vierzehnten (1819). Mit Kommentaren von Heinz Müller-Dietz und Marion Bönnighausen (2010) 37 Leonardo Sciascia: Der Tag der Eule. Mit Kommentaren von Gisela Schlüter und Daniele Negri (2010) 38 Franz Werfel: Eine blaßblaue Frauenschrift. Novelle (1941). Mit Kommentaren von Matthias Pape und Wilhelm Brauneder (2011) 39 Thomas Mann: Das Gesetz. Novelle (1944). Mit Kommentaren von Volker Ladenthin und Thomas Vormbaum (2013) 40 Theodor Storm: Ein Doppelgänger. Novelle (1886) (2013) 41 Dorothea Peters: Der Kriminalrechtsfall ,Kaspar Hauser‘ und seine Rezeption in Jakob Wassermanns Caspar-Hauser-Roman (2014) 42 Jörg Schönert: Kriminalität erzählen (2015) 43 Klaus Lüderssen: Produktive Spiegelungen. Recht im künstlerischen Kontext. Band 3 (2014) 44 Franz Kafka: In der Strafkolonie. Erzählung (1919) (2015) 45 Heinz Müller-Dietz: Recht und Kriminalität in literarischen Brechungen (2016)
46 Hermann Weber (Hrsg.): Das Recht als Rahmen für Literatur und Kunst. Tagung im Nordkolleg Rendsburg vom 4. bis 6. September 2015 (2017) 47 Walter Müller-Seidel: Rechtsdenken im literarischen Text. Deutsche Literatur von der Weimarer Klassik zur Weimarer Republik (2017) 48 Honoré de Balzac: Eine dunkle Geschichte (2018) 49 Anja Schiemann: Der Kriminalfall Woyzeck. Der historische Fall und Büchners Drama (2018) 50 E. T. A. Hoffmann: Meister Floh. Ein Mährchen in sieben Abentheuern zweier Freunde (1822). Mit Kommentaren von Michael Niehaus und Thomas Vormbaum (2018) 51 Bodo Pieroth: Deutsche Schriftsteller als angehende Juristen (2018)
Abteilung 7: Beiträge zur Anwaltsgeschichte Mitherausgegeben von Gerhard Jungfer, Dr. Tilmann Krach und Prof. Dr. Hinrich Rüping 1 Babette Tondorf: Strafverteidigung in der Frühphase des reformierten Strafprozesses. Das Hochverratsverfahren gegen die badischen Aufständischen Gustav Struve und Karl Blind (1848/49), (2006) 2 Hinrich Rüping: Rechtsanwälte im Bezirk Celle während des Nationalsozialismus (2007)
Abteilung 8: Judaica 1 Hannes Ludyga: Philipp Auerbach (1906–1952). „Staatskommissar für rassisch, religiös und politisch Verfolgte“ (2005) 2 Thomas Vormbaum: Der Judeneid im 19. Jahrhundert, vornehmlich in Preußen. Ein Beitrag zur juristischen Zeitgeschichte (2006) 3 Hannes Ludyga: Die Rechtsstellung der Juden in Bayern von 1819 bis 1918. Studie im Spiegel der Verhandlungen der Kammer der Abgeordneten des bayerischen Landtags (2007) 4 Michele Sarfatti: Die Juden im faschistischen Italien. Geschichte, Identität, Verfolgung (2014)