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German Pages 399
Schriften zum Steuerrecht Herausgegeben von Prof. Dr. Joachim Lang und Prof. Dr. Jens Peter Meincke
Band 83
Der Vollzug von Steuergesetzen durch den niederländischen Belastingdienst im Vergleich zur deutschen Finanzverwaltung Von
Susanne Ahrens
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
SUSANNE AHRENS
Der Vollzug von Steuergesetzen durch den niederländischen Belastingdienst im Vergleich zur deutschen Finanzverwaltung
Schriften zum Steuer recht Herausgegeben von Prof. Dr. Joachim Lang und Prof. Dr. Jens Peter Meincke
Band 83
Der Vollzug von Steuergesetzen durch den niederländischen Belastingdienst im Vergleich zur deutschen Finanzverwaltung
Von
Susanne Ahrens
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
Die Juristische Fakultät der Ruhr-Universität Bochum hat diese Arbeit im Wintersemester 2002 / 2003 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
D 294 Alle Rechte vorbehalten # 2005 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: L101 Mediengestaltung, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0235 ISBN 3-428-11463-9 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Meinen Eltern Vorwort Die Diskussion über die Reform und Vereinfachung des Steuerrechts sowie die Modernisierung der Finanzverwaltung wird derzeit lebhaft geführt. Die Finanzverwaltung, die sich bei der Verwirklichung ihres gesetzlichen Auftrags im Spannungsverhältnis zwischen den Realitäten der Massenverwaltung einerseits und rechtsstaatlichen Grundsätzen andererseits bewegt, sucht nach neuen Strategien. Angesichts der Tatsache, dass dieses Spannungsverhältnis kein auf Deutschland beschränktes Phänomen ist und ausländische Steuerverwaltungen ähnliche Herausforderungen zu bewältigen haben, liegt es auf der Hand, das Steuerverfahrensrecht und die Arbeitsweise der Finanzverwaltung zum Gegenstand rechtsvergleichender Untersuchungen zu machen. Neben den Anregungen für nationale Reformvorhaben können derartige Untersuchungen einen Beitrag zum gegenseitigen Verständnis und zur verbesserten Kooperation in einem zusammenwachsenden Europa liefern. Die niederländische Finanzverwaltung stellt ein ebenso lohnendes wie herausforderndes Untersuchungsobjekt dar, weil sie in den vergangenen 15 Jahren fortlaufenden Modernisierungen unterworfen gewesen ist und auch während der Entstehung dieser Arbeit neue Reformen in Angriff genommen hat. Die Arbeit wurde im Wintersemester 2002/2003 von der Juristischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum als Dissertation angenommen. Das Manuskript wurde im Januar 2003 abgeschlossen. Für die Veröffentlichung konnten Rechtsprechung und Literatur bis zum Dezember 2003 berücksichtigt werden. Die Arbeit baut auf Erfahrungen auf, die ich – gefördert durch den Deutschen Akademischen Austauschdienst – als Teilnehmerin des Magister Iuris Communis Programms der Universität Maastricht sowie während eines Praktikums beim Belastingdienst Ondernemingen Enschede sammeln konnte. Die Literaturrecherchen erfolgten überwiegend in der Bibliothek des Finanzministeriums in Den Haag. Besonderer Dank gilt Herrn Prof. Dr. Roman Seer, der die vorliegende Untersuchung angeregt, begleitet und gefördert hat und an dessen Lehrstuhl ich während der Entstehungszeit der Arbeit tätig war. Dank gilt außerdem Herrn Prof. Dr. Klaus F. Röhl für die Erstellung des Zweitgutachtens sowie Herrn Dr. Victor van Kommer, IBFD, Herrn Hans van der Putten, Belas-
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Vorwort
tingdienst, und Herrn Reinhard Buschkamp, Finanzministerium NRW, für wertvolle Anregungen. Dank gilt ferner Herrn Prof. Dr. Jens Peter Meincke und Herrn Prof. Dr. Joachim Lang als Herausgeber für die Aufnahme der Dissertation in die Reihe „Schriften zum Steuerrecht“ sowie dem Bochumer Verein zur Förderung der Rechtswissenschaft e.V. für die Gewährung eines Druckkostenzuschusses. Danken möchte ich schließlich Herrn Dirk Bahlo, der mich während der Erstellung der Arbeit beständig motiviert und mir viel Rückhalt gegeben hat. Essen, im Mai 2004
Susanne Ahrens
Inhaltsverzeichnis Glossar der im Text verwendeten niederländischen Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . 21 Einführung und Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 1. Kapitel Rechtliche Grundlagen
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A. „Steckbrief“ der Niederlande . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 B. Staatsform und Verfassungsorgane . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Legislative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Exekutive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Judikative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
33 34 34 35
C. Rechtsquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Grondwet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Statuut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Völkerrecht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Formelle Gesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Materielle Gesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Innenrecht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
36 36 36 37 37 37 39
D. Normenhierarchie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 E. Überblick über das niederländische Steuerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Begriff der Steuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Steuerarten im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Steuerverfahrensrecht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Veranlagungsarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Hoheitliche Veranlagung durch Steuerbescheid. . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Funktion der Steuererklärung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Arten hoheitlicher Steuerfestsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Untersuchungspflicht bei der Veranlagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Fristen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Selbstberechnungssteuern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Funktion der Steuererklärung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Fristen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Abweichende Festsetzung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Mitwirkungspflichten der Steuerpflichtigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Auskunfts- und Kontrollmitteilungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
41 41 42 43 43 44 44 45 46 47 48 48 49 49 50 50
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Inhaltsverzeichnis
3.
4. 5.
6.
7.
b) Aufbewahrungs- und Dokumentationspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Sonstige Mitwirkungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Mitwirkungsverweigerungsrechte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtssicherheit durch sog. Standpuntbepalingen . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Einseitig bindende Erklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zweiseitig bindende Absprachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Sonderfall der sog. Rulings . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Sonderfall der Standpuntbepaling durch Unterlassen . . . . . . . . . . . . e) Veröffentlichung von Standpuntbepalingen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Korrektur von Steuerbescheiden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zinsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Heffingsrente. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Invorderingsrente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Betalingskorting . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Straf- und Bußgeldvorschriften. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verwaltungsbußgelder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Verzuimboeten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Vergrijpboeten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kriminalstrafen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Außergerichtliches Rechtsbehelfsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gerichtliches Rechtsbehelfsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
52 53 54 54 55 56 58 59 60 60 61 61 63 63 63 64 66 66 67 68 69 70
F. Zusammenfassung und Vergleich mit Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71
2. Kapitel Der Belastingdienst – Struktur und Selbstverständnis im Wandel
76
A. Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 B. Der Belastingdienst in den 80er Jahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Aufbau des Belastingdienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Befugnisse der Finanzverwaltung – vom Fiscaal noodrecht zum Algemene wet inzake rijksbelastingen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Gesellschaftliche und politische Entwicklungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Fokussierung auf die Steuerhinterziehung und die Steuermoral. . . . . . a) Rapport van Bijsterveld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) ISMO-Rapport . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Oort-Kommission zur Vereinfachung des Steuerrechts . . . . . . . . . . . . . . IV. Reaktionen der Finanzverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
78 78 80 80 80 83 84 85 87
C. Die Reorganisation von 1988–1992 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 I. Motive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 II. Ziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91
Inhaltsverzeichnis
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III. Planung und Durchführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 1. Entwicklungsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 2. Phasen der Durchführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 3. Neuverteilung des Personals und der zu bearbeitenden Steuerfälle . . . 96 4. Sicherung des Steueraufkommens während der Reorganisation . . . . . . 97 5. Automatisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 IV. Struktur des Belastingdienst nach Abschluss der Reorganisation . . . . . . . . 98 1. Organisationsstruktur zum 1.1.1993 und 1.1.2001 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 2. Kompetenzverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 3. Aufbau und Funktion der einzelnen Finanzämter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 V. Evaluation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 1. Schwierigkeiten bei der Ausführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 2. Kritik an und Zustimmung zu Zielsetzungen und Umsetzung der Reorganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 3. Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 D. Selbstveranlagung beim Belastingdienst? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 I. Bisheriger Diskussionsstand. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 II. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 E. Vergleich mit Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 I. Aufbau der Finanzverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 II. Personal der Finanzverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 III. Umstrukturierungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125
3. Kapitel Arbeitsweise des Belastingdienst
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A. Auftrag, Zielsetzung und Unternehmensphilosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 I. Permanenter Auftrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 II. Strategische Zielsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 III. Unternehmensphilosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 IV. Der Belastingdienst als sog. Rechtshandhavingsorganisatie. . . . . . . . . . . . . 129 B. Klassifizierung und Systematisierung der Steuerpflichtigen. . . . . . . . . . . . . . . . . 130 I. Orientierung an Zielgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 1. Hauptzielgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 a) Particulieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 b) Ondernemingen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 c) Grote Ondernemingen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 2. Zusammenfassung der Steuerpflichtigen zu sog. Entiteiten . . . . . . . . . . 134 3. Einteilung nach Branchen und Segmenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 II. Kennzeichnung mithilfe der sog. SoFi-Nummer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137
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Inhaltsverzeichnis
C. Klantbehandeling . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Toezichtpiramide . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Service- und Compliance-Konzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Maßnahmen zur Förderung der Compliance . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kundenorientiertes Auftreten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Service- und Informationsangebote für die Steuerpflichtigen . . . . . aa) „Ein-Schalter-Prinzip“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Digitaler Belastingdienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Sonstige Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Imagepflege. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zeitnahe Bearbeitung der Steuerfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Offenheit für die Belange der Steuerpflichtigen. . . . . . . . . . . . . . . . . III. Klantbehandeling für die sog. Ondernemingen und Grote Ondernemingen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Klantmanager- bzw. -coördinator-Konzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Risikobeherrschungsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Bestimmung theoretischer Risiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Wahl von Ermittlungszeitpunkt, -methoden und -quellen . . . . . . . . c) Gewichtung potentieller Risiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Tatsächliche Abdeckung einzelner Risiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Einteilung der Steuerpflichtigen in Betreuungsintensitätskategorien . . a) Steuerliche Relevanz (fiscaal belang) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Steuerliches Risiko (fiscaal risiko) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verknüpfung von steuerlicher Relevanz und steuerlichem Risiko . 4. Bestimmung des jeweiligen „Risicomix“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Konsequenzen für die Fallbearbeitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Besonderheiten bei den sog. Grote Ondernemingen . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Gleiche Behandlung gleicher Fälle? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Klantbehandeling für die sog. Particulieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Kontrolle der Steuerfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kontrollarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Automatisierte Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Digitalisierung eingehender Informationen . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Automatisierter Datenabgleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Büromäßige Prüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Außenprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Zweck. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Ablauf. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Standardkontrollprogramme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Sonderformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Landesweite Aktionen/Suchlichter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis
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bb) Waarneming ter plaatse (Betriebsbesichtigung) . . . . . . . . . . . . . 183 cc) Startersbezoeken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 dd) Steuerstrafrechtliche Ermittlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 2. Kontrolldichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 D. Automatisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 E. Informationsaustausch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 II. Informationsaustausch im Inland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 1. Empfang von Informationen durch den Belastingdienst/Renseignering . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 a) Rechtsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 b) Umfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 2. Weitergabe von Informationen durch den Belastingdienst . . . . . . . . . . . 205 a) Rechtsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 b) Umfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 III. Internationaler Informationsaustausch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 1. Rechtsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 2. Umfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 3. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 IV. Informationsaustausch und Datenschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 1. Rechtsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 2. Kritik an der Ausweitung des (automatisierten) Datenaustauschs sowie der umfangreichen Kontrollmitteilungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . 219 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 F. Vergleich mit Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 I. Auftrag und Zielsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 II. Klassifizierung und Systematisierung der Steuerpflichtigen . . . . . . . . . . . . 224 III. Compliance- und Servicekonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 1. Compliance-Konzept. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 2. Serviceeinrichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 3. Elektronische Steuererklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 4. Öffentlichkeitsarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 IV. Gewichtende Arbeitsweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 1. Gewichtende Arbeitsweise auf der Grundlage der GNOFÄ . . . . . . . . . 228 2. Neue Konzepte zur Schnellbearbeitung sog. „E-Fälle“ . . . . . . . . . . . . . 230 V. Kontrolle der Steuerfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 1. Prüfungsarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 2. Prüfungsdichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 VI. Automatisierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 VII. Informationsaustausch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 1. Interner Informationsaustausch. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 2. Externer Informationsaustausch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243
12
Inhaltsverzeichnis 4. Kapitel Steuerung und Evaluation des Belastingdienst
246
A. Steuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Steuerungskonzept und Begrifflichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Begrifflichkeiten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Definition von Produkten und Zielen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Produkte (Output) des Belastingdienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Ziele (Outcome) des Belastingdienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gewicht von Produkten einerseits und Zielen andererseits . . . . . . . 2. Definition von Kennzahlen und Leistungsindikatoren . . . . . . . . . . . . . . 3. Abschluss von Zielvereinbarungen zwischen den Hierarchieebenen. . 4. Überwachung der Zielerreichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechenschaftsberichte und Planungsdokumente. . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kosten- und Leistungsrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Leistungsvergleiche/Benchmarking . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
246 247 250 250 250 251 252 253 257 259 259 262 263 264 265
B. „Beleid“ als zentrales Handlungsinstrument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Begriffsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Kompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Publizität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Einheitlichkeit des Beleid versus Flexibilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
269 269 271 273 273 275
C. Externe Evaluation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Parlament. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Algemene Rekenkamer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Nationale Ombudsman . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verhältnis gegenüber dem Belastingdienst. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Richterliche Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Prüfungsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundrechte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Algemene beginselen van behoorlik bestuur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Gleichheitsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Begunstigend beleid . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Mehrheitsregel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Vertrauensschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Verhältnismäßigkeitsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
277 278 279 280 280 281 282 283 283 284 284 286 286 287 288 289 290
Inhaltsverzeichnis
13
2. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 Reaktionen in der steuerrechtlichen Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 Reaktionen der Steuerpflichtigen und ihrer Berater . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 1. Fiscale Monitor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 a) Kreis der Befragten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 b) Inhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 c) Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 2. Zusammenarbeit mit Berufsverbänden und Gruppen von Steuerpflichtigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 VII. Reaktionen der Mitarbeiter des Belastingdienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 VIII. Reaktionen aus dem Ausland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 V. VI.
D. Vergleich mit Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 I. Steuerungskonzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 II. Verwaltungsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 III. Externe Evaluation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 1. Parlament und Rechnungshof. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 2. Richterliche Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 3. Reaktionen der Steuerpflichtigen und der Mitarbeiter der Steuerverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310
5. Kapitel Überblick über aktuelle Entwicklungen
312
A. „Belastingdienst Straks“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 I. Veränderung der Struktur des Belastingdienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 1. Abschaffung der Zielgruppendirektionen und Bildung von Steuerbezirken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 2. Neue Managementstrukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 3. Organigramm des Belastingdienst zum 1.1.2003 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 II. Veränderung der Primärprozesse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 1. Dienstleistung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 a) Dienstleistung über das Internet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 b) Dienstleistung per Telefon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 c) Zugang zu eigenen Statusinformationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 2. Intensive Kontrolle und Ermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 3. Automatisierte Massenverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 B. Sonstige Projekte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 C. Bewertung der aktuellen Entwicklungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324
14
Inhaltsverzeichnis 6. Kapitel Folgerungen für die deutsche Finanzverwaltung
329
A. Zusammenfassung der wesentlichen Besonderheiten des Gesetzesvollzugs durch den Belastingdienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 B. Konsequenzen für den Vollzug von Steuergesetzen in Deutschland . . . . . . . . . I. Technische Unterstützung der Finanzverwaltung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Steuerung der Finanzverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Förderung der Compliance . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Notwendigkeit einer Kooperation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Grenzen einer Compliance-Strategie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Maßnahmen zur Förderung der Compliance . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Außendarstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Konsequenzen für den Gesetzgeber. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Fallgewichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundsatz der Gesetzmäßigkeit und Gleichmäßigkeit der Besteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verantwortung des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zulässigkeit einer Gewichtung trotz Amtsermittlungsgrundsatzes . . . . a) Steuerliches Risiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Subjektives Risiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Objektives Risiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Steuerliche Relevanz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Verhältnis der steuerlichen Relevanz zum steuerlichen Risiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Bedeutung des Wirtschaftlichkeitsgrundsatzes . . . . . . . . . . . . . . cc) Sonstige Rechtfertigung einer ökonomisch motivierten Fallauswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Absicherung durch Stichproben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Verhältnis zwischen computergestützten Risikobeherrschungsmodellen und manueller Auswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Unterschiedliche Entwicklungen in den einzelnen Bundesländern . . . V. Schaffung von effektiven Kontrollmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
331 331 332 332 333 335 337 339 341 342 343 344 345 347 350 351 352 353 353 355 356 359 359 360 361 363 368
Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 Anlage: Fragebogen zur Ermittlung des steuerlichen Risikos. . . . . . . . . . . . . . . 373 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 396
Abkürzungsverzeichnis a. A. AA a. a. O. AARvS AB
anderer Ansicht Ars Aequi (Zeitschrift) am angegebenen Ort Raad van State, Afdeling rechtspraak Administratiefrechtelijke Beslissingen/Nederlandse Jurisprudentie (Entscheidungssammlung) Abs. Absatz a. E. am Ende AEAO Anwendungserlass zur Abgabenordnung a. F. alte(r) Fassung Alt. Alternative Anm. Anmerkung AO Abgabenordnung 1977 AöR Archiv für öffentliches Recht Art./art. Artikel Aufl. Auflage ausf. ausführlich Awb Algemene wet bestuursrecht AWR Algemene wet inzake rijksbelastingen B. Beslissingen in Belastingzaken (Entscheidungssammlung, Vorläufer der BNB) Baden-Württ. Baden-Württemberg bayer. bayerisch BB Betriebs-Berater (Zeitschrift) BBBB Besluit Bestuurlijke Boeten Belastingdienst 1998 BB Management Binnenlands Bestuur Management (Zeitschrift) Bd. Band BdF Bundesminister der Finanzen Begr. Begründung/Begründer Bem. Bemerkung BFH Bundesfinanzhof BFHE Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs BFH/NV Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des Bundesfinanzhofs BGB Bürgerliches Gesetzbuch BGBl. I Bundesgesetzblatt, Teil I
16 BHO BM B&M BMF BNB BPO 2000 BR-Drucks. BT-Drucks. BVerfG BVerfGE BW bzw. CCP CIAT CW 2001 DB DBA DBW ders. DG dies. Diss. DM DÖV DStG DStJG DStR DStZ DStZ/A DVBl. EFG EG-AHG
EGMR EGV
Einf. Einl.
Abkürzungsverzeichnis Bundeshaushaltsordnung Belastingmagazine (Zeitschrift) Beleid en Maatschappij (Zeitschrift) Bundesministerium der Finanzen Beslissingen in belastingzaken – Nederlandse belastingrechtspraak (Entscheidungssammlung) Betriebsprüfungsordnung v. 15.3.2000 Drucksachen des Deutschen Bundesrates Drucksachen des Deutschen Bundestages Bundesverfassungsgericht Amtliche Sammlung von Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Burgerlijk Wetboek beziehungsweise Belastingdienst, Centrum voor Proces- en Productontwikkeling Inter-American Center of Tax Administrations Wet inzake het beheer van het Rijk (Comptabiliteitswet 2001) Der Betrieb (Zeitschrift) Doppelbesteuerungsabkommen Die Betriebswirtschaft (Zeitschrift) derselbe Directoraat-Generaal dieselbe(n) Dissertation Deutsche Mark Die öffentliche Verwaltung (Zeitschrift) Deutsche Steuergewerkschaft Deutsche Steuerjuristische Gesellschaft e. V. Deutsches Steuerrecht (seit 1962/63, zuvor Deutsche SteuerRundschau; Zeitschrift) Deutsche Steuer-Zeitung Deutsche Steuer-Zeitung Ausgabe A (von 1950 bis 1979) Deutsches Verwaltungsblatt Entscheidungen der Finanzgerichte Gesetz zur Durchführung der EG-Richtlinie über die gegenseitige Amtshilfe im Bereich der direkten und indirekten Steuern (EGAmtshilfegesetz) Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft vom 25.3.1957 in der Fassung des Vertrags von Amsterdam vom 2.10.1997 Einführung Einleitung
Abkürzungsverzeichnis EMRK ESt EStG ET EuGRZ f., ff. FA FÄ’er FAGO FED FG FinArch. FinMin. FIOD/ECD Fn. FR FS gem. GG ggf. gl. A. GmbH GNOFÄ
GVBl. Gw Habil. h. M. HR Hrsg., hrsg. IBFD i. d. F. IdW i. Erg. IMF INF IPbürgR i. S. ISMO i. V. m.
17
Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten Einkommensteuer Einkommensteuergesetz European Taxation (Zeitschrift) Europäische Grundrechte-Zeitschrift folgende Finanzamt Finanzämter Geschäftsordnung für die Finanzämter Fiscaal Weekblad (Zeitschrift) Finanzgericht Finanzarchiv Finanzministerium Fiscale Inlichtingen en Opsporingsdienst/Economische Controledienst Fußnote Finanz-Rundschau (Zeitschrift) Festschrift gemäß Grundgesetz für die Bundesrepublik gegebenenfalls gleicher Ansicht Gesellschaft mit beschränkter Haftung Grundsätze zur Neuorganisation der Finanzämter und zur Neuordnung des Besteuerungsverfahrens, niedergelegt in Gleichlautenden Erlassen der obersten Finanzbehörden der Länder Gesetz- und Verordnungsblatt Grondwet Habilitationsschrift herrschende(r/n) Meinung Hoge Raad der Nederlanden Herausgeber, herausgegeben International Bureau of Fiscal Documentation in der Fassung Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland im Ergebnis International Monetary Fund Die Information über Steuer und Wirtschaft Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte im Sinne Interdepartementale stuurgroep misbruik en oneigenlijk gebruik in Verbindung mit
18 IW IWB i. w. S. JuS JZ Kamerstukken I
Abkürzungsverzeichnis
Invorderingswet Internationale Wirtschafts-Briefe (Zeitschrift) im weiteren Sinne Juristische Schulung Juristenzeitung Verhandlungen der ersten Kammer des niederländischen Parlaments Kamerstukken II Verhandlungen der zweiten Kammer des niederländischen Parlaments Kap. Kapitel KÖSDI Kölner Steuerdialog (Zeitschrift) krit. kritisch KStG Körperschaftsteuergesetz Lfg. Lieferung MAB Maandblad voor Accountancy en Bedrijfseconomie (Zeitschrift) MBB Maandblad Belastingbeschouwingen (Zeitschrift) MDR Monatsschrift für Deutsches Recht m. E. meines Erachtens MV Verordnung über Mitteilungen an die Finanzbehörden durch andere Behörden und öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten (Mitteilungsverordnung) MvT Memorie van toelichting m. w. N. mit weiteren Nachweisen Nds. Niedersachsen/niedersächsisch n. F. neue(r) Fassung NiVRA Koninklijk Nederlands Instituut van Registeraccountants NJ Nederlandse Jurisprudentie (Rechtsprechungssammlung) NJB Nederlands Juristenblad (Zeitschrift) NJW Neue Juristische Wochenschrift NLG Niederländische Gulden Nr./No. Nummer NRW Nordrhein-Westfalen NTFR Nederlands Tijdschrift voor Fiscaal Recht (Zeitschrift) n. v. nicht veröffentlicht NV De Naamloze Venootschap (Zeitschrift) NWB Neue Wirtschafts-Briefe o. Ä. oder Ähnliches OECD Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung OFD Oberfinanzdirektion PStR Praxis Steuerstrafrecht (Zeitschrift) Rb Rechtbank Rn. Randnummer(n)
Abkürzungsverzeichnis Rspr. Rz. s. S. S&D SER SGB I SGB X SigG Sp. Statuut Stb. Stbg. StbJb. StBp. Stcrt. Stpfl. str. StStud StuB StuW TFB TuP TVVS Tz. u. u. a. u. Ä. Uitv.reg. Awr Uitv.reg. Belastingdienst UR UStG v. Vfg. vgl. VIV 1993 V-N VOP Vorb. VVB
19
Rechtsprechung Randzahl siehe Satz Socialisme en Democratie (Zeitschrift) Sociaal-Economische Raad Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil Sozialgesetzbuch – Verwaltungsverfahren Signaturgesetz Spalte Statuut voor het Koninkrijk der Nederlanden Staatsblad van het Koninkrijk der Nederlanden Die Steuerberatung Steuerberater-Jahrbuch Die steuerliche Betriebsprüfung Nederlandse Staatscourant Steuerpflichtige(r/n) streitig Steuer & Studium Steuer und Bilanzen (Zeitschrift) Steuer und Wirtschaft Tijdschrift voor formeel belastingrecht (Zeitschrift) Theorie und Praxis der sozialen Arbeit Tijdschrift voor Verenigingen, Venootschappen en Stichtingen (Zeitschrift) Textzahl und und andere und Ähnliche(s) Uitvoeringsregeling Algemene wet inzake rijksbelastingen 1994 Uitvoeringsregeling Belastingdienst Umsatzsteuer-Rundschau Umsatzsteuergesetz von, vom Verfügung vergleiche Voorschrift Informatieverstrekking 1993 Vakstudie Nieuws (Zeitschrift) Verwaltung Organisation Personal (Zeitschrift) Vorbemerkung Vereniging voor Belastingwetenschap
20 VwGO VwVfG WBP Wet ARB Wet NO Wet OB Wet RO Wet RvS Wet Vpb WFR WIB wistra WOB z. B. ZG Ziff. zit. zugl. zutr.
Abkürzungsverzeichnis Verwaltungsgerichtsordnung Verwaltungsverfahrensgesetz Wet Bescherming Persoonsgegevens Wet administratieve rechtspraak belastingzaken Wet Nationale Ombudsman Wet op de omzetbelasting Wet op de rechterlijke organisatie Wet op de Raad van State Wet op de vennootschapsbelasting Weekblad voor Fiscaal Recht Wet op de internationale bijstandsverlening bij de heffing van belastingen Zeitschrift für Wirtschaft, Steuer, Strafrecht Wet openbaarheid van bestuur zum Beispiel Zeitschrift für Gesetzgebung Ziffer(n) zitiert zugleich zutreffend
Glossar der im Text verwendeten niederländischen Begriffe Aandachtscategorieën
Betreuungsintensitätskategorien, in die die Steuerpflichtigen aufgrund der steuerlichen Relevanz und des steuerlichen Risikos eingeteilt werden
Aangiftebelastingen
Selbstberechnungssteuern, d.h. Steuern, die der Steuerpflichtige/Steuerentrichtungspflichtige selbst berechnet und abführt
Aanslag
Hoheitliche Steuerfestsetzung
Aanslagbelastingen
Veranlagungssteuern, d.h. Steuern, die durch hoheitlichen Steuerbescheid festgesetzt werden
Administratieplicht
Steuerliche Aufzeichnungspflicht, umfasst auch die Buchführungspflicht
Administratieve Afdoening Automatisierte Kontrolle Administratieve boete
verwaltungsrechtliches Bußgeld
Administratieve lasten
im weitesten Sinne Kosten, die den Normadressaten durch die Beachtung gesetzlicher Pflichten bzw. die Gesetzesausführung entstehen; im engeren Sinne Ausführungskosten der Unternehmer im Steuerrecht (z. B. die Kosten der Arbeitgeber im Zusammenhang mit dem Einbehalten und Abführen der Lohnsteuer)
Advance tax ruling
s. Ruling
Afdrachtbelastingen
Selbstberechnungssteuern, die durch den Steuerentrichtungspflichtigen abgeführt werden (z. B. LSt)
Algemeen verbindende voorschriften
Gesetze im materiellen Sinne
Algemene beginselen van behoorlijk bestuur
allgemeine Grundsätze ordnungsmäßigen Verwaltungshandelns (ursprünglich ungeschriebene Rechtsgrundsätze, mittlerweile jedoch z. T. im Awb normiert)
Algemene maatregelen van bestuur
allgemeine Verwaltungsregeln, Unterart der Gesetze im materiellen Sinne
Algemene Rekenkamer
Rechnungshof
Algemene wet bestuursrecht
Allgemeines Verwaltungsgesetzbuch, VwVfG sowie der VwGO
ähnelt
dem
22
Glossar der im Text verwendeten niederländischen Begriffe
Algemene wet inzake rijksbelastingen
Allgemeines Gesetz über die Reichssteuern, der deutschen Abgabenordnung vergleichbar
Bedrijfsfilosofie
hier: Unternehmensphilosophie des Belastingdienst mit den vier Elementen Dienstleistung, Ausrichtung auf Zielgruppen, integrierte Behandlung der Steuerfälle und zeitnahes Arbeiten
Begunstigend Beleid
ein von der gesetzlichen Regelung zugunsten des Steuerpflichtigen abweichendes Beleid des Belastingdienst
Beheersverslag
Verwaltungsbericht
Belastingconsulent
steuerlicher Berater (der Berufsstand der Steuerberater ist in den Niederlanden nicht gesetzlich geregelt, d.h. jeder kann sich als steuerlicher Berater betätigen)
Belastingdienst
die niederländische Finanzverwaltung
Belastingen
Steuern
Belastingfraude
im engen Sinne: das vorsätzliche Machen falscher oder unvollständiger Angaben oder das Zurückhalten von Angaben, die für die Ermittlung der geschuldeten Steuer erforderlich sind; entspricht in etwa der Steuerhinterziehung i. S. v. § 370 AO. Im weiten Sinne: Steuerhinterziehung und -umgehung
BelastingTelefoon
Steuertelefon, eine kostenlose Servicenummer für Steuerpflichtige
Beleid
Amtsführung, Politik, Ausfüllung von Ermessens- und Beurteilungsspielräumen
Beleidsregels
durch Beschluss festgestellte, allgemeine Vorschriften, die nähere Vorgaben für die Abwägung von Interessen, die Feststellung von Tatsachen oder die Auslegung von Gesetzen im Zusammenhang mit der Ausübung der Befugnisse eines Verwaltungsorgans enthalten; entsprechen in etwa den deutschen Verwaltungsvorschriften
Beschikking
Verwaltungsakt
Betalingskorting
Zahlungsermäßigung, eine Art Skonto bei Begleichung einer in Raten zu zahlenden vorläufigen Steuerfestsetzung in einem Betrag
Bezwaarschrift
Beschwerdeschrift, ähnelt dem deutschen Einspruch i. S. v. § 347 AO
Boekenonderzoek
Buchprüfung
Burgerlijk Wetboek
Bürgerliches Gesetzbuch
Compliance
hier: Bereitschaft der Steuerpflichtigen, ihren steuerlichen Pflichten nachzukommen
Glossar der im Text verwendeten niederländischen Begriffe
23
Comptabiliteitswet
Rechnungsprüfungsgesetz
Directie
Direktion, Verwaltungseinheit
Directoraat-Generaal der Belastingen
Generaldirektion für Besteuerungsangelegenheiten (Abteilung des niederländischen Finanzministeriums)
Directoraat-Generaal voor Fiscale Zaken
Generaldirektion für die Konzeption der Steuergesetzgebung (Abteilung des niederländischen Finanzministeriums)
Doelgroep
Zielgruppe
Douane
Zoll(-Verwaltung)
Entiteit
Entität = Zusammenfassung von Steuerpflichtigen, die in organisatorischer, finanzieller, steuerlicher oder gesellschaftsrechtlicher Hinsicht eng miteinander verbunden sind
Fiscale Inlichtingen en Steuerfahndung u. Abteilung für Wirtschaftskriminalität Opsporingsdienst/Econo- (seit 1999 zu einer Abteilung zusammengeschlossen) mische Controledienst Fiscale Monitor
jährliche standardisierte Befragungen einzelner Gruppen von Steuerpflichtigen im Auftrag des Belastingdienst
Gedragslijn
hier: jahrelange Verwaltungspraxis
Grondwet
Grundgesetz, Verfassung der Niederlande
Grote Ondernemingen
große Unternehmen/Konzerne
Heffingsrente
Erhebungszins; ähnelt dem Vorfälligkeitszins i. S. von § 233a AO, jedoch ohne Karenzzeit
Hoofd
Vorsteher eines Finanzamts
Houderschapsbelasting
vormals Motorrijtuigenbelasting
Inkomstenbelasting
Einkommensteuer
Inspecteur
ursprünglich Bezeichnung eines Veranlagungsbeamten; mittlerweile übt die Befugnisse des Inspecteur der jeweilige Vorsteher eines Finanzamts aus, der einzelne Aufgaben delegiert
Invorderingsrente
Beitreibungszins auf fällige Steuerschulden
Invorderingswet
Gesetz über die Steuerbeitreibung und Vollstreckung
Kamerstukken
Parlamentsdrucksachen
Kantoortoetsing
büromäßige Kontrolle, Prüfung an Amtsstelle
Kennisgroep
Expertengruppe
Klantbehandeling
weites Spektrum von Maßnahmen, die der Belastingdienst den Steuerpflichtigen gegenüber ergreift – von der Information bis zur Sanktion
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Glossar der im Text verwendeten niederländischen Begriffe
Klantgerichtheit
hier: Berücksichtigung der Interessen der Steuerpflichtigen durch den Belastingdienst
Klantmanager/ Klantcoördinator
Kundenbetreuer
Lid
Absatz
Loonbelasting
Lohnsteuer
Motorrijtuigenbelasting
eine Art Kfz-Steuer, mittlerweile als Houderschapsbelasting bezeichnet
Navorderingsaanslag
Steuernachforderung, korrigierte Steuerfestsetzung
Omzetbelasting
Umsatzsteuer
Ondernemingen
kleine und mittlere Betriebe/Unternehmen
Ontgaan van belastingen
Steuerumgehung
Ontvanger
ursprünglich Bezeichnung für die Finanzkasse; mittlerweile sind die Befugnisse dem Vorsteher des jeweiligen Finanzsamts übertragen, der sie delegiert
Particulieren
natürliche Personen, die weder einen Gewerbebetrieb haben noch eine selbständige Tätigkeit ausüben und auch nicht zum Einbehalten von Lohnsteuer verpflichtet sind
Permanente opdracht
hier: permanenter Auftrag des Belastingdienst
Pleitbaar standpunt
vertretbarer Standpunkt, d.h. eine Interpretation des Gesetzes, die nicht von vornherein abwegig ist
Rechtshandhaving
Umsetzung des Rechts, der Rechtsordnung (nicht nur der geschriebenen Gesetze)
Renseignementen
Kontrollmitteilungen bzw. Kontra-Informationen (auch durch Dritte angefertigt bzw. an den Belastingdienst weitergeleitet)
Resultaatgericht besturingsmodel
ergebnis- und zielorientiertes Steuerungsmodell
Ruling
Absprache im Vorhinein über die steuerlichen Konsequenzen internationaler Sachverhalte (advance tax ruling), insbesondere über die anzuwendende Methode zur Ermittlung von Verrechnungspreisen (Advance pricing agreement)
Sociaal-Economische Raad SER, Sozial-Ökonomischer Rat, der die Regierung berät; zusammengesetzt aus Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern sowie unabhängigen Experten SoFi-Nummer
kombinierte Steuer- und Sozialversicherungsnummer zur Identifizierung der Steuerpflichtigen, verwaltet durch den Belastingdienst
Glossar der im Text verwendeten niederländischen Begriffe
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Standpuntbepaling
Oberbegriff für einseitig und zweiseitig bindende Zusagen bzw. Vereinbarungen im Vor- oder Nachhinein zwischen Steuerpflichtigen und Finanzbehörden
Startersbezoeken
Besuche bei neu gegründeten Unternehmen außerhalb von Betriebsprüfungen
Staten-Generaal
niederländisches Parlament, in zwei Kammern unterteilt
Strategische doelstelling
strategische Zielsetzung
Toezegging
(verbindliche) Zusage
Vakgroep
Fachgruppe
Vakgroepcoördinator
eine Art Hauptsachgebietsleiter
Vaststellingsovereenkomst Feststellungsübereinkunft, zweiseitig bindende Verständigung zwischen Steuerpflichtigem und Finanzbehörde über Tatsachen und/oder Rechtsfragen Veldtoetsing
Außenprüfung
Vennootschapsbelasting
Körperschaftsteuer
Veranderteam
Entwicklungsteam
Vergrijpboeten
Bußgelder für vorsätzliche Verstöße
Verschoningsrecht
Mitwirkungsverweigerungsrecht
Verzuimboeten
Zuschläge für leichtere Verstöße
Voldoeningsbelastingen
Selbstberechnungssteuern, die durch den Steuerschuldner entrichtet werden (z. B. USt)
Volksverzekering
Volksversicherung/Sozialversicherung, insbesondere Rentenversicherung, deren Beiträge in den Einkommensteuertarif integriert sind und durch den Belastingdienst eingezogen werden
Voorlopige aanslag
Festsetzung von Steuervorauszahlungen
Waarneming ter plaatse
Betriebsbesichtigung
Wet
Gesetz
Wet administratieve recht- Gesetz über die Finanzgerichtsbarkeit, der deutschen spraak belastingzaken Finanzgerichtsordnung vergleichbar Wet bescherming persoonsgegevens
Gesetz über den Schutz personenbezogener Daten
Wet op de internationale bijstandsverlening bij de heffing van belastingen
Gesetz über den internationalen Beistand in Besteuerungsangelegenheiten
Wet op de omzetbelasting
Umsatzsteuergesetz
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Glossar der im Text verwendeten niederländischen Begriffe
Wet op de rechterlijke organisatie
Gesetz über die Organisation der Gerichte, dem deutschen Gerichtsverfassungsgesetz vergleichbar
Wet op de vennootschaps- Körperschaftsteuergesetz belasting Wet openbaarheid van bestuur
Gesetz über die Transparenz in der öffentlichen Verwaltung
Einführung und Gang der Untersuchung Als Steuerstaat, der seine Aufgaben durch Steuern finanziert, ist die Bundesrepublik essenziell darauf angewiesen, dass die Steuergesetze effektiv vollzogen und die Steuern tatsächlich und gleichmäßig von den Steuerpflichtigen beigetrieben werden. Die Effektivität des Vollzugs der Steuergesetze ist für die Höhe des Steueraufkommens ebenso von Bedeutung wie die Ausgestaltung der Steuergesetze (z. B. der Tarif). Das Bewusstsein für die Bedeutung des Vollzugs ist durch das Zinsurteil des BVerfG1 deutlich geschärft worden, in dem es ausgeführt hat, dass sich strukturelle Vollzugsdefizite auf die Verfassungsmäßigkeit der materiellen Steuergesetze auswirken können und dass es im Veranlagungsverfahren zureichender Kontrollmöglichkeiten bedarf, um die Steuerehrlichkeit „abzustützen“. Ob die Gesetze effektiv vollzogen werden können, hängt neben den rechtlichen Rahmenbedingungen von der Organisation und Arbeitsweise der damit beauftragten Behörden und nicht zuletzt von der Bereitschaft der Steuerpflichtigen zur Steuerzahlung und deren Verhältnis gegenüber der Finanzverwaltung ab. Der Vollzug der Steuergesetze durch die deutsche Finanzverwaltung (damit sind sowohl die Bundesfinanzverwaltung als auch die 16 Länderfinanzverwaltungen gemeint) ist seit nunmehr über 30 Jahren Gegenstand der Kritik, und die Modernisierungsbemühungen der vergangenen Jahrzehnte, die sich unter anderem in den sog. GNOFÄ2 widerspiegeln, haben diese kritischen Stimmen nicht verstummen lassen. Dennoch oder eher deshalb ist die Bereitschaft, Modernisierungen voranzutreiben, innerhalb der Finanzverwaltung zur Zeit groß und in den einzelnen Bundesländern sind bereits eine Reihe von Vorhaben auf den Weg gebracht worden. Blickt man hingegen in die Niederlande, so haftet dem Belastingdienst, der dortigen Finanzverwaltung, seit seiner umfassenden Reorganisation Ende der 1980er/Anfang der 1990er Jahre das Image einer modernen Organisation an, deren Jahresberichte, Werbekampagnen und Führungskräfte – wie im November 2002 die Generaldirektorin Jenny Thunissen – ausgezeichnet werden. In der Praxis haben die Finanzverwaltungen beider 1
BVerfG v. 27.6.1991, 2 BvR 1493/89, E 84, 239, 268 ff. Gleichlautende Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder zur Neuorganisation der Finanzämter und Neuordnung des Besteuerungsverfahrens v. 16.2.1976, BStBl. I 1976, 88; v. 4.3.1981, BStBl. I 1981, 270; v. 19.11.1996, BStBl. I 1996, 1391. 2
28
Einführung und Gang der Untersuchung
Länder mit ähnlichen Schwierigkeiten zu kämpfen: Die Steuergesetze sind kompliziert und unterliegen fortwährenden Änderungen, die Sach- und Personalmittel reichen nicht aus, um sämtliche Steuererklärungen zu prüfen, sodass Kriterien für die Gewichtung der Steuerfälle entwickelt werden müssen, und für die Ermittlung des steuerlich relevanten Sachverhalts und der gesetzlich geschuldeten Steuer sind die Finanzbehörden auf die Mitwirkung der Steuerpflichtigen angewiesen, die ihre Pflichten nur ungern erfüllen, weil sie ihre Einkünfte nicht mit dem Staat teilen wollen, und die vom Staat ein zunehmend serviceorientiertes, unbürokratischeres Vorgehen einfordern. Welche Konzepte hat die niederländische Finanzverwaltung in der Vergangenheit entwickelt, um angesichts dieser Schwierigkeiten ihrem gesetzlichen Vollzugsauftrag gerecht zu werden? Inwieweit unterscheiden sich die verfassungs- und verfahrensrechtlichen Grundlagen für den Vollzug von Steuergesetzen in beiden Ländern? Welchen Einfluss üben das Parlament, die Gerichte und die Steuerpflichtigen sowie deren Berater auf die Vollzugspraxis aus? Und wie kommt das im Vergleich zur deutschen Finanzverwaltung positivere Image des Belastingdienst zustande? Diese und verwandte Fragen sind Gegenstand der vorliegenden Untersuchung. Ziel dieser Arbeit ist es zum einen, den Vollzug von Steuergesetzen in den Niederlanden darzustellen. Zu diesem Thema sind in Deutschland, trotz der geographischen Nähe und der engen wirtschaftlichen Verflechtungen beider Länder, bislang kaum Veröffentlichungen erschienen; stattdessen haben einige Fehlvorstellungen Verbreitung gefunden, etwa dass im Bereich der Einkommen- und Körperschaftsteuer eine Selbstveranlagung durchgeführt werde3 oder die Prüfungsintensität bzw. der Umfang der Sachverhaltsaufklärung ausschließlich von der Prüfungsbedürftigkeit des einzelnen Falles und nicht von fiskalischen Erwägungen abhänge.4 Zum anderen geht die Untersuchung der Frage nach, ob und ggf. welche Besonderheiten der Vollzugspraxis der niederländischen Finanzverwaltung aus deutscher Sicht Modellcharakter haben können. Bei der Beantwortung dieser Frage sind die erheblichen Unterschiede zu beachten, die zwischen beiden Ländern z. B. hinsichtlich der Größe und Struktur der Steuerverwaltung (die Niederlande sind ein Einheitsstaat mit einer zentral organisierten Finanzverwaltung) aber auch hinsichtlich der politischen Kultur bestehen. Während Vergleiche des materiellen Steuerrechts innerhalb Europas und auch darüber hinaus in großer Zahl vorliegen, widmet die europäische Steuerrechtswissenschaft dem Rechtsvergleich auf dem Gebiet des Steuerverfah3 4
So ein Bericht der DStG, DStG 1998, 159. So jedoch Habammer, Stbg 2001, 612, 618; Tipke, Besteuerungsmoral, S. 67.
Einführung und Gang der Untersuchung
29
rensrechts bislang deutlich weniger Aufmerksamkeit. Anders verhält es sich auf dem amerikanischen Kontinent, wo der Austausch zwischen den Finanzverwaltungen schon seit 1976 in Form der CIAT (Inter-Amerikan Center of Tax Administrations) institutionalisiert ist. Zwar gibt es inzwischen auch eine Intra-European Organisation of Tax Administrations (IOTA), doch zählt diese bislang nur Staaten der ehemaligen UDSSR zu ihren Mitgliedern. In dem Maße, in dem die europäische Integration voranschreitet, wird es jedoch zunehmend wichtiger, die Arbeitsweise der Finanzverwaltungen in den verschiedenen Mitgliedsländern der Union zu kennen und zu verstehen. Dies gilt sowohl für Unternehmen, die Entscheidungen über die Aufnahme, Ausweitung oder Verlagerung von Geschäftstätigkeiten auch von Merkmalen der jeweiligen Finanzverwaltung wie z. B. Zuverlässigkeit, Kompromissbereitschaft, Serviceleistung und Strenge abhängig machen, als auch für die Steuerverwaltungen der Mitgliedstaaten, die untereinander auf verstärkte Kooperation (z. B. bei der Durchführung von Außenprüfungen) sowie einen verbesserten und beschleunigten Informationsaustausch angewiesen sind, um mit der Mobilität der Bürger Schritt halten zu können. Eine verstärkte Kooperation ist vor allem für einander benachbarte Länder wie Deutschland und die Niederlande, zwischen denen vielfältige wirtschaftliche Austauschbeziehungen bestehen, von Bedeutung. So wird z. B. seit Ende 2000 im Finanzamt Heerlen in den Niederlanden ein deutsch-niederländisches Call-Center betrieben, in dem deutsche und niederländische Steuerpflichtige Informationen über steuerliche Rechtsfolgen grenzüberschreitender Sachverhalte erfragen können. Der Wettbewerb, der sich zwischen den (Finanz-)Verwaltungen der einzelnen europäischen Mitgliedstaaten entwickelt und der z. B. in einer vergleichenden Analyse mehrerer Finanzverwaltungen durch das französische Finanzministerium aus dem Jahr 19995 zum Ausdruck kommt (bei dem die deutsche Steuerverwaltung insgesamt nicht gut abgeschnitten hat), bietet die Chance, Strategien und Lösungsansätze anderer Finanzverwaltungen bei der Überprüfung der eigenen Arbeitsweise als Anregung aufzunehmen und sowohl von den positiven als auch von den negativen Erfahrungen ausländischer Verwaltungen zu lernen. Die vorliegende Untersuchung will dazu einen Beitrag leisten. Zu den Parametern, die den Vollzug von Steuergesetzen durch die Finanzverwaltung beeinflussen, gehören spezifisch steuerrechtliche wie z. B. die Ausgestaltung und Komplexität des materiellen Steuerrechts, die Kompetenzen und die Struktur der Finanzverwaltung, deren sachliche und personelle Ausstattung und deren Image; darüber hinaus wirken sich auch aktuelle und 5 Gouiffès/Carmona/Lepine, Mission d’analyse comparative des administrations fiscales, No. 98-M-041-11.
30
Einführung und Gang der Untersuchung
historische Entwicklungen politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Art auf den Vollzug der Steuergesetze aus, wie z. B. die Veränderung des Verhältnisses zwischen den Bürgern und staatlichen Institutionen im Allgemeinen. Diese Parameter können in der vorliegenden Arbeit nicht alle und nicht in gleicher Intensität behandelt werden; so wird insbesondere auf eine nähere Untersuchung des materiellen Steuerrechts verzichtet. Dennoch werden im ersten Kapitel zunächst einige grundlegende Informationen zur niederländischen Wirtschaft, Staatsform, den Staatsorganen und der Normenhierarchie vorangestellt, gefolgt von einer Skizzierung des niederländischen Steuerverfahrensrechts, das die wichtigste Grundlage für die Vollzugstätigkeit des Belastingdienst darstellt. Das zweite Kapitel beschäftigt sich mit dem strukturellen Wandel des Belastingdienst in den vergangenen rund 30 Jahren und insbesondere mit den Hintergründen, der Durchführung und dem Ergebnis der Reorganisation Ende der 1980er/Anfang der 1990er Jahre. Mit dieser Reorganisation hat sich die niederländische Finanzverwaltung als eine der modernsten in Europa etabliert und die Hintergründe der Reorganisation wirken bis heute, u. a. in der Ausgestaltung der gesetzlichen Befugnisse des Belastingdienst, nach. Das dritte Kapitel ist der Arbeitsweise des Belastingdienst gewidmet. Hierbei sind vor allem die Fallgewichtung sowie Art und Umfang der Kontrollbefugnisse von Interesse, die erhebliche Unterschiede zu den deutschen Regelungen aufweisen. Außerdem wird die Compliance-Strategie dargestellt, die seit der Reorganisation das Verhältnis zwischen dem Belastingdienst und den Steuerpflichtigen prägt. Im Anschluß an die Erörterung der Struktur und Arbeitsweise soll im vierten Kapitel untersucht werden, auf welche Weise der Belastingdienst die Umsetzung des Vollzugsauftrags intern steuert und durch welche Institutionen (z. B. das Parlament, die Gerichte, den Rechnungshof) er dabei kontrolliert wird. Beide Bereiche – die interne und die externe Evaluation – wirken sich ganz erheblich auf die Arbeitsweise des Belastingdienst aus und weisen wiederum interessante Unterschiede im Vergleich zur deutschen Finanzverwaltung auf. Seit der letzten umfassenden Reorganisation hat es sich der Belastingdienst zur Aufgabe gemacht, Organisation und Arbeitsweise kontinuierlich den sich ändernden rechtlichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bedingungen anzupassen. Dementsprechend sind die Aufbau- und die Ablauforganisation einem stätigen Wandel unterworfen, sodass eine Beschreibung der Arbeitsweise des Belastingdienst immer nur eine Momentaufnahme sein kann. Allerdings ist die Entwicklung bislang in Phasen verlaufen, und der Belastingdienst befindet sich derzeit im Übergang zu einer neuen Phase:
Einführung und Gang der Untersuchung
31
Seit dem 1.1.2003 werden umfassende Änderungen in der Struktur des Belastingdienst – insbesondere die Zusammenfassung einzelner Finanzämter zu großen Steuerbezirken – vorgenommen, die sich auch auf die Arbeitsweise auswirken werden. Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich hauptsächlich mit der Arbeitsweise, die bis Ende 2002 vorherrschte, weil die Auswirkungen der jüngsten Veränderungen noch nicht absehbar sind und weil aus deutscher Sicht insbesondere die Frage von Interesse ist, warum der Belastingdienst zum jetzigen Zeitpunkt das Wagnis einer erneuten Reorganisation auf sich nimmt. Dennoch werden die geplanten bzw. bereits umgesetzten Änderungen und ihre Hintergründe im fünften Kapitel dargestellt. Im abschließenden sechsten Kapitel werden aus den zuvor herausgearbeiteten Unterschieden zwischen der Struktur und Arbeitsweise des Belastingdienst einerseits und derjenigen der deutschen Finanzverwaltung andererseits Folgerungen für mögliche Modernisierungen der deutschen Finanzverwaltung gezogen. Dabei liegt der Schwerpunkt auf der Fallgewichtung, die in Deutschland höchst kontrovers unter dem Begriff des „maßvollen Gesetzesvollzuges“ diskutiert wird, und der Schaffung zureichender Ermittlungsbefugnisse sowie deren Nutzung durch die Finanzverwaltung. Im Rahmen der Gegenüberstellung der niederländischen und der deutschen Finanzverwaltung bleibt der Bereich der Zollverwaltung ausgeklammert. Des weiteren werden nicht alle Besonderheiten sämtlicher Länderfinanzverwaltungen berücksichtigt. Sofern es nicht ohnehin um bundeseinheitliche Vorgaben wie z. B. die Normen der Abgabenordnung oder aber um gleichlautende Ländererlasse wie die GNOFÄ geht, dient als Referenzmodell die nordrhein-westfälische Finanzverwaltung, weil es sich dabei um die größte Landesfinanzverwaltung in der Bundesrepublik handelt und weil sowohl hinsichtlich der Größe der Finanzverwaltung und des Staatsgebietes als auch der Bevölkerungszahl eine weitreichende Vergleichbarkeit zu den Niederlanden besteht. Was die Verwendung niederländischer Fachbegriffe betrifft, so wird in den Fällen, in denen kein äquivalenter deutscher Begriff existiert, der niederländische Begriff beibehalten; dieser ist jeweils bei der erstmaligen Verwendung mit einer deutschen Erläuterung versehen, die auch im anliegenden Glossar nachgeschlagen werden kann.
1. Kapitel
Rechtliche Grundlagen Bevor in den folgenden Kapiteln die Struktur und die Arbeitsweise der niederländischen Finanzverwaltung analysiert werden, soll an dieser Stelle zunächst auf die äußeren Rahmenbedingungen für die Arbeit der Finanzverwaltung eingegangen werden. Diese Rahmenbedingungen werden allgemein durch historische, gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Faktoren und insbesondere durch die bestehende Rechtsordnung bestimmt. Nach einigen steckbriefartigen Informationen zur geographischen, wirtschaftlichen und politischen Situation der Niederlande6 werden ausgewählte Aspekte der niederländischen Rechtsordnung erläutert, um das nötige Vorverständnis für die in den folgenden Kapiteln zu erörternden Fragestellungen zu schaffen. Neben einem kurzen Überblick über das niederländische Staatsrecht (Staatsorgane, Rechtsquellen und Normenhierarchie) sowie einigen Hinweisen zum materiellen Steuerrecht sollen ausgewählte Elemente des Steuerverfahrensrechts erörtert und das Kapitel mit einem kurzen Vergleich mit den Gegebenheiten in Deutschland beschlossen werden.
A. „Steckbrief“ der Niederlande Die Niederlande sind mit rund 16,2 Mio. Einwohnern auf einer Fläche von rund 41.500 km2 hinsichtlich der Einwohnerzahl der sechstgrößte und hinsichtlich der Fläche der drittkleinste Mitgliedstaat der Europäischen Union.7 Verglichen damit ist Deutschland mit einer Fläche von rund 357.000 km2 und einer Bevölkerung von rund 82,5 Mio. um ein deutliches größer.8 Ähnlicher sind die Proportionen zwischen den Niederlanden und 6 Ausführlich zur gesellschaftlichen und politischen Situation Gabriel/Brettschneider, Die EU-Staaten im Vergleich; Lademacher, Geschichte der Niederlande. Zur wirtschaftlichen Entwicklung in den Niederlanden nach dem Zweiten Weltkrieg van Paridon in: Vorbild Niederlande?, S. 75, 76 ff.; kritisch zu der Frage, ob die niederländische Gesellschaft Modellcharakter habe, Tudyka in: Vorbild Niederlande?, S. 55 ff. 7 Die Zahlen beziehen sich auf die Europäische Union vor der Osterweiterung. Vgl. Centraal Bureau voor de Statistiek (Stand: Dezember 2003). 8 Vgl. Statistisches Bundesamt Deutschland , Stand der Einwohnerzahl: 31.10.2003.
B. Staatsform und Verfassungsorgane
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Nordrhein-Westfalen: dort leben auf einer Fläche von rund 34.000 km2 18 Mio. Einwohner.9 Die Niederlande gelten seit Jahrhunderten als geschäftstüchtige Handelsnation.10 In den vergangenen Jahren sind sie in Europa insbesondere durch die Sanierung des Staatshaushaltes und die erfolgreiche Bekämpfung der Arbeitslosigkeit hervorgetreten.11 Kompromiss- und Verhandlungsbereitschaft, eine pragmatische Grundhaltung sowie eine erfolgreiche Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik werden in jüngerer Zeit oft mit dem Schlagwort „Abkommen von Wassenaar“ bzw. als „Poldermodell“ betitelt: 1982 verständigten sich im Abkommen von Wassenaar Unternehmerverbände und Gewerkschaften auf gemeinsame Grundsatzpositionen, insbesondere auf die Steigerung der Beschäftigung durch Lohnzurückhaltung, und legten damit den Grundstein für eine kooperative Verbesserung der Wirtschafts- und Beschäftigungslage.12 Dieses Abkommen gilt als Geburtsstunde der erfolgreichen politischen Strategien zum Abbau der Arbeitslosigkeit (insbesondere durch Ausbau der Teilzeitbeschäftigung) und der Staatsverschuldung sowie zur Sicherung der wirtschaftlichen Stabilität. Wichtiger Bestandteil des Poldermodells sind die institutionalisierten Gespräche zwischen den Tarifpartnern und dem Staat.
B. Staatsform und Verfassungsorgane Die Niederlande sind eine konstitutionelle Monarchie und ein dezentralisierter Einheitsstaat mit 12 Provinzen, vgl. Abschnitt 7 Grondwet (Gw, Grundgesetz, die niederländische Verfassung). Für das Steuerrecht spielen 9 Landesamt für Datenverarbeitung und Statistik Nordrhein-Westfalen (Stand: Dezember 2003). 10 Malanczuk, Europäische Integration und nationales Verfassungsrecht in den Niederlanden, S. 2. 11 Die Arbeitslosenquote sank von 11% im Jahr 1983 auf 6,6% im Jahr 1996 und 2,0 im Jahr 2001. Damit hatten die Niederlande zu diesem Zeitpunkt die niedrigste Arbeitslosenquote in der EU. Vgl. Europa-Kontakt, TuP 6/1997, S. 4; van Paridon in: Vorbild Niederlande?, S. 75, 80, 85; Beschäftigungsdaten der Eurozone, veröffentlicht von der Europäischen Kommission im Internet unter . Mittlerweile ist die Arbeitslosigkeit wieder gestiegen und betrug im Dezember 2003 5,5%, vgl. Centraal Bureau voor de Statistiek . 12 Auch wenn die Tradition des politischen Kompromisses schon bedeutend älter ist und bereits in der alten Republik von 1648 verwurzelt war, vgl. von der Dunk in: Vorbild Niederlande?, S. 31, 36 f. Mit dem Wortbestandteil „Polder“ wird auf die lange Tradition der Deichgemeinschaften angespielt, die in den Niederlanden über Jahrhunderte hinweg auf eine funktionierende Zusammenarbeit im Kampf gegen das Wasser angewiesen waren. Zu Inhalt und Bedeutung des Abkommens Europa-Kontakt, TuP 6/1997, S. 4 ff.; van Paridon in: Vorbild Niederlande?, S. 75, 80.
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1. Kap.: Rechtliche Grundlagen
die Provinzen jedoch lediglich eine untergeordnete Rolle, da die Gesetzgebungs-, Ertrags- und Verwaltungskompetenzen aller wichtigen Steuerarten beim Rijk (Reich) liegen.
I. Legislative Die Staten-Generaal (Generalstaaten), das niederländische Parlament, repräsentieren das niederländische Volk und sind in zwei Kammern unterteilt (art. 50, 51 lid 1 Gw). Die 75 Mitglieder der ersten Kammer werden indirekt durch die Volksvertreter der Provinzen, die 150 Mitglieder der zweiten Kammer direkt vom Volk gewählt (art. 51 lid 2 und 3 i. V. m. art. 54 lid 1 und art. 55 Gw). Eine besondere Funktion im Gesetzgebungsverfahren kommt dem Raad van State zu: Diesem Organ sind gem. art. 73 Abs. 1 Gw Gesetzesvorhaben grundsätzlich zur Stellungnahme vorzulegen. Die meisten Mitglieder des Raad van State sind Juristen, und Gesetzesvorhaben werden durch den Raad insbesondere auf die Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht hin überprüft.13
II. Exekutive Die Regierung als Exekutive besteht gem. art. 42 lid 1 Gw aus der Königin (die zugleich auch Staatsoberhaupt ist), den Ministern und dem Ministerpräsidenten. Im Gegensatz zur Königin tragen die Minister und der Ministerpräsident gem. art. 42 lid 2 Gw die politische Verantwortung für ihr Handeln. So ist z. B. der Finanzminister aufgrund von art. 35 Comptabiliteitswet (Cw, Rechnungsprüfungsgesetz) für den Staatshaushalt verantwortlich. Neben den Ministern gibt es auch noch sog. Staatssecretarisse (Staatssekretäre). Dieses Amt soll vor allem der Entlastung der Minister dienen, die eigene Befugnisse auf die Staatssekretäre übertragen können, art. 46 lid 2 Gw. Staatssekretäre müssen dem Parlament ebenso wie Minister Rede und Antwort stehen, art. 68 Gw. Im Bereich des Steuerrechts ist das Amt des Staatssecretaris van Financiën (Staatssekretär für Finanzen) von besonderer Bedeutung. Der Staatssekretär ist vor allem für den Vollzug der Steuergesetze durch die Finanzverwaltung zuständig.
13 Dies ist jedoch keine vollständige Kompensation dafür, dass ein Verfassungsgericht in den Niederlanden nicht existiert und die vorhandenen Gerichte formelle Gesetze nicht an der Verfassung prüfen dürfen, s. unten.
B. Staatsform und Verfassungsorgane
35
III. Judikative Vorschriften über die rechtsprechende Gewalt finden sich in art. 112–122 Gw. Welche Gerichte zur rechtsprechenden Gewalt gehören, wird allerdings nicht durch das Grondwet, sondern gem. art. 116 lid 1 Gw durch formelles Gesetz bestimmt.14 Das Grondwet spricht nur von der Zivil- und Strafgerichtsbarkeit (art. 112 lid 1 bzw. art. 113 lid 1 Gw), nicht jedoch von einer eigenen Verwaltungsgerichtsbarkeit. Dennoch hat sich ein entsprechender Zweig der Gerichtsbarkeit in den Niederlanden entwickelt, wenn die Rechtsprechungsbefugnisse auch auf eine Vielzahl von Institutionen verteilt sind und z. T. Entscheidungen durch nicht-richterliche Gremien getroffen werden.15 Die bisherigen selbständigen kantongerechte (Kantongerichte, in denen ausschließlich Einzelrichter Recht sprechen; den deutschen Amtsgerichten vergleichbar) sind im Jahr 2002 in die arrondissementsrechtbanken (Arrondissementgerichte mit Kammern; den deutschen Landgerichten vergleichbar) integriert worden; ferner bestehen gerechtshoven (Gerichtshöfe mit Kammern; den deutschen Oberlandesgerichten vergleichbar). Oberstes Gericht in den Niederlanden ist der Hoge Raad, art. 118 lid 2 Gw. Obwohl es formell keine präjudizielle Wirkung der Entscheidungen des Hoge Raad gibt, entfalten sie in der Rechtspraxis dennoch eine erhebliche Bindungswirkung. In den Niederlanden gibt es keine selbständigen Finanzgerichte; stattdessen sind spezielle steuerrechtliche Kammern bei den Gerechtshoven als Eingangsgerichte und Tatsacheninstanz sowie beim Hoge Raad als Revisionsgericht eingerichtet worden.16 Die Regierung plant bereits seit mehreren Jahren, entsprechende steuerrechtliche Kammern bei den Arrondissementsrechtbanken als neue Eingangsinstanz zu schaffen und damit eine zweite Tatsacheninstanz in steuerlichen Rechtsstreitigkeiten einzuführen.17 Ein dem Bundesverfassungsgericht vergleichbares Gericht gibt es in den Niederlanden nicht. 14
Vgl. insbesondere das Wet op de rechterlijke organisatie (Wet RO, Gesetz über die Organisation der Gerichte), das zum 1.1.2002 grundlegend reformiert worden ist. 15 So ist zum Beispiel eine Abteilung des Raad van Staate für die Entscheidung über Berufungen in verwaltungsrechtlichen Streitigkeiten zuständig, vgl. art. 36 ff. Wet RvS. Zur Vielzahl der zuständigen Institutionen siehe auch Kortmann, Constitutioneel Recht, S. 268 f. Zur seit 1994 laufenden Reform der Verwaltungsgerichtsbarkeit s. ausführlich Belinfante/de Reede, Nederlands Staatsrecht, S. 195 ff. 16 Art. 60a Wet RO; ausführlich zum Rechtsschutz in Steuersachen Langereis, Belastingprocedures; Woring, DStZ 1991, 714 ff. 17 Die Voraussetzungen dafür sind bereits seit einigen Jahren in art. 44 Wet RO geschaffen, die Umsetzung scheiterte jedoch bislang aus Kostengründen, vgl. den Brief des Justizministers an das Parlament v. 30.9.2002, Kamerstukken II 2002/03, 27181, nr. 31 (S. 2). Im Oktober 2003 hat die Regierung allerdings einen entsprechenden Gesetzentwurf zur Einführung der zweiten Tatsacheninstanz vorgelegt, vgl. Kamerstukken II 2003/04, 29 251, nr. 1 u. 2.
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1. Kap.: Rechtliche Grundlagen
C. Rechtsquellen Die Unterscheidung und Systematisierung der niederländischen Rechtsquellen gleicht in Teilbereichen der deutschen Systematik, zum Teil bestehen aber auch Besonderheiten. Für den Bürger belastende staatliche Maßnahmen gilt ein (ungeschriebener) Gesetzesvorbehalt.18
I. Grondwet Einen zentralen Platz innerhalb des niederländischen Rechtssystems nimmt das Grondwet voor het Koninkrijk der Nederlanden (die niederländische Verfassung) aus dem Jahre 1815 ein.19 Eine besonders umfangreiche Grundrechtsänderung erfolgte 1983, wobei u. a. die bisher über das gesamte Grondwet verstreuten Grundrechte in einem zentralen Katalog (art. 1-23 Gw) zusammengefasst und den übrigen Verfassungsbestimmungen vorangestellt wurden.20 Von den sonstigen (nationalen) Rechtsnormen unterscheidet sich das Grondwet – wie das deutsche Grundgesetz auch – durch eine erschwerte Prozedur für die Änderung seiner Vorschriften, vgl. art. 137 Gw. Für das Steuerrecht ist vor allem art. 104 Gw von Bedeutung, dem sich eine grundsätzliche Bindung der Finanzverwaltung an das Legalitätsprinzip entnehmen lässt.21
II. Statuut Das Statuut voor het Koninkrijk der Nederlanden (Statuut) regelt die Rechtsbeziehungen innerhalb des Zusammenschlusses der (derzeit) drei Gebiete Niederlande, Niederländische Antillen und Aruba. Der Zusammenschluss trägt bundesstaatliche Züge, und das Statuut wird auch als Grundgesetz dieses Zusammenschlusses bezeichnet.22 18 Kortmann, Constitutioneel Recht, S. 55; insoweit bestehen Ähnlichkeiten mit der deutschen Wesentlichkeitstheorie. 19 Grondwet voor het Koninkrijk der Nederlanden vom 24.08.1815 in der Fassung vom 09.04.2002, Stb. 2002, 200. Das Grondwet von 1815 geht auf das Grondwet voor de Vereenigde Nederlanden vom 30.03.1814 zurück. Anlass für die Erneuerung des Grondwet war die Vereinigung der nördlichen mit den südlichen Niederlanden (dem heutigen Belgien) 1815. Vgl. dazu Prakke in: van der Pot/Donner, S. 100 f. m. w. N. Eine deutsche Übersetzung der wichtigsten Artikel des Grondwet findet sich bei van Berk, Grundrechtsverständnis, S. XVII ff. 20 Ausführlich zu der Reform des Grondwet von 1983 sowie zu den Grundrechten der niederländischen Verfassung van Berk, Grundrechtsverständnis, S. 17 ff., 28 ff. 21 Vgl. z. B. HR v. 22.12.1976, nr. 17 989, BNB 1977/50 (zu der Vorgängervorschrift art. 188 Gw); Gribnau, Rechtsbetrekking, S. 182.
C. Rechtsquellen
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III. Völkerrecht Eine weitere wichtige Rechtsquelle stellen völkerrechtliche Verträge dar. In den Niederlanden gilt ein monistischer Ansatz, d.h. völkerrechtliche Verträge sind automatisch Bestandteil der niederländischen Rechtsordnung, ohne dass es einer Umsetzung durch einen nationalen Rechtsakt bedarf.23 Dementsprechend stellt art. 93 Gw klar, dass Bürger sich nach deren Bekanntmachung auf völkervertragsrechtliche Regelungen, die unmittelbare Rechte und Pflichten gewährleisten, gegenüber nationalen Institutionen und insbesondere vor den Gerichten berufen können.
IV. Formelle Gesetze Neben dem Grondwet und dem Statuut kennt das niederländische Recht wetten in formele zin (formelle Gesetze), die unter Beachtung der in art. 81–88 Gw normierten Verfahrensvorschriften gemeinsam durch Regierung und Parlament (erste und zweite Kammer) zustande kommen.24
V. Materielle Gesetze Des weiteren gibt es eine Vielzahl von Gesetzen, die nicht nach den oben genannten Verfahrensvorschriften der art. 81–88 Gw zustande kommen. Was die Bezeichnung dieser Gruppe von Gesetzen angeht, so herrscht in Rechtsprechung und Literatur Uneinigkeit: Einerseits ist von wetten in materiële zin (materielle Gesetze) die Rede, andererseits wird von algemeen verbindende voorschriften (allgemeinverbindliche Vorschriften) gesprochen. Während ein Teil der Literatur die beiden Begriffe voneinander abgrenzt und davon ausgeht, dass Algemeen verbindende voorschriften auch bloße Innenwirkung haben können, wohingegen Wetten in materiële zin immer Außenwirkung haben müssen,25 verwenden der Hoge Raad und der andere Teil der Literatur die Begriffe synonym26 und fordern auch für Algemeen verbindende voorschriften eine Außenwirkung. Für die weitere Darstellung wird im Anschluss an die letztgenannte Auffassung davon ausgegangen, 22
Kortmann, Constitutioneel Recht, S. 33. HR v. 3.3.1919, NJ 1919, S. 371, 374; Kortmann, Constitutioneel Recht, S. 172 ff. 24 Belinfante/de Reede, Nederlands Staatsrecht, S. 122; Kortmann, Constitutioneel Recht, S. 321 f. 25 Kortmann, Constitutioneel Recht, S. 56. 26 Z. B. HR v. 16.5.1986, NJ 1987, 251; ebenso Boon/Brouwer/Schilder, Regelgeving, S. 8 m. w. N. 23
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1. Kap.: Rechtliche Grundlagen
dass die Begriffe insoweit übereinstimmen, als sie beide allgemein gefasste Regeln mit Außenwirkung bezeichnen. Unter der Überschrift „Algemeen verbindende voorschrift” bzw. „Wet in materiele zin” lassen sich weitere Untergruppen von Rechtsquellen zusammenfassen. Die wohl bedeutendste Untergruppe ist die der algemene maatregelen van bestuur (amwb, allgemeine Verwaltungsregeln), die in art. 89 Gw explizit aufgeführt sind. Gem. art. 89 lid 1 Gw hat die Regierung eine originäre Kompetenz, durch sog. koninklijk besluit (königlicher Beschluss) Gesetze im materiellen Sinn in Form von Algemene maatregelen van bestuur zu erlassen.27 Neben dieser originären Kompetenz gibt es auch abgeleitete Gesetzgebungskompetenzen der Exekutive aufgrund von Delegation durch den Gesetzgeber. Die Delegation von Gesetzgebungskompetenzen an die Exekutive bereitet in den Niederlanden – ebenso wie in Deutschland – Schwierigkeiten. Obwohl einerseits die Notwendigkeit einer derartigen Delegation anerkannt wird, sucht man gleichzeitig durch die Rechtsprechung eine wirksame Kontrolle der Exekutive in Ausübung delegierter Gesetzgebungskompetenzen zu gewährleisten. Ist der Verwaltung Ermessen eingeräumt, so beschränken sich die niederländischen Gerichte auf eine marginale Kontrolle.28 Im Bereich des Steuerrechts ist die Frage nach der Delegationsmöglichkeit besonders problematisch. Art. 104 Gw lid 1 sieht vor, dass Steuern aufgrund eines Gesetztes („uit kracht van een wet”) erhoben werden, wohingegen andere Abgaben durch Gesetz („bij de wet”) geregelt werden können. Durch die unterschiedliche Wortwahl sollte die Delegationsbefugnis beschränkt werden.29 Allerdings gilt die Formulierung als missglückt, sodass die Frage nach dem Umfang zulässiger Delegation von Gesetzgebungskompetenzen im Steuerrecht noch nicht vollständig geklärt ist. Danach gilt zwar für das Steuerrecht das Legalitätsprinzip (nullum tributum sine lege), aber es ist unklar, ob dem nur durch Gesetze im formellen Sinne (d.h. Parlamentsgesetze) oder auch durch materielle Gesetze Genüge getan ist.30 Gesetzgebungskompetenzen qua Delegation kommen dem Finanzminister allerdings unstreitig immer dann zu, wenn dies in einem Gesetz entsprechend formuliert ist. So ermächtigt z. B. art. 62 AWR den 27
Die Verwendung des Begriffs „Koninklijk besluit“ (königlicher Beschluss) in art. 89 lid 1 Gw impliziert nicht eine alleinige Kompetenz der Königin als Person, sondern zielt auf eine Ermächtigung der Regierung ab, von der die Königin lediglich ein Teil ist, vgl. Kortmann, Constitutioneel Recht, S. 132. 28 Kortmann, Constitutioneel Recht, S. 63. 29 Kortmann, Grondwetsherzieningen, S. 292 f.; ders., Constitutioneel Recht, S. 193; Zwenne, Informatieverplichtingen, S. 63. 30 Für eine Beschränkung auf Gesetze im formellen Sinne spricht sich van Meus, Legaliteit en belastingrecht, S. 8 ff. aus. Auch Gribnau, Rechtsbetrekking, S. 252 warnt vor einer weitgehenden Delegation von Kompetenzen durch den Gesetzgeber auf die Finanzverwaltung.
D. Normenhierarchie
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Finanzminister, allgemeinverbindliche Vorschriften für die Ausführung von Steuergesetzen zu erlassen.
VI. Innenrecht Schließlich gibt es Vorschriften, die innerhalb der Verwaltung erlassen werden und den Bürger grundsätzlich nicht binden. Zu diesen Vorschriften gehören die sog. beleidsregels, die am ehesten den deutschen Verwaltungsvorschriften vergleichbar sind. Typischerweise dienen diese Beleidsregels dazu, die Ausübung von Ermessen innerhalb der Verwaltung zu koordinieren. Obwohl sich die Beleidsregels eigentlich an die (nachgeordnete) Verwaltung richten, können veröffentlichte Beleidsregels beim Bürger ein Vertrauen darauf wecken, dass sich die Verwaltung diesen Vorschriften entsprechend verhält; wird dieses Vertrauen enttäuscht, so kann der Richter einen Verstoß gegen Prinzipien ordnungsgemäßen Verwaltungshandelns feststellen. Die für das Steuerrecht relevanten Aspekte der Beleidsregels werden ausführlich im vierten Kapitel dargestellt.
D. Normenhierarchie Nach art. 94 Gw finden innerhalb des Königreichs geltende gesetzliche Vorschriften keine Anwendung, wenn diese Anwendung im Widerspruch steht mit Bestimmungen in völkerrechtlichen Verträgen und Beschlüssen völkerrechtlicher Organisationen, die für den Bürger unmittelbare Rechte und Pflichten begründen („een ieder verbindende bepalingen”).31 Die Formulierung „gesetzliche Vorschriften“ in art. 94 Gw wird weit interpretiert und umfasst nicht nur formelle und materielle Gesetze, sondern auch das Grondwet sowie das Statuut.32 An höchster Stelle in der niederländischen Normenhierarchie steht deshalb nicht etwa das Grondwet, sondern internationale Verträge sowie das Europarecht (primäres und sekundäres Gemeinschaftsrecht).33 Bi- oder multilaterale Verträge, die zwischen den Niederlanden und anderen Staaten bzw. völkerrechtlichen Organisationen geschlossen werden, können vor Gericht nicht auf ihre Verfassungsmäßigkeit hin über31 Zur Bedeutung des Kriteriums „een ieder verbindende bepalingen“ sowie der Frage, wer das Vorliegen dieses Kriteriums prüfen darf, ausführlich Kortmann, Constitutioneel Recht, S. 174 ff. 32 Fleuren in: Kortmann, Grondwet, art. 94 Nr. 2. 33 Der Vorrang des Europarechts vor den nationalen Rechtsnormen folgt allerdings nicht erst aus art. 94 Gw, sondern bereits aus der besonderen (supranationalen) Rechtsnatur des Europarechts, vgl. Kapteyn/VerLoren van Themaat, Inleiding tot het recht van de Europese Gemeenschappen, S. 50, 53; Kortmann, Constitutioneel Recht, S. 120.
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1. Kap.: Rechtliche Grundlagen
prüft werden.34 Den Internationalen Verträgen und dem Europarecht folgt im Rang zunächst das Statuut und anschließend das Grondwet nach, vgl. art. 5 lid 2 Statuut. Nach dem Grondwet folgen in der Normenhierarchie zunächst die formellen Gesetze und dann die materiellen Gesetze, und zwar zunächst materielle Gesetze auf der Ebene des Reiches und anschließend materielle Gesetze auf Ebene der Provinzen und Gemeinden.35 Obwohl das Grondwet einen Vorrang der Verfassung nicht explizit normiert, ist doch allgemein anerkannt, dass der Gesetzgeber sowie die Exekutive und Judikative an die Verfassung gebunden sind.36 Allerdings kann die Bindung des Gesetzgebers an die Verfassung weder in formeller noch in materieller Hinsicht durch die Gerichte überprüft werden, art. 120 Gw.37 Aufgrund von art. 94 Gw sind die Gerichte jedoch ermächtigt, Gesetze (formelle und materielle) auf ihre Vereinbarkeit mit internationalen Verträgen hin zu überprüfen. Vor diesem Hintergrund haben insbesondere die in internationalen Verträgen enthaltenen Grundrechte (z. B. die Gleichheitsgrundrechte aus Art. 26 IPbürgR und Art. 14 EMRK) in den Niederlanden eine besondere Bedeutung erlangt, da die Richter Parlamentsgesetze nur auf einen etwaigen Verstoß gegen diese vertraglichen Grundrechtsbestimmungen, nicht jedoch auf die Vereinbarkeit mit den in art. 1 bis 23 Gw enthaltenen Grundrechten hin überprüfen dürfen. Im Gegensatz zu den Parlamentsgesetzen können nachrangige Gesetze und Rechtsverordnungen sehr wohl vor Gericht auf ihre Vereinbarkeit mit höherrangigem – auch ungeschriebenem – Recht hin überprüft werden.38 Insoweit lässt sich eine Zweigleisigkeit der Interpretation von Vorschriften des Grondwet feststellen: Soweit es um die Anwendungen der Verfassungsvorschriften durch den Gesetzgeber bzw. um das Verhältnis der höchsten Staatsorgane untereinander geht, obliegt die ultimative Interpretation dieser Vorschriften den betreffenden Organen, insbesondere dem Gesetzgeber. Die 34
Braun, Belastingrecht, S. 225 f.; Prakke in: van der Pot/Donner, S. 160. Boon/Brouwer/Schilder, Regelgeving, S. 15. 36 Belinfante/de Reede, Nederlands Staatsrecht, S. 182; van Berk, Grundrechtsverständnis, S. 62; Kortmann, Constitutioneel Recht, S. 29; Prakke in: van der Pot/ Donner, S. 156. 37 Zu den in der Vergangenheit immer wieder unterbreiteten Vorschlägen, diesen Zustand zu ändern, siehe ausführlich die Stellungnahme des Advocaat-generaal Mok zu HR v. 14.4.1989, nr. 13822, NJ 1989, 469 sowie die Empfehlung des Hoge Raad, der sich für die Einführung einer dezentralen Prüfungskompetenz der Gerichte (d.h. ohne Schaffung eines Verfassungsgerichts mit einem Verwerfungsmonopol) ausspricht, HR, Jaarverslag 1997–1998, § 63 unter I.4.2. . Für eine entsprechende Erweiterung der Prüfungskompetenz der Gerichte auch Happé, Drie beginselen, S. 92 m. w. N. 38 Bax in: Koekkoek, art. 120 Gw (S. 545); Belinfante/de Reede, Nederlands Staatsrecht, S. 184; Boon/Brouwer/Schilder, Regelgeving, S. 21. 35
E. Überblick über das niederländische Steuerrecht
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Auslegung und Anwendung des Grondwet durch andere staatliche Einrichtungen unterliegt jedoch richterlicher Kontrolle. Diese Zweigleisigkeit birgt die Gefahr divergierender Interpretationen.
E. Überblick über das niederländische Steuerrecht Wie im deutschen Steuerrecht, so wird auch im niederländischen Steuerrecht zwischen materiellem und formellem Steuerrecht bzw. Steuerverfahrensrecht unterschieden. Unter materiellem Steuerrecht werden all diejenigen Regeln verstanden, die das Entstehen, den Umfang und das Erlöschen der Steuerpflichten bestimmen; zum Steuerverfahrensrecht hingegen gehören insbesondere diejenigen Regeln, nach denen sich die Festsetzung der materiellen Steuerpflicht richtet und nach denen sich der Steuerpflichtige gegen die materielle Steuerpflicht zur Wehr setzen kann.39 Einige Parallelen zum deutschen (formellen und materiellen) Steuerrecht gehen auf die Einflüsse der deutschen Besatzungszeit zwischen 1940 und 1945 zurück. In steuerrechtlichen Angelegenheiten gelten die Niederlande, Aruba und die Niederländischen Antillen als separate Jurisdiktionen, d.h. das niederländische Steuerrecht (Verfahrensrecht und materielles Steuerrecht) gilt nur in den Niederlanden.40
I. Begriff der Steuer Im niederländischen Recht wird zwischen „belastingen“ (Steuern) und „andere heffingen“ (sonstige Abgaben) unterschieden. Wie im deutschen Grundgesetz, so fehlt auch in der niederländischen Verfassung eine Definition der Steuer. Belastingen sind nach Hofstra zwangsweise entrichtete Geldleistungen an ein öffentlich-rechtliches Gemeinwesen, denen keine konkrete Gegenleistung gegenübersteht und die aufgrund allgemeiner Vorschriften erhoben werden.41 Heffingen als Oberbegriff erfassen auch die Belastingen. In der tatsächlichen Verwendung des Begriffs „Heffingen“ liegt jedoch der Schwerpunkt auf Abgaben, die den deutschen Vorzugs39 Braun, Belastingrecht, S. 217; van der Ouderaa in: Burgerschap in praktijken, S. 53; Stevens, Basisboek Belastingen, S. 38. 40 Offermanns in: European Tax Handbook, S. 425. 41 Hofstra, Inleiding tot het Nederlands Belastingrecht, S. 22; ähnlich auch Braun, Belastingrecht, S. 16. Die Definition des Steuerbegriffs ist in den Niederlanden nicht unumstritten. Teilweise wird ein viel weiterer Steuerbegriff verwendet, der z. B. auch die Beiträge zur sog. Volksverzekering erfasst, die seit 1990 zusammen mit der Einkommensteuer erhoben werden. Vgl. van Schie/de Kam/Lamens/ Haas, Belastingrecht, S. 57 f. sowie Rapport van de Commissie ter bestudering van het begrip „belastingen“, Geschriften VVB no. 184, S. 21.
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1. Kap.: Rechtliche Grundlagen
lasten vergleichbar sind und im Zusammenhang mit konkreten Leistungen des Staates stehen. Allerdings können auch die Heffingen in den allgemeinen Staatshaushalt fließen, müssen also nicht zweckgebunden verwendet werden.42
II. Die Steuerarten im Überblick Das niederländische materielle Steuerrecht steht dem deutschen Steuerrecht hinsichtlich der Vielzahl von Normen und der Komplexität in nichts nach. Was die einzelnen Steuerarten betrifft, so bestehen große Ähnlichkeiten mit dem deutschen Steuerrecht. Zu den aufkommensstärksten Steuern zählen in den Niederlanden omzetbelasting (Umsatzsteuer), inkomstenbelasting (Einkommensteuer) einschließlich loonbelasting (Lohnsteuer) und vennootschapsbelasting (Körperschaftsteuer).43 Eine der deutschen Gewerbesteuer vergleichbare Steuer gibt es in den Niederlanden nicht und die Vermögenssteuer ist zum 1.1.2001 abgeschafft worden. Der Einkommensteuer unterliegen natürliche Personen, art. 1.1., art. 2.1. Wet Inkomstenbelasting 2001 (Wet IB 2001, Einkommensteuergesetz). Bei Personengesellschaften wird der Gewinn den Gesellschaftern grundsätzlich anteilig zugerechnet, wohingegen Kapitalgesellschaften der Körperschaftsteuer unterliegen, art. 2 Wet op de vennootschapsbelasting (Wet Vpb, Körperschaftsteuergesetz). Im Zuge der Steuerreform 2001 ist mit Wirkung vom 1.1.2001 insbesondere das Einkommensteuergesetz umfassend reformiert worden. Kernpunkte der Reform sind die Einführung dreier separat zu versteuernder Einkommensboxen und damit der Wechsel von einem synthetischen hin zu einem analytischen Einkommensteuerrecht, die Besteuerung von fiktiven Renditen bei Einkünften aus Kapitalvermögen sowie die Erweiterung der Bemessungsgrundlage durch Streichung bzw. Beschränkung zahlreicher Abzugsmöglichkeiten.44
42
Kortmann, Constitutioneel Recht, S. 193 f. Belastingdienst, Jaarverslag 2000, S. 55; van Schie/van Smeden/de Kam, Belastingrecht, S. 27 f. Ein aktueller Überblick über das niederländische (materielle) Steuerrecht findet sich bei Müssener, IWB Fach 5 Gruppe 2, 331 ff. 44 Ein analytisches Einkommensteuersystem hatte es bereits bei Einführung der Einkommensteuer Ende des 19. Jh. gegeben. Es war 1914 durch eine synthetische Einkommensteuer ersetzt worden. Dazu Hertoghs, MBB 2000, 11, 12 f. Nähere Erläuterung der Änderungen bei van den Tillaart/Lohuis/Stevens, IStR 2001, 171; van Osch/van Rijswijk, Elsevier v. 11.3.2000, 70; ausführlich zum niederländischen Steuersystem Offermanns in: European Tax Handbook, S. 425 ff. 43
E. Überblick über das niederländische Steuerrecht
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III. Steuerverfahrensrecht Das Steuerverfahrensrecht fristet in der niederländischen Steuerrechtswissenschaft gegenüber dem materiellen Steuerrecht noch immer ein Schattendasein.45 Grundlegende Rechtsquelle für das Steuerverfahrensrecht ist das Algemene wet inzake rijksbelastingen (AWR, Allgemeines Reichsabgabengesetz, der deutschen Abgabenordnung vergleichbar) mit Durchführungsverordnung. Daneben ist jedoch auch das Algemene wet bestuursrecht (Awb, Allgemeines Verwaltungsgesetzbuch, in weiten Teilen unserem VwVfG sowie der VwGO vergleichbar) von Bedeutung, da es allgemeine, für alle Teilbereiche des Verwaltungsrechts anwendbare Regelungen enthält, die im Steuerrecht zur Anwendung kommen, sofern es an einer speziellen Regelung fehlt.46 Weitere Vorschriften des Steuerverfahrensrechts finden sich verstreut auch in den materiellen Steuergesetzen. Für die Beitreibung geschuldeter Steuern ist das sog. Invorderingswet 1990 (IW 1990, Gesetz über die Steuererhebung und -vollstreckung) maßgeblich. 1. Veranlagungsarten Nach der Art und Weise der Veranlagung lassen sich die Steuern in den Niederlanden zunächst in zwei Gruppen einteilen: Sog. Aanslagbelastingen sind Steuern, die mittels eines hoheitlichen Steuerbescheids festgesetzt werden, sog. Aangiftebelastingen hingegen werden vom Steuerpflichtigen selbst berechnet. Obwohl die materielle Steuerschuld sich stets aus den Einzelsteuergesetzen ergibt, bedarf es erst noch einer Formalisierung, damit die formelle und zwangsweise durchsetzbare Pflicht zur Steuerzahlung entsteht und die Steuer fällig wird.47 Im Falle der Aanslagbelastingen erfolgt diese Formalisierung durch den Inspecteur im Wege der hoheitlichen Steuerfestsetzung (aanslag) durch Verwaltungsakt (beschikking). Bei den Aangiftebelastingen hingegen erfolgt die Formalisierung durch den Steuerpflichtigen bzw. Steuerentrichtungspflichtigen, der die zu zahlende Steuer selbst berechnet.48 Die Modalitäten beider Veranlagungsarten sind im AWR geregelt. Auf welche Weise eine Steuer veranlagt wird, lässt sich dem jeweiligen Einzelsteuergesetz entnehmen.49
45
Feteris, Formeel belastingrecht, S. 4. Ausführlich zum Verhältnis von AWR und Awb de Blieck u. a., AWR, S. 31 ff. 47 Ijzerman in: Hoofdzaken Belastingrecht, S. 14, 16. 48 Ijzerman in: Hoofdzaken Belastingrecht, S. 14, 16. 49 Vgl. z. B. art. 9.1. lid 1 Wet IB 2001, art. 24 Wet Vpb: „[. . .] wordt geheven bij wege van aanslag“; art. 14 Wet OB: „[. . .] moet op aangifte worden voldaan“. 46
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1. Kap.: Rechtliche Grundlagen
a) Hoheitliche Veranlagung durch Steuerbescheid Im Falle der Einkommen-, Körperschaft- und Vermögensteuer sowie einiger anderer Steuerarten wird die Steuerschuld durch den Inspecteur mittels Steuerbescheid hoheitlich festgesetzt, art. 11 lid 1 AWR. Zwar lässt die Verwendung des Begriffs „Inspecteur“ vermuten, dass damit der jeweilige Veranlagungsbeamte gemeint ist. Nach art. 19 Uitvoeringsregeling Belastingdienst i. V. m. art. 2 lid 3 onder b AWR gelten jedoch nur die Vorsteher der einzelnen Finanzämter als Inspecteur. In der Praxis erfolgt die Veranlagung dementsprechend durch den Sachbearbeiter im Namen des jeweiligen Vorstehers. aa) Funktion der Steuererklärung Ausgangspunkt für die hoheitliche Steuerfestsetzung sind grundsätzlich die Angaben, die der Steuerpflichtige in seiner Steuererklärung gemacht hat. Der Inspecteur kann gem. art. 6 lid 1 AWR jeden, der seinem Urteil nach steuerpflichtig sein könnte, zur Abgabe einer Steuererklärung auffordern. Dies geschieht in der Praxis durch Zusenden der entsprechenden Formulare50 per Post. Wer zur Abgabe einer Steuererklärung aufgefordert worden ist, muss dieser Aufforderung Folge leisten, art. 8 lid 1 AWR. Steuerpflichtige, denen kein Formular zugeschickt worden ist, sind nicht etwa von der Pflicht zur Abgabe einer Steuererklärung entbunden, sondern müssen aufgrund ministerieller Verordnung die Zusendung eines entsprechenden Formulars beantragen.51 Getreu dem Grundsatz „Von jedem Niederländer wird erwartet, dass er die Gesetze kennt“, tritt diese Pflicht zur Beantragung der Zusendung eines Formulars für die Steuererklärung bereits dann ein, wenn der Steuerpflichtige hätte wissen müssen, dass eine Steuerpflicht besteht.52 Der Steuerpflichtige ist verpflichtet, seiner Steuererklärung alle zur Ermittlung des zu versteuernden Einkommens erforderlichen Unterlagen bei50 Für die Einkommensteuer gibt es u. a. ein sog. P-biljet für Einzelpersonen, die weder gewerbliche Einkünfte noch Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit erzielen, sowie ein E-biljet als vereinfachte Ausgabe des P-biljets; Unternehmer bzw. Selbständige müssen ein O-biljet ausfüllen und für Personen, deren Einkommensteuerpflicht durch Tod endet, gibt es ein F-biljet. Ausländische Steuerpflichtige erhalten ein C-biljet. Des weiteren gibt es ein sog. T-biljet für Anträge auf Steuerrückzahlung. 51 Art. 2 Uitv.reg. AWR 1994. Solange der Steuerpflichtige kein Formular zugesandt bekommen hat, kann ihm kein Verwaltungsbußgeld bzw. keine strafrechtliche Sanktion wegen Nichtabgabe der Steuererklärung auferlegt werden, vgl. Aardema in: Aardema/Straathof/van de Bult/Hertoghs, Hoever reikt de arm van de fiscus, S. 16. 52 Wasch, Onderneming en Fiscus, S. 9 f.
E. Überblick über das niederländische Steuerrecht
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zufügen, art. 8 lid 1 AWR. Allerdings verzichten die Finanzämter in der Praxis bei den Einkommensteuerpflichtigen regelmäßig darauf, sich Belege unmittelbar mit Abgabe der Steuererklärung vorlegen zu lassen, und fragen diese nur bei Bedarf an. Die Steuererklärung des Steuerpflichtigen ist lediglich ein „Hilfsmittel“ für die Finanzerwaltung und bindet letztere deshalb nicht, d.h. der Inspecteur kann bei der Festsetzung von den Angaben des Steuerpflichtigen in der Steuererklärung abweichen, art. 11 lid 2 AWR. Gibt der Steuerpflichtige trotz Aufforderung keine Steuererklärung ab, stellt die Finanzverwaltung die Steuerschuld mittels Schätzung von Amts wegen fest (ambtshalve aanslag, art. 11 lid 2 AWR). Dies hat eine Umkehrung der Beweislast zur Folge und es ist im Streitfall Sache des Steuerpflichtigen zu beweisen, dass die Schätzung zu hoch ausgefallen ist, art. 25 lid 6 AWR. bb) Arten hoheitlicher Steuerfestsetzung In den Niederlanden werden verschiedene Arten hoheitlicher Steuerfestsetzung unterschieden: Mit dem sog. voorlopige aanslag („vorläufige Steuerfestsetzung“, der Sache nach jedoch Festsetzung von Steuervorauszahlungen) werden für bestimmte Gruppen von Steuerpflichtigen wie z. B. Gewerbetreibende und Selbständige für die Einkommensteuer und Kapitalgesellschaften für die Körperschaftsteuer in einem weitgehend automatisierten Verfahren monatlich oder vierteljährlich Vorauszahlungen auf die Einkommen- oder Körperschaftsteuer festgesetzt, art. 13 lid 1 AWR. Dadurch soll, ähnlich wie in Deutschland durch z. B. die Einkommensteuervorauszahlung nach § 37 Abs. 1 EStG, ein zeitnaher Zufluss des voraussichtlich geschuldeten Steuerbetrags schon während des laufenden Jahres ermöglicht und die zeitliche Nähe zu dem steuerbegründenden Sachverhalt gewahrt werden (“pay as you go” principle bzw. “pay as you earn” principle). Die Bedeutung der Steuervorauszahlungsbescheide hat in den vergangenen Jahren im Zusammenhang mit den Bemühungen des Belastingdienst um eine möglichst aktuelle Berücksichtigung steuerlich relevanter Tatsachen deutlich zugenommen.53 Hinsichtlich der Höhe des festzusetzenden Betrages sind in der Regel die Informationen aus dem Vorjahr maßgeblich, art. 23 lid 2 Uitv.reg. AWR. Der Vorauszahlungsbescheid kann positiv oder negativ ausfallen, d.h. auf Antrag kann auch eine vorläufige Steuererstattung vorgenommen werden, wenn für die endgültige Veranlagung nach Abschluss des Veranlagungszeitraums mit einer Erstattung zu viel gezahlter Vorauszahlungen zu rechnen ist. Beläuft sich die vorläufige Steuerfestsetzung auf einen negati53
Vgl. Belastingdienst, Handwijzer Klantmanagement, S. 70 f.
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1. Kap.: Rechtliche Grundlagen
ven Betrag, wird sie als vorläufige Steuerrückzahlung (voorlopige teruggaaf) bezeichnet und nur auf Antrag festgesetzt, art. 12 lid 2 AWR. Stellt sich noch vor der endgültigen Festsetzung heraus, dass eine oder mehrere vorläufige Steuerfestsetzungen zu niedrig ausgefallen sind, können sie durch sog. ergänzende vorläufige Festsetzungen bzw. Anpassungsbescheide (aanvullende bzw. nadere voorlopige aanslagen) ergänzt werden, art. 13 lid 3 AWR. Weichen die Vorauszahlungen des Steuerpflichtigen stark von der endgültig festgesetzten Steuerschuld ab, so kann dies dazu führen, dass der Steuerpflichtige in eine höhere Betreuungsintensitätskategorie eingeordnet wird (dazu ausführlich Kapitel 3) und demnach in der Zukunft stärker kontrolliert wird. Nach Ablauf des Veranlagungszeitraums und nach Eingang der Steuererklärung erfolgt eine endgültige Festsetzung (definitieve aanslag). Wurden für den Veranlagungszeitraum bereits vorläufige und ergänzende vorläufige Festsetzungen vorgenommen oder Steuervorauszahlungen in Form von Quellensteuern (Dividendensteuer, Lohnsteuer) geleistet, so werden diese in der endgültigen Festsetzung verrechnet, art. 15 AWR. Die endgültige Veranlagung nach Ablauf des Fiskaljahres ist in diesem Fall eine formale Abrechnung zwischen dem Steuerpflichtigen und der Finanzverwaltung. Stellt sich im Anschluss an die endgültige Festsetzung heraus, dass die Steuerschuld zu niedrig festgestellt worden ist, kann unter engen Voraussetzungen eine erneute, korrigierte Festsetzung erfolgen (navorderingsaanslag). Eine Steuerfestsetzung unter Vorbehalt, wie sie § 164 AO vorsieht, gibt es im niederländischen Steuerverfahrensrecht nicht.
cc) Untersuchungspflicht bei der Veranlagung Art. 11 AWR bestimmt, dass der Inspecteur die Steuer festsetzt und dabei von den Angaben des Steuerpflichtigen in dessen Steuererklärung abweichen darf. Daraus lässt sich jedoch nicht ableiten, welche Maßnahmen der Inspecteur zur Ermittlung der festzusetzenden Steuerschuld zu treffen hat. Ausgangspunkt für die Konkretisierung des Umfangs der Untersuchungspflicht des Inspecteur ist in Rechtsprechung und Literatur art. 16 lid 1 AWR, wonach eine Änderung eines Steuerbescheids bei Bekanntwerden neuer Tatsachen u. a. dann ausgeschlossen ist, wenn diese Tatsache dem Inspecteur bei der Veranlagung redlicherweise hätte bekannt sein müssen. In Abwägung der umfangreichen Aufgaben des Inspecteur sowie der Vielzahl der zu bearbeitenden Steuererklärungen einerseits und der Verantwortung der Steuerpflichtigen dafür, die für die Veranlagung erforderlichen Angaben wahrheitsgemäß in die Steuererklärung aufzunehmen (vgl. art. 7 lid 1, 8 lid 1 AWR), andererseits hat der Hoge Raad bereits in den 1950er Jahren ent-
E. Überblick über das niederländische Steuerrecht
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schieden, dass der Inspecteur sich grundsätzlich auf die Richtigkeit der Angaben der Steuerpflichtigen in ihren Steuererklärungen verlassen darf und sich auf eine Überprüfung anhand der der Finanzverwaltung vorliegenden Kontrollinformationen sowie stichprobenartige Kontrollen beschränken darf, soweit nicht besondere Anhaltspunkte Anlass für weitere Kontrollaktivitäten geben.54 1994 wurde in art. 3:2 Awb eine Pflicht zur sorgfältigen Sachverhaltsermittlung für die Verwaltung statuiert. Schon im Vorfeld war die Frage aufgeworfen worden, wie sich diese Vorschrift zu art. 11 lid 2 AWR verhält. Zwar ist durch die Rechtsprechung inzwischen geklärt, dass art. 3:2 Awb im Besteuerungsverfahren Anwendung findet;55 ob dadurch jedoch weiterreichende Anforderungen an die Sachaufklärung durch den Belastingdienst gestellt werden, haben die Gerichte bislang nicht entschieden. Der Staatssekretär für Finanzen hat jedoch in der sog. Voorschrift Algemene Wet Bestuursrecht festgestellt, dass der Belastingdienst auch weiterhin auf die Richtigkeit der Angaben der Steuerpflichtigen vertrauen dürfe.56 dd) Fristen Gem. art. 9 lid 1 AWR müssen im hoheitlichen Veranlagungsverfahren Steuererklärungen innerhalb eines vom Inspecteur festgelegten Zeitraums abgegeben werden, der mindestens einen Monat ab dem Zeitpunkt der Aufforderung zur Abgabe einer Steuererklärung betragen muss. Für die Einkommen- und Vermögensteuer ist dieser Termin auf den 1. April des Folgejahres festgelegt worden,57 Körperschaftsteuererklärungen sind innerhalb von sechs Monaten nach Ablauf des Jahres abzugeben. Der Inspecteur kann 54 HR v. 27.4.1955, nr. 12 296, BNB 1955/214; HR v. 25.6.1958, nr. 13 596, BNB 1958/255; HR v. 28.4.1982, nr. 20 671, BNB 1982/267; HR v. 5.11.1986, nr. 24 075, BNB 1987/19; de Blieck u. a., AWR, S. 181; Gribnau, Rechtsbetrekking, S. 314 f. 55 Vgl. z. B. Hof Den Haag v. 17.12.1996, nr. 95/2141, abrufbar auf der Homepage des Finanzministeriums . Hingegen hält Addink, Algemene beginselen, S. 331, art. 16 AWR für eine lex specialis im Verhältnis zu art. 3:2 Awb. 56 Voorschrift Algemene Wet Bestuursrecht v. 25.07.1997, Stcrt. 1997, nr. 138, unter 4.1. Kritisch (zur Vorgängervorschrift von 1993) Wisselink, MBB 1995, 344, 345, der art. 3:2 Awb eine ähnliche Bedeutung wie § 88 I AO beimisst und den Belastingdienst dementsprechend für verpflichtet hält, den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln. Feteris, Formeel Belastingrecht, S. 99, 102 hält aufgrund von art. 3:2 Awb das vollständige Unterlassen von Ermittlungen für rechtswidrig, will daraus aber nur Konsequenzen für eine etwaige nachträgliche Korrektur des Steuerbescheides ziehen. Ilsink/Fliers, Fiscaal bestuursprocesrecht, S. 26 f., sind der Ansicht, die Ermittlungpflicht greife allenfalls dann, wenn der Veranlagungsbeamte von den Angaben des Steuerpflichtigen abweicht. 57 de Blieck u. a., AWR, S. 117; Stevens, Basisboek Belastingen, S. 44.
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1. Kap.: Rechtliche Grundlagen
diese Frist auf Antrag des Steuerpflichtigen verlängern, wobei er die Verlängerung an die Bedingung knüpfen kann, dass der Steuerpflichtige die für eine vorläufige Steuerfestsetzung erforderlichen Angaben auf einem entsprechenden Formular (sog. VA-biljet) macht, art. 9 lid 2 AWR. In der Praxis wird das Abgeben dieses Formulars automatisch als Antrag auf Verlängerung der Frist um drei Monate gewertet und diesem Antrag (einmalig) ohne weiteres stattgegeben.58 Die hoheitliche Steuerfestsetzung kann nur innerhalb von drei Jahren nach dem Entstehen der (materiellen) Steuerschuld erfolgen. Bei Steuern wie der Einkommensteuer, die über einen bestimmten Zeitraum (im Falle der Einkommensteuer: das Jahr) erhoben werden, muss die Festsetzung demnach innerhalb von drei Jahren nach Ablauf des jeweiligen Veranlagungszeitraums erfolgen, art. 11 lid 3 AWR. Wird für die Abgabe der Steuererklärung eine Fristverlängerung gewährt, so verlängert sich die Frist für die Steuerfestsetzung entsprechend, art. 11 lid 3 AWR. b) Selbstberechnungssteuern Bei den Aangiftebelastingen, bei denen der Steuerpflichtige bzw. Steuerentrichtungspflichtige die zu entrichtende Steuer selbst berechnet und an den Belastingdienst abführt, wird zwischen sog. Voldoeningsbelastingen und Afdrachtbelastingen unterschieden, art. 19 lid 1 AWR: Während Voldoeningsbelastingen wie z. B. die Umsatzsteuer und die Glücksspielsteuer für Kasinos und ausländisches Glücksspiel vom Steuerschuldner selbst entrichtet werden, behält bei Afdrachtbelastingen wie z. B. der Lohnsteuer und der Dividendensteuer der Steuerentrichtungspflichtige (inhoudingsplichtige) die Steuer eines anderen (des Steuerschuldners) ein und führt sie an das Finanzamt ab.59 Von diesem Unterschied hinsichtlich der Person des Zahlenden abgesehen ist das Veranlagungsverfahren bei beiden Unterarten der Aangiftebelastingen identisch. aa) Funktion der Steuererklärung Hinsichtlich der Aufforderung zur Abgabe einer Steuererklärung gelten die obigen Ausführungen entsprechend, d.h. auch im Falle der Selbstberechnung wird der Steuerpflichtige in der Regel durch Zusenden eines entsprechenden Formulars zur Abgabe der Steuererklärung aufgefordert. Der Steuerpflichtige ist jedoch nicht nur zur Abgabe einer Steuererklärung ver58 59
de Blieck u. a., AWR, S. 117. Braun, Belastingrecht, S. 219 f.
E. Überblick über das niederländische Steuerrecht
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pflichtet, sondern muss darüber hinaus die von ihm in der Steuererklärung ermittelte Steuerschuld an das Finanzamt abführen, ohne dass es einer entsprechenden hoheitlichen Steuerfestsetzung durch einen Steuerbescheid bedarf. Ob in diesen Fällen die Festsetzung vollständig entfällt oder der Steuerpflichtige die Steuer mit seiner Steuererklärung gegen sich selber festsetzt, wird in der Literatur nicht eindeutig beantwortet.60
bb) Fristen Die Frist zur Abgabe der Steuererklärung beträgt im Falle der Selbstberechnung mindestens einen Monat nach Ende des jeweiligen Zeitraums, wenn die Steuer für bestimmte Zeiträume erhoben wird, und anderenfalls mindestens einen Monat nach Aufforderung zur Abgabe durch den Inspecteur, art. 10 lid 2 AWR. Eine Fristverlängerung ist auf Antrag möglich, art. 10 lid 3 AWR. Die Steuer ist innerhalb eines Monats nach ihrem Entstehen entsprechend der in der Steuererklärung vorgenommenen Berechnung an die Finanzverwaltung abzuführen, art. 19 lid 1, lid 3 AWR. Ist der Termin für die Abgabe der Steuererklärung verlängert worden, so verlängert sich auch der Termin für die Entrichtung der Steuerschuld entsprechend, art. 19 lid 4 AWR. cc) Abweichende Festsetzung Wird die vom Steuerpflichtigen bzw. Steuerentrichtungspflichtigen berechnete Steuer nicht vollständig bezahlt oder stellt sich heraus, dass die Berechnung zu niedrig ausgefallen ist, so kann der Inspecteur einen sog. naheffingsaanslag vornehmen und die ausstehende Steuerschuld festsetzen. Für eine derartige abweichende Festsetzung bedarf es (entgegen der nachträglichen Änderung einer Steuerfestsetzung zu Ungunsten des Steuerpflichtigen, s. u.) keiner neuen Tatsache o. Ä. Eine abweichende Festsetzung kommt allerdings grundsätzlich nur innerhalb von fünf Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuerschuld entstanden ist, in Betracht, art. 20 lid 3 AWR.
60 Vgl. Ijzerman in: Hoofdzaken Belastingrecht, der einerseits davon spricht, dass in den Fällen der Selbstberechnung die erforderliche „Formalisierung“ der materiellen Steuerschuld durch den Steuerpflichtigen erfolge (S. 14, 16) und andererseits feststellt, dass in diesen Fällen „im Prinzip keine Festsetzung der Steuer stattfindet“ (S. 19).
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1. Kap.: Rechtliche Grundlagen
2. Mitwirkungspflichten der Steuerpflichtigen Um die Finanzverwaltung in die Lage zu versetzen, die Angaben der Steuerpflichtigen in ihren Steuererklärungen zu überprüfen, sieht das AWR verschiedene Mitwirkungspflichten der Steuerpflichtigen vor, die von der Pflicht zur einfachen Auskunft bis hin zur umfassenden Buchführungspflicht reichen. Eine der wichtigsten Mitwirkungspflichten ist die Pflicht zur Abgabe einer Steuererklärung, s. o. Kommt ein Steuerpflichtiger seinen Mitwirkungspflichten nicht nach, so kann das eine Umkehrung der Beweislast im Rechtsbehelfsverfahren zur Folge haben, art. 25 lid 6, 27 onder b, 54 AWR. In diesen Fällen gilt die Veranlagung durch die Finanzverwaltung als richtig, sofern der Steuerpflichtige nicht das Gegenteil beweist.61 Darüber hinaus kann die Verweigerung der Mitwirkung mit einem Verwaltungsbußgeld oder strafrechtlich mit Geldstrafe bzw. Freiheitsentzug geahndet werden. Vergleichbare Mitwirkungsrechte finden sich für den Bereich der Steuerbeitreibung in art. 58–63a IW 1990. Daneben sind in einigen materiellen Steuergesetzen spezifische Mitwirkungspflichten aufgenommen, vgl. z. B. art. 34 Wet op de omzetbelasting (Wet OB, Umsatzsteuergesetz). Als Gegenstück zu den Mitwirkungspflichten der Steuerpflichtigen enthalten art. 67 lid 1 AWR bzw. (beinahe wortgleich) art. 67 lid 1 IW 1990 eine Geheimhaltungspflicht für die Finanzverwaltung (Steuergeheimnis) zum Schutz der dieser durch die Steuerpflichtigen offenbarten Sachverhalte.62 Danach ist es jedermann untersagt, Informationen, die ihm in Ausführung der Steuergesetze bekannt geworden sind, in größerem Umfang bekannt zu machen, als das für Besteuerungszwecke erforderlich ist. Der Finanzminister kann diese Geheimhaltungspflicht im Einzelfall aufheben, art. 67 lid 2 AWR. a) Auskunfts- und Kontrollmitteilungspflichten Der Umfang der Auskunftspflichten eines Steuerpflichtigen richtet sich danach, ob es um Informationen im Zusammenhang mit der Besteuerung 61 Wasch, Onderneming en Fiscus, S. 26. Ohne eine entsprechende Umkehr der Beweislast ist es grundsätzlich Sache der Finanzverwaltung, die steuerbegründenden Tatsachen zu beweisen, wohingegen der Nachweis der steuermindernden Tatsachen dem Steuerpflichtigen obliegt, vgl. Feteris, Formeel belastingrecht, S. 218 ff. Für den Steuerpflichtigen, der seinen Mitwirkungspflichten nicht nachkommt, gilt darüber hinaus ein verschärftes Beweismaß. Allgemein zur Beweiswürdigung und Beweislastverteilung im Steuerrecht Aardema in: Aardema/Straathof/van de Bult/Hertoghs, Hoever reikt de arm van de fiscus?, S. 31 ff. 62 Die spezielle Geheimhaltungsvorschrift des art. 67 lid 1 AWR hat für die Finanzverwaltung Vorrang vor der lediglich subsidiär, für alle Behörden geltenden Vorschrift des art. 2:5 Awb.
E. Überblick über das niederländische Steuerrecht
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des Befragten oder eines Dritten geht und ob es sich um ein „normales“ Besteuerungsverfahren handelt oder ein Steuerstrafverfahren begonnen hat.63 In eigener Sache sind die Steuerpflichtigen im Besteuerungsverfahren umfassend zur Mitwirkung verpflichtet. Auf Aufforderung des Inspecteur müssen die Steuerpflichtigen die zur Ermittlung ihres zu versteuernden Einkommens erforderlichen Informationen beschaffen (aktive Auskunftspflicht) bzw. Einblick in ihre Aufzeichnungen gewähren (passive Auskunftspflicht), art. 47 lid 1 AWR.64 Dabei kann der Inspecteur die geeignete Form, in der die Information beschafft werden soll (mündlich, schriftlich etc.) und eine entsprechende Frist bestimmen, art. 49 AWR. Handelt es sich hingegen um die Besteuerung Dritter,65 so sind natürliche Personen, die keine selbständige Tätigkeit ausüben und keinen Gewerbebetrieb haben, nicht zur Auskunft verpflichtet. Für alle anderen natürlichen Personen und für juristische Personen (einschließlich Stiftungen) gilt, dass sie dem Belastingdienst Fragen beantworten und Einblick in die Buchhaltung und andere Belege gewähren müssen, wenn dies für die Besteuerung eines Dritten von Bedeutung sein kann, art. 53 lid 1, art. 47, 48–50 AWR.66 Dabei besteht kein Subsidiaritätsgrundsatz, wie ihn in Deutschland § 93 Abs. 1 S. 3 AO vorschreibt. Im Zuge der Steuerreform 2001 sind darüber hinaus die Voraussetzungen für eine Pflicht zur Erteilung von Auskünften ohne entsprechende Anfrage seitens des Belastingdienst, d.h. auf eigene Initiative des Auskunftspflichtigen hin geschaffen worden, art. 53 lid 2 AWR. Damit ist die Voraussetzung für eine erhebliche Ausdehnung des ohnehin schon weitreichenden Systems von Kontrollmitteilungspflichten geschaffen worden. Die Pflicht einzelner natürlicher und juristischer Personen zur Übermittlung von Informationen über besteuerungsrelevante Angelegenheiten Dritter wird ausführlich im 3. Kapitel dargestellt. Eine besondere Auskunftspflicht besteht gem. art. 47a AWR für niederländische Tochtergesellschaften mit ausländischen Mutter- oder Schwestergesellschaften. Danach ist die niederländische Tochtergesellschaft verpflichtet, der niederländischen Finanzverwaltung gegenüber Auskünfte über die ausländischen Gesellschaften zu erteilen bzw. Aufzeichnungen dieser Ge63
Wasch, Onderneming en Fiscus, S. 23 f. Zum Begriff der aktiven und passiven Auskunftspflicht vgl. Zwenne, Informatieverplichtingen, S. 34. 65 Dritte in diesem Sinne können alle Personen außer dem jeweiligen Finanzbeamten und demjenigen sein, der zur Auskunft aufgefordert wird, d.h. es spielt keine Rolle, ob eine unmittelbare Verbindung zwischen dem Auskunftspflichtigen und dem Dritten besteht. Vgl. Rb Den Haag, 28.12.1989, nr. 89/2346, FED 1990 nr. 306 (S. 872); Zwenne, Informatieverplichtingen, S. 47. 66 Ausführlich dazu Kamerling, Vakblad Finaciele Planning 11/1998, S. 16, 17; Stevens, Basisboek Belastingen, S. 66; Wasch, Onderneming en Fiscus, S. 25. 64
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1. Kap.: Rechtliche Grundlagen
sellschaften zur Verfügung zu stellen, sofern dies für die Besteuerung der niederländischen Tochter von Bedeutung sein kann. Sowohl was die Mitwirkung im Zusammenhang mit der eigenen Besteuerung angeht als auch im Hinblick auf die Besteuerung Dritter reicht die Auskunftspflicht jeweils so weit, wie die Informationen für Besteuerungszwecke von Bedeutung sein können. Dieses Kriterium wird durch die Rechtsprechung weit ausgelegt. Die entsprechende steuerliche Relevanz der Information ist danach nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil die Finanzverwaltung die benötigte Information auch auf andere Weise ermitteln könnte.67 Nach Ansicht der Finanzverwaltung sind die relevanten von den irrelevanten Informationen danach zu unterscheiden, ob der Information redlicherweise spezifische Bedeutung für die Besteuerung des Steuerpflichtigen, über den die Information eingeholt wird, beigemessen werden kann.68 Was die Art und Weise betrifft, in der die Information zur Verfügung gestellt wird, so schreibt das Gesetz eine besondere Form der Visualisierung nicht vor, sodass auch eine Koppelung von Datenbeständen und ein entsprechender elektronischer Austausch der Informationen möglich ist.69 b) Aufbewahrungs- und Dokumentationspflichten Steuerliche Dokumentationspflichten (Administratieplicht) sind 1987 erstmalig als Buchführungspflicht eingeführt und 1994 erheblich erweitert worden.70 Sie gelten gem. art. 52 lid 2 AWR für alle juristischen Personen und darüber hinaus auch für natürliche Personen, sofern sie einen Gewerbebetrieb ausüben, einer selbständigen Tätigkeit nachgehen oder steuerentrichtungspflichtig sind. Im Zuge der Steuerreform 2001 ist dieser Kreis noch um solche Personen erweitert worden, die, ohne Unternehmer zu sein, finanziell an einem Unternehmen beteiligt sind (art. 3.3) bzw. Einkünfte aus sonstiger Tätigkeit erzielen (art. 3.90, 3.91, 3.92 Wet IB 2001). Der Begriff der sonstigen Tätigkeit ist weit zu verstehen und umfasst u. a. auch die Überlassung von Wirtschaftsgütern an Betriebe von dem Steuerpflichtigen nahestehenden Personen. Abgesehen von diesen Fallgruppen sind natürliche Personen nicht 67 HR v. 14.11.1928, B. 4396; Ausführlich zur Auslegung des Kriteriums der möglichen steuerlichen Relevanz Zwenne, Informatieverplichtingen, S. 34 ff. 68 Vgl. die Ausführungen des Staatssekretärs für Finanzen, Kamerstukken I 1990/91, 21 034, nr. 27a, S. 2. 69 Kamerstukken II 1988/89, 21 287, nr. 3, S. 21; Zwenne, Informatieverplichtingen, S. 37; ausführlich zum (automatisierten) Informationsaustausch unten 3. Kap. unter E. 70 Vgl. Wet uitbreiding informatieverplichtingen en invoering van een boekhaudverplichting vom 26.11.1987, Stb. 1987, 536 sowie Wet aanpassing administratieve verplichtingen vom 29.6.1994, Stb. 1994, 499.
E. Überblick über das niederländische Steuerrecht
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verpflichtet, Aufzeichnungen zu machen. Die Aufzeichnungspflicht ist weit formuliert und verpflichtet die entsprechenden Steuerpflichtigen, in der Weise Bücher zu führen und Belege aufzubewahren, dass alle für die Besteuerung relevanten Informationen daraus jederzeit hervorgehen.71 Über diese allgemeinen Aufzeichnungspflichten des AWR hinaus sind in den Einzelsteuergesetzen teilweise Sonderregelungen enthalten.72 Die Aufzeichnungen müssen über einen Zeitraum von mittlerweile sieben Jahren (bis 1994 galt eine zehnjährige Frist, art. 54 AWR a. F.) aufbewahrt werden, art. 52 lid 4 AWR. Die Art und Weise sowohl der Aufzeichnung als auch der Aufbewahrung muss so ausgestaltet sein, dass eine Kontrolle durch den Inspecteur innerhalb eines angemessenen Zeitraums möglich ist, art. 52 lid 6 AWR. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Aufzeichnungen traditionell auf Papier oder auf anderen Datenträgern vorgenommen werden. Was das Verhältnis der Aufbewahrungspflichten zu den Informationspflichten angeht, so ist im Zusammenhang mit der Besteuerung Dritter unklar, ob die Informationspflichten weiter reichen als die Aufzeichnungspflichten, d.h. ob die Aufzeichnungspflichtigen gehalten sind, bestimmte Aufzeichnungen allein deshalb zu machen, weil diese für die Besteuerung Dritter von Bedeutung sein können. Hat ein Aufzeichnungspflichtiger jedoch tatsächlich mehr aufgezeichnet, als er aufgrund sonstiger Vorschriften hätte aufzeichnen müssen, unterliegen diese Informationen in jedem Fall der Auskunftspflicht (sofern sie für die Besteuerung Dritter von Bedeutung sein können).73 c) Sonstige Mitwirkungspflichten Neben den Auskunfts- und Aufzeichnungspflichten bestehen noch eine Reihe weiterer Mitwirkungspflichten, unter denen die Pflicht, dem Inspecteur Zugang zum Betriebsgelände und zu den Betriebsgebäuden zu verschaffen, hervorzuheben ist, art. 50 lid 1 AWR. Der Zugang muss grundsätzlich werktags in der Zeit von 8.00 Uhr bis 18.00 Uhr gewährt werden, art. 50 lid 2 AWR. Handelt es sich jedoch um das Betriebsgelände bzw. -gebäude eines nach art. 52 AWR Aufzeichnungspflichtigen und erfolgt die 71 Eine Definition, was unter der einzurichtenden Administration im Einzelnen zu verstehen ist, ist nicht ins Gesetz aufgenommen worden, um die Aufzeichnungspflicht in Zukunft flexibel anpassen zu können, vgl. Kamerstukken II 1988/89, 21 287, nr. 3, S. 11; Zwenne, Informatieverplichtingen, S. 39 f. 72 So sind z. B. Arbeitgeber gem. art. 28 lid 1 onder c Wet op de loonbelasting 1964 verpflichtet, eine geeignete Lohnbuchhaltung zu führen, und für Gesellschaften ist in art. 8b lid 3 Wet Vpb neuerdings eine Dokumentationspflicht im Zusammenhang mit der Bestimmung von Verrechnungspreisen niedergelegt. 73 Zwenne, Informatieverplichtingen, S. 50, 52 m. w. N.
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1. Kap.: Rechtliche Grundlagen
Nutzung gewöhnlich außerhalb der genannten Uhrzeiten, so muss der Zugang zu den entsprechenden Nutzungszeiten (also ggf. auch nachts) gewährt werden, art. 50 lid 3. d) Mitwirkungsverweigerungsrechte Soweit es um die eigene Person geht, kann ein Steuerpflichtiger die Einhaltung der oben genannten Mitwirkungspflichten unter Hinweis auf etwaige Geheimhaltungspflichten nicht verweigern, art. 51 AWR. Allerdings gilt im Bereich des Steuerstrafrechts das nemo-tenetur-Prinzip, vgl. Art. 6 EMRK.74 Was die steuerlichen Angelegenheiten Dritter betrifft, so besteht ein Mitwirkungsverweigerungsrecht (verschoningsrecht) für eine eng umschriebe Gruppe von Berufsgeheimnisträgern, zu der Geistliche, Notare, Anwälte, Ärzte und Apotheker gehören, art. 53a AWR. Daneben existiert ein beschränktes Mitwirkungsverweigerungsrecht für Steuerberater und Wirtschaftsprüfer, das jedoch keinen Rückhalt im Gesetz findet, sondern sich auf eine Mitteilung des Staatssekretärs für Finanzen gründet.75 Steuerberater und Wirtschaftsprüfer dürfen danach Korrespondenz zurückhalten, die sie in ihrer Eigenschaft als Berater mit ihrem Mandanten geführt haben. Ein der Regelung des § 101 AO entsprechendes Mitwirkungsverweigerungsrecht für Angehörige besteht nicht. 3. Rechtssicherheit durch sog. Standpuntbepalingen Die niederländische Finanzverwaltung gilt traditionell als kompromissbereit und es wird als Standortvorteil für die Niederlande angesehen, dass insbesondere Unternehmen im Vorfeld Gewissheit über die steuerlichen Folgen wirtschaftlicher Transaktionen erlangen können.76 Unter dem Begriff der standpuntbepalingen sind eine Vielzahl einseitig und zweiseitig bindender 74 Zur Anwendbarkeit des Art. 6 EMRK im Grenzbereich zwischen Steuerverfahrensrecht und steuerstrafrechtlichen Ermittlungen Beukers-van Dooren, NTFR 11/ 2001, 1 ff. 75 Mitteilung v. 5.1.1994, nr. 10DGM4. 76 Bakker, WFR 1999/1402, 1405; Feteris, Formeel Belastingrecht, S. 378; van der Ouderaa in: Burgerschap in praktijken, S. 43, 47, hält die Kompromissbereitschaft für ein Kennzeichen der niederländischen Gesellschaft insgesamt. Das Bewusstsein für die Bedeutung einer flexiblen, effizienten Finanzverwaltung mit einem entsprechenden Serviceangebot für die Standortentscheidung von (insbesondere) international operierenden Unternehmen kommt in den Veröffentlichungen des Belastingdienst immer wieder zum Ausdruck. Vgl. z. B. Sectorplan Dienstverlening 1998–2002, S. 7; Bedrijfsplan 2001–2005 unter 1.1. Diesen Zusammenhang betont auch Vermeulen, De Accountant 1993, 82, 83 f.
E. Überblick über das niederländische Steuerrecht
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Zusagen bzw. Vereinbarungen im Vor- oder Nachhinein zusammengefasst, deren Vielfältigkeit sowie die z. T. uneinheitliche Verwendung der Terminologie im Folgenden lediglich eine überblickartige Darstellung erlaubt. Wesentliche Voraussetzung dafür, dass der Steuerpflichtige in seinem Vertrauen auf eine Standpuntbepaling seitens des Belastingdienst geschützt wird (dazu im 4. Kapitel), ist immer, dass diese durch einen zuständigen Beamten getroffen worden ist.77 Sofern die Kompetenz zur Abgabe einer Standpuntbepaling nicht explizit einer bestimmten Unterabteilung des Belastingdienst zugewiesen ist (wie im Falle der rulings, s. unten), ist an sich jeder Inspecteur bzw. der durch ihn ermächtigte Sachbearbeiter zuständig.78 Allerdings müssen solche Angelegenheiten, die den Charakter von Präzedenzfällen haben, mittlerweile einer sog. kennisgroep vorgelegt werden, die eine de facto bindende „Empfehlung“79 ausspricht, um eine größere Einheitlichkeit der Standpuntbepalingen über die jeweilige Finanzamtsgrenze hinaus zu gewährleisten. Sowohl der Vertrauensschutz als auch die Bedeutung der Kennisgroepen kommen in den folgenden Kapiteln noch ausführlich zur Sprache. a) Einseitig bindende Erklärungen Neben grundsätzlich unverbindlichen Auskünften80 kann der Belastingdienst auf Anregung des Steuerpflichtigen verbindliche toezeggingen (Zu77 HR v. 29.8.1984, nr. 22 362, BNB 1984/285; Engwerda, Beginselen van behoorlijk bestuur, S. 24 f.; Weenink/Graaf, Algemene beginselen, S. 54 f. 78 Aufgrund der Tatsache, dass die meisten Kompetenzen dem sog. Inspecteur übertragen sind (vgl. z. B. art. 11 lid 1, 16 lid 1 AWR) und als Inspecteur seit der Reorganisation Anfang der 1990er Jahre der Vorsteher des jeweiligen Finanzamts gilt (vgl. art. 19 Uitv.reg. Belastingdienst i. d. Fassung bis zum 31.12.2002), der diese Aufgaben innerhalb seines Finanzamtes verteilt, binden die einzelnen Mitarbeiter in den Finanzämtern den Inspecteur, sodass der Steuerpflichtige grundsätzlich nur auf die Zuständigkeit des Finanzamtes, nicht jedoch des konkreten Mitarbeiters achten muss. 79 An diese „Empfehlung“ der Kennisgroepen ist der Inspecteur zwar nicht rechtlich, wohl aber faktisch gebunden, denn der Staatssekretär hat deutlich zum Ausdruck gebracht, dass er ein Abweichen nicht wünscht, vgl. Besluit v. 15.6.2001, nr. RTB2001/1917M, Stcrt. nr. 121. 80 Zur Abgrenzung von Auskünften und Zusagen Stevens, Basisboek Belastingen, S. 40; Weenink/Graaf, Algemene beginselen, S. 36 f. Mit der Feststellung, dass rein informative Auskünfte wie z. B. Erläuterungen als Beilage zu den Steuererklärungsvordrucken, Broschürentexte etc. grundsätzlich kein schützenswertes Vertrauen seitens des Steuerpflichtigen hervorrufen und etwaige Fehler deshalb zu Lasten des Steuerpflichtigen gehen, unterstreichen die Gerichte die Wichtigkeit einer möglichst uneingeschränkten Informationspolitik durch den Belastingdienst. Vgl. z. B. HR v. 9.3.1988, nr. 24 199, BNB 1988/148; Engwerda, Beginselen van behoorlijk bestuur, S. 21. Zustimmend van Leijenhorst, WFR 1993, 773, 782 f. Kritisch Wisselink,
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1. Kap.: Rechtliche Grundlagen
sagen) treffen. Darunter versteht der Hoge Raad einen Ausspruch der Finanzverwaltung über die (Nicht-)Anwendung von Gesetzen auf einen bestimmten (künftigen) Sachverhalt.81 Eine schriftliche Fixierung der Zusage ist nicht erforderlich, und für die Frage, ob eine Äußerung eines Finanzbeamten als Zusage zu verstehen ist, kommt es auf den Empfängerhorizont an, d.h. darauf, wie der Steuerpflichtige diese Äußerung verstehen musste.82 Die Bindung der Finanzverwaltung an derartige Äußerungen beruht auf dem Grundsatz des Vertrauensschutzes als allgemeinem Grundsatz ordnungsgemäßen Verwaltungshandelns (s. 4. Kap.). Dementsprechend entfällt die Bindung, wenn die Zusage auf unrichtigen Angaben des Steuerpflichtigen beruht.83 Ausnahmsweise kann auch das Vertrauen der Steuerpflichtigen auf die Richtigkeit von Auskünften schützenswert sein. Das setzt voraus, dass die Auskunft nicht offensichtlich unrichtig ist und der Steuerpflichtige im Vertrauen darauf eine Disposition getroffen und dadurch über die zu entrichtende Steuer hinaus einen (finanziellen) Schaden erlitten hat.84 Die Bindungswirkung von Zusagen kann grundsätzlich nur für die Zukunft beseitigt werden.85 b) Zweiseitig bindende Absprachen Bei den zweiseitig bindenden Absprachen ist der Begriff des fiscale compromis bzw. der vaststellingsovereenkomst (Feststellungsübereinkunft, Verständigung) zentral. Obwohl der Belastingdienst schon seit Jahrzehnten Verständigungen mit den Steuerpflichtigen getroffen hat,86 waren Rechtsgrund und Umfang bis in die 1990er Jahre streitig. Zu Beginn der 1990er MBB 1995, 344, 349, der darauf hinweist, dass gerade Erläuterungen durch den Belastingdienst ein besonderes Vertrauen des Steuerpflichtigen wecken müssten. 81 HR v. 26.9.1979, nr. 19 250, BNB 1979/311. 82 HR v. 27.6.1984, nr. 22 555, BNB 1984/240; Engwerda, Beginselen van behoorlijk bestuur, S. 22; de Blieck u. a., AWR, S. 224. 83 HR v. 26.9.1979, nr. 19 250, BNB 1979/311; Engwerda, Beginselen van behoorlijk bestuur, S. 23. 84 HR v. 26.9.1979, nr. 19 250, BNB 1979/311; Engwerda, Beginselen van behoorlijk bestuur, S. 21; van Es, Aanspraak 7–8/1999, 21, 23; Stevens, Basisboek Belastingen, S. 40; Weenink/Graaf, Algemene beginselen, S. 37. 85 HR v. 30.6.1993, nr. 18 648, VN 1993, 2453. 86 Wegbereiter war die Finanzverwaltung in den niederländischen Kolonien im heutigen Indonesien, die, nachdem sie das Recht erhalten hatte, die dortigen niederländischen Plantagenbesitzer zu besteuern, aufgrund spezifischer Schwierigkeiten bei der Gewinnfeststellung schon 1915 in großem Umfang Kompromisse mit den Steuerpflichtigen eingegangen ist. Vgl. Klein Sprokkelhorst, Overeenkomsten, S. 53 f. Bereits 1931 erschien die erste Dissertation zu den zweiseitig bindenden Absprachen im niederländischen Steuerrecht, vgl. ten Holder, De verbintenis in het fiscale recht.
E. Überblick über das niederländische Steuerrecht
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Jahre ist jedoch im siebten Buch des Burgerlijk Wetboek (BW, Bürgerliches Gesetzbuch) das Institut der sog. Vaststellingsovereenkomst geregelt worden, und der Hoge Raad hat 1992 entschieden, dass der Belastingdienst und der Steuerpflichtige sich mittels einer Vaststellingsovereenkomst gegenseitig verpflichten können.87 Bei einem Fiscale Compromis handelt es sich deshalb um eine Vaststellingsovereenkomst i. S. v. art. 7:900 BW.88 Darunter ist eine zweiseitige vertragliche Vereinbarung über die zwischen den Parteien bestehende Rechtsbeziehung zu verstehen, die dazu dient, Unsicherheiten zu beenden oder zu vermeiden. Gegenseitiges Nachgeben ist nicht zwingend erforderlich, sodass die Vaststellingsovereenkomst nicht mit dem deutschen Vergleich deckungsgleich ist.89 In der Praxis besteht das „Nachgeben“ auf Seiten des Steuerpflichtigen jedoch in der Regel darin, dass er darauf verzichtet, hinsichtlich des Gegenstandes der Vaststellingsovereenkomst die Finanzgerichte anzurufen.90 Da die Vaststellingsovereenkomst in der Regel der Vorbereitung eines Verwaltungsaktes in Form eines Steuerbescheides dient, kommen jedoch nicht nur zivilrechtliche, sondern auch verwaltungsrechtliche (steuerrechtliche) Vorschriften bzw. Rechtsgrundsätze zur Anwendung.91 Obwohl der Hoge Raad dazu nicht explizit Stellung nimmt, ist deshalb davon auszugehen, dass es sich bei der Vaststellingsovereenkomst im Steuerrecht um einen öffentlich-rechtlichen Vertrag handelt, auf den die Regelungen der zivilrechtlichen Vaststellingsovereenkomst entsprechend anwendbar sind. Dem Umfang nach können sich Verständigungen zwischen Belastingdienst und Steuerpflichtigem sowohl direkt auf Fragen der Festsetzung und Beitreibung von Steuern als auch auf die Modalitäten steuerrechtlicher Nebenpflichten wie z. B. der Aufbewahrung von Unterlagen beziehen.92 Es muss sich jeweils um Fragen im Zusammenhang mit der Anwendung von Steuergesetzen auf einen konkreten Einzelfall handeln, wobei sowohl die Feststellung von Tatsachen als auch Rechtsfragen Gegenstand der Vaststellingsovereenkomst sein können.93 Den Eindruck, die Anwendung des 87
HR v. 27.5.1992, nr. 27 848, BNB 1992/302. HR v. 25.11.1992, 28 717, BNB 1993/63. Vgl. Besluit v. 1.12.1997, nr. AFZ97/2412U, abrufbar unter . Weenink/Graaf, Algemene beginselen, S. 35. Vgl. auch Smit, WFR 1995, 713. 89 So zutreffend auch Mincke, Einführung in das niederländische Recht, Rn. 287. 90 Besluit v. 1.12.1997, nr. AFZ97/2412U. Hingegen bleibt es dem Steuerpflichtigen auch dann unbenommen, die Frage der Bindungswirkung bzw. des ordnungsmäßigen Zustandekommens der Vaststellingsovereenkomst gerichtlich überprüfen zu lassen, vgl. Klein Sprokkelhorst, Overeenkomsten, S. 132. 91 Dazu ausführlich Klein Sprokkelhorst, Overeenkomsten, S. 43 ff. 92 Besluit v. 1.12.1997, nr. AFZ97/2412U; ausführlich zu den möglichen Inhalten von steuerlichen Vaststellingsovereenkomsten Feteris, Formeel Belastingrecht, S. 384 f.; Klein Sprokkelhorst, Overeenkomsten, S. 69 ff. 88
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1. Kap.: Rechtliche Grundlagen
Rechts sei verhandelbar, versucht der Belastingdienst zwar zu vermeiden,94 doch ist der Abschluss einer Vaststellingsovereenkomst über die (Nicht-) Anwendung gesetzlicher Regelungen auf einen konkreten Sachverhalt nicht ausgeschlossen.95 An die Vaststellingsovereenkomst sind die Parteien auch dann gebunden, wenn sich nachträglich herausstellt, dass die festgestellte Rechtslage nicht mit der wirklichen übereinstimmt, art. 7:900 BW. Allerdings dürfen Vaststellingsovereenkomsten nicht geschlossen werden, wenn sie zum Zeitpunkt des Abschlusses offensichtlich im Widerspruch zu den geltenden Gesetzen stünden.96 Eine Bindung entfällt auch dann, wenn der Steuerpflichtige bei Abschluss der Vaststellingsovereenkomst unzutreffende oder unvollständige Angaben gemacht hat. Zuständig für das Eingehen einer Vaststellingsovereenkomst ist auf Seiten des Belastingdienst der jeweilige Inspecteur/Ontvanger, d.h. der Vorsteher des Finanzamts bzw. ein hierzu durch diesen ermächtigter Mitarbeiter.97 c) Sonderfall der sog. Rulings Einen Sonderfall stellen die sog. rulings dar, mit denen die Steuerpflichtigen vorab von der Finanzverwaltung Sicherheit bezüglich der steuerlichen Konsequenzen internationaler Sachverhalte erhalten und insbesondere Absprachen mit der Finanzverwaltung über die anzuwendende Methode zur Ermittlung von Verrechnungspreisen treffen können.98 Nachdem die RulingPolitik der Niederländer nicht nur im eigenen Land sondern auch innerhalb der EU kritisiert worden war, weil es an Transparenz und insbesondere an entsprechend detaillierten gesetzlichen Vorgaben für die Berücksichtigung des sog. arms-length-Prinzips fehlte, ist das Ruling-Regime zum 1.4.2001 anhand der Richtlinie der OECD99 grundlegend reformiert und eine Differenzierung zwischen advance tax rulings (ATR) einerseits und advance pric93 Engwerda, Beginselen van behoorlijk bestuur, S. 32; Feteris, Formeel Belastingrecht, S. 384; Wisselink, MBB 1995, 344, 352. 94 Boersma im Interview mit Bergman, BM 7/1993, 18, 19. 95 de Blieck u. a., AWR, S. 235. Die Autoren weisen allerdings darauf hin, dass der Abschluss einer Vaststellingsovereenkomst contra legem aufgrund Verstoßes gegen die sog. öffentliche Ordnung nichtig sein kann, art. 3:40 BW. Gegen die Zulässigkeit einer Vaststellingsovereenkomst, die ausschließlich Verständigungen über Rechtsfragen beinhaltet, spricht sich Geppaart, WFR 1990, 1365, 1371 aus. 96 Besluit v. 1.12.1997, nr. AFZ97/2412U. 97 Vgl. art. 19 Uitv.reg. Belastingdienst i. d. Fassung bis zum 31.12.2002; Besluit v. 1.12.1997, nr. AFZ97/2412U. 98 Engwerda, Beginselen van behoorlijk bestuur, S. 33; Müssener in: Mennel/ Förster, Steuern in Europa, Niederlande, Rn. 9 (Stand: 35. Lfg. 1998); zur Geschichte der Rulings Klein Sprokkelhorst, Overeenkomsten, S. 108 f.; aus rechtsvergleichender Sicht Romano, Advance Tax Rulings, S. 95 ff., 184 ff.
E. Überblick über das niederländische Steuerrecht
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ing agreeements (APA) andererseits getroffen worden.100 Während sich ein APA auf die Billigung einer Methode zur Gewinnermittlung bei grenzüberschreitenden Leistungsbeziehungen zwischen verbundenen Unternehmen im Vorfeld des Leistungsaustauschs bezieht, können ATR vorab Sicherheit über die steuerliche Qualifikation bestimmter internationaler Strukturen wie z. B. die (Nicht-)Anwendbarkeit des Schachtelprivilegs oder das (Nicht-)Vorliegen einer Betriebsstätte in den Niederlanden liefern. Die rechtliche Einordnung der Rulings als einseitig bindende Zusage oder als zweiseitige Vaststellingsovereenkomst war lange Zeit umstritten.101 Mit der Neuregelung des Ruling-Regime ist jedoch zweifelsfrei bestimmt, dass sowohl APA’s als auch ATR’s einer Vaststellingsovereenkomst zwischen der Finanzverwaltung und dem Steuerpflichtigen bedürfen, um Bindungswirkung zu entfalten. Für die Bearbeitung entsprechender Anträge ist seit 1991 ausschließlich das Finanzamt für Grote Ondernemingen in Rotterdam zuständig, um eine entsprechende Einheitlichkeit der Verwaltungspraxis zu gewährleisten und ein „Inspecteur-shopping“ zu unterbinden.102 Der Steuerpflichtige trägt sein Anliegen zunächst dem für ihn zuständigen Sachbearbeiter vor, der die Angelegenheit an das APA-/ATR-Team in Rotterdam für eine bindende Beschlussempfehlung weiterleitet.103 d) Sonderfall der Standpuntbepaling durch Unterlassen Ausnahmsweise kann auch ein Unterlassen seitens des Belastingdienst als bewusste Standpuntbepaling zu werten und das Vertrauen des Steuerpflichtigen zu schützen sein, z. B. wenn der Steuerpflichtige davon ausgehen muss, dass eine bestimmte Fragestellung Gegenstand einer Betriebsprüfung gewesen ist und der Belastingdienst im Anschluss keine Korrektur vornimmt (dazu auch unten 4. Kap. C.IV.1.b)bb)).104 Ausschlaggebend ist jeweils, dass der Steuerpflichtige den Eindruck gewonnen hat, als habe die Finanz99 OECD Transfer Pricing Guidelines (Verrechnungspreisgrundsätze) v. 13.7.1995, veröffentlicht in deutscher Sprache, Köln 1997. 100 Besluit v. 30.3.2001, nr. IFZ2001/292M und 293M. Die Rekenkamer hatte sich bereits 1986 in einem Bericht kritisch mit den Rulings auseinandergesetzt, vgl. Kamerstukken II 1986/87, 20 485, nr. 1, 2 sowie den Nachtrag zu diesem Bericht, Kamerstukken II 1986/87, 19 700 IXB, nr. 71. 101 Vgl. de Blieck u. a., AWR, S. 238. 102 Antwort des Staatssekretärs auf Fragen von Abgeordneten anlässlich des Berichts der Rekenkamer zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung und -umgehung bei der Körperschaftsteuer v. 25.1.1999, nr. PFC98.1350, Antwort auf Frage 11. Die Möglichkeit des Inspecteur-shoppings hatte die Rekenkamer bereits in einem Bericht aus dem Jahr 1987 kritisiert, vgl. Kamerstukken II 1986/87, 19 700 IXB, nr. 71. 103 Besluit v. 30.3.2001, nr. IFZ2001/292M und 293M.
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1. Kap.: Rechtliche Grundlagen
verwaltung in der betreffenden Angelegenheit eine bewusste Standpuntbepaling getroffen.105 e) Veröffentlichung von Standpuntbepalingen Standpuntbepalingen werden intern über das Intranet allen Finanzämtern bekannt gemacht, um eine größtmögliche Einheitlichkeit in der Entscheidungspraxis zu gewährleisten. Solange es sich jedoch um Einzelfallentscheidungen handelt und noch keine Weiterentwicklung zu einer sog. beleidsregel (dazu 4. Kap.) erfolgt ist, findet eine Veröffentlichung über allgemein zugängliche Quellen grundsätzlich nicht statt.106 Allerdings ist die Frage nach der Veröffentlichung von Rulings in den vergangenen Jahren immer wieder Streitpunkt zwischen der Finanzverwaltung und Steuerpflichtigen bzw. Fachverlagen gewesen. Mittlerweile werden die kollidierenden Interessen – Wahrung des Steuergeheimnisses auf der einen und Sicherung des gleichmäßigen Gesetzesvollzugs auf der anderen Seite – dadurch zum Ausgleich gebracht, dass APA’s und ATR’s in anonymisierter Form veröffentlicht werden.107 Eine Veröffentlichung unterbleibt, wenn die APA’s oder ATR’s inhaltlich nicht von bereits veröffentlichten Beleidsregels abweichen. 4. Korrektur von Steuerbescheiden Definitive Steuerbescheide können von der Finanzverwaltung im Nachhinein grundsätzlich nicht mehr zu Lasten des Steuerpflichtigen geändert werden. Die nachträgliche Erhöhung der Steuerfestsetzung durch einen sog. navorderingsaanslag (Steuernachforderung) ist jedoch zulässig, wenn der Finanzverwaltung eine neue Tatsache bekannt wird, die zu einer höheren Steuer führt und von der die Finanzverwaltung zuvor weder Kenntnis hatte noch hätte haben müssen, art. 16 lid 1 AWR. „Neu“ sind nicht nur nachträglich entstehende Tatsachen, sondern auch solche, die zum Zeitpunkt der Steuerfestsetzung bereits existierten, der Finanzverwaltung aber nicht bekannt waren. Zwar „verspielt“ der Finanzbeamte die neue Tatsache nicht dadurch, dass er sich auf die Angaben des Steuerpflichtigen in dessen Steuererklärung verlässt; allerdings ist dieses unschädliche Vertrauen im Einzelfall 104 HR v. 18.12.1991, nr. 27 127, BNB 1992/182; HR v. 2.9.1992, nr. 27 855, BNB 1993/2. 105 Engwerda, Beginselen van behoorlijk bestuur, S. 27; van Es, Aanspraak 7–8/ 1999, 21, 26; Weenink/Graaf, Algemene beginselen, S. 39 ff. 106 Hintergrund dafür ist die Sicherung der Einheitlichkeit des sog. beleid, vgl. 4. Kap. unter B. 107 Besluit v. 30.3.2001, nr. IFZ2001/292M und 293M.
E. Überblick über das niederländische Steuerrecht
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von einer unsorgfältigen Steuerfestsetzung abzugrenzen.108 Die Frage, ob eine neue Tatsache vorliegt, spielt deshalb in der Praxis und insbesondere im Rechtsbehelfsverfahren regelmäßig eine große Rolle. Häufig ergeben sich neue Tatsachen im Sinne dieser Vorschrift durch Kontrollmitteilungen Dritter. War der Steuerpflichtige bösgläubig, so kann auf die Voraussetzung der neuen Tatsache verzichtet werden, art. 16 lid 1 AWR.109 Unabhängig von dem Vorhandensein neuer Tatsachen ist eine Steuernachforderung außerdem zulässig, wenn eine vorläufige Steuerfestsetzung falsch verrechnet worden ist (art. 16 lid 2 sub a AWR) oder wenn die Zurechnung von Vermögensgegenständen für Zwecke der Besteuerung bei Eheleuten bzw. in einer Partnerschaft fehlerhaft war, art. 16 lid 2 sub b AWR, art. 2.17 IB 2001. Darüber hinaus ist anerkannt, dass der Korrektur offensichtlicher Schreib- und Rechenfehler kein schützenswertes Vertrauen des Steuerpflichtigen entgegensteht, sodass eine Korrektur in diesen Fällen trotz fehlender expliziter gesetzlicher Regelung möglich ist.110 Eine Korrektur zu Ungunsten des Steuerpflichtigen kommt grundsätzlich nur innerhalb von fünf Jahren nach Entstehen der Steuerschuld in Betracht, art. 16 lid 3 AWR. Wurde jedoch z. B. die Frist zur Abgabe der Steuererklärung auf Antrag des Steuerpflichtigen verlängert, so verlängert sich der Zeitraum für die Korrektur entsprechend. Sofern es sich um ausländische Einkünfte handelt, beträgt die Frist für die Änderung des Steuerbescheids zwölf Jahre, art. 16 lid 4 AWR. 5. Zinsen Das niederländische Steuerverfahrensrecht kennt zwei unterschiedliche Arten von Zinsen, nämlich die sog. heffingsrente (Erhebungszins) und die invorderingsrente (Beitreibungszins). a) Heffingsrente Die Heffingsrente, geregelt in art. 30f–h AWR, wurde zum 1.4.1987 erstmalig eingeführt.111 Eine gesetzliche Definition des Begriffs Heffingsrente fehlt. 108 Stevens, Basisboek Belastingen, S. 47. Ausführlich zu der Voraussetzung der „neuen Tatsache“ Ijzerman in: Hoofdzaken Belastingrecht, S. 14, 18 f. 109 Von Bösgläubigkeit ist Sprache, wenn der Steuerpflichtige die Tatsache vorsätzlich oder „mit an Vorsatz grenzender Fahrlässigkeit“ verschwiegen hat, vgl. HR v. 11.6.1997, nr. 32 299, V-N 1997/2360; Rosier, Fiscale boeten, S. 30. 110 Braun, Belastingrecht, S. 219; Ijzerman in: Hoofdzaken Belastingrecht, S. 14, 18.
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1. Kap.: Rechtliche Grundlagen
Bei den Steuern, die durch hoheitlichen Steuerbescheid festgesetzt werden, wird Heffingsrente für den Zeitraum erhoben, der zwischen dem Ablauf des Veranlagungszeitraums (i. d. R. das Kalenderjahr) und der Ausfertigung des Steuerbescheides liegt, und zwar unabhängig davon, ob es sich um eine endgültige oder vorläufige Steuerfestsetzung bzw. um eine Steuernachforderung handelt. Damit entspricht die Heffingsrente im Wesentlichen dem Vorfälligkeitszins i. S. von § 233a AO.112 Durch die Abschaffung der zunächst geltenden 15monatigen Karenzzeit wird in den Niederlanden jedoch seit 1997 – anders als nach § 233a AO – ein vollständiger Ausgleich des Zinsvorteils gewährleistet, da die Zinsen unmittelbar mit Ablauf des Veranlagungszeitraums entstehen. Die Entstehung der Zinsen ist unabhängig davon, ob bei der Festsetzung von den Angaben des Steuerpflichtigen in seiner Steuererklärung abgewichen wird oder nicht. Die Steuerpflichtigen werden durch die Ausgestaltung des Vorfälligkeitszinses dazu angehalten, frühzeitig (möglichst noch während des laufenden Fiskaljahres) eine vorläufige Steuerfestsetzung zu beantragen. Bei den Steuern, die der Steuerpflichtige selbst berechnet, wird Heffingsrente erhoben, wenn es zu einer abweichenden Steuerfestsetzung (naheffingsaanslag) kommt, weil der Steuerpflichtige die Steuerschuld zu niedrig berechnet hat, bzw. wenn es zu einer Steuererstattung kommt, art. 30f lid 2 AWR. Die Zinsen werden im Falle der abweichenden Steuerfestsetzung für den Zeitraum zwischen dem Ablauf des Kalenderjahres, auf das sich die Steuerfestsetzung bezieht, und dem Tag der Ausfertigung des Steuerbescheides berechnet, art. 30f lid 3 onder c AWR. Bei Steuererstattungen beginnt die Verzinsung (des Erstattungsbetrages) drei Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, auf das sich die Erstattung bezieht, und läuft bis zur Ausfertigung des Steuerbescheides, art. 30f lid 3 onder c AWR. Die Höhe der Heffingsrente ist variabel und wird – ausgehend vom jeweiligen Zinssatz der europäischen Zentralbank, art. 30f lid 5 AWR – in jedem Quartal vom 111 Eingeführt durch das Wet tot berekening van rente inzake belastingen en premies volksverzekeringen vom 26.3.1987, Stb. 1987, 120. In der Gesetzesbegründung wurde darauf verwiesen, dass damit dem langjährigen Wunsch der Steuerpflichtigen entsprochen werde, einen Zinsausgleich für den Fall zu erhalten, dass Steuerrückzahlungen lange auf sich warten lassen, vgl. Kamerstukken II 1985/86, 19557, Nr. 3 S. 2. 112 Bis 1997 war die Entsprechung vollständig, denn auch in den Niederlanden galt bis zu diesem Zeitpunkt eine Karenzzeit von 15 Monaten, wie § 233a Abs. 2 S. 1 AO sie vorsieht. Da diese 15-monatige Karenzzeit in den Niederlanden zum 1.4.1987 und in Deutschland zum 3.8.1988 durch Gesetz vom 25.7.1988, BGBl. I 1988, 1093, 1127, Art. 15 Nr. 3 eingeführt wurde, liegt aufgrund der zeitlichen Nähe die Vermutung nahe, dass dies nicht unabhängig voneinander geschehen ist. Zur Kritik an der 15monatigen Karenzzeit des § 233a Abs. 2 S. 1 AO vgl. Seer in: Tipke/Lang, § 22 Rn. 348.
E. Überblick über das niederländische Steuerrecht
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Staatssekretär für Finanzen neu festgesetzt.113 Die Heffingsrente wird üblicherweise zusammen mit dem Steuerbescheid festgesetzt. b) Invorderingsrente Die sog. invorderingsrente wird gem. art. 29 IW 1990 auf eine Steuerschuld erhoben, die trotz Fälligkeit vollständig oder teilweise zu spät gezahlt wird, und zwar grundsätzlich unabhängig davon, ob dem Steuerpflichtigen ein Zahlungsaufschub (uitstel van betaling, art. 25 IW 1990) gewährt wurde.114 Für die Festsetzung der Invorderingsrente ist nicht der Inspecteur, sondern der sog. Ontvanger (Finanzkasse) zuständig. Gem. art. 19 Uitv.reg. Belastingdienst vereinigen die Vorsteher der Finanzämter jedoch beide Funktionen in einer Person (um sie dann innerhalb des Belastingdienst auf ausführende Beamte zu übertragen). Für die Invorderingsrente gilt jeweils der gleiche Prozentsatz wie für die Heffingsrente. c) Betalingskorting Hinter der sog. Betalingskorting (wörtlich übersetzt: Zahlungsermäßigung), art. 27a IW 1990, verbirgt sich nicht etwa ein Erlass,115 sondern eine Art Skonto: Ist aufgrund einer vorläufigen Steuerfestsetzung eine Steuerschuld in mehreren Teilbeträgen zu zahlen und zahlt der Steuerpflichtige die gesamte Summe bereits zum ersten Termin, so kommt er in den Genuss einer Kürzung seiner Steuerschuld. Die Höhe der Kürzung bemisst sich nach der Höhe der Invorderingsrente für die Hälfte des Zeitraums, über den sich die Teilzahlungen eigentlich hätten erstrecken sollen, art. 27a lid 1, lid 3, art. 29 IW 1990. 6. Straf- und Bußgeldvorschriften Die Pflichten der Steuerpflichtigen werden einerseits durch eine Umkehrung der Beweislast für den Fall einer gerichtlichen Auseinandersetzung und andererseits durch Straf- und Bußgeldvorschriften bewehrt. Hinsichtlich 113 So zuletzt durch die sog. Wijziging van de Regeling bekendmaking percentage heffingsrente en invorderingsrente bij belastingen vom 22.8.2003, nr. WDB2003/322M, Stcrt. Nr. 162 auf 2,0%. 114 Braun, Belastingrecht, S. 228. Für besondere, enumerativ aufgelistete Fälle kann ausnahmsweise von der Geltendmachung von Invorderingsrente abgesehen werden, vgl. art. 28 lid 2 IW 1990. 115 Eine dem Erlass i. S. v. § 277 AO vergleichbare Regelung findet sich mit der sog. Kwijtschelding in art. 26 Invorderingswet 1990.
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1. Kap.: Rechtliche Grundlagen
der strafrechtlichen und der verwaltungsrechtlichen Ahndung von Pflichtverstößen der Steuerpflichtigen gilt der Grundsatz „una via“, d.h. ein und dasselbe Verhalten des Steuerpflichtigen kann grundsätzlich immer nur entweder durch ein verwaltungsrechtliches Bußgeld (administratieve boete) oder durch eine Kriminalstrafe (Geldbuße oder Gefängnisstrafe) geahndet werden, art. 67o, 69a AWR.116 Für die Auslegung und Entwicklung der Straf- und Bußgeldvorschriften war und ist die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 6 EMRK von besonderer Bedeutung. Mit Wirkung zum 1.1.1998 sind die Straf- und Bußgeldvorschriften grundlegend neugefasst worden.117 a) Verwaltungsbußgelder Was die Verwaltungsbußgelder betrifft, so wird unterschieden zwischen den (leichteren) Zuschlägen (Verzuimboeten, art. 67a–67c AWR) und den (schwerwiegenderen) Bußgeldern für vorsätzliche Verstöße (Vergrijpboeten, art. 67d–67f AWR).118 Während die Verzuimboeten in erster Linie dazu dienen, den Steuerpflichtigen zur Beachtung seiner steuerlichen Pflichten anzuhalten, steht bei den Vergrijpboeten die Sanktionierung vorsätzlicher bzw. grob fahrlässiger Pflichtverstöße im Vordergrund, vgl. § 4 lid 1, 2 BBBB. Dennoch ist inzwischen anerkannt, dass die Verhängung jedweden Verwaltungsbußgeldes i. S. des AWR, d.h. Verzuim- wie Vergrijpboete, als strafrechtliche Verfolgung i. S. von Art. 6 Abs. 1 EMRK mit den daraus folgenden Verfahrensgarantien für den Steuerpflichtigen gilt.119 Dadurch hat sich der mit der Auferlegung von Bußgeldern verfolgte Zweck von der Kompensation des durch den Staat erlittenen Steuerausfalls zu der Sanktio116 Dementsprechend muss der jeweilige Finanzbeamte sorgfältig abwägen, ob er ein Bußgeld verhängen oder eine strafrechtliche Verfolgung einleiten will, vgl. Ijzerman in: Hoofdzaken Belastingrecht, S. 14, 23. Ausführlich zur Una-via-Regelung auch Rosier, Fiscale boeten, S. 46 f. Gem. § 20 BBBB kommt jedoch u. U. eine Kombination von einer Kriminalstrafe und einer sog. Verzuijmboete als Unterfall des Verwaltungsbußgeldes in Betracht, vgl. Uitgeverij Euroforum, Beloning en Belasting Nr. 19/1998, Special, S. 12, 17 f. 117 Wetten van 18.12.1997, nrs. 23470 en 24800, Stb. 1997, 738 u. 737. 118 Im Falle einer Verzuijmboete braucht der Inspecteur keine Fahrlässigkeit des Steuerpflichtigen nachzuweisen, sondern diese wird aufgrund seines Verhaltens vermutet, Uitgeverij Euroforum, Beloning en Belasting Nr. 19/1998, Special, S. 12, 13. Dagegen setzt eine Vergrijpboete zumindest grob fahrlässiges Handeln des Steuerpflichtigen voraus, vgl. Rosier, Fiscale boeten, S. 19. 119 HR v. 19.6.1985, BNB 1986/29 im Anschluss an EGMR v. 21.2.1984, A/73 (Öztürk), EuGRZ 1985, 62; Geppaart in: FS Tipke, S. 639, 646 f. Ijzerman in: Hoofdzaken Belastingrecht, S. 14, 24. Konsequenterweise entschied der Hoge Raad am 15.7.1988, nr. 24 483, BNB 1988/270 (S. 1771), dass der Belastingdienst die Beweislast für den Nachweis der Bösgläubigkeit des Steuerpflichtigen trägt.
E. Überblick über das niederländische Steuerrecht
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nierung des Fehlverhaltens des jeweiligen Steuerpflichtigen hin verlagert. Eine der wichtigsten Konsequenzen dieser Bewertung der Verwaltungsbußen ist, dass dem Steuerpflichtigen hinsichtlich des Bußgeldes bereits in diesem Stadium das Recht zukommt, Auskünfte und Aufklärung zu verweigern, um sich nicht selbst zu belasten. Dieses Aussage- und Mitwirkungsverweigerungsrecht berührt allerdings nicht die Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen bei der Steuerfestsetzung, sondern beschränkt sich auf die Verhängung eines Bußgeldes.120 Das AWR enthält zwar die Ermächtigungsgrundlagen für das Auferlegen von Verwaltungsbußgeldern, räumt der Finanzverwaltung aber grundsätzlich Ermessen ein, und zwar sowohl hinsichtlich des „Ob“ einer Geldbuße als auch hinsichtlich deren Höhe. Dieses Ermessen ist insbesondere hinsichtlich der Höhe der aufzuerlegenden Bußgelder durch Beschluss des Staatssekretärs im sog. Besluit Bestuurlijke Boeten Belastingdienst 1998 (BBBB) für die Finanzbeamten konkretisiert worden.121 Der Steuerpflichtige kann die Einhaltung der im BBBB enthaltenen Vorschriften unter Berufung auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes gegenüber der Finanzverwaltung einfordern. Die Gerichte sind zwar nicht an die Regelungen im BBBB gebunden, dürfen aber nicht zu Ungunsten des Steuerpflichtigen von der Entscheidung der Finanzverwaltung über die Höhe der Geldbuße abweichen (keine reformatio in peius).122 Kann die Finanzverwaltung im Einzelfall zwischen einer Vergrijpboete einerseits und einer Verzuimboete andererseits wählen, so hat sie ihre Entscheidung gem. § 5 BBBB im Vorhinein zu treffen und kann später – etwa wenn das für die Vergrijpboete erforderliche Verschuldensmaß nicht bewiesen werden kann – nicht auf die jeweils andere Art von Verwaltungsbußgeld zurückgreifen, d.h. auch hier gilt der Grundsatz „una via“. Für den Betrag eines Verwaltungsbußgeldes werden keine Zinsen berechnet, § 9 lid 2 BBBB. Gezahlte Bußgelder können nicht gewinn- bzw. einkunftsmindernd berücksichtigt werden.123
120
Ijzerman in: Hoofdzaken Belastingrecht, S. 14, 24. Allerdings bleibt es dem Inspecteur unbenommen, aufgrund der Umstände des Einzelfalls von der im BBBB vorgegebenen Höhe der Geldbuße nach unten oder oben hin abzuweichen, §§ 10, 42, 43 BBBB. Ausführlich zum BBBB Uitgeverij Euroforum, Beloning en Belasting Nr. 19/1998, Special, S. 12 ff. 122 HR v. 28.3.1990, nr. 25 668, BNB 1990/194 (zum Leidraad administratieve boeten 1984, einem Vorgänger des BBBB); Rosier, Fiscale boeten, S. 45. 123 Stevens, Fiscus, S. 41. 121
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1. Kap.: Rechtliche Grundlagen
aa) Verzuimboeten Das AWR sieht in den art. 67a–c eine Vielzahl von Tatbeständen vor, bei deren Verwirklichung eine Verzuimboete verhängt werden kann.124 So kann im Falle hoheitlicher Veranlagung eine Verzuimboete in Höhe von maximal 1.134 e erhoben werden, wenn der Steuerpflichtige seine Steuererklärung nicht oder nicht rechtzeitig abgibt (art. 67a lid 1 AWR). Allerdings muss der säumige Steuerpflichtige zunächst gemahnt werden, bevor eine Geldbuße gegen ihn verhängt werden kann, art. 9 lid 3 AWR. Die Höhe der Verzuimboete richtet sich jeweils nicht nach der Höhe der Steuerfestsetzung, sondern danach, um das wievielte Versäumnis in Folge es sich handelt, vgl. z. B. § 21 lid 1 BBBB. Bei den Steuern, deren Berechnung dem Steuerpflichtigen selbst obliegt, kann für die verspätete Abgabe bzw. die Nichtabgabe einer Steuererklärung eine Geldbuße i. H. v. maximal 113 e auferlegt werden, art. 67b lid 1 AWR. Zahlt der Steuerpflichtige eine selbstberechnete Steuer nicht rechtzeitig oder nicht vollständig, so kann dies (zusätzlich zu der abweichenden Berechnung und Feststellung der Steuer durch den sog. naheffingsaanslag) mit einer Geldbuße von maximal 4.537 e geahndet werden, art. 67c AWR. bb) Vergrijpboeten Gibt der Steuerpflichtige im Falle der hoheitlichen Veranlagung durch Steuerfestsetzung vorsätzlich seine Steuererklärung verspätet, unvollständig oder überhaupt nicht ab oder ist der Steuerpflichtige aus einem anderen Grund dafür verantwortlich, dass die Steuer zu niedrig festgesetzt worden ist, kann der Inspecteur ihm zusammen mit der Steuernachforderung eine Geldbuße von bis zu 100% der Steuerfestsetzung auferlegen, art. 67d lid 1, 67e lid 1 AWR. Bei den selbst zu berechnenden Steuern kann der Inspecteur im Falle vorsätzlich oder grob fahrlässig unterlassener, verspäteter oder unvollständiger Steuerzahlung eine Geldbuße von bis zu 100% der Steuerschuld auferlegen, art. 67f lid 1 AWR. Allerdings sieht § 25 BBBB vor, dass dieser gesetzliche Rahmen in der Regel nur bis zu einer Höhe von 50% im Falle vorsätzlichen Handelns und 25% im Falle grob fahrlässigen Handelns ausgeschöpft wird.125 Handelt es sich jedoch um einen Fall wie124
Ausführlich zu den einzelnen Tatbestandsvoraussetzungen Uitgeverij Euroforum, Beloning en Belasting Nr. 19/1998, Special, S. 12, 13 ff. 125 Von Vorsatz (opzet) ist gem. § 25 BBBB Sprache, wenn der Steuerpflichtige wissentlich und willentlich eine Handlung vornimmt bzw. einer Verpflichtung nicht nachkommt und dies dazu führt, dass eine Steuer nicht oder nicht rechtzeitig erhoben werden kann. Grobe Fahrlässigkeit (grove schuld) liegt vor, wenn er vernünfti-
E. Überblick über das niederländische Steuerrecht
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derholter Pflichtverletzung (sog. recidive) gilt für grob fahrlässiges Handeln eine Höchstgrenze von 50% und für schuldhaftes Handeln von 100%, art. 43 lid 1 BBBB. Dass im Falle der hoheitlichen Steuerfestsetzung die verspätete bzw. unterlassene Abgabe einer Steuererklärung auch mit einer Vergrijpboete geahndet werden kann, im Falle der Selbstberechnung hingegen lediglich mit einer Verzuimboete, ist darauf zurückzuführen, dass im letztgenannten Fall die Steuererklärung lediglich als „Begleitformular“ zur Steuerzahlung angesehen wird, der Schwerpunkt also auf der Steuerzahlung liegt, vgl. § 28 lid 3 BBBB. Von Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit ist nicht die Rede, wenn der Steuerpflichtige einen sog. pleitbaar standpunt (vertretbarer Standpunkt) eingenommen hat, d.h. wenn sein Handeln auf einer Interpretation des Gesetzes beruht, die nicht von vornherein abwegig ist.126 Korrigiert der Steuerpflichtige sein Fehlverhalten freiwillig rechtzeitig, d.h. bevor der Inspecteur tatsächlich oder nach Ansicht des Steuerpflichtigen davon Kenntnis erhält (sog. vrijwillige verbetering), wird ihm i. d. R. keine Vergrijpboete auferlegt, art. 67n AWR, § 28 lid 3 BBBB. Der Grad des Verschuldens ist insgesamt maßgeblich für die Höhe der Geldbuße. b) Kriminalstrafen Die Steuerstraftatbestände, geregelt in art. 68, 69 AWR, ähneln hinsichtlich der Tatbestandsvoraussetzungen den zuvor erläuterten Bußgeldtatbeständen. Qua Rechtsfolge besteht der entscheidende Unterschied zu den Verwaltungsbußgeldern darin, dass der Strafrichter neben Geldstrafen auch Gefängnisstrafen verhängen kann, und zwar – je nach Straftatbestand – bis zur Höhe von sechs Jahren (vgl. art. 9 lid 2 AWR). Strafbar macht sich z. B., wer fahrlässig oder vorsätzlich seine Steuererklärung nicht oder nicht rechtzeitig abgibt bzw. unvollständig ausfüllt, die geforderten Auskünfte nicht erteilt oder seiner Buchführungspflicht nicht nachkommt. Die Strafverfolgung kann durch eine der Selbstanzeige nach § 371 AO vergleichbare Maßnahme seitens des Steuerpflichtigen abgewendet werden, art. 69 lid 3 AWR. Die Finanzverwaltung ist mit den steuerstrafrechtlichen Ermittlungen betraut, art. 80 lid 1 AWR. Was das Verhältnis der steuerstrafrechtlichen Ermittlungsbefugnisse zu den allgemeinen Mitwirkungspflichten der Steuerpflichtigen betrifft, so ist im Einzelnen – ebenso wie in Deutschland – viegerweise hätte absehen müssen, dass sein Verhalten zu einer zu niedrigen Steuerfestsetzung oder -erhebung führen würde. 126 Ijzerman in: Hoofdzaken Belastingrecht, S. 14, 23; Rosier, Fiscale boeten, S. 21.
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1. Kap.: Rechtliche Grundlagen
les streitig.127 Hält die Finanzverwaltung die Durchführung von Ermittlungen nicht für geboten, kann sie den Vorgang von Amts wegen einstellen, sog. ambtelijk sepot.128 Nach Abschluss der Ermittlungen steht ihr darüber hinaus die Entscheidung zu, ob sie den Vorgang an die Staatsanwaltschaft weiterleitet oder mit dem Steuerpflichtigen eine sog. fiscale transactie (Vergleich) schließt und die Ermittlungen unter Auflagen (z. B. Zahlung einer Geldsumme) einstellt, art. 76 lid 2 AWR.129 7. Rechtsschutz Der Rechtsschutz in Steuersachen ist in den Niederlanden – ebenso wie in Deutschland – dual aufgebaut und dem Steuerpflichtigen steht sowohl ein außergerichtliches (behördliches) Rechtsbehelfsverfahren als auch ein gerichtliches Rechtsbehelfsverfahren zur Verfügung.130 Das behördliche Rechtsbehelfsverfahren dient als Vorverfahren und der Weg zu den Gerichten ist erst nach Abschluss dieses Vorverfahrens eröffnet, art. 7:1 lid 1 Awb, art. 26 lid 1 AWR. Das Einlegen eines (außergerichtlichen oder gerichtlichen) Rechtsbehelfs hat keinen Suspensiveffekt, d.h. die Pflicht zur Steuerzahlung wird dadurch nicht berührt. Die Finanzverwaltung kann jedoch auf Antrag Aussetzung der Vollziehung gewähren, art. 25 lid 1 IW 1990. In der Praxis ist es während des außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens für den Beschwerdeführer jedoch nicht erforderlich, einen zusätzlichen Antrag zu stellen, weil der Belastingdienst die Beschwerde automatisch als Antrag auf Aussetzung der Vollziehung wertet; hingegen muss für die Dauer des gerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens eine Aussetzung der Vollziehung explizit beim Belastingdienst beantragt werden.131 Aussetzung der Vollziehung wird nur für den Teil des Steuerbescheides gewährt, gegen den sich der Steuerpflichtige im Rechtsbehelfsverfahren wendet. Die Ver127 Vgl. dazu Rapport van de Commissie ter bestudering van de fiscale controlemiddelen, Geschriften VvB no. 175, S. 73 ff.; Kamerling/Dekker, Belastingcontrole, S. 235 ff. 128 Diese Befugnis wird abgeleitet aus art. 80 lid 2, 4 AWR, vgl. Zwenne, Informatieverplichtingen, S. 176. Der Staatssekretär für Finanzen hat das Ermessen der Finanzbeamten konkretisiert. Danach ist je nach Höhe der Steuernachzahlung von der Auferlegung einer Verzuimboete zwingend abzusehen, wenn der Steuerpflichtige eine ergänzende Erklärung (suppletie-aangifte) abgibt und den Differenzbetrag tatsächlich entrichtet, vgl. Besluit v. 8.11.2001, DGB2001.637M. 129 Auch als Möglichkeit für den Steuerpflichtigen bezeichnet, sich von der Strafverfolgung frei zu kaufen, vgl. Zwenne, Informatieverplichtingen, S. 180. 130 Ausführlich zum Rechtsschutz in Steuersachen in den Niederlanden Woring, DStZ 1991, 714 ff. 131 Vgl. die vom Belastingdienst für die Steuerpflichtigen herausgegebene Broschüre „Bezwaar, beroep of verzoek”, S. 7, 16; Braun, Belastingrecht, S. 228.
E. Überblick über das niederländische Steuerrecht
69
zinsung der Steuerforderung (sowohl für als auch gegen den Steuerpflichtigen) wird durch die Gewährung der Aussetzung der Vollziehung nicht beeinflusst. Eine Besonderheit des niederländischen Rechtsschutzes in Steuersachen ist der Umstand, dass eine sog. reformatio in peius nicht nur im finanzgerichtlichen Verfahren, sondern auch im außergerichtlichen (behördlichen) Rechtsbehelfsverfahren ausgeschlossen ist, sofern nicht aufgrund einer besonderen Korrekturvorschrift eine Änderung des Steuerbescheides zum Nachteil des Steuerpflichtigen ohnehin zulässig gewesen wäre.132 a) Außergerichtliches Rechtsbehelfsverfahren Wer mit einer beschwerdefähigen Entscheidung des Belastingdienst nicht einverstanden ist, kann zunächst eine bezwaarschrift (Beschwerdeschrift, in etwa dem Einspruch i. S. v. § 347 AO vergleichbar) beim Belastingdienst einreichen. Einspruchsfähig sind sämtliche Steuerfestsetzungsbescheide und darüber hinaus diejenigen Maßnahmen, die im Gesetz (insbesondere auch in den Einzelsteuergesetzen) als tauglicher Einspruchsgegenstand gekennzeichnet sind, art. 23 lid 1 AWR.133 Im Falle der Selbstveranlagung kann der Steuerpflichtige auch gegen den Betrag Einspruch einlegen, den er aufgrund der Selbstberechnung in der Steuererklärung an das Finanzamt gezahlt bzw. (als Steuerentrichtungspflichtiger) abgeführt hat, art. 24 AWR. Der Einspruch ist bei der Behörde einzulegen, die die zugrunde liegende Maßnahme getroffen hat, d.h. i. d. R. beim Inspecteur, art. 6:4 lid 1 Awb. Die Frist für das Einreichen der Einspruchsschrift beträgt gem. art. 6:7 Awb sechs Wochen und beginnt am Tag nach der Ausfertigung bzw. Bekanntgabe des Bescheids (maßgeblich ist der spätere Termin) oder am Tag nach der Entrichtung bzw. dem Abführen der selbstberechneten Steuer, art. 22j AWR. Für die Wahrung der Frist ist nach der sog. Versendungstheorie die rechtzeitige Aufgabe zur Post ausreichend.134 Die formalen Ansprüche an die Beschwerdeschrift sind gering: Der Einspruch muss unterschrieben 132 HR v. 7.6.1922, B. 2967; HR v. 17.5.1961, BNB 1961/197; Stevens, Basisboek Belastingen, S. 50. Ilsink/Fliers, Fiscaal bestuursprocesrecht, S. 102. Für das Verfahren vor den Finanzgerichten Langereis, Belastingprocedures, S. 132. 133 Ijzerman in: Hoofdzaken belastingrecht, S. 14, 25; dazu gehören auch Entscheidungen über das Verhängen einer Verwaltungsbuße, art. 67g lid 1 AWR. Nicht einspruchsfähig ist hingegen die Entscheidung über das Auferlegen einer Informationspflicht, vgl. Zwenne, Informatieverplichtingen, S. 86 f. Auch gegen eine Standpuntbepaling ist kein Einspruch gegeben, d.h. der Steuerpflichtige muss warten, bis die Standpuntbepaling ihren Niederschlag in einem einspruchsfähigen (Steuer-)Bescheid gefunden hat. 134 Stevens, Basisboek Belastingen, S. 51.
70
1. Kap.: Rechtliche Grundlagen
und mit einem Datum versehen sein, Name und Anschrift des Einspruchsführers enthalten, die behördliche Maßnahme, gegen die er gerichtet ist, benennen und mit einer Begründung versehen sein, art. 6:5 Awb. Auch wenn der Einspruch diesen Zulässigkeitsvoraussetzungen nicht genügt, kann der Inspecteur (im Gegensatz zum Richter im gerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren) in der Sache entscheiden.135 Im Gegensatz zu der allgemeinen Regelung in art. 7:10 lid 1 Awb, wonach über den Einspruch innerhalb von sechs Wochen zu entscheiden ist, gilt im Steuerrecht eine deutlich längere Frist von einem Jahr, die u. U. sogar um ein weiteres Jahr verlängert werden kann, art. 25 lid 1, lid 2 AWR. Allerdings bemüht sich die Finanzverwaltung um eine schnelle Entscheidung und in der Regel gelingt ihr dies innerhalb von drei Monaten nach Eingang des Einspruchs.136 Der Inspecteur kann dem Einspruch vollständig oder teilweise stattgeben oder ihn abweisen. b) Gerichtliches Rechtsbehelfsverfahren Gegen die Entscheidung des Inspecteur über den Einspruch steht der Rechtsweg offen. Die Verfahrensvorschriften, früher im sog. Wet administratieve rechtspraak belastingzaken (Wet ARB, Gesetz über die Finanzgerichtsbarkeit, der deutschen Finanzgerichtsordnung vergleichbar) enthalten, sind inzwischen in das Awb integriert. Betrifft der Rechtsstreit zwischen dem Steuerpflichtigen und dem Belastingdienst tatsächliche Fragen, so steht lediglich eine Instanz, die Kammer für Steuerrecht beim örtlich zuständigen Gerichtshof, zur Verfügung.137 Handelt es sich hingegen um einen Streit über Rechtsfragen, so kann im Anschluss an die Entscheidung des Gerichtshofs Revision (cassatieberoep) beim Hoge Raad, dem höchsten Gericht der Niederlande, eingelegt werden. Die Klagefrist beträgt sechs Wochen und beginnt mit dem Tag nach der Ausfertigung der Entscheidung über den Einspruch bzw. mit Bekanntgabe dieser Entscheidung, art. 6:7 Awb, art. 26c AWR, wobei der spätere Termin maßgeblich ist. Der Gerichtshof kann über die Klage mündlich oder schriftlich verhandeln, art. 8:66 lid 1 Awb. Gibt das Gericht der Klage eines Steuerpflichtigen statt und hebt eine Entscheidung der Finanzverwaltung auf, so kann es den Rechtsstreit zwar gem. art. 8:72 lid 4 Awb zur erneuten Entscheidung zurückverweisen, in der Praxis ersetzt das Gericht 135
Braun, Belastingrecht, S. 223. Stevens, Basisboek Belastingen, S. 51. 137 Für Streitigkeiten in Zollangelegenheiten sind nicht die Gerichtshöfe zuständig, sondern eine besondere sog. Tarifkommission mit Sitz in Amsterdam, art. 26 lid 2 AWR. 136
F. Zusammenfassung und Vergleich mit Deutschland
71
die Entscheidung der Finanzverwaltung jedoch in der Regel durch eine eigene Entscheidung.138 Darüber hinaus kann das Gericht dem Steuerpflichtigen im Falle seines Obsiegens gem. art. 8:73 Awb auf Antrag Schadensersatz zusprechen. Gegen schriftliche Urteile eines Gerichtshofes steht die Revision zum Hoge Raad (sog. beroep in cassatie) offen, art. 28 lid 1 AWR. Die Revision wird bei dem Gerichtshof eingelegt, dessen Entscheidung Gegenstand der Revision ist (iudex a quo), und von dort an den Hoge Raad weitergeleitet, art. 6:24 lid 2 Awb. Vor einer Entscheidung kann der Hoge Raad ein umfassendes wissenschaftliches Gutachten des sog. advocaat-generaal zu den in Rede stehenden Rechtsfragen einholen, art. 3 lid 2 Wet RO. Reichen die zuvor ermittelten Tatsachen nach Ansicht des Hoge Raad nicht aus, um die Entscheidung des Gerichtshofs zu rechtfertigen, so verweist er den Rechtsstreit zurück. Seit Ende 2002 wird beim Gerichtshof in Arnhem erprobt, ob sich Verfahren in Steuersachen für eine Beilegung im Wege der Mediation eignen.
F. Zusammenfassung und Vergleich mit Deutschland Was das Staatsrecht betrifft, so bestehen die offensichtlichsten Abweichungen zwischen den Niederlanden und Deutschland zum einen darin, dass es sich bei den Niederlanden um eine konstitutionelle Monarchie und um einen (dezentralisierten) Einheitsstaat handelt, wohingegen Deutschland ein föderativer Bundesstaat ist, und zum anderen darin, dass es – im Gegensatz zum deutschen Bundesverfassungsgericht (und den Landesverfassungsgerichten) – kein niederländisches Verfassungsgericht gibt, sodass Parlamentsgesetze nicht auf ihre Verfassungsmäßigkeit hin überprüft werden können und die in internationalen und völkerrechtlichen Verträgen enthaltenen Grundrechte im Vergleich zu Deutschland in den Niederlanden eine deutlich größere Rolle spielen. Die Auswirkungen dieser geringen Bedeutung der im niederländischen Grondwet enthaltenen Grundrechte auf die Kontrolle des Belastingdienst durch die Gerichte wird im 4. Kapitel ausführlich erläutert. Das niederländische Steuerverfahrensrecht weist hinsichtlich der Veranlagungsarten und der Korrektur von Steuerbescheiden eine Vielzahl von Parallelen zu den Regelungen der AO auf. Die Aufzeichnungspflichten sind in den Niederlanden etwas weiter gefasst als in Deutschland. Die ebenfalls 138 Langereis, Belastingprocedures, S. 164; Ijzerman in: Hoofdzaken Belastingrecht, S. 14, 28.
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1. Kap.: Rechtliche Grundlagen
umfangreicheren Kontrollmitteilungspflichten werden ausführlich im 3. Kapitel dargestellt. Deutliche Abweichungen bestehen darüber hinaus insbesondere hinsichtlich der Untersuchungspflicht bei der hoheitlichen Veranlagung: Obwohl sowohl die niederländische (art. 104 Gw) als auch die deutsche Verfassung (Art. 2 Abs. 1, 20 Abs. 3, 14 Abs. 3 S. 2 GG) das Legalitätsprinzip als Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Besteuerung normiert,139 sind die Konsequenzen, die daraus für die Durchführung der Besteuerung und insbesondere für die Sachverhaltsermittlung gezogen werden, in beiden Ländern höchst unterschiedlich. Während die deutsche Finanzverwaltung nach §§ 85, 88 AO grundsätzlich dazu verpflichtet ist, den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln und sicherzustellen, dass Steuern nicht verkürzt oder zu Unrecht erhoben werden,140 sieht die entsprechende Vorschrift des art. 11 lid 1, 2 AWR vor, dass der Finanzbeamte die Steuer festsetzt und dabei von den Angaben in der Steuererklärung abweichen kann. Eine Amtsermittlung durch die Finanzverwaltung ist in den Niederlanden deshalb nicht zwingend vorgeschrieben. De facto ist die niederländische Finanzverwaltung zwar gehalten, bei entsprechenden Zweifeln an der Richtigkeit der Angaben Ermittlungen durchzuführen, da sie anderenfalls das Recht verliert, die Veranlagung nachträglich zu korrigieren, art. 16 lid 1 AWR; führt sie dennoch keine Ermittlungen durch, so handelt sie dadurch allein aber noch nicht gesetzeswidrig, sondern erst dann, wenn sie nachträglich den Steuerbescheid korrigiert, obwohl ihr die neue Tatsache hätte bekannt sein müssen. Wann immer die niederländischen Gerichte sich mit der Reichweite der Untersuchungspflicht der Finanzverwaltung beschäftigen, geschieht dies deshalb im Rahmen von art. 16 lid 1 AWR und zur Beantwortung der Frage, ob der Finanzverwaltung eine Tatsache redlicherweise hätte bekannt sein müssen. In seiner Rechtsprechung zu art. 16 lid 1 AWR hat der Hoge Raad zwar, wie oben bereits erwähnt, deutlich gemacht, dass die Finanzverwaltung auf die Richtigkeit der Angaben in der Steuererklärung des Steuerpflichtigen grundsätzlich vertrauen dürfe. Zugleich verlangt er jedoch, dass die Steuererklärungen anhand der in den Akten der Steuerpflichtigen (und nur dort) vorhandenen Informationen kontrolliert werden, will sich die Finanzverwaltung nicht der Möglichkeit zur späteren Korrektur des Steuerbescheides begeben.141 Aufgrund des heutigen Automatisierungsgrades stellt diese Rechtsprechung 139 Zur Gesetzmäßigkeit der Besteuerung aus deutscher Sicht BVerfG v. 27.6.1991, 2 BvR 1493/89, E 84, 239, 268; Tipke in: Tipke/Kruse, § 85 AO, Tz. 4 ff. (Stand: 97. Lfg., Februar 2002). 140 Kritisch dazu Tipke in: Tipke/Kruse, Vor § 85 AO, Tz. 1, § 85 AO, Tz. 4 ff., 14 ff. (Stand: 97. Lfg., Februar 2002), § 88 AO Tz. 1 ff. (Stand: 98. Lfg., Juli 2002). Zur Vollzugsrealität und zur einschränkenden Auslegung des Sicherstellungsauftrags s. auch unten 3. Kap. unter F.I.
F. Zusammenfassung und Vergleich mit Deutschland
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jedoch keine hohen Anforderungen an die Veranlagungspraxis, zumal die niederländische Finanzverwaltung an einem Übergang zur papierlosen Verwaltung arbeitet und in nicht allzu ferner Zukunft ohnehin nur noch über elektronische Dossiers verfügen wird, die einen entsprechenden Abgleich innerhalb von Sekunden ermöglichen (s. dazu ausführlich 3. Kap.). Die niederländische Finanzverwaltung verstößt somit nicht gegen das Legalitätsprinzip, wenn sie eine Steuererklärung, die keine besonderen Verdachtsmomente enthält, nicht kontrolliert, denn sie darf auf die Richtigkeit der Angaben des Steuerpflichtigen vertrauen. Ein Verstoß gegen das Legalitätsprinzip kommt nur bei einer vorsätzlich gesetzwidrigen Veranlagung in Betracht. Will die Finanzverwaltung jedoch zu einem späteren Zeitpunkt bei Bekanntwerden neuer Tatsachen einen Steuerbescheid korrigieren, so muss sie bei der Veranlagung die Angaben des Steuerpflichtigen zumindest anhand der in der Akte des Steuerpflichtigen enthaltenen Kontrollinformationen überprüfen. Die deutsche Finanzverwaltung hingegen sieht sich einem strengen Amtsermittlungsgrundsatz ausgesetzt und das BVerfG betont, dass bei Steuerfestsetzungen, die von einer Steuererklärung abhängen, die Steuerehrlichkeit durch hinreichende, die Belastungsgleichheit gewährleistende Kontrollmöglichkeiten abgesichert werden müsse: Im Veranlagungsverfahren muss das Deklarationsprinzip durch das Verifikationsprinzip ergänzt werden.142 Ob der Amtsermittlungsgrundsatz Raum für eine Vermutung der grundsätzlichen Richtigkeit von Steuererklärungen lässt, ist umstritten und wird im 6. Kapitel näher erörtert. In der Praxis hat die Finanzverwaltung jedoch Maßnahmen ergriffen, um das Besteuerungsverfahren als Massenverfahren überhaupt praktikabel zu machen, weil es ihr nicht möglich ist, die Erhebung der gesetzlich geschuldeten Steuer in allen Fällen „sicherzustellen“, wie es § 85 S. 2 AO verlangt.143 Wie sich diese oftmals unter dem Begriff des „maßvollen Gesetzesvollzugs“ zusammengefassten Maßnahmen im Vergleich zu der Herangehensweise der niederländischen Finanzverwaltung darstellen, wird in den Kapiteln 3 und 6 erläutert. Unterschiedlich sind auch die Bestimmungen der Geheimhaltungspflichten im deutschen und niederländischen Steuerverfahrensrecht: Während art. 67 AWR kurz und bündig die Bekanntgabe von Informationen in größerem 141 HR v. 25.6.1958, nr. 13 596, BNB 1958/255; HR v. 29.4.1987, nr. 24 542, BNB 1987/236. Ausführlich zum Umfang der Ermittlungspflicht Feteris, Formeel Belastingrecht, S. 98 ff. 142 BVerfG v. 27.6.1991, 2 BvR 1493/89, E 84, 239, 273. Dazu Eckhoff, Rechtsanwendungsgleichheit, S. 520, 525 ff. 143 Eckhoff, Rechtsanwendungsgleichheit, S. 64 f., 334 ff.; Seer, FR 1997, 553, 556 f.; Tipke in: Tipke/Kruse, § 85 AO, Tz. 14 f. (Stand: 97. Lfg., Februar 2002).
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1. Kap.: Rechtliche Grundlagen
Umfang, „als es für die Ausführung der Steuergesetze oder für die Erhebung oder Beitreibung jedweder Reichssteuern erforderlich ist“, verbietet, wirkt das in § 30 AO verankerte Steuergeheimnis aufgrund der Formulierungen und des Aufbaus der (deutlich umfangreicheren) Vorschrift ungleich restriktiver. De facto erlaubt jedoch auch § 30 AO die Offenbarung von Kenntnissen, soweit sie der Durchführung eines Verwaltungserfahrens dienen. Die Konsequenzen, die sich aus der unterschiedlichen Konzeption des § 30 AO und insbesondere des § 30a AO einerseits und des art. 67 AWR andererseits für den Umfang von Kontrollmitteilungen ergeben, werden im dritten Kapitel dargestellt. Ein weiterer Punkt, in dem sich das niederländische Steuerverfahrensrecht vom deutschen unterscheidet, sind die Standpuntbepalingen: die niederländischen Vaststellingsovereenkomsten können unter Einschluss von Verständigungen über Rechtsfragen im Ergebnis weiter reichen, als nach Ansicht der Rechtsprechung die tatsächlichen Verständigungen im deutschen Abgabenrecht.144 Dies hängt sicherlich auch mit der gewachsenen „Overlegcultuur“, der Verhandlungskultur in den Niederlanden zusammen. Was die Rechtsnatur der Verständigungen betrifft, so ist in den Niederlanden im Gegensatz zu Deutschland auch durch die Rechtsprechung anerkannt, dass auf dem Gebiet des Steuerrechts (öffentlich-rechtliche) Verträge abgeschlossen werden können. Das System der niederländischen Verwaltungsbußgelder lässt sich nur bedingt mit dem der Zuschläge im deutschen Abgabenrecht vergleichen. Obwohl die Bezeichnung „verwaltungsrechtliches Bußgeld“ eine Parallele zu den Steuerordnungswidrigkeiten im deutschen Steuerrecht (§ 377 Abs. 1 AO) vermuten lässt, sind darunter in erster Linie Zuschläge ähnlich den §§ 152, 240 AO gemeint, wobei im Detail eine Reihe von Abweichungen bestehen: Bei der Verzuimboete für die verspätete Abgabe einer Steuererklärung im Falle der Veranlagungssteuern liegt die maximale Höhe der Geldbuße deutlich unter dem Höchstbetrag (25.000 e) für den Zuschlag nach § 152 Abs. 2 S. 1 AO. Trifft den Steuerpflichtigen an der verspäteten Abgabe jedoch Verschulden, so liegt der Maximalbetrag der Vergrijpboete mit 100% der Steuerschuld ggf. über dem deutschen Höchstbetrag. Was die Parallelen zum Säumniszuschlag nach § 240 AO betrifft, so entsteht dieser kraft Gesetzes, wohingegen die Entscheidung über eine Verzuimboete nach art. 67c AWR sowie eine Vergrijpboete nach art. 67e lid 1 bzw. art. 67f lid 1 AWR jeweils im Ermessen der Finanzverwaltung steht. Berücksichtigt man jedoch, dass der Säumniszuschlag nach h. M. wirtschaftlich einen Zinsanteil enthält und in den Niederlanden verspätete Steuerzahlungen automa144 Ausführlich zur Verständigung über Rechtsfragen Seer, Verständigungen in Steuerverfahren, S. 206 ff.
F. Zusammenfassung und Vergleich mit Deutschland
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tisch der Invorderingsrente unterliegen, so gehen die Möglichkeiten der niederländischen Finanzverwaltung, Verzuim- und Vergrijpboeten für die verspätete Zahlung von Steuerschulden festzusetzen, insgesamt deutlich über den Säumniszuschlag nach § 240 AO hinaus. Was schließlich den Rechtsschutz in Steuersachen betrifft, so gibt es sowohl in Deutschland als auch in den Niederlanden nur zwei Instanzen, wovon die zweite sich ausschließlich mit Rechtsfragen beschäftigt. Auch hinsichtlich des Vorverfahrens bestehen weitgehende Übereinstimmungen. Allerdings ist eine reformatio in peius während des Vorverfahrens in den Niederlanden nach ständiger Rechtsprechung des Hoge Raad ausgeschlossen, wohingegen § 367 Abs. 2 S. 2 AO der deutschen Finanzverwaltung ausdrücklich die Befugnis einräumt, den Ausgangsbescheid zum Nachteil des Steuerpflichtigen abzuändern.
2. Kapitel
Der Belastingdienst – Struktur und Selbstverständnis im Wandel A. Einleitung Mit der Ausführung der Steuergesetze ist in den Niederlanden der sog. Belastingdienst als Untereinheit des Directoraat-Generaal der Belastingen (DGBel, Generaldirektion für Besteuerungsangelegenheiten) betraut. Die DGBel ist eine von vier Generaldirektionen, in die das niederländische Finanzministerium untergliedert ist. Ministerie van Financiën (Finanzministerium) Minister Staatssecretaris
DirectoraatGeneraal Generale Thesaurie
DirectoraatGeneraal van de Rijksbegroting
DirectoraatGeneraal voor Fiscale Zaken
DirectoraatGeneraal der Belastingen
(Generaldirektion für die allgemeine Finanzverwaltung)
(Generaldirektion für den Staatshaushalt)
(Generaldirektion für die Konzeption der Steuergesetzgebung)
(Generaldirektion für Besteuerungsangelegenheiten)
Abbildung 1: Aufbau des niederländischen Finanzministeriums
Neben der DG der Belastingen bestehen die DG Generale Thesaurie, in deren Zuständigkeitsbereich Grundsatzfragen der Finanz- und Wirtschaftspolitik sowie die nationale und internationale Finanzmarkt- und Währungspolitik fallen, die für den Staatshaushalt verantwortliche DG van de Rijksbegroting und die DG voor Fiscale Zaken, die steuerlich relevante Gesetzgebungsvorhaben vorbereitet. Die DG der Belastingen vermittelt zwischen
A. Einleitung
77
den politischen Entscheidungen, die in der DG voor Fiscale Zaken vorbereitet werden, und deren praktischer Umsetzung durch den Belastingdienst. Alle neuen Gesetzesvorhaben auf dem Gebiet des Steuerrechts werden von der DG der Belastingen bzw. dem Belastingdienst im Vorfeld auf ihre Umsetzbarkeit, den dafür erforderlichen Verwaltungsaufwand sowie die voraussichtlichen Vollzugskosten hin überprüft.145 Der Belastingdienst ist mit rund 31.000 Mitarbeitern die größte Organisationseinheit innerhalb der niederländischen öffentlichen Verwaltung. An der Spitze der Behörde steht der sog. Directeur-Generaal (Generaldirektor), derzeit mit Jenny Thunissen eine Frau. Obwohl alle Untergliederungen des Finanzministeriums und damit auch der Belastingdienst an sich dem Finanzminister unterstehen, überträgt dieser – gestützt auf art. 46 lid 2 Gw – die Zuständigkeit für die DG der Belastingen und die DG voor Fiscale Zaken traditionell auf seinen Staatssekretär. Neben der Ausführungszuständigkeit für die Steuergesetze ist der Belastingdienst für die Erhebung der Zölle verantwortlich und erledigt auch noch einige nicht-steuerliche Aufgaben wie z. B. das Einziehen der Beiträge zur sog. Volksverzekering (Volksversicherung/Sozialversicherung, insbesondere Rentenversicherung).146 In der folgenden Darstellung liegt der Schwerpunkt auf dem Vollzug der Steuergesetze; Zollverwaltung und nicht-steuerliche Aufgaben bleiben weitgehend außer Betracht. Einrichtungen zur Verwaltung der Reichssteuern gibt es in den Niederlanden bereits seit dem Jahre 1579. Als „Belastingdienst“ wird die Finanzverwaltung aber erst seit 1926 bezeichnet.147 Vor allem in den vergangenen 30 Jahren ist der Belastingdienst immer wieder modernisiert und seine Arbeitsweise den sich ändernden rechtlichen, politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen angepasst worden. Im Folgenden werden die wichtigsten Ent145 Boersma im Interview mit Bergman, BM 7/1993, 18; de Kam, Overheidsmanagement 7–8/1995, 192, 193. 146 Vgl. art. 13 Wet financiering volksverzekeringen v. 27.4.1989, Stb. 1989, 129. Die niederländische Sozialversicherung besteht aus den sog. Volksverzekeringen (Volksversicherungen), die für alle Bürger obligatorisch sind und seit 1990 in die erste Stufe des Einkommensteuertarifs integriert sind, und den sog. Werknemerverzekeringen (Arbeitnehmerversicherungen), zu denen alle lohnsteuerpflichtigen Arbeitnehmer beitragen müssen; zu den wichtigsten Volksverzekeringen zählen die Renten- und Witwenversicherung, wichtigste Werknemerverzekeringen sind die Arbeitslosen- und Berufsunfähigkeitsversicherungen. Vgl. Hoffmann/Fuchs, IStR 1993, 320, 321; Müssener in: Mennel/Förster, Steuern in Europa, Niederlande, Rn. 42 (Stand: 35. Lfg. 1998); Spierdijk in: FS Beusch, S. 838 f. 147 Der Belastingdienst ging aus einer Vereinigung der bis dahin selbständigen Dienste „dienstvak der directe belastingen, invoerrechten en accijnzen” und „dienstvak der registratie en domeinen” hervor, vgl. de Koning, Focus op Fiscus, S. 63, 67, 70.
78
2. Kap.: Belastingdienst – Struktur und Selbstverständnis im Wandel
wicklungen im Überblick dargestellt, wobei der Schwerpunkt auf der tiefgreifenden Umstrukturierung des Belastingdienst Ende der 1980er Jahre/ Anfang der 1990er Jahre liegt. Selbstverständlich lassen sich die einzelnen Entwicklungsphasen nicht immer trennscharf voneinander abgrenzen, doch wird eine Systematisierung anhand markanter Wendepunkte vorgenommen.
B. Der Belastingdienst in den 80er Jahren I. Aufbau des Belastingdienst Der Aufbau der niederländischen Finanzverwaltung bis Ende der 80er Jahre lässt sich anhand des folgenden Schaubilds (Abbildung 2) verdeutlichen.148 Zu Beginn der 80er Jahre gab es beim Belastingdienst neben den Stabsdirektionen acht regionale Directies (Direktionen, Verwaltungseinheiten), die jeweils für alle Steuerarten zuständig waren. Diesen regionalen Direktionen nachgeordnet waren 260 Eenheden (Ämter), die jeweils für bestimmte Steuerarten (z. B. Körperschaftsteuer, Umsatzsteuer) bzw. für bestimmte Abschnitte des Besteuerungsverfahrens (z. B. Veranlagung, Vollstreckung) zuständig waren. Die Struktur des Belastingdienst war an den Steuerarten einerseits und den Abschnitten des Besteuerungsverfahrens andererseits ausgerichtet.149 So gab es z. B. • 100 Ämter für direkte Steuern, zuständig für die Veranlagung der Lohnsteuer, Einkommensteuer, Vermögensteuer und den Einbehalt der Beiträge zur Sozialversicherung; • 11 Ämter für Körperschaftsteuer; • 31 Ämter für Verbrauchsteuern, Umsatzsteuer und Zollangelegenheiten; • 88 Finanzkassen, zuständig für die Beitreibung sämtlicher Steuern sowie einiger sonstiger Abgaben; • 19 Betriebsprüfungsstellen (der sog. Rijksaccountantsdienst), die auf Veranlassung der Veranlagungsbeamten Betriebsprüfungen bei den größeren Unternehmen durchgeführt haben. Die einzelnen Schritte im Besteuerungsverfahren (Festsetzung, Erhebung, Kontrolle) waren personell und organisatorisch voneinander getrennt. Die Tatsache, dass für einzelne Steuerarten einzelne Finanzämter existierten, hing mit der zeitlichen Entwicklung der Steuerarten zusammen: Mit jeder 148 Ähnliche Darstellungen bei de Graeve, Documentatieblad 3/1995, S. 3, 11; de Kam/van Wuijtswinkel, MAB 1993, 238, 243. 149 Voigt, M&O 1/1994, S. 5 f.; van Maris/Vrouwenvelder, TVVS 1989, 192 f.
B. Der Belastingdienst in den 80er Jahren
79
Ministerie van Financiën (Finanzministerium)
Directeur-generaal der belastingen (Generaldirektor des Belastingdienst)
Stafdirecties
Regionale Directies
Functionale Directies
(Stabsdirektionen)
(Regionale Direktionen)
(Unterstützungsdirektionen)
Directie Algemene Fiscale Zaken (Direktion für allgemeine Angelegenheiten)
Directie Organisatie van de Belastingdienst (Direktion für die Organisation des Belastingdienst)
Directie Personeel van de Belastingdienst (Direktion für Personalangelegenheiten)
Directie Directe Belastingen (Direktion für direkte Steuern)
Directie Douane (Zolldirektion)
Directie Verbruiksbelastingen (Direktion für Verbrauchsteuern)
Directie Indirecte Belastingen (Direktion für indirekte Steuern)
Interne Accountantsdienst
Directie Amsterdam [12 Ämter für direkte Steuern, 2 Ämter für KSt, 5 Ämter für USt, 1 Amt für ErbSt u. SchenkungSt, 11 Finanzkassen, 3 Betriebsprüfungsämter]
Directie Arnhem [12 Ämter für direkte Steuern, 1 Amt für KSt, 4 Ämter für USt, 1 Amt für ErbSt u. SchenkungSt, 10 Finanzkassen, 2 Betriebsprüfungsämter]
Directie Breda [14 Ämter für direkte Steuern, 2 Ämter für KSt, 6 Ämter für USt, 2 Ämter für ErbSt u. SchenkungSt, 14 Finanzkassen, 3 Betriebsprüfungsämter]
Directie automatiseering rijksbelastingdienst (Direktion für Automatisierung)
Fiscale Inlichtingen en Opsporingsdienst (FIOD) (Steuerfahndung)
Opleidingen (Schulungscenter)
Directie Groningen [13 Ämter für direkte Steuern, 1 Amt für KSt, 3 Ämter für USt, 1 Amt für ErbSt u. SchenkungSt, 11 Finanzkassen, 2 Betriebsprüfungsämter]
Directie Maastricht [10 Ämter für direkte St., 1 Amt für KSt, 3 Ämter für USt, 1 Amt für ErbSt u. SchenkungSt, 9 Finanzkassen, 1 Betriebsprüfungsamt]
Directie Rotterdam [12 Ämter für direkte Steuern, 2 Ämter für KSt, 4 Ämter für USt, 2 Ämter für ErbSt u. SchenkungSt, 10 Finanzkassen, 4 Betriebsprüfungsämter]
Directie Utrecht [14 Ämter für direkte Steuern, 1 Amt für KSt, 3 Ämter für USt, 1 Amt für ErbSt u. SchenkungSt, 11 Finanzkassen, 2 Betriebsprüfungsämter]
(Interne Buchprüfung)
Directie Zwolle [13 Ämter für direkte Steuern, 1 Amt für KSt, 3 Ämter für USt, 1 Amt für ErbSt u. SchenkungSt, 12 Finanzkassen, 2 Betriebsprüfungsämter]
Abbildung 2: Aufbau der niederländischen Finanzverwaltung bis Ende der 80er Jahre
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2. Kap.: Belastingdienst – Struktur und Selbstverständnis im Wandel
neuen Steuerart, die im Laufe der Jahrzehnte in das niederländische Steuerrecht aufgenommen wurde, entstand Bedarf nach Spezialisten für das neue Gebiet, und häufig wurden für die Ausbildung und Entwicklung dieser Spezialkenntnisse neue Zuständigkeiten begründet bzw. neue Ämter eingerichtet.
II. Befugnisse der Finanzverwaltung – vom Fiscaal noodrecht zum Algemene wet inzake rijksbelastingen Die Befugnisse der Finanzverwaltung waren nach dem zweiten Weltkrieg durch das sog. fiscaal noodrecht (steuerliches Notrecht) vorübergehend umfangreich zu Lasten des Schutzes der Persönlichkeitssphäre der Steuerpflichtigen erweitert worden, um einerseits die kriegsbedingten Rückstände bei der „normalen“ Besteuerung abzubauen und um andererseits besondere Kriegsgewinne zu besteuern.150 So durften sich z. B. Berufsgeheimnisträger gegenüber der Finanzverwaltung nicht mehr auf ihre Verschwiegenheitspflicht berufen, alle Steuerpflichtigen wurden verpflichtet, ihr bewegliches Vermögen zu inventarisieren, Kreditinstitute mussten die Kontostände ihrer Kunden zum 30.09.1945 offen legen, Finanzbeamte erhielten ein Durchsuchungsrecht etc. Nachdem sich die Situation nach Einschätzung des Gesetzgebers in den 50er Jahren wieder normalisiert hatte, wurden die Sonderbefugnisse überwiegend wieder außer Kraft gesetzt und der Schutz der persönlichen Lebenssphäre der Steuerpflichtigen wurde gestärkt.151 Dieses Gesetz zur Aufhebung der Sonderbefugnisse war Vorläufer des 1959 verkündeten und in den folgenden Jahren schrittweise für die einzelnen Steuergesetze in Kraft getretenen Algemene wet inzake rijksbelastingen (AWR), das allgemeine Vorschriften für das Besteuerungsverfahren enthält (s. oben 1. Kap.).
III. Gesellschaftliche und politische Entwicklungen 1. Fokussierung auf die Steuerhinterziehung und die Steuermoral Nach dem wirtschaftlichen Aufschwung der Nachkriegsjahre verschlechterte sich die Wirtschafts- und Haushaltslage in den Niederlanden Anfang der 1970er Jahre.152 Da die Steuerbelastung, kombiniert mit den Sozial150
Ausführlich dazu de Koning, Focus op Fiscus, S. 164 ff. Wet Vervanging Fiscaal Noodrecht (Wet VFN) vom 23.4.1952, Stb. 1952, 191; MvT Wet VFN, Kamerstukken II 1950/51, 1957, nr. 3 (S. 3). 152 Für Details zur steigenden Arbeitslosenquote und zum Anstieg der Staatsverschuldung etc. siehe de Koning, Focus op Fiscus, S. 443 f.; Spierdijk in: FS Beusch, S. 838, 850 spricht von einer erheblichen Rezession in den 70er Jahren. 151
B. Der Belastingdienst in den 80er Jahren
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abgaben, im europäischen Vergleich sehr hoch war,153 erschien eine Sanierung der Staatsfinanzen durch Steuererhöhungen nicht ratsam. Stattdessen gewann die Frage an Bedeutung, ob das Steueraufkommen nicht dadurch beeinträchtigt werde, dass sich ein großer Teil der Steuerpflichtigen seinen steuerlichen Pflichten vollständig oder teilweise entziehe. Das Thema „belastingfraude“ (wörtlich übersetzt: Steuerbetrug) bzw. „belastingmoraal“ (Steuermoral) geriet daraufhin mehr und mehr in die politische Diskussion, wobei die Bedeutung der verwendeten Begriffe jedoch oftmals nicht präzisiert wird. Im juristischen Sinne ist unter Belastingfraude die Angabe falscher oder unvollständiger Informationen bzw. das Vorenthalten von Informationen zu verstehen, die für die Feststellung der Steuerschuld von Bedeutung sind.154 Nach dieser Definition entspricht der Begriff Belastingfraude in etwa dem der Steuerhinterziehung gem. § 370 AO. Davon ist das sog. ontgaan van belastingen i. S. d. Steuerumgehung abzugrenzen, d.h. ein Verhalten, das zwar mit dem Wortlaut, nicht jedoch mit dem Zweck des Gesetzes übereinstimmt. Unter dem Schlagwort „richtige heffing“ steht dem Belastingdienst gem. art. 31 ff. AWR die Kompetenz zu, sich über Rechtshandlungen, die offensichtlich keinen anderen Grund als die Reduzierung der Steuerbelastung haben, hinwegzusetzen.155 Dies ähnelt der Regelung des § 42 AO (Missbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten). Hintergrund ist, dass auch die Steuerumgehung als sozialschädlich angesehen wird, und dies dürfte auch ein wesentlicher Grund dafür sein, dass bei der Verwendung des Begriffs Belastingfraude im weiten Sinne nicht zwischen Steuerhinterziehung und Steuerumgehung unterschieden wird. Alternativ finden auch die Begriffe misbruik (Missbrauch steuerrechtlicher Vorschriften) einerseits und oneigenlijk gebruik (Umgehung steuerrechtlicher Vorschriften) andererseits Verwendung, wobei Misbruik und Belastingfraude sowie Oneigenlijk Gebruik und Ontgaan van belastingen in etwa übereinstimmen.156 Belastingfraude im weiteren Sinne schließt danach Missbrauch und Umgehung ein. In der öffentlichen Diskussion wird der Begriff meistens in diesem weiten Sinne verwendet. 153
Sie betrug in den Niederlanden zu diesem Zeitpunkt 37% des Bruttoinlandsprodukts, in Belgien 31,5%, in Deutschland 35,1% und in Italien 30,8%, vgl. de Koning, Focus op Fiscus, S. 350. 154 Vgl. Grotenhuis, Belastingfraude, S. 3; van Arendonk in: Belastingontduiking, S. 5. 155 Ontgaan van belastingen ist demnach nicht strafbar, die beabsichtigten steuerlichen Folgen können dem betreffenden Steuerpflichtigen jedoch versagt werden. Daneben wird mit dem Begriff „fraus legis“ die außergesetzliche Kompetenz des Belastingdienst anerkannt, Scheingeschäfte unberücksichtigt zu lassen. Dies entspricht in etwa der Regelung des § 41 Abs. 2 AO. 156 van Arendonk in: Belastingontduiking, S. 1, 7; ISMO-Rapport, S. 19.
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2. Kap.: Belastingdienst – Struktur und Selbstverständnis im Wandel
Mit dem Begriff „belastingmoraal“ (Steuermoral) werden einerseits jemandes Vorstellungen über Gut und Böse, die Frage, ob sein Gewissen es zulässt, dass er sich der Verantwortung gegenüber dem Gemeinwohl entzieht, mithin das „Gewissen in Besteuerungsangelegenheiten“ bezeichnet.157 Andererseits wird der Begriff oftmals auch mit dem des Belastingfraude im weiten Sinne gleichgesetzt. Wenn im Folgenden von Steuerhinterziehung die Rede ist, dann ist damit Belastingfraude im engeren Sinne gemeint. Belastingfraude im weiteren Sinne wird als Steuerwiderstand bezeichnet. Den Begriff der Steuermoral hingegen verwende ich im oben genannten Sinne des „Gewissens in Besteuerungsangelegenheiten“. Mit dem Problem zunehmenden (oder zumindest stärker wahrgenommenen) Steuerwiderstands standen die Niederländer im internationalen Vergleich zu dieser Zeit nicht alleine da.158 Das „Austricksen“ des Belastingdienst war zu einer Art Volkssport geworden.159 Als Ursache des konstatierten wachsenden Steuerwiderstands wurde nicht nur die hohe Steuerbelastung,160 sondern auch ein Wandel des Verhältnisses der Bürger zum Staat und seinen Einrichtungen vermutet: In allen Bereichen des öffentlichen Lebens war nach den „harmonischen“ 50er und 60er Jahren eine Abnahme der Autoritätshörigkeit der Bürger und eine größere Konfliktbereitschaft gegenüber dem Staat zu verzeichnen, was sich letztlich negativ auf die Bereitwilligkeit, rechtliche Pflichten zu erfüllen, auswirkte.161 Diese Feststellung ließ das Interesse an mehr Qualität im öffentlichen Sektor wachsen.162 157
Grotenhuis, Belastingfraude, S. 11. Dies im Gegensatz zur belastingmentaliteit, unter der das Maß der effektiven Mitwirkung des Steuerpflichtigen an der Besteuerung verstanden wird, welches wiederum u. a. durch die belastingmoraal, aber auch durch die Angst vor Entdeckung des betreffenden Steuerpflichtigen beeinflusst wird, vgl. Grotenhuis, a. a. O. Zur Verwendung der Terminologie in Deutschland s. Tipke, Besteuerungsmoral, S. 7. 158 Auch in England und den USA erschienen Studien zu dem Phänomen, vgl. Elffers, Income Tax Evasion, S. 3 m. w. N. Vgl. auch die Schätzung von Streck, BB 1984, 2205, wonach in Deutschland rund 90% der Steuerpflichtigen Steuern hinterziehe. 159 Vgl. den programmatischen Titel eines Buches von de Kam: „Betalen is voor de dommen” sowie Stevens, Fiscus, S. 39. 160 Hofstra in der Einleitung zu Grotenhuis, Belastingfraude, S. V. Der Spitzensteuersatz lag bei der Einkommensteuer Ende der 1970er Jahre/Anfang der 1980er Jahre bei 72%, vgl. Grotenhuis, Belastingfraude, S. 15. Allerdings war die Zahl der Steuerpflichtigen, die mit dem Spitzensteuersatz konfrontiert wurden, tatsächlich verschwindend gering. 161 Gribnau, Rechtsbetrekking, S. 276 f.; van der Geld, Zicht op fiscale wetgeving, S. 17; Kimman in: Belastingfraude en belastingmoraal, S. 49, 50 f. Das bereichsübergreifende Auftreten des Phänomens führte zu einer Vielzahl von ihrerseits bereichsübergreifenden Studien und Abhandlungen, die sich mit dem Thema Fraude (hier i. S. v. Betrug im Verhältnis zwischen Bürger und Staat) beschäftigten. Auch die Regierung hat – neben den im Folgenden noch ausführlicher zu erläuternden
B. Der Belastingdienst in den 80er Jahren
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a) Rapport van Bijsterveld 1976 beauftragte der damalige Finanzminister Duisenberg den Generaldirektor des Belastingdienst van Bijsterveld damit, Art und Umfang der Steuerhinterziehung bei Einkommen- und Umsatzsteuer sowie der Motorrijtuigenbelasting (eine Art Kfz-Steuer) zu untersuchen. van Bijsterveld legte seine Ergebnisse im April 1979 zunächst der Regierung und anschließend, versehen mit Kommentaren der Regierung, dem Parlament vor. Fazit der Untersuchung war, dass es sich bei der Steuerhinterziehung in den Niederlanden nicht um ein vereinzelt auftretendes Ereignis handelte, sondern um ein Massenphänomen. van Bijsterveld hielt in seinem Bericht fest, dass der Belastingdienst z. B. im Jahr 1975 lediglich bei 8,1% der für eine Betriebsprüfung bzgl. der Einkommensteuer in Betracht kommenden Unternehmern bzw. Selbständigen tatsächlich eine Überprüfung vorgenommen, dabei aber in 66% der Fälle Steuerhinterziehung festgestellt und Steuermehreinnahmen i. H. v. NLG 243 Mio. erzielt hatte.163 Wären alle Unternehmer kontrolliert worden, so wäre nach van Bijstervelds Berechnungen mit zusätzlichen Steuereinnahmen i. H. v. NLG 1,2–1,6 Mrd. zu rechnen gewesen.164 Auch für die Umsatzsteuer hätten durch umfassende Kontrollen nach van Bijstervelds Berechnungen Steuermehreinnahmen i. H. v. NLG 870 Mio. erzielt werden können.165 Darüber hinaus stellte van Bijsterveld bei stichprobenhaften Untersuchungen fest, dass die befragten Steuerpflichtigen ein verzerrtes Bild von ihrer tatsächlichen Steuerbelastung hatten und alle vermuteten, einen viel höheren Prozentsatz ihres Einkommens an Steuern zu entrichten als tatsächlich der Fall war. In seinen Schlussfolgerungen regte van Bijsterveld insbesondere an, bei der Bearbeitung der Steuerfälle durch den Belastingdienst zwischen drei Gruppen von Steuerpflichtigen zu differenzieren, nämlich den steuerehrlichen, den in geringem Umfang Steuern hinterziehenden und den überwiegend unehrlichen Steuerpflichtigen.166 Der Bericht wurde – gekürzt um sensible Detailinformationen z. B. hinsichtlich der spezifisch steuerrechtlichen Untersuchungen – derartige Studien in Auftrag gegeben, vgl. z. B. das Gutachten des Wetenschappelijke Raad voor het Regeringsbeleid „Rechtshandhaving“ v. 30.5.1988. 162 Auch dabei handelt es sich nicht um ein rein niederländisches Phänomen, sondern um eine weltweite Entwicklung in der zweiten Hälfte der 80er Jahre; vgl. Vermeulen, De Accountant 1993, 83. 163 van Bijsterveld, Fraude-Rapport, S. 87, 320 f. 164 van Bijsterveld, Fraude-Rapport, S. 148. 165 van Bijsterveld, Fraude-Rapport, S. 188, 204. Für die Umsatzsteuer waren 1976 20% der Unternehmer einer Betriebsprüfung unterzogen worden, wobei in 34% der Fälle Steuerhinterziehung festgestellt wurde und Steuermehreinnahmen i. H. v. NLG 190 Mio. erzielt worden waren. 166 van Bijsterveld, Fraude-Rapport, S. 330 f.
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2. Kap.: Belastingdienst – Struktur und Selbstverständnis im Wandel
Methoden des Belastingdienst, mit denen Steuerhinterziehung aufgespürt wird – 1980 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Darüber hinaus erschien eine Zusammenfassung in einer auch dem Laien verständlichen Form.167 Nicht zuletzt deshalb erlangte der Bericht eine enorme Breitenwirkung. Das Thema ‚Steuerhinterziehung‘ beherrschte die Medien über einen längeren Zeitraum und der Rapport van Bijsterveld trug zur Verbreitung der Ansicht bei, dass die Steuerhinterziehung als Massenphänomen ein ernst zu nehmendes Problem für die niederländische Gesellschaft und den niederländischen Staatshaushalt darstelle. Auch die Steuerrechtswissenschaft hat sich in der Folge intensiv mit den Erscheinungsformen und der Ursache von Steuerhinterziehung und Steuerumgehung beschäftigt.168 b) ISMO-Rapport Als Reaktion auf den Rapport van Bijsterveld wurde 1979 die sog. Interdepartementale stuurgroep misbruik en oneigenlijk gebruik (ISMO, Ressortübergreifende Arbeitsgruppe Gesetzesmissbrauch und Gesetzesumgehung) eingerichtet. Sie sollte der Regierung Empfehlungen für die Bekämpfung des Missbrauchs und der Umgehung von Gesetzen auf dem Gebiet des Steuer-, Sozial- und (Wirtschafts-)Subventionsrechts unterbreiten und veröffentlichte im Jahr 1985 ihren Abschlußbericht. Darin wurden die Ergebnisse van Bijstervelds größtenteils bestätigt und Berechnungen zur Höhe der Steuerausfälle angestellt. Nach Schätzungen der ISMO beliefen sich die jährlichen staatlichen Verluste durch Gesetzesmissbrauch und -umgehung allein im Bereich des Steuerrechts auf ca. NLG 9,1–9,3 Mio. Für die zunehmende Bereitschaft der Bürger zur Hinterziehung bzw. zur Umgehung führte die ISMO im Wesentlichen drei Gründe an:169 Die zunehmend umfangreicheren Aufgaben staatlicher Institutionen hätten zu einem Anstieg der Staatsausgaben und damit zu einer höheren Steuerbelastung der Steuerpflichtigen geführt, sodass die Hinterziehung von Steuern und Sozialabgaben finanziell besonderes lohnend geworden sei. Zusätzlich habe die Ausweitung des hoheitlichen Aufgabenspektrums die Bürokratie verstärkt, wodurch die Distanz zwischen den Bürgern und der staatlichen Verwaltung größer geworden sei. Schließlich seien die Bürger mündiger geworden, und die Autorität staatlicher Institutionen habe abgenommen. 167
Grotenhuis, Belastingfraude. Vgl. z. B. das Thema der Geschriften VVB No. 154 aus dem Jahr 1981: „Op zoek naar oorzaken en remedies van de fiscale fraude” mit Beiträgen von Verburg und van Gunsteren, die beide explizit an den Van-Bijsterveld-Rapport anknüpfen (S. 17, 19). 169 ISMO, Hoofdlijnen van het ISMO-Rapport, Den Haag 1985, S. 3. 168
B. Der Belastingdienst in den 80er Jahren
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Die ISMO unterbreitete Vorschläge zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung. So empfahl sie u. a. die Steigerung der Aufdeckungsquote durch intensivere und zielgerichtetere Kontrollen, Verschärfung der Sanktionen und insbesondere die stärkere Verknüpfung und den Datenaustausch zwischen Informationsbeständen einzelner Finanzämter sowie anderer staatlicher Einrichtungen. Dabei galt ihr besonderes Augenmerk dem Austausch von branchenspezifischen Informationen.170 Außerdem sprach sich die ISMO für eine Verbesserung des Verhältnisses zwischen Bürger und Verwaltung aus, da ihrer Einschätzung nach durch größere Transparenz und einfachere Regelungen die Tendenz zur Umgehung dieser Regeln abgemildert werden könne. Auch die mangelnde Berücksichtigung der Ausführbarkeit von Gesetzen bei deren Konzeption wurde von der ISMO kritisiert.171 Das von der ISMO als Grundvoraussetzung für eine wirksame Bekämpfung des Missbrauchs und der Gesetzesumgehung bezeichnete klare politische Bekenntnis lieferte 1983 der damalige Ministerpräsident Lubbers, indem er die Bekämpfung der Steuerhinterziehung zur zentralen Aufgabe seines Kabinetts erklärte.172 2. Oort-Kommission zur Vereinfachung des Steuerrechts Trotz der verstärkten Diskussion über Steuermoral und Steuerhinterziehung änderte sich an der vergleichsweise hohen Steuerbelastung auch in den 1980er Jahren nichts.173 Die Steuergesetzgebung war durch den zunehmenden Gebrauch der Steuergesetze als Lenkungsnormen sowie die Reparaturgesetzgebung, mit der Steuerschlupflöcher geschlossen werden sollten, immer komplizierter und undurchsichtiger geworden174 – auch dies ein Befund, den die Niederlande mit vielen Staaten teilten. Öffentlich wurden Zweifel daran geäußert, ob der Belastingdienst überhaupt noch „Herr der Lage“ sei.175 Als 1984 die sog. Tweeverdienersregeling (Doppelverdiener170
Sleurink, ISMO-Rapport, S. 113, 137. ISMO, Hoofdlijnen van het ISMO-Rapport, Den Haag 1985, S. 7. 172 Schellekens/Schweitzer, In naam van de FIOD, S. 78. 173 Für die Jahre 1984 und 1987 ermittelte die OECD für die Niederlande mit 38% bzw. 39% des Bruttolohns eines unverheirateten Arbeitnehmers die zweithöchste durchschnittliche Steuerbelastung nach Dänemark. Deutschland stand mit 36% bzw. 35% jeweils an vierter Stelle. Vgl. van Arendonk/Kavelaars/Stevens, Eenvoud in praktijk, S. 15. 174 Vgl. die Gesetzesbegründung des Staatssekretärs für Finanzen zu einem der sog. Reparatiewetten („Reparaturgesetze“), mit denen Steuerschlupflöcher geschlossen werden sollen, Kamerstukken II 1979/80, 15 516, nr. 1–3, S. 8; SER, Advies belastingvereenvoudiging, S. 7 m. w. N. 175 Vgl. z. B. Wolt, WFR 1981, 1302 f. Kritisch auch van Bijsterveld, FraudeRapport, S. 330. 171
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2. Kap.: Belastingdienst – Struktur und Selbstverständnis im Wandel
regelung) zur Anpassung der Familienbesteuerung zunächst eingeführt und 1985 überstürzt abgeändert wurde, wobei weder die Steuerpflichtigen noch die Finanzverwaltung genug Zeit gehabt hatten, sich auf die Änderungen einzustellen, wurde der Ruf nach erheblichen Vereinfachungen des bestehenden Steuerrechts unüberhörbar176 und im September 1985 wurde daraufhin tatsächlich eine später nach ihrem Vorsitzenden L. J. Oort benannte Kommission eingesetzt, die damit beauftragt wurde, Vorschläge zur Vereinfachung der Lohn- und Einkommensteuer zu erarbeiten. In ihrem im Mai 1986 veröffentlichten Bericht unterbreitete die Kommission im Wesentlichen vier Vorschläge: Einführung eines einheitlichen Steuertarifs für eine möglichst große Gruppe von Personen mit geringem Einkommen, Kombination der Besteuerung und der Erhebung der Beiträge zur sog. Volksverzekering (Sozialversicherung), Ausgestaltung der Lohnsteuer als endgültige und abschließende (Einkommens-)Besteuerung in möglichst vielen Fällen sowie Vereinfachung der Abzugsposten durch Einführung eines sog. Standardabzugsposten.177 Der Bericht stieß sowohl in der Fachwelt als auch in der Politik auf große Zustimmung, und im April 1989 verabschiedete das Parlament die Gesetzesentwürfe „Oort I-III“; allerdings wurden trotz der irreführendenden Bezeichnung tatsächlich nur mit dem sog. Oort-I-Gesetz178 Vorschläge der Oort-Kommission umgesetzt: Die Bemessungsgrundlage für die Beiträge zur Volksverzekering (die nunmehr, gegen entsprechende Kompensationsleistungen seitens der Arbeitgeber, vollständig von den Arbeitnehmern gezahlt wurden) und für die Lohnsteuer (Einkommensteuer) wurden vereinheitlicht und die Beiträge zur Volksverzekering in die erste Tarifstufe integriert, sodass beide Abgaben gemeinsam durch die Arbeitgeber einbehalten und an den Belastingdienst abgeführt werden konnten. Hingegen beinhalteten die als Oort-II und OortIII bezeichneten Gesetze zwar eine Beschränkung der Abzugsfähigkeit gemischt veranlasster Aufwendungen, führten jedoch in keiner Weise zu der von der Oort-Kommission propagierten Vereinfachung, sondern schafften eine Vielzahl neuer Abgrenzungsschwierigkeiten.179 Tatsächlich ging es bei diesen letztgenannten Gesetzesänderungen nicht um eine systematische Vereinfachung des Steuerrechts, sondern um eine Gegenfinanzierung für die gleichzeitig vorgenommene, von der Oort-Kommission nicht angeregte Tarifermäßigung.180 176
Baken/Ottenheym, Oort-wetgeving, S. 13. van Arendonk/Kavelaars/Stevens, Eenvoud in praktijk, S. 23; Baken/Ottenheym, Oort-wetgeving, S. 13; Spierdijk in: FS Beusch, S. 838, 839. 178 Sowie einigen Zusatzgesetzen, vgl. die Auflistung bei Baken/Ottenheym, Oort-wetgeving, S. 13. 179 van Arendonk/Kavelaars/Stevens, Eenvoud in praktijk, S. 29; Spierdijk in: FS Beusch, S. 838, 840 f. 177
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IV. Reaktionen der Finanzverwaltung Der Belastingdienst, rückblickend selbst aus den eigenen Reihen heraus als „träge und bürokratisch“ bezeichnet,181 beobachtete die sinkende Steuermoral mit Sorge, hatte jedoch intern darüber hinaus einen erheblichen Anstieg der Arbeitsbelastung zu verkraften. Grund dafür war zum einen die steigende Zahl der Steuerpflichtigen und dementsprechend auch der zu bearbeitenden Steuererklärungen: So war z. B. bei den Einkommensteuerpflichtigen zwischen 1956 und 1976 ein Anstieg von 1,8 Mio. auf 4,3 Mio. zu verzeichnen und Sachbearbeiter sahen sich gezwungen, 250 und mehr Steuererklärungen von Arbeitnehmern pro Woche „abzuarbeiten“.182 Zum anderen wanderten qualifizierte Mitarbeiter des Belastingdienst in die Privatwirtschaft ab – nicht zuletzt wegen der besseren Bezahlung. In einigen für die Körperschaftsteuer zuständigen Finanzämtern wurde eine Unterbesetzung bei den erfahrenen Spezialisten von 50% konstatiert.183 Im November 1971 wurde die Situation anlässlich einer Besprechung von Direktoren folgendermaßen umschrieben: „Die maximale Rekrutierung [neuer Mitarbeiter] kann mit der zunehmenden Arbeitsbelastung nicht mehr Schritt halten. Die Folgen davon sind: Zunehmende Steuerhinterziehung und Absinken der Steuermoral. Schlimmer noch ist, dass die Mitarbeiter das Vertrauen in ihre Arbeit und die ihrer Vorgesetzten (die nichts an der Situation ändern) verlieren. Dementsprechend gibt es einen hohen Krankenstand.“184
Gegen Mitte der 80er Jahre war die Abwanderung so stark, dass innerhalb des Belastingdienst eine Arbeitsgruppe „Exodus“ eingerichtet wurde, die im April 1987 einen Bericht zu Ursachen und Umfang der Abwanderung veröffentlichte.185 Als Ausweg aus dieser Situation schlug die Arbeitsgruppe u. a. vor, durch fortschreitende Automatisierung mehr Personal für die Kontrolle als für administrative Tätigkeiten einzusetzen. 180 Mit dieser Tarifermäßigung folgten die Niederlande dem damaligen Trend vieler Industrieländer, vgl. van Arendonk/Kavelaars/Stevens, Eenvoud in praktijk, S. 13. 181 de Kam/van Wuijtswinkel, MAB 1993, 238. 182 de Koning, Focus op Fiscus, S. 399; Wolt, WFR 1981, 1302, 1303. Eine der Ursachen für diesen Anstieg war die steigende Zahl von berufstätigen (Ehe-)Frauen, die nun ebenfalls veranlagt werden mussten. Vgl. auch de Kam/van Wuijtswinkel, MAB 1993, 238. Bis 1991 stieg die Zahl der Einkommensteuererklärungen auf 5,1 Mio. an, vgl. van Doorne, Geschriften VVB, no. 47, S. 43, 73, Fn. 83. 183 Memorandum Exodus Belastingdienst, S. 6. 184 Zitiert nach de Koning, Focus op Fiscus, S. 386. 185 Implosie – onaanvaardbaar verlies aan ervaring bij belastinginspecteuren en rijksaccountants, rapport van de werkgroep „exodus“, Den Haag 1987.
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2. Kap.: Belastingdienst – Struktur und Selbstverständnis im Wandel
Aus Sicht des Belastingdienst stand zu befürchten, dass die verstärkte öffentliche Diskussion über den Umfang der Steuerhinterziehung und die (zu niedrige) Aufklärungsquote die Steuerhinterziehung noch weiter anwachsen lassen würde. Außerdem wurde darüber diskutiert, wie man verhindern könne, dass die Kosten für die Prävention und Bekämpfung von Steuerhinterziehung die dabei erzielten Mehreinnahmen übersteigen, und es wuchs das Interesse an der Dokumentation und Messung der Arbeit des Belastingdienst. Man begann, die eigene Arbeitsweise im Wesentlichen unter zwei Gesichtspunkten zu überdenken: Zum einen sollten die primären Prozesse, insbesondere die Veranlagung, effizienter strukturiert werden. Zum anderen setzte sich die Erkenntnis durch, dass man die Arbeitsweise stärker an den Bedürfnissen der Steuerpflichtigen ausrichten und deren Einstellung gegenüber dem Belastingdienst positiv beeinflussen müsse, d.h. es wurde ein Zusammenhang zwischen dem Auftreten der Finanzverwaltung und der Einstellung der Steuerpflichtigen gegenüber ihren steuerlichen Pflichten hergestellt.186 Im Jahr 1978 begann man deshalb mit der Einrichtung sog. Beleidsgroepen, die einzelne Aspekte der Arbeitsweise des Belastingdienst untersuchten und Vorschläge zur Verbesserung der Prozesse unterbreiteten. Im selben Jahr wurde außerdem eine sog. Adviesgroep organisatie-onwikkeling (Beratungsgremium für Organisationsentwicklung) eingerichtet, deren Untersuchungen u. a. zur Entwicklung eines Systems von Jahresplänen und Jahresberichten führten, um eine sachbezogene, wirtschaftliche Arbeitsweise zu fördern.187 Hinsichtlich der Struktur der Arbeitsabläufe war mehr und mehr die Rede von „Entscheidungsprozessen“, an denen Mitarbeiter aller Ebenen beteiligt werden sollten. Entscheidungsträger sollten sich als Manager fühlen188 und es wurde Wert auf eine Verbesserung der Kommunikation zwischen den einzelnen örtlichen Finanzämtern und den Ebenen der Finanzverwaltung gelegt. Auch der Service gegenüber den Steuerpflichtigen wurde ausgebaut. In Fernsehkampagnen wurden die Steuerpflichtigen dazu ermuntert, mit den Sachbearbeitern Kontakt aufzunehmen (’Even langs bij de belastinginspectie’), insbesondere im Frühjahr zur Vorbereitung der Abgabe der Steuererklärungen. Seine künftige Politik zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung legte der Finanzminister 1982 in der sog. Fraudenota (Bericht zur Steuerhinterziehung) dar. Ausgangspunkt war die Verbesserung des Service gegenüber 186 Gribnau, Rechtsbetrekking, S. 279; de Kam/van Wuijtswinkel, MAB 1993, 238, 239. 187 Belastingdienst, Memorandum inzake herstructurering Belastingdienst, S. 4. Zu den Planungs- und Rechenschaftsberichten des Belastingdienst ausführlich 4. Kap. unter A.4.a). 188 de Koning, Focus op Fiscus, S. 421 f.
C. Die Reorganisation von 1988–1992
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steuerehrlichen Steuerpflichtigen einerseits sowie die Intensivierung der Bekämpfung von Steuerhinterziehung andererseits.189 Damit folgte der Belastingdienst den Empfehlungen, die van Bijsterveld 1978 und die ISMO 1985 in ihren Berichten ausgesprochen hatten. Die Struktur des Belastingdienst als solche wurde zu diesem Zeitpunkt allerdings (noch) nicht in Frage gestellt.
C. Die Reorganisation von 1988–1992 Die vorstehend aufgeführten Reaktionen des Belastingdienst auf die sinkende Steuermoral und die steigende Arbeitsbelastung mündeten schließlich in die sog. Reorganisatie bzw. Herstructurering (Reorganisation, Umstrukturierung), einen Prozess von 1988–1992, in dessen Verlauf sich die Struktur des Belastingdienst von einer an Steuerarten und Besteuerungsprozessen orientierten hin zu einer zielgruppenorientierten, integrierten gewandelt hat.
I. Motive Die durch van Bijsterveld und die ISMO „schwarz auf weiß“ festgestellte niedrige Steuermoral der Niederländer und die sich daran anschließende politische und gesellschaftliche Diskussion des Phänomens „Steuerhinterziehung“ forderten eine deutliche Reaktion der Finanzverwaltung, und die bis Mitte der 80er Jahre ergriffenen Maßnahmen zur Effizienzsteigerung einerseits sowie zur Verbesserung des Verhältnisses zwischen den Steuerpflichtigen und der Finanzverwaltung und der Kommunikation innerhalb der Finanzverwaltung andererseits hatten nicht zum gewünschten Ergebnis geführt. Mittlerweile traten beträchtliche Rückstände bei der Bearbeitung der Steuererklärungen auf190 und die „mündiger“ gewordenen Steuerpflichtigen scheuten nicht davor zurück, in ihrer Unzufriedenheit gegen Entscheidungen der Finanzverwaltung die Gerichte anzurufen.191 Ein Ausbau des Personalbestandes zur Kompensation der steigenden Arbeitsbelastung wurde seitens der Politik ausgeschlossen und stattdessen auf eine Verringerung des 189 „Nota fraudebestrijding in de directe belastingen en de omzetbelasting”, Kamerstukken II 1981/82, 17 522 nr. 1 und 2, S. 9; Belastingdienst, Memorandum inzake herstructurering Belastingdienst, S. 3. Zu dieser Differenzierung ausführlich 3. Kap. unter C.I. 190 Belastingdienst, Memorandum inzake herstructurering Belastingdienst, S. 2; Schonis, WFR 1987, 969; Voigt, M&O 1/1994, 5, 8. 191 van Lunteren, Fiskaal 4/1988, 119, 122 f.; Rouwenhorst, NV 1989, 235. Die Zahl der Einsprüche und Klagen gegen Steuerbescheide und andere Maßnahmen der Finanzverwaltung war zwischen 1976 und 1986 erheblich angestiegen, vgl. Belastingdienst, Memorandum inzake herstructurering Belastingdienst, S. 1.
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2. Kap.: Belastingdienst – Struktur und Selbstverständnis im Wandel
Personals gedrungen. Darüber hinaus zeichnete sich die Notwendigkeit einer internen Umbesetzung eines Teils des Personals ab, da durch die Entwicklung des EG-Binnenmarkts personelle Überkapazitäten beim Zoll zu erwarten waren.192 Die vorhandenen Arbeitskräfte mussten deshalb möglichst effektiv eingesetzt werden. Der Belastingdienst wurde mit einem privatwirtschaftlichen Unternehmen verglichen: Ein Unternehmen muss sich ausreichend auf die (inneren und äußeren) Faktoren einstellen können, die für seine Tätigkeit von Bedeutung sind, um nicht in eine Krise zu geraten.193 Und gerade diese Anpassungsfähigkeit wurde bemängelt, wobei als Hemmnis für eine effektive und effiziente Arbeitsweise des Belastingdienst insbesondere die bisherige Aufteilung der drei Kernaufgaben Kontrolle, Besteuerung und Vollstreckung bzw. Steuerbeitreibung auf separate Abteilungen (Rijksaccountantsdienst, die einzelnen inspecties und die ontvangkantoren) und landesweit insgesamt über 259 Finanzämter angesehen wurde.194 Zwar hatte die Spezialisierung nach Steuerarten den Vorteil, dass die jeweiligen Ämter über umfangreiche Detailkenntnisse verfügten. Die Koordinierung dieser unterschiedlichen Ämter durch die acht regionalen Direktionen erwies sich aber auf die Dauer als zu kompliziert: Einerseits hatten insbesondere die kleinen und mittleren Betriebe unter der Aufspaltung von Kompetenzen und den daraus resultierenden umschichtigen Kontrollen, bei denen jeweils Sachbearbeiter unterschiedlicher Finanzämter die Buchhaltung unkoordiniert im Hinblick auf einzelne Steuerarten prüften, zu leiden, und der durchschnittliche Unternehmer hatte im Jahr mit fünf bis sechs verschiedenen Finanzämtern zu tun.195 192 Moret Ernst & Young/Coopers & Lybrand/Belastingdienst, Rapport Onderzoek Herstructurering Belastingdienst, S. 10 ff. 193 Schonis, WFR 1987, 969; kritisch dazu van der Ouderaa, B&M 1993, 57, 58. Die Frage, ob ein derartiger Vergleich gerechtfertigt ist und der spezifischen Situation des Belastingdienst gerecht wird, wird im 4. Kapitel bei der Evaluierung der Arbeitsweise des Belastingdienst diskutiert. 194 de Kam/van Wuijtswinkel, MAB 1993, 238, 239. 195 Vermeulen, De Accountant 1993, 83 f.; de Vos, Management Team v. 24.3.2000, 36, 37. Diese „Belästigung“ der Steuerpflichtigen durch mangelnde Absprachen bei der Planung und Durchführung von Kontrollen verdeutlicht der folgende Brief, den ein entnervter Steuerpflichtiger dem Belastingdienst im Jahr 1989 geschrieben hat (zitiert nach Voigt, M&O 1/1994, 5, 11): „Sehr geehrte Herren, im März 1988 hat für die Körperschaftsteuer eine Kontrolle stattgefunden durch Herrn S. und einen Kollegen, der die Prämienbesteuerung überprüft hat. Nach drei Tagen und 36 Tassen Kaffee war die Kontrolle noch nicht abgeschlossen und die Herren haben die Buchhaltung mit in ihr Büro genommen. Nach einer Schlussbesprechung mit meinem Steuerberater war die Kontrolle dann glücklicherweise beendet. Am 8. Mai 1989 kamen Herr H. und ein Kollege von der Abteilung „Umsatzsteuer“, um die Bücher zu überprüfen. Nach wiederum 3 Tagen und 36 Tassen Kaffee und einem Gespräch mit meinem Steuerberater war zum
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Andererseits konnten die Steuerpflichtigen die verschiedenen Finanzämter und Finanzbeamten, mit denen sie zu tun hatten, gegeneinander ausspielen, da an keiner Stelle eine Gesamtübersicht über die (finanziellen) Verhältnisse der Steuerpflichtigen bestand. Eine effektive Bekämpfung der Steuerhinterziehung war aus dieser Position heraus kaum möglich.196 Stattdessen war durch die Aufteilung in verschiedene Ämter, die jeweils nur für einzelne Steuerarten zuständig waren, die Komplexität der Steuergesetzgebung weitgehend auf die Steuerpflichtigen abgewälzt worden, die sich ihren Weg durch die verschiedenen Steuerarten und Zuständigkeiten bahnen mussten. Angesichts dieser Unvollkommenheiten des status quo entschloss sich die Führungsebene des Belastingdienst zu einer tiefgreifenden Modernisierung unter Aufgabe tradierter Strukturen, weil man glaubte, dass eine Intensivierung der bisherigen Vorgehensweise immer geringere Resultate liefern würde.197
II. Ziele Ziel der Reorganisation war es einerseits, den Belastingdienst als Organisation insgesamt flexibler zu gestalten, um künftig schneller auf sich ändernde gesellschaftliche und politische Verhältnisse reagieren zu können.198 Andererseits sollte die Arbeitsweise des Belastingdienst unter dem Motto doelgerichtheid, doelmatigheid en doeltreffendheid (Zielgerichtetheit, Effizienz und Effektivität) möglichst effektiv und effizient ausgestaltet werden.199 Dabei bedeutet Effektivität (doeltreffendheid) im Sinne von „WirkGlück auch diese Kontrolle abgeschlossen. Am 30. Mai 1989 erhielt ich einen Anruf von Herrn L. von der Abteilung „Lohnsteuer“. Herr L will mir ab dem 13. Juli für ein paar Tage lästig fallen und die üblichen 36 Tassen Kaffee trinken kommen. Da ich mein Brot mit Photographieren und nicht mit Kontrollieren verdienen muss (denn wenn ich das nicht täte, dann hätten Sie überhaupt nichts mehr zu kontrollieren), würde ich es sehr begrüßen, wenn der Besuch von Herrn L. nicht stattfinden würde. Ich bitte deshalb freundlich darum, die Kontrollen auf einen Schlag stattfinden zu lassen. Wenn sich die drei Inspektoren untereinander abstimmen könnten, dann könnte ich auch wieder meiner Arbeit nachgehen. An dem oben beschriebenen Chaos will ich jedenfalls nicht mehr mitwirken. Hochachtungsvoll, P.P. b.v.“ 196 Abrahamse, BB Management 5/1990, 20, 32; de Kam/van Wuijtswinkel, MAB 1993, 238, 239; van Lunteren im Interview mit Wieringa, FEM 8/1989, 23, 24. 197 Voigt, M&O 1/1994, 5, 8. 198 Belastingdienst, Memorandum inzake herstructurering Belastingdienst, S. 4; Moret Ernst & Young/Coopers & Lybrand/Belastingdienst, Rapport Onderzoek Herstructurering Belastingdienst, S. 46. 199 Schonis, WFR 1987, 969; Voigt, M&O 1/1994, 5, 8.
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2. Kap.: Belastingdienst – Struktur und Selbstverständnis im Wandel
samkeit“, dass eine Maßnahme geeignet ist, ein zuvor definiertes Ziel zu erreichen,200 d.h. der Belastingdienst arbeitet effektiv, wenn er die ihm gestellten Aufgaben tatsächlich erfüllt. Effizienz (doelmatigheid) bedeutet insbesondere eine Abwägung zwischen den einzusetzenden Mitteln und den erzielbaren Ergebnissen i. S. einer „Wirtschaftlichkeit“, d.h. das Verhältnis zwischen Aufwand und Ertrag (vgl. 4. Kap. unter A.I.). Die Organisation der Finanzverwaltung im Allgemeinen und des Besteuerungsverfahrens im Besonderen, die bisher an Steuerarten, Kompetenzregelungen und internen Prozessen ausgerichtet war, sollte sich nunmehr an den verschiedenen Arten von Steuerpflichtigen orientieren, und diese Neuorientierung an einzelnen doelgroepen (Zielgruppen) sollte durch die Errichtung separater Einheiten für Particulieren (Einzelpersonen), Ondernemingen (Betriebe) und Grote Ondernemingen (Großbetriebe, Konzerne) sowie einer selbständigen Einheit für Zollangelegenheiten ihren Niederschlag in der äußeren Struktur des Belastingdienst finden. Gleichzeitig wurden die einzelnen Abschnitte des Besteuerungsverfahrens, die bisher funktional auf einzelne Ämter verteilt waren, zusammengefasst, um die Zielgruppen in den für sie zuständigen Finanzämtern jeweils umfassend (integrativ) im Hinblick auf alle Steuerarten und alle Abschnitte des Besteuerungsverfahrens betreuen zu können. Dabei sollten die Steuerpflichtigen künftig möglichst nur noch mit einem Sachbearbeiter – dem für sie zuständigen Klantmanager/Klantcoördinator (Kundenbetreuer) – in Kontakt stehen. Innerhalb des Belastingdienst sollte außerdem die Dienstleistungsmentalität gestärkt und auf diese Weise der geänderten Einstellung der Bürger gegenüber dem Staat Rechnung getragen werden. Dies bedeutete auch, das präventiven Maßnahmen Vorrang vor repressiven eingeräumt werden sollte. Für die Kontrolle der Steuerfälle bedeutet dies die endgültige Aufgabe der sog. 100%-Strategie zugunsten einer risikoorientierten Fallauswahl. Zwar hatte sich bereits Anfang der 80er Jahre abgezeichnet, dass eine 100%ige, gleichmäßige Kontrolle aller Steuererklärungen in der Praxis nicht umsetzbar war und man stattdessen zu einer stärkeren Gewichtung der Fälle würde übergehen müssen,201 doch für die Abwägung zwischen einer gründlichen Prüfung im Einzelfall und einer eher oberflächlichen Behandlung fehlten klare Kriterien.202 Nunmehr sollten entsprechende Krite200
Gabler Wirtschaftslexikon, 15. Aufl., Wiesbaden 2000. Moret Ernst & Young/Coopers & Lybrand/Belastingdienst, Rapport Onderzoek Herstructurering Belastingdienst, S. 9 f.; van der Ouderaa in: Burgerschap in praktijken, S. 43, 74. So hatte sich der Belastingdienst bereits in den 1980er Jahren vorbehalten, in Fällen mit lediglich geringer finanzieller Bedeutung von einer an sich gebotenen Korrektur aus Praktikabilitätsgründen abzusehen, vgl. Elffers, Income Tax Evasion, S. 9. 202 Voigt, M&O 1/1994, 5, 8. 201
C. Die Reorganisation von 1988–1992
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rien für eine Risikoermittlung entwickelt und ein Teil der Steuererklärungen nur noch von nicht spezialisierten Verwaltungsmitarbeitern bearbeitet bzw. Bescheide in einfach gelagerten Fällen automatisch erstellt werden. Die dadurch freigewordenen Kapazitäten sollten zur Bearbeitung komplexer Sachverhalte und Aufgabenstellungen eingesetzt werden.203 Schließlich sollte auch die interne Steuerung verändert und der Belastingdienst dezentraler organisiert sowie den einzelnen Untergliederungen ein selbständigeres und eigenverantwortlicheres Arbeiten ermöglicht werden.204 Der Abbau von Personal war hingegen nicht erklärtes Ziel der Reorganisation, wohl aber eine Vermeidung des Personalausbaus.205
III. Planung und Durchführung Waren die ersten Visionen einer umfassenden Modernisierung des Belastingdienst auf einer Direktorenkonferenz Mitte der 1980er Jahre zunächst noch auf Bedenken insbesondere bei den regionalen Direktionen gestoßen, so kam der Prozess in der Folgezeit doch in Gang und es wurde eine sog. Projectgroep Strategie en Structuur (Projektgruppe Strategie und Struktur) eingesetzt, die Modelle für die Umstrukturierung entwerfen sollte. In dieser Projektgruppe wirkten auch „externe“, d.h. nicht beim Belastingdienst beschäftigte Personen mit, um die Anforderungen und Erwartungen unterschiedlicher Gesellschaftsgruppen an den Belastingdienst in den Prozess mit einzubringen.206 In den folgenden zwei Jahren wurden intensive Gespräche auf und zwischen allen Ebenen des Belastingdienst geführt, um Anregungen und Bedenken auszutauschen und alle Hierarchieebenen von der Notwendigkeit einer Reorganisation zu überzeugen. Im Herbst 1986 wurde eine grobe Übersicht der anstehenden Reorganisation niedergelegt207 und eine umfangreiche Werbekampagne in Gang gesetzt, um das Bild des Belastingdienst in der Öffentlichkeit zu verändern und die Reorganisation bekannt zu machen.
203
Belastingdienst, Memorandum inzake herstructurering Belastingdienst, S. 31. Moret Ernst & Young/Coopers & Lybrand/Belastingdienst, Rapport Onderzoek Herstructurering Belastingdienst, S. 14. 205 Belastingdienst, Memorandum inzake herstructurering Belastingdienst, S. 25, 27; de Graeve, Documentatieblad 3/1995, S. 3, 33. Zur Personalentwicklung s. unten unter C.IV.1. u. E.II. 206 van Lunteren, Fiskaal 4/1988, 119, 123. 207 Sog. Memorandum inzake de herstructurering van de Belastingdienst. 204
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2. Kap.: Belastingdienst – Struktur und Selbstverständnis im Wandel
1. Entwicklungsmodell Für die Durchführung der Reorganisation wurde ein sog. Entwicklungsmodell gewählt, d.h. die Ausgangspunkte und das Endziel waren vorgegeben, nicht jedoch der Weg, sodass den ausführenden Einheiten viel Autonomie zugestanden wurde, Probleme selber zu lösen.208 Der damalige stellvertretende Generaldirektor des Belastingdienst van Lunteren begründete dies 1990 damit, dass man es aufgrund der Komplexität des gesamten Reorganisationsvorgangs für sehr wahrscheinlich hielt, auf unerwartete Schwierigkeiten zu stoßen, sodass eine genaue Ausarbeitung des Verlaufs ohnehin realitätsfremd gewesen wäre und lediglich eine „Scheinsicherheit“ vermittelt hätte.209 2. Phasen der Durchführung Im Bewusstsein der Risiken, die eine Umstrukturierung der kompletten Finanzverwaltung insbesondere für das Steueraufkommen mit sich bringt, wurden die neuen Strukturen sowie die neue Arbeitsweise ab dem 1. April 1987 zunächst in acht sog. loodseenheden (Lotsenämter, Versuchsämter) getestet, um aufgrund der dabei gesammelten Erfahrungen anschließend die weiteren Schritte vorbereiten zu können.210 Die Lotsenämter wurden 1989 durch zwei Consultant-Büros auf ihre Funktionsfähigkeit hin überprüft, und die in diesen Einheiten gesammelten Erfahrungen wurden im selben Jahr in einem Leitfaden zum Aufbau von Finanzämtern (Handleiding Opbouw Eenheden) zusammengetragen.211 Die eigentliche Reorganisation mit der Umwandlung aller bisherigen Finanzämter erfolgte insgesamt in drei Phasen. War zunächst noch angestrebt 208 de Kam/van Wuijtswinkel, MAB 1993, 238, 240; es handelt sich um einen „eingegrenzten Suchprozess“, vgl. Belastingdienst, Memorandum inzake herstructurering Belastingdienst, S. 13; Moret Ernst & Young/Coopers & Lybrand/Belastingdienst, Rapport Onderzoek Herstructurering Belastingdienst, S. 43. 209 Zit. nach Abrahamse, BB Management 5/1990, 30; zu den Vorzügen des Entwicklungsmodells siehe auch de Kam/van Wuijtswinkel, MAB 1993, 238, 241; Moret Ernst & Young/Coopers & Lybrand/Belastingdienst, Rapport Onderzoek Herstructurering Belastingdienst, S. 15, 43 f., 46, 76. 210 Dabei handelte es sich um zwei Ämter für Einzelpersonen, zwei für kleine und mittlere Unternehmen, zwei kombinierte Ämter für Einzelpersonen und Unternehmen und zwei Ämter für große Unternehmen; vgl. de Graeve, Documentatieblad 3/1995, S. 3, 21; de Kam/van Wuijtswinkel, MAB 1993, 238, 241; van Lunteren, Fiskaal 4/1988, 119, 125. 211 de Graeve, Documentatieblad 3/1995, S. 3, 21; Moret Ernst & Young/Coopers & Lybrand/Belastingdienst, Rapport Onderzoek Herstructurering Belastingdienst, S. 44.
C. Die Reorganisation von 1988–1992
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worden, die gesamte Reorganisation erst bis zum Jahr 1995 zum Abschluss zu bringen, so wurde noch im Laufe des Jahres 1988 beschlossen, den Reorganisationsvorgang zu beschleunigen, um u. a. möglichst schnell Gewissheit für die Mitarbeiter des Belastingdienst hinsichtlich ihrer neuen Tätigkeiten und Arbeitsorte herbeizuführen.212 Zum 1. Januar 1990 nahmen zusätzlich zu den bereits bestehenden acht Lotsenämtern 16 weitere Finanzämter neuen Typs ihre Arbeit auf und die interne Verwaltung des Belastingdienst erfolgte fortan für eine Übergangszeit parallel in alten und neuen Strukturen: Während die neu gegründeten Zielgruppendirektionen die Verantwortung für die Finanzämter neuen Typs übernahmen, waren für die „alten“ Ämter nach wie vor die bisherigen regionalen Direktionen zuständig.213 Im Laufe der Zeit nahmen die Aufgaben der regionalen Direktionen mehr und mehr zugunsten der Zielgruppendirektionen ab, bis die alten Direktionen schließlich endgültig abgeschafft wurden. Die zweite Phase wurde zum 1. Januar 1991 eingeläutet und bedeutete für weitere Ämter den Übergang zur neuen Struktur und Arbeitsweise. Zum 1. Januar 1992 sollte die dritte und letzte Phase beginnen. Allerdings konnten nicht alle verbliebenen Ämter alten Typs pünktlich transformiert werden, da die erforderlichen Um- und Neubauten214 der Gebäude zum Teil nicht rechtzeitig abgeschlossen waren. Einige „neue“ Ämter konnten ihre Arbeit deshalb erst zum 1. Juni 1992 aufnehmen, sodass die Reorganisation erst zu diesem Zeitpunkt ihren formalen Abschluss gefunden hat.215 Die „kulturellen“ Veränderungen innerhalb des Belastingdienst dauerten jedoch noch weit über dieses Datum hinaus an.216 Von der Umstrukturierung ausgenommen waren lediglich die 10 Ämter für Erbschafts- und Schenkungsangelegenheiten, die zunächst als selbständige Finanzämter unter der Aufsicht der Direktion für Particulieren verblieben waren und erst zum 1.1.2001 in die bestehenden Ämter für Particulieren bzw. Ondernemingen integriert worden sind.217 Die Vorbereitung und Durchführung der Reorganisation wurde ganz entscheidend durch den damaligen stellvertretenden Generaldirektor des Be212 Moret Ernst & Young/Coopers & Lybrand/Belastingdienst, Rapport Onderzoek Herstructurering Belastingdienst, S. 16 f.; Voigt, M&O 1/1994, 5, 15. 213 Moret Ernst & Young/Coopers & Lybrand/Belastingdienst, Rapport Onderzoek Herstructurering Belastingdienst, S. 54, 56. 214 Insgesamt gab es 150 Bauprojekte, vgl. de Kam/van Wuijtswinkel, MAB 1993, 238, 240. 215 de Kam/van Wuijtswinkel, MAB 1993, 238, 240; Veele, Fiskaal 1992, 315. 216 Vermeulen, De Accountant 1993, 83. Zum Begriff der „Kultur“ einer Organisation im Allgemeinen sowie der Kulturveränderung innerhalb des Belastingdienst im Besonderen vgl. Reuvers, Fiscaal scenario 2000, S. 80. 217 Belastingdienst, Beheersverslag 2001, S. 6.
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2. Kap.: Belastingdienst – Struktur und Selbstverständnis im Wandel
lastingdienst van Lunteren beeinflusst. In der Übergangszeit, in der einige Ämter bereits nach der neuen Struktur organisiert waren und gleichzeitig auch noch Ämter alten Typs existierten, repräsentierte der amtierende Generaldirektor den „alten“ Belastingdienst und gewährleistete die Funktionsfähigkeit der „alten“ Ämter, während sein Stellvertreter und späterer Nachfolger für den „neuen“ Belastingdienst stand. 3. Neuverteilung des Personals und der zu bearbeitenden Steuerfälle Die Reorganisation stellte erhebliche Anforderungen an das gesamte Personal des Belastingdienst. Viele der rund 30.000 Mitarbeiter des Belastingdienst bekamen einen neuen Arbeitsplatz zugewiesen,218 neugeschaffene Funktionen mussten besetzt und eine Vielzahl von Mitarbeitern geschult werden. Durch die zunehmende Automatisierung fielen Arbeitsplätze bei den Verwaltungsmitarbeitern, die bisher überwiegend in der Datenerfassung eingesetzt worden waren, weg. Gleichzeitig wurden mehr qualifizierte Mitarbeiter für den Bereich „Kontrolle“ benötigt. Um das (Aufstiegs-)Potential der bereits vorhandenen Arbeitskräfte zu ermitteln, mussten sich die Verwaltungsmitarbeiter einer periodischen loopbaan-onderzoek (lbo, Laufbahnanalyse) unterziehen. Allerdings konnten nicht alle Mitarbeiter, deren Eignung für eine Tätigkeit auf mittlerem Niveau festgestellt wurde, auch tatsächlich zeitnah befördert werden, was zu Unzufriedenheiten führte.219 Der vor der Reorganisation insbesondere mit Großbetriebsprüfungen betraute separate Rijksaccountantsdienst wurde aufgelöst und die dort beschäftigten Abschlussprüfer sind vorwiegend in die Finanzämter für Grote Ondernemingen aufgenommen worden. Bei der Neuverteilung der Aktenbestände – einer großen logistischen Herausforderung – stand nicht der einzelne Steuerpflichtige, sondern die sog. entiteit (Entität, eine Bündelung von Steuerpflichtigen, die untereinander enge wirtschaftliche, rechtliche o. ä. Beziehungen haben; vgl. dazu ausführlich unten 3. Kap. unter B.I.2.) im Vordergrund.
218 Dabei wurde auf unfreiwillige Versetzungen weitgehend verzichtet, um die Einstellung der Mitarbeiter dem Reorganisationsprozess gegenüber nicht ungünstig zu beeinflussen; vgl. de Haan, Direktor der Abteilung für Personal und Organisation des Belastingdienst, interviewt durch Abrahamse, BB Management 5/1990, 30, 32; Belastingdienst, Memorandum inzake herstructurering Belastingdienst, S. 26; Moret Ernst & Young/Coopers & Lybrand/Belastingdienst, Rapport Onderzoek Herstructurering Belastingdienst, S. 12, 59. 219 Abrahamse, BB Management 5/1990, 30; Moret Ernst & Young/Coopers & Lybrand/Belastingdienst, Rapport Onderzoek Herstructurering Belastingdienst, S. 13.
C. Die Reorganisation von 1988–1992
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4. Sicherung des Steueraufkommens während der Reorganisation Ein besonderes Augenmerk galt während der Umstrukturierung selbstverständlich der Sicherung des Steueraufkommens. In vielen Finanzämtern bestanden zum Zeitpunkt des Übergangs zur neuen Arbeitsweise noch erhebliche Rückstände, die die neuen Ämter bei Aufnahme ihrer Tätigkeiten belasteten. Nachdem sich Ende 1989/Anfang 1990 abzeichnete, dass die tatsächlichen Steuereinnahmen hinter den Schätzungen zurückbleiben würden, kamen Befürchtungen auf, dies könne auf die laufende Reorganisation des Belastingdienst zurückzuführen sein. Diese Vorwürfe sorgten für erhebliche Verunsicherung sowohl innerhalb des Belastingdienst als auch beim Parlament und in der Bevölkerung und drohten die Fortsetzung der Reorganisation zu gefährden.220 Daraufhin wurde ein Team aus Mitarbeitern zweier Unternehmensberatungs-/Wirtschaftsprüfungsgesellschaften sowie Mitarbeitern des Belastingdienst damit beauftragt, die Auswirkungen der Umstrukturierung auf Personal und Arbeitsprozesse zu untersuchen und dem Parlament darüber Bericht zu erstatten. Das Team veröffentlichte im Laufe seiner Untersuchungen zwischen 1990 und 1992 drei Berichte221 und stellte dabei im Ergebnis fest, dass die Steuereinnahmen durch die Umstrukturierung nicht beeinträchtigt worden waren.222 Zwar sind kleinere Korrekturen unterblieben – insbesondere um die Finanzämter „neuen Typs“ nicht mit Altbeständen zu belasten, sog. schoon-over-beleid (Politik des „sauberen Übergangs“) und „unbedeutenderen“ Einsprüchen (nähere Angaben zur Grenze der „Unbedeutsamkeit“ fehlen leider) ist teilweise ohne weitere Prüfung stattgegeben worden. Die damit einhergehenden Verluste wurden jedoch nach Auffassung der Prüfer durch die kostengünstige Massenveranlagung und die Ergebnisse intensiverer Prüfungen ausgewählter Fälle kompensiert.223 220
Insbesondere einige Abgeordnete der zweiten Kammer zeigten sich besorgt; Abrahamse, BB Management 5/1990, 30; Voigt, M&O 1/1994, 5, 21. 221 Rapport Onderzoek Herstructurering Belastingdienst 1990; Rapport Vervolgonderzoek Herstructurering Belastingdienst 1991; Rapport Derde Onderzoek Herstructurering Belastingdienst 1992. In allen drei Berichten übernehmen die externen Sachverständigen die volle Verantwortung für die Feststellungen und Empfehlungen, sodass die Berichte trotz der Mitarbeit von Angehörigen des Belastingdienst als unabhängig bezeichnet werden können. 222 Moret Ernst & Young/Coopers & Lybrand/Belastingdienst, Rapport Onderzoek Herstructurering Belastingdienst, S. 38, 41, 76; dieselben, Rapport Vervolgonderzoek Herstructurering Belastingdienst, S. 17 f.; kritisch dazu mehrere Berufsverbände der Mitarbeiter des Belastingdienst in einem Brief an den Generaldirektor des Belastingdienst vom 6.9.1990. 223 Moret Ernst & Young/Coopers & Lybrand/Belastingdienst, Rapport Onderzoek Herstructurering Belastingdienst, S. 32 f., 35 f., 76.
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2. Kap.: Belastingdienst – Struktur und Selbstverständnis im Wandel
Die Prüfer bemängelten allerdings zu knappe personelle und finanzielle Reservekapazitäten, um etwaige Komplikationen während der Umstrukturierung auffangen zu können.224 Daraufhin sagte der Staatssekretär für die Jahre 1991 und 1992 zusätzliche Personalmittel i. H. v. NLG 18 Mio. zu.225 5. Automatisierung Eine wesentliche Grundlage für den Übergang von einer an einzelnen Steuerarten und Arbeitsprozessen hin zu einer an Zielgruppen orientierten Verwaltung war die Entwicklung des Informationssystems „Beheer van Relaties”, mit dessen Hilfe erstmals die finanziellen Beziehungen der einzelnen Steuerpflichtigen untereinander und zur Finanzverwaltung transparent gemacht wurden. So enthält dieses System neben Namen und Adressen der Steuerpflichtigen auch Eintragungen wie „verheiratet mit“, „Großanteilseigner von“ etc.226 Für die Arbeit in den neuen Finanzämtern musste neue Software entwickelt werden, weil die alten Systeme noch auf die unterschiedlichen Steuerarten und Prozesse im Besteuerungsverfahren zugeschnitten waren, in den neuen Ämtern aber nunmehr integrativ gearbeitet werden sollte. Außerdem wurden in allen Finanzämtern lokale Netzwerke eingerichtet.
IV. Struktur des Belastingdienst nach Abschluss der Reorganisation Wesentliches Ergebnis der am 01.06.1992 offiziell für abgeschlossen erklärten Reorganisation war die Schaffung jeweils integrierter Arbeitsprozesse für verschiedene Arten von Steuerpflichtigen: Statt der früheren Aufteilung der Zuständigkeiten nach Steuerarten und Verfahrensabschnitten haben die Steuerpflichtigen nun im Regelfall nur noch einen einzigen Ansprechpartner, der den Belastingdienst ihnen gegenüber vertritt. Zu diesem Zweck sind die Steuerpflichtigen in drei Hauptzielgruppen unterteilt worden (zur Zielgruppenorientierung ausführlich im 3. Kapitel), und diese Unterteilung spiegelt sich auch in der Struktur des Belastingdienst wider. Im Folgenden wird zunächst die Organisationsstruktur des Belastingdienst zum 1.1.1993 anhand eines Schaubildes (Abbildung 3) dargestellt.227 Da der Belastingdienst seit der Re224 Moret Ernst & Young/Coopers & Lybrand/Belastingdienst, Rapport Onderzoek Herstructurering Belastingdienst, S. 46 f., 77. 225 Abrahamse, BB Management 5/1990, 30. 226 de Kam/van den Berg, Openbaar bestuur 10/1992, 21, 25. 227 Vgl. de Kam/van Wuijtswinkel, MAB 1993, 238, 244; Rouwenhorst, NV 1989, 235, 238.
C. Die Reorganisation von 1988–1992
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organisation keine statische Organisationsstruktur hat, sondern ständig kleinere Veränderungen stattgefunden haben, wird im Anschluss daran auch die Organisationsstruktur zum 1.1.2001 dargestellt (Abbildung 4),228 um auf einige wichtige jüngere Entwicklungen hinzuweisen. Die Struktur im Jahre 2002 eignet sich, soweit sie sich von der im Jahre 2001 unterscheidet, nicht für eine ausführliche Beschreibung, weil es sich dabei nur um ein Durchgangsstadium in Vorbereitung der zum 1.1.2003 begonnenen erneute Reorganisation handelt, die im 5. Kap. zusammen mit den anstehenden Änderungen der Arbeitsweise des Belastingdienst skizziert wird. 1. Organisationsstruktur zum 1.1.1993 und 1.1.2001 Die Unterteilung in Stabsdirektionen, die beim Generaldirektorat auf ministerieller Ebene angesiedelt sind, über das Land verteilte ausführende Direktionen, denen die einzelnen Finanzämter nachgeordnet sind, und Hilfsdirektionen ist auch nach der Reorganisation beibehalten worden (zu der aktuellen Abschaffung der Zielgruppendirektionen im Zusammenhang mit dem Projekt „Belastingdienst Straks“ s. 5. Kap.). Wesentlicher Unterschied gegenüber der Organisationsstruktur vor der Reorganisation ist jedoch, dass die mittlere Hierarchieebene der ausführenden Direktionen nicht mehr nach regionalen Gesichtspunkten geordnet ist, sondern dass Doelgroepdirecties (Zielgruppendirektionen) gegründet worden sind, die jeweils unter sich diejenigen Finanzämter vereinigen, die auf die Betreuung einer der Hauptzielgruppen Particulieren (Einzelpersonen, die nicht zu den Ondernemingen zählen), Ondernemingen (kleine und mittlere Unternehmen), Grote Ondernemingen (Großbetriebe, Konzerne) und Douane (Zoll) spezialisiert sind (ausführlich zu den Zielgruppen unten 3. Kap. unter B. I.). Nach der Umstrukturierung gibt es 14 (1993: 18) Ämter für Einzelpersonen, 30 (1993: 28) Ämter für Unternehmen (je 15 [1993: 14] innerhalb der Direktionen Nord und Süd) und 11 (1993: 11) Ämter für große Unternehmen.229 Hinzu kommen 10 (1993: 12) kombinierte Ämter für Particulieren und Ondernemingen, die zwar jeweils innerhalb desselben Gebäudes untergebracht sind, intern aber in zwei separate Organisationseinheiten unterteilt sind und für einen Teil der Steuerpflichtigen der Direktion für Particulieren und für den anderen Teil der Direktion für Ondernemingen unterstehen. Außerdem gibt es 7 (1993: 9) Zollämter, ein Amt für die Betreuung ausländischer Steuerpflichtiger (Particulieren und Ondernemingen) und je ein sog. BelastingTelefoon (Steuertelephon, eine kostenlose Servicenummer, unter der Steuerpflichtige auch außerhalb der Öffnungszeiten der Finanzämter 228 229
Vgl. Belastingdienst, Jaarverslag 2000, S. 10. de Kam/van Wuijtswinkel, MAB 1993, 238, 244.
100
2. Kap.: Belastingdienst – Struktur und Selbstverständnis im Wandel Ministerie van Financiën (Finanzministerium)
Directeur-generaal der belastingen (Generaldirektor des Belastingdienst)
Stafdirecties
Directies Belastingdienst
(Stabseinheiten)
Directie Algemene Fiscale Zaken (Direktion für allgemeine Angelegenheiten)
Directie Planning, Financien en Controle
(Hilfsdienste)
Directie particulieren
Automatiseringscentrum
(Direktion für Einzelpersonen) 18 Ämter für Particulieren, 12 Ämter für Particulieren und Ondernemingen*, 1 Amt für ausländische Stpfl.
(Automatisierungscenter)
(Direktion für Planung, Haushalt und Kontrolle)
Directie ondernemingen Noord
Directie Personeel en Organisatie van de Belastingdienst
(Nord-Direktion für Unternehmen) 14 Ämter für Ondernemingen, 6 Ämter für Particulieren und Ondernemingen*
(Direktion für direkte Steuern)
Directie Indirecte Belastingen
Fiscale Inlichtingen en Opsporingsdienst (FIOD) (Steuerfahndung) Opleidingen (Schulungscenter)
Selectiecentrum (Personalabteilung)
Direktion Personal und Organisation
Directie Directe Belastingen
Facilitaire directies
Directie ondernemingen Zuid (Süd-Direktion für Unternehmen) 14 Ämter für Ondernemingen, 6 Ämter für Particulieren und Ondernemingen*
Projectorganisaties (Projektorganisation)
(Direktion für indirekte Steuern)
Directie Dounaneaangelegenheden
Directie grote ondernemingen
(Zolldirektion)
(Direktion für große Unternehmen) 11 Ämter für Grote Ondernemingen
Directie Verbruiksbelastingen
Directie douane
Direktion für Verbrauchsteuern
(Zolldirektion) 9 Zollbezirke
Interne Accountantsdienst (Interne Buchprüfung)
* Die kombinierten Ämter unterstehen jeweils für die Particulieren der Directie Particulieren und für die Onderne-
mingen der Directie Ondernemingen.
Abbildung 3: Struktur des Belastingdienst (Stand 1.1.1993)
C. Die Reorganisation von 1988–1992
101
Ministerie van Financiën (Finanzministerium)
Directeur-generaal der belastingen (Generaldirektor des Belastingdienst)
Stafdirecties (Stabseinheiten)
Bestuursondersteuning Belastingdienst
Personeels- en Arbeidsvoorwaardenbeleid Belastingdienst
Rechtstoepassingsbeleid Belastingdienst
Bedrijfsvoering en Beleid Klantbehandeling Belastingdienst
Directies Belastingdienst
Facilitaire directies
Directie particulieren
Automatiseringscentrum
(Direktion für Einzelpersonen) 14 Ämter für Particulieren, 10 Ämter für Particulieren und Ondernemingen*, 1 Amt für ausländische Stpfl.*
Directie ondernemingen Noord
(Hilfsdienste)
Centrum voor facilitaire Dienstverlening (Zentrum für Hilfsdienste) Centrum voor kennis en communicatie
(Nord-Direktion für Unternehmen) 15 Ämter für Ondernemingen, 5 Ämter für Particulieren und Ondernemingen*
(Zentrum für Weiterbildung und Kommunikation)
Directie ondernemingen Zuid
Centrum voor proces- en productontwikkeling
(Süd-Direktion für Unternehmen) 15 Ämter für Ondernemingen, 5 Ämter für Particulieren und Ondernemingen*, 1 Amt für ausländische Stpfl.*
(Zentrum für Prozess- und Produktentwicklung)
Interne Accountantsdienst (Interne Buchprüfung)
Directie grote ondernemingen (Direktion für große Unternehmen) 11 Ämter für Grote Ondernemingen
Directie douane (Zolldirektion) 7 Zollbezirke
Fiscale Inlichtingen en Opsporingsdienst/ Economische Controledienst (FIOD/ECD) (Steuerfahndung u. Abteilung für Wirtschaftskriminalität) * Die kombinierten Ämter unterstehen jeweils für die Particulieren der Directie Particulieren und für die Onderne-
mingen der Directie Ondernemingen.
Abbildung 4: Struktur des Belastingdienst (Stand 1.1.2001)
102
2. Kap.: Belastingdienst – Struktur und Selbstverständnis im Wandel
Fragen zu Steuererklärungen etc. stellen können) für Einzelpersonen, Unternehmen und Zollpflichtige sowie einige weitere Ämter mit Sonderfunktionen. Statt der früheren 259 Ämter gibt es nach der Reorganisation insgesamt nur noch rund 75 (1993: 90) Ämter, sodass man von einer erheblichen Konzentrierung sprechen kann. Die Frage, ob die unterschiedlichen Zielgruppen „Einzelpersonen“ und „Unternehmen“ tatsächlich in separaten Ämtern betreut werden müssen, oder ob sich eine effektive und effiziente Bearbeitung von Steuerfällen aus beiden Zielgruppen auch innerhalb von jeweils einem einheitlichen Finanzamt bewerkstelligen ließe, war im Vorfeld der Umstrukturierung ausführlich diskutiert worden.230 Letztlich entschied man sich grundsätzlich für eine räumliche Trennung, wobei allerdings einige kleinere Einheiten für Unternehmen mit Einheiten für Einzelpersonen jeweils in einem Gebäude zusammengefasst wurden, da ihr jeweiliges Aufgabengebiet anderenfalls einen zu geringen Umfang gehabt hätte. Für die Frage, wie viele Finanzämter es nach der Reorganisation noch geben sollte, waren zwei Faktoren von besonderer Bedeutung: Einerseits mussten für die jeweiligen Ämter genug Steuerfälle vorhanden sein (insbesondere bei den Finanzämtern für kleine und mittlere Unternehmen), um eine Spezialisierung auf bestimmte Branchen zu ermöglichen. Andererseits musste eine regional gleichmäßige Verteilung von Arbeitsplätzen und natürlich auch von Vor-Ort-Service für die Steuerpflichtigen gewährleistet werden. Die Zahl der Finanzämter nach der Reorganisation stellt einen Kompromiss zwischen diesen beiden divergierenden Bedürfnissen dar.231 Was den Personalumfang der Finanzverwaltung betrifft, so hat sich parallel zu der Reorganisation zunächst tatsächlich ein Personalabbau beim Belastingdienst vollzogen, auch wenn dies nicht explizites Ziel der Reorganisation war. Insbesondere durch die zunehmende Automatisierung konnte die Zahl der Mitarbeiter von mehr als 32.000 im Jahr 1987 auf 30.087 (entspricht 28.023 Vollzeitstellen) im Jahr 1996 abnehmen.232 Allerdings hat sich dieser Trend seitdem wieder umgekehrt – u. a. wegen der Einführung der 36-Stunden-Woche für die Beschäftigen in der Finanzverwaltung und der Ausbreitung der Aufgaben des Belastingdienst – und im Jahr 2001 230 s. z. B. Belastingdienst, Memorandum inzake herstructurering Belastingdienst, S. 14. Zur aktuellen gegenläufigen Entwicklung s. unten 5. Kapitel. 231 Belastingdienst, Memorandum inzake herstructurering Belastingdienst, S. 16; Moret Ernst & Young/Coopers & Lybrand/Belastingdienst, Rapport Onderzoek Herstructurering Belastingdienst, S. 19; de Graeve, Documentatieblad 3/1995, S. 3, 24. de Vos, Management Team v. 24.3.2000, 36, 37. 232 de Kam/Muizelaar/van Wuijtswinkel, Public Budgeting & Finance 1995, 84; Veele, Fiskaal 1992, 315, 317; Koning in: FS Moltmaker, S. 99, 103; Belastingdienst, Jaarverslag 1996, S. 36.
C. Die Reorganisation von 1988–1992
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waren beim Belastingdienst 33.544 Mitarbeiter (entspricht 31.773 Vollzeitstellen) beschäftigt.233 2. Kompetenzverteilung Die Aufgabenverteilung innerhalb des Belastingdienst ist inzwischen in der sog. Uitv.reg. Belastingdienst festgelegt. Im Zuge der Umstrukturierung sind Aufgaben und Personal innerhalb der Hierarchie im Wesentlichen nach unten verlagert (Dezentralisierung)234 und Führungskräfte von fachtechnischen Aufgaben zugunsten der Personalführung weitgehend freigestellt worden. Auf der ministeriellen Ebene im Generaldirektorat sowie den Stabsdirektionen stehen die Beratung der politischen Führung (des Finanzministers bzw. des Staatssekretärs), die Ausarbeitung von „Rahmenrichtlinien“ sowie die Ausübung einer zentralen Kontrollfunktion für den gesamten Belastingdienst im Vordergrund.235 Hingegen fallen die „alltäglichen“ Fragen der praktischen Ausführung der Gesetze in den Kompetenzbereich der Zielgruppendirektionen (seit 1.1.2003: der Steuerbezirke, vgl. 5. Kap.). Der Generaldirektor des Belastingdienst ist dem Finanzminister bzw. seinem Staatssekretär gegenüber für die Arbeitsweise des Belastingdienst verantwortlich und verwaltet u. a. das Budget des Belastingdienst innerhalb des Finanzministeriums. Die politische Verantwortung dem Parlament und anderen Kontrollinstanzen gegenüber trifft den Finanzminister (bzw. seinen Staatssekretär). Auf der mittleren Hierarchieebene haben bis Ende 2002 die Zielgruppendirektionen eine doppelte Aufgabe: Einerseits sollen sie jeweils in Zusammenarbeit mit den Vorstehern der in ihren Zuständigkeitsbereich fallenden Finanzämter in Jahresplänen die internen Leitlinien für das kommende Jahr festlegen, wobei sich die Vorsteher in sog. managementcontracten (Managementverträgen) zur Einhaltung dieser Leitlinien verpflichten (s. 4. Kap. unter A.I.3.). Andererseits sind die Direktoren der Zielgruppendirektionen jeweils hauptverantwortlich für die in ihren Direktionen erzielten Ergebnisse und – als Mitglieder des Direktionsrates – mitverantwortlich für das Funktionieren des Belastingdienst insgesamt.236 Diese Aufgaben haben zum 1.1.2003 die Steuerbezirke als organisatorischer Zusammenschluss mehrerer Finanzämter übernommen (s. 5. Kap.). 233
Belastingdienst, Jaarverslag 2002, S. 98. de Graeve, Documentatieblad 3/1995, S. 3, 13 f.; Moret Ernst & Young/Coopers & Lybrand/Belastingdienst, Rapport Onderzoek Herstructurering Belastingdienst, S. 54. 235 Thunnissen im Interview mit Booij, triBuut 8/2000, 6. 236 Moret Ernst & Young/Coopers & Lybrand/Belastingdienst, Rapport Derde Onderzoek Herstructurering Belastingdienst, S. 28 f. 234
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2. Kap.: Belastingdienst – Struktur und Selbstverständnis im Wandel
Die Zielgruppendirektionen haben zunächst die Weiterentwicklung der Prozesse, die für die Behandlung ihrer jeweiligen Zielgruppe von Bedeutung sind, übernommen. Da jedoch die Gesetzgebung nicht an Zielgruppen, sondern an Steuerarten orientiert ist, zeichnete sich schon bald die Notwendigkeit ab, zur Wahrung der Rechtsgleichheit die Interpretation und Ausführung der Gesetze überall dort zu vereinheitlichen, wo nicht die Unterschiede zwischen den Zielgruppen gerade eine Differenzierung verlangen.237 Dies konnten die Zielgruppendirektionen selbst nicht leisten, weshalb 1997 für die einzelnen Steuerarten zunächst 12 sog. Portefeuilles (Ressorts) für einzelne Steuerarten gebildet und den Zielgruppendirektionen an die Seite gestellt wurden.238 Diese Portefeuilles sollten für die jeweils in ihren Zuständigkeitsbereich fallende Steuerart Gesetzentwürfe beratend begleiten, Gesetzesänderungen umsetzen und eine Vereinheitlichung des Gesetzesvollzugs über die einzelnen Zielgruppen hinweg gewährleisten. Im Jahr 2000 ist an die Stelle der zwölf Portefeuilles das „Centrum voor Proces- en Productontwikkeling“ (CCP, Zentrum für Prozess- und Produktentwicklung) als unterstützende Direktion getreten.239 Durch diese Zusammenlegung sollte u. a. die steuerartenübergreifende Entwicklung von Prozessen vereinfacht werden. Mit der Vorbereitung und Umsetzung der Steuerreform 2001 hat das CCP inzwischen seine erste „Feuerprobe“ bestanden. Das lokale Management trägt seit der Reorganisation mehr Verantwortung und muss sich regelmäßigen Beurteilungen stellen; gleichzeitig hat es jedoch auch mehr Autonomie im Hinblick auf die Verwaltung des Budgets und den Einsatz der Sach- und Personalmittel. Dies erfordert einerseits von den übergeordneten Hierarchieebenen, dass sie Kompetenzen abgeben können, und andererseits von den einzelnen Finanzämtern die Bereitschaft und die Kompetenz, Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten zu übernehmen. Die größere Eigenverantwortlichkeit der einzelnen Finanzämter soll flexiblere Reaktionen auf örtliche Besonderheiten ermöglichen und außerdem die Motivation der Mitarbeiter fördern. Allerdings ist diese Eigenverantwortlichkeit in einigen Ausführungsbereichen in den vergangenen Jahren wieder etwas eingeschränkt worden: Die Befugnis zur Abgabe von Standpuntbepalingen (s. 1. Kap.) kam zunächst dem einzelnen Inspecteur, d.h. einem Finanzamtsvorsteher zu, der diese Kompetenz intern auf seine Mitarbeiter delegieren konnte. 1998 sind je237 Slijpen, Koordinator für die 12 Ressorts, im Interview mit Vennix, BM 11/ 1997, 15; Swildens in: Belastingheffing, S. 13, 19. 238 van Aerle, Vakblad Financiële Planning 11/1998, 5; Slijpen im Interview mit Vennix, BM 11/1997, 15, 16. 239 Slijpen (einer von vier Managern des CCP) im Interview mit van Eijck/Kamminga, Vakblad Financiële Planning 3/2000, 3 f.
C. Die Reorganisation von 1988–1992
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doch sog. kennisgroepen (Expertengruppen) eingerichtet worden, in denen jeweils Experten für einzelne Sachgebiete zusammengeschlossen sind und die in Rechtsanwendungsfragen eng mit dem CCP zusammenarbeiten.240 Diesen Kennisgroepen müssen die Sachbearbeiter Rechtsfragen vorlegen, bevor sie dem Steuerpflichtigen gegenüber eine Standpuntbepaling abgeben. Zwar ist es weiterhin der Sachbearbeiter, der die Standpuntbepaling endgültig formuliert, doch hat der Staatssekretär zum Ausdruck gebracht, dass er es grundsätzlich für wünschenswert hält, dass die Stellungnahmen der Kennisgroepen übernommen werden. Die rund 75 derzeit bestehenden Kennisgroepen haben jeweils 5–10 Mitglieder, die zum Teil einzelnen ausführenden Ämtern und zum Teil den Stabsdirektionen auf ministerieller Ebene angehören. Auf diese Weise soll die Zusammenarbeit zwischen dem „ausführenden“ Belastingdienst und dem planenden Finanzministerium verbessert werden. Inhaltlich beschäftigen sich die rund 75 Kennisgroepen jeweils mit speziellen Fragen der wichtigsten Steuerarten. So gibt es z. B. eine Kennisgroep „Unternehmerbegriff“, die sich mit den Abgrenzungsfragen rund um diesen zentralen Begriff beschäftigt. Die Steuerpflichtigen haben in der Regel keinen direkten Kontakt mit den Kennisgroepen, weshalb diese auch als „Back-Office“ bezeichnet werden.241 Macht der Sachbearbeiter sich die Stellungnahme der Kennisgroep zu Eigen und weist er, wie vorgesehen, nicht darauf hin, dass es sich um eine Ansicht der Kennisgroep handelt, bleibt die Stellungnahme der Kennisgroep ein internes Dokument, von dessen Existenz der Steuerpflichtige in der Regel gar nichts weiß. Gibt der Sachbearbeiter jedoch dem Steuerpflichtigen zu erkennen, dass seine Entscheidung auf der Stellungnahme der Kennisgroep basiert, so muss diese in ein etwaiges Gerichtsverfahren eingehen und dem Steuerpflichtigen die Einsichtnahme gewährt werden.242 Alle Empfehlungen der Kennisgroepen werden zum internen Gebrauch im Intranet des Belastingdienst veröffentlicht. Insgesamt lässt sich die neue Verwaltungsstruktur mit den Schlagwörtern Verselbständigung der einzelnen Finanzämter, Beschränkung auf Rahmenvorgaben durch die Zentrale und Leistungskontrolle umschreiben.243 Lei240 Besluit v. 15.6.2001, nr. RTB2001/1917M, Stcrt. nr. 121; Slijpen im Interview mit van Eijck/Kamminga, Vakblad Financiële Planning 3/2000, 3, 4. 241 Besluit v. 15.6.2001, nr. RTB2001/1917M, Stcrt. nr. 121. Von dieser Regel gibt es nur einige wenige Ausnahmen: Bestimmte Kennisgroepen stehen in Kontakt mit Branchen- und Unternehmerverbänden, z. B. der Versicherungsbranche, um über die steuerliche Einordnung von Anlageprodukten und Konstruktionen zu beraten, die alle Mitglieder der Branche betreffen. 242 Dies hat der Staatssekretär für Finanzen auf Nachfrage einer Abgeordneten anlässlich eines Urteils des Gerichtshofs Den Haag (Urteil v. 13.2.2002, nr. 00/02340, FED 2002/274) klargestellt, vergleiche den Pressebericht MvF nr. 2002.181 vom 19.7.2002, abrufbar unter .
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2. Kap.: Belastingdienst – Struktur und Selbstverständnis im Wandel
tungsfunktionen sind seit der Reorganisation in der Regel zeitlich befristet (üblicherweise auf fünf Jahre), um einer erneuten Verstarrung entsprechend der Zeit vor der Reorganisation vorzubeugen.244 3. Aufbau und Funktion der einzelnen Finanzämter Jedes Finanzamt wird durch ein sog. hoofd (Vorsteher) sowie dessen Vertreter (plaatsvervangend hoofd) geleitet (zum Zusammenschluss der Finanzämter zu Steuerbezirken zum 1.1.2003 siehe 5. Kap.). Diesen untergeordnet sind mehrere Teams, die jeweils unter der Leitung eines Teamleiters stehen. Der Teamleiter ist sowohl für die Qualität und Quantität der Arbeit seines Teams als auch für Personalangelegenheiten innerhalb des Teams zuständig.245 Die Teams setzen sich zusammen aus Sachbearbeitern (auch als klantmanagers bzw. „Kundenbetreuer“ bezeichnet), Spezialisten (für einzelne Steuerarten sowie für kompliziertere Prüfungstätigkeiten) und Vollstreckungsbeamten (invorderers) und bestehen in der Regel aus 20–25 Mitarbeitern.246 Die Zusammensetzung der Teams und ihre Spezialisierung hängen vom Schwierigkeitsgrad der Fälle ab, die dem jeweiligen Team zur Bearbeitung zugeordnet sind. Auch der Umfang dieses Bestandes, das sog. werkpakket (Arbeitspaket), variiert zwischen den einzelnen Teams, und zwar in Abhängigkeit der Komplexität der Steuerfälle. So umfasst ein Arbeitspaket eines Teams bei einem Finanzamt für große Unternehmen einige hundert, bei einem Team für kleine und mittlere Unternehmen hingegen einige tausend Fälle.247 Durch diese unterschiedliche Verteilung der zu bearbeitenden Fälle wird die pro Fall zur Verfügung stehende Zeit beeinflusst, d.h. bereits durch diese organisatorische Entscheidung findet eine Gewichtung der Fälle statt. Die Teams sind polyvalent und betreuen die Steuerpflichtigen in mehreren Steuerarten und mehreren Abschnitten des Besteuerungsverfahrens – von der Erteilung einer Auskunft bis hin zur Beitreibung von Steuerforderungen. Dementsprechend bringen alle Mitglieder des Teams ihre jeweiligen Kenntnisse ein, um sich gemeinsam um bestimmte Gruppen von Steuerpflichtigen zu kümmern. Die Sachbearbeiter können innerhalb des Teams Auskünfte bei den Spezialisten einholen, sollen aber rund 80% der auftau243 Moret Ernst & Young/Coopers & Lybrand/Belastingdienst, Rapport Onderzoek Herstructurering Belastingdienst, S. 54. 244 van Tuijl, Account Dossier Nr. 5 1991, 109, 111; Voigt, M&O 1/1994, 5, 19. 245 Belastingdienst, Handwijzer Klantbehandeling, S. 97. 246 Belastingdienst, Handwijzer Klantbehandeling, S. 97; de Vos, Management Team v. 24.3.2000, 36, 41; Veele, Fiskaal 1992, 315, 316. 247 Veele, Fiskaal 1992, 315, 316.
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chenden Probleme selbst lösen können. Während vor der Reorganisation Buch- und Betriebsprüfungen durch eine eigenständige Einheit – den Rijksaccountantsdienst – durchgeführt worden waren, sind diese Prüfer mittlerweile in die Teams integriert.248 Die Spezialisten jedes Teams sind mit den jeweiligen Spezialisten der anderen Teams in sog. vakgroepen (Fachgruppen) unter Leitung eines vakgroepcoördinator (eine Art Hauptsachgebietsleiter) zusammengeschlossen, die sich untereinander austauschen und in denen permanent Fortbildungen organisiert werden, um den aktuellen Entwicklungen folgen zu können. Solche Arbeitsgruppen bestehen für sämtliche Steuerarten sowie für einzelne Arbeitsprozesse wie Prüfung und Vollstreckung. Im Gegensatz zu den Kennisgroepen, die die Einheitlichkeit der Ausführung auf Landesebene und die Abstimmung zwischen dem Belastingdienst und dem Finanzministerium sichern sollen, sind die Vakgroepen jeweils für die Einheitlichkeit des Gesetzesvollzugs auf Finanzamtsebene zuständig. Die Entscheidung, die verschiedenen Abschnitte des Besteuerungsverfahrens und die Betreuung von Gruppen von Steuerpflichtigen steuerartenübergreifend jeweils in den Finanzämtern zu integrieren, trägt den Beschwerden der Steuerpflichtigen Rechnung, die sich vor der Reorganisation über die Vielzahl unabgestimmter Kontakte mit verschiedenen Sachbearbeitern und die ebenfalls unabgestimmte Durchführung einer Vielzahl von Betriebsund Buchprüfungen für jeweils einzelne Steuerarten beklagt hatten. Gleichzeitig ist dadurch gewährleistet, dass einzelne Informationen über einen bestimmten Steuerpflichtigen gebündelt werden und beim Belastingdienst ein Gesamtbild dieses Steuerpflichtigen entsteht.
V. Evaluation Von der Umstrukturierung waren alle Ebenen der Organisation betroffen, und mit den äußerlich sichtbaren Veränderungen gingen auch eine Kulturveränderung, eine Erneuerung des Managementstils und eine Veränderung des Baustils einher, d.h. der gesamte „Stil des Hauses“ wurde erneuert.249 Die Neuorientierung anhand von Steuerpflichtigen (Zielgruppen) anstelle von Steuerarten kann als Erfolg bezeichnet werden. Sowohl die Steuer248
Dazu van der Ouderaa in: Burgerschap in praktijken, S. 43, 76. de Graeve, Documentatieblad 3/1995, S. 3, 19, Fn. 12; de Kam/van den Berg, Openbaar bestuur 10/1992, 21, 26; Wieringa, FEM 8/1989, 22, 25. Der Baustil soll nunmehr zweierlei Bedürfnissen Rechnung tragen: Einerseits müssen Vorkehrungen für die Abwicklung größerer Besucherströme, die durch den Ausbau von Serviceangeboten hervorgerufen wurden, geschaffen werden. Andererseits soll bereits durch die Architektur der Bürogebäude größere Transparenz vermittelt werden. 249
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2. Kap.: Belastingdienst – Struktur und Selbstverständnis im Wandel
pflichtigen (natürlich nur, wenn sie überhaupt Steuern zahlen) als auch der Belastingdienst profitieren davon, dass der Kontakt zwischen beiden Seiten nunmehr gebündelter über „Kundenbetreuer“ bzw. Servicemitarbeiter erfolgt. Der damalige Generaldirektor des Belastingdienst Boersma unterstrich jedoch, dass sich der Belastingdienst als Organisation nicht auf der erfolgreichen Reorganisation ausruhen dürfe, sondern auch künftig ein „Nomadenleben“250 führen und bereit sein müsse, sich gesellschaftlichen und politischen Änderungen frühzeitig anzupassen. Dass der Belastingdienst mit diesem Bemühen um kontinuierliche Anpassung der Arbeitsweise Ernst macht, zeigen die derzeitigen Umstrukturierungsmaßnahmen, die seit dem 1.1.2003, zehn Jahre nach Abschluss der letzten großen Reorganisation umgesetzt werden (dazu 5. Kap.). Wichtiges Ziel sowohl bei der Umstrukturierung als auch für das künftige Management war bzw. ist die Schaffung eines Klimas, in dem die Mitarbeiter des Belastingdienst mit ihrer Arbeit zufrieden sein können und hinter der Organisation stehen. van Lunteren, während der Reorganisation stellvertretender Generaldirektor des Belastingdienst, erklärte, man wolle, dass die Mitarbeiter mit Stolz sagen können: „Ich arbeite beim Belastingdienst“.251 1. Schwierigkeiten bei der Ausführung In Anbetracht der Komplexität der Reorganisation ist es nicht verwunderlich, dass in deren Verlauf vielfältige Probleme zu überwinden waren. Neben den durch die Reorganisation ohnehin veranlassten technischen und logistischen Schwierigkeiten musste der Belastingdienst während der Reorganisation auch die Änderungen des materiellen Steuerrechts im Zuge der sog. Oort-wetgeving (Oort-Gesetzgebung, s. oben) bewältigen.252 Zwar hingen die Oort-Gesetzgebung und die Reorganisation des Belastingdienst insoweit zusammen, als beide Maßnahmen in Reaktion auf die Ende der 70er/Anfang der 80er Jahre festgestellte sinkende Steuerehrlichkeit getrof250 Boersma in: Belastingdienst, Symposium ter gelegenheid van de Ooa-prijs 1992 uitgereikt aan de Belastingdienst, Den Haag 1993, S. 9, 12. 251 van Lunteren in: Belastingdienst, Symposium ter gelegenheid van de Ooaprijs 1992 uitgereikt aan de Belastingdienst, Den Haag 1993, S. 23. Vgl. auch die mittlerweile durchgeführte Werbecampagne des Belastingdienst mit dem Slogan „Werk, waar je trots op bent” (Arbeit, auf die du stolz sein kannst), dazu unten unter C.V.3. 252 Boersma in: Belastingdienst, Symposium ter gelegenheid van de Ooa-prijs 1992 uitgereikt aan de Belastingdienst, S. 9; (interne) Untersuchungen zu den Erfahrungen des Belastingdienst mit der Oort-Gesetzgebung gab es mehrere, vgl. z. B. den Bericht „Oort-Wetgeving in de Loonbelasting” des Finanzministeriums (Directie Planning, Financien en Control), Den Haag 1991.
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fen wurden. Allerdings waren die Maßnahmen nicht aufeinander abgestimmt, sodass man nicht von einem gelungenen Beispiel der Kombination von Vereinfachungen des materiellen Steuerrechts und des Besteuerungsverfahrens sprechen kann. Darüber hinaus war auch das unterschiedliche Selbstverständnis der Sachbearbeiter einerseits und der Manager andererseits hinderlich: Während die Manager alles daran setzten, die Qualität durch quantitative Zielsetzungen vorzugeben und zu überprüfen, waren die Sachbearbeiter vielfach der Auffassung, dass sich die Qualität des Gesetzesvollzugs nicht an der Anzahl der Korrekturen bei den Steuererklärungen oder ähnlichen Größen ablesen lasse und empfanden einen Widerspruch zwischen den qualitativen und quantitativen Anforderungen an ihre Arbeit.253 Durch das Prüferteam, das die Reorganisation begleitete, befragt, gaben insbesondere in der Anfangszeit viele Mitarbeiter an, nicht ausreichend über die Früchte ihrer Arbeit informiert zu sein, und in ihrem ersten Bericht führten die Prüfer die zum Teil erheblichen Widerstände der Mitarbeiter gegen die Veränderungen auf ein entsprechendes Informationsdefizit zurück.254 Auch die „Kulturveränderung“, in deren Folge Verantwortlichkeiten dezentralisiert wurden, war für die Sachbearbeiter offensichtlich beschwerlicher als für das Management.255 Die Führung des Belastingdienst richtete deshalb u. a. eine Servicenummer für Mitarbeiter ein, unter der sie Fragen rund um die Umstrukturierung ihres Arbeitsplatzes sowie künftige Karrieremöglichkeiten stellen und Beschwerden sowie eigene Verbesserungsvorschläge anbringen konnten.256 Ende 1991 hat auch die Federatie van verenigingen van hoofdambtenaren bij de Belastingdienst (Zusammenschluss von Vereinigungen der höheren Beamten des Belastingdienst) eine Untersuchung durchführen lassen und 1700 Beamten aus den Bereichen Management, Teamleiter und Sachbearbeiter nach ihren Erfahrungen mit der Qualität der Arbeitsweise beim 253
van der Ouderaa, B&M 1993, 57, 59; van Lunteren im Interview mit Abrahamse, BB Management 5/1990, 30, 31; ders., Marketing bij de Belastingdienst, S. 41, 45; Moret Ernst & Young/Coopers & Lybrand/Belastingdienst, Rapport Onderzoek Herstructurering Belastingdienst, S. 28, 49. Als Gegenmaßnahme schlugen sie u. a. vor, künftig die Ergebnisse der einzelnen Finanzämter zu ermitteln und den Mitarbeitern offen zu legen, vgl. Rapport Onderzoek Herstructurering Belastingdienst, S. 42. 254 Moret Ernst & Young/Coopers & Lybrand/Belastingdienst, Rapport Onderzoek Herstructurering Belastingdienst, S. 42. 255 Vgl. van der Ouderaa, B&M 1993, 57, 59. 256 Dieses Angebot wurde mit 70 bis 80 Anrufen pro Woche von den Mitarbeitern des Belastingdienst gut angenommen, was auf ein erhebliches Informationsbedürfnis hinweist. Vgl. Abrahamse, BB Management 5/1990, 30, 32.
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Belastingdienst befragt. Auf die Frage, welche von 15 vorgegebenen Begriffen sie am ehesten mit Qualität assoziierten, nannten die meisten Befragten an erster Stelle Effizienz und an letzter Stelle die Veränderung des gesamten Stils des Hauses.257 Auffallend war, dass die befragten Manager Dienstleistung, Schnelligkeit und Kulturveränderung für deutlich wichtiger im Zusammenhang mit Qualität hielten als die Sachbearbeiter; letztere nannten häufiger die Begriffe Integrität und Weiterbildung. Auch die Antworten der Mitarbeiter aus den einzelnen Zielgruppenbereichen Particulieren, Ondernemingen und Grote Ondernemingen wiesen Unterschiede auf: während bei den Mitarbeitern aus dem Bereich Particulieren Dienstleistung an erster Stelle rangierte, nahm derselbe Begriff bei den Kollegen aus den Bereichen Ondernemingen sowie Grote Ondernemingen nur die neunte bzw. sechste Stelle ein.258 „Effizienz“ nannten die Mitarbeiter aus dem Bereich Particulieren im Schnitt an vierter Stelle, die Kollegen aus dem Bereich Ondernemingen an zweiter und aus dem Bereich Grote Ondernemingen sogar an erster Stelle. Die Ergebnisse der Untersuchung zeigen, wie unterschiedlich die Vorstellungen von qualitativ hochwertiger Arbeit innerhalb des Belastingdienst sind. Hinsichtlich der internen Unterschiede zwischen den Mitarbeitern einzelner Zielgruppenbereiche bestätigen sie die Sinnhaftigkeit einer Differenzierung in der Arbeitsweise. Außerdem macht die Untersuchung deutlich, dass zum Zeitpunkt der Befragung (1991) noch viele Mitarbeiter des Belastingdienst in der starken Betonung quantitativer Vorgaben eine Bedrohung für die Qualität ihrer Arbeit gesehen haben. Dementsprechend wichtig sind deshalb Gespräche zwischen den einzelnen Funktionsgruppen, um eine möglichst breite Basis der Zustimmung für qualitätssteigernde Maßnahmen zu erzeugen. Was die Informationspolitik des Belastingdienst im Vorfeld und während der Reorganisation angeht, so ergab eine im Jahr 1989 durchgeführte Befragung unter Steuerberatern, dass lediglich 55% der befragten Berater anhand der ihnen vom Belastingdienst zugeleiteten Informationen die Ziele der Reorganisation ableiten konnten.259 Die Steuerpflichtigen registrierten zum Teil eine unsorgfältige Bearbeitung ihrer Steuerfälle während der Reorganisation, was sich in entsprechenden Beschwerden beim Nationale Ombudsman (zu diesem Organ s. unten 4. Kap. unter C.III.) niederschlug. In seinem Jahresbericht für 1991 wies der Ombudsman deshalb explizit auf den Konflikt zwischen quantitativen und qualitativen Zielsetzungen bei der Veranlagung hin.260 257
Peereboom/Vermeulen, Kwaliteit binnen de Belastingdienst, S. 26. Peereboom/Vermeulen, Kwaliteit binnen de Belastingdienst, S. 27. 259 Weisink/Veltkamp, Onderzoek naar de informatievoorziening over de reorganisatie van de Belastingdienst aan belastingconsulenten, Utrecht 1990, S. 23. 258
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2. Kritik an und Zustimmung zu Zielsetzungen und Umsetzung der Reorganisation Über die Reorganisation ist in der Fachpresse von Anfang an umfangreich berichtet worden, wobei sich allerdings die Autoren ganz überwiegend auf eine bloße Beschreibung der Änderungen beschränkten, ohne diese zu bewerten.261 Schonis warnte jedoch hinsichtlich des integralen Ansatzes und der Zusammenführung von bisher auf unterschiedliche Ämter verteilten Aufgaben im Besteuerungsverfahren vor der Vermischung von Eigenschaften, in denen die Beamten jeweils auftreten und äußerte Zweifel an der Fähigkeit der Mitarbeiter des Belastingdienst, sich nunmehr vollkommen an den unterschiedlichen Arten von Steuerpflichtigen auszurichten. Insgesamt bemängelte er, dass sich das Parlament im Planungsstadium nicht ausführlicher mit der Reorganisation beschäftigt habe und keine grundlegende Diskussion der beabsichtigten Maßnahmen, bei denen es sich seiner Einschätzung nach immerhin um Vorhaben von „nationalem Interesse“ handelte, erfolgt sei.262 Letzteres ist in der Tat auch aus deutscher Sicht erstaunlich und weist auf den großen Freiraum hin, den der Belastingdienst bei der Gestaltung seiner Arbeitsweise genießt. Die eingesetzte Expertenkommission, die die Durchführung der Umstrukturierung über drei Jahre hinweg untersucht hat, äußerte sich zum Abschluss kritisch zu den tatsächlichen Möglichkeiten der Verlagerung von Kompetenzen auf die Ebene der lokalen Finanzämter. In ihrem Abschlußbericht heißt es, dass die tatsächliche Ausgestaltung der Arbeitsprozesse weitgehend durch die von höchster Ebene vorgegebene Zielgruppenorientierung bestimmt sei und deshalb wenig Handlungsspielraum für die Vorsteher bleibe. Gerade die starke Automatisierung bei der Veranlagung von Einzelpersonen erfordere eine weitgehend uniforme Organisation der Prozesse.263 Vorwürfe, dem Belastingdienst sei es bei der Umstrukturierung lediglich um eine Effizienz-Steigerung auf Kosten der Rechtssicherheit und Gleichheit gegangen, wurden in der Literatur nicht erhoben. Allerdings kritisierten Interessenverbände der Mitarbeiter des Belastingdienst in Reaktion auf den 260
Jaarverslag Nationale Ombudsman, Kamerstukken II 1991/92, 22 550, nr. 1–2, S. 277 ff. 261 Vgl. z. B. van Lunteren, Fiskaal 4/1988, 119 ff.; van der Ouderaa, B&M 1993, 57 ff.; Rouwenhorst, NV 1989, 235 ff.; van Maris/Vrouwenvelder, TVVS 1989, 192 ff. In Deutschland ist die Reorganisation von Hoffmann/Fuchs, IStR 1993, 320 ff. beschrieben worden. Eine Darstellung der Reorganisation und ihrer Hintergründe in englischer Sprache findet sich bei de Kam/Muizelaar/van Wuijtswinkel, Public Budgeting & Finance 1995, 84 ff. 262 Schonis, WFR 1987, 969, 970. 263 Moret Ernst & Young/Coopers & Lybrand/Belastingdienst, Rapport Derde Onderzoek Herstructurering Belastingdienst, S. 30.
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2. Kap.: Belastingdienst – Struktur und Selbstverständnis im Wandel
Bericht der Expertenkommission zur Reorganisation, dass die „kosmetischen Eingriffe“ zur Abschmelzung von Rückständen einen negativen Effekt auf die Steuermoral gehabt und einen Verstoß gegen das Gebot rechtmäßiger Besteuerung dargestellt hätten.264 Trotz der vereinzelten Kritik an den ergriffenen Maßnahmen überwiegen jedoch die positiven Reaktionen auf die Umstrukturierung.265 Der „Orde van organisatiedeskundigen en -adviseurs” (Ooa, Verband von Organisationswissenschaftlern und Unternehmensberatern) hat die Reorganisation als eine in jeglicher Hinsicht geglückte Umstrukturierung bezeichnet und mit dem alle drei Jahre zu vergebenden Ooa-Preis 1992 ausgezeichnet.266 3. Schlussfolgerungen Zunächst ist die Risikobereitschaft bemerkenswert, mit der die niederländische Finanzverwaltung sich der umfassenden Umstrukturierung mit all ihren Unwägbarkeiten gestellt hat. Die wichtigsten Akteure und Gruppen konnten im Großen und Ganzen zufrieden mit dem Verlauf und den Ergebnissen der Reorganisation sein: Die Politiker, weil das Steueraufkommen unter den Umstrukturierungen nicht gelitten hat, die Steuerpflichtigen, weil sie nun nicht mehr mit so vielen verschiedenen Ämtern und Sachbearbeitern des Belastingdienst zu tun haben, die Mitarbeiter, weil sich ihre Arbeitsumgebung z. B. in baulicher Hinsicht gründlich verbessert hat,267 und schließlich die Leitung des Belastingdienst, weil sie es geschafft hat, eine derartig weitreichende Umstrukturierung ohne wirklich gravierende Zwischenfälle tatsächlich durchzuführen und den Belastingdienst entscheidend 264
Brief an den Generaldirektor des Belastingdienst vom 6.9.1990. de Graeve, Documentatieblad 3/1995, S. 3, 41; Pennders, Account 9/1993, 28; Voigt in: Belastingdienst, Symposium ter gelegenheid van de Ooa-prijs 1992 uitgereikt aan de Belastingdienst, Den Haag 1993, S. 16. Die Zustimmung kam von allen Berufsgruppen, die mit dem Vollzug der Steuergesetze zu tun haben, vgl. z. B. Nobel (Steuerberater) im Interview mit Vennix, BM 3/1994, 21, 22, der sich nicht darüber wundert, dass bei der Reorganisation überhaupt Schwierigkeiten aufgetreten sind, sondern dass insgesamt so wenig Dinge schiefgelaufen sind; ähnlich Moret Ernst & Young/Coopers & Lybrand/Belastingdienst, Rapport Onderzoek Herstructurering Belastingdienst, S. 75, die die aufgetretenen Schwierigkeiten als „normal“ bezeichneten. Ein positives Fazit zieht auch der Präsident der Algemene Rekenkamer Konig in: Festschrift Moltmaker, S. 99, 102. 266 Belastingdienst, Symposium ter gelegenheid van de Ooa-prijs 1992 uitgereikt aan de Belastingdienst, Den Haag 1993, S. 1. 267 Wobei die Belastungen für die Mitarbeiter während der Reorganisation nicht außer Acht gelassen werden sollen: zahlreiche Mitarbeiter haben einen anderen Arbeitsplatz erhalten und manch einem Beamten wurden durch die Reorganisation sämtliche Karrierepläne durchkreuzt. 265
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zu modernisieren. Allerdings haben die Untersuchungen des Expertenteams Moret Ernst & Young/Coopers & Lybrand/Belastingdienst gezeigt, wie wichtig es ist, die Belange der Mitarbeiter frühzeitig und umfassend sowohl bei der Vorbereitung als auch bei der Durchführung einer Reorganisation zu berücksichtigen, da eine Kulturveränderung nicht gegen den Willen der Mitarbeiter durchgesetzt werden kann. Schließlich sind es die Mitarbeiter, die im Kontakt mit den einzelnen Steuerpflichtigen das Gesicht des Belastingdienst nach außen und die Haltung der Steuerpflichtigen gegenüber dem Belastingdienst bestimmen. Geertman geht sogar soweit, die Mitarbeiter des Belastingdienst aufgrund dessen Größe und der Vielzahl der Kontakte der Bürger mit diesem Teil öffentlicher Verwaltung als „Gesicht des Rechtsstaates“ zu bezeichnen.268 Um die Einstellung der Mitarbeiter der Finanzverwaltung ihrem eigenen Beruf gegenüber und das Image der Finanzverwaltung hat sich der Belastingdienst in den vergangenen Jahren besonders intensiv bemüht und unter dem Motto „Werk, waar je trots op bent” (Ein Beruf, auf den Du stolz sein kannst) eine Werbekampagne gestartet. Ein Grund für den erfolgreichen Verlauf der Reorganisation ist sicherlich die lange Tradition innerhalb des Belastingdienst, die eigene Organisation und Leistungsfähigkeit kritisch zu betrachten und sich um eine Optimierung zu bemühen. Dementsprechend hatte sich der Belastingdienst schon vor der eigentlichen Reorganisation für einen Erfahrungsaustausch mit der Wirtschaft geöffnet und sich für Konzepte, die in der Wirtschafts- und Organisationswissenschaft entwickelt worden sind, interessiert.269 Während früher Führungspositionen ganz überwiegend mit Juristen besetzt waren, gehören dem Management inzwischen viele Ökonomen an, die die traditionell vorherrschende „juristische Denkweise“ durch wirtschaftliche Erwägungen ergänzen und von deren Vokabular (Zielgruppen, Kunden, Managementverträge etc.) die Reorganisation wesentlich geprägt war.270 Die für die Verwirklichung der Umstrukturierung gewählte offene und flexible Form des Entwicklungsmodells stand in Übereinstimmung mit dem Ziel der Schaffung einer flexiblen Organisation und verschaffte zusätzliche Glaubwürdigkeit. Die Reorganisation war keine plötzliche, alleinstehende 268
Geertman, WFR 1990, 1161, 1163. So berichtet Voigt z. B. von Diskussionsabenden zu Beginn der 1980er Jahre, auf denen Manager großer Unternehmen ihre Auffassungen über modernes Management mit Direktoren des Belastingdienst diskutierten, M&O 1/1994, 7. Darüber hinaus bestand zum Zeitpunkt der Reorganisation bereits eine über 25jährige Zusammenarbeit mit einem Team von Organisationswissenschaftlern, vgl. Boersma in: Belastingdienst, Symposium ter gelegenheid van de Ooa-prijs 1992 uitgereikt aan de Belastingdienst, Den Haag 1993, S. 10. 270 van der Ouderaa, B&M 1993, 57, 59; ders. in: Burgerschap in praktijken, S. 43, 77. 269
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2. Kap.: Belastingdienst – Struktur und Selbstverständnis im Wandel
Maßnahme, sondern ist im Zusammenhang mit den Entwicklungen seit dem Ende der 1970er Jahre zu sehen, d.h. der Belastingdienst hatte einen langen Vorlauf. Außerdem steht die Reorganisation im Kontext allgemeiner Bestrebungen in den Niederlanden, den Gesetzesvollzug effizienter zu gestalten, die sich in einer Vielzahl von Berichten verschiedener Institutionen Ende der 1980er/Anfang der 1990er Jahre niederschlagen.271 Die Steuermoral, deren besorgniserregender Zustand Ende der 70er Jahre ausschlaggebend für die Reorganisation des Belastingdienst war, ist seitdem permanenter Forschungsgegenstand, z. B. des Erasmus Centre for Sociolegal Tax Research der Erasmus Universität Rotterdam. Dass die Reorganisation des Belastingdienst in der Öffentlichkeit und der Fachwelt mit großer Aufmerksamkeit beobachtet worden ist, verwundert nicht, da der Belastingdienst als Teil der öffentlichen Verwaltung sozusagen im „Glashaus“ vor den Augen der interessierten Öffentlichkeit operiert. Bemerkenswert ist jedoch, dass kaum eine kritische Auseinandersetzung mit den Zielen der Reorganisation und den einzelnen Maßnahmen zu deren Erreichung stattgefunden hat. Die Neuorientierung des Belastingdienst an Effektivitäts- und Effizienzkriterien ist ohne weiteres begrüßt worden, ohne dass Konflikte mit Rechtsprinzipien, an die die Verwaltung gebunden ist, aufgezeigt worden wären. Dass der Belastingdienst weitgehend unbehelligt von parteipolitischen Vorstellungen und Wünschen operieren und die Reorganisation konzipieren konnte ist sicherlich auch darauf zurückzuführen, dass es für die Reorganisation keiner Gesetzesänderungen bedurfte. Ob und wie sich die Reorganisation auf die Effizienz und Effektivität der Arbeitsweise des Belastingdienst ausgewirkt hat und ob die Steuerhinterziehung tatsächlich zurückgedrängt werden konnte, ist nicht eindeutig zu beantworten. Zum einen hängt das Steueraufkommen nicht nur von der Effizienz des Belastingdienst bei der Steuerfestsetzung und -beitreibung, sondern u. a. auch von der Zahl der Steuerpflichtigen, der Ausgestaltung des materiellen Steuerrechts und der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung ab. Zum anderen sind Aussagen zum Umfang der Steuerhinterziehung, wie sie z. B. van Bijsterveld getroffen hatte, letztlich Spekulationen, weil den Behörden niemals alle Fälle von Steuerhinterziehung bekannt werden. van Lunteren weist jedoch darauf hin, dass die Reorganisation vorteilhaft für den Wirtschaftsstandort Niederlande gewesen sei und ausländische Unternehmen durch die gestiegene Verlässlichkeit des Belastingdienst sowie durch die verbesserten Service- und Informationsangebote angezogen wor271 Vgl. z. B. Nationale Ombudsman, Jaarverslag 1988; Algemene Rekenkamer, Jaarverslag over 1989; Minister van Justitie, Nota „Met vaste hand: Verbetering van de kwaliteit van de rechtshandhaving”, Tweede Kamer 1990–1991, 22045 Nr. 1 und 2; Wetenschappelijke Raad voor het Regeringsbeleid, Rapport Rechtshandhaving.
D. Selbstveranlagung beim Belastingdienst?
115
den seien,272 und van Tuijl betont, dass sich die Reorganisation – trotz der damit verbundenen vorübergehenden Steigerung der Arbeitsbelastung sowie der Unannehmlichkeiten der Umbau- und Umzugsmaßnahmen – positiv auf die Motivation der Mitarbeiter ausgewirkt und tatsächlich eine Atmosphäre geschaffen habe, in der sich innovative Ideen besser entwickeln können.273 Diese Einschätzungen sowie der Umstand, dass die Reorganisation in der Literatur mit der Begriffsschöpfung „fiscale perestrojka“ umschrieben worden ist,274 deuten darauf hin, dass die Reorganisation auch in puncto Effizienz und Effektivität des Belastingdienst erfolgreich war. Für Einzelheiten der durch die Reorganisation veränderten Arbeitsweise des Belastingdienst wird auf die Ausführungen im 3. Kapitel verwiesen und die Methoden, mit denen der Belastingdienst Effektivität und Effizienz zu messen versucht, werden im 4. Kapitel dargestellt.
D. Selbstveranlagung beim Belastingdienst? Angesichts der tiefgreifenden Veränderungen der Arbeitsweise und der Organisation des Belastingdienst im Zuge der Reorganisation liegt die Vermutung nahe, dass dabei auch das formale Besteuerungssystem als solches auf den Prüfstand gestellt worden ist, sodass sich die Frage aufdrängt, ob in den Niederlanden im Zusammenhang mit der Reorganisation des Belastingdienst auch der Übergang zu einer Selbstveranlagung für die Einkommenund Körperschaftsteuer erwogen worden ist. Dies umso mehr, als Großbritannien Mitte der 1990er Jahre ein Selbstveranlagungssystem eingeführt hat, Spanien seit 1978 und die USA, Kanada, Neuseeland und Schweden bereits seit Jahrzehnten ein Selbstveranlagungssystem handhaben.275 Auch in Deutschland sind die Vor- und Nachteile einer Selbstveranlagung in der Vergangenheit diskutiert worden und gewinnen ganz aktuell wieder an Bedeutung.276 272 van Lunteren in: Belastingdienst, Symposium ter gelegenheid van de Ooaprijs 1992 uitgereikt aan de Belastingdienst, Den Haag 1993, S. 22. 273 van Tuijl, Account Dossier Nr. 5 1991, 109, 111. 274 Koster/Muizelaar, Openbaar bestuur 1/1992, 11, 13, die als Urheber des Begriffs Aertjan Grotenhuis nennen. 275 Zur Selbstveranlagung in Großbritannien Birk in: FS Tipke, S. 555, 556. 276 Vgl. die sog. Bedingungen für die Verbesserung des Gesetzesvollzugs durch ein Selbstveranlagungsverfahren in zehn Thesen, die Seer, Besteuerungsverfahren USA, Rn. 144 ff., kürzlich veröffentlich hat. Mit der amerikanischen Selbstveranlagung beschäftigt sich Debatin, StuW 1957, Spalte 483–498; vgl. auch Nagel, Selbstveranlagung im britischen und amerikanischen Steuerrecht. Zu den Perspektiven einer Selbstveranlagung in Deutschland vgl. Seer, StuW 2003, 40, 45 ff. sowie Institut für Finanzen und Steuern, Grundlagen und Möglichkeiten einer organischen Finanz- und Steuerreform, Heft 30, S. 70 f.; Hartmann, Reform des Veranlagungs-
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2. Kap.: Belastingdienst – Struktur und Selbstverständnis im Wandel
Im ersten Kapitel ist bereits darauf hingewiesen worden, dass für die Einkommen- und Körperschaftsteuer in den Niederlanden – ebenso wie in Deutschland – eine hoheitliche Veranlagung durchgeführt wird. Die Behauptung, in den Niederlanden finde eine Selbstveranlagung statt,277 ist deshalb unzutreffend und ist offensichtlich auf eine ungenaue Verwendung des Begriffs „Selbstveranlagung“ zurückzuführen: Die Selbstveranlagung ist im Gegensatz zur hoheitlichen Steuerfestsetzung gerade dadurch gekennzeichnet, dass die Ermittlung und Festsetzung der Steuerschuld nicht von Amts wegen erfolgt, sondern dass der Steuerpflichtige die Steuer gegen sich selbst festsetzt. Eine derartige Selbstveranlagung kennt das niederländische Besteuerungsverfahren nur für einige wenige Steuerarten wie die Umsatzsteuer und Lohnsteuer. Der Umstand, dass die Angaben der Steuerpflichtigen in ihren Einkommen- und Körperschaftsteuererklärungen in der überwiegenden Zahl der Fälle lediglich automatisiert mit den in den Datenbanken des Belastingdienst gespeicherten Kontrollinformationen verglichen und – bei Übereinstimmung – in den Steuerbescheid übernommen werden, macht das Verfahren nicht zu einer Selbstveranlagung, denn zur Fälligkeit der Steuerschuld bedarf es weiterhin der Festsetzung mittels hoheitlichen Steuerbescheids und der Vorgang der automatisierten Kontrolle kann eine manuelle Kontrolle aufgrund des umfangreichen Kontrolldatenbestandes sogar an Intensität übertreffen.
I. Bisheriger Diskussionsstand Diskussionen über die Vor- und Nachteile einer Selbstveranlagung hat es in den Niederlanden in den vergangenen 50 Jahren immer wieder gegeben.278 1963 erteilte die Vereniging van Inspecteurs van’s Rijks belastingen der Commissie tot bestudering van de afdracht op aangifte (Kommission zur wissenschaftlichen Untersuchung der Selbstveranlagung) den Auftrag, die Vor- und Nachteile eines Selbstveranlagungsverfahrens in den Niederlanden zu untersuchen. Die Kommission erstellte einen Bericht, der in einer der führenden steuerrechtlichen Fachzeitschriften publiziert wurde,279 um eine breite öffentliche Diskussion auszulösen. Allerdings blieb das Echo eher verhalten. Die Kommission sprach sich insgesamt für die Einführung einer Selbstveranlagung aus, da ihrer Einschätzung nach sowohl für die Fiverfahrens durch Selbstberechnung der Steuer; Bericht des Präsidenten des Bundesrechnungshofes, BT-Drs. III/1518 v. 10.12.1959, S. 138. Weitere Nachweise bei Ahrens/Nagel, FR 2002, 261, insb. Fn. 1. 277 s. z. B. die Ausführungen in DStG 1998, S. 159, 278 Vgl. die Nachweise bei Stevens, WFR 1990, 1072; van de Water, WFR 1963, 26 ff. 279 WFR 1965, 525 ff.
D. Selbstveranlagung beim Belastingdienst?
117
nanzverwaltung als auch für die Steuerpflichtigen die Vorteile die Nachteile überwogen.280 1978 unternahm van Westen erneut einen Vorstoß unter dem programmatischen Titel „Een aanslag op de aanslag” (Ein Anschlag auf die hoheitliche Veranlagung) und sprach sich für die Einführung einer Selbstveranlagung aus.281 Eine weitere Diskussion rund um die Selbstveranlagung entsponn sich 1990, d.h. während der Reorganisation des Belastingdienst, anlässlich einer Tagung eines Berufsverbandes der Finanzbeamten, wobei ein Systemwechsel ganz überwiegend abgelehnt wurde.282 Befürworter der Selbstveranlagung haben insbesondere angeführt, dass durch einen Systemwechsel die Ausführungskosten für die Finanzverwaltung verringert würden und der sich im hoheitlichen Veranlagungsverfahren durch die Einschränkung späterer Korrekturmöglichkeiten ergebende Zwang zur vorherigen Kontrolle der Steuererklärungen entfalle.283 Außerdem erhoffte man sich von der mit der Selbstveranlagung einhergehenden stärkeren Einbindung des Steuerpflichtigen in das Besteuerungsverfahren eine positive Wirkung auf die Einstellung gegenüber der Finanzverwaltung.284 Gegen die Selbstveranlagung wurde angeführt, dass die erleichterte nachträgliche Korrekturmöglichkeit für die Finanzverwaltung eine zu große Rechtsunsicherheit für den Steuerzahler bedeute und dass dieser mit der Selbstberechnung der Steuer überfordert sei.285 Dem Argument der Befürworter, die Selbstveranlagung führe zu beschleunigten Zahlungsströmen, wurde außerdem entgegengehalten, dieser Effekt sei vor dem Hintergrund des bereits bestehenden umfangreichen Systems von Vorauszahlungen sowie der Lohnsteuer als Quellensteuer zu vernachlässigen.286 Besonders 280
Zustimmend Schot, WFR 1965, 917, 924; ablehnend hingegen Bakker, WFR 1965, 924, 926. 281 van Westen, MBB 1978, 237 ff. 282 Tagung der Vereniging van Adjunct-Inspecteurs v. 15.6.1990, vgl. den Tagungsbericht von Stevens, WFR 1990, 1072 ff.; Hofstra, WFR 1990, 1045; Imhof, WFR 1990, 1067; van Slobbe, WFR 1990, 1061, 1066 mit dem Hinweis auf eine andere Mentalität der Niederländer; Stevens, WFR 1990, 1053. 283 van Westen, MBB 1978, 237, 241. In den Niederlanden gilt ebenso wie in Deutschland, dass eine nachträgliche Korrektur grundsätzlich nur bei Vorliegen „neuer Tatsachen“ in Betracht kommt, vgl. art. 16 lid 1 AWR, §§ 172 Abs. 1 Nr. 2 d), 173 Abs. 1 AO; s. 1. Kap. 284 Schot, WFR 1965, 917, 920. 285 Adriaansen-Keulers, Rechtvaardigheid bij belastingen, S. 223; Hofstra, WFR 1990, 1045, 1049; Stevens, WFR 1990, 1053, 1057 f. Während bei der hoheitlichen Veranlagung die Verantwortung des Steuerpflichtigen endet, wenn er der Finanzverwaltung die für die Besteuerung relevanten Tatsachen mitgeteilt hat, trägt er im System der Selbstveranlagung auch die Gewähr für die zutreffende rechtliche Subsumtion dieser Tatsachen und insbesondere für die Berechnung der Steuer.
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2. Kap.: Belastingdienst – Struktur und Selbstverständnis im Wandel
hervorgehoben wurde, dass die von den Befürwortern unterstrichenen Vorteile einer schnelleren und effizienteren Arbeitsweise im Wesentlichen keine dem Selbstveranlagungssystem immanenten Vorteile seien, sondern auch bei Beibehaltung der bisherigen hoheitlichen Veranlagung erreicht werden könnten.287 Maßnahmen wie die extensive Nutzung von Automatisierungspotential, verbesserter Service und umfassende Information für die Steuerpflichtigen, die Pflicht zur Erteilung verbindlicher Auskünfte im Voraus, die Vergabe einer einheitlichen Steuernummer, umfassende Kontrollmitteilungspflichten etc., die von den Befürwortern einer Selbstveranlagung als wesentliche Voraussetzungen für den Erfolg dieses Besteuerungssystems bezeichnet wurden,288 bergen nach Ansicht der Gegner des Systemwechsels auch für die hoheitliche Veranlagung ein erhebliches Effizienzpotenzial und sind in der derzeitigen Besteuerungspraxis ganz überwiegend zurückzufinden.
II. Fazit Trotz der bis Ende der 80er Jahre von verschiedenen Seiten geäußerten z. T. erheblichen Kritik am niederländischen Besteuerungsverfahren ist es den Befürwortern der Selbstveranlagung nicht gelungen, Finanzverwaltung, Politik und Wissenschaft davon zu überzeugen, dass Abhilfe in einem Systemwechsel gesucht werden müsse. Vielmehr herrschte auch im Zusammenhang mit der umfassenden Reorganisation Ende der 80er/Anfang der 90er Jahre die Auffassung vor, dass die Effizienz der hoheitlichen Veranlagung durch geeignete Maßnahmen wesentlich gesteigert werden könne und dass vorrangig die Möglichkeiten des bestehenden Systems ausgeschöpft werden sollten, bevor über einen Systemwechsel nachzudenken sei.289 Die Berichte über das amerikanische Selbstveranlagungssystem sind jedoch insoweit auf fruchtbaren Boden gefallen, als die Bedeutung einer umfassenden Automatisierung einerseits und einer Verbesserung des Service für die 286
Stevens, WFR 1990, 1053, 1058 mit dem Hinweis darauf, dass 85% der Einkommensteuer durch die Lohnsteuer abgegolten werden. 287 Imhof, WFR 1990, 1067, 1068; Schot, WFR 1965, 917, 922 f. Im Ergebnis auch der Finanzminister in der Nota-Fraudebestrijding, Kamerstukken II 1981/82, 17 522, nr. 2, S. 16. 288 Imhof, WFR 1990, 1067, 1069; van Westen, MBB 1978, 237, 238 f., 243; Commissie tot bestudering van de afdracht op aangifte, WFR 1965, 526, 529 f., 532. 289 So insbesondere Hofstra, WFR 1990, 1045, 1050. Bakker, WFR 1965, 924, 925, warf der Commissie tot bestudering van de afdracht op aangifte vor, sie habe aus lauter Enthusiasmus für die Selbstveranlagung verabsäumt, das bisherige System hoheitlicher Veranlagung auf Verbesserungsmöglichkeiten hin zu untersuchen.
D. Selbstveranlagung beim Belastingdienst?
119
Steuerpflichtigen andererseits erkannt wurden und die Reorganisation des Belastingdienst und die damit verbundene Neukonzeption der Arbeitsweise des Belastingdienst mit geprägt haben. Die niederländische Diskussion über das (amerikanische) Selbstveranlagungsverfahren dokumentiert allerdings auch die Schwerfälligkeit und Langwierigkeit der Bemühungen um eine Modernisierung der öffentlichen Verwaltung: Obwohl schon seit Beginn der 60er Jahre Kritik an der geringen Effizienz des Besteuerungsverfahrens geäußert wurde, kam es erst in der Folge des Van-Bijsterfeld-Berichts und der negativen wirtschaftlichen Entwicklung Ende der 70er/Anfang der 80er Jahre zu tatsächlichen Bemühungen um einen effizienteren Vollzug der Steuergesetze, und erst Ende der 80er Jahre wurde die umfassende Reorganisation des Belastingdienst in Angriff genommen. Die Ergebnisse der Reorganisation scheinen den Gegnern des Systemwechsels insoweit Recht zu geben, als das hoheitliche Veranlagungsverfahren offensichtlich ein erhebliches Effizienzpotential aufweist und für eine Verbesserung des Verhältnisses zwischen Finanzverwaltung und Steuerpflichtigen offen ist. Damit ist zwar nicht gesagt, dass der Belastingdienst bei Einführung der Selbstveranlagung nicht noch effektiver und effizienter arbeiten könnte. Da sich andererseits jedoch auch das Gegenteil nicht beweisen lässt und die Verantwortlichen mit den Leistungen des Belastingdienst im Großen und Ganzen zufrieden sind, ist vorerst nicht mit einem Systemwechsel von der hoheitlichen Veranlagung hin zur Selbstveranlagung zu rechnen.290 Erst Recht dürften radikale Vorschläge wie der des Vorsitzenden der Vereinigung höherer Beamter beim Finanzministerium, die Steuerpflichtigen künftig nur noch mittels Diskette zur Abgabe von Steuererklärungen aufzufordern und die ausgefüllte Diskette bei Banken und Postbanken abgeben zu lassen, die dann anhand der auf der Diskette enthaltenen Steuerberechnung unmittelbar eine Überweisung zugunsten des Belastingdienst bzw. eine Gutschrift zugunsten des Steuerpflichtigen vornehmen,291 innerhalb der nächsten Jahre nicht zur Umsetzung gelangen. Andererseits wird durch die fortschreitende Automatisierung und das vom Belastingdienst angekündigte Bemühen darum, Zahlungsvorgänge weiter zu digitalisieren und zu beschleunigen,292 ein späterer Übergang zur 290 Anders könnte es jedoch aussehen, wenn innerhalb der europäischen Union mehr Mitgliedstaaten den Übergang zur Selbstveranlagung in Erwägung ziehen würden. Bislang sind die Länder mit hoheitlicher Veranlagung gegenüber den Ländern mit einem System der Selbstveranlagung (Großbritannien, Schweden und Spanien) deutlich in der Überzahl. Auf die Gefahr eines niederländischen Alleingangs in dieser Frage hatte auch Hofstra, WFR 1990, 1045, 1047 hingewiesen. 291 „Aangifte inkomstenbelasting in toekomst alleen op floppy”, Stcrt. 1994, 41. 292 In der Nota Digitale Belastingdienst 1997–2001, S. 20, ist die Rede davon, dem Steuerpflichtigen die als „finanzielle Transaktion“ bezeichnete Abfolge von
120
2. Kap.: Belastingdienst – Struktur und Selbstverständnis im Wandel
Selbstveranlagung in der Durchführung vereinfacht, weil die erforderlichen Strukturen bereits bestehen.
E. Vergleich mit Deutschland I. Aufbau der Finanzverwaltung Der wohl augenfälligste Unterschied zwischen der niederländischen und der deutschen Finanzverwaltung ist der Umstand, dass es „die“ deutsche Finanzverwaltung gar nicht gibt: Im Gegensatz zu den Niederlanden, wo der Belastingdienst für die Verwaltung sämtlicher Reichssteuern zuständig ist, sieht die Finanzverfassung des GG keine einheitliche Bundesfinanzverwaltung vor, sondern geht von einer Dreigleisigkeit bei der Verwaltung der Steuern und Zölle aus. Danach werden Zölle und bundesgesetzlich geregelte Verbrauchsteuern durch Bundesfinanzbehörden (Art. 108 Abs. 1 S. 1 GG) und spezifische Landessteuern durch Landesbehörden in Eigenverwaltung (Art. 108 Abs. 2 S. 1 i. V. m. Abs. 3 S. 1 GG.) verwaltet. Das Gros der Steuern wird jedoch durch Landesbehörden im Auftrag des Bundes verwaltet. Dementsprechend verfügt jedes der 16 Bundesländer über eine eigene Finanzverwaltung. Die Tatsache, dass die in der Weimarer Republik gebildete einheitliche Reichsfinanzverwaltung nach dem Zweiten Weltkrieg aufgelöst wurde, ist auf entsprechende Maßnahmen der Alliierten zurückzuführen.293 Was den Aufbau der jeweiligen Bundes- und Länderfinanzverwaltung betrifft (vgl. Abbildung 5), so ging die h. M. bislang davon aus, dass die Formulierung des Art. 108 Abs. 1 S. 3 u. Abs. 2 S. 3 GG a. F. über die Bestellung der Leiter von Mittelbehörden eine Dreistufigkeit fordere.294 Durch Gesetz v. 26.11.2001295 ist jedoch der Wortlaut des Art. 108 GG entsprechend angepasst worden, um künftig auch eine bloß zweigliedrige Struktur für die Finanzverwaltungen des Bundes und der Länder zu ermöglichen. Bislang haben jedoch die meisten Länderfinanzverwaltungen sowie der Bund noch eine dreistufig strukturierte Finanzverwaltung. Während auf der untersten und obersten Hierarchieebene jeweils eine klare Trennung besteht, haben die Steuererklärung, Steuerfestsetzung und Steuerentrichtung als einheitlichen Dienst anzubieten, und auf S. 13 heißt es, Belastingdienst und Steuerpflichtige sollten künftig miteinander „in laufender Rechnung stehen“ (rekening-courant verhouding). 293 Ausführlich dazu Metzger/Weingarten, Einkommensteuerverwaltung, S. 158, 220 ff.; Weingarten, Finanzverwaltung, S. 32 ff., 38. 294 Vgl. Seer in: Bonner Kommentar, Art. 108 GG, Rn. 66 (Stand: 92. Lfg. November 1999); Siekmann in: Sachs (2. Aufl.), Art. 108 GG, Rn. 15, 20. 295 Gesetz zur Änderung des GG (Art. 108) v. 26.11.2001, BGBl. 2001 I, 3219.
E. Vergleich mit Deutschland
121
Oberfinanzdirektionen als Mittelbehörden eine Doppelfunktion und unterhalten i. d. R. sowohl Abteilungen der Bundesverwaltung als auch der Landesverwaltung.296 Der Behördenaufbau ist im Gesetz über die Finanzverwaltung (FVG) näher geregelt und damit im Wesentlichen bundeseinheitlich.
Bundesminister der Finanzen Oberste Bundesbehörde
Finanzminister/-senator des Landes Oberste Landesbehörde
Bundesamt für Finanzen u. andere in § 1 Nr. 2 FVG genannte Einrichtungen Bundesoberbehörden
Rechenzentren Landesoberbehörden
Oberfinanzdirektionen Mittelbehörden des Bundes und der Länder Abteilung für Zoll- und Verbrauchsteuern
Hauptzollämter Örtliche Behörden
Abteilung für Besitz- und Verkehrsteuern
Finanzämter Örtliche Behörde
Abbildung 5: Aufbau der Bundes- und Länderfinanzverwaltung
Der Aufbau einer Länderfinanzverwaltung soll im Folgenden am Beispiel Nordrhein-Westfalens veranschaulicht werden (Abbildung 6). Die dreistufige Struktur mit Oberster Landesbehörde, Mittelbehörden und Örtlichen Behörden ähnelt der Struktur des Belastingdienst bis Ende 2002 mit der Unterteilung in das Generaldirektorat und die Stabsdirektionen auf ministerieller Ebene, die Zielgruppendirektionen auf mittlerer Ebene und die ausführenden Ämter auf lokaler Ebene. Auf Finanzamtsebene besteht ein wichtiger Unterschied zwischen dem Belastingdienst und der nordrheinwestfälischen Steuerverwaltung darin, dass die Ämter in den Niederlanden 296 Der Bund hat die Bundesaufgaben allerdings mittlerweile in 8 Oberfinanzdirektionen gebündelt, vgl. Verordnung v. 4.3.1998, BGBl. I 1998, 407.
122
2. Kap.: Belastingdienst – Struktur und Selbstverständnis im Wandel Finanzminister des Landes Oberste Landesbehörde
Aus- und Fortbildungseinrichtungen der Landesfinanzverwaltung
OFD Köln Bundesbehörde (übt Bundesaufgaben für die anderen Oberfinanzdirektionen aus)
60 Festsetzungsfinanzämter Örtliche Behörde
8 FÄ’er für Steuerstrafsachen u. Steuerfahndung Örtliche Behörde
Rechenzentrum Landesoberbehörde
Landesamt für Besoldung und Versorgung Landesoberbehörde
Oberfinanzdirektionen Mittelbehörden der Länder Düsseldorf/Köln
9 FÄ’er für Groß- und Konzernbetriebsprüfung Örtliche Behörde
Münster
6 FÄ’er für Groß- und Konzernbetriebsprüfung Örtliche Behörde
4 FÄ’er für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung Örtliche Behörde
51 Festsetzungsfinanzämter Örtliche Behörde
Abbildung 6: Aufbau der Finanzverwaltung Nordrhein-Westfalens
nach Zielgruppen, in Deutschland hingegen nach Abschnitten des Besteuerungsverfahrens unterteilt sind. So gibt es in NRW eigenständige Prüfungsfinanzämter,297 wohingegen diese Aufgabe in den Niederlanden in die Finanzämter für Ondernemingen bzw. Grote Ondernemingen integriert ist. Umgekehrt führen die Festsetzungsfinanzämter in NRW die Veranlagung sämtlicher Steuerfälle durch, während in den Niederlanden bis Ende 2002 spezielle Finanzämter für die Hauptzielgruppen Particulieren, Ondernemingen und Grote Ondernemingen bestanden haben. Ein weiterer Unterschied besteht hinsichtlich der Steuerfahndung: Während in den Niederlanden der FIOD/ECD als zentrale Direktion organisiert ist, existieren in NRW 12 Finanzämter für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung. Die Aufgabenverteilung innerhalb der Finanzämter ist seit 1954 in der Geschäftsordnung der 297 Die Zusammenfassung der vormals 26 separaten Ämter für Großbetriebsprüfungen, Konzernbetriebsprüfungen und landwirtschaftliche Betriebsprüfungen zu 15 Prüfungsfinanzämtern erfolgte zum 1.7.2002, vgl. Änderung der Zuständigkeitsverordnung v. 6.6.2002, GVBl. NW 2002, 188 sowie Pressemitteilung des Finanzministeriums vom 28.6.2002.
E. Vergleich mit Deutschland
123
Finanzämter298 (FAGO) sowie in den jeweiligen Ergänzenden Bestimmungen (EB-FAGO) geregelt. Im Detail gibt es jedoch vielfache Unterschiede zwischen den Steuerverwaltungen der einzelnen Länder. Die Hierarchische Struktur innerhalb der Finanzämter ist sowohl in den deutschen Steuerverwaltungen als auch in den Niederlanden (bis Ende 2002) dreistufig: Der Vorsteher als Leiter des Finanzamts entspricht in etwa dem Hoofd eines niederländischen Finanzamts. Auf der mittleren Ebene üben in Deutschland Sachgebietsleiter Verantwortung aus, während in den Niederlanden Teamleiter eingesetzt sind. Auf der ausführenden Ebene sind Mitarbeiter mit unterschiedlichen Funktionsbezeichnungen tätig. Während jedoch in den Niederlanden die Arbeit in Teams von 15–20 Mitarbeitern ausgeführt wird, ist die kleinste organisatorische Untergliederung in einem deutschen Finanzamt in der Regel das Arbeitsgebiet bzw. der Bezirk, in dem oftmals nur zwei Mitarbeiter tätig sind. Die Steuerfälle sind in der Regel nach festen Zuständigkeiten einzelnen Sachbearbeitern zugewiesen.
II. Personal der Finanzverwaltung Die Personalstärke des Belastingdienst unterscheidet sich von der der deutschen Finanzverwaltung(en): Tabelle 1: Zahl der Beschäftigten in der Finanzverwaltung der BRD und der NL in 2000299
Einwohnerzahl Personal der Finanzverwaltung
Verhältnis der Beschäftigten zu den Einwohnern
298
BRD
NRW
NL
NL (ohne Zollverwaltung)
81.909.000
17.955.000
15.987.075
15.987.075
132.829 (Gesamtzahl der Finanzverwaltungen der Länder)
28.065
31.842
26.198
617
640
502
610
Derzeit in der Fassung der Gleichlautenden Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder v. 3.1.2002, BStBl. I, 540. 299 Quelle: Statistik der DStG sowie für die Niederlande Belastingdienst, Jaarverslag 2000, S. 50 und Centraal Bureau voor de Statistik .
124
2. Kap.: Belastingdienst – Struktur und Selbstverständnis im Wandel
Während bei den einzelnen Finanzverwaltungen der Länder im Jahr 2000 132.829 Mitarbeiter beschäftigt waren, gab es zum gleichen Zeitpunkt in den Niederlanden 31.842 Stellen, die mit insgesamt 32.330 Mitarbeitern besetzt waren. Damit ist die niederländische Finanzverwaltung in personeller Hinsicht viermal kleiner als die deutschen Länderfinanzverwaltungen zusammengenommen. Hingegen sind der Belastingdienst und die nordrheinwestfälische Finanzverwaltung (i. S. der Steuerverwaltung, d.h. das Personal der Steuerverwaltung) als größte Landesfinanzverwaltung in der Bundesrepublik vergleichbarer: In Nordrhein-Westfalen waren im Jahr 2000 28.065 Personen in der Finanzverwaltung beschäftigt. Berücksichtigt man, dass von den Beschäftigten des Belastingdienst im Jahr 2000 5.644 Stellen auf die Zollverwaltung entfallen, diese jedoch, da es sich in Deutschland bei der Zollverwaltung um Bundesverwaltung handelt, in der Personalstatistik der nordrhein-westfälischen Finanzverwaltung nicht berücksichtigt sind, so ist die niederländische Finanzverwaltung (ohne Zollverwaltung) zahlenmäßig kleiner als die nordrhein-westfälische. Gleichzeitig ist jedoch das Verhältnis der Beschäftigten zu den Einwohnern in den Niederlanden etwas günstiger: Während in den Niederlanden auf einen Mitarbeiter des Belastingdienst 610 Einwohner kommen, sind es in NRW 640 Einwohner.
III. Umstrukturierungsmaßnahmen In Deutschland wuchs – ebenso wie in den Niederlanden – in den 1970er Jahren die Erkenntnis, dass sich das Verhältnis zwischen Steuerpflichtigen und der Finanzverwaltung gewandelt hatte und die Bürger staatlichen Einrichtungen gegenüber „mündiger“ geworden waren. Außerdem wurden – nicht zuletzt aufgrund steigender Fallzahlen – Vollzugsdefizite in der Steuerverwaltung konstatiert und es gab in den 1970er und 1980er Jahren vermehrt Diskussionen über die personelle und sachliche Ausstattung der Finanzämter, die von einer Vielzahl wissenschaftlicher Veröffentlichungen zur Lage der Finanzverwaltung und den (verfassungs-)rechtlichen Anforderungen an den Vollzug der Steuergesetze begleitet wurden.300 Mitte der 1970er Jahre wurde der Veranlagungsbereich in den Finanzämtern, der zu diesem Zeitpunkt durch eine zunehmende Spezialisierung und Aufgliederung in Fachgebiete gekennzeichnet war, umfassend neugeordnet und im Wege der sog. Grundsätze zur Neuorganisation der Finanzämter und zur Neuordnung des Besteuerungsverfahrens301 (GNOFÄ 1976) eine einheitliche Gliederung 300
Vgl. z. B. Isensee, StuW 1973, 199 ff.; Jenetzky, StuW 1982, 273 ff.; Schmid, FR 1977, S. 295 ff.; Metzger/Weingarten, Einkommensteuerverwaltung, S. 266 ff. 301 Gleichlautende Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder v. 16.2.1976, BStBl. I, 88.
E. Vergleich mit Deutschland
125
in mindestens vier Stellen (Übernahmestelle, Amtsprüfstelle, VeranlagungsVerwaltungsstelle und Rechtsbehelfsstelle) eingeführt. Diese GNOFÄ wurden in der Folge noch zwei Mal erneuert (GNOFÄ 1981 und GNOFÄ 1997302), wobei bei der letzten Änderung auf eine Regelung der Gliederung des Veranlagungsbereichs verzichtet wurde. Damit ist in Deutschland mit einer Reorganisation der Steuerverwaltung rund 10 Jahre früher als in den Niederlanden begonnen worden. Allerdings sind die GNOFÄ niemals gleichmäßig in allen Bundesländern umgesetzt worden,303 und wesentliche Neuerungen der GNOFÄ 1976 wie die Abschaffung individueller Zuständigkeiten der Sachbearbeiter sind bereits durch die GNOFÄ 1981 wieder zurückgenommen worden. Eine Ordnung der Steuerfälle und Ausrichtung der Arbeitsschritte nach den steuerlichen Besonderheiten der Fälle, wie sie z. B. in den früheren Branchenbezirken zum Ausdruck kam, hat es seit Einführung der GNOFÄ auf der Grundlage bundeseinheitlicher Regelungen nicht mehr gegeben. Seit den GNOFÄ 1981 ist keine umfassendere bundeseinheitliche Neuorganisation der Finanzämter mehr erfolgt. Die Probleme, die daraus resultieren, beschreibt Weingarten 1993 folgendermaßen: „[. . .E]ine nicht im gleichen Maße gewachsene und organisatorisch wie ressourcenmäßig nahezu unveränderte Verwaltung [trifft] auf eine steigende Zahl von zu erledigenden Einzelfällen und einen wachsenden sowie an Komplexität zunehmenden Normenbestand [. . .]“304 Diese Aussage trifft noch immer zu, obwohl insbesondere in den vergangenen zwei Jahren eine Vielzahl von (regionalen) Reformprojekten auf den Weg gebracht worden sind, die im 6. Kapitel näher erläutert werden.
IV. Fazit Im Gegensatz zu den Finanzverwaltungen der Länder, die bereits Mitte der 1976er Jahre Umstrukturierungsmaßnahmen ergriffen haben, hat der Belastingdienst mit seiner Reorganisation erst Ende der 1980er Jahre begonnen. Und während zu diesem Zeitpunkt in Deutschland bereits Steuerpflichtige im Hinblick auf verschiedene Steuerarten in ein und demselben Festsetzungsfinanzamt veranlagt wurden, waren die Zuständigkeiten beim Belastingdienst noch nach Steuerarten verteilt, was zu großen Abstimmungsschwierigkeiten führte. Mit der Reorganisation hat der Belastingdienst diesen „Rückstand“ jedoch aufgeholt und die deutsche Finanzverwal302 Gleichlautende Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder v. 4.3.1981, BStBl. I, 270 und v. 19.11.1996, BStBl. I, 21. 303 Weingarten, Finanzverwaltung, S. 84. 304 Weingarten, Finanzverwaltung, S. 4.
126
2. Kap.: Belastingdienst – Struktur und Selbstverständnis im Wandel
tung sozusagen überholt, weil nunmehr Steuerpflichtige nicht nur hinsichtlich aller Steuerarten, sondern auch aller Abschnitte des Besteuerungsverfahrens in einem Finanzamt betreut werden.
3. Kapitel
Arbeitsweise des Belastingdienst A. Auftrag, Zielsetzung und Unternehmensphilosophie Zu den Kernaufgaben des Belastingdienst gehört der Vollzug der Steuergesetze, d.h. die Festsetzung, Erhebung und Kontrolle der Steuern und die Aufdeckung von Steuerhinterziehung. Eine den §§ 85, 88 AO entsprechende gesetzliche Aufgabenbeschreibung fehlt. Stattdessen operiert der Belastingdienst auf der Basis eines sog. permanenten Auftrags (permanente opdracht), einer strategischen Zielsetzung (strategische doelstelling) und einer Unternehmensphilosophie (bedrijfsfilosofie), die allesamt im Verwaltungsbericht (beheersverslag) niedergelegt sind, mit dem der Belastingdienst jährlich dem Parlament gegenüber Rechenschaft über seine Tätigkeit ablegt.305
I. Permanenter Auftrag Der permanente Auftrag des Belastingdienst ist im Beheersverslag wie folgt umschrieben: „Der Belastingdienst führt die Gesetze und Vorschriften, die ihm zur Ausführung übertragen worden sind, so effektiv und effizient wie möglich aus und strebt dabei nach der Aufrechterhaltung von Rechtssicherheit und Rechtsgleichheit. Dienstleistung und Respekt der Öffentlichkeit gegenüber sind mit dieser Ausführung untrennbar verbunden.“306
Zentrale Bestandteile dieses permanenten Auftrags sind die Begriffe „Effektivität“ und „Effizienz“. Effektivität (doeltreffendheid) im Sinne von „Wirksamkeit“ zielt darauf ab, dass eine Maßnahme geeignet ist, ein zuvor definiertes Ziel zu erreichen.307 Effizienz (doelmatigheid) hingegen betrifft 305 Im Verwaltungsbericht für das Jahr 2002 finden die Begriffe „strategische Zielsetzung“ und „Unternehmensphilosophie“ keine Verwendung mehr, sondern es ist die Rede von Grundlagen (grondslagen) für das Handeln des Belastingdienst. Da inhaltlich keine wesentlichen Abweichungen zu der bisherigen, aussagekräftigeren Terminologie bestehen, wird diese im Folgenden beibehalten. 306 Belastingdienst, Beheersverslag 2002, S. 2. 307 Gabler Wirtschaftslexikon, 15. Aufl., Wiesbaden 2000.
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3. Kap.: Arbeitsweise des Belastingdienst
die Art und Weise, in der das vorgegebene Ziel mit einer bestimmten Maßnahme erreicht werden kann und beinhaltet insbesondere eine Abwägung zwischen den einzusetzenden Mitteln und den erzielbaren Ergebnissen i. S. einer „Wirtschaftlichkeit“, d.h. das Verhältnis zwischen Aufwand und Ertrag.308 Die Arbeitsweise des Belastingdienst ist danach effizient, wenn entweder eine zuvor definierte Aufgabe unter Einsatz des geringst möglichen Aufwands erfüllt wird oder wenn mit zuvor definierten Mitteln das bestmögliche Ergebnis erzielt wird.309 Beide Begriffe werden im Zusammenhang mit dem Steuerungskonzept des Belastingdienst noch näher erörtert.
II. Strategische Zielsetzung Als allgemeine strategische Zielsetzung – ebenfalls im jährlichen Beheersverslag enthalten, benennt der Belastingdienst: „Das Aufrechterhalten und Verstärken der Bereitschaft der Steuerpflichtigen, ihren gesetzlichen Verpflichtungen nachzukommen“.310
Es handelt sich um ein Bekenntnis zur Compliance (zum Begriff s. unten unter C.II.), und der Belastingdienst erkennt mit dieser strategischen Zielsetzung die Bedeutung der Kooperation der Steuerpflichtigen für den Vollzug der Steuergesetze ausdrücklich an. Neben dieser allgemeinen strategischen Zielsetzung formuliert der Belastingdienst bei Bedarf weitere strategische Zielsetzungen, wie z. B. die Wahrung der Einheitlichkeit des sog. beleid.311
III. Unternehmensphilosophie Der permanente Auftrag und die strategische Zielsetzung liefern die Grundlage für die Unternehmensphilosophie (bedrijfsfilosofie) des Belastingdienst, die ihrerseits die Eckpunkte für die Ausführung der ihm über308
Ministerie van Financiën, Handreiking Doelformulering en Prestatiegegevens, S. 21; Gabler Wirtschaftslexikon, 15. Aufl., Wiesbaden 2000; teilweise wird Effizienz als Wirtschaftlichkeit im engeren Sinne bezeichnet, vgl. Eichhorn in: Handwörterbuch der Öffentlichen Betriebswirtschaft, Stichwort „Wirtschaftlichkeit“, S. 1801, wohingegen Wirtschaftlichkeit i. w. S. als eine Kombination von Effektivität und Effizienz verstanden wird, vgl. Schmidberger, Controlling für öffentliche Verwaltungen, S. 122 f. 309 van Kommer, Belastingdienst, S. 18. 310 Belastingdienst, Beheersverslag 2000, S. 2. 311 Vgl. Besluit v. 15.6.2001, nr. RTB2001/1917M, Stcrt. nr. 121; Slijpen in seiner Einleitung zum Symposium „Eenheid van beleid en uitvoering” v. 29./ 30.11.2001, abgedruckt im Tagungsbericht, DGB02-3134d, abrufbar unter . Ausführlich dazu unten, 4. Kap. unter B.IV.
A. Auftrag, Zielsetzung und Unternehmensphilosophie
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tragenen Aufgaben festlegt. Die Unternehmensphilosophie besteht aus den folgenden vier Elementen:312 • Dienstleistung gegenüber Steuerpflichtigen, die ihren gesetzlichen Pflichten nicht oder nicht vollkommen selbständig nachkommen können. • Ausrichtung auf Zielgruppen, d.h. Steuerpflichtige, die auf die gleiche Art und Weise durch den Belastingdienst behandelt werden können, werden in Gruppen zusammengefasst. • Integrierte Behandlung der Steuerfälle, d.h. Steuerpflichtige werden in der Regel an einer Stelle innerhalb des Belastingdienst im Hinblick auf alle Steuerarten und alle Abschnitte des Besteuerungsverfahrens behandelt. • Zeitnahes Arbeiten, d.h. steuerlich relevante Situationen werden möglichst zu dem Zeitpunkt erfasst und beurteilt, zu dem sie sich ereignen, und die Beitreibung der Steuerschuld erfolgt möglichst nah an ihrem Entstehungszeitpunkt. Dass die Anforderungen an die Arbeitsweise des Belastingdienst nicht ausdrücklich gesetzlich normiert sind, sondern vom Belastingdienst selbst im Beheersverslag formuliert werden, bedeutet nicht, dass die Prinzipien unverbindlich sind. Immerhin legt der Belastingdienst mit dem Beheersverslag dem Parlament (und den Bürgern) gegenüber Rechenschaft darüber ab, inwieweit die gesteckten Ziele im jeweils zurückliegenden Kalenderjahr erreicht werden konnten, und das Parlament hat den permanenten Auftrag, die strategische Zielsetzung und die Unternehmensphilosophie indirekt gebilligt, indem es die Rechenschaftsberichte des Belastingdienst ohne entsprechende Kritik entgegengenommen und darüber beraten hat.
IV. Der Belastingdienst als sog. Rechtshandhavingsorganisatie Der Belastingdienst wendet die Gesetze nicht bloß an, was im Niederländischen als rechtstoepassing bezeichnet wird, sondern er versteht sich darüber hinaus als sog. Rechtshandhavingsorganisatie, was auch in der Formulierung des permanenten Auftrags zum Ausdruck kommt („De Belastingdienst [. . .] streeft in zijn handelen naar handhaving van rechtszekerheid en rechtsgelijkheid”). Der Begriff „Rechtshandhaving“ findet im Deutschen keine unmittelbare Entsprechung. Gemeint ist die Durchsetzung des Rechts, die sich nicht in der Anwendung der Normen beschränkt. Rechtshandhaving bedeutet danach nicht handhaving van de wet, sondern handhaving van 312
Belastingdienst, Beheersverslag 2001, S. 1 f.
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3. Kap.: Arbeitsweise des Belastingdienst
de rechtsorde (Umsetzung der Rechtsordnung).313 So will der Belastingdienst dem Steuerrecht auch dadurch zur Durchsetzung verhelfen, dass er auf die Haltung der Normadressaten gegenüber ihren rechtlichen Pflichten Einfluss nimmt. Rechtshandhaving besteht danach aus Rechtstoepassing einerseits und klantbehandeling (= weites Spektrum von Maßnahmen von der Unterstützung bei der Erfüllung steuerlicher Pflichten bis hin zur Sanktionierung von Fehlverhalten der Normadressaten314) andererseits und kann nur dann gelingen, wenn zwischen diesen beiden Teilbereichen ein ausgewogenes Verhältnis hergestellt ist.315 Das Compliance-Konzept sowie die Risikoanalyse, die im weiteren Verlauf dieses Kapitels noch näher erläutert werden, bilden wesentliche Elemente der „Rechtshandhaving“, der Durchsetzung des Steuerrechts. Aber auch die Klassifizierung und Systematisierung der Steuerpflichtigen kennzeichnet die Art und Weise, in der der Belastingdienst Rechtshandhaving betreibt.
B. Klassifizierung und Systematisierung der Steuerpflichtigen Der Belastingdienst verwendet verschiedene Methoden zur Klassifizierung und Systematisierung der Steuerpflichtigen. Ausgangspunkt ist zunächst die Unterteilung in drei Hauptzielgruppen, die sich auch in der Organisationsstruktur widerspiegelt. Daneben hat der Belastingdienst mit der sog. SoFi-Nummer die Möglichkeit, Steuerpflichtige eindeutig zu identifizieren und ihnen Informationen zuzuordnen.
I. Orientierung an Zielgruppen Die Ausrichtung der Arbeitsweise an Gruppen von Steuerpflichtigen (Zielgruppen) statt an Steuerarten war eines der Hauptziele der Reorganisation des Belastingdienst Ende der 1980er/Anfang der 1990er Jahre. Die Zielgruppenorientierung zieht sich nunmehr wie ein roter Faden sowohl durch die Organisation als auch durch die Arbeitsweise des Belastingdienst. 313 Vgl. auch t’Hart, Openbaar Ministerie en rechtshandhaving, S. 145 sowie Happé in seiner Einleitung auf dem Symposium „Eenheid van beleid en uitvoering” am 29./30. 11. 2001, abgedruckt im Tagungsbericht, DGB02-3134d, abrufbar unter . 314 de Kam, Overheidsmanagement 7–8/1995, 192. 315 Belastingdienst, Bedrijfsplan 2002–2006, S. 6; Slijpen in seiner Einleitung auf dem Symposium „Eenheid van beleid en uitvoering” am 29./30. 11. 2001, abgedruckt im Tagungsbericht, DGB02-3134d, abrufbar unter .
B. Klassifizierung und Systematisierung der Steuerpflichtigen
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Dem liegt die Erkenntnis zugrunde, dass die Steuerpflichtigen – u. a. aufgrund unterschiedlicher Steuergesetze, die auf sie anwendbar sind, sowie aufgrund sozialer und wirtschaftlicher Umstände – nicht gleich sind und deshalb nicht gleich behandelt werden können.316 Ziel ist es daher, zwischen den Steuerpflichtigen so zu differenzieren, dass sich Gruppen vergleichbarer Fälle bilden lassen, die auf gleiche Art und Weise behandelt werden können. Der Belastingdienst erhofft sich von diesem Vorgehen zugleich eine Effizienzsteigerung, da die Herangehensweise an bestimmte Probleme besser koordiniert und vereinheitlicht werden kann und nicht immer wieder an verschiedenen Stellen innerhalb der Finanzverwaltung neue Lösungen für identische Probleme gefunden werden müssen. Anstelle der bis Ende der 1980er Jahre auf Steuerarten spezialisierten Ämter wurden deshalb Ämter für die vier Hauptzielgruppen Particulieren (Einzelpersonen), Ondernemingen (kleine und mittlere Unternehmen), Grote Ondernemingen (große Unternehmen, Konzerne) sowie Douane (Zollangelegenheiten) errichtet, in denen die Steuerfälle jeweils im Hinblick auf alle Steuerarten und alle Abschnitte des Besteuerungsverfahrens bearbeitet werden.317 Die (organisatorische) Unterteilung führt bereits zu einer Gewichtung der einzelnen Steuerfälle, denn die Finanzämter für kleine und mittlere Unternehmen einerseits und große Unternehmen andererseits bekommen unterschiedlich viele Steuerfälle zur Bearbeitung zugewiesen und mit der Größe des Arbeitspaketes nimmt die für jeden einzelnen Fall durchschnittlich zur Verfügung stehende Bearbeitungszeit ab. Ziel ist es, eine optimale Übereinstimmung zwischen der Komplexität der einzelnen Steuerfälle und der zu investierenden Bearbeitungszeit herzustellen. 1. Hauptzielgruppen Im Folgenden werden nur die drei Hauptzielgruppen Einzelpersonen, kleine und mittlere Unternehmen sowie große Unternehmen näher erläutert, wohingegen die Zollpflichtigen als vierte Zielgruppe außer Betracht bleiben. a) Particulieren Zur Zielgruppe der Particulieren zählen natürliche Personen, die weder einen Gewerbebetrieb haben noch eine selbständige Tätigkeit ausüben und auch nicht zum Einbehalten von Lohnsteuer verpflichtet sind, vgl. art. 1 nr. 316
Veele, Fiskaal 1992, 315. Zu der organisatorischen Neugliederung seit dem 1.1.2003 siehe unten 5. Kap. 317
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3. Kap.: Arbeitsweise des Belastingdienst
2a) Uitv.reg. Belastingdienst.318 Der Begriff lässt sich nicht ohne weiteres ins Deutsche übersetzen. Da natürliche Personen, die in engem Zusammenhang mit einem Unternehmen stehen (sei es als Gesellschafter, Ehegatten etc.), hinsichtlich des sachlich bzw. örtlich zuständigen Finanzamts mit dem jeweiligen Unternehmen zusammengefasst werden (dazu unten im Zusammenhang mit der Bildung von Entitäten) und dadurch nicht in den Zuständigkeitsbereich der Finanzämter für Particulieren fallen, könnten die Particulieren als „Einzelpersonen“ bezeichnet werden. Dieser Begriff ist jedoch mehrdeutig, weshalb im Folgenden der niederländische Begriff Particulieren beibehalten wird. Die 30 Ämter für Particulieren sind für rund 5,3 Mio. Steuerpflichtige zuständig319 und behandeln diese in allen Angelegenheiten insbesondere der Lohn- und Einkommensteuer sowie der Erbschaft- und Schenkungsteuer. Die Particulieren als Zielgruppe zeichnen sich in erster Linie durch die große Zahl von Steuerfällen und den dadurch hervorgerufenen umfangreichen Publikumsverkehr und weniger durch eine besondere Komplexität der Sachverhalte aus. Für den Belastingdienst stellt sich die Betreuung der Particulieren als Massengeschäft dar und es gilt, für eine Vielzahl von Steuerpflichtigen Informationen so zusammenzutragen, dass eine schnelle Bearbeitung der Steuererklärungen gewährleistet werden kann.320 Aufgrund der Vielzahl der Fälle werden die für Particulieren zuständigen Finanzämter auch als „Visitenkarte des Belastingdienst“ bezeichnet.321 Bei einem Großteil der Fälle geht es um Rückzahlungen an die Steuerpflichtigen. b) Ondernemingen Als Ondernemingen (kleine und mittlere Betriebe/Unternehmen) gelten all diejenigen Steuerpflichtigen, die weder Particulieren sind noch als sog. Grote ondernemingen (große Betriebe, Konzerne) gelten, art. 1 nr. 2b) Uitv.reg. Belastingdienst a. F. Positiv formuliert gehören dazu Steuerpflichtige, die eine selbständige Tätigkeit ausüben, sowie Gewerbetreibende, deren Betrieb (in Abgrenzung zu den Großbetrieben, s. u.) mindestens zwei der folgenden Kriterien erfüllt: Das Betriebsvermögen (Buchwert) beträgt zu Beginn eines Jahres nicht mehr als 2,25 Mio. e; der Jahresumsatz be318 Zitiert ist die Uitv.reg. Belastingdienst i. d. Fassung bis zum 31.12.2002. Seit dem 1.1.2003 gilt die Uitv.reg. Belastingdienst 2003, in der die Definition der Zielgruppen nicht mehr enthalten ist. Vgl. auch die Ausführungen zur Umstrukturierung des Belastingdienst im 5. Kap. 319 Belastingdienst, Beheersverslag 2001, Productieverslag S. 1. 320 Vermeulen, De Accountant 1993, 83. 321 van Maris/Vrouwenvelder, TVVS 1989, 192, 194.
B. Klassifizierung und Systematisierung der Steuerpflichtigen
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trägt nicht mehr als 4,5 Mio. e; zu Beginn des Jahres beträgt die Zahl der Arbeitnehmer höchstens 50.322 Die Finanzämter für kleinere und mittlere Unternehmen haben jeweils ca. 15.000–20.000 Steuerpflichtige zu betreuen.323 Die Verteilung der Steuerpflichtigen auf die einzelnen Teams in den Finanzämtern erfolgt branchengerichtet, d.h. Steuerpflichtige, die einer Branche angehören, werden vorzugsweise innerhalb eines Teams betreut. Auf diese Weise können Spezialkenntnisse erworben und genutzt werden. Bei der Zielgruppe der Ondernemingen steht – im Gegensatz zu den Particulieren – die Zuordnung von Informationen über die unterschiedlichsten Steuerarten zu einem Steuerpflichtigen im Vordergrund.324 Darüber hinaus unterscheiden sich die Ondernemingen von der Gruppe der Particulieren dadurch, dass erstere in der Regel steuerlich beraten sind. c) Grote Ondernemingen Neben der Zielgruppe der kleinen und mittleren Unternehmen gibt es eine eigenständige Zielgruppe für große Unternehmen/Konzerne, die sog. Grote Ondernemingen. Grund für diese Differenzierung ist, dass für die Betreuung großer (oft multinationaler) Konzerne spezielle Kenntnisse der Mitarbeiter des Belastingdienst erforderlich sind und diese in wenigen Ämtern konzentriert werden sollen.325 Als große Unternehmen gelten gem. art. 1 nr. 2c) Uitv.reg. Belastingdienst a. F. zunächst diejenigen Unternehmen, die mindestens zwei der folgenden Kriterien erfüllen: Das Betriebsvermögen (Buchwert) ist zu Beginn eines Jahres größer als 2,25 Mio. e; der Jahresumsatz beträgt mehr als 4,5 Mio. e; zu Beginn eines Jahres sind mehr als 50 Arbeitnehmer beschäftigt. Darüber hinaus gehören zu den großen Unternehmen solche, die mindestens eine der folgenden drei Voraussetzungen erfüllen: Das Betriebsvermögen (Buchwert) beträgt, unter Berücksichtigung bestimmter Abzüge, zu Beginn des Jahres mehr als 9 Mio. e; der Jahresumsatz beträgt mehr als 18 Mio. e; die Zahl der Arbeitnehmer beträgt bei Jahresbeginn mehr als 250 bzw. bei gemeinnützigen Institutionen mehr als 1500. Schließlich zählen zu den Grote Ondernemingen auch noch die Provinzen, Gemeinden mit mehr als 40.000 Einwohnern und bestimmte öffentlich-rechtliche Betriebe, vgl. art. 1 lid 3 Uitv.reg. Belastingdienst a. F. Die Finanzämter für große Unternehmen haben hinsichtlich der Zahl der Steuer322 Diese Kriterien lassen sich im Rückschluß aus der Bestimmung großer Unternehmen gewinnen, vgl. art. 1 nr. 2c) Uitv.reg. Belastingdienst i. d. Fassung bis zum 31.12.2002. 323 Moret Ernst & Young/Coopers & Lybrand/Belastingdienst, Rapport Onderzoek Herstructurering Belastingdienst, S. 18. 324 Vermeulen, De Accountant 1993, 83. 325 Belastingdienst, Memorandum inzake herstructurering Belastingdienst, S. 15.
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3. Kap.: Arbeitsweise des Belastingdienst
pflichtigen ein deutlich kleineres Arbeitspaket zu bewältigen. Sie sind zuständig für ca. 7.000 Großbetriebe, verteilt auf 11 Ämter, d.h. 600–700 Großbetriebe pro Finanzamt und ca. 100 Konzerne pro Team.326 Für einige Arten von Großbetrieben sind die Zuständigkeiten landesweit speziell geregelt: so werden z. B. sämtliche Banken und Versicherungen in Amsterdam betreut und alle Öl- und Gasgesellschaften in Den Haag.327 2. Zusammenfassung der Steuerpflichtigen zu sog. Entiteiten Der Belastingdienst fasst Steuerpflichtige zu sog. Entiteiten (Entitäten) zusammen, wenn sie in organisatorischer, finanzieller, steuerlicher oder gesellschaftsrechtlicher Hinsicht eng miteinander verbunden sind. Ausgangspunkt ist in der Regel ein Unternehmen, von dem ausgehend anhand der Beteiligungsverhältnisse die zu einer Entität zusammenzufassenden Steuerpflichtigen ermittelt werden. Die Art und Weise der Bildung von Entitäten ist in der sog. Competentieregeling des Belastingdienst328 näher ausgeführt. Grundsätzlich gehören bei einem Einzelunternehmen der Ehepartner und die minderjährigen Kinder des Unternehmers zu einer Entität und bei Gesellschaften die Gesellschafter (natürliche und juristische Personen), soweit sie eine gewisse Mindestbeteiligung haben (vgl. § 2.3 Competentieregeling). Ist ein Anteilseigner an mehreren Gesellschaften beteiligt, richtet sich die Zuordnung zu einer Entität danach, aus welcher Beteiligung er die höchsten Einkünfte erzielt, § 2.6.3.a Competentieregeling. Auch bei den Ämtern für Großbetriebe werden innerhalb der Entitäten diejenigen Privatpersonen geführt, die mit den jeweiligen Unternehmen in besonderem Maße verbunden sind. Von der Zusammenführung von Informationen über Steuerpflichtige, die in einem engen (wirtschaftlichen) Verhältnis zueinander stehen, erhofft sich der Belastingdienst eine effektivere Bekämpfung der Steuerhinterziehung.329 3. Einteilung nach Branchen und Segmenten Neben der Einteilung in Hauptzielgruppen hat sich insbesondere in der Gruppe der kleinen und mittleren Unternehmen eine weitere Differenzierung nach Branchen und Segmenten als förderlich erwiesen: Durch die 326 Moret Ernst & Young/Coopers & Lybrand/Belastingdienst, Rapport Onderzoek Herstructurering Belastingdienst, S. 18; Vermeulen, De Accountant 1993, 83, 84. 327 van Tuijl, Account Dossier Nr. 5 1991, 109; Vermeulen, De Accountant 1993, 83, 84. 328 Beschluss v. 23.8.2001, nr. CPP2001/2318M. 329 de Kam/van Wuijtswinkel, MAB 1993, 238, 241.
B. Klassifizierung und Systematisierung der Steuerpflichtigen
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Bündelung von Unternehmen einzelner Branchen, die bereits aufgrund des Geschäftszweigs, in dem sie tätig sind, eine Vielzahl von Gemeinsamkeiten aufweisen, können die Mitarbeiter des Belastingdienst Spezialkenntnisse erwerben und die Arbeitsprozesse an die jeweiligen Bedürfnisse und Risiken der Gruppen anpassen und so die Steuergesetze effektiver vollziehen. Der Belastingdienst unterscheidet in Übereinstimmung mit den Industrie- und Handelskammern verschiedene Branchen, denen jeweils ein sog. Branchencode zugewiesen worden ist.330 Da jedoch nicht alle Branchen in allen Finanzämtern in ausreichendem Umfang vertreten sind, ist man dazu übergegangen, im Wege der Segmentierung Branchen mit hinreichenden Übereinstimmungen zusammenzufassen und diese Segmente auf die Teams zu verteilen. Der Begriff „segmentering“ (Segmentierung) stammt aus dem Bereich des Marketing und steht für das Aufteilen eines Marktes in unterschiedliche Zielgruppen, von denen angenommen wird, dass sie spezieller Produkte bzw. eines speziellen Marketings bedürfen.331 Auf das Arbeitsfeld des Belastingdienst übertragen kann der Begriff „Segmentierung“ auch als Oberbegriff für die Klassifizierungs- und Systematisierungsbemühungen verwendet werden: Segmentierung bedeutet, Zielgruppen zu unterscheiden, für die jeweils unterschiedliche Behandlungsmethoden für effektiv erachtet werden. Rund 100 Segmente, zu denen in der Regel mehrere Branchen zählen und die insgesamt 60–65% der Entitäten ausmachen,332 sind bislang einzelnen Finanzämtern im Wege der Doelgroepadoptie („Zielgruppenadoption“) zur besonderen Betreuung zugeordnet. Aufgabe der zuständigen Finanzämter ist es, spezielle Kenntnisse über die jeweiligen Branchen und insbesondere die spezifischen Risiken, auf die bei Kontrollen besonders zu achten ist, zusammenzutragen.333 Damit ist der Belastingdienst im Zuge der Reorganisation Forderungen von Unternehmern und Experten nachgekommen, die dem Belastingdienst mangelnde Branchenkenntnisse vorgeworfen hatten.334 330
Vgl. Belastingdienst, Handwijzer Klantbehandeling, S. 122 ff. Schut in: Controle in Beweging, S. 137, 141. 332 Belastingdienst, Handwijzer Klantbehandeling, S. 57. 333 Nota v. 28.5.1996, nr. PFC96/695m (Fraudenota), S. 15; Swildens, Ontwikkelingen in de wijze van heffing, S. 13, 18. Auf diese Weise sind inzwischen sämtliche Hauptbranchen, d.h. Branchen, denen mindestens 1.500 Unternehmer angehören, so beschrieben worden, dass alle anderen Finanzämter, in deren Zuständigkeitsbereich Steuerpflichtige derselben Branche gehören, darauf zurückgreifen können. Vgl. van Blijswijk im Interview mit Pennders, Account 9/1993, 28, 30. 334 In einer im Jahr 1990 im Auftrag des Belastingdienst durchgeführten Untersuchung über das Verhältnis zwischen niederländischen Unternehmen und dem Belastingdienst gab ein Großteil der Befragten an, sich auf Seiten des Belastingdienst mehr Kenntnisse ihrer jeweiligen Branche zu wünschen, vgl. van Nes/Muizelaar in: Seminar Controle, Beleid & Praktijk, S. 138, 147. Auch die ISMO (s. 2. Kap.) hatte sich bereits 1981 für eine strukturierte Zusammenstellung von Branchenkenntnissen 331
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3. Kap.: Arbeitsweise des Belastingdienst
Anhand der zusammengetragenen spezifischen Kenntnisse entwickeln die Ämter standardisierte Bearbeitungspläne (standardbehandeplannen, segmentbehandelplannen) für die jeweilige Gruppe von Steuerpflichtigen und stellen diese allen übrigen Ämtern für die durchzuführenden Kontrollen zur Verfügung. Diese standardisierten Bearbeitungspläne enthalten jeweils für einen bestimmten Planungszeitraum nähere Angaben zur Risikobeherrschung (dazu unten) im jeweiligen Segment und sollen eine gleichmäßige Vorgehensweise der einzelnen Ämter und Abteilungen gewährleisten. Die Zusammenstellung von Branchenkenntnissen ist nach Einschätzung des Belastingdienst jedoch nicht nur Grundvoraussetzung für die effiziente Ermittlung steuerlicher Risiken, sondern ermöglicht es darüber hinaus, als ernstzunehmender, da informierter Gesprächspartner Absprachen mit Steuerpflichtigen zu treffen und durch eine weitgehend übereinstimmende Behandlung der zu einer Branche gehörenden Steuerpflichtigen Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden.335 Unabhängig davon, ob ein Finanzamt für eine bestimmte Branche im Wege der Zielgruppenadoption in besonderem Maße verantwortlich ist, werden Steuerpflichtige einer Branche innerhalb jedes Finanzamts möglichst einem bestimmten Team zugeordnet.336 Die bisherige „Zielgruppenadoption“ ist ab dem 1.1.2003 strukturell verändert worden, indem die Zuordnung zu einzelnen Finanzämtern aufgehoben und stattdessen sog. Kennisgroepen für einzelne Branchen bzw. Segmente gebildet worden sind (s. 5. Kap.). Das Konzept als solches, Brancheninformationen zusammenzutragen, ist jedoch bestehen geblieben. Segmente mit hinreichenden Übereinstimmungen sind wiederum zu 12 Zielgruppen zusammengefasst: Landwirtschaft und Fischerei, Baufirmen, Hotel- und Gaststättengewerbe, Handel, Autohändler und -werkstätten, Speditionsfirmen, Sachdienstleitungen, medizinische Dienstleistungen, persönliche Dienstleistungen, Industrie, Finanzdienstleistungen, gemeinnützige Unternehmen.337 Diese Zielgruppen sind nicht mit den drei Hauptzielgruppen Particulieren, Ondernemingen und Grote Ondernemingen zu verwechseln, sondern stellen Unterzielgruppen innerhalb der Hauptzielgruppe der Ondernemingen dar. Es handelt sich insoweit um eine homophone Verwendung des Begriffs „doelgroep“ (Zielgruppe) durch den Belastingdienst. Für diese Zielgruppen werden wiederum Zielgruppenbeschreibungen zusammengeund einen entsprechenden Informationsaustausch zwischen Behörden ausgesprochen, vgl. Sleurink, ISMO-Rapport, S. 137. 335 Belastingdienst, Handwijzer Klantbehandeling, S. 56. 336 van Kruchten/Peereboom, De fiscale monitor, S. 139; insoweit werden die früheren Spezialkenntnisse auf dem Gebiet einzelner Steuerarten in den separaten Finanzämtern abgelöst durch die Spezialkenntnisse über bestimmte Gruppen von Steuerpflichtigen, vgl. van Lunteren, Fiskaal 4/1988, 119, 127. 337 Belastingdienst, Handwijzer Klantbehandeling, S. 56.
B. Klassifizierung und Systematisierung der Steuerpflichtigen
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stellt, in denen wichtige Informationen, typische Risiken etc. für jede einzelne Zielgruppe enthalten sind und die allen Finanzämtern zur Verfügung gestellt werden. Den Steuerpflichtigen gegenüber werden weder diese Zielgruppenbeschreibungen noch die oben erläuterten standardisierten Bearbeitungspläne veröffentlicht.338 Durch die Schachtelung von Segmenten und Zielgruppen wird sichergestellt, dass die nicht in den 100 wichtigsten, „adoptierten“ Segmenten enthaltenen Branchen und Entitäten zumindest in den Zielgruppenbeschreibungen mit ihren spezifischen Risiken erfasst werden:
Zielgruppen Segmente Branchen Entitäten Steuerpflichtige (Particulieren und Ondernemingen)
Diese Systematisierung gilt neben den Ondernemingen nur für diejenigen Particulieren, die in engem wirtschaftlichen oder familiären Zusammenhang mit einem Unternehmen stehen und dementsprechend in den Zuständigkeitsbereich eines Finanzamts für Ondernemingen fallen. Bei den Finanzämtern für Particulieren hingegen gibt es keine weitere Systematisierung.
II. Kennzeichnung mithilfe der sog. SoFi-Nummer Wichtiger noch als die Klassifizierung und Bündelung der Steuerpflichtigen in Zielgruppen ist für das Funktionieren der Finanzverwaltung eine adäquate Registrierung und Identifikation der Steuerpflichtigen. Neben der Registrierung persönlicher Daten wie z. B. Name, Adresse und Geburtsdatum nimmt der Belastingdienst, ebenso wie zahlreiche andere niederländi338
van Blijswijk im Interview mit Pennders, Account 9/1993, 28, 30.
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3. Kap.: Arbeitsweise des Belastingdienst
sche Behörden und Institutionen, die sog. SoFi-Nummer (sociaal-fiscaal nummer), einen 8–9stelligen Code, in seine Datenverwaltung auf. Der Belastingdienst ist jedoch nicht nur Nutzer der SoFi-Nummern, sondern ist darüber hinaus landesweit für deren Zuteilung verantwortlich. Der Vorläufer der SoFi-Nummer, die Fiscaal nummer (Steuernummer, Fi-Nummer) wurde bereits 1985 eingeführt, um die Verarbeitung der Informationen auf den Lohnsteuerkarten automatisieren zu können, und die Arbeitgeber wurden verpflichtet, die Fi-Nummer auf den Lohnsteuerkarten und in ihre Lohnbuchhaltung einzutragen.339 Der Anwendungsbereich der zum 1.1.1989 eingeführten SoFi-Nummer geht weit darüber hinaus und ist nicht auf den steuerlichen Kontext beschränkt.340 Die SoFi-Nummer wird jedem Niederländer bei der Geburt zugewiesen und spätestens bei Erreichen des 12. Lebensjahres bekannt gemacht.341 Sie ist im örtlichen Personenregister eingetragen, von wo aus jedwede Änderung an die angeschlossenen Behörden weitergeleitet wird, und mittlerweile auf Pässen und Ausweisen vermerkt (eine zusätzliche Eintragung in Führerscheine ist geplant).342 Den Behörden ermöglicht die SoFi-Nummer einen mühelosen Datenabgleich, da die betreffenden Daten schnell und eindeutig den jeweiligen Personen zugeordnet werden können. Diese Erleichterung des Datenabgleichs ist angesichts der Fülle von Daten, die der Belastingdienst täglich erhält, von entscheidender Bedeutung für die umfassende Verarbeitung dieser Informationen (dazu ausführlich unten unter E.).
C. Klantbehandeling In der Klantbehandeling, d.h. der Art und Weise, wie die Steuerfälle durch den Belastingdienst bearbeitet werden und der Belastingdienst den Steuerpflichtigen gegenüber auftritt, finden permanenter Auftrag und strategische Zielsetzung des Belastingdienst ihren Niederschlag. Da die vorhandenen Personal- und Sachmittel nicht für eine lückenlose intensive Prüfung aller Steuerfälle ausreichen und der Belastingdienst sich deshalb explizit von der 339
de Koning, Focus op Fiscus, S. 408, 456. Deshalb wird dem Belastingdienst vorgehalten, die Bürger irregeführt zu haben, als ihnen bei Einführung der Fiskalnummer mitgeteilt wurde, die Nummer werde ausschließlich für steuerliche Zwecke verwendet, vgl. Hertoghs, MBB 2000, 11, 15. 341 Sofern sie nicht bereits zu einem früheren Zeitpunkt angefragt wird, was neuerdings im Zusammenhang mit der Pflicht zur Angabe der SoFi-Nummer gegenüber Versicherungen und Kreditinstituten u. a. bei Eröffnung eines Bankkontos offenbar verstärkt der Fall ist. Vgl. dazu den Besluit des Staatssekretärs für Finanzen v. 19.6.2002, nr. CPP2001/1875M, abrufbar unter . 342 Alink/van Kommer, The Dutch Approach, unter 8.9. 340
C. Klantbehandeling
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sog. 100%-Philosophie (s. 2. Kap. unter C.II.) verabschiedet hat, müssen notwendigerweise Gewichtungen zwischen einzelnen Steuerfällen vorgenommen werden. Ziel ist es, die Bearbeitung der Steuerfälle optimal auf das Verhalten der jeweiligen Steuerpflichtigen abzustimmen und dadurch zu einer ausgewogenen, verhältnismäßigen Rechtsanwendung für alle Zielgruppen und Steuerarten zu kommen.343 Der Belastingdienst will denjenigen Steuerpflichtigen, die ihren steuerlichen Pflichten von alleine nachkommen, nicht durch Kontrollen unnötiges Ungemach bereiten,344 sondern sich stattdessen auf die Steuerpflichtigen konzentrieren, bei denen derartige Kontrollen nötig sind, um sie zur Steuerzahlung zu bewegen. Auf diese Weise kann der Einsatz der begrenzten Kontrollkapazitäten optimiert werden.
I. Toezichtpiramide In Abhängigkeit seiner Einschätzung des jeweiligen Steuerpflichtigen entscheidet sich der Belastingdienst für ein abgestuftes Vorgehen, dessen Ausgangspunkt präventive Maßnahmen sind und bei dem repressive Kontrollmaßnahmen nur als ultima ratio fungieren. Ziel ist es, den einzelnen Steuerpflichtigen soviel „Aufmerksamkeit“ zu widmen, wie sie benötigen, d.h. die Steuerfälle „maßgeschneidert“ zu bearbeiten (aandacht op maat).345 Die Steuerpflichtigen lassen sich danach grob in folgende drei Gruppen gliedern: 1. Steuerpflichtige, die ihren steuerlichen Verpflichtungen aus eigenem Antrieb nachkommen; 2. Steuerpflichtige, die ihren steuerlichen Verpflichtungen unter dem Eindruck präventiver Maßnahmen des Belastingdienst nachkommen; 3. Steuerpflichtige, die versuchen, sich ihren steuerlichen Verpflichtungen zu entziehen. Dem einzelnen Steuerpflichtigen wird so lange Vertrauen geschenkt, bis sich Anzeichen dafür finden, dass er das in ihn gesetzte Vertrauen missbraucht.346 Zugleich müssen Steuerpflichtige, die sich offensichtlich unkooperativ verhalten und womöglich wiederholt Steuern hinterziehen, mit intensiven Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen des Belastingdienst rech343
Belastingdienst, Bedrijfsplan 2001–2005, unter 3.2. Immerhin sind die Kontrollen für die Unternehmer mit Kosten verbunden; vgl. auch van Lunteren im Interview mit Wieringa, FEM 8/1989, 22, 25. 345 Belastingdienst, Bedrijfsplan 2002–2006, S. 7. 346 Alink/van Kommer, The Dutch Case, S. 70; dies., The Dutch Approach, unter 2.4. Dies fordert auch Adriaansen-Keulers, Rechtvaardigheid bij belastingen, S. 174 f. 344
140
3. Kap.: Arbeitsweise des Belastingdienst
nen. Dieses abgestufte Vorgehen lässt sich anhand der sog. toezichtpiramide (Aufmerksamkeitspyramide) veranschaulichen:347
Steuerfahndung
Repressive Kontrolle • vollständige und teilweise Betriebsprüfungen • büromäßige Kontrollen • zwangsweise Steuerbeitreibung Präventive Kontrolle bzgl.: materieller Abweichungen • Beitreibungsrisiko • fiskaltechnischer Abweichungen (u.a. durch Vorauszahlungsbescheide) Abbau von Gelegenheiten für Fehlverhalten • Eingehen von Absprachen (fiskaltechnische, administrative, finanzielle [Stundung o.Ä.]) • Signalisierung risikoreicher Aktivitäten
Abbau von Gründen für Fehlverhalten • Unwissenheit abbauen • betriebswirtschaftliche Gründe • Wettbewerbsverzerrung vermeiden
Positive Beeinflussung des gesellschaftlichen Verhaltens • Offenheit für Fragen und Anregungen • aktive Informationspolitik • Fokus auf Rechtsgleichheit Abbau und Vermeidung von Irritationen • gute Erreichbarkeit • kurze Reaktionszeit • zureichende Kenntnis der jeweiligen Zielgruppe • Fehlervermeidung
Abbildung 7: Toezichtpiramide
Die in den unteren Ebenen der Aufmerksamkeitspyramide aufgenommenen Bearbeitungsmodule stehen in engem Zusammenhang mit der strategischen Zielsetzung, die Compliance (dazu sogleich unter II.) der Steuerpflichtigen zu stärken, haben einen pro-aktiven Charakter und richten sich grundsätzlich an eine viel größere Zahl von Steuerpflichtigen, als die Module an der Spitze der Pyramide. 347 Vgl. Belastingdienst, Handwijzer Klantbehandeling, S. 66, 128; Buschkamp, Belastingdienst, S. 26.
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Wer seinen steuerlichen Verpflichtungen aus eigenem Antrieb nachkommt, soll durch den Belastingdienst möglichst umfassend unterstützt werden, sei es durch die Bereitstellung von (auch mehrsprachigem) Informationsmaterial, das möglichst bequeme Ausfüllen der Steuererklärung online oder per Diskette, eine zügige Bearbeitung der Steuererklärung o. Ä. Steuerpflichtige der zweiten Gruppe benötigen etwas mehr Druck seitens des Belastingdienst, um sich auf ihre steuerlichen Verpflichtungen zu besinnen. Hier genügt es oft schon, dass die Mitarbeiter des Belastingdienst „Präsenz“ zeigen und z. B. Betriebsgelände in Augenschein nehmen, Fragebögen verschicken oder aber sog. landelijke acties (landesweite Aktionen, s. u.) ankündigen, d.h. bekannt geben, auf welche Abzugsposten oder rechtliche Gestaltungen bei der Überprüfung der Steuererklärungen jeweils besonderer Wert gelegt wird. Zugleich sollen auch bei dieser Gruppe durch Informationsmaterial etc. mögliche Irritationen, die zu einer konfrontativen Haltung der Steuerpflichtigen gegenüber dem Belastingdienst führen können, abgebaut werden. Bei Steuerpflichtigen der letzten Gruppe, die versuchen, sich ihren steuerlichen Pflichten zu entziehen, reichen derartige präventive Maßnahmen nicht mehr aus. Hier bemüht sich der Belastingdienst, durch gezielte Kontrollen Steuerhinterziehung aufzuspüren und diese dann auch entsprechend streng zu ahnden. Dies hat zugleich eine Signalwirkung auf die Steuerpflichtigen der ersten und zweiten Gruppe: Während diejenigen, die ihren Pflichten freiwillig nachkommen, es als „gerecht“ empfinden, wenn die Steuerhinterzieher hart bestraft werden, fühlen die etwas wankelmütigeren Angehörigen der zweiten Gruppe sich durch hartes Durchgreifen gegen Steuerhinterzieher u. U. abgeschreckt.
II. Service- und Compliance-Konzept 1. Bedeutung Mit seiner strategischen Zielsetzung verpflichtet sich der Belastingdienst dazu, die Bereitschaft der Steuerpflichtigen, ihren gesetzlichen Verpflichtungen nachzukommen, aufrechtzuerhalten und zu verstärken. Dem liegt die Auffassung zugrunde, dass es zu den Aufgaben der Finanzverwaltung gehöre, das Risiko, dass Steuerpflichtige sich ihren Verpflichtungen entziehen, so gering wie möglich zu halten.348 Zentrales Stichwort in diesem Zusammenhang ist die sog. Compliance. Der Begriff Compliance leitet sich ab vom englischen Verb „to comply (with)“, was soviel bedeutet wie „den Bedingungen entsprechen, eine 348
Alink/van Kommer, The Dutch Case, S. 61.
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Regel, ein Gesetz o. ä. einhalten, befolgen“.349 Im Zusammenhang mit dem Vollzug von Steuergesetzen zielt Compliance nicht einfach darauf ab, dass die Steuerpflichtigen ihren steuerlichen Verpflichtungen nachkommen, sondern es geht um deren Motivation: Während eine sog. Deterrence-Strategy (Abschreckungsstrategie) durch Angst vor Repression eine negative Motivation zur Befolgung rechtlicher Pflichten schafft,350 soll eine auf Compliance ausgerichtete Strategie die Steuerpflichtigen positiv motivieren, indem ihr Verhältnis zur Finanzverwaltung verbessert wird (z. B. durch Serviceangebote), ihnen der Inhalt ihrer Pflichten deutlich gemacht wird, sie das Gefühl bekommen, dass die Finanzverwaltung die Pflichten auch den anderen Bürgern gegenüber durchsetzt etc.351 Gelegentlich findet sich in diesem Zusammenhang auch die missverständliche Formulierung, die Steuerpflichtigen sollten zur „freiwilligen“ Erfüllung ihrer steuerlichen Pflichten „gezwungen“ oder „veranlasst“ werden.352 Gemeint ist damit keinesfalls Freiwilligkeit in dem Sinne, dass die Steuerpflichtigen Steuern sogar dann bezahlen würden, wenn sie nicht gesetzlich geschuldet wären, sondern lediglich, dass die Steuerpflichtigen ohne die Ausübung zusätzlicher Zwangsmaßnahmen seitens des Belastingdienst ihren Verpflichtungen nachkommen. Aufgrund der Tatsache, dass sich der Begriff auch in der nicht-englischen Fachliteratur inzwischen weitgehend eingebürgert hat, wird im Folgenden weiterhin der Begriff Compliance verwendet. Doch warum sollte sich die Finanzverwaltung dafür interessieren, ob die Steuerpflichtigen ihre gesetzlichen Pflichten aus „positiver“ oder „negativer“ Motivation heraus erfüllen? Die Antwort ergibt sich bereits aus der Natur des Verhältnisses zwischen Finanzverwaltung und Steuerpflichtigem: Die Finanzverwaltung ist bei der Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen auf dessen Mitwirkung angewiesen, denn zumindest für einen Teil der rele349 Collins Großwörterbuch Deutsch-Englisch/Englisch-Deutsch, 2. Auflage, Stuttgart u. a. 1993. 350 Vgl. Hertogh, Consequenties van controle, S. 56. 351 Belastingdienst, Tax Auditing Handbook, S. 16; de Kam/van den Berg übersetzen den Begriff „Compliance“ im niederländischen mit „burgerzin in de fiscale aspekten” (Bürgersinn in steuerlichen Angelegenheiten), Openbaar bestuur 10/1992, 21. Kamerling/Dekker, Belastingcontrole, S. 20, sprechen von fiscaal normbesef (Steuermoral). Vgl. zum Begriff „Compliance“ außerdem van Lunteren, Fiskaal 4/ 1988, 119, 126; van Tuijl, Account Dossier Nr. 5 1991, 109, 110. In Deutschland findet der Begriff der Compliance Verwendung im Bankrecht und bezeichnet dort neben einer Managementfunktion auch regelgerechtes Verhalten, vgl. Eisele in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, § 109 Rn. 1. 352 Vgl. z. B. die Überschrift eines Artikels von de Vos, Management Team v. 24.3.2000, 36.
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vanten Informationen gibt es keine andere Quelle als den Steuerpflichtigen. Wenn alle Steuerpflichtigen einen maximalen Steuerwiderstand aufbrächten, so könnte auch eine in personeller und sachlicher Hinsicht optimal ausgestattete Finanzverwaltung einen konsequenten und inhaltlich richtigen Vollzug der Steuergesetze allein durch repressive Maßnahmen nicht garantieren. Zwar sind den Steuerpflichtigen in den Niederlanden (wie in Deutschland auch) durch Gesetz Auskunfts- bzw. Mitwirkungspflichten auferlegt, aber wenn der Widerstand der Pflichtigen gegen die Befolgung der gesetzlichen Pflichten zu groß ist, kann die Finanzverwaltung die Mitwirkung tatsächlich nicht durchgängig erzwingen. In den Niederlanden hatte sich deshalb bereits Mitte der 80er Jahre mit der Abkehr von der sog. 100%-Philosophie (dazu 2. Kap. unter C.II.) die Erkenntnis durchgesetzt, dass man denjenigen Steuerpflichtigen, die grundsätzlich bereit sind, ihre steuerlichen Pflichten zu erfüllen, nicht so viele Hindernisse in den Weg legen dürfe, dass sie ihre Pflichten nicht mehr erfüllen können oder wollen.353 Das bedeutet zunächst, dass die Steuerpflichtigen über ihre steuerlichen Pflichten ausreichend informiert werden müssen, denn nur dann kann von ihnen erwartet werden, dass sie diesen Pflichten nachkommen. Weitere Hindernisse, die den Widerstand der Steuerpflichtigen gegen die Steuerzahlungspflicht möglicherweise vergrößern und die es deshalb auszuräumen gilt, können die schlechte Erreichbarkeit der Mitarbeiter des Belastingdienst, lange Bearbeitungsdauern o. Ä. sein. Daneben kann der Grad der Compliance auch durch die steuerfachliche Qualität der Arbeit des Belastingdienst beeinflusst werden,354 denn fachliche Fehler beeinträchtigen das Vertrauen der Steuerpflichtigen in die Arbeit der Verwaltung und veranlassen sie häufig zu zeit- und kostenintensiven (gerichtlichen oder außergerichtlichen) Rechtsschutzverfahren. Hinzu kommt eine Neigung von Steuerpflichtigen, Fehlverhalten der Finanzverwaltung zur moralischen Rechtfertigung eigenen Fehlverhaltens heranzuziehen. Schließlich können auch repressive Maßnahmen der Finanzverwaltung gegenüber „steuerunehrlichen“, d.h. ihre steuerlichen Pflichten verletzenden Bürgern eine positive Motivation auf die steuerehrlichen Bürger ausüben, denen damit signalisiert wird, dass die Pflichten gleichmäßig durchgesetzt werden und „der Ehrliche nicht der Dumme ist“. Insgesamt wirkt das Bild, das die Steuerpflichtigen vom Belastingdienst haben, auf das Compliance-Niveau zurück.355 Insoweit hängen Qualitätssicherung und -steigerung auf der einen und Compliance auf der andere Seite eng miteinander zusammen. Dazu gehört auch, dass interne Maßnahmen ergriffen werden, um die Integrität 353 354 355
Elders im Interview mit de Vos, Management Team v. 24.3.2000, 36, 38. de Kam/van den Berg, Openbaar bestuur 10/1992, 21, 22. van Schie/de Kam/Lamens/Haas, Belastingrecht, S. 69.
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3. Kap.: Arbeitsweise des Belastingdienst
des Belastingdienst und seiner Mitarbeiter zu sichern, denn nur eine Organisation, deren eigene Mitarbeiter sich loyal und gesetzestreu verhalten, kann nach außen überzeugend wirken und von den Steuerpflichtigen ihrerseits gesetzestreues Verhalten verlangen. Dementsprechend haben Maßnahmen gegen Korruption innerhalb des Belastingdienst einen hohen Stellenwert. Ziel einer Erhöhung bzw. Verstärkung der Compliance ist es, die Steuerpflichtigen zu einer verbesserten Einhaltung der Steuergesetze zu motivieren und damit zur Steigerung der Effektivität des Gesetzesvollzugs beizutragen. Zugleich soll dadurch eine präventive Wirkung erzielt und der Bedarf an Kontrollen durch den Belastingdienst gesenkt werden, sodass die Effizienz des Gesetzesvollzugs ebenfalls zunimmt. Während die Steuereinnahmen aufgrund der verbesserten Zahlungsmoral der Steuerpflichtigen steigen, sinken die Kosten der Finanzverwaltung – jedenfalls in der Theorie. Darüber hinaus wird das Bemühen des Belastingdienst um einen besseren Service gegenüber den Steuerpflichtigen als Ausfluss der Gegenseitigkeit des Verhältnisses zwischen Steuerpflichtigen und Finanzverwaltung und damit als Gegenstück zu den umfangreichen steuerlichen Pflichten, die den Bürgern auferlegt werden, angesehen.356 Auch wenn der Belastingdienst es sich zur Aufgabe gemacht hat, die bereits bestehende Compliance zu unterstützen und für die Verbreitung von Compliance zu sorgen, so ist das Erreichen einer absoluten Compliance bei allen Steuerpflichtigen unrealistisch. Dazu ist der Interessengegensatz zwischen den Bürgern, die über ihr Einkommen grundsätzlich frei verfügen wollen, und dem Staat, der sie zur Steuerzahlung aus diesem Einkommen verpflichtet, viel zu groß. Compliance ist deshalb weniger ein vollständig umzusetzendes Ziel, sondern die Förderung der Compliance ist eine Strategie, die richtungweisend für die Arbeitsweise des Belastingdienst ist.357 2. Maßnahmen zur Förderung der Compliance a) Kundenorientiertes Auftreten Im Zusammenhang mit der Förderung der Compliance ist immer wieder die Sprache von Klantgerichtheit, d.h. Orientierung am „Kunden“. Die Bezeichnung der Steuerpflichtigen als „Kunden“ ist mit der Reorganisation des Belastingdienst Ende der 80er Jahre eingeführt worden und seitdem nicht unumstritten geblieben. Schließlich suggeriert der Begriff des Kunden 356 357
van der Ouderaa in: Burgerschap in praktijken, S. 43, 80. van Tuijl, Account Dossier Nr. 5 1991, 109, 110.
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eine Freiwilligkeit, die dem Verhältnis zwischen Finanzverwaltung und Steuerpflichtigem fremd ist.358 Die Steuerpflichtigen können weder wählen, ob sie überhaupt der Steuerpflicht unterliegen, noch können sie – mit Ausnahme mobiler, international operierender Unternehmen – wählen, wo sie ihre Steuern zahlen wollen, d.h. Kunden welcher Finanzverwaltung sie sein wollen.359 Die Bezeichnung „Kunde“ ist jedoch in erster Linie für den internen Gebrauch eingeführt worden, und dort hat sie durchaus ihre Berechtigung:360 Innerhalb des Belastingdienst dient sie dazu, die Einstellung der Mitarbeiter des Belastingdienst gegenüber den Steuerpflichtigen zu verbessern, die Wechselseitigkeit der Beziehung zwischen Steuerpflichtigen und Finanzbeamten hervorzuheben und dadurch erst die Voraussetzung für den Ausbau und die Verbesserung des Serviceangebots zu schaffen. Dementsprechend große Bedeutung kommt dem Training sozialer Kompetenzen in der Ausbildung der Mitarbeiter des Belastingdienst zu.361 Aufgrund der aufgezeigten Schwierigkeiten, die die Verwendung des Begriffs „Kunde“ für Steuerpflichtige mit sich bringt, sollte man jedoch besser von „Zielgruppenorientierung“ statt von „Kundenorientierung“ sprechen. Die Finanzbeamten sollen ihr Handeln auf die Steuerpflichtigen bzw. Gruppen von Steuerpflichtigen ausrichten. Dabei ist Kundenorientierung bzw. Zielgruppenorientierung nicht mit „Kundenfreundlichkeit“ gleichzusetzen.362 Auch geht es nicht ausschließlich darum, dass der Belastingdienst sorgfältig und zügig arbeitet und seine Entscheidungen begründet, denn dabei handelt es sich um geschriebene bzw. ungeschriebene Rechtsprinzipien staatlichen Handelns, an die der Belastingdienst ohnehin gebunden ist. Und dass der Belastingdienst sich beim Vollzug der Gesetze seinerseits an die Gesetze hält, verdient wohl keine besondere Hervorhebung. Zielgruppenorientierung bedeutet vielmehr, dass sich der Belastingdienst möglichst weitgehend auf sein Gegenüber einstellt und die Arbeitsweise flexibel an die Besonderheiten einzelner Gruppen von Steuerpflichtigen anpasst.363 Die Botschaft, die der Belastingdienst im Zusammenhang mit dem Begriff „Klantgerichtheid“ transportieren will, lautet, dass ehrliche Steuerpflichtige schnell und zuvorkommend behandelt werden, Steuerhinterzieher aber mit 358 Vermeulen, De Accountant 1993, 83, 84; de Zwart, Informatie Management 8–9/1994, 9, 10. 359 van Osch/van Rijswijk, Elsevier v. 11.3.2000, 74, 80; van Tuijl, Account Dossier Nr. 5 1991, 109, 110; Zwenne, Informatieverplichtingen, S. 21. 360 van Tuijl, Account Dossier Nr. 5 1991, 109, 110; Vermeulen, De Accountant 1993, 83, 84; Zwenne, Informatieverplichtingen, S. 22. 361 van Osch/van Rijswijk, Elsevier v. 11.3.2000, 74, 78. 362 Happé, WFR 1993, 551, 557; Koster/Muizelaar, Openbaar bestuur 1/1992, 11, 12; van Lunteren, Fiskaal 4/1988, 119, 126. 363 van Lunteren, Fiskaal 4/1988, 119, 126.
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3. Kap.: Arbeitsweise des Belastingdienst
einer konsequenten und strengen Ahndung ihres Verhaltens rechnen müssen.364 Insoweit besteht ein enger Zusammenhang mit der oben skizzierten Aufmerksamkeitspyramide. Selbstverständlich lassen sich die Steuerpflichtigen nicht ohne weiteres in „gute“ und „schlechte“ Steuerzahler einteilen. Vielmehr geht es bei der Zielgruppenorientierung darum, das Bestehen einer Wechselbeziehung zwischen den Rechten und Pflichten der Steuerpflichtigen einerseits und der Finanzverwaltung andererseits anzuerkennen. Der mit dem Begriff Kundenorientierung verbundenen Haltung der Finanzverwaltung wird nachgesagt, sie habe in der Praxis tatsächlich zu einem mehr auf Gegenseitigkeit ausgerichteten Verhältnis zwischen den Steuerpflichtigen und dem Belastingdienst beigetragen.365 So weist Warmerdam darauf hin, dass vor der Umstrukturierung unter Unternehmern noch eine Einstellung vorgeherrscht habe, die sich mit dem Satz umschreiben lasse: „Wir zeigen’s ihnen, denn sie zeigen’s uns.“ Dies habe sich inzwischen insbesondere deshalb verbessert, weil man in Form eines kleinen Poldermodells viel mehr Absprachen treffen könne.366 Der Gegenseitigkeit des Verhältnisses gegenüber den Steuerpflichtigen hat der Belastingdienst Anfang der 1990er Jahre durch die Veröffentlichung eines sog. Belastingstatuut Rechnung getragen, das die der Finanzverwaltung gegenüber bestehenden Rechte der Steuerpflichtigen dokumentieren sollte.367 Dieses Belastingstatuut, das zu keinem Zeitpunkt den Rang einer gesetzlichen Regelung genossen hat,368 ist 1994 durch eine Broschüre des Belastingdienst ersetzt worden.369 b) Service- und Informationsangebote für die Steuerpflichtigen Zur Förderung der Compliance hat der Belastingdienst das Service- und Informationsangebot für die Steuerpflichtigen seit der Umstrukturierung besonders intensiv ausgebaut. Dazu ist zunächst die Erreichbarkeit für die Steuerpflichtigen erheblich verbessert worden, und zwar unter Nutzung verschiedener Kommunikationskanäle, um den Steuerpflichtigen möglichst maßgeschneiderte Informationen zukommen lassen zu können.370 364
Vermeulen, De Accountant 1993, 83. van der Ouderaa, B&M 1993, 57, 59. 366 Warmerdam im Interview mit de Vos, Management Team v. 24.3.2000, 36, 38. Zum Begriff des Poldermodells vgl. oben 1. Kap. unter A. 367 Besluit v. 12.11.1992, WFR 1992, 138; dazu Geppaart, De betekenis van de Awb, S. 16. 368 Geppaart, De betekenis van de Awb, S. 16; Röben, WFR 1991, 133, 134 f. 369 Belastingdienst, „Welke rechten heeft u bij de Belastingdienst?”, abrufbar unter ; Niessen-Cobben, Wegwijs in de AWR, S. 32. 365
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aa) „Ein-Schalter-Prinzip“ Neben dem telephonischen oder persönlichen Kontakt zum zuständigen Sachbearbeiter gibt es jeweils eine kostenlose Hotline „BelastingTelefoon“ (BelTel, Steuerhotline) für Particulieren und Unternehmen, an die man sich mit Fragen auch außerhalb der Öffnungszeiten der Finanzämter wenden kann.371 Der Publikumsverkehr innerhalb der Ämter ist größtenteils zu besonderen Servicedesks umgeleitet worden, an denen speziell geschulte Mitarbeiter die Fragen der Steuerpflichtigen beantworten. Hintergrund ist das Streben nach einem einzigen Schalter (éénloket-gedachte), an dem der Steuerpflichtige – ohne Rücksicht auf interne Kompetenzverteilungen und Organisationsstrukturen nehmen zu müssen – sämtliche steuerlichen Angelegenheiten und möglichst darüber hinaus weitere behördliche Angelegenheiten regeln kann.372 Dabei ist die Bezeichnung Einheitsschalter weit zu verstehen, d.h. der Schalter muss nicht real-existent sein, sondern es kann sich auch um ein Online-Portal handeln.373 bb) Digitaler Belastingdienst Mit der fortschreitenden Entwicklung neuer Kommunikationsmittel hat der Belastingdienst sein Informations- und Serviceangebot unter dem Titel „Digitale Belastingdienst“ entsprechend angepasst und stellt seit 1995 im Internet auf seiner Homepage Informationen zur Verfügung.374 Die Abgabe 370 Veele, Fiskaal 1992, 315, 318; Vermeend, Belastingen in een wereld zonder afstand, S. 45. 371 An diese Hotline wandten sich die Steuerpflichtigen 1999 rund zwei Millionen mal mit ihren Fragen. In 67% der Fälle konnten ihnen die Servicemitarbeiter weiterhelfen; vgl. van Osch/van Rijswijk, Elsevier v. 11.3.2000, 70, 76; im Jahr 2000 führten stichprobenartige Kontrollanrufe zu dem Ergebnis, dass in 82% der Fälle die erteilten Auskünfte in fachlicher Hinsicht korrekt waren, vgl. Belastingdienst, Beheersverslag 2000, S. 11. Im Zusammenhang mit der Einkommensteuerreform 2001 stieg die Zahl der Anrufe im Jahr 2002 allein bei den Particulieren auf 3 Mio., vgl. Belastingdienst, Beheersverslag 2002, S. 13. Die über das Belastingtelefoon erteilten Auskünfte sind für den Belastingdienst grundsätzlich nicht bindend, vgl. Weenink/Graaf, Algemene beginselen, S. 36 f. 372 Dies war bereits 1985 von der ISMO in ihrem Abschlussbericht angeregt worden. Die Komission sprach sich für die Bestimmung von Kontaktpersonen aus, die als Anlaufstelle für Unternehmen dienen und zwischen diesen und den einzelnen Behörden vermitteln sollten. Vgl. ISMO, Hoofdlijnen van het ISMO-Rapport, S. 16. 373 Belastingdienst, Nota Digitale Belastingdienst 1997–2001, S. 12 f. Erste Versuche mit einem derartigen Online-Portal laufen bereits, z. B. in den Haag, wo der Belastingdienst sich mit der Kommunalverwaltung zusammengeschlossen hat, vgl. Bakker, Computable v. 23.2.2001. 374 de Vos, Management Team v. 24.3.2000, 36, 38. Die Homepage ist unter abrufbar und zählte im Jahr 2002 6,7 Mio. Besu-
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3. Kap.: Arbeitsweise des Belastingdienst
elektronischer Steuererklärungen ist zunächst 1993 für die Arbeitgeber im Hinblick auf die abzuführende Lohnsteuer (Lohnsteueranmeldung) ermöglicht worden.375 Seit 1996 stellt der Belastingdienst allen Einkommensteuerpflichtigen ein kostenloses Programm auf einer Diskette zur Verfügung, mit dessen Hilfe sie ihre Steuererklärung am heimischen PC erstellen und anschließend die ausgefüllte Steuererklärung ausdrucken, die Diskette per Post an den Belastingdienst schicken oder aber den Inhalt per Modem (gemeint ist eine direkte Datenfernübertragungsverbindung vom Steuerpflichtigen zum Finanzamt) übermitteln können.376 Die papierne und die elektronische Steuererklärung sind rechtlich gleichgestellt, vgl. art. 20 nr. 1 Uitv.reg. AWR. Sowohl bei Particulieren als auch bei großen Unternehmen ist die Möglichkeit, die Steuererklärung per Diskette abzugeben, auf großes Interesse gestoßen, zumal die Programmführung gegenüber dem handschriftlichen Ausfüllen der Formulare eine deutliche Vereinfachung bedeutet, die Programme umfangreiche Erläuterungen umfassen und die einfachere und schnellere Bearbeitung insbesondere denjenigen Steuerpflichtigen zugute kommt, die eine Steuerrückzahlung erhalten.377 Lediglich bei den kleineren und mittleren Unternehmen stieß man zunächst auf Widerstand. Genauer gesagt waren es nicht die Unternehmen selbst, sondern deren Steuerberater, die sich davor scheuten, die Steuererklärung, die sie für ihre Mandanten vorbereiteten, mit ihrer (elektronischen) Unterschrift zu versehen, weil sie befürchteten, für unzutreffende Erklärungen durch den Belastingdienst haftbar gemacht zu werden.378 Nachdem der Belastingdienst mehrfach klargestellt hatte, dass das für die Erstellung und Übermittlung der Steuererklärung gewählte Medium keine Auswirkung auf die Haftung der Steuerberater für die Erklärungen ihrer Mandanten habe,379 ließen sich die Bedenken der Beraterschaft allmählich zerstreuen. Seit 1998 können Steuererklärungen u. a. für die Lohn-, Einkommen-, Körperschaft- und Umsatzsteuer auch online (gemeint ist eine Datenferncher, vgl. Belastingdienst, Beheersverslag 2002, S. 16. Ausführlich zum „Digitale Belastingdienst“ Vermeend, Belastingen in een wereld zonder afstand, S. 44 ff. 375 Maes, WFR 1994, 843. 376 de Vos, Management Team v. 24.3.2000, 36, 38; van Kruchten/Peereboom, De fiscale monitor, S. 137, 139 f.; Thunissen im Interview mit Bergman, Exposé 4/ 1997, 22. 377 Riemersma, Computable v. 28.8.1998, abrufbar unter . Steuerpflichtige, die ihre Steuererklärung per Diskette ausfüllen und beim Belastingdienst bis zum 1.4. des jeweiligen Jahres einreichen, erhalten spätestens bis zum 1.7. des selben Jahres schriftlich Auskunft über den noch zu zahlenden bzw. zu empfangenden Betrag. 378 Thunissen im Interview mit Bergman, Exposé 4/1997, 22. 379 Vgl. Beschluss des Staatssekretärs v. 20.2.1998, nr. AFZ97/4190M, abrufbar unter .
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übertragung über das Internet) ausgefüllt werden (EDItax). EDItax war zunächst insbesondere für Steuerberater gedacht. Seit dem Veranlagungsjahr 2000 machen aber auch Steuerpflichtige ohne Berater von der Möglichkeit Gebrauch, ihre Steuererklärung online an den Belastingdienst zu übermitteln. Inzwischen ist auch das Problem der elektronischen Signatur gelöst: Elektronische Steuererklärungen können mit einem fünfstelligen Code versehen werden,380 den die Steuerpflichtigen beim Belastingdienst beantragen und den sie auch für künftige Steuererklärungen verwenden können. Die digitalisierten Daten der Steuerpflichtigen werden sowohl beim Abspeichern auf den entsprechenden Disketten als auch bei der Versendung der Steuerklärung über das Internet verschlüsselt, um die Datensicherheit zu gewährleisten. Die Steuerbescheide werden hingegen noch auf traditionellem Wege, d.h. schriftlich per Post an die betreffenden Steuerpflichtigen versandt. Die steigende Tendenz bei den elektronischen Steuererklärungen verdeutlicht die folgende Tabelle:381 Tabelle 2: Anzahl der elektronischen Einkommensteuererklärungen ( 1.000) 1997
1998
1999
2000
2001
2002
Gesamtzahl der elektronischen ESt-Erklärungen
763
1.042
1.325
1.600
1.870
3.900
– davon per Diskette
541
623
737
416
823
2.300
– davon per Datenfernübertragung
222
419
588
1.184
1.047
1.600
Anteil der elektronischen an den gesamten ESt-Erklärungen
11%
14,5%
18%
20%
23,6%
46,5%
Während 1997 beim Belastingdienst rund 760.000 elektronische Einkommensteuererklärungen (für das Jahr 1996) eingingen, waren es im Jahr 2001 bereits über 1,8 Mio. Hatten in den vergangenen Jahren bereits diejenigen Steuerpflichtigen, die schon einmal eine elektronische Steuererklärung ab380
Beschluß des Staatssekretärs v. 20.2.1998, nr. AFZ97/4190M, abrufbar unter . 381 Vgl. Belastingdienst, Beheersverslag 2001, Productieverslag S. 1; Beheersverslag 2002, S. 42.
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3. Kap.: Arbeitsweise des Belastingdienst
gegeben hatten, im Folgejahr unmittelbar die Diskette anstelle des üblichen papierenen Vordrucks zugeschickt bekommen, so haben für das Steuerjahr 2001 erstmals auch all diejenigen Steuerpflichtigen, die an dem elektronischen Verfahren bislang noch nicht teilgenommen hatten, die Diskette (zusammen mit dem papiernen Vordruck) ins Haus bekommen, um die Verbreitung der digitalen Steuererklärung auszubauen.382 Insgesamt hat der Belastingdienst mehr als 6 Mio. Disketten für die Erstellung einer digitalen Einkommensteuererklärung verschickt. Berücksichtigt man, dass für den Veranlagungszeitraum 2001 der Anteil der elektronischen Steuererklärungen an den insgesamt eingegangenen Einkommensteuererklärungen 46,5% betrug, so hat sich dieser Aufwand für den Belastingdienst ganz offensichtlich gelohnt. Kritiker werfen dem Belastingdienst jedoch vor, dass die Formulare für die Einkommensteuererklärung durch die Steuerreform 2001 so kompliziert geworden seien, dass ein Ausfüllen von Hand nahezu ausgeschlossen sei und die Steuerpflichtigen auf diese Weise zur Nutzung der Diskette geradezu gezwungen seien.383 Personen, die nicht über einen eigenen PC verfügen, können ihre elektronische Steuererklärung mit der Diskette an entsprechenden PCs in den Kundencentern der Finanzämter ausfüllen. Die Ausweitung elektronischer Steuererklärungen liegt nicht nur im Interesse der Steuerpflichtigen, denen das Ausfüllen der Formulare durch die entsprechende Software und Menüführung erleichtert wird, sondern dient insbesondere den Interessen des Belastingdienst, weil dadurch zeitaufwendige und fehleranfällige Datenerfassungstätigkeiten überflüssig werden. Gerade die Vermeidung von Fehlern bei der Datenverarbeitung ist für den Belastingdienst wichtig, denn der Gerichtshof in Amsterdam hat kürzlich entschieden, dass im Falle einer derartigen fehlerhaften Übertragung eine zu niedrige Steuerfestsetzung nicht auf einem (korrigierbaren) Schreib- oder Tippfehler beruht, sondern dass es sich um ein ambtelijk verzuim (ein vorwerfbares Versäumnis der Verwaltung) handelt, sodass eine Korrektur des Steuerbescheides ausgeschlossen ist.384 Für die kommenden Jahre strebt der Belastingdienst eine jährliche Verdoppelung der Informationsinhalte im Internet an – nicht zuletzt um den Bedarf an (kostenintensiven) persönlichen Beratungen zu senken.385 Auch 382 Pressebericht des Finanzministeriums v. 7.1.2002, nr. 2002.005, abrufbar unter . 383 Vgl. Anfrage des Abgeordneten Dijsselbloem an den Finanzminister v. 21. 1. 2002 mit dessen Antworten, Pressebericht PERS-2002–017. 384 Hof Amsterdam v. 22.5.2002 nr. 01.346 unter 5. 385 Elbers im Interview mit de Vos, Management Team v. 24.3.2000, 36, 38 f.; Belastingdienst, Bedrijfsplan 2001–2005, unter 3.1.
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für die Steuerpflichtigen bietet die Ausweitung des Informationsangebots im Internet Vorteile, da diese Informationen rund um die Uhr abrufbar sind. Das seit Dezember 1999 in einigen Teilen des Landes probeweise eingerichtete Angebot, mit den Mitarbeitern des Belastingdienst per Email in Kontakt zu treten, hat im Übrigen den positiven Nebeneffekt, dass die Distanz zwischen dem Belastingdienst und den Steuerpflichtigen auch in sprachlicher Hinsicht schwindet, da die Emails durchweg informeller formuliert sind als Briefe.386 Allerdings gelten bislang Einschränkungen hinsichtlich der Rechtsform: Rechtshandlungen, die der Schriftform bedürfen, wie z. B. die Einlegung eines Einspruchs (art. 23 AWR lid 1), können noch nicht per Email vorgenommen werden.387
cc) Sonstige Maßnahmen Zur Verbesserung des Service- und Informationsangebots sind darüber hinaus die schriftlichen Informationsmöglichkeiten erweitert worden und der Belastingdienst stellt eine Vielzahl von Broschüren zu materiellrechtlichen und steuerverfahrensrechtlichen Fragen zur Verfügung, die von Testpersonen auf ihre Verständlichkeit für den steuerlichen Laien hin überprüft werden.388 Die Sachbearbeiter werden darin geschult, Korrespondenz mit den Steuerpflichtigen in verständlicher Sprache zu verfassen. Außerdem sind Formulare in den vergangenen 10 Jahren vereinheitlicht und vereinfacht worden. Im Rahmen der jährlichen „Hulp-bij-aangifte-Campagne“ (Kampagne zum Thema „Hilfe bei der Steuererklärung“) bietet der Belastingdienst Steuerpflichtigen, die sich dazu alleine nicht in der Lage sehen, Hilfestellung bei der Ausfüllung ihrer Steuererklärungen an. Darüber hinaus startet der Belastingdienst immer wieder Großkampagnen mit Hilfe der unterschiedlichsten Medien (Fernsehen, Radio, Zeitungen, Broschüren, Internet), um z. B. auf Gesetzesänderungen, die Frist zur Abgabe der Einkommensteuererklärung oder auch auf bestimmte Situationen bzw. Ereignisse im Leben der Steuerpflichtigen hinzuweisen, die in besonderem Maße steuerlich bedeutsam sind, wie z. B. der Erwerb eines Eigenheims, die Eheschließung etc. Broschüren und Formulare können über die Belastingdienst Bestellijn in einem automatisierten Verfahren rund um die Uhr telefonisch bestellt werden.389 386 Thunissen im Interview mit Bergman, Exposé 4/1997, 22, 23. Eine landesweite Einführung der Kommunikation per Email ist allerdings aus Kostengründen vorerst nicht geplant, vgl. Belastingdienst, Beheersverslag 2002, S. 15. 387 Belastingdienst, Belastingwerk 4/2001, 12. 388 van Kruchten/Peereboom, De Fiscale Monitor, S. 137, 140 f. 389 Belastingdienst, Beheersverslag 2002, S. 16.
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3. Kap.: Arbeitsweise des Belastingdienst
Eine besondere Herausforderung für den Service des Belastingdienst stellte die Steuerreform 2001 dar. Die umfassenden Änderungen des Einkommensteuerrechts machten eine Informationskampagne bislang ungekannten Ausmaßes erforderlich. So wurden z. B. sämtliche Haushalte durch eine spezielle Zeitung (Belastingkrant) auf die anstehenden Änderungen aufmerksam gemacht und es wurden Broschüren erstellt, die außer in Niederländisch auch in Marokkanisch, Türkisch, Englisch und Deutsch erschienen.390 In den Tageszeitungen machte der Belastingdienst mit ganzseitigen Anzeigen auf die anstehenden Änderungen aufmerksam und im Fernsehen liefen Werbespots und eine Reihe von Quizsendungen rund um das neue Einkommensteuerrecht.391Auch die Kapazitäten des BelastingTelefoon wurden vorübergehend entsprechend aufgestockt, um den gesteigerten Informationsbedarf der Steuerpflichtigen abzudecken. Im Internet wurden Programme zur Verfügung gestellt, mit deren Hilfe die Steuerpflichtigen die Auswirkungen der Steuerreform auf ihre individuelle Situation berechnen können. Trotz des vielfältigen Informationsangebots achtet der Belastingdienst auf eine deutliche Abgrenzung von der Berufsgruppe der Steuerberater392 und stellt zwar Informationen über steuerliche Konsequenzen bestimmten Handelns zur Verfügung, rät den Steuerpflichtigen im Gegensatz zu einem Steuerberater aber keinesfalls, was sie mit dieser Information tun sollen. c) Imagepflege Die niederländische Finanzverwaltung investiert neben dem Informationsangebot auch in erheblichem Umfang in Werbung – einerseits, um kompetente und motivierte Mitarbeiter zu gewinnen, andererseits aber auch, um das Bild vom Belastingdienst in der Bevölkerung positiv zu beeinflussen und so für ein besseres Klima zwischen Finanzverwaltung und Steuerpflichtigen und damit für eine Stärkung der Compliance zu sorgen. Vor der Umstrukturierung wurde der Belastingdienst nach Einschätzung von Elbers, Leiter der Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit des Belastingdienst, mit einer „Person in den Vierzigern, im grauen Anzug, mit kleinem Haus, Hund und Garten und einem Opel Kadett“ assoziiert.393 Inzwischen ist es dem Belas390
Belastingdienst, Beheersverslag 2000, S. 11. Vgl. NRC Webpage v. 7.12.2001, abrufbar unter ; Pressemitteilung des Finanzministeriums v. 7.1.2002 nr. 2002.005, abrufbar unter . 392 Vermeend, Belastingen in een wereld zonder afstand, S. 45; Belastingdienst, Bedrijfsplan 2001–2005, Sectorplan klantbehandeling unter 2.3. 393 Zitiert nach de Vos, Management Team v. 24.3.2000, 36, 37 f. 391
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tingdienst gelungen, sein Image insbesondere durch den Werbeslogan „Leuker kunnen we’t niet maken. Wel makkelijker.” („Angenehmer können wir es nicht machen, aber einfacher.“) aufzubessern.394 Mit dem Versprechen, es „einfacher“ machen zu wollen, hat sich der Belastingdienst zugleich selbst verpflichtet, und viele Steuerpflichtige nehmen den Belastingdienst entsprechend beim Wort.395 Seit 1999 wirbt der Belastingdienst neue Mitarbeiter mit dem Spruch: „Werk waar je trots op bent” („Arbeit, auf die man stolz sein kann“).396 Darüber hinaus unterstreicht der Belastingdienst, dass er nicht ausschließlich fiskalisch denkt und handelt, indem er z. B. in Fernsehspots Jugendliche mit einem Nebenjob darauf hinweist, dass sie u. U. eine Steuerrückzahlung beantragen können. Zur Imagepflege gehört auch, dass der Belastingdienst seinen Mitarbeitern immer wieder ins Gedächtnis ruft, dass sie als „Botschafter des öffentlichen Interesses“ und als Repräsentanten des Belastingdienst wahrgenommen werden und deshalb durch ihr eigenes Verhalten die Außendarstellung des Belastingdienst ganz erheblich prägen.397 Der Belastingdienst will nicht als „autoritär“ i. S. v. eigenmächtig, machtbewusst, sondern als „Autorität“ i. S. von Kompetenz ausstrahlend, verantwortungsvoll mit Macht umgehend wahrgenommen werden.398 Der Belastingdienst verfügt über ein eigenes Logo (den Schriftzug Belastingdienst) und sein Auftreten im Internet, in Printmedien oder im Fernsehen ist hinsichtlich des Designs einheitlich, wobei die Farbe Blau, die die Bürger in den Niederlanden schon seit Jahrzehnten mit der Finanzverwaltung assoziieren, weil die gesamte Post an die Steuerpflichtigen in blauen Umschlägen verschickt wird, eine wichtige Rolle spielt. Der Belastingdienst hat damit etwas aufgebaut, was im Wirtschaftsleben als „corporate identity“ bezeichnet wird und einerseits nach außen hin den Kunden die Identifikation eines Unternehmens erleichtert und andererseits intern die Identifikation der Mitarbeiter mit dem Unternehmen, in dem sie beschäftigt sind, fördert. Die Bemühungen des Belastingdienst um eine Imageverbesserung sowie eine Ausweitung des Service gegenüber den 394 de Vos, Management Team v. 24.3.2000, 36, 38. Diese (zwischenzeitlich eingestellte) Werbekampagne wird allgemein als Erfolg betrachtet. Die Wirkung dieses Slogans erwies sich als so überzeugend, dass der Belastingdienst wieder darauf zurückgekommen ist und ihn auch künftig verwenden will. Vgl. NRC Webpage v. 7.12.2001, abrufbar unter . 395 So beginnen Beschwerden an den Belastingdienst immer wieder mit der Formulierung: „Sie versprechen zwar, es einfacher zu machen, aber [. . .]“, vgl. de Vos, Management Team v. 24.3.2000, 36, 38. 396 van Osch/van Rijswijk, Elsevier v. 11.3.2000, 70, 78. 397 Belastingdienst, Bedrijfsplan 2001–2005, unter 2.3. 398 Vgl. Geertman in: Seminar Controle, Beleid & Praktijk, S. 47, 52.
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3. Kap.: Arbeitsweise des Belastingdienst
Steuerpflichtigen werden insbesondere von Unternehmern überwiegend positiv aufgenommen.399 d) Zeitnahe Bearbeitung der Steuerfälle Zur Verstärkung der Compliance bemüht sich der Belastingdienst, Sachverhalte so zeitnah wie möglich zu erfassen („werken in de actualiteit“, zeitnahes Arbeiten) und insbesondere die Steuererklärungen möglichst zügig zu bearbeiten. Dazu wurden intern maximale Bearbeitungsdauern festgelegt, und zwar nicht nur für die Veranlagung als solche, sondern für eine Vielzahl von Einzelvorgängen des Besteuerungsverfahrens. So sollen z. B. Rechtsfragen, mit denen sich Steuerpflichtige an den Belastingdienst wenden, zu 80% innerhalb eines Monats beantwortet werden.400 Die Erreichbarkeit dieser Zielsetzungen wird durch die zunehmende Verbreitung elektronischer Steuererklärungen erheblich gefördert. Darüber hinaus bedeutet zeitnahes Arbeiten, dass der Belastingdienst steuerlich relevante Umstände möglichst schon zur Kenntnis nehmen möchte, bevor überhaupt eine Steuererklärung abgegeben wird, sodass die Beurteilung und Analyse einer Steuererklärung eines Steuerpflichtigen eher als Abschluss denn als Startpunkt der Bearbeitung des Steuerfalles angesehen wird.401 Der Belastingdienst bemüht sich deshalb um eine sog. pro-aktive Arbeitsweise, bei der Steuerpflichtige durch den Belastingdienst kontaktiert werden, bevor sich steuerlich relevante Sachverhalte ereignen bzw. bevor Fristen ablaufen. Durch die zeitnahe Arbeitsweise will der Belastingdienst einerseits davon profitieren, dass die Bereitschaft der Steuerpflichtigen, die steuerlichen Konsequenzen eines Ereignisses zu akzeptieren, zum Zeitpunkt des Ereignisses in der Regel am größten ist und mit fortschreitendem Zeitablauf nachlässt; andererseits hofft er, die Einstellung des Steuerpflichtigen gegenüber der Finanzverwaltung durch schnelle Bearbeitung von Steuerrückzahlungs- und -erstattungsanträgen positiv zu beeinflussen.402 Für die Finanzverwaltung bietet die schnelle Bearbeitung der Steuerfälle außerdem den Vorteil, dass sich nicht so häufig neue Sachbearbeiter in Fälle einarbeiten müssen und dass die erforderlichen Informationen in der Regel einfacher zu beschaffen sind. Insbesondere bei der Veranlagung von großen Unternehmen mit schwer zu überblickenden Strukturen werden die zuständigen Mit399
Kamerling/Verhoog, BM 10/1996, 26. Vgl. Ausführungen des Staatssekretärs für Finanzen, Persbericht nr. 2002.181 v. 19.7.2002, abrufbar unter . 401 Belastingdienst, Bedrijfsplan 2001–2005, Sectorplan klantbehandeling, unter 2.3. 402 de Vos, Management Team v. 24.3.2000, 36, 38. 400
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arbeiter an einer präventiven Begleitung und Überwachung der Aktivitäten des betreffenden Unternehmens gehindert, wenn sie ständig mit alten, längst abgeschlossenen Vorgängen in Steuererklärungen vergangener Jahre beschäftigt sind. Auch auf die Organisation der Arbeit wirkt sich die zeitnahe Arbeitsweise positiv aus. Ziel ist es, Eingang und Bearbeitung von Vorgängen so weit wie möglich zu synchronisieren.403 So versucht der Belastingdienst z. B. bereits bei der Entscheidung über Anträge auf Verlängerung der Frist für die Abgabe der Steuererklärung, die Steuerberater für ihre Mandanten stellen, der voraussichtlichen Arbeitsbelastung Rechnung zu tragen und die Verlängerung so zu bemessen, dass die Erklärung nach Eingang beim Belastingdienst innerhalb kürzester Zeit bearbeitet werden kann.404 Auch die Steuerpflichtigen profitieren von einer schnellen, zeitnahen (abschließenden) Reaktion der Finanzverwaltung, weil sie auf diese Weise frühzeitig Gewissheit über Art und Umfang ihrer steuerlichen Pflichten erhalten und z. B. mit einer schnellen Rückzahlung etwaiger Steuerüberzahlungen rechnen können.405 Das schnelle Eintreten von Rechtssicherheit ist insbesondere für Unternehmen von großer Bedeutung, denn langes Warten auf Entscheidungen der Finanzverwaltung kostet den Unternehmer u. U. Geld, verteuert seine Produkte und stellt deshalb einen Wettbewerbsnachteil dar. Für international operierende Unternehmen kann die Aussicht, frühzeitig Klarheit über steuerliche Pflichten zu erhalten, mitbestimmend für die Standortwahl sein. Der Belastingdienst versucht diesem Umstand einerseits mit der insgesamt beschleunigten Bearbeitung von Steuererklärungen und andererseits durch die Bereitschaft, im Vorfeld verbindliche Absprachen über die steuerliche Beurteilung bestimmter Sachverhalte zu treffen, Rechnung zu tragen.406 Die zeitnahe Bearbeitung der Steuerfälle steht in engem Zusammenhang mit der Automatisierung der Verwaltung: Zeitnahes Arbeiten ist bei einem Massenverfahren wie dem Besteuerungsverfahren nur durch einen hohen Grad an Automatisierung möglich. Umgekehrt kann die automatisierte Bearbeitung der Steuererklärungen am besten unter der Voraussetzung durchgeführt werden, dass die Informationen zeitnah bei der Finanzverwaltung eintreffen und jeweils für überschaubare Zeiträume zusammengestellt werden. 403 Sog. Just-in-time-Prinzip, wonach sich einerseits keine unerledigten Vorgänge ansammeln sollen und andererseits Leerlauf vermieden werden soll. Vgl. de Kam/ van den Berg, Openbaar bestuur 10, 21, 25. 404 de Kam/van den Berg, Openbaar bestuur 10/1992, 21, 25. 405 Swildens, Ontwikkelingen in de wijze van heffing, S. 13, 18. 406 Vermeulen, De Accountant 1993, 83, 85.
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3. Kap.: Arbeitsweise des Belastingdienst
e) Offenheit für die Belange der Steuerpflichtigen Für die Stärkung der Compliance ist es außerdem von Bedeutung, Offenheit für die Belange der Steuerpflichtigen zu demonstrieren. So wird zum Beispiel der Frage nachgegangen, wie der Verwaltungsaufwand für Betriebe vermindert werden kann.407 Der Staatssekretär für Finanzen hat eine entsprechende Kommission einberufen, die als permanentes beratendes Gremium zwischen den Arbeitgeberverbänden und dem Belastingdienst fungiert und bereits einige Vorschläge erarbeitet hat (vgl. 4. Kap. unter C.VI.2.). Des Weiteren sollen Beschwerden der Steuerpflichtigen besonders ernst genommen und Widersprüche möglichst zügig beschieden werden, um die Gegenseitigkeit der Rechte und Pflichten von Steuerpflichtigen einerseits und dem Belastingdienst andererseits im Besteuerungsverfahren zum Ausdruck zu bringen.408 Allerdings hat es hin und wieder den Anschein, als gehöre es zur „Werbestrategie“ des Belastingdienst, auch Maßnahmen, auf die die Steuerpflichtigen ohnehin einen gesetzlichen Anspruch haben, werbewirksam als besondere Dienstleistung des Belastingdienst darzustellen. Zu den Maßnahmen, mit denen der Belastingdienst sich darum bemüht, Offenheit für die Belange der Steuerpflichtigen an den Tag zu legen, gehören auch die zahlreichen Befragungen der Steuerpflichtigen, in denen sie Lob und Kritik an der Arbeitsweise des Belastingdienst zum Ausdruck bringen können und mit denen der Belastingdienst die Erwartungen der einzelnen (Gruppen von) Steuerpflichtigen ermittelt.409 Die wichtigste dieser Umfragen, der sog. Fiscale Monitor, wird im 4. Kapitel näher dargestellt. Schließlich bringt der Belastingdienst auch durch die Bereitschaft zur Abgabe von Standpuntbepalingen (dazu 1. Kap. unter E.III.3.) zum Ausdruck, dass den Belangen der Steuerpflichtigen und insbesondere ihrem Bedürfnis, möglichst frühzeitig Rechtssicherheit über die steuerlichen Folgen bestimmter Aktivitäten zu erhalten, Rechnung getragen wird. Wie die meisten Maßnahmen zur Stärkung der Compliance, dienen auch die Standpuntbepalingen den Interessen der Steuerpflichtigen und der Finanzverwaltung gleichermaßen: Für die Steuerpflichtigen bedeutet eine verbindliche Auskunft bzw. eine Verständigung Rechts- und Planungssicherheit; die Finanzverwaltung kann sich auf diese Weise langwierige und komplizierte Auseinandersetzungen mit den Steuerpflichtigen im Nachhinein sparen. Stellt der Belasting407
Alink/van Kommer, The Dutch Case, S. 66. de Kam/van Wuijtswinkel, MAB 1993, 238, 242. 409 So konnten z. B. Ende 1991 Steuerpflichtige im Zuständigkeitsbereich der Finanzämter für Grote Ondernemingen in Haarlem und Maastricht Verbesserungsvorschläge für die Durchführung von Betriebsprüfungen unterbreiten, vgl. OnstenkStassen/Collard/Kusters, De Accountant 1993, 514 f. 408
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dienst jedoch im Nachhinein fest, dass der Steuerpflichtige im Zusammenhang mit den Absprachen der Finanzverwaltung wichtige Informationen vorenthalten hat, so ist der Belastingdienst nicht mehr an die Absprache gebunden und wird dem betreffenden Steuerpflichtigen künftig mit größerem Misstrauen begegnen.
III. Klantbehandeling für die sog. Ondernemingen und Grote Ondernemingen Förderung der Compliance und „maßgeschneiderte“ Betreuung bzw. Bearbeitung der Steuerfälle sind Zielsetzungen, die der Belastingdienst allen Steuerpflichtigen gegenüber zu erreichen versucht. Maßstab für die Art und Weise und die Intensität der Bearbeitung eines Steuerfalls ist das Risiko der Non-Compliance des betreffenden Steuerfalles. Dabei differiert die Bestimmung des Risikos und die Reaktion darauf seitens des Belastingdienst – die Klantbehandeling – zwischen den Hauptzielgruppen Particulieren, Ondernemingen und Grote Ondernemingen. Im Folgenden wird zunächst die Klantbehandeling der Ondernemingen und Grote Ondernemingen und anschließend die der Particulieren dargestellt. 1. Klantmanager- bzw. -coördinator-Konzept Anfang der 1990er Jahre hat der Belastingdienst für die Betreuung der Ondernemingen das Konzept eines sog. Klantmanager bzw. (bei den Grote Ondernemingen) Klantcoördinator (Kundenmanager, Kundenbetreuer), entwickelt.410 Dieser Kundenbetreuer soll einen Steuerpflichtigen bzw. eine Entität im Hinblick auf alle Steuerarten integrativ behandeln und als „Repräsentant“ des Belastingdienst den Kontakt zu dem jeweiligen Steuerpflichtigen unterhalten. Der Kundenbetreuer wird deshalb auch als „Gesicht des Belastingdienst“ bezeichnet.411 Grund für die Schaffung dieser Funktion war die Hoffnung, der Kundenbetreuer könne zum einen durch seine Person das Verhältnis des Steuerpflichtigen gegenüber dem Belastingdienst verbessern und ihm die Kontaktaufnahme erleichtern und zum anderen spezifische Erfahrungen im Umgang mit einem Steuerpflichtigen sammeln, die für die Koordination verschiedener Maßnahmen des Belastingdienst gegenüber diesem Steuerpflichtigen nützlich sein könnten. 410 Die unterschiedliche Wortwahl deutet bereits an, dass bei den Grote Ondernemingen die Bearbeitung der Steuerfälle aufgrund deren Komplexität in stärkerem Maße eine Zusammenarbeit verschiedener Spezialisten erfordert und dass der Klantcoördinator diese Zusammenarbeit koordiniert. 411 Belastingdienst, Handwijzer Klantbehandeling, S. 92.
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3. Kap.: Arbeitsweise des Belastingdienst
Von einem Klantmanager wird erwartet, dass er rund 80% der Steuerfälle, die ihm zugeteilt sind, selbständig bearbeiten kann, d.h. in diesen Fällen führt er sowohl die Veranlagung als auch etwaige Prüfungen selber durch. Einzig für die Steuerbeitreibung ist immer ein spezieller Beamter zuständig. Fehlt es dem Klantmanager bei besonders komplexen Steuerfällen am nötigen Fachwissen, so kann er sich Rat bei den Spezialisten des Teams suchen. Dabei gilt das Prinzip „so viel Integration wie möglich, so viel Differenzierung wie nötig“,412 d.h. die Bearbeitung des Steuerfalls soll nur dort durch verschiedene Spezialisten und nicht durch den Kundenbetreuer erfolgen, wo dies z. B. aufgrund der Komplexität der Angelegenheit erforderlich ist. Ungeachtet dessen, wie viele Spezialisten im Einzelfall involviert sind, steht der Steuerpflichtige nur mit seinem Kundenbetreuer in Kontakt, und dieser ist verantwortlich für die Bearbeitung der ihm zugewiesenen Entitäten. Die Gesamtverantwortung für die Bearbeitung aller einem Team zugewiesenen Entitäten hingegen trägt der Teamleiter. Der enge Kontakt, den der Klantmanager zu den ihm zugewiesenen Entitäten aufbauen kann, ist einerseits vorteilhaft, weil er dem Klantmanager tiefere Einblicke in die Unternehmen, deren Vertrauenswürdigkeit und spezielle Risiken verschafft. Andererseits besteht aus Sicht der Steuerpflichtigen die Gefahr, dass sie sich dauerhaften Konfrontationen mit ein und demselben Klantmanager ausgesetzt sehen, wenn das Klima zwischen beiden Seiten einmal vergiftet ist. Insoweit können Steuerpflichtige durchaus ein Interesse daran haben, dass der für sie zuständige Klantmanager nach einigen Jahren wechselt.413 Die Anforderungen, die mit der Funktion des Klantmanager verbunden sind, haben sich in der Praxis jedoch oftmals als unrealistisch erwiesen und viele Klantmanager fühlten sich überfordert. Die Bedeutung des Kundenbetreuers und seine Verbreitung innerhalb des Belastingdienst hat deshalb stark abgenommen und ist mittlerweile im Wesentlichen auf den Bereich der Grote Ondernemingen beschränkt (vgl. auch 5. Kap. unter C.). 2. Risikobeherrschungsmodell Wesentlicher Bestandteil der Klantbehandeling und damit der Rechtshandhaving durch den Belastingdienst ist die Risikobeherrschung. Das Risiko, das es zu beherrschen gilt, ist das normabweichende Verhalten der Steuer412
de Kam im Interview mit van der Putten/Kamerling, BM 1994, 30, 33. Langbroek, Direktor der Nederlandse Vereniging Personal Finance (eine Art Bund der Steuerzahler) im Interview mit de Vos, Management Team v. 24.3.2000, 36, 41. Auch die Rekenkamer hält in einem Bericht eine regelmäßige Jobrotation zum Schutze der Integrität der Mitarbeiter für wünschenswert, vgl. Tweede Kamer, 1995–1996, 24655, nrs. 1–2, S. 16. 413
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pflichtigen – die sog. Non-Compliance – und damit letztlich das Risiko von Steuerausfällen. Non-Compliance liegt vor, wenn Steuerpflichtige ihren durch die Steuergesetze normierten Pflichten bewusst oder unbewusst nicht nachkommen.414 Während vor und unmittelbar nach der Reorganisation Ende der 1980er/Anfang der 1990er Jahre und insbesondere unter Geltung der alten 100%-Strategie Risiken in der Regel erst bei der Durchführung konkreter Prüfungsmaßnahmen eine Rolle spielten (z. B. für die Frage, welche Teile der Buchführung bei einer bereits angeordneten Buchprüfung kontrolliert werden sollten), werden Risiken mittlerweile bevorzugt bestimmt, bevor z. B. eine Steuererklärung überhaupt beim Belastingdienst eintrifft, um diejenigen Punkte zu bestimmen, denen bei der Bearbeitung der Steuerfälle besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden soll bzw. um die zu bearbeitenden Steuerfälle auszuwählen. Das Risikobeherrschungsmodell ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich weiterentwickelt worden, wobei die fortschreitende Automatisierung und Digitalisierung wesentlichen Einfluss auf die Entwicklungsrichtung ausgeübt haben. Mittlerweile soll das Risikobeherrschungsmodell dazu dienen, dass die Sachbearbeiter/Kundenbetreuer nur noch diejenigen Steuerfälle zur manuellen Bearbeitung vorgelegt bekommen, die aufgrund der Risikoanalyse als „prüfenswert“ eingestuft worden sind. Das Risikoanalyse- und -beherrschungsmodell ist bislang nur für die Zielgruppen der Ondernemingen und Grote Ondernemingen ausdifferenziert, soll jedoch langfristig auch im Bereich der Particulieren zur Anwendung kommen. Die Ergebnisse der Risikoanalyse werden für die einzelnen Segmente innerhalb der Zielgruppe der (Grote) Ondernemingen in standardisierten Bearbeitungsplänen (dazu oben unter B.I.3.) festgehalten. a) Bestimmung theoretischer Risiken Startpunkt des Risikobeherrschungsmodells ist die Bestimmung sog. theoretischer Risiken, d.h. der Belastingdienst identifiziert Tatsachen oder Situationen, die steuerliche Folgen haben können. Dabei werden Unterscheidungen nach dem Inhalt, der Periodizität und der Verbreitung vorgenommen: Ihrem Inhalt nach können Risiken als materielle bzw. fiskaltechnische sowie als Beitreibungsrisiken bezeichnet werden.415 Das materielle Risiko bezeichnet die Wahrscheinlichkeit, mit der Aufzeichnungen des Steuerpflichtigen nicht der Realität entsprechen, weil sie entweder unvollständig oder sachlich unzutreffend sind. Beim fiskaltechnischen Risiko hingegen geht es um die Wahrscheinlichkeit, dass die Angaben des Steuerpflichtigen in seiner Steuer414
Belastingdienst, Handwijzer Klantbehandeling, S. 29. Belastingdienst, Handwijzer Klantbehandeling, S. 30; Lugte, Aanspraak 2/ 2001, S. 11, 14. 415
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3. Kap.: Arbeitsweise des Belastingdienst
erklärung nicht mit den Angaben in seinen Aufzeichnungen übereinstimmen. Als Beitreibungsrisiko schließlich wird die Wahrscheinlichkeit bezeichnet, dass der Steuerpflichtige seine Steuerschuld nicht, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig entrichtet. Hinsichtlich der Periodizität wird zwischen strukturellen und singulären Risiken unterschieden. Erstgenannte sind permanent mit einer bestimmten wirtschaftlichen Betätigung verbunden, singuläre Risiken hingegen treten einmalig auf. Risiken werden außerdem nach ihrer Verbreitung in segmentabhängige, d.h. nur in einem oder mehreren bestimmten Segment(en) auftretende, und segmentunabhängige unterteilt. Nach Bestimmung der theoretischen Risiken findet eine Gewichtung statt und in Abhängigkeit von Umfang und Eintrittswahrscheinlichkeit wird entschieden, ob eine Aufdeckung dieses Risikos erforderlich ist, d.h. ob es im weiteren Prozess Beachtung findet. Risiken, die an dieser Stelle ausscheiden, führen in der Regel nicht zu Kontrollmaßnahmen des Belastingdienst. Die so bestimmten theoretischen Risiken werden zu sog. potentiellen Risiken, deren Ermittlung/Aufdeckung der Belastingdienst für wünschenswert bzw. notwendig hält. b) Wahl von Ermittlungszeitpunkt, -methoden und -quellen Für das Aufspüren der potentiellen Risiken kommen nach dem Ermittlungszeitpunkt im Wesentlichen drei verschiedene Ermittlungsarten in Betracht: Pro-aktive, aktuelle und reaktive Ermittlung.416 Von pro-aktiver Ermittlung ist die Rede, wenn der steuerlich relevante Umstand zum Ermittlungszeitpunkt noch gar nicht eingetreten ist. Aktive Ermittlung knüpft an den Zeitpunkt des Eintritts eines steuerlich relevanten Umstands an, jedoch bevor eine entsprechende (endgültige) Steuererklärung abgegeben worden ist. Nach Abgabe der Steuererklärung ist die Rede von reaktiver Ermittlung. Der Belastingdienst spricht sich deutlich für einen Vorrang pro-aktiver Ermittlungen aus, wobei die Steuererklärung und die daran anschließende reaktive Ermittlung eher die Funktion eines Fangnetzes erfüllen sollen. Allerdings liegt faktisch dem Umfang nach derzeit noch ein Schwerpunkt auf reaktiven Ermittlungen. Hinsichtlich der Ermittlungsmethoden bevorzugt der Belastingdienst die passive Aufdeckung von Risiken, bei der der Sachbearbeiter – ohne eigene Aktivitäten zu entfalten – das Risiko angezeigt bekommt, z. B. aufgrund automatisierten Datenabgleichs mit dem Belastingdienst von Dritten zur Verfügung gestellten Kontrollinformationen. Werden jedoch Ermittlungsmaßnahmen eingeleitet, so handelt es sich um aktive Aufdeckung von Risi416
Belastingdienst, Handwijzer Klantbehandeling, S. 33.
C. Klantbehandeling
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ken. Diese kann sowohl in- als auch aushäusig stattfinden, d.h. vom Schreibtisch aus oder vor Ort beim Steuerpflichtigen (oder seinem Berater). Aktive Ermittlungen beschränken sich in der Regel auf besonders hoch eingestufte Risiken. Als Quellen für die Ermittlung von Risiken kommen zum einen die Angaben in Betracht, die die Steuerpflichtigen selber – insbesondere in ihren Steuererklärungen – machen. Daneben gibt es Informationen Dritter (sog. Renseignementen, dazu unten unter E.II.1.) und schließlich interne Informationen, die der Belastingdienst selbst erstellt. c) Gewichtung potentieller Risiken Bevor ein identifiziertes potentielles Risiko zu einem Signal an den Sachbearbeiter führt, wird erst noch eine weitere Gewichtung vorgenommen, bei der drei Faktoren eine Rolle spielen: Die finanziellen Auswirkungen des als potentiell risikoreich eingestuften Umstands, die Höhe des sog. Objektrisikos, d.h. die Wahrscheinlichkeit, dass der steuerlich relevante Umstand nicht oder nicht vollständig in die Steuererklärung aufgenommen wird, und die steuerliche Integrität (das Subjektrisiko) des betreffenden Steuerpflichtigen. Anhand dieser drei Faktoren wird ein Schwellenwert bzw. Toleranzwert bestimmt. Erst wenn dieser Wert überschritten ist, wird dem Sachbearbeiter das jeweilige Risiko signalisiert. Zur Bestimmung der steuerlichen Integrität erfolgt eine Einordnung der Steuerpflichtigen in sog. aandachtscategorieën (Betreuungsintensitätskategorien, dazu unten unter C.III.3.). d) Tatsächliche Abdeckung einzelner Risiken Das tatsächliche Abdecken signalisierter Risiken bildet zum einen den Schlusspunkt des Risikobeherrschungsprozesses. Die Abdeckung erfolgt dann durch entsprechende Korrekturen von Steuererklärungen und Steuernachforderungen. Zum anderen erfolgt die Abdeckung jedoch auch in Form der Reduzierung bzw. Vermeidung von Risiken durch präventive Maßnahmen. Hier knüpft das Risikobeherrschungsmodell an das Compliance-Konzept an, d.h. identifizierte Risiken sollen weitgehend durch entsprechende Aufklärung oder z. B. durch Absprachen mit Branchenverbänden reduziert werden. In diesen Kontext gehört auch die Weiterleitung entsprechender Risiken an den Gesetzgeber, damit gegebenenfalls missverständliche oder besonders risikogeneigte Steuertatbestände überarbeitet werden können. Bei der Wahl der für die Abdeckung des jeweiligen Risikos geeigneten Maßnahme wird auf die in der sog. Toezichtpiramide (s. o.) enthaltenen präventiv und repressiv wirkenden Maßnahmen zurückgegriffen.
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3. Kap.: Arbeitsweise des Belastingdienst
Unterstützung erfährt der Sachbearbeiter bei der Risikoabdeckung von den sog. Bearbeitungsmodulen, einer Sammlung von Bearbeitungsvorschlägen und Hinweisen, die inzwischen durchweg in digitaler Form vorliegen. Da die Bearbeitungsmodule nicht auf die Besonderheiten des einzelnen Steuerpflichtigen, sondern jeweils auf eine Gruppe von Steuerpflichtigen/ein Segment zugeschnitten sind, muss der Sachbearbeiter bei jedem Element des Moduls abwägen, ob es für den konkreten Fall angepasst werden muss. Dennoch darf er sich nicht einfach ohne nähere Begründung von dem Bearbeitungsmodul lösen. Auf diese Weise soll eine möglichst einheitliche Bearbeitung der Steuerfälle und zugleich auch ein Mindestmaß an Qualität gesichert werden.417 In den Bearbeitungsmodulen wird aufgrund der vorhergegangenen Risikoanalyse und der im Folgenden zu erörternden Betreuungsintensitätskategorien, in die der jeweilige Steuerpflichtige einzuordnen ist, eine entsprechende Mischung der möglichen Maßnahmen – von Informationsangeboten bis hin zu steuerstrafrechtlichen Ermittlungen – zusammengestellt. 3. Einteilung der Steuerpflichtigen in Betreuungsintensitätskategorien Schon vor der Entwicklung des Risikobeherrschungsmodells hatte der Belastingdienst damit begonnen, die Steuerpflichtigen (mit Ausnahme der Particulieren) in sog. aandachtscategorieën (Betreuungsintensitätskategorien) einzuteilen, um die erforderliche Intensität der Bearbeitung der einzelnen Steuerfälle zu bestimmen und die vorhandenen Kapazitäten optimal auf die zu bearbeitenden Steuerfälle aufteilen zu können. In dem Begriff „Betreuung“ anstelle von „Kontrolle“ spiegelt sich wider, dass diese Eingruppierung zwar auch für die Art und Weise und die Häufigkeit der Kontrolle von Bedeutung ist, dass aber darüber hinaus das gesamte Auftreten des Belastingdienst gegenüber dem Steuerpflichtigen dadurch beeinflusst wird. Mittlerweile sind die Betreuungsintensitätskategorien als Maßstab für die steuerliche Integrität der jeweiligen Steuerpflichtigen in das Risikobeherrschungsmodell integriert worden. Maßgeblich für die Bestimmung der Betreuungsintensitätskategorie ist zum einen die steuerliche Relevanz (fiscaal belang) eines Falles: Je größer das erwartete Steueraufkommen, desto größer das Interesse des Belastingdienst, dieses zu sichern. Darüber hinaus bezieht der Belastingdienst bei der Ermittlung der erforderlichen Betreuungsintensität mit dem Kriterium des steuerlichen Risikos (fiscaal risiko) jedoch auch die Wahrscheinlichkeit mit ein, mit der bei dem jeweiligen Steuerpflichtigen Steuerausfälle drohen, d.h., positiv formuliert, das Maß der Compliance des Steuerpflichtigen.418 417
Belastingdienst, Handwijzer Klantbehandeling, S. 68.
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Während die steuerliche Relevanz als objektives Kriterium von dem Verhalten des Steuerpflichtigen vollkommen losgelöst ist, spielt bei der Ermittlung des steuerlichen Risikos das persönliche Vorverhalten des Steuerpflichtigen eine wesentliche Rolle. Allerdings erfolgt die Einteilung in die Betreuungsintensitätskategorien bei der Zielgruppe der Ondernemingen weniger auf der Basis des einzelnen Steuerpflichtigen als vielmehr auf der Basis von Entitäten. Eine ausschließlich individuelle Einordnung wäre zwar wünschenswert, ist aber aus Zeit-/Kostengründen nicht durchführbar. Bei der Zielgruppe der Grote Ondernemingen gilt für die 600 größten Ondernemingen sowohl hinsichtlich der Betreuungsintensitätskategorien als auch bezüglich des gesamten Risikobeherrschungsmodells eine individuelle Herangehensweise. Die übrigen Grote Ondernemingen werden in gleicher Weise behandelt wie die Gruppe der Ondernemingen, d.h. sie werden ebenfalls in Betreuungsintensitätskategorien eingeteilt. a) Steuerliche Relevanz (fiscaal belang) Die steuerliche Relevanz bemisst sich nach dem Steuerumfang eines Steuerfalles, d.h. nach der Summe der abgeführten bzw. abzuführenden Steuern. Als Indikator dient die sog. WOLB-Summe (WOLB-som: winst, omzet, loonsom, belastingbedrag), in die die vier wichtigsten Steuerarten (Einkommensteuer, Körperschaftsteuer, Umsatzsteuer und Lohnsteuer) einfließen. Die WOLB-Summe wird folgendermaßen berechnet:419 0,4 zu versteuernder Gewinn eines der Einkommensteuer unterliegenden Unternehmens oder 0,4 zu versteuernder Gewinn eines der Körperschaftsteuer unterliegenden Unternehmens þ abgeführte Lohnsteuer þ abgeführte Umsatzsteuer
Anhand der automatisch für jeden einzelnen Steuerpflichtigen berechneten WOLB-Summe werden die Steuerpflichtigen in drei Kategorien steuerlicher Relevanz eingeteilt: 418
Belastingdienst, Handwijzer Klantbehandeling, S. 50. Die Darstellung von Habammer, Stbg 2001, 612, 618, und Tipke, Besteuerungsmoral, S. 67, wonach die Auswahl der zu prüfenden Fälle in den Niederlanden ausschließlich anhand des Kontrollbedürfnisses erfolge, ist unzutreffend. 419 Vgl. Belastingdienst, Handwijzer Klantbehandeling, S. 121; Buschkamp, Belastingdienst, S. 27.
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3. Kap.: Arbeitsweise des Belastingdienst Tabelle 3: Kategorien steuerlicher Relevanz Kategorie steuerlicher Relevanz
WOLB-Summe
niedrig
e 11.000,–
mittel
> e 11.000,– und 34.000,–
hoch
> e 34.000,–
Zur Begründung dafür, dass in die Ermittlung der Betreuungsintensität die steuerliche Relevanz eines Steuerfalles mit einfließt, verweist der Belastingdienst ganz ungeschminkt darauf, dass es im Interesse der Finanzverwaltung liege, für einen kontinuierlichen (umfangreichen) Geldfluss dieser Steuerpflichtigen in den Staatshaushalt zu sorgen, und zieht eine Parallele zu dem Marketingprinzip, Kunden mit dem größten Umsatz auch die meiste Aufmerksamkeit zu widmen.420 b) Steuerliches Risiko (fiscaal risiko) Neben der steuerlichen Relevanz ist das steuerliche Risiko mit ausschlaggebend für die Bestimmung der erforderlichen Kontrollintensität. Das steuerliche Risiko soll die Wahrscheinlichkeit ausdrücken, mit der dem Belastingdienst bei einem Steuerpflichtigen Steueraufkommen entgeht. Das steuerliche Risiko schließt damit einerseits eng an das Maß der Compliance eines Steuerpflichtigen an, berücksichtigt daneben jedoch auch kollektive Aspekte, d.h. Aspekte, die sich aus einer Gruppenzugehörigkeit des einzelnen Steuerpflichtigen ergeben. Zwar sind dem Belastingdienst nicht sämtliche Faktoren bekannt, die die Compliance eines Steuerpflichtigen beeinflussen. Anhand eines umfangreichen Fragenkatalogs wird jedoch versucht, die bekannten Faktoren so objektiv wie möglich abzubilden. Zur Ermittlung des steuerlichen Risikos werden für jede der 13 Fragen Punkte vergeben. Dies erfolgt automatisch, da die benötigten Informationen dem Belastingdienst in elektronischer Form vorliegen. Die Fragen beziehen sich unter anderem auf – das sog. Branchenrisiko der Branche, der der Steuerpflichtige angehört; – das Verhalten des Steuerpflichtigen in der Vergangenheit hinsichtlich von Steuervorauszahlungen (Grad der Übereinstimmung mit der tatsächlichen 420
Belastingdienst, Handwijzer Klantmanagement, S. 15.
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Steuerschuld), Steuererklärungen (Rechtzeitigkeit der Abgabe), Steuerentrichtungen (Höhe ausstehender Steuerbeträge); – die Qualität der Buchführung; – die Höhe etwaiger Korrekturen aus Anlass früherer Betriebsprüfungen; – die „Vorbelastung“ durch aufgedeckte Steuerhinterziehung in der Vergangenheit. Eine deutsche Übersetzung des vollständigen Fragebogens ist in den Anhang zu dieser Arbeit aufgenommen. Anschließend wird anhand der erzielten Punktzahl automatisiert das steuerliche Risiko bestimmt. Neben den drei normalen Risikogruppen (niedriges, mittleres und hohes Risiko) gibt es zwei Sonderrisikogruppen: Eine für Unternehmensneugründer, bei denen sich das Risiko mangels entsprechender Erfahrungswerte noch nicht abschätzen lässt, und eine für Steuerhinterzieher, bei denen das Risiko aufgrund der bekannten Tatsachen über die Maßen groß ist. Die fünf Risikogruppen von A-E sind folgendermaßen aufgeteilt:421
Tabelle 4: Gruppen steuerlichen Risikos Risikogruppe
Umfang des Risikos
Punktzahl
A
niedriges Risiko
0–30
C
mittleres Risiko
31–100
D
hohes Risiko
> 100
B
Unternehmensgründer (Risiko noch nicht abschätzbar)
(–)
E
Steuerhinterzieher
(–)
c) Verknüpfung von steuerlicher Relevanz und steuerlichem Risiko Durch eine Kombination der steuerlichen Relevanz und des steuerlichen Risikos wird anschließend die Beobachtungsintensität ermittelt, und die Steuerpflichtigen werden in die folgenden Betreuungsintensitätskategorien eingeteilt (Abbildung 8):422 421
Belastingdienst, Handwijzer Klantbehandeling, S. 51. Was die Verteilung auf die einzelnen Risikogruppen angeht, so gehören mehr als die Hälfte der Entitäten zur Risikogruppe A. 422 Belastingdienst, Handwijzer Klantmanagement, S. 17.
166
3. Kap.: Arbeitsweise des Belastingdienst Steuerliche Bedeutung hoch
1
mittel
2
niedrig
3
Neugründungen B
1A
1C
1D
2A
2C
2D
3A
3C
3D
A
C
D
niedrig
mittel
hoch
Steuerhinterzieher E Steuerliches Risiko
Abbildung 8: Betreuungsintensitätskategorien
Neben den neun regulären Kategorien unterschiedlicher Betreuungsintensität gibt es (wie bereits beim Kriterium des steuerlichen Risikos) zwei Sonderkategorien, nämlich die Unternehmensneugründungen (starters) und (bekannte) Steuerhinterzieher. Die Sonderkategorie für Unternehmensneugründungen wird damit gerechtfertigt, dass unerfahrene Unternehmer einerseits ein besonderes Informationsbedürfnis haben, um mit den ihnen in der Regel noch unbekannten steuerlichen Pflichten vertraut zu werden. Dementsprechend liegt bei den Unternehmensneugründungen der Schwerpunkt auf präventiver Aufklärung. Andererseits drohen bei Neugründungen immer wieder erhebliche Steuereinbußen, wenn Unternehmen innerhalb kurzer Zeit insolvent werden. Was die Sonderkategorie der Steuerhinterzieher betrifft, so steht in diesen Fällen die Notwendigkeit einer besonders intensiven Beobachtung zweifelsfrei fest. Je nach Einordnung in eine bestimmte Betreuungsintensitätsstufe begegnet der Belastingdienst den betreffenden Steuerpflichtigen unterschiedlich. Steuerpflichtige, deren steuerliche Bedeutung und steuerliches Risiko als gleichwertig angesehen werden, werden in gleicher Weise durch die Finanzverwaltung behandelt. Neben diesen Außenwirkungen, die sich in einer unterschiedlichen Behandlung von Steuerpflichtigen niederschlagen, dient das System unterschiedlicher Betreuungsintensitätskategorien gleichzeitig dazu, intern die Arbeitsverteilung in den Teams zu erleichtern, indem der Zeitaufwand für die Bearbeitung der Steuerfälle je nach Betreuungsintensität festgelegt wird. Die Einteilung in Betreuungsintensitätskategorien wird zweimal pro Jahr anhand aktueller Informationen überprüft. Der Sachbearbeiter kann die Einteilung manuell nicht verändern, was der Belastingdienst auch als einen
C. Klantbehandeling
167
Beitrag zur internen Kontrolle versteht. Hegt der Sachbearbeiter jedoch Zweifel an der Richtigkeit der Einordnung, kann er durch eigene Ermittlungsaktivitäten dafür sorgen, dass für die nächstfolgende automatische Überprüfung des steuerlichen Risikos mehr bzw. andere Informationen zur Verfügung stehen, anhand derer die automatische Bestimmung der Betreuungsintensitätskategorie ggf. anders ausfällt.423 4. Bestimmung des jeweiligen „Risicomix“ Anhand der Ergebnisse aus dem Risikobeherrschungsmodell wird jährlich für alle Steuerarten und für die einzelnen Zielgruppen landesweit durch das Zentrum für Prozess- und Produktentwicklung in Zusammenarbeit mit den Kennisgroepen ein sog. risicomix zusammengestellt, mit dessen Hilfe die näher zu prüfenden Steuerfälle herausgefiltert werden.424 In diesen Risikomix werden auch jeweils Sonderaktionen aufgenommen, die teilweise zuvor in den Medien angekündigt werden und zu denen insbesondere sog. landesweite Aktionen (landelijke acties, s. unten unter C.V.1.d)aa)) zählen. 5. Konsequenzen für die Fallbearbeitung Aus der Kombination der Risikogewichtung innerhalb des Risikobeherrschungssystems und der jeweiligen Betreuungsintensitätskategorie werden für die einzelnen Steuerpflichtigen (bei den Grote Ondernemingen) bzw. für Segmente oder sonstige Gruppen von Steuerpflichtigen (bei den Ondernemingen) konkrete Bearbeitungsstrategien entwickelt und in entsprechende Pläne und Module aufgenommen, die den Sachbearbeiter bei seiner Arbeit unterstützen. Bei Steuerpflichtigen der Betreuungsintensitätskategorien 1A, 1C und 1D führt die erhebliche steuerliche Bedeutung dazu, dass der Belastingdienst sich vor allem um einen guten und frühzeitigen Kontakt zu diesen Steuerpflichtigen bemüht und versucht, ihre Compliance zu fördern.425 Bei den Kategorien 3A, 3C und 3D hingegen bemüht sich der Belastingdienst aufgrund der geringen steuerlichen Bedeutung kaum um aktive Risikoaufdeckung. Diese horizontale Betrachtung der Aufmerksamkeitskategorien ist jedoch noch um eine vertikale Unterteilung zu ergänzen: Steuerpflichtige der Kategorien 3A, 2A und 1A weisen allesamt ein niedriges steuerliches Risiko 423 424 425
Belastingdienst, Handwijzer Klantbehandeling, S. 47. Belastingdienst, BelastingBulletin 7/2002, S. 22. Belastingdienst, Handwijzer Klantbehandeling, S. 77.
168
3. Kap.: Arbeitsweise des Belastingdienst
auf, sodass in dieser Gruppe repressive Maßnahmen in der Regel nicht erforderlich sind, sondern der Schwerpunkt auf einer Bestätigung und Ermunterung des bisherigen „guten“ steuerlichen Verhaltens liegt. Bei den Steuerpflichtigen der Kategorien 3D, 2D und 1D hingegen stehen repressive Maßnahmen wegen des hohen steuerlichen Risikos im Vordergrund. Obwohl die genaue Zusammenstellung der Bearbeitungsmodule von einer Vielzahl von Faktoren abhängt und darüber hinaus regelmäßigen Anpassungen unterliegt, ist davon auszugehen, dass ein Steuerpflichtiger der Kategorie 1D im Schnitt 15mal soviel Aufmerksamkeit durch den Belastingdienst erhält wie ein Steuerpflichtiger der Kategorie 3A.426 Die Besonderheiten der Kategorien für Unternehmensneugründungen einerseits und Steuerhinterzieher andererseits sind oben bereits erläutert worden und wirken sich selbstverständlich auch auf die Zusammensetzung der Bearbeitungsmodule und -pläne aus. Aus diesen Bearbeitungsplänen, die für einzelne Steuerpflichtige bzw. für Gruppen von Steuerpflichtigen erstellt werden, gehen u. a. Bearbeitungsvorgaben für die einzelnen Abschnitte des Besteuerungsverfahrens hervor. So kann der mit der Steuerbeitreibung beauftragte Sachbearbeiter anhand des dazugehörigen Bearbeitungsplans z. B. ablesen, ob für einen bestimmten Steuerpflichtigen die Gewährung von Zahlungsaufschub in Betracht kommt oder ob dies – etwa aufgrund früherer unregelmäßiger Zahlungen – ausgeschlossen ist. Die Bearbeitung der Steuerfälle hängt zunächst von den Signalen ab, die aufgrund der automatisierten, elektronischen Risikoanalyse an den Sachbearbeiter gesandt werden. Wird ein Steuerfall als risikoreich eingestuft, so wird er dem Sachbearbeiter – zusammen mit standardisierten Bearbeitungsplänen für das Segment bzw. die Branche, der der Steuerpflichtige angehört – angezeigt. Aufgabe des Sachbearbeiters ist es, zum einen den standardisierten Bearbeitungsplan auf den konkreten Steuerfall abzustimmen und konkrete Aktivitäten wie z. B. eine Außenprüfung einzuleiten. Zum anderen kann der Sachbearbeiter auch bestimmte Prüfungstätigkeiten für das nächste Jahr vormerken und im System ablegen, den Steuerfall sozusagen auf Wiedervorlage legen, sodass die nächste Steuererklärung dieses Steuerpflichtigen durch das Computersystem aufgrund des Bearbeitervermerks zwangsläufig für eine manuelle Überprüfung ausgewählt wird. Fehlt es an einem derartigen persönlichen Bearbeitungsvermerk und führt die Risikoanalyse nicht zu einem Signal, so wird der Steuerfall in der Regel automatisch veranlagt, ohne dass der Sachbearbeiter ihn angezeigt bekommt (dazu unten unter C.V.1.a)). So wichtig es deshalb einerseits ist, dass risikoreiche Steuerfälle tatsächlich dem Sachbearbeiter signalisiert werden, so unerwünscht ist es andererseits, dass zu viele Signale weitergeleitet werden, denn dann 426
Vgl. Belastingdienst, Handwijzer Klantbehandeling, S. 81.
C. Klantbehandeling
169
muss der Sachbearbeiter wegen der begrenzten Arbeitszeit, die er aufbringen kann, aus diesen Signalen diejenigen auswählen, die er tatsächlich bearbeitet, und diese Auswahl soll durch das Risikobeherrschungsmodell gerade nicht mehr dem einzelnen Sachbearbeiter überlassen sein. Neben der Bearbeitung zentral ausgelöster Signale sowie der Durchführung von Bearbeitungsschritten, die der Sachbearbeiter selbst festgelegt hat, hat er darüber hinaus in einem gewissen Umfang „neue“, bislang nicht in die automatisierte Risikoanalyse aufgenommene Risiken zu ermitteln. Das genaue Verhältnis dieser verschiedenen Aktivitäten wird innerhalb des Teams festgelegt. Der Sachbearbeiter kann demnach auf dreierlei Weise seine individuellen Kenntnisse und Fähigkeiten, sein „Gespür“ in die Bearbeitung der Steuerfälle einbringen: Zunächst entscheidet er über die Anpassung der standardisierten Bearbeitungsvorschläge, die nicht 1:1 auf den konkreten Fall angewendet werden können. Darüber hinaus kann er eigene Bearbeitungsvorschläge machen, die bei der folgenden Risikoanalyse berücksichtigt werden, und schließlich ist er aufgefordert, neue Risiken zu ermitteln, sodass das automatisierte Risikobeherrschungsmodell mit der Erfahrung und dem Wissen der Sachbearbeiter „gespeist“ werden kann. Dementsprechend wird von den Sachbearbeitern erwartet, dass sie ihre Erkenntnisse kommunizieren.427 Die Einteilung der Entitäten in Betreuungsintensitätskategorien sowie die Bestimmung der Bearbeitungsstrategie wirken sich jedoch nicht nur innerhalb des Risikobeherrschungssystems aus, sondern sind auch von Bedeutung für die Aufteilung der zu bearbeitenden Steuerfälle auf die einzelnen Teams und die jeweiligen Sachbearbeiter (in Abhängigkeit ihrer spezifischen Fähigkeiten), die Zuweisung von Personal und die quantitativen Zielsetzungen in den Managementverträgen.428 6. Besonderheiten bei den sog. Grote Ondernemingen Innerhalb der Gruppe der sog. Grote Ondernemingen werden die 600 größten Unternehmen individuell betreut, d.h. für diese Gruppe gibt es keine standardisierten Bearbeitungsvorschläge. Für die restlichen Unternehmen dieser Zielgruppe gelten die Ausführungen zu den Ondernemingen entsprechend. Berücksichtigt man die Unterteilung bei den Grote Ondernemingen in drei Gruppen (I = die größten 200 Ondernemingen, II = die 400 nächstgrößten Ondernemingen und III = alle übrigen Grote Ondernemin427 428
Belastingdienst, Handwijzer Klantbehandeling, S. 93. Belastingdienst, Handwijzer Klantbehandeling, S. 82, 96 f.
170
3. Kap.: Arbeitsweise des Belastingdienst
gen),429 die sich auch auf die Betreuungsintensitätskategorien auswirkt, so sieht das Schema folgendermaßen aus: Steuerliche Bedeutung I II hoch
1
mittel
2
niedrig
3
Neugründungen B
1A/III
1C/III
1D/III
2A
2C
2D
3A
3C
3D
A
C
D
niedrig
mittel
hoch
Steuerhinterzieher
E Steuerliches Risiko
Abbildung 9: Betreuungsintensitätskategorien (einschließlich Grote Ondernemingen)
7. Gleiche Behandlung gleicher Fälle? Aufgrund des permanenten Auftrags ist der Belastingdienst sowohl zur zweckmäßigen, effizienten Ausführung der Steuergesetze als auch zur Wahrung der Rechtsgleichheit verpflichtet. Mit dem Risikobeherrschungsmodell trägt der Belastingdienst diesem Gleichbehandlungsgrundsatz nach eigener Einschätzung Rechnung, indem die Segmentierung der Steuerpflichtigen (insbesondere der Ondernemingen) zur Bildung homogener Gruppen führt, d.h. Gruppen von Steuerpflichtigen, die nach sachlichen Kriterien wie z. B. der steuerlichen Relevanz und dem steuerlichen Risiko vergleichbar sind und deshalb auch auf ähnliche Art und Weise behandelt werden sollten.430 Wird z. B. ein theoretisches Risiko innerhalb einer homogenen Gruppe von Steuerpflichtigen für nicht aufdeckungswert erachtet und unter429 Von den 200 größten Unternehmen werden 100 anhand eines Rankings des Finaniceel Dagblad zu einem bestimmten Stichtag bestimmt; hinzu kommen 14 Banken und Versicherungsgesellschaften und 86 weitere Unternehmen, ausgewählt nach Größe und Zahl der Beschäftigten. Die nächstgrößten 400 Unternehmen werden anhand des (weltweiten) Umsatzes, der Anzahl der Beschäftigten und der steuerlichen Komplexität ermittelt. Vgl. Belastingdienst, Handwijzer Klantbehandeling, S. 48. 430 Belastingdienst, Handwijzer Klantbehandeling, S. 75.
C. Klantbehandeling
171
bleiben deshalb entsprechende Ermittlungsmaßnahmen, so unterbleiben sie bei allen Steuerpflichtigen dieser Gruppe, sodass eine horizontale Gleichbehandlung innerhalb der Gruppe erfolgt. Was der Belastingdienst hingegen nicht zu rechtfertigen braucht, ist die Entscheidung, aus Zweckmäßigkeitsbzw. Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten bestimmte Risiken als unbeachtlich zu qualifizieren, denn dieser Freiraum wird ihm gerade durch die Formulierung des permanenten Auftrags eingeräumt. Um Ungleichbehandlungen auf regionaler und lokaler Ebene zu vermeiden, werden weitgehend landesweit einheitliche Auswahlkriterien gebraucht. Ob ein entsprechendes Risikobeherrschungsmodell auch den verfassungsrechtlichen Anforderungen an den Gesetzesvollzug durch die deutschen Finanzbehörden genügen würde, wird im 6. Kapitel erörtert.
IV. Klantbehandeling für die sog. Particulieren Im Gegensatz zu den Ondernemingen, bei denen subjektive Risiken (des Steuerpflichtigen selber bzw. der Branche, der er angehört) für das Ob und die Art und Weise der Bearbeitung eines Steuerfalls mitentscheidend sind, erfolgt die Gewichtung der Steuerfälle bei den Particulieren überwiegend objektiv, d.h. aspektbezogen. So werden einzelne als besonders risikovoll eingestufte Aspekte (z. B. außergewöhnliche Belastungen) jährlich im Vorfeld definiert und den Steuerpflichtigen im Zuge sog. landesweiter Aktionen teilweise auch bekannt gegeben, um anschließend anhand dieser Vorgaben die manuell zu prüfenden Steuererklärungen herauszufiltern.431 Im Jahr 2000 standen z. B. bei den Particulieren die Punkte „Abzugsposten für das eigene Haus“ und „private Geldanlagen“ im Vordergrund.432 Zur Vermeidung regionaler Unterschiede bei der Bearbeitung der Steuerfälle erfolgt die Gewichtung weitgehend anhand landesweit einheitlicher Kriterien.433 Darüber hinaus erfolgt eine automatisierte Überprüfung der Steuererklärungen anhand der (umfangreichen) Kontrollmitteilungen der Banken, Versicherer etc. und es gibt in der Gruppe der Particulieren jährlich einen sog. 1%steekproef (Stichprobenkontrolle). Im Rahmen dieser Stichprobenkontrolle wird aus der Gesamtzahl der Steuerfälle der Particulieren bis zu 1% nach dem Zufallsprinzip ausgewählt und gründlich geprüft. Anhand der dabei gewonnenen Ergebnisse können die Kriterien für die automatische Fallauswahl angepasst werden. 431
Nota v. 28.5.1996, nr. PFC96/695m (Fraudenota), S. 13. Vgl. van Osch/van Rijswijk, Elsevier v. 11.3.2000, 70 unter der Überschrift: „Worauf die Finanzverwaltung achtet“. 433 Belastingdienst, Bedrijfsplan 2001–2005, unter 3.2. 432
172
3. Kap.: Arbeitsweise des Belastingdienst
V. Kontrolle der Steuerfälle Die Veranlagung und die Kontrolle der Angaben der Steuerpflichtigen sind wesentlicher Bestandteil der Klantbehandeling. Dabei verwendet der Belastingdienst den Begriff der „controle“ sowohl für präventiv als auch für repressiv wirkende Maßnahmen. Kontrolle kann damit vor Abgabe einer Steuererklärung (die sog. Waarneming ter plaatse, s. u.), bei Abgabe im Rahmen der Veranlagung (insbesondere die automatisierte Kontrolle, s. u.) oder nach der Veranlagung stattfinden. Der Schwerpunkt bei den Kontrollaktivitäten liegt – wie bei sämtlichen Formen der sog. Toezicht (vgl. Toezichtpiramide) – nach eigenem Bekunden des Belastingdienst auf der Prävention.434 Aus Präventionsgesichtspunkten kommt es nicht nur auf die Zahl der erfolgten Kontrollen, sondern insbesondere auf deren Qualität an: minderqualitative Kontrollen können im Sinne einer „Negativ-Reklame“ die Präventionswirkung zunichte machten, wenn Unregelmäßigkeiten durch die Prüfer übersehen werden und Steuerpflichtige das Gefühl bekommen, vor Entdeckung sicher zu sein. 1. Kontrollarten Der Belastingdienst führt automatisierte und manuelle Kontrollen durch. Die automatisierten Kontrollen finden in der Regel zu Beginn des Veranlagungsverfahrens statt, wenn eingehende Steuererklärungen auf Rechenfehler, Unvollständigkeit und Übereinstimmung mit Kontrollinformationen, die dem Belastingdienst aus anderen Quellen zur Verfügung stehen, überprüft werden. Dieses Verfahren wird auch als administratieve afdoening (ADAF, automatisierte Veranlagung) bezeichnet. Daneben gibt es manuelle Kontrollen, die von Belegprüfungen an Amtsstelle bis hin zu Außenprüfungen im Betrieb des Steuerpflichtigen reichen können. Auch bei diesen manuellen Prüfungen werden die Mitarbeiter des Belastingdienst durch EDV unterstützt. Die Vielfalt manueller Kontrollen, denen sich Unternehmer ausgesetzt sehen, ist regelmäßig deutlich größer als bei Particulieren; insbesondere Außenprüfungen finden in der Regel in Betrieben und nicht bei Particulieren statt. Die manuellen Kontrollen werden hinsichtlich ihrer Intensität zum einen in Voll- und Teilprüfungen und zum anderen in interne und externe Kontrollen unterteilt. Während bei den Vollprüfungen im Prinzip mehrere Steuerarten und mehrere Besteuerungszeiträume kontrolliert werden, richtet sich 434 Boersma in: Seminar Controle, Beleid & Praktijk, S. 9, 11; de Kam, Overheidsmanagement 7–8/1995, 192; van der Putten im Interview mit Kamerling/Verhoog, BM 10/1996, 26, 27.
C. Klantbehandeling
173
die Teilprüfung immer nur auf einen (zeitlichen oder sachlichen) Teilausschnitt. Die internen, d.h. an Amtsstelle stattfindenden Kontrollen werden als kantoortoetsing („Bürokontrolle“), die externen hingegen als veldtoetsing (Außenprüfung) bezeichnet. Wichtigste Unterart der Außenprüfung ist die sog. boekenonderzoek (Buchprüfung). Kontrollen können außerdem danach unterschieden werden, ob sie bei dem Steuerpflichtigen selbst oder als sog. derdenonderzoek bei einem Dritten durchgeführt werden. Schließlich gibt es noch die sog. sonstigen Kontrollen, zu denen insbesondere die Waarnemingen ter plaatse (Betriebsbesichtigungen) und steuerstrafrechtliche Ermittlungsmaßnahmen des Fiscale Inlichtingen- en Opsporingsdienst (FIOD, Steuerfahndung, dazu unten unter C.V.1.d)dd)) zählen.
Klantbehandeling
Administratieve Afdoening/ADAF
Kantoortoetsing
Veldtoetsing
(Automatisierte Kontrolle)
(Büromäßige Kontrolle)
(Außenprüfung)
Sonstige
Boekenonderzoek
Strafrechtelijk onderzoek
(Buchprüfung)
(Steuerstrafrechtliche Ermittlungen)
Invorderingsonderzoek
Waarneming ter plaatse
(Beitreibungsprüfung)
(Betriebsbesichtigung)
etc. Abbildung 10: Kontrollarten
174
3. Kap.: Arbeitsweise des Belastingdienst
a) Automatisierte Kontrolle Die automatisierte Kontrolle ist das Rückgrat der Veranlagungs- und Kontrolltätigkeit des Belastingdienst, weil die Auswertung der Vielzahl an Informationen rein manuell gar nicht zu bewerkstelligen wäre. aa) Digitalisierung eingehender Informationen Obwohl in den vergangenen Jahren immer mehr Steuerpflichtige ihre Steuererklärung in elektronischer Form beim Belastingdienst abgeben, gehen dennoch täglich papierene Steuererklärungen mit Anlagen beim Belastingdienst ein. Um die Verarbeitung dieser papierenen Dokumente zu erleichtern und insbesondere den automatisierten Datenabgleich zu beschleunigen, ist der Belastingdienst im Jahr 2000 dazu übergegangen, den Strom von papierenen Steuererklärungen zu digitalisieren. Von Hand ausgefüllte Steuererklärungen, die zuvor von Mitarbeitern des Belastingdienst manuell in die elektronische Datenverarbeitung eingegeben worden waren, werden nun eingescannt und anschließend in den elektronischen Datenbestand des Belastingdienst integriert. Neben der Zeitersparnis besteht ein wesentlicher Vorteil des Einscannens gegenüber der manuellen Eingabe darin, dass ein Abbild der tatsächlichen Steuererklärung, d.h. inklusive etwaiger Anmerkungen des Steuerpflichtigen sowie Beiblätter, Anlagen etc. erstellt wird. Das Scannprogramm kann auch nicht-standardisierte Schreiben verarbeiten. Insgesamt können maximal 200.000 Formulare pro Tag verarbeitet werden.435 Um die zentrale Digitalisierung zu beschleunigen, gehen die Steuererklärungen nicht mehr bei den einzelnen Finanzämtern ein (es sei denn, die Steuerpflichtigen geben sie dort persönlich ab; in diesen Fällen sorgt der Belastingdienst intern für den Weitertransport), sondern zentral in Heerlen, weshalb das dortige Amt auch als „Briefkasten“ des Belastingdienst bezeichnet wird. Statt der bisher üblichen Papier-Akten, die für die einzelnen Steuerpflichtigen angelegt wurden, werden zunehmend elektronische Dossiers erstellt, die über das Intranet des Belastingdienst allen Sachbearbeitern zugänglich gemacht werden.436 Nachdem das System bis Ende 2001 nur Umsatzsteuer- und Lohnsteuererklärungen sowie Anträge auf vorläufige Erstattung überzahlter Vorsteuern verarbeitet hat, werden seit Anfang 2002 auch Einkommensteuererklärungen erfasst. Nach und nach ist ein weiterer Ausbau geplant. 435
Unisys, Belastingdienst kiest definitief voor digitaal . Zugriffsbeschränkungen gelten jedoch für die Unterlagen von VIP’s und Beamten, vgl. Belastingdienst, BelastingBulletin Nr. 7/2002, S. 28 f. 436
C. Klantbehandeling
175
Bis auf weiteres werden die Originale der Steuererklärungen und Begleitschreiben noch in Heerlen archiviert, um insbesondere bei Rechtsstreitigkeiten als Beweis zu dienen. Langfristig arbeitet der Belastingdienst an der Entwicklung eines elektronischen Archivs, das den üblichen Anforderungen an die Archivierung im Rechtsverkehr genügt und dessen (elektronischer) Inhalt den gleichen Beweiswert hat, wie herkömmliche papierene Dokumente.437 Damit könnte künftig auch auf die Archivierung der Schriftstücke in Heerlen verzichtet werden. Auch für Kontrollmitteilungen Dritter gilt, dass die darin enthaltenen Daten – sofern sie nicht bereits in digitaler Form angeliefert werden, erfasst und in den elektronischen Datenbestand des Belastingdienst integriert werden. bb) Automatisierter Datenabgleich Nach dem Einscannen (bzw. der manuellen Datenerfassung) der Steuererklärungen werden die Angaben der Steuerpflichtigen zunächst automatisch auf Rechenfehler und ähnliche offensichtliche Ungenauigkeiten und Unvollständigkeiten hin überprüft. Für die Veranlagungssteuern (Einkommensteuer und Körperschaftsteuer) erfolgt danach ein automatisierter Datenabgleich mithilfe des Computerprogramms IBS (Inkomstenbelasting-Systeem) für die Einkommensteuererklärungen und KA-VpB (Kantoorautomatisering Vennootschapsbelasting) für die Körperschaftsteuererklärungen. Ziel des automatisierten Datenabgleichs ist es, die prüfungsbedürftigen von den nicht prüfungsbedürftigen Steuerfällen zu trennen. Die Daten, anhand derer der Abgleich erfolgt, stammen aus Kontrollmitteilungen (das Computersystem IBS ist an die Datenbank Renseignementen Informatie Systeem [RIS] gekoppelt, in der sämtliche Kontrollmitteilungen enthalten sind, die der Belastingdienst von Dritten erhält) bzw. beziehen sich auf Veranlagungen früherer Jahre. Darüber hinaus können jährlich wechselnde Schwerpunkte gesetzt (z. B. durch den Risikomix, s. o.) und Kriterien definiert werden, anhand derer prüfungsbedürftige Fälle identifiziert werden. Für die Einkommensteuererklärungen von Particulieren gilt als Zielvorgabe, dass anhand der in das Computerprogramm IBS aufgenommenen Informationen 30% der Steuererklärungen für eine weitere Bearbeitung ausgesteuert und die restlichen 70% automatisch veranlagt werden; in den letztgenannten Fällen wird ein Steuerbescheid erstellt, ohne dass sich ein Mitarbeiter des Belastingdienst mit dem Steuerfall beschäftigt.438 Damit ist 437
Belastingdienst, BelastingBulletin Nr. 7/2002, S. 28 f. Belastingdienst, Bedrijfsplan 2001–2005, Sectorplan klantbehandeling, unter 2.4.; van Osch/van Rijswijk, Elsevier v. 11.3.2000, 70, 78; Rapport IBO Belastingdienst, S. 14. 438
176
3. Kap.: Arbeitsweise des Belastingdienst
der Steuerfall im Prinzip abgeschlossen, und es ist äußerst unwahrscheinlich, dass er zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal für eine Kontrolle aufgegriffen wird, sofern sich nicht z. B. in den Folgejahren anhand des automatisierten Datenabgleichs der weiteren Steuererklärungen Anhaltspunkte für eine entsprechende Prüfungsbedürftigkeit ergeben. Bei den Ondernemers, d.h. den Gewerbetreibenden, Selbständigen und Gesellschafter-Geschäftsführern erfolgt ebenfalls zunächst eine Kontrolle mithilfe von IBS. Danach werden die Einkommensteuererklärungen dieser Steuerpflichtigen einer zweiten automatisierten Kontrolle mithilfe des Programms IKB unterzogen, in das u. a. die Betreuungsintensitätskategorien implementiert sind. Steuerfälle der Betreuungsintensitätskategorie D werden unmittelbar einer intensiven Kontrolle (z. B. einer Außenprüfung) zugeführt und Steuerpflichtige, die bereits beim FIOD wegen Steuerhinterziehung bekannt geworden sind (dies entspricht der Betreuungsintensitätskategorie E) zur weiteren Bearbeitung unmittelbar an den FIOD weitergeleitet. Auch Steuerfälle der Kategorie B (Neugründungen) werden mit großer Wahrscheinlichkeit für eine weitere Überprüfung ausgeworfen. Hingegen werden Steuerfälle der Betreuungsintensitätskategorien A oder 1C überwiegend automatisiert veranlagt, sofern im Programm IKB kein konkretes Bearbeitungsvorhaben für den jeweiligen Steuerfall aufgenommen worden ist.439 Unabhängig von den Betreuungsintensitätskategorien werden außerdem unter Anwendung der landesweit festgestellten Risikokriterien Steuerfälle herausgefiltert, die einer näheren Prüfung bedürfen. So sind in der Vergangenheit z. B. Steuerfälle ausgewählt worden, wenn ein Unternehmer drei Monate hintereinander keine Umsatzsteuer gezahlt hat, seine Angaben über Bruttogewinnmargen stark von dem abweichen, was in der betreffenden Branche üblich ist oder die Betriebsausgaben übermäßig stark schwanken.440 Zu den in den Risikomix 2002 aufgenommenen Aspekten zählen u. a. verschwiegene Umsätze im Tabakhandel und bei Fahrschulen, Forschungs- und Entwicklungskosten und übliche Vergütungen für Notare.441 Die jeweils aktuellen konkreten Auswahlkriterien werden vertraulich behandelt und sind selbst den Mitarbeitern des Belastingdienst nicht bekannt, sofern sie nicht an deren Entwicklung mitgearbeitet haben. Ziel ist, dass 40% der Einkommensteuererklärungen der Ondernemers anschließend ohne Beanstandung an das System IBS zurückgeleitet und automatisiert veranlagt werden. Die restlichen 60% der Erklärungen werden für eine manuelle Kontrolle ausgeworfen. 439
Belastingdienst, Handwijzer Klantbehandeling, S. 72. de Kam im Interview mit van der Putten/Kamerling, BM 1994, 30, 32; de Vos, Management Team v. 24.3.2000, 36, 41. 441 Vgl. Belastingdienst, Belastingbulletin 7/2002, S. 9. 440
C. Klantbehandeling
177
Für die Körperschaftsteuererklärungen gilt ebenfalls eine Zielgröße von 40% für die automatisierte Veranlagung und 60% für die manuelle Kontrolle, wobei der Datenabgleich mithilfe der Systeme KA-VpB und IKB erfolgt. Die bisherigen (separaten) Datenverarbeitungssysteme für die Einkommen- und Körperschaftsteuer werden nach und nach durch das einheitliche sog. Aanslagbelasting Systeem (ABS, System für die Veranlagungssteuern) ersetzt.442 Gleichzeitig wird die Automatisierung im Bereich der Steuererhebung vorangebracht, um anhand einer integralen Administration von Steuerschuldnern (Integrale Debiteuren Administratie) die über den einzelnen Steuerpflichtigen in elektronischer Form zur Verfügung stehenden Informationen zu komplettieren.443 In Ergänzung zu ABS soll auch ein einheitliches System für die Selbstberechnungssteuern (Lohnsteuer, Umsatzsteuer) eingeführt werden.444 Durch die weitgehend automatisierte Erfassung und Digitalisierung der Steuererklärungen und den hohen Anteil automatisierter Veranlagungen können die Mitarbeiter des Belastingdienst von administrativen Tätigkeiten entlastet werden, sodass sie Zeit für anspruchsvollere Tätigkeiten gewinnen, bei denen sie ihre individuellen Fähigkeiten stärker einbringen können. In den Niederlanden wird dies als „postbürokratische Betriebs-/Arbeitssituation“ bezeichnet.445 Zur Überprüfung und etwaigen Anpassung der für die automatisierte Aussteuerung verwendeten Kriterien dienen bei den Particulieren die Ergebnisse der sog. 1%-Stichprobe (s. o.). Bei den Ondernemingen führt der Belastingdienst bislang noch keine stichprobenartigen Überprüfungen durch. Methoden zur Evaluierung der Auswahlkriterien (über die Rückkopplung durch die Erfahrungen der Sachbearbeiter hinaus) sind aber derzeit in der Entwicklung.
442
Belastingdienst, Bedrijfsplan 2001–2005, unter 3.3; der Belastingdienst investiert in dieses Projekt in erheblichem Maße. So wurden 2001 30.000 Arbeitstage für die Entwicklung und Implementierung von ABS zur Verfügung gestellt, vgl. Verhoef, „Hulp bij uitbesteding”, Computable Nieuws v. 8.2.2002, abrufbar unter . 443 Belastingdienst, Bedrijfsplan 2001–2005, unter 3.3. 444 Belastingdienst, Bedrijfsplan 2001–2005, Sectorplan klantbehandeling, unter 2.4. 445 Vgl. Belastingdienst, Nota Digitale Belastingdienst 1997–2001, S. 10.
178
3. Kap.: Arbeitsweise des Belastingdienst
b) Büromäßige Prüfung Eine büromäßige Prüfung (kantoortoetsing) erfolgt nur in den Fällen, die im Zuge der automatisierten Kontrolle dafür ausgewählt worden sind – sei es, weil der Sachbearbeiter einen konkreten Bearbeitungsvermerk abgespeichert hatte, sei es, weil aufgrund des jährlichen Risikomix der Steuerfall als prüfungsbedürftig gilt o. Ä. Bei der büromäßigen Kontrolle werden die Sachbearbeiter durch Computerprogramme wie IKB unterstützt, in denen standardisierte Bearbeitungsvorschläge, spezifische Brancheninformationen etc. verarbeitet sind. Über das Intranet des Belastingdienst sind außerdem Hinweise auf aktuelle Gesetzesänderungen, Rechtsprechung und interne Anweisungen erhältlich. Bei den Particulieren werden im Anschluss an den automatisierten Datenabgleich rund 30% der Steuererklärungen einer büromäßigen Bearbeitung durch einen Mitarbeiter des Belastingdienst zugeführt. Dabei finden insbesondere die jährlich landesweit festgesetzten Prüfungsschwerpunkte Berücksichtigung und es können darüber hinaus Informationen hinzugezogen werden, die noch nicht in digitaler Form vorliegen und deshalb bei der automatisierten Kontrolle nicht berücksichtigt werden konnten. Anlässlich der büromäßigen Prüfung kann (telefonisch, schriftlich) Kontakt zum Steuerpflichtigen hergestellt werden; viele Gründe für die Aussteuerung des Falles lassen sich jedoch auch innerhalb kurzer Zeit ohne Kontaktierung des Steuerpflichtigen beheben, sodass die Bearbeitungsdauer bei der büromäßigen Prüfung schwankt. Bei den Ondernemingen werden die 60% der durch die Systeme IBS bzw. KA-VpB und IKB ausgesteuerten Einkommen- und Körperschaftsteuerklärungen dem sog. Aanvullend Traditioneel Selecteren (ATS, ergänzende, traditionelle Auswahl), einer manuellen Kontrolle durch einen Sachbearbeiter, unterzogen. Dieser Sachbearbeiter ist für die schnelle Erfassung der Probleme des jeweiligen Steuerfalles und die anschließende Weichenstellung ausgebildet und wird als „geoefend oog“ (geschultes Auge) bezeichnet. Ausgangspunkt sind die Begleitschreiben, die durch das Computersystem zu jedem ausgeworfenen Steuerfall erstellt werden und die entsprechende Bearbeitungsvorschläge enthalten können. Dem Sachbearbeiter stehen darüber hinaus nicht-digitalisierte Unterlagen (derzeit z. B. noch Bilanzen) zur Verfügung. Ergebnis der ATS kann dreierlei sein: (1) Die Steuererklärung kann nach kurzer manueller Kontrolle (ohne Korrekturen) wieder freigegeben werden für eine (automatisierte) Veranlagung. Dies geschieht in rund der Hälfte der Fälle, d.h. bei 30% der insgesamt eingegangenen Steuererklärungen der Ondernemingen. Anlass für die Aussteuerung kann in einem derartigen Fall z. B. ein Bear-
C. Klantbehandeling
179
beitervermerk eines Sachbearbeiters aus dem Vorjahr gewesen sein, aufgrund dessen überprüft werden musste, ob Absprachen mit dem Steuerpflichtigen zutreffend umgesetzt worden sind. Ist dies der Fall, so veranlasst der Bearbeiter die automatisierte Veranlagung. (2) In einem Viertel der ausgesteuerten Fälle (d.h. bei 15% der eingegangenen Steuererklärungen) können „einfache“ Korrekturen durchgeführt werden, z. B. indem der Sachbearbeiter einer Abweichung zwischen den Angaben des Steuerpflichtigen und einer Kontrollmitteilung nachgeht. (3) In einem weiteren Viertel hält der Bearbeiter eine intensive Kontrolle für erforderlich und leitet den Steuerfall an den zuständigen Sachbearbeiter weiter, der entweder eine intensive büromäßige Kontrolle (ggf. einschließlich eines persönlichen Gesprächs mit dem Steuerpflichtigen und/oder seinem Berater, schriftlicher Erörterung strittiger Fragen etc.) oder aber eine Außenprüfung durchführt. c) Außenprüfung Der Belastingdienst unterscheidet im Wesentlichen zwischen zwei Arten der Außenprüfung (veldtoetsing): Die Buchprüfung (boekenonderzoek) dient dazu, nachzuhalten, ob Angaben eines Steuerpflichtigen in seiner Steuererklärung mit den Aufzeichnungen im Betrieb übereinstimmen und ob diese Aufzeichnungen der Realität entsprechen. Daneben gibt es die sog. Invorderingsonderzoeken, die zur Gewinnung von Informationen im Zusammenhang mit der Beitreibung geschuldeter Steuern dienen und u. a. Ermittlungen nach der Liquidität des Steuerschuldners sowie die Suche nach einem möglichen Haftungsschuldner umfassen. Invorderingsonderzoeken werden auf der Basis des IW 1990 durchgeführt, Buchprüfungen hingegen auf der Basis des AWR, wobei die in beiden Gesetzen geregelten Mitwirkungspflichten der Betroffenen weitgehend übereinstimmen. Die Außenprüfer sind nicht nur in steuerfachlicher Hinsicht geschult, sondern absolvieren auch ein Verhaltens- und Verhandlungstraining. Die Kontrollaktivitäten werden zentral für alle Einheiten des Belastingdienst durch das Zentrum für Prozess- und Produktenwicklung (vormals durch das Portefeuille Controlebeleid) koordiniert. Dort werden u. a. Richtlinien für die Kontrolle entwickelt und landesweite Aktionen organisiert. Außerdem ist ein Kontrollprogramm entwickelt worden, mit dessen Hilfe die Kontrolleure am PC die Buchhaltung von Unternehmen in elektronischer Form untersuchen können.446 Der Belastingdienst stellt den Steuerpflichtigen darüber hi446
van der Putten im Interview mit Kamerling/Verhoog, BM 10/1996, 26, 27.
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3. Kap.: Arbeitsweise des Belastingdienst
naus ein Computerprogramm (Auditfile) zur Verfügung, mit dessen Hilfe alle wesentlichen Änderungen in der Buchhaltung digital in einem Bestand zusammengefasst werden können. Dieser Bestand kann durch das entsprechende Kontrollprogramm des Prüfers (Clair) ausgewertet werden.447 aa) Zweck Die Buchprüfung dient zum einen dazu, nachzuhalten, ob die steuerlich relevanten Tatsachen zutreffend in die Buchhaltung übernommen worden sind (sog. materieel onderzoek) und zum anderen der Klärung der Frage, ob die Angaben in der Buchhaltung mit denen in der Steuererklärung übereinstimmen (sog. fiscaaltechnisch onderzoek). Buchprüfungen können auch als sog. derdenonderzoeken (Drittkontrollen) durchgeführt werden. In diesen Fällen überprüft die Finanzverwaltung die Buchhaltung eines Steuerpflichtigen zu dem Zweck, steuerlich relevante (Kontroll-)Informationen über einen anderen Steuerpflichtigen zu ermitteln. Typische Fälle dieser Drittkontrollen sind Prüfungen bei den Lieferanten oder Auftraggebern des Steuerpflichtigen. Drittkontrollen können auch „schleppnetzartig“ durchgeführt werden, d.h. ohne dass die Person des Steuerpflichtigen, um dessen Besteuerungsangelegenheiten es letztlich geht, bereits bekannt ist.448 Auch wenn es sich nicht um eine explizit durchgeführte Drittkontrolle handelt, kann der Prüfer grundsätzlich Kontrollmitteilungen über Umstände anfertigen, die ihm anlässlich einer „gewöhnlichen“ Kontrolle bei einem Steuerpflichtigen im Zusammenhang mit einem anderen Steuerpflichtigen auffallen. Bei Drittkontrollen muss der jeweilige Steuerpflichtige, bei dem die Kontrolle durchgeführt wird, aktiv mitwirken. Die Anordnung einer Buchprüfung steht im Ermessen des Belastingdienst. Obwohl das Gesetz keine Beschränkung von Außenprüfungen auf bestimmte Zielgruppen von Steuerpflichtigen vorsieht, bringt der Begriff der Buchprüfung bereits zum Ausdruck, dass der Belastingdienst sich auf die Überprüfung buchführungspflichtiger Steuerpflichtiger beschränkt, sodass Particulieren in der Regel nicht Ziel von Außenprüfungen sind. Demnach besteht hinsichtlich der Zielgruppe weitgehend Übereinstimmung mit der Außen- bzw. Betriebsprüfung nach §§ 193 ff. AO, BPO. Inhaltlich können Buchprüfungen entweder für alle Steuerarten umfassend oder aber für einzelne Steuerarten oder Sachverhalte angeordnet werden, sodass unter den 447 Antwort des Staatssekretärs auf Fragen von Abgeordneten v. 12.11.1999, nr. PFC99/1072, insbesondere Antwort auf Frage 4; Thunnissen im Interview mit Booij, triBuut 8/2000, 6, 7. 448 HR v. 10.12.1974, nr. 67 574 („Stad Rotterdam”), NJ 1975, 178; vgl. auch Fn. 546; Kamerling/Dekker, Belastingcontrole, S. 158 f.
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Begriff der Buchprüfung auch spezielle Außenprüfungen gefasst werden, die den deutschen Lohnsteueraußenprüfungen (§ 42f EStG), Umsatzsteuersonderprüfungen etc. entsprechen. bb) Ablauf Die gesetzlichen Vorschriften für den Ablauf einer Buchprüfung sind weit weniger detailliert als die Regelungen der §§ 193 ff. AO für die Außenprüfung. Der Begriff der Buchprüfung findet in den art. 47 ff. AWR, in denen die Mitwirkungspflichten der Steuerpflichtigen geregelt sind, keine Verwendung. Dennoch haben sich in der Praxis Verfahrensstandards herausgebildet449 und der Belastingdienst hat mit dem sog. Handboek Controle einen intern bindenden Leitfaden für die Durchführung u. a. von Buchprüfungen aufgestellt. Das Handbuch ist in einer Vorauflage veröffentlicht worden.450 Der Teamchef verteilt die vorzunehmenden Prüfungen auf den jeweils am besten geeigneten Mitarbeiter seines Teams. Dieser stellt dann zunächst ein Prüfungsprogramm auf, das in der Regel aus dem Standardprüfungsprogramm (dazu sogleich unter cc)) für die Branche, der der Steuerpflichtige angehört, ergänzt um einige spezifische Prüfungspunkte, besteht. Grundsätzlich wird eine Buchprüfung vorweg angekündigt und dem Steuerpflichtigen mitgeteilt, welche Teile der Buchhaltung benötigt werden und auf welche Steuerarten und Veranlagungszeiträume sich die Kontrolle erstrecken soll.451 Während der Betriebsprüfung obliegen dem Steuerpflichtigen die im 1. Kap. bereits erläuterten Mitwirkungspflichten. Der Steuerpflichtige ist danach verpflichtet, alle Unterlagen vorzulegen, die für Besteuerungszwecke von Bedeutung sein können, sowie entsprechende Auskünfte zu erteilen. Der Prüfer muss sich mit seinen Fragen an den Steuerpflichtigen wenden, d.h. er darf sich nicht selbst „bedienen“.452 Am Ende der Kontrolle steht jeweils eine Schlussbesprechung (eindgesprek), während derer für beide Seiten ein gewisser Verhandlungsspielraum besteht. Anschließend teilt der Belastingdienst dem Steuerpflichtigen seine Schlussfolgerungen in einem schriftlichen Prüfungsbericht (rapport) mit. Während dieser Prüfungsbericht vor der Reorganisation noch den Charakter einer internen Empfehlung des Prüfers an den jeweiligen Veranlagungsbeamten hatte, kann der Steuerpflichtige inzwischen daraus Rechte ableiten – z. B. kann die Finanzverwaltung zu einem späteren Zeitpunkt grundsätzlich keine 449
Dazu ausführlich Kamerling/Dekker, Belastingcontrole, S. 27 ff. Darüber hinaus ist das Handbuch auch in englischer Sprache erschienen, vgl. Belastingdienst/IBFD, Tax Auditing Handbook – A Dutch Perspective, 1996. 451 Dankaart, LoonBrief 8–9/1996, 3, 4. 452 Lugte, Aanspraak 2/2001, 11, 17. 450
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3. Kap.: Arbeitsweise des Belastingdienst
Korrektur mehr vornehmen, wenn sie eine bestimmte Fragestellung, die Gegenstand der Buchprüfung war, im Prüfungsbericht nicht als korrekturbedürftig bezeichnet hat. Über den Inhalt des Prüfungsberichts kann nach dessen Erstellung mit dem Belastingdienst nicht mehr verhandelt werden.453 cc) Standardkontrollprogramme Bei der Planung und Durchführung von Kontrollaktivitäten profitiert der Belastingdienst von den Beschreibungen der Branchen und ihrer spezifischen Risiken, die intern angefertigt wurden und Eingang in standardisierte Kontrollprogramme gefunden haben. Durch die Standardisierung soll einerseits die für die Kontrolle aufzuwendende Zeit reduziert und andererseits sichergestellt werden, dass erfahrungsgemäß kritische Punkte nicht übersehen werden (diese letzte Funktion könnte man als „Spickzettelfunktion“ umschreiben). Es bleibt jedoch Sache der jeweiligen Prüfer zu entscheiden, inwieweit das Standardkontrollprogramm dem Einzelfall gerecht wird bzw. hinsichtlich welcher Aspekte Abweichungen erforderlich sind. Von dem Misstrauen, das manche Prüfer den Standardkontrollprogrammen bei ihrer Einführung entgegengebracht haben, zeugen die Ausführungen von Smulders/van Mierlo, die sich intensiv mit den Vor- und Nachteilen der Programme beschäftigt haben.454 Vor allem erfahrene Prüfer sahen sich offensichtlich zunächst durch die Computerunterstützung bevormundet bzw. hielten diese aufgrund ihrer langjährigen Erfahrung für überflüssig. d) Sonderformen Zu den besonderen Kontrollarten zählen insbesondere landesweite Aktionen, die sog. Waarneming ter plaatse (Betriebsbesichtigung) und die speziellen Betriebsbesuche bei neugegründeten Unternehmen (sog. Startersbezoeken). aa) Landesweite Aktionen/Suchlichter Seit den ersten beiden landesweiten Aktionen „Schuimkraag“ (Schaumkrone) und „Goudtand“ (Goldzahn) Ende 1979, die für ungewöhnlich starkes Aufsehen in den Medien gesorgt hatten, führt der Belastingdienst immer wieder sog. landelijke acties (landesweite Aktionen) durch, bei denen einzelne Branchen oder sonstige Gruppen von Steuerpflichtigen auf bestimmte steuerliche Aspekte hin untersucht werden. Hinsichtlich der kon453 454
Lugte, Aanspraak 2/2001, 11, 21. Smulders/van Mierlo in: Controle in beweging, S. 155 ff.
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kreten Ausführung können die durch den Belastingdienst im Rahmen einer landesweiten Aktion durchgeführten Kontrollen sowohl Buchprüfungen als auch die im Folgenden näher zu erläuternden Betriebsbesichtigungen sein und entweder den geprüften Steuerpflichtigen selber gelten oder den Charakter einer Drittprüfung haben.455 Die Besonderheit der landesweiten Aktionen besteht darin, dass sie zur Aufdeckung vermuteter struktureller Unregelmäßigkeiten dienen und die dabei gewonnenen Erkenntnisse sich wegen der Großflächigkeit besonders zur Rückkopplung mit dem Risikobeherrschungsmodell eignen. Darüber hinaus schenken die Medien den landesweiten Aktionen große Aufmerksamkeit, was der präventiven Wirkung zugute kommt. Gegenstand landesweiter Aktionen waren z. B. im Jahr 2001 die Rechnungsstellung im Hotel- und Gaststättengewerbe, insbesondere bei orientalischen Restaurants, sowie polnische Saisonarbeiter im Gartenbau und im Jahr 1999 Rabatte und Bonusse im pharmazeutischen Sektor sowie Kostenerstattungen bei Zeitarbeitsfirmen.456 Ausschlaggebend für die Auswahl der jeweiligen Prüfungsschwerpunkte können u. a. aktuelle Gesetzesänderungen sein, um auf diese Weise die Aufmerksamkeit der Steuerpflichtigen für die neue Gesetzeslage zu schärfen. Außerdem werden jährlich sog. zoeklichter (Scheinwerfer) auf einzelne Branchen gerichtet, d.h. jeweils ein Team von Mitarbeitern des Belastingdienst nimmt sich (oftmals im Vorfeld einer landesweiten Aktion) eine bestimmte Branche vor, um die Branchenkenntnis zu verbessern und etwaige Steuerhinterziehungsmuster aufzudecken.457 Im Jahr 2001 sind entsprechende Suchlichter auf Landwirte hinsichtlich der Übertragung landwirtschaftlich genutzter Flächen sowie auf Hausärzte hinsichtlich sog. Goodwillfonds gerichtet worden. Bei den branchenweiten Aktionen erfährt der Belastingdienst auch Unterstützung von den Branchenorganisationen, die insgesamt gut mit dem Belastingdienst zusammenarbeiten, weil sie selber daran interessiert sind, dass schwarze Schafe aus der Branche durch den Belastingdienst herausgefiltert werden und nicht die komplette Branche den Ruf steuerlicher Unzuverlässigkeit bekommt.458 bb) Waarneming ter plaatse (Betriebsbesichtigung) Während bis Mitte der 80er Jahre die Kontrolltätigkeiten des Belastingdienst im Wesentlichen auf Buchprüfungen beschränkt gewesen waren, bei 455 456 457 458
Kamerling/Dekker, Belastingcontrole, S. 160 f. Belastingdienst, Beheersverslag 2001, S. 26; Booij, triBuut 8/2000, 6, 7 f. Thunnissen im Interview mit Booij, triBuut 8/2000, 6, 8. Thunnissen im Interview mit Booij, triBuut 8/2000, 6, 8.
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3. Kap.: Arbeitsweise des Belastingdienst
denen die Buchhaltung der Steuerpflichtigen vom Schreibtisch aus mit den Angaben in der Steuererklärung abgeglichen wurde, setzte sich im Zuge der Evaluierung aller Prozesse im Zusammenhang mit der Reorganisation die Erkenntnis durch, dass die Steuerpflichtigen sich auf diese Form der Kontrolle inzwischen eingestellt hatten und Unregelmäßigkeiten (z. B. hinsichtlich angemessener Gewinnspannen) in den (entsprechend geschönten) Büchern kaum noch aufzuspüren waren: Mit der Entwicklung der EDV wurde es für Unternehmer immer einfacher, ihre elektronische Buchhaltung zu überarbeiten und den Prüfern das zu bieten, was Kamerling/van der Putten als „steuerliche Playbackshow“459 bezeichnen. Die Kontrollaktivitäten bezogen sich jeweils auf bis zu fünf Jahre zurückliegende Zeiträume, sodass die Bücher tatsächlich die einzige Informationsquelle waren und die Mitarbeiter des Belastingdienst sich kein eigenes Bild von der Situation des Betriebs zum fraglichen Zeitpunkt mehr machen konnten. Vor diesem Hintergrund wurde die sog. waarneming ter plaatse (WTP, Betriebsbesichtigung) entwickelt und beschlossen, dass die Prüfer sich künftig auf dem Wege „physischer“ Kontrolle häufiger vor Ort ein Bild von der Situation in den Betrieben machen sollten.460 Nach ersten Experimenten mit dieser Form der Kontrolle im Sommer 1992 hat sich die Betriebsbesichtigung seit 1994 zu einem wichtigen, zugleich präventiv und repressiv wirkenden Mittel der Finanzverwaltung entwickelt. Unter einer Betriebsbesichtigung ist die Beobachtung tatsächlicher Betriebsvorfälle und -umstände in einem Unternehmen zum Zwecke der strukturierten Sammlung von Informationen zu verstehen, die bei späteren Kontrollen (insbesondere bei Buchprüfungen) als Vergleichmaßstab herangezogen werden können.461 Die Betriebsbesichtigung dient dementsprechend weniger dazu, nachträglich steuerlich relevante Sachverhalte zu ermitteln, sondern zielt auf eine aktuelle Überwachung der betrieblichen Vorgänge, wie sie sich in der Gegenwart vollziehen.462 So prüfen die Mitarbeiter des Belastingdienst z. B., ob die Zahl der Arbeitnehmer, die sie bei einer dieser Betriebsbesichtigungen antreffen, mit den Informationen in der Buchhal459
Kamerling/van der Putten in: Belastingfraude en belastingmoraal, S. 25, 30; van Helvoort, BM 6/1992, 54 f. 460 van der Putten im Interview mit Kamerling/Verhoog, BM 10/1996, 26, 28. 461 van Arendonk, MBB 9/1994, 291 f.; Kamerling/van der Putten in: Belastingfraude en belastingmoraal, S. 25, 31. Die Betriebsbesichtigung ist von der sog. zichtwaarneming (Inaugenscheinnahme) abzugrenzen, bei der kein persönlicher Kontakt zum Steuerpflichtigen hergestellt wird, vgl. Lugte, Aanspraak 2/2001, 11, 15. Von derartigen „verdeckten“ Ermittlungen macht der Belastingdienst in der Regel keinen Gebrauch. 462 Alink/van Kommer, The Dutch Case, S. 72; Kamerling/van der Putten in: Belastingfraude en belastingmoraal, S. 25, 31.
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tung übereinstimmt.463 Dadurch kann zum einen nicht abgeführte Lohnsteuer aufgedeckt werden. Zum anderen lässt die Beschäftigung von Mitarbeitern, die in der Lohnbuchhaltung nicht erfasst sind, auf entsprechende „schwarze“ Umsätze schließen, aus denen die Gehälter bezahlt werden. Oder es werden z. B. bei einem Blumenhändler vor Ort die Blumensorten kontrolliert, die er in seinem Sortiment hat. Anschließend wird die Buchhaltung daraufhin überprüft, ob und bei wem diese Blumensorten tatsächlich eingekauft worden sind. Gibt es für bestimmte Blumen keine Einkaufsrechnungen, so weist das auf nicht gebuchte Umsätze hin. Auch ein Kassensturz kann typischerweise im Rahmen einer Betriebsbesichtigung veranlasst werden. Bei den (steuerehrlichen) Unternehmern stößt diese verstärkte Präsenz des Belastingdienst durchaus auf Zustimmung, weil dadurch Wettbewerbsvorteile unehrlicher Konkurrenten bekämpft werden.464 Die Befugnis zur Durchführung von Betriebsbesichtigungen leitet der Belastingdienst aus art. 50 AWR ab, obwohl sich der Begriff der Betriebsbesichtigung dort ebenso wenig findet wie der der Buchprüfung.465 Hinsichtlich der zeitlichen Beschränkungen des Zutrittsrechts wird auf die Ausführungen in 1. Kap. unter E.III.2.c.) verwiesen. Erstmalige Betriebsbesichtigungen werden, sofern sie sich auf Unternehmen beziehen, die beim Belastingdienst bereits bekannt sind, in der Regel schriftlich angekündigt, ohne dass jedoch ein genauer Zeitpunkt für die Besichtigung angegeben wird. Gelegentlich werden absichtlich mehr Ankündigungsbriefe verschickt, als Besichtigungen geplant sind, da die Erfahrung zeigt, dass die bloße Ankündigung viele Unternehmer veranlasst, die eine oder andere Unregelmäßigkeit zu berichtigen.466 Werden bei der Betriebsbesichtigung Unterlagen benötigt, so werden diese in der Ankündigung mit aufgeführt, damit die spätere Besichtigung schneller und effizienter durchgeführt werden kann. Häufig werden im Anschluss an eine erste Betriebsbesichtigung Folgebesichtigungen durchgeführt, die in der Regel nicht mehr angekündigt werden.467 Zu Beginn der Betriebsbesichtigung müssen sich die Prüfer ausweisen. Wird den Prüfern anlässlich einer Betriebsbesichtigung der Zutritt verweigert, wird in der Regel eine Betriebsprüfung angeordnet. Insoweit 463
Kamerling/Dekker, Belastingcontrole, S. 136; Strijkert, WFR 1993, 1767 f. van der Putten im Interview mit Kamerling/Verhoog, BM 10/1996, 26, 29. 465 Dieser Rechtsansicht des Belastingdienst hat sich die Rechtsprechung mittlerweile angeschlossen, vgl. Hof Den Haag v. 16.5.2002 nr. C00-1122A unter Nr. 11. Zu den früheren Auseinandersetzungen über diese Frage vgl. Strijkert, WFR 1993, 1767, 1768. 466 Pennders, Account 9/1993, 28, 29; van der Putten im Interview mit Kamerling/Verhoog, BM 10/1996, 26, 29. 467 Kamerling/Dekker, Belastingcontrole, S. 140; van der Putten im Interview mit Kamerling/Verhoog, BM 10/1996, 26, 29. 464
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3. Kap.: Arbeitsweise des Belastingdienst
besteht ein Anreiz für die Steuerpflichtigen, sich bei der Betriebsbesichtigung kooperativ zu verhalten, um nicht am Ende mit einer zeit- und kostenintensiveren Betriebsprüfung konfrontiert zu werden.468 Darüber hinaus wird es auch für zulässig erachtet, eine Betriebsbesichtigung mit einer Buchprüfung zu verknüpfen.469 Anlässlich einer Betriebsbesichtigung können die Prüfer Kopien von Unterlagen anfertigen, die sie für wichtig halten und von denen sie befürchten, dass sie zum Zeitpunkt einer späteren Buchprüfung möglicherweise nicht mehr vorhanden sind.470 Die Betriebsbesichtigung wird, ebenso wie die Buchprüfung, mit einem Prüfungsbericht abgeschlossen.471 cc) Startersbezoeken Einen weiteren Sonderfall präventiver „Außenaktivitäten“ stellen die sog. startersbezoeken (Besuche bei neu gegründeten Unternehmen) dar. Einerseits weisen diese Besuche einen Serviceaspekt auf, da die Unternehmer bei dieser Gelegenheit umfassende Informationen über ihre steuerlichen Verpflichtungen erhalten. Andererseits verschaffen sich die Beamten einen ersten Eindruck von dem Betrieb und führen dadurch bereits erste Kontrollaktivitäten durch. Insgesamt überwiegt bei den Startersbezoeken jedoch deutlich das präventive Element.472 dd) Steuerstrafrechtliche Ermittlungen So sehr der Belastingdienst sich bemüht, ehrlichen Steuerzahlern gegenüber als Dienstleister aufzutreten, so konsequent versucht er, Steuerkriminalität aufzudecken und zu bekämpfen. Täte er dies nicht, so würde die Bereitschaft der ehrlichen Steuerzahler, ihren steuerlichen Pflichten nachzukommen, sinken, weil sie sich gegenüber den säumigen und unehrlichen Steuerpflichtigen benachteiligt fühlen würden. Andererseits gelten repressive Maßnahmen zur Bekämpfung der Steuer- und Wirtschaftskriminalität jedoch als ultima ratio, was sich auch aus der oben dargestellten Toezichtpiramide ergibt.
468
van Blijswijk im Interview mit Pennders, Account 9/1993, 28, 29. Hof Den Haag v. 16.5.2002 nr. C00-1122A unter Nr. 14. 470 Kamerling/Dekker, Belastingcontrole, S. 137. 471 Dankaart, LoonBrief 8–9/1996, 3, 5; Kamerling/Dekker, Belastingcontrole, S. 140; Lugte, Aanspraak 2/2001, 11, 15. 472 Vgl. Brief des Staatssekretärs an das Parlament v. 20.5.1997, nr. PFC.399. 469
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Ausgehend von den Untersuchungen van Bijstervelds Ende der 1970er Jahre und der ISMO Anfang der 1980er Jahre hatte sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass in der niederländischen Gesellschaft in großem Umfang sog. „Wittebordencriminaliteit“ (Weiße-Kragen-Kriminalität) zu verzeichnen ist.473 Seitdem genießt die Bekämpfung der Subventions- und Steuerkriminalität in der niederländischen Politik und Verwaltung einen hohen Stellenwert, wobei insbesondere die Bedeutung der Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Behörden sowie zwischen dem Belastingdienst und den Unternehmerverbänden betont wird. Für steuerstrafrechtliche Ermittlungen ist innerhalb des Belastingdienst der Fiscale Inlichtingen- en Opsporingsdienst (FIOD, steuerlicher Informations- und Aufklärungsdienst, Steuerfahndung) zuständig. Dieser Dienst hat seit 1975 eine erhebliche Personalaufstockung von damals 225 Mitarbeitern auf 749 im Jahr 1995 erfahren474 und ist 1999 als Konsequenz der bereits bestehenden engen Zusammenarbeit des FIOD mit dem Economische Controle Dienst (ECD, zuständig für die Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität) zu einer Organisation, dem sog. FIOD-ECD verschmolzen worden. Im Jahr 2002 verfügte der FIOD-ECD über 1.110 Vollzeitstellen.475 Der FIOD hat die Aufgabe, Umstände aufzuspüren, die im AWR oder den Einzelsteuergesetzen unter Strafe gestellt sind, kann aber auch bei Verdacht einiger nicht steuerspezifischer Straftaten wie z. B. Urkundenfälschung und Betrug ermitteln.476 Des weiteren sind die Mitarbeiter des FIOD wie alle anderen Prüfer des Belastingdienst damit beauftragt, Verletzungen steuerlicher Pflichten im Allgemeinen aufzuspüren, wie z. B. die verspätete Abgabe von Steuererklärungen oder die Missachtung der Aufbewahrungspflichten. Sowohl bei der Aufspürung von Steuerhinterziehung im Allgemeinen als auch bei der konkreten Durchführung von Kontrollen können die Beamten des FIOD auf spezifische Kenntnisse über die jeweiligen Branchen zurückgreifen.477 Damit Steuerkriminalität, die der Belastingdienst aufgespürt hat, auch tatsächlich strafrechtlich verfolgt wird, arbeitet der Belastingdienst schon seit Mitte der 80er Jahre intensiv mit den Strafverfolgungsbehörden zusammen.478 Der Belastingdienst und die Staatsanwaltschaft haben sog. Aanmel473 Zum Van-Bijsterveld-Rapport und dem ISMO-Rapport siehe oben 2. Kap. unter B.III.1.; van Lunteren in: Wittebordencriminaliteit, S. 7 f. 474 Schellekens/Schweitzer, In naam van de FIOD, S. 77. 475 Belastingdienst, Jaarverslag 2002, S. 98. 476 Wasch, Onderneming en Fiscus, S. 44. 477 Veele, Fiskaal 1992, 315, 317 f. Der FIOD hatte bereits 1982 mit der Zusammenstellung spezifischer Branchendokumentationen begonnen, vgl. Schellekens/ Schweitzer, In naam van de FIOD, S. 82.
188
3. Kap.: Arbeitsweise des Belastingdienst
dings-, Transactie- en Vervolgingsrichtlijnen voor fiscale delicten en douanedelicten479 (ATV, Richtlinien für die Verfolgung steuerlicher Delikte) aufgestellt, um die Zusammenarbeit auf diesem Gebiet möglichst effizient zu gestalten. Die ATV enthalten sowohl Verfahrensregelungen als auch einen Katalog von Kriterien, anhand derer die Rangfolge der zu verfolgenden Straftaten bestimmt wird. Zunächst werden die Fälle, in denen eine Strafverfolgung in Betracht kommt, innerhalb des Belastingdienst anhand der in den Richtlinien bestimmten Kriterien480 ausgewählt und beim jeweiligen boetefraude-coordinator (Koordinator für Steuerstrafsachen; diese Position ist in nahezu allen Finanzämtern besetzt) angemeldet. Genügen die angemeldeten Fälle den aufgestellten Kriterien, bringt der Koordinator sie in ein Gremium zur Beratung ein, dem außer ihm selbst noch jeweils ein Mitarbeiter des FIOD, ein Kontaktbeamter für Verfahrensfragen (der den Kontakt zur Staatsanwaltschaft unterhält) sowie die anderen Koordinatoren für Steuerstrafsachen der im jeweiligen Gerichtsbezirk liegenden Finanzämter angehören. In diesem Gremium wird aufgrund der Beweislage und aufgrund der Bedeutung des Falles entschieden, ob in der Angelegenheit weitere Ermittlungstätigkeiten geboten sind. Zur Ermittlung der Schwere des Falles werden anhand eines Fragenkatalogs Punkte vergeben, wobei es z. B. auf den Betrag der hinterzogenen Steuern, auf eine etwaige Wiederholungstat und die etwaige Beteiligung eines Steuerberaters ankommt. Die von dem Auswahlgremium für verfolgenswert gehaltenen Fälle werden anschließend in sog. DreiParteien-Beratungen eingebracht, an denen neben dem Kontaktbeamten, dem Koordinator für Steuerstrafsachen und dem Mitarbeiter des FIOD auch ein Vertreter der Staatsanwaltschaft teilnimmt. Dieses Gremium beschließt endgültig über die Durchführung weiterer Ermittlungsmaßnahmen, wobei der Vertreter der Staatsanwaltschaft sich bereits dazu äußert, ob und unter welchen Voraussetzungen eine spätere Anklageerhebung in Betracht kommt. Die zu verfolgenden Steuerstraftaten durchlaufen damit eine dreistufige Überprüfung. Fälle, die nicht für eine weitere strafrechtliche Verfolgung ausgewählt werden, werden an den Belastingdienst zur Ahndung mit Verwal478 van der Putten im Interview mit Kamerling/Verhoog, BM 10/1996, 26, 27; Schellekens/Schweitzer, In naam van de FIOD, S. 85. 479 ATV v. 13.4.1993, AFZ 93/2858, Stcrt. 1993, nr. 75, in der Fassung v. 18.12.2001, DGB2001/1476M, Stcrt. 2001, nr. 248. 480 Danach muss ein Schwellenwert von derzeit 5.500 e für Particulieren und 11.500 e für Unternehmer überschritten sein und es muss sich um eine vorsätzliche Tat handeln. Die Begriffe „Particulieren“ und „Ondernemingen“ haben in diesem Zusammenhang eine abgewandelte Bedeutung, denn Unternehmer, die eine Steuerhinterziehung außerhalb der betrieblichen Sphäre, d.h. in der Privatsphäre begehen, werden auch als Particulieren angesehen. Für Unterlassungsdelikte gelten besondere Schwellenwerte, die an die Häufigkeit des Unterlassens anknüpfen, vgl. ATV v. 18.12.2001, DGB2001/1476M, Stcrt. 2001, nr. 248, unter 2.2.
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tungsbußgeldern zurückverwiesen bzw. können in einer sog. fiscale transactie (steuerlicher Vergleich, dazu 1. Kap. unter E.III.6.) enden. Neben der Abstimmung von Kriterien für die Auswahl verfolgungswürdiger Steuerstraftaten treffen Staatsanwaltschaft und Belastingdienst Absprachen über die Mindestzahl von Fällen, in denen innerhalb eines bestimmten Zeitraums eine Strafverfolgung in Betracht kommt. Derartige Absprachen gibt es sowohl landesweit zwischen der Staatsanwaltschaft und dem Generaldirektor des Belastingdienst als auch auf regionaler Ebene in den einzelnen Gerichtsbezirken.481 Staatsanwaltschaft und Gerichten sind zusätzliche Personalmittel bereit gestellt worden, um die Strafverfolgung bei Steuerdelikten intensivieren zu können.482 Die Zusammenarbeit des Belastingdienst mit den Strafverfolgungsorganen zur Bündelung knapper Ressourcen ist zwar effizient, hat in den Niederlanden jedoch nicht nur Zustimmung hervorgerufen. So hat Zwenne den Einwand erhoben, durch die Kooperation werde die aus rechtsstaatlicher Sicht notwendige gegenseitige Kontrolle des Belastingdienst und der Staatsanwaltschaft aufgehoben.483 2. Kontrolldichte Schon vor der Reorganisation hat der Belastingdienst sein Augenmerk stark auf die Verbesserung der Kontrolldichte gerichtet, d.h. auf die Anzahl der Kontrollen (gemeint waren zunächst nur die Außenprüfungen, vor allem Buchprüfungen) pro Steuerpflichtigem und Jahr, ermittelt anhand der Zahl der in einem Jahr durchgeführten Kontrollen im Verhältnis zu den zu kontrollierenden Steuerpflichtigen. Hintergrund war die konstatierte niedrige Kontrolldichte Ende der 1970er/Anfang der 1980er Jahre, die im Durchschnitt höchstens 1:20 betrug,484 und das damals entstandene Interesse des Parlaments an diesem Aspekt.485 Im Zuge der Reorganisation hatte sich der Belastingdienst eine stufenweise Verbesserung der Kontrolldichte auf schließlich 1:6 für die Einkommen-, Körperschaft- und Lohnsteuer sowie 1:5 für die Umsatzsteuer zum Ziel gesetzt, d.h. bei jedem Steuerpflichtigen sollte durchschnittlich einmal in sechs bzw. fünf Jahren eine Kontrolle für die jeweilige Steuerart durchgeführt werden.486 Grund für diese zeitliche 481
ATV v. 18.12.2001, DGB2001/1476M, Stcrt. 2001, nr. 248, unter 4.5. Pennders, Account 9/1993, 28, 31. 483 Zwenne, Informatieverplichtingen, S. 186. 484 Boersma in: Seminar Controle, Beleid & Praktijk, S. 9, 10; Pennders, Account 9/1993, 28. 485 Vgl. dazu van der Ouderaa in: Burgerschap in praktijken, S. 43, 82 f. 486 van Kommer, Belastingdienst, S. 319; van Slobbe, WFR 1990, 1061, 1062. 482
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3. Kap.: Arbeitsweise des Belastingdienst
Vorgabe war neben der angestrebten Prävention sicherlich auch die Frist für die Korrektur von Steuerbescheiden, die gem. art. 16 lid 3 AWR grundsätzlich fünf Jahre ab dem Entstehen der Steuerschuld beträgt. Im Zusammenhang mit der Verbesserung der Kontrolldichte ist zu diesem Zeitpunkt auch in der Literatur immer wieder das (Negativ-)Beispiel Amerika angeführt worden und die einhellige Auffassung war, dass man unbedingt auf eine quantitativ umfassendere Kontrolle hinarbeiten wolle.487 Obwohl Fortschritte erzielt werden konnten, war dieses Ziel bis 1992 noch nicht erreicht, und zwar für keine der Steuerarten. 1992 wurde die Zielsetzung umformuliert und gilt seitdem nicht mehr pro Steuerpflichtigem und Steuerart, sondern pro Entität.488 Mit dieser „Hilfskonstruktion“ konnte die (geänderte) Zielsetzung 1994 tatsächlich zum ersten Mal erreicht werden. Darüber hinaus verbesserte sich der Quotient dadurch, dass der Belastingdienst seit der flächendeckenden Einführung der Betriebsbesichtigung im Jahr 1994 diese zusätzlich zu den Buchprüfungen in die Gesamtzahl der Kontrollen mit einfließen lässt. Da für Betriebsbesichtigungen in der Regel deutlich weniger Zeit veranschlagt wird als für Buchprüfungen, lässt sich die Zahl der durchgeführten Kontrollen durch die Berücksichtigung jener deutlich steigern. Die folgende Tabelle (Tabelle 5) verschafft eine Übersicht über die Kontrolldichte pro Entität. Bis 1996 hat der Belastingdienst diese Kontrolldichte in seinen Jahresberichten veröffentlicht.489 Seit 1997 gibt der Belastingdienst lediglich die Gesamtzahl der Kontrollen an. Die Angaben zur Kontrolldichte für die Jahre 1997–2002 beruhen deshalb auf eigenen Berechnungen anhand der Angaben über die Gesamtzahl der Entitäten und die Anzahl der durchgeführten Kontrollen.490 Auffällig ist, dass die Zielsetzung einer Kontrolldichte von mindestens 1:6 pro Entität von 1994 bis 1996 erreicht wurde,491 die Zahl der Kontrollen trotz Zunahme der Steuerpflichtigen bzw. Entitäten in den Folgejahren 487
Vgl. z. B. die Ausführungen Hofstras, zitiert nach Stevens, WFR 1990, 1072,
1073. 488
van Kommer, Belastingdienst, S. 334. Kritisch dazu van der Ouderaa in: Burgerschap in praktijken, S. 43, 85. 489 Vgl. Belastingdienst, Jaarverslag 1996, S. 50 f. 490 Vgl. Belastingdienst, Beheersverslag 2001, Productieverslag, S. 5, 14; Beheersverslag 2002, S. 37; Jaarverslag 2002, S. 68. 491 Bezogen auf die ursprünglich angestrebte Kontrolldichte pro Steuerpflichtigem sah das Verhältnis allerdings ganz anders aus: van Kommer, Belastingdienst, S. 330 ff., hat für die Jahre 1992–1995 die Angaben des Belastingdienst für die Kontrolldichte pro Entität in die Anzahl der Kontrollen pro Steuerpflichtigem umgerechnet, wobei er zwischen den vier wichtigsten Steuerarten (ESt, KSt, LSt, USt) differenziert hat. Berechnet man daraus einen Gesamtdurchschnitt, so betrug die Kontrolldichte pro Steuerpflichtigem 1992 1:13, 1993 1:12,6, 1994 1:11,8 und 1995 1:9,5.
110
1:7
49%
Zahl der durchgeführten Kontrollen ( 1000)
Kontrolldichte pro Entität (alle Steuerarten zusammengenommen)
Kontrollen, die zu einem steuerlichen Mehrergebnis geführt haben
44%
1:6
106
670
1994
28%
1:5
146
700
1995
40%
1:6
122
720
1996
57%
1:7,6*
115
735*
1997
66%
1:7,8
110
861
1998
69%
1:8,3
107
890
1999
79%
1:9,2
100
918
2000
77%
1:11,7
81
954
2001
78%
1:12,8
77
987
2002
* Für das Jahr 1997 gibt es widersprüchliche Angaben bzgl. der Zahl der Entitäten: Im Jaarverslag 1997 sind 735.000 angegeben, im Jaarverslag 1999 sowie im Beheersverslag 2001 dagegen 875.000.
720
Zahl der zu kontrollierenden Entitäten ( 1000)
1993
Tabelle 5: Kontrolldichte pro Entität
C. Klantbehandeling 191
192
3. Kap.: Arbeitsweise des Belastingdienst
jedoch massiv gesunken ist und die Kontrolldichte im Jahr 2002 mit 1:12,8 das schlechteste Ergebnis der vergangenen zehn Jahre erreicht hat. Gleichzeitig ist jedoch die Zahl derjenigen Kontrollen, die tatsächlich zu Korrekturen und einem Mehrergebnis geführt haben, von 44% im Jahr 1994 auf 78% im Jahr 2002 gestiegen. Für diese Beobachtungen gibt es im Wesentlichen zwei Gründe: In den Jahren 2001 und 2002 war der Belastingdienst durch die Umsetzung der Steuerreform 2001 erheblich belastet, weshalb insgesamt weniger Kontrollen durchgeführt werden konnten.492 Zugleich ist das günstigere Verhältnis zwischen der Gesamtzahl der Kontrollen und den aus Sicht des Belastingdienst erfolgreichen, da zu Mehrergebnissen führenden Kontrollen auf eine geänderte Zielsetzung zurückzuführen: Während über viele Jahre die bloße Anzahl der Kontrollen im Vordergrund stand, weil der Belastingdienst davon ausging, dass eine hohe Zahl von Kontrollen präventiv wirke und die Compliance fördere, hebt der Belastingdienst inzwischen stärker auf die Qualität der Kontrollen und insbesondere die Auswahl der zu kontrollierenden Fälle ab und weist darauf hin, dass Kontrollen, die zwar in geringerem Umfang, dafür aber bei den „richtigen“, d.h. den kontrollbedürftigen Steuerpflichtigen durchgeführt werden, viel effektiver und effizienter sein können.493 Dennoch wird weiterhin Wert auf eine kontinuierliche Präsenz des Belastingdienst gelegt, weshalb die Kontrolldichte nicht vollkommen aus dem Blickwinkel des Belastingdienst geraten darf. Für diese geänderte Zielsetzung gibt es verschiedene Gründe, von denen einige nur vermutet werden können. Sicher ist, dass eine Beibehaltung der angestrebten Kontrolldichte von 1:6 über das Jahr 1996 hinaus den Belastingdienst vor ganz erhebliche Schwierigkeiten gestellt hätte, weil die Zahl der Entitäten stetig zunimmt und deshalb Jahr für Jahr immer mehr Kontrollen hätten durchgeführt werden müssen, ohne dass der Belastingdienst auf zusätzliche Personalmittel hätte hoffen dürfen. Ferner ist davon auszugehen, dass die präventive Wirkung der Kontrollen nachlässt, wenn zwar viele, dafür aber qualitativ schlechte, oberflächliche Kontrollen durchgeführt werden und die steuerunehrlichen Bürger auf diese Weise in ihrer Einschätzung bestätigt werden, sie seien „schlauer“ als die Finanzverwaltung,494 weil die Prüfer z. B. Manipulationen der Buchführung übersehen haben. 492
Belastingdienst, Jaarverslag 2001, S. 58; Jaarverslag 2002, S. 63. Vgl. z. B. den Brief des Staatssekretärs an das Parlament v. 20.5.1997, nr. PFC.399 sowie die Antworten des Staatssekretärs auf Fragen des Finanzausschusses des Parlaments v. 10.7.2000, BBKB 2000-00108M, Antwort auf Frage Nr. 26, abrufbar unter . Schon 1993 hatte Vermeend – damals Abgeordneter, später Staatssekretär für Finanzen – die einseitige Fokussierung des Belastingdienst auf Quantitätssteigerungen bei den Kontrollen kritisiert, vgl. Vermeend im Interview mit Bergman/Kamerling, BM 6/1993, 28 f. 494 Davor warnt auch Grotenhuis, Belastingfraude, S. 26. 493
C. Klantbehandeling
193
Während der Belastingdienst für die Ondernemingen (und die zu den Entitäten zählenden Particulieren) demnach offiziell keine konkrete Kontrolldichte mehr anstrebt, gilt für die 200 größten Unternehmen seit der Reorganisation eine abweichende Vorgabe für eine Kontrolldichte von 1:1, d.h. diese Unternehmen sollen jährlich kontrolliert werden. Diese Zielsetzung wurde 1995 erstmals erreicht und konnte bis 1997 gehalten werden. Seitdem sind Angaben über die Kontrolldichte bei diesen Steuerpflichtigen nicht mehr verfügbar. Im Jahr 2000 sind Steuerpflichtige dazu befragt worden, wie lange die letzte Buchprüfung in ihrem Unternehmen zurückliegt:495 Tabelle 6: Befragung von Ondernemingen zum Prüfungsturnus Grote Ondernemingen
Ondernemingen
2000
9%
6%
1999
15%
11%
1998 oder 1997
23%
24%
1996 oder früher
38%
31%
noch nie
14%
28%
Vergleicht man diese Angaben der Steuerpflichtigen mit den Angaben des Belastingdienst zur Kontrolldichte, so fällt insbesondere auf, dass 28% der befragten Ondernemingen angaben, noch nie kontrolliert worden zu sein, obwohl die Kontrolldichte pro Entität in den Jahren 1992–2000 nach Angaben des Belastingdienst durchschnittlich 1:7 betrug. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass sich die Angaben des Belastingdienst nicht auf einzelne Steuerpflichtige bzw. Unternehmen, sondern auf Entitäten beziehen, sodass eine Entität möglicherweise als kontrolliert gilt, auch wenn nicht jedes dazugehörende Unternehmen tatsächlich kontrolliert worden ist. Bei den befragten Grote Ondernemingen lässt sich außerdem nicht ermitteln, welcher Gruppe der Grote Ondernemingen sie angehörten, d.h. ob einige möglicherweise zu den 200 größten Ondernemingen zählten, für die der Belastingdienst eine Kontrolldichte von 1:1 anstrebt. Nichtsdestotrotz stehen die insgesamt hohen Prozentsätze derjenigen Unternehmen, die angeben, noch nie kontrolliert worden zu sein, im Widerspruch zu den Bemühungen des Belastingdienst um möglichst effektive Kontrollen und eine entsprechende präventive Wirkung. 495
Hoofdlijnen Fiscale Monitor 2000, S. 57.
194
3. Kap.: Arbeitsweise des Belastingdienst
Betrachtet man neben der Zahl der durchgeführten Kontrollen die Ergebnisse, zu denen sie geführt haben, so ergibt sich, nach Steuerarten aufgeschlüsselt, folgendes Bild (Tabelle 7, s. nächste Seite)496 Der Belastingdienst erklärt den deutlichen Anstieg der anlässlich von Kontrollen durchgeführten Korrekturen im Jahr 1999 damit, dass die durchschnittliche Dauer der Kontrollen verlängert worden sei, sodass insgesamt gründlicher kontrolliert werden konnte.497 Hinsichtlich der Verteilung der Steuerarten auf die Kontrollen liegt ein deutlicher Schwerpunkt bei der Einkommen- und Umsatzsteuer. In der Regel beziehen sich die Kontrollen jedoch auf mehr als eine Steuerart (Tabelle 8, s. S. 196).498 Die nachstehenden Tabellen verdeutlichen noch einmal, dass zwischen der Anzahl der Kontrollen und der Häufigkeit von Korrekturen (und damit dem steuerlichen Mehrergebnis) nicht zwangsläufig ein Zusammenhang besteht: Obwohl 1995 mit Abstand die meisten Kontrollen durchgeführt wurden, hat nur ein verhältnismäßig geringer Teil dieser Kontrollen tatsächlich zu Korrekturen geführt, was entweder auf Mängel bei der Durchführung oder aber auf eine ungünstige Auswahl der zu prüfenden Steuerfälle hinweist. Neben den Zielvorgaben für die Kontrolldichte werden auch Leitlinien für die Zeitaufteilung zwischen Prüfungen an Amtsstelle einerseits und Außenprüfungen andererseits aufgestellt. So sollte im Jahr 1996 mindestens 35% der verfügbaren Arbeitszeit innerhalb der Teams bei den Finanzämtern für Ondernemingen und Grote Ondernemingen für Außenprüfungen eingesetzt werden. 1997 lag diese Vorgabe bei mindestens 37% und seit 1999 bei 40%.499 Seit 1996 sollen von der für Außenprüfungen zur Verfügung stehenden Zeit 80% auf Buchprüfungen und 20% auf Betriebsbesichtigungen verwendet werden.500 Bei den Buchprüfungen wiederum soll in 20% der Fälle die Körperschaftsteuer zum Prüfungsgegenstand gemacht werden. Außerdem sind für jede der Prüfungsarten Durchschnittswerte bezüglich der Dauer, des Ergebnisses und der erforderlichen Kenntnisse des Sachbearbeiters ermittelt worden, um die Arbeitsverteilung innerhalb der Teams entsprechend planen zu können. 496 Quelle: bis 1997 Alink/van Kommer, The Dutch Case, S. 74; ab 1998 Belastingdienst, Jaarverslag 2002, S. 89. 497 Belastingdienst, Jaarverslag 1999, S. 50. 498 Jahresberichte des Belastingdienst, z. B. Jaarverslag 2002, S. 89. 499 Vgl. den Brief des Staatssekretärs an das Parlament v. 20.5.1997, nr. PFC.399 sowie die Antworten des Staatssekretärs auf Fragen des Finanzausschusses des Parlaments anlässlich des Beheersverslag 1999 v. 10.7.2000, BBKB 2000-00108M (Antwort auf Frage Nr. 26), abrufbar unter ; Belastingdienst, Bedrijfsplan 2001–2005, Sectorplan Klantbehandeling unter Punkt 8.2. 500 Brief des Staatssekretärs an das Parlament v. 20.5.1997, nr. PFC.399.
214
1.494
156
201
ESt (Höhe des korrigierten Einkommens)
KSt (Höhe des korrigierten Gewinns)
LSt (Mehrsteuern)
USt (Mehrsteuern)
1993
126
122
1.870
200
1994
137
95
2.065
175
1995
208
135
1.605
243
1996
211
109
2.511
300
1997
249
128
2.623
384
1998
282
184
3.411
521
1999
381
187
4.844
501
2000
359
252
4.367
516
2001
Tabelle 7: Umfang der anlässlich von Kontrollen erfolgten Korrekturen (Angaben in Mio. Euro)
424
266
4.163
692
2002
C. Klantbehandeling 195
49%
8%
37%
32%
29%
64%
31%
– Häufigkeit von Korrekturen infolge von Kontrollen
Körperschaftsteuer – Gegenstand von Kontrollen
– Häufigkeit von Korrekturen infolge von Kontrollen
Lohnsteuer – Gegenstand von Kontrollen
– Häufigkeit von Korrekturen infolge von Kontrollen
Umsatzsteuer – Gegenstand von Kontrollen
– Häufigkeit von Korrekturen infolge von Kontrollen 28%
61%
24%
32%
28%
11%
44%
47%
1994
21%
57%
17%
35%
23%
9%
28%
53%
1995
28%
64%
27%
30%
34%
10%
40%
56%
1996
31%
64%
31%
28%
33%
13%
41%
56%
1997
–*
62%
–*
27%
–*
14%
–*
55%
1998
–*
57%
–*
28%
–*
14%
–*
50%
1999
–*
55%
–*
31%
–*
13%
–*
54%
2000
–*
56%
–*
37%
–*
13%
–*
50%
2001
–*
64%
–*
34%
–*
15%
–*
48%
2002
* Seit 1998 wird die Häufigkeit von Korrekturen infolge der durchgeführten Kontrollen in den Jahresberichten des Belastingdienst nicht mehr nach Steuerarten aufgeschlüsselt. Stattdessen werden nur noch Gesamtzahlen veröffentlicht. Danach führten 1998 66%, 1999 69%, 2000 79%, 2001 77% und 2002 78% der durchgeführten Kontrollen zu Korrekturen hinsichtlich zumindest einer der Steuerarten.
42%
Einkommensteuer – Gegenstand von Kontrollen
1993
Tabelle 8: Verteilung der Kontrollen auf die Steuerarten 196 3. Kap.: Arbeitsweise des Belastingdienst
D. Automatisierung
197
D. Automatisierung Mit der zunehmenden Automatisierung von Arbeitsprozessen innerhalb der Finanzverwaltung werden überhaupt erst die Voraussetzungen für eine systematische Gewichtung von Steuerfällen, eine schnellere Bearbeitung von Steuererklärungen etc. geschaffen, denn die Effizienz der Mitarbeiter kann durch Schulungen nur bedingt gesteigert werden. Das größte Einsparungspotential bei der Bearbeitungszeit liegt deshalb in den Bereichen, in denen vormals von Hand ausgeführte Tätigkeiten nunmehr automatisiert ablaufen, wie z. B. die Erfassung der Steuererklärungsdaten. Die Automatisierung ist darüber hinaus von entscheidender Bedeutung für die Erfassung und Bearbeitung spezifischer Informationen über einzelne Gruppen von Steuerpflichtigen, weil die gewonnenen Ergebnisse – insbesondere aufgrund der sich in den letzten Jahren rasant entwickelnden Netzwerktechnologie – allen betreffenden Sachbearbeitern zur Verfügung gestellt werden können und sich doppelte Recherchen vermeiden lassen. Automatisierung ist jedoch nicht nur Voraussetzung für die Systematisierung von Informationen über die Steuerpflichtigen, sondern auch für die Informationssammlung über die Arbeitsweise des Belastingdienst selbst. Automatisierte und standardisierte Prozesse lassen sich schneller auswerten und erleichtern dadurch die interne quantitative und qualitative Kontrolle. Um die zunehmende Automatisierung effizienter vorbereiten und durchführen zu können, ist das ehemalige Automatiseringscentrum zum 1.1.2002 in das Centrum voor ICT (Zentrum für Informations- und Kommunikationstechnologie) umgewandelt und mit anderen IT-nahen Bereichen des Belastingdienst zu einem zentralen Dienst mit ca. 4.200 Mitarbeitern vereinigt worden. Die Hauptaufgaben bestehen darin, einerseits eine stabile Infrastruktur für die elektronische Datenverarbeitung zu liefern und andererseits flexibel auf sich ändernde Anforderungen an die Arbeitsabläufe beim Belastingdienst einzugehen und für die Entwicklung der entsprechenden Hardund Software zu sorgen. Der Belastingdienst hat in die Automatisierung in den vergangenen 15 Jahren viel investiert (Tabelle 9, s. nächste Seite). Betrugen die Ausgaben für die Automatisierung im Jahr 1985 noch 47,2 Mio. e, wurden im Jahr 1996 bereits 233 Mio. e und im Jahr 2000 410 Mio. e in diesen Bereich investiert.501 Allerdings waren die Ausgaben für die Automatisierung im Jahr 2000 besonders hoch, weil im Vorfeld der Steuerreform 2001 Investitionen vorgezogen worden sind. Im Jahr 2002 betrugen die Automatisierungskosten 350 Mio. e.502 501 Vgl. Belastingdienst, Jaarverslag 1996, S. 59; Jaarverslag 2000, S. 56; de Graeve, Documentatieblad 3/1995, S. 3, 34.
198
3. Kap.: Arbeitsweise des Belastingdienst
Tabelle 9: Verhältnis Personalkosten/Sachkosten (Angaben in Mio. Euro)503 1995
1996
1997
1998
1999
2000
2001
2002
Gesamtkosten
1.436
1.527
1.663
1.833
2.000
2.247
2.348
2.437
Personalkosten – Anteil der Personalan den Gesamtkosten
996 69%
1.009 66%
1.090 66%
1.155 63%
1.216 61%
1.305 58%
1.434 61%
1.516 62%
Sachkosten – Anteil der Sach- an den Gesamtkosten – auf Automatisierung entfallende Sachkosten – Anteil der Automatisierungs- an den Gesamtkosten
439 31%
518 34%
572 34%
678 37%
783 39%
942 42%
913 39%
920 38%
198
233
257
314
309
410*
345*
350*
14%
15%
15%
17%
15%
18%*
14%*
14%*
* Seit 2000 werden die Automatisierungskosten inklusive der Kosten für Kommunikationstechnologie ausgewiesen.
E. Informationsaustausch I. Einleitung Der Belastingdienst ist für den Vollzug der Steuergesetze notwendigerweise auf Informationen angewiesen: Informationen über die persönlichen Lebensverhältnisse der Steuerpflichtigen, deren Einkommen, Informationen über Eigentumsübertragungen, Beteiligungsverhältnisse etc. Zwar sind in erster Linie die Steuerpflichtigen dafür verantwortlich, dem Belastingdienst – insbesondere in ihren Steuererklärungen – die für Besteuerungszwecke benötigten Informationen zu verschaffen (zu den Mitwirkungspflichten der Steuerpflichtigen siehe bereits 1. Kap.). Allerdings kann der Belastingdienst sich (wie alle Finanzverwaltungen) aufgrund der komplexen, einem Laien schwer verständlichen Gesetzeslage und aufgrund des natürlichen Interessengegensatzes zwischen der Finanzverwaltung und den Steuerpflichtigen weder auf die Richtigkeit noch auf die Vollständigkeit dieser Informationen verlassen und ist deshalb auf eine Kontrolle der Informationen angewiesen. 502
Belastingdienst, Beheersverslag 2002, Jaarrekening, S. 7. Belastingdienst, Jaarverslag 1996, S. 59; Jaarverslag 1997, S. 55; Jaarverslag 1999, S. 67; Beheersverslag 2001, Financiële verantwoording, S. 27, 29; Beheersverslag 2002, Jaarrekening, S. 7. 503
E. Informationsaustausch
199
Diese Kontrolle lässt sich besonders effektiv und effizient anhand von Informationen Dritter über dieselben Sachverhalte (Kontrollmitteilungen bzw. Kontrainformationen, im Niederländischen sog. renseignementen; das Anfertigen und Weiterleiten von Kontrollmitteilungen wird entsprechend als renseignering bezeichnet504) durchführen. Der Belastingdienst steht deshalb nicht nur mit den Steuerpflichtigen selbst sondern auch mit Dritten (seien es natürliche oder juristische Personen, öffentlich-rechtliche oder privatrechtliche, inländische oder ausländische Institutionen) in einem intensiven Informationsaustausch. Die Renseignementen dienen jedoch nicht nur zur Überprüfung konkreter Angaben, die Steuerpflichtige dem Belastingdienst gegenüber z. B. in ihrer Steuererklärung gemacht haben, sondern anhand der Kontrollmitteilungen werden auch Erfahrungswerte für bestimmte Gruppen von Steuerpflichtigen (z. B. übliche Gewinnmargen in bestimmten Branchen) gewonnen und bislang unbekannte Steuerpflichtige können aufgespürt werden. Darüber hinaus dient das System der Kontrollmitteilungen der Prävention: Dadurch, dass die Steuerpflichtigen nicht sicher sein können, welche Informationen der Belastingdienst von Dritten erhalten hat, werden sie dazu angehalten, ihren eigenen Mitwirkungspflichten möglichst umfassend und inhaltlich zutreffend nachzukommen.505 Der Belastingdienst erhält nicht nur Kontrollinformationen Dritter, sondern fertigt auch selber Kontrollmitteilungen an. So können z. B. Buchprüfungen einzig zu dem Zweck angeordnet werden, bei dem zu prüfenden Unternehmer Informationen über einen anderen Steuerpflichtigen zu sammeln, z. B. über Lieferungen oder sonstige Leistungsbeziehungen. Für die Speicherung der Kontrollinformationen ist das sog. Renseignementen Informatie Systeem (RIS) entwickelt worden, auf das die Programme zur automatisierten Kontrolle der Steuererklärungen zurückgreifen können, sodass die vorhandenen Kontrollmitteilungen unmittelbar in den Risikobeherrschungsprozess einfließen können (s. o.). Daneben tritt der Belastingdienst – wie der Begriff Informationsaustausch bereits impliziert – jedoch nicht nur als Empfänger, sondern auch als Übermittler von Informationen auf. Die rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen sowie der Umfang des Informationsaustausches werden im Folgenden näher erläutert.
504
Die Bezeichnung „renseignement“ stammt aus dem Französischen und bedeutet „Auskunft, Information, Mitteilung“, vgl. M.Doncet/K.Fleck, Wörterbuch der Rechts- und Wirtschaftssprache, 4. Aufl. München 1988. Belastingdienst, Handwijzer Klantbehandeling, S. 63 f.; Kamerling, Vakblad Financiële Planning 11/1998, 16, 17; Veele, Fiskaal 1992, 315, 317 f. 505 de Zeeuw, Informatiegaring, unter 2.2.1.2.
200
3. Kap.: Arbeitsweise des Belastingdienst
II. Informationsaustausch im Inland Sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht kommt die weitaus größte Bedeutung dem Informationsaustausch mit inländischen Informationsträgern zu. Wesentliche Voraussetzung für das Funktionieren des Informationsaustauschs ist die richtige Zuordnung der Information zu den jeweiligen Steuerpflichtigen. Diese Zuordnung wird durch die SoFi-Nummer (s. o.) entscheidend erleichtert. 1. Empfang von Informationen durch den Belastingdienst/Renseignering Der Belastingdienst ist „Großabnehmer“ von Daten über Steuerpflichtige und steuerlich relevante Sachverhalte. Um dem Belastingdienst eine Verifizierung der Angaben der Steuerpflichtigen zu ermöglichen, sind bestimmte Gruppen von Steuerpflichtigen wie z. B. Unternehmer sowie öffentlichrechtliche Institutionen von Gesetzes wegen verpflichtet, dem Belastingdienst im Zusammenhang mit der Besteuerung anderer Personen Auskünfte zu erteilen und Informationen zur Verfügung zu stellen. a) Rechtsgrundlagen Rechtsgrundlage für das Anfertigen von Kontrollmitteilungen sind zunächst die sowohl im AWR als auch im IW 1990506 enthaltenen Mitwirkungspflichten der Steuerpflichtigen im Zusammenhang mit der Besteuerung Dritter (vgl. z. B. art. 53 lid 1, 47, 48–50 AWR; dazu 1. Kap. unter E.III.2.). Daneben gibt es weitere spezifische Kontrollmitteilungspflichten in den Steuergesetzen wie z. B. art. 24 lid 3 Wet waardering onroerende zaken (Wet WOZ, Gesetz über die Bewertung von Immobilien und Grundstücken), wonach die für die Bewertung zuständigen Gemeinden den ermittelten Wert von sich aus an den Belastingdienst weiterleiten. Für den praktisch wichtigsten Fall der Kontrollmitteilungen, nämlich die Informationen, die Banken dem Belastingdienst zur Verfügung stellen, sind die Einzelheiten jedoch seit über 15 Jahren nicht in formellen Gesetzen geregelt: Zu Beginn der 1980er Jahre wurden erstmals Absprachen zwischen dem Belastingdienst und den Banken darüber getroffen, welche Informationen 506 Im Folgenden gilt ein besonderes Augenmerk den Befugnissen zum Einholen von Informationen im Zusammenhang mit der Steuerfestsetzung und damit den Regelungen des AWR. Die für den Bereich der Steuerbeitreibung geltenden Normen des IW 1990 bleiben deshalb außer Betracht, entsprechen allerdings den Regelungen des AWR in weiten Teilen.
E. Informationsaustausch
201
diese dem Belastingdienst auf welche Weise zu übermitteln haben. Hintergrund dieser Vereinbarung war einerseits das Interesse der Finanzverwaltung, die Informationen von den Banken auf eine für die effiziente interne Weiterverarbeitung besonders geeignete Art und Weise zu erhalten, und andererseits das Interesse der Banken, den Umfang der weiterzuleitenden Informationen sowie die Verwaltungskosten möglichst gering zu halten.507 Zunächst noch als „gentlemen’s agreements“ bezeichnet, wurden die Absprachen ab 1984 jeweils in einem sog. gedragscode fiscus/banken (Verhaltenscodex für die Banken und die Finanzverwaltung) festgelegt508 und seit 1998 schließlich als sog. Voorschrift informatie fiscus/banken (Vifb) veröffentlicht.509 Die Tatsache, dass die Finanzverwaltung sich auf eine derartige Verständigung mit den Banken eingelassen hat, ist nicht ausschließlich auf Zustimmung gestoßen,510 und auch die rechtliche Einordnung dieser Absprachen ist nicht unumstritten.511 Inzwischen deutet der Wortlaut der Vifb 1998 und 2002 darauf hin, dass es sich um eine sog. beleidsregel handelt, vgl. § 1.0.1. Vifb 2002 (zur rechtlichen Einordnung von Beleidsregels ausführlich unten im 4. Kap. unter B.). Unabhängig von der genauen rechtlichen Einordnung der Vereinbarungen ist jedoch allgemein anerkannt, dass sich nicht nur die Banken als Partei der Vereinbarung, sondern auch die Steuerpflichtigen, über die Informationen ausgetauscht werden, auf die Einhaltung der getroffenen Absprachen berufen können.512 Während die Pflicht zur Weiterleitung von Kontrollinformationen bislang unter dem Vorbehalt stand, dass der Belastingdienst die entsprechenden 507 Die Verhandlungsposition der Banken ist dabei insoweit nicht zu unterschätzen, als sie die Bemühungen massiv behindern könnten, indem sie die Informationen in schwer zu systematisierender Form übermitteln. Vgl. auch Zwenne, Informatieverplichtingen, S. 141. 508 Gedragscode fiscus-banken, Aanschrijving v. 19.1.1984, 584–1650; Gedragscode fiscus-banken v. 9.10.1992, AFZ 92/6700, Stcrt. 1992, 202; Gedragscode fiscus/banken v. 7.3.1995, AFZ 95/588M, Stcrt. 1995, nr. 50. 509 Voorschrift informatie fiscus/banken, Besluit v. 1.4.1998, AFZ 98/1228M, Stcrt. 1998, nr. 70 (S. 9); mittlerweile ist diese sog. Vifb 1998 als Vifb 2002 angepasst und neu veröffentlicht worden, vgl. Besluit v. 18.3.2002, DGB2002/1499M, Stcrt. 2002, 58; Zwenne, Informatieverplichtingen, S. 141 f. 510 So wurde insbesondere kritisiert, dass die Verständigungen „hinter verschlossenen Türen“ ohne Beteiligung (von Interessenvertretern) der Steuerpflichtigen zustande gekommen sind und oftmals über die jeweils gültigen gesetzlichen Pflichten zum Informationsaustausch hinausgingen, wie z. B. bei der Einführung von Kontrollmitteilungen über Zinseinkünfte im Jahr 1987, vgl. Zwenne, Informatieverplichtingen, S. 146. 511 Moeliker WFR 1994, S. 313, 314 m. w. N. 512 Hof Den Bosch v. 28.10.1988, BNB 1990/240; Hein, WFR 1995, 728, 731, Fn. 12; Moeliker, WFR 1994, 313 f.; Zwenne, Informatieverplichtingen, S. 105; zurückhaltend Schutte, TFB 6/2000, 4, 5.
202
3. Kap.: Arbeitsweise des Belastingdienst
Informationen anfordert, ist mit der Neufassung des art. 53 lid 2 AWR im Zuge der Steuerreform 2001 die Voraussetzung dafür geschaffen worden, dass Aufzeichnungspflichtige durch oder aufgrund Gesetzes verpflichtet werden können, steuerlich relevante Informationen über Dritte spontan an die Finanzverwaltung weiterzuleiten, d.h. ohne dass es einer entsprechenden Anfrage des Belastingdienst bedarf. Art. 10:8 Wet IB 2001 präzisiert dies dahingehend, dass Verpflichtungen betreffend die spontane Weiterleitung von Informationen im Zusammenhang mit der Besteuerung von Einkünften aus nichtselbständiger Tätigkeit und Vermietung und Verpachtung sowie Zinseinkünfte und Informationen für die Ermittlung persönlicher Abzugsposten durch oder aufgrund einer sog. algemene maatregel van bestuur (ein materielles Gesetz, vgl. 1. Kap. unter C.V.) geschaffen werden können. In Ausführung dieser Ermächtigungsgrundlage ist inzwischen in art. 22 Uitvoeringsbesluit IB 2001 ein Kreis von Informationsträgern sowie ein Satz von entsprechenden Daten für die spontane Weitergabe von Informationen an den Belastingdienst definiert worden. Für diese Kontrollmitteilungen gilt darüber hinaus, dass die Daten zusammen mit der jeweiligen SoFi-Nummer übermittelt werden müssen, damit eine eindeutige Zuordnung der Informationen beim Belastingdienst erfolgen kann, art. 53 lid 3 AWR.513 Dementsprechend sind die Steuerpflichtigen den Institutionen gegenüber, die spontan Daten an den Belastingdienst weiterleiten müssen, zur Angabe ihrer SoFi-Nummer verpflichtet, art. 47b lid 2 AWR. Die Einführung einer Pflicht zur spontanen Anfertigung von Kontrollmitteilungen stellt formal gesehen eine erhebliche Änderung gegenüber dem bisherigen System dar.514 Dennoch hat diese Gesetzesänderung sowohl seitens der am Gesetzgebungsverfahren Beteiligten als auch durch die Fachpresse wenig Aufmerksamkeit erfahren. Dies dürfte zum einen darauf zurückzuführen sein, dass bereits bisher in der Praxis die von Gesetzes wegen vorgeschriebenen Anfragen des Belastingdienst, insbesondere im Verhältnis zu den Banken, derartig institutionalisiert waren, dass es in vielen 513 Die praktische Relevanz dieser Möglichkeit eindeutiger Zuordnung verdeutlicht ein Vorfall, den Zwenne, Informatieverplichtingen, S. 30 beschreibt: 1994 musste der Belastingdienst 30 Aushilfskräfte einstellen, um 30 Mio. unvollständige Kontrollmitteilungen der Banken über Zinseinkünfte den jeweiligen Steuerpflichtigen zuzuordnen. Ursache waren unterschiedliche Systeme des Belastingdienst einerseits und der Banken andererseits für die Erfassung persönlicher Daten wie z. B. Geburtsdaten oder Vornamen. Die Gesamtkosten dieser Operation beliefen sich auf ca. NLG 1,2 Mio. 514 Schutte, TFB 6/2000, 4, 7, begrüßt die Neuregelung, weil nunmehr zu erwarten ist, dass die Kontrollmitteilungspflichten in stärkerem Maße unmittelbar durch Gesetz geregelt werden und die Konkretisierung nicht mehr in erster Linie durch eine Aufforderung seitens des Inspektors – d.h. durch einen Verwaltungsakt – erfolgt.
E. Informationsaustausch
203
Fällen gar keiner (wiederholten) Anfrage des Inspecteur bedurfte. Daneben ist sicherlich auch der Zeitpunkt der Gesetzesänderung ursächlich für die geringere Resonanz: Die tiefgreifende Reform des materiellen Einkommensteuerrechts hat die verfahrensrechtlichen Aspekte in den Hintergrund treten lassen.515 b) Umfang Die Auskunftspflichten hinsichtlich der Besteuerung Dritter sind in den vergangenen 15 Jahren erheblich ausgeweitet worden, und das dichte Netz von Kontrollmitteilungen liefert eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass ein Großteil der Steuererklärungen automatisch kontrolliert und veranlagt werden kann. Steuerpflichtige, die für Zwecke der Besteuerung zur Aufzeichnung bzw. zur Aufbewahrung von Aufzeichnungen verpflichtet sind (Gewerbetreibende, Freiberufler, Steuerentrichtungspflichtige sowie juristische Personen), müssen dem Belastingdienst gem. art. 53 lid 1, art. 47 lid 1 AWR auf Nachfrage solche Informationen über Dritte (in der Regel Geschäftspartner bzw. Kunden) verschaffen, die für die Besteuerung dieser Dritten von Bedeutung sein können. Daneben sind Behörden und andere öffentlich-rechtliche Institutionen gem. art. 55 lid 1 AWR auf Anfrage des Inspecteur verpflichtet, diesem die gewünschten Informationen zu verschaffen. Die Verpflichtung öffentlich-rechtlicher Institutionen zur Weitergabe von Informationen an den Belastingdienst gem. art. 55 lid 1 AWR geht allerdings nicht so weit, dass die jeweiligen Institutionen verpflichtet wären, Informationen für den Belastingdienst zu sammeln, die sie anderenfalls nicht gesammelt hätten, d.h. die Pflicht bezieht sich nur auf ohnehin bei den jeweiligen Institutionen vorhandene Daten.516 Die Verpflichtungen erstrecken sich sowohl auf die aktive Weiterleitung von Informationen an den Belastingdienst als auch auf das passive Zur-Verfügung-Stellen von Aufzeichnungen, Belegen etc., vgl. § 2.4. Vifb 2002. Von der Verpflichtung öffentlich-rechtlicher Institutionen zur Verschaffung von Informationen kann der Finanzminister auf schriftlichen Antrag der betreffenden Institution eine Befreiung erteilen, d.h. die Pflicht zur Auskunft ist die Regel und die Entbindung von dieser Pflicht lediglich die Ausnahme. Der Einschränkung, dass die Informationen für die Besteuerung eines Dritten von Bedeutung sein müssen, kommt in der Praxis keine große Bedeutung zu, weil die Anforderungen sehr gering sind. Darüber hinaus muss keine Verbindung zu einem individuellen Steuerpflichtigen und dessen Besteuerung bestehen, sondern es kann auch um die Besteuerung von Grup515 516
Schutte, TFB 6/2000, 4. de Zeeuw, Informatiegaring, unter 4.1.1.2.
204
3. Kap.: Arbeitsweise des Belastingdienst
pen von Steuerpflichtigen gehen.517 Kontrollinformationen können sich mithin sowohl auf konkrete Steuerpflichtige und konkrete steuerliche Fragegestellung beziehen als auch im Zuge großflächiger „Schleppnetzermittlungen“ zusammengetragen werden. Eine weitere in der Praxis wenig bedeutsame Beschränkung der Kontrollmitteilungspflicht enthält § 4.0 Vifb 2002, wonach sich der Belastingdienst verpflichtet, Informationen von Dritten grundsätzlich nur subsidiär anzufordern, d.h. nur dann, wenn die Informationen nicht von dem Steuerpflichtigen, auf den sie sich beziehen, selbst erlangt werden können. Von diesem Grundsatz besteht jedoch eine weitreichende Ausnahme für den Fall, dass im Interesse der Untersuchungen/des Verfahrens eine vorrangige Kontaktierung des Steuerpflichtigen nicht in Betracht kommt, § 4.1 Vifb 2002. Eine besonders wichtige Rolle spielen die institutionalisierten, spontanen Kontrollmitteilungen der Finanzdienstleister. Dass Banken schon seit geraumer Zeit zu den wichtigsten Lieferanten von Kontrollmitteilungen gehören, liegt zum einen daran, dass sie „aus der Natur der Sache heraus“ über für den Belastingdienst besonders relevante Informationen verfügen und sich zum anderen mit diesen intern gut organisierten und strukturierten Unternehmen in der Vergangenheit erfolgreich Absprachen über die Modalitäten des Austauschs treffen ließen (s. o.).518 Von der Neuregelung des art. 22 Uitvoeringsbesluit IB 2001 sind jedoch nicht nur Kreditinstitute, sondern auch Anlagefonds, Wertpapierhändler und Anbieter von Lebensversicherungen betroffen. Inhaltlich bezieht sich die aufforderungslose Ausstellung von Kontrollmitteilungen auf Kontostände, bestimmte Barauszahlungen, Auszahlungen von Versicherungen, Zinseinkünfte, Dividenden etc., sodass der Belastingdienst mittlerweile einen umfassenden Überblick über das Vermögen der Steuerpflichtigen erhält, nachdem bereits 1988 Kontrollmitteilungspflichten für Zinseinkünfte und 1997 für Dividendeneinkünfte eingeführt worden waren.519 Daneben können weitere Informationen wie z. B. eine sog. historische overzicht (historische Übersicht) eines bestimmten Kontos für die letzten fünf Jahre auch individuell durch den Belastingdienst angefragt werden, § 6.2 Vifb 2002. In diesen Fällen sind die Banken grundsätzlich gehalten, die vom Belastingdienst angeforderten Informationen innerhalb eines Monats zu verschaffen, § 5.1 Vifb 2002. Eine besondere Befugnis ist schließlich dem Vorsteher des Finanzamts für Grote Ondernemingen in Amsterdam eingeräumt worden: Gem. § 10.1 Vifb 2002 kann er Serienfragen bezüglich bestimmter Konten stellen, sofern der Verdacht von Un517
Zwenne, Informatieverplichtingen, S. 98. Zwenne, Informatieverplichtingen, S. 10. 519 Voigt, M&O 1/1994, 5, 17; auf den Widerstand der Kreditinstitute gegen die Einführung dieser Kontrollmitteilungspflichten geht van Arendonk, MBB 3/1997, 94, 96, ein. 518
E. Informationsaustausch
205
regelmäßigkeiten im Zusammenhang mit diesen Konten besteht und eine weitere Untersuchung geboten erscheint. Von dieser Befugnis darf der Vorsteher allerdings nur in Absprache mit der Generaldirektion des Belastingdienst, der Abteilung für Particulieren sowie der Abteilung für Verfahrensrecht Gebrauch machen. Die weit formulierte Ermächtigungsgrundlage in art. 10:8 Wet IB 2001 lässt künftig eine Ausdehnung der spontanen Kontrollmitteilungspflichten über die Anbieter von Geldanlageprodukten hinaus auch auf andere Institutionen durchaus zu.520 Die Pflicht zur Anfertigung von Kontrollmitteilungen muss der Auskunftspflichtige auf eigene Kosten erfüllen, d.h. der Belastingdienst erstattet den damit verbundenen Aufwand nicht, § 8.1 Vifb 2002.521 2. Weitergabe von Informationen durch den Belastingdienst Der Belastingdienst erhält nicht nur Daten über Steuerpflichtige von anderen Institutionen bzw. Informationsträgern, sondern stellt seinerseits eine Vielzahl von Daten zur Verfügung. a) Rechtsgrundlagen Zwar besteht grundsätzlich für die Mitarbeiter des Belastingdienst eine Geheimhaltungspflicht für Informationen, die ihnen bei Ausführung der Steuergesetze bekannt werden, art. 67 lid 1 AWR bzw. art. 67 lid 1 IW 1990, und eine vorsätzliche Verletzung dieser Geheimhaltungspflicht ist gem. art. 272 lid 1 Wetboek van Strafrecht (Sr, Strafgesetzbuch) strafbar. Die Geheimhaltungspflicht gilt jedoch nur, sofern die Weitergabe der Informationen nicht für Besteuerungszwecke erforderlich ist, art. 67 lid 1 AWR. Aufgrund dieser Ausnahme ist der Informationsaustausch innerhalb des Belastingdienst weitgehend vom Anwendungsbereich des Steuergeheimnisses aus art. 67 lid 1 AWR ausgenommen.522 Darüber hinaus ist es dem Belastingdienst explizit gestattet, Informationen über einen Steuerpflichtigen bei der Besteuerung eines anderen Steuerpflichtigen zu verwenden, art. 2.1.4 VIV 1993. 520
Dazu auch van Eijsden/Landman, WFR 2000, 1453, 1457. Dies hat immer wieder zu Verärgerungen bei den betroffenen Kontrollmitteilungspflichtigen geführt, vgl. Hoorweg, Vakblad Financiële Planning 6/1999, 19, 20. Demgegenüber vergütet die Justiz den Banken seit 1995 in einem Modellversuch die durch die Herausgabe von Schriftstücken verursachten Kosten im Zusammenhang mit strafrechtlichen Ermittlungen, vgl. Zwenne, Informatieverplichtingen, S. 100. 522 Vgl. Rb Haarlem v. 26.1.1988, NJ 1989, 660. 521
206
3. Kap.: Arbeitsweise des Belastingdienst
Aber auch in Fällen, in denen kein Zusammenhang mit Besteuerungszwecken besteht, ist die Geheimhaltungspflicht nicht absolut. Vielmehr kann gem. art. 67 lid 2 AWR der Finanzminister Befreiungen von dieser Geheimhaltungspflicht vornehmen. Der Staatssekretär für Finanzen (auf den der Finanzminister einen Großteil seiner Befugnisse übertragen hat) hat zu diesem Zweck die sog. Voorschrift Informatieverstrekking 1993 (VIV 1993, Verordnung über den Informationsaustausch) erlassen. In der VIV 1993 sind materielle und formelle Voraussetzungen für die Aufhebung der Geheimhaltungspflicht und die Weitergabe von Informationen geregelt523 und in den Beilagen 2a–c der VIV 1993 sind sämtliche Institutionen aufgenommen, an die der Belastingdienst Informationen weiterleitet, sowie Angaben dazu, auf welche Weise dies jeweils geschieht. Gem. art. 2.2 VIV 1993 erfolgt die Weitergabe von Informationen durch den Belastingdienst an andere Institutionen, • wenn eine gesetzliche Verpflichtung (außerhalb der VIV) dazu besteht,524 • wenn die Weitergabe der Informationen an die andere Institution dem Vollzug von Gesetzen oder der Bekämpfung und Vermeidung des Missbrauchs und der Umgehung von Gesetzen dienen kann oder • in anderen Fällen, in denen der Staatssekretär für Finanzen aufgrund einer Interessenabwägung dem Zweck, dem die Weitergabe der Informationen dient, einen höheren Stellenwert beimisst als dem Steuergeheimnis. Hinsichtlich der Art und Weise der Weitergabe von Informationen unterscheidet die VIV 1993 zwischen der sog. strukturellen Informationsweitergabe (structurele informatieverstrekking, art. 3.1 ff. VIV 1993), der Weitergabe von Informationen auf Anfrage im Einzelfall (incidentelle verzoeken om invormatieverstrekking, art. 4.1 ff. VIV 1993) sowie der spontanen Weitergabe von Informationen (spontaan verstrekken van informatie, art. 5.1 ff. VIV 1993). Von einer strukturellen Weitergabe von Informationen ist die Rede, wenn fortwährend oder in großen Mengen Informationen weitergeleitet werden, art. 3.1 VIV 1993. Ausschlaggebend kann danach entweder ein 523
Die bloße Aufhebung der Geheimhaltungspflicht als solche liefert noch keine Rechtsgrundlage für die Weitergabe von Informationen. Vielmehr bedarf es dazu aufgrund des Gesetzesvorbehalts zusätzlich einer entsprechenden Befugnis, vgl. auch de Zeeuw, Informatieverstrekking, S. 19. Die in der VIV 1993 enthaltenen Tatbestände für die Weitergabe von Informationen sollen diese Befugnis vermitteln, obwohl es sich dabei lediglich um ein materielles Gesetz handelt. 524 Beispiele dafür sind art. 160, 162 Wetboek van strafvordering (Sv, Strafprozeßordnung). Gem. art. 160 Sv ist jedermann verpflichtet, näher bestimmte Verbrechen zur Anzeige zu bringen. Art. 162 statuiert darüber hinaus eine spezielle Pflicht für Amtsträger, bestimmte Verbrechen (insbesondere Amtsdelikte) anzuzeigen, von denen sie im Rahmen ihrer Tätigkeiten Kenntnis erlangen. Dazu art. 6.3.1 ff. VIV 1993.
E. Informationsaustausch
207
zeitliches Kriterium oder aber die Menge der Informationen sein. Für die strukturelle Weitergabe von Informationen bedarf es des Abschlusses einer sog. Convenant, d.h. einer schriftlichen Vereinbarung zwischen dem Belastingdienst und der empfangenden Institution. Die strukturelle Weitergabe von Informationen aufgrund der VIV 1993 darf sich grundsätzlich nur auf solche Daten erstrecken, die die empfangende Institution zur Überprüfung bereits selbst erhobener Daten benötigt. Eine einmalige Weitergabe von Informationen kann nur aufgrund einer schriftlichen Anfrage beim Belastingdienst erfolgen, aus der u. a. hervorgehen muss, für welche Zwecke die Informationen angefragt werden. Um eine spontane Weiterleitung von Informationen handelt es sich, wenn der Belastingdienst aus eigener Initiative, d.h. ohne ein entsprechendes Ersuchen des Empfängers Informationen verschafft, art. 5.1 VIV 1993. Die Informationen können in allen Fällen entweder durch die einzelnen Finanzämter oder automatisiert aus zentral verfügbaren Datenbeständen heraus weitergeleitet werden, art. 1.2 VIV 1993. Die Entscheidung über die Entbindung von der Geheimhaltungspflicht wird in art. 2.2.2 VIV 1993 für einen Großteil der Fälle auf den Belastingdienst delegiert. Jeder Fall der Informationsweitergabe ist schriftlich festzuhalten, art. 6.4.6 VIV 1993. Dies geschieht vorzugsweise in der Steuerakte des Betroffenen. Eine Einschränkung für die Weitergabe von Informationen besteht insoweit, als Art. 2.1.2 VIV 1993 vorsieht, dass der Belastingdienst nur solche Informationen an andere Institutionen weiterleitet, die er selbst gesammelt oder hergestellt hat. Letzteres bezieht sich auf Daten, die der Belastingdienst von Dritten als Kontrollinformationen erhalten und die er intern weiterverarbeitet hat. Ohne eine derartige interne Weiterverarbeitung der Daten können Kontrollinformationen, die der Belastingdienst von Dritten erhalten hat, nicht an andere Institutionen weitergeleitet werden. b) Umfang Von den Befugnissen zur Weitergabe von Informationen macht der Belastingdienst in den letzten Jahren in immer stärkerem Maße Gebrauch. So ist das vordergründige Regel-Ausnahme-Verhältnis des art. 67 AWR in der Praxis inzwischen nahezu umgekehrt, d.h. es gibt eine derartig umfangreiche Zahl von Befreiungsvorschriften, dass die strenge Geheimhaltungspflicht eher zur Ausnahme geworden ist.525 Als Ursache für diese Entwick525 So ist die steuerliche Geheimhaltungspflicht bereits für die Weitergabe von Informationen an mehr als 70 Institutionen aufgehoben, vgl. die Beilagen zur VIV 1993. Kritisch zu dieser Entwicklung de Zeeuw, Informatieverstrekking, S. 19; Zwenne, Informatieverplichtingen, S. 11.
208
3. Kap.: Arbeitsweise des Belastingdienst
lung gilt zum einen das wachsende Bewusstsein davon, welch eine ergiebige Informationsquelle der Belastingdienst darstellt, insbesondere mit zunehmender Systematisierung und Aufbereitung der Informationen in elektronischen Datenbanken. Zum anderen strebt die niederländische Verwaltung im Allgemeinen einen pro-aktiven Kontakt zu den Bürgern an, in dessen Folge Dienstleistungen überwiegend nicht mehr auf Antrag der Bürger sondern (frühzeitig) aus eigener Initiative der Behörde angeboten bzw. verrichtet werden sollen.526 So ist z. B. vorgesehen, dass Personen, die vermutlich die Voraussetzungen für staatliche Sozialleistungen erfüllen, aus Unkenntnis jedoch noch keinen entsprechenden Antrag gestellt haben, von der jeweiligen Behörde auf ihren möglichen Anspruch hingewiesen werden. Dafür benötigen diese Behörden Informationen über das Einkommen der betreffenden Bürger, die ihnen der Belastingdienst zur Verfügung stellen kann. Vereinbarungen über die strukturelle Weitergabe von Informationen durch den Belastingdienst bestehen z. B. zwischen dem Belastingdienst und • den Gemeinden bezüglich der Informationen über die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Bewohner von Altenheimen, • den gemeindlichen Sozialdiensten bezüglich sämtlicher Informationen, die für die Verwaltung der Sozialhilfe notwendig sind (z. B. für die Aufdeckung missbräuchlicher Inanspruchnahme von Sozialleistungen527), • der sog. Informatie Beheer Groep bezüglich der Einkommens- und Vermögensverhältnisse von Studierenden und ihren Eltern sowie der Anzahl der Kinder, für die die Eltern Kindergeld erhalten; Angaben über das Einkommen des Antragsstellers sind insbesondere für die Entscheidung über die Gewährung der einkommensabhängigen „studiefinanciering“ (staatliche Unterstützung für Studenten) von Bedeutung, • dem Ministerium für Bauen, Raumordnung und Umwelt bezüglich der Vermögensverhältnisse von Personen, die Wohngeld beziehen, um die Berechtigung der Auszahlung zu überprüfen. Die folgende Übersicht vermittelt einen Überblick über den jährlichen Umfang der automatisierten Weiterleitung von Informationen über das Ein526
de Zeeuw, Informatieverstrekking, S. 21 f. Pennders, Account 9/1993, 28, 30. Werden diese Daten traditionell noch einmal pro Jahr mit denen des Belastingdienst abgeglichen, so erfolgt in der Gemeinde Deventer seit April 2002 der Abgleich monatlich. Dadurch soll verhindert werden, dass am Ende des Jahres hohe Beträge zurückgefordert werden müssen, die oftmals nicht mehr beizutreiben sind. Andere Gemeinden werden sich dieser Vorgehensweise in Kürze anschließen. Vgl. Deventer Dagblad v. 6.4.2002, „Fraude met uitkering snel te zien”, abrufbar unter . 527
E. Informationsaustausch
209
kommen von Steuerpflichtigen durch den Belastingdienst an andere öffentliche Institutionen:528 Tabelle 10: Weiterleitung von Informationen durch den Belastingdienst an öffentliche Institutionen (Anzahl der Meldungen 1000) Empfänger
1996
1997
1998
1999
2000
2001
2002
Ministerie van VROM
2.032
2.470
2.430
4.737
4.822
5.293
3.022
Informatie Beheer Group
1.841
1.927
2.502
1.268
1.298
3.279
3.039
Gemeentelijke Sociale Diensten
1.017
2.468
2.259
55
51
235
59
Sociale Verzekeringsbank
520
473
359
9
7
127
1
Centrale administratiekantoor zorgverzekeraars
114
501
884
1.613
2.160
2.153
1.853
10
26
17
33
8
46
10
Sonstige
Durch den Datenaustausch zwischen dem Belastingdienst, den Unfallversicherungsträgern und örtlichen Sozialämtern sind in der Vergangenheit zahlreiche Fälle aufgedeckt worden, in denen Personen staatliche Leistungen trotz vorhandener eigener Einkünfte erhalten haben (sog. „Weiße-Kragen-Betrügereien“).529 Besonders „begehrt“ sind die Informationen des Belastingdienst über SoFi-Nummern. Da der Belastingdienst die SoFi-Nummern landesweit verwaltet, haben andere Behörden ein großes Interesse daran, SoFi-Nummern, die ihnen von Bürgern mitgeteilt werden, anhand der Informationen des Belastingdienst zu verifizieren. Der Belastingdienst erhält dementsprechend jährlich eine Vielzahl von Anfragen verschiedenster Behörden, die SoFiNummern überprüfen lassen wollen. Die Bedeutung der Überprüfung von SoFi-Nummern ist durch die Gründung des sog. RINIS-Netzwerks noch gestiegen: Das Routerings Instituut voor (inter)Nationaal Informatie Stro528 Belastingdienst, Beheersverslag 2000, Productieverslag S. 3; Beheersverslag 2001, Productieverslag, S. 3; Beheersverslag 2002, S. 97. 529 Alink/van Kommer, The Dutch Case, S. 68.
210
3. Kap.: Arbeitsweise des Belastingdienst
men530 (RINIS, Institut für nationalen und internationalen Datenaustausch), 1996 gegründet, bietet Institutionen (zunächst auf dem Gebiet der Sozialversicherung) innerhalb der Niederlande und auch über die nationalen Grenzen hinweg eine Plattform für einen sicheren und strukturierten Datenaustausch zwischen den einzelnen Datenbanken der Teilnehmer. Für diesen Informationsaustausch kommt den SoFi-Nummern eine besondere Bedeutung zu, weil sie eine schnelle und eindeutige Individualisierung von Informationen ermöglichen. Der Belastingdienst hat seine Datenbestände bezüglich der SoFi-Nummern in das Netzwerk eingebracht und ermöglicht dadurch eine zeitnahe automatisierte Bearbeitung entsprechender Anfragen. Auch wenn der Belastingdienst derzeit innerhalb des Netzwerks nur Informationen zur Verfügung stellt, wird er dieses Forum auf längere Sicht sicherlich auch dazu nutzen, Informationen von anderen Institutionen abzufragen. Auch Anträge auf Weitergabe von Informationen in Einzelfällen stehen meistens in Zusammenhang mit der Überprüfung von SoFi-Nummern wie z. B. Ersuche von Einbehaltungspflichtigen um Auskunft über die SoFiNummer eines bestimmten Steuerpflichtigen, vgl. art. 4.5.2. VIV 1993. Für die kommenden Jahre ist eine Ausweitung der Weitergabe von Informationen durch den Belastingdienst geplant. So könnte z. B. der Kreis der Personen, deren Informationen ausgetauscht werden, über die Person des jeweiligen Steuerpflichtigen hinaus auch auf Familienangehörige, Lebenspartner etc. ausgedehnt werden.531
III. Internationaler Informationsaustausch Die fortschreitende Globalisierung lässt Landesgrenzen für den wirtschaftlichen Verkehr immer unbedeutender werden und in dem Maße, wie es für die Steuerpflichtigen einfacher wird, ihren Wohnsitz bzw. ihr wirtschaftliches Betätigungsfeld in andere Länder zu verlagern, wird es für die einzelnen Finanzverwaltungen immer wichtiger, Informationen auszutauschen und insbesondere auf dem Gebiet der Kontrolle zusammenzuarbeiten. Auch für die Bekämpfung des schädlichen Steuerwettbewerbs gilt die Gewährleistung eines angemessenen Informationsaustauschs zwischen Finanzverwaltungen als Grundvoraussetzung. Dies hat die OECD unlängst durch Veröffentlichung eines Musterabkommens für den Informationsaustausch zwischen Finanzverwaltungen eindrucksvoll unter Beweis gestellt.532 530 Nähere Informationen zu diesem Institut sind unter erhältlich. 531 Vgl. de Zeeuw, Informatieverstrekking, S. 21.
E. Informationsaustausch
211
1. Rechtsgrundlagen Rechtsgrundlage für den Informationsaustausch innerhalb der europäischen Gemeinschaften sind die EG-Amtshilferichtlinie 77/799/EWG533 bzw. die zur Umsetzung dieser Richtlinie ergangenen nationalen Rechtsvorschriften. Darüber hinaus verpflichtet auch das Gebot der Gemeinschaftstreue (Art. 10 EGV) die Mitgliedstaaten zur Auskunftserteilung untereinander.534 Das von der OECD erarbeitete Musterabkommen für den Informationsaustausch kann frühestens im Jahre 2004 (für steuerstrafrechtliche Angelegenheiten) bzw. 2006 (für sonstige steuerliche Angelegenheiten, sofern sie in den Anwendungsbereich des Abkommens fallen) in Kraft treten.535 Nähere Konkretisierungen der bereits geltenden Pflichten finden sich in den Niederlanden im Wet op de internationale bijstandsverlening bij de heffing van belastingen (WIB, Gesetz über den internationalen Beistand in Besteuerungsangelegenheiten) und darüber hinaus auch in der Vifb 2002, vgl. §§ 11.0 ff. Für den internationalen Informationsaustausch sind, ebenso wie für nationale Fälle, drei unterschiedliche Arten vorgesehen: Die Weitergabe von Informationen auf Anfrage (art. 5 WIB), die automatisierte Weitergabe von Informationen (art. 6 WIB) sowie die spontane Auskunft (art. 7 WIB). Wird der Belastingdienst von einer ausländischen Finanzverwaltung um die Weitergabe von Informationen über eine in den Niederlanden ansässige Person gebeten, so findet ein doppeltes Subsidiaritätsprinzip Anwendung: Zunächst muss der Staat, aus dem die Anfrage stammt, mit Hilfe der dort üblichen Methoden versucht haben, die erforderlichen Informationen zu gewinnen, art. 13 lid 1 onder d WIB.536 Darüber hinaus versucht der Belastingdienst grundsätzlich zunächst die benötigten Informationen von dem betroffenen Steuerpflichtigen zu erhalten. Scheitert dies oder ist eine vor532 Agreement on Exchange of Information on Tax Matters v. 18.4.2002, veröffentlicht unter . Dazu Gyöngyi Végh, ET 2002, S. 394 ff. 533 Richtlinie v. 19.12.1977, ABl. L 336, S. 15. 534 de Weerth, IStR 2000, 462. 535 Vgl. Art. 1 des Abkommens zum Anwendungsbereich und Art. 15 zum Zeitpunkt des Inkrafttretens. Das Abkommen weist insoweit eine Besonderheit auf, als es in doppelter Ausführung vorliegt: Einerseits ist das von der OECD formulierte Abkommen dafür bestimmt, durch Unterzeichnung und Ratifizierung jeweils im Verhältnis zweier Staaten Wirkung zu entfalten, d.h. auch wenn eine Vielzahl von Staaten das Abkommen unterzeichnet, wird es dennoch nicht automatisch zwischen allen von ihnen Geltung haben, sondern nur zwischen den Staaten, die sich entsprechend gegenseitig für gebunden erklären. Darüber hinaus dient das Abkommen jedoch auch als Muster für die Ausarbeitung bilateraler Abkommen. 536 Eine entsprechende Beschränkung ist in der EG-Amtshilferichtlinie nicht enthalten. Dennoch findet sich eine ähnliche Regelung auch in der deutschen Umsetzung der EG-Amtshilferichtlinie, vgl. § 3 Abs. 2 Nr. 1 EG-AHG. Kritisch dazu de Weerth, IStR 2000, S. 462.
212
3. Kap.: Arbeitsweise des Belastingdienst
rangige Kontaktierung des Steuerpflichtigen im Einzelfall nicht angebracht, so können z. B. Auskunftsersuche an inländische Banken auf der Grundlage der Vifb 2002 gestellt werden, d.h. die Pflicht zur Anfertigung von Kontrollmitteilungen gilt (indirekt) auch zugunsten ausländischer Finanzverwaltungen, § 13.0 Vifb. Eine wichtige Einschränkung für den Informationsaustausch mit ausländischen Finanzverwaltungen ist das Gebot der Gegenseitigkeit, d.h. der Belastingdienst stellt keine Informationen zur Verfügung, wenn nicht gewährleistet ist, dass der Empfänger seinerseits – sofern benötigt – dem Belastingdienst Informationen zur Verfügung stellen wird, art. 13 lid 1 onder e WIB. Außerdem setzt die Weitergabe von Informationen durch den Belastingdienst voraus, dass diese im Staat des Empfängers durch steuerliche Geheimhaltungsvorschriften vor einem Zugriff durch Unbefugte geschützt werden, Art. 14 lid 2 WIB. 2. Umfang Sowohl Mitteilungen ausländischer Finanzbehörden an den Belastingdienst als auch die Weitergabe von Informationen durch den Belastingdienst an ausländische Finanzbehörden haben in den vergangenen Jahren im Umfang stark zugenommen. Der Nutzung des Informationsaustauschs wird in den einzelnen Staaten (auch innerhalb der Europäischen Gemeinschaften) jedoch unterschiedliche Bedeutung zugemessen. Die folgende Übersicht (Tabelle 11, s. nächste Seite) verdeutlicht den Umfang der vom Belastingdienst an ausländische Behörden weitergeleiteten Informationen.537 Aus der Übersicht geht hervor, dass der Umfang der durch den Belastingdienst an ausländische Behörden weitergeleiteten Informationen seit 1996 erheblich zugenommen hat. Besonders auffällig ist die wachsende Bedeutung des automatischen Informationsaustauschs, wohingegen die Zahl der spontanen Auskünfte im Verhältnis zu den automatischen Auskünften an Bedeutung verliert. Der Belastingdienst hat im Jahr 2001 mit 106.128 Auskünften mehr als doppelt so viele Auskünfte an ausländische Behörden weitergeleitet als ihm im gleichen Zeitraum von ausländischen Behörden zur Verfügung gestellt wurden (43.752).538 Dass die Zahl der an das Ausland weitergebenen Informationen in den Jahren 2001 und 2002 deutlich niedriger gewesen ist als im Jahr 2000, hängt nach Auskunft des Belastingdienst damit zusammen, dass dieser Informationsaustausch im Jahr 2000 aufgrund von Aufholbemühungen gegenüber den Vorjahren überdurchschnittlich hoch ausgefallen war.539 Problema537 Belastingdienst, Beheersverslag 2001, Productieverslag S. 3; Beheersverslag 2001, Productieverslag, S. 3; Beheersverslag 2002, S. 31. 538 Vgl. Belastingdienst, Beheersverslag 2001, Productieverslag, S. 3.
E. Informationsaustausch Tabelle 11: Umfang der vom Belastingdienst an ausländische Behörden weitergeleiteten Informationen (nach der Anzahl von Stpfl., auf die sich die Informationen beziehen)
213
1996
1997
1998
1999
2000
2001
2002
Auskünfte insgesamt
25.967
41.928*
25.413
48.059
152.560
106.128
104.720
spontan
25.747
22.033
11.576
20.372
13.880
16.434
13.751
(–)
19.473
13.436
27.209
138.175
89.083
90.267
220
422
401
478
505
611
702
12 Monate
8 Monate
7 Monate
6 Monate
automatisch auf Anfrage durchschnittliche Bearbeitungszeit
6 Monate
6 Monate
(–)
* 1997 wurde ein Teil der Informationsgesuche aus dem Jahr 1996 miterfasst.
tisch erscheint die durchschnittliche Bearbeitungszeit: Zwar konnte diese seit 1996 um 50% verkürzt werden, doch nimmt der Vorgang mit durchschnittlich sechs Monaten noch immer vergleichsweise viel Zeit in Anspruch, wodurch die Effektivität der Weiterverarbeitung der ausgetauschten Informationen beeinträchtigt wird. Sachbearbeiter in einem niederländischen Finanzamt an der deutschen Grenze schilderten aus ihrer Praxis dementsprechend, dass der inoffizielle „kleine“ Dienstweg viel häufiger beschritten werde, als der des offiziellen Informationsaustauschs. Gerade in den grenznahen Gebieten haben viele Finanzämter sowohl in den Niederlanden als auch in Deutschland mittlerweile gute persönliche Kontakte aufgebaut, die den schnellen und unbürokratischen Griff zum Telephon ermöglichen. Auch wenn diese Kontakte für die Arbeit in den jeweiligen Ämtern sicherlich sehr fruchtbar sind, bleiben verfahrensrechtliche und insbesondere datenschutzrechtliche Gewährleistungen zum Schutze der Betroffenen auf der Strecke. Wünschenswert wäre daher eine weitere Beschleunigung des offiziellen Informationsaustauschs. 3. Stellungnahme Betrachtet man den von den Niederlanden derzeit praktizierten Informationsaustausch vor dem Hintergrund des neuen OECD-Musterabkommens für den Informationsaustausch zwischen Finanzverwaltungen, so könnten 539
Belastingdienst, Jaarsverslag 2001, S. 117.
214
3. Kap.: Arbeitsweise des Belastingdienst
die Niederländer das Abkommen hinsichtlich des Informationsaustauschs540 schon heute mühelos unterzeichnen, weil das nationale Recht in seinen Möglichkeiten bereits deutlich über das hinausgeht, was das Abkommen voraussetzt. Was die Art des Informationsaustauschs angeht, so gilt dieser „Vorsprung“ grundsätzlich für alle EU-Mitgliedstaaten, da sich das OECDAbkommen im Gegensatz zur EG-Amtshilferichtlinie 77/799/EWG auf die Form des Informationsaustausch auf Anfrage beschränkt und weder automatische noch spontane Auskünfte vorsieht. Zugleich geht das OECD-Abkommen jedoch explizit davon aus, dass die um Beistand ersuchte Finanzverwaltung aufgrund nationaler Rechtsvorschriften in der Lage ist, Informationen von Banken und anderen Finanzdienstleistern zu erhalten, Art. 5 Abs. 4 a). In dieser Hinsicht ist die niederländische Finanzverwaltung aufgrund des umfangreichen Kontrollmitteilungssystems bereits zum heutigen Zeitpunkt mit den erforderlichen Kompetenzen ausgestattet. Für die Zukunft ist mit einer weiteren Zunahme des Informationsaustauschs zu rechnen. Dabei wird sicherlich auch das Urteil des EuGH in der Rechtssache W.N./Staatssecretaris van Financiën541 eine Rolle spielen: In dieser Entscheidung hat das Gericht hervorgehoben, dass nach dem Wortlaut der EG-Amtshilferichtlinie die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet sind, Spontanauskünfte an die zuständigen Behörden eines anderen Mitgliedstaates weiterzuleiten, sofern tatsächliche Anhaltspunkte für die bloße Vermutung einer Steuerverkürzung in einem anderen Mitgliedstaat bestehen. Anlass für die Entscheidung war eine vom Belastingdienst beabsichtigte Spontanmitteilung an die spanischen Finanzbehörden, gegen die sich der niederländische Kläger zur Wehr gesetzt hatte.
IV. Informationsaustausch und Datenschutz Mit dem Ausbau des (automatisierten) Informationsaustauschs wächst die Bedeutung des Datenschutzes. Dabei bedeutet Datenschutz in diesem Zusammenhang zweierlei: Einerseits den Schutz der Bürger davor, dass der Belastingdienst illegitimerweise Informationen erhält, die er zum Schutze der persönlichen Lebenssphäre des Betroffenen nicht erhalten sollte, und andererseits, dass Informationen, die der Belastingdienst grundsätzlich legitimerweise speichert oder anfordert, nicht missbräuchlich durch Angehörige der Finanzverwaltung oder Dritte verwendet werden. Je mehr Informationen 540 Das Abkommen sieht darüber hinaus die Möglichkeit vor, ausländische Finanzbeamte im Inland Kontrollen und Ermittlungen durchführen zu lassen, sofern der betroffene Steuerpflichtige dem zustimmt, vgl. Art. 6 des Abkommens. Dieser Aspekt soll hier außer Betracht bleiben. 541 EuGH, Urt. v. 13.4.2000, C-420/98, IStR 2000, 334.
E. Informationsaustausch
215
in elektronischer Form gespeichert werden, desto leichter ist es, Datenbanken zusammenzustellen und Daten in großen Mengen innerhalb kürzester Zeit auszutauschen. Jedwede Datenbank, egal ob es sich um Kundenstämme von Unternehmen oder Transaktionsdaten von Banken handelt, ist eine potentiell ergiebige Informationsquelle für den Belastingdienst. Die elektronische Steuererklärung ermöglicht es dem Belastingdienst, die eingehenden Daten der Steuerpflichtigen automatisch mit bereits vorhandenen Kontrollinformationen in elektronischer Form abzugleichen. Da die Informationen in der Regel im Zusammenhang mit natürlichen Personen stehen, spielen datenschutzrechtliche Fragen sowohl beim Erhalt von Kontrollinformationen als auch bei der Weitergabe von Informationen durch den Belastingdienst eine wichtige Rolle. Datenschutz ist zum einen aus Sicht der Steuerpflichtigen relevant, die verhindern möchten, dass die persönlichen Angaben, die sie den Finanzbehörden gegenüber machen müssen, an andere Behörden oder private Institutionen weitergegeben werden. Insbesondere Unternehmer müssen befürchten, dass eine Weitergabe von (Geschäfts-)Informationen durch den Belastingdienst Wettbewerbsverzerrungen hervorrufen kann. Zum anderen hat auch der Belastingdienst ein Interesse daran, dass der Datenschutz nicht aufgeweicht wird, da anderenfalls mit einem erhöhten Widerstand seitens der Steuerpflichtigen bei der Erfüllung ihrer Mitwirkungspflichten zu rechnen ist.542 Ähnliche Befürchtungen hegen auch all diejenigen öffentlichrechtlichen Institutionen, die zur Weitergabe von Daten an den Belastingdienst verpflichtet sind. Aus Sicht des Belastingdienst geht es deshalb darum, einen Ausgleich zwischen den zur Förderung der Compliance notwendigen Beschränkungen des Informationsaustauschs einerseits und der sowohl zu präventiven als auch repressiven Zwecken wünschenswerten Ausdehnung des Informationsaustauschs andererseits herbeizuführen. Den Schutz personenbezogener Daten sowie der persönlichen Lebenssphäre der betroffenen Bürger überwacht in den Niederlanden das sog. College bescherming persoonsgegevens (Cbp, Rat für den Schutz personenbezogener Daten, vormals „Registratiekamer“543). Auch die Rekenkamer hat in der Vergangenheit Untersuchungen zum Umgang des Belastingdienst mit vertraulichen Daten durchgeführt.
542
de Zeeuw, Informatieverstrekking, S. 7; Zwenne, Informatieverplichtingen, S. 205. 543 Nach Einführung des Wet bescherming persoonsgegevens ist das Cbp an die Stelle der Registratiekamer getreten, vgl. art. 51 ff. Wbp.
216
3. Kap.: Arbeitsweise des Belastingdienst
1. Rechtsgrundlagen Die für den Informationsaustausch durch den Belastingdienst zu beachtenden datenschutzrechtlichen Erwägungen bzw. Grenzen sind sowohl durch nationale als auch durch internationale Bestimmungen konkretisiert. Ein gesetzlich normiertes „Bankgeheimnis“ gibt es in den Niederlanden nicht.544 Art. 10 lid 1 Gw schützt die Privatsphäre, sieht aber zugleich die Beschränkung dieses Grundrechts durch oder aufgrund Gesetzes vor. Größere Bedeutung kommt in den Niederlanden jedoch den in internationalen Verträgen enthaltenen Grundrechten zu. Für den Bereich des Datenschutzes ist insbesondere Art. 8 EMRK einschlägig. Diese Vorschrift verlangt eine (hinreichend bestimmte) gesetzliche Grundlage für Eingriffe in die Privatsphäre. Darüber hinaus sind Eingriffe nur zum Schutze bestimmter staatlicher Interessen zulässig, die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) als sog. pressing social needs (dringende Bedürfnisse des Allgemeinwohls) zusammengefasst worden sind. Die vom EGMR aufgestellten Kriterien laufen im Ergebnis auf eine Art Verhältnismäßigkeitsprüfung hinaus. Art. 8 EMRK ist durch das Datenschutzabkommen vom 28.1.1981545 näher konkretisiert worden. Die grundsätzliche Vereinbarkeit der steuerlichen Mitwirkungspflichten des AWR mit diesen Anforderungen hat der Hoge Raad bereits 1974 festgestellt.546 Die EU-Datenschutzrichtlinie vom 24.10.1995547 schließt inhaltlich an die Regelungen der EMRK sowie des Datenschutzabkommens an. Die Richtlinie ist in den Niederlanden durch das Wet bescherming persoonsgegevens (WBP, Gesetz über den Schutz personenbezogener Daten)548 umgesetzt worden. Zu den sich aus internationalen Verträgen bzw. europäischem Recht ergebenden Anforderungen gehört insbesondere der Grundsatz der Zweckbindung (Art. 5 Datenschutzabkom544
Zwenne, Informatieverplichtingen, S. 113. Übereinkommen [des Europarats] zum Schutz des Menschen bei der automatischen Verarbeitung personenbezogener Daten, in englischer Sprache unter abrufbar. 546 HR v. 10.12.1974, nr. 67 574 („Stad Rotterdam”), NJ 1975, 178. In diesem Urteil hat der Hoge Raad auch sog. Serienfragen des Belastingdienst für zulässig erachtet, mittels derer die Versicherungsgesellschaft „Stad Rotterdam” aufgefordert worden war, dem Belastingdienst alle Kunden zu melden, die Fahrzeuge ab einem bestimmten Wert versichert hatten. Seit 1974 sind die entsprechenden Vorschriften im AWR jedoch erheblich ausgeweitet worden, sodass eine erneute Stellungnahme des obersten Gerichts wünschenswert wäre, vgl. de Zeeuw, Informatiegaring, unter 4.1. 547 Richtlinie 95/46/EG zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr, Abl. L 281 vom 23.11.1995 S. 0031-0050. 548 Gesetz vom 6.7.2000, Stb. 2000, 302; in Kraft getreten am 1.9.2001, wodurch das Wet persoonsregistraties vom 28.12.1988, Stb. 1988, 665 ersetzt wurde. 545
E. Informationsaustausch
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men), wonach Daten nur für spezifische, legitime Zwecke gespeichert und genutzt werden dürfen. Diese Anforderungen sind sowohl im WBP als auch in der (einfachgesetzlichen) VIV 1993 umgesetzt worden. Zentraler Begriff des WBP ist der der „personenbezogenen Daten“ (persoonsgegevens), art. 1 lid 1 onder a WBP. Darunter sind alle Daten zu verstehen, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person beziehen. Die Weitergabe von Informationen durch Banken und andere Institutionen an den Belastingdienst ist gem. art. 8 onder d WBP erlaubt, sofern diese Institutionen damit einer gesetzlichen Verpflichtung nachkommen. Der Umfang dieser oben bereits skizzierten Verpflichtungen wiederum richtet sich nach dem AWR sowie der Vifb. Was das Zusammentragen, Speichern und Verarbeiten von Informationen durch den Belastingdienst betrifft, so ist dies aufgrund von art. 8 onder e WBP erlaubt, sofern es für die Erfüllung einer dem Belastingdienst übertragenen öffentlich-rechtlichen Aufgabe erforderlich ist. Diese Aufgabe liegt insbesondere im Vollzug der Steuergesetze, sodass es letztlich lediglich auf die reichlich vage Voraussetzung ankommt, dass die Informationen für Besteuerungszwecke relevant sind. Da art. 9 lid 4 WBP die Weitergabe von personenbezogenen Daten für unzulässig erklärt, soweit diese Daten einer speziellen Geheimhaltung unterliegen, ist davon auszugehen, dass art. 67 AWR und die in Ausführung des Vorbehalts in art. 67 lid 2 AWR erlassene VIV 1993 im Hinblick auf die Weitergabe von Informationen Vorrang vor dem WBP genießen.549 Gem. art. 2.1.2 VIV 1993 dürfen die durch den Belastingdienst an andere Institutionen weitergeleiteten Informationen nur zu dem Zweck verwendet werden, zu dem die Informationen angefordert bzw. vom Belastingdienst (spontan) verschafft worden sind. Darüber hinaus ist Voraussetzung für die Weiterleitung von Informationen, dass eine Interessenabwägung durchgeführt wird, art. 2.1.3 VIV 1993. Dabei sind insbesondere fünf explizit benannte Interessen zu berücksichtigen, nämlich • das Interesse an einer effektiven Bekämpfung des Missbrauchs gesetzlicher Vorschriften bzw. an einer effektiven Durchführung der an den Adressaten der Informationen übertragenen Aufgaben, • das Interesse am Schutz der Privatsphäre des Bürgers sowie am Schutz von Betriebsgeheimnissen, • das Interesse des Belastingdienst an der Vermeidung der Aufweichung des Steuergeheimnisses,550 549
Zwenne, Informatieverplichtingen, S. 120. Damit ist das oben bereits angesprochene Interesse des Belastingdienst an einer Förderung der Compliance gemeint, das durch ein starkes Misstrauen der Steu550
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3. Kap.: Arbeitsweise des Belastingdienst
• der (zeitliche und finanzielle) Aufwand, den die Bereitstellung der Informationen für den Belastingdienst mit sich bringt, • der Umfang, in dem die weiterzuleitenden Informationen zu einer Bekämpfung von Betrugsfällen beitragen können. In den Fällen, in denen Art und Umfang der durch den Belastingdienst zur Verfügung zu stellenden Daten in einer sog. Convenant festgelegt worden sind, braucht keine individuelle Interessenabwägung mehr durchgeführt zu werden, art. 2.1.3 VIV 1993. Problematisch ist das Verhältnis zwischen der Geheimhaltungspflicht in art. 67 AWR einerseits und den Vorschriften des Wet openbaarheid van bestuur (WOB, Gesetz über die Transparenz in der öffentlichen Verwaltung) andererseits. Das WOB gilt grundsätzlich für alle Bereiche der öffentlichen Verwaltung und regelt die Weitergabe von Informationen im Zusammenhang mit Verwaltungshandeln an Bürger zum Zwecke der Transparenz der Verwaltung. Die Veröffentlichung der Informationen kann entweder (passiv) auf Antrag eines Bürgers oder (aktiv) unmittelbar aus der Verwaltung heraus erfolgen. Während ursprünglich die Auffassung vorherrschte, dass die Vorschriften des WOB im Bereich der Finanzverwaltung durch die spezielle Regelung der Geheimhaltungspflicht in art. 67 AWR verdrängt würden (vgl. art. 2.5 VIV 1993) und dies auch für den Fall gelte, dass der Steuerpflichtige Informationen in eigener Sache erfrage, hat die Afdeling (bestuurs)rechtspraak van de Raad van State (ARRvS, Abteilung für [Verwaltungs-]Rechtsprechung beim Raad van State), die für die Entscheidung über Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit der Reichweite des WOB zuständig ist, entschieden, dass das WOB für Anträge des Steuerpflichtigen auf Akteneinsicht bzw. Auskunft in eigener Sache unmittelbar zur Anwendung kommt.551 Bei der Entscheidung über Anträge auf Akteneinsicht bzw. Auskunft in Sachen Dritter sind die im WOB geregelten Befugnisse und Beschränkungen hinsichtlich der Weitergabe von Informationen nach Ansicht der ARRvS im Rahmen der Entscheidung über die Aufhebung der Geheimhaltungspflicht i. S. v. art. 67 lid 2 AWR mit zu berücksichtigen (s. auch art. 2.5 VIV 1993).552 Im Laufe der vergangenen Jahre hat die Zahl der auf das WOB gestützten Anträge von Bürgern auf Information über Entscheidungen der Finanzverwaltung in steuerlichen Angelegenheiten Dritter (insbesondere im Zusammenhang mit Rulings) ganz erheblich zugenommen. Die Steuerpflichtierpflichtigen gegenüber dem Schutz ihrer vertraulichen Informationen durch den Belastingdienst gefährdet wird, vgl. art. 2.1.1 VIV 1993. 551 ARRvS v. 31.7.1984, nr. R01.83.0379, BNB 1985, 35. 552 ARRvS 1.4.1986, nr. R01.84.2391, AB 1987, 534; ARRvS v. 8.8.1985, nr. R01.84.1631, AB 1985, 617.
E. Informationsaustausch
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gen erhoffen sich von derartigen Informationen Aufschluss über die internen Richtlinien der Finanzverwaltung für bestimmte Angelegenheiten bzw. über einen etwaigen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz. Dadurch wächst die Spannung zwischen der Geheimhaltungspflicht einerseits und dem Transparenzgebot des WOB andererseits. Die Finanzverwaltung versucht diese WOB-Anträge aus mehreren Gründen abzuwehren: Einerseits sieht sie bei einer Einschränkung des Steuergeheimnisses die Kooperationsbereitschaft der Steuerpflichtigen und damit die Effektivität des Gesetzesvollzugs gefährdet. Zum anderen droht der Finanzverwaltung in Einzelfällen sogar eine Inanspruchnahme auf Schadensersatz, sollten vertraulich zu behandelnde Daten unberechtigt veröffentlich werden. Darüber hinaus stellt es für den Belastingdienst einen erheblichen Zeitaufwand dar, die auf Antrag eines Bürgers zu veröffentlichenden Informationen so zu schwärzen und vorzubereiten, dass ein Rückschluss auf die Person des Steuerpflichtigen, auf den sich die Daten beziehen, nicht mehr möglich ist. Aus diesen Gründen hatte der Staatssekretär für Finanzen bereits 1998 vorgeschlagen, art. 67 AWR zu ergänzen und eine Abwägung anhand der im WOB aufgeführten Befugnisse bei der Entscheidung über die Aufhebung der Geheimhaltungspflicht auszuschließen.553 Anträge im Sinne des WOB sollen danach nur noch im Hinblick auf steuerliche Informationen in eigener Sache zulässig sein. Bislang sind diese Vorschläge jedoch nicht umgesetzt worden. Zu berücksichtigen ist dabei auch, dass ein Ausschluss der Anwendbarkeit des WOB die Gefahr birgt, dass die Ungleichbehandlung einzelner Steuerpflichtiger nicht mehr transparent wird, weil der Belastingdienst sich Auskunftsersuchen gegenüber auf die Geheimhaltungspflicht aus art. 67 AWR berufen könnte.554 2. Kritik an der Ausweitung des (automatisierten) Datenaustauschs sowie der umfangreichen Kontrollmitteilungspflichten Die erhebliche Ausweitung des automatisierten Datenaustauschs sowie der umfangreichen Kontrollmitteilungspflichten in den vergangenen 20 Jahren ist in den Niederlanden nicht nur auf Zustimmung gestoßen. So hatten schon 1983 der damalige Staatssekretär für Finanzen Koning und der Finanzminister Ruding davor gewarnt, zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung insbesondere die Kontrollmitteilungspflichten auszudehnen, da dadurch „wesentliche Interessen“ verletzt würden,555 und die Commissie ter 553 Vgl. Briefe des Staatssekretärs für Finanzen an den permanenten Finanzausschuss der Zweiten Kammer vom 13.3.1998, WJB 98/46 und v. 20.3.2001, BOB 2000-01536 U. 554 Zwenne, Informatieverplichtingen, S. 57. 555 Schellekens/Schweitzer, In naam van de FIOD, S. 79.
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3. Kap.: Arbeitsweise des Belastingdienst
bestudering van de fiscale controlemiddelen kritisierte den offensichtlichen Vorrang des Informationsbedürfnisses der Finanzverwaltung gegenüber dem Schutz der Privatsphäre der Steuerpflichtigen in den Entscheidungen der Verwaltung und des Parlaments.556 Auch in jüngerer Zeit werden immer wieder besorgte Stimmen laut, die den Schutz der Privatsphäre durch die nahezu unbegrenzten Informationsmöglichkeiten des Belastingdienst gefährdet sehen.557 de Zeeuw kritisiert, dass die Ermächtigungsgrundlagen für die Ermittlungsbefugnisse des Belastingdienst hinsichtlich der Reichweite der Kontrollmitteilungen sowie der jeweils erforderlichen Interessenabwägung nicht präzise genug formuliert seien und damit den Anforderungen, die Art. 8 EMRK an entsprechende Normen stellt, nicht genügten.558 Die Vorgehensweise des Belastingdienst wird als „Big-Brother-artig“ bezeichnet559 und es ist die Rede von einem steuerlichen Polizeistaat, in dem der Belastingdienst anscheinend jedwede Information erhalten könne, die er haben wolle.560 Problematisch ist in diesem Zusammenhang, dass art. 67 lid 2 AWR pauschal die Möglichkeit vorsieht, durch ministerielle Regelung Ausnahmen vom Steuergeheimnis zu treffen. Obwohl der Staatssekretär für Finanzen zugesagt hatte, einen Gesetzentwurf zur Einschränkung dieser pauschalen Befugnis auszuarbeiten,561 ist bisher noch keine entsprechende Änderung erfolgt. Auch die Frage danach, wann eine Information steuerlich relevant ist und deshalb das Anfertigen von Kontrollmitteilungen rechtfertigen kann, ist offen, sodass dem Belastingdienst ein (zu) großer Ermessensspielraum eingeräumt wird.562 Kritisiert wird außerdem, dass dem Steuerpflichtigen gegen Entscheidungen der Finanzverwaltung über den Umfang seiner Mitwirkungspflichten der (unmittelbare) Rechtsweg nicht offen steht.563 Zwar kann derjenige, der zum Zwecke der eigenen Besteuerung um Auskunft ersucht wird, die 556 Rapport van de Commissie ter bestudering van de fiscale controlemiddelen, Geschriften VvB no. 175, S. 43, 88 f. Ähnlich auch Peppelenbosch/Grotenhuis, Computerrecht 1991, 157, 159. 557 Peppelenbosch/Grotenhuis, Computerrecht 1991, 157, 158 f.; de Zeeuw, Informatiegaring, unter 4.2. 558 de Zeeuw, Informatiegaring, unter 4.1.1., 4.1.2. 559 Vgl. die Fragen des Abgeordneten Rosenmöller an die Regierung, Kamerstukken II 1995/96, Aanhangsel van de Handelingen, 1390, S. 2825 f. Vor kafkaesken und orwellschen Zuständen warnt auch Zwenne, Informatieverplichtingen, S. 11. 560 Schonis, WFR 1992, 1348; Rapport van de Commissie ter bestudering van de fiscale controlemiddelen, Geschriften VvB no. 175, S. 43. Mahnend auch Stevens, Fiscus, S. 40. 561 Vgl. Brief des Staatssekretärs für Finanzen an die Zweite Kammer des Parlaments vom 20.3.2001, BOB 2000-01536 U, S. 3. 562 de Zeeuw, Informatiegaring, unter 4.1.1.1.; Zwenne, Informatieverplichtingen, S. 69, 75.
E. Informationsaustausch
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Rechtmäßigkeit dieser Aufforderung ggf. indirekt in einem Rechtsbehelfsverfahren gegen den anschließend ergangenen Steuerbescheid überprüfen lassen. Nicht einmal diese Möglichkeit einer inzidenten Überprüfung steht jedoch demjenigen offen, der im Zusammenhang mit der Besteuerung Dritter zur Mitwirkung verpflichtet worden ist. In diesen Fällen bleibt allenfalls eine Amtshaftungsklage vor den Zivilgerichten.564 Auch in dieser Frage ist trotz entsprechender Ankündigung des Staatssekretärs für Finanzen, zumindest eine marginale Überprüfung der Ausübung des Ermessens des Belastingdienst bei der Auferlegung von Informationspflichten zu ermöglichen,565 noch kein Fortschritt erzielt worden. So vielfältig die Kritik gegenüber der Ausweitung der Kontrollmitteilungspflichten und dem umfangreichen Informationsaustausch im Allgemeinen ist, so wenig Bedenken hat die Neuregelung des art. 53 lid 2, 3 AWR ausgelöst, wonach Steuerpflichtige sich Dritten gegenüber sowohl ausweisen als auch ihre SoFi-Nummer angeben müssen und die Kontrollmitteilungspflichtigen diese Informationen in ihren Aufzeichnungen speichern müssen. Hierin wird offensichtlich keine Verletzung des Persönlichkeitsrechts aus Art. 8 EMRK gesehen.566 Grund dafür dürfte der Umstand sein, dass bereits 1994 im Zuge des Wet op de identificatieplicht eine Verpflichtung der Arbeitnehmer eingeführt worden war, sich durch geeignete Dokumente (Pass o. ä.) dem Arbeitgeber gegenüber auszuweisen, und der Hoge Raad diese Ausweispflicht in der Folgezeit für vereinbar mit den das Persönlichkeitsrecht bzw. den Datenschutz gewährleistenden Vorschriften erklärt hat.567 3. Zusammenfassung Mit der Ausweitung der Kontrollmitteilungspflichten schafft der Belastingdienst die Voraussetzungen für eine künftige Verlagerung der Rollenverteilung zwischen den Steuerpflichtigen einerseits und dem Belastingdienst andererseits: Durch den zunehmenden Gebrauch von Kontrollinformationen wird der Belastingdienst in immer geringerem Maße auf die eigenen Angaben der Steuerpflichtigen angewiesen sein und darüber hinaus immer frühzeitiger über wesentliche Informationen für die Besteuerung Einzelner verfügen. Aus Sicht der Finanzverwaltung bietet insbesondere die 563 de Zeeuw, Informatiegaring, unter 4.1.3.; Zwenne, Informatieverplichtingen, S. 86 m. w. N. 564 Zwenne, Informatieverplichtingen, S. 88. 565 Kamerstukken II 1996/97, 25 000 IXB, nr. 24. 566 So z. B. van Eijsden/Landman, WFR 2000, 1453, 1458. 567 Wet op de identificatieplicht v. 9.12.1993, Stb. 660; HR v. 28.1.1998, nr. 32 732, BNB 1998/147c; HR v. 15.12.1999, nr. 35 170, BNB 2000/62.
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3. Kap.: Arbeitsweise des Belastingdienst
zunehmende Anlieferung von Kontrollinformationen in digitalisierter Form den Vorteil, große Mengen von Daten innerhalb kürzester Zeit abzugleichen und in den Prozess der automatisierten Auswahl risikobehafteter Steuerfälle einzuspeisen. Aus Sicht der Steuerpflichtigen könnte langfristig die Pflicht zur Angabe all jener Informationen, die dem Belastingdienst bereits von dritter Seite vorliegen, entfallen, sodass das Ausfüllen der Steuererklärung für den durchschnittlichen Steuerpflichtigen noch weiter vereinfacht werden könnte. Dies steht im Zusammenhang mit dem Bemühen der gesamten niederländischen Verwaltung, pro-aktivere Kommunikations- und Handlungsformen den Bürgern gegenüber zu entwickeln. So erwägt der Staatssekretär auch, dass der Belastingdienst mithilfe der Kontrollinformationen zielgenau denjenigen Steuerpflichtigen, die einen Anspruch auf Steuererstattung haben, die entsprechenden Formulare zusenden und diese damit auf das Bestehen ihres Anspruchs gegenüber der Finanzverwaltung hinweisen könnte.568 Tatsächlich hat der Belastingdienst z. B. im Sommer 2002 ca. 600.000 Rentner, die nicht zur Abgabe einer Steuererklärung verpflichtet sind und bislang auch nicht freiwillig eine Steuererklärung abgegeben haben, über die Abzugsmöglichkeit von Krankheitskosten als außergewöhnliche Belastungen informiert und ihnen gleichzeitig das entsprechende Formular für die Beantragung einer Steuerrückzahlung sowie eine Diskette für die Abgabe einer elektronischen Steuererklärung zugeschickt.569 Insgesamt verfügt der Belastingdienst über sehr umfangreiche Informationsmöglichkeiten und kann aufgrund seiner Kompetenzen diejenigen Informationen, die er für den Vollzug der Steuergesetze benötigt, in der Regel auch tatsächlich erhalten.570 Bei der Abwägung zwischen dem staatlichen Interesse an einer effizienten Besteuerung einerseits und den Datenschutzbelangen der Bürger andererseits genießt die effektive Besteuerung in der Einschätzung des niederländischen Gesetzgebers ganz offensichtlich den Vorrang. Letztlich ist eine derartige Grundsatzentscheidung des Gesetzgebers bei der Abwägung der konfligierenden Interessen zu akzeptieren. Dennoch besteht das Risiko, dass sich die Beschneidung des Datenschutzes negativ auf die Bereitschaft der Steuerpflichtigen zur Compliance auswirkt, d.h. es gilt eine Balance zwischen den notwendigen Ermittlungsbefugnissen des Belastingdienst einerseits und dem Vertrauen der Bürger darauf, dass ihre Daten beim Belastingdienst „gut aufgehoben“ sind andererseits zu erzielen. Der Belastingdienst ist sich dieses Konflikts jedenfalls im Hinblick auf die interne Datensicherheit offensichtlich bewusst und versucht, seine Mitarbeiter für dieses Thema zu sensibilisieren.571 568 569 570
MvT, Kamerstukken II 1998/99, 26 727, nr. 3, S. 67. Vgl. Pressemitteilung des Finanzministeriums v. 6.5.2002, Nr. 2002-121. Ebenso Zwenne, Informatieverplichtingen, S. 198.
F. Vergleich mit Deutschland
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Eine weitere Gefahr, auf die auch Adriaansen-Keulers und Schutte hinweisen,572 droht mit der zunehmenden Automatisierung und der Ausweitung der Kontrollmitteilungspflichten für die Beweislage der Steuerpflichtigen: Für die Ergebnisse der automatisierten Veranlagung bzw. des automatisierten Datenabgleichs darf keinesfalls eine umfassende Richtigkeitsvermutung bestehen, denn der bloße Umstand, dass eine Information nicht vom Steuerpflichtigen selber stammt, sondern von einem Dritten, macht diese Information nicht weniger fehleranfällig. Hinzu kommt, dass die Steuerpflichtigen keinen Einblick in die automatisierten Verfahren nehmen können und ihnen damit die Möglichkeiten genommen sind, Fehler in diesen Verfahren nachzuweisen. Bislang lässt sich aus der Rechtsprechung noch keine derartige Verschlechterung der Beweisposition der Steuerpflichtigen ablesen und es bleibt deshalb abzuwarten, wie sich die technischen Voraussetzungen und die Rechtsprechung in dieser Frage in den kommenden Jahren entwickeln.
F. Vergleich mit Deutschland I. Auftrag und Zielsetzung Während der Auftrag des Belastingdienst nicht im AWR, sondern in einem vom Belastingdienst selbst formulierten sog. permanenten Auftrag festgehalten ist und durch die (ebenfalls selbst formulierte) strategische Zielsetzung und die Unternehmensphilosophie unterstützt wird, sind der deutschen Finanzverwaltung durch §§ 85, 88 AO konkretere gesetzliche Vorgaben dafür gemacht, wie sie die Steuergesetze zu vollziehen hat. Dennoch bringen die Vorschriften der AO das Selbstverständnis und die Vollzugsrealität der Finanzverwaltung nur unzureichend zum Ausdruck. Die Steuerverwaltung kann nicht „sicherstellen“, dass in jedem Einzelfall die gesetzlich geschuldete Steuer entrichtet wird, sondern sie kann allenfalls einen gleichmäßigen Gesamtvollzug sicherstellen. Um deutlich zu machen, dass nicht jeder Steuerfall mit der gleichen Intensität behandelt werden kann, wurde mit den sog. GNOFÄ 1976573 erstmals durch die Steuerverwaltungen der Länder explizit eine Gewichtung der Bearbeitungsintensität 571 So ist im Jahr 2001 eine Kampagne unter dem Titel „Boemerang“ gestartet worden, um den Mitarbeitern Themen wie Datenschutz und Integrität näher zu bringen. Vgl. Belastingdienst, Belastingwerk 4/2002, S. 7. 572 Adriaansen-Keulers, Rechtvaardigheid bij belastingen, S. 185; Schutte, TFB 6/2000, 4, 10. 573 Grundsätze zur Neuorganisation der Finanzämter und zur Neuordnung des Besteuerungsverfahrens, Gleichlautende Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder v. 16.2.1976, BStBl. II, 88. Vgl. auch 2. Kap. unter E.III.
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3. Kap.: Arbeitsweise des Belastingdienst
der Steuerfälle nach ihrer steuerlichen Bedeutung eingeführt, und es wurden drei Fallgruppen gebildet. Damit erfolgte die offizielle Abkehr von der in den Niederlanden als „100%-Philosophie“ bezeichneten Arbeitsweise in Deutschland bereits zu einem früheren Zeitpunkt. Allerdings wird die gewichtende Arbeitsweise der deutschen Steuerverwaltung seit diesem Tag dafür kritisiert, dass sie dem gesetzlichen Auftrag widerspreche – ein Vorwurf, dem sich der Belastingdienst nicht ausgesetzt sah und wohl auch künftig nicht ausgesetzt sehen wird, weil er sich in seinem permanenten Auftrag „nur“ dazu verpflichtet, die Steuergesetze so effizient und effektiv wie möglich zu vollziehen.
II. Klassifizierung und Systematisierung der Steuerpflichtigen Hinsichtlich der Steuernummer, die den Steuerpflichtigen zugewiesen wird, bestehen keine bundesweit einheitlichen Regelungen und es gibt (noch) keine der niederländischen SoFi-Nummer vergleichbare dauerhafte Kennzeichnung der Steuerpflichtigen.574 Stattdessen werden die Steuernummern durch das jeweilige Finanzamt vergeben und ändern sich z. B. bei Umzug des Steuerpflichtigen, was den Überblick über die Steuerfälle erschwert. Auch die Zusammensetzung der Steuernummer bzw. die Art der aus ihr hervorgehenden Informationen unterscheidet sich in den einzelnen Länderfinanzverwaltungen. In NRW setzt sich die Steuernummer z. B. aus der Finanzamtsnummer, einer Steuerbezirksnummer und einer Unterscheidungsnummer zusammen. Die Steuerbezirksnummer lässt zugleich erkennen, um was für einen Typ von Steuerfall es sich handelt: Arbeitnehmern sind Steuerbezirksnummern ab 2000, Gewerbetreibenden, Selbständigen und Gemeinschaften Steuerbezirksnummern ab 5000 zugewiesen. Eine Differenzierung der Steuerpflichtigen nach der Einkunftsart ist bereits in der GNOFÄ 1976 angelegt gewesen (Gewinneinkünfte einerseits, Überschusseinkünfte andererseits). Eine generelle Zusammenfassung von Steuerpflichtigen zu Entitäten gibt es bei der Veranlagung nicht. 574 Durch das Zweite Gesetz zur Änderung steuerlicher Vorschriften (StÄndG 2003) v. 19.12.2003, BGBl. I, 2645 ist unlängst ein Unterabschnitt „Identifikationsmerkmale“ (§§ 139a–d) in die AO eingefügt worden. Das Bundesamt für Finanzen ist danach berechtigt, Steuerpflichtigen ein einheitliches, unveränderbares und dauerhaftes Identifikationsmerkmal für das Besteuerungsverfahren zuzuteilen. Natürliche Personen sollen eine Identifikationsnummer und wirtschaftlich Tätige eine Wirtschaftsidentifikationsnummer erhalten, vgl. § 139a Abs. 1 S. 3 AO. Zur Einführung des Identifikationsmerkmals bedarf es jedoch noch einer Rechtsverordnung des Bundesministeriums der Finanzen mit Zustimmung des Bundesrates, vgl. § 5 EGAO.
F. Vergleich mit Deutschland
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Eine bundeseinheitliche Systematisierung erfolgt bislang lediglich für die Durchführung von Außenprüfungen hinsichtlich der Einteilung der Betriebe in Größenklassen (dazu unten).
III. Compliance- und Servicekonzept 1. Compliance-Konzept Das Bewusstsein davon, dass die Steuerverwaltung beim Vollzug der Steuergesetze auf die Mitwirkung der Steuerpflichtigen angewiesen ist, besteht in der deutschen Steuerrechtswissenschaft schon seit geraumer Zeit. Allerdings werden daraus erst seit wenigen Jahren Konsequenzen für die aktive Gestaltung des Verhältnisses zwischen den Steuerpflichtigen und der Steuerverwaltung gezogen. Dementsprechend stecken Compliance-Konzepte noch in den Kinderschuhen. Für die kommenden Jahre ist auf diesem Gebiet jedoch mit einer Vielzahl von Entwicklungen zu rechnen und die Folgerungen, die sich aus den niederländischen Erfahrungen für Deutschland ziehen lassen, werden im 6. Kapitel ausführlicher erläutert. Mit dem Thema Compliance eng verbunden ist das Serviceangebot der Steuerverwaltung gegenüber den Steuerpflichtigen. Dieser Servicebereich ist in der deutschen Finanzverwaltung lange Zeit stark vernachlässigt worden.575 In den vergangenen drei bis vier Jahren hat dieser Aspekt jedoch zunehmend mehr Aufmerksamkeit bekommen und mit der zum 1.7.2002 in Kraft getretenen neuen Geschäftsordnung der Finanzämter (FAGO 2002) ist sogar ein Selbstbekenntnis formuliert worden, wonach das Finanzamt „ein dem Gemeinwohl verpflichteter Dienstleister“ ist.576 2. Serviceeinrichtungen Mittlerweile ist eine Vielzahl von Finanzämtern bundesweit mit Servicestellen ausgestattet, die z. B. unter der Bezeichnung Service- und Informationsstellen (SIST) in NRW, als Servicezentrum in Bayern oder als Zentrale Informations- und Annahmestelle (ZIA) in Baden-Württemberg dem Steuerpflichtigen als Anlaufstelle im Finanzamt dienen, mit vergleichsweise großzügigen Öffnungszeiten werben und den Sachbearbeitern den Publikumsverkehr abnehmen, sodass diese ungestörter arbeiten können. Darüber hinaus 575 Dieses Fazit zieht auch eine vergleichende Studie der französischen Steuerverwaltung aus dem Jahr 1999, die vom BMF übersetzt worden ist (ÜbersetzungsNr. 139/00 zu IV D 4-O-1040-5/99), vgl. S. 4. 576 Gleichlautende Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder v. 3.1.2002, BStBl. I, 540, unter 1.1.
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3. Kap.: Arbeitsweise des Belastingdienst
haben mittlerweile einige Steuerverwaltungen Hotlines eingerichtet, bei denen Bürger – ähnlich dem BelastingTelefoon in den Niederlanden – Antworten auf allgemeine steuerliche Fragen erhalten können.577 Insgesamt erfolgt der Ausbau des Service in den deutschen Finanzämtern und der Steuerverwaltung rund fünf bis acht Jahre später als in den Niederlanden. 3. Elektronische Steuererklärung Auf dem Gebiet der elektronischen Steuererklärungen befindet sich die deutsche Steuerverwaltung gegenüber dem Belastingdienst deutlich im Rückstand. Programme, wie sie der Belastingdienst den Steuerpflichtigen schon seit Jahren kostenfrei zur Verfügung stellt und mit deren Hilfe die Steuererklärung am heimischen PC erstellt werden kann, gab es in Deutschland lange Zeit lediglich von privaten Anbietern. Seit 1999 können Steuerzahler ihre elektronische Einkommensteuererklärung mithilfe des sog. ELSTER-Verfahrens (ELSTER steht für „Elektronische Steuererklärung“) „online“ an das Finanzamt übermitteln.578 Zuvor hatte es entsprechende Datenaustauschverfahren lediglich zwischen Steuerberatern und der Steuerverwaltung gegeben. Das Problem der elektronischen Signatur ist für das ELSTER-Verfahren noch nicht befriedigend gelöst, da die Steuerpflichtigen eine Signaturkarte und ein Lesegerät benötigen. ELSTER-Nutzer, die darüber nicht verfügen, müssen im Anschluss an die Übermittlung der digitalen Steuererklärung noch ein vereinfachtes Erklärungsformular ausgedruckt und unterschrieben an das Finanzamt übersenden. Dagegen können in den Niederlanden mittlerweile alle Steuerpflichtigen eine PIN beim Belastingdienst beantragen, die sie zur Authentifizierung bei der Übermittlung elektronischer Steuererklärungen verwenden können. Insgesamt ist die Zahl der elektronischen Steuererklärungen in den Niederlanden deutlich größer als in Deutschland: Während in den Niederlanden im Jahr 2001 über 1 Mio. elektronische Einkommensteuererklärungen beim Belastingdienst eingingen, waren es in Deutschland bundesweit im gleichen Zeitraum lediglich 326.000.579 In einigen Bundesländern, z. B. in NRW und Thüringen, will man die Verbreitung der elektronischen Steuererklärungen 577 In NRW können Steuerpflichtige C@ll NRW, das Bürger- und Servicecenter der Landesregierung für entsprechende Fragen nutzen, vgl. Pressemitteilung des Finanzministeriums NRW v. 4.2.2002. In Niedersachsen ist seit dem 16.8.2002 eine Info-Hotline der Finanzämter eingerichtet, vgl. Pressemitteilung des niedersächsischen Finanzministeriums v. 16.8.2002. 578 Pressemitteilung des Finanzministeriums NRW v. 15.7.1999. 579 Vgl. Tabelle 2 oben 3. Kap. unter C.II.2.b)bb) sowie Pressemitteilung des Finanzministeriums NRW v. 27.9.2002.
F. Vergleich mit Deutschland
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inzwischen dadurch fördern, dass man potentiellen Nutzern eine beschleunigte Bearbeitung ihrer Einkommensteuererklärung in Aussicht stellt.580 Zum 28.8.2002 sind nun zumindest die gesetzlichen Grundlagen für einen Ausbau elektronischer Kommunikation zwischen den Finanzbehörden und den Steuerpflichtigen geschaffen worden, indem u. a. die mit einer qualifizierten elektronischen Signatur nach § 2 Nr. 3 Signaturgesetz (SigG) verbundene „elektronische Form“ der Schriftform weitgehend gleichgestellt worden ist.581 Zentrale Vorschrift für die elektronische Kommunikation ist der neue § 87a AO, der u. a. auch den Weg für eine Versendung elektronischer Steuerbescheide durch die Finanzverwaltung ebnet. Um die Verbreitung elektronischer Steuererklärungen durch die bislang gerade für Privathaushalte abschreckenden Anforderungen an die qualifizierte elektronische Signatur (insb. Anschaffung eines Kartenlesers) nicht zu behindern, sieht § 87a Abs. 6 S. 1 i. V. m. § 150 Abs. 6 AO für eine Übergangszeit bis zum 31.12.2005 die Möglichkeit vor, durch Rechtsverordnung von dem Erfordernis der qualifizierten elektronischen Signatur für Anträge, Erklärungen oder Mitteilungen an die Finanzbehörden abzuweichen. Bislang ist eine derartige Rechtsverordnung jedoch nicht erlassen worden. 4. Öffentlichkeitsarbeit Die Bedeutung der Öffentlichkeitsarbeit wird innerhalb der Länderfinanzverwaltungen in den vergangenen 4–5 Jahren deutlich höher eingeschätzt als in der Vergangenheit. So wurde z. B. in der Presse ausführlich über die Ergebnisse einer Befragung von Steuerpflichtigen berichtet, die im Zusammenhang mit dem im Herbst 1998 gestarteten Leistungsvergleich zwischen Finanzämtern in Bayern und Sachsen582 erfolgte. Im Jahr 2001 ist auch bundesweit eine Befragung von Steuerpflichtigen zu ihrem Verhältnis gegenüber der Finanzverwaltung durchgeführt worden und die Ergebnisse wurden der Öffentlichkeit entsprechend vorgestellt.583 In NRW hat z. B. das Finanzamt Herne-Ost bei der Einführung seines neuen Aussteuerungsmodells die Presse frühzeitig eingeschaltet, um die Bürger gezielt zu informieren. Die Finanzverwaltung versucht darüber hinaus, auch außerhalb der Finanzämter präsent zu sein und mit den Steuerpflichtigen Kontakt aufzu580 Pressemitteilung des Finanzministeriums NRW v. 3.4.2002; Pressemitteilung des Finanzministeriums Thüringen v. 30.09.2002. 581 Drittes Gesetz zur Änderung verwaltungsverfahrensrechtlicher Vorschriften v. 21.8.2002, BGBl. I 2002, 3322, 3327. Dazu Szymczak, NWB Fach 2 S. 7971 ff. 582 Das Projekt stand unter der Leitung der Bertelsmann Stiftung, vgl. Prey/ Riedel, VOP 11/2000, 17. 583 Vgl. Compliance-Studie der Kienbaum Management Consultants GmbH und der Bertelsmann Stiftung aus dem Jahr 2001.
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3. Kap.: Arbeitsweise des Belastingdienst
nehmen, z. B. anlässlich von Gründermessen, um Unternehmer frühzeitig über ihre steuerlichen Pflichten zu informieren.
IV. Gewichtende Arbeitsweise 1. Gewichtende Arbeitsweise auf der Grundlage der GNOFÄ Die mit den GNOFÄ 1976 eingeführte gewichtende Arbeitsweise differenzierte zunächst zwischen drei Gruppen von Steuerfällen:584 In der ersten Gruppe wurden Steuerfälle zusammengefasst, die regelmäßig der Betriebsprüfung unterliegen oder bei denen innerhalb der nächsten drei Jahre eine Betriebsprüfung vorgesehen ist. Diese Fälle sollten bis zur Durchführung der Betriebsprüfung vorläufig veranlagt werden. Die zweite Gruppe umfasste Steuerfälle mit Einkünften nach § 3 Abs. 1 Nr. 4–7 EStG (Überschusseinkünfte) sowie Einkünften nach § 2 Abs. 1 Nr. 1–3 EStG (Gewinneinkünfte), soweit es sich bei den Betrieben um sog. Kleinstbetriebe i. S. d. Betriebsprüfungsordnung handelte. Diese Steuerfälle sollten jährlich endgültig veranlagt werden, wobei die Veranlagung in der Regel durch die sog. Übernahmestelle nach lediglich überschlägiger Prüfung erfolgen sollte. Zur dritten Gruppe schließlich zählten die übrigen, weder der ersten noch der zweiten Gruppe zuzuordnenden Steuerfälle. Für diese Gruppe war eine (seit 1981 fakultative) vorläufige Veranlagung vorgesehen, der in einem Turnus von zwei Jahren eine endgültige Veranlagung folgen sollte. Durch die GNOFÄ 1997585 ist die bisherige Dreiteilung der Steuerfälle durch eine Zweiteilung ersetzt worden und es wird zwischen intensiv zu prüfenden Fällen (sog. I-Fälle) und sonstigen Fällen unterschieden. Steuerfälle sind intensiv zu prüfen, wenn dies generell oder im Einzelfall angeordnet wird, sie maschinell dazu ausgewählt werden oder sich Zweifelsfragen von erheblicher steuerlicher Bedeutung ergeben. Wie schon unter der früheren Fassung der GNOFÄ hat sich der Aufwand bei der Fallbearbeitung nach der steuerlichen Bedeutung des Falles zu richten. Hinzugekommen ist die Bestimmung, dass bei der Bearbeitung auf „das Wesentliche“ abzustellen sei. Was die maschinelle Auswahl von I-Fällen betrifft, so bestehen dazu bundeseinheitliche Vorgaben für Stichprobenquoten in Abhängigkeit von der steuerlichen Bedeutung des Falles:586 584 GNOFÄ 1976, BStBl. I, 88, 89 unter 1.1.; GNOFÄ 1981, BStBl. I, 270, 271 unter 1.1. 585 BStBl. I 1996, 1391. 586 Vgl. z. B. Seer, Besteuerungsverfahren USA, Rn. 78; Thiel u. a., PraktikerHandbuch 1999, Anlage § 088-01.
F. Vergleich mit Deutschland
229
Tabelle 12: Stichprobenquoten für die intensive Fallbearbeitung Quote
Einkunftskennzahlen
100%
Steuerfälle, bei denen die Summe aller positiven Einkünfte 400.000 DM übersteigt
100%
Steuerfälle, bei denen die Summe aller negativen Einkünfte 200.000 DM übersteigt
40%
Steuerfälle, bei denen die Summe aller positiven Einkünfte 300.000 DM übersteigt
10%
Steuerfälle, bei denen die Summe aller positiven Einkünfte 200.000 DM übersteigt
5%
Steuerfälle, bei denen die Summe aller positiven Einkünfte 150.000 DM übersteigt
0,3% übrige Steuerfälle
Maschinell ausgewählte I-Fälle sind hinsichtlich aller in Betracht kommenden Steuerarten intensiv zu bearbeiten. Daneben können auf Finanzamts, OFD- oder Landesebene Prüffelder festgelegt werden, die in der Regel nur zu einer punktuellen Überprüfung der Steuerfälle führen. Bei I-Fällen, die der regelmäßigen Betriebsprüfung unterliegen oder bei denen eine Außenprüfung vorgesehen ist, erfolgt die Steuerfestsetzung zunächst unter dem Vorbehalt der Nachprüfung, vgl. GNOFÄ 1997 Nr. 4. Was genau unter einer intensiven Prüfung zu verstehen ist, erläutern die GNOFÄ 1997 nicht. Standardisierte Bearbeitungsmodule wie in den Niederlanden z. B. für Steuerfälle aus bestimmten Branchen existieren in Deutschland nicht, sodass die Art der Intensivprüfung von Bundesland zu Bundesland und sogar von Finanzamt zu Finanzamt587 variieren kann. In den übrigen Steuerfällen, die nicht als I-Fälle eingestuft werden und bei denen keine Außenprüfung ansteht, erfolgt in der Regel unmittelbar eine abschließende Veranlagung, wobei die Angaben des Steuerpflichtigen übernommen und nur auf ihre Schlüssigkeit und Glaubhaftigkeit überprüft werden. Allerdings sehen die GNOFÄ 1997 auch für diese Fälle eine Auswertung von Kontrollmaterial und die Anforderung von Belegen vor, sofern die Steuerpflichtigen zu ihrer Vorlage verpflichtet sind. In welchen Fällen eine derartige Vorlagepflicht besteht, regeln die GNOFÄ nicht, sondern hierzu sind in den einzelnen Bundesländern gesonderte Verfügungen ergangen. 587
Vgl. Bilsdorfer, Informationsquellen, S. 29.
230
3. Kap.: Arbeitsweise des Belastingdienst
Zwar sollten durch die GNOFÄ 1997 bundeseinheitliche Regelungen für die Arbeitsweise in den Veranlagungsstellen getroffen werden,588 doch handelt es sich lediglich um Rahmenregelungen, die den Ländern, den Oberfinanzdirektionen und den Finanzämtern einen Konkretisierungsspielraum belassen. So bestehen in der Praxis sowohl hinsichtlich der Festlegung von Prüffeldern als auch hinsichtlich der Bestimmung dessen, was „wesentlich“ ist und wonach sich die „steuerliche Bedeutung“ der Fälle richtet, in den einzelnen Bundesländern erhebliche Unterschiede. Gemeinsames Kennzeichen der auf den GNOFÄ 1997 basierenden gewichtenden Arbeitsweise der Steuerverwaltungen ist jedoch, dass die steuerliche Bedeutung als quantitative bzw. finanzielle Größe verstanden wird,589 d.h. es geht in erster Linie um die Höhe des Steueraufkommens eines Falles und nicht um die Wahrscheinlichkeit von Unregelmäßigkeiten (steuerliche Risiken). Dies stellt einen wesentlichen Unterschied zu der Gewichtung der Steuerfälle in den Niederlanden dar, bei der das steuerliche Risiko in der Zielgruppe der Ondernemingen und Grote Ondernemingen eine wichtige Rolle spielt. 2. Neue Konzepte zur Schnellbearbeitung sog. „E-Fälle“ Seit ca. 2 Jahren zeichnet sich in den einzelnen Bundesländern eine neue Entwicklung bei der Gewichtung der Steuerfälle ab, die sich vom Wortlaut der derzeit geltenden GNOFÄ 1997 entfernt: An die Stelle der Zweiteilung der Steuerfälle in I-Fälle und sonstige Fälle tritt eine Dreiteilung in I-Fälle, sonstige Fälle und E-Fälle (einfach gelagerte Fälle). E-Fälle werden aus der Gruppe der „sonstigen Fälle“ herausgelöst, „ausgesteuert“ und einer „Schnellbearbeitung“ zugeführt. Da es sich bei der Entwicklung neuer Bearbeitungsformen für einfache Fälle nicht um einen koordinierten, bundeseinheitlichen Vorgang, sondern um Projekte der einzelnen Länderfinanzverwaltungen und z. T. einzelner Finanzämter handelt, ist die Terminologie rund um die „E-Fälle“ entsprechend uneinheitlich. Gemein ist jedoch allen Ansätzen, dass die Steuerverwaltung den steigenden Fallzahlen mit einer beschleunigten und verkürzten Bearbeitung solcher Fälle begegnen will, die sich ihrer Ansicht nach dafür eignen. Dem liegt die Einsicht zugrunde, dass die Differenzierung der GNOFÄ 1997 zwischen I-Fällen und den übrigen Fällen noch nicht ausreicht und weitere Differenzierungen in der Gruppe der übrigen Fälle angezeigt sind. Die Kriterien für die Auswahl der E-Fälle sind höchst unterschiedlich. So werden z. B. in nordrhein-westfälischen Finanzämtern derzeit zwei grund588 589
1192.
Vgl. Einführung zur GNOFÄ 1997, BStBl. I 1996, 1391. So auch Bilsdorfer, NWB Fach 2, 6961, 6962; Hoffmann, DStR 1997, 1189,
F. Vergleich mit Deutschland
231
verschiedene Herangehensweisen erprobt: In einigen Finanzämtern werden die E-Fälle anhand von objektiven Kriterien ausgewählt, wobei die sog. Aussteuerungskriterien entweder einem landesweit einheitlichen (unveröffentlichten) Aussteuerungskatalog entnommen oder aber eigenverantwortlich finanzamtsspezifische Kriterien bestimmt werden. Andere Finanzämter haben sich für die Anwendung subjektiver Kriterien entschieden. So knüpft das Aussteuerungsmodell des Finanzamts Herne-Ost an das korrekte Erklärungsverhalten der Steuerpflichtigen in der Vergangenheit an, und zwar unabhängig von Betragsgrenzen und (künftig) Einkunftsarten. Das nordrheinwestfälische Finanzministerium stellt den Finanzämtern bislang frei, ob sie überhaupt eine Schnellveranlagung durchführen und anhand welcher Kriterien sie die Auswahl der E-Fälle vornehmen wollen, sodass die Veranlagungspraxis innerhalb Nordrhein-Westfalens derzeit höchst uneinheitlich ist. Insgesamt betrachtet, liegt der Schwerpunkt bei den E-Fällen bislang auf den Arbeitnehmerfällen. Langfristig ist jedoch eine Ausweitung auch auf Steuerpflichtige mit Gewinneinkünften geplant. So unterschiedlich wie die Kriterien für die Bestimmung von E-Fällen sind auch die Wege, die bei der Veranlagung dieser Fälle eingeschlagen werden. So liegt z. B. in Nordrhein-Westfalen der Schwerpunkt weiterhin auf der manuellen Kontrolle, auch wenn die dafür zur Verfügung stehende Zeit auf wenige Minuten zusammenschrumpft und die Tätigkeit des Bearbeiters oft nicht über die Erfassung der Daten aus der Steuererklärung und einen Abgleich anhand der Vorjahresdaten sowie eine Überprüfung der Stammdaten des Steuerpflichtigen hinausgeht. In (Süd-)Bayern dagegen wird verstärkt auf eine automatisierte Veranlagung einfacher Fälle gesetzt, wobei jedoch bislang noch eine manuelle Datenerfassung erforderlich ist, weil es bundesweit an einem entsprechenden Scannersystem, wie es in den Niederlanden zum Einsatz kommt, fehlt. Experimentiert wird darüber hinaus mit der Bearbeitung von E-Fällen in zentralen Veranlagungsbezirken einerseits und der Streuung über die verschiedenen Veranlagungsbezirke andererseits.
V. Kontrolle der Steuerfälle Was die Kontrolle der Steuerfälle angeht, so bestehen sowohl hinsichtlich der Kontrollarten als auch der Kontrolldichte einige Unterschiede zu der Situation in den Niederlanden. 1. Prüfungsarten Die Überprüfung der Steuerfälle kann in Deutschland im Wesentlichen in Prüfungen an Amtsstelle einerseits und Außenprüfungen andererseits unter-
232
3. Kap.: Arbeitsweise des Belastingdienst
teilt werden. Prüfungen an Amtsstelle finden in viel geringerem Umfang automatisiert statt, als das in den Niederlanden der Fall ist, d.h. der Schwerpunkt sowohl bei der Auswahl der prüfungsbedürftigen Fälle als auch bei der Fallbearbeitung selbst liegt in Deutschland nach wie vor auf der manuellen Bearbeitung, obwohl die GNOFÄ 1997 den Oberfinanzdirektionen die Kompetenz eingeräumt haben, Kriterien für die programmgesteuerte, d.h. maschinelle Bearbeitung von Steuerfällen zu erarbeiten. Insoweit bestehen erhebliche Unterschiede zu den Niederlanden, wo bereits 70% der Einkommensteuererklärungen von Particulieren automatisiert veranlagt werden. Für dieses Übergewicht manueller Prüfungen in Deutschland gibt es verschiedene Gründe. Zum einen ist die Zahl und der Umfang der Kontrollmitteilungen in Deutschland deutlich kleiner, sodass weniger Informationen zur Verfügung stehen, die digitalisiert und für einen automatisierten Datenabgleich verwendet werden können. Zum anderen ist die Zahl der elektronischen Steuererklärungen deutlich geringer (s. o.). Die Daten in den Steuererklärungen werden manuell erfasst, wobei in einigen Bundesländern (z. B. in Bayern) überwiegend Hilfskräfte, in anderen (z. B. in NRW) hingegen überwiegend Beamte des mittleren und gehobenen Dienstes zum Einsatz kommen, die die Daten nicht nur erfassen, sondern auch unmittelbar einer (ggf. überschlägigen) Prüfung unterziehen. Eine weitere Ursache dafür, dass die manuelle Kontrolle gegenüber der automatisierten Bearbeitung im Vordergrund steht, ist die z. T. unzureichende Ausstattung mit entsprechender Software (dazu unten im Zusammenhang mit der Automatisierung). Die Außenprüfung ist in §§ 193 ff. AO sowie der Betriebsprüfungsordnung590 (BpO 2000), einer auf der Grundlage von Art. 108 Abs. 7 GG ergangenen allgemeinen Verwaltungsvorschrift, geregelt. Sie weist eine Reihe von Gemeinsamkeiten mit der niederländischen Buchprüfung auf. Unterschiede bestehen jedoch hinsichtlich der Einteilung der zu prüfenden Betriebe: Während § 3 BpO 2000 eine Vierteilung in Kleinstbetriebe, Kleinbetriebe, Mittelbetriebe und Großbetriebe vorsieht, die sich auf den Prüfungsturnus und damit die Kontrolldichte auswirkt, differenziert der Belastingdienst hinsichtlich der Prüfungsdichte nur zwischen den Ondernemingen und (der überwiegenden Zahl der) Grote Ondernemingen einerseits und den 200 größten Grote Ondernemingen andererseits. Die Mitwirkungspflichten der Steuerpflichtigen während einer Buchprüfung in den Niederlanden stimmen weitgehend mit denen in § 200 AO überein. Hinsichtlich der Durchführung von Außenprüfungen besteht in der niederländischen Teamstruktur eine größere Verzahnung und ggf. sogar Personenidentität der Prüfer und 590 Allgemeine Verwaltungsvorschriften für die Betriebsprüfung – Betriebsprüfungsordnung v. 15.3.2000, BStBl. I 2000, 368. Zur Neufassung der BpO Papperitz, DB 2001, 1217.
F. Vergleich mit Deutschland
233
der Veranlagungsbeamten. Zwar gibt es z. B. in Nordrhein-Westfalen sog. veranlagende Betriebsprüfungen (vgl. Punkt 3.6.1.4. zu § 2 der EB-FAGO in NRW), d.h. die Betriebsprüfungsstelle hat ihre Prüfungsfeststellungen selbst auszuwerten, doch gilt dies nur, soweit die Steuerpflichtigen in demselben Finanzamt steuerlich geführt werden. Demnach scheidet eine veranlagende Betriebsprüfung bereits in allen Fällen der Konzern- und Großbetriebsprüfung aus, da diese von eigenständigen Prüfungsfinanzämtern wahrgenommen wird (vgl. 2. Kap.). Bei der Auswahl der einer Außenprüfung zu unterziehenden Fälle sollen die Prüfer auch branchenbezogene Erfahrungen mit einfließen lassen (vgl. z. B. Punkt 3.6.1.1.1. zu § 2 der EB-FAGO in NRW). Allerdings gibt es keinen ähnlich systematisierten Austausch von Branchenkenntnis innerhalb der (geschweige denn zwischen den) Länderfinanzverwaltungen wie in den Niederlanden. Eine gesetzlich nicht speziell geregelte Form der Prüfung von Besteuerungsgrundlagen ist die sog. betriebsnahe Veranlagung. Der Begriff hat erstmals durch die GNOFÄ 1976 Verwendung gefunden. Dort heißt es unter Punkt 1.2.5., dass bei der Ermittlung des steuerlich erheblichen Sachverhalts auftretende Unklarheiten in geeigneten Fällen an Ort und Stelle geklärt werden sollen, soweit nicht die Durchführung einer Betriebsprüfung erforderlich ist. Die betriebsnahe Veranlagung ist deshalb deutlich von der Außenprüfung i. S. d. §§ 193 ff. AO zu unterscheiden.591 Es handelt sich um punktuelle Ermittlungsmaßnahmen nach §§ 88, 93 ff. AO zur Sachverhaltsaufklärung und anschließenden Steuerfestsetzung.592 Da der Begriff der betriebsnahen Veranlagung in der Abgabenordnung keine Verwendung findet, kommen verschiedene Rechtsgrundlagen in Betracht. So ermöglichen z. B. §§ 98, 99 AO das Betreten von Grundstücken zur „Augenscheinseinnahme“. Im Gegensatz zur niederländischen Betriebsbesichtigung, die überwiegend präventiven Zwecken dient, kommt eine betriebsnahe Veranlagung nur zur Aufklärung konkreter Sachverhalte im Besteuerungsverfahren in Betracht. Die betriebsnahe Veranlagung hat nicht in allen Steuerverwaltungen gleichermaßen Verbreitung gefunden. Während sie z. B. in Bayern alltäglich ist, wird in Nordrhein-Westfalen davon kein Gebrauch gemacht. Eine der niederländischen Betriebsbesichtigung entsprechende Prüfungsart gibt es in Deutschland lediglich im Bereich der Umsatzsteuer: Die zum 1.1.2002 eingeführte Umsatzsteuernachschau ermöglicht den Finanzbeam591 So auch Burkhard/Adler, Betriebsprüfung, § 193 AO Rn. 3. Kritisch zu dem Nebeneinander von Außenprüfung einerseits und betriebsnaher Veranlagung andererseits Suhr, StBp 1976, 193, 195. 592 Kritisch zur Rechtsgrundlage für betriebsnahe Veranlagungen Schuhmann, DStZ 1991, 558, 560.
234
3. Kap.: Arbeitsweise des Belastingdienst
ten, sich einen Eindruck von den räumlichen Verhältnissen, dem tatsächlich eingesetzten Personal und dem üblichen Geschäftsbetrieb zu verschaffen.593 Auf der Grundlage von § 27b Abs. 1 S. 1 UStG können Finanzbeamte ohne vorherige Ankündigung Grundstücke und Räume von Gewerbetreibenden und selbständig Tätigen betreten, um Sachverhalte festzustellen, die für die Besteuerung relevant sein können. Im Gegensatz zur Außenprüfung, die in einem konkreten Besteuerungsverfahren zur Anwendung kommt und damit, wenn man von der präventiven Wirkung anderen Steuerpflichtigen gegenüber absieht, in erster Linie repressiv wirkt, ermöglicht die Umsatzsteuernachschau – ebenso wie die niederländische Betriebsbesichtigung – eine laufende und zeitnahe Kontrolle von Unternehmen, die zeitlich im Vorfeld einer Außenprüfung anzusiedeln ist.594 Ebenso wie bei der niederländischen Betriebsbesichtigung kann im Einzelfall eine Umsatzsteuernachschau unmittelbar in eine Außenprüfung (bzw. eine Buchprüfung) münden, § 27b Abs. 3 Abs. 1 UStG. Auch hinsichtlich der Vorlage von Aufzeichnungen bestehen weitgehende Übereinstimmungen zwischen der Umsatzsteuernachschau und der Betriebsbesichtigung. Während jedoch in den Niederlanden die erstmalige Betriebsbesichtigung in der Regel angekündigt wird, soll die Umsatzsteuernachschau unangekündigt erfolgen, vgl. § 27b Abs. 1 S. 1 UStG. Ursprünglich war die Einführung einer „Allgemeinen Nachschau“ als § 88b AO vorgesehen, die ungeachtet ihres Namens bereits auf die Umsatzsteuer beschränkt gewesen ist.595 Trotz dieser Beschränkung auf die Umsatzsteuer können die im Rahmen einer Umsatzsteuernachschau gewonnenen Erkenntnisse gem. § 27b Abs. 4 UStG auch für andere Steuerarten und die Besteuerung anderer Personen verwendet werden. Die Einführung der Umsatzsteuernachschau ist in Deutschland auf vielfältige Kritik gestoßen. So warnte Nieskens, der Finanzbehörde werde „in allen Fällen ein nicht mehr kontrollierbares Maß an Handlungsmöglichkeiten“ eingeräumt,596 Hillmann-Stadtfeld spricht von „Ermittlungen ins Blaue hinein“597 und Heil gar von „Nachschauen in polizeistaatlicher Manier“.598 Bei Einführung einer allgemeinen Nachschau bzw. einer Betriebsbesichtigung für alle Steuerarten, wie sie in den Niederlanden bereits seit 1994 593 Vgl. Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz v. 19.12.2001, BGBl. I 2001, 3922 ff. Dazu ausführlich Bilsdorfer, Informationsquellen, S. 123 ff.; Burchert, INF 2002, 293. 594 Zur zeitlichen Einordnung auch Gotzens/Wegener, PStR 2002, 32, 33. 595 Vgl. den Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 14/6883, Artikel 2. 596 Nieskens, UR 2002, 53, 74. 597 Hillmann-Stadtfeld, DStR 2002, 434, 437. 598 Heil, StuB 2001, 1016, 1019.
F. Vergleich mit Deutschland
235
praktiziert wird, wäre dementsprechend mit ungleich größerem Widerstand zu rechnen. Wenn van Doorne 1939 unter Hinweis auf Untersuchungen von Adriani599 noch feststellte, dass die Kontrollbefugnisse der deutschen Finanzverwaltung über die der niederländischen weit hinausgingen, so hat sich dieses Verhältnis mittlerweile umgekehrt! Was schließlich Steuerfahndungsaktivitäten betrifft, so bestehen in Deutschland z. T. erhebliche organisatorische Mängel im Verhältnis von Steuerfahndung und Bußgeld- und Strafsachenstellen.600 Hier könnten möglicherweise Zielvereinbarungen wie in den Niederlanden zwischen den an der Aufdeckung und Ahndung von Steuerstraftaten und -ordnungswidrigkeiten Beteiligten Abhilfe schaffen. Außerdem sind der Informationsaustausch zwischen den Steuerfahndungen der Bundesländer und insbesondere die Möglichkeiten, auf elektronisch gespeicherte Daten zuzugreifen, unzureichend, was u. a. auf den unten näher zu erläuternden ausbaubedürftigen Stand des Einsatzes von Informationstechnik zurückzuführen ist. 2. Prüfungsdichte Ein Vergleich der Prüfungsdichte wird dadurch erschwert, dass die niederländischen Angaben sich auf Entitäten beziehen, in Deutschland hingegen einzelne Betriebe maßgeblich sind, wobei durch die Vierteilung in § 3 BpO 2000 eine Differenzierung nach Betriebsgrößen vorgegeben ist.601 (Tabelle 13, s. nächste Seite) Die Größenklassen weisen deutliche Unterschiede zu der Einteilung in Ondernemingen und Grote Ondernemingen in den Niederlanden auf. Nur ein Merkmal, nämlich der Umsatz, wird sowohl in den Niederlanden als auch in Deutschland für die Einteilung herangezogen, und hier fällt auf, dass Grote Ondernemingen bereits solche ab einem Umsatz von mehr als 4,5 Mio. Euro sein können (wobei noch mindestens ein weiteres Merkmal erfüllt sein muss, s. o.), wohingegen die Einstufung als Großbetrieb erst ab einem Umsatz von mehr als 6,08 Mio. Euro erfolgt. Die Gruppe der Großbetriebe ist demnach nicht mit der Gruppe der Grote Ondernemingen identisch. 599 Adriani in: Jubileumboek 1926–1936 der Vereeniging van Inspecteurs van Financien, S. 61 f., zitiert nach van Doorne, Geschriften VVB, no. 47, S. 55. 600 Bundesrechnungshof, Bemerkungen 2000, Nr. 65 zur Situation in den alten Bundesländern ; Kaligin, Stbg 2002, 398, 400 f. 601 Der BFH hält diese Differenzierung in ständiger Rspr. für ermessensfehlerfrei und verneint – trotz der erheblichen Unterschiede hinsichtlich des Prüfungsturnus – insbesondere einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG, vgl. z. B. BFH v. 7.2.2002, IV R 9/01, BFH/NV 2002, 696 m. w. N.
236
3. Kap.: Arbeitsweise des Belastingdienst Tabelle 13: Auszug aus der Einordnung in Größenklassen zum 1.1.2001602 (Angaben in e)
Betriebsart
Betriebsmerkmale
Großbetriebe
Mittelbetriebe
Kleinbetriebe
Kleinstbetriebe
Handelsbetriebe
Umsatz o.
> 6.084.373
> 741.373
> 135.492
Rest
> 237.751
> 46.528
> 25.565
Rest
Fertigungsbetriebe
Umsatz o.
> 3.476.785
> 426.929
> 135.492
Rest
> 212.186
> 46.528
> 25.565
Rest
Freie Berufe
Umsatz o.
> 3.527.914
> 659.567
> 135.492
Rest
> 460.163
> 105.326
> 25.565
Rest
Gewinn
Gewinn
Gewinn
Die Einordnung in Größenklassen hat insbesondere Auswirkungen auf die Prüfungsdichte. So sieht die BpO 2000 für Großbetriebe grundsätzlich eine Anschlussprüfung, d.h. eine Prüfung aneinander anschließender Prüfungszeiträume vor, § 4 Abs. 2 BpO 2000. Dies entspricht der Zielsetzung des Belastingdienst für die 200 größten Unternehmen. Die nachstehende Tabelle (Tabelle 14, s. nächste Seite) verdeutlicht den durchschnittlichen Prüfungsturnus in den einzelnen Größenklassen, ausgedrückt in der Zeit in Jahren, die durchschnittlich zwischen zwei Prüfungen eines Betriebes verstreicht.603 Prüfungsdichte und Prüfungsturnus werden zwar mathematisch unterschiedlich dargestellt, treffen aber inhaltlich übereinstimmende Aussagen über die Anzahl der Jahre, die unter Zugrundelegung des Verhältnisses zwischen zu prüfenden Betrieben und durchgeführten Betrieben durchschnittlich vergehen, bevor ein Unternehmen einer Betriebsprüfung unterzogen wird. Die Zahl der durchgeführten Prüfungen ist in den Niederlanden im Vergleich zu Deutschland sehr hoch: Während im Jahr 2002 in den Nieder602
BMF-Schreiben v. 8.5.2000 – IV D 6 – S 1450 – 7/00, BStBl. I 2000, 1194 (dort Beträge in DM). 603 Vgl. die Mitteilung über das Ergebnis der steuerlichen Betriebsprüfung 2002 vom 30.7.2003 sowie Finanznachrichten 20/2001, jeweils abrufbar unter . Seer, Besteuerungsverfahren USA, S. 87 f. zitiert leicht abweichende Zahlen der Arbeitnehmerkammer Bremen. Danach betrug der Prüfungsturnus bei den Mittelbetrieben 1998 11,6, 1999 11,2 und 2000 ebenfalls 11,2 Jahre. Bei den Klein- und Kleinstbetrieben betrug der Prüfungsturnus im selben Zeitraum 48,8, 47,6, 43,5 und 43,5 Jahre. Die Zahl der Prüfer gibt Seer in diesem Zeitraum mit 10.127 für 1998, 10.470 für 1999 und 10.573 für 2000 an. Vgl. auch den nach Bundesländern aufgeteilten Überblick für die Jahre 1979–1996 bei Vogel, Ungleichheiten beim Vollzug von Steuergesetzen im Bundesstaat, S. 142 ff.
10.633
218.790
5.565.308 116.651 47,7
754.970 64.022 11,8
167.040 38.117 4,4
1998
10.985
229.902
5.563.903 123.718 44,9
755.061 67.054 11,3
167.164 39.130 4,3
1999
11.106
224.683
5.563.903 119.111 46,7
755.061 67.457 11,1
167.164 38.115 4,3
2000
11.019
228.284
5.996.933 122.102 49,1
782.010 68.166 11,5
182.059 38.016 4,8
2001
10.672
218.017
5.920.257 117.001 50,6
779.772 63.640 12,25
179.562 37.376 4,9
2002
* Zum Prüfungsturnus bei den Klein- und Kleinstbetrieben macht das Bundesfinanzministerium keine eigenen Angaben. Der Turnus lässt sich jedoch anhand der Gesamtzahl der Klein- und Kleinstbetriebe sowie der durchgeführten Betriebsprüfungen ermitteln.
9.978
Zahl der Prüfer
5.139.660 105.414 48,7
Klein- u. Kleinstbetriebe* – Zahl der Betriebe – Zahl der abgeschlossenen Prüfungen – Prüfungsturnus 196.313
719.031 56.071 12,8
Mittelbetriebe – Zahl der Betriebe – Zahl der abgeschlossenen Prüfungen – Prüfungsturnus
Gesamtzahl der abgeschlossenen Prüfungen
159.632 34.828 4,6
Großbetriebe – Zahl der Betriebe – Zahl der abgeschlossenen Prüfungen – Prüfungsturnus
1997
Tabelle 14: Durchschnittlicher Prüfungsturnus
F. Vergleich mit Deutschland 237
238
3. Kap.: Arbeitsweise des Belastingdienst
landen 77.000 Prüfungen durchgeführt wurden, waren es in Deutschland im gleichen Zeitraum insgesamt 218.017. Bezogen auf die Größe der Finanzverwaltung und die Einwohnerzahl (vgl. 2. Kap. unter E.II., 1. Kap. unter A.) ist die Zahl der Prüfungen im Verhältnis zur Zahl der Pflichtigen in den Niederlanden damit beinahe doppelt so groß wie in Deutschland. Allerdings differenziert der Belastingdienst in seinen Statistiken nicht zwischen Buchprüfungen und Betriebsbesichtigungen, sodass sich keine zuverlässigen Aussagen über das zahlenmäßige Verhältnis zwischen Buchprüfungen in den Niederlanden und in Deutschland treffen lassen. Mit Sicherheit lässt sich jedoch feststellen, dass die Außenaktivitäten des Belastingdienst größer sind als die der deutschen Steuerverwaltungen, der Belastingdienst mithin „präsenter“ ist. Der Betriebsprüfungsturnus variiert erheblich zwischen den einzelnen Bundesländern. So wurden Großbetriebe im Jahr 1999 nach Angaben der DStG in Bayern durchschnittlich alle 3,4 Jahre, in NRW alle 4,6 Jahre und in Mecklenburg-Vorpommern alle 5,0 Jahre geprüft. Mittelbetriebe wurden in Sachsen-Anhalt im Abstand von 7,1 Jahren und in Mecklenburg-Vorpommern alle 17,4 Jahre geprüft. Bei den Kleinbetrieben schwankte der Prüfungsturnus im gleichen Zeitraum zwischen 16,4 Jahren in Bremen und 48,2 Jahren in Brandenburg. Bei den Kleinstbetrieben schließlich lag der Prüfungsturnus zwischen 37,5 in Baden-Württemberg und 210,3 Jahren (!) im Saarland. Der Bundesrechnungshof hat in den vergangenen Jahren insbesondere eine unzureichende personelle Ausstattung der Finanzämter der neuen Länder im Bereich der Betriebsprüfung und eine daraus resultierende zu geringe Prüfungsdichte kritisiert.604
VI. Automatisierung Über den Einsatz sog. automatischer Einrichtungen in der Finanzverwaltung entscheiden gem. § 20 Abs. 1 FVG die obersten Landesbehörden. Zwar haben sie dabei gem. § 20 Abs. 1 HS 2 FVG Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Finanzen herbeizuführen, dem zur Gewährleistung gleicher Programmergebnisse und eines ausgewogenen Leistungsstands eine Koordinierungsfunktion zukommt, doch bislang sind zahlreiche unterschiedliche Datenverarbeitungssysteme in den einzelnen Länderfinanzverwaltungen im Einsatz. In den vergangenen rund 15 Jahren hat es mehrere Versuche der Länder gegeben, sich für die Entwicklung von Programmen zusammenzuschließen, um einerseits die Entwicklungskosten zu reduzieren und andererseits die Kompatibilität der Systeme und den Datenaustausch zwi604 Bundesrechnungshof, Bemerkungen 2000, Nr. 72 . Vgl. auch Bemerkungen 1996, BT-Drs. 13/5700, Nr. 54.
F. Vergleich mit Deutschland
239
schen den Bundesländern zu fördern. Allerdings sind diese Projekte ganz überwiegend gescheitert, und zwar, wie der Bundesrechnungshof klar formuliert hat, aufgrund unzureichender Personalunterstützung durch die Länder einerseits und unzulänglichen Projektmanagements andererseits.605 Trotz dieser Fehlschläge haben die Länderfinanzverwaltungen in Zusammenarbeit mit einer Koordinierungsstelle auf Bundesebene Anfang der 1990er Jahre unter dem Stichwort FISCUS (Föderales integriertes standardisiertes computerunterstütztes Steuersystem) ein noch bedeutenderes und komplexeres Projekt initiiert, an dessen Ende (der Entwicklungszeitraum sollte sich bis zum Jahr 2003 erstrecken) die vollständige, länderübergreifende Neuprogrammierung des gesamten Besteuerungsverfahrens stehen sollte. Doch auch dieses Projekt litt unter intransparenten Entscheidungsstrukturen und fehlender Personalausstattung, worauf nicht nur der Bundesrechnungshof, sondern auch der Landesrechnungshof Nordrhein-Westfalen und der Bayerische Oberste Rechnungshof hingewiesen haben.606 Daraufhin ist das Vorhaben zum 1. Januar 2001 privatisiert und die sog. fiscus GmbH gegründet worden, deren Gesellschafter der Bund und 15 Bundesländer sind – Bayern hat seine Beteiligung an dem Projekt aufgekündigt und stattdessen eigenständige IT-Lösungen entwickelt, an deren Weiterentwicklung sich mittlerweile auch die neuen Bundesländer und das Saarland beteiligen, sodass de facto zwei Programmierverbünde nebeneinander existieren. Da die an der fiscus GmbH beteiligten Länder bislang nicht einmal eine Abnahmeverpflichtung eingegangen sind, ist es mehr als fraglich, ob in absehbarer Zeit bundesweit einheitliche IT-Lösungen zum Einsatz kommen werden. Dennoch hat das Projekt FISCUS bereits rund 1 Mrd. Euro verschlungen. Die negativen Auswirkungen, die von der mangelnden Harmonisierung der Informationstechnologie in den Bundesländern ausgeht, sind nicht zu unterschätzen und sie weisen auf ein Grundproblem hin, das sich auch bei den derzeitigen Modernisierungsbemühungen in der Finanzverwaltung bemerkbar macht: Das Bundesministerium der Finanzen übt keine zureichende Koordinierungsfunktion aus, und ohne eine entsprechende Koordinierung sind die Bundesländer nicht in der Lage, gemeinsam derartig große, langfristige Projekte durchzuführen. Im Zusammenhang mit FISCUS hat der Rechnungsprüfungsausschuss eine stärkere Standardisierung der Geschäftsprozesse im Besteuerungsverfahren gefordert607 und damit auf ein Dilemma hingewiesen: So lange die Datenverarbeitung in den Ländern 605
Bundesrechnungshof, Bemerkungen 2000, Nr. 66 . 606 Bundesrechnungshof, Bemerkungen 2000, Nr. 66 ; Bayerischer Oberster Rechnungshof, Jahresbericht 2000, S. 83 ; Landesrechnungshof NRW, Jahresbericht 2001, S. 191 ff. .
240
3. Kap.: Arbeitsweise des Belastingdienst
nicht vereinheitlicht ist, werden sich rund um die unterschiedliche Software unterschiedliche Arbeitsprozesse entwickeln, und so lange die Arbeitsprozesse nicht vereinheitlicht sind, haben die IT-Fachleute kaum eine Chance, eine einheitliche Datenverarbeitung zu konzipieren. Dass die Niederlande demgegenüber hochentwickelte IT-Lösungen vorweisen können, hängt selbstverständlich auch damit zusammen, dass der Belastingdienst reichseinheitlich organisiert ist und der Abstimmungs- und Koordinierungsaufwand bei der Entwicklung und Einführung neuer Hardund Softwarekomponenten dort ungleich geringer ist als zwischen den deutschen Bundesländern. Dennoch drängt sich der Verdacht auf, dass die Bedeutung effektiver Datenverarbeitung für die Finanzverwaltung in den Niederlanden früher erkannt worden ist als in Deutschland. Dies schlägt sich auch in der Höhe der Sachkosten im Allgemeinen und der Automatisierungskosten im Besonderen nieder. Tabelle 15: Kosten der Steuerverwaltung 2001608 (in Mio. e) NRW (FÄ’er und OFD’s)
Bundesweit (FÄ’er und OFD’s)
Niederlande (Belastingdienst inkl. Zollverwaltung)
Gesamtkosten
1.120
4.092
2.348
Personalkosten – Anteil der Personal- an den Gesamtkosten
984 88%
3.578 87%
1.434 61%
Sachkosten – Anteil der Sach- an den Gesamtkosten – auf Automatisierung entfallende Sachkosten – Anteil der Automatisierungs- an den Gesamtkosten
135 12%
514 13%
913 39%
(keine Angaben) (keine Angaben)
(keine Angaben) (keine Angaben)
345 14%
Die Vergleichbarkeit der Angaben über die Kosten der Steuerverwaltung wird dadurch erschwert, dass die Angaben des Belastingdienst u. a. auch die Zollverwaltung mit einschließen,609 wohingegen die Angaben für Nord607 Bundesrechnungshof, Ergebnisbericht 2002, S. 72 f. . 608 Statistik der DSTG.
F. Vergleich mit Deutschland
241
rhein-Westfalen und das Bundesgebiet jeweils nur die Steuerverwaltung umfassen. Darüber hinaus sind bei den Angaben für NRW z. B. die Kosten für das Rechenzentrum, das zu einem großen Teil Leistungen für die Finanzverwaltung erbringt, nicht berücksichtigt. Dennoch ist auffällig, dass die Automatisierungskosten des Belastingdienst im Jahr 2001 das 2,5fache der gesamten Sachkosten der nordrhein-westfälischen Steuerverwaltung betrugen. Auch der Anteil der Sach- und Personalkosten an den Gesamtkosten weist erhebliche Unterschiede auf: Während in der nordrhein-westfälischen Steuerverwaltung ebenso wie im Bundesdurchschnitt über 85% der Gesamtkosten Personalkosten ausmachen, sind es in den Niederlanden (wiederum inklusive der Zollverwaltung) lediglich 61%. M.E. ist die Tatsache, dass die Automatisierungskosten der deutschen Steuerverwaltung nicht genau beziffert werden, symptomatisch für die Intransparenz bei der Entwicklung und Koordinierung der Informationstechnologie im Bundesgebiet.
VII. Informationsaustausch Leistet eine Behörde einer anderen Behörde auf deren Ersuchen Hilfe, z. B. indem sie Informationen zur Verfügung stellt, so spricht man in Deutschland von Amtshilfe, vgl. § 4 Abs. 1 VwVfG. Erfolgt die Hilfeleistung spontan, d.h. ohne entsprechendes Ersuchen, so wird dies z. T. als Amtshilfe im weiteren Sinne qualifiziert.610 Neben der allgemeinen Grundlage in Art. 35 Abs. 1 GG finden sich im Steuerrecht spezielle Regelungen für die Amtshilfe in §§ 111–117 AO, und zwar sowohl für die nationale als auch für die internationale Amtshilfe. Allerdings beschränken sich die Regelungen der §§ 111 ff. AO auf den Fall, dass die Finanzbehörden andere Behörden um Amtshilfe ersuchen und enthalten keine Ermächtigungsgrundlage für die Weitergabe von Informationen durch die Finanzbehörden. Ob die §§ 111 ff. AO eine ausreichende gesetzliche Grundlage für einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG611 durch Amtshilfeersuchen an sog. ressortfremde Behörden (d.h. Behörden außerhalb der Finanzverwaltung) darstellen, wird unter609 Berücksichtigt man, dass von den 32.132 Vollzeitstellen beim Belastingdienst im Jahr 2001 5.930 Vollzeitstellen und damit 18% auf die Zollverwaltung entfielen und reduziert man die Personalkosten entsprechend um 18% (= e 258 Mio.), so betrugen die Personalkosten des Belastingdienst für die Steuerverwaltung e 1.176 Mio. 610 Seer in: Tipke/Lang, § 21 Rn. 262; a. A. Bilsdorfer, Informationsquellen, S. 63. 611 Dazu BVerfG v. 15.12.1983, 1 BvR 209/83 u. a. (sog. Volkszählungsurteil), E 65, 1, 41 ff.
242
3. Kap.: Arbeitsweise des Belastingdienst
schiedlich beurteilt.612 Jedenfalls kann in diesen Fällen der Datenaustausch auf §§ 93 Abs. 1 S. 2, 97 Abs. 1 S. 3 AO gestützt werden. Was die Verwendung des Begriffs der „Kontrollmitteilung“ betrifft, so herrscht mangels gesetzlicher Regelung Uneinigkeit. Während einige darunter nur die (spontane) Weitergabe von Informationen zwischen Finanzbehörden verstehen,613 verwenden andere den Begriff weiter und fassen alle Mitteilungen und Anzeigen über steuerliche Verhältnisse Dritter darunter, die Behörden, Gerichte, Notare, Kreditinstitute etc. den Finanzämtern machen.614 Im Folgenden findet der weite Kontrollmitteilungsbegriff Anwendung. 1. Interner Informationsaustausch Für den internen, d.h. innerhalb der Finanzverwaltung erfolgenden Informationsaustausch soll nach überwiegender Ansicht keine besondere Ermächtigungsgrundlage erforderlich sein, da die Finanzbehörden insoweit als Einheit zu betrachten seien.615 Auch das Steuergeheimnis steht dem Informationsaustausch innerhalb der Finanzbehörden nicht entgegen, sofern dieser der Durchführung eines Besteuerungsverfahrens dient, vgl. § 30 Abs. 4 Nr. 1 AO. Dennoch wird von der Möglichkeit zum internen Informationsaustausch in der Praxis nur unzureichend Gebrauch gemacht. So hat z. B. der Bundesrechnungshof im Jahr 1999 kritisiert, dass in den neuen Bundesländern „[. . .] der für eine vollständige und rechtzeitige Steuererhebung notwendige Informationsaustausch zwischen den Veranlagungsstellen für Körperschaften und den Veranlagungsstellen für die jeweiligen Gesellschafter [. . .] unzureichend [war].“616 Insbesondere gegenseitige Mitteilungen über Leistungsbeziehungen zwischen der Gesellschaft und den Gesellschaftern 612 Ablehnend Schlink, Die Amtshilfe, S. 202 f.; Seer in: Tipke/Lang, § 21 Rn. 265; differenzierend Vogelsang, Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, S. 232 f., der – abhängig von der Intensität des Grundrechtseingriffs – bereits Art. 35 Abs. 1 GG als Ermächtigungsgrundlage ausreichen lässt; zustimmend Wolfgang/Hendricks in: Beermann, § 114 AO, Rn. 30 (Stand: 11. Lfg., Januar 1998). 613 So z. B. Bilsdorfer, Informationsquellen, S. 64. 614 Seer in: Tipke/Lang, § 21 Rn. 263. 615 Seer in: Tipke/Lang, § 21 Rn. 266. Dazu auch BFH v. 2.4.1992, VIII B 129/ 91, BStBl. II 1992, 616, 617 f. Anders Bilsdorfer, Informationsquellen, S. 51. Kritisch der Bundesdatenschutzbeauftragte, BT-Drs. 11/3932, S. 22 f.; BT-Drs. 13/ 7500, S. 48 ff. 616 Bundesrechnungshof, Bemerkungen 1999, Nr. 79. Vgl. auch Bundesrechnungshof, Bemerkungen 2001, Nr. 18 zur nach Einschätzung des Bundesrechnungshofes bundesweit unzureichenden Auswertung steuererheblicher Informationen durch die Finanzämter. In seinen letzgenannten Bemerkungen spricht der Bundesrechnungshof sogar von „Indizien für strukturelle Mängel“ in diesem Bereich, vgl. Nr. 18.3.
F. Vergleich mit Deutschland
243
sowie Kontrollmitteilungen über den Erwerb bzw. die Veräußerung von Gesellschaftsanteilen waren entweder unterblieben oder aber unvollständig. Derartige Informationsdefizite werden in den Niederlanden bereits dadurch vermieden, dass die Gesellschaft und ihre Gesellschafter zu Entitäten zusammengefasst und einem Team zur Bearbeitung zugewiesen sind. In den Bemerkungen des Bundesrechnungshofs für das Jahr 2000 weist das Kontrollgremium darüber hinaus auf erhebliche Defizite beim Informationsaustausch zwischen den Länderfinanzbehörden auf dem Gebiet der Steuerfahndung hin und regt die Einrichtung einer Informationszentrale beim Bundesministerium der Finanzen an.617 Auch diese Behinderungen des Informationsflusses sind dem Belastingdienst aufgrund der reichseinheitlichen Struktur und der einheitlichen IT-Ausstattung fremd. Was das Anfertigen von Kontrollmitteilungen durch die Finanzverwaltung selbst betrifft, so sieht § 194 Abs. 3 AO eine entsprechende Befugnis vor, wenn den Finanzbeamten anlässlich einer Außenprüfung Informationen bekannt werden, die für die Besteuerung eines Dritten von Bedeutung sind. Wegen der Formulierung „anlässlich“ wird die Durchführung einer Außenprüfung zum alleinigen Zweck, Kontrollmaterial zu sammeln, für unzulässig gehalten.618 Eine entsprechende Beschränkung kennt das niederländische AWR nicht. 2. Externer Informationsaustausch Eine Verpflichtung zur spontanen Weiterleitung von Informationen an die Finanzbehörden sieht die AO gem. §§ 93a Abs. 1, 116 Abs. 1 AO für Behörden, nicht hingegen für Unternehmen wie etwa Banken, Versicherungen etc. vor. Auf der Grundlage von § 93a Abs. 1 AO ist die sog. Mitteilungsverordnung (MV) ergangen, die die zur Anfertigung von Kontrollmitteilungen verpflichteten Behörden sowie den Umfang ihrer Pflichten näher bestimmt. Von der Mitteilungspflicht ausgenommen sind danach Daten i. S. v. § 35 SGB I i. V. m. § 67 SGB X (sog. Sozialgeheimnis). Sozialdaten kön617
Bundesrechnungshof, Bemerkungen 2000, Nr. 65 . 618 BFH v. 18.2.1997, VIII R 33/95, BStBl. II 1997, 499, 507; Bilsdorfer, Informationsquellen, S. 49; Tipke in: Tipke/Kruse, § 194 AO, Rn. 32 (92. Lfg., August 2000). Dem sollte mit dem Entwurf eines Gesetzes zum Abbau von Steuervergünstigungen und Ausnahmeregelungen (Steuervergünstigungsabbaugesetz) v. 2.12.2002, BT-Drs. 15/119, entgegengetreten werden: Art. 10 Nr. 8 sah eine Neufassung des § 194 Abs. 3 AO vor, die es künftig ermöglichen sollte, Außenprüfungen auch zum Zwecke zielgerichteter Ermittlungen steuerlicher Verhältnisse Dritter durchzuführen, vgl. insbesondere die Begründung des Entwurfs (S. 53). In die endgültige Fassung des Gesetzes v. 16.5.2003, BGBl. I, 660, hat diese Änderung jedoch keinen Eingang gefunden.
244
3. Kap.: Arbeitsweise des Belastingdienst
nen gem. § 71 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB X allenfalls auf Anfrage an die Finanzbehörden übermittelt werden. Wegen des beschränkten Kreises der Verpflichteten wird gegen § 93a Abs. 1 AO sowie die MV vorgebracht, die Vorschriften ermöglichten keine gleichmäßige Steuerfestsetzung.619 Neben diesen in die AO aufgenommenen Grundlagen für die Weitergabe von Informationen an die Finanzbehörde gibt es weitere Kontrollmitteilungspflichten in den Einzelsteuergesetzen wie z. B. gem. § 34 ErbStG für Notare.620 Darauf, dass das Kontrollmitteilungssystem in Deutschland im internationalen Vergleich unterentwickelt ist, ist in der steuerrechtlichen Literatur bereits mehrfach hingewiesen worden.621 Diese Feststellung kann nach der vorangegangenen Analyse um den Vergleich mit den Niederlanden ergänzt werden. Umfangreicher sind die niederländischen Kontrollmitteilungspflichten insbesondere für Kreditinstitute und Versicherungsunternehmen sowie Sozialbehörden. Der Bankensektor wird in Deutschland vor allem durch die Vorschrift des § 30a AO geschützt, zu der es in den Niederlanden keine Entsprechung gibt. Nach dieser auch als „Bankgeheimnis“ bezeichneten Vorschrift sollen die Finanzbehörden bei der Sachverhaltsermittlung auf das besondere Vertrauensverhältnis zwischen Kreditinstituten und deren Kunden Rücksicht nehmen, vgl. § 30a Abs. 1 AO.622 Zwar können Einzelauskunftsersuche an Kreditinstitute gestellt werden, doch sind einmalige oder periodische Mitteilungen von Konten bestimmter Art oder bestimmter Höhe „ins Blaue hinein“ – anders als in den Niederlanden – nicht zulässig, § 30a Abs. 2, Abs. 5 S. 1 AO. Darüber hinaus enthält § 30a Abs. 3 AO eine Beschränkung der Befugnis der Finanzverwaltung, anlässlich von Außenprüfungen Kontrollmitteilungen anzufertigen, sofern bestimmte Konten betroffen sind, bei deren Errichtung eine Legitimationsprüfung stattgefunden hat.623 Der BFH hat allerdings im Jahr 2002 in einer Entscheidung zur Zulässigkeit von Sammelauskunftsersuchen deutlich gemacht, dass § 30a Abs. 3 AO zwar auch im Rahmen von Steuerfahndungsprüfungen zur Anwendung 619
Bilsdorfer, Informationsquellen, S. 66 f. Ausführlich zum Umfang der Kontrollmitteilungspflichten Bilsdorfer, Informationsquellen, S. 64 ff. 621 Vgl. z. B. Meyding, DStJG Bd. 21, S. 219, 222; Tipke in: FS Kruse, S. 215, 224 ff. 622 Zur Geschichte dieser Vorschrift vgl. die Ausführungen des BVerfG in seinem Urteil v. 27.6.1991, 2 BvR 1493/89, E 84, 239, 245 ff. 623 Kritisch dazu Tipke in: Tipke/Kruse, § 30a AO, Tz. 20 (Stand: 92. Lfg., August 2000). Die Auffassung der Rechtsprechung ist unklar, vgl. die divergierenden Entscheidungen des BFH v. 18.2.1997, VIII R 33/95, BStBl. II 1997, 499, 506 f. und v. 28.10.1997, VII B 40/97, BFH/NV 1998, 424, 429 f. Zu dieser divergierenden Rechtsprechung auch Weinreich, DStR 2002, 1925, 1927 ff. 620
F. Vergleich mit Deutschland
245
kommt, nicht jedoch dann, wenn die Steuerfahndung nach § 208 Abs. 1 Nr. 3 AO steuerverfahrensrechtliche Ermittlungsbefugnisse ausübt.624 Doch auch diese restriktive Auslegung des § 30a Abs. 3 AO vermag nichts daran zu ändern, dass die Ermittlungsbefugnisse der deutschen Finanzverwaltung gegenüber dem Bankensektor insgesamt erheblich eingeschränkt sind. Hoffnung versprach insoweit vorübergehend ein Gesetzentwurf aus dem Jahr 2002: Die Bundesregierung, die bislang stets bekundet hatte, keine generellen Kontrollmitteilungen der Kreditinstitute über Guthabenkonten und Depots einführen zu wollen,625 plante im Rahmen des sog. Steuervergünstigungsabbaugesetzes neben der Einführung eines Kontrollmitteilungsverfahrens bei der Besteuerung von Kapitalerträgen und privaten Veräußerungserlösen die vollständige Abschaffung des § 30a AO.626 Beide Vorschläge scheiterten jedoch am Widerstand der Opposition. Für den Sonderbereich des zwischenstaatlichen Informationsaustauschs gilt gem. § 117 Abs. 1 AO, dass die Finanzbehörden zwischenstaatliche Amtshilfe nach Maßgabe des deutschen Rechts in Anspruch nehmen können. Sieht das jeweilige ausländische Recht dies vor, so können ausländische Behörden den deutschen Behörden auch spontan Mitteilung machen.627 Vergleicht man den Umfang des Informationsaustauschs zwischen Deutschland und den Niederlanden (ohne den Bereich des innergemeinschaftlichen Erwerbs), so haben die Niederländer im Jahr 2000 in mehr Steuerfällen Informationen an deutsche Finanzbehörden übermittelt, als sie von diesen empfangen haben (13.087 gegenüber 11.004).628 Betrachtet man den Anteil der spontan ausgetauschten Informationen, so ist der Unterschied noch deutlicher: Während die Niederländer im Jahr 2000 in 12.970 Fällen spontan Informationen nach Deutschland weitergeleitet haben, waren es in umgekehrter Richtung nur 1.281 Fälle.
624
BFH v. 21.3.2002, VII B 152/01, BFH/NV 2002, 830. Vgl. Antworten der Bundesregierung auf eine Große Anfrage der PDS v. 18.6.2002, BT-Drs. 14/9492, S. 49. 626 Entwurf eines Gesetzes zum Abbau von Steuervergünstigungen und Ausnahmeregelungen (Steuervergünstigungsabbaugesetz) v. 2.12.2002, BT-Drs. 15/119, Art. 1 Nr. 16, Art. 10 Nr. 4 (S. 5, 16). 627 Bilsdorfer, Informationsquellen, S. 136 f. 628 Belastingdienst, Beheersverslag 2000, Productieverslag, S. 22. 625
4. Kapitel
Steuerung und Evaluation des Belastingdienst Nachdem im dritten Kapitel Aufgabe und Arbeitsweise des Belastingdienst dargestellt worden sind, stehen nun die interne Planung und Überwachung sowie die externe Evaluation dieser Arbeitsweise im Vordergrund. Zunächst wird das Steuerungskonzept des Belastingdienst erläutert und auf seine Vor- und Nachteile hin untersucht. Anschließend wird der Begriff des „beleid“ als wichtigstes Handlungsinstrument des Belastingdienst untersucht. Des Weiteren werden die Institutionen dargestellt, denen der Belastingdienst Rechenschaft über seine Arbeitsweise ablegen muss, sowie die Art und Weise, wie er dies tut. Den Abschluss des Kapitels bildet ein Vergleich mit der Steuerung und Evaluation der deutschen Finanzverwaltung.
A. Steuerung Im Zuge der Reorganisation sind nicht nur die äußeren Strukturen und die Arbeitsweise des Belastingdienst verändert worden, sondern es erfolgte auch eine Anpassung des Managements bzw. der Steuerung der Prozesse anhand einer sog. besturingsfilosofie (Steuerungsphilosophie). Die Bedeutung der Steuerungsphilosophie liegt in erster Linie darin, Instrumente zur Verfügung zu stellen, mit deren Hilfe die Arbeitsweise des Belastingdienst koordiniert und kontrolliert und dadurch die Verwirklichung des permanenten Auftrags gewährleistet werden kann. Eine derartige Evaluation der Arbeitsweise des Belastingdienst dient verschiedenen Zwecken: Zunächst ist es für den Belastingdienst, der sich in seinem permanenten Auftrag zu einer möglichst effizienten und effektiven Erfüllung der ihm übertragenen Aufgaben verpflichtet, wichtig, Informationen zu sammeln, um die Effizienz und Effektivität intern überwachen zu können. Diese Informationen sind außerdem für die Außendarstellung von Bedeutung, denn der Belastingdienst möchte von den Bürgern als transparente Organisation wahrgenommen werden.629 Darüber hinaus muss der Belastingdienst verschiedenen Instanzen Rechenschaft über seine Arbeitsweise ablegen: Zunächst gegenüber dem Finanzministerium als dem zuständigen Fachministerium, dem der Belastingdienst untersteht. Des Weiteren schuldet der Belastingdienst als Teil der öf629
Belastingdienst, Bedrijfsplan 2001–2005, unter 2.5.
A. Steuerung
247
fentlichen Verwaltung und finanziert aus öffentlichen Mitteln dem Parlament gegenüber Rechenschaft, und zwar sowohl darüber, ob er die durch Gesetz übertragenen Aufgaben (in erster Linie der Vollzug der Steuergesetze) erfüllt, als auch darüber, wie der Belastingdienst das ihm für die Erledigung dieser Aufgaben zur Verfügung gestellte Budget630 verwendet. Hinzu kommt außerdem die einzelfallbezogene Kontrolle durch die Gerichte bzw. den Ombudsman, wenn Bürger mit Maßnahmen der Finanzverwaltung unzufrieden sind. Verantwortlich für die Steuerung beim Belastingdienst ist aufgrund entsprechender Delegation durch den Finanzminister in erster Linie der Staatssekretär für Finanzen. Der Generaldirektor (bzw. zur Zeit die Generaldirektorin) legt dem Staatssekretär gegenüber mit den jährlichen Verantwortungs- und Planungsdokumenten Rechenschaft ab.
I. Steuerungskonzept und Begrifflichkeiten Der Begriff der „Steuerung“ impliziert die Ausrichtung an Vorgaben, d.h. das Ansteuern von Zielen. In diesem Sinne ist Steuerung in der öffentlichen Verwaltung eine Selbstverständlichkeit, denn seit jeher werden Entscheidungen über die Ausgestaltung der Arbeitsweise, über allgemeine Prioritäten und den Einsatz der zur Verfügung stehenden Ressourcen getroffen.631 Neu630 Der Belastingdienst als Apparat hat im Jahr 2002 3.038 Mio. e an Kosten verursacht. Dies entspricht rund 1,24% des Gesamtbetrags der im selben Zeitraum durch den Belastingdienst vereinnahmten Gelder i. H. v. 224.670 Mio. e bzw. 2,89% des Steueraufkommens i. H. v. 104.953 Mio. e (ohne Bußgelder, Zinsen etc.), vgl. Belastingdienst, Jaarverslag 2002, S. 103 f. Bei der Betrachtung der dem Belastingdienst für den Vollzug der Steuergesetze entstehenden Kosten und den dadurch erzielten Steuereinnahmen ist zu berücksichtigen, dass die Unternehmen in den Niederlanden (wie in Deutschland auch) in erheblichem Umfang der Finanzverwaltung Unterstützung leisten, indem sie z. B. die Lohnsteuer der Arbeitnehmer sowie die Umsatzsteuer ihrer Kunden auf eigene Kosten einbehalten und an den Belastingdienst abführen, vgl. van Schie/de Kam/Lamens/Haas, Belastingrecht, S. 70 f. Auch die Arbeitsstunden, die die Steuerpflichtigen darauf verwenden müssen, ihre Steuererklärungen auszufüllen etc., müssen in die Ermittlung der gesamtwirtschaftlichen Kosten für den Vollzug der Steuergesetze mit einfließen, vgl. Allers, Administrative and Compliance Costs, S. 31; van Schie/de Kam/Lamens/Haas, a. a. O., bezeichnen die geschätzten Kosten i. H. v. 8 Milliarden Gulden für die Unternehmen und 2 Milliarden Gulden für die Haushalte als „Zusatzsteuer“. Zu den Ausführungskosten s. auch unten unter C.VI.2. 631 Wenn van Lunteren davon spricht, früher (gemeint: vor der Reorganisation Ende der 1980er Jahre) habe es keiner Planung bedurft, da die vorhandenen Kapazitäten gleichmäßig auf alle eingehenden Steuererklärungen verteilt worden seien, so ist damit wohl eher gemeint, dass keine Gewichtung stattgefunden hat. Vgl. van Lunteren, Marketing bij de Belastingdienst, S. 41, 45.
248
4. Kap.: Steuerung und Evaluation des Belastingdienst
eren Datums ist in diesem Zusammenhang jedoch die Verwendung betriebswirtschaftlich geprägter Terminologie im Allgemeinen und die Verwendung betriebswirtschaftlicher Steuerungskonzepte im Besonderen. In der Betriebswirtschaftslehre werden Steuerungsmodelle ausgehend von den Begriffen Input (eingesetzte Produktionsmittel, d.h. Sach- und Personalmittel), Throughput (Produktionsprozesse, in denen der Input verarbeitet wird), Output (das Produkt bzw. die Dienstleistung am Ende des Produktionsprozesses, das Ergebnis) und Outcome (ein über die Herstellung eines Produkts bzw. das Erbringen einer Dienstleistung hinausgehendes Ziel, das erreicht werden soll) unterschieden:632 Die Steuerung anhand des Input zielt auf eine möglichst kostengünstige Beschaffung sowie einen möglichst sparsamen Umgang mit den einzusetzenden Mitteln ab; Steuerung anhand des Throughput bedeutet Konzentration auf den Produktionsprozess (die Verarbeitung des Input zum Output); Kernelement der Steuerung anhand des Output ist die Frage nach der Effizienz bzw. Wirtschaftlichkeit und Steuerung anhand des Outcome schließlich betont die Effektivität bzw. Wirksamkeit, d.h. das (quantitative und qualitative) Maß der Zielerreichung. Ob sich diese für an Waren- und Dienstleistungsmärkten operierende Unternehmen entwickelte Terminologie auf die Verwaltung im Allgemeinen und die Finanzverwaltung im Besonderen übertragen lässt, wird auch in Deutschland kontrovers diskutiert.633 Die niederländische Regierung hat diese Frage Mitte der 90er Jahre im Grundsatz zustimmend beantwortet.634 632 Vgl. Rapport IBO, S. 11; van der Knaap/Kraak/Mulder, FinanciënReeks 1999, S. 1, 4 f. 633 Dennoch hat sich inzwischen eine Teildisziplin „Betriebswirtschaftslehre öffentlicher Verwaltungen“ entwickelt, vgl. Schmidberger, Controlling für öffentliche Verwaltungen, S. 12. Problematisch erscheint die Verwendung insoweit, als es sich bei Einrichtungen der öffentlichen Verwaltung und insbesondere bei der Eingriffsverwaltung nicht um (eigen-)profitorientierte, im Wettbewerb mit anderen Anbietern stehende Institutionen handelt. Zur Übertragung privatwirtschaftlicher Steuerungselemente auf die öffentliche Verwaltung auch Korthals in: Wirtschaftlichkeit in Staat und Verwaltung, S. 87, 101 ff. 634 Entsprechende Initiativen gab es in den Niederlanden bereits in den 80er Jahren, doch besonders intensiv wird dieses Thema seit Mitte der 90er Jahre diskutiert, vgl. z. B. die Nota „Van uitgaven naar kosten” v. 3.3.1997, Kamerstukken II 1997/ 98, 25 257, nr. 1. Zustimmend Koster/Muizelaar, Openbaar bestuur 1/1992, 11, 13 sowie Gerritsen/van Breukelen, Openbaar bestuur 11/1992, S. 2, 7, die den Belastingdienst als „Verwaltungsfabrik“ bezeichnen. Ein historischer Überblick über die in den Niederlanden ergriffenen Maßnahmen zur Effizienzsteigerung in der Verwaltung findet sich bei van der Knaap/Kraak/Mulder, FinanciënReeks 1999, S. 1, 2 f. Selbstverständlich gab und gibt es derartige Bestrebungen zur Effizienzsteigerung der Verwaltung auch in vielen anderen Ländern. Bekannt ist insbesondere die internationale Reformbewegung des sog. „New Public Management“ (NPM), vgl. Brüg-
A. Steuerung
249
Was die Wahl des geeigneten Steuerungskonzepts angeht, so wurden zwischen September 1997 und Juni 1998 in insgesamt acht Bereichen der Verwaltung – darunter auch beim Belastingdienst – sog. interdepartementale beleidsonderzoeken (IBO, ressortübergreifende Untersuchungen der Arbeitsund Organisationsweise unter Leitung unabhängiger Experten) durchgeführt, um die Möglichkeiten für ein sog. resultaatgericht besturingsmodel (am Resultat ausgerichtetes Steuerungsmodell; die genaue Übersetzung wird im Folgenden noch Gegenstand der Erörterung sein) auszuloten. Das Resultat der IBO beim Belastingdienst wurde im Juli 1998 veröffentlicht.635 Fazit der Untersuchungskommission war, dass sowohl die Organisationsstruktur als auch die Arbeitsweise des Belastingdienst tatsächlich stärker auf Resultate ausgerichtet werden könnten und dass die Einführung einer Kosten-Leistungs-Rechnung dies noch unterstützen würde.636 Die Regierung hat die Ergebnisse der IBO begrüßt, und das Finanzministerium hat sowohl für das Ministerium selber als auch für die ausführenden Dienste (zu denen der Belastingdienst zählt) den Einsatz eines am Resultat ausgerichteten Steuerungskonzepts beschlossen.637
gemeier, Controlling, S. 139 m. w. N. sowie die Berichte der OECD zum Thema „Public Management“ . In Deutschland ist vor allem das sog. Neue Steuerungsmodell der Kommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung (KGSt) bekannt, vgl. Brüggemeier, Controlling, S. 157 sowie KGSt, Dezentrale Ressourcenverantwortung: Überlegungen zu einem neuen Steuerungsmodell, Bericht Nr. 12/1991; KGSt, Verwaltungscontrolling im Neuen Steuerungsmodell, Bericht Nr. 15/1994. 635 Interdepartementaal beleidsonderzoek naar de bedrijfsvoering van de Belastingdienst, Rapport nr. 2 v. 22.7.1998, als pdf-Datei herunterzuladen unter ; im Folgenden zitiert als „Rapport IBO Belastingdienst”. 636 Rapport IBO Belastingdienst, S. 1. 637 Vgl. Stellungnahme des Finanzministers zum Rapport IBO Belastingdienst v. 11.11.1998, B 98/440 M; Nota des Finanzministers „Van uitgaven naar kosten” v. 3.3.1997, Kamerstukken II 1997/98, 25 257, nr. 1; Miljoenennota 1998, Begroting Financien, Memorie van Toelichting, Kamerstukken II 1997/98, 25 600 (IXB), nr. 2, S. 10 unter 3.1. Ausführlich zum Steuerungskonzept innerhalb des Finanzministeriums Gerritsen/van Wuijtswinkel, Openbaar bestuur 2/1996, 23 ff., 3/1996, 22 ff. Mit der Neuregelung des Comptabiliteitswet 2001 (CW, Rechnungslegungsgesetz) v. 13.7.2002, Stb. 2002, 413, ist in art. 20, 21 CW die Verantwortung des jeweiligen Ministers für die Effektivität und Effizienz des beleid (zu diesem Begriff siehe unten unter B.) sowie der Betriebsführung innerhalb des Ressorts verankert. In Ausführung dieser Vorschriften hat das Finanzministerium ein Referenzmodell für die Berichterstattung über die Betriebsführung (Referentiekader Mededeling over de Bedrijfsvoering v. 21.2.2002, BZ 2002-00067 M) entwickelt, worin die Art und Weise näher erläutert ist, wie die einzelnen Ministerien in ihren Jahresberichten Rechenschaft über die Betriebsführung abzulegen haben.
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4. Kap.: Steuerung und Evaluation des Belastingdienst
1. Begrifflichkeiten Zur Klärung der Frage, was genau unter einem resultaatgericht besturingsmodel zu verstehen ist, soll zunächst erläutert werden, welchen Inhalt die IBO den oben genannten Begriffen Input, Throughput, Output und Outcome für den Belastingdienst gegeben hat: Die beim Belastingdienst zum Einsatz kommenden Personal- und Sachmittel bezeichnet die IBO als Input, die Bearbeitungsvorgänge wie z. B. die Erfassung der Daten aus eingehenden Steuererklärungen, den Abgleich mit bereits vorhandenen Daten, das Anlegen von Steuerakten etc. als Throughput. Schwierigkeiten bereitete der IBO die Definition von Produkten bzw. Dienstleistungen638 (Output) einerseits und darüber hinausgehenden Zielen (Outcome) andererseits: a) Definition von Produkten und Zielen Bei der Definition von Produkten und Zielen hat sich die IBO an in der Vergangenheit bereits durch den Belastingdienst vorgenommenen Begriffsbestimmungen orientiert, wobei sie jedoch auf bestehende Schwächen hingewiesen und Verbesserungsvorschläge unterbreitet hat. aa) Produkte (Output) des Belastingdienst In Unternehmen werden Produkte vor dem Hintergrund des jeweiligen Kundenkreises definiert, für den sie hergestellt werden, d.h. Kundenkreis und Produkt bedingen sich gegenseitig. Wer aber sind die Kunden des Belastingdienst? Die Politik, der Finanzminister, die Bürger? van Lunteren hatte 1993 ganz im Sinne der anlässlich der Reorganisation eingeführten Terminologie („klanten“, „klantmanager“) die Definition der Steuerpflichtigen als Kunden befürwortet.639 Auf die mit dieser Definition einhergehenden Probleme wurde bereits im 3. Kapitel hingewiesen. Ausgehend von diesem Kundenbegriff waren innerhalb des Belastingdienst in der Vergangenheit insbesondere vorläufige und endgültige Veranlagungen, bearbeitete Steuererklärungen, festgesetzte Steuernachforderungen sowie Außenprüfungen als Produkte bezeichnet worden.640 Die Berücksichtigung der vorläufigen Steuerfestsetzungen als „Zwischenprodukt“ erschwert jedoch nach Einschätzung 638 Zur Begrifflichkeit: Auch Dienstleistungen sind Produkte – nur eben keine Warenprodukte. Wenn im Folgenden von Produkten die Rede ist, so sind deshalb auch Dienstleistungen gemeint. 639 van Lunteren, Marketing bij de Belastingdienst, S. 41, 43. 640 Rapport IBO Belastingdienst, S. 12; van Kommer/Haitsma, Beleidsanalyse 2/ 1996, 16.
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der IBO die Zurechnung von Kosten.641 Darüber hinaus impliziert eine geeignete Definition des Produkts bzw. des Output, dass die Qualität des Produkts standardisiert ist und eine Vergleichbarkeit gewährleistet ist. (Endgültige) Veranlagungen sind jedoch weder hinsichtlich der zu investierenden Zeit noch hinsichtlich der Kosten vergleichbar, da beide Faktoren von der Komplexität des zugrunde liegenden Steuerfalles abhängen. Diese wiederum wird durch verschiedene Faktoren – insbesondere die Zielgruppe, der der Steuerpflichtige angehört (Ondernemer, Particulier) sowie dessen persönliches Compliance-Verhalten – bestimmt. Demnach lassen sich zwar Personal- und Sachkosten für einzelne Veranlagungen ermitteln, doch schwanken diese je nach Art der Veranlagung erheblich, sodass sie untereinander nicht vergleichbar sind. Die IBO-Kommission hat deshalb eine Differenzierung nach Zielgruppen bei der Bestimmung der Produkte empfohlen und sich dafür ausgesprochen, die pro Zielgruppe und Bearbeitungsintensitätskategorie behandelten Steuerfälle pro Jahr als Produkte des Belastingdienst zu definieren.642 bb) Ziele (Outcome) des Belastingdienst Als Outcome, d.h. als Ziel, das über den Output hinaus bzw. mit dessen Hilfe erreicht werden soll, werden für die öffentliche Verwaltung allgemein die Wirkungen der öffentlichen Leistungen/Maßnahmen auf die Bürger bzw. die Gesellschaft angesehen.643 Die IBO führt als (gesellschaftlichen) Effekt der Arbeitsweise des Belastingdienst die möglichst freiwillige Erfüllung steuerrechtlicher Pflichten durch die Normadressaten an, die sich im Steueraufkommen niederschlagen soll. Mit der Formulierung seiner strategischen Zielsetzung bringt der Belastingdienst zum Ausdruck, das Steueraufkommen (u. a.) durch eine Reduzierung des Steuerwiderstands und eine Stärkung der Compliance der Steuerpflichtigen sichern zu wollen. Ein möglichst hoher Grad an Compliance sowie die Sicherung des Steueraufkommens sind somit gewünschter gesellschaftlicher Effekt bzw. Outcome der Arbeitsweise des Belastingdienst.
641 Rapport IBO Belastingdienst, S. 12; ebenfalls kritisch zur Berücksichtigung von Zwischenprodukten Lijesen/van Vliet/de Groot, Produktiviteitsmeting, S. 8. 642 Rapport IBO Belastingdienst, S. 14, 16, 19; ähnlich Lijesen/van Vliet/de Groot, Produktiviteitsmeting, S. 77. 643 Vgl. Budäus/Buchholtz, DBW 1997, S. 322, 329; Ministerie van Financiën, Aansturen op Resultaat, Analytisch kader voor de interdepartementale beleidsonderzoeken naar de bedrijfsvoering van overheidsorganisaties 1998–1999.
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4. Kap.: Steuerung und Evaluation des Belastingdienst
b) Gewicht von Produkten einerseits und Zielen andererseits Nach Ansicht der IBO ist grundsätzlich eine Steuerung anhand der gewünschten Effekte bzw. der Ziele einer Organisation als Optimum anzusehen.644 Diese durch die öffentliche Verwaltung angestrebten gesellschaftlichen Effekte sind jedoch häufig nur schwer messbar bzw. dem Handeln der jeweiligen Organisation zurechenbar. So lässt sich zwar die Höhe des Steueraufkommens für das jeweilige Fiskaljahr präzise ermitteln und mit den Ergebnissen früherer Jahre vergleichen. Allerdings wird das Steueraufkommen nicht nur durch die Vollzugstätigkeit des Belastingdienst beeinflusst, sondern hängt von weiteren Faktoren wie z. B. der Ausgestaltung des Steuertarifs und der Steuerbemessungsgrundlage durch den Gesetzgeber und der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung ab. Was den Grad der Compliance betrifft, so kann dieser nicht ohne weiteres bestimmt werden, da es um eine nicht unmittelbar messbare innere Einstellung der Steuerpflichtigen geht. Scheidet demnach eine Steuerung ausschließlich anhand des Outcome aus, so sieht die IBO eine Steuerung anhand des Output als zweitbeste Methode an, wobei jedoch die erstrebten gesellschaftlichen Effekte nicht vollkommen außer Betracht gelassen werden sollen, zumal sich anhand des Output ggf. Rückschlüsse auf den Outcome ziehen lassen. So manifestiert sich die Compliance in Handlungen bzw. Unterlassungen der Steuerpflichtigen (z. B. das Abgabeverhalten, d.h. die Anzahl der rechtzeitig abgegebenen und korrekt ausgefüllten Steuererklärungen), die wiederum für die Bestimmung des Output von Bedeutung sind, sodass indirekt auf den Outcome geschlossen werden kann. Wenn also die IBO für den Belastingdienst ein resultaatgericht besturingsmodel empfiehlt, so erteilt sie damit einer Steuerung anhand des Input oder des Throughput eine Absage und spricht sich stattdessen für eine Methode aus, die als ergebnis- und zielorientiert bezeichnet werden kann. In der deutschen betriebswirtschaftlichen Terminologie gibt es sowohl den Begriff der ergebnisorientierten als auch den der zielorientierten Steuerung, wobei jedoch beide Begriffe oftmals ohne Abgrenzung miteinander kombiniert werden,645 sodass unklar bleibt, ob es sich lediglich um Synonyme oder tatsächlich um unterschiedliche Steuerungskonzepte handelt. Für die weitere Untersuchung wird zunächst von einer jeweils eigenständigen Bedeutung der beiden Begriffe ausgegangen, wobei die ergebnisorientierte Steuerung als Output-orientiert und die zielorientierte Steuerung als Outcome-orientiert verstanden wird. Dies korrespondiert mit der oben erläuterten Definition der Begriffe Output und Outcome. In dem von der IBO be644 645
Vgl. Rapport IBO Belastingdienst, S. 11 f. Vgl. z. B. Brüggemeier, Controlling, S. 54.
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fürworteten resultaatgericht besturingsmodel werden beide Steuerungskonzepte in der Weise zusammengefasst, dass vorrangig anhand des Output gesteuert wird, aufgrund von dessen Quantität und Qualität jedoch zugleich indirekt auf die Entwicklung des Outcome geschlossen wird.646 Dieses Verständnis schließt im Übrigen dicht an den permanenten Auftrag des Belastingdienst an: Da das Steuerungskonzept des Belastingdienst der Verwirklichung des permanenten Auftrags dienen soll, müssen beide Elemente, Effektivität und Effizienz, durch das Steuerungskonzept abgebildet werden. 2. Definition von Kennzahlen und Leistungsindikatoren Neben der Bestimmung von Produkten und Zielen kommt es bei einem ergebnis- und zielorientierten Steuerungsmodell für die Ermittlung von Effektivität und Effizienz entscheidend darauf an, geeignete Kennzahlen bzw. Leistungsindikatoren zu ermitteln, anhand derer die Qualität und Quantität der einzelnen Arbeitsprozesse evaluiert werden kann. Seit Beginn der 90er Jahre tauchen in den Rechenschaftsberichten des Belastingdienst „kritische Erfolgsfaktoren“, „Kennzahlen“, „strategische Kennzahlen“ und „Kernzahlen“ auf,647 wobei die Verwendung und das Verhältnis der Begriffe zueinander über die Jahre Änderungen erfahren haben.648 Noch im Beheersverslag 1999 wurde zwischen sieben strategischen Kennzahlen unterschieden.649 Mit dem Beheersverslag 2000 ist nunmehr ein Set von drei strategischen Kennzahlen eingeführt worden, die an die derzeitige Dreiteilung der Primärprozesse beim Belastingdienst (Service, intensive Kontrolle, Massenverfahren) anschließen. Eine vierte strategische Kennzahl für den zusätzlichen Primärprozess „Förderung der Compliance“, mit der der Grad der Compliance verdeutlicht werden soll, wird zur Zeit entwickelt.650 Zur Ermitt646 Vgl. auch Miljoenennota 1999, Kamerstukken II 1998/99, 26 200, nr. 1, S. 69 unter 4.3; van der Knaap/Kraak/Mulder, FinanciënReeks 1999, S. 1, 4 f. So ist z. B. davon auszugehen, dass sich eine zügige Bearbeitung der Steuerfälle, eine gute (telefonische) Erreichbarkeit und eine hohe Kontrolldichte positiv auf die Bereitschaft der Steuerpflichtigen zur Compliance auswirken. 647 Belastingdienst, Beheersverslag 1992, S. 10; Beheersverslag 1997, S. 14; Beheersverslag 2000, S. 12. 648 Ausführlich zur Bedeutung derartiger Kennzahlen bzw. Indikatoren van der Knaap, FinanciënReeks 1999, S. 25, 33 ff. 649 Produktionsvolumen, Prozessqualität, Produktqualität, Service, Arbeitsproduktivität und Kontrolle. Zu den zwischen 1992 und 1996 verwendeten Kennzahlen vgl. van Kommer/Haitsma, Beleidsanalyse 2/1996, 16 ff. 650 Belastingdienst, Beheersverslag 2002, S. 4; zum bereits im Beheersverslag 1993 aufgeführten Vorläufer dieser Kennzahl und den Gründen für den zwischenzeitlichen Verzicht auf die Anwendung van Kommer/Haitsma, Beleidsanalyse 2/ 1996, 16, 17 f. Aufgrund der Änderung der Kennzahlen ist ein Vergleich mit frühe-
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4. Kap.: Steuerung und Evaluation des Belastingdienst
lung dieser Kennzahlen werden jeweils sog. kerncijfers (Kernzahlen bzw. Leistungsindikatoren) verwendet. Die folgende Tabelle (Tabelle 16, s. nächste Seite) verschafft einen Überblick über die aktuellen Kenn- und Kernzahlen. Problematisch ist die weite Formulierung der „Außenaktivitäten“ als Leistungsindikator. Die hierunter zusammengefassten Aktivitäten unterscheiden sich hinsichtlich der zu investierenden Arbeitszeit z. T. erheblich (eine Buchprüfung erfordert grundsätzlich deutlich mehr Zeit als eine bloße Betriebsbesichtigung) und durch wechselnde Schwerpunktsetzung kann der Belastingdienst über diesen Leistungsindikator die Kennzahl „Kontrolle“ beeinflussen. Bemerkenswert ist insbesondere die Entwicklung einer Kennzahl und verschiedener Leistungsindikatoren für das strategische Ziel „Compliance“. Ihr kommt deshalb besondere Bedeutung zu, weil gegen eine Steuerung anhand des Erfolges (= Grad der Compliance) bislang gerade die fehlende Messbarkeit dieser Größe angeführt wurde. Sollten sich die derzeit entwickelten Leistungsindikatoren bewähren, so könnte dies eine verstärkte Steuerung anhand des Erfolges zur Folge haben. Die Kennzahlen werden indexiert dargestellt, wobei dem jeweiligen Ausgangsjahr (derzeit 1995) der Basiswert 100 zugeordnet wird. Auf diese Weise lassen sich Trends bezüglich der Effizienz- und Effektivitätsentwicklung abbilden. Dies stellt eine wichtige Informationsquelle für die Beteiligten bei der Planung neuer Organisationsstrukturen dar und erlaubt eine bessere Anpassung an zukünftige Entwicklungen. Nachteil der Indexierung ist jedoch, dass der Blick auf die absoluten Zahlen verwehrt bleibt. Das folgende Diagramm (Abbildung 11, s. S. 256) liefert einen Überblick über die Entwicklung der drei strategischen Kennzahlen Dienstleistung, Kontrolle und Massenverfahren seit 1995. Die steigende Tendenz bei der Kontrolle wird mit einer verbesserten Auswahl der kontrollbedürftigen Steuerfälle begründet.651 Für die negative Tendenz bei der Dienstleistung hingegen wird insbesondere die umfassende Steuerreform 2001 verantwortlich gemacht, aufgrund derer bereits im Jahr 2000 die Zahl der Anrufe bei der Hotline des Belastingdienst erheblich geren Jahren auf dieser Ebene nicht mehr möglich; allerdings sind die zur Ermittlung der Kennzahlen verwendeten Kernzahlen bzw. Leistungsindikatoren teilweise unverändert geblieben, sodass insoweit Vergleiche weiterhin gezogen werden können. Vgl. Belastingdienst, Beheersverslag 2000, S. 2 Fn. 1. Zur umstrittenen Abgrenzung der Begriffe „Kennzahlen“ und „Indikatoren“ vgl. Schmidberger, Controlling für öffentliche Verwaltungen, S. 299 m. w. N. 651 Belastingdienst, Beheersverslag 2001, S. 3. Vergleicht man den dortigen Kontrollindex für 2000 mit den Angaben auf S. 22 sowie im Beheersverslag 2000 auf S. 22, so liegt der Wert tatsächlich bei 104, sodass es sich bei der Angabe von 107 im Beheersverslag 2001 (S. 22) anscheinend um einen Druckfehler handelt.
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Tabelle 16: Kenn- und Kernzahlen des Belastingdienst Strategische Kennzahlen
Kernzahlen/Leistungsindikatoren
Erläuterung
Dienstleistung/ Service
– Geschwindigkeit (insb. der Bearbeitung von Steuererklärungen sowie der Überweisung von Steuererstattungen und -vergütungen) – (telefonische) Erreichbarkeit – Einhalten von Absprachen – Verständlichkeit der Korrespondenz (Formulare, Briefe etc.) – termingerechte Bearbeitung von Steuererklärungen und Rechtsbehelfen – Zahl der beantworteten im Verhältnis zu den eingegangenen Anrufen
ü 1 1 Einschätzung Ÿ der Steuer1 pflichtigen* 1 ÿ
Intensive Kontrolle
– Anzahl der Korrekturen (ESt) – Gesamtbetrag der Korrekturen (ESt, KSt, LSt und USt) – Anzahl der Beanstandungen durch den Zoll – Gesamtzahl der Strafanzeigen (Steuern und Zoll) – Steuerbeitreibung
– Zahl der endgültigen Festsetzungen bei der Einkommensbesteuerung – Zahl der Außenaktivitäten
bezieht sich auf ausstehende Steuerforderungen
weit gefasst; alle Aktivitäten, die außerhalb des FA stattfinden (von der Information bis hin zur Betriebsprüfung)
– Zahl der physischen Kontrollen sowie der Scanner-Kontrollen bei der Ein- und Ausfuhr – Zahl der büromäßigen Kontrollen beim Zoll – Zahl der für die Einkommensbesteuerung verarbeiteten Kontrollmitteilungen * Die auf der Einschätzung der Steuerpflichtigen beruhenden Kernzahlen/Leistungsindikatoren werden den jährlichen Umfragen unter Steuerpflichtigen und Beratern (Fiscale Monitor, siehe unten unter C.VI.1.) entnommen.
(Fortsetzung nächste Seite)
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4. Kap.: Steuerung und Evaluation des Belastingdienst
(Fortsetzung Tabelle 16) Strategische Kennzahlen
Kernzahlen/Leistungsindikatoren
Massenverfahren
– Produktivität
Compliance (derzeit in der Entwicklung)
Erläuterung
– Arbeitsproduktivität
Verhältnis zw. Produktionsvolumen und Personalausstattung
– Zeitnahe Steuererhebung
Umfang, in dem der Belastingdienst die geschuldeten Steuerbeträge bereits im jeweiligen Fiskaljahr beitreibt
– Abgabe von Steuererklärungen
Anteil der rechtzeitig abgegebenen Steuererklärungen
– korrektes Ausfüllen von Steuererklärungen
Anteil der zutreffenden Angaben in den Steuererklärungen
– Steuerentrichtung
Anteil der rechtzeitig entrichteten Steuerbeträge
120 115 110
Dienstleistung
105
Kontrolle Massenverfahren
100 95 90 1995
1996
1997
1998
1999
2000
2001
2002
Abbildung 11: Entwicklung der strategischen Kennzahlen seit 1995
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stiegen ist und sich das Verhältnis zwischen eingegangenen und bearbeiteten Telefonanrufen drastisch verschlechtert hat.652 Aufgrund der Indexierung und der wiederholten Änderung und Ergänzung einzelner Leistungsindikatoren und Kennzahlen wird der Vergleich mit Zeiträumen vor 1995 erschwert. van Kommer hat, ausgehend von 1988 als Basisjahr, bis zum Jahr 1995 eine Steigerung der Produktivität des Belastingdienst um 27% ermittelt.653 Berechnungsgrundlage waren die eingesetzten Personal- und Sachmittel einerseits und die „Produktion“ andererseits, gemessen anhand der endgültigen und vorläufigen Veranlagungen, der Steuernachforderungen und der durchgeführten Kontrollen für die vier wichtigsten, aufkommensstärksten Steuerarten (ESt, KSt, LSt u. USt). 3. Abschluss von Zielvereinbarungen zwischen den Hierarchieebenen Wesentliches Element der Steuerungsphilosophie ist neben dem System der Kennzahlen und Leistungsindikatoren das sog. contractmanagement (Kontraktmanagement), das seit Beginn der 1990er Jahre beim Belastingdienst praktiziert wird.654 Auf der Grundlage der Planungsdokumente, in denen die Zielsetzungen des Belastingdienst jeweils für die kommenden Jahre konkretisiert werden (dazu unten), schließen die einzelnen Hierarchieebenen innerhalb des Belastingdienst (d.h. die Generaldirektorin des Belastingdienst mit den Zielgruppendirektoren, die Zielgruppendirektoren mit den jeweiligen Vorstehern der in ihren Verantwortungsbereich fallenden Finanzämter sowie die Vorsteher und die einzelnen Teamleiter innerhalb eines Finanzamts655) untereinander sog. Managementverträge, in denen sie sich zur Erreichung spezifischer Ziele (z. B. die Zahl der zu bearbeitenden Steuerfälle656 oder die Einhaltung bestimmter Bearbeitungszeiten) verpflichten. Gleichzeitig werden Vereinbarungen über die Verteilung der Verantwortung und das zur Verfügung stehende Budget getroffen. Die konkrete Ausgestal652 Belastingdienst, Beheersverslag 2001, S. 3. Im Jahr 2001 wurden 1,1 Mio. mehr Anrufe bei der Hotline registriert, als im Vorjahr. Zugleich sank die Zahl der bearbeiteten Gespräche von 66,7% auf 60,3%, vgl. Belastingdienst, a. a. O., S. 12. 653 van Kommer, Belastingdienst, S. 457. 654 Gerritsen/van Breukelen, Openbaar bestuur 11/1992, 2, 5; Gerritsen/van Wuijtswinkel, Openbaar bestuur 3/1996, 22. 655 van Kommer, Het Bedrijf Belastingdienst, S. 23; zur Abschaffung der Direktionen zum 1.1.2003 siehe unten 5. Kap. Dadurch entfällt eine Hierarchieebene. 656 Durchschnittlich wird für die (nichtautomatisierte) Bearbeitung einer Steuererklärung eine Stunde angesetzt. Für die Kontrolle der Qualität bei der Bearbeitung der Steuerfälle gilt die Zahl der Einsprüche als besonders aussagekräftig, vgl. van Osch/van Rijswijk, Elsevier v. 11.3.2000, 74, 78.
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4. Kap.: Steuerung und Evaluation des Belastingdienst
tung der Zielvereinbarungen hängt von der Verteilung der Steuerfälle auf die einzelnen Ämter bzw. Teams ab, d.h. Teams für Grote Ondernemingen haben insgesamt weniger Fälle zu bearbeiten als Teams für Particulieren, und bei Teams, die für besonders risikogeneigte Branchen zuständig sind, wird ein größerer Schwerpunkt auf Kontrollmaßnahmen gelegt. In den Managementverträgen werden auch Vereinbarungen darüber getroffen, welche Informationen in welchen zeitlichen Abständen durch die ausführende Instanz beschafft werden müssen, um die Einhaltung der Zielvereinbarungen überprüfbar zu machen. Im Zusammenhang mit diesen Managementverträgen und in Abhängigkeit der übernommenen Aufgaben werden dann auch die Haushaltsmittel auf die einzelnen Untergliederungen verteilt.657 Das System des Kontraktmanagements steht im Zusammenhang mit Dezentralisierungsbestrebungen: Sowohl die Verantwortung für die Prozesse als auch die Kompetenz, über die Verwendung des zur Verfügung stehenden Budgets zu entscheiden, sollen auf einer möglichst niedrigen Hierarchieebene angesiedelt werden. Davon erhofft man sich eine Steigerung der Effizienz,658 da u. a. die größere Sachnähe der Verantwortlichen ausgenutzt wird und die Übertragung von Kompetenzen motivationsfördernd wirken soll. Zugleich soll der Abschluss der Managementverträge, der für eine Kooperation zwischen den jeweiligen Hierarchieebenen steht, die Akzeptanz der Ziele begünstigen, weil diese nicht einseitig von der höheren Hierarchieebene aufoktroyiert werden. Diese allgemeine Akzeptanz der Ziele gilt als wesentliche Voraussetzung für den Erfolg des ziel- und ergebnisorientierten Steuerungskonzepts.659 Darüber hinaus verspricht man sich von den Managementkontrakten eine größere Einsicht der Beteiligten in die Notwendigkeit von Maßnahmen, die der Verbesserung der Arbeitsprozesse dienen, da die ausführenden Ebenen von Effizienzsteigerungen im Hinblick auf die geschlossenen Vereinbarungen unmittelbar profitieren. Schließlich steht der Abschluss von Managementverträgen im Zusammenhang mit den Bemühungen um eine verbesserte Vergleichbarkeit der einzelnen Finanzämter und ihrer Leistung untereinander.660 Bei den im Rahmen des Kontraktmanagements getroffenen Zielvereinbarungen handelt es sich nicht um einklagbare Absprachen. Entsprechende Sanktionen könnten ggf. sogar unzuträglich sein, da sie die für eine gute Kooperation erforderliche Vertrauensbasis zerstören können. Obwohl der Belastingdienst bereits seit mehreren Jahren an einem System von „Belohnungen und Strafen“ für das Einhalten bzw. Nichteinhalten der Manage657 658 659 660
van Kommer, Het Bedrijf Belastingdienst, S. 23. Miljoenennota 1999, Kamerstukken II 1998/99, 26 200, nr. 1, S. 70 unter 4.3. van der Knaap/Kraak/Mulder, FinanciënReeks 1999, S. 1, 10. Gerritsen, Financieel Overheidsmanagement 7–8/1992, 206, 208.
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mentverträge arbeitet, ist etwas derartiges bislang nicht umgesetzt worden. Dennoch ist die psychologische Wirkung einer Unterschrift offensichtlich nicht zu unterschätzen,661 sodass den Zielvereinbarungen de facto doch eine gewisse Verbindlichkeit zukommt. Dem Risiko eines unübersichtlichen Geflechts von Vereinbarungen, das dem eigentlichen Ziel – nämlich Transparenz zu schaffen – abträglich ist, versucht man in den Niederlanden durch entsprechende Standardisierungen der Verträge zu begegnen. 4. Überwachung der Zielerreichung Die Definition von Zielen macht nur dann Sinn, wenn die Zielerreichung überwacht wird und entsprechende Anpassungen der Arbeitsschritte in Abhängigkeit von der Zielerreichung getroffen werden. Der Belastingdienst bedient sich zu diesem Zweck einer Vielzahl von Rechenschafts- und Planungsdokumenten. Auch die Einführung der Kosten- und Leistungsrechnung sowie Leistungsvergleiche sollen zur Überwachung der Zielerreichung beitragen. Eine gewisse Rückkopplung findet auch durch die im Zusammenhang mit der externen Evaluation noch zu erläuternden Befragungen von Steuerpflichtigen statt. Als allgemeine Kontrollinstanz innerhalb des Belastingdienst fungiert der sog. Interne Accountantsdienst Belastingdienst (IAB, eine Art Revisionsabteilung). Zu seinen Aufgaben gehört u. a. auch die Evaluierung der Effizienz und Effektivität der Tätigkeiten auf den einzelnen Ebenen.662 a) Rechenschaftsberichte und Planungsdokumente Der (internen und externen) Überwachung der Zielerreichung dient eine ganze Reihe von Rechenschaftsberichten und Planungsdokumenten, auch Jahresplanzyklus genannt.663 Zu den Rechenschaftsberichten zählen insbesondere sog. Jaarverslagen (Jahresberichte) und Beheersverslagen (Verwaltungsberichte). Den ersten Jahresbericht hat der Belastingdienst über das Fiskaljahr 1981 herausgebracht. Seitdem erscheinen diese Jahresberichte, in denen der Belastingdienst für das jeweils zurückliegende Jahr Auskunft über seine Aktivitäten gibt, jährlich neu. 1991 erschien daneben der erste Verwaltungsbericht, mit dem der Belastingdienst in noch umfangreicherer Weise als im Jahresbericht Rechenschaft über seine Tätigkeiten im vorangegangenen Jahr 1990 ablegte. Zunächst ausschließlich für das Parlament be661
Gerritsen/van Wuijtswinkel, Openbaar bestuur 3/1996, 22. Reuvers, Belasting – politiek en strategie, S. 28 f. 663 Vgl. Belastingdienst, Beheersverslag 1991, Voorwoord; Gerritsen/van Breukelen, Openbaar bestuur 11/1992, 2, 3. 662
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4. Kap.: Steuerung und Evaluation des Belastingdienst
stimmt, sind diese Verwaltungsberichte inzwischen öffentlich. Während die Verwaltungsberichte neben der Verantwortung gegenüber dem Finanzminister und seinem Staatssekretär (intern) sowie gegenüber dem Parlament (extern) auch der ausführlichen Information von Experten und besonders Interessierten dienen, sind die weniger umfangreichen Jahresberichte bereits durch ihr Layout eher an die breite Öffentlichkeit gerichtet, um sie mit der Organisation als solcher vertraut zu machen und das Image des Belastingdienst zu pflegen.664 Dieser Zwecksetzung entsprechend ist der Jahresbericht auch jeweils in einer englischen Übersetzung erhältlich. Der Verwaltungsbericht besteht jeweils aus vier Teilen:665 Einem Überblick über die Entwicklung der primären und sekundären Prozesse im Laufe des jeweiligen Berichtsjahres, einer Erläuterung der Ergebnisse der primären Prozesse nach Steuerarten aufgeschlüsselt, einem sog. Productieverslag (Ergebnisbericht) und – abschließend – dem finanziellen Rechenschaftsbericht über Einnahmen und Ausgaben des Belastingdienst. Der Ergebnisbericht liefert u. a. Angaben über die Zahl der Steuererklärungen, der vorläufigen und endgültigen Veranlagungen, der Steuernachforderungen, der Einsprüche und gerichtlichen Rechtsbehelfe sowie den Umfang des Informationsaustauschs mit anderen Behören. Diese Angaben ergänzen die zur Ermittlung der Kennzahlen verwendeten Leistungsindikatoren und vervollständigen den Überblick über die Quantität und Qualität der Produkte des Belastingdienst. Jahresbericht und Verwaltungsbericht 1994 des Belastingdienst sind mit der „Kordes-Trofee 1995“ als beste Rechenschaftsberichte des öffentlichen Sektors ausgezeichnet worden.666 Die Jury lobte insbesondere deren Verständlichkeit und die Bereitschaft zur Selbstkritik. Neben diesen retrospektiven Rechenschaftsberichten veröffentlicht der Belastingdienst Planungsdokumente, in denen er künftig zu erreichende Ziele offen legt. Das erste Planungsdokument, der sog. Beleidskaderbrief, in dem der Belastingdienst seine Ziele für das Jahr 1985 vorstellte, wurde 1984 veröffentlicht. 1988 erschien der erste Bedrijfsplan, mit dem der Belastingdienst seine mittelfristigen Ziele für die Jahre 1989–1992 veröffentlichte. Diese Bedrijfsplannen werden seitdem jährlich publiziert und erstrecken sich jeweils auf einen Fünfjahreszeitraum, sodass sich aus ihnen die fortschreitende Entwicklung ablesen lässt. Die Bedrijfsplannen beschränken 664
van Kommer, Het Bedrijf Belastingdienst, S. 1, 25. Der im Jahr 2003 veröffentlichte Verwaltungsbericht für das Jahr 2002 besteht nur noch aus zwei Teilen, wobei die bisherigen ersten drei Teile zu einem verschmolzen wurden, sodass die Änderungen weitgehend formaler Natur sind. 666 Koning in: FS Moltmaker, S. 99, 103; van Kommer, Belastingdienst, S. 530, 532. 665
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sich auf die wesentlichen Entwicklungsleitlinien für den gesamten Belastingdienst und werden durch die beigefügten sog. Sectorplannen, in denen einzelne Aspekte der im Bedrijfsplan vorgegebenen allgemeinen Zielsetzungen näher ausgearbeitet werden, ergänzt. So führt der Sectorplan Klantbehandeling die Planungen für die Behandlung der Steuerpflichtigen näher aus und der Sectorplan Rechtstoepassing befasst sich mit den Maßnahmen, die eine zutreffende Rechtsanwendung gewährleisten sollen. Was die sekundären Prozesse des Belastingdienst angeht, so erfolgt die Ausarbeitung der im Bedrijfsplan vorgegebenen Grobziele in sog. Beleidsplannen.667 Um diesen Planungsdokumenten Inhalt zu geben, sind in den Jahren 1988 und 1989 für alle Steuerarten und Prozesse Informationsmodelle entwickelt worden, in denen anhand der Steuerungsvariablen Volumen, Zeit, Kapazität und Ertrag Zusammenhänge und Entwicklungen sichtbar und überprüfbar gemacht werden.668 Die Gewinnung der jeweils benötigten Informationen erfolgt weitgehend automatisiert. Die Ausführungen in den Bedrijfsplannen werden außerdem durch entsprechende Planungsdokumente der einzelnen Direktionen und Finanzämter ergänzt. Mittlerweile schließen die Verwaltungsberichte eng an die in den Bedrijfsplannen formulierten Zielsetzungen an und geben einen Überblick darüber, ob und inwieweit diese Ziele in dem jeweiligen Jahr erreicht wurden.669 Diese Verknüpfung zwischen Planung und Realisation wertet den Verwaltungsbericht hinsichtlich des Informationsgehalts gegenüber dem Jahresbericht deutlich auf. Neben den Planungs- und Rechenschaftsberichten, die für den gesamten Belastingdienst erstellt werden, gibt es darüber hinaus sog. managementrapportages (Managementberichte) auf den einzelnen Hierarchieebenen,670 wobei die Art und Weise der Berichterstattung weitgehend standardisiert ist, um eine entsprechende Vergleichbarkeit herzustellen. Diese Managementberichte dienen u. a. dazu, einen Überblick über die Einhaltung der Zielverein667
Z. B. für den Bereich der Automatisierung im Beleidsplan Informatisering en Automatisering. 668 Moret Ernst & Young/Coopers & Lybrand/Belastingdienst, Rapport Onderzoek Herstructurering Belastingdienst, S. 26 f. 669 Für die einzelnen Primärprozesse wird im Beheersverslag jeweils zusammengefasst, welche Ziele für den jeweiligen Berichtszeitraum formuliert worden waren und ob diese erreicht worden sind. Dabei wird auch im Wortlaut auf die jeweiligen Zielsetzungen in den Planungsdokumenten Bezug genommen und jeweils für einzelne Prozesse gefragt: „Was wollten wir im Jahr x erreichen?“ „Haben wir erreicht was wir erreichen wollten?“, vgl. z. B. Beheersverslag 2001, S. 9, 17, 37. 670 Miljoenennota 1998, Begroting Financien, Memorie van Toelichting, Kamerstukken II 1997/98, 25 600 (IXB), nr. 2, S. 10 unter 3.2. Z. T. werden diese Dokumente auch als Jahresberichte bezeichnet.
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4. Kap.: Steuerung und Evaluation des Belastingdienst
barungen (s. o.) zu verschaffen. So werden der Generaldirektorin des Belastingdienst monatlich Produktionszahlen und Angaben über das Steueraufkommen vorgelegt. Quartalsweise erfolgt eine ausführlichere Berichterstattung im Direktionsrat, anlässlich derer neben den Produktionszahlen auch Informationen über den Fortgang einzelner Projekte sowie Vorschläge zur Verbesserung einzelner Ergebnisse dargestellt werden.671 Die Planungs- und Rechenschaftsberichte des Belastingdienst liefern wiederum eine wesentliche Grundlage für die Planungs- und Rechenschaftsberichte auf ministerieller Ebene. Auf diese Weise wird das Parlament in die Lage versetzt, sowohl die richtungsweisenden Entscheidungen als auch die Details der Betriebsführung sowie die Verwendung des zur Verfügung gestellten Budgets nachprüfen zu können.672 Eine ansatzweise Kontrolle der Angaben des Belastingdienst zur Produktivität in den Rechenschaftsberichten wird dadurch ermöglicht, dass auch andere Einrichtungen sich mit der Produktivitätsmessung in der Verwaltung beschäftigen und eigene Zahlen veröffentlichen.673 b) Kosten- und Leistungsrechnung Im Zusammenhang mit der Einführung einer ergebnis- und zielorientierten Organisations- und Arbeitsweise steht auch der geplante Übergang zu einer flächendeckenden Kosten- und Leistungsrechnung, bei der innerhalb des Belastingdienst die tatsächlichen Kosten den Verursachern realitätsgerecht berechnet werden sollen.674 Der Belastingdienst erhofft sich davon, die Arbeitsweise sowie das Investitionsverhalten kosteneffizienter ausgestalten, die Effizienz der Arbeitsweise darstellen und vergleichen sowie die Planung vereinfachen zu können.675 Vorausgesetzt, die in einzelne Arbeitsschritte investierten Arbeitsstunden werden erfasst und je nach Zielgruppe 671
Rapport IBO Belastingdienst, S. 28. Finanzminister, Referentiekader Mededeling over de Bedrijfsvoering v. 21.2.2002, BZ 2002-00067 M. 673 Vgl. insbesondere die Studien des Instituut voor Onderzoek van Overheidsuitgaven (IOO) und des Sociaal en Cultureel Planbureau. So weist z. B. van Kommer, Belastingdienst, S. 463 hinsichtlich der Berechnung der Produktivität für den Zeitraum 1988–1995 Abweichungen zwischen den Angaben des Belastingdienst und denen des IOO nach, die er mit einer unterschiedlichen Gewichtung der Anzahl durchgeführter Buchprüfungen bei den jeweiligen Berechnungen erklärt. 674 In der Miljoenennota 2001 hat die Regierung angekündigt, innerhalb der gesamten Verwaltung zu einer Kosten-Leistungsrechnung überzugehen, vgl. Kamerstukken II 2000/01, 27 800, nr. 1, S. 82 ff. Zur flächendeckenden Einführung der Kosten- und Leistungsrechnung beim Belastingdienst vgl. Bedrijfsplan 2002–2006, Einleitung. Allgemein zur Einführung der Kosten- und Leistungsrechnung in der niederländischen Verwaltung sowie zu den parallelen Entwicklungen im Ausland siehe Hogendoorn/Kok/van Oosteroom, Openbare Uitgaven 2001, 64 ff.; Kok/Wassenaar, Overheidsmanagement 2001, 40 ff. 672
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bzw. Schwierigkeitsgrad, auf den sie entfallen, gewichtet, können künftig die Kosten für die Rechtsanwendung pro Zielgruppe bzw. Betreuungsintensitätskategorie abgebildet werden.676 Auf diese Weise kann die Kosten- und Leistungsrechnung dazu beitragen, die zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel nach sachlichen Kriterien auf die einzelnen Ämter zu verteilen. Darüber hinaus können mit der Kosten- und Leistungsrechnung die tatsächlichen Materialkosten besser abgebildet werden, indem die Anschaffungskosten auf die Nutzungsdauer der Wirtschaftsgüter verteilt werden. Letzteres gewinnt aufgrund der erheblichen Investitionen in die Automatisierung für den Belastingdienst zunehmend an Bedeutung. Die Einführung der Kosten- und Leistungsrechnung bringt mehr Entscheidungsspielraum und dadurch zugleich auch mehr Verantwortung für die Entscheidungsträger mit sich und passt in das Konzept einer weitgehenden Dezentralisierung von Kompetenzen. Allerdings wird in diesem Zusammenhang richtigerweise auch davor gewarnt, die Ergebnisse dieser Kostentransparenz zum Anlass zu nehmen, die Arbeitsweise des Belastingdienst hauptsächlich auf eine Kostenminimierung auszurichten.677 c) Leistungsvergleiche/Benchmarking Ein weiteres Mittel zur Unterstützung der ziel- und ergebnisorientierten Arbeitsweise ist das sog. Benchmarking, d.h. Leistungsvergleiche zwischen einzelnen Finanzämtern. Die Vergleiche erfolgen in der Regel quartalsweise zwischen den für einzelne Zielgruppen zuständigen Ämtern. Anhand der Ergebnisse wird eine Rangfolge erstellt. Ausschlaggebend für die Einordnung sind z. B. die (durchschnittliche) Bearbeitungsdauer pro Steuerklärung, der Umfang, in dem Steuerhinterziehung aufgespürt wurde und die Zahl der Fehler, die bei der Veranlagung gemacht wurden. Neben den einzelnen Finanzämtern werden auch die Mitarbeiter auf ihre Leistungsfähigkeit hin verglichen. So wird z. B. nachgehalten, wie viele Steuererklärungen sie in einem bestimmten Zeitraum bearbeitet haben und wie lange es dauert, bis ein Steuerpflichtiger von ihnen eine Antwort erhält. Diese Leistungskontrollen führen zu einem Wettbewerb zwischen den einzelnen Untergliederungen 675 Belastingdienst, Bedrijfsplan 2002–2006, unter 4.4; Rapport IBO Belastingdienst, S. 2. Die Einführung der Kosten- und Leistungsrechnung stellt deshalb kein eigenständiges Ziel dar, sondern erfolgt zur Unterstützung der ziel- und ergebnisorientierten Steuerung; vgl. auch Hogendoorn/Kok/van Oosteroom, Openbare Uitgaven 2001, 64, 71; van der Knaap/Kraak/Mulder, FinanciënReeks 1999, S. 1, 12. 676 Rapport IBO Belastingdienst, S. 34 f. 677 Die IBO Belastingdienst verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass es in erster Linie darum gehen müsse, die Qualität der Rechtsanwendung zu stärken und nicht deren Kosten zu senken, vgl. Rapport IBO S. 35.
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4. Kap.: Steuerung und Evaluation des Belastingdienst
des Belastingdienst, der von Seiten des Managements als „qualitätsfördernd“ bezeichnet wird.678 Erleichtert wird der Leistungsvergleich durch die Verwendung von standardisierten Produkten und Leistungsindikatoren. 5. Zusammenfassung Die wesentlichen Aspekte des zielorientierten Managements lassen sich folgendermaßen veranschaulichen:
Zielsetzungen
Definition von Produkten/ Definition von Kennzahlen
Zielvereinbarungen zwischen den Hierarchieebenen
Effektive und effiziente Aufgabenerfüllung
Überwachung: – Unterstützung durch Planungsdokumente und Rechenschaftsberichte – Transparenz durch Kosten- und Leistungsrechnung sowie Benchmarking
Abbildung 12: Steuerung der Arbeitsprozesse beim Belastingdienst
Kennzeichnend für die ziel- und ergebnisorientierte Arbeits- und Organisationsstruktur ist, dass im vorhinein zentral Absprachen über zu erreichende Resultate getroffen werden, die Art und Weise der Ausführung jedoch weitgehend dezentral organisiert wird und im nachhinein Rechenschaft über die erreichten Ziele abzulegen ist. Das Steuerungskonzept ist nicht statisch, sondern die bisherigen Ergebnisse werden kontinuierlich überprüft und die Methoden angepasst. Ziel ist es, eine größere Transparenz zu schaffen, und zwar sowohl hinsichtlich der eingesetzten Mittel als auch der damit verbundenen Effekte.679 Dieses in der niederländischen Verwaltung als resultaatgericht besturingsmodel bezeichnete Steuerungskon678 Thunnissen-Tonnemann (damals stellvertretende Generaldirektorin des Belastingdienst) im Interview mit van Osch/van Rijswijk, Elsevier v. 11.3.2000, 70, 74. 679 van der Knaap/van Hofwegen, Bestuurskunde 4/1999, 145, 146.
A. Steuerung
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zept ähnelt Konzepten, die in Deutschland unter der Überschrift „Controlling“ diskutiert werden. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung über die Interpretation von Controlling ist jedoch in der deutschen Betriebswirtschaftslehre höchst kontrovers680 und die Anwendbarkeit auf die öffentliche Verwaltung wirft viele Fragen auf,681 sodass von einer Verwendung des Begriffs „Controlling“ anstelle des ziel- und ergebnisorientierten Steuerungskonzepts an dieser Stelle keine klärende Wirkung zu erwarten ist.
II. Stellungnahme Die vorangegangene Schilderung des ziel- und ergebnisorientierten Steuerungskonzepts des Belastingdienst verdeutlicht die starke Fokussierung auf die mit dem Gesetzesvollzug und der Umsetzung politischer Ziele verbundenen Kosten in den Niederlanden. Dieses Bewusstsein war durch die angespannte Haushaltslage in den 70er Jahren geschärft worden. Seit Mitte der 80er Jahre wuchsen die Anforderungen der Parlamentarier an die Art und Weise, in der die staatlichen Ausführungsorgane Rechenschaft über die Verwendung der ihnen für ihre Aufgaben zur Verfügung gestellten finanziellen Mittel ablegen.682 Die Einführung einer ziel- und ergebnisorientierten Arbeitsweise, einer Kosten- und Leistungsrechnung und einer entsprechenden Dokumentation durch Planungs- und Rechenschaftsberichte prägen das derzeitige Bild der öffentlichen Verwaltung in den Niederlanden. Dass der Belastingdienst auf diesen Gebieten stets eine Vorreiterrolle gespielt hat und wohl auch künftig spielen wird, ist darauf zurückzuführen, dass das Finanzministerium „kraft Natur der Sache“ eine besondere Verantwortung für die effiziente Verwendung der Steuergelder hat. Als ausführender Dienst innerhalb des Finanzministeriums ist der Belastingdienst deshalb prädestiniert dafür, mit „gutem Beispiel“ voran zu gehen. Die Tatsache als solche, dass der Belastingdienst sich für die Organisation seiner Arbeitsweise Ziele setzt und deren Erreichung überprüft, ist uneingeschränkt zu begrüßen, sollte aber eigentlich in der öffentlichen Verwaltung analog zur freien Wirtschaft eine Selbstverständlichkeit sein. Eine Organisation mit 30.000 Mitarbeitern und einer Vielzahl von Aufgaben 680 Vgl. dazu Brüggemeier, Controlling, S. 45 ff.; Schmidberger, Controlling für öffentliche Verwaltungen, S. 16 f., jeweils m. w. N.; Korthals in: Wirtschaftlichkeit in Staat und Verwaltung, S. 87, 101. 681 Zu den mit den Spezifika öffentlicher Verwaltung unvereinbaren ControllingAnsätzen s. Schmidberger, Controlling für öffentliche Verwaltungen, S. 29 ff. Vgl. auch Lüder in: Wirtschaftlichkeit in Staat und Verwaltung, S. 209 ff. 682 Dazu instruktiv van der Burg/Korte/van Oosteroom, FinanciënReeks 1999, S. 39, 40 f.
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4. Kap.: Steuerung und Evaluation des Belastingdienst
kann nicht ohne Zielsetzungen und interne Steuerung funktionieren. Die Verantwortlichen müssen aufgrund der ihnen übertragenen Aufgaben einerseits und der ihnen dafür zur Verfügung gestellten Sach- und Personalmittel andererseits komplexe Entscheidungen treffen. Darüber hinaus sind es gerade die mit ihrem Handeln angestrebten gesellschaftlichen Effekte, deretwegen staatliche Einrichtungen ins Leben gerufen werden, d.h. Zielsetzungen sind für die öffentliche Verwaltung zwingend erforderlich. Erfolgt die Zielsetzung öffentlich, so macht das die Finanzverwaltung zwar angreifbar, da nachvollzogen werden kann, inwieweit die gesteckten Ziele tatsächlich erreicht wurden. Zugleich bringt diese Kontrollmöglichkeit jedoch die Transparenz mit sich, die der Belastingdienst anstrebt und mit der er der gewandelten, mündigeren Haltung der Bürger staatlichen Institutionen gegenüber Rechnung tragen will. Wenn der Belastingdienst jedoch von „Kunden“ spricht und „Produkte“ definiert, so wird auf eine Terminologie zurückgegriffen, die eng mit der Vorstellung eines am Markt operierenden Unternehmens verbunden ist. Fraglich ist, ob zwischen der Finanzverwaltung und einem Wirtschaftsunternehmen genügend Übereinstimmungen bestehen, um eine Anlehnung an die betriebswirtschaftliche Terminologie sinnvoll erscheinen zu lassen, oder ob es im Gegenteil derart gravierende Unterschiede gibt, dass eine Verwendung der betriebswirtschaftlichen Konzepte nicht sachgerecht ist. In den Niederlanden hat es sowohl bei der Ankündigung der Einführung einer ziel- und ergebnisorientierten Steuerung für die niederländische Verwaltung insgesamt und insbesondere für den Belastingdienst als auch in der Folgezeit kaum kritische Stimmen gegeben.683 Dies verwundert, zumal dem Belastingdienst bei Einführung des Begriffs „Kunde“ zur Bezeichnung der Steuerpflichtigen Ende der 80er Jahre von verschiedenen Seiten vorgehalten worden war, mit dieser euphemistischen Bezeichnung über den Umstand hinwegzutäuschen, dass es im Verhältnis zwischen Steuerpflichtigen und dem Belastingdienst gerade an dem Merkmal der Freiwilligkeit fehle, das üblicherweise die Geschäftsbeziehung zwischen Geschäftsleuten und ihren Kunden präge.684 Wie zu Beginn des dritten Kapitels erläutert, eignete sich die Bezeichnung der Steuerpflichtigen als Kunden für den „internen“ Gebrauch, um das Selbstverständnis der Mitarbeiter des Belastingdienst zu beeinflussen und sie zu einer stärkeren Orientierung an den Wünschen und Bedürfnissen der Steuerpflichtigen zu motivieren. Im oben skizzierten zielund ergebnisorientierten Steuerungsmodell kommt der Bestimmung der „Kunden“ des Belastingdienst jedoch eine viel stärkere Bedeutung zu, denn 683 Dies stellen auch van der Knaap/van Hofwegen, Bestuurskunde 4/1999, 145, verwundert fest. 684 van Gunsteren/den Hoed „Burgerschap in praktijken”, S. 63.
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die Definition der Produkte und Dienstleistungen steht in engem Zusammenhang mit der Definition der Kunden. In einem Wirtschaftsunternehmen werden die Produkte weitgehend auf die Bedürfnisse der Kunden abgestimmt. Der Belastingdienst ist jedoch verpflichtet, Steuerbescheide zu erlassen, Steuerrückzahlungen vorzunehmen etc., d.h. der gesetzliche Auftrag des Belastingdienst genießt Vorrang vor den Bedürfnissen der Steuerpflichtigen. Und der Steuerpflichtige, in dessen Unternehmen gerade eine Betriebsprüfung stattfindet, wird diesen Vorgang wohl kaum als „Dienstleistung“ seitens der Finanzverwaltung ansehen.685 Der Vergleich einer Behörde mit einem Wirtschaftsunternehmen und die Bezeichnung der Bürger als Kunden liegt deshalb um so ferner, je mehr es sich um klassische Eingriffsverwaltung handelt. Andererseits gibt es auch Bereiche, in denen die Finanzverwaltung tatsächlich Rücksicht auf die Wünsche der Steuerpflichtigen nehmen kann, z. B. bei der Gestaltung von Informationsmaterial, der Erreichbarkeit der Mitarbeiter und der Bereitstellung vielfältiger Kommunikationskanäle für die Kontakte mit den Steuerpflichtigen. Legt man das oben skizzierte Steuerungskonzept des Belastingdienst zugrunde, so geht es bei diesen Aspekten jedoch in erster Linie um Arbeitprozesse (Throughput) und nicht um Produkte (Output). Während also ein Unternehmer sowohl das „Ob“ als auch das „Wie“ seiner Geschäftstätigkeit selbst bestimmen und auf die Bedürfnisse seiner Kunden ausrichten kann, ist die Finanzverwaltung hinsichtlich des „Ob“ durch gesetzliche Anforderungen determiniert. Eine weitere Schwierigkeit bei der Verwendung betriebswirtschaftlicher Steuerungselemente durch die Finanzverwaltung besteht darin, dass sich die Qualität der Arbeit in den Finanzämtern, d.h. die materielle Richtigkeit der Entscheidung nur sehr indirekt und unvollkommen in Zahlen ausdrücken lässt, z. B. indem man die Anzahl der Widersprüche und Klagen gegen Steuerbescheide und sonstige Bescheide der Finanzverwaltung zugrunde legt. Angaben über die Zahl der von den Sachbearbeitern pro Zeit durchgeführten Kontrollen oder beantworteten Telefonate lassen keine qualitativen Rückschlüsse zu. Hinzu kommt, dass gerade im Hinblick auf die Qualität die Gefahr von Fehlschlüssen groß ist. So führt de Kam686 als Beispiel die Konstatierung einer wachsenden Akzeptanz der Entscheidungen der Finanzverwaltung an, abzulesen an einer rückläufigen Entwicklung der Zahl der Rechtsbehelfe gegen diese Entscheidungen: Aufgrund dieser Beobachtung 685 Anders jedoch Elburg/Niewijk in: Controle in beweging, S. 59, 60, die im Zusammenhang mit Außenprüfungen und sonstigen Kontrollmaßnahmen das Verhältnis zwischen dem Belastingdienst und dem zu kontrollierenden Steuerpflichtigen mit der Beziehung zwischen Dienstleistendem und Abnehmer vergleichen. 686 de Kam in: Jaarboek Overheidsuitgaven 1996, Schoonhoven 1995, S. 152.
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4. Kap.: Steuerung und Evaluation des Belastingdienst
kann nicht zwangsläufig auf eine zunehmende sachliche Richtigkeit der Entscheidungen und damit auf eine Qualitätssteigerung geschlossen werden, da dies ganz im Gegenteil auch ein Anzeichen für eine nachlässigere Bearbeitung der Steuerfälle sein könnte, wodurch weniger Fehler in den Steuererklärungen aufgedeckt werden und dadurch zugunsten der Steuerpflichtigen eine unzutreffende Veranlagung erfolgt, mit der sich diese selbstverständlich gerne abfinden. Die Verwendung von Kennzahlen und Leistungsindikatoren birgt somit das Risiko in sich, dass die mit diesen Methoden leichter abzubildende Quantität auf Kosten der Qualität in den Vordergrund gerückt wird.687 Im Übrigen können quantitative und qualitative Zielsetzungen auch durchaus im Widerspruch zueinander stehen, z. B. wenn die Steuerpflichtigen einerseits eine möglichst schnelle und andererseits aber auch eine sachlich zutreffende und den Anforderungen der Rechtsgleichheit genügende Bearbeitung ihrer Steuererklärungen durch den Belastingdienst fordern. Darüber hinaus haben Untersuchungen des Instituut voor Onderzoek van Overheidsuitgaven (Institut für die Untersuchung öffentlicher Ausgaben) gezeigt, dass das gemessene Produktionsvolumen bzw. die Produktivität stark von der Wahl der Leistungsindikatoren abhängt.688 Die gewählten Indikatoren müssen außerdem permanent darauf hin überprüft werden, ob sie die Arbeitsprozesse noch wirklichkeitsgetreu abbilden, wobei die Vorstellung, die ganze Bandbreite der Effektivität und Effizienz der Arbeit der Finanzverwaltung einschließlich der Qualitätsaspekte könne anhand von Statistiken und monatlichen bzw. halbjährlichen oder jährlichen Vergleichszahlen abgebildet werden, ohnehin unrealistisch ist. Dies bedeutet jedoch nicht, dass Kennzahlen und Leistungsindikatoren nicht in begrenztem Rahmen von Nutzen sein können. Begrüßenswert sind insbesondere die Bemühungen des Belastingdienst, Indikatoren für die Darstellung des Compliance-Niveaus zu entwickeln. Für die Einstellung der Mitarbeiter des Belastingdienst und das Verhältnis zu den Steuerpflichtigen und damit auch für den Grad der Compliance ist es förderlich, wenn der Belastingdienst sich mit den Dienstleistungsstandards auseinandersetzt, die die Steuerpflichtigen als Kunden bzw. Abnehmer eines Unternehmens im privaten Bereich erwarten dürfen. Die bloße Tatsache, dass die Finanzverwaltung keinerlei Konkurrenz ausgesetzt ist, darf nicht dazu führen, dass die Bedürfnisse der Steuerpflichtigen unberücksichtigt bleiben – dies ist ein zentraler Aspekt der Compliance-Strategie. Wichtig ist jedoch, dass die Leistungsfähigkeit der Indikatoren nicht überschätzt wird und insbesondere die Defizite bei der Qualitätsmessung nicht ignoriert werden. Außerdem sollten 687 688
So auch Gerritsen/van Wuijtswinkel, Openbaar bestuur 3/1996, 22, 24. Vgl. Lijesen/van Vliet/de Groot, Produktiviteitsmeting, S. 69.
B. „Beleid“ als zentrales Handlungsinstrument
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die bestehenden Unterschiede zwischen der öffentlichen Eingriffsverwaltung und einem privatwirtschaftlichen Dienstleistungsunternehmen explizit anerkannt werden. Beim derzeitigen Steuerungsmodell, in dem Begriffe wie Effizienz und Kostentransparenz eine zentrale Stellung einnehmen, besteht die Gefahr, dass das Effizienzstreben zu Lasten der verantwortungsbewussten Ausführung der der Verwaltung von Gesetzes wegen übertragenen Aufgaben führt.689 Zwar bekennt sich der Belastingdienst in seinem permanenten Auftrag zur Wahrung von Rechtssicherheit und Rechtsgleichheit, doch werden diese Grundsätze im Steuerungskonzept allenfalls am Rande erwähnt, wodurch der Eindruck entsteht, als diene das gesamte Steuerungskonzept in erster Linie der Kostenminimierung und der Quantitätssteigerung. Dies wird auch durch die besondere Bedeutung unterstrichen, die den Leistungsindikatoren zugemessen wird, denn derartige Indikatoren eignen sich, wie oben dargestellt, bislang eher zur Quantitäts- als zur Qualitätsmessung. Möglicherweise gelingt es dem Belastingdienst, diesen Eindruck zu revidieren, wenn sich die derzeit entwickelten Kennzahlen zur Ermittlung der Compliance in der Praxis als aussagekräftig erweisen.
B. „Beleid“ als zentrales Handlungsinstrument Zentrales Handlungsinstrument des Belastingdienst bei der Erfüllung seines Auftrags ist das sog. beleid.
I. Begriffsbestimmung Das Wort „Beleid“ hat im niederländischen viele Bedeutungen und lässt sich, wie Mincke zutreffend feststellt, nicht direkt ins Deutsche übersetzen.690 Von Beleid kann überall dort die Rede sein, wo es um das Ausfüllen von Beurteilungs- und Ermessensspielräumen geht. Zwar ist die Finanzverwaltung aufgrund von art. 104 Gw an die Gesetze gebunden, doch enthalten die Steuergesetze eine Vielzahl auslegungsbedürftiger Begriffe und die Finanzverwaltung macht von den ihr durch Gesetz eingeräumten Beurteilungsspielräumen umfassend Gebrauch.691 Ähnlichkeiten bestehen mit dem englischen Begriff „policy“; häufige Übersetzungen des Begriffs 689
van der Knaap/van Hofwegen, Bestuurskunde 4/1999, 145. Mincke, Einführung in das niederländische Recht, Rn. 39. 691 van der Ouderaa, B&M 1993, 57; Gribnau, Rechtsbetrekking, S. 188 f., meint, die Finanzverwaltung habe sich eine gewisse Unabhängigkeit vom Gesetzgeber bei der Interpretation und dem Vollzug der Steuergesetze erobert und Handeln contra legem werde, soweit es zum Vorteil der Steuerpflichtigen gereiche, im niederländischen Staatsrecht weitgehend akzeptiert. 690
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4. Kap.: Steuerung und Evaluation des Belastingdienst
„Beleid“ sind Amtsführung, Vorgehen oder auch Politik.692 Tatsächlich sind mit Beleid zum einen politische Grundsatzentscheidungen gemeint. So entwickeln der Finanzminister und sein Staatssekretär, die im Übrigen auch für den Vollzug der Steuergesetze politisch verantwortlich sind, gemeinsam mit dem Parlament das fiscaal beleid im Sinne der Steuerrechtsordnung (als Konzept, System etc.).693 Andererseits kann Beleid jedoch auch den Charakter von „Pseudogesetzgebung“694 haben: Ähnlich den deutschen Verwaltungsvorschriften695 können innerhalb der Verwaltung mit den beleidsregels Vorgaben für die Interpretation von Gesetzen sowie die Ausübung von Ermessens- und Beurteilungsspielräumen gemacht werden. Diese Form des Beleid wird auch als „(rechts-)handhavingsbeleid“696 bzw. „uitvoeringsbeleid“697 bezeichnet. Die entsprechenden Dokumente, in denen Beleidsregels niedergelegt sind, können als aanschrijving, resoluties, leidraden o. Ä. betitelt sein. Der Hoge Raad versteht unter Beleidsregels:698 „[D]urch die Verwaltung innerhalb ihrer Befugnisse aufgestellte und ordnungsgemäß publizierte Regeln bezüglich der Ausübung des Beleid, die zwar nicht aufgrund einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage ergangen sind und deshalb nicht als Gesetz im materiellen Sinne anzusehen sind, die die Verwaltung aber dennoch aufgrund allgemeiner Grundsätze ordnungsgemäßen Verwaltungshandelns binden und die ihrem Inhalt und ihrer Reichweite nach dazu geeignet sind, den dadurch Betroffenen gegenüber als Rechtsregel angewendet zu werden.“
Mit dem letzten Halbsatz wird zugleich deutlich, dass es daneben auch rein interne Regeln geben kann, z. B. die Einrichtung von Arbeitsprozessen innerhalb der Verwaltung, die keinerlei Bindungswirkung gegenüber dem Bürger entfalten. Inzwischen findet sich in art. 1:3 lid 4 Awb eine (gegenüber der Definition des Hoge Raad engere) Legaldefinition des Begriffs „Beleidsregel“. Danach sind Beleidsregels durch Beschluss festgestellte, all692 Vgl. z. B. Langendorf, Wörterbuch der deutschen und niederländischen Rechtssprache, München 1976. 693 de Kam, Overheidsmanagement 7–8/1995, 192, 196. 694 van Schie/van Smeden/de Kam, Hoofdlijnen van het Nederlands belastingrecht, 9. Auflage, Deventer 1999, S. 377 (Vorauflage zu van Schie/de Kam, Lamens/Haas, Belastingrecht). 695 Auch van Kreveld, Beleidsregels, S. 4 f. zieht den Vergleich mit den deutschen Verwaltungsvorschriften und spricht sich im Niederländischen für die Verwendung des Begriffs „bestuursregel“ aus, was einer wörtlichen Übersetzung von „Verwaltungsvorschrift“ entspricht. Allerdings hat sich diese Terminologie weder in der Rechtsprechung noch in der Literatur durchsetzen können. 696 de Kam, Overheidsmanagement 7–8/1995, 192. 697 Stevens, WFR 1990, 512. Vgl. inzwischen auch die Formulierung des Staatssekretärs in seinem Beschluss vom 15.6.2001, nr. RTB2001/1917M, Stcrt. nr. 121. 698 HR v. 28.3.1990, nr. 25 668, BNB 1990/194.
B. „Beleid“ als zentrales Handlungsinstrument
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gemeine (d.h. nicht einen Einzelfall betreffende) Vorschriften, die nähere Vorgaben für die Abwägung von Interessen, die Feststellung von Tatsachen oder die Auslegung von Gesetzen699 im Zusammenhang mit der Ausübung der Befugnisse eines Verwaltungsorgans enthalten. Beleidsregels dürfen ohne anderweitige explizite gesetzliche Ermächtigung nur innerhalb des Zuständigkeitsbereichs der Verwaltung erlassen werden, sind für die Verwaltung grundsätzlich bindend und entfalten nach ihrer Veröffentlichung Außenwirkung, die sich insbesondere auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes gründet.700 Allerdings muss der Bürger die Anwendung von Beleidsregels nicht hinnehmen, wenn diese zu seinen Ungunsten von Vorschriften mit Gesetzesrang abweichen, art. 4:84 Awb.701 Der Bürger wird demnach nicht durch Beleidsregels gebunden. Die Gerichte prüfen sowohl die Vereinbarkeit des Beleid mit geschriebenem und ungeschriebenem Recht als auch dessen Anwendbarkeit im konkreten Fall (zur Prüfungskompetenz der Gerichte unten unter C.IV.).
II. Kompetenz Ummittelbar nach der Reorganisation bestand zunächst Unklarheit darüber, wer zur Feststellung von Beleid für den Belastingdienst befugt sei.702 Vor allem die Organisation nach Zielgruppen und die Einrichtung von Zielgruppendirektionen mit der damit verbundenen Bündelung von Expertise auf regionalem und lokalem Niveau hatten die Entwicklung von Beleid auf dezentraler Ebene gefördert. Mittlerweile steht jedoch fest, dass ausschließlich der Staatssekretär für Finanzen zur Feststellung von Beleid befugt ist,703 d.h. Beleid wird – im Gegensatz zu den sog. standpuntbepalingen, die Einzelfallregelungen betreffen und auf der Ebene der lokalen Finanzämter getroffen werden (vgl. 1. Kap.) – nicht in Verantwortung des Belastingdienst, sondern des Finanzministeriums formuliert, wobei der Belastingdienst auf den Inhalt des Beleid jedoch wesentlichen Einfluss nimmt und dessen Zustandekommen in der Regel initiiert. Hintergrund ist der Umstand, dass der Staatssekretär für das Beleid des Belastingdienst die politische Verantwortung trägt. Diese Kompetenzverteilung sagt viel über das 699 Ob diese sog. wetsinterpreterende beleidsregels tatsächlich beleidsregels sind, war zuvor umstritten, vgl. Bröring, Beleidsregels, S. 19 f., 30. Durch art. 1:3 lid 4 Awb ist diese Frage jedoch nunmehr eindeutig bejaht. 700 Vgl. HR v. 7.1.1970, nr. 16 201, BNB 1970/78. 701 Dies folgt außerdem aus dem in art. 104 Gw verankerten Vorbehalt des Gesetzes (dem sog. Legalitätsprinzip) für die Besteuerung. 702 Dazu van der Ouderaa in: Burgerschap in praktijken, S. 43, 50 f. 703 Besluit v. 15.6.2001, nr. RTB2001/1917M, Stcrt. nr. 121. Vgl. auch den Vorläufer dieses Besluit v. 21.7.1995, nr. AFZ94/45219M.
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4. Kap.: Steuerung und Evaluation des Belastingdienst
derzeitige Verhältnis zwischen dem Staatssekretär und den Sachbearbeitern aus: Während der Inspecteur traditionell als weithin autonom bei der Auslegung und Anwendung des Gesetzes galt, steht spätestens seit der sog. Wibo-van-der-Linde-Affäre fest, dass der Staatssekretär dem einzelnen Inspecteur gegenüber bei der Auslegung und Anwendung des Gesetzes weisungsbefugt ist, von dieser Weisungsbefugnis jedoch zur Wahrung der Gleichbehandlung in möglichst abstrakter Weise – d.h. durch Veröffentlichung von Beleidsregels – Gebrauch machen soll.704 Die Vorbereitung des Beleid war seit der Reorganisation zunächst für die jeweiligen Steuerarten den einzelnen Ressortchefs (portefeuillehouders) übertragen. Mit Abschaffung dieser Ressorts im Jahr 2000 ist diese Verantwortung auf das Zentrum für Prozess- und Produktentwicklung des Belastingdienst (CPP) übergegangen, d.h. das Beleid wird regelmäßig durch das CCP entwickelt und anschließend durch den Staatssekretär ausgefertigt und veröffentlicht.705 Einzelheiten rund um die Entwicklung, Veröffentlichung und Anwendung von Beleidsregels sind – ebenfalls in Form einer Beleidsregel – durch den Staatssekretär erstmalig 1995 festgelegt und inzwischen in einem Beschluss aus dem Jahre 2001 erneuert worden.706 Auch Stellungnahmen der Kennisgroepen werden erst dann als Beleid veröffentlicht, wenn sie durch das CPP inhaltlich überprüft und durch den Staatssekretär ausgefertigt worden sind. Auf diese Weise soll zum einen die Konsistenz und Einheitlichkeit des Beleid gewahrt werden; zum anderen kann erforderlichenfalls eine Stellungnahme des DG voor Fiscale Zaken eingeholt und damit die Übereinstimmung des Beleid mit aktuellen Gesetzesvorhaben überprüft werden. Wird eine Stellungnahme einer Kennisgroep nach Prüfung auf zentraler Ebene verworfen und hat zwischenzeitlich bereits ein Sachbearbeiter auf der Grundlage der Stellungnahme eine Entscheidung gegen einen Steuerpflichtigen getroffen, so wird der Steuerpflichtige in sei704 Anlass dieser Affäre war die Aufforderung des damaligen Staatssekretärs an den zuständigen Inspecteur, die Steuerfestsetzung von van der Linde entgegen seiner eigenen Einschätzung nach den Wünschen des Staatssekretärs abzuändern. Daraus entspann sich eine Debatte über das Verhältnis zwischen dem für den Vollzug der Steuergesetze politisch verantwortlichen Staatssekretär und dem nach dem Gesetzeswortlaut mit der Steuerfestsetzung betrauten Inspecteur (vgl. art. 11 AWR), an deren Ende die Erkenntnis stand, dass der Staatssekretär sehr wohl Einfluss auf die Amtsführung durch den Inspecteur nehmen kann, vgl. Happé, Schuivende machten, S. 7; ders., Drie beginselen, S. 59 ff.; Motie Couprie, Kamerstukken II 1985/86, 19 022, nr. 15. 705 Slijpen im Interview mit van Eijck/Kamminga, Vakblad Financiële Planning 3/2000, 3, 6. Handelt es sich jedoch um die Entwicklung von Beleid aus Anlass von Anfragen aus dem Parlament, gesellschaftlicher Entwicklungen etc., so ist unmittelbar das DG der Belastingen zuständig, vgl. Besluit v. 15.6.2001, nr. RTB2001/1917M, Stcrt. nr. 121. 706 Besluit v. 15.6.2001, nr. RTB2001/1917M, Stcrt. nr. 121.
B. „Beleid“ als zentrales Handlungsinstrument
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nem Vertrauen auf diese Entscheidung durch die allgemeinen Grundsätze ordnungsgemäßen Verwaltungshandelns geschützt.707
III. Publizität Die Frage, ob Beleid veröffentlicht werden muss, war vor Inkrafttreten des Awb umstritten. Sowohl Steuerrechtswissenschaftler als auch Berater hatten sich überwiegend für eine umfassende Veröffentlichung von Beleidsregels ausgesprochen.708 Mittlerweile normieren art. 3:42 Awb und unter engeren Voraussetzungen auch art. 8 lid 1 Wob eine entsprechende Veröffentlichungspflicht. An private Veröffentlichungen, z. B. in Praktikerhandbüchern oder Fachzeitschriften, ist die Finanzverwaltung nicht gebunden.709 Innerhalb des Belastingdienst werden Beleidsregels schnell und effizient über das Intranet bekannt gemacht.
IV. Einheitlichkeit des Beleid versus Flexibilität Die umfangreichen Abstimmungen auf einzelnen Ebenen, die zur Feststellung von Beleidsregels im Steuerrecht aufgrund des Beschlusses des Staatssekretärs seit 1995 und insbesondere seit 2001 erforderlich sind, sollen einen landesweit einheitlichen Vollzug der Steuergesetze gewährleisten. Durch die zunehmende Reglementierung der Formulierung von Beleidsregels ist dieser Prozess jedoch auch zeitintensiver und schwerfälliger geworden. Klein Sprokkelhorst spricht von einer Verstarrung,710 Stevens warnt vor einer „Bürokratisierung“.711 Landesweit einheitliche Regelungen lassen keinen Raum für die Berücksichtigung individueller Besonderheiten. Damit ist das Dilemma zwischen der sog. eenheid van beleid, d.h. der Vereinheitlichung des Beleid und der daraus resultierenden einheitlichen Gesetzesanwendung einerseits und der Einräumung weiter Spielräume für flexible Absprachen mit den Steuerpflichtigen im Einzelfall andererseits angesprochen. van der Ouderaa bezeichnet dies als Konflikt zwischen „maßgeschneiderten 707 Vgl. Stellungnahme des Staatssekretärs, Persbericht nr. 2002.181 v. 19.7.2002, abrufbar unter . 708 So z. B. Zwemmer, WFR 1990, 526, der nicht zwischen den einzelnen Ausführungsebenen differenziert, sondern auch die Veröffentlichung von Absprachen mit dem lokal zuständigen Finanzamt fordert. 709 HR v. 19.6.1991, nr. 27 125, BNB 1991/330; Engwerda, Beginselen van behoorlijk bestuur, S. 19. 710 Klein Sprokkelhorst im Interview mit Kik, BM 12/1999, 23, 24. Ähnlich van der Wal, WFR 2001, 45, 49. Vennix, Account 12/2000, 32, 33, weist auf die vielfältige Kritik von Seiten der Berater hin. 711 Stevens, Fiscus, S. 54. Kritisch auch van der Wal, WFR 2001, 45.
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4. Kap.: Steuerung und Evaluation des Belastingdienst
Lösungen“ und „Konfektion“.712 Während die Bereitschaft, Standpuntbepalingen in Einzelfällen zu treffen, mit dem Bemühen um Serviceleistung gegenüber den Steuerpflichtigen korrespondiert,713 behindert sie zugleich das Bestreben, die Steuergesetze möglichst gleichmäßig zu vollziehen. Hinzu kommt, dass zwar der Staatsekretär für das Handeln des Belastingdienst die politische Verantwortung trägt und deshalb befugt sein muss, landesweit einheitliches Beleid festzustellen, das Gesetz aber Kompetenzen wie die Steuerfestsetzung dem Inspecteur überträgt. Nach wie vor ist deshalb unklar, wie viel Spielraum dem Inspecteur bzw. den von ihm ermächtigten Beamten zukommt und ob sie landesweit geltende Beleidsregels auf ihre Anwendbarkeit auf den Einzelfall prüfen dürfen bzw. ggf. sogar müssen.714 Dieses Dilemma beschäftigt den Belastingdienst bereits seit einigen Jahren und konnte bislang nicht befriedigend aufgelöst werden. So hat der Belastingdienst erst kürzlich (im April 2002) ein Symposium unter dem bezeichnenden Titel „Beleidsvrijheid, hoeksteen of molensteen in de praktijk” (Ermessens- und Beurteilungsspielräume, Eckstein oder Mühlstein in der Praxis) organisiert. Sichtbar geworden ist der Konflikt insbesondere im Laufe der 1990er Jahre. Die traditionelle Kompromissbereitschaft des Belastingdienst hat während und nach der Reorganisation Ende der 1980er Jahre/Anfang der 1990er Jahre einen deutlichen Auftrieb erhalten715 und die Steuerpflichtigen konnten relativ einfach eine Standpuntbepaling (dazu 1. Kap.) des Belastingdienst erhalten. Grund dafür dürfte nicht allein die stärkere Ausrichtung auf die Steuerpflichtigen (klantgerichtheid), sondern vermutlich auch die enorme Arbeitsbelastung gewesen sein, die die Reorganisation mit sich gebracht hat.716 Mittlerweile ist ein entgegengesetzter Trend zu beobachten, dessen Ursachen vielschichtig sind: Zum einen hat die bisherige RulingPolitik der Niederlande im Zusammenhang mit dem Fokus auf sog. schäd712
van der Ouderaa in: Burgerschap in praktijken, S. 43, 48. Vgl. die Mitteilung des Staatsekretärs für Finanzen an den Finanzausschuss des Parlaments v. 9.2.2000, nr. AFZ 1999/3727M. 714 Für eine entsprechende Pflicht van der Wal, WFR 2001, 45, 48. Seiner Ansicht nach hat jeder Steuerpflichtige einen Anspruch darauf, dass die Steuergesetze vor dem Hintergrund seines konkreten Falles ausgelegt werden, sodass die Einzelfallgerechtigkeit immer Vorrang vor der Wahrung des gleichmäßigen Gesamtvollzugs hat. 715 Auf die wachsende Bedeutung des sog. vooroverlegs, d.h. die Vorlage einer konkreten Frage bzgl. einer geplanten unternehmerischen Maßnahme an den Belastingdienst zwecks Erzielung einer Verständigung über deren steuerliche Konsequenzen ex ante weist aus eigener Anschauung auch Bosch im Interview mit Vennix, BM 10/1993, 24, 26 f. hin. 716 Klein Sprokkelhorst im Interview mit Kik, BM 12/1999, 23, 24; ähnlich auch Boersma im Interview mit Bergman, BM 7/1993, 18, 19. 713
B. „Beleid“ als zentrales Handlungsinstrument
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lichen Steuerwettbewerb Kritik innerhalb der EU hervorgerufen.717 Zum anderen sind dem Klantmanager zunehmend Spezialisten für schwierige Detailprobleme an die Seite gestellt worden. Durch den Zusammenschluss dieser Spezialisten in Fachgruppen und die Einrichtung von Kennisgroepen ist der Spielraum des einzelnen Sachbearbeiters eingeschränkt worden. So werden Standpuntbepalingen mittlerweile auch als „de-facto-Beleid“ bezeichnet, weil deren Formulierung durch die Einschaltung der Kennisgroepen nicht mehr für den Einzelfall vor Ort, sondern aufgrund zentraler Abstimmung und Beratung erfolgt.718 Hinzu kommt, dass sich die Steuerpflichtigen in den vergangenen Jahren vor Gericht vermehrt erfolgreich auf den Gleichheitsgrundsatz berufen haben und von Standpunkten, die Sachbearbeiter anderen Steuerpflichtigen gegenüber eingenommen hatten, profitieren konnten. Nachdem der frühere Staatssekretär für Finanzen Vermeend darüber hinaus mehrfach für divergierendes Beleid einzelner Ämter politisch verantwortlich gemacht worden war, hat er auf eine entsprechende Zentralisierung und Vereinheitlichung der Entwicklung von Beleid gedrungen und angeordnet, dass in sog. Standpuntbepalingen nicht von bestehenden Beleidsregels abgewichen werden darf.719 Der Belastingdienst hat sich dementsprechend die Sicherung der Einheitlichkeit des Beleid ausdrücklich zum Ziel gesetzt.
V. Bewertung Während die Differenzierung in der Behandlung einzelner Zielgruppen als solche insgesamt wenig Aufmerksamkeit in der Fachliteratur geweckt hat, beschäftigte das Thema „Öffentlichkeit und Einheitlichkeit von Beleid“ schon seit Beginn der 1990er Jahre die Gerichte und war Gegenstand zahlreicher Symposien, Beiträge, Feldforschungen etc. Forderungen nach einer Vereinheitlichung des Gesetzesvollzugs sind von verschiedenen Seiten an den Belastingdienst herangetragen worden.720 Die Niederländer sorgen sich demnach offensichtlich weniger um eine offene, generelle Ungleichbehandlung von Gruppen von Steuerpflichtigen als vielmehr um singuläre und re717
Vgl. den sog. Primarolo-Bericht (Verhaltenskodex Unternehmensbesteuerung), der dem Ministerrat am 29.11.1999 vorgelegt worden ist und in dessen Anlage A niederländische Rulings als wettbewerbsschädlich aufgelistet sind. 718 So u. a. Bellingwout in seiner Einleitung zum Symposium „Eenheid van beleid en uitvoering” v. 29./30.11.2001, abgedruckt im Tagungsbericht, DGB023134d, abrufbar unter . 719 Besluit v. 15.6.2001, nr. RTB2001/1917M, Stcrt. nr. 121; van Lunteren im Interview mit de Vos, Binnenlands Bestuur v. 31.3.2000, 20, 21; Vennix, Account 12/2000, 32. 720 Vgl. z. B. van Leijenhorst, WFR 1990, 506, 508; Stevens, WFR 1990, 512, 521; Verburg, WFR 1990, 497.
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4. Kap.: Steuerung und Evaluation des Belastingdienst
gionale Ungleichbehandlungen durch einzelne Sachbearbeiter, was z. B. im Streit um die Veröffentlichung von Rulings zum Ausdruck kommt. Die verstärkte Berufung der Steuerpflichtigen auf den Gleichheitsgrundsatz erforderte innerhalb des Belastingdienst ein Umdenken: Während der Wahrung des Gleichheitsgrundsatzes in der täglichen Arbeit des Belastingdienst nach Einschätzung von Bakker noch in den 1970er Jahren kaum Bedeutung zugemessen wurde,721 bemüht der Belastingdienst sich nunmehr um eine größere Uniformität bei der Steuerfestsetzung zugunsten der Gleichmäßigkeit des Gesamtvollzugs.722 Allerdings scheint dieser Kurswechsel in Richtung auf eine größere Einheitlichkeit des Beleid durch die Zentralisierung von Standpuntbepalingen und die Stärkung der Kennisgroepen mit einer zunehmenden Opazität einherzugehen: Während die Transparenz der Finanzverwaltung in den vergangenen 20 Jahren nicht zuletzt aufgrund verschiedener Untersuchungen der Rekenkamer (z. B. zur Veröffentlichung von Rulings) zugenommen hat,723 beklagen sich Steuerpflichtige und Berater mittlerweile darüber, dass die Entscheidungsfindung bei der Beantwortung einer Rechtsfrage, die ein Sachbearbeiter einer Kennisgroep als Back-Office vorlegt, und sogar die Art und Weise, wie die Fragen formuliert werden im Dunkeln bleiben, wodurch eine hinderliche Distanz zwischen den betroffenen Steuerpflichtigen und den Entscheidungsträgern geschaffen werde.724 Außerdem verlängert die Einschaltung von Kennisgroepen den gesamten Vorgang in zeitlicher Hinsicht725 und führt zu einer Bürokratisierung. Auch bei den Sachbearbeitern, deren Entscheidungsspielraum beschränkt wird, stößt die Einführung der Kennisgroepen auf Kritik.726 721 Vgl. Bakker, WFR 1999, 1402, 1403, der sich auf seine eigenen Erfahrungen beim Belastingdienst bezieht. 722 HR v. 16.12.1998, nr. 33 327, BNB 1999/165. Vgl. auch die Einleitung des Staatssekretärs für Finanzen auf der Tagung „Beleidsvrijheid, hoeksteen of molensteen in de praktijk” v. 11.4.2002, abrufbar unter . 723 s. auch Peppelenbosch/Grotenhuis, Computerrecht 1991, 157 f. 724 So äußerte sich z. B. Bellingwout vom Nederlandse Orde van Belastingadviseurs anlässlich einer gemeinsam mit dem Belastingdienst unter Leitung von Prof. Happé im November 2001 durchgeführten Tagung zum Thema „Eenheid van beleid en uitvoering”, vgl. den Tagungsbericht, DGB02-3134d, abrufbar unter . Zu den entsprechenden Klagen von Unternehmen auch Swildens, Ontwikkelingen in de wijze van heffing, S. 13, 19; Vennix, Account 12/2000, 32, 34. 725 Nach Angaben des Staatssekretärs betrug die durchschnittliche Bearbeitungsdauer für einer kennisgroep vorgelegte Rechtsfragen im Jahr 2001 47 Tage, vgl. Persbericht v. 19.7.2002, nr. 2002.181, abrufbar unter . 726 So waren im Jahr 2000 bei internen Untersuchungen des Belastingdienst 35– 51% der Befragten (je nach Hierarchieebene bzw. Funktion) der Ansicht, es gäbe Situationen, in denen die Befolgung landesweit einheitlicher beleidsregels unangebracht sei, vgl. die Ergebnisse der im Auftrag des Staatssekretärs durchgeführten
C. Externe Evaluation
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Diese Reaktionen auf die Vereinheitlichung von Standpuntbepalingen und Beleidsregels zeigen zugleich, dass es eine für alle Beteiligten zu 100% zufriedenstellende Lösung dieser Interessengegensätze nicht geben kann: Gibt der Belastingdienst dem Wunsch nach Flexibilität nach und schafft mehr Entscheidungsspielraum für die einzelnen Sachbearbeiter, so beschweren sich Steuerpflichtige und Berater über Ungleichbehandlungen; zentralisiert er die Formulierung von Standpuntbepalingen und Beleid, so kritisieren Steuerpflichtige und Berater die Verstarrung des Verfahrens und die mangelnde Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls. Hinzu kommt noch eine weitere Abwägung, nämlich die zwischen der Nutzung von Synergieeffekten durch Bündelung der Bearbeitung von Anträgen auf Standpuntbepalingen in entsprechenden Wissenszentren einerseits und der Kenntnis des Einzelfalls, der Person des Steuerpflichtigen etc. durch den Finanzbeamten vor Ort andererseits. Auch wenn sich die geschilderten Konflikte nicht vollständig lösen lassen, so ist die derzeitige Auseinandersetzung zwischen den Beteiligten zu begrüßen, weil sich ein Ausgleich der Interessen nur im Diskurs erzielen lässt. Ein besonderer Aspekt, der die Haltung des Belastingdienst wesentlich bestimmt, findet dabei jedoch m. E. nicht genügend Beachtung: Der Belastingdienst strebt insgesamt eine größere Standardisierung an, weil dadurch Arbeitsabläufe effizienter eingerichtet werden können und ein hohes Maß an Standardisierung insbesondere für die Automatisierung von Prozessen unabdingbar ist. Schon allein deshalb wird die Zielsetzung, das Beleid zu vereinheitlichen, auch in den kommenden Jahren eine prominente Rolle spielen.
C. Externe Evaluation Neben der im Zusammenhang mit dem Steuerungskonzept dargestellten internen Kontrolle unterliegt der Belastingdienst auch externer Kontrolle durch eine Vielzahl von Instanzen. Dazu zählen zum einen Instanzen, die aufgrund (geschriebenen) Rechts dazu befugt und ggf. verpflichtet sind, Entscheidungen des Belastingdienst und dessen Arbeitsweise zu kontrollieren, wie das Parlament, der Rechnungshof, der Ombudsman und die Gerichte. Zum anderen erfolgt eine Kontrolle auch durch Reaktionen von Personengruppen, die mit dem Belastingdienst besonders eng verbunden sind, wie die Steuerpflichtigen, die Berater und die Steuerrechtswissenschaftler. Auch wenn Reaktionen dieser Gruppen für den Belastingdienst rein rechtlich betrachtet unerheblich sind, kann der Belastingdienst sie dennoch nicht Studie „Evaluatie eenheid van beleid en uitvoering” v. 31.10.2000, RTB 20003171M, abrufbar unter .
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4. Kap.: Steuerung und Evaluation des Belastingdienst
einfach ignorieren, weil dies zum einen der Compliance-Strategie schaden würde und weil die Reaktionen dieser Gruppen zum anderen eine wichtige Ergänzung eigener Qualitätsüberprüfungen sind und die eigene „Betriebsblindheit“ ausgleichen können. Ein Problem jedweder externen Kontrolle ist jedoch, dass sie überwiegend auf Informationen beruht, die der Belastingdienst zur Verfügung stellt.727
I. Parlament Dem Parlament gegenüber tragen der Finanzminister bzw. sein Staatssekretär, auf den der Finanzminister diese Zuständigkeit traditionell überträgt, die politische Verantwortung für die Handlungen des Belastingdienst.728 Diese Kontrolle erfolgt zum einen auf der Basis des Jahres- und des Verwaltungsberichts, mit denen der Belastingdienst jährlich Rechenschaft über die Verwendung der ihm zur Verfügung gestellten Finanzmittel und die Erreichung bzw. Nichterreichung bestimmter Zielsetzungen ablegt. Hier gilt allerdings in besonderem Maße die Einschränkung, dass die zweite Kammer sich auf die Zahlen und Informationen des Belastingdienst selbst verlassen muss. Darüber hinaus verantwortet sich das Finanzministerium dem Parlament gegenüber im sog. Slotwet (Abschlussgesetzt), in dem ebenfalls Angaben zur Arbeitsweise des Belastingdienst und zu den damit verbundenen Kosten im abgeschlossenen Haushaltsjahr enthalten sind. Daneben ist der Staatssekretär dem Parlament gegenüber für das von ihm geführte Beleid verantwortlich und wird immer wieder aufgefordert, zu Fragen von Abgeordneten und insbesondere von Mitgliedern des Finanzausschusses sowohl hinsichtlich aktueller Entscheidungen als auch z. B. anlässlich eines Berichts der Rekenkamer (s. u.) oder des aktuellen Fiscale Monitor (s. u.) Stellung zu nehmen.729 Darauf, dass der Einfluss des Parlaments auf die tatsächlichen Zielsetzungen des Belastingdienst relativ gering ist, deutet das Beispiel der Prüfungsdichte hin: Nachdem der Belastingdienst die prominente Zielsetzung, die Prüfungsdichte auf 1:6 pro Steuerpflichtigem anzuheben (s. o. 3. Kap.), über Jahre hinweg nicht hatte erreichen können, änderte er die Zielsetzung 727
de Kam im Interview mit van Osch/van Rijswijk, Elsevier v. 11.3.2000, 74,
81. 728
Gribnau, Rechtsbetrekking, S. 182 f. s. z. B. die Antworten des Staatsekretärs für Finanzen auf Fragen von Abgeordneten anlässlich des Berichtes der Rekenkamer zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung und -umgehung bei der Körperschaftsteuer v. 15.1.1999, nr. PFC98.1350. Dieses Fragerecht ergibt sich aus art. 68 Gw. Vgl. zu der Verantwortung des Staatssekretärs für Finanzen gegenüber dem Parlament auch Happé, Drie beginselen, S. 68. 729
C. Externe Evaluation
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in eine Prüfungsdichte von 1:6 pro Entität um und ließ die Zielsetzung mittlerweile fallen, ohne dass das Parlament dem hätte entgegenwirken können.730
II. Algemene Rekenkamer Für die Kontrolle der Reichsfinanzen und für die Haushaltsführung durch den Finanzminister ist die Algemene Rekenkamer (Rechnungshof, dem deutschen Bundesrechnungshof bzw. den Landesrechnungshöfen vergleichbar) zuständig, art. 76 Gw, art. 82, 83 Comptabiliteitswet (CW 2001, Rechnungsprüfungsgesetz). Die Kontrolle umfasst nicht bloß die Rechtmäßigkeit des Handelns des Finanzministers, sondern auch dessen Zweckmäßigkeit, art. 85 CW 2001. Die Ergebnisse ihrer Kontrollen hält die Rekenkamer in Berichten fest, die dem Parlament übermittelt werden, art. 84 lid 1 CW 2001. Darüber hinaus kann die Rekenkamer auch auf Antrag des Parlaments einzelne Vorgänge untersuchen und hat sich in der Vergangenheit mehrfach mit einzelnen Aspekten der Arbeitsweise des Belastingdienst beschäftigt. In den Jahren 1997 und 1999 stand z. B. die Integrität und Datensicherheit auf dem Prüfstand. Nach der Durchführung von Untersuchungen bei einigen Ämtern des Belastingdienst kritisierte die Rekenkamer in ihrem Abschlussbericht insbesondere die undeutliche Regelung des Zugangs zu Informationen und wies darauf hin, dass die meisten Mitarbeiter Zugang zu mehr vertraulichen Daten von Steuerpflichtigen hätten, als für ihre Arbeit erforderlich sei.731 Offensichtlich hat der Datenschutz beim Belastingdienst über einen längeren Zeitraum hinweg eine geringere Priorität gehabt als die Beschleunigung der Arbeitsprozesse. Ein weiteres Augenmerk der Rekenkamer gilt der Bekämpfung der Umgehung und des Missbrauchs von Rechtsvorschriften (Misbruik en oneigenlijk gebruik, vgl. 2. Kap.). Darüber hinaus hat sich die Rekenkamer mehrfach mit der Ruling-Politik beschäftigt und die zunächst mangelhafte Transparenz und die Möglichkeit eines Inspecteur-shopping kritisiert, bei dem die Steuerpflichtigen sich den für ihr Ansinnen günstigsten Entscheidungsträger aussuchen.732 Der Rechnungshof hat zwar die Befugnis, sich innerhalb des Belastingdienst selbst von den Gegebenheiten zu überzeugen und muss sich deshalb 730
van der Ouderaa in: Burgerschap in praktijken, S. 43, 82 ff. Algemene Rekenkamer, Rapport „Informatiebeveiliging Belastingdienst” v. 24.3.1997, Kamerstukken II 1996/97, 25 290, nrs. 1–2 sowie Rapport „Omgaan met vertrouwelijke gegevens bij de Belastingdienst”, Kamerstukken II 1999/00, 26 887, nr. 2, S. 22. 732 Kamerstukken II, 1986/87, 20 485, nr. 1, 2. Dieser Bericht hat unter anderem zu einer verstärkten Veröffentlichung von Rulings geführt. 731
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eigentlich nicht ausschließlich auf die durch den Belastingdienst zur Verfügung gestellten Zahlen und Informationen verlassen. de Kam wirft der Rekenkamer jedoch vor, dass sie von dieser Befugnis kaum Gebrauch macht.733 Der Präsident der Rekenkamer Koning stellt diese Zurückhaltung in den Kontext der sich seit den 60er Jahren nur allmählich verbessernden Beziehung zwischen dem Belastingdienst und der Rekenkamer:734 Der Belastingdienst hatte zunächst nur zögerlich mit der Rekenkamer kooperiert. Mittlerweile sind Untersuchungen der Rekenkamer beim Belastingdienst jedoch an der Tagesordnung und die Berichte der Rekenkamer veranlassen immer wieder auch Parlamentarier zu kritischen Nachfragen beim Belastingdienst (s. o.).
III. Nationale Ombudsman 1. Aufgaben Der Nationale Ombudsman findet als Institution keine unmittelbare Entsprechung in Deutschland. Seine Aufgaben und Befugnisse sind im Wet Nationale Ombudsman (Wet NO, Gesetz über den nationalen Ombudsman) geregelt.735 Er wird durch die zweite Kammer des Parlaments für eine Amtszeit von sechs Jahren benannt (art. 2 lid 1 Wet NO) und kann als unabhängiges Staatsorgan auf Antrag oder auch eigeninitiativ das Verhalten von Beamten (des Reiches) gegenüber natürlichen und juristischen Personen untersuchen (art. 12 lid 1, art. 15 Wet NO). Der Ombudsman prüft, ob die Verwaltung „behoorlijk“, d.h. „anständig“ bzw. „ordnungsgemäß“ gehandelt hat. Diese weite Formulierung schließt neben der Überprüfung, ob Rechtsvorschriften (einschließlich der im Grondwet und in internationalen Verträgen niedergelegten Menschen- und Grundrechte) eingehalten worden sind, auch die Überprüfung von Interessenabwägungen sowie der Sorgfältigkeit des Verwaltungshandelns mit ein,736 d.h. der Ombudsman kann eine Rechts- und Zweckmäßigkeitsprüfung vornehmen. Was den Belastingdienst angeht, so können sich Beschwerden beim Ombudsman gegen jedwede Maßnahme des Belastingdienst einem Steuerpflichtigen gegenüber richten.737 733 So der Vorwurf von de Kam im Interview mit van Osch/van Rijswijk, Elsevier v. 11.3.2000, 74, 81. 734 Koning in: FS Moltmaker, S. 99, 103 f. 735 Zur geschichtlichen Entwicklung dieses Amtes Smit, Nationale ombudsman, S. 13. 736 Vgl. die Auflistung bei Smit, FED 1997, nr. 891, S. 3437, 3453 f. 737 Wasch, Onderneming en Fiscus, S. 63.
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Die Funktion des Ombudsman ist einerseits eine kompensatorische, indem er den Antragstellern oftmals zum gewünschten Erfolg verhilft und z. B. dafür sorgt, dass eine Steuerschuld erlassen oder ein verspäteter Einspruch berücksichtigt wird. Nicht selten bewirkt bereits die bloße Ankündigung, den Ombudsman einschalten zu wollen, dass die Verwaltung ihren Standpunkt im konkreten Fall noch einmal überdenkt.738 Von ebenso großer Bedeutung ist jedoch die general-präventive Wirkung, die von einer Anrufung des Ombudsman ausgeht: Die Untersuchungen des Ombudsman, die sich an sich nur jeweils auf den konkreten Einzelfall beziehen, veranlassen die Behörden häufig, ihr Handeln über diesen Einzelfall hinaus zu überdenken und anzupassen. Der Ombudsman wird grundsätzlich nicht tätig, wenn in derselben Angelegenheit dem Bürger ein (verwaltungsrechtlicher oder gerichtlicher) Rechtsweg offen steht.739 Davon kann lediglich in Ausnahmefällen abgesehen werden, z. B. wenn es sich um einen Wiederholungsfall handelt oder Eile geboten ist. In steuerrechtlichen Angelegenheiten gilt die Subsidiarität der Anrufung des Ombudsman auch, wenn ein Rechtsweg zwar offen gestanden hätte, der Bürger es aber verabsäumt hat, diesen innerhalb der dafür vorgesehenen Frist zu beschreiten, art. 16 onder f Wet NO. Der Ombudsman tritt somit weder in direkte Konkurrenz zu den Gerichten noch schmälert er die Bedeutung von Widerspruchsverfahren und sonstigen verwaltungsrechtlichen Rechtsbehelfen. Über seine Aktivitäten informiert er das Parlament und die Öffentlichkeit in Jahresberichten, art. 28 Wet NO. 2. Verfahren Wird der Ombudsman auf Antrag eines Bürgers tätig, so kann er entweder kurzfristig intervenieren (sog. Interventiemethode) oder aber eine umfangreiche Untersuchung (sog. Dossieronderzoek) durchführen. Bei kurzfristigen Interventionen übernimmt der Ombudsman die Rolle eines Vermittlers740 zwischen dem Bürger auf der einen und der Verwaltung auf der anderen Seite und versucht, dem betroffenen Bürger mit dessen Anliegen zum Erfolg zu verhelfen. Misst der Ombudsman der Angelegenheit Bedeutung über den Einzelfall hinaus zu, so kann er im Anschluss an seine Intervention noch zu einer umfassenden Untersuchung übergehen. Bei seinen Untersuchungen ist der Ombudsman nicht an das Vorbringen des Bürgers oder der Verwaltung gebunden, sondern bestimmt den Umfang seiner Un738
Pechler, Ombudsvoorzieningen, S. 168. Wasch, Onderneming en Fiscus, S. 63. 740 Smit bezeichnet den Ombudsman in diesem Zusammenhang als „Eisbrecher“, FED 1997, nr. 891, S. 3437, 3440. 739
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4. Kap.: Steuerung und Evaluation des Belastingdienst
tersuchungen selbst.741 Der Ombudsman kann Unterlagen anfordern, Zeugen befragen sowie Örtlichkeiten (mit Ausnahme von Wohnräumen) in Augenschein nehmen. Die Untersuchungen münden in einen Bericht des Ombudsman, in dem er ggf. eine Empfehlung ausspricht bzw. entsprechende Maßnahmen vorschlägt, soweit er die betreffende Beschwerde für begründet hält. Die Stellungnahmen des Ombudsman sind für die Verwaltung (und auch für die Gerichte) an sich zwar nicht bindend, doch bewirkt der öffentliche und politische Druck, der von den Untersuchungen des Ombudsman ausgeht, dass z. B. in steuerlichen Angelegenheiten ca. 95% der Stellungnahmen durch die Finanzverwaltung umgesetzt werden.742 In der Regel verknüpft der Ombudsman seine Empfehlung mit der Aufforderung, ihn nach einer bestimmten Zeitspanne über die Auswirkungen der getroffenen Maßnahmen zu unterrichten. Über die Reaktion der betroffenen Institutionen informiert der Ombudsman außerdem regelmäßig das Parlament, das sich der Sache gegebenenfalls annehmen kann, falls die Stellungnahme des Ombudsman nicht berücksichtigt wird.743 Zu den Vorschlägen des Ombudsman in steuerrechtlichen Angelegenheiten nimmt üblicherweise der Staatssekretär für Finanzen Stellung. Im Falle von Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Ombudsman und dem Staatssekretär für Finanzen hat die zweite Kammer das letzte Wort und kann die Finanzverwaltung zwingen, eine bestimmte Position des Ombudsman in Zukunft zu beherzigen.744 Die Inanspruchnahme des Ombudsman bringt für den Bürger keine Kosten mit sich, insbesondere muss kein Rechtsanwalt eingeschaltet werden. 3. Verhältnis gegenüber dem Belastingdienst Seit Jahren beschäftigt sich der Ombudsman zu einem großen Teil mit Beschwerden anlässlich von Handlungen bzw. Unterlassungen des Belastingdienst, was angesichts der Größe des Belastingdienst nicht verwundert. Gegenstand der Untersuchungen des Ombudsman waren in der Vergangenheit vor allem lange Bearbeitungszeiten sowie unzureichende Informationen für die Steuerpflichtigen.745 Besondere Bedeutung hat der Ombudsman im Steuerrecht als Vorkämpfer auf dem Gebiet des Ausgleichs von Schäden, 741
Smit, FED 1997, nr. 891, S. 3437, 3441. Smit, FED 1997, nr. 891, S. 3437, 3438. 743 Pechler, Ombudsvoorzieningen, S. 167. 744 van Schie/de Kam/Lamens/Haas, Belastingrecht, S. 71; ausführlich zu der Rolle des Nationale Ombudsman auf dem Gebiet des Steuerrechts Smit, Nationale ombudsman. 745 Smit, Nationale ombudsman, S. 41, 52. 742
C. Externe Evaluation
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Zinsnachteilen und Kosten erlangt.746 Mit Einführung der Compliance-Strategie zu Beginn der 1990er Jahre hat der Belastingdienst sein Verhältnis dem Ombudsman gegenüber revidiert und verhält sich seitdem bedeutend kooperativer.747
IV. Richterliche Kontrolle Der Aufbau der Gerichtsbarkeit ist bereits im ersten Kapitel skizziert worden. Als höchste Instanz kommt dem Hoge Raad für die Rechtsprechung in steuerlichen Angelegenheiten besondere Bedeutung zu.
1. Prüfungsmaßstab Gem. art. 79 lid 1 onder b Wet RO entscheidet der Hoge Raad über Rechtsverletzungen („schending van het recht”), d.h. er überprüft die Auslegung von Rechtsvorschriften. Der Begriff der Rechtsvorschriften in diesem Sinne wird weit ausgelegt. Darunter fallen neben den formellen Gesetzen auch Gesetze im materiellen Sinne sowie – seit der bahnbrechenden Entscheidung des Hoge Raad aus dem Jahr 1990748 – auch Beleidsregels, sofern diese durch einen Träger öffentlicher Gewalt innerhalb seines Zuständigkeitsbereichs festgestellt und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden sind. Außerdem können Maßnahmen der Finanzverwaltung durch die Gerichte auch auf ihre Vereinbarkeit mit ungeschriebenen Rechtsgrundsätzen, den sog. algemene rechtsbeginselen, überprüft werden.749 Allerdings soll dies nach umstrittener Ansicht nicht für Gesetze im formellen Sinne gelten.750 Hinsichtlich der Prüfung von Beleidsregels gilt insoweit eine Besonderheit, als die Gerichte nicht verpflichtet sind, diese Vorschriften von Amts wegen zu berücksichtigen.751
746 Vgl. die Zusammenfassung entsprechender Sachverhalte bei Smit, FED 1997, nr. 891, S. 3437, 3443 ff. 747 Pechler, Ombudsvoorzieningen, S. 166 f. 748 HR v. 28.3.1990, nr. 25 668, BNB 1990/194. 749 Vgl. z. B. HR v. 8.1.1986, nr. 23 034. 750 Vgl. die Stellungnahme des Advocaat-generaal Mok zu HR v. 14.4.1989, nr. 13 822, NJ 1989, 469 m. w. N. 751 HR v. 28.3.1990, nr. 25 668, BNB 1990/194; Happé, Drie beginselen, S. 142 f. Diese Beschränkung ist aus praktischen Gründen erforderlich, da von den Richtern angesichts der Vielzahl von beleidsregeln nicht erwartet werden kann, die im Einzelfall möglicherweise einschlägigen von Amts wegen zu ermitteln.
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4. Kap.: Steuerung und Evaluation des Belastingdienst
a) Grundrechte Die Grundrechte der niederländischen Verfassung binden den Gesetzgeber und die Verwaltung gleichermaßen. Wegen des in art. 120 Gw enthaltenen Prüfungsverbots spielen sie jedoch vor Gericht nur eine untergeordnete Rolle.752 Dies gilt auch für den in art. 1 Gw enthaltenen Gleichheitsgrundsatz. Eine größere Bedeutung als die Grundrechte der niederländischen Verfassung kommt den in internationalen und völkerrechtlichen Verträgen enthaltenen Grundrechten zu wie den in Art. 14 EMRK753 (in Verbindung mit Art. 1 des 1. Protokolls) und Art. 26 IVBPR754 enthaltenen Gleichheitsrechten, dem Recht auf ein faires Gerichtsverfahren aus Art. 6 EMRK sowie dem Schutz der Persönlichkeitssphäre aus Art. 8 und dem Eigentumsschutz aus Art. 1 des ersten Zusatzprotokolls. Doch obwohl sich die Steuerpflichtigen häufig auf diese Grundrechte berufen, ist deren Schutzwirkung begrenzt, da sie umfangreiche Beschränkungen für Besteuerungszwecke zulassen.755 b) Algemene beginselen van behoorlik bestuur Die Überzeugung, dass staatliche Organe in ihrem Handeln nicht nur an die Gesetze, sondern darüber hinaus an ungeschriebene Rechtsgrundsätze – die sog. algemene beginselen van behoorlijk bestuur (allgemeine Grundsätze ordnungsmäßigen Verwaltungshandelns) – gebunden sind, hat sich in den 1950er Jahren in der niederländischen Rechtsprechung entwickelt und ist seit den 1960er Jahren auch in der Rechtswissenschaft allgemein anerkannt.756 Mittlerweile hat der Gesetzgeber dieser Entwicklung Rechnung 752 Ausführlich zu den Kompetenzen niederländischer Richter, Maßnahmen der öffentlichen Gewalt auf ihre Vereinbarkeit mit den Grundrechten hin zu überprüfen, sowie zur Bedeutung der Grundrechte in der niederländischen Verfassung van Berk, Grundrechtsverständnis, S. 65 ff., 150 ff; Akkermans/Bax/Verhey, S. 47 ff., 192 ff. 753 Z. B. HR v. 17.8.1998, nr. 33 078, V-N 1998, 3386; HR v. 20.1.1999, nr. 32 618, V-N 1999, 599; Happé in: The Prinicple of Equality, S. 125, 131 ff. 754 HR v. 15.9.1999, nr. 34 441, BNB 1999/420; Hof Arnhem v. 7.7.1998, nr. 97M/0043, V-N 1999, 309; Gribnau, WFR 1995, 1889, 1897; Happé in: The Prinicple of Equality, S. 125, 130. 755 Geppaart, NJB 1995, 824, 825 ff. Zur Bedeutung dieser Grundrechte für das Steuerrecht van den Berge, WFR 2000, 895 ff. sowie Gribnau, WFR 2000, 902, 906 ff. 756 Für nähere Erläuterungen zur historischen Entwicklung der allgemeinen Grundsätze ordnungsgemäßen Verwaltungshandelns sowie deren Rechtsnatur s. Addink, Algemene beginselen, S. 5, 7 ff. Engwerda, Beginselen van behoorlijk bestuur, S. 11 ff.; Geppaart, AA 1991, 912 ff.; Gribnau, TFB 2000, 16, 17 ff.
C. Externe Evaluation
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getragen und einige dieser Prinzipien im Awb verankert. Das Awb findet grundsätzlich auch im Steuerecht Anwendung, doch ist mit der Kodifizierung weder eine abschließende Formulierung allgemeiner Grundsätze ordnungsgemäßen Verwaltungshandelns noch eine Verschlechterung der Rechtsposition der Bürger, wie sie sich nach den zuvor in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen dargestellt hat, beabsichtigt gewesen,757 sodass die praktischen Auswirkungen der Kodifizierung gering sind. Für den Bereich des Steuerrechts werden diese ungeschriebenen Rechtsgrundsätze auch als Prinzipien ordnungsgemäßer Besteuerung bezeichnet;758 die vom Belastingdienst besonders betonten Grundsätze der Effektivität und Effizienz des Verwaltungshandelns zählen jedoch nicht dazu.759 Die allgemeinen Grundsätze ordnungsmäßigen Verwaltungshandelns können im Einzelfall sogar Vorrang vor den Gesetzen genießen, d.h. die Anwendung von Gesetzen hat im Einzelfall ggf. zu unterbleiben, wenn anderenfalls ein Verstoß gegen einen Grundsatz ordnungsmäßigen Verwaltungshandelns festzustellen wäre.760 Dies hat der Hoge Raad 1978 in den sog. Doorbraakarresten („Durchbruchsentscheidungen“) zunächst für den Vertrauensschutzgrundsatz761 und 1979 für den Gleichheitsgrundsatz762 festgestellt und damit in gewisser Weise kompensiert, dass eine unmittelbare Überprüfung der formellen Gesetze anhand der ungeschriebenen Rechtsgrundsätze ausgeschlossen ist. Die Begriffe „Gesetzmäßigkeit“ und „Rechtmäßigkeit“ sind somit nicht deckungsgleich und das Legalitätsprinzip, an das der Belastingdienst nach art. 104 Gw gebunden ist, kann im Einzelfall durchbrochen werden. Die Grundsätze ordnungsmäßigen Verwaltungshandelns können in formelle und materielle Prinzipien unterteilt werden:763 Während die formellen Prinzipien die Art und Weise des Zustandekommens einer behördlichen Maßnahme betreffen (wie z. B. das Begründungsgebot, art. 3:46 Awb sowie das Gebot sorgfältiger Sachverhaltsermittlung, art. 3:2 Awb), beziehen sich 757
Gribnau, TFB 2000, 16, 19 f. So z. B. van Leijenhorst, WFR 1998, 889. 759 van Leijenhorst, WFR 1998, 889, 892. 760 Stevens, Basisboek Belastingen, S. 39. Damit nimmt das Steuerecht auch eine Sonderstellung innerhalb des Verwaltungsrechts ein: in allen anderen Bereichen des Verwaltungsrechts wird eine derartige contra-legem-Wirkung von Beleidsregels nur unter ganz engen Voraussetzungen angenommen, vgl. Scheltema, WFR 1990, 499, 502 f. 761 HR v. 12.4.1978, nr. 18 452/18 464/18 495, BNB 1978/135–137. 762 HR. v. 14.3.1979, nr. 19 173, BNB 1979/140; HR v. 6.6.1979, nr. 19 290, BNB 1979/211. 763 Vgl. z. B. Engwerda, Beginselen van behoorlijk bestuur, S. 13; Nicolaï, Beginselen van behoorlijk bestuur, S. 318. 758
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4. Kap.: Steuerung und Evaluation des Belastingdienst
die materiellen auf den Inhalt der Maßnahmen. Allerdings ist die Anwendbarkeit der formellen Prinzipien für das Steuerrecht weitgehend ausgeschlossen.764 Diejenigen Grundsätze ordnungsmäßigen Verwaltungshandelns, die auf dem Gebiet des Steuerrechts die größte Bedeutung haben – Gleichheitsgrundsatz und Vertrauensschutzgrundsatz – sind nicht im Awb kodifiziert. aa) Gleichheitsgrundsatz Der Hoge Raad hält die Finanzverwaltung aufgrund des Gleichheitsgrundsatzes als allgemeines Prinzip ordnungsgemäßen Verwaltungshandelns unter bestimmten Umständen für verpflichtet, eine für den Steuerpflichtigen günstige Entscheidung trotz entgegenstehender gesetzlicher Vorschriften zu treffen. Damit erkennt der Hoge Raad faktisch einen Anspruch auf Gleichheit im Unrecht an. Dies entspricht einer weitgehend einheitlichen Auffassung in der Literatur, wonach der Inspecteur und der Staatssekretär als mit der Ausführung der Steuergesetze beauftragte Organe zugleich befugt sind, in Ausnahmefällen von den gesetzlichen Vorschriften abzuweichen.765 In der Rechtsprechung sind die folgenden Fallgruppen entwickelt worden: (1) Begunstigend beleid Ein Vorrang des Gleichheitsgrundsatzes als allgemeines Prinzip ordnungsgemäßen Verwaltungshandelns ist zunächst für die Fälle anerkannt worden, in denen der Belastingdienst bestimmten (Gruppen von) Steuerpflichtigen gegenüber ein sog. begunstigend beleid, d.h. ein von der gesetzlichen Regelung zugunsten des Steuerpflichtigen abweichendes Beleid, entwickelt hat.766 Entgegen dem Legalitätsprinzip hält der Hoge Raad den Belastingdienst in derartigen Fällen für verpflichtet, auch auf andere Steuerpflichtige dieses begunstigend Beleid anzuwenden, sofern sie sich rechtlich und tatsächlich in einer vergleichbaren Situation befinden.767 Mit der Vorausset764
Vgl. dazu Wisselink, MBB 1995, 344, 345. Vgl. Happé, Drie beginselen, S. 33 f. m. w. N. 766 HR v. 6.6.1979, nr. 19 290, BNB 1979/211; HR v. 24.9.1980, nr. 19 912, BNB 1980/316; vgl. auch die Übersicht bei Weenink/Graaf, Algemene beginselen, S. 75 f. 767 Eine entsprechende Vergleichbarkeit hat der Hoge Raad z. B. in einem Fall angenommen, in dem bei 36 in einem Wohnkomplex gelegenen Eigentumswohnungen für 24 Eigentümer die Grundsteuer zu niedrig berechnet worden war. Der Belastingdienst musste daraufhin die Steuerfestsetzung gegenüber den restlichen 12 Eigentümern entgegen der gesetzlichen Regelung ebenfalls verringern, vgl. HR. v. 13.10.1982, nr. 21 253, BNB 1983/4. Weitere Beispiele bei Happé, WFR 1993, 145, 147 f. 765
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zung, dass es sich um Beleid handeln muss, hat der Hoge Raad zum Ausdruck gebracht, dass die Begünstigung nicht auf einer bloßen Nachlässigkeit oder einem Irrtum beruhen darf, sondern eine bewusste Entscheidung auf Seiten des Belastingdienst erfordert. An dem Merkmal der Begünstigung fehlt es, wenn die unterschiedliche Behandlung der Steuerpflichtigen auf Zweckmäßigkeitserwägungen zurückzuführen ist und diese Zweckmäßigkeitserwägungen nicht vollkommen unverhältnismäßig sind.768 Danach scheidet eine Berufung auf den Gleichheitsgrundsatz z. B. aus, wenn der Belastingdienst den Abzug von Aufwendungen bis zu einer bestimmten Höhe ohne Nachweis gewährt, bei darüber hinausgehenden Aufwendungen jedoch sehr wohl auf Vorlage von Belegen besteht oder wenn der Belastingdienst sich auf stichprobenhafte Kontrollen beschränkt.769 Die Gerichte räumen der Finanzverwaltung in diesem Zusammenhang einen recht weiten Spielraum ein, was in der Literatur begrüßt wird.770 Trifft die Finanzverwaltung in einem Einzelfall in Begünstigungsabsicht eine Entscheidung contra legem, so handelt es sich mangels Allgemeinheit nicht um Beleid. Dennoch können sich in diesem Fall andere Steuerpflichtige auf den Gleichheitsgrundsatz berufen, wenn sie sich in einer vergleichbaren Situation befinden (sog. Ungleichbehandlung „uit oogmerk van begunstiging”).771 (2) Mehrheitsregel Seit 1992 ermöglicht der Hoge Raad den Steuerpflichtigen auch in Fällen, in denen es an einem begünstigenden Beleid fehlt, eine Berufung auf den Gleichbehandlungsgrundsatz. Voraussetzung ist jedoch, dass es sich um eine nicht-inzidentielle Ungleichbehandlung handelt und der Steuerpflich768 HR. v. 11.12.1991, nr. 26 763, BNB 1992/98; Happé, WFR 1993, 145, 149; van Leijenhorst, WFR 1997, 1111, 1119. Die Gerichte beschränken sich dabei auf eine marginale Prüfung, vgl. Engwerda, Beginselen van behoorlijk bestuur, S. 49 f. 769 Vgl. HR v. 6.6.1979, nr. 19 290, BNB 1979/211; HR. v. 27.3.1985, nr. 22 528, BNB 1985/164. In diesem Fall hatte ein Finanzbeamter bei einem Ehemann im Zusammenhang mit der Reisekostenpauschale eine Korrektur vorgenommen, bei der Ehefrau von einer entsprechenden Korrektur jedoch abgesehen, weil die „finanzielle Bedeutung“ einer Korrektur bei der Ehefrau nicht groß genug gewesen sei. Der Hoge Raad hat dies als sachlichen Grund für eine Ungleichbehandlung akzeptiert; HR v. 15.7.1987, nr. 24 728, BNB 1987/308; Happé, Drie beginselen, S. 305 ff.; Weenink/Graaf, Algemene beginselen, S. 77. 770 Happé, Drie beginselen, S. 307; Duk, Geschriften VVB, no. 175, S. 19. 771 HR v. 28.3.1984, nr. 22 171, BNB 1984/196. In dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt waren die Anteile zweier je zur Hälfte an einer Gesellschaft beteiligten Gesellschafter steuerlich unterschiedlich behandelt worden. Dazu auch Weenink/Graaf, Algemene beginselen, S. 81.
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tige glaubhaft macht, dass in der „Mehrheit“ (d.h. in mehr als 50%) der vergleichbaren Fälle eine andere Behandlung durch den Belastingdienst erfolgte als in seinem eigenen (sog. meerderheidsregel).772 Während im Falle des begünstigenden Beleid die mit den Steuergesetzen in Widerspruch stehende Maßnahme des Belastingdienst auf einer bewussten Beleidsregel beruht, handelt es sich in den Fällen der Mehrheitsregel um unbewusste Fehler. Bei der Ermittlung der Mehrheit der vergleichbaren Fälle zählen diejenigen nicht mit, in denen die Ungleichbehandlung auf die geringe finanzielle Relevanz und somit auf Zweckmäßigkeitserwägungen zurückzuführen ist.773 Für die Bestimmung der Vergleichbarkeit kann z. B. das Erklärungsverhalten eines Steuerpflichtigen bei der Steuererklärung und die Branchenzugehörigkeit eine Rolle spielen.774 Besonders nachteilig für die Steuerpflichtigen ist die Einschränkung der Rechtsprechung, wonach grundsätzlich nur diejenigen Fälle berücksichtigt werden, die sich im Zuständigkeitsbereich des jeweiligen Finanzamts ereignet haben, d.h. das durch den Vorsteher eines Finanzamts geführte Beleid bindet den Vorsteher eines anderen Finanzamtes nicht.775 Fälle aus dem Zuständigkeitsbereich anderer Finanzämter können zwar u. U. als Argument dafür herangezogen werden, dass eine ordentliche Aufgabenerfüllung seitens des Belastingdienst eine Abstimmung zwischen den einzelnen Finanzämtern erforderlich gemacht hätte und damit zur Formulierung überregionalen Beleid hätte führen müssen,776 doch liegt dann ein Anwendungsfall der zuvor dargestellten Fallgruppe des begünstigenden Beleid vor. (3) Beweislast Vor Gericht obliegt es dem Steuerpflichtigen, die Ungleichbehandlung gleicher Fälle darzulegen.777 Dabei genügt es, wenn nach dem Vorbringen 772
HR v. 17.6.1992, nr. 26 777, BNB 1992/294; Engwerda, Beginselen van behoorlijk bestuur, S. 47, 49; Happé, WFR 1993, 145, 150 f. Bei einer Gesamtzahl von zwei Fällen kann die Mehrheitsregel deshalb keine Anwendung finden. 773 Happé, WFR 1993, 145, 155; Wisselink, MBB 1995, 344, 356. 774 Zwenne, Informatieverplichtingen, S. 106. 775 HR v. 20.11.1985, nr. 23 724, BNB 1986/17; HR v. 19.12.1990, nr. 26 801, BNB 1992/218; Engwerda, Beginselen van behoorlijk bestuur, S. 43. Wie oben bereits dargestellt, dürfen Beleidsregels inzwischen eigentlich nur noch durch den Staatssekretär landesweit festgestellt werden. Allerdings kommt es in der Praxis immer wieder noch zu „lokalem“ Beleid, sodass diese Einschränkung ihre Bedeutung noch nicht verloren hat. Vgl. z. B. Hof Den Haag v. 3.6.1999, nr. 98.3468. 776 Vgl. z. B. HR v. 16.12.1998, nr. 33 327, BNB 1999/165; HR v. 21.4.1999, nr. 32 084, V-N 1999, 1874; HR v. 22.9.1999, nr. 34 515, V-N 1999, 3792. 777 Vgl. z. B. HR v. 24.8.1995, nr. 30 320, BNB 1995/297.
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des Steuerpflichtigen eine Ungleichbehandlung gleicher Fälle vermutet werden kann (sog. aannemelijk maken).778 Der Belastingdienst muss dann eine Rechtfertigung für diese Ungleichbehandlung liefern. Häufig scheitern die Steuerpflichtigen jedoch daran, dass sie von den Entscheidungen des Belastingdienst in anderen, vergleichbaren Fällen keine Kenntnis erlangen. bb) Vertrauensschutz Die Lehre vom Vertrauensschutz als allgemeines Prinzip ordnungsgemäßen Verwaltungshandelns ist im Steuerrecht vor allem in den vergangenen 20 Jahren entwickelt worden.779 Die Reichweite des Vertrauensschutzes hängt von der Art und Weise des Verwaltungshandelns ab: Hinsichtlich des Vertrauens des Steuerpflichtigen auf sog. Standpuntbepalingen der Verwaltung kann auf die Ausführungen im 1. Kapitel verwiesen werden. Treffen der Belastingdienst und der Steuerpflichtige eine sog. Vaststellingsovereenkomst (eine Verständigung), so sind zwar beide Seiten nach den Grundsätzen von Treu und Glauben daran gebunden, doch das Vertrauen des Steuerpflichtigen ist darüber hinaus auch aufgrund des Vertrauensschutzprinzips als allgemeines Prinzip ordnungsgemäßen Verwaltungshandelns geschützt.780 Ein schützenswertes Vertrauen des Steuerpflichtigen kann auch auf implizites Handeln des Belastingdienst zurückzuführen sein.781 Zu den anerkannten Fallgruppen zählt u. a. das Vertrauen des Steuerpflichtigen auf den Fortbestand einer jahrelangen Verwaltungspraxis ohne zugrunde liegendes Beleid (sog. gedragslijn)782 sowie unter besonders engen Voraussetzungen Maßnahmen des Belastingdienst im Zusammenhang mit einer anderen Steuerart.783 Das Vertrauen auf eine jahrelange Verwaltungspraxis wird jedoch nicht geschützt, wenn dieser Verwaltungspraxis (z. B. der Nichtvornahme einer Korrektur über mehrere Jahre) Zweckmäßigkeitserwägungen zugrunde liegen.784 778 HR v. 19.1.1983, nr. 21 197, BNB 1983/133; Engwerda, Beginselen van behoorlijk bestuur, S. 51. 779 van Leijenhorst, WFR 1993, 773, 781. 780 Engwerda, Beginselen van behoorlijk bestuur, S. 32; van Es, Aanspraak 7–8/ 1999, 21, 26; Wasch, Onderneming en Fiscus, S. 38. 781 Dazu ausführlich Happé, Drie beginselen, S. 225 ff. 782 Dazu HR v. 13.12.1989, nr. 25 077, BNB 1990/119. Danach ist das Vertrauen schützenswert, wenn z. B. der Inspecteur über mehrere Jahre hinweg bei der Veranlagung den Angaben des Steuerpflichtigen zu einer bestimmten Frage in seiner Steuererklärung gefolgt ist und der Steuerpflichtige zu diesem Punkt jeweils eine besondere Begründung beigefügt hat. 783 Ausführlich dazu Engwerda, Beginselen van behoorlijk bestuur, S. 26 ff. 784 Engwerda, Beginselen van behoorlijk bestuur, S. 28.
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Daneben ist der Steuerpflichtige grundsätzlich auch in seinem Vertrauen auf Anweisungen und Beschlüsse (Beleidsregels) des Staatssekretärs bzw. des Ministers an die Finanzverwaltung geschützt, wenn diese mit Kenntnis des Belastingdienst veröffentlicht worden sind, und zwar unabhängig davon, ob die Anweisungen oder Beschlüsse gegen Rechtsvorschriften verstoßen.785 Das Vertrauen auf die Anwendung einer Beleidsregel wird so lange geschützt, bis diese Beleidsregel zurückgenommen oder geändert wird, wobei diese Änderung/Aufhebung rechtzeitig bekannt gemacht werden muss.786 Hinsichtlich der Bindung des Belastingdienst an Beleidsregels lag der wesentliche Unterschied zwischen dem Vertrauensschutzgrundsatz und dem Gleichheitsgrundsatz über lange Zeit darin, dass das schützenswerte Vertrauen des Steuerpflichtigen die vorhergehende Veröffentlichung des Beleid erforderte, wohingegen der Gleichbehandlungsgrundsatz auch bei nicht veröffentlichtem Beleid zur Anwendung kommen konnte. Da jedoch seit 1998 sowohl das Awb als auch der Staatssekretär für Finanzen eine Veröffentlichung von Beleidsregels vorschreiben und der Bürger eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes ohnehin nur geltend machen kann, wenn er von einer Ungleichbehandlung erfahren hat, was wiederum in der Regel durch die Veröffentlichung von Beleid geschieht, ist der Anwendungsbereich beider Prinzipien hinsichtlich der Beleidsregels mittlerweile weitgehend deckungsgleich.787 cc) Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Neben dem Gleichheitsgrundsatz und dem Vertrauensschutzgrundsatz wenden die Gerichte gelegentlich auch das sog. evenredigheidsbeginsel (Verhältnismäßigkeitsgrundsatz) als allgemeinen Grundsatz ordnungsmäßigen Verwaltungshandelns im Steuerrecht an.788 Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist seit 1998 in art. 3:4 Awb kodifiziert. Eine Überprüfung anhand des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes durch die Gerichte kommt nur in Betracht, wenn es sich nicht um eine gebundene Entscheidung der Finanzverwaltung handelt,789 und die Gerichte prüfen die Interessenabwägungen in der Regel nur marginal. 785
Ausführlich zum Vertrauensschutz im Zusammenhang mit Beleidsregels Happé, Drie beginselen, S. 121 ff. 786 HR v. 22.7.1994, nr. 29 632, BNB 1994/296; Engwerda, Beginselen van behoorlijk bestuur, S. 20. 787 Engwerda, Beginselen van behoorlijk bestuur, S. 39 f., 44. Ausführlich zum Verhältnis beider Prinzipien ordnungsmäßigen Verwaltungshandelns Happé, Drie beginselen, S. 316 ff., 344 ff. 788 HR v. 20.12.1989, nr. 25 469, BNB 1990/102; Engwerda, Beginselen van behoorlijk bestuur, S. 68 f.
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2. Zusammenfassung Mit der Anerkennung der Geltung von allgemeinen Grundsätzen ordnungsgemäßen Verwaltungshandelns im Steuerrecht hat die Rechtsprechung seit Ende der 1979er Jahre den Rechtsschutz für die Steuerpflichtigen ausgebaut und insbesondere dem Gleichheitsgrundsatz zu größerer Bedeutung im Steuerrecht verholfen. Die Ausdehnung der Prüfung von Beleidsregels durch die Finanzgerichte ist eine Antwort auf die zunehmende Verlagerung von Regelungsbefugnissen durch den Gesetzgeber auf die Finanzverwaltung und die drohende Aushöhlung des Legalitätsprinzips aus art. 104 GG.790 Die Anerkennung eines Anspruchs auf „Gleichbehandlung im Unrecht“ für Fälle, in denen der Belastingdienst bestimmte Steuerpflichtige contra legem günstiger behandelt hat als andere, hat den Staatssekretär als politisch Verantwortlichen für die Arbeitsweise des Belastingdienst dazu veranlasst, auf eine stärkere Vereinheitlichung des Beleid hinzuwirken. Dadurch ist der Spielraum der Sachbearbeiter für einzelfallbezogene Absprachen mit den Steuerpflichtigen beschnitten worden. Andererseits räumen die Gerichte dem Belastingdienst jedoch auch weite Spielräume für die Rechtfertigung von Differenzierungen durch Zweckmäßigkeitserwägungen ein, und obwohl die Commissie ter bestudering van de fiscale controlemiddelen (Kommission zur Untersuchung der Kontrollmöglichkeiten der Finanzverwaltung) 1988 in einem Untersuchungsbericht gegen mehrere Kriterien bzw. Arten von Kriterien für die Differenzierung von Steuerpflichtigen Bedenken vorgetragen hat,791 haben sich die Gerichte mit dieser Frage seit der Reorganisation nicht intensiv befasst.
V. Reaktionen in der steuerrechtlichen Literatur Die Steuerrechtswissenschaft widmet sich immer wieder einzelnen Aspekten der Arbeitsweise des Belastingdienst, wobei einige Themen deutlich mehr Aufmerksamkeit erhalten als andere. So ist im Zusammenhang mit der Darstellung der Reorganisation im 2. Kapitel bereits darauf hingewiesen worden, dass der Differenzierung zwischen Zielgruppen als wichtigem Ziel der Reorganisation in der Wissenschaft vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit geschenkt worden ist. Happé hält es für selbstverständlich, dass der Belastingdienst beim Einsatz seiner Kontrollkapazitäten die Betrugsanfälligkeit z. B. einer bestimmten Branche berücksichtigt.792 Seiner An789
Engwerda, Beginselen van behoorlijk bestuur, S. 71. Ähnlich van der Wal, WFR 2001, 45, 50 f. 791 Vgl. Rapport van de Commissie ter bestudering van de fiscale controlemiddelen, Geschriften VVB no. 175, S. 15 ff. 792 Happé, Drie beginselen, S. 307; ders., WFR 1997, 1161, 1165. 790
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sicht nach mangelt es schon an der Vergleichbarkeit, wenn Steuerpflichtige unterschiedlichen Risikokategorien angehören, d.h. die Einteilung in Risikokategorien spiegelt existierende Unterschiede zwischen Steuerpflichtigen wider, die gerade eine unterschiedliche Behandlung durch die Finanzverwaltung verlangen. de Kam und van den Berg meinen, dass das Gesamtverhalten des Belastingdienst zwar grundsätzlich an den Prinzipien der Rechtmäßigkeit, Rechtssicherheit und Rechtsgleichheit zu prüfen sei, dies jedoch nicht für die Bearbeitung jeder einzelnen Steuererklärung gelten könne, da damit untragbare finanzielle und gesellschaftliche Lasten verbunden wären. Ihrer Ansicht nach geht es um die Verwirklichung von Rechtmäßigkeit auf einem höheren (abstrakteren) Niveau als dem der individuellen Steuererklärung.793 Dies entspricht der in Deutschland vorherrschenden Auffassung, dass die Finanzverwaltung den Gesamtvollzug zu wahren habe, vgl. 6. Kap. Was das Bekenntnis des Belastingdienst zu einer effektiven und effizienten Arbeitsweise (vgl. den sog. permanenten Auftrag des Belastingdienst, 3. Kap.) betrifft, begrüßt Nicolaï diesen Ansatz, weil es sich bei dem Prinzip effektiven und effizienten Einsatzes von Ressourcen durch die Verwaltung um ein Rechtsprinzip handele.794 Zwenne hingegen hält eine (ausschließliche) Orientierung an Effizienz- und Kostenerwägungen für mit dem Gleichheitsgrundsatz unvereinbar.795 Die Einführung der Compliance-Strategie hat – abgesehen von der Bezeichnung der Steuerpflichtigen als „Kunden“ (dazu bereits 3. Kap.) – überwiegend Zustimmung erhalten. Elffers und Hessing haben zahlreiche pragmatische Vorschläge zur Verbesserung der Compliance ausgearbeitet, die sich mehr auf Verhaltensforschung und Psychologie als auf Rechtsprinzipien stützen: So sprechen sie sich für die Einführung einer bewusst überhöhten vorläufigen Besteuerung aus, weil Steuerpflichtige unter Zugrundelegung der sog. prospect theory keine wirklich rationalen Entscheidungen träfen, sondern ihre Risikobereitschaft höher sei, wenn sie mit einem Verlust rechneten als wenn sie auf einen Gewinn eingestellt seien. Wenn die Steuerpflichtigen beim „ehrlichen“ Ausfüllen ihrer Steuererklärung bereits zu dem Ergebnis kommen, dass sie mit einer Steuererstattung rechnen können, so seien sie dementsprechend weniger risikofreudig und wollten diesen „sicheren Gewinn“ nicht durch unzutreffende Angaben gefährden, auch wenn sie dadurch u. U. eine höhere Steuererstattung erzielen könnten. Drohe ihnen hingegen eine Steuernachzahlung, so seien sie eher bereit, durch „Frisieren“ der Erklärung diese Nachzahlung zu mindern oder sogar 793 794 795
de Kam/van den Berg, Openbaar bestuur 10/1992, 21, 22. Nicolaï, Beginselen van behoorlijk bestuur, S. 358, 403, 456. Zwenne, Informatieverplichtingen, S. 106.
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ganz abzuwenden.796 de Kam lehnt den Vorschlag jedoch als Bevormundung der Steuerpflichtigen ab.797 Ein weiterer Vorschlag von Elffers/Hessing zur Förderung der Compliance ist die Einführung eines globalen Standardabzugspostens i. H. v. ca. NLG 7.500 als Alternative zu dem bisherigen Set von Abzugsposten.798 Dadurch werde die Zahl der Korrekturen bzw. Beanstandungen bei der Überprüfung der Steuererklärungen sinken, wodurch das Verhältnis zwischen dem Belastingdienst und den Steuerpflichtigen positiv beeinflusst und die Bereitschaft zur Compliance bei den Steuerpflichtigen gestärkt werde. Bei der manuellen Kontrolle könnte der Belastingdienst nach Schätzungen von Elffers/Hessing bei Inanspruchnahme des Standardabzugspostens gegenüber der Überprüfung der Einzelposten rund 34% der von den Sachbearbeitern auf die Veranlagung aufgewandten Arbeitszeit einsparen.799 Die dadurch frei werdenden Kapazitäten könnten für eine intensivere Kontrolle der dann noch geltend gemachten hohen Einzelabzugsposten sowie die Bekämpfung von umfangreicher Steuerhinterziehung verwendet werden. Bislang ist dieser Vorschlag beim Gesetzgeber jedoch nicht auf fruchtbaren Boden gefallen.
VI. Reaktionen der Steuerpflichtigen und ihrer Berater Die Gruppe der steuerlichen Berater in den Niederlanden weist gegenüber Deutschland eine erhebliche Besonderheit auf: Der Beruf des Steuerberaters ist in den Niederlanden nicht gesetzlich geregelt, d.h. grundsätzlich kann jeder als steuerlicher Berater auftreten. Um ihren Mandanten einen gewissen Qualitätsstandard zu garantieren, haben sich viele Steuerberater in Berufsverbänden zusammengeschlossen, die für ihre Mitglieder jeweils eigenständige Aufnahmevoraussetzungen aufstellen. So genügt teilweise ein abgeschlossenes steuerrechtliches Hochschulstudium, teilweise müssen spezielle Examina abgelegt werden, um Mitglied in dem jeweiligen Verband werden zu können. Eine Pflicht zur Inanspruchnahme eines Steuerberaters sieht das niederländische Steuerrecht nicht vor, und auch vor Gericht können sich die Steuerpflichtigen (mit Ausnahme der mündlichen Verhand796 Elffers/Hessing, De toekomst van de belastingmoraal, S. 99, 101. Dabei stützen sie sich auf entsprechende Untersuchungen in den USA und Europa, vgl. Chang/Nichols/Schultz, Journal of Economic Psychology 1987, 299, 301 ff.; Robben/Webley et al., Journal of Economic Psychology 1990, S. 341, 344 ff. 797 de Kam, Belastingheffing met toekomst, S. 113 f. 798 Elffers/Hessing, De toekomst van de belastingmoraal, S. 99, 103. Ein derartiger Standardabzugsposten existiert z. B. in den USA (sog. basic standard deduction im Gegensatz zu sog. itemized deductions), vgl. Seer, Besteuerungsverfahren USA, Rn. 15 (Fn. 61). 799 Elffers/Hessing, De toekomst van de belastingmoraal, S. 99, 109 f.
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lung vor dem Hoge Raad) selbst vertreten. Dennoch lassen sich in der Praxis viele Steuerpflichtige steuerlich beraten. Der Belastingdienst ist sich zwar der Bedeutung seines Verhältnisses zu den Beratern bewusst, sieht diese aber bislang nicht als eigene Hauptzielgruppe an. Eine Registrierung der Berater und ihrer Zuverlässigkeit erfolgt lediglich im Bereich der Fristverlängerung für die Abgabe der Steuererklärungen mithilfe der sog. Becon-Nummer (Belastingconsulenten-Nummer, Steuerberaternummer). Der Belastingdienst ist interessiert daran, wie die Steuerpflichtigen und ihre Berater seine Arbeitsweise und sein Auftreten einschätzen, weil er sich Aufschluss über die aktuelle Compliance und etwaige Verbesserungsmöglichkeiten erhofft. Zu diesem Zweck führt er unter der Bezeichnung „Fiscale Monitor“ regelmäßig Befragungen unter den Steuerpflichtigen und ihren Beratern durch. 1. Fiscale Monitor Der Fiscale Monitor wird seit 1994 jährlich durchgeführt. Zwar hatte es bereits in früheren Jahren verschiedene Befragungen einzelner Gruppen von Steuerpflichtigen gegeben,800 doch die standardisierten Untersuchungen im Rahmen des Fiscale Monitor gewährleisten eine bessere Vergleichbarkeit der Ergebnisse. Seit 1998 ist der jährliche Turnus insoweit beschränkt, als der Fiscale Monitor nicht mehr in jedem Jahr in gleicher Ausführlichkeit durchgeführt wird: Umfangreiche Untersuchungen finden alle zwei Jahre (jeweils in den ungeraden Jahren) statt und dazwischen erfolgt eine auf einige Hauptgesichtspunkte beschränkte Untersuchung.801 Der Fiscale Monitor geht auf eine Initiative des Finanzministeriums zurück und wird in Zusammenarbeit mit externen Forschungseinrichtungen konzipiert und ausgewertet. Ziel der Befragungen ist es zum einen, festzustellen, ob und wie sich Änderungen in der Arbeitsweise des Belastingdienst auf die Meinung der Steuerpflichtigen über den Belastingdienst auswirken, d.h. der Fiscale Monitor dient der Überprüfung bisheriger Maßnahmen. Zum anderen werden auch etwaige Verbesserungsvorschläge der Steuerpflichtigen gesammelt, die bei der Konzeption neuer Maßnahmen Verwendung finden.802 Er 800 Vgl. z. B. die durch das Meinungsforschungsinstitut Veldkamp im Frühjahr 1990 durchgeführte Studie, in deren Verlauf 559 Unternehmer und 50 Steuerberater auf ihre Erfahrungen mit dem Belastingdienst hin befragt wurden. Zu den Ergebnissen dieser Studie gehörte z. B., dass kleinere Unternehmen ein besonderes Interesse an einem singulären, für sie zuständigen Sachbearbeiter haben, an den sie sich unmittelbar wenden können. Die Ergebnisse der Untersuchung wurden durch den Belastingdienst veröffentlicht, vgl. Rapport Samenvatting Onderzoek Belastingdienst en Ondernemingen, S. 5, 11. 801 Belastingdienst, Fiscale Monitor 2001, Hoofdlijnen, S. 2.
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stellt eine wichtige Ergänzung der Informationen dar, die der Belastingdienst aus den eigenen Reihen erhält – seien es objektive Informationen in Form von Kennzahlen oder subjektive Informationen anlässlich von Mitarbeiterbefragungen. a) Kreis der Befragten Zum Kreis der Befragten zählen jeweils Vertreter der vier Hauptzielgruppen des Belastingdienst (Particulieren, Ondernemingen, Grote Ondernemingen und Douane) sowie der Beraterschaft. Von der Befragung der Steuerberater erhofft man sich aufgrund der Vielzahl der Kontakte mit dem Belastingdienst besonders zeitnahe Reaktionen auf etwaige Veränderungen der Arbeitsweise des Belastingdienst.803 Während zunächst noch jeweils ein Drittel der Befragten in zwei aufeinander folgenden Jahren am Fiscale Monitor teilnahm und die übrigen Teilnehmer jährlich neu bestimmt wurden, werden seit 1998 alle Teilnehmer jährlich neu ausgewählt.804 Die Zahl der Teilnehmer schwankt von Jahr zu Jahr. So wurden z. B. im Jahr 2001 496 Particulieren (1997: 845), 301 Grote Ondernemingen (1997: 415), 694 Ondernemingen (1997: 913) 700 Zollbeteiligte (1997: 526) und 313 Steuerberater (1997: 444) befragt.805 Darüber hinaus wurde 2001 erstmalig die Gruppe der sog. onbeschreven Particulieren, die nicht zur Abgabe von Steuererklärungen verpflichtet ist (z. B. weil die einbehaltene Lohnsteuer gleichzeitig Endbesteuerung ist), als eigenständige Gruppe mit 348 Befragten in die Untersuchung einbezogen. b) Inhalte Die Aspekte, zu denen den Steuerpflichtigen anlässlich des Fiscale Monitor Fragen gestellt werden, sind nicht in jedem Jahr identisch, sondern es gibt einige Standard-Fragen, die jedes Jahr gestellt werden, „Rotationsfragen“, die alle zwei bis vier Jahre gestellt werden und „Ad-hoc-Fragen“, die jedes Jahr neu entworfen werden. Auch werden nicht alle Teilnehmer zu den gleichen Aspekten befragt. Die Standardfragen beziehen sich u. a. auf das allgemeine Auftreten des Belastingdienst gegenüber den Steuerpflichtigen, die (telefonische) Erreichbarkeit der Mitarbeiter, das Einhalten von 802 van Kruchten/Peereboom, De Fiscale Monitor, S. 137, 143; Belastingdienst, Fiscale Monitor 1997, Hoofdlijnen, S. i. 803 van Kruchten/Peereboom, De Fiscale Monitor, S. 137, 146. 804 Belastingdienst, Fiscale Monitor 2000, Hoofdlijnen, S. i. 805 Belastingdienst, Fiscale Monitor 2001, Hoofdlijnen, S. 3. Daneben sind 1997 erstmals auch insgesamt 657 Steuerpflichtige aus dem Bereich der Erbschaft- und Schenkungssteuer befragt worden, vgl. Fiscale Monitor 1997, Hoofdlijnen, S. 4.
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Absprachen durch den Belastingdienst, die Bearbeitungsdauer, die Verständlichkeit von Informationen und Formularen, die Aufklärungsdichte bei Steuerhinterziehung (nach Einschätzung der Steuerpflichtigen) sowie die eigene Steuermoral der Befragten.806 Die Fragen sind bislang auf die Arbeitsweise der Direktionen für Einzelpersonen, kleine und mittlere Unternehmen, große Unternehmen und Zollangelegenheiten gerichtet, nicht jedoch auf die Erfahrungen der Steuerpflichtigen mit einzelnen Finanzämtern (auch wenn diese Erfahrungen das Antwortverhalten der Steuerpflichtigen häufig beeinflussen werden). Grund dafür ist, dass die wesentlichen strategischen Entscheidungen bislang auf der Direktionsebene und nicht auf Ebene der einzelnen Finanzämter getroffen wurden.807 Nach der Abschaffung der Zielgruppendirektionen zum 1.1.2003 werden sich die Fragen künftig auf die neu eingerichteten Steuerbezirke beziehen. c) Ergebnisse Zu den wichtigsten Ergebnissen der vergangenen Jahre zählt ein durchweg positiver Gesamteindruck der Steuerpflichtigen von der Arbeitsweise des Belastingdienst: Lediglich 11% der befragten Ondernemingen und 5% der Particulieren sind mit der Arbeitsweise des Belastingdienst insgesamt unzufrieden.808 Dabei lässt sich seit 1997 bei den Particulieren ein Trend zu einer positiveren Beurteilung der Arbeitsweise des Belastingdienst ablesen, wohingegen bei den Ondernemingen ein leichter negativer Trend zu beobachten ist. Vertreter aller Zielgruppen halten eine Beschleunigung der Arbeitsweise des Belastingdienst für wünschenswert809 – und dies, obwohl sich über die Jahre aus den Angaben der Befragten auf diesem Gebiet bereits eine Steigerung ablesen lässt und z. B. im Jahr 1997 74% der befragten Particulieren die Bearbeitung ihrer Steuererklärung als (sehr) schnell empfunden haben.810 Es hat den Anschein, als würden mit der verbesserten Dienstleistung durch den Belastingdienst auch die Erwartungen der Steuerpflichtigen steigen. Bemerkenswert ist darüber hinaus, dass in der Vergangenheit einige der Maßnahmen, die aus Sicht des Belastingdienst von besonderem Interesse 806 Belastingdienst, Fiscale Monitor 1997, Hoofdlijnen, S. ii ff.; van Kruchten/ Peereboom, De fiscale monitor, S. 137, 145 f.; Belastingdienst, Fiscale Monitor 1997, Hoofdlijnen, S. ii ff. 807 van Kruchten/Peereboom, De Fiscale Monitor, S. 137, 146. 808 Belastingdienst, Fiscale Monitor 2001, Hoofdlijnen, S. 16. 809 Belastingdienst, Fiscale Monitor 1997, Hoofdlijnen, S. iii; Belastingdienst, Exposé 2000, 16, mit Bezug auf die Ergebnisse des Fiscale Monitor 1999. 810 Belastingdienst, Fiscale Monitor 1997, Het Onderzoek onder Particulieren, S. XV.
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für die Steuerpflichtigen waren und deshalb entsprechend hätten kommuniziert werden sollen, von den Steuerpflichtigen offensichtlich nicht in ausreichendem Maße wahrgenommen worden sind. So waren sich knapp 80% der befragten Particulieren nicht bewusst, dass der Belastingdienst 1997 (wie jedes Jahr) einen Posten in der Einkommensteuererklärung ausgewählt hat, der besonders intensiv kontrolliert wird – und das, obwohl in den dem Formular beigefügten Erläuterungen auf den jeweiligen Posten hingewiesen wird. Darüber hinaus gaben 27% der befragten Particulieren an, aus dem Steuerbescheid nicht entnehmen zu können, ob und wenn ja in welchem Umfang der Belastingdienst von ihren Angaben in der Steuererklärung abgewichen ist.811 Aus den Befragungen der vergangenen Jahre ist außerdem abzulesen, dass nicht nur die Ondernemingen und Grote Ondernemingen in (erwartbar) großem Umfang die Hilfe von Steuerberatern für das Anfertigen ihrer Steuererklärungen in Anspruch nehmen, sondern dass auch ein großer Teil der Particulieren die Erklärungen nicht selber ausfüllt. So gaben 41% der befragten Particulieren an, ihre Steuererklärung vollständig an einen externen Berater delegiert zu haben, und weitere 17% nehmen zumindest in Teilbereichen Hilfe in Anspruch.812 Bei den Grote Ondernemingen nehmen 69% externe Hilfe für das Anfertigen der Steuererklärungen in Anspruch und 9% betrauen einen externen Berater vollständig damit. Bei den Ondernemingen belaufen sich die entsprechenden Prozentzahlen auf 48% und 37%.813 Danach befragt, ob sie mit dem Steuerzahlen eher assoziieren, etwas beizutragen, auf etwas zu verzichten oder etwas weggenommen zu bekommen, entschieden sich 1997 60% (2001: 57%) der Grote Ondernemingen, rund 50% (2001: 58%) der Ondernemingen und 54% (2001: 57%) der Particulieren für die erste Antwort. Mit der Aussage, dass ihnen etwas weggenommen werde, identifizierten sich im gleichen Zeitraum 3% (2001: 8%) der Grote Ondernemingen, 10% (2001: 10%) der Ondernemingen und 13% (2001: 13%) der Particulieren. Damit hat sich die Einstellung der Steuerpflichtigen insgesamt etwas verbessert. Konträr zu diesem Trend in der Selbsteinschätzung der Steuerpflichtigen verhalten sich die bei Elffers/van Giels814 dargestellten Fremdeinschätzungen: Danach befragt, wie ihrer Ein811 Vgl. Belastingdienst, Fiscale Monitor 1997, Hoofdlijnen, S. 37, 49 f.; Fiscale Monitor 1997, Het Onderzoek onder Particulieren, S. XV. 812 Belastingdienst, Fiscale Monitor 1997, Het Onderzoek onder Particulieren, S. XIV; Fiscale Monitor 2001, Het Onderzoek onder Particulieren, S. 32 f. 813 Belastingdienst, Fiscale Monitor 2001, Het Onderzoek onder Ondernemingen en Grote Ondernemingen, S. 45. 814 Elffers/van Giels, WFR 1998, 523, 524 ff.
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4. Kap.: Steuerung und Evaluation des Belastingdienst
schätzung nach die Bürger die oben genannte Frage beantworten würden, gaben niederländische Parlamentarier im Jahr 1997 an, dass 41% der Bürger das Steuerzahlen mit der Antwort „mir wird etwas weggenommen“ verbinden. Die ebenfalls befragten Steuerexperten glaubten sogar, 50% der Bürger würden sich für diese Antwort entscheiden. Besonders auffällig waren jedoch die Einschätzungen von rund 100 angehenden Finanzbeamten, die 70% der Bürger die Antwort „mir wird etwas weggenommen“ unterstellten. Das Ergebnis dieser Untersuchung legt den Schluss nahe, dass die allgemeine Annahme einer schlechten Steuermoral zumindest auch auf einer sich selbst bewahrheitenden Prophezeiung beruht: Wenn die überwiegende Zahl der Bürger zwar von sich selbst behauptet, das Steuernzahlen als einen „Beitrag“ anzusehen, gleichzeitig aber von den Mitmenschen glaubt, dass diese überwiegend das Gefühl haben, ihnen werde etwas weggenommen, so wächst die Bereitschaft, die eigene Steuerlast zu verringern, um nicht schlechter dazustehen als „die anderen“, von denen man ein derartiges Verhalten ja gerade erwartet. Auch Kamerling/van Luik sprechen von einem „hartnäckigen Vorurteil über die schlechte Steuermoral anderer“.815 Selbst wenn man von dieser inneren Einstellung nicht ohne weiteres auf das tatsächliche Verhalten der Steuerpflichtigen schließen kann, so verlangen diese offensichtlichen Missverständnisse jedoch nach entsprechenden Aufklärungsbemühungen. Nach ihrer Einstellung zu Steuervermeidung, Steuerumgehung und Steuerhinterziehung befragt, billigen rund 85% aller Befragten Steuervermeidung, 62% der Steuerberater sowie rund 40% der (Grote) Ondernemingen und rund 33% der Particulieren tolerieren Steuerumgehung und lediglich rund 5% aller Befragten halten Steuerhinterziehung für hinnehmbar.816 Die Ergebnisse des jährlichen Fiscale Monitor werden (auszugsweise) in den Jahresberichten und den Jahresplänen des Belastingdienst verwertet, wobei zugleich auch etwaige Maßnahmen umschrieben werden, die in Reaktion auf die Ergebnisse der Untersuchung ergriffen werden sollen. Diese Reaktionen des Belastingdienst auf die Ergebnisse des Fiscale Monitor werden entscheidend dadurch beeinflusst, wie sich die Einschätzungen der Steuerpflichtigen zu den eigenen Informationen des Belastingdienst verhalten. Sollte z. B. die subjektive externe Information lauten, dass die Steuerpflichtigen mit der telefonischen Erreichbarkeit der Mitarbeiter des Belastingdienst unzufrieden sind, so macht es einen erheblichen Unterschied, ob auch die internen objektiven Informationen auf eine unzureichende telefonische Erreichbarkeit hindeuten oder nicht. Ersterenfalls müsste die telefoni815
Vgl. Gribnau, WFR 1998, 1392, 1401. Belastingdienst, Fiscale Monitor 1997, Hoofdlijnen, S. 52 f.; Fiscale Monitor 1997, Het Onderzoek onder Ondernemingen en Grote Ondernemingen, S. XXII. 816
C. Externe Evaluation
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sche Erreichbarkeit tatsächlich verbessert werden, während im letzten Fall alles auf ein Imageproblem hindeutet,817 dem ggf. mit einer entsprechenden Mediencampagne zu begegnen wäre. 2. Zusammenarbeit mit Berufsverbänden und Gruppen von Steuerpflichtigen In den vergangenen rund 15 Jahren hat sich der Belastingdienst um eine Intensivierung der Zusammenarbeit mit Berufsverbänden und Gruppen von Steuerpflichtigen bemüht, um einer Polarisierung wie in den 70er Jahren vorzubeugen und Probleme bei der Ausführung von Steuergesetzen frühzeitig erkennen und angehen zu können.818 Zu den Institutionen, mit denen der Belastingdienst enge Kontakte unterhält, zählen u. a. die Berufsverbände der Steuerberater, Vertreter des NIvRA (= Koninklijk Nederlands Instituut van Registeraccountants = Berufsvereinigung der Abschlussprüfer/Wirtschaftsprüfer) sowie der VON-NCW (Arbeitgebervertretung, Organisation niederländischer Unternehmer).819 Die Zusammenarbeit wird dadurch erleichtert, dass Unternehmerverbände und der Belastingdienst auf dem Gebiet der Bekämpfung von Steuerhinterziehung ein gemeinsames Interesse haben: Ehrliche Unternehmer leiden unter dem ungerechtfertigten Wettbewerbsvorteil, den sich steuerunehrliche Berufsgenossen verschaffen. So findet ein umfangreicher Informationsaustausch über die bei den einzelnen Institutionen (wie z. B. der Industrie- und Handelskammer und den Arbeitgeberverbänden) und dem Belastingdienst registrierten Unternehmen statt, um die Zahl der im „Schatten“ operierenden Unternehmen möglichst zurückzudrängen.820 Ein weiteres Gebiet, auf dem der Belastingdienst und die Unternehmerverbände zusammenarbeiten, ist die Reduzierung der sog. administratieve lasten. Darunter werden zum einen im weitesten Sinne Kosten verstanden, die den Normadressaten durch die Beachtung gesetzlicher Pflichten bzw. die Gesetzesausführung entstehen. Im engeren Sinne werden damit die Ausführungskosten der Unternehmer im Steuerrecht bezeichnet, z. B. die Kosten der Arbeitgeber im Zusammenhang mit dem Einbehalten und Abführen der Lohnsteuer oder die der Banken für das Anfertigen von Kontrollmitteilungen. Seit 1975 genießt das Thema der privaten, d.h. nicht durch 817
van Kruchten/Peereboom, De Fiscale Monitor, S. 137, 145. Swildens, Ontwikkelingen in de wijze van heffing, S. 13, 18; Vermeulen, De Accountant 1993, 83. Auch Adriaansen-Keulers, Rechtvaardigheid bij belastingen, S. 217 f. unterstreicht die Bedeutung derartiger Kontakte. 819 Vermeulen, De Accountant 1993, 83, 85. 820 Nota v. 28.5.1996, nr. PFC96/695m (Fraudenota), S. 16. 818
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4. Kap.: Steuerung und Evaluation des Belastingdienst
öffentlich-rechtliche Einrichtungen zu tragenden Ausführungskosten Aufmerksamkeit in der Politik und der öffentlichen Diskussion. Allers geht davon aus, dass die Vollzugskosten, die den Unternehmen jährlich durch ihre steuerlichen Pflichten entstehen, NLG 3–3,5 Mrd. pro Jahr betragen.821 Der Belastingdienst will die Bemühungen um ein besseres Serviceangebot – z. B. die uhrzeit- und ortsunabhängigen Informationsangebote im Internet – als Maßnahme zur Senkung der Ausführungskosten verstanden wissen.822 Darüber hinaus war und ist er maßgeblich an einer Vielzahl von Kommissionen beteiligt, die in den vergangenen Jahren gegründet worden sind, um Vorschläge zur Reduzierung administrativer Lasten zu erarbeiten. Die bekannteste dieser Kommissionen ist die 1994 unter dem Vorsitz des damaligen Generaldirektors des Belastingdienst van Lunteren begründete Commissie Vermindering administratieve verplichtingen bedrijfsleven (Kommission zur Reduzierung administrativer Lasten der Wirtschaft, auch Commissie van Lunteren genannt). Diese Kommission unterbreitete 1995 erste Vorschläge zur Reduzierung der Ausführungskosten auf dem Gebiet des Steuerrechts, mit denen das Parlament sich in den folgenden Jahren auseinandergesetzt hat.823 Inzwischen ist mit dem Adviescollege toetsing administratieve lasten (Actal) ein unabhängiges Organ geschaffen worden, das seit dem 1.1.2000 Gesetzesvorschläge daraufhin überprüft, ob die mit dem Gesetzesvorhaben vermutlich verbundenen (privaten) Ausführungskosten ermittelt worden sind und bei der Abwägung Berücksichtigung gefunden haben.824 Derzeit wird im Zusammenhang mit dem Gesetzentwurf „Walvis“ (Wetsvoorstel administratieve lastenverlichting en vereenvoudiging in sociale Verzekeringswetten) eine Vereinheitlichung des Einkommensbegriffs im Steuerrecht und Sozialversicherungsrecht angestrebt, von der sich die Regierung eine Verringerung der Ausführungskosten für die Unternehmen von ca. 181,5 Mio. e verspricht.825
821
Allers, Administrative and Compliance Costs, S. 199. de Kam im Interview mit van den Haspel, Computable v. 25.07.97, abrufbar unter . 823 Vgl. z. B. Kamerstukken II 1997/98, 19 071, nr. 13. 824 Ausführliche Informationen zu den Aufgaben, der Vorgehensweise und der Zusammensetzung des Actal sind unter erhältlich. 825 Vgl. Kamerstukken II 2001/02, 28219, nr. 2, 3, 28371. Damit wird an Vorschläge aus den 1980er Jahren angeknüpft, vgl. SER, Advies belastingvereenvoudiging, S. 8. 822
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VII. Reaktionen der Mitarbeiter des Belastingdienst Die Einstellung der Mitarbeiter des Belastingdienst wurde 1998 und 2000 in einer landesweiten, anonymen Befragung, dem sog. Personeelsmonitor untersucht. Für das Jahr 2000 zeigt die Untersuchung, dass 67% sich als insgesamt „zufrieden“ und lediglich 7% als unzufrieden mit ihrer Tätigkeit beim Belastingdienst bezeichnen.826 86% gaben an, dass ihnen ihre Arbeit Spaß macht; zugleich bezeichneten jedoch 40% die Arbeitsbelastung als zu hoch. Was den Informationsfluss innerhalb des Belastingdienst angeht, so sind lediglich 39% der Befragten damit insgesamt zufrieden. Vor allem die Vermittlung der Ziele von Veränderungen innerhalb der Organisation ist nach Ansicht von 41% der Befragten unzureichend. Auffallend ist die offensichtliche Distanz zwischen der (zentralen) Führungsebene und den ausführenden Mitarbeitern des Belastingdienst: Während 52% der Befragten mit der Art und Weise, wie ihr unmittelbarer Vorgesetzter seine Aufgaben erfüllt, insgesamt zufrieden sind, beträgt diese Zahl bei der Beurteilung des Finanzamtsvorstehers lediglich 25% und bei der Beurteilung der zentralen Führungsgremien sogar nur 22%.827
VIII. Reaktionen aus dem Ausland Die Reorganisation des Belastingdienst Ende der 1980er Jahre sowie die sich daraus entwickelnde neue Arbeitsweise sind bei ausländischen Steuerverwaltungen auf großes Interesse gestoßen, auch wenn die Bemühungen der Niederländer um mehr Service und eine kooperativere Einstellung den Steuerpflichtigen gegenüber vielerorts zunächst belächelt worden sind.828 So hat z. B. de Graeve im Jahr 1995 im Auftrag der belgischen Finanzverwaltung eine sehr umfangreiche Studie der Reorganisation und der aktuellen Arbeitsweise des Belastingdienst verfasst, um Erkenntnisse und Anregungen für die Umstrukturierung und Modernisierung der belgischen Finanzverwaltung zu gewinnen.829 Im Jahr 1999 hat Buschkamp im Rahmen eines Austauschprogramms der OFD Münster und der Direktion Zwolle Erfahrungen beim Belastingdienst gesammelt und anschließend in einem Bericht zusammengefasst.830 Auch Vertreter der DStG sowie anderer Landesfinanzverwaltungen haben sich bereits vor Ort einen Eindruck von der Arbeitsweise des Belastingdienst verschafft.831 In Staaten der früheren 826 827 828 829 830 831
Belastingdienst, Personeelsmonitor 2000, S. 19. Belastingdienst, Personeelsmonitor 2000, S. 9. van Osch/van Rijswijk, Elsevier v. 11.3.2000, 74, 80. de Graeve, Documentatieblad 3/1995, S. 3, 5. Buschkamp, Der Belastingdienst, OFD Münster 2000. Vgl. Bericht in DStG 1998, 159 f.
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4. Kap.: Steuerung und Evaluation des Belastingdienst
Sowjetunion berät der Belastingdienst regelmäßig Regierungen und Vertreter der Finanzverwaltungen vor Ort beim Aufbau neuer, effektiver Steuerverwaltungen und die CIAT (Inter-American Center of Tax Administrations), der die Niederlande als einziges europäisches Land angehören, hat ein unter Federführung von Angehörigen des Belastingdienst entwickeltes Handbuch für Steuerverwaltungen veröffentlicht.832
D. Vergleich mit Deutschland I. Steuerungskonzepte Betriebswirtschaftlich geprägte Steuerungskonzepte halten auch in Deutschland seit einigen Jahren Einzug in die öffentliche Verwaltung im Allgemeinen und die Finanzverwaltung im Besonderen. Anstoß für Bemühungen um Effizienz- und Effektivitätssteigerungen waren nicht selten Untersuchungen von Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, die z. B. in NordrheinWestfalen in den Jahren 1993/94, 1996 und 1998 verschiedene Bereiche der Steuerverwaltung untersucht und rein betriebswirtschaftlich auf Einsparpotentiale überprüft haben. Die Steuerungskonzepte befinden sich in den meisten Bundesländern noch in der Entwicklungsphase; in Nordrhein-Westfalen ist jedoch zum 1.1.2003 Controlling in der Finanzverwaltung eingeführt worden. Während die Mehrheit der Konzepte auf das jeweilige Bundesland beschränkt ist, hat das durch die Bertelsmann Stiftung initiierte Projekt zum Leistungsvergleich zwischen Finanzämtern Breitenwirkung erzielt. Im Rahmen dieses Projekts, an dem zwischen 1998 und 2001 zunächst die Finanzverwaltungen Bayerns und Sachsens und später auch Thüringens und Rheinland-Pfalz’ teilgenommen haben, sind Kennzahlen entwickelt worden, anhand derer die Erreichung der vier Zieldimensionen Auftragserfüllung, Wirtschaftlichkeit, Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit gemessen werden soll.833 Das Steuerungskonzept weist eine Reihe von Parallelen zu dem des Belastingdienst auf und sieht u. a. unter dem Stichwort „Kontraktmanagement“ den Abschluss von Zielvereinbarungen vor. Erklärtes Ziel des Projekts ist es, die Leistung durch Stärkung der Eigenverantwortung, d.h. durch Delegation und Dezentralisierung zu stärken und den Finanzämtern weitgehend freie Entscheidungsbefugnisse über die Verwendung der Mittel einzuräumen.834 Für die Ermittlung der Zieldimension „Wirtschaftlichkeit“ 832 833 834
CIAT, Handbook for Tax Administrations, bearbeitet von Alink/van Kommer. Prey/Riedel, VOP 11/2000, 17. Fischer/Riedel, VOP 3/2001, 17, 20.
D. Vergleich mit Deutschland
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wird die flächendeckende Einführung einer Kosten- und Leistungsrechnung angestrebt. Einführung der Kosten- und Leistungsrechnung, Budgetierungsprogramme und der Abschluss von Zielvereinbarungen sind auch Bestandteile der Steuerungskonzepte der meisten anderen Bundesländer.835 Wesentliches Element aller Steuerungskonzepte ist die Definition der Produkte und Ziele. Im Rahmen des Projektes „Leistungsvergleich“ sind einzelne Steuerbescheide als Produkte bezeichnet worden.836 Damit stellen sich jedoch ganz ähnliche Probleme wie in den Niederlanden, wo die ISMO sich stattdessen für eine Orientierung an den bearbeiteten Steuerfällen pro Zielgruppe ausgesprochen hatte (s. o.). Bei der Zieldefinition des Projekts „Leistungsvergleich“ fällt darüber hinaus auf, dass die Dimensionen Auftragserfüllung, Kundenzufriedenheit, Mitarbeiterzufriedenheit und Wirtschaftlichkeit gleichberechtigt nebeneinander stehen, ohne dass erörtert würde, ob der gesetzliche Auftrag der Finanzverwaltung (vgl. § 85 AO) möglicherweise einen Vorrang der Auftragserfüllung vor den übrigen Zieldimensionen fordert. Zum Verhältnis zwischen Rechtmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit in der öffentlichen Verwaltung vgl. die Ausführungen im 6. Kap. Dass die deutschen Länderfinanzverwaltungen mit der Entwicklung von betriebswirtschaftlich orientierten Steuerungskonzepten später begonnen haben als der Belastingdienst, ist sicherlich auch auf die unterschiedliche Managementkultur zurückzuführen: Während beim Belastingdienst bereits im Zusammenhang mit der Reorganisation Ende der 1980er/Anfang der 1990er Jahre Führungspositionen überwiegend mit Ökonomen besetzt wurden und der Aufgabenbereich der Juristen seitdem weitgehend auf den steuerfachlichen Bereich beschränkt ist, sind die Führungspositionen in der deutschen Finanzverwaltung im Wesentlichen Juristen vorbehalten. 835 Auch die Bundesregierung fördert in ihrer Initiative „Moderner Staat – Moderne Verwaltung“ die Einführung der Kosten- und Leistungsrechnung, vgl. dazu die Informationen auf der Homepage dieses Projekts unter . Aufgrund der Novellierung durch das Haushaltsrechts-Fortentwicklungsgesetz vom 22.12.1997, BGBl. 1997 I, 3251 ist gem. § 6 Abs. 3 Bundeshaushaltsordnung in geeigneten Bereichen der öffentlichen Verwaltung die Kosten- und Leistungsrechnung einzuführen. Die Vorschriftensammlung der Finanzverwaltung (VSF H9001) enthält eine Standard-Kosten- und Leistungsrechnung, die die einzelnen Bundesbehörden der Konzeption ihrer jeweiligen Systeme für die Kosten- und Leistungsrechnung zugrunde zu legen haben. Zur Unterstützung des Controlling in der öffentlichen Verwaltung durch die Kosten- und Leistungsrechnung s. Schmidberger, Controlling für öffentliche Verwaltungen, S. 247 ff., 271 ff. Auch in anderen europäischen Ländern ist die Kosten- und Leistungsrechnung bereits eingeführt bzw. wird über eine Einführung nachgedacht, vgl. den Überblick bei Kooij, Overheidsmanagement 2001, 40 ff. 836 Fischer/Riedel, VOP 3/2001, 17, 18.
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4. Kap.: Steuerung und Evaluation des Belastingdienst
Ein deutlicher Unterschied zu den Niederlanden besteht darin, dass die Steuerungskonzepte bislang kaum dazu eingesetzt werden, Transparenz nach außen hin zu vermitteln. Eine der Öffentlichkeit zugängliche Statistik der Finanzverwaltung mit Informationen zur Personalsituation, den Betriebsprüfungen, Modernisierungsbestrebungen etc. gibt es zwar in Rheinland-Pfalz,837 ansonsten müssen sich interessierte Bürger ebenso wie Wissenschaftler jedoch in der Regel mit den Angaben in Haushaltsplänen begnügen. Manche Informationen wie z. B. Rechtsbehelfsstatistiken werden in einigen Bundesländern streng vertraulich behandelt, sodass von außen nur wenig Einblick in die Arbeit der Finanzverwaltungen besteht.838 Verglichen mit dem Belastingdienst ist die Transparenz der deutschen Finanzverwaltung deshalb insgesamt mangelhaft.
II. Verwaltungsvorschriften Zur Konkretisierung von Beurteilungsspielräumen, zur Verfahrensvereinfachung (insbesondere durch Typisierung), zur Klärung rechtlicher Zweifelsfragen etc. werden durch die Exekutive in Deutschland in steuerrechtlichen Angelegenheiten eine Vielzahl von Verwaltungsvorschriften erlassen.839 Verwaltungsvorschriften sind Regelungen der Exekutive, mit denen im Innenverhältnis die Behörden und deren Bedienstete zu einem bestimmten Handeln oder Unterlassen veranlasst werden.840 Verwaltungsvorschriften ähneln den niederländischen Beleidsregels. Während jedoch in den Niederlanden ausschließlich der Staatssekretär für Finanzen zur Feststellung von Beleidsregels berechtigt ist, gestaltet sich die Kompetenzverteilung in Deutschland wegen der Dreigleisigkeit der Finanzverwaltung (s. 2. Kap.) erheblich komplizierter. So kommen als Urheber von Verwaltungsvorschriften grundsätzlich die Bundesregierung, der Bundesminister der Finanzen, die obersten Finanzbehörden der Länder und die Oberfinanzdirektionen in Betracht.841 Bei der Verwaltung von Bundessteuern durch Bundesbehörden können Aus837
Finanzämterstatistik 2000, abrufbar unter . Vgl. auch die von Vogel, Ungleichheiten beim Vollzug von Steuergesetzen im Bundesstaat, S. 132 (Fn. 233), geschilderten vergeblichen Bemühungen, für eine wissenschaftliche Untersuchung detaillierte Angaben über die Betriebsprüfung in den jeweiligen Länderfinanzverwaltungen zu erhalten. 839 Ausführlich zur Bedeutung und zur Typologie von Verwaltungsvorschriften im Steuerrecht Erichsen in: FS Kruse, S. 39, 40 ff.; Martens, Verwaltungsvorschriften, S. 30 ff.; Seer in: Bonner Kommentar, Art. 108 GG Rn. 167 ff. m. w. N. (Stand: 92. Lfg. November 1999). 840 Bonsels, Einwirkungs- und Mitwirkungsrechte, S. 84; Ähnlich auch Erichsen in: FS Kruse, S. 39, 40; Ossenbühl in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts Bd. III, Rn. 4. 841 Bonsels, Einwirkungs- und Mitwirkungsrechte, S. 84. 838
D. Vergleich mit Deutschland
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führungsvorschriften selbstverständlich nur innerhalb der Bundesfinanzverwaltung erlassen werden. Verwalten die Landesfinanzbehörden Steuern in Eigenverwaltung, so steht ihnen grundsätzlich auch die Kompetenz zum Erlass von Ausführungsvorschriften zu, denn dieses Recht ist Bestandteil der Organisationsgewalt.842 Allerdings ist die Bundesregierung gem. Art. 108 Abs. 7 GG befugt, mit Zustimmung des Bundesrates allgemeine Verwaltungsvorschriften für die Verwaltung von Steuern durch Landesfinanzbehörden zu erlassen, und zwar sowohl für den Bereich der Auftrags- als auch der Eigenverwaltung. Diese auf Art. 108 Abs. 7 GG basierenden Verwaltungsvorschriften ergehen üblicherweise als sog. Richtlinien und haben Vorrang vor konkurrierenden Verwaltungsvorschriften der Länder. Darüber hinaus besitzt der Bundesminister der Finanzen gem. Art. 108 Abs. 3 S. 2 i. V. m. Art. 85 Abs. 3 u. 4 GG ein Weisungsrecht gegenüber den Landesfinanzbehörden, soweit sie Steuern im Auftrag des Bundes verwalten. Ob diese Weisungsbefugnis über Einzelweisungen hinaus auch allgemeine Weisungen umfasst, ist umstritten.843 Bund und Länder haben in dieser Frage unter Beibehaltung ihrer gegensätzlichen Standpunkte zu einem Kompromiss in Form einer Bund-Länder-Vereinbarung aus dem Jahr 1970 gefunden, wonach u. a. der Bundesminister der Finanzen seine sog. Schreiben an die Landesfinanzbehörden inhaltlich zunächst mit diesen abstimmt und von deren Herausgabe absieht, wenn die Mehrheit der Länder Einwendungen erhebt.844 Zugleich haben die Länder in dieser Vereinbarung angekündigt, sich nach den Schreiben des Bundesministers der Finanzen zu richten und eigene allgemeine Weisungen dem Bundesminister der Finanzen zur Stellungnahme vorzulegen. Obwohl der Rechtscharakter der Vereinbarung streitig ist,845 ist sie in den vergangenen drei Jahrzehnten sowohl vom Bund als auch von den Ländern eingehalten worden. Sie ist Ausdruck der Kooperation zwischen dem Bundesministerium der Finanzen und den Länderfinanzverwaltungen, die überwiegend durch Bund-Länder842 Bonsels, Einwirkungs- und Mitwirkungsrechte, S. 83; Tipke, Steuerrechtsordnung Bd. 3, S. 1164. 843 Für die Zulässigkeit von allgemeinen Weisungen Flockermann in: FS Meyding, S. 105, 108 f.; Orlopp in: FS Klein, S. 597, 598; a. A. Bonsels, Einwirkungsund Mitwirkungsrechte, S. 108 f.; Seer in: Tipke/Lang, § 21 Rn. 35. Zur problematischen Einordnung der Schreiben des Bundesministers der Finanzen als „allgemeine Weisungen“ auch Manke, DStZ 2002, 70. 844 Vgl. den Abdruck der Bund-Länder-Vereinbarung v. 15.1.1970 bei Bonsels, Einwirkungs- und Mitwirkungsrechte, S. 115, Fn. 258. 845 Für die Einordnung als Verwaltungsabkommen Schöck, StuW 1977, 22, 28; Orlopp in: FS Klein, S. 597, 605; für die Qualifizierung als (unverbindliche) Verwaltungsabsprache Bonsels, Einwirkungs- und Mitwirkungsrechte, S. 122; Müller/ Zeitler, DStZ 1975/A, 467, 474; Seer in: Bonner Kommentar, Art. 108 GG, Rn. 108 (Stand: 92. Lfg. November 1999).
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4. Kap.: Steuerung und Evaluation des Belastingdienst
Gremien (Koordinierungsgremien) erfolgt und deren Ziel es u. a. ist, die gesetzlichen Weisungsrechte in der Praxis möglichst nicht zum Tragen kommen zu lassen.846 Dieses Zusammenwirken der Bundesländer und des Bundesministeriums der Finanzen im Wege des „kooperativen Föderalismus“ hat sich zwar in der Vergangenheit insoweit bewährt, als auf eine zwangsweise, repressive Durchsetzung von Maßnahmen und Interessen des Bundesministers der Finanzen bzw. der Bundesregierung gegen die Länderfinanzverwaltungen nicht zurückgegriffen werden musste.847 Eine derart umfassende Einheitlichkeit des „Beleid“, wie es der Staatssekretär für Finanzen in den Niederlanden anstrebt, lässt sich auf diesem Wege allerdings nicht erzielen, zumal im Einzelnen unklar ist, inwieweit die Sicherung einheitlicher Lebensverhältnisse, der Grundsatz der Besteuerungsgleichheit sowie die Pflicht zu bundesfreundlichem Verhalten eine Begrenzung der föderalistischen Eigenständigkeit der Bundesländer in Angelegenheiten des steuerlichen Gesetzesvollzugs ermöglicht oder gar fordert. Praktisches Beispiel für den unterschiedlichen Vereinheitlichungsgrad ist die Gestaltung von Vordrucken: Während in den Niederlanden Vordrucke selbstverständlich durch den Belastingdienst zentral gestaltet und eingeführt werden, wird in Deutschland die Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Ermächtigung des Bundesministers der Finanzen, bestimmte amtliche Vordrucke und Muster im Einvernehmen mit den obersten Finanzbehörden der Länder festlegen zu dürfen (vgl. z. B. § 51 Abs. 4 Nr. 1c EStG), in Zweifel gezogen.848 Eine allgemeine Pflicht zur Veröffentlichung von Verwaltungsvorschriften besteht nicht; dennoch werden sie zu einem nicht unerheblichen Teil nach außen hin bekannt gemacht und sind sowohl für die Steuerpflichtigen als auch für deren Berater von großer praktischer Bedeutung. Was die Bindungswirkung von Verwaltungsvorschriften gegenüber den Steuerpflichtigen betrifft, so wird in Deutschland überwiegend zwischen verschiedenen Typen von Verwaltungsvorschriften differenziert:849 Ermessenslenkende 846
Zum Aufbau und zur Arbeitsweise dieser Gremien Bonsels, Einwirkungs- und Mitwirkungsrechte, S. 115 ff. sowie Schöck, StuW 1977, 22 ff. (dort auch zur rechtlichen Einordnung der Kooperation). Vgl. auch Vogel, Ungleichheiten beim Vollzug von Steuergesetzen im Bundesstaat, S. 109 ff. 847 Seer in: Bonner Kommentar, Art. 108 GG, Rn. 26 u. 32 (zum kooperativen Föderalismus), 90, 93 (Stand: 92. Lfg. November 1999). 848 Schick, StuW 1988, 201, 306, ohne jedoch Gründe dafür zu nennen. Für das Bestehen einer ausreichenden verfassungsrechtlichen Grundlage in Art. 108 Abs. 4 S. 1 GG Bonsels, Einwirkungs- und Mitwirkungsrechte, S. 129. 849 Vgl. Erichsen in: FS Kruse, S. 39, 50 ff.; Leisner, Verwaltungsvorschriften, S. 29, 43, 48; Ossenbühl in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts Bd. III, Rn. 35, 39 ff.; Seer in: Bonner Kommentar, Art. 108 GG, Rn. 168 ff. m. w. N. (Stand: 92. Lfg. November 1999).
D. Vergleich mit Deutschland
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Verwaltungsvorschriften sollen aufgrund einer Selbstbindung der Verwaltung durch ständige Verwaltungspraxis zumindest mittelbare Außenwirkung entfalten, wohingegen bei sog. norminterpretierenden Verwaltungsvorschriften eine auch nur mittelbare Bindungswirkung nach außen abgelehnt wird. Hinsichtlich typisierender Verwaltungsvorschriften und Verwaltungsvorschriften zur Sachverhaltsermittlung halten der BFH und Teile der Literatur eine Bindungswirkung nach außen für möglich.850 In den Niederlanden sind in der Legaldefinition in Art. 1:3 lid 4 Awb zwar drei Arten von Beleidsregels aufgeführt, das Gesetz knüpft an die Unterscheidung aber keine Rechtsfolgen. Eine Gemeinsamkeit zwischen der niederländischen und deutschen Rechtsprechung besteht darin, dass der Verwaltung bei typisierenden Verwaltungsvorschriften (der Hoge Raad spricht von Zweckmäßigkeits- und Vereinfachungserwägungen, die für das Beleid ausschlaggebend sind, s. o.) ein großer Beurteilungsspielraum eingeräumt wird. Hingegen weicht die Auffassung des Hoge Raad in der Frage des Anspruchs auf Gleichheit im Unrecht wesentlich von der deutscher Gerichte ab: Während sich die Steuerpflichtigen in den Niederlanden zu ihren Gunsten erfolgreich auf eine Verwaltungspraxis contra legem berufen können und damit der Vertrauensschutz im Einzelfall Vorrang vor dem Legalitätsprinzip genießt, wird ein Anspruch auf Gleichheit im Unrecht in Deutschland grundsätzlich nicht anerkannt.851
III. Externe Evaluation 1. Parlament und Rechnungshof Der Kontrolle des Belastingdienst durch die Algemene Rekenkamer entspricht in Deutschland die Kontrolle der Finanzverwaltung durch den Bundesrechnungshof und die Landesrechnungshöfe. Gem. Art. 114 Abs. 2 S. 1 GG prüft der Bundesrechnungshof u. a. die Wirtschaftlichkeit und Ord850 Vgl. z. B. BFH v. 23.4.1982, VI R 30/80, BStBl. II 1982, 500, 501; BFH v. 5.5.1994, VI R 6/92, BStBl. II 1994, 534, 536; BFH v. 11.12.1997, III R 214/94, BStBl. II 1998, 292, 293 ff.; Eckhoff, Rechtsanwendungsgleichheit, S. 128, 130 ff.; Osterloh, Gesetzesbindung, S. 506 ff. Kritisch Erichsen in: FS Kruse, S. 39, 54 f. Ausdrücklich offen gelassen durch BVerfG v. 31.5.1988, 1 BvR 520/83, E 78, 214, 229. 851 Vgl. BVerwG v. 26.2.1993, 8 C 20/92, DÖV 1993, 867, 868; Erichsen in: FS Kruse, S. 39, 59. Mittlerweile werden in der Literatur verschiedene Ansichten vertreten, wonach ein Anspruch auf Gleichheit im Unrecht u. U. bestehen soll, vgl. Eckhoff, Rechtsanwendungsgleichheit, S. 546 ff., 552 ff. m. w. N. Leisner, Verwaltungsvorschriften, S. 59 f. spricht sich in derartigen Fällen für einen Vertrauensschutz zugunsten des Steuerpflichtigen aus, wenn dieser eine Disposition getätigt hat.
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4. Kap.: Steuerung und Evaluation des Belastingdienst
nungsmäßigkeit der Haushalts- und Wirtschaftsführung. Welche Bereiche der Tätigkeit der Finanzverwaltung der Haushaltsführung zugerechnet werden und damit einer Prüfung durch den Bundesrechnungshof zugänglich sind, ist im Einzelnen abzugrenzen; der Vollzug der Steuergesetze durch die Erhebungsbehörden, d.h. durch die einzelnen Finanzämter, zählt jedoch zweifelsohne dazu. Der Bundesrechnungshof (und entsprechend der jeweilige Landesrechnungshof) prüft, ob die Finanzverwaltung gem. § 34 Abs. 1 BHO die Einnahmen rechtzeitig und vollständig erhebt852 und ob z. B. organisationsrechtliche Regelungen der rechtzeitigen und vollständigen Einnahmenerhebung dienen. In diesem Zusammenhang haben die Rechnungshöfe in der Vergangenheit ähnlich schonungslos über die Zustände der Steuerverwaltung berichtet, wie das die niederländische Rekenkamer in ihren Berichten getan hat. So hat der Bundesrechnungshof bereits Ende der 1960er/Anfang der 1970er Jahre Kritik an den unzureichenden Möglichkeiten der Steuerverwaltungen erhoben, die Angaben der Steuerpflichtigen zu überprüfen, und auch die Einführung der GNOFÄ geht auf Anregungen des Bundesrechnungshofes zurück.853 In den 1990er Jahren hat er detaillierte Untersuchungen der verschiedenen Außendienste durchgeführt, die die Finanzbehörden zur Ermittlung steuerlicher Sachverhalte einsetzen, und z. B. über die steuerliche Betriebsprüfung und die Steuerfahndung in den alten und neuen Bundesländern berichtet.854 Des Weiteren hat der Bundesrechnungshof die Zusammenarbeit der Länder auf dem Gebiet der Automatisierung wiederholt gerügt und das Bundesministerium der Finanzen aufgefordert, koordinierend tätig zu werden (vgl. § 20 Abs. 1 FVG). Seiner Funktion und seinem Prüfungsauftrag entsprechend legt der Bundesrechnungshof seinen Untersuchungen insbesondere Wirtschaftlichkeitserwägungen zugrunde. Die Verletzung individualschützender Normen hingegen ist nicht Prüfungsgegenstand. Eine besondere Bedeutung kommt dem Bundesrechnungshof bei der Überwachung des gleichmäßigen Vollzugs der Steuergesetze im Bundesgebiet zu, denn er hat nachzuhalten, ob die dem Bund (zumindest teilweise) zustehenden Steuern im Bundesgebiet in einheitlicher Weise erhoben werden.855 852 Buchbinder, Kontrolle der Finanzverwaltung, S. 167 f., 280 ff.; zur Kompetenzverteilung zwischen dem Bundesrechnungshof und den Landesrechnungshöfen vgl. Zavelberg in: FS Klein, S. 1141, 1146 ff. 853 Vgl. z. B. Bemerkungen des Bundesrechnungshofes 1967, BT-Drs. 6/559, Nr. 89 f. 854 Vgl. z. B. Bemerkungen des Bundesrechnungshofes 1994, BT-Drs. 12/8490 Nr. 66; Bemerkungen 1996, BT-Drs. 13/5700 Nr. 53–55; Bemerkungen 1998, BT-Drs. 14/29 Nr. 79 u. 81; Bemerkungen 2000, Nr. 65 . 855 Zavelberg in: FS Klein, S. 1141, 1145.
D. Vergleich mit Deutschland
309
Der Bundesrechnungshof legt die Ergebnisse seiner Prüfungen dem Bundesminister der Finanzen in Form sog. Prüfungsmitteilungen vor; außerdem werden seine jährlichen Bemerkungen im Rechnungsprüfungsausschuss, einem Unterausschuss des Haushaltsausschusses des Bundestages, behandelt. Nicht selten finden die Feststellungen des Bundesrechnungshofes Eingang in Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts.856 2. Richterliche Kontrolle Wichtige Impulse für die Durchführung des Besteuerungsverfahrens gehen immer wieder vor allem von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aus. So hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Zinsurteil darauf hingewiesen, dass das Erklärungsprinzip bei den Veranlagungssteuern der Ergänzung durch das Verifikationsprinzip bedürfe und strukturelle Vollzugsdefizite dem Gesetzgeber zugerechnet werden können.857 Dahinter verbirgt sich jedoch weniger ein Vorwurf an die Finanzverwaltung als vielmehr an den Gesetzgeber, diese mit den entsprechenden Kontrollbefugnissen auszustatten. Ungeschriebene Rechtsgrundsätze spielen bei der Überprüfung des Handelns der Finanzverwaltung durch die Gerichte in den Niederlanden eine viel größere Rolle als in Deutschland. Dies hängt mit der fehlenden Prüfungskompetenz von Gesetzen am Maßstab der in der Verfassung verankerten Grundrechte in den Niederlanden zusammen. Die Kontrolle, die Gerichte in den Niederlanden über den Steuergesetzgeber und die Finanzverwaltung ausüben, bleibt aus diesem Grund in einigen Bereichen hinter der in Deutschland bestehenden zurück. So wird denn auch die Rechtsprechung des BVerfG z. B. zum Leistungsfähigkeitsprinzip in den Niederlanden zur Kenntnis genommen und von manchen beklagt, dass der Grundrechtsschutz in den Niederlanden so viel schwächer ist als in Deutschland.858
856 Vgl. z. B. die Bemerkungen des Bundesrechnungshofes 1985, BT-Drs. 10/ 4367 Nr. 44 zur Besteuerung von Kapitalerträgen sowie das sog. Zinsurteil des BVerfG v. 27.6.1991, 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239, 261 f. Im April 2002 hat der Bundesrechnungshof einen Bericht zur Besteuerung der Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften mit Wertpapieren veröffentlicht, in dem er strukturelle Vollzugsdefizite feststellt. Mit der Frage, ob die Besteuerung von Spekulationsgewinnen wegen dieser Vollzugsdefizite verfassungswidrig ist, wird sich in Kürze das BVerfG beschäftigen, vgl. Vorlagebeschluss des BFH vom 16.7.2002, IX R 62/99. 857 BVerfG v. 27.6.1991, 2 BvR 1493/89, E 84, 239, 273. 858 Vgl. z. B. van den Berge, WFR 2000, 895, 898 f.
310
4. Kap.: Steuerung und Evaluation des Belastingdienst
3. Reaktionen der Steuerpflichtigen und der Mitarbeiter der Steuerverwaltung Befragungen der Steuerpflichtigen hat es in Deutschland insbesondere in den vergangenen Jahren häufiger gegeben, wobei ein Teil der Untersuchungen auf einzelne Bundesländer beschränkt und mangels Standardisierung der Fragen und der Bewertungsskalen nur eingeschränkt vergleichbar ist. Eine derart institutionalisierte und regelmäßige Befragung wie im Rahmen des niederländischen Fiscale Monitor gibt es in Deutschland nicht. Einige Umfragen, wie z. B. die im Zusammenhang mit dem Projekt „Leistungsvergleich zwischen Finanzämtern“ (s. o.) durchgeführte, nehmen Bezug auf konkrete Veränderungen innerhalb der Steuerverwaltung. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Steuerpflichtigen tatsächlich ein großes Interesse an einer Verbesserung des Serviceangebots haben und Faktoren wie z. B. die Öffnungszeiten, die Freundlichkeit der Mitarbeiter etc. ihre Einstellung gegenüber der Steuerverwaltung beeinflussen.859 Ein weiteres Ergebnis der Befragungen in Deutschland und den Niederlanden ist, dass immerhin 35–40% der Particulieren/Einzelpersonen ihre Steuererklärung durch einen Berater anfertigen lassen.860 Diese Information ist für die Konzeption der Öffentlichkeitsarbeit und des Serviceangebotes der Steuerverwaltungen relevant, sind doch z. B. die Informationsbedürfnisse von steuerlichen Laien und Steuerberatern vollkommen unterschiedlich. Was die Haltung der Mitarbeiter der Finanzverwaltung betrifft, so scheint eine Parallele zwischen der Situation in den Niederlanden vor der Reorganisation Ende der 1980er Jahre und der heutigen Situation in Deutschland zu bestehen: Viele Mitarbeiter der Finanzverwaltung sind mit ihrer Arbeit und den Arbeitsumständen unzufrieden861 – einerseits, weil sie sich einem Widerspruch zwischen dem gesetzlichen Vollzugsauftrag und der Vollzugsrealität ausgesetzt sehen, und andererseits, weil das Image der Steuerverwaltung und deren Mitarbeiter schlecht ist. Diese Unzufriedenheit kommt u. a. darin zum Ausdruck, dass die Finanzverwaltung, je nach Lage am Arbeitsmarkt, in den letzten Jahren eine Abwanderung von qualifizierten Kräften erlebt hat.862 Letzteres erinnert an den „Exodus“ von Finanzbeamten in den 859
Vgl. die Ergebnisse der Besucherbefragungen im Rahmen des Projekts „Leistungsvergleich zwischen Finanzämtern“, abgedruckt in der gleichnamigen, durch die Bertelsmann-Stiftung herausgegebenen Studie, S. 96. 860 Vgl. die im Juli 2001 im Auftrag der Kienbaum Management Consultants GmbH und der Bertelsmannstiftung durchgeführte bundesweite Befragung, abgedruckt in der von den Genannten veröffentlichten Compliance-Studie, S. 37, 43. 861 Helsper, Wege für Beweger, S. 73 f. 862 Helsper, Wege für Beweger, S. 75; Karl, DStZ 2002, 598; Pelka, DB 1996, 699.
D. Vergleich mit Deutschland
311
Niederlanden in den 80er Jahren, der inzwischen deutlich nachgelassen hat.863 Auf subtilere Weise äußert sich die Unzufriedenheit außerdem in der Mitarbeitermotivation, d.h. z. B. bei der Bereitschaft, Sachverhalte über den eigenen Zuständigkeitshorizont hinaus zu beobachten und ggf. mit anderen Abteilungen zusammenzuarbeiten.864 Helsper vergleicht die deutsche Finanzverwaltung mit einer geschlagenen, sich auf dem Rückzug befindlichen Armee,865 und man könnte dieses Bild durch den Zusatz erweitern: Im Rückzug vom Kampf gegen die Steuerunehrlichkeit. Wenn man im Bild der Armee bleibt, so ist die Moral in der Truppe wegen der ständigen Rückzugsgefechte am Boden. Unterstützt wird diese Einschätzung durch Ergebnisse einer Mitarbeiterbefragung, die in Bayern und Sachsen im Rahmen des Projekts „Leistungsvergleich zwischen Finanzämtern“ in den Jahren 1999 und 2000 durchgeführt wurde und aus der eine negative Einschätzung der befragten Mitarbeiter hinsichtlich des Einsatzes der Politik und der vorgesetzten Dienstbehörden für das Ansehen der Finanzverwaltung in der Öffentlichkeit erkennbar wird: Auf einer Skala von eins bis sechs wurde die Qualität der Öffentlichkeitsarbeit lediglich mit 4,56 (Sachsen) und 5,29 (Bayern) bewertet.866
863 In den letzten Jahren betrug die Abwanderungsquote gerade noch 2,2%, vgl. van Osch/van Rijswijk, Elsevier v. 11.2.2000, 74, 78. 864 Helsper, Wege für Beweger, S. 74. 865 Helsper, Wege für Beweger, S. 75. Vielsagend auch der von Helsper, a. a. O., zitierte Spruch, der innerhalb der Finanzverwaltung kursiere: „Die Sonne scheint zum Fenster rein, hak’s ab, es wird schon richtig sein!“. 866 Kail/Riedel, VOP 1–2/2001, 26, 27.
5. Kapitel
Überblick über aktuelle Entwicklungen Als dem Belastingdienst unmittelbar nach Abschluss der Reorganisation von verschiedenen Seiten Anerkennung für die bewerkstelligte Umstrukturierung gezollt wurde, beeilte man sich, darauf hinzuweisen, dass man sich nicht auf den bisherigen Erfolgen ausruhen wolle, sondern dass es künftig Ziel der Organisation sein müsse, sich den politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen kontinuierlich anzupassen, um nicht wieder in eine derart unbefriedigende Situation zu geraten wie vor der Reorganisation Mitte der 1980er Jahre.867 An diesem Vorsatz wird nach wie vor festgehalten und der Belastingdienst hat seine andauernde Bereitschaft zur Veränderung bzw. Anpassung auch in der Diskussion um die Entwicklung des niederländischen Steuerrechts im 21. Jahrhundert unter Beweis gestellt.868 Der Bereitschaft, zumindest der Führungsebene des Belastingdienst, zur permanenten Weiterentwicklung und Veränderung liegt die Auffassung zugrunde, dass langes Beharren auf bekannten Strukturen und Prozessen die Organisation schwerfällig und unflexibel machen kann,869 und dass das Ziel, einen qualitativ hochwertigen Vollzug der Steuergesetze zu gewährleisten, nicht dauerhaft mit denselben Strukturen und Prozessen erreicht werden kann. Seit dem 1.1.2003 stehen deshalb erhebliche Änderungen an, wobei die Frage, ob es sich bei den bereits umgesetzten bzw. geplanten Maßnahmen insgesamt um eine erneute tiefgreifende Reorganisation handelt, unterschiedlich beantwortet wird.
A. „Belastingdienst Straks“ Unter der Bezeichnung „Belastingdienst Straks“ („straks“ bedeutet bald, demnächst) hat der Belastingdienst seit Ende 2000 konkrete Maßnahmen und Ziele für Veränderungen in den kommenden Jahren formuliert.870 Die 867 Slijpen im Interview mit Vennix, BM 11/1997, 15, 17; van Lunteren im Interview mit de Vos, Binnenlands Bestuur v. 31.3.2000, 20, 21. Vgl. auch Belastingdienst, The Tax and Customs Administration of the Netherlands, S. 4. 868 Swildens, Ontwikkelingen in de wijze van heffing, S. 13, 14 f., 17. 869 Vgl. Belastingdienst, The Tax and Customs Administration of the Netherlands, S. 3.
A. „Belastingdienst Straks“
313
geplanten Veränderungen beziehen sich sowohl auf den Bereich der Prozessorganisation und -durchführung als auch auf die Struktur des Belastingdienst. Bemerkenswert ist, dass der Belastingdienst die Ende der 1980er Jahre eingeführte Ausrichtung an Zielgruppen zum Teil wieder zugunsten einer Orientierung an Prozessen aufgeben will. Dies gilt jedoch bei näherer Betrachtung in erster Linie für die nach außen hin sichtbare Struktur, während bei der Fallgewichtung und der Bearbeitung der Steuerpflichtigen auch weiterhin zwischen verschiedenen Zielgruppen, Segmenten etc. differenziert werden wird.
I. Veränderung der Struktur des Belastingdienst 1. Abschaffung der Zielgruppendirektionen und Bildung von Steuerbezirken Die Zielgruppendirektionen, die im Zuge der Reorganisation Ende der 1980er/Anfang der 1990er Jahre eingerichtet worden waren, sind zum 1.1.2003 abgeschafft worden. Durch den Wegfall der kompletten mittleren Hierarchieebene soll die Distanz zwischen den ausführenden Ämtern und der Führungsebene verringert werden.871 Gleichzeitig werden die bisherigen Finanzämter zu insgesamt 13 regionalen Steuerbezirken872 mit einer durchschnittlichen Personalstärke von 1.000–1.500 Mitarbeitern sowie 4 Zollämtern zusammengefasst, die die Prozesse „Dienstleistung“ und „intensive Kontrolle“ ausführen. Zwar steht langfristig die Schließung einiger lokaler Ämter an, doch ist zum 1.1.2003 zunächst tatsächlich nur ein organisatorischer Zusammenschluss zu Steuerbezirken erfolgt. Für die Massenprozesse soll ein zusätzlicher Bezirk mit einigen Niederlassungen eingerichtet werden, in dem – wie bereits zur Zeit in Heerlen – insbesondere die Digitalisierung der Steuererklärungen sowie der automatisierte Datenabgleich erfolgt. Auch der Ermittlungsdienst FIOD-ECD bleibt als separate Einheit bestehen. Die unterstützenden Prozesse wie Gebäude- und Materialverwaltung, IT-Support, Kommunikation etc. werden von drei Unterstützungseinheiten übernommen, die in der internen Struktur weitestgehend verselbständigt sind: Das Zentrum für Informations- und Kommunikationstechnologie 870 Dargelegt u. a. im Bedrijfsplan 2002–2006, abrufbar unter . 871 Belastingdienst, Beheersverslag 2000, Voorwoord. 872 Die neuen Bezirke sind Noord, Oost, Randmeren, Rivierenland, Utrecht-Gooi, Amsterdam, Holland Noord, Haaglanden, Holland Midden, Rijnmond, Zuidwest, Oost Brabant und Limburg. Bei der Bezeichnung hat sich der Belastingdienst u. a. an Provinzbezeichnungen und Polizeidistrikten orientiert, um eine größtmögliche Eingängigkeit und Akzeptanz bei den Bürgern zu gewährleisten.
314
5. Kap.: Überblick über aktuelle Entwicklungen
(zuständig für die Unterstützung der Computersysteme), das Zentrum für Hilfsdienstleistungen (zuständig für die Gebäudebewirtschaftung und -ausstattung sowie Sicherheitsfragen) und das Zentrum für Daten und Information (zuständig für die interne Weiterbildung, Personalentwicklung, Organisationsentwicklung und insbesondere die Kommunikation zwischen den einzelnen Untergliederungen).873 Für die Bearbeitung von Steuerfällen der größten Unternehmen aus der Zielgruppe Grote Ondernemingen (der früheren Unterteilung entsprechend die Unternehmen der Gruppen I und II, d.h. ca. 1000 Entitäten) werden in zwei der 13 neuen Steuerbezirke (Amsterdam und Rijnmond) spezielle Teams eingerichtet, und die bisherigen Sonderteams für Grote Ondernemingen wie z. B. das Rulingteam werden in diese beiden Steuerbezirke integriert. Grund für diese Bündelung ist der Erfolg, der dem individuellen, maßgeschneiderten Bearbeitungsansatz für diese Zielgruppe in der Vergangenheit beschert war. Die in den vergangenen 10 Jahren erworbene Expertise soll weiterhin konzentriert bleiben. Die restlichen Entitäten – die frühere Gruppe III der Grote Ondernemingen – wird auf die 13 Steuerbezirke aufgeteilt, wobei jedoch innerhalb der Steuerbezirke eine Konzentrierung der Entitäten in speziellen Teams vorgesehen ist. Die Steuerfälle der Particulieren und der Ondernemingen, die bislang unter der Verantwortung der jeweiligen Zielgruppendirektion(en) auf gesonderte Finanzämter aufgeteilt waren, werden künftig stärker zusammengefasst. Dennoch soll auch hier die Expertise in Form von Branchenkenntnis, die in der Vergangenheit aufgebaut worden ist, nicht verloren gehen, sodass davon auszugehen ist, dass zwar die Einteilung in gesonderte Finanzämter aufgehoben, die Zuweisung an spezielle Teams jedoch beibehalten wird. Allerdings soll diese Zuweisung keine ausschließliche mehr sein, sodass Steuerfälle künftig z. B. von einem Team auf ein anderes (auch über Zielgruppengrenzen hinweg) übertragen werden können, wenn dies sachdienlich erscheint. Die Sachbearbeiter sollen sich künftig stärker spezialisieren. Grund für diese Entwicklung ist zum einen, dass sich die Anforderungen, die insbesondere an die früheren Klantmanager gestellt wurden, in der Praxis als überhöht erwiesen haben. Diese „Generalisten“ sollten in der Lage sein, 80% der ihnen übertragenen Steuerfälle selbständig zu bearbeiten, und nur für die verbleibenden 20% die Hilfe von Spezialisten in Anspruch nehmen. Gleichzeitig waren sie sowohl für den persönlichen Kontakt mit den Steuerpflichtigen als auch für die Organisation der Bearbeitung der Steuerfälle, d.h. für die Initiierung von Außenprüfungen, die Durchführung der Veranlagungen etc. zuständig. Mitarbeiter, die diese Funktion bekleideten, muss873
Belastingdienst, Bedrijfsplan 2002–2006, S. 31.
A. „Belastingdienst Straks“
315
ten deshalb nicht nur über ein umfangreiches Fachwissen verfügen, sondern darüber hinaus auch noch geschickt im Umgang mit den Steuerpflichtigen sein.874 Viele Klantmanager fühlten sich durch dieses Anforderungsprofil überfordert. Deshalb ist bereits in den vergangenen drei Jahren damit begonnen worden, den Servicebereich auf ein sog. Front-Office mit entsprechend ausgebildeten Servicekräften zu verlagern, mit dem der Steuerpflichtige Kontakt aufnimmt. Diese Entwicklung wird ab 2003 noch konsequenter fortgeführt. Die eigentliche Veranlagungs- und Prüfungsarbeit wird im Back-Office erledigt, mit dem der Steuerpflichtige in der Regel keinen direkten Kontakt hat. Allerdings sind hier noch viele Fragen offen und die genaue Verteilung der Arbeit auf die einzelnen Typen von Mitarbeitern wird sich erst in der Praxis herauskristallisieren. So ist z. B. davon auszugehen, dass zumindest für Steuerberater im Back-Office eine „abgespeckte“ Version des Klantmanagers zur Verfügung stehen wird, der für die Unternehmen bestimmter Branchen als Ansprechpartner fungiert, da die komplexeren Anliegen der Steuerberater in der Regel nicht vom Servicepersonal am Front-Office bearbeitet werden können. Wahrscheinlich wird ein wesentlicher Teil der Funktionen des bisherigen Klantmanagers, nämlich die Koordination der Bearbeitung eines Steuerfalls durch verschiedene Spezialisten, künftig durch entsprechende Computerprogramme übernommen, d.h. es wird langfristig einen „virtuellen Klantmanager“ geben, der den Fortgang der Bearbeitungsprozesse überwacht und auch die Servicemitarbeiter unterstützt, wenn sich die Steuerpflichtigen mit Fragen an sie wenden. In jedem Fall soll gewährleistet sein, dass an einer Stelle, sei es bei einem „leibhaftigen“ Klantmanager oder in einem entsprechenden Computerprogramm, fortwährend ein Überblick über den Status und etwaige begonnene Maßnahmen hinsichtlich eines Steuerfalls besteht, damit die integrative Bearbeitung der Steuerfälle gewährleistet bleibt. Ein weiterer Grund für die Abschaffung der Funktion des Klantmanager für Ondernemingen dürfte der Umstand sein, dass diese Zielgruppe von dessen Existenz offensichtlich nicht in ausreichendem Maße Kenntnis genommen hat. So haben Umfragen im Rahmen des jährlichen Fiscale Monitor gezeigt, dass zwar rund 65% der befragten Grote Ondernemingen, jedoch nur 40% der Ondernemingen über das Bestehen eines Klantmanager/ Klantcoördinator informiert waren. Dementsprechend fällt auch der Umfang der aktiven Kontaktaufnahmen mit dem jeweils zuständigen Klantmanager/ -coördinator bei den Ondernemingen viel geringer aus als bei den Grote Ondernemingen.875 Trotz umfangreicher Aufklärungsbemühungen seitens 874 Vgl. das Anforderungsprofil in: Belastingdienst, Handwijzer Klantbehandeling, S. 101. 875 Vgl. z. B. Die Ergebnisse des Fiscale Monitor 2001, S. 55 ff.
316
5. Kap.: Überblick über aktuelle Entwicklungen
des Belastingdienst hat sich der Bekanntheitsgrad der Klantmanager damit seit Jahren nicht wesentlich verbessert. Bei den Finanzämtern für Grote Ondernemingen hingegen wird auch weiterhin Wert auf einen möglichst intensiven, persönlichen Kontakt zu den einzelnen Unternehmen gelegt, der durch den Klantcoördinator aufgebaut und gepflegt wird. Bemerkenswert ist dieser Trend zu mehr Spezialisierung insbesondere deshalb, weil Anfang der 1990er Jahre innerhalb des Belastingdienst die Möglichkeiten, Vorzüge und Nachteile der Kombination der Tätigkeiten von Veranlagungsbeamten und Kontrolleuren in einer Person (Stichwort: Inspectroleren) sehr ausgiebig diskutiert worden waren und man sich daraufhin ganz bewusst – vor allem aus Effizienzgründen heraus – für eine derartige Zusammenfügung der Aufgaben entschieden hatte.876 2. Neue Managementstrukturen Auch die Managementstruktur erfährt eine durchgreifende Veränderung: Die einzelnen Finanzämter werden künftig nicht mehr von einem einzelnen Vorsteher, sondern von einem 5-köpfigen Managementteam geleitet. Die Managementteams basieren auf dem Konzept der gemeinsamen Verantwortung für das Gesamtresultat, kombiniert mit individuellen Verantwortlichkeiten für Teilbereiche.877 Auch hier wird anstelle von Generalisten eher auf Spezialisten gesetzt, weil die Anforderungen, die an Führungskräfte gestellt werden, mittlerweile sehr hoch sind und die wenigsten die verschiedenen Führungskompetenzen in sich vereinigen, weshalb einzelne Personen diesen Ansprüchen nach Einschätzung des Belastingdienst nicht mehr gewachsen sind und stattdessen im Team ihre jeweiligen Fähigkeiten zum Erfolg des Gesamten kombinieren sollen.878 Gleichzeitig soll noch mehr Verantwortung delegiert werden, d.h. das Management der Steuerbezirke soll sich auf das Festlegen von Zielen und zu erbringenden Leistungen sowie die Bereitstellung der dafür benötigten Mittel und Einrichtungen konzentrieren, während die konkrete Umsetzung dieser Vorgaben den Mitarbeitern in den einzelnen Niederlassungen überlassen bleibt. Es ist nicht beabsichtigt, für die lokalen Dependancen innerhalb der Steuerbezirke (die bisherigen Finanzämter) Vorsteher o. ä. einzusetzen. Geplant ist stattdessen, die Teamleiter innerhalb dieser Niederlassungen gemeinschaftlich Verantwortung für das Alltagsgeschäft übernehmen zu lassen. 876 Dazu Sanders, Controle op Klantmanagement, S. 12. Zum Stichwort „Inspectroleren“ van der Putten in: Seminar Controle, Beleid & Praktijk, S. 19, 26 f. 877 Belastingdienst, Bedrijfsplan 2002–2006, S. 28. Diese Entwicklung war übrigens bereits 1988 von Reuvers, Fiscaal scenario 2000, S. 111 vorausgesagt worden! 878 Belastingdienst, Beheersverslag 2000, Voorwoord.
A. „Belastingdienst Straks“
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Der Belastingdienst hat fünf Typen von Managern entwickelt, die künftig innerhalb der Managementteams nach Neigung/Fähigkeit der Kandidaten besetzt werden:879 – der Organisator (verantwortlich u. a. für den Abschluss von Managementverträgen und sonstigen Vereinbarungen); – der Produzent (zuständig für die Arbeitsergebnisse des Belastingdienst); – der Qualitätsmanager (verantwortlich für die interne Kontrolle); – der Dirigent/Koordinator (verantwortlich dafür, als „Botschafter“ der Organisation aufzutreten und Menschen miteinander [auch innerhalb der Managementteams] ins Gespräch zu bringen); – der Personalmanager (verantwortlich für das Anwerben, Ausbilden und Begleiten der Mitarbeiter). Die Mitglieder der Managementteams sind im Prinzip gleichberechtigt. Dennoch wird es mit dem sog. Dirigenten einen primus inter pares geben, da davon auszugehen ist, dass die Führungskräfte mit dem Teilen der Verantwortung im Team und der gemeinsamen Steuerung des Teams erst Erfahrungen sammeln müssen. In den Managementteams der beiden Bezirke Amsterdam und Rijnmond, die für die Betreuung der größten Steuerfälle aus der Gruppe der Grote Ondernemingen zuständig sein werden, wird es ein zusätzliches Mitglied speziell für die Koordinierung und Überwachung der Bearbeitung dieser Steuerfälle geben.880 Eine besondere Herausforderung für die Teams besteht darin, dass ihnen vollkommen freie Hand für die Organisation ihrer Arbeit gelassen wird. Die künftigen Managementteams sind schon mit einem deutlichen zeitlichen Vorlauf als sog. veranderteam (Änderungsteam) zusammengestellt worden und haben jeweils für ihren künftigen Steuerbezirk eine neue Organisationsstruktur und einen Plan für den Übergang ausgearbeitet, d.h. auch der organisatorische Aufbau der Bezirke wird nicht zentral, sondern durch die einzelnen Teams festgelegt und ist deshalb in allen 13 Bezirken unterschiedlich. Allerdings gelten einige Leitlinien wie z. B. die Zielgruppenorientierung für alle Steuerbezirke. Auch auf der zentralen Führungsebene des Belastingdienst gibt es ein Managementteam, dessen Mitglieder jeweils die Verantwortung für die Weiterentwicklung einzelner Prozesse wie z. B. die Besteuerung von Grote Ondernemingen, Zollangelegenheiten, Kontrollaktivitäten oder Serviceleis879 880
S. 17.
Vgl. Alink/van Kommer, The Dutch Approach, unter 24.6. Belastingdienst, The Tax and Customs Administration of the Netherlands,
318
5. Kap.: Überblick über aktuelle Entwicklungen
tung übernehmen. Als Plattform für die Kooperation zwischen dem zentralen Managementteam einerseits und den regionalen Managementteams der Steuerbezirke sowie den sonstigen operativen Zentren andererseits fungiert der sog. Groepsrat (Gruppenrat), dem unter dem Vorsitz des Generaldirektors des Belastingdienst jeweils ein Mitglied der regionalen Managementteams und aller anderen Direktorate angehört.881 Dieser Gruppenrat soll die Leitlinien für die Arbeitsweise des Belastingdienst als Ganzes erarbeiten. Das zentrale Managementteam sowie der Gruppenrat werden unterstützt durch ein Generaldirektorat, das vorbereitende Tätigkeiten übernehmen soll und aus 12 selbststeuernden Teams besteht, die z. B. auf Themen wie internationale Besteuerungsangelegenheiten, Particulieren, Ondernemingen, interne Steuerung etc. spezialisiert sind. 3. Organigramm des Belastingdienst zum 1.1.2003 Das Resultat der aktuellen Veränderungen der Struktur des Belastingdienst zum 1.1.2003 lässt sich anhand des folgenden Organigramms (Abbildung 13, s. nächste Seite) verdeutlichen.882
II. Veränderung der Primärprozesse Nach der überwiegenden Ausrichtung auf Zielgruppen in den vergangenen knapp 15 Jahren treten mit dem Programm „Belastingdienst Straks“ die drei primären Prozesse Dienstleistung, (intensive) Kontrolle und Ermittlung sowie automatisierte Massenverfahren in den Vordergrund, wobei jedoch – im Gegensatz zu der Orientierung an Steuerarten und Verfahrensabschnitten vor der Reorganisation Ende der 1980er Jahre – die integrative Bearbeitung der Steuerpflichtigen beibehalten wird. Für diese Primärprozesse legt das Zentrum für Produkt- und Prozessentwicklung (B/CPP) zentral Zielvorgaben fest und überwacht deren Einhaltung. 1. Dienstleistung Für den Bereich der Dienstleistung lautet die strategische Zielsetzung für die kommenden Jahre „Dienstleistung schnell und nach Maß“.883 Das Informationsangebot soll weiter ausgebaut werden und die Steuererklärungen, 881
Belastingdienst, The Tax and Customs Administration of the Netherlands,
S. 22. 882 Vgl. auch Belastingdienst, The Tax and Customs Administration of the Netherlands, S. 29; Jaarverslag 2002, S. 7. 883 Belastingdienst, Bedrijfsplan 2002–2006, S. 9.
A. „Belastingdienst Straks“
319
Managementteam des Belastingdienst
Groepsraad (zusammengesetzt aus dem Managementteam sowie Vertretern aller ausführenden und unterstützenden Einheiten)
Generaldirektorat des Belastingdienst (12 Teams)
Ausführende Einheiten
Unterstützungseinheiten
13 Steuerbezirke (jeweils mit mehreren Niederlassungen)
Zentrum für Informationsund Kommunikationstechnologie
4 Zollämter
Zentrum für Aus- und Weiterbildung
FIOD/ECD
Zentrum für Materialbeschaffung und Gebäudeverwaltung
Zentrum für Prozess- und Produktentwicklung
Abbildung 13: Struktur des Belastingdienst (Stand: 1. 1. 2003)
insbesondere die elektronischen Erklärungen, noch schneller bearbeitet und Steuererstattungen schneller an die Steuerpflichtigen ausgezahlt werden. Das Ein-Schalter-Prinzip (één-loket-gedachte) wird dort, wo dies noch nicht geschehen ist, konsequent umgesetzt, und zwar für alle Kommunikationsmedien (Internet, Telefon und persönliches Gespräch). Dadurch wird die Trennung zwischen dem Front-Office, mit dem der Steuerpflich-
320
5. Kap.: Überblick über aktuelle Entwicklungen
tige zu tun hat, und dem Back-Office weiter ausgebaut, sodass die Steuerpflichtigen (insbesondere die Particulieren) immer weniger Einblick darin haben werden, an welcher Stelle und von wem ihre Angelegenheiten bearbeitet werden. a) Dienstleistung über das Internet Auf der komplett modernisierten Homepage des Belastingdienst sollen künftig sämtliche Formulare per Internet zur Verfügung stehen und online ausgefüllt werden können. Auch die Kontaktaufnahme per Email soll ausgebaut werden, wenngleich die zunächst sehr ehrgeizigen Zielsetzungen auf diesem Gebiet aus Kostengründen zurückgestuft worden sind. Zum Ausbau des digitalen Datenaustauschs sind weitere Kooperationen mit Anbietern von Buchhaltungs- und Finanzdienstleistungssoftware geplant. Langfristig will sich der Belastingdienst zu einem „Internetdienst“ entwickeln und im Jahr 2006 sollen 50% der Steuerpflichtigen über das Internet mit dem Belastingdienst Kontakt aufnehmen, Transaktionen durchführen und 70% der anfallenden Fragen mittels der im Internet zur Verfügung stehenden Informationen selbst beantworten können.884 Parallel zum Ausbau des digitalen Informationsaustauschs wird ein Schwerpunkt in der Entwicklung entsprechender Instrumente zur Sicherung dieses Datenaustauschs gegen den Zugriff Dritter liegen. Um den Steuerpflichtigen die Angst vor einer weitgehenden Preisgabe persönlicher Informationen bei der Nutzung von Online-Informationsangeboten des Belastingdienst zu nehmen, hat sich der Belastingdienst (bislang) darauf festgelegt, das Suchverhalten der Steuerpflichtigen auf den Internetseiten des Belastingdienst nicht auf steuerlich relevante Punkte hin zu analysieren, den Steuerpflichtigen weitgehend anonym Informationsmöglichkeiten zur Verfügung zu stellen und auch von der Nutzung individualisierter Daten, die die Steuerpflichtigen z. B. im Rahmen von Berechnungsbeispielen auf der Homepage des Belastingdienst eingeben, abzusehen.885
b) Dienstleistung per Telefon Für den telefonischen Kontakt soll über das bisher bereits bestehende BelastingTelefoon hinaus eine einheitliche Telefonnummer für den Belastingdienst geschaltet werden. Dadurch sollen die eintreffenden Fragen der Steuerpflichtigen besser auf die einzelnen Finanzämter verteilt und so die 884 885
Thunnissen im Interview mit Booij, triBuut 8/2000, 6, 7. Belastingdienst, Nota Digitale Belastingdienst 1997–2001, S. 17.
A. „Belastingdienst Straks“
321
Beantwortung der Anrufe beschleunigt werden. Im Jahr 2004 sollen mindestens 80% der Anrufer nach einmaligem Verbinden an einen Mitarbeiter weitergeleitet werden, der ihre Fragen beantworten bzw. ihre Probleme unmittelbar lösen kann.886 c) Zugang zu eigenen Statusinformationen Schließlich soll den Steuerpflichtigen künftig ein Teil der beim Belastingdienst über sie gespeicherten Informationen zugänglich gemacht werden.887 Nach entsprechender Identifizierung sollen die Steuerpflichtigen per Internet oder Telefon Einblick in Teile ihrer Akte nehmen können. Pläne, den Steuerpflichtigen wie in Dänemark vorausgefüllte Formulare zuzusenden, in die bereits sämtliche Informationen eingetragen sind, die der Finanzverwaltung aus anderen Quellen über die Steuerpflichtigen zur Verfügung gestellt werden, hat es in den vergangenen Jahren zwar gegeben,888 im Rahmen des Projektes „Belastingdienst Straks“ werden diese offiziell jedoch nicht weiter verfolgt. Grund dafür dürfte zum einen sein, dass es zu erheblichen zeitlichen Verzögerungen kommen könnte, da erst das Eintreffen z. B. sämtlicher Informationen der Arbeitgeber über die von ihren Arbeitnehmern bezogenen Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit und die darauf einbehaltene Lohnsteuer abgewartet werden müsste, bevor den Steuerpflichtigen ihre Formulare zugeschickt werden könnten. Zum andern kann es aus taktischen Gründen unklug sein, den Steuerpflichtigen preiszugeben, über welche „Kontroll-Informationen“ man tatsächlich verfügt, da man sich von einer entsprechenden Unsicherheit auf Seiten der Steuerpflichtigen eine präventive Wirkung erhofft.889 Dementsprechend werden den Steuerpflichtigen bis auf weiteres auch keine Informationen von besonderer taktischer Bedeutung zugänglich sein. 886
Belastingdienst, Bedrijfsplan 2003–2007, S. 21. Belastingdienst, Bedrijfsplan 2002–2006, S. 11. 888 Vgl z. B. Fraudenota v. 28.5.1996, nr. PFC96/695m; Nota Digitale Belastingdienst 1997–2001, S. 13; Vermeend, Belastingen in een wereld zonder afstand, S. 47. Auch Hoorweg, Vakblad Financiële Planning 6/1999, 19, 20 f. spricht sich für ein derartiges Vorgehen aus und weist darauf hin, dass Steuerpflichtige zum einen beim Ausfüllen der Steuererklärung erfahrungsgemäß durchaus auch Fehler zu ihren Ungunsten machen und zum anderen das Ausfüllen ihrer Steuererklärung als lästige Pflicht empfinden. Seiner Ansicht nach könnte der Belastingdienst mittels einer vorausgefüllten (Einkommen-)Steuererklärung den Steuerpflichtigen in beiden Punkten entgegenkommen und ihnen einen besseren Service bieten. Vgl. dazu auch die Ausführungen im 3. Kap. unter E.IV.3. 889 Maes, WFR 1994, 843, 845; Slijpen im Interview mit van Eijck/Kamminga, Vakblad Financiële Planning 3/2000, 3, 6 f.; van Lunteren, zitiert bei van Arendonk, MBB 3/1997, 94, 96, Fn. 4. 887
322
5. Kap.: Überblick über aktuelle Entwicklungen
2. Intensive Kontrolle und Ermittlung Was den Primärprozess der intensiven Kontrolle betrifft, so soll die Arbeitsweise des Belastingdienst noch zeitnäher an steuerlich relevante Vorgänge anschließen. Das System der Kennisgroepen, das seit 1998 besteht, soll erheblich ausgeweitet werden, indem für den ganzen Bereich der sog. Doelgroepadoptie (d.h. der Bündelung spezifischer Informationen bezüglich einzelner Branchen, s. 3. Kap.), der bislang einzelnen Finanzämtern übertragen war, Kennisgroepen eingerichtet werden. Die Kennisgroepen sind mit Mitgliedern verschiedener Steuerbezirke besetzt und arbeiten eng mit dem Zentrum für Prozess- und Produktentwicklung zusammen. Durch die voranschreitende Digitalisierung wird insbesondere der Auswertung von (externen) Kontrollmitteilungen noch mehr Bedeutung zukommen, als das bisher bereits der Fall ist, und die automatisierte Risikoauswahl soll auf mehr Steuerarten ausgedehnt werden. Die ehrgeizige Zielsetzung, ab dem Jahr 2005 nur noch digitale Dossiers/Akten für die einzelnen Steuerfälle zu verwenden, ist aufgrund von Kürzungen des Budgets des Belastingdienst gefährdet. Allerdings wird die Entwicklung elektronischer Bilanzen bzw. Gewinn- und Verlustrechnungen vorangetrieben und die Voraussetzung dafür geschaffen, dass die Unternehmen die für die Beurteilung der Steuererklärung erforderlichen Unterlagen unmittelbar mit der Erklärung über das Internet an den Belastingdienst weiterleiten können, wodurch einerseits die Verwaltungskosten der Unternehmen gesenkt890 werden und andererseits dem Belastingdienst die Durchführung computergestützter Kontrollen erleichtert wird. Zum 1.1.2005 werden Unternehmer verpflichtet, ihre Einkommen- bzw. Körperschaftsteuererklärungen in elektronischer Form abzugeben (sog. elektronische winstaangifte), eine Ausweitung auf Umsatz- und Lohnsteuererklärungen wird folgen.891 Bei der Aufdeckung bislang unbekannter Steuerfälle bzw. der Bekämpfung von Steuerhinterziehung durch den Ermittlungsdienst FIOD-ECD sollen neue Analyse- und Datamining-Techniken zum Einsatz kommen. Unter dem Begriff Datamining wird die automatische oder halbautomatische Durchforschung und Analyse großer Datenmengen verstanden, um relevante Muster bzw. Übereinstimmungen zu entdecken. Der Belastingdienst verwendet in diesem Zusammenhang auch den Begriff der „Filtertechnik“.892 890 Der Belastingdienst strebt insgesamt bis zum Jahr 2005 eine Senkung der Verwaltungskosten für die Unternehmen um 25% an, vgl. Bedrijfsplan 2002–2006, S. 25. 891 Vgl. Belastingplan 2004, Wet van 18.12.2003, Stb. 2003, 526, Art. XX. 892 Vgl. Belastingdienst, Nota Digitale Belastingdienst 1997–2001, S. 4.
B. Sonstige Projekte
323
3. Automatisierte Massenverfahren All diejenigen Prozesse, die keine spezifischen steuerrechtlichen Fachkenntnisse verlangen, werden als sog. Massenverfahren zusammengefasst. Hierunter fällt die Veranlagung all jener Steuerpflichtigen, bei denen intensive Kontrollmaßnahmen erfahrungsgemäß nicht erforderlich sind. In diesem Bereich will der Belastingdienst künftig noch stärker auf Schnelligkeit und Kosteneffizienz setzen und die zunehmende Trennung der (inhaltlichen) Veranlagungsarbeit in den Ämtern und der eher formal-administrativen Datenerfassung und Erstellung von Bescheiden durch Ausweitung der zentralen Erfassung und Digitalisierung der Steuererklärungen in der Eingabeeinheit in Heerlen vorantreiben.893 Die Weiterleitung der digitalen Daten an den zuständigen Sachbearbeiter soll bis zum Jahr 2005 innerhalb von 24 Stunden nach Eingang bei der zentralen Eingabeeinheit erfolgen. Besondere Bedeutung kommt der Konzeption entsprechender Datenbanken zu, in denen die digitalisierten Informationen über die Steuerpflichtigen künftig erfasst, sämtlichen Abteilungen des Belastingdienst für ihre jeweiligen Aufgaben zur Verfügung gestellt und schließlich auch archiviert werden können. In diesem Zusammenhang muss auch über die Vergabe von Zugriffsrechten zur Eingabe von Änderungen bzw. zum Löschen der digitalisierten Daten sowie über Maßnahmen zum Schutz dieser Daten gegen den Zugriff Unbefugter (sei es innerhalb oder außerhalb des Belastingdienst) entschieden werden. Eine wichtige Maßnahme zum Datenschutz wird die Einführung der sog. Belastingdienst-Karte sein, mittels derer den Mitarbeitern jeweils Zugang zu bestimmten Bereichen der Gebäude und (z. B. von einem Heimarbeitsplatz aus) zum Intranet des Belastingdienst und den darin zur Verfügung gestellten Programmen und Datenbanken gewährt werden kann.894
B. Sonstige Projekte Auch wenn die anstehenden Änderungen im Rahmen des Projekts „Belastingdienst Straks“ in erster Linie die Struktur und die Primärprozesse betreffen, stehen sie im Zusammenhang mit Erneuerungen auf dem Gebiet der Steuerung: Im 4. Kapitel ist bereits darauf hingewiesen worden, dass der Belastingdienst ab dem 1.1.2003 schrittweise eine einheitliche Kosten- und Leistungsrechnung einführen wird. Ein weiteres wichtiges Thema für die Zukunft des Belastingdienst ist die „Verjüngung“ des Personals. Da in den kommenden Jahren mit einem Ge893 894
Belastingdienst, Beheersverslag 2000, S. 5; Bedrijfsplan 2002–2006, S. 17 f. Belastingdienst, Bedrijfsplan 2002–2006, unter 7.2.
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5. Kap.: Überblick über aktuelle Entwicklungen
nerationswechsel zu rechnen ist, muss der Belastingdienst mit vielen anderen potentiellen Arbeitgebern aus dem privaten Sektor um den talentierten Nachwuchs konkurrieren. Derzeit laufen Werbekampagnen unter dem Motto: „Werk waar je trots op bent” (Arbeit, auf die du stolz sein kannst), in denen die Zufriedenheit der Mitarbeiter des Belastingdienst mit ihrem Beruf im Vordergrund steht.895 Auch in Zukunft wird der Belastingdienst Wert darauf legen, dass zumindest die Führungskräfte nach längstens fünf Jahren ihre Aufgabe wechseln, um einer Verknöcherung der Organisation vorzubeugen.896 In der Ausbildung der Mitarbeiter wird stärkeres Gewicht auf das Vermitteln von Strategien zum eigenständigen Aufsuchen von Informationen gelegt, da die Mitarbeiter lernen müssen, aus der Vielzahl der in zentralen Datenbanken gespeicherten Informationen die für sie wichtigen herauszufiltern.
C. Bewertung der aktuellen Entwicklungen Die Entwicklungen im Rahmen des Projekts „Belastingdienst Straks“ sind vor dem Hintergrund der Veränderungen zu betrachten, die der Belastingdienst sowohl hinsichtlich der Struktur der Organisation als auch hinsichtlich der Arbeitsweise in den vergangenen 15 Jahren durchlaufen hat. Diese Entwicklungen lassen sich in Abschnitte unterteilen (wobei die Grenzziehung mit einigen Unschärfen verbunden ist): – Anfang der 1990er Jahre stand die Entwicklung der sog. Klantbehandeling im Vordergrund, und die nach Zielgruppen differenzierte Bearbeitung der Steuerfälle wurde entwickelt. Durch die individuelle Zuweisung der Steuerpflichtigen zu einzelnen Sachbearbeitern sollten Risiken kontrollierbarer werden. – In der zweiten Hälfte der 1990er Jahre setzte sich die Überzeugung durch, dass man ein standardisiertes Risikoanalysesystem brauche, um die Steuerfälle zutreffend gewichten zu können, und das Risikobeherrschungsmodell wurde entwickelt. Seitdem formt die Risikoanalyse den Ausgangspunkt für jedwedes Handeln des Belastingdienst. 895 So bastelt z. B. in einem Fernsehspot ein Vater für sein Baby ein Mobile aus den charakteristischen blauen Umschlägen des Belastingdienst und hängt es über die Wiege und auf einem Plakat füttert eine sportliche Frau ihre drei Hunde mit den Namen „Bruto, Fiscus und Sofi“. Diese Werbecampagne ist für das Jahr 2000 durch das Magazin „Opzij“ mit der „goldenen Messlatte“ ausgezeichnet worden, wobei die Bemühungen des vormals traditionellen Belastingdienst um die Schaffung eines modernen und jugendlicheren Image positiv hervorgehoben wurden, vgl. Belastingdienst, Belastingwerk 1/2001. 896 van Lunteren im Interview mit de Vos, Binnenlands Bestuur v. 31.3.2000, 20.
C. Bewertung der aktuellen Entwicklungen
325
– Seit 1998 gewinnt das Thema „Eenheid van beleid“ an Bedeutung. Mit Einrichtung der Kennisgroepen ist zugunsten der Rechtsgleichheit der Entscheidungsspielraum der Sachbearbeiter vor Ort eingeschränkt worden. – Seit Anfang des neuen Jahrtausends steht die Automatisierung im Vordergrund und der Belastingdienst hat wesentliche Schritte zu einer papierlosen Verwaltung unternommen. – Seit Mitte 2002 konzentriert sich der Belastingdienst auf die Umsetzung von „Belastingdienst Straks“. Die damit einhergehende Dezentralisierung und die Einführung des neuen Managementstils werden den Belastingdienst über das Jahr 2003 hinaus beschäftigen. Die Ursachen für die Veränderungen zum 1.1.2003 liegen zu einem großen Teil außerhalb des Belastingdienst: Der Belastingdienst muss sich an die rasante Weiterentwicklung der Informationstechnologie anpassen. Das Internet bietet nicht nur der Finanzverwaltung und dem ehrlichen Steuerzahler, sondern auch den unehrlichen Steuerpflichtigen vielfältige Möglichkeiten. So können insbesondere Güter- und Geldströme leichter vor der Finanzverwaltung verborgen werden. Nur wenn der Belastingdienst innerhalb seiner eigenen Organisation mit der technischen Entwicklung Schritt hält, wird es ihm gelingen, die Steuerhinterziehung auf diesem Gebiet effizient zu bekämpfen. Die stärkere Nutzung der Informationstechnologie steht darüber hinaus im Einklang mit dem Aktionsprogramm „Elektronische Verwaltung“, das derzeit über die Ministerien hinweg in den verschiedensten Bereichen der niederländischen Verwaltung entwickelt und umgesetzt wird, und ermöglicht eine künftige ressortübergreifende Umsetzung der „EinSchalter-Idee“. So betreiben z. B. im Rahmen eines Pilotprojekts in der Provinz Drenthe die Handelskammern, die Gemeinden und der Belastingdienst gemeinsam einen sog. Unternehmerschalter, der sich mit seinem umfassenden Beratungs- und Informationsangebot in erster Linie an Unternehmensneugründer richtet. Darüber hinaus dienen die geplanten Veränderungen der von außen immer wieder geforderten Vereinheitlichung des Beleid: Die Abschaffung der Zielgruppendirektionen eröffnet kürzere Wege vom Ministerium zu den ausführenden Einheiten und ermöglicht eine Stärkung der Rechtsgleichheit durch zunehmende Zentralisierung der Gesetzesauslegung.897 Da die Zielgruppendirektionen mit der Schaffung des zentralen Zentrums für Prozess- und Produktentwicklung bereits von ihrer Aufgabe entbunden worden waren, die Entwicklung des Beleid für die jeweiligen Zielgruppen voranzutreiben, ist 897
21.
van Lunteren im Interview mit de Vos, Binnenlands Bestuur v. 31.3.2000, 20,
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5. Kap.: Überblick über aktuelle Entwicklungen
ihre Abschaffung konsequent. Es bleibt allerdings abzuwarten, ob nicht die Steuerbezirke im Verhältnis zu den örtlichen Niederlassungen, die ja zunächst ganz überwiegend bestehen bleiben, eine ähnliche Position einnehmen werden wie die früheren Direktionen. Auch wenn künftig mehr Entscheidungen auf zentraler Ebene gefällt werden sollen, so betont der Belastingdienst, dass dies nicht eine Top-downHerangehensweise impliziere, sondern dass die dezentralen Untergliederungen wie z. B. die Fachgruppen und Kennisgroepen die Impulse und Informationen für die zentrale Beschlussfassung liefern sollen.898 Ein weiterer Grund für die erneute Umstrukturierung besteht darin, dass die zielgruppenorientierte Ausrichtung ähnlich unflexibel zu werden drohte wie zuvor die Ausrichtung der Arbeitsabläufe nach Steuerarten, die Ende der 1980er Jahre Anlass für die umfassende Reorganisation gewesen war: Jedem Kriterium für die Organisation der Arbeitsweise ist letztlich die Gefahr immanent, Zusammengehörendes auseinander zu reißen und das eine Schubladendenken durch ein anderes abzulösen, und die Tatsache, dass der Belastingdienst nunmehr von der Ausrichtung der Arbeitsweise an Zielgruppen wieder etwas abrückt und sich stattdessen mehr auf Prozesse konzentriert, bestätigt den Eindruck, dass es keine zwangsläufige Rangfolge dieser Ordnungskriterien gibt. Bei einer Einteilung der Steuerpflichtigen in Zielgruppen entstehen jeweils Schnittmengen der Zielgruppen, in denen das Besteuerungsverfahren große Gemeinsamkeiten aufweist. So gibt es nicht nur in der Gruppe der Particulieren sondern auch bei den Ondernemingen Steuerpflichtige, deren Veranlagung keine besonderen Anforderungen an den Belastingdienst stellt, weil ihre steuerlichen Verhältnisse sehr überschaubar und der Finanzverwaltung aufgrund entsprechender Kontrollmitteilungen ohnehin weitgehend bekannt sind. In beiden Fallgruppen kann die Veranlagung deshalb automatisiert erfolgen. Die Einrichtung relativ großer Ämter bzw. Bezirke dient im Übrigen auch einer optimalen Nutzung von Ressourcen (economies of scale).899 Das im Sommer 2002 angetretene Kabinett unter Premier Balkenende und insbesondere Staatssekretär van Eijck hatte im Haushaltsentwurf für 2003 angekündigt, durch stärkere Automatisierung künftig bei der Ausführung der Steuergesetze durch den Belastingdienst Geld sparen zu wollen. Ob es jedoch tatsächlich zu einem Personalabbau kommen wird, bleibt abzuwarten. 898
Vgl. z. B. Belastingdienst, Handwijzer Klantbehandeling, S. 111. Deshalb werden derartige Zusammenschlüsse auch im Zusammenhang mit dem neuen Steuerungsmodell gefordert, vgl. Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung KGSt (Hrsg.), Dezentrale Ressourcenverantwortung: Überlegungen zu einem neuen Steuerungsmodell, Bericht Nr. 12/1991, Köln 1991, S. 27; Brüggemeier, Controlling, S. 263. 899
C. Bewertung der aktuellen Entwicklungen
327
Der Generaldirektorin des Belastingdienst, Jenny Thunissen, ist als beste Managerin in der öffentlichen Verwaltung Anfang November 2002 die Auszeichnung „Overheidsmanager van het jaar 2002“ verliehen worden.900 Ob die von ihr initiierten Reformbemühungen erfolgreich sein werden, wird sich jedoch erst in einiger Zeit abschätzen lassen. Zu den Aspekten der anstehenden Umstrukturierung, die besonders viele Fragen aufwerfen, gehört zum einen die geplante starke Trennung zwischen Front-Office und BackOffice und zum anderen der Zeitpunkt der Umstrukturierung. Was die Trennung in Front- und Back-Office angeht, so erleichtert sie ohne Zweifel den Sachbearbeitern die Arbeit, indem der Publikumsverkehr zu den Serviceschaltern umgeleitet wird und die Kontakte der Teams mit den Steuerpflichtigen deutlich reduziert werden. Gleichzeitig droht jedoch – zusammen mit dem Ausbau von Internetdiensten des Belastingdienst – eine größere Anonymisierung des gesamten Besteuerungsprozesses, zumindest für das Gros der Particulieren und Ondernemingen. Diese Anonymisierung könnte negative Auswirkungen auf die Bereitschaft der Steuerpflichtigen zur Compliance haben. Außerdem geht diese Entwicklung mit einer stärkeren Spezialisierung innerhalb des Back-Office einher, was insbesondere in der Abschaffung der Klantmanager zum Ausdruck kommt. Zwar liegt es in der Natur des komplizierten Steuerrechts und der komplexen Steuerfälle, dass die Bearbeitung der Steuerfälle nicht ausschließlich von Generalisten durchgeführt werden kann. Allerdings hatte der Belastingdienst die starke Trennung von Zuständigkeiten, die die Arbeitsweise des Belastingdienst über lange Zeit geprägt hatte, im Zuge der Reorganisation Anfang der 1990er Jahre bewusst abgeschafft und dafür eine Reihe von Effektivitäts- und Effizienzkriterien angeführt. Die Abschaffung der Klantmanager, die Rückkehr zu einer stärkeren Spezialisierung und das Bemühen um eine Vereinheitlichung des Beleid stehen m. E. in einem engen Zusammenhang: Nach der Einführung des Klantmanagement war bei manchen Steuerpflichtigen der Eindruck entstanden, als könne man – überspitzt formuliert – beim Belastingdienst im gemütlichen, vertraulichen Gespräch mit seinem Klantmanager immer zu einvernehmlichen, individuellen Lösungen kommen. Zwar war und ist es tatsächlich Ziel des Belastingdienst, den Steuerpflichtigen frühzeitig Rechtssicherheit zu verschaffen, aber gleichzeitig muss der Belastingdienst auch einen möglichst gleichmäßigen Vollzug der Steuergesetze gewährleisten. Der Klantmanager genoss eine relativ große Autonomie bei der Bearbeitung der ihm zugewiesenen Steuerfälle. Diese Autonomie ist jedoch in den vergangenen Jahren durch die voranschreitende Entwicklung von Computerprogrammen 900 Vgl. de Telegraaf v. 7.11.2002, S. 35: „Managersprijs voor baas van belastingdienst”.
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5. Kap.: Überblick über aktuelle Entwicklungen
mit standardisierten Bearbeitungsvorschlägen, automatisierter Risikobestimmung etc. und durch die Zentralisierung und Vereinheitlichung des Beleid eingeschränkt worden, sodass die Abschaffung der Funktion des Klantmanager folgerichtig ist. Ob und wie sich der Verlust des persönlichen Kontakts zu den Steuerpflichtigen langfristig auf deren Compliance auswirken wird, bleibt abzuwarten. Hinsichtlich des Zeitpunkts der Umstrukturierung ist zu befürchten, dass die Mitarbeiter in ihrer Anpassungsfähigkeit überfordert werden. Nachdem in den vergangenen zehn Jahren die mühsame Kulturveränderung vollzogen worden ist, die durch die Verabschiedung von der 100%-Philosophie und die Einführung der Kundenorientierung Ende der 1980er/Anfang der 1990er Jahre ausgelöst worden war, wird den Mitarbeitern insbesondere durch die neue Managementstrategie der „selbststeuernden Teams“ erneut viel abverlangt. Einige Mitarbeiter fühlten sich bereits durch den in ihren Augen „überfallartigen“901 Aufruf zur erneuten organisatorischen Veränderung überrannt. Die Furcht davor, nochmals in eine festgefahrene Situation mit verkrusteten Strukturen wie Mitte der 1980er Jahre zu geraten, könnte künftig jeden neuen Generaldirektor zu einer wesentlichen Umstrukturierung oder Modernisierung der Arbeitsweise veranlassen, obwohl permanente Erneuerung nicht zwangsläufig auch permanente Verbesserung bedeutet. Auch wenn die Notwendigkeit von Anpassungen der Organisation an gesellschaftliche und politische Veränderungen unbestritten ist, dürfen die Grenzen der Anpassungsfähigkeit der Mitarbeiter nicht aus den Augen verloren werden, denn ohne deren Unterstützung lässt sich eine Umstrukturierung nicht erfolgreich durchführen. Eine deutliche „Warnung“ sollten die Ergebnisse des Personeelsmonitor 2000 sein, wonach sich ein großer Teil der Mitarbeiter im Hinblick auf anstehende Veränderungen nicht ausreichend informiert fühlt.
901 Das musste auch die Generaldirektorin des Belastingdienst Thunissen eingestehen, vgl. Belastingdienst, Belastingwerk 4/2001, 4.
6. Kapitel
Folgerungen für die deutsche Finanzverwaltung In den vorangegangenen Kapiteln ist der Vollzug von Steuergesetzen durch die niederländische Finanzverwaltung untersucht und anhand ausgewählter Punkte auf Unterschiede und Gemeinsamkeiten gegenüber dem Vollzug von Steuergesetzen durch die deutsche Finanzverwaltung hingewiesen worden. Nach einer kurzen Zusammenfassung der wichtigsten Besonderheiten des Vollzugs von Steuergesetzen durch den Belastingdienst steht im letzten Kapitel die Frage im Mittelpunkt, welche Folgerungen sich aus den vorangegangenen Darstellungen für die deutsche Finanzverwaltung ziehen lassen.
A. Zusammenfassung der wesentlichen Besonderheiten des Gesetzesvollzugs durch den Belastingdienst Die niederländische Finanzverwaltung ist aufgrund ihrer im Verhältnis zur deutschen Finanzverwaltung geringeren Größe und der reichseinheitlichen Struktur flexibler und hat ihre Bereitschaft und Fähigkeit zu umfassenden Modernisierungen sowohl der Aufbau- als auch der Ablauforganisation in den vergangenen 15 Jahren unter Beweis gestellt. Was die Entwicklung des Belastingdienst und insbesondere die Reorganisation von 1988–1992 angeht, so lag der Belastingdienst vor der Reorganisation hinsichtlich der Effizienz und der Organisationsstruktur aufgrund der Vielzahl separater Ämter für die einzelnen Steuerarten etc. hinter der damaligen deutschen Finanzverwaltung zurück. Mit Abschluss der Reorganisation ist der Belastingdienst jedoch u. a. mit Blick auf die Bündelung von Aufgaben in Teams, die intensive Nutzung elektronischer Datenverarbeitung und den Ausbau des Serviceangebots gegenüber den Steuerpflichtigen an der deutschen Finanzverwaltung „vorbeigezogen“ und hat diesen Vorsprung bislang nicht eingebüßt, auch wenn er sich in jüngerer Zeit verringert hat. Der gesetzliche Auftrag des Belastingdienst ist weniger strikt definiert, als das in §§ 85, 88 AO der Fall ist, und lässt dem Belastingdienst Raum für eine gewichtende Arbeitsweise. Im Rahmen eines Risikobeherrschungsmodells ermittelt der Belastingdienst anhand der steuerlichen Bedeutung und des steuerlichen Risikos der einzelnen Steuerfälle deren „Betreuungs-
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6. Kap.: Folgerungen für die deutsche Finanzverwaltung
bedarf“ und richtet sein Auftreten den Steuerpflichtigen gegenüber danach aus. Dabei reicht das Spektrum vom umfassenden Serviceangebot bis zu steuerstrafrechtlichen Ermittlungen. Der Belastingdienst versucht darüber hinaus im Wege einer Compliance-Strategie durch sein Auftreten einen möglichst großen Teil der Steuerpflichtigen zur Einhaltung ihrer steuerlichen Pflichten zu motivieren, um sich verstärkt auf steuerunehrliche Bürger konzentrieren zu können. Die Gewinnung und Auswertung der für die gewichtende Arbeitsweise erforderlichen Informationen wird dadurch erleichtert, dass dem Belastingdienst umfassende Kompetenzen zur Anfertigung und Anforderung von Kontrollmitteilungen eingeräumt worden sind und die Steuerpflichtigen mit einheitlichen SoFi-Nummern gekennzeichnet werden. Bei der Anfertigung und Anforderung von Kontrollmitteilungen erfährt das Vertrauensverhältnis zwischen Banken und ihren Kunden in den Niederlanden deutlich weniger Schutz als in Deutschland und es gibt keine dem § 30a AO entsprechende Vorschrift. Insgesamt hat sich der niederländische Gesetzgeber für eine weitreichende Beschränkung des Schutzes der Privatsphäre bzw. des Datenschutzes zugunsten einer möglichst effizienten und effektiven Besteuerung ausgesprochen. Diese Entscheidung ist nicht unumstritten geblieben, wird aber insgesamt von der gesellschaftlichen Mehrheit getragen. Kontrollinformationen und der Einsatz modernster Document-Management-Technologie versetzen den Belastingdienst in die Lage, eingehende Steuererklärungen einer umfassenden automatisierten Prüfung zu unterziehen und einen Großteil der Erklärungen automatisiert zu veranlagen. Die Zurückdrängung manueller Datenerfassung wird dabei auch durch den im Vergleich zu Deutschland ungleich größeren Anteil elektronischer Steuererklärungen unterstützt. Zurückzuführen ist diese weite Verbreitung der elektronischen Steuererklärungen sowohl darauf, dass eine elektronische Authentifizierung bei der Übermittlung der Erklärung bereits heute jedem Steuerpflichtigen in den Niederlanden möglich ist und damit auf einen Ausdruck und die handschriftliche Unterzeichnung selbst eines vereinfachten Erklärungsvordrucks verzichtet werden kann, als auch darauf, dass der Belastingdienst den Steuerpflichtigen entsprechende Disketten zur Anfertigung elektronischer Steuererklärungen unaufgefordert zuschickt. Seit der Reorganisation Ende der 1980er Jahre ist es dem Belastingdienst gelungen, sein Image in der niederländischen Bevölkerung stark zu verbessern und den Bürgern gegenüber das Bild einer effizienten, kompetenten Organisation zu vermitteln. Auch wenn es weiterhin eine Vielzahl von Rechtsbehelfsverfahren der Steuerpflichtigen gegen Maßnahmen des Belastingdienst gibt und die Bürger in den Niederlanden sicherlich ebenso ungern Steuern zahlen wie ihre deutschen Nachbarn, hat sich durch die Compliance-Strategie des Belastingdienst und insbesondere durch das Bemühen
B. Konsequenzen für den Vollzug von Steuergesetzen in Deutschland
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um eine zeitnahe Bearbeitung der Steuerfälle das Verhältnis zwischen den Steuerpflichtigen und dem Belastingdienst nach allgemeiner Ansicht verbessert. Die Rechtsprechung übt zwar über die Entscheidung des jeweiligen Einzelfalls hinaus Einfluss auf die Arbeitsweise des Belastingdienst aus, wie z. B. das derzeitige Bemühen des Staatssekretärs für Finanzen um mehr Einheitlichkeit des Beleid zeigt, aber Fundamentalkritik an der Arbeitsweise der Finanzverwaltung, wie sie in Deutschland das Bundesverfassungsgericht äußern kann und z. B. mit seinem Zinsurteil902 bereits geäußert hat, sieht sich der Belastingdienst nicht ausgesetzt. Stattdessen räumt der Hoge Raad der Finanzverwaltung bei der Ausgestaltung des Besteuerungsverfahrens einen großen Spielraum ein, solange diese Praktikabilitätserwägungen zur Rechtfertigung anführen kann. Weder die Rechtsprechung noch die steuerrechtliche Literatur üben in relevantem Maße Kritik an der gewichtenden Arbeitsweise des Belastingdienst; stattdessen wird die Orientierung an der steuerlichen Relevanz und dem steuerlichen Risiko bei der Prüfung von Steuerfällen allgemein akzeptiert und für notwendig erachtet. Insoweit kann man von einem gesamtgesellschaftlichen Konsens sprechen. Der „offen“ formulierte Auftrag des Belastingdienst (gefordert wird ein Bemühen um einen möglichst effektiven und effizienten Gesetzesvollzug) eröffnet einen Spielraum für den Prozess des Aushandelns zwischen dem (politisch) Gewünschten, dem (rechtlich) Gebotenen und dem (administrativ) Machbaren. Mit der zum 1.1.2003 umgesetzten Zusammenfassung der Finanzämter zu 13 großen Steuerbezirken und der Intensivierung der Selbststeuerung vollzieht der Belastingdienst nur zehn Jahre nach Abschluss der letzten großen Reorganisation eine erneute Modernisierung, deren Erfolg oder Misserfolg sich frühestens in ein bis zwei Jahren abschätzen lassen wird.
B. Konsequenzen für den Vollzug von Steuergesetzen in Deutschland I. Technische Unterstützung der Finanzverwaltung Wie das niederländische Beispiel zeigt, liegen erhebliche Potentiale zur Effektivitäts- und Effizienzsteigerung in der Automatisierung. Die Niederlande konnten dieses Potential unter anderem deshalb so erfolgreich nutzen, weil innerhalb des reichseinheitlichen Belastingdienst Entscheidungen über zu verwendende Soft- und Hardware für das gesamte Land getroffen werden können. In Deutschland steht dem die föderale Struktur entgegen und 902
BVerfG v. 27.6.1991, 2 BvR 1493/89, E 84, 239, 268 ff.
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6. Kap.: Folgerungen für die deutsche Finanzverwaltung
die Erfahrungen mit dem FISCUS-Projekt haben deutlich gezeigt, welche Schwierigkeiten sich aus der mangelnden Koordinierung ergeben. Auch wenn man die Pressemitteilungen im Zusammenhang mit dem ELSTERProjekt betrachtet, hat es den Anschein, als habe jede Finanzverwaltung dieses Verfahren für sich entwickelt. Wenn die Länderfinanzverwaltungen das Besteuerungsverfahren nachhaltig modernisieren wollen, kommen sie um eine verstärkte Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Automatisierung nicht herum.
II. Steuerung der Finanzverwaltung Im Rahmen der Controllingdiskussion ist zu berücksichtigen, dass betriebswirtschaftliche Steuerungsinstrumente fehlerhafte gesetzliche Vorgaben nicht kompensieren können. Gesetze, deren Vollziehbarkeit der Gesetzgeber nicht genügend Beachtung geschenkt hat, lassen sich auch bei guter Steuerung des Verwaltungshandelns nicht vollziehbar machen. Darüber hinaus sollte man sich, wie Brüggemeier zutreffend fordert, der „Risiken und Nebenwirkungen privatwirtschaftlicher Implantate“ bewusst sein:903 Verwaltungshandeln wird nicht ausschließlich durch quantifizierbare Aspekte bestimmt, und die Qualität der Arbeitsweise lässt sich im Bereich des Besteuerungsverfahrens mit betriebswirtschaftlichen Steuerungskonzepten nur unzureichend abbilden, weil es an entsprechend zuverlässigen Indikatoren fehlt. So lässt sich z. B. der Ertrag einer Maßnahme, die sich künftig auf die Steuermoral auswirken soll, nicht unmittelbar ablesen. Ein derartig weitgehender Vergleich der Finanzverwaltung mit einem Unternehmen, wie er in den Niederlanden gezogen wird und im Steuerungskonzept des Belastingdienst zum Ausdruck kommt, sollte in Deutschland aufgrund der verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Arbeitsweise der Finanzverwaltung nicht übernommen werden. Dennoch sind aktuelle Bestrebungen innerhalb der Finanzverwaltung, das Bewusstsein für die Effizienz der Ausführung zu stärken, zu begrüßen. Wichtiger wäre jedoch ein politischer Diskurs über die Aufgaben der Finanzverwaltung, die Engmaschigkeit des Netzes rechtlicher Vorgaben für die Arbeitsweise der Finanzverwaltung und die Bedeutung ökonomischer Prinzipien für deren Umsetzung.
III. Förderung der Compliance Das Stichwort „Compliance“ hält mittlerweile mit rund zehn Jahren Verzögerung gegenüber den Niederlanden Einzug in die deutsche Finanzverwaltung, und in einigen Bundesländern sind bereits Projekte zur Förderung 903
Brüggemeier, Controlling, S. 112.
B. Konsequenzen für den Vollzug von Steuergesetzen in Deutschland
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der Compliance initiiert worden.904 Wenn auch der Begriff der Compliance in diesem Zusammenhang neu ist, so ist die Bedeutung einer Kooperation anstelle einer Konfrontation zwischen Steuerpflichtigen und der Finanzverwaltung bereits seit Mitte der 1990er Jahre in der Diskussion.905 1. Notwendigkeit einer Kooperation Die Finanzverwaltung ist beim Vollzug der Steuergesetze und insbesondere bei der Ermittlung der steuerlich relevanten Sachverhalte auf die Mitwirkung der Steuerpflichtigen angewiesen. Zu diesem Zweck sieht die AO umfassende Mitwirkungspflichten vor, die die Beziehung zwischen den Steuerpflichtigen und der Finanzverwaltung zu einer wechselseitigen machen, wenngleich wegen der hoheitlichen Befugnisse eine Asymmetrie zugunsten der Finanzverwaltung besteht. Im 3. Kapitel ist jedoch bereits darauf hingewiesen worden, dass die Steuerbehörden diese Mitwirkungspflichten gegen einen maximalen Widerstand der Steuerpflichtigen nicht umfassend zwangsweise durchsetzen können. Daraus folgt, dass die Finanzverwaltung dort, wo sie der Mithilfe des Steuerpflichtigen bedarf, diesem eine entsprechende Kooperation nicht unnötig erschweren darf und die Verwirklichung des gesetzlichen Vollzugsauftrags ganz im Gegenteil die Schaffung eines kooperativen Verhältnisses zwischen den Steuerpflichtigen und den Steuerbehörden voraussetzt.906 Der Bürger ist nicht bloßes Objekt des Besteuerungsverfahrens.907 Eckhoff ist darin zuzustimmen, dass es sich bei der Bereitschaft, den Steuerpflichtigen einen Vertrauensvorschuss einzuräu904 Vgl. die Ergebnisse einer Projektgruppe der OFD Münster: Buschkamp u. a., Compliance – Ein Aspekt der Bürgerorientierung, sowie die Studie „Compliance – Eine bürgerorientierte Strategie der Steuerverwaltung“ der Kienbaum Management Consultants GmbH in Zusammenarbeit mit der Bertelsmann Stiftung vom November 2001. 905 Vgl. z. B. das Thema des auf Anregung der OFD Münster durch das Institut für Steuerrecht der Universität Münster durchgeführten Symposions „Kooperatives Verwaltungshandeln im Besteuerungsverfahren“ v. 8.11.1996. Darüber hinaus haben sich Arbeitsgruppen der OFD Münster mit dem gewichtenden bzw. mehrdimensionalen Vollzug der Steuergesetze beschäftigt und im Frühjahr und Winter 1999 Berichte erstellt. 906 Für die Schaffung eines kooperativen anstelle eines konfrontativen Steuervollzugs spricht sich auch Eckhoff, StuW 1996, 107, 115 aus. Eckhoff weist zutreffend darauf hin, dass Akzeptanz seitens der Bürger zu den faktischen Voraussetzungen der Wirksamkeit des Steuerrechts zählt, vgl. Rechtsanwendungsgleichheit, S. 63. Bereits 1928 hat Conrad auf die Bedeutung der Haltung der Steuerpflichtigen gegenüber ihren steuerlichen Pflichten und den Finanzbehörden für die Bewältigung des Besteuerungsverfahrens hingewiesen, vgl. Psychologie und Besteuerung, S. 52 ff. 907 So bereits Conrad, Psychologie und Besteuerung, S. 12; Eckhoff, StuW 1996, 107, 109.
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6. Kap.: Folgerungen für die deutsche Finanzverwaltung
men, nicht um eine naive Verkennung der Realität handelt;908 vielmehr ist es m. E. Ausdruck einer zutreffenden Interpretation der Realität, dass nämlich die Finanzverwaltung auf die Mitwirkung, die Kooperation der Steuerpflichtigen angewiesen ist. Eine Finanzverwaltung, die allen Steuerpflichtigen gleichermaßen misstraut, „erntet“ diejenigen Steuerpflichtigen, die sie verdient: misstrauische, argwöhnische Bürger, die meinen, sich vor unberechtigten Zahlungsforderungen des gierigen Staates schützen zu müssen, Berater, die „im Kampf gegen die Finanzverwaltung aufrüsten“, kurz: es tritt eine Eskalation ein. Dies gilt es durch die auf Schaffung eines kooperativen Verhältnisses ausgerichtete Compliance-Strategie zu verhindern. Ein kooperatives Verhältnis kann zum einen dadurch gefördert werden, dass den Steuerpflichtigen der Umfang ihrer steuerlichen Pflichten transparenter gemacht und ihnen z. B. durch verständliche Formulare die Erklärung zutreffender Angaben erleichtert wird. Zum anderen bedarf es dazu einer konsequenten Bekämpfung der Steuerhinterziehung, damit kooperationswillige Steuerpflichtige nicht angesichts der vermeintlichen Schläue ihrer steuerunehrlichen Nachbarn frustriert werden. Eine so verstandene Compliance-Strategie, bei der die Finanzverwaltung den „willigen“ Bürger motiviert, seine Pflichten in Zusammenarbeit mit der Verwaltung zu erfüllen und ihm gleichzeitig die Gewissheit verschafft, steuerunehrliches Verhalten anderer zu sanktionieren, schafft die Basis für einen effektiven Vollzug der Steuergesetze. Durch die stärkere Unterstützung der Steuerpflichtigen bei der Erfüllung ihrer Pflichten, z. B. durch bürgerfreundliche Öffnungszeiten, Bereitstellung verschiedener Medien zur Kommunikation etc., trägt die Finanzverwaltung außerdem dem Umstand Rechnung, dass sie im Grundsatz – ebenso wie der Staat als solcher – für den Bürger da ist und nicht umgekehrt: Sie erhebt die Steuern von den Bürgern für die Bürger, auch wenn diese es ihr in der Regel nicht danken werden. Der Respekt gegenüber den Staatsbürgern erfordert deshalb, dass die Verwaltung sich um größtmögliche Transparenz und Bürgerfreundlichkeit bemüht, auch wenn die steuerlichen Pflichten unabhängig davon bestehen, ob die Steuerpflichtigen ihre Notwendigkeit einsehen. Das Verhältnis der Bürger gegenüber staatlichen Institutionen unterliegt in den vergangenen Jahrzehnten einem Wandel, und die Anforderungen der Steuerpflichtigen an das Auftreten und den Service der Finanzverwaltung steigen. So brachten anlässlich einer durch den Bund der Steuerzahler Nordrhein-Westfalen e. V. im Jahr 1989 durchgeführten Umfrage Steuerpflichtige zwischen 18 und 29 Jahren deutlich höhere Erwartungen gegenüber der Finanzverwaltung zum Ausdruck als Steuerpflichtige zwischen 50 und 59 Jahren bzw. über 60 Jahren, und mit steigender Erwartungshaltung ließ die Be908
Eckhoff, StuW 1996, 107, 115.
B. Konsequenzen für den Vollzug von Steuergesetzen in Deutschland
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wertung des Gesamteindrucks von der Finanzverwaltung nach.909 Die Finanzverwaltung muss diesem geänderten Verhältnis zwischen den Bürgern und staatlichen Institutionen Rechnung tragen, will sie ihrem Vollzugsauftrag gerecht werden. Tipke spricht in diesem Zusammenhang von einem „Konnex zwischen Besteuerungsmoral und Steuermoral“.910 Darüber hinaus ist es nicht nur eine Frage des Verschleißes von Ressourcen, wenn Widerstände der Normadressaten nicht abgebaut, sondern eher noch verstärkt werden und die Gesetze gegen diesen Widerstand vollzogen werden, sondern es geht auch um die Verhältnismäßigkeit der Mittel: Wenn Steuerpflichtige z. B. durch die Bereitstellung von Informationsmaterial und eine gute Erreichbarkeit der Finanzbeamten im Falle von Rückfragen in die Lage versetzt werden können, ihre steuerlichen Pflichten zu begreifen und ihnen ohne übermäßigen zeitlichen und finanziellen Aufwand nachzukommen, so haben derartige Maßnahmen Vorrang vor nachträglichen Kontrollen, mittels derer Fehler der Steuerpflichtigen aufgedeckt werden sollen, die im Vorfeld vermeidbar gewesen wären. Immerhin handelt es sich bei derartigen Kontrollen um erhebliche Eingriffe in Freiheitsgrundrechte der betroffenen Steuerpflichtigen. 2. Grenzen einer Compliance-Strategie Eine auf die Förderung der Compliance ausgerichtete Strategie ist keine Wunderwaffe und kann den natürlichen Interessenkonflikt zwischen den Finanzbehörden und den Steuerzahlern nicht vollständig auflösen. Geppaart bringt dies mit der Feststellung zum Ausdruck, dass die meisten Menschen lieber einen mürrischen Zahnarzt als einen „kundenfreundlichen“ Finanzbeamten aufsuchen,911 und Fuisting schrieb schon 1902: „Die Beteiligung an der Aufbringung des Steuerbedarfes wird von den Pflichtigen stets als Belastung empfunden. [. . .] Die aus der höchsten sittlichen Auffassung des Staates abgeleiteten Vorstellungen von einer Ehre der Beteiligung an der Staatslast werden in weiten Kreisen des Volkes niemals Verständnis finden.“912
Wenn alle Steuerpflichtigen mit der Arbeit der Finanzverwaltung zufrieden wären, müsste dies in der Tat Misstrauen wecken, denn eine 100%ige Compliance der Steuerpflichtigen ist mehr als unwahrscheinlich, zumal gerade bei Unternehmern die Abwägung der Chancen und Risiken von Steuerhinterziehung wie jedwede Abwägung finanzieller Risiken zum „Geschäft“ 909 910 911 912
Däke/Boddenberg/Liebern, Das Bürgerfreundlichere Finanzamt, S. 3, 5. Tipke, Besteuerungsmoral, S. 89. Geppaart, NJB 1995, 824. Fuisting, Grundzüge der Steuerlehre, S. 6 f.
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6. Kap.: Folgerungen für die deutsche Finanzverwaltung
gehört. Doch obwohl eine auf Kooperation ausgerichtete Compliance-Strategie diesen Interessengegensatz nicht nivellieren kann, geht die Kritik Isensees, der Steuerbeamte werde als „Fiskalanimateur“ verharmlost,913 fehl. Die eigentliche Bedeutung der Compliance-Strategie hebt der bekannte Werbeslogan des Belastingdienst m. E. treffend hervor: „Wir können es nicht angenehmer, aber einfacher machen.“ Steuerzahlen ist kein Vergnügen, sollte jedoch für den durchschnittlichen, steuerehrlichen Bürger auch kein Drahtseilakt sein, bei dem er permanent fürchten muss, die ihm unverständlichen Normen falsch zu interpretieren und dadurch mit dem Gesetz und einer die Lage und Bedürfnisse der Steuerpflichtigen missachtenden Finanzverwaltung in Konflikt zu geraten. Darüber hinaus bringt eine Compliance-Strategie Steuerpflichtige und Finanzverwaltung dort zusammen, wo sie tatsächlich gemeinsame Interessen haben: Beide wollen durch das Besteuerungsverfahren möglichst wenig belastet werden. Besonderes Augenmerk muss der Vermittlung der Compliance-Strategie gelten: Steuerpflichtige dürfen die „Kundenfreundlichkeit“, den verbesserten Service weder als Schwäche noch als Finte interpretieren. In diesem Zusammenhang ist die in Deutschland zunehmende Verwendung des Begriffs „Kunde“914 höchst problematisch, wird doch mit ihm eine Freiwilligkeit assoziiert, die dem Verhältnis zwischen Steuerpflichtigen und Steuerbehörden fremd ist (vgl. auch die Ausführungen im 3. Kap.). Die Verwendung des Begriffs sollte deshalb auf den internen Sprachgebrauch zum Zwecke der Förderung einer entsprechenden Einstellung der Mitarbeiter der Finanzverwaltung den Steuerpflichtigen gegenüber beschränkt werden. Wegen der bestehenden Wechselwirkung zwischen dem Auftreten der Finanzverwaltung gegenüber den Steuerpflichtigen und deren Bereitschaft, ihren steuerlichen Verpflichtungen nachzukommen, kann eine positive Beeinflussung der Einstellung der Steuerpflichtigen gegenüber der Finanzverwaltung nur insoweit Erfolg haben, als die Finanzbehörden selbst zu Verbesserungen wie etwa der Verkürzung der Bearbeitungsdauer von Steuererklärungen in der Lage sind; Verfahren wie das eines Steuerpflichtigen vor dem Landgericht Düsseldorf wegen verspäteter Auszahlung einer Steuererstattung durch das Finanzamt,915 in dem der Eindruck aufgekommen war, 913 Isensee auf dem Symposion „Kooperatives Verwaltungshandeln im Besteuerungsverfahren“, Institut für Steuerrecht der Universität Münster (Hrsg.), S. 47. 914 Vgl. z. B. Prey/Riedel, VOP 11/2000, 17; Popp/Riedel, VOP 12/2000, 13. Auch die Regierungskoalition spricht von einem „kundenorientierten Vollzug der Steuergesetze“, vgl. Koalitionsvertrag 2002–2006 zwischen SPD und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN, „Erneuerung – Gerechtigkeit – Nachhaltigkeit“, unter „Gerechte Steuerpolitik“ (S. 17). 915 LG Düsseldorf v. 4.8.99, 2 b O 4/98, n. v., zitiert nach Nissen, StB 2001, 457 f.
B. Konsequenzen für den Vollzug von Steuergesetzen in Deutschland
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die Auszahlung von Steuererstattungsansprüchen werde systematisch verzögert, um Zinsvorteile zu erlangen, sind für die Compliance verheerend. Die Erfahrungen des Belastingdienst zeigen außerdem, dass es illusorisch wäre zu glauben, durch verstärkte Anstrengungen z. B. auf dem Gebiet der Serviceleistung ließe sich ein Punkt erreichen, an dem die Wünsche und Erwartungen der Steuerpflichtigen umfassend erfüllt sind, denn die Ansprüche der Steuerpflichtigen wachsen mit den Bemühungen der Finanzverwaltung. Keinesfalls dürfen höhere Erwartungen geweckt werden, als tatsächlich erfüllt werden können, weil anderenfalls die Glaubwürdigkeit der Finanzverwaltung leidet. Die Kooperation hört dort auf, wo der Steuerpflichtige das Vertrauen der Finanzverwaltung missbraucht. Die Verbindung des Kooperationsangebotes mit der Klarstellung, dass Unaufrichtigkeit sanktioniert wird und die Finanzverwaltung durch Stichprobenkontrollen, Betriebsprüfungen, Kontrollmitteilungen etc. tatsächlich über Möglichkeiten verfügt, derartige Unaufrichtigkeit aufzuspüren, ist schon allein deshalb wichtig, um die ehrlichen Steuerpflichtigen darin zu bestätigen, dass sie nicht die „Dummen“ sind. 3. Maßnahmen zur Förderung der Compliance In den Finanzverwaltungen der Länder sind mittlerweile in weiten Bereichen spezielle Informationstheken eingerichtet, wodurch eine ähnliche Unterteilung in ein Front-Office und ein Back-Office entsteht wie in den Niederlanden. Einerseits bringt diese Entwicklung Vorteile mit sich, weil die Sachbearbeiter im Back-Office ohne Publikumsverkehr konzentrierter und effektiver arbeiten und weil die Servicemitarbeiter im Umgang mit den Steuerpflichtigen speziell geschult werden können. Andererseits droht die Gefahr einer Entfremdung, einer Anonymisierung, wenn der Steuerpflichtige keinen Kontakt zu dem Finanzbeamten mehr hat, der die Entscheidungen trifft. Ergebnisse einer Umfrage des Bundes der Steuerzahler in Nordrhein-Westfalen aus dem Jahr 1989 weisen auf einen Zusammenhang zwischen dem Grad des persönlichen Kontakts zum Sachbearbeiter und der Einstellung der Finanzverwaltung gegenüber hin: Während im Münsterland 59% der Befragten das Verhältnis zum Finanzamt und den Finanzbeamten als hilfsbereit und freundlich, 2% als bürokratisch und lediglich 1% als schlecht/gespannt bezeichneten, waren es im Ruhrgebiet jeweils 31%, 14% und 8%. Auf die Frage, ob sie ihre Steuererklärung am liebsten durch die Post, in einer zentralen Abgabestelle im Finanzamt oder direkt beim zuständigen Sachbearbeiter abgeben, sprachen sich im Münsterland 72% für die persönliche Abgabe beim Sachbearbeiter und nur 18% für die Abgabe per Post aus, wohingegen im Ruhrgebiet 46% den Postweg bevorzugen und nur
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6. Kap.: Folgerungen für die deutsche Finanzverwaltung
35% ihre Steuererklärung am liebsten beim Sachbearbeiter abgeben. Diese Ergebnisse legen den Schluss nahe, dass dort, wo der Kontakt zum Sachbearbeiter intensiver ist, die Steuerpflichtigen ihr Verhältnis der Finanzverwaltung gegenüber positiver einschätzen als dort, wo der Kontakt überwiegend anonym bleibt.916 Derartige Dispositionen der Steuerpflichtigen können sich im Laufe der Zeit selbstverständlich ändern und darüber hinaus regional schwanken; in jedem Fall sollte der Frage, welchen Einfluss der persönliche Kontakt des Steuerpflichtigen mit einzelnen Finanzbeamten auf die Compliance hat, in weiteren Untersuchungen nachgegangen werden. Der in den Niederlanden von Reuvers wiederholt unterbreitete Vorschlag, zur Förderung der Compliance nach Art eines Bonus-Malus-Systems denjenigen, die ihren steuerlichen Verpflichtungen nachkommen, spezielle finanzielle Vergünstigungen zukommen zu lassen,917 ist abzulehnen. Auch für das Nichtbegehen von Diebstählen und Betrügereien erhalten die Bürger keine Prämie, denn es handelt sich jeweils nur um die Einhaltung der den Bürgern durch den demokratisch legitimierten Gesetzgeber auferlegten Pflichten, und dies ist nach der Konzeption des Rechtsstaates die Regel und nicht die belohnenswerte Ausnahme. Eine Beratung und Auskunft von Steuerpflichtigen durch die Finanzbehörden sieht § 89 AO bereits vor, allerdings nur als Sollvorschrift und nur in einem begrenzten Umfang.918 Das Gebot zur Verbesserung des Service reicht umso weiter, je größer das Informationsdefizit der Steuerpflichtigen bzw. der Informationsvorsprung der Finanzverwaltung ist. Eine Konkurrenz für den Berufsstand der Steuerberater ergibt sich aus einer Ausweitung des Informationsangebotes jedoch nicht, denn zum einen verbleibt ein unvermeidbares Risiko, dass Auskünfte, die die Finanzverwaltung erteilt, im Einzelfall nicht absolut objektiv, sondern fiskalisch motiviert sind, und zum anderen soll die Finanzverwaltung zwar Informationen zur Verfügung stellen, die Steuerpflichtigen aber nicht darüber beraten, wie sie diese Informationen umsetzen sollen. 916 Auch Buschkamp u. a., Compliance, S. 14, 16 f. gehen davon aus, dass die Steuerbürger in der Regel ein Interesse an einem festen Ansprechpartner haben. So schlagen sie insbesondere für den Kontakt zu Unternehmern die Schaffung der Funktion eines sog. Unternehmensbetreuers vor. Insoweit bestehen deutliche Parallelen zum Klantmanager des Belastingdienst. 917 Reuvers, Belasting – politiek en strategie, S. 27. Auch in einer im Auftrag der Bertelsmann Stiftung und der Kienbaum Management Consultants GmbH durchgeführten Umfrage unter Steuerpflichtigen ist dieses Thema angesprochen worden und hat, was nicht weiter verwunderlich ist, bei den Befragten großen Zuspruch gefunden: 78% der Befragten würden eine Prämie für steuerehrliches Verhalten befürworten, vgl. Compliance-Studie, S. 32. 918 Vgl. dazu Tipke in: Tipke/Kruse, § 89 AO, Rn. 3 ff. m. w. N.
B. Konsequenzen für den Vollzug von Steuergesetzen in Deutschland
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4. Außendarstellung Die deutsche Finanzverwaltung ist dringend auf eine Imageverbesserung angewiesen, und zwar sowohl zur Förderung der Compliance der Bürger als auch zur Motivation der eigenen Mitarbeiter. Während in den Niederlanden die Mitarbeiter mittlerweile objektive Gründe dafür haben, sich mit ihrer Arbeit und ihrem Arbeitgeber zu identifizieren, weil der Belastingdienst z. B. von verschiedenen unabhängigen Gremien ausgezeichnet worden ist (für die Durchführung der Reorganisation, für seine Jahresberichte, für seine Werbung etc.) und weil Repräsentanten vieler ausländischer Finanzverwaltungen in die Niederlande reisen, um sich über die Arbeitsweise des Belastingdienst zu informieren, ist der Ruf der deutschen Finanzverwaltung insgesamt schlechter. Die Notwendigkeit, durch eine entsprechende Außendarstellung die Steuermoral der Bürger zu verbessern, beruht nicht etwa darauf, dass die Finanzverwaltung als Teil der öffentlichen Verwaltung per se eine besondere Verantwortung für die „moralische Unterweisung“ der Steuerpflichtigen hätte, sondern darauf, dass sich der Zustand der Steuermoral darauf auswirkt, wie erfolgreich die Finanzverwaltung ihren gesetzlichen Auftrag ausführen kann. Andererseits ist es nicht die Finanzverwaltung allein, deren Handeln sich auf die Steuermoral der Bürger auswirkt, sondern ebenso die Höhe der Steuerbelastung und der Eindruck der Steuerzahler davon, wie das Steueraufkommen verwendet wird. Die Finanzverwaltung muss sich jedoch bei der Außendarstellung auf diejenigen Aspekte beschränken, die tatsächlich in ihrem Einflussbereich liegen. Dementsprechend kommen Ausführungsaspekte, nicht aber die Rechtfertigung der Steuergesetze als solche oder die Verwendung der Steuermittel in Betracht.919 Zwar wäre es wünschenswert, wenn den Steuerpflichtigen vermittels der durch den Staat finanzierten Güter und Leistungen deutlich gemacht würde, wozu ihre Steuerzahlung dient und wie die Steuergelder verwendet werden, da die Schwelle zur Steuerhinterziehung offensichtlich besonders niedrig liegt, wenn als Geschädigter kein Individuum sondern die abstrakte Gesellschaft erscheint,920 doch ist dies nicht Aufgabe der Finanzverwaltung, sondern der 919 Torny – Leiter der Abteilung für (externe) Kommunikation beim Belastingdienst – im Gespräch mit de Bruin, NRC Webpage v. 7.12.2001, nachzulesen unter ; a. A. Habammer, Stbg 2001, 612, 615, der sich für eine Betonung des Konnexes zwischen Steuerhebung und konkreter Mittelverwendung ausspricht. 920 So bereits im Jahr 1928 Conrad, Psychologie und Besteuerung, S. 22; aus heutiger Sicht van Arendonk, MBB 3/1997, 94, 101, Fn. 21. Das Bewusstsein, dass Steuerhinterziehung „Betrug am Nachbarn“ ist, ist noch nicht stark genug ausgeprägt. Ebenso Habammer, StBg 2001, 612, 619.
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6. Kap.: Folgerungen für die deutsche Finanzverwaltung
Politik, die über die Verwendung der Steuergelder entscheidet. Außerdem brächten Informationen seitens der Finanzverwaltung zur Verwendung der Steuermittel die Gefahr mit sich, diejenigen Steuerzahler zu verärgern, die mit der jeweiligen politischen Entscheidung nicht einverstanden sind. So könnte z. B. ein alleinstehender Steuerzahler ohne Kinder staatliche Investitionen in Kindergartenplätze als „Verschwendung“ ansehen, weil er selbst nicht davon profitiert. Die Finanzverwaltung könnte und sollte jedoch insoweit mit gutem Beispiel vorangehen, als sie sich um eine effiziente interne Arbeitsweise bemüht und den Steuerpflichtigen demonstriert, dass zumindest die mit der Steuerbeitreibung beauftragten Behörden kostenbewusst und verantwortungsvoll mit den ihnen für diese Zwecke zur Verfügung gestellten Steuergeldern umgehen. Was die Ausführungsaspekte betrifft, so ist es für die Compliance-Strategie und für generalpräventive Zwecke von besonderer Bedeutung, Erfolge der Finanzverwaltung bei der Aufdeckung von missbräuchlichen Gestaltungen und Steuerhinterziehung publik zu machen,921 ähnlich den Berichten über erfolgreiche Einsätze der Fahnder der Polizei. Dies bedeutet nicht etwa, dass der Eindruck, den Steuerpflichtige von der Aufdeckungsquote bei der Steuerhinterziehung haben, durch Medienkampagnen etc. manipuliert werden soll, zumal sich dieser Eindruck langfristig ohnehin nur durch objektiv höhere Aufklärungsquoten verbessern lässt. Nutzt die Finanzverwaltung die Medien jedoch nicht für die Verbreitung ihrer (tatsächlichen) Erfolge auf diesem Gebiet, so bleiben bei den Steuerpflichtigen nur die negativen Meldungen wie die des Bundesrechnungshofs hängen, der in seinem Bericht 2000 moniert, dass „angesichts der hohen Arbeitsrückstände eine Steueraufsicht zur Aufdeckung und Ermittlung unbekannter Steuerfälle nur noch ausnahmsweise stattfindet“.922 Die Steuermoral und das Vertrauen der Steuerpflichtigen auf Rechtsgleichheit und Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns können empfindlich beeinträchtigt werden, wenn der Eindruck vorherrscht, die Finanzverwaltung sei mit dem Vollzug der Steuergesetze überfordert. Stattdessen sollte sie Handlungswillen und Reformfähigkeit unter Beweis stellen, aus einer reaktiven in eine aktive Position gelangen. Dies ist dem niederländischen Belastingdienst gelungen. Kurz: Die Finanzverwaltung sollte ein Image nach dem Motto „streng aber gerecht“ pflegen, d.h. streng gegenüber den unehrlichen Steuerpflichtigen, freundlich und hilfsbereit gegenüber den ehrlichen auftreten.
921
Darauf weist bereits im Jahr 1939 van Doorne, Geschriften VVB, no. 47, S. 58 hin. Vgl. auch Elffers im Interview mit van Osch/van Rijswijk, Elsevier v. 11.3.2000, 74, 80; Reuvers, Belasting – politiek en strategie, S. 54. 922 Bundesrechnungshof, Bemerkungen 2000, Nr. 65.0, S. 204.
B. Konsequenzen für den Vollzug von Steuergesetzen in Deutschland
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5. Konsequenzen für den Gesetzgeber Für die Ausrichtung der Arbeitsweise der Finanzverwaltung auf die Förderung der Compliance bedarf es unmittelbar keiner Gesetzesänderungen. Allerdings ist die Compliance in starkem Maße abhängig vom Verhalten des Gesetzgebers und wird sowohl durch das geltende Steuerrecht als auch durch die Art und Weise beeinflusst, wie der Gesetzgeber mit dem Instrument der Steuergesetzgebung umgeht. Die Forderung nach einer Vereinfachung der Steuergesetze und einer stärkeren Berücksichtigung von Ausführbarkeitsaspekten wird deshalb sowohl in Deutschland als auch in den Niederlanden gestellt.923 Schließlich bestimmt die Ausführbarkeit das Maß, in dem der vom Gesetzgeber erwünschte Rechtsgehalt tatsächlich eintritt. Durch die verworrene und kurzlebige Gesetzeslage schadet die Politik beiden Seiten – Steuerpflichtigen und Finanzbeamten – gleichermaßen, denn alle Beteiligten müssen sich permanent mit neuen Vorschriften vertraut machen. Darüber hinaus stoßen unsystematische und inkonsequente Gesetzesänderungen, durch die etwa Steuerpflichtige zunächst zu bestimmten Investitionen angeregt, diese Anreize dann aber plötzlich wieder abgeschafft werden, auf Unverständnis und Widerstand bei den Steuerpflichtigen und wirken sich negativ auf die Compliance aus. Wenn der Gesetzgeber die Normadressaten durch spezielle Ausgestaltungen des Rechts zu bestimmten „gewünschten“ Dispositionen finanzieller Art zu bewegen versucht (z. B. durch Investitionszulagen etc.), so will er damit gerade erreichen, dass diese mit spitzem Bleistift durchrechnen, ob sich bestimmte Verhaltensweisen für sie „lohnen“, d.h. der Gesetzgeber fördert die Entwicklung des berechnenden Bürgers, was sich im Ergebnis kontraproduktiv auf die Compliance auswirkt.924 Zur Förderung der Compliance sollte der Gesetzgeber deshalb auf die Verfolgung derartiger (meist kurzfristiger) Lenkungszwecke durch Steuergesetze verzichten.
923 Vgl. die Forderung des Staatssekretärs für Finanzen (!), Nota v. 28.5.1996, nr. PFC96/695m; van Arendonk, MBB 9/1994, 291, 296; Kimman in: Belastingfraude en belastingmoraal, S. 49, 63; van der Geld, Zicht op fiscale wetgeving, S. 23, 25 und bereits Ende der 1940er Jahre van den Berge, Beginselen van de belastingheffing, S. 105. Aus deutscher Sicht z. B. Lang in: Tipke/Lang, § 4 Rn. 1; ders., FR 1993, 661, 664 f.; Tipke, Die Steuerrechtsordnung Bd. 3, S. 1442 ff.; Rechnungshof der Freien und Hansestadt Hamburg, Bericht über die Lage der Steuerverwaltung v. 21.1.1994, zitiert nach dem Abteilungsleiter beim Rechnungshof Egge, StuW 1994, 272, 274. 924 Wetenschappelijke Raad voor het Regeringsbeleid, Rapport „Rechtshandhaving“, S. 40 f. Ähnlich auch Gribnau, Rechtsbetrekking, S. 254, der diese Entwicklung mit dem Ausspruch charakterisiert: „Der Gesetzgeber bekommt diejenigen Bürger, die er verdient.“.
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6. Kap.: Folgerungen für die deutsche Finanzverwaltung
Darüber hinaus setzt sich mittlerweile international mehr und mehr die Erkenntnis durch, dass auch die Kosten, die den Steuerpflichtigen durch den Vollzug der Steuergesetze entstehen, Einfluss auf den Grad der Compliance haben. Während in der Vergangenheit überwiegend getrennte Untersuchungen der Compliance (taxpayer compliance research) einerseits und der Vollzugskosten (compliance costs research) andererseits durchgeführt worden sind,925 werden beide Forschungsgebiete mittlerweile verstärkt miteinander verknüpft. Da die Höhe der Vollzugskosten entscheidend durch die Ausgestaltung der Steuergesetze bestimmt wird, sollte der Gesetzgeber der Frage nach dem Zusammenhang zwischen Vollzugskosten und Compliance künftig mehr Beachtung schenken. So berechtigt die Forderung nach Vereinfachung und Systematisierung des materiellen Steuerrechts einerseits ist, so fatal wäre es andererseits, wenn die Finanzverwaltung mit Modernisierungsbemühungen auf Steuervereinfachungen warten würde, denn das hieße im Ergebnis vorläufiger Stillstand. Wenn diese Forderung hier dennoch aufgegriffen und unterstrichen wird, so geschieht das vor allem deshalb, weil der Gesetzgeber sich seinem Auftrag zur Schaffung vollziehbarer Gesetze nicht in der Hoffnung entziehen darf, die Verwaltung werde einen Weg finden, auch die „unvollziehbaren“ Gesetze umzusetzen. Der Einwand, umfassende Steuerreformen seien praktisch nicht durchführbar, wird durch das niederländische Beispiel widerlegt: Auch wenn die Steuerreform 2001 weniger Vereinfachungen gebracht hat, als ursprünglich erwartet, so haben die Niederlande durch die Umsetzung dieser Reform gezeigt, dass es in der Praxis durchaus möglich ist, das Einkommensteuerrecht grundlegend zu ändern. Darüber hinaus hat der Belastingdienst durch seine Bemühungen um einen effektiveren und effizienteren Vollzug der Steuergesetze den Ball dem Gesetzgeber zugespielt und diesen genötigt, sich stärker mit Ausführungsaspekten zu beschäftigen. Das Bewusstsein dafür, dass Vollzugshindernisse, die in der Ausgestaltung der zu vollziehenden Norm begründet sind, sich u. a. auf die Compliance und das Steueraufkommen auswirken können, ist in den Niederlanden stärker ausgeprägt als in Deutschland. 6. Zusammenfassung Die wechselseitige Beziehung zwischen der Finanzverwaltung und den Steuerpflichtigen und insbesondere die Abhängigkeit der Finanzbehörden von der Mitwirkung der Steuerpflichtigen bei der Sachverhaltsaufklärung erfordern Bemühungen um die Aufrechterhaltung und Stärkung der Compliance der Steuerpflichtigen. Erfolgversprechend sind nur dauerhafte, um925
Vgl. Hasseldine in: FS Sandford, S. 3 f., 7 f. m. w. N.
B. Konsequenzen für den Vollzug von Steuergesetzen in Deutschland
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fassende Strategien, denn einmalige und kurzfristige Bemühungen können der ständigen „Erosion“ der Steuermoral, die u. a. durch den natürlichen, auf einem immanenten Interessenkonflikt beruhenden Steuerwiderstand bedingt ist, nicht entgegenwirken. Die Finanzverwaltung muss vermitteln, dass andere Steuerpflichtige sich nicht erfolgreich ihren Pflichten entziehen und dass es um die Steuermoral insgesamt nicht so schlecht bestellt ist, wie viele Bürger glauben. Wer seinen Nachbarn ohne weiteres Steuerunehrlichkeit zutraut, der stellt sein eigenes, normgetreues Verhalten in Frage, weil er nicht „der Dumme“ sein und die Steuern für seine unehrlichen Mitmenschen mitbezahlen will,926 sodass im Ergebnis die Steuermoral der (noch) steuerehrlichen Bürger abnimmt und die Steuerhinterziehung nach Art einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung immer weiter anwächst. Dieses Risiko einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung gilt darüber hinaus auch hinsichtlich einer allgemeinen Unzuverlässigkeitsvermutung, durch die den Steuerpflichtigen gegenüber der Eindruck erweckt wird, Steuerunehrlichkeit sei „Geschäftsgrundlage“ des Steuerrechtsverhältnisses.927 Zugleich gilt es, durch Stärkung der Transparenz des Besteuerungsverfahrens den Steuerpflichtigen Vorwände für die Rechtfertigung der Verletzung von steuerrechtlichen Pflichten zu nehmen. Solange es Steuerpflichtige gibt, die sich durch das Auftreten des Staates, durch die Ausgestaltung der Steuergesetze und die Organisation des Vollzugs in ihrer Bereitschaft zur Einhaltung ihrer Mitwirkungspflichten beeinflussen lassen – und davon wird hier ausgegangen –, kann eine Compliance-Strategie Erfolg bringen. Einer simplen Kosten-Nutzen-Rechnung ist eine derartige Strategie allerdings nicht zugänglich, weil die präventiven Wirkungen einzelner Maßnahmen nur schwer und allenfalls mit einer erheblichen zeitlichen Verzögerung ermittelt werden können.
IV. Fallgewichtung Neben der Compliance-Strategie stellt die in ein Risikoanalysesystem eingebettete Fallgewichtung ein weiteres wichtiges Kennzeichen der Arbeitsweise des Belastingdienst dar, und im 3. Kapitel ist bereits ausgeführt worden, inwieweit sich die Fallgewichtung in den Niederlanden von der in Deutschland unterscheidet. Die derzeitige Besteuerungspraxis in Deutschland wird als sog. maßvoller Gesetzesvollzug bezeichnet, ohne dass deutlich wäre, an welchen „Maßstäben“ sich dieser Gesetzesvollzug zu orientieren hat.928 926 Auf diesen Umstand weist auch van Gunsteren in: Geschriften VVB No. 154, S. 19, 27 hin. 927 So zutreffend Eckhoff, StuW 1996, 107, 114. 928 Zur Mehrdeutigkeit des Begriffs und zu seinen unterschiedlichen Interpretationen in der Literatur Karl, DStZ 2002, 598, 602 f. m. w. N.
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6. Kap.: Folgerungen für die deutsche Finanzverwaltung
1. Grundsatz der Gesetzmäßigkeit und Gleichmäßigkeit der Besteuerung Als Teil der Exekutive sind die Finanzbehörden an Recht und Gesetz gebunden, Art. 20 Abs. 3 GG. Sie haben deshalb die gesetzlich geschuldeten Steuern zu erheben. Diese Bindung an das Legalitätsprinzip entfaltet im Steuerrecht wegen des empfindlichen Eingriffs in den Rechtskreis des Einzelnen besondere Bedeutung, denn der Steuerzahlungspflicht steht keine konkrete Gegenleistung des Staates gegenüber. Des weiteren haben die Finanzbehörden gem. Art. 1 Abs. 3, 3 Abs. 1 GG die Gleichmäßigkeit im Vollzug der Steuergesetze zu gewährleisten.929 Aufgrund des Massenfallcharakters des Besteuerungsverfahrens und der Komplexität der Steuertatbestände kann die Finanzverwaltung keine absolute Gesetzmäßigkeit der Besteuerung im Einzelfall gewährleisten. Dies ist nicht, wie häufig missverständlich formuliert wird, auf die derzeitige Personallage zurückzuführen,930 sondern gilt selbst für den unwahrscheinlichen Fall einer erheblichen Aufstockung der Sach- und Personalmittel, weil die Vielzahl der Steuerfälle und die Art der benötigten Informationen, die zu einem nicht unerheblichen Teil aus dem persönlichen Lebensbereich des Steuerpflichtigen stammen, einer 100%igen Aufklärung prinzipiell entgegenstehen.931 Es handelt sich somit um einen dauerhaften Zielkonflikt zwischen der Sicherstellung einer zutreffenden Besteuerung im Einzelfall einerseits und der Gewährleistung des Gesamtvollzugs andererseits.932 Eine einseitige Fokussierung auf die größtmögliche Gesetzmäßigkeit im Einzelfall würde angesichts der Masse von zu veranlagenden Steuerfällen zwangsläufig zu einer nicht zu rechtfertigenden Ungleichbehandlung der Steuerpflichtigen führen, weil eine geringe Zahl von Steuerfällen intensiv, die überwiegende Zahl hingegen überhaupt nicht geprüft würde. Vor diesem Hintergrund ist der Wahrung des Gesamtvollzugs Vorrang vor der Sicherung der Gesetzmäßigkeit im Einzelfall einzuräumen, sie bildet, wie Seer plastisch formuliert, den „äußeren Rahmen“ für den Einzelvollzug.933 Dieser Vorrang des Gesamtvollzugs lässt sich nur durch eine Gewichtung in der Intensität der 929 Martens, Verwaltungsvorschriften, S. 19; Klein, Gleichheitssatz und Steuerrecht, S. 236 f. 930 So z. B. Lambrecht, DStJG Bd. 12, S. 79, 103. Den Eindruck, es handele sich um vermeidbare, vorübergehende Schwierigkeiten erweckt auch Isensee, wenn er eine Notkompetenz der Steuerverwaltung begründet sieht, vgl. Die typisierende Verwaltung, S. 158, 171 ff. 931 So auch Hoffmann, DStR 1997, 1189, 1190; Seer, FR 1997, 553. 932 Seer, Verständigungen in Steuerverfahren, S. 228 f. 933 Seer, Verständigungen in Steuerverfahren, S. 232; Tipke in: Tipke/Kruse, § 88 AO, Rn. 11 (Stand: 98. Lfg., Juli 2002). Im Ergebnis spricht sich auch Arndt, Praktikabilität und Effizienz, S. 82 f. für einen Vorrang des Gesamtvollzugs aus.
B. Konsequenzen für den Vollzug von Steuergesetzen in Deutschland
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Fallbearbeitung erreichen, die jedoch ihrerseits dem Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung so weit wie möglich genügen muss: Die konkrete Art und Weise der Gewichtung innerhalb des Rahmens, den die Sicherung des Gesamtvollzugs bildet, muss jeweils auf einem sachlichen Grund beruhen, der geeignet ist, die ungleiche Bearbeitungsintensität der Steuerfälle zu rechtfertigen, und kann nicht pauschal mit der Sicherung des Gesamtvollzugs begründet werden. Sowohl der Belastingdienst als auch die deutsche Finanzverwaltung haben sich deshalb schon vor vielen Jahren je auf ihre Weise von der sog. 100%-Philosophie verabschiedet. Doch während dies in den Niederlanden mit Billigung des Parlaments und der Steuerrechtswissenschaft geschehen ist und sich der Belastingdienst lediglich intern um eine Kulturveränderung bei den eigenen Mitarbeitern, nicht jedoch um eine Akzeptanz nach außen hin bemühen musste, haben die GNOFÄ, mit denen die „gewichtende Arbeitsweise“ in deutschen Finanzämtern Einzug gehalten hat, von Beginn an Kritik hervorgerufen934 und werden mit Begriffen wie „Notkompetenz“ und „brauchbare Illegalität“935 assoziiert. Isensee bringt (unbewusst) einen der wichtigsten Unterschiede im Vergleich zu den Niederlanden auf den Punkt, wenn er ausführt, die Verwaltung begebe sich geradezu in juristische Schwierigkeiten, wenn sie das, was sie tut, offen ausspreche und ggf. in einer Verwaltungsvorschrift konkretisiere.936 Diese unterschiedliche Reaktion ist u. a. auf den unrealistischen Auftrag des Gesetzgebers an die Finanzverwaltung zurückzuführen, wie er in § 85 AO zum Ausdruck kommt. 2. Verantwortung des Gesetzgebers Das Sicherstellungsgebot des § 85 AO steht vom bloßen Wortlaut her bereits in Widerspruch zu einer Vernachlässigung des Einzelfalls zugunsten der Sicherung der Gleichmäßigkeit des Gesamtvollzugs. Auch wenn die Notwendigkeit einer derartigen Beschränkung kaum mehr bestritten wird und das BVerfG schon vor beinahe 30 Jahren anerkannt hat, dass bei den Ermittlungstätigkeiten der Finanzbehörden Zweckmäßigkeitserwägungen 934 Vgl. z. B. Jenetzky, StuW 1982, 273, 277, 285, der von einem Weg vom Steuerrechtsstaat hin zur Steuererhebungskatastrophe spricht; Schmid, FR 1977, 295, 297; Rechnungshof der Freien und Hansestadt Hamburg, Bericht v. 24.2.1994, zitiert nach Egge, StuW 1994, 272, 273. 935 Vgl. Isensee, Die typisierende Verwaltung, S. 171, 173. Ähnlich auch Arndt, Praktikabilität und Effizienz, S. 89 f., der von einem vereinfachenden Gesetzesvollzug angesichts eines „Vollzugsnotstandes“ spricht. 936 Isensee auf dem Symposion „Kooperatives Verwaltungshandeln im Besteuerungsverfahren“, Institut für Steuerrecht der Universität Münster (Hrsg.), S. 19.
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Berücksichtigung finden können,937 reibt sich die Finanzverwaltung in der Vollzugspraxis an einem unrealistischen gesetzlichen Vollzugsauftrag und hat permanent den „Widerspruch zwischen dem Willen zur Vereinfachung und dem Streben nach möglichst vollständiger und richtiger Festsetzung der Einnahmen“ auszuhalten.938 Wie Lang zutreffend feststellt, hat die Finanzverwaltung hinsichtlich des gleichmäßigen und gesetzmäßigen Gesetzesvollzugs einen Optimierungsauftrag.939 Dies sollte in der Formulierung des § 85 AO durch Aufgabe des Sicherstellungsgebotes zum Ausdruck kommen. Auf die Formulierung eines expliziten gesetzlichen Auftrags der Finanzverwaltung in der AO zu verzichten und es stattdessen der Finanzverwaltung selbst zu überlassen, nach Art des „permanenten Auftrags“ des Belastingdienst die eigenen Aufgaben zu bestimmen, dürfte hingegen mit dem Wesentlichkeitsgrundsatz nicht vereinbar sein.940 Die Ausgestaltung des Vollzugsauftrags der Finanzverwaltung kann nicht losgelöst von der Ausgestaltung der zu vollziehenden Gesetze erfolgen und erfordert, zusammen mit den Kontrollbefugnissen sowie den Mitwirkungspflichten der Steuerpflichtigen, eine Abwägung zwischen Einzelfallgerechtigkeit und Gewähr937 BVerfG v. 20.6.1973, 1 BvL 9, 10/71, E 35, 283, 293 f. Eine Begründung für seine Ausführungen bleibt das BVerfG jedoch schuldig und verweist stattdessen auf die Rechtsprechung des BFH, vgl. BFH v. 7.12.1955, V z 183/54 S, E 62, 201; BFH v. 23.2.1967, IV 344/65, E 88, 134, 136. In diesen Fällen ging es allerdings jeweils um die Frage, ob das Vorliegen bestimmter Umstände trotz unterbliebener Aufklärungsmaßnahmen zu Lasten des jeweiligen Steuerpflichtigen Berücksichtigung finden durfte. 938 Diesen Widerspruch hatte der Bundesrechnungshof bereits im Vorfeld der Einführung der gewichtenden Arbeitsweise konstatiert, vgl. Bemerkungen 1972, BTDrs. 7/2709, Nr. 258. Dort heißt es ferner: „Nur wenn die Verwaltung den bei der Personalnot nicht vermeidbaren Qualitätsverlust durch klare Prioritäten steuert und nicht durch zu umfangreiche Ausnahmekataloge oder eine Vielzahl von Vergleichsprogrammen den Anschein erweckt, alle Steuerpflichtigen mit gleicher Intensität tatsächlich überprüfen zu können, wird das vom Arbeitsausschuss empfohlene Verfahren für die Steuerfestsetzung bei Steuerfällen der Fallgruppe 2 [vgl. GNOFÄ 1976, Anm. d. Verf.] zu den angestrebten Zielen führen können.“. 939 Lang in: Tipke/Lang, § 4 Tz. 162. 940 Dies gilt umso mehr, als in der Vergangenheit bereits Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Einführung einer gewichtenden Arbeitsweise durch Verwaltungsvorschrift geäußert worden sind, vgl. Landesrechnungshof NRW, Bericht v. 31.3.1977, auszugsweise abgedruckt in StBg 1977, 127 ff.; Schmid, FR 1977, 295, 297, der der Verwaltung vorwirft, sich mit der Fallgruppeneinteilung der GNOFÄ auf den „Boden der Illegalität“ zu begeben; Martens in: DStJG Bd. 5, S. 165, 204; gegen einen Verstoß gegen den Vorrang des Gesetzes Suhr, StBp 1977, 221, 222. Das BVerfG hat in einem Beschluss, mit dem es die Annahme einer Verfassungsbeschwerde über die GNOFÄ 1976 abgelehnt hat, ausgeführt, dass der Bürger durch diese innerdienstliche Maßnahme nicht in seinen Grundrechten betroffen werde und die Verwaltung sich innerhalb des ihr nach § 88 AO eingeräumten Ermessens befinde, vgl. BVerfG v. 29.9.1978, 1 BvR 955/77, BStBl. II 1978, 616.
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leistung des Gesamtvollzugs, zwischen Rechtmäßigkeit und Vollziehbarkeit, die bezüglich der grundsätzlichen Parameter durch den Gesetzgeber und nicht durch die Verwaltung vorzunehmen ist, zumal der Gesetzgeber die praktischen Möglichkeiten der Finanzverwaltung durch deren personelle und sachliche Ausstattung entscheidend beeinflusst. Das Grundgesetz setzt Maßstäbe für diese Abwägung, indem es die Interessen bzw. Verfassungsgrundsätze vorgibt, die es auszugleichen gilt. Seer spricht in diesem Zusammenhang von einem „Abwägungsdreieck“ zwischen Gesetzmäßigkeit, Rechtsanwendungsgleichheit und Schutz der Freiheitsgrundrechte.941 Welche Rolle dabei die Sicherung des Steueraufkommens spielt, soll im folgenden im Zusammenhang mit dem Kriterium der steuerlichen Relevanz näher erörtert werden. Jedenfalls kann am Ende der Abwägung niemals eine einzig richtige Gewichtung der widerstreitenden Aufgaben und Interessen stehen, sondern allenfalls der Rahmen verfassungsmäßiger Gewichtungen abgesteckt werden. 3. Zulässigkeit einer Gewichtung trotz Amtsermittlungsgrundsatzes Sieht man vom missglückten „Sicherstellungsauftrag“ nach § 85 AO ab, so bietet § 88 AO bereits einen deutlichen Anhaltspunkt dafür, dass eine gewichtende Arbeitsweise der Finanzverwaltung im System der Abgabenordnung angelegt ist: Zwar sind die Finanzbehörden gem. § 88 Abs. 1 S. 1 AO dazu verpflichtet, den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln, doch bestimmen sie gem. § 88 Abs. 1 S. 2 AO Art und Umfang dieser Pflichten, und gem. § 88 Abs. 1 S. 3 AO richtet sich der Umfang der Pflichten nach den Umständen des Einzelfalls, d.h. die Finanzverwaltung hat Art und Umfang ihrer Ermittlungsbemühungen auf die Besonderheiten des jeweiligen Steuerfalls abzustimmen. Aus der Normierung des Amtsermittlungsgrundsatzes folgt zunächst, dass sich die Finanzbehörden nicht „blind“ auf die Richtigkeit der Angaben der Steuerpflichtigen verlassen dürfen (sog. Untermaßverbot942). Einen entsprechenden Freibrief hat auch der BFH der Finanzverwaltung nicht ausgestellt, indem er ausgeführt hat, das Finanzamt könne grundsätzlich darauf vertrauen, dass der Steuerpflichtige die Steuererklärung nach sorgfältiger Prüfung der Sach- und Rechtslage abgegeben hat.943 Die Relativierung dieser Aussage ergibt sich zum einen aus dem vorangehenden Satz des BFH, wo941 Seer, Verständigungen in Steuerverfahren, S. 296; ders. in: Tipke/Lang, § 21 Rn. 6. 942 Dazu ausführlich Seer, Verständigungen in Steuerverfahren, S. 298 f.; ders. in: Tipke/Lang, § 21 Rn. 8. 943 BFH v. 17.4.1969, V R 21/66, BStBl. II 1969, 474.
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nach es nicht Aufgabe des Finanzamts sei, „ordnungsgemäß ausgefüllte Steuererklärungen auf alle nur denkbaren Fehlerquellen hin zu prüfen und auch entfernt liegende Möglichkeiten eines Versehens des Steuerpflichtigen ins Auge zu fassen“ [Hervorhebungen durch Verf.]. Zum anderen ist offensichtlich, dass ein durchschnittlicher Steuerpflichtiger auch nach sorgfältigster Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht zwangsläufig eine „richtige“ Steuererklärung abgibt, weil insbesondere die Rechtslage sein Verständnis bei weitem übersteigt. Der Amtsermittlungsgrundsatz verpflichtet die Finanzverwaltung danach jedenfalls, eine Überprüfung auf offensichtliche Unvollständigkeiten und Unrichtigkeiten vorzunehmen. Das bedeutet, dass die Angaben eines Steuerpflichtigen zumindest marginal geprüft werden müssen, um Anhaltspunkte für die Beurteilung zu gewinnen, ob weiterer Prüfungsbedarf besteht, und dass eine bloße Übernahme der Angaben z. B. ohne eine Schlüssigkeitsprüfung unzulässig wäre.944 Wenn sich im Anwendungserlass zur Abgabenordnung dennoch die Formulierung findet, im Regelfall könne von der Richtigkeit und Vollständigkeit der Angaben in den Steuererklärungen ausgegangen werden (AEAO zu § 88, Nr. 2 S. 3), so entbindet dies die Finanzverwaltung nicht von der Pflicht, eine Vollständigkeits- und Plausibilitätskontrolle durchzuführen. Eine allgemeine Zuverlässigkeitsvermutung, die den Amtsermittlungsgrundsatz hinsichtlich des „Ob“ der Prüfung vollständig auszuhebeln vermag, existiert im Steuerrecht nicht.945 Allerdings kann sich der Glaubwürdigkeitsvorschuss im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung auswirken, d.h. die Finanzverwaltung kann die Aufklärungstätigkeiten zu einem früheren Zeitpunkt beenden, sie darf früher von der Richtigkeit des Erklärten überzeugt sein.946 Wenn die Finanzverwaltung aufgrund des geltenden Untersuchungsgrundsatzes zumindest eine Vollständigkeits- und Plausibilitätskontrolle durchführen muss, so ist damit nichts darüber gesagt, ob es sich dabei um eine manuelle Kontrolle handeln muss. Das „Wie“ der Überprüfung steht ja ge944 Auch Buciek weist darauf hin, dass § 88 Abs. 1 S. 2 AO nicht dazu ermächtigt, in bestimmten Fällen auf eine Sachverhaltsermittlung vollständig zu verzichten, vgl. DStZ 1995, 513, 514; ebenso Rittler, DB 1987, 2331, 2332. Missverständlich sind die Ausführungen von Buschkamp u. a., Compliance, S. 28, die die Freigabe von Einfachfällen „ohne Prüfung“ fordern. Sofern damit auch der Verzicht auf eine Vollständigkeits- und Schlüssigkeitsprüfung gemeint ist, widerspricht dieser Vorschlag dem Untersuchungsgrundsatz. 945 Damit ist nicht die Frage entschieden, inwieweit eine Zuverlässigkeitsvermutung bei der Gewichtung nach dem steuerlichen Risiko eine Rolle spielen kann. Gegen eine Vermutung der grundsätzlichen Richtigkeit von Steuererklärungen Tipke in: Tipke/Kruse, Vor § 85 AO, Tz. 7 (Stand: 97. Lfg., Februar 2002). Karl, DStZ 2002, 598, 604, will einen freiheitsschonenden Vertrauensvorschuss zugunsten der Steuerpflichtigen aus dem Übermaßverbot herleiten. 946 Isensee, Die typisierende Verwaltung, S. 106.
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rade im Ermessen der Finanzverwaltung, und solange entsprechende Kontrollinformationen vorliegen, anhand derer ein Datenabgleich erfolgen kann, genügt dem Untersuchungsgrundsatz auch ein Verfahren nach Art des niederländischen automatisierten Datenabgleichs mithilfe des Computerprogramms IBS. Zwar ist die Vollständigkeit und Richtigkeit einer Steuererklärung grundsätzlich Gegenstand der Überzeugungsbildung947 und Überzeugungen können nur Menschen, nicht aber Computer haben. Wenn jedoch für den Prozess der Überzeugungsbildung allgemeine Leitlinien durch den Verordnungsgeber aufgestellt werden können, um die Rechtsanwendungsgleichheit zu wahren, so muss es ebenfalls zulässig sein, diese Kriterien in Anweisungen für den Computer zu übertragen. Die mit der Abstrahierung und Verallgemeinerung verbundenen Unschärfen sind durch den Massenfallcharakter des Veranlagungsverfahrens bedingt und dementsprechend unausweichlich. Und wenn Lambrecht einwendet, nur im Hinblick auf bereits durchgeführte Ermittlungen könnten sich weitere Nachforschungen als nicht erforderlich erweisen,948 so ist dem entgegenzuhalten, dass sich auch aus den Ergebnissen vergangener Ermittlungen für die Zukunft Prognosen bezüglich der Glaubwürdigkeit des jeweiligen Steuerpflichtigen erstellen und nach Art einer sog. Steuervita949 zur Grundlage für die Entscheidung im Rahmen einer Plausibilitätsprüfung machen lassen. Die GNOFÄ 1997 sehen die programmgesteuerte Bearbeitung risikoarmer Steuerfälle bereits vor, vgl. Nr. 7; diese Regelung hat jedoch bislang noch wenig praktische Bedeutung. Während also das „Ob“ einer (marginalen) Kontrolle der Disposition der Verwaltung entzogen ist, genießt diese hinsichtlich des „Wie“ einen Ermessensspielraum und kann dabei auch eine Anpassung an vorhandene Sachund Personalmittel vornehmen. Bei der Ausfüllung dieses Ermessensspielraums sind jedoch insbesondere verfassungsrechtliche Grenzen zu berücksichtigen und die Differenzierungen hinsichtlich der Ermittlungsintensität, die der Sicherung des Gesamtvollzugs im Massenverfahren dienen, müssen auf einem sachlichen Grund beruhen, der geeignet ist, die ungleiche Behandlung verschiedener Steuerpflichtiger zu rechtfertigen. In der niederlän947
Lambrecht, DStJG Bd. 12, S. 79, 88. Lambrecht, DStJG Bd. 12, S. 79, 88. 949 Dazu Kienbaum Management Consultants GmbH/Bertelsmann Stiftung, Compliance-Studie, S. 28; Seer, Besteuerungsverfahren USA, Rn. 151. Buschkamp u. a., Compliance, S. 29, sprechen von einer „Veranlagungsvita“ und Schmarbeck, BMF Monatsbericht 12/2002, 57, 61, von einer „Entrichtungsvita“. Gemeint ist jeweils ein Profil des Steuerpflichtigen und dessen Verhalten im Besteuerungsverfahren (und zwar sowohl hinsichtlich der Veranlagung als auch der Entrichtung) über einen Zeitraum von mehreren Jahren ähnlich den Informationen, die im Computersystem IKB des Belastingdienst gespeichert sind. 948
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dischen Literatur wird die Rechtmäßigkeit der Entscheidung des Belastingdienst, die Ermittlungsintensität am finanziellen Risiko und der finanziellen Bedeutung eines Steuerfalles auszurichten, nicht in Zweifel gezogen, weil beide Kriterien nach niederländischem Verständnis auf sachliche, für die Besteuerung relevante Unterschiede zwischen den Steuerpflichtigen hinweisen.950 Demgegenüber ist die Frage nach den (verfassungsrechtlich) zulässigen Kriterien für die Gewichtung der Steuerfälle in Deutschland seit über 20 Jahren umstritten. Nach der Rechtsprechung des BVerfG ist der allgemeine Gleichheitssatz verletzt, wenn der Staat eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt, ohne dass zwischen den beiden Gruppen Unterschiede solcher Art und solchen Gewichts bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten.951 Differenzierungskriterien müssen deshalb an relevante Unterschiede zwischen Steuerfällen geknüpft werden. Dabei trifft die Finanzverwaltung eine besondere Verantwortung zur sorgfältigen Abwägung geeigneter Kriterien, weil sich deren gerichtliche Überprüfung in der Vergangenheit ganz überwiegend als ausgeschlossen erwiesen hat: Derjenige, der entgegen entsprechender Verwaltungsvorschriften intensiv geprüft wurde, obwohl andere Steuerpflichtige in vergleichbaren Situationen nur oberflächlich geprüft wurden, konnte sich wegen des Grundsatzes „kein Anspruch auf Gleichheit im Unrecht“ nicht gegen seine (gesetzmäßige) Besteuerung wehren,952 und derjenige, der von einer oberflächlichen Prüfung profitierte, hat sich selbstverständlich nicht an die Gerichte gewandt. Zwar hat das BVerfG mit seinem Zinsurteil zum Ausdruck gebracht, dass eine Ungleichheit im Gesetzesvollzug zur Verfassungswidrigkeit des materiellen Steuergesetzes führen kann, doch hat es mit der Forderung eines strukturellen Vollzugsdefizits die Meßlatte entsprechend hoch gelegt. a) Steuerliches Risiko Eine Abstimmung der Intensität der Sachverhaltsaufklärung anhand des steuerlichen Risikos des jeweiligen Steuerfalles, d.h. anhand der Wahrscheinlichkeit unrichtiger oder unvollständiger Erklärungen (und zwar unabhängig von einem etwaigen Verschulden des Steuerpflichtigen), ist grund950
Vgl. z. B. van der Ouderaa in: Burgerschap in praktijken, S. 43, 73. St. Rspr., vgl. BVerfG v. 29.5.1990, 1 BvL 20/86 u. a., E 82, 60, 86. 952 Vgl. BFH v. 14.9.1967, V 3/65, BStBl. II 1968, 19 f. Das BVerfG hat außerdem eine Verfassungsbeschwerde gegen die GNOFÄ 1976 nicht zur Entscheidung angenommen, weil es sich dabei um eine innerdienstliche Maßnahme ohne Außenwirkung gehandelt habe, vgl. BVerfG v. 29.9.1978, 1 BvR 955/77, BStBl. II 1978, 616. 951
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sätzlich verfassungsrechtlich unbedenklich. Schließlich ist es gerade die Wahrscheinlichkeit der Verletzung von Mitwirkungspflichten seitens des Steuerpflichtigen, die die hoheitliche Prüfungsmaßnahme und die damit für den Steuerpflichtigen verbundenen Eingriffe in Freiheitsgrundrechte erfordert und rechtfertigt.953 Eine gleich umfassende Kontrolle prüfungsbedürftiger und weniger prüfungsbedürftiger Fälle wäre deshalb unverhältnismäßig und willkürlich.954 Das steuerliche Risiko kann subjektiver oder objektiver Natur sein: aa) Subjektives Risiko Subjektive Risiken knüpfen im engeren oder weiteren Sinne an die Person des Steuerpflichtigen an und wirken sich in besonderer Weise auf die Glaubwürdigkeit der Angaben des Steuerpflichtigen und damit auf den Umfang der Prüfungsbedürftigkeit aus. Dazu zählen insbesondere das persönliche Vorverhalten des Steuerpflichtigen (haben sich seine Angaben gegenüber der Finanzbehörde in der Vergangenheit bereits als unvollständig oder unzutreffend erwiesen?), die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe von Steuerpflichtigen (z. B. einer Branche) oder aber die Person des Steuerberaters, den der Steuerpflichtige mit seinen steuerlichen Angelegenheiten betraut hat. Die beiden letztgenannten Aspekte knüpfen zwar nicht unmittelbar an die Person des Steuerpflichtigen an, die Zurechnung des mit der Person eines Steuerberaters verknüpften steuerlichen Risikos an den Mandanten ist jedoch insoweit nicht ungewöhnlich, als sich dieser im Besteuerungsverfahren in bestimmten Fällen auch das Verschulden seines Vertreters anrechnen lassen muss (vgl. §§ 110 Abs. 1 S. 1, 152 Abs. 1 S. 3 AO). Was die Berücksichtigung von Besonderheiten einer Gruppe betrifft, der der Steuerpflichtige angehört, so rechtfertigt sich die Charakterisierung als subjektives Merkmal daraus, dass an das Verhalten der Gruppenmitglieder angeknüpft wird. Zwar soll sich die Ermittlungsintensität gem. § 88 Abs. 1 S. 3 AO nach den Umständen des Einzelfalls richten, sodass eine 953
Eckhoff, StuW 1996, 107, 114. So auch Eckhoff, StuW 1996, 107, 116; a. A. offensichtlich Kruse, FR 1995, 525 f., der jegliche Differenzierung hinsichtlich der Prüfungsintensität ablehnt. Auch Rittler, DB 1987, 2331, 2332 und Tipke, Steuerrechtsordnung Bd. 3, S. 1120 meinen, die Finanzverwaltung müsse ihre Ermittlungsaktivitäten „relativ gleichmäßig“ auf alle Steuerpflichtigen aufteilen. Das kann jedoch nicht bedeuten, dass alle Steuerpflichtigen gleich intensiv oder gleich oberflächlich geprüft werden müssten, denn das Kontrollbedürfnis variiert zweifelsohne zwischen einzelnen Steuerpflichtigen bzw. Gruppen von Steuerpflichtigen, und dem hat die Finanzverwaltung im Sinne der Gleichmäßigkeit Rechnung zu tragen. Im Ergebnis spricht sich auch Tipke für eine Abhängigkeit der Prüfungsintensität von der Prüfungsbedürftigkeit aus, vgl. Steuerrechtsordnung, S. 1219 f. 954
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ausschließliche Orientierung an Gruppenmerkmalen unberechtigt wäre, zumal sie eine Art „Vorverurteilung“ des Steuerpflichtigen bedeutet und der Steuerpflichtige sich gegen die Einschätzung „seiner“ Branche als „betrugsanfällig“ bzw. „unzuverlässig“ nicht wehren kann. Gegen eine Berücksichtigung derartiger Gruppenmerkmale zur Abrundung des Bildes vom persönlichen Risiko des Steuerpflichtigen insgesamt bestehen jedoch keine Bedenken. Eine am Verhalten des Steuerpflichtigen ausgerichtete Auswahl der prüfungsbedürftigen Fälle harmoniert mit einer Compliance-Strategie, bei der beide Seiten – die Steuerpflichtigen und die Finanzbehörden – von einer kooperativen Haltung profitieren: Die Finanzverwaltung, weil sie gegen den Widerstand der Steuerpflichtigen die Steuergesetze nicht effektiv vollziehen kann, und die Steuerpflichtigen, weil ihnen bei entsprechender Steuerehrlichkeit in der Vergangenheit künftig ggf. zeit- und kostenintensive Aufklärungsmaßnahmen erspart bleiben. bb) Objektives Risiko Zu den Anhaltspunkten für objektive Risiken können z. B. abweichende Gewinnmargen, Umsatzrückgänge etc. zählen, d.h. Angaben, die aufgrund von Erfahrungen mit demselben Steuerpflichtigen aus früheren Jahren oder mit anderen Steuerpflichtigen unwahrscheinlich und damit aus Sicht der Finanzverwaltung wahrscheinlich fehlerhaft sind. Hier bestehen Überschneidungen mit den sog. Prüffeldern, die bereits bisher von der Finanzverwaltung bestimmt werden und zu einer intensiven Prüfung des jeweiligen Steuerfalles führen, vgl. Nr. 6 der GNOFÄ 1996. Hoffmann spricht sich dagegen aus, die Finanzverwaltung Aufklärungs- bzw. Kontrollmaßnahmen ergreifen zu lassen, wenn sie aufgrund allgemeiner Erfahrungen mit ähnlichen Fällen bzw. Fallgruppen ein erhöhtes Aufklärungs- bzw. Kontrollbedürfnis bejaht. Seine Argumentation läuft darauf hinaus, dass dann in jedem Fall ermittelt werden müsste, da bei dem erheblichen Eigeninteresse der Steuerpflichtigen jeder Steuererklärung zu misstrauen wäre.955 Diese Argumentation kann jedoch nicht überzeugen, weil sie außer Acht lässt, dass sich in der Praxis der Finanzverwaltung sehr wohl Erfahrungssätze finden, wonach das Kontrollbedürfnis in bestimmten Fällen deutlich höher ist als in anderen. Wenn sich die Finanzbehörden auf derartige Sachverhalte konzentrieren, so hat das nichts mit Willkür zu tun.956 955
Hoffmann, Maßvoller Gesetzesvollzug, S. 267. Auch der BFH hält eine Differenzierung nach betrieblichen Besonderheiten für sachgerecht, vgl. z. B. BFH v. 7.2.2002, IV R 9/02, BFH/NV 2002, 696, 697. 956
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Für die Gewichtung anhand subjektiver und objektiver Risiken spielen Datenbanken nach Art der Branchendokumentationen in den Niederlanden sowie der Informationsaustausch über die Landesgrenzen hinweg eine wichtige Rolle, und die deutschen Länderfinanzverwaltungen sollten ihre Zusammenarbeit auf diesem Gebiet unbedingt verstärken. Ohne entsprechende Informationen lässt sich das Risiko nicht genau genug ermitteln, sodass der Fallgewichtung die sachliche Rechtfertigung fehlt. b) Steuerliche Relevanz Die Orientierung an der steuerlichen Relevanz eines Falles im Sinne der Ergiebigkeit, d.h. des zu erwartenden Steuermehraufkommens, ist eine finanzielle Größe und hat seit 1976 in den GNOFÄ ihren Niederschlag gefunden.957 Seitdem ist die Berechtigung dieses Kriteriums und des sog. ökonomischen Gesetzesvollzugs umstritten.958 aa) Verhältnis der steuerlichen Relevanz zum steuerlichen Risiko Es ist zwischen zwei Verwendungsmöglichkeiten ökonomischer Kriterien zu differenzieren: Soweit die Höhe der Einkünfte eines Steuerpflichtigen Anhaltspunkte für das steuerliche Risiko des Falles bietet, handelt es sich um ein objektives Risiko im oben dargestellten Sinne und damit um ein legitimes Differenzierungskriterium. Ob ein derartiger Zusammenhang im Allgemeinen tatsächlich besteht, ist umstritten. Die Befürworter liefern in der Regel keine konkreten Anhaltspunkte zur Stützung ihrer These und begnügen sich allenfalls mit dem Hinweis, mit zunehmendem Einkommen gehe eine Ausweitung der wirtschaftlichen Gestaltungsmöglichkeiten und damit der Betrugsanfälligkeit einher.959 Demgegenüber weisen Gegner darauf hin, dass ein Zusammenhang zwischen der Höhe des Einkommens und dem Maß der Steuerunehrlichkeit nicht bestehe,960 und einige stellen die 957 Hoffmann, DStR 1997, 1989, 1992. Die fiskalische Konnotation kommt im Zusammenhang mit den GNOFÄ 1976 besonders deutlich bei Suhr, StBp 1976, 193 zum Ausdruck, der wiederholt von „lohnenden“ Steuerfällen spricht. Vgl. auch ders., StBp 1977, 221, 222. 958 Kritisch z. B. Karl, DStZ 2002, 598, 603 f.; Kruse auf dem Symposion „Kooperatives Verwaltungshandeln im Besteuerungsverfahren“, Institut für Steuerrecht der Universität Münster (Hrsg.), S. 13, 14; Pelka, DB 1996, 699; Rittler, DB 1987, 2331, 2332; Schmid, FR 1977, 295, 297; Seer, FR 1997, 553, 559 f.; Tipke in: Tipke/Kruse, § 88 AO Rn. 7 ff. (Stand: 98. Lfg., Juli 2002); a. A. Jenetzky, StuW 1982, 273, 285; Isensee, StuW 1973, 199, 204. 959 Vgl. z. B. Eckhoff, Rechtsanwendungsgleichheit, S. 511; Hoffmann, DStR 1997, 1989, 1993; Thiel, StuW 1986, 1, 3.
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Vermutung auf, die Verwendung starrer betragsmäßiger Grenzen verleite dazu, sich „arm zu rechnen“, sodass in den unteren Einkommensstufen möglicherweise gerade mehr steuerunehrliche Bürger zu finden seien.961 Diese Vermutung, Grenzbeträge könnten die Steuerpflichtigen dazu verführen, ihren Steuerfall so zu manipulieren, dass sie unterhalb des Grenzbetrages bleiben, ab dem dann eine höhere Prüfungswahrscheinlichkeit greift, wird durch die Ergebnisse von Untersuchungen in Großbritannien gestützt. Dort können Steuerpflichtige mit Einkünften aus Vermietung und Verpachtung bis maximal £ 15.000 eine vereinfachte Steuererklärung abgeben, mit dem Ergebnis, dass die Gruppe der Steuerpflichtigen mit entsprechenden Einkünften zwischen £ 14.000 und £ 15.000 viel größer ist als erwartet und sich bei Prüfungen durch die Finanzverwaltung herausstellte, dass einige Steuerpflichtige ihre Einkünfte manipulierten, um in den Genuss der vereinfachten Steuererklärung zu kommen und dadurch ihre Vollzugskosten zu senken.962 Problematisch sind monetäre Kriterien vor allem dann, wenn sie dazu führen, dass bestimmte Steuerpflichtige praktisch gar nicht überprüft werden. Das Signal, dass dadurch ausgesandt wird, ist schädlich für die Compliance auch der anderen Steuerpflichtigen, denen das Gefühl vermittelt wird, das einige Mitbürger einen „Freifahrtschein“ genießen. Der Frage, ob die Höhe des (erklärten) Einkommens tatsächlich mit dem steuerlichen Risiko korrespondiert, sollte deshalb in entsprechenden Untersuchungen nachgegangen werden. Soweit sich ein derartiger Zusammenhang herausstellt, ist eine Verwendung dieses Kriteriums als Merkmal für das objektive Risiko unbedenklich. Dabei trägt die Finanzverwaltung die „Darlegungslast“ für die Rechtfertigung des Auswahlkriteriums. Problematisch ist demgegenüber die Frage, ob die Finanzverwaltung die steuerliche Bedeutung eines Falles als ökonomisches Kriterium auch dann zum Ausgangspunkt für die Fallgewichtung machen darf, wenn ein Zusammenhang mit dem steuerlichen Risiko nicht besteht bzw. nicht nachgewiesen werden kann. Ein derartiges Vorgehen wird gelegentlich mit dem Stichwort der „wirtschaftlichen Betrachtungsweise“ in Verbindung gebracht; auch die Verknüpfung des Aufwands für die Fallbearbeitung (d.h. des Sach960 Hey in: FS Kruse, S. 269, 274; Klotz in: FS Klein, Köln 1994, S. 289 ff.; Tipke in: Tipke/Kruse, § 88 AO, Rn. 10 (Stand: 98. Lfg., Juli 2002). 961 Seer, FR 1997, 553, 561; ders., Besteuerungsverfahren USA, Rn. 80 f. Diese Annahme wird durch Untersuchungen im Auftrag der Bertelsmann Stiftung und der Kienbaum Management Consultants GmbH unterstützt, wonach der Steuerwiderstand gerade bei Steuerpflichtigen mit geringen und mittleren Einkommen besonders hoch ist, vgl. Compliance-Studie, S. 27. Kritisch zur Eignung dieses Kriteriums auch Pelka, DB 1996, 699. 962 Hasseldine in: FS Sandford, S. 3, 9.
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und Personalbedarfs) und der finanziellen Bedeutung des Steuerfalles in den GNOFÄ weisen auf eine Bezugnahme auf Wirtschaftlichkeitsaspekte hin. Darf bzw. muss die Finanzverwaltung bei der Aufstellung von Kriterien für die Fallgewichtung das Verhältnis zwischen den für die Ermittlung aufzuwendenden Kosten und dem zu erwartenden Ertrag (i. S. der Steuermehreinnahmen) berücksichtigen? Und tritt die Sicherung des Steueraufkommens damit als vierter Gesichtspunkt in die Abwägung zwischen Gesetzmäßigkeit, Rechtsanwendungsgleichheit und den betroffenen Freiheitsgrundrechten ein? bb) Bedeutung des Wirtschaftlichkeitsgrundsatzes Eine Pflicht zur Berücksichtigung ökonomischer Aspekte bei der Ausgestaltung des Vollzugs könnte sich daraus ergeben, dass der Bundesrechnungshof gem. Art. 114 Abs. 2 S. 1 GG zur Prüfung der Wirtschaftlichkeit des Verwaltungshandelns und damit auch des Handelns der Finanzverwaltung befugt ist und der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit auch einfachgesetzlich normiert ist (vgl. z. B. § 7 BHO), sodass unwirtschaftliches Handeln der Verwaltung wegen Verstoßes gegen den Wirtschaftlichkeitsgrundsatz zugleich auch rechtswidriges Verhalten ist. Das Gebot wirtschaftlichen Handelns ist jedoch ein ähnlich offenes und konkretisierungsbedürftiges Prinzip wie das Leistungsfähigkeitsprinzip oder der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.963 Wirtschaftlichkeit bedeutet für sich genommen ein optimales Verhältnis zwischen Aufwand und Ertrag. Dies kann erreicht werden, indem mit den vorgegebenen Mitteln eine größtmögliche Zweckerreichung erzielt wird (Nutzenmaximierungsgrundsatz) oder indem zur Erreichung eines vorgegebenen Zwecks möglichst wenig Mittel eingesetzt werden (Kostenminimierungs- bzw. Sparsamkeitsgrundsatz).964 Über die einzusetzenden Mittel und die zu erreichenden Zwecke trifft das Wirtschaftlichkeitsprinzip hingegen keine Aussage, und dies ist auch nicht Aufgabe des Rechnungshofes, der nur nachhält, ob die für die Finanzverwaltung aufgestellten Ziele erreicht werden, diese Ziele aber seinerseits von Politik und Gesetzgeber übernimmt. Welches Ziel – das der Sicherung des Gesamtvollzugs im Sinne größtmöglicher Gleichheit der Besteuerung oder das der Sicherung des Gesamtvollzugs im Sinne der Maximierung des Steueraufkommens – von der Finanzverwaltung vorrangig zu erreichen ist, ist damit eine Vorfrage für die Prüfung der Wirtschaftlichkeit, sodass sich durch den Verweis auf das Wirt963
Krebs, Kontrolle in staatlichen Entscheidungsprozessen, S. 189. Vgl. auch von Arnim, Wirtschaftlichkeit, S. 36. 964 Fischer-Menshausen in: von Münch/Kunig, Art. 114 GG Rn. 18; Krebs, Kontrolle in staatlichen Entscheidungsprozessen, S. 185.
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schaftlichkeitsprinzip als Rechtsprinzip965 keine Antwort auf die Frage gewinnen lässt, ob die Höhe des zu erwartenden Steueraufkommens für die Kontrollintensität von Bedeutung sein darf. cc) Sonstige Rechtfertigung einer ökonomisch motivierten Fallauswahl Die obigen Erwägungen zum Wirtschaftlichkeitsgrundsatz zeigen bereits, wie viel schwerer die Rechtfertigung der Verwendung ökonomisch motivierter Kriterien für die Fallauswahl in Deutschland im Vergleich zu den Niederlanden ist. In den Niederlanden begnügt man sich mit dem Hinweis darauf, der Belastingdienst arbeite darauf hin, so viel Steuern wie möglich einzunehmen,966 stellt unverblümt die Frage nach dem marginalen Nutzen von zusätzlicher Zeit, die in die Bearbeitung des einzelnen Steuerfalls investiert wird967 und rechnet gegen die während der Reorganisation unterbliebenen Korrekturen „unbedeutender“ Fälle eine Steigerung der Gesamtproduktion auf,968 ohne die Frage aufzuwerfen, ob eine derartige Kompensation auch vor dem Hintergrund von Rechtsgleichheit und Besteuerungsgleichheit erfolgen darf. Demgegenüber spiegelt sich der Konflikt um die Bedeutung wirtschaftlicher Aspekte im Besteuerungsverfahren in Deutschland bereits in den Anforderungen wider, die an die Finanzbeamten gestellt werden: Während Seer darauf hinweist, die Maximierung steuerlicher Mehr-Ergebnisse dürfe weder Antrieb noch Leistungsmaßstab für Steuerbeamte sein,969 meinen Hoffmann und Meyding, das Berufsbild des Steuerbeamten müsse von wirtschaftlichem Denken und unternehmerischem Handeln bestimmt sein.970 965 Der Ansicht, dass es sich bei dem Wirtschaftlichkeitsprinzip tatsächlich um ein Rechtsprinzip handelt, sind auch von Arnim, Wirtschaftlichkeit als Rechtsprinzip, S. 15; Fischer-Menshausen in: von Münch/Kunig, Art. 114 GG Rn. 17; Korthals in: Wirtschaftlichkeit in Staat und Verwaltung, S. 87, 89; Peters, DÖV 2001, 749, 752, 754; Schmidberger, Controlling für öffentliche Verwaltungen, S. 126. 966 Vgl. z. B. Pennders, Account 9/1993, 28. 967 Siehe z. B. die Position des damaligen stellvertretenden Generaldirektors des Belastingdienst van Lunteren in einem Interview von 1990, nachzulesen bei Abrahamse, BB Management 5/1990, 30, 31. Bereits in den 1930er Jahren wies van Doorne unter Berufung auf Adriani darauf hin, dass die Kontrollen für den Belastingdienst im Verhältnis zu den erwarteten steuerlichen Mehreinnahmen nicht zu kostenintensiv sein dürften, Geschriften VVB, no. 47, S. 34. 968 Moret Ernst & Young/Coopers & Lybrand/Belastingdienst, Rapport Onderzoek Herstructurering Belastingdienst, S. 36. 969 Seer, SteuerStud 1999, 294. 970 Hoffmann, DStR 1997, 1189, 1195; Meyding, DStJG Bd. 21, S. 219, 230.
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Auch wenn Art. 114 GG nicht unmittelbar für die Begründung der Zulässigkeit einer Orientierung der Ermittlungstätigkeiten am steuerlichen Ertrag herangezogen werden kann, so weist die Existenz des Rechnungshofes und sein Auftrag, das Verhältnis zwischen Einnahmen und Ausgaben zu kontrollieren, auf die Bedeutung hin, die die sparsame und zielgerichtete Verwendung der Steuermittel notwendigerweise für die Gemeinschaft hat. Die Tätigkeit des Rechnungshofes dient u. a. der Interessenwahrnehmung für die Allgemeinheit.971 Auch wenn kein unmittelbares subjektives öffentliches Recht des Bürgers darauf besteht, dass die Verwaltung mit dem ihr zur Verfügung stehenden Budget sparsam umgeht, so hat der Staat dennoch eine Treuhänderstellung gegenüber den Steuerzahlern. Vor diesem Hintergrund und angesichts der Tatsache, dass die Besteuerung zumindest auch der Erzielung staatlicher Einnahmen dient (vgl. § 3 Abs. 1 AO), wäre ein Besteuerungsverfahren, das mehr Kosten als Steuereinnahmen verursacht, nicht geeignet, die damit einhergehenden Eingriffe in die Grundrechte der Steuerpflichtigen zu rechtfertigen.972 Darüber hinaus sind Steuern, die die einen Steuerpflichtigen hinterziehen, von den anderen zu tragen, und je höher der hinterzogene Betrag im Einzelfall ist, desto größer ist die daraus langfristig resultierende Belastung der Steuerehrlichen. Die Finanzverwaltung ist deshalb nicht nur gehalten, den Gesamtvollzug zu wahren, sondern auch das Gesamt-Steueraufkommen zu sichern. Daraus lassen sich jedoch keine derartig konkreten Vorgaben entwickeln, dass die Finanzverwaltung z. B. Ermittlungstätigkeiten, bei denen nicht mit einem Korrekturvolumen von mindestens „x“ e zu rechnen ist, nicht durchführen dürfte. Sind jedoch zwei Steuerfälle aufgrund des steuerlichen Risikos mit gleicher Wahrscheinlichkeit unvollständig und ist das erwartbare Korrekturvolumen bei dem einen Steuerfall deutlich größer als bei dem anderen, und sollten die Kapazitäten der Verwaltung nur ausreichen, entweder beide Fälle oberflächlich zu prüfen oder einen gründlich, so ist es aufgrund des Zwecks der Besteuerung, nämlich der Erzielung von Einnahmen für das Gemeinwohl, gerechtfertigt, wenn die Finanzverwaltung sich auf den Steuerfall mit der größeren steuerlichen Relevanz konzentriert. Wohlgemerkt, dieses ökonomische Kriterium ist dem des steuerlichen Risikos nachgeordnet, d.h. vorrangig ist bei der Gewichtung auf das steuerliche Risiko abzustellen. Dieser Vorrang des steuerlichen Risikos vor der steuerlichen Bedeutung ergibt sich u. a. daraus, dass die Finanzverwaltung auf971
Sigg, Die Stellung der Rechnungshöfe, S. 27. Vgl. auch den von Smith, Der Wohlstand der Nationen, S. 560 (5. Buch 2. Kap. 2. Abteilung) aufgestellten Grundsatz, wonach jede Steuer so erhoben werden sollte, „daß sie so wenig als möglich über die Summe, die sie dem Staatsschatze einbringt, aus den Taschen des Volkes herausnimmt oder ihr fortdauernd entzieht.“ 972
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grund ihres gesetzlichen Auftrags zum gleichmäßigen Vollzug der Steuergesetze, nicht jedoch zum möglichst „ergiebigen“ Vollzug verpflichtet ist. Von diesem Vorrang des Kriteriums der steuerlichen Relevanz gegenüber dem der steuerlichen Bedeutung ausgehend ist auch die Frage zu verneinen, ob es sachlich gerechtfertigt sein kann, wenn die Finanzverwaltung einer Gruppe von Steuerpflichtigen gegenüber, bei der mit hoher Wahrscheinlichkeit Unregelmäßigkeiten vorkommen, diese aber nur ein geringes Korrekturvolumen aufweisen, auf Kontrollen verzichtet, um sich stattdessen auf eine Gruppe von Steuerpflichtigen zu konzentrieren, bei der mit niedrigerer Wahrscheinlichkeit Unregelmäßigkeiten, diese aber in beträchtlicher Höhe vorkommen. Auch in diesem Fall ist die Fallauswahl vorrangig anhand des steuerlichen Risikos vorzunehmen und die Finanzverwaltung darf den Steuerpflichtigen nicht „sehenden Auges“ ungerechtfertigte steuerliche Vorteile (z. B. in Form eines an sich nicht abzugsfähigen Aufwands) belassen. Dem Vorrang der Ausrichtung der Ermittlungsintensität am steuerlichen Risiko steht auch nicht entgegen, dass dieses Risiko komplizierter zu bestimmen ist, wohingegen die Höhe der (erklärten) Einkünfte schon vor Aufnahme der Ermittlungen feststeht.973 Das niederländische Beispiel zeigt gerade, dass eine Bestimmung des steuerlichen Risikos durchaus möglich ist. Dazu bedarf es zwar der Ausnutzung und ggf. der Ausweitung der Befugnisse zur Anfertigung und Anforderung von Kontrollmitteilungen (s. u.) sowie einer entsprechenden Nutzung elektronischer Datenverarbeitungssysteme, doch stellen diese Voraussetzungen keine derart erheblichen Hindernisse dar, als dass ein Rückgriff auf das nachrangige Auswahlkriterium der steuerlichen Relevanz durchgängig gestattet wäre. Gerade die Berichte des Bundesrechnungshofes zu den Missständen beim Informationsaustausch zwischen einzelnen Finanzämtern sowie den Finanzverwaltungen der einzelnen Bundesländer wecken Zweifel an der Behauptung Eckhoffs, die Finanzverwaltung ziehe gegenwärtig bereits alle ihr zur Verfügung stehenden zulässigen Differenzierungskriterien für die sachgerechte Verteilung der zur Verfügung stehenden Verwaltungskapazität heran.974 Allerdings findet der Vorrang des steuerlichen Risikos gegenüber der steuerlichen Relevanz dort seine Grenze, wo die für die Korrektur zu veranschlagenden Kosten (Sach- und Personalkosten) vollkommen außer Verhältnis zu dem damit verbundenen Erfolg (Gewährleistung einer zutreffenden Besteuerung) stehen. In diesem Sinne hatte das BVerfG bereits 1988 entschieden, dass Zweckmäßigkeitserwägungen z. B. bei der Bearbeitung von Rechtsbehelfen eine Rolle spielen dürfen.975 Hier sind jedoch enge Grenzen 973 A.A. Eckhoff, Rechtsanwendungsgleichheit, S. 509 ff., der diesem Umstand Bedeutung beimisst. 974 Eckhoff, Rechtsanwendungsgleichheit, S. 512.
B. Konsequenzen für den Vollzug von Steuergesetzen in Deutschland
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zu ziehen, und es ist eine offensichtliche Unverhältnismäßigkeit als Voraussetzung zu fordern. c) Ergebnis Die Finanzverwaltung muss bei der Bestimmung der Art und des Umfangs der Sachverhaltsermittlung i. S. v. § 88 Abs. 1 S. 2 und 3 AO die Freiheitsrechte des Bürgers berücksichtigen und darf keine für diesen unverhältnismäßigen Ermittlungsmaßnahmen durchführen. Zur Wahrung des Gesamtvollzugs sind die Verwaltungsressourcen für die Sachverhaltsermittlung nicht etwa im gleichen Umfang auf alle Steuerpflichtigen zu verteilen, sondern die Ermittlungsintensität ist auf Besonderheiten von Gruppen von Steuerfällen abzustimmen. Dabei hat sich die Finanzverwaltung vorrangig an der Aufklärungsbedürftigkeit im Sinne des steuerlichen Risikos, d.h. der Wahrscheinlichkeit von Unrichtigkeiten, zu orientieren. Bei gleich großem steuerlichen Risiko darf als sekundäres Kriterium die steuerliche Relevanz, d.h. die Höhe des erwarteten Steueraufkommens bzw. der vermuteten Steuerhinterziehung zur Bestimmung der Intensität der Ermittlungsbemühungen herangezogen werden. Der steuerlichen Relevanz und damit der Sicherung des Gesamtsteueraufkommens wird damit nicht jegliche Bedeutung für die Fallgewichtung abgesprochen. Steuerliches Risiko und steuerliche Bedeutung dürfen jedoch keinesfalls als gleichrangige Auswahlkriterien verwendet werden. 4. Absicherung durch Stichproben Die Gewichtung von Steuerfällen bedarf, unabhängig von der Art der zugrundegelegten Auswahlkriterien, einer Absicherung durch stichprobenartige Kontrollen von Steuerfällen, die als nicht-prüfungsbedürftig eingestuft worden sind, um einerseits eine Überprüfung und Weiterentwicklung dieser Kriterien zu ermöglichen und andererseits das Verfahren aus Sicht der Steuerpflichtigen nicht berechenbar und damit manipulationsanfällig erscheinen zu lassen. Darüber hinaus dienen stichprobenhafte Kontrollen in besonderer Weise der Verwirklichung des Gebots einer gleichmäßigen Besteuerung, denn die Wahrscheinlichkeit, einer Kontrolle unterzogen zu werden, trifft in diesem Falle alle Pflichtigen gleichermaßen. Eine Beschränkung der Stichproben auf bestimmte Gruppen von Steuerpflichtigen, wie sie der Belastingdienst für die Particulieren derzeit noch praktiziert, ist nicht sachdienlich. 975 BVerfG v. 31.5.1988, 1 BvR 520/83, E 78, 214, 229, wonach es eine berechtigte Überlegung sei, dass eine Beweiserhebung im Einzelfall möglichst nicht teurer werden sollte als der jeweils in Rede stehende Steuerbetrag.
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6. Kap.: Folgerungen für die deutsche Finanzverwaltung
5. Verhältnis zwischen computergestützten Risikobeherrschungsmodellen und manueller Auswahl Der Einsatz computergestützter Risikobeherrschungsmodelle verspricht eine Beschleunigung der Auswahl prüfungsbedürftiger Fälle. Sowohl in den Niederlanden als auch in Deutschland stellt sich in diesem Zusammenhang jedoch die Frage danach, wie viel Raum den Sachbearbeitern bleibt, um ihre spezifischen Kenntnisse einzubringen. Dabei kommt es innerhalb der deutschen Finanzverwaltung zur Zeit offenbar zu einer Lagerbildung zwischen den Anhängern einer möglichst weitgehenden Automatisierung einerseits und den Befürwortern manueller Kontrollen unter Einsatz des Sachverstandes des individuellen Bearbeiters andererseits. So setzt z. B. die OFD München in Südbayern auf die Automatisierung und entwickelt im Rahmen des OIS-Konzepts („Organisationsinterne Steuerung“) unter der Bezeichnung OIS II ein EDV-gestütztes Risikomanagementsystem (RMS), das risikovolle und weniger risikovolle bzw. risikolose Steuerfälle unterscheiden und für Steuerfälle mit geringem Risiko eine automatische Veranlagung durchführen soll, während in Nordbayern auch Steuerfälle mit geringem Risiko möglichst manuell bearbeitet werden sollen. Gegen das niederländische System zentraler Risikogewichtung ließe sich einwenden, dass die Sachbearbeiter bevormundet werden, weil ihnen nur noch die an zentraler Stelle als prüfungsbedürftig eingestuften Fälle angezeigt werden. Allerdings trägt dieses System den Bedürfnissen der Sachbearbeiter in zweierlei Hinsicht Rechnung: Zum einen bleibt es ihnen dort, wo sie es für sinnvoll erachten, unbenommen, durch Aufnahme eines entsprechenden Bearbeitungsvorhabens in die elektronische Akte eines Steuerpflichtigen die Auswahl eines Steuerfalles zu beeinflussen und dessen Wiedervorlage zu veranlassen. Gleichzeitig sind die Mitarbeiter in die Entwicklung der Auswahlkriterien und die Zusammensetzung des jährlichen Risikomix eingebunden und der Belastingdienst ist für den Erfolg des Risikomanagements auf diese Erfahrungen der Basis angewiesen, denn praktikable Differenzierungskriterien können nicht „vom grünen Tisch aus“ verordnet werden. Zum anderen berücksichtigt die zentrale Fallgewichtung, dass es unfair wäre, den schwierigen Ausgleich zwischen den kollidierenden Interessen (Gesetzmäßigkeit der Besteuerung im Einzelfall, Sicherung des Gesamtvollzugs) und die Entscheidung über die der Auswahl zugrunde zu legenden Kriterien auf die Sachbearbeiter abzuwälzen und sie den Konflikt zwischen der Vollzugsrealität und dem gesetzlichen Vollzugsauftrag ausstehen zu lassen. Problematisch sind jedoch die festen Parameter, nach denen z. B. 70% der Steuererklärungen von Particulieren automatisiert veranlagt werden müssen. Hier stehen offensichtlich fiskalische Erwägungen im Vordergrund,
B. Konsequenzen für den Vollzug von Steuergesetzen in Deutschland
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und Steuerfälle werden vielfach auch dann ohne weitere Prüfung veranlagt, wenn sich eine Korrektur aus Sicht des Belastingdienst nicht „lohnt“. Zwar können, wie oben dargestellt, derartige Zweckmäßigkeitserwägungen in besonderen Fällen einen Verzicht auf Ermittlungstätigkeiten rechtfertigen, doch werden sie in den Niederlanden auf eine Weise institutionalisiert, die dem Vorrang des Kriteriums des steuerlichen Risikos vor dem der steuerlichen Bedeutung nicht gerecht wird. 6. Unterschiedliche Entwicklungen in den einzelnen Bundesländern Obwohl bundesweit geltende Vorschriften wie z. B. die Abgabenordnung, die Betriebsprüfungsordnung und die GNOFÄ suggerieren, dass der Vollzug von Steuergesetzen in Deutschland weitgehend vereinheitlicht ist, bestehen in der Praxis ganz erhebliche Unterschiede. Anfang der 1970er Jahre warnte der Bundesrechnungshof im Zusammenhang mit der Einführung der GNOFÄ 1976 davor, dass sich die zwischen den Bundesländern bestehenden Unterschiede in Organisation und Arbeitsablauf zu landeseigenen „Dauerlösungen“ verfestigen könnten.976 Der Bundesrechnungshof wies außerdem auf die Aufgabe des Bundesministers der Finanzen und der obersten Landesfinanzbehörden hin, „unabhängig von Zuständigkeiten auf der Grundlage des kooperativen Föderalismus ein weitgehend bundeseinheitliches Besteuerungsverfahren zu schaffen“.977 Auf dem Gebiet der elektronischen Datenverarbeitung, das Grundvoraussetzungen sowohl für eine Risikoanalyse als auch für die automatisierte Bearbeitung von nicht-prüfungsbedürftigen Fällen schafft, konnte bis heute kein wirklicher Durchbruch bei den Bemühungen um eine Vereinheitlichung erzielt werden und die derzeitigen Entwicklungen auf dem Gebiet der Verfahrensbeschleunigung und der Aussteuerung von E-Fällen wirken einer Gleichmäßigkeit der Besteuerung über die jeweilige Landesgrenze hinaus (bzw. zum Teil bereits innerhalb einer OFD) entgegen. Allerdings wäre eine hundertprozentige Konformität unpraktikabel, weil die Voraussetzungen in den einzelnen Oberfinanzdirektionen und Finanzämtern zu unterschiedlich sind, und zwar sowohl hinsichtlich der Sach- und Personalmittel als auch hinsichtlich der zu bearbeitenden Steuererklärungen, und weil in einer Erprobungsphase vielfältige Ansätze durchaus zu einem „Wettbewerb der Ideen“978 führen können. 976 Bemerkungen des Bundesrechnungshofes 1974, BT-Drs. 7/5849, Nr. 225; Bemerkungen 1972, BT-Drs. 7/2709, Nr. 255. Kritisch zu den Vollzugsdivergenzen auch Dittmann in: FS Dürig, S. 221, 235 ff.; Schmid, BB 1978, 598. 977 Bemerkungen des Bundesrechnungshofes 1972, BT-Drs. 7/2709, Nr. 257. 978 Vgl. z. B. Bertelsmann Stiftung/Kienbaum Management Consultants GmbH, Compliance-Studie, S. 35.
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6. Kap.: Folgerungen für die deutsche Finanzverwaltung
Die Frage nach den Vor- und Nachteilen eines Übergangs zu einer bundeseinheitlichen Finanzverwaltung soll an dieser Stelle nicht näher erörtert werden.979 Langfristig bedeutet ein zusammenhangloses Nebeneinander von Aussteuerungsverfahren jedoch nicht nur eine Verschwendung von Ressourcen und die Schaffung von Ungleichheiten im Gesetzesvollzug, sondern auch erhebliche Behinderungen des Informationsaustausches zwischen den Finanzämtern. So positiv das derzeitige Engagement einzelner Finanzamtsvorsteher und Oberfinanzpräsidenten für eine Modernisierung der Finanzverwaltung ist: Eine durchgreifende Imageverbesserung der Finanzverwaltung als solche kann auf diese Weise nicht erzielt werden. Zwar steht ein großer Teil der Steuerpflichtigen jeweils nur mit den Finanzbehörden eines Bundeslandes (und oft über Jahre und Jahrzehnte hinweg nur mit einem einzigen Finanzamt) in Kontakt, doch gibt es gerade bei den Unternehmern auch viele Steuerpflichtige, die aus eigener Erfahrung Vergleiche über die Grenze eines Bundeslandes hinweg ziehen können. Diese registrieren dann auch entsprechende Wettbewerbsverzerrungen durch unterschiedliche Betriebsprüfungspraktiken o. Ä., auf die sie sich zwar wegen des fehlenden Anspruchs auf „Gleichheit im Unrecht“ nicht erfolgreich vor Gericht berufen können, die sich jedoch negativ auf die Compliance auswirken und von der Finanzverwaltung deshalb zu vermeiden sind. Eine aktive und effektive Koordinierung der Entwicklungen durch das Bundesministerium und entsprechende Unterstützungsbeiträge durch die Länderfinanzverwaltungen sind deshalb dringend geboten.980 Zwar können die Länderfinanzverwaltungen im Hinblick auf das Bundesstaatsprinzip einen gewissen Spielraum beim Vollzug der Steuergesetze einfordern und ausnutzen, doch schaden sie sich mit einer allzu weitreichenden Inanspruchnahme dieser Spielräume im Ergebnis selber.
979 Vgl. die Ausführungen von Vogel, Ungleichheiten beim Vollzug von Steuergesetzen im Bundesstaat, S. 293 ff. m. w. N. 980 An beidem, d.h. sowohl an der entsprechenden Koordinierung durch das Bundesministerium als auch an der Unterstützung durch die Länder hat es in der Vergangenheit wiederholt gemangelt. So ist z. B. in den Bemerkungen 2001 des Bundesrechnungshofes, Nr. 18.2.1 davon die Rede, dass die Länder einer gemeinsamen Arbeitsgruppe der Länder und des Bundesministeriums der Finanzen im Zusammenhang mit der Auswertung von Kontrollmitteilungen nicht in ausreichendem Umfang Informationen zur Verfügung gestellt haben, und in den Bemerkungen 2000, Nr. 65.12 zur Situation der Steuerfahndung in den alten Bundesländern führt der Rechnungshof aus, er verkenne die Bemühungen des Bundesministeriums nicht. Andererseits wirkt das wiederholte Bestreiten von Abstimmungsschwierigkeiten und Defiziten beim Projektmanagement z. B. im Zusammenhang mit Projekten zur Vereinheitlichung der Informationstechnologie in den Länderfinanzverwaltungen (dazu 3. Kap.) durch das Bundesministerium angesichts des Scheiterns all dieser Projekte unglaubwürdig.
B. Konsequenzen für den Vollzug von Steuergesetzen in Deutschland
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V. Schaffung von effektiven Kontrollmöglichkeiten Die Kontrollmöglichkeiten des Belastingdienst und der Umfang der Kontrollmitteilungspflichten sind in den vergangenen Jahren stark ausgeweitet worden, sodass die Niederlande mittlerweile in Europa zu den Ländern mit den umfangreichsten Kontrollmitteilungssystemen zählen.981 Damit hat sich der Gesetzgeber über verschiedentlich vorgebrachte datenschutzrechtliche Erwägungen sowie die Warnung vor erhöhten Ausführungskosten für die Kontrollmitteilungspflichtigen hinweggesetzt.982 Diese Entscheidung ist durch die Furcht vor großflächiger Steuerverkürzung begünstigt worden, die seit Ende der 1970er Jahre die niederländische Politik bestimmte und noch immer bestimmt. Zureichende Kontrollmöglichkeiten sind Voraussetzung für einen gleichmäßigen Vollzug der Steuergesetze und für eine an den Risiken des einzelnen Steuerfalls ausgerichtete gewichtende Arbeitsweise. Wenn der Gesetzgeber die Finanzverwaltung einerseits zu einem gleichmäßigen Vollzug der Steuergesetze verpflichtet, muss er ihr auf der anderen Seite auch Kompetenzen einräumen, die ihr die Erfüllung dieser Aufgaben ermöglichen. Die prominente Bedeutung insbesondere von Kontrollmitteilungen erkennt auch das BVerfG an, wenn es in seinem Zinsurteil ausführt: „[M]it dem Verbot der Kontrollmitteilungen [. . .] wird der Finanzverwaltung eines der wirksamsten Mittel zur Sachverhaltsaufklärung genommen.“983 Allerdings berühren diese Kompetenzen u. a. den Schutzbereich des vom BVerfG aus Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG hergeleiteten984 Rechts auf informationelle Selbstbestimmung bzw. des Rechts auf Datenschutz (wohingegen das Recht auf Wahrung des Steuergeheimnisses i. S. d. § 30 AO als solches kein Grundrecht ist985). Eingriffe in dieses Grundrecht bedürfen einer gesetzlichen Grundlage und sind darüber hinaus nur im überwiegenden Interesse der Allgemeinheit und unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes möglich.986 981 So wusste die niederländische Regierung auf Nachfrage der Fraktion der Partei D66 im Parlament außer Belgien kein weiteres Land zu benennen, das derart weitreichende Kontrollmitteilungspflichten kennt, vgl. Schutte, TFB 6/2000, 4, 8. 982 Vgl. z. B. Gribnau, Rechtsbetrekking, S. 253; Stevens, Fiscus, S. 42 f.; Rapport van de Commissie ter bestudering van de fiscale controlemiddelen, Geschriften VVB no. 175, S. 30. 983 BVerfG v. 27.6.1991, 2 BvR 1493/89, E 84, 239, 278. 984 BVerfG v. 15.12.1983, 1 BvR 209/83 u. a., E 65, 1, 43; v. 17.7.1984, 2 BvE 11, 15/83, E 67, 100, 142 f. 985 BVerfG v. 17.7.1984, 2 BvE 11, 15/83, E 67, 100, 142. 986 BVerfG v. 17.7.1984, 2 BvE 11, 15/83, E 67, 100, 142 f.; v. 27.6.1991, 2 BvR 1493/89, E 84, 239, 279 f.
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6. Kap.: Folgerungen für die deutsche Finanzverwaltung
Das BVerfG hat ein entsprechendes überwiegendes Allgemeininteresse an der Offenlegung steuerlich erheblicher Angaben aus dem Rechtsstaatsprinzip und dem Gleichheitsgrundsatz hergeleitet,987 wobei gerade der Rückgriff auf den Gleichheitsgrundsatz trotz der insgesamt recht knappen Ausführungen des Gerichts zu diesem Punkt besonders überzeugen kann. Das aus Art. 3 Abs. 1 GG hergeleitete Gebot der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit als Ausprägung des Grundsatzes der Besteuerungsgleichheit988 wird durch ausdifferenzierte Tatbestände, die die Berücksichtigung der individuellen Verhältnisse des jeweiligen Steuerpflichtigen ermöglichen, besonders konsequent umgesetzt (auch wenn Praktikabilitätserwägungen für Pauschalierungen und Typisierungen ins Feld geführt werden können). Der Vollzug derartiger Steuergesetze erfordert jedoch eine Vielzahl von Angaben der Steuerpflichtigen, und weil das Deklarationsprinzip der Ergänzung durch das Verifikationsprinzip bedarf, die Finanzverwaltung sich mit anderen Worten nicht ausschließlich auf die Richtigkeit der Angaben der Steuerpflichtigen verlassen darf, können ausdifferenzierte Steuertatbestände nur gleichmäßig angewendet werden, wenn die Finanzverwaltung über entsprechende Kontrollmöglichkeiten und Informationen Dritter verfügt. Die Prüfungskompetenzen der Finanzverwaltung dienen damit dem Interesse der steuerehrlichen Bürger, weil die Steuerhinterziehung eine gleichmäßige Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit gefährdet. Der pauschale Vorwurf des Schnüffelstaates ist deshalb undifferenziert und unberechtigt.989 Darüber hinaus sind umfassende Kontrollmöglichkeiten und insbesondere Kontrollmitteilungen eine Voraussetzung für jedweden gewichtenden Steuervollzug, denn die Gewichtung kann nur auf der Grundlage aussagekräftiger Informationen erfolgen. Damit ist nicht gesagt, dass eine Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit Vorrang vor dem Datenschutz hätte; vielmehr handelt es sich um einen Ausgleich kollidierender Interessen, für den es mehr als einen möglichen Weg gibt. Allerdings hat das BVerfG den Grundsatz der Folgerichtigkeit aufgestellt. Übertragen auf die vorliegende Fragestellung kann sich danach der Gesetzgeber z. B. für ausdifferenzierte Steuertatbestände oder für einfache, typisierende und im Einzelfall Ungleichheiten verursachende Tatbestände (in den Grenzen der Verhältnismäßigkeit) entscheiden. Fällt seine 987 BVerfG v. 27.6.1991, 2 BvR 1493/89, E 84, 239, 280 f. Vgl. auch bereits BVerfG v. 17.7.1984, 2 BvE 11, 15/83, E 67, 100, 143. 988 Vgl. z. B. BVerfG v. 23.11.1976, 1 BvR 150/75, E 43, 108, 118 ff.; v. 29.5.1990, 1 BvL 20, 26, 148 u. 4/86, E 82, 60, 86 f. 989 Carl/Klos, DStZ 1990, 341, 346; Tipke in: Tipke/Kruse, § 85 AO, Tz. 10 (Stand: 97. Lfg., Februar 2002); ders., BB 1986, 601, 604 mit dem Hinweis auf eine „[. . .] extreme deutsche Datenschutzmentalität, die [. . .] zum Teil auf Naivität, zum Teil auf Zweckoptimismus, zum Teil auf Unkenntnis beruht.“
B. Konsequenzen für den Vollzug von Steuergesetzen in Deutschland
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Wahl jedoch auf die komplexen, informationsintensiven Tatbestände, so muss er die Finanzverwaltung mit den entsprechenden Kompetenzen ausstatten, um die Richtigkeit und Vollständigkeit der Angaben der Steuerpflichtigen zu überprüfen. Die Grenze ist erst dort gezogen, wo die Kontrollbefugnisse der Finanzverwaltung unverhältnismäßig sind. Da das BVerfG die bisherigen gesetzlichen Ermächtigungen zur Anfertigung von Kontrollmitteilungen (vgl. §§ 93 Abs. 1, 194 Abs. 1, 208 Abs. 1 AO) als verfassungsgemäß angesehen hat, die Möglichkeiten dieser Vorschriften derzeit jedoch noch gar nicht ausgeschöpft werden und die Effizienz der Kontrollmitteilungen insbesondere durch eine stärkere Digitalisierung und die Nutzung elektronischer Datenverarbeitungssysteme noch gesteigert werden kann, bestehen bereits de lege lata verfassungsgemäße Möglichkeiten für die Finanzverwaltung, die Gewinnung und Nutzung von Kontrollinformationen über die Steuerpflichtigen auszuweiten. Darüber hinaus ist der Gesetzgeber gehalten, de lege ferenda über eine Ausweitung der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlagen zur Anfertigung von Kontrollmitteilungen nachzudenken.990 Das dargestellte System umfassender Kontrollmitteilungspflichten in den Niederlanden kann dabei als Anregung dienen. Dabei dürfen selbstverständlich die Interessen der Kontrollmitteilungspflichtigen nicht außer Acht gelassen werden, denen durch die Auferlegung von Mitwirkungspflichten Vollzugskosten entstehen und die ggf. Wettbewerbsnachteile befürchten müssen, wenn die Kontrollmitteilungspflichten bestimmte Unternehmen stärker als andere treffen, weil z. B. die Kunden auf Diskretion gesteigerten Wert legen und nur unter dieser Prämisse Geschäfte machen wollen. Im Zusammenhang mit der Ausweitung der Ermächtigungsgrundlagen für die Anfertigung von Kontrollmitteilungen sollte darüber hinaus von der neu geschaffenen Kompetenz zur Einführung einer bundesweit einheitlichen Steuernummer zur Identifizierung der Steuerpflichtigen nach dem Vorbild der früheren „Fi-Nummer“ in den Niederlanden Gebrauch gemacht werden, damit zumindest der Datenaustausch zwischen den Finanzbehörden erleichtert wird.991 990 In diesem Sinne nachdrücklich auch Tipke, Steuerrechtsordnung Bd. 3, S. 1216 f., Bd. 1, S. 219 f. sowie Hey in: FS Kruse, S. 269, 274 ff. Zu einer Verbesserung des Zugangs zu Bankinformationen für Besteuerungszwecke hat auch die OECD in einem gleichnamigen Bericht aus dem Jahre 2000 ihre Mitglieder aufgefordert, vgl. S. 14 ff. Der Versuch der Regierungskoalition, im Entwurf eines Gesetzes zum Abbau von Steuervergünstigungen und Ausnahmeregelungen (Steuervergünstigungsabbaugesetz) v. 2.12.2002, BT-Drs. 15/119, neben der vollständigen Abschaffung des bisherigen § 30a AO die Einführung eines Kontrollmitteilungsverfahrens bei der Besteuerung von Kapitalerträgen und privaten Veräußerungserlösen einzuführen sowie Außenprüfungen künftig auch zum Zwecke zielgerichteter Feststellungen über steuerliche Verhältnisse Dritter zu ermöglichen, ist im weiteren Gesetzgebungsverfahren gescheitert, vgl. Art. 1 Nr. 16, Art. 10 Nr. 4, 8 des Entwurfs.
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In der Diskussion um die Reichweite des Datenschutzes sollte insbesondere der Erwägung Platz eingeräumt werden, dass der Datenschutz – wie Seer pointiert formuliert hat992 – zum Tatenschutz werden kann. Insbesondere beim Austausch von Informationen zwischen einzelnen Steuerbehörden sind datenschutzrechtliche Bedenken regelmäßig unangebracht, weil die Daten nicht für andere Zwecke verwendet werden als die, für die sie erhoben wurden, und die Regelung des Steuergeheimnisses in § 30 AO den Interessen der Steuerpflichtigen ausreichend Rechnung trägt. Fehlen der Finanzverwaltung die Möglichkeiten, Angaben der Steuerpflichtigen zu überprüfen und dadurch unzutreffende Angaben aufzuspüren, so behalten die Steuerpflichtigen der Finanzverwaltung gegenüber einen Wissensvorsprung, der insofern ungerechtfertigt ist, als es sich bei dem Vollzug der Steuergesetze nicht um „Wegelagerei“, sondern um eine rechtsstaatliche Aufgabe zur Finanzierung staatlicher Lasten handelt. Allerdings kann die Grenzziehung zwischen dem legitimen Informationsbedürfnis der Finanzverwaltung und einer unverhältnismäßigen Überwachung der Bürger in einkommensund vermögensrechtlicher Hinsicht im Einzelfall zugegebenermaßen schwer fallen. Der Gesetzgeber sollte insbesondere nicht die Vollziehbarkeit zunächst nicht vollziehbarer, mit steuerlichen Nebenzwecken überladener Steuergesetze dadurch erzwingen, dass er die Pflichten der Steuerpflichtigen und die Kompetenzen der Finanzverwaltung erheblich erweitert, denn ein derartiges Vorgehen wäre unverhältnismäßig und würde im Übrigen auch die Steuermoral der Steuerpflichtigen schwächen. Aufgrund der Vielzahl der zu berücksichtigenden Aspekte ist die Erzielung eines politischen und gesellschaftlichen Konsenses über die Abwägung zwischen dem Gebot der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit, dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Besteuerung und dem Datenschutz sowie dem Interesse des Staates an der Sicherstellung regelmäßiger und vollständiger Steuereinnahmen einer Klärung durch die Gerichte vorzuziehen. Je größer die gesellschaftliche Basis für die Arbeitsweise der Finanzverwaltung ist, desto leichter kann sich ein durch Compliance und gegenseitige Anerkennung geprägtes Verhältnis zwischen den Steuerpflichtigen und der Finanzverwaltung entwickeln. Der Konsens könnte anschließend seinen Niederschlag in der Zusammenfassung der Kompetenzen für die Anferti991 Vgl. §§ 139a–d AO in der Fassung des Zweiten Gesetzes zur Änderung steuerlicher Vorschriften (StÄndG 2003) v. 19.12.2003, BGBl. I, 2645. Das Bundesamt für Finanzen ist danach berechtigt, durch Rechtsverordnung des Bundesministeriums der Finanzen mit Zustimmung des Bundesrates Steuerpflichtigen ein einheitliches, unveränderbares und dauerhaftes Identifikationsmerkmal für das Besteuerungsverfahren zuzuteilen. Vgl. auch Carl/Klos, DStZ 1990, 341, 346. 992 Seer, Besteuerungsverfahren USA, Rn. 152.
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gung und Anforderung von Kontrollmitteilungen in einer zentralen Norm finden, um in dieser wichtigen Frage für mehr Transparenz zu sorgen. Es ist jedoch nicht damit getan, Kontrollmitteilungspflichten zu schaffen, ohne gleichzeitig die nötigen Sach- und Personalmittel zur Verfügung zu stellen bzw. für die erforderliche Kompatibilität der einzusetzenden elektronischen Datenverarbeitungssysteme zu sorgen, damit die eingehenden Informationen tatsächlich verarbeitet werden können. Wenn der Bundesrechnungshof feststellen muss, dass technische Hemmnisse den Zugriff der Steuerfahndung auf elektronische Daten sogar innerhalb der Finanzverwaltung eines Bundeslandes beschränken993 – ganz zu schweigen von den Schwierigkeiten, die sich beim länderübergreifenden Datenaustausch ergeben – so nützen umfassendere Kontrollmitteilungspflichten wenig. Derzeit genießen besonders mobile Steuerpflichtige, die in verschiedenen Bundesländern steuerlich relevante Tatbestände verwirklichen, den weniger mobilen gegenüber einen unberechtigten Vorteil, weil der Datenaustausch der Finanzverwaltungen über die Landesgrenzen hinweg oftmals nur eingeschränkt möglich ist. Hier besteht dringender Kooperationsbedarf zwischen den Länderfinanzverwaltungen. Der Belastingdienst ist demgegenüber schon erheblich weiter und bemüht sich bereits um eine entsprechende Standardisierung in Kooperation mit anderen Ministerien und Verwaltungsbereichen.994 Zu den Kontrollmöglichkeiten gehört auch die möglichst vollständige Erfassung der Steuerpflichtigen, und zwar unabhängig davon, ob sie sich freiwillig der Finanzverwaltung gegenüber zu erkennen geben. In den Niederlanden ermöglicht zum einen die einheitliche SoFi-Nummer und zum anderen der Datenaustausch mit den Gemeinden und den Stellen, die Sozialleistungen verwalten, eine deutlich umfassendere Erfassung der Steuerpflichtigen als das in Deutschland der Fall ist.995 Dass umfassendere Kontrollmitteilungspflichten schließlich auch dazu dienen können, die Steuerpflichtigen auf vermutliche Erstattungsansprüche oder Abzugsmöglichkeiten hinzuweisen und den Umfang der von ihnen in der Steuererklärung verlangten Auskünfte um diejenigen Angaben zu reduzieren, die den Behörden bereits aus anderer Quelle bekannt sind, wird zwar in den Niederlanden hervorgehoben, sollte aber hierzulande nicht als 993 Bundesrechnungshof, Bemerkungen 2000, Nr. 65.6.1. . 994 de Kam im Interview mit van den Haspel, Computable v. 25.07.1997, abrufbar unter . 995 Zur Kritik an der deutschen Situation Tipke, Steuerrechtsordnung Bd. 3, S. 1221 ff.
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6. Kap.: Folgerungen für die deutsche Finanzverwaltung
Vorteil für die Steuerpflichtigen in die Diskussion einfließen, denn insoweit handelt es sich um einen ähnlichen Etikettenschwindel wie bei der Verwendung des Begriffs „Kunde“ für die Steuerpflichtigen: Vorausgefüllte Einkommensteuererklärungen, wie Rose sie in seinem Entwurf einer Einfachsteuer vorsieht,996 halten die Steuerpflichtigen möglicherweise davon ab, die bereits eingetragenen Angaben sorgfältig auf Fehler hin zu untersuchen und vergrößern die Abhängigkeit des unkundigen, nicht steuerlich beratenen Steuerpflichtigen von der Finanzverwaltung. Darüber hinaus droht eine Umkehr der Beweislast zu Lasten des Steuerpflichtigen, wenn es faktisch diesem obliegt, die Unrichtigkeit der der Finanzverwaltung von Seiten Dritter mitgeteilten Informationen nachzuweisen.
VI. Zusammenfassung Maßnahmen zur Förderung der Compliance, eine vorrangig auf subjektiven und objektiven steuerlichen Risiken basierende Fallgewichtung sowie die Schaffung effektiver Kontrollmöglichkeiten und deren tatsächliche Nutzung stehen in einem engen Zusammenhang. Eine Compliance-Strategie kann dazu beitragen, den Kontrollbedarf für einen Teil der Steuerfälle zu senken. Die Finanzverwaltung, die den Steuerpflichtigen den Umfang ihrer steuerlichen Pflichten transparenter macht und ihnen mit entsprechenden Serviceangeboten zur Seite steht, schafft damit die Voraussetzung dafür, den Angaben zumindest eines Teils der Steuerpflichtigen Glauben schenken und sich insoweit auf Plausibilitäts- und Vollständigkeitsprüfungen beschränken zu dürfen. Zugleich macht die Anknüpfung an subjektive Kriterien für die Ermittlung des steuerlichen Risikos die Erfüllung der steuerlichen Pflichten für die Steuerpflichtigen attraktiver, indem gesetzeskonformes Vorverhalten eine – abgesehen von Stichprobenkontrollen – weniger intensive Prüfungs- und Ermittlungsaktivität der Finanzverwaltung und damit für die Steuerpflichtigen eine Zeit- und Aufwandsersparnis und insgesamt eine geringere Beeinträchtigung ihrer Freiheitsgrundrechte bedingt. Zugleich muss für die Steuerpflichtigen deutlich sein, dass die Finanzverwaltung durch entsprechende Kontrollbefugnisse und einen intensiven Informationsaustausch mit anderen Institutionen tatsächlich in der Lage ist, Angaben der Steuerpflichtigen zu überprüfen, um einerseits den kooperationswilligen Steuerpflichtigen das Gefühl zu geben, dass unehrliche Steuerbürger effektiv aufgespürt werden können und die Steuerpflicht somit möglichst gleichmäßig durchgesetzt wird und um andererseits steuerunehrliche Bürger, die keine oder nur wenig Bereitschaft zur Compliance zeigen, abzu996 Vgl. § 38 Abs. 5 des Entwurfs der Einfachsteuer von Manfred Rose, im Internet als Word-Dokument unter erhältlich.
B. Konsequenzen für den Vollzug von Steuergesetzen in Deutschland
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schrecken. Allerdings sollte im Vorfeld einer Verschärfung der Kontrollmitteilungspflichten ein möglichst breiter gesellschaftlicher Konsens darüber gesucht werden, wie weit diese Pflichten reichen, wie „gläsern“ die Steuerpflichtigen sein sollen, da anderenfalls der Erfolg einer Compliance-Strategie am Widerstand und Unmut der Steuerpflichtigen über eine missverstandene „Ausforschung“ durch die Finanzbehörden scheitern könnte. Den Steuerpflichtigen muss vermittelt werden, dass effektive Kontrollmöglichkeiten dem Interesse der ehrlichen Steuerzahler dienen. Die Konzeption und Durchführung des Besteuerungsverfahrens erfordert einen diffizilen Ausgleich verschiedener verfassungsrechtlich geschützter Interessen. Die Besteuerung muss gesetzmäßig sein, sie muss gleichmäßig sein und sie darf die Steuerpflichtigen in ihren Freiheitsgrundrechten nicht übermäßig einschränken. So wenig all diese Interessen gleichzeitig jeweils zu 100 Prozent erreicht werden können, sondern stattdessen eine Optimierung, eine Balance zwischen ihnen anzustreben ist, so wenig erfolgversprechend wäre es, von den oben genannten Bereichen der Compliance-Förderung, der Risikoanalyse und der Intensivierung von Kontrollmöglichkeiten jeweils nur einen aufgreifen zu wollen. Es handelt sich vielmehr um drei Säulen, die dem Ausgleich der genannten konfligierenden Interessen als Basis dienen. Diese Basis wird umso solider und tragfähiger sein, je besser ihre Konstruktion, ihr Sinn und ihre Berechtigung nach außen und nach innen, d.h. sowohl den Steuerpflichtigen als auch den Angehörigen der Finanzverwaltung vermittelt wird.
Schlussbetrachtung Der Vollzug von Steuergesetzen durch den niederländischen Belastingdienst ist von einem deutlich größeren Pragmatismus geprägt als die Tätigkeit der deutschen Finanzverwaltung. Dies äußert sich vor allem in der Durchführung der Reorganisation Ende der 1980er Jahre und in der starken Ausrichtung des Belastingdienst auf Effizienz- und Effektivitätsgesichtspunkte: Die Reorganisation des Belastingdienst war dadurch begünstigt, dass die gesamtgesellschaftliche Verunsicherung über den Umfang der Steuerhinterziehung groß genug war, um Veränderungen mitzutragen und Ausweitungen der Kompetenzen der Finanzverwaltung zu akzeptieren, und diese Haltung wirkt noch immer fort. Auch wenn datenschutzrechtliche Aspekte dabei möglicherweise in den Hintergrund gedrängt worden sind, ist die Konsequenz, mit der der Gesetzgeber dem Belastingdienst die Kompetenzen zur Verfügung gestellt hat bzw. dem Belastingdienst den Freiraum gewährt hat, um die Voraussetzungen für einen effektiven Gesetzesvollzug zu schaffen, beachtlich. Insoweit sind die Bedingungen für die deutsche Finanzverwaltung ungleich schwieriger, denn obwohl die schlechte Steuermoral von verschiedenen Seiten immer wieder angeprangert wird und Meyding z. B. von „an die Grundfesten unseres Gemeinwesens rührenden Verfallserscheinungen“ spricht997 und obwohl das BVerfG mit seinem Zinsurteil auf die Bedeutung effektiver Verifikation im Veranlagungsverfahren hingewiesen hat, genießt das Thema in der öffentlichen Diskussion noch nicht so viel Beachtung wie seit dem Bericht van Bijstervelds Ende der 1970er Jahre in den Niederlanden. Bei der Frage, ob einzelne Aspekte der Arbeitsweise des Belastingdienst sich als Anregung für eine Modernisierung und Reorganisation der deutschen Finanzverwaltung eignen, ist das unterschiedliche Rechtsverständnis bzw. die unterschiedliche Rechtskultur beider Länder zu berücksichtigen. Die Untersuchung hat jedoch gezeigt, dass sich einige pragmatische Lösungen des niederländischen Belastingdienst wie z. B. die Umsetzung einer Compliance-Strategie, die Ausrichtung der Ermittlungs- und Kontrollintensität am (subjektiven) steuerlichen Risiko des Steuerpflichtigen, die automatisierte Veranlagung risikoarmer Steuerfälle und die umfangreichen Kontrollmitteilungen (zumindest innerhalb der Finanzverwaltung) sehr wohl mit den 997
Meyding, DStJG Bd. 21, S. 219, 224.
Schlussbetrachtung
371
verfassungsrechtlichen Anforderungen an den Gesetzesvollzug durch die deutsche Finanzverwaltung vereinbaren ließen. Hingegen ist z. B. die kategorische Vorgabe, dass 70% der Steuererklärungen von Particulieren und 40% der Steuererklärungen der Ondernemingen automatisiert veranlagt werden müssen, aus deutscher verfassungsrechtlicher Sicht bedenklich, weil hier die Wahrscheinlichkeit von Unregelmäßigkeiten in den Steuererklärungen zugunsten fiskalischer Erwägungen in den Hintergrund gedrängt wird. Die deutsche Finanzverwaltung, die in den vergangenen Jahren mit Modernisierungsbemühungen etwas gezögert hat, ist nun insoweit in einer vorteilhaften Situation, als sie Erfahrungen ausländischer Finanzverwaltungen wie der niederländischen oder z. B. der britischen (die in den 1990er Jahren ein Selbstveranlagungsverfahren für die Einkommensteuer eingeführt hat) auswerten und auf diese Weise Anregungen für Reformen in Deutschland gewinnen kann. Zu den Fehlern, die der niederländische Belastingdienst bei seinen Modernisierungsbemühungen gemacht hat und die es in Deutschland möglichst zu vermeiden gilt, zählt u. a. die Überforderung der Mitarbeiter in ihrer Flexibilität: Im Zuge der Reorganisation Ende der 1980er Jahre hat der Belastingdienst zu wenig auf eine transparente interne Vermittlung der Gründe und Ziele der Veränderungen geachtet und die Langwierigkeit der Kulturveränderung unterschätzt. Angesichts der seit dem 1.1.2003 umgesetzten erneuten Reformen hat es den Anschein, als würde der Belastingdienst der „Basis“ erneut viel zumuten, vor allem durch den Übergang zur Selbststeuerung; ob es zu viel ist, wird sich frühestens in ein bis zwei Jahren abschätzen lassen. Ein weiterer Problembereich ist die Ausrichtung der Organisationsstruktur und der Arbeitsabläufe an Steuerarten, (Gruppen von) Steuerpflichtigen oder Prozessen. Der Belastingdienst glaubte zunächst, mit der Zielgruppenorientierung die perfekte Antwort auf die Nachteile der Orientierung an Steuerarten gefunden zu haben – bis sich im Laufe der 1990er Jahre erste Schwächen der Zielgruppenorientierung offenbarten, weshalb nun ein Übergang zu einer Orientierung an Arbeitsprozessen vollzogen wird. Sicherlich wird auch dieses Konzept in Kürze die ersten Schwächen offenbaren, denn die bisherigen Erfahrungen des Belastingdienst zeigen, dass jede Ausrichtung für sich genommen Vor- und Nachteile hat und auf die Dauer zu versteifen droht. Umso wichtiger ist das Wissen um diese Schwächen und die Bereitschaft, die Ausrichtung in kürzeren zeitlichen Abständen zu überprüfen. Schließlich sollten in Deutschland möglichst bald entsprechende Studien zu der Frage durchgeführt werden, wie sich der persönliche Kontakt der Steuerpflichtigen mit den Finanzbeamten auf die Compliance auswirkt. Die Trennung von Front- und Back-Office, wie sie in den Niederlanden immer stärker vollzogen wird, birgt neben der Effizienzsteigerung durch Bündelung des Publikumsverkehrs möglicherweise auch Risiken für bestimmte Gruppen von Steuerpflichtigen, die durch
372
Schlussbetrachtung
eine größere Anonymität dazu verleitet werden könnten, ihren steuerlichen Pflichten weniger gewissenhaft nachzukommen. Obwohl es der Finanzverwaltung in Deutschland derzeit an einer entsprechenden gesamtgesellschaftlichen Unterstützung für Modernisierungsbemühungen fehlt, geben die verschiedenen Vorhaben, die in den meisten Länderfinanzverwaltungen mittlerweile initiiert worden sind, Anlass zur Hoffnung, denn sie lassen den Willen zur Reform innerhalb der Finanzverwaltung zu Tage treten. Allerdings können nachhaltige Reformen nicht im Alleingang einzelner Oberfinanzdirektionen umgesetzt werden. Dies bedeutet nicht, dass mit der Durchführung von Reformen erst begonnen werden sollte, wenn ein bundesweiter Konsens erzielt worden ist. Es gilt jedoch, ein allzu starkes Auseinanderdriften der einzelnen Finanzverwaltungen zu verhindern, denn dadurch würde die Effektivität der deutschen Finanzverwaltung insgesamt geschwächt. Wichtig wäre, dass sich auch der Gesetzgeber mit den Perspektiven der Finanzverwaltung auseinandersetzt und der ihm obliegenden Aufgabe des Interessenausgleichs zwischen der effektiven Besteuerung, dem gleichmäßigen Vollzug der Steuergesetze und dem Schutz der Privatsphäre der Steuerpflichtigen konsequenter als bislang nachkommt. Wenn die Bereitschaft zu einer entsprechenden Zusammenarbeit bei den zuständigen Entscheidungsträgern besteht, so ist – wie das Beispiel des Belastingdienst anschaulich zeigt – auch die Finanzverwaltung als klassische Eingriffsverwaltung zu einer umfassenden Imageverbesserung und zu einer Neubestimmung ihrer Position innerhalb der Gesellschaft in der Lage. Mit zunehmenden Bemühungen und deren Erfolg steigen jedoch auch die Erwartungen: Sollten sich die zum 1.1.2003 eingeleiteten überwiegend organisatorischen Veränderungen in der niederländischen Finanzverwaltung nachteilig auswirken, so wird dem Belastingdienst dafür kaum Verständnis entgegengebracht sondern viel eher die Frage gestellt werden, ob diese erneute Reorganisation wirklich erforderlich war. Diese Frage lässt sich jedoch erst mit einigem zeitlichen Abstand beantworten. Die weiteren Entwicklungen der niederländischen und deutschen Finanzverwaltung werden deshalb auch in den kommenden Jahren Anlass für vergleichende Untersuchungen liefern, und es bleibt zu hoffen, dass der Vollzug von Steuergesetzen im internationalen Vergleich künftig mehr in den Blickpunkt gerät und der Erfahrungsaustausch zwischen den europäischen Finanzverwaltungen intensiviert wird.
Anlage
Fragebogen zur Ermittlung des steuerlichen Risikosa) 1. Neugegründete Unternehmen (sog. Starters) a) Ist bereits eine ESt-/KSt-Erklärung für ein vollständiges Steuerjahr abgegeben und büromäßig geprüft worden? b) Hat bereits ein Kontakt mit dem Stpfl. stattgefunden, anlässlich dessen die Buchführung beurteilt worden ist? Wurden beide Fragen verneint, so wird der Stpfl. in die Kategorie „B“ (Neugründungen, bei denen das Risiko noch nicht beurteilt werden kann) eingeordnet. Wurde(n) hingegen eine oder beide Frage(n) mit „Ja“ beantwortet, erfolgt anhand der nachfolgenden Kriterien eine Ermittlung der Gesamtpunktzahl. 2. Branchenrisiko a) Es ist eine Entität betroffen, die in den Zuständigkeitsbereich eines Finanzamts für große Unternehmen fällt b) Branchenrisikozahlb) < 40 c) Branchenrisikozahl 40 und < 60 d) Branchenrisikozahl 60 3. Steuerliche Komplexität a) Es ist eine Entität betroffen, die in die Zuständigkeit eines Finanzamts für Unternehmen fällt, oder es handelt sich um ein großes Unternehmen, bei dem keine der folgenden Situationen vorliegt: b) (1) In der Entität gibt es mehr als 10 aber weniger als 25 LVN’sc) b) (2) In der Entität gibt es 25 LVN’s oder mehr c) Es existiert eine ausländische Mutter- oder Tochtergesellschaft bzw. eine feste Geschäftseinrichtung d) Der Stpfl. nutzt Konstruktionen, um seine Steuerbelastung zu verringern e) In den vergangenen drei Kalenderjahren gab es Unstimmigkeiten über die Steuerpflicht/Bewertungsfragen/den Tarif, wobei der strittige Betrag sich auf mindestens 10% der WOLB-Summed) belief a)
J/N J/N
0 5 10 15
0 10 40 10 40
15
Vgl. 3. Kap. Der Belastingdienst hat für ca. 100 Branchen derartige typische Risiken zusammengetragen und (nach unveröffentlichten Kriterien) Risikozahlen zugeordnet. c) LVN steht für landelijk-vast-nummer, bezieht sich auf die Fiskalnummer und bezeichnet in diesem Kontext Gesellschaften, die aufgrund finanzieller, steuerlicher, organisatorischer oder gesellschaftsrechtlicher Beziehungen zu dieser Entität gehören. d) Zur WOLB-Summe s. 3. Kap. unter C.III.3.a). b)
374
Anlage: Fragebogen zur Ermittlung des steuerlichen Risikos
4. Vorauszahlungen (ESt/KSt) Wie viel Prozent der geschuldeten ESt/KSt ist im jeweiligen Fiskaljahr per Vorauszahlung selbst erklärt worden? a) 90% b) 50–90% c) < 50%
0 10 30
5. Abgabe von Steuererklärungen innerhalb der letzten 12 Monate Zahl der für die gesamte Entität in den vergangenen 12 Monaten abgegebenen Steuererklärungen für die folgenden Steuerarten: KSt: ESt: USt: LSt: Total: Zahl der verspätet abgegebenen Steuererklärungen: a) Alle Steuererklärungen wurden fristgerecht abgegeben: b) 10% der Steuererklärungen wurden verspätet abgegeben c) 10%-25% der Steuererklärungen wurden verspätet abgegeben d) > 25% der Steuererklärungen wurden verspätet abgegeben
0 5 10 15
6. Von Amts wegen erfolgte Veranlagungen (Schätzungen) im letzten Steuerjahr a) Innerhalb der Entität ist im vergangenen Fiskaljahr keine Schätzung erfolgt b) Innerhalb der Entität (1) ist innerhalb des letzten Fiskaljahres eine Schätzung für die ESt oder KSt erfolgt oder (2) innerhalb des letzten Fiskaljahres sind für die USt oder LSt drei Schätzungen erfolgt
20
7. Steuernachzahlungen (LSt/USt) Die Steuernachforderung beträgt a) < 5% der im Fiskaljahr entrichteten LSt/USt b) 5% der im Fiskaljahr entrichteten LSt/USt
0 10
8. Qualität der Buchführung Qualitätsmängel sind: – Die Kassenbuchungen erfolgen nicht zeitnah; – Korrekturbuchungen lassen sich nicht zurückverfolgen; – Kassenfehlbestände;
0
Anlage: Fragebogen zur Ermittlung des steuerlichen Risikos
375
– – – – – –
Nachbuchungen von Umsätzen durch den Steuerberater; Fehlende (Bilanz-)Zusammenhänge; Festlegungen werden nicht oder nicht vollständig durchgehalten; Administrationspflichten werden verletzt; Fingierte Kosten; Es fehlt der Nachweis über das positive Ergebnis einer gesetzlich vorgeschriebenen Abschlussprüfung – Der Stpfl. hat in den vergangenen drei Jahren mehr als einmal trotz entsprechender Erinnerung/Aufforderung angefragte Informationen nicht verschafft a) Bei einer Buchprüfung, die nicht länger als drei Jahre zurückliegt, wurden zwei oder mehr der oben aufgeführten Qualitätsmängel festgestellt b) Bei einer Buchprüfung, die nicht länger als drei Jahre zurückliegt, wurde einer der oben aufgeführten Qualitätsmängel festgestellt c) Bei einer Buchprüfung, die vier oder fünf Jahre zurückliegt, wurden zwei oder mehr der oben aufgeführten Qualitätsmängel festgestellt d) Bei einer Buchprüfung, die vier oder fünf Jahre zurückliegt, wurde einer der oben aufgeführten Qualitätsmängel festgestellt e) in den vergangenen fünf Jahren ist keine Buchprüfung erfolgt f) Bei einer Buchprüfung innerhalb der vergangenen fünf Jahre wurde keiner der oben aufgeführten Qualitätsmängel festgestellt 9. Materielle Korrekturen bei Betriebsprüfungen (nach Bescheidung eines etwaigen Einspruchs)e) a) Keinerlei Korrekturen innerhalb der vergangenen fünf Jahre b) Auf dem Gebiet von fingierten Kosten/verschwiegenen Umsätzen innerhalb der vergangenen drei Jahre insgesamt Korrekturen i. H. v. weniger als f 2.500 c) Auf dem Gebiet von fingierten Kosten/verschwiegenen Umsätzen innerhalb der vergangenen drei Jahre insgesamt Korrekturen i. H. v. mehr als f 2.500 aber weniger als f 35.000 d) Innerhalb der vergangenen Jahre insgesamt Korrekturen i. H. v. mehr als f 35.000 e) Keine oder nur geringfügige Korrekturen (bis f 2.500) in den letzten drei Jahren, zugleich aber in den zwei vorangegangenen Jahre (d.h. vor vier bzw. fünf Jahren) auf dem Gebiet von fingierten Kosten/verschwiegenen Umsätzen Korrekturen i. H. v. mehr als f 2.500 aber weniger als f 35.000 f) Keine oder nur geringfügige Korrekturen (bis f 2.500) in den letzten drei Jahren, zugleich aber in den zwei vorangegangenen Jahre (d.h. vor vier bzw. fünf Jahren) Korrekturen i. H. v. insgesamt mehr als f 35.000
55 25 15 10 5 0
0
5
25 85
15
40
e) Bei Frage 9 und 10 wird für die ESt und KSt von den Korrekturbeträgen (d.h. der Differenz) und für die USt/LSt von dem korrigierten einfachen Betrag ausgegangen. Bei einem Zusammentreffen gilt der höhere Punktwert.
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Anlage: Fragebogen zur Ermittlung des steuerlichen Risikos
10. Korrekturen anlässlich einer büromäßigen Kontrolle bzw. fiskaltechnische Korrekturen bei Betriebsprüfungen (nach Bescheidung eines etwaigen Einspruchs)f) a) Keine oder nur geringfügige Kontrollen (weniger als f 5.000) b) Gesamtbetrag der Korrekturen innerhalb der vergangenen drei Jahre größer als f 5.000 aber weniger als 10% der WOLB-Summe und f 500.000 c) Keine Korrekturen in den vergangenen drei Jahren, aber in den zwei vorangegangenen Jahren (d.h. vor vier bzw. fünf Jahren) Korrekturen i. H. v. mehr als f 5.000 aber weniger als 10% der WOLB-Summe und f 500.000 d) Innerhalb der vergangenen drei Jahre Korrekturen i. H. v. mehr als 10% der WOLB-Summe oder mehr als f 500.000 11. Steuerhinterziehung (angemeldet beim FIOD) a) Keine Meldung über Steuerhinterziehung innerhalb der vergangenen drei Jahre b) Keine Meldung über Steuerhinterziehung innerhalb der vergangenen drei Jahre, aber eine Meldung in den zwei vorangegangenen Jahren, die jedoch durch den FIOD nicht weiter verfolgt worden ist c) Keine Meldung über Steuerhinterziehung innerhalb der vergangenen drei Jahre, aber eine Meldung in den zwei vorangegangenen Jahren, die durch den FIOD weiter verfolgt worden ist d) Eine Meldung über Steuerhinterziehung innerhalb der vergangenen drei Jahre, die jedoch durch den FIOD nicht weiter verfolgt worden ist e) Eine Meldung über Steuerhinterziehung innerhalb der vergangenen drei Jahre, die durch den FIOD weiter verfolgt worden ist f) Angelegenheit derzeit in Bearbeitung beim FIOD
0
10
20 40
0
25
40
40 85 Eg)
12. Zahlungsverhalten (für alle Steuerarten) a) Ausstehende Beträge von maximal f 5.000 b) Ausstehende Beträge zwischen f 5.000 und 500.000 oder < 5% der WOLB-Summe c) Ausstehende Beträge f 500.000 oder > 5% der WOLB-Summe
10 20
13. Absprachen (im Sinne verbindlicher Auskünfte) a) Der Stpfl. hat eine Absprache auf Initiative des Belastingdienst abgelehnt
10
f)
0
Bei Frage 9 und 10 wird für die ESt und KSt von den Korrekturbeträgen (d.h. der Differenz) und für die USt/LSt von dem korrigierten einfachen Betrag ausgegangen. Bei einem Zusammentreffen gilt der höhere Punktwert. g) Damit ist die Betreuungsintensitätskategorie „E“ gemeint, vgl. 3. Kap.
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Sachverzeichnis Algemeen verbindende voorschriften 37 Algemene beginselen van behoorlijk bestuur 284 Algemene maatregelen van bestuur 38 Amtsermittlungsgrundsatz 72–73, 347 Amtshilfe 241 Auskunftspflicht s. Mitwirkungspflichten 50 Aussteuerung 175 Automatisierung 98, 155, 177, 197, 238, 331 Belastingdienst – Arbeitsbelastung 87 – Aufbau 77 f. – Aufgaben 76 – Aufsicht 277 – Auftrag 127 – Außendarstellung 93, 151, 246, 297 – Außenwahrnehmung 294 – interne Steuerung 93, 95 – Kernaufgaben 90 – Klantmanager 92, 314 – Kompetenzverteilung 103 – Organisation 92 – Personal 96, 102, 108, 123, 301 – pro-aktive Arbeitsweise 154 – Reorganisation 89 – richterliche Kontrolle 283 – Steuerung 246 – Strategische Zielsetzung 128 – Unternehmensphilosophie 128 – Zielgruppen 92 Belastingen s. Steuern 41
Beleid – Begriff 269 – und Rechtsanwendungsgleichheit 273 Beleidsgroepen 88 Beleidsregels 39, 304 Besteuerungsgleichheit 170, 344 Betreuungsintensitätskategorien s. Risikomanagement 162 Branchen 135 Bußgeldvorschriften 63, 74 Compliance 128, 164, 225, 332 – Begriff 141 – Einflussfaktoren 143, 339 – Grenzen 144, 335 Datenschutz 214 Dezentralisierung 103–104, 302, 316 Effektivität 91, 127, 246 Effizienz 92, 127, 246 Entität 96, 158 Finanzämter – Aufbau 106 – Zusammenfassung zu Steuerbezirken 313 Finanzverwaltung – Aufbau 120 – Personal 123 Fiscale Monitor 294 Gesetzesvollzug – Einheitlichkeit 107, 361 – Gesamtvollzug 223 – Vollzugsrealität 223
Sachverzeichnis Gewichtende Arbeitsweise 139, 224, 228, 344 Gleichheitsgrundsatz 276, 284–286 Grondwet 36 Grote Ondernemingen 133 Hoge Raad 35, 70, 283 Informationsaustausch, elektronischer 52 Kennisgroepen 105, 276 Kontrolldichte 189, 235 Kontrolle – Außenprüfung 232 – automatisierte 172 – Betriebsbesichtigung 184, 233 – betriebsnahe Veranlagung 233 – Buchprüfung 179 – manuelle 172, 178, 232 Kontrollmitteilungen 171, 175, 198, 242, 363 – behördliche 203, 243 – der Banken 200, 204, 244 – internationale 210, 245 – interne 242 Kooperatives Verwaltungshandeln 333 Kundenbetreuer 157 Mitwirkungspflichten 50, 198 – Aufbewahrungspflicht 53 – Auskunftspflicht 50 – Buchführungspflicht 52 – Dritter 51 – Verletzung 50 – Verweigerungsrecht 54 Normenhierarchie 36, 39 Ombudsman 280 Particulieren 131 Personal, Abwanderung 87
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Poldermodell 33 Prävention 140, 166, 172, 184, 186 Rechenschaftsberichte 129 Rechnungshof 279, 307 Rechtsprechung – Bundesverfassungsgericht 309 – Hoge Raad s. dort 35 – Organisation 35 – Rechtsschutz s. dort 70 Rechtsschutz 68, 283 Reformatio in peius 69 Reorganisation – Durchführung 93 – Ergebnis 98 – externe Evaluation 97 – Motive 89 – Phasen 94 – Ziele 91 Risikomanagement 158 – Betreuungsintensitätskategorien 161 f. – objektives Risiko 352 – Risikoabdeckung 161 – Risikobestimmung 159 – Risikogewichtung 161 – steuerliche Relevanz 162 f., 353 – steuerliches Risiko 163 f., 350 – Stichprobenkontrollen 171, 359 – subjektives Risiko 351 – und Besteuerungsgleichheit 343 Rulings 58 Schätzung 45 Selbstveranlagung 115 SoFi-Nummer 138 Standpuntbepalingen s. Zusage 54 Steuer – Arten 42 – Begriff 41 Steuerberater 293
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Sachverzeichnis
Steuererklärung – Abgabefristen 47, 49 – Digitalisierung 174 – elektronische 148, 226 – Funktion 44, 48 – Kontrolle 72, 92 Steuerfahndung 186 Steuerfestsetzung – hoheitlich 44 – Korrektur 60, 150 – Selbstberechnung 48 Steuergeheimnis 50, 73, 205 Steuerhinterziehung 81 – ISMO-Rapport 84 – Rapport van Bijsterveld 83 Steuermoral 81, 297 Steuernummer 138, 202, 209 Steuerpflichtige – Branchen 134 – Entitäten 134 – Kunden 144 Steuerumgehung 81, 298 Steuerung – Grenzen 332 – Kennzahlen 253 – Konzepte 248, 302 – Kosten- u. Leistungsrechnung 262, 303 – Leistungsvergleich 263, 302 – Planungsdokumente 260 – Rechenschaftsberichte 259 – Transparenz 304 – Zielvereinbarung 257, 302 Steuervereinfachung 85, 342 Steuerwiderstand 82, 297
Toezichtpiramide 140 Untersuchungsgrundsatz 46, 72 Vakgroepen 107 Vaststellingsovereenkomst s. Verständigungen 56 Veranlagung – EDV-Unterstützung 168 – Schnellbearbeitung 230 – standardisierte Bearbeitungspläne 136, 168 Verfassungsorgane 34 Vergrijpboete s. Bußgeldvorschriften 66 Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 290 Verständigungen 56, 74 Vertrauensschutz 285, 289 Verzuimboete s. Bußgeldvorschriften 66 Volksverzekering 77, 86 Vollzugsdefizit 124, 309 Vollzugskosten 299, 342 Zielgruppen 129 f. – Grote Ondernemingen 99, 169 – Ondernemingen 99, 157 – Particulieren 99, 171 Zielgruppendirektionen 99, 103, 313 Zielgruppenorientierung 145 Zinsen 61 Zusage 55, 156, 274 – Zuständigkeit 104