Deutsche Geschichte: Band 5 Vom ersten zum zweiten Deutschen Reich [Reprint 2018 ed.] 9783110839395, 9783110052893


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German Pages 524 [540] Year 1953

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Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Erstes Buch. Mona Theresia, Friedrich II. von Preußen, Kaiser Josef II
Zweites Buch. Deutschland Im Zeitalter Der Französischen Revolution Und Napoleons I.
Drittes Buch. Das Zeitalter der Restauration
Viertes Buch. Die Deutsche Revolution 1848 Bis 1851
Fünftes Buch. Von Olműk 1850 Bis Versailles 1871
Sechstes Buch. Überblick Über Die Entwicklung Der Kultur
Nachwort
Anmerkungen
Personen-, Orts- und Sachverzeichnis
Verzeichnis der Abbildungen
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Deutsche Geschichte: Band 5 Vom ersten zum zweiten Deutschen Reich [Reprint 2018 ed.]
 9783110839395, 9783110052893

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Deutsche Geschichte

Fünfter Band

Vom Ersten zum Zweiten Deutschen Reich Von Johannes Bühler

Berlin 1954

Walter de Gruyter & Co. Vormals G. I. Göschen'sche Verlagshandlung — I. Guttentag, Verlagsbuchhandlung — Georg Reimer — Karl Z. Trübner — Veit & Comp.

Deutsche Geschichte

Vom Ersten zum Zweiten Deutschen Reich Von Johannes Bühler

Mit 8 tafeln

Berlin 1954

Walter de Gruyter & Co. Vormals G. 3« Göschen'sche Verlags Handlung — I. Guttentag, Verlagsbuchhandlung — Georg Reimer - Karl I. Trübner — Veit & Comp.

Archiv-Nr. 41.05. 54 Printed in ©ermann Copyright 1954 by Walter de ©runter & Co. Alle Rechte des Nachdrucks, der photomechanischen Wiedergabe, der Übersetzung, der Verstellung von Photokopien und Mikrofilmen, auch auszugsweise, vorbehalten. Satz und 'Drucf: Thormann & Goetsch, Berlin

lnhaltsvecreickmis Erstes Buch: Maria Theresia. Friedrich II. von Preußen. Kaiser Josef II......... Die beiden Schlesischen Kriege und der Österreichische Erbfolgekrieg ......... Der Siebenjährige Krieg ................................................................................... Erste Teilung Polens. Bairischer Erbfolgekrieg. Tod Maria Theresias — Bairischer Erbfolgekrieg S. 23. — Maria Theresia S. 25. Außenpolitik und Reichspolitik Josefs II. Der deutsche Fürstenbund Don 1785. Friedrichs II. Tod .......................................... ............................. Friedrich der Große 3. 29. Die letzten Regrerungsjahre Kaiser Josefs II.................................................. Zweites Buch: Deutschland im Zeitalter der französischen Revolution und Napoleons I................................................................................................ Kaiser Leopold II. und König Friedrich Wilhelm II. von Preußen. Konventron von Reichenbach. Die Lütticher Unruhen .............................. Deutschland und das revolutionäre Frankreich bis zum Frieden von Basel. Zweite und dritte Teilung Polens.......................................................... Erster Koalitionskrieg 1792 S. 48. — Zweite Teilung Polens S. 51. — Erster Koalitionskrieg 1793/94 S. 52. — Friede von Basel. Dritte Teilung Polens S. 56. Der Fortgang des ersten Koalitionskrieges. Der Friede Don Campo Formio. Der Rastatter Kongreß. Die zweite Koalition..................................... Der zweite Koalitionskrieg. Die Neuordnung des Reiches im Reichs­ deputationshauptschluß ........................................................................ Der Reichsdeputationshauptschluß of wegen seiner künftigen Vermählung verhandelt; am 1. April 1810 fand zu Saint Cloud die bürgerliche, am folgenden Tage in Paris die kirchliche Trauung Napoleons mit Maria Luise, der ältesten Tochter des Kaisers Franz statt. Ob Napoleon ernstlich gewillt gewesen war, eine russische Prinzessin zu heiraten, ob Zar Alexander wirklich eingewilligt hätte, und ob Metternich die erste Anregung zu der Ehe mit der Labsburgerin gab, steht nicht fest; jedenfalls hat er diese Verbindung eifrigst betrieben, um zu verhindern, daß enge Familien­ bande den Kaiser der Franzosen und den Zaren auch politisch wieder einander näherten zum Nachteil Mitteleuropas, namentlich Österreichs; überdies war zu erwarten, daß den Zaren, gleichviel wie er über eine russische Leirat Napoleons dachte, dessen Wahl einer Österreicherin verstimmen werde. And vor allem bildete die Verbesserung der Beziehungen zu Frankreich die unerläßliche Vor­ aussetzung für eine Österreich zu seiner inneren Konsolidierung notwendige Ruhepause. In Wien freuten sich deshalb die meisten über die Verheiratung der Kaisertochter mit Napoleon, seine unversöhnlichen Gegner in- und außer­ halb Österreichs verübelten Metternich freilich den um diesen Preis erkauften Übergang von der Kriegs- zur Friedenspolitik.

Österreich. Metternich. Attentat von Staptz Noch mehr Anstoß erregte Metternich in diesen Kreisen dadurch, daß er am 14. März 1812 in Paris durch Fürst Karl Philipp von Schwarzenberg ein Bündnis abschließen ließ, als der Krieg Napoleons gegen Rußland unmittel­ bar bevorstand. Da aber König Friedrich Wilhelm kurz zuvor, am 4. März, die Verträge ratifiziert hatte, und da Alliierte Frankreichs längs der Nord- und Westgrenze der österreichischen Monarchie saßen, konnte sie sich so wenig wie Preußen aus dem Ringen Frankreich-Rußland heraushalten, und sich dem Zaren anzuschließen, wäre auch für sie. wie man damals urteilte, das größte Risiko gewesen. Metternich fiel es um so leichter, mit Napoleon zu gehen, als ihm dieser nichts Demütigendes zumutete; Österreich sollte dreißigtausend Mann Lilfstruppen stellen, die aber unter einheimischem Befehl bleiben durften, und nach glücklich beendetem Krieg Schlesien erhalten. Metternich schien dieses Ab­ kommen nebenher auch den Vorteil zu haben, daß sich das Lilfskorps unter Am­ ständen mehr zur Beobachtung als zur Anterstützung des Bundesgenossen ver­ wenden ließ, und daß man unter dem Vorwand, der Vertragspflicht nachzukom­ men, die österreichische Armee überhaupt vergrößern konnte. Den Zaren ließ Metternich wissen, er halte nichts von den Versprechungen Napoleons und warte nur auf den Tag, an dem der allgemeine Kampf gegen Napoleon und für die alte Ordnung beginne. Vorerst rechneten Metternich wie Lardenberg und andere Staatsmänner allerdings mit Napoleons Sieg über Rußland, beherrschte er doch fast ganz West-, Mittel- und Südeuropa. Den zur Zeit des Tilsiter Friedens erreichten Löhepunkt hatte er indes bereits überschritten. Der Aufstand in Spanien war immer noch nicht niedergeworfen, und je länger er dauerte, desto mehr ver­ breitete sich die Meinung, in einem Volkskrieg wie dem spanischen versage, zu­ mal wenn wie hier die Lilfe von auswärts, von England, komme, selbst die Übermacht und die Feldherrnkunst eines Napoleon. Die Tiroler waren allerdings schließlich unterworfen worden, aber sie hatten doch einige Zeit siegreichen Wider­ stand geleistet, und ihr Beispiel, ebenso das von Schill und dem Lerzog von Braunschweig wirkte auf viele anfeuernd. Der Sieg der Österreicher bei Aspern hatte gezeigt, daß auch Napoleon in einer offenen Feldschlacht geschlagen werden konnte. — Am 12. Oktober 1809 versuchte Friedrich Stapß, der siebzehnjährige Söhn eines Protestantischen Predigers in Naumburg, Napoleon in Schönbrunn zu ermorden und wurde dabei festgenommen. Mehr als das mißglückte Attentat beunruhigte den Kaiser das Verhalten des Jünglings, der ihm auf die Frage: „Würden Sie mir dankbar sein, wenn ich Sie begnadige?" antwortete: „Ich würde Sie trotzdem töten!" Nach der Linrichtung von Stapß sagte Napoleon zu einem seiner Generäle: „Wissen Sie wohl, daß dieses Ereignis ganz außer­ ordentlich ist? Ich sehe darin Anschläge, die von Berlin und Wien ausgehen", und auf die Erwiderung des Generals, an beiden Lösen gäbe es niemand, der so blutige Absichten haben könnte, „Denken Sie an Schill!" Die Kontinentalsperre brachte auch viele gegen Napoleon auf, die dem vaterländischen Gedanken und der Politik überhaupt gleichgültig gegen-

Deutschland im Zeitalter Napoleons I. überstanden. Da Napoleon England mit Waffengewalt nicht beizukommen ver­ mochte, wollte er es durch einen Handelskrieg niederzwingen. Er verbot unter schweren Strafen den Franzosen und den Angehörigen aller mit Frankreich verbündeten Staaten jeglichen Lande! urtb Briefwechsel mit England. Waren, die aus England und den englischen Kolonien stammten, sollten konfisziert wer­ den. Die Wirkung dieser Maßnahmen entsprach jedoch keineswegs den Erwar­ tungen Napoleons. Die Engländer hielten sich zum guten Teil dadurch schadlos, daß sie den Welthandel und die Kolonien Frankreichs und der von ihm ab­ hängigen Staaten an sich rissen, außerdem verstanden sie, ebenso wie die Fran­ zosen und ihre Verbündeten, aus der Kontinentalsperre ein recht einträgliches Geschäft zu machen. Das Risiko für die Beförderung englischer Waren von der Verladung bis zum Empfänger trugen Versicherungsgesellschaften, die Zahl der Schmuggler und Schleichhändler wuchs sprunghaft an, zumal da durch die fort­ währenden Kriege und die politischen Veränderungen viele erwerbslos wurden, und die mit der Überwachung der Kontinentalsperre beauftragten französischen Zöllner und Konsuln erwiesen sich größtenteils in hohem Maße bestechlich. Der französische Resident in Hamburg zum Beispiel deklarierte gegen reichliche Be­ zahlung konfiszierte englische Waren als sächsische, amerikanische oder fran­ zösische Erzeugnisse. Preußische Minister betrachteten es als ihre nationale Pflicht, auch hierin Napoleon nach besten Kräften zu hintergehen, befahlen öffent­ lich genaueste Einhaltung der Vorschriften für die Sperrung der Läsen und forderten insgeheim die Behörden auf, die Schiffe hereinzulassen, den Kaufleuten gegenüber beide Augen zuzudrücken und für durchgehende Kolonialwaren preu­ ßische Zertifikate auszustellen. Mitunter bot Napoleon selbst eine Landhabe zur Durchbrechung der Kontinentalsperre. Als im Spätsommer 1810 sechshundert englische Handelsschiffe in der Ostsee kreuzten, gab er die Weisung, Preußen solle vorübergehend die Läsen offen halten und die gelöschte Konterbande be­ schlagnahmen. Im Einverständnis mit den französischen Beamten verfuhr man in dieser Weise mit einigen Schiffen, die Ladungen der übrigen wurden zu den für solche Waren üblichen sehr hohen Preisen gekauft. Die Zahl der Nutznießer dieser Verhältnisse war nicht gering, Vorteile von ihnen hatten neben den Schmugglern, Schleichhändlern und manchen gut verdienenden Kaufleuten auch einige Industriezweige, für welche jetzt die englische Konkurrenz wegfiel; weit größer aber war die Masse derer, die unter der Kontinentalsperre litten und die über ihre den Zuständen in Deutschland zur Reichsmarkzeit von 1945—1948 einigermaßen vergleichbaren Begleiterscheinungen empört waren. Für Napoleon schloß die aus den verschiedensten Gründen zunehmende Anzufriedenheit mit seinem Regime im Falle eines Krieges gegen Rußland große Gefahren in sich. Er selbst machte sich dies nicht klar, wohl aber sein Bruder Zeröme, der ihn, freilich vergebens, am 5. Dezember 1811 von Kassel aus warnte: „Die Gärung hat den höchsten Grad erreicht... Man hält sich das Beispiel Spaniens vor Augen, und bricht der Krieg aus, dann werden die Gebiete zwischen Rhein und Oder den Herd eines gewaltigen Aufstands bilden. Die Arsache ist nicht allein der Laß gegen die Franzosen und die Angeduld, das

Kontinentalsperre. Napoleons Bruch mit Rußland fremde Joch abzuschütteln, mehr noch liegt sie in dem Anglück der Zeiten, dem Verderb aller Schichten, der Überlastung mit Steuern und Kriegsbeiträgen, dem Anterhalt und den Durchmärschen von Truppen und der ständigen Wiederkehr von Plackereien aller Art. Die Verzweiflung der Völker, die nichts mehr zu fürchten haben, ist zu fürchten."

Napoleons Rufilanäfelözug. Preußens Grßebung Der Erfurter Kongreß hatte im Oktober 1809 mit der Erneuerung des fran­ zösisch-russischen Bündnisses vom Tilsiter Frieden, aber auch mit einer gewissen Mißstimmung zwischen Kaiser Napoleon und Zar Alexander geendet (S. 92). Sie vertiefte sich, ohne daß die Allianz formell gelöst wurde, mehr und mehr zu ernstlichen Gegensätzen. Die Verehelichung Napoleons mit der Tochter des Kaisers Franz Anfang April 1810 schien dem Zaren als Beginn eines etwaigen Frontwechsels verdächtig, und er faßte es geradezu als eine persönliche Beleidi­ gung auf, daß Ende dieses Jahres Napoleon Oldenburg, dessen Lerzog Wilhelm ein Verwandter Alexanders war, annektierte und mit den Departements Weser­ mündung und Oberems vereinigte (S. 107). Besonders beunruhigte den Zaren das Verhalten der Franzosen im Herzogtum Warschau, er schrieb deshalb im März 1811 an Napoleon: „Die Rüstungen sind im Lerzogtum Warschau dauernd fortgesetzt worden, das Militär wurde in einem zu der Bevölkerung des Herzogtums in keinem Verhältnis stehenden Maße vermehrt, und man hat nicht aufgehört, neue Befestigungen anzulegen... Meine Rüstungen beschränk­ ten sich darauf, die bereits vorhandenen Regimenter besser zu organisieren. Das­ selbe hat Eure Majestät bei sich getan, übrigens haben mich alles, was im 6erzogtum Warschau vorgeht, und die fortwährende Vermehrung der Streickräfte Eurer Majestät zu meinen Maßnahmen veranlaßt." Napoleon warf dem Zaren vor, er halte sich nicht an die in Erfurt getroffenen Vereinbarungen über die Türkei, er verletze die Abmachungen über die Kontinentalsperre und auch die über den wirtschaftlichen Zusammenschluß des europäischen Festlandes durch die Einführung neuer Zölle. Für Rußland, das auf Getreideausfuhr nach England und auf die Einfuhr von Industrieerzeugnissen und Kolonialwaren angewiesen war, hatte die Kontinentalsperre zur Folge, daß weite Getreidegebiete brach liegengelassen wurden und der Rubel in be­ sorgniserregender Weise fiel. Die russische Regierung begünstigte deshalb ziem­ lich unverholen den Schmuggel und kam schließlich Ende 1811 mit England im geheimen überein, daß englische Schiffe die russische Flagge führen und russische Schiffe Erzeugnisse ihres Landes nach England bringen durften. Ws Napoleon davon Kenntnis erhielt, erklärte er: „Ohne Rußland ist die Kontinentalsperre widersinnig", denn es würde natürlich nicht nur den eigenen Bedarf an eng­ lischen Waren decken, sondern auch andere Länder damit in großem Amfange versorgen. Da die Kontinentalsperre für Napoleon die einzige Waffe gegen England war, entschloß er sich zum Krieg gegen Rußland. Infolge der seit länge­ rem bestehenden Spannungen hatte Napoleon schon in den ersten Monaten 12t

Deutschland im Zeitalter Napoleons I. des Jahres 1811 mit den Kriegsrüstungen begonnen, er steigerte sie allmählich ins Riesenhafte, die Ratifizierung der Pariser Verträge am 4. März 1812 durch König Friedrich Wilhelm III. von Preußen und die Allianz mit Österreich vom 12. März ergänzten sie. Im Mai berief Napoleon, ehe er ins Feld zog, die deutschen Fürsten nach Dresden, außer den Mitgliedern des Rheinbundes er­ schienen auch der Kaiser von Österreich mit seiner Gemahlin und der König von Preußen mit seinem Kronprinzen. Durch dieses imposante Aufgebot an ge­ krönten Läuptern und eine Prunkentfaltung ähnlich der des Erfurter Kongreffes wollte Napoleon, wie er sich einem seiner Vertrauten gegenüber äußerte, vor allem den russischen Kaiser einschüchtern; aber noch während des Dresdner Fürstentages traf die Nachricht ein, Alexander sei gewillt, den Kampf anzuneh­ men, doch würde er ihn nicht beginnen. In Petersburg war man sich Ende Januar 1812 über die aggressiven Ab­ sichten des Kaisers der Franzosen klar geworden, beschleunigte nun ebenfalls die Rüstungen, aber bei weitem nicht in dem Amfange und nicht so systematisch, und traf diplomatische Vorbereitungen. Nachdem die Russen in Finnland ein­ gefallen waren (S. 90), hatte eine Verschwörung schwedischer Adliger und Offi­ ziere König Gustav IV. im März 1809 zur Abdankung gezwungen. Ihm folgte sein Oheim Karl XIII. Sinter Verzicht auf Finnland schloß dieser im Septem­ ber 1809 mit Rußland Frieden und adoptierte, da er kinderlos war, erst den Prinzen Christian August von Lolstein-Sonderburg und nach deffen frühem Tod den Marschall Bernadotte, den die schwedischen Stände im August 1810 zum Kronprinzen in der Loffnung gewählt hatten, er werde mit französischer Lilfe Finnland zurückgewinnen. Auf Drängen Napoleons erklärte Schweden im Dezember 1810 England den Krieg, führte aber die Kontinentalsperre nur lässig durch, denn Bernadotte schien für Schweden die Erwerbung des damals zu Dänemark gehörenden Norwegen vorteilhafter als die Finnlands. Dänemark war aber einer der treuesten und von Napoleon am meisten begünstigten Bundes­ genossen Frankreichs, stand dagegen schlecht mit England und Rußland. Berna­ dotte nahm deshalb alsbald geheime Beziehungen mit dem Zaren auf und fand bei diesem williges Gehör. Napoleon, der Bernadotte schon längst mißtraute, ließ im Januar 1812 durch den in Norddeutschland stehenden Marschall Davout Schwedisch-Pommern besehen. Daraufhin kam am 24. März 1812 ein Allianz­ vertrag zwischen Schweden und Rußland zustande. Außerdem mäßigte der Zar, um seine gegen die Türken kämpfenden Truppen freizubekommen, seine Forde­ rungen an Sultan Mahmud II. und schloß mit ihm den für die Türkei verhältnis­ mäßig günstigen Bukarester Frieden vom 28. Mai 1812. Am gleichen Tag ver­ ließ Napoleon Dresden und begab sich zu seiner Armee. Aber eine halbe Million hatte Napoleon gegen Rußland aufgeboten, soweit einigermaßen zuverlässige Zahlen überliefert sind, das größte Leer, von dem die Geschichte bis dahin zu berichten weiß. Beinahe alle europäischen Nationen waren in ihm vertreten. Das nach dem französischen stärkste Kontingent mußten die Deutschen stellen, an die zweihunderttausend Mann. Die Lauptarmee, die

Vormarsch in Rußland „ilfe. Ferdinand Lassalle (1825—1864), Sohn eines Breslauer Seidenhändlers, hat sich, als er in jungen Jahren etwas von Revolution und Arbeiterbewegung hörte, sofort revolutionären und sozialistischen Ideen zugewandt. „Ich bin", schrieb er später einmal an Marx, „seit 1840 Revolutionär, seit 1843 entschiedener Sozialist gewesen." Außerordentlich begabt, wissenschaftlich gründlich geschult, vielseitig gebildet, ein furchtloser Kämpfer, ein glänzender Redner und Stilist, voll Ehrgeiz und Tatendrang, besaß Lassalle hervorragende Eigenschaften für einen politischen Führer. Wie Marx, den er bei dessen Aufenthalt 1848 in Deutschland kennengelernt hatte, und den er sehr schätzte, war Lassalle von der Legelschen Philosophie ausgegangen und hatte ihre Dialektik, ähnlich wie Marx und Engels, auf die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung angewendet, ohne sich aber von dem Äegelschen Idealismus völlig loszulösen. Dem Staat maß Laffalle eine große Bedeutung als historischem Faktor bei, während Marx und Engels dem Staat keinen wesentlichen Einfluß auf das geschichtliche Sein und Wenden zuerkannten. Außere Amstände und persönliche Haltung brachten es mit sich, daß, während Marx mehr und mehr „zum wissenschaftlichen Haupt des in­ ternationalen Marxismus heranwuchs", Lassalle, der, abgesehen von kurzen Sinter» brechungen, immer in Deutschland lebte, es als sein einziges Vaterland aner­ kannte und Marx einmal mahnte: „Vergiß nie, daß du ein deutscher Revo­ lutionär bist! Werde kein Engländer!", der „politische Wegbereiter der deutschen Sozialdemokratie wurde" (Harnisch). Die Anfrage des Leipziger Zentralkomitees veranlaßte Laffalle zu dem „Offe­ nen Antwortschreiben" vom März 1863. Es gipfelte in der Forderung, die ge­ samte notleidende Bevölkerung in einem gewaltigen Verein zusammenzufassen, der in friedlicher und gesetzlicher Agitation das allgemeine, geheime und direkte Wahlrecht durchsetzen solle. Lassalle glaubte, daß das Proletariat aus diese Weise die Macht im Staat erringen würde und eine sozialistische Gesellschaftsordnung einführen könnte. Am 23. Mai gelang Laffalle in Leipzig unter der Zustimmung von Delegierten aus elf Städten, darunter aus Leipzig, Hamburg, Köln, Düssel­ dorf, Elberfeld und Dresden, die Gründung des „Allgemeinen deutschen Ar­ beitervereins", dessen Programm sich mit dem der „Offenen Antwort" deckte. Nach Laffalles Tod trat nach zweimaligem Wechsel im Präsidium der Frank­ furter Patriziersohn Johann von Schweitzer (1833—das Gefühl der „irdischen Glückseligkeit" und den Wunsch zu erwecken, zum Glück der Mitmenschen beizutragen, traten an die Stelle der bisher üb­ lichen, oft grausamen körperlichen Züchtigung an das Ehrgefühl und die Ver­ nunft appellierende Ermahnungen. Auf gemeinsamen Wanderungen entwickelte sich ein kameradschaftliches Verhältnis zwischen Lehrern und Schülern, der Bitter* richt beruhte möglichst auf Anschauung, mit dem Sprach- verband sich der Sachunterricht, auch sonst wurde daraus gesehen, daß sich der Schüler praktisch ver­ wertbare, ihm selbst und der menschlichen Gesellschaft nützliche Kenntnisse er­ werbe. Ähnliche Methoden wie die der Philanthropen für höhere Schulen führte Friedrich Eberhard von Rochow, ehemals preußischer Offizier, 1772 in der Volksschule von Reckahn und dann in zwei weiteren ihm gehörenden Dörfern ein. Von ihm ausgewählte, tüchtige Lehrer unterrichteten außer in den üblichen Fächern: Religion, Schreiben, Lesen und Rechnen auch in der Sprachlehre, im Abfassen von Aussätzen und vermittelten nützliche Kenntnisse aus den Gebieten der Natur und des Menschenlebens. Angefähr tausend Lehrer und Schulfreunde besuchten diese Schulen während der ersten zehn Jahre ihres Bestehens. Daneben bemühte sich Rochow um die Errichtung von Lehrerseminaren und förderte das Schulwesen durch selbstverfaßte Schriften, wie „Versuche eines Schulbuchs für Kinder der Landleute oder zum Gebrauch in Dorfschulen" und „Landbuch in katechetischer Form für die Lehrer, die aufklären wollen und dürfen". Me die Aufklärer überhaupt, so betonten auch die Philanthropen, Rochow und sonstige Schulreformer einseitig das Verstandesmäßige und vernachlässigten die Pflege des Gemütes und der Phantasie. Im großen und ganzen haben die Bestrebungen

Entwicklung der Kultur. Geistesleben von privater und von staatlicher Seite, namentlich Friedrichs des Großen und Josefs II., zur Lebung des höheren und des Volksschulwesens und die Einfüh­ rung neuer Schulgattungen, so des Collegium Carolinum in Braunschweig für technische Ausbildung und von Realschulen, noch keine neue Epoche im Bil­ dungswesen heraufgeführt, sie sehte erst mit Pestalozzi (S. 465) ein; aber die Voraussehungen hierfür hat doch die Aufklärung geschaffen. In seinem „Methodenbuch" hat Basedow der Geschichtskunde nur insofern einigen Wert zuerkannt, als sich an ihr ebenso wie etwa an der Erzählung von Robinson die moralischen Regeln veranschaulichen ließen. Die Geschichtschrei­ bung der Aufklärung war „pragmatisch", indem sie den Arsachen und Wirkungen des geschichtlichen Geschehens nachging, um daraus Schlüsse für ein zweckvolles Landein zu ziehen. Wegen dieses einseitigen Lervorhebens des Nützlichen, dessen Betonung nach dem, was in der Gegenwart als förderlich galt, und wegen des Mißbrauchs der Geschichte zur Propaganda für die eigenen Ideen ist der Ge­ schichtschreibung des 18. Jahrhunderts, soweit sie im Zeichen der Aufklärung stand, später oft jedes Verständnis für das historische Sein und Werden abge­ sprochen worden. So sehr dieser Vorwurf in vielem zutrifft, hat sich die Auf­ klärung doch große Verdienste um die Geschichte erworben. Voltaires „Essai sur les moers" leitete trotz der Unzulänglichkeiten in der Komposition und in vielen Einzelheiten mit seiner weltumspannenden Betrachtungsweise die Aniversalgeschichte und mit dem Kapitel über Künste, Wissenschaften, Sitten und Ge­ bräuche die allgemeine Kulturgeschichte ein. In Deutschland folgten dem Bei­ spiele Voltaires namentlich der Göttinger Aniversitätsprofessor August Ludwig von Schlözer (1735—1809) in zahlreichen Schriften und der Wiener Michael Ignaz Schmidt, der sich für seine „Geschichte der Deutschen" (1778) die Aufgabe stellte, zu zeigen, „wie Deutschland seine dermaligen Sitten, Aufklärung, Gesetze, Künste und Wissenschaften, hauptsächlich seine sehr ausgezeichnete Staats- und Kirchenverfassung bekommen hat". Sinter dem Einfluß von Charles de Montes­ quieu stand besonders Arnold Leeren, Professor in Göttingen, mit Werken wie: „Ideen über die Politik, den Verkehr und den Lande! der vornehmsten Völker der alten Welt" (1793 ff.) und „Landbuch der Geschichte des europäischen Staatensystems und seiner Kolonien" (1809). Die durch Johann Lorenz Mosheim, gestorben 1755 als Kanzler der Aniversität Göttingen, in die Kirchengeschichte eingeführte pragmatische Methode brachte „den radikalen Amsturz der ganzen bisherigen theologischen Geschichtsbetrachtung mit sich", da er die bisherige Auf­ fassung von Gottes Alleinwirksamkeit für alles Geschehen in den Lintergrund drängte und sich darum bemühte, „die natürlichen Gründe auszugraben und hierin sehr Beachtenswertes leistete" (Nigg). — In weitere Kreise wurden auf­ klärerische Tendenzen durch Zeitschriften und populär-philosophische Werke, wie die von Moses Mendelssohn (1729—1786) getragen. Von 1730—1760 stieg die Zahl der schon in der Barockzeit aufgekommenen „Moralischen Wochenschriften" sprunghaft an, von den ungefähr hundertachtzig Neuerscheinungen dieser Art bis 1760 gingen freilich die meisten schnell wieder ein. Sinter den literarischen Zeit­ schriften übten die von dem Berliner Schriftsteller und Buchhändler Friedrich

Geschichtsschreibung. Dichtung Nicolai herausgegebenen „Bibliothek der schönen Wiffenschaften und der freien Künste" (1757—1765), .„Briefe, die neueste Literatur betreffend" (1759—1765) und „Allgemeine Deutsche Bibliothek" (1765—1805) schärfste Kritik vom Stand­ punkt der Aufklärung aus. Mit der Erhebung der Vernunft zur obersten Richtschnur alles Denkens und Handelns, mit dem optimistischen Glauben, der Mensch sei von Natur gut und bei richtiger Erziehung fähig, sein Leben vernunftgemäß und schon auf dieser Welt in stetem Fortschritt mehr und mehr glückselig zu gestalten, mit der Prokla­ mation der Toleranz und der Menschenrechte, die allen Menschen Gleichheit im Staat und in der Gesellschaft, nicht, wie die christliche Predigt, nur vor Gott zuerkannten, mit der Bedeutung, die der Philosophie und den Naturwissen­ schaften als Befreiern vom Aberglauben und als Vermittlern nützlicher Erkennt­ nisse zuerkannt wurde, kehrte sich die Aufllärung von grundlegenden Vorstellun­ gen der Vergangenheit ab und bahnte Neues an. Dies hat ununterbrochen bis in dir Gegenwart hinein in größerem Ausmaße fortgewirkt als sonst im all­ gemeinen eine Epoche nach dem Heraufkommen einer neuen. Deshalb und wegen der bis in die Renaissance zurückreichenden ersten Anfänge und deren fort­ währender Weiterbildung läßt sich das Zeitalter der Aufklärung nicht genau abgrenzen; vielfach wird das halbe Jahrhundert von 1730—1780 dafür angesetzt. Einheitlich und alleinherrschend war die Aufklärung indes nie. Noch mehr über­ kreuzten sich nach ihr, besonders in der Literatur, verschiedene Richtungen. Ergötzlich ist der rasche Übergang von barock schwülstiger zu nüchtern auf­ klärerischer Dichtung bei dem wohlhabenden Hamburger Kaufmann Berthold Heinrich Brockes zu beobachten. Er verfaßte 1712 ein echt barockes, einige Jahre später von Friedrich Händel komponiertes Passionsgedicht und übersetzte 1715 den „Bethlehemitischen Kindermord" von Marino, ein Hauptwerk des ita­ lienischen Schwulstes. Von 1721—1747 erschien aber dann in neun Bänden Brockes „Irdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physikalisch und Mora­ lischen Gedichten". Was Brockes „um sich erblickte, das unterwarf er seiner bürgerlich-frommen Betrachtung, deren Inhalt auf eine poetische Bestätigung des philosophischen Satzes von der besten aller Welten und der Zweckmäßigkeit der Welt und der Weisheit Gottes hinauslief" (Brüggemann). — Am ent­ schiedensten bekämpfte Johann Christoph Gottsched, Professor der Poesie und der Philosophie an der Universität Leipzig, das Barocke in seinem „Versuch einer kritischen Dichtkunst" (1729), worin er alles Phantastische ablehnte und Klarheit, moralisch Zweckmäßiges und den gesunden Menschenverstand als Leit­ sterne echter Dichtkunst erklärte. Seinen nach diesen Grundsätzen verfaßten Dra­ men fehlte freilich jeder poetische Schwung, und seine Autorität in allem, was die Theorie der Dichtkunst betraf, schwand nach 1740 dahin. Immerhin hat Gott­ sched mit dem Hinweis auf die klassische französische Tragödie als mustergültiges Vorbild, mit den Übersetzungen französischer Dramen und mit dem Lehrbuch „Sprachkunst" (1748), das die Verschmelzung von Nord- und Süddeutschem zu einer allgemein deutschen Lochsprache förderte, über seine Zeit hinaus Wirkendes geleistet.

Entwicklung der Kultur. Geistesleben 3n bewußtem Gegensatz zu Gottsched stellten die Schweizer Bodmer und Breitinger in den 1740 von ihnen gemeinsam verfaßten Schriften „Abhandlung von dem Wunderbaren in der Poesie" und „Kritische Dichtkunst" der Dichtung die Aufgabe „Anruhe und Bewegung der Gemütsleidenschaften" zu schildern. Gemüt und Empfindsamkeit traten nun gegenüber der nüchternen, rein verstandes­ mäßigen, moralisierend auf das Zweckmäßige hinweisenden Bettachtungsweise stärker hervor. Die Anakreontik besang Freundschaft, Liebe, Wein nach antiken Vorbildern, namentlich Anatteon und Horaz. Am die Mitte des 18. Jahr­ hunderts huldigten die meisten Dichter wenigstens gelegentlich dieser in ihrer Haltung der Kunst des Rokoko verwandten Richtung, manche, so Johann Wil­ helm Ludwig Gleim mit seinem „Versuch in scherzhaften Liedern" (1744/45) waren ausgesprochene Anakreontiker, doch wichen von Gleims sonstigem Schaffen der schlichte Ton und die echte vaterländische Begeisterung der „Preußischen Kriegslieder 1756 und 1757, gesungen von einem preußischen Grenadier" er­ heblich ab. In den Fabeln, Komödien und geistlichen Liedern von Christian Fürchtegott Gellert (1715—1769), Professor der Poesie, Moral und Bered­ samkeit an der Aniversität Leipzig, gingen Empfindsamkeit und die Nüchternheit der Aufklärung nebeneinander her und ineinander über; seine Fabeln wurden der größte Bucherfolg der Zeit, verschiedene seiner geistlichen Lieder, wie „Die Himmel rühmen des ewigen lEhre" werden noch heute beim evangelischen Gottes­ dienst gesungen. Der „Messias", die Oden und Hymnen Friedrich Gottlieb Klopstocks (1724 bis 1803) erhoben sich weit über Aufklärung und Empfindsamkeit. Seine Größe beruht auf der überall spürbaren inneren Ergriffenheit, auf der Tiefe des reli­ giösen und vaterländischen Gefühls, auf der Anmittelbarkeit der Naturschilde­ rungen und auf seiner dichterischen Ausdrucksweise, die den deutschen Sprach­ schatz ungemein bereichert hat. Den religiösen, sittlichen und vaterländischen Idealen Klopstocks strebte der 1772 gegründete Göttinger Hainbund nach. Von seinen Mitgliedern und ihnen nahe stehenden Dichtern blieben in Erinnerung Johann Heinrich Voß durch seine Homerübersetzung und die in Hexametern abgefaßten Idyllen — den Hexameter hatte Klopstock zu einer deutschen Vers­ form gemacht —, Gottfried August Bürger durch die „Lenore", die erste deutsche Ballade, den „Kaiser und Abt" und andere Balladen und durch die Herausgabe der „Wunderbaren Reisen und Abenteuer des Freiherrn von Münchhausen"; der fromme, gemütvolle Volksschriftsteller Matthias Claudius durch Gedichte wie „Der Mond ist aufgegangen", „Bekränzt mit Laub den lieben, vollen Becher" und durch den von ihm redigierten „Wandsbecker Boten". Christoph Martin Wieland (1733—1813) stand während seiner ersten Schaffensperiode unter Bodmers und Klopstocks Einfluß. In seinen späteren zahlreichen Schriften hielt sich Wieland, wie er in seinem „Musarion" verkündet, an „Diereizende Philosophie,/ Die, was Natur und Schicksal uns gewährt, / Vergnügt genießt und gern den Rest entbehrt... And, glücklich oder nicht, die Welt / Für kein Elysium, für keine Hölle hält". Mit seiner leichten und oft leichtfertigen Art, der ironischwitzigen Verspottung der Pfaffen, Pharisäer und Phantasten, dem durch ihn

Eine £)alle der Jnöustm-Ausstellung zu Düsseldorf 1852

(Tafel 7

Das von dem Konditor Franz 6to llroerct 1849 gegründete Vaudeville-Theater in Roln wahrend einer Vorstellung

(Tafel 8

Dichtung. Klopstock. Lessing in die deutsche Literatur eingeführten anmutig plaudernden Stil hat Wieland viel dazu beigetragen, daß die gebildete Oberschicht zur Zeit Friedrich des Großen nun auch an deutschen, nicht mehr bloß an französischen Büchern Gefallen fand. Seiner Grundhaltung nach gehörte Gotthold Ephraim Lessing (1729—1781) der Aufklärung an, wahrte aber ihr und den übrigen geistigen Strömungen seiner Zeit gegenüber eine überlegene Selbständigkeit. Zn einer großen Fülle von Buchbesprechungen und Abhandlungen sehte sich Lessing mit der schöngeistigen, theologischen und wissenschaftlichen zeitgenössischen Literatur auseinander, wobei er vielfach zu neuen Ergebnissen kam. Die wesentlichen Anterschiede zwischen den bildenden Künsten und der Dichtung legte er dar in dem gegen Winckelmann gerichteten „Laokoon oder über die Grenzen der Malerei und Poesie". Die „Lamburgische Dramaturgie", eine Sammlung seiner Theaterbesprechungen, wandte sich gegen die auf Aristoteles zurückgehende Forderung der Einheit von Handlung, Ort und Zeit im Drama und empfahl nicht mehr die Franzosen, sondern Shakespeare als Wegweiser für die dramatische Dichtung. In dem ersten deutschen bürgerlichen Schauspiel „Miß Sara Sampson" hielt sich Lessing selbst an englische Vorbilder. Aus dem Erlebnis des Siebenjährigen Krieges schuf Lessing das Lustspiel „Minna von Barnhelm", das sich bis heute auf deutschen Bühnen zu behaupten vermochte, ebenso das Trauerspiel „Emilia Galotti", er gibt hier, den Schauplatz vorsichtig nach Italien verlegend, ein Bild von der Sittenlosigkeit an einzelnen Lösen der deutschen Duodezfürsten und von bürgerlicher Tugend. Das Drama „Nathan der Weise" griff die international weit ver­ breitete Parabel von den drei Ringen auf, Sinnbildern des Judentums, des Christentums und des Islam, die einander so ähnlich sind, daß sich nicht erkennen läßt, ob unter ihnen einer der echte, die Arreligion, ist, oder ob alle drei diesem nachgebildet sind. Der Leld des Stückes ist Nathan der Weise, mit dem Leffing unverkennbar auf seinen Freund Moses Mendelssohn anspielte. Am schlechtesten kommt das Christentum mit seinen Vertretern weg, am besten das Judentum mit Nathan, der den Christen die Ermordung seiner Frau und seiner sieben Kinder verzeiht und ein Christenkind als Pflegetochter annimmt. Lessing geht es dabei nicht eigentlich um Toleranz, er verhält sich den drei Religionen gegenüber in­ different, den echten Ring besitzt, wer die Menschenliebe am vollkommensten in die Tat umsetzt.

Sturmun d Drang. Klassik. Romantik. IungesDeutschland

Realismus Schon Bodmers und Breitingers Meinungen über die Aufgaben der Dicht­ kunst widersprachen der rein verstandesmäßigen Nüchternheit der Aufklärung. Völlig im Gegensatz zu ihr standen der „Messias" und die Oden von Klopstock. überdies ließen die Mahnung des Engländers Voung in seinen „Conjectures on original composition" (1759), der Dichter dürfe sich an keine festen Regeln

Entwicklung der Kultur. Geistesleben binden, sondern müsse alles aus seinem Genie heraus schaffen, und der Ruf Rousseaus „Retour ä la nature!" im „Contra! social" (1762) bald auch die Deutschen aufhorchen. Das eigentlich Entscheidende für die Abkehr von der Auf­ klärung als der das Denken und Landein bestimmenden Geisteshaltung, wenn auch nicht von all ihren Errungenschaften, war, daß im Abendland von jeher in längeren oder kürzeren Zeitspannen das Vordringen des Rationalen und das des Irrationalen einander abzulösen und sich 'der herrschenden Richtung wider­ strebende Männer durchzusehen pflegen. Ein wesentliches Element ist dabei die Einstellung zum Geschichtlichen. Justus Möser (1720—1794) ging wie die Auf­ klärer darauf aus, mit seiner Geschichtschreibung dem Staatswohl zu dienen, stellte aber die Sorge dafür nicht dem alles vom Standpunkt des Rationalismus regeln­ den absoluten Herrscher anheim, sondern dem Volke, und wollte deshalb nach seinen eigenen Worten „.insbesondere den Bürger und den Landmann lehren, wie er in den mancherlei Regierungsformen und deren sich immer verändernden Spannungen Freiheit und Eigentum am sichersten erhalten könne". So gaben Mösers „Osnabrückische Geschichte" und „Patriotische Phantasien", die viele seiner in den von ihm begründeten und redigierten „Wöchentlichen Osnabrücki­ schen Intelligenzblättern" erschienenen Abhandlungen enthielten, farbenreiche, lebensprühende Bilder, namentlich vom westfälischen Bauerntum, und fügten die Sozial-, Verwaltungs- und Verfassungsgeschichte als neue Gebiete in die Histo­ riographie ein. Wie sehr Möser der neuen, die Aufklärung bekämpfenden Rich­ tung des Sturm und Drang verbunden war, zeigen besonders auch seine Aus­ führungen „über deutsche Geschichte" in den „Fliegenden Blättern von deutscher Art und Kunst" (1773), gewissermaßen die Programmschrift dieser Richtung, worin außer Mösers Beitrag einer von Goethe und zwei von Herder erschienen. Soweit sich der Beginn einer Epoche auf die Anregung einer einzelnen Per­ sönlichkeit zurückführen läßt, steht der 1730 zu Königsberg geborene Johann Georg Hamann, der „Magus aus Norden", am Anfang von „Sturmund Dran g", auch Geniezeit genannt. Hamann gab der Phantasie und dem Gefühl als Lebens­ mächten den Vorzug vor der Vernunft, die alles zergliedert. Nicht durch Sonde­ rung, mit der Gesamtheit seiner Kräfte müsse der Mensch wirken, wobei Intuition, Empfindung und Einfühlung weiterführen als der nüchterne Verstand und wissen­ schaftlich erarbeitete Begriffe. Die Einheit alles Seins und Werdens gründet sich in Gott, er offenbart sich in der Natur und im Wort, Bürge der Einheit ist die Sprache, in deren poetischer Arform die Ganzheit des Seins erkennbar wird. Die Poesie erklärte Hamann für die Muttersprache des Menschengeschlechts in seinen „Kreuzzügen der Philologen", einer Auswahl aus seinen immer fragmentarischen Werken. Die „Kreuzzüge" haben den Sturm und Drang stark beeinflußt und noch mehr als Hamanns dunkle und schwer verständliche Schriften seine freundschaft­ lichen Beziehungen, namentlich die zu dem jungen Herder. Johann Gottfried Herder, (1744—1803), ebenfalls ein Ostpreuße, kam als Achtzehnjähriger nach Königsberg, hörte hier mit großem Eifer die Vorlesungen von Kant und schloß sich Hamann an. Zwei Jahre später siedelte Herder nach Riga über, wo er sich während seines fünfjährigen Aufenthaltes als Lehrer und

Sturm und Drang. Möser. Hamann. Herder dann als Prediger großes Ansehen erwarb. In seinen anonym erschienenen Frag­ menten „über die neuere deutsche Literatur" (1767) verwarf er im Anschluß an Lamann das Dichten nach bestimmten Regeln und forderte Originalität und Poetisierung der Natur, ebenso in den „Kritischen Wäldern" (1769) mit dem Linweis auf Lomer als dem „vollkommensten Sänger der Natur". In den „Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit" beantwortet Lerder die Frage nach dem „Lauptgeseh, das wir bei allen großen Erscheinungen der Ge­ schichte bemerkten. Mich dünkt dieses: daß allenthalben auf unserer Erde werde, was auf ihr werden kann, teils nach Lage und Bedürfnis des Orts, teils nach Amständen und Gelegenheiten der Zeit, teils nach dem angeborenen oder sich er­ zeugenden Charakter der Völker." Damit erkannte Lerder jeder Epoche und jedem Volke Individualität zu. Lerders liebevolle Schilderung der Slawen im letzten Teil der „Ideen" nützten dann besonders die Polen und Tschechen für ihre Natio­ nalitätenbewegung aus. Davon überzeugt, daß sich der Geist der Völker am klarsten im Volkslied widerspiegle, gab Lerder mit außerordentlichem Einfüh­ lungsvermögen und vollendeter Kunst des Abersetzens eine Sammlung von Liedern der verschiedensten Völker, die „Stimmen der Völker in Liedern" heraus. Als Vizepräsident und dann als Präsident des Konsistoriums entfaltete Lerder in Weimar seit 1789 mit Reformen des Schulwesens, der Lehrerbildung, der Liturgie und der Kirchenverwaltung eine fruchtbare praktische Tätigkeit. Von den ungefähr zwanzig bedeutenderen Werken Lerders ging eine derartige Fülle unmittelbar oder mittelbar auf Förderung der Humanität abzielender ästhetischer, allgemein philosophischer, geschichtsphilosophischer und religiöser Anregungen aus, daß er von manchen der Vater des Sturm und Drang, -er Klassik und -er Romantik genannt wird. Seiner persönlichen Art nach trifft dies am wenigsten für das Zeit­ alter der Klassik und des Idealismus zu, er überwarf stch mit den Klassikern Schiller und Goethe und bekämpfte mit der „Metakritik zur Kritik der reinen Ver­ nunft" Kant, am meisten gilt es für den Sturm und Drang. Er währte kaum zwanzig Jahre, etwa von 1770 bis 1786, und von den Dichtungen dieser kurzen Epoche sind über das fachlich literarhistorische Interesse hinaus nur die des jungen Goethe (Götz von Berlichingen mit der eisernen Land, Clavigo, Die Leiden des jungen Werther, Stella) und die des jungen Schiller (Die Räuber, Die Ver­ schwörung des Fiesco zu Genua, Kabale und Liebe) lebendig geblieben. Wie Justus Möser wandte sich Johann Joachim Winckelmann (1717—1768) in -er Geschichtschreibung vom Rationalismus ab, mündete aber nicht in den Sturm und Drang ein, sondern wurde zum Wegbereiter der Klassik in der Dich­ tung und des Klassizismus in den bildenden Künsten. Das epochemachend Neue auf seinem eigentlichen Fachgebiet ist die Erkenntnis der Abfolge der Stilformen; er wollte, wie er selbst sagte, eine Geschichte der Kunst bieten, bisher habe es nur die Geschichte der Künstler gegeben; -er Ausdruck „Kunstgeschichte" geht auf Winckelmann zurück. Er ließ sich 1755 dauernd in Rom nieder. 3m gleichen Jahr erschien von ihm „Gedanken über die Nachahmung der griechischen Werke in der Malerei und Bildhauerkunst": „Das allgemeine vorzügliche Kennzeichen der

Entwicklung der Kultur. Geistesleben griechischen Meisterstücke ist eine edle Einfalt und eine stille Größe". Als höchstes Ziel gilt Winckelmann die „ideale Schönheit"; die Natur, gehemmt durch die Materie und durch so manche Zufälligkeiten, vermag sie nicht hervorzubringen: „daher ist es fast unmöglich, einen Menschen von allseitig vollendeter Schönheit zu finden. Dieser Anvollkommenheit hat der Instinkt des Menschen abzuhelfen unternommen, indem er sich über sein Los erheben und, was die Natur unvoll­ kommen gelassen, verbessern wollte". Den Griechen ist gelungen, den Ddealtypus zu schaffen. Da die Gegenwart zur Gestaltung idealischer Bildungen von sich aus nicht imstande sei, ist die Nachahmung der Griechen der einzig mögliche Weg zu edler Einfalt und stiller Größe in den bildenden Künsten und im Schrifttum, auf deren inneren Zusammenhang Winckelmann auch in seinem Lauptwerk „Ge­ schichte der Kunst des Altertums" (1764) hinwies. Am diese Zeit lenkten die eben einsetzenden Ausgrabungen in Pompeji und Kerkulaneum die Aufmerksamkeit des ganzen Abendlandes auf die Antike und verliehen den Schriften Winckelmanns weithin Widerhall. Das Griechentum, die Klassik wurde für einige Zeit die vorherrschende Richtung in der geistigen und künstlerischen Kultur; Goethe feierte in „Winckelmann und sein Jahrhundert" (1805) den Wegweiser zur Welt des Altertums. Große klassische Dichter, von deren Werken ein wesentlicher Teil dem von Winckelmann aufgestellten Ideal entsprach, waren nur Johann Wolfgang von Goethe (1749—1832) und Friedrich von Schiller (1759—1805); beide sind Klassiker auch in dem Sinne vollendeter, überzeitlicher Meisterschaft. 3m Sep­ tember 1786 brach Goethe von Weimar nach Italien auf. Dem mit den Schriften Winckelmanns Vertrauten eröffnete hier eine reiche Fülle von Kunstwerken die Welt der Antike; er löste sich von Sturm und Drang und wandte sich der Klassik zu, ohne ihr freilich rückhaltlos zu verfallen, wie sich Dichter und Künstler von ge­ ringerer seelischer und geistiger Spannweite und schöpferischer Kraft einer Rich­ tung hinzugeben pflegen. Selbst Goethes ausgesprochen klassische Werke, wie „Iphigenie auf Tauris", tragen das Gepräge seiner Persönlichkeit gemäß seinem Distichon: „Gleich sei keiner dem andern, doch gleich sei jeder dem Höchsten! Wie das zu machen? Es sei jeder vollendet in sich." Auch noch nach der Rückkehr aus Italien weisen manche seiner Dichtungen mehr oder weniger Züge auf, die sich dem Sturm und Drang oder der sich mit diesem berührenden Romantik zurechnen lassen. Die überragende Größe Goethes beruht indes ebenso wie auf seinen Dramen und seiner Lyrik, wovon vieles der Weltliteratur angehört, darauf, daß er in rastlosem Streben darnach trachtete, dem Höchsten gleich und in sich vollendet zu werden, und ihm dies bei seinen überreichen Gaben des Geistes und Gemütes wie selten einem Sterblichen gelang; den griechischen Göttern glich dieser Olympier freilich auch darin, daß er nicht ohne menschliche Schwächen war. Als Freund und Berater des Herzogs Karl August von Weimar entfaltete der Geheimrat Goethe eine fruchtbare Tätigkeit in der Staatsverwaltung, Wirtschaft und Politik eines zwar kleinen Gebietes, aber in den äußerst unruhigen Zeiten der Koalitions- und der Napoleonischen Kriege; 1815 wurde er erster Minister und führte nur noch die Oberaufsicht über die Anstalten für Kunst und Wissenschaft. In seinen Schriften

Winckelmann. Klassik. Goethe. Schiller und Aufsähen über die Natur im allgemeinen, über Geologie, Botanik, Zoologie und Farbenlehre ging Goethe als Wissenschafter eigene Wege; die Natur als Ganzes betrachtete er als einen Organismus, in dem sich „Macht und Schranken, Willkür und Gesetz, Freiheit und Maß, bewegliche Ordnung, Vorzug und Mangel" harmonisch vereinen. Die Okzident und Orient umfassende, sich in Dich­ tungen von höchster Kunst und lebensklugen, scharf geprägten Aphorismen offen­ barende Weisheit und Gemütstiefe, das vielseitige Wissen und Wirken, die ein­ drucksvolle Persönlichkeit erhoben Goethe schon zu seinen Lebzeiten zu einem der größten Deutschen. Änd sein Ruhm verblaßte nie, er wuchs im Laufe der Jahrzehnte stetig. Schiller, dem sein Landesherr Herzog Karl Eugen von Württemberg, empört besonders über den revolutionären Charakter der „Räuber", jede weitere schrift­ stellerische Tätigkeit verboten hatte, war 1782 aus Stuttgart geflohen und nach vergeblichen Versuchen, in Mannheim festen Fuß zu fassen, 1785 einer Einladung des Dresdner Oberkonsistorialrates Christian Gottfried Körner gefolgt. Nach Er­ scheinen der „Geschichte des Abfalls der Vereinigten Niederlande von der spani­ schen Regierung" erhielt Schiller 1789 in Jena eine Professur der Geschichte ohne festes Gehalt. Von Schillers Vorliebe für Geschichte zeugen eine Reihe weiterer historischer Werke, darunter die „Geschichte des Dreißigjährigen Krieges", die in den Jahrgängen 1791—1793 des „Historischen Kalenders für Damen" erschien, und besonders die Themenwahl für viele seiner Dramen und Gedichte. Als Historiker stand Schiller zunächst ganz unter dem Einfluß Rousseaus, machte sich dann aber immer mehr von ihm frei. Auch als Geschichts­ schreiber erwies sich Schiller als Künstler. Er „begleitet jede Phase seiner Er­ zählung mit menschlicher Teilnahme. Seine Darstellung spannt wie ein Roman. Der Ausgang ergreift wie der Schluß einer Tragödie" (Fueter). An einem Brust­ leiden erkrankt, gab Schiller Anfang 1791 die Vorlesungen auf. Er vertiefte sich nun in die Philosophie Kants, mit deren Idealismus und Ethik er sich teils zu­ stimmend, teils ablehnend auseinandersetzte, dem Kantischen stets auf Selbstbeherrschung bedachten Pflichtmenschen stellte Schiller sein Ideal der „schönen Seele" gegenüber, des „Menschen, in dem Naturanlage und moralisches Gesetz von selbst zusammenstimmen, wie Natur und Freiheit im Schönen, im Werk der Kunst" (Aster). Im Juli 1794 fand in Jena die entscheidende Begegnung Schillers mit Goethe statt, die eine herzliche Freundschaft, einen beide fördernden Gedanken­ austausch und gemeinsame literarische Arbeiten einleitete. Die zehn Jahre, die Schiller noch beschieden waren — seit Ende 1799 lebte er in Weimar —, sind er­ füllt von reichstem dichterischem Schaffen. Reiner Idealismus, äußerst wirksame dramatische Kunst, hinreißender Schwung und ethischer Gehalt der Balladen und Gedankenlyrik, Verherrlichung von Freiheit und Vaterland sicherten Schiller von vornherein begeisterte Verehrung, die besonders in der Zeit des Ringens um die deutsche Einigung zum Ausdruck kam (S. 352); der Artikel „Schiller" in Meyers Konversationslexikon 1890 beginnt „der populärste und gefeiertste deutsche Dich­ ter", und vor einem halben Jahrhundert hatten wir in der Oberklasse eines bairi­ schen humanistischen Gymnasiums den Aufsatz zu schreiben: „Weshalb ist Schiller

Entwicklung der Kultur. Geistesleben der Liebling des deutschen Volkes?", was er jedenfalls damals war, und was bis heute für weite Kreise zutrifft. Von Schiller eingeladen, kam 1796 der Hannoveraner August Wilhelm Schlegel (1767—1845) nach Jena, im gleichen Jahr folgte ihm sein Bruder Fried­ rich (1772—1829) dorthin. Sie gaben von 1798 bis 1800 die Halbjahresschrift „Athenäum" heraus, an der auch Deck, Leopold von Hardenberg (Novalis) und Schleiermacher mitarbeiteten. Jena wurde so der Ausgangspunkt einer neuen Be­ wegung, der Romantik, eine zuerst von Novalis gebrauchte Bezeichnung, die von den im 17. Jahrhundert aufgekommenen Fremdworten Roman und romanhaft ausging. Im Laufe des 18. Jahrhunderts gewann „romantisch" unter englischem und französischem Einfluß Bedeutungen wie: unwirklich, das Wild­ schöne in der Natur, Gegensatz zum barock Verkünstelten (englischer und franzö­ sischer Garten); Friedrich Schlegel erklärte als romantisch, „was uns einen sentimentalischen Stoff in einer phantastischen, das heißt ganz durch die Phantasie bestimmten Form darstellt", wobei sentimentalisch im Sinne Schillers gemeint ist. Neben Jena gewannen namentlich Berlin, Heidelberg, Halle und Dresden als Sammelpunkte der romantischen Bewegung größere Bedeutung. Die der preußi­ schen Niederlage von 1806 folgende Hinwendung zum Volkstumsgedanken, die auch den Reformen des Freiherrn vom Stein zugrunde lag, hatte die Abkehr von dem übersteigerten Individualismus der Frühromantik zur Folge. Der Hoch­ romantik ging es nicht mehr um den in unbeschränkter Freiheit wirkenden, dem eigenen Schaffen mit ironischer Überlegenheit („romantische Ironie") gegenüber­ stehenden Dichtergeist des Einzelnen, sondern um den Volksgeist und seine Offen­ barungen auf den verschiedensten Gebieten des Geistes- und Seelenlebens. Unter den zahlreichen Dichtern, die der Romantik angehörten oder von ihr in stärkerem oder geringerem Grade beeinflußt waren, haben sich viele zu ihrer Zeit einen klang­ vollen Namen erworben und manche ihn bis in die Gegenwart hinein behalten: Tieck, Schlegel, Hölderlin, Novalis und Arnim durch ihre für die Romantik sehr charakteristischen Romane; die eigenwilligen Erzähler Jean Paul Richter und E.T. A. Hoffmann; Immermann, de la Motte-Fouque mit „Andine" und Hauff mit seinen Märchen und Erzählungen; die Sänger der Freiheitskriege Arndt, Kör­ ner, Schenkendorf und Rückert; Hölderlin, Chamisso, Eichendorff, die Droste-Hülshosf und Mörike mit ihren lyrischen Gedichten und Erzählungen; Llhland, Hoff­ mann von Fallersleben, Platen, Freiligrath und Geibel mit ihren Balladen und Liedern; Kleist und Grillparzer, Büchner und Grabbe mit ihren Dramen; Zacha­ rias Werner mit seinen Schicksalstragödien und die Dichter des Wiener Volks­ schauspiels Nestroy und Raimund; der Alemanne Peter Hebel und der Dith­ marscher Klaus Groth mit ihren Mundartdichtungen, um nur an die bekannteren Namen zu erinnern. Ebenso wie durch ihre eigenen Dichtungen bereicherten die Romantiker die deutsche Literatur durch Übersetzungen der Dramen Shakespeares, anderer alter englischer Stücke und Calderons, des Don Quixote und Dantes, altfranzösischer, spanischerund italienischer Poesie und durch die Wiedererweckung alten deutschen Volksgutes: von Märchen und Sagen, von Volksbüchern, wie dem von der „Schönen Magelone", von Minneliedern aus dem Mittelalter

Romantik.

Junges Deutschland.

Realismus

urnb von Volksliedern, namentlich in „Des Knaben Wunderhorn". — Klassik und Romantik sind die einzigen Epochen, während der Deutschland die Führung in der schöngeistigen Literatur Europas hatte, und die im Verein mit den damaligen wkffenschaftlichen Leistungen, vor allem in der Philosophie, die Deutschen als das Volk der Dichter und Denker erscheinen ließen. Die französische Julirevolution von 1830 rief in Deutschland eine literarische Bewegung hervor, die um 1833 ebenso wie ein politischer Geheimbund (S. 228) die Bezeichnung ZungesDeutschland erhielt. Die literarische Bewegung organisierte sich in keiner festen Vereinigung; Versuche, sie durch die Herausgabe von Zeitschriften wie „Literarischer Zodiakus", „Phönix", „Dioskuren", „Tele­ graph für Deutschland" anzubahnen, scheiterten. Die dieser Richtung mehr oder weniger Zugehörenden hatten lediglich das Ziel gemeinsam, sich von der Klassik und der Romantik freizumachen, neue Wege zu gehen und Zeitfragen im Sinne des aufstrebenden Liberalismus literarisch zu behandeln. Heinrich Keine Hütte mit seinen Reisebildern (1826 bis 1831) und dem „Buch der Lieder" (1827) schon früher großen Beifall gefunden. Ironie, Witz und Satire, wovon neben echt lyrischen Tönen die Reisebilder erfüllt sind, würzten dann auch seine Pariser Be­ richte mit ihren Seitenhieben auf deutsche Verhältnisse (großenteils gesammelt herausgegeben 1835 bis 1840), ebenso Ludwig Börnes „Briefe aus Paris" (1832 bis 1834), und wurden, wie sich einer der Zungdeutschen ausdrückte, die „Drei­ einigkeit unserer Epoche". Zwei der führenden Zungdeutschen, Heinrich Laube und Ferdinand Gutzkow, wandten sich 1840 der Dramendichtung, zehn Jahre später namentlich Laube und Theodor Mundt der Abfassung von Novellen und Romanen zu und wählten dafür vor allem historische Stoffe. In der Dramenund der Romandichtung folgten manche Zungdeutsche der inzwischen neu aufgekommenen Richtung des Realismus, teils wie Gutzkow nur in der Gestal­ tung des Äußerlich^Formalen, teils in völliger Hingabe, die sich auch in der Themenwahl (Fabrikproletariat) und in den Milieuschilderungen geltend machte. — Die schöne Literatur des Realismus nahm entscheidende An­ regungen von den Geistes- und Naturwissenschaften und von den herrschenden sozialen Verhältnisse auf, wollte sie doch Gegenwart und Vergangenheit dar­ stellen, wie sie ist und war. Vieles von dieser Literatur führen noch heute Volks­ und Leihbibliotheken, wird immer wieder neu aufgelegt und auch gelesen: Adalbert Stifter, Theodor Storni, Gustav Freytag, Theodor Fontane, Willibald Alexis, Viktor Scheffel, Wilhelm Raabe, Friedrich Gerstäcker, Charles Sealsfield (Karl Postl), Fritz Reuter, Wilhelm Busch, dazu die großen Schweizer Jeremias Gotthelf, Gottfried Keller und Konrad Ferdinand Meyer; aus den damaligen Dramen­ dichtern ragen besonders Otto Ludwig und Friedrich Hebbel, der bedeutendste, hervor. Für die Intensität des Fortlebens fallen mitunter mehr noch als lite­ rarische Vorzüge die Geschmacksrichtungen breiter Kreise ins Gewicht, so konnten sich auch manche Erzeugnisse des damaligen Familienromans, eines Berthold Auerbach und einer Eugenie Marlitt, bis heute behaupten.

Geisteswissenschaften In der Philosophie hat der Königsberger Immanuel Kant (1724 bis 1804) ein neues Zeitalter heraufgeführt. Als er 1755 die Lehrtätigkeit an der Aniversität seiner Leimatstadt begann, beschäftigte er sich vorwiegend mit den Natur­ wissenschaften, in der Philosophie folgte er noch der Aufklärung Wolffscher Rich­ tung (S. 440), daneben vertiefte er sich in die Schriften Empirismus und Skepsis vertretender englischer Aufklärer. Kants epochemachende Werke, mit denen er die Aufklärung überwand und dem philosophischen Denken neue Wege wies, er­ schienen von 1781 bis 1797: Kritik der reinen Vernunft; Grundlegung zur Meta­ physik der Sitten; Kritik der praktischen Vernunft; Kritik der Arteilskraft; Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft; Die Metaphysik der Sitten. Die Dinge können nach Kant nicht „an sich" erkannt werden, sondern in ihrer an Ort und Zeit gebundenen, durch Erfahrung ermittelten Erscheinung; Transzendentales, jenseits der Erscheinungswelt Liegendes, ist der menschlichen Erkenntnis unzugänglich, die Ideen Gott, Freiheit und Ansterblichkeit sind jedoch sich aus der praktischen Vernunft ergebende Postulate, unbeweisbare, aber unent­ behrliche Voraussetzungen. In den Mittelpunkt des Sittlichen stellte Kant den kategorischen Imperativ der Pflichterfüllung: der Mensch hat nicht nach seinen Neigungen, vielmehr so zu handeln, daß die Richtlinie seines Handelns „das Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung werden kann". Verschiedentlich, besonders in „Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht" (1784), stellt Kant dem Staate die Aufgabe, die sittliche Idee zu verwirklichen, das Staats­ oberhaupt habe dabei nur der „Agent" des Gesetzes zu sein, der vollkommene Rechtsstaat bilde so die Vorstufe einer allgemeinen Menschheitsrepublik, in welcher der „Nationalwahn" den Maximen der Vernunft weiche; erreicht könne dies Ziel erst werden, wenn die sittliche Freiheit allgemein als Ziel der mensch­ lichen Entwicklung anerkannt sei. In der Schrift „Zum ewigen Frieden. Ein philo­ sophischer Entwurf" (1795) erklärte Kant: „Für Staaten im Verhältnisse unter­ einander kann es nach der Vernunft keine andere Art geben, aus dem gesetzlosen Zustande, der lauter Krieg enthält, herauszukommen, als daß sie, ebenso wie ein­ zelne Menschen, ihre wilde (gesetzlose) Freiheit aufgeben, sich zu öffentlichen Zwangsgesetzen bequemen, und so einen (freilich immer wachsenden) Völkerstaat (civitas gentium), der zuletzt alle Völker der Erde befassen würde, bilden." Die Ergebnisse Kants, ebenso die kritische Auseinandersetzung mit ihm haben das philosophische Denken ungemein bereichert. Durch Fichte, Schelling und Lege! wurde Kants System zur Philosophie des deutschen Idealismus weitergebildet, der die Idee, den Geist in jeder Beziehung, über die rein empirische Erfahrungs­ welt, die Materie, stellt. Johann Gottlieb Fichte (1762—1814) versuchte die Kantsche Kritik mit einem System der reinen Vernunft zu ergänzen. Frei und sittlich wird der Mensch, indem er sich als „selbständiges Ich" gegen die Wider­ stände der Amwelt durchsetzt. Da Fichte die Übertragung des Substanz- und Existenzbegriffes auf Gott verwarf, mußte er als angeblicher Pantheist seine Pro­ fessur in Jena aufgeben. Im „Geschlossenen Landelsstaat" (1800) tritt der Einzel-

Philosophie. Kant. Fichte. Schelling. Hegel mensch zurück, Fichte verlangt hier die Aufhebung der individuellen Selbständig­ keit und völlige Autonomie und Autokratie des Staates, da dieser nur so seine sittlichen Ziele erreichen könne. Den „Reden an die deutsche Nation" (S. 116) folgte im „Entwurf zu einer politischen Schrift im Frühling 1813" die Forderung nach der Einigung aller Deutschen in einem Reiche. — Der entschiedenste Geg­ ner der Aufklärung und am engsten der Romantik verbunden war der Württemberger Friedrich Wilhelm Josef Schelling (1775—1854). Soweit sich das manchen Wandlungen unterworfene philosophische Denken Schellings kurz zusammenfaffen läßt, gipfelt es in der Identität von Natur und Freiheit, des Idealen und Realen, des Seins und Denkens, des Allgemeinen und des Besonderen im Ab­ soluten, die Natur und der Bereich des Geistes bilden zusammen eine einzige Ent­ wicklungsreihe. In den späteren Jahren bezeichnete er sein bisheriges System als negativ und stellte ihm als positiv die Philosophie der heidnischen Mythologie und der christlichen Offenbarung gegenüber, eine dunkle Theosophie. — Die viel­ seitigsten und nachhaltigsten Anregungen sind von dem 1770 in Stuttgart ge­ borenen, 1831 in Berlin gestorbenen Georg Wilhelm Friedrich Lege! ausge­ gangen. j5ier sei nur auf seine dialektische Methode hingewiesen, die in ihrer Ab­ wandlung durch Marx von eminenter politischer Tragweite geworden ist. Denkt man „Sein" ohne jede Beziehung auf Gegenständliches, so bekommt der Begriff des Seins den eigentlichen Sinn durch den Begriff des Nicht-Seins, des Nichts, und aus der Synthese der beiden Begriffe ergibt sich ein „Etwas", das dadurch bestimmt ist, daß es ein Seiendes und kein Nichts ist. So systematisch der These die Antithese gegenüberstellend, sie in der Synthese vereinigend, deren Ausein­ anderfallen in eine neue These und Antithese und Vereinigung zur Synthese immer weiter verfolgend, entwickelte Kegel ein System logischer und rein mathe­ matischer Grundbegriffe, indem er die Begriffe gewissermaßen sich selbst entwickeln läßt und sie dabei beobachtet. Gott, die absolute Vernunft, der Weltgeist, wie sich Kegel je nach dem Gegenstand seines Philosophierens ausdrückt, offenbare sich am deutlichsten in der Weltgeschichte. Sie ist „die Darstellung des göttlichen absoluten Prozesses des Geistes in seinen höchsten Gestalten, dieses Stufen­ gangs, wodurch er seine Wahrheit, das Selbstbewußtsein über sich erlangt... Diese Stufen zu realisieren, ist der unendliche Trieb des Weltgeistes". Marx (6.435) übernahm Kegels dialektischeMethode, sehte aber an die Stelle des Welt­ geistes als die treibende Kraft den Materialismus. — Die Iunghegelianer kehr­ ten ebenfalls Kegels Auffassung von dem Verhältnis des Geistes zur Welt um: die materielle Welt bestimmt den Geist. Von den Dunghegelianern ist der Atheist Ludwig Feuerbach namentlich durch das „Wesen des Christentums" in weiten Kreisen bekannt geworden, er hat mit seinen Schriften auch auf Marx und Engels stark eingewirkt; Kaspar Schmidt (Max Stirner), der radikalste Junghegelianer, erregte mit „Der Einzige und sein Eigentum" (1845) Aufsehen; er verspottete Gläubige und Angläubige, die Kommunisten und Romantiker, Patrioten und Besitzgierige gleichermaßen als „Besessene". — Arthur Schopenhauer (1788 bis 1860) aus Danzig, der seit 1830 als Privatmann in Frankfurt a. M. lebte, nannte sich einen Kantianer, doch berührte er sich, wenn überhaupt mit einer

Entwicklung der Kultur. Geistesleben Gruppe, eher mit den Romantikern. Das Hauptwerk „Die Welt als Wille und Vorstellung" (1819) und seine anderen philosophischen Schriften wurden lange wenig beachtet, seine Wirkung als viel gelesener und zitierter Philosoph des Pessimismus — alles Leben ist Leid — und der Erlösung durch die „Verneinung des Willens zum Loben" setzte erst nach 1870 ein. Zu derselben Zeit, als die Klassik in der Literatur ihren Löhepunkt erreichte, begann die moderne Altertumswissenschaft mit Friedrich Wolfs „Prolegomena ad Homerum" (1795), welche die bis heute fortgesetzte Lomerkritik, die Frage nach der Entstehung der Lomerischen Epen Zlias und Odyssee, eröffnete. Die Altertumswissenschaft ist nach Wolf „der Inbegriff der Kenntnisse und Nachrichten, die uns mit den Landlungen und Schicksalen, mit dem politi­ schen, gelehrten und häuslichen Zustande der Griechen und Römer, mit deren Kultur, ihren Sprachen, Künsten und Wissenschaften, Sitten, Religionen, Natio­ nalcharakteren und Denkarten bekannt machen, dergestalt, daß wir geschickt wer­ den, die von ihnen auf uns gekommenen Werke gründlich zu verstehen und... mit Vergegenwärtigung des altertümlichen Lebens und Vergleichung des späteren und heutigen zu genießen." August Böckh (1785—1867), der Begründer der wissenschaftlichen griechischen Inschriftenkunde, übertrug Wolfs Auffassung von der klassischen auf jede andere Philologie. Das grundlegend Neue dabei war die Zusammenfassung der verschiedenen philologischen Disziplinen zu einem Ganzen. Sie erweiterte den Gesichtskreis bei den eifrig und erfolgreich, vielfach mit neuen Methoden betriebenen Forschungen auf den Gebieten der klassischen Philologie: Textkritik und Texterklärung, Inschriftenkunde, Sprache und Grammatik, Lite­ raturgeschichte, Archäologie, Mythologie und Ausgrabungen. Textausgaben, wie namentlich die in der „Bibliotheca scriptorum graecorum et romanorum Teubneriana" (seit 1824), nach dem neuen Wissensstand bearbeitete Wörter- und Lehrbücher, die „Real-Encyklopädie der klassischen Altertumswissenschaft (seit 1837), ein umfassendes immer wieder auf den neuesten Wissensstand gebrachtes Nachschlagewerk, ungefähr zehn in den Jahren 1826—1866 entstandene Fachzeit­ schriften, von denen manche bald wieder eingingen, andere sich bis zum zweiten Weltkrieg hielten, boten für Forschung und Unterricht teilweise vorzügliche Lilfsmittel. Der Ausbau der klassischen Philologie wurde überdies in vielem maß­ gebend für die Entwicklung der Wissenszweige, die wie die Germanistik, die slawische und romanische Philologie und die Jurisprudenz für ihre wissen­ schaftlichen Arbeiten mehr oder weniger auf ähnliche Methoden und Lilfsmittel angewiesen sind. Auf der ersten Germanistentagung zu Frankfurt a. M. 1846 (S. 244) wurde „Germanisten" als Bezeichnung festgelegt für Philologen, Listoriker und Juristen, die sich mit dem deutschen Schrifttum wie die Altphilologen mit dem römisch-griechischen befaßten. Bis dahin war diese Bezeichnung nur für Juristen üblich, die sich der Geschichte des deutschen Rechtes im Gegensatz zu der des römischen Rechtes (Romanisten) widmeten; oft waren Germanisten zugleich Alt­ philologen oder Juristen. Die Germanistik als Wissenschaft geht auf den auch als klassischen Philologen hervorragenden Karl Lachmann und auf

Klassische Philologie.

Germanistik.

Geschichte

hie Brüder Jakob und Wilhelm Grimm zurück. Angeregt durch Wolfs „Prolegomena ad Homerum" verfaßte Lachmann „über die ursprüngliche Ge­ stalt des Gedichts der Nibelunge Not" (1816) und gab sorgfältig kritisch be­ arbeitete Ausgaben des Nibelungenliedes, Walthers von der Vogelweide, der Epen Wolframs von Eschenbach und zahlreicher weiterer Dichtungen des Mittel­ alters heraus. Jakob Grimm (1785—1863) und sein Bruder Wilhelm (1786 bis 1859) haben die meisten ihrer Werke gemeinsam verfaßt. Die von ihnen in un­ mittelbarstem Verkehr mit dem Volke gesammelten „Kinder- und Lausmärchen", „Deutsche Sagen", „Die deutsche Leldenfage", die Ausgaben mittelalterlicher Dichtungen, der deutschen „Rechtsaltertümer und Weistümer", die „Deutsche Mythologie", die „Deutsche Grammatik" (vier Bände 1819—1837), die „Ge­ schichte der deutschen Sprache" (1848) und das „Deutsche Wörterbuch" (seit 1852) lagen, wie überhaupt das Lochkommen der Germanistik, im Rahmen der Ro­ mantik, sind aber in der wissenschaftlichen Laltung keineswegs zeitgebunden. Ihrem Wörterbuch stellten die Brüder Grimm die Aufgabe: „Es soll ein Leiligtum der Sprache gründen, ihren ganzen Schatz bewahren, allen zu ihm den Ein­ gang offen halten. Das niedergelegte Gut wächst wie die Wabe und wird ein hehres Denkmal des Volkes, dessen Vergangenheit und Gegenwart in ihm sich verknüpfen". Die vergleichende Sprachwissenschaft, ein neuer Zweig der Philo­ logie, schuf der Mainzer Franz Bopp mit «Vergleichende Grammatik des San­ skrit, Zend, Griechischen, Lateinischen, Litauischen, Gotischen und Deutschen" (sechs Bände 1833—1859). Als erster stellte Georg Gottfried Gewinus aus Darmstadt in den fünf Bänden seiner „Geschichte der deutschen National­ literatur" (1835—1842) die Literatur im Zusammenhang mit dem nationalen, politischen und kulturellen Leben dar. Die der Aufklärung völlig entgegengesetzte Einstellung der Romantik zur Geschichte hat am prägnantesten Friedrich Schlegel ausgedrückt: „Die Welt ist kein System, sondern eine Geschichte", und Friedrichs Brüder Wilhelm er­ klärte: „Alle Geschichte ist Bildungsgeschichte der Menschheit zu dem, was für sie Zweck an sich ist, dem Sittlich-Guten, dem Wahren und Schönen". Die Auf­ fassung Legels, Gott offenbare sich am deutlichsten in der Geschichte, führte dazu, daß die meisten seiner Schüler sich ihr zuwandten, und schließlich zu dem bis ins zwanzigste Jahrhundert hinein fortwirkenden Listorismus, dessen „Kern in der Ersetzung einer generalisierenden Betrachtung geschichtlich-menschlicher Kräfte durch eine individualisierende Bettachtung besteht" (Meinecke). Die von der klassischen Philologie und der Germanistik entwickelten Methoden stellten die geschichtliche Forschung auf eine neue wissenschaftliche Grundlage. Die philo­ logisch-kritische Methode wandte für >die Geschichtschreibung zuerst Bartold Georg Niebuhr in seiner „Römischen Geschichte" (1811—1832) an. Für das von der Aufklärung verachtete Mittelalter schwärmte die Romantik. Am nun das reiche mittelalterliche Quellenmaterial zu sammeln, kritisch zu prüfen und zu bearbeiten, veranlaßte der Freiherr vom Stein 1819 die Gründung der „Gesell­ schaft für ältere deutsche Geschichtskunde" zur Lerausgabe mittelalterlicher Schrift­ steller, ürkunden und Rechtsguellen. Das Ergebnis war das bis heute fortgesetzte.

Entwicklung der Kultur. Geistesleben gewaltige Quellenwerk der „Monumenta Germaniae Historica", deren erster Band unter der Leitung des Hannoveraners Georg Leinrich Pertz 1826 heraus­ kam. Das auch jetzt noch unentbehrliche Nachschlagewerk „Quellenkunde zur deut­ schen Geschichte" von Friedrich Christoph Dahlmann (1830), fortgesetzt von Georg Waitz, 9. Auflage 1931 mit 16 337 Nummern, enthält ein Quellen- und Literatur­ verzeichnis zu allen Zweigen und Zeiten der deutschen Geschichte. Von den da­ maligen größeren Darstellungen haben namentlich Friedrich von Räumers „Geschichte der Lohenstaufen und ihrer Zeit" (sechs Bände 1823—1725), und dann Wilhelm von Giesebrechts „Geschichte der deutschen Kaiserzeit" (1855—1888) einen gewissen Wert behalten. Noch während der Spätromantik erschien das Erstlingswerk Leopold von Rankes (1795—1886), des größten Meisters der neuen deutschen Geschichtschreibung, die „Geschichte der romanischen und ger­ manischen Völker von 1494 bis 1535" (1824). Zm Vorwort dazu legte Ranke den Leitgedanken nieder, der sein ganzes reiches Schaffen bestimmte: „Man hat der Listorie das Amt, die Vergangenheit zu richten, die Mitwelt zum Nutzen zukünftiger Zähre zu belehren, beigemessen; so hoher Ämter unterwindet sich gegenwärtiger Versuch nicht; er will bloß zeigen, wie es eigentlich gewesen." 3m Gegensatz zu Ranke betrachtete der Ostfriese Friedrich Christoph Schlosser (1776 bis 1861) die Geschichtschreibung als Richteramt, er urteilte, wie er sagte, vom Standpunkt „des wahren und rechtschaffenen Mannes" aus, im Grunde nach dem im Geiste des fortschrittlichen Bürgertums aufgefaßten kategorischen Im­ perativ Kants; die Meinung, für die Politik und die Politiker gäbe es eigene Sittengesetze, lehnte Schlosser ausdrücklich ab. And so fanden seine beiden Lauptwerke im Bürgertum begeisterte Aufnahme: die „Weltgeschichte in zusammen­ hängender Darstellung" (1816—1824) und die „Geschichte des 18. Jahrhunderts in gedrängter Übersicht", die er, von zwei auf sechs Bände erweitert, 1836—1849 unter dem Titel „Geschichte des 18. Jahrhunderts und des 19. bis zum Sturz des französischen Kaiserreichs mit besonderer Rücksicht auf geistige Bildung" neu herausgab. Der „Weltgeschichte" war ein Fortleben beschieden wie selten einem Geschichtswerk von derartigem Amfang; sie erschien 1844—1856 in acht­ zehn Bänden unter dem Titel „Weltgeschichte für das deutsche Volk" und An­ fang des 20. Jahrhunderts in 27. Auslage (126. bis 130. Tausend) als „Fr. Chr. Schlossers Weltgeschichte. Neu durchgesehen und ergänzt von Dr. Oskar Jäger und Dr. Franz Wolfs". Seit den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts be­ teiligten sich deutsche Listoriker, namentlich Friedrich Christoph Dahlmann, Jo­ hann Gustav Dropsen, Ludwig Läusser, Georg Waitz, Leinrich von Sybel, Leinrich von Treitschke, Gustav Freytag, Theodor Mommsen, einige führend, an den innerpolitischen Kämpfen ihrer Zeit. Dies beeinttächtigte in manchem die Objektivität, schärfte aber andererseits aus den eigenen Erfahrungen heraus das Arteil. Selbst Mommsen wollte die Leser seiner „Römischen Geschichte" (1854 ff.), eine der glänzendsten Leistungen der deutschen Listoriographie, politisch erziehen. Die Kulturgeschichtschreibung, Wilhelm Leinrich Riehls „Naturgeschichte des Volkes als Grundlage einer deutschen Sozialpolitik" (1851—69) und Freytags „Bilder aus der deutschen Vergangenheit" (1859—62), stand der Art nach noch

Geschichte. Rechtsgeschichte. Naturwissenchaften im Banne -er Romantik, doch verfolgten auch Riehl und Freytag mit ihren Werken national-politische Tendenzen. Rechtsgeschichtliches hatten gelegentlich bereits im 17. und 18. Jahr­ hundert deutsche Juristen behandelt, zu einer selbständigen Wissenschaft wurde die Rechtsgeschichte indes erst, als bei den immer dringender werdenden Forde­ rungen nach Rechtsreformen die Frage auftauchte, ob dabei auszugehen sei von dem Code Napoleon, der in der Rheinbundzeit für beträchtliche Teile Deutsch­ lands maßgebend war (S. 107 ff.), dem römichen Recht oder dem deutschen Ge­ wohnheitsrecht, wie es sich im Laufe der Jahrhunderte entwickelt hatte. Der Code Napoleon konnte sich nach dem Sturz des Kaisers nur in den linksrheinischen deutschen Gebieten behaupten und kam deshalb als Grundlage für ein allgemein deutsches Recht nicht in Bettacht. Am nächsten lag, dem Geiste der Romantik entsprechend, die Anknüpfung an altes deutsches Recht. Dem Juristen Karl Friedrich Eichhorn kam es in seinem Werke „Deutsche Staats- und Rechts­ geschichte" (vier Bände 1808—1823) darauf an, das deutsche Recht als ein „einheitliches im Volke gewordenes Ganzes" nachzuweisen und die „vernünftige Kontinuität der Rechtsentwicklung als einer volksmäßigen zu fördern". Wie Eichhorn die germanistische, begründete Karl Friedrich von Savigny die roma­ nistische Rechtsgeschichte. Zn seiner „Geschichte des römischen Rechts im Mittel­ alter" (sechs Bände 1815—1831) legte er dar, wie sich das römische Recht im Laufe der Jahrhunderte weiter entwickelt hat. Das nun, namentlich von der Berliner „historischen Rechtsschule", eifrig betriebene Studium der Rechts­ geschichte erhielt durch den Wunsch, unter Verwertung des historisch Gewordenen eine für ganz Deutschland gültige Gesetzgebung zu schaffen, einen starken Auf­ trieb. Bis zur Errichtung des Norddeutschen Bundes blieb es jedoch im wesent­ lichen bei der Gesetzgebung der einzelnen deutschen Länder. Naturwissenschaften und Medizin Die großen Leistungen des Barockzeitalters in der Mathematik fetzten vor allem Leonhard Euler (1707—1783) und Karl Friedrich Gauß (1777—1855) fort. Ihre bahnbrechenden Arbeiten wurden für die Entwicklung der exakten Methoden in Physik und Astronomie unentbehrlich. Die von Ausländern und von deutschen Gelehrten erzielten Fortschritte auf den Gebieten der Elektrizität und der Wärme­ lehre und die damit verbundenen Erfindungen von Dampfmaschinen, Lokomotiven und Dampfschiffen, von Gas und Elektrizität für Licht und Kraft, von Telegraph und Telephon wirkten sich auf das ganze Leben in einer bis dahin unvorstellbaren Weise aus. Das von Robert Mayer um 1840 zuerst, dann 1843 von dem Eng­ länder James Joule aufgestellte und von Lermann von Lelmholtz 1847 genauer begründete und durchgeführte Gesetz von der Erhaltung der Energie bei allen mit einer Veränderung verbundenen Nattrrvorgängen lehrte die Einheit der in der Natur wirkenden Kräfte erkennen. Das Schleifen der Linsen nach genau berechneten Gesehen der Lichtbrechung und die Verstellung verfeinerter optischer Gläser gelangen Josef Fraunhofer (1787—1826) in München für Fernrohre, und

Entwicklung der Kultur. Geistesleben Karl Zeiß (1816—1888) in Jena für Mikroskope mit steigendem Erfolg. Louis Jacques Daguerre fixierte 1838 als erster photographische Bilder auf Silberplatten, im nächsten Jahr veröffentlichte der Engländer Fox Talbot sein Verfah­ ren, Bilder auf Papier zu kopieren; die photographische Optik erfuhr 1840 durch den Wiener Pehval eine die Belichtungszeit auf ein Zehntel Sekunde verkürzende Verbesserung, die Ausführung des äußerst lichtstarken Doppelobjektivs übernahm die feinmechanische Werkstätte von Voigtländer (gegründet 1756) in Wien. Der Physiker Robert Kirchhofs und der Chemiker Robert Wilhelm Bunsen ent­ deckten 1859 gemeinsam die Spektralanalyse, eines der wichtigsten Forschungs­ mittel für Chemie und Astronomie. — Die Chemie ermittelte zahlreiche Grund­ stoffe wie Chlor, Kohlenstoff, Sauerstoff, Wasserstoff, Stickstoff, Chlor, Phosphor, Natrium, Kalium, Magnesium, Aluminium, Nickel. Durch die Anwendung der quantitativen Analyse und der Elektrolyse, durch die Zerlegung, Zusammen­ setzung und die Darstellung der Stoffe in reiner Form wurde die Chemie allmäh­ lich zu einer exakten Wissenschaft; die organische Chemie geht hauptsächlich auf Liebig (S. 419) und auf Friedrich August Kekule zurück, der 1858 die Vierwertigkeit des Kohlenstoffs und 1865 die Struktur des Benzolrings feststellte. Vieles von dem, was in Laboratorien erforscht wurde, ließ eine blühende chemische Industrie entstehen, die Soda und Salzsäure, Zündhölzer, Kerzen aus Stearin und Paraffin, Teerprodukte aus Kohle, Explosivstoffe, Farbstoffe und Arzneimittel herstellte; 1850 entstand die Fabrik von Friedrich Bayer in Elberfeld (später in Leverkusen) und 1865 in Mannheim die Badische Anilinfabrik. — Kant und der Franzose Laplace stellten in der zweiten Äälfte des 18. Jahr­ hunderts eine neue Theorie über die Entstehung des Sonnensystems auf. Fried­ rich Wilhelm Äerschel (1738—1822), Friedrich Wilhelm Beffel, Johann Franz Encke und Wilhelm von Struve (1793—1864) erweiterten durch viele Beob­ achtungen, Berechnungen und Entdeckungen die astronomischen Kenntnisse. Die Spektralanalyse gab dann Aufschluß über die stoffliche Zusammensetzung der Himmelskörper, Photographie und Photometrie erschlossen neues Beobachtungs­ material, und Gauß wies für die Berechnung der Sternbahnen neue Wege. Zoologie und Botanik, die sich während des 18. Jahrhunderts im wesentlichen mit Beschreibung und Klassifizierung begnügt hatten, wurden mit Äilfe der ver­ besserten Mikroskope und durch chemisch-physikalische Untersuchungen im Labora­ torium zu induktiven Wissenschaften. Der Naturforscher Theodor Schwann wies in seinem Werk .„Mikroskopische Untersuchungen über die Übereinstimmung in der Struktur und dem Wachstum der Tiere und Pflanzen" (1839) nach, daß das Grundorgan für Aufbau und Wachstum aller Lebewesen die Zelle ist. Die Mikroskopie der niederen Organismen führte zu der Erkenntnis von der Ent­ stehung der Art durch Ambildung und zur entwicklungsgeschichtlichen Methode, die in den Materialismus eines Ludwig Büchner („Kraft und Stoff" 1855), Charles Darwin („Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl" 1859) und Ernst Läckel („Natürliche Schöpfungsgeschichte" 1868) einmündete. Ohne weltanschauliche Tendenzen machte und macht Alfred Edmund Brehms „Tierloben" (1864—1869), worin die Tiere in ihrer Lebensweise und Umgebung

Naturwissenschaften. Medizin geschildert sind, jung und alt mit 'der Zoologie vertraut. — Die Geologie als Wissenschaft hat um 1780 Abraham Gottlob Werner, Lehrer sür Mineralogie und Bergbaukunde an der Bergbauakademie zu Freiberg, eingeleitet. Weitere Forschungen, die sich auch auf die jetzt in ihrer Bedeutung für die Geologie erkann­ ten Leitfossilien stützten, ergaben, daß die Veränderungen der Erdrinde in unge­ heuren Zeiträumen vor sich gingen, und daß Faktoren wie die Gebirgsbildung, der Vulkanismus und das Eis die Veränderungen bewirken. Formen und Eigen­ schaften der Mineralien wurden sorgfältig untersucht. Die seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Berlin, Clausthal, Freiberg und andernorts errichteten Bergakademien verfolgten in erster Linie praktische Zwecke, kamen dabei aber auch zu rein wissenschaftlichen Erkenntnissen. — Mit Karl Ritters Werk „Die Erdkunde im Verhältnis zur Natur und Geschichte der Menschen" (zwei Bände 1817/18, 2. Auflage, neunzehn Bände 1822/59), begann die wissenschaftliche Geographie. Die Berichte Alexander von Humboldts über seine Reisen in Mittel- und Südamerika und in Asien zwischen Aral, Altai und Kaspischem Meer boten eine Fülle von neuen Aufschlüssen über Geographisches, über Bo­ tanik, Zoologie, Metereologie, Geologie und Völkerkunde. Bei seinem Haupt­ werk „Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung" (fünf Bände 1845 bis 1862) ging es Humboldt, wie er in dem Vorwort betonte, vor allem darum, die „Erscheinungen der körperlichen Dinge in ihrem allgemeinen Zusammenhange, die Natur als ein durch innere Kräfte bewegtes und belebtes Ganze aufzufassen... Der bisher unbestimmt aufgefaßte Begriff einer physischen Erdbeschreibung ging so durch erweiterte Betrachtung, ja nach einem vielleicht allzu kühnen Plane, durch das Amfassen alles Geschaffenen im Erd- und Limmelsraume in den Be­ griff einer physischen Weltbeschreibung über". Von anderen Deutschen, die Ent­ deckungsreisen unternahmen, erforschten die Brüder Schlagintweit Zentralasien, Heinrich Barth und Gerhard Rohlfs afrikanische Gebiete. Mit der Erweiterung der geographischen Kentnisse nahm die Karthographie einen neuen Aufschwung, in dem 1785 von Justus Perthes zu Gotha gegründeten Verlag erschien auch der erste Handatlas (1817—1822), den Adolf Stieler ausgearbeitet hat. Die ärztliche Kunst beruhte in Deutschland während des 18. und noch zu Anfang des 19. Jahrhunderts im allgemeinen auf praktischer Erfahrung, doch spielten auch Anschauungen der romantischen Naturphilosophie mit hinein; der von Franz Mesmer (1734—1815) propagierte „animalische Heilmagnetismus", des Schweizer Pfarrers Johann Kaspar Lavater Charakterdeutung aus den Linien des Gesichts und seine Lehre von dem organischen Zusammenhang von allem und jeglichem mit dem göttlichen Weltganzen und des Arztes Franz Josef Gall (1758—1828) Phrenologie, das Erkennen von geistigen Eigenschaften aus der Form des Kopfes; auch wurden neue Naturheilmethoden eingeführt, die sich auf die Dauer behaupteten: die Homöopathie 1796 durch Samuel Hahnemann und die Kaltwasserkuren, die durch den Bauern Vinzenz Priesnih in Form von Amschlägen und Packungen in seiner Heilanstalt zu Grafenberg seit 1826 allge­ meiner bekannt wurden, und die durch Sebastian Kneipp, Pfarrer in Wörishofen, mit Güssen, Waschungen und Wickeln von 1848 an weiteste Verbreitung fanden.

Entwicklung der Kultur. Geistesleben Anter den volkstümlichen medizinischen Schriften ist am bekanntesten geworden die in alle europäischen Sprachen und ins Chinesische übersetzte und bis in die neueste Zeit hinein immer wieder aufgelegte „Makrobiotik oder die Kunst das menschliche Leben zu verlängern" (1796) des berühmten Berliner Arztes und Aniversitätsprofessors Christoph Wilhelm Lufeland. An die Reform veralteter Medizinalordnungen gingen die Behörden nur zögernd heran, obwohl ihnen hierfür Johann Peter Frank mit seinem „System einer vollständigen medizinischen Polizei" (sechs Bände 1779—1819) geeignete Wege wies; immerhin geschah manches, um Schriften zur hygienischen Aufklärung unter das Volk zu bringen. Von den zahllosen internationalen Fortschritten der theoretischen und praktischen Medizin seit der Mitte des 18. Jahrhunderts bis 1870 seien hier nur erwähnt: Auskultation und Perkussion, erste Teilnarkose mit Äther 1846 in Boston, erste Vollnarkose mit Chloroform 1847 in Edinburg, Feststellung der Arsache des Kindbettfiebers, dem erschreckend viele Mütter zum Opfer fielen, und Abhilfe durch peinliche Sauberkeit und Desinfektion (Ignaz Philipp Semmelweis 1847). Max Pettenkofer (1818—1901) begründete in München die experimentelle Hygiene, Johannes Müller (1801—1858) in Berlin die Physiologie, Louis Pasteur (1822—1895) in Paris die Bakteriologie, Rudolf Virchow 1858 die Zellularpathologie, die mit ihrem Nachweis von der Veränderung der Zellen durch Krankheit lange die gesamte Medizin beherrschte. Aniversitäten und Schulen Die -Entwicklung der Geistes- und Naturwissenschaften stand in enger Be­ ziehung zu der Entwicklung des Aniversitätswesens. Die Aufgabe der Aniversität erschöpfte sich um 1700 im wesentlichen noch darin, die Studenten mit dem über­ lieferten Wissen vertraut zu machen, wobei sich Verschiedenheiten fast nur aus den voneinander abweichenden Auslegungen einzelner Richtungen und Pro­ fessoren ergaben; die philosophische Fakultät war gewissermaßen nur eine Fort­ setzung des Gymnasiums mit dem Ziele, auf das Studium der Theologie, der Jurisprudenz und der Medizin vorzubereiten. Mit der Ausbildung der philo­ logisch-historisch kritischen Methoden spaltete sich die philosophische Fakultät in die philosophisch-historischen Fächer mit der klassischen, der germanistischen, der romanischen Philologie als eigenen Zweigen und in die mathematisch-natur­ wissenschaftlichen Fächer auf. Die Studenten sollten sich nicht mehr nur das von den Professoren Vorgetragene aneignen, sondern auch selbst wissenschaftlich arbeiten lernen. So traten neben die Vorlesungen die Seminarübungen und die Tätigkeit in den mit den Aniversitäten verbundenen Forschungsinstituten und Krankenhäusern unter Leitung der Professoren. Zunächst folgten der neuen wissen­ schaftlichen Richtung die Aniversitäten Göttingen, Heidelberg, Jena und Leipzig; am wirkungsvollsten hat sie die Berliner Aniversität vertreten, 1810 gegründet im Geiste des damaligen Leiters der preußischen Anterrichtsangelegenheiten Wil­ helm von Humboldt (1767—1835), eines vielseitig gebildeten Gelehrten und Staatsmannes. Er forderte stetes Streben nach wissenschaftlichem Fortschritt

Universitäten.

Gymnasien

und sehte Forschungs- und Lehrfreiheit für die Dozenten und Lernfreiheit für die Studenten durch. In Baiern verlegte König Ludwig I. die älteste Aniversität seines Landes, bis 1800 in Ingolstadt, dann in Landshut, 1826 nach München, erneuerte ihren Lehrkörper und berief möglichst Männer mit berühmten Namen, wie die Philosophen Schelling und Franz von Baader, für die Geschichte den großen Publizisten Görres; unter Maximilian II. folgten hervorragende Ge­ lehrte, so für die Geschichte Riehl, Sybel, Giesebrecht, für die Chemie Liebig, der 1825 an der Aniversität Gießen das erste deutsche chemische Unterrichtslaboratorium eingerichtet hatte. Zur Förderung von Forschung und Unterricht wurden die Göttinger, die Berliner und die Münchner Aniversität eng mit den in diesen Städten bereits bestehenden Akademien der Wissenschaften, Samm­ lungen und Bibliotheken verbunden. — Nach dem Muster -der Pariser „ecole polytechnique" entstanden in Deutschland polytechnische Hochschulen (Wien 1815, Karlsruhe 1832, München 1868) und höhere Gewerbe- oder polytechnische Schulen. Die Reform der Universitäten bedingte auch die der Gymnasien. In Preußen legte hierzu den Grund Wilhelm von Lumboldt. dessen Neuregelung in vielem für ganz Deutschland vorbildlich wurde. Er führte an den Universitäten eine be­ sondere Vorbildung der Gymnasiallehrer und die Ablegung einer Lehramts­ prüfung (1810) ein. Als begeisterter Neuhumanist erstrebte Lumboldt für Lehrer und Schüler die Lumanität, eine allseitige Ausbildung im Sinne der Ideale des Klassizismus. In den Mittelpunkt des Unterrichts rückte er Griechisch und Latein im Sinne Lerders: weniger Grammatik, dafür mehr Vertiefung in die antiken Klassiker, berücksichtigte aber auch Lerders Mahnung: „Lernt deutsch, ihr Jünglinge, denn ihr seid Deutsche; lernt es reden, schreiben, in jeder Art schreiben." Mit der Reform der Gymnasien seines Landes beauftragte König Ludwig I. den Thüringer Friedrich Thiersch, einen fanatischen Neuhumanisten. Mit Erfolg bemühte sich Thiersch um eine gediegene Bildung der Lehrkräfte für das Gymnasium; der von ihm entworfene Lehrplan versteifte sich freilich ganz einseitig auf das Lateinische und Griechische. Die bairische „Ordnung der Latein­ schulen und der Gymnasien" von 1830 hielt an dem Neuhumanismus von Thiersch fest, führte aber unter Verminderung der Lateinstunden und Verlegung des Unterrichtsbeginnes im Griechischen auf eine höhere Klaffe eigene Stunden für das Deutsche ein und vermehrte die wenigen von Thiersch für Geschichte, Geographie und Mathematik vorgesehenen. — Die im Zeitalter der Aufklärung eingerichteten Realschulen nahmen den praktischen Bedürfnissen entsprechend zu; Österreich regelte sein Realschulwesen 1851, Preußen 1859, eine Reihe kleinerer deutscher Staaten übernahm die preußische Regelung. In der Methodik der Erziehung und des Unterrichts hat der Schweizer Jo­ hann Leinrich Pestalozzi (1746—1824), angeregt durch eigenes Erleben, durch Rousseau, Lerder und die Philanthropen (S. 445), eine neue Epoche herauf­ geführt. Erziehung und Unterricht gehen bei Pestalozzi ineinander über. Das Ziel ist die harmonische Ausbildung aller Kräfte des Kindes. Die Grundlage hierfür bildet die Anschauung: „Sie ist das absolute Fundament aller Erkennt-

Entwicklung der Kultur.

Geistesleben

ms; jede Erkenntnis muß von der Anschauung ausgehen und auf sie zurückgeführt werden können." Pestalozzi paßte den auf Anschauung aufgebauten Anterricht den Lobensverhältniffen und dem Entwicklungsgang der Kinder an und wurde damit der Bahnbrecher der psychologischen Erziehungs- und Unterrichtsmethode. Den stärksten Einfluß hat Pestalozzi damit auf den ersten Jugendunterricht, die Volksschule, ausgeübt, manche seiner Forderungen, besonders die nach der gleich­ mäßigen Ausbildung aller Kräfte des Menschen, begegnen auch bei Männern wie Wilhelm von Lumboldt. Die Volksschulpraxis haben dann namentlich Wil­ helm Larnisch (1787—1864) und Adolf Diesterweg (1790—1866) gefördert, der von sich sagte „ich will Pestalozzisch wirken" und sich große Verdienste um die Lehrerbildung erwarb. Der von Diesterweg hochgerühmte katholische bairische Bischof Michael Sailer trat in seinen pädagogischen Schriften für möglichst selbsttätige Entwicklung der kindlichen Kräfte ein. Nach Pestalozzi fand die größte Gefolgschaft Johann Friedrich Lerbart (1776—1841); er betonte be­ sonders die ethischen Aufgaben des Unterrichts und erkannte als erster, wie sehr es für einen erfolgreichen Unterricht darauf ankommt, das Intereffe der Schüler zu wecken. — Für Kinder von drei bis sechs Jahren richtete Friedrich Fröbel, der sich einige Zeit bei Pestalozzi aufgehalten hatte, 1840 in Blankenberg (Thü­ ringen) einen Kindergarten ein, mit dem er ein Seminar zur Ausbildung von Kindergärtnerinnen verband. Dem Blankenburger Fröbelschen Kindergarten folgten bald innerhalb und außerhalb Deutschlands ähnliche Anstalten, meist von Privaten, Vereinen oder Fabriken. Trotz der vielen guten und schönen Schriften über das Bildungswesen und der mannigfachen Reformen galt für alle Schulgattungen mehr oder weniger, was König Max II. 1852 an seinen Kultusminister schrieb: „Von 3ahr zu Jahr werden die Klagen der Prüfungskommissionen immer lauter und lauter... Diese Wahrnehmungen werden aber nicht mehr befremden, wenn man von der Aniversität herabsteigend, die Anterrichtsmethode betrachtet, wie sie, abgesehen von einzelnen ehrenwerten Ausnahmen, an den Studienanstalten des Königreichs gang und gäbe ist." Die bairische Schulordnung für die höheren Lehranstalten von 1854 und das „Schullehrernormativ" von 1857 für die Ausbildung der Volksschullehrer brachten zwar, wie ähnliche amtliche Erlasse in anderen deutschen Ländern, in vielem eine erhebliche Besserung, doch bestand und besteht Grund genug, daß der Ruf nach Reformen des Loch-, Mittel- und Volksschulwesens nicht verstummt. Daher kommt es, daß vom Schulwesen, wie auch sonst, das An­ zulängliche und Verkehrte oft mehr in den Vordergrund gerückt wurden und wer­ den als die Fortschritte und die zum Teil vorzüglichen Leistungen in Vergangen­ heit und Gegenwart.

Kunst unö Üben Ähnlich wie das deutsche Geistesleben gewann die Musik der Goethezeit Weltruhm. Latte in der Barockzeit gegolten, was zu dumm ist, gesprochen zu werden, singt man, so achtete Christoph Willibald Gluck (1714—1787) für seine Opern auf ernsthafte, gemütstiefe Gestaltung der Texte und ordnete ihnen seine

Pestalozzi.

Volksschule.

Musik

klare und ausdrucksstarke Musik unter. Josef Haydn (1732—1809) lebt fort in seiner Kirchenmusik, seinen Sinfonien und Sonaten, den beiden großen Oratorien „Die Schöpfung" und „Die Jahreszeiten" und in seiner Kaiserhymne „Gott erhalte Franz den Kaiser". Eine nicht «wieder erreichte Löhe erlangte die deutsche Musik mit Wolfgang Amadeus Mozart (1756—1791) und Ludwig van Beet­ hoven (1770—1827), ihre Werke stehen noch heute in der ganzen Welt im Mittel­ punkt musikalischer Darbietungen. Während diese vier großen Meister von den Strömungen der Aufklärung, Klassik und Romantik nur wenig berührt wurden, empfand und schuf die Mehrzahl der Komponisten im Geiste der Romantik. Die Lyrik und die Balladen Goethes, Schillers, Leines, der Romantiker, auch Oden Klopstocks und die wieder entdeckten Volkslieder lockten zur Vertonung. Franz Schubert (1797—1828), Felix Mendelssohn-Bartholdy (1809—1847), Robert Schumann (1810—1856), Johannes Brahms (1833—1897), hervorragend durch ihre großen Werke der Znstrumentalkunst, haben überdies in ihren Liedkompositio­ nen den Inhalt der Gedichte und die Melodie unübertrefflich zu klangvoller Ein­ heit verschmolzen. Durch mitreißende Melodie, wirkungsvolle und tonmalerische Klavierbegleitung sind viele von den etwa vierhundert Balladen-Kompositionen Karl Loewes (1796—1869) volkstümlich geworden. Seinen Ruhm verdankte Franz Liszt (1811—1886) hauptsächlich seiner Virtuosität als Konzertpianist von leidenschaftlichem Temperament, der neuartigen Technik des Klavierspiels, der Tätigkeit als Lehrer und Dirigent, weniger seinen an und für sich gewiß nicht unbedeutenden Oratorien und Orchestermessen. Die Oper übernahm von der Romantik die Freude an bunten Bildern aus dem Volksleben, an historischen Szenen, an Geisterbeschwörungen und Märchenmotiven, so Karl Maria von Weberim „Freischütz" (1821) und „Oberon" (1826),Heinrich Marschnerin „Der Vampyr (1828) und „Hans Helling" (1833), Konradin Kreutzer in „Das Nacht­ lager in Granada" (1834), Giacomo Meyerbeer in den „Hugenotten" (1836), Albert Lortzing in „Zar und Zimmermann" (1837). Bei diesen und ähnlichen Stücken war die alte Form des Singspiels, in dem die Dialoge zum Teil ge­ sprochen wurden, schon meist der durchkomponierten Oper gewichen; Richard Wagner (1813—1883) gestaltete sie allmählich zum Musikdrama um. Nachdem von seinen Werken die komische Oper „Das Liebesverbot" (1836), die tragische Oper „Rienzi", die romantischen Opern „Der fliegende Holländer" (1843), „Der Tannhäuser" (1845) und „Lohengrin" (1850) aufgeführt worden waren, faßte der schon damals viel Angefeindete und begeistert Verehrte um 1860 den Plan, ein Festspielhaus nach seinen Ideen zu errichten, der jedoch erst in den siebziger Jahren zu Bayreuth verwirklicht werden konnte. Die bildenden Künste standen bis gegen Ende des 18. Jahrhunderts im Zeichen des Barock und Rokoko. Daß man ihrer müde wurde und neue Wege einschlug, war eine Zeiterscheinung, die sich in Kunst und Literatur immer wieder einstellt, ebenso wie der Stilwandel im Rahmen der eben vorherrschenden Geistesrichtungen, damals des Klassizismus und der Romantik. Einflüsse von außen, wie etwa des klassizistischen Empire unter Napoleon I., fehlten nicht. 30*

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Entwicklung der Kultur. Kunst ausschlaggebend war indes die innerdeutsche Entwicklung. Leistungen von so über­ ragender Größe wie in der Philosophie, Dichtung und Musik, brachte die bildende Kunst des 19. Jahrhunderts freilich nicht hervor. Sie war in der Stilbildung nicht mehr schöpferisch, sondern huldigte einem Eklektizismus, der des öfteren zu einer wenig erfreulichen Stilmengerei führte. Das Ausgehen vom Gedanklichen und die Nachahmung vergangener Stile gab den Kunstwerken oft etwas Kaltes und Trockenes, so daß man über den Klassizismus als „gefrorene Antike" spottete, auch entzogen das Eindringen der Aufklärung mit ihrer Nüchternheit in die katholische Kirche und die Säkularisation dem Kunstleben fruchtbare Kräfte und reiche Mittel. Vor allem sind nicht jedem Zeitalter Maler wie Dürer, Baumeister wie Balthasar Neumann oder Philosophen wie Kant beschieden; von der ersten, der mittelalterlichen Hochblüte der deutschen Dichtung bis zur zweiten in der Klassik und Romantik verging ein halbes Jahrtausend, eine dritte ist seither nicht gefolgt. Immerhin läßt sich von der bildenden Kunst des 19. Jahrhunderts manch hervorragendes und viel Auge und Gemüt Erfreuendes rühmen. Der Klassizismus fand zunächst in der Architektur Eingang. Sehr viele öffentliche Gebäude, wie Theater, Museen, Kirchen, bekamen nun eine Fassade nach antiken Vorbildern mit Säulen und Giebel. Zn Berlin und Potsdam ent­ faltete der auch als Zeichner und Maler vorzügliche Karl Friedrich Schinkel (1781—1841) eine großartige Bautätigkeit, in Karlsruhe Friedrich Weinbrenner (1766—1826), bedeutend durch seine städtebauliche Leistung und als Lehrer, aus seiner Bauschule gingen viele Architekten hervor. Die von dem Klassiker Leo Klenze (1784—1864), dem Erbauer der „Walhalla" bei Regensburg, und von dem mehr der Romantik zuneigenden Friedrich Gärtner (1792 bis 1864) in München aufgeführten Bauten verliehen der damaligen Ludwigsvorstadt einen eigenartigen, monumentalen Charakter, in dem Stil der Ludwigskirche und ihrer beiden Nebenbauten mischte Gärtner klassische, italienisch­ romanische, deutsch-romanische und byzantinische Formen. Ähnlich wie König Ludwig I. die Ludwig-, ließ König Max II. die Maximilianstraße zu einer Pracht­ straße ausgestalten, deren Bauten ebenfalls, wenn auch in anderer Weise, die verschiedenartigsten Stilelemente in sich vereinigten. 3n Dresden schuf der Bau­ meister und Kunsttheoretiker Gottfried Semper, ausgehend von der italienischen Renaissance, einen eigenen Stil; da sich der klassische Stil des Südens unter den nördlichen Klimaverhältniffen vielfach als unzweckmäßig erwies, knüpfte man jetzt überhaupt mehr an die Renaissance an und bevorzugte sie für Profanbauten. Waren die Maße wohl abgewogen, die einzelnen Teile organisch verbunden und alles überflüssige vermieden, so gaben die Monumentalbauten, die Adelspaläste und die Häuser wohlhabender Bürger dem Stadtbild ein ruhiges, vornehmes Gepräge. Für die Kirchenbauten dieser Zeit wurde im allgemeinen die Gotik als Vorbild gewählt, gegenüber der mittelalterlichen fällt indes diese Neugotik unerfreulich ab. Für die der Industrie und dem Verkehr dienenden Bauten hielt man sich an die üblichen Formen, und so ratterten Fabrikmaschinen und fauchten Lokomotiven der Eisenbahn in romanischen oder gotischen hallen. Eisenbahnbrücken in Stein- oder Cisenkonstruktion, wie die Elbbrücke bei Wittenberge 1849,

Architektur. Plastik. Malerei die Großhesseloher Brücke bei München (1854) und die Rheinbrücke bei Köln (1859) fügten sich dagegen meist ohne zu stören dem Landschaftsbild ein. Der Plastik des 19. Jahrhunderts boten die von Monarchen, vom Staat, von Gemeinden, Vereinen oder einem Freundeskreis in Auftrag gegebenen ungemein zahlreichen Denkmäler für Könige, Angehörige der Herrscherhäuser, Dichter, Musiker, berühmte Gelehrte und Forscher ein weites und dankbares Feld. Vorherrschend war hier der Klassizismus; ihr Wirklichkeitssinn bewahrte jedoch die bedeutenderen Bildhauer davor, Menschen der Gegenwart und der jüngsten Vergangenheit allzu sehr in antiker Gewandung oder Nacktheit darzustellen; als belobendes Element wirkten die von klassischem und christlichem Gedankengut er­ füllten, um die Hauptfigur der größeren Denkmäler gruppierten allegorischen Figuren und die Reliefs am Sockel. Die großen Bildhauer dieser um 1870 endenden Epoche: der Stuttgarter Johann Heinrich Dannecker (1758—1814), der Berliner Johann Gottfried Schadow (1764—1815), Christian Daniel Rauch aus Arolsen (1777—1857), der Münchner Ludwig Schwanthaler (1802—1848), waren Klaffizisten. Die Vorliebe der Zeit für Denkmäler brachte einen großen Aufschwung des Erzgusses mit sich. Sinter den damaligen Erzgießereien hat sich die des Ferdinand Miller zu München im In- und Ausland das höchste An­ sehen erworben; am berühmtesten von ihren Erzeugnissen ist die kolossale „Bavaria" geworden, für die Schwanthaler das Modell schuf. Sinter den bildenden Künsten des 19. Jahrhunderts erwies sich dieMalerei als die am meisten schöpferische und am stärksten vom Geiste der Ro­ mantik durchdrungen. Die Bilder des seit 1795 in Dresden lobenden Pom­ mern Kaspar David Friedrich (1774—1840) zählen mit ihrem Stimmungs­ gehalt und ihrer Darstellungsweise zu den größten Leistungen aller Epochen der europäischen Landschaftsmalerei. Philipp Otto Runge (1777—1810) aus Wolgast suchte in den „Vier Tageszeiten" in einzigartiger Weise das kosmische und das menschliche Leben symbolisch zu gestalten, sein früher Tod ließ Runge nicht zur Vollendung dieses Werkes und zum Ausreifen seines außerordentlichen Talentes kommen. Die beiden ihrer Herkunft und ihrem Wesen nach norddeutschen Künstler stehen für sich allein. Eine starke Anziehungskraft übten Italiens Landschaft, Menschen und Kunst auf deutsche Maler aus, und so wurde für viele von ihnen ein kürzerer oder langer Aufenthalt in Italien zu einer Selbstverständlichkeit. Junge deutsche Maler begannen sich 1809 in Rom unter Führung von Friedrich Overbeck (1789—1869) als „Lukasbrüder" zusammenzuschließen, für die wegen ihrer religiösen Einstellung in Leben und Kunst bald „Nazarener", erst als Spottdann als Ehrenname aufkam. Sie führten hier gemeinsam die Josefsgeschichte des Alten Testamentes darstellende Wandgemälde aus, wobei es ihnen gelang, die in Verfall geratene Freskotechnik zu erneuern, was dann besonders Peter Cor­ nelius (1783—1867) und Julius Schnorr von Carolsfeld (1794—1872) zustatten kam, den neben Overbeck, der zeitlebens in Rom blieb, bedeutendsten Mitgliedern der Gruppe. Einem Rufe König Ludwigs I. folgend, schufen Cornelius für die Münchner Glyptothek die wuchtigen Fresken aus der griechischen Götter- und Heldensage und das Jüngste Gericht für die Ludwigskirche und Schnorr für

Entwicklung der Kultur einige Säle der Münchner Residenz Fresken aus dem Nibelungenlied. Zu Goethes Faust zeichnete Cornelius Illustrationen, Schnorr zu der 1848 im Verlag von Cotta erschienenen Ausgabe von „Der Nibelunge Not" und zu der weit verbreiteten „Bibel in Bildern". Großen Ruhm, der jedoch später verblaßte, erwarb sich Wilhelm Kaulbach (1805—4874), seit 1826 in München, durch riesige Fresken in München und Berlin und durch Illustrationen zu Schiller und Goethe. Mit Wandbildern aus dem Leben Karls des Großen schmückte Alfred Rethel (1816—1859) den Aachener Rathaussaal, noch mehr gründet sich Rethels Nach­ ruhm auf seine Lolzschnitte, namentlich die Totentanzbilder. Moritz von Schwinds (1804—1871) Zyklen zu deutschen Märchen, beseelte Bilder von Elfen, Nixen und Einsiedlern, Waldkapelle und Morgenstunde, Ludwig Richters (1803—1884) Landschaften und gemütvolle Szenen aus dem Volks- und Familienleben und Karl Spitzwegs (1808—1885) kleinformatige Bilder voll Äurnor, Behaglichkeit und Innerlichkeit leben in zahllosen Reproduktionen weiter. Spitzweg ging es so gut wie Cornelius oder Runge in erster Linie um die Gestaltung des gedank­ lichen Inhalts. Daneben steht die wirklichkeitsnahe, rein malerische, farbenfrohe Kunst der Landschaften eines Georg Dillis und Wilhelm von Kobell, der Pferde­ bilder eines Albrecht Adam und Franz Krüger, der lichten Räume und be­ schaulichen Menschen von Friedrich Georg Kersting, das Werk des in Porträt, Landschaften und bäuerlichen Szenen hervorragenden Georg Ferdinand Wald­ müller (1793—1895), die Jagd- und Reiterstücke des genialen Ferdinand von Rayski (1807—1890). Gleich groß als Zeichner und Maler war Adolf Menzel (1815—1905) aus Breslau, seit 1830 in Berlin. Er begann mit der Illustrierung von Kuglers „Geschichte Friedrichs des Großen" und ist, da „er Geist genug besaß, das Bedeutende, das Interessante und Erregende aus der überall pulsenden Vielfalt herauszugreifen, der umfassendste, der packendste Schilderer seiner Gegen­ wart und selbst einer vergangenen Epoche geworden" (Fischer). — Wesentlich idealistisch gerichtet war die Kunst der meist in Italien lebenden „Deutschrömer" Anselm Feuerbach (1829—1880), Arnold Böcklin (1827—1901) und Laus von Marees (1837—1887), eben deshalb fanden zu ihrer Zeit Feuerbachs edle Ge­ stalten, Böcklins farbenprächtige, wie eine mythische Welt anmutende Land­ schaften und Wesen, und Maröes klassisch empfundene Menschen und Land­ schaften wenig Verständnis. Von Böcklins und Marees Wirken fällt bereits ein wesentlicher Teil nach 1870, noch mehr gilt dies für die zwischen 1835 und 1846 geborenen Meister wie Defregger, Lenbach, Thoma, Leibl. Ihren ersten Ruhm erwarben sie wohl schon vor 1870, die Löhe ihres Schaffens und Erfolges liegt aber erst in dem neu gegründeten Deutschen Reich. Das Kulturleben erfuhr feit der Aufklärung wenn auch nicht in jeder Linsicht eine Vertiefung, so doch eine Erweiterung durch die Fortschritte der Wissen­ schaft, der Technik und des Schulwesens und dadurch, daß immer breitere Kreise Anteil daran hatten. Bezeichnend dafür ist die große Zahl der Gelehrten, Dichter und Schriftsteller, die aus ärmlichen oder sehr bescheidenen kleinbürgerlichen Verhältnissen hervorgingen, so Lamann, Winckelmann, Kant, Gutzkow, Lebbel;

Malerei. Buchwesen. Zeitschriften unter den geistigen Führern in der Zeit von 1759—1816 waren vierzehn vom Kundert proletarischer Lerkunst, von 1816—1860 stammen „aus dem wirtschaft­ lichen Mittelstand 25,5, aus dem Landwerk 12, von Bauern 6,4, aus dem Pro­ letariat 10 Prozent" (Wiegand); auch die Eltern der vielen Pfarrerssöhne, wie Lessing, Wieland, Claudius, waren nicht mit irdischen Gütern gesegnet. Dem wachsenden Bildungsbedürfnis kam die Entwicklung des Buchwesens ent­ gegen; unter anderen Verlagen wurden 1719 Breitkopf, feit 1795 Breitkopf und Lärtel, gegründet, 1785 Göschen, 1787 Cotta, 1801 Lerder, 1805 F. A. Brock­ haus, 1811 von Amsterdam nach Altenburg und von da 1817/18 nach Leipzig verlegt, 1822 Friedrich Perthes, 1826 das Bibliographische Institut (Meyer), 1828 Reclam, 1858 Seemann. Friedrich Arnold Brockhaus erwarb 1808 das 1796 von Löbel und Franke begonnene Konversationslexikon (11. Auflage 1864), 1822—1836 erschien die erste Auflage von Pierers „Aniversallexikon", 1840 bis 1852 die des „Großen Konversationslexikons" von Meyer, 1846—1850 die „Allgemeine Realenzyklopädie oder Konversationslexikon für das katholische Deutschland" (Regensburg) und 1853—1857 Lerders „Konversationslexikon". Von 1867 an gab Reclam seine billige „Aniversalbibliothek" heraus, die un­ geheuren Anklang fand und deutsche wie übersetzte ausländische Literatur in weiteste Schichten trug. Der gesamte deutsche Buchhandel hat sich 1825 im „Börsenverein der deutschen Buchhändler" (Sitz in Leipzig, jetzt in Frankfurt a. M.) zusammengeschlossen. Mit die höchsten Auflagen erzielten Gellerts Fabeln, Goethes.„Werther", „Lermann und Dorothea" und „Faust", Leines „Buch der Lieder", Freytags „Ahnen" und Scheffels „Ekkehard"; die nach Schillers Tod erschienene Gesamtausgabe seiner Werke wurde bis 1840 zwanzigmal ge­ druckt. Auf reich illustrierte Bücher wurde großer Wert gelegt. Für die Lolzschnitte, deren Technik nach englischem Vorbild umgestaltet und vervollkommnet wurde, und für die Kupferstiche lieferten mit die besten Künstler der Zeit Vor­ lagen. Dies kam besonders auch den Kinderbüchern zugute; die von Schwind und Richter, von Theodor Losemann und Otto Spekter illustrierten Märchen-, Fabel- und Bilderbücher, der „Struwelpeter" (1845) von Leinrich Loffmann und „Max und Moritz" (1865) von Wilhelm Busch sind noch heute das Ent­ zücken der Kinder (und Erwachsenen). Die Erfindung der Lithographie (1799) und des Ölfarbendruckes (1833) durch Alois Senefelder lieferten der Reproduk­ tionstechnik neue, billige Verfahren; ergab die Lithographie äußerst ausdrucksfähige Bilder, so verdarb der massenhafte Ölfarbendruck guter und schlechter Bil­ der, die bis in die entlegensten Bauernstuben gelangten, in seiner oft recht minder­ wertigen Qualität den Geschmack in bedenklicher Weise. Zeitschriften wie die „Allgemeine musikalische Zeitung" (seit 1799) und das „Polytechnische Journal" (seit 1820) wandten sich an Liebhaber- oder Fachkreise. Der Anterhaltung und volkstümlichen Anterrichtung über die verschiedensten Wissenszweige dienten die in der zweiten Lälfte des 19. Jahrhunderts aufkom­ menden Familienzeitschriften, deren erste, die „Gartenlaube", die höchsten Auf­ lagenziffern erreichte (1853 : 5000, 1855 : 35 000, 1870 : 270000), aber auch die übrigen bis 1865 gegründeten Zeitschriften ähnlicher Art wie „Westermanns

Entwicklung der Kultur

Monatshefte", „Wer Land und Meer", „Daheim", gewannen viele Abonnenten; die erste Wochenschrift, die besonders auf reiche und gute Bebilderung bedacht war, ist die Leipziger „Illustrierte Zeitung" (seit 1843); Otto Zanke eröffnete 1864 seine „Romanzeitung" mit Raabes Hungerpastor. Zn den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts kamen die illustrierten Witzblätter auf, in -er Freude über die neuerworbene Pressefreiheit und als Ventil der aufgeregten Meinungen erschienen sie massenhaft im „tollen Jahr" 1848, die besten hatten dann als Wochen- oder Monatszeitschriften ein längeres Leben. Adolf Glaßbrenner wurde mit verschiedenen Blättern der Exponent des Berliner Witzes. Die Münchner „Fliegenden Blätter", an denen auch Schwind, Franz Pocci, Spitzweg und Busch mitarbeiteten, gab der Maler Kaspar Braun zusammen mit dem Buchhändler Friedrich Schneider seit 1844 zuerst in zwangloser Folge, später wöchentlich heraus, ein Blatt von beachtlicher künstlerischer und literarischer Höhe. Der Berliner „Kladderadatsch" (seit 1848) war das erste rein politische Witzblatt in Deutsch­ land. — Seit Ende des 18. Jahrhunderts wuchs die Zahl der Zeitungen rasch an, viele gingen bald wieder ein, nicht wenige jedoch hielten sich unter ihrem alten oder einem abgeänderten Titel bis in die jüngste Vergangenheit herein als führende Blätter. Dem Theater stellte Kaiser Josef II., als er 1776 das Wiener Burg­ theater errichtete und es „Nationaltheater" nannte, die Aufgabe: „deutsche Sprache, deutsche Sitten, deutschen Geschmack, deutsche Kunst" zu pflegen. Im nächsten Jahre erbaute Kurfürst Karl Theodor von der Pfalz das Mannheimer Kos- und Nationaltheater, 1786 erklärte König Friedrich Wilhelm II. das Ber­ liner Theater zum Nationaltheater, 1791 übertrug Herzog Karl August Goethe die Leitung des Weimarer Hoftheaters. Am diese Zeit trat an die Stelle der Wandertruppen das stehende Theater, meist eine Hofbühne, wodurch sich die soziale Stellung und das Einkommen der Schauspieler bedeutend hob. In der Schau­ spielkunst löste der wirklichkeitsnah charakterisierende Stil den durch Gottsched eingeführten, von Frankreich übernommenen klassizistischen ab, im 19. Jahrhundert gingen dann der pathetische „Hoftheaterton" und ein maßvoller Realismus nebeneinander her. Mehr als die Dramen der großen Klassiker wurden die Fa­ milien- und Rührstücke eines August Wilhelm Jffland (1759—1814), der zu­ gleich Schauspieler und Theaterleiter war, und August von Kotzöbue (1761 bis 1819) und die Schicksalstragödien eines Zacharias Werner (1768—1823) auf­ geführt. Die teils städtischen, teils privaten Volkstheater in Berlin, Wien und andernorts übten auf breite Schichten eine starke Anziehungskraft aus. Der Humanität, die erstrebte, jedem, gleichviel welcher sozialen Gruppe er angehöre, ein menschenwürdiges Dasein zu verschaffen, waren seit der Auf­ klärung trotz gelegentlicher schwerer Rückschläge in Revolution, Krieg und Re­ aktion, große, entscheidende Fortschritte beschicken. Grausamkeiten, wie sie zum Beispiel bis dahin in der Justizpflege und in der Schule als selbstverständlich galten, wurden nun, wie etwa die Anwendung der Folter, abgeschafft oder

Theater. Humanität: Juden. Frauen wenigstens grundsätzlich bekämpft und allmählich gemildert. Die Gefängnisse, die Irren-, Blinden- und ähnliche Anstalten wurden humaner geführt. Die Judenfrage war im wesentlichen eine Frage der Religion, nicht der Raffe. Der nicht getaufte Jude unterlag in seiner Rechtsstellung, in der Wahl seiner Woh­ nung, seines Berufes und anderem vielen Beschränkungen. Aufklärung, fran­ zösische Revolution und Liberalismus verlangten immer dringender die Eman­ zipation der Juden, doch ging sie nur langsam, unter Rückschlägen und in den ein­ zelnen deutschen Staaten verschieden vor sich. Im Laufe der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts erlangten die Juden fast überall die bürgerliche Gleichstellung, sodaß ihnen ein öffentliches Wirken in Kunst, Wissenschaft, Literatur und Presse freistand, die staatsbürgerliche Gleichstellung in ganz Deutschland wurde ihnen erst nach 1870 zuerkannt. — Unter der Aeberschrift „Emanzipierte Frauen" brach­ ten die Münchner „Fliegenden Blätter" 1847 Karikaturen wie „Der werbliche Don Juan", „Die Malerin", die einen männlichen Akt zeichnet, „Die Frau Profefforin", die auf dem Katheder steht, und Adolf Glaßbrenners „Freie Blätter" 1848 eine Zeichnung mit der Überschrift: „Ludewig, gib acht auf das Kind, ich gehe in meinen Klub". Auf das wirkliche Leben übte nun freilich die gelegent­ liche Verherrlichung von freier Liebe und ähnlichem in der Literatur der Romantik und des Jungen Deutschland nur eine geringe Wirkung aus. Die geistvollen Frauen der Romantik, wie Karoline Schlegel und Bettina von Arnim, ebenso die literarischen Salons der Henriette Herz, Dorothea Veit und Rahel Varnhagen in Berlin, sammelten nur kleine Kreise um sich. Lochgebildete Frauen, die sich den Doktorgrad erwarben, waren Ausnahmen; der Zugang zur Universität blieb den Frauen verschloffen. Höhere Mädchenschulen wurden zunächst vereinzelt errichtet, so die Magdalenenschule in Breslau (1767), die Elisabethenschule zu Frankfurt a. M. (1804), die Luisenstiftung (1811) und die Augustaschule (1832) in Berlin, das Katharinenstift (1818) in Stuttgart, seit der Mitte des Jahr­ hunderts nähmen sie dann rascher zu. Immerhin beteiligten sich nicht wenige Frauen an der Politik, wie etwa bei der Propaganda für den Flottenverein (S. 265) und mit ihrer teils ideellen, teils demonstrativen Unterstützung der revo­ lutionären Bewegung von 1848. Der preußische Staatsmann Wilhelm Adolf Lette stiftete 1866 in Berlin den später nach ihm benannten Verein zur Be­ kämpfung der Vorurteile gegen eine höhere Bildung und eine gehobene Tätigkeit der Frau, für ihre gewerbliche Ausbildung, für Arbeitsvermittlung, für die Er­ richtung von Verkaufsstellen der Erzeugnisse fraulicher Arbeit und für den Schutz, selbständig beschäftigter Frauen. Dieselben Ziele verfolgte der 1865 von Luise Otto-Peters gegründete Frauenbildungsverein in Leipzig, der sich alsbald zum Allgemeinen Deutschen Frauenverein erweiterte; Männer schloß die auf unbe­ dingte innere und äußere Freiheit der Frauen bedachte Luise Otto-Peters von der Mitgliedschaft aus. — Für die Humanität im Sinne allseitiger harmonischer Ausbildung von Verstand und Gemüt brachte dagegen das Vordringen der materialistischen Weltanschauung (S. 457, 462) und von Schriften, wie denen Feuerbachs und Strauß', eine auf Abwege des Denkens führende und religiöse Kräfte verdrängende Einseitigkeit mit sich.

Entwicklung der Kultur Nach den Napoleonischen Kriegen überwanden die evangelische und die katholische Kirche, was vom Rationalismus der Aufklärung ihrem inneren Wesen widersprach. Zwar traten vereinzelt Spaltungserscheinungen hervor, so bei den Protestanten die „Lichtfreunde", die sich 1841 als Verein für vernunft­ gemäßes und praktisches Christentum konstituierten. Von der römisch-katholischen Kirche lösten sich 1844 die Deutschkatholiken, sie schafften die lateinische Sprache im Gottesdienst ab und gaben sich eine demokratische Verfassung. Derartige Be­ wegungen erschütterten indes das Gefüge der Kirchen so wenig wie die Ab­ weichungen einzelner Theologen von der offiziellen Lehre. 3m Protestantismus erwachte „ein neues, aus eigenen Erfahrungen erwachsenes Verständnis für die Kraft und Tiefe lutherischer Gottverbundenheit und für das heldische gläubiger Lebensführung. Auch ein echtes Gemeinschaftsbewußtsein, das zur Gemeinde drängt, wird allenthalben spürbar. Die große Geistesbewegung der Romantik, die dem Protestantismus im allgemeinen kühl gegenübersteht, hilft doch zur Ver­ innerlichung der Frömmigkeit und führt zur Überzeugung eines Zusammenhangs von Christentum und Volkstum" (Schuster). Mit vorbereitet hat die innere Er­ neuerung des Protestantismus bereits der im Kreise der Berliner Romantiker stehende Friedrich Daniel Schleiermacher (1768—1834) durch seine „Reden über die Religion an die Gebildeten unter ihren Verächtern" (1799) und dann ver­ tieft durch sein Werk „Der christliche Glaube nach den Grundsätzen der evange­ lischen Kirche im Zusammenhang dargestellt" (1821/22). — Die Wiederherstellung des Jesuitenordens 1814, der übertritt einer beträchtlichen Zahl geistig hoch­ stehender Protestanten, das herbeiströmen von sechshunderttausend Menschen zur Ausstellung des heiligen Rockes Christi in Trier 1844 sind einige der Anzeichen für das sich wieder reicher und reicher entfaltende katholische Leben, dessen Mittel­ punkt das Münsterland, Wien und München wurden. 3m Katholizismus kam es nicht so sehr auf eine Klärung der ja an und für sich in allem Wesentlichen fest­ stehenden kirchlichen Lehre an wie auf die Seelsorge, der sich nun ein besser aus­ gebildeter und auf seine sittliche Eignung sorgfältiger geprüfter Klerus mit großem Eifer widmete. Dem Gebot der christlichen Nächstenliebe folgend, waren die Kirchen von jeher caritativ tätig, eine soziale Wirksamkeit im modernen Sinne begannen sie während des 19. Zahrhunderts zu entfalten, von protestantischer Seite namentlich durch die von 3ohann Heinrich Wichern 1848/49 ins Leben gerufene „3nnere Mission", die sich eine geordnete Armenpflege, die Betreuung wandernder Handwerksgesellen, der Auswanderer, der Sträflinge und gefallener Mädchen und ähnliches zur Aufgabe stellte. Theodor Fliedner gründete 1836 in Kaiserswerth das erste Diakonissenmutterhaus, dem bald weitere folgten, 1854 das zu Neuendettelsau in Baiern. Zu den in der katholischen Kirche bereits be­ stehenden klösterlichen Orden zur Pflege der christlichen Liebestätigkeit kam 1849 der Vincentiusverein für Armenfürsorge und dergleichen. Der Priester Adolf Kolping, ehemaliger Schustergeselle, verfolgte mit der Gründung katholischer Gesellenvereine (seit 1846), ebenso Bischof Ketteler in Wort und Schrift („Die Arbeiterfrage und das Christentum" 1864) neben religiösen auch sozialpolitische Ziele, um die Arbeiterschaft dem Einfluß des Liberalismus und Marxismus zu

Kirche. Mode. Alltagsleben «entziehen. Da der katholische Klerus zum größten Teil aus dem Bauerntum, dem Landwerkertum und dem Arbeiterproletariat hervorging, vermochte er besonders auf die unteren Schichten erfolgreich einzuwirken. Jede der großen geistigen Strömungen von der Aufklärung bis zum Realis­ mus führte zusammen mit i>er politischen, -wirtschaftlichen und technischen Entwick­ lung jeweils eine eigene Lebensstimmung herauf, die sich auch im Alltag geltend machte. Ganz einheitlich war sie freilich nie, so fällt zum Beispiel das revolutio­ näre Junge Deutschland (S. 455) in die Zeit des treuherzig-philiströsen Bieder­ meier, auch war nicht jedermann in der Lage ober gewillt, sich der herrschenden Mode und den gerade üblichen gesellschaftlichen Formen zu fügen. Die Mode wechselte wie eh und je. In den Räumen mit den verschnörkelten, schmucküber­ ladenen Rokokomöbeln bewegten sich während der zweiten Lälfte des 18. Jahr­ hunderts die Frauen im Reifrock, engem Mieder und hochgetürmten Frisuren, die Männer mit Perücke und Zopf in farbigen Kniehosen, buntem Frack, Spihenmanschetten und Spitzenjabot; Puder und Schminke wurden reichlich aufgetragen. Mit der „Rückkehr zur Natur", mit der französischen Revolution und dem Klaffizismus änderte sich all das; die Louis-seize- und die Empiremöbel hatten schlichte Formen mit sparsamer Verzierung von Beschlägen und Einlegarbeit. Die Männer hielten zum Teil noch an der alten Mode fest, denn die Neuerungen der „Werthertracht" und der französischen „Sansculotten" (ohne Kniehosen) galten als Zeichen revolutionärer Gesinnung, schließlich sehten sich aber doch eine natürliche Laartracht, runder Lut, Lalstuch, breitschößiger Rock, lange Lose und Stiefel durch. Die Frauen gingen erst zu hochgegürteten, wallenden, „griechi­ schen" Gewändern über und trugen die Laare zu einem einfachen Knoten im Nacken geschlungen, bald nach den Freiheitskriegen, im Biedermeier, kehrten sie wieder zur geschnürten Taille zurück, die Röcke aus bunten, leichten Stoffen wurden faltig, die Ärmel sehr weit, die Lüte, meist in Schutenform, sehr groß, an den Schläfen fielen die gedrehten Locken herunter. Bei den Männern kam die „teutsche Nationalkleidung" auf mit Wams oder langem Leibrock, den Lemdkragen über den Rock geschlagen, doch hielt sich diese Tracht nur bei den Burschen­ schaften längere Zeit. Stet 1820 bürgerten sich Vatermörder und breite Kravatte ein, um 1848 dunkle Kleidung, der lange, schwarze Rock und der Zylinderhut, um 1860 der Sakkoanzug; der Schnurrbart war um 1830, der Vollbart gegen 1848 modern geworden. Stet die Mitte des Jahrhunderts begannen die Frauen Krinolinen zu tragen, die sich, so unbequem sie waren, bis um 1870 hielten. Die aufblühende Industrie überschüttete den Markt mit wohlfeilen Laushalt­ geräten und drängte damit die individuelle, solide Landwerksarbeit zurück, andrerseits erleichterten die technischen Fortschritte der Lausfrau vieles. Sie konnte jetzt so manches, was sie mit Spinnen und Weben in mühevoller Arbeit hergestellt hatte, um billiges Geld kaufen und mit der Nähmaschine, die in brauch­ barer Form seit der Mitte des 19. Jahrhunderts von Amerika aus eine rasche Verbreitung fand, mit viel geringerem Aufwand an Zeit anfertigen, und daß nun Zündholz und Petroleumlampe den Feuerstein und die Rüböllampe et-

Entwicklung der Kultur sehten, begrüßte nicht bloß die Lausfrau. Die Stilmengerei und die oft ver­ ständnislose Nachahmung von Gotik, Renaissance und Barock bei der Gestaltung von Möbeln und sonstigen Gebrauchsgegenständen zeugen allerdings nicht gerade von gutem Geschmack und einem Sinn für das Echte. Deshalb bemühten sich seit den sechziger Jahren Vereine und Schulen unter der Führung von Semper (S. 468) um schöne Formen nach alten Vorbildern und um eine materialgerechte Verarbeitung; zu diesem Zweck wurden auch Kunstgewerbemuseen geschaffen, das erste in Wien 1864, weitere in Karlsruhe und (1867) in Berlin, anregend wirkten ebenfalls Museen wie das Germanische Museum in Nürnberg (1852) und das Bairische Nationalmuseum in München (1867). Das Ergebnis war die „altdeutsche" Mode mit schweren, geschnitzten Möbeln und Butzenscheiben­ fenstern. Für die Miniaturmalerei und das Silhouettenzeichnen begann um die Mitte des 18. Jahrhunderts eine Blütezeit. Miniaturen, meist Porträts, seltener Land­ schaften, in den zartesten Farben in Email, auf Elfenbein oder Porzellan, oft von großen Künstlern, dienten als Schmuck vor allem für Medaillons, auf Dosen, Tassen und Pfeisenköpfen. Das keine Vorkenntnisse erfordernde Silhouetten­ zeichnen (Schattenriß) bildete eine besonders im geselligen Kreis gern gepflegte Liebhaberei, man sammelte und tauschte Silhouetten; auf Porzellan gemalt oder in Glas geschliffen ließen sie sich ähnlich wie die Miniaturen als Schmuck ver­ wenden, als Originale oder in Kupfer gestochen zierten sie eingerahmt die Wände. Als das Photographieren, das heißt meist das Photographiertwerden, um die Mitte des 19. Jahrhunderts für viele zu einer Leidenschaft wurde, nahm es in manchem die Stelle der Miniaturmalerei oder des Schattenrißzeichnens ein, die inzwischen stark zurückgegangen waren. Neben steifen und ungelenken Aufnahmen gelangen auch Photographien von Menschen und Landschaften mit künstlerischer Wirkung; zu den Stammbüchern mit Versen und Zeichnungen trat jetzt das Photographiealbum. Einen Einblick in das gesellige Löben jener Zeit gewährt ein Bericht des Dichters Loffmann von Fallerslöben von 1856 über seinen Aufent­ halt in Kochel (Obevbaiern): „Gegen Ende des Monats (Juli) kam Dr. Adolf Wüllner und brachte einen photographischen Apparat mit. Es entwickelte sich bald eine vielseitige Geselligkeit, alle Künste wurden losgelassen: es wurde ge­ zeichnet, gemalt, photographiert, gestrickt, gedichtet, deklamiert, gesungen, gejodelt, Klavier und Zither, Schach und dann Blindekuh mit Kochlöffeln oder mit Stim­ men gespielt, Reif und Federball geschlagen, geturnt, getanzt, es wurden Blumen­ kränze und Laubgewinde gewunden." Man hatte Freude an Volksfesten in Stadt und Land, an Jahrmärkten und Schaustellungen, an Zusammenkünften im eigenen Leim oder in Gaststätten, und alle Berufe pflegten ein eifriges Vereinsleben. Die besonders von den Romantikern hochgepriesene Freundschaft bildete ein enges Band zwischen Gleichgesinnten. So manche Briefwechsel von Familienmitglie­ dern, Freunden, Politikern, Gelehrten und Künstlern seit Goethes Jugendzeit lesen sich wie vollendete Prosakunstwerke; sie geben ebenso wie die reiche Memoirenliteratur ein anschauliches Bild vom damaligen Loben. Die verbesserten Reiseverhältnisse boten die reichlich benützte Gelegenheit zur Erholung in See-

Alltagsleben bädern, in Kurorten und in der Natur überhaupt, für deren Schönheiten sich der Blick zu öffnen begonnen hatte (S.441). Dies veranlaßte Karl Baedeker zur verausgabe von Reisebüchern, 1842 erschien sein „Landbuch für Reisende in Deutschland". Zn Wien bildete sich 1862 der „Österreichische Alpenverein", in München 1869 der „Deutsche Alpenverein". Trotz der mancherlei Nöte, nicht nur des Proletariats, und trotz der den Ein­ zelnen und die Öffentlichkeit beunruhigenden innen- und außenpolitischen Span­ nungen fehlte es in Deutschland nicht an dem, was das Leben schön und lebens­ wert macht. Natürlich gab es auch damals Menschen, welche wie Gutzkow die ganze Kultur ihrer Zeit schwarz in schwarz sahen: „Es herrschten -die Almanache mit ihren goldrändigen Entsagungsnovellen, die Stunden der Andacht mit ihrem in Zucker kandierten, nachsichtigen Christentume, die Tränenfisteln der schriftstellernden Damenwelt, der Pedantismus der Schulen, die sterile Arroganz der Katheder, die Prüderie der Strickstrumpstugenden und die Geistreichigkeit der Teetische." Daß sich indes sehr viele über die Misere des Lebens erhoben, auch wenn sie selbst darunter litten, und Sinn hatten für das Erfreuliche und Ergötz­ liche, das es in sich schloß, zeigt sich nicht zuletzt darin, wie das Humorvolle gegen Ende des 18. Jahrhunderts, beginnend etwa mit 3ean Paul, in die Literatur ein­ drang und welchen Anklang es bei den Lesern fand. Selbst in.den Witzblättern, die besonders 1848/49 scharfe Kritik an dem Verhalten aller Stände übten, sind unter den massenhaften Karikaturen nur wenige, deren Spott aufreizen und ver­ letzen will, -die meisten dieser Zeichnungen stehen schmunzelnd über 'der aufs Höchste gestiegenen Erregung dieser Jahre. And nach der Mitte des Jahr­ hunderts, gerade als der Realismus zur vorherrschenden Geistesrichtung wurde, wuchs die Freude an dem jeglichem Pathos abholden und dem verlästerten All­ tag einen Schimmer von Poesie verleihenden Humor.

Nacbmott Die geschichtlichen Ereignisse in der ersten Lälfte des 20. Jahrhunderts haben vielen den Vlick verdunkelt für eine vorurteilsfreie Würdigung der politischen und kulturellen Entwicklung des deutschen Volkes in der Zeit von 1740 bis 1870. Gewiß ist das Folgende von dem Vorausgegangenen zu einem mehr oder minder großen Teil mitbedingt, da sich aber das menschliche Tun und Lassen nicht wie das Geschehen in der Natur nach festen Gesehen vollzieht, besteht für die Nachkommen kein Zwang, auf der Bahn der Vorfahren weiterzuschreiten. Die Beurteilung der Vergangenheit von der Gegenwart aus wird deshalb oft abwegig, was für diese verderblich ist, kann ehemals das Richtige gewesen sein. Die erste Voraussetzung, einer Epoche gerecht zu werden, ist, sie so weit nur möglich so zu sehen, wie sie war, und dafür ist die Kenntnis zahlreicher Einzelheiten und besonders auch ihrer zeitlichen Aufeinanderfolge unerläßlich. So fällt zum Beispiel auf Bismarck ein schiefes Licht, wenn sein Ausspruch, die großen Fragen der Zeit werden durch Eisen und Blut entschieden, ohne Linweis, wann und unter welchen Amständen er -dies gesagt hat, angeführt wird. Wie die Liberalen nach 1866 den „Götzendienst des Erfolges" betrieben und dann der Reichsgründung Bismarcks zu­ jubelten, läßt sich nur verstehen, wenn man die langjährigen, vergeblichen Be­ mühungen um ein einiges Deutschland genauer kennt. Politik und Kultur gehen seit der französischen Revolution derart ineinander über, daß sie nicht so getrennt behandelt werden konnten wie in Band IV dieser deutschen Geschichte. Ein eigener Hauptabschnitt „Überblick über die Entwicklung der Kultur" schien uns aber doch unerläßlich; die völlige Einordnung der Kultur­ leistungen während dieser hundertdreißig Jahre hätte den Rahmen der politischen Geschichte zu sehr gesprengt. Bei der überfülle der damaligen Kulturentfaltung ist ausführlicher nur behandelt, was nicht unmittelbar im Bewußtsein unserer Zeit fortlebt, im übrigen beschränkten wir uns auf knappe Erwähnung, oft nur auf die Anführung von Namen und Daten, um die Gesamtentwicklung wenigstens anzudeuten; Spezialwerke kann und will unsere Darstellung ja nicht ersehen. Seit 1871 haben sich gewaltige Amwälzungen in unserem Vaterlande voll­ zogen, aber es ist immer noch das Zweite Reich der Deutschen. In diesem Bande meiner „Deutschen Geschichte" ging es mir vor allem darum, zu zeigen, wie das Reich entstand, in dem wir leben. Daß Deutschland nicht in eine Reihe selb­ ständiger Kleinstaaten aufgespalten ist, geht auf Bismarcks Reichsgründung zurück, ebenso wie der sehnliche Wunsch der Deutschen in der gegenwärtigen Bundesrepublik und in der Sowjetzone nach ihrer Wiedervereinigung.

Anmerkungen Vorbemerkung: Werden Bücher, die nicht bei den unten folgenden allgemeinen Werken stehen, wiederholt zitiert, dann findet sich der vollständige Titel bei der ersten Nennung; die in Klammern beigefügte Zahl bezieht sich auf die Anmerkung mit der ersten Anführung, z. B. Benedikt (zu S. 18). Um den Anmerkungsapparat nicht zu sehr anschwellen zu lassen, ist auf die Anfüh­ rung von Ausgaben zeitgenössischer Quellen: Aktenpublikationen, Memoiren, Brief­ wechsel und dergleichen, ebenso auf die Angabe von Ausgaben der Werke von Dichtern, Philosophen usw. verzichtet; es sei hierfür verwiesen auf Dahlmann-Waitz „Quellenkunde der deutschen Geschichte" 9. Aufl. 1931/32; Günther Franz „Bücherkunde zur deutschen Geschichte" 1951; Helmuth Rößler und Günther Franz „Bio­ graphisches Wörterbuch zur deutschen Geschichte" 1953. Verzeichnis der allgemeinen Werke (mit ihren Abkürzungen): „Deutsche Geschichte im Überblick" hgg. von Peter R a s s o w 1953. — M. D ö b e r l „Entwicklungsgeschichte Bayerns" 2. Bd. 3. Aufl. 1928, 3. Bd. hgg. von Max Spindler 1931 (Döberl). — Bruno Gebhardt „Handbuch der deutschen Geschichte" 2. Bd. 7. Aufl. hgg. von R. Holtzmann 1931 (Gebhardt). — Hugo Hantsch „Die Geschichte Österreichs" 2. Bd. 1950 (Hantsch). — F. Hartung „Deutsche Verfassungsgeschichte vom 15.Jahr­ hundert bis zur Gegenwart" 5. Aufl. 1950 (Hartung). — K. Lamprecht „Deutsche Geschichte" 8.—12. Bd. 4. Aufl. 1922 (Lamprecht). — Erich Marcks „Der Aufstieg des Reiches. Deutsche Geschichte von 1807—1871/78" 2 Bde. 1936 (Marcks). — Friedrich Meinecke „Preußen und Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert" 1918. — Wilhelm Mommsen „Geschichte des Abendlandes von der Französischen Revolution bis zur Gegenwart 1789—1945" 1951. — F. Schnabel „Deutsche Geschichte im 19. Jahr­ hundert" 4 Bde. Bd. I „Die Grundlagen" 4. Aufl. 1948; Bd. II „Monarchie und Volks­ souveränität" 2. Aufl. 1949; Bd. III „Erfahrungswissenschaften und Technik" 2. Aufl. 1950; Bd. IV „Die religiösen Kräfte" 2. Aufl. 1951. (Die politische Geschichte reicht bis um 1830, die kulturelle teilweise bis über die Mitte des 19. Jahrhunderts.) (Schnabel). — H. von Srbik „Deutsche Einheit. Idee und Wirklichkeit vom Heiligen Reich bis Königgrätz" 4 Bde. 1935/41 (Srbik). — Alfred Stern „Geschichte Europas seit den Vertragen von 1815 bis zum Frankfurter Frieden von 1871", Bd. I—III: 1815—1830 (1. u. 2. Bd. 2. Aufl. 1913; 3. Bd. 1901); Bd. IV—VI: 1830—1848 (4. Bd. 1905, 5. u. 6. Bd. 1911); Bd. VII—X: 1848—1871 (7. Bd. 2. Aufl. 1928, 8. Bd. 1920, 9. Bd. 1923, 10. Bd. 1924). — H. von Treitschke „Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert" 5 Bde. 1879/94 und öfter (behandelt die politische und kulturelle Geschichte bis ausschließlich 1848) (Treitschke). — Mathilde Uhlirz „Handbuch der Geschichte Österreichs und seiner Nachbarländer" Bd. I 1927, II erster Teil 1930, zweiter 1941. — Veit Valentin „Geschichte der Deutschen" 2. Bd. 2. Aufl. 1950. — Hans von Zwiedineck-Südenhorst „Deutsche Geschichte von der Auflösung des alten bis zur Gründung des neuen Reiches" (1806—1871) 3 Bde. 1897/1905 (Zwiedineck).

Erste© Bud) S. 1—40: Fritz Wagner „Europa im Zeitalter des Absolutismus 1648—1789" 1949. — Max Braubach „Der Aufstieg Brandenburg-Preußens 1640—1815" 1933. — Hugo Hantsch „Die Entwicklung Österreich-Ungarns zur Großmacht" 1933. — W. Andreas „Das Theresianifche Österreich und das 18. Jahrhundert" 1930. — Alfred von Arneth „Geschichte Maria Theresias" 10 Bde. 1863/79. — E. Guglia „Maria Theresia, ihr Leben und ihre Regierung" 1917. — Heinrich Kretschmahr „Maria Theresia" 1925. — Carl Burckhardt „Maria Theresia" 1932. — M. Gold-

Anmerkungen sMith „Maria Theresia of Austria" London 1936. — I. A. Mahnn „Maria Theresia of Austria" New Uork 1932. — P. R. Rohden „Die klassische Diplomatie von Kaunitz bis Metternich" 1939. — Friedrich Walter „Männer um Maria Theresia" 1951. — R. Kos er „Geschichte Friedrichs des Großen" 1.—3. Bd. 7. Ausl. 1921/25; 4. Bd. 5. Ausl. 1914. — Gerhard Ritter „Friedrich der Große. Ein histo­ risches Profil" 2. Ausl. 1942. — G. P. G 0 0 ch „Frederick the Great, the ruler, the writer, the man" 1947, deutsch mit einem Geleitwort von W. Andreas 1951. S. 6: Hantsch (zu S. 1—40) S. 103. — Döberl II S. 219. S. 8f.: Eugen von Frauenholz „Das Heerwesen in der Zeit des Absolutismus" 1940 S. 53 f. — Hantsch (zu S. 1—40) S. 115. S. 10: Zur Vorgeschichte des französisch-österreichischen Bündnisses vom l.Mai 1756 s. Max Braubach „Versailles und Wien von Ludwig XIV. bis Kaunitz" 1952. — A. Novotny „Staatskanzler Kaunitz als geistige Persönlichkeit. Ein österreichisches Kulturbild aus der Zeit der Aufklärung und des Josefinismus" 1947. S. 16: Katharina II. die Große war am 2. Mai 1729 zu Stettin als Tochter des Fürsten Christian August von Anhalt Zerbst geboren; ihr Mann Zar Peter III. stammte väterlicherseits von den deutschen Herzögen von Holstein-Gottorp ab. S. 18: Friedrich Stieve „Geschickte des deutschen Volkes" 1934 S. 342. — LamPrecht VII, 2 S. 777. — Wie klar sich Friedrich II. darüber war, daß Preußen noch nicht zu den Großmächten im eigentlichen Sinne zählte, erhellt aus seinem 1781 Tisch­ genossen gegenüber geäußerten scherzhaften Vorschlag für neue Ordensinsignien, und zwar für das Haus Österreich den donnernden Jupiter, für England den Piraten­ kapitän Merkur, für Frankreich den Stern der Venus und für uns (Preußen) einen Affen, denn wir äffen die Großmächte ab, ohne es zu sein. S. 18 ff.: P. von M i t r o f a n o v „Joseph II." 2 Bde. 1910. — Ernst Benedikt „Kaiser Joseph II. 1741—1790, mit Benützung ungedruckter Quellen" 1936. — Viktor Bibl „Josef II." 1943. — F. Walter „Männer um Maria Theresia" 1951. S. 19: Otto Hoetzsch „Brandenburg-Preußen und Polen von 1640—1815" in „Deutschland und Polen. Beiträge zu ihren geschichtlichen Beziehungen" hgg. von Albert Brackmann 1933. — Liberum Veto (ausgeübt feit 1652, abgeschafft 1791): das Recht jedes Mitglieds des polnischen Reichstags (Sejm), durch Einspruch oder Ent­ fernung jede Beschlußfassung unmöglich zu machen. S. 20: Chester V. Easum „Prince Henry of Prussia, Brother of Frederick the Great" Madison 1942. S. 22: August II. der Starke (als Kurfürst von Sachsen Friedrich August I.) hatte Anfang des 18. Jahrhunderts die Aufteilung Polens zwischen Schweden und Branden­ burg vorgeschlagen, der Rest sollte als Erbkönigreich an Sachsen kommen. S. 23: Das Zitat über die Empörung der Baiern nach der Schlacht bei Leuthen über ihren Kurfürsten und die Österreicher ist entnommen Döberl II S. 298; — S. 24: das Zitat über die Verehrung Friedrichs des Großen in Baiern ist entnommen Döberl II S. 344. S. 25: Kurt Pfister „Maria Theresia" 1949 S. 231. S. 26: H. von Srbit „Österreich im Heiligen Reich und im Deutschen Bund. 1521/22 bis 1866" in „Österreich. Erbe und Sendung im deutschen Raun/' hgg. von Josef Nadler und H. v. Srbik, 2. Aufl. 1936 S. 128. S. 27: über die Mißstände im Reichskammergericht s. I. Bühler „Deutsche Ge­ schichte" Bd. IV 1950 (Register unter Reichskammergericht). S. 29: Dreikurfürstenbund, Friedrich der Große trat ihm als Kurfürst von Bran­ denburg bei. S. 30: über den Polnischen Erbfolgekrieg s. B ü h l e r (zu S. 27) S. 232 f. S. 31: Vom „Antimachiavell" erschien erst 1922 eine deutsche Ausgabe, die fran­ zösische, von Friedrich 1739 verfaßte, wurde nach einer Bearbeitung durch Voltaire 1740 gedruckt. „II principe" des Niccolo Machiavelli (erstmals gedruckt 1532) suchte die An­ wendung jeglicher Art von Treulosigkeit und Grausamkeit in der Politik zu recht­ fertigen. — Gelegentlich äußerte Friedrich II. aber auch Bedenken gegen eine Aufklärung des Volkes, im Februar 1763 schrieb er zum Beispiel an die Herzogin von Gotha: „Es gibt nichts Ungereimteres als den Gedanken, den Aberglauben ausrotten zu wollen.

Anmerkungen Die Vorurteile sind die Vernunft des Volkes, und verdient dieses dumme Volk auf­ geklärt zu werden?" S. 32: Zur Regierungstätigkeit Friedrichs II. s. C. HinriHs „Der allgegen­ wärtige König, Friedrich der Große im Kabinett und auf Inspektionsreisen" 3. Aufl. 1945. — Die Bertragstheorie geht auf den Engländer Hobbes zurück, s. Bühler