Wort und Macht: Friedrich Gentz als politischer Schriftsteller [1 ed.] 9783428479627, 9783428079629


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Wort und Macht: Friedrich Gentz als politischer Schriftsteller [1 ed.]
 9783428479627, 9783428079629

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Günther Kronenbitter . Wort und Macht

Beiträge zur Politischen Wissenschaft Band 71

Wort und Macht Friedrich Gentz als politischer Schriftsteller

Von Günther Kronenbitter

DUßcker & Humblot . Berliß

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Kronenbitter, Günther:

Wort und Macht: Friedrich Gentz als politischer Schriftsteller / von Günther Kronenbitter. - Berlin : Duncker und Humblot. 1994 (Beiträge zur Politischen Wissenschaft: Bd. 71) Zug!.: Augsburg, Univ., Diss., 1992 ISBN 3-42H-07962-0 NE: GT

Alle Rechte vorbehalten © 1994 Duncker & Humblot GmbH. Berlin Fotoprint: Color-Druck Dorfi GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 05H2-042I ISBN 3-42H-07962-0

Vorwort Jedes Buch hat seine Geschichte, jeder Text seinen Kontext, jeder Autor sein Umfeld. Anzugeben, woher Zitate und Belegstellen stammen, das gebietet die Redlichkeit; aufzuzählen, wer in Familie und Freundeskreis, unter Bekannten und Arbeitskollegen durch Aufmunterung, Zuspruch und Rücksicht - nicht selten auch viel Nachsicht - die Voraussetzungen für den erfolgreichen Abschluß des Lesens, Schreibens und Korrigierens geschaffen hat, verbietet sich, denn wo beginnen und wo enden? Die, die gemeint sind, wissen darum. Unter denen, deren Rat und deren Tat für das Zustandekommen dieses Buches unerläßliche Hilfe waren, möchte ich dennoch neben den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Archiven und vor allem in der Universitätsbibliothek Augsburg, die mich unermüdlich mit Quellen und Literatur versorgten, ausdrücklich danken: Herrn Professor Dr. Theo Stammen, der mich zur Beschäftigung mit Friedrich Gentz angeregt hat und die 1992 von den Philosophischen Fakultäten der Universität Augsburg als Dissertation angenommene Arbeit betreute, sie nicht nur begutachtete, sondern auch für den von der Buchhandlung Rieger & Kranzfelder (Augsburg) gestifteten und mir für meine Dissertation 1993 von der Universität Augsburg verliehenen "Preis für eine hervorragende geisteswissenschaftliche Arbeit" vorgeschlagen hat; Herrn Professor Dr. Josef Becker, dem Zweitgutachter meiner Dissertation, der mir als seinem Assistenten mit sehr viel Großmut die Freiräume für die Vorbereitung und Abfassung des Textes und für die Korrekturen für die hier vorgelegte Druckfassung der Dissertation gewährte; Herrn Professor Dr. Johannes Burkhardt, Herrn Professor Dr. Ulrich von Hehl und Herrn Professor Dr. Günter Wollstein, die während Herrn Professor Dr. Beckers Universitätspräsidentschaft als Vertreter des Lehrstuhlinhabers mir im gleichen Sinne mit größter Liberalität entgegenkamen; Herrn Professor Dr. Burkhardt darüberhinaus dafür, daß er den Archivaufenthalt in Wien unterstützte; Herrn Professor Dr. Woll stein nicht zuletzt auch, weil er mir mit seiner kämpferischen Hartnäckigkeit den Zugang zum Gentz-Nachlaß in der Universitätsbibliothek Köln gebahnt hat. Augsburg, im August 1993

Günther KrolleIlbitter

Inhaltsverzeichnis I.

Einleitung................................................ 11

11.

Biographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 1. Politische Biographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 2. Bürgertum und Bürokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 3. Geselligkeit und Publizistik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 4. Hohe Politik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 5. Erfahrungsraum und Erwartungshorizont . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45

111.

Politische Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 1. Rekonstruktionsversuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 2. Recht und Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 3. Freiheit und Gleichheit als politische Normen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 4. Grenzen des Reinen Staatsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 5. Geschichtsphilosophie und Anthropologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 6. Gleichgewicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ... 75 7. Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ... 78

IV. Exkurs: Deutscher Frühkonservativismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82

V. Rhetorik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95

1. Zur Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 2. Zum' Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 103

VI. Literaturbetrieb ... . . . . . . . . . . ... . ...... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112

VII. Politischer Schriftsteller und öffentliche Meinung .... . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127

Inhaltsverzeichnis

8

VIII. Exkurs: Private Texte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138

IX. Zensur ......

.... . . .

. .........

144

1. Schriftsteller

144

2. Zensor ...

152

3. Politiker ..

159

4. Apologet ..

165

X. Pressepolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176

XI. Staatsschriftsteller . . . . . . . . .

190

1. Außenpolitik und Publizistik

190

2. Deutsche Verfassungen ..... .

202

3. Griechisch-türkische Angelegenheiten.

219

4. Österreichische Finanzen ....... .

241

XII. Zwischen den Staaten . . . . . . . . . . .. .

257

1. Neutralität und Einmischung .. .

257

2. Fragmentarischer Nationalismus .

266

3. England und Europa

283

4. Gewalt und Recht ..

298

XIII. Kritiker ...

320

1. Vorbilder

320

2. Variationen . .

332

3. Revolutionsgeschichte

344

4. Verfassung und Vernunft

359

XIV.

Schluß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367

Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .... 373

Abkürzungen

ADB

Allgemeine Deutsche Biographie

Allg. Verw.

Allgemeine Verwaltung

ALZ

Allgemeine Literaturzeitung

Dt. Akten

Deutsche Akten

Fasz.

Faszikel

FBPG

Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte

Geh. Zivilkabinett

Geheimes Zivilkabinett

G.N. Nr.

Gentz Nachlaß Nummer

GStA

Geheimes Staatsarchiv

HHStA

Haus-, Hof- und Staatsarchiv

HZ

Historische Zeitschrift

JALZ

Jenaische Allgemeine Literaturzeitung

Kart.

Karton

Konv.

Konvolut

Korr.

Korrespondenz

MIÖG

Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung

NDB

Neue Deutsche Biographie

NFG (GSA)

Nationale Forschungs- und Gedenkstätten (Goethe- und Schiller-Archiv)

NL

Nachlaß

NÖB

Neue Österreichische Biographie

NPL

Neue Politische Literatur

PVS

Politische Vierteljahresschrift

Rep.

Repertorium

StK

Staatskanzlei

UB

Universitätsbibliothek

Wurzbach

Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich

I. Einleitung "Bei dem Namen gleich, den die Ueberschrift giebt, wird in Allen, die den Mann gekannt haben, eine lebhafte Bewegung, ein Reiz, ein Lächeln und Staunen der Erinnerung, ein Gefühl geistiger Gegenwart und hinreißenden Wirkens entstehn, die Fülle der großen Welt und der Ernst der Geschichtsereignisse wird sich dem Sinn darstellen, und neben allem diesen eine Unruhe und Sorge sich aufdrängen, wer es doch wagen dürfe, den wogenden Grund eines vielfachen Eindrucks, den nur das Leben selbst vollständig erklären konnte, durch hingeworfene Umrisse zu einem festen Bilde zu gestalten? Sie werden Recht haben, die so fragen. So reichen Inhalt weckt jener Name bei den Vertrauten und Unterrichteten, daß diejenigen, die es nicht sind, kaum ahnen können, was ihnen mangelt und entgeht!'"

Seit Karl August Varnhagens Würdigung von Friedrich Gentz sind mehr als 150 Jahre vergangen, die "Vertrauten und Unterrichteten" sind schon lange verschwunden, Gentz weitgehend vergessen. Nicht mehr "das Leben selbst", sondern toter Buchstabe ist als Zugang zu diesem "merkwürdigen Mann"2 übriggeblieben. Davon gibt es allerdings reichlich: Gentz hat viel geschrieben, Bücher, Aufsätze, Denkschriften, Tagebücher und vor allem Briefe, amtliche und private, die zu Hunderten in den Archiven Europas liegen. Obwohl der Großteil seiner Schriften, direkt oder indirekt, den zentralen politischen Konflikten Europas zwischen Französischer und Juli-Revolution gewidmet ist, hat er doch nur als Übersetzer von Edmund Burkes "Reflections on the Revolution in France" einen bescheidenen, aber festen Platz in der Geschichte des politischen Denkens in Deutschland. Seine schillernde Persönlichkeit, sein bewegtes Leben, sein Umgang mit Berühmtheiten aus Politik und Kultur geben der Beschäftigung mit Gentz Unterhaltungswert; seine Rolle als Beobachter, Deuter und Akteur der auswärtigen Politik Europas in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts macht Gentz für die Diplomatiegeschichte interessant; seine Stellung als Mitarbeiter Metternichs bei der Unterdrückung der liberalen und nationalen Freiheitsbewegungen in Mitteleuropanach dem Wieher Kongreß läßt ihn für die politische Geschichte bedeutsam erscheinen. Ist Gentz, "dieser Meteor am politischen Himmel [ ... ] und auf dem deutschen Schriftstellerboden "3, aber auch für eine Arbeit zur Politischen Ideengeschichte ein würdiger Gegenstand?

, K.A. Vamhagen von Ellse, Galerie von Bildnissen aus Rahel's Umgang und Briefwechsel. Zweiter Theil, Leipzig 1836, S. 157. 2 Ebd., S. 160. 3 Ebd., S. 159.

12

I. Einleitung

Die Beantwortung dieser Frage setzt zunächst einmal eine Verständigung darüber voraus, wie und zu welchem Ende heute Politische Ideengeschichte betrieben wird. 4 Schon der Begriff "Ideengeschichte" scheint als Verknüpfung von sich widersprechenden Elementen problematisch, belastet auch durch eine lange Geschichte wissenschaftlicher Werke, die unter diesem Etikett in heute oftmals bedenklich erscheinender Weise zeitgenössische Ordnungsprinzipien mit der historischen Methode vermischten. 5 Die Flucht in eine neue Terminologie führt aber selbst da, wo sie mit der Skizzierung eines neuen Forschungsansatzes verbunden wird, nicht viel weiter. 6 Das Festhalten an der Bezeichnung "Ideengeschichte" soll daher nicht überlebten Forschungsansätzen dienen, sondern als Plädoyer für einen möglichst offenen, der Breite der wissenschaftlichen Praxis angemessenen methodischen Zugriff verstanden werden. 7 Im Gegensatz zu "Theorien-" und "Dogmengeschichte" bildet die "Geschichte des politischen Denkens" eine gleichwertige Alternative, die sogar den Vorteil hat, klarer auszudrücken, daß politische Ideen oder Theorien nicht losgelöst von ihren (Vor- oder Nach-)Denkern bestehen und die deshalb im folgenden gleichbedeutend mit "Geschichte der politischen Ideen" gebraucht werden kann. Unter dem breiten Mantel der Politischen Ideengeschichte finden die unterschiedlichsten Zielsetzungen und Methoden ihren Platz. Zwei Grundmuster des Forschungsinteresses lassen sich dabei herausstellen: Eine "sozialstruktureIl orientierte Theoriengeschichte"g einerseits, eine an "Klassikern" ausgerichtete Geschichte des politischen Denkens andererseits. Die Relevanz ideengeschicht-

• Einen guten Einblick in die Schwierigkeiten mit der Politischen Ideengeschichte bietet Udo Bennbach (Hrsg.), Politische Theoriengeschichte. Probleme einer Teildisziplin der Politischen Wissenschaft (=PVS-Sonderheft 15(1984». 'Mit besonderer Schärfe wird der innere Widerspruch des Begriffs "Ideengeschichte" herausgearbeitet bei Lothar Kramm, Vom Un-Sinn einer politischen Ideengeschichte, in: PVS 22(1981), S. 168-180, hier besonders S. 169ff. 6 Als Beispiel mögen die Bemühungen Udo Bermbachs dienen, der tradierten "Ideengeschichte" eine neue "Theoriengeschichte" entgegenzusetzen. Das von ihm in Udo Bem/bach, Bemerkungen zur politischen Theoriengeschichte, in: PVS 22(1981), S. 181-194 umrissene Konzept stcht so wenig im Widerspruch zu Teilen der herkömmlichen ideengeschichtlichen Literatur, daß er selbst in Udo Bem/bach, Zur Entwicklung und zum Stand der politischen Theoriengeschichte, in: Klaus von Beyme (Hrsg.), Politikwissenschaft in der Bundesrepublik Deutschland. Entwicklungsprobleme einer Disziplin (= PVS-Sonderheft 17(1986», S. 142-167 die beiden Begriffe ungeschieden verwendet. 7 Die Unglückseligkeitdes Begriffs "Ideengeschichte" wird durch die Enge des Begriffs "Theoriengeschichte " bei Anwendung auf ältere politische Schriften mehr als ausgeglichen - vorausgesetzt, der Theorie-Begriff soll ein Mindestmaß an inhaltlicher Schärfe bewahren (und das muß er, wenn er gegenwärtige Theoriebildung erfassen helfen soll; vgl. beispielsweise die Definition bei Klaus von Beyme, Die politischen Theorien der Gegenwart. Eine Einfiihrung, München u.a. 1986, S. 15f.). • Bennbach, Bemerkungen, S. 185.

J. Einleitung

13

licher Forschung wird entsprechend unterschiedlich begründet, zielt letztlich darauf, "Aufklärung zu gewinnen über die Bedingungen und Möglichkeiten gesellschaftlicher Selbstreflexion von Problem- und Konfliktkonstellationen, die in aller Regel Gesellschaften sich selbst stellen, auch von Handlungspotentialen, die daraus resultieren können "9, oder sie bietet als den "schönste[n] Ertrag des Studiums politischer Ideen (und Theorien) der Vergangenheit [ ... ] [den] - in allen bedeutenden Theorien und Philosophien - enthaltenen Anteil 'überzeitlicher' allgemeiner Gültigkeit." 10 Die Vielfalt der Methoden und der Ziele ist neben der hier notwendigen Interdisziplinarität ein Charakteristikum der ideengeschichtlichen Forschung. ll Die größte kulturelle Breitenwirkung entfaltet dabei zweifellos die Beschäftigung mit den Klassikern des politischen Denkens, die auch heute noch brennende Probleme des politischen Lebens wenn nicht gelöst, so doch zumindest mustergültig erfaßt haben sollen. Einen hartgesottenen sozialwissenschaftlichen Empiriker wird dieses verbreitete positive Vorurteil wenig beeindrucken, läuft solches Klassiker-Lob doch oft genug darauf hinaus, die Bedeutsamkeit des Klassikers aus der Aktualisierbarkeit seines Werkes und damit aus den Transferleistungen seiner Interpreten erweisen zu wollen. Der Klassiker, dessen Opus wenigstens für kurze Zeit "im Mittelpunkt der politischen Ideen und Vorstellungen einer Epoche stand, [ ... ] [das] repräsentativ wurde für eine Gesellschaft und [ ... ] sowohl die Möglichkeit universeller Verbreitung wie auch die Kraft geschichtlichen Weiterwirkens in sich trägt" 12, ist genausowenig wie jeder andere ideengeschichtliche Gegenstand ohne eine motivierende und leitende Tradition der Auseinandersetzung mit politischem Denken zureichend erfaßbar. 13

Ebd., S. 191. [ring Fetscher, Einleitung, in: ders.lHerfried Münkler (Hrsg.), Pipers Handbuch der politischen ideen. Band 1, München u.a. 1988, S. 21-39, hier S. 27. 11 Vgl. BeImbach, Zur Entwicklung, S. 155-159 und Klaus von Beyme, Politische ideengeschichte. Probleme eines interdisziplinären Forschungsbereichs, Tübingen 1969, S. 12-50. 12 Hans Maier, Einleitung, in: ders.lHeinz Rausch/Horst Denzer (Hrsg.), Klassiker des politischen Denkens. Erster Band. Von Plato bis Hobbes, München 1986, S. 9-14, hier S. 11. 13 Zum "Einrücken in ein Überlieferungsgeschehen" Hans-Georg Gadamer, Gesammelte Werke. Band 1. Hermeneutik J. Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik, Tübingen 1986, S. 295; zum "klassischen" Fehlschluß auf die immerwährende Rolle des Klassikers B.A. Haddock, The History of Ideas and the Study of Politics, in: Political Theory 2(\974), S. 420-431, hier S. 422: "Lastly, it might be argued that we are seeking from the wise men of the past some guidance in the theoretical problems that concern us in politics today. And here, I think, we are committing our largest error; für whatever we might learn from Plato about our current concerns, we must never delude ourselves into thinking that Plato is our guide. The Plato who is guiding us will bear as little resemblance to the Plato of ancient Greece as did the Plato of the Renaissance." 9

10

14

I. Einleitung

Für jeden ideengeschichtlichen Ansatz gilt daher gleichennaßen die Warnung vor fälschlich angenommener Unmittelbarkeit und die Verpflichtung, sich die doppelte Reflexivität der Geschichtlichkeit und der Struktur politischen Denkens bewußt zu machen. Wenn Ideengeschichte mehr sein soll als "ein intellektuelles Spiel mit Symbolen, deren Erfahrungssubstanz vergessen ist"l4, muß die Bindung der politischen Ideen an ihren Forrnierungsprozeß (auch im Interpreten) immer mit bedacht werden. Daraus läßt sich inhaltlich aber eine Beschränkung des Gegenstandsbereichs beispielsweise auf Klassiker noch nicht ableiten. Eine eindeutige Präferenz für ein bestimmtes Modell ideengeschichtlicher Forschung mit dem Anspruch auf allgemeine Verbindlichkeit ginge auch an der Praxis vorbei, die sich auf verschiedenen Wegen jenseits der Gipfelwanderung von Klassiker zu Klassiker weiterbewegt hat. Die Arbeit an der Geschichte des politischen Denkens geht in den allermeisten Fällen vom geschriebenen Wort aus und richtet sich in erster Linie nicht auf davon beschriebene Fakten, sondern auf Zusammenhänge von Formation und Artikulation von politischem Bewußtsein. 15 Besonders in Zeiten forcierten historischen Wandels ist das Wechselspiel von Erfahrung und Beeinflussung der Krise in und durch politisches Bewußtsein der Aufmerksamkeit des Wissenschaftlers wert. 16 Das späte 18. Jahrhundert, die Zeit in der der 1764 geborene Gentz sich als politischer Schriftsteller zu profilieren beginnt, ist ein herausragendes Beispiel für solche Umbruchssituationen und daher auch em beliebtes Feld von - im weitesten Sinne - ideengeschichtlicher Forschung. In der Flut der Publikationen zum "Bicentenaire" der Französischen Revolution erschien eine Reihe einschlägiger Veröffentlichungen, die sich zentral mit der Revolution als markantem Ereignis für die und in der Geschichte des politischen Bewußtseins in Frankreich und Europa beschäftigen. Zum Teil in Weiterentwicklung begriffsgeschichtlicher Ansätze wird die Frage nach den Veränderungen gesellschaftlichen Bewußtseins und deren Bedeutung für die politi-

14 Kramm, S. 178. " Allgemeine Aussagen über die Beziehungen von Sprache, Bewußtsein und politischer Wirklichkeit (wie beispielsweise bei Kramm, S. 171 ff.) liegen trotz und wegen ihrer theoretischen Brisanz außerhalb meiner Absichten. Als Ausgangspunkt genügt mir zunächst Haddock, S. 426: "The world of politics is a world of constant !lux, and we cannot hope to understand it unless we make its transience a central feature of our explanations. Political discourse, therefore, can only be understood in a concrete historical context, as part of a history of ideas. The words we use might see m to have a conventional solidity that exempts them from this world of change. We say what we mean and mean what we say. Despite the protestations of Humpty Dumpty and Hobbes, we are not the masters ... 16 Vgl. dazu Rohere Wuehnow, Communities of Discourse. Ideology and Social Structure in the Reformation, the Enlightenment, and the EuropeanSocialism, Cambridge. Ms u.a. 1989, S. 1-22.

I. Einleitung

15

sche Kultur während und nach der Revolution untersucht. 17 Neben Texten erfährt die Bildwelt der Revolution erhöhte Aufmerksamkeit, um den Zusammenhang individueller und kollektiver Erfahrungen und deren symbolischer Gestaltung aufzuschlüsseln. Häufig wenlen dafür in der Vergangenheit vernachlässigte serielle Quellen herangezogen, die außerhalb der kulturellen und politischen Eliten stehende Individuen und Gruppen greifbar werden lassen. 18 Mit Friedrich Gentz nimmt sich diese Arbeit eines politischen Schriftstellers an, dessen Werk schwerlich überzeitliche Bedeutung attestiert werden kann und der fast nie unter die Klassiker der Politischen Ideengeschichte gerechnet wird. 19 Eine Studie zu einem einzelnen Autor kann schon aus Gründen der Arbeitsökonomie nicht zugleich so vergleichend angelegt werden, daß sich Aussagen zu Entwicklungen kollektiven politischen Bewußtseins daraus ableiten ließen. Mit einem anderen Trend ideengeschichtlicher Forschung, der Untersuchung der Bedeutung und Charakteristik politischer "Sprachen" in der Geschichte der - hier im weitesten Sinne verstandenen - politischen Diskurse, teilt diese Arbeit ein besonderes Interesse an dem Verhältnis von politischem

17 Mit der Begriffsgeschichte der europäischen "Sattelzeit" um 1800 hat das Unternehmen des seit 1972 erscheinenden Lexikons "Geschichtliche Grundbegriffe" (Ouo Bl1mnerlWel71er LonzelReinhart Kosel/eck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politischsozialen Sprache in Deutschland, [bisherJ 6 Bde., Stuttgart 1972-1990 [im folgenden: Geschichtliche Grundbegriffe I-VI]) für den deutschen Sprachraum eine neue Dimension ideengeschichtlicher Forschung eröffnet, wobei der "Begriff des Begriffs" das methodische Zentrum bezeichnet: "Begriffe sind also Konzentrate vieler Bedeutungsgehalte. Wortbedeutungen und das Bedeutete können getrennt gedacht werden. Im Begriff fallen Bedeutung und Bedeutetes insofern zusammen, als die Mannichfaltigkeit geschichtlicher Wirklichkeit in die Mehrdeutigkeit eines Wortes so eingeht. daß sie nur in dem einen Wort ihren Sinn erhält, begriffen wird. Ein Wort enthält Bedeutungsmöglichkeiten. der Begriff vereinigt in sich Bedeutungsfülle. [ ... J Er bündelt die Vielfalt geschichtlicher Erfahrung und eine Summe von theoretischen und praktischen Sachbezügen in einem Zusammenhang, der als solcher nur durch den Begriff gegeben ist und wirklich erfahrbar wird. "(Reinhart Kosel/eck, Einleitung, in: Geschichtliche Grundbegriffe I, S. XIII-XXVII, hier S. XXIIf.) - Einen Überblick über den Forschungsstand vermitteln u.a. Keith BakerlColin LucaslFrancois FuretlMona OzouJ (Hrsg.). The French Revolution and the Creation of Modern Political Culture, 3 Bde., Oxford u.a. 1987-1990 und Rolf ReichardtlEberhard Schmirr (Hrsg.), Die Französische Revolution als Bruch des gesellschaftlichen Bewußtseins, München 1988. " Zum Beispiel Rolf Reichardt, Bastillen in Deutschland? Gesellschaftliche Auswirkungen der Französischen Revolution am Beispiel des Pariser Bastillensturm, in: Ralph Melville/Claus Scharf/Martin VogtlUlrich Wengenroth (Hrsg.), Deutschland und Europa in der Neuzeit. Festschrift für Karl Otmar von Aretin zum 65. Geburtstag. I. Halbband. Stuttgart 1988, S. 419-467. 19 Eine Ausnahme stellt Hartwig Brandt dar, der zu Gentz anmerkt: "Der zeitgenössische Literaturbetrieb hat den großen Stilisten noch nicht wieder entdeckt, ebensowenig die moderne Politikwissenschaft einen ihrer Klassiker." (Hartwig Brandt, Einleitung, in: ders. (Hrsg.), Restauration und Friihliberalismus. 1814-1840, Darmstadt 1979, S. 1-84, hier S. 33f.).

16

I. Einleitung

Denken und Sprache, ohne sich jedoch in Ziel und Methode vollständig damit zu decken. 20 Friedrich Gentz auf seinen Platz in der Geschichte des politischen Denkens zu stellen, ist auf den verschiedensten Wegen versucht worden. Zwei Werkausgaben, die schon kurz nach Gentz' Tod 1832 erschienen, und eine Fülle von nachgelassenen Schriften, Briefen und Tagebüchern, die seither publiziert wurden, gaben die Basis ab für eine regelrechte Gentz-Forschung. 21 Mit dem Abklingen der von Varnhagens Skizze ausgelösten Polemik um Gentz, der als bekannter Repräsentant Metternichscher Repressionspolitik über den Tod hinaus ein Feindbild der radikalen Opposition blieb, folgten auf die erste ausführliche Biographie von Schmidt-Weißenfels 1859 zahlreiche wissenschaft-

20 Einer der m.E. interessantesten und fruchtbarsten Ansätze einer Geschichte des politischen Denkens speziell der Ftiihen Neuzeit bieten die language/langue-Studien im Gefolge J .G.A. Pococks, der zwar den Autorbezug nicht eliminiert, aber den Fokus auf mittelfristig stabile "Sprachen" und damit auf vergleichendes Arbeiten legt. Vgl. dazu l.G.A. Pocock, Introduction. The State of the Art, in: ders., Virtue, Commerce, and History. Essays on Political Thought and History, Chiefly in the Eighteenth Century. Cambridge u.a. 1985, S. 1-34; ders., The Concept of a Language and the metier d'historien: Some Considerations on Practice, in: Anthony Pagden (Hrsg.), The Languages of Political Theory in Early-Modern Europe, Cambridge u.a. 1987, S. 1938. - Die im angelsächsischen Bereich wohletablierte Forschungsrichtung "Intellectual History" setzt sich ebenfalls an zentraler Stelle mit den Zusammenhängen von Erfahrung und sprachlich vermitteltem Sinn (vgl. lohn E. Toews, Intellectual History after the Linguistic Turn: The Autonomy of Meaning and the Irreducibility of Expericnce, in: The American Historical Review 92(1987), S. 879-907). Dagegen widersteht die Diskursanalyse für Foucaults "histoire des systemes de pensee", z.B. in Michel Foucault, Die Ordnung des Diskurses. Mit einem Essay von Ralf Konersmann (Ü.: Walter Seitter), Frankfurt am Main 1991, dem hier zugrundegelegtenauktorialen Ansatz radikal. 21 Friedlich M. Kircheisen, Die Schriften von und über Friedrich von Gentz. Eine bibliographische Übersicht, in: MIÖG 27(1906), S. 91-146 mit einem Nachtrag von Friedrich earl Wittichen, Zur Gentz-Bibliographie, in: MIÖG 27(1906), S. 682-694 ist als Bibliographie von Gentz' Schriften trotz einiger Mängel immer noch unverziehtbar . - Von den beiden Ausgaben der Schriften von Gentz, Wilderich Weick (Hrsg.), Friedrich von Gentz. Ausgewählte Schriften, 5 Bde., Stuttgart u.a. 1836-1838 und Gustav Schlesier (Hrsg.), Friedrich von Gentz. Schriften. Ein Denkmal, 5 Bde., Mannheim 1838-1840 [im folgenden: Schriften I-V], bietet die von Schlesier besorgte hinsichtlich editorischer Genauigkeit und Erschließung neuer Quellen mehr.- Eine erste Auswahl aus den Tagebüchern erschien in [K.A. Varnhagen von Ense] (Hrsg.), Aus dem Nachlaß Varnhagen's von Ense. Tagebücher von Friedrich von Gentz, Leipzig 1861 (vgl. lose! Gentz, Ueber die Tagebücher von Friedrich Gentz und Varnhagen's Nachwort. (Ein Nachtrag zu der Schrift Friedrich Gentz und die heutige Politik), Wien 1861). Die umfangreichere Ausgabe in [Ludmilla Assing] (Hrsg.), Aus dem Nachlasse Varnhagen's von Ense. Tagebücher von Friedrich von Gentz, 4 Bde., Leipzig 1873174 [im folgenden: Tagebücher I-IV] weist Lücken und Fehler auf (Ernst Salzer, Ein Fragment aus Gentz' Tagebüchern (August 1823), in: MIÖG 33(1912), S. 521526, hier S. 521 f.), während der letzte Teil der Tagebücher sorgfältig ediert wurde in August FournierlArnold Wink/er (Hrsg.), Tagebücher von Friedrich von Gentz (1829-1831), Zürich u.a. 1920 [im folgenden: Tagebücher V].

I. Einleitung

17

liche Monographien und Aufsätze, die sich mit Gentz nicht nur unter biographischen und realgeschichtlichen Aspekten befaßten, sondern sich seiner Werke auch in ideenhistorischer Perspektive annahmen. 22 Nach den Aufsätzen der Brüder Friedrich Carl und Paul Wittichen und dem Gentz-Buch Eugen Guglias, die Anfang dieses Jahrhunderts erschienen, markieren die bei den sehr unterschiedlich gearteten Biographien von Paul R. Sweet und Golo Mann in den frühen 1940er Jahren den letzten Höhepunkt der Auseinandersetzung mit Friedrich Gentz. Daran ändert auch die bisher unveröffentlichte politische Biographie, deren erster Teil 1958 von Hubert Rumpel abgeschlossen wurde, ebensowenig wie eine Monographie des Adam Heinrich Müller-Spezialisten Jakob Baxa aus dem Jahre 1965. 23 Wie nicht anders zu erwarten, spielen bei den Höhen und Tiefen der "Gentz-Konjunktur" auch wissenschaftsexterne Faktoren eine wichtige Rolle. 24 Wissenschaftsintern haben neue Quellenfunde und -editionen der Forschung die entscheidenden Impulse verliehen. Erstmals seit dem Erscheinen der von Friedrich C. Wittichen und Ernst Salzer herausgegebenen Teile des Briefwechsels vor dem Ersten Weltkrieg25 sind nun in den nächsten Jahren durch die geplante Veröffentlichung einer Gentz-Gesamtausgabe zahlreiche neue Anstöße für die Beschäftigung mit Gentz zu erhoffen. 26

22 Eduard Schmidt-WeißenJels, Friedrich Gentz. Eine Biographie, 2 Bde., Prag 1859. Den besten Überblick über die Gentz-Literatur vermittelt derzeit bezeichnendetweise der von Günter Herterich zusammengestellte Verkaufskatalog Antiquariat Stenderhoff. Friedrich von Gentz. Leben und Werk. Zeit und Zeitgenossen, [Münster] 1990. 23 Eugen Guglia, Friedrich v. Gentz. Eine biographische Studie, Wien 1901 [im folgenden: Guglia]. Die Aufsätze von Friedrich Carl und Paul Wittichen im Literaturverzeichnis. Die informativste Gentz-Biographie ist m.E. Paul R. Sweel, Friedrich von Gentz. Defender of the Old Order, 1941, ND Westport, Connecticut 1970. Besonders flüssig lesbar. aber ohne Anmerkungen Golo Mann, Friedrich von Gentz. Geschichte eines europäischen Staatsmannes. Zürich u.a. 1947, ebenso wie Jakob Baxa, Friedrich von Gentz, Wien 1965. Die Habilitationsschrift Rumpels habe ich bei meinen Untersuchungen sehr vermißt, lassen doch die beiden Gentz-Artikel von Huberl Rumpel in NDB und NÖB viel interessantes Detailwissen etwarten. 2' Am deutlichsten macht dies Golo Mann, Golo Mann über Golo Mann. "Friedrich von Gentz - Geschichte eines europäischen Staatsmannes" (= Werkbesichtigung (XX 1I0) , in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 30.5.1990, wo Mann in der Rückschau die zeitbedingte Motivation, besonders die (begrenzte) Analogie von Napoleons und Hitlers Machtstreben, kritisch resümiert. 2> Friedrich Carl WittichenlErnst Salzer (Hrsg.), Briefe von und an Friedrich von Gentz, 3 Bde. in 4, München u.a. 1909-1913 [im folgenden: Briefe 1,1I,I1IIl ,I1I/2]. u; In Köln befindet sich in der Sammlung Otto Wolff u.a. das lange verschollen geglaubte Manuskript der nie veröffentlichten Geschichte der Französischen Revolution von Gentz, das fünf Bände (und einen Registerband) umfaßt. Die Kölner Bestände verzeichnet Gunter Quarg (Bearbeiter), Handschriften und Autographen aus der Sammlung Otto Wolff (1881-1940). Bestandsverzeichnis, Köln 1990, S. \3-31.

2 Kronenbitter

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I. Einleitung

Schon die bisher in Publikationen und Archiven zugänglichen Quellen sprudeln so kräftig, daß es schwerfällt, die Informationsflut im Sinne einer ideengeschichtlichen Gesamtinterpretation zu kanalisieren. Gerade im Entwurf einer Ordnungsstruktur für die überlieferten Textmassen soll der Beitrag dieser Arbeit zur Gentz-Forschung liegen. Dabei kann und muß die Auseinandersetzung mit der über 150 Jahre andauernden publizistischen und wissenschaftlichen Debatte über Gentz bewußt miteinbezogen werden. Ein Grundmotiv , das in den meisten Beiträgen seit den späten 1830er Jahren, mal lauter, mal leiser, anklingt, ist der Gentz vorgeworfene Opportunismus, den schon die Hallischen Jahrbücher 1839 betonten, indem sie die "Genußsucht" zu Gentz' leitendem Prinzip erklärten. 27 Nicht als Käuflichkeit, eher als Ausfluß einer allgemeinen Charakterschwäche interpretiert, ging dieser Opportunismus auch in das GentzBild der Wissenschaft ein. 28 Der moralische Aspekt dieser These ist hier ohne Belang, wichtig aber ist die Frage, ob sich daraus eine weitgehende Reduktion von Gentz' schriftstellerischem Wirken auf materielle Bedürfnisse und tagespolitische Notwendigkeiten herleiten ließe. Den Gegenpol zu den Anfeindungen, die Gentz postum von Seiten der Hallischen Jahrbücher entgegenschlugen, bildete eine Lobeshymne, die ProkeschOsten seinem verstorbenen Freund Gentz sang. Nicht nur als Staatsmann, sondern auch als politischen Schriftsteller schätzte er Gentz und zwar so sehr, daß er ihn Rousseau und Montesquieu ungescheut an die Seite stellte, denn Gentz habe "alle praktischen Probleme, auf die es im Grunde ankommt, bearbeitet, hatte der Lösung der schwersten und verwickeltsten Aufgaben seine Leuchte und sein wohlbedachtes Wort geliehen, war von dem Felde der Spekulation und der philosophischen Beschauung auf das der unmittelbaren Anwendung unter viel verzweigten, schwer zu vermittelnden Berechtigungen und Anmassungen übergetreten und hatte tausend Fragen der Gegenwart in eben so vielen lichtvollen Denkschriften mit dem entscheidenden Takte, der allein ihrer Lösung Werth geben konnte, gelöset. "29 Ob Anklage oder Verteidigung, bei

27 "Er aber fand in dieser sinnlichen Ausschlürfung des Lebens seine Hauptrichtung, wir möchten sagen seine einzige, indem er ihr alle anderen Kräfte in ihm unterordnend, diese nur anwandte, um den Becher des Genusses immer neu fiillen zu können." (Friedrich von Gentz und das Princip der Genußsucht, in: Hallische Jahrbücher fiir deutsche Wissenschaft und Kunst (1839) Nr. 36, Sp. 281-285,289-296,298-304,307-312, hier Sp. 301). 28 Z.B. bei Roben von Mohl, Die Geschichte und Literatur der Staatswissenschaften. In Monographien dargestellt. Zweiter Band, Erlangen 1856, S. 492 und bei J. C. Bluntschli, Geschichte des Allgemeinen Staatsrechts und der Politik. Seit dem sechzehnten Jahrhundert bis zur Gegenwart, München 1864, S. 441. 2' [Anton Prokesch von OSlen), Schreiben des Ritter Prokesch von Osten an den Herausgeber, in: Schriften 111, S. VII-XXVIII, hier S. XIII.

I. Einleitung

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allen Unterschieden in der Bewertung herrscht doch Einvernehmen darüber, Gentz nicht als weitabgewandten spekulativen Theoretiker einzustufen. Gentz als politischen Schriftsteller gewissermaßen für die politische Ideengeschichte zurückzuerobern, das ist somit allein auf dem Wege dogmengeschichtlicher Untersuchungen, beispielsweise durch "Einflußschnüffelei "30, nicht zu erreichen. Die Reduktion politischer Ideengeschichte auf Biographie und Sozialhistorie ist zumindest für eine Einzelfallstudie ungeeignet, würde damit doch das Thema methodisch unterlaufen werden. Für die Behandlung politischer Strömungen dagegen ist gerade eine zu starke Textorientierung wenig fruchtbar. Deswegen klammere ich die Zuordnung von Gentz zur Typologie des Frühkonservativismus aus. 3 \ Biographie und Dogmengeschichte können nur als Informationshintergrund, eng begrenzt durch rigide Auswahl, in die Untersuchung einfließen. In der Tradition der Gentz-Literatur findet sich umrißhaft auch bereits der Ansatz, dem mein Interesse gilt. Schon Gustav Schlesier hat die doppelte Ausgrenzung des politischen Schriftstellers aus dem Kanon der Literatur und aus dem schnellebigen tagespolitischen Diskurs beklagt - und aus der Politischen Ideengeschichte, wie zu ergänzen wäre - und darin den Ausdruck sowohl eines verengten Literatur- wie eines verkümmerten Politikverständnisses in Deutschland gesehen. 32 Die sprachliche Gestaltung von Gentz' Texten weist auf die Bedeutung der Form für sein Werk hin: "Schon der Styl dieser Schriften kündigt eine in deutscher Sprache seltene Klassizität an, und erhebt ihren Verfasser zu dem Rang eines unserer ersten Prosaiker. "33 Noch vor Schlesier hat Karl August Varnhagen von Ense das Rhetorische als einen Hauptwesenszug von Gentz beschrieben, von der Schulzeit bis ins Alter. Dem Schriftsteller im Auftrag des Staates rühmt Varnhagen nach: "Seine Gedanken und seine Beredsamkeit liehen den Verbündungen der Mächte einen Glanz und Schimmer, deren Mangel oft nachtheilig war empfunden worden; seine wundervolle Prosa erhob den Ausdruck der Kabinette zu der Höhe britischer Rednerbühne. "34

30

Beyme, Ideengeschichte, S. 27.

v gl. dazu Kap.

IV. Gustav Schlesier. Einleitung zu den Schriften von Gentz. in: Schriften I. S. VII-LII. hi.:r S. VII-XVII. 13 Ebd .• S. XXXI. ,. Val7lhagen. Galerie, S. 194. 3\

32

2"

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I. Einleitung

Gentzsehe Formulierungskunst hat immer wieder ihre Bewunderer gefunden, auch wenn kritische Stimmen nicht ausblieben. 35 Die ästhetische Qualität von Gentz' Schriften zu bewerten, kann nicht Sache dieser Arbeit sein; die Berücksichtigung der literarischen Strategie, die diesen Texten eingeschrieben ist, gehört zu den wesentlichen Voraussetzungen einer Gesamtinterpretation von Gentz als politischem Schriftsteller, die ihr Thema ernst nimmt, d.h. die notwendigen Reduktionen des Schrift-Erstellens auf außertextliche Zusammenhänge so behutsam wie möglich vornimmt. Die Zielsetzung der Untersuchung ist eine doppelte: den politischen Schriftsteller als Gegenstand der Politischen Ideengeschichte zuzuführen und anhand des Einzelfalls die Brauchbarkeit dieses Zugriffs zu erproben. Da Gentz im Zentrum meines Interesses steht, geht die Darstellung vom Einzelfall aus, schon um die Kontrollierbarkeit des Gedankengangs, den Schutz vor generalisierenden Fehlschlüssen, zu verstärken. Solchermaßen empiriegeleitet ist die Arbeit auf vorhandene theoretische Konzepte zur Fundierung von Fragestellung und Methode angewiesen. Aus dem überreichen Angebot auf Texte gerichteter Theorieansätze halte ich einen für mein Vorhaben für besonders geeignet, den der Rhetorik. 36 Mit der Rhetorik als Textproduktionstheorie wird die Wirkabsicht sprachlichen Handelns thematisiert und zugleich der analytische Rahmen einer pragmatischen Texttheorie abgesteckt. Weniger ins Gewicht fallt daneben die Tatsache, daß tradierte Elemente rhetorischer Praxis in den Schriften von Gentz nachweisbar sind. 37 Während nun die aus der Antike überlieferte Rhetorik als Technik wirksamen Sprechens eine ihrer Aufgabe gemäß übersichtliche und klare Angelegenheit sein soll,38 ist der theoretische Standort der Rhetorik ausdauernd umstritten. 39 Nach Jens ist Rhetorik "keine Technologie (zumindest nicht nur!), deren Instrumentarium, recht angewendet, Erfolg und Einfluß verbürgt; sie ist vielmehr, in erster Linie, eine Wissenschaft, deren Anwälte, von Aristo-

Distanz zu Gentz' Stil z.B. bei Guglia, S. 293. Vgl. dazu lose! Kopperschmidt, Rhetorik nach dem Ende der Rhetorik. Einleitende Anmerkungenzum heutigen Interesse an Rhetorik, in: ders. (Hrsg.), Rhetorik. Erster Band. Rhetorik als Texttheorie, Darmstadt 1990, S. 1-31. 17 Die rhetorische Technik von Gentz zeigt Lechner an einem Textbeispiel auf (Sylvester Lechner, Gelehrte Kritik und Restauration. Metternichs Wissenschafts- und Pressepolitik und die Wiener "Jahrbücher der Literatur" (1818-1849), Tübingen 1977, S. 180-185). 3. VgJ. Karl-Heinz GÖllen, Einführung in die Rhetorik. Grundbegriffe - Geschichte - Rezeption, München 1991 und Gen Ueding/Bemd Steinbrink, Grundriß der Rhetorik. Geschichte. Technik. Methode, Stuttgart 1986, S. 193-305. 39 Ein Abriß der historischen Entwicklung bei Ueding/Steinbrink, S. 11-189; die Auseinandersetzung zwischen Rhetorik und Philosophie von Platon und Aristoteles über Gadamer und Perelmann bis zur Gegenwart bei Helmut Schanze/lose! Kopperschmidt (Hrsg.), Rhetorik und Philosophie, München 1989. 15 36

I. Einleitung

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teles bis Bacon, von Cicero bis Lessing, nicht müde wurden, das eine Problem zu analysieren: Wie kann Vernunft sprachrnächtig und Denken praktisch werden?"40 Kopperschrnidt hat im Anschluß an Haberrnas die hier angeschnittene politische Dimension persuasiver Kommunikation herausgearbeitet und dabei die Konsensorientierung persuasiver Sprechakte ins Zentrum seiner Überlegungen gestellt. 4 ! Bei Breuer wird die Rhetorik als Modell zur Gewinnung pragmatischer Kategorien der Textanalyse eingeführt. 42 Um noch ein Beispiel aus der neueren Diskussion in Deutschland zu nennen, sei auf Ballwegs Skizze einer analytischen Rhetorik verwiesen. 43 Über die Bedeutung der Rhetorik für die Pragmatik verbaler Kommunikation hinaus, lassen sich die unterschiedlichen Konzeptionen nicht auf einen Nenner bringen. 44 Die Auswahl muß sich hier nach den forschungspraktischen Erfordernissen richten. Die Ablösung vom forensischen Modell rhetorischer Kommunikation ist dabei ebenso zu beriicksichtigen, wie die Besonderheiten des geschriebenen Textes im Verhältnis zur Rede und vor allem die - um einen Begriff der traditionellen Rhetorik aufzugreifen - Angemessenheit für die Betrachtung der in der politischen Rhetorik vorliegenden Kommunikationssituation. 45 Diese definiert Bitzer: "A rhetorical situation may be defined as a complex of persons, events, objects, and relations which presents an exigence that can be completely or partially removed if discourse - introduced into the situation - can influence audience thought or action so as to bring about positive modification of the exigence. ,,46 Der Begriff "Öffentlichkeit" bietet sich dabei als heuristisches Instrument an, um Historizität wie Struktur des Wirkungsfelds des politischen Schriftstellers zu erfassen. 47

'" Walter Jens. Rhetorik und Propaganda. in: ders., Von deutscher Rede. erweiterte Neuausgabe, 3. Aufl .• München u.a. 1983, S. 11-23, hier S. 12f. 41 Kopperschmidr, Allgemeine Rhetorik, S. 99. 42 Dieter Breller, Einführung in die pragmatische Texttheorie. München 1974. S. 137-209. 43 Ottnlar Ballweg, Entwurf einer analytischen Rhetorik. in: SchanzefKopperschmidt (Hrsg.), S. 229-247 und ders., Phronetik, Semiotik und Rhetorik, in: Ottmar BallwegrI'heodor-M. Seibert (Hrsg.), Rhetorische Rechtstheorie. Zum 75. Geburtstag von Theodor Viehweg. Freiburg im Breisgau 1982, S. 27-72 . .. Regina Podlewski, Rhetorik als pragmatisches System, Hildesheim u.a. 1982. S. 59 . ., Vgl. Walter H. Beale, A Pragmatic Theory of Rhetoric, Carbondale u.a. 1987, S. 113ff.. CO/Toll C. Amold, Oral Rhetoric, Rhetoric, and Literature, in: Eugene E. White (Hrsg.), Rhetoric in Transition: Studies in the Nature and Uses ofRhetoric, University Park 1.1.8.1980, S. 157-173 . .. Uo)'d F. Bitzer, Functional Communication: A Situational Perspective, in: White (Hrsg.), S. 21-38, hier S. 24. 47 Die den Begriff bestimmende Untersuchung ist immer noch Jrlrgen Habemras, Strukturwbndei der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft. Neuauflage, Frankfurt am Main 1990.

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I. Einleitung

Der Kern der Untersuchung ist auf der pragmatischen Ebene angesiedelt, auf der auch der literatursoziologische Kontext abgehandelt wird. 48 Damit ergibt sich der Aufbau der Arbeit: nach einer knappen Skizze des biographischen Hintergrunds und der Prüfung der inneren Geschlossenheit von Gentz' politischer Theorie, gefolgt von einem kurzen Exkurs in die Geschichte politischer Bewegungen, schließen sich die Selbst- und die literatursoziologische Fremdbeschreibung des politischen Schriftstellers Gentz angesichts der vornehmlich unter dem Aspekt der "öffentlichen Meinung" betrachteten Kommunikationssituation an. Nach rhetorischen Situationen gegliedert, werden die wichtigsten Themenbereiche von Gentz' Schriften auf ihre persuasive Strategie hin untersucht,49 um mittels einer Analyse der Textherstellung zu einer Charakteristik des - im schönen, breiten zeitgenössischen Sinne - "politischen Schriftstellers"50 zu gelangen.

•• "Gegenstand der Pragmatik ist also die gesellschaftlich-historische Vermitteltheit und Funktionalität sprachlicher Zeichengestalten, die kommunikative Zeichenverwendung (auch des Beobachters von Zeichenverhalten) ; diese beruht auf einem der jeweiligen sozialen Gruppe (Schicht, Klasse) gemeinsamen Vorrat von syntaktischen Mustern, Bedeutungs-, Bezeichnungs-und (durch bestimmte Zeichen abrufbaren) Verhaltensmustern. "(Breuer, S. 35f.) . •• Der Begriff "Persuasive Strategie" bei Kopperschmidl, Rhetorik, S. 150ff. >0 Vgl. zum Schriftsteller-Begriff Guslav Schlesier, Einleitung, in: Schriften I, S. Vllff. - Im Gegensatz beispielsweise zu Seume geht es bei Gentz nicht um die "Politisierung der Literatur in Theorie und Praxis" (lnge Slephan, Johann Gottfried Seume. Ein politischer Schriftsteller der deutschen Spätaufklärung, Stuttgart 1973, S. 125).

11. Biographie 1. Politische Biographie Eine Biographie zu schreiben kann Selbstzweck sein, oft ist dies ein zentrales Element historischer, gelegentlich auch politikwissenschaftlicher Arbeiten. In der ideengeschichtlichen Forschung nehmen biographische Studien meistens eine wichtige Stellung ein, haben aber (hoffentlich) eine dienende Funktion im Gesamtzusammenhang der Untersuchungen. Nur dort, wo Autoren oder Autorengruppen der Vergessenheit entrissen werden, oder wo neue lebensgeschichtliche Fakten ans Tageslicht kommen, die die Interpretation der zentralen ideengeschichtlichen Spuren, des "Werkes", in unerwarteter Weise erhellen, steht zu Recht die Biographie im Mittelpunkt. Dabei bestimmt die Beurteilung des Abstraktionsgrades des Werkes das Ausmaß der Zuwendung zur Biographie. Je stärker und direkter konkrete politische Entscheidungslagen und Handlungszusammenhänge Thema des Werkes sind, um so dringender ist die Politische Ideengeschichte auf die allgemeine Historie und die historische Biographie angewiesen, je schwächer und indirekter politische Erfahrungen das Werk bestimmen, um so verzichtbarer wird das biographische Moment. Friedrich Gentz hat ein Werk hinterlassen, das nur zu einem sehr geringen Teil von seinem historischen Hintergrund abgezogen betrachtet werden kann. Wo sich Gentz auf eine abstrakte Ebene politischer Reflexion einläßt, wie er das in seinen frühen Schriften nicht selten tut, dort wirkt er nicht eben originell, sondern bleibt in den Gleisen naturrechtlicher Debatten der Aufklärung. Als Publizist und als Mitarbeiter der Wiener Staatskanzlei erringt Gentz Ruhm ohnehin durch seine Art und Weise, politische Wirkung zu erzielen, politische Entscheidungen zu beeinflussen. Das Werk des politischen Schriftstellers Gentz ist ohne die Berücksichtigung des historischen und biographischen Hintergrundes unerklärlich und unverständlich. Da die besondere Bedeutung von Gentz, wie bereits erwähnt, von seinen Zeitgenossen und von späteren Betrachtern in erster Linie in seiner Persönlichkeit und ihrer Entwicklung im Rahmen der Zeitumstände gesucht wurde, stand der Lebensweg oft im Zentrum der Studien zu Gentz. Die Fülle mehr oder weniger stark biographischer Untersuchungen über Gentz zeugt von der Faszinationskraft eines meist als recht schillernd bewerteten Charakters.

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II. Biographie

Bei aller Dankbarkeit für das von den Gentz-Forschern bereits Geleistete und bei aller Hoffnung auf neue Erkenntnisse, die in Zukunft noch gewonnen werden, muß ich auf eine auch nur annähernd komplette Darstellung der Biographie verzichten. Das ist gerade im Falle von Gentz bedauerlich, denn über diesen Konversationsspezialisten läßt sich wunderbar plaudern, wie die Monographien von Baxa und Mann demonstrieren. Was sich aber nicht mit einigen Hinweisen auf die einschlägige Literatur erledigen läßt, sondern in dieser Untersuchung (hinter)grundlegender Bestandteil sein muß, ist eine streng selektive Darstellung von Gentz' politischer Biographie. I Darunter verstehe ich hier die sein politisches Handeln - und d.h. nicht zuletzt Schreiben - fundierenden lebensgeschichtlichen Entwicklungen mit ihren Rahmenbedingungen. Mich interessieren an der Biographie die vo(gegebenen Möglichkeiten und Grenzen politischer Wirksamkeit und die in diesem Spielraum getroffenen Entscheidungen meines "Helden", wie man früher den biographischen Gegenstand so gerne nannte. 2 Daß politische Gestaltungsmöglichkeiten nicht für jede(n) gleich, sondern an die Position des Einzelnen im jeweiligen sozioökonomischen und politischen System gebunden sind, ist eine Binsenweisheit, die aber m.E. bei der Beschäftigung mit Gentz' "Opportunismus" oft genug ignoriert wurde. 3

2. Bürgertwn und Bürokratie 1764 kam Friedrich Gentz in Breslau zur Welt. Sein Vater Johann Friedrich war dort zuvor Münzmeister geworden und machte, selbst aus einer Beamtenfamilie stammend, weiter im preußischen Münzwesen Karriere, die 1779 von

I Neben den an anderer Stelle genannten Titeln verweise ich hier noch auf folgende biographische Skizzen: Grattenauer, Friedrich von Gentz, in: Schlesische Provinzial-Blätter 69(1832), S. 33-42; Friedrich Carl Wittichen [Hrsg.), Johann von Wessenberg über Friedrich von Gentz, in: MIÖG 28(1907), S. 631-650; Ftiedrich Sleinmann, Friedrich v. Gentz als Journalist, Publizist und im activen Staatsdienste, in: Minerva (1845) I. Band, S. 414-467, (1845) 2. Band, S. I-57, 177221; [Rudolj] Haym, Art. Gentz, in: J .S. Ersch/J .G. Gruber (Hrsg.), Allgemeine Enzyklopädie der Wissenschaften und Künste. I. Section. A-G, Ldpzig 1854, S. 32412-39212; Art. Gentz, in: Wurzbach V, S. 136-143; Seer, Art. Gentz, in: ADB VIII, S. 577-593; Kurt Groba, Art. Friedrich von Gentz, in: Friedrich AndreaelMax Hippe/Paul Knötel/Otfried Schwarzer (Hrsg.), Schlesische Lebensbilder. Zweiter Band. Schlesier des 18. und 19. Jahrhunderts, Breslau 1926, S. 132-156; Carl J. Surckhardl, Friedrich von Gentz, in: ders., Gestalten und Mächte. Reden und Aufsätze, MünchenoJ., S. 193-222; Huberl Rumpel, Art. Friedrich Gentz, in: NÖB XI, S. 41-53; ders., Art. Gentz, in: NDB VI, S. 190-193; Wilhelm Meridies, Art. Friedrich Gentz, in: Herbert Hupka (Hrsg.), Große Deutsche aus Schlesien, München 1969, S. 80-89. 2 Zu Theorie und Methode der politischen Biographie allgemein vgl. Gerhard Hirscher, Sozialdemokratische Verfassungspolitik und die Entstehung des Bonner Grundgesetzes. Eine biographietheoretische Untersuchung zur Bedeutung Walter Menzels, Bochum 1989, S. 17-74. , Grundlage für die Darstellung der Biographie ist im folgenden Sweel, Friedrich von Gentz.

2. Bürgertum und Bürokratie

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der Ernennung zum Generalmünzdirektor in Berlin gekrönt wurde. Friedrichs Mutter Elisabeth, eine geborene Ancillon, kam aus einer der bekannten Berliner Refugie-Familien. 4 Die berufliche Stellung des Vaters, Resultat von Vorbildung, persönlichen Bindungen und schließlich Bewährung als Fachmann, war eine wichtige Stütze für den gesellschaftlichen Aufstieg des Sohnes. 5 Dazu traten noch die familiären Kontakte der Mutter im einflußreichen HugenottenMilieu der preußischen Kapitale. 6 Die Eheschließung Friedrichs mit der Tochter des Oberbaurates David Gilly und Schwester des mit dessen Fachkollegen Heinrich Gentz befreundeten Architekten Friedrich Gilly im Jahre 1793 bekräftigte diese Verwurzelung. 7 Nach dem durch die Beförderung des Vaters bedingten Umzug der Familie besuchte Friedrich in Berlin eine renommierte Schule, das Joachimsthalsche Gymnasium. 8 Er schrieb sich nach erfolgreichem Schulabschluß, von seinem

• Zu Johann Friedrich Gentz Friedrich Freiherr von SchrölIer, Das Preußische Münzwesen im 18. Jahrhundert. MünzgeschichtlicherTeil. Dritter Band. Das Geld des siebenjähigen Krieges und die Münzreform nach dem Frieden. 1755-1765, BerIin 1910, S. 546f. und Adotph Doebber, Heinrich Gentz. Ein Berliner Baumeister um 1800, BerIin 1916, S. If. - Zur Familie Ancillon Atexander von Hase, Die Jugend eines Englandenthusiasten. Friedrich Gentz (1764-1793), in: Ernst Heinen/Hans Julius Schoeps (Hrsg.), Geschichte in der Gegenwart. Festschrift fiir Kurt Kluxen zu seinem 60. Geburtstag, Paderborn 1972, S. 87-100, hier S. 87ff. und Jürgen Wilke, Zur Geschichte der französischen Kolonie, in: Gottfried Bregulla (Hrsg.), Hugenotten in Berlin, Berlin 1988, S. 54-87, hier S. 61. , Zur Ernennung Johann Friedrich Gentz' zum Generalmünzdirektorund zu seiner Amtsfiihrung Friedrich Freiherr von SchrölIer, Das Preußische Münzwesen im 18. Jahrhundert. Münzgeschichtlicher Teil. Vierter Band. Die letzten vierzig Jahre. 1765-1806, Berlin 1913, S. 31-41. Zu seinen Einkünften, ebd., S. 597f. Zu seinen persönlichen Kontakten zu den Grafen Schulenburg und Hoym, ebd., S. 13-30 und SchrölIer IIl, S. 547, zu Minister von Werder Doebber, S. 6. 6 Elisabeths Neffe, Friedrich Ancillon, später Minister des Äußeren, war ein Jugendfreund von Johann Wilhelm Lombard, dem Kabinettsrat (dazu Hermann Hülfer, Die Kabinettsregierung in Preußen und Johann Wilhelm Lombard. Ein Beitrag zur Geschichte des preußischen Staates vornehmlich in den Jahren 1797 bis 1810, Leipzig 1891, S. 3). 7 Nicht nur Friedrich, sondern auch seine beiden jüngeren Brüder Heinrich und Ludwig, der eine Architekt, der andere Beamter, blieben durch Heirat und Berufswahl den Familientraditionen treu. Zu Heinrich Gentz und dessen Eheschließung mit Henriette Hainehelin, der Schwägerin Friedrich Gillys, Doebber, S. 41. Zu Friedrich Gentz' Eheschließung mit Minna Gilly, ebd., und zu Heinrich Gentz' Eheschließung mit der Kaufmannstochter Henriette Holzecker, ebd., S. 42. Zu Friedrich Gilly vgl. BerIin Museum, Friedrich Gilly 1772-1800 und die Privatgesellschaft junger Architekten. Eine Ausstellung im Rahmen der Internationalen Bauausstellung Berlin 1987. Berichtsjahr 1984, Berlin 1984. Zur Freundschaft und Zusammenarheit von Friedrich Gilly und Heinrich Gentz auch Doebber, S. 39ff. • Erich Welzet, Die Geschichte des königlichen Joachimsthalschen Gymnasiums 1607-1907, Halle a.S. 1907, S. 232-233,296-322. - "Jene Grundsätze der Erziehung fanden Verwirklichung, wie sie, von Göttingen ausgehend, in Preußen besonders von Zedlitz vertreten wurden. Das Joachimsthal gehört zu den Schulen, auf denen mit der Umwandlung des Lehrplanes auf Grund

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11. Biographie

Vater aVISiert, im Sommersemester 1783 in Königsberg, an einer der drei preußischen Universitäten ein. 9 Sein juristisches Studium beendete er schon nach zwei Jahren, kehrte nach Berlin zurück und trat in den Staatsdienst ein. 10 Als Referendar bei der Kurmärkischen Kriegs- und Domänenkammer 1785 eingestellt, wechselte Gentz ins Generaldirektorium, die wichtigste Zentralbehörde der inneren Verwaltung, wurde Geheimer expedierender Sekretär und stieg 1793 zum Kriegs- und Domänenrat auf. 11

einer Vereinigung des Humanismus mit der Aufklärung Ernst gemacht wurde" (ebd., S. 299), daher standen neben den alten Sprachen Sachfacher im Vordergrund, die anhand aktueller Lektüre betrieben weden sollten (ebd., S. 315 f., 402-408). • Georg Erler (Hrsg.), Die Matrikel der Albertus-Universitätzu Königsberg i.Pr. 11. Band. Die Immatrikulationen von 1657-1829, Leipzig 1911112, ND Nendeln/Liechtenstein 1976, S. 575: Hase, Jugend S. 93f.; zur Universität Königsberg vgl. Walter Hubatsch, Die Königsberger Universität und der preußische Staat, in: Jahrbuch der Albertus-Magnus-Universität zu Königsberg/Pr. 17(1967),.S. 63-79. - Königsberg galt bezüglich der Gebühren und der Lebenhaltungskosten als billig, und man bemühte sich ausdrücklich um praxisbezogene Ergänzungen des Studiums (J.F. Goldbeck (Hrsg.). Nachrichten von der Königlichen Universität zu Königsberg in Preußen und den dasselbst befindlichen Lehr= Schul = und Erziehungsanstalten, 0.0. 1782, S. 102f., 109-116). - Die Wahl Königsbergs als Studienort durch den Vater von Friedrich Gentz beruhte wohl auf persönlichen Kontakten, insbesondere zu Kant (Johann Friedrich Gentz an Kant am 16.4.1793, in Briefe I, S. 138), und war ein Bruch mit der Familientradition eines Studiums in Frankfurt/Oder. Die bei K.Il. Vamhagen, Galerie, S. 162 angeführte These von der Aufnahme des Studiums in Frankfurt findet in den Matrikeln der Viadrina keine Bestätigung (Ernst Friedlaender/Georg Liebe/Emil 7heuner (Hrsg.), Aeltere Universitäts-Matrikeln. I: Universität Frankfurt a.O. Zweiter Band. (1649-1811), 1888, ND Osnabrück 1965, S. 273, 366, 485-498). 10 Friedrich Gentz beendete sein Studium ohne akademischen Abschluß nach zwei, statt der normalerweise üblichen drei bis vier Jahre, was aber für nicht aus Ostpreußen stammende Studenten nicht besonders ungewöhnlich (Goldbeck, S. 101) und für den Verwaltungsdienst - anders als im Justizwesen - kein Einstellungshindernis war (Peter Lundgreen, Zur Konstituierung des "Bildungsbürgertums": Berufs- und Bildungsauslese der Akademiker in Preußen, in: Werner Conze/Jürgen Kocka (Hrsg.), Bildungsbürgertum im 19. Jahrhundert. Teil!. Bildungssystem und Professionalisierung in internationalen Vergleichen, Stuttgart 1985, S. 79-108, hier S. 81). - Die Anstellung verdankte er den Verbindungen seines Vaters (Gentz an Herrn v. G.[ossow] vom 30.9.1785, in Briefe I, S. 48f.). 11 Gentz wurde im General- Ober- Finanz- Krieges- und Domainen- Directorium, so der offizielle Titel, in verschiedenen Abteilungen eingesetzt, im Kurmärkischen, im Südpreußischen und im Westfälischen Departement, wobei er teilweise im Südpreußischen und im Westfälischen Departement gleichzeitig tätig war. Aufschluß über Gentz' Laufbahn im Generaldirektoriumgeben P.[aul] Bailleu, Die Verabschiedung des Kriegsrats Friedrich Gentz, 1802, in: Verein für Geschichte der Mark Brandenburg (Hrsg.), Festschrift zu Gustav Schmollers 70. Geburtstag. Beiträge zur brandenburgischen und preußischen Geschichte, Leipzig 1908, S. 237-251, hier S. 237f. und das jährlich bei Decker herausgegebene Handbuch über den Königlich Preussischen Hof und Staat auf das Jahr 1795[-1802], Berlin, sowie der ebenfalls jährlich erscheinende Adreß-Kalender, der Königlich Preußischen Haupt- und Residenz- Städte Berlin und Potsdam, besonders der da selbst befindlichen hohen und niederen Collegien, Instanzien und Expeditionen auf das Jahr 1800 [17861802]. Berlin.

2. Bürgertum und Bürokratie

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Nach Herkunft, Bildungsweg und Berufswahl läßt sich Friedrich Gentz sozialgeschichtlich jenem Teil des Bürgertums in Preußen zurechnen, der als akademisch qualifizierte Funktionselite den Auf- und Ausbau des Staatsapparates mittrug. Der Bürgerstand, jene umfassend, die nicht zum Adel und nicht zu den Bauern zählten, war selbst äußerst heterogen zusammengesetzt. Über akademische Bildung für die Freien Berufe, vor allem aber für Ämter im Dienst von Staat und Kirche qualifiziert, wirkte detjenige Teil des Bürgertums, dem Gentz angehörte, als einzige gesellschaftliche Gruppe außerhalb des Adels teilweise an den politischen Entscheidungsprozessen unmittelbar mit. Das "Bildungsbürgertum als verstaatlichte Intelligenz"l2, die auf den geburtsständisch geordneten Staat schon aus ökonomischen Gründen angewiesen war, zugleich aber sich nach meritokratischen Prinzipien rekrutierte, nahm so im staatlichen und gesellschaftlichen Raum eine Sonderstellung ein. 13 Schon Friedrich der Große hatte in hohem Maße die Regierungsgeschäfte aus dem Kabinett heraus geleitet, dabei unterstützt von den den Subalternbeamten entnommenen bürgerlichen Räten. Diese Kabinettsräte gewannen unter seinen Nachfolgern noch stärkeres Gewicht. Unter Friedrich Wilhelm II1., der 1797 den Thron bestieg, wurden vor allem die Kabinettsräte Lombard, Mencken und später Beyme einflußreiche Akteure in der preußischen Politik. Auf dem Weg einer Zusammenarbeit mit diesen Räten schienen sich für einen bürgerlichen Beamten die besten Karrierechancen zu eröffnen. 14 Immerhin

12 Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, [bisher) 2 Bde. [von 4), München 1987, hier I, S. 210. 13 Dazu Ernst Brandes 1808: "Nach der Anstellung im Staatsdienste strebte fast alles in Deutschland, was auf Bildung Anspruch machte, mußte es großentheils schon des Unterhalts wegen thun." (Ernst Brandes, Betrachtungen über den Zeitgeist in Deutschland in den letzten Decenniendes vorigen Jahrhunderts, Hannover 1808, ND Kronbergrrs. 1977, S. 167). Vgl. auch Ute Freven, "Tatenarm und Gedankenvoll"? Bürgertum in Deutschland 1780-1820, in: Helmut Berding/Etienne Fran~ois/Hans-Peter Ullmann (Hrsg.), Deutschland und Frankreich im Zeitalter der Französischen Revolution, FrankfurtIM. 1989, S. 263-292, hier bes. S. 265-271. - Zur Begriffsgeschichte von "Bildungsbürgertum" Ulrich Engelhardt, "Bildungsbürgertum": Begriffsund Dogmengeschichte ei~es Etiketts, Stuttgart 1986, S. 64-96. Zur Rolle von Adel und Bürgertum im Staatsapparat in Preußen vgl. Hans Rosenberg , Bureaucracy, Aristocracy and Autocracy. The Prussian Experience 1660-1815, Cambridge, Massachusettes 1968, S. 57-74, 137-174. Zur Entwicklung des Bildungsbürgertums in Preußen Lundgreen und Andreas Amon von Below, Der soziale Status der Akademiker in der preußischen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts. Zur Entstehung und zum Wandel einer privilegierten Berufsschicht, Bonn 1977, S. 27ff. " Martin Philippson, Geschichte des preußischen Staatswesens vom Tode Friedrich des Großen bis zu den Freiheitskriegen, Band I. Leipzig 1880. S. 156-173; Hiiffer, Kabinettsregientng, S. 44107; ders., Die Beamten des älteren preußischen Kabinetts von 1713-1808, in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte 5(1892), S. 157-190, hier S. 170-190; Palll Wittichen, Zur inneren Geschichte Preußens während der französischen Revolution. Gentz und Humboldt, in: FBPG 19111(1906), S. 1-33.

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11. Biographie

zählte Gentz als Kriegsrat ja zur kleinen Elite der Beamten in der preußischen Verwaltung. 15 Voller Ambitionen in den Staatsdienst eingetreten, empfand Gentz doch schon bald die Administrationstätigkeit als "sklavische und mechanische Arbeit"'6, die seinen Ehrgeiz und seinen Geldbedarf nicht zu befriedigen vermochte. '7 Noch unter Friedrich Wilhelm 11. erlebte Gentz als Berichterstatter einer hochkarätig zusammengesetzten Kommission zur Reorganisation der neuen Provinz Südpreußen "quam parva sapientia regitur mundus"'8, schöpfte aber nach dem Regierungswechsel Hoffnung auf eine bedeutende Stellung für sich. Mit Lombard über seine Mutter verwandt und mit Mencken gut bekannt, versuchte er sich beim neuen Regenten durch ein Sendschreiben zu profilieren, das er - aus Sorge vor andersgesinnten Beamten des Königs "ganz anonymisch"'9 - dem Monarchen übergab. Als Mencken im Kabinett "die Direktion aller Zivilangelegenheiten"lfJ übernahm, konnte das Inkognito fallen und Gentz genießen, "welche Sensation dieses kleine, und unverdienstliche Produkt"21 in Berlin machte. Die personal politischen Entscheidungen, die positive Aufnahme des Sendschreibens auch durch Friedrich Wilhelm III. und die ersten Schritte zu inneren Reformen, beispielsweise die Aufhebung des Tabakmonopols, für die er das Deklarationspatent schrieb, 2~ weckten in Gentz hochfliegende Erwartungen. Er sah die Möglichkeit, erst an der Seite, später wohl an der Stelle von Mencken, zum innersten Kern der preußischen Staatsführung zu stoßen. Schnell machte sich aber bei Gentz Ernüchterung über die politische Entwicklung und seine eigenen Chancen breit: "Ich lauge zu diesem schweren Posten nicht: mag ich doch eben so viel Kenntnisse als M.lencken) und vielleicht mehr Talente haben. als er: mir fehlt sein Heldenmut, seine Stand-

" Wehler I. S. 261 nennt für 1806 in den Berliner Zentralbehörden die Zahl von insgesamt 270 Räten. Laut Handbuch über den Königlich Preussischen Hof und Staat auf Jahr 1795 war Gentz einer von 49 Geheimen expedierenden Sekretären des Generaldirektoriums (1798 einer von 42). 16 GenlZ an Garve am 19.2.1791, in Briefe I. S. 190. 17 Ebd., S. 190f. .. GenlZ an Böttiger am 1.2.1798. in Briefe I. S. 240. Vgl. dazu Paul Willichen, Friedrich Gentz und Preußen vor der Reform. in: FBPG 18(1905), S. 203-227 [im folgenden: P. Willichen, Preußen), hier S. 204f. 19 GenlZ an Böttiger am 30.12.1797, in Briefe I, S. 236; vgl. auch Genlz an Böttiger (ebd., S. 233-253) und P. Willichen, Preußen. S. 203-218. Vgl auch M. Spieß, Friedrich von Gentz über den Regierungsantritt Friedrich Wilhe1ms III. von Preußen, in: Zeitschrift für Geschichte und Politik 5(1888), S. 291-304. - Zur Frage der persönlichen Beziehungen zu Lombard vgl. Hiiffer, Kabinettsregierung, S. 3, 271 und 483f. 20 GenlZ an Böttiger am 30.12.1797. in Briefe I, S. 235. 21 Ebd., S. 236. 21 Ebd .• S. 233.

2. Bürgertum und Bürokratie

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haftigkeit, seine Gleichgültigkeit gegen aIle Unternehmungen des Feindes, und die Kunst, seine unerhörte Festigkeit und Kraft, in eine [ ... ) süß = täuschend äußre Form zu verstecken. Ich bin nicht dazu gemacht, mich auf die Länge mit Kabalen herumzuschlagen, habe vor dem Militär eine nicht zu besiegende Furcht, und ginge zuverlässig, wenn der König mich heute mit seinem ganzen Vertrauen erhöbe, in weniger als einem halben Jahre zugrunde." 23

Zu dieser skeptischen wie koketten Beurteilung trugen die aus der Nähe beobachteten Intrigen im Kabinett einerseits und zwischen Kabinettsräten und Ministern andererseits bei, ebenso wie das mangelnde Vertrauen von Gentz in die Stärke von Menckens Position. 24 Die Finanzreformkommission von 1798, der auch Gentz angehörte, führte ihm die Aussichtslosigkeit seines Karrierestrebens nochmals vor Augen. 25 Gentz erfuhr deutlich die Grenzen seiner Möglichkeiten als Beamter. Nach dem Ausscheiden Menckens im sei ben Jahr dominierten Lombard und Beyme das Kabinett. Ob Ausdruck enttäuschter Erwartungen, Reaktion auf veränderte persönliche Beziehungen oder Resultat seines Engagements für eine proenglische Außenpolitik - zwei Jahre später griff Gentz in einer Denkschrift für den Herzog von Braunschweig die führenden Kabinettsräte und zugleich das System der Kabinettsregierung selbst an. 26 Für den innen- wie außenpolitisch zu revolutionsfreundlichen Kurs Preußens machte Gentz zum einen den ängstlichen und kleinkarierten Charakter und teilweise die revolutionäre Gesinnung der Kabinettsräte verantwortlich, zum andern aber kritisierte er die strukturellen Schwächen der Regierungsorganisation. Als den Hauptmangel der Regierungsstruktur beklagte er die Machtlosigkeit der verantwortlichen Minister und die Machtfülle der Kabinettsräte, von "Personen, die ihrer ursprünglichen Bestimmung nach blos das untergeordnete Amt Königlicher Secretairs zu verwalten haben, die das Wohl und der Ruhm des Staates nicht lebhaft und gleichsam persönlich interessirt, und die eigentlich für nichts verantwortlich sind, als für die Aechtheit der Königlichen Unterschrift in den Cabinets=Or-

23 Gentz an Böttiger am 1.2.1798 (ebd., S. 244). - Hervorhebungen in den zitierten Texten werden hier und im folgenden grundsätzlich kursiv übernommen. Der Wechsel der Schriftart rur fremdsprachige Namen oder sonstige fremdsprachige Passagen in deutschsprachigen QueIlentexten bleibt ebenso unberücksichtigt wie Hervorhebungen innerhalb der Texttitel. 2. Ebd., S. 244ff. - Die Auseinandersetzungen zwischen Mencken und dem Minister Hoym brachten Gentz den ungeliebten Vorgesetzten Voß als Leiter des Südpreußischen Departements zurück (Sweet, Friedrich von Gentz, S. 37; Guglia, S. 94f.). 2' "Bei dieser Kommission bin ich der Repräsentant des abwesenden Minister Hoym, der eigentlich das Faktotum dabei sein soIlte. Dies ist genug gesagt. "(Genzz an Böttiger am 17.3.1798, in Briefe I, S. 252). VgJ: P. Wittichen, Preußen, S. 218-225. 26 Abgedruckt mit einer Einleitung des Herausgebers in Paul Wittichen (Hrsg.), Das preußische Kabinett und Friedrich v. Gentz. Eine Denkschrift aus dem Jahre 1800, in: HZ 89(1902), S. 239273.

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11. Biographie

dres, die sie ausfertigen. "27 Der durchaus zukunftsweisende Vorschlag von Gentz, einen mit dem Monarchen konferierenden Staatsrat der wichtigsten Minister zur Vorbereitung wichtiger Entscheidungen zu schaffen, ist zugleich eine Bestätigung der ständischen Sozialordnung und der Beschränktheit seiner eigenen politischen Chancen. 28 Daß auch einem Bürgerlichen eine große Karriere in der preußischen Bürokratie gelingen konnte, bewies der rasante Aufstieg von Johann Wilhelm Lombard. Dessen tiefer Fall, besonders auch im Urteil der Nachwelt, demonstrierte aber auch die prekäre Stellung eines solchen homo novus. 29 Gentz' Vetter und Freund Johann Peter Friedrich Ancillon, selbst in engem Kontakt zu Lombard, als französisch-reformierter Theologe ausgebildet, brachte es in der Restaurationszeit dessenungeachtet sogar zum Minister des Äußeren. So gab es also Möglichkeiten der Mitgestaltung von Politik auch für die Kreise, aus denen Gentz kam. Die spätere Entwicklung in Preußen zu einem "monarchisch-adlig-bürokratische[n] Kondominat"30 bot dem Beamtenturn als politischem Stand einigen Spielraum; für die Reformzeit kann sogar von einem "bürokratischen Absolutismus" gesprochen werden. 3\ Gentz sah für sich trotzdem in der Bürokratie keine überzeugenden Perspektiven mehr. Ohne Adelstitel, ohne akademischen Abschluß, ohne ausgeprägten Sinn für die mit dem sich entwickelnden neuen Amtsethos bedeutsamen Tugenden der Arbeitsdisziplin, des geregelten gesellschaftlichen Lebens und der geordneten Familienverhältnisse war Gentz tatsächlich nicht gerade der Prototyp des modemen, professionellen Beamten. Er erlebte die adelige Führungsschicht im täglichen Umgang, pflegte die literarischen und philosophischen Interessen des Bildungsbürgers seiner aufgeklärten Epoche und empfand seine eigene berufliche und soziale Stellung als bürgerlicher Beamter als

21 Ebd., S. 249f. - Auf orthographische Eigenheiten der zitierten Texte wird grundsätzlich nicht hingewiesen; offenkundige Rechtschreibfehler in den Vorlagen werden mit "I!]" gekennzeichnet. 2& Da Gentz einen Grundfehler der Kabinettsregierung darin sah, daß sie die Macht in die Hände von "Personen von geringem Range" (ebd., S. 272) gelegt hahe. fonnulierten seine Vorschläge auch einen Verzicht: "Ich wünsche die Regierung in den Händen eines Ministeriums zu wissen. wovon ich nie ein Mitglied werden kann; ich wünsche sie aus den Händen eines Cabinets gerissen zu sehen, in welches mir der Eingang gelegentlich so gut als einem andern offen stehen könnte." (ebd., S. 255). - Zu Gentz' Distanz zur Regierung Preußens vgl. auch Paul Wiuichen, Zu Gentz' Denkschrift über das preußische Kahinett, in: HZ 91(1903), S. 58-64. 29 Hii/Jer. Kabinellsregierung, S. 468-498. )(I Wehler 11, S. 299. 31 Ebd., S. 298. Vgl. Rosenberg, S. 202-228. 17lOmas Nipperdey, Deutsche Geschichte 18001866. Bürgerrecht und starker Staat, München 1983, S. 261 und Bemd WUllder, Rolle und Struktur staatlicher Bürokratie in Frankreich und Deutschland. in: Berding u.a. (Hrsg.). S. 139176, hier S. 151-163.

3. Geselligkeit und Publizistik

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unbefriedigende und lästige Einschränkung, obwohl er spätestens ab 1798 weitgehend von den Amtsgeschäften befreit worden war. 32 Seine Ambitionen, politischen Einfluß zu gewinnen, versuchte Gentz seit Beginn der I 790er Jahre auf die andere, einem Bürgerlichen in Deutschland damals offenstehende Art und Weise zu verwirklichen: als Publizist. 33

3. Geselligkeit und Publizistik Die "gebildeten Stände" des späten 18. Jahrhunderts hatten die "zünftische Qualität des traditionellen Standes der Gelehrten ,,34 verloren. Hinsichtlich Herkunft, Beruf, Art und Höhe des Einkommens sehr heterogen,35 war diese in ihrem Selbstverständnis durch das Gedankengut der Aufklärung geprägte Gruppe von relativ großer sozialer Offenheit bestimmt. 36 Durch die gemeinsame Hochschätzung der Bildung als entscheidend für Lebensweg und Lebensweise verbunden, existierte in den "gebildeten Ständen" eine Tendenz zu fortschreitender Individualisierung. Der freie, durch Bildung, nicht durch geburtsständische Kriterien begrenzte Zugang zur Öffentlichkeit gab der Selbstinterpretation des Bildungsbürgertums langfristig politische Bedeutung. 37 Die Neigung, die Konventionen der ständisch gegliederten Gesellschaft zu beachten, nahm ab, wie sich an veränderten Formen des Familienlebens, der Geselligkeit und der Wohn- wie der ästhetischen Kultur zeigen läßt. 38

12 Von Gentz' Unzufriedenheit mit der Arbeit im Generaldirektorium zeugen schon seine Überlegungen zu einem Wechsel auf die Ratsstelle im Breslauer Magistrat in zwei Briefen von Gentz an Garve vom 19.2. und 19.4.1791, in Briefe I, S. 190-196. - Zu Gentz' zeitweiliger Freistellung von den Amtsgeschäften Bailleu, S. 238f. " Gentz selbst betont in einem Brief an Garve vom 5.3.1790 allerdings, daß ihm seit dem Ende seines Studiums neben seiner Karriere als Beamter immer schon philosophische Reflexion besonders lieb und wichtig gewesen sei (Briefe I, S. 154). 301 Hans Erich Bödeker, Die "gebildeten Stände" im späten 18. und fruhen 19. Jahrhundert: Zugehörigkeit und Abgrenzungen. Mentalitäten und Handlungspotentiale, in: Jürgen Kocka (Hrsg .), Bildungsbürgertum im 19. Jahrhundert. Teil IV. Politischer Einfluß und gesellschaftliche Formation, Stuttgart 1989, S. 21-52, hier S. 22; zur Begriffsabgrenzung vgl. Engelhardt, "Bildungsbürgertum", S. 66-79; zu den historischen Voraussetzungen vgl. Otto Gerhard Oexle, Alteuropäische Voraussetzungen des Bildungsbürgertums - Universitäten, Gelehrte und Studierte, in: Conze/Kocka (Hrsg.), S. 29-78. " Bödeker, S. 23. ,. Ebd., S. 26f.; Lundgreen, S. 96, 103f.; Horst Möller, Vernunft und Kritik. Deutsche Aufklärung im 17. und 18. Jahrhundert, Frankfurt a.M. 1986, S. 289-297. 37 Zu Öffentlichkeit und öffentlicher Meinung vgl. Kap. VII. ] I Bödeker, S. 33-41.

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11. Biographie

Für die Beschäftigung mit dem Bildungsgut der Aufklärung hatte Gentz schon im Elternhaus Anregungen bekommen, Schule und Universität eröffneten weitere Möglichkeiten dazu. 39 Die Popularphilosophen Johann Jakob Engel, Christian Garve und Moses Mendelssohn sind ihm schon früh persönlich bekannt gewesen;40 in Königsberg erlebte er Immanuel Kant als akademischen Lehrer. 4\ Von Jugend auf ergänzte so der persönliche Umgang die durch Lektüre gewonnenen Bildungserfahrungen. 42 Geselligkeit, u.a. von Garve und Knigge als Thema der Aufklärungsdebatte herausgestellt, gehörte zur Bildung. 43 Gentz lernte im Hause der Elisabeth Graun eine nicht-akademische literarische Bildung als Leitmotiv mündlicher wie brieflicher Unterhaltung kennen und nutzen. 44 Sein Konversationstalent konnte sich dann in Berlin voll entfalten. Von der Französischen Revolution überschattet, existierte hier in den

39 Doebber, S. 2f., 6; Hase, Jugend, S. 9lff.; Sweet, Friedrich von Gentz, S. 4-7 . .., Gentz' Kontakte zu Garve bei Friedrich Carl Wittichen, Gentz und Garve, in: Briefe I, S. 126-137 und bei Willy Cohn, Friedrich von Gentz und Christian Garve, in: Schlesien 7(1914), S. 451 f. - Engel war Professor am Joachimsthalschen Gymnasium und Gentz hielt auch später noch den persönlichen Kontakt aufrecht (Gentz an Garve am 18.9.1790, in Briefe I, S. 173). - Mendelssohn und Garve als Freunde von Johann Friedrich Gentz bei Hase, Jugend S. 91 . .. Wie intensiv diese Kontakte zu Kant waren, muß bei der gegenwärtigen Quellenlage offen bleiben. In nächste Nähe zu Kant wird Gentz z.B. bei Schmidt- Weißenfels I, S. 11 f. gerückt. Neben Kant hörte Gentz wahrscheinlich Vorlesungen der drei Ordinarien der Juristischen Fakultät Wilhelm Bernhard Jester, Christian Renatus Braun und Georg Friedrich Holtzhauer, aus den Kreisen der Professoren der Philosophischen Fakultät vermutlich auch noch Jakob Friedrich Werner, Ordinarius für Beredsamkeit und Geschichte, und Christian Jakob Kraus, ordentlicher Professor der Praktischen Philosophie (Goldbeck, S. 70f., 82-89) . • 2 Schon auf dem Gymnasium in Berlin hatte Gentz beispielsweise Achenwall, Büsching, Gatterer, Pütter, Pufendorf, Schlözer, Schroeck und Wolff kennenlernen können (Welzel, S. 315, 402-409) . • 3 So pries ein Studienführer 1782 die Vorzüge des Universitätsstandortes Königsberg unter Hinweis auf bildungsbürgerliche Lebensqualität: "Des Sommers bieten die vielen öffentlichen großen und angenehmen Gärten in der Stadt und die nahe bey Königsberg an dem Fluße Pregel in der reitzendsten Gegend liegende Lusthöfe; des Winters ein gereinigtes Theater, die öffentlichen Konzerte, die zuweilen mit einem Ball, der nach dem Konzert darauf folgt, verbunden sind und die vielen Liebhaber= und die Privatkonzerte den Studierenden angenehme Abwechselungen dar. Außerdem hat jeder Studierende von guter Erziehung und gesitteter Aufführung, auch wenn er ein Fremder ist und keine besondere Empfehlung oder Adreße an irgend ein Haus mitbrächte, häufige Gelegenheit mit angesehenen und artigen Häusern bekannt zu werden." (Goldbeck, S. 108f.) . .. Elisabeth Graun, die spätere Frau von Stägemann, war Gentz' Jugendfreundin (Friedrich Carl Wittichen, Gentz und Elisabeth, in: Briefe I, S. I-li). Die Briefe von Gentz an Elisabeth sind die beste Quelle für seine Jugendzeit (Briefe I, S. 14-126). Elisabeth hat die komplizierten VeIWicklungen ihres Privatlebens zu einem Prosa text in Form eines Briefwechsels zwischen einer Elisabeth und einer fingierten Freundin veIWandelt, der nicht nur die Briefe von Gentz in beträchtlichem Umfang mit einbezieht, sondern auch seine literarische Bildung und sein Talent zur Beredsamkeit bezeugt (Elisabeth Stägemann, Erinnerungen für edle Frauen. Nebst Lebensnachrichten über die Verfasserin und einem Anhange von Briefen. Herausgegeben von Wilh. Dorow. Erster Band, Leipzig 1846, S. 54f., [1100, 216ff.).

3. Geselligkeit und Publizistik

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Jahren um 1800 eine neue Form der Geselligkeit, die die alten Standesgrenzen sprengte und Adel und Bildungsbürgertum zusammenführte. Gebildetejüdinnen wie Henriette Herz und Rahel Levin, durch Schönheit und/oder Geist anziehend genug, richteten einer äußerst gemischten Gesellschaft mit den von ihnen geführten "Salons" Orte der Begegnung ein. 4s Gentz glänzte in diesen Kreisen durch seinen Esprit und seine Beredsamkeit,46 knüpfte ein dichtes Netz freundschaftlicher und erotischer Bande. 47 Von der in den Salons herrschenden Offenheit wichtiger Teile der Berliner Gesellschaft profitierte er durch ein Geflecht persönlicher Kontakte zu hohen Beamten und Diplomaten, aber auch zu Gelehrten und Schriftstellern. Seine Freundschaften, zuerst mit seinem Vetter Friedrich Ancillon und Wilhelm Humboldt, mit dem Schweden earl Gustav von Brinckmann,48 später die mit Adam Müller, Joseph Anton Pilat und Anton Prokesch von Osten wurden von Gentz stets sehr wichtig genommen und beeintlußten vor allem im Falle Müllers, aber auch Humboldts sein Denken zeitweise nachhaltig. 49 Mit der Französischen Revolution hatte das politische Räsonnement der Aufklärung ein ganz neues Gewicht gewonnen, und neben der Reform des Ancien Regime durch einen aufgeklärten Monarchen und seine Beamtenschaft wurde die Ordnungsstruktur des politischen Systems von einer theoretischen zu

., Karl Hillebrand, Die Berliner Gesellschaft in den Jahren 1789 bis 1815, in: ders., Unbekannte Essays, hgg. von Hermann Uhde-Bernays, Bern 1955, S.13-81; Konrad Feilchenfeldt, Die Berliner Salons der Romantik, in: Barbara Hahn/Ursula Isselstein (Hrsg.), Rahel Varnhagen. Die Wiederentdeckung einer Schriftstellerin, Göttingen 1987, S. 152-163; Heidi Tomann Tewarson, "Ich bin darin der erste Ignorant der Welt! der dabei so viel auf Kenntnisse hält." Zum Bildungsweg Rahel Levins, in: Hahn/isselstein (Hrsg.), S. 141-151; Manfred Schlösser, Gestalten, Ideen und Formen Literarischen Lebens um 1800, in: Berlin zwischen 1789 und 1848. Facetten einer Epoche, Berlin 1981, S. 195-228, hier S. 217-224. 46 Guglia, S. 4-9. Vgl. dazu auch Peter Seibert, Der Salon als Formation im Literaturbetrieb zur Zeit Rahel Levin Varnhagens, in: Hahn/isselstein (Hrsg.), S. 164-172, hier S. 168f. 47 Besonders die Beziehung zu Rahel LevinlVarnhagen ist durch den von Karl August Varnhagen planmäßig inszenierten Reliquienkult um Rahe! früh bekannt geworden. Der Herausgeber der bedeutenderen der beiden Werkausgaben von Gentz, Gustav Schlesier, stand ganz im Bann von Varnhagen und stellte die Briefe von Gentz an Rahe! in das Zentrum des ersten Bandes (Schriften I, S. 93-240). Vgl. dazu Hannah Arendt, Rahel Varnhagen. Lebensgeschichte einer deutschen Jüdin aus der Romantik, München u.a. 1987, S. 84-90 und Guglia, S. 11-32. - Prinz Louis Ferdinand war seiner Geburt nach am anderen Ende der gesellschaftlichen Rangskala angesiedelt, kümmerte sich aber in seinen politischen Ansichten und in seiner Lebensweise wenig darum. Gentz war ihm eng verbunden. Dazu Eckart Kleßmann, Prinz Louis Ferdinand - ein preußischer Mythos, in: Manfred Schlenke (Hrsg.), Preußen. Politik, Kultur, Gesellschaft. Band I, Hamburg 1986, S. 391-401. •• Zu Brinckmann Hilde Schmidberger, earl Gustav v. Brinckman [schwedische Schreibweise!), Diss. Wien 1925, hier bes. S. 7f. •• Dazu Guglia, S. 32-42, 119-124. 3 Kronen bitter

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11. Biographie

einer praktischen Frage. Ein Gegenstand der politischen Diskussion fehlte also nicht, und durch die beginnende Politisierung der bisher hauptsächlich philosophisch und literarisch ausgerichteten Öffentlichkeit mangelte es auch nicht an einem Forum des Meinungsaustausches. Gentz ergriff die Möglichkeiten, die sich daraus ergaben, und profilierte sich als Publizist. Er verfaßte Aufsätze, übersetzte, kommentierte, rezensierte, gab Zeitschriften heraus. Gegen eine Kritik der Menschenrechtserklärung als Basis der neuen französischen Verfassung aus der Feder Mösers schrieb Gentz 1791 in der "Berlinischen Monatsschrift" "Über den Ursprung und die obersten Prinzipien des Rechts". Schon mit seiner nächsten Veröffentlichung, den von ihm übersetzten, kommentierten und mit ausführlichen Zusätzen versehenen "Betrachtungen über die französische Revolution" von Burke Anfang 1793, machte er sich und Burke als politische Schriftsteller und als Gegner der Revolution in Deutschland bekannt. Der Umschwung in seiner Haltung zu den dramatischen Entwicklungen in Frankreich ist von entscheidender Bedeutung für Gentz' weiteren Weg als Publizist wie als Politiker. Ohne die Distanzierung von der Französischen Revolution wäre er, der sich seine Position letztlich als Publizist erschreiben mußte, nie, weder in Preußen noch in Österreich, in den engeren Bereich der politischen Entscheidungszentren gelangt. Der Wandel vom Bewunderer zum erbitterten Gegner der Revolution läßt sich weder exakt datieren, noch lassen sich die Motive dafür in den Quellen eindeutig ablesen. Da Gentz zwischen April 1791 und Dezember 1792 die antirevolutionäre Linie Burkes übernommen hat, in einer Zeit, in der er sich intensiv mit den "Reflections" auseinandersetzte, ist anzunehmen, daß Gentz unter dem Eindruck von Burkes Schrift sein Urteil über die Revolution revidiert hat. Weitere Gründe für den Gesinnungswandel können in der innerfranzösischen Entwicklung und im Krieg Preußens und Österreichs gegen Frankreich vermutet werden . .50 Ganz sicher ist aber auch, daß sich Gentz von seiner Burke-Übersetzung nicht nur Anerkennung in der literarischen Welt, sondern auch Karrierechancen und neue Einkünfte erwartete. 51 In den folgenden Jahren bekam Gentz gelegentlich finanzielle Unterstützung für seine Publikationen von der preußischen Regierung und wurde zeitweise von den Amtsgeschäften weitgehend entbunden, aber eine durchgreifende Verbesserung seiner Position blieb ihm verwehrt. Die Unzufriedenheit über Preußens Außenpolitik und die gescheiterten persönlichen Hoffnungen gaben

>0 Hase, Jugend, S. 97-100; Therese Dietrich, Ideologie der Gegenrevolution. Ursprünge konservativen Denkens bei Friedrich Gentz. 1789-1794, Diss. (B) Berlin 1989, S. 57-70; G.P. Gooch, Germany and the French Revolution, London 1965, S. 94. " Gentz an Friedrich Wilhelm 11. am 23.12.1793, abgedruckt bei Hase, Jugend, S. 99f.

3. Geselligkeit und Publizistik

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Gentz' Veröffentlichungen eine neue Richtung. Das "Historische Journal", erschienen 1799 und 1800, zeigte bereits einen Wechsel in der Thematik an: neben Reflexionen über die Revolution rückten außenpolitische Fragen im Gefolge der militärischen Expansion Frankreichs unter Napoleon immer stärker in den Vordergrund. Das Kräfteverhältnis zwischen Frankreich und seinem gefährlichsten Rivalen England, besonders in finanzpolitischer Hinsicht, wurde ein Schwerpunkt von Gentz' Recherchen. Den Lohn für sein publizistisches Engagement empfing Gentz nun nicht mehr von der eigenen, sondern von der englischen Regierung. 52 Dabei spielten Geldsorgen, der Wunsch nach gesellschaftlicher Geltung und politischem Einfluß ebenso eine Rolle, wie die tiefe Bewunderung für Englands politisches System, seine finanzpolitische Stärke und seinen energischen Kampf gegen Napoleons Hegemoniestreben. 53 Die Anerkennung seines Wirkens in Geld und guten Worten war eine umso wichtigere Stärkung von Gentz' Position, als seine Stellung in Berlin immer unhaltbarer wurde. Dadurch, daß Gentz den aufwendigen Lebensstil seines Bekanntenkreises, der zu einem immer größeren Teil aus begüterten Adeligen und Diplomaten bestand, annahm, hatte er seine finanziellen Möglichkeiten als Kriegsrat bei weitem überspannt. Obwohl er bei Bekannten, Freunden und seiner Familie Geld lieh, aus England Unterstützung bezog und auch durch seine Schriftstellerei Hilfsquellen erschloß, stürzte er sich immer tiefer in Schulden. 54 Das Scheitern seiner Ehe, die Last der Schulden, all seine persönlichen Probleme wurden ergänzt durch die Perspektivlosigkeit seiner beruflichen Stellung. Dazu kam, daß der außenpolitische Kurs Preußens sich von Gentz' Vorstellungen so weit entfernt hatte, daß er mit einer Behinderung seiner publizistischen Arbeit durch die Regierung rechnen mußte. 55 Als eine Einflußnahme auf die preußische Politik, insbesondere die auswärtige, weder über eine Beamtenkarriere noch durch publizistische Mittel möglich schien, ergriff Gentz 1802 die Chance zu einem Neubeginn, die ihm das Angebot des österreichischen Botschafters in Berlin, Graf Stadion, in die Dienste des Kai-

Dazu Tagebücher I, S. I, 3. Dazu Paul Wiuichen, Friedrich v. Gentz und die englische Politik. 1800-1814, in: Preußische Jahrbücher 110(\902), S. 463-501 [im folgenden: P. Wiuichen, Englische Politik), hier bes. S. 463-471 und Gerrrnde Ranftl, Gentz und England, Diss. Wien 1947, S. 5-29. " Zu den Schulden Tagebücher I, S. 4 und Doebber, S. 53. ss 1801 wurde Gentz Opfer der Zensur (dazu Kap. IX. 1.). Er schrieb an den Marquis Lucchesini am 23.11.1803, abgedruckt bei Bailleu, S. 245: "Apres la paix d'Amiens [ ... ] un ecrivain de mes Principes et de ma fa~on de voir et de sentir n'aurait plus meme trouve un asyle en Europe. Dejll lors de la publication de mon dernier ouvrage (en ete 1801)j'avais eprouve tous les degouts, toutes les tracasseries, toutes les petites chicanes qui seraient devenus mon pa in quotidien, si j'avais pu avoir l'insigne folie de precher encore une doctrine que personne ne voulait plus entendre, et qu'on commen~ait meme aregarder comme un aveuglement criminel." S2 S3

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11. Biographie

sers ZU wechseln, zu bieten schien. 56 Gentz faßte die Gründe für seinen Wechsel gegenüber dem Hohenzollernherrscher selbst so zusammen: "Die beschränkte Sphäre von Dienstgeschäften, die man mir angewiesen hatte, und die weder meinem Bestreben nach Tätigkeit, noch den Gegenständen und der Richtung meiner Studien, noch selbst - ich darf es wohl sagen - den Ansprüchen, zu welchen mein Eifer fiir das Gute und meine Fähigkeiten mich berechtigten, angemessen war; die Disharmonie, die schon dieser einzige Umstand, verbunden mit der Ueberzeugung, daß ich nie eine günstigere Dienstlautbahn zu erwarten hatte, in meiner ganzen bürgerlichen Existenz unterhielt; der Vorzug, den ich eben deshalb meinem Verhältnisse als Schriftsteller, woraus ich nichts als Ruhm, Vortheil und Annehmlichkeiten aller Art schöpfte, nothwendig einräumen mußte; endlich selbst neue häuslichen Umstände - alles fordert mich auf, einem Antrage Gehör zu geben, den meine Vernunft von allen Seiten billigt, so sehr sich auch von mehr als einer, meine Wünsche und Neigungen dagegen auflehnen mögen. "51

Wie vorher in Berlin, so bewegte sich Gentz auch in Wien, im böhmischen Teplitz und auf Reisen gern und oft unter Literaten und Diplomaten, jetzt allerdings zu einem immer größer werdenden Teil auch unter hohen Adeligen. 58 Der Ausländer, 59 Protestantro und Bürgerliche6 \ hatte es dabei nicht

,. Dazu: Tagebücher I, S. 22ff.; Bailleu; August Foumier, Gentz und Cobenzl. Geschichte der österreichischen Diplomatie in den Jahren 1801-1805, Wien 1880, S. 61-67, 191-202; ders., Beiträge zu einer Gentz-Biographie, in: ders., Historische Studien und Skizzen, Wien u.a. 1908, S. 8-189, hier S. 8-129. '7 Gentz an Friedrich Wilhelm III. am 26.9.1802, in Schriften V, S. 18f. - Der Vorwurf der Vaterlandslosigkeit, der sich aus kleindeutsch-liberaler Perspektive aus dieser Abwendung von Preußen machen ließ, verfehlte die Entscheidungssituation, in der Gentz stand, völlig, blieb aber ein Problem fiir außerösterreichische Gentz-Verteidiger (z.B. Gustav Schlesier, Gentz's Abgang von Berlin und Anstellung in Oesterreich. Nebst einer Uebersicht seines Umgangs und Briefwechsels in diesen und den nächsten Jahren. Biographisches Fragment, in: Schriften V, S. 1-38, hier S. 13f.). ,. Dazu allgemein die Tagebücher. Ein gutes Beispiel für die frühe Wiener Zeit in einem Brief an Brinckmann vom 12.7.1804, in Briefe 11, S. 203-206. Den Unterschied zur Berliner Zeit empfand Rahel Levin 1813 schmerzlich und deshalb deutlich: Gentz, der soziale Aufsteiger, "kennt keine Welt mehr, als die aus Koterien vornehmer Leute besteht" (Rahel Levin an K. A. Varnhagen am 2.9.1813, in [Karl August Varnhagen) (Hrsg.), Rahel. Ein Buch des Andenkens fiir ihre Freunde. Zweiter Theil, Berlin 1834, ND München 1983, S. 116). ,. Schon Gentz' Sprache verriet zeitlebens seine preußische Herkunft. Dazu im Anhang Über Gentzens Sprache und Orthographie in Tagebücher V, S. 410f. 60 Trotz des zeitweise großen Einflusses, den der Konvertit Adam Müller in religiösen und philosophischen Fragen auf ihn ausübte, hat der Protestant Gentz nie seine Konfession gewechselt (Hubert Rumpel, Friedrich von Gentz. Die Bestimmung seiner Konfessionszugehörigkeit als methodisches Problem, in: Jahrbuch fiir die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 16/17(1968), S.319-325) . •, Das 1804 verliehene schwedische Ritterkreuz, mit dem das Recht zur Titelfiihrung verbunden war, wurde in Österreich nicht anerkannt: "Am 28. November (1804) kam General Annfeldt nach einer ziemlich langen Abwesenheit zurück, und brachte mir [=Gentz) das Ritterkreuz des Nordstem=Ordens, die erste Dekoration, die mir zu Theil ward, mit. Der König von Schweden war

3. Geselligkeit und Publizistik

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leicht, den entsprechenden sozialen Status zu demonstrieren. 62 Sein gutes Leben in den böhmischen Badeorten, in Gastein und Ischl, seine Wiener Stadtwohnung und sein Landhaus in Währing kamen ihn teuer zu stehen. 63 Die daraus resultierenden finanziellen Probleme führten dazu, daß Gentz mit Einverständnis Mettemichs viele Jahre der Hohen Pforte als Informant sein Insider-Wissen verkaufte, was wiederum seinem Ansehen abträglich war. Seine Herkunft, seine Lebensweise und seine Schulden schadeten Gentz auch in Wien. 64 Der Vorwurf eines unsittlichen Lebenswandels, der Verschwendungssucht, der Käuflichkeit und der Vaterlandslosigkeit, die Gentz oft genug gemacht worden sind, haben sicherlich auch mit einem Mißverständnis zu tun: die Chancen, preußische, österreichische, gar europäische Politik mitzugestalten waren für einen Mann wie Gentz, ohne adelige Abkunft und ohne Vermögen im Hintergrund, nicht allzu groß, und eine Selbstbeschränkung auf fleißiges Beamtenturn oder gelehrte Kommentierung des Geschehens war nicht seine Sache. Hätte Gentz auf die Pflege seiner gesellschaftlichen Kontakte verzichtet, eine Lebensführung gewählt, die seinem sozialen Rang und seinen Einkom-

durch verschiedene meiner Aufsätze, welche seine persönlichen Diskussionen mit Bonaparte betrafen, sehr für mich eingenommen worden. Ich gerieth übrigens mit Cobentzl und Collenbach in große Streitigkeiten über diesen Orden, und konnte die Erlaubniß des Kaisers, ihn zu tragen, nicht erlangen. Der König von Schweden und sein Repräsentant am Wiener Hofe waren beide gleich schlecht angeschrieben." (fagebücher I, S. 36). Dessenungeachtet führte Gentz auch ohne offizielle Anerkennung das "Chevalier de" im Namen und erreichte es, im Staatsschematismus, in den er (bezeichnenderweise) erst 1823 auf sein eignes Drängen hin aufgenommen wurde, wie auch in der Staatskanzlei als "von" geführt zu werden. Dazu der Anhang über Gentzens Titel und Name in Tagebücher V, S. 409f. 62 Zu Gentz' Status als Beamter, als Protestant und als Träger zahlreicher Orden die offizielle Todesanzeige für Friedrich von [!I Gentz, mitgeteilt durch den Staatskanzleidirektor Franz Xaver von Swietetzky, vom 9.6.1832 in UB Köln Sammlung Otto Wolff G.N. Nr. 107. 63 Die Schilderung des Interieurs von Gentz' Wiener Stadtwohnung aus dem Jahre 1824 durch Grillparzer: "Noch erinnere ich mich des widerlichen Eindrucks, den die Wohnung des Mannes auf mich machte. Der Fußboden des Wart-Salons war mit gefütterten Teppichen belegt, so daß man bei jedem Schritte wie in einen Sumpf einsank und eine Art Seekrankheit bekam. Auf allen Tischen und Kommoden standen Glasglocken mit eingemachten Früchten zum augenblicklichen Naschen für den sybaritischen Hausherrn, im Schlafzimmer endlich lag er selbst auf einem schneeweißen Bette im grauseidenenSchlafrocke. Rings herum Inventionen und Bequemlichkeiten. Da waren bewegliche Arme, die Tinte und Feder beim Bedarf näher brachten, ein Schreibpult das sich von selbst hin und her schob, ich glaube daß der Nachttopf allenfalls durch den Druck einer Feder sich zum Gebrauch darreichte." (Franz Grillparzer, Sämtliche Werke. Ausgewählte Briefe, Gespräche, Berichte, 4 Bde., [I, 11) Darmstadt 1969f. bzw. [111, IV) München I 964f. , hier IV, S. 125) . .. Kaiser Franz wurden starke Ressentiments gegen Gentz nachgesagt, die sich u.a. wohl auch aus Gentz' Geldbedarf ergaben ([Joseph von HOlmayerl, Kaiser Franz und Metternich. Ein nachgelassenes Fragment, Leipzig 1848, S. 3If.).

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11. Biographie

mensverhältnissen entsprochen hätte, wäre er in Gefahr gewesen, seine politischen Wirkungsmöglichkeiten zusammen mit dem ihm so wichtigen Lebensgenuß zu verlieren. Sein persönliches Verhalten folgte weder dem Moralkodex des Bürgertums noch dem Amtsethos des modemen Beamtenturns, sondern dem Vorbild, das er in den Kreisen fand, in denen er sich bewegte und ohne die er nichts bewegen konnte. 6s 4. Hohe Politik .. Auf Gentzsehe Art ist wohl kaum wieder ein Mann von Bedeutung beim Dienst zweier Großstaaten aus- und eingeschlüpft ... 66 Der Wechsel aus preußischen in österreichische Dienste versprach viel: Vom preußischen König in Ehren entlassen, erhielt Gentz als Kaiserlicher Rat ein existenzsichemdes Gehalt und blieb doch außerhalb des bürokratischen Apparates, nur verpflichtet "zu gelegentlicher frei beratender Schriftstellerei. Er wurde etwas wie ein bezahlter Volontär; er konnte hoffen, nicht mehr nur aus der Idee, dem Kopf, der Illusion zu schaffen, sondern mit den Orten, an denen die Entscheidungen getroffen werden, in einen wirksamen Konnex zu gelangen. "67 Dagegen sah der österreichische Staatskanzler Cobenzl, der die Anstellung von Gentz in

., Zum ambivalenten Verhältnis von Gentz zum Judentum, mit dem er durch seine Finanzprobleme wie durch den gesellschaftlichen Kontakt eng verbunden war, Ludwig Geiger, Friedrich v. Gentz und die Juden, In: Allgemeine Zeitung des Judentums vom 2.9.1910. Gentz' zwiespältige, zwischen Ressentiment und Toleranz schwankende Haltung zeigt sich besonders eindringlich in seiner Reaktion auf die judenfeindlichen Schriften seines Anwalts Grattenauer. Dazu Gentz an Brinckmann am 8.10.1803, in Briefe 11, S. 163-166. Zu Grattenauers Schrift "Wider die Juden" von 1803, um die es bei diesem Brief geht, ihrem kommerziellen Erfolg und der ihr zuteilwerdenden öffentlichen Aufmerksamkeit vgl. Albert A. Bruer, Geschichte der Juden in Preußen. (17501820), Frankfurt u.a. 1991, S. 175f., 207-210. - Daß es sich bei den berühmten Berliner Salons nicht um einen wirklich gleichberechtigten Dialog von Juden und Christen, sondern eher um ein Aufbegehren gegen die gesellschaftlichen Konventionen handelte, weshalb auch eifrige Besucher der vielfach von Jüdinnen geführten Salons später aus ihrer Judenfeindschaft kein Hehl machten, wie dies Bruer, S. 211-225 interpretiert, scheint mir plausibel. Auch bei Gentz, der sich zwar nicht öffentlich, wohl aber privat, z.B. in seinen Briefen an Brinckmann, oft verächtlich über das Judentum äußerte, läßt sich dies zeigen. Antijüdisches Ressentiment beherrscht diese Korrespondenz so auffallend, daß selbst ironische Brechungen nicht über deren Bedeutung hinwegtäuschen können. Besonders geballt finden sich die judenfeindlichen Negativstereotypen in Gentz' Brief an Brinckmann vom 19.9.1804, in Briefe 11, S. 227. - Die finanzielle Abhängigkeit, in der Gentz besonders vom Haus Rothschild stand, galt in ähnlicher Weise auch für den österreichischen Kaiserstaat insgesamt (dazu Egon Caesar Conte Corti, Der Aufstieg des Hauses Rothschild. 17701830, Leipzig 1927, bes. S. 219-223,361-367) . .. Charlotte Westennann, Gentz in Wien (1802), in: Deutsche Rundschau 181(1919), S. 270285, hier S. 270. 67 Mann, Friedrich von Gentz. Geschichte, S. 110.

4. Hohe Politik

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Wien betrieb, in ihm "peut-etre le meilleur ecrivain politique qui existe maintenant en Allemagne"68 und wollte ihn als eine Art Auftragsschreiber verpflichten, sich "in seinen ferneren politischen Schriften sich der Leitung Eurer Majestät auswärtigen Ministeriums zu unterziehen"69. Die Rollenerwartungen entsprachen einander nicht, und so betrieb Gentz, nachdem eine Wendung in der österreichischen Außenpolitik antinapoleonische Propaganda unerwünscht hatte werden lassen, Politik auf eigene Faust. Nach seiner großen Englandreise 1802 kam er als glühender Verehrer Britanniens nach Wien, wurde führendes Mitglied eines Kreises von Gegnern der auf Frieden ausgerichteten Regierung und entfaltete in Opposition zum Kurs Cobenzls eine umfangreiche Korrespondenz. 70 Als der ersehnte Kampf gegen Napoleon bei UJm so plötzlich zugunsten der Franzosen entschieden war, verlor Gentz nichts von seinem Elan und machte als Publizist und als selbsternannter Diplomat die große Koalition der alten Mächte und damit vor allem ein Bündnis zwischen Preußen und Österreich zu seiner Hauptaufgabe. Auch nach der verheerenden Niederlage Preußens 1806 hielt er unbeirrt an seinem Ziel fest, als andere, z.B. sein bisheriger politischer Weggenosse Johannes von Müller, Napoleon als Schicksal Europas zu akzeptieren begannen. 71 Der Krieg von 1809 gab Gentz für kurze Zeit neue Chancen zur Mitarbeit in Wien, der militärische Zusammenbruch Österreichs trieb

.. Cobenzl an Colloredo am 5.8.1802, in Fournier, Gentz und Cobenzl, S. 19l. .9 Vortrag Colloredos und Cobenzls an den Kaiser (ebd., S. 196). Besonders die Verteidigung Österreichs in Affäre um den Rastätter Gesandtenmord wurde als eine Art publizistische Vorleistung von Gentz gewertet (ebd.). 70 Dazu: ebd., S. 123-139; Clemens 1heodor Perthes, Politische Zustände und Personen in den Ländern des Hauses Oesterreich von Carl VI. his Metternich, Gotha 1869, S. 259-263; Sweet, Friedrich von Gentz, S. 81-107; Harry Donner, Deux adversaires de Napoleon a Vienne (18021806), Helsingfors 1939, S. 8-18,24-50; Alexander von Hase, Friedrich (v.) Gentz: Vom Übergang nach Wien bis zu den "Fragmenten des Gleichgewichts" (1802-1806), in: HZ 211(1970), S. 589-615 [im folgenden: Hase, Übergang], hier S. 589-60l. 71 Der berühmte Absagebrief von GenlZ an Johannes von Müller vom 27.2.1807, nach dem Seitenwechsel des Schweizers: "Stets bereit, alles anzuerkennen, alles gelten zu lassen, alles zu umfassen, sich gleichsam mit allen zu vermählen, was nur irgend in fure Nachbarschaft tritt, konnten Sie nie zu einem gründlichen Haß, oder zu einer gründlichen Anhänglichkeit gelangen. fur Leben ist eine immerwährende Capitulation. Wenn der Teufel in Person auf Erden erschiene, ich wiese ihm die Mittel nach, in vier und zwanzig Stunden einen Bund mit funen zu schließen." (Schriften IV, S. 272f.). - Vgl. dazu: Sweet, Friedrich von Gentz, S. 107-149; M. Pflüger, Koalitions-Politik. Metternich und Friedrich v. Gentz. 1804-1806. Erster Teil: Die diplomatischen Verhandlungen, Hamburg 1913; Hase, Übergang, S. 607f.; P. Wittichen, Englische Politik, S. 474-489; Perthes, Politische Zustände, S. 340-355. - Der Kontakt zu England blieb noch lange von großer Bedeutung rur Gentz. Dazu C.B.S. Buck/and, Friedrich von Gentz' Relations with the British Government during the Marquis Wellesley's Foreign Secretaryship of State (from 1809 to 1812), London 1933.

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11. Biographie

ihn dann erneut, WIe bereits nach Austerlitz, in von 'den Franzosen nicht besetzte Teile Mitteleuropas, diesmal nach Ungarn und Prag. Nach einer kurzen Annäherung an den antinapoleonischen Nationalismus änderte er nach 1809 seine außenpolitische Konzeption und setzte auf eine vorsichtigere Linie gegenüber Frankreich. 72 Erst mit der langsamen Annäherung an die Politik Metternichs, des neuen Außenministers, gewann Gentz Zugang zum Machtzentrum Österreichs. 73 Schließlich holte Metternich seinen alten Bekannten Gentz als Mitarbeiter in die Staatskanzlei. Endlich bot sich für Gentz die Aussicht, Hohe Politik von Amts wegen, ganz offiziell zu machen. Bis etwa 1830, als er sich von Metternichs Kurs im Gefolge der Juli-Revolution deutlich distanzierte, blieb Gentz in den wichtigsten diplomatischen Fragen einflußreicher Berater und Helfer Metternichs, des - seit 1821 - Staatskanzlers. Gentz' Rolle als Sekretär beim Wiener Kongreß und in Paris, bei den Kongressen in Aachen, Troppau, Laibach und Verona machte ihn berühmt, sein Part bei der Formulierung und Rechtfertigung der Karlsbader Beschlüsse machte ihn berüchtigt. Als Stütze Metternichs ist Gentz in die Geschichte eingegangen. 74

72 Dazu mag die große Enttäuschung über die vergeblichen kriegerischen Unternehmungen beigetragen haben. Gentz' resigniertes Resümee des Jahres 1809: "lei finit une des epoques les plus memorables de ma vie. Peu de personnes connaissent, comme moi, la vraie histoire grave, desastreuse; je suis ouvertement appele a en devenir un jour I'historien." (fagebücher I, S. 208). Vgl. Sweet, Friedrich von Gentz, S. 150-158. - Im Unterschied zu Brinckmann (Brinckmann an Gentz am 12.11.1807, in Briefe 11, S. 292-311) blieb das nationale Pathos bei Gentz im wesentlichen beschränkt auf den Glauben, "daß in Deutschland die allgemeine politische Auferstehung beginnen wird" (Gentz an Brinkmann am 16.10.1807, in Briefe 11, S. 286). Vgl. dazu aber auch Kap. XII.2. 73 Bei Adolf Beer, Zehn Jahre österreichischer Außenpolitik. 1801-1810, Leipzig 1877 kommt Gentz bezeichnenderweise kaum vor. - Zu Gentz' langsamer Annäherung an Metternich seine bewundernde Kritik vom 6.10.1809 an Metternichs "I 'indifference et la legerete, avec laquelle il voit partir le Comte Stadion, et la confiance vraiment choquante, avec laquelle il se charge d'une liche aussi terrible, que ce1le de la direction des affaires dans ce moment." (fagebücher I, S. 185). Noch Ende 1811 sieht sich Gentz gegenüber Mettemich "als ein Oppositions=Chef(denn das war ich in der That aus warmer Liebe zur Sache und treu er Anhänglichkeit an Oesterreich)" (ebd., S. 255). 74 Dazu: Friedrich earl Wittichen, Gentz und Metternich, in: MIÖG 31(1910), S. 88-111; Richard Channatz, Gentz und Metternich, in: Neue Freie Presse vom 24.11.1912; Karl Mendelssohn-Bartholdy, Friedrich von Gentz. Ein Beitrag zur Geschichte Oesterreichs im neunzehnten Jahrhundert, Leipzig 1867, S. 64-118; Ortokar Lorenz, Staatsmänner und Geschichtschreiber des neunzehnten Jahrhunderts. Ausgewählte Bilder, Berlin 1896, S. 81-94; Max Hein, Gentz und Metternich, in: Konservative Monatsschrift 70(19\3), S. 886-897. Vgl. zu Metternich das Standardwerk Heinrich Rirter von Srbik, Metternich. Der Staatsmann und der Mensch. Band I, München 1925.

4. Hohe Politik

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Gentz' Stellung in der Staatskanzlei war besonders auf ihn zugeschnitten und aus der normalen Personal struktur der Schaltzentrale der österreichischen Außenpolitik herausgehoben. In dieser "monokratischen Behörde"75 gab Mettemich auch in der Arbeitsverteilung den Ton an. Mettemich setzte Gentz in den unterschiedlichsten Sachgebieten ein: in Finanzfragen76 quasi als Leihgabe an das Finanzministerium, im Bereich der deutschen Angelegenheiten, als Protokollführer der großen Kongresse, als Zensor, als Pressereferent und in der Orientalischen Frage. 77 So wuchsen Gentz über das Vertrauen des Staatskanzlers wichtige Aufgaben zu, obwohl er nach der Verleihung des Hofratscharakters im Jahre 1813 keine weitere Beförderung mehr erhielt. 78 Von der Anwesenheitspflicht am Ballhausplatz befreit, erledigte Gentz seine Aufgaben häufig zu Hause und gerne nachts, was sich mit der Arbeitsweise Mettemichs bestens vertrug. 79 Auch die Selbstverständlichkeit, mit der der Hofrat die für Minister und hohe Diplomaten üblichen diplomatischen Geschenke ausländischer Mächte in Empfang nahm, zeigt die besondere, außenwirksame Position von Gentz. Der von Mettemich für Gentz eingefädelte lukrative Nebenerwerb aus der Berichterstattung an die Hospodaren der Walachei zeigt die wenig rigiden Standards in der Frage von Zusatzeinnahmen. 80 Diese politische Sonderstellung, der auch eine gesellschaftliche entsprach, wurde mancherorts mit Argwohn betrachtet. 81

H Erwin Matsch, Der Auswärtige Dienst von Österreich(-Ungam) 1720-1920, Wien U.8. 1986, S. 52. Zur Arbeitsverteilung die "Organische Vorschrift für sämtliche Individuen der K.K. geheimen Haus-, Hof- und Staatskanzley" vom 27.8.1816 (ebd., S. 201-206). Vgl. zur Regierung auch Ignaz Beidtel, Geschichte der östereichischen Staatsverwaltung. 1740-1848.11. Band. (17921848), Innsbruck 1898, ND Frankfurt a.M. 1968, S. 213-236. 76 Schon bei der Anstellung von Gentz in Österreich war vorgesehen, ihn "auch nach Umständen im Finanzfach (worinn er sehr ausgebreitete Kenntnisse erwiesen hat)" (Vortrag vor dem Kaiser von Co/loredo und Cobenzl, in Foumier. Gentz und Cobenzl, S. 196) zu verwenden. 77 lose! Karl Mayr, Geschichte der österreichischen Staatskanzlei im Zeitalter des Fürsten Mettemich, Wien 1935, S. 134-137. 7' Ebd., S. 128. 79 Ebd., S. 133f., 143f. 10 Ebd., S. 130ff., 142ff. " So hatte Gentz gerade bei seiner Bukarest-Korrespondenz mit der Bespitzelung durch das "Geheime Ziffernkabinett" , der direkt dem Kaiser unterstehenden Geheimpolizei, zu kämpfen. Gentz' schwerer Stand in Politik und Gesellschaft Wiens wird aus Konfidentenberichten vom Wiener Kongreß deutlich. Gentz' Geldhunger wird dem Kaiser ebenso gemeldet wie die bissigen Urteile der von Gentz geschätzten Gräfin Fuchs: "Kein guter Patriot sollte eigentlich ihn (Gentz) aufsuchen. Der Kerl verrät noch die ganze Monarchie. [ ... ) Mich freut nur, daß der Kaiser ihm [Mettemich) abgeschlagen hat, Gentz zum Staatsrat zu machen." (Rapport vom 4.2.1815, in August Foumier, Die Geheimpolizei auf dem Wiener Kongress. Eine Auswahl aus ihren Papieren, Wien u.a. 1913, S. 379; vgl.: ebd., S. 6, 11,385 und August Foumier, Friedrich Gentz und das Geheime Kabinett, in: Deutsche Revue 35(1910), S. 68-74 und ders., Beiträge, S. 155-158).

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11. Biographie

Gentz' Tagebücher dokumentieren sein privates und berufliches Leben von Juli 1814 an im Detail. Neben seiner amtlichen Tätigkeit nimmt in den Tagebüchern die Lektüre von Gentz, die oft aus ganz unpolitischer Sachliteratur und Belletristik bestand, einen festen und wichtigen Platz ein. Die enge Verbindung von Geselligkeit und Diplomatie, die bereits angesprochen wurde, fällt ebenso ins Auge, wie die häufigen Zusammentreffen mit Metternich. Daneben beansprucht die Schilderung seiner Dienste als Bearbeiter von Akten, als Verfasser von Depeschen und Memoires, Proklamationen und Artikeln für Zeitungen und Zeitschriften ihren Platz. Sein Spielraum bei diesen Arbeiten für die Staatskanzlei war offensichtlich manchmal sehr gering und beschränkte sich gelegentlich auf die Verbesserung des Stils von Metternichs Schriftstücken; für Gentz "ein odiöses Geschäft. "82 Auch bei den Kongressen, z.B. in Aachen, den Gentz "für den Culminations = Punkt'083 seines Lebens erklärte, war sem Beitrag zur Hohen Politik im wesentlichen Auftragsarbeit. 84 Nicht immer war Gentz völlig einverstanden mit dem außenpolitischen Kurs des Staatskanzlers. Schon die Restauration der Bourbonen stieß bei Gentz auf entschiedenen Widerspruch, und auch in den folgenden Jahren blieb er in kritischer Reserve gegenüber der Reaktion in Frankreich. Erst seit dem Aachener Kongreß und dem Mord an Kotzebue war der Gleichklang der politischen Anschauungen von Gentz und Metternich weitgehend wiederhergestellt. 85 Während sich Gentz trotz seiner Ressentiments gegen die royalistischen Ultras in Frankreich in dieser Zeit, wie auch in den folgenden Jahren, im we8entlichen Metternichs Programm fügte, kam es gegen Ende seines Lebens zu Anzeichen einer tiefgreifenden Entfremdung zwischen den beiden. Im Alter verlor Gentz mit dem Ausbruch des russisch-türkischen Krieges 1828 seine Einnahmen aus den Hospodarenberichten, die selbst erhebliche, von Metternich veranlaßte staatliche Hilfszahlungen, eine Verdoppelung seines

Tagebücher lll, S. 278. Vgl. Mayr, Staatskanzlei, S. 143f. GenlZ an Pilat am 20.11.1818, in Karl Mendelssohn-Bartholdy (Hrsg.), Briefe von Friedrich von Gentz an Pilat. Ein Beitrag zur Geschichte Deutschlands im XIX. Jahrhundert, 2 Bde., Leipzig 1868 [im folgenden: Briefe an Pilat I, IIJ, hier I, S. 366. 54 Gentz selbst sah seine Rolle bei den Kongressen und Konferenzen in einem Schreiben an Kolowrat 1830 rückblickend so: "Der Fürst von Metternich war der Schöpfer und die Seele, aller dieser großen Verhandlungen; ich hatte die Ehre, sein nächstes und treustes Organ zu sein. "(in: Hans Schlitter, Aus den letzten Lebensjahren von Gentz, in: MIÖG 138(1892), S. 320-326, hier S. 324) . •, F.C. Wittichen, Gentz und Metternich, S. 101-104 und ders., Johann von Wessenberg über Friedrich von Gentz, in: MIÖG 28(1907), S. 631-650, hier S. 633ff., 650 (Anm. 2). Vgl. auch August Fourrlier (Hrsg.), Gentz und Wessenberg. Briefe des Ersten an den Zweiten, Wien u.a. 1907, S. 46-131, mit Gentz' Polemik gegen das in Frankreich herrschende "contre-revolutionäre Element" (GenlZ an Wessenberg am 1.3.1816, ebd., S. 107) und gegen die "hiesigen Ultras, d.i. die ganze aristokratische Gesellschaft" (GenlZ an Wessenberg am 14.1.1819, ebd., S. 130). 82

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4. Hohe Politik

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Gehalts, private Kredite und umfangreiche Zuwendungen der Rothschilds nicht voll ersetzen konnten. 86 Am gesellschaftlichen Leben nahm er, wohl auch wegen der Beziehung zu Fanny EIßler, der später berühmt gewordenen Tänzerin, nicht mehr so intensiv teil und distanzierte sich in den letzten beiden Lebensjahren in starkem Maße von Mettemichs außenpolitischer Linie. 87 Gentz hielt im Gegensatz zum Staatskanzler die lulimonarchie für den letzten Anker der politisch-sozialen Ruhe inmitten der Turbulenzen, denen Europa 1830/31 ausgesetzt war, und für den polnischen Aufstand hegte er immerhin rege Sympathie. 88 Falsch wäre es, diese Wandlung seiner politischen Einstellung als Gentz' Rückkehr zu den eher liberalen Positionen seiner Frühzeit als Schriftsteller zu werten. 89 Neben den genannten persönlichen Gründen zählte für Gentzjetzt der Erhalt des politischen und sozialen Friedens in Europa mehr als alle verfassungspolitischen Präferenzen. Tief überzeugt davon, daß vom gemäßigten Konstitutionalismus keine Gefahr ausgehe, geriet er mit Mettemich immer öfter in Streit über die Lagebeurteilung. 90 Metternich konnte ihn deshalb kaum mehr mit wichtigen Angelegenheiten betrauen. 91 Die späte Nagelprobe bewies, daß Gentz nur mit, nicht gegen Metternichs Willen politisches Gewicht besaß. 92

86 Zur Schuldentilgung aus der Staatskasse 1830 HHStA Wien Interiora Korr. 83 Fasz. alt 105 Gentziana Schulden und Schliuer. Vgl. auch Foumier, Geheimpolizei, S. 84 (Anm. 2) .. Zu den offiziellen und sonstigen Bezügen von Gentz in seiner österreichischen Zeit Mayr, Staatskanzlei, S. 129-133. 87 Die kritischere Haltung von Gentz gegenüber Metternich in den letzten Lebensjahren könnte außer mit seiner u.a. durch das Verhältnis mit Fanny EIß1er schwierigen Stellung in der Gesellschaft Wiens und außer politischen Differenzen auch mit Gentz' finanziellen Schwierigkeiten nach dem Ausfall der Zahlungen aus Bukarest und der nicht ausreichenden Abhilfe, die Metternich dafür besorgte, zusammenhängen (Sweet, Friedrich von Gentz, S. 283-304). Insofern erinnert das Verhältnis zwischen Metternich und Gentz an vormoderne Klientelbeziehungen . .. Foumier (Hrsg.), Gentz und Wessenberg, S. 132-147; ders. (Hrsg.), Gentz, der Reaktionär, in: Der Friede 3(1919), S. 460-464, 486-490, 513-516, hier S. 489f., 513-516; Anion Graf Prokesch von OSlen (Hrsg.), Aus den Tagebüchern des Grafen Prokesch von Osten k. u. k. österr. = ungar. Botschafters und Feldzeugmeisters. 1830-1834, Wien 1909 [im folgenden: Prokesch, Tagebücher), S. 22, 49ff., 66-69, 85, 106 . .. Vgl. dazu Mann, Friedrich v. Gentz, S. 38lf. und Sweel, Friedrich von Gentz, S. 293. 90 Sweet, Friedrich von Gentz, S. 295-30 I. 91 Meuemich an Gentz' Freund Prokesch am 15.6.1832, in Anton Graf Prokesch-Osten (Hrsg.), Aus dem Nachlasse des Grafen Prokesch-Osten[,) k.k. österr. Botschafter und Feldzeugmeister. Briefwechsel mit Herrn von Gentz und Fürsten Metternich, 2 Bde., Wien 1881 [im folgenden: Prokesch Nachlaß I, 11), hier 11, S. 119 über Gentz: "Ein seltener Umfang des ausgezeichnetsten Talents, wahrer Genius, ist mit dem Verewigten zu Grabe gegangen. Die Stelle, welche er einnahm, kann nicht ausgefüllt werden, und obgleich mir Gentz seit ein paar Jahren nur mehr Fantasiedienste leistete, so geht er mir in den wichtigsten Beziehungen ab." 9Z Foumier, Beiträge, S. 132-147; Sweel, Friedrich von Gentz, S. 283-302.

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11. Biographie

Der von Gentz persönlich auf die österreichische Außenpolitik ausgeübte Einfluß läßt sich schwer abschätzen. Österreichs Rolle vor und in den Befreiungskriegen und die Restauration der Bourbonen-Herrschaft kamen teilweise ohne Wissen oder sogar gegen den Rat von Gentz zustande. 93 Auf dem Wiener Kongreß und auch bei den Treffen in Aachen, Troppau, Laibach und Verona wirkte Gentz auf die grundlegenden Entscheidungen nicht maßgeblich ein, unterstützte aber Mettemichs Diplomatie durch seine Formulierungskunst immer wieder mit Erfolg. 94 Die bedeutsamste Weichenstellung in der österreichischen Deutschlandpolitik in den Jahren nach 1815 waren die Karlsbader Beschlüsse 1819. Hier konnte sich Gentz inhaltlich und in der Frage des Wegs zur Beschlußfassung teilweise mit seinen Vorstellungen durchsetzen. 95 Alles in allem darf die Bedeutung von Gentz für Österreichs Politik in Europa nicht überbewertet werden, er war wohl vor allem "Werkzeug "96. Die Position von Gentz in der Staatskanzlei stand und fiel mit seiner besonders engen Beziehung zu Mettemich, der ihn schätzte, aber doch nie als ebenbürtig anerkannte. 97 Mettemich sicherte Gentz die beträchtlichen Einkünfte der HospodarenKorrespondenz und band ihn so auch finanziell an Österreich. 98 Er gab Gentz eine geachtete Stelle im Staatsdienst und bezog ihn in seine Entscheidungen oft mit ein. Ein besonders wichtiger Grund für die lange und weitgehend harmonische Zusammenarbeit liegt aber in der Ähnlichkeit der politischen Leitvorstellungen des Fürsten und seines Hofrats. Hier, auf dem Gebiet philosophischpolitischer Grundsätze, hat Mettemich, der "von der praktisch-politischen

'3 Richard Fürst Mellemich-Winneburg, Vorwort, in: ders. (Hrsg.), Oesterreichs Teilnahme an den Befreiungskriegen. Ein Beitrag zur Geschichte der Jahre 1813 bis 1815 nach Aufzeichnungen von Friedrich von Gentz nebst einem Anhang: "Briefwechsel zwischen den Fürsten Schwarzenberg und Mettemich", Wien 1887, S. I1I-X, hier S. VII; Sweet, Friedrich von Gentz, S. 178-190 . .. Sweet, Friedrich von Gentz, S. 190-235 . • 5 Ebd., S. 22Iff.; Eberhard Büssem, Die Karlsbader Beschlüsse von 1819. Die endgültige Stabilisierung der restaurativen Politik im Deutschen Bund nach dem Wiener Kongreß von 1814/15, Hildesheim 1974, S. 253f., 400f. 96 Guglia, S. 290. 97 Davon zeugen die Späße, die er mit Gentz trieb, erwähnt z.B. bei Gräfin Lulu 1hürheim, Mein Leben. Erinnerungen aus Österreichs Großer Welt. Herausgegeben von Rene van Rhyn. 1819-1852.3. Band, München 1914, S. 323f. MelIemichs Urteil Gentz: "So sind die Menschen, jeder nach seinem Maß, und der Geschmack ist ebenso verschieden wie alles Andere. Gentz liebt Alles, was klein ist, und furchtet alles, was es nicht ist." (in: Fürst Richard Metternich-Winneburg (Hrsg.), Aus Metternichs nachgelassenen Papieren. 8 Bde., Wien 1880-1888 [im folgenden: Mettemich Papiere I-VIII], hier I1I, S. 528) . • 8 Sweet, Friedrich von Gentz, S. 176.

5. Erfahrungsraum und Erwartungshorizont

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Begabung" seines Mitarbeiters "gering dachte"99 , sich von Gentz beeinflußen lassen. 100 "Vieles war ihnen auch von Anbeginn gemeinsam: der ein Leben lang verfolgte Gedanke, für den Staat, nicht für das Volk zu kämpfen, die HochsteIlung der Autorität gegenüber den blinden und rohen Massen, die kraftvoll regiert werden müssen, die Abneigung des feingebildeten Weltmanns gegen alles Formlose, Unfertige und Laute und die Sorge vor der Auflösung der traditionellen Gesellschaftsordnung durch den Feind im Innern der erneuerten Staaten, die Höherwertung des Staates über der Nation. "101

Als Juniorpartner in "dem geschichtlich unvergleichbaren Dioskurenpaar Mettemich - Gentz"l02 hatte Gentz die Gelegenheit, als politisch Handelnder in der Diplomatie öffentlich zu wirken, nicht nur als privater Publizist und als Agent Englands. Dem Konflikt zwischen der Öffentlichkeit und der hohen Politik verdankte Gentz bis zuletzt seine Wirkung, nur jetzt als Schriftsteller und Staatsmann. So kam er in den Grenzen des Möglichen nicht nur zu Geld und Ruhm, er hatte mit seinen Worten eine "eigentliche politische Thätigkeit und das, was ich in einem sehr bescheidenen Sinne des Wortes, meinen politischen Wirkungskreis nenne. "103

5. Erfahrungsraum und Erwartungshorizont Die wichtigsten Wege und Etappen von Gentz' politischer Wirksamkeit können als die Ergebnisse rationaler Entscheidungen in der jeweiligen persönlichen Interessenlage betrachtet werden, ohne dabei gleich zu psychologischen oder moralischen Kategorien greifen zu müssen. Eine auf das Biographische konzentrierte Studie kommt wahrscheinlich nicht ohne die Erforschung der seelischen Hintergründe des Protagonisten aus, aber im Rahmen dieser Arbeit kann ein solches Hinterfragen von Gentz' Motiven für seine persönliche Lebensführung außer acht bleiben. Geht man von seinen Vorlieben für privaten Luxus und gesellschaftlichen Ruhm aus, dann werden seine Möglichkeiten und Grenzen auf dem Feld der Politik hinreichend deutlich, wenn auch der historische Kontext Berücksichtigung findet. Der so abgesteckte Spielraum bietet erst den Maßstab für Gentz' Art und Weise, Politik zu machen.

Srbik, S. 343. Ebd., S. 344. lOt Ebd., S. 344. - Gemeinsam sind beiden auch der empirisch fundierte Rationalismus, das innen- und außenpolitische Gleichgewichtskonzept und die Relativierung liberaler Freiheitsforderungen (ebd., S. 344f.). 102 Ebd., S. 345. 103 Gentz an Amalie von Helvig im Oktober 1827, in Schriften V, S. 320. 99

100

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II. Biographie

Wie sich bereits gezeigt hat, stand Gentz nur eine begrenzte Anzahl von Möglichkeiten politischen Wirkens zur Auswahl. Seine Entscheidungen gegen die Beamtentätigkeit und für die politische Schriftstellerei, gegen eine weitgehend ungebundene und für eine der offiziellen Diplomatie verpflichtete Publizistik waren schon in bezug auf seine persönlichen Umstände nur teilweise frei. Die Wandlungen seiner politischen Meinung über Napoleon, über die Pressefreiheit und über Großbritannien lassen sich aus dem Wechsel seiner politischen Funktionen erklären. Seine grundsätzliche Wendung gegen die Französische Revolution ist im Unterschied dazu selbst ein konstituierendes Moment seines politischen Wirkens. Der Vorwurf, ein Opportunist zu sein, dem Gentz oft ausgesetzt war, bekommt seine eigentliche Brisanz dann, wenn damit nicht primär Käuflichkeit und Karrierestreben angesprochen werden, sondern die diesen Vorwurf letztlich erst ermöglichende Änderung der politischen Strukturen und die Weigerung von Gentz, diese Änderungen nachzuvollziehen. Als Verräter am Fortschritt der bürgerlichen Gesellschaft zum liberalen Nationalund Verfassungsstaat stand Gentz am Pranger. 104 Es kommt also darauf an, Gentz' politisches Wirken auf die epochenspezifischen Handlungsmöglichkeiten seiner bürgerlichen Zeitgenossen zu beziehen. Als hilfreich erweist sich hier das von Koselleck eingeführte Begriffspaar "Erfahrungsraum" und "Erfahrungshorizont" . \05 Diese bei den Kategorien schlüsseln die die Geschichte konstituierende Verschränkung von Erfahrung und Erwartung als unterschiedliche Modi der Präsenz des Vergangenen und der Zukunft bildhaft auf. Sie eignen sich eben dadurch zur Betrachtung von Geschichte in Zeiten, in denen "sich [00'] die Differenz zwischen Erfahrung und Erwartung zunehmend vergrößert. "106 Gerade unter den Zeitgenossen von Gentz wurde diese Kluft durch immer raschere Änderungen der historischen Wirklichkeit als Beschleunigung des geschichtlichen Wandels registriert und damit zugleich unter dem Begriff des "Fortschritts" virulent für das Selbstverständnis der gesellschaftlichen Meinungsführer. \07 Es änderten sich die Formen des gesellschaftlichen Verkehrs,

I()( Vgl. z.B.: Friedrich von Gentz und das Prinzip der Genußsucht, Sp. 285; Der Protestantismus und die Romantik. 3. Friedrich von Gentz, in: Hallesche Jahrbücher für deutsche Wissenschaft und Kunst (1840) Nr. 63, Sp.497-502, (1840) Nr. 69, Sp. 505-510, hier Sp. 508ff.; Bluntschli, S. 452ff.; Mohl, S. 497f.; Haym, S. 377f.; Steinmann, S. 414. 10> Dazu Reinhart Kosel/eck, "Erfahrungsraum" und "Erwartungshorizont" - zwei historische Kategorien, in: ders., Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, Frankfurt am Main 1989, S. 349-375. 106 Ebd., S. 359. 107 Ebd., S. 362-370, darin (S. 367) der Hinweis auf Friedrich Perthes' Urteil: "In anderen Epochen liegt die Verschiedenheit der geistigen Richtungen, des gesamten Denkens und Wollens

5. Erfahrungsraum und ElWartungshorizont

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die ästhetische Kultur, Rechtsverhältnisse u. v .a. m., vor allem aber ließ sich im vorindustriellen Deutschland rapider politischer Wandel erleben. Diese Umwandlung der politschen Struktur vollzog sich offensichtlich und vor aller Augen im Gefolge Napoleons, der die politische Landkarte für immer durch Säkularisation und Mediatisierung umgestaltete, in der Diskussion der Ideen der Französischen Revolution, in einem neuen Nationalgefühl, in Reformen in Preußen und in den Rheinbundstaaten, in der Auseinandersetzung um Verfassungen und Meinungsfreiheit nach 1815. Erst retrospektiv nicht nur einer rückschrittlichen Minderheit deutlich, wurde die defensive Modemisierung des politischen und sozioökonomischen Systems in Konkurrenz zu Frankreich zu einem Entwicklungsschub des modemen Staates. 108 "Politik war das Schicksal" 109, und entsprechend groß war das Interesse der Betroffenen und der Beobachter; die Politisierung der Öffentlichkeit erscheint dann als logische Folge dieser Entwicklung. Die Umbrüche, vor allem die Französische Revolution und die napoleonische Fremdherrschaft, schlugen sich - angelesen oder erlebt - als Inhalte eines Erfahrungsraumes nieder, dessen Koordinatensystem, zumindest bei den Älteren, der Gedankenwelt der Spätaufklärung entstammte. Als unangefochtener Maßstab für das beobachtete Geschehen taugte dieses Bezugssystem nicht über 1792/93 hinaus, und Kollektivsymbole, wie die Revolution oder die Befreiungskriege, integrierten für heute oder morgen die gewonnenen Erfahrungen neu und vor allem zukunftsoffener. Der Erwartungshorizont des politischen Publikums übertrumpfte seither als Hoffnung oder Befürchtung den Erfahrungsraum als Orientierungsmarke. 110

getrennt durch Jahrhunderte auseinander; unsere Zeit aber hat das völlig Unvereinbare in den drei jetzt gleichzeitig lebenden Generationen vereinigt. Die ungeheuren Gegensätze der Jahre 1750, 1789 und 1815 entbehren aller Übergänge und erscheinen nicht als ein Nacheinander, sondern als ein Nebeneinander in den jetzt lebenden Menschen, je nachdem diesselben Großväter, Väter oder Enkel sind." (in Clemens Theodor Perthes, Friedrich Perthes' Leben nach dessen schriftlichen und mündlichen Mitteilungen aufgezeichnet, 3 Bde., 8. Aufl. (Jubiläumsausgabe), Gotha 1896, [im folgenden: Perthes' Leben I-III), hier n, S. 144). Dazu auch Reinharl Koselleck, Das achtzehnte Jahrhundert als Beginn der Neuzeit, in: Reinhart Herzog/Reinhart Koselleck (Hrsg.), Epochenschwelle und Epochenbewußtsein, München 1987, S. 269-282, hier S. 280f. 10. Vgl. dazu Mpperdey, S. 11-82 und Wehler I, S. 363-546 und 11, S. 297-412. 109 Mpperdey, S. 11. 110 Dazu: JUrgen link, Die Revolution im System der Kollektivsymbolik. Elemente einer Grammatik interdiskursiver Ereignisse, in: Kar! Eibl (Hrsg.), Französische Revolution und deutsche Literatur, Hamburg 1986, S. 5-23; Frauke Schaefer, Die Französische Revolution im Spiegel deutscher Auflclärungssprache, in: Manfred Kossok/Editha Kross (Hrsg.), 1789 - WeItwirkung einer großen Revolution. Band 1, Vaduz, Liechtenstein 1989, S. 163-184; Wemer Schneiders, Die Philosophie des Aufgeklärten Absolutismus. Zum Verhältnis von Philosophie und

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11. Biographie

Dieser neue, weite Erwartungshorizont gab den Forderungen des Bürgertums, des "allgemeinen Standes", eine universale Perspektive. Wer diese Schritte über den aufgeklärten, aber moderat traditionsverbundenen Pragmatismus der vorrevolutionären Zeit hinaus nicht mitging, befand sich für seine Standesgenossen bald im Abseits. Gentz hat die Gründe für seinen Standpunkt, auch dort, wo sie sehr privat waren, nicht verheimlicht, aber er hat auf die von Opportunitätserwägungen freie Wahl seiner Prinzipien gepocht - zumindest, was den Vorwurf der Käuflichkeit angeht, sind ihm darin die wohl gesonnenen Biographen gefolgt. 111 Daß sein Pragmatismus trotz aller Prinzipienfestigkeit manchmal sehr weit ging, ändert daran nichts. 1I2 Als politischer Publizist hat Gentz sich seine Position erschrieben und dabei von der Antizipation bürgerlicher Mitbestimmung im Staat profitiert; diese Stellung selbst knüpfte ihn an die Begrenzung solcher Erwartungen. Varnhagen von Ense hat die Verschränkung von Leben und schriftstellerischem Werk bei Gentz so zu fassen versucht: "Es gab eine solche Gestalt [wie Gentz), sie war Einmal möglich, sie leuchtete auf und traf glücklich die Weltumstände, in denen sie gedeihen konnte; sie kann aber nicht wiederkehren, es müßten denn mit derselben Persönlichkeit dieselben Zeitläufte aufs neue zusammentreffen. Die Uebereinstimmung dieser Bezüge, ihr wechselseitiges Eingreifen in einander, sind die Bedingungen eines solchen Daseins. Gentz ist ein Meteor am politischen Himmel unserer Zeit und auf dem deutschen Schriftstellerboden. Eine Stellung, wie er, hat noch niemals jemand gehabt, und wird niemand wiedererlangen. Ein bürgerlicher Autor schwang er sich zu fürstengleichem Leben und Ansehn, ein untergeordneter Beamter zu europäischer Wirksamkeit empor. Niemals ist der deutsche Schulstaub zu größerem Glanz aufgewirbelt, nie die pedantische Kraft in üppigere Fül!e ausgeschlagen. Denn aller Trieb und Schwung in Gentz ist zuletzt doch einzig seine Schreibfeder, deren beredte Meisterschaft er zuerst in Druckschriften dargethan. Zu seiner Feder aber gehörte wieder der ganze Mensch, sein wundervolles Sprechen, seine Gaben des Geistes, seine Kenntnisse, seine Leidenschaften, und sogar seine Schwächen. Er hätte nicht schreiben können, was er geschrieben, hätte er nicht auch gelebt, was er gelebt hat." 113

Politik, nicht nur im 18. Jahrhundert, in: Der Staat 24(1985), S. 383-406; Helmut Reinalter, Utopien im Jakobinismus, in: ders., Die Französische Revolution und Mitteleuropa. Erscheinungsfonnen und Wirkungen des Jakobinismus. Seine Gesellschaftstheorien und politischen Vorstellungen, FrankfurtfM. 1988, S. 123-138; Karl-Heinz Bohrer, Zeit der Revolution - Revolution der Zeit. Die Henneneutik revolutionärer Gegenwart bei Friedrich Schlegel (1795-1800) und Heinrich Heine (1831-1855), in: Forum für Philosophie Bad Homburg (Hrsg.), Die Ideen von 1789 in der deutschen Rezeption, Frankfurt/M. 1989, S. 128-155. 111 Gentz an Amalie von Helvig im Oktober 1827, in Schriften V, S. 316-325. 112 Dazu Hebbel: "Gentz hatte für immer gewählt, und wenn er auch nach und nach - was Keiner zu vertuschen suchen muß - durch die Macht der Vernältnisse gedrängt, vom General zum bloßen Soldaten herabsank, er war und blieb ein Mann der Ueberzeugung" (Friedrich Hebbel, Rez. von: BrielWechsel von Friedrich Gentz und Adam Heinrich Müller 1800-1829, in: ders., Sämmtliche Werke. Historisch kritische Ausgabe besorgt von Richard Maria Wemer. Erste Abteilung. Vermischte Schriften IV, 1852-1863. Kritische Arbeiten III (= Säkularausgabe. 1813-1913, Bd. 12), Berlin 1913, ND Bem 1970, S. 87-98, hier S. 91). 113 K.A. Vamhagen, Galerie, S. 158f.

111. Politische Theorie 1. Rekonstruktionsversuch Schon der Blick in die Biographie von Gentz macht deutlich, daß in seinen Schriften nicht mit einem durchgängigen und widerspruchsfreien theoretischen Konzept zu rechnen ist. Er war kein Gelehrter, sondern mußte und wollte in seinen Publikationen und Denkschriften konkrete politische Streitfragen aufgreifen. Je direkter Gentz mit der Feder Hohe Politik betrieb, je stärker er am diplomatischen Geschäft beratend und formulierend teilhaben konnte, um so geringer wurden seine Bereitschaft und seine Möglichkeiten zur Reflexion der Grundlagen von Politik und Gesellschaft. Trotzdem kann auf die Darstellung der politischen Theorie von Gentz nicht verzichtet werden, denn es gehörte zu Gentz' Selbstverständnis als politischer Schriftsteller, daß ohne klare Begriffe von den theoretischen Fundamenten auch das praxisorientierte Nachdenken über Politik grundlos bleiben und schiefe Resultate erbringen muß. I Wie der Abschnitt über die Biographie, so dient die Darstellung der politischen Theorie daneben schlicht der Information und damit der Entlastung des weiteren Untersuchungsgangs. 2 Wichtiger als diese beiden Ziele ist aber die Absicht, die dogmengeschichtlicheBedeutung von Gentz auszumessen, denn erst von hier aus erklärt sich der methodische Zuschnitt der Arbeit, gewissermaßen ex negativo. Ich werde versuchen, das Theoriegerüst von Gentz zu rekonstruieren, um zu fragen, wie weit Gentz selbst seinem eigenen Anspruch auf ein stabiles Gedankengebäude gerecht wird. Eine solche Zusammenfassung theoretischer Grundlagen kann sich nicht auf ein bestimmtes Werk von Gentz konzentrieren, denn abstraktes Räsonnement über Politik findet sich weit gestreut in verschiedenen Schriften.

I [Friedrich] Genz, Nachtrag zu dem Räsonnement des Hm Professor Kant über das Verhältniß zwischen Theorie und Praxis, in: Berlinische Monatsschrift December 1793, S. 518-554, hier S. 536. - Die Schreibweise "Gentz" setzt sich erst in den folgenden Jahren endgültig durch. 1 Der größte Teil des in diesem Kapitel zur Debatte gestellten Materials läßt sich der Auseinandersetzung mit der Französischen Revolution zuordnen. Der von der Kommunikationssituation, vom sprachlichen und historischen Kontext bedingte, erhöhte Abstraktionsgrad führt hier zwangsläufig zur Überrepräsentation. Entsprechend geringer ist der Darstellungsbedarf dann dafür bei der Untersuchung der Argumentationsweise und der Sprachmuster im Kapitel über die Französische Revolution (Kap. XIII.).

4 Kronenbitter

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111. Politische Theorie

Das erste Zeugnis politischer Reflexion bei Gentz ist ein Brief an Garve aus dem Jahr 1789, dann folgen die Publikationen seiner Berliner Zeit, und selbst als Gehilfe Mettemichs findet Gentz noch gelegentlich zu allgemeinen Überlegungen. Deutlicher ist der immer geringer werdende Anteil der politischen Theorie in seinen Schriften nach der Einstellung des Historischen Journals und dem kurz darauf vollzogenen Wechsel in österreichische Dienste. Die Betrachtung eines ideengeschichtlichen "Systems Gentz" ist also notwendigerweise eher Neu- als Rekonstruktion. Ihr liegt die Annahme zugrunde, daß sich erstens bei Gentz politische Theorie in systematisierbaren Elementen finden läßt und daß zweitens bei Gentz von einer politischen Theorie in seinem Werk gesprochen werden kann. Die erste Annahme ist nur bei einem offenen Begriff von politischer Theorie möglich und mit modernen Standards einer wissenschaftlichen Theorie über Politik nicht vereinbar. Dieser weite Theoriebegriff ist für ideengeschichtliche Untersuchungen unverzichtbar. Die zweite Annahme schließt die Veränderungen, die sich in Gentz' Werk im Laufe seines Lebens zeigen lassen, weitgehend von der Betrachtung aus. Das Ungleichgewicht im Rahmen des Gesamtwerks, das durch die Auswahl zugunsten der Frühschriften und zuungunsten der diplomatischen Arbeiten zwangsläufig entsteht, muß dabei in Kauf genommen werden, wenn nicht der Theoriebegriff bis zur Unbrauchbarkeit ausgeweitet werden soll. Wenn hier von politischer Theorie nicht mehr, aber auch nicht weniger, als eine gewisse Systematik der Aussagen über Politik in bezug zueinander, ein Minimum an Reflexion über die Geltungsvoraussetzungen der Aussagen und eine generalisierende Struktur der Aussagen verlangt wird, dann stellt Ende des 18. Jahrhunderts die praktische Philosophie den bedeutendsten Rahmen politischer Theorie, in den sich auch die Theorie des Staatsrechts einbinden läßt. 3 Bei Gentz liegt hier, wie noch zu zeigen sein wird, der Kern seiner politischen Theorie. Sein politisches Denken kreist um die Ordnungsstrukturen des Staates und der Staatenwelt. Gentz hat keinen eindeutigen Politikbegriff, sondern bezeichnet, durchaus zeittypisch, damit im breitesten Sinne auf das Gemeinwesen bezogenes Handeln und Staatsklugheit, schränkt ihn aber nicht selten auch ein auf die Hohe Politik. 4 Als Klugheitslehre tritt die Politik zur Staatswissen-

] Von der Statistik (im zeitgenössischen Sinne) hielt Gentz nicht besonders viel. Vgl. dazu seine bissige Bemerkung in [Friedrich von Gentz], Fragmente aus der neusten Geschichte des Politischen Gleichgewichts in Europa, [2. Auflage), SI. Petersburg 1806, ND Osnabriick 1967, S. XXIII. • "Die Politik, im engeren Sinne des Wortes, ist eigentlich die Wissenschaft, und wenn sie praktisch wird, die Kunst, dieses System [=des außenpolitischen Gleichgewichts] zu behaupten und zu vervollkommnen." (Friedrich Gentz, Ueber den ewigen Frieden, in: Historisches Journal Dezember 1800, S. 711-790, hier S. 761). - Das 1799 und 1800 monatlich erschienene "Histori-

2. Recht und Vertrag

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schaft hinzu, ergänzt so die auf das Naturrecht gegründete "höhere Philosophie, die reine spekulative Staats = Wissenschaft". 5 Durch seinen Bildungsweg und sein persönliches Umfeld war Gentz mit der zeitgenössischen politischen Theorie vertraut. Auch die Lektüre und die Korrespondenz der Berliner Zeit zeugen davon. Die Hochschätzung, die Gentz dem Breslauer Popularphilosophen Christian Garve, seinem Briefpartner , und Immanuel Kant, einem seiner akademischen Lehrer, entgegenbrachte, fallen dabei besonders auf. Die Tatsache, daß Gentz mit der Burke-Übersetzung fortdauernde Berühmtheit als antirevolutionärer Schriftsteller errungen hat, legt es nahe, zur dogmengeschichtliche Einordnung Kant, Garve und Burke als Vergleichspunkte heranzuziehen. 6 Der Aufbau folgt möglichst den Begriffsverknüpfungen, die Gentz in seinen Schriften selbst vornimmt. 7 Herangezogen werden vorzugsweise Aufsätze von Gentz mit explizit staatstheoretischer Thematik. Die dogmengeschichtliche Betrachtung setzt dort an, wo Gentz keineswegs originell, sondern in der Tradition des Naturrechts der Aufklärung stehend - selbst den abstrakten Kern seiner Theorie sieht, in der Vertragslehre.

2. Recht und Vertrag "Der gesellschaftliche Vertrag ist die Basis der allgemeinen Staatswissenschaft. Eine richtige Vorstellung von diesem Vertrage, und seinen unmittelbaren Wirkungen ist das erste Erforderniß zu einem reinen Urteil über alle Fragen und Aufgaben der Politik. ,,8 Deutlich unter dem Eindruck seiner "alten Pflegemutter, der Kantschen Philosophie "9, steht für Gentz am Beginn der

sc he Journal" wurde in den beiden Jahrgängen jeweils in drei Bände (tür je vier Monatshefte) gebunden, die hier und im folgenden abgekürzt werden als HistJ 111-3 bzw. 1111-3. Wegen der Vielzahl der - fast nur von Gentz verfaßten - Aufsätze im HistJ, fiige ich auch bei Kurzzitierweise zusätzlich stets noch die Angabe des HistJ-Bandes an. - Vgl. zum zeitgenössischen Politikbegriff Vo/ker SeLLin, Art. Politik, in: Geschichtliche Grundbegriffe IV, S. 789-874, hier S. 831-846. 'Friedrich Gentz, Ueber die politische Gleichheit, in: HistJ 1111, S. 3-51, hier S. 39. - Vgl. zum geistesgeschichtlichen Hintergrund lIma Brückner, Staatswissenschaften, Kameralismus und Naturrecht. Ein Beitrag zur Geschichte der Politischen Wissenschaft im Deutschland des späten 17. und frühen 18. Jahrhunderts, München 1977, S. 175-228. • Dabei geht es mir nur sekundär um "Einflüsse", in erster Linie dagegen um die Gewinnung eines mit möglichst wenig "Übersetzungs"-Aufwandeinsetzbaren Vergleichsmaßstabs(also um eine andere Gewichtung der Untersuchungsschritte). 7 Der Aufbau folgt daneben auch einem Abstraktionsgefälle hin zu den konkreten politischen Entscheidungslagen. • Friedrich Gentz, Beiträge zur Berichtigung einiger Ideen der allgemeinen Staatswissenschaft, in: HistJ 113, S. 277-312, hier S. 280. 9 Gentz an Garve am 5.3.1790, in Briefe I, S. 156.

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III. Politische Theorie

Reflexion über eine normative Theorie des Staates die Begründung des Rechts auf den Begriff der Pflicht als der "Nothwendigkeit einer Handlung nach praktischen Gesetzen der Vernunft"IO, denn "dieser gänzlich auf den Pflichtbegriff gegründeten Theorie und ihrem reinen Produkt, dem ursprünglichen Vertrage, darf keine bürgerliche Verfassung, wenn sie eine rechtliche bleiben will, jemals widersprechen [ ... ]. "11 Als große Errungenschaft "der neueren Philosophie der Deutschen"12 preist Gentz gerade die Neubegründung der Vertragslehre. Locke und Rousseau "zogen die Theorie des gesellschaftlichen Vertrages aus der Kindheit hervor. Aber die wichtigste Eroberung in diesem Gebiete überließen sie ihren Nachfolgern. Es war die, welche den gesellschaftlichen Vertrag der Reihe der zufälligen Verträge entriß, und zum Range eines nothwendigen erhob. Bis dahin hatte man diesen Vertrag von Motiven der Klugheit abgeleitet: jetzt sah man ihn aus dem reinen, vollständig entwickelten Begriff des Rechts hervorgehen [ ... ]: man überzeugte sich, daß jedes der Rechts=Erwerbung fähige Wesen befugt seyn müsse, die ihm ähnlichen zur Abschliessung eines gesellschaftlichen Vertrages zu zwingen. "13 Eine solche Konzeption des Vertrages zeichnet sich also auch durch ihren bewußt "idealischen"14 Charakter aus, der die historische Faktizität bedeutungslos werden läßt. 15 Gentz deduziert aus Vernunft und Freiheit als der wahren Natur des Menschen das Recht als das "moralische Vermögen (die Erlaubnis) eines Individuums, die Freiheit der anderen so weit einzuschränken, als es zur Aufrechterhaltung seiner eignen Freiheit nöthig ist. "16 Die Anerkennung dieses Rechts sei eine vollkommene, also eine Zwangspflicht, die nicht von den Regeln der Klugheit, sondern von der Vernunft geboten werde. 17 Bereits vor dem Vertrag

10 [Friedrich) Genz, Ueber den Ursprung und die obersten Prinzipien des Rechts, in: Berlinische Monatsschrift April 1791 [im folgenden: Gentz, Prinzipien), s. 370-396, hier S. 381. 11 Gentz, Nachtrag, S. 536. 11 Gentz, Beiträge, HistJ 1/3, S. 280 (Anrn.). " Ebd., S. 279f. 14 Gentz, Gleichheit, HistJ 1111, S. 6. Vgl. dazu ders., Prinzipien, S. 391f. t> "Jede rechtliche Verbindung unter Menschen muß immer einen rechtlichen Ursprung haben; und selbst der, die in der 7hat auf einem unrechtlichen Fundamente erwuchs, muß wenigstens in der Idee ein rechtliches untergelegt werden, wenn man ihr eine rechtliche Dauer wünscht. [ ... ) Es ist keine willkührliche Hypothese, sondern ein Gebot der Vernunft, ihren rechtlichen Ursprung zu präsumiren, und gleichsam zu postuliren; [ ... )." (Gentz, Beiträge, HistJ 113, S. 277f.). 16 Gentz, Prinzipien, S. 379. 17 Ebd., S. 381 f. - "Pflicht ist die Nothwendigkeit einer Handlung nach praktischen Gesetzen der Vernunft." (ebd., S. 381). Vgl. dazu Immanuel Kam, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, in: Wilhelm Weischedel (Hrsg.), Immanuel Kant. Werke, 10 Bde., Darmstadt 1983 [im folgenden: Kant Werke I-X), hier I, S. 7-102, hier S. 26.

2. Recht und Vertrag

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sei die Freiheit durch das Recht beschränkt, denn "absolute äußre Freiheit könnte nur ohne Widerspruch existiren, wenn es nicht mehr als ein einziges freies Wesen gäbe. "18 Die apriori notwendige Bedingung der Möglichkeit des gemeinschaftlichen Lebens freier und vernünftiger Wesen sei das Recht, das mithin nicht erst Ergebnis, sondern Voraussetzung des gesellschaftlichen Vertrages sei. 19 Die "unbedingte Nothwendigkeit"W dieses Vertrags liege darin, "daß jedes der Rechts = Erwerbung fähige Wesen befugt seyn müsse, die ihm ähnlichen zur Abschließung eines gesellschaftlichen Vertrages zu ZWIngen. ,,21 Den Schwerpunkt seiner Betrachtungen zum Naturrecht hat Gentz im Laufe der Zeit seinen politischen Zielen entsprechend verschoben. 22 Aber auch wenn 1791 die ursprünglichen Rechte gegen Möser breit entfaltet werden, und wenn Gentz 1809 in seinen Notizen über Kants "Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre" sich barsch jede naturrechtliche Ableitung angeborener Rechte verbittet, so bleibt die theoretische Grundposition unverändert: das Recht sei Kant folgend - "nichts anderes als der Inbegriff der Bedingungen [ ... ], unter welchen die Freiheit des Einen mit der Freiheit des Anderen nach einem allgemeinen Gesetz besteht [ ... ]. ,,23 Da das Recht aus dem Begriff der Freiheit notwendig folge, sei die Spekulation über die "Eigenheiten eines sogenannten Standes der Natur"24 müßig und der Vertragsabschluß zwingendes Gebot der Vernunft. 25 In bewußter Abgrenzung gegen das Konzept eines besonderen Unterwerfungsvertrages sieht Gentz die rechtliche Verbindlichkeit des Gehorsams

Gentz, Beiträge, Hisl1 1/3, S. 302. "Das Recht (die Beschränkung der Freiheit) ist also ohne allen Zweifel schon vor der Gesellschaft vorhanden; aber damit es wechselseitig anerkannt, damit es ein Recht in der That, nicht bloß in der Idee werde, muß ein gesellschaftlicher Vertrag geschlossen werden." (ebd.). 20 Ebd., S. 280 (Anrn.). 21 Ebd., S. 280. 22 Zum Rechtsbegriffallg. vgl. Fritz Loos/Hans-Ludwig Schreiber, Art. Recht, Gerechtigkeit, in: Geschichtliche Grundbegriffe V, S. 231-311. 23 Friedrich von Gentz, Kant's Rechtslehre, in: Graf Anton Prokesch-Osten, Sohn (Hrsg.), Aus dem Nachlasse Friedrichs von Gentz, 2 Bde., Wien 1867/68 [im folgenden: Aus dem Nachlasse 1,11], hier I, S. 289-301, hier S. 293. Vgl. auch Gentz, Prinzipien, S. 382-386. 2' Gentz, Prinzipien, S. 373. 2S "Vermöge dieses Vertrages treten die bis dahin isolirten Individuen in eine Ordnung der Dinge ein, worin sie sich wechselseitig dazu verstehen, das was unter ihnen Recht seyn soll, dem Anspruche eines höheren Willens, als der ihrige ist, anheim zu stellen." (Gentz, Beiträge, Hisl1 1/3, S. 280f.). Im Vertrag werde dieser Wille, "in welchem nie alle übereinstimmen müssen oder sollen" (ebd., S. 281), also die "Gerechtigkeit selbst, durch ein künstliches Organ fixirt, und gleichsam personifizirt." (ebd.). 11

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III. Politische Theorie

gegenüber diesem Organ der Gerechtigkeit als durch den Gesellschaftsvertrag gesichert an. 26 Durch den Vertragsabschluß entstehe die nach Rechtsbegriffen einzig mögliche Form gesellschaftlicher Beziehungen. 27 Ohne die Errichtung des Souveräns ist für Gentz die Rechtswahrung nicht denkbar; erst der Vertrag gebe "den Rechten [ ... ] ihre eigentliche Sankzion, und so zu sagen, ihre Vollendung "28. Die Verfassung, "die Form, in welche der gesellschaftliche Vertrag die oberste, unbeschränkte Behörde kleidet"29, möge die Konkretisierung der Gerechtigkeit in der Gesetzgebung regeln, wie sie wolle, "da sich vor dem gesellschaftlichen Vertrage nichts weiter denken läßt, als die gränzenlose Freiheit derer, die ihn schliessen, so ist jede Form, welche sie der werdenden Souveränität beilegen, eine rechtmäßige Form. "30 Ob Demokratie, Aristokratie oder Monarchie, ob einfache oder gemischte Verfassung - das klassische Schema der Verfassungen sei für die Reine Staatswissenschaft ohne Bedeutung, denn "keine dieser Formen ist an und für sich unrechtmäßig oder auch nur unrechtmäßiger als die andre. Die einzige, die sie nicht beschliessen können, ist die, welche sich selbst widerspricht: die, worin der Souverän bemächtigt wäre seinen Privat = Willen anstatt der Gesetze regieren zu lassen. "31 Nur der Despotismus, "wo das Recht unter den Bürgern nicht durch Gesetze, sondern durch Willkühr bestimmt wird, "32 sei damit als unrechtmäßige Verfassung bestimmbar, denn er führe den Gesellschaftsvertrag ad absurd um. Aus dieser Bestimmung des Souveräns folgt für Gentz eine direkte Kritik an Rousseau, dessen "Ideen über den rechtlichen Ursprung der Gesellschaft [ ... ] alle den Stempel der Wahrheit"33 tragen, der aber den rechtstheoretischen Charakter der Vertragslehre nicht vollständig realisiert habe. "Indem er aus dem gesellschaftlichen Vertrage die wirkliche Entstehung der Gesellschaft erklären wollte, verfiel er auf die grundlose Maxime: daß die Souveränität

26 Denn der "unmittelbare und wesentliche Zweck des gesellschaftlichen Vertrages ist die Einrichtung einer von keinem Privatwillen abhängigen, mithin im eigentlichen Sinne des Wortes obersten, keiner menschlichen Willkür rechtlich unterworfenen Behörde, die jedem Mitgliede der Gesellschaft sein Recht zutheilen soll [ ... ). Diese absolut = oberste Behörde heißt der Souverän: die ihm beigelegte rechtliche Gewalt die Souveränität: die allgemein geltenden Vorschriften, wodurch sie das Recht in der Gesellschaft bestimmt und modifiziert, sind Gesetze: die Gesellschaft selbst, wird, sobald ein solches höchstes Organ existirt, ein Staat: ihre Mitglieder werden ein Volk." (ebd., S. 282). 27 Die Alternative, ein bellum omnium contra omnes, ist das Gegenteil rechtlicher Zustände (Gentz, Kant's Rechtslehre, S. 294). 2. Gentz, Gleichheit, HistJ lI/I, S. 6. 2' Gentz, Beiträge, HistJ 1/3, S. 282. 30 Ebd., S. 283. " Ebd., S. 283f. 32 Ebd., S. 284. 33 Ebd., S. 290.

2. Recht und Vertrag

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nicht veräußert werden könne"34, daß daher die gesetzgebende Macht immer vom Volk ausgeübt werden müsse. Verdeutliche man sich aber, daß erst der Vertrag mit dem Souverän auch das Volk konstituiere, so wird nach der Ansicht Gentz' klar, wie sinnlos die Maxime von Rousseau sei. Deswegen warnt Gentz ausdrücklich vor der Verwechslung einer bloßen Masse von Individuen vor mit dem Volk nach dem Vertragsschluß. Darum sei die Demokratie, die der Mehrheit des Volkes die Gesetzgebung einräume, auch ebensowenig eine "natürliche" Staatsform wie alle anderenY Mit diesem Irrtum Rousseaus, der darin wurzele, daß er das "durch einen gesellschaftlichen Vertrag constituirte Volk mit den Volks=Elementen, die vor dem Vertrage existirten"36 verwechselt habe, hänge auch die Ablehnung des Repräsentationsgedankens durch Rousseau zusammen. Aus dem rechtlichen Zwang, der zum Vertrag führe, folge, "daß jede rechtliche Souveränität, in wessen Händen sie sich auch befinde, nichts als Repräsentazion ist. Der Souverän, er sey Monarch, Senat oder Volks= Versammlung, repräsentiert den Gemeinwillen, dessen Darstellung der höchste Zweck des gesellschaftlichen Vertrages ist. "37 Gentz berührt hier eine wichtige Implikation seiner Vertragskonzeption, die rechtliche Bestimmung des Staatszwecks: "Der wesentliche Zweck des Staates ist kein anderer als der, die Rechte aller Mitglieder durch einen obersten Schiedsrichter und Beschützer des Rechts auf immer zu sichern. "38 Dieser Staatszweck verpflichte den Souverän, nach gerechten Gesetzen, d.h. nicht willkürlich zu verfahren. 39 Um der Gerechtigkeit Genüge zu tun, dürfe der Souverän "nichts anders als gerechte (nach allgemein-geltenden Maximen entworfene) Gesetze aussprechen "40. Eine solche Instanz, die die Gerechtigkeit personifiziere, verdient, aus der Sicht von Gentz, die von Rousseau geprägte Bezeichnung des allgemeinen Willens, der der Idee nach das Maß der Gesetzgebung abgebe. Auch hier, wie in den damit zusammenhängenden Fragen der Souveränität und der Repräsentation, kritisiert Gentz an Rousseau bei aller Bewunderung die Vermengung theoretischer Einsichten mit praktischen Forderungen, deren

34 Ebd., S. 291. " Ebd., S. 289-297. 36 Ebd., S. 294. 37 Ebd., S. 295. 3. Ebd., S. 302f. 3. Ebd., S. 303. 40 Friedrich Gentz, Zusätze, in: ders. (Ü .IBearbeiter), Mounier's Entwicklung der Ursachen welche Frankreich gehindert haben zur Freiheit zu gelangen, 4 Theile [richtig: 2), Berlin 1795 [im folgenden: Mounier Ursachen I, II], hier I, S. 261-368 [im folgenden: Gentz, Zusätze Mounier), hier S. 265.

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111. Politische Theorie

Unhaltbarkeit sich schon aus der Realität menschlicher Leidenschaften erweise. 41 Über ein Formalprinzip hinaus aber kann Gentz keine zwingende Notwendigkeit verfassungspolitischer Präferenzen aus dem Kontrakt ableiten. 42 Die von Gentz formulierten Bestimmungen einer naturrechtlichen Vertragstheorie zeigen den starken Einfluß, den Kant auf seinen Studenten ausübte. Gerade dort, wo Gentz von den Ansichten des älteren Naturrechts abweicht, die ihm schon aus seiner Schulzeit, aber auch aus einer Universitätsausbildung und in seinem privaten und beruflichen Umfeld in Berlin vertraut war, kann von einer solchen Prägung durch Kant ohne allzu große Spekulation ausgegangen werden. 43 Gentz hat aus seiner Anlehnung an Kant in seinen früheren Schriften auch keinen Hehl gemacht und erst in späteren Jahren mit sinkendem Interesse für staatsphilosophische Grundsatzfragen die politische Entfremdung klar durchschlagen lassen. 44 Entscheidend ist in diesem Zusammenhang die Kant-Orientierung von Gentz bei der Ablehnung empirischer Elemente des Naturrechts, in der Auffassung des pactum sociale "nicht mehr zugleich als Faktum, sondern als Norm [ ... ], die auf Vernunftprinzipien apriori beruht. "45 In Differenz nicht zu Kant, sondern zum älteren Naturrecht und zur Popularphilosophie, schaltet Gentz den Eudämonismus bei der Betrachtung der Grundlagen der Staatstheorie aus. 46 Wolff sieht den allgemeinen Grundsatz des Rechtes der Natur darin, "die Handlungen auszuüben, welche die Vollkommenheit des Menschen und seines Zustandes befördern; und diejenigen zu unterlassen, welche seine und seines Zustandes Unvollkommenheit befördern "47. Garve, der sich von der Natur-

41 Ebd., S. 274-279. - Im gleichen Sinne auch die Kritik am 6. Artikel der Menschenrechtserklärung von 1789 in Friedrich Gentz, Politische Abhandlungen, in ders. (Ü ./Bearbeiter), Betrachtungen über die französische Revolution. Nach dem Englischen des Herrn Burke [ ... ), 2 Theile, 2. Auflage, Berlin 1794 [im folgenden: Burke Betrachtungen I, 11), hier 11, S. 107-284 [im folgenden: Gentz, Burke Abhandlungen), hier S. 194. 42 Die Bindung an gerechte Gesetze, die Gentz in Beiträge, HistJ 1/3, S. 303 von einem rechtmäßig verfaßten Staat fordert, geht über die formale Ausschließung der Despotie in ebd. S. 289f. hinaus . ., Am JoachimsthalschenGymnasium wurden z.B. Achenwall und Wolffherangezogen (Wetzei, S. 407f.). - Kant halle 1789 über Achenwalls Naturrecht gelesen, wovon eine Vorlesungsmitschrift erhalten blieb (Wolfgang Rietzel, Immanuel Kant. Eine Biographie, Berlin u.a. 1985, S. 345-348) . .. Zur Mitwirkung an den Korrekturen für Kants "Kritik der Urteilkraft" Gentz an Garve am 5.12.1790, in Briefe I, S. 182. 4S Manfred Riedei, Herrschaft und Gesellschaft. Zum Legitimationsproblem des Politischen in der Philosophie, in: Zwi Batscha (Hrsg.), Materialien zu Kants Rechtsphilosophie, Frankfurt am Main 1976, S. 125-148, hier S. 134 . .. Z. B. Gentz, Gleichheit, HistJ 11/1, S. 29f. 47 Chrislian Wolf!, Grundsätze des Natur- und Völckerrechts. Mit einem Vorwort von Marcel Thomann, Hildesheim u.a. 1980, S. 28 (§ 43).

2. Recht und Vertrag

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rechtslehre weit entfernt, findet die Triebfeder der sittlichen Handlungen in der Glückseligkeit und geht davon aus, daß die Regeln der gesetzgebenden Vernunft aus der Erfahrung zu gewinnen sind. 48 Hier stellt sich Gentz auf den Boden des damals avancierteren Ansatzes von Kant. 49 Die in der Literatur fast durchgängig gewählte Etikettierung des jungen Gentz als Kantianer findet ihre Berechtigung nicht nur im Bildungsweg und in Selbstaussagen von Gentz, sondern auch in seinen Berliner Schriften und zwar über die Wendung gegen die Französische Revolution hinaus. Nicht die Prinzipien der staatsrechtlichen Theorie, sondern die Themen werden etwa ab 1800 andere. Wieso ist es Gentz möglich, noch 1809 den Rechts-Begriff Kants zu akzeptieren, aber seit 1792/93 sich einer ganz anderen Richtung politischer Reflexion zuzuwenden? Wenn, wie das hier geschieht, die Kontinuitäten in Gentz' politischer Theorie herausgearbeitet werden sollen, dann kann die Antwort auf diese Frage nicht in theorieexternen Brüchen geortet, sondern muß in den "Sollbruchstellen" , die von Anfang an Gentz von Kant unterscheiden, und/oder in den fortdauernden Gemeinsamkeiten beider Gedankengebäude gesucht werden. Die Hervorhebung der beständigen Ähnlichkeiten ist der einfachere Weg, denn er kann sich auf Gentz' lebenslang dominanten "Rationalismus" stützen. so Schwieriger gestaltet sich die Suche nach dem Grunddissens. Schon in der ersten Publikation, "Über den Ursprung und die obersten Prinzipien des Rechts" von 1791, findet Philipp Pirler entscheidende Unterschiede zwischen Gentz und Kant. 51 Ob Gentz tatsächlich "das Sollen aus der bloß als Sein verstandenen Freiheit ableitet" und "den Geltungsbereich des

4. Vgl. zu Wolff: Christian Schröer, Naturbegriffund Moralbegründung. Die Grundlegung der Ethik bei Christian Wolff und deren Kritik durch Immanuel Kant, Stuttgart u.a. 1988, S. 158-176, 231-222; Diethild Maria Meyring, Politische Weltweisheit. Studien zur deutschen Philosophie des 18. Jahrhunderts, Diss. Münster 1965, S. 75-81; Andreas Cser, Untersuchungen zur Lehrform der Politik im 18. und frühen 19. Jahrhundert, Diss. Heidelberg 1981, S. 68-91; Wolfgang Röd, Geometrischer Geist und Naturrecht. Methodengeschichtliche Untersuchungen zur Staatsphilosophie im 17. und 18. Jahrhundert, München 1970. Vgl. zu Garve Michael Stolleis, Die Moral in der Politik bei Christian Garve, Diss. München 1967. 4. Zur Wirkung Kants auf die Naturrechtslehre vgl. Hans Maier, Die Lehre der Politik an den deutschen Universitäten vornehmlich vom 16. bis 18. Jahrhundert, in: Dieter Oberndörffer (Hrsg.), Wissenschaftliche Politik. Eine Einführung in Grundfragen ihrer Tradition und Theorie, Darmstadt 1966, S. 59-116, hier S. 105; auf Garve vgl. Stolleis, Moral, S. 116f. Zur Kritik Kants an Wolff vgl. Schröer, S. 177-214. '" Vgl. z.B. Adrien Robinet de Ctery, Un diplomate d'il y a cent ans. Frederic de Gentz (17641832), Paris 1917 [textgleich: ders., Les idees politiques de Frederic de Gentz, Lausanne 1917). " Dazu Philipp Pirler, Friedrich von Gentzens Auseinandersetzung mit Immanuel Kant, Frankfurt/Main 1980.

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III. Politische Theorie

Naturrechts im Gegensatz zu Kant auf wenige Rechte"52 beschränkt und sich damit bewußt von Kant unterscheidet, wie Pirler annimmt, läßt· sich auf der schmalen Basis des Erstlingswerkes schwer entscheiden. Kleinere Abweichungen von der Begrifflichkeit Kants sind genauso gut aus der Zeit, in der Gentz Kants kritische Rechtsphilosophie kennenlernte, zu erklären, nämlich in deren Formierungsphase, oder auch aus mangelnder Bereitschaft, immer in "Kants schwere und subtile Spekulationen" und "die Tiefen seines transzendentalen Idealismus"53 einzudringen. Für Pirlers These spricht, daß Gentz, der schon früh Bedenken gegen "die Möglichkeit eines kategorischen Imperativs, und einer Triebfeder ohne Triebfeder, wenn ich mich so ausdrücken darf"54 hatte, tatsächlich Freiheit als Willkürfreiheit, nicht aber auch als Selbstgesetzgebung gemäß dem Sittengesetz versteht. 55 Auf einen weiteren wichtigen Unterschied macht Pirler aufmerksam, nämlich auf die im Vergleich zu Kant auffallende Eingrenzung des Naturrechts "auf wenige aus dem obersten Rechtsgrundsatz abgeleitete Rechte. "56 Aufschlußreicher als die in dem Aufsatz von 1791 aufgezählten ursprünglichen Rechte der Gewalt über die eigene Person, auf Eigentum und auf die Einhaltung geschlossener Verträge,57 erscheint mir in diesem Zusammenhang die ausdrückliche Zurückweisung weiterer vorpositiver Rechte. 58 Zwar hat Gentz erst viel später diese Abgrenzung von Kant reflektiert, aber die Gewichte sind in Gentz' Theorie von Anfang an anders verteilt. Die für seine politische Theorie ausschlaggebende Besonderheit von Gentz' Vertragslehre besteht vor allem in der Verbindung der an Kant erinnernden Elemente mit einer besonders starken Betonung der konstitutiven Bedeutung der Sanktionsbewehrtheit für das Recht.

52 Ebd., S. 13. "GenlZ an Garve am 8.10.1784, in Briefe I, S. 141. Vgl. dazu Rietzel, S. 337-378 und Wemer Busch, Die Entstehung der kritischen Rechtsphilosophie Kants, Berlin u.a. 1979, S. 70-127. ,. GenlZ an Garve am 24.10.1789, in Briefe I, S. 153. " Pirler, S. 8f. - Die 1809 von Gentz angegebene anthropologische Grundlage seines Naturrechts deutet ebenfalls auf eine Annäherung von normativen und faktischen Elementen, wenn er feststellt: "Nichts ist dem Menschen angeboren, als: I. die Freiheit, 2. der Trieb, diese seine ursprungliche Kraft so weit auszudehnen, als es nur irgend die äußeren Umstände zulassen, 3. der Begriff der Nothwendigkeit, diesem Triebe Schranken zu setzen, weil seine Mitwesen einen ähnlichen Trieb haben, der nicht befriedigt werden könnte, wenn solche Schranken nicht stattfänden. Die Freiheit hat er als selbstständiges [!I Wesen überhaupt, den Trieb als thierisches, den Begriff als vernünftiges Wesen.· (Gentz, Kant's Rechtslehre, S. 293). ,. Pirler, S. 11. S7 GenlZ, Prinzipien, S. 382-385. Vgl. dazu Therese Dietrich, Ideologie der Gegenrevolution. Ursprunge konservativen Denkens bei Friedrich Gentz. 1789-1794, Diss. (B) Berlin 1989, S. 3033. ,. Gentz, Kant's Rechtslehre, S. 296f.

3. Freiheit und Gleichheit als politische Nonnen

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Der Souverän, der die Idee des Rechts verkörpert, steht als unbefragbare Sanktionsinstanz deshalb außerhalb konkrder rechtlicher Bindung. Wie Adrien Haesler gezeigt hat, wurzelt bei Gentz in der das Recht notwendig machenden Individualität im Vertragsschluß ein Souverän, der - gerade dieser vorpolitischen Individualität wegen - konkret nicht beschränkt werden kann. Im folgenden müssen die Implikationen der Vertragslehre für die Rechte im verfaßten Gemeinwesen daraufhin untersucht werden, ob Haeslers These zutrifft: "Durch den Bürger hindurch besteht das Individuum, der Mensch weiter, jedoch ungenannt, anonym. Und wie die individuellen menschlichen Rechte ungenannt bleiben, fallen sie unter den Anspruch der Staatlichkeit, der Bürgerlichkeit. "59

3. Freiheit und Gleichheit als politische Nonnen Die natürliche Freiheit des Menschen ist der Ausgangspunkt von Gentz' Lehre von Recht und Vertrag und doch nur indirekt Gegenstand staatswissenschaftlicher Betrachtung. oo Freiheit "in ihren äußern Beziehungen "61 - und nur als solche ist sie Gegenstand von Gentz' Staatswissenschaft - sei nur in ihrer negativen Qualität, als Beschränkung, als Rechts-Grund, begreifbar, denn "der unmittelbare Gegenstand der Staatsgesellschaft ist offenbar, nicht die Freiheit, sondern das Recht. Nun ist zwar der Begriff des Rechtes auf den Begriff der Freiheit gegründet; aber nur in so fern, als das Recht die Freiheit beschränkt. [ ... ] Der gesellschaftliche Vertrag bezieht sich also unmittelbar nicht auf die Freiheit, sondern auf die Einschränkung; weil das Recht nicht eine Bedingung der absoluten, sondern der durch das Beisammenseyn mehrerer limitirten Freiheit ist. "62 Absolute Freiheit sei für den in Gemeinschaft existierenden Menschen nicht denkbar, das Recht nicht ohne die Begrenzung der Freiheit. Der die wechselseitige Anerkennung des Rechts sichernde Sozialkontrakt "Iimitirt selbst das Recht ,,63 durch die Einrichtung des Souveräns, der nach den Regeln des Vertrags die Konkretisierung der Gerechtigkeit allein übernehme. 64 Mit dem gesellschaftlichen Zustand stimme Freiheit daher nur mehr als "Existenz unter

,., Adrien Haesler, Die Vertragslehre bei Friedrich von Gentz. Nach dem Historischen Journal dargestellt, in: Schweizer Beiträge zur Allgemeinen Geschichte 1(1943), S. 147-167, hier S. 164. 60 Vgl. Wemer Canze, Art. Freiheit, in: Geschichtliche Grundbegriffe 11, S. 425-524, hier bes. S.482f. •• Gentx, Beiträge, HistJ 113, S. 300 . • 2 Ebd., S. 301 f . •, Ebd., S. 302 . .. Haesler, S. 162.

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III. Politische Theorie

dem Rechte"65 zusammen. Der Staatszweckbestimmung entsprechend existiere Freiheit rechtlich lediglich als bürgerliche Freiheit, die nichts anderes sei als "der Zustand, worin der Staatsbürger nur dem Gesetz, und zwar einem auf Gerechtigkeit [ ... ] gegründeten Gesetz gehorcht. "66 Die bürgerliche Freiheit entspreche dem Vertragszweck, sie zu erhalten sei Bedingung der Staatsverfassung und damit notwendig ein Recht. Der Vertragsschluß sei nur als solcher, also freiwillig zu denken, wenn die Aufopferung von Freiheit begrenzt sei durch die beiden "Reservationen: 1) dass er in allen den Punkten, worin ihn der allgemeine Wille (das Gesetz) nicht beschränkt, so frei bleibe, als zuvor. 2) dass selbst das Gesetz nie ohne Noth, und immer nur nach allgemein geltenden Maximen beschränke. "67 Nur in diesem Sinne, als "Uneingeschränktheit des Bürgers in Ansehung aller Handlungen und Unterlassungen, worin ihn gerechte Gesetze nicht beschränken"68 sei Freiheit ein Recht eines jeden Bürgers, d.h. eines jeden Menschen auch im Zustand einer bürgerlichen Verfassung und damit der Staatiichkeit. Gentz unterscheidet nun streng die bürgerliche von der politischen Freiheit, dem "Zustand, worin jeder Staatsbürger keinem anderen Gesetz gehorcht, als dem, zu welchem er unmittelbar oder durch irgend eine Art von Vollmacht seine Zustimmung gegeben hat. "69 Während bürgerliche Freiheit "der höchste und letzte Zweck aller Staatsgesellschaft"70 sei, beruhe die Teilnahme an der Gesetzgebung auf der Bestimmung des Souveräns im Vertrag. Im Gegensatz zur bürgerlichen, ist für Gentz die politische Freiheit nicht Zweck, sondern Mittel, nicht von strenger Notwendigkeit bestimmt, sondern von der vereinbarten Verfassungsnorm, damit "kein absolutes, sondern ein relatives Gut"71. Politische Freiheit als Partizipation muß sich s.E. also an der Sicherung der bürgerlichen Freiheit messen lassen und bleibt an die jeweilige Verfassung gebunden. Sie kann daher "nicht in jeder Staatsverfassung dieselbe seyn"72, sondern dürfe den Genuß der Rechte des Individuums im Sinne bürgerlicher Freiheit nicht schmälern. 73

., Genrz, Beiträge, HistJ 1/3, S. 305. 66 Genrz, Mounier Zusätze, S. 263.

S. 286f. S. 288 . •9 S. 263. 70 S. 264. 71 Genrz, Burke Abhandlungen, S. 115. 12 Ebd., S. 120. 73 Die stark betonte Unterscheidung bürgerlicher und politischer Freiheit ist keine Besonderheit von Gentz. Sie spielt unter den Vordenkern der Spätautldärung in Preußen, z.B. bei Ernst Ferdinand Klein, dem Mitarbeiter Svarez', eine zentrale Rolle. Vgl. dazu Möller, S. 205ff. 67

•8

Ebd., Ebd., Ebd., Ebd.,

3. Freiheit und Gleichheit als politische Nonnen

61

Die begriffliche Verbindung von bürgerlicher und politischer Freiheit liegt in der Beschränkung der natürlichen Freiheit, verdeckt aber semantisch die Differenz von Rechts- und Machtsphäre. Gegen den politischen Mißbrauch dieses Mißverständnisses wendet sich Gentz scharf. 74 Er wird nicht müde, den prinzipiellen Unterschied von politischer und bürgerlicher Freiheit zu betonen. Gentz hebt hervor, daß die Mitwirkung des Einzelnen an der Gesetzgebung, also seine politische Freiheit, nicht vor ungerechten Gesetzen schütze, monarchische Regierung aber durchaus bürgerliche Freiheit gewähren könne. Die Verbindung von politischer und bürgerlicher Freiheit sei nur eine mögliche Kombination unter vielen rechtmäßigen. 75 Die politische Freiheit sei als relatives Gut der bürgerlichen untergeordnet; bei der Bestimmung der Rechtmäßigkeit einer Verfassungsordnung sei sie irrelevant, denn sie könne per se zum Mehr oder Weniger an Herrschaft gerechter Gesetze nichts beitragen. Wo sie als zweckmäßiges Element der Verfassung organisiert sei, könne sie immerhin mit der bürgerlichen Freiheit übereinstimmen. 76 Gentz stellt die Theoriefähigkeit politischer Partizipation, zumindest für den Bereich des Reinen Staatsrechts, grundsätzlich in Frage. Die Ausübung politischer Freiheit, nach der zu streben "ein erlaubter, wenn gleich oft ein vermessner Wunsch"77 sei, "kann an und für sich nur eine kindische Eitelkeit beglücken" .78 Dagegen entspräche es der Würde des Menschen als Vernunftwesen, bürgerliche Freiheit zu geniessen. 79 Wieder und wieder warnt Gentz vor den gefährlichen Folgen, die die Vermischung und Verwechslung der bei den Freiheitsbegriffe in der politischen Praxis bewirken könne. Die Französische Revolution dient ihm dabei als Anschauungsmaterial, das Freiheitsverständnis der Revolutionäre zieht Gentz als Beleg für die unscharfe und mißbräuchliche Verwendung des Begriffs "Freiheit" heran. 80 Politische Freiheit läßt sich für ihn nicht mit Gründen als ein Recht gegen die Verfassungsordnung des Staates wenden, sondern kann nur

7. Gentz, Burke Abhandlungen, S. I13f. 7> "Wenn also das Gesetz, welchem der Bürger selbst beygestimmt hat, das einzige welchem er gehorcht, und zugleich ein gerechtes Gesetz ist, dann aber nur dann ist die politische Freiheit im Einverständniss mit der bürgerlichen." (Genrz, Mounier Zusätze, S. 264). 7. Ebd., S. 265-268. 77 Ebd., S. 266. ,. Ebd., S. 267. 79 "Aber - kein andres Joch zu tragen als das Joch eines gerechten, eines für alle gleichen Gesetzes [ ... ) das darf der höchste Wunsch eines vernünftigen Mannes seyn" (ebd., S. 267f.). 00 Gentz, Burke Abhandlungen, S. I 09 fr. , 121-130 und ders., Beiträge, HistJ 1/3, S. 309ff.

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III. Politische Theorie

im Einklang mit den Erfordernissen bürgerlicher Freiheit theoretisch legitimiert werden. 81 Auch der andere Schlüsselbegriff der Staatswissenschaft im Schatten der Revolution, der Begriff der Gleichheit,82 wird von Gentz im Lichte seiner Vertrags- und Rechtslehre kritisch betrachtet mit dem Ziel, "zu zeigen, daß die Idee der politischen Gleichheit aus einer Verwechselung des Gegenstandes, der Materie des Rechts, mit der Form desselben entsprang. "83 Unter materieller Gleichheit versteht Gentz "die Gleichheit des Wirkungskreises, worin das Recht jedes Einzelnen sich äußert", unter formeller Gleichheit "die Gleichheit der rechtlichen Kraft, womit Jeder seinen eignen, größern oder kleinem Wirkungskreis umfaßt. ,,84 Die materielle oder objektive Gleichheit der Rechte ist für Gentz, im Gegensatz zur formellen oder subjektiven Gleichheit, mit der Idee des gesellschaftlichen Vertrages nicht vereinbar, weil dieser Vertrag seinen Entstehungsgrund gerade im sanktionsbewehrten Schutz individueller Rechte habe und Recht nicht erst schaffe. Die dem Vertrag vorausliegende Ungleichheit sei rechtlich unantastbar, da sonst willkürlich in Rechte eingegriffen werdeY Selbst im Falle bestehender objektiver Gleichheit bei Vertragsschluß, ließe sich die Aufrechterhaltung der materiellen Gleichheit der Rechte nicht widerspruchsfrei kontrahieren, denn "wäre dies der Fall, so würde die ursprüngliche Freiheit nicht bloß negativ, so daß sie die rechtliche Freiheit der andern nicht störe, sondern zugleich positiv, so daß sie ihren eignen Wirkungskreis nicht erweitern könnte, beschränkt. ,,86 Anders als die formelle hat die materielle Gleichheit keinen Raum in Gentz' Rechtstheorie. Ähnlich der bürgerlichen Freiheit nirnnlt die subjektive Gleichheit bei Gentz den Platz einer staatswissenschaftlichen Norm ohne inhaltliche Bestimmung ein. Die Herrschaft gerechter, d.h. nicht der privaten Willkür entstammender Gesetze und die Achtung des Rechts jedes Einzelnen durch den

., Gentz, Mounier Zusätze, S. 289f. 82 Vgl. OUo Dann, Art. Gleichheit, in: Geschichtliche Grundbegriffe 11, S. 997-1046, hier bes. S.1027. 83 Gentz, Gleichheit, HistJ 1111, S. 3f. .. Ebd., S. 4. " "Der Staat ist nicht da, um nach einem selbstgewählten Maßstabe, und wäre es auch der der erhabendsten Philanthropie, die gesellschaftlichen Unebenheiten auszugleichen; das Mehr oder Weniger im Recht ist seine Sorge nicht: die einzige Ungleichheit die er verhindern soll, ist die, welche aus der Rechtsverletzung entsteht. Der Gedanke, eine andre anzugreifen, wäre selbst eine Rechtsverletzung. " (ebd., S. 7f.) . .. Ebd., S. 5.

3. Freiheit und Gleichheit als politische Normen

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Staat als "absolute[r] Werth"87 werden von Gentz sorgfaltig als formale Kriterien politischer Rechtmäßigkeit herausgearbeitet. In beiden Fällen werden diese Normen ausführlich und ausdrücklich vor jeder Verwendung als Waffen für durchgreifende Umgestaltungsabsichten geschützt. Damit ist auch die strikte Ablehnung von Menschenrechtskatalogen als Fundamente von Verfassungen, mit der Gentz sich 1793 Burke anschließt, verbunden. 88 Die breit angelegte Verteidigung rechtlicher Ungleichheit, dargelegt am Beispiel der Privilegien des Adels, demonstriert die politische Stoß richtung von Gentz' politischer Theorie und die von ihm dabei gewählte Argumentationsweise. Ohne an dieser Stelle auf seine Gedankenführung näher einzugehen, muß doch auf das Charakteristikum der Gentzschen Variante naturrechtlichen Denkens hingewiesen werden: Gentz nützt die naturrechtliche Staatstheorie, um die bestehende politische Ordnung naturrechtlicher Kritik zu entziehen. 89 Zu diesem Zweck hebt er die Beziehung von Recht und Vertrag hervor, verpflichtet den Staat damit auf die Rechtssicherung und mithin auf die Garantie des vorstaatlichen Rechts. Die gesellschaftlichen Ungleichheiten werden gewissermaßen zur Verkörperung des Rechtsgrundes staatlicher Ordnung; ihrem Schutz dient der Staat konkret. 90 Über die Angemessenheit solcher Ungleichheiten entscheidet dann nurmehr die aus der Erfahrung geschöpfte Klugheit, von Fall zu Fall, je nach Verfassungsordnung und gesellschaftlichem Entwicklungsgrad. Mit dem Naturrecht läßt sich nur die relative Unantastbarkeit der bestehenden sozialen (in bezug auf die Gleichheit) und politischen (in bezug auf die Freiheit) Ordnung konstatieren: 91 "Die höhere Philosophie, die reine spekulative Staats = Wissenschaft hat mit Gleichheit und Ungleichheit unter den Menschen durchaus nur in so weit zu thun, als das Recht dabei im Spiele ist. Vor dieser Philosophie ist jede Ungleichheit legitimirt, sobald sie dem Rechtsbegriff nicht widerspricht. Sollen andre allgemeine Grundsätze auf das System der bürgerlichen Ungleichheit angewendet werden, so können es nur die der gesellschaftlichen und politischen Weisheit, des wahren Menschen=Studiums, der Philosophie der Erfahrung seyn. In allem, wo das Recht keine Stimme hat, muß der Erfahrung ewig die erste bleiben. ,,92

.., Ebd., S. 9 . •• Ebd., S. 8-14, 36ff.; ders., Mounier Zusätze, S. 270ff.; ders., Beiträge, HistJ 1/3, S. 304ff.; ders., Burke Abhandlungen,S. 109-191. .. Gentz, Gleichheit, HistJ lI/I, S. 3f. 90 "Die Rechtmäßigkeit gesellschaftlicher Distinkzionen ist erwiesen, sobald die obje/aive Gleichheit aus der Zahl der gesellschaftlichen Rechte ausgestrichen wird." (ebd., S. 36). Vgl.: ebd., S. 23-36. 9. Dazu: ebd., S. 14-23. 92 Ebd., S. 39f.

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III. Politische Theorie

Bei allen Gemeinsamkeiten mit Kant in Gentz' Reiner Staatswissenschaft "ist die Ähnlichkeit des Gentzschen Ansatzes mit dem Kantischen äußerlicher Art".93 Aus Kants Bestimmung des Menschen als "Zweck an sich selbst"94 folgt für Gentz keinerlei rechtsphilosophische Präferenz für bestimmte gesellschaftliche Ordnungssysteme. 9S Letztlich hängt das staatstheoretische Konzept von Gentz auch hinsichtlich des Freiheits- und des Gleichheitsbegriffs in besonderer Weise von seiner Souveränitätslehre ab. Trotz der Übernahme der Terminologie Kants und trotz der Skepsis gegen commune bonum-Staatszweckbestimmungen% grenzt sich Gentz ordnungstheoretisch von wichtigen Tendenzen des jüngeren Naturrechts ab, insbesondere verneint er die Existenz politisch relevanter, nicht ganz der Regelungskraft des Souveräns ausgelieferter Freiheitsrechte im postkontraktuellen Zustand. Er nimmt damit - wie andere Schriftsteller unter dem Einfluß der Französischen Revolution auch - hinsichtlich des Souveränitäts- und Vertragsgedankens Positionen des älteren Naturrechts wieder auf und eliminiert die abwehrrechtlichen Komponenten des Freiheitsbegriffs, ohne jedoch in den Eudämonismus zurückzufallen. 97 Die Eigenheiten von Gentz' staatstheoretischen Überlegungen, gerade auch Kant gegenüber, werden deutlicher bei der Bestimmung der Grenzen der Rechtsphilosophie im Gesamtzusammenhang der Staatswissenschaft.

4. Grenzen des Reinen Staatsrechts Sowohl Gentz' Vertragslehre als auch seine Begriffsbestimmungen von Freiheit und Gleichheit stehen im Zeichen der Entkoppelung staatsrechtlicher Axiomatik und handlungsleitender politischer Reflexion. Die keineswegs singuläre Rückwendung zu Positionen des älteren Naturrechts in der Zeit praktizierter Revolution, die Distanz zu seinem Lehrer Kant, die Akzentuierung

93 Pirler, S. 13. - Vgl. aber auch Richard Saage, Naturzustand und Eigentum, in: Batscha (Hrsg.), Materialien, S. 206-233 und Dietrich, Ideologie, S. 30-33 . .. Kant, Grundlegung der Metaphysik der Sitten, S. 59. 9' Dietrich, Ideologie, S. 87-97. 96 Gentz dazu sehr deutlich: "Das allgemeine Wohl ist ein großer, aber mit dem Rechte verglichen ein untergeordneter Gesichtspunkt" (Gentz, Gleichheit, HistJ 1111, S. 30). 91 Diethelm Klippel, Politische Freiheit und Freiheitsrechte im deutschen Naturrecht des 18. Jahrhunderts, Paderborn 1976, S. 57-66, 92f., 104-107, 198-206; Jöm Garber, Politisch-soziale Partizipationstheorien im Übergang vom Ancien regime zur bürgerlichen Gesellschaft (1750-1800), in: Peter Steinbach (Hrsg.), Probleme politischer Partizipation im Modernisierungsprozeß,Stuttgart 1982, S. 23-56, hier S. 29; Walter Rasemann, Die rationalen und traditionalen Elemente in der Publizistik des Friedrich von Gentz, Diss. Köln 1935, S. 61-79; Haesler, S. 156-167; Michael Stolleis, Untertan - Bürger - Staatsbürger. Bemerkungen zur juristischen Terminologie im späten 18. Jahrhundert, in: Rudolf Vierhaus (Hrsg.), Bürger und Bürgerlichkeit im Zeitalter der Aufklärung, Heidelberg 1981, S. 65-99, hier S. 76-85.

4. Grenzen des Reinen Staatsrechts

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des entschieden von der (historischen) Erfahrung geprägten Charakters realitätsgerechter und damit praxisfähiger Staatswissenschaft, die Annäherung an seinen Mentor Garve lassen sich als Wirkungen theorieexterner Faktoren begreifen. 98 In Auseinandersetzung mit Kant hat sich Gentz selbst darum bemüht, mit Argumenten der Theorie die Grenzen der Reinen Staatswissenschaft aus Prinzipien apriori zu bestimmen. Die von Gentz an den Tag gelegte "ehrerbietige Besserwisserei "99 in dem 1793 erschienenen Aufsatz in der Berlinischen Monatsschrift unter dem Titel "Nachtrag zu dem Räsonnement des Herrn Professors Kant über das Verhältnis zwischen Theorie und Praxis" war eine Antwort auf den drei Monate zuvor in derselben Zeitschrift erschienenen Beitrag Kants "Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis. "100 Kant streitet gegen die Auffassung, daß "in einer Theorie, welche auf dem Pflichtsbegriffgegründet ist, [ ... ] daß, was in ihr richtig sein mag, doch für die Praxis ungültig sei. ,,101 Gentz' Replik, vom Herausgeber Biester als "nicht tief" und ohne "erhebliche Bemerkung oder Anwendung"l02 beurteilt, verändert die Ausgangsproblematik zur Frage, "welches der Punkt sei, wo die Praxis aufhört, bloßer Nachhall der Theorie zu sein, und wo sie das Recht erwirbt, für sich selbst, und sogar vor der Theorie, zu sprechen?"103 Kant folgend, sieht Gentz die auf "den bloßen Pflichtbegrif [!]"104 gegründete

9. Dazu exemplarisch Dietrich, Ideologie, S. 152-171. 99 J ulius Ebbinghaus, lmmanuel Kant. Über den Gemeinspruch : das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht fiir die Praxis. 1793. Vorbemerkung, in: ders., Gesammelte Schriften. Hrsg. von Hariolf Oberer/Georg Geismann. Band I: Sittlichkeit und Recht, Bonn 1986, S. 95- 108 (erstmals Frankfurt a.M. 1946), hier S. 107. '00 Gentz, Nachtrag. - Ob Gentz durch seine Burke-Übersetzung selbst Zielscheibe von Kants Aufsatz "Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht fiir die Praxis" war, wie bei 1herese Dietrich, Kant's Polemik mit dem absprechenden Ehrenmann Friedrich Gentz, in: Dialektik 17(1989), S. 128-136 angenommen, gehört nicht hierher und wird in Kap. XID.2. erörtert. - Die fiir die von Kant ausgelöste publizistische Debatte um das TheoriePraxis-Problem wichtigsten Texte sind nachgedruckt bei Vieter Hemich (Hrsg.): Kant. Gentz. Rehberg. Über Theorie und Praxis, Frankfurt 1967. '01 Immanuel Kant, Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht fiir die Praxis, in: Kant Werke IX, S. 125-172, hier S. 129. 102 Biester an Kant am 4.3.1794, in Kant's BriefWechsel, 4 Bde., 2. Aufl., Berlin u.a. 1922 (=Kants gesammelte Schriften. Herausgegeben von der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften Bde X-XIII) [im folgenden: Kant's BriefWechsel I-IV], hier 11, S. 490. '03 Gentz, Nachtrag, S. 519. '04 Ebd., S. 521. 5 Kronenbitter

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111. Politische Theorie

Theorie als "für die Erfahrung selbst apriori gebietend" \05 an, aber schon im Bereich der Moral zieht Gentz die Tragweite erfahrungsunabhängiger Theorie in Zweifel: "Wäre also der Mensch nichts weiter, als ein Wesen, welches sich, wenn es frei handelt, nach Pflichtbegriffen bestimmen soll; oder mit andern Worten, gäbe es an dem Menschen, in praktischer Hinsicht, keine andre Beziehung, als die der Moralität, so wäre die Erkenntniß des Sittengesetzes, mithin eine reine Theorie, hinreichend, um ihn in seiner ganzen Praxis zu leiten. Bei näherer Erwägung, ergiebt sich nun freilich bald, daß dieses nicht der Fall sein kann. Der Mensch ist ein vielseitiges Wesen, und die Moralität ist nur eine seiner Seiten. [ ... ] Mithin ist selbst, wenn von einzelnen Menschen die Rede ist, die Theorie nur in einem einzigen Verhältnisse desselben Alleinherrscherinn . "106

Ohne dies offen zu bekennen, nähert sich Gentz hier, konträr zu Kants strikter Scheidung des Sittengesetzes als autonomer Triebfeder der Moral von der Glückseligkeit als Inbegriff psychischer Motivation, den Vorstellungen Garves. \07 Bei der Betrachtung des Verhältnisses der Theorie zur Praxis im Staatsrecht, tritt neben die Verneinung der von Kant aufgezeigten praktischen Konsequenzen des Vernunftrechts für die Staatsverfassung lO8 der Gedanke, daß, "wenn die Heiligkeit der Menschenrechte in einer bürgerlichen Verfassung nicht bloße Idee bleiben soll, außer den Vorschriften, welche Achtung für sie gebieten, Etwas vorhanden sein [muß], das zur Befolgung derselben zwingt. "109 Die Prinzipien der Reinen Staatswissenschaft preist Gentz als "Leitstern" des Staatsmanns, der ohne diesen Richtpunkt in größter Gefahr wäre, "nach allerlei unstäten, seichten, schlüpfrigen Prinzipien zu greifen, und folglich nie etwas Bessers als ein empirischer Pfuscher zu werden .• 110 Diese "bloße Norm für die gesetzgebende Vernunft,,11I sei aber nicht einmal für die Praxis des Staatsrechts hinreichend, denn aus ihr ließen sich keine Regeln für die Gewährleistung der Festigkeit des Vertrags entwickeln. 1I2 "Die Kenntnis der Rechte des Menschen ist für den, welcher eine rechtliche Verfassung einführen will,

Ebd. Ebd., S. 522f. 107 Kam, Über den Gemeinspruch, S. 130-143; Christian Garve, Drei Texte über Theorie und Praxis, in: Henrich (Hrsg.), S. 131-158, hier S. 134-138; Pirler, S. 72-84; Gemz, Nachtrag, S. 537. 101 Kam, Über den Gemeinspruch, S. 143-164. Vgl. dazu Ebbinghaus. - Gemz, Nachtrag, S. 526-552. 109 Gentz, Nachtrag, S. 527. 110 Ebd., S. 536. 111 Ebd., S. 538. 112 Ebd., S. 537ff. 105 106

4. Grenzen des Reinen Staatsrechts

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zwar unentbehrliche, aber doch bloße Präliminarkenntniß. [ ... ] Erfahrung allein (oder die Kraft eines Genies, welches der Erfahrung voreilt) kann den Stof [!] zu den praktischen Veranstaltungen liefern, ohne welche das vollkommenste System der Rechte ewig nur ein reizendes Schattenbild bleibt. "113 Gentz lenkt den Blick auf die Erfahrung als Quelle einer neuen Theorie l14 und gerät in die Nähe derer, die Kant beschuldigt, "mit Maulwurfsaugen" auf die Empirie zu starren,115 indem er die Frage nach der Verfassungsordnung, die die Rechte des Menschen gewährleisten solle, aus der Erfahrung beantwortet sehen will. Die "Theorie der Staatsorgansazion - welche, mit der Theorie des reinen Staatsrechts zusammengenommen, die allgemeine Staatswissenschaft vollständig liefert _"116 löst Gentz von der Rechtsphilosophie Kants, wenn auch die Systematik dieser Distanzierungsbemühungen weit hinter der von Rehberg zurückbleibt, der in seiner Kritik an Kant wesentlich mehr Selbständigkeit und Radikalität in Stil und Inhalt an den Tag legt. 117 Kennzeichnend für Gentz ist der Zwiespalt, der durch das Festhalten am Reinen Staatsrecht im Gefolge Kants und der Aufwertung einer von der Empirie geleiteten Theorie der Staatsordnung entsteht. Weder ein anders gearteter Theoriebegriff noch eine prinzipielle Emanzipation der Praxis bilden den entscheidenden Dissenspunkt,118 sondern Gentz' enge Begrenzung des Staatsrechts erzwingt die Abtretung der Grundsatzfragen der Staatslehre an eme Erweiterung der Staatswissenschaft auf empirischer Basis. 119 Ebd., s. 539f. "In jeder bürgerlichen Verfassung muß Macht übertragen, muß Macht irgendwo konzentrirt werden, um das Recht zu schützen. Wo soll diese Macht ihren Sitz haben? Wie soll sie ausgeübt werden? Was soll ihr Schranken setzen? Was soll sie sicher stellen? ... Auf diese überaus wichtigen Fragen weiß die reine Theorie der Rechte keine Antwort zu geben. Nur Kenntniß des Menschen, des Einzelnen und großer Massen, Kenntniß menschlicher Fähigkeiten, Neigungen, Schwachheiten und Leidenschaften, anhaltende Beobachtung, Vergleichung mannichfaltiger Lagen und Umstände, Studium der gesellschaftlichen Verhältnisse, und vielleicht erst eine lange Reihe kostbarer Versuche, kann sie beantworten." (ebd., S. 539f.). Vgl. dazu Pirler, S. 85ff. '" Kam, Über den Gemeinspruch, S. 129. 116 Gemz, Nachtrag, S. 550. 117 August Wilhelm Rehberg, Über das Verhältnis der Theorie zur Praxis, in: Henrich (Hrsg.), S. 113-130. Vgl. dazu Ursula Vogel, Konservative Kritik an der bürgerlichen Revolution. August Wilhelm Rehberg, Darmstadt u.a. 1972, S. 77-91. 111 Kam, Über den Gemeinspruch, S. 127. - Henrich, der in seiner Einleitung zu ders. (Hrsg.), S. 7-36, hier bes. S. 25 anderer Ansicht ist, bleibt m.E. die Argumente schuldig. 119 Gentz, Nachtrag, S. 526f.: "Denn, sollte etwa der Pflichtbegrif [!I (welcher sich hier in der Achtung für das Recht eines jeden Mitgliedes der Gesellschaft äußert) nur bei der ersten Grundlegung zu einer solchen [=bürgerlichenl Verfassung den Vorsitz führen, nachher aber die Garantie der Rechte wieder bloß dem Gewissen (wie in dem Lebenswandel der Individuen, insofern sie nicht unter bürgerlichen Gesetzen stehen) überlassen bleiben: so würde der Mensch durch den 1\3 114

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III. Politische Theorie

So reicht denn das Reine Staatsrecht zur Sicherung seiner eigenen Zwecke als handlungsleitende praktische Vernunft nicht hin. Die Erweiterung der Allgemeinen Staatswissenschaft um eine empirisch fundierte Theorie der Staatsorganisation ist der notwendige Ausgleich für die Selbstbeschränkung des Reinen Staatsrechts bei Gentz. l20 Wie sich bereits bei der Betrachtung von Gentz' Konzeption des Vertragsrechts und seines Freiheits- und Gleichheitsbegriffs gezeigt hat, liegt jede Normierung der politischen Ordnung, die über das formale Prinzip der Rechtssicherung hinausgeht, außerhalb des Geltungsbereichs des Reinen Staatsrechts. Die immer wieder von Gentz vorgetragene Eingrenzung dieses Bereichs auf die Demonstration der Denknotwendigkeit eines garantierten Zwangsrechts hat sicherlich primär eine theorieexterne, politische Motivation. Die Argumente, die Gentz für eine neue, erfahrungsgeleitete Theorie der Staatsordnung beibringt, liegen selbst nicht mehr auf der Ebene des Reinen Staatsrechts. Die systematische Verbindung beider Teile der politischen Theorie liegt nur in der Grenzziehung selbst. Letztlich vollzieht Gentz hier, was schon in seiner Rechtslehre angelegt ist. Die Annäherung an die empirischhistorische Argumentationsweise Burkes in den "Reflections" 121 ist weder so umfassend, noch so bedeutsam für diese theorieinterne Gewichtsverschiebung, wie man zunächst annehmen könnte. 122 Für die Entdeckung der Erfahrung als Quelle politischer Theorie ist Gentz ebensowenig geistesgeschichtlicher Wegbereiter, wie für den Brückenschlag zwischen naturrechtlichen und historischen Begründungsweisen staatlicher Ordnung. Möser, Garve, Brandes, Rehberg und Burke gingen Gentz im einen

Eintritt in die Staatsgesellschaft gar nichts gewinnen und überdies höbe eine solche Voraussetzung den Begriff eines Zwangsgesetzes auf. Es muß also, wenn die Heiligkeit der Menschenrechte in einer bürgerlichen Verfassung nicht bloße Idee bleiben soll, außer den Vorschriften, welche Achtung für sie gebieten, Etwas vorhanden sein, das zur Befolgung derselben zwingt. Und eben dieser nothwendige Zusatz charakterisiert den Unterschied zwischen der Anwendbarkeit des Pflichtbegrifs auf ein Individuum, und auf eine bürgerliche Gesellschaft." .20 Scharf formuliert Gentz die Grenzen naturrechtlicher Theorie in Gentz, Kant's Rechtslehre, S.294 . •2. Da gerade die Beschäftigung mit Burke Gentz auf schriftstellerische Arbeitsgebiete außerhalb der Reinen Staatswissenschaft geführt hat, liegt es nahe, erste Spuren einer empirisch ausgerichteten politischen Theorie in der Burke-Übersetzung von Gentz zu suchen. Tatsächlich hat Gentz dort unter dem Zwang, die Prämissen des Reinen Staatsrechts mit der Terminologie Burkes weitgehend in Einklang zu bringen, vorsichtig versucht, die Grenzen der Umsetzbarkeit des Reinen Staatsrechts als handlungsleitendepraktische Philosophie abzustecken. Gleichzeitig bleibt hier, wie später nicht anders, der logische Vorrang der Rechtslehre unbestritten. Dabei unterscheidet Gentz Rechtsprinzipien, moralische Befugnisse und Klugheitsregeln (Burke Betrachtungen I, S. 85 (Anm.d. Ü 122 Anderer Meinung ist da z.B. Dietrich, Ideologie, S. 57-70. Vgl. auch Pirler, S. 27-31.

.».

5. Geschichtsphilosophie und Anthropologie

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oder anderen Fall voraus, auch ist der innere Zusammenhang der verschiedenen Elemente von Gentz' politischer Theorie vergleichsweise gering. Die Entscheidung für eine von den Prinzipien des Reinen Staatsrechts unberührte Sphäre der Reflexion über Grundfragen staatlicher Ordnung hat es aber Gentz immerhin ermöglicht, von Kants Einfluß befreit, Ansätze zur Theoriebildung zu entwickeln, die konservative politische Positionen und Kritik des Bestehenden integrieren konnten.

5. Geschichtsphilosophie und Anthropologie "Die Wahl einer Verfassung ist durchaus eine Sache der Klugheit, und hat mit Rechtsfragen schlechterdings nichts zu schaffen. Jede Form der Souveränität, die künstlichst = zusammengesetzte, wie die einfachste, hat ihre eigne Vortheile und ihre eigne Mängel. Beide gegeneinander abzuwägen, ist ein schweres Geschäft. Es ist das Resultat einer eignen sehr complizirten Wissenschaft, einer Art von Technik, zu deren Vervollkommnung sich tiefes Nachdenken mit großer Erfahrung vereinigen muß.· 123 Als Anleitung zum Handeln wie als Basis der Kriterien der Analyse verlangt Gentz nach einer erfahrungsgesättigten Klugheit. Um diese notwendige Erfahrung in Fragen der politischen Ordnung zu erwerben, ist neben der Gegenwart auch die Vergangenheit zur Hand. Im Zeitalter der Französischen Revolution tritt neben das exemplarische Verständnis der Geschichte die Geschichtsphilosophie als eine der bedeutendsten Formen politischer Reflexion. l24 So allgemein unter dem Eindruck der zivilisatorischen und kulturellen Errungenschaften der Aufklärung und dem der grundstürzenden Veränderung der Revolution das Interesse für die Entwicklungslinien des historischen Wandels wird, so unterschiedlich nach Form, Methode und Inhalt schlägt sich dieses Interesse nieder. Gentz bewegt sich mit seinen Überlegungen dazu in den vertrauten Bahnen aufklärerischer Geschichtsphilosophie, allerdings ohne die Ambition, sie zur systematischen Grundlage der von ihm geforderten "complizirten Wissenschaft" zu entwickeln. Trotz des zeittypischen philosophischen Hintergrundes ist daher der Ausdruck "Geschichtsbild" dem Abstraktionsgrad und der Kohäsion von Gentz' Schriften eher angemessen, aber hier ist gerade nur der Anteil philosophischer Reflexion

Gentz, Beiträge, "istJ 1/3, s. 286f. Vgl. beispielsweise Jöm Garber, Geschichtsphilosophie und Revolution. Spätaufklärerische Geschichtstheorien im Einflußfeld der Französischen Revolution, in: Jürgen Voss (Hrsg.), Deutschland und die Französische Revolution, Mün"hen 1983, S. 168-193. 123

12'

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111. Politische Theorie

an diesem Geschichtsbild wichtig, insbesondere dort, wo sich Grundelemente einer politischen Anthropologie darin aufspüren lassen. 125 Zwei auf den ersten Blick widersprüchliche Beobachtungen, die Gentz bei der Betrachtung der Hauptlinien der historischen Entwicklung macht, bilden den Ausgangspunkt seiner geschichtsphilosophischen Unternehmungen: der langfristige zivilisatorische und daran anknüpfend auch kulturelle Fortschritt seit Beginn der Neuzeit steht einer dauernden, ja sich steigernden Friedlosigkeit der Menschen gegenüber. Wohlstand und Aufklärung, Krieg und Revolution sind als Signaturen der Zeit das Rätsel, vor dem der Erforscher der realen Bedingungen menschlichen Handeins in der Politk steht. Die überseeischen Entdeckungen bilden für Gentz dabei die Basis des zivilisatorischen Fortschritts. 126 Die große Bedeutung der Entdeckungen für den Fortschritt des Menschengeschlechts sieht Gentz als Merkantilismus-Kritiker nicht im Edelmetallzufluß und in "Handels = Balanzen" 127, sondern in der "Erweiterung des menschlichen Wirkungskreises" 128. Weit über den Bereich des Ökonomischen hinaus sind damit die Entdeckungen wichtige, ja entscheidende Impulse für die gesellschaftliche Entwicklung .129

IH Am ausführlichsten in: Gentz, Ueber den Einfluß der Entdeckung von Amerika auf den Wohlstand und die Cultur des menschlichen Geschlechts, in: Neue Deutsche Monatsschrift August 1795, S. 269-319; ders., Ueber den Gang der öffentlichen Meinung in Europa in Rücksicht auf die französische Revoluzion, in: HistJ 1/1, S. 3-61, 195-234,267-330, HistJ 1/2, S. 3-59, 122-175, [nun unter dem Titel: Betrachtungen über die Entstehung der französischen Revoluzion) 233-323, 345-400, HistJ 1/3, S. 389-435, hier HistJ 1/1, S. 3-61; ders., Ewiger Frieden, HistJ 11/3. Vgl. Hans Lang, Politsche Geschichtsbilder zu Anfang des 19. Jahrhunderts. (Mettemich - Friedrich Gentz - Adam Müller), Aarau 1944, S. 40-92. 126 "Man hat in der Entdeckung des vierten Erdtheils und der gleichzeitigen Entdeckung des Weges nach Ostindien um das Vorgebürge der guten Hoffnung nicht Gerechtigkeit widerfahren lassen, wenn man sie mit der Erfindung der Buchdruckerey, mit Luther's Kirchen = Reformation, mit der Auswanderung der Griechischen Gelehrten aus Constantinopel, und einigen andern großen Vorgängen des funfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts auf ein und diesseibe Linie setzte. Jene beiden Begebenheiten [ ... ) mußten ihrer Natur nach früher oder später alle große Schritte, welche die Menschheit zur Glückseligkeit und Cultur gethan hat, wo nicht in der Form, in welcher sie wirklich geschahen, doch in einer ähnlichen, gleich vortheilhaften bewirken." (Gentz, Einfluß der Entdeckung, S. 269f.). 127 Ebd., S. 272. 12. Ebd., S. 275. 12' "Die Entdeckung von Amerika und von einer neuen Fahrt nach Ostindien eröfnete den größten Markt, das heißt, den größten Reitzfür die menschliche Industrie, der noch jemals, seitdem das menschliche Geschlecht aus dem Zustande der Wildheit getreten war, in der ganzen Sphäre seiner Wirksamkeit existirt hatte." (ebd., S. 274f.).

5. Geschichtsphilosophie und Anthropologie

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Die Förderung der Gewerbeproduktion, die von den neuen Absatzmöglichkeiten stimuliert werde, sei nicht nur die Basis steigenden Wohlstands, der Gewerbefleiß, die "Industrie" im zeitgenössischen Wortgebrauch, habe eine weitreichende Bedeutung, denn "als Symbol oder Synonym der Thätigkeit des menschlichen Geistes ist sie, ohne an ihr~ Produkte zu denken, ein absolutes Gut. "130 Dieses Tätigsein des Menschen als eine der "erhabendsten Anlagen seiner Natur"l3l entfalte sich im Laufe der Geschichte als fortwährende Auseinandersetzung mit seiner Umgebung und bilde zugleich die dem Menschen eigene Art, in der physischen Natur, die "ein beständiger Kampfplatz, auf welchem eine Kraft mit der andern, ein Trieb mit dem andem, ein Daseyn mit dem andern ringt" 132, sei, zu bestehen. Dieser Doppelnatur des Tätigseins, als Weg der Selbstbehauptung und als Ziel der Selbstentwicklung des Menschen, korrespondiere in der von zunehmender Arbeitsteiligkeit geprägten Entfaltung menschlicher Tätigkeit das Wechselverhältnis von Reichtum und Kultur: "Wie diese Vervollkommnung der Arbeit durch die Vertheilung derselben auf der einen Seite das Vermögen der Produktion, mithin den Reichthum der Völker unendlich vermehrte: so ist sie auf der andern der gerade Weg zur innem Entwicklung und Vervollkommnung des Menschen. ,,133 Neben diese primär wirtschaftlich ausgerichteten Vorstellungen, die die Kenntnis der Werke von Adam Smith verraten,134 tritt eine Verbindung des an Humboldt erinnernden Gedankens der Bildung des Einzelnen "durch eine allgemeine und innige Berührung aller Individuen unter einander nl35 mit der nationalökonomischen Hochschätzung des Handels. "Da eine sehr mannichfaltige, immer erneuerte, auf ein großes Interesse gegründete Verbindung zwischen entfernten Menschen die Seele dieser Beschäftigung ausmacht, so ist sie eben deshalb dem großen Princip der Geselligkeit, auf welchem zuletzt alle Menschenbildung beruht, näher als irgend eine andre [ ... ] verwandt. "136 Die Belebung des Handels durch die europäische Expansion bekommt ihre kulturhebende Dimension. Der zivilisatorische und kulturelle Fortschritt treibe auch die soziale und letztlich die politische Entwicklung voran. Den "Uebergang von der individuel-

"" Ebd., S. 282. ", Ebd. 132 GenlZ, Ewiger Frieden, HistJ 1113, S. 768. 133 GenlZ, Einfluß der Entdeckung, S. 284. ,,, GenlZ an Garve am 5.12.1790, in Briefe I, S. 18lf. Vgl. auch Wilhe1m Rascher, Geschichte der National = Oekonomik in Deutschland, München 1874, S. 757ff. '" Gentz, Einfluß der Entdeckung, S. 288. '36 Ebd., S. 290.

III. Politische Theorie

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len zur collektiven Verbesserung der Europäischen Menschheit"137 sieht Gentz in der zunehmenden Auflockerung der gesellschaftlichen und rechtlichen Schranken zwischen den Ständen. Als Ursache dieses Prozesses betrachtet Gentz die steigende Bedeutung beweglichen Vermögens im Gefolge der Ausweitung von Handel und Gewerbe, die dem auf Landbesitz begründeten alteuropäischen Feudalsystem die wirtschaftliche Basis entziehe. "Der Eigenthümer des Geldes wurde eben so mächtig, und zuletzt mächtiger, als der Eigenthümer des Landes. [ ... ] Die Sitten, die Beschäftigungen, die Begierden, die Genüsse, selbst die äußere [!] Formen bei der Classen, wurden einander immer ähnlicher, die Unterscheidungslinien immer schwächer, und der Reichthum legte den ersten Grund zu einer gesellschaftlichen Gleichheit in Europa. "138 Die Landbesitzer "hörten auf zu herrschen, weil sie es reitzender fanden, zu genießen"I39, die Aufgabe der feudalen Kontrolle über die Masse der Bevölkerung wurde zur politischen Kehrseite des neuen und neuverteilten Reichtums. Gegenüber den Verhältnissen des Mittelalters mache sich in der Neuzeit durch Wohlstand und Handel wirtschaftliche und geistige Freiheit geltend, die auch die politische Landschaft verändere. Monarchische Zentralisierungsbemühungen und die Förderung des wirtschaftlichen und kulturellen Fortschritts durch die Reformpolitik der Regierungen seien Folgen und Verstärker der gesellschaftlichen Transformation. 140 Das anthropologische Fundament des Fortschritts, der von der stetigen Auseinandersetzung mit der umgebenden Welt gespeiste Tätigkeitsdrang des Menschen, garantiere die prinzipielle Unbegrenztheit der Entwicklung. "Schon aus der hier aufgestellten Genealogie der gesellschaftlichen Vervollkommnung ergiebt sich, daß die Hoffnung eines unaufhörlichen Wachsthums derselben keine leere Grille seyn kann. "141 Dieser aufklärungstypische Fortschrittsgedanke aber ist noch kein Optimismus in ethischer Hinsicht. Zwar sei "die Idee einer immerwährenden Perfektibilitätder Menschengattung" eine "nothwendige Vemunft=Idee"142, aber der "Weltlauf" werde gelenkt durch "das Gesetz der Natur"143, welches die allmähliche "Reife der menschlichen Vervollkommnung" vorschreibe. l44 Die Langsamkeit, die zeitlich fixierte Entfaltung des Ebd., S. 295. Gentz, Gang der öffentlichen Meinung, HistJ 111, S. 10f. Vgl. auch ders., Einfluß der Entdeckung, S. 298ff. 11. Gentz, Einfluß der Entdeckung, S. 301 . • 40 Ebd., S. 304-310; Gentz, Gang der öffentlichen Meinung, HistJ 1/1, S. 15ff. •4. Gentz, Einfluß der Entdeckung, S. 312 . • 42 Ebd . •43 Ebd . • 44 Ebd., S. 313. 137

11.

5. Geschichtsphilosophie und Anthropologie

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Menschen, wurzelt nach Gentz in der Bindung an die Natur, der der Mensch wie seine Umgebung unterworfen sind. Diese gesetzgebende Natur mache den zivilisatorischen Fortschritt ambivalent, denn die agonale Struktur, die dem Menschen mitgegeben ist, werde vom Fortschritt nicht aufgehoben, sondern nur moduliert. Der "Mensch ist nie ein reines Vernunftwesen, und wird und kann es in keinem Zeitpunkte seiner hiesigen Dauer seyn. Ein geheimnißvolles Band knüpft ihn unaufhörlich an eben die Natur, über welche sein Geist ihn unaufhörlich erhebt. Der kriegerische Trieb, das anscheinend = feindselige Prinzip, das alle Naturwesen in Thätigkeit setzt, lebt, wirkt und athmet auch in ihm. "145 Die der Herrschaft der Vernunft unzugängliche Seite des Menschen sei nicht nur Quelle des Fortschritts, sondern zugleich auch seiner Gefährdung durch die unbegrenzten Bedürfnisse: "Bereicherung, so lange sie noch Stoff dazu vor sich sieht, Befreiung, so lange sie noch Fesseln fühlt, Ansehen und Macht, sobald sie bei des erreicht hat. "146 So wird die Geschichte offengehalten: sie bleibt Fortschrittsgeschichte, aber immer auch die Geschichte der Gefährdung des Fortschritts durch die Friedlosigkeit des Menschen. "Das Gesetz der fortschreitenden Vervollkommnung, welches dem höhe rn Ideal der Menschen=Geschichte zum Grunde liegt, kann überhaupt nur so viel bedeuten, daß man die Menschheit, wenn man ihren Zustand nach langen Zwischenräumen untersucht, immer im Besserwerden antrifft; periodische, und selbst sehr lange Unterbrechungen des Fortganges schließt es keineswegs aus; und daß sogar ein Rückfall aus einer ganz beträchtlichen [ ... ] gar nicht zu vergleichenden) Cultur in eine große Barbarei möglich ist, davon hat uns die Erfahrung nach dem Untergange des Römischen Reichs lebendig genug überzeugt. "'47

Den Handlungsspielraum zu nutzen, um die bürgerliche Gesellschaft nach innen und außen vor Unfrieden zu schützen, ist für Gentz die wichtigste Aufgabe der Politik. Weder lineare noch zyklische Verlaufsformen der Geschichte lassen eine rezeptartige Bewältigung krisenhafter politischer Situationen zu, aber auch ein geschichtsblindes "Durchwursteln" widerspräche der Staatskunst. Das Beispiel der Französischen Revolution dient zur Demonstration der Verzahnung notwendiger und hinreichender Bedingungen historischer Phänomene, von Langzeitprozessen und individuellem Handeln. l48 Eine allgemeine Staatswissenschaft, die für die Praxis taugen wolle, habe von der Realität, von der zweifachen Wesensbestimmung des Menschen durch Vernunft und Triebe, auszugehen. Das Schwergewicht solcher Staatswissenschaft liegt

Gentz, Ewiger Frieden, HistJ 1113, S. 771. Einfluß der Entdeckung, S. 303. \47 Gentz, Gang der öffentlichen Meinung, HistJ VI, S. 30 (Anm.). ,•• Ebd., S. 36-5 \.

'45

'46 Gentz,

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III. Politische Theorie

für Gentz auf dem Felde der Klugheit, wo die Erfahrung mit dem Menschen zu Buche schlägt. Gentz' wirtschaftstheoretische Vorstellungen sind, dem Stand der zeitgenössischen Nationalökonomie entsprechend, "an produktionell-akkumulierenden, qualitativ differenzierenden und zeitlich gerichteten Vorgängen"149 orientiert. Das von ihm vorgelegte Modell des Geschichtsverlaufs hat deutliche Ähnlichkeit mit der anglo-schottischen Naturgeschichte-Literatur. 150 Mit seiner Auffassung von der Bedeutung der in der Geschichte greifbaren menschlichen Natur steht Gentz zweifellos eher in der Tradition der deutschen Popularphilosophie l51 und des anglo-schottischen Empirismus, vor allem aber in der Burkes, als in der Kants. 152 Die Natur des Menschen (als Gattungswesen) nimmt in seiner politischen Theorie einen anderen Platz ein als bei Kant, der ihr gerade im Hinblick auf die Friedensbewahrung eine mittelbar positive Rolle zuspricht. Gentz dagegen "sieht nur den Antagonismus zwischen den Individuen als förderlich für die Staatserrichtung an, die diesen Antagonismus neutralisiert, im internationalen Bereich erscheint er ihm unaufhebbar und nicht friedensfördernd. "153 In der Friedensdiskussion zeigt sich der Unterschied zwischen Gentz und Kant besonders deutlich. 154

'49 Johannes Burkhardl, Der Umbruch der ökonomischen Theorie, in: August Nitschke (Hrsg.), Verhaltenswandel in der Industriellen Revolution. Beiträge zur Sozialgeschichte, Stuttgart u.a. 1975, S. 57-72, hier S. 69. "0 Vgl. dazu: Anand C. Chimis, The Scottish Enlightenment, in: The Scottish Enlightenment, London u.a. 1976, S. 91-123; Hiroshi Mizula, Towards aDefinition of the Scottish Enlightenment, in: Studies on Voltaire and the Eighteenth Century 154(1976), S. 1459-64; Leonard Bauer/Herben Matis, From Moral to Political Economy: The Genesis of Social Sciences, in: History of European Ideas 9(1988), S. 125-143; Hans Medick, Naturzustand und Naturgeschichte der bürgerlichen Gesellschaft. Die Ursprünge der bürgerlichen Sozialtheorie als Geschichtsphilosophie und Sozialwissenschaft bei Samuel Pufendorf, John Lock und Adam Smith, Göttingen 1973, S. 134-170. ,>I Zwi Balscha, Christian Garves politische Philosophie, in: Jahrbuch des Instituts für Deutsche Geschichte [Tel Aviv) 14(1985), S. 113-155. !52 Pirler, S. 32-35. - Die Zuordnung von Naturrecht, Anthropologie und historischem Recht bei Burke erinnert an die Konstellation in Gentz' politischer Theorie (Peler J. Slanlis, Edmund Burke and the Natural Law, 0.0. 1965, s. 29-84; Burleigh Taylor Wilkins, The Problem of Burke's Political Philosophy, Oxford 1967, S. 246-252), wobei das Verhältnis von naturrechtlichen und Klugheitslehren bei Gentz wie bei Burke unterschiedliche Gewichtungen bei der Interpretation zuläßt (vgl. z.B. Hans Barth, Edmund Burke und die deutsche Staatsphilosophie im Zeitalter der Romantik, in: Schweizer Beiträge zur Allgemeinen Geschichte 3(1945), S. 124-157, hier bes. S. 151-157). !53 Pirler, S. 155. I,", Dazu: ebd., S. 95-187; Kurt von Raume,., Ewiger Friede. Friedensrufe und Friedenspläne seit der Renaissance, Freiburg u.a. 1953, S. 151-207. - Gentz' Friedenskonzeption in Kap. X11.4.

6. Gleichgewicht

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Von inneren Widersprüchen nicht frei, rückt die politische Theorie von Gentz schon in den Frühschriften, in denen die Rechtsphilosophie noch erkennbar das systematische Zentrum bildet, die Empirie in den Vordergrund und gehört zu jenen Reflexionswegen, denen Kant vorhielt, sie förderten "eine Praxis, die auf empirische Prinzipien der menschlichen Natur gegründet ist, weIche es nicht für zu niedrig hält, aus der Art, wie es in der Welt zugeht, Belehrung für ihre Maximen zu ziehen, einen sicheren Grund für ihr Gebäude der Staatsklugheit zu finden allein hoffen könne. Freilich, wenn es keine Freiheit und darauf gegründetes moralisches Gesetz gibt, sondern alles, was geschieht oder geschehen kann, bloßer Mechanism der Natur ist, so ist Politik (als Kunst, diesen zur Regierung der Menschen zu benutzen) die ganze praktische Weisheit, und der Rechtsgedanke ein sachleerer Gedanke. "155 6. Gleichgewicht Praxisrelevante politische Theorie ist für Gentz auf die möglichst umfassende Berücksichtigung der Komplexität sozioökonomischer und politischer Wirklichkeit angewiesen. Um den für Staatskunst wie Staatswissenschaft notwendigen Abstand zum bloß Faktischen zu gewinnen, ohne durch rechts- oder geschichtsphilosophische Konstrukte den Kontakt zur Wirklichkeit einzubüßen, braucht auch Gentz Kriterien für richtiges und falsches politisches Handeln. Er findet sie in dem dem Menschen von der Natur gesetzmäßig bestimmten Zwang zur Mäßigung. Nur die allmähliche Entwicklung, nur die nicht ins Extrem gehende Veränderung, steht nach Gentz' Ansicht in Einklang mit der Natur und schützt den Fortschritt der Menschheit. "In der physischen Natur ist das Prinzip der Erhaltung durchaus an ein Prinzip der Zerstörung geknüpft. Jede neue Form geht aus der Zersetzung einer alten, der Stoff zu jeder Organisazion aus den Elementen vernichteter Organisazionen, das Leben aus dem Tode hervor." 156 Anthropologisch und universalhistorisch verankert, bedinge dieses Wechselspiel auch die Normen kluger Politik. Zu rasche Entwicklung muß s.E. gebremst, zu langsame beschleunigt werden, sollen nicht Chaos oder Erstarrung riskiert werden. In Umbruchsituationen folgt für Gentz daraus die Notwendigkeit, die Bewahrung des Bestehenden mit den Mitteln der Politik zu unterstützen. Die so begründete Parteinahme bleibt aber immer relativ, d.h. Gentz ist sich bewußt, daß jede politische Grundposition nur im Verhältnis zum Prinzip des Ausgleichs richtig '" Immanllel Kant, Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf, in: Kant Werke IX, S. 191-251, hier S. 231f. ,j6 Gentz, Ewiger Frieden, HistJ 1113, S. 767f.

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III. Politische Theorie

ist. 1827, dem begrenzten Fortschrittsoptimismus der frühen Schriften abhold, faßte Gentz seinen politischen Standpunkt so auf: "Die Weltgeschichte ist ein ewiger Uebergang vom Alten zum Neuen. Im steten Kreislaufe der Dinge zerstört alles sich selbst, und die Frucht, die zur Reife gediehen ist, löset sich von der Pflanze ab, die sie hervorgebracht hat. Soll aber dieser Kreislauf nicht zum schnellen Untergange alles Bestehenden, mithin auch alles Rechten und Guten führen, so muß es nothwendig neben der großen, zuletzt immer überwiegenden Anzahl derer, welche für das Neue arbeiten, auch eine kleinere geben, die mit Maß und Ziel das Alte zu behaupten, und den Strom der Zeit, wenn sie ihn auch nicht aufhalten kann, noch will, in einem geregelten Bette zu erhalten sucht. In Epochen gewaltiger Erschütterungen, wie die unsrige, nimmt der Streit zwischen diesen beiden Parteien einen leidenschaftlichen, überspannten, oft wilden und verderblichen Charakter an; das Prinzip bleibt jedoch immer das nämliche, und die Bessern auf beiden Seiten wissen sich vor den Thorheiten und Mißgriffen ihrer Bundesgenossen wohl zu verwahren.-'"

Das rastlose Tätigsein des Menschen, Antrieb gesellschaftlicher Entwicklung, äußere sich im politischen Bereich als Machtstreben. 158 Eine realistische Betrachtung der Staatsorganisation - eines der wichtigsten Themen der zeitgenössischen Debatte - muß nach Gentz deshalb von der Frage der Machtverteilung im politischen System ausgehen. Leitendes Prinzip bei der Beurteilung staatlicher Ordnung ist abermals die Begrenzung der gefährlichen Wirkungen ungebremster Aktivität von Einzelnen oder Gruppen auf Kosten der bürgerlichen Gesellschaft. So wurzeln die verfassungstheoretischen Reflexionen Gentz' letztlich ebenfalls in der doppelten Natur des Menschen: als Vernunftwesen ist er der Einsicht in die Bedingungen der Möglichkeit apriorischer Ziele fähig, deren Realisierung aber durch die heteronomen Elemente des Menschen ausgeschlossen bleiben muß. Die Annäherung an das höchste Ziel des Zusammenschlusses von freien Vemunftwesen, die Rechtssicherung, ist nur auf dem Wege erfahrungsgeleiteter Machtbeschränkung möglich. Dabei zeigt sich der von der Natur vorherbestimmte Kampf um die Macht wiederum als Ausgangspunkt für seine Neutralisierung durch das "System der politischen Wechselwirkung. "159 Um nicht in Rechtlosigkeit, sei es in der Anarchie oder in der Despotie, zu verfallen, muß, so Gentz, Machtteilung mit Einheit staatlichen Handelns verbunden werden, wozu sich in besonderer Weise ein solches System der Wechselwirkungen eigne. l60 Da "doch noch Niemand eine Verfassung aufge-

'" Genrz an Amalie von Helvig im Oktober 1827, in Schriften V, S. 319. m Friedrich Genrz, Darstellung und Vergleichung einiger politischen Constitutions = Systeme, die von dem Grundsatze der Theilung der Macht ausgehen, in: Neue Deutsche Monatsschrift Oktober 1795, S.75-157, hier S. 113. Ebd. 160 Ebd., S. 81f.

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6. Gleichgewicht

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stellt hat, und höchst wahrscheinlich keiner eine aufstellen wird, die an undfür sich, und in ihrer Beziehung auf die wesentlichen Bedingungen der bürgerlichen Wohlfahrth, einen einleuchtenden und überwiegenden Vorzug verdiente"161 sei eine gemischte Verfassung nach dem reinen Staatsrecht nicht schlechter und nicht besser als eine einfache, aber die größte Wahrscheinlichkeit der Zweckerfüllung habe in dieser Hinsicht eine gemischte Verfassung mit einem System der Wechselwirkung für sich. Die Trennung von Regierung und Gesetzgebung, verknüpft mit der Bindung der Regierung an die Gesetze als Richtlinie und der Bindung des Gesetzgebers an das Vetorecht der Regierung, böten die beste Gewähr für die Umsetzung der Theorie der Wechselwirkung,162 wie an der englischen Verfassungspraxis exemplarisch gezeigt werden könne. Dieses Lob der englischen Verfassungsordnung paßt gut zu seiner erklärten Anglophilie, schon weniger gut zu den mitteleuropäischen Verfassungsordnungen seiner Zeit. Es wäre ein Übermaß an Glättung, würde ich verschweigen, daß Gentz keineswegs immer zu den Befürwortem innenpolitischer Machtgleichgewichte zu zählen ist. An dieser Stelle, so nah an den praktischen Streitfragen der zeitgenössischen Publizistik, schwankt Gentz stark und macht so die Grenzen einer nachträglichen Systematik deutlich. Hinter seinen Stellungnahmen gegen gemischte Verfassungen steht dabei letztlich die alle anderen Überlegungen deklassierende Sorge um die Rechtssicherheit, die ihm nur ein starker Souverän garantiere. Die Einheit der Macht begünstige den Schutz der Gesetze. "Die Sicherheit der Bürger eines Staates beruht auf der Einheit seiner Gesetzgebung und seiner Verwaltung. "163

\6\ Friedrich Gentz, Ueber die Natur und den Werth der gemischten Staatsverfassungen, in: HistJ 1/1, S. 487-498, hier S. 498. \62 Gentz, Darstellung und Vergleichung, S. 114-135. \63 Gentz, Fragmente, S. 5. 1809 fonnulierte Gentz sein Bekenntnis zum vorrevolutionären, "immer mehr und mehr von Schlackengereinigte[n) System der monarchischen Einheit" (Friedrich Gentz, Gegen Montesquieu, in: Aus dem Nachlasse I, S. 265-269, hier S. 266) in Auseinandersetzung mit Montesquieus Gewaltenteilungskonzept. 1826 wurde Gentz dann noch deutlicher: "Dagegen ist das einzige System, welches - im Gegensatz mit dem der Trennung, der Theilung, und des eingebildeten Gleichgewichtes - die Macht des Regenten mit der Festigkeit des Thrones und dem allgemeinen Interesse der Völker zu verbinden vennag - das der gesetzmäßig organisirten Einheit, in welchem der Regent das wahre und wesentliche Oberhaupt des Staates in allen Verhältnissen und Functionen des Regierens bleibt - die Ausübung gewisser Functionen aber durch Grondgesetze und Grondeinrichtungen (die man in unsern Tagen mit dem Namen der Institutionen bezeichnet) nicht sowohl beschränkt, als regulirt und an bestimmte Formen gebunden ist." (Friedrich Gentz, [Notizen zu:) Essai sur I'etablissement monarchique de Louis XIV., in: Aus dem Nachlasse I, S. 255ff., hier S. 257). Die Vorstellung einer institutionellen Regelung der Machtausabung (durch Monarch, Staatsministerium und Ständeversammlungen) gehört in den Zusammenhang von Gentz' Stellungnahme gegen Repräsentativverfassungenab 1818/19 (dazu Kap. XI.2.).

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III. Politische Theorie

Auch im zwischenstaatlichen Verhältnis sieht Gentz im Ausgleich widerstreitender Machtanspriiche das zentrale politische Problem. Aber anders als im innerstaatlichen Bereich. fehle eine durch den Souverän garantierte Rechtsordnung. Weder die Isolierung der Staaten gegeneinander, noch die Verschmelzung zum Universal staat hält Gentz für brauchbare Mittel der Friedenssicherung, und eine europäische oder weltumspannende Föderativordnung sei ohne Chancen, durchgesetzt zu werden. "In dem die Natur diesen Universal = Vertrag durch die Schranken der menschlichen Kräfte unmöglich machte" , umzog sie "das Gebiet des Rechtes mit Gränzen, die allenfalls weiter hinausgeriickt, aber nie ganz aufgehoben werden können. "164 Bestand vor dem Urteil historischer Erfahrung habe allein das System des politischen Gleichgewichts, "diejenige Verfassung neben einander bestehender und mehr oder weniger mit einander verbundner Staaten, vermöge deren keiner unter ihnen die Unabhängigkeit oder die wesentlichen Rechte eines andern, ohne wirksamen Widerstand von irgend einer Seite, und folglich ohne Gefahr für sich selbst, beschädigen kann. "165 Dieses System sei nicht nur "jederzeit der Leitstern der bessern Staatsmänner", sondern dariiberhinaus sei die "Politik, im engem Sinne des Wortes, ist eigentlich die Wissenschaft, und, wenn sie praktisch wird, die Kunst, dieses System zu behaupten und zu vervollkommnen. "166 Dieser Aufgabe gerecht zu werden, erfordere griindliches Wissen über die politische und sozioökonomische Struktur der Akteure, der Staaten also und der Staatsmänner, Instinkt und Urteilskraft und "ein tiefes Studium des menschlichen Gemüths in seinen verborgensten Triebfedern. "167 So betont Gentz die Würde politischer Klugheit und weist gleichzeitig die Friedenskonzeptionen von Fichte und Rousseau, vor allem aber Kants als wirklichkeitsfremd zuriick. l68 7. Ergebnisse Der Versuch einer Rekonstruktion des theoretischen Gehalts von Gentz' Schriften ergibt, daß sich zumindest für die Berliner Zeit ein Zusammenhang von Teilelementen einer politischen Theorie von einer gewissen systematischen Kohärenz und thematischen Spannbreite herausarbeiten läßt. Die naturrecht-

'64 Gentz, Ewiger Frieden, HistJ 11/3, S. 774. '"' Gentz, Fragmente, S. 1. '66 Gentz, Ewiger Frieden, HistJ 11/3, S. 76i. '67 Ebd., S. 762. - Zum geforderten Wissenskanon vgl. z.B. Gottfried Achenwall, Staatsverfassung der Europäischen Reiche im Grundrisse, Göttingen 1752, S. 1-33. '6' Gentz, Ewiger Frieden, HistJ 1113, S. 740-754.

7. Ergebnisse

79

liche Vertrags lehre hat sich dabei als derjenige Abschnitt des Reflexionszusammenhangs erwiesen, der auf dem höchsten Abstraktionsniveau angesiedelt ist. Die konkreter gefaßten Überlegungen zu innen- und außenpolitischen BalancePrinzipien bauen im wesentlichen auf der anthropologisch-geschichtsphilosophischen Basis auf, mit der Gentz ein Ausgleichskonzept mit universalhistorischer Note begründet. 169 Zur dogmengeschichtlichen Einordnung gehört neben der Darstellung des Ideengebäudes die Berücksichtigung der überlieferten oder zeitgenössischen politischen Theorie. An dieser Stelle ist dabei nicht die Frage der Rezeption von Bedeutung, sondern nur die des - wie auch immer veranlaßten - Standorts in der Theorie-Palette. Dabei hat sich gezeigt, daß Gentz in seiner Vertragslehre eudämonistische Ansätze verwirft und in weiten Bereichen der Rechtslehre die Position Kants vertritt, daß er aber die Reichweite des auf den Pflichtbegriff gegründeten Reinen Staatsrechts auf den Nachweis der Notwendigkeit durch Sanktionsgewalt garantierter Rechtssicherheit beschränkt, ohne sich mit Kants Republikanismus-Prinzip ernsthaft auseinanderzusetzen. 170 In der Eingrenzung der abwehrrechtlichen Konsequenz des Vertrags gedankens nimmt Gentz die Vorstellungen des älteren deutschen Naturrechts wieder auf. Die Hinwendung zu einer empirisch orientierten, erweiterten politischen Theorie findet sich in ähnlicher Weise auch bei Rehberg und Garve und spiegelt die Differenz zu Kants Philosophie. Die Theorie des gesellschaftlichen Fortschritts mitsamt ihrer anthropologischen Begründung erinnert an die angloschottische Moralphilosophie allgemein und an Adam Smith im besonderen. Die Bedeutung, die Natur und Geschichte als Maß politischen Urteils haben, hat bei Burke deutliche Parallelen. Verfassungspolitische und außenpolitische Gleichgewichtskonzeptionen gehören zu den Grundmustern neuzeitlicher politischer Theorie. 171 Rekonstruktion und Vergleich ergeben zusammen genommen das Bild eines Eklektizismus, der sich im Rahmen des Theorie-Angebots der Aufklärung

169 Vgl. Johann Albrecht von Ramzau, Friedrich Gentz und die Politik, in: MIÖG 43(1929), S. 77-112 und F.M. Reifferscheidl, Friedrich von Gentz oder das Ideal der Mitte, in: Deutsche Beiträge 1(\946), S. 38-51,438-457. 170 Dazu Kap. XII.4. Vgl. Volker Gerhardt, Die republikanische Verfassung. Kants Staatstheorie vor dem Hintergrund der Französischen Revolution, in: Deutscher Idealismus und Französische Revolution, Trier 1988, S. 24-48. 171 Zum außenpolitischen Gleichgewicht allgemein E. Kaeber, Die Idee des europäischen Gleichgewichts in der publizistischen Literatur vorn 16. bis Mitte des 18. Jahrhunderts, Berlin 1907, ND Hildesheim 1971 und Carsten Holbraad, The Concert of Europe: A Study in Gerrnan and British International Theory. 1815-1914, London u.a. 1970.

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III. Politische Theorie

bewegt. Die innere Geschlossenheit von Gentz' politischer Theorie würde sich noch weiter auflösen, wenn auch die Schriften der Wiener Zeit gleichgewichtig herangezogen würden. Das Einfrieren des Gentzschen Werkes auf dem Stand vom Anfang des 19. Jahrhunderts habe ich bereits oben mit dem Hinweis auf die in der Zeit nach 1800 abnehmende Präsenz abstrakter politischer Reflexion in Gentz' Schriften begründet. Auch wo sich Gentz später mit Autoren wie Adam Müller oder Joseph de Maistre voll Enthusiasmus beschäftigt, bleibt es bei einer bloß sporadischen Auseinandersetzung, die nie in eigene, größere theoretische Arbeiten umgesetzt wird. Gentz fügt seinen frühen Schriften in dieser Hinsicht kaum mehr etwas hinzu, was allerdings auch aus den Prämissen seiner eigenen Theorie resultiert, die insbesondere rechtsphilosophische Fragestellungen abschließend behandeln will. 172 Die Elemente und Strukturrnerkmale von Gentz' politischer Theorie bilden nicht nur im Fortgang der Untersuchung in den Feldern der schriftstellerischen Tätigkeit von Gentz mit ihrer Themenvielfalt einen wichtigen Bezugspunkt, sie lassen auch eine differenzierte Bewertung der Rolle von Gentz in der Geschichte der politischen Theorien zu. Entscheidend aber ist, daß sich auch das politische Engagement mit den Mitteln des Schriftstellers bei Gentz dem Gesamtzusammenhang seiner politischen Theorie zuordnen läßt. Die schon im Menschen- und Geschichtsbild von Gentz angelegten Gleichgewichtsvorstellungen bilden auch die Legitimation für den Versuch des politischen Schriftstellers, durch Überredung Politik zu machen. Wo sich die Partei der Erhaltung und die der Erneuerung als notwendige Träger wie Resultate des geschichtlichen Wandels gegenüberstehen, bleibt Raum für eine Debatte, in der nicht um absolute Wahrheiten, sondern um relative Richtigkeiten gerungen wird. Der Rückbezug der eigenen Position auf einen alle Positionen prinzipiell relativierenden universalhistorischen Prozeß, psychologisch abgestützt durch das Vertrauen in die Weisheit, die in der Natur waltet,173 verleiht auch der Rhetorik eine theoretische Begründung. Ein weiteres Charakteristikum von Gentz' politischer Theorie ist die Betonung der Komplexität einer praxisrelevanten Staatswissenschaft. Ohne breites Bücherwissen, vor allem aber ohne eine genaue Kenntnis der Praxis politischer Entscheidungsfindung ist solche Kompetenz nicht zu erwerben. Unter den zeitgenössischen sozialen Bedingungen, geprägt von den durch Abgrenzung bestimmten "Strukturen sozialer Ungleichheit" 174, die Gentz immer wieder verteidigt, ist eine so verfaßte Staatswissenschaft immer die Sache einer klei-

172 111

"4

Vgl. dazu z.B. Gentz, Kant's Rechtslehre, S. 293f. Vgl. dazu z.B. Gentz, Ewiger Frieden, HistJ 11/3, S. 125-\33. Weh/er I, S. 125-133.

7. Ergebnisse

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nen Elite. Die Exklusivität ist dort am größten, wo der traditionelle Arkanbereich der Regierung sich am längsten hält, auf dem Gebiet der Außenpolitik, die für Gentz seit etwa 1800, den Zeitumständen und seiner Biographie entsprechend, immer mehr zur eigentlichen Politik wird. 175 Die ungleiche Verteilung des für die Urteilsfähigkeit erforderlichen Wissens und die sich sozial verbreiternden und funktional differenzierter werdenden Wege politischer Partizipation geben der politischen Schriftstellerei die Aufgabe einer bewußt nach Adressaten gestaffelten und begrenzten Aufklärung. Die Perfektabilität der Menschheit bleibt immer an die wachsende Einsicht in den Pflichtbegriff .als Fundament der Sittlichkeit gebunden und auf Charakterbildung durch Erziehung angewiesen. Aufklärung über Politik setzt mithin ein aufgeklärtes Publikum voraus - und bleibt deshalb limitiert. 176

Gentz, Ewiger Frieden, HistJ 1113, S. 761. Zur Beziehung von Aufklärung und Absolutismus: "Der aufgekärte Absolutismus geht von der Differenz zwischen Wissenden und Unwissenden aus, aber Aufklärung ist an sich auf Aufhebung dieser Differenz ausgerichtet." (Wemer Schneiders, Die Philosophie des aufgeklärten Absolutismus. Zum Verhältnis von Philosophie und Politik, nicht nur im 18. Jahrhundert, in: Der Staat 24(1985), S. 383-406, hier S. 404). - Zur Bedeutung der Erziehung Gentz, Ewiger Frieden, HistJ, S. 778f. und ders., Gang der öffentlichen Meinung, HistJ I/I, S. 31. Gentz' Kritik an den Revolutionären in Frankreich, die die naturgemäß sozial abgestuften und allmählichen Möglichkeiten der Erziehung zur Politikfähigkeit nicht ausreichend berücksichtigt hätten, in Gentz, Burke Abhandlungen, S. 275-284. 175

176

6 Kronenbitter

IV. Exkurs: Deutscher Frühkonservativismus Friedrich Gentz gehört zur Geschichte des Konservativismus in Deutschland - als Vermittler Burkes und Förderer Adam Müllers, als Propagandist des Kampfes gegen die Französische Revolution und gegen Napoleon, als Berater und Sprachrohr Metternichs. 1 Zu einer Zeit, in der sich der Begriff "Konservativer" in Deutschland noch nicht eingebürgert hatte, nannte sich Gentz selbst unmißverständlich einen "Vertheidiger des Alten "2, er war also ein Konservativer avant la lettre. 3 Diese Einordnung Gentz' in das entstehende Spektrum politischer Strömungen4 scheint problemlos und befriedigend, wenn die Schwierigkeiten einer Bestimmung des Konservativismusbegriffs, die für die Politische Ideengeschichte heuristischen Nutzen haben soll, vernachlässigt werden. Die Konservativismusliteratur ist aber gerade durch die fortdauernde Auseinandersetzung um die zeitliche und inhaltliche Abgrenzung ihres Gegenstandes geprägt. 5 Diese Forschungsdiskussion ist hier nur insoweit von Belang,

I Z.B. in neueren Arbeiten zum deutschen Konservativismus bei Panajotis Kondylis, Konservativismus. Geschichtlicher Gehalt und Untergang, Stuttgart 1986, S. 281-291 u.ö., Wilhelm Ribhegge, Konservative Politik in Deutschland. Von der Französischen Revolution bis zur Gegenwart, Darmstadt 1989, S. 54ff., Kurt Lenk, Deutscher Konservativismus, FrankfurtlMain 1989, S. 71 f. - Zusammenfassend Puhle: "Die Bedeutung seines Werkes ([ ... ]) im Kontext friihkonservativen Denkens liegt vor allem in seinem ständigen - [ ... ] - Bemühen, die restaurative Politik Mettemichs und der heiligen Allianz ideologisch zu rechtfertigen und daraus kohärente Grundsätze politischen Handeins mit dem Ziel der Bewahrung des Status quo und der Verteidigung gegen den vordringenden Liberalismus abzuleiten, sowie in einer spezifischen, für die deutsche Rezeption lange Zeit bestimmenden konservativen Interpretation Burkes und der englischen Verfassung und darin, daß Gentz einer der wichtigsten Förderer Adam Müllers gewesen ist." (Hans-Jürgen Puhle, Die Anfänge des politischen Konservativismus in Deutschland, in: Iring FetscherlHerfried Münkler (Hrsg.), Pipers Handbuch der politischen Ideen. Band 4. Neuzeit: Von der Französischen Revolution bis zum europäischen Nationalismus, München u.a. 1986, S. 255-268, hier S. 259). 2 Gentz an Amalie von Helvig im Oktober 1827, in Schriften V, S. 320. - Zur Begriffsgeschichte des Konservativismus Rudoif Vierhaus, Art. Konservativ, Konservatismus, in: Geschichtliche Grundbegriffe III, S. 531-564. 3 Zu Gentz' Lebzeiten wurde der Begriff geprägt und auch Gentz kannte ihn von Chateaubriand (Vierhaus, Konservativ, S. 540), aber in Deutschland setzte sich der Terminus erst im Vormärz durch (ebd., S. 540-555). • Nach Fritz Valjavec, Die Entstehung der politischen Strömungen in Deutschland. 1770-1815. Mit einem_Nachwort von Jörn Garber, (ND) Kronbergrrs. 1978, S. 4-12. > Zur die Diskussion in Deutschland vgl.: Hans-Christo! Kraus, Konservativismus im Widerstreit. Zur neueren Literatur über seine Geschichte und Theorie, in: Der Staat 28(1989), S. 225249; Klaus Fritzsche, Konservativismus im ge&ellschaftlich-geschichtlichen Prozess (I), in: NPL

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wie sich die verschiedenen Erklärungsansätze auf die Situation in Deutschland um 1800 beziehen lassen. Das Deutungsmuster für den Konservativismus, das Samuel Huntington vorgeschlagen hat, stellt dabei einen Ausgangspunkt von großer Plausibilität dar. Huntington unterscheidet eine aristokratische, eine autonome und eine situationsspezifische Definition konservativer politischer Theorie, 6 die den Konservativismus als Ideologie einer feudal-aristokratischen Reaktion gegen Französische Revolution und Liberalismus, als universale Wertordnung oder als "ideology arising out of a distinct but recurring type of historical situation in which a fundamental challenge is directed at established institutions and in which the supporters of those institutions employ the conservative ideology in their defense"7 erklären. Als überzeitliches Normengefüge kann der Konservativismus nicht Gegenstand ideengeschichtlicher Untersuchungen sein, als bloße Abwehrideologie bedrohter Feudaleliten wäre er eine recht unergiebige Zutat zur Sozialgeschichte. Der situationsspezifische Ansatz gilt daher schon Huntington als der angemessenste. 8 Das forschungspraktische Problem, dem Phänomen "Konservativismus" einen zeitlichen Rahmen zu setzen, insbesondere die Schwierigkeit, einen Anfang zu bestimmen, läßt sich lösen, wenn die von Kar! Mannheim 1927 eingeführte Unterscheidung eines zeitlich und räumlich unspezifischen, unreflektierten Traditionalismus und eines historisch verorteten, bewußten Konservativismus aufgegriffen wird. 9 So gefaßt, wird der situationsspezifische Ansatz operationalisierbar für Arbeiten zur politischen Ideengeschichte der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts,1O ohne deswegen spätere Erscheinungsformen konservativer politischer Programmatik begrifflich ausgrenzen zu müssen.

24(\ 979), S. 1-23; Lenk, S. \3-29; Hans-Gerd Schumann (Hrsg.), Konservativismus, Königsteinrrs. 1984; Kurt Schmitz, Konservativismus - eine ideengeschichtliche Nostalgie?, in: Archiv für Sozialgeschichte 25(\ 975), S. 536-546. • Samuef P. Huntington, Conservativism as an Ideology, in: American Political Science Review 51(\957), S. 454-473, hier bes. S. 454ff. 7 Ebd., S. 455. • Ebd., S. 473. • Karf Mannheim, Das konservative Denken. Soziologische Beiträge zum Werden des politischhistorischen Denkens in Deutschland, in: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik 57(\ 927), S. 68-147,490-495. 10 Z.B. Johannes Burkhardl, Die Anfänge des europäischen Konservativismus. Frühkonservative Argumentationsformen in der päpstlichen Diplomatie der Ära Torrigiani (1758-1769), in: Harald Dickerhof (Hrsg.). Festgabe. Heinz Hürten zum 60. Geburtstag, Frankfurt am Main u.a. 1988, S. 335-357. 6'

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Der in jüngster Zeit wohl interessanteste Versuch, den Konservativismus im Widerspruch zu Huntington und Mannheim zu definieren, kommt von Panajotis Kondylis. Kondylis erklärt den Konservativismus als "Herrschafts- und Legitimationsideologie der societas civilis. "11 Kennzeichnend für die neuzeitliche societas civilis wäre ihre monistische "(wegen des Fehlens eines qualitativen Unterschiedes zwischen Regierungsgewalt und sozialem Körper, Politischem und Sozialem, Öffentlichem und Privatem)" und zugleich polyzentrische "(wegen des Aufbaus des sozialen Ganzen auf der Grundlage von autonomen Oikoi und Korporationen)"12 Struktur. Kern der konservativen Ideologie zur Verteidigung der societas civilis sei das Festhalten am mittelalterlichen Rechtsbegriff und die Ablehnung der modemen Souveränitätslehre: "Das Recht wird nicht gemacht und läßt sich überhaupt nicht machen, es ist einfach: so lautet, auf die kürzeste Formel gebracht, die Rechtsauffassung der societas civilis, von der sich konservatives Denken während seiner ganzen Geschichte hauptsächlich genährt hat und mit der es gestorben ist. ,,\3 Sozialer Träger des Konservativismus sei die alteuropäische Herrschaftselite, der Adel, mit dessen Anpassung an die modemen sozioökonomischen Strukturen auch die Ideologie der societas civilis sterbe. 14 Die Stärke des Ansatzes von Kondylis und zugleich der Grund dafür, daß ich sie hier ausführlich darstelle, ist die überzeugende Erklärung für den Wechsel des politischen Gegners, gegen den sich der Konservativismus richtet: vor der Französischen Revolution gilt der Kampf der monarchischen, danach der Volkssouveränität. Auch die feste soziale Zurechnung des Konservativismus erweckt Vertrauen. Andererseits aber wird der ideengeschichtliche Ort des Konservativismus so weit in die Neuzeit vorverlagert, daß der begriffsgeschichtliche Befund geradezu verdreht werden muß. 15 Auch wenn die Einwände gegen den heutigen Wortgebrauch in der politischen Debatte viel für sich haben, zeigt die zeitliche Limitierung des Konservativismus bei Kondylis eine Schwäche seiner Argumentation: die Benennung des von ihm beschriebenen Phänomens ist zu willkürlich. 16

Kondytis, Konservativismus. Geschichtlicher Gehalt, S. 16. Ebd., S. 282f. \3 Ebd., S. 65. \4 Ebd., S. 387-432. 15 Ebd., S. 27f. 16 Ebd., S. 29-61. Kondylis' Resümee (ebd., S. 507): "Der Konservativismus als konkrete geschichtliche Erscheinung, die von einer fest umrissenen Ideologie begleitet wurde, ist längst tot und begraben. Es ist einfach unsinnig, zeitgenössische westliche Programme, Parteien oder Regierungen als konservativ zu bezeichnen, die sich dem technologischen Fortschritt, der sozialen Mobilität und somit dem neuzeitlichen Grundsatz von der Machbarkeit der Welt verschrieben haben [ ... )." 11

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Deshalb schließe ich mich der (zumindest bisher) gängigen Auffassung vom situationsspezifischen Auftreten des Konservativismus als ihrer selbst bewußten Richtung politischen Denkens, die auf den Erhalt bestehender sozioökonomischer und politischer Strukturen und Wertordnungen zielt, und von der Entstehung des Konservativismus als Gegenideologie zur radikalen Aufklärung und zur Französischen Revolution, an. 17 So bleibt der Konservativismusbegriff zur Gegenwart hin offen, ohne die historische Bedingtheit der Entstehung des Konservativismus in Abrede zu stellen. Wichtig ist der Bezug des Begriffs zur Dichotomie von progressiv/konservativ und damit auf ein auf "dem formalen Verhältnis zu Zeit und Geschichte"18 beruhenden Ordnungsprinzip, "das die politische Meinung nach der bevorzugten Blickrichtung in der Zeit zu bestimmen sucht. "19 Dieses Ordnungsprinzip ist selbst nicht zeitenthoben, sondern hat seine Wurzel in der historischen Situation, "ist keineswegs ein politisches Universal, keine immergültige Gegebenheit intentionalen Handelns "20 , sondern entspringt der Auflösung der "Rückbindung geschichtlicher Abläufe"21 an naturale oder religiöse Bestimmungen in einem "Zeitigungsprozeß, dessen Subjekt oder Subjekte nur in der Reflexion auf den Prozeß determinierbar"22 sind. Mit Reinhart Koselleck gehe ich davon aus, daß der Bruch der geschichtlichen Kontinuität, die die Anwendbarkeit aus der Vergangenheit gewonnener Erfahrung für die Orientierung zukünftigen Handeins gewährleistete, die Freisetzung nicht terminierbarer Zukunftserwartung ermöglichte. "Der 'Fortschritt' ist der erste genuin geschichtliche Begriff, der die zeitliche Differenz zwischen Erfahrung und Erwartung auf einen einzigen Begriff gebracht hat. Immer ging es darum, Erfahrungen zu bewältigen, die sich nicht mehr aus den bisherigen Erfahrungen ableiten ließen, und demgemäß Erwartungen zu formulieren, die bisher noch nicht gehegt werden konnten.'023 Im Geschichtsver-

11 Dazu: Valjavec, S. 255-327; Lenk, S. 57-61; Klaus Epstein, Die Urspriinge des Konservativismus in Deutschland. Der Ausgangspunkt: Die Herausforderung durch die Französische Revolution 1770-1806, Frankfurt/Main u.a. 1973, S. 14-\04,502-582. " Burkhardt, Anfänge, S. 335. " Ebd. 20 Ebd. - Vgl. auch HemJann von der Dunk, Zum Problem der Begriffe "konservativ" und "progressiv", in: Ralph Melville/Klaus Scharf u.a. (Hrsg.), Deutschland und Europa in der Neuzeit. Festschrift für Karl Otmar Freiherr von Aretin zum 65. Geburtstag, Stuttgart 1988, S. 326, hier bes. S. 3-6. 21 Reinhan Kosel/eck, Geschichte, Geschichten und formale Zeitstrukturen, in: ders., Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, S. 130-143, hier S. 142. 22 Ebd., S. 143. 23 Kosel/eck, Erfahrungsraum, S. 366f. Vgl. auch ders., 'Neuzeit'. Zur Semantik moderner Bewegungsbegriffe, in: ders., Vergangene Zukunft, S. 300-348.

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ständnis der Spätaufklärung und dann unter dem Eindruck des alle Erwartungen sprengenden Wandels in der Französischen Revolution setzt sich das neue Bild des historischen Prozesses durch. Der Traditionalismus geht über in den Konservativismus. 24 Ob als abwehrende Reaktion oder "gleichursprünglich"25 mit der rationalistischen Aufklärung - der Konservativismus entsteht im späten 18. Jahrhundert. Die vor der Französischen Revolution liegenden Ansätze politischer Strömungen26 bekommen durch die Ereignisse in Frankreich auch in Deutschland einen neuen und starken Impuls. 27 Die Phase des Frühkonservativismus der Jahre nach 1789 steht noch im Zeichen der Pluralität von Argumentationsweisen, die nur selten von einem Interesse an Systematisierurtg begleitet scheinen. Fragen, die von der Revolution auf die Tagesordnung der politischen Debatte gesetzt werden, bilden die wichtigsten Gegenstände. Die Ablehnung der Französischen Revolution gibt das wichtigste Kriterium für die Zurechnung einzelner Autoren zum Frühkonservativismus ab. 28 Der Frühkonservativismus, aufgefaßt als Abwehr der Revolution, ist zwar relativ leicht abgrenzbar von radikalen Strömungen, die für Deutschland typische Abwendung der Schriftsteller von der Revolution ab 1792/93 führt aber zu dem Ergebnis, daß zunächst kaum einer, später aber um so mehr Autoren dem Konservativismus zuzurechnen sind. Die politische Mittellage, der gemäßigte Frühliberalismus, ist bei einer solchen Definition vom Frühkon-

24 Die konservative Hypostase des Gegensatzes von "konservativ" und ·progressiv" z.B. bei Kaltenbrunner, für den beide, "wie Systole und Diastole, zu den Konstituenten der menschlichen Geschichte" zählen (Gerd-Klaus Kalzenbrunner, Der schwierige Konservativismus. DefinitionenTheorien - Portraits, Herford u.a. 1975, S. 10), fallt hinter diesen Erkenntnisstand zuriick. Vgl. dazu aber Hans Bar/h, Der konservative Gedanke, Stuttgart 1958, S. 6 und Dunk, S. 3. " Martin Greiffenhagen, Das Dilemma des Konservativismus in Deutschland, München 1971, S. 22; zu der konservativem Selbstverständnis entsprechenden Beurteilung als Abwehrreaktion Bar/h, Konservativer Gedanke, S. 6. Ui Vgl.: Valjavec, S. 13-145, 255-302; Epstein, S. 277-344; Rudolf Vierhaus, Politisches Bewußtsein in Deutschland vor 1789, in: Helmut Berding/Hans-Peter Ullmann (Hrsg.), Deutschland zwischen Revolution und Restauration, Kronbergrrs. u.a. 1981, S. 161-183. 27 Vgl.: Helmut Reinalrer, Von der Aufklärung zum friihen Liberalismus, Sozialismus und Konservativismus. Zur historischen Entwicklung des Ideologiebegriffs und zu den Anfängen ideologisch-politischer "Strömungen", in: Anton Pelinka (Hrsg.), Ideologien im Bezugsfeld von Geschichte und Gesellschaft, Innsbruck 1981, S. 63-78; Jöm Garber, Nachwort, in: Valjavec, S. 543-592. 2. "Wer das Recht au/Revolution und das Recht der Revolution zuriickweist, gilt als ein Konservativer." (Jöm Garber, Vorwort, in: ders. (Hrsg.), Kritik der Revolution. Theorien des deutschen Friihkonservativismus 1790-1810. Bd. 1: Dokumentation, Kronbergrrs. 1976, S. VIIXV, hier S. XI).

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servatIvlsmus nicht immer klar von diesem zu trennen. Dementsprechend bedarf es einer Differenzierung des FTÜhkonservativismus. Die von Klaus Epstein eingeführte Typologie konservativen Verhaltens teilt ein in status quoKonservative, Reformkonservative und Reaktionäre und geht von der Stellung zur politischen Praxis aus. 29 Theorieinterne Unterschiede werden von diesem Schema nicht ausreichend erfaßt. Die mobilisierende Wirkung der Revolutionserfahrung für den FTÜhkonservativismus steht außer Frage,JO aber gerade die so entstandene Theorienvielfalt verlangt nach Gliederungsmöglichkeiten. Besonders anregend ist Jöm Garbers Versuch einer Typologie fTÜhkonservativer Theoriemodelle; deren Ausgangspunkt ist die Beobachtung, daß ein beträchtlicher Teil der antirevolutionären Schriften in Deutschland aus der letzten Dekade des 18. Jahrhunderts ganz offensichtlich stark von der Tradition des aufklärerischen Rationalismus geprägt ist. 31 "Dem 'rationalen Konservativismus' sind im Unterschied zur historisch-romantischen Restaurationsbewegung alle jene Theoretiker zuzurechnen, die entweder die alte Ständegesellschaft als einen vernunftbestimmten, arbeitsteiligen (gesellschaftlichen) Funktionsmechanismus deuten oder aber in Anlehnung an das ältere Vernunftrecht den 'Staat' als autonomen Souveränitätsträger verteidigen. dessen Legitimität auf dem doppelten Vertragsverhältnis ('pactum unionis et subjectionis') zwischen 'Untertanen' und 'Regenten' beruht. Beide Positionen basieren auf einer statischen Definition gesellschaftlicher Rationalität, die sich jeglicher Form des gesellschaftlichen Wandels von 'unten' entzieht. Veränderungen sind nur durch einen freiwilligen Verzicht priviligierter Gruppen auf tradierte Rechte oder über die politische Dezision des Monarchen möglich. Von diesen beiden alternativen Möglichkeiten läßt sich ein drittes sozialphilosophisches Interpretationsmodell abheben, das den in der Revolution aufbrechenden Gegensatz zwischen 'Vernunft' und 'Geschichte' durch einen evolutionären Konservatismus aufzuheben sucht, den man in Anlehnung an Klaus Epstein als 'Reformkonservatismus' bezeichnen könnte. "32

Epstein, S. 19-24. Dazu z.B. Günter Lottes, Die Französische Revolution und der moderne politische Konservativismus, in: RolfReichardt/Eberhard Schmitt (Hrsg.), Die Französische Revolution als Bruch des gesellschaftlichen Bewußtseins, München 1988, S. 609-629. Vgl. auch: ders., Das revolutionäre Frankreich als Trauma der deutschen Konservativen. Zur Verschränkung von Wahrnehmungsprozessen und politiktheoretischen Diskussionen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: Hans Jürgen Lüsebrink/Janos Riesz (Hrsg.), Feindbild und Faszination. Vermittlerfiguren und Wahrnehmungsprozesse in den deutsch-französischen Kulturbeziehungen (1789-1983), Frankfurt am Main u.a. 1984, S. 13-24; Hennann Klenner, Frankreichs Revolution und Deutschlands Konservativismus, in: Die Französische Revolution 1789-1989. Revolutionstheorie heute. Marxistische Studien.lahrbuch des MSF 14(1988), S. 394-404. 31 Jöm Garber, Drei Theoriemodelle frühkonservativer Revolutionsabwehr. Altständischer Funktionalismus, Spätabsolutistisches Vernunftrecht, Evolutionärer "Historismus", in: Jahrbuch des Instituts fiir deutsche Geschichte [Tel Aviv] 8(1979), S. 65-101, hier S. 67. 32 Ebd., S. 71. 29

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Garber gelingt hier m.E. die Verbindung politischer und theoretischer Momente des frühkonservativen Rationalismus. Ohne den praktischen Aspekt konservativer Theorie nach der Französischen Revolution, die Verteidigung der ständischen Gesellschaftsordnung,33 auszuklammern, wird die Eigendynamik der theoretischen Fundierung nicht vernachlässigt. Gentz' Schriften aus der Berliner Zeit, deren theoretischer Gehalt bereits oben untersucht wurde, lassen sich ohne Mühe diesem rationalen Konservativismus zuordnen. Die naturrechtliche Begründung des Staates und die daran anschließende Definition von Freiheit und Gleichheit bei Gentz weisen die Merkmale des spätabsolutistischen Vernunftrechts auf, während die auf einem "historischen Entwicklungsbegriff, dessen methodische Ursprungsart nachaufklärerisch ist"34, aufbauende Sozialphilosophie des evolutionären Konservativismus sich bei Gentz ebenfalls finden läßt. 35 Weder im einen, noch im anderen Falle ist Gentz der entscheidende Wegbereiter konservativer Theoriebildung. Dem evolutionären Konservativismus, der gegenüber der Aufklärung den größten Innovationsschub für frühkonservatives politisches Denken beinhaltet, wird eher Rehberg denn Gentz als Repräsentant zugeordnet. 36 Der Gemengelage theoretischer Modelle entspricht bei Gentz das Schwanken der politischen Zielrichtung. Festhalten am status quo und vorsichtige Reformbereitschaft finden sich bei Gentz in der Frühphase seines schriftstellerischen Werkes mit wechselnden Akzenten. Solchermaßen etwas aufgefächert, paßt die Bezeichnung "rationaler Konservativismus" gut auf Gentz' Schriften. Damit fällt Gentz aus dem Rahmen, den Martin Greiffenhagen setzt, wenn er als das Charakteristikum des deutschen Konservativismus dessen Herkunft aus der Romantik betont. 3? Seine oft kantianisch-naturrechtlichen Deduktionen sind nicht nur auf dem geistesgeschichtlichen Boden der Aufklärung aufgebaut, sondern selbst auf weite Strekken hin vom Rationalismus geprägt. 38 Trotzdem ist das Verhältnis von Konservativismus und politischer Romantik für die Einordnung von Gentz in die Geschichte politischer Strömungen in Deutschland bedeutsam, denn bekanntlich war Gentz in Wien der lange Jahre hindurch restlos begeisterte Bewunderer

33 Hans-Wolf Jäger, Zur Verteidigung des Adels im deutschen Friihkonservatismus (17901800), in: Peter Uwe Hohendahl/Paul Michael Lützeler (Hrsg.), Legitimationskrisen des deutschen Adels 1200-1900, Stuttgart 1979, S. 177-196. 34 Garber, Theoriemodelle, S. 101. 35 Ebd., S. 80-101. 36 Ebd., S. 100f.; Zwi Batscha, Einleitung, in: ders., Studien zur politischen Theorie des deutschen Friih1iberalismus, Frankfurt 1971, S. 7-42, hier S. 8f. 37 Martin Greiffenhagen, Das Dilemma des Konservatismus in Deutschland, München 1971, S.19. 31 Das geht über Greiffenhagens These weit hinaus: "Alle Konservativen argumentieren auf dem Boden der Aufklärung gegen sie." (Greiffenhagen, S. 353).

rv.

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und Förderer von Adam Müller, der selbst als einer der wichtigsten Vertreter der politischen Romantik gelten kann. 39 "Der wahre Konservative ist deJjenige, der sich Romantik, ja selbst Begeisterung am wenigsten leistet und ihrer auch nicht bedarf. "40 Diese auf Rivarol bezogene Charakterisierung des Konservativen aus der Feder Ernst Jüngers wirkt wie ein Resümee des wohl streitbarsten und umstrittensten deutschen Beitrags zur Diskussion um die politische Romantik, geschrieben von Carl Schmitt. 41 In seiner heftigen Attacke gegen Adam Müller trennt Schmitt politische Romantik und Konservativismus scharf. Dem "subjektivierte[n] Occasionalismus"42 der Romantik, der jede Norm negiere und jede politische Entscheidung scheue, stehe der an das historische Recht gebundene Konservativismus fremd gegenüber. Schmitt nimmt Gentz gegen Müller daher in Schutz. "Seine Freundschaft mit Adam Müller ist ein besonderer, psychologischer Fall; die Übernahme romantischer Nebensächlichkeiten beweist bei einem sensiblen Menschen wie Gentz ebensowenig wie bei Goethe; entscheidend ist die rationale Klarheit seines Denkens, seine verständige Sachlichkeit, seine Fähigkeit zu einer juridischen Argumentation, sein Gefühl für die Grenzen der Wirksamkeit des Staates, sein Instinkt gegen Menschen wie die Schlegels, sein Haß gegen Fichte." Er gehört geistig zur Fortsetzung des 18. Jahrhunderts, in eine Reihe mit Lessing, Lichtenberg, Wilhelm v. Humboldt. Namentlich in politischen und staatsphilosophischen Angelegenheiten ist ihm jede romantische Begriffsauflösung immer unverständlich geblieben [ ... ). "..

Die Be(bzw. Ver)urteilung Müllers durch Schmitt, die das Bild Müllers entscheidend beeinflußt hat, steht hier nicht zur Diskussion,45 aber die völlige Ausgrenzung der politischen Romantik aus dem Bereich politikfahiger Programmatik erweist sich für die Konservativismusforschung als wenig geeignet. 46 Festzuhalten bleibt dagegen die Nicht-Identität von Frühkonservativis-

,. "Der eigentliche Theoretiker der romantischen Staatsidee war jedoch Adam Müller." (Klaus Peter, Einleitung, in: ders. (Hrsg.), Die politische Romantik in Deutschland. Eine Textsammmlung, Stuttgart 1985, S. 9-73, hier S. 38). - Zum begriffsgeschichtlichen Hintergrund Panajotis Kondylis, Art. Reaktion, Restauration, in: Geschichtliche Grundbegriffe V, S. 179-230. '" Ernst Jünger, Rivarol, Stuttgart 1989, S. 24. 41 earl Schmitt, Politische Romantik, 3. Aufl., Berlin 1968. 42 Ebd., S. 24. " Die Distanz zu Friedrich Schlegel und Fichte dokumentieren beispielsweise Gentz' Briefe an Brinckmannam 25. und 26.4.1803, in Briefe 11, S. 122-125 . .. Schmitt, S. 32f. ., Der Versuch einer differenzierten Analyse von Müllers Werk z.B. bei Benedikt Koehler, Ästhetik der Politik. Adam Müller und die politische Romantik, Stuttgart 1980 . .. Lenk, S. 71-86. Vgl. auch Jakob Baxa, Romantik und konservative Politik, in: Gerd-K1aus Kaltenbrunner (Hrsg.), Rekonstruktion des Konservativismus, Freiburg 1972, S. 443-468.

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mus und politischer Romantik, für die neben biographisch-sozialen Unterschieden der Repräsentanten auch theorieinterne und - nach 1815 - z.T. politische Abweichungen verantwortlich sind. Daß die Zuordnung von Gentz zum rationalen Konservativismus trotzdem nicht unproblematisch ist,47 liegt nicht nur an der engen Beziehung zu Müller, sondern vor allem daran, daß Gentz' Burke-Übersetzung der politischen Romantik einen wichtigen Impuls vermittelte. Die Distanz, die Gentz gegenüber denjenigen Passagen bei Burke, die die mittelalterliche gesellschaftliche und politische Ordnung verklären, an den Tag legt, ändert an dieser Tatsache nichts. Dieser Abstand zeigt vielmehr Gentz als Interpreten, der den nichtvernunftfeindlichen Tenor von Burkes politischen Schriften gegen den Autor selbst in Schutz nimmt. Er rezipiert die historische Argumentationsweise nur beschränkt. 48 Ebensowenig wie seine vorsichtige Hinwendung zu Burkes historischem Denken macht die im Laufe seines Lebens schwankende Sympatie für das Gedankengut Müllers und seine gelegentliche Neigung zu religiösen Begründungen für politisches Handeln 49 aus Gentz selbst einen Vertreter der politischen Romantik. 5O So wird er in Österreich - trotz persönlicher Beziehungen

47 Im Gegensatz zu seiner Nähe zur produktivitätsorientierten ökonomischen Theorie war Gentz offenkundig von einer tiefen Abneigung gegen die realen Erscheinungsformen industrieller Produktion durchdrungen, die allerdings - um mit Carl Schmiu zu reden - ein "psychologischer Fall" ohne Konsequenzen für seine politischen Anschauungenblieb. Dazu z.B. MeIlemich an seine Tochter Leontine am 25.8.1829, in Tatiana Fürstin Metternich (Hrsg.), Leontine. Das intime Tagebuch der Tochter Metternichs von 1826 bis 1829, 14. bis 18. Lebensjahr, Wien u.a. 1990, S. 243f. und Gentz an Pilat am 25.8.1829, in Briefe an Pilat 11, S. 275f. 4. Frieda Braune, Edmund Burke in Deutschland. Ein Beitrag zur Geschichte historisch-politischen Denkens, Heidelberg 1917, ND Nendeln/Liechtenstein, S. 139-227; Hans Barth, Edmund Burke und die deutsche Staatsphilosophie im Zeitalter der Romantik, in: Schweizer Beiträge zur Allgemeinen Geschichte 3(1945), S. 124-157; GenlZ' Anmerkung in Burke, Betrachtungen I, S. 105ff. Mißverständlich dazu Valjavec, S. 335. 4. Die zeitweise Nähe zum restaurativen politischen Katholizismus zeigt beispielsweise die Begeisterung über de Maistres "Du Pape". Dazu Gentz an Adam Müller am 21.12.1820, in Jakob Baxa (Hrsg.), Adam Müllers Lebenszeugnisse, 2 Bde., München u.a. 1966 [im folgenden: Müller Lebenszeugnisse I, 11), hier 11, S. 411. '" Dazu: Guglia, S. 56-128; Robinet de Clery, Un diplomate, S. 56-113,267-281; Alji-ed Gerhardt, Romantische Elemente in der Politik und Staatsanschauung Friedrich Gentz' , BorsdorfLeipzig 1907, bes. S. 12-15,45-48, 69f.; lohannAlbrecht von Rantzau, Friedrich von Gentz und die Politik, in: MIÖG 43(129), S. 77-112, hier S. 107f.; Friedrich Carl Wittichen, Gentz' Stellung zum deutschen Geistesleben vor 1806, in: Historische Vierteljahresschrift 14(1911), S. 34-55, hier S. 49-53. Ohne stichhaltige Gegenargumente Oscar Ewald, Die Probleme der Romantik als Grundfragen der Gegenwart, Berlin 1904, S. 1-73. Vgl. auch: Ricarda Huch, Ausbreitung und Verfall

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zum Hofbauer-Kreis - kein Anhänger der katholischen Restauration, wie er schon dem "vom Katholizismus geprägten romantischen Konservativismus"51 Schlegels und Müllers die Gefolgschaft velWeigert hatte. Obwohl Gentz immer wieder seine Distanz zum Protestantismus betonte, 52 konvertierte er nie zum Katholizismus;53 auch die Anfänge eines politischen Katholizismus hatten für Gentz in erster Linie nur instrumentellen Wert. 54 Die theologische Fundierung politischer Theorie nach dem Vorbild Adam Müllers bleibt Gentz letztlich fremd, denn sie erscheint ihm im Vergleich mit der Stringenz des Reimm Staatsrechts als zu diffus und außerdem völlig unbrauchbar für die Orientierung politischer Praxis. 55

der Romantik. 2. Band, Leipzig 1920, S. 296-321; Alain Renaull, Gentz: une cnttque non romantique des droits de I'homme, in: Centre de Philosophie Politique et Juridique de l'Universite de Caen [Hrsg.), La Revolution Fran~aise entre les lumieres et romantisme. Actes du Colloque de Mai 1989, S. 125-139. " Karl-Georg Faber, Politisches Denken in der Restaurationszeit, in: Berding/Ullmann (Hrsg.), Deutschland, S. 258-278, hier S. 262. Zum Hotbauer-Kreis Eduard Winter, Romantismus, Restauration und Friihliberalismus im österreich ischen Vormärz, Wien 1968, S. 27-42, 104-108 und Jean-Paul Sied, Les fondaments du conservatisme Autrichien. 1859-1879, Paris 1979, S. 2638. >l Z.B. Genlz in der Abschrift eines Briefes an den Grafen Briihl (undatiert), in NFG (GSA) 21,

2.

>3 Zu Gentz' Verhältnis zum Katholizismus zusammenfassend Eugen Guglia, Friedrich von Gentz und die katholische Kirche, in: Jahrbuch der Österreichischen Leo-Gesellschaft fiir das Jahr 1899, S. 73-91. 54 Dies zeigt sich an der strikten Unterordnung katholischer Interessen in der Politik unter das Bedürfnis nach Ruhe und Stabilität. So z.B. Gentz an Pilat am 4.11.1830, in Briefe an Pilat 11, S. 335: "Es ist ein eignes Unglück, daß die beriihmtesten Advokaten katholischer Rechte in unserer Zeit zwei der verworfensten und gefährlichsten Menschen sind. Potter in den Niederlanden und O'Connell in Irland. Für diesen letzten Hund ist nun wirklich kein Galgen zu hoch, und ich hoffe auch mit Zuversicht, daß er nicht auf eine ehrliche Art endiget. Wenn es heute keine Protestanten in Irland gäbe, wäre das Land fiir England verloren. Denn die dortigen Katholiken scheinen um kein Haar besser zu sein, als die belgischen. Der König von Holland kann Belgien entbehren. Aber England ohne Irland! wäre eine schreckliche Erscheinung!" " "Mein Geist strebt nach Gleichgewicht und Ruhe; und jetzt soll ich nun erst recht in ein Meer von Umwälzungen" von riickgängigen Bewegungen, von Phantasien und Paradoxien geschleudert werden, wo alle Karten und alle Sterne mich verlassen. Ich soll z.B. lernen, daß der Friede der Welt, die Bürgschaft der Staaten, die Verbesserung der gesellschaftlichen Verfassung etc. einzig und allein von einer lebendigen Erkenntniß - der Menschwerdung Gottes abhängt!" (Genlz an Adam Müller am 8.7.1816, in Müller Lebenszeugnisse I, S. 1186). - Vgl. dazu beispielsweise auch Genlz an Adam Müller am 12.5.1817 und am 8.10.1820, in Müller Lebenszeugnisse 11, S. 5lff. und 389-393. - Gentz vertritt hier die Position Metternichs, der mit der freundlichen Herablassung des Praktikers über die von Müller vorgebrachte These, die Reformation sei die wahre Ursache der umstürzlerischen Gesinnung an den Universitäten, spöttelt: "Ich leugne weder den Satz noch dessen Richtigkeit. Mit Dr. Martin Luther kann ich mich jedoch [ ... J nicht befassen und hoffe, daß dennoch einiges Gute geschehen könne, ohne eben den Protestantismus in seiner Urquelle zu beriihren." (MelIemich an Gentz am 23.4.1819, in Briefe II1/I, S. 410).

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Unter den Bedingungen der Restaurationszeit und seiner politischen Stellung kann Gentz nach 1815 wohl am besten mit dem von Johann Christoph Allmayer-Beck vorgeschlagenen Begriff des "gouvernementalen Konservatismus"56 gekennzeichnet werden. Nach Allmayer-Beck "sind die Wurzeln des gouvernementalen Konservatismus eigentlich streng genommen unkonservativ. Sie entstammen dem 18. Jahrhundert, der Gedankenwelt der Aufklärung und des Rationalismus. Dem entspricht auch der rationalistisch-statische Staatsbegriff dieser Richtung, dem sowohl der naturwissenschaftliche wie der historische Entwicklungsgedanke mangelt. Auf den Prinzipien der Legitimität und der Autorität beruhend, ist ihm der Staat weniger eine lebendige Verkörperung des Volkes als vielmehr ein gesellschaftlicher Mechanismus zur Erhaltung der sozialen und später der nationalen Gleichgewichte. "57 Der Verlust der evolutionären, reformbereiten Anteile von Gentz' Konservativismus in seiner Zeit als Mitarbeiter Metternichs ist von dieser Definition abgedeckt. Allerdings sprechen nicht nur die gegen Ende seines Lebens liberaleren politischen Vorstellungen, sondern auch die Beständigkeit des geschichtsphilosophischen Grundkonzepts gegen eine allzu schroffe Entgegensetzung von Statik und Entwicklungsgedanken. So kann Gentz' Stellung in der Geschichte des deutschen Frühkonservativismus am besten als die eines Vertreters des rationalen Konservativismus, vornehmlich des spätabsolutistischen Vernunftrechts und des evolutionären konservativen Denkens, beschrieben werden, der in der politischen Praxis vom Reformkonservativen zum gouvernementalen status quo-Konservativen wird. Die Gründe für diese Verlagerung der politischen Programmatik sind in den veränderten biographischen und historischen Umständen zu suchen,58 im engen Anschluß an Metternich und dessen Politik, an "die größte retrograde Bewegung, die seit 30 Jahren in Europa stattgefunden hat. "59 Den Vorwurf, nur aus Opportunismus in das Lager des Konservativismus eingetreten zu sein, wies Gentz selbst nachdrück-

- Immerhin hielt Gentz an der sozialpsychologischen Notwendigkeit religiösen Glaubens fest, denn: "Der menschliche Geist bedarf einer Religion; und die große Masse der Menschen kan ohne positive Religion nicht lange bestehen." (Auszüge und Bemerkungen bei der Lektüre des Gibbon 1826 [bis 1827), in VB Köln Sammlung Otto Wolff G.N. Nr. 58). '" Nach Johann-Chrisloph Allmayer-Beck, Der Konservatismus in Österreich, München 1959, S. 25-32. 57 Ebd., S. 26. Vgl. auch Friedrich Waller, Österreichische Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte von 1500-1955. Aus dem Nachlaß herausgegeben von Adam Wandruszka, Wien u.a. 1972, S. 119ff. ,. Zur Neustrukturierung eines monarchisch-adlig-bürokratischen Kondominats und zum konservativen Grundzug der sogenannten "Restauration" Wehler H, S. 297-343. Vgl. auch Mpperdey, S. 313-330,337-344. ,. Gentz an Pilat am 1.9.1819 anläßlich der Karlsbader Beschlüsse, in Briefe an Pilat I, S. 411.

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lieh zurück; daß aber das Eintauchen in die Binnensphäre eines außenpolitischen Entscheidungszentrums seine schriftstellerische Arbeit und sein politisches Urteil beeinflußt haben, hat er selbst eingeräumt: "Ich hatte seit meinem 25sten Jahre meine Wahl getroffen. Früher von der deutschen Philosophie, auch wohl von einigen vermeintlich neuen Entdeckungen auf dem Felde der Staatswissenschaft, die mir jedoch damals noch sehr fremd war, ergriffen, hatte ich seit dem Ausbruche der französischen Revolution meine Bestimmung klar und deutlich erkannt, anfänglich gefühlt, weiterhin begriffen und gewußt, daß ich vermöge der Anlage und Mittel, welche die Natur in mich gelegt hatte, zu einem Vertheidiger des Alten und zu einem Gegner der Neuerungen berufen war. Weder mein Stand, noch meine damaligen Verhältnisse und Aussichten, noch meine Lebensweise, noch irgend ein angebornes oder anerzognes Vorurtheil, noch irgend ein weltliches Interesse, hat bei dieser Wahl den Ausschlag gegeben. Alle meine frühern politischen Schriften sind in einem Zeitpunkt entstanden, wo ich, einzig auf Lektüre und Studium beschränkt, mit keiner bedeutenden politischen Person, weder in noch außer dem Lande, wo ich lebte, mich in der geringsten Verbindung befand. Daß ich durch einige dieser Schriften in einer höhern Sphäre einheimisch wurde, war natürlich. Meine Niederlassung in Wien, die eine Folge davon war, hatte allerdings einen entscheidenden Einfluß auf die fernere Entwicklung meines Geistes wie meiner äußern Existenz. "6()

Auch wenn der apologetische Charakter dieser Rückschau sofort ins Auge fällt, zeigt sich am Beispiel von Gentz ein grundlegendes Problem der Erfassung politischer Strömungen: Vor einer organisatorischen Festigung bleibt die Zuordnung Einzelner von einer Reihe ganz unterschiedlicher Bezugsgrößen abhängig. Die wichtigsten Teilnehmer am politischen Prozeß, die Wortführer der entstehenden politischen Öffentlichkeit und die Berufspolitiker in den Regierungen, in Deutschland also die Entscheidungsträger innerhalb der Bürokratie, unterliegen hier jeweils anderen Kriterien. Eine Integration dieser Kriterien über eine Rückbindung an die Sozialgeschichte ist zweifellos eine sinnvolle Ergänzung einer eher an den Intentionen der Akteure ausgerichteten Typologie. Schon das Wechselverhältnis ideen- und sozialgeschichtlicher Elemente politischer Strömungen läßt aber eine eindeutige Scheidung feudaler und bürgerlicher Interessenartikulation innerhalb des Frühkonservativismus nicht ZU. 61

6() Gentz an Amalie von Helvig im Oktober 1827, in Schriften V, S. 319f. - Ein besonders schneidenderOpportunismusvorwurfim Gewand marxistischer Ideologiekritik bei K/enner, S. 398: "Genug, es fand wie zu allen Zeiten gärender Konflikte auch damals in Berlin die Degeneration eines Denkenden in einen Verräter statt." 61 Dazu He/ga Grebing, Aktuelle Theorien über Faschismus und Konservatismus. Eine Kritik, Stuttgart 1974, S. 20-48 mit einer Neuerfindung von Gentz' Bildungsgang: Gentz, "auch ein Hannoveraner und wie Rehberg aus einer mittleren, bürgerlichen, aufstiegsgehemmten Beamtenfamilie stammend", habe "wie Stein, Rehberg und Brandes in Göttingen, aber auch in Königsberg studiert" (ebd., S. 26).

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Dafür zeigt sich an Gentz die Bedeutung der Rahmenbedingungen politischer Diskussion für die Einordnung ins Spektrum des Konservativismus. Die praktisch-politische Defensivstellung der administrativen Elite gegen altständische, romantische, liberale und radikale Partizipationsforderungen harmonierte auf theoretischer Ebene besser mit den rationalen, als mit den romantischen Richtungen des Konservativismus. 62 Der reformkonservative Entwicklungsgedanke hatte aber im gouvernementalen Konservativismus österreichischer Prägung keinen Platz mehr im politischen Programm. Für die Orientierung in der politischen Realität sind Ordnungs muster wie etwa der Gegensatz von "konservativ" und "progressiv" wichtig, und das Bemühen, einzelne Schriftsteller oder Politiker mit Hilfe solcher Raster angemessen einzuordnen, lenkt den Blick auf grundlegende Fragen (nicht nur) ideengeschichtlicher Untersuchungen. Andererseits ist für die Einzelfallanalyse das Hantieren mit so komplexen, zwischen politischem Kampf und wissenschaftlichem Erkenntnisstreben changierenden Begriffen wie "Konservativismus" eher hinderlich als dienlich. Für die Zwecke dieser Arbeit genügt es, die doppelte, theoretische wie praktische, Struktur von Gentz' Eintreten für die bestehende Ordnung in Deutschland und Europa aufzuzeigen. Die weltanschauliche Wurzel liegt deutlich genug in einem geschichtsphilosophischen Gedankengang, seinem bereits erläuterten universalgeschichtlichen Ausgleichskonzept. 63

., GenlZ' harte Abrechnung mit Adam Müllers politischen Schriften in Müller Lebenszeugnisse 11, S. 389-395. - Die sozialgeschichtlich grundierte Charakterisierung Müllers als Ideologe adeliger Interessen bei Robert M. Berdahl, The Politics of the Prussian Nobility. The Developement of a Conservative Ideology 1770-1848, Princeton 1988, S. 164 steht dazu nicht im Widerspruch . • 3 Vgl. GenlZ an Amalie von Helvig im Oktober 1827 (Schriften V, S. 316-325) und an Johannesvon Müller am 23.12.1805 (Schriften IV, S. 176-184).

v. Rhetorik 1. Zur Methode Unter dem Datum vom 25. Juni 1805, kurz vor Beginn des Dritten Koalitionskriegs, zeichnete Gentz in einem Schreiben an den schwedischen König ein äußerst dramatisches Bild des geschichtlichen Augenblicks: "Nous avons ete jetes dans une de ces epoques fatales Oll I'ancien edifice social, attaque et ebranle dans chacune de ses bases fondamentales, s'ecroule de toutes parts, pour faire place a de [!] nouvelles creations. Nous sommes trop faibles pour arreter le progres de cette decomposition generale. Le fruit tombe, quand I'arbre est secoue par les vents de I'automne; et dans la vie de ces grandes masses, creees et animees par le mecanisme mysterieux de I'existence sociale, tout comme dans la vie des individus, I'enfance est remplacee par la jeunesse, celle-ci par I'age viril, remplace a son tour par la decrepitude et la mort. [ ... 1 Devions-nous anticiper meme sur les decrets de la Providence et seconder par une lache apathie les entreprises impies de ceux qui boulversent I'ordre de la nature, en precipitant des revolutions peut-etre inevitable a la longue, mais dont la generation dont nous faisons partie, aurait pu etre prtlservee? Non! au milieu des tempetes qui nous battent, au milieu des incertitudes qui nous tourmentent, nous ne pouvons pas nous tromper sur la route que le devoir nous prescrit. Respecter inviolablement et vaillamment defendre I'ordre des choses dans lequel nous sommes nes, les lois, les formes, les institutions religieuses, politiques et civiles, sur lesquelles cet ordre repose; voila la ligne de conduite qui nous est tracee; et tandis que l'arbitre supreme de nos destinees se sert des mechans pour faire nattre les grandes explosions, Il n'en a pas moins voulu que les bons leur resistent sans cesse, qu 'ils emploient contre leurs sinis[tlres projets tous les moyens que leur foumit leur juste puissance, qu' ils les combattent jusqu'a la demiere extremite, et que, condamnes meme a succomber dans cette lutte glorieuse, ils perissent les armes a la main." 1

Der Aufwand an Bildern und die hochdramatische Sprache gelten keineswegs einer konkreten Entscheidungssituation. Schwedens König muß nicht erst von der Notwendigkeit des heroischen Kampfes gegen Frankreich überzeugt werden, hatte er doch den preußischen Schwarzadlerorden aus Protest gegen dessen Verleihung an führende Vertreter Frankreichs zurückgegeben. 2 Der Konsens in der Sache kann von Gentz größtenteils vorausgesetzt werden, er betont die Übereinstimmung noch, indem er die bereits getroffene Entscheidung des Königs lobpreisend in den Zusammenhang des geschichtlichen Ablaufs stellt, ihr damit ein Maximum an Bedeutung zumißt. Das rhetorische

1 Friedrich Gentz, Lettre a Sa Majeste le Roi de Suede, in: G.[ustavl Schlesier (Hrsg.), Memoires et lettres inedites du chevalier de Gentz, Stoutgart 1842, S. 79-104, hier S. 84f. 2 Anm. des Herausgebers in Briefe 11, S. 261.

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V. Rhetorik

FeuelWerk, das Gentz abbrennt, soll diesen Gleichklang ms rechte Licht rücken. 3 Die Haupttendenz der erlittenen Geschichte der jüngsten Zeit wird in wechselnden Metaphern als dem persönlichen Wollen weitgehend entzogener Prozeß ausgelegt, als Prozeß in des Wortes doppelter Bedeutung, als Entwicklungszusammenhang und als Urteilsfindung. Die Vorsehung spielt dabei als oberste Instanz eine entscheidende Rolle, durch sie werden die Fremdbestimmung durch den vorgegebenen Geschichtsablauf und die Autonomie des moralischen Urteils miteinander verknüpft. Die Aufforderung, dem Schicksal notfalls gewappnet entgegenzutreten, geht von der Geschichte als Prüfung der Gerechten aus. Die Unsicherheit, in die das fortdauernde Scheitern der eigenen politischen Vorstellungen in der Wirklichkeit Gentz stürzt, wird zum Appell an die Unbeugsamkeit der moralisch Integeren und politisch Klugen umgeformt. 4 Das Sendschreiben zeigt nicht nur, wie bereitwillig Gentz das Repertoire der rhetorischen Figurenlehre nutzt, sondern soll auch dazu dienen, einige Probleme bei der Beschäftigung mit dem politischen Schriftsteller Gentz zu verdeutlichen. Die Perspektive, aus der Gentz' Schriften betrachtet werden sollen, ist die einer am Modell der Rhetorik ausgerichteten pragmatischen Textanalyse. Die damit einhergehende Umfunktionierung der rhetorischen Textproduktionslehre unterstreicht, daß es hierbei nicht um die Wiederbelebung abgestorbener Tradtionen geht. Allein schon die Begrenzung der seit der Antike zugrundegelegten Redeanlässe, noch mehr aber die Beschränkung auf das Medium der Rede selbst, verhindern eine direkte Übertragung der Kategorien der klassischen Rhetorik. Als Ausgangspunkt wähle ich, wie schon in der Einleitung elWähnt, den Ansatz von Dieter Breuer, der am rhetorischen Modell des Redners Kategorien einer pragmatischen Textanalyse gewinnen will. 5 Breuer versucht, "Text" als kommunikativen Prozeß über den Teilprozeß "Textherstellung" zu operationalisieren. Dem kommunikativen Zweck des Textes, der Wirkabsicht, entsprechend, sollen, so Breuer, durch sprachliche Zeichen in diesem Teilprozeß Emotionen in bezug zum jeweiligen gesellschaftlichen Normsystem erregt werden. 6 Die rhetorische Texttheorie, dargestellt an Beispielen aus deutschen Rhetoriklehrbüchern des 18. und 19. Jahrhunderts,

, Tagebücher I, S. 40. • Die Beziehung zwischen politischer Intention und Auswahl der Sprachbilder zeigt deutlich der Vergleich der zitierten Passage von Gentz mit Alexis de Tocqueville, Über die Demokratie in Amerika. Beide Teile in einem Band, München 1984, S. 9. , Breuer, S. 140ff. • Ebd., S. 138f.

I. Zur Methode

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dient Breuer als Hilfsmittel zum Entwurf seines Analyseverfahrens. Affektenlehre, Stil(ebenen)theorie und Statuslehre stellen seiner Ansicht nach Normen der Verhaltenspsychologie, des Sprachverhaltens und des Situationsbezugs auf, die die Bedingungen der Textherstellung modellhaft umreißen. Unter den Phasen der Textherstellung selbst schenkt Breuer der inventio, der dispositio und der elocutio besondere Aufmerksamkeit, da sie, zumindest ansatzweise, Kategorien für die Analyse der Abrufschemata zweckentsprechender Argumente, der Argumentationsstruktur hinsichtlich Umfang, Anordnung und Argumentationsmuster sowie der Abrufschemata sprachlicher Wirkmittel bereithielten.? Zur "Rekonstruktion eines jeweiligen Textprozesses , der - in Form einer als Übertragungskanal fungierenden Reihe von Zeichengestalten - fragmentarisch vorgefunden wird"s, benötigt die Textanalyse in Abweichung von der rednerzentrierten überlieferten Rhetorik einige Modifikationen. Gerade die Wahl des Mediums prädisponiere die weitere Textherstellung. Als Schritte der Analyse schlägt Breuer schließlich nach Festlegung des Gegenstands die Ermittlung des für den jeweiligen kommunikativen Prozeß gültigen Systems der Normen des Sprechverhaltens und der Kommunikationssituation und die Analyse des erwartbaren Medienverhaltens des Kommunikanten und der Medienabhängigkeit der Argumentation vor. 9 Dieses anspruchsvolle, von Breuer umrißhaft skizzierte Programm möchte ich nicht geschlossen umsetzen, sondern nur im Sinne eines methodischen Leitfadens benutzen, an den im Bedarfsfall zusätzliche Untersuchungswege angeknüpft werden sollen. Die vorhandenen Fragmente des zu rekonstruierenden Textprozesses und die Zielsetzung dieser Arbeit bedingen solche Modifikationen. Die in der Rhetorik vorausgesetzte Wirkungsabsicht stellt einen Ansatzpunkt für die Analyse gerade politischer Texte dar. Mit dem politischen Schriftsteller Friedrich Gentz, das haben die vorhergehenden Kapitel bereits verdeutlicht, ist der Verfasser eines nach pragmatischen wie auch nach theoretisch-systematischen Kategorien heterogenen Korpus an Schriften, von denen selbst die zur Veröffentlichung gedachten keineswegs immer Themen behandeln, deren Bezug zur Politik sofort evident wäre, Gegenstand der Untersuchung. Insbesondere zeitgeschichtliche Inhalte spielen im Rahmen des Gesamtwerks eine auffallend große Rolle, aber von zwei Ausnahmen abgesehen, sind auch die historischen Schriften im Hinblick auf aktuelle Probleme der zeitgenössischen Politik geschrieben. Der schwankende Wortgebrauch bei Gentz selbst, der neben einer breiten, alle Fragen des (staatlich verfaßten) Gemeinwe-

Ebd., S. 140-209. • Ebd., S. 212. • Ebd., S. 210-220. 7

? Kronenbitter

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Rhetorik

sens umfassenden auch eine auf die Hohe Politik der Diplomatie begrenzte Begriffsbestimmung kennt, fällt daneben weniger ins Gewicht. Der Abstraktionsgrad der Publikationen schwankt mit den veränderten Bedingungen der Textherstellung. Insgesamt werden ab etwa 1800 konkrete politische Entscheidungslagen immer themenbeherrschender, aber von einer systematischen Theorie über Politik läßt sich auch vorher kaum sprechen, auch nicht im historischen Kontext. Mich interessieren daher weniger die abgelösten Ideen über Politik und schon gar nicht ihre aktuelle Relevanz, sondern die Bildung und Artikulation von Meinungen über Politik, zugerechnet einem konkreten Menschen bzw. einem konkreten Bewußtsein, empirisch zugänglich über Fragmente verbaler Kommunikationsprozesse. Nicht die longue duree sprachlicher und gesellschaftlicher Strukturen, sondern deren Veränderung als Meinungsbildung durch Erfahrung steht somit im Vordergrund. Der politische Schriftsteller mit der ihm in bestimmter historischer Situation zuwachsenden medialen Funktion, der die "mittlere" Höhe des Abstraktionsniveaus seiner Schriften korrespondiert, spielt dabei eine historisch einmalige, zugleich aber auch, vom Problembezug her, über den geschichtlichen Kontext hinausweisende Rolle. Die Schwierigkeiten, denen sich der Bearbeiter eines solchen Themas zu stellen hat, ergeben sich keineswegs nur aus der Quellenlage. Gerade dann, wenn eilfertige Reduktionen politischer Texte, beispielsweise auf psychologische oder sozialgeschichtliche Realien, vermieden werden sollen, wird im Zuge einer pragmatischen Textanalyse unweigerlich das Verhältnis von kommunikativen Konventionen, gesellschaftlich-politischen Normen und erfahrungsgeleiteter individueller Meinungsbildung zu einer Schlüsselfrage. Verdeutlichen läßt sich dieses Problem am Beispiel der Topik. Die Auffassung der inventorischen Topoi nicht als Abrufschemata, sondern als Inhalte der Argumente, deren Berechtigung mit Hinweis auf antikes Topikverständnis bestritten werden kann, gibt ein Instrument ab, um überindividuelle, ja beinahe überzeitliche Klischees auf den Begriff zu bringen. In dieser Bedeutung ist "Topos" von der Wissenschafts- in die Umgangssprache eingedrungen, auch wenn der philosophie- und rhetorikgeschichtliche Befund eher gegen einen solchen Wortgebrauch zu sprechen scheint. 1o Zwar zeigt "das Verlangen der topischen Kataloge, vor allem der umfassenderen, nach Systematik oder Gliederung, [ ... ] mit ihren meist defizienten Ergebnissen, daß Topiken primär nicht die Produkte logischer Spekulation sind, sondern Arsenale lebensweltlicher Erfahrung (Eigen- und 10 Dazu: Dieter BreuerlHelmut Schanze (Hrsg.). Topik. Beiträge zur interdisziplinären Diskussion, München 1981; Peter lehn (Hrsg.), Toposforschung. Eine Dokumentation, FrankfurtIM. 1972.

I. Zur Methode

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Fremderfahrung) in begrifflicher Verkürzung" 11, aber daraus läßt sich die Begriffsübertragung zu heuristischen Zwecken noch nicht ableiten. 12 So reizvoll eine solche Verschiebung des Toposbegriffs gerade in der politischen Ideengeschichte sein mag, so dringend macht sie eine bewußte Abgrenzung von anderen Definitionen. 13 Die Rede vom gesellschaftlichen Gebäude in Gentz' Sendschreiben ließe sich als inhaltlich bestimmter Topos erfassen und wäre damit nur ein Beispiel für eine große Zahl von Fällen so verstandener Orte, darunter auch der des "Gleichgewichts", der in den innen- wie außenpolitischen Konzeptionen von Gentz eine so wichtige Rolle spielt. Eine bei diesem Vorgehen unvermeidliche Verwischung der Differenz zwischen Invention und Elokution paßt nicht zum oben dargestellten methodischen Leitfaden. 14 Der Begriff "Symbol", der gerade bei der Untersuchung der Neuformung einer politischen Kultur im Zuge der Französischen Revolution auf verschiedene Kommunikationsformen angewendet wird,15 ist dabei unter den Tropen schon aufgrund seiner zeitbezogenen Funktion im Verhältnis zur Norm des Sprachverhaltens von besonderem Interesse. 16 Ohne den Ansatz einer pragmatischen Textanalyse überzustrapazieren, soll er doch den Weg durch die Masse der überlieferten Schriften von (und über) Gentz weisen. Im Sinne der Gegenstandsangemessenheit ziehe ich Ottmar Ballwegs "analytische Rhetorik" mit heran, wobei die von Ballweg behaupteten Mängel der Semiotik mit der Folge einer fälschlichen Überdehnung der pragmatischen Dimension nicht thematisiert werden können. 17 Ballweg ergänzt das Raster der semiotischen "Subdisziplinen ", um ein neues "Schema einer anal ytischen Rhetorik"18 zu entwerfen. 19 11 Conrad Wiedemann, Topik als Vorschule der Interpretation. Überlegungen zur Funktion von Toposkatalogen, in: Breuer/Schanze (Hrsg.), S. 233-255, hier S. 243. 12 Kritisch zum Topikbegriff (besonders bei Hennis) Hans-Gerd Schumann, Topik in den Sozialwissenschaften?, in: Breuer/Schanze (Hrsg .), S. 191-199. " Dazu beispielhaft Achim Heiner, Der Topos "goldenes Zeitalter" beim jungen Friedrich Schlegel, in: lehn (Hrsg.), S. 293-314. " Wohl aber kann die Figurenlehre als "Topik der sprachlichen Wirkmittel" beschrieben werden, denn "genau genommen handelt es sich bei einer Figur nicht um die konkrete wirksame Redewendung, sondern um deren Struktur und in~ofern um ein Abrufschema fiir eine Menge konkreter Redewendungen eines bestimmten Wirkungsgrades. "(Breuer, S. 176). " Z.B. Lynn Hunt, Symbole der Macht. Macht der Symbole. Die Französische Revolution und der Entwurf einer politischen Kultur, Frankfurt a.M. 1989, S. 70-\09. 16 Dazu Breuer, S. 202-205. Zu den Tropen Plett, S. 70-91. Zum Redeschmuck allgemein Ueding/Steinbrink, S. 264-303; vgl. dazu auch Gerhard Kurz, Methapher, Allegorie, Symbol, Göttingen 1982. 17 Ballweg, Entwurf, S. 235-238 und das., Phronetik, S. 57-62. 18 Ballweg, Entwurf, S. 247.

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Die hier zentrale "Entscheidung über die Definitionsmacht"20 durch die Abgrenzung der Subjektbeziehungen legitimiert sich am wirksamsten im Anschluß an jene "holistischen Sprachsysteme, die in metonymer Variation des Satzes 'Die Sprache bezeichnet sich selbst als Wirklichkeit' nach dem Muster des autopoietischen Tropos Et Deus erat Verbum im Laufe der Menschheitsgeschichte verfertigt wurden. ,,21 Gegen die interne Aufassung solcher Holismen richtet sich die "holotaktische Analyse [ ... ] auf die Enthüllung des rhetorischen Charakters holistischer Sprachsysteme"22. Ballweg spricht im Zusammenhang mit solchen holistischen Konzeptionen von Topoi, hebt also den Wortgebrauch metasprachlich aus dem der Überlieferung heraus, mit allen bereits dargelegten Konsequenzen für die Klarheit des Begriffs. Solche Topoi ließen sich demzufolge allüberall finden; im Gegensatz zu Ballweg bezweifele ich aber deren grundsätzliche Vermeidbarkeit, sondern plädiere für Selbstbeschränkung auf die Frage nach dem jeweiligen Grad an immunisierender Geschlossenheit. 23 Neben der Zuwendung zur sprachlichen Dimension dessen, was landläufig "Ideologie" genannt wird, ist der Ansatz von Ballweg hier auch deswegen nützlich, weil er klar herausstellt, daß Rhetorik im Sinne des rhetorischen Charakters der Sprache wie als Summe der Sammlungen wirkungsorientierter Redelehre von der sie zum Gegenstand nehmenden "analytischen Rhetorik" geschieden werden müsse. Wenn Ballweg selbst einräumt, daß schon die Doktrinen der Rhetorik theoretische Elemente enthielten, die für analytische Zwecke brauchbar seien,24 erinnert das an ähnlich gelagerte Probleme der Politischen Ideengeschichte. Auch dort muß die Differenz der Perspektiven politischer "Lehre", die einen praxisleitenden Anspruch hat, und der Untersuchung dieser Form von Theorie instrumentell auseinandergehalten werden. Rekonstruktion und dogmengeschichtliche Herleitung einer politischen Doktrin

19 Bal/weg weist darauf hin, daß umgangssprachliche Fachsprachen sich von restringierten Zeichensystemen dadurch unterscheiden, daß "in ihr nämlich [ ... 1 die an der Zeichenverwendung beteiligten Zeichenbenutzer (s) Dauerbeziehungen zu den Zeichen (z) und den Objekten (0) [unterhaltenl mit entsprechenden Eingriffs- und Veränderungsmöglichkeiten. " (ders., Phronetik, S. 59f.). Die Analyse der "Phronese", jener "sprachlich orientierten und vermittelten Verhaltensweisen, mit denen Zeichenbenutzer aufeinander einzuwirken versuchen" (ebd., S. 61), richtet sich auf die in "phronetischen (=prudentiellen) Sprachsystemen aufgestellten Beziehungen, die die Zeichenbenutzer(s) zu den Zeichen (z), den Objekten (0) und zu anderen Zeichenbenutzern(in der Folge auch Subjekte genannt) unterhalten sollen. Wohlgemerkt: wie sie in jenen Sprachsystemen, die auf Praxis zielen, behauptet werden!" (ebd.). . 20 Bal/weg, Entwurf, S. 246. 21 Ebd., S. 241. 22 Ebd., S. 244. 23 Ebd., S. 242. 2' Ebd., S. 230.

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operieren also in einem anderen Fragehorizont als dem hier gewählten, von dem ich mir erhoffe, auch Schlüsselbegriffe wie den der "Öffentlichkeit" möglichst gegenstandsadäquat einbeziehen zu können. In den vorhergehenden Kapiteln habe ich versucht, einige zum Verständnis des politischen Schriftstellers Gentz notwendige Informationen und Anstöße zu seiner dogmengeschichtlichen Einschätzung und zur Einordnung von Gentz in die Geschichte politischer Bewegungen zu liefern. Gerade das Bemühen um eine Rekonstruktion von Gentz' politischer Theorie diente dazu, zu demonstrieren, wie gering der Anteil begrifflich-systematischer Innovation in seinen Schriften ist. Dem mit den Elementen einer an der Rhetorik geschulten Textanalyse arbeitenden Ansatz, Gentz als politischen Schriftsteller auf den Begriff zu bringen, bietet sich dagegen ein reichhaltiges Material. Von seiner anregendsten Seite zeigt sich der politische Theoretiker Gentz bei der Begrenzung des Geltungsbereichs der rechtsphilosophischen Staatstheorie, die aber, vom häufigen Rekurs auf Gleichgewichtsvorstellungen abgesehen, nicht durch alternative Theoriemuster von bemerkenswerter Verallgemeinerungsfähigkeit ergänzt wird. Die geringe Kohärenz von Gentz' Staatslehre und ihre geringe Originalität schlagen in einen Vorzug um, wenn gerade die Bruchlinien in der Systematik und die Mitte(i)lbarkeit p0jitischer Meinung interessant werden. Den Ausgangspunkt meines Weges muß nach der oben ausgeführten textpragmatischen Methode die Erfassung der Quellen nach dem Modell der rhetorischen Situation, als vom persuasiven Zweck dominierter Komrnunikationssituation, sein, die in einen spezifischen Kontext eingebunden ist. "Kultur - Gesellschaft - Geschichte: Diese drei Faktoren bilden den makrostrukturellen Kontext der rhetorischen Situation. Dieser wird notwendig durch einen mikrostruktureIlen Kontext sowohl verbaler als auch nicht-verbaler Art ergänzt. Zu dem letzteren zählen die unmittelbar gegebene Komrnunikationssituation, die Komrnunikationspartner, ihr sozialer Status, ihre biologische Veranlagung, ihre psychische Disponiertheit, das von ihnen gewählte Register usw. Der verbale Kontext wird durch das Strukturmuster eines oder mehrerer sequentieller Texte erstellt. ,,2.\ Dieser doppelte Kontext setzt der Wahl des Mediums, der Argumentationsmuster, der Argumentation und der sprachlichen Wirkmittel die Grenzen. 26 Die Wirkungsabsicht, über die die rhetorische Situation definiert ist, setzt dem Text einen auch außersprachlichen Kontext voraus. 27 Als "Inhalt" meist offen, als "Form" versteckter, tritt dieser Kontext in den Text ein.

" Heinrich F. Plett, Die Rhetorik der Figuren. Zur Systematik, Pragmatik und Ästhetik der 'Elocutio', in: Kopperschmidt (Hrsg.). S. 129-154, hier S. 136. 26 Breuer, S. 210f. 27 Vgl. Roben L. Scott, Intentionality in the Rhetorical Process, in: White (Hrsg.), S. 39-60.

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V. Rhetorik

Die praktizierte Rhetorik verfolgt ihren persuasiven Zweck immer in bezug auf etwas, den Gegenstand der Rede, als Wahrscheinlichmachen von Meinungen über diesen Gegenstand. 28 Diese Redegegenstände sind es auch, die als "Themen" für die Einordnung politischer Schriften besonders hilfreich zu sein scheinen. Zweifellos spiegeln sich in ihnen die Verarbeitung von veränderten kontextuellen Elementen, die sprachlichen Indices politischer Erfahrung. Über die Wirkungsintention werden solche Themenfelder auch zu strukturierenden Teilen des Analysegegenstandes. Die Gliederung der weiteren Untersuchung orientiert sich an Themen, die als Bezeichnungen für den jeweils zur Disposition stehenden Gegenstand einer größeren Zahl von Texten geeignet scheinen. Die Unterschiedlichkeit der einzelnen Kommunikationssituationen möchte ich damit nicht verwischen, aber ich hoffe doch, auf diesem Wege den von Gentz selbst gesetzten Kontext seiner Schriften klar herauszustellen. Die Einheit des Gegenstands der Analyse kann trotzdem nicht die der Gegenstände des politischen Schriftstellers sein, sondern die des Textherstellungsprozesses. Den biographischen Kontext und, am Beispiel einiger politischer Schriften, den Form wie Inhalt umfassenden Kontext zeitgenössischer Theoriebildung habe ich bereits einbezogen, weitere Informationen zum makrostrukturellen Kontext werden nur im kleinstmöglichen Umfang einfließen. Da meine Arbeit dem politischen Schriftsteller Gentz gilt, genügt mir das mehr oder minder willkürliche Herausgreifen einzelner Exempel seines Schreibens nicht. Ich möchte deshalb versuchen, einen Überblick über Grundzüge des mikrostrukturellen Kontextes zu geben, den Bezugsrahmen des politischen Schriftstellers Gentz darzustellen, soweit die Quellen es zulassen. Dazu gehören zunächst die literatursoziologischen Fakten über und die Selbstinterpretation von Gentz, die selbst Teil der gesellschaftlichen Wirklichkeit, in der der politische Schriftsteller seinen Sitz hat, ist. Die Wirkungsbedingungen des politischen Schriftstellers, die normativ als Herstellung von "Öffentlichkeit" begriffen wurden, stellen sich im Meinungsstreit als Auseinandersetzung um die Pressefreiheit dar, in die Gentz in unterschiedlicher Weise verwickelt war. In einem ersten Schritt soll aber auf der Grundlage der zeitgenössischen politischen Rhetorik (rhetorica utens wie rhetorica docens) der Frage nachgegangen werden, welchen Sprachverhaltensmustern und welchem Reflexionsstand sich Gentz gegenübersah. 29

2. Dazu Palll E. Corcoran, Language and Politics, in: David L. Swanson/Dan Nimmo (Hrsg.), New Directions in Political Communication. A Resource Book, Newbury Park u.a. 1990, S. 5185, hier S. 75f. 29 Im Anschluß an die eigenwillige Diktion BaI/wegs ließen sich die Untersuchungsschritte als "pragmatische", "phronetische" und "holotaktische" Analysen bezeichnen.

2. Zum Kontext

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2. Zwn Kontext Der textanalytische Rahmen meiner Arbeit rezipiert die tradierten Kategorien der Redelehre nur instrumentell. Trotzdem kam der Anstoß, sich dem politischen Schriftsteller Gentz auf diesem Wege zu nähern, für mich zunächst naiv von der offenkundigen, auch in der Literatur oft berührten Rhetorizität von Gentz' Sprache im Sinne praktizierter Redekunst. Das Sendschreiben an Gustav IV. ist dafür nur ein Beleg unter (sehr, sehr) vielen. Das überlieferte Repertoire sprachlicher Wirkmittel ist dabei nicht nur als vormethodische Orientierungshilfe, sondern, innerhalb des Untersuchungswegs, auch als Teil des Kontextes von Interesse. Die drei Ebenen der Rhetorik, als Theorie über Texte, als auf Anwendung angelegte Mustersammlungen in den Lehrbüchern und als (bewußte oder unbewußte) Verwendung dieser Muster, spielen als Kontext eine Rolle, allerdings in unterschiedlichem Maß. Die Frage danach, wie bewußt Gentz auf die Redelehre zurückgegriffen hat, betrifft daher nur ein Element dieser "Rhetorik als Kontext". Zeittypisch wurde Gentz in der Schule eingehend in die Rhetorik eingeführt, in die Theorie und Praxis der schriftlichen wie mündlichen Wohlredenheit. 30 Der damalige Rektor des Joachimsthalschen Gymnasiums, Meierotto, ursprünglich Professor der Beredsamkeit, verfaßte selbst eines der dabei benutzten Lehrbücher. 3\ In Königsberg lehrte an der Philosophischen Fakultät Jakob Friedrich Werner als ordentlicher Professor für Beredsamkeit und Geschichte. 32 Die sprachlichen Normen, denen Gentz in den verschiedensten Kommunikationssituationen, besonders bei der Lektüre, implizit begegnete, waren teilweise von der Rhetorik bestimmt. Ein Mitglied des gebildeten Bürgertums mit ausgebreiteten literarischen Interessen konnte der Redelehre nicht entkommen. 33

30 Bereits in der Breslauer Zeit trat Gentz' Begabung fiir die praktizierte Redekunst öffentlich in Erscheinung. Dies berichtet zumindest K.A. Vamhagen, Galerie, S. 161 f. 31 Zu den Lehrplänen und -büchern Wetzel, S.305ff., 310, 407. 32 Goldbeck, S. 82f. 33 Dazu Groba, S. 138-141. - Gentz blieb gegen die Redeweise der Romantiker traditioneller Rhetorik verpflichtet. So urteilt er z.B. über Schleiermacher: "Was diese Menschen schreiben nennen, möchte ich kaum faseln nennen. Ist es möglich, daß wir, die wir die Muster wahrer Schreibart in allen Sprachen studiert haben, dergleichen unf6rmliche Kompositionen, wo die höchste Verwirrung in den Ideen mit der mutwilligsten Vernachlässigung im Ausdruck wetteifert, auch nur Stil heißen könnten! Und diesem Schleyermacher wird, wenn ich nicht irre, sogar Beredsamkeit zugeschrieben! Großer Gott! Wie weit sind wir in Deutschland nicht nur von allen festen Grundsätzen, sondern selbst von allem Einverständnis über Geschmack und Kunst entfernt! Welche Kluft liegt z.B. zwischen meinen Vorstellungen von Vollkommenheit der Schreibart (und niemand wird mich doch fiir einen rohen und unwissenden Barbaren ausgeben wollen) und den Vorstellungen derer, welche die Lucinde, oder die Briefe über die Lucinde loben, oder auch nur dulden können!" (Gentz an Brinckmann am 17.9.1803, in Briefe 11, S. 154f.).

104

V. Rhetorik

Dadurch, daß die Schul rhetorik bis ins frühe 19. Jahrhundert ihren Platz im gymnasialen Bildungskanon weitgehend behaupten konnte, führte die Verdrängung der Redelehre aus der Poetik im Laufe des 18. Jahrhunderts zu einer Abwertung, nicht aber zum Verschwinden rhetorischen Wissens. 34 Die rhetorische Theorie behielt nur breitenwirksamen, aber im Gefüge der akademischen Disziplinen schon mittelfristig wenig reputierlichen Zuspruch in der Popularphilosophie. 35 Das entscheidende Problem der rhetorischen Praxis um 1800 war das beinahe gänzliche Fehlen der seit der Antike maßgeblichen rhetorischen Situation, der öffentlichen Rede, in der Wirklichkeit. 36 Rechtswesen und politische Struktur Deutschlands paßten - von wenigen Ausnahmen abgesehen bis 1848 - nicht recht zum Modell des RednersY Nur für die Lobrede bestand noch nennenswerter Bedarf. 38 Jenseits von Kanzel und Katheder blieben nur Druckwerke als Wege öffentlicher Mitteilung, aber auch für geschriebene Texte stellte die Redelehre ihre tradierten Muster zur Verfügung. In der Arbeit des Schriftstellers Gentz findet sich deshalb deutlich die Spur des tradierten "oratorischen Diskurs[ es] "39 , auch wenn dessen Ausgangspunkt von der kommunikationstechnischen und der ästhetischen Entwicklung bereits überholt wird. 40 Als Kenner der englischen Politik in Geschichte und Gegenwart mußte Gentz das Defizit an öffentlicher Rede in Deutschland bewußt sein. Im Londoner Parlament war der Ort, um an die antike Redekunst anzuknüpfen. 4\

" UedinglSteinbrink, S. 100-154, hier bes. S. 151ff. 3> Gen Ueding, Popularphilosophie, in: Horst Grimminger (Hrsg.), Deutsche Aufklärung bis zur Französischen Revolution. 1680-1789 (= Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Band 3), München u.a. 1980, S. 605-634, hier S. 615618. 36 Dazu und zum Bedeutungsverlust des Lateinischen mit seinen Folgen für die Rhetorik Manfred Fuhnnann, Rhetorik und öffentliche Rede. Über die Ursachen des Verfalls der Rhetorik im ausgehenden 18. Jahrhundert, Konstanz 1983. 37 Peter Wende, Die Anfange der politischen Rede in Deutschland im 19. Jahrhundert, in: ders. (Hrsg.), Politische Reden I. 1792-1867, Frankfurt am Main 1990, S. 649-659, hier bes. S. 653. 31 Georg Braungan, Hofberedsamkeit. Studien zur Praxis höfisch-politischer Rede im deutschen Territorialabsolutismus, Tübingen 1988, S. 15-32, 291ff. 3' Heinrich Bosse, Autorschaft ist Werkherrschaft. Über die Entstehung des Urheberrechts aus dem Geist der Goethezeit, Paderbom u.a. 1981, S. 21. 40 Zum Zusammenstoß dieses "oratorischen Diskurses" mit dem "schriftlichen Diskurs" am Beispiel von Garve und Schiller, ebd., S. 22ff. • , [Friedrich Gentz], Rez. von: Geschichte der englischen Parlamentsberedsamkeit, von D.H. Hegewisch, Prof. zu Kiel [ ... ], in: Jenaische Allgemeine Literatur-Zeitung vom 18.1.1805. Darin heißt es über Chatham (Pitt d.Ä.): "Es gab weder neben ihm, noch nach ihm, ein grösseres rednerisches Genie; aber es gab vollendetere Redner. [ ... ) Pill, Burke und Sheridan, jeder einzig und unvergleichbar in seiner Gattung, liessen das höchste, was Staats-Beredsamkeit bis dahin hervorgebracht hatte, weit hinter sich zurück."

2. Zum Kontext

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"Die Betrachtungen über die Beredsamkeit, welche wir miteinander anzustellen im Begriff sind, müssen, so scheint es, auf die Verherrlichung einer benachbarten Nation führen, welche durch die Gewalt und den Reiz der Rede eine Art von Weltherrschaft vorbereitet hat, - und auf eine gewisse Demütigung unsers deutschen Volkes, welches die Kunst, mit der lebendigen Rede zu zwingen und zu verführen oder sonst den Augenblick zu ergreifen, eigentlich nie besessen und welches das Wort nie bei der Hand gehabt, sondern meistenteils in der Feder erkalten lassen. -.,

Die Klage des Gentz-Freundes Adam Müller bildet den Auftakt der "Zwölf Reden über die Beredsamkeit und deren Verfall in Deutschland", die Müller 1812 in Wien hielt und die gewissermaßen Diagnose und Therapieversuch für den durch öffentliches Schweigen gelähmten deutschen Gemeinsinn sein sollten, der so unvorteilhaft abstach von den Verhältnissen im damals (gerade) noch übermächtigen Frankreich. Müllers Vorträge gehören zu den bekanntesten Bemühungen jener Jahre, über die Lehrsätze der traditionellen Rhetorik hinausgehend, die Bedingungen wirksamer Rede außerhalb formalisierter Regelwerke auszuloten. 43 Der Anstoß zum Bemühen um eine Erneuerung der Theorie und Praxis deutscher Redekunst, das etwa zur gleichen Zeit auch andere bewegte, kam aus den Erfahrungen der jüngsten Vergangenheit. Die Französische Revolution und das Imperium Napoleon Am eindrucksvollsten belegt dies Friedrich Gentz, Journal der Arbeiten und Lektüren. Aus den Jahren 1826 und 1827, in: Schriften V, S. 221-268.

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VI. Literaturbetrieb

von Kants Rechtslehre zeigt, die in krassem Gegensatz zu seiner Jagd nach staatstheoretischen Neuerscheinungen in der Vergangenheit stand. 76 Intensiver Leseerfahrungen war Gentz aber auch als geschäftiger Mitarbeiter Mettemichs fähig, beispielsweise bei der Lektüre von De Maistres "Du Pape". 77

76 Mit den "Metaphysischen Anfangsgründen der Rechtslehre" befaßt sich Gentz erst 1809 (Gentz, Kant's Rechtslehre). 77 Gentz an Pilat am 2.12.1820: "Das Buch Du pape ist, nach meinem Gefühl, das erhabenste und wichtigste das seit einem halben Jahrhundert erschienen. Sie haben es nicht gelesen; wie könnten Sie sonst davon schweigen? Folgen Sie meinem Rath, lesen Sie es nicht abaton rompu, nicht unter dem Lärm und den Zerstreuungen, von welchen Sie stets umringt sind, sondern heben Sie diese Lektüre auf bis zu einem Zeitpunkt anhaltender Ruhe und Concentrirung Threr Gedanken. [ ... ) Mich hat es mehr als eine schlaflose Nacht gekostet; aber welchen Genuß habe ich damit erkauft!" (Briefe an Pilat I, S. 458).

VII. Politischer Schriftsteller und öffentliche Meinung Ohne die Berücksichtigung der Wechselbeziehung von Politik und Textherstellung ist Gentz' schriftstellerische Arbeit nicht zu erklären. Gentz als Autor mit über den Literaturbetrieb hinausreichenden, massiven Wirkungsabsichten und die Widersprüche seiner Position im Literaturbetrieb erklären sich gerade durch das politische Ziel seiner Schriftstellerei. Ein Großteil seiner Texte ist nur für einen oder für mehrere ganz bestimmte Leser gedacht, beispielsweise seine Korrespondenz und seine Denkschriften, sie sind oft von eminenter Bedeutung für die biographische, diplomatie- und sogar theoriegeschichtliche Beschäftigung mit Gentz. Die hier gewählte Beschränkung auf Texte, die für die Öffentlichkeit geschrieben wurden, dient nur sekundär der Arbeitsökonomie. Der Begriff "Schriftsteller" allein kann das hier gewählte Kriterium ebenfalls nicht ausreichend begründen.' Der leitende Gesichtspunkt ist vielmehr die Absicht, mit dem Verhältnis der Produktion politischer Schriften zur öffentlichen Meinung den zeittypischen Aspekt des politischen Schriftstellers Gentz'zu erfassen. Die Kommunikationssituation, in der der so verstandene politische Schriftsteller steht, fällt generell unter den Begriff der Öffentlichkeit. Öffentliche Themen und Publikum bestimmen die Textproduktion, die selbst Teil der

I Der Wandel des Wortgebrauchs von der Benennung für einen "concipient[en], [ ... ) der für andere rechtliche schreiben aufsetzt" zur Bezeichnung desjenigen, "der berufsmäßig eine litterarische Thätigkeit ausübt" im Art. Schriftsteller, in Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm. Neunter Band. Schiefeln-Seele, Leipzig 1899, Sp. 1748. (Wie schon elWähnt, ist der hauptberufliche Schriftsteller um 1800 noch die krasse Ausnahme.). - Zwischen der Definition von "Schriftsteller" als Bezeichnung für "alle diejenigen, welche Schrifften oder Bücher aufgesetzt haben, es mögen nun solche schon im Druck erschienen seyn oder noch in Handschrifft liegen" (Art. Scribenten, Schriftsteller, in [Zedlers) Grosses vollständiges Universal Lexicon Aller Wissenschaften und Künste[,) Welche bishero durch menschlichen Verstand und Witz erfunden und verbessert worden. [ ... ). Sechs und Dreyßigster Band Schwe-Senc., Leipzig u.a. 1743, Sp. 715) und der Begriffsbestimmung des Schriftstellers als Bezeichnung für "den Verfasser eines durch den Druck zum öffentlichen Gebrauch bekannt gemachten schriftlichen Werkes; im besonderen den Verfasser politischer und belletristischer Schriften" (Art. Schriftsteller, in J. Meyer (Hrsg.), Conversations-Lexicon für die gebildeten Stände. Zweite Abtheilung: 0 bis Z. - Achter Band. Schriftgießen-Sidney (Geogr.), Hildburghausen u.a. 1851, S. 3) liegt ein Jahrhundert, das die "Öffentlichkeit" als gesellschaftliches und politisches Prinzip entdeckt. Gemeinsam ist beiden Definitionsangeboten die Bezugnahme auf die (im ersten Fall auch auf die nur beabsichtigte) drucktechnische Vervielfältigung.

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Vll. Politischer Schriftsteller und öffentliche Meinung

Bildung einer öffentlichen Meinung ist. Politische Öffentlichkeit wird damit zum Abgrenzungskriterium für die Arbeit des politischen Schriftstellers, als Bezugspunkt seiner Textproduktion, auch da, wo die Publikation letztlich unterbleibt, sowie als Diskurs, der über den Status des politischen Schriftstellers entscheidet. Nicht nur die Fragen der Zensur und des Nachdrucks zeigen mit großer Deutlichkeit, daß Medium und kommunikationstechnische Entwicklung, Buchmarkt und Literaturbetrieb, Öffentlichkeit und Politik eng miteinander in Beziehung stehen. Der Literaturbetrieb um 1800, an dem Gentz teilhat, ist zuerst ein ökonomischer und sozialer Strukturzusammenhang, gehört in die Entwicklungsgeschichte kapitalistischer Wirtschaftsweisen und bürgerlicher Gesellschaftsformen. Gerade die Entkoppelung von Literatur und staatlicher bzw. (staats-)kirchlicher Machtsphäre erscheint als Grundzug dieser Entwicklung. 2 Das Auseinandertreten von Staat und societas civilis zeigte sich auch in diesem Bereich. 3 Vom späten 18. Jahrhundert an aber - und das ist an dieser Stelle entscheidend - ist dieser Literaturbetrieb gleichzeitig auf das engste verknüpft mit der Entstehung und Entfaltung einer "öffentlichen Meinung" in Deutschland, die im Zeitalter der Französischen Revolution zu einer der wesentlichen Komponenten des politischen Entscheidungsprozesses wird. 4 Keine Betrachtung der Jahre um 1800 kommt ohne die Berücksichtigung des Wechselverhältnisses von Öffentlichkeit und Politik, das hinter dem Begriff der öffentlichen Meinung steht, aus. 5 "Öffentlichkeit" hatte bereits eine lange begriffsgeschichtliche Tradition, bevor der Terminus nach englischem und französischem Beispiel Eingang ins Deutsche fand. 6 Entscheidende Komponenten dessen, was solchermaßen erstmalig auf den Begriff gebracht wurde, waren nicht nur jene Elemente der

2 Zur zunehmenden Autonomie des Literatursystems und zu den offensichtlich dadurch ausgegrenzten Texten eines politischen Schriftstellers wie Gentz vgl. Kap. VI. , Dazu Wemer Conze, Das Spannungsfeld von Staat und Gesellschaft im Vonnärz, in: ders. (Hrsg.), Staat und Gesellschaft im deutschen Vormärz 1815-1848,2. Aufl., Stuttgart 1970, S. 207269, hier S. 210-218. • Zur Reintegration von Politik und Gesellschaft durch politische Öffentlichkeit in England Andreas Wirsching, Parlament und Volkes Stimme. Unterhaus und Öffentlichkeit im England des fruhen 19. Jahrhunderts, Göttingen u.a. 1990, S. 35l. , Wilhelm Baller, Die öffentliche Meinung und ihre geschichtlichen Grundlagen. Ein Versuch, Tübingen 1914, S. 1-36, 256ff. 6 Dazu Lucian Hölscher, Art. Öffentlichkeit, in: Geschichtliche Grundbegriffe IV, S. 413-467. Vgl. auch ders., Öffentlichkeit und Geheimnis. Sprache und Geschichte. Eine begriffsgeschichtliche Untersuchung zur Entstehung der Öffentlichkeit in der fruhen Neuzeit, Stuttgart 1979 und Habennas, S. 161-178.

VII. Politischer Schriftsteller und öffentliche Meinung

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sozialen Realität, die, ihrer allgemeinen Zugänglichkeit wegen, auch heute als öffentlich bezeichnet werden, sondern über die Deskription hinaus wurde "Öffentlichkeit" "im politisch-sozialen Diskurs der Aufklärung zu einem Begriff aufgewertet, der über theoretische Schriften, politische Programme und Gesetzesvorschriften diejenige soziale Wirklichkeit selbst mitgestaltete, die er bezeichnete. In diesem Sinne läßt sich sagen, daß es nicht nur das Wort 'Öffentlichkeit', sondern auch die Sache selbst vor dem 18. Jahrhundert überhaupt nicht gab. "7 Offenheit für das Wirken der kritischen Vernunft und der Bezug auf das Allgemeines sind die semantischen Ansatzpunkte einer normativen Aufladung des Begriffs, dem das "Geheimnis" als legitimer Bestandteil staatlicher Machtausübung zum Opfer fällt. 9 Die zunehmende Alphabetisierung,1O Grundlage der gesteigerten Nachfrage nach Gedrucktem, und die Ausweitung, Differenzierung und Professionalisierung der Literaturproduktion und -distribution mit der kräftigen Expansion des Angebots sind die Voraussetzungen und zugleich die Resultate der "Verdichtung der öffentlichen Kommunikation"ll im Medium der Schrift, die Deutschland in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts erlebte. Diese Kommunikation war zuerst deswegen öffentlich, weil sie grundsätzlich allen Lesefähigen Zugang gewährte, auch wenn der Buchmarkt deutliche ökonomische Grenzen dieser Offenheit festiegte. 12 Im Literaturbetrieb wurde aber daneben die BTÜcke zwischen Ware und Meinung durch den Bezug zum Publikum als Käufer und Leser geschlagen. Markt und literarische Öffentlichkeit ergänzten einander. 13 Für diejenigen, die sich im Rahmen dieser verdichteten öffentlichen Kommunikation äußern konnten, erst vor allem Gelehrte, dann eine weiter gefaßte Schriftstellerschaft, bot sich, von den ökonomischen Auswirkungen abgesehen,

Hölscher, Öffentlichkeit und Geheimnis, S. 9. • Der friihneuzeitliche Wortgebrauch hatte immer auch den Gegensatz zum Privaten einbegriffen. Dazu: ebd., S. 69-79. • Ebd., S. 7f. 10 Dazu Etienne Franfois, Alphabetisierung und Lesefähigkeit in Frankreich und Deutschland um 1800, in: Berding u.a. (Hrsg.), S. 407-425. 11 Wehler I, S. 303. 12 Ebd., S. 303-316; Möller, S. 268-280. 13 Vgl. dazu Lutz Winckler, Autor - Markt - Publikum. Zur Geschichte der Literaturproduktion in Deutschland, (West-)Berlin 1986. - Dieser Zusammenhang spiegelt sich - auf die politische Öffentlichkeit übertragen, auch in der politischen Theorie. Dazu Klaus Dicke, "The Marketplace of Ideas" und der menschenrechtliche Gehalt der Meinungsfreiheit, in: Johannes Schwartländer/Dietmar Willoweit (Hrsg.), Meinungsfreiheit - Grundgedanken und Geschichte in Europa und USA, Kehl am Rhein u.a. 1986, S. 65-84. 7

9 Kronen bitter

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eine wesentlich vergrößerte Reichweite der Mitteilung. 14 Über dieses Faktum hinaus bedeutete Öffentlichkeit den Schriftstellern der Aufklärung aber auch den der Kritik offenstehenden Raum,15 die Gemeinschaft von Autor und nur nach Rezeptionsmöglichkeiten qualitativ abgestuftem Publikum. So widersprüchlich und differenziert der Begriff der Öffentlichkeit seit dem 18. Jahrhundert verwendet wurde, so deutlich ist doch, daß er, mit normativem Gehalt aufgeladen, tendenziell auf die Erweiterung von Partizipationsmöglichkeiten zielte. Beginnend mit der Politisierung der zunächst auf den kulturellen Bereich konzentrierten Öffentlichkeit in der Spätaufklärung wurde "Publizität" zunehmend zur Legitimationsbasis von Herrschaft. 16 Die Transformation der vom Bürgertum getragenen literarischen zur politischen Öffentlichkeit stellte die bis dahin dominierende repräsentative Öffentlichkeit, die sich einsinnig, als allgemein sichtbares, zeremoniell geformtes Erscheinen der jeweiligen hierarchischen Spitze konstituierte, in Frage. J7 Diese von Habermas herausgearbeitete Typologie der Entfaltung bürgerlicher Öffentlichkeit bietet der ideengeschichtlichen Analyse nach wie vor ein nützliches Instrumentarium, auch wenn viele Aspekte des historischen Prozesses zur Modifizierung des Bildes vom "Strukturwandel der Öffentlichkeit" zwingen. 18 Dem Typus der repräsentativen Öffentlichkeit korrespondiert eine von vorgegebenen Situationsstereotypen bestimmte Textproduktion, die im sich formierenden Literatursystem von der der bürgerlichen Öffentlichkeit zuzurechnenden Autonomieästhetik entwertet wird. 19 Mit dem "gesellschaftliche[n] Verwei" "Was dem Schriftsteller gegenüber dem Redner an unmittelbarer Wirkung verlorenging, das kompensierte er dadurch, daß seine Schrift in tausend Winkel drang, die der Redner nie erreicht hatte, und auf diese Weise eine Öffentlichkeit herstellte, die an Größe weit über die des Redners hinausging. " (Hölscher, Öffentlichkeit und Geheimnis, S. 105). " Vgl. dazu Reinhart Koselleck, Kritik und Krise. Eine Studie zur Pathogenese der bürgerlichen Welt, ND Frankfurt am Main 1973. 16 Dazu: Hölscher, Art. Öffentlichkeit, S. 430-438,446-459; ders., Öffentlichkeit und Geheimnis, S. 83-91; Möller, S. 281-289. 17 Habennas, S. 58-85, 116-141. 18 Wie Habermas in seinem Vorwort zur Neuauflage 1990 selbst einräumt (Habennas, S. 1221). - So zeigt sich etwa am Beispiel der Französischen Revolution, wie vielschichtig und widersprüchlich der Prozeß verläuft (dazu im Überblick die Sammelrezension von Benjamin Nathans, Habermas's "Public Sphere" in the Era of the French Revolution, in: French Historical Studies 16(1990), S. 620-644). - Mit den von Habermas herausgestellten Typen von Öffentlichkeit läßt sich der Zusammenbruch der traditionellen Autoritäten in der Französischen Revolution als direkte Herausforderung überlieferter repräsentativer Öffentlichkeit begreifen. Dazu Lawrence M. Bryant, Royal Ceremony and the Revolutionary Strategies of the Third Estate, in: Eighteenth-Century Studies 22(1989), S. 413-450. - Vgl. auch die Kritik an Habermas bei Michael Hofmann, Uncommon Sense. Zur Kritik der Öffentlichkeit als demokratischem Idol, Mainz 1988, S. 44-75. 1. Dazu Dieter Borchmeyer, Ästhetische und politische Autonomie: Schillers 'Ästhetische Briefe' im Gegenlicht der Französischen Revolution, in: Wolfgang Wittkowski (Hrsg.), Revolution

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sungszusammenhang"20 zerfällt die Basis der vorrevolutionären ästhetischen Kultur. Die bürgerliche Öffentlichkeit in Deutschland, die gegen Ende des 18. Jahrhunderts, insbesondere im Gefolge der Ereignisse in Frankreich, zunehmend politische Fragen thematisierte, hatte ihr institutionelles Rückgrat in Strukturen akademischer Gelehrsamkeit und einer ganzen Palette neuer Organisationsformen. 21 Weniger durch Zeitungen,22 die allerdings durch die bewegten Zeitläufte mit spannenden Neuigkeiten versorgt waren und daher an Attraktivität gewannen, sehr viel mehr durch Flugschriften und Zeitschriften, wurden die Druckmedien ein Brennpunkt der öffentlichen Meinungsbildung.23 Die Druckmedien, im zeitgenössischen Wortgebrauch insgesamt als "Presse" bezeichnet, boten somit einen günstigen Ansatzpunkt der staatlichen Kontrolle über die Öffentlichkeit; der Kampf um die Freiheit der - so verstandenen Presse und um die Beschränkung dieser durch eine präventive Überwachung mittels (Vor-)Zensur stand daher im Zentrum der politischen Diskussion und damit des öffentlichen Räsonnements. 24 Neben der fortdauernden Auseinandersetzung um Pressefreiheit und Zensur dokumentiert die vorgebliche und die tatsächliche strategisch geplante und absichtsvoll institutionalisierte Meinungslenkung durch organisierte Gruppen innerhalb und außerhalb des Staatsapparates im Revolutionszeitalter die politische Brisanz der Öffentlichkeit. Die übel beleumundete säkularisierte Propa-

und Autonomie. Deutsche Autonomieästhetik im Zeitalter der Französischen Revolution. Ein Symposium, Tübingen 1990, S. 277-296. 20 Borchmeyer, Ästhetische und politische Autonomie, S. 289. 2\ Dazu: Hölscher, Öffentlichkeit und Geheimnis, S. 140f., 154-168; Möller, S. 212-268. - Die widerspruchsvolle Wechselbeziehung zwischen dem Anspruch auf Öffentlichkeit und der Realität durch das Arkanprinzip streng abgeschirmter bloßer Binnenöffentlichkeit bei den geheimen Gesellschaften, Orden und Logen bei Möller, S. 213-232, Kosselleck, Kritik und Krise und Wolfgang Hardtwig, Eliteanspruch und Geheimnis in den Geheimgesellschaften des 18. Jahrhunderts, in: Helmut Reinalter (Hrsg.), Aufklärung und Geheimgesellschaften. Zur politischen Funktion und Sozialstruktur der Freimaurerlogen im 18. Jahrhundert, München 1989, S. 63-86. 22 Zu den davon sehr verschiedenen Verhältnissen in Frankreich z.B. Claude LabrosseiPierre Rerat, Naissance du journal revolutionnaire. 1789, Lyon 1989 und Jeremy D. Popkin, Revolutionary News. Tbe Press in France. 1789-1799, Durham u.a. 1990. 23 Ein Überblick über die Entwicklung der Presselandschaft in Deutschland in Margot Lindemann, Deutsche Presse bis 1815. Geschichte der deutschen Presse. Teil I, Berlin 1969 und Kun Koszyk, Deutsche Presse im 19. Jahrhundert. Geschichte der deutschen Presse. Teil 11, Berlin 1966. - Zur Definition der politischen Zeitschrift Wilmont Haacke, Die·politische Zeitschrift. 16651965. Band I, Stuttgart 1968, S. 122-209. 2. Dazu Franz Schneider, Pressefreiheit und politische Öffentlichkeit. Studien zur politischen Geschichte Deutschlands bis 1848, Neuwied am Rhein u.a. 1966. 9'

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ganda ist nur der Extremfall der um 1800 immer mehr zur Regel werdenden Meinungssteuerung als Mittel der Machthaber überall in Europa. 25 Auch hier, bei den Spielarten positiver Kommunikationskontrolle, stehen die Druckmedien naturgemäß im Zentrum der Steuerungsbemühungen. Eine koordinierte Pressepolitik - Presse ist in diesem Zusammenhang im heutigen Verständnis gemeint - gehörte seit Napoleon zu den Requisiten moderner Politik. 26 In welchen Medien auch immer, Sprachlenkung zur Beeinflussung der Öffentlichkeit wurde als unverzichtbarer Bestandteil politischen Erfolgs aufgefaßt. 27 Der Begriff, mit dem der Geltungsanspruch dieser politischen Öffentlichkeit benannt wurde, war der der "öffentlichen Meinung":28 "OejJentliche Meinung in dem Sinne der Erfinder dieses Ausdruckes [ ... ] ist die Übereinstimmung vieler, oder des größten Theils der Bürger eines Staats in Urtheilen, die jeder einzelne, zu Folge seines eignen Nachdenkens, oder seiner Erfahrungen über einen Gegenstand, gefällt hat. ,,29 Wie Garve hier betont, unterstreicht der nach französischem Vorbild entstandene Neologismus "die mit diesem Ausdrucke zugleich entstandne Gewohnheit, die öffentliche Meinung als ein unsichtbares Wesen von großer Wirksamkeit zu betrachten, und sie mit unter die verborgnen Mächte zu zählen, welche die Welt regieren: das ist es, was wir in französischen Schriftstellern zuerst finden, und was aus denselben in die unsrigen übergegangen ist. ,,)0 In dieser Vorstellung von der Geschichtsmächtigkeit der öffentlichen Meinung verbinden sich die greifbaren Resultate langfristiger Entwicklungen mit einer spürbar herrschaftskritischen Prognostik, Erfahrungsraum mit Erwartungshorizont. Im Gegensatz zur repräsentativen stellte die bürgerliche Öffentlichkeit die bestehende Machtstruktur in Frage, anstatt sie zu bestätigen. In der politischen Praxis entwickelte sich öffentliche Meinung, die "gleichsam sub-

25 Dazu Woifgang SchiederlChristoJ Dipper, Art. Propaganda, in: Geschichtliche Grundbegriffe V, S. 69-112, hier S. 69-82. 26 Das gilt auch rur den bis heute stark "geheimnisbedürftigen"' Bereich der Außenpolitik. Dazu Erich Everth, Die Öffentlichkeit in der Außenpolitik von Karl V. bis Napoleon, Jena 1931, S. 392478. 27 Dazu Wather Dieckmann, Infonnation oder Überredung. Zum Wortgebrauch der politischen Werbung in Deutschland seit der Französischen Revolution, Marburg 1964, S. 20-24, 62-66. 2. Vgl. dazu: Hölscher, Öffentlichkeit und Geheimnis, S. 105-117; Elisabeth Noelle-Neumann, Öffentliche Meinung. Die Entdeckung der Schweigespirale, Frankfurt/Main u .a. 1989, S. 93-131, 266-292. 29 Christian Garve, Ueber die öffentliche Meinung, in: ders., Versuche über verschiedene Gegenstände aus der Moral, der Litteratur und dem gesellschaftlichen Leben. Fünfter Theil, Breslau 1802, S. 291-334, ND in Wölfel (Hrsg.) 11, S. (1263)-[1306), hier S. 296 bzw. (1268). 30 Ebd., S. 294 bzw. (1266).

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stantlvlerte politische Kontingenz"31, zur letzten Instanz des Veränderungswillens. 32 Gegnern des Umsturzes wie Garve ist sie suspekt, gerade weil die Freunde der Revolution "zu der öffentlichen Meinung, als einer Qualitas occulta, die alles erklären, - und einer höhern Macht, die alles entschuldigen kann, ihre Zuflucht")) nähmen. In der Tat eignen sich die Begriffe "Öffentlichkeit" und "öffentliche Meinung" besonders gut zur (erklärenden wie legitimierenden) Begriindung politischer Entwicklungen, da sie über einen hohen Grad an immunisierender Geschlossenheit verfügen. Die bis heute gängige Schelte der veröffentlichten Meinung entgegentritt, weist auf die semantische Ausblendung der Machtfrage als Kennzeichen des Begriffsgebrauchs hin. Die Verfügung über die Textinhalte wird entpersonalisiert. Vom überlieferten Verwendungsbereich des Wortes "öffentlich" als Gegensatz sowohl zu "geheim" als auch zu "privat" begünstigt, verbindet sich die faktische Zugänglichkeit von Texten mit deren normativen Anspriichen auf eine kaum aufzulösende Weise. Die am massivsten reproduzierte Meinung bekommt so auch besonderes inhaltliches Gewicht. 34 In der sprachlichen Gestaltung findet diese Verschleierung des Subjekts im Adjektiv "öffentlich" ihren angemessenen Ausdruck, die der "Meinung" einen nicht weiter begriindungsbedürftigen Geltungsanspruch zu verleihen scheint. Auf dieser Ebene der Analyse ist "öffentliche Meinung" ein Holismus, der die "Entscheidung über die Definitionsmacht"35 außer Diskussion stellt. Das Unbehagen der Vertreter der weniger wirksamen Meinung an diesem Öffentlichkeitsanspruch läßt den Blick auf die erfahrungsgemäß unvermeidlich mit der öffentlichen Meinungsbildung verknüpfte Machtfrage fallen. Naheliegend sind dann die realen kommunikativen Strukturen der Öffentlichkeit, beispielsweise die biographischen, sozialen, wirtschaftlichen und politischen Charakteristika der Zeichenbenutzer, damit also die Umkehrung des Öffentlichkeitsarguments in den Vorwurf partikularer Interessenpräferenzen. 36 Gerade der soziokulturelle und ökonomische Hintergrund der Öffentlichkeit taugt nicht nur zur Entlarvung des als Allgemeines maskierten Besonderen, sondern zeigt auch die tendenzielle Überschreitung von Kommunikationsrestrik-

NikJas LlIhmann. Öffentliche Meinung. in: PVS 11(1970), S. 2-28. hier S. 4. Vgl. dazu Mona OZOIlj. "Public Opinion" at the End of the Old Regime. in: The Journal of Modem History 60(1988) (Supplement. Rethinking French Politics in 1788) S. SI-21. !3 Garve. Öffentliche Meinung. S. 295 bzw. [1267). 34 Vgl. Noelle-Nellmann. S. 321. " Bal/weg. Entwurf. S. 246. Vgl. dazu allg. ders .. Phronetik und ders .• Entwurf. 36 Vgl. dazu Kap. V.1. 31

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tionen aller Art, die ja ein wesentliches Element des Begriffs selbst ist. 37 "Die Machtergreifung der öffentlichen Meinung ist eine Erscheinungsform des Prozesses kulturellen Wachstums"38, und wer die Herrschaft nicht an öffentliche Meinungsbildung gebunden sehen wollte, der wurde schnell zum Vertreter konservativer Kulturkritik. Auch Gentz hat sich schon früh in diesem Sinne bekannt: "Unser mit Kenntnissen aller Art gesättigtes Jahrhundert will über das Ziel hinausfliegen, und fängt an des Zügels zu bedürfen. Eine einseitige, regellose, ausschweifende Bearbeitung des Verstandes, die mit der Bildung des Charakters in keinem Ebenmaß steht, treibt in allen Ländern von Europa die rastlose, unmuthige, neuerungssüchtige Stimmung hervor, die sich allemahl da einfindet, wo Geistes = Cultur ohne wahre Energie erscheint. Das Uebermaß des Wissens kann der Menschheit so verderblich werden, als die Unwissenbeit ihr war. Wir schwimmen in einem Ozean von Schriften, dessen Gränzen die Einbildungskraft kaum erreicht. Wäre die Glückseeligkeit unsers Geschlechts auf dem Wege des Lesens und Schreibens zu finden, so müßte sie durchaus nicht mehr zu suchen seyn. ",.

Die Umkehrung der kulturellen Entwicklung unter Einsatz staatlicher Machtmittel lag außerhalb des Denk- oder wenigstens außerhalb des Schreibbaren, aber zumindestens die Behinderung des kommunikativen Verdichtungsprozesses und Beschränkung von Themen und sozialer Reichweite öffentlichen Meinungsaustausches boten sich als Gegenmaßnahmen an. 40 Aussetzen ließ sich die öffentliche Diskussion nicht, sondern nur einengen. Gentz als politischer

37 Vgl. dazu z.B. Hofmann, S. 75: "Die Umwälzung der Kommunikationsverhältnisseseit dem 16. Jahrhundert basiert auf der Eröffnung des Welthandels, dem damit verbundenen praktischen Interesse an wissenschaftlicher Erkenntnis und den aus beiden Faktoren resultierenden wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen in den Frühformen bürgerlicher Gesellschaft. Erst auf dieser soziologischen Grundlage, die zu einem scheinbar grenzenlosen Austausch von Erfahrungen, Entdeckungen und Erkenntnissen führt, konnten sich für die klassischen Ideale der erkenntnisorientierten Kommunikation und Verständigung tendenziell neue Möglichkeiten ihrer Realisierung abzeichnen. " ,. EmsE Fraenkel, Öffentliche Meinung und internationale Politik, Tübingen 1962, S. 12. 39 Friedrich GenlZ, Einleitung. Ueber den Einfluß politischer Schriften, und den Charakter der Burkischen, in: Burke Betrachtungen I, S. VII-XL (=GenlZ, Einleitung Burke/, hier S. VIII. 40 Eine genauere Ausgestaltung der Voraussetzungen politikfähiger öffentlichen Meinung bei Garve, Öffentliche Meinung, S. 310-334 bzw. (1282)-(1306): "Für die Ruhe der Staaten ist es nützlicher, wenn keine öffentliche Meinung über politische Gegenstände vorhanden ist, als wenn eine falsche herrscht, und wenn sie stark und leidenschaftlich ist. Man hat oft und viel über den Nutzen und Schaden der Aufklärung geschrieben und gesprochen. Wer sich selbst versteht und ein vernünftiger Mensch ist, kann die Ausbreitung und Cultur der Vernunft, worin eben die Aufklärung besteht, für nicht anders als nützlich halten. Darüber kann aber die Frage seyn, ob es nicht besser ist, daß ein Mensch oder eine Nation, wenn sie noch unflihig sind, richtig zu urtheilen, lieber gar nicht urtheilen. Ist nicht eine gewisse Geistesunthätigkeit, die mit Bescheidenbeit und Einschränkung auf sei'uen unmittelbaren Beruf und Wirkungs= und Gesichts = Kreis verbunden ist, besser, als eine falsch gerichtete Thätigkeit, die den Menschen über seine Sphäre hinausführt, und ihn oft zum Verderben Anderer und der Gesellschaft thätig macht?" (ebd., S. 317f. bzw. (1289)f.).

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Schriftsteller blieb für seinen ökonomischen Erfolg und für seine politische Wirksamkeit auf die Öffentlichkeit angewiesen. Die Aufgabe eines politischen Schriftstellers im Widerspruch zum Geltungsanspruch einer politisierten Öffentlichkeit hat zwangsläufig etwas paradoxes; unter den Bedingungen der fortdauernden Auseinandersetzung um die Zulässigkeit und die Grenzen öffentlicher politischer Diskussion bei gleichzeitiger Orientierung an traditioneller, d.h. in diesem Fall die Öffentlichkeit nicht beteiliegender Entscheidungsfindung, führt dazu, daß Gentz immer unter dem Doppelaspekt von politischer Publizität und publizitätsfeindlicher Politik gelesen werden muß. 4\ Gentz hat die Grundlagen seiner eigenen schriftstellerischen Tätigkeit mehrfach, wenn auch selten sonderlich ausführlich, reflektiert. Das bekannteste Beispiel dafür ist seine Einleitung zur Übersetzung von Burkes "Reflections", in der die Überlegungen zur Bedeutung politischer Schriften mit geschichtsphilosophischem Räsonnement verbunden werden. Das zerstörerische Potential, das die kulturelle Höherentwicklung des Menschen notwendig begleitet, habe sich in der jüngsten Zeit zunehmend aktualisiert, und stelle den "denkenden Mann", für den es früher "kaum einen süßem Beruf gab, als - politischer Schriftsteller zu seyn"42, vor die Frage, "daß es für einen Mann, der sich mit allen Fähigkeiten zum öffentlichen Wirken ausgerüstet fühlt, ein ernsthaftes Problem wird, ob er seinen Zeitgenossen redlicher dient, wenn er spricht, oder wenn er schweigt. "43 Die Antwort, die Gentz auf diese augenscheinlich rhetorische Frage gibt, ist das Festhalten an der Notwendigkeit öffentlichen Vernunftgebrauchs, der sich gegen das quantitative und sozialpsychologische Übergewicht falscher Meinungen unter Schriftstellern und Publikum mit rationalen Argumenten zu wehren weiß. 44 Als die öffentliche Angelegenheit steht die Politik spätestens seit der Französischen Revolution fortdauernd im Mittelpunkt des Interesses eines breiten Publikum. Das alle betreffende Thema fordert alle zur Stellungnahme, zur Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung heraus. Genau dagegen sträubt sich Gentz aufgrund seiner politischen Präferenzen:

., Die Minderheitenposition, in die sich GenlZ in der öffentlichen Diskussion meistens gedrängt sah, deutete er u.a. (Iiteratur)soziologisch, so z.B. in einem undatierten Billett an Pilat: "Es ist gewiß, daß die Liberalen sich auf das, was einer der Ihren Camaraderie litteraire nannte, besser verstehen als wir. Was unter uns noch etwa Gutes und Gelungenes produzirt wird, verhallt in dem nächsten Augenblick, wird sogar von denen, die ein persönliches Interesse hätten, es herauszugeben, sogleich wieder vergessen." (Briefe an Pilat 11, S. 421). 41 GenlZ, Burke Einleitung, S. VII. 43 Ebd., S. VIII. .. Ebd., S. XIV.

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"Unter allen Zweigen wissenschaftlicher Erkenntniß hat von Alters her keinen so sehr das Loos getroffen, von ungeschickten Händen verstümmelt zu werden, als die Politik. Nirgends hat sich der gemeinste und ungeübteste Verstand so leicht in den Traum einer seligen Allwissenheit einwiegen lassen. Alltägliche Bescheidenheit schließt dem Layen den Mund, wenn der Kunstverständige über Jurisprudenz, Arzneywissenschaft oder Metaphysik spricht: aber sobald von Staatsverfassungen die Rede ist, wird Jeder ein Adept.""

Politik als Kunst und zwar, dem Bezugspunkt auch seiner meisten schreibenden Zeitgenossen entsprechend, als Staatskunst, ist für Gentz die Angelegenheit einer kleinen Elite der Verständigen als Publikum und einer noch kleineren Elite der Entscheidungsträger. 46 Exklusivität, bei der Außen- mehr noch als bei der Innenpolitik, und Öffentlichkeit bleiben beim politischen Schriftsteller Gentz fortan in einem unvermeidbaren Widerspruch, der seine Texte durchzieht. Was sich im Laufe der Jahre noch verschärfte war seine Skepsis gegenüber der Einsichtsflihigkeit des Publikums. Immer stärker wuchs die Überzeugung, genau zu wissen, "wie gleichgültig es am Ende ist, ob man dem Publikum Trüffeln oder Erdäpfel vorsetzt "47. Nur ganz selten trug ihn die Euphorie davon: "Es müßte kein Verstand, keine Gerechtigkeit mehr auf Erden sein, wenn unsre Sache nicht in Kurzem einen vollständigen Sieg, selbst in der Meinung, davon tragen sollte. "48 Wenige Jahre vor Gentz' Tod pries ihn der Schriftsteller Max Karl BaIdamus in einem Gedicht für den nimmermüden Kampf gegen die Frechheit der öffentlichen Meinung. 49 Baldamus bemühte sich offensichtlich, dieses Ringen in wild-bewegten Bildern zu veranschaulichen. Gleich eingangs erhebt "sich getaufet mit Blut die wüthende Meinung, llire Woge beleckt' fluchend die Stufen des Thron's, Sieß [!) die Kronen herab, die stumm zu Scherben zerfielen, Bot zum Thränenkrug wieder die Scherben dem Volk! Königsmäntel zerriß sie in Hast und theilte den Purpur, Aus der Kirche raubt sie den Schmuck, und trank aus dem Kelche Der [!) zum Pocal sie entweiht, wild den politischen Rausch. Und dem Rausche folgten Gesänge, der Klang der Sirene

" Ebd., S. X . .. Groba, S. 147f. ., Undatiertes Billet von Gentz an Pilat, in Briefe an Pilat 11, S. 430 . •• Gentz an Pilat am 26.2.1821, in Briefe an Pilat 11, S. 33. - 1829 hielt er die Übertragung eines Lukrez-Zitates fest, die m.E. resignative Grundstimmungjener Phase seiner Auseinandersetzung mit der (ver)öffentlich(t)en Meinung andeutet: "Es schleicht mit stiller Angst der Arzt zum Krankenlager." (Notizheft 1829, in UB Köln Sammlung Otto Wolff G.N. Nr. 86) . •• Der poetische Anbiederungsversuch von Baldamus mißlang. Dazu Jakob Baxa, Die Wiener Erlebnisse des Konvertiten Max Karl Baldamus im Vormärz, in: Der Wächter 30/31 (J 948/49), S. 41-47. Vgl. zu Gentz und Baldamus auch Tagebücher rv, S. 347 und V, S. 113.

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Zog manch redliches Herz schnell in den Strudel hinab. Dich bestach sie nicht verschmähend die ängstliche Vorsicht, Hörtest du offenen Ohr's ruhig den Taumelnden zu. Wie sie gesehen den Ernst, da kehrten zuriick sie zur Mutter, Sie, die Meinung erschien, dräuuend (!] und fluchend vor dir, Aber sie irrte dich nicht, du zürntest bedächtig und weise, Warnung, Mahnung und Rath floß von der Lippe dir sanft. Burke ging dir voran, er griff zur birkenen Ruthe, Pädagogisch und steif glaubt' er zu heilen den Wahn, Mentor des brittischen Spleen's entlief ihm die Tollheit des Tages, Aber sie beugte dafür willig den Nacken vor dir. Mächtig ward die Feder durch dich, es theilte der Degen, So vermessen er auch, willig den Lorber (!] mit ihr. Gib den geharnischten Kiel zu eigen dem Dome von Deutschland, Als Reliquie ehrt hoch ihn die kommende Zeit, Deine Farbe führet fortan die geläuterte Meinung, Burke siegte durch dich, dir nur gebühret der Dank. ,,'"

j() earl Baldamus, An Friedrich Gentz (Sonderdruck] (1827 -1828], in UB Köln Sammlung Otto WolffG.N. Nr. 77.

VIII. Exkurs: Private Texte Die Teilhabe an der Öffentlichkeit verlangt vom Schriftsteller naheliegenderweise die Publikation seiner Texte. Von Ausnahmen abgesehen, I bedeutet dies die Mitwirkung am Literaturbetrieb als Produzent von Texten für Zeitungen, Zeitschriften, Bücher, mithin für den Markt. Auch wenn ich hier von der These ausgehe, daß die politische Öffentlichkeit den Grundtypus der Kommunikationssituation, in der Gentz als politischer Schriftsteller steht, darstellt, so läßt sich doch nicht übersehen, daß der Großteil von Gentz' Texten zu seinen Lebzeiten unpubliziert geblieben ist. Die unveröffentlichten Texte dürfen deshalb im folgenden, wo es um die Wirkungsfelder von Gentz in der Öffentlichkeit geht, mit geringerer Ausführlichkeit herangezogen werden. Trotzdem lohnt es sich m. E., deutlich zu machen, daß gerade im Zeitalter verdichteter öffentlicher Kommunikation absichtsvoll nicht-öffentliche Textformen einen erheblichen Stellenwert besitzen. "Geheimnis" ist ein Gegenbegriff zur "Öffentlichkeit", der erst im Zeitalter aufgeklärter Kritik mit dem Makel des Ungerechtfertigten belegt wurde. Die Arcana imperii stehen im Widerspruch zum Geltungsanspruch der öffentlichen Meinung. 2 Als politischer Akteur hat Gentz in Briefen und amtlichen Schreiben, Denkschriften und Berichten immer wieder als "Geheimnisträger" gewirkt. Meistens sind diese vertraulichen Schreiben und Memoranden Elemente eines regierungsinternen Entscheidungsprozesses. Zusammen mit den offiziellen Depeschen bilden die Denkschriften das Hauptaufgabenfeld von Gentz in der Staatskanzlei, wie die Tagebücher immer wieder zeigen. Sie sind Teil eines den hierarchischen Strukturen der Behörde entsprechend organisierten Arbeitsablaufs. Der notwendig nicht-öffentliche Charakter solchen Herrschaftswissens liegt auf der Hand, und auch der nachträgliche Wechsel eines ursprünglich vertraulichen oder internen Textes zur Publikation ist mit politischen und wissenschaftlichen Interessen leicht erklärbar. 3

Im Falle von Gentz z.B. die Kriegsmanifeste von 1809 und 1813. Hölscher, Öffentlichkeit und Geheimnis, S. 7f., 130-\33. , Die Gemeinschaft der in den politischen Arkanbereich eingelassenen Wissenden läßt sich auch als nach außen abgeschirmte binnenöffentliche Sphäre begreifen; anders als die analoge Sonderöffentlichkeit der Gelehrten, die den Ausgangspunkt für die Formierung des aufgeklärten Publikums abgibt, kennt die Hohe Politik kein prinzipielles (wie auch immer faktisch sozial gebundenes) Bekenntnis zur Öffentlichkeit (vgl. Hölscher, Öffentlichkeit und Geheimnis, S. 140f.). I

2

VIII. Exkurs: Private Texte

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"Privatheit" ist zwar auch ein Gegenbegriff zu "Öffentlichkeit", hängt aber anders als das "Geheimnis" in ihrer Genese eng mit der Entstehung einer bürgerlichen Öffentlichkeit selbst zusammen. 4 In Abgrenzung zu der im literarischen Markt greifbar werdenden Anonymisierung schriftlicher Kommunikation erhalten Gegenmodelle der Textherstellung eine neue Bedeutung. Dies berührt auch die Anwendungsbereiche der Submedien Handschrift und Druck. Erst der Druck bietet das Medium der oben erwähnten Öffentlichkeit, indem er die Verbreitung des Geschriebenen technisch als Reproduktion und ökonomisch als Ware zuläßt und damit den Zugang tendenziell anonymisiert. Gegen die Entmaterialisierung der Kommunikation richtet sich eine, in der kommunikativen Reichweite eingeengte, aber um neue Erfahrungsebenen erweiterte Kultur der Handschrift. 5 Besonders weit vom literarischen Markt entfernt liegt die Form des Tagebuchs. Als literarische Gattung nur mit Mühe charakterisierbar, läßt sich das Tagebuch noch am ehesten über die tagtägliche Textherstellung abgrenzen. 6 Nicht bloß kurzfristiger Behelf wie die Notizhefte, nicht in weiten Teilen bloß Abschrift wie die Exzerpte, nehmen Gentz' Tagebücher unter seinen Schriften einen ebenso wichtigen wie schwer zu bestimmenden Platz ein. Schon ganz

• Vgl. zum fruhneuzeitlichen Wechselverhältnis von öffentlich-politischem und privatem Bereich Yves Castan, Politique et vie privee in: Phillippe Aries/Georges Duby (Hrsg.), Histoire de la vie privee. Tome 3. De la Renaissance aux Lumierieres (hrsg. von Roger Chartier), Paris 1986, S. 27-69. , Über den Verlust der "Aura" der Schrift durch den Druck Jan-Dirk Müller, Der Körper des Buchs. Zum Medienwechsel zwischen Handschrift und Druck, in: Gumbrecht/Pfeiffer (Hrsg.), S. 203-217. - Es sind nicht bloß die Zwänge der technischen Entwicklung, die dafür sorgen, daß die Handschrift als Medium präsent bleibt - was jeder Archivbenutzer unmittelbar erfährt -, es entwickelt sich eine teilweise selbstbewußte Forcierung der Handschriftlichkeit. Im Nachlaß von Rahel Varnhagen finden sich z.B. Notizen über August Wilhelm "Schlegels Vorlesung in Berlin" 1802, die die Verschränkung neuer Wege mündlicher mit handschriftlicher Kommunikation dokumentieren. Rahel Varnhagens "Mitschrift" wird von den eigenhändigen Zwischenbemerkungen u.a. von Gentz unterbrochen, wodurch es zu einer "schriftlichen Konversation" der beiden kommt, die mit den Mitteln der Druckschrift gar nicht angemessen wiedergegeben werden kann. Dazu Rahel Vamhagen, Schlegels Vorlesung in Berlin, Biblioteka Jagiellofiska Krakow, [Bestände der) Königliche[n) Bibliothek zu Berlin, Nachlaß Varnhagen von Ense, Kasten 203. Das Fragment des Dialogs von Gentz und Rahel Vamhagen (ebd.), das selbst in den Fotokopien, die mir Renata Buzzo Margari freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat, Ausdrucksnuancen besitzt, die sich z.T. der Transskription entziehen. Auszugsweise wiedergegeben und kommentiert bei Renata Buzzo Margari, Schriftliche Konversation im Hörsaal. "Raheis und Anderer Bemerkungen in A. W. Schlegels Vorlesungen zu Berlin 1802", in: Hahn/lsselstein (Hrsg.), S. 104-127. Vgl. auch Marianne Schuller, Dialogisches Schreiben. Zum literarischen Umfeld Rahel Levin Varnhagens, in: Hahn/lsselstein (Hrsg.), S. 173-185. • Dazu Ralph-Rainer WUlhenow, Europäische Tagebücher. Eigenart. Formen. Entwicklung, Darmstadt 1990, S. 1-26,38-49.

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VIII. Exkurs: Private Texte

formal ist der Status der Tagebücher problematisch, denn Gentz selbst hat sie Mitte der 1820er Jahre zu überarbeiten begonnen,? Die Bearbeitung, die nur als bewußte (Um-)Formung des Tagebuchtextes, als Gestaltung betrachtet werden kann, ist ein Akt der Selbststilisierung; sie könnte auf eine eventuell geplante oder einkalkulierte Publikation hindeuten,8 Gentz selbst spricht davon, daß das Tagebuch einzig den Zweck habe, "die Hauptsachen, die mich selbst betreffen, von [!] der Vergessenheit zu retten, "9 Ob er damit an die Nachwelt oder nur an sich gedacht hat, läßt sich daraus nicht schließen, Nach Varnhagen führte Gentz zeitweise "neben diesen persönlichen Tagebüchern auch noch litterarische, in welche er die Gegenstände und den Ertrag seines Lesens einschrieb,lo ferner solche, die er politische nannte, in welchen er bestimmte Staatshandlungen in ihrer Abwicklung verfolgte, und von denen die bekannte Denkschrift über die Oktobertage 1806 11 ein glanzvolles Beispiel ist. "12 Dazu kommt schließlich noch die Form des Reisetagebuchs, die Gentz ebenfalls benutzte,l3 Es liegt nahe, die Gesamtheit von Gentz' Aufzeich-

, Varnhagen meint dazu im Vorwort der ersten Tagebücherausgabe: "Hierbei leitete ihn hauptsächlich der Zweck, die Masse des jetzt Nutzlosen und Ueberflüssigen wegzuschaffen, auch manche Verhältnisse und Menschen zu schonen, nicht im geringsten aber die Absicht, seine eignen Fehler und Verirrungen zu verdecken, und seine Vergangenheit in's Schöne zu malen; die rückhaltlose Aufrichtigkeit in Betreff seiner selbst verläugnete er auch in der neuen Abfassung nicht. Das große Unternehmen, diese Auszüge zu machen, scheint Gentz um das Jahr 1826 begonnen, und in kurzer Zeit, unter allen Geschäftsarbeiten und Zerstreuungen, in denen er stets befangen war, führte er dasselbe so weit, daß er die so1chergestalt ausgebeuteten, bis zum Schlusse des Jahres 1814 führenden ursprünglichen Tagebücher den Flammen übergeben konnte." ([Kart August) Vamhagen von Ense, Vorwort, in: Tagebücher 1861, S, V-XI, hier S. VIIIf.). • Es ist aber auffallend, daß trotzdem die Funktion der Gedächtnishilfe auch in den Tagebüchern der zweiten Hälfte der I 820er Jahre ohne Rücksicht auf den Ruhm in den Augen anderer Leser vorherrscht, und daß Gentz nicht für die Beseitigung der Tagebücher der Jahre ab 1815 gesorgt hat. Die oft ganz betont retrospektiven Tagebuchauszüge mit ihrer klar hervortretenden Distanz zum ursprünglichen Autor sind in jedem Falle eine Schrumpf- und Mischform von Diarium und Autobiographie. Ob die Tagebücher nur auf Gentz oder ob sie auch auf andere Leser als ihn selbst hin geschrieben wurden, läßt sich nicht eindeutig klären. "Genug, er führte persönliche Tagebücher, und setzte sie über ein Vierteljahrhundert hinaus beharrlich fort, theils in französischer, theils in deutscher Sprache, in klarer freier Schrift, ohne Hehl oder Verschleierung." (ebd .. S. VIII). - Auf eine bewußte und vorsorgliche Pflege des eigenen Nachlasses deutet Gen/z z.B. in der Tagebucheintragungvom 19.12.1831 hin (fagebücherV, S. 339). 9 TagebücherI, S. 59. 10 Z.B. [Friedrich Gentz), Deutsche Journale. 1823, in: Tagebücher 1861, S. 1-8 und das., Journal der Arbeiten und Lektüren. Aus den Jahren 1826 und 1827, in: Schriften V, 221-268. 11 Vgl. dazu Heinrich Doenies, Friedrich von Gentz' "Journal de ce qui m'est arriv': de plus marquant ... au quartier-general de S.M. le Roi de Prusse" als Quelle preuszischer Geschichte der Jahre 1805/06, Diss. Greifswald 1906. 12 K.A. Vamhagen, Vorwort, S. VIII. " [Friedtich Gen/Z), Voyage de Weimar, in: Tagebücher I. S. 6-17.

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nungen unter dem Begriff "politisches Tagebuch"14 zu erfassen, als "ein Zeugen-Tagebuch"15 eines intimen Kenners der diplomatischen Szene, aber die "Mischung von Selbstschilderung und Gesellschaftskritik, Indiskretion und Konfession, von Kritik und Abstand, von Realismus und Skepsis"16 in den kontinuierlich geführten, eigentlichen Tagebüchern ist damit unzureichend benannt. Tagebücher waren als Literaturform in Gentz' Tagen nicht ungewöhnlich, Muster der Textgestaltung gab es genug. Die Besonderheit von Gentz' Diarien liegt dabei zwar zuerst, aber nicht ausschließlich, in der Skizzierung politischer Entscheidungsprozesse. Der mnemotechnische Charakter der Tagebücher, die Flut der Namen, die Wetterbeobachtungen und das Festhalten der körperlichen Befindlichkeit, weniger die tagebuchtypische Selbstreflexion und Schilderung der eigenen Gefühlswelt prägen den Text. Gentz hat auch sonst versucht, seine gesellschaftlichen Kontakte zu notieren; 17 er hatte offensichtlich ein starkes Bedürfnis nach Erinnerungshilfen, wobei der Zweck beispielsweise der "Wetterberichte" nicht in praktischer Verwertbarkeit gelegen haben kann. Die inhaltliche Vielschichtigkeit und der Bruch in der Textherstellung machen die Bestimmung der Funktion der Tagebücher so schwer. Abgesehen von ihrer hohen historischen und biographischen Relevanz sind die Tagebücher ein Extrempunkt in Gentz' schriftstellerischer Produktion: die Kommunikationssituation des Tagebuchschreibers liegt fern von Markt und Öffentlichkeit. 18 Ein Großteil der bis heute erhaltenen Texte von Gentz gehört zu seiner Korrespondenz. An der hochentwickelten Briefkultur der Zeit nahm Gentz intensiv teilt. Als zeitversetzte Kommunikation nimmt der Briefwechsel eine Mittelposition zwischen dem augenblicksgebundenen Gepräch und der - tendenziell - nicht terminierbaren und einsinnigen Lektüre von Druckschriften ein. Die kommunikative Erreichbarkeit des Adressaten, also die Eigenheiten der Übermittlungswege durch Boten oder die Post, bestimmen (physische) Erscheinung, (formalen) Aufbau l9 und teilweise (inhaltliche) Gegenstände der

.. Wuthenow, S. 145-149. 15 Gustav Rene Hocke, Das europäische Tagebuch. Eine Anthologie aus vier Jahrhunderten, 2. Aufl., Wiesbaden u.a. 1978, S. 202. '6 Ebd., S. 382 (Fortsetzung Anm. 4 zu S. 381). 17 Vgl. Guslav Schlesier, Beilage, in: Schriften V, S. 23-38. '8 Paradoxe Situation des Tagebuchs: mit postumem Erfolg auf beiden Foren, wie die Herausgabe der Tagebücher I-IV nach den Tagebüchern 1861 zeigt. '9 Auf die Billette al~ Sonderform gehe ich im folgenden nicht näher ein. Es sei jedoch ausdrücklich auf die Billette der Korrespondenz mit Pilat verwiesen, die rur die Einschätzung von Gentz' Einstellung auch zu wichtigen politischen Fragen oft außerordentlich aufschlußreich sind. Vgl. dazu Briefe an Pilat 11.

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Briefe. 20 So bildet die Sorge um die erfolgreiche Kommunikation ein Dauerthema in Gentz' Korrespondenz. 21 Der damaligen kommunikativen Bedeutung des Briefes entsprechend und der sozialen Position von Gentzangemessen, ist seine Korrespondenz so weitläufig, daß der Briefschreiber selbst Mühe hatte, den Überblick zu behalten. 22 Privatleben, gesellschaftliche Beziehungen, schriftstellerische und politische Wirkungsbereiche, häufig miteinander verbunden, spiegeln und entwickeln sich brieflich. Briefe sind normalerweise nicht für die Öffentlichkeit bestimmt, stehen politisch im Zeichen des Geheimnisses, privat im Zeichen der Intimität. 23 Briefe gehörten zu den zentralen Gegenständen der Rhetoriklehrbücher des 18. Jahrhunderts, waren ein Exerzierfeld geregelter Beredsamkeit, doch in Gentz' Epoche findet sich auch in der Briefkultur das zeitliche Nebeneinander unterschiedlicher Entwicklungsstufen der ästhetischen Praxis. Der von der Rhetorik beeinflußten Tradition24 steht ein auf Individualität und Spontanität aufgebautes Formverständnis gegenüber. Obwohl der politische Themen reflektierende Teil seiner Korrespondenz insgesamt eher tradierten Mustern folgt, hat Gentz insbesondere durch seinen Briefwechsel mit Rahel Varnhagen das Gegenmodell vor Augen. 25 Die Briefe Rahel Varnhagens faszinierten Gentz zwar26 - "Ihre Briefe wirken gar nicht auf mich, wie Briefe; es sind auch keine; es ist eine Art von beständiger Musik, die bald sanfter, bald milder [!] und gewaltiger alle

Dazu Martin Fontius, Post und Brief, in: Gumbrecht/Pfeiffer (Hrsg.), S. 267-279. Dabei spielte die politische Aktivität von Gentz oft mit. Vgl. z.B. zum Perleberger Depeschenverlust Alexander von Hase, Friedrich (von) Gentz: "Von dem politischen Zustande von Europa vor und nach der französischen Revolution" [!) (1801). (Analyse und Interpretation), Diss. Erlangen-Nürnberg 1968 [Teildruck) [im folgenden: Hase, Politischer Zustand), S. 25, 94 (Anm. 119). 22 Zu Gentz' Liste des Briefwechsels 1802 bis 1811 Schlesier, Beilage, in Schriften V, S. 29f. 21 Habennas, S. 107-116. 2. Vgl. Ueding/S/einbrink, S. 128ff. 2> Vgl. dazu Marianne Schul/er, "Unsere Sprache ist unser gelebtes Leben." Randbemerkungen zur Schreibweise Rahel Varnhagens, in: Konrad Feilchenfeldt/Uwe Schweikert/Rahel E. Steiner (Hrsg.), Rahel-Bibliothek. Rahel Varnhagen. Gesammelte Werke. Band X. Studien. Materialien. Register, München 1983, S. 43-59 und Uwe Schweiker/, "Am jüngsten Tag' hab ich Recht". Rahel Varnhagen als Briefschreiberin, in: Feilchenfeldt u.a. (Hrsg.) X, S. 17-42. 26 Rahel [Vamhagen) an Gentz am 26.10.1830: "Mein Schreiben gliche öfters frischen aromatischen Erdbeeren, an denen noch Sand und Wurzlen [!) hingen: sagten Sie einmal; dem bin ich eingeständig. [ ... ) Eins muß ich doch noch von meiner Art zu schreiben aussprechen: [ ... ) Nämlich, ich mag nie eine Rede schreiben, sondern will Gespräche schreiben, wie sie lebendig im Menschen vorgehn, und erst durch Willen, und Kuns/ - wenn Sie wollen - wie ein Herbarium, nach einer immer todten Ordnung hingelegt werden. I ... ) Ist ein Schreiben, es sei Buch, Memoire, oder Brief eines Andern nur vollständig gehaltene Rede, so hat es für mich immer einen Beigeschmack von Mißfallen."([Karl August Varnhagen) (Hrsg.), Rahel. Ein Buch des Angedenkens für ihre Freunde. Dritter Theil, Berlin 1834, S. 456f.). 20 21

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Fibern meines Herzens in Bewegung bringt. [ ... ] Ich mag sein, wo, und unter welchen Umständen ich will - Ihre Briefe werden mich immer begeistern - bis zur Trunkenheit. "27 -, aber sein eigener Stil blieb davon unberührt. 2S Äußere Form und stilistische Gestaltung machten Gentz' Briefe ohne großen Aufwand veröffentlichungsfahig,29 ganz anders als die Rahel Varnhagens. 30 Karl August Varnhagen und dessen Nichte Ludmilla Assing haben, neben Vater und Sohn Prokesch-Osten, die sich aber mehr mit der politischen Korrespondenz beschäftigten, bald dazu beigetragen, die Grenze zwischen den öffentlichen und den nicht-öffentlichen Texten von Gentz zu verschieben. Die Publikation des Privaten, die postume Aufhebung der Intimsphäre hat früh Kritik ausgelöst; der Herausgabe seines Nachlasses hat Gentz jedenfalls nicht vorgebeugt, auch wenn dabei zu berücksichtigen ist, daß er mit Varnhagen unvorhergesehen erweise einem besonders erbarmungslosen Sammler von Zeitzeugnissen anheimfiel. 3\ Die gefahrliehe Seite solcher Sammelleidenschaft beschreibt - allen Gentz-Forschern zur ewigen Mahnung - Fritz von Herzmanovsky-Orlando im Porträt eines ihrer Opfer: "Als ich kurz vor seinem Tod bei ihm war, standen im Vorzimmer sechs ausgestopfte Möpse. Jede Dult durchsuchte er nach diesem Artikel, da er einmal in einem Mops verborgene Liebesbriefe von Gentz gefunden hatte. "32 Zurück zu den öffentlichen Texten.

Gentz an Rahel [Levin) am 21.10.1810, in Schriften I, S. 118f. Dazu das Selbstlob von Gentz für seine Vorrede zu den "Fragmenten" als stilistisches Meisterwerk (Gentz an Rahel [Varnhagen) am 19.10.1830, in Schriften I, S. 210f.). 29 Der von Anfang an auf Publizität berechnete Brief gehört nicht hierher (Vgl. z.B. Friedrich Gentz, Seiner Königlichen Majestät Friedrich Wilhelm dem III. Bei der Thronbesteigung allerunterthänigst überreicht. Am 16ten November 1797, Berlin 0.1. [im folgenden: Gentz, Sendschreiben). - Die Benutzung der Sonderform des Sendschreibens aus Anlaß einer Thronbesteigung war nichts Neues.). Der solchermaßen "offene Brief' ist eher ein frei gewählter Weg der Textgestaltung, der der rhetorischen Eindringlichkeit dient. Die Briefform eignet sich auch zur polemischen Austragung von Meinungsverschiedenheiten in Zeitschriften, die mit den "Briefen an den Herausgeber" ein Forum öffentlicher Korrespondenz aulWeisen. Es ist nicht verwunderlich, daß die in der direkten Zuwendung zum Leser dem Brief ähnlichen Einleitungen zu Publikationen, bezeichnenderweise oft "Vorreden" genannt, von Gentz besonders gern zum direkten Appell an das Publikum geformt werden. '" Ursula Jsse/slein, RaheIs Schriften I. Karl August Varnhagens editorische Tätigkeit nach Dokumenten seines Archivs, in: Hahn/Isselstein (Hrsg.), S. 16-29. " Vgl. zu Varnhagen neuerdings Wemer Fuld, Einleitung. Diplomat und Revolutionär, in: ders. (Hg.), Karl August Varnhagen von Ense. Schriften und Briefe, Stuttgart 1991, S. 5-63. 32 Fritz von Herzmanovsky-Orlando an Reinhard Piper am 7.12.1953, zitiert nach Fritz von Herzmanovsky-Orlando,Österreichische Trilogie 2. Rout am Fliegenden Holländer. Roman. Hrsg. und kommentiert von Susanna Kirschl-Goldberg, Salzburg u.a. 1984, S. 298 (Erläuterungen). 27

Z.

IX. Zensur 1. Schriftsteller Schon lange bevor die Französische Revolution die Macht der öffentlichen Meinung demonstrierte, seit der Etablierung der Druckmedien, hatten geistliche und weltliche Obrigkeiten sich mit schwankendem Erfolg darum bemüht, die Verbreitung mißliebiger Texte zu verhindern. Die Unangefochtenheit der herrschenden Moral, vor allem aber die Aufrechterhaltung der jeweiligen konfessionellen Orthodoxie, waren die inhaltlichen Schwerpunkte der fTÜhneuzeitlichen Kommunikationskontrolle. I Der inneren Struktur des Alten Reiches angemessen, oblag die Ausübung der Zensur in Deutschland Ende des 18. Jahrhunderts den Territorien bei gleichzeitiger reichsrechtlicher Normierung. Die Zensurpraxis war demgemäß uneinheitlich und bot bei einem wenigstens prinzipiell deutschlandweiten Buchmarkt Refugien für den Dissens. 2 Die Ereignisse in Frankreich führten dann, wenn auch in sehr unterschiedlichem Maß, im Reichsgebiet zu einer Verschärfung der Zensurvorschriften und zu emer Verlagerung der Aufmerksamkeit von religiösen zu politischen Schriften. 3 In Preußen straffte und verstärkte der neue König Friedrich Wilhelm H. schon 1788 mit einem neuen Zensuredikt die Publikationskontrolle im Wissen darum, "was für schädliche Folgen eine gänzliche Ungebundenheit der Presse hervorbringe"4. "Die Absicht der Censur ist keinesweges, eine anständige,

I Meinungskontrolle geradezu als Attribut der frühneuzeitlichen Staatsbildung bei Dietmar Willoweit, Meinungsfreiheit im Prozeß der alteuropäischen Staatswerdung, in: Schwartländer/Willoweit (Hrsg.), S. 105-119. 2 Zu bedenken ist, daß die Zensur nur eine von mehreren Möglichkeiten des Staates darstellte, die Buch-, Zeitschriften- und Zeitungsproduktion und -distribution zu beeinflussen. Privilegien für die Erlaubnis der Gewerbeausübung, die Einfuhr von Druckwerken, den Schutz vor Nachdruck u.a.m. konnte ebenso wie die Festsetzung von Stempeltaxen neben wirtschafts- und finanzpolitischen Zielen auch der Kommunikationskontrolle dienen. Vgl. dazu z.B. Georgi, S. 177ff. 1 Vgl.: Schneider, S. 16-54, 126-143; Goldfriedrich I, S. 342-434; Jürgen Fromme, Kontrollpraktiken während des Absolutismus (1648-1806), in: Heinz-Dietrich Fischer (Hrsg.), Deutsche Kommunikationskontrolle des 15. bis 20. Jahrhunderts, München u.a. 1982, S. 36-55. • Erneuertes Censur= Edict für die Preußischen Staaten exclusive Schlesien, in: Franz Hugo Hesse, Die Preußische Preßgesetzgebung, ihre Vergangenheit und Zukunft, Berlin 1843. S. 223231. hier S. 223.

I. Schri ftsteller

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ernsthafte und bescheidene Untersuchung der Wahrheit zu hindern, oder sonst den Schriftstellern irgend einen unnützen und lästigen Zwang aufzulegen, sondern nur vornehmlich demjenigen zu steuern, was wider die allgemeinen Grundsätze der Religion, wider den Staat, und sowohl moralischer als bürgerlicher Ordnung entgegen ist, oder zur Kränkung der persönlichen Ehre und des guten Namens Anderer abzielet. "5 Ohne die Ideen der Aufklärung direkt in Frage zu stellen, bot dieses Edikt mit der Einführung der Vorzensur für alle Publikationen in Preußen die Basis für eine scharfe Bekämpfung zunächst der theologischen, dann auch der politischen Kritik. Unter Friedrich Wilhelm III., der besonders zu Anfang seiner Regierungszeit den Zensurdruck milderte, blieb das Edikt von 1788 weiterhin die wichtigste Rechtsgrundlage für die Arbeit der Zensoren. 6 Mit den preußischen Zensurbehörden geriet Gentz erst 1801 in (aktenkundigen) Konflikt, zu einer Zeit also, als er auf die Neutralität Preußens in der Auseinandersetzung zwischen Frankreich und dessen Gegnern keine Rücksicht mehr zu nehmen bereit war. Unter dem Titel "Von dem Politischen Zustande von Europa vor und nach der Französischen Revolution"? kritisierte er die HegemonialsteIlung des napoleonischen Frankreich scharf. 8 Aber nicht diese Gesamttendenz wurde zum inhaltlichen Ansatzpunkt der Kritik des Zensors, sondern einige Passagen, in denen Gentz die erste Teilung Polens 1772 als für Preußen nützlich, gleichzeitig jedoch als Unrecht bezeichnet. Der Zensor rügte die Behauptung, "daß der Nutzen der Theilung Pohlens für Preussen bei weitem überwiegend gewesen sey. Diesem Satze, so wie sämmtlichen Stellen Pohlen betreffend, das Imprimatur zu ertheilen"9 schien Hüttel, dem Zensor

> Ebd., S. 224.

Dazu: Georgi, S. 201-212; Goldjriedrich I, S. 409-420; Friedrich Kapp (Hrsg.), Aktenstücke zur Geschichte der preußischen Censur- und Preßverhältnisse unter dem Minister Wöllner, in: Archiv rur Geschichte des Deutschen Buchhandels 4(1879), S. 138-214; Oswald Krempel, Das Zensurrecht in Deutschland zu Ausgang des 18. und Beginn des 19. lahrhunderts, Diss. Würzburg 1921, S. 56-68. 7 Friedrich Gentz, Von dem Politischen Zustande von Europa vor und nach der Französischen Revolution. Eine Prüfung des Buches: Oe I'etat de la France a la fin de I'an VIII, Berlin 1801. • Ebd., S. 265. - Für August und September 1801 vermerkt Gentz in seinem Tagebuch rückblickend: "Verdrießlichkeiten mit der Zensur, die mich nöthigt, viele Stellen meiner Schrift gegen Hauterive zu streichen oder abzuändern." (fagebücher I, S. 4). • Hüttel an Friedrich Wilhelm 111. am 9.9.1801, in GStA Merseburg Rep. 9 Allg. Verw., F 2 a Fasz. 45. Nach den Vermutungen des lustizministeriums (Vortrag Goldbeck an Friedrich Wilhelm 111. am 26.2.1803, in GStA Merseburg Rep. 96 Geh. Zivilkabinett Ti!. 18 A) handelte es sich bei den inkriminierten TextsteIlen um Sätze wie "Ich bin weit entfernt, dem Iheilrmgs =System das Wort reden zu wollen; ich sehe es vielmehr als eine der gehässigsten und verderblichsten Erscheinungen des achtzehnten Jahrhunderts an. n in Gentz, Politischer Zustand, S. 89 (Anm.) (sonstige genannte Passagen: ebd., S. 88, 132, 135, 139, 145f.). 6

10 Kronenbitter

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IX. Zensur

für historisch-politische Schriften im Departement der auswärtigen Geschäfte,IO unmöglich. Eigentlicher Stein des Anstoßes aber wurde ein Verfahrensfehler des Verlegers Frölich. Die Bogen waren schon gedruckt, doch Gentz verhandelte mit Hüttel noch über Änderungen, die eine nachträgliche Druckerlaubnis ermöglichen sollten. Frölich ließ nun, wie er beteuerte: versehentlich, das erste Heft der Schrift ohne vorher erteiltes Imprimatur ins Ausland versenden. 11 Den doppelten Verstoß gegen die geltenden Bestimmungen entschuldigte Frölich mit persönlichen Problemen, Mißverständnissen und dem Vertrauen auf die bisherige Praxis. 12 Hüttel zeigte Frölich daraufhin wegen Mißachtung der Zensurvorschriften an. 13 Das Kammergericht wurde beauftragt, Frölich nach Paragraph acht des Zensuredikts zu bestrafen,14 wobei zu berücksichtigen sei, daß Frölich nicht nur ohne Erlaubnis habe drucken lassen, sondern daß auch noch "unzuläßige und anstößige Stellen in der Schrift enthalten sind, wegen welcher das Imprimatur nicht würde ertheilt worden seyn, und daß also noch der puncto 2do jenes Paragraphen des Censur Edikts eintreten dürfte, wobei jedoch von Con-

10 Zum Geheimen Oberfinanzrat Karl Ludwig von Hüttel: Handbuch über den Königlich Preussischen Hof und Staat 180lf.; Adreß-Kalender, der Königlich Preußischen Haupt- und Residenz- Städte Berlin und Potsdam, besonders der daselbst befindlichen hohen und niederen Collegien, Instanzien und Expeditionen auf das Jahr 1801, Berlin. - Das Edikt von 1788 hatte in Art. 3 die Zensur historisch-politischer Schriften dem Departement der auswärtigen Angelegenheiten zugeordnet (Erneuertes Censur=Edict, S. 224f.). 11 Einen zusammenfassenden Überblick über den ganzen Vorgang versuchte der Bericht des Großkanzlers Goldbeck an Friedrich Wilhelm III. am 26.2.1803, in GStA Merseburg Rep. 96 A Geh. Zivilkabinett Tit. 18 A zu geben. 12 Frölich an Friedrich Wilhelm III. am 12.2.1803, in GStA Merseburg Rep. 9 Allg. Verw. F 2 a Fasz. 45. 13 HÜllet an Friedrich Wilhelm III. am 9.9.1801, in GStA Merseburg Rep. 9 Allg. Verw. F 2 a Fasz. 45. 14 "Was die gegen die Uebertretungen dieses Gesetzes zu verordnenden Strafen betrifft, so setzen Wir hiedurch fest: I) Daß jeder Buchhändler und Verleger, welcher irgend eine Schrift drucken läßt, ohne zuvor die gesetzmäßige Erlaubniß dazu nachgesucht und erhalten zu haben, schon um deswillen und ohne übrigens auf dem Innhalt [!I der Schrift Rücksicht zu nehmen, mit einer fiscalischen Strafe von Fünf bis Fünfzig Thaler belegt werden sollen. 2) Findet sich aber auch noch über dieses, daß der Innhalt dieser Schrift unerlaubt und strafbar sei; dergestalt, daß wenn solche der Censur wäre vorgelegt worden, die Erlaubniß zum Druck nicht erfolgt sein würde; so soll die Ganze Auflage confiscirt und vernichtet, der Drucker aber noch außerdem um den doppelten Betrag der verdienten Druckkosten, so wie der einländische Verleger, welcher den Druck für seine Rechnung veranstaltet hat, um den doppelten Betrag des allenfalls durch Sachkundige zu bestimmenden Ladenpreises, nach der ganzen Stärke der gemachten Auflage fiscalisch bestraft werden." (Erneuertes Censur=Edict, S. 228).

I. Schriftsteller

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fiscirung der wahrscheinlich zum größten Theil schon ins Ausland gesandten Auflage nicht mehr die Rede wird seyn können. "15 Das so ins Rollen gekommene und erst Anfang 1803 endgültig abgeschlossene Verfahren wirft ein Licht auf die damalige Zensurpraxis im allgemeinen und im Falle von Gentz im besonderen. Die Zensur erscheint hier keineswegs kleinlich gehandhabt und schränkte den Spielraum Gentz' nicht wesentlich ein. Gentz nutzte regelmäßig die vom Zensuredikt eingeräumte Möglichkeit, daß in dringenden Fällen "die Manuscripte fernerhin auch in einzelnen Bogen zur Censur eingereicht werden können "16. Wie um die Korrektur, so kümmerte sich Gentz auch um die Druckerlaubnis jeweils selbst, wobei ihm zugute kam, daß er "mit dem Geheimen Finanzrath v Hüttel als Censor in freundschaftlichem Verhältnisse stand" 17. Gentz gegenüber agierte der Zensor respektvoll und kooperativ und ließ auch in Streitfragen mit sich reden. 18 Als Beamter der Zentralbehörden und als gelegentliches Sprachrohr der Regierung war Gentz vertrauenswürdig, außerdem pflegte er enge Beziehungen zu Haugwitz, der neben Alvensleben das Departement der auswärtigen Geschäfte leitete. 19 In dieser Hinsicht konnte Gentz von seiner beruflichen Position profitieren, andererseits wurde für die Zensurbehörde die Beurteilung seiner Schriften ein umso heikleres Geschäft. "Wenn gleich der Kriegsrath Genz das Vorurtheil für sich hat, daß er nichts schreiben wird, was einem monarchischen Staat wie der Preußische zum Nachtheil gereichen könnte, so brachte es doch die Amtspflicht des Geheimrath Hüttel als Censor mit sich, die Schrift durchzusehen, und hier stieß er außer verschiedenen Stellen, auf einige in dem Bogen 1., welche ihn, vermöge der Lage des Verfassers, des Ortes wo die Schrift verlegt wird, und der gegründeten Voraussetzung des Publici, daß die Schrift die Königliche Censur passirt habe, nicht angemessen schien. "20 Jedes Zensursystem bringt es mit sich, daß die veröffentlichten Schriften als indirekte Meinungsäußerun-

"Friedrich Wilhelm /11. an Kammergericht (Kopie) am 13.9.1801. in GStA Merseburg Rep. 9 Allg. Verw. F 2 a Fasz. 45. 16 § 5 Erneuertes Censur=Edict, S. 227. 17 Frölich an Friedrich Wilhelm III. am 12.2.1803, in GStA Merseburg Rep. 9 Allg. Verw. F 2 a Fasz. 45. Was hier auch als Schutzbehauptung Frölichs eingeschätzt werden könnte findet seine Bestätigung bei Gentz und auch bei Hüttel selbst. Dazu Genrz an Alvensleben am 23.8.1801 und Hütte[ an Friedrich Wilhelm III. am 9.9.1801, beide in GStA Merseburg Rep. 9 Allg. Verw. F 2 a Fasz. 45 . .. Dazu Gentz an Frölich am 25.8.(1801). in GStA Merseburg Rep. 94 Kleine Erwerbungen rv Nb 2. " Genrz an Frölich am 4.3.1801. in GStA Merseburg Rep. 94 Kleine Erwerbungen rv N b 2. 20 Alvensleben an Friedrich Wilhelm III. (Vortrag) am 21.8.1801. in GStA Merseburg Rep. 9 Allg. Verw. F 2 a Fasz. 45. 10'

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IX. Zensur

gen des Staates fungieren; dieser unwillentliehe, aber unvermeidliche Effekt staatlicher Meinungskontrolle war bei einem Autor in Gentz' Stellung besonders beachtenswert und wirkte notwendigerweise zensurverschärfend. Die so verursachte besondere Vorsicht in der Wertung des Manuskripttextes war der erste Auslöser der amtlichen Untersuchung, aber Hüttel und seine Vorgesetzten stützten ihre Anzeige ganz auf die von Frölich begangenen Verfahrensfehler. Die fiskalische Strafe für den Verleger bei Druck ohne Erlaubnis betrug zwischen fünf und fünfzig Talern im Falle einer für die Zensur unbedenklichen Schrift, da aber die Zensurbehörde Gentz' Text für nicht genehmigungsfähig erklärte, kam auf Frölich - bei einer Auflage von 1000 Exemplaren zu einem Ladenpreis von einem Taler und acht Kreuzer eine Strafe von über 2666 Talern zu. Dieser für den Verleger existenziell bedeutsame Unterschied führte dazu, daß Frölich versuchte, die für die Bemessung der Strafe ausschlaggebende Behauptung, "daß der Innhalt dieser Schrift selbst unerlaubt und strafbar sei "21, ZU widerlegen. 22 Die Einschätzung des Textinhalts interessierte auch das Kammergericht, denn es hatte den kleinen Auflagenrest, der noch im Verlag verblieben war, den Vorschriften des Zensuredikts für inhaltlich unzulässige Schriften entsprechend, konfiszieren lassen. Nachdem Gentz, der um seine Freiexemplare fürchtete, mit Hilfe Alvenslebens die Aufhebung der Beschlagnahme erreichte,23 reagierte das so gerügte Kammergericht mit der Forderung, "uns diejenigen einzelnen Stellen der Schrift, und besonders des neunten Bogens derselben allergnädigst zufertigen zu lassen, welche dem Staatsrecht, und den Vorschriften des CensurEdicts zuwider sind", damit "die Strafbarkeit des Frölich "24 richtig beurteilt werden könne. Kompromißlos beanspruchte daraufhin das Departement für auswärtige Angelegenheiten "die alleinige Competenz [ ... ], zu beurtheilen und zu bestimmen", welche Inhalte und in welchem Umfang "in politischer Rücksicht anstößig und unzulässig seyen". 25 Der Konflikt zwischen Außenministerium und Justizapparat, hinter dem grundsätzliche Erwägungen, aber auch Gentz' persönliche Beziehungen ver-

Erneuertes Censur=Edict, S. 228. Frölich an Hüttel am 10.3.1802, in GStA Merseburg Rep. 9 Allg. Verw. F 2 a Fasz. 45. 13 Gentz an Alvensleben am 24.9.1801 und Friedrich Wilhelm /II. an Kammergericht am 24.9.1801 (Kopie), in GStA Merseburg Rep. 9 Allg. Verw. F 2 a Fasz. 45. 14 Kammergericht an Friedrich Wilhelm III. am 29.[?)9.1801, in GStA Merseburg Rep. 9 Allg. Verw. F 2 a Fasz. 45. l' Friedrich Wilhelm 1II. an Kammergericht (Kopie) am 2.10.1801, in GStA Merseburg Rep. 9 Allg. Verw. F 2 a Fasz. 45. 11

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I. Schriftsteller

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mutet werden können, bewahrte Gentz auch vor einer vom Kammergericht angeregten Untersuchung gegen ihn selbst. Da er persönlich den Kontakt zum Zensor gehalten hatte, wäre eine Bestrafung durchaus im Bereich des möglichen gelegen. 26 Die Uneinigkeit der an der Untersuchung beteiligten Institutionen beschützte ihn. Die für das Zensurverfahren notwendige Kombination von polizeilich-juristischer und themenspezifischer Expertise konnte also durchaus zensunnildemde Folgen haben. Für die Spitze des Außenministeriums war die Zensurangelegenheit bisweilen lästig,27 die Neigung zum Ausgleich mit dem Autor überwog das Beharren auf den eigenen Vorschlägen. So konnte Gentz beim zweiten Heft darauf setzen, daß Alvensleben daran lag, daß der Text verändert wird, "ohne den Zusammenhang des Werkes ganz zu zerreissen" und ein Verbot nicht in Frage komme, denn mehr noch "durch die Unterdrückung als durch die Erscheinung des zweiten Heftes" bekäme Gentz' Schrift unerwünschte Aufmerksamkeit. 28 Gentz konnte sich aus der Affäre ziehen; Frölich dagegen fürchtete nicht ohne Grund den Ruin. 29 Schließlich war es der Großkanzler Goldbeck, der die Reduktion der Strafe auf 300 Taler empfahl, nachdem Frölich mit seinen guten Absichten und seinem blinden Vertrauen auf einen "so anerkannt legalen Schriftsteller"30 wie Gentz argumentiert hatte. Als damit Anfang 1803 der Schlußstrich unter das Zensurverfahren gezogen wurde, hatte Gentz bereits Berlin und den preußischen Staatsdienst verlassen. Auch der Wechsel in österreichische Dienste verbesserte die Situation für Gentz hinsichtlich seiner Publikationsmöglichkeiten zunächst nicht, eher im Gegenteil, denn veröffentlichen konnte er in Österreich erst dann und nur insoweit, als es im Interesse seiner Vorgesetzten lag. Solange Gentz' außenpolitische Vorstellungen nicht denen der offiziellen Linie entsprachen, blieb Gentz nichts übrig als die Umgehung der österreichischen Zensur. Als Gentz

26 Erneuertes Censur=Edict (§7 und §8.6). S. 229. - Faktisch hatte Gentz dadurch, daß er "jeden Bogen gleich nach dem Abdrucke nach England, Frankreich und Braunschweig geschickt" (Frölich an Friedrich Wilhelm III. am 12.2.1803, in GStA Merseburg Rep. 9 Allg. Verw. F 2 a Fasz. 45) hatte, gegen die Zensurvorschriften verstoßen. 27 Alvensleben an Hüttel (Kopie) am 4.9.1801, in GStA Merseburg Rep. 9 Allg. Verw. F 2 a Fasz. 45, also noch vor Hüttels Anzeige zu den Änderungsvorschlägenin Gentz' Schrift. 2. Alvensleben an Hüttel am 13.9.1801, in GStA Merseburg Rep. 9 Allg. Verw. F 2 a Fasz.45. 29 Zwar versicherte Gentz Frölich in der Zensursache seiner Unterstützung, bewirkte aber keine Entscheidung zugunsten des geplagten Verlegers. Dazu Gentz an Frölich, in GStA Merseburg Rep. 94 Kleine Erwerbungen IV N b 2. 30 Frälich an Friedrich Wilhe1m III. am 12.2.1803. in GStA Merseburg Rep. 9 Allg. Verw. F 2 a Fasz. 45.

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IX. Zensur

1805 über die Vorgeschichte des Krieges zwischen Spanien und England schrieb, war klar, daß in der gespannten außenpolitischen Lage am Vorabend des Dritten Koalitionskrieges gegen Frankreich an eine Publikation in Wien nicht zu denken war, "da in diesen Gegenden nichts gedruckt werden darf. "31 Aus diesem Grunde wandte er sich an Frölich, der versuchen sollte, das Buch in Berlin durch die Zensur zu bringen: "Die Erlaubniß zum Druck des Werkes, wird Ihnen, so viel ich berechnen kan, nicht sehr große Schwierigkeiten machen. ,,32 Eine Schrift, die tagespolitische Streitfragen einbezog, war in Zeiten rasanter Veränderungen der internationalen Beziehungen ohnehin mit einem Verfallsdatum versehen: Die rasch wechselnden außenpolitischen Konstellationen konnten leicht dazu führen, daß den Texten von Gentz die Basis entzogen zu werden drohte. Durch die Wirkungen der Zensur steigerte sich die Abhängigkeit des Autors von der jeweils aktuellen Lage noch mehr. Rücksicht auf den Stand der Dinge ließ die preußische Zensur von einer eher großzügigen Behandlung frankreichkritischer Schriften33 im Sommer 1805 abgehen, während sich in Österreich für den Napoleonfeind Gentz neue Wirkungsmöglichkeiten abzeichneten. Ohne Erfolg bemühte sich Gentz nun, Frölich zur Rücksendung des Manuskripts zu bewegen: "Die Umstände haben sich in kurzem so wesentlich geändert, daß jetzt mir nichts anders zu wünschen bleibt, als das llinen übersandte Manuskript nur so bald als möglich zuriick zu erhalten. Ich kan es hier in 14 Tagen gedruckt haben. [ ... ] Ich fijrchte schon I?], daß durch eben die politischen Veränderungen welche es mir jetzt leicht machen, es hier ans Licht zu bringen, die Schwierigkeiten dort größer als zuvor geworden seyn werden.""

Empört über Frölichs Verhalten - "Die Censur in Berlin hatte mir ungefahr einige 30 Stellen gestrichen!! und F.[rölich] meinte, es könnte ja wohl ohne diese gedruckt werden!! Johannes [von Müller] schreibt mir, sehr schmeichelhaft, es wäre ungefahr so, als wollte man die Philippischen Reden mit Auslassung aller Stellen gegen den Antonius drucken. "35 - versuchte Gentz unter Mithilfe von Johannes von Müller und Böttiger, einen Verleger zu finden, der gewährleisten konnte, "daß nicht eine Zeile [des Manuskripts] unterdrückt oder

GenlZ an Johannes von Müller am 12.8.1805, in Schriften IV, S. 77. GenlZ an Frölich am 30.4.1805, in GStA Merseburg Rep. 94 K1. Erwerbungen IV N b 2. 33 Vgl. beispielsweise die Zensursache einer Übersetzung einer D'Ivernois-Schrift, in GStA Merseburg Rep. 9 Allg. Verw. F 2 a Fasz. 47 . .. Gentz an Frölich am 18.9.1805, in GStA Merseburg Rep. 94 K1. Erwerbungen IV N b 2. " GenlZ an Adam Müller am 28.9.1805, in Müller Lebenszeugnisse I, S. 216. Vgl. Johannes von MaUer an Gentz am 9.9.1805, in Schriften IV, S. 96. 31

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I. Schriftsteller

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verändert werde"36. Hartknoch in Leipzig übernahm schließlich den Verlag der "Authentischen Darstellung des Verhältnisses zwischen England und Spanien vor und bei dem Ausbruche des Krieges zwischen beiden Mächten,m, und Gentz, inzwischen dank der militärischen Erfolge der Franzosen Exilant in Böhmen und Dresden, vertraute Hartknoch auch noch die "Fragmente aus der neusten Geschichte des Politischen Gleichgewichts in Europa" an. 38 Gentz schmuggelte die "Fragmente" mit der später so berühmt gewordenen Vorrede gewissermaßen an der österreichischen Regierung vorbei. Ende November 1805 schrieb er Johannes von Müller, es sei sein "unerschütterlicher Vorsatz, eben dieses Bruchstück [ ... ] in's Publikum zuschicken. Ich will es aber schlechterdings auswärts drucken lassen; denn in der jetzigen Verwirrung mit Cobenzl oder gar Collenbach über jede Linie zu disputiren und zu correspondiren, führte mich zum wenigsten bis in den Sommer hinein. Ich habe auch den Tag vor meiner Abreise von Ollmütz dem Grafen Cobentzl erklärt und geschworen, daß ich es auswärts drucken ließe; und ob er es gleich halb für Scherz gehalten hat, so werde ich mich nach geschehener Sache doch schon zu verantworten wissen. ,,39 Die "Fragmente" erschienen ohne Angabe des Autors, was zu den klassischen Schutzmöglichkeiten vor Bestrafung für verbotene Meinungsäußerungen zählte. Aber nicht seine persönliche Sicherheit, sondern Rücksicht auf seinen

36 Gentz an Böttiger am 3.12.1805, in Briefe I, S. 288. Vgl. auch: ebd .• S. 286-290; Schriften IV, S. 92,96,99,104, 118, 161; Friedrich Perthes' Leben I, S. 149: ·'Haben Sie Mittel gefunden', schrieb er [=Perthes) im Oktober 1805 an [Johannes von) Müller, 'die Gentzsche Schrift über Englands Krieg mit Spanien unterzubringen? Sonst will ich Rat schaffen; zu raten weiß ich in solchen Fällen immer. Daß ich Dinge der Art nicht selbst unternehme, rührt nicht aus Furchtsamkeit her, sondern weil ich mich eigentlich aufhebe. Man kann in unseren Zeiten nicht wissen. was einem vorkommt, und dann ist's besser, man hat mit der Obrigkeit und Polizei noch nie etwas zu thun gehabt. ' • 37 Friedrich von Gen/z, Authentische Darstellung des Verhältnisses zwischen England und Spanien vor und bei dem Ausbruche des Krieges zwischen beiden Mächten. St. Petersburg 1806. Durch ein Versehen Johannes von Müllers unterblieb dabei der Abdruck der von der Berliner Zensur gestrichenen Stellen (Gentz an Johannes von Müller am 13.2.1806, in Schriften IV. S. 197f.). Einige dieser Stellen konnte Gentz am Ende des Buches, unter der Überschrift "Korrekturen und Einschaltungen" und mit ausdrücklichem Hinweis auf das Wirken der Zensurbehörden, doch noch veröffentlichen. Nach den dort angefiihrten Stellen zu schließen, handelte es sich aus Sicht der preußischen Zensur darum, den überaus scharfen Ton, den Gentz gegen Frankreich anschlug, etwas abzumildern. Dazu Gentz, Authentische Darstellung, S. 553-557. 3. Dazu Gen/z rückblickend: "Ich trat mit Hartknoch in Verbindung, um meine beiden Werke, das über den Krieg zwischen Spanien und England. und so viel als von dem im Monat September angefangenen fertig werden konnte. drucken zu lassen. Dies beschäftigte mich viel." (Tagebücher I, S. 44f.). 39 Gen/z an Johannes von Müller am 25.1 1.1805, in Schriften IV, S. 147f.

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IX. Zensur

Dienstherren ist als Motiv dieser Anonymität zu vermuten. 40 Auch Hartknoch war vorsichtig, ließ außerhalb Kursachsens, in Jena, drucken 41 und gab St. Petersburg als fingierten Erscheinungsort an. 1806 gelang es Gentz, wie schon zuvor 1801, seine Texte einigermaßen wohlbehalten durch das Zensursystem zu schleusen; aber zumindestens 1801 blieb die Zensur nicht ohne massive Auswirkungen auf die Textgestaltung. 42 Für den normalen, d.h. problemlosen Fall der Zensurierung seiner Schriften in Berlin läßt sich annehmen, daß Gentz sich noch öfter gezwungen gesehen haben dürfte, seine Texte dem erklärten oder - als Selbstzensur - dem vermuteten Willen des Zensors anzupassen.

2. Zensor Mit der von Mettemich bewirkten neuen Position von Gentz in der österreichischen Außenpolitik veränderte sich auch die praktische Stellung zur Zensur. Von einem mehr oder weniger selbstverantwortlichen politischen Schriftsteller, der letztlich außerhalb der staatlichen Entscheidungsstrukturen stand und somit Objekt der Kommunikationsreglementierung war, entwickelte sich Gentz zu einem Akteur innerhalb dieser Strukturen und damit zu einem Träger der Zensur. Dessenungeachtet waren sein Umgang und seine Korrespondenz der Kontrolle durch den weitausgreifenden Überwachungsapparat Österreichs

40 Auch die" Authentische Darstellung" sollte zunächst "ohne meinen Namen erscheinen, doch sonst aus diesem kein Geheimnis gemacht werden." (Gentz an Brinckmann am 30.4.1805, in Briefe 11, S. 267) Nach den katastrophalen Niederlagen der Österreicher änderte sich die Lage, und "da jetzt alle Anonymität wegfallt, so habe ich meinen Namen unter diese Vorrede gesetzt." (Gentz an Böttiger am 3.12.1805, in Briefe I, S. 288). Für die Fragmente war anfangs vorgesehen, Gentz' Namen "unter die Vorede oder Einleitung Izu] setzen" (Gentz an Johannes von Müller am 25.11.1805, in Schriften IV, S. 148), was aber unterblieb. Angst wäre kein Motiv, wenn Gentz am 14.12.1805 in einem Brief an Johannesvon Müller, in Schriften IV, S. 160f. sein existenzielles Einstehen für seine veröffentlichte Meinung ehrlich beschreibt: "In Ansehung meiner Schriftstellerei, so wie überhaupt in Ansehung meiner ganzen künftigen Bestimmung, bin ich in einer sonderbaren Lage. Ich fürchte nichts; denn physisch untergehen oder bürgerlich, davor ist mir nie bange; und der innere Tod trifft auch nur die, die nicht Willen genug haben, zu leben; [ ... ]." " Gentz an Goethe am 20.4.1806, in August Sauer (Hrsg.), Goethe und Österreich. Briefe und Erläuterungen. 1. Theil, Weimar 1902, S. 162 . ., Vgl. Gentz an Johannes von Müller am 13 .2.1805, in Schriften IV, S. 197f. zur versehentlichen Weglassung von der preußischen Zensur vorher gestrichener Stellen in der "Authentischen Darstellung" und Gentz an Frölich am 25.8.1801, in GStA Merseburg Rep. 94 Kleine Erwerbungen IV Nb 2 zum "Politischen Zustand von Europa": "Ich habe die Stellen auf den Bogen A, F und G abgeändert; sie gleich an Hüttel geschickt und ihn gebeten, Ihnen solche [?] unmittelbar zu übersenden. Zugleich aber habe ich ihm über den Bogen I. [ ... ] ,geschrieben. Ist es hier mit Abändernngen gethan, so will ich alle meine Kräfte anstrengen. Besteht er aber auf gänzlicher Vertilgung des Raisonnements über Pohlen, oder auch nur eines Theils derselben, so weiß ich mir, bei Gott, gar nicht zu helfen. Denn was soll ich an die leere Stelle setzen?"

2. Zensor

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unterworfen. Aber der politischen Polizei zu entgehen, war selbst Mitgliedern des Kaiserhauses und Ministern nicht möglich, Gentz' Doppelrolle also ganz normal. Unter Franz 11. bzw. 1., der dabei auf Strukturen des Spätjosephinismus aufbauen konnte, entstand die bestorganisierte und umfangreichste Polizei- und Zensurorganisation in Mitteleuropa. 43 Statt der Niederhaltung altständischer Opposition wie zur Zeit Josephs 11. zu dienen, richtete sich die Kommunikationskontrolle nun gegen das Ideengut der Aufklärung. 44 Die Grundzüge des neu geregelten Zensurverfahrens wurden 1795 bekanntgemacht und im Laufe der folgenden Jahre u.a. um Rezensurierungsmaßnahmen ergänzt, bis schließlich 1810 eine rein verwaltungsinterne, nicht veröffentlichte Vorschrift der Arbeit der Zensurbehörden das bis 1848 gültige Normenfundament gab. 45 Nicht nur die Durchsetzung und argumentative Verteidigung einer strengen Zensurpolitik im Rahmen des Deutschen Bundes fiel dabei in den Zuständigkeitsbereich der Staatskanzlei, sondern auch die Mitwirkung "bei der Zensur aller Gegenstände staatsrechtlichen oder politischen Charakters "46 innerhalb Österreichs. Metternich verfolgte auch hier eine Strategie strikter Kommunikationskontrolle, nicht nur zur Vermeidung unerwünschter außenpolitischer Rückwirkungen, sondern aus tiefster sozial- und kulturpolitischer Überzeugung und aus persönlicher Geringschätzung der Schriftstellerei. Die umfassende Überwachung und Reglementierung jeder Art von Öffentlichkeit, die bis 1848 für die ungefahrdete Exklusivität des politischen Entscheidungszentrums sorgte, wurde von Metternich aktiv mitgestaltet und praktiziert. 47

43 Dazu Wolfram Siemann, "Deutschlands Ruhe, Sicherheit und Ordnung". Die Anfänge der politischen Polizei 1806-1866, Tübingen 1985, S. 41-48, 123-130 . .. Dazu Goldfriedrich I, S. 374-382, 388f. 45 Dazu: Jutius Marx, Die österreichische Zensur im Vormärz, München 1959, S. 11-16; Krempel, S. 73-79; Franz Hadamowsky, Ein Jahrhundert Literatur- und Theaterzensur in Österreich (1751-1848), in: Herbert Zeman (Hrsg.), Die österreichische Literatur. Thr Profil an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert (1750-1830). Teil I, Graz 1979, S. 289-305, hier S. 296305; Adolph Wiesner, Denkwürdigkeiten der Oesterreichischen Zensur vom Zeitalter der Reformazion bis auf die Gegenwart, Stuttgart 1847, S. 220-240 . .. Jutius Marx, Die Zensur der Kanzlei Metternich, in: Österreichische Zeitschrift für öffentliches Recht N.F. 4(1952), S. 170-237, hier S. 173. 47 Dazu: Donald E. Emerson, Metternich and the Political Police. Security and Subversion in the Habsburg Monarchy (1815-1830), The Hague 1968, S. 137-189; Frank 1homas Hoejer, Pressepolitik und Polizeistaat Metternichs. Die Überwachung von Presse und politischer Öffentlichkeit in Deutschland und den Nachbarstaaten durch das Mainzer Informationsbüro (1833-1848), New York u.a. 1983, S. 47-53,62-71. - Entgegen den Annahmen von Srbik, S. 492-516 war Metternichs Presse- und Kulturpolitik nicht wesentlich grollzügiger als die der PolizeihofsteIle, sondern setzte nur gelegentlich andere Schwerpunkte. Dazu Jutius Mar.t. Metternich als Zensor,

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IX. Zensur

Das bewußt undurchschaubar gehaltene, viel stufige und langwierige Zensurverfahren, das alle Veröffentlichungen ungeachtet ihres Umfangs vor dem Druck in bzw. vor der Einfuhr nach Österreich zu passieren hatten, war deutlich an der Grundvorstellung einer nach sozialen und kulturellen Kriterien streng gegliederten, begrenzten und kontrollierten Öffentlichkeit ausgerichtet. 48 Da nicht nur politisch, religiös oder moralisch anstößige, sondern auch literarisch oder wissenschaftlich minderwertige Schriften im Netz der Zensur hängen bleiben sollten, waren die Zensoren nicht selten überfordert und der behördlichen Willkür Tür und Tor geöffnet. Allen anderslautenden Absichtserklärungen zum Trotz, isolierte die allgegenwärtige Zensur Österreich in starkem Maße von der wissenschaftlichen, literarischen und politischen Öffentlichkeit Europas. 49 Gentz, der enge Mitarbeiter Metternichs, wirkte als Zensor an diesem Überwachungssystem mit. Durch seine eigenen Erfahrungen als Publizist besonders qualifiziert, wurde Gentz 1813 mit der Zensur der "Prager Zeitung",SO dann auch zeitweise der des "Oesterreichischen Beobachters"51 und der der Wiener "Jahrbücher der Literatur"52 betraut. Als intensiver Beobachter der deutschsprachigen und internationalen Presse, außerdem offiziell zuständig für das "Referat der deutschen Zeitungen "53, war Gentz auch mit der Frage der Zulassung ausländischer Zeitungen befaßt, die einen wichtigen Anteil an der Zensurtätigkeit der Staatskanzlei hatte. Auch bei der Bücherzensur arbeitete er

in: Jahrbuch des Vereines für Geschichte der Stadt Wien II (1954), S. 112-135, ders., Mettemichs Gutachten zu Grillparzers Gedicht ·Campo vaccino", in: Jahrbuch der Grillparzer-Gesellschaft N.F. 2(1942), S. 49-69 und ders., Österreichische Zensur, S. 5-10, 31-36 . •• "Bey der Beurtheilung der Bücher und Handschriften muß vor Allem genau unterschieden werden zwischen Werken, welche ihr Inhalt und die Behandlung des Gegenstandes nur für Gelehrte und den Wissenschaften sich widmende Menschen bestimmt, und zwischen Broschüren, Volksschriften, Unterhaltungsbüchern, und den Erzeugnißen des Witzes." (§ I der Zensurvorschrift vom 14. September 1810, in: Marx, Österreichische Zensur, S. 73-76, hier S. 73). 4' "Kein Lichtstrahl, er komme woher er wolle, soll in Hinkunft unbeachtet und unerkannt in der Monarchie bleiben, oder seiner möglichen nützlichen Wirksamkeit entzogen werden; aber mit vorsichtiger Hand sollen auch Herz und Kopf der Unmündigen vor den verderblichen Ausgeburten einer scheußlichen Phantasie, vor dem giftigen Hauche selbstsüchtiger Verführer, und vor den gefährlichen Himgespinnsten verschrobener Köpfe gesichert werden.· (ebd.). Die Praxis der Abschottung bei Julius Marx, Die amtlichen Verbotslisten. Zur Geschichte der vormärzlichen Zensur in Österreich, in: Mitteilungen des österreichischen Staatsarchivs 9(1956), S. 150-185, ders., Zensur der Kanzlei, ders., Österreichische Zensur, S. 54-64, Hadomowsky, S. 302-305, Wiesner, S. 279-405. 50 Gentz an Mettemich am 3.9.1813, in Briefe II11l, S. 137; Tagebücher!, S. 266f. " Tagebücher II, S. 367. 52 Tagebücher III, S. 3. - Zur Zensur der "Jahrbücher der Literatur", die z.T. von Mettemich angeleitet wurde, Lechner, S. 160, 168f., 196f., 213ff. " Pl'Okesch. Tagebücher, S. 109.

2. Zensor

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mit. Drei unter diesen Zensurfällen verdienen besondere Beachtung, emer davon, Grillparzers "König Ottokars Glück und Ende", vor allem durch die Prominenz des betroffenen Autors einerseits, und als Beleg für die grundsätzliche Allzuständigkeit der Staatskanzlei, die sich auch gerne des Dramas annahm, sobald politische Inhalte vermutet wurden, andererseits. 54 Grillparzer mußte die Schikanen der österreichischen Zensur zähneknirschend ertragen. Anders Julius Schneller: Der vom Josephinismus geprägte Professor für Geschichte am Grazer Lyzeum ging, nachdem der Schlußband seiner "Staatengeschichte des Kaiserthums Oesterreich von der Geburt Christi bis zum Sturze Napoleons" aufgrund von Gentz' Zensurgutachten keine Druckerlaubnis erhielt und nachdem alle Karrierechancen in Österreich zerstört waren, als Professor nach Freiburg. Aus sicherer Entfernung publizierte er nun den genannten Band unter dem Titel "Oesterreichs Einfluß auf Deutschland und Europa, seit der Reformation bis zu den Revolutionen unserer Tage", neu bearbeitet und erfolgsträchtig angereichert mit einer Auswahl aus den Zensurnoten. 55 Die Öffentlichkeit erhaschte auf diesem Wege einen Blick über die Schulter des Zensors Gentz, was nicht nur für diesen peinlich, sondern auch dem Arkanprinzip der österreichischen Zensur entgegengesetzt war. 56 Wo Schneller von Gewissensfreiheit und "Menschenrecht der Vernunft"57 spricht, bemerkt Gentz mit böse-ironischem Seufzer: "Diese und hundert ähnliche Stellen sind in einer österreichischen Staatengeschichte durchaus unzulässig. - Da aber das Ganze in diesem Geiste geschrieben ist, - wo soll ein gewissenhafter Censor anfangen, und wo endigen?"58 An einer Stelle, an der Schneller die Meinungsfreiheit unter Joseph II. lobt. der selbst Kritik am Landesherren zugelassen habe, schreibt Gentz: "In diesem Satze liegt die Quintessenz vom Systeme der Aufkärerei. Gar noch verewigen sollen die Denker ihre Ansichten im Parlamente der Oeffentlichkeit. Wir haben von

54 Dazu: Heinrich Huben Houben, Der gefesselte Biedermeier. Literatur, Kultur, Zensur in der guten, alten Zeit. Mit einem Namensregister, Leipzig 1924, ND Hildesheim 1973, S. 250-256; Marx, Österreichische Zensur, S. 28f.; Emerson, S. 163-166. " Der ganze Vorgang ist ausfiihrlieh dargestellt bei Houben, S. 92-134. ~ Jutius Franz Schneller, Oesterreichs Einfluß auf Deutschland und Europa, seit der Reformation bis zu den Revolutionen unserer Tage, 2 Bde., Stuttgart 1828f. 57 Ebd., 11, S. 115. "Ebd. (Anrn.) - Vgl. die nicht weniger grimmige Bemerkung von Gentz (ebd., S. 78 (Anrn.»: "Dieser Absatz ist ein wirkliches Libell; was in einem Staate, wo die Censur solchem Gräuel nicht vorbeugen kann, mit namhafter Strafe zu ahnden seyn würde."

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IX. Zensur

diesen sogenannnten Denkern genug zu erleiden gehabt. ,,59 Gelegentliche Sachkritik wird überlagert von scharfen Attacken gegen den von Schneller vertretetenen Josephinismus. Joseph H., der "als [ ... ] Kaiser unglücklich genug war, sich von jenen falschen Grundsätzen hinreißen zu lassen, welche bald nachher Europa in Blut ersäuften"~l, seine Reformen, besonders im Bereich der Kirchenpolitik, sind die eigentliche Zielscheibe von Gentz' Angriffen. 61 Gegen Schneller führt er dessen Verehrung dieses "unglücklichen" Kaisers, Katholizismuskritik und Aufklärungsbegeisterung ins Feld. Die Überschreitung des Rahmens einer nur Fakten referierenden Historiographie, sachliche Fehler, die Neigung zu "unklaren, [ ... ] verkehrten Begriffen falscher und eingebildeter Weltweisheit"62 bieten in Gentz' Augen genügend Gründe für ein Publikationsverbot. Politisierende Gelehrsamkeit aus dem Geist des Josephinismus war das letzte, was Mettemich, und mit ihm Gentz, in Österreich gedruckt sehen wollten. 63 Ganz ähnlich ist die Konstellation auch beim Eingreifen von Gentz in das Zensurverfahren über Georg Norbert Schnabels "Die europäische Staatenwelt" . Dieser ambitiöse "Versuch die Statistik in der vergleichend-räsonirenden Methode zu behandeln, nebst einer vorausgeschickten theoretischen Einleitung in die Statistik" - so der Untertitel - des Prager Professors der StatistiJt4 geriet, vor Ort zensuriert und bereits gedruckt, nachträglich in das Mahlwerk der Wiener Zensurbehörden. Die Studien-Hofkommission, mitzuständig, da es sich bei Schnabels Werk um das Lehrbuch eines Professors handelte, und die Polizei-Hofstelle konnten sich über die Zulässigkeit des Buches nicht einigen. Das von Sedlnitzky erbetene Gutachten der Staatskanzlei, das Gentz im Auftrag Mettemichs abgab, führte schließlich zum Verbot der Schrift Schnabels. 65

,., Ebd., S. 204 (Anrn.). Ebd., S. 165 (Anrn.) . • , Ebd., S. 103 und 106 (Anmn.) . • 2 Ebd., S. 130 (Anrn.) . •, Lechner, S. 48ff. - Schneller sah in seiner Schrift natürlich nur das Bemühen um Wahrheit und historische Gerechtigkeit, das "weder als Neuerungssucht, noch als Demagogie, noch als Irreligiosität angeklagt oder verschrien [zu) werden" (Schneller I, S. 8) verdiene. In Österreich, Hort der "Reacrion gegen den Zeitgeist seit einem halben Jahrtausend" (ebd., 11, S. 467), verhindert aus der Sicht des Gelehrten der "gänzliche Mangel an Lehrfreiheit und Schriftstellerrecht" (ebd., S. 5) also die eigentliche wissenschaftliche Arbeit. .. Zu Schnabels Leben und Werk Hugelmann, Art. Schnabel, in: ADB XXXII, Leipzig 1891, S. 73-76 . •, Zur Zensur von Schnabels Schriften Emerson, S. 167ff. - Gentz an Sedlnitzky am 15.1.1822 (Kopie) (Offizielle Note), in HHStA Wien Interiora Korr. 78 Fasz. alt 95/1822: "Nicht bloß aus dem Standpunkte der höhern Politik oder, was das nehmliche ist und immer sein muß, der Wahrheit, sondern auch aus dem der Erhaltung und Sicherheit der Monarchie hat die angestdlte 60

2. Zensor

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Bedeutsamer als dieser Zensurentscheid ist die im Zusammenhang mit dem Gutachten stehende Initiative von Gentz zu einer Überprüfung "unseres Studienwesens, wenn auch zunächst nur in Bezug auf diejenigen Wissenschaften, welche die Sicherheit und Wohlfahrt des Staates am innigsten berühren "66. Das zensurpolitisch letztlich wirkungslose Unternehmen, das von Metternich forciert wurde, zeigt Gentz und die Staatskanzlei in der Rolle der polizeistaatlichen Scharfmacher. 67 Die noch vom Gedankengut des Josephinismus geprägte Studien-Hofkomrnission und deren gemäßigt-naturrechliche Tendenz in Fragen der Staatsrechtslehre68 griff Gentz mit der Forderung nach einem Unterrichtsverbot für Schnabel, das sich allerdings nicht durchsetzen ließ,69 und mit der Kritik des von dem angesehenen Wiener Juristen Egger verfaßten Lehrbuchs zum "Natürlichen öffentlichen Recht" an. 70 Egger hatte Gentz' Unmut dadurch erregt, daß er Schnabels Werk in einem höchst wahrscheinlich im Auftrag der Studien-Hofkomrnission angefertigten Gutachten für vereinbar mit der Studienordnung erklärt hatte und geriet nun selbst in die Schußlinie. 71 Gentz hält Eggers Ansatzpunkt für verfehlt, denn ein "natürliches öffentliches Recht [ ... ] ist ein sich selbst widersprechender Begriff. Das öffentliche Recht [ ... ] kann nur als positive Wissenschaft betrieben und gelehrt werden und nur in dieser Gestalt, wenn nicht die gefahrlichsten Mißverständnisse und Irrthümer in die Köpfe der Jugend gepflanzt werden sollen, zum Stoff akade-

Priifung mir über den Werth und Charakter des Schnabelschen Lehrbuches nicht den geringsten Zweifel übrig gelassen, vielmehr mich unbedingt überzeugt, daß dieses Lehrbuch eine durchaus verwerfliche, von falschen Begriffen ausgehende, zu den gefährlichsten Folgen führende, mit den im Oesterreichischen Staate bisher anerkannten und, in der Praxis wenigstens, unwandelbar befolgten Grundsätzen des Staatsrechtes im auffallendsten Widerspruch begriffene Arbeit ist." .. Gentz an Sedlnitzky am 15.1.1822 (Kopie) (Konfidentielles Schreib~n), in HHStA Wien lnteriora Korr. 78 Fasz. alt 95/1822. 67 Emerson, S. 168. 68 Beid/eIII, S. 139f., 151 f. 69 GeniZ an Sedlnitzky am 15.1.1822, in HHStA Wien lnteriora Korr. 78 Fasz. alt 9511822; Emerson, S. 168f. 70 Zu Franz von Egger, als Professor für Kriminal- und Zivilrecht an der Universität Wien Nachfolger des Justizhofrats Zeiller und justizpolitisch aktiv, Art. Egger, in: Österreichisches Biographisches Lexikon. 1815-1950 I, S. 222 und Art. Egger, in: Wurzbach IV, S. If. - Gentz stützte sich auf Eggers "Das natürliche öffentliche Recht nach den Lehrsätzen des Freiherrn von Martini vom Staatsrechte mit besonderer Rücksicht auf das natürliche Privatrecht des k.k. Hofraths von Zeiller", das 1809 in Wien erschienen war. - Zu Karl Anton Freiherr von Martini zu Wasserberg H. v. Zwiedineck=Siidenhors/, Art. Martini, in: ADB XX, S. 5 I Off. und Art. Martini zu Wasserberg, in: Wurzbach XVII, S. 33-36. - Den Zusammenhang zwischen dem Gutachten zu Schnabel und der Unterslichung zu den Staatsrechtslehrbüchern belegen Tagebücher II, S. 439, 453,485 und lll, S. 4. 7' Friedrich Gentz, Nachtrag zu dem Gutachten über das Schnabelsche Lehrbuch der Statistik [13.12.1821] (Entwurf), in UB Köln Sammlung Otto Wolff G.N. Nr. 27.

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IX. Zensur

mischer Vorlesungen dienen. u?2 Eine solche Schrift, die "nicht eine einzige historische Ansicht"73 enthalte, zwinge zu der Frage, "ob eine so einseitige, und so abstracte Behandlung einer wie das Staats-Recht durch und durch praktischen Disciplin überhaupt zuzulaßen, und ob sie insbesondere in einer alten und geregelten Monarchie wo alles auf festem und geheiligtem Boden ruhen muß, als Mittel zur Bildung angehender Staats- und Geschäfts-Männer geduldet werden sollte? "74 In einer für das eingeschränkte Bildungs- und Wissenschaftsverständnis im Kreise Metternichs repräsentativen Form bindet Gentz die akademische Öffentlichkeit an Positivität und Nützlichkeit. Da sich Egger in völlig einseitiger Art und Weise ganz auf den Vertragsgedanken stütze, sei sein Buch nicht nur ohne praktischen Wert, sondern auch nicht ungefährlich, weil es durch eine Reihe theoretischer Ungenauigkeiten und Fehler die bestehende monarchische Ordnung in ein schiefes Licht zu TÜcken geeignet scheine. Gegenüber Martinis "De lege naturali positiones" aus dem Jahre 1767, an das Egger explizit anknüpft, und das "die Normalmäßige Grundlage unsrer Universitäts-Vorlesungen ist"75, sei "Das natürliche öffentliche Recht" ein Rückschritt in puncto korrekter Theorie. Wenn schon ein praxisfernes Lehrbuch auf naturrechtlicher Basis verwendet werden solle, dann sei das ältere Lehrbuch vorzuziehen, obwohl es ebenfalls fatale Irrtümer enthalte. "Die Frage, welche zu dieser Excursion Anlaß gegeben: ob nehmlich die Schnabelsehe sogenannte Statistik, der Oesterreichischen Studien-Verfassung, und der jetzt herrschenden Lehr-Methode angemessen sey, oder nicht? - halte ich für entschieden, und zwar zu Gunsten des Professor Schnabel entschieden, in so fern das Eggersche Lehrbuch als ein vom Staate sanctioniertes, mithin rechtmäßiges Vorbild betrachtet werden kann. In Schnabels Vorträgen, ist freylich, wie es der Fortschritt der politischen und wissenschaftlichen Verderbniß mit sich bringt, die Sprache dreister, unumwundner, und folglich anstößiger; und daß dieses Buch in der Oesterreichischen Monarchie weder gedruckt, noch als Anleitung zu öffentlichen Vorlesungen hatte gebraucht [?] werden sollen, bedarf keines weitem Beweises. Nach der Nornl des Eggerschen Natürlichen Staats-Rechtes aber ist Schnabels Apologie nicht schwer, und Professor Egger hat, indem er ihn, und seinen Censor verteidigte, seine eigne Sache, und die Sache aller derer unter seinen Collegen, die seine Ansichten theilen, verfochten. Ob nun die Regierung, ohne sich selbst, und der jetzigen und künftigen Generation, unermeßliche Gefahren zu bereiten, in diesen verderblichen Zirkel, wo die falsche Autorität von heute, sich auf die falsche Autorität von gestern beruft. und jede spätre Irrlehre ihre Rechtfertigung in einer frühem findet. länger befangen bleiben kann. das muß ich höherm Ermessen anheim stellen. "76

Ebd. n Ebd. 7. Ebd. " Ebd. 76 Ebd. 72

3. Politiker

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Wo eine gelehrte Öffentlichkeit politische Entscheidungen direkt beeinflußt und den Rahmen des Erlaubten teilweise autonom für sich selbst setzt, da kann nur ein energisches politisches Eingreifen des monarchischen Machtzentrums die Ordnung garantieren, denn gegen solche unerwünschten Teilhaber an der Staatsmacht hilft das gewöhnliche Zensurverfahren nicht mehr. An die Stelle der bloßen Durchführung muß eine aktive Zensurpolitik rücken, die für eine rigorose Kontrolle öffentlicher Kommunikation die Vorausetzungen schaffen soll.

3. Politiker In Österreich selbst war der Bedarf an Zensurverschärfung aus der Sicht von Gentz auf einige halsstarrige Josephinismus-Anhänger im Staatsapparat beschränkt, das rechtliche Fundament bei strenger Auslegung durch die gut ausgebaute politische Polizei tragfähig genug. Die innenpolitische Ruhe des Kaiserstaates blieb bis 1848 ungefährdet. Die Durchsetzung eines neuen Zensurrechts erübrigte sich damit. Die Lage im Gebiet des Deutschen Bundes insgesamt war dagegen eine ganz andere. Aus außen- wie aus innenpolitischen Interessen heraus glaubte die Staatskanzlei, in ganz Mitteleuropa77 nationalen und liberalen Bewegungen und bürgerlichen Partizipationsbestrebungen mit einer strengen Kontrolle der Öffentlichkeit entgegenwirken zu müssen. Gentz' Mitwirkung bei den zensurpolitischen Weichenstellungen im Deutschen Bund 1819 beeinflußte folgerichtig in besonderer Weise das Urteil der Träger dieser öffentlichen Meinung über ihn. Auf Zensurfragen hat Gentz, seiner jeweiligen Position entsprechend, sowohl in der Öffentlichkeit, als auch im Kreis politischer Entscheidungsträger Einfluß zu nehmen versucht. Mit seiner Aufforderung an Friedrich Wilhelm 111., Pressefreiheit solle "das unwandelbare Prinzip"78 des neuen Regenten sein, griff Gentz erstmals 1797 in die andauernde und intensive Diskussion ein, die die deutschen Schriftsteller über das Für und Wider der Zensur führten. Von einer umfassenden kommunikationspolitischen Strategie kann bei dieser Stellungnahme von Gentz noch keine Rede sein, die Ablehnung der Zensur paßt hingegen zur eher liberalen Tendenz des gesamten "Sendschreibens", das dadurch am besten mit den Ansichten des neuen Monarchen zur Deckung gebracht werden konnte. Gentz' Karrierehoffnungen und seine Position als Schriftsteller ergänzten sich hier noch problemlos. 79

TI Und auch in Italien. Vgl. dazu Emerson, S. 57ff. 7. Gentz, Sendschreiben, S. 22. 79 Vgl. dazu Kap. 11.2.

160

IX. Zensur

Die eher posItive Grundhaltung zur Pressefreiheit bewahrte sich Gentz offensichtlich in den folgenden Jahren des zeitweise recht einsamen Kampfes gegen Napoleon. Spätestens mit der Hinrichtung des Buchhändlers Palm war der Druck der französischen Behörden auf die Meinungsfreiheit unübersehbar und der Appell an den Widerstandswillen der Deutschen gegen Napoleon gefährlich geworden. In der Auseinandersetzung mit dem Empire wurde die Handhabung der Zensur dann sogar zur taktischen Waffe, um die öffentliche Meinung für die eigene Sache zu gewinnen. Nachdem die weitgehende Abschaffung der Zensur durch die Franzosen 1809 im besetzten Wien die Härte der österreichischen Kontrollpraxis hatte fühlbar werden lassen, bot das Anfang 1810 in Frankreich eingerichtete Zensursystem propagandistische Angri ffsflächen. Gentz betonte den neuartigen, von Effizienzwillen und Systematik bestimmten Charakter der französischen Regelung und hoffte, "dies sehr unpolitische Statut wird besonders in Deutschland eine für Napoleon höchst ungünstige Sensation machen. I ... ) Es war längst die Idee, unsre österreichische Zensurgesetze zu revidieren und zu verbessern. Wenn wir jetzt zu dieser Maßregel schritten, und wenn daraus ein neues, möglichst mildes, möglichst liberales Zensurreglement hervorgehen könnte, so würden wir, ohne alle anscheinende Absicht, eine Parallele aufstellen, welche die Popularität und den moralischen Kredit der österreichischen Regierung ungeheuer heben müßte. "80

Auch wenn schließlich die Zensurverordnung von 1810 dieser Forderung nicht entsprach, so zeigt sich, daß Gentz zu diesem Zeitpunkt eine weitgehende Pressefreiheit keineswegs fürchtete. Im Ringen mit Napoleons Herrschaftssystem war die deutsche Öffentlichkeit noch ein potentieller Verbündeter. Karlsbad war noch weit weg. Den Bemühungen der deutschen Buchhändler, auf dem Wiener Kongreß deutschlandweit ein Verbot des Nachdrucks und eine weitgehende Pressefreiheit durchzusetzen und damit dem Florieren des Buchmarkts zu dienen, standen Gentz und Mettemich ohne Enthusiasmus, aber auch ohne Antipathie gegenüber. 81 Die Deutsche Bundesakte sah schließlich in Artikel18d eine den Wünschen des Buchhandels entgegenkommende Regelung bei der Fragenkomplexe durch die Bundesversammlung vor. Erst in den folgenden Jahren, als das Problem der Zensur im Zuge der Auseinandersetzung um die Verfassungsordnung der Gliedstaaten des Deutschen Bundes zum hochbrisanten Politikum geriet, wurde die bundesweite Normierung der Kommunikationskontrolle zum dringenden Anliegen Metternichs. 82

Gentz an Metternich am 24.2.1810, in Briefe IIIIl, S. 77. Vgl. dazu Goldfriedrich 11, S. 64-75 und He/mann Freiherr v. Egloffstein (Hrsg.), earl Bertuchs Tagebuch vom Wiener Kongreß. Berlin 1916. S. 194f., 257-260. 82 Schneider. S. 218-232. 00

8\

3. Politiker

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Die Karlsbader Beschlüsse nehmen innerhalb der österreichischen Zensurpolitik im Deutschen Bund eine besonders prominente Stellung ein, bilden aber doch nur das stärkste Glied in der langen Kette publizistischer und diplomatischer Initiativen der Staatskanzlei zur strengen Kontrolle der Öffentlichkeit vom Wartburgfest bis zum Verbot des "Jungen Deutschland". Die Etablierung bundesweiter rigider Eingrenzung von Kommunikationsmöglichkeiten in Karlsbad war nicht nur ein Durchbruch österreichischer Zensurpolitik, sondern zusammen mit der Wiener Schlußakte ein Wendepunkt in der Verfassungs.praxis des Deutschen Bundes. Die Mitwirkung von Gentz bei der Vorbereitung und Beschlußfassung auf den Karlsbader Konferenzen bezeichnete damit auch den Höhepunkt seines eigenen zensurpolitischen Engagements und zugleich seiner Einflußnahme auf deutschlandpolitische Entscheidungen. 83 Es war Gentz, der Metternichs Aufmerksamkeit kurz nach der Ermordung Kotzebues auf das neben den Universitäten bedeutendste Forum der öffentlichen Kritik an den deutschen Fürsten und ihren Regierungen lenkte, die Presse: "Ich hoffe, daß wir durch diese entsetzliche Begebenheit, wie durch die Folgen, die sie unausbleiblich nach sich ziehen muß, den Debatten über Preßfreiheit in Deutschland auf eine Reihe von Jahren entgehen werden. "84 Die Chance, "den (ewig unverzeihlichen) Artikel"85 18d der Bundesakte zum Instrument eines umfassenden Zensursystems zu machen, erkannte die Staatskanzlei allerdings erst, nachdem Bayern und Würtemberg um bundes staatliche Regelungen der Pressezensur nachgesucht hatten. 86 Auf dem von Gentz von Anfang an vorgeschlagenen Weg geheimer Konferenzen der wichtigsten und zugleich zuverlässigen Bundesgliede~7 wurde mit dem in Karlsbad beschlossenen Pressegesetz der Grundstein für ein von Metternich immer weiter ausgestaltetes System der Kommunikationskontrolle im gesamten Deutschen Bund gele~t, das bis zur Revolution von 1848 Wirkung besaß. 88 "Die Karlsbader Beschlüsse sollten verhindern, daß sich die bürgerliche Gesellschaft politisch formiert. "89 Daher bildete neben den Universitäten die Presse den vorgegebenen Schwerpunkt der umfassenden Überwachungsbemü-

13 Dazu: Büssem, S. 466-473; Sweel, Friedrich von Gentz, S. 213-227 . .. Gentz an Metternich am 1.4.1819, in Briefe III/1, S. 378 . •5

Ebd .

.. '" 8. ..

Büssem, S. 256f. Gentz an Metternich am 1.4.1819, in Briefe III/1, S. 379. Dazu: Siemann, S. 72-86; Hoefer, S. 47-62; Ziegler, S. 118-125; Schneider, S. 243-274 . Schneider, S. 244.

11 Kronenbitter

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IX. Zensur

bungen. Die Furcht vor geheimen Verschwörungen und der subversiven Gewalt der veröffentlichten Meinung, die das harte Vorgehen motivierten, erscheinen rückblickend seltsam unrealistisch. 90 Der Briefwechsel zwischen Gentz und Metternich nach der Ermordung Kotzebues zeigt aber, daß von einer panischen Reaktion auf Sands Attentat keine Rede sein kann, sondern daß vorher gereifte Überzeugungen und taktisches Kalkül die zensurpolitische Wende in Deutschland leiteten. 91 Die Argumentation, mit der Gentz die Teilnehmer der Karlsbader Konferenzen für die politische Linie Österreichs zu gewinnen suchte, ging von der Beobachtung aus, daß die Anhänger konstitutioneller Reformen in der Öffentlichkeit gefährlich überwogen. 92 Gentz verfaßte für Metternich93 eine Denkschrift über die GrumJzüge einer Bundeszensurpolitik, die den Artikel 18d zum Ausgangspunkt einer bundesweiten Vorzensur für - im weitesten Sinne - politische Periodika und für Druckschriften geringeren Umfangs umfunktionieren sollte und damit zum Fundament der schließlich verabschiedeten Beschlüsse wurde. 94 Gentz versucht, abseits aller prinzipiellen Erwägungen über die Wünschbarkeit der Pressefreiheit,9S aus der besonderen politischen und kulturellen Struktur Mit-

Vgl. dazu Hoefer, S. 15-38 und Lechner, S. 41-50. Briefe I1fI, S. 376-482. Vgl. auch Tagebücher 11, S. 315-350. - Geringe Anteilnahme am Schicksal der Person Kotzebue läßt Gentz' Urteil über diesen in einem Brief an Pilat vom 20.8.1818, in Briefe an Pilat I, S. 303, vermuten: "So lange die Sachen in Deutschland so stehen, wie heute, ist K. ein nützlicher und ein nothwendiger Alliirter für uns. Kann eine Radical=Cur in der öffentlichen Meinung stattfinden, so mag er fallen, wie andre vorübergehende Instrumente." 92 "Diese von Metternich und Gentz vertretene Auffassung, eine kleine Partei von Schriftstellern und Journalisten könne die öffentliche Meinung bis zur Umsturzbereitschaft beeinflussen, geht von einem absolutistischen Kommunikationsmodell aus, wonach die präventive Zensur eine solche Parteibildung der öffentlichen Meinung verhindern könnte und regierungskonforme Publikationsorgane die öffentliche Meinung im Sinne der Regierung steuern könnten.· (Hassem, S. 316). 93 Zu Gentz' Verfasserschaft: ebd., S. 311 . .. Beilage C. (Zu dem ersten Protokoll. Vorgelegt von dem Fürsten v. Metternich.). Grundlinien eines Beschlusses zu Verhütung des Mißbrauchs der Presse in den deutschen Bundesstaaten, in: Johann Ludwig Klaber, Wichtige Urkunden für den Rechtszustand der deutschen Nation mit eigenhändigen Anmerkungen. Aus seinen Papieren mitgeteilt und erläutert von Karl Theodor Welcker, 2. Aufl., Mannheim 1845, ND Aalen 1977 [im folgenden: KlaberlWelcker), S. 189-202. - Gentz ging mit seinen Vorstellungen allerdings teilweise über das politisch Durchsetzbare deutlich hinaus. Dazu: ebd., S. I 99ff. 9$ "Als Hauptregel bei allen Verhandlungen über diesen Gegenstand, muß angenommen werden, daß man sich nie auf irgend eine Discussion abstracter (?) [Anm. d. Hrsg.) theoretischer Gnmdsätze einlasse, sondern den eigenthümlichen Charakter des deutschen Bundes und der wechselseitigen Verhältnisse der Mitglieder desselben, unverrückt zum Augenmerk nehme. [ ... ) Verläßt man dieses Terrain, und begibt sich auf das Feld des allgemeinen philosophischen und politischen Raisonnements, so ist, wie die Sachen heute stehen, ein günstiger Ausgang nicht mehr denkbar." (ebd., S. 202). 90

91

3. Politiker

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teleuropas die Notwendigkeit einer solchen Vorzensur für den inneren Frieden Deutschlands abzuleiten: 96 "Was die nationale Gemeinschaft (des Geistes und der Sprache), neben den mannichfaltigen Vortheilen die sie gewährt, irgend Schädliches entwickelt, wird sofort allen deutschen Völkerschaften zu Theil; was die politische Einheit vermag, um dem Fortschritt des Bösen Einhalt zu thun, oder zum Guten zu kehren, ist uns versagt. "97 Strenge und flächendeckende Vorzensur vor allem für "die periodische und besonders die tägliche Presse"CJ8 müsse deshalb dringend von Seiten des Bundes vorgeschrieben und notfalls kontrolliert werden. 99 Der verfassungspolitische Kontext, in den die Kommunikationskontrolle durch den Bund in Karlsbad gestellt wird, zeigt die Dimension des Problems, vor dem eine erfolgversprechende "retrograde Bewegung"IOO im Sinne Gentz' stand: den Konstitutionsplänen der Liberalen in den Einzelstaaten mußte vom Bund her der Boden entzogen werden. Auch wenn die Interpretation des Artikels 13 der Bundesakte über das "Stattfinden" landständischer Verfassungen im Sinne des monarchischen Prinzips erst in Artikel 57 der Wiener Schlußakte festgeschrieben wurde, so ist schon in Karlsbad der enge Zusammenhang von Konstitution und Öffentlichkeit von zentraler Bedeutung für die Begründung der Repressionsmaßnahmen. 101 Die unter neuen Konstitutionen in einer Reihe von Gliedstaaten gerade entstandenen Parlamente gerieten rasch zu wichtigen Mitgestaltern der Politik und durch die Berichterstattung über die Parlamentsberatungen zum Nukleus einer in Deutschland neuen Qualität von politischer Öffentlichkeit. Die Erfahrung mit der politischen Praxis, besonders in Süddeutschland, führte Gentz die Tragweite einer tendenziell nicht mehr steuerbaren öffentlichen Meinungsbildung

.. Im Unterschied zu England oder Frankreich, die von Gentz für seine Zwecke zu abgeschlossenen Diskursgemeinschaften erklärt werden, seien im Deutschen Bund "alle Staaten durch das Band einer gemeinschaftlichen Abkunft und Sprache, durch mannichfaltiges, gemeinschaftliches Interesse, durch tausendjährige Vereinigung zu einem bald fester, bald loser zusammenhängenden Ganzen in der engsten Beriihrung mit einander. Was in einem derselben öffentlich abgedruckt wird, kommt unmittelbar in allen übrigen in Umlauf." (ebd., S. 194). 97 Ebd., S. 195. 9. Ebd., S. 199. - Aus der Praxis österreichischer Kommunikationskontrolle wird hier von Gentz die Staffelung des Zensurdrucks gemäß sozialer Zusammensetzung und möglicher Politisierbarkeit des vermuteten Adressatenkreises der einzelnen Schriften übernommen. Dazu: ebd., S. 198f. 99 Ebd., S. 199f. 100 Gentz an Pilat am 1.9.1819, in Briefe an Pilat I, S. 411. 101 Der von Gentz verfaßte Eingangsteil unter dem Titel "Eingang zu den Karlsbader Beschlüssen von 1819", abgedruckt in Schriften 111, S. 157-177 [im folgenden: Gentz, Eingang)), verbindet die Presse- und Universitätsfrage explizit mit der Interpretation des Artikels \3 DBA.

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IX. Zensur

deutlich vor Augen. 102 Als Gegenstand wie als Forum waren die Kammern der konstitutionellen Staaten für die Entfaltung einer politischen Öffentlichkeit wichtig; Gentz, der sich dieses Zusammenhanges bewußt war, bekämpfte daher Repräsentativkörperschaften, Universitätsautonomie und Pressefreiheit als dichtes Geflecht von Störquellen der Ruhe und Ordnung. 103 Wie in Karlsbad, so wurde die weitere Absicherung der Kommunikationskontrolle im Deutschen Bund nach 1819 ebenfalls mit den Mitteln der Diplomatie erreicht. 1823, im Vorfeld der Erneuerung der in Karlsbad beschlossenen Politik, bemängelte Gentz, daß seit 1819 "von keiner Seite etwas Wirksames geschehen, daß vielmehr der Zweck jener Maßregeln gänzlich verfehlt, der Unfug der politischen Schriftstellerei und insbesondre der Zeitungen und Journale verwegner und ebendeshalb schädlicher geworden ist als je zuvor" 104. Hoch zufrieden war er dementsprechend, als der oppositionelle "Deutsche Beobachter" auf seine Initiative hin durch Bundesbeschluß verboten wurde. 105 An der Verlängerung der Karlsbader Beschlüsse, der durch die Abberufung dissentierender Bundestagsvertreter der Boden bereitet wurde, wirkte Gentz ebenfalls mit. 106 Trotz aller Teilerfolge l07 aber blieb für

Dazu Büssem, S. 156-200. Der Zusammenhang von Verfassungs- und Pressepolitik taucht auch in Gentz' beriihmtestern Beitrag zu den Karlsbader Konferenzen auf, der Nebenbeilage (zu dem siebenten Protokoll). Ueber den Unterschied zwischen den landständischen und Repräsentativ = Verfassungen. (Verfaßt von dem k. k. Hofrath von Gentz.), in: KJüber/Welcker, S. 2\3-223 [im folgenden: Gentz, Ueber den Unterschied]: "So ist z.B. die Oelfentlichkeit der Verhandlungen der Volkskammer, wenn sie bis auf den Punkt täglicher Bekanntmachungdes Gesammtinhaltes der Debatten getrieben wird, ein unmittelbarer Schritt zur Herabwürdigung aller Autorität und zum Untergange aller öffentlichen Ordnung um so gewisser, als, so lange jene Einrichtung besteht, jede anderweitige Beschränkung der Zügellosigkeit der Presse unmöglich oder unnütz werden muß." (ebd., S. 220). 104 Gentz an Mettemich am 28.3.1823, in Briefe IIII2, S. 44. - Vgl. die von Gentz verfaßte Denkschrift Ueber die zum Schutz der Ordnung und Ruhe in Deutschland in der Bundesverfassung liegenden Mittel. Wien im Februar 1823. (Fürst Mettemichs Vorschläge auf dem Congresse zu Wien 1823.), in: L.Fr. lIse, Geschichte der deutschen Bundesversammlung, insbesondere ihres Verhaltens zu den deutschen National-Interessen. Zweiter Band, Marburg 1861, S. 576-597 [im folgenden: Gentz, Ueber die zum Schutz der Ordnung), hier S. 594-597. 10> Gentz nannte "die Unterdriickung des deutschen Beobachters ein wichtigeres Ereigniß, als die Eroberung Spaniens" (Gentz an Pilat am 23.8.1823, in Briefe an Pilat 11, S. 148). Seine Vorarbeiten zum Verbot in HHStA Wien StK Dt. Akten alte Reihe 223 Fasz. alt 147 Konv. 2 (Grundzüge zu einem Commissions-Gutachten über den deutschen Beobachter und die Aachener Zeitung; Auszüge aus dem deutschen Beobachter). Vgl. auch Sweel, Friedrich von Gentz, S. 270f. 106 Vgl. dazu Briefe IIII2, S. 133-138. 107 Vom Laibacher Kongreß meldete Gentz Pilat am \.2.1821 voll Zuversicht den Erfolg der in Karlsbad angestoßenen "riickgängige[n] Bewegung der Revolution im Ganzen" (Briefe an Pilat 11, S. 17): "In Deutschland ist Alles ruhig. [ ... ] Jetzt schreit der Geheime Rath, der Minister, die Herren, die Schreiber auf einmal nach Maßregeln gegen die Zügellosigkeit der Presse!" (ebd.). 102

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4. Apologet

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Gentz "die ungebundne Freiheit der Presse [ ... ] an und für sich die tiefste der Wunden, an welcher [!] alle rechtmäßige Macht und die gesammte noch übrige Lebenskraft des gesellschaftlichen Körpers von Europa sich verblutet"I08, so daß im Kampf für Europas Ruhe und Ordnung "das oberste Gesetz des Bundes: Censur"l09 heißen müsse. Bis Anfang der 1830er Jahre, als er an der Durchsetzbarkeit und den Erfolgsaussichten einer Verschärfung der Kommunikationskontrolle Zweifel bekam, setzte er sich immer wieder für eine strenge Zensurpolitik ein. 110

4. Apologet Die Diskussion um Pressefreiheit und Zensur hatte schon gegen Ende des 18. Jahrhunderts, als Gentz sich in seinem "Sendschreiben" an Friedrich Wilhelm III. zu diesem Thema zu Wort meldete, Konjunktur. Gentz lehnt die Zensur wegen ihrer unvermeidbaren Wirkungslosigkeit und der unbeabsichtigten Aufwertung unerwünschter Schriften durch den Reiz des Verbotenen ab. 111 An den Landesherrn adressiert, wird der Wunsch nach Pressefreiheit mit Sorgfalt als zweckmäßige Gewährung bürgerlicher Freiheit in einer monarchischen Verfassung ausgewiesen." 2 Damit spiegelt Gentz' "Sendschreiben" den Stand der Diskussion im späten 18. Jahrhundert, der noch stark vom Appell an die Reformbereitschaft der Fürsten, nur ausnahmsweise vom Vertrauen auf den Druck der öffentlichen Meinung geprägt war. 1I3 Neben dem

Gentz. Ueber die zum Schutz der Ordnung, S. 594. Gentz an Pilat am 23.8.1823, in Briefe an Pilat 11, S. 148. 110 Bezeichnend dafür sind die von Gentz verfaßten Denkschriften "Über die neuesten Verhandlungen in der Stände-Versammlung des Königreichs der Niederlande" vom Dezember 1828 und "An den Herzog von Nassau" vom Dezember 1831. in UB Köln Sammlung Otto Wolff G.N. Nr. 80 und 100. Vgl. auch Prokesch. Tagebücher. S. 101. 118, 127. \\\ Gentz. Sendschreiben. S. 21 f.: "Was, ohne alle Rücksicht auf andre Grunde. jedes Gesetz, welches Preßzwang gebietet, ausschließend und peremptorisch verdammt, ist der wesentliche Umstand. daß es, seiner Natur nach, nicht aufrecht erhalten werden kann. Wenn neben einem jeden solchen Gesetze nicht ein wahres Inquisitions=Tribunal wacht. so ist es in unsern Tagen unmöglich. ihm Ansehen zu verschaffen. Die Leichtigkeit. Ideen ins Publikum zu bringen, ist so groß, daß jede Maßregel, die sie beschränken will, vor ihr zum Gespötte wird. Wenn aber Gesetze dieser Art auch nicht wirken, so können sie doch erbittern, ohne zu schrecken. Sie reitzen gerade diejenigen, gegen welche sie gerichtet sind. zu einem Widerstande. der nicht nur glücklich bleibt. sondern am Ende sogar ruhmlieh wird. Die armseligsten Produkte. denen ihr innrer Gehalt nicht ein Leben von zwei Stunden sichern würde, drängen sich in den Umlauf, weil eine Art von Muth mit ihrer Hervorbringung verknüpft zu seyn scheint. Die nüchternsten Scribenten fangen an für 'helle Köpfe' zu gelten, und die feilsten erheben sich auf einmal zu 'Märtyrern der Wahrheit'. " 112 Ebd., S. 23f. 1\3 Schneider. S. 101-126.146-168. \0. \09

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IX. Zensur

tonangebenden Pragmatismus klingt bei Gentz aber auch die Vorstellung einer freien, selbstregulierten Kommunikationsgemeinschaft an: "Für gesetzwidrige Thafen, für Schriften die den Charakter solcher Thaten anziehen, müsse Jeder verantwortlich, strenge verantwortlich seyn: aber die bloße Meinung finde keinen andern Widersacher, als die entgegengesetzte, und, wenn sie irrig ist, die Wahrheit. Nie kann dies System einem wohlgeordneten Staate Gefahr bereiten, nie hat es einem solchen geschadet. Wo es verderblich wurde, da war die Zerstörung schon vorangegangen [ ... ]. "114 Dieses Plädoyer für die Abschaffung der Zensur trug Gentz neben viel Lob auch öffentlichen Tadel ein. Die streng antirevolutionäre Zeitschrift "Eudämonia" wies die von Gentz vorgebrachten Argumente zurück und forderte als Schutz vor staatsgefahrdenden Schriften schärfere Gesetze auch auf Reichsebene "wodurch die aufs äußerste gestiegene, das Schicksal der Staaten und Länder den rechtmäßigen Regenten aus den Händen reißende, und in die Willkühr, den Aberwitz und Petulanz müßiger und hungriger Dachstübler legende, so ungezogene als frevelmüthige und gefahrliche Preß frechheit in die Schranken einer vernünftigen, den Wissenschaften gedeihlichen, dem Staate unschädlichen, sondern nützlichen Preß freiheit [ ... ] zurückgewiesen werde. ,,115 Gegen die mit den geheimen Verbindungen zusammenarbeitende "große litterarische Verschwörung"116 der Revolutionsfreunde, die die Foren der veröffentlichten Meinung unter Kontrolle hätten, sei Widerspruch chancenIOS.117 Auch die Hoffnung auf die Evidenz der Wahrheit in der freien Diskussion sei trügerisch, denn diese "zeigt sich oft erstlich langsam, oft viel zu spät. "118 Nur der energische Eingriff der Staatsrnacht erscheint als letzte Rettung. 119 In dieser Kritik am "Sendschreiben" an Friedrich Wilhelm III. ist schon ein wesentlicher Teil der Überlegungen enthalten, die Gentz' eigene Stellungnahmen zur Pressefreiheit rund um Karlsbad kennzeichnen. Seine Neigung zu Kommunikationsfreiheit als Mittel im Kampf gegen Napoleon blieb auch in den Jahren 1805/1806 pragmatisch: "Eine solche Verfassung [wie die britische

Gentz, Sendschreiben, S. 22f. '" Ueber des Kriegsraths Genz Anpreisung der Preß freiheit in der dem Könige bei der Thronbesteigung überreichten Schrift, in: Eudämonia, oder deutsches Volksglück, ein Journal für Freunde von Wahrheit und Recht 6(1798), ND Nendeln 1972, S. 239-255, hier S. 254f. 116 Ebd., S. 251. 117 Ebd., S. 249-253. '18 Ebd., S. 249. 119 Ebd., S. 253ff. 114

4. Apologet

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Pressefreiheit] wird jederzeit mit Gefahren verknüpft seyn; es ist keine Freiheit ohne die Möglichkeit des Mißbrauches denkbar; die Sonne dieses kostbaren Privilegiums scheint auf böse, wie auf gute Schriftsteller herab. [ ... ] In den trüben und tief=gedrückten Zeiten, in welche das Schicksal uns warf, wird wohl kein edles Gemüth über die Brittische Preß freiheit klagen; beschädiget werden wenige von ihr; eine Wohlthat ist sie für viele, ein Trost für alle: aber Tyrannen verabscheuen sie, als die letzte Zunge, die der Menschheit noch übrig blieb, um ihnen offen ins Gesicht zu fluchen. "120 Nach 1815, als die gerade aus den Erfahrungen des Freiheitskrieges gegen Napoleon gespeisten Partizipationsforderungen in Teilen des national-liberalen Bürgertums Deutschlands die innere Ruhe Mitteleuropas und die äußere Machtstellung Österreichs zu untergraben schienen, veränderte Gentz seine Bewertung der Pressefreiheit völlig. Mit dem Wartburgfest 1817 hatten Studenten und Professoren gerade für diese Partizipationsforderungen ein neuartiges und überaus öffentlichkeitswirksames Forum eingerichtet. Es ist nicht verwunderlich, daß Gentz in einer Folge von Zeitungsartikeln über dieses Thema den publizistischen Kampf gegen die national-liberale Bewegung eröffnete. 121 Mißbrauch festlichen Gedenkens und universitärer Autonomie für die Politisierung der dafür noch viel zu unerfahrenen und unreifen akademischen Jugend wirft Gentz Organisatoren und Mentoren zunächst vor. 122 Dann aber wendet er sich dem legitimierenden Fundament des Wartburgfestes zu, der Ableitung der Forderung nach Mitgestaltung der politischen Zukunft Deutschlands aus dem persönlichen Engagement weiter Teile des Volkes, insbesondere unter der Studentenschaft, im Befreiungskrieg. 123 Dieses Selbstgefühl der Feiernden wird von Gentz als Selbstüberschätzung und Verdrehung der Tatsachen entlarvt, denn nicht die Freiwilligenaufgebote hätten Napoleon besiegt, sondern - jedenfalls in der Hauptsache - die stehenden Heere. l24 Der Krieg gegen Napoleon sei in erster Linie ein Krieg der Staaten

Gentz, Authentische Darstellung, S. 38f. Ursprünglich im "Oesterreichischen Beobachter" November 1817 bis Januar 1818 und in der "Allgemeinen Zeitung" Dezember 1817 bis Januar 1818. - Vgl. auch den Bericht von Gent: an den Hospodaren der Walachei vom 17.11.1817, "Esprit publique de I' Allernagne. Fete du 18 Octobre", in HHStA Wien NL Gentz 5 Fasz. alt 19. \22 Friedrich Gentz, Ueber das Wartburgfest, in: Schriften III, S. 27-44, hier S. 28-31. \23 Ebd., S. 34-43. \2' "Ob Napoleon durch regelmäßige Streitkräft allein, ohne Freiwillige, ohne Volksbewaffnung, gestürzt worden wäre, ist ein Problem, worüber unter Sachverständigen die Meinungen getheilt sein können; die Mäglichkeitliegt außer allem Zweifel. Daß aber umgekehrt alle Aufgebote, alle Landstürme und alle 'heilige Schaaren' von Deutschland, und allenfalls von Europa, ohne \20 \2\

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IX. Zensur

gewesen, denn der "Feldzug von 1813 und 1814 war eine der Unternehmungen, die durch Tapferkeit und Enthusiasmus allein unmöglich gelingen können, und bei welchen selbst das glänzendste Verdienst der Ausführung dem höhern Verdienst der Einleitung und Anordnung nachstehen muß. Die Fürsten und ihre Minister, und ihre Feldherren, die an ihren Rathschlägen Theil hatten, haben das Größte verrichtet. "125 Die vorgegebene politische Ordnung sah Gentz mithin nicht als überwunden, sondern im Gegenteil als glänzend bestätigt an. Politik war für ihn ein zu kompliziertes Geschäft, um es anderen als den Regierungen zu überlassen. Parallel zur Abfassung der Artikel über das Wartburgfest begann Gentz Ende 1818 sich intensiv mit der Frage der Pressefreiheit zu beschäftigen, war doch die Presse der Multiplikator aller aufrührerischen Bestrebungen. 126 Im Gefolge der Zusage einer bundesweiten Regelung der Pressefreiheit in Artikel 18d der Bundesakte war seit 1815 unter den Gelehrten, in der Presse und natürlich auch im Bundestag über diesen Problemkreis diskutiert worden. Dabei rückte immer mehr die Alternative nachträglicher, strafrechtlicher Verfolgung der Äußerung verbotener Meinungen einerseits und der Präventivzensur andererseits, im zeitgenössischen Sprachgebrauch die Wahl zwischen Justiz- und Polizeisystem, in den Vordergrund. Ein nur leicht modifiziertes Justizsystem schälte sich in der Debatte als praktikabelstes Modell heraus. 127 An dieser Stelle griff Gentz nun, in der Absicht, einer politischen Weichenstellung im Sinne Metternichs publizistisch vorzuarbeiten,l28 mit einem unsignierten Aufsatz in den "Jahrbüchern der Literatur" ein,129 der die von den

die erhabenen Entschließungen der Fürsten, die Weisheit und Eintracht der Kabinette, das Genie ihrer Feldherren und die Tapferkeit ihrer regelmäßigen Heere, ihn nicht bezwungen haben würden - das leuchtet dem gemeinsten Verstande ein." (ebd., S. 43f.) 12$ Ebd., S. 39. 126 Den Entstehungsprozeß der beiden Aufsätze in Tagebücher 11, S. 180-220. Vgl. dazu Lechner, S. 176-180, der allerdings die letzte Eintragung zum lunius-Artikel am 12.4.1818 übersehen hat (Tagebücher 11, S. 220; Lechner, S. 180). Il7 Als prominentes Beispiel sei hier die unmittelbar vor Gentz' "Jahrbücher" -Aufsätzen erschienene und der "hohen deutschen Bundesversammlung" gewidmete Schrift von [Wilhelm Traugott] Krng, Entwurf zur deutschen, und Darstellung der englischen Gesetzgebung über die Preßfreiheit, Leipzig 1818, bes. S. 9, genannt. Vgl. auch Schneider, S. 204-214. - Der in ähnlichem Tenor gehaltene Vortrag des Bundestagsdelegierten Berg, für Gentz ein "erbärmliches Schandstück" (Gentz an Pilat am 1.12.1818, in Gentz an Pilat I, S. 373), erschien- unkommentiert - im "Oesterreichischen Beobachter" zwischen dem 21.11. und 21.12.1818. Il. Lechner, S. 179. 129 [Friedrich von Gentz], Rez. von: I. The Law of Libel, and the history of his introduction and successive alterations in the Law of England etc. By Thomas Ludlow Holt Esq. Barrister at Law. London 1816 [ ... ], in: [Wiener] Jahrbücher der Literatur 1(1818), S. 210-255 [entsprechend

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Gegnern der Vorzensur gerne ins Feld geführte britische Pressepolitik ihrer Vorbild funktion berauben sollteYl() Der Aufsatz, formal eine Rezension, ist der Auftakt einer Fragment gebliebenen "zusammenhängende[n], theils geschichtliche[n], theils raisonnirende[n] Darstellung des gegenwärtigen Zustandes der Preßfreyheit in England und in Frankreich"l3l. Trotz weiterer Vorstudien "über die neue Geschichte der französischen Preßfreiheit"132 unterblieb die angekündigte Fortsetzung, vermutlich weil der politische Zweck unmittelbar auf diplomatischem Wege erreicht werden sollte. "Kurz vor den Karlsbader Konferenzen war gesagt, was zu sagen war. ,,133 Staatstheoretisch knüpft Gentz am bereits dargelegten Begriff des Rechts im gesellschaftlichen Zustand an. "Das Recht, seine Gedanken durch Schrift und Druck zu verbreiten, hat demnach, wie jedes andere, seine Schranken. "134 In der für ihn typischen Weise werden naturrechtliche Argumentationsformen zur Betonung der notwendigen Beschränktheit politischer Freiheit genutzt. Übrig bleibt damit nur mehr die Frage nach der Nützlichkeit der als bloß graduell verschieden erscheinenden Begrenzungsmethoden. Dabei unterscheidet Gentz zeittypisch Polizei- und Justizsystem, nicht ohne hervorzuheben, daß das eine wie das andere zwangsläufig gegen die Pressefreiheit gerichtet sei. 135 Die vorherrschende Neigung der Schriftsteller in Deutschland zum Justizsystem stellt Gentz als Resultat von Unkenntnis, Neuerungssucht und Eitelkeit dar, weshalb deren Freiheitswunsch immer erst ins Verhältnis zum Sicherheits-

der Seitenüberschrift in den Jahrbüchern "Preßfreyheit in England" im folgenden: Gentz, PreßfreyheitJ. - Der als Nachtrag dazu erschienene Artikel von Gentz, Ueber die Briefe von Junius, in: ebd., S. 255-295 steht nur in loser Verbindung dazu und hat in erster Linie informativen Charakter. Er beschäftigt sich aber in Kommentar und auszugsweiser Übersetzung mit einem besonders bekannten Beispiel praktizierter Pressefreiheit und einem der berühmtesten Exempel politischer Publizistik im England des 18. Jahrhunderts. 130 Vgl. z.B. Krug, S. VIf. und bes. die Anmerkung Krugs (ebd., S. 144), sowie Schneider, S. I 64ff. 131 Gentz, Preßfreyheit, S. 211. 132 Eintragung vom 3.5.1818 in Tagebücher 11, S. 225. 133 Lechner, S. 187 (Anrn.). ". Gentz, Preßfreyheit, S. 211. m "Nicht, wie die Preßfreyheit zu gründen sey. - denn sie gründet sich von selbst - sondern, wie man sie, da sie ohne Beschränkung nicht bestehen kann, auf die unschädlichste und zweckmäßigste Weise zu beschränken hat, soll ausgemittelt werden. Und da die Wahl nur zwischen zwey Hauptformen liegt, so ist es am besten, die Frage folgendermaßen zu stellen: Welches von beyden Systemen, das, in welchem dem Mißbrauch der Presse durch Polizey = Gesetze vorgebeugt, oder das, in welchem der bereits eingetretne Mißbrauch durch Strafgesetze geahndet wird, verdient den Vorzug? "(ebd., S. 214).

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interesse der Allgemeinheit gesetzt werden müsse. 136 Aber der Blick auf die Praxis der strafrechtlichen Verfolgung aufrührerischer Schriften in England zeige, daß durch die Befrachtung des dafür ungeeigneten Gerichtswesens mit der Beurteilung der politischen Tendenz solcher Schriften '3 ? die Schriftsteller selbst nichts an Rechtssicherheit gewönnen, denn die nachträgliche Zensur durch den Richter sei aufgrund von dessen politisch-literarischen Kenntnissen noch willkürlicher als die präventive, und noch dazu riskanter: 138 "Wenn der politische Censor sich zum Nachtheil des Schriftstellers irrt, so entspringt daraus, im schlimmsten Falle, die Unterdriickung einer unschuldigen Schrift, für den Verfasser ein empfindliches, oft auch mit wesentlichem Verlust verknüpftes Ereigniß. Wenn der juridische Censor [= der Richter] in einen ähnlichen Irrthum verfällt, so hat der Schriftsteller, der nichts Böses beabsichtete I!], [ ... ] sein unverschuldetes Mißgeschick, nach überstandenen Widerwärtigkeiten eines Criminal = Prozesses, mit einer demüthigenden Sentenz, vielleicht mit harter Strafe zu büßen. "13'

Die in Pressesachen unvermeidliche Politisierung des Rechtswesens, die, ohnehin schon schädlich genug, im englischen Jury-System besonders verheerend wirken müsse, entehre die Gerichtsbarkeit, schwäche die öffentliche Ordnung und biete neuen Aufwiegeleien ein Forum. '40 Diese ebenso zwangsläufigen wie verderblichen Folgen des in England praktizierten Justizsystems möge in Kauf nehmen, wer die Pressefreiheit höher schätze als alles andere; sie zu verleugnen aber sei entweder dumm oder unredlich. 141 Da ein pressepolitisches Chaos wie in England im nachhinein kaum mehr korrigiert werden könne, warnt Gentz vor der voreiligen Übertragung dieses fehlerhaften Systems auf die deutschen Verhältnisse. '42 Mit erheblichem rhetorischem Aufwand zeichnet Gentz die Gefahren der Pressefreiheit am bejammernswerten Beispiel Englands: 143 "Das Gefühl der Sicherheit und des Wohlseyns, das Vertrauen zu den Obern, der ruhige und willige Gehorsam, die standhafte Ergebung in unvermeidliche Opfer, alles was die Frucht und Zierde einer guten Verfassung seyn sollte, wird unter den Händen dieser Harpyen-Rotte [der demagogischen

Ebd., S. 214-218. Das Problem einer präzisen gesetzlichen Fassung der Kriterien für die Strafbarkeit einer Meinungsäußerung, das Gentz hier herausstellt, weist auf bis heute virulente Rechtsfragen hin: "Von einem gewöhnlichen Gerichthofe den Ausspruch über die pölitische Tendenz einer Schrift zu verlangen, ist im Grunde nicht viel weniger gewagt, als wenn man ihm das Urtheil über den Werth eines Gemäldes oder einer musikalischen Composition zumuthen wolle." (ebd., S. 232). 131 Ebd., S. 226-234. 13' Ebd., S. 233. 140 Am deutlichsten das Burke-Zitat, ebd., S. 246f. 141 Ebd., S. 248-253. 142 Ebd., S. 252-255. 143 Dazu die Analyse bei Lechner, S. 180-184. 136 ll7

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Pamphletschreiber] verfälscht, verkümmert, zerrieben und aufgelöset. Daß weder die Geistesbildung, noch die Sittlichkeit des Volkes bey dieser politischen Verderbniß gedeihen kann, versteht sich von selbst. Sind das geringfügige Uebel?"I44 Vom Vertrauen in die selbstregulierende Kraft der Öffentlichkeit, die einst das "Sendschreiben" an Friedrich Wilhelm III. charakterisiert hatte, ist hier nichts zu spüren. Statt dessen wird als Ausgangspunkt der Betrachtung die unumgängliche Beschränkung freier Kommunikation gewählt und die Undurchführbarkeit eines geordneten Justizsystems herausgestellt. Inmitten der Argumentationslinie des Aufsatzes fällt eine eindrucksvolle Darstellung von Gentz' geschichtsphilosophischem Konzept des Gleichgewichts der politisch-sozialen Kräfte des Fortschritts und der Beharrung, hier als "Freiheit" und "Gesetz", auf, die sogar als Kern einer gewissen Toleranz in der Diskussion um die Pressefreiheit erscheint, ohne das Grundmuster des absolutistischen Kommunikationsmodells aufzugeben. 145 Den Anspruch des Staates auf eine Schiedsrichterrolle in allen die Gesellschaft bewegenden politischen Streitfragen hält Gentz aufrecht; ihn gegen die ..3 Ebd., S. 22. ,>4 Hasse, Sendschreiben 11 Vorwort, S. XXIV-XXXXIII. '" Gentz, Sendschreiben, S. 22. ,,. In einem undatierten Billet an Pilat formuliert Gentz seine veränderte Sicht der Dinge unter Hinweis auf den Artikel einer englischen Zeitung: "Seltsam genug, daß in demselben Lande, wo täglich das Stärkste im bösen Sinne geschrieben wird, auch das Stärkste im Guten sich fortdauernd Luft machen kann. Wenn politische Raisonnements bloß zur Unterhaltung und Bewegung des Geistes dienten, so müßte inan sich schon deshalb für unbedingte Preß freiheit erklären, weil nur diese solche Contraste schaffen, selbst solche Bedürfnisse erzeugen kann. Aber der Spaß ist zu theuer, wenn es sich um Leben oder Tod handelt." (Briefe an Pilat 11, S. 415). 1>7 Gentz bei Prokesch, Tagebücher, S. 80f.

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strategischen Wert besaß; den inhaltlichen Schwerpunkt der innen- und deutschlandpolitischen Auseinandersetzung nach 1815 bildete aber die Einführung und Ausgestaltung von Konstitutionen mit Vertretungskörperschaften. Beide Fragen hingen eng zusammen, und das Bewußtsein, "daß Preß freiheit das Wesen der Oeffentlichkeit, diese aber nur durch jene das Lebensprincip der Repräsentativ = Verfassungen sey" 158, teilten die Befürworter liberaler Verfassungsformen mit Anhängern des monarchischen Prinzips wie Gentz. 159 Die Verbindung der Forderungen nach Repräsentativverfassungen und nach Pressefreiheit bewegte ihn denn auch, anhand der Übersetzung eines Aufsatzes aus einer konservativen britischen Zeitschrift, dem deutschen Publikum am englischen Beispiel das staatsgefährdende Wesen parlamentarischer Parteibildung und parteiischer Presse zu beweisen. 160 Hier legt Gentz in knappen Anmerkungen die Basis seiner kommunikationspolitischen Ziele frei, wenn er betont, daß "uncontrollirte Preß freiheit auf die Länge nur da bestehen [könne], wo Parteien schon das Regiment führen, und die Staats=Regierung selbst ZU!; Partei geworden ist. "161 Genau dieser Zustand, den anzustreben er seinen publizistischen Widersachern vorwirft, ist für ihn der Anfang vom Ende einer gesicherten Rechtsordnung, so wie er sie seit Jahrzehnten verstand: "Gerade im immerwährenden Kampfe der Meinungen und Interessen wird [in der zeitgenössischen Öffentlichkeit] die höchste Vollkommenheit politischer Institutionen gesucht. Daher ist auch die wahre Freiheit - nämlich die bürgerliche, im Werth gesunken, und nur auf die sogenannte politische Freiheit - mit andern Worten, auf das unschätzbare Recht, ihre eigne Weisheit geltend zu machen, ist das ganze Bestreben der Menschen unsrer Tage gerichtet. "'62

Feste, Universitäten, Presse, Parlamente, alle Ansatzpunkte einer kompetitiven Meinungsbildung sind als organisatorischer Rahmen politischer Öffentlichkeit aus Gentz' Sicht Gefahrenherde für den jenseits der von Privatinteressen und Leidenschaften gekennzeichneten Gesellschaft wirkenden Staat. 163 Die Abschirmung der politischen Entscheidungsfindung - vor allem

Hasse, Sendschreiben 11 Vorwort, S. XXXII (Anrn.). Die Verbindung beider Problemkreise bereits bei Genrz, Preßfreyheit, S. 250f. '60 [Friedrich Genrz] (Ü .), Ueber den gegenwärtigen Zustand der Opposition, und der politischen Schriftstellerei in England. Aus dem Quarterly Review vom Monat Febr. 1823, in: Der Staatsmann. Zeitschrift für Politik und Tagesgeschichte 3(1 824), S. I-50 mit einem vorangestellten Schreiben an den Herausgeber des Staatsmannes (ebd. S. I ff.) , Anmerkungen und einer Schlußanmerkung (ebd. S. 43-50) des - ungenannten - Übersetzers Gentz. 161 Ebd., S. 15 (Anm. d. Ü.). 162 Ebd., S. II (Anm. d. Ü.). 163 Die europäische Dimension dieses Ringens behandelt Friedrich Genrz, Ueber Asyle. Gegen einen Artikel des Constitutionnel, in: Schriften 1II, S. 261-272, hier bes. S. 269f. IS.

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auf der heiklen Ebene der Diplomatie - vor der Öffentlichkeit war deshalb sein Ziel. 164 Die Angst vor einem gewaltsamen Umsturz und der Abscheu vor der Inkompetenz unwissender und zugleich hemmungslos unbescheidener Schriftsteller gehen dabei Hand in Hand. Am besten ließe sich das Problem der Pressefreiheit, so Gentz mit schwer zu bewertender Ironie kurz nach Karlsbad, deshalb durch die Umkehrung der bisherigen Diskussion lösen: "Es bleibt bei meinem Satze: 'Es soll zur Verhütung des Mißbrauchs der Presse binnen ... Jahren gar nichts gedruckt werden. Punktum. ' Dieser Satz als Regel, mit äußerst wenigen Ausnahmen, die ein Tribunal von anerkannter Superiorität zu bestimmen hätte, würde uns in kurzer Zeit zu Gott und zur Wahrheit zurückführen. "165

,.. So schrieb Gentz beispielsweise anläßlich des Aachener Kongresses am 17.11.1818 an Pilat: "Es lebe die diplomatische Discretion! Ganze Bände Klagelieder, selbst von Ihnen, mein lieber Pilat, können mir die unbeschreibliche Satisfaktion nicht zerstören, die mir der Gedanke gewährt, daß es doch endlich einmal wieder Geheimnisse gegeben hat, und daß ein 6wöchentlicher Congreß, wie dieser, ohne alle Klatschereien und unzeitige Publicationen voriiber gegangen ist." (Briefe an Pilat I, S. 365). '6' Gentz an Adam Müller am 7.10.1819, in Mülller LebenszeugnisseII, S. 285.

x. Pressepolitik "Gesetzliche Beschränkungen, wenn sie auch viel kräftiger wären als alle, deren wir uns gegenwärtig schmeicheln dürfen, können jedoch allein der einmal bestehenden Übermacht des Bösen kein hinreichendes Gegengewicht schaffen. Es müssen positive Hülfsmittel aufgeboten werden. "I Eine noch so strenge Zensur konnte die Wirkung der öffentlichen Meinung auf die Politik nur eindämmen, aber nicht aufheben. Allein die Tatsache, daß die Zensurmaßnahmen selbst Gegenstand öffentlicher Diskussion waren, zeigt die Grenzen staatlicher Aufsicht und Handlungsfreiheit. Auch die Karlsbader Beschlüsse entgingen dem Zwang zum Diskurs nicht. Der Tagtraum einer Umkehrung des Rechtfertigungdrucks zugunsten der Zensur, aus der Feder von Gentz ohnehin eine Selbstinfragestellung, steht im Widerspruch zu den langfristigen ökonomischen, sozialen und kulturellen Tendenzen seiner Zeit. Nur ein planmäßiger zivilisatorischer Rückschritt bot eine radikale Alternative zur dauernden Abwehrschlacht gegen die - aus Gentz' Sicht - Anmaßungen der Öffentlichkeit. Die größte p'raktische Schwierigkeit für eine rigorose Zensurpolitik bestand aber in der Pluralität miteinander konkurrierender Staatsgebilde bei gleichzeitiger Verdichtung öffentlicher Kommunikation in Europa, auch über Grenzen hinweg. Innerhalb des Deutschen Bundes, wo kulturelle Gemeinsamkeiten ein staatenübergreifend strukturiertes Publikum bedingten, bot sich die Möglichkeit der Zensurkoordinierung, aber nur auf der Basis eines weitgehenden Konsenses der monarchischen Souveräne. Europaweit ließ sich eine solche Koordinierung nicht erreichen. Schon die machtpolitische Konkurrenzsituation legte hier den Regierungen nahe, auf die öffentliche Meinung gezielt einzuwirken, im In- wie im Ausland, mit negativen wie mit positiven Mitteln der Kommunikationskontrolle. Nach 1815 waren es vor allem die verfassungspolitischen Präferenzen, die zwischen den Staaten und besonders zwischen Regierung und Regierten umstritten waren und die beide Arten von Kontrollmaßnahmen nahelegten. "Zensur und Propaganda sind nur Antipoden des Mittels, nicht des Zwecks. Beide haben das Ziel, 'Öffentlichkeit' zu gestalten. "2

I

2

Gentz an Mettemich am 28.3.1823, in Briefe II112, S. 45. Schneider, S. 174.

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Die Begünstigung der Verbreitung bestimmter politischer Meinungen durch Druckwerke, beispielsweise zur Durchsetzung innerer Reformen oder zur Unterstützung der Kriegsführung, war Ende des achtzehnten Jahrhunderts nichts mehr Neues, aber die von Napoleon vorexerzierte planmäßige Pressepolitik mit ihrer charakteristischen Mischung von Restriktion einerseits und einer umfangreichen und andauernden Propagandaaktivität andererseits, bedeutete eine qualitativ neue Ebene staatlicher Meinungssteuerung. Vor allem die Monopolisierung der politischen Berichterstattung in den Zeitungen des Kaiserreichs, die in der überragenden Stellung des "Moniteur" gipfelte, setzte neue Maßstäbe der staatlichen Presselenkung. 3 Dafür, daß und wie Napoleon den "Moniteur" als persönliches Sprachrohr verwendete, hatte Gentz keinerlei Verständnis ,4 ja er betrachtete dies sogar als "eine der heillosesten Neuerungen unserer Zeit"s. Trotz aller Bedenken war ihm klar, daß die machtpolitische Konkurrenz auch die anderen Staaten zu einer effektiven Meinungssteuerung zwinge, denn "solch Vorrecht, wie unrein sein Ursprung, wie gehässig seine Ausübung seyn mag, würde nichts destoweniger dem, der es ungehindert geltend machen dürfte, die entscheidendsten Vortheile gewähren. "6 Tatsächlich war es die publizistische Konfrontation mit der Expansionskraft des nachrevolutionären Frankreich, in der Gentz als allerdings eigenwilliges - Instrument die Mittel und Wege der Pressepolitik erstmals kennenlernte. Gentz hatte als politischer Schriftsteller, wie ich bereits zu zeigen versucht habe, seine Texte immer auch im Blick auf Belohnungen, die von außerhalb des Literaturbetriebs kamen, geschrieben. Anfangs erhoffte er sich Karrierechancen, dann aber auch Geld als Resultat seiner schriftstellerischen Arbeit. 7 Die nicht besonders weit entwickelten Ansätze einer gegen das revolutionäre Frankreich gerichteten preußischen Pressepolitik kamen Gentz bei der Ver-

3 Dazu Jean Tulard, Art. Presse, in: ders. (Hrsg.), Dictionnaire Napoleon, Paris 1987, S. 1397-1406. • Gentz, Authentische Darstellung, S. 26-29,42-64. , Ebd., S. 46. 6 Ebd., S. 49. 7 Vg!. dazu das nach Abschluß seiner Burke-Übersetzung an den preußischen König gerichtete Schreiben: "Wenn indessen Allerhöchstdieselbe in Betracht der langen Dienste meines Vaters und meines brennenden Eifers, mich ganz dem Vaterlande, den Wissenschaften und den Geschäften zu widmen, irgend einen günstigen Entschluss zur Verbesserung meiner Lage zu fassen geneigt seyn sollten, so halte ich es für meine pflicht, Ewr. König!. Majestät allerunterthänigst anzuzeigen, dass ich 2 Jahre bei der Churmärk. Cammer und hiernächst 6 Jahre bei dem General-Directorio gearbeitet, jedoch erst ein jährliches Gehalt von 300 rthr. habe." (GenlZ an Friedrich-Wilhelm ll. am 23.12.1792, in: Hase, Politischer Zustand, S. 126f., hier S. 127).

12 Kronenbitter

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öffentlichung des "Historischen Journals" zugute. 8 Die Unterstützung durch die Minister Schulenburg und Haugwitz sowie durch seinen Vorgesetzten Voß verschaffte ihm Zeit und Geld für sein Zeitschriftenunternehmen. 9 Die Subventionierung aus der Staatskasse machte das "Journal" für Gentz noch profitabler. Als er die englandfreundliche Tendenz der Zeitschrift auch nach der Hinwendung der preußischen Außenpolitik zu Frankreich Mitte des Jahres 1800 aufrechterhielt, kam Gentz als publizistisches Instrument der Regierung nicht mehr in Betracht und verlor die weitere finanzielle Unterstützung. 10 England, dessen außenpolitische Interessen Gentz wichtiger waren als die seiner eignen Regierung, ermöglichte dem hoch verschuldeten Schriftsteller das finanzielle Überleben und damit auch seine weitere öffentliche Wirksamkeit. Nach Erhalt eines der zur Belohnung politisch nützlicher Veröffentlichungen allgemein üblichen Geldgeschenke aus England trug Gentz von sich aus im November 1800 der britischen Regierung seine Dienste als publizistisches Sprachrohr an. Eine weitere Subventionierung des "Journals", das Gentz zusätzlich noch in englischer Übersetzung herausgeben wollte, stieß auf Ablehnung, aber ihm wurde doch eine dauernde, wenn auch nicht regelmäßige finanzielle Unterstützung angeboten. 1801 Gentz "had become a paid propagandist for the English government. "11 Als Gegenleistung zu den auch nach der Übersiedlung nach Wien immer wieder von Gentz angeforderten Geldmitteln bot er den Engländern interne Informationen, Denkschriften und Publikationen im Sinne der britischen Regierung. Vor allem die "Authentische Darstellung" diente sehr direkt der britischen Propaganda. Aber auch diese Publikation bildete, wie die anderen der Jahre 1801 und 1806, einschließlich der über das britische AuHenministerium vermittelten englischen Übersetzungen einiger seiner Schriften, nur einen Teil von Gentz' Diensten und wurde nicht in London in Auftrag gegeben. Die Auswahl und die Behandlung der Themen seiner Veröffentlichungen spekulierten zwar auf die angenommenen Präferenzen seiner Schutzherren, waren aber

• Vgl. zu den Anfängen einer gezielten preußischen Pressepolitik, die über bloße Repressionsmaßnahmen hinausgeht, Ernst Consentius, Die Berliner Zeitungen während der französischen Revolution. Mit Benutzung der Akten des Geheimen Staats Archivs, in: Preußische Jahrbücher 117(1901)(1904],S.449-488. 9 Nach Tschirch, S. 403 jeweils 1000 Taler für 1799 und 1800. Vgl. Sweet, Friedrich von Gentz, S. 42. 10 In einem Brief an Frölich berichtet Gentz am 23.1 0.1800 "über eine fehlgeschlagene Hoffnung - nicht weniger als 500 rth die der Graf Schulenburg mir noch verheißen hatte, und die der König mir verweigert" (in GStA Merseburg Rep. 94 IV Nb 2). Dazu auch Sweel, Friedrich von Gentz, S. 49f. 11 Sweel, Friedrich von Gentz, S. 52. Vgl. auch P. Wittichen, Englische Politik, S. 466-473.

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nicht von einer stringenten Pressepolitik determiniert. 12 Trotzdem geriet er, Informant und Einflußagent in einer Person, öffentlich in den Ruf, Söldling des englischen Ministeriums zu sein. I3 Österreich hatte Gentz geradezu als publizistisches Werkzeug in Dienst genommen, verwendete ihn jedoch zunächst nur sehr sporadisch, bis mit dem neuen Außenminister Mettemich ein Verfechter einer zeitgemäßeren und wettbewerbsfähigen Lenkung der öffentlichen Meinung ins Amt kam. 14 Mettemich hatte sich als Botschafter in Paris aus nächster Nähe von der Effizienz napoleonischer Pressepolitik überzeugt und ging nun daran, die Beeinflussung der österreichischen, deutschen und europäischen Öffentlichkeit systematisch zum Mittel seiner Politik auszubauen. Den Zeitschriften, mehr noch aber den Zeitungen, die durch Aktualität und Verbreitungsgrad für die politische Öffentlichkeit von besonderer Bedeutung waren, galt sein spezielles Augenmerk. 15 Gentz erhielt hier ein außerordentlich wichtiges Aufgabenfeld; er wirkte als Ratgeber, Organisator, Kontolleur und Schriftsteller an der Pressepolitik der

12

Sweel, Friedrich von Gentz, S. 105f., 113f., P. Willichen, Englische Politik, S. 481ff. -

GenlZ rückblickend über die" Authentische Darstellung" in Tagebücher I, S. 38f.: "Mit dem 1.

April (1805) fing ich die zur Publikation bestimmte Schrift über den Krieg zwischen Eng/and und Spanien an, wobei ich einzig vom Gefühl der Wahrheit, so wie ich sie damals erkannte, und von keinem äußeren Motiv geleitet war. Denn um die englische Regierung mir geneigt zu erhalten, war dies nur ein schwaches Neben=Mittel, meine persönliche Stellung allein konnte mir in ihren Augen Wichtigkeit geben [ ... ). " 13 So druckte beispielsweise nach der Besetzung Wiens durch französische Truppen die "Wiener= Zeitung" am 1.8.1809 das" Acht und Zwanzigste Bülletin der kaiser!. könig!. Französischen Armee" vom 14.7.1809 ab, in dem es hieß: "Man hat mehrere Couriere mit Briefen aufgefangen, welche einen fortgesetzten BriefWechsel des Gentz mit dem Grafen Stadion enthalten. Der Einfluß jenes Elenden auf die grossen Entscheidungen des Oesterreichischen Cabinetes ist also physisch bewiesen. Das sind die Werkzeuge, derer sich England wie einer neuern Pandora=Büchse bediente, um Stürme und giftige Dämpfe über den Continent auszuschütten." - Ende 1806, als die Verbindungen zu England gestört waren, und als im eben besiegten Österreich kein Bedarf an antinapoleonischer Publizistik bestand, wandte sich Gentz - ohne Erfolg - an Rußland mit dem Vorschlag, ein Propagandablatt in deutscher oder französischer Sprache herauszugeben "pour relever I'opinion publique de ses terreurs et de cette epouvantable decadence a la quelle elle est condamnee aujourd'hui par I'absence finale et absolue de toute espece de communication" (GenlZ an Czartoryski am 29.12.1806, in Emil Kipa, Fryderyk Gentz a Polska. 1794-1831, Krakow u.a. 1911, S. 150). 14 Das Kriegsmanifest von 1809 gehört (ebenso wie das von 1813) nur am Rande zu einer "modernen" Pressepolitik, sondern knüpft an die Tradition öffentlicher Verlautbarung von Regierungsbeschlüssen an. U Einen Überblick über Motivation, Konzeption und Realisierung der Pressepolitik Mettemichs geben Frilhjof Kammerer, Die Pressepolitik Metternichs. Versuch einer Gesamtdarstellung, Diss. Wien 1958, Srbik I, S. 516-522, Hoefer, S. 39-47, Lechner, S. 53-78 und [um Paupie, Clemens Wenzel Nepomuk Lothar Mettemich (1773-1859), in: Fischer (Hrsg.), Deutsche Publizisten, S. 150-159. 12·

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Staatskanzlei mit. Ab 1809/12 sind seine Publikationen Teil einer sehr bewußten Strategie staatlich gelenkter Meinungbildung. Die Rolle, die Gentz bei der Gestaltung und Umsetzung dieser Strategie spielte, ist deshalb unabdingbarer Bestandteil einer Untersuchung der Kommunikationssituation, in der seine Schriften aus der Mettemichzeit entstanden sind. 16 Die erste Voraussetzung einer aktiven und koordinierten Pressepolitik bestand in ihrer institutionellen Verankerung im Staatsapparat. Zwar gelang es nicht, ein regelrechtes "Departement der öffentlichen Meinung"17 einzurichten, aber wenigstens innerhalb der Staatskanzlei bestanden die strukturellen Bedingungen für eine abgestimmte Beobachtung und Beeinflussung der Presse, an der Gentz mitwirkte. 18 Von zentraler Bedeutung für eine erfolgreiche politische Meinungslenkung war die Verfügbarkeit der wirkungsvollsten publizistischen Kanäle. Hier stieß Mettemich auf erhebliche Schwierigkeiten, denn durch die harte Zensur fehlte eine entwickelte politische Presse in Österreich. Die "Oesterreichisch = Kaiserliche privilegirte Wiener = Zeitung" 19 trug als Verlautbarungsorgan der Regierung amtlichen Charakter und besaß eine dem "Moniteur" vergleichbare MonopolsteIlung als Quelle politischer'Nachrichten für die Provinzblätter , war aber infolge der restriktiven österreichischen Pressepolitik und der rein ökonomischen Interessen der Pächter ein ausgesprochen unattraktives Medium politischer Information.~ Nachdem 1808, bereits damals auf Initiative Mettemichs, die "Vaterländischen Blätter für den österreichischen Kaiserstaat" gegründet worden waren, führte der Krieg von 1809 zur Schaffung einer von Friedrich Schlegel im Hauptquartier der österreichischen Truppen herausgegebenen "Oesterreichisehen Zeitung" als Instrument der Kriegspropaganda. 21 Nach Kriegsende ergriff der neue Außenminister die Gelegenheit, die ihm Schlegels Wunsch

16 Die Fülle seiner Funktionen in der österreichischen Pressepolitik, die hier ohne Anspruch auf Vollständigkeit dargestellt werden, kamen den Zeitgenossen erst nach seinem Tod so recht zu Bewußtsein, als sich kein Nachfolger mit vergleichbarer Viel-Fachkompetenz finden ließ. Vgl. dazu beispielsweise: Aus dem Tagebuche der Fürstin Melanie, in Metternich Nachgelassene Papiere V, S. 252f. 17 GenlZ an Metternich am 12.9.1813, in Briefe 1II/1, S. 145 . .. Dazu Mayr, Staatskanzlei, S. 43-50, 136f. 19 Im folgenden: "Wiener Zeitung". 20 Vgl. dazu: Johann WinckJer, Die periodische Presse Oesterreichs. Eine histo~sch-statistische Studie, Wien 1875, S. 52-61; Karl Wagner, Die Wiener Zeitungen und Zeitschriften der Jahre 1808 und 1809, in: Archiv fiir österreichische Geschichte 104(1915), S. 197-401, hier S. 232f. (Anrn.); E. V. Zenker, Geschichte der Wiener Journalistik von den Anfangen bis zum Jahre 1848. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Band 1, Wien u.a. 1892, S. 92-95. 21 Vgl. dazu: Wagner, S. 236-246; Helmut Hammer, Oesterreichs Propaganda zum Feldzug 1809. Ein Beitrag zur Geschichte der politischen Propaganda, München 1935, S. 123-129.

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nach Fortsetzung der "Oesterreichischen Zeitung" und die Neuerteilung des Privilegs für die "Wiener Zeitung" bot, um mit dem offiziösen "Oesterreichischen Beobachter" von 1810 bis zur Revolution 1848 über eine Zeitung zu verfügen, die, nach außen unabhängig, von der Staatskanzlei kontrolliert wurdeY Schließlich löste 1811 Pilat, Mettemichs persönlicher Sekretär, Schlegel als Redakteur des "Oesterreichischen Beobachters" ab, und Mettemich hatte seine Tageszeitung. 23 Gentz hatte sich ein "politisches Blatt nach dem Modell der besten politischen Zeitungen geordnet, unter einem einfachen, anspruchslosen Titel, von der Regierung befördert, kontrolliert und geleitet, ohne daß sie sich öffentlich dazu bekennen dürfte"24, gewünscht und die strikte Beschränkung der "Wiener Zeitung" auf die Veröffentlichung von Kundmachungen verlangt. Die Redaktion der "Wiener Zeitung" wehrte sich hartnäckig gegen diese Auflage und trat mit dem "Oesterreichischen Beobachter" immer wieder in Fehde. Gentz, der als Mentor, Mitarbeiter und nicht zuletzt als Bindeglied zwischen Mettemich und Pilat dem "Oesterreichischen Beobachter" eng verbunden war, wurde in diese Auseinandersetzung tief verstrickt. Der Konflikt endete schließlich mit einem weitgehenden Erfolg für Gentz' pressepolitisches Konzept. 25 Im Dreieck zwischen Mettemich, Gentz und Pilat wurde über die politische Linie des "Oesterreichischen Beobachters" entschieden. Gentz hatte dabei die Aufgabe, Pilat auf den von Mettemich gewünschten Kurs zu verpflichten, den Redakteur mit dem notwendigen Hintergrundwissen und Berichten zu politisch brisanten Fragen zu versorgen und dessen Arbeit zu überwachen. Gelegentlich machte dabei Pilat, Mitglied des Hofbauer-Kreises, "durch überspannte religiöse und politische Meinungen verleitet"26, Schwierigkeiten. Im beinahe "tägliche[n] Umgang"27 oder in intensiver Korrespondenz mit Pilat28 formte und

22 Dazu Herbert Eichler, Zur Vorgeschichte des 'Österreichischen Beobachters', in: Jahrbuch der Grillparzer-Gesellschaft 28(1926), S. 170-181. 23 Vgl. dazu: Rudolf Holzer, Zeitungswesen im Vormärz, in: 1. W. Nagler/Jakob Zeidler/Eduard Castle (Hrsg .), Deutsch = Österreichische Literaturgeschic.hte. Ein Handbuch der deutschen Dichtung in Österreich = Ungarn. Zweiter Band. Erste Abteilung. Von 1750-1848, Wien 1914, S. 852-893, hier S. 857-866; Schlegel an Metternich am 1.12.1809 und am 1.11.18\0, in: Jakob Baxa (Hrsg.), Gesellschaft und Staat im Spiegel deutscher Romantik. Die staats- und gesellschaftswissenschaftlichen Schriften deutscher Romantiker, Jena 1924, S. 133-139; Salomon III, S. 160. 24 Gentz an Metternich am 14.1 1.1810, in Briefe ßIII, S. 11 I. 2> Ebd.; Salomon III, S. 159-165. 26 Gentz an Metternich am 22.12.1815, in Briefe III/I, S. 316. 27 Tagebücher I, S. 25 I. 2. Briefe an Pilat I, 11. Dieser Briefwechsel ist zusammen mit den Tagebüchern lI-V das wichtigste Hilfsmittel zur Identifizierung von Gentz' Beiträgen im "Oesterreichischen Beobachter".

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X. Pressepolitik

formulierte Gentz die Beiträge der Staatskanzlei zur politischen Meinungsbildung. 29 Der selten spürbar werdende Dissens in Grundsatzfragen und die vergleichsweise häufigen Differenzen um Einzelheiten der Redaktionsarbeit störten das Einvernehmen zwischen beiden nicht ernsthaft. 30 Obwohl der "Oesterreichische Beobachter" weitgehend durch das private Verlagsgeschäft finanziert wurde? war der offiziöse Charakter der "halbministeriellen Zeitung"32 nicht zu verheimlichen. Umso notwendiger erschien es, den "Oesterreichischen Beobachter" möglichst genau auf Metternichs politische Taktik einzustellen. War schon Gentz gelegentlich damit überfordert, fehlten Pilat und in noch weit stärkerem Maße den Beamten der Staatskanzlei und der PolizeihofsteIle, die mit der Zensur des "Oesterreichischen Beobachters" befaßt waren, Einsicht in und Verständnis für die Finessen der Politik Metternichs. 33 Der Grundwiderspruch der österreichischen Presselenkung, in der Öffentlichkeit Akzeptanz für eine dem Arkanprinzip verpflichtete Politik erwecken zu wollen, wirkte so ganz direkt auf die redaktionellen Arbeitsbedingungen zurück. Die Dominanz fiskalischer und zensurpolitischer Interessen minderte über Preis und Inhalt zwar die Attraktivität für das Publikum, aber die MonopolsteIlung innerhalb der Monarchie und besondere Kompetenz in der Österreich-, aber auch der Levanteberichterstattung sicherten dem "Oesterreichischen Beobachter" doch Bedeutung und damit Leserschaft. 34 Öffentlichkeitswirksamkeit erreichte und spiegelte er in den publizistischen Fehden mit den Kritikern

29 Vgl. zu Gentz' pressepolitischer und publizistischer Wirksamkeit auch Violella Andreeva, Friedrich von Gentz, Herausgeber und Mitarbeiter von Zeitungen und Zeitschriften, Diss. Wien 1947 (1948), Günther Leopold, Friedrich v. Gentz im österreichischen Staatsdienst. Unter besonderer Berücksichtigung seiner Verdienste um das österreichische Pressewesen, Diss. Wien 1956, Jose! Mühlhäuser, Die Geschichte des "Österreichischen Beobachter" von der Gründung bis zum Tod Zur Entstehung des Artikels, der am 19. und 20.1.1816 im "Oesterreichischen Beobachter" erschien, Tagebücher 11, S. 2f. 26 Vgl. auch den gegen die "Bremer Zeitung" gerichteten Artik.:1 im "Oesterreichischen Beobachter" vom 3.6.1818.

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XI. Staatsschriftsteller

großen Kongresse von Aachen, Troppau, Laibach und Verona, auf einem Höhepunkt von Metternichs Einfluß auf die europäische Politik, galt es, Skepsis im Publikum gegen die österreichische Diplomatie, die die Kongresse zur Durchsetzung einer der Partizipation der Öffentlichkeit weitgehend entzogenen Politik nutzte, abzubauen. So versuchte Gentz schon vor Beginn des Kongresses in Aachen dem von einer englischen regierungsnahen Zeitung geweckten Eindruck entgegenzutreten, daß - hinter den Kulissen - eine Umgestaltung der europäischen Verhältnisse in Fortsetzung des Wiener Kongresses vorbereitet werdeY "Der Durst und Drang nach frappanten Begebenheiten, nach neuer Gestaltung der Dinge, nach Bewegung und Wechsel auf dem Schauplatz der Welt ist unserm Zeitalter vorzüglich eigen"28, aber dieser von den politischen Umbrüchen der Vergangenheit geförderte Grundzug der Öffentlichkeit, die Unruhe, werde die Politik der Großmächte nicht leiten. Noch vor den Karlsbader Konferenzen erschien Gentz' letzter Beitrag zu den "Wiener Jahrbüchern", eine Rezension von de Pradts Schrift über Europa nach dem Aachener Kongreß.29 De Pradts Klagen über den MachtverJust Frankreichs und die Dominanz Englands und Rußlands im neuen Kräfteparallelogramm Europas, vorgetragen in grober Unkenntnis der außenpolitischen Realitäten und voller logischer Widersprüche, werden mittels zahlreicher Zitate der Lächerlichkeit preisgegeben. 30 Gentz ging es dabei unter anderem darum,

27 Zur Entstehungsgeschichte des Artikels im "Oesterreichischen Beobachter" vom 19.9.1818 und zu Gentz' Verfasserschaft Tagebücher 11, S. 262 und Gentz an Pilat am 11.9.1818, in Briefe an Pilat I, S. 314f. 2' Oesterreichischer Beobachter vom 19.9.1818. Dort heißt es weiter, angesichts der österreichischen Sorgen um die Berechenbarkeit besonders Rußlands eher beschwörend: "Revolutionen und Gegenrevolutionenaller Art waren ein halbes Menschengedenkenhindurch so sehr die Geschichte des Tages geworden, daß jene Gemüthsstimmung gewissermaßen natürlich, und, obgleich Niemand sich gerne dazu bekennt, in mehr als einer Rücksicht verzeihlich ist. Die Vorsehung hat ihr aber, zum Heil der Menschheit, in den Gesinnungen der sämmtlichen Machthaber, die heute das Schicksal der Völker bestimmen, ein kräftiges Gegengewicht geschaffen. Wäre dieß nicht der Fall, würde jene gefahrvolle Sehnsucht nach Veränderung und Umschwung nur von einem oder dem andern der großen europäischen Monarchen getheilt, so müßte der ganze Bau der bürgerlichen Gesellschaft in wenig Jahren ohne Rettung verfallen." 19 Dominique de Pradt, L'Europe apres le congres d' Aix-La-Chapelle, faisant suite au congres de Vienne, Paris u.a. 1819; Gentz, Pradts Gemälde. - Den Beginn der Arbeit noch vor dem Mord an Kotzebue verzeichnet die Eintragung vom 21.3.1819 in Tagebücher 11, S. 314. Vgl. auch Gentz an Metternich am 30.3.1819, in Briefe 111/1, S. 375f. 30 "Aus diesem Labyrinth von Widersprüchen eignen wir uns zu, was der Wahrheit gehört, und lassen Herrn v. Pradt mit dem übrigen schalten, wie es ihm beliebt. Der allenthalben in seine Lobsprüche verflochtne giftige Tadel des neuen politischen Systems, sein unverkennbarer Unmuth über den Schiffbruch der Unternehmungen Napoleons, alle Seiltänzer=Künste seiner falschen Dialektik, [ ... ) vermögen nichts wider die Geständnisse, welche die Evidenz der Thatsachen und der Resultate ihm abgedrungen hat." (Gentz, Pradts Gemälde, S. 314).

I. Außenpolitik und Publizistik

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seiner Meinung nach schiefe Urteile über die Heilige Allianz3l und die Interventionsbereitschaft der Großmächte32 zu korrigieren und nebenbei auch noch Angriffe auf seine Arbeit an der Aachener Deklaration zu parieren. 33 Die "diplomatischen Irrthümer des Hrn. v. Pradt"34 konfrontiert Gentz mit einer vorsichtig optimistischen Beurteilung der politischen Lage. 35 Das von Gentz gelieferte "Meisterstück in der Kunst den Gegner ad absurdum zu bringen ,,36 vertiefte zwar den allgemeinen Eindruck, die "Wiener Jahrbücher" seien das Sprachrohr Metternichs,37 eine besonders enthusiastische Rezeption wurde dem Aufsatz aber in Wien zunächst nicht zuteil, so daß Gentz froh war, in Karlsbad die französische Fassung seines Textes einem außerösterreichischen Publikum von sachkundigen Lesern vermitteln zu kön-

31 Die Heilige Allianz ergänze nur die bestehenden Verträge und bekräftige deren Grundsätze, "sie hat den für sich bestehenden positiven Garantien, nur eine moralische und religiöse Sanction verliehen, und ist [nur) in sofern allerdings die höchste Garantie." (ebd., S. 311). '2 Das Stillschweigen der von Gentz formulierten und ins Deutsche übersetzten Deklaration von Aachen (in: Schriften III, S. 70-74) über die Kriterien einer Intervention verteidigt Gentz mit einem frohgemuten Hinweis auf die Geheimnisse der Diplomatie: "Freylich wäre für muntre Kritiker nichts erwünschter gewesen, als daß die Souverains sich herabgelassen hätten, über Gegenstände von so intrikater Natur, ohne alle Nothwendigkeit, ohne irgend eine praktische Veranlassung, ein Langes und ein Breites zum Besten zu geben. Davor hat ihre Weisheit sie geschützt. Die allgemeinen Grundsätze, die bey diesem und ähnlichen Problemen zur Richtschnur dienen, sind denen, deren Pflicht es ist, sie zu studieren, längst bekannt; und der Achner Congreß scheint keine Neigung gehabt zu haben, über irgend ein Capitel des Staats = oder Völker = Rechts neue Grundsätze aufzustellen." (Gentz, Pradts Gemälde, S. 317). " Gentz, Pradts Gemälde, S. 315 und Gentz an Mettemich am 20.4.1819, in Briefe III/I, S. 403 . .. Gentz, Pradts Gemälde, S. 318. " Ebd., S. 314. - Daß es sich hier um die aus Gentz' Sicht wichtigste Passage des Textes handelt geht aus Gentz an Mettemich am 20.4.1819, in Briefe III/I, S. 402f. hervor: "Die Unverschämtheit dieses Schriftstellers [= Oe Pradts) verdiente eine strenge Züchtigung; und ich glaube, sie nicht verfehlt zu haben. Außerdem aber war mein lebhafter Wunsch, das gegenwärtige politische System von Europa in seinem wahren Charakter und aus einem durchaus beruhigenden Standpunkte darzustellen, und mein eigentlicher Zweck, zu dem Resultat zu gelangen, welches ich p. 314 ausgeprochen habe, und welches in der heutigen Lage der Welt und bei den heftigen Gärungen im Innern der Staaten gewiß manchem rechtlichen Manne sehr trostreich sein wird. Ich habe mich daher auch nicht gescheut, die kritische Frage von der Gefahr einer russischen Präponderanz zweimal ganz offen zu verhandeln und den Gespenstern, mit welchen man uns immerwährend schreckt, zu Leibe zu gehen. Mir schien, daß auch dieses nur Gutes stiften zu könnte. [ ... ) Über innre Politik habe ich mich mit P. durchaus nicht einlassen mögen. Es war mir bloß darum zu tun, das heutige europäische Föderativsystem als das große Gegengewicht aller innern Bewegungen und Gefahren darzustellen; und ob ich gleich auch dies nur im allgemeinen tun durfte, so bin ich doch gewiß, daß die Feinde der Ruhe mich vollkommen verstanden haben werden. " 16 Mallhäus Col/in, Herausgeberder "Wiener Jahrbücher". an Adam Müller am 30.4.1819, in Müller Lebenszeugnisse 11, S. 213. ]7 Ebd.

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XI. Staatsschriftsteller

nen. 38 Lob gab es immerhin von Adam Müller, mehr noch als für die Inhalte39 für die stilistische Gestaltung gemäß Müllers Ideal, der "beständige[n] Präsenz der Rede"«>. Aber weder de Pradt noch die von ihm artikulierte Kritik an der von Metternich mitgestalteten europäischen Ordnung verstummten in den folgenden Jahren, sondern die Krisenherde von Griechenland bis Spanien, von Neapel bis Südamerika boten Anlässe zu ständiger öffentlicher Kritik. Der publizistische Kampf gegen die "frechen Verläumdungen, wodurch die Regierungen in Mißcredit gebracht und mit ihren Völkern entzweit werden, die [ ... ] Lügen, welche die Meinung verwirren, oder verfälschen, oder erschrekken, oder mit bevorstehenden großen Missethaten vertraut machen sollen "41 , kannte für Gentz nur kurzfristige Triumphe, "denn, wenn die Lüge in Riesengestalt über die Welt schreitet, so wird sie aus einem verächtlichen ein furchtbarer Feind. Sie wird es lange noch bleiben; denn die Erfindsarnkeit der Lügenhändler ist unerschöpflich "42. Nicht nur die "demokratischen Journale", für Gentz "die rastlosen und furchtbaren Feinde alles Guten, der Religion wie der öffentlichen Ruhe, der einheimischen Zufriedenheit, wie des Friedens der Welt"43, galt es in die Schranken zu weisen, sondern auch frühere Gesinnungsgenossen, Autoren wie Chateaubriand44 und Zeitungen wie das "Journal des Debats" , 45 konnten zu Gegnern werden. Der polemische Schlagabtausch, der nicht enden konnte, ermüdete Gentz und stand im Widerspruch zur Selbstauslegung österreichischer Pressepolitik:

38 Gentz an Pilat am 15.8.1819, in Briefe an Pilat I, S. 406. 3. Adam Müller an Gentz am 8.5.1819, in Müller Lebenszeugnisse 11, S. 222f. 40 Adam Müller an Gentz am 11.6.1819, in Müller Lebenszeugnisse 11, S. 239. 4. Oesterreichischer Beobachter vom 16.4.1821. Gentz' Verfasserschaft nach Gentz an Pilat am 12.4.1821, in Briefe an Pilat 11, S. 68. 42 Oesterreichischer Beobachter vom 22.123.3.1821. Gentz' Verfasserschaft nach Gentz an Pilat am 17.4.1821, in Briefe an Pilat 11, S. 74. 43 Gentz an Pi1at am 5.9.1826, in Briefe an Pilat 11, S. 209 . .. Dazu z.B. Gentz an Metternich am 9.8.1825, in Briefe IIIf2, S. 234 und vor allem die beiden Briefe an Unbekannt am 5. und 25.10.1825, in Aus dem Nachlasse I, S. 97-104. - Zur Stellung Chateaubriands im innenpolitischen Spektrum Frankreichs zwischen 1815 und 1830 und der dort für Gentz erfahrbaren Instabilität des Verhältnisses von politischer Rechten und Ministerium vgl. Jean Tulard, Geschichte Frankreichs. Band 4. Frankreich im Zeitalter der Revolutionen. 17891815 (Ü.: ArnulfMoser), Stuttgart 1989, S. 315-343. 4> Dazu der in der folgenden Anmerkung zitierte Artikel im "Oesterreichischen Beobachter". Vgl. zum "Journal des Debats", das in den I 820er Jahren ein besonders wichtiger Bezugspunkt von Gentz in der französischen Presselandschaft war, Aifred Sirven, Journaux et Journalistes. Le Journal des Debats, Paris 1865, S. 152-189.

I. Außenpolitik und Publizistik

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"Die ursprüngliche Bestimmung des Oesterreichischen Beobachters war, und ist, Materialien tur die Geschichte zu liefern. [ ... ] Wir sind weder Diener einer Partei, noch Werkzeuge einer despotischen Willkühr; wir stehen im Dienste einer Sache; und in dem jetzigen furchtbar zerrißnen, moralischen Zustande der Welt, hat diese Sache, tur unser Getuhl den vollen Werth einer politischen Religion. Wir müßten unsre Stellung, unsern Beruf, unser Interesse seltsam verkennen, wenn wir je von diesem uns gegenwärtigen Standpuncte in den Kampfplatz wilder Leidenschaftenherabsteigen wollten, aufwelchem heute die meisten politischen Tagesblätter ihr Spiel treiben .....

Die Verbissenheit, mit der Gentz seine pressepolitische Rolle spielte,47 ließ erst nach, als er sich angesichts der Julirevolution von Mettemichs politischer Linie zu lösen begann. Auch und gerade die Pressepolitik war von diesen Di fferenzen betroffen,48 aber Gentz versah seinen Dienst als Publizist des Staates weiter. Zwar wetterte er nach wie vor gegen den "Geist des Frevels und der Verblendung"49 der Revolutionäre und die Lügen "aus dem Laboratorium der revolutionären Partei"50, aber viel wichtiger wurde für ihn die Wahrung des äußeren Friedens in Europa, wobei es nicht mehr so bedeutsam erschien, welche innere Verfassung die Staaten hatten. 5 \ So erhoffte er sich von der neuen französischen Regierung in erster Linie Ruhe für Europa, auch wenn dieser Kurs in Österreichs Führung nicht unumstritten war. 52 Mit großer Sorge sah Gentz deshalb Heines Berichte über die französische Innenpolitik in der für die Meinungsbildung in Österreich so wichtigen All-

.. Oesterreichischer Beobachter vom 8.3.1826. - Gentz' Verfasserschaft nach der Eintragung vom 7.3.1826 in Tagebücher IV, S. 150, die zugleich einen eindrucksvollen Stoßseufzer enthält: er sei "an die Kette einer mir höchst verhaßten Arbeit (des, hoffentlich letzten, polemischen Artikels tur den Beobachter) geschmiedet" gewesen . ., Ein Beispiel unter vielen in Gentz an Metternich am 11.10.1823: "Die pöbelhaften Lügen des Morning Chronic1e verdienen keine Schonung. Ich habe nach E. D. Genehmigung die, welche Piemont und Rom angingen, mit einigen Zeilen im Beobachter (vom 10.) abgefertiget. Der Stolz dieser Schufte, die sich immer noch einbilden, daß sie eigentlich die öffentliche Meinung von Europa dirigieren, ist noch unerträglicher als ihre krasse Unwissenheit und ihr schmutziger lakobinismus." (Briefe I1I12, S. 70). 4. Z.B. der Disput über die Frage "des Alarmirens oder Nicht=Alarmirens des Publikums" in Gentz an Pilat am 1.11.1831 ,in Briefe an Pilat 11, S. 331. 49 Zur österreichischen Intervention in Italien im "Oesterreichischen Beobachter" vom 13.3.1831. Gentz' Verfasserschaft nach Tagebücher V, S. 270. '" Zur Berichterstattung aus Spanien im "Oesterreichischen Beobachter" vom 4.2.1831. Gentz' Verfasserschaft nach Tagebücher V, S. 259. " Vgl. dazu Friedrich Gentz. Argumente tur die Wahrscheinlichkeit des Friedens, in: Schriften V, S. 172-180. " Dazu Gentz beschwörend: "Das ist die Stimme, die heute durch Europa ertönt; die österreichische Regierung erklärt sie ausdrücklich tur die ihrige; jeder Österreicher, der seinen Monarchen und sein Vaterland liebt, huldiget ihr." (Oesterreichischer Beobachter vom 22.3.1831. Gentz' Verfasserschaft nach Tagebücher V, S. 273).

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XI. Staatsschri ftsteller

gemeinen Zeitung und "den täglichen Krieg der A.Z. gegen das Juste milieu"53. Vorbei an der österreichischen Diplomatie, der er sich zunehmend

entfremdet hatte, appellierte Gentz an den Verleger Cotta in einem vertraulichen Brief, dagegen einzuschreiten. Nur den Extremisten der Gegenrevolution, die in Wien den Kurs bestimmten, und "Volks= Vertretern, wie Reine, Wirth, Siebenpfeiffer"54 passe es ins politische Konzept, Louis Phi lippe "zu Tode geritten"55 zu sehen. Die Logik des Zusammenspiels der Extremisten, "die das Heil der Welt - sei es nun im Sinne einer gewaltsamen Contre=Revolution, sei es im Sinne eines völligen Umsturzes der alten gesellschaftlichen Ordnung - vom Kriege allein erwarten "56, ist für Gentz zugleich die Logik der unverantwortlichen Herrschaft öffentlicher Kritik. 57 Der polnische Aufstand bewegte neben den Umwälzungen in Frankreich, den Unruhen in Italien und der belgischen Frage die Gemüter der Zeitgenossen in besonderer Weise; die Polenbegeisterung diente als Ausdrucksmittel nationaler und liberal-demokratischer Gesinnung. Ob aus Opposition zu Metternich, ob aus Abneigung gegen Rußland - Gentz war persönlich den Polen gegenüber keineswegs ablehnend eingestellt. 58 Die offizielle Linie Österreichs war aber von der Rücksichtnahme auf die Beziehungen zu Rußland bestimmt, weshalb es die Aufgabe der staatlichen Pressepolitik war, die Sympathie für die polnische Sache, die auch in der österreichischen Monarchie zu spüren war, nicht zum politischen Faktor werden zu lassen. 59

>3 Gentz an Cotta am 21.4.1832, in Schriften V, S. 215 . .. Ebd., S. 214. " Ebd., S. 215. >6 Ebd., S. 212. 57 "Ich begreife vollkommen, wie auch dergleichen Artikel ihre Liebhaber, und viele Liebhaber finden; denn ein sehr großer Theil des Publikums ergötzt sich inniglich an der Frechheit und Bosheit eines Börne und Heine; und Perier (und Louis Philippe mit ihm) sind - blos und allein, weil sie Ordnung und Frieden als ihren höchsten Zweck verfolgen, bei den unruhigen Köpfen in Deutschland so sehr in Mißkredit gefaIlen, daß man heute schpn lieber die Kosacken, als das verschriene Juste milieu in Paris regieren sehen möchte. Dies Alles befremdet mich nicht; ich habe dem Spiel der Welt zu lange, und aus zu lehrreichen Standpunkten zugesehen, um nicht auf das Unglaublichste und Unsinnigste in den Revolutionen der Meinung stets gefaßt zu sein." (ebd., S. 213). 51 Dazu - mit der gebotenen Vorsicht zu interpretieren - Prokeseh, Tagebücher: "Gentz, gesteht mir, daß der Ausgang der Dinge in Polen eine Wunde in seinem Herzen bleibe und er sehr gewünscht habe, Österreich ergreife diese Sache als die günstigste, um seinen Einfluß in Deutschland und seine Achtung in Europa herzustellen. Aber der Fürst sei nicht auf der Höhe der Zeitereignisse. Verfallen an Rußland mit allen seinen Hoffnungen und Wünschen, kenne er dermalen keine andere Politik, als Rußland gefällig zu sein." (ebd., S. 108f.), 5'} Gemot Seide, Regierungspolitik und öffentliche Meinung im Kaisertum Österreich anläßlich der polnischen Novemberrevolution. (1830-1831), Wiesbaden 1971, S. 32-75. Vgl. auch Anneliese Gerecke, Das deutsche Echo auf die polnische Erhebung von 1830, Wiesbaden 1964, S. 15-40.

I. Außenpolitik und Publizistik

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Erst nach dem Scheitern der Erhebung konnte Gentz ein mit der österreichischen Außenpolitik halbwegs verträgliches Resümee seiner Sicht der europäischen Machtverhältnisse publizieren, allerdings nicht im "Oesterreichischen Beobachter", sondern in der "Allgemeinen Zeitung".(I) Die Niederlage der Aufständischen sei ein Mittel zur Desillusionierung der europäischen Öffentlichkeit über die wirklichkeitsferne "poetische Politik der sogenannten liberalen Partei "61 und die Gelegenheit nach dieser Ent-Täuschung deshalb günstig, um die Politik der Regierungen den Völkern verständlich zu machen. 62 Nachdem die Friedensordnung Europas die Probe, auf die sie von der Polenbegeisterung gestellt worden sei, bestanden habe, und "nachdem das Schiksal [!) über eine alle thätige Politik lähmende Unternehmung entschieden hat, ist es an der Zeit, den Blik umsichtig und prüfend auf die großen europäischen Verhältnisse zu richten, um in ihnen die Aufgabe der Poltik zu erkennen, und nach denselben die Berechnung der Zukunft anzustellen.O5 "L'Autriche a lutte contre les malheurs qui menacent la Turquie et l'Europe avec un soin infatigable; I'ambition de la Russie, I'inconcevable imprevoyance des cabinets de Londres et de Paris, enfin, I'obstination intraitable de la Porte ont dejoue tous ses efforts.· (Gentz an Ghika am 7.4.1828, in Prokesch (Hrsg.), Depeches inedites II1, S. 448f.) - Zur Orientpolitik Österreichs zwischen 1821/22 und 1832 aus der Sicht des Internuntius Ottenfels vgl. Krauter, S. 75-288 mit Erstveröffentlichungen zahlreicher Briefe von Gentz zu diesem Themenbereich. Dazu allg. Adolj Beer, Die orientalische Politik Oesterreichs seit 1774, Prag u.a. 1883, S. 260-386. - Vgl. dazu auch: Dakin, S. 142-184, 257-264, 270-290; Thordis Cremer-Swoboda, Der griechische Unabhängigkeitskrieg, Augsburg 1974, S. 120-132,188-198. '56 Gentz an Metternich am 22.6.1824, in Briefe II112, S. 120. m In einem Brief vom 4.12.1822 an den beriihmten Orientalisten und hohen Beamten HammerPurgstall, der gerade auf diesem Gebiet mit Gentz rivalisierte (Hammer als Adressat aufgrund einer Angabe in Gentz an Pilat am 5.12.1822, in Briefe an Pilat 11, S. 128), verwahrt sich Gentz allerdings gegen die Unterstellung, ·'daß ich die Orientalischen Höhren Geschäfte ausschließlich fiihrte'" (HHStA Wien Interiora Korr. 78 Fasz. alt 95111. Briefe aus Relicta Schlitter), und zwar an den Fachbeamten vorbei und auf eigene Faust (ebd.). - Zu Gentz' Mitwirkung an der Orientpolitik Österreichs vgl. Sweel, Friedrich von Gentz, S. 243-263, Karl Mendelssohn-Bartholdy, Friedrich von Gentz. Ein Beitrag zur Geschichte Oesterreichs im neunzehnten Jahrhundert mit Benutzung handschriftlichen Materials, Leipzig 1867, S. 90-106 und Guglia, S. 262-271. "8 Gentz an [Hammer) am 4.12.1822, in HHStA Wien Interiora Korr. 78 Fasz. alt 95111. Briefe aus Relicta Schlitter. - Vgl. dazu KraUler, S. 135-138.

3. Griechisch-türkische Angelegenheiten

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Meinung Westeuropas, aber auch Deutschlands anschickte, der Diplomatie das Monopol auf die Regelung der internationalen Beziehungen zu entziehen. Der deutsche Philhellenismus, der mit der Entsendung und Ausrüstung von Freiwilligen zu Beginn des Krieges und mit groß angelegten Geldsammlungen für humanitäre Hilfe nach dem Fall Missolunghis den griechischen Unabhängigkeitskampf praktisch unterstützte, war eine doppelte Herausforderung für die Politik Metternichs: Das Engagement für die Griechen gefährdete eine legitime, für das Gleichgewichtssystem wichtige Macht, und die organisierte Einmischung der Öffentlichkeit in die auswärtige Politik richtete sich gegen die in Karlsbad beschlossene Kommunikationskontrolle. Auch wenn der politische Beitrag des Philhellenismus zur Befreiung Griechenlands höchstens ein mittelbarer war, so stellte er doch inhaltlich und strukturell eine ernste Herausforderung für Metternichs Politik dar. 159 Als "Impulsgeber bei der Ausbildung einer politisch relevanten öffentlichen Meinung"'OO wurde der Philhellenismus zu einer "wichtige[n] Etappe im Prozeß der politischen Bewußtseinsbildung in Deutschland "161. Die publizistische Auseinandersetzung mit dem Philhellenismus wurde für Gentz ein so wichtiges wie schwieriges Geschäft, weil die Griechenfreunde beinahe ausschließlich in der öffentliche Diskussion das Wort führten und bis in die Reihen der Regierenden mit breiter Zustimmung rechnen konnten, die eine erfolgreiche Unterdrückung des Philhellenismus nachhaltig erschwerte. '62 Die Flut griechenfreundlicher Broschüren ebbte nach dem Scheitern der ersten Hoffnungen auf ein Eingreifen der Großmächte auf dem Kongreß von Verona wieder ab, aber der philhellenische Grundkonsens in der öffentlichen Meinung artikulierte sich nur vorsichtiger und weniger offenkundig, beispielsweise in der Kriegsberichterstattung der Zeitungen. '63

159 Dazu: Günther Heydemann, Philhellenismus in Deutschland und Großbritannien, in: Adolf M. Birke/Günther Heydemann (Hrsg.), Die Herausforderung des europäischen Staatensystems. Nationale Ideologie und staatliches Interesse zwischen Restauration und Imperialismus, Göttingen u.a. 1989, S. 31-60; Regine Quack-Euslalhiades, Der deutsche Philhellenismus während des griechischen Freiheitskampfes. 1821-1827, München 1984; Johannes Innscher, Der Philhellenismus in Preußen als Forschungsanliegen (= Sitzungsberichte der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Klasse für Sprachen, Literatur und Kunst, Jahrgang 1966, Nr. 2), Berlin 1966 (Überblick über ältere Philhellenismus-Forschung und Wechselbeziehung Regierungen-Philhellenenbewegung in Deutschland insgesamt). - Den Sonderfall eines v~rstaatlichten Philhellenismus behandelt Ludwig Spaenle, Der Philhellenismus in Bayern 1821-1832, München 1990. 160 Spaenle, S. 158. 161 Quack-Euslalhiades, S. 266. 162 So gelang es Österreich nicht, Preußen 1826 auf einen harten Repressionskurs gegen die Griechenvereine festzulegen (Innscher, S. 37ff.). Vgl. auch'Spaenle, S. 58-70. 16' Vgl. Quack-Eustathiades, S. 125-128,143-163 und Spaenle, S. 36.

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XI. Staatsschriftsteller

An diesem massiven Konsens prallten Erfahrungsberichte enttäuschter Freiwilliger ab, und auch die Realitäten der "Macht- und Interessenkonstellation "164 der Großmächte wurden kaum wahrgenommen. 165 Diesen erratischen Block philhellenischer Voreingenommenheit attackierte Gentz öffentlich im bereits dargestellten Rahmen österreichischer Pressepolitik. Noch deutlicher als auf anderen Gebieten bilden aber die Zeitungsbeiträge zur Griechischen Frage nur einen kleinen Teil einer größtenteils dem Blick der Öffentlichkeit entzogenen Vielzahl von Texten. Neben den Depeschen, den offiziellen und den inoffiziellen Denkschriften, ist eine große Zahl von Exzerpten, Notizen und Kommentaren erhalten geblieben, die von Gentz' zeitlich wie räumlich weit ausgreifenden Interessen zur historischen Entwicklung und zum aktuellen Zustand des Balkans und des Vorderen Orients zeugen. l66 Diese Studien, die meistens weder für den diplomatischen noch für den publizistischen Gebrauch unmittelbar verwendbar waren, gehören zu den eindrucksvollsten Spuren, die Gentz als Leser überhaupt hinterlassen hat; hier sind sie deswegen wichtig, weil sie Indikatoren der Wechselwirkung von individueller und kollektiver, von kultureller und politischer Meinungsbildung sind. Gentz, der sich der Rolle der Öffentlichkeit in der europäischen Politik schmerzlich bewußt war,167 entwickelte anband der Lektüre ein Bild des kulturellen und politischen Hintergrundes des Tagesgeschehens, das seine Parteinahme für die Türken zu grundieren vermochte. Die Argumente der Philhellenen waren oft unpolitisch, auch wenn der Protest gegen das von Mettemich durchgesetzte, politische System in Mitteleuropa stillschweigend dahinter stehen konnte. Der Appell an Nächstenliebe und christliche Solidarität, der Abscheu über das barbarische Regime der heidnischen Osmanen und die Begeisterung für die Befreiung der Wiege abendländischer Kultur waren die StandardbegTÜndungen pro-griechischen Engagements. Eingewurzelte Abneigung gegen Politik, Religion und Zivilisation der Türken und die gerade erst wieder aufs Neue gesteigerte Begeisterung für das griechische Altertum waren das bildungs-

'64 Heydemann, Philhellenismus, S. 57. '6' Dazu Quack-Euslalhiades, S. 122ff., 236ff. '66 Ein Großteil davon in der VB Köln Sammlung Otto Wolff (G.N. Nr. 16-26,29-36,41-44, 50-54, 56f., 63f., 67f., 70, 72-76,78, 9\). Vgl. auch die Auswertung englischer Zeitungen und Zeitschriften in HHStA Wien NL Gentz Kart. 8 Nr. 24 Konv. 9 Angleterre 1826 und das Journal der Arbeiten und Lektüren 1826 und 1827 [mit Lücken), in: Schriften V, S. 228-261. '67 Die enge Verbindung zwischen Pressefreiheit, Verfassungsordnungund Außenpolitik streicht Gentz am englischen Beispiel heraus, "ou les opinions sont absolument libres, et ou le gouvernement n'est lui-meme depuis 150 ans, qu'un pani lullanl avec plus ou moins de succes conlre d 'aUIres panis, qui menacent constitutionellement son existence." (Oe I'influence exercee par les Anglais sur I'insurrection de la Grece, Denkschrift vom 16.8.1823, in HHStA Wien NL Gentz Kart. 7 Fasz. alt 22 Konv. 4).

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geschichtliche Fundament des Philhellenismus, gegen das sich Gentz mit eifrig elWorbenem, dabei äußerst selektivem Wissen zu wappnen suchte. 168 Ein erbittertes Ressentiment gegen alles Griechische steht schon am Anfang seiner Studien, als er 1821 Adam Müller schreibt, "daß meine Lieblingsgegenstände jetzt - Geschichte und Geographie des Orients sind. [ ... ] Ich suche aber nur das eigentlich Orientalische; die Griechen, die alten wie die neuen, sind mir in jeder denkbaren Hinsicht zum Ekel. Von.diesen mag ich nichts wissen und nichts lesen, als was die unmittelbare Notwendigkeit gebietet." 169 Als wahrer "Mishellen"l70 steigerte sich Gentz gelegentlich sogar in einen regelrechten Haß auf die Griechen und ihre Freunde hinein, so wenn er beispielsweise mit offensichtlichem Interesse aus einem Traktat über die Griechen aus dem 17. Jahrhundert übersetzt: "Brot und Stockschläge ist, was ihnen gebührt, und die Menschlichkeit muß für andre Gelegenheiten aufgespart werden. "171 Auch die griechischstämmigen Hospodaren blieben nun von seinem Zorn nicht verschont. 172 Stück um Stück baut Gentz aus seiner Lektüre die Widerlegung der Griechenfreunde. Die von den Philhellenen gern angeführte Intoleranz des Islams bestreitet Gentz unter Hinweis darauf, "daß Mohammed die Jüdische und Christliche Religion nicht bloß tolerirt, sondern mit großer Achtung behandelt

Vgl. Quack-Eus1athiades, S. 213-226 und Heydemann, Philhellenismus, S. 33-39. Gentz an Adam Müller am 17.12.1821, in Müller Lebenszeugnisse 11, S. 534. Vgl. die Eintragungen vom 10./11.6.1821 in Tagebücher 11, S. 427f. 170 Mit seinem Gedicht "Der Tag brach an" lieferte Grillparzer ein satirisches Porträt von Mettemich und Gentz, in dem es u.a. heißt, Metternich reite voran (in den Kampf), "Der stets Bemühte früh und spät,/der Ritter und Held der Legitimität/Thm nach, bewaffnet bis an die Zähn,/sein edler Schild knapp Mishellen [ ... ). "(Grillpaner, Sämtliche Werke I, S. 159). 171 [Paolo) Sarpis Gutachten über die Griechen [von 1687) in UB Köln Sammlung Otto Wolff G.N. Nr. 43. 172 So hatte Gentz fiir die Herrschaft der nach dem von ihnen bewohnten Phanar-Viertel von Istanbul benannten Griechen in den Donaufiirstentümernnichts mehr übrig: "[ ... ) die Pforte verlieh die Fürstenthümer an den Meistbietenden unter den Fanarioten, oder an Günstlinge, und ein Hospodar jagte den andren." (Chronologisches Verzeichnis der Fürsten der Wallachey von 1688 an bis 1806 [vom Juli 1822), in UB Köln Sammlung 0110 Wolff G.N. Nr. 35). Über Salaberrys 1821 erschienene "Essais sur la Valachie et la Moldavie" schreibt er: "Sehr treffend und kunstvoll charakterisiert er die heutige Insurrection der Griechen, als das Werk der revolutinären Mordbrenner, die ganz Europa in die Luft sprengen wollen." Besondere Zustimmung findet Salaberrys Hinweis darauf, wie "das Wort Vaterland" fiir "Walachen und Moldauer klingt, wie der [griechische) Rebel Ipsilanti der die Unglücklichen mit diesem Worte zu täuschen suchte, grade aus einer der Familien abstammt, welche diese Länder so lange mit Füßen getreten haben." ([vom Juni 1821), in UB Köln Sammlung 0110 WolffG.N. Nr. 17). - Vgl. auch Gentz' Urteil über Ypsilanti, den Führer der griechischen Rebellen in den Donaufiirstentümern, und über dessen Verhältnis zu den Rumänen in einem Schreiben an Pilat am 18.4.1821, in Briefe an Pilat 11, S. 74f. 168 169

15 Kronenbitter

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wissen wollte. "173 Auch sei der angebliche Despotismus des Sultans weder ungesetzlich noch unbeschränkt. '74 Von außen sei der Niedergang des Osmanischen Reiches zu guten Teilen betrieben worden, wobei neben den Russen dem von Gentz ja ohnedies nicht sehr geschätzten Kaiser Joseph II. eine entscheidende Rolle zugewiesen wird. 175 Sein Bild von den Griechen und von den Ursachen und dem Verlauf ihres Aufstandes entnimmt Gentz natürlich gerne aus den vergleichsweise wenigen türkenfreundlichen Darstellungen, etwa denen von Thomas Thornton und William Gell, den größten Genuß aber bereitet es ihm, bei philhellenisch gesonnenen Autoren Argumente für seme Position zu finden. '76 Bei Choiseul entdeckt er eine "Stelle über die Degeneration der Griechen [ ... ], [ ... ] immer merkwürdig und ein gezwungenes Zeugniß für die Wahrheit"l77, bei Gell interessiert sich Gentz besonders für dessen "zuweilen sehr scharfes, aber der Wahrheit gewiß immer sehr nahes Urtheil über den Charakter der [griechischen] Nazion, und ihre absolute Unfähigkeit, einen unabhängigen Staat zu bilden"'78, und zitiert u.a. die These von der Abstammung der zeitgenösischen Griechen von albanischen Zuwanderern, die die philhellenische Behauptung von der ethnischen Identität der Griechen des Altertums mit denen der Neuzeit widerlegen sol1. '79 Die Ausschreitungen der Griechen hebt er wo immer möglich hervor, die der Türken werden als Reaktion gedeutet. l80 Nicht sehr aufrichtig wirkt schließlich sein Stoßseufzer über die verblendeten

173 Auszüge von Gentz aus Salames •. A Narrative of the Expedition to Algiers in thc year 1816", in UB Köln Sammlung Otto WolffG,N. Nr. 91. Noch ausfiihrlicher dazu Gentz, Geschichte des Mahometismus und der Sarazenen [vom 25.5.18271, in UB Köln Sammlung Otto Wolff G.N. Nr. 67: "Mir ist sehr wahrscheinlich, daß die Stellen des Korans, welche von der Verfolgung und Ausrottung der Ungläubigen handeln, sich nur auf diejenigen beziehen, die dem Mahometismus zur Zeit seines Ursprunges in Arabien feindlich gegen-über standen. Wie hätte Mahomet träumen können, daß seinen Nachfolgern die Eroberung der halben Welt beschieden sey? Das System, welches die mehr oder weniger gebildeten Mahometinischen Völker gegen die Besiegten fast ohne Ausnahme befolgt haben, ist der sicherste Commentar über ihre Auslegung der Lehren des Korans." 174 Auszüge von Gentz aus 1horntons "The Present State of Turkey" [vom 21./22.10.1821), in UB Köln Sammlung Otto WolffG.N. Nr. 19. m Kriege und Friedensschlüsse zwischen Rußland und der Pforte [vom März 18221, in UB Köln Sammlung Otto WolffG.N. Nr. 31. \1. Wo es um Sachinformationengeht, ist Gentz allerdings durchaus bereit, auch von Griechenfreunden zu lernen, z.B. von Leake (Lektürejournal, in Schriften' V, S. 233f.). 111 Auszüge aus Marie Gabriel A. F. Choiseul-Gouffiers "Voyage pittoresque de la Grece" [1824-18271, in UB Köln Sammlung Otto Wolff G.N. Nr. 42. \1. Auszüge aus Schriften zur Griechischen Insurrection [1824-1827), in UB Köln Sammlung Otto Wolff G.N. Nr. 41. \19 Ebd. ISO Ebd.

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philhellenisehen Schriftsteller: "welch ein Unglück eine schlechte Sache vertheidigen zu müssen!" 181 Gegen das geschlossene Griechenlandbild der Philhellenen setzt Gentz eine ebenso geschlossene Sicht der Dinge, die dank der "kritischen" Interpretation der griechenfreundlichen Schriften von inneren Widersprüchen weitgehend frei gehalten werden kann. Der bildungsgeschichtlich bedingten Voreingenommenheit für die Hellenen stellt er sich bei aller Polemik hauptsächlich defensiv, eine grundsätzliche Kritik des neuhumanistischen Griechenland-Ideals liegt außerhalb seiner Möglichkeiten und wohl auch außerhalb seiner Interessen. 182 Die Hauptstützen der Argumentation von Gentz waren politische, nämlich, daß das Osmanische Reich eine durch gültige Verträge anerkannte legitime Macht und deren Erhaltung darüberhinaus für das Kräftegleichgewicht in Europa unerläßlich sei; daraus folgte, daß der griechische Aufstand nichts anderes war, als ein erneuter Angriff subversiver Elemente und verantwortungsloser Demagogen einerseits, ungerechtfertigter Expansionsbetrebungen andererseits, auf die Stabilität der europäischen Ordnung. 183

'" Ebd. - Vgl. auch das Verzeichnis der über die neuere Geschichte der Türkey von mir gelesenen oder benutzten Werke vom [Frühjahr 1826), in UB Köln Saß}mlung Otto Wolff G.N. Nr. 50. 112 Dazu: Quack-Eustathiades. S. 233: Heydemann, Philhellenismus, S. 56f.. III Gentz hat seine Sicht der Hintergründe und Ursachen des griechischen Aufstands, mit besonderem Augenmerk auf die Rolle der Großmächte in einer Denkschrift fiir einen Verbindungsmann in den Donaufiirstentümern zusammengefaßt. Das Memoire sur l'insurrection des Grecs consideree dans ses rapports avec les puissances europeennes. [2 Teile). Decembre 1823, in: Aus dem Nachlasse 11, S. 237-259, hier bes. S. 237-243. Gentz, Memoire sur I'insurrection des Grecs ist - übersetzt, aber ungenannt- auch eingeflossen in Anton Freiherr von Prokesch-Osten, Geschichte des Abfalls der Griechen vom türkischen Reiche im Jahre 1821 und der Gründung des hellenischen Königreiches. Aus diplomatischem Standpuncte, 6 Bde., Wien 1867, ND Graz 1970, wovon die Bde. III-VI ausschließlich Quellen, gerade auch zur österreichischen Politik in der griechischen Frage, enthalten. Prokeseh, Gentz' Freund, zur Frage der Ursachen des Aufstandes: "Europa theilte sich in zwei Meinungen über den Ursprung des griechischen Aufstandes, und beide waren irrige. Die Einen behaupteten, er sei die natürliche Frucht des schweren Druckes gewesen, unter welchem die Griechen schmachteten: die Anderen, darunter die Souveraine und Cabinete, sahen darin nur das Werk der überall anwesenden, auf Zerstörung aller heutigen Staaten hinarbeitenden Partei. [ ... ) Die dritte, richtige Erklärung entschwand den Blicken gleichsam unter der Last der beiden anderen. Der griechische Aufstand war eine natürliche Folge der durch die Griechen gewonnenen Macht und Entwicklung, und der durch die Missgriffe des Sultans mehr noch als durch von ihm unabhängige Umstände herbeigefiihrten äussersten Schwäche des türkischen Reiches. Den Anlass zum Ausbruche gab der Stand der Pforte zu Russland. Die Völker kannten die mehljährigen Umtriebe der russischen Agenten in Griechenland nur wenig. Die Cabinete kannten sie zwar: Klugheit und Rücksichten machten sie aber schweigen hierüber, und sie entschleierten sie nicht dem Auge der Völker. "(ebd., S. 21 f.). Vgl. zum "Memoire sur I'insurrection des Grecs" auch Sweet, Friedrich von Gentz and the Danubian Principalities, S. 13ff. IS*

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In Abwehr der antitürkischen Interpretation der Heiligen Allianz und der Deutung des Konfliktes als Religionskrieg, die Gentz "eben so empörend unhistorisch als lächerlich" 184 erscheint, bedient er sich mit spürbarer Vorsicht eines Schlüssel begriffs der Restaurationszeit, dem er sonst stets skeptisch gegenüber gestanden hatte, nämlich des Begriffs der "Legitimität" .185 Ganz nüchtern verwendet er ihn aber als Kurzformel für den durch vertragliche Bindungen zum Rechtstitel erhobenen Geltungsanspruch gewohnheitsmäßiger Herrschaftausübung. 186 Dies gelte im Orient genauso wie in Europa, und es sei schon der bloße Gerechtigkeitssinn, "qui ne me permet pas d'avoir 'deux poids et deux mesures' et qui m'a penetre d'un pro fond degout pour les opinions a la mode"187. Wie 1814 Napoleon, so hat 1821 der Sultan in diesem Sinne einen rechtsgültigen Herrschaftsanspruch, denn: "Les conquetes des Turcs, faites a une epoque ou les pays conquis par eux ne connaissent d'autre maitre que le dernier occupant, ni d'autre Droit que celui du plus fort, ont d'ailleurs ete sanctionnees, non seulement par une prescription non-interrompue de plus de trois siec1es, contre laquelle aucune reclamation ne s'est jamais fait entendre mais aussi par un grand nombre de traites que les puissances europeennes ont succesivement conclus avec la Porte. A moins d'invalider cette prescription inattaquable, a moins d'annuler la valeur de tous ces traites, les puissances n'avaient pas le plus leger pretexte pour meconnaitre le droit de Souverainete de l'Empire ottoman sur les provinces grecques; et si par un tour de force de dialectique modeme on parvenait meme a demontrer, que cette Souverainete ne meritat pas le nom de legitime, dans tel ou tel sens que I' on attacherait a ce terme dans l' Europe chretienne, il n' en serait pas moins incontestable qu'elle etait parfaitement /egale dans le sens du droit public et des traites. ,,'88

,.. Gentz an Pilat am 26.8.1823, in Briefe an Pilat U, S. 149. - Für die orthodoxe Kirche hatte Gentz ohnehin keinerlei Sympathie (ebd., S. 149f.). ,., "On s'est epuise en sophismes, pour prouver que le pouvoir exerce par la Porte sur les pays habites des Grecs, n'avait aucun caractere de /egitimite; - que la sou mission d'un peuple chretien a un gouvernement qui ne I'est pas, est un etat de choses contraire a toutes les lois divines et humaines [ ... ) - que leur revolte n'est [ ... ) qu'une juste reprise des biens dont ils ont ete inhumainement depouilles [ ... ). Ces subtilites peuvent occuper les ecoles, charmer les loisirs des tetes speculatives et des limes sentimentales, ou bien (ce qui est presque toujours le cas) servir les erreurs et les passion du jour; mais elles sont indignes des cabinets. Le droit public, regle eternelle des rapports entre les etats et les peuples, les ignore et les repousse. Le gouvernement de la Porte est fonde sur la conquete; et la conquete, consommee soit par des capitulations, soit par une sou mission volontaire, et absolue, a ete consideree en elle-meme dans tous les lieux du monde, comme un titre de possession indubitable." (Gentz, Memoire sur I'insurrection des Grecs, S. 242f.). '86 Bezeichnend dafür ist das von Gentz nach der Abfassung der Denkschrift Ende 1827 in seinen Auszügen aus Daru (UB Köln Sammlung Otto Wolff G.N. Nr. 70) hervorgehobene Zitat, daß, "comme il n'y arien de si rare qu'un pouvoir dont I'original soit absolument pure, on appelait legitime ce qui etait injuste depuis quelque tems." (Pierre Antoine Darn, Histoire de la republique de Venise. Premier volume, Stuttgart 1828, S. 88f.). '17 Gentz an Samourcaß am 15.12.1823, in HHStA Wien NL Gentz Kart. 7 Konv. 4. '" Gentz, Memoire sur I'insurrection des Grecs, S. 243.

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Bei dieser Sicht der Dinge und bei der Geringschätzung der Griechen und ihrer Freunde, hatte Gentz nicht nur die volle Rückendeckung seines Vorgesetzten, sondern erfuhr auch Zustimmung unter Österreichs Diplomaten. 189 Vor allem der Internuntius Ottenfels und Prokesch, ein junger österreichischer Offizier, unterstützte Gentz mit Informationen bei dem schwierigen Unternehmen, den außerhalb der Regierungskreise selten geteilten Ansichten zur Griechischen Frage in der deutschen, möglichst auch in der europäischen Öffentlichkeit Gehör zu verschaffen. l90 Die Beobachtung der deutsch-, englisch- und französischsprachigen Presse wurde noch durch die Auswertung der griechischen Zeitungen ergänzt. 191 Hintergrundwissen, diplomatische und halboffizielle Berichte, Pressedienst - all diese Informationsquellen konnte

\89 Die Grundlinie der österreichischen Orientpolitik als Teilaspekt einer prinzipiellen Verteidigung der bestehenden Ordnung gegen eine gesamteuropäische Umsturzbewegung findet ihren deutlichsten Ausdruck in der Instruktion für Ottenfels (Krauter, S. 98-103). - Eine Ausnahme verdient hervo~gehoben zu werden. Mit Joseph von Hammer(-Purgstall), einem der Begründer der Orientalistik und österreichischem Hofrat, verband Gentz eine lebhafte und wechselseitige Abneigung. Gentz konnte nicht einmal Hammers Geschichte des Osmanischen Reiches goutieren (Gentz, Lektürejournal, in Schriften V, S. 267f.). Joseph von Hammer, Geschichte des Osmanischen Reiches, großentheils aus bisher unbenützten Handschriften und Archiven, [Neuausgabe ), 4 Bde., Pesth 1834ff. zeigt neben der Kritik an von Gentz geschätzten Autoren wie Gibbon und Cantemir (ebd. I, S. 11 f.), manchen Ähnlichkeiten mit Gentz' Urteilen zum Trotz (z.B. zur Bedeutung des Friedens von Kütschük Kainardsche: ebd. IV, S. 66If.), die grundlegende Verschiedenheit der politischen Anschauungen. Hammer macht sich in abgeschwächter Form das Freiheitspathos der Philhellenen zu eigen (ebd. IV, S. 8), hegt reformistische Überzeugungen (ebd. IV, S. 68If.) und bewundert den sozialen Stellenwert des Gelehrten außerhalb Deutschlands (ebd. IV, S. 683f.). Zusammen mit der persönlichen Antipathie und der politischen Rivalität erklärt dies die auffallende Geringachtung von Gentz für das Werk eines so bekannten Experten. \90 Ressentiments gegenüber den Griechen z.B. in OllenJels an Gentz am 10.3.1825, in Prokesch-Osten (Hrsg.), Zur Geschichte der orientalischen Frage, S. 52, Lebzeltern an Gentz am 28.10.1825 (ebd., S. 98f.). - Ottenfels hatte dazu beitragen, daß Gentz die einträgliChe Hospodaren-Berichterstattung zugefallen war. Dafür lieferte Gentz dem Internuntius im femen Konstantinopel während eines ganzen Jahrzehnts Hintergrundinformationenaus der Staatskanzlei, nicht ohne seinerseits aus der Korrespondenz mit Ottenfels Neuigkeiten zu gewinnen. Dazu Krauter, S. 81 f. - Zu Prokesch (später geadelt: von Osten!) Anton Berger, Prokesch-Osten. Ein Leben aus Altösterreich. (1795-1876), Graz u.a. 1921 und vor allem Friedrich Engel-Janosi, Die Jugendzeit des Grafen Prokesch von Osten, Innsbruck 1938. Die Wandlung Prokeschs vom bildungsbürgerlichen Philhellenen zum Verteidiger der österreichischen Orientpolitik während seiner ausgedehnten Reisen in der Levante dokumentieren seine Briefe an Schneller, seinen Freund und Mentor, abgedruckt bei Ernst Münch (Hrsg.), Denkwürdigkeiten und Erinnerungen aus dem Orient, vom Ritter Prokesch von Osten. Aus Jul. Schnellers Nachlaß, 3 Bde., Stuttgart 1836f. \9\ Gentz verfügte über eine für ihn "angefertigte Sammlung türkischer [=die Türkei betreffender) Artikel", eine "in ihrer Art einzige Sammlung" (Gentz an Pilat am 17.8.1827, in Briefe an Pilat 11, S. 228f.). - Zur Übersetzung der Beiträge aus den griechischen Zeitungen verwendete Gentz nach längerem Suchen schließlich Kopitar, den Sprachforscher, Hotbibliothekar und Mitarbeiter der "Wiener Jahrbücher". Dazu Gentz an Mettemich am 22. und 27.6.1824, in Briefe 11112, S. 120ff., 124f.

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Gentz für eine bewußte Beeinflußung der Meinungsbildung zur Griechischen Frage nutzen. Dabei standen zur Verbreitung der von der Staatskanzlei gewünschten Ansichten, wie gewöhnlich, die "Wiener Zeitung" und der "Oesterreichische Beobachter", für die Lancierung beim breiteren Lesepublikum Deutschlands auch die "Allgemeine Zeitung" zur Verfügung, während das Feld der Broschüren weitgehend den Philhellenen überlassen blieb. Der insgesamt noch wenig professionalisierte Tagesjournalismus der Zeit stand, vom Zensurdruck ganz abgesehen, bei der Nachrichtenbeschaffung in der Griechischen Frage an der Grenze seiner Möglichkeiten. Der Bedarf an zuverlässigen Informationen vom abgelegenen und unüberschaubaren Kriegsschauplatz und über die undurchsichtige Politik der Pforte und der Insurgenten war größer als das Netz der Korrespondenten. l92 Die Übernahme von Artikeln aus anderen Zeitungen ersetzte - langsam, ungleichmäßig, aber billig - in gewisser Weise den Informationsservice heutiger Nachrichtenagenturen. Aktuelle und zuverlässige Berichte bekamen dadurch oft ein weites Verbreitungsgebiet. Die Berichterstattung der meisten Zeitungen hatte eine der öffentlichen Meinung entsprechende und diese zugleich bestätigende philhellenische Tendenz. Für den "Oesterreichischen Beobachter", das Flaggschiff von Metternichs Pressepolitik, war es nicht einfach, der eigenen, türkenfreundlichen Position geneigte Blätter als Nachrichtenquelle zu erschließen. Hier bewährte sich der nahe am Ort des Geschehens in der kleinasiatischen Hafen- und Handelsstadt Smyrna erscheinende französischsprachige und dem Osmanischen Reich treu ergebene "Spectateur Oriental" , auf den sich ab Herbst 1822 die Berichterstattung des "Oesterreichischen Beobachters" über die Griechische Frage immer wieder stützte. 193 Diese Quelle als glaubwürdig darzustellen, wurde deshalb ein wichtiger Bestandteil der Kämpfe mit der philhellenischen Presse. l94 Gentz nahm die Aufgabe, den "Spectateur Oriental" gegen die Vorwürfe namentlich des "Schwäbischen Merkur" zu verteidigen, zum Anlaß für eine scharfen Polemik gegen die griechenfreundliche Presse, in der der politische Hintergrund der Haltung des" Oesterreichschen Beobachters" zum griechischen Aufstand offengelegt wird: 195

\92 Zu Mängeln der Berichterstattung und zur philhellenischen Voreingenommenheit der Redaktionen Quack-Eustathiades, S. 118. 193 Dazu Gentz an Pilat am 6.12.1822,13.9.1825,4.9.1827, in Briefe an Pilat 11, S. 129, 195, 242. 194 Erstmals gepriesen wird der "Spectateur Oriental " im "Oesterreichischen Beobachter" vom 4.9.1821. 19' Zu Gentz' Verfasserschaft Gentz an Pilat am 23.10.1822, in Briefe an Pilat 11, S. 89.

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"Die Gegner des 'antichristlichen' Journals fiihren nicht etwa [ ... J die Sache der Griechen aus schwärmerischer Liebe zu diesem Volke, das ihnen als solches, ganz gleichgültig ist, noch aus reinem Haß gegen die Türken, die sie unter andern Umständen in den Himmel erheben würden, noch aus mißverstandner Politik, [ ... J am wenigsten aus Eifer fiir eine Religion, die sie täglich verhöhnen und verfolgen; sie fiihren sie als Sache der Rebellion, die sie als solche vertheidigen, und nach ihrem ausgesprochnen System, in Griechenland so gut wie auf allen andern Puncten der Erde vertheidigen müssen. Da dieß ihr erklärter Beruf und ihr rastloses Tagewerk ist, was haben sie mit Gründen zu schaffen? Wer kann ihnen zumuthen, Griechenland aufzugeben, ein Thema, welches ihnen, durch die Unwissenheit und Leichtgläubigkeit der grossen Masse ihrer Leser eine unerschöpfliche Fundgrube von revolutionnären [!] Declamationen und Diatriben gegen die rechtmäßigen Regierungen darbietet? Der Spectateur ist so wenig ein Griechenfeind, und so wenig ein anlichristliches Journal, als der österreichische Beobachter; wer sich aber einmal der Sünde schuldig gemacht hat, die Rechtmäßigkeit einer Revolution, wo und wie sie auch entstanden sein mag, nicht anzuerkennen, der muß forthin auf jede Anklage, auch auf die aufgeschmackteste, auf jede Verunglimpfung, auch auf die giftigste, ge faßt sein. "196

Da er den "Spectateur Oriental " für einen wertvollen Gesinnungsgenossen hielt, verfolgte Gentz die weitere Entwicklung des Blattes aufmerksam und interessierte sich für die Hintergründe der Redaktionsarbeit. 1825 weiß er von den wirtschaftlichen Problemen des Herausgebers, eines Franzosen, der zugleich als Redakteur die Artikel schreibe, zu berichten, und er nimmt diesen gegen den in den griechenfreundlichen Zeitungen Europas erhobenen Vorwurf in Schutz, ein gekauftes Werkzeug der Pforte zu sein, der Gentz eine auf Europa zielende Pressepolitik gar nicht zutraut, vom türkischen Desinteresse an einer fremdsprachigen Publikation ganz zu schweigen. 197 "Place au milieu du theatre de la guerre"l98 brauche der Redakteur nur Augen und Ohren offen zu halten, um mit der realitätsvergessenen öffentlichen Meinung Europas bei dem Bemühen, "Ies erreurs sans nombre qui egarent et aveuglent les contemporains a l'egard de cet evenement"l99 zu bekämpfen, in Konflikt zu geraten. Ein Jahr später kam es zur "höchst merkwürdige[n] Cassation des bisherigen Redacteurs des Spectateur"200 und 1827 zur Weiterführung der Zeitung unter einer neuen Leitung, die den "Spectateur Oriental " in der Aufmachung und inhaltlich qualitativ auf ein neues Niveau hoben. 201 Das couragierte Auftreten

Art. "Wien, 31.10." im Oesterreichischen Beobachter vom 1.11.1822. Gentz, Spectateur Oriental, Beilage zu Gentz an Ghika [Dezember?] 1825, in HHStA Wien, NL Gentz 5114. - "Le redacteur [des Spectateur OrientalJ est accuse d'ecrire sous I'influence directe des Turcs - d'etre pensionne par les Ministres - de correspondre avec le Sultan - de precher la persecution des Chretiens - etc. etc. Ces accusations ne sont qu 'une preuve de plus de I'ignorance profonde, qui regne en Europe sur I'etat des choses dans les pays de I'orient. " (ebd.). 191 Ebd. 199 Ebd. 200 Gentz an Pilat am 18.9.1826, in Briefe an Pilat 11, S. 217. 201 Dazu Gentz an Pilat am 17.8.1827, in Briefe an Pilat 11, S. 228. 196 197

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der neuen Redakteure, wiederum zweier Franzosen, das Gentz bewunderte und zugleich verblüffte,202 führte zu einem erneuten, allerdings kurzfristigen Verbot auf Druck der Westmächte, vornehmlich von seiten Frankreichs, also, wie Prokesch meinte, der "Freiheitströdler"203. Im Zusammenwirken von Prokesch und Blacque, dem neuen Chefredakteur und Herausgeber des "Spectateur Oriental .. , entwickelte sich eine neue Phase der österreichischen Pressearbeit in den griechischen Angelegenheiten. 204 Rückte der "Oesterreichische Beobachter" zunächst die aktuellen und von ähnlicher Gesinnung bestimmten Berichte des "Spectateur Oriental" in seine Spalten ein, um für die Weiterverbreitung türkenfreundlicher Nachrichten zu sorgen, so gelang es, mit Prokesch einen Mitarbeiter der Staatskanzlei an Ort und Stelle im Korrespondentenkreis der seit Sommer 1828 in "Courier de Smyrne" umbenannten Zeitung zu plazieren. 205 Prokesch war mit einem Flottenverband in der Levante, der österreichische Handelsschiffe vor griechischen Seeräubern schützen sollte; die Piraterie der Griechen bildete ein dankbares und naheliegendes Thema für Prokeschs Artikel, die am Lack des philhellenischen Griechenbildes kratzen sollten.206 Als mit der veränderten politischen Konstellation im Vorfeld des russisch-türkischen Krieges das Feindbild des "Courier de Smyrne" wechselte und die Zeitung Rußlands Expansionsdrang scharf angriff, ermutigte Gentz Prokesch einerseits, Artikel mit dieser Tendenz zu publizieren, andererseits fürchtete er die diplomatischen Verwicklungen, die aus einem Bekanntwerden von Prokeschs Verfasserschaft resultieren mochten. Unter ständiger Rücksprache mit

202 Gentz an Pilat am 2.9.1827, in Briefe an Pilat 11, S. 240; GenlZ an Prokesch am 14.10.1827, in Prokesch Nachlaß I, S. 62. 203 Prokesch an Gentz am 10.11.1827, in Prokesch Nachlaß I, S. 73. 204 Ebd. 20' Die Einstellung Prokesehs zur Pressepolitik in einem Brief an Schneller vom 3.11.1827 zeigt schon den Gleichklang mit Gentz bzw. Metternich : "Die öffentliche Meinung ist jederzeit Leidenschaft, niemals Verstand, und nur höchst selten Instinkt; wie unwürdig die Buhlerei um dieselbe in jedem Einzelnen, wie ganz erbärmlich in Regierungen! Durch die öffentliche Meinung sind Hanswurste groß geworden; große Männer aber haben jederzeit die öffentliche Meinung gemacht." (in Münch (Hrsg.), Denkwürdigkeiten III, S. 541). 206 Prokesch an Gentz am 10.11.1827, in Prokesch Nachlaß I, S. 73f. - Genlz hat auch selbst die Berichte des österreichischen Flottenverbands zur Pirateriebekämpfung zu Artikeln fiir den Oesterreichischen Beobachter umgearbeitet, z.B. in der Ausgabe vom 17.3.1829 unter dem Titel "Wien, den 17. März" zum" Ausgang einer Expedition, welche die Anmaaßung, die k.k. Handelsflagge vor ein griechisches Tribunal zu ziehen, nothwendig gemacht hatte, wobei die von der k.k. Regierung zu allen Zeiten behaupteten Grundsätze des See = Völkerrechtes nachdrücklich aufrecht erhalten wurden, und deren glückliche Beendigung als ein fiir die gesammte neutrale Schiffahrt in der Levante beruhigendes und vortheilhaftes Ereigniß betrachtet werden darf." (ebd.). Zu GenlZ' Verfasserschaft Tagebücher V, S. 39.

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Gentz2l17 blieben die Artikel Prokeschs im "Courier de Smyrne" auch nach dem Frieden von Adrianopel Versuche zur verdeckten Instrumentalisierung der Öffentlichkeit im Sinne der österreichischen Außenpolitik, als es darum ging, die innere Ordnung und die äußere Stellung Griechenlands festzulegen. 208 Der "Spectateur Oriental" bzw. der "Courier des Smyrne" war für die österreichische Pressepolitik in der Griechischen Frage damit von doppelter Bedeutung, technisch als gesinnungstreue Nachrichtenquelle und als zusätzlicher und getarnter Publikationsort, 209 politisch als Versuch der Beeinflußung der öffentlichen Meinung und damit indirekt als Werkzeug der Diplomatie. Wenn beispielsweise die Russen Österreich wegen der Aufhetzung der Öffentlichkeit gegen die russische Politik mit einer "Teufelswuth "2\0 haßten, wie Gentz behauptete, dann war dies ein Achtungserfolg für die Pressepolitik der Staatskanzlei. Mit dem Wechsel der außenpolitischen Kombinationen wurde die enge Zusammenarbeit mit Blacque schließlich hinfällig. 211 Von der Einschaltung des "Spectateur Oriental " bzw. des "Courier de Smyrne" abgesehen, glichen die Strukturen der Textverbreitung in der Griechischen Frage aber der gewöhnlichen Übung: Metternich blieben die grundlegenden Entscheidungen überlassen, aber er schaltete sich daneben fortlaufend in die konkrete Redaktionsarbeit ein, auch mit eigenen Berichten; Gentz übermittelte Pilat die Direktiven und lieferte Hintergrundinformationen auf der Basis der in der Staatskanzlei einlaufenden Berichte, redigierte, übersetzte und schrieb Artikel; Pilat oblagen die übrigen redaktionellen Arbeiten; neben dem "Oesterreichischen Beobachter" wurden gelegentlich die "Wiener Zeitung" und die "Allgemeine Zeitung" für die Erstpublikation ausgesucht; die "Allgemeine Zeitung" war darüberhinaus der bedeutendste Ort für den Nachdruck der Artikel aus dem "Oesterreichischen Beobachter". Die erste Stellungnahme zur Griechischen Frage aus Gentz' Feder erschien Ende März 1821 in der besonders offiziösen "Wiener Zeitung".212 Unter

Gentz hatte vermutlich auch direkt mit Blacque Kontakt. Dazu Tagebücher V, S. 122. 368. Engel-lanosi, S. 67f. 209 So lobt Gentz einmal die Artikel Prokeschs im "Courier de Smyrne": "Sie scheinen nicht zu wissen, oder nicht wissen zu wollen, daß heute niemand so dreist, so verwegen schreibt wie Sie und Thre dortigen Freunde; und ich würde dem Himmel dafür dariken, daß bei dem Verstummen der Wahrheit in Europa doch noch in Asien eine freie und kräftige Stimme sich erhält." (GenlZ an Prokesch am 1.8.1828, in Aus dem Nachlasse I, S. 160). 210 Gentz an Prokesch am 1.12.1828, in Prokesch Nachlaß I, S. 230. 211 Prokesch an Gentz am 17.1.1831, in Prokesch Nachlaß I, S. 413; Prokeseh, Tagebücher, S. 117. 212 Unter der Rubrik "Laibach, den 25. März 1821" in der "Wiener Zeitung" vom 29.3.1821. Zu Gentz' Verfasserschaft Irmscher, S. 14, Tagebücher 11, S. 401 f. und Gentz an Pilat am 207

208

234

XI. Staatsschri ftsteller

Hervorhebung der Brutalität der Aufständischen und der revolutionären und nationalistischen Emphase in den Proklamationen Ypsilantis, ihres Anführers, ging es Gentz in erster Linie darum, die dem Zaren in Laibach abgewonnene Distanzierung von den Rebellen publik zu machen. 213 Im "Oesterreichischen Beobachter" begann die Kampagne gegen die Aufständischen und die Philhellenen erst im Mai. 214 Die griechenfeindliche Wertung der Ereignisse blieb dabei meist auf die einseitige Betonung der von den Aufständischen verübten Mjssetaten in den Schilderungen aus den Donaufürstentümern, vom Peloponnes, von den Inseln und aus Konstantinopel beschränkt. 215 Anfang Juni vertiefte ein Artikel die vorher nur unterschwellig vermittelte Einsicht in die Interessengegensätze zwischen den verschiedenen orthodoxen Völkerschaften im osmanischen Machtbereich und erklärte den Aufstand der Griechen zum Werk von Verschwörern, die nun versuchten, die Öffentlichkeit Europas durch Lügen auf ihre Seite zu ziehen. 216 Die überwiegend philhellenische öffentliche Meinung provozierte der "Oesterreichische Beobachter" ganz unverblümt mit seinem Urteil über die Griechen: "Mit jedem Tage beurkundet sich mehr und mehr die Verblendung dieser Nation, welche ihre Plane auf Sand gebaut hatte, und sich eine Existenz durch Verrath und schändliche Mordthaten, die ihre Anführer Siege nannten, zu begründen hoffte. "217 Gentz selbst trug zur Darstellung des griechischen Aufstands im "Oesterreichischen Beobachter" zunächst eine Übersetzung aus Artikeln aus dem "Spectateur

25.3.1821. in Briefe an Pilat II, S. 54. - Die Plazierung in der "Wiener Zeitung" erfolgte, so Gentz, auf Wunsch Metternichs, der die "Wiener Zeitung" fiir das Blatt mit dem stärksten offiziellen Charakter hielt. Dazu Gentz an Pilat am 23.3.1821 und am 30.3.1821, in Briefe an Pilat II, S. 54, 58. 213 Wiener Zeitung vom 29.}.1821. 214 Quack-Eustathiades, S. 228-232 übersieht die Berichte im "Oesterreichischen Beobachter" im Mai 1821 (3., 13., 15., 20.5.), die auch die angebliche Vorwegnahme der Position der offiziösen österreichischen Publizistik zur Griechenfrage (ebd., S. 228f.) relativiert. m Oesterreichischer Beobachter vom 15.5., 20.5., 3.6., 4.6., 7.6.1821. - Die Tendenz zeigt ein Ausschnitt aus den "Nachrichten aus den Fürstenthümern Wallachei und Moldau" vom 7.6.1821: "In der Moldau herrscht zügellose Anarchie; die Hetäristen, welche Jassy verlassen haben, streifen im Lande umher, und verwüsten und plündern dasselbe gleich einer Räuberhorde. Die türkischen Truppen = Abtheilungen[ ... ) rücken auf verschiedenen Wegen gegen Jassy vor, und wo sie einrücken, kehrt Ordnung und Ruhe zurück, indem sie nur die Hetäristen verfolgen, das Landvolk aber beschützen und ihre Bedürfnisse baar zahlen. " 216 Oesterreichischer Beobachter vom 8.6.1821. In dem "Wien, den 7. Juni" überschriebenen Artikel heißt es u.a.: "Die durch die geheime Sec te der Helärislen in Griechenland vorbereitete Revolution hat die Wiederherstellung des alten Griechenland zum Zwecke. Diese Secte kann in ihrem Entstehen auf das Jahr 1814 zurückgefiihrt werden; ihre Verzweigungen sind weit ausgedehnt und mannigfaltig, und sie verbinden sich eng mit den Triebrädern, welche die letzten revolutionären Bewegungen in manchen Theilen des christlichen Europas bewirkten." 217 Oesterreichischer Beobachter vom 15.6.1821.

3. Griechisch-türkische Angelegenheiten

235

Oriental" bei, die er mit scharfen Ausfällen gegen die griechenfreundliche Presse einleitete. "Nicht leicht haben die öffentlichen Blätter ihr trauriges Privilegium, die ganze lesende Masse der Nation von Unwahrheit in Unwahrheit, von Irrthum in Irrthum zu ziehen, gröber mißbraucht, als seit dem Ausbruche der griechischen Insurrection. "218 In der Frühphase philhellenischer Begeisterung stand der "Oesterreichische Beobachter" fast allein gegen eine ganze Flut griechenfreundlicher Schriften219 und über Deutschland hinaus erwarb er sich den Ruf, zusammen mit dem "Spectateur Oriental", seinem "Confrater in Smyrna" 220, dem griechischen Aufstand die Berechtigung und die Erfolgschancen zu bestreien. 221 Den Weg, den der "Oesterreichische Beobachter" in der Griechischen Frage einschlug, urnriß Gentz in seiner Antwort auf Adam Müllers Anregung, daß nach der Abwendung einer russischen Intervention zugunsten der Insurgenten die scharfe anti-griechische Polemik mit Rücksicht auf die Stimmung der deutschen Öffentlichkeit geändert werden könne: 222 "I) der Beobachter 1... 1 hat sich nie mit einer Sylbe über die eigentliche GriechenJrage, weder über die rechtliche noch über die politische, erklärt. Unsere sämmtlichen Artikel waren

218

455.

Oesterreichischer Beobachter vom 4.9.1821. Gentz' Verfasserschaft nach Tagebücher I, S.

219 Der einzige nennenswerte Bundesgenosse war Sendtner, der mit der Broschüre "Buonaparte und Londonderry" 1822 den Philhellenismus angriff und folglich von Gentz belobigt wurde. Dazu Quack-Euslathiades, S. 200ff. und Gentz an Pilat am 3.11.1822, in Briefe an Pilat 11, S. 97. 220 F. C. H.L. Pouqueville, Geschichte der Wiedergeburt Griechenlands. 1740 bis 1824 (Ü/Hrsg.: J.P. von Homthal/C.F.A. Schott), 4 Bde., Heidelberg I 824f., hier IV, S. 258. 221 So bei z.B. Pouqueville, einem der bedeutendsten philhellenischen Publizisten (ebd. 1II, S. 57,127,274), und bei Hornlhal, dem deutschen Herausgeber seiner "Geschichte der Wiedergeburt Griechenlands" (Vorrede, in: ebd. I, S. V-XVlII, hier S. XII mit einer deutlichen Anspielung auf die Position des Oesterreichschen Beobachters). Zur Rezeption Pouquevilles in Deutschland vgl. Quack-Euslalhiades, S. 28f., 34f. - Zu den Attacken Lindners, die bei Gentz den Wunsch nach einer systematischen Archivierung der Artikel des "Oesterreichischen Beobachters" zur Griechenfrage zwecks polemischer Auseinandersetzung mit der philhellenischen Publizistik wachriefen, das Billet von Genlz an Pilat [vom 17.1.18221, in Briefe an Pilat 11, S. 426. - Vgl. dazu auch das Urteil de Pradts: "Interprete du cabinet, et peut-etre son ouvrage, l'Observateur aUlrichien s'est montre constamment aussi hostile [den Griechen gegenüberl que le Speclaleur orienlal, et il serait difficile d'assigner la nuance qui les distingue et les separe." (De Pradl, L'Europe par rapport a la Grece et a la reformation de la Turquie, Paris 1826, S. 173). 222 Adam Müller an Gentz am 18.8.1822: "Die muthvolle Haltung des Beobachters hat mich oft gestärkt; nun beschwöre ich Sie, den Moment nicht zu übersehen, wo eine Milderung des Tones in Beurtheilung der griechischen Angelegenheiten eintreten könnte. Die große europäische Kriegskabale ist gescheitert; ein ganz anderes Problem liegt in den Cabinetten vor; könnte nicht inzwischen sich der Beobachter in eine mehr philanthropische Erwägung der griechischen Händel hinüberstimmen? Ich sitze im Parterre und habe also eine Stimme über den Effekt." (Müller Lebenszeugnisse 11, S. 559).

236

XI. Staatsschriftsteller

entweder rein historisch oder polemisch, als Vindication der historischen Thatsachen gegen Millionen von Lügen. Der Umstand, daß wir dieß Geschäft übernommen hatten, übernehmen mußten, hat das Publikum natürlich zu dem Schlusse verleitet, daß wir den Türken (da sie zum Unglück immer Recht) gewogen, und den Griechen (da sie zum Unglück immer Unrecht hatten) feindselig wären. Gesagt haben wir es nie; mithin hätten wir auch von dieser Seite nichts zu ändern, wir müßten denn auf einmal das Gegentheil- daß wir die Griechen lieben und die Türken hassen - zu erkennen geben; das werden Sie aber uns, und namentlich mir, nicht zumuthen. [ ... ) 4) Wenn Sie von der ganzen Sache nur den zwanzigsten Theil dessen wüßten, was wir wissen, so fiele funen sicher nicht ein, das Parterre durch mildernde Äußerungen zu Gunsten der Griechen zu befriedigen. Wir haben die Schonung aufs Äußerste getrieben, indem wir uns enthielten, unser tausendfach documentirtes Urtheil über ihre Verworfenheit auszusprechen. "22'

Das Festhalten an einer "historischen Linie"224 in der Griechenlandbericherstattung paßte zur Selbstinterpretation österreichischer Pressepolitik ebenso wie das Bild vom Graben zwischen unwissendem Publikum und informierten Darstellern auf der Bühne der öffentlichen Meinungsbildung. Auch entprach eine solche Selbstbegrenzung auf richtige Darstellung des Zeitgeschehens der besonderen Lage des "Oesterreichischen Beobachters", der einerseits über gute Nachrichtenquellen verfügte, andererseits aber dem Philhellenismus keine vergleichbar massive kulturell-politische Alternative entgegenstellen konnte. Daß mit dem polemischen Richtigstellungsjournalismusdes "Oesterreichischen Beobachters" auch die grundsätzliche Interpretation der Griechischen Frage als Teil einer gesamteuropäischen Unruhestiftung vermittelt wurde, läßt sich an Gentz' Erläuterungen nur sehr indirekt ablesen.22.'i Der Beitrag, den Gentz zur Griechenlandberichterstattung in den folgenden Jahren leistete, bestand neben der Vermittlung wichtiger Informationen aus der Staatskanzlei anPilat in der Übersetzung und Bearbeitung von Berichten aus dem diplomatischen Bereich und von Artikeln anderer Blätter. Allein schon die medienspezifischen Eigenheiten einer Tageszeitung bewirkten, daß es sich bei Gentz' redaktionellen Arbeiten in erster Linie um die Auswahl und stilistische Umgestaltung vorliegender Texte handelte; die pressepolitische Grundtendenz, die beschriebene Selbstbeschränkung auf Sachinformation, verringerte den Raum für eingehendere Analysen jenseits der tagespolitischen Aktualität. Der literarisch aufwendigste Teil der Texte, die Gentz zur Griechischen Frage publizierte, war folgerichtig der direkten polemischen Konfrontation mit der Berichterstattung anderer Zeitungen gewidmet. Damit erscheint die Behandlung

m Gentz an Adam Müller am 11.9.1822, in Müller Lebenszeugnisse 11, S. 562f. 22.

Ebd., S. 563.

m Schon der Artikel zur Griechischen Frage im "Oesterreichischen Beobachter" vom 8.6.1821,

der dann in der "Allgemeinen Zeitung" vom 14. und 15.6.1821 nachgedruckt wurde, suggerierte, daß der Aufstand der Griechen Teil einer europaweiten revolutionären Verschwörung sei.

3. Griechisch-türkische Angelegenheiten

237

der Griechischen Frage als der Paradefall tagesjournalistischer und zugleich pressepolitischer Konditionierung von Gentz' Textproduktion als Staatsschriftsteller. Deswegen wohl gab es weder bei Schlesier noch bei den Herausgebern der späteren Sammlungen von Gentz-Texten Interesse an den vielen anonym eingerückten, unsignierten, kurzen, der Tagesaktualität ergebenen Zeitungsbeiträge zur Griechischen Frage. 226 Auch die einschlägige Bibliographie zu Gentz' Schriften vernachlässigt die journalistischen Arbeiten. 227 Dabei geben die Tagebücher und die Briefwechsel mit Metternich und vor allem mit Pilat vielfältige Hinweise auf diese anonymen Publikationen. 228 Auf diesem einfachen Weg lassen sich beispielsweise allein in knapp drei Wochen - während der Sommerfrische - im August und September 1827 zweifelsfrei ein von Gentz verfaßter, ein von ihm im Auftrag Metternichs angeregter und von Pilat formulierter und ein von ihm zur Übersetzung durch Pilat empfohlener Artikel zur Griechischen Frage im "Oesterreichischen Beobachter" ermittelnY9 Informationsbeschaffung aus Berichten und aus dem "Spectateur Oriental", aus dem man entnimmt, was man nicht selbst zu behaupten wagen kann, scharfe Polemik gegen andere Zeitungen, also die typischen Mittel der österreichischen Griechenlandberichterstattung, und die Rollenverteilung zwischen Metternich, Gentz und Pilat lassen sich an diesen Exempeln zeigen. Relative Aktualität und Kürze und die Reproduktion ausgewählter und aufbereiteter Texte anderer Herkunft sind die Kennzeichen der Artikel des "Oesterreichischen Beobachters". Von Kriegszeiten abgesehen ein Sonderfall ist die Publikation offizieller Schriftstücke in der eigentlich nur offiziösen Zeitung, beispielsweise die Veröffentlichung einer Note des Internuntius Ende 1827, die in prekärer außenpolitischer Situation direkt den Interessen der österreichischen Diplomatie dienen sollte. 230 Ottenfels und die Staatskanzlei sollten durch die Veröffentlichung der Note und den beigegebenen Kommentar vor den Folgen von Indiskretionen und daraus erwachsenen, in britischen Zeitungen publik gemachten Zweifeln an der Geschlossenheit und Zuverlässig-

226 Schlesier hat immerhin einen von Gentz' Artikeln aufgenommen: Friedrich GenlZ, Beim Friedensschluß von Adrianopel, in: Schriften V, S. 167-171. 227 Vgl. Kircheisen . 22. Vgl. Tagebücher li-V, Briefe 1II12, Briefe an Pilat 11. 229 Oesterreichischer Beobachter vom 20.8. (Art. "Frankreich"), 11.9. (Art. "Nachrichten aus Griechenland"), 14.9.1827 (Art. "Nachrichten aus Griechenland"); Gentz an Pilat am 15.8., 2.9., 4.9.1827, in Briefe an Pilat 11, S. 225f., 240f. 230 "Note des k.k. Internuntius bei der Ottomanischen Pforte, übergeben am 12. März 1827" mit ausfiihrlichen Erläuterungen von Gentz im "Oesterreichischen Beobachter" vom 24.12.1827 (Art. "Wien, den 23. Dezember"). Zu Gentz' Verfasserschaft Tagebücher IV, S. 352.

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XI. Staatsschriftsteller

keit der österreichischen Politik in Schutz genommen werden. Vom englischen "Courier" , nach Gentz' Ansicht ein ministerielles Blatt, durch den Vorwurf der Treulosigkeit und Doppelzüngigkeit herausgefordert, wollte sich Metternich in der Öffentlichkeit rechtfertigen. Der vermuteten politischen Funktion dieser öffentlichen Anwürfe mußte auf gleicher Ebene geantwortet werden. Diplomatie und öffentliche Meinung verbanden sich,231 obwohl "bekanntlich [ ... ] Unser Allerhöchster Hof [es] nicht gewohnt [ist], seine politischen Maaßregeln einer eitlen Zeitungs = Polemik Preis zu geben "232 Die Autorisierung und Beglaubigung des Textes durch die Staatsrnacht erscheint als Ausnahme, die die Regel des würdevollen Ignorierens öffentlicher Auseinandersetzung durch die Regierung bestätigen solle, eine Ausnahme, die der Situation und der Wahrheitsliebe der Staatsfiihrung zu verdanken sei. Das Buhlen um die Zustimmung der Leser wird durch diesen Vorspann wenigstens vordergründig mit der öffentlichkeitsfeindlichen Grundposition Metternichs verbunden. Die Darlegung des Vorgehens der österreichischen Diplomatie in der Griechischen Frage, die der Note angeschlossen ist, endet mit der erneuten Versicherung, sich nur einem Publikum zuzuwenden, das die Machtposition der Regierung nicht prinzipiell in Frage stelle. "Diese einfache und authentische Darstellung der Thatsachen sollte wenigstens auf alle diejenigen Eindruck machen, die aus offenbarer Unkenntniß der Wahrheit, die Absichten des Kaiserlichen Hofes, und das Verfahren Seiner Geschäftsmänner verleumden. Die andre, nicht minder zahlreiche Klasse derer, die von Haß gegen die Grundsätze diese Hofes, oder von leidenschaftlichem Parteigeist getrieben, ihre eignen Blößen gern mit treulosen Ausfallen gegen eine über ihre Lästerungen erhabne Regierung zu bedecken suchen, ist, wie sich von selbst versteht, keiner Belehrung zugänglich. Auch für diese wird die Stunde der Erkenntniß schlagen; aber nur dann erst, wann die Fruchte ihrer Lehren unwiederbringliches Verderben über die Welt verhängt haben werden. "233

Der Zwang zur Publizität, den die öffentliche Meinung und deren Wechselwirkung mit der außenpolitischen Entscheidungsfindung auf die Staatskanzlei ausüben, prägt den Text von der Einleitung bis zum Schluß. Die Unfreiwilligkeit und Ungewöhnlichkeit des Verfahrens spiegelt sich in der aggressiven, beinahe apokalyptischen Rhetorik am Ende des Artikels wieder. Die Antinomien auf der pragmatischen Ebene des politischen Diskurses zwischen Öffentlichkeit und Regierung lassen sich als Bruchlinie der rhetorischen Gestaltung ablesen. Weniger sichtbar sind solche Verwerfungen in dem bekanntesten

231 Dazu Gentz an Stanhope am 30.12.1827, in Schriften V, S. 141f. - Zum Hintergrund Krauter, S. 186-211. 232 Oesterreichischer Beobachter vom 24.12.1827. 233 Ebd.

3. Griechisch-türkische Angelegenheiten

239

Zeitungsbeitrag von Gentz zur Orientalischen Frage, der dem Frieden von Adrianopel,234 der "Beendigung der Orientalischen Tragödie"235, gewidmet ist und den er auf ausdrückliche Anweisung und auf der Basis einer Vorlage Metternichs schrieb. 236 Aus dem Rohentwurf Metternichs übernahm Gentz die wesentlichen Inhalte, die Grundzüge des Textaufbaus und einzelne Formulierungen. 237 Ein genauerer Vergleich zeigt aber, daß Gentz die Vorlage in seinem Stil umgestaltete, indem er im Gegensatz zu Metternich, der sich im flüchtigen Entwurf in zumeist relativ kurzen Sätzen und mit ziemlich kunstloser 'Rhetorik ausdrückte, die für ihn typischen rhythmischen Perioden und anschaulichen Bilder einsetzte. Die Gegenüberstellung der beiden "Parteien, welche die Herrschaft über die öffentliche Meinung theilen "238 behielt Gentz als Gliederungsprinzip bei, aber anstelle der abstrakten Formulierung dieses Gegensatzes mitten in Metternichs Vorlage - "Beide Theile sind consequent, indem sie in grellem Widerspruch stehen. "239 - wird der Kontrast der beiden Richtungen nicht deklariert, sondern entwickelt sich aus der sprachlichen Darstellung der unterschiedlichen Positionen wesentlich unauffälliger und zugleich wirksamer, da sich so vermeiden läßt, beide Parteien auf eine Ebene zu stellen. Auf dem Wege zur schließlich publizierten Endfassung stellte sich das Problem, daß der Artikel "ein Manifest - sein und nicht sein sollte. "240 Gegenüber Gentz' Entwurf fehlt nicht nur eine eher sachliche Einordnung des zu Ende gegangenen Krieges in die Entwicklungsgeschichte des europäischen Staatensystems seit 1815, sondern auch zwei kurze Sätze mit besonders deklaratorischer Funktion. 24 \ Einen besonderen Charakter, der an ein Mani fest

234

Zum Hintergrund Krauter, S. 231-256.

m Eintragung vom 18.9.1829 in Tagebücher V, S. 104.

236 Art. "Wien, den 22. October" im Oesterreichischen Beobachter vom 23.10.1829. Zu Gentz' Verfasserschaft Tagebücher V, S. 113f. Zu MeIlernichs Auftrag und Vorlage Mettemich an Gentz am 21.10.1829, in Briefe IIII2, S. 339. - Die Hoffnung auf eine Stabilisierung der Türkei mit russischem Einverständnis, die in dem Artikel indirekt durchscheint, findet sich zuvor explizit in Friedrich Gentz, Vertrauliche Bemerkungen über den Stand und die nächste Zukunft der russischtürkischen Angelegenheiten, [1829), in: Schriften V, S. 156-166. 237 Mettemich, Materialkn zu einem Artikel fiir den "Beobachter" vom 21.9.1829, in MeIlernich Nachgelassene Papiere IV, S. 596ff. 23. Oesterreichischer Beobachter vom 23.10.1829. 23' Mettemich, Materialien, in MeIlernich Nachgelassene Papiere IV, S. 596f. 2M) Tagebücher V, S. 114. 2., Der Entwurf fiir den Artikel ist wieder abgedruckt in Schriften V, S. 167-171. Im Gegensatz zu den Angaben Schlesiers sind nicht nur die (ebd., S. 167f.) in."[ ]" gesetzten Passagen nicht in den Artikel aufgenommen worden, sondern auch zwei weitere Sätze am Anfang und am Ende des Textes. Der drille Satz im Entwurf lautet: "Wir haben den Wunsch geäußert, daß er [=der neue

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XI. Staatsschriftsteller

erinnern kann, erhält der Text nicht zuletzt dadurch, daß er in der Ausführlichkeit der Kommentierung und im Fehlen von Zitaten aus dem Rahmen des beim "Oesterreichischen Beobachter" Üblichen fällt. Der feierliche Ton, der eingangs angeschlagen wird - "Der Friede zwischen Rußland und der Pforte ist geschlossen, und von beiden Seiten ratifizirt. Das Ende des Krieges im Orient bezeichnet einen wichtigen Abschnitt in der Zeit = Geschichte. "242 - weicht aber größtenteils der gewohnten Polemik gegen "Jene, die in der öffentlichen Ruhe nur den Stillstand ihrer ausschweifenden Hoffnungen, in der Zufriedenheit ihrer Mitbürger die Kritik ihrer ungestümen Klagen, und in dem Kampfe zwischen den Mächten die günstigste Gelegenheit, ihre ehrgeitzigen Wünsche, und hoch = fliegenden Plane geltend zu machen, sehen. "243 Diese Partei der Unruhestifter sei kriegstreiberisch und säe Zwietracht. "Sie haben mit merkwürdiger Verwegenheit, bald unter dem Vorwande, auf Kosten des Unterganges ganzer Völker und Reiche, die Civilisation der Welt zu befördern, bald als unverstellte Lobredner des Eroberungs = Systems, mit lockenden Zauberformeln von 'National = Ehre' und 'natürlichen Gränzen' bewaffnet, Projecte geschmiedet, die nichts geringeres als die Auflösung aller bestehenden Verträge, eine weit ausgedehnte Länder = Theilung, und den Aufstand der einen Hälfte Europas gegen die andre zum Gegenstande hatten. "244 Österreichs "auf Erhaltung des Friedens und der gesetzlichen Ordnung unverwandt gerichtete Politik, seine Entferntheit von allen Vergrößerungs = Entwürfen, seine gewissenhafte Achtung aller bestehenden Verträge, der Unabhängigkeit aller Staaten, aller rechtmäßigen Verfassungen, und aller gegründeten Freiheiten"245 wird schon sprachlich den Umstürzlern entgegengesetzt. Unfrieden, Partikularismus, Verachtung des Rechts stehen auf der emen, Friedfertigkeit, Universalität, Wahrung des Rechts auf der anderen Seite. Da die Anwälte des Krieges hemmungslose Parteilichkeit zum politischen Prinzip erhoben hätten, sei auch die Position der Mäßigung und des Ausgleichs, die Gentz Österreich zuschreibt, in deren Sicht Anlaß zum Streit. "Ihre

Abschnitt der Zeitgeschichte] ein glücklicher sein möge; wir sind berechtiget, es zu hoffen." (ebd., S. 167). Und an der Stelle des Schlußsatzes heißt es im Entwurf: "Die Antwort auf alle ihre vergangne und künftige Diatriben sei die einfache Erklärung: daß Oesterreich den Grundsätzen, denen es ihren [=den Wortführern des Umsturzes] Haß, zugleich aber das Bewußtsein seiner Stärke, und das Vertrauen aller Freunde des Rechtes und des Guten verdankt, unabänderlich treu bleiben wird.· (ebd., S. 171). 2.2 Oesterreichischer Beobachter vom 23.10.1829. 243 Ebd. 2.. Ebd. W Ebd.

4. Österreichische Finanzen

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Wortführer werden auch in unsern heutigen Bemerkungen Stoff genug zu giftigen Auslegungen finden. Dieses Spiel, das Lebens = Prinzip ihres Systems, müssen wir ihnen gönnen. Ihre künftigen Diatriben werden, wie die vergangenen, nichts als Belege zu den hier ausgesprochenen Wahrheiten seyn." 246 Die ständige, schwierige Balance zwischen der Wahrung der Würde der Staatsmacht und der öffentlichen Auseinandersetzung mit den politischen Gegnern wird rhetorisch umschrieben als Antagonismus von Lüge und Wahrheit, von Angriff und Verteidigung. Das Selbstbewußtsein, das Gentz bei der publizistischen Bearbeitung der Orientalischen Frage leitete und ihm die Kraft zum Widerstand gegen ein feindseliges Meinungsklima gab, war das des BesserWissens, des Eingeweihtseins in den der Öffentlichkeit entzogenen Teil politischer Realität, in das Reich der Staatskunst. Der von ihm einst so verehrten, philhellenisch eingestellten Amalie von Helvig schrieb er dazu 1827: "Wenn Sie von dieser Nation, ihrem heutigen Werth oder Unwerth, der wahren Geschichte ihres Aufstandes, und allen damit zusammenhängenden Fragen, nur um den zehnten Theil so gut unterrichtet wären als ich, der ich alles, aus den besten Quellen schöpfend, durch vieljähriges rastloses Studium im Schweiß meines Angesichts ergriindet habe, - Sie hätten filr herrliches Talent nie auf einen so undankbaren Stoff gewendet. Doch gesetzt auch, es gelänge mir nicht, Sie hievon zu überzeugen, so darf ich doch von filrer Billigkeit erwarten, daß Sie den großen Unterschied zwischen filrem und meinem Standpunkt nicht übersehen werden. Sie konnten sich ungestraft filrer alles verschönernden Einbildungskraft, filren classischen Reminiscenzen, filrer Freiheitsliebe, filrem Mitleid, selbst einer durch zahllose fabelhafte Erzählungen genährten Bewunderung hingeben. Ich, in die Sorgen und Schrecken einer traurigen Realität gebannt, sah in der griechischen Sache nichts als eine Episode in den furchtbaren politischen Verwicklungen des Zeitalters; das Schicksal eines uns so fremd gewordenen Volkes hatte für mich kaum das Gewicht eines Sandkornes auf der Wagschale, in welcher die alte und die neue Weltordnung lag; und die von mir längst vorausgesehne Zerriittung, die dieses unselige Ereigniß in alle europäischen Staatenverhältnisse warf, lag mir ohne Vergleich näher, als die selbstverschuldete Noth der entarteten Namensgenossen von Pindar und Epaminondas. "247

4. Österreichische Finanzen Außenpolitik konnte in den Jahren nach dem Wiener Kongreß weitgehend ein von den Regierungen gelenkter Arkanbereich bleiben, der zwar von den Einflüssen der öffentlichen Meinung nicht verschont wurde, der aber trotzdem im wesentlichen die Angelegenheit einer kleinen Elite darstellte. Personelle Abgeschlossenheit und ein kompliziertes, aber von andern Politikfeldern abgegrenztes Geflecht von Interessen und Akteuren bildeten die strukturellen Voraussetzungen für die relative Autonomie der Außenpolitik gegenüber der

246

247

Ebd. Gentz an Amalie von Helvig im Oktober 1827, in Schriften V, S. 322f.

16 Kronenbitter

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XI. Staatsschriftsteller

Gesellschaft. Selbst für einen ausschließlich nach dem monarchischen Prinzip verfaßten Staat wie Österreich gab es aber einen Politikbereich, der auch den Spielraum der Diplomaten einengte und die Regierungsfähigkeit an die Interessen gesellschaftlicher Gruppen band: die Finanzpolitik. Für Gentz, den politischen Schriftsteller im Regierungsauftrag, lag hier ein schwieriges publizistisches Arbeitsgebiet, das durch die Vermittlung komplexer finanztechnischer Zusammenhänge und die Erläuterung der österreichischen Geldpolitik die öffentliche Meinungsbildung über einen Gegenstand beeinflussen sollte, dessen Entwicklung gerade von dieser öffentlichen Meinung durch den Markt mitentschieden wurde. Langfristig erworbenes Expertenwissen und publizistische Professionalität - das waren die günstigen Voraussetzungen, die Gentz für diese heikle Aufgabe mitbrachte. Die fortgesetzten Mißerfolge der österreichischen Politik auf diesem Feld und die Widersprüche zwischen theoretischen Präferenzen und praktizierten Methoden erschwerten Gentz das Geschäft jedoch noch zusätzlich. Die Besonderheiten der Kommunikationssituation machten die Finanzpolitik zu einer der größten Herausforderungen für Gentz' (staats)schriftstellerische Fähigkeiten. Unter der Last der Kriege gegen Frankreich seit 1792 waren die Staatsfinanzen Österreichs so zerrüttet, daß trotz englischer Subsidien und Anleihen auf dem internationalen und auf dem heimischen Kapitalmarkt und trotz Steuererhöhungen und Einsparungsbemühungen die Staatsschulden enorm anwuchsen. Die Ausgabe von Papiernoten, den sogenannten "Bankozetteln ", die als Ausweg aus den kriegsbedingten Finanzengpässen forciert wurde, drängte das Münzgeld aus dem Markt, führte zur Teuerung, schädigte die Bezieher fester Einkommen und steigerte die Staatsausgaben zusätzlich. Als 1809 hohe Kontributionen geleistet und große Teile des Staatsgebietes abgetreten werden mußten, in den betroffenen Territorien die Bankozettel außer Kurs gesetzt wurden und nach Wien abflossen, beschleunigte sich die Entwertung des Papiergeldes außerordentlich. Die österreichische Regierung, allen voran der für die Staatsfinanzen zuständige Hofkammer-Präsident Q'Donnell, suchte dringend nach Mitteln und Wegen, der Staatsverschuldung und der Inflation Herr zu werden, um einen Zusammenbruch des Wirtschaftslebens, der auch zur politischen Katastrophe führen könne, zu verhindern. Nur eine gründliche Reform der Geldwirtschaft und des Schuldenwesens schien die weitere Kreditwürdigkeit im In- und Ausland und damit den weiteren politischen Spielraum gewährleisten zu können. 248

,.8 Zur österreichischen Finanzpolitik von 1792 bis 1816 Jose! Karl Mayr, Wien im Zeitalter Napoleons. Staatsfinanzen, Lebensverhältnisse, Beamte und Militär, Wien 1940, S. 13-80 und (bis 1824) Adolf Heer, Die Finanzen Oesterreichs im XIX. Jahrhundert. Nach archivalischen Quellen,

4. Österreichische Finanzen

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Die Abhängigkeit der Staatsrnacht vom Kapitalmarkt wurde auf den Begriff des "öffentlichen Kredits" gebracht und die Regierung bis hinauf zum Kaiser hielt, ganz im Gegensatz zu ihrem sonstigen Rollenverständnis, die Erringung des Vertrauens des Publikums für eines der dringendsten Erfordernisse. 249 Gentz, der sich schon früher intensiv mit finanzpolitischen Themen befaßt hatte, legte Anfang 1810 O'Donnell eine Denkschrift vor, die der Beginn eines mehr als ein Jahrzehnt dauernden Engagements in der österreichischen Geldpolitik wurde. 250 Ausgangspunkt dieser Denkschrift ist die Einsicht in die Besonderheit der Beziehung von öffentlicher Meinung und Regierung in Finanzdingen, einem Gebiet, auf dem die Ansichten der Marktteilnehmer auch außerhalb der Sprache und ohne Gewaltanwendung Politik mitbestimmen können: "In einer Sache, die fast ganz auf der Meynung beruht, die Meynung nicht zu ziehen, nicht aufklären, nicht leiten, wohl gar ausschliessen zu wollen, ist ein offenbar widersinniges Beginnen. "251 Als Antwort auf öffentliche Kritik am österreichischen Papiergeldsystem und auf eine wenig wirkungsvolle offizielle Erklärung der Regierung angesichts des fallenden Kurses für die Bankozettel forderte Gentz, dem Verlust an Glaubwürdigkeit durch Information und Transparenz zu begegnen. 252 Seine Grundidee war die "de l'absurdites de toutes les mesures, tendant a priver la monarchie de ce qui constituait une fois son seul et legitime moyen de circulation. "253 Alle Vorstellungen von der Möglichkeit, aber auch von der Notwendigkeit einer Tilgung des Papiergelds wollte er mit einigen "principes simples et incontestables"254 ausräumen. Neben der österreichischen Finanzkrise hat Gentz zwei wesentliche Impulse für seine Geldtheorie namhaft gemacht, die ihm dazu verhalfen, daß seine Ideen "se developperent et se fixerent mieux pendant ce travail. "255

Prag 1877, S. 3-13 I. Speziell zum österreichischen Papiergeld Herben Rirtmann, Deutsche Geldgeschichte. 1484-1914, München 1975, S. 489-495. Vgl. auch Albert Pick, Papiergeld, Braunschweig 1967, S. 129-140. 2.9 So z.B. in der Proklamation des Kaisers am 11.12.1809. Dazu Heer, Finanzen, S. 46. 2'" Dazu als Überblick Guglia, S. 271-283. Leopold, S. 188-201 und Herwig Waller Zwerrler, Die Geldlehren der Romantiker. (Adam Müller, Friedrich von Gentz, Franz Baader), Diss. Wien 1956, S. 100ff., 116ff. sind wenig ergiebig. Vgl. auch Roseher, S. 761 ff. 251 Friedrich Gentz, [Denkschrift]. Gedanken über die Berichtigung der Urteile des Publikums von den Oesterreichischen Bankozetteln, [an O'Donnell am 15.1.1810], in: Beer, Finanzen, S. 425-450 [=Gentz, Gedanken], hier S. 447. Zum Vgl.: ebd., S. 425f. 252 Z.B.: ebd., S. 428. - Die Motive für seine Denkschrift schildert Gentz in Tagebücher I, S. 215f. m Tagebücher I, S. 216. 2>4 Ebd., S. 215. m Ebd. 16"

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Die "wahrhaft genialische Finanz-Administration "256 Pitts habe mit dem 1797 gefaßten Entschluß, der Bank von England die Einlösung ihrer Noten zu untersagen, "ein neues Zeitalter, nicht bloss in der Geschichte der brittischen Nazional-Oekonomie, sondern auch in der Theorie der Staatswirthschaft begonnen. "257 Diese grundlegende Wende mache das englische Beispiel zum Anknüpfungspunkt aller weiteren Überlegungen, denn die "Finanz-Administrazion ist kein mechanisches Handwerk, sondern eine Wissenschaft im ganzen Umfange des Wortes. Wo soll man aber die wahren Elemente dieser Wissenschaft hernehmen, wenn man sie nicht auf dem Schauplatze suchen will, wo sie ihre grösste theoretische und praktische Ausbildung erhielt?"258 England ist und bleibt für Gentz einer der wichtigsten Vergleichsfälle bei seinen Studien zur österreichischen Finanzpolitik.259 Das theoretische Gerüst, auf das er sich stützt, ist neben Henry Thorntons 1802 erschienener Schrift "Enquiry into the Nature and Effects of the Proper Credit of Great Britain" vor allem "cet evangile de profondeur politique, de mon ami Adam Müller (Elemente der Staatskunst), [ ... ] qui donna en general un nouvel essor a mon esprit, et me valut quelques heures des plus heureuses de ma vie, mit le dernier sceau a mon systeme."200 Müller und Gentz bestätigten sich wechselseitig in der Abkehr von einer an den Edelmetallmünzen orientierten Geldtheorie, an deren Stelle eine auf die Annahmegarantie des Staates bezogene tritt. 261 Die von Müller vorgenommene Einordnung der

2,. Gentz, Gedanken, S. 441 (Anrn.). m Ebd. HK Ebd., S. 442 (Anrn.). 2>9 Zu seiner Beschäftigung mit dem Bullion Report 1812 die Tagebucheintragung: "Seit dem Anfang des Herbstes [1812] halte ich mit vielem Fleiße an einem Werke über die hochberühmte Frage des Papier = Geldes, mit besonderer Beziehung auf die englischen Banknoten und die Verhandlungen des bullion commiltee gearbeitet. Dieses Werk sollte in England von Mr. Herries (einem damals schon bedeutenden, nachher noch bedeutender gewordenen Financier) übersetzt und publizirt werden. Der Plan ist nicht zur Ausführung gekommen; die Trennung zwischen England und dem Kontinent, die Schwierigkeit und Unsicherheit der Korrespondenz [00.], vielleicht auch die dazwischen getretenen großen Weltbegebenheiten, haben sie gehindert." (Tagebücher I, S. 257). Auch später beabsichtigte Gentz noch, dieses Manuskript zu veröffentlichen. Vgl. dazu Gentz an Perthes am 12.5.1817, Briefe I, S. 341-344. - Vgl. auch Sweet, Friedrich von Gentz, S. 174f. und Gentz an Adam Müller [undatiert], in Müller Lebenszeugnisse I, S. 712. - Auch mit der russischen Finanzpolitik setzte sich Gentz immer wieder auseinander. Dazu Gentz an Pilat am 13.8.1825, in Briefe an PilatlI, S. 196 und [Friedrich Gentz], Aus meinem geheimen Memoire über den inneren Zustand des Russischen Reiches, [1831/1832] [Kopie] und das., Über den Stand der Russischen Staatsschulden, [1831/1832] [Kopie], in UB Köln Sammlung Otto WolffG.N. Nr. 103f. 260 Tagebücher I, S. 216. 26. Dazu z.B. Gentz an Adam Müller, [Spätherbst 1809] (Mit Noten von Friedrich Schulz) und Adam Müller an Rühle von Lilienstern am 6.8.1810, in Müller Lebenszeugnisse I, S. 501 f., 555.

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Geldtheorie in das Gesamtgebäude seiner politischen Ideen sprengt den vergleichsweise beschränkten Rahmen von Gentz' praxisgeleiteteren Überlegungen; Müllers umfassende Kritik der kosmopolitisch-individualistischen angIosehottischen Nationalökonomie übernimmt Gentz in seinen Texten nicht, weil er Müllers national-organische Konzeption des Staates nicht in seine Schriften einbezieht. 262 Die grundlegende Differenz zwischen Müllers Volkswirtschaftslehre, die auf einem organizistischen Gesellschaftsbild ruht und mühelos der politische Romantik zugeordnet werden kann, und den nationalökonomischen Vorstellungen von Gentz, der zeitlebens vom Wirtschaftsliberalismus geprägt bleibt,263 wird zwar immer wieder von der persönlichen Sympathie für Müller und einer zeitweisen, tiefen Bewunderung für den metaphysischen Gehalt von dessen Philosophie überdeckt, bricht aber, wenn auch nicht öffentlich, später doch auf. Erst als Gentz den inneren Zusammenhang zwischen der politisch un-

262 Müllers Kritik an den Physiokraten und an Adam Smith und der anglo-schottischen Schule, seine Einschätzung des Metall- und des Papiergelds im Rahmen seiner Theorie vom Nationalkredit in Adam Müller, Die Elemente der Staatskunst. Sechsunddreißig Vorlesungen. Ungekürzte Ausgabe, Meersburg am Bodensee u.a. 1936, S. 229-232, 24If., 265ff., 366-373. Vgl. auch Jakob Baxa, Adam Müllers Philosophie, Ästhetik und Staatswissenschaft. Eine Gedächtnisschrift zu seinem 100. Todestage, Berlin 1929, S. 83-93 und Koehler, S. 95-100. 263 Das vehemente öffentliche Bekenntnis zum Freihandel als zollpolitischem Ideal, mit dem Gentz in einem Artikel in der "Beilage zur Allgemeinen Zeitung" vom 17.6.1820 Friedrich Lists Programm entgegentritt, bieten dafür ein eindringliches Beispiel: "die beiden Haupt= und Universalarzneien des Handelsvereins, die Aufstellung eines gemeinschaftlichen (vom Bunde zu verwaltenden) Zollsystems, und die Ausschließung aller fremden Waaren zu Lande und zur See, müßte man als bittern Spott über die gerühmte Aufklärung des Zeitalters betrachten, wenn die, welche dergleichen Wundermittel ergreifen, mit weniger Ernst und Anstrengung dabei zu Werke gingen. [ ... 1 Wenn man sich erinnert, aufwelchem Punkt die Wissenschaft (leider nicht die Praxis) der Staatsökonomie bereits vor zwanzig und mehr Jahren nicht nur in England und Frankreich, sondern auch in Deutschland gediehen war, und jezt Grundsäze, deren man sich damals in der Stille geschämt haben würde, mit lauter Anmaßung, mit der gröbsten Intoleranz, mit Verunglimpfung derer, die aus 'unpatriotischer Gesinnung' nicht daran glauben wollen, als die einzig heilbringenden verkündigen hört, so wird man inne, was von den Fortschritten des Zeitalters, sobald es auf wesentliche Dinge ankömmt, zu halten ist." Gentz verkennt hier (vorgeblich?) den wesentlichen Unterschied zwischen dem Merkantilismus und der produktivitätsorientierten Konzeption Lists. - Zu Müllers in den politischen Resultaten ähnlichen, aber von einer anderen theoretischen Basis getragenen Überlegungen zum Handelsverein und zu seiner ambivalenten Haltung List gegenüber Müller Lebenszeugnisse I, S. 317-344 und Baxa, Adam Müller, S. 368-379. - Vgl. auch Gentz an Metternich [im Dezember 1811 I, in Briefe 11111, S. 84ff. gegen Importrestriktionen, list an Gentz [November 18191, in Karl GoeserfWilhelm v. Sonntag (Hrsg.), Friedrich List. Der Kampf um die politische und ökonomische Reform. 1815-1825. Zweiter Teil: Handelspolitische Schriften der Frühzeit und Dokumente zum Prozeß, Berlin 1933, ND Aalen 1971, S. 555-561 zu den Zielen des Handelsvereins und Gentz an Mettemich am 4.6.1820, in Briefe 11112, S. 5f. zur Entstehungsgeschichte des Artikels in der "Beilage zur Allgemeinen Zeitung" vom 17.6.1820.

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erwünschten Gesellschafts- und der Kapitalismuskritik Müllers klar erkennt, markiert er diese Trennungslinie deutlich. 264 Der geldtheoretische Berührungspunkt bleibt aber die Einsicht in die politische Dimension des Geldes, denn "die Sanction des Staates allein gibt allem Gelde, aus welchem Stoffe es auch bestehe, seinen legalen, seinen cirkulationsfahigen Charakter, und so wie sich, ohne die Einwirkung einer höhem Autorität überhaupt kein Geld denken lässt, so kann man auch mit Zuversicht behaupten, dass alles das wahres Geld ist, was der Staat gesetzmässig dafür erklärt. "265 An seiner grundsätzlich positiven Einschätzung des Papiergeldes hat Gentz auch in späteren Jahren festgehalten, auch wenn er, wie gleich noch gezeigt werden wird, in Anpassung an die Praxis der österreichischen Finanzpolitik Tilgungspläne nicht mehr prinzipiell ablehnte. 266 Der wichtigste Teil seiner Autklärungsarbeit sollte darin bestehen, dem Publikum einen korrekten Begriff davon zu vermitteln, was Papiergeld eigentlich sei und was nicht. 267 Da

264 Sehr deutlich wird das in den undatierten und unvollendeten Aufsätzen "Gegen Adam Müller, in der Frage über die Wirkung des Geldes" und "Ueber das Steigen der Preise in den letzten 50 Jahren. Mit Bezug auf einen Aufsatz in Müller's Staatsanzeigen" , veröffentlicht in [Prokesch von Osten) (Hrsg.), Oekonomisch=politische Fragmente von Gentz, in: Deutsche Vierteljahrsschrift 18403. Heft, S. 73-82 [=Gentz, Oekonomisch=politischeFragmente). Die von Müller beklagte Auflösung feudalstaatlicher Hierarchien durch das "so sehr verschriene Uebergewicht des Geldes [ ... ) war an und für sich kein Uebe/. Und im Ganzen und Großen betrachtet, ist der heutige Zustand des Menschem im Staate nicht schlechter, sondern offenbar besser, als es in irgend einer der von den Gegnern der jetzigen Zeit gerühmten Epochen gewesen ist." (ebd., S. 75). Vgl. dazu auch Baxa, Adam Müllers Philosophie, S. 95-99, ders., Adam Müller, S. 339ff., 358f., 380ff., Koeh/er, S. 203ff., Roscher, S. 763-778 und Zweit/er, S. 135f.- Die Distanz zu Müllers Theorie ist verbunden mit der Ablehnung ihrer Wirkungsabsicht, die nach Präsentation und Inhalt nicht mehr Gentz' praktischen Zielen entspreche. So meint Gentz zu Adam Müllers ·Versuche einer neuen Theorie des Geldes" in einem Brief an Perthes vom 12.5./817: "Solche phantastische und mystische Apophthegmen [=Sinnsprüche) [ ... ) dienen nur dazu, die ohnehin schon arge Verwirrung der Begriffe vollends unheilbar zu machen. [ ... ) Ein einziges Kapitel so schreiben zu können, wie Adam Smith geschrieben hat, finde ich rühmlicher als hundert Bände metaphysischer Phantasien, wie Adam Müller sie liefert." (Briefe I, S. 343f.). Gentz deutet Müllers Radikalität unter diesem Gesichtspunkt als Verantwortungslosigkeit, so z.B. in Gentz an Adam Müller am 8.10.1820, in Müller Lebenszeugnisse H, S. 390-393. 2.' Gentz, Gedanken, S. 432. 266 Dazu Friedrich Gentz, Expose des mesures adoptees en Autriche depuis l'annee 1816 pour I'extinction graduelle du papier-monnaie, suivi de quelques observations generales sur cette matiere [vom Februar 1821], in: Schriften lll, S. 300-366, hier S. 334-366. 2.7 .. Ein Banco-Zettel ist weder Wechsel, noch Assignation, noch Obligation, noch auch nur Banknote im engem Sinne des Wortes, in welchem man darunter ein von einer wirklichen Bank mit der Verbindlichkeit zu unmittelbarer Realisirung auf jedesmalige Präsentation bey ihrer Kasse ausgestelltes Billet au porteur versteht. [ ... ) Ein österreichischer Banco-Zelte/ ist, wie alles Papiergeld, oder besser, wie alles Geld überhaupt, ein vom Staate sanctionirtes RepräsentationsZeichen des Tauschwerthes aller käuflichen Objecte." (Gentz, Gedanken, S. 431f.). - Noch klarer

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Gentz überzeugt ist, daß das Wachstum der Geldmenge an sich unbedenklich sei, hält er die Eingrenzung von Kursschwankungen des Papiergelds für das eigentliche Problem einer sachgerechten Finanzpolitik. Die Spekulationsgeschäfte kapitalbesitzender Privatleute macht Gentz als das größte wirtschaftspolitische Problem aus. 268 Die Stabilisierung des Kurses ist in einem auf dem Privateigentum beruhenden Wirtschaftssystem nicht mit bloßen Zwangsmaßnahmen zu erreichen; neben der Intervention im Markt, die natürlich teuer zu stehen kommt, dringt Gentz auf eine öffentlich gemachte Selbstverpflichtung der Regierung zur Beschränkung der Geldemission. Papiergeldsysteme bräuchten einen gewissen "Grad von Publizität. In der heutigen Lage der Welt gehört sie zu den Lebensbedürfnissen der Staaten. Denn, wenn man auch zugeben müsste, was doch nur mit starken Einschränkungen wahr ist, dass gerade diese Publizität eine Quelle grosser Uebel geworden sey, so wäre nichts desto weniger heute, da die Wirkungen dieser Uebel sich nicht mehr vernichten lassen, der weiseste Rath immer der, sie eben auf dem Wege wieder auszugleichen, auf welchem sie gestiftet worden sind. ,0:269 Mit seiner Denkschrift über die Banko-Zettel hatte Gentz sich bei O'DonneII selbst als Mittler zwischen Öffentlichkeit und Regierung empfohlen. Der Hofkammer-Präsident versuchte mit dem Finanzpatent vom 26. Februar 1810 das für eine langfristige Tilgung des Papiergelds notwendige Bargeld durch die Veräußerung geistlichen Besitzes und eine neue Vermögenssteuer zu erlangen, und Gentz, für den ja "die Erfindung des Papiergeldes [ ... ] in jedem Falle einer der wichtigsten Fortschritte auf der Laufbahn des gesellschaftlichen Verkehrs"270 war, ließ sich von O'Donnell gewinnen, "au succes du nouveau systeme dans l'opinion"271 beizutragen. Gentz tat dies, obwohl er zu denjeni-

die spätere Definition: "J'entends par papier-monnaie, dans le sens propre et exact du terme, un papier de circulation, calque sur les divisions et sousdivisions ordinaires de I'argent metallique d'un pays, et remplissant, sans hypotheque speciale, sans promesse de realisation ni a vue ni a terme, saus (!I stipulation expresse de remboursement, pendant un certain nombre d'annees, soit seul, soit conjointement avec le numeraire effectif, les fonctions d'un signe monetaire ... (Gentz, Expose des mesures, in Schriften III, S. 334). 2.8 "In einem Staate, wo das Papiergeld das herrschende, ja das einzige Zirkulationsmittel geworden ist, kann eine von der Regierung unabhängige Macht (wie die Börse), die über den jedesmaligen Wert dieses Papiergeldes nach eignen, oft phantastischen, oft durch bloßes persönliches Interesse geleiteten Grundsätzen entscheiden will, durchaus nicht geduldet werden." (Gentz an Metternich am 27.6.1811, in Briefe III/I, S. 83). 2•• Gentz, Gedanken, S. 447. 270 Ebd., S. 446. 271 Tagebücher I, S. 233.

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gen gehörte, die - symptomatisch für die "soziopolitischen Binnenschranken des Absolutismus"272 im Österreich Franz I. - die Heranziehung des kirchlichen Vermögens als Realhypothek für mit der staatlichen Ordnung schwer vereinbar hielten. 273 Der richtige Publikationsort für eine Verteidigung der österreichischen Finanzpolitik war die am wichtigen Börsenplatz Augsburg erscheinende und deutschlandweit gelesene "Allgemeine Zeitung". Gentz trat in dem "Ueber die östreichischen Bankozettel" betitelten Artikel Anfang März der Kritik daran entgegen, daß das Finanzpatent zu viele Fragen offen ließe. 274 Seiner Ansicht nach entspreche die Beschränkung des Patents auf die Bekanntmachung der Grundzüge eines neuen Finanzsystems der Komplexität der Materie und erhalte der Regierung die notwendige Flexibilität in der Durchführung dadurch, "daß nur das, was das Publikum mit Recht verlangen konnte, und was dem öffentlichen Vertrauen zur nothwendigen Stüre dient, bestimmt, und unabänderlich beschlossen, für alles Andere hingegen, wobei Verhältnisse des Augenblikes, die keine Weisheit im Voraus berechnen kan, zu Rathe gezogen werden müssen, der allgemeine Gang zwar festgestellt, doch die nähere Bestimmung der Form, der Zeit, und des Maaßes, der Zukunft vorbehalten war. "275 Nach dem Tod O'Donnells unternahm dessen Nachfolger Wallis einen neuen Anlauf zur Finanzreform mit dem Patent vom 20. Februar 1811, das die Banko-Zettel durch auf "Wiener Währung" lautende Einlösungsscheine, ebenfalls ein Papiergeld, ersetzte. 276 Gentz verweigerte Wallis seine Mitarbeit und half stattdessen Metternich bei dem erfolgreichen Bemühen, Wallis' Entlassung zu betreiben. 277 1813 bis 1824 leitete dann Stadion als Finanzminister die Geldpolitik, und in dieser Zeit war Gentz auf diesem Gebiet am intensivsten tätig. Die Reformen Stadions, die am 1. Juni 1816 mit einem neuen Finanzpatent eingeleitet wurden, sahen die Gründung einer Nationalbank vor, die Noten zur Einlösung des Papiergelds ausgeben sollte, die gegen Metallgeld eingewechselt werden konnten.2'78 An einem solchen Papiergeld-Tilgungsplan mit-

Wehler I, S. 332. Gentz' Einwände gegen das Finanzpatent O'Donnells insgesamt in GenlZ an Heinrich von Collin am 7.4.1810 und am 25.5.1810, in Prokesch (Hrsg.), Aus dem Nachlasse I, S. 18-28. - Zur Diskussion und zur rudimentären Durchführung des Finanzpatents Heer, Finanzen, S. 47-74. 274 Allgemeine Zeitung vom 24.3.,25.3.,26.3.1810. m Allgemeine Zeitung vom 26.3.1810. 27. Zur Finanzpolitik unter Wallis Gentz an Stein am 18.4. und 16.6.1811, in Freiherr vom Stein IU, S. 503ff. und 519f. 277 Tagebücher I, S. 25If., 254f. - Zu Wallis' Finanzpolitik Heer, Finanzen, S. 78-84 und Mayr, Wien, S. 18ff. 278 Zu Stadions Finanzpolitik Heer, Finanzen, S. 86-131. 272

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zuwirken, schien Verrat an geldpolitischen Prinzipien, und so sah sich Gentz veraniaßt, Adam Müller zu versichern: "Meine Theorie des Papiergeldes ist unverändert geblieben, und wird nie mehr im Wesentlichen verändert. Das Zeitalter ist noch nicht reif für ein solches Kunstwerk,279 und die Sache ist fast in allen Ländern zu schlecht angefangen worden, als' daß sie hätte gedeihen können. In Österreich aber war die gänzliche und definitive Vertilgung des Papiergeldes die Bedingung sine qua non einer gründlichen Reform im Geldwesen. "280 Gentz erschien die allmähliche Tilgung des Papiergelds nach dieser Methode als bestmöglicher Ausweg und entschloß sich dazu, "Volontärdienste beim Finanzministerium"281 zu leisten. In einer Reihe teilweise recht umfangreicher Artikel in der "Allgemeinen Zeitung" verteidigte er Stadions Reformen. Solch publizistischer Flankenschutz war auch dringend nötig, denn entgegen den Erwartungen ließen sich die Bankaktien kaum plazieren und geriet das Institut durch den Ansturm der Einlösungsinteressenten in eine solche Bedrängnis, daß die Einwechslung der eben geschaffenen Banknoten gegen Metallgeld suspendiert werden mußte. 282 Fehlerhafte Umsetzung des Plans, die Gier der Spekulanten und die "Stupidität des Publikums"283 führten zu einer Krise, die von der liberalen Presse gerne aufgegriffen wurde. Ende 1816 schrieb Gentz deshalb einen Artikel "Ueber die Tilgung des östreichischen Papiergeldes" in direkter Auseinandersetzung mit eIDer 1m "Staatsarchiv des teutschen Bundes" veröffentlichten Kritik des Patents. 284 In dieser von Klüber herausgegebenen Zeitschrift, deren Hauptzweck in der Veröffentlichung der Rechtsgrundlagen der politischen Praxis in Deutschland bestand, wurde Stadions Plan, gestützt auf eingehende Berechnungen, abgelehnt, da er die unumgängliche Tilgung des Papiergelds unnötig verkompliziere

279 Die Auffassung der Papiergeldpolitik als Teil der Staatskunst teilt Gentz mit Adam Müller (Koehler, S. 109ff.), allerdings als Element einer betont am Artifiziellen, mithin Mechanischen und Unorganischen ausgerichteten Metaphorik: "Ein auf Papiergeld gegründetes Finanzsystem ist ein moralisches, fast mehr noch als ökonomisches Kunstwerk; denn eine geschickte Behandlung der Menschen, ihrer guten und fehlerhaften Anlagen, ihrer wahren und eingebildeten Bedürfnisse, ihrer Meynungen, ihrer Irrthümer und ihrer Gebrechen, ist das vornehmste Triebrad der ganzen Maschinerie." (Gentz, Gedanken, S. 446). 210 Gentz an Adam Müller am 1.6.1816, in Müller Lebenszeugnisse I, S. 1170. 211 Ebd. 282 Zu den enttäuschten Erwartungen Müller Lebenszeugnisse I, S. 1170-1188 (mit Unterbrechungen) . 213 Gentz an Adam Müller am 8.7.1816, in Müller Lebenszeugnisse I, S. 1188. 284 Beilage zur Allgemeinen Zeitung vom 3.12. und vom 5.12.1816. Nur ein Teil des Artikels ist abgedruckt in Schriften 111, S. 180ff. - Zur Entstehung des Artikels Tagebücher 11, S. 84-87.

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und verlängere, somit letztlich auch verteuere. Die Schwierigkeiten der Bank wurden als Indikator einer grundsätzlich verfehlten Tilgungskonstruktion bewertet, an deren Stelle eine unverzügliche Außerkurssetzung und Fixierung des Papiergelds vorgeschlagen wurde, sowie eine Zwangsumwandlung der Staatsschuld. Im Interesse vor allem der ausländischen Gläubiger Österreichs verlangte der anonyme Autor die Zusicherung der Zinsleistung in Metallgeld und eine genaue Darlegung des gesamten Reformplans einschließlich der Bekanntgabe der Summe des zur Tilgung vorgesehenen Papiergelds. 285 Gentz' Aufsatz zerfallt in zwei Hauptteile, von denen der eine, wesentlich kürzere, die vielen Fehlinformationen in der Schrift seines Kontrahenten aufzeigen soll.286 Unter dem Mantel seines Inkognito stellt sich Gentz als wohlinformiert, aber - von österreichischem Patriotismus abgesehen - unbefangen dar, was vermutlich der Glaubwürdigkeit des Autors dienen soll, zugleich aber auch die Ausrede dafür bietet, bei aller Publizität den Spielraum der Regierung unangetastet lassen zu können, denn "da ich in die Staatsgeheimnisse nicht eingeweiht bin, und in einer beträchtlichen Entfernung vom Mittelpunkte der Geschäfte lebe, so weiß ich nicht, weIchen Plan die Finanzverwaltung im Ganzen zu befolgen [ ... ] gedenkt. "287 Im zweiten Hauptteil nützt Gentz die frei erfundene Unabhängigkeit zur Verteidigung der Maßnahmen Stadions. Für den Ansturm auf die Barreserven der Bank sieht er die Grunde darin, daß "auf der Seite der Staatsverwaltung bedeutende Fehler in der Manipulation, und vielleicht in der ersten Einleitung des Geschäftes, auf der Seite des Publikums übertriebenes Mißtrauen, blinde Geldgier, und mannichfaltige Wucherspekulationen gewirkt zu haben "288 scheinen. Diesem ungeordneten Andrang auf das Metallgeld habe es zu wehren gegolten, auch wenn er die Widerspruchlichkeit der Suspendierung der Einlösung nicht verheimlicht. 289 Die Mißerfolge mit dem Banknotensystem hat-

285 Bemerkungen über die k.k. österreichischen Finanz-Patente vom I. Junius 1816, die Einziehung des Papiergeldes betreffend, in: Staatsarchiv des teutschen Bundes 1(1816) 2. Heft, S. 228-258 und Fernere Bemerkungen über die k.k. östreichischen Finanz-Patente vom I. Junius, die Einlösung des Papiergeldes betreffend, in: Staatsarchiv des teutschen Bundes 1(1816) 3. Heft, S. 465-481. 216 "Solchen Volksmährchen Glauben beizumessen, mag allenfalls einem gemeinen Zeitungsleser erlaubt seyn; sie ohne Prüfung weiter zu verbreiten, ziemt einem Schriftsteller, der Regierungen belehren will, nicht; auf Grundlagen dieser Art aber ein ganzes Luftgebäude von Zahlen und Raisonnements aufzuführen, ist in jedem Falle ein unverantwortliches Verfahren." (Beilage zur Allgemeinen Zeitung vom 3.12.1816). 287 Beilage zur Allgemeinen Zeitung vom 5 .12.1816. 288 Beilage zur Allgemeinen Zeitung vom 3.12.1816. 289 Ebd.

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ten Stadion Ende Oktober veranlaßt, zum Mittel der Arrosierung zu greifen, also die Staatsanleihen in Obligationen mit längeren Laufzeiten und höheren Zinsen zu velWandeln, diese Zinsen in Metallgeld aus einem Sonderfonds aufzubringen und dabei die Papiergeldmenge zu reduzieren. 290 Gentz verteidigte diese Maßnahme als solide finanziert, als freiwillig für die Gläubiger und als gutes Instrument, um das Papiergeld schrittweise aus dem Verkehr zu ziehen. 291 Vehement bekämpfte Gentz, angesichts seiner geldtheoretischen Position wenig verwunderlich, alle diejenigen Kritiker von Stadions Plan, denen es auf eine möglichst sofortige Abschaffung des Papiergelds ankam. Der "mauvais esprit du public de Vienne, et la malveillance des ennemis de toute reforme"292 in der politisch-administrativen Elite Österreichs gefährdeten das Vorhaben im Herbst 1816 so nachhaltig, daß Gentz' Sorge aufrichtig war, und er - ganz anders als bei den meisten seiner publizistischen Arbeiten nach 1809 - mit seiner Veröffentlichung auch auf den internen Entscheidungsprozeß in Wien zurückwirken wollte. 293 Diese Situation, die eine zusätzliche Erklärung für die Verleugnung der eigenen Amtsstellung liefert, ist vermutlich zusammen mit dem Tenor des Artikels im "Staatsarchiv des teutschen Bundes" auch der Grund dafür, daß im Mittelpunkt des Aufsatzes der Nachweis der Undurchführbarkeit einer raschen und vollständigen Tilgung des Papiergelds steht. Gentz räumt freimütig die negativen Seiten der bisherigen Handhabung des Papiergeldsystems durch die österreichische FinanzvelWaltung ein, versucht aber zu zeigen, daß ein plötzlicher Wechsel zu einem reinen Metallgeldsystem einen, vor allem für Handel und Gewerbe, ruinösen Kollaps des Wirtschaftskreislaufs mit sich brächte. Nur theoretisch halbgebildete und praktisch unerfahrene Fremde könnten die Gefahren übersehen, die der Wohlfahrt der Bevölkerung in Österreich von einer solchen Politik drohten. Sein Argument ist dabei letztlich ein politischsoziales, wenn er die heraufdämmernde Allmacht investitionsunwilliger, Metallgeld hortender Spekulanten beschwört. 294 Eine solch beängstigende

Beer, Finanzen, S. 98f. Beilage zur Allgemeinen Zeitung vom 5.12.1816. 292 Genlz an Karadja am 15.9.1816, in: Beer, Finanzen, S. 423f.. hier S. 424. 2.3 "Die plötzliche Vertilgung des Papiers hat auch unter uns ihre Freunde. Sie soll selbst in Wien - ich hoffe jedoch, nicht unter denen, die in dieser großen Angelegenheit das entscheidende Wort fiihren - viele Anhänger zählen." (Beilage zur Allgemeinen Zeitung vom 5.12.1816). 2.4 "Im ausschließenden Besiz [!I der Waare, deren Mangel überall Verlegenheit, Hülflosigkeit und Elend verbreiten würde, hätten sie die Preisbestimmung dieser Waare in ihrer alleinigen und unbeschränkten Gewalt. Sie würden [ ... 1 in Kurzem den größten Theil alles beweglichen, und einen beträchtlichen Theil des unbeweglichen Vermögens der Monarchie an sich reißen; sie würden, so lange die gräßliche Krisis dauerte, die einzig Mächtigen im Lande, aus furchtsamen 290

2.,

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XI. Staatsschriftsteller

Entwicklung zu fördern, könne aber niemand von der österreichischen Regierung verlangen, so die Quintessenz von Gentz' Beweisführung gegen eine sofortige Totaltilgung des Papiergelds. Mit dem Wecken von Ressentiments gegen die Spekulanten ließ sich der öffentliche Kredit, den ja gerade die Besitzer großer Geldvermögen mit ihren Entscheidungen beeinflussen konnten, nicht festigen, war Vertrauensbildung natürlich nicht möglich. Stadions Pläne des Jahres 1816 benötigten weitere argumentative Stützen. Im Frühjahr des folgenden Jahres versuchte es Gentz mit grundsätzlicheren Erwägungen zur Finanzpolitik. In seinem Aufsatz "Ueber die österreichische Bank" behandelt er auch die Frage nach dem Verhältnis von Papier- und Metallgeld. In expliziter Anknüpfung an Adam Müller stellt Gentz fest, daß, "wenn man das Metallgeld als absolut nothwendig und unersetzlich für alle ökonomischen Geschäfte betrachtet, so muß dasselbe zum Zweck aller ökonomischen Thätigkeit werden, und in demselben Maße hört es dann auf, Mittel und Vermittler zu sein. "295 Der von den Schwierigkeiten mit den unvollkommenen Papiergeldsystemen der Vergangenheit geschürte Enthusiasmus für Edelmetalle entziehe durch Hortung damit den Münzen eben jenen Charakter eines Vermittlungsinstruments. 296 Je arbeitsteiliger und dynamischer die Volkswirtschaft sich entwickle, desto unzureichender erscheine das Metallgeld als Zirkulationsmittel. So direkt wie in keinem anderen Zeitungsartikel legt Gentz den theoretischen Hintergrund seiner finanzpolitischen Vorstellungen frei, indem er betont, daß "in dem Wesen des Geldes uns die Natur der bürgerlichen Gesellschaft offenbart, denn im tiefsten Grunde ist der Staat das alleinige rechte Geld "297. Alle Repräsentationszeichen des Tauschwerts seien gleichermaßen eines Zentrums bedürftig: "Dieser Mittelpunkt ist der öffentliche Glaube, der allgemeine Kredit, auf den aller Privatkredit sich bezieht, das Wort des Staates, welches jede Form, Metall und Papier erst zum Gelde macht, und mit diesem Wort ist nun die österreichische Nationalbank ausgestattet, in ihr

Wucherern große Herren und Eigenthümer werden, und auf den Trümmern alles jetzigen Wohlstandes dem Staate selbst die härtesten Geseze vorschreiben." (ebd.). - Daß mit der Abneigung gegen die Spekulanten auch untergründig antisemitische Gefühle angesprochen werden sollten, ist nicht belegbar, läßt sich aber auch nicht ausschließen. 295 Friedrich Gentz, Ueber die österreichische Bank [Beilage zur Allgemeinen Zeitung vom 26.4.1817), in: Schriften III, S. 283-299, hier S. 296. 296 "Die Münzen sinken daher zur Waare herab und ihre Dienste müssen daher durch ein anderes Geld ersetzt werden.· (ebd., S. 297). m Ebd.

4. Österreichische Finanzen

253

finden alle Privatkreditverhältnisse den nothwendigen Mittelpunkt, sie ist zugleich Vermittlerin zwischen dem Metallgelde und dem Papiergelde, welche Beide die sämmtlichen Sachen und alle Persönlichkeit im Staate repräsentiren, und so verrichtet sie die erhabenste Funktion des Staates, des Gesetzes, und steht sonach als das Palladium der Nationalwohlfahrt vor unsern Augen. "29'

Das Mißtrauen der Öffentlichkeit gegenüber der österreichischen Geldpolitik hatte dieses Bankinstitut von Anfang an mit einer schweren Hypothek beladen, einer Last, die umso drückender war, je stärker die Bank bloß als staatliches Instrument der Papiergeldtilgung angesehen wurde. Gentz legte deshalb besonderes Gewicht darauf, die Vielfalt des Bankgeschäfts und vor allem die Unabhängigkeit des Instituts von der Regierung herauszustreichen. 299 Die Sorge vor dem willkürlichen Zugriff des Staates auf das Bankvermögen, der sich Gentz in seinem Aufsatz an zentraler Stelle widmet, war angesichts der schlechten Erfahrungen mit den Regenten früherer Jahrhunderte verständlich; umso wichtiger erschien es, die Meinung zu widerlegen, "daß ein solches Privatinstitut in einem monarchischen Staate die nöthige Selbstständigkeit und Unabhängigkeit nicht erlangen, ja daß die erwünschte Sicherheit und Wirksamkeit der Bankfonds nur unter repräsentativen Verfassungen erreicht und erhalten werden könne. "300 Hier galt es also, einer brisanten Verknüpfung von Finanz- und Verfassungspolitik, von Einflußmöglichkeiten der kapitalbesitzenden und der politisch interessierten Öffentlichkeit zu begegnen. Mit einer ganzen Reihe von Beispielen aus der näheren und ferneren Vergangenheit versucht Gentz zu zeigen, daß in Monarchien Übergriffe der Regierung auf das Bankvermögen viel seltener seien als in Repräsentativsystemen. 301 "Doch nicht mit diesen geschichtlichen Beispielen wollen wir jene Meinung allein bekämpfen, sondern selbst die Natur der Verhältnisse einer Bank in rein monarchischen Staaten und in repräsentativen Verfassungen näher beleuchten. "302 Der Monarch, im Interesse seiner Dynastie bedacht auf "die Dauer und ruhige Haltung des Staates "303, schneidet bei diesem Vergleich der Kongruenz von wirtschaftlichen und politischen Leitmotiven besser ab als demokratische oder aristokratische Repräsentanten, denn deren "politisches Leben ist von kurzer Dauer, die Aussicht auf sein baldiges Erlöschen treibt ihren Ehrgeiz oder ihren Eigennutz

29' Ebd., 299 Ebd., JOO Ebd., "li Ebd., m Ebd., "" Ebd.,

S. S. S. S. S. S.

298. 284-287, 294f. 287. 287-290. 290. 291.

254

XI. Staatsschriftsteller

zur schnellen Wirksamkeit an "304, während die "Wirksamkeit" der Banken "durch ihre Dauer und Sicherheit begründet"305 sei. Daß Gentz sich der Überzeugungskraft dieses Arguments selbst nicht sicher ist, zeigt der eklatante Widerspruch zwischen der Behauptung, daß "die monarchische Verfassung der Dauer und Sicherheit der Bankinstitute weit zuträglicher "306 sei, und der Versicherung, daß angesichts der in Österreich bisher gemachten Erfahrungen "jedes willkührliche Eingreifen in die Institutionen der Bank"307 den Kredit des Staates in der Öffentlichkeit vernichten würde und gerade deshalb in der Monarchie Österreich die Unabhängigkeit der Nationalbank gesichert sei. Als die Stunde der größten Gefahr für die Staatsfinanzen vorüber zu sein schien, Stadion mit Hilfe umfangreicher Anleihen die Tilgung des Papiergelds vorantreiben konnte und die Nationalbank sich etwas gefestigt hatte, trat Gentz 1818 nochmals mit einem Aufsatz "Ueber das östreichische Geld- und Kreditwesen " an die Öffentlichkeit. 308 Anhand der Tagebucheintragungen von Ende Mai bis Anfang Juni läßt sich der Entstehungsprozeß dieses Textes gut verfolgen, von Gentz' Arbeitsaufwand über die Festlegung der Endfassung und des Publikationsortes durch Stadion bis zur Vorlage bei Metternich und zur Übersetzung ins Französische durch Gentz. 309 Die französische Fassung, die als Broschüre gedruckt wurde, sollte den Wirkungskreis des für das Ausland berechneten Artikels vergrößern. 31O Auch diese Schrift dient dazu, das Vertrauen in die österreichische Finanzpolitik zu stärken, aber im Unterschied zu den vorhergegangenen Aufsätzen kann Gentz von den Teilerfolgen der Reformen Stadions ausgehen. Dieser Situation entspricht die Textgestaltung durch eine stark vergangenheitsbezogene Auffassung des Themas, also eine Bilanz der bisher unternommenen Reformschritte mit einem Über- und Ausblick auf aktuelle Entwicklungen, aber auch durch eine besonders ruhige, abgewogene Sprache, die heftige Vorwürfe und gewagte Behauptungen ebenso vermeidet wie dramatische Bilder. 311

Ebd., S. 292. Ebd., S. 290. 306 Ebd., S. 292. 307 Ebd., S. 293. 308 Beilage zur Allgemeinen Zeitung vom 21.6.1818. 309 Tagebücher 11, S. 230-233. 310 Gentz an Adam Müller am 23.6.1818, in Müller Lebenszeugnissell, S. 155. 311 Gentz umreißt den Standpunkt so: "Der öffentliche Kredit verbessert sich nie, und noch weniger macht er so merklwürdige Fortschritte, ohne daß der Staat selbst den ersten Anstoß dazu gegeben hätte. Denn das günstige U rtheil der Sachverständigen, die Grundlage alles öffentlichen Kredits, läßt sich nur durch einen, Vertrauen einflößenden Gang, und überzeugende Thatsachen gewinnen. Finanzmaaßregelnaber haben das Eigne, daß ihr Werth oder Unwerth nur von Wenigen beim ersten Anblik gewürdigt, im Allgemeinen erst aus ihren Resultaten erkannt wird. [00.] So ist 304

30'

4. Österreichische Finanzen

255

Die hier erforderliche "einfache Darstellung" einer komplizierten und widerspruchsvollen Entwicklung erfordert zur Vennittlung und Glättung der Materie stilistisches Können, und so verwundert es nicht, daß Gentz voller Stolz Adam Müller berichtet, "daß diese Arbeit, so einfach und anspruchslos sie auch aussieht, ein kleines Kunststück war; und Sie müssen wissen, daß ich mir viel darauf einbilde. "312 Müller erklärte den Artikel daraufhin - zumindestens? "in dem Lichte einer apologischen I!] Staatsschrift für ein Meisterstück. "313 Vom Gang der Ereignisse allen Anfeindungen der verblendeten und unwissenden Öffentlichkeit zum Trotz bestätigt - bei Gentz wie bei Mettemich eine fixe Idee nicht nur in Finanzdingen -, steht der Staatsschriftsteller dem Publikum in der Position eines mit der Autorität des durch Wissensvorsprung dem Meinungskampf enthobenen Lehrers gegenüber. "Das Geldwesen ist kein populärer Gegenstand, vielmehr ein sehr abstrakter und verwickelter"314; das anspruchsvolle Thema sollte außerdem einem Publikum vermittelt werden, das über den Markt mächtig genug war, um überzeugt werden zu müssen. 315 Die Strategie, der Gentz in seinen Texten folgte, war nicht immer die gleiche. Er mischte seine am Beispiel Englands gewonnenen und von Adam Müller geteilten geldtheoretischen Vorstellungen in unterschiedlichem Maß in seine Artikel, setzte einmal mehr auf polemische Töne und ein andermal auf Sachinformation, richtete den Blick in die Vergangenheit oder auf Gegenwart und Zukunft, jeweils nach den Umständen. Seine Eigenwilligkeit im Festhalten an der Hochschätzung des Papiergelds, die er auch in der Presse

es auch der östreichischen Finanzverwaltung gegangen. Eine Menge wichtiger Schritte, die sie zur Wiederherstellung und Befestigung ihres Kredits in den beiden lezten Jahren gethan hat, sind unbeachtet geblieben, oder mit Gleichgültigkeit aufgenommen worden. Erst jezt, da die Wirkungen unverkennbar sind, wird die Aufmerksamkeit auf die Ursachen zurückgeführt. Dis [!I ist der Augenblik, wo eine einfache Darstellung der Maaßregeln, die dem östreichischen Kreditwesen in so kurzer Zeit einen so lebhaften Schwung gaben, besonders für Ausländer ein gewisses Interesse haben muß." (Beilage zur Allgemeinen Zeitung vom 21.6.1818). m Gentz an Adam Müller am 23.6.1818, in Müller Lebenszeugnisse Il, S. 155. 313 Adam Müller an Gentz am 10.7.1818, in Müller LebenszeugnisseIl, S. 156. "4 Gentz an Perthes am 12.5.1817, in Briefe I, S. 344. m Die besondere Kommunikationssituation finanzpolitischer Publizistik entsprach in ihrer notwendigen SachbezogenheitGentz' Ideal von öffentlicher Diskussion: "Gewiß ist, daß, wenn ich je wieder für das Publikum schreibe, es nur über Gegenstände dieser Art sein kann; denn die Divergenz, oder vielmehr die absolute Verwirrung und Anarchie der Meinungen, die heute in Ansehung aller legislativen, politischen, religiösen Fragen obwaltet, und der Ton, in welchem die deutschen Schriftsteller einander wechselseitig behandeln, schrecken mich von aller Einmischung in diese Händel auf immer zurück; in staatswirtschaftlichen Materien läßt sich leichter eine anständige Ruhe behaupten; und es gehört wirklich unter meine Lieblingsgedanken, zur Berichtigung der Theorie des Geldes irgend einen brauchbaren Beitrag zu liefern." (Gentz an Perthes am 12.5.1817, in Briefe I, S. 343).

256

XI. Staatsschri fisteller

offen zum Ausdruck brachte, zeigt, wie weit sein Spielraum werden konnte, wenn die pressepolitischen Vorgaben der Besonderheit der jinanzpolitischen Kommunikationssituation Rechnung trugen. Auf dem Kongreß in Aachen gelang Gentz dann, seinen Ambitionen entspechend, der Eintritt in die finanzpolitische Elite Europas als Experte und als Vermittler zwischen Diplomatie und Großkapital. 316 Die Autonomie des politischen Machtzentrums Österreichs war in all den Jahren seit dem Frieden von Schönbrunn durch den Geldmarkt stärker in Frage gestellt als durch jeden Partizipationsversuch des kaum politisierten Bürgertums. Die Lasten der langen Kriegszeiten rund um 1800, die Kosten der seit 1814 wiedergewonnenen Großmachtposition und die Sorge vor inneren Unruhen setzten allen Einsparungsbemühungen und allen Versuchen zur Steigerung der Einnahmen enge Grenzen. Die Papiergeldtheorie war zumindestens bei Adam Müller eine Spiegelung dieser Abhängigkeit, die sie abbildete und doch zugleich umkehrte in die politische Bedingtheit der Ökonomie. Die Radikalität, mit der Müller zu diesem Konzept stand, fehlte Gentz, den Theorie immer nur in bezug auf die tagespolitische Praxis interessierte. Mit der partiellen Rettung der Autonomie der Politik war Gentz letzten Endes zufrieden, eine sozioökonomische Neuorientierung war nach seinem am bestehenden politischen System ausgerichteten Staatsverständnis nicht nötig. Sein publizistischer Beitrag war geleistet als er 1823 feststellen konnte, "daß die Constitution, vor der wohl Keiner mehr zittern kann, als ich, wenn sie nicht von andem Seiten dereinst über diesen Staat ausbricht, durch Staatsschuld und Banknoten auf keinen Fall erzwungen wird. "317

316 Gentz an Pilat am 7.11.,1.12.,4.12.1818, in Briefe an Pilat I, S. 360,372,377; Gentz an Adam Müller am 15.12.1818, in Müller Lebenszeugnisse 11, S. 187-190. 317 Gentz an Adam Müller am 20.9.1823, in Müller Lebenszeugnisse 11, S. 628. - Gegen die Bindung der Regierungspolitik an das Urteil der öffentlichen Meinung in Verfassungs- und Finanzfragen richtet sich die Anmerkung in Gentz, Expose des mesures, S. 357 (Anm.): "11 en est de ces promesses de remboursement [des Papiergelds] comme de celles des constilutions politiques dont on a fait tant de bruit dans les demieres annees. Tout le monde les cite, tout le monde les rec1ame, et quand on se met 8 en rechercher serieusement les titres et les actes, il ne se trouvent nulle part, ou ils sont con~us dans des termes si vagues et si equivoques qu 'ils peuvent etre interpretes de mille differentes manieres ...

XII. Zwischen den Staaten 1. Neutralität und Einmischung Als Staatsschriftsteller in österreichischen Diensten hat Gentz in erster Linie durch Artikel und einige Aufsätze die Öffentlichkeit anonym angesprochen, manchmal, als Verfasser von Manifesten, auch durch die Maske des Monarchen. Ein mehr oder weniger verborgenes Werkzeug staatlicher Pressepolitik, bestimmte er nicht selbst über Themen und Tendenzen seiner Beiträge, auch wenn ihm von Amts wegen ein erheblicher Spielraum erhalten blieb. Das Medium der in den Jahren ab 1809 entstandenen Texte waren vor allem Zeitungen und Zeitschriften; die Inhalte wurden selten selbständig formuliert, sondern fußten meist auf Vorgaben in diplomatischen Berichten und Publizistik, waren Bearbeitungen, Übersetzungen und Kritiken. Im Jahrzehnt zuvor hatte Gentz unter völlig anderen Bedingungen auch völlig andere Formen von Schriften veröffentlicht. Vom preußischen Beamten, der mit Duldung, zeitweise mit finanzieller Förderung seiner Vorgesetzten publizierte,1 wandelte er sich zum ämterlosen, als Schriftsteller kaum einsetzbaren Diener des österreichischen Staates, während er, wie zuvor schon in Preußen, erhebliche Finanzmittel aus England bezog. Ohne feste Verankerung in einem Regierungsapparat, aber auch keineswegs freier Schriftsteller, 2 schrieb Gentz weitgehend auf eigene Initiative, jedoch stets mit dem Blick auf die konkreten politischen Interessen seiner Schutzmächte, anfangs für die Preußens, schließlich für die Österreichs, in erster Linie jedoch für die Englands. Für das "Historische Journal" erhielt Gentz umfangreiche Zuschüsse, immerhin 2000 Taler jährlich,3 nach dem Ende dieser Unterstützung große Summen von der britischen Regierung, schließlich auch in Österreich ein Gehalt ohne einen amtlichen Geschäftsbereich. 4 Regelrechte Auftragsarbeit leistete Gentz dabei nicht, auch wenn das "Historische Journal" und die "Fragmente aus der neusten Geschichte des politischen Gleichgewichts in Europa"

Vgl. dazu Kap. 11.2. Im Sinne des modemen Literaturbetriebs (vgl. dazu Kap. VI). 3 Tschirch I, S. 402. • Vgl. dazu Kap. X. I

Z

17 Kronenbitter

258

XII. Zwischen den Staaten

nach Absprache mit den zuständigen Ministern geschrieben wurden. 5 Was Gentz zugunsten seiner englischen Geldgeber veröffentlichte, war noch in weit geringerem Maße Resultat von Regierungsweisungen, sondern eine frei gewählte Gegenleistung für die gewährte Unterstützung.6 Die Kommunikationssitution, in der Gentz von 1799 an publizierte, unterschied sich von der vorhergehenden Phase seines schriftstellerischen Wirkens also dadurch, daß direkte Zusammenarbeit mit der Regierungspolitik die Textherstellung massiv beeinflußte, ohne daß jedoch - anders als seit 1809 - der Schriftsteller Gentz Teil des Staatsapparates war. Von 1799 an schrieb er als hoch subventionierter freier Mitarbeiter preußischer, österreichischer und vor allem britischer Pressepolitik. Das bewegende Thema dieses Jahrzehnts ist für Gentz, im Unterschied zur Zeit davor, die außenpolitische Lage in Europa, die Veränderung des Staatensystems unter dem Druck der Expansion Frankreichs. Im "Historischen Journal" finden sich noch die bis dahin dominierenden Interessengebiete, also Staatsrechtslehre, Verfassungskritik und Analyse der Französischen Revolution, aber eben auch ein zunehmendes Interesse an der Entwicklung der auswärtigen Beziehungen. Die dann folgenden Veröffentlichungen greifen innenpolitische Aspekte nur mehr hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die Mächtekonstellation in Europa auf. Theoretisch um den Gleichgewichtsbegriff kreisend, sind sie praktisch als Ermutigung zur Eindämmung der Macht Napoleons konzipiert. Rein quantitativ betrachtet, ist die Zeit von 1799 bis 1806, vor allem 1799 bis 1801, die Blütezeit von Gentz' schriftstellerischer Produktivität; er veröffentlichte in diesen sieben Jahren mehr als viereinhalbtausend Textseiten, rund das Doppelte dessen, was er im gleichen Zeitraum seit 1791 publiziert hatte. Aber auch den Textformen nach leistet Gentz, von bürokratischen Pflichten frei, in diesen Jahren besonders viel, handelt es sich doch nun,

> Der Vorschlag zu einem antirevolutionären Journal nach Muster des "Mercure Britannique" Mallet du Pans kam von Gentz, der dann den Auftrag erhielt, den Plan zu realisieren: es sei dessen "Mercure Brillannique, qui lui [=dem Historischen Journal] a donne la vie. Frappe par la force de vos [=Mallet du Pans] raisonnements et I'eclat de vos tableaux, le gouvernement prussien (du moins cette partie du gouvernement qui n'a pas entierement renonce au sentiment de son ancienne grandeur) accueillit avec bienveillance I'idee qu'on lui presenta d'un journal allemand, dont le but declare serait de faire la guerre aux erreurs innombrables qui circulent dans le public relativement aux evenements de la revolution et a I' etat actuel de la France, et de servir de contrepoids a la majorite immense des gazettes et journaux politiques de I' Allemagne presque taus infectes plus ou moins du poison revolutionnaire. J'ai pris I'engagement d'ecrire ce journal." (GenlZ an Mallet du Pan am 15.1.1799, in Briefe I, S. 327). - Vgl. zur Rolle Cobenzls bei der Entstehung von Gentz, Fragmente Kap. XII.2. • Dazu Kap. XII.3.

I. Neutralität und Einmischung

259

anders als fruher, kaum mehr um Übersetzungen und Kommentierungen, sondern fast durchgängig um selbständig geschaffene Texte. Beginnend mit dem "Historischen Journal", eigentlich ja einer Aufsatzsammlung von Gentz, nähert er sich der großen Form, der umfangreichen, unabhängig gestalteten, selbständigen Schrift, ohne wirklich dazu durchzudringen. Daß die letzte Publikation in dieser Reihe, eine als umfassende Darstellung des Gleichgewichtssytems in Europa gedachte Schrift, wie schon der Titel verrät, "Fragment" geblieben ist, ist für diese Tendenz symptomatisch, auch wenn die Grunde für die Unabgeschlossenheit dieser Werke unterschiedlicher Natur waren. 7 Daneben darf allerdings nicht übersehen werden, daß Gentz auch nach wie vor kurze Texte, Rezensionen und Taschenbuchbeiträge, produzierte. 8 Das "Historische Journal" nimmt mit rund 2700 Seiten schon dem Umfang nach eine zentrale Stellung unter Gentz' Schriften ein. Hier verdichten sich seine Beiträge zum Reinen Staatsrecht, hier bündelt er seine Analyse der Geschichte der Französischen Revolution, öffnen sich die Felder der Finanzund der auswärtigen Politik als neue Themenbereiche. 9 Mit dem "Historischen Journal" bahnte sich Gentz zudem auch den Weg zu neuen Ressourcen an Einfluß und Geld. Sein Aufsatz über die Ermordung der französischen Gesandten bei Rastatt, in dem er nachzuweisen versuchte, daß die österreichische Regierung - entgegen den Tatsachen, die er erst viele Jahre später erfahren

7 Vgl. zu den Motiven für die ausgebliebene Fertigstellung von Gentz, Fragmente Kap. XII.2. Was die Kompleuierung von Friedrich Gentz, Ueber den Ursprung und Charakter des Krieges gegen die Französische Revoluzion, Berlin 1801 verhinderte, geht hieraus (ebd., S. 2) nicht hervor. - Gentz, Politischer Zustand blieb ebenfalls unvollendet (ebd., S. 386), wohl wegen der Schwierigkeiten mit der Zensur (vgl. dazu Kap. IX.I.), vielleicht aber auch wegen des Versetzens des Manuskripts (fagebücher I, S. 5). An den Übersetzer der nur in zwei der ursprünglich vorgesehenen (mindestens) drei Hefte erschienen Schrift ins Englische, John Charles Herries, schrieb Gentz am lO.11. 1802: "You know that a third part was to have been published, but 1 was prevented from fulfilling my intention in this respect partly by the changes which occurred in the state of affairs and partly by circumstances of a private nature, but most of all by the troubles in which 1 was involved by the reception my two first publications experienced from apart of the prussian ministry." (Briefe I, S. 336). • Die Rezensionen für die J ALZ verzeichnet F. C. Wittichen, Zur Gentz-Bibliographie, S. 684. Auf die bei den Taschenbuchbeiträge, zwei von den Marktverhältnissen veranlaßten Publikationen (vgl. dazu Kap. VI.), gehe ich dementsprechend hier nicht ein, sondc:rn in Kap. XIII. 9 Dazu Gentz rückblickend Ende 1799: "Meine Hauptzwecke sollen fortdauernd seyn: historische lind raisonnirende Beiträge Zllr dereinstigen Bearbeitung der Geschichte der letzt veiflossenen zehn Jahre zu liefern, und große Gegenstände der allgemeinen Politik, und der politischen Oekonomie, in ausführlichen Abhandlungen zu erläutern. [ ... ] Dabei sollen aber auch fernerhin die nellSten Begebenhellten, sobald sie sich nur zu einer zusammenhängenden Darstellung eignen, von dieser Zeitschrift nicht ausgeschlossenseyn." (Gentz, An das Publikum. Ueber die Fortsetzung des Historischen Journals, in: HistJ 1/3, unpaginiert).

17"

260

XII. Zwischen den Staaten

haben wolite lO - mit dem aufsehenerregenden Verbrechen nichts zu tun haben könne, stieß zwar auf heftigen Widerspruch in der Öffentlichkeit, verschaffte Gentz aber die Dankbarkeit Österreichs und damit das Entree für seinen späteren Wechsel nach Wien. 11 Seine Untersuchungen zu den britischen Staatsfinanzen und seine Parteinahme für die Interessen der Londoner Regierung begründeten das Ansehen, das er in England genoß, und boten den Anlaß für langjährige finanzielle Hilfe. 12 Die Weichenstellung, die Gentz mit dem "Historischen Journal" vollzog, hatte aber auch unmittelbar mit preußischer Politik zu tun, mit der Frage danach, ob der seit dem Frieden von Basel eingeschlagene Weg der Neutralität gegenüber Frankreich, das gerade erst im Frieden von Campo Formio, mit der Gründung der Helvetischen Republik und durch die Expedition nach Ägypten sein Machtpotential demonstriert hatte, verlassen werden sollte. Die Ablehnung der Grundsätze der Französischen Revolution war innerhalb der politischen Führung Preußens unumstritten und damit ein nicht sehr riskantes Thema für eine staatlich geförderte Zeitschrift; eine konkrete Stellungnahme zu aktuellen außenpolitischen Fragen konnte stattdessen eine erhebliche polarisierende Wirkung entfalten. 13 Der Versuch, Preußen an die Zweite Koalition heranzuführen, mißlang, aber seither hörte Gentz nicht mehr auf, in die Meinungsbildung der Diplomaten wie der interessierten Öffentlichkeit über den einzuschlagenden außenpolitischen Kurs einzugreifen. 14 Anders als bei der Beschäftigung mit dem Reinen

Vgl. dazu Prokesch, Tagebücher, S. 34f. Friedrich Gentz, Ueber die Ennordung der Französischen Congreß = Gesandten, in: HistJ 112, S. 211-232. - Eine interessante, auf einen scharfen Quellenbegriff abgestellte Kritik dieses Aufsatzes von einem Anonymus, Ueber den Sinn für historische Wahrheit und über einen Aufsatz in dem historischen Journal des Herrn Kriegsrath Gentz die Ennordung der Französischen Gesandten betreffend, Gotha 1799, wo Gentz vorgeworfen wird, zu sehr zu willkürlichen Hypothesen und Vorurteilen zu neigen (ebd., S. 26,30), während doch der korrekte Geschichtsschreiber "Priester der Wahrheit" (ebd., S. 23) zu sein habe. - Erfolgreich warb Gentz mit diesem Aufsatz bei der österreichischenRegierung um Anerkennung. Dazu Gentz an Thugut am 4.3.1799, in Clemens von K1inkowström (Hrsg.), Aus der alten Registratur der Staatskanzlei. Briefe politischen Inhalts von und an Friedrich von Gentz aus den Jahren 1799-1827, Wien 1870, S. 1f. Vgl. auch Tschirch I, S.402-405. 12 Zur Rolle des "Historischen Journals" für die Kontakte mit Österreich und England Sweet, Friedrich von Gentz, S. 44-51. 13 Dazu Gentz an Mallet du Pan am 25.5.1799, in Briefe, S. 331: "Vous vous trouvez in ecclesia triumphante, moi in ecclesia militante. Un an plutöt mon journal n'aurait pas meme ose paraitre a Berlin [ ... ]." 14 Gentz' "Historisches Journal" als erfolgloses Bemühen von Haugwitz u.a., Preußen aus der Neutralität zu führen, bei Tschirch I, S. 426,431 f. und Sweet, Friedrich von Gentz, S. 42f., 49ff. \0

11

I. Neutralität und Einmischung

261

Staatsrecht oder den Entwicklungslinien und der Gefahrlichkeit der Französischen Revolution, galt es auf diesem Gebiet, den Lesern aktuelle Entscheidungssituationen zu vermitteln. Gentz' konkrete Wirkungsabsicht taucht in verschlüsselter Form schon in der Ankündigung des "Historischen Journals" im Dezember 1798 auf: "Das, was gewisse Schriftsteller Unpaneilichkeit und Neutralität nennen - ein unwürdiges, schnödes Capituliren mit den heiligsten Grundsätzen des Rechts, der bürgerlichen Ordnung und der Menschlichkeit, ein unverständliches, oft nur characterloses, oft geflissentlich verworrenes Hin= und Herschwanken zwischen entgegengesetzten Systemen, und alle andere I!] Manieren oder Künste dieser Art würde man hier vergebens suchen. Der Herausgeber wird sich allenthalben mit Deutlichkeit, mit Bestimmtheit und mit Festigkeit erklären, es sei denn da, wo Unschlüssigkeit noch erlaubt, oder der Zweifel Pflicht ist. Er ist überzeugt, daß nur durch ein solches Verfahren dem nachtheiligen Einfluß derer, die aus Interesse, aus Schwärmerei, aus Unwissenheit, oder durch gewisse hohle und mystische Philosopheme geblendet, alle Wahrheiten wankend gemacht, alle Gesichtspuncte verrückt, und eine grenzenlose Verwirrung, sowohl in die Wissenschaft, als in die Zeitgeschichte gebracht haben, entgegen gewirkt werden kann. ""

Was hier auf den ersten Blick wie eine rein der schriftstellerischen Darstellung gewidmete Ziel vorgabe erscheinen könnte, hatte in der Kommunikationssituation der Jahreswende 1798/1799 eine zusätzliche, konkret politische Dimension. Im Begriff "Neutralität" fielen zu diesem Zeitpunkt literaturinterne Diskursregeln und außenpolitische Maxime zusammen, und Gentz war offenkundig von Anfang an entschlossen, den Neutralitätskurs Preußens nicht zum Hemmschuh seiner publizistischen Bewegungsfreiheit werden zu lassen. Die praktische Zielrichtung des "Historischen Journals" in dieser Frage demonstrierte er dem Publikum schon bald. In einem Aufsatz über das Vorgehen Frankreichs in Italien im Gefolge des Friedens von Campo Formio zeichnete er, unter Heranziehung aggressiv formulierter Artikel aus französischen Zeitungen, ein stark polemisch gefarbtes Bild vom Nieder- bzw. Untergang der Selbständigkeit der Königreiche Neapel und Sardinien. Dabei betonte er die Skrupellosigkeit, mit der Frankreich die Rechte auch neutraler Staaten verletzt habe. 16 August Hennings, der Herausgeber der in Altona erscheinenden, gemäßigt liberalen Zeitschrift "Genius der Zeit" und keineswegs ein glühender Verehrer des republikanischen Frankreich,17 hatte das "Historische Journal" schon nach

" Abgedruckt in Steinmann, S. 443f. t6 Friedrich Gentz, Italien und Frankreich, in: HistJ 111, S. 131-165. t7 Dazu HockslSchmidt, S. 62ff.

262

XII. Zwischen den Staaten

dem ersten Heft einer bissigen Beurteilung unterziehen lassen. 18 Gentz protestierte brieflich gegen dieses Vorgehen,19 versuchte jedoch zu verhindern, daß Hennings diese Auseinandersetzung um seine Zeitschrift in der Öffentlichkeit austrage. 20 Hennings' offen geäußerte Absicht, durch Kritik dem "Historischen Journal" das Publikum zu entziehen und zum Schweigen zu bringen, die Gentz bezeichnenderweise mit der Unterdrückung der Meinungsfreiheit durch staatliche Machtmittel gleichsetzt, beunruhigte ihn weniger, als die Ankündigung, eine Gentz bereits vorab zugeschickte Polemik im "Genius der Zeit" zu publizieren. Der entscheidende Vorwurf, den Gentz so fürchtet, daß er Hennings dringend ersucht, von der Veröffentlichung abzusehen, ist der, "den Krieg zu predigen. "21 Inständig beteuert er seine Friedensliebe und energisch verwahrt er sich gegen Hennings' Interpretation, daß Gentz mit seiner Attacke auf die schriftstellerische indirekt auch die politische Neutralität gemeint habe. 22 Wie aufrichtig diese Selbstdeutung auch sein mag, objektiv fielen in einer Zeit verschärfter außenpolitischer Spannungen scharfe Angriffe auf die Expansion Frankreichs mit der Aushöhlung der Neutralität Preußens zusammen, weshalb Gentz auch so besorgt darum war, seine Distanz zum Neutralitätskurs der Regierung nicht explizieren zu müssen. 23

Vgl. Anzeige des "Historischen Journals· im "Genius der Zeit" vom Februar 1799, S. 205f. Gentz an Hennings am 16.2.1799, in Briefe I, S. 317ff.: "einen solchen Aufsatz wie das Produkt des ersten besten unbedeutenden Tagesskribenten mit drei Zeilen zu Boden schlagen zu wollen, scheint mir in solchem Grade illiberal und der Achtung, welche die Schriftsteller besserer Art, zu welcher Partei sie auch gehören mögen, einander schuldig sind, so wenig angemessen, daß ich Ihnen wenigstens mein Erstaunen dariiber nicht verbergen konnte." (ebd., S. 319). Dazu Hennings an Gentz am 23.2.1799, in Briefe I, S. 362: "Was mich bewogen hat, gegen ihr historisches Journal eine mehr beseitigende als priifende Anzeige vorläufig und demnächst in das Aprilstück des Genius der Zeit eine fönnlichere Priifung einzuriicken, ist, weil ich nach meiner Überzeugung keine schädlichere, dem Wohl der Menschheit entgegnere, dem wahren Interesse der Regierung gefährlichere, der richtigen und wenigstens bisher von Ihrem Hofe beobachteten Politik widersprechendere und mehr auf Anarchie und Auflösung aller Staatsverfassungen hinarbeitende Tendenz kenne als die Ihres Journals."- Zur Polemik zwischen Gentz und Hennings, erstaunlicherweise ohne Beriicksichtigung der einschlägigen Briefe, Tschirch I, S. 433f. und Sweet, Friedrich von Gentz, S. 43. 20 Dazu Gentz an Hennings am 9.3.1799, in Briefe I, S. 320-326. 21 Ebd., S. 323. 22 "Wer in Gottes weiter Welt kann denn hier ein Urteil über politische Neutralität finden? Ich rede ja von Schriftstellern, von gewissen Schriftstellern, von einer schriftstellerischen Neutralität und von einer gewissen Art derselben. Und das soll, wie Sie mit vieler Undelikatesse ausdriicken, im Lande selbst Mißtrauen gegen die Regierung bewirken? Was hat die Regierung mit der falschen Neutralität einiger Schriftsteller zu tun, von deren Existenz sie kaum unterrichtet ist? Ist es erlaubt, so zu interpretieren und so zu richten?" (ebd., S. 322). " Ebd., S. 325. 18 19

I. Neutralität und Einmischung

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Vom Italien-Aufsatz im "Historischen Journal" provoziert, ging Hennings trotzdem an die Öffentlichkeit, warf Gentz vor, gezielt Parteisucht zu erregen wie einst die schlimmsten Jakobiner24 und sich damit selbst außerhalb der Gemeinschaft der Vernünftigen und Gebildeten gestellt zu haben. 25 Er sei beunruhigt, "daß der Kriegsrath Genz in einem neutralen Staate, den Norder Deutschland als seinen Schutzgeist gegen weiter um sich greifende Revolutions= Uebel ansieht [ ... ], ohne diplomatische Gründe, ohne diplomatischen Geist, mit dem leeren Aufwallen eines erkünstelten Enthusiasmus und Declamationen in einer Sache auftritt, die an sich die ruhigste und besonnenste Ueberlegung erfordert, die aber insbesonders ihn, als den Unterthanen eines neutralen Staats, völlig Parthei los lassen müßte. "26 Im damit ausgebrochenen polemischen Schlagabtausch, an dem außer Gentz und Hennings auch Rochs "Allgemeiner Litterarischer Anzeiger"27 teilnahm, kam, neben den persönlichen Antipathien und dem politischen Hintergrund, auch - ansatzweise - eine Diskussion über schriftstellerische Ethik ans Licht der Öffentlichkeit. 28 Gentz entwickelt dabei seine Vorstellungen von den Pflichten

2. A.[ugustl H.[enningsl, Etwas über den politischen und diplomatischen Ton, in: Der Genius der Zeit Mai 1799, S. 118-132, hier S. I 23ff. 2> "So wie nun der Geschichtsforscher und Staatskundige nur diesen Gang der Prüfung und Belehrung achtet und liebet, und alles unpragmatische und unhistorische Partheiwesen als unbelehrend und unbefugbar von sich legt, so sieht dagegen der Staaten und Menschenfreund mit Bedauern, daß zu einer Zeit, wo die Leidenschaften so viel Unheil gestiftet haben, es noch in ruhigen Staaten Männer giebt, die im Aufregen derselben Fortgang suchen, und das große Glück der ruhigen Regierungspflege, die jeder Unterthan dankend und anbetend verehrt, in ein zügelloses Toben verwandeln mögen." (ebd., S. 125). 26 Ebd., S. 119f. 27 Einige Bemerkungen über den könig\. Preuss. Kriegsrath Friedr. Genz und sein Historisches Journal und Neue Antwort auf eine von dem Frager selbst schon beantwortete Frage, beide in: Allgemeiner litterarischer Anzeiger [ ... 1 August 1799, Sp. 1321ff. und Sp. 1323-1326 mit harten, zugleich groben Angriffen auf Gentz, z. B.: "Erstlieh will er [= Gentzl dem Teutschen Publikum beweisen, dass es mit sehenden Augen nicht sieht, und zweitens, dass Bombast Gründe, hohle Deklamationen Thatsachen, und leere Phrasen gesunder MenschenVerstand, und drittens, dass Partei Hass RechtsGrundSätze seien." (ebd., S. 1322). 2. Ebd., S. 1324ff.; Friedrich Gentz, In wie fern kann man Unparteilichkeit und Neutralität von einem politischen Schriftsteller verlangen?, in: HistJ 112, S. 323-341; das., Noch ein Wort über das Werk des Hrn. Herbert Marsh, und einige Angriffe gegen das historische Journal, in: HistJ 1/3, S. 272-276; A.[ugustl H.[enningsl, Ueber Mäßigung, in: Der Genius der Zeit September 1799, S. 118-140 [richtig: 1411; ders., An den Herrn Kriegsrath Genz. In Anleitung seiner Erklärung gegen mich im October=Stücke des Historischen Journals, in: Der Genius der Zeit November 1799, S. 393f. - Hennings, An den Herrn Kriegsrath Genz, S. 394 enthält die Drohung mit staatlicher Repression: "Ob aber die öffentliche Verletzung der Sittlichkeit und des Anstandes, deren Beobachtung jedermann, insonderheit aber der gebildeten Classe, und den Staatsbeamten obliegt, eine Züchtigung oder Weisung verdiene, stelle ich mit der pflichtmäßigsten Ehrerbietung einem erhabenen, und die Wichtigkeit des öffentlichen Charakters in den edelsten Verfügungen

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XII. Zwischen den Staaten

des "Journalisten", im heutigen Sprachgebrauch: des Publizisten, der, hinsichtlich der von ihm geforderten Urteilskraft, zwischen dem "Geschichtsschreiber" und dem "Zeitungsschreiber" stehe. 29 Die für Gentz seit 1793 und auch nach der Einstellung der Zeitschrift typische Form politischer Schriften, die Verbindung von politiktheoretischer Systematik und historischer Erzählung bei der Untersuchung zeitgeschichtlicher Themen, also das, was mit dem Begriff "historisch-politisch" bezeichnet werden kann und eben das "Historische" des "Journals" ausmacht, verlange Faktentreue, aber auch den Mut zum vernünftigen Urteil. Unparteilichkeit, das Ausschließen von Gunst oder Ungunst von der publizistischen Aufarbeitung, trennt Gentz streng von der Neutralität, die den Verzicht auf die Äußerung der Bewertung erfordere. 30 Die Unparteilichkeit sei fraglos von jedem Schriftsteller zu verlangen, aber sobald "Menschen und menschliche Handlungen der Gegenstand sind"3), sei es schwer, vorurteilsfrei zu bleiben. 32 Neutralität möge zwar von Fall zu Fall die Klugheit, nie jedoch die Pflicht dem Schriftsteller gebieten; die Neutralität des Staates könne im Normalfall die Meinungsäußerung der Untertanen, auch der Staatsbeamten, nicht präjudizieren. 33 Im Bild des Richters, der sein Urteil möglichst fern jeder Parteilichkeit fällt, demonstriert Gentz den Anspruch des Schriftstellers, das politische Geschehen nicht nur darzustellen, sondern - urteilend - weiter zu formen. 34 Auch wenn dieser Prozeß der Vergangenheit gilt, so hat doch der Richtspruch auch Auswirkungen auf die Gültigkeit aktueller politischer Positionen. In Verteidigung seiner Aufsätze im "Historischen Journal", gegen die Einforderung von formaler und inhaltlicher Neutralität, gegen den Vorwurf der gewalttätigen Verbiegung der Fakten zugunsten parteilicher Vorurteile, erläutert Gentz die Prinzipien seiner Arbeit als Schriftsteller. Was er hier an Selbständigkeit der Beurteilung politischer Konstellationen von den Direktiven der Regierung reklamiert, prägte in den kommenden Jahren seine Texte ebenso wie das Beharren auf der Kraft seiner kritischen Vernunft, die aus den zeitgeschichtlichen Erfahrungen Maßstäbe politischer Entscheidungen gewinnen sollte.

anerkennendem Könige, und der unter seiner Leitung auch ohne meinen Antrag auf alles, was der rechtlichen und bürgerlichen Ordnung gemäß ist, wachsamen Polizei anheim .• 29 Gentz, In wie fern, HistJ 1/2, S. 334 (Anm.). 30 Ebd., S. 325. " Ebd., S. 33 J. 12 Ebd., S. 335. 33 Ebd., S. 328f. .. Ebd., S. 332f.

I. Neutralität und Einmischung

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Gentz' Methode wird, von den biographischen und politischen Umständen begünstigt, ein Weg zur Praxis konkreter Weichenstellung, der, auch wenn er nicht zum politischen Ziel führt, schriftstellerische Neutralität in den Händeln der Mächte geradezu ausschließt. Es ist auffallend, daß Gentz, bevor er sich den außenpolitischen Streitfragen zuwandte, jeden Berührungspunkt mit aktuellen und konkreten Problemen preußischer Politik vermied. Nur im Falle des "Sendschreibens" an den neuen König 1797 und in einem seiner Aufsätze für die "Neue Deutsche Monatsschrift" befaßte er sich mit handgreiflichen Entscheidungslagen seiner Regierung, wobei er sich jeder Kritik an den Mächtigen sorgfältig enthielt. 35 Für einen Beamten mit Karriereplänen ist dies nicht verwunderlich, wenn es auch bemerkenswert bleibt, daß Gentz, der aus der administrativen Praxis genügend Kenntnisse besaß, der inneren Reform, einem Lieblingsthema der Zeit, nicht mehr Raum in seinen Publikationen gegeben hat. 36 1794, Preußen war noch im Krieg gegen Frankreich, übersetzte Gentz eine Schrift Mallet du Pans, in der zu einer energischeren Führung dieses Kampfes aufgerufen wurde. Obwohl er sich mit Mallet du Pan in der Einschätzung der besonderen Gefährlichkeit der revolutionären Macht einig ist,37 legt er doch größten Wert darauf, in der gerade aktuellen Situation eines auf Frieden hinsteuernden Schwebezustands nicht als Kriegstreiber anzuecken. 38 Noch bescheidet sich Gentz in rhetorischer Demut init der Rolle eines "unbedeutenden Beobachter[ s]"39 und drei Jahre später, als er in seinem "Sendschreiben" an den neuen König jede falsche Bescheidenheit weit hinter sich läßt, spricht er nur die herrschende Meinung und zugleich die Meinung der Herrschenden aus, wenn er militärische Stärke, Friedfertigkeit und und Selbstvertrauen zu

" Gentz, Sendschreiben; ders., Ueber die Land = Armen = Anstalten in der Churmark, in: Neue Deutsche Monatsschrift September 1795, S. 65-74, ergänzt durch ders., Noch ein Wort über die Land = Armen = Anstalten in der Churmark, in: Neue Deutsche Monatsschrift Dezember 1795, S. 367ff. - War das "Sendschreiben" eine vorauseilende Lobeshymne auf den neuen Monarchen, so dient der Aufsatz über die Armenanstalten dem Ruhm ihres politischen Vaters, des Ministers und zeitweiligen Vorgesetzten von Gentz, Voß. 36 Innerhalb der preußischen Bürokratie war Gentz mit Reformvorhaben befaßt (vgl. dazu Kap. 11.2.), aber er konnte oder wollte daraus keine Publikationen entstehen lassen. Vgl. dazu Gentz an Böttiger am 30.12.1797, in Briefe I, S. 238f. " Friedrich Gentz (Ü .IBearbeiter), Mallet du Pan über die französische Revolution und die Ursachen ihrer Dauer. Uebersetzt mit einer Vorrede und Anmerkungen, Berlin 1794 [im folgenden: Mallet du Pan Französische Revolution], z.B. S. 114-121 (Anm. d. Ü.) über die finanziellen Ressourcen der Revolution . .. Ebd., S. XXXllff. (Vorrede). Die' hier von Gentz ausgebreitete Alternative ist die zwischen einer verstärkten Kriegsanstrengung und dem Versuch, die Revolution sich selbst zu überlassen und "Frankreich durch ein einheimisches Fegefeuer [zu] reinigen" (ebd., S. XXXIII). 39 Ebd., S. 187 (Anm. d. Ü.).

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XII. Zwischen den Staaten

außenpolitischen Maximen erhebt. 40 Mit dem kompromißlosen Kurs des "Historischen Journals" gibt Gentz diese Rücksicht auf. Das Abschütteln der - vermutlich inneren - Schranken, die ihn von der öffentlichen Einmischung in grundlegende Probleme aktueller Politik abgehalten hatten, die Geringachtung jeder Neutralität, das sind die Kennzeichen seiner Wirkungsabsicht als Schriftsteller ab 1799.

2. Fragmentarischer Nationalismus 1813, während der später als Befreiungskriege erinnerten Kämpfe gegen die französische Kontrolle Mitteleuropas, erschienen unter Gentz' Namen Flugschriften, in denen die deutschen Fürsten und die gesamte deutsche Nation dazu aufgerufen wurden, gegen Napoleon die Waffen zu erheben. 41 Gentz hatte an diesen Pamphleten, die ganz unzweideutig der russischen Kriegspropaganda dienten, mit Sicherheit in keiner Weise aktiv mitgewirkt, denn die Schriften waren in Tonart und Inhalt mit der am Ballhausplatz vertretenen Position unvereinbar. 42 Im Frühjahr 1813 publiziert,43 bevor Österreich, von taktischem Kalkül geleitet, seinen langsamen Seitenwechsel vollzog, wurden beispielsweise in einer dieser Publikationen alle Deutschen zum "Volkskrieg"44 gegen die Franzosen angestachelt. "Wenn also Haß gegen die Franzosen, Krieg gegen die Franzosen, Wiederherstellung deutscher Freiheit und Herrlichkeit die große Loosung aller redlichen und biedern Deutschen ist"45, dann müsse die ganze Nation an diesem "heilige[n] Krieg"46 teilhaben. Was hier als Text von Gentz ausgegeben wird, das ist in Wahrheit nichts anderes als eine der zahlreichen Auflagen von Ernst Moritz Arndts Broschüre über Landwehr und Landsturm, ergänzt um den von Kotzebue verfaßten

Gentz, Sendschreiben, S. 8-13. An die deutschen Fürsten. An die deutsche Nation. Aus dem russischen Lager. Von Kriegsrath v. GenlZ, 0.0. 0.1. [im folgenden: An die deutschen Fürsten 11; An die Deutschen Fürsten. Und an die Deutschen vom Kriegs=Rath GenlZ, 0.0. 0.1. [im folgenden: An die deutschen Fürsten 11). '2 Die Unterstützung der russischen Politik ist sehr deutlich in den Aufrufen" An die deutschen Fürsten", die in beiden Flugschriften beinahe textgleich sind (An die deutschen Fürsten I, S. 2-7 und 11, S. 3-12). Sie gehören in das publizistische Arsenal russischer Propaganda der Jahre 1812/1813. Zur russischen Deutschlandpolitik (einschließlich Propaganda) während des Krieges U/rike Eich, Rußland und Europa. Studien zur russischen Deutschlandpolitik in der Zeit des Wiener Kongresses, Köln u.a. 1986, S. 100-206. 43 Friihjahr 1813 als Entstehungszeitpunkt nach An die deutschen Fürsten I, S. 7 . .. Ebd., S. 11. 45 Ebd., S. 12 . .. Ebd., S. 13. 40 41

2. Fragmentarischer Nationalismus

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Aufruf" An die Deutschen Fürsten". 47 Arndt arbeitete, genau wie Kotzebue, 1812/1813 für die maßgeblich durch vom Stein beeintlußte deutschsprachige Kriegspropaganda Rußlands. 48 Die Schrift über Landwehr und Landsturm mit ihren unverblümt nationalistischen Tendenzen war, neben dem "Katechismus für den teutschen Kriegs- und Wehrmann" aus demselben Jahr, Arndts größter Publikumserfolg. 49 Die gewalttätige Sprache und der Appell an das Volk boten den Wiener Zensurbehörden genug Anlaß, um unter Berücksichtigung außenpolitischer Interessen Österreichs Arndts Flugschrift zu verbieten. 50 Das mit der Angabe von Gentz als Verfasser inszenierte Versteckspiel erscheint entweder als reichlich grobschlächtiger Trick zur Umgehung von Distributionsrestriktionen oder - und das ist m.E. wahrscheinlicher - als subtile Revanche des ungenannten Verlegers. 5 \ Gentz mochte 1813 einen völlig anderen außenpolitischen Standort als Arndt oder Kotzebue bezogen haben, rein willkürlich war der Mißbrauch von Gentz' Namen trotzdem nicht. In einem Falle wurde bezeichnenderweise auch ein Text mitabgedruckt, der tatsächlich aus seiner Feder stammte: eine Passage aus der Vorrede zu den "Fragmenten aus der neusten Geschichte des politischen

47 Der Aufruf Kotzebues "An die deutschen Fürsten!" anonym in An die deutschen Fürsten I, S. 2-7 und 11, S. 3-12; Amdts "Was bedeutet Landsturm und Landwehr?" anonym in An die deutschen Fürsten I, S. 7-16. Zum Vgl.: Was bedeutet Landsturm und Landwehr? Von E.M. Amdt. Nebst einer Aufforderung an teutsche Jünglinge und Männer zum Kampfe gegen Teutschlands Freiheit. Von lustus Grnner, 0.0. 0.1., S. 3-22. Die Schrift über Landsturm und Landwehr erschien allein 1813 in einer ganzen Reihe von Ausgaben, die z.T. - wie in dem hier vorliegenden Fall - mit anderen Texten zusammen veröffentlicht wurden. In der umfassenden Arndt-Bibliographie sind ganz ähnliche Ausgaben aufgeführt, aber die von mir herangezogene aus den Beständen der Universitätsbibliothek Augsburg fehlt. Dazu die Nummern 258-271 in Kart Heinz Schäfer/losef Schawe: Ernst Moritz Arndt. Ein Bibliographisches Handbuch. 1769-1969, Bonn 1971, S. 123127. Besonders ähnlich aufgebaut die Ausgaben Nr. 265 und 266 (ebd., S. 125). Kircheisen, S. 119 und F. C. Wittichen, Zur Gentz-Bibliographie, S. 686 enthalten die beiden Gentz untergeschobenen Titel, ohne jedoch die Verfasserschaft Arndts zu erkennen. Kotzebue als Verfasser des Aufrufs "An die deutschen Fürsten" nach Nr. 265 in SchäferiSchawe, S. 125. Vgl. dazu auch Eich, S. 130f. 4. Zu Arndts Zusammenarbeit mit Stein 1812-1814 Kart Heinz Schäfer, Ernst Moritz Arndt als politischer Publizist. Studien zur Publizistik, Pressepolitik und kollektivem Bewußtsein im frühen 19. Jahrhundert, Bonn 1974, S. 150-161. 49 Ebd., S. 178,257. '" Verkaufsverbot (Verbotsklasse: erga schedam) Mai 1813, also in diplomatisch besonders heikler Situation Österreichs (ebd., S. 267). Vgl. zu Arndts Problemen mit der österreichischen Zensur allg.: ebd., S. I 69ff. 51 Kircheisen lag eine andere Ausgabe von "An die deutschen Fürsten" 11 vor, die 1814 in Leipzig bei W. Rein erschienen war (Kircheisen, S. 119; F. C. Wiuichen, Zur Gentz-Bibliographie, S. 686). Ob Rein auch der Verleger der ohne Angabe von Ort, Jahr und Verleger publizierten, vermutlich 1813 veröffentlichten Ausgabe der Broschüre "An die deutschen Fürsten" 11 war, ließ sich nicht klären.

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XII. Zwischen den Staaten

Gleichgewichts in Europa" , die - aus dem Kontext gerissen - der Instrumentalisierung im Sinne eines frisch entflammten deutschen Nationalismus genügend Ansatzpunkte bot. 52 Die boshafte Maskerade bekommt ihren textpragmatischen Biß gerade durch die Ineinanderfügung von apokryphen und authentischen Passagen. Die Verschränkung der Texte und die Vorspiegelung der Verfasserschaft TÜcken Gentz in die unmittelbare Nachbarschaft des von Amdt so wirksam propagierten deutschen Nationalismus. Obwohl er die Rhetorik Amdts, die auf die Emotionalisierung breiter Leserschichten zielte und tatsächlich ein für die Verhältnisse der Zeit äußerst zahlreiches Publikum erreichte, klar ablehnte, paßt der von Gentz stammende Text in seinem bewegenden nationalen Pathos in das unter seinem Namen zusammengeheftete EnsembleY Über den unautorisierten Nachdruck, also eines der zeittypischen Grundprobleme des Autorenschutzes auf dem Buchmarkt, und die von der Zensur erzwungenen Strategien der Irreführung hinaus, wird hier die Unverfügbarkeit des Veröffentlichten für den Verfasser demonstriert, die jede Publikation in neue, unvorhersehbare Kommunikationssitutionen führen kann. 54 Den Anknüpfungspunkt für diese Einbeziehung in den während der Befreiungskriege, wenigstens kurzfristig, sehr lebhaften nationalistischen Diskurs lieferte Gentz allerdings selbst. In der Vorrede zu den "Fragmenten" hatte er sich diesem deutschen Nationalismus stärker angenähert als in jeder anderen seiner Publikationen, auch wenn er wenige Jahre später, wie ich bereits erwähnt habe, nationalen Gefühlen in der Politik kein Verständnis mehr entgegenbrachte. Nicht zufällig gehört dieser Text zu denjenigen, mit denen Gentz vor den Augen seiner national-liberalen Kritiker Gnade gefunden hat. 55 Wie läßt sich

An die deutschen Fürsten 11, S. 13-22. Vgl. Gentz, Fragmente, S. XLI-LII. Zu Arndts Publizistik Schäfer, S. 94-130 (seine Breitenwirkung: ebd., S. 229ff.). Ein direkter Vergleich von Arndt und Gentz hinsichtlich ihrer Wirkungsabsichten und ihres intendierten Publikums in: ebd., S. 123.- Zu Gentz' strikter Ablehnung von Arndts nationalistischer Volkstümlichkeit Sweet, Friedrich von Gentz, S. 178f. - Das (ursprünglich zumindest zwiespältige) Urteil von Gentz über Arndts Schriften kippte somit schon 1812 in eine eindeutige Ablehnung um, die 1819 in der Einschätzung Arndts als geistigem Vater des Kotzebue-Mordes gipfelte. Dazu Gentz an Adam Müller am 16.5.1807, in Müller Lebenszeugnisse I, S. 325 und Gentz an Metternich am6.4.1819, in Briefe III/I, S. 382f. >4 Dafiir, daß Gentz die Erfahrung mit der Wendung seiner Texte gegen die aktuellen politischen Intentionen des Verfassers nicht erst bei der Neuauflage seines "Sendschreibens" (vgl. dazu Kap. IX.4.) machen mußte, sondern schon 1813, gibt es, so weit ich sehe, in den Quellen keine Hinweise, denn dort erwähnt Gentz die apokryphen Flugschriften nicht. " So erntete Gentz mit den "Fragmenten" sogar bei Heinrich von Treitschke Lob. Dazu Heinrich von Treitschke, Deutsche Geschichte im Neunzehntenlahrhundert, 5 Bde., Leipzig 1928, hier I, S. 236. - Treitschkes Gesamteinschätzungvon Gentz war dagegen von preußisch-protestantisch-(klein)deutschem Nationalgefiihl bestimmt, das Gentz durch die Wahl seines Lebenswegs und durch sein politisches Wirken, besonders als Metternich-Gehilfe rund um Karlsbad, so tief verletzt >2

>3

2. Fragmentarischer Nationalismus

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das nationale Pathos der Vorrede zu den "Fragmenten" erklären? War Gentz gar, wie Sweet meint, in den Jahren 1805 bis 1809 in erster Linie als Nationalist zu begreifen?56 Die Anfange eines politisch relevanten deutschen Nationalismus in der Napoleonzeit sind allein schon wegen der späteren Überhöhung der Befreiungskriege ein intensiv erforschtes Terrain; auch nur die Grundlinien des dabei ans Licht Gebrachten nachzuzeichnen, ginge weit über die hier gestellte Aufgabe hinaus. 57 Wichtig ist aber, sich zu verdeutlichen, daß Nationalismus, wie jede reflektierte Form politischer Zielsetzung, auf vielschichtige Art und Weise sprachlich vermittelt ist. Die stark affektiven Momente nationalistischer Kommunikation geben ihr dabei eine besonders mobilisierende Dimension. 58 Ein Beispiel für die Regeln solcher Kommunikation bieten die Nationalstereotypen, für deren politische Wirksamkeit aber im Deutschland des beginnenden 19. Jahrhunderts noch eine ausreichend breite Öffentlichkeit fehlt. 59 Eine wichtige Rolle bei der Ausbildung einer primär auf die Nation ausgerichteten Anschauung von Politik spielen ins Mythische überhöhte Erzählungen

hatte: "Wie einst Platon und seine politischen Schüler den ganzen Reichtum attischer Sprache und attischen Geistes aufboten, um die unmenschliche Rauhheit des Spartanerstaates zu preisen, so stellte Gentz das schwere Rüstzeug seiner protestantisch = norddeutschen Bildung in den Dienst einer undeutschen Staatskunst, die alle Freiheit unserer Kultur zu vernichten drohte." (Treitschke 11, S. 455). >6 Sweet, Friedrich von Gentz, S. 117. >7 Vgl. dazu als Überblick Wehler I, S. 506-530 und 657-662 (zur Literatur). - Ich folge Wehlers weiter Bestimmung des Begriffs "Nationalismus": "Hier wird der Begriff möglichst neutral-deskriptiv für eine nationale Ideologie bzw. Bewegung, für die Loyalitätsbindung an eine Nation, ohne ab- oder aufwertende Untertöne, verwandt; das Suffix -ismus braucht nicht notwendig einen negativen Akzent zu besitzen. Nationalismus umfaßt auch deutsche Begriffe wie Nationalbewußtsein und -gefühl." (ebd., S. 658 (Anm.». ,. Das Verhältnis von Nationalbewußtsein und öffentlicher Meinungsbildung beschäftigte gerade auch die Exponenten des frühen deutschen Nationalismus, so z.B. Stein und Arndt. Dazu Ruth Flad, Der Begriff der öffentlichen Meinung bei Stein, Arndt und Humboldt, Berlin u.a. 1929, S. 2\3-241. ,., Ute Gerhard/Jürgen link, Zum Anteil der Kollektivsymbolik an den Nationalstereotypen, in: Jürgen Link/WulfWülfing (Hrsg.), Nationale Mythen und Symbole in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Strukturen und Funktionen von Konzepten nationalerIdentität, Stuttgart 1991, S. 1652, hier S. 31 ff., 41: "Fragen wir nun also umgekehrt nach dem Effekt des interdiskursiven Dispositivs der Nationalsymbolik auf die 'harte' Geschichte, so liegt das wichtigste Resultat seiner Applikation offenbar in der Konstituierung und Stabilisierung 'nationaler Identitäten " man könnte auch sagen von Nationalismus. 'Nationale Identitäten' entstehen dadurch, daß sich die empirischen Individuen eines Sprachgebiets (bzw. eines Sprach- und/oder Staatsgebiets) massenhaft als Subjekte von Nationalsymbolen 'angerufen' fühlen, sich mit ihnen identifIZieren und sie bei alltäglichen Handlungen applizieren." (ebd., S. 32f.).

270

XII. Zwischen den Staaten

nationaler Identitätsfindung. oo Eine eindeutige Begriffsabgrenzung ist nicht einfach, aber die Unterscheidung von konkret-manipulativen oder durchrationalisierten Textstrukturen, von Propaganda oder Ideologie, läßt sich immerhin vornehmen. 6\ Folgt man der Diktion atto W. lohnstons, so liegt der Schaffung des deutschen Nationalmythos im Widerstand gegen Napoleon zwar eine bewußte und teilweise politisch gelenkte unmittelbare Wirkungsabsicht zugrunde, die jedoch über dieses Ziel hinausschoß, als "die Rezipienten durch rhetorische Mittel, durch Losungen, Bilder, Symbole, überregionale Helden und sogar bestimmte rhythmische Einlagen in einen vordeterminierten, auf lange Sicht hin programmierten Bewußtseins- bzw. Gemütszustand gezogen [wurden], statt ihnen, wie die Propagandisten, eine Patentlösung der bevorstehenden Frage zu unterbreiten. "62 Eines "massiven ideologischen Charakter[s), wie später im wilhelminischen Deutschland"63, entbehrte, so lohnston, dieser Nationalmythos noch, habe er doch als eine Art von "progressivem Idealismus" nicht in erster Linie der "Apologie der gegebenen Gesellschaftsstruktur"64 gedient. Die hier durchschimmernde Gleichsetzung von Ideologie und falschem Bewußtsein läßt sich bestreiten, und die von lohnston gewählte Rede von den "Mythosproduzenten"65 unterläuft die Abgrenzung von Mythos und Propaganda teilweise, aber lohnston lenkt den Blick auf das Spannungsverhältnis von politischer Wirkungsabsicht und sprachlicher Gestaltung, das dort am deutlichsten wird, wo hohe künstlerische Kreativität und konkrete politische Intention zusammenstoßen. 66 Eigendynamik wächst dem Schriftstellerischen dabei vor allem durch die Autonomisierung der Literatur ZU;67 Gentz, der politische Schriftsteller, bleibt in seiner Vorrede zu den "Fragmenten" so offensichtlich einem pragmatischen Zweck verpflichtet, daß die politische Absicht im Text selbst vergleichsweise eindeutig bleibt.

60 Zum Begriff des Mythos Wulj Wülfing/Karin Bruns/Rolj Parr, Historische Mythologie der Deutschen. 1789-1918, München 1991, S. 3·14. 6' Dazu z.B. OUo W. JohnslOn, Der deutsche Nationalmythos. Ursprung eines politischen Programms, Stuttgart 1990, S. 23ff. 62 Ebd., S. 23. 63 Ebd., S. 25 . .. Ebd., S. 26. 65 Ebd . .. Unter diesem Gesichtspunkt beschäftigt sich lohnston, S. 77-163 mit K1eist. 67 Zu Nationalismus und deutscher Literatur in der Napoleonzeit der Überblick bei Gerhard Schuh, Die deutsche Literatur zwischen Französischer Revolution und Restauration. Zweiter Teil. Das Zeitalter der Napoleonischen Kriege und der Restauration. 1806-1830, München 1989, S. 381.

2. Fragmentarischer Nationalismus

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Auch wenn er nicht zu den eigentlichen "Mythosproduzenten" gehört, ist Gentz doch durch persönliche Beziehungen und politische Kontakte eng mit einigen Exponenten dieses Schriftstellerkreises verbunden, und so hat er zumindest indirekt Anteil an der in erster Linie in Preußen geglückten Schaffung eines sprachlichen "Verweisungsraum[s]"68 des Nationalen. 69 Mit den literarischen Wegbereitern eines deutschen Nationalismus stand Gentz hauptsächlich über Adam Müller in Kontakt, darunter auch mit Heinrich von Kleist, der mit Müller in Dresden einen Zirkel von Gleichgesinnten rund um die Zeitschrift "Phöbus" aufgebaut hatte. 70 Gentz unterstützte die Dresdner Aktivitäten, die mit der österreichischen Propaganda im Vorfeld eines erneuten Krieges gegen Frankreich zusammenhingen, zunächst mit Wort und Tat. 71 Trotzdem bemühte er sich darum, Adam Müller davon zu überzeugen, daß politische Schriftstellerei nicht vom Publikum abhängig werden solle, denn "überhaupt richte ich [=Gentz] meine Gedanken mehr auf die Regierung als auf Particuliers. "72 Obwohl er sogar bereit war, dem bisher abgelehnten Fichte für dessen "Reden an die deutsche Nation" das Lob zu spenden, daß "so groß, tief und stolz [ ... ] fast noch Niemand von der deutschen Nation gesprochen "73 habe, konnte Gentz doch eine unkontrollierbare Mobilisierung eben dieser Nation mit seinem Verständnis von Staatskunst nicht vereinbaren.

68 JohnSlOn, s. 197. - Zur Bedeutung eines solchen Geflechts von Zeichenbezügen, ohne die eine motivierende Wirkung nationalistischer Sprachmuster auf die Zeichenbenutzer nicht elWartet werden kann: ebd. 69 Zum biographischen Hintergrund 1805 bis 1809 Sweet, Friedrich von Gentz, S. 119-158. Vgl. auch Robinet de Clby, Un diplomat, S. 205-217. 70 Baxa, Adam Müller, S. 63-99. Vgl. auch Müller Lebenszeugnisse I, S. 320-454 und Koehler, S. I 48ff. 7\ Die Geschichte der Zusammenarbeit ven K1eist und Adam Müller mit Österreich zwischen 1807 und 1809 bei Johnslon, S. 77-\04. Zu Gentz' Rolle dabei: ebd., S. 80-83, 86f., 92f., 102. Zu den Beziehungen K1eists zu den von Erzherzog lohann mit Hilfe Hormayrs koordinierten Bemühungen um die Bildung einer napoleonfeindlichen öffentlichen Meinung in Deutschlanu als Vorbereitung eines erneuten Krieges gegen Frankreich: ebd., S. 92 und Hernnann F. Weiss, Funde und Studien zu Heinrich von K1eist, Tübingen 1984, S. 187-204. Zu den VerbindungenKleists zur anti französischen Propaganda in Österreich nach Kriegsausbruch: ebd., S. 205-234. - Auch der pronapoleonischen Propaganda entging Gentz' Rolle am Rande des Dresdner Kreises nicht. Dazu und zum Dresdner Kreis (offen nationalistisch) Hellmuth Räßler, Österreichs Kampf um Deutschlands Befreiung. Die deutsche Politik der nationalen Führer Österreichs 1805-1815,2 Bde., 2. Aufl., Hamburg 1940, hier I, S. 475-483. 12 Genlz an Adam Müller am 24.7.1808, in Müller Lebenszeugnisse I, S. 440. - In diesem Brief druckt sich Gentz' Distanz zum reformorientierten Kreis um die Zeitschrift "Pallas" deutlich aus (ebd., S. 440f.). Vgl. dazu Gentz an Rühle von Lilienstern 1808 und 1809, in Schriften I, S. 319339. 73 Gentz an Adam Müller am 27.6.1808, in Müller Lebenszeugnisse I, S. 436.

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Diese Zurückhaltung74 wird dort besonders deutlich, wo politische Aktionen auch gegen frankreichfreundliche deutsche Obrigkeiten im Namen der Nation als Mittel im Kampf gegen Napoleon ins Auge gefaßt wurden. Stein, dem Gentz selbst ursprünglich den Weg zu konspirativer Zusammenarbeit mit Großbritannien gewiesen hatte, prallte mit seinen Vorschlägen zu einer bewaffneten Erhebung in Norddeutschland bei diesem 1809 nicht zufällig auf höfliche, aber unzweideutige Ablehnung. 75 Gentz hielt Steins Pläne, die eine gezielte Lenkung der öffentlichen Meinung durch geheime Verbindungen, konkret durch den Tugendbund, zur Unterstützung eines britischen Landungsunternehmens und einen Volkskrieg nach Tiroler Muster vorsahen,76 nicht für realisierbar. 77 Nach allerlei Argumenten mit hinhaltender Wirkung deutete er Stein gegenüber vorsichtig an, daß jede nationale Erhebung immer nur als Ergänzung der Großmachtpolitik eine mögliche Berechtigung habe. 78 Nach der Niederlage Österreichs im Krieg von 1809 bleibe nur die Hoffnung, "daß wenigstens die Gemüter, die es gut mit einer guten und großen Sache meinen, nie aufhören, sich untereinander zu verstehen "79. Immerhin vertraute Gentz kurz darauf Adam Müller seinen Plan zu einer Neuorganisation der europäischen Staatenwelt auf der Basis der Übereinstimmung von Kultur- und Staatsnation an: "Daß Sprache und Nationalität die wahren und einzigen Grenzen der einzelnen Staatsgebiete bezeichnen, habe ich längst geglaubt und bin jetzt besonders auch durch Sie mehr als je davon überzeugt. "so Die Erklärung für diesen - durchaus nicht einmaligen81 - Aus-

74 So distanzierte sich Gentz 1809 von Stadions Kurs einer breiten Mobilisierungskampagne. Dazu Röß/er I, S. 517-520 und 11, S. 171f. - Bezeichnend fiir die nationaler Euphorie wenig geneigte, dem traditionellen diplomatisch-militärischen Machtkalkül verpflichtete Sichtweise Gentz' ist seine skeptische Haltung dem spanischen Aufstand gegenüber. Dazu Rainer Wohlfeil, Spanien und die deutsche Erhebung. 1808-1814, Wiesbaden 1965, S. 154-159. 7' Noch am 23.1.1809 bot Gentz Stein - freilich rein hypothetisch - "die Dikta/ur (im eigentlichen, Alt-Römischen Sinne des Wortes) über alles, was zur Rettung von Deutschland unternommen werden müßte" (Freiherr vom Stein 1II, S. 31) an. - Vgl. lohns/on, S. 36f. 76 Stein an Gentz am 29.7.,6.9. und 8.9.1809, in Freiherr vom Stein 1II, S. 162f. und 183187. - Vgl. dazu auch lohnston, S. 27-48,65-76. 77 Gentz an Stein am 27.8. und 10.9.1809, in Freiherr vom Stein 1II, S. 175-180 und 189. 71 • An die Möglichkeit, im nördlichen Deutschland ohne Mitwirkung irgendeiner Macht, ohne eine Grundlage disziplinierter Kräfte, ~twas zu unternehmen, habe ich wenigstens niemals geglaubt." (Gentz an Stein am 29.9.1809, in Freiherr vom Stein III, S. 196). 79 Ebd.

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flug in die national staatliche Argumentationsweise liegt teilweise, vorausgesetzt der Quelle ist überhaupt zu trauen, im von Gentz angesprochenen Einfluß Müllers. Wenn Gentz fortfährt, "diese Staatengebiete müssen allenthalben gesondert, abgerundet und consolidirt werden"82, so geht es ihm dabei offensichtlich und in expliziter Bezugnahme auf die von Müller entworfene völkerrechtliche Ordnung Europas um die Sicherstellung der Existenzfähigkeit unabhängiger Staaten. 83 Anders als bei Adam Müller ist der nationale Aspekt mit den Bedürfnissen der politischen Praxis vermittelt und nicht mit einer "organischen" Staatstheorie. Ohne die geringste Mühe kann Gentz diese für ihn einmalige Position räumen, sobald die Unantastbarkeit der Verträge zur Maxime österreichischer Selbstbehauptung werden und er sich mit diesem Staatswesen äußerlich wie innerlich identifizieren kann. "Thus ended Gentz's years of nationalistic zeal. ,,84 Bei der Schaffung der "durch Schriftsteller ausgeschmückte[n] und promulgierte[n] mythopolitischen Struktur"85 des deutschen Nationalismus war Gentz nur ganz am Rande beteiligt. Das Mobilisierungspotential, das der Nationalismus der politischen Sprache zuträgt, wurde aber auch von Gentz genützt, selbst wenn er der nationalen Mythenbildung wohl schon allein seines skeptischen Pragmatismus' wegen fern stand. 86 Die Tatsache, daß er überhaupt zeitweise

80 Gentz an Adam Müller. (Mit Noten von Friedrich Schulz). Aus einem Schreiben von Herrn Friedrich v. Gentz an Herrn Adam Müller in Berlin im Spätherbst 1809, in Müller Lebenszeugnisse I, S. 500. 8' Vgl z.B. Gentz an Johannes von Müller am 14.11.1804, in Schriften IV, S. 19. 82 Gentz an Adam Müller. (Mit Noten von Friedrich Schulz). Aus einem Schreiben von Herrn Friedrich v. Gentz an Herrn Adam Müller in Berlin im Spätherbst 1809, in Müller Lebenszeugnisse I, S. 500. 13 Gentz bezieht sich auf Adam Müllers Konzept eines Europas der fünf Reiche (ebd.), die aber nicht, wie der Begriff nahelegen könnte, primär zeitlich, sondern räumlich in tendenzieller Gleichberechtigung geordnet sind. Dazu Adam Müller, Elemente, S. 119-129. Großbritannien, Frankreich, Italien, Deutschland und Spanien bilden für Müller das berufene Staatensystem Europas: "Soviel hat die Natur getan, um jeden einzelnen dieser Staaten vollständig zu befruchten, um den lebhaftesten Streit aller Parteien des Lebens in ihm hervorzurufen und um dergestalt ihm ein lebendiges, rechtliches, unabhängiges Dasein zu geben. - Diese Unabhängigkeitzeigt sich noch heutzutage unter allem Anschein äußerer Abhängigkeit und äußerer Ähnlichkeit der Sitten in Sprache, Gemütsart, Kunst, Bildung und Nationalphysiognomie ... (ebd., S. 123) . .. Sweet, Friedrich von Gentz, S. 158. &> lohnston, S. 23. 86 Gentz zum Tod der Königin Louise, einer Zentralfigur des preußisch-deutschen Mythengeflechts: "Der Tod der Königin von Preußen war der härteste Schlag, der diesen Staat jetzt noch treffen konnte. Mit ihr verschwindet nicht allein das einzige wahre Lebenselement, das diese absterbende Maschine noch beseelte, sondern auch die einzige große Dekoration, die ihr ein gewisses äußres Ansehen noch erhielt." (an Böttiger am 10.8.1810, in Briefe I, S. 309).

18 Kronenbitter

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in die Nähe des antinapoleonischen deutschen Nationalismus geriet, demonstriert die Ausstrahlungskraft auf die Nation ausgerichteter Denkfiguren. Öffentlichen Ausdruck fand dieser Einfluß auf Gentz' Schreiben aber nur in der Vorrede zu den Fragmenten. Eigentlich ist es auch nur ein kleiner Teil dieser Vorrede, der ausdrücklich auf die nationale Identität der Deutschen bezogen ist. 87 Dieser Abschnitt, gerichtet an "des Vaterlandes einsame Zierden, hochherzige, durch kein Unglück bezwungne, Eures Nahmens würdige Deutsche"88 , ist aIlerdings nicht nur der Abschluß, sondern auch die rhetorische Krönung der ganzen Vorrede. Die ausdrückliche Hinwendung zur deutschen Nation - die plurale Staatlichkeit Mitteleuropas taucht nur negativ auf!9 -, "unserer großen Nazion"90, der beständige und eindringliche Appell an den Opfermut und den unbeugsamen Idealismus der "ihres Namens würdigen", also der wirklichen Deutschen, die Betonung der besonderen europäischen Mission Deutschlands,91 schließlich die messianische Hoffnung, daß aus den deutschen Fürstenhäusern "endlich Ein vollständiger Held, Ein Retter und Rächer hervorgehe, der die Thränen von allen Angesichtern abwische, der uns einsetze in unser ewiges Recht, und Deutschland und Europa wieder aufbaue"92 - Gentz versammelt hier eine illustre Reihe nationalistischer Gemeinplätze, deren argumentative Funktion von der Grundstruktur des ganzen Abschnitts bestimmt wird, nämlich von der Gegenüberstellung selbstverschuldeter Ohnmacht und notwendiger nationaler Erneuerung und Selbstbefreiung. Diese Rettung Deutschlands stellt Gentz als Willensakt dar, der wenigstens langfristig von Erfolg gekrönt sein werde, ja müsse. Die entscheidende Voraussetzung dazu, und damit auch der langen Vorrede programmatischer Sinn, ist die innere Einigung Deutschlands, die Überwindung tradierter Rivalitäten, vor allem natürlich das Zusammenwirken Preußens und Österreichs:

fI7 Fragmente, S. XLI-Lrv . •• Ebd., S. XLI. 19 Z.B.: "Unser innrer unseliger Zwiespalt, die Zersplitterung unserer herrlichen Kräfte, die wechselseitige Eifersucht unsrer Fürsten, die wechselseitige Entfremdung ihrer Völker, das Verlöschen jedes echten Gefühls für das gemeinschaftliche Interesse der Nazion, die Erschlaffung des vaterländischen Geistes - das sind die Eroberer, das sind die Zerstörer unsrer Freiheit, das sind unsre tödlichen Feinde, und die Feinde Europa's gewesen." (ebd., S. XLVII). 90 Ebd., S. XLIII. 9\ Perfekt formuliert: "Europa ist durch Deutschland gefallen; durch Deutschland muß es wieder emporsteigen." (ebd., S. XLVI). 92 Ebd., S. LI.

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"Getrennt wurden wir niedergeworfen; nur vereinigt können wir uns wieder erheben. Diesen einzigen Rettungsweg zu betreten, ist jetzt freilich viel schwerer noch als sonst; aber so viel ist unumstößlich gewiß: sollen die StaatskröJie Deutschlands je Eins werden, so muß zuvor der Nazional= Wille Eins seyn. Hier, unverzagt und großdenkende Deutsche, zerstreute, doch geistig=versammelte, durch Gleichheit des Sinnes und der Bestrebungen verbundne, und rechtmäßig=konstituirte Repräsentanten der Nazion, hier öffnet sich ein ruhmvolles Feld."'3

Diese unüberhörbare Anrufung des deutschen Nationalgefühls läßt sich mit mehreren Elementen der Kommunikationssituation erklären. Ein Moment stellt dabei zweifellos die allmähliche Aufnahme des nationalistischen Deutungsmusters persönlicher oder vermittelter Erfahrungen dar. Am Beginn seiner Englandreise im Herbst 1802 zeigte Gentz im Angesicht der von Frankreich eroberten linksrheinischen Reichsgebiete erstmals einen schwachen Anflug deutschen Nationalbewußtseins. 94 Die nationale Selbstbehauptung gegen die Erben der Revolution und die Besatzer ist auch mit Gentz' später einsetzender nationalistischer Neigung untrennbar verbunden. Gentz hat, anders als etwa sein Freund Brinckmann, keine besondere kulturelle Sendung Deutschlands postuliert,95 sondern blieb stets von politischen Zielen bestimmt. 96 Greifbarer als die längerfristigen Hintergründe ist die außenpolitische Funktion des Appells an die deutsche Nation, denn immer wieder hat Gentz die enge Verbindung Preußens und Österreichs als conditio sine qua non der Eindämmung französischen Expansionsstrebens benannt. Als Gentz, eine der führenden Figuren der Kriegspartei in Wien, versuchte alles in seiner Macht

.3 Ebd., S. XLVIII . .. Gentz an Adam Müller am 20.10.und 23.10.1802, in Müller Lebenszeugnisse I, S. 48-57 . ., Brinckmann an Gentz am 12.11.1807, in Briefe 11, S. 292-311. .. Gentz an Brinckmann am 18.12.1804: "Es muß und soll eine Verbindung zwischen Österreich und Preußen zustande kommen; und ich sage, sie wird. Hieran arbeite ich seit 2 Monaten Tag und Nacht, öffentlich und insgeheim, mit der Feder und mit dem Munde. [ ... ) Die französische Revolution zu bekämpfen, war mein erster und heiligster Zweck: sie hat gesiegt, ist vollendet - sogar gekrönt, diese Szene ist aus. - Den Untergang der Unabhängigkeit von Europa, als Folge jener scheußlichen Revolution zu verhindern - das ist mein jetziger, und natürlich auf immer mein letzter Zweck. Die Verbindung zwischen Österreich und Preußen, begleitet von einer allgemeinen Konsolidation aller noch übrigen Kräfte Deutschlands - dies höchste deutsche und zugleich höchste europäische Staatsprojekt - ist das einzige Mittel dazu; es ist aber auch das hinreichende, das vollständige, das radikale. Wird Deutschland eins - welch ein großer und glorreicher Gedanke! - so sagen wir Rußland [ ... ) gute Nacht, sehen England seinen glorreichen Kampf auf einer sichern und herrlichen Basis kämpfen, und spotten aller Drohungen Frankreichs. Dieses übermütige, furchtbare, verruchte, gotteslästerliche, verabscheuungswürdige, und verächtliche Frankreich, durch diejenige Maßregel zu bändigen, (vielleicht einst zu Boden zu schlagen), durch welche allein Deutschland noch einmal, (nach so langer Schmach und Not), noch einmal Deutschland werden kann, das Mittel zu unserer Rettung zu finden, was zugleich den Grund zu unsrer künftigen Nationalgröße abgeben kann - welcher Deutsche widersteht einer so entzückenden und bezaubernden Aussicht.· (Briefe 11, S. 251). 1S·

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stehende, um zwischen bei den deutschen Großmächten ein Klima des Vertrauens zu schaffen und in beiden Regierungen die Bereitschaft zum Kampf gegen Napoleon zu schüren. 97 So zeichnete sich die Verknüpfung von antinapoleonischer Freiheitsliebe und deutschem Selbstwertgefühl, die die Vorrede zu den "Fragmenten" prägen sollte, bereits in Denkschriften und Briefen ab. 98 Die Annäherung Preußens und Österreichs blieb, auch über die Publikation der "Fragmente" hinaus, ein wesentliches Ziel von Gentz und ist der sachliche Grund seiner Deutschland-Rhetorik in den Jahren 1805 bis 1807. Der nationale Aspekt war damit an die Analyse der außenpolitischen Kräfteverteilung gebunden. 99 Die unmittelbaren Umstände der Textherstellung sind schließlich mit als Erklärung heranzuziehen. Die Entstehung der "Fragmente" hängt eng mit der Geschichte des Krieges von 1805 zusammen. Mit Billigung Cobenzls, gegen dessen Außenpolitik er so heftig opponiert hatte, entschloß sich Gentz Mitte September 1805, "für Oesterreich die Feder zu ergreifen, und entwarf den Plan zu einem Werke über das politische Gleichgewicht. "100 Was so zunächst als Teil österreichischer Pressepolitik initiiert worden war,IOI bekam durch die unerwartet rasche und eindeutige Niederlage den Charakter eines Privatunternehmens. Sein Entschluß, den von den Ereignissen überholten, bereits fertigen Teil des Textes drucken zu lassen, veranlaßte Gentz zur anonymen Publikation im Ausland. 102 Er war gezwungen, die noch unvollendete Schrift einer gänz-

97 Vgl. Perlhes, Politische Zustände, S. 246-292, Pflüger und Genlzens Denkschrift für Erzherzog Johann. (4. September 1804.), in: Foumier, Gentz und Cobenzl, S. 242-292 . •s So z.B. GenlZ an Prinz Louis Ferdinand am 27.5.1805, in Hans Wahl (Hrsg.), Prinz Louis Ferdinand von Preußen. Ein Bild seines Lebens in Briefen, Tagebuchblättern und zeitgenössischen Zeugnissen, Weimar 1917, S. 201ff. .. Daher gab es für Gentz (damals!) letztlich keinen Widerspruch zwischen Nationalgedanken und der Sicherheit und Ruhe Europas. An den Prinzen Czartoryski konnte er deshalb am 22.6.1806 schreiben: "je ne suis Autrichien, ni Prussien, ni Anglais, ni Russe; Dieu me preserve cependant d'etre cosmopolite, titre que j'abhorre le plus, et que je regarde comme une veritable injure. Je suis Allemand et je le suis dans toute la fo~e du terme. La liberte, la prosperite et la gloire de l'Allemagne - voila proprement les objets cheris de mon coeur. Mais comme dans la situation actuelle, ces objets sont tellement amalgames avec I'avantage commun de l'Europe, que I' Allemagne n'a pas un seul veritable interet qui ne soit en meme temps celui de tous ses voisins [ ... )." (Kipa, S. 121f.). 11» TagebücherI, S. 41. 101 Dazu GenlZ an Starhemberg am 24.10.1805, in A. Graf Thürheim (Hrsg.), Briefe von Friedrich v. Gentz an den Grafen Louis Starhemberg, in: MIÖG 7(1886), S. 119-155, hier S. 124. 102 GenlZ an Johannes von Müller am 25.11.1805, in Schriften IV, S. 147: "Mein erster Plan in Ansehung der Schrift, die ich herausgeben wollte, wuchs mir unter den Händen so an, daß ich bald entschlossen war, ein zusammenhängendes Werk über die Wiederherstellung des Gleichgewichtes zu schreiben. Weil die Vollendung desselben aber viel Zeit erfordert hätte, so wollte ich das Kapitel, welches die Verhältnisse zwischen Oesterreich und Frankreich betrifft, vor der Hand

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lich veränderten politischen Lage und damit auch anderen Komrnunikationszielen anzupassen. \03 Der Titel "Fragmente" und die Vorrede machten die Turbulenzen des Entstehungsprozesses deutlich. 104 Mit dem Schweizer Historiker Johannes von Müller, der sich von Berlin aus für eine preußisch-österreichische Verständigung einsetzte, pflegte Gentz zwischen 1804 und 1807 einen lebhaften Briefwechsel, der etwas Einblick in die engeren Entstehungsbedingungen der "Fragmente" und ihrer Vorrede gewährt. Auf der Grundlage ähnlicher Ansichten über Deutschlands Rolle in Europa entfaltet sich zwischen den Briefpartnern bis zu Müllers Wandlung zum Bewunderer Napoleons ein intensiver Austausch von Informationen, Situationsanalysen und - häufig polemisch artikulierter - Meinungen zur politischen Lage. \05 Nach anfänglichem Dissens, der aus der unterschiedlichen Reaktion der bei den Schriftsteller auf die Demütigung eines traditionellen, eher vorpolitisch-kulturellen Nationalstolzes durch den übermächtigen französischen Nationalstaat erwächst,l06 finden Gentz und Müller in der gemeinsamen

besonders herausgeben; und dies wäre auch ohne die Katastrophen wenigstens in so weit geschehen, als die Regierung es erlaubt haben würde. Jetzt ist nun mein unerschütterlicher Vorsatz, eben dieses Bruchstück (welches indessen ein geschlossenes Ganzes ausmacht) mit einer Einleilung, die sich auf die veränderten Umstände, die jetzige Lage Europa's und die nothwendigen Bedingungen der Wiederherstellung eines wahren Friedens bezieht, in's Publikum zu schicken." 101 Genlz an Johannes von Müller am 14.12.1805, in Schriften IV, S. 161. 104 Genlz an Johannes von Müller am 27.3.1806, in Schriften IV, S. 206 mit der sowohl auf eine Schrift Müllers, als auch auf seine eigene bezogenen Feststellung, "daß heutigen Tages alle Arbeiten dieser Art nothwendig Fragmente bleiben." 10' Der Briefwechsel in Schriften IV, S. 1-281. Zur Korrespondenz und zu deren politischem Hintergrund: Mallhias Pape, Johannes von Müller. Seine geistige und politische Umwelt in Wien und Berlin. 1793-1806, Bem u.a. 1989, S. 225-244; Karl Schib, Johannesvon Müller. 1752-1809, Thayngen u.a. 1967, S. 220-241, 263ff.; Louis Willmer, Le prince de Ligne, Jean de Muller, Frederic de Gentz et l'Autriche, Paris 1925, S. 137-146,186-216,233-277. 106 Gentz tritt dabei als der Vertreter einer radikalen Politisierung der nationalen Frage auf, denkt, wie gewöhnlich, in Staatskategorien, während Johannes von Müller am Gemeinplatz der Verschränkung von pluraler Staatlichkeit und optimaler kultureller Entfaltung festhalten möchte. Gentz beginnt die Korrespondenz mit einer Provokation: dem Schweizer und Protestanten Müller präsentiert er die Reformation als das Grundübel der neuzeitlichen Geistesgeschichte und den Nationalstaat als bestes Mittel deutscher Selbstbehauptung (Gentz an Johannes von Müller am 14.11.1804, in Schriften IV, S. 19ff.). Gentz verteidigt seine Hoffnung auf eine engere politische Einheit Deutschlands - das Alte Reich besteht ja formal noch - damit, daß zwar die "freie Entwikkelung der individuellen Kräfte" (ebd., S. 19) von der "Zerstückelung Deutschlands" (ebd.) profitiert habe, aber daß "so oft ich mir denke, wie Frankreich und England, mit offenbar geringem Elementen, und tief untergeordneten Anlagen, zu dieser wahren Totalität des gesellschaftlichen Lebens, zu dieser wahren Nationalität, die nichts mehr zerstören kann, die aus der Zerstörung immer wieder heraustritt, herangewachsen sind, so oft ich denke, undjilhle wie Ausländer, die wir aus unserm hohen Standpunkte so tief unter uns erblicken, doch im politischen Sinne auf unsem Nacken treten, und uns, die wir Welt und Menschheit, und jene als Fragmente derselben so tief in

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Überzeugung zueinander, Deutschlands Befreiung von Napoleons Joch erfordere eine enge Verbindung vor allem zwischen Preußen und Österreich. 107 So bestätigen sich beide wechselseitig in der Überzeugung, energisches Handeln sei - auch und gerade nach der verheerenden österreichischen Niederlage 1805 - bitter nötig. Die größten Hoffnungen auf neue Energie ruhen auf einer Regeneration der monarchischen Spitzen, für die Erzherzog Johann und Prinz Louis Ferdinand stehen, eben jene konkreten Ansatzpunkte der Sehnsucht nach einem Erlöser Deutschlands, die in der Vorrede zu den "Fragmenten" beschworen wird. 108 Die Vorstellung, eine kleine Elite prinzipienfester und politisch gebildeter Deutscher sei berufen, die Fahne des Widerstands gegen Napoleon auch über alles Unglück hinweg hochzuhalten, notfalls auf eigene Faust, ohne Rückhalt bei den schwachen Regierungen in Deutschland, diese Vorstellung, die die Vorrede der "Fragmente" prägt, wird im Briefwechsel zwischen Müller und Gentz bestätigt. 109 Darüberhinaus hat sich Gentz von Johannes von Müller auch in der literarischen Gestaltung der Vorrede inspirieren lassen. 11O Müller publizierte 1805 den vierten Band seiner von den Zeitgenossen hoch geschätzten "Geschichte der Schweizerischen Eidgenossenschaft" und stellte diesem

uns aufgenommen haben, wie ihre Bedienten behandeln dürfen - so oft verschwinden mir alle von unsrer großen und herrlichen Individualität hergenommenen Trostgründe und lassen mich mit meinen Schmerzen allein." (ebd., S. 20). Müller, am Meinungsaustausch interessiert, reagiert damit, daß er Luther gegen die "Verwässerung" durch glaubensschwache Epigonen in Schutz nimmt; die Verschmelzung Deutschlands zu ein oder zwei Staatswesen hält er, verglichen mit einer Erneuerung des Nationalgeistes in den. nicht gegen die deutschen Staaten, für kein wirksames Mittel. Freiheitsliebe und Individualität seien gerade in Zeiten der Unterdrückung eher durch Vielfalt zu bewahren (Johannes von Müller an Gentz am 10.4.1805, in Schriften IV, S. 40-45). 107 Gemeinsam wird der Konsens durch das Ausklammern der Differenzpunkte hergestellt. So Johannes von Müller an Gentz am 10.4.1805, in Schriften IV, S. 45 und Gentz an Johannes von Müller am 6.7.1805: " Aber daß die Zusammenziehung Deutschlands unter zwei Häupter eigentlich ein häßliches Despotenprojekt ist, fühle ich ganz mit Ihnen. Es ist auch nur die Verzweiflung, die mir dieses eingiebt. Denn das gestehen Sie mir doch, daß es besser ist, zweien, ja selbst Einem deutschen Despoten zu gehorchen, als gar von Franzosen und Russen, die sehr tief unter uns stehen, gemißhandelt zu werden!" (Schriften IV, S. 48). Dieser prinzipielle Gegensatz bleibt zwischen Müller und Gentz bestehen. Dazu Johannes von Müller an Gentz am 28.12.1805, in Schriften IV, S. 185. 108 Vgl. Gentz an Johannesvon Müller am 12.8.1805, in Schriften IV, S. 75 und Gentz, Fragmente, S. Lf. 109 Vgl. Johannes von Müller an Gentz am 19.12.1805, in Schriften IV, S. 172 und Gentz an Johannes von Müller am 4.5.1806, in Schriften IV, S. 229. 110 Johannes von Müller traf die Situation nach der Lektüre der Vorrede zu den "Fragmenten": "Oft erkannte ich darin, daß Sie zu mir sprachen, Vortrefflicher! Hätten Sie mich nur genannt, ermahnt, unsere Uebereinstimmung bezeugt!" (Johannes von Müller an Gentz am 8.5.1806, in Schriften IV, S. 232).

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einen "Allen Eidgenossen" geltenden Prolog voran, den Gentz mit euphorischem Lob bedachte. 111 Auch wenn ein Teil seiner Begeisterung taktischem Kalkül entsprang,1I2 so fand sich hier für Gentz ein konkretes Vorbild. Die Mischung aus Bußruf und Appell an den Willen zur Umkehr, an den Gemeinsinn und die Einmütigkeit als Vorausetzungen der Befreiung von der Herrschaft Napoleons konnte er an die Deutschen, statt an die Eidgenossen Müllers richten. 1I3 Gentz spricht in seiner im April 1806 geschriebenen Vorrede zu den "ihres Namens würdigen" Deutschen, ohne Rücksicht darauf, ob sie zu den staatlichen Funktionsträgern gehören oder nicht. 114 Im Ton eines Predigers prangert er die politische Knechtschaft als Folge des sittlichen Verfalls,115 der "moralischen Fäulniß der Welt"116 an, deren Resultat das erbärmliche "Schauspiel von Kleinmuth und Ohnmacht, von falscher

"' Johannes von Müller, Vorrede des vierten Bandes. Geschrieben zu Berlin 1805, in: ders., Sämmtliche Werke. Herausgegeben von J ohann Georg Müller. Neunzehnter Theil. Der Geschichten Schweizerischer Eidgenossenschaft Erster Theil. Von des Volkes Ursprung. Nach der neusten Ausgabe von 1806 abgedruckt, S. XXIV-XC. Gentz' Lob der Vorrede in seinem Brief an Johannes von Müller am 12.8.1805, in Schriften IV, S. 75. 112 Dies zeigt Gentz an Adam Müller am 31.7.1805, in Müller Lebenszeugnisse 1, S. 210: "ln der Vorrede zum vierten Theil sind große, herrliche. erhebende und erquickende Gedanken. Und doch gefällt mir nicht alles. [00') Aber alle diese Kritiken bleiben unter uns; von uns zur übrigen Welt ist unsere einzige Pflicht, diesen Mann bis in den Himmel zu erheben. In allem, worauf es heute ankommt, ist er unsers Glaubens, und seine Kraft, sein Name und seine Autorität sind für unsere heilige Sache von nicht zu berechnendem Gewicht. " 113 Dazu z.B. J. v. Müller, Vorrede, S. LXXXVII: "Der Hohn der Despotie trifft solche [=einmütig für die Freiheit einstehende) Männer nie. Ihre Verbrüderung setzt dem Uebermuth Schranken: alle Unternehmungen comprimirten Unwillens, exaltirten Hasses, kochender Rache, neuer Hoffnung, bekommen Richtung, Ordnung und Maße durch Tugend und Verstand." - Ebd., S. LXXXIX: "Nicht auf dem Land oder auf der Macht, nicht auf dem Glück beruhet eines Volkes Fortdauer und Name, sondern auf der Untilgbarkeit seines Nationalcharakters." - Anders als Gentz, der sich an die Deutschen richtet, kann Müller auf die greifbare Erfahrung mit freiheitlich geübtem Gemeinsinn setzen: "Hier sind die Geschichten der alten Zeit; schlaget sie auf, und forschet, und sehet, ob für Rettung, Ruhm und Ruhe aller der Lande vom Wormsetjoch bis Basel und von Genf bis Tarastje etwas bessers erfunden ward, als die alte Treu tapferer Eidgenossen!" (ebd., S. XC). Gentz macht daraus den Vorwurf: "Sie wollen das Neue immerfort in das Alte hineinweben [00')" (Gentz an Johannes von Müller am 14.12.1805, in Schriften IV, S. 164). 114 Bei Johannes von Müller hatte er im Unterschied dazu kritisch vermerkt: "Wer sind überhaupt die Eidgenossen, an welche diese Anrede gerichtet ist? Bonaparte's Landammänner, Bonaparte's Schultheißen und Räthe? Es wäre schicklicher gewesen, jetzt bloß zu den Manen der Eidgenossen, und höchstens zu einzelnen Schweizern zu reden." (Gentz an Adam Müller am 31.7.1805, in Müller Lebenszeugnissei, S. 210). '" "Das Uebergewicht, welches Gleichgültigkeit und Kaltsinn gegen das höchste Interesse von Europa [00.) in den Gemüthern der Zeitgenossen gewannen [00') war das eigentliche, innerste Wesen, die ursprüngliche Wurzel dieses Verfalls." (Gentz, Fragmente. S. XXXVff.). 116 Ebd., S. XXXVlll.

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oder nervenloser Politik"117 sei, das die europäische, ganz besonders aber die deutsche Politik der vergangenen Jahre bestimmt habe. Noch sei der Niedergang in den selbstbezogenen Interessensphären der meisten Deutschen nicht stark genug fühlbar, um die Mehrheit von der "Gleichgültigkeit gegen das öffentliche Wohl"118 abzubringen. So wendet sich Gentz an die wenigen "Starken, Reinen und Guten"119, denn "ihr Bund ist die einzige Macht, die einzige unüberwundne Koalition, die heute noch der Waffengewalt trotzen, die Völker befreien, und die Welt beruhigen kann. "120 Ihnen gilt jener Schlußteil des Prologs, der unter Steigerung der für Gentz typischen rhetorischen Mittel, beispielsweise der Aneinanderreihung gleichstrukturierter Satzteile, die eine stark rhythmisierende Wirkung ergibt, und der Spannung erzeugenden Konfrontation gegensätzlicher Begriffe, ganz direkt auf einen idealen Leser zuläuft, der in die Lektüre der Fragmente eingeführt wird mit der Forderung, den vergleichsweise abstrakten Text lebenspraktisch zu begreifen. Die zentrale Botschaft - "Getrennt wurden wir niedergeworfen; nur vereinigt können wir uns wieder erheben. "121 - wird dem intendierten Publikum als quasi-religiöse Berufung, als Auftrag, "eine Pflanzschule von kraftvollen Gemüthern, und rüstigen Vorfechtern, zu erziehen"l22, nahegelegt. Nachdem Austerlitz seine Hoffnungen gedämpft hatte, muß Gentz' Sprache den Märtyrern der nationalen Freiheit Opferbereitschaft als Merkmal aufrechter, idealistischer Gesinnungstreue suggerieren: 123 "Ihr müßt streiten, so lange Ihr athmet; [ ... ] Das ist das Gesetz Eures Lebens"I24. Nach Stilart und Affekterregung dreht sich die ganze Vorrede und eigentlich das ganze Buch um diesen Punkt der rhetorischen Präsentation. Der emotionale Ausbruch, das Abstellen auf deutsches Nationalgefühl, das teilweise an den sonst von Gentz wenig geschätzten Fichte erinnert,l25 und der ganze Ton des Prologs sind Indizien der extremen Kommunikationssituation. l26

Ebd. Ebd., S. XXX. 11. Ebd., S. XL. \20 Ebd. 121 Ebd., S. XLVIII. 122 Ebd., S. LII. 123 Ebd., S. LIIff. 12' Ebd., S. LIII. 12> Vgl. Johann Goltlieb Fichte, Reden an die deutsche Nation, Köln 0.1., S. 7ff., 232ff., 242f. - Das freundliche Urteil, das Gentz über Fichtes Reden fällt, und das so auffallend von seiner sonstigen Antipathie gegen dessen Schriften absticht, bestätigt diese Parallelität der Texte. Dazu Gentz an Adam Müller am 27.6.1808, in Müller Lebenszeugnisse I, S. 436. 126 Neben Johannes von Müller trug offenkundig auch Brinckmann zur Charakteristik der 117

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"Mit der klaren Einsicht in die unendlichen Schwierigkeiten unserer Lage fortdauernd den Muth und den thätigen Willen zu verbinden, der die erste Bedingung aller Rettung ist - das ist das Problem, was wir zu lösen haben; und das ist es, was ich mir zur unabänderlichen Richtschnur bestimmte. Anders spreche ich, wenn ich die Welt, das gemischte Publikum vor mir und gewissermaßen den Feind selbst zum Zuhörer habe; anders mit meinen vertrauten Freunden und mit Cabinetern, denen ich die volle Wahrheit sagen zu müssen glaube. Noch mehr: anders spreche ich mit mir selbst, wenn ich beobachte, berechne und combinire; anders, wenn ich selbstständig handle. Sobald ich meinen Freunden oder mir selbst die Lage der Dinge schildere wie sie ist, verberge ich das Niederschlagendste nicht, und hüte mich vor jeder falschen Hoffnung wie die Pest. Sobald ich vor der Welt rede, werfe ich (so viel es geschehen kann; denn Alles zu verdecken, nicht wenigstens im Allgemeinen über die Tiefe des jetzigen Verfalls zu klagen, wäre unnütz, unklug und unredlich zugleich) werfe ich I!I wie die Töchter des Patriarchen ein anständiges Gewand über die traurige Blöße unserer Väter, unserer Fürsten; und sobald ich handeln soll, oder eigentlich, so oft es darauf ankömmt, das Princip alles Handeins und Wirkens in mir thätig und lebendig zu erhalten, abstrahire ich von dem mich umringenden Elend, denke mir die Welt wie sie sein sollte, wenn noch irgend etwas Gutes und Großes zu Stande kommen wollte, und schreite fort, gleich als ob ich auf jedem meiner Schritte verständigen Ohren, gefühlvollen Herzen und tapfern Armeen begegnen müßte. "127

Die Vorrede zu den "Fragmenten" ist so gesehen eine - zumindestens ansatzweise - Selbstidentifikation von Autor und textinternem Leser, ein prinzipielles Ernstnehmen des Publikums, wie wohl sonst an keiner Stelle in Gentz' Veröffentlichungen. Es ist letztlich für eine Leserschaft im Nirgendwo bestimmt, eine in die Struktur des Textes eingezeichnete Utopie der politischen Kommunikation. In der von enttäuschten politischen Hoffnungen und persönlichen Problemen, verursacht von der Unterbrechung seiner Kontakte nach England, verdüsterten Zeit, greift Gentz zu starken Mitteln, um sich und den wenigen Aufrechten, an deren Existenz er immerhin glauben muß, Verständnis, Gefühl und Tapferkeit zu bewahren. Das nationalistische Element seiner Sprache ist das im Kampf gegen Napoleon naheliegende Vehikel emotionaler Mobilisierung. Gentz' Nationalismus ist zwar defensiv und instrumentell,l28

Vorrede bei. Bei Brinckmann kam - wie oben bereits erwähnt - ein idealistischer, kulturgesättigter Nationalismus zu Wort, dem sich Gentz im Frühjahr 1806 in seiner bedrückten Lage stärker öffnete als vorher oder nachher. Dazu Gentz an Brinckmann am 21.4.1806: "Du Brief traf mich bei einer Arbeit, die in 14 Tagen in Ihren Händen sein wird; bei weitem das Beste, was mir jemals gelungen ist. Wenn Sie dies Stück, die Vorrede zu meiner neusten Schrift, lesen werden, so denken sie daran, daß ein Teil der Begeisterung, die sie hervorgebracht hat, Ihnen gebührt. Ich war schon sehr mächtig gestimmt; aber der elektrische Schlag, der bei Ihrem Briefe in mein . Gemüth fuhr, vollendete es." (Briefe 11, S. 272f.). 127 Gentz an Johannes von Müller am 4.5.1806, in Schriften IV, S. 229f. 12. Pläne zur Flucht aus der Wirklichkeit mitteleuropäischer Politik lese ich als Zeichen einer tiefgreifenden politischen Krisenerfahrung. Das gilt sowohl für Gentz' Überlegungen, Deutschland zu verlassen (Böttiger an Johannes von Müller am 9.1.1806, in Schriften IV, S. 190f.), als auch für seine Vision "einer neuen österreich ischen Monarchie" (Gentz an Johannes von Müller am 4.8.1806, in Schriften IV, S. 244) unter Verlagerung des Staatsmittelpunkts nach Osten, aus Deutschland heraus (ebd., S. 244f.). Wie stark Gentz die nationale Frage im Hinblick auf außen-

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XII. Zwischen den Staaten

damit auch unter veränderten Umständen mit innerer Folgerichtigkeit revidierbar, aber die eingangs erwähnte propagandistische Neuverwendung seines Textes demonstriert die Brisanz dieses Werkzeugs. Gentz war stolz auf die Vorrede, denn "sie ist bei weitem das Beste, das ich jemals schrieb" 129. Ganz anders schätzte das wichtigste Rezensionsorgan Großbritanniens, die "Edinburgh Review", die noch im sei ben Jahr erschienene englische Ausgabe der "Fragmente" ein. Neben der Qualität der Übersetzung und der Schwächen des Haupttextes moniert der ungenannte Kritiker auch den Stil der Vorrede, ja er wird noch deutlicher: "The introductory matter is, for the most part, such as might weil have been spared. It consists of a long and laboured harangue against yielding to the power of France, adressed to the Germanic nations. '30 The topics of this declamation are such, and the tone so violent, that we cannot imagine how it could be addressed to those persons who alone bear sway in foreign affairs - the political class of society - statesmen and rulers - and speculative economists. "'31 Nüchtern und unbefangen, aus der britischen Perspektive und voller Skepsis gegenüber dem Freiheitssinn der Deutschen,132 wird der Bruch freigelegt, der die Fragmente insgesamt durchzieht. "If, then, this introductory harangue is addressed to rulers and statesmen, it will tell them nothing intelligibly, except what they probably knew weil enough before, that they ought not wish for subjection. If it is addressed to the multitude, it is placed, with singular want of judgement, in a large volume upon what the multitudes never think ab out, the balance of power, and the international system of Europe .• 133

Gentz hatte immer eine Elite im Auge, wenn er publizierte, eine sozial eng umgrenzte Gruppe von Lesern, die genug Vorwissen, Abstraktionsfahigkeit und Urteilsvermögen mitbrachte, um sich mit komplizierten innen- und außenpolitische Konstellationen funktionalisierte, zeigt auch seine Haltung zur inneren Gestaltung einer zukünftigen deutschen Ordnungsstruktur in einem Brief an Johannes von Müller vom 23.12.1805: "Wenn Sie mir Deutschland heute wieder so liefern, wie es im Jahr 89 war, zugleich aber Bürgschaft dafiir leisten, daß nicht in zwei Jahren Frankreich von einer Seite oder Rußland von der andern es verschlinge, so abonnire ich mich auf dieses Deutschland fiir immer. Ich sehe ja, wie Sie, den Untergang der kleinen Staaten als eine der größten Calamitäten an. Aber so wie die Sachen seit fiinf und sechs Jahren standen, und wie sie gar heute stehen, werden Sie mir doch jenen Wunsch nicht verdenken; auch Sie werden doch wohl Deutschland lieber von zwei deutschen Regenten beherrscht, als von Fremden verzehrt sehen wollen." (Schriften IV, S. 179f.). 129 Gentz an Johannes von Müller am 21.4.1806, in Schriften IV, S. 214. Vgl. z.B. auch Gentz an Goethe am 20.4.1806, in Sauer (Hrsg.), S. 162f. - Gentz an Armfeit am 21.4.1806 über die Vorrede: "si elle n'electrilise pas I' Allernagne, je ne vois plus ce qui pourrait le faire." (Donner, S.55). 130 Im Plural. 111 Rez. von: Fragments upon the Balance of Power in Europe. Translated from the German of the Chevalier Fred. Gentz. Peltier. London, 1806, in: The Edinburgh Review 9(1806/1807) Nr. 18 (Januar 1807), S. 253-278, hier S. 257. 132 Ebd., S. 258. 133 Ebd.

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politischen Themen auseinandersetzen zu können. Seine oft sichtbar kunstfertige Rhetorik brauchte ein an solche Lektüre gewohntes Publikum. In der dramatischen Situation der Jahre 1805 und 1806 wollte sich Gentz nicht mehr mit dem Einverständnis der Regenten und Experten zufriedengeben, deren Lemfähigkeit offenkundig so gering schien. Eine neue, sozial nicht determinierte, aber moralisch gefestigte Öffentlichkeit spricht Gentz in seiner Vorrede an, versucht sie mit nationalem Pathos zu erreichen und für die großen Fragen europäischer Politik, so wie er sie versteht, in Bewegung zu versetzen. 134 Es ist und bleibt eine halbherzige Mobilisierung, inhaltlich greifbar in der Fixierung auf die obrigkeitstreue Selbstkritik der Regierten,135 abzulesen auch an der Ausführlichkeit und Gelehrsamkeit des Hauptteils. Den Willen zur nationalen Selbstbehauptung gegen das demütigende Übergewicht fremder Mächte zu stärken, das ist Gentz' Ziel. '36 Praktisch soll dieser Willen aber nur im Dienst der Staaten werden und zwar nur nach außen, ohne die innere politische Ordnung zu berühren. Solch instrumenteller Nationalismus bleibt unvermeidlich Fragment.

3. England und Europa "The people of England [ ... ) were naturally pleased to find, among the venal or timid thousands of German authors, one, not the least considerable in talents and information, who had the liberality to despise those absurd prejudices against our commercial superiority, so prevalent, for the last ten years, both among the vulgar and the statesmen of foreign countries; and as Mr Gentz, in following out his views of hostility to France, necessarily made to hirnself an idol of England, in his devotion to which he surpassed many of its natural votaries, the people of this country came, as a matter of course, to regard hirn as their regular champion on the

134 Das bereits veröffentliche Buch überreichte Gentz seinem Kaiser mit einem Begleitbriefvom 9.5.1806, der die Bitte um einen angemessenen Tätigkeitsbereich in Wien durch das Bekenntnis zu bedingungslosem österreichischem Patriotismus abstützt, zugleich aber den Kaiser in den Aufruf an alle Deutschen ohne Umstände miteinbezieht (Klinkowström (Hrsg.), S. Ilff.). Vgl. auch Gentz an 10hannes von Müller am 16.12.1805: "Ich verachte die Oesterreicher, ich entrüste mich gegen sie, aber ich bemitleide sie doch auch; und wenn ich sie von jenen Barbaren mit Füßen getreten sehe, so kehren sich meine deutschen Eingeweide um, und ich fühle, daß sie meine Brüder sind." (Schriften IV, S. 167). '" Gentz, Fragmente, S. XXXVlIlf. 136 "Daß es für 1eden, der im Staate lebt, wie gering und ohnmächtig er auch seyn mag, außer den gewöhnlichen Bedürfnissen des Lebens, noch andre von höherer Art giebt, daß unter diesen N azional = Ehre, ein geachteter Nahrne, eine unabhängige Verfassung, ein bestimmter, wohl = versicherter Antheil an einem wirklichen Staaten=System, die wichtigste Stelle behaupten - soll man darüber einen formlichen Beweis führen? Diese Wahrheiten müssen gefühlt, und solchen, die stumpf dagegen wurden, können sie nie mehr aufgedrungen werden." (ebd., S. XXVI).

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Continent - to view hirn with esteem due to a sort of fellow-countryman - and to prize hirn, at the same time, as a foreigner attached to their cause. "137

Der Rezensent der "Edinburgh Review", 138 der Gentz' "Fragmente aus der neusten Geschichte des politischen Gleichgewichts in Europa" keineswegs günstig beurteilte, kam nicht umhin - und sei es, um seiner Enttäuschung über das Werk den rechten rhetorischen Rahmen zu geben 139 - die engen Beziehungen, in denen Gentz über Jahre hinweg mit England stand, zu würdigen. l40 Diese Verbindung nach Großbritannien ist in der Tat aus den Texten entstanden, in denen Gentz England als Gegenbild zum revolutionären und, seit dem "Historischen Journal", zum expansionistischen Frankreich porträtierte. Umgekehrt prägten die Beziehungen zur britischen Politik die Veröffentlichungen von Gentz bis 1806 in hohem Maße. Britisches Geld, britische Freunde und Briefpartner, britische Bücher und Periodika als Lektüre, britische Finanz- und Außenpolitik als Themen für Denkschriften und Publikationen - Gentz erscheint während dieser Lebensphase, mehr noch als in den Jahren zuvor, als Vertreter der in Deutschland schon im 18. Jahrhundert gar nicht seltenen, im Zeitalter der Revolutionen allerdings etwas gedämpften, primär politisch motivierten Anglophilie. 141 Sie läßt sich jedoch nicht so einfach von einem breiten kulturellen Kontext lösen. 142 Im Falle von Gentz zeigt sich das in seinen enthusiastischen Berichten an Adam Müller von seiner 1802 unternommenen Englandreise. 143 Von der Hochachtung beflügelt, die ihm auf dem gesellschaftlichen Parkett Londons genauso zuteil wurde wie in der Presse, genoß Gentz die Atmosphäre der Metropole in vollen Zügen: "Und merken Sie sich das nur, als den Hauptgesichtspunkt bei jedem vernünftigen Urteil über diese große Nation: es gibt

Rez. von: Fragments, S. 253. Nicht lange vor der herben Kritik der "Fragmente" lobte Gentz die "Edinburgh Review" noch als ein "Journal, welches alle andre kritische Journale in England auf tausend Meilen weit hinter sich zurückläßt" (Gentz an Böttiger am 15.1.1805, in Briefe I, S. 283). 139 "The excellence of his [=Gentz') intentions cannot be questioned; and his former writings, though certainly not always very judiciously contrived, and frequently displaying opinions either false or overstrained, produced, upon the whole, very salutary effects. To the work now under review, we can by no means apply the same general character; nor can we encourage our readers to expect from it the same good consequences." (Rez. von: Fragments, S. 254). '40 Vgl. zum Hintergrund der Publikationen bis 1801 HartmUl Gembries, Das Thema Preußen in der politischen Diskussion Englands zwischen 1792 und 1802, Diss. Freiburg 1988, S. 6-49. 14' Zu Gentz' Beziehung(en) zu und nach England im Überblick Ranftl, S. 5-35. 14' Vgl. dazu Michael Maurer, Aufklärung und Anglophilie in Deutschland, Göttingen u.a. 1987, S. 18ff, 96-106. ,., Zu dieser Reise Sweet, Friedrich von Gentz, S. 70ff. 137

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nichts Isolirtes in England. Alles hängt aneinander: alles greift ineinander; alles verbindet sich, vermählt sich, verschmilzt sich -- ich habe gar keine adäquate Worte, um Ihnen diese Ganzheit, dieses bewunderungswürdige Ensemble auszudrucken. "144 Die Hymnen in den Zeitungen145 und die Schmeicheleien der Politiker, neue Finanz- und Informationsquellen verliehen Gentz' politischer Anglophilie zusätzliche Schubkraft. 146 Der Aufenthalt in London war aber, aller persönlichen Bedeutung für Gentz zum Trotz, nur ein Zwischenglied in einer langen Kette von Kontakten, die Gentz immer fester an England band. Obwohl er auf das britische Geld angewiesen war, kann von einer direkten Kontrolle der Londoner Regierung über Gentz' Textproduktion nur in einem sehr weiten Sinn die Rede sein. 147 Seinen publizistischen Dank für die so dringend notwendigen Zahlungen und für

,.. Gentz an Adam Müller am 22.11.1802, in Müller Lebenszeugnisse I, S. 74. Gentz versichert, daß dieser Eindruck keineswegs vorgefaßten und mitgebrachten, sekundären Ansichten, sondern unmittelbarer Erfahrung entspringe (ebd., S. 74f.). Er berichtet Müller - Anglomanen unter sich - stolz von der Parlamentseröffnung: "Wenn Sie die Berichte von dieser Sitzung in den Zeitungen lesen werden, so denken Sie sich, daß ich mitten unter den Pairs saß." (ebd., S. 77). Zum Kontrast zwischen dem Erleben der englischen Metropole und dem Wiens vgl. Gentz an Brinckmann am 11.8.1802, in Briefe 11, S. 96ff. ,., Z.B. in "The Morning Chronicle" vom 22.12.1802und in "The Courier" vom 18.12.1802, abgedruckt in Briefe I, S. 264f. (Anrn.). '46 Gentz an Brinckmann am 2.1.1803, in Briefe 11, S. 102f. mit einem Resümee der Resultate seines Englandaufenthalts: "England gehört mir jetzt; ich kenne alle Quellen der unmittelbaren Instruktion, und habe hundert Verbindungen, wodurch ich mir in jedem einzelnen Falle die zuverlässigsten und befriedigendsten Nachrichten über jeden Gegenstand [ ... ] verschaffen kann." (ebd., S. 102). - Sein Wissen über England speiste sich von nun an nicht mehr nur aus öffentlich zugänglichen Quellen, sondern aus "authentischen Dokumenten und Aktenstücken [ ... ], die kein Geld aufkaufen kann. Man hat mir alles, was seit 3 oder 4 Jahren fiir die Parlamentsarchive gedruckt worden ist (unter andern die kostbaren Reports of the secret comittee of finances in 4 Foliobänden, wovon es nur 100 Exemplare in der Welt d.h. in England gibt), und überdies noch eine Menge handschriftlicher Dokumente mitteilen lassen [ ... ]." (ebd., S. 103). '" Dazu P. Witlichen, Englische Politik, S. 466-484. Vgl. auch Kap. X. - Allein schon durch die Auswahl der Gentz zur Verfiigung gestellten Akten hatte die britische Regierung natürlich trotzdem erhebliche Steuerungsmöglichkeiten. Sie konnte außerdem darauf bauen, daß Gentz bemüht war, die Interessen seiner Geldgeber nicht zu verletzen. Dazu beispielhaft Carysford an Grenville am 10.8.1803, in Historical Manuscripts Commission (Hrsg.), Report on the Manuscripts of J.B. Fortesque, Esq., Preserved at Dropmore. Vol. VII, Hereford 1910, S. I 86f., wo es bezüglich einer von Gentz geplanten Schrift über die Finanzpolitik Englands und einer Bitte um die dafiir notwendigen Unterlagen heißt: "But as the notions which circulate upon the Continent at the present conjuncture may materially affect this country, both now and at future periods, I could wish to have a hint from you what points I should particularly recommend to Genz [!], and what turn I should endeavour to give to his work before I write to hirn." (ebd., S. 187). Zum Hintergrund von Gentz' geplanter Schrift Gentz an Böttiger am 19.3.1803, in Briefe I, S. 268f. mit einer entschiedenen Verteidigung des britischen Finanzsystems gegen deutsche und französische Kritiker.

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den Zuwachs an Bedeutung, die ihm seine britischen Verbindungen auf dem Kontinent eintrugen, leistete Gentz nach eigenem Gutdünken. l48 Mit Hintergrundberichten und Denkschriften, in denen der Stand der internationalen Beziehungen und die innenpolitische Situation in Mitteleuropa, ja sogar Probleme der Regierungsbildung in England analysiert wurden, diente er im Laufe der Zeit den wechselnden Ministerien viel konkreter, als mit seinen seltener werdenden Publikationen. '49 Ein Aspekt der öffentlichen Verteidigung britischer Interessen und britischer Politik durch Gentz verdient es, besonders erwähnt zu werden, nämlich die direkte Präsenz auf dem englischen Buchmarkt. Mit der neuen Kommunikationssituation, in die sich Gentz ab 1799 begab, ging auch ein Wandel des Publikums einher. Hatte seine Leistung als Schriftsteller davor gerade zu einem wesentlichen Teil darin bestanden, dem deutschsprachigen Publikum englische und französische Texte zugänglich zu machen, so wurden ab 1799 seine eigenen Schriften übersetzt. Eine offenkundig nicht von Gentz initiierte Übersetzung seines Aufsatzes über den Vergleich der Amerikanischen mit der Französischen Revolution aus dem "Historischen Journal" ins Englische ist darunter besonders erwähnenwert, weil hier Gentz seinen - rückblickend betrachtet - prominentesten Übersetzer gefunden hat, nämlich den nachmaligen sechsten Präsidenten der USA, John Quincy Adams, der damals als Gesandter in Preußen Gentz' Schriften kennenlernte. 'so Mit der französischen Ausgabe eines Teils des "Historischen Journals" begann Gentz, sich planmäßig eine

'4' Zur Entstehung der Authentischen Darstellung, bei der Verdacht einer direkten Beauftragung nahezuliegen scheint, Tagebücher I, S. 38f. (vgl. Kap. X.). Wie lose die Beziehung von Geldzahlungen einerseits und englandfreundlichen Publikationen andererseits war, zeigt für das Jahr 1805 (Commandant) M.-H. Weil (Hrsg.), D'Ulm alena. Correspondance inedite du Chevalier de Gentz avec Francis James Jackson[,] ministre de la Grande-Bretagne a Berlin. (1804-1806), Paris 1921, S. 237-240. '49 Dazu einige Beispiele: P. Willichen (Hrsg.), Die dritte Coalition und Friedrich von Gentz. Eine Denkschrift Gentz vom Oktober 1804, in: MIÖG 23(1902), S. 461-480; Alexander von Hase (Hrsg.), Eine Denkschrift von Gentz für Lord Harrowby (16. November 1804), in: Kurt Töpner (Hrsg.), Wider die Ächtung der Geschichte. Festschrift zum 60. Geburtstag von Hans-Joachim Schoeps, München u.a. 1969, S. 157-168; ders. (Hrsg.), Friedrich Gentz gegen Lord Archibald Hamilton. Ein Beitrag zur Bildung des Zweiten Ministeriums Pitt (1804), in: Archiv für Kulturgeschichte 51(1969), S. 336-346. - Neben P. Willichen bieten die folgenden Arbeiten von Hase den besten Überblick: Alexander von Hase, Friedrich (v.) Gentz als Verteidiger der alten Mächte und Kritiker ihres Systems. (1801-1805), in: Archiv für Kulturgeschichte 62/63(1980/1981), S. 271300; ders., Das konservative Europa in Bedrängnis. Zur Krise des Gleichgewichtspublizisten Friedrich (v.) Gentz (1805-1809), in: SAECULUM 29(1978), S. 385-405; ders., Übergang. 'lO Vgl. dazu Kircheisen, S. 98-106, 119ff. Zu Adams SIefan T. Possony, Introduction, in: ders. (Hrsg.), Three Revolutions. The French and American Revolutions Compared by Friedrich Gentz. Translated by John Quincy Adams. Reflections on the Russian Revolution by Stefan T. Possony, Chicago 1959, ND Westport, Connecticut 1976, S. V-X, hier S. IXf.

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übernationale Leserschaft zu erschließen. 151 Der europäischen Öffentlichkeit sind denn auch seine Publikationen der Jahre 1801 und 1806 gewidmet, so weit ein heftiger Kritiker Napoleons diese in jener Zeit erreichen konnte. 152 Dies gilt selbst dann, wenn Gentz sich ausdrücklich an die Deutschen wendet, wie die rasche englische Übersetzung seiner "Fragmente aus der neusten Geschichte des politischen Gleichgewichts in Europa" belegt. Die Motive dieser "Europäisierung" seines Adressatenkreises sind zweifellos unterschiedlicher Natur. Eine große Rolle spielten das Streben nach Geld wobei die Erlöse aus den Übersetzungen wohl eine geringere Bedeutung hatten, als die Belohnungen der Regierungen l53 - und Prestige. Die Thematik seiner Schriften und die Logik seiner Argumentation drängten ebenfalls zu dieser europäischen Dimension, ging es Gentz doch seit 1799/1800 in erster Linie darum, für die Überzeugung zu werben, daß das postrevolutionäre Frankreich dabei sei, eine völkerrechtsverletzende, tyrannische Herrschaft über Europa zu gewinnen. Ihr Einhalt zu gebieten, war das erste und dringendste Ziel, das Gentz den Regierungen zur Maxime erhoben sehen wollte. Das europäische Gleichgewicht und die Stärke Englands, des letzten Garanten dieses Gleichgewichts, diese Leitideen von Gentz bestimmten nun auch seine Arbeit als Schriftsteller. 154 Zu den Bewunderern Englands gehörte Gentz schon lange bevor er sich außenpolitischen Problemen zuwandte. Der Weg, der den Verehrer und Kenner britischer Verfassungslehre und Geschichte zur Verteidigung der Machtposition Englands in Europa und in der Welt führte, wurde von einer Reihe von Faktoren bestimmt, von denen der wichtigste zweifellos die politische Gesamtlage Ende des 18. Jahrhunderts war. Von England, dem Gegenbild zum revolutionären Frankreich, zu England, dem Gegenspieler des expandierenden Frankreich - im kulturell-politischen Kontext der Anglophilie wie im machtpolitischen Kalkül der Koalitionen hatte dieser Schritt gute Gründe. Das entscheidende theoretische Konzept, mit dem der drohenden Übermacht eines Staates in Europa traditionell zu Leibe gerückt wurde, war das des Gleichgewichts, das als Forderung einer kontinentaleuropäischen "Balance of

,5\ Fredüic Gentz, Essai sur ('etat cl\! ('administration des finances et de la richesse nationale de la Grande Bretagne, London u.a. 1800 ist die von Gentz selbst übersetzte Aufsatzfolge über die britischen Finanzen im "Historischen Journal". 152 Kircheisen, S. 102f. '" Auf bescheidene Honorarerwartungen bei Gentz deuten zumindest Gentz an BöUiger am 13.10.1799, in Briefe I, S. 259 hin. '5' Ranftl, S. 141 f.

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Power" zugleich die klassische Fonnulierung britischer Interessen darstellte. Schließlich kam als weitere Brücke zwischen der Kritik der Revolution und der Analyse des Staatensystems der Vergleich der französischen mit den britischen Finanzressourcen hinzu. Von Anfang an ist das "Historische Journal" ein Verzeichnis der Machtsteigerung Frankreichs durch Krieg und Einschüchterung. Von Anfang an herrscht aber auch das Vertrauen in die Stärke Englands, den französischen Attacken zu widerstehen, und diese Stärke wird, ebenfalls von Anfang an, mit den englischen Staatsfinanzen belegt. 155 Mit Finanzangelegenheiten hatte Gentz auch in seinem Amt zu tun gehabt und bei der Übersetzung einer Schrift von d'Ivernois über die "Geschichte der französischen Finanz=Administration im Jahre 1796" die diesbezüglichen französischen Verhältnisse eingehend studiert. 156 Von der praktisch-politischen Bedeutung des Gegenstands überzeugt und von wissenschaftlicher Neugierde getrieben,157 beschloß Gentz, die Finanzen Frankreichs weiterhin regelmäßig einer kritischen Prüfung zu unterziehen. 158 Als eine der zentralen Formen des publizistischen Kampfes gegen die Revolution hat Gentz sich dieses Themas im "Historischen Journal" dann tatsächlich angenommen,159 aber vor allem den Vergleichsfall Großbritannien ausführlich dargestellt. 100

Dazu Friedrich GenlZ, England, in: HistJ 1/1, S. 166-190. Genlz (Ü.lBearbeiter), Geschichte der französischen Finanz = Administration im Jahre 1796. Aus dem Französischen des Ritter d'lvernois übersetzt und bis zum April 1797 fortgefiihrt, Berlin 1797 mit einer Einleitung (ebd .. S. II1-XXVIII) und Zusätzen (November 1796 - April 1797) (ebd., S. 325-446) von GenlZ. '" "Da die Finanzadministration in unsern Zeiten der wichtigste Bestandtheil einer jeden großen Staatsverwaltung geworden ist, da von ihrem Schicksal, von ihrer Richtung, von ihrem Fort- oder Zurückschreiten. nicht allein der Wohlstand oder der Verfall, sondern sogar die Aufrechterhaltung oder der Untergang der Staaten abhängt, so giebt es wohl wenig Gegenstände, welche der Aufmerksamkeit denkender Menschen würdiger wären. Nie aber war eine vortheilhaftere Gelegenheit vorhanden, beinahe alle Probleme dieser Wissenschaft, die einfachsten so wie die verwickeltsten, zugleich theoretisch und praktisch behandelt zu sehen, und gleichsam von den ersten Elementen zu dem vollständigsten System aufzusteigen, als die welche Frankreich seit einigen Jahren darbot, und gewiß noch viele Jahre hindurch darbieten wird." (ebd., S. XXXVIf.). t>8 Ebd., S. XXXVllf. Vgl. auch Gentz an Böttiger am 23.5.1797, in Briefe I, S. 229 und Gentz an d'Ivernois am 20.3.1798, in Qtto Karmin (Hrsg.), Lettres inedits de Frederic Gentz a Sir Francis d'lvernois. (1798-1803), in: Revue historique de la Revolution Fran'1aise et de l'Empire 4(1913), S. 5-44, hier S. 9. HistJ 111, S. 347-376, 113, S. 108-142, II12, S. 193-272,297-406. 160 Vor allem in: Friedrich Gentz, Ueber den jetzigen Zustand der Finanz = Administrazionund des Nazional=Reichthumsvon Großbritannien, in: HistJ 1/3, S. 1-107,143-244; ders., Ueber den Zustand der Englischen Bank und das Verhältniß derselben zur Regierung. (Beschluß des Aufsatzes über die Brittische Finanz=Administrazion), in: HistJ 1/3, S. 313-381; ders., Uebersicht der Brittischen Finanzen im Jahr 1800, in: HistJ 11/3, S. 407-498. 155

I" Friedrich

I'"

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Auch auf die Gefahr hin, seine Erkenntnisse von den Freunden Frankreichs als "fables aristocratiques, sold6es par M. Pitt"161 abgetan zu sehen, versuchte er, dem Einfluß der antienglischen Hetze in Deutschland, speziell in Preußen, Sachinformation entgegenzusetzen. 162 Im Unterschiede zu d'Ivernois war es Gentz klar, daß die Französische Revolution, bei all ihrer verheerenden Wirkung auf das Nationalvermögen, einen derart unumschränkten Zugriff auf alle Ressourcen des Landes habe, daß ein finanzieller Zusammenbruch des politischen Systems nicht zu erwarten sei. 163 England habe, dank seines hohen wirtschaftlichen Entwicklungsstands und dank der klugen Umstellung der Staatsschulden auf ein System von mit Fonds gesicherter Verzinsung ohne Kapitalrückzahlung, den enormen Geldbedarf des Staates, trotz der Belastungen des Krieges, zu decken verstanden, ohne dabei die Wohlfahrt der Nation zu gefährden. 164 In einer Mischung aus volkswirtschaftlicher Reflexion, die sich klar an Adam Smith anlehnt,l6.I und der Bilanzierung umfangreichen Zahlenmaterials, bei der er nach eigenem Bekunden sehr von d'Ivernois profitiert, ohne dessen Methode sklavisch nachzuahmen,l66 führt Gentz nicht nur den Nachweis, daß das britische Staatsschuldensystem voll funktionsfähig sei, sondern daß es sogar segensreich für die weitere Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft sei, heilsam, da es zur Stärkung des Sinns für die Stabilität und Komplexität gesellschaftlichen Lebens beitrage. 167

'6'

Gentz an d'lvernois am 4.9.1799, in Karmin (Hrsg.), S. 22. Ebd. '6' Gentz, Uebersicht der Brittischen Finanzen, HistJ 1113, S. 49If.; Gentz an d'lvernois am 25.5.1799, in Kannin (Hrsg.), S. 18f. ,.. Gentz, Ueber den jetzigen Zustand der Finanz = Administrazion [ ... ) von Großbritannien, HistJ 1/3, S. 92-106, 168-175. '6' "Smith ist der Schöpfer einer neuen Theorie geworden, welche zwischen beiden Extremen des physiokratischen und des merkantilischen Systems in der Mitte liegend, das künstliche Gewebe der bürgerlichen und ökonomischen Existenz des Menschen (eins der schwersten und complizirtesten Objekte, womit der Geist sich beschäftigen kann,) in seine wahren Grundfäden aufgelöset hat. Durch ihn allein hat der wissenschaftliche Theil der Staats = Oekonomie mehr Fortschritte gemacht, als durch alle seine Vorgänger und Nachfolger zusammen genommen." (ebd., S. 183f.). '66 Vgl. dazu Gentz an d'lvernois am 18.10.1799, in Karmin (Hrsg.), S. 26ff. '67 Bei dieser nonnativen Komponente des Urteils über die Staatsfinanzen Großbritanniens klingt Burke an, wenn Gentz schreibt: "Die bürgerliche Gesellschaft ist keineswegs eine Reihe fiir sich bestehender, unzusammenhängender, von einander geschiedner Generazionen: sie ist ein großes, unvergängliches Ganzes, welches entfernte Jahrhunderte künstlich in einander webt, das Resultat eines Contraktes, der fiir die Ewigkeit [ ... ) geschlossen, und auf die Ewigkeit berechnet ward. Die verschiednen Generazionen, die diese Gesellschaft bilden, sind, im höchsten Sinne des Wortes, solidarisch verbunden und verbürgt [ ... )." (Gentz, Ueber den jetzigen Zustand der Finanz = Administrazion [ ... ) von Großbritannien, HistJ 1/3, S. 196). '62

19 Kronenbitter

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Als tief überzeugter Anhänger von Adam Smith fiel es Gentz nicht schwer, die Freiheit des Handels zum wohlverstandenen Eigeninteresse aller Europäer zu erklären. l68 Den Vorwurf, Englands Übergewicht beim Seehandel sei die Folge einer egoistischen Monopolisierungsstrategie, weist Gentz entschieden zurück; in Wahrheit verursache das quantitativ wie qualitativ höhere Niveau der britischen Warenproduktion dieses Übergewicht, nicht umgekehrt. l69 Nicht Anglomanie, sondern die vernünftige Einsicht in "die Verhältnisse der großen bürgerlichen Welt=Oekonomie"l70 lehre, daß England - im Gegensatz zu Frankreich - unter Wahrung des Rechts und bei Förderung des allgemeinen wirtschaftlichen Fortschritts seine Machtposition errungen habe, die zwar vielleicht weniger glänzend sei als die gegenwärtige Lage Frankreichs, aber dafür mit Aussicht auf Dauerhaftigkeit. 171 Die Briten verteidigen mithin, so die politische Essenz von Gentz' Darstellung, das gemeinschaftliche Interesse aller Europäer: "Die ökonomische sowohl, als die politische Existenz des brittischen Staates ist das größte und edelste Resultat der gesellschaftlichen Thätigkeit des Menschen, ein lehrenges [!I und einladendes Beispiel für andre Völker, und das stärkste aller praktischen Argumente gegen die eitle Lehre, nach welcher vor dem Jahre 1789 nur gothische Barbarei und verächtliche Staats = Maximen in Europa geherrscht haben müßten. Sie ist zugleich eins der wichtigsten Glieder in der großen gesellschaftlichen Kette, welche die Stürme unsers Zeitalters zu zerreißen drohen. Sollte der leichtsinnige Wunsch so mancher verblendeten Gegner dieses Staates gewährt werden, sollte dies Bollwerk dahin fallen, ( ... 1 so würde Europa den betäubenden Stoß in jeder seiner Nerven fühlen. "112

Indirekt, über weite Strecken der Untersuchung auch vollkommen fern jeder sichtbaren Polemik, macht Gentz mit einem Berg von Zahlen eine einfache Rechnung auf: Frankreich gefährde mit seinen Angriffen auf England zugleich den Wohlstand Europas. Die mit soviel Aufwand recherierte Darstellung der britischen Staats finanzen fand, wie bereits erwähnt, Anerkennung bei der Londoner Regierung und öffnete Gentz auch den Zugang zum englischen Publikum, wenn auch nur in einer französischen Übersetzung. 173 Als größter

168 "Wenn man die menschlichen Angelegenheiten immer so ordnen könnte, wie einsichtsvolle Freunde des allgemeinen Wohls es wünschen mögten, so würde natürlich die größte mögliche Concurrenz der verschiednenzum Seehandel geeigneten Nazionen eine der besten Veranstaltungen in einem guten System des Europäischen Staaten = Vereins seyn." (Gentz, Ueber das Handels=Monopol der Engländer, die wahren Ursachen der Entstehung und die Folgen einer gewaltsamen Vernichtung derselben, in: HistJ 111, S. 395-439, hier S. 429f.). 169 Ebd., S. 399. 170 Ebd., S. 437. 171 Gentz, Uebersicht über die Brittischen Finanzen, HistJ IlI3, S. 492-497. 172 Gentz, Ueber den Zustand der Englischen Bank, HistJ 1/3, S. 380f. m Gentz, Essai sur l'etat actuel, S. IVf. Vgl. dazu Gentz an d'lvernois am 7.3.1800, in Karmin (Hrsg.), S. 33.

3. England und Europa

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buchhändlerischer Erfolg erwies sich jedoch ein Jahr später die Übertragung seiner Schrift "Von dem Politischen Zustande von Europa vor und nach der Französischen Revoluzion" ins Englische. 174 Deren Hauptthema war nun nicht mehr der isolierte Kräftevergleich der Kontrahenten England und Frankreich, sondern die interpretatorische Vereinnahmung des Gleichgewichtsbegriffs für eine der bei den Seiten. 175 Der Untertitel der Buches - "Eine Prüfung des Buches: De l'etat de la France a la fin de I'an VIII" - zeigt gleich an, daß es in Reaktion auf eine Schrift des Grafen d'Hauterive, Alexandre Maurice Blanc de Lanutte entstand, der, anonym, das konsularische Frankreich als Wiedererrichter, nicht Zerstörer des Gleichgewichts in Europa verteidigte. 176 Hauterive entfaltet im Gegensatz zu Gentz den Zusammenhang zwischen der Auslegung des Gleichgewichtsprinzips und der Beurteilung der ökonomischen Potenz und maritimen Stärke Großbritanniens, die in seinen Augen ein systemwidriges Übergewicht darstellen. 177 Folgerichtig macht Hauterive nun Gentz, "qui dans cette discussion est I'organe et I'echo du ministere anglais"I78, zum Vorwurf, die handelspolitische Dominanz Englands mit ihren gefährlichen Folgen für die wirtschaftlichen Entwicklungschancen Kontinentaleuropas als Resultat einer von den Gesetzen der Nationalökonomie determinierten dauernden Überlegenheit der Gewerbeproduktion darzustellen. 179 Sehr zielgenau weist er darauf hin, daß diese vermeintliche Entpolitisierung und Verwissenschaftlichung der Diskussion die bestehenden Ungleichgewichte diskursiv immunisieren solle. ISO

"4 Die englische Übersetzung erlebt.: nach Kircheisen, S. 103 sechs Auflagen in zwei Jahren. Darauf, daß Gentz von diesem Erfolg finanziell profitierte, deutet sein Brief an Fasbender am 30.9.1802, in (Major) Jacubenz (Hrsg.), Gentz und Fasbender. Ungedruclcte Briefe aus der Zeit von 1802 bis 1808, in: Mitteilungen des k.k. Kriegsarchivs 3. Folge 7(1911), S. 57-102, hier S. 72: "Ich habe in England aus einer literarischen Enterprise noch eine fiir mich sehr beträchtliche Summe zu fordern und zu erwarten [ ... ]." - Vgl. dazu auch Gentz an Böttiger am 13.10.1801, in Briefe I, S. 258. m Zur Verbindung zwischen ökonomischen und politischen Gleichgewichtsansätzen im 18. Jahrhundert Kaebel', S. 141. "6 [Alexandre Maurice Blanc de Lanutte, Comte d'Hauterive], Oe I'etat de la france a la fin de I'an VIII, Paris an 9 [1801]. 177 Ebd., S. 16-24. 178 Ebd., S. 179. "9 Ebd., S. 125-135,179-184,195. 110 Ebd., S. 129f., 218-222: "L'economie politique, dans ('etat 011 elle est, n'est pas une science [ ... ]." (ebd., S. 219). Vgl. Gentz' Einschätzung der "höheren Staatswirthschaft" oder "politischen Oekonomie" als "Gegenstand, in dessen fruchtbarer Tiefe die Heilmittel fiir alle Wunden liegen, die politischen Eigendünkel, und revoluzionärer Fanatismus, und die unglücklichen Anmaßungen einer falschen zerstörenden Philosophie [ ... ], und manche unglückliche Irrthümer der Mächtigen, die die Anmaßungen bekämpften, der blutenden Menschheit geschlagen haben. " (Gentz, Ueber den jetzigen Zustand der Finanz = Administrazion [ ... ) von Großbritannien, HistJ 1/3, S. 246). 19"

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XII. Zwischen den Staaten

Gerade Hauterive suchte sich Gentz "von den zahlreichen Gegnern, welche meine Versuche über die Englischen Finanzen in Frankreich gefunden haben"181 als Folie seiner Rechtfertigungsbemühungen heraus, nicht etwa einen Kritiker wie Fonvielle, der sich bei seinen Attacken auf wirtschaftliche Fragen konzentriert hatte. 182 Der Anti-Hautrive, als "ein polemisches Werk"183 zur direkten Widerlegung geformt, sollte zeigen, daß es vor der Revolution in Europa ein durch ein ungefähres Gleichgewicht der Mächte gesichertes, völkerrechtlich sanktioniertes Staatensystem gegeben habe und Frankreich, weit davon entfernt, dieses Gleichgewicht wiederherzustellen, es durch seine Expansion gerade zerstöre. Der öffentlichen Verteidigung besonders bedürftig ist, so Gentz, die Erörterung von "Englands Verhältniß gegen Europa"184. Dabei zeige sich, daß die englischen Siege über Frankreich in der Vergangenheit keine Gefahr für die gesamteuropäische Ordnung bedeutet hätten und von Großbritannien aufgrund seiner Lage als Seemacht keine Bedrohung der Freiheit der Kontinentalstaaten ausgehen könne}8S Entscheidend aber ist für Gentz die Widerlegung des Vorwurfs einer ungerechtfertigten kommerziellen Übermacht Großbritanniens. Weder der Besitz von Kolonien, noch die Kontrolle des Überseehandels sei an sich der Kern eines Monopols, auch wenn durch die aggressive französische Politik im Laufe der Revolutionskriege England in beiden Bereichen weitgehend die Kontrolle übernommen habe. 186

'8' Friedrich GenlZ, Von dem Politischen Zustande von Europa vor und nach der Französischen Revoluzion. Eine Prüfung des Buches: De I'etat de la France a la fin de I'an VIII, Berlin 1801, S. XIX (Anrn.).

'81 [Bemard F.A.) (Citoyen) Fonvielle, Situation de la France et de l'Angleterre, a la fin du 18.me siecle, ou conseils. au Government de France, et refutation de l'Essai sur les finances de la Grande Bretagne, par Frederic Gentz. Ouvrage dedice au Premier Consul Bonaparte, 2 Bde., Paris 1800. Ein Großteil des Werkes ist der detaillierten Kritik an Gentz gewidmet (ebd., 1I, S. 93-361). Gentz als Instrument britischer Propaganda (ebd., I, S. XlIff.) und als "apologiste de tout ce qui se passe en Angleterre" (ebd., 1I, S. 231). 113 GenlZ, Von dem Politischen Zustande, S. VIII. '84 Ebd., S. 309. - "Diese Erörterung ist an und für sich eine der wichtigsten in der ganzen Sphäre der beobachtenden und vergleichenden Politik. Selbst in seinen härtsten [!I Beschuldigungen sprach der Verfasser [= Hauterivel nicht bloß seine eigne, individuelle Meinungen aus: er war der Nachhall seines Zeitalters; er repräsentirte die herrschenden Maximen, die herrschende Tendenz einer bedeutenden Masse von Schriftstellern und Geschäftsmännern unter allen Europäischen Nazionen; und wenn er dem Lieblings = Thema unsrer Tage auch einige eigenthümliche Farben verlieh, es auch mit mehr als gewöhlichen Scharfsinn, und vielleicht mit mehr als gewöhnlicher Bitterkeit darstellte, so blieb er doch im Ganzen derselben Ansicht, demselben Ideen = Gange, und denselben Quellen getreu, aus welchen seit einigen Jahren, sobald von England die Rede ist, fast alle politische Weisheit, und fast alle politische Beredsamkeit geschöpft wird. " (ebd., S. 309f.). '8' Ebd., S. 154-185. '06 Ebd., S. 309-386.

3. England und Europa

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Letzten Endes, so präzisiert hier Gentz nur das im "Historischen Journal" bereits dazu Gesagte, sei die britische Stellung auf den Märkten für gewerbliche Waren das Geheimnis des englischen Erfolgs in der Handelspolitik, und nicht umgekehrt. 187 Gentz mischt in seinem Anti-Hauterive zwei Verfahren zur Rechtfertigung Englands: auf das ökonomische Problem bezogen, argumentiert Gentz nach den Prinzipen einer wachstumsorientierten Theorie, also zukunftsgerichtet; auf das Problem der machtpolitischen Balance bezogen, stützt er sich auf "die unwiderstehliche Evidenz historischer Thatsachen"188, die die Nützlichkeit Englands für die Erhaltung des Gleichgewichts demonstrieren sollen. Auf eine dritte Dimension antibritischer Vorbehalte, die "important question concerning the preponderance of the british marine (or, as the stupid partisans of the French express it, [']the na val tyranny 0/ the English'), which involves the rights of neutral flags"189, wollte Gentz noch dringend eingehen,l90 aber die Durchführung dieses Plans kam - wie auch die Vollendung der gesamten HauteriveWiderlegung - nicht zustande. Lob von führenden Rezensionsorganen gab es auch schon für das unvollendete Werk, in Deutschland l91 und in Großbritannien gleichermaßen. 192 Das europäische Problem der Wiederherstellung des Gleichgewichts mußte zwangsläufig einem europäischen Publikum nahegebracht werden; Großbritanniens Öffentlichkeit fiel die Schlüsselrolle zu. Lief alles, was Gentz seit 1801 schrieb, mehr oder minder auf eine Rechtfertigung der Koalitionskriege gegen Frankreich hinaus, so verlangte diese Absicht, nicht nur in Deutschland und auf dem Kontinent, sondern gerade in Großbritannien die Überzeugung zu

.17 "Die ausgezeichnete, und fest ausschließende Gunst, die den Englischen Fabrikaten auf dem großen Verkaufs=Markte von Europa widerfährt, ist das Resultat, nicht des Zwanges, sondern der Wahl; sie ist eine freiwillig=gewährte, eine freiwillig = unterhaltene, eine freiwillig = befestigte Gunst; und sie kann, nach der Natur der Dinge, nur dies, und nie etwas andres seyn; denn England besitzt kein Mittel, wodurch es auf irgend einem Punkte von Europa seinen Waaren gewaltsamen Eingang, und gewaltsamen Absatz verschaffen könnte." (ebd., S. 364) . ••• Ebd., S. 184 . • 19 Gentz an Herries am 10.11.1802, in Briefe I, S. 336 . • 90 Ebd., S. 336f. •9. Z.B. die Rezension von Gentz' "Von dem Politischen Zustande" und der Übersetzung von Hautrives Schrift in der ALZ 1804 vom 21.12.1804 . •92 Rezension von: Oe I'etat de l'Europe avant et apres la Revolution Fran~oise [!I, pour servir de reponse a I'ecrit, intitule, Oe l'Etat de la France a la fin de l'an 8, in: The Edinburgh Review 2(1803), Nr. 3, S. 1-30 auf der Basis der in London erschienenen französischen Übersetzung mit Nennung Hauterives (ebd., S. 2). Vgl. außerdem Alexander von Hase, John Quincy Adams als Kritiker von Hauterive und Gentz (1801). Ein Beitrag zu einem europäischen Gespräch, in: HZ 215(1972), S. 33-48.

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XII. Zwischen den Staaten

stärken, daß Englands Kampf gegen die französische Hegemonie in Europa ein gerechter und notwendiger Krieg sei. Wenn die britische Machtposition, ihre Demonstration und Rechtfertigung den politischen Inhalt, ihre Unterstützung durch die öffentliche Meinung Europas das politische Wirkungsziel von Gentz' Schriften prägte, dann war sein Schreiben an die aktuelle Konstellation zwischen England und Frankreich gebunden. Tatsächlich brachte ihn 1802 der Frieden von Amiens zum Schweigen und erst nach der Wiederaufnahme der Feindseligkeiten und besonders mit der energischen Kriegspolitik Pitts faßte Gentz neue Publikationspläne. 193 Schon 1802 hatte er angekündigt, "that I shall not cease to contend for the approbation of the worthy and enlightened among your countrymen by future works, whose object will be the true interests of Europe and of England (they are both the same)"194. Die von der Propaganda Napoleons geschürte Kritik an der Politik der britischen Regierung im Vorfeld des Krieges gegen Spanien veranlaßte Gentz dann tatsächlich, durch die Veröffentlichung einschlägiger englischer Akten den Beweis zu führen, daß London mit der Aufnahme von Kampfhandlungen gegen das von Frankreich bevormundete Spanien keinen Bruch des Völkerrechts begangen habe. 195 Die "Ehrenrettung Englands gegen den Vorwurf widerrechtlicher Maßregeln"l96 sei von vitaler Bedeutung für . Europa, "denn, daß England nicht blos im Kampfe mit seinen Feinden nicht erliege, daß es blühend und mächtig bleibe, um seiner hohen Bestimmung getreu, unfähig selbst zu tyrannisiren, Tyrannei und Uebermacht, wo sie irgend nur ihr Haupt erheben wollen, niederdrücken zu helfen, das ist das gemeinschaftliche Interesse. "197 Dazu müsse eben auch noch die Untadeligkeit der britischen Maßnahmen erwiesen werden. "Nur dem gebührt das allgemeine Vertrauen, nur dem gebührt Ruhm und Sieg, der nie von der Gerechtigkeit wich. "198

193 Dazu Hase, Im Zeichen wachsender Gefahr, S. 282-290 und P. Wittichen, Englische Politik, S. 473-481. Vgl. dazu allg. Alexander von Hase, Auf dem Wege zu Rankes "Großen Mächten". Gentz' Buch "Von dem politischen Zustande von Europa vor und nach der Französischen Revolution" (1801), in: SAECULUM 22(1971), S. 35-47. Vgl. auch ders., Zur Lehre vom Primat der Außenpolitik und von den großen Mächten. Faviers "Conjectures raisonnees" (1773), in: SAECULUM 27(1976), S. 77-93, hier bes. S. 91f. - Zu seinem neuen schriftstellerischen Elan Gentz an Brinckmann am 18.12.1804: "Jetzt lasse ich meine Tuba schon lauter ertönen." (Briefe 11, S. 251). 194 Gentz an Herries am 10.11.1802, in Briefe I, S. 338. m Gentz an Jackson am 20.8.1805, in Weil (Hrsg.), S. 57: "je soutiens que, sur aucun evenement des dernieres annees, le jugement des contemporains n 'a ete plus scandaleusement, plus audacieusementtravesti que sur l'origine de la gllerre actllelle avec I 'Espagne. " 196 Gentz, Authentische Darstellung, S. 75. 197 Ebd., S. 75f. I" Ebd., S. 76.

3. England und Europa

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Seine Beweisführung entwickelt Gentz ausdrücklich in Abwehr der von Frankreich, ja ganz direkt von Napoleon vorformulierten Verleumdungen Englands. l99 Das Ungleichgewicht zwischen einem politischen System mit den Möglichkeiten öffentlicher Kritik an der Regierung in Parlament und freier Presse (wie in England) und einer monolithischen Despotie (wie in Frankreich unter Napoleon) hinsichtlich der Chance zur Manipulierung der öffentlichen Meinung könne Großbritannien schweren Schaden in den Augen Europas zufügen; langfristig sei Napoleons Politik, über den "Moniteur" persönlich Propaganda mit Schmähungen, Lügen und Drohungen zu betreiben, eine Perversion der Diplomatie und die Gewähr dauernder Friedlosigkeit,200 denn "wenn dieser unnatürliche Zustand der Dinge, diese gefahrvolle Mischung der Gewalten, der äußerste Mißbrauch schriftstellerischer Frechheit auf eine furchtbare Waffenrnacht gepfropft - ein Souverain, der mit Zeitungsschreibern ins Gefecht geht - ein Zeitungsschreiber, vor dem Könige zittern - wenn dieses verkehrte und verderbliche System nicht gänzlich vertilgt werden kann, so ist kein Friede in Europa zu hoffen. "201 Dieses Vorgehen Napoleons, das von der freizügigen innerbritischen Kritik der Opposition am Kriegsausbruch 202 und von der Rückgratlosigkeit und Unwissenheit vieler Schriftsteller203 begünstigt werde, baue auf Vorurteile, Denkfaulheit und Dummheit im Publikum. 204 Die kleine Elite der Verständigen versucht Gentz zu überzeugen, daß die von England 1804 gegen das angeblich neutrale Spanien begonnenen Feindseligkeiten vollkommen gerechtfertigt gewesen seien, da Spanien mit dem Vertrag von I1defonso 1796 faktisch von Frankreich abhängig geworden sei. Sobald mit dem Bruch des Friedens von Amiens der Kampf zwischen Großbritannien und Napoleon fortgesetzt wurde, sei England rechtlich auch mit Spanien im Krieg gelegen. 205 Den langsamen und windungsreichen Weg zur Nutzung dieses Rechtes zum Krieg gegen Spanien, "den Uebergang von einem Krieges = Stande ohne offne Feind-

Ebd., S. 10-16. Ebd., S. 25-50. 201 Ebd., S. 64f. 202 Deren parteilicher Hintergrund den Untertanen anders verfaßter Staaten natürlich leicht entgehe (ebd., S. 32f.). 203 Ebd., S. 9, 50f. 204 Ebd., S. 8f. - Über Napoleons Artikel schreibt Gentz: "die Sprache der höchst=eigenhändigen Französischen Kabinetts = Noten ist, [ ... ], auf den großen Haufen berechnet, und auf diesen wirkt sie um so sichrer, je wilder, je ungestümer, besondersje verwegner sie ist. Was so behauptet wird, (denken immer unter hundert Lesern neun und neunzig,) das muß wohl gegründet seyn." (ebd., S. 50 (Anm.». 20' Insofern sei der "Krieg zwischen Spanien und England [ ... ] durch den Traktat von St. Ildefonso erklärt" (ebd., S. 96f.) worden. 199

200

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XII. Zwischen den Staaten

seligkeiten ZU einem förmlichen Kriege"206, rekonstruiert Gentz schließlich im Detail anband der von ihm übersetzten britischen Akten und präsentiert sich so als zuverlässiger Bearbeiter der Zeitgeschichte, dessen Quellenauslegung intersubjektiver Nachprüfung standhalte. 21)7 Primär war die "Authentische Darstellung des Verhältnisses zwischen England und Spanien vor und bei dem Ausbruche des Krieges zwischen beiden Mächten", so der Titel, zur Belehrung des deutschen Publikums gedacht,208 aber von Anfang an faßte Gentz auch eine englische Ausgabe ins Auge, nicht nur wegen der zu erwartenden Schwierigkeiten mit der Zensur,209 sondern auch mit dem ausdrücklichen Ziel, in Großbritannien selbst, wo das Vorgehen der Regierung heftiger Kritik der Opposition ausgesetzt gewesen sei, den wahren Sachverhalt bekanntzumachen. 2lO Trotz all seiner Bemühungen ist die Übersetzung nicht zustande gekommen. 2I1 Die nach Trafalgar und unmittelbar vor Austerlitz geschriebene Vorrede enthält neben der Begründung für

Ebd., S. 79. "Eine historisch = kritische Untersuchung ist ohne vollständige Belege nicht denkbar; und da im Laufe der hier angestellten die Aktenstücke unaufhörlich zitiert werden mußten, so wäre es nicht blos unschicklich, sondern vielleicht für den Kredit dieser Schrift gefährlich gewesen, sie nicht dem Leser derselben in ihrem ganzen Zusammenhange zu überliefern." (ebd., S. 309). 208 Dies zeigt schon die Tatsache, daß mehr als ein Drittel des Buches der Übersetzung bereits zuvor in England veröffentlichter Akten diente. 209 So Gentz an Johannes von Müller am 12.8.1805, in Schriften IV, S. 78. - Vgl. Gentz' Vorhaben einer Geschichte der britisch-französischen Beziehungen seit dem Frieden von Amiens und seinen Plan, zur Umgehung der österreichischen Zensur das Werk erst in England zu publizieren und es erst danach eventuell als (Rück)Übersetzung aus dem Englischen in Deutschland zu veröffentlichen. Dazu Gentz an d' Ivernois am 9.9.1803, in Karmin (Hrsg.), S. 43. 210 So schreibt Gentz an Hammond am 19.6.1805 über die" Authentische Darstellung": "Cet ouvrage entierement acheve s'imprime dans ce moment a Berlin; et je le ferai repandre autant que possible en Allemagne; c'est dans cette vue que je I'ai aussi compose aussi en Allemand, la France etant si hermetiquement fermee que rien ne peut passer ses frontieres. Mais mon ambition s'etend plus loin encore. Je suis persuade que cet ouvrage produiroit de I'effet en Angleterre, Oll on a re~u quelques autres de ma plume avec tant d'indulgence et de faveur. Je m'en flatte d'autant plus, que, les membres de l'opposition ay&nt malheureusement adopte la plus grande partie des fausses idees qu'on avoit etablies en Europe sur I'origine de cette guerre, l'opinion publique de I' Angleterre ellememe a ete considerablement entrainee, et merite certainement d'etre ec1airee, et meme un peu ramenee sur cet objet.· (Stern (Hrsg.), S. 1 \3). 211 Gentz an Hammond am 19.6.1805, in Stern (Hrsg.), S. 113f.; Vansittart an Hammond am 13.7.1805, in Weil (Hrsg.), S. 239f. - Der Privatsekretär Vansittarts, Herries, hatte 180\ die Übersetzung angefertigt. Dazu Gentz an Herries am 10.11.1802, in Briefe I, S. 334-338. - In Gentz an Frölich am 30.4.1805, in GStA Merseburg Rep. 94 Kleine Erwerbungen IV Nb 2 ist Gentz die rasche Übersetzung ins Englische noch ein dringendes Anliegen. Die Verzögerungen bei der Veröffentlichung des deutschen Textes, die aufgrund der Schwierigkeiten mit der Zensur (vgl. Kap. IX.\.) lange aufsieh warten ließ, raubte der "Authentischen Darstellung" alle Aktualität und verhinderte so die projektierte Übersetzung (Hase, Übergang, S. 600). 206

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3. England und Europa

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Gentz' langes öffentliches Schweigen - ~s habe in der Realität jeder Ansatzpunkt für die Hoffnung auf eine Wiederherstellung des Staatensystems in Europa gefehlt - auch das Eingeständnis der geringen Dauerhaftigkeit praxisnaher (außen)politischer Reflexion in einer Zeit der Umbrüche. 212 Das klägliche Scheitern der Koalition schuf eine neue Situation, in der es Gentz darauf ankommen mußte, parallel zu seinem Versuch, mit der Vorrede zu den Fragmenten in Deutschland und besonders in Preußen den Widerstandswillen zu stärken, in England keinen Zweifel an den Chancen des weiteren Kampfes gegen Napoleon aufkommen zu lassen. Mit seinem auch als Flugschrift publizierten Artikel über "The Dangers and Advantages of the Present State of Europe Impartially Considered by Frederick Gentz" , der Ende Februar 1806 in London erschien,213 sucht Gentz, wider besseres Wissen,214 den Eindruck zu erwecken, als stünde einer erfolgversprechenden neuen Koalition nichts im Wege. In der "Morning Chronicle", die den Kriegskurs des britischen Kabinetts kritisierte,215 wurde genau diese wirklichkeitsfremde Hoffnung auf energischere Verbündete auf dem Kontinent scharf angegriffen. 216 Wie kurz darauf mit der Übersetzung seiner "Fragmente aus der neusten Geschichte des politischen Gleichgewichts", so traf Gentz in Großbritannien auf öffentlichen Widerspruch der Kriegsge~ner, sobald er, ~etrieben vom unbedingten Willen zur Zurückdrängung der französischen Ubermacht, zu undifferenzierter Begeisterung und unrealistisch erscheinendem Glauben an

Gentz, Authentische Darstellung, S. VII-IX. Zu dieser Schrift, von der nur ein Exemplar im British Museum erhalten ist, Hase, Übergang, S. 608f. und Gentz an Jackson am 16.2.1806, in Weil (Hrsg.), S. 178: "Le but de ce Memoire, calcule sur le public et non sur les hommes d'Etat particulierement instruits, etait de combattre le decouragement general." - Vgl. auch P. Willichen, Englische Politik, S. 481. 214 Gentz an Metternich am 16.2.1806, in Briefe III/I, S. 50: "Ich wollte den finstern Vorstellungen, die sich über die Lage des Kontinents im englischen Publikum festgesetzt haben, entgegenarbeiten; ich wollte die Gemüter zur Hoffnung und eben dadurch zur Tätigkeit einladen. Was ich in diesem Aufsatze gesagt habe, ist keine Sophisterei, sondern meine wahre Überzeugung. Sie aber begreifen wohl, daß es nicht meine ganze Überzeugung ist, und daß ich Schwierigkeiten und Einwürfe, die mir nur allzu bekannt sind, in den Schatten stellte, um zu zeigen, daß die Sache, die Sache an und für sich, nicht verzeifelt ist." m Dazu Gembries, S. 146ff., 196. 216 Unter der Rubrik "State of Europe" in "The Morning Chronicle" vom 28.2.1806. Darin heißt es u.a., Gentz' "paper" sei "a most just satire of the heedlesness and precipitation by which the affairs of the Continent were conducted." Seine Analyse der Schwächen der Koalition von 1805 erscheine korrekt, aber: "To remedy these disadvantages is the whole difficulty. - But M. Gentz, when he assurnes that i/ is overcome, must know perfectly weil that he begs the question. " (ebd.). - Merklich betroffen, verteidigte sich Gentz in einem Brief an Jackson vom 26.3.1806, in Weil (Hrsg.), S. 188 mit dem Hinweis auf die Anzeichen einer Verwirklichung seiner Hoffnungen. 212

2t3

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XII. Zwischen den Staaten

mögliche Verbündete drängte. 217 Während in Deutschland die Verbindung von schonungsloser Lagebeurteilung und Aufruf zu heroischem Widerstand wenigstens psychologisch Sinn machen mochte, suchte der Kritiker der "Edinburgh Review" in den "Fragmenten" nach einem außenpolitischen Kalkül mit Aussicht auf Realisierbarkeit. Immer wieder war Gentz seit dem "Historischen Journal" beim Gang durch die staatswissenschaftliche und ökonomische Theorie und durch die jüngste Geschichte auf der Suche nach überzeugenden Darstellungsmöglichkeiten der zwischenstaatlichen Beziehungen gewesen. Weder in England noch in Deutschland, das zeigte sich 1806, war Raum für eine nachhaltige Wirkung in der und dann durch die Öffentlichkeit. Zwischen gelehrter Abhandlung und auf politische Wirkung angelegter Publizistik schwankte Gentz, wie seine Schriften zeigen, bis 1805/1806. Erst die spätere Konzentration auf eine reine Experten-Leserschaft und die Instrumentalisierung der Publizistik im Rahmen staatlicher Pressepolitik befreiten ihn vom Zwang, unvereinbare Argumentationslinien, eine für die Eingeweihten und eine andere für die Öffentlichkeit, zusammenzubinden.

4. Gewalt und Recht "Weil England die politische Kraft des ganzen Europa durch sein Monopolisirungs=System so sehr geschwächt hat, herrscht unter den europäischen Nationen diejenige, welche zuerst an den Rand der Verzweiflung geführt worden ist; ich meine die französische. England allein hat also alle die Siege zu verantworten, welche Frankreich im Laufe des Revolutionskrieges davon getragen hat und künftig davon tragen dürfte. Der Verfasser der Fragmente aus der neuesten Geschichte des politischen Gleichgewichts von Europa wird mich wegen dieser Behauptung den allervem4chtesten Sophisten nennen, den jemals die Erde getragen hat; ich verzeihe ihm im voraus jede Anmassung, nach welcher er sich einbildet, in die tiefsten Tiefen der Politik eingedrungen zu seyn, während die Nachwelt ihn nur in dem Lichte eines diplomatischen Rhetors betrachten wird, der keine einzige Erscheinung unserer Zeit ergründet hat. "218

Friedrich Buchholz,219 der Gentz hier mit so viel vorgeblichem Großmut begegnet, vertrat in Berlin lautstark das Konzept eines Bündnisses mit Frankreich gegen England, dessen Übermacht zur See und im Zusammenhang damit auch im Handel die größte Gefahr für die Weiterentwicklung Europas darstelle.

Vgl. Rez. von: Fragments, S. 258, 278. [Friedrich Buchholz), Rom und London oder über die Beschaffenheit der nächsten Universal = Monarchie. Von dem Verfasser des neuen Leviathan, Tübingen 1807, S. 361f. 219 Vgl. Wemer Gembruch, England und Kontinentaleuropa im politischen Denken von Friedrich Buchholz. Ein Beitrag zur Diskussion um die Freiheit der Meere und kolonialer Expansion in der Napoleonischen Ära, in: ders., Staat und Heer. Ausgewählte historische Studien zum ancien regime, zur Französischen Revolution und zu den Befreiungskriegen. Hrsg. v. Johannes Kunisch, Berlin 1990, S. 277-305 [erstmals 1975). 217

21.

4. Gewalt und Recht

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Da Englands maritime Präponderanz von Schriftstellern wie Gentz mit einem auf Europa begrenzten Gleichgewichtskonzept gerechtfertigt wurde, plädierte Buchholz dafür, den Blick auf die Kolonien und die Meere als den eigentlichen Quellen britischer Macht zu richten. 22O Von der Instrumentalisierung der Idee einer "Balance of Power" im englischen Interesse angeregt, ging Buchholz aber über eine bloße Globalisierung weit hinaus; er forderte stattdessen einen prinzipiellen Bruch mit dem Gleichgewichtsgedanken und eine kollektive und institutionalisierte Sicherung der Freiheit der Meere. 221 Den Befürwortem eines Gleichgewichtssystems hielt Buchholz vor: "Man darf nur den Begriff von Macht gehörig analysiren, um sogleich zu finden, daß ein Gleichgewicht derselben nie denkbar ist. Macht und Intelligenz ist nämlich einerlei und diese läßt sich weder geben noch nehmen, da sie immer nur aus sich selbst hervorgehen kann. Hätte der Verfasser der Fragmenle aus der neueslen Geschichre des politischen Gleichgewichrs in Europa hiervon die mindeste Ahnung gehabt, so würde er sein aus lauter Widersprüchen zusammengeseztes Buch lieber für sich behalten, als öffentlich bekannt gemacht haben. Das gerade war ja das Verdammliche des Gleichgewichts = Systems, daß es sich mit keinem Stillstand vertrug, sondern ein ewiges Schwanken veraussezte, wobei die Idee des Rechts nie vorherrschend werden konnte. Ein System, welches so endigt, wie das Gleichgewichts = System geendigt hat, ist gewiß ein elendes, und die neueste Geschichte desselben, so wie sie in dem eben genannten Buche gegeben ist, die allerhärteste Strafrede, die man ihm halten kann. "222

Gentz als der deutsche "Apologet des Gleichgewichts"223 im frühen 19. Jahrhundert - so sahen ihn die Zeitgenossen und so erscheint er auch im historischen Rückblick. 224 Den Kampf gegen Frankreichs kontinentale Hegemonie und die aus seiner Sicht entscheidenden Mittel dazu, das enge Zusammenwirken Preußens und Österreichs und eine europäische Koalition unter maßgeblicher Beteiligung Englands, brachte Gentz selbst auf den Begriff einer Wiederherstellung eines von der Französischen Revolution und deren außen-

220 Ebd., S. 288-295. - Einer solchen Globalisierung redet auch Gentz gelegentlich das Wort, aber im Gegensatz zu Buchholz gerade im proenglischen Sinn und als Ergänzung des europäischen Gleichgewichts und zwar bezogen auf englische Überlegungen, die spanischen Kolonien in Südamerika unter britische Kontrolle zu bringen: "Wenn es nun aber täglich einleuchtender wird, daß das Gleichgewicht der Macht in Europa auf direkJen Wegen nicht wieder hergestellt werden kann, soll England Verzicht darauf thun, und gelassen und unthätig das Signal zur Universal = Herrschaft erwarten oder ist es edler und weiser, einen Versuch auf einem indirekJen Wege, so mühsam und so weit=aussehend er auch seyn mag, zu wagen?" (GenIZ, Authentische Darstellung, S. \04 (Anrn.». 221 Vg1.: Buchholz, S. 381-388; Gembries, S. 297ff. 222 Buchholz, S. 338f. m Rolf Hel/mur Foersrer, Europa. Geschichte einer politischen Idee. Mit einer Bibliographie von 182 Einigungsplänen aus den Jahren 1306 bis 1945, München 1967, S. 228. "4 Dazu beispielsweise: ebd., S. 228-234;Heinz Gollwirzer, Europabild und Europagedanke. Beiträge zur deutschen Geistesgeschichte des 18. und 19. Jahrhunderts, 2., neubearbeitete Auflage, München 1964, S. 133-138; Robiner de Clby, Un diplomate, S. 169-187.

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politischen Folgen zerstörten Gleichgewichts. Er rief unter Hinweis auf eben diese "Balance of Power" letztlich die Deutschen wie die Engländer zum Krieg auf, rechtfertigte den Gebrauch der Gewalt. Die vorangegangenen Kapitel haben gezeigt, welche politischen Ziele die Kommunikationssituation für Gentz' Veröffentlichungen der Jahre 1799/1800 bis 1805/1806 bestimmten, welches Publikum er beim Schreiben im Auge hatte und welches er erreichte. Deutscher Nationalismus und Anglophilie als politisch-kultureller Kontext, "historisch-kritische Untersuchung"225 und politische Ökonomie als Methoden wurden in ihrer Verschränkung mit den kommunikativen Rahmenbedingungen erläutert. Seinem Bildungsgang wie der inneren Logik seiner politischen Theori~26 nach von der Staatsrechtslehre ausgehend, bezog Gentz die rechtliche Problematik des Krieges in seine Argumentationsstruktur an zentraler Stelle mit ein. Die Rolle der "Balance of Power" soll deshalb hier weniger als Kategorie der zeitgeschichtlichen Beschreibung, sondern als Bindeglied empirischer und normativer Begründungszusammenhänge für die öffentliche Rechtfertigung der Kriege gegen Frankreich herangezogen werden. Daß Gentz mit dem europäischen Gleichgewicht argumentiert, ist dabei, verglichen mit der Frage, wie er dies tut, kaum erklärungsbedürftig. Der politische Zweck des Arguments wurde bereits benannt, ebenso die geschichtsphilosophische Verankerung. 227 Die kommunikative Verfügbarkeit des Gleichgewichtsarguments um 1800 steht außer Zweifel. Der Gebrauch des Begriffs "Gleichgewicht", der schon zu Beginn der frühen Neuzeit nachweisbar ist, hatte im Zuge der Auseinandersetzungen zwischen Bourbon und Habsburg weitere Verbreitung gefunden; mit dem spanischen Erbfolgekrieg und dem Frieden von Utrecht rückte der Terminus ins Zentrum politischen Denkens, bei Gelehrten und Politikern, in der Publizistik und in den Verträgen. Bis ins 19. Jahrhundert hinein erfreute sich die Idee einer "Balance of Power" in England wie auf dem Kontinent, allen Kritikern zum Trotz, großer Verbreitung, selbst in offiziellen Texten. 228 Die Allgegenwart der Gleichgewichtsvorstellung im späten 18. Jahrhundert macht es un-

GenlZ, Authentische Darstellung, S. 309. Vgl. dazu Kap. II.2. und 1II.7. 227 Vgl. dazu Kap. XII.3. und III.5. 22. Dazu Hans Fenske, Art. Gleichgewicht, Balance, in: Geschichtliche Grundbegriffe II, S. 959-996. Dazu zusammenfassend auch Klaus Müller, Die Idee des europäischen Gleichgewichts in der FlÜhen Neuzeit, in: Hans Hecker (Hrsg.), Europa - Begriffund Idee. Historische Streiflichter, Bonn 1991, S. 61-74. Vgl. auch Kaeher und Wolf D. Gruner, Deutschland und das Europäische Gleichgewicht seit dem 18. Jahrhundert, in: ders. (Hrsg.), Gleichgewicht in Geschichte und Gegenwart, Hamburg 1989, S. 60-133, hier S. 61-111. 22j

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möglich, aber auch unnötig, nach einer bestimmten Quelle, aus der Gentz bei der Rezeption des Begriffs geschöpft hat, zu suchen. Schon in der Schule gehörten Texte, die im weitesten Sinn Gleichgewichtskonzeptionen tradierten, zum Lektürekanon, und auch in den späteren Jahren konnte Gentz der Vorstellung einer "Balance of Power" als Leser von Hume oder Johannes von Müller kaum entgehen. 229 Diese Tradition der Verwendung des Terminus "Gleichgewicht", zu der Gentz dann selbst wichtige Beiträge lieferte,230 hatte spätestens seit dem frühen 18. Jahrhundert ihren textpragmatischen Bezugspunkt in der Entwicklung eines auch schon von den Zeitgenossen als Staatensystem begriffenen Beziehungsgeflechts politischer Handlungseinheiten in Europa. Die Existenz solcher Einheiten, eben der nach außen rechtlich unabhängigen und nach innen mit einem Machtmonopol ausgestatteten Staaten, war die erst im Verlauf der frühen Neuzeit realisierte Voraussetzung dieses Systems, das mit der Diplomatie institutionelle und mit den Regeln des Völkerrechts normative Ausgestaltung erhielt. 231 Die für eine "Balance of Power" begriffsbildende Maßeinheit der Gewichte war die Macht, in die - der Wirklichkeit der Staatenbeziehungen angemessen - militärische Schlagkraft, demographisches, ökonomisches und finanzielles Potential, insgesamt die Faktoren der absehbaren Durchsetzungsfähigkeit im angenommenen Konfliktfall, eingerechnet wurden. 232 Die von Anfang an zu beobachtende Instrumentalisierung des Gleichgewichtsbegriffs zur Bemäntelung aggressiver Politik forderte schon vor der Französischen Revolution zur Kritik heraus. Insbesondere die Eingliederung der "Balance of Power" als Rechtfertigung von zwischenstaatlichen Gewaltvorbereitungen und -maßnahmen ins Völkerrecht rief Ablehnung hervor. 233 Im Unterschied zu Frankreich entstand im gelehrten Deutschland eine prinzipielle staatstheoretische Diskussion des Problems kriegerischer Gewalt erst unter dem

229 Hase, Politischer Zustand, S. 56-59. - Die Ubiquität des Gleichgewichtsdenkens läßt auch aus der Tatsache, daß Gentz' Vetter Ancillon ebenfalls diese Vorstellung vertrat, keine Rückschlüsse auf eine familienspezifische Tradition zu. Dazu: ebd., S 58f.; Gollwitzer, S. 138ff. 230 Dazu Fenske, S. 985,994. 231 Gordon A. CraiglAlexander L. George, Zwischen Krieg und Frieden. Konfliktlösung in Geschichte und Gegenwart (Ü.: Karl Heinz Siber), München 1984, S. 18-42. m Zur Einbeziehung der Handelsbilanz in das Mächtegleichgewicht Fenske, S. 975-978. - Zu den Voraussetzungen für eines Gleichgewichtssystems Gulick, S. 3-29. - Die Feststellung Kaebers. daß "die Verbindung von Handelsbilanz mit politischem Gleichgewicht ( ... ] in der eigentlich politischen Literatur" (Kaeber, S. 141) des 18. Jahrhunderts keinen bedeutenden Niederschlag gefunden habe, ist für die Zeit um 1800 nicht zutreffend. Dazu Kap. XII.3. m Zur Verbindung von Gleichgewichtslehre und natürlichem Völkerrecht Kaeber, S. 143-153 und Fenske, S. 973ff.

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Eindruck der Revolutionskriege. 234 Den stärksten Impuls erhielt diese Diskussion durch Kants "Zum ewigen Frieden".235 Auch Gentz stellte seine am stärksten den Grundsatzfragen einer rechtsphilosophischen Bestimmung von Krieg und Frieden gewidmete Veröffentlichung in diesen Kontext - schon der Titel "Ueber den ewigen Frieden" ist dafür ein Indiz. 236 Diese Überschrift entlehnt Gentz bei Wilhelm Traugott Krug, genauso wie den Satz, der den Ausgangspunkt des Aufsatzes markiert: "Es soll kein Krieg seyn, 'weil der Krieg das heilige Recht dem Zufall und der Willkühr Preis giebt. '''237 Sein Ziel sei es, so Gentz, "zu zeigen, wie und warum der ewige Friede ein ewiges Ideal der Vernunft seyn muß, und doch nie mehr als dieses seyn kann"238. Den Beweis führt er nur von einer Seite her, denn daß der ewige Frieden für den Menschen, insoweit er Vernunftwesen sei, das Ideal darstelle, gehe aus dem Rechtsbegriff ohnedies hervor: "Das Ideal des ewigen Friedens fällt mit dem Ideal des vollkommenen Staates zusammen: ihr gemeinschaftliches Fundament ist die unumschränkte Herrschaft des Rechtes; erhebt die Menschheit zu dieser, und alle ihre vernünftigen Zwecke sind erfüllt. "239 Die ganze Argumentation konzentriert sich darauf, zu zeigen, daß der ewige Frieden gerade deshalb bloß "eine Schimäre"240 sei. Den Aufbau des Textes prägen die Bruchlinien, die drei auf völlig verschiedenen Ebenen der Gedankenführung angesiedelte Abschnitte von einander trennen. Im ersten Teil versucht Gentz, alle institutionellen Mechanismen, die in der Diskussion zur Sicherung des Friedens in Vorschlag gebracht werden, der Untauglichkeit oder Unpraktizierbarkeit zu überführen: absolute Vereinigung, absolute Absonderung, auf freiwilliger Übereinkunft oder auf einer förmlichen Verfassung basierende Organisation, das sind die vier Möglichkeiten, denen er nachgeht. 241 Nachdem das auf Freiwilligkeit beruhende Gleichgewichtssystem als einzige, allerdings vom Ideal des ewigen Friedens immer

2" Zur gelehrten Kriegskritik in Frankreich vor 1789 Claudius R. Fischbach, Krieg und Frieden in der französischen Aufldärung, Münster u.a. 1990, S. 17-100. Zur Diskussion um Krieg und Frieden in Deutschland zwischen 1794 und 1807 die Quellensammlung Anita DietzelWalter Dietze (Hrsg .), Ewiger Friede? Dokumente einer deutschen Diskussion um 1800, München 1989. m Kants Friedensartikel (dazu Raumer, S. 152-174) werden im folgenden als Kontext zu Gentz' Aufsatz "Ueber den ewigen Frieden" in Betracht gezogen. 236 Kant, Zum ewigen Frieden; Gentz, Ewiger Friede, Histlll3. Vgl. dazu auch Kap. III.5. und III.6. 2J7 Gentz, Ewiger Frieden, Histl 11/3, S. 716. 2>1 Ebd., S. 718. 239 Ebd., S. 781. 240 Ebd. 241 Ebd., S. 719-767.

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noch weit entfernte Variante einer praktikablen Form übrigbleibt, geht Gentz abrupt auf die Ebene der Anthropologie über und beschäftigt sich mit der Naturnotwendigkeit des Kriegs. 242 Dann wechselt er erneut das Terrain und analysiert die Friedensgefährdung durch die Französische Revolution. 243 Folgerichtig wirkt der Gang der Argumentation erst vom Ziel her: "Daß jetzt nicht bloß der Friede, sondern selbst die Möglichkeit des Friedens sehr entfernt, daß jetzt der Krieg die Losung auf Erden ist, und, wenn nicht die wunderbarsten Revoluzionen dies traurige Verhängniß besiegen, noch lange die Losung auf Erden seyn wird - diese unglückliche Wahrheit steht fest. Man kann sie nicht oft und nicht la~t genug der hochmüthigen Philosophie des Tages predigen, damit sie sich nicht mit verderblicher Sorglosigkeit dem süßen Wahn einer zunehmenden Vervollkommnung des menschlichen Geschlechts überlasse. Man kann sie nicht oft und nicht laut genug in den Vorhöfen der Staatskunst ausrufen, damit sie wisse, wie schwer ihr Geschäft, wie groß ihre Bestimmung geworden ist, damit sie ihren Willen, ihren Muth und ihre Kraft verdopple, um endlich einen Weg zum Heil, oder wenigstens eine Gränze des Uebels zu finden. "2'"

Wenn es darum geht, die Unmöglichkeit eines konkreten Friedenszustands und die Notwendigkeit eines Krieges im Preußen des Jahres 1800 einer schwankenden, eher der Beibehaltung der Neutralität zugeneigten Regierung und einer eher friedensgeneigten Öffentlichkeit zu vermitteln, erscheint die Struktur des Aufsatzes der Kommunikationssituation angemessen. Von der praktischen Undurchführbarkeit aller Modelle der Friedensgarantie, mit Ausnahme der näherungsweisen Sicherung durch das Gleichgewicht, über die Entdämonisierung des Krieges zur Begründung des aktuellen Handlungsbedarfs schlägt Gentz einen Bogen, dessen Konstruktion von der Spannung zweier unterschiedlicher Diskursebenen, einer rechtstheoretischen und einer praktischpolitischen, dominiert wird. In der Doppeldeutigkeit der Argumentation gleicht Gentz' Text dem von Kant; in beiden Fällen erzwingt die Differenz zwischen der politischen Meinung des Autors und den Ansichten der Herrschenden ein erhöhtes Abstraktionsniveau. Während Kant seinen Überlegungen durch ironische Brechung und literarische Formung einen angemessen oszillierenden und trotzdem kompakten Status verleiht, schiebt Gentz die unterschiedlichen Argu-

Ebd., S. 767-784. Ebd., S. 784-790. - Vgl. zu Gentz, Ewiger Frieden u.a.: Raumer, S. 188-207; Iherese Dietrich, Das gegenrevolutionäre Verdikt des Friedrich Gentz "Krieg im Reiche des Friedens", in: Werner Goldschmidt/Lars Lambrecht (Red.), Dialektik 15. Vernunft und Politik, Köln 1988, S. 198-207; Jost Dülffer, Joseph Görres und Friedrich Gentz - Modelle der Friedenssicherung in Deutschland seit der Französischen Revolution, in: ders.lBernd Martin/Günter Wollstein (Hrsg.), Deutschland in Europa. Kontinuität und Bruch. Gedenkschrift für Andreas Hillgruber, FrankfurtIM. u.a. 1990, S. 52-72; Herbert Lamm, Friedrich Gentz et la paix. (Oe la paix perpetuelle1800), in: Revue d'Histoire Diplomatique 85(1971), S. 127-141. 2 ... Gentz, Ewiger Frieden, HistJ 11/3, S. 790. 242

2.'

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mentationsebenen übereinander, die in ihrer Schichtung das Muster emer zweipoligen Kommunikationssituation erkennen lassen. 245 Anders als Kant, der 1795 dem Frieden von Basel eine den Krieg radikal ablehnende und die Realität absolutistischer Außenpolitik verurteilende Begründung unterlegt, greift Gentz 1800 die Friedensdiskussion auf, um sie ad absurdum zu führen und den Krieg als rechtlich erlaubtes und politisch gebotenes Mittel der Regierung eines neutralen Preußens nahezulegen. 246 Die Modelle zur Friedenssicherung, die Gentz überprüft, geben ihm Gelegenheit, alle denkbare Kritik an dem von ihm präferierten Gleichgewichtskonzept abzuweisen. 247 Das erste Modell, das er behandelt und das im Text wie im politischen Kontext allen anderen vorangeht, ist das der Errichtung eines "Universal = Staat[ s]" .248 Selbst wenn sich ein solcher Universalstaat nur auf Europa beschränke - was das Problem des Krieges nur in die globale Dimension verlagere - so würde ein solcher politischer Körper ständig mit inneren Kämpfen geplagt und schließlich dem Untergang geweiht sein, wie die Geschichte Roms lehre. 249

245 Die ironische Brechung bei Kant schon eingangs in Kant, Zum ewigen Frieden, S. 195; der "Geheime Artikel zum ewigen Frieden" (ebd., S. 227f.) vereinigt m.E. die literarische Präsentationstechnik mit der Selbstdurchsichtigkeit der Textherstellung, wenn von der (durch die Ehre der Herrschenden bedingt!) stillschweigenden Aufforderung zum öffentlichen Vemunftgebrauch in Fragen von Krieg und Frieden - die Rede ist. 246 Von der Gedankenfiihrung und der Schlußfolgerung abgesehen, zeigt sich die Befiirwortung einer aktiven, auch den Krieg mit inkaufnehmenden Politik Preußens am Kommentar zur anonym veröffentlichten Schrift de Pradls, La Prusse et sa neutralite, Londres 1800 (Gentz, Ewiger Frieden, HistJ 1113, S. 736ff. (Anm.», in der eine - im europäischen Rahmen - friedensstiftende Kriegsbereilschaft Preußens gefordert worden war (De Pradl, La Prusse, S. 126f.), die eine dem späteren Europaplan Pitts ähnliche Barrierekonstruktion zur Eindämmung Frankreichs durchsetzen sollte (ebd., S. 151-156). "Wenn es mit den Wünschen und Planen gethan wäre, so mögten wohl die überaus durchdachten und sinnreichen. die der Verfasser [=de Pradtl [ ... 1 entwickelt hat, im Ganzen bei weitem die zweckmäßigstenseyn. Die Unmöglichkeit der Ausfiihrung derselben wird aber von Tage zu Tage einleuchtender. Da es jetzt so gut als entschieden ist, daß Frankreich nie wieder in seine alten Gränzen zurückkehrt, so muß ein andres System - ob man gleich nicht ohne Schrecken daran denken kann, daß es vielIeicht nur durch neue Gewaltthätigkeiten zu Stande gebracht werden würde - der beständige Richtpunkt der Staatskunst werden. Ich glaube, es giebt nur eins, das in der jetzigen Lage der Dinge Europa eine beruhigende Aussicht auf Sicherheit und Frieden gewährt. Ich will und kann es nicht aussprechen: es liegt aber so deutlich und unverkennbar in der Natur der politischen Verhältnisse und der politischen Bedürfnisse, daß es sich jedem sachverständigen Leser sogleich von selbst darbieten wird." (GenIZ, Ewiger Frieden, HistJ 1113, S. 738f. (Anm.». VgL zu de Pradts Schrift Tschirch I, S. 445-449. 241 Zur Komplettheit der Liste denkbarer ModelIe der Friedenssicherung Gentz, Ewiger Frieden, HistJ 1113, S. 719f. 241 Ebd., S. 722. 24. Ebd., S. 722-727. - "Es ist unmöglich, mehr als hundert Millionen von Menschen mit gleichförmiger Kraft, mit gleichförmiger Gerechtigkeit, und mit gleichförmiger Weisheit zu

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Anschließend skizziert er den Plan einer Befriedung durch Isolierung anhand von Fichtes Buch "Der geschloßne Handelsstaat", in dem die ökonomische Abkoppelung entlang der von den Staatsgrenzen markierten Scheidelinien geschlossener rechtlicher Einheiten vorgeschlagen wird. 250 Abgesehen von der mit Fichtes Entwurf verbundenen Forderung nach "natürlichen" Grenzen, die Gentz allein schon mit Blick auf ähnlich lautende Begründungen französischer Expansionsbestrebungen ein Greuel ist,251 ist die den geschlossenen Handelsstaat bestimmende Abschließung vom Weltmarkt mit Gentz' politischer Ökonomie und der ihr zugrundeliegenden Anthropologie unvereinbar. 252 Ein anderer Weg zum ewigen Frieden, "der einer förmlichen völkerrechtlichen Verfassung "253, sei zwar auf den ersten Blick das Optimum an Friedensschutz, aber die Schiedsspruche der für eine solche "Staaten = Gesellschaft"254 unerläßlichen obersten richterlichen Instanz hätten keine Aussicht, ohne Gewaltanwendung, d.h. ohne Krieg, durchgesetzt zu werden. 255 Roß und Reiter nennt Gentz wieder, wenn er gegen St. Pi erre , Rousseau und - nur an dieser Stelle namentlich - Kant zeigt, daß "einjreier Bund, oder eine vollständig bestimmte und organisirte Föderativ = Verfassung unter den Staaten"256 weder durch fallweise eingesetzte Schiedsrichter, noch durch Mehr-

beherrschen; und doch wäre in einem so großen Ganzen durchaus keine schwache Seite erlaubt. Aus jedem Druck würde sofort unerträgliche Tirannei, aus jeder Erschlaffung grundlose Anarchie hervorgehen. [ ... ) In funfzig Jahren wäre eine neue Trennung, eine neue Völker=Republik, die Unabhängigkeit der Staaten auf der einen, die Unbestimmtheit ihrer Rechte, ihre Eifersucht, ihr Krieg auf der andern Seite, mit einem Worte der jetzige Zustand von Europa, mit allen seinen Vortheilen, und mit allen seinen Uebeln wieder hergestellt." (ebd., S. 725f.). HO J ohann GOI/lieb Fichte, Der geschloßne Handelsstaat. Ein philosophischer Entwurf als Anhang zur Rechtslehre und Probe einer künftig zu liefernden Politik, in: ders., Ausgewählte Politische Schriften. Herausgegeben von Zwi Batscha und Richard Saage. Eingeleitet von Zwi Batscha. Mit einem Nachwort von Richard Saage, Frankfurt am Main 1977, S. 59-167. H. Vgl. dazu: ebd., S. 140-143; Gentz, Ewiger Frieden, HistJ 1113, S. 743 (Anrn.). m "Nein! Es ist nicht genug, der Menschheit den Frieden zu verheißen; man muß es auch unter den Bedingungen thun, unter denen er allein der Menschheit werth seyn kann. Das Bedürfniß, über den engen Kreis, der unsre erste ungesellige Existenz umschließt, hinaus zu gelangen, und mit unsern Wünschen und mit unsrer Thätigkeit nach und nach über Land und Meer, so weit der Erdkreis sich erstreckt, zu wandern, ist tief in unsre Brust gepflanzt. Ein unwiderstehlicher Trieb zieht alle Nazionen an einander. In seiner Befriedigung liegt das ganze Geheimnis der Cultur, das ganze Geheimniß der höhern cosmopolitischen Erziehung; je mannichfaltiger die Beruhrungs= Punkte, desto gebildeter, desto vollendeter, und desto menschlicher der Mensch." (Gentz, Ewiger Frieden, HistJ 1113, S. 750f.). - Vgl. Kap. III.5. 2>3 Ebd., S. 763. 26 Ebd., S. 751f. 20 Kronenbitter

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heitsbeschlüsse oder permanente Kongresse funktionsfähig gemacht werden kann. In Umkehrung der von seinen Vordenkern gewählten Perspektive geht er auf das Problem der Errichtung eines solchen freiwilligen Bundes nicht näher ein, sondern setzt deren Möglichkeit als psychologische Eventualität voraus. 257 Aber die Dauerhaftigkeit einer solchen Verbindung, die von einer mit Zwangsrecht bewehrten Sanktionsgewalt garantiert werden müsse, sei mit der Idee der Freiwilligkeit schon rein logisch nicht zu vereinbaren, die freie Föderativverfassung mithin durch "radikale Untauglichkeit"258 ausgezeichnet. Welcher Weg zu Frieden, zu einem möglichst dauerhaften, wenn schon zu keinem ewigen, bleibe dann noch? Nur der einer Annäherung an einen freiwilligen Bund, in dem sich wechselseitig in ihrer Wirksamkeit beschränkende Separatbündnisse dem Recht jedes einzelnen Teils des Staatensystems, ungeachtet seiner Stärke oder Schwäche, ein Sanktionspotential sicherten, das letzten Endes auf dem wohlverstandenen Eigeninteresse aller Staaten beruhe, also nichts anderes, als das gegen die Etablierung jeder Übermacht gerichtete Geichgewichtssystem: "Die Absicht dieses Systems war nie, wie man ihm oft mit Unrecht vorgeworfen hat, daß alle Staaten ungefähr gleich mächtig seyn sollten; sie ging nur dahin, die schwächern, durch ihre Verbindung mit mächtigern, gegen die Unternehmungen eines präponderirendenStaates, so viel als möglich, sicher zu stellen. Man wollte die natürliche Föderativ = Verfassung von Europa so geschickt organisiren, daß jedem Gewicht in der großen politischen Masse, irgendwo ein Gegen=Gewicht zusagte. Man wollte die Kriege, wenn gleich nicht unmöglich machen - welches keine Verbindung, eine allgemeine so wenig als eine besondre, vermag - doch vermindern, indem man neben den Reiz immer gleich die Schwierigkeit stellte, und durch Furcht und Interesse überwinden, was, bei einem Mangel einer obersten Gewalt, weder das Recht noch die Moralität zu unterdrücken im Stande war. "2>9

Auf die Definition des Gleichgewichts komme ich weiter unten noch zurück; gleiches gilt für die von Gentz gegebene Analyse der Gründe für die Krise des Gleichgewichtssystems und die Auswirkungen der Französischen Revolution. Wichtig ist an dieser Stelle dagegen das Resultat dieser Entwicklung, die Entfesselung des - so Gentz - "grausamsten Weltkrieg[s], der je die Gesellschaft erschütterte und auseinander riß. "260 Die solcherart erfahrene Realität, in der "fast nichts mehr Ehrfurcht einflößt als die Gewalt"261, läßt sich nach Gentz' Ansicht mit den Kategorien der Lehre vom politischen Gleichgewicht, wenn sie recht verstanden werden, begreifen und auf die Ansatzpunkte einer

s. 754f. Ebd., s. 755. Ebd., S. 757f. Ebd., S. 788. Ebd., S. 790.

m Ebd., 258

2>9 260 261

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Besserung hin durchleuchten. Die Krise der Gegenwart deutet Gentz als glänzende Bestätigung der Idee einer "Balance of Power", nicht wie Kant oder später Buchholz als Beweis des Scheitems einer so orientierten Politik. Wo das Reine Staatsrecht nicht mehr als ein per se wirklichkeitsfremdes Ideal postuliert, wird das Gleichgewichtssystem zum theoretischen wie praktischen Königsweg: "Die Politik, im engem Sinne des Wortes, ist eigentlich die Wissenschaft, und, wenn sie praktisch wird, die Kunst, dieses System zu behaupten und zu vervollkommnen. "262 Sie hat inmitten der allgemeinen Anarchie263 die Aufgabe, "das Verhältniß der Staaten unter einander beständig so zu leiten und zu ordnen, daß es die höchste mögliche Aehnlichkeit mit dem Zustande einer gesetzlichen bürgerlichen Verfassung behält"264, den Krieg zu vermeiden und den Frieden zu festigen. Die daraus resultierenden Anforderungen an den wahrhaften "Staatsmann", der diese Politik des Gleichgewichts beherrscht, sind so groß, daß ihm auch eine besondere Würde zuwächst: 265 "Wenn es eine Wissenschaft gäbe, die die Mittel zum ewigen Frieden lehrte, so wäre diese unter allen menschlichen die höchste: da es eine solche Wissenschaft nicht giebt, so muß die mit Ehrfurcht genannt werden, die in ihrer Vollendung den mäglichst=dauerhaftell Frieden begründet. "266 Bei Kant hatte der "weltkundige Staatsmann"267 die freiwillig geschulterte Last der Verantwortung für eine auf die Staatsklugheit reduzierte Politik zu tragen, die bestenfalls wohltätige Zwecke verfolge, aber mit Rechtsprinzipien nichts zu tun habe und somit immer nur "eine bloße Kunstaujgabe"268 sei. Gentz zeichnet den Staatsmann nicht nur völlig anders, sondern wendet gegen

Ebd., S. 761. Ebd., S. 714. 264 Ebd., S. 762. 26' Die gerade auch im Hinblick auf Gentz' Streben in die Hohe 'Politik sehr aufschlußreiche Beschreibung der Würde angewandterStaatskunst und u.a. auch ein Dokument für die psychologische Attraktivität der Macht: "Eine ausgebreitete und gründliche Kenntniß der Verfassung, der Kräfte, der Gerechtsame und der Verhältnisse der Staaten; ein tiefes Studium des menschlichen Gemüths in seinen verborgensten Triebfedern; ein schneller und treffender Blick, der in dem oft unauflöslich scheinenden Gewebe der wechselseitigen Plane und Absichten, und öffentlichen Schritte, und geheimen Machinazionen, sogleich den wahren Lichtpunkt für das Urtheil sowol [!] als für die Entschließung faßt; die Gabe, das verwickeltste Geschäft, wo ein einziger falscher Schritt oft durch den Ruin der Nationen gebüßt werden muß, zugleich mit der höchsten Festigkeit, und mit der höchsten Gewandheit zu behandeln - das sind die Eigenschaften eines Staatsmannes in der höhern Bedeutung des Wortes." (ebd., S. 762f.). 266 Ebd., S. 763. 267 Kant, Zum Ewigen Frieden, S. 195. 268 Ebd., S. 239. 262

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Kant, ohne ihn beim Namen zu nennen, die Waffe der Verachtung, die ihm als rhetorisches Mittel dient, die Diskursverweigerung zu verteidigen. Von zentraler Bedeutung war für Kant der Gedanke einer friedensfördernden Wirkung republikanischer Regierungsart gewesen;269 fünf Jahre später, unter Berufung auf die Erfahrung der Revolutionskriege, schließt Gentz den "Republikanismus" schlicht aus der Diskussion aus: "Ich hatte mir vorgenommen, dieses System, das vor einigen Jahren durch die Autorität eines großen Mannes in Deutschland viel Eingang erhielt, ausführlich zu erörtern, und es hing allerdings mit dem Thema des gegenwärtigen Aufsatzes genau zusammen. Beim weitem Nachdenken aber überzeugte ich mich, daß dies in der That verlorne Mühe gewesen seyn würde. Man erspart sich eine Menge von Gemeinplätzen, wenn man einen Irrthum, der nach allem, was Vernunft und Erfahrung uns lehrten, nicht einmal mehr die Außenseite der Wahrheit behalten kann, seinem eignen Schicksal überläßt. "210

In Gentz' Text bildet sich die Distanz zu Kants Friedensschrift nicht zuletzt in denjenigen Passagen ab, in denen die Unmöglichkeit des ewigen Friedens anthropologisch untermauert wird. Schon die Kritik an Fichtes Selbstausschließung des Staates vom Weltmarkt demonstriert die politiktheoretische Bedeutung der Nationalökonmie anglo-schottischer Prägung für Gentz und zeigt das dahinterliegende Menschenbild, das von unabsehbaren Bedürfnissen und damit direkt verbunden - potentiell grenzenlosem Betätigungsdrang bestimmt wird. Die von Gentz so bezeichnete "natürliche Föderativverfassung" Europas geht ebenso wie die Besitznahme der Meere und fremder Kontinente und vor allem wie jede wirtschaftliche Weiterentwicklung auf diese anthropologische Dimension zurück. 271 Wie Kant, so sieht auch Gentz das Umschlagen der in der agonalen Struktur menschlicher Bedürfnisbefriedigung wurzelnden - Aggressionsbereitschaft des Menschen in einen friedensstiftenden Zwang zum Zusammenwirken. Übernational manifestiert sich dies im Welthandel. 272 Was Gentz aber charakterisiert, das ist m.E. die Entschiedenheit, mit der er den Krieg selbst als Positivum menschlicher Existenz in Gemeinschaft begreift. 273 Das Leben ist für ihn von Natur aus Kampf und dort "wo die Organisazion in einer veredeltem Gestalt erscheint, wo der rohe Mechanismus in

Ebd., S. 204ff. Gentz, Ewiger Frieden, "istJ 1113, S. 788 (Anrn.). 271 Vgl. dazu Kap. III.5. 212 Kant, Zum Ewigen Frieden, S. 217-227. Zu Gentz vgl. Kap. III.5. - Insofern ist Gentz' Gleichgewichtskonzept von Anfang in sozioökonomische Dynamik eingebettet. Dazu abweichend Dü!ffer, S. 59. zn Dazu abweichend Lamm, S. 135-138. Vgl. zu Kant Frank Nägler, Von der Idee des Friedens zur Apologie des Krieges: eine Untersuchung geistiger Strömungen im Umkreis des Rotteck-Welckerschen Staatslexikon, Baden-Baden 1990, S. 70-115. 269

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freie Thätigkeit übergeht, und wo sich mit dem höhern und kunstreichern Lebens=Prinzip die erste Spur des Bewußtseyns und des Willens offenbart, nimmt dieser Kampf den Charakter des Krieges an. "274 Durch den Vertragsschluß, der die bürgerliche Gesellschaft begründet, werde der kriegerische Trieb des Menschen, den er als Naturwesen trotz der nur ihm eigenen Vernunft nicht völlig zu kontrollieren vermöge, verlagert, aber nicht beseitigt. Die Natur selbst habe gewollt, daß die Menschheit sich nicht zu einem einzigen Staatswesen zusammenzuschließen vermochte, und so hat sie "die menschliche Gesellschaft zu einer nothwendigen Theilung"275 bestimmt. Das daraus resultierende Verhältnis der Staaten zueinander sei das unter "einer unvollkommenen gesellschaftlichen Veifassung"276, in der immerhin gültige Verträge geschlossen werden können, denen aber jede letzte Garantie einer obersten Gewalt fehle. "Es ist kein geringer Gewinn, daß durch die Errichtung der Staaten, der Krieg, der im Stande der Natur, das Verhältniß aller Individuen war, aus dem Busen der menschlichen Gesellschaft vertrieben, und nur auf die Gränzen verpflanzt wird, welche die großen rechtlich geschloßnen Bezirke von einander trennen. Man muß die Kriege der Staaten, wie die Ableiter betrachten, an denen der einmal vorhandne Stoff der feindseligen Neigungen des Menschen, der, sich selbst überlassen, alles verwüsten, und jede rechtliche Verbindung, sogar unter Einzelnen verhindern würde, auf gewisse Punkte concentrirt, und gleichsam in bestimmte Kanäle verwiesen wird. Der Krieg ist mit allen seinen Schrecknissen, die Bürgschaft der einzigen gesetzlichen Verfassung, die unter den Menschen möglich war; und, wie paradox es auch klingen mag, es ist dennoch eine unleugbare Wahrheit: Ohne Krieg wäre kein Friede auf Erden. 0

2. Variationen

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Auseinandersetzung mit der Französischen Revolution. Der Schlußsatz - "Alle übrige Anwesende [!] waren mit starrem Erstaunen und sprachloser Traurigkeit auf das entsetzliche Schauspiel geheftet, und der Empfindung, die dieses Schauspiel gebot, mußten für einen Augenblick, Furcht, und Haß, und Eifersucht, und Religionsfanatismus, und Parteigeist, und Streben nach Gunst, und Anbetung der Macht, und alle andere Empfindungen weichen. "112 - läßt jedenfalls keine konkrete politische Intention des Textes vermuten, höchstens in sehr vermittelter Form als moralische Reinigung durch mitleidendes Empfinden. l13 Der zweite und letzte Versuch im "historischen Stil" erschien zwei Jahre später ebenfalls bei Vieweg, obwohl Gentz ansonsten zu dieser Zeit bei Frölich verlegt wurde. Es ist anzunehmen, daß Gentz mit diesem Beitrag alte Verbindlichkeiten abgelten wollte oder mußte. 114 Die "Geschichte der Unruhen in Frankreich während der Gefangenschaft des Königes Johann von Valois" beschäftigte sich weniger mit der psychologischen als mit der politischen Seite des beschriebenen Geschehens. 115 Auch scheint das Thema aktuelle Bezüge zu suggerieren, die im Text jedoch nirgends zu entdecken sind. Nur in der Schilderung des Bauernaufstands könnte eine, allerdings in keiner Weise entfaltete, Analogie zur Französischen Revolution anklingen. 116 Die beiden Taschenbuchbeiträge zeigen kaum ein Anzeichen einer von der Politik geprägten Kommunikationssituation. Anders ist dies bei der mit Abstand prominentesten der nicht der Französischen Revolution gewidmeten Schriften, dem schon mehrfach erwähnten Sendschreiben an Friedrich Wilhelm III. anläßlich seiner Thronbesteigung 1797. 117 In seiner direkten Anrede des Monarchen, in der formalen Einbindung der Politikbetrachtung in die Evokation der Tugendhaftigkeit der Herrscherpersönlichkeit, in der Aufzählung der politischen Ziele, wie beispielsweise verteidigungsbereite Friedfertigkeit, Sicherung

Ebd., S. 126. "Da große Revolutionen in den sittlichen und bürgerlichen Verhältnissen des menschlichen Geschlechtes, ohne ausgebreitete Zerstörungen, folglich ohne große Opfer nicht denkbar sind: so ist es eine glückliche Veranstaltung der Natur, daß eben das wahre oder falsche Gefühl einer guten Sache, welches den Beförderern solcher Revolutionen Riesenkräfte zum Handeln einhaucht, die Aufgeopferten mit einem unerschütterlichen Muthe zum Leiden beseelt. "(ebd., S. 122). "4 Vgl. dazu Gentz an Vieweg am 17.12.1799, in HHStA Wien StK Interiora Korr. 78 Fasz. alt 95111. Briefe aus Relicta Schlitter. '" Friedrich Gentz, Geschichte der Unruhen in Frankreich während der Gefangenschaft des Königes Johann von Valois, in: ders.lJean Paul/Johann Heinrich Voß (Hrsg.), Taschenbuch für 1801, S. 1-72. "6 Ebd., S. 53ff. "7 Dazu Tschirch I, S. 280-290. IIZ

1\3

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XIII. Kritiker

der Rechtspflege und sparsame Verwendung der Haushaltsmittel, nähert es sich der alteuropäischen Tradition des Fürstenspiegels. 118 Auch wenn man die konkreten Wirkungsabsichten, die Gentz zur Abfassung des "Sendschreibens" bewogen haben, berücksichtigt, bleibt diese Schrift unter fonnalen Gesichtspunkten ein krasser Sonderfall unter seinen Texten. Gleichzeitig reflektiert das "Sendschreiben" gerade durch die Verbindung der ganz auf den Monarchen bezogenen Textgestaltung mit den zentralen inhaltlichen Forderungen nach wirtschaftlicher und nach Pressefreiheit die Kommunikationssituation, in der Gentz schrieb. 1I9 Die Vielschichtigkeit des Adressatenbezugs, das Werben um Zustimmung im gebildeten Publikum und bei den Herrschenden, das Schwanken zwischen der Identifikation mit den Mächtigen und der kritischen Distanz des - möglichst - von Regierungsdirektiven freien politischen Schriftstellers - all das hat im "Sendschreiben" seinen Niederschlag gefunden. Dem König wie dem Publikum versucht Gentz im Spiegel das eigene Glück vor Augen zu halten. 120 Genau an dieser Stelle taucht der Zusammenhang mit Gentz' Leitthema dieser Jahre, der Französischen Revolution, auf, denn was jenseits der Sicherung bürgerlicher Freiheit liegt, "- davon trennen uns fürchterliche Abgründe, undurchdringliche Nächte, das grauenvolle Chaos allgemeiner Zerrüttung, das Interregnum aller sittlichen Grundsätze, ein wüster Schauplatz von Trümmern, Thränen, und Blut!" 121 Im Revolutionszeitalter droht, so scheint es Gentz, bei Mißachtung von Herrscher- und Untertanentugenden eine Strafe, die alles vor 1789 dagewesene in den Schatten stellt. Die Tugend des Herrschers wie der Untertanen liegt in diesem Sinne nun nicht mehr primär im Bereich der persönlichen moralischen Qualitäten, sondern in der Einsicht in die Besonderheit der historischen Situation.

3. Revolutionsgeschichte ·Seit einiger Zeit wird in Deutschland vielfältig behauptet, dass die Schriftsteller wohl thun würden, wenn sie die französischen Angelegenheiten gänzlich aufgeben wollten. Die weIche dies verlangen, glauben, das Publikum sey über die Natur der französischen Revolution hin/llnglich unterrichtet, und könnte leicht zu viel unterrichtet werden, so dass es fiir politische

118 119

120 121

Mit Mirabeau als direktem Vorläufer. Gentz, Sendschreiben, S. 19-23. Ebd., S. 23f. Ebd., S. 24.

3. Revolutionsgeschichte

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Uebel von entgegen gesetzter Art, und für einheimische Gefahren Sinn und Aufmerksamkeit verlöre. Ich bin dieser Meinung nicht. "122

Die Öffentlichkeit über die "Natur" der Französischen Revolutionl23 aufzuklären, das war das Ziel, das Gentz als politischer S Ebd., S. XX. 136 Zug der Marktfrauen nach Versailles. Zum Faktenüberblick und zum historischen Hintergrund hier und im folgenden Ralf Reichardt (Hrsg.), PLOETZ. Die Französische Revolution, Würzburg 1988. 137 Tuileriensturm. 131 1793. "9 Gentz, Vorrede Mallet du Pan Französische Revolution, S, XXf.

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XIII. Kritiker

der Schriftsteller. l40 Diesen Rückzug abzuschneiden und die Leser zur Ablehnung der gesamten Revolution zu zwingen, war das Ziel der Betrachtung der Ereignisse seit 1789. Diesen Nachweis des unauflöslichen Zusammenhangs der Anfangsphase der Revolution mit dem Terreur kann für Gentz nur eine richtig aufgefaßte "Genealogie der Revolution "141 liefern. Insofern enthüllt ihm die Geschichte der Revolution deren wahre Natur. '''Mir ekelt vor der Geschichte,' so sagte ehmals ein geistreicher Mann in Frankreich, 'wenn ich bedenke, daß das, was jetzt geschieht, dereinst die Geschichte seyn wird.' Wer mit aufgeklärtem Auge, unbefangenem Sinn, und gefuhlvollem Herzen, das tragische Schauspiel des Jahrs 1794 beobachtet hat, wird sich nicht enthalten können, der Wahrheit in dieser Bemerkung zu huldigen. "142

Mit diesen Worten leitet Gentz den ersten und umfangreichsten, über vier Hefte verteilten Aufsatz in der 1795 erscheinenden "Neuen Deutschen Monatsschrift" ein. In der "Historisch = politischen Uebersicht der Hauptbegebenheiten des Jahres 1794" nimmt das Geschehen in Frankreich naturgemäß besonders breiten Raum ein. 143 Dabei werden im Rückblick die Eskalation des Terrors und der Sturz Robespierres zu zentralen Bestandteilen eines geschichtlichen Dramas, zum "Wende=Punkt"l44 der Revolution erklärt, ohne daß Gentz sich zutraut, Prognosen über die weitere Entwicklung abzugeben. 145 Die unumschränkte, despotische Schreckensherrschaft Robespierres, für Gentz der logische Höhepunkt des revolutionären Prozesses, habe durch die

140 Einen Querschnitt der allg. publizistischen Reaktion bei 1heo Stammen/Friedrich Eberle (Hrsg.), Deutschland und die Französische Revolution. 1789-1806, Darmstadt 1988, bes. im konservativen Teil des politischen Spektrums Garber (Hrsg.), Kritik der Revolution. 141 Gentz, Vorrede Mallet du Pan Französische Rev~lution, S. XXVIII. 142 Friedrich Gentz, Historisch=politische Uebersicht der Haupt=Begebenheiten des Jahres 1794, in: Neue Deutsche Monatsschrift Januar-April 1795, S. 1-43,93-120,177-236,261-315, hier S. 1. 10 Zur innenpolitischen Entwicklung in Frankreich: ebd., S. 7-43 (zum Vendee-Aufstand: ebd., S. 113-120). Die Darstellung des Revolutionskrieges (ebd., S. 93-120) fuhrt bereits die 1801 herausgestellten Gründe fur den Erfolg der französischen Armeen an, z.B. revolutionären Enthusiasmus und rigorosen Durchgriff der Regierung auf alle Ressourcen (ebd., S. 97- 104). I'" Ebd., S. 28. W ·Vom May 1789 an bis auf diesen merkwürdigen Tag war Frankreich immer tiefer ins Elend, immer tiefer in die Verwirrung, immer tiefer in eine SkJaverey, die sich hinter den I!] geheiligten Namen der Freiheit versteckte, gesunken. Von Robespierre 's Fall an begann es wieder zu steigen. Robespierre 's Fall ist, in seinen Folgen betrachtet, eine weit größre Epoche in der Geschichte, als der lOte August 1792, als der 21 ste Januar I = Hinrichtung Ludwigs XVI.) und der 31ste May I = Ausschluß der Girondisten) 1793. Wie weit sich der Einfluß dieser Begebenheit erstrecken werde, vermögen wir im gegenwärtigen Augenblick noch nicht zu bestimmen. Daß sie in den letzten funf Monaten des verflossenen Jahrs an großen Wirkungen fruchtbar war, liegt vor unsern Augen.· (ebd., S. 28).

3. Revolutionsgeschichte

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permanente und alle Franzosen betreffende Gewaltandrohung ihren eigenen Sturz zwangsläufig herbeigeführt. 146 Die Erleichterung über das Ende des revolutionären Terrors hinderte Gentz nicht, die Gefahr einer Wiederkehr solch eines grenzenlosen Machtmißbrauchs zu betonen, die solange bestünde, wie die Befugnisse der Revolutionsregierungen nicht wirksam beschränkt seien. 147 In dieser Situation, die von besonderer Zukunftsoffenheit gekennzeichnet sei, bescheidet sich Gentz mit der Rolle des Chronisten, der in erster Linie die Fakten in sinnvoller Ordnung in Erinnerung rufen möchte; den Zeitpunkt für eine wirkliche Geschichtsschreibung hält er offenkundig noch nicht für gekommen. l48 Die gleiche vorsichtige Zurückhaltung wahrte Gentz aber auch, als er etwa zur gleichen Zeit begann, sich mit der Geschichte der Frühphase der ersten Nationalversammlung, "dem grossen Fundament aller Revolutions-Begebenheiten" 149, zu beschäftigen. An dieser historischen Darstellung arbeitete Gentz über mehrere Jahre hinweg, länger als an irgend einer anderen Schrift. l50 Erste konkrete Hinweise auf sein Vorhaben finden sich 1795, beispielsweise in einem Brief Wilhelm von Humboldts an Schiller, in dem es heißt, Gentz sei "jetzt mehr als je in der Geschichte der Französischen Revolution vergraben, unter seinem Werk, das Ostern erscheint, dürfen Sie sich aber nichts als eine

'46 Zwangsläufig aber nur der Radikalisierungslogik der revolutionären Regierung wegen. Dazu Gentz: "Hätte Robespierre seinem unersättlichen Durst nach Herrschaft nur von einer Seite Gränzen gesetzt; hätte er den Convent, der seit so langer Zeit sein geduldiges Werkzeug war, nur anhaltend mit äußrer Achtung behandelt, hätte sein schwarzes und nie rastendes Mißtrauen ihm nur erlaubt, das Leben und die Freiheit derer zu respektiren, die ihm nicht mehr anders gefährlich werden konnten, als wenn er sie bis zur Verzweiflung spannte: - so stände er vielleicht noch heute an der Spitze der Schicksale Frankreichs. Es war nicht patriotischer Tyrannenhaß, es war nicht Eifersucht über seine ungeheure Macht, es war nicht der Wunsch, an seiner Stelle zu regien:n, es war Furcht, nichts als Furcht vor seinen Kerkern und vor seinen Henkern, was denen, welche ihn von seiner Höhe herabschleuderten, den Muth mit ihm zu ringen gab. Sie setzten nur das aufs Spiel, was ohne Rettung verloren war, wenn sie ihn ungestört tyrannisiren ließen." (ebd., S. 24f.). 147 Ebd., S. 35ff. '48 "Der künftige Geschichtsschreiber des jetzt verfloßnen Jahres wird sich, wenn er sein unermeßliches Pensum überschaut, in ein Labyrinth von Menschen, von Verhältnissen, von streitenden Kräften, von widersprechenden Erscheinungen verstrickt finden, zu denen nur tiefe Kenntniß einer zahllosen Menge von Ursachen und Momenten den Faden darreichen kann. Hier genügt uns an einer Uebersicht der Haupt=Begebenheiten, in dem Zusammenhange betrachtet, den uns die jetzt vorhandnen Materialien als den natürlichsten und wahrscheinlichsten an die Hand geben. Um ein Jahr, wie das vergangne, zu schildern, hat man nichts nöthig, als die Fakta zusammen zu stellen, und sie dann selbst sprechen zu lassen." (ebd., S. 6). ,•• GenlZ, Vorrede Mallet du Pan Französische Revolution, S. XXIV. "0 Dazu Paul Witlichen, Friedrich v. Gentz' ungedrucktes Werk über die Geschichte der französischen Nationalversammlung, in: Historische Vierteljahrschrift 18(1916/18), S. 290-304, hier S. 290-294.

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Art der Chronik denken. Sein Zweck ist bloß, den Faden der Begebenheiten so rein und einfach als möglich aus dem Wuste von Materialien herauszuwickeln. Dieser Plan scheint mir, da zu einer eigentlichen Geschichte noch schlechterdings nicht die Zeit ist, sehr vernünftig. "151 Zwischen 1795 und 1797 dürfte diese Chronik der Nationalversammlung tatsächlich der eindeutige Schwerpunkt von Gentz' schriftstellerischer Arbeit gewesen zu sein. Wie umfassend seine Literaturstudien zur Vorbereitung dieses Werkes waren, läßt sich aus seiner Korrespondenz erahnen. Da Gentz von der Unzuverlässigkeit der deutschen Zeitungsberichterstattung über die Ereignisse in Frankreich überzeugt war, hatte er sich schon frühzeitig um französische Periodika als Informationsquelle bemüht. 152 1795 begann er dann mit einer systematischen Ergänzung seiner Schriftensammlung zur Frühphase der Französischen Revolution; in diesem Zusammenhang versuchte er auch, allerdings ohne Erfolg, die Bestände der Weimarer Bibliothek benutzen zu können. 1S3 So fügte es sich ausgezeichnet, daß Gentz als Mitarbeiter der ALZ in Nachfolge Rehbergs die Schriften zur Französischen Revolution rezensierte,IS4 darunter beispielsweise auch Panckouckes "Moniteur" .155 Nach Meinung von Gentz war der "Moniteur" "das Hauptarchiv der Geschichte der französischen Revolution, aus weIchem alle Geschichtsschreiber, Journalisten und Zeitungsverfasser, mehr oder weniger, mit oder ohne Angabe der Quelle, schöpften. "156 Herder gegenüber präsentierte sich Gentz noch 1797 mit dem Hinweis, daß er "die Geschichte der französischen Revolution zu meinem ganz besondern Studium gemacht habe. Ich bin seit Jahr und Tag mit einem Werke über die erste Periode dieser Revolution beschäftigt, dem ich gern so viel Gründlichkeit geben möchte, als es die Natur des Gegenstandes, und meine, in der Entfer-

Humboldl an Schiller am 12.\0.1795, in Briefwechsel Schiller-Humboldt I, S. 175. m Dazu der teilweise bereits zitierte Brief von Gentz an Garve vom 5.12.1790, in Briefe I. S. I 78ff. 153 Dazu die Briefe von Gentz an Böttiger 1795/1796, in Briefe I, S. 219-227. '54 Aufgelistet in F.C. Wittichen, Zur Gentz-Bibliographie, S. 683. Vgl. dazu Kap. VI. - Die umfangreichste dieser Rezensionen zur Geschichte der Revolution ist [Friedrich Gentz] , Rezension von: De la Revolution Fran~oise, par Mr. Necker [ ... ), in: ALZ vom 6.7. bis 8.7.1797. Interessant sind in diesem Zusammenhang auch folgende Rezensionen: ders., Rezension von: Politische Annalen, herausgegeben von Christoph Girtanner [ ... ], in: ALZ vom 27.2.1794 und ders., Rezension von: Europäische Annalen [ ... ], in: ALZ vom 13.1. 1796. m Vgl. zu Panckoucke und zu dessen "Moniteur" Hatin, S.II0-125, Popkin, S. \09ff. und Labrosse!Rerat, S. 234ff. '''' [Friedrich Gentz], Rezension von: Gazette Nationale ou le Moniteur Universei [ ... ), in: ALZ Nr. 245 September 1795. 1>1

3. Revolutionsgeschichte

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nung von Frankreich, immer nur beschränkte Mittel gestatten. "157 Knapp ein Jahr später hatte Gentz die geplante Veröffentlichung schon aufgegeben. 158 An Böttiger schrieb er, er sei sich zu sicher, bei der vorherrschenden VQfeingenommenheit des Publikums mit seiner Revolutionsgeschichte unter der Leserschaft keinen hinreichenden Erfolg erzielen zu können. Das zu erwartende ungerechte Urteil der Öffentlichkeit schrecke ihn ab, "einer Sache, die ich für verloren halten müßte, wenn ich nicht zu fest überzeugt wäre, daß sie, so wie ich sie verstehe, die gute Sache ist, und deshalb einst wieder triumphieren muß, öffentlich das Wort zu reden, und für ein Publikum zu schreiben, welches mich schon jetzt was wird es erst in einigen Jahren werden! - weder belohnen, noch verstehen würde. Sie werden mir vielleicht einwenden: Seien Sie Geschichtsschreiber und kehren Sie sich an das übrige nicht. Aber erwägen Sie nur selbst, was es heißt, Geschichtsschreiber der französischen Revolution zu sein: wie wäre es wohl möglich, Begebenheiten, die großenteils im Raisonnement empfangen und geboren sind, die man aus Raisonnements hervorsuchen muß, die sich immer um Raisonnement drehen - ohne alles Raisonnement darzustellen!""·

Was Gentz letzten Endes wirklich bewogen hat, von der Veröffentlichung abzusehen, kann nicht mit Sicherheit festgestellt werden, aber die plausibelste Erklärung ist wohl, daß er spätestens 1798 den Aufbau des Werkes für so weitgehend revisionsbedürftig hielt, daß für ihn die Umarbeitung einen unverhältnismäßig großen Aufwand bedeutet hätte. l6l Gentz' Bereitschaft, die Geschichte der ersten Nationalversammlung 1801 doch noch zu veröffentlichen

ts7 Gentz an Herder am 4.3.1797, in Briefe I, S. 315. - An dieser Stelle spricht Gentz ein nicht unbedeutendes Faktum seiner Beschäftigung mit dem revolutionären Frankreich an: Gentz ist, im Unterschied etwa zu Ancillon, Wilhelm von Humboldt und Brinckmann, vor dem Sturz Napoleons nie in Paris gewesen. Sein gesellschaftlicher Umgang, seine Interessen, seine Sprachkenntnisse all das steht in auffallendem Kontrast zu einer äußerst geringen Reisefreudigkeit. Über Österreich, Preußen und das übrige Mitteleuropa ist Gentz nur sehr selten hinausgelangt. Was in späteren Jahren sicherlich durch seine angegriffene Gesundheit bedingt war, läßt sich für seine jungen Jahre höchstens durch Zeit- und vor allem Geldmangel erklären. Nach seiner Burke-Übersetzung wäre ein Aufenthalt in der Hauptstadt der Revolution wohl auch aus politischen Gründen nicht ganz unbedenklich gewesen. Gentz' Wissen über Frankreich blieb bis zum Ende der Napoleon-Zeit - bei allem Sammeleifer - immer ein Wissen aus zweiter Hand. In einer Epoche der Authentizität - man denke an die zahlreichen und vielgelesenen Augenzeugenberichte - stellt dies ein Manko in der Bilanz der Erfahrungen dar. m Gentz an Böttiger am 1.2.1798, in Briefe I, S. 245: "Sie fragen mich nach meinem großen Werke über die Geschichte der Revolution. [ ... ) An und für sich konnte der Eifer, an einem Werke, dem ich so viel Zeit und Kräfte schon aufgeopfert habe, zu arbeiten, nie erkalten. Aber ob ich es in 3, 5, 10 Jahren, ob ich es jemals vor das Publikum bringen werde - das ist eine andre Frage. " ". Ebd., S. 245f. 160 Dazu der Brief von Gentz an den Leipziger Verleger Göschen vom 26.11.1801, in dem Gentz das Angebot machte, das Manuskript binnen Jahresfrist umzuarbeiten (abgedruckt in P. Wittichen, Friedrich v. Gentz ungedrucktes Werk, S. 302ff.).

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XIII. Kritiker

war Ausdruck der eklatanten Geldnot, unter der er zu dieser Zeit litt. Es könnte jedoch auch ein Indiz dafür darstellen, daß Gentz 1798 zwar einerseits die Ungunst des Publikums fürchtete, anderseits aber selbst bereits begonnen hatte, sich mit seinen Schriften einen neuen Leserkreis zu erschließen, der sich für eine geschichtliche Arbeit im Stile einer über hundert Bogen starken Chronik vermutlich weniger interessierte. Fern von Berlin und der Hohen Politik, in Weimar, stand Gentz mit führenden Repräsentanten einer literarisch geprägten Öffentlichkeit in Kontakt; daß Gentz gerade in dieser Umgebung sein altes Projekt nochmals in Erwägung zieht, spricht dafür, daß es u.a. auch die Hinwendung zu stärker mitgestaltender politischer Publizistik war, die Gentz 1798 an der Fertigstellung des Werkes hinderte. 161 Nutzlos war die aufwendige Arbeit, deren greifbares Ergebnis, über 2000 Manuskriptseiten, bislang nie publiziert wurde, trotzdem nicht. 162 Ein Blick in die lange verschollenen fünf Textbände und den Registerband zeigt, daß Humboldt Gentz' Werk im wesentlichen zutreffend charakterisiert hat. Streng chronologisch aufgebaut und im Präsens geschrieben, beinhaltet die Geschichte der Nationalversammlung eine detaillierte Schilderung der politischen Weichenstellungen zwischen Mai 1789 und April 1791. 163 Die gesamte Darstellung kreist um die Debatten der Nationalversammlung. Zwischen langen Abschnitten, die in erster Linie diese Debatten wiedergeben, finden sich auch Passagen, die allgemeine Überlegungen, beispielsweise zur Verfassungsdiskussion, einflechten. l64 Insgesamt verfügte Gentz damit über ein solides Fundament für eine stärker "räsonnierende", dem Profil eines politischen Schriftstellers besser angepaßte Form der Revolutionsgeschichte. Das unveröffentlichte Manuskript bildet in diesem Sinn eine Zwischenschicht der Textherstellung. l65

'6'

Ebd., S. 302. Günter Herterich beabsichtigt allerdings, das Manuskript in absehbarer Zeit zu publizieren (Brief an den Verf. vom 17.12.1989). "3 [Friedrich GentzJ, Frankreich, May 1789 bis April 1791, 5 Bde. [durchpaginiertJ und I Registerbd., [geschrieben 1795-1798), in UB Köln Sammlung Otto Wolff G.N. Nr. I. '64 Z.B.: die Definition der Aufgabe des Verfassungsgebers unter dem Datum des 9.10.89 (ebd., S. 176); die Kompetenzverteilung von Krieg und Frieden in Monarchien unter dem Datum vom 22.5.90 (ebd., S. 591); die Unrechtmäßigkeit einer "Total-Revolution" durch bloßen Mehrheitsentschluß, der auch die Minorität zu binden vorgibt, unter dem Datum vom 28.2.91 (ebd., S. 1911 f.). '6S SO erinnert die Erläuterung des Begriffs "Gleichheit" unter dem Datum vom 19.7.90 (ebd., S. 677ff.) der später im "Historischen Journal" gegebenen. - Die kleinen, bisher veröffentlichten Bruchstücke des Manuskripts sind nicht immer korrekt wiedergegeben. Vgl. z.B. über Necker, ebd., S. \023 mit Wiebel" S. 66 (Anm. 2). '62

3. Revolutionsgeschichte

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Die Schwierigkeiten, die Gentz schon anläßlich seines Rückblicks auf die Ereignisse des Jahres 1794 auf jeden Historiographen der Revolution zukommen sieht, haben ihre Wurzel in der Struktur der Revolution selbst, die nicht auf das Wechselspiel der Intentionen einzelner Akteure reduziert werden könne. Damit unterscheide sie sich grundlegend von der um herausragende Persönlichkeiten gruppierbaren bisherigen Geschichte. l66 "Die Begebenheiten drängen einander wie die Wellen des Meeres, und scheinen, wie diese, mehr ein Spiel der Winde als zweckmäßig=wirkender Kräfte zu seyn. "167 Daraus, daß die Revolution nicht mehr individuell zurechenbar ist, muß die von Gentz angestrebte, jenseits der Chronologie angesiedelte, "räsonnierende" Revolutionsgeschichte ihre Konsequenzen ziehen. Der mit Abstand kompakteste Text, den Gentz zu diesem Thema publiziert hat, erschien 1799, gewissermaßen als Bilanz einer ganzen Schaffensphase, unter dem Titel "Ueber den Gang der öffentlichen Meinung in Europa in Rücksicht auf die französische Revoluzion" im "Historischen Journal". Bei der Betrachtung der Ursachen und der ersten Phase der Revolution bis zum Bastillesturm, als die Macht des Königs endgültig gebrochen worden sei, entwickelt Gentz als "pragmatische[r] Geschichtsschreiber der Revoluzion"l68 das überreiche historische Material wiederum in zeitlicher Reihung, nun aber ganz bewußt nach den ihm in der Rückschau am bedeutendsten erscheinenden politischen Fragen selektiert. Gentz bettet dabei die "pragmatische" Untersuchung der Revolutionsgeschichte in ein sorgHiitig aufgebautes geschichtsphilosophisch-anthropologisches Panorama des neuzeitlichen Zivilisationsfortschritts ein, der aber auch mit seinen Schattenseiten, der ausufernden Kultur diskursiver Strukturen das Fundament der Gesellschaft bedrohen könne. l69 Im Anschluß an diese Skizze seines Geschichtsbildes wendet sich Gentz gegen zwei einander entgegengesetz-

166 "Sonst war die Weltgeschichte nichts als das Leben und Weben einiger großer und kraftvoller Individuen, die an ihre Entschlüsse, an ihre guten oder bösen Thaten das Schicksal ihrer Zeitgenossen knüpften. Wer die Handlungen, die Charaktere, und die wechselseitigen Verbindungen von einigen zwanzig Fürsten, Generalen und Ministern kannte, der begriff den Gang, die Wendungen und die Dauer des dreißigjährigen Krieges; die Revolution von England im Jahr 1688 war die Entwicklung eines Plans, den die Klugheit Wilhelms von Oranien auf eine genaue Kenntniß von den Fehlern seines Schwiegervaters griindete: der siebenjährige Krieg ist als eine Szene aus dem Leben Friedrichs des Großen anzusehen." (Gentz, Historisch=politische Uebersicht 1794, S.

5).

Ebd. Gentz, Betrachtungen über die Entstehung der Französischen Revoluzion [Fortsetzung von ders., Gang der öffentlichen Meinung], HistJ 113, S. 432. 16. Ebd., S. 5-35. 161 16.

23 Kronenbitter

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XIII. Kritiker

te revolutionsgeschichtliche Erklärungsansätze. Der eine davon, die Verschwörungsthese, die ausschließlich von individuellen Machenschaften ausgeht, ist nach Gentz genauso verfehlt wie der andere, der in der Revolution nur die Gesetzmäßigkeit eines von niemandem persönlich zu verantwortenden Fortschritts sieht. l70 "Der Fortschritt des Jahrhunderts und das Resultat dieses Fortschritts, der gesellschaftliche Zustand Frankreichs unter der Regierung Ludwigs des XVII, war die Bedingung der Möglichkeit (conditio sine qua non) der Revoluzion: die Begebenheiten, welche sich vom Anfange des Jahres 1787 an zutrugen, waren die Bedingung ihrer Wirklichkeit. I ... ] Diese Ansicht allein giebt einen sichern Leitfaden bei dem Studium der neusten Geschichte. Aus einem oder dem andern der einseitigen Systeme, welche sie berichtigen und ergänzen muß, sind alle große Irrthümer sowohl in der historischen, als in der praktischen Beurtheilung der Revoluzion geflossen. "171

Von der bei den radikal-konservativen Revolutionsgegnern verbreiteten Verschwörungsthese I72 distanziert sich Gentz letztlich aus dem gleichen Grund wie von der revolutionsfreundlichen, philosophischen Deutung: beide sind ihm zu unpolitisch, treffen das Wesentliche nicht. 173 Beide Fehleinschätzungen zeitigen nach Gentz' Meinung deshalb in Anwendung auf die Politik die verderblichsten Folgen, führen entweder zu einer groben Unterschätzung der

170 "War diese Revoluzion - das ist die Frage - das Werk der besondern Umstände, worin sich Frankreich befand, und nahmentlieh das Werk einiger kühnen und unternehmenden Menschen, welche die Schwäche der Regierung benutzten, oder war sie das natürliche Resultat der Fortschritte, welche die Europäische Menschheit, seit einigen Jahrhunderten, in allen Fächern ihrer Wirksamkeit gemacht hat? Die meisten Royalisten unter den französischen Schriftstellern halten es ausschließend mit der Erklärung durch die zufälligen Umstände, weil sie auf diese Weise die Revoluzion, der sie auch nicht einmal ihre welthistorische Größe und Wichtigkeit gönnen, auf ein bloßes Kabalen=Spiel herabsetzen. Dagegen sehen die Freunde der Revoluzion die gar zu offenbaren Schandflecke, die von ihrer Geburt an, bis in ihr tiefstes Alter auf ihr hafteten, gern in den Schatten gestellt, und geben sie fiir ein reines Produkt der natürlichen Fortschritte des menschlichen Geistes aus, eine Erklärungsart, die schon durch ihre Unbestimmtheit vortheilhafter ist, und in jedem Falle einen edlern Eindruck macht. Es ist unmöglich, die Entstehung der Revoluzion zu begreifen, wenn man nicht der Einseitigkeit dieser beiden Systeme entsagt, und zu der Ueberzeugung gelangt, daß sie nur gemeinschaftlich die Wahrheit enthalten.· (ebd., S. 36ff.). 171 Ebd., S. 38f. 172 Dazu Johannes Rogalla von Bieberstein, Die These von der Verschwörung. 1776-1945. Philosophen, Freimaurer, Juden, Liberale und Sozialisten als Verschwörer gegen die Sozialordnung, Bern u.a. 1976, S. 64. 173 Entsprechend hüllt Gentz beide Positionen in Worte, die Realitätsferne signalisieren: "Wenn die, welche sich bei der Darstellung der Revoluzion ausschließend auf Local=Ursachen, Verschwörungen und Kabalen einschränkten, diese Begebenheit durch ein alltägliches Gewand, oder durch einen mystischen Schleier entstellten, so machten auf der andem Seite alle die Schriftsteller, welche sie als das nothwendige und ausschließende Produkt des Geistes und der Fortschritte des Zeitalters schilderten, einen philosophischen Roman daraus.· (Gentz, Gang der öffentlichen Meinung, HistJ I/I, S. 43).

3. Revolutionsgeschichte

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Revolution oder zur Nichtbeachtung aller unerwünschten Aspekte ihrer Wirklichkeit, wobei von der Gruppe der Beschöniger der Revolution die größere Gefahr ausgehe, da sie immer zukunftsgerichtet, d.h. durch die Vergangenheit und Gegenwart nicht belehrbar sei. 174 Hier müsse die Kraft der Erfahrung als Korrektiv eingesetzt werden. 175 Dem Irrtum, "daß die Revoluzion nichts anders als das natürliche Resultat der Fortschritte der Menschheit gewesen sey" 176, lasse sich nur mit empirischen Argumenten begegnen: "Historische Erörterungen sind es also, wodurch man ihn angreifen und zerstören muß. "177 Der Aufklärung über den Ablauf der Revolution ist somit der Weg vorgezeichnet: er läuft auf einem schmalen Grad zwischen der Ausbreitung des politischen Handeins, das von Menschen und ihren Schwächen geprägt wird, und der Rückbindung des konkreten Handlungsablaufs an jenseits individueller Intentionen wirksame Strukturen des Geschichtsverlaufs. Der Schwerpunkt der Untersuchung liegt, den politischen Präferenzen von Gentz entsprechend, bei der Darstellung der Entscheidungsprozesse in der Frühphase der Revolution, damit also eher bei der Kritik menschlicher Handlungen. Andererseits ist der Standpunkt der Kritik eben gerade der einer Verbindung von universalhistorisch-anthropologischer Lagebestimmung und Rekonstruktion der Entscheidungssituation. Krisenbewältigung, das ist das unausgeprochene Resultat von Gentz' Überlegungen, gelingt nur nach der Verzahnung beider Ebenen der Analyse. Das proklamierte Ziel der Retrospektive ist die Neuorientierung der öffentlichen Meinung, die gerade deshalb für Gentz so bedeutsam ist, weil seiner Ansicht nach eben diese öffentliche Meinung gerade zu den wichtigsten Ergebnissen und zugleich zu den wirksamsten strukturellen Komponenten des historischen Prozesses zählt. "Da man aber, um die Illusionen in der öffentlichen Meinung aufzudecken und zu bekämpfen, nothwendig wissen muß, wie diese Meinung entstand, so sey es unser erstes Geschäft, einen Blick auf die Umstände zu werfen, unter welchen die französische Revoluzion Europa überraschte. "178 Schon im Wort "überraschen" liegt der Hinweis auf die Unauf-

Ebd., s. 47f. m "Der Verfasser dieses Aufsatzes hat oft die Erfahrung gemacht, daß eine einzige aus gründlicher Kenntniß der Geschichte der Revoluzion hergenommene Bemerkung einen langen philosophisch=politischenStreit schnell zu Ende führte, und mehr als die subtilsten Argumente bewirkte." (ebd., S. 53f. (Anm.». 116 Ebd., S. 196. 177 Ebd., S. 197. 118 Ebd., S. 5. 174

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XIII. Kritiker

geklärtheit der öffentlichen Meinung über sich selbst, die mit öffentlichkeitsimmanenten Regelungsprinzipien, etwa der unbeschränkten Kritik alles Bestehenden, nicht zu beheben sei. Erst die positive Einbeziehung der geschichtlichen Bedingtheit in den politischen Diskurs könne hier Abhilfe schaffen. Die Aufsatzfolge reflektiert daher - und das macht sie für die Zwecke dieser Untersuchung so sprechend - mit dem Gang der Darstellung Immer wieder auch die Bedingungen politischer Kommunikation. "Das Bestreben, seine Kenntnisse und Talente in einem öffentlichen Wirkungskreise zu zeigen, dieses Bestreben, welches vermöge des Zustandes der bürgerlichen Gesellschaft vormals auf wenige eingeschränkt, mit der Zunahme der Cultur aber auf eine große und immer größrer [!] Masse von Menschen übergegangen war, ist unter allen Charakterzügen unsers Zeitalters, für den Gang der Weltbegebenheiten der entscheidendste gewesen. Wenn man die Unruhen in Frankreich von ihrem ersten Aufdämmern bis zu ihren furchtbaren Katastrophen verfolgt, so wird man durchgehends gewahr, daß diesmal nicht der Ehrgeitz einiger Einzelnen, die nach ausschließender Herrschaft rangen, sondern der Ehrgeitz unendlich vieler, die sich zur Mitwirkung bey den Staats = Geschäften berufen glaubten, die gesellschaftlichen Bande zerrissen, die Menschheit aufgeopfert, und die Erde mit Blut getränkt hat. "179

Genau an dieser Stelle hängen Detailerforschung und anthropologische Perspektive zusammen, verbinden sich Geschichtsphilosophie und historische Einzeluntersuchung, Natur- bzw. Gesellschaftsgeschichte und politische Historie. l80 Erst von diesem Punkt aus kann die Revolution nach Gentz' Meinung überhaupt als einheitlicher Prozeß, buchstäblich über die Köpfe der Handelnden hinwegschreitend und zugleich aus dem Gang der Zivilisationsgeschichte hinreichend herausgehoben, erkannt werden. Konkret faßbar wird der Zusammenhang von säkularer Tendenz und individuellem Versagen im Bastillesturm und der Entmachtung des Königs durch die Nationalversammlung. Der 14. Juli symbolisiert so für Gentz den Angelpunkt und damit die innere Einheit der Revolution: "Aus jedem andern Standpunkte betrachtet, und sobald man es unternimmt, die Revoluzion in zwei willkührlich = getrennte Perioden zu zerschneiden, wovon die eine dem guten Prinzip, die andre dem Bösen angehören soll, wird die Geschichte unsrer Zeit ein unverständliches Chaos, worin nicht einmal die jetzige Generazion, vielweniger die Nachwelt einen Leitfaden zu finden vermag. Nur aus jenem Standpunkte allein - demselben, welcher den Operazionen der ersten

Gentz, Gang der öffentlichen Meinung, HistJ I12, S. 155f. Natur- bzw. Gesellschaftsgeschichte im Sinne der z.B. von Adam Ferguson praktizierten Verknüpfung von moralphilosophischer Anthropologie und Gesellschaftstheorie mit historischen Prozessen. Dazu Zwi BatschalHans Medick, Einleitung, in: Adam Ferguson, Versuch über die Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft. Hrsg. von Zwi Batscha und Hans Medick (Ü.: Hans Medick), Frankfurt am Main 1986, S. 7-91. - Vgl. zu einer revolutionsapologetischenRadikalisierung des naturgeschichtlichen Deutungsmodells am Beispiel Forsters Garber, Geschichtsphilosophie, S. 187-193. 179

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3. Revolutionsgeschichte

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Nationalversammlungein wahrhaft = welthistorisches Gewicht und Interesse anweiset, erscheint die Revoluzion als ein zusammenhängendes begreifliches Ganzes; die Kette der Ursachen und Wirkungen windet sich durch die unendliche Mannichfaltigkeit der einzelnen Thatsachen, durch ein wildes Gedränge schnell = wechselnder, nic=gesehner, oft räthselhafter Gestalten, stets mit einer gewissen Klarheit hindurch; und ein beobachtender Geist kann aus dem reichen aber verworrnen Stoffe, den die größte aller historischen Begebenheiten darbietet, jene belehrenden Resultate ziehen, in weIchen der höchste Werth, und der letzte Zweck des Studiums der Geschichte liegt. "'li

Die historisch beschreibbare Dynamik der Französischen Revolution gerät in ein noch helleres Licht, wenn Gentz sie in eine vergleichende Perspektive rückt. Mit dem Aufsatz über den "Ursprung und die Grundsätze der Amerikanischen Revoluzion, verglichen mit dem Ursprunge und den Grundsätzen der Französischen"182 trug Gentz zu den zeitgenössischen Bemühungen um eine allgemeine Revolutionstheorie bei. 183 Durch den Kontrast zwischen der Amerikanischen und der Französischen Revolution, der diesem Aufsatz seiner ganzen Anlage nach zugrunde liegt, will Gentz die Besonderheit der Entwicklung in Frankreich plastisch darstellen. 184 Als Burke-Kenner und Fachmann sowohl für die britische als auch für die französische Geschichte, verfügte er dabei über ausreichend historisches Material, um den Vergleich herausziehen zu können. 185 Gentz' historisches Wissen und seine klare Scheidung von erlaubter Revolution in Amerika und unerlaubter, verhängnisvoller Revolution in Frankreich, machten seinen Aufsatz für - im Rahmen des politischen Spektrums der USA - konservativ gestimmte Amerikaner zu einer guten Argumentationshilfe. lohn Quincy Adams, der Gentz' Aufsatz in englischer Übersetzung publizierte, spricht dieses Motiv deutlich aus: Die Schrift sei "for two reasons highly interesting to Americans: First, because it contains the c1earest account of the rise and progress of the revolution which established their independence, that has ever appeared within so small a compass; secondly, because it rescues that revolution from the disgraceful imputation of having proceeded from the same principles as that of France. This

"' Gentz, Betrachtungen, HistJ 113, S. 434f. '12 Friedrich Gentz, Der Ursprung und die Grundsätze der Amerikanischen Revoluzion, verglichen mit dem Ursprunge und den Grundsätzen der Französischen, in: HistJ 11/2, S. 3-140. 113 Wie vor ihm u.a. auch schon Garve. Dazu Zwi Batscha, Christian Garves Reflexionen über die Französische Revolution, in: Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte 18(1989), S. 249270, hier S. 266-270. - Vgl. zu Gentz' Revolutionstheorie auch Domenico Losurdo, Vincenzo Cuoco, la revolution napolitaine de 1799 et I'etude comparee des revolutions, in: Revue Historique 281(1989), S. 133-157. ,.. Dazu insgesamt Maria Pia Patemo, Friedrich Gentz e la rivoluzione americana, in: 11 Pensiero Politico. Rivista di storia delle idee politiche e sociale 33(1990), S. 390-406, hier S. 401405. ,,, Insbesondere im Zuge der Mounier-Übersetzung hatte sich Gentz schon 1795 intensiv mit der Verfassungsgeschichte Frankreichs vom Mittelalter bis zum Vorabend der Revolution befaßt. Dazu bes. Gentz' Anmerkungen in Mounier Ursachen I.

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XIII. Kritiker

error has no where been more frequently repeated, no where of more pernicious tendency than in America itself. It has been, here not simply a common-place argument, as Mr. Gentz represents it to have been in Europe, but has been sanctioned by the authority of men, revered for their talents, and who at least ought to have known better. "186

Die so gelobte Skizze der Geschichte der Amerikanischen Revolution muß hier nicht näher erläutert werden; 187 die Quintessenz, die Gentz aus ihr zieht und die schon durch den ruhigen, abwägenden Duktus der Darstellung vermittelt wird, ist die, daß die Amerikaner zur Wahrung ihres verbürgten Rechts rein defensiv gegen die Machtanmaßungen des Mutterlands, mit klaren politischen Zielen und nur gegen schwachen Widerstand, deshalb auch ohne besondere Grausamkeiten, ihre Unabhängigkeit erstritten hätten. 188 Im Vergleich zu dieser "Revoluzion der Nothwehr"189 wird die Selbstläufigkeit des revolutionären Prozesses in Frankreich l90 herausgestellt. 191 Die Revolutionäre in Frankreich hätten von Beginn an systematisch das Recht verletzt und dem Götzen "Volkssouveränität" geopfert. l92 Dies und die Tatsache, daß die Französische Revolution ausschließlich offensiv vorging, sind aber m.E. die weniger bedeutenden Einsichten, zu denen Gentz in seinem Aufsatz gelangt. Zentral scheint mir dagegen das Moment der Zielbestimmung der Revolution, das allerdings eng mit den beiden anderen Analyseebenen zusammenhängt. 193 Aus dem Fehlen eines klaren politischen Ziels leitet Gentz nämlich den alles umstürzenden, totalen Bewegungscharakter l94 der Französischen Revolution ab, der mit zwingender innerer Logik in die Schreckensherrschaft führen mußte.

lohn Quincy Adams, Preface, in: Possony (Hrsg.), S. 3ff., hier S. 3. GenlZ, Ursprung und Grundsätze der Amerikanischen Revolution, HistJ 1112, S. 9-47. I.' Ebd., S. 49-67,74-89,98-115, 127-138. 189 Ebd., S. 89. 190 Dessen eigentlichen Anfang Gentz schon im Verhalten der Ständedeputierten im Mai und Juni 1789 sieht (ebd., S. 69). 191 Ebd., S. 67-74, 89-96, 115-126. \92 "Vom Ausbruche dieser Revoluzion an ist die Frage nach der Rechmläßigkeit dessen, was die Volksführer thaten, niemals [ ... ) aufgeworfen worden. Das Wort Recht würde sich ganz aus der französischen Sprache verloren haben, wenn sich nicht in einem eingebildeten Rechte der Nazion, alles zu thun, was ihr, oder ihren Stellvertretern gelüstete, eine Art von Surrogat für alle andre Rechte gefunden hatte!" (ebd., S. 68). 193 "Wenn sobald man bei einer großen Unternehmunggänzlich aus dem Gebiet der bestimmten Rechte heraustritt, und alles für erlaubt erklärt, was eingebildete Nothwendigkeit oder zügellose Leidenschaft eingiebt, muß man sich allemal in das unermeßliche Feld der Willkühr versetzt sehen; und eine Revoluzion, die kein andres Prinzip hat, als Angriffe gegen die bestehende Verfassung, muß nothwendig bis an die letzten Gränzen der Einbildungskraft und der Verwegenheit fortschreiten." (ebd., S. 116). 194 Hinweise auf eine hier naheliegende Rezeption von Gentz durch Arendr fehlen m. W. 186

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4. Verfassung und Vernunft

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Die explosionsartige Verbreiterung der politischen Partizipation und das ebenso schlagartige Aufbrechen neuer, beinahe unendlich variabler Erwartungshorizonte sind für Gentz die Indizien eines politischen Vakuurns, 195 das die reine, nur um ihrer selbstwillen fortdauernde revolutionäre Bewegung begünstige, und insofern sei jene Partei der radikalen Revolutionäre auch die "einzig consequente Partei, die von jeher der Meinung gewesen war, daß es Thorheit sey, der französischen Revoluzion irgend eine Gränze anzuweisen. ,,196 Dieser Bewegungscharakter des Revolutionsprozesses führt in die fortdauernde Recht- und deshalb auch Friedlosigkeit, die nur mit außerordentlichen Mitteln wieder zu beheben sei. 197 Auch Napoleons Griff nach der Macht am 18. Brumaire l98 und die im Anschluß daran eingeführte Konsularverfassung seien zwar von dem Bemühen geprägt, einen Schluß strich unter die Revolution zu ziehen, aber der Erfolg dieses Versuchs, zu einer Festigung der politischen Ordnung zu gelangen, steht in Gentz' Augen unter dem Unstern der Rechtlosigkeit, der mit der Revolution über Frankreich aufgegangen sei, weil "das, was plötzlich, und regellos aus dem Chaos einer allgemeinen Auflösung und Zersetzung hervorschießt, schwerlich für die Ewigkeit, auch nur in dem Sinne, in welchem man sie Staatsverfassungen zuschreiben darf, gebildet seyn wird. ,,199

4. Verfassung und Vernunft Gentz war nicht nur einer der zahlreichen Kommentatoren der Französischen Revolution in Deutschland, sondern teilte auch eine andere Leidenschaft seiner Zeitgenossen, die Verfassungskritik. Immer wieder hat er sich mit der englischen Verfassung und mit den Konstitutionen und Konstitutionsplänen in Frankreich beschäftigt. 200 Daß dabei seine ganze Vorliebe dem britischen

,., Gentz, Ursprung, S. 117-120. '96 Ebd., S. 120. '97 "Wenn eine von den großen Massen der Körper= Welt, plötzlich aus dem Ruhepunkte ihrer Schwere gehoben, von einer ungeheuren Schwungkraft in die leeren Räume des Aethers geschleudert wird, so ist ihr Stillstand weniger leicht zu begrei fen, als die Fortdauer ihrer Bewegung. Und in der That, nachdem einmal die ernste Frage: Wem wohl das Recht zustehen konnte, eine solche Revoluzion anzufangen, unbeantwortet geblieben ist, giebt es nichts schwerers, als die nicht minder ernste zu beantworten: Wem wohl das Recht sie zu beendigen zusteht.· (ebd., S. 126). '9' 9.11.1799. '99 Friedrich Gentz, Ueber die neuste Französische Constituzion, in: "istJ 1111, S. 105-207, 221-299,317-371, hier S. 371. 200 Insbes.: Gentz, Darstellung und Vergleichung; ders., Ueber die neuste Französische Constituzion, "istJ 1/2; ders., Beiträge zur Geschichte der Constituzionen während der französischen

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XIII. Kritiker

Modell gehörte, war - man denke an Rehberg oder Brandes - nicht ungewöhnlich. Das "System der Wechselwirkuflg"1JJ) und der Teilung der Macht zur Einschränkung von Mißbrauchsmöglichkeiten, in England und seit kurzem in Nordamerika mit Erfolg praktiziert, böte, wie er meint, die beste Gewähr der "Freiheit und [ ... ] Ruhe der Bürger"1JJ2. Deshalb sieht es Gentz als großen Fehler der ersten französischen Nationalversammlung an, nicht das englische Modell übernommen zu haben: "Sie hatten das Ufer von Byzanz vor ihren Augen, und baueten Chalcedon. "1JJ3 Der zweite wichtige Stützpfeiler seiner verfassungspolitischen Revolutionskritik - von der Unrechtmäßigkeit des Verfahrens einer "Total-Revolution" gegen die Meinung der Minorität und gegen den Willen des bisherigen Souveräns abgesehen"}JJ4 - ist der Nachweis, daß sich auf dem abstrakten, die Regeln der bürgerlichen Gesellschaft im postkontraktuellen Zustand negierenden Programm der Menschenrechtserklärung keine stabile politische Ordnung errichten ließe: 1JJ5 "Eine Deklarazion der Rechle des Menschen und Bürgers ist ein Unding in der bloßen Zusammenstellung. Es giebt gar keine Rech/e des Menschen mehr, sobald es Rechle des Bürgers giebt. Denn außerhalb des gesellschaftlichen Vertrages ist, sobald der gesellschaftliche Vertrag, sobald eine Constituzion existirt - nichts. [ ... ] Des Bürgers unmittelbares Interesse liegt in dem unbeschränkten (unmöglichen) Recht, das Interesse der Constituzion in den Schranken: werden beide nebeneinander sankzionirt, so ist der Grund zu einem immerwährenden Kriege zwischen

Revoluzion, in: HistJ 11/2, S. 51-94; ders., Ueber die Grundprinzipien der jetzigen französischen Verfassung. 201 GenlZ, Darstellung und Vergleichung, S. 113. Der interessante Versuch von Gentz, unliebsame Konnotationen der Metapher auszuschließen: "System des Gleichgewich/s (de I'equilibre des pouvoirs), wie man diese Constitution häufig genannt hat, ist eine unschickliche Benennung, die eine Menge falscher Nebenbegriffe weckt. Nie würd'e man auf den lächerlichen Einwurf 'daß in einem solchen System eigentlich gar nichts geschehen und alles still stehen müßte' gekommen seyn, wenn jener Nahme nicht die ungegriindete Voraussetzung einer absoluten Gleichheit der Kräfte, die einander dann freilich aufheben würden, veranlaßt hätte. System der Gegen = Gewichle (des contrepoids) ist ein Ausdruck, welcher der Sache und der Wahrheit näher tritt; er erschöpft sie aber nicht, und bringt immer noch die Bilder vom Steigen und Sinken der Wageschalen, vom Hin= und Herschwanken des polirischen Wagebalken, u.s.f. und hauptsächlich die Idee von Kräften, deren eine ihren [!] Wachsthum nur immer in der Abnahme der andern findet, ins Spiel, eine Idee, die einer vernünftigen Constitution gänzlich widerstreitet. Dagegen ist Wechselwirkung das eigentliche Verhältniß, in welchem die Bestandtheile einer Constitution, die das erste Problem auflösen soll, unter einander stehen; und dieses im philosophischen Sprachgebrauche längst eingeführte Wort, kann ohne alles Bedenken in den philosophisch = politischen übergehen ... (ebd., S. 114). 202 Ebd., S. 136. 203 Ebd., S. 153. 204 Gentz, Burke Zusätze, S. 136-161. 20> Ebd., S. 163-207.

4. Verfassung und Vernunft

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der Constituzion und dem Bürger gelegt: dieser ruft das urspriingliche Recht, jene die Beschränkung an, und die Gewalt spricht die Entscheidung aus .• 206

Gentz' Argumentation auf dem Gebiet der Verfassungsfrage bleibt zwischen 1792/1793 und 1800 in ihren Grundzügen unverändert, ~as die Voraussetzung dafür ist, daß auch ohne übermäßige Willkür eine halbwegs geschlossene politische Theorie aus seinem Frühwerk rekonstruierbar ist. In den Grundzügen liegt Gentz' Staatstheorie bereits in seinen Abhandlungen am Ende der "Reflections" -Übersetzung fest; was sich später ändert, ist in erster Linie Resultat eines Bemühens um Systematisierung und Straffung der Argumentation. 7JJ7 Eine wichtige Rolle spielt daneben die schwankende Position von Gentz zwischen einer eher liberal anmutenden Kritik der Revolution mit eindeutigen Bekenntnissen zur allgemein gültigen Vorbildlichkeit des Systems der Wechselwirkungen nach britischem Musteros und einer - praktisch mehr an den mitteleuropäischen Realitäten ausgerichteten - Verteidigung aller vor der Revolution bestehenden politischen Systeme mit dem Begriffsinstrumentarium des Naturrechts. 209 Die Gründe für diese Verschiebungen sind textexterner Natur und haben mit den innerfranzösischen Entwicklungen und mit der sich wandelnden Stellung von Gentz als politischem Schriftsteller zu tun. Die Texte zur Verfassungs frage werden in ihrer Argumentationsstruktur weitgehend vom Reinen Staatsrecht und vom Gleichgewichtsprinzip beherrscht, so daß eine eingehendere Erörterung an dieser Stelle nicht mehr notwendig ist. 2lO Erwähnt werden sollte hingegen noch, welche Bedeutung der Rekurs auf die damals zum allgemeinen Hintergrundwissen des Publikums gehörenden französischen Verfassungstheoretiker in Gentz' Texten hat. Neben Montesquieu hatte besonders Rousseau eine so prominente Position in den Beurteilungsmaßstäben der Öffentlichkeit inne, daß er sich als Beispiel hierfür besonders eignet. 211 Dabei geht es letztlich um eine Gratwanderung zwischen Demontage und Instrumentalierung von anerkannten Autoritäten der politischen Philosophie.

Gentz, Beiträge zur Geschichte der Constituzionen, "istJ 11/1, S. 6lff. Vgl. z.B.: ebd., S. 58-94 und Gentz, Burke Zusätze, S. 163-207 über die Deklaration der Menschen- und Bürgerrechte. 208 "Jenseits der Theilung der Macht ist keine brauchbare Regierungsform mehr zu suchen.· (Gentz, Darstellung und Vergleichung, S. 142). 209 Gentz, Ueber die Natur und den Werth, "istJ 1/1, S. 498. 2'0 Vgl. Kap. III. 211 Zu Montesquieu beispielsweise Mounier Ursachen 11, S. 9f. und bes. 29-40 (Anmn. d. Ü.) und Gentz, Gleichheit, "istJ 1111, S. 44f. 206

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XIII. Kritiker

Die Verteidigung Rousseaus gegen die Pauschalverurteilung durch Burke reiht sich in eine breite politisch-publizistische Tendenz ein, deren Ziel die revolutionsfeindliche U minterpretation des von den Revolutionären sO geschätzten Gesellschaftstheoretikers war. 212 Gentz glaubt auf Rousseau als Kritiker jeder Revolution zählen zu können,213 und so ist es für ihn "wirklich ein Gegenstand des Lachens, wenn nun gerade dieser Schriftsteller zur Vertheidigung der abscheulichsten Excesse aller Art, und der abgeschmacktesten Erfindungen seichter Staatsverbesserer unaufhörlich citirt und angepriesen wird, wenn man ihn als das Orakel in einer Regierungsform aufstellt, der zu entgehen er sicherlich (und im buchstäblichen Sinn des Wortes) in die Wälder zurückgekehrt wäre"214. Daß diese Inanspruchnahme Rousseaus in erster Linie der politischen Rhetorik, weniger theorieinterner Affinität entspringt, zeigt sich bei der harschen, wenn auch moderat vorgetragenen Kritik an dessen Vertragskonzeption, also auf dem Kemgebiet des Reinen Staatsrechts: "Seine Ideen über den rechtlichen Urprung der Gesellschaft trugen alle den Stempel der Wahrheit. Auf seinem Fundamente hätte das ganze Gebäude der theoretischen Politik mit dem glücklichsten Erfolg errichtet werden können. Gleichwol hat er nicht bloß ein unvollkommnes, sondern ein falsches, sich selbst zerstörendes, und die Menschheit verwirrendes System geliefert. [ ... ) Indem er aus dem gesellschaftlichen Vertrage die wirkliche Entstehung der Gesellschaft erklären wollte, verfiel er auf die grundlose Maxime: daß die Souveränität nicht veräußert werden könne; [ ... ) Hieraus folgte unmittelbar, daß alle Verfassungen, worin die Gesetzgebung nicht vom Volke ausgeübt wird, unzuläßig, und mehr als das, unrechtmäßig seyn mußten. "21>

Wenn Gentz Rousseau gegen dessen revolutionsbegeisterte Verehrer in Schutz nehmen will, so mehr der guten Absichten und nicht so sehr der theoretischen Qualitäten Rousseaus wegen. Am Beispiel Rousseaus zeigt Gentz, was

Dazu Joan McDonald, Rousseau and the French Revolution, London u.a. 1965, S. 115-151. Gentz meint, Rousseau "war aufs innigste überzeugt: daß bey großen und verderbten Nationen eine jede Revolution nur Uebergang aus einem elenden Zustande in einen andem, großentheils noch elendem seyn kan - Diese tiefsinnige Behauptung enthält den Keim zu den traurigsten aber fruchtbarsten aller Betrachtungen, die sich über die französische Revolution anstellen lassen." (Burke Betrachtungen 11, S. 17 (Anm. d. Ü.». Er zeichnet Rousseau als wohlmeinenden, friedfertigen Denker: "Nichts würde wohl den furchtsamen Menschenfreund tiefer empört haben, als der Gedanke, sich an diese Revolution geknüpft, sich überhaupt als Vater irgend einer Revolution dargestellt zu sehen. Nichts ist dem Geiste aller seiner politischen Schriften so auffallend entgegengesetzt. Er liebte die Freyheit, aber eine schuldlose und unblutige Freyheit; er unterschied mit aller Gründlichkeit eines wahren Menschenbeobachters und Weltkenners, die schönen aber träumerischen Ideale einer vollkommnen Staatsverfassung, von dem was in allen menschlichen Einrichtungen, das einzig = erreichbare ist: und er erklärte mehr als eimrtal, daß er den Frieden höher schätzte, als alle unsichre Hoffnungen gewagter und stünnischer Revolutionen." (ebd.). 214 Ebd., S. 18 (Anm. d. Ü.). m Gentz, Beiträge, HistJ 1/3, S. 290f. 212

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4. Verfassung und Vernunft

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s.E. mit einer nicht sorgfältig genug gegen theorieextern motivierte Reduktionen und Verdrehungen zu praktischen Zwecken gesicherten politischen Theorie in der politischen Wirklichkeit passieren kann. Gleichzeitig urteilt Gentz damit über den realen Stellenwert des Vernunftgebrauchs durch die Revolutionäre: "Die neuern französischen Politiker, welche die Idee einer nothwendigen Volks = Souveränität als eine der Grundlagen ihres Systems betrachteten, gingen, in so fern sie irgend selbst dachten, von eben den Irrthümern aus, in welche Rousseau sich verwickelt hat. Der Unterschied war, daß Rousseau durch eine freie uninteressirte Spekulazion auf die falschen Resultate gerieth, zu welchen jene durch äußre Umstände, und ein praktisches Interesse geleitet wurden. Souverän mußte das Volk nun einmal seyn, weil die, die es repräsentirten, die Regierung usurpiren wollten. Das Volk zum Souverän zu machen, dazu sahen sie kein rechtmäßiges, nicht einmal ein mit dem Schein der Rechtmäßigkeit bekleidetes Mittel ab: es blieb also nichts übrig, als die Souveränität für eine dem Volke nothwendig anklebende Prärogative zu erklären; und dazu war der Weg durch den Contract social schon gebahnt. "2\6

Ist nach Ansicht von Gentz der Rückgriff der Revolutionäre auf Rousseau ein taktisches Manöver, so bleiben auch bei ihm selbst wesentliche Momente der politischen Intention unter dem Mantel allgemeiner Überlegungen weitgehend verborgen. Die irgendwo zwischen der Selbstläufigkeit von Argumentationslinien und bewußter Vertuschung konkreter politischer Implikationen anzusiedelnde "Theorie-als-Taktik" sticht beispielsweise dort ins Auge, wo mit einem hochabstrakten Räsonnement über das rechtstheoretische Problem der Gleichheit nur beiläufig der Erfahrungsanlaß, der Streit um die Privilegien des Adels, zur Sprache kommt. 217 Die umfangreichen Studien, die Gentz zum Problem der Konstitution publiziert hat, zeichnen sich durch eine besondere Zuwendung zu rechtstheoretischen Fragen und vor allem zum verfassungstechnischen Detail aus. Es ist m.E. kein Zufall, daß auf diesen beiden Wegen die Bezüge zur gesel!schaftlichen Entwicklung spärlich gesät sind. Zwar hat Gentz sehr genau die sozialen Rahmenbedingungen und deren langfristige Veränderungen als Faktoren des politischen Lebens angegeben, aber der Wille, diese Dynamik nicht nur abstrakt als - wenn auch ambivalenten - Fortschritt zu akzeptieren, sondern sie auch zu einem konstitutiven Bestandteil der Verfassungsordnung zu machen, ist aus seinen Schriften nicht ablesbar. Beständigkeit und Dauer sind dagegen die Kriterien, an denen er politische Systeme mißt. Daß neben Loyalitätspflichten eines Beamten auch der Erfahrungshintergrund der Revolutionszeit diese Leitidee des StillstelIens gesellschaftlicher Konflikte motiviert, läßt sich nach all dem kaum bezweifeln.

216 217

Ebd., S. 296. Gentz, Gleichheit, HistJ lI/I, S. 35 (Anm.).

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XIU. Kritiker

Dieser Gedanke einer notwendigen, ja freiheitsstiftenden Polarität von verfassungspolitischer Ruhe und gesellschaftlicher Bewegung steht hinter der Ablehnung des Rechts auf einseitige Auflösung des gesellschaftlichen Vertrages, wie es Fichte in seinem "Beitrag zur Berichtigung der Urteile des Publikums über die Französische Revolution" eingefordert hatte. In der ausführlichen Rezension, die Gentz in der ALZ veröffentlichte, rügte er gerade das von Fichte geforderte Ineinander soziokultureller und konstitutioneller Dynamik durch eine zum Wandel verfaßte Ordnung: "Uebrigens kann Rec. der Meynung des Vf., dass die beste, die idealisch-beste Staatsverfassung sich fortwährend selbst abändern müsse, nicht bey treten; Er [! J nimmt das Gegentheil aus folgenden Gründen an: die beste Staatsverfassung in Rücksicht auf die höchsten Zwecke der Menschheit würde unstreitig die seyn, welche sich um diese Zwecke am wenigsten kümmerte. Nur negativ müsste sie dieselben befördern. Eine solche Staatsverfassung wäre nichts, als der Inbegriff der Mittel, welche die Gesellschaft anwendete, um die vollkommnen Rechte jedes Einzelnen zu schützen. Alles, was ausserhalb dieser Sphäre liegt - Glückseligkeit, Cultur, Moralität, muß unter einem einzigen Gesetz, .dem Gesetze der Freyheit stehen. - Da nun das System der vollkommnen Rechte ewig und unwandelbar ist, dasjenige aber, was seiner Natur nach im Wechsel liegt, Glückseligkeit und Cultur [ ... J gar nicht in das Feld der besten Verfassung gehört: so scheint die Staatsverfassung immer unwandelbarer werden zu müssen, je mehr sie sich ihrer höchsten Vollkommenheit nähert. "21'

Verfassung dient somit der Einhegung des Staates und zugleich dessen ungestörter Ruhe, wird also zum Ausgleich und Garant der vom Tätigkeitsdrang des Menschen erzeugten Fortschrittsbewegung. In der Kritik an der Diktatur des Wohlfahrtsausschusses wird das Gegenbild dieser Trennung von gesellschaftlicher und politischer Sphäre evoziert und damit zugleich der zeitgeschichtliche Erfahrungshintergrund kenntlich gemacht. An die Stelle der Unantastbarkeit des Rechts setzt Robespierre - so Gentz 1794 - die Tugend als wirkungslosen Schutz gegen Willkür. 219 Es sei Despotismus, wenn der Nationalkonvent, als "souveraine Versammlung, [ ... ] dem Staat, wenn man von Insurrectionen

211 [Friedrich GentzJ, Rezension von: Bey trag zur Berichtigung der Urtheile des Publikums über die französische Revolution. Erster Theil. Zur Beurtheilung ihrer Rechtmäßigkeit [ ... ], in: ALZ vom 7.5.1794. - Vgl. auch das Urteil über Fichtes Schrift in Mounier Ursachen I, S. 296 (Anrn.). 2.9 "Unter einer RevolUlions= Veifassung versteht man nach den Erklärungen und nach den Thaten der französischen Volksfiihrer einen Zustand, in welchem es keine bestimmte Constitution giebt, in welchem das Schicksal des Staats dem uneingeschränkten Gutbefinden einer provisorischen Regierung überlassen ist, der es frey steht, alle etwa noch vorhandne Gesetze, sobald nach ihrer Meynung oder Auslegung das allgemeine Beste es verlangt, zu suspendiren oder gänzlich aufzuheben, die über Leben und Eigenthum eines jeden Bürgers, ohne anders als vor ihrem eignen Gewissen deshalb verantwortlich zu seyn, schalten und walten, und die sogar die Vorschriften der Billigkeit, der Menschlichkeit und dessen, was in einem solchen Zustande gemeine Moral heißt, ungestraft übertreten darf." (GenIZ, Ueber die Grundprinzipien der jetzigen französischen Verfassung, S. 243).

4. Verfassung und Vernunft

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abstrahirt, keine andere Caution anzuweisen hat, als ihre [=der Revolutionäre] eigne Tugend. "220 Der von den Jakobinern öffentlich vorgeführte "Mißbrauch des Wortes Tu-

gend" 221 zur Legitimation der Schreckensherrschaft beweist Gentz die unab-

änderliche Bindung des demokratischen Experiments in Frankreich an die moralische Qualität der gesamten Nation. Da jenseits der Grenzen des Rechts letztlich ohne die Tugend des Souveräns nur ungehemmte Anarchie zu erwarten sei, müsse, wenn schon die Verfassung die Ambivalenz der menschlichen Natur nicht berücksichtige, zwangsläufig der Versuch gemacht werden, die Menschen nach der Verfassung umzuformen. 222 Eine solche öffentliche Erziehung nach dem Muster antiker Stadtstaaten, allen voran dem Spartas, müsse in der Realität jedoch schon an praktischen Problemen scheitern. 223 Außerdem stünde eine solche Lenkung der Charakterbildung des Einzelnen durch den Staat in eklatantem Gegensatz zur Tendenz der neuzeitlichen Entwicklung von Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur. 224 Ein realistisches Menschenbild führe zu der Einsicht, daß die institutionelle Stütze, die eine wohl geordnete Verfassung dem Rechtssinn der Menschen böte, umgekehrt als Teil einer langsamen und freiwilligen Erziehung zur Tugend zu betrachten sei. Der Traum der Revolutionäre, die menschliche Unvollkommenheit durch einen kollektiven Willensakt schlagartig zu überwinden, ist somit für Gentz eine Negierung des Politischen: "Die Staatskunst darf durchaus nicht, wie die Moral es muss, den Menschen betrachten, wie er seyn soll, sondern lediglich, wie er ist. Staatsverfassungen sind menschlichen Bedürfnissen gewidmet: und wo vom Bedürfniss die Rede ist, muß man von der Vollkommenheit schweigen. ,,225

Ebd., S. 239. Ebd., S. 282. 222 Ebd., S. 270. 223 Gentz, Burke Abhandlungen, S. 275-284. 22' "Wir sind viel zu unterrichtet, viel zu verfeinert, und viel zu verderbt, um uns auf den Wegen leiten zu lassen, auf welchen die alten Gesetzgeber Nationen, die kaum der Kindheit, vielweniger der Jugend entwachsen waren, leiteten. Unsre Aufklärung, unsre Kenntnisse, unsre zahllosen Bedürfnisse, unsre Klugheit und Gewandheit sie zu befriedigen, unsre vielseitige Bildung, und endlich die Verbindungen, worin alle civilisirten Völker unter einander stehen, widersetzen sich gewaltsam dem Versuch uns durch das, was man mit einem allesumfassenden Ausdruck eine öffentliche Eniehung nennt, zu lenken." (Gentz, Ueber die Grundprinzipien der jetzigen französischen Verfassung, S. 272). Hier klingt vermutlich der Einfluß Wilhelm von Humboldts frühen Konzeptionen von den Grenzen staatlichen Handeins in der Gesellschaft nach. Vgl. dazu z.B. Leitzmann (Hrsg.), Politische Jugendbriefe.- Zum ideengeschichtlichenHintergrund vgl. Heifried MünkJer, Die Idee der Tugend. Ein politischer Leitbegriff im vorrevolutionären Europa, in: Archiv für Kulturgeschichte 73(1991), S. 379-403, hier bes. S. 400ff. m Mounier Ursachen 11, S. 22 (Anm.d.Ü .). 220 221

366

XIII. Kritiker

Mit dieser Unvollkommenheit hat der politische Schriftsteller genauso zu rechnen wie der Staatsmann. Sie öffnet den Raum, in dem eine ihrer Grenzen bewußte Vernunft auf Sprache angewiesen ist. Um wirken zu können, muß der politische Schriftsteller mit mehr als nur der "nackten Wahrheit" öffentlich in Erscheinung treten. Eine Metapher für die politische Öffentlichkeit als Kommunikationssituation, die sich um 1800 großer Beliebtheit erfreute, war die des "Schauspiels". Der "magische Schauplatz"226, wie Gentz die Französische Revolution bezeichnete, zog die Aufmerksamkeit auf sich und wies dem politischen Schriftsteller seine vermittelnde Aufgabe zu: die des Kritikers. 227

Gentz, Historisch = politische Uebersicht 1794, S. 5. Dazu Luigi Marino, Rivoluzione e costituzione in Friedrich Gentz, in: Behemoth 7([ 1990)), 19-32, hier S. 22ff. 226

s.

227

XIV. Schluß "Wenn man eine beträchtliche Strecke eines nie betretnen [ ... ] Weges zurückgelegt hat, so entstehet ganz natürlich der Wunsch - sich zu orientiren. "1 Auch wenn von einem "nie betretnen Weg" bei einer ideengeschichtlichen Arbeit über Friedrich Gentz keine Rede sein karin, so ist doch am Ende der "beträchtlichen Strecke" dieser Untersuchung der Epilog mehr als nur eine bloße Formsache. Der Ausgangspunkt aller Überlegungen war die Unzufriedenheit mit den viel benutzten Pfaden Politischer Ideengeschichte, die meist schnurstracks an Friedrich Gentz vorbeiführen. Bei der Suche nach Methoden, die das Brachland einer so umfangreichen wie uneinheitlichen Texthinterlassenschaft besser erschließen könnten, kristallisierte sich rund um den zeitgenössischen Gebrauch des Begriffs "politischer Schriftsteller" eine an den Kategorien der Rhetorik ausgerichtete pragmatische Textanalyse als erfolgversprechendes Verfahren heraus. Das Kriterium, an dem sich messen läßt, ob das Versprechen auch eingelöst wurde, ist das der ge- oder mißglückten Begründung der Texte aus ihrem Herstellungsprozeß heraus. Der dem Aufbau der Arbeit zugrundeliegende Leitgedanke war, sich diesem Ziel auf dem Wege einer Analyse der Kommunikationssituation, in der der politische Schriftsteller seine Texte produziert, zu nähern. Die biographische Dimension mußte dabei zwangsläufig einbezogen werden, wenn auch nur in strenger Auswahl. Das politiktheoretische Rückgrat seiner Texte, dessen Stützfunktion sich der Autor bewußt war, ließ sich überraschend zwanglos rekonstruieren. Anders als in einer dogmengeschichtlichen Untersuchung dient diese Rekonstruktion hier nur der Verdeutlichung eines allerdings als Selbstnormierung für den Autor besonders wichtigen - Elements des Kontextes der schriftstellerischen Produktion. Die sprachliche Gestaltung als konstitutives Moment der Textherstellung mit den reflektierten oder medienspezifischen Konventionen wurde in erster Linie auf normativem Gebiet, nicht so sehr in der Praxis - was zu weit in den philologischen Bereich geführt hätte - betrachtet. Nach der Bestimmung des ökonomischen und gesellschaftlichen Rahmens der Arbeit des Schriftstellers wurde die spezifisch politische Dimension über die Wirkungsfunktion in der

I

Gentz, Gang der Meinung, HistJ 111, S. 3.

368

XIV. Schluß

öffentlichen Meinungbildung erfaßt. Zensur und Pressepolitik spielten im Gang der Untersuchung deshalb eine so große Rolle, weil hier, teilweise selbstreflektiv, der Zusammenhang von politischer Öffentlichkeit und staatlicher Macht in Form von Kommunikationskontrolle greifbar wird. Die Zuordnung von Texten zu politisch~n Strömungen erwies sich unter den historischen Bedingungen, vor allem angesichts der noch fehlenden Institutionalisierung dieser Strömungen in Vereinen oder gar Parteien, als relativ willkürlich. Sie konnte ebenso ausgeklammert werden wie die Entstehungsbedingungen, Formen und Funktionen nicht-öffentlicher Texte. Nicht zur Publikation vorgesehene Texte wurden nur hilfsweise herangezogen, da aus arbeitsökonomischen und methodischen Gründen nur die Situation öffentlicher Kommunikation systematisch untersucht werden konnte. Die so ins Zentrum der Arbeit gerückten öffentlichen Texte wurden primär nach dem Wechselverhältnis von staatlichem Handeln und schriftstellerischer Tätigkeit geordnet. Erst sekundär fanden auch die Inhalte der Kommunikation, die damit in engem Zusammenhang stehen, Berücksichtigung. Innerhalb des so vorgegebenen Rahmens ging es darum, anhand der Textinhalte exemplarisch die Interdependenz von institutionalisierter Politik und öffentlicher Meinungsbildung und von individuellem politisch~m B~wußtsein und sprachlich-kulturellem Kontext aufzuzeigen, um auf diesem Weg dem Ziel einer Klärung der Bedingungen und Ablaufmuster der Textherstellung möglichst nahe zu kommen. Durch dieses Vorgehen ergab sich die Auswahl der heranzuziehenden Quellen und die Rangfolge ihrer Berücksichtigung weitgehend von selbst; Spielraum bestand hingegen bei der Selektion der Beispiele für die Vermittlung konkreter politischer Inhalte. 2 Die Gewichtung erfolgte hier nach der Relevanz der einzelnen Themenbereiche für die Frage des Verhältnisses von öffentlicher Meinung und Politik. An sich prominente Themen wie "landständische Verfassung", "Gleichgewicht der Mächte" und "Revolutionskritik" wurden relativ knapp behandelt, da sie in der Forschungsliteratur bereits mehrfach eingehend erörtert wurden. 3 Raumgreifender eingegangen wurde dagegen auf bisher vernachlässigte Bereiche, insbesondere dann, wenn bislang kaum oder gar nicht benutztes Material herangezogen werden konnte.

Kap. XI., XII. und XIII. , Daneben habe ich mich natürlich bemüht, das Material in einer den chronologischen wie quantitiven Proportionen entsprechenden Weise zu verteilen. Dieser Gesichtspunkt bleibt indessen sekundär. - Auf eine nochmalige Einbeziehung der in Kap. 1II. bearbeiteten Argumentationsformen in Kap. XIII. habe ich bewußt verzichtet. 2

XIV. Schluß

369

Inhaltlich zeigte sich, daß der offene Begriff des "politischen Schriftstellers" im Gegensatz zu dem des "politischen Theoretikers" statt verselbständigter Verpflichtung zur logischen Kohärenz die Bruchlinien freilegt, die die Texte durchziehen. Wechselnde Adressatenbezüge, Argumentationsstrukturen und sprachliche Mittel, Widersprüche zwischen diesen Ebenen der Betrachtung, das sind die Haltepunkte des hier vorgeschlagenen Weges. Der bewußte Einsatz sprachlicher Gestaltung bleibt aber im Zentrum der Untersuchung, und an eine Abschaffung des Autors wurde nirgends gedacht. Der eigentliche Vorzug des dieser Arbeit zugrundegelegten Verfahrens liegt m.E. darin, ohne sich vom menschlichen Akteur zu verabschieden, die Überschneidungen und Friktionen zwischen politischen und kulturellen, individuellen und kollektiven Artikulationsformen herauszustellen. Was ergibt die Anwendung dieses - von mir natürlich nicht erfundenen, sondern nur dem Gegenstand der Untersuchung angepaßten - Verfahrens auf Gentz' Texte? Ohne auf Details einzugehen und ohne auch nur entfernt Vollständigkeit anzustreben, möchte ich versuchen, einige, mir besonders sprechend erscheinende Ergebnisse herauszugreifen. Da ist zunächst einmal die auffallende Präsenz rhetorischer Mittel in Gentz' Schriften, einer kunstgerechten, aber weit von den Tendenzen der zeitgenössischen Ästhetik entfernten Sprache. Die Entkoppelung von politischer und kultureller Sphäre, die späterhin den Begriff des "politischen Schriftstellers" weitgehend obsolet gemacht hat, findet in dieser Tatsache ihren Ausdruck. Die Vielfalt der Argumentationsebenen, die Gentz einbezieht, wird rhetorisch wie theoretisch überwölbt von der Figur des Gegensatzes. Ohne daraus wie Adam Müller - eine ausgebreitete Philosophie zu entwickeln, strukturiert das Auffinden von Antagonismen die Welt- und Selbstinterpretation und die Darstellungstechnik, die immer mit Polaritäten umgeht, um die Vielfalt der möglichen Meinungen mit dem Zwang zur Entscheidung zu vermitteln. Der Stellenwert in den beiden so unterschiedlichen Kontexten der Selbstvergewisserung und der Überredung/Überzeugung ist verschieden, betont diese Figur doch einmal die Notwendigkeit der Festlegung und im anderen Falle die Offenheit der historischen Entwicklung. Der Gebrauch, den Gentz von der letztgenannten Variante macht, nämlich der als Rechtfertigung der politischen Selbstfestlegung, zeigt dagegen die Parallelität der Funktionen. Halb-metaphorischen Ausdruck bekommt die grundsätzliche Bejahung der Antagonismen als Strukturmerkmale politischen Lebens in den Gleichgewichtskonzeptionen, die Geschichtsveriauf, Verfassungs- und Außenpolitik begreifbar machen sollen. Nicht nur unterschiedliche Themenbereiche, sondern die verschiedenen Phasen von Gentz' schriftstellerischer Produktion werden über die 24 Kronenbitter

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XIV. Schluß

Gleichgewichtsvorstellung integriert. Neben dem kulturell-politischen Kontext der Anglophilie, stellen die Varianten des Gleichgewichtsbegriffs in Gentz' Schriften Momente der Kontinuität dar, während der Wandel der politischen Wirkungsabsicht ansonsten auch Thematik und Argumentationslinien verändert. Für die Erklärung der Diskontinuitäten ist die Einsicht in den lebensgeschichtlichen Ort von Gentz' politischer Schriftstellerei von zentraler Bedeutung. Wichtig scheint mir dabei zunächst die Vorgängigkeit des Schreibens vor der politischen Wirksamkeit. Andere Wege -man denke beispielsweise an Machiavelli - sind denkbar, und die Effekte unterschiedlicher biographischer Phasierung auf die Schriften liegen nahe. Nicht einmal als Reisender hat sich Gentz mit dem zentralen Gegenstand seiner ersten Publikationen direkt vertraut gemacht. Die Lektüre und das Schreiben gehen der persönlichen Erfahrung somit weit voraus. Soziale Unruhe und politischen Umsturz erlebt er nicht selbst, sondern ausschließlich aus Texten. Mit dem Hineingleiten in die Sphäre der Hohen Politik bekommt das Schreiben einen anderen Erfahrungshintergrund, zugleich aber auch eine neue, aus der Sicht der Staatsführung rein instrumentelle Bedeutung. Gentz' politische Welt ist seit etwa 1800 in hohem Maße die der Kabinette und Diplomaten, ein überschaubarer Kreis, der sein Verständnis der Politik als Staatskunst sozial fundiert. Daß Gentz sich den Zugang zu dieser kleinen Machtelite erschreibt, ist Ursache und in der Folge auch Wirkung der Entwicklung des Adressatenbezugs in seinen Schriften. Nicht so sehr explizit, aber dafür indirekt an den Themen und vor allem an den Argumentionsstrategien ablesbar, verschiebt sich der - textinterne - Leser vom Bildungsbürger mit Aufgeschlossenheit für Fragen der politischen Philosophie zum Kenner der Hohen Politik. Das öffentliche Verstummen und die inneradministrative Beredsamkeit stellen daher nur den Abschluß einer langen Entwicklung dar. Die wechselnde Zuordnung von Macht und Wort ist das Leitthema dieser Arbeit. Ihr folgt die Anordnung der Texte unter den drei von mir umrissenen Kommunikationssituationen, der festen Einbindung in die Institutionen des Staates, der zwischen freier Zweckbestimmung und Selbstfestlegung durch die konkrete Wirkungsabsicht anzusiedelnden losen Bindung an mehrere Machtzentren und der eher den Regeln des Literaturbetriebs als den politischen Vorgaben der Regierung verpflichteten Halbautonomie des Schriftstellers. Lebensgeschichtlich führt Gentz' Weg vom Er- zum Festschreiben von politischem Einfluß, von der Macht des Wortes zum Wort der Macht. Die Polarität von Wort und Macht wird praktisch greifbar in der Auseinandersetzung um die Kontrolle der öffentlichen Meinung. Die Stellung, die

XIV. Schluß

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Gentz in diesem Konflikt bezieht, ist ein Angelpunkt seiner Selbstauslegung als politischer Schriftsteller, der sozial wie normativ ganz auf den bestehenden Staat fixiert ist. Für ihn ist die kleine Elite der in die Staatskunst Eingeweihten der einzig akzeptable politische Akteur und die unbedingte Wahrung des Rechtszustands das einzig akzeptable politische Ziel. Der Staat ist für Gentz der einzig berechtigte Inhaber politischer Macht; in dem von Gentz wahrgenommenen strukturellen Gegensatz von Kultur und Staatsrnacht sieht er seine Aufgabe in der Parteinahme für die Macht. 4 Der freie Wortgebrauch, auch in allen politischen Fragen, ist erst dem zum Mitträger der Macht avancierten Gentz ein Greuel, aber schon in der Kritik der Französischen Revolution benennt er selbst das Spannungsverhältnis zwischen Wort und Macht, wenn ausgerechnet er, der politische Schriftsteller, das Motiv der Revolutionsfreunde aufdeckt: "Das Glück, in einer großen Sphäre thätig zu seyn, das Glück, Gesetze zu geben, und zu regieren, der selige Genuß, auf einem großen und freien Schauplatz durch Einsichten, oder Beredsamkeit zu glänzen, - das allein ist jenes Wesentliche, weIches den Enthusiasmus so vieler Menschen angefacht hat, und ihn vielleicht ewig unterhalten wird. "5 Den Zusammenhang der Eitelkeit mit der Lust daran, öffentlich in Erscheinung zu treten, sieht Gentz, aber ohne den Grund seines eigenen Engagements als politischer Schriftsteller auszuleuchten: "Das Repräsentativ = System wird sich deshalb besonders schwer ausrotten lassen, weil es im Grunde die Eitelkeit der Machthaber eben so sehr nährt, als die der Schriftsteller. In unsern deutschen Staaten, wo dies System nichts als eine reine Last für die Minister ist, wird es nie großes Glück machen. In Ländern hingegen, wie Frankreich und England, wo Alles, was ein Maul hat, zu reden, und Alles, was Finger hat, zu schreiben versteht, schmeichelt es Männern, wie Canning und Chateaubriand, sich sagen zu können, daß sie eigentlich durch die Superiorität ihrer Talente regieren. Das System gefällt ihnen mit aUen seinen Plagen. Die Art von Abgötterei, welche in solchen Ländern die, die man die Freunde der Minister nennt, mit ihnen treiben, ist etwas, wovon man in unsern disciplinirten Staaten kaum eine Vorstellung hat, und was sie gegen alle Verfolgungen der Opposition abhärtet. .",

In der Verteidigung der Macht gegen den freien Wortgebrauch verliert sich mit dem Moment der Widerständigkeit auch die, wie ich meine, besondere Qualität eines mit dem Kommunikationsmodell der öffentlichen Rede beschreibbaren politischen Schriftstellers, die Unbedingtheit und der Ernst hinter dem Bemühen, mit der Macht des Wortes zu wirken. Unter den Bedingungen mitteleuropäischer Realitäten konnte der "deutsche Burke" keine positive

• Gentz an Johannes von Müller am 23.12.1805, Schriften IV, S. 176-179. , Gentz, Gang der öffentlichen Meinung, HisO U2, S. 157f. 6 Gentz an Pilat (undatiertes Billett), in Briefe an Pilat 11, S. 401. 24"

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XIV. Schluß

Erfahrung freiheitlichen politischen Lebens gewinnen. Die Entscheidung zwischen der Priorität des Wortes und der Priorität der Macht fiel ihm gerade deswegen niemals schwer. "Für ein andermal" ist aus Gentz' Texten nichts zu lernen; seine Themen haben sich im Zeitalter der Demokratie erledigt. Auch die Kommunikationssituation ist in der Epoche der Massenmedien eine vollkommen andere. Nur auf dem Feld der zwischenstaatlichen Beziehungen, einem Politikfeld, das vergleichsweise - weniger von der Massendemokratie umstrukturiert wurde, mag Gentz' Fassung des Gleichgewichtsbegriffs noch eine gewisse Diskussionswürdigkeit besitzen. Aber nicht die isolierten Aussagen, sondern das Zusammenspiel von politischer Praxis und kulturellem Kontext macht den "politischen Schriftsteller" als Typus der Artikulation politischen Denkens interessant. Das Spannungsverhältnis zwischen Kultur und Macht durchzieht jeden politischen Diskurs. Heute allerdings ist der politische Schriftsteller, wie ihn zu Gentz' Zeiten auch andere, von Georg Forster bis Benjamin Constant, in unterschiedlichen Ausprägungen repräsentierten, nicht mehr der zentrale Vermittler von Sprache und Macht. So ist der "politische Schriftsteller" zwischen mächtiger werdender bürgerlicher Öffentlichkeit und öffentlichkeitsabhängiger werdender Staatsrnacht ein Epochenphänomen, Gentz mit seinem staatszentrierten Politikvers1ändnis Spiegel der mitteleuropäischen Zeitums1ändeo Nicht in der Betonung der biographischen Besonderheiten, wohl aber in der Hervorhebung der historischen Bedingtheit von Gentz' Wirken als politischer Schriftsteller hat Varnhagen recht, wenn er schreibt: "Gentz hat keinen Nachfolger gehabt, und konnte keinen haben. Die Stellung, welche er genommen, war die seinige allein, daß Erzeugniß seiner Zeit, seiner Eigenschaften, seiner Persönlichkeit. "7

7

K.A. Vamhagen, Galerie, S. 194.

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- Artikel und Rezensionen in folgenden Zeitungen: Allgemeine Literaturzeitung Allgemeine Zeitung, Beilage zur Allgemeinen Zeitung, Außerordentliche Beilage zur Allgemeinen Zeitung Jenaische Allgemeine Literaturzeitung Oesterreichischer Beobachter (Oesterreichisch = Kaiserliche privilegirte) Wiener= Zeitung

Postum veröffentlicht: [Assing, Ludmilla) (Hrsg.): Aus dem Nachlasse Vamhagen's von Ense. Tagebücher und Briefe von Friedrich von Gentz, 4 Bde., Leipzig 1873/74 Baxa, Jakob (Hrsg.): Adam Müllers Lebenszeugnisse, 2 Bde., München u.a. 1966 Büchner, A1exander (Hrsg.): Briefe des Prinzen Louis Ferdinand von Preußen an Pauline Wiesel. Nebst Briefen von A. von Humboldt, Rahel Varnhage'n, Gentz und Marie von Meris, Leipzig 1865 BuckJand, C.S.B. (Hrsg.): Gentz: Memoire sur la paix maritime of March 18\0. With an Introduction, Oxford 1931 Foumier, August (Hrsg.): Gentz und Wessenberg. Briefe des Ersten an den Zweiten, Wien u.a. 1907 Foumier, August (Hrsg.): Österreich am Vorabend der Befreiungskriege. 3 Briefe von Friedrich Gentz. In: Österreichische Rundschau 34(1913), S. 365-373 Foumier, August: Die Geheimpolizei auf dem Wiener Kongress. Eine Auswahl aus ihren Papieren, Wien U.8. 1913 Foumier, August: Gentz, der Reaktionär. In: Der Friede 3(\ 919), S. 460-464,486-490,513-516 Foumier, August/WinkJer, Amold (Hrsg.): Tagebücher von Friedrich von Gentz (1829-1831), Zürich U.8. 1920 Guglia, Eugen (Hrsg.): Eine ungedruckte Denkschrift von Gentz aus dem Jahre 1822. In: Historische Vierteljahrschrift N.F. 3(\ 900), S. 500-519

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