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German Pages 756 Year 1997
SABlNE FRIERE
Der Verzicht auf Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen
Strafrechtliche Abhandlungen · Neue Folge Herausgegeben von Dr. Eberhard Schmidhäuser em. on!. Profeswr der Rechte an der Universität Hamburg
und Dr. Friedrich-Christian Schroeder on!. Profeswr der Rechte an der Universität Regensburg
in Zusammenarbeit mit den Strafrechtslehrem der deutschen Universitäten
Band 103
Der Verzicht auf Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen Zugleich ein Beitrag zur Problematik strafprozessualer Absprachen
Von
Sabine Friehe
Duncker & Humblot • Berlin
Zur Aufnahme in die Reihe empfohlen von Professor Dr. Bemd Schünemann, München
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Friehe, Sabine:
Der Verzicht auf Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen : zugleich ein Beitrag zur Problematik strafprozessualer Absprachen / von Sabine Friehe. - Berlin : Duncker und Humblot, 1997 (Strafrechtliche Abhandlungen; N.F., Bd. 103) Zugl.: München, Univ., Diss., 1996 ISBN 3-428-08779-8
Alle Rechte vorbehalten © 1997 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7271 ISBN 3-428-08779-8 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
S
Heinz-Josej und Matthias gewidmet
Vorwort Die vorliegende Abhandlung wurde von der Juristischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München im Wintersemester 1995/96 als Dissertation angenommen. Den Text habe ich für den Druck noch einmal aktualisiert, so daß Gesetzgebung, Rechtsprechung und Literatur bis März 1997 berücksichtigt sind. Damit gelangt ein Projekt zum Abschluß, dessen Anfange bis 1987 zurückreichen. Es zu verwirklichen, war nur schrittweise möglich. Mutterschaft, Referendardienst und berufliche Orientierung setzten zwischendurch andere Prioritäten. Freilich bot jeder Wiederbeginn zugleich die Chance, das bis dahin Geschriebene aus kritischem Abstand neu zu wägen. So ist die Arbeit, wenn ich zurückblicke, an ihren Unterbrechungen doch andererseits gereift. Schritt für Schritt wuchs sie überdies in jene Thematik hinein, die heute allgemein durch den Begriff der strafprozessualen Absprache, der strafprozessualen Verständigung umrissen wird. 1987 war die Diskussion um den "Handel mit der Gerechtigkeit" gerade erst in Gang gekommen; zum 58. Deutschen Juristentag erreichte sie 1990 einen vorläufigen Höhepunkt. Sie dauert weiter an. Befriedigende Lösungen sind nicht in Sicht, zum Teil wohl deshalb, weil manche - nach wie vor - die Augen schon vor dem Problem verschließen. Wer den Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung zu untersuchen hatte, konnte sich aus dem Pro und Contra jener Debatte nicht einfach heraushalten. Denn meistens erklärt der Beschuldigte den Verzicht als Vorausleistung dafür, daß Staatsanwaltschaft oder Gericht sein Strafverfahren beenden. Das führt geradewegs in die Absprachen-Problematik hinein. Die Frage, ob der Verzicht zulässig und wirksam ist, stellt sich mehrfach, je nach der prozessualen Situation, in der er vorgenommen wird. Allen, die Anteil am Entstehen und Werden dieses Buches haben, gilt mein herzlicher Dank. Einige möchte ich besonders erwähnen: Auf das Thema hat mich Dr. Dieter Meyer, Richter am Landgericht Flensburg, aufmerksam gemacht. Professor Dr. Bemd Schünemann war aufgeschlossen genug, sich von dem so geweckten Interesse anstecken zu lassen. Von Mannheim, von Freiburg, von
8
Vorwort
München aus hat er die Dissertation über all die Jahre betreut. Das ist mit großer Geduld, ohne jedes Drängeln geschehen. Aus den Anregungen, die er mir gab, habe ich viel lernen können. Besonders aber hat mein Doktorvater mich ermutigt, meine Untersuchung als einen Beitrag in die Diskussion über strafprozessuale Absprachen einzubringen. Die Justizverwaltungen von Hamburg und Schleswig-Holstein verfügten über statistisches Material zum Verzicht, das sie mir freundlicherweise bereitgestellt haben. Einer rechtstatsächlichen Befragung, die ich 1988/89 durchführte, leistete der Deutsche Anwaltsverein technische Hilfe. Alle, die sich damals mit ihren Rückäußerungen an der Umfrage beteiligten, haben mir wichtige Erkenntnisse zur Praxis des Verzichts vermittelt. Professor Dr. Claus Roxin erstattete den Zweitbericht über die Dissertation. Daß er dem Auftrag der Fakultät schon innerhalb weniger Tage nachkam, sicherte mir den erhofften raschen Termin zum Rigorosum. Die Fakultät hat die Dissertation mit dem Preis der Walburga-Riedl-Stiftung ausgezeichnet. Gleichermaßen freue ich mich, daß die Arbeit in die Reihe der Strafrechtlichen Abhandlungen aufgenommen wurde. Die Druckvorlage fertigte mein Mann, der mir schon zuvor etliche technische Mühen abgenommen hat. Gerne ergreife ich hier zugleich die Gelegenheit, denen Dank zu sagen, die mich mit sorgender Liebe auf den Lebensweg gebracht haben: meinen Eltern, Heinz und Ingrid Haustein, auch meiner Großmutter, Margareta Löffler. Ich gehörte zu den ersten Kindern der Siedlung Cäciliengroden, denen der Weg zur Universität eröffnet wurde. Die Hauptlast dieser Arbeit hatten, außer mir selbst, mein Mann und unser kleiner Sohn zu tragen. Wieviel Hürden, tote Punkte, Schüttelstrecken mögen es gewesen sein, über die sie mir hinweggeholfen haben, jeder auf seine Weise? So will ich auch das Gelingen mit ihnen teilen und ihnen die Abhandlung widmen. Bonn, im März 1997
Sabine Friehe
Inhaltsverzeichnis
Erster Teil Einführung in die Problematik.... ... ... ........ ... ........... .............. ... ........ ..............
43
1. Kapitel Entschädigung flir Strafverfolgungsmaßnahmen - Anwendungsbereich, gesetzliche Grundlagen, Hintergrund. ..... ... ... ............ ............. .......... ............ ...... 43
A. Das Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen (StrEG).... 45 B. Die Vorläufer der geltenden Regelung - Haftentschädigungsgesetz von 1898
und Untersuchungshaft-Entschädigungsgesetz von 1904....................................
46
C. Funktion der Strafverfolgungsentschädigung im gegenwärtigen Recht...............
49
2. Kapitel Das Phänomen des Verzichts auf Strafverfolgungsentschädigung.. ... .................
51
A. Belege aus Praxis und Wissenschaft, die auf den Verzicht aufmerksam machen. 51
B. Bisherige wissenschaftliche Auseinandersetzung um den Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung. ........................ ............ ... ........... ......... .............. 54 Behandlung des gewöhnlichen, von Absprachen unbeeinflußten Verzichts Behandlung des abgesprochenen Verzichts................................................
54 55
3. Kapitel Denkbare Motive flir den Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung. ...........
57
I.
11.
10
Inhaltsverzeichnis
A. Beweggründe für den einfachen, ohne Absicht der Verfahrensbeeinflussung erklärten Verzicht.............................................................................................. 57
B. Motivlagen der Strafverfolgungsorgane, auf eine Verzichtserklärung hinzuwirken. ...................................................................................................... 60
1.
Fiskalische Interessen................................................................................
60
II.
Hoffnung auf beschleunigten Abschluß des Strafverfahrens.......................
63
1. Beschleunigungseffekt als maßgebliches Motiv bei anderen Zugeständnissen, die Gegenstand strafprozessualer Absprachen sind..................... 64 2. Vergleichbarer Beschleunigungseffekt auch beim Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung ?........................................................... 66 a) Beschleunigungseffekt eines Verzichts, der im Betrags- bzw. Festsetzungsverfahren erklärt wird........................................................... 67 b) Beschleunigungseffekt eines Verzichts, der im Grundverfahren erklärt wird....................................................................................... 68
III. Bestreben, eine "zusätzliche Belohnung" des Beschuldigten zu vermeiden / Denkzettelfunktion...... .............................. .................................. 69 1. Parallele zwischen dem Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung und der Geldauflage nach § 153a Abs. 1 Nr. 2 StPO / § 153 Abs. 3 a.F. StPO...................................................................................................... 70 2. Mangelnde Akzeptanz der im StrEG getroffenen Regelung.......... ..........
72
a) Unbehagen über den Wegfall der Unschuldsklausel........................... 73 b) Folge: Bestreben der Praxis, als unbefriedigend empfundene Ergebnisse des StrEG zu korrigieren........................................................... 75 C. Motivlagen des Beschuldigten, durch Verzicht auf Strafverfolgungsent-
schädigung das Verfahren zu beeinflussen......................................................... Reue / Beweis des guten Willens ?............................................................
77
1.
77
II.
Beschwichtigende Einwirkung auf die Strafverfolgungsorgane..................
78
4. Kapitel Eine wichtige Parallele - Der Verzicht auf Auslagenerstattung..........................
79
A. Äußerliche Gemeinsamkeiten zwischen Strafverfolgungsentschädigung und Auslagenerstattung. ............................................................................................ 80
B. Auswertung der BGH-Rechtsprechung, wonach die Strafverfolgungsentschädigung eine Erstattung von Auslagen einschließen kann..................................... 82 C. Unterscheidung zwischen Auslagenerstattung und Strafverfolgungsentschädigung durch freiwilligen/unfreiwilligen Eintritt des Verlustes ?................. 83
Inhaltsverzeichnis
11
D. Unterscheidung zwischen Auslagenerstattung und Strafverfolgungsentschädigung nach Wesen und Funktion der Ansprüche............................................... 85 I. II.
Auslagenerstattung als Ausgleich für Rechtsbeeinträchtigung ?................ Auslagenerstattung als Gegenstück zu anderen Kostenvorschriften. ...........
85 87
E. Unterschiedliche Verfiigungsgewalt über die Ansprüche....................................
87
F. Folgerungen.......................................................................................................
88
Zweiter Teil Klärungen zum Begriff des "Verzichts" auf Strafverfolgungsentschädigung. ................ ........................... ...... .............. ... ...... ............... .......... ...... ..... 90
5. Kapitel Möglichkeiten des (potentiell) Berechtigten, seine Entschädigung preiszugeben...... .................. .................... ... ...................... ... .............. ......... ...... ..... 90 A. Verzicht auf den materiellen Entschädigungsanspruch.. .....................................
91
B. Verzicht auf das verfahrensmäßige Recht, den festgestellten Anspruch auf Entschädigung geltend zu machen, § 10 Abs. 1 S. 1 StrEG................................ 91 C. Verzicht auf das verfahrensmäßige Recht, eine Entscheidung über die Entschädigungspflicht zu beantragen, § 9 Abs. 1 S. 3 StrEG.......................................... 92 D. Verzicht auf die nach § 8 Abs. 1 StrEG zu treffende Entscheidung über die Entschädigungspflicht. ....................................................................................... 92 E. Verstreichenlassen der in § 10 Abs. 1 S. 1/2 StrEG sowie in § 9 Abs. 1 S. 3 StrEG vorgesehenen Antragsfristen............ ..... .................... ............. .................. 93
6. Kapitel Der Bereich des Begriffes "Verzlcht"..................................................................
94
A. Elemente für eine Defmition des Verzichts........................................................
94
I. II.
Wesentliche Fälle des Verzichts im geltenden Recht................................. § 397 Abs. 1 BGB als Grundlage einer allgemeinen Verzichtsdefmition?
95 96
III. § 46 SGB I als Grundlage einer allgemeinen Verzichtsdefmition ?............
98
12
Inhaltsverzeichnis IV. Der Begriff des Verzichts im üblichen Sprachgebrauch von Rechtsprechung und Literatur................................................................................... 99 1. Preisgabe...............................................................................................
99
2. Vom Recht gewährte Begünstigung als Gegenstand der Preisgabe .......... 100 3. Preisgabe durch rechtsgeschäftliehe Erklärung....................................... 100 4. Erlöschen des Rechts als unmittelbar bewirkte Folge des Verzichts ........ 101 5. Einseitigkeit ? ....................................................................................... 102 6. Freiwilligkeit ? ...................................................................................... 103 V.
Ergebnis: Defmition des Verzichts ............................................................. 105
B. Anwendung der Verzichtsmerkmale auf die verschiedenen Möglichkeiten, die Strafverfolgungsentschädigung preiszugeben..................... ................................ 105 I.
Verzichtsmerkmale, die ohne weiteres vorliegen....................................... 106
II.
Problematische Fälle: Verstreichenlassen der Antragsfrist; Erklärung, keine Entschädigung geltend machen zu wollen...................... ............ ....... 107
7. Kapitel Unterscheidung zwischen dem Verzicht und der verzichtsanbahnenden Absprache....................................... .................................... ....................... ............ 107 A. Der Verzicht als Verfügung, als ein "Erfüllungsgeschäft" .................................. 108
B. "Verpflichtungsgeschäft" im Vorfeld des Verzichts auf Strafverfolgungsentschädigung. .................................................................................................. 110 I.
Verbindliche Verpflichtung auf seiten der Strafverfolgungsorgane ?.......... 110
H.
Verbindliche Verpflichtung auf seiten des Beschuldigten?.... .............. ...... 113
C. Konsequenz: Einführung des Begriffs der "verzichtsanbahnenden Absprache" ... 114 D. Die verzichtsanbahnende Absprache als entscheidender Ansatz, den Einfluß der Strafverfolgungsorgane auf den Verzicht zu bewerten.......... ........ .............. ........ 115
Dritter Teil Untersuchungen über den Anspruch auf Strafverfolgungsentschädigung - Rechtsnatur und Entstehungszeitpunkt.... .............................. ....... 117 Vorbemerkung ........................................................................................................ 117
Inhaltsverzeichnis
13
8. Kapitel
Rechtsnatur der Entschädigung nach dem StrEG ............................................... 118
A. Bisheriger Stand der Meinungen / Motive des Gesetzgebers........ ...................... 118
B. Öffentlich-rechtlicher Charakter des Anspruchs ................................................. 120 I.
Bedeutung der Bezugnahme auf das bürgerliche Recht für die Rechtsnatur der Entschädigung..................................................................................... 121
II.
Rechtsnatur der Strafverfolgungsentschädigung im Lichte der gängigen Abgrenzungstheorien. ... ............................................................................. 122
C. Strafverfolgungsentschädigung als Ausgleich für einen hoheitlichen Eingriff in ein (nichtvermögenswertes) Recht..................................................................... 123
I.
Nichtvermögenswerte Rechte als Gegenstand des Eingriffs ? ..................... 124
II.
Bewältigung jener Fälle, in denen das StrEG den Eingriff in vermögenswerte Rechte entschädigt........................................................................... 126
D. Strafverfolgung als Ursache eines Sonderopfers ................................................. 127
I.
Darstellung der bisher herrschenden Meinung - Notwendigkeit der Überprüfung an den einzelnen vom StrEG erfaßten Fällen ................................ 127
II.
Begründung des Sonderopfers bei der Entschädigung für Urteilsfolgen, § 1 StrEG................................................................................................... 129
III. Der Zweifelsfall der Untersuchungshaft - Paeffgens Bedenken gegen die Annahme eines Sonderopfers..... ........... ............. ............ ........... ................. 131 1. Auseinandersetzung mit der Auffassung Paeffgens, der Untersuchungshäftling stehe einem Anscheinsstörer gleich........................................... 131 2. Auseinandersetzung mit der Auffassung Paeffgens, die Ansprüche nach dem StrEG seien Ansprüche aus Gefabrdungshaftung........ ............ ........ 134 a) Struktur einer grundsätzlichen Haftung auf das Ganze ? .................... 135 b) Berücksichtigung der besonderen Risikolage.. ...... .......... .............. ..... 136 IV. Begründung des Sonderopfers bei der Untersuchungshaft - Anwendung der von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien...................... ............. 137
1. Schweretheorie des Bundesverwaltungsgerichts.... .. ............ .......... ......... 138 2. Materielle Rechtswidrigkeit der Untersuchungshaft / Ableitung des Sonderopfers aus Sinn und Zweck der Entschädigung ............................ 141 a) Neubewertung als Voraussetzung der materiellen Rechtswidrigkeit ? 141 b) Kriterien für die materielle Rechtswidrigkeit der Untersuchungshaft. 143 3. Gesichtspunkt der ungerechtfertigten Schlechterstellung gegenüber solchen Untersuchungshäftlingen, die verurteilt werden......................... 146 V.
Begründung des Sonderopfers bei den anderen Strafverfolgungsmaßnahmen nach § 2 Abs. 2/3 StrEG............................................................... 147
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Inhaltsverzeichnis 1. Begründung des Sonderopfers bei den in § 2 Abs. 2 StrEG genannten Strafverfolgungsmaßnahmen .................................................................. 147 2. Begründung des Sonderopfers bei den in § 2 Abs. 3 StrEG genannten Strafverfolgungsmaßnahmen.................................................................. 149
E. Ausscheiden der "sozialen Entschädigung" ........................................................ 150 F. Ergebnis: Anspruch auf Strafverfolgungsentschädigung als gesetzlich geregelter Aufopferungsanspruch.................................................................................. 151
9. Kapitel Entstehungszeitpunkt des Anspruchs auf Strafverfolgungsentschädigung........ 152 A. Rechtskräftige Entscheidung des Betragsverfahrens als möglicher Entstehungszeitpunkt.... ................... ............................ ................ ........... ................... ........... 153
B. Rechtskräftige Grundentscheidung als möglicher Entstehungszeitpunkt.. ........... 154 C. Möglichkeiten, das Entstehen des Entschädigungsanspruchs früher anzusetzen als die herrschende Meinung ? ........................................................................... 155 D. Begründung des Anspruchs durch die Unschuld ? .............................................. 156 E. Begründung des Anspruchs durch Verhängung bzw. Vollziehung der Strafverfolgungsmaßnahme gegen den Unschuldigen ?. ................................................. 157 I.
Keine Übertragbarkeit allgemeiner Grundsätze auf den spezialgesetzlich geregelten Fall... ...................... ................................................. ................. 157
11.
Unschuld kein Anknüpfungspunkt für das Sonderopfer.............................. 160
III. Keine angemessene Erfassung des Falles, daß ein Schuldiger freigesprochen wird................................................................................................... 161 F. Begründung des Anspruchs durch Verhängung bzw. Vollziehung der Strafverfolgungsmaßnahme, ohne daß es auf die Unschuld ankäme?............................. 162 I.
Übertragung der von Reinisch vorgeschlagenen Lösung auf das Entschädigungsrecht. ................................................................................. 163
11.
Konstitutive Wirkung der Grundentscheidung als Folge der verfahrensrechtlichen Vorgaben des StrEG................................................................ 163
G. Zusammenfassung / Bedeutung der Grund- und der Betragsentscheidung für den Anspruch aufEntschädigung .......................... ~ ............................................ 165
Inhaltsverzeichnis
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Vierter Teil Rechtsmacht des Beschuldigten, auf Ansprüche und Rechte nach dem StrEG verzichten zu können ............................................................................ 167
10. Kapitel Möglichkeit des Verzichts beim materiellen Anspruch auf Strafverfolgungsentschädigung.. ........ .... .............. ....... ........ ...................... ................. ................ ...... 167 A. Grundsätzliche Verzichtbarkeit von Ansprüchen aus Aufopferung..................... 167 B. Bestimmungen des StrEG, diefür eine Verzichtbarkeit angeführt werden.......... 169 C. Verpflichtung des Beschuldigten, die Entschädigung wahrzunehmen ?.............. 171 D. Ausschluß der Verzichtbarkeit durch Sinn und Zweck der Strafverfolgungsentschädigung ?................................................................................................. 171 I.
Vergleich zum Verzicht auf Sozialleistungen............................................. 172
II.
Rückverlagerung des Strafverfolgungsrisikos auf den Bürger? .................. 174
E. Ausschluß der Verzichtbarkeit im Hinblick auf die Unschuldsvermutung ?........ 174 I.
Anwendbarkeit der Unschuldsvermutung im Entschädigungsverfahren ...... 175
H.
Auswirkungen der Unschuldsvermutung auf das Entschädigungsverfahren 176
F. Ausschluß der Verzichtbarkeit im Hinblick auf das Ziel der Strafverfolgungsentschädigung, Grundrechtseingriffe auszugleichen ?............................... 177 I.
Möglichkeit des Verzichts auf Grundrechte......... ........ ....................... ....... 178
II.
Auswirkungen auf die Verzichtbarkeit der Entschädigung......................... 180
11. Kapitel Möglichkeit des Verzichts beim materiellen Anspruch auf Strafverfolgungsentschädigung: Ausschluß des Verzichts im Hinblick auf Dritte, insbesondere den Unterhaltsberechtigten ? .............................................................................. 184 A. Bedenken gegen eine Verallgemeinerung des § 46 Abs. 2 SGB I... .................... 184
I.
Unsicherheiten in der Anwendung des § 46 Abs. 2 SGB I... ....................... 185
H.
Unterschiede zwischen Sozialleistungen und Strafverfolgungsentschädigung ....................................................................................................... 186 1. Vertrauensaspekt. ................................................................................... 186 2. Zeitliche Richtung....... ............. ................ .............. ........... ..... ........... ..... 187
16
Inhaltsverzeichnis 3. Persönliche Verbundenheit... .................................................................. 187
B. Prüfungsansatz für § 11 StrEG ........................................................................... 189 C. Der Ersatzanspruch nach § 11 StrEG als eigener Anspruch des Unterhaltsberechtigten....................................................................................................... 190 D. Folgen eines vom Beschuldigten erklärten Verzichts für den Ersatzanspruch des Unterhaltsberechtigten................................................................................. 192 I.
Folgen des Verzichts, falls bereits eine Grundentscheidung ergangen ist... 192
U.
Folgen des Verzichts, falls noch keine Grundentscheidung ergangen ist und das Strafverfahren vor dem Gericht abgeschlossen wird...................... 193 1. Grundentscheidung als Tatbestandsvoraussetzung des Anspruchs aus § 11 StrEG............... ............... ......................... ... ..................... .............. 193 2. Stand der Meinungen zur Frage, ob nach einem Verzicht eine Grundentscheidung zu treffen ist.................... ..... ................. .................. 193 3. Maßgeblicher Gesichtspunkt: "Anlaß" für eine Grundentscheidung ........ 195 a) "Anlaß" zur Grundentscheidung - Anwendung dieses Kriteriums im allgemeinen... .......... ................... ............... ... ................ ..................... 195 b) "Anlaß" zur Grundentscheidung nach einem Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung................. ...... ...... ................ ...... ....... 198 4. Ergebnis: Verzicht ist kein Hindernis für den Ersatzanspruch nach § 11 StrEG..................................................................................................... 199
UI. Folgen des Verzichts, falls noch keine Grundentscheidung ergangen ist und das Strafverfahren vor der Staatsanwaltschaft abgeschlossen wird...... 200 1. Kausalität zwischen Verzicht und Unterbleiben der Grundentscheidung ?....... .......... .................. ................... .............. ........... ............ 200 2. Ergebnis: Verzicht ist kein Hindernis für den Ersatzanspruch nach § 11 StrEG..................................................................................................... 201 E. Bewertung: Anspruch des Unterhaltsberechtigten liefert keinen Grund gegen einen Verzicht auf den materiellen Entschädigungsanspruch. ............................. 202 F. Ergebnis: Auch im Hinblick auf Dritte kein Ausschluß des Verzichts ................ 203
12. Kapitel Möglichkeit des Verzichts bei den zur Strafverfolgungsentschädigung gehörenden prozessualen Rechten.... ................. .................................. ........................ 204 A. Verzichtbarkeit beim Recht, den festgestellten Anspruch auf Entschädigung geltend zu machen, § 10 Abs. 1 S. 1 StrEG................ ................ ........................ 204
B. Verzichtbarkeit beim Recht auf die Grundentscheidung nach § 8 Abs. 1 StrEG.. 205
Inhaltsverzeichnis
17
1.
Sprachliche Mißverständnisse um den "Verzicht auf die Grundentscheidung" ......... ............................ ........... .................. .......... ........... ..... 205
11.
Verftigungsbefugnis des Angeschuldigten/Angeklagten über die Grundentscheidung nach § 8 Abs. 1 StrEG ?. ..................................................... 206
C. Verzichtbarkeit beim Recht, eine Entscheidung über die Entschädigungspflicht zu beantragen, § 9 Abs. 1 S. 3 StrEG................................................................. 208 1.
Probleme im Hinblick auf den Anspruch des Unterhaltsberechtigten......... 209
H.
Eigenes Recht des Unterhaltsberechtigten, eine Entscheidung über die Entschädigungspflicht zu beantragen ?...................................................... 210 1. Bedenken im Hinblick auf die Interessen des Beschuldigten.................. 210
2. Bedenken aus Wortlaut und Stellung der §§ 9 Abs. 1 S. 3, 11 StrEG...... 3. Bedenken im Hinblick auf die allgemeine Verfahrensstellung des Unterhaltsberechtigten........................................................................... III. Abwägung der gegenseitigen Belange beim Verzicht auf das Antragsrecht des § 9 Abs. 1 S. 3 StrEG .......................................................................... 1. Eigene Interessen des Beschuldigten, den Verzicht auf das Antragsrecht bewirken zu können...............................................................................
212 213 214 215
2. Kein Verstoß gegen bestehende Unterhaltspflichten.. ............................. 216 3. Keine Verpflichtung des Gesetzgebers, dem Unterhaltsberechtigten Ersatz für den entgangenen Unterhalt zu verschaffen............................. 217
Fünfter Teil Die Erklärung über den Verzicht - Voraussetzungen ihrer Wirksamkeit / Rechtsfolgen .............................................................................................. 218
13. Kapitel Frühester Zeitpunkt, zu dem ein wirksamer Verzicht erfolgen kann................. 218 A. Verzicht nach rechtskräftiger Entscheidung des Betragsverfahrens .................... 218 B. Verzicht nach rechtskräftiger Grundentscheidung.. ............................................ 219 C. Verzicht vor rechtskräftiger Grundentscheidung ................................................ 220 1.
Möglichkeit, auf künftige Ansprüche zu verzichten, und ihre Einschränkungen nach allgemeiner Lehre................................................................. 221 1. Verzichtbarkeit künftiger Ansprüche im Zivilrecht................................. 221
2 Friehe
18
Inhaltsverzeichnis 2. Verzichtbarkeit künftiger Ansprüche im öffentlichen Recht................... 223 3. Rückschlüsse für das Recht der Strafverfolgungsentschädigung ............. 225 II.
Unzulässigkeit des Verzichts vor Grundentscheidung wegen gesetzeswidriger Selbstbindung des Beschuldigten ?.............................................. 225
III. Unzulässigkeit des Verzichts vor Grundentscheidung wegen Unabsehbarkeit der Verzichtsfolgen ? ......................................................................... 228 D. Maßgebliche Einschränkung: Die aus der Strafverfolgung erwachsenen Folgen müssen abschätzbar sein. ........... .................... ............................. ....................... 230 I.
Möglichkeit des Verzichts jedenfalls nach Beendigung der Maßnahme ...... 230
II.
Möglichkeit des Verzichts auch unmittelbar vor Beendigung der Maßnahme ................................................................................................. 231
III. Keine Möglichkeit des Verzichts, wenn die Beendigung der Maßnahme noch nicht absehbar ist....................... ......................... ..................... ......... 232
14. Kapitel Allgemeine Voraussetzungen für die Wirksamkeit des Verzichts ....................... 233 A. Zugang der Verzichtserklärung .......................................................................... 233 I.
Zugang einer Erklärung, mit der auf den materiellen Entschädigungsanspruch verzichtet wird............................................................................ 234 1. Empfangszuständigkeit der Landeskasse.. .............................................. 234 2. Mögliche Empfangszuständigkeit beim ermittelnden Staatsanwalt oder beim Strafrichter........... ................... ............................ ................... ....... 235 3. Zugang, wenn der Verzicht während des Ermittlungsverfahrens erklärt wird....................................................................................................... 236 a) Abgabe der Erklärung erfolgt vor der (Landes-)Staatsanwaltschaft .... 237 b) Abgabe der Erklärung erfolgt vor der Bundesanwaltschaft ................ 238 4. Zugang, wenn der Verzicht während der Hauptverhandlung erklärt wird 239 5. Zugang, wenn der Verzicht während des Zwischenverfahrens oder im Wiederaufnahmeverfahren erklärt wird.................... ....................... ....... 240
II.
Zugang einer Erklärung, mit der auf die Antragsrechte nach §§ 9 Abs. 1 S. 3, 10 Abs. 1 S. 1 StrEO verzichtet wird ................................................. 241
B. Annahmebedürftigkeit der Verzichtserklärung ? ................................................ 241 I.
Auseinandersetzung mit der Forderung, § 397 Abs. 1 BOB anzuwenden .... 242
II.
Kein grundsätzlicher Ausschluß der Möglichkeit, das Oestaltungsmittel des Vertrages zu wählen ............................................................................ 243
Inhaltsverzeichnis
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C. Form der einseitigen Verzichtserklärung ............................................................ 245 D. Form des Verzichtsvertrages .............................................................................. 247
15. Kapitel Rechtsfolgen eines wirksamen Verzichts ............................................................. 248 A. Materielle Rechtsfolgen... ..... ... ...................... .... ..... ......................... .............. .... 248 1.
Folgen des Verzichts beim materiellen Anspruch auf Strafverfolgungsentschädigung ................................................................................... 248
11.
Folgen des Verzichts beim Anspruch auf die Betragsentscheidung.. .......... 249
III. Folgen des Verzichts beim Anspruch auf die Grundentscheidung.............. 250 IV. Folgen des Verzichts beim Ersatzanspruch des Unterhaltsberechtigten...... 250 B. Prozessuale Rechtsfolgen................................................................................... 251 1.
Folgen des Verzichts auf den materiellen Anspruch auf Strafverfolgungsentschädigung. ........................................................................................... 25 I 1. Unzulässigkeit etwaiger Anträge auf Entschädigung ? ............................ 251 2. Antrag auf Betragsentscheidung wird unbegründet.. ............................... 252 3. Antrag auf Grundentscheidung bleibt begründet........ .............. ............... 253
11.
Folgen des Verzichts auf den Anspruch auf die Betragsentscheidung ......... 253
III. Folgen des Verzichts auf den Anspruch auf die Grundentscheidung ........... 254
Zwischenbilanz zum Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung.......... 255
Sechster Teil Rechtstatsächliche Erkenntnisse zum Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung.......... ............... ... .... ... ......... ............... ......................... ............ ..... 257 Vorbemerkung...................... ........................... ........ ........ ...... ........ .............. ........... 257
2*
20
Inhaltsverzeichnis
16. Kapitel Bisher zur Verfügung stehende Quellen für rechtstatsächJiche Daten über Verzichtserldärungen ........................................................................................... 258 A. Veröffentlichte amtliche Statistiken................................................................... 258 B. Interne Erhebungen ............................................................................................ 259
1.
Schleswig-Hoistein.................................................................................... 260
11.
Hamburg.... ... ............. ............... ................................... ...................... ... .... 262
17. Kapitel VorsteUung der im Rahmen dieser Untersuchung durchgeführten Befragung.. 263 A. Aktenstudium ?................................................................................................. 263 B. Durchfiihrung der Befragung .............................................................................. 264
1.
Text des Fragebogens................................................................................ 265
11.
Erläuterungen zum Fragebogen .................................................................. 270 1. Die Fragen A I - A IV und B I - B IV ..................................................... 271 2. Die gemeinsamen Fragen unter Punkt C................................................. 272
C. RÜCklauf der Fragebögen - Konsequenzen .......................................................... 273 1. 11.
Gründe für den geringen Rücklauf........ .................. ........ ...................... ..... 273 Konsequenzen ........................................................................................... 275
18. Kapitel Auswertung der Fragebögen ................................................................................. 276 A. Häufigkeit von Verzichtserklärungen ................................................................. 276 B. Betroffene Strafverfolgungsmaßnahme beim Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung. ................................................................................................... 281 C. Zeitpunkt des Verzichts ..................................................................................... 283
D. Motive für den Verzicht. .................................................................................... 287
1.
Bedeutung des Verzichts, der aus Großzügigkeit, Beweisnot oder ähnlichen Motiven erklärt wird................ ........................ ..................... .......... 292
H.
Maßgebliche Motive für den Verzicht.. ...................................................... 292
Inhaltsverzeichnis
21
1. Hoffnung auf Einstellung des Verfahrens........... ................ .......... .......... 292 2. Hoffnung auf andere Vergünstigungen................................................... 293 III. Ursachen für die Attraktivität verzichtsanbahnender Absprachen anläßlich von Verfahrenseinstellungen nach den §§ 153 ff. StPO .............................. 295 1. Ausweichen vor rechtlichen Problemen.................................................. 295 2. Befriedigung darüber, daß der Beschuldigte nicht "ungeschoren" davongekommen ist............ ... ................ ....... ....... ............... ........... ... ..... 296 IV. Der Verzicht als Verdachtssanktion ........................................................... 297 E. Von wem geht die Initiative aus, zu einem Verzicht zu gelangen ? .................... 297 F. Ablauf der Verhandlungen, die zum Verzicht führen / Einhaltung der getroffenen Absprache... ..................... ............... ...... ............ ... ............ ................ ........... 300 G. Ausgangslage für eine verzichtsanbahnende Absprache / Form und Verbindlichkeit. .............................................................................................................. 304
Siebter Teil Verzichtsanbahnende Absprachen, die auf eine Verfahrenseinstellung nach § 170 Abs. 2 S. 1 StPO abzielen...................... .............. ............. ............ 310 Vorbemerkung ........................................................................................................ 310
19. Kapitel Typische Situationen für verzichts anbahnende Absprachen, die zur Einstellung nach § 170 Abs. 2 S. 1 StPO führen sollen.... .............. ............. .......... .......... 311 A. Ausgangslage auf seiten der Staatsanwaltschaft................................................. 311
B. Ausgangslage und Vorgehen auf seiten des Beschuldigten............. .......... .......... 312
20. Kapitel Rechtsnatur der verzichtsanbahnenden Absprache, die zur Einstellung nach § 170 Abs. 2 S. 1 StPO führen soll - Legalität der verzichtsanbahnenden Absprache unter handlungssystematischen Aspekten......................................... 313
22
Inhaltsverzeichnis
A. Verzichtsanbahnende Absprache als öffentlich-rechtlicher Vertrag? ................. 314
1.
Kann der öffentlich-rechtliche Vertrag eine im Strafverfahren zulässige
11.
Folgerungen für die verzichtsanbahnende Absprache ................................. 317
Prozeßhandlung sein ?............................................................................... 315
B. Verbleibende Möglichkeiten, zu einer Rechtsverbindlichkeit verzichtsanbahnender Absprachen zu gelangen................................................................ 318 1.
Falsa demonstratio ?.................................................................................. 318
11.
Rechtliche Verbindlichkeit auch gegen den Willen der Beteiligten? .......... 319
III. Folgerungen für die weitere Terminologie dieser Untersuchung ................. 321 C. Mindesteigenschaft der verzichtsanbahnenden Absprache: Prozeßhandlung ....... 321 D. Schmidt=Hiebers Vorwegberatungs-Modell ....................................................... 322 1.
Wesentlicher Inhalt des Vorwegberatungs-Konzepts .................................. 323
H.
Konsequenzen des Vorwegberatungs-Konzepts für die Überprüfung der Rt:chtmäßigkeit strafprozessualer Absprachen.......................... ............ ..... 325
III. Analyse der von Schmidt=Hieber ins Felii geführten· "Verständigungsflille"..... ................. ........................................... ........... .................... 327 IV. Konsequenzen aus der Analyse der von Schmidt=Hieber ins Feld gefiihrten "Verständigungsflille".......................................................................... 330 V. Bestätigung durch den Kammerbeschluß des Bundesverfassungsgerichts von 1987 .................................................................................................... 332 VI. Neuorientierung durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ?...... 334 1. Bedeutung der BGH-Rechtsprechung, wonach "Zusagen" der Strafverfolgungsorgane Vertrauensschutz begründen können .............................. 335 2. Schlußfolgerungen aus der weiteren Rechtsprechung des BGH zu den strafprozessualen Absprachen................................................................ 336 E. Vorwegberatungs-Modell und Rechtswirklichkeit strafprozessualer Verständigung / Konsequenzen für die verzichtsanbahnende Absprache............ ............ 338 1.
Stellungnahmen auf dem 58. Deutschen Juristentag zur Rechtswirklichkeit strafprozessualer Verständigung ......................................................... 338
II.
Konsequenzen für die verzichtsanbahnende Absprache.............................. 340
21. Kapitel Kann es sich bei der auf Einstellung nach § 170 Abs. 2 S. 1 StPO gerichteten verzichtsanbahnenden Absprache vom Inhalt her um eine legale Verständigung handeln ?................................................................................................... 341
Inhaltsverzeichnis
23
A. Zulässiger Inhalt strafprozessualer Verständigung nach dem Vorwegberatungs-
Konzept. ............................................................................................................ 341
B. Beurteilung der verzichtsanbahnenden Absprache für den Fall, daß die Voraussetzungen einer Einstellung nach § 170 Abs. 2 S. 1 StPO vorliegen..... .............. 344 Verstoß gegen das Legalitätsprinzip oder den Amtsermittlungsgrundsatz ? 344 Verstoß gegen die aus § 170 Abs. 2 S. 1 StPO resultierende Einstellungspflicht. ....................................................................................................... 345 III. Berücksichtigung des Restverdachts als Verstoß gegen Sinn und Zweck des StrEG.................................................................................................. 346
I.
11.
C. Beurteilung der verzichtsanbahnenden Absprache für den Fall, daß die Voraussetzungen einer Einstellung nach § 170 Abs. 2 S. 1 StPO nicht vorliegen ........... 347 Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz........................................... 1. Einlassung zum Tatvorwurf.................................................................... 2. Inhalt der Einlassung .............................................................................. 11. Verstoß gegen das Legalitätsprinzip .......................................................... III. Berücksichtigung des Restverdachts als Verstoß gegen Sinn und Zweck des StrEG..................................................................................................
I.
347 349 350 350 351
D. Rückschlüsse für die Anwendbarkeit des Vorwegberatungs-Konzepts ................ 352
22. Kapitel Vereinbarkeit der auf Einstellung nach § 170 Ab •• 2 S. 1 StPO gerichteten verzichts anbahnenden Absprache mit der Unschuldsvermutung. ... ........ ... ........ 354 A. Äußerungen über die Schuld in der Einstellungsverfiigung und in der verzichts-
anbahnenden Absprache ..................................................................................... 355
I.
H.
Verletzung der Unschuldsvermutung durch öffentliche Äußerungen über den weiter fortbestehenden Tatverdacht ..................................................... 356 Verletzung der Unschuldsvermutung durch interne Äußerungen über den fortbestehenden Tatverdacht........................ ................ ........... ......... .......... 357
B. Die Ersatzsanktion "Verzicht" als eine mit Art. 6 Abs. 2 EMRK unvereinbare sanktionsähnliche Maßnahme.... ................... .... ...... ................ ......... .......... ........ 358 Rechtsprechung des EGMR und des Bundesverfassungsgerichts zur Versagung einer staatlichen Leistung............. ..... ............... ......... .......... .......... 359 11. Fortführung der Rechtsprechung zur "Schuldspruchreife" durch das Bundesverfassungsgericht und das OLG München.. .............. ......... .............. .... 362 III. Folgerungen für den abgesprochenen Verzicht... ........................................ 363 I.
24
Inhaltsverzeichnis 1. Die Fälle des Bundesverfassungsgerichts und des OLG München im Vergleich zum abgesprochenen Verzicht... ............................................. 364 2. Bedeutung der Rechtsprechung für den abgesprochenen Verzicht... ........ 365 3. Die verzichtsanbahnende Absprache: Unzulässige Schuldfeststellung oder zulässige Schuldprognose ? ........................................................... 367 a) Argumente, die gegen eine Schuldprognose sprechen........................ 367 b) Verletzung der Unschuldsvermutung, falls man gleichwohl eine bloße Schuldprognose annimmt... .................. ..... .............. ................. 368 aa) Rechtsprechung des EGMR......................................................... 368 bb) Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts .......................... 370 c) Kritik an der Unterscheidung zwischen zulässigen Schuldprognosen und unzulässigen Schuldfeststellungen.............................................. 371 IV. Besonderer Strafcharakter des abgesprochenen Verzichts .......................... 373 1. Objektive Strafelemente des Verzichts ................................................... 373 2. Subjektive Strafelemente des Verzichts .................................................. 375
C. Verbleibende Fragen.......................................................................................... 376
I.
Vereinbarkeit der verzichtsanbahnenden Absprache mit der Unschuldsvermutung, wenn die Voraussetzungen einer Einstellung nach § 170 Abs. 2 S. 1 StPO nicht vorliegen ................................................................ 376
11.
Verstoß gegen die Unschuldsvermutung, wenn der Beschuldigte oder sein Verteidiger die verzichtsanbahnende Absprache initiiert ............................ 377
23. Kapitel Vereinbarkeit der auf Einstellung nach § 170 Abs. 2 S. 1 StPO gerichteten verzichts anbahnenden Absprache mit § 136a StPO ............................................ 378 A. Anwendbarkeit des § 136a StPO auf die verzichtsanbahnende Absprache...... .... 378
I.
Einlassung zum Tatvorwurfbei der verzichtsanbahnenden Absprache ....... 379
11.
Anwendbarkeit des § 136a StPO, falls man eine Einlassung zum Tatvorwurf ablehnt............ ............. ....... ..................... ............... ... ............. ..... ..... 380 I. Rechtliche Ähnlichkeit zwischen den Äußerungen, die bei einer verzichtsanbahnenden Absprache gemacht werden, und einer Vernehmung 380 2. Regelungslücke..................................................................................... 381
III. Strafprozessuale Verständigung und Schutzzweck des § 136a StPO ........... 382
B. Subsumtion unter die Voraussetzungen des § 136a StPO .................................... 385 I.
Täuschung, § 136a Abs. 1 S. 1 StPO .......................................................... 386
Inhaltsverzeichnis
25
I. Beurteilung jener Fälle, in denen die Staatsanwaltschaft den Anstoß zur verzichtsanbahnenden Absprache gibt. ................................................... 386 2. Beurteilung jener Fälle, in denen der Beschuldigte den Verzicht von sich aus anbietet. .................................................................................... 387 11.
Drohung mit einer nach dem Strafverfahrensrecht unzulässigen Maßnahme, § 136a Abs. I S. 3, 1. Alt. StPO ..................................................... 389
III. Versprechen eines gesetzlich nicht vorgesehenen Vorteils, § 136a Abs. I S. 3, 2. Alt. StPO ....................................................................................... 390 1. Verfahrenseinstellung nach § 170 Abs. 2 S. I StPO als gesetzlich nicht vorgesehener Vorteil. ............................................................................. 390 a) Verfahrenseinstellung nach § 170 Abs. 2 S. 1 StPO als VorteiL ....... 390 b) Verfahrenseinstellung nach § 170 Abs. 2 S. 1 StPO als etwas gesetzlich nicht Vorgesehenes ..................................................................... 392 c) "Versprechensfähigkeit" des Vorteils·................................................ 393 2. Auslegung des Begriffs "Versprechen" ................................................... 396 C. Beteiligung des Verteidigers - Auswirkungen auf die Verletzung des § 136a StPO .................................................................................................................. 397 1.
Der Verteidiger bedient sich selbst der in § 136a StPO erfaßten verbotenen Methoden...... ................. ............................ ........... ........... .............. ..... 397
II.
Der Verteidiger handelt auf Veranlassung der Strafverfolgungsorgane ....... 398 1. Der Verteidiger selbst wird Objekt einer durch § 136a StPO verbotenen Beeinflussung ........................................................................................ 398 2. Die Strafverfolgungsorgane veranlassen den Verteidiger, den Beschuldigten zu beeinflussen............................................................................ 399
III. Die Strafverfolgungsorgane nutzen das Vorgehen des Verteidigers aus ...... 399
24. Kapitel Verbleibende Gesichtspunkte zu der auf Einstellung nach § 170 Abs. 2 S. 1 StPO gerichteten verzichtsanbahnenden Absprache ........................................... 401 A. Verstoß gegen den Grundsatz "in dubio pro reo" ................................................ 401
B. Verstoß gegen den Grundsatz "nemo tenetur se ipsum prodere" sowie gegen den Grundsatz des fair trial................................................................................ 402 C. Rechtfertigung der verzichtsanbahnenden Absprache durch den Grundsatz "volenti non fit iniuria" ?.... ................ ...................... ........... ........... .............. ..... 403
26
Inhaltsverzeichnis
Achter Teil Verzichtsanbahnende Absprachen, die auf eine Verfahrenseinstellung nach § 153 Abs. 1 StPO abzielen ..................................................................... 406
25. Kapitel Vorüberlegungen zum rechtlichen Rahmen, in dem die auf Einstellung nach § 153 Abs. 1 StPO gerichtete verzichts anbahnende Absprache getroffen wird .. 406
A. Gründe, warum nur selten eine Billigkeitsentschädigung nach §§ 153 Abs. 1 StPO, 3 StrEG gewährt wird.............................................................................. 406 B. Verknüpfungen zwischen der Einstellungsverfiigung nach § 153 Abs. 1 StPO und der Billigkeitsentschädigung nach § 3 StrEG ............................................... 408
1.
Möglichkeiten, die Frage der Entschädigung mit der Einstellungsentscheidung zu verknüpfen........................................................................... 409
H.
Konsequenzen für die Beurteilung verzichtsanbahnender Absprachen, die auf eine Einstellung nach § 153 Abs. 1 StPO abzielen ................................ 410
C. Rechtsnatur einer verzichtsanbahnenden Absprache, die anläßlich einer Verfahrenseinstellung nach § 153 Abs. 1 StPO getroffen wird................................. 410 D. Ist die in § 153 Abs. 1 StPO vorgesehene gerichtliche Zustimmung geeignet, Bedenken gegen eine verzichtsanbahnende Absprache zu mindern 1.................. 412
1. H.
Begrenzter Wirkbereich des Zustimmungserfordemisses ........................... 412 Mangelnde Information des Gerichts über die verzichtsanbahnende Absprache .................................................................................................. 413
III. Keine Zuständigkeit des zustimmenden Gerichts, auch die Entschädigungsfrage zu beurteilen............................................................................ 414
26. Kapitel Überprütbarkeit von Entscheidungen, die im Rahmen der §§ 153 StPO, 3 StrEG getroffen werden ..................................................................................... 415
A. Sind die Entscheidungen nach §§ 153 StPO, 3 StrEG "kontrollfrei" 1................ 416
1. II.
Überprüfbarkeit der Entscheidung nach § 3 StrEG..................................... 416 Überprüfbarkeit der Entscheidung nach § 153 StPO ................................... 417 1. Konstruiert die Unanfechtbarkeit der Einstellungsverfiigung, § 153 Abs. 1 StPO, einen kontrollfreien Entscheidungsspielraum 1.................. 417
Inhaltsverzeichnis
27
2. Konstruiert die Unanfechtbarkeit des Einstellungsbeschlusses, § 153 Abs. 2 S. 4 StPO, einen kontroll freien Entscheidungsspielraum 1........... 418 3. Überprüfbarkeit im gesamten Bereich des § 153 StPO ............................ 419 B. Übertragbarkeit der verwaltungsrechtlichen Lehren vom Beurteilungs- und Ermessensspielraum auf den Strafprozeß ........................................................... 421
I.
Meinungsstand in Literatur und Rechtsprechung zur Entscheidungsfmdung in §§ 153 StPO, 3 StrEG ................................................................... 421
11.
Stehen die Regelungen über den Eröffuungsbeschluß einer Übertragung der Lehren vom Beurteilungs- und Ermessensspielraum entgegen 1 ........... 423
III. Stehen die Rechtsmittelvorschriften einer Übertragung der Lehren vom Beurteilungs- und Ermessensspielraum entgegen 1..... ........ ...... ......... ........ 425
27. Kapitel Charakter und Struktur der Entscheidung nach § 3 StrEG............................... 429 A. Rechtsprechung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes zur Koppelung von unbestimmtem Rechtsbegriffund Kann-Ermächtigung .. 429
B. Übertragbarkeit der zu § 131 Abs. 1 S. 1 AO a.F. ergangenen Entscheidung auf
§ 3 StrEG 1........................................................................................................ 430
c. Kritische Auseinandersetzung mit der bisherigen Auslegung des Billigkeits-
begriffs in § 3 StrEG.......................................................................................... 432
I.
Auswertung der Gesetzesmaterialien zu § 3 StrEG .................................... 432
11.
Grund, warum im Bereich der §§ 3,4 StrEG die ''Normal''faIle entschädigungslos enden... ... ............... ............ ...................... ..... .......... ............. ....... 434
1. Normalfall des § 4 StrEG: Verurteilung ................................................. 434 2. Normalfall des § 3 StrEG: Materielle Rechtmäßigkeit der Maßnahme bleibt offen............ ........................ ..... ..................... ........... ................... 434 3. Bestehen Bedenken, daß bei § 3 StrEG potentielle Sonderopfer unentschädigt bleiben 1 ................................................................................... 436 III.
Ergebnis der Analyse: Abrücken von der Vorstellung, daß § 3 StrEG reine Ermessensvorschrift sei................ .... .... ................. ................ .............. ...... 437
D. § 3 StrEG als Mischtatbestand 1 ......................................................................... 438 E. Eröffuung eines Beurteilungsspielraums durch den unbestimmten Rechtsbegriff der Billigkeit 1........................................................................................... 440
28
Inhaltsverzeichnis
28. Kapitel Charakter und Struktur der Entscheidung nach § 153 Abs. 1 StPO .................. 442 A. Eröffnung eines Rechtsfolgeermessens ? ........................................................... 442
B. Ermessen nach Maßgabe der Nichtverfolgungsvoraussetzungen ?...... ..... ...... .... 444 C. Eröffnung eines Beurteilungsspielraums durch die unbestimmten Rechtsbegriffe. ............................................................................................................. 445
29. Kapitel Beurteilung einer auf Einstellung nach § 153 Abs. 1 StPO gerichteten verzichtsanbahnenden Absprache, falls die Voraussetzungen des § 153 Abs. 1 StPO ohnehin bereits vorliegen.. ........................ .................................. ............ .... 446 A. Verstoß gegen die aus § 153 Abs. 1 StPO resultierende Einstellungspflicht... ..... 447
B. Berücksichtigung des Restverdachts als Verstoß gegen Sinn und Zweck des StrEG................................................................................................................. 448 I.
Situationen, in denen die auf Einstellung nach § 153 Abs. 1 StPO gerichtete verzichtsanbahnende Absprache vorkommt... ...................................... 449
II.
Wie wären die Restverdacht-Fäl1e auf der Grundlage der herrschenden Meinung zu behandeln ? ........................................................................... 451 1. Maßstab der herrschenden Meinung: Wahrscheinlichkeit der Verur-
teilung .................................................................................................... 452
2. Konsequenzen fiir die Beurteilung der verzichtsanbahnenden Absprache........... ................ .... ........... ......... .... ......................... .............. 454 III. Kritik am Ansatz der herrschenden Meinung, die Billigkeitsentschädigung aufgrund einer Schuldprognose zu versagen...................... ... .......... 455 1. Unvereinbarkeit von Schuldprognosen mit den Absichten des Gesetzgebers zu § 3 StrEG............................................................................... 455 2. Unvereinbarkeit von Schuldprognosen mit dem parallelen Wortlaut der §§ 3, 4 StrEG......................................................................................... 456 3. Unvereinbarkeit von Schuldprognosen mit dem Ausnahmecharakter der Billigkeitsentschädigung. ........................................... ............................ 456 IV. Rechtfertigung der von der h.M. vorgenommenen Auslegung durch die Rechtsprechung des EGMR und des Bundesverfassungsgerichts?............ 457 V.
Behandlung der Restverdacht-Fäl1e auf der Grundlage der hier vertretenen Meinung .............................................................................................. 460
C. Verstoß gegen die Unschuldsvermutung sowie gegen den Grundsatz "in dubio pro reo" .............................................................................................................. 461
Inhaltsverzeichnis
29
D. Verstoß gegen § 136a StPO .......... .... ........ ............ ... ........................... ................ 463
30. Kapitel Beurteilung einer auf Einstellung nach § 153 Abs. 1 StPO gerichteten verzichtsanbahnenden Absprache, falls die Voraussetzungen des § 153 Abs. 1 StPO nicht vorliegen..... .... ................ ........ ......... .................. .................. ............... 464 A. Fälle, für die eine auf Herstellung der Einstellungsvoraussetzungen gerichtete verzichtsanbahnende Absprache in Betracht kommt... ........................................ 464
B. Einfluß eines Entschädigungsverzichts auf das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung ..... ..... .................... .................................................................... 466 C. Einfluß eines Entschädigungsverzichts auf das Maß der potentiellen Schuld...... 467
I.
Wiedergutmachung des Schadens ?...................... ..................................... 467
H.
Verschaffi die Preisgabe der Strafverfolgungsentschädigung dem Opfer Genugtuung? ..................................................................................... ....... 468
III. Zeugt die Preisgabe der Strafverfolgungsentschädigung von Reue und Einsicht?.............. ............................................. .................... ................... 469 IV. Zur Möglichkeit, angesichts der Folgen des Strafverfahrens den Maßstab der Schuldbewertung zu lockern ................................................................ 470 D. Herbeifiihrung der Einstellungsvoraussetzungen nur in gesetzlich zulässiger Weise ...................... .. ..................... ......................................................... ... ........ 472
I.
Verzichtsanbahnende Absprache als Verstoß gegen § 51 StGB. .......... ...... . 473 1. Kemaussage des § 51 StGB: Anrechnung erfolgt - automatisch - auf der Stufe der Vollstreckung ................................. .. .................... ... .......... 474
H.
2. § 5 Abs. 1 Nr. 1 StrEG als ergänzende und bestätigende Regelung ......... 475 Verzichtsanbahnende Absprache als Verstoß gegen §§ 69 Abs. 1, 69a Abs. 4, 70 Abs. 1/2 StGB ...... ...................... .................... .............. ............. 476
III. Verzichtsanbahnende Absprache als Verstoß gegen die Regelungen des StrEG über das Betragsverfahren............................................................... 478 IV. Verzichtsanbahnende Absprache als Verstoß gegen die Regelungen des StrEG über das Grundverfahren ....................................................... .......... 479 E. Verletzung des Gesetzes auch durch die Motive, von denen die Staatsanwaltschaft sich bei der verzichtsanbahnenden Absprache leiten läßt................... 480
I.
Verhinderung des gerichtlichen Verfahrens als Verstoß gegen das legalitätsprinzip und den Amtsermittlungsgrundsatz. .......................................... 481
H.
Verdacht als Grundlage für den Verlust der Entschädigung ........... ............. 482
III. Verstoß gegen § 136a StPO..... .. .................................................. .............. 483
30
Inhaltsverzeichnis
F. Zusammenfassung ............................................................................................. 484
Neunter Teil Verzichtsanbahnende Absprachen, die auf eine Verfahrenseinstellung nach § 153a Abs. 1 StPO oder nach § 154 Abs. 1 StPO abzielen .............. 485
31. Kapitel Grundsätzliche Möglichkeit einer Entschädigung bei § 153a StPO .................... 485 A. Ausschluß der Entschädigung, weil bei § 153a StPO keine wirkliche Ermessensentscheidung erfolge?................................................................................ 486 B. Ausschluß der Entschädigung in analoger Anwendung des § 467 Abs. 5 StPO? 488
1. 11.
Regelungslücke / Gesetzessystematik.. ...................................................... 488 Übertragbarkeit des hinter § 467 Abs. 5 StPO vermuteten Sanktionsgedankens ?............ ............... ..................................... ............................... 490
III. Übertragbarkeit des in § 467 Abs. 5 StPO enthaltenen Verrechnungsgedankens ? .............................................................................................. 491 1. Bedenken gegen die Verrechnung aus § 13 Abs. 2 StrEG....................... 492
2. Bedenken gegen die Verrechnung aus der Zuständigkeitsregelung des StrEG..................................................................................................... 494 3. Bedenken gegen die Verrechnung aus § 153a StPO ................................ 494 C. Ergebnis: Anspruch auf Strafverfolgungsentschädigung kann auch bei § 153a StPO bestehen .................................................................................................... 496
32. Kapitel Beurteilung einer auf Einstellung nach § 153a Abs. 1 StPO gerichteten verzichtsanbahnenden Absprache.............. ... ............... .............. ........................ ....... 496 A. Vergleich des § 153a Abs. 1 StPO mit § 153 Abs.l StPO .................................. 497
1.
Gemeinsame Strukturen zwischen § 153 Abs. 1 StPO und § 153a Abs. 1 StPO .......................................................................................................... 498
11.
Unterschiede zwischen § 153 Abs. 1 StPO und § 153a Abs. 1 StPO sowie ihre rechtliche Qualifizierung.................................................................... 500
Inhaltsverzeichnis
31
B. Folgerungen aus der weitgehenden Parallelität zwischen § 153a Abs. 1 StPO und § 153 Abs. 1 StPO ........................................................................................ 501
C. Möglichkeit, den Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung zum Gegenstand einer Auflage oder Weisung zu machen ?.......................................................... 503 I.
Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung als Geldauflage, § 153a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StPO ............................................................................... 504
11.
Verzichtsauflage und Regelungen des StrEG ............................................. 505
III. Eignung des Verzichts, das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung zu beseitigen ? .......................................................................................... 507 1. Verzicht und öffentliches Interesse an der Strafverfolgung in den Normalfällen der Einstellung nach § 153a Abs. 1 StPO ................................ 508 2. Verzicht und öffentliches Interesse an der Strafverfolgung, sofern eine Entschädigung nach § 3 StrEG billig ist........... ................ ........... ........... 509 D. Auswirkungen auf die Zulässigkeit der verzichtsanbahnenden Absprache .......... 511
33. Kapitel Verzichtsanbahnende Absprachen, die anläßlich von Verfahrenseinstellungen nach § 154 Abs. 1 StPO getroffen werden.............. ................ .......... .......... .......... 511 A. Grundsätzliche Möglichkeit eines Entschädigungsanspruchs im Anschluß an eine Verfahrenseinstellung nach § 154 Abs. 1 StPO ........................................... 512
I.
Steht die Vorläufigkeit der Einstellung bei § 154 StPO einer Entschädigung entgegen ? ....................................... :................................................ 513
11.
Stehen Sinn und Zweck des § 154 StPO einer Entschädigung entgegen ?... 514 1. "Neutralisierungsfunktion" des § 154 StPO steht der Entschädigung nicht entgegen ........................................................................................ 514 2. Lösung: Einschränkung der Entschädigungsfälle über § 3 StrEG............ 515
B. Rechtsnatur und Wirksamkeit einer auf Einstellung nach § 154 Abs. 1 StPO gerichteten verzichtsanbahnenden Absprache..................................................... 516
I.
Verzichtsanbahnende Absprache und Einstellungsvoraussetzungen bei § 154 Abs. 1 Nr. 1 StPO ............................................................................ 516 1. Fälle, in denen die Voraussetzungen einer Einstellung ohnehin bereits vorliegen................................................................................................ 517 2. Fälle, in denen die Voraussetzungen einer Einstellung noch nicht vorliegen................................................................................................ 518 a) Einfluß des Verzichts auf das Strafmaß wegen des (Rest-) Verdachts B ?.................................................................................... 519
32
Inhaltsverzeichnis
11.
b) Einfluß des Verzichts auf den Umfang von Maßregeln der Besserung und Sicherung wegen des (Rest-)Vorwurfs B ? .......................... Verzichtsanbahnende Absprache und Einstellungsvoraussetzungen bei § 154 Abs. I Nr. 2 StPO ............................................................................ I. Fälle, in denen die Voraussetzungen einer Einstellung ohnehin bereits vorliegen. ................... .................. ................. ................. .......... .............. 2. Fälle, in denen die Voraussetzungen einer Einstellung noch nicht vorliegen............ .............. ....................... ...... ............. .................. ...... ....
521 522 523 524
Zehnter Teil Verzichtsanbahnende Absprachen, die nach dem Abschluß des Ermittlungsverfahrens getroffen werden................... ...... ......... ...... .... ............. ......... 526 Vorbemerkung ........................................................................................................ 526
34. Kapitel Parallelen und Unterschiede zwischen verzichts anbahnenden Absprachen im Ermittlungs- und im Hauptverfahren.... .................. ... ...... ... ......... .............. ......... 527 A. Weitgehende Übereinstimmung bei den Verfahrensergebnissen, denen die verzichtsanbahnende Absprache dienen soll............. ...................... ............ ... .......... 527
B. "Multipolarität" der verzichtsanbahnenden Absprache, die im Hauptverfahren getroffen wird...... ............. ............. ................... ... ................... .............. ............. 528 1. H.
Mögliche Beteiligte an der verzichtsanbahnenden Absprache..... ........... .... 529 Gericht als maßgeblicher Beteiligter der verzichtsanbahnenden Absprache 529
C. Wo liegen die rechtlich bedeutsamen Unterschiede zwischen verzichts-
anbahnenden Absprachen im Ermittlungs- und im Hauptverfahren?.. ............... 531
35. Kapitel Rechtliche Beurteilung verzichtsanbahnender Absprachen, die im Hauptverfahren getroffen werden ....................................................................................... 532 A. Verstoß gegen das Entscheidungs-Prozedere des StrEG ..................................... 533
Inhaltsverzeichnis
33
B. Verstoß gegen die Unschuldsvermutung............................................................. 534
I.
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur "Schuldspruchreife" .. 535
H.
Grundsätzliche Bedenken gegen das Konzept der Schuldspruchreife .......... 536
III. Bedeutung der "Schuldspruchreife" für das Entschädigungsrecht........... .... 536 IV. Keine "Schuldspruchreife" in den typischen Situationen der verzichtsanbahnenden Absprache.......... .... .................... ............ .............. ........ ... ..... 538 V.
Unschuldsvermutung und Zustimmung des Beschuldigten/Angeklagten nach §§ 153 Abs. 2 S. 1, 153aAbs. 1 S. 1 / Abs. 2 S. 1 StPO ..................... 539
c. Verstoß gegen § 136a StPO ................................................................................ 540 I.
Möglicher Neuansatz im Hinblick auf das Richterbild der Strafprozeßordnung..................................................................................................... 541
H.
Kritische Stellungnahme.................... ..... ......... ........ ........... ........... ......... ... 542
D. Probleme, die mit den im Hauptverfahren typischen Prozeßgrundsätzen und Beteiligungsrechten auftreten können................................................................. 545
I.
Diskussionsstand um die strafprozessuale Verständigung im allgemeinen. 545
H.
Übertra~g des allgemeinen Diskussionsstandes auf die verzichtsanbah-
nende Absprache ....................................................................................... 547
III. Im Einzelfall zu beachtende Anforderungen.............................................. 548 E. Zusammenfassung........ ............. ......................... .............. ............. ........ ............ 549
36. Kapitel Besorgnis der Befangenheit gegenüber dem Richter, der eine verzichtsanbahnende Absprache trifft oder anstrebt........ .... ..... ............ .............. .......... .............. 549 A. Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zur Befangenheit bei strafprozessualen Absprachen.... ........... ......... ................... ............ .............. ........ ......... ....... 550 B. Unzureichende Einbeziehung aller Beteiligten als Befangenheitsgrund auch bei der verzichtsanbahnenden Absprache...... .... ................. ........... ......... ........ .......... 551 C. Besorgnis der Befangenheit unmittelbar durch die verzichtsanbahnende Absprache .......................................................................................................... 552
I.
Teilnahme des Richters an einer verzichtsanbahnenden Absprache als Befangenheitsgrund ................................................................................... 552
11.
Angebot des Richters zur verzichtsanbahnenden Absprache als Befangenheitsgrund..... .... .................. ......... ............ ... .......... ......... ......... .... 554
D. Denkbare Ausnahme von der Befangenheit bei § 153a Abs. 2 StPO ................... 556 E. Persönliche und sachliche Reichweite der Ablehnung wegen Befangenheit........ 557 3Friehe
34
Inhaltsverzeichnis
37. Kapitel RechtIiche.Beurteilung verzichtsanbahnender Absprachen, die im Zwischenverfahren oder nach Abschluß des Hauptverfahrens getroffen werden ............. 558 A. Verzichtsanbahnende Absprachen, die im Zwischenverfahren getroffen werden 558 B. Verzichtsanbahnende Absprachen, die nach dem Abschluß des Hauptverfahrens getroffen werden ......................................................................................... 559 1.
Rechtliche Beurteilung der Absprache, die die Staatsanwaltschaft von einem Rechtsmittel abhalten soll... ........................ .............. ...................... 559
I1.
Rechtliche Beurteilung der Absprache, die bei der Wiederaufnahme des Verfahrens getroffen wird.......................................................................... 561
III. Nochmals: Besondere Problematik des im Wiederaufnahmeverfahren erklärten Verzichts .................................................................................... 562
Zwischenbilanz zur verzichtsanbahnenden Absprache.............. ................ 563
Elfter Teil Straf- und Entschädigungsverfahren nach Verzicht und/oder verziehtsanbahnender Absprache............................. .................... ................... 565
38. Kapitel Verfahrenslage, falls eine verzichtsanbahnende Absprache getroffen, aber (noch) nicht vollzogen wurde.. ..................... ................ ................. ........................ 565 A. Denkbare Situationen / Vorläufiger Untersuchungsgegenstand ........................... 565 B. Keine Pflicht zur Erfüllung der verzichtsanbahnenden Absprache...................... 566 C. Anfechtbarkeit von Entscheidungen, welche die Organe der Strafverfolgung
nach einem Scheitern oder bei prozessualer Überholung der verzichtsanbahnenden Absprache treffen................................................................................... 566 1.
Anfechtbarkeit einer von der Staatsanwaltschaft vorgenommenen Einstellung nach §§ 170 Abs. 2 S. 1, 153 ff. StPO ? ............................................. 567
H.
Anfechtbarkeit einer von der Staatsanwaltschaft vorgenommenen Anklageerhebung ? ........................................................................................ 567
Inhaltsverzeichnis
35
III. Anfechtbarkeit einer vom Gericht vorgenommenen Einstellung nach §§ 153 Abs. 2, l53a Abs. 2 StPO ............................................................... 568 IV. Anfechtbarkeit einer vom Gericht vorgenommenen Einstellung nach § 154 Abs. 2 StPO ..................................................................................... 570 V.
Anfechtbarkeit eines vom Gericht gefaßten Eröffnungsbeschlusses ? ......... 570
VI. Anfechtbarkeit einer vom Gericht vorgenommenen Verurteilung............... 571 1. Absolute Revisionsgründe, § 338 StPO .................................................. 571 2. Relative Revisionsgründe, § 337 StPO................................................... 572 VII. Anfechtbarkeit .einer von der Staatsanwaltschaft vorgenommenen Rechtsmitteleinlegung ?............................................................................ 573 VIII. Anfechtbarkeit einer vom Gericht vorgenommenen Verwerfung des Wiederaufnahmeantrags ............................................................................ 574 IX. Anfechtbarkeit einer vom Gericht getroffenen Entscheidung, dem Angeschuldigten/Angeklagten keine Entschädigung zu gewähren...................... 574 X.
Annex: Entschädigungsentscheidung, falls die Staatsanwaltschaft das Verfahren eingestellt hat ............................................................................ 575
D. Vertrauensschutz, wenn die Organe der Strafverfolgung einseitig von der verziehtsanbahnenden Absprache abrücken ?......................................................... 576 I.
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zur einseitig fehlgeschlagenen Verständigung ........................................................................................... 576
11.
Keine Rückwirkung für die verzichtsanbahnende Absprache..................... 576
E. Zusammenfassung........ ................. ............ ... ..... ................... .......... ................ ... 577
39. Kapitel "Überwindung" eines erklärten Verzichts auf Strafverfolgungsentschädigung. 578 A. Erklärung des Verzichts unter der Bedingung, daß der Absprache gemäß entschieden werde?................................................................................................ 578 I.
Bedenken gegen die Zulässigkeit eines bedingten Verzichts...................... 579
11.
Sinnlosigkeit einer Bedingung, daß der Verzicht nur bei absprachegemäßer Entscheidung wirksam werden soll .............................................. 581
B. Widerruf des Verzichts vor Zugang der Verzichtserklärung ............................... 582 C. Anfechtbarkeit des auf Absprache beruhenden Verzichts ? ................................. 583 I.
Täuschung und Drohung als Ansatz der Anfechtung.............. ............ ........ 583
11.
Prozeßrechtliche Bedenken gegen eine Anfechtung des Verzichts .............. 584
III. Begrenzte Reichweite der Anfechtung nach § 123 Abs. 1 BGB. ................. 586 3*
36
Inhaltsverzeichnis
D. Vorbedingung zur Unwirksamkeit des abgesprochenen Verzichts: "Nichtigkeit" der verzichtsanbahnenden Absprache................................................................. 587
1.
Von der Rechtswidrigkeit zur "Nichtigkeit" der verzichtsanbahnenden Absprache ................................................................................................. 588
H.
Schwerwiegender und offenkundiger Rechtsverstoß bei der verzichtsanbahnenden Absprache................................................................................ 589
III. Verzichtsanbahnende Absprache und Koppelungsverbot nach §§ 59 Abs. 2 Nr. 4, 56 Abs. 1 VwVfG......................................................................... 590 IV. Verzichtsanbahnende Absprache und Koppelungsverbot nach §§ 59 Abs. 2 Nr. 4, 56 Abs. 2 VwVfG......................................................................... 591 E. Unwirksamkeit des abgesprochenen Verzichts durch Fehleridentität mit der verzichtsanbahnenden Absprache................ .............................. ...... ................... 592
1.
Bedenken gegen eine bloße Erstattungslösung - Gedanke der Fehleridentität zwischen "Verpflichtungs-" und "Verfiigungs"geschäft ................ 592
11.
Typische Tatbestände von Fehleridentität im bürgerlichen Recht.. ............. 594 1. Elemente des Wuchers, § 138 Abs. 2 BGB, im abgesprochenen
Verzicht................................................................................................. 595
2. Elemente der allgemeinen Sittenwidrigkeit, § 138 Abs. 1 BGB, im abgesprochenen Verzicht. ....................................................................... 596 3. Elemente der Täuschung und der Drohung, § 123 Abs. 1 BGB, im abgesprochenen Verzicht ........................................................................ 597 III. Verstoß gegen das Koppelungsverbot als Fall öffentlich-rechtlicher Fehleridentität. ...... .................... ............................. ..... ...................... ........ 598 IV. Fehleridentität zwischen verzichtsanbahnender Absprache und abgesprochenem Verzicht. ................................................................................ 600 F. Unwirksamkeit des abgesprochenen Verzichts wegen Unverwertbarkeit der verzichtsanbahnenden Absprache....................................................................... 602
1.
Analoge Anwendung des § 136a Abs. 3 S. 2 StPO....................... .............. 602 1. Möglichkeit der Analogie ....................................................................... 603
2. Unverwertbarkeit als Rechtsfolge des § 136a Abs. 3 S. 2 StPO.............. 605 11.
Unverwertbarkeit der verzichtsanbahnenden Absprache aus überwiegenden Gründen der Gerechtigkeit.................................................................. 606
40. Kapitel Möglichkeiten des Betroffenen, nach einem abgesprochenen Verzicht dennoch entschädigt zu werden ........................................................................................... 607
Inhaltsverzeichnis
37
A. Verfolgung der Entschädigung, falls die Staatsanwaltschaft das Strafverfahren abgeschlossen hat. .............................................................................................. 608
B. Verfolgung der Entschädigung, falls das Gericht die Grundentscheidung nach § 8 Abs. 1 StrEG getroffen hat................... ............ ........ ... ....... ............ .............. 608 C. Verfolgung der Entschädigung, falls das Gericht die Grundentscheidung nach
§ 8 Abs. 1 StrEG unterlassen hat....... ... ..... ...... ................. ................ ............ ... ... 609
I.
Nachholung der Grundentscheidung über das isolierte Beschlußverfahren oder über die sofortige Beschwerde ? ........................................................ 609 1. Vergleich des' abgesprochenen Verzichts mit anderen Fällen, in denen die Grundentscheidung unterbleibt......................................................... 610
11.
2. Weitere Gründe, die für die sofortige Beschwerde sprechen ................... 611 Weitere Probleme bei der Verfolgung der Entschädigung .......................... 611
D. Übersicht über die Möglichkeiten des Betroffenen, nach abgesprochenem Verzicht dennoch Entschädigung zu erlangen ..................................................... 612
41. Kapitel Möglichkeiten der Strafverfolgungsorgane, auf den "Bruch" der verzichtsanbahnenden Absprache zu reagieren ................................................................. 613 A. NichtigkeitiAuthebbarkeit der getroffenen verfahrensabschließenden Entscheidung?....................................................................................................... 613
B. Fortgang des Verfahrens, wenn die Staatsanwaltschaft das Verfahren nach §§ 170 Abs. 2 S. 1, 153 ff. StPO eingestellthat... ............................................... 614 C. Fortgang des Verfahrens, wenn das Gericht entschieden hat... ............................ 615 D. Fortgang des Verfahrens, wenn die Staatsanwaltschaft es unterlassen hat, Rechtsmittel zu gebrauchen............................................................................... 616 E. Fortgang des Verfahrens in Fällen der Wiederaufnahme .................................... 616
Zwölfter Teil
Schlußbetrachtung............................................................................................. 618
38
Inhaltsverzeichnis
42. Kapitel Edelmütiger / abgesprochener Verzicht: Die beiden Varianten des Verzichts auf Strafverfolgungsentschädigung.. .......................................... .......... ................ 618 A. Ausgangs- und Motivenlage beim edelmütigen und beim abgesprochenen Verzicht. ............................................................................................................ 619
B. Rechtliche Konstruktion beim edelmütigen und beim abgesprochenen Verzicht. 620 C. Unterschiede in der Wirksamkeit... .................................................................... 621
43. Kapitel Die verzichts anbahnende Absprache im Vergleich zu anderen strafprozessualen Verständigungen ........................................................................................ 622 A. Legale Vorwegberatung: Wirklichkeit - Wunschbild - Fiktion........................... 622
B. Keine Beschränkung der Absprachen-Problematik auf das gerichtliche Verfahren........................................................................................................... 624 C. Bedeutung des "Festigkeitsgrades" einer Verständigung.................................... 625
I.
Keine rechtliche Erheblichkeit des "Festigkeitsgrades" bei der verzichtsanbahnenden Absprache........ ................................................. ................... 626
II.
Rechtliche Erheblichkeit des "Festigkeitsgrades" bei den anderen strafprozessualen Absprachen. ........................... ............... ....................... ......... 626
D. Sanktions funktion verzichtsanbahnender und sonstiger Absprachen ................... 628
I.
Sanktionscharakter als Besonderheit der verzichtsanbahnenden Absprache ?............................................................................................... 629
II.
Sanktion für bloßen Verdacht............ ........... ............ ....... ............. ............. 631
E. Gründe, warum verzichtsanbahnende Absprachen trotz ihrer Illegalität getroffen werden......................................................................................................... 632
44. Kapitel Woher kommt das Phänomen der (verzichtsanbahnenden) Absprache und wie verändert es den Strafprozeß ? ...................................................................... 633 A. Erkennbare Ursachen für (verzichtsanbahnende) Absprachen ............................. 633
B. Nutznießer und Verlierer von (verzichtsanbahnenden) Absprachen.................... 635
Inhaltsverzeichnis
I. 11.
39
Vorteil-lNachteil-Bilanz bei der verzichtsanbabnenden Absprache ............ 635 Vorteil-lNachteil-Bilanz bei den anderen, gängigen Absprachen................ 636
45. Kapitel Rechtspolitischer Ausblick..... ........... ...... ... .......... ................... ............... .............. 638 A. Empfehlen sich gesetzgeberische Maßnahmen, verzichtsanbabnende Absprachen einzudämmen?.......... ............... ..... .............. ................ ............... .............. 638
I.
Voraussichtliche weitere Entwicklung in der Praxis der verzichtsanbahnenden Absprache ...................................................................................... 638
11.
Risiken und verbleibender Spielraum für ein Eingreifen des Gesetzgebers. 640
B. Legalisierung verzichtsanbabnender Absprachen ? ............................................ 642 C. Aussichten auf eine gesetzliche Regelung nach den Beschlüssen des 58. Deutschen Juristentages. ............................................................................................ 644
I.
Die Beschlüsse des 58. Deutschen Juristentages und die Realität strafprozessualer Verständigung ............................................................................ 645
11.
Ursachen für die Beschlüsse des Juristentages und für die Zurückhaltung des Gesetzgebers......... ....................... ..... ... ...... ............. ............ ................ 646
D. Standort der verzichtsanbabnenden Absprache im Rahmen künftiger Reformbestrebungen............ ........ ....... .......... ........... .................... ........... ........... 648
Zusammenfassung .............................................................................................. 651 zum Ersten Teil. ..................................................................................................... 651 zum Zweiten Teil. ................................................................................................... 652 zum Dritten Teil. .................................................................................................... 654 zum Vierten Teil. .................................................................................................... 655 zum Fünften Teil. ................................................................................................... 657 zum Sechsten TeiL ................................................................................................. 658 zum Siebten TeiL ................................................................................................... 659 zum Achten TeiL ................................................................................................... 663 zum Neunten Teil. .................................................................................................. 665 zum Zehnten Teil. ................................................................................................... 667
40
Inhaltsverzeichnis
zum Elften Teil. ...................................................................................................... 669 zum Zwölften Teil.................................................................................................. 671
Literaturverzeichnis ..................................................... ............ ......................... 674
Verzeichnis der behandelten Vorschriften .................................................... 703
Sachverzeichnis...... ............. .............. .......................... .............................. ......... 708
Abkürzungen
Für die Abkürzungen wurde Hildebert Kirchner, Abkürzungsverzeichnis der Re chtssprache , 4. Aufl., Berlin / New York 1993, zugrunde gelegt. Ergänzend ist hinzuweisen auf:
Grünhut'sZ
Zeitschrift fiir das Privat- und Öffentliche Recht der Gegenwart, hrsg. von C.S. Grünhut
HaftEntschG
Gesetz, betreffend die Entschädigung der im Wiederaufnahmeverfahren freigesprochenen Personen, RGBI. 1898,345 f.
KostRsp.
Kostenrechtsprechung, Nachschlagewerk wichtiger Kostenentscheidungerr, bearbeitet von Friedrich Lappe, Kurt v. Eicken, Hans NoH, Egon Schneider, Kurt Herget
NStE
Neue Entscheidungssammlung fiir Strafrecht, hrsg. von Kurt Rebmann, Hans Dahs, Klaus Miebach
Reger
Entscheidungen der Gerichte und Verwaltungsbehörden aus dem Gebiete des Verwaltungs- und Polizeistrafrechts, hrsg. von A. Reger
UHaftEntschG
Gesetz, betreffend die Entschädigung fiir unschuldig erlittene Untersuchungshaft, RGBI. 1904,321 - 324
Erster Teil Einführung in die Problematik
1. Kapitel Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen Anwendungsbereich, gesetzliche Grundlagen, Hintergrund Wo immer Menschen entscheiden oder urteilen, geschieht dies auf die Gefahr, daß Fehl-Entscheidungen und Fehl-Urteile unterlaufen können. Deshalb nimmt eine Gesellschaft, die ihr gedeihliches Zusammenleben durch den Einsatz des Strafrechts sichert, von vornherein in Kauf, daß Maßnahmen der Strafverfolgung gelegentlich auch denjenigen treffen, der zu Unrecht im Verdacht steht, Strafe verwirkt zu haben. Welche Verantwortung hieraus erwächst, wird nach den Erfahrungen der Geschichtel erst dort gesehen, wo die Entwicklung des Rechts- und Wertedenkens bereits einen gewissen, fortschrittlicheren Stand erreicht hat. Kaum jemals greift die im Staat organisierte Gesellschaft einschneidender in den Lebensablauf ihrer einzelnen Mitglieder ein, als wenn sie Strafe verhängt; daß aber unberechtigte Strafverfolgung nach einer Wiedergutmachung verlange, hat erst die Aufklärung zu einem zwingenden Gebot der Gerechtigkeit erkläre. Von da an brauchte es nochmals einige Zeit, bis auch 1 Zum geschichtlichen Prozeß, wie die Forderung nach Strafverfolgungsentschädigung sich entwickelt hat, vgl. eingehender: Brandis, S. 113; Fischli, ZSR 79 (1960) II, 263a, 274a - 277a; Linckelmann, S. 4 - 9; Pieper, S. 7 f.; Schätzler, Einl. Rn. 1 - 13. 2 In Frankreich trat Voltaire (1694 - 1778) ffir den Entschädigungsgedanken ein. Im Fall Calas erwirkte er, daß der König die Hinterbliebenen des unschuldig Hingerichteten entschädigte. Siehe Hertz, S. 216 - 218 (Fall Calas), S. 320 (Fall Sirvens).
In England verfocht Bentham (1748 - 1832) den Entschädigungsgedanken. Berühmt wurde sein Ausspruch, es sei ein Umsturz der sozialen Ordnung, dem Opfer eines Justizirrtums angemessene Entschädigung zu versagen: "Principles of penallaw" (1811), Teil I, Kap. XVIII; Bd. I, S. 388, der von Bowring bearb. Ausgabe von Benthams gesammelten Werken. Siehe auch "An introduction to the principles of morals and legislation" (1789), Kap. XV, Nr. 25, S. 184.
44
1. Teil: Einführung in die Problematik
die Gesetzgebung den Gedanken der Strafverfolgungsentschädigung aufgriff. Was die deutschen Staaten betrifft3 , geschah dies 1864 in Baden4 , 1868 in Württembergs. Eine einheitliche, für das gesamte Deutsche Reich maßgebliche Regelung gelang schließlich in den Jahren 18986 und 1904'. Heute ist in Deutschland das 1971 erlassene Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen (StrEG)8 einschlägig.
In Preußen ordnete Friedrich der Große 1776 an, daß Personen, die in strafrechtliche Untersuchung geraten seien, bei nachgewiesener Unschuld "wegen allen erlittenen Ungemachs schadlos gestellt werden" müßten: Art. 7 der Neuen Verordnung um die Processe zu verkürzen vom 15. Januar 1776, Novum Corpus Constitutionum Prussico-Brandenburgensium praecipue Marchicarum, Bd. VI, Berlin 1781, Sp. 17, 19 f. 1781 veranstaltete die Akademie der Künste und Wissenschaften in Chälons-surMarne ein Preisausschreiben, wie dem unschuldig Verurteilten die Entschädigung, welche ihm "nach natürlichem Rechte gebühre", am besten bewirkt werden könne. Die preisgekrönten Schriften empfahlen Geldentschädigung, Steuerbefreiung, Anstellung im Staatsdienst, Lehrgeld für die Söhne, pachtweise Überlassung staatlicher Domänen; Brandis, S. 2 f.; Pieper, S. 8. 1786 bestimmte das Kriminalgesetzbuch der Toskana, daß für Strafhaft, Untersuchungshaft und andere Strafverfolgungsmaßnahmen Entschädigung zu gewähren sei; Brandis, S. 3; Linckelmann, S. 6; Pieper, S. 8. 3 Welche praktische Bedeutung die preußische Verordnung von 1776 erlangte, ist ungewiß; Linckelmann, S. 5. 4
Schätz1er, Eint. Rn. 4.
5 Art.
484 Abs. 2 der Strafprozeßordnung von 1868; Regbl. für das Königreich Württemberg 1868, No. 18, 140b. 6 Gesetz, betreffend die Entschädigung der im Wiederaufnahmeverfahren freigesprochenen Personen, RGBl. 1898,345 f.
7 Gesetz, betreffend die Entschädigung für unschuldig erlittene Untersuchungshaft, RGBl. 1904,321 - 324.
8BGBl. I 1971, 157 - 160. Zuletzt geändert durch das Erste Gesetz zur Bereinigung von SED-Unrecht (1. SED-UnBerG) vom 29. Oktober 1992; BGBl. I S. 1814.
1. Kap.: Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen
45
A. Das Gesetz über die Entschädigung fiir Strafverfolgungsmaßnahmen (StrEG)
Die grundlegenden Bestimmungen über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen sind in § I StrEG sowie in § 2 Abs. I StrEG enthalten. Dort werden die Voraussetzungen für eine Entschädigung wie folgt festgelegt:
§1 Entschädigung für Urteilsfolgen (1) Wer durch eine strafgerichtliche Verurteilung einen Schaden erlitten hat, wird aus der Staatskasse entschädigt, soweit die Verurteilung im Wiederaufnahmeverfahren oder sonst, nachdem sie rechtskräftig geworden ist, in einem Strafverfahren fortfällt oder gemildert wird.
(2) Absatz 1 gilt entsprechend, wenn ohne Verurteilung eine Maßregel der Besserung und Sicherung oder eine Nebenfolge angeordnet worden ist.
§2 Entschädigung für andere Strafverfolgungsmaßnahmen (1) Wer durch den Vollzug der Untersuchungshaft oder einer anderen Strafverfolgungsmaßnahme einen Schaden erlitten hat, wird aus der Staatskasse entschädigt, soweit er freigesprochen oder das Verfahren gegen ihn eingestellt wird oder soweit das Gericht die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen ihn ablehnt. (2) .....
Was als andere Strafverfolgungsmaßnahme i.S.v. § 2 Abs. I StrEG zu verstehen ist, führt § 2 Abs. 2 StrEG abschließend auf. So nennt § 2 Abs. 2 Nr. 2 StrEG die vorläufige Festnahme nach § 127 Abs. 2 StPO; die Beschlagnahme wird in § 2 Abs. 2 Nr. 4 StrEG erfaßt, die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis in § 2 Abs. 2 Nr. 5 StrEG. Bedeutsam ist die in den §§ I, 2 StrEG angelegte Unterscheidung, daß eine Entschädigung einerseits für Urteilsfolgen, desweiteren aber auch für vorläu9D. Meyer, Vorbem. vor §§ 1- 6, Rn. 3; Schätzler, § 2 Rn. 3.
46
1. Teil: Einführung in die Problematik
fige Strafverfolgungsmaßnahmen 1o gewährt wird. Diese Einteilung ist aus der früheren reichsgesetzlichen Regelung übernommen. Dort war die Grenze sogar noch viel deutlicher gezogen, weil die beiden Bereiche in getrennten Gesetzen behandelt wurden.
B. Die Vorläufer der geltenden RegelungHaftentschädigungsgesetz von 1898 und Untersuchungshaft-Entschädigungsgesetz von 1904
Das "Gesetz, betreffend die Entschädigung der im Wiederaufnahmeverfahren freigesprochenen Personen" vom 20. Mai 1898 11 - im folgenden kurz Haftentschädigungsgesetz (HaftEntschG) genannt - beschränkte sich auf jene Fälle, in denen der Schaden aus einer strafgerichtlichen Verurteilung erwachsen war. Das ist heute der Gegenstand des § 1 StrEG. § 2 StrEG, der über den engen Rahmen der Urteilsfolgen hinausgeht, knüpft dagegen an das andere, jüngere der beiden Reichsgesetze an: das "Gesetz, betreffend die Entschädigung fiir unschuldig erlittene Untersuchungshaft" vom 14. Juli 190412 • Abkürzend soll es im folgenden als Untersuchungshaft-Entschädigungsgesetz (UHaftEntschG) bezeichnet werden. Als der Gesetzgeber 1971 das Haftentschädigungsgesetz und das Untersuchungshaft-Entschädigungsgesetz ablöste, erschöpfte diese Reform sich freilich nicht darin, beide Gesetze zu einem einheitlichen Ganzen zusammenzufügen. Das Strafentschädigungsgesetz hat wesentliche inhaltliche Fortschritte gebracht, die sich am leichtesten erschließen, wenn man die neue mit der alten Rechtslage vergleicht. So hat der Gesetzgeber mit dem StrEG den Katalog der entschädigungspjlichtigen Maßnahmen erheblich erweitert. Im HaftEntschG war nur eine Entschädigung fiir Strafen sowie fiir Maßregeln der Besserung und Sicherung vorgesehen. Nach dem StrEG kann der Beschuldigte hingegen fiir alle Folgen einer strafrechtlichen Verurteilung Entschädigung verlangen l3 • Der Entschädigungsanspruch hängt zudem nicht mehr davon ab, ob die Strafe bereits vollstreckt worden ist oder niche 4 • Damit hat der Gesetzgeber dem Umstand IOD. Meyer, Vorbem. vor §§ 1 - 6, Rn. 3; SchätzleT, § 2 Rn. 1. 11
RGBl. 1898, 345 f.
12 RGBl.
1904, 321 - 324.
13
Amtliche Begründung zum Entwurf des StrEG, BT-Drs. 6/460, S. 5, 6.
14
Amtliche Begründung zum Entwurf des StrEG, BT-Drs. 6/460, S. 5, 6 f.;
1. Kap.: Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen
47
Rechnung getragen, daß nicht nur die Vollstreckung der Strafe, sondern auch die Verurteilung als solche schon zu einem Schaden bei dem Betroffenen führen kann, z.B. zu einem Verlust des Arbeitsplatzes ls . Eine weitere Neuerung des StrEG besteht darin, daß die Entschädigungspflicht im Bereich der vorläufigen Strafverfolgungsmaßnahmen ausgedehnt worden ist. Das UHaftEntschG gewährte nur für unschuldig erlittene Untersuchungshaft und für die einstweilige Unterbringung eine Entschädigung. Dagegen erhält der Beschuldigte nach dem StrEG für alle diejenigen Maßnahmen einen Ausgleich, die ihn besonders belasten können. Der Beschuldigte kann grundsätzlich seinen Vermögensschaden ersetzt verlangen, und zwar in vollem Umfang l6 • Die Höchstgrenzen für die Entschädigungssummen, die noch in den Gesetzen von 1898 und 1904 verankert waren17 , hat der Gesetzgeber nicht übernommen. Jemand, dem aufgrund gerichtlicher Entscheidung die Freiheit entzogen wurde, kann nach jetzigem Recht neben dem Vermögensschaden auch den immateriellen Schaden geltend machen, § 7 Abs. 1 StrEG. Dieser ist jedoch gemäß § 7 Abs. 3 StrEG auf einen Höchstbetrag für jeden angefangenen Tag der Freiheitsentziehung beschränkt. In der ursprünglichen Fassung "es Gesetzes lag die Grenze bei 10 DM; 1988 wurde sie auf 20 DM erhöht l8 • Gestärkt worden ist die Stellung des Beschuldigten auch für die Fälle, in denen die Staatsanwaltschaft das Verfahren einstellt. Nach altem Recht konnte lediglich aufgrund allgemeiner, in den Ländern und im Bund gleichlautender Verwaltungsvorschriften 19 eine Billigkeitsentschädigung gewährt werden. Heute ist die Möglichkeit der Entschädigung gesetzlich verankert. Ergibt sich die Einstellung aus einer gebundenen Entscheidung, wird dieser Fall durch § 2 Abs. 1 StrEG unmittelbar erfaßt; lag eine Ermessensvorschrift zugrunde, sieht
Schätz1er, § 1 Rn. 18. 15
Schätzler, § 1 Rn. 18.
16
Schätz1er, Einl. Rn. 20.
Eine Beschränkung des Entschädigungsanspruchs auf 75.000 RM Kapital oder 4.500 RM Jahresrente wurde eingeführt durch Art. 5 des Gesetzes vom 24. November 1933; RGBl. I 1933, 1000, 1005. 17
18 Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen vom 24. Mai 1988; BGBl. I 1988, 638.
191m Deutschen Reich galt zuletzt die AV vom 12. Juli 1935; DJ 1935, 1021 f. Sie wurde im wesentlichen wörtlich in die AV vom 15. Dezember 1956 übernommen, die unter IX (1) die Billigkeitsentschädigung gewährte; BAnz. 1956 Nr. 247,2,3 f. Die AV galt einheitlich in den Ländern und im Bund.
48
1. Teil: Einfiihrung in die Problematik
§ 3 StrEG eine Entschädigung vor, soweit dies nach den Umständen des Falles der Billigkeit entspricht. Dreh- und Angelpunkt der Reform ist jedoch die Beseitigung der sogenannten Unschuldsklausel gewesen. Nach den Entschädigungsgesetzen von 1898 und 1904 konnte der Betroffene nur dann eine Entschädigung verlangen, wenn das Verfahren seine Unschuld ergeben oder dargetan hatte, daß gegen ihn ein begründeter Verdacht nicht vorlag. Waren diese, in § 1 Abs. 1 UHaftEntschG bzw. in § 1 Abs. I HaftEntschG enthaltenen Voraussetzungen nicht erfüllt, wurde die Entschädigung versagt. Deshalb wirkte ein Freispruch, der aus Mangel an Beweisen erging, für den Betroffenen in der Öffentlichkeit diskriminierend20 ; denn sofern keine Entschädigung gewährt wurde, gab dieser Umstand jedem Außenstehenden zu erkennen, daß der Verdacht gegen den Betroffenen nicht völlig hatte ausgeräumt werden können. Auf diese Weise kam es zu den "Freisprüchen zweiter Klasse"; daß sie im Gesetz so vorgesehen waren, stieß immer wieder auf eine zum Teil heftige Kritik21 •
Im StrEG sind die Begriffe "unschuldig" und "Unschuld" entfallen. Der Beschuldigte kann schon dann eine Entschädigung verlangen, wenn die verhängte Strafverfolgungsmaßnahme wieder aufgehoben oder gemildert worden ist. Darauf, ob das Verfahren die Unschuld des Beschuldigten ergeben hat oder 20
Linckelmann, S. 85; E. Müller, S. 15 f.
Auch der Gesetzgeber von 1898 hat die diskriminierende Wirkung schon gesehen. Der Beschluß über die Entschädigung sollte daher nicht gleichzeitig mit dem freisprechenden Urteil verkündet werden; Begründung des Gesetzentwurfs betr. die Entschädigung freigesprochener Personen, Reichstag, Steno Ber., 9. Leg.-Per., V. Session (1897/98), 1. Anlagenband, Aktenstück Nr. 22, S. 325. Nach Hoefermann, S. I, wirkt schon ein "Freispruch mangels Beweises" als solcher diskriminierend. 21 Schon bevor die Entschädigungsgesetze von 1898 und 1904 erlassen worden sind, wurde gefordert, die Entschädigung unabhängig von einem verbleibenden Tatverdacht zu gewähren, z.B. von Heinze, Zeitschrift für Rechtspflege und Verwaltung in Sachsen 27 (1866), 193,216; Jastrow, DJZ 1897,477,477 f. Entsprechend auch die Entschließung des 13. Deutschen Juristentages, 13. DIT (1876), Bd. 11, S. 293, 296 f.
Als über das HaftEntschG beraten wurde, hat sich vor allem der Abg. Munckel gegen die Unschuldsklausel ausgesprochen, Reichstag, Steno Ber., 9. Leg.-Per., V. Session (1897/98), 1. Bd., 3. Sitzg., S. 3134. Nachdem die alten Entschädigungsgesetze erlassen worden waren, forderten die Abschaffung der Unschuldsklausel: Linckelmann, S. 86; v. Pestalozza, 36. DIT (1931), Bd. I, S. 1182, 1205; Rosenfeld, 36. DIT (1931), Bd. I, S. 1141, 1180; G. Schmidt, in: JeschecklKrümpelmann, S. 46, 73; Tiedemann, MDR 1964, 971, 974. Pieper, S. 26, wollte die Unschuldsklausel zwar nicht im UHaftEntschG, wohl aber im HaftEntschG beseitigt wissen.
1. Kap.: Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen
49
nicht, kommt es nicht mehr an; ein verbleibender Tatverdacht schließt die Entschädigung nicht aus22 • Dadurch führt das geltende Recht zu dem Ergebnis, daß im Strafverfahren der Staat das Risiko des non liquet zu tragen hat2 3 •
C. Funktion der Strafverfolgungsents,-.,ädigung im gegenwärtigen Recht
Im Rückblick auf die Gesetze von 1898 und 1904 hat sich gezeigt, wie erheblich die Entschädigungspflicht durch das StrEG erweitert wurde. Einerseits ist der Kreis der entschädigungspflichtigen Maßnahmen vergrößert; darüber hinaus wird die Entschädigung auch unter erleichterten Voraussetzungen gewährt. Gleichwohl sollte man es nicht bei diesen eher quantitativen Vergleichen belassen. Diese allein spiegeln nämlich den grundlegenden Wandel, der seit den Reichsgesetzen von 1898 und 1904 eingetreten ist, nur unvollkommen wieder. Die Situation hat sich für den Beschuldigten auch qualitativ verändert. Wie gesehen, konnte der Betroffene nach den Gesetzen von 1898 und 1904 keine Entschädigung verlangen, wenn er lediglich mangels Beweises freigesprochen wurde. Die Unzulänglichkeiten der damaligen Regelung erschöpften sich aber nicht darin, daß es einen solchen "Freispruch zweiter Klasse" überhaupt gab. Sondern die Situation des Betroffenen wurde erst dadurch wirklich unbefriedigend, daß er den "Freispruch zweiter Klasse" nicht beseitigen konnte. Der aus Mangel an Beweisen Freigesprochene hatte nämlich keinen Anspruch darauf, daß sein Verfahren mit dem Ziel, seine Unschuld zu beweisen, fortgeführt werde. Damit war zugleich jeder Weg abgeschnitten, doch noch eine Entschädigung erlangen zu können24 • Was dem Betroffenen damit zugemutet wurde, läßt sich erst ermessen, wenn man bedenkt, daß es nicht Sache des Angeklagten ist, seine Unschuld zu beweisen2s • Auf der Grundlage von Art. 6 Abs. 2 EMRK. ist dies ohne weiteres klar: Dem Beschuldigten muß 22Begriindung der Bundesregierung zum Entwurf des StrEG, BI-Drs. 6/460, S. 5; Grunau, DRiZ 1972, 56, 57; Kühl, NJW 1980, 806, 807 f.; K. Peters, Der neue Strafprozeß, § 24 III, S. 206; Seebode, NStZ 1982, 144, 145. Kritisch zur Beseitigung der Unschuldsklausel dagegen Händel, VOR 1973, 243. 23
Seebode, NStZ 1982, 144, 145; skeptisch dazu: Schätzler, Einl. Rn. 19.
Jastrow, DJZ 1897, 477, 478, sah darin das "kränkendste Unrecht, das ein Gesetzgeber begehen kann: ein Recht gewähren ohne die Mittel, es durchzuftihren". 24
25 So ausdrücklich die Begriindung der Bundesregierung zum Entwurf des StrEG, BI-Drs. 6/460, S. 5.
4 Friehe
50
1. Teil: Einführung in die Problematik
seine Schuld bewiesen werden; gelingt dies nicht, geht der Prozeß zu seinen Gunsten aus, und der Betroffene gilt nach wie vor als unschuldig.
Art. 6 Abs. 2 EMRK ist nur ein Beispiel dafür, wie tiefgreifend der Strafprozeß sich seit den Zeiten von 1898 oder 1904 geändert hat. Vor allem das 1949 erlassene Grundgesetz markiert insoweit eine entscheidende Wende. Denn nunmehr ist die gesamte Staatsgewalt, sind auch Exekutive und Judikative, unmittelbar an die Grundrechte gebunden. Die 1952 geschaffene Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) liefert dazU eigentlich nur die Entsprechung auf der Ebene des supranationalen Rechts. 1964 hat das Gesetz zur Änderung der Strafprozeßordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes26 die Stellung des Beschuldigten nochmals gestärkt27 • Dieser ist fortan nicht länger Objekt strafprozessualer Untersuchungshandlungen, sondern tritt den Organen der Strafverfolgung mit eigenen Rechten gegenüber, die angemessen zu berücksichtigen sind. Angesichts dieser Entwicklung erscheint es nicht mehr hinnehmbar, wenn der Staat das Risiko strafprozessualer Zwangsmaßnahmen, die er im eigenen Interesse vorgenommen hat, auf den Bürger abwälzt und damit seine Strafverfolgungsinteressen einseitig in den Vordergrund stellt. Die Strafverfolgungsentschädigung spielt damit eine wichtige Rolle, um die Grundrechte und die strafprozessualen Schutzrechte im Strafverfahren zu verwirklichen. Durch die weite Entschädigungspflicht des StrEG kann sogar ein ähnlicher Effekt erreicht werden wie durch die Junktimklausel des Art. 14 Abs.3 Satz 2 00, die im Fall einer Enteignung zwingend eine Entschädigung vorschreibt: Die Aussicht, unter Umständen eine Entschädigung leisten zu müssen, wird den Staat davon abhalten, ohne wirkliche Notwendigkeit in die Rechte seiner Bürger einzugreifen28 • Vor diesem Hintergrund muß sich sogar die Frage stellen, ob nicht ein Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung genauso schwer wiegt wie ein Verzicht auf die betroffenen Rechte selbst. Da der Bürger zumindest auf seine Grundrechte nicht ohne weiteres verzichten kann, muß mit der Möglichkeit gerechnet werden, daß auch sein Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung nicht unbeschränkt zulässig ist.
26
BGBl. I 1964, 1067 - 1082.
27
Begründung der Bundesregierung zum Entwurf des StrEG, BT-Drs. 6/460, S. 5.
Auf diese Folge der weiten Entschädigungspflicht weist R. Krüger, Kriminalistik 1971,453,454, hin, der einer zurückhaltenderen Ermittlungstätigkeitjedoch skeptisch gegenübersteht. 28
2. Kap.: Das Phänomen des Verzichts
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2. Kapitel Das Phänomen des Verzichts auf Strafverfolgungsentschädigung Daß es überhaupt Fälle gibt, in denen jemand darauf verzichtet, Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen in Anspruch zu nehmen, erscheint nach den soeben gemachten Ausführungen erstaunlich genug. Wenn man es nämlich, in der philosophischen Tradition der Aufklärung, für ein zwingendes Gebot der Gerechtigkeit hält, daß der zu Unrecht Verfolgte entschädigt werde, muß es doch einigermaßen befremden, wenn manche der Begünstigten verweigern, was der Rechtsstaat ihnen zur Wiedergutmachung gewährt. Auch die Betrachtungen darüber, daß der Beschuldigte durch das Grundgesetz eine gesicherte Subjektstellung innerhalb des Strafprozesses erlangt habe, mögen dann zwar theoretisch richtig sein; doch will es so scheinen, als nehme der Betroffene die ihm zukommenden Rechte nur unvollkommen wahr.
A. Belege aus Praxis und Wissenschaft, die auf den Verzicht aufmerksam machen Es ist jedoch zweifelsfrei nachzuweisen, daß der Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung in der Praxis vorkommt. Die Existenz dieses Phänomens ergibt sich zum einen aus gerichtlichen Entscheidungen, die sich mit entsprechenden Verzichtserklärungen beschäftigen29 • Zum anderen finden sich wenngleich erst ansatzweise - auch in der Literatur Stellungnahmen darüber, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Verzicht wirksam erklärt werden kann oder nicheo. Ein derartiges wissenschaftliches Interesse läßt darauf 29BGH, MDR 1990, 168; KG, VRS 72 (1987), 380 - 382; OLG Düsseldorf, MDR 1989,92 f; OLG Frankfurt, Rpfleger 1973, 143 f.; OLG Karlsruhe, Justiz(BW) 1976, 367 f; dass., Justiz(BW) 1981,451 f; OLG Frankfurt, Rpfleger 1973, 143 f.; OLG Hamburg, NStZ 1993, 204; OLG Köln, Rpfleger 1976, 218; OLG München, NJW 1973, 722 f.; OLG Saarbrücken, wistra 1996, 70, 71. OLG Stuttgart, MDR 1992, 897 f, erwähnt den Verzicht sogar als Teil einer Vereinbarung. Einen Fall, daß der Angeklagte die Kosten des Verfahrens übernahm, behandelt LG Bamberg, KostRsp. § 467 (A) StPO, Nr. 73. 30FriedrichIRostek, S. 537; Gallandi, StV 1987, 87, 88; Göhler, § 110 Rn. 30; Haas, MDR 1994, 9, 10; Händel, VOR 1973,243,256 f.; ders., Blutalkohol 1975, 238, 239; 4"
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1. Teil: Einführung in die Problematik
schließen, daß in der Praxis ein Bedürfuis besteht, diese Frage zu klären. Übrigens findet sich schon in den Kommentierungen, die Burlage zu den Entschädigungsgesetzen von 1898 und 1904 gegeben hat, der Hinweis, daß auf die Entschädigung verzichtet werden könne 31 • Dies darf als deutliches Indiz dafür genommen werden, daß der Verzicht nicht erst eine Erscheinung der Gegenwart ist. Durch die Untersuchung über "Infonnelle Verständigung im Strafverfahren" die B. Schünemann, W. Bandilla, M. Gerstner, R. Hassemer und R. Schreieck 1987 an der Universität Mannheim durchgeführt haben32 , wurde der Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung erstmals zum Gegenstand rechtstatsächlicher Forschung gemacht. Freilich war der Verzicht nur eine von mehreren Verständigungs-Möglichkeiten, denen dieses Projekt nachgegangen ist, weshalb es insoweit nur wenige grundsätzliche Erkenntnisse liefern konnte. Doch ist auf jeden Fall der Nachweis, daß Erklärungen über einen Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung in der Praxis abgegeben werden, endgültig erbracht. Des weiteren wurden auch wichtige Erkenntnisse darüber möglich, welche Bedeutung dem Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung im Rahmen der Absprachen-Problematik zukommt. Bei der Untersuchung wurden Richter, Staatsanwälte und Verteidiger gefragt, welche Zugeständnisse ihrer Ansicht nach die Verteidigung mache, um eine Einstellung nach § l53a StPO oder um ein mildes Urteil zu erreichen. In den Fragebögen waren mehrere Angebote genannt. Neben der Wiedergutmachung des Schadens, dem vollen Geständnis, dem Verzicht auf Beweisanträge wurden unter anderem auch der Verzicht auf Entschädigung nach dem StrEG sowie der Verzicht auf Auslagenersatz angesprochen. Mithilfe einer Hentsche1, Rn. 398, S. 208 f.; Hemnann, in: RebmannJRothIHemnann, § 110 Rn. 16; Kleinknecht-Meyer-Meyer=Goßner, § 8 StrEG, Rn. 3; D. Meyer, Vorbem. vor §§ 1 - 6, Rn. 13 - 23; ders., JurBüro 1987, 1601, 1608; ders., JurBüro 1990, 423 ff.; ders., JurBüro 1990, 797, 800; ders., JurBüro 1991, 1591, 1597; Paeffgen, in: SKStPO, Vor § 112, Rn. 31; K. Peters, Fehlerquellen, Bd. III, § 32 H 5, S. 187; RotbergKleineweferslBoujongIWilts, § 110 Rn. 12; Roxin, § 58 Rn. 5, S. 440; Rückei, NStZ 1987,297, 303; Rüping, S. 192; Schätz1er, § 8 Rn. 11; SchlothauerlWeider, Rn. 500, S. 399; Schlüchter, in: SK-StPO, Vor § 213, Rn. 28 f.; Schmehl, in: KK-OWiG, § 110 Rn. 38; Schünemann, 58. DIT (1990), Bd. I, B 15; Seebode, NStZ 1982, 142 - 148. Zum parallelen Phänomen des Verzichts auf Auslagenerstattung äußern sich D. Meyer, Teil H, Rn. 29; Reinisch, MDR 1966, 105. Ferner gibt es Fälle, in denen der Beschuldigte sich bereit erklärt, die Auslagen des Nebenklägers zu übernehmen. Siehe Herde, DAR 1984, 305, 306 ff.; Kunz, Einstellung wegen Geringfügigkeit, S. 101 f.; Wangemann, S. 92. 31 Burlage, § 6 UHaftEntschG, Anm. 13, S. 101 f. 32 Im
folgenden als "Mannheimer Untersuchung" zitiert.
2. Kap.: Das Phänomen des Verzichts
53
Wertungsskala, die von "I" bis "4" reichte, sollten die Befragten einschätzen, wie oft die Verteidigung die einzelnen Zugeständnisse einräume. Dabei war die Skala mit folgenden Graden versehen: "I" sollte "nie", "2" sollte "selten", "3" sollte "gelegentlich" und "4" sollte "häufig" bedeuten. Die Befragten schätzten, daß die Verteidigung "selten" bis "gelegentlich" das Angebot mache, auf Strafverfolgungsentschädigung zu verzichten. Für eine Einstellung nach § l53a StPO wurde insoweit der Wert von 2,5 erreicht; bezogen auf Urteile kam ein Wert von immerhin noch 2,1 zustande. Ähnliche Werte ergaben sich für das parallele Phänomen eines Verzichts auf Auslagenersatz: Hier wurde bei der EÜlstellung nach § l53a StPO ein Wert von 2,4 erreicht, während man für das Urteil wiederum auf 2,1 kam!!. Mit der Einschätzung, auf Strafverfolgungsentschädigung und Auslagenersatz werde "selten" bis "gelegentlich" verzichtet, kamen diese beiden Formen der Absprache, was die Häufigkeit betrifft, auf die hinteren Ränge. Doch sollte man nicht aus dem Auge verlieren, daß der höchste Wert, der in der Mannheimer Untersuchung überhaupt erzielt wurde, nämlich der für das dem Urteil vorangehende volle Geständnis, bei 3,6 lag!4. Als Mittel, eine Einstellung nach § .153a StPO zu erreichen, wurden die Schadenswiedergutmachung sowie das freiwillige Anbieten einer Geldleistung mit Werten von jeweils 3,5 an erster Stelle genanntls. Ist demnach die Bandbreite der erreichten Häufigkeiten insgesamt gering, relativieren sich die Plazierungen. Um die Mannheimer Ergebnisse richtig interpretieren zu können, muß man außerdem berücksichtigen, daß die gesamte Studie sich allein auf solche Fälle bezog, in denen der Beschuldigte eine Einstellung nach § l53a StPO oder ein ihm günstiges Urteil erstrebte. Was nun den Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung angeht, so gibt es durchaus noch andere Stationen des Strafverfahrens, an denen eine entsprechende Erklärung in Betracht kommt. Im weiteren Verlauf dieser Arbeitl 6 wird sich das noch zeigen.
33
Mannheimer Untersuchung, S. 34 f., insbesondere Tabellen 26, 27.
34
Mannheimer Untersuchung, S. 35, Tabelle 27.
35
Mannheimer Untersuchung, S. 35, Tabelle 26.
36
Unten Kap. 18/ C, S. 286,285 (Tabelle 5), 286.
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1. Teil: Einfiihrung in die Problematik
B. Bisherige wissenschaftliche Auseinandersetzung um den Verzicht auf StraJverJolgungsentschädigung Wie oben eIWähnt, lassen sich die ersten sicheren Anhaltspunkte dafür, daß Erklärungen über einen Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung vorkommen, aus gerichtlichen Entscheidungen sowie aus gelegentlichen EIWähnungen durch das Schrifttum gewinnen. Daß solche Fundstellen nicht sehr häufig sind, wurde ebenfalls bereits klargestellt. Insgesamt führt kein Weg an der Feststellung vorbei, daß der Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung bisher nur wenig beachtet wurde. Die Entscheidungen der Gerichte, jedenfalls soweit sie veröffentlicht vorliegen, sind zu einer nebensächlichen prozessualen Facette der Gesamtproblematik ergangen: nämlich zu der Frage, ob nach erfolgtem Verzicht von einer Grundentscheidung abgesehen werden kann oder nicht37 • Dagegen ist der wichtigste Punkt, ob nämlich der Beschuldigte wirksam auf die Entschädigung verzichten kann, noch weitgehend ungeklärt.
I. Behandlung des gewöhnlichen, von Absprachen unbeeinflußten Verzichts Ein Mangel an wissenschaftlicher Untersuchung ist zunächst schon für den "einfachen" Verzicht festzustellen, d.h., für jene Verzichtserklärungen, die unabhängig von einem künftigen Verfahrensergebnis abgegeben werden. Soweit Rechtsprechung und Literatur sich mit ihm beschäftigt haben, geschah dies nur im Hinblick auf den Entschädigungsanspruch des Unterhaltsberechtigten. Gemäß § 11 StrEG haben nämlich außer demjenigen, zu dessen
37 Daß nach einem Verzicht von einer Grundentscheidung abgesehen werden kann, meinen OLG Stuttgart, MDR 1992, 897 f.; Hentschel, Rn. 398, S. 208 f.; Herrmann, in: RebmannJRothlHerrmann, § 110 Rn. 16; Schätzler, § 8 Rn. 7; Schmehl, in: KK.OWiG, § 110 Rn. 38.
Früher war auch Kleinknecht, 35. Aufl., § 8 StrEG, Rn. 5, dieser Ansicht; anders heute wohl Kleinknecht-Meyer-Meyer=Goßner, § 8 StrEG, Rn. 3. Auch Händel, VOR 1973,243,257, hat seine Meinung später geändert; Blutalkohol1975, 238, 239. Daß trotz des Verzichts eine Grundentscheidung getroffen werden muß, vertreten: BGH, MDR 1990, 168; KG, VRS 72 (1987), 380, 382; OLG München, NJW 1973, 721; OLG Karlsruhe, Justiz(BW) 1976, 367. Früher wurde die Ansicht, daß trotz des Verzichts eine Grundentscheidung ergehen muß, von Brandis, S. 104, vertreten.
2. Kap.: Das Phänomen des Verzichts
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Gunsten die Entschädigungspflicht der Staatskasse ausgesprochen worden ist, auch diejenigen Personen Anspruch auf Entschädigung, denen er kraft Gesetzes zum Unterhalt verpflichtet war; Ersatz ist hier insoweit zu leisten, als ihnen durch die Strafverfolgung der Unterhalt entzogen wurde. Verzichtet nun der Beschuldigte eines Strafverfahrens auf eine mögliche Strafverfolgungsentschädigung, entsteht die Frage, ob er damit nicht zugleich dem Unterhaltsberechtigten den Anspruch auf Ersatzleistung nach § 11 StrEG entziehe. Dieses Problem wird in der Literatur gesehen, und nur im Hinblick hieraufist untersucht worden, ob der Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung wirksam sei38 . Andere Gründe, die einem Verzicht entgegenstehen könnten, blieben dagegen völlig unerörtert. Insbesondere findet man keine Auseinandersetzung über die Frage, inwieweit schon die Rechtsnatur der im StrEG gewährten Ansprüche die Wirksamkeit einer Verzichtserklärung beeinflussen kann.
11. Behandlung des abgesprochenen Verzichts Es liegt auf der Hand, daß die Problematik um den Verzicht sich weiter verkompliziert, sobald der Beschuldigte ihn als Zugeständnis einsetzt, um mit den Organen der Strafverfolgung eine Verständigung über den Ausgang seines Verfahrens zu erreichen. Mit dieser Sonderform, dem "ausgehandelten", "abgesprochenen" Verzicht, haben Seebode und Haas sich beschäftigt39 und dabei sowohl zur Wirksamkeit des Verzichts als auch zur Rechtsnatur der betreffenden Verzichtserklärung Stellung bezogen. Ihre Ausführungen behandeln die auftretenden Probleme aber nicht erschöpfend; sie betreffen auch nur den Verzicht auf Haftentschädigung. Auffällig, um nicht zu sagen erstaunlich ist, daß die allgemeine Diskussion um den "Handel mit der Gerechtigkeit"40 den ausgehandelten Verzicht noch 31 Händel, 39
Blutalkohol 1975, 238, 239.
Seebode, NStZ 1982, 144 tI.; Haas, MDR 1994, 9 tI.
Den abgesprochenen Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung erwähnen ferner Roxin, § 58 Rn. 5, S. 440, Rückei, NStZ 1987,297,303, und Schlüchter, in: SK-StPO, Vor § 213, Rn. 29. Auch in der 3. Aufl. des Kommentars von D. Meyer, Vorbem. vor §§ 1 - 6 Rn. 20, 22, tritt gegenüber der 2. Aufl., Vorbem. vor §§ 1 - 6 Rn. 20, 22, stärker hervor, daß der Verzicht nicht selten Teil einer Verständigung ist. Den abgesprochenen Verzicht auf Auslagenerstattung behandelt Herde, DAR 1984, 305 f.
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1. Teil: Einführung in die Problematik
nicht als Problem entdeckt hat. Ein Grund dafür mag darin liegen, daß andere Zugeständnisse in der Praxis häufiger vorkommen. Doch darf man außerdem vermuten, daß die meisten Autoren das Phänomen der strafprozessualen Absprachen von einem zu engen Ansatz aus betrachten: Sie sehen deren Ursache allein in der immer größer werdenden Verfahrensflut und haben sich dementsprechend auf solche Zugeständnisse konzentriert, die einen beschleunigten Abschluß des Strafverfahrens ermöglichen. Dabei mußte der Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung geradezu zwangsläufig aus dem Blick geraten. Denn wie noch darzulegen ist41 , vermag der Umstand, daß der Beschuldigte auf die Strafverfolgungsentschädigung verzichtet, allein das Strafverfahren nicht zu beschleunigen. Gleichwohl ist der Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung ein Thema, das mitten in die Auseinandersetzung um Absprachen im Strafprozeß gehört. "Handel mit der Gerechtigkeit" wird hier zum "Handel mit dem Verzicht". Wie sich zeigen wird42 , ergeben sich in der Praxis des Verzichts sogar erstaunliche Parallelen zu den Verfahrenseinstellungen gegen Geldbuße oder Geldauflage. Eben diese Einstellungen, die sich früher auf der Grundlage von § 153 Abs. 3 a.F. StPO herausgebildet haben und die heute im Rahmen des § 153a Abs. I Nr. 2 StPO praktiziert werden, haben aber die Diskussion um den "Handel mit der Gerechtigkeit" überhaupt erst ausgelöst. Aus der allgemeinen Diskussion um Absprachen im Strafprozeß ist zur Kenntnis zu nehmen, daß eine Untersuchung über deren Zulässigkeit und Wirksamkeit nicht von vornherein auf ein glattes Ja oder Nein angelegt werden darf. Auch für den Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung könnte es einen Unterschied machen, mit wem, zu welchem Zeitpunkt und unter welchen näheren Umständen er abgesprochen wird. So ist etwa denkbar, daß ein Verzicht, der im Ermittlungsverfahren vor der Staatsanwaltschaft erklärt wird, anders zu beurteilen ist als ein solcher, den der Angeklagte mit dem Gericht vereinbart.
40 Das Schlagwort vom "Handel mit der Gerechtigkeit" stammt von Schumann, der es als Titel fiir seine 1977 erschienene Untersuchung über das amerikanische plea bargaining wählte. Das Triberg-Symposium "Absprache im Strafprozeß - ein Handel mit der Gerechtigkeit?", 20./21. November 1986, griff den Titel auf, danach auch BVerfG, NJW 1987, 2662, 2663. Später siehe Maier, NJW 1987, 1187; Günter, DRiZ 1992,230.
Die "Karriere" dieses Begriffs analysiert Bussmann, S. 20, 35, 139, 157 - 159, 160 f., 168, 169, 171, 199. Siehe auch schon dens., KritV 1989, 376, 394 - 396. 41 Unten Kap. 3/ B II 2 a/b, S. 67 - 69. 42 Unten Kap. 3/ B III 1, S. 70 - 72.
3. Kap.: Denkbare Motive für den Verzicht
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Für jene Fälle, in denen der Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung unwirksam sein sollte, stellen sich weitere Probleme. Beispielsweise bleibt zu klären, auf welchem prozessualen Weg der Beschuldigte seine Ansprüche trotz des formal erklärten Verzichts weiter verfolgen kann.
3. Kapitel Denkbare Motive für den Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung Das voraufgegangene Kapitel hat bestätigt,.daß der Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung als gängige Praxis vorkommt, aber erst wenig dazu gesagt, warnm die Betroffenen ihn erklären. Nur soviel hat sich immerhin gezeigt: Jene Fälle, in denen der Beschuldigte "einfach so", d.h., unabhängig vom künftigen Verfahrensablauf verzichtet, machen nur einen Teil aus. Ihnen stehen jene anderen Situationen gegenüber, bei denen der Beschuldigte seine Erklärung gezielt und bewußt Hinblick auf ein künftiges Verfahrensergebnis einsetzt. Nunmehr gilt es die Motivlage genauer aufzuschlüsseln. Gerade vor dem Hintergrund der Tatsache, daß es einen "einfachen" und einen abgesprochenen Verzicht gibt, muß die Frage nach dem Warwn aufgegliedert werden: Welche Beweggründe führen den Beschuldigten zum gewöhnlichen, einfachen Verzicht? Unter welchen Umständen sieht der Beschuldigte sich veranlaßt, den Verzicht in eine informelle Verständigung mit den Strafverfolgungsorganen einzubringen?
un
A. Beweggründe für den einfachen, ohne Absicht der Veifahrensbeeinflussung erklärten Verzicht
Jemand, der mit dem Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung wenig vertraut ist, wird sich zunächst wohl gar nicht vorstellen können, wieso dieser Verzicht im Hinblick auf ein künftiges Verfahrensergebnis erklärt werden sollte. Er wird nur den einfachen Verzicht für plausibel halten und annehmen, der Beschuldigte sei großzügig oder an einer Entschädigung gar nicht interessiert. Weil es ihm nur "um seine Ehre gehe", genüge es dem Beschuldigten, wenn das Verfahren mit einem Freispruch oder einer Einstellung beendet worden sei. Möglicherweise, so mag man unterstellen, habe der Beschuldigte keinen
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1. Teil: Einfiihrung in die Problematik
nennenswerten Schaden erlitten. Oder aber er könne diesen nur schwer bzw. gar nicht beweisen und verzichte deswegen43 • Nun soll keineswegs in Abrede gestellt werden, daß solche Fälle eines großzügigen, edelmütigen Verzichts vorkommen mögen. In der jahrzehntelangen rechtspolitischen Diskussion, die zu den Entschädigungsgesetzen der Jahre 1898 und 1904 führte, spielten "Ehre" und Selbstachtung des Beschuldigten sogar eine' zentrale Rolle. An einer Bemerkung, die Vollert 1873 in seinem Gutachten zum 11. Deutschen Juristentag gemacht hat, wird das deutlich: Einem feinfiihlenden unschuldigen Manne, so meinte Vollert, werde es wie bitterer Hohn vorkommen, wenn man ihm für die Schmach des Gefängnisses etliche Taler Geld bieten wollte44 •
In der heutigen Bevölkerung dürften derartige Erwägungen eher auf Unverständnis stoßen. Zwar wird es dem unschuldig Verfolgten auch jetzt noch in erster Linie darauf ankommen, daß er freigesprochen bzw. das Verfahren gegen ihn eingestellt wird. Und nach wie vor liegt die wichtigste Funktion eines derartigen Verfahrensergebnisses darin, daß der zuvor Beschuldigte, erst recht jedoch der zu Unrecht Verurteilte, in der Öffentlichkeit rehabilitiert wird. Gleichwohl wird der Betroffene ohne weiteres auch danach streben, daß die Schäden, die er durch die Strafverfolgung erlitten hat, durch eine angemessene Geldleistung ausgeglichen werden. In genauem Gegensatz zu den Äußerungen Vollerts wird ein Beschuldigter es heute sogar als Hohn empfinden, wenn der Staat die Unbill der Strafverfolgung nur damit korrigieren wollte, daß er das Strafverfahren beendet und die Strafverfolgungsmaßnahmen aufhebt. Das läßt sich an einem rechtspolitischen Vorgang der jüngeren Vergangenheit belegen: der Rehabilitierung derjenigen, die in der ehemaligen DDR Opfer rechtsstaatswidriger Strafverfolgung geworden sind4s • Zunächst stand deren persönliche Genugtuung im Vordergrund, in aller Öffentlichkeit von den früheren Unrechtsurteilen entlastet zu werden46 • Die Betroffenen selbst verlangten 43
Auf diese Yerzichtsmotive weist Linckelmann, S. 132 f., hin.
44Yollert, 11. DJT (1873), Bd. I, S. 95,101. 45 Einschlägig ist nunmehr das Gesetz über die Rehabilitierung und Entschädigung von Opfern rechtsstaatswidriger Strafverfolgungsmaßnahmen im Beitrittsgebiet (StrRehaG), verkündet als Art. 1 des 1. SED-UnBerG (Fn. 8), zuletzt geändert durch Gesetz vom 15. Dezember 1995, BGBl. I S. 1782.
46 Den Auftrag zur gesetzlichen Regelung gab Art. 17 Einigungsvertrag; BGBl. 11 1990, 889, 894. Dabei sollte die Rehabilitierung mit einer angemessenen Entschädigung verbunden werden. Die Denkschrift zum Einigungsvertrag legte den Schwerpunkt aber deutlich auf die politisch-moralische Genugtuung; die materiellen Ansprüche erscheinen als Nebenaspekt; vgl. BT-Drs. 11/7760, S. 355, 363 f.
Bei den parlamentarischen Beratungen zum 1. SED-UnBerG (Fn. 8) wurde die
3. Kap.: Denkbare Motive für den Verzicht
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jedoch schon bald auch eine finanzielle Wiedergutmachung·'. Offenkundig genügte es ihnen nicht, nur ihre Ehre wiederhergestellt zu sehen. Sondern sie hatten sich ein waches Bewußtsein dafür erhalten, daß Zuchthaus und Gefangnis ihre Lebensentwicklung abgeschnitten hatten, während es anderen vergönnt geblieben war, "normal" zu leben, zu arbeiten, bescheidenen Wohlstand zu erwerben. Und weil die Folgen dieser Zurücksetzung weiter fortwirkten, empfanden die Opfer des SED-Unrechts auch keinerlei Bedenken, ihre finanzielle Forderung gegen jenen Staat zu richten, dessen Bürger sie nunmehr geworden waren - auch wenn diesen Staat keinerlei Verantwortung für die früheren Maßnahmen trifft. Gilt es demnach in der heutigen Gesellschaft als völlig selbstverständlich, daß Wiedergutmachung für Strafverfolgungsmaßnahmen eine finanzielle Leistung einschließen muß, erweist sich die Annahme, ein Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung gehe auf Großzügigkeit oder Edelmut zurück, als immer weniger realistisch. Zwar wäre es andererseits zu schroff, mit solchen Motiven überhaupt nicht rechnen zu wollen. Wie schon angedeutet, mag der Verzicht gelegentlich sogar leichtfallen, weil kaum ein Schaden entstanden ist oder nur mit Mühe zu belegen wäre. Trotzdem dürfte der uneigennützige Verzicht eine krasse Ausnahme sein. In der Mehrheit der Fälle muß es andere
politisch-moralische Genugtuung betont von: Abg. Schröter, BT-P1enarprot. 12/25, s. 1784; Abg. Geis, BT-P1enarprot. 12/64, S. 5378; Abg. Dr. Luther, BT-P1enarprot. 12/97, S. 8006; BMn Leutheusser=Schnarrenberger, ebd. S. 8014; Abg. Dr. Lucyga, ebd. S. 8016 . • 7 Ganz massiv in der öffentlichen Anhörung des BT-Rechtsausschusses: BI-Rechtsausschuß, Prot. 12/35 vom 19. März 1992, S. 4 f., 9, 10, 16,46, 54, 56, 61 f., 89,101. In den parlamentarischen Beratungen zum 1. SED-UnBerG (Pn. 8) rückte der fInanzielle Aspekt schließlich ganz in den Vordergrund. Die Diskussion spitzte sich nämlich darauf zu, wie hoch die Kapitalentschädigung, jetzt § 17 Abs. 1 StrRehaG (Pn. 45) angesetzt werden müsse. Ihr entspricht im StrEG die Pauschalentschädigung für Nichtvermögensschäden, § 7 Abs. 3 StrEG. Siehe Abg. Marschewski, BI-P1enarprot. 12/25, S. 1785; Abg. Hacker, ebd. S. 1797 f.; BM Dr. Kinkei, BT-P1enarprot. 12/64, S. 5370; Abg. v. Essen, ebd. S. 5381 f.; Abg. Schwanitz, ebd. S. 5383; Abg. Dr. Luther, ebd. S. 5385; Abg. Dr. Reinartz, ebd. S. 5388; Abg. Hacker, BI-P1enarprot. 12/97, S. 8000 f.; Abg. v. Essen, ebd. S. 8002; Abg. Dr. Luther, ebd. S. 8006; Abg. Schwanitz, ebd. S. 8008 f.; Abg. Dr. Lucyga, ebd. S. 8015 f.; Abg. Dr. Ullmann, ebd. S. 8017. Die endgültige Regelung - 300 DM plus evtl. 250 DM je angefangenen Haftmonat, § 17 Abs. 1 StrRehaG (Pn. 45) - kam erst über den Vermittlungsausschuß zustande; siehe die Beschlußempfehlung in BI-Drs. 12/3281.
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1. Teil: Einführung in die Problematik
Beweggründe geben, die einen Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung herbeiführen.
B. Motivlagen der Strafverfolgungsorgane, auf eine Verzichtserklärung hinzuwirken
Für die weitere Suche bleiben nur jene Situationen übrig, in denen der Beschuldigte seinen Verzicht im Hinblick auf ein künftiges Verfahrensergebnis erklärt. Damit gerät man in den Bereich der "informellen Verständigung". Dieses Stichwort wurde schon im vorigen Kapitel kurz angerissen. Es bezeichnet ein Verhalten der am Strafprozeß Beteiligten, bei dem diese versuchen, zu einem einverständlichen Abschluß des Verfahrens zu gelangen48 • Solches Bemühen setzt allseitige Bereitschaft voraus, einander entgegenzukommen. Für den Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung hatte die Mannheimer Untersuchung gezeigt, worin das gegenseitige Geben und Nehmen bestehen könnte49 : Der Beschuldigte oder seine Verteidigung erhoffen sich ein mildes Urteil oder die Einstellung nach § 153a StPO. Das wirft die Frage auf, weshalb der Beschuldigte oder seine Verteidigung überhaupt zu der Auffassung gelangen können, ein Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung werde das Gericht oder die Staatsanwaltschaft vielleicht veranlassen, eine günstige Sachentscheidung zu treffen. Um dies zu klären, muß man wohl auf der "Gegenseite", eben beim Gericht oder bei der Staatsanwaltschaft ansetzen. Dort, bei den Organen der Strafverfolgung, liegen womöglich die tieferen Ursachen für das Phänomen des Verzichts.
I. Fiskalische Interessen
Zunächst liegt es nahe anzunehmen, Gericht und Staatsanwaltschaft seien aus rein fiskalischen Erwägungen daran interessiert, daß der Beschuldigte auf seine Entschädigung verzichtet. Nicht nur die Öffentlichkeit, sondern auch 48 Die Mannheimer Untersuchung, S. 2, definiert "informelle Verständigungen" wie folgt: "jedes Bemühen der Verfahrensbeteiligten zur Erzielung eines Einverständnisses über die das Verfahren abschließende Entscheidung".
49
Mannheimer Untersuchung, S. 35.
3. Kap.: Denkbare Motive für den Verzicht
61
Fachkreise haben nämlich offenbar den Eindruck, daß die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen eine kostenträchtige Einrichtung sei. Als Beleg dafür mag in Erinnerung gerufen werden, daß Peters, nachdem 1971 die Höchstgrenzen für die Entschädigung abgeschafft worden waren, die Befürchtung äußerte, nunmehr würden die zu gewährenden Zahlungen in die Millionen gehenSO. Erwartungen wie diese könnten in der Tat bei den Strafverfolgungsorganen ein Interesse daran wecken, den Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung möglichst zu fordern und auf diese Weise die Staatskasse zu schonen. Ob wirklich Anlaß besteht, den Staat vor drohenden Millionenverlusten zu bewahren, erscheint indessen zweifelhaft. Als die Bundesregierung 1971 im StrEG-Entwurf die Abschaffung der Höchstgrenzen vorschlug, schätzte sie die Mehrausgaben für den Bund auf ganze 50.000 DM bis 100.000 D~I - wobei zu berücksichtigen ist, daß die Entschädigungsleistungen des Bundes bis 1971 weniger als 3.000 DM jährlich betragen hatten. Für die Länderhaushalte wurde ein Zuwachs von insgesamt 10 Mio. DM pro Jahr erwartetS2 . Die tatsächlich geleisteten Entschädigungssummen lagen dann sogar noch weit unter diesen Prognosen: Soweit Zahlen öffentlich bekanntgeworden sinds3 , haben die Länder in den Jahren 1973 bis 1986 jeweils zwischen 2,32 Mio. DM und 3,97 Mio. DM für Zwecke der Strafverfolgungsentschädigung aufgewendet; aus dem Rahmen fällt das Jahr 1984 mit 6,13 Mio. D~4. Aufschlüsselungen für die Jahre 1980sS und 1986s6 zeigen, daß die meisten Fälle sich auf die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis bezogen, also eine Zwangsmaßnahme betrafen, bei der die einzelnen Entschädigungssummen nicht besonders hoch liegen könnenS7 . Entschädigungen für Urteilsfolgen, § 1 StrEG, bei denen höhere EinzellO K. Peters, Fehlerquellen, Bd. III, § 32 II 5, S. 186.
II Begründung der Bundesregierung zum Entwurf des StrEG, BT-Drs. 6/460, S. 10. l2Begründung der Bundesregierung zum Entwurf des StrEG, BT-Drs. 6/460, S. 10. l3 Regelmäßig veröffentlichte Statistiken gibt es nicht. Insbesondere enthält das vom Statistischen Bundesamt herausgegebene Statistische Jahrbuch keine Angaben zur Strafverfolgungsentschädigung. Bund und Länder erfassen die geleisteten Zahlungen jeweils durch haushaltsmäßige Buchung; insofern verfügen sie auch über internes Zahlenmaterial. l4BT-Rechtsausschuß, Prot. 11/15 vom 20. Januar 1988, Anlage 3. Damals wurde der Gesetzentwurf des Bundesrates zur Änderung des StrEG, BT-Drs. 111281, beraten. Für die Jahre 1973 bis 1980 teilt auch Schätz1er, Einl. Rn. 49, die relevanten Zahlen mit.
II Bei Schätzler, Einl. Rn. 49. l6In: BT-Rechtsausschuß, Prot. 11/15 vom 20. Januar 1988, Anlage 3. l7 So auch: Abg. Singer, BT-Plenarprot. 11169, S. 4684.
62
1. Teil: Einführung in die Problematik
beträge durchaus möglich erscheinen, kamen nur in weit geringerer Anzahl vor. Demnach dürften weder die einzelnen Entschädigungssummen noch die Gesamtheit der Entschädigungsleistungen so bedeutend sein, daß sie die Haushalte der Länder ernsthaft belasten könnten. Folglich haben die Organe der Strafverfolgung eigentlich keinen Anlaß, allein aus Kostengesichtspunkten an einem Verzicht interessiert zu sein. Natürlich könnte man die statistischen Zahlen auch gerade umgekehrt interpretieren und behaupten, die Zahlungen lägen deswegen so niedrig, weil die Praxis des Verzichts die ansonsten fälligen Kosten dämpfe. Solch eine Deutung entbehrt jedoch einer vernünftigen Grundlage. Soll der Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung zu nennenswerten Einsparungen führen, müßte er vor allem bei Freispruchs- und Einstellungs-Entscheidungen praktiziert werden. Dort kommt er aber, wie die Mannheimer Untersuchung ergeben haf 8 , nur "selten" bis "gelegentlich" vor.
Im Gegenteil ließe sich die Annahme, Gerichte und Staatsanwaltschaften seien aus fiskalischen Gründen an einem Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung interessiert, mit durchaus plausiblen Erwägungen widerlegen. Der erste Aspekt, der insoweit bedeutsam werden könnte, ist aus dem Verfahren zu gewinnen, wie Strafverfolgungsentschädigung gewährt wird. Es ist, worauf noch einzugehen sein wirds9 , zweistufig: Gemäß §§ 8,9 StrEG ergeht zunächst nur die Grundentscheidung, daß zu entschädigen ist; erst wenn die Entschädigungspflicht rechtskräftig feststeht, kann der Begünstigte seinen Anspruch bei der Staatsanwaltschaft geltend machen, § 10 StrEG. Das hat zur Folge, daß jene Strafverfolgungsorgane, die auf Freispruch, Einstellung etc. erkennen, den Berechnungen über die Höhe der Entschädigung räumlich und zeitlich "entrückt" sind. Ob und wie stark die Staatskasse mit einer konkreten Zahlung belastet wird, nimmt jenes Organ, das die Grundentscheidung triffi, gar nicht unmittelbar wahr. Es wird seinen Blick vielmehr nur darauf richten, ob überhaupt eine Entschädigung gezahlt werden soll. Ein weiterer Aspekt ist, daß der Betrag für den immateriellen Schaden 1988 von 10 DM auf 20 DM pro Tag angehoben wurde. Der neue Betrag ist zwar immer noch niedrig. In den Beratungen zu der Gesetzesänderung wurde denn auch betont, daß eine höhere Pauschale im Hinblick auf die Finanzkraft der Länder vorerst nicht zu verwirklichen sei60 • Jedenfalls war es aber überhaupt 51
Mannheimer Untersuchung, S. 34 f. - Siehe obe~ Kap. 2/ A, S. 53.
59
Unten Kap. 5/ A - E, S. 91 - 93, sowie Kap. 9/ A / B / F II / G, S. 153, 154, 163 -
166.
60 Abg. Singer, BT-P1enarprot. 11169, S. 4684; Bericht der Abg. Dr. Stark und Dr. de With, BT-Drs. 1111892, S. 4.
Die Fraktion der GRÜNEN hielt die Pauschale für zu gering, Abg. Nickels,
3. Kap.: Denkbare Motive für den Verzicht
63
möglich, die Entschädigungsleistungen zu erhöhen61 • Demnach kann die
Kostenlast nicht als so hoch empfunden worden sein, daß eine drastische Sparpolitik angezeigt wäre.
11. Hoffnung auf beschleunigten Abschluß des Strafverfahrens Liefern die fiskalischen Interessen allein noch keine einleuchtende Begründung dafür, warum die Organe der Strafverfolgung am Verzicht interessiert sein könnten, muß die Suche nach denkbaren Motiven insgesamt breiter angelegt werden. Und wenn man sich bereits in der allgemeinen Problematik der informellen Verständigung befindet, erscheint es sachgerecht, jene Interessen, die bei strafprozessualen Zugeständnissen generell eine Rolle spielen, auch auf solche Situationen zu beziehen, in denen ein Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung zur Diskussion steht. Ein wichtiger Beweggrund, die Strafverfolgungsorgane zur informellen Verständigung zu veranlassen, ist die Hoffnung, man werde auf diese Weise einen baldigen Abschluß des Verfahrens erreichen. Es wäre möglich, daß er auch für den Veriicht auf Strafverfolgungsentschädigung relevant wird.
BT-Plenarprot. 11169, S. 4685. Die SPD-Fraktion horne, der Betrag könne in Zukunft noch angehoben werden, Abg. Singer, ebd. S. 4684. 61 So ausdrücklich der Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages, BT-Drs. 1111943. Die jährlichen Mehrausgaben wurden für den Bund auf 2.000 DM, für die Länder auf 700.000 DM geschätzt. 1992 haben Abgeordnete der FDP sowie der CDU / CSU-Fraktion zwar eine Gesetzesinitiative vorgelegt, wonach der immaterielle Schadensersatzanspruch, § 7 Ab. 3 StrEG, auf 10 DM pro Hafttag halbiert werden sollte, so Art. 1 des Entwurfs, BT-Drs. 12/3017. Hinter dieser Gesetzesinitiative standen aber nicht fiskalische Interessen. Vielmehr sollte eine Angleichung an § 17 Abs. 1 StrRehaG (Fn. 45) erreicht werden, der für jeden Monat Haft eine Entschädigung von 300 DM vorsieht. Kritisch hierzu Meertens, ZRP 1993, 206 - 208.
1. Teil: Einführung in die Problematik
64
1. Beschleunigungseffekt als maßgebliches Motiv bei anderen Zugeständnissen, die Gegenstand strafprozessualer Absprachen sind Noch bevor die informellen Absprachen durch die Mannheimer Befragung rechtstatsächlich untersucht worden sind62 , hatten sich bereits etliche Autoren63 mit dem Problem der strafprozessualen Verständigung auseinandergesetzt. Dabei nahm stets auch die Frage, welche Zugeständnisse die Prozeßbeteiligten jeweils machen, bedeutenden Raum ein. Immer wieder werden zum Beispiel in der wissenschaftlichen Literatur folgende Zugeständnisse genannt, die der Beschuldigte gegen eine milde Sachentscheidung "tauschen" möchte: Wiedergutmachung des Schadens64 , Geständnis bzw. Teilgeständnis65 sowie der Verzicht auf Beweisanträge oder Rechtsmittel 66 • Die Mannheimer Untersuchung hat bestätigt, daß diese Zugeständnisse in der Tat mit zu denjenigen gehören, die in der Praxis am häufigsten anzutreffen sind. Daneben spielt das freiwillige Anbieten einer Geldzahlung eine große Rolle, wenn der Beschuldigte eine Verfahrensbeendigung nach § 153a StPO erstrebt. Zahlreiche Betroffene akzeptieren auch einen Straf62 Vor der Mannheimer Untersuchung haben nur R. Hassemer / Rippler versucht, durch Leitfaden-Interviews erste rechtstatsächliche Daten über informelle Absprachen zu sammeln; StV 1986, 360 ff 63 Deal, StV 1982, 545 ff; Dencker, JZ 1973, 144 ff; Dielmann, GA 1981, 558 ff; Kaiser/Meinberg, NStZ 1984, 343 ff; Keller I W. Schmid, wistra 1984, 201 ff; Maier, NJW 1987, 1187 ff; Pförtner, Betrifft Justiz 1987, 15 ff.; Römer, in: FS für Schmidt=Leichner, S. 133 ff; Seebode, NStZ 1982, 144 ff; Schlothauer, StV 1982, 449 ff; Schmidt=Hieber, NJW 1982, 1017 ff; ders., in: FS Richterakademie, S. 193 ff; ders., Verständigung im Strafverfahren; ders., StV 1986, 355 ff; Schumann, Der Handel mit der Gerechtigkeit; Widmaier, StV 1986, 357 ff; Zier!, AnwBl. 1985, 505. Zahlreiche Beiträge auch auf dem Triberg-Symposium; dazu siehe den vom Ministerium für Justiz, Bundes- und Europaangelegenheiten Baden-Württemberg herausgegebenen Sammelband. 64
Schlothauer, StV 1982, 449 (Fall 1); Schmidt=Rieber, StV 1986, 355, 356; ders.,
Rn. 161, S. 74.
6sDeal, StV 1982, 545; KaiserIMeinberg, NStZ 1984, 343, 348 f; Keller I W. Schmid, wistra 1984, 201, 208; Pförtner, Betrifft Justiz 1987, 15; Schlothauer, StV 1982, 449, 451 f.; Schmidt=Rieber, StV 1986, 355, 356; ders., Rn. 161, S. 74; Widmaier, StV 1986, 357, 358 f 66Dahs-Dahs, Rn. 136, S. 86; Dielmann, GA 1981, 558, 570; Schmidt=Rieber, in: FS Richterakademie, S. 193; ders., NJW 1982, 1017; ders., Rn. 161, S. 74.
3. Kap.: Denkbare Motive fur den Verzicht
65
befehl67 , sobald sie die Chance sehen, auf diese Weise der Verurteilung in einer öffentlichen Hauptverhandlung zu entgehen. Fast alle der oben genannten Zugeständnisse beschleunigen das Verfahren: Ein Geständnis bzw. Teilgeständnis erleichtert dem Gericht, ebenso wie der Staatsanwaltschaft, die BeweisWÜTdigung erheblich; vielfach werden sich umfangreiche Ermittlungen erübrigen. Verzichtet der Betroffene auf Beweisanträge, wird der gleiche Effekt erreicht. Dies kann insbesondere in Wirtschaftsstrafsachen, wo ansonsten oft ein umfangreiches Aktenmaterial ausgewertet werden müßte, das Verfahren wesentlich vereinfachen. Ähnlich verhält es sich, wenn der Betroffene einen Strafbefehl akzeptiert. Verzichtet der Betroffene auf Rechtsmittel, kann das erkennende Gericht die Urteilsbegründung kürzer fassen, § 267 Abs. 4 StP068 • Bietet der Beschuldigte eine Geldzahlung an, um eine Einstellung nach § 153a StPO zu erreichen, wird das Verfahren ebenfalls gestrafft. Der entscheidende Beschleunigungseffekt liegt bereits in der Verfahrenserledigung selbst. Da eine Einstellung nach § 153a StPO nur mit Zustimmung des Betroffenen erfolgen kann, trägt dieser durch sein Angebot entscheidend dazu bei, den Weg für ein Ende des Verfahrens zu öffnen. Denn in dem Angebot, sich bei Einstellung des Verfahrens zu einer Geldzahlung verpflichten zu wollen, liegt konkludent die nach § 153a StPO erforderliche Zustimmung. Darüber hinaus nimmt der Beschuldigte, der eine Geldzahlung anbietet, der Staatsanwaltschaft oder dem Gericht die lästige Aufgabe ab, nach womöglich besser geeigneten Auflagen und Weisungen suchen zu müssen69 • Auf diese Weise erleichtert der Beschuldigte die Arbeit der Strafverfolgungsorgane gleich nochmals. Da die Verfahrensflut immer größer geworden ist, kommen die genannten Zugeständnisse dem Bedürfnis der Strafverfolgungsorgane entgegen, sich die Arbeit zu erleichtern. Zwar ist der steigenden Anzahl von Strafverfahren Rechnung getragen worden, indem auch die Zahl der Richter und Staatsanwälte annähernd entsprechend vergrößert wurde 70 • Die Verfahren sind jedoch so komplex geworden, die Dauer der Hauptverhandlungen hat sich so sehr verlängert, daß die personelle Aufstockung die ständig wachsende Arbeitsbelastung 67
Mannheimer Untersuchung, S. 34 f., insbesondere Tabellen 26, 27.
68 Es wird unterstellt, daß in diesem Fall auch die Staatsanwaltschaft auf Rechtsmittel verzichtet.
69 Bietet der Beschuldigte eine Geldzahlung an, so wird er es besonders leicht haben, die Organe der Strafverfolgung fur eine Einstellung nach § 153a StPO zu gewinnen. Diese bevorzugen Geldzahlungen, § 153a Abs. 1 Nr. 2 StPO, deutlich: Zwischen 1977 und 1983 waren 94,3% bzw. 98% aller Auflagen und Weisungen Geldauflagen; Übersichten bei Rieß, ZRP 1985, 212,213,215. 70 Rieß, DRiZ 1982, 201, 214 f.
5 Friehe
66
1. Teil: Einführung in die Problematik
nicht auffangen konnte. Ein besonderes Problem werfen dabei die Wirtschaftsstraftaten auf!, bei denen die Verfahren nach den bisher geltenden Verfahrensgrundsätzen kaum noch zu bewältigen sind72 • Es verwundert daher nicht, wenn die Strafverfolgungsorgane bestrebt sind, den Geschäftsanfall durch Formen summarischer Erledigung in den Griff zu bekommen. Entsprechend bereitwillig lassen sie sich auf Zugeständnisse des Beschuldigten ein, die das Verfahren beschleunigen. In dem Bedürfnis, Strafverfahren rascher zu erledigen, wird denn auch die entscheidende Ursache für Absprachen im Strafprozeß gesehen73 •
2. Vergleichbarer Beschleunigungseffekt auch beim Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung ? Fraglich ist allerdings, ob allein schon dadurch, daß der Beschuldigte auf Strafverfolgungsentschädigung verzichtet, das Strafverfahren beschleunigt wird. Wenn der Beschuldigte ein Geständnis oder ein Teilgeständnis ablegt oder wenn er auf Beweisanträge verzichtet, können die Strafverfolgungsorgane schneller klären, ob er sich strafbar gemacht hat und wie er gegebenenfalls zu bestrafen ist. Diese Zugeständnisse beschleunigen also unmittelbar die Entscheidung in der Hauptsache. Im Gegensatz hierzu knüpft die Strafverfolgungsentschädigung erst an das Ergebnis des Strafverfahrens an: Von dessen Ausgang hängt ab, ob die Staatskasse mit einer Entschädigung zu belasten ist oder nicht. Folglich kann der Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung die Entscheidung in der Hauptsache - zumindest unmittelbar - nicht mehr beschleunigen. Der Verzicht kann den Strafverfolgungsorganen vielmehr allenfalls dadurch nutzen, daß diese die Arbeit mit dem Entschädigungsverfahren sparen. Ob und inwieweit der Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung das Verfahren beschleunigen kann, hängt, wie sogleich zu zeigen sein wird, vom Zeitpunkt ab, wann er erklärt wird. Da es um eine reine Abschätzung der Folgen geht, die sich für das weitere Verfahren ergeben können, mag vorerst dahin71 Keller / W. Schmid, wistra 1984, 201, 201 f.; Meinberg, S. 14 f.; Widmaier, StV 1986,357,357 f.
72 Schünemann, in: Triberg-Symposium, S. 24, 28 f. 73Stellvertretend für viele Römer, in: FS für Schmidt=Leichner, S. 133, 137 f.; Schmidt=Hieber, Rn. 1, S. 1; Schumann, S. 69.
3. Kap.: Denkbare Motive für den Verzicht
67
stehen, ob etwa auch Qualität und Zulässigkeit des Verzichts vom jeweils erreichten Verfahrensstadium abhängen. Mit letzterem wird diese Untersuchung sich an späteren Stellen eingehend befassen'·.
a) Beschleunigungseffekt eines Verzichts, der im Betrags- bzw. Festsetzungsverfahren erklärt wird Verzichtet der Betroffene erst, nachdem das Gericht dem Grunde nach bereits festgestellt hat, daß die Staatskasse ihn entschädigen bzw. seine Auslagen übernehmen muß, ist das Strafverfahren schon beendet. Das sich anschließende Betragsverfahren, § 10 StrEG, ist ein eigenes Justizverwaltungsverfahren, das nicht mehr zum Strafprozeß gehört's. Damit ist es logisch unmöglich, daß ein Verzicht, der nach der Grundentscheidung erklärt wird, das Strafverfahren beschleunigen könnte. Vielmehr kann der Verzicht nur noch denjenigen die Arbeit erleichtern, die die Höhe des Anspruchs bestimmen. Das sind aber andere Personen als diejenigen, die mit dem Strafverfahren selbst beschäftigt sind. Denn über die Höhe der Entschädigung entscheiden gemäß § 10 Abs. 2 StrEG die Landesjustizverwaltungen. Verschiedentlich wird diese Befugnis unmittelbar durch die jeweilige oberste Justizbehörde ausgeübt'6; in den meisten Bundesländern ist sie allerdings auf die Leiter der Staatsanwaltschaften bei den Landgerichten oder Oberlandesgerichten übertragen77 • 7. Unten Kap. 13/ A - D, S. 218 - 230, sowie, bezogen auf den abgesprochenen Verzicht, unten Kap. 19 - 35, 37 - 39, S. 311 - 549, 558 - 607.
"BOHl 66, 122, 124; Kleinknecht-Meyer-Meyer=Ooßner, § 10 StrEO, Rn. 1; D. Meyer, Vorbem. vor §§ 10 - 13, Rn. 1; Kröner, in: FS für Baumann, S. 407, 414; Schätzler, § 10 Rn. 1. Nach Ansicht des BOH gehört nicht einmal das Grundverfahren zum Strafprozeß: BOHl 29, 335, 336 f., unter Berufung auf OLO Jena, Blätter für Rechtsprechung in Thüringen und Anhalt 49 (1902), 254, 255. 76 Berlin: AV vom 29. Juli 1971, ABl. 1971, 1087, 1089. Hamburg: AVvom 2. August 1971, NBl. 1971,61,64. Schleswig-Holstein: Nach der AV vom 2. August 1971, SchlHA 1971, 196, 199, entscheidet das Justizministerium über die Höhe der Ansprüche. 77 Baden-Württemberg: AV vom 20. Dezember 1986, Justiz(BW) 1987,46 f., mit Änderung durch AV vom 27. Januar 1994, Justiz(BW) 1994, 73.
Bayern: Bek. vom 2. August 1971, 1MBl. 1971, 119, 121 f., mit Änderungen durch Bek. vom 26. September 1978, 1MBl. 1978, 175, sowie vom 26. Juli 1994, 1MBl. 1994, 236. 5"
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1. Teil: Einführung in die Problematik
b) Beschleunigungseffekt eines Verzichts, der im Grundverfahren erklärt wird Bei einem Verzicht, der vor der Grundentscheidung erklärt wird, ist eine Verkürzung des Strafverfahrens zwar nicht schon logisch ausgeschlossen. Gleichwohl sind Zweifel angebracht, ob sich wesentliche Beschleunigungseffekte einstellen. Beendet die Staatsanwaltschaft das Verfahren, gewinnt sie durch einen solchen Verzicht nichts, weil nicht sie selbst, sondern das Amtsgericht die Grundentscheidung trim, § 9 Abs. 1 StrEG. In einer anderen Lage befindet sich das Gericht, wenn es ein Urteil fällt oder einen das Verfahren abschließenden Beschluß faßt: Es muß in eigener Zuständigkeit darüber befinden, ob die Staatskasse dem Grunde nach verpflichtet ist, eine Entschädigung zu leisten, § 8 Abs. 1 StrEG. Soll nun eine wirkliche Arbeitsentlastung des Gerichts eintreten, müßte sichergestellt sein, daß eine Verzichtserklärung die Grundentscheidung entbehrlich macht. Ob dies so ist, wird noch untersucht werden7!; an dieser Stelle mag es genügen, auf § 8 Abs. 1 StrEG hinzuweisen, wonach das Gericht von Amts wegen gehalten ist, die Grundentscheidung ergehen zu lassen. Unter Berufung auf diese Vorschrift verlangen Teile der Rechtsprechung und der Literatur, daß die Grundentscheidung selbst bei vorangegangenem Brandenburg: AVvom 13. August 1991, JMBI. 1991,62,65. Hessen: RdErI. vom 21. November 1994, JMBI. 1995,8,14. Mecklenburg-Vorpommern: AV vom 19. März 1991, ABI. 1991, 196, 199. Niedersachsen: AV vom 8. Juli 1976, NdsRpfl. 1976,151 f., mit Änderung durch AVvom 6. Juni 1988, NdsRpfl. 1988, 155. Nordrhein-Westfalen: AV vom 2. August 1971, JMBl.NW 1971, 183, 186, mit Änderungen durch AV vom 24. Oktober 1979, JMBI.NW 1979, 254, sowie vom 21. August 1990, JMBI.NW 1990,225. Rheinland-Pfalz: W vom 31. Oktober 1986, JBl. 1986, 257. Saarland: AnO vom 4. Februar 1992, GMBl. Saar 1992,40. Sachsen: Bek. vom 14. Juni 1991, AbI. Nr. 18,3. Sachsen-Anhalt: AV vom 3. März 1992, MBI. 1992,402,405, mit Änderungen durch AV vom 10. Dezember 1992, MBI. 1993,455, sowie vom 22. Dezember 1994, MBI. 1995, 64. Schleswig-Holstein: Nach der AV vom 2. August 1971, SchlHA 1971, 196, 199, erfolgt die Prüfung der Ansprüche bei den Leitern der Staatsanwaltschaften. 78
Thüringen: W vom 7. März 1991, JMB!. 1991,42,45. Unten Kap. 11 / D II 2 - 4, S. 193 - 199.
3. Kap.: Denkbare Motive für den Verzicht
69
Verzicht getroffen werden muß79 • Ein Gericht, das diese kritischen Stimmen mißachtet, nimmt für den Zeitgewinn eine erhebliche Rechtsunsicherheit in Kauf. Überdies muß noch bezweifelt werden, ob dieser Zeitgewinn überhaupt ins Gewicht fallt. In der Regel können die Strafgerichte nämlich leicht klären, ob die Staatskasse zu belasten ist oder nicht. So schreibt das Gesetz z.B. für einige Fälle, wie den Freispruch, zwingend eine Entschädigung vor, § 2 Abs. 1 StrEG. Somit bereitet die Grundentscheidung den Strafgerichten in den meisten Fällen nur wenig Arbeit. Deshalb wird es grundsätzlich keinen großen Unterschied machen, ob die Gerichte die Annexentscheidung noch treffen müssen oder nicht. Selbst wenn man also unterstellt, der Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung werde die Grundentscheidung überflüssig machen, ist mit deren Wegfall keine wesentliche Arbeitsentlastung verbunden. Insgesamt ergibt sich also, daß die verfahrensbeschleunigenden Effekte eines Verzichts auf Strafverfolgungsentschädigung eher gering zu veranschlagen sind.
III. Bestreben, eine "zusätzliche Belohnung" des Beschuldigten zu vermeiden / Denkzettelfunktion Neben der Hoffnung, das Verfahren beschleunigen zu können, läßt die allgemeine Diskussion um "Informelle Verständigung im Strafverfahren" auch andere Motive erkennen, VOn denen Gericht oder Staatsanwaltschaft sich bei strafprozessualen Absprachen leiten lassen. Manche dieser Motive erklären sich schlicht daraus, daß die Strafverfolgungsorgane in "Vergleichs"Verhandlungen mit dem Beschuldigten oder seiner Verteidigung eintreten. Es liegt nämlich in der Natur der gegenseitigen Verständigung, daß jede Seite VOn ihren eigentlichen Zielen abrücken muß, daß ihr dafür aber, auf dem Weg dorthin, wenigstens ein Teilerfolg gewährt wird. Oder, um konkret zu werden: 19 BGH, MDR 1990, 168; KG, VRS 72 (1987), 380, 382; OLG Kar1sruhe, 2. StS, Justiz(BW) 1976, 367; OLG München, NJW 1973, 721; Kleinknecht-MeyerMeyer=Goßner, § 8 StrEG, Rn. 3; Händel, Blutalkohol 1975,238,239, entgegen der zuvor in VOR 1973, 243, 257, vertretenen Meinung. Für das alte Recht hat schon Burlage gefordert, daß trotz Verzichts eine Grundentscheidung ergehen müsse, § 4 UHaftEntschG, Anm. 7, S. 80.
Die Gegenposition beziehen: OLG Stuttgart, MDR 1992, 897 f.; Göhler, § 110
Rn. 30; Hentschel, Rn. 98, S. 208 f.; Herrmann, in: RebmannlRoth/Herrmann, § 110 Rn. 16; D. Meyer, Vorbem. vor §§ 1 - 6, Rn. 13 - 23; Schätzler, § 8 Rn. 7.
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1. Teil: Einfiihrung in die Problematik
Eine funktionierende Absprache verlangt von den Strafverfolgungsorganen das Zugeständnis, daß die ursprünglich ins Auge gefaßte Bestrafung so nicht verwirklicht wird; dafür läßt der Beschuldigte im Gegenzug wenigstens eine gewisse Bestrafung über sich ergehen. Diese "gewisse Bestrafung" könnte auch dort gewollt sein, wo Gericht oder Staatsanwaltschaft akzeptieren, vielleicht sogar anregen, daß der Beschuldigte auf eine in Betracht kommende Strafverfolgungsentschädigung verzichtet.
I. Parallele zwischen dem Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung und der Geldauflage nach § 153a Abs. 1 Nr. 2 StPO / § 153 Abs. 3 a.F. StPO Unter dem Gesichtspunkt der "gewissen Bestrafung" gerät der Verzicht insbesondere in eine Parallele zu solchen Verfahren, die auf der Grundlage von § 153a Abs. 1 Nr.2 StPO ohne förmliche Bestrafung, jedoch mit einer Geldauflage abgeschlossen werden. Die Gemeinsamkeit liegt zunächst schon darin, daß der Betroffene beide Male eine finanzielle Einbuße erfährt: Die Geldauflage verpflichtet ihn zur Zahlung, während er durch den Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung eine Geldleistung ausschlägt, die ihm ansonsten grundsätzlich zustünde. Darin allein brauchen die Ähnlichkeiten sich aber keineswegs zu erschöpfen; möglicherweise lassen sich weitere feststellen. Viele Verfahren, die im Einvernehmen zwischen dem Beschuldigten und den Strafverfolgungsorganen abgeschlossen werden, enden mit einer Verfahrenseinstellung nach § 153a StPOBO • Dies ist auch nicht weiter verwunderlich. Denn sowohl der Beschuldigte als auch das Gericht müssen einer solchen Einstellung zustimmen, so daß sich eine Verständigung geradezu aufdrängt. Das Verfahren nach § 153a StPO lädt aber nicht nur deswegen zu Absprachen ein. Wie die Mannheimer Untersuchung gezeigt hat, werden Vereinbarungen im Strafprozeß oftmals dort getroffen, wo es gilt, Beweisschwierigkeiten zu überbrückensl . Häufig wählen die Beteiligten den Weg über § 153a StPO: Der Beschuldigte wird aus dem Strafverfahren entlassen, ohne vorbestraft zu sein, während die Strafverfolgungsorgane das Verfahren in einer Weise abschließen können, die den Betroffenen einer gewissen Sanktion unterwirft. Wie bei allen Verfahrenseinstellungen nach § 153a StPO spielt die Geldaujlage, § 153a Abs. I Nr. 2 StPO, auch im Rahmen informeller Verständigungen 10
RieB, ZRP 1983, 93, 98 f.; Mannheimer Untersuchung, S. 17.
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Mannheimer Untersuchung, S. 17.
3. Kap.: Denkbare Motive für den Verzicht
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die entscheidende Rolles2 • Die Auflage, einen Geldbetrag an die Staatskasse oder eine andere Einrichtung zu zahlen, dürfte zum einen deshalb so beliebt sein, weil sie in der Praxis einfacher und bequemer zu handhaben ist als alle anderen Auflagen und Weisungen des § 153a Abs. 1 StPO. Auf der anderen Seite erinnert die Geldauflage an die Geldstrafe und dient so als "Denkzettel"83. Auf einen zusätzlichen Aspekt der Geldauflage hat Lange=Fuchs schon 1969 hingewiesenll4 • Damals gab es den § 153a StPO noch gar nicht. Gleichwohl war es in der Praxis weit verbreitet, eine Verfahrenseinstellung nach § 153 Abs. 3 a.F. StPO davon abhängig zu machen, daß der Beschuldigte einen Geldbetrag an die Staatskasse oder eine andere Einrichtung zahlte. Da § 153 a.F. StPO eine solche Auflage gar nicht vorsah, wurde die eingerissene "Bußgeld"praxis teilweise heftig kritisiert8s . Nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift müsse das Gericht das Verfahren einstellen, wenn die Voraussetzungen des § 153 Abs. 3 a.F. StPO vorlägen. Andernfalls müsse es das Verfahren fortsetzen und je nach Sachlage entweder verurteilen oder freisprechen. Lange=Fuchs räumte ein, daß die Bedenken der Literatur - dogmatisch betrachtet - zu Recht bestünden. Er befürchtete jedoch, die von den Kritikern angemahnte strikte Anwendung von § 153 Abs. 3 a.F. StPO werde die Zahl der Freisprüche und Einstellungen drastisch verringern. Mancher Richter werde nämlich - vielleicht mit Bedauern - die Unzulässigkeit einer Einstellung gegen Bußzahlung konstatieren und sodann mit der oft gebrauchten Formel, nach der Überzeugung des Gerichts sei die Einlassung des Angeklagten widerlegt, zu dessen Verurteilung gelangen. Die erweiterte Anwendung des § 153 Abs. 3 a.F. StPO ermögliche es dagegen, Zweifel an der Schuld, die das urteilende Gericht ansonsten glaube ableugnen zu müssen, durch einen neben dem Gesetz liegenden Ausweg zu beheben86 . Da der Gesetzgeber mit § 153a StPO im wesentlichen nur das legalisiert hat, was vorher schon Übung war, hat der von Lange=Fuchs angeführte Gesichtspunkt auch weiterhin Bedeutung: Die Geldauflage wirkt nicht nur als Denkzettel, sondern unter Umständen auch als "Verdachtssanktion"87. Ob dies 82Rieß, ZRP 1983, 93, 95, 97 f., insbesondere Tabelle 2 in Zusammenhang mit Tabelle 8. S3Rieß, ZRP 1983, 93, 99. ULange=Fuchs, ZRP 1969,216. SSBartsch, ZRP 1969, 128 - 130; Kern, DRiZ 1953, 169. Cordier, NJW 1957, 17891791, hielt die Bußgeldpraxis dagegen für zulässig. Nach SchÜfner, S. 35, sollte die Staatsanwaltschaft eine Geldbuße nur dann berücksichtigen dürfen, wenn diese geeignet sei, das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung zu beseitigen. 86 Lange=Fuchs, ZRP 1969, 216.
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1. Teil: Einführung in die Problematik
alles mit dem Zweck der Geldauflage vereinbar ist, das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung zu beseitigen, soll vorerst dahingestellt bleiben. Für den Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung mag nun auf den ersten Blick noch nicht ersichtlich sein, warum er wie ein "Denkzettel" wirken bzw. was er mit einer "Verdachtssanktion" gemein haben könnte. Ein Denkzettel und eine Verdachtssanktion, so sollte man meinen, setzten voraus, daß dem Betroffenen ein Übel zugefiigt werde. Demgegenüber werde bei einem Verzicht nur davon abgesehen, dem Beschuldigten etwas zu geben. Entschädigung nach dem StrEG wird jedoch nur dann geleistet, wenn die erlittene Strafverfolgung dem Betroffenen einen Schaden zugefiigt hat, § 7 StrEG. Gibt der Betroffene also seinen Anspruch auf Entschädigung preis, erleidet er genauso einen finanziellen Nachteil, als wenn er zu einer Zahlung angehalten würde. Das Motiv, den Verdächtigen nicht sanktionslos aus dem Strafverfahren zu entlassen, wird hier sogar noch stärker hervortreten: Sind das Gericht und die Staatsanwaltschaft schon nicht bereit, das Verfahren ohne Auflagen zu beenden, werden sie noch weniger geneigt sein, dem Verdächtigen anschließend eine Entschädigung zuzusprechen. Ein solcher Anspruch wird ihnen vielmehr als "doppelte Belohnung" erscheinen. Die Absprache "Verzicht gegen günstige Sachentscheidung" dürfte somit von ähnlichen Motiven getragen sein wie die Absprache "Verfahrenseinstellung gegen Geldauflage".
2. Mangelnde Akzeptanz der im StrEG getroffenen Regelung Wenn Gericht oder Staatsanwaltschaft im Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung das geeignete Mittel sehen, eine unangemessene Belohnung des Beschuldigten zu unterbinden, hat dies noch einen besonderen Hintergrund. Um zu verstehen, worum es geht, muß man sich der Kritik bewußt bleiben, die das StrEG mit manchen seiner Reformansätze auf sich gezogen hat. Massive Bedenken sind besonders gegen die Beseitigung der UnschuldsklauselBl erhoben worden - obwohl zuvor, unter dem HaftEntschG und dem UHaftEntschG,
87 Vgl. dazu die rechtstatsächlichen Erkenntnisse von Schünemann, der festgestellt hat, daß Verständigungen im Strafverfahren nicht nur der Verfahrensökonomie, sondern auch dazu dienen, Verdachtsstrafen zu verhängen: 58. DIr (1990), Bd. I, B 26.
A.A. jedoch Böttcher, 58. DIr (1990), Bd. II, L 9, 17. 88
Oben Kap. 1 / B, S. 48 f.
3. Kap.: Denkbare Motive für den Verzicht
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wiederholt und nachdrücklich gefordert worden war, daß die Entschädigung unabhängig von einem verbleibenden Tatverdacht gewährt werden müsse.
a) Unbehagen über den Wegfall der Unschuldsklausel Schon im Kommentar von Schätzler klingt eine gewisse Skepsis durch, daß das StrEG die Unschuldsklausel hat fallenlassen. Der Staat, so heißt es bei Schätzier, hafte nunmehr auch für die bloße Möglichkeit, daß Unrecht geschehen sein könne. Und ob dies eine vollkommene Lösung sei, dürfe wohl bezweifelt werden. Dazu möge man nur in Betracht ziehen, daß die Zahl der Freisprüche, die objektiv falsch seien, die Zahl der objektiv falschen Verurteilungen um ein Mehrfaches übersteige 89 . Die Frage, ob das neue Entschädigungsrecht den angemessenen Weg gefunden habe, wurde auch von Peters gestellt. Da der Entschädigungsanspruch in die Millionen gehen könne, sei vor allem die Verfolgung von Wirtschaftsstraftaten gefährdet. Außerdem werde selbst der vielfach Vorbestrafte entschädigt, und zwar selbst dann, wenn sein Freispruch höchst zweifelhaft sei. Mit ähnlicher Tendenz kritisierte Peters, daß sogar derjenige eine Entschädigung erhalte, der im Wiederaufnahmeverfahren freigesprochen werde, obwohl noch immer erhebliche Gründe für die Annahme einer Täterschaft sprechen mögen. Peters äußerte die Sorge, die großzügigen Entschädigungsregelungen würden den Betroffenen nicht nur zum Nutzen gereichen, sondern statt dessen dazu führen, daß die Freispruchquote bzw. die Zahl der wiederaufgenommenen Verfahren sinke90 • Hier tauchen im Grunde ähnliche Befürchtungen wieder auf, wie sie bereits von Lange=Fuchs in der Diskussion um die gegen "Bußzahlung" vorgenommenen Einstellungen nach § 153 a.F. StPO geäußert wurden. Noch weiter mit seiner Kritik ist Krüger gegangen. Bei ihm findet man gar die Befürchtung, die Entschädigungsregelung des StrEG könne zu einem "Nebenerwerb für chronisch verdächtige Personen führen"91. Die damit vorgebrachte Unterstellung hat eine weit zurückreichende Tradition. Schon Vollert äußerte sie 1873 in seinem Gutachten zum 11. Deutschen Juristentag: Eine Entschädigung aller Freigesprochenen prämiere die gerieben89 Schätzler, Einl. Rn. 19. 90 K. Peters, Fehlerquellen, Bd. III, § 32 II 5, S. 186 f.; ders., Strafprozeß, § 47 A X, S.437.
91 R. Krüger, Kriminalistik 1971,453,456.
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I. Teil: Einfiihrung in die Problematik
sten Verbrecher, deren Überführung am seltensten gelänge, und zwar belohne sie diese gerade für ihre List, für ihr freches Leugnen92 • Vollert war nicht der einzige, der sich damals für die Notwendigkeit aussprach, Entschädigung nur bei erwiesener Unschuld zu gewähren93 • Als dann der Gesetzgeber des Deutschen Reiches die Haftentschädigung regeln wollte, sah der Entwurf zwar zunächst vor, jeden Freigesprochenen zu entschädigem. Dafür sollte jedoch die Wiederaufnahme des Verfahrens davon abhängen, daß der Betreffende seine Unschuld nachweisen konnte 94 • Diese Vorlage konnte sich nicht durchsetzen. Statt dessen wurde im Reichstag ein Entwurf vorgelegt, der nur die Entschädigungsfragen betraf, die Rechtsmittel der Strafprozeßordnung jedoch unberührt ließ. Da aber daran festgehalten werden sollte, nur den nachweislich Unschuldigen zu entschädigen, fügte man dem Entwurf die Unschuldsklausel bei9S • Das Für und Wider dieser Klausel wurde in den sich anschließenden Beratungen heftig diskutiert96 • Diejenigen, die für die Unschuldsklausel stritten, trugen insbesondere zwei Argumente vor: Im Wiederaufnahmeverfahren lägen die Beweise oft nicht mehr vor, so daß der Betroffene sozusagen das "Glück" habe, wegen dieses Beweisverlustes freigesprochen zu werden. In dieser Situation aber sei eine Entschädigung 92Vollert, 11. DIT (1873), Bd. I, S. 95,99. 90.
9JMeyer, 11. DIT (1873), Bd. I, S. 171,177; Ullmann, 11. DIT (1873), Bd. I, S. 87,
Gegen die Unschuldsklausel sprachen sich aus: Jaques, 12. DIT (1874), Bd. I, S. 116, 126; v. Pestalozza, 36. DIT (1931), Bd. I, S. 1182, 1205; Rosenfeld, 36. DIT (1931), Bd. I, S. 1141, 1180. 94 Art. 11 §§ 413b bis 413f des Entwurfs eines Gesetzes, betreffend Aenderungen und Ergänzungen des Gerichtsverfassungsgesetzes und der Strafprozeßordnung, Reichstag, Steno Ber., 9. Leg.-Per., IV. Session (1895/97), 1. Anlagenband, Aktenstück Nr. 73, S. 346 f.
95 § 1 Abs. 1 S. 2 des Entwurfs eines Gesetzes, betreffend die Entschädigung der im Wiederaufnahmeverfahren freigesprochenen Personen, Reichstag, Steno Ber., 9. Leg.Per., V. Session (1897/98), 1. Anlagenband, Aktenstück Nr. 22, S. 324. 96 Für die Unschuldsklausel, bezogen auf das HaftEntschG, votierten: St Dr. Nieberding, Reichstag, Steno Ber., 9. Leg.-Per., V. Session (1897/98), 1. Bd., 3. Sitzg., S. 26; Abg. Dr. Pieschel, ebd. S. 29; Abg. Dr. v. Buchka, ebd. S. 31; Abg. Dr. Rintelen, ebd. S. 34; St Dr. Nieberding, Reichstag, Steno Ber., 9. Leg.-Per., V. Session (1897/98), 2. Bd., 50. Sitzg., S. 1253; ORR v. Lenthe, ebd. S. 1259.
Gegen die Unschuldsklausel sprachen sich aus: Abg. Roeren, Reichstag, Steno Ber., 9. Leg.-Per., V. Session (1897/98), 1. Bd., 3. Sitzg., S. 27; Abg. Munckel, ebd. S.31 - 34; Abg. Stadthagen, ebd. S.36; Abg. Lenzmann, Reichstag, Steno Ber., 9. Leg.-Per., V. Session (1897/98), 2. Bd., 50. Sitzg., S. 1250 f.; Abg. Munckel, ebd. S. 1255; Abg. Haase, ebd. S. 1257.
3. Kap.: Denkbare Motive für den Verzicht
75
unangemessen97 • Andere, wie z.B. der Abgeordnete Pieschel, betonten, eine Entschädigung aller Freigesprochenen sei mit dem Rechtsempfinden des Volkes unvereinbar8 •
b) Folge: Bestreben der Praxis, als unbefriedigend empfundene Ergebnisse des StrEG zu korrigieren Forscht man nach den Ursachen dieser Kritik, so zeigt sich einmal, daß die Kritiker denjenigen, der freigesprochen bzw. gegen den das Verfahren eingestellt worden ist, ohne daß sich dessen Unschuld gezeigt hätte, in der Regel für den Täter halten, der nur nicht überführt werden konnte. Das belegen die Äußerungen über den Beweisverlust im Wiederaufnahmeverfahren, aber auch der Hinweis von SchätzIer auf die Zahl der "falschen Freisprüche", die deutlich höher sei als die der Fehlverurteilungen. Wer aber mehr oder weniger von der Schuld des Verdächtigen überzeugt ist, wird meinen, der Betreffende könne schon froh sein, daß das Strafverfahren überhaupt so glimpflich abgelaufen sei. Dieser solle nicht noch erwarten, daß er durch eine Entschädigung "doppelt belohnt" werde. Die Strafverfolgungsorgane werden daher versuchen, den Verdächtigen wenigstens dadurch zu "strafen", daß sie ihm die Entschädigung versagen. Der Verzicht fungiert also als "Ersatzstrafe" . Nach altem Recht konnten die Organe der Strafverfolgung ohne weiteres diese Ersatzstrafe verhängen; sorgte doch die Unschuldsklausel in den einschlägigen Gesetzen von vornherein dafür, daß nur der Unschuldige bzw. derjenige, gegen den ein begründeter Tatverdacht nicht mehr bestand, entschädigt wurde. Nach dem StrEG gibt es dagegen kaum noch Möglichkeiten, einen verbleibenden Tatverdacht zu berücksichtigen. Der Betroffene ist in der Regel unabhängig von einem verbleibenden Tatverdacht zwingend zu entschädigen, es sei denn, das Verfahren ist nach einer Ermessensvorschrift, wie z.B. § 153 StP099 , eingestellt worden. In diesen Fällen kann eine Entschädigung gewährt werden, soweit dies nach den Umständen des Falles der Billigkeit entspricht, § 3 StrEG. Ob eine Entschädigung billig ist oder nicht, wird teilweise davon 97St Dr. Nieberding, Reichstag, Steno Ber., 9. Leg.-Per., V. Session (1897/98), 2. Bd., 50. Sitzg., S. 1252. 98 Abg. Dr. Pieschei, Reichstag, Steno Ber., 9. Leg.-Per., V. Session, (1897/98), 1. Bd., 3. Sitzg., S. 29. 99 Die Einstellung nach § 153 StPO ist allgemein als Ermessenseinstellung i.S.d. § 3 StrEG anerkannt. Vgl. nur Schätzler, § 3 Rn. 11, mit einer Aufstellung über weitere Fälle von Ermessenseinstellungen.
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1. Teil: Einführung in die Problematik
abhängig gemacht, inwieweit der Tatverdacht ausgeräumt werden konnte 100. Dies ist ein zusätzlicher Beweis dafür, daß auch nach der Refonn des Entschädigungsrechts Verdachtsmomente eine Rolle spielen 101 • Dabei bleibt die Untersuchung, ob diese Praxis überhaupt zulässig ist, allerdings noch vorbehalten 102 • Zumindest in den Fällen, wo zwingend eine Entschädigung vorgeschrieben ist, gibt es nach der Regelung des Gesetzes überhaupt keine Möglichkeit, Verdachtsmomente in die Entschädigungsentscheidung einfließen zu lassen. Reicht also der Tatverdacht für eine Verurteilung nicht aus, so muß das Gericht den Angeklagten frei- und ihm gleichzeitig eine Entschädigung zusprechen. In dieser Situation besteht die Gefahr, daß das Gericht trotz der verbleibenden Zweifel verurteilt103 , nur um nicht "doppelt belohnen" zu müssen. In eine ähnliche Lage kann auch die Staatsanwaltschaft geraten. Dort läge die Parallele darin, daß sie in gewissen Fällen nur wegen der drohenden Entschädigung Anklage erhebt, statt das Verfahren einzustellen 104 • In solchen Situationen bietet der Verzicht auf die Entschädigung einen geradezu idealen Ausweg aus dem als solchem empfundenen Dilemma: Die Einstellung des Verfahrens bzw. der Freispruch wird davon abhängig gemacht, daß der Betroffene auf seine Entschädigung verzichtet. Auf diese Art und Weise venneiden die Strafverfolgungsorgane "doppelte Belohnungen"; auf der anderen Seite wird der Betroffene oftmals schon zufrieden sein, das Strafverfahren ohne Verurteilung überstanden zu haben. Übrigens zeigt ein Hinweis von Peters, daß der Verzicht auch im Wiederaufnahmeverfahren eine Rolle spielt. Bei Peters wird nämlich über Anfragen Verurteilter berichtet, ob es nicht zweckmäßig sei, auf die Haftentschädigung zu verzichten, um die Strafverfolgungsorgane zur Wiederaufnahme des Verfahrens zu bewegen iOs • IOOOLG Hamm, NJW 1974, 374, 375; LG Flensburg, MDR 1979, 76 f., mit zustimmender Anmerkung D. Meyer; Böing, in: Deutsche strafrechtliche Landesreferate, Beiheft zur ZStW, S. 73, 84. Auch bei der Entscheidung über die Kostenverteilung soll der verbleibende Tatverdacht bzw. die Verurteilungswahrscheinlichkeit berücksichtigt werden dürfen: OLG Frankfurt, NJW 1980,2031 f.; früher auch BVerfGE 22,254,263 - 265. Nach neuerer Rechtsprechung des BVerfG dürfen Schulderwägungen nur berücksichtigt werden, wenn die Sache "schuldspruchreif' ist; grundlegend BVerfGE 74, 358, 374. 101 Darauf weist auch Kühl, S. 127, hin. 102
Siehe unten Kap. 29/ B II - IV, S. 451 - 460.
Gegen eine solche Zulässigkeit haben sich ausgesprochen: Kühl, NJW 1980, 806, 807 - 809; bei Kostenentscheidungen: BVerfGE 74, 358, 374; BVerfG, NStZ 1988, 84 f.; OLG Celle, MDR 1980,439; LiemersdorflMiebach, NJW 1980,371,376. 103
104 So
in dem von Seebode, NStZ 1982, 144, 145 f., berichteten Fall.
3. Kap.: Denkbare Motive für den Verzicht
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Schließlich bietet der Verzicht sich sogar in jenen Fällen an, in denen ohnehin nur eine Billigkeitsentschädigung in Betracht kommt. Denn über den Verzicht glauben die Strafverfolgungsorgane sicherzustellen, daß der Betroffene nach Abschluß des Verfahrens nicht doch noch Entschädigungsansprüche stellt. In einer "Zwickmühle", entweder mit der Folge der Entschädigung freisprechen oder aber, zur Vermeidung der Entschädigung, verurteilen zu müssen, mögen die Strafverfolgungsorgane sich insbesondere dort sehen, wo es um einen "chronisch Verdächtigen" geht. Auch hier bietet die Absprache "Verzicht gegen günstige Sachentscheidung" die Möglichkeit, das Verfahren ohne Bestrafung zu beenden, dem Betroffenen aber gleichzeitig einen "Denkzettel" zu verpassen.
C. Motivlagen des Beschuldigten. durch Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung das Verfahren zu beeinflussen Nachdem die Motivlagen der Strafverfolgungsorgane, auf eine Verzichtserklärung hinzuwirken, umfassend ausgelotet sind, ist auf den Beschuldigten zurückzukommen. Bei dem eingangs behandelten "edelmütigen" Verzicht war er derjenige, der einseitig die Initiative übernahm. Dagegen hat sich für den abgesprochenen Verzicht ergeben, wie dominierend die Interessen der Strafverfolgungsorgane sind. Man fragt sich deshalb, ob bei einem Verzicht, der durch informelle Verständigung erzielt wird, eigene, selbstbestimmte Absichten des Beschuldigten überhaupt noch zum Tragen kommen.
I. Reue / Beweis des guten Willens? Allerdings nimmt Schmidt=Hieber die Strafverfolgungsorgane gegen den Verdacht in Schutz, bei der informellen Verständigung würden sie dem Beschuldigten nur ihren Willen aufzwingen. Es sei verfehlt zu unterstellen, daß sich ein Beschuldigter, der verfahrensbeschleunigende Zugeständnisse mache, allein von Prozeßtaktik leiten lasse. Im Gegenteil beruhe etwa das Geständnis in der Regel auf Reue und Einsicht in das begangene Unrecht, weshalb es strafmildernd berücksichtigt werden könne lO6 • Wirke der Angeklagte IOSK.
Peters, Fehlerquellen, Bd. III, § 32 II 5, S. 187.
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1. Teil: Einführung in die Problematik
bei der Sachaufklärung mit, akzeptiere er einen Strafbefehl oder leiste er Wiedergutmachung für den angerichteten Schaden, müsse gleiches gelten107 • Es ist anzunehmen, daß die Organe der Strafverfolgung ihrerseits ähnlich argumentieren und es folglich ablehnen, hinter dem Entgegenkommen des Beschuldigten nur taktische Erwägungen zu vennuten. Zumindest vor der Öffentlichkeit werden sie sich darauf berufen, daß die Zugeständnisse (auch) von besserer Einsicht des Betroffenen zeugen. Das soll die milde Bestrafung und, damit einhergehend, die getroffene Absprache legitimieren. Beim Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung liegt jedoch eine besondere Situation vor. Die klassischen Fälle der Entschädigung bestehen darin, daß der Verurteilte mit einem Wiederaufnahmeverfahren Erfolg hat, § I StrEG, daß der Angeklagte freigesprochen wird, § 2 Abs. I StrEG, oder daß es nicht einmal zur Eröffnung des Hauptverfahrens kommt, § 2 Abs. I StrEG. Der Anspruch auf Entschädigung setzt insoweit voraus, daß der Betroffene unschuldig ist, jedenfalls aber nicht überführt werden kann. Wollte er nun einen Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung anbieten, um Reue oder Einsicht in begangenes Unrecht zu zeigen, würde er die Grundlage dafür zerstören, daß man von seiner Unscl~.uld überhaupt noch ausgehen könnte. Bei dieser Entwicklung käme es wohl gar nicht mehr zu einer Sachentscheidung, die einen Anspruch auf Strafverfolgungsentschädigung entstehen ließe. Damit wäre der durch Reue oder Einsicht motivierte Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung ein Widerspruch in sich selbst. Ebensowenig paßt der andere von Schmidt=Hieber angeführte Gesichtspunkt, der Wille zur Wiedergutmachung des Schadens. Vom Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung profitiert allein die Staatskasse; dem Opfer fließt keinerlei finanzielle Leistung zu.
II. Beschwichtigende Einwirkung auf die Strafverfolgungsorgane Scheiden Reue und die Absicht, einen Beitrag zur Wiedergutmachung des Schadens leisten zu wollen, als Motive des Betroffenen aus, bleibt gar nichts anderes übrig, als den Verzicht durch prozeßtaktische Erwägungen zu erklären: Der Beschuldigte hofft die Strafverfolgungsorgane dafür gewinnen zu I06Schmidt=Hieber, Rn. 169 - 173, S. 78 - 80. 107
Schmidt=Hieber, Rn. 188, S. 88 f., Rn. 78, S. 38 f., Rn. 180 - 183, S. 84 - 86.
4. Kap.: Parallele - Der Verzicht auf Auslagenerstattung
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können, daß diese das Verfahren in seinem Sinne günstig beenden bzw. das Verfahren zu seinen Gunsten wieder aufnehmen. Der Beschuldigte wird dabei den Verzicht - ähnlich wie die Geldauflage bei einer Verfahrenseinstellung nach § 153a StPO - als das kleinere Übel wählen. Wäre er nämlich zum Verzicht nicht bereit, müßte er befürchten, die Organe der Strafverfolgung setzten das Verfahren bis zur Verurteilung fort. Sogar für einen Unschuldigen kann es plausibel sein, seine Ansprüche preiszugeben. Denn wieviel Anlaß zu der Besorgnis besteht, das Strafverfahren werde mit dem Ziel einer Verurteilung weitergeführt, hängt nicht von Schuld oder Unschuld ab; vielmehr muß der Betroffene den Ausgang seines Prozesses danach abschätzen, welchen Eindruck die Strafverfolgungsorgane über Schuld oder Unschuld gewonnen haben. Die äußerst niedrigen Freispruchquoten, die in Deutschland festzustellen sindlOB, geben jedem Beschuldigten Grund genug, das Risiko einer Verurteilung ernst zu nehmen. Vor diesem Hintergrund hat sicherlich nicht jeder, der zu Unrecht beschuldigt wird, Nerven genug, die in Aussicht gestellte informelle Verständigung auszuschlagen und den Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung zu verweigern109 •
4. Kapitel Eine wichtige Parallele Der Verzicht auf Auslagenerstattung Die Einführung in die Problematik des Verzichts auf Strafverfolgungsentschädigung wäre unvollständig, wenn nicht wenigstens ein Seitenblick auf einen anderen, äußerlich sehr ähnlichen Sachverhalt fiele: den Verzicht auf Auslagenerstattung. Erstattung seiner Auslagen erhält gemäß § 467 Abs. I StPO deIjenige Angeschuldigte, - der freigesprochen wird, - gegen den die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt wird, - gegen den das Verfahren eingestellt wird. Das sind Voraussetzungen, die zugleich auch eine Entschädigung für die erlittene Strafverfolgung eröffnen. Häufig wird sogar die Entscheidung, ob Auslagen zu erstatten sind, mit der Entscheidung, ob Entschädigung für die 108
Übersicht bei Rieß, DRiZ 1982,201,211.
Schünemann, in: Triberg-Symposium, S. 24, 27 f., für die steigende Bereitschaft des Beschuldigten, das Verfahren durch Kooperation zu beenden. 109
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1. Teil: Einführung in die Problematik
erlittene Strafverfolgung gewährt werden muß, zusammenfallen. Deshalb gestalten sich prozessuale Situationen, in denen ein Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung in Betracht kommt, vielfach so, daß im gleichen Zug auch die Erstattung der Auslagen zum Verzicht ansteht. Entsprechend findet man den Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung und den Verzicht auf Auslagenerstattung im Schrifttum oft wie Zwillinge behandelt. Werden sie lediglich parallel untersucht11o, ist dies unbedenklich. Würden solche Ausführungen aber derart angelegt, daß sie sich gleichzeitig auf beide Arten des Verzichts beziehen, erscheint Skepsis angebracht. Denn eine Gesamtbetrachtung birgt die Gefahr, daß rechtliche Bewertungen allzu unbesehen von dem einen Verzicht auf den jeweils anderen übertragen werden.
A. A·ußerliche Gemeinsamkeiten zwischen Strafveifolgungsentschädigung und Auslagenerstattung Die vorliegende Untersuchung will sich von Anfang an ein möglichst klares Bild verschaffen, in welchem Umfang sie auf rechtsdogmatische Ansätze zurückgreifen kann, die zum Verzicht auf Auslagenerstattung entwickelt sind. Das wird sich danach beurteilen, wie weit die Gemeinsamkeiten wirklich reichen und wo andererseits die Unterschiede beginnen. Daß der Anspruch auf Auslagenerstattung oftmals gleichzeitig mit dem auf Strafverfolgungsentschädigung anfällt und daß sich deswegen auch die Frage eines Verzichts durchaus auf beide erstrecken kann, wurde bereits gezeigt. Ausgehend von dieser Koinzidenz sollen zuerst die weiteren Gemeinsamkeiten herausgearbeitet werden. Aus dem bisher Gesagten unmittelbar abzuleiten ist, daß der Anspruch auf Auslagenerstattung, ebenso wie der Anspruch auf Strafverfolgungsentschädigung, nur dort entsteht, wo der Angeschuldigte obsiegt. Denn daß das Verfahren zu seinen Gunsten ausgeht, ist die kurz gefaßte Formel, auf die sich die in § 467 Abs. I StPO genannten Entscheidungen, nämlich -
Freispruch, Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens, Einstellung des Verfahrens
bringen lassen. Wird der Angeschuldigte dagegen verurteilt, hat er seine Auslagen selbst zu tragen.
UD So
in der Mannheimer Untersuchung, S. 35.
4. Kap.: Parallele - Der Verzicht auf Auslagenerstattung
81
Bei den gesetzlichen Vorschriften, die den Anspruch jeweils regeln, fallen einige Übereinstimmungen deutlich auf. Sie betreffen die §§ 5, 6 StrEG auf der einen Seite, den § 467 Abs. 3 StPO auf der anderen. Denn in der Tat sind die Voraussetzungen, wann eine Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen versagt werden kann, jenen Gründen nachgebildet, unter denen § 467 Abs. 3 StPO den Anspruch auf Auslagenerstattung ausschließt. Bemerkenswert ist ferner, daß es auch bei der Auslagenerstattung keine Freisprüche "zweiter Klasse" gibt. Hier hat sich die gleiche Entwicklung vollzogen wie bei der Strafverfolgungsentschädigung: Der Gesetzgeber hat die ursprünglich vorhanden gewesene lll Unschuldsklausel abgeschafft. Dies geschah bei der Auslagenerstattung sogar noch früher als bei der Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen 112. Eine weitere Parallele betrifft schließlich das Verfahren, durch das über die Auslagenerstattung entschieden wird. Ebenso wie bei der Strafverfolgungsentschädigung gliedert es sich in zwei Stufen. Beim ersten Schritt wird geprüft, ob der Anspruch dem Grunde nach bestehtll3 ; §§ 8,9 StrEG einerseits, § 464 Abs. 1/2 StPO andererseits. Auch für die Auslagenerstattung spricht man insoweit von Grundentscheidung ll4 • Anschließend wird im Betrags- bzw. Festsetzungsverfahren, § 464b StPO, die Höhe des Anspruchs bestimmtllS ; letzteres entspricht den §§ 10 - 13 StrEG II6 •
111 Art. 4 Nr. 50 des 3. Strafrechtsänderungsgesetzes vom 4. August 1953; BGBl. I 1953, 735, 748.
112
Durch Art. 2 Nr. 25 EGOWiG vom 24. April 1968; BGBl. I 1968, 503, 512.
113 Hilger, in: LR, § 464 Rn. 1; Paulus, in: KMR, § 464 Rn. 9; Schimansky, in: KK, § 464 Rn. 5, letzterer mit dem Hinweis, das Gericht treffe die Grundentscheidung ohne Rücksicht darauf, ob Auslagen im Einzelfall tatsächlich entstanden sind oder nicht. Für die Strafverfolgungsentschädigung siehe nochmals Böing, in: Deutsche strafrechtliche Landesreferate, Beiheft zur ZStW, S. 73, 88; Grunau, DRiZ 1972, 56, 57 f.; D. Meyer, Vorbem. vor §§ 8, 9, Rn. 9; K. Peters, Fehlerquellen, Bd. I1I, § 32 II 4, S. 186; Schätzler, § 8 Rn. 3. 114
Z.B. Hilger, in: LR, § 464b Rn. 8; Schimansky, in: KK, § 464 Rn. 5.
IISHilger, in: LR, § 464b Rn. 1; Paulus, in: KMR, § 464b Rn. 2 f.; Schimansky, in: KK, § 464b Rn. 1. 116 Für die Strafverfolgungsentschädigung siehe Grunau, DRiZ 1972, 56, 57 f.; Händel, VOR 1973, 243, 258; D. Meyer, Vorbem. vor §§ 10 - 13, Rn. 1.
6 Frichc
82
1. Teil: Einführung in die Problematik
B. Auswertung der BGH-Rechtsprechung, wonach die Strafverfolgungsentschädigung eine Erstattung von Auslagen einschließen kann Die soeben aufgezählten Gemeinsamkeiten erscheinen manchem groß genug um anzunehmen, der Anspruch auf Strafverfolgungsentschädigung und der Anspruch auf Auslagenerstattung lägen auf derselben Linie 1l7; beide seien einander im Wesen ähnlich oder sogar gleichlII. Das dürfte jedoch etwas vorschnell sein. Denn bisher haben sich nur äußerliche Parallelen ergeben, von denen die innere Verwandtschaft beider Ansprüche erst noch erschlossen werden muß. Freilich mag sich eine tiefer gehende Untersuchung erübrigen, wenn festzustellen wäre, daß die beiden Anspruchsarten ihrer Funktion nach beliebig austauschbar sind ll9 • Daß dies der Fall sein könnte, wird nahegelegt durch die Rechtsprechung des BGH, wonach der Entschädigungsanspruch in bestimmten Fällen auch die notwendigen Auslagen des Beschuldigten mitumfaßt120. Eine genauere Prüfung ergibt indessen, daß allenfalls dieser Leitsatz auf eine Austauschbarkeit der beiden Ansprüche hindeutet. Ihn zu verallgemeinern, wäre verfehlt, weil die einschlägige Rechtsprechung sich in Wahrheit auf eine Ausnahmesituation bezieht. Daß der Beschuldigte im Rahmen einer Entschädigung für Strafverfolgung Auslagen geltend machen kann, ist nämlich stets für solche Fälle entschieden worden, in denen die Aufwendungen sich als adäquat verursachter Schaden aus einer Strafverfolgungsmaßnahme ergaben. Gleichzeitig waren die zugrunde liegenden Fälle so gelagert, daß der gewöhnliche Anspruch auf Erstattung von Auslagen, §§ 464 ff. StPO, ausnahmsweise nicht bestandl2l • Wegen dieser
117K. Schäfer, in: LR, 23. Aufl., vor § 464 Rn. 22. 118 Seier, NStZ 1982, 270, betont die Sachnähe zwischen Auslagenerstattung und StrafVerfolgungsentschädigung. Nach D. Meyer, Einl. Rn. 62, haben heide Ansprüche die gleiche Rechtsnatur: Es handele sich um Aufopferungsansprüche. 119 Zur KlarsteIlung: Ein solcher Austausch kommt natürlich nicht fiir den gesamten jeweiligen Regelungsbereich in Betracht, sondern nur dort, wo die Ansprüche in Konkurrenz zueinander auftreten.
120BGHSt 30, 152,154 f.; BGHZ 65, 170, 178 - 180; BGHZ 68, 86, 87; OLG Nürnberg, MDR 1975, 414; Hilger, in: LR, § 467a Rn. 27; D. Meyer, Einl. Rn. 62 f.; Schimansky, in: KK, vor § 464 Rn. 2; Schmehl, in: KK-OWiG, § 110 Rn. 25; a.A. OLG München, MDR 1976, 56 f. 121BGHSt 30,152,154 f.; BGHZ 65,170, 178 - 180; BGHZ 68, 86, 87. Siehe auch
4. Kap.: Parallele - Der Verzicht auf Auslagenerstattung
83
Besonderheiten läßt die Rechtsprechung des BGH den generellen Schluß, der Betroffene könne seine notwendigen Auslagen immer als Schadensposten bei der Strafverfolgungsentschädigung geltend machen, nicht zu.
C. Unterscheidung zwischen Auslagenerstattung
und Strafverfolgungsentschädigung durch freiwilligen/unfreiwilligen Eintritt des Verlustes? Nachdem die vorliegende Untersuchung bisher nur Zweifel und Bedenken angemeldet hat, ob die äußerlichen Parallelen zwischen Strafverfolgungsentschädigung und Auslagenerstattung wirklich auf eine innere Verwandtschaft hindeuten, steht sie nunmehr vor der Lage, diese Skepsis begründen zu müssen. Ein erster Versuch, Strafverfolgungsentschädigung und Auslagenerstattung gegeneinander abzusetzen, könnte darin bestehen, die beiden Anspruchsarten auf wesensverschiedene Ursachen zurückzuführen. Bei § 467 Abs. 1 StPO werden dem Angeschuldigten die "notwendigen Auslagen" erstattet. Diesen Begriff findet man nicht weiter definiert. Allenfalls kann man auf § 464a Abs. 2 StPO zurückgreifen; diese Vorschrift gibt an, welche Aufwendungen auch zu den notwendigen Auslagen gehören sollen. Offenbar hat der Gesetzgeber den allgemeinen kostenrechtlichen Auslagenbegriff, wie er zum Beispiel dem § 91 ZPO zugrunde liegt, als bekannt vorausgesetzt122 • Notwendige Auslagen des Angeklagten sind demzufolge diejenigen Kosten, die zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung erforderlich sind123 • Dazu gehören sicherlich die Kosten für einen Verteidiger l24 • Als weitere Beispiele kommen in Betracht: Aufwendungen, die dem Angeklagten durch Informationsreisen zu seinem Verteidiger entstehenl2s sowie Kosten, die dadurch anfallen, daß der Angeklagte an auswärtigen Beweisterminenl26 oder an der Hauptverhandlung l27 teilnimmt. Galke, DVBl. 1990, 145, 149. I22LG Hannover, NJW 1976, 1111; Hilger, in: LR, § 464a Rn. 21; KleinknechtMeyer-Meyer=Goßner, § 464a Rn. 7. 123 Statt aller weiteren Nachweise: OLG Düsseldorf, Rpfleger 1975, 256. 12·Paulus, in: KMR, § 464a Rn. 21; K. Schäfer, in: LR, 23. Aufl., § 464a Rn. 24; Schimansky, in: KK, § 464a Rn. 10; Wangemann, S. 21. l2SOLG Hamburg, Rpfleger 1972,414; OLG Hamm, JMBl.NW 1966,68. 126LG Hof, JurBüro 1973,307; AG Siegburg, JMBl.NW 1965, 119, 120. 127 Für den Fall, daß der Angeklagte von der Verpflichtung, zur Hauptverhandlung zu
1. Teil: Einführung in die Problematik
84
Es fallt auf, daß die genannten Aufwendungen stets ein aktives Handeln des Berechtigten voraussetzen: Der Angeklagte bestellt den Verteidiger und ist deshalb verpflichtet, das Honorar zu zahlen; der Angeklagte löst eine Fahrkarte, um seinen Verteidiger aufzusuchen etc. Typische Vennögensschäden i.S.d. StrEG, wie etwa der Ausfall des Arbeitslohnes oder des Einkommens während der Haftzeitl28 , zeichnen sich demgegenüber dadurch aus, daß sie ohne Zutun des Betroffenen entstehen. Man könnte hieraus den Schluß ziehen, bei der Auslagenerstattung würden freiwillige, bei der Strafverfolgungsentschädigung dagegen unfreiwillige Vennögensopfer ersetzt. Dennoch ist diese Unterscheidung nur auf den ersten Blick einleuchtend. Man sollte nicht außer acht lassen, daß das gesamte Strafverfahren regelmäßig gegen den Willen des Betroffenen über diesen hereinbricht. Wird er aber unfreiwillig in die Lage gebracht, sich verteidigen zu müssen, wäre es recht vordergründig, bei der einzelnen Ausgabe, die der Betroffene zu seiner Verteidigung vornimmt, darauf abzustellen, daß er insoweit selbst die Initiative ergriffen habe. Auf der anderen Seite gibt es sogar im Rahmen des § 7 StrEG Vennögensschäden, die der Beschuldigte nicht passiv erleidet, sondern die eine Vennögensverfiigung voraussetzen. Wird dem Beschuldigten z.B. der Führerschein entzogen, so entsteht sein Schaden erst dadurch, daß er Fahrtkosten für öffentliche Verkehrsmittel aufwenden oder gar einen Fahrer bestellen muß 129 • Dieser Schaden wird aber unstreitig nach §§ 2, 7 StrEG ersetzt l30 • Der Beschuldigte hat nicht einmal die Möglichkeit, ihn als Auslage nach §§ 464 ff. StPO geltend zumachen. Der Unterschied zwischen einem Schaden LS.d. StrEG und einer Auslage LS.d. §§ 464 ff. StPO läßt sich also nicht daran festmachen, ob der Betroffene die Vennögenseinbuße freiwillig oder unfreiwillig erlitten hat.
erscheinen, entbunden ist: LG Augsburg, AnwBl. 1979, 162. Für die Kosten, die dem Angeklagten entstehen, um an der Hauptverhandlung vor dem Revisionsgericht teilzunehmen: OLG Hamm, NJW 1973, 259, 261; OLG Koblenz, NJW 1965, 1289; LG Itzehoe, KostRspr. § 467 (B) Nr. 5. 128 Schätzler,
§ 7 Rn. 9.
129 Schätzler, § 7 Rn. 30. 130Kleinknecht-Meyer-Meyer=Goßner, § 7 StrEG, Rn. 4; Schätzler, § 7 Rn. 30.
4. Kap.: Parallele - Der Verzicht auf Auslagenerstattung
85
D. Unterscheidung zwischen Auslagenerstattung und Strafverfolgungsentschädigung nach Wesen und Funktion der Ansprüche Trotzdem könnte die Überlegung, ob die Ansprüche auf Strafverfolgungsentschädigung und Auslagenerstattung etwa auf wesensverschiedenen Ursachen beruhen, weiterführen. Nur müßte man sich davon lösen zu fragen, welche Verluste ohne Zutun des Betroffenen und welche anderen erst dadurch eintreten, daß er irgend etwas unternimmt. Statt dessen wäre zu untersuchen, welche Art von Ausgleich die Strafverfolgungsentschädigung auf der einen, die Auslagenerstattung auf der anderen Seite verschaffen soll.
I. Auslagenerstattung als Ausgleich für Rechtsbeeinträchtigung ? Wie gesehen l3l , tritt die Entschädigung nach dem StrEG in ein Spannungsverhältnis ein, das zwischen dem Interesse des Staates an der Strafverfolgung und dem Interesse des Bürgers an der ungestörten Ausübung seiner Grundrechte besteht. Wenn der Staat jemanden der Strafverfolgung unterwirft, ist dies stets ein sehr einschneidender Eingriff in Grundrechte. Erfolgt dieser Eingriff im Ergebnis zu Unrecht, soll der Betroffene das nicht einfach hinnehmen müssen; sondern er erhält bei jenen Maßnahmen, die in §§ 1, 2 StrEG aufgeführt sind, eine Entschädigung. Die Funktion der Strafverfolgungsentschädigung besteht folglich darin, einen materiell unrechtmäßigen Eingriff in Grundrechte wenigstens finanziell wiedergutzumachen. Zu prüfen wäre nun, ob die Auslagenerstattung eine ähnliche Funktion erfüllt oder ob sie anderen Zwecken dient. Hierzu liefert die Gesamtschau der §§ 464 ff. StPO näheren Aufschluß. Es kommt bei der Auslagenerstattung nämlich nicht darauf an, ob dem finanziellen Nachteil überhaupt eine strafprozessuale Zwangsmaßnahme vorausgegangen ist. Vielmehr liegt die entscheidende Voraussetzung des Anspruchs nach §§ 464 Abs. 2, 467a Abs. 1 StPO darin, daß Anklage erhoben wurde. Wird ein Strafverfahren eingestellt, bevor es zur Erhebung der öffentlichen Klage gekommen ist, bieten die §§ 464 ff. StPO dem Betroffenen keine Anspruchsgrundlage, aufgrund derer er seine Auslagen ersetzt verlangen könnte 132 •
131
Oben Kap. 1 / C, S. 50.
86
1. Teil: Einfiihrung in die Problematik
Wer vor diesem Hintergrund behaupten will, auch der Anspruch auf Auslagenerstattung, §§ 464 ff. StPO, solle dem Bürger Wiedergutmachung dafür verschaffen, daß der Staat seine Rechte beeinträchtigt habe, kann den maßgeblichen Grundrechtseingriff allein in dem Umstand sehen, daß Anklage erhoben wird. So ist in der Tat die Position von Appell 133 : Er meint, die Erhebung der öffentlichen Klage könne jedenfalls das Persönlichkeitsrecht dessen beeinträchtigen, gegen den die Anklage erhoben wird. Diese Konstruktion erscheint aber ziemlich gekünstelt. Denn wenn es auch zutrifft, daß der Anspruch auf Auslagenerstattung die Erhebung der öffentlichen Klage voraussetzt, so geht die Regelung der §§ 464 ff. StPO andererseits nicht etwa so weit, allein wegen der Anklageerhebung Ersatz zu gewähren. Vielmehr erhält der Angeschuldigte nur für solche Aufwendungen Ersatz, die seine zweckentsprechende Verteidigung sichern sollten. Andere finanzielle Einbußen, die eventuell mit der Anklage einhergehen, wie z.B. der Verlust der Kreditwürdigkeit, bleiben ohne Ausgleich. Ebensowenig ist ein Ersatz immaterieller Schäden vorgesehen. Das weicht von der Regelung in § 7 StrEG deutlich ab. Es kann also dahingestellt bleiben, ob Appells Ansatz, die Erhebung der öffentlichen Klage greife in das Persönlichkeitsrecht des Angeklagten ein, überhaupt zutrifft. Wenn es so wäre, knüpfen die §§ 464 ff. StPO an diese Beeinträchtigung gleichwohl nicht an. Denn wie gezeigt, ist die Rechtsfolgenseite dieser Vorschriften nicht darauf ausgerichtet, jene Schäden wiedergutzumachen, die von dem behaupteten Eingriff in das Persönlichkeitsrecht herrühren. .
132BGHSt 30, 152, 157; BGH, NJW 1975,2341,2343; OLG Frankfurt, NJW 1969, 1821; OLG München, NJW 1969, 1449; OLG Saarbrücken, NJW 1969, 1451; Schimansky, in: KK, § 467 Rn. 2. Auch der Sonderausschuß für die Strafrechtsreform hat einen Vorschlag des Deutschen Anwaltsvereins, die Auslagen schon dann zu erstatten, wenn das Verfahren noch nicht gerichtlich anhängig war, abgelehnt: 1. Bericht des Sonderausschusses, BT-Drs. 7/1261, S. 33 f. Kritisch zu der Regelung, daß nach Abschluß des Ermittlungsverfahrens keine Auslagenerstattung möglich ist, äußern sich Hilger, in: LR, § 467a Rn. 25, und Paulus, in: KMR, § 467a Rn. 3. 133 Appell, S. 61.
4. Kap.: Parallele - Der Verzicht auf Auslagenerstattung
87
11. Auslagenerstattung als Gegenstück zu anderen Kostenvorschriften Das Ziel der §§ 464 ff. StPO besteht vielmehr schlicht darin, den Angeschuldigten, der ohne Verurteilung aus dem Strafverfahren entlassen wird, von den Prozeßkosten freizustellen. Eine ähnliche Regelung für den Verwaltungsprozeß enthalten die §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 1 VwGO, wonach der unterlegene Teil dem Prozeßgegner die Aufwendungen für das Verfahren ersetzen muß. Und auch beim Zivilprozeß ist gemäß § 91 Abs. 1 ZPO die unterlegene Partei in gleicher Weise verpflichtet, der Gegenpartei die entstandenen Kosten zu erstatten. Der Anspruch nach § 91 Abs. 1 ZPO hat auch vom Umfang her etliches mit dem stratprozessualen Anspruch auf Auslagenerstattung gemeinsam. Es müssen nicht nur die Gebühren für den Rechtsanwalt, die Kosten für Fahrkarten zu den Gerichtsterminen und dergleichen ersetzt werden. Sondern es ist außerdem, entsprechend den Vorschriften über die Zeugenentschädigung, die eingetretene Zeitversäumnis zu vergüten; § 464a Abs. 2 Nr. 1 StPO, § 91 Abs. 1 S. 2 ZPO. Demnach folgen die §§ 464 ff. StPO nur dem allgemeinen Grundsatz, daß der unterlegene Teil einer gerichtlichen Auseinandersetzung die Kosten seines Prozeßgegners tragen muß. Dieser Grundsatz gilt, wie die Kostenregelungen im Zivil- und Verwaltungsprozeß zeigen, unabhängig davon, ob Bürger untereinander Rechtsstreitigkeiten austragen oder ob sich Bürger und Staat gegenüberstehen. Der Anspruch auf Erstattung der Auslagen wird dadurch zum gewöhnlichen Vermögensanspruch, wie er auch in anderen Verfahren dem obsiegenden Prozeßteil zusteht. Damit ist der entscheidende Unterschied zwischen Strafverfolgungsentschädigung und Auslagenerstattung herausgearbeitet: Es geht bei der Auslagenerstattung nicht darum, die Balance zwischen staatlicher Strafverfolgung und den Grundrechten des Bürgers zu erhalten bzw. wieder herzustellen. Auslagenerstattung ist keine Besonderheit des Strafverfahrens; der Anspruch hat rein vermögensrechtliche Natur.
E. Unterschiedliche Verfiigungsgewalt über die Ansprüche Abgesehen davon, daß Strafverfolgungsentschädigung und Auslagenerstattung sich ihrer Funktion nach unterscheiden, besteht eine Divergenz womög-
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I. Teil: Einfiihrung in die Problematik
lich auch darin, ob und in welchem Umfang der Inhaber des jeweiligen Anspruchs über denselben verfügen kann. Für die Strafverfolgungsentschädigung ist § 13 Abs. 2 StrEG zu beachten. Nach dieser Vorschrift kann der Berechtigte seinen Anspruch auf Entschädigung so lange nicht übertragen, bis über deren Höhe rechtskräftig entschieden worden ist l304 • Das ist eine Beschränkung, die auch für den Verzicht bedeutsam werden kann. Wenn sich aus § 13 Abs. 2 StrEG ergeben sollte, daß der Anspruch auf Strafverfolgungsentschädigung streng persönlichkeitsgebunden ist I3s ,. käme man womöglich zur Unverzichtbarkeit. Hiervon abgesehen, wäre schon generell zu klären, ob § 13 Abs. 2 StrEG für den Verzicht analog gilt136 •
Im Recht der Auslagenerstattung fehlt dagegen eine dem § 13 Abs. 2 StrEG entsprechende Regelung; § 13 Abs. 2 StrEG soll auch nicht analog angewendet werden können 137 • Nach Rechtsprechung und h.M. kann der Berechtigte den Anspruch vielmehr schon abtreten, bevor über die Höhe der Auslagenerstattung entschieden worden ist l38 • Im Rahmen der Auslagenerstattung wird dem Beschuldigten folglich eine größere Verfügungsgewalt über den Anspruch eingeräumt als bei der Strafverfolgungsentschädigung. Das hat möglicherweise zur Folge, daß auch ein Verzicht auf Auslagenerstattung leichter möglich ist.
F. Folgenmgen Nach den soeben gewonnenen Erkenntnissen spricht einiges dafür, daß der Verzicht auf Auslagenerstattung eher zu akzeptieren ist als der Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung. Diese Tendenz deutet sich einerseits durch § 13 Abs. 2 StrEG an. Darüber hinaus steht die Auslagenerstattung nicht unter 134 Aus der systematischen Stellung des § 13 Abs. 2 StrEG könnte man den Schluß ziehen, in § 13 Abs. 2 StrEG sei nur eine rechtskräftige Entscheidung des Zivilgerichts nach § 13 Abs. I gemeint. Es genügt jedoch, wenn die Entscheidung der Justizverwaltung unanfechtbar geworden ist: LG Stuttgart, MDR 1980, 590; D. Meyer, § 13 Rn. 14; Schätzler, § 13 Rn. 7.
13SVgl. die Begründung der Bundesregierung zum Entwurf des StrEG, BT-Drs. 6/460, S. 9. 136 Die
Prüfung erfolgt unten, Kap. 9/ A, S. 153.
137K. Schäfer, in: LR, 23. Aufl., § 464b Rn. 13. 131 OLG Hamm, AnwBl. 1979, 237, 238; OLG Koblenz, Rpfleger 1974, 403; Schimansky, in: KK, § 464b Rn. 3.
4. Kap.: Parallele - Der Verzicht auf Auslagenerstattung
89
dem hohen Anspruch, Übergriffe in die verfassungsmäßig geschützten Grundrechte kompensieren zu sollen. Vor dieser Perspektive wird die vorliegende Untersuchung sich darauf konzentrieren, den Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung zu behandeln. Soweit ein derartiger Verzicht zulässig ist, dürften gegen einen Verzicht auf Auslagenerstattung erst recht keine Bedenken bestehen. Soweit sich mit dem Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung Probleme ergeben, mögen diese für den parallelen Fall eines Verzichts auf Auslagenerstattung weniger gravierend sein. Das bedürfte jedoch einer eigenen Untersuchung, die später auf die Ergebnisse dieser Arbeit aufbauen kann.
Zweiter Teil Klärungen zum Begriff des "Verzichts" auf Strafverfolgungsentschädigung
5. Kapitel Möglichkeiten des (potentiell) Berechtigten, seine Entschädigung preiszugeben Wie die vorliegende Arbeit an verschiedenen Stellen bereits gezeigt hat, läßt das Phänomen des Verzichts auf Strafverfolgungsentschädigung sich nicht auf eine bestimmte Phase des Strafverfahrens eingrenzen. Vielmehr kann es grundsätzlich in jedem Stadium, vom Ermittlungsverfahren l bis unmittelbar vor dem Urteil2 dazu kommen, daß der (potentiell) Berechtigte seine Entschädigung preisgibt. Und sogar nach dem Ende der Hauptverhandlung mag sich eine entsprechende Situation ergeben: im Betrags- bzw. Festsetzungsverfahren3; schließlich selbst dann, wenn über eine Wiederaufnahme zu befinden ist4 oder im Wiederaufnahmeverfahren eine Entscheidung ansteht. Vor diesem breiten Spektrum von Möglichkeiten, wann die Preisgabe der Entschädigung erfolgen kann, sollte man sich nicht darauf verlassen, daß der Gegenstand, was preisgegeben wird, stets derselbe ist. Denn je nachdem, welchen Stand das Strafverfahren erreicht hat, gerät die rechtliche Position desjenigen, für den eine Entschädigung in Betracht kommt, in einen veränderten "Aggregatzustand". So wurde bereits angedeutet, daß erst zum Ende des Verfahrens über die Verpflichtung zur Entschädigung entschieden wird; es liegt auf der Hand, daß der Inhalt dessen, was der Berechtigte verlangen kann, dadurch ganz wesentlich gestaltet wirds. Da es außerdem noch diverse Verfah1 Etwa anläßlich einer Verfahrenseinstellung nach § 153a Abs. 1 StPO; siehe oben Kap. 3/ BIll 1, S. 70. 2
Oben Kap. 3/ B 11 2 b, S. 68.
3
Oben Kap. 3 / B 11 2 a, S. 67.
4
Oben Kap. 3/ BIll 2 a, S. 73.
5Bussmann/Lüdemann, MSchKrim. 1988, 81, 84; Dahs-Dahs, Rn. 135 f., S. 86;
5. Kap.: Möglichkeiten, die Entschädigung preiszugeben
91
rensrechte gibt, die sich auf die Entschädigung beziehen, könnte es zu pauschal und zu grob sein, alles unter dem Begriff "Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung" zu behandeln. Deshalb gehört es zu den notwendigen VorKlärungen dieser Arbeit, die verschiedenen Möglichkeiten, was der (potentiell) Berechtigte preisgeben könnte, durchzugehen.
A. Verzicht auf den materiellen Entschädigungsanspruch Wie §§ 1, 2 StrEG festlegen, "wird entschädigt", wer durch eine strafgerichtliche Verurteilung bzw. durch den Vollzug der Untersuchungshaft oder einer anderen Strafverfolgungsmaßnahme einen Schaden erlitten hat. Stellt das Gesetz dort zunächst nur die Verpflichtung in den Vordergrund, spricht es später, in der Überschrift zu § 7 StrEG sowie in § 10 Abs. 1 StrEG, in § 11 Abs. 1 S. 1 StrEG, in § 12 StrEG, in § 13 Abs. 1 S. 1, 3 / Abs. 2 StrEG, deutlich aus, daß die K~hrseite ein Anspruch desjenigen ist, der die Entschädigung erhalten soll. Diese materielle Berechtigung, Zahlung von Geld verlangen zu können, dürfte immer an erster Stelle stehen, wenn jemand, der einer Strafverfolgung ausgesetzt war, erklären sollte, was ihm die Aufhebung des Urteils, der Freispruch, die Einstellung des Verfahrens etc. "einbringt". Nimmt aber der Anspruch auf Geld für den Betroffenen eine derart zentrale Rolle ein, kann man daraus fast schon eine Auslegungsregel ableiten: Wer einen Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung erklärt oder in anderer Weise erkennen läßt, daß die Entschädigung preisgegeben werden soll, wird für gewöhnlich bewirken wollen, daß der materielle Entschädigungsanspruch erlischt.
B. Verzicht auf das verfahrensmäßige Recht, den festgestellten Anspruch aufEntschädigung geltend zu machen, § 10 Abs. 1 S. 1 StrEG Man darf allerdings nicht ausschließen, daß in besonderen Situationen andere Varianten des Verzichts zum Zuge kommen. Einen Ansatz bietet etwa § 10 Abs. 1 S. 1 StrEG, wonach über die Höhe der Entschädigung nur auf Antrag entschieden wird. Dahs, NJW 1987, 1318; ders., NStZ 1988, 153, 159; R. Hassemer / Hippler, StV 1986, 360,361 f.; Rückel, NStZ 1987,297,298 f.; MannheimerUntersuchung, S. 31.
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2. Teil: Klärungen zum Begriff des "Verzichts"
Äußert sich der Betroffene etwa dahin, er werde "ohnehin keinen Antrag auf Entschädigung stellen", kann das zu bedeuten haben, daß er nicht in erster Linie auf die Entschädigung verzichtet, sondern auf sein durch § 10 Abs. I S. 1 StrEG gewährtes Recht, diese beantragen zu können. Der Beschuldigte gibt dann ein Verfahrensrecht preis.
C. Verzicht auf das verfahrensmäßige Recht, eine Entscheidung über die Entschädigungspjlicht zu beantragen, § 9 Abs. 1 S. 3 StrEG Stellt die Staatsanwaltschaft das Verfahren ein, wird die Grundentscheidung nicht von Amts wegen, sondern nur auf Antrag des Beschuldigten getroffen, § 9 Abs. 1 S.3 StrEG. Verzichtet der Beschuldigte daher im Ennittlungsverfahren, kann die Auslegung ergeben, daß er sein Antragsrecht nach § 9 Abs. I S.3 StrEG, also sein Recht, die Grundentscheidung zu beantragen, aufgeben will.
D. Verzicht auf die nach § 8 Abs. 1 StrEG zu treffende Entscheidung über die Entschädigungspjlicht Neben dem Verzicht auf den materiellen Entschädigungsanspruch sowie dem Verzicht auf die Antragsrechte, die in § 10 Abs. I S. I StrEG bzw. in § 9 Abs. I S. 3 StrEG geregelt sind, läßt sich eine weitere Variante ausmachen: In der Literatur ist mehrfach die Rede von einem Verzicht auf die Grundentscheidung6 • Gemeint ist dabei die Grundentscheidung des § 8 Abs. I StrEG, die im Gegensatz zur Grundentscheidung des § 9 Abs. I StrEG von Amts wegen zu treffen ist. Der Verzicht beträfe hier wohl das Recht, daß eine Grundentscheidung erlassen wird, bzw., wie der StrEG-Kommentar von Meyer es fonnuliert, "die fönnliche Feststellung eines Entschädigungsanspruchs"7.
6 Z.B. bei Kleinknecht-Meyer-Meyer=Goßner, § 8 StrEG, Rn. 3; D. Meyer, Vorbem. vor §§ 1 - 6, Rn. 13 ff., insbesondere in der Überschrift; Schmehl, in: KKOWiG, § 110 Rn. 38.
7D. Meyer, Vorbem. vor §§ 1 - 6, Rn. 13.
5. Kap.: Möglichkeiten, die Entschädigung preiszugeben
93
Ob der Beschuldigte überhaupt ein Recht auf die Grundentscheidung hat, mag vorerst dahingestellt bleiben. Denkbar ist immerhin, daß ihm, nachdem das Verfahren zu seinen Gunsten beendet worden ist, ein Recht auf Erlaß einer Grundentscheidung erwächst, welche dann den eigentlichen Entschädigungsanspruch begründetl. Allerdings ist der anzutreffende Sprachgebrauch zum "Verzicht auf die Grundentscheidung" leider ziemlich ungenau. So wird unter dieser Überschrift auch die Frage diskutiert, ob das Gericht, nachdem der Beschuldigte auf den materiellen Entschädigungsanspruch verzichtet hat, noch eine Grundentscheidung treffen muß oder nicht9 • Bei diesem Thema geht es dann aber gar nicht darum, daß der Beschuldigte·eine Veifügung über die Grundentscheidung träfe. Vielmehr ist das Problem angeschnitten, wie sich ein Verzicht auf den materiellen Entschädigungsanspruch auf das weitere Entschädigungsveifahren auswirkt, insbesondere, ob der Verzicht schon im Grundverfahren zu berücksichtigen ist oder nicht. Folglich umschreibt die Formulierung "Verzicht auf die Grundentscheidung" in diesen Fällen die Rechts/olgen eines Verzichts, nämlich auf den materiellen Entschädigungsanspruch; sie ist daher in diesem Zusammenhang irreführend.
E. Verstreichenlassen der in § 10 Abs. 1 S. 1/2 StrEG sowie in § 9 Abs. 1 S. 3 StrEG vorgesehenen AntragsJristen Gemäß § 10 Abs. 1 S. 1 StrEG muß der Anspruch auf Entschädigung innerhalb von sechs Monaten nach der Grundentscheidung geltend gemacht werden. Versäumt der Beschuldigte diese Frist schuldhaft, ist der Anspruch ausgeschlossen, § 10 Abs. 1 S. 2 StrEG. Bei dem in § 9 Abs. 1 StrEG geregelten Antrag auf die Grundentscheidung beträgt die Frist einen Monat; § 9 Abs. 1 S. 4 StrEG. Auch hier führt schuldhafte Säumnis dazu, daß der Antrag nicht mehr gestellt werden kann; § 9 Abs. 1 S. 6 StrEG i.V.m. § 44 StPO. Nach Fristablaufist dem Berechtigten die
BUnten Kap. 9/ F II / G, S. 164 f. Z. B. bei Kleinknecht-Meyer-Meyer=Goßner, § 8 StrEG, Rn. 3. Daß es dort um die Streitfrage geht, ob das Gericht nach einem Verzicht von einer Grundentscheidung absehen kann oder nicht, beweisen die Zitate, die ausschließlich dieses Problem betreffen, nämlich: OLG Karlsruhe, Justiz(BW) 1976, 367; OLG München, NJW 1973,721; Händel, VOR 1973, 243, 257; Schätzler, § 8 Rn. 11; Seebode, NStZ 1982, 144, 146. 9
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2. Teil: Klärungen zum Begriff des "Verzichts"
Möglichkeit genommen, den Anspruch auf Entschädigung zum Entstehen zu bringen. Der (potentiell) Berechtigte kann seine Entschädigung also auch dadurch preisgeben, daß er Antragsfristen verstreichen läßt. Ob dann allerdings noch von einem "Verzicht" gesprochen werden kann, ist zweifelhaft.
6. Kapitel Der Bereich des Begriffes "Verzicht" An dem Fall, daß der (potentiell) Berechtigte die Antragsfrist des § 10 Abs. I S. 1/2 StrEG verstreichen läßt, wird deutlich, daß durchaus nicht jede Preisgabe des Entschädigungsanspruchs zugleich schon ein "Verzicht" sein muß. Der Ablauf der Frist bewirkt, daß eine Entschädigung nicht länger in Betracht kommt. Hat der (potentiell) Berechtigte dieses Ergebnis bewußt herbeigeführt, beruht der Wegfall der Entschädigung auch durchaus auf eigener, willentlicher Entscheidung. Trotzdem scheint der Begriff des Verzichts nicht recht zu passen. Das kann nur daran liegen, daß er im allgemeinen oder im juristischen Sprachgebrauch mit bestimmten Merkmalen belegt ist. Um insoweit Klarheit zu schaffen, wäre näher aufzuschlüsseln, welche Merkmale es sind, die der allgemeine oder der juristische Sprachgebrauch bei einem "Verzicht" voraussetzt.
A. Elementefiir eine Definition des Verzichts Verzichtserklärungen gibt es in den verschiedensten Rechtsgebieten. Es empfiehlt sich, diese Vorkommen wenigstens in einem groben Überblick zu erfassen. Ergeben sich Parallelen und Kongruenzen, können sie für eine Definition verwertet werden.
6. Kap.: Der Bereich des Begriffes "Verzicht"
95
I. Wesentliche Fälle des Verzichts im geltenden Recht Soweit der Verzicht im Strafrecht behandelt wird, liegt der Schwerpunkt bei solchen Fällen, in denen veifahrensmäßige Rechte oder Befugnisse aufgegeben werden. Beispielhaft können angeführt werden 10: -
der Verzicht auf den Strafantrag, der Verzicht auf Beweisanträge, § 245 Abs. 1 S. 2 StPO, der Verzicht auf Rechtsrnittel, §§ 302, 267 Abs. 4, 5 StPO, der Verzicht darauf, bestimmte Gesetzesverletzungen zu rügen, sog. Rügeverzicht.
Ob dagegen auf eine materielle Rechtsposition verzichtet werden kann, ist eine dem Strafrecht fremde Fragestellung. Der zentrale materielle Anspruch, mit dem das Strafrecht sich beschäftigt, ist der des Staates auf Bestrafung; ob dieser Anspruch verwirklicht wird oder nicht, ist keine Verzichtsproblematik, sondern Thema der §§ 152 Abs. 2, 153 - l54e StPO. Anders verhält es sich im bürgerlichen Recht. Neben dem Verzicht auf Verfahrensrechte, der im Zivilprozeßrecht vorkommt11 , trifft man Regelungen, bei denen es um die Aufgabe materieller Ansprüche geht. § 397 Abs. 1 BGB behandelt den Erlaß, d.h., die Preisgabe einer Forderung. Den Begriff "Verzicht" gebraucht das Bürgerliche Gesetzbuch beim Erbverzicht, §§ 2346 2351 BGB, sowie beim Verzicht auf Zuwendungen, § 2352 BGB. Weitere Fälle des Verzichts sind in § 376 Abs. 2 Nr. 1 BGB, in § 571 Abs. 2 S. 1 BGB sowie in § 671 Abs. 3 BGB geregelt. Vom öffentlichen Recht geläufig ist die Problematik des Verzichts auf Grundrechte 12. Weiteres Anschauungsrnaterial liefern sodann die zahlreichen Einzelgesetze des Verwaltungsrechts, etwa beim Verzicht
10 Siehe, jeweils nur zum Überblick: Dreher-Tröndle, § 77 Rn. 30; KleinknechtMeyer-Meyer=Goßner, Ein! Rn. 117, § 245 Rn. 8 - 14, § 302 Rn. 13 - 26; Holger Müller, S. 8; Roxin, § 42 Rn. 16, S. 310, § 51 Rn. 23, S. 387. 11 Verzicht auf VerfahrensfÜgen, § 295 ZPO; Verzicht auf den geltend gemachten Anspruch, § 306 ZPO; Verzicht auf Einspruch gegen das Versäumnisurteil, § 346 ZPO; Verzicht auf Zeugen, § 399 ZPO; Verzicht auf Urkundenbeweis, § 436 ZPO; Verzicht auf Rechtsmittel, §§ 514, 566, 566a Abs. 4, 629a Abs. 4 ZPO; Verzicht auf Rechte aus Pfändung und Überweisung, § 843 ZPO.
12B1eckmann, JZ 1988, 57, 59; Dürig, AöR 81 (1956), 117, 153; Malomy, JA 1974, 475,476 - 480; v. Miinch, in: v. Miinch / Kunig, Vorbem. Art. 1 - 19, Rn. 63; ders., in: FS für Ipsen, S. 113, 127 f.; Pietzcker, Staat 17 (1978), 527, 551; Robbers, JuS 1985,
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2. Teil: Klärungen zum Begriff des "Verzichts"
- auf Antrags- und Verfahrensrechte l3 , - auf Erlaubnisse und Bewilligungen14 , - auf Ansprüche nach dem Lastenausgleichsgesetz, dem Bundesentschädigungsgesetz, dem Bundesrückerstattungsgesetz oder dem Opferentschädigungsgesetz 1S , - auf Aufwandsentschädigung oder Auslagenersatz, wie er von Beamten, ehrenamtlichen Richtern, Zeugen oder Sachverständigen erklärt werden mag l6 • Allerdings war es in allen diesen Fällen der Rechtsanwendung überlassen, Zulässigkeit und Wirkungen eines Verzichts zu klären. Eine Aussage des Gesetzgebers liegt seit 1975 für das Sozialrecht vor: § 46 SGB I gibt die Möglichkeit, auf Sozialleistungen zu verzichten, was durch schriftliche Erklärung gegenüber dem zuständigen Leistungsträger geschehen muß. Der Verzicht ist unwirksam, soweit durch ihn andere Personen oder Leistungsträger belastet oder soweit Rechtsvorschriften umgangen werden. Im übrigen kann er jederzeit mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden.
11. § 397 Abs. I BGB als Grundlage einer allgemeinen Verzichtsdefinition ? Wo Rechtsprechung und Literatur sich mit dem Verzicht auf Forderungen auseinandersetzen, wird häufig § 397 Abs. 1 BGB zum Ausgangspunkt genommen17 • Dafür gibt es nachvollziehbare Gründe. Die Vorschrift ist seit hundert 925, 926 - 930; Stern, Bd. IIV2, § 86, S. 887 - 929; Sturm, in: FS für Geiger, S. 173, 185, 186; Maunz-Zippelius, § 20 11 2, S. 152 f. 13 Anhörung, mündliche Verhandlung, Fristen, Rechtsmittel, alles bezogen auf das Verwaltungsverfahren: Kopp, VwVfG, § 22 Rn. 26; Thieme, DÖV 1988,250,252. 14 Approbation, Bestallung, Fahrerlaubnis, Gewerbeerlaubnis: PrOVG, Reger 13, 226, 227 f.; dass., Reger 23, 29, 30; dass., GewArch. 1909, 87, 88; BayVGH, DVBl. 1950,372; OVG Münster, NJW 1987, 1964 f.; Bussfeld, DÖV 1976,765 ff.; NebendahVRönnau, NVwZ 1988, 873, 876 f.; Quaritsch, in: GS für Martens, S. 407, 409, 410; Schoenborn, S.76; Thieme, DÖV 1988, 250, 252; v. Turegg - Kraus, S.174; Wilde, S. 155, 156 f.,159.
15 BVerwGE 14,93,95; Kunz/ZeHner, § 1 Rn. 76; Wilde, S. 149, 150. 16Wilde, S. 132 f., 161. I'Siehe z.B. RG, JW 1923, 988; Gitter, VSSR 5 (1977), 323, 338; Schoenborn, S. 74 f., 84; Wilde, S. 21 f., 37 f.
6. Kap.: Der Bereich des Begriffes "Verzicht"
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Jahren kodifiziert; so konnte sie ihre prägende Wirkung zu Zeiten entfalten, in denen das allgemeine Verwaltungsrecht, von gesetzlicher Regelung weit entfernt, mit allgemeinen Grundsätzen operierte, die häufig aus dem bürgerlichen Recht gegriffen wurdenI!. Dort steht § 397 Abs. 1 BGB an zentraler Stelle, nämlich im allgemeinen Teil des Rechts der Schuldverhältnisse. Bei näherer Betrachtung stellen sich freilich Zwei/ei ein, ob § 397 Abs. 1 BGB einer allgemeinen Definition des Verzichts als Grundlage dienen kann. Schon der gewöhnliche Sprachgebrauch assoziiert den Verzicht mit der Vorstellung eines freien Beliebens, in dem der Berechtigte darüber entscheidet, ob er sein Recht aufgeben will oder nicht. Freies Belieben aber kommt dort am besten zum Zuge, wo der Verzicht einseitig erklärt wird l9 • Für die meisten Rechte, wie etwa Gestaltungs- und Verfahrensrechte, ist es deshalb seit jeher unbestritten, daß der Berechtigte sie durch einseitige Erklärung aufgeben kann20 • Diesem Leitbild entspricht § 397 Abs. 1 BGB gerade nicht, da er verlangt, einen Vertrag mit dem Schuldner zu schließen. Mit dieser Voraussetzung befindet § 397 Abs. 1 BGB sich sogar innerhalb des bürgerlichen Rechts in einer Minderheitsposition. Daß der Verzicht einen Vertrag erfordert, trifft man nämlich ansonsten nur noch beim Erbverzicht an, §§ 2346 ff. BGB. Dagegen genügt in § 376 Abs. 2 Nr. 1 BGB, in § 571 Abs. 2 S. 1 BGB, in § 671 Abs. 3 BGB, in § 928 Abs. 1 BGB oder in § 959 BGB die einseitige Erklärung. Auffällig ist im übrigen, daß der Begriff des Verzichts in § 397 Abs. 1 BGB nicht einmal vorkommt. Die Vorschrift handelt vom
Das bedeutet nicht, daß § 397 Abs. 1 BGB auch im Ergebnis als Leitbild akzeptiert würde. Gerade was die Strafverfolgungsentschädigung betriffi, ist allerdings auf Haas, MDR 1994, 9, 10, undD. Meyer, Vorbem. vor §§ 1 - 6, Rn. 18, hinzuweisen, die sich in der Tat an § 397 Abs. 1 BGB orientieren wollen. 18 Der hohe Stand, den die Privatrechtswissenschaft durch das Bürgerliche Gesetzbuch erlangte, hat das Verwaltungsrecht jahrzehntelang beeinflußt. Auffälligster Beleg ist die Fülle der sog. Analogieliteratur, der zufo1ge das kodifizierte Zivilrecht als Quelle auch des Verwaltungsrechts dienen sollte. Wie bei Krause, VerwAreh 61 (1970), 297, 301 - 303, dargestellt, hatten diese Bestrebungen ihren stärksten Einfluß in der Dogmatik der öffentlich-rechtlichen Willenserklärungen. Das betriffi auch den Bereich der Verzichts1ehre. 19 Schoenbom, S. 15 f. 2°OLG Frankfurt, Rpfleger 1973, 143, 144; Bachof, in: Wo1fflBachof, VerwR I, § 43 IV, S. 333; Elleser, BB 1965,461,462; Fischer, S. 49 - 51; Forsthoff, § 14.2 b, S.288; Heinrichs, in: Palandt, § 397 Rn. 1; Knobloch, DVBl. 1959, 91 f.; Larenz, SchuldR AT, § 19 I a, S. 267; Midde1, S. 31; Quaritsch, in: GS fiir Martens, S. 407, 408; Schimpf, S.201; Schoenbom, S. 16 ff. m.w.N.; Stelkens, in: StelkenslBonkl Sachs, § 53 Rn. 13; H.P. Westermann, in: Erman, § 397 Rn. 1; Wilde, S. 19,20. 7 Friehe
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2. Teil: Klärungen zum Begriff des "Verzichts"
"Erlaß" des Schuldverhältnisses, der durch die Übereinkunft zwischen Schuldner und Gläubiger erfolgt. Der rechtspolitische Hintergrund, warwn § 397 Abs. 1 BGB die Vertragslösung wählt, zeigt ebenfalls seinen Ausnahmecharakter: Der Gläubiger soll sich über den Willen des Schuldners, zu seiner Schuld zu stehen, nicht einfach hinwegsetzen können. Der Gesetzgeber meinte vielmehr, die Achtung vor der Persönlichkeit des Schuldners gebiete es, daß dieser sich nicht gegen seinen Willen beschenken lassen muß21 • Das ist ein Gedanke, der bei den meisten anderen Verzichtsfällen nicht paßt.
III. § 46 SGB I als Grundlage einer allgemeinen Verzichtsdefinition ?
Der Verzicht auf Ansprüche, die dem Bürger gegenüber der öffentlichen Hand zustehen, ist seit 1975 für das Sozialrecht gesetzlich geregelt. Es liegt nahe, die einschlägige Vorschrift, § 46 SGB I, darauf zu untersuchen, ob sie geeignete Merkmale für eine übergreifende Begriffsbestimmung zu liefern vermag.
Im Ergebnis ist das nicht der Fall. Schwierigkeiten bereitet § 46 SGB I schon dadurch, daß er gar keine Definition des Verzichts enthält. Welche Sachverhalte unter die Vorschrift zu subsumieren sind, bleibt statt dessen dem Anwender überlassen, der seinerseits nur auf die überkommenen Verzichtslehren zurückgreifen kann. Soweit § 46 SGB I Voraussetzungen für die Wirksamkeit des Verzichts aufstellt, trägt das zur Klärung, wann ein Verzicht begrifflich vorliegt, nichts bei. Einige dieser Voraussetzungen, z.B. die Schriftform22 , scheinen speziell auf das Sozialrecht zugeschnitten zu sein. § 46 SGB I zu verallgemeinern, wäre auch deshalb bedenklich, weil die Vorschrift schon in ihrem eigenen Bereich, dem Sozialrecht, kaum praktische Bedeutung hat23 • Dort ist sie im übrigen nicht einmal vorbehaltlos akzeptiert24 • 21
Larenz, SchuldR AT, § 19 I a, S. 267 m.w.N.; Wilde, S. 22, 37 f.
22Vorgreifend sei insoweit angemerkt, daß der Verzicht nach h.M. grundsätzlich keiner Form bedarf: Brüggemann, S. 16; Forsthoff, § 14.2 b, S. 289; Leippert, S. 67; Nebinger, § 17 A V, S. 300, Fn. 74; Quaritsch, in: GS fUr Martens, S. 407, 413; Wilde, S.66. Siehe unten Kap. 14/ C, S. 245. Gitter, in: BochKomm, § 46 Rn. 1; Seewald, in: KassKomm, § 46 SGB I, Rn. 2. Bestätigt wird diese Einschätzung dadurch, daß bisher kaum Rechtsprechung zu § 46 23
6. Kap.: Der Bereich des Begriffes "Verzicht"
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Bevor sie in Kraft trat, lehnte die h.M. die Möglichkeit, auf Sozialleistungen verzichten zu können, ab2s ; das wirkt bis heute nach.
IV. Der Begriff des Verzichts im üblichen Sprachgebrauch von Rechtsprechung und Literatur Da die vorhandenen Gesetze keine Definition des Verzichts anbieten, ist die weitere Suche auf Rechtsprechung und Literatur verwiesen. Freilich wird man auch dort keine allseits akzeptierte, generell verwendbare Formel finden26 • Immerhin herrscht aber ein gewisser Grundkonsens darüber, worin die üblichen Merkmale eines Verzichts bestehen27 •
1. Preisgabe Als erstes Kennzeichen wird genannt, daß der Berechtigte eine Position, die ihm gebührt oder gebühren könnte, au[gibf8 • Das entspricht auch dem Ausgangspunkt der vorliegenden Untersuchung. Denn diese hat zunächst ganz allgemein die Möglichkeiten des (potentiell) Berechtigten aufgezeigt, die Strafverfolgungsentschädigung preiszugeben, und nähert sich nun dem Verzicht als einer der insgesamt vorhandenen Möglichkeiten. SGB I vorliegt. 24 Rechtspolitische Bedenken äußern Seewald, in: KassKomm, § 46 SGB I, Rn. 2, und Thieme, in: Wannagat, AT § 46 Rn. 1. 2lBültmann, DOK 1934, 353; Elleser, BB 1965,461 f.; ders., SozVers. 1951,112 f.; Leippert, S. 102 - 105; H. Peters, S. 150; Wilde, S. 140, 142, 144, 145, 146 f. 26Brüggemann, S. 1; Fischer, S. 3. 27Brüggemann, S. 3; Walsmann, S. 41. Davon zeugen auch die Aufstellungen von Schoenborn, S. 19, und Fischer, S. 5, über die Erfordernisse, die nach der Rechtslehre einen Verzicht ausmachen. 28 Das Merkmal wird meistens als selbstverständlich behandelt und fmdet deshalb nur selten eine ausdrückliche Erwähnung. Doch siehe immerhin EnneccerusNipperdey, § 143 III 3, S. 884; Kretschmer, in: GK-SGB I, § 46 Rn. 3; Malorny, JA 1974,475; Nebendahl/Rönnau, NVwZ 1988,873,875; Stern, Bd. IIU2, § 86 13/ II 6,
S. 890,913. 7'
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2. Teil: Klärungen zum Begriff des "Verzichts"
2. Vom Recht gewährte Begünstigung als Gegenstand der Preisgabe Rechtsprechung und Literatur verlangen nicht, daß der Verzicht sich auf ein subjektives Recht im engeren Sinne beziehe. Vielmehr soll jede von der Rechtsordnung gewährte Begünstigung Gegenstand eines Verzichts sein können29 • Das ist hier insofern von Bedeutung, als die Preisgabe der Strafverfolgungsentschädigung, wie gesehen, auch anders als durch den Verzicht auf den materiellen Entschädigungsanspruch erfolgen kann.
3. Preisgabe durch rechtsgeschäftliehe Erklärung Offenbar sieht die Rechtslehre nicht in jeder Erklärung oder Handlung, mit der jemand sein Recht aufgeben will, einen Verzicht. Der Verzicht wird nämlich entweder als Willenserklärung30 , als Rechtsgeschäft3 1 oder als Verfiigung32
29 Brüggemann,
S. 4 f.; Enneccerus-Nipperdey, § 143 III 3, S.884; Forsthoff,
§ 14.2 b, S. 288; Quaritsch, in: GS fiir Martens, S. 407, 408; Walsmann, S. 30 f.
Auch die Ausführungen von Wilde, S. 4 - 16, widersprechen dem letztlich nicht. Zwar verlangt Wilde, S.4, Gegenstand des Verzichts müsse ein subjektives öffentliches Recht sein. Anschließend, S. 8, deflniert er aber das subjektive öffentliche Recht als jede Art von Befugnis, durch die der einzelne etwas von einem Träger staatlicher Gewalt verlangen kann. 30LSG RhPf, SozVers. 1983,22,23; Apelt, S. 71; Enneccerus-Nipperdey, § 143 III 3, S. 884, 885; Forsthoff, § 14.2 b, S. 289; Gitter, in: BochKomm, § 46 Rn. 3, 19; ders., VSSR 5 (1977),323,338; Hauck, in: Hauck, SGB I, K § 46 Rn. 3c; Huber, SozVers. 1982,212; W. Jellinek, § 9 IV 7, S. 214; Krause, VerwArch 61 (1970),297,304; Kretschmer, in: GK-SGB I, § 46 Rn. 3, 11; Ma10rny, JA 1974, 475; Mrozynski, § 46 Rn. 4; Nebendahl/Rönnau, NVwZ 1988, 873, 875, 878, 879; Peters-Homme1, § 46 Anm. 4; Quaritsch, in: GS fiir Martens, S.407, 408, 413, 416; Seewald, in: KassKomm, § 46 SGB I, Rn. 5; Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 53 Rn. 13, 17; Stern, § 86 11 6, S. 913, 914 f.; Thieme, in: Wannagat, AT § 46, Rn. 3; v. Turegg - Kraus, S. 111, 174. 31 Ape1t, S. 70; Bachof, in: Wo1fflBachof, VerwR I, § 43 IV, S. 333; Brüggemann, S. 8; Bussfeld, DÖV 1976, 765, 768; Fischer, S. 5,49; Forsthoff, § 14.2 b, S. 287 f.; Larenz, SchuldR AT, § 19 I a, S. 267; Malomy, JA 1974, 475; Midde1, S. 31; Schoenborn, S. 19; Wilde, S.III, 17,26. 32 So etwa Brüggemann, S. 9, und Ma10rny, JA 1974, 475. Offen gelassen dagegen von Schoenborn, S. 18.
6. Kap.: Der Bereich des Begriffes "Verzicht"
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eingeordnet. Diese Begriffe haben einen gemeinsamen Kern. Sie setzen voraus, daß der Verzichtende etwas erklärt und sich dabei nicht bloß im gesellschaftlichen, sondern im rechtlichen Bereich bewegt. Die übliche, wenngleich mißverständliche Bezeichnung für den Umstand, daß eine Erklärung "im rechtlichen Bereich" abgegeben wird, lautet: Rechtsbindungs- oder Rechtsfolgewille 33 • Solange eine Erklärung - nach dem Verständnis eines beobachtenden Dritten - ohne das Bewußtsein erfolgt, Rechtsfolgen auszulösen, kann weder von einer Willenserklärung noch von einem Rechtsgeschäft noch von einer Verfügung die Rede sein.
4. Erlöschen des Rechts als unmittelbar bewirkte Folge des Verzichts In der Literatur werden zwei weitere Merkmale des Verzichts betont: Zum einen wird der Verzicht abgegrenzt von der Veräußerung. Während der Berechtigte durch die Veräußerung sein Recht verliert, indem er es auf einen anderen überträgt, bewirkt der Verzicht, daß das Recht untergehf4. Zum anderen muß das Recht unmittelbar durch die Willenserklärung erlöschen. Im Gegensatz dazu stehen Situationen, bei denen der Untergang des Rechts sich als zwangsläufige Konsequenz einer gesetzlichen Regelung ergibt, die diese Rechtsfolge so vorschreibt. Ein solches, nicht auf einer Willenserklärung beru-
33 Enneccerus-Nipperdey, § 14511 Al, S. 897; Medicus, BGB AT, Rn. 191, S. 78 f. Aus der Rechtsprechung siehe BGHZ 21, 102, 106; wohl zuletzt BGH, NJW 1992, 498. Auf den "Willen" abzustellen, ist mißverständlich, weil es den Anschein erweckt, als fehle der innere Tatbestand der Willenserklärung. Dies ist jedoch nicht der Fall. Eine Äußerung ohne Rechtsbindungswillen ist nicht im rechtlichen Bereich erfolgt, so daß schon der äußere Tatbestand einer Willenserklärung nicht vorliegt. Dazu siehe Medicus, BGB AT, Rn. 193, S. 80. 340VG Münster, NJW 1987, 1964, 1965; LSG RhPf, SozVers. 1983,22,23; Brüggemann, S. 6, 9; Enneccerus-Nipperdey, § 143 III 1/3, S. 884; Gitter, in: BochKomm, § 46 Rn. 17; Hauck, in: Hauck, SGB I, K § 46 Rn. 5; Leippert, S. 66; Malomy, JA 1974,475,476; Peters-Hommel, § 46 Anm. 2; Quaritsch, GS für Martens, S. 407, 408, 414; Schoenbom, S. 19; Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 53 Rn. 13. Schoenbom, S. 23 f., hielt diese Abgrenzung allerdings beim öffentlichrechtlichen Verzicht für unbrauchbar, weil es kaum vorkommen werde, daß der Bürger subjektive öffentliche Rechte auf den Staat übertrage.
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2. Teil: Klärungen zum Begriff des "Verzichts"
hendes Erlöschen ist etwa dann gegeben, wenn der Berechtigte eine Ausschlußfrist versäumt hat3s . In diesem Zusammenhang meint Brüggemann, es liege kein Fall des Verzichts vor, wenn der Berechtigte sich lediglich verpflichte, sein Recht nicht geltend zu machen. Durch eine derartige Verpflichtung werde nämlich das Recht nicht zum Erlöschen gebracht. Eben dies sei aber wesentlich, wenn man davon ausgehe, daß der Verzicht eine Verfügung sej36. Jedoch ist zu bedenken, wie nahe die Erklärung, den Anspruch nicht geltend machen zu wollen, an anderen Erklärungen liegt, die ohne weiteres als Verzicht behandelt werden können. Dem Betroffenen werden die Unterschiede, etwa zum Verzicht auf Antragsrechte, kaum auffallen. Noch weniger wird er mit dem Unterschied der jeweiligen Rechtsfolge anzufangen wissen. Wenn der Betroffene sich verpflichtet, sein Recht nicht geltend zu machen, führt dies zwar nicht dazu, daß der Anspruch unmittelbar erlischtl7 • Die Erklärung bewirkt aber soviel, daß dem Anspruch eine Einrede entgegensteht. Dieser Unterschied ist formaler Art; das materielle Ergebnis, daß der Betroffene nichts mehr verlangen kann, ist beide Male gleich3&. Die Fälle decken sich auch insofern, als der Betroffene seinen Verlust
unmittelbar durch eine von seinem Willen getragene Erklärung erleidet. Das
unterscheidet beide Situationen wesentlich von jenen, wo der Betroffene eine Antragsfrist verstreichen läßt, der Verlust also nicht Folge einer rechtsgeschäftlichen Erklärung, sondern gesetzlich vorgesehene Konsequenz eines realen Tuns bzw. Unterlassens ist. Daher wird die vorliegende Untersuchung, im Gegensatz zu Brüggemann, auch dort eine Verfügung und somit einen Verzicht annehmen, wo der Betroffene sich lediglich verpflichtet, sein Recht nicht geltend zu machen.
5. Einseitigkeit? Wie die Auseinandersetzung um § 397 Abs. 1 BGB gezeigt hat, kommt es den sprachlichen Vorstellungen vom "Verzicht" näher, daß dieser einseitig erklärt werden kann. Manche Äußerungen gehen sogar dahin, daß die Einsei3'Brüggemann, S. 9; Schoenbom, S. 37. 36 Brüggemann, S. 9. 37 Brüggemann, S. 9; Wilde, S. 18. 38 Ähnlich bereits die Bedenken bei Wilde, S. 19.
6. Kap.: Der Bereich des Begriffes "Verzicht"
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tigkeit ein begrifflich notwendiges Merkmal für den Verzicht sei39 • Auch diese Position, die gegenüber § 397 Abs. 1 BGB gleichsam in das andere Extrem verfallt, begegnet jedoch Bedenken. Der Sprachgebrauch des Gesetzes verlangt beim Verzicht keine Einseitigkeit; zum Beleg mag auf §§ 1491 Abs. 2, 2346 BGB verwiesen werden. Im übrigen gibt es keinen überzeugenden Beleg dafür, warum die Einseitigkeit notwendiges Merkmal des Verzichts sein soWo• Im Gegenteil gilt auch hier: Wer schon den Begriff des Verzichts verengt, bringt sich in Gefahr, Lebenssachverhalte, bei denen eine Begünstigung preisgegeben wird, in ihrer rechtlichen Problematik nur noch eingeschränkt erfassen zu können. Schon deshalb wird diese Arbeit der h.M. folgen, wonach die Definition des Verzichts auch für zweiseitige Rechtsgeschäfte, für Verträge, offen bleibt41 • Allerdings darf unterstellt werden, daß einseitige Verzichtserklärungen in der Praxis bedeutend häufiger vorkommen.
6. Freiwilligkeit? Bei der Abgrenzung des Verzichts zum Erlaß, § 397 Abs. 1 BGB, ist das "freie Belieben" betont worden, das in der Vorstellung über den Verzicht eine gewisse Rolle spiele. Gelegentlich findet man den Vorschlag, das Merkmal des
39Bachof, in: WolfflBachof, VerwR I, § 43 IV, S.333; Fischer, S.7; Forsthoff, § 14.2 b, S. 288; Malomy, JA 1974,475; Schoenbom, S. 24; Wolff, in: WolfflBachof, VerwR I, § 3611 b 2, S. 256; weniger dezidiert auch Nebinger, § 17 A V, S. 300 Fn. 74. Aus dem Sozialrecht siehe: Gitter, in: BochKomm, § 46 Rn. 1, 19; Huber, SozVers. 1982,212; Kretschmer, in: GK-SGB I, § 46 Rn. 3; Peters-Hommel, § 46 Anm. 4; Thieme, in: Wannagat, AT § 46 Rn. 3. Soweit dort die Einseitigkeit betont wird, geschieht das wohl nur, um die Anwendungsbereiche des Verzichts, § 46 SGB I, und des Vertrags, §§ 53 - 51 SGB X, gegeneinander abzugrenzen. Ob daraus jeweils folgen soll, eine Rechtsposition könne durch Vertrag nicht preisgegeben werden, erscheint zweifelhaft. 40 Versuche, insoweit eine Begründung zu liefern, werden von Wilde, S.20 - 23, widerlegt.
41 Bonk, in: StelkensIBonk/Sachs, § 54 Rn. 70; Hauck, in: Hauck, SGB I, K § 46 Rn. 1, 3b; W. Jellinek, § 9 IV 7, S.214; Middel, S. 31; Quaritsch, in: GS für Martens, S.407, 408; Schimpf, S.201; Seebode, NStZ 1982, 144, 146; Stelkens, in: StelkenslBonk/Sachs, § 53 Rn. 13; Stern, Bd. IIV2, § 86 11 6, S. 914 f.; Wilde, S. 24.
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2. Teil: Klärungen zum Begriff des "Verzichts"
freien Beliebens solle positiv festgeschrieben, d.h., in die Definition des Verzichts eingebracht werden42 • Wie die vorliegende Untersuchung dargelegt hat, geht die Initiative zum Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung häufig von der Staatsanwaltschaft oder vom Gericht aus43 • Bei etlichen Verzichtserklärungen sind Zweifel angebracht, ob sie freiwillig erfolgen oder ob der Beschuldigte nur dem Druck der Strafverfolgungsorgane nachgibt44 • Forderungen, die Preisgabe einer Begünstigung müsse auf Freiwilligkeit beruhen, damit sie als Verzicht begriffen werden könne, mögen also dem Beschuldigten helfen: Die erzwungene Preisgabe wäre eventuell unwirksam45 , da sie unter kein anerkanntes rechtliches Institut subsumierbar wäre. Indessen hat dieser begriffsjuristische Ansatz sich nicht weiter durchgesetzt46 • Man mag durchaus darüber nachdenken, ob ein Verzicht, der unter mehr oder weniger starken Drohungen erklärt wurde, rechtliche Anerkennung finden kann. Dafür halten alle betroffenen Rechtsgebiete gewisse Wertungen vor: das Strafprozeßrecht in § 136a StPO, das Zivilrecht in § 123 Abs. I BGB, das Verwaltungsrecht in seinen allgemeinen Grundsätzen47 • Folgt man ihnen, wird womöglich zu differenzieren sein, wie ausgeprägt eine Erklärung vom Element der Drohung beeinflußt ist. Solch einer wertenden Betrachtung wäre aber der Weg von vornherein versperrt, wollte man die vorhandene Erklärung gar nicht als solche anerkennen. Deshalb erscheint es - wiederum - verfehlt, die Definition des Verzichts mit einem Merkmal zu beladen, welches der rechtlichen Analyse wesentliche Sachverhalte vorenthält.
42
Malorny, JA 1974,475 f; Schoenborn, S. 31; Stern, Bd. IIV2, § 86 II 6, S. 913 f
44
Oben Kap. 3/ BI - III, S. 60 f, 63, 69 - 71, 72 f, 75 - 77. Oben Kap. 3 / C II, S. 78 f
4l
So in der Tat Malorny, JA 1974,475,476, und Schoenborn, S. 31.
46
Gegen ihn wendet sich ausdrücklich Wilde, S. 25.
43
41S0 ziehen OVG Lüneburg, DVBI. 1978,179,181, Maurer, § 14 Rn. 34, S. 365 f, und Stern, Bd. IIV2, § 86 14, S.892, das sog. Koppelungsverbot heran, um einen "erzwungenen" Verzicht zu überprüfen. Im übrigen wird vorgeschlagen, die Vorschriften des Zivilrechts über Willensmängel, u.a. § 123 Abs. 1 BGB, entsprechend anzuwenden: OVG Münster, NJW 1987, 1964, 1965; LSG RhPf, SozVers. 1983, 22, 23; Gitter, VSSR 5 (1977), 323, 338; Hauck, in: Hauck, SGB I, K § 46 Rn. 3c, 6; Forsthoff, § 14.2 b, S. 289; Krause, VerwAreh. 61 (1970),297,332,335 - 339; Kretschmer, in: GK-SGB I, § 46 Rn. 11; Mrozynski, § 46 Rn. 4; Peters-Hommel, § 46 Anm. 4; Quaritsch, in: GS für Martens, S. 407,413,416; Seewald, in: KassKomm, § 46 SGB I, Rn. 5; Wilde, S. 69.
6. Kap.: Der Bereich des Begriffes "Verzicht"
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V. Ergebnis: Definition des Verzichts Nach den vorstehenden Ausfiihrungen lassen sich die Kriterien, die einen Verzicht kennzeichnen, wie folgt zusammenfassen: - Preisgabe einer Begünstigung, wobei es sich nicht notwendig um ein subjektives Recht im engeren Sinne handeln muß; - die Preisgabe geschieht durch Rechtsgeschäft; - dieses muß unmittelbar zum Verlust der Begünstigung führen, indem diese entweder erlischt oder auf Dauer mit einer Einrede behaftet wird.
B. Anwendung der Verzichtsmerkmale auf die verschiedenen Möglichkeiten, die Strafverfolgungsentschädigung preiszugeben Nachdem die wesentlichen Elemente, die den Verzicht kennzeichnen, ermittelt sind, kann diese UnteIsuchung unter den verschiedenen Situationen, in denen der (potentiell) Berechtigte seine Strafverfolgungsentschädigung preisgibt, eine erste Sortierung vornehmen. Zu fragen ist, ob - der "Verzicht" auf den materiellen Entschädigungsanspruch - der "Verzicht" auf das verfahrensmäßige Recht, den festgestellten Anspruch auf Entschädigung geltend zu machen (§ 10 Abs. 1 S. 1 StrEG), - der "Verzicht" auf das verfahrensmäßige Recht, eine Entscheidung über die Entschädigungspflicht zu beantragen (§ 9 Abs. 1 S. 3 StrEG), - der "Verzicht" auf die nach § 8 Abs. 1 StrEG zu treffende Entscheidung über die Entschädigungspflicht - das Verstreichenlassen der in § 10 Abs. 1 S. 1/2 StrEG sowie in § 9 Abs. 1 S. 3 StrEG vorgesehenen Antragsfristen unter jenen Begriff des Verzichts passen, den Rechtsprechung und Literatur in ihrem üblichen Sprachgebrauch herausgebildet haben.
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2. Teil: Klärungen zum Begriff des "Verzichts"
I. Verzichtsmerkmale, die ohne weiteres vorliegen
In allen der soeben aufgeführten Situationen ist ohne weiteres ersichtlich, daß der Berechtigte ein Recht aufgeben will. Dabei bereitet es keine Probleme, daß er einmal auf die Entschädigung selbst, in anderen Fällen nur auf Antragsrechte oder auf die von Amts wegen zu treffende Grundentscheidung verzichtet. Denn Gegenstand des Verzichts braucht, wie gesehen, nicht unbedingt ein subjektives Recht im engeren Sinne48 zu sein. Auch die Frage, ob dem Beschuldigten die Zum Verzicht gestellten Rechte überhaupt zustehen, spielt vorläufig keine Rolle; sie wird erst bedeutsam, sobald die rechtliche Wirksamkeit des Verzichts zu untersuchen ist. Bei der Vorprüfung, wo jeweils eine Verzichts-Situation auftritt, reicht die Feststellung, daß die Verzichtserklärung sich auf ein angeblich bestehendes Recht bezieht. Unproblematisch ist weiterhin, daß der Beschuldigte sein Recht auf Strafverfolgungsentschädigung nicht auf den Staat übertragen will, sondern daß er den vollkommenen Untergang des Rechts bezweckt. Zwar kommt der Verzicht wirtschaftlich dem Fiskus zugute. Das rührt aber nicht daher, daß das Recht auf den Staat übertragen worden wäre. Sondern hier zeigt sich lediglich ein Reflex des Verzichts, wie er auch bei anderen Verzichtsfällen, etwa beim Verzicht auf eine gewöhnliche privatrechtliehe Forderung, vorkommt. Schließlich wird die Preisgabe der Strafverfolgungsentschädigung in aller Regel an einer Willenserklärung festzumachen sein, die der (potentiell) Berechtigte abgibt. Daß dieser dabei rechtsverbindlich handelt, dürfte zumindest dann feststehen, wenn die Erklärung im Protokoll der Hauptverhandlung oder sonst in den Akten vermerkt wird. Wo dies nicht geschieht, werden die äußeren Umstände für die nötige Klarheit sorgen. An einem unverbindlichen Verzicht dürften die Organe der Strafverfolgung kaum Interesse haben, denn dieser würde die "doppelte Belohnung" nicht mir letzter Sicherheit verhindern. Deshalb werden die Organe der Strafverfolgung nur bei einem verbindlichen Verzicht bereit sein, die günstige Sachentscheidung zu treffen.
48 Ob die Unterscheidung zwischen subjektiven Rechten i.w.S. und i.e.S. heute noch sinnvoll und tragbar ist, mag hier dahinstehen. Früher hatte man allerdings Schwierigkeiten, Verfahrensrechte als vollwertige subjektive (öffentliche) Rechte zu akzeptieren. Deshalb wurde zwischen einem "Rechts"verzicht und einem Verzicht auf Verfahrensvorschriften differenziert: Walsmann, S. 25 f., 30; Briiggemann, S. 4, 8.
7. Kap.: Verzicht - verzichtsanbahnende Absprache
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11. Problematische Fälle: Verstreichenlassen der Antragsfrist; Erklärung, keine Entschädigung geltend machen zu wollen Wo der (potentiell) Berechtigte sich darauf beschränkt, die Antragsfrist entweder des § 10 Abs. 1 S. 1/2 StrEG oder des § 9 Abs. 1 S.3 StrEG ungenutzt verstreichen zu lassen, liegt nach den eben herausgearbeiteten Merkmalen kein Verzicht vor. Zwar erlischt auch hier der Anspruch auf Strafverfolgungsentschädigung nur deswegen, weil der Berechtigte dies so will. Und gerade vom Willen des Berechtigten hängt es überdies ab, ob die Frist verstreicht oder genutzt wird. Doch wenn die Frist verstreicht, wird die Rechtsfolge, das Erlöschen des Rechts, nicht unmittelbar durch das Willensmoment herbeigeführt. Sie ergibt sich vielmehr kraft Gesetzes durch den Umstand, daß die Frist abläuft. Ein anderer problematischer Fall liegt vor, wenn der Beschuldigte im Laufe seines Strafverfahrens erklärt, er werde bei einem Freispruch oder bei einer Einstellung keine Entschädigung geltend machen. Das mag so zu verstehen sein, daß der Beschuldigte sein Antragsrecht preisgeben will. Vielleicht geht seine Aussage aber auch nur dahin, daß er die Entschädigung, d.h., den etwaigen materiellen Anspruch, nicht geltend machen will. Auf der Grundlage der hier vertretenen Definition, abweichend von BTÜggemann49 , wird auch letzteres als Verzicht erfaßt. Und es bestätigt sich, daß dies sachgerecht ist. Denn für den Beschuldigten ist es ohne Belang, ob sein Anspruch erlischt oder ob diesem eine dauernde Einrede entgegensteht. Er geht in beiden Fällen leer aus, und dieses Ergebnis wird er in Frage stellen.
7. Kapitel Unterscheidung zwischen dem Verzicht und der verzichtsanbahnenden Absprache Die Untersuchung, welche Möglichkeiten der (potentiell) Berechtigte habe, seine Strafverfolgungsentschädigung preiszugeben, und was davon unter den Begriff des Verzichts passe, hatte zum Ziel, den Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung als Gegenstand der vorliegenden Arbeit näher zu umreißen. Unter diesem Aspekt erscheinen die Merkmale, die in den vorigen Kapiteln 49
Siehe nochmals Brüggemann, S. 9.
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2. Teil: Klärungen zum Begriff des "Verzichts"
gefunden wurden, noch irgendwie unvollständig. Zwar bleibt es richtig, daß Verzicht auch hier die Preisgabe einer rechtlichen Position bedeutet, die durch rechtsgeschäftliehe Erklärung geschieht und unmittelbar das Erlöschen dieser Position bewirkt. Doch ist diese Definition ganz auf den Verzichtenden fixiert, auf seine Erklärung sowie auf das von ihm herbeigeführte Erlöschen seiner (eventuellen) Rechte. Völlig außer Betracht bleiben die Organe der Strafverfolgung. Dabei hat sich bereits angedeutet, daß diese meistens ein viel größeres Interesse am Verzicht habenso. Der "ausgehandelte", abgesprochene VerzichtSI dürfte dessen häufigste Erscheinungsform sein; bis hin zu Situationen, in denen der Beschuldigte geradezu bedrängt wird. Dieses "Umfeld" vermag der Begriff des Verzichts für sich allein nicht zu erfassen.
A. Der Verzicht als Verfügung, als ein "Erfiillungsgeschäft"
Daß der Verzichtsbegriff, wie er aus dem gewöhnlichen Sprachgebrauch von Rechtsprechung und Literatur gewonnen wurde, zu schmal ist, auch Begleitumstände zu erfassen, unter denen der (potentiell) Berechtigte seine Strafverfolgungsentschädigung preisgegeben hat, soll keine Kritik begründen. Der vorliegenden Arbeit wäre gar nicht damit gedient, die gefundene Definition nachbessern und erweitern zu wollens2 . Sondern gerade umgekehrt gibt die Erkenntnis, was der Begriff nicht zu leisten vermag, einen sinnvollen Anstoß, Begrenzungen wahrzunehmen, die dem Institut des Verzichts durch seine rechtliche Konstruktion gesetzt sind. Die entscheidenden Merkmale des Verzichts, daß nämlich eine Erklärung unmittelbar das Erlöschen einer rechtlichen Position bewirkt, weisen diesen als ein klassisches "Verfügungsgeschäft" aus. Darunter versteht man all jene Rechtsgeschäfte, durch die jemand entweder die Zuständigkeit oder den Inhalt eines bestehenden Rechts änderf 3 • Die Konstruktion des Verfügungsgeschäfts stammt aus dem bürgerlichen Recht; andere Beispiele sind die Übertragung so Oben Kap. 3/ BI - III, S. 60 f., 63, 69 -71, 72 f., 75 -77. SI
Oben Kap. 2/ B H, S. 55.
12In Wahrheit bestünde die Gefahr, daß die DefInition und damit der Gegenstand der rechtlichen Bewertung zu eng geriete. Das ist oben, Kap. 6/ A IV 4 - 6, S. 101 104, deutlich geworden. s3RGZ 90, 395, 399; BGHZ 1,294,304; Brox, BGB AT, § 5 I 2, Rn. 102, S. 56; Enneccerus-Nipperdey, § 143 H, S. 882; Hübner, § 23 V, Rn. 390, S. 203 m.w.N.; Larenz, SchuldR AT, § 33 I, S. 570.
7. Kap.: Verzicht - verzichtsanbahnende Absprache
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des Eigentums an einer Sache, die Abtretung einer Forderung, die Aufrechnung, die Bestellung von Rechten an einer Sache oder an einer Forderung. Bei allen diesen Fällen stößt man auf die gleiche "Beschränktheit", wie sie für den Verzicht festgestellt werden mußte: Das Umfeld, die Begleitumstände, warum es zu der Verfügung kommt, finden in der rechtlichen Beschreibung des jeweiligen Geschäfts keinen Platz. So erfolgt die Übertragung des Eigentums an einer beweglichen Sache, § 929 BGB, indem der Eigentümer dem Erwerber die Sache übergibt und beide darüber einig sind, daß das Eigentum übergehen soll. Warum sie diese Einigung erzielt haben, ob die Sache etwa verkauft, verschenkt, als Darlehen gewährt oder in eine Gesellschaft eingebracht werden soll, bleibt für den Umstand, daß das Eigentum wechselt, unerheblich. Und noch weniger spielt es eine Rolle, ob derjenige, der die Sache nunmehr verliert, ein gutes oder ein schlechtes Geschäft gemacht hat, ob er der Sache ohnehin überdrüssig war oder ob der Erwerber ihn unter Druck gesetzt hat, sich auf einen Verkauf, eine Schenkung usw. einzulassen. Ohne Schaden konnte die Rechtsordnung die Verfügungsgeschäfte mit dieser Art von "Neutralität" versehen. Denn so, wie diese Geschäfte konstruiert sind, stehen sie jeweils am Ende eines Entscheidungsprozesses und dienen nur dazu, bereits getroffene Regelungen zu vollziehen. Mit der Übereignung der Sache erfüllt der Veräußerer eine Verpflichtung, die er durch einen Kauf-, Schenkungs-, Darlehens- oder Gesellschaftsvertrag übernommen hat. Entsprechendes gilt für den Verzicht. Seiner bürgerlich-rechtlichen Variante, dem Erlaßvertrag nach § 397 Abs. 1 BGB, stellt das Schrifttum als Rechtsgrund zumeist eine Schenkung an die Seite; daß aber auch andere schuldrechtliche Verpflichtungen in Betracht kommen, ist allseits anerkannf4 • Die Unterteilung zwischen dem Verfiigungs- und einem vorausgegangenen Verpflichtungsgeschäft kann durchaus in das öffentliche Recht übernommen werdenss , was die dort vorkommenden Verzichtsfälle einschließt. Zurückhaltend müßte man allenfalls bei solchen Situationen sein, in denen der Verzicht 54Larenz, SchuldR AT, § 19 I a, S. 269; Medicus, SchuldR AT, § 27 I 2, Rn. 282, S.136. 55 Freilich ist diese Unterteilung im öffentlichen Recht oft verdeckt. Daß sie dort aber ebenfalls ihren Platz hat, wird allgemein anerkannt: Bonk, in: Stelkens/Bonk/ Sachs, § 54 Rn. 62 - 65; Fluck, S. 30 - 44; Punke, S. 43, 44, 238 - 244; Redeker, DÖV 1966, 543, 544; Schimpf, S. 74 - 79; Tschaschnig, S. 37 f. Besonders deutlich wird die Trennung anjenen Sachverhalten, für welche die sog. "Zweistufentheorie" entwickelt wurde. Denn diese Theorie geht gerade davon aus, daß über das Ob einer Leistung durch Verwaltungsakt entschieden werde, während die Erfüllung, das Wie, in privatrechtlicher Form erfolgt: Maurer, § 17 Rn. 11 - 13, S. 424; Wolff-Bachof, VerwR III, § 154 Rn. 23 f., S. 309 f.
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2. Teil: !Gärungen zum Begriff des "Verzichts"
spontan und aus autonomen Motiven heraus erklärt wird. Dann wäre es im öffentlichen Recht, wo eine einseitige Verzichtserklärung möglich ist, einigermaßen gekünstelt, ein Kausalgeschäft, also etwa eine Schenkung, unterstellen zu wollen. Wenn es aber Verhandlungen gegeben hat, die dem Verzicht vorausgingen, kann man den Prozeß, der schließlich zum Verzicht geführt hat, durchaus sinnvoll in mehrere Phasen unterteilen. Das Verfiigungsgeschäft "Verzicht" erscheint dann nur als das Ende einer Reaktionskette, dessen vorgeschaltete Glieder sich keineswegs der rechtlichen Bewertung entziehen, sondern eben unter anderen Begriffen als dem des Verzichts zu würdigen sind.
B. "Verpflichtungsgeschäft" im Vorfeld des Verzichts auf Strafverfolgungsentschädigung
Bei der Suche nach einem solchen anderen Begriff liegt es nahe, auf den Ausdruck "Verpflichtungsgeschäft" zurückzugreifen. Das entspräche einem allgemeinen Sprachgebrauch, der auch beim Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung zum Tragen kommen könnte. Wie gesehen, verzichtet der Beschuldigte häufig nur deswegen, weil zuvor Verhandlungen stattgefunden haben, in denen er sich gegenüber den Organen der Strafverfolgung zu einem solchen Schritt "verpflichtet" hat. Die Parallele zu Vertragssituationen des bürgerlichen Rechts ließe sich dann womöglich noch weiter ziehen, nämlich in Richtung auf etwaige Gegenverpflichtungen, die von den Organen der Strafverfolgung übernommen werden. Ein Modell, in dem der Beschuldigte sich zum Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung verpflichtet, während die Organe der Strafverfolgung im Gegenzug die günstige Sachentscheidung versprechen, erscheint wenigstens in der Theorie konstruierbar. Und oft genug mag die Praxis auf eben diesen Austausch von Leistung und Gegenleistung hinauslaufen.
I. Verbindliche Verpflichtung auf seiten der Strafverfolgungsorgane ?
Trotz der grundSätzlich parallelen Struktur bestehen Bedenken, im Strafprozeß ein auf den Verzicht gerichtetes "Verpflichtungsgeschäft" anzunehmen. Zwar werden Verhandlungen mit dem Ziel, den Beschuldigten zum Verzicht zu bringen, geführt. Ebenso ist davon auszugehen, daß die Strafverfolgungs-
7. Kap.: Verzicht - verzichtsanbahnende Absprache
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organe den Verzicht als Gegenleistung für eine günstige Sachentscheidung verlangen. Wenn es jedoch zu einer entsprechenden Vereinbarung kommt, ist der rechtsverbindliche Charakter der beiderseitigen "Verpflichtung" zweifelhaft. Das gilt in besonderer Weise für die von den Strafverfolgungsorganen übernommene "Verpflichtung". Oft genug findet man betont, daß das gegenseitige Vertrauensverhältnis - vor allem zwischen der Verteidigung und den Justizorganen - die unerläßliche Voraussetzung für eine strafprozessuale Verständigung seis6 . Die Verfahrensbeteiligten sind zu Zugeständnissen bereit, weil sie darauf vertrauen, die Gegenseite werde ihr "Angebot" ebenfalls einhalten. Außerdem legen die Beteiligten häufig Wert darauf, daß die Absprache vertraulich behandelt wird, daß also z.B. eine Verständigung zwischen der Verteidigung und der Staatsanwaltschaft nicht unbedingt dem Gericht, vielleicht sogar nicht einmal dem Beschuldigten offengelegt wirds7 . Solche Absprachen, die allein auf gegenseitiges Vertrauen gegründet sind, ähneln Abmachungen in familiären oder gesellschaftlichen Verhältnissen. Die Beteiligten geben ihre Erklärungen ab, wollen sich aber bewußt außerhalb einer rechtlichen Verbind1ichk~it bewegen. Deshalb fehlt ihren Äußerungen das, was die zivilrechtliche Dogmatik als den Rechtsbindungs- bzw. Rechtsfolgewillen bezeichnetS8 • Die Organe der Strafverfolgung werden .bei ihrem Verhalten außerdem berücksichtigen, wie umstritten es ist, ob und inwieweit Absprachen im Strafprozeß getroffen werden dürfens9 • Schon die bloße Möglichkeit, daß solche 56BussmannlLüdemann, MSchKrim. 1988, 81, 84; Dahs-Dahs, Rn. 135 f., S. 86; Dahs, NJW 1987, 1318; ders., NStZ 1988, 153, 159; R. Hassemer / Ripp1er, StV 1986, 360, 361 f.; Rückei, NStZ 1987, 297, 298 f.; Mannheimer Untersuchung, S. 31. l7Dahs-Dahs, Rn. 135, S. 86; Dahs, NJW 1987, 1318; ders., NStZ 1988, 153, 157; Deal, StV 1982,545, 552; R. Hassemer / Ripp1er, StV 1986, 360, 362; Schlothauer, StV 1982,449. l8Enneccerus-Nipperdey, § 145 II Al, S. 897; Medicus, BGB AT, Rn. 191, S. 78 f. Ferner siehe BGHZ 21,102,106; BGH, NJW 1992,498. Auf den "Willen" abzustellen, ist jedoch mißverständlich; oben Kap. 6/ A N 3 mit Fn. 33, S. 10l. 19 Die Äußerungen in der Literatur lassen sich oft nicht eindeutig danach ordnen, ob sie die Absprachen für legal halten oder ob sie der Auffassung sind, die Absprachen seien mit der geltenden Rechtslage unvereinbar. Das dürfte vor allem damit zusammenhängen, daß es bei der Auseinandersetzung über die Legalität strafprozessualer Verständigungen nicht nur um rechtliche Streitfragen geht (vgl. auch unten Kap. 20/ EI, S. 338 - 340). Denn darüber, daß auch bei einer Verständigung die Regeln der StPO eingehalten werden müssen, besteht Einigkeit. Unterschiedlich wird aber bewer-
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2. Teil: Klärungen zum Begriff des "Verzichts"
Absprachen ungesetzlich sein könnten, zwingt zur Vorsicht. Würden Gericht oder Staatsanwaltschaft rechtlich verbindliche Zusagen machen, wäre das ein entscheidender Schritt heraus aus der schützenden Grauzone. Deswegen werden die Strafverfolgungsorgane ihre Äußerungen möglichst unverbindlich halten60 • Soweit ersichtlich, ist eine strikte vertragliche Bindung, ein wirkliches "Verpflichtungsgeschäft" im Sinne des Schuldrechts, auch noch nirgends behauptet worden61 . Der Titel der Mannheimer Untersuchung bringt die Dinge auf den Punkt, wenn er eine "Informelle Verständigungen im Strafverfahren" feststellt.
tet, inwieweit die praktizierten strafprozessualen Verständigungen sich in die von der StPO gezogenen Grenzen einfügen. Kritisch bis ablehnend stehen den praktizierten Verständigungen gegenüber: BussmannlLüdemann, MschKrim. 71 (1988), 82, 87 - 89; Damaska, StV 1988, 398,401; Deal, StV 1982, 546 - 552; Dencker, in: DenckerlHamm, S. 40, 43 f., 51 54, 55 - 58; Eich, S. 79 - 121, 134 - 138; Eser, ZStW 104 (1992), 361, 374; Günter, DRiZ 1987,406; ders., DRiZ 1989,151 f.; ders., DRiZ 1990,106; ders., DRiZ 1992, 230; Gutterer, S. 158 f.; Hamm, ZRP 1990, 337, 339 f.; W. Hassemer, JuS 1989,890, 892 - 895; Keller / W. Schmid, wistra 1984, 201, 207 f.; Kremer, S. 100 - 173; Nestler=Tremel, DRiZ 1988,288,291 - 294; ders., KJ 1989,448,451 - 454; Niemöller, StV 1990, 34 - 38; Pfeiffer, ZRP 1990, 355 f.; ders., Rn. 29a - 29i = in: KK, Einl. Rn. 29a - 29i; Ranft, § 48, S. 294 - 300; Rönnau, S. 85 - 106, 108 ff., 144 - 151, 155 - 158, 161- 180, 183 -193, 217 f.; Schlüchter, in: SK-StPO, Vor § 213, Rn. 23 - 53; dies., in: FS für Spendei, S. 737,739 - 756; Schünemann, in: Triberg-Symposium, S. 24,30,47 - 49; ders., JZ 1989,984 - 987; ders., NJW 1989, 1895, 1896 - 1898; ders., 58. DJT (1990), Bd. I, B 19 - 21, B 66 - 121; ders., StV 1993,657 - 663; ders., in: FS für Baumann, S. 361 - 381; Seier, JZ 1988,683 - 688; Siolek, DRiZ 1989,321 - 330; ders., S. 83 - 207; Terhorst, DRiZ 1988,296, 297 f.; Wassermann, Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt vom 24. April 1988, S. 4; Zschockelt, in: FS für Saiger, S. 435 - 445. Weigend, S. 47 f., 52, 54 f., 68 f., 70 f., 104 ff., zeigt, zu welchen Problemen Absprachen in ausländischen Strafverfahren geführt haben. Dielmann, GA 1981, 558, 571, lehnt plea-bargaining, wie es im amerikanischen Prozeß geübt wird, für das deutsche Recht ab. WagnerlRönnau, GA 1990, 387 - 406, haben einen - nicht ernst gemeinten Gesetzesvorschlag konzipiert, dessen Leitbild die informelle Prozeßerledigung in ihrer typischen Ausprägung ist. An dem "Gesetzesentwurf' und dessen Begründung wird deutlich, wie weit sich bereits die gängigen strafprozessualen Absprachen von der geltenden Rechtslage entfernt haben und wie zynisch deren Befürworter teilweise argumentieren. 6°Dahs-Dahs, Rn. 136, S. 86; Dahs, NJW 1987, 1318; ders., NStZ 1988, 153, 154; Haas, NJW 1988, 1345, 1350. 61 Ebenso: Baumann, NStZ 1987, 157, 159; Seier, JZ 1988, 683, 685.
7. Kap.: Verzicht - verzichtsanbabnende Absprache
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Mit diesen Überlegungen soll die Möglichkeit, daß der Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung durch ein verbindliches Rechtsgeschäft zwischen Strafverfolgungsorganen und Beschuldigtem vorbereitet werden kann, nicht von vornherein ausgeschlossen sein. Im Gegenteil werden die Einzelheiten, wie verbindlich die jeweiligen Äußerungen angelegt sind, noch genauer untersucht werden müssen62 • Insofern gibt es zwischen den verschiedenen strafprozessualen Verständigungen offenbar gewisse Abstufungen. Es läßt sich etwa feststellen, daß die Strafverfolgungsorgane im Hinblick auf ein Urteil zumeist nur tendenzielle Absichtserklärungen abgeben, während anläßlich von Verfahrenseinstellungen nach § 153a StPO konkrete Zusicherungen an der Tagesordnung sind63 • Vorläufig kommt es nur darauf an zu zeigen, daß der Begriff des "Verpflichtungsgeschäfts" jene Absprachen, die im Vorfeld eines Verzichts auf Strafverfolgungsentschädigung getroffen werden, nicht angemessen charakterisiert. Er würde nämlich erfordern, daß die Beteiligten generell eine rechtliche Verbindlichkeit ihrer Absprachen erstreben. Und eben dies kann so pauschal nicht unterstellt werden.
11. Verbindliche Verpflichtung auf seiten des Beschuldigten? Von der Lage, in der die Organe der Strafverfolgung sich befinden, unterscheidet sich die Situation des Beschuldigten. Der Bindung an Gesetz und Recht, Art. 20 00, unterliegt der Beschuldigte nicht. Deshalb ist das Motiv, eine rechtsverbindliche Erklärung wegen etwaiger rechtlicher Bedenken vermeiden zu sollen, für ihn nicht relevant. Und während die Strafverfolgungsorgane die eigene Bindung scheuen, könnte ihnen eine Bindung des Beschuldigten durchaus willkommen sein: Sie selbst bleiben (formal) frei, wie sie in der Sache entscheiden; dagegen wäre das Zugeständnis des Beschuldigten bereits sicher. Eine ungleiche Lastenverteilung, nach der Gericht oder Staatsanwaltschaft mit ihren Erklärungen im Ungefähren bleiben wollen, er selbst jedoch Verbindliches zu erklären hätte, würde dem Beschuldigten freilich auffallen. Vor diesem Hintergrund darf man ihm ein natürliches Bestreben unterstellen, den "Festigkeitsgrad" seiner Erklärung dem anzupassen, was die Organe der Strafverfolgung ihrerseits anbieten. Vieles spricht deshalb dafür, daß auch der 62 Unten 63
Kap. 20/ A / B, S. 314 - 320.
Mannheimer Untersuchung, S. 38.
8 Friehe
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2. Teil: Klärungen zum Begriff des "Verzichts"
Beschuldigte im Vorfeld des eigentlichen Verzichts lieber solche Erklärungen abgibt, denen eine rechtliche Verbindlichkeit nicht zukommt. So mag der Beschuldigte beispielsweise erklären, "er neige bei einem Freispruch (bzw. einer Verfahrenseinstellung) dazu, auf seine Entschädigung zu verzichten". Dieses Beispiel fällt wohl zwanglos unter die Kategorie der "tendenziellen Absichtserklärung" . Der Grad einer "konkreten Zusicherung" wäre vielleicht erreicht, wenn die Beteiligten offen darüber sprechen, wie sie sich die Beendigung des Verfahrens vorstellen. Auch hier werden jedoch die Einzelheiten noch näher zu untersuchen sein64 • Daß die Organe der Strafverfolgung es nötig hätten, den Beschuldigten in ein echtes "Verpflichtungsgeschäft" zu drängen, kann aber schon hier widerlegt werden. Etwas Verbindliches und Sicheres erhalten Gericht oder Staatsanwaltschaft von dem Beschuldigten spätestens dann, wenn dieser seine Absprache erfüllt und den Verzicht als solchen erklärt. Das kann unmittelbar im Anschluß an die Absprache, noch während des laufenden Strafverfahrens, geschehen. Diese Verfügung, der Verzicht als solcher, ist stets darauf angelegt, rechtliche Verbindlichkeit zu haben.
C. Konsequenz: Einführung des Begriffs der "verzichtsanbahnenden Absprache" Die Bedenken, für das Vorfeld des Verzichts auf Strafverfolgungsentschädigung von einem "Verpflichtungsgeschäft" zu sprechen, haben sich nach alledem bestätigt. Zwar weist der äußere Ablauf, wie der Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung zustande kommt, weitgehende Ähnlichkeit mit den gewöhnlichen Verzichtsfällen des bürgerlichen oder auch des öffentlichen Rechts auf: Die Beteiligten "vereinbaren" zunächst, daß ein Verzicht erfolgen soll; anschließend wird, in Erfüllung der Vereinbarung, der Verzicht erklärt. Während aber dieser zweite Schritt auch beim Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung als "Verfügungsgeschäft" begriffen werden kann, paßt der Ausdruck "Verpflichtungsgeschäft" hier nicht auf den ersten Schritt, also die Vereinbarung, daß eine Verzichtserklärung abgegeben werden solle. Die mangelnde Eignung des Wortes Verpflichtungsgeschäft ergibt sich daraus, daß die Beteiligten des Strafprozesses sich für gewöhnlich scheuen, etwa getroffene Absprachen mit rechtlicher Bindungswirkung zu versehen. Dementsprechend ist allenfalls in Ausnabmesituationen denkbar, daß ein wirkliches 64
Unten Kap. 20/ A II / B III, S. 314 f., 317 f., 321.
7. Kap.: Verzicht - verzichtsanbahnende Absprache
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"Verpflichtungs"geschäft vorliegt. Es muß ein anderer Ausdruck gefunden werden. Dieser sollte möglichst präzise wiedergeben, daß die dem Verzicht vorgelagerte Vereinbarung in der Funktion einem (schuldrechtlichen) Verpflichtungsgeschäft entspricht, sich von diesem aber darin unterscheidet, daß nicht unbedingt eine wirkliche "Verpflichtung" gewollt ist. Die vorliegende Untersuchung wählt hierfür den Begriff der "verzichtsanbahnenden Absprache". Das Adjektiv "verzichtsanbahnend" deutet darauf hin, daß vor dem eigentlichen Verzicht Verhandlungen stattfinden (können) mit dem Ziel, auf einen Verzicht hinzufiihren und ihn vorzubereiten. Für das Ergebnis der Verhandlungen erscheint der Ausdruck "Vereinbarung" bereits zu stark, da man auch ihn üblicherweise mit einem Rechtsgeschäft assoziiert. Vielmehr soll nur von einer "Absprache" die Rede sein. Das vermeidet den Eindruck, als würden echte Willenserklärungen abgegeben, und betont eher den informellen Charakter dessen, was die Beteiligten äußern. Der Begriff der Absprache bietet sich im übrigen auch deshalb an, weil er für Verabredungen, die im Rahmen von Strafverfahren getroffen werden, generell geläufig geworden ist65 •
D. Die verzichtsanbahnende Absprache als entscheidender Ansatz, den Einfluß der Strajverjolgungsorgane auf den Verzicht zu bewerten Sobald man die Verhandlungen, die im Vorfeld eines Verzichts auf Strafverfolgungsentschädigung gefiihrt werden, als eigenständigen Sachverhalt anerkennt und ihr Ergebnis als "verzichtsanbahnende Absprache" von dem nachfolgenden, eigentlichen Verzicht unterscheidet, ist der gedankliche Weg erschlossen, eine mögliche Einflußnahme, mit der das Gericht oder die Staatsanwaltschaft auf den Verzicht hinwirken, rechtlich bewerten zu können. Die 65
Bussmann, S. 203, 205 f.
Dabei belegt Bussmann zugleich, daß der Begriff der Absprache mittlerweile eine "Negativ-Karriere" durchgemacht hat. Wie Bussmann analysiert, wurde der Begriff 1982 eingeführt und war ursprünglich durchaus positiv gemeint. Nach 1987 hat er sich "negativ" entwickelt, d.h., er wird jetzt zunehmend als Synonym für eine zu mißbilligende "Mauschelei" oder "Kungelei" gebraucht. Der vorliegenden Arbeit liegt es fern, den Begriff der Absprache von vornherein negativ zu besetzen. Sie hätte auch einen Begriff mit "Positiv-Karriere" verwenden können, etwa "Verständigung"; dazu Bussmann, S. 201 - 203, 210. Doch erschien der Begriff "verzichtsanbahnende Verständigung" unpassend, weil das Element der Verständigung im "anbahnend" bereits ausgedrückt ist. S*
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2. Teil: Klärungen zum Begriff des "Verzichts"
Konstruktion der verzichtsanbahnenden Absprache macht folgendes klar: Der Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung kann eine Rechtshandlung sein, die der Beschuldigte aus völlig eigenständigen Motiven heraus vornimmt, ohne daß die Strafverfolgungsorgane dazu auch nur den geringsten Anstoß gegeben hätten. Dann liegt nichts weiter als dieses eigentliche Verzichtsgeschäft vor, das eine auf den Wegfall der Entschädigung gerichtete Verfügung ist. Der Verzicht kann jedoch auch dadurch motiviert sein, daß der Beschuldigte eine zuvor mit den Organen der Strafverfolgung getroffene verziehtsanbahnende Absprache erfüllen will. Dann wird man die rechtliche Beurteilung dieses Verzichts breiter anlegen müssen. Die Prüfung wird sich in diesen Fällen auch auf die verzichtsanbahnende Absprache zu erstrecken haben. Dabei geraten mehrere Probleme in den Blick, die an dieser Stelle wenigstens angedeutet werden können. So ist zu klären, ob unsere Rechtsordnung es überhaupt zuläßt, daß die Beteiligten des Strafverfahrens sich über dessen Ausgang verständigen. "Verständigung" könnte mit tragenden Grundsätzen des Strafprozeßrechts, wie z.B. dem Amtsermittlungsgrundsatz oder dem Legalitätsprinzip, unvereinbar sein. Wie die Stellungnahmen zum Thema der strafprozessualen Absprachen zeigen, lassen diese rechtlichen Bedenken sich nicht durch den Hinweis auf die (formale) Unverbindlichkeit der getroffenen Verabredungen beiseite schieben. Wie erwähnt, ist es ganz normal, daß Zugeständnisse, die sich die Beteiligten des Strafverfahrens gegenseitig einräumen, keine verbindlichen, einklagbaren Rechte begründen sollen66 • Gleichwohl besteht Einigkeit, daß sie einer rechtlichen Kontrolle zugänglich sind. Immer stellt sich die Frage, inwieweit das Zustandekommen und der Inhalt der Absprache mit dem geltenden Recht vereinbart werden kann67 • Dieser Prüfungsmaßstab wäre in gleicher Weise an die verzichtsanbahnende Absprache anzulegen.
66 Darauf weisen ausdrücklich hin: Baumann, NStZ 1987, 157, 159; Bode, DRiZ 1988, 281, 284; Böttcher, 58. DJT (1990), Bd. II, L 27 f.; Cramer, in: FS für Rebmann, S. 145, 158; Dahs, NStZ 1988, 153, 154; Gallandi, MDR 1987, 801 f.; Haas, NJW 1988,1345,1348; Hanack, StV 1987,500,501; Niemöller, StV 1990, 34, 35; G. Schäfer, 58. DJT (1990), Bd. II, L 51; Schmidt=Hieber, Rn. 237 - 240, S. 111 - 113; Widmaier, 58. DJT (1990), Bd. II, L 45.
Auf die Probleme, die sich aus dieser Unverbindlichkeit für den Beschuldigten ergeben, weil dieser vorleisten muß, weisen hin: Nestler=Tremel, DRiZ 1988, 288, 292; Schünemann, in: Triberg-Symposium, S. 24, 39 - 41; ders., 58. DJT (1990), Bd. I, B39-41. 67 Siehe unten Kap. 20, 21, 22, 23, 24, 29, 30, 32, 33, 35, 37, S. 313 - 405, 446 484,496 - 525, 532 - 549, 558 - 562.
Dritter Teil Untersuchungen über den Anspruch auf Strafverfolgungsentschädigung Rechtsnatur und Entstehungszeitpunkt
Vorbemerkung Es liegt auf der Hand, daß die Unterscheidung zwischen Verzicht und verziehtsanbahnender Absprache das weitere methodische Vorgehen dieser Arbeit bestimmen wird. Zunächst wird der Verzicht als solcher, d.h., die vom (potentiell) Berechtigten vorgenommene, auf den Wegfall der Entschädigung gerichtete Verfügung zu untersuchen sein. In reiner Form ist sie dort anzutreffen, wo der Beschuldigte seine Entschädigung "edelmütig" preisgibt. Wie dargestelltl, betrifft das jene Fälle, in denen der Beschuldigte ausschließlich um die Wiederherstellung seiner Ehre kämpft, aus beliebigen anderen Gründen "großzügig" sein will oder an einer Entschädigung kein wirkliches Interesse hat. Vielleicht erklärt sein "Edelmut" sich auch einfach daraus, daß kein beweisbarer finanzieller Schaden eingetreten ist. Daß der edelmütige Verzicht wahrscheinlich eine seltene Ausnahme ist, wurde ebenfalls bereits gesagt. Trotzdem erscheint es sachgerecht, ihn zuerst zu behandeln. Wenn nämlich schon der Verzicht an sich, das dingliche Rechtsgeschäft, nicht bewirkt werden kann - etwa weil die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahrnen als unverziehtliehe Rechtsposition ausgestaltet sein mag -, liegt darin eine generelle Sperre. Sie würde ohne weiteres auch dort wirken, wo der Verzicht auf eine Absprache zurückgeht. Die vorliegende Arbeit wird daher zunächst die Rechtsposition untersuchen, die der zur Strafverfolgungsentschädigung Berechtigte innehat. Anschließend stellt sich die Frage, ob diese Position einem Verzicht überhaupt zugänglich ist. Ist sie es, interessieren die Voraussetzungen, die für eine wirksame Verzichtserklärung gegeben sein müssen. lOben Kap. 3 / A, S. 57 f.
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3. Teil: Anspruch aufStrafverfolgungsentschädigung
8. Kapitel Rechtsnatur der Entschädigung nach dem StrEG Die Untersuchung, welche rechtliche Position derjenige innehat, dem eine Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen gebührt, zielt zunächst auf die Rechtsnatur dieser Entschädigung. Von ihr hängt es wesentlich ab, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Verzicht möglich ist. So macht es - um nur einen Punkt herauszugreifen - einen Unterschied, ob die Strafverfolgungsentschädigung dem bürgerlichen oder dem öffentlichen Recht zugehört.
A. Bisheriger Stand der Meinungen / Motive des Gesetzgebers Rechtsprechung und h.M. sehen im Recht auf Strafverfolgungsentschädigung einen Aufopferungsanspruch2 • Auch in den Gesetzesmaterialien finden sich Hinweise, nach denen das StrEG einen Sonderfall der Aufopferung behandeln soll. Am deutlichsten sind Äußerungen, die Schätzier als Vertreter des Bundesministeriums der Justiz bei den Beratungen im Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages gemacht hat; darin hat er das Recht, Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen verlangen zu können, klar als Aufopferungsanspruch eingeordnetl.
2 Für das heutige Entschädigungsrecht: BGHZ 60, 302, 304 f.; 72, 302, 305; BGH, NJW 1979,425,426; ders., NJW 1989,2127,2128; BGHSt 36,237,240; OLG Karlsruhe, MDR 1976, 515; OLG Nürnberg, MDR 1975, 779, 780; Baumann, in: FS fiir Heinitz, S. 705, 706 f.; Böing, in: Deutsche strafrechtliche Landesreferate, Beiheft zur ZStW, S. 73, 78; Blomeyer, S. 113; Frister, S. 120 f.; Gebauer, S. 11,26; Kröner, in: FS fiir Baumann, S. 407; Kühl, S. 131; ders., NJW 1980,806,808; D. Meyer, Eint. Rn. 6 - 31, 59 - 67; Ossenbühl, § 16.1 a, S. 119; Papier, in: MaunzlDürig, Art. 14 Rn. 684; K. Peters, Strafprozeß, § 47 A XI, S. 435; Rüfner, in: Erichsen, AllgVerwR, § 49 Rn. 90, S. 650; Schätzler, Eint. Rn. 23; Schmidhäuser, in: FS fiir Eb. Schmidt, S. 511, 520; G. Schmidt, in: JeschecklKrümpelmann, S. 45, 73; Seebode, StV 1989, 118.
Für das frühere Entschädigungsrecht: Hoefermann, S. 48; Linckelmann, S. 63; Wilde, S. 161; vorher schon Meyer, 11. DIT (1873), Bd. I, S. 171, 176; Wahlberg, 11. DIT (1873), Bd. I, S. 42,44; ähnlich auch G. Jellinek, Grünhut'sZ 20 (1893), 455, 460. 3MR Schätzler (BMJ), BT-Rechtsausschuß, Prot. 6/19 vom 17. September 1970, S. 27, sowie Prot. 6/22 vom 15. Oktober 1970, S. 4.
8. Kap.: Rechtsnatur der Entschädigung nach dem StrEG
119
Zuvor klang der Gedanke der Aufopferung schon in der Begründung an, die die Bundesregierung dem Gesetzentwurf gegeben hat. Die Entschädigung wurde nämlich dem Staatshaftungsrecht für rechtmäßige Eingriffe unterstellt4 • Darin lag eine Bezugnahme auf § 75 Einl ALR, die "klassische" Vorschrift über die Aufopferung. Vom Wortlaut her eigentlich auf vielfältige Situationen angelegt, in denen jemand "seine be sondern Rechte und Vortheile dem Wohle des gemeinen Wesens aufzuopfern genöthigt wird"s, wurde § 75 Einl ALR später dahin verengt6, daß er nur rechtmäßige Eingriffe des Staates betreffe, während die rechtswidrigen nach Deliktsrecht zu beurteilen seien'. Unter diesem Vorverständnis ging also der Gesetzgeber offenbar davon aus, daß das StrEG den allgemeinen Aufopferungsanspruch, § 75 Einl ALR, für einen Sonderfall spezifiziere. Daß der Gesetzgeber gemeint hat, einen Sonderfall der Aufopferung zu regeln, legt den Charakter der Strafverfolgungsentschädigung dennoch nicht unumstößlich fest. Zwar geben Äußerungen in den Gesetzesmaterialien stets eine wichtige Auslegungshilfe. Trotzdem ist nur das verbindlich, was im Gesetz selbst ausgedrückt wird. Alles andere ist der Überprüfung, ob der Gesetzgeber "systemadäquat" gedacht hat, zugänglich8 • Bei der Strafverfolgungsentschädigung ist eine genauere Analyse schon deshalb angezeigt, weil die Gesetzesmaterialien noch andere Zitate enthalten, wo die Entschädigung mit anderen Rechtsinstituten in Zusammenhang gebracht wird. So hat etwa SchätzIer im Rechtsausschuß des Bundestages auch geäußert, die Entschädigung trage gewisse Elemente der Gefährdungshaftung in sich; denn dem Schutz, den die Rechtsordnung dem einzelnen biete, stehe das Risiko gegenüber, daß der einzelne in die "Maschinerie" der Justiz gerate, ohne daß der sachliche Grund dafür letztlich bestätigt werden könne9 • Der Abgeordnete Amdt verglich die Entschädigung mit Ansprüchen aus dem Bundesentschädigungsgesetz, dem Bundesseuchengesetz und dem Bundesversorgungsgesetz 10 • Zumindest aber für den Anspruch aus dem Bundesversor4BT-Drs. 6/460, S. 5. Die gleiche Zuordnung fmdet sich bei BGH, NJW 1989, 2127,2128; BGHSt 36, 237, 238; BGHZ 103, 113, 116; LG Kassel, NStZ 1994,497, 498; Kröner, in: FS für Baumann, S. 407. l
Zitat nach der ALR-Textausgabe von Hattenhauer, S. 59.
Zur geschichtlichen Entwicklung siehe Ossenbühl, § 12.1, S. 103 - 106, insbesondere S. 105 a.E. 6
'Bender, § 3 Rn. 29, 34, S. 13, 15; Ossenbühl, § 12.1, S. 105 a.E.; Rüfner, in: Erichsen, AllgVerwR, § 49 Rn. 5, S. 611. 8 Paeffgen,
S. 212.
9MR Schätzler (BMJ), BT-Rechtsausschuß, Prot. 6/22 vom 15. Oktober 1970, S. 4. 10 Abg. Arndt, BT-Plenarprot. 6/84, S. 4707.
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3. Teil: Anspruch aufStrafverfolgungsentschädigung
gungsgesetz, also für die Kriegsopferversorgung, ist anerkannt, daß es sich gerade nicht um eine Aufopferungsentschädigung handelt, sondern um eine sog. "soziale Entschädigung"lI. Damit nicht genug, geben einige Äußerungen in den Gesetzesmaterialien sogar Anlaß, am öffentlich-rechtlichen Charakter des Anspruchs zu zweifeln. Die nachfolgende Prüfung richtet sich an Rechtsprechung und h.M. aus, indem sie unter die Merkmale des Aufopferungsanspruchs 12 subsumiert: - Anspruch mit öffentlich-rechtlichem Charakter, - ausgelöst durch hoheitlichen Eingriff in ein (nichtvermögenswertes) Recht des Bürgers, - begründet durch ein Sonderopfer, das der Eingriff dem Bürger bereitet hat.
B. Öffentlich-rechtlicher Charakter des Ansprnchs Zum früheren Recht war durchaus die Meinung verbreitet, daß bei der Strafverfolgungsentschädigung ein bürgerlich-rechtlicher Anspruch bestehe. In diesem Sinne haben sich etwa Fuhrmann, J. Goldschmidt und Kähler geäußert13 • Noch im Gesetzgebungsverfahren zum StrEG hat der Abgeordnete Erhard den Entschädigungsanspruch als normalen zivilrechtlichen Schadensersatzanspruch bezeichnet l4 • Der Abgeordnete Pohlmann tendierte in eine ähnliche Richtung: Bei den Ausschluß- und Versagungsgründen, heute in §§ 5, 6 StrEG geregelt, meinte er, daß es um rein zivilrechtliche Erörterungen geheis. Das Strafgericht sei nur wegen seiner Sachnähe und -kenntnis damit betraut zu
11 Gitter/Schnapp, JZ 1972, 474, 477; Kretschmer, in: GK-SGB I, Rn. 9, 23 f.; Mrozynski, § 5 Rn. 1,4, 6, 9, II f.; Peters-Hommel, § 5 Anm. 1 f.; Rüfner, § 17 II, S. 122 f.; Schnapp, in: Das neue Sozialgesetzbuch, S. 144; ders., in: BochKomm, § 5 Rn. 3; Schulin, S. 279 f.
12 Hier zusammengestellt nach: BGHZ 25, 238, 239 - 242; Ossenbühl, § 13, S. 111 116; dems., JuS 1970, 276, 276 f.; Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 14 Rn. 678 - 682; Rüfner, in: Erichsen, AllgVerwR, § 49 Rn. 82 - 88, S. 647 - 650. 13Fuhrmann, in: Dalcke-Fuhrmann/Schäfer, D 1, zu § 1 HaftEntschG, Anm. ll; 1. Goldschmidt, in: FS für Gierke, Bd. III, S. 109, 117; Kähler, § 3, S. II - 13. Ferner
siehe Uilmann, 11. DIT (1873), Bd. I, S. 87, 89, der sich auf den gemeinrechtlichen Satz berief, daß jedermann den ihn treffenden Schaden selbst zu tragen habe. 14 Abg. Erhard, BT-Rechtsausschuß, Prot. 6/22 vom 15. Oktober 1970, S. 67. IS
Abg. Pohlmann, BT-Rechtsausschuß, Prot. 6/19 vom 17. September 1970, S. 37.
8. Kap.: Rechtsnatur der Entschädigung nach dem StrEG
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entscheiden, ob die Entschädigung wegen mitwirkenden Verschuldens zu versagen sei. Bedenkt man, daß nach h.M. die §§ 5, 6 StrEG eine besondere Ausprägung des in § 254 BGB geregelten Rechtsgedankens enthalten16 , erscheinen solche Äußerungen durchaus plausibel. Dies gilt um so mehr, als auch der Begriff des Vermögensschadens, § 7 StrEG, aus dem bürgerlichen Recht entlehnt ist 17 . Als weiteres Indiz kommt hinzu, daß § 13 Abs. 1 S. 2 StrEG den Streit um die Entschädigungssumme an die Zivilkammern der Landgerichte verweist.
I. Bedeutung der Bezugnahme auf das bürgerliche Recht für die Rechtsnatur der Entschädigung Daß für die Strafverfolgungsentschädigung teilweise auf zivilrechtliche Maßstäbe Bezug genommen wird, gibt trotzdem noch kein entscheidendes Argument her. Denn da das öffentliche Recht später als das Zivilrecht kodifiziert worden ist, wird dort desöfteren auf das Zivilrecht zurückgegriffen. Gelegentlich geschieht dies sogar im Gesetz, etwa in § 62 S. 2 VwVfG, wonach die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs für den öffentlich-rechtlichen Vertrag ergänzend heranzuziehen sind. Vor diesem Hintergrund besagt es nicht allzu viel, wenn die §§ 5, 6 StrEG den allgemeinen Rechtsgedanken des § 254 BGB aufgreifen und der Vermögensanspruch des § 7 StrEG nach zivilrechtlichen Maßstäben zu bewerten ist. Auch § 13 Abs. 1 S.3 StrEG, wonach in Streitfällen die Zivilkammern der Landgerichte über die Höhe der Entschädigung entscheiden, ordnet den Anspruch nicht zwingend dem Zivilrecht zu: Im Enteignungsrecht besteht eine parallele Regelung durch Art. 14 Abs. 3 S. 4 GO. Um Aufschluß über die Rechtsnatur der Strafverfolgungsentschädigung zu erhalten, ist vielmehr auf die allgemeinen Lehren zurückzugreifen, nach denen 16Händel, Blutalkohol 1972, 281, 293 f.; Kleinknecht-Meyer-Meyer=Goßner, § 5 StrEG, Rn. 7; D. Meyer, vor §§ 5, 6, Rn. 6 f.; Schätzler, § 5 Rn. 2 f. A.A. dagegen K. Peters, Fehlerquellen, Bd. III, § 32 II 2, S. 185: Die §§ 5, 6 StrEG beträfen Ausgleichsfragen im öffentlichen Recht. 17Begründung der Bundesregierung zum Entwurf des StrEG, BI-Drs. 6/460, S. 8; BGHZ 65, 170, 173; BGH, NJW 1989,2127; LG Stuttgart, NJW 1973,631; Händel, Blutalkohol 1975, 238, 252; Kleinknecht-Meyer-Meyer=Goßner, § 7 StrEG, Rn. 1; Kröner, in: FS für Baumann, S. 407, 408; D. Meyer, § 7 Rn. 4; ders., MDR 1994, 659; Rotberg-KleineweferslBoujongIWilts, § 110 Rn. 8; Schätzler, § 7 Rn. 8.
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3. Teil: Anspruch aufStrafverfolgungsentschädigung
auch sonst das öffentliche vom privaten Recht unterschieden wird: Interessentheorie, Subordinations- bzw. Subjektionstheorie sowie die neuere Subjektsbzw. Sonderrechtstheorie l8 •
11. Rechtsnatur der Strafverfolgungsentschädigung im Lichte der gängigen Abgrenzungstheorien Die Interessentheorie weist diejenigen Rechtssätze, die dem öffentlichen Interesse zu dienen bestimmt sind, dem öffentlichen Recht zu, während diejenigen Rechtssätze, die private Interessen verwirklichen, dem Privatrecht angehören sollen. Legt man diese Maßstäbe für die Strafverfolgungsentschädigung zugrunde, so könnten sie jene Ansicht bestätigen, wonach die Entschädigung dem Zivilrecht zugehört. Denn immerhin ist unmittelbarer Nutznießer der Entschädigung der Beschuldigte, d.h., ein Privater. Wie jedoch das Beispiel der Sozialhilfe zeigt, kann auch eine staatliche Zuwendung an einen Einzelnen durchaus öffentlich-rechtlichen Charakter haben. Dies wird sogar die Regel sein, weil der Staat mit seinen Leistungen vielfach Zwecke und Aufgaben verfolgt, die überwiegend im öffentlichen Interesse liegen. Gewährt er z.B. Sozialhilfe, erfüllt er einen Auftrag, der sich aus dem Sozialstaatsprinzip, Art. 20 Abs. I 00, ergibt. Wie das Beispiel der Sozialhilfe zeigt, kommt es für die Frage, ob ein öffentlich-rechtlicher oder ein bürgerlich-rechtlicher Anspruch vorliegt, auch im Lichte der Interessentheorie weniger darauf an, wer durch die Regelung begünstigt wird. Ansonsten könnte es öffentlich-rechtliche Ansprüche von Privatpersonen gar nicht geben. Entscheidend ist vielmehr, ob mit der Gewährung des Anspruchs öffentliche Interessen verfolgt werden. Letzteres ist aber bei der Strafverfolgungsentschädigung uneingeschränkt zu bejahen. Denn wie gesehen, wollte der Gesetzgeber mit der Entschädigung erreichen, daß endlich auch im Bereich der Strafrechtspflege die Rechtspositionen und Grundrechte des Bürgers angemessen berücksichtigt werden. Mit der Strafverfolgungsentschädigung verhält es sich daher nicht anders als mit der Sozialhilfe: Daß dem Beschuldigten und damit einem Privaten der Anspruch unmittelbar zufließt, ändert nichts daran, daß öffentlichrechtliche Ziele verfolgt werden, der Anspruch auf die Entschädigung also im öffentlichen Interesse liegt. 18 Zu diesen drei Abgrenzungstheorien vgl., statt aller weiteren Nachweise: Achterberg, § 1 Rn. 14 - 21, S. 9 - 11; Ehlers, in: Erichsen, A11gVerwR, § 2 Rn. 15 - 30, S. 32 - 39.
8. Kap.: Rechtsnatur der Entschädigung nach dem StrEG
123
Noch klarer als die Interessentheorie belegen die Subordinations- bzw. Subjektionstheorie und die Subjekts- bzw. Sonderrechtstheorie, daß es sich bei der Strafverfolgungsentschädigung um ein öffentlich-rechtliches Institut handelt. Die Entschädigung soll nämlich einen angemessenen Ausgleich zwischen den Strafverfolgungsinteressen des Staates und den Rechten - insbesondere den Grundrechten - des Bürgers schaffen. Sie wird also nicht etwa in einem Bereich geleistet, in dem Bürger und Staat sich gleichberechtigt gegenüberstehen. Vielmehr erfolgt ihre Zahlung, weil der Staat zuvor hoheitlich in die Rechtssphäre des Bürgers eingegriffen hat. Gerade hier, wo der Staat strafprozessuale Zwangsmaßnahmen und Strafen gegen den Bürger verhängt, zeigt sich das klassische Über- und Unterordnungsverhältnis zwischen Staat und Bürgerl9 , das nach der Subordinations- bzw. Subjektionstheorie ein öffentlichrechtliches Verhältnis ausmacht. Aus dem StrEG ist zudem nur der Staat verpflichtet, weshalb auch nach der Subjekts- bzw. Sonderrechtstheorie nur ein öffentlich-rechtlicher Anspruch in Betracht kommt. Unabhängig davon, welcher Abgrenzungstheorie man folgt, gehört die Strafverfolgungsentschädigung demnach in das öffentliche Rechtl°.
C. Strafverfolgungsentschädigung als Ausgleich fiir einen hoheitlichen Eingriff in ein (nichtvennägenswertes) Recht
Zur Situation der Aufopferung gehört, daß der Staat zum Wohl der Allgemeinheit mit hoheitlichem Zwang in ein Rechtsgut des betroffenen Bürgers eingegriffen hat. Werden gegen den Beschuldigten Strafverfolgungsmaßnahmen LS.d. §§ 1,2 StrEG verhängt, geht der Staat unzweifelhaft mit hoheitlichem Zwang gegen ihn vor. Da die Strafverfolgungsmaßnahmen Zwecke der Strafrechtspflege erfüllen, werden sie auch im Interesse der Allgemeinheit verhängt.
19 Seier,
JZ 1988, 683, 684.
20S0 im Ergebnis auch die in Fn. 2 Genannten. Außerdem siehe BGHZ, 66, 122, 124, 130, sowie Paeffgen, S. 239 - 255, der in der V-Haft einen öffentlich-rechtlichen Gefahrdungshaftungstatbestand eigener Art sieht. Auch der Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages ging vom öffentlichrechtlichen Charakter aus; so der Bericht in BT-Drs. 6/1512, S. 1.
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3. Teil: Anspruch auf Strafverfolgungsentschädigung
I. Nichtvermögenswerte Rechte als Gegenstand des Eingriffs ?
Nach der Entwicklung, die die Dogmatik zwn Aufopferungsanspruch durchgemacht hat, wird heute überwiegend angenommen, daß die Aufopferung durch den Eingriff in nichtvermögenswerte Rechtsgüter gekennzeichnet sei2l • Wo in vermögenswerte Rechte eingegriffen wird, soll es sich nicht um Aufopferung, sondern um eine Enteignung bzw. einen enteignungsgleichen Eingriff handeln22 • Dabei ist nach der Naßauskiesungs-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts23 zweifelhaft geworden, in welchem Umfang ein enteignungsgleicher Eingriff überhaupt noch EntschädigungsanspTÜche auslösen kann24 • Von den verschiedenen Maßnahmen, die im Zuge der Strafverfolgung verhängt werden können, greifen die meisten in nichtvermögenswerte Rechte ein. Deutlich wird das am Beispiel der Strafhaft oder der Untersuchungshaft, die unmittelbar das Recht des Beschuldigten auf körperliche Bewegungsfreiheit, Art. 2 Abs. 2 S. 2 00, beschränken. Gerade dort liegt, wie aus §§ 1, 2 StrEG abzulesen ist, der Schwerpunkt der Strafverfolgungsentschädigung. Sogar im Katalog der "anderen" Strafverfolgungsmaßnahmen, § 2 Abs. 2 StrEG, dominiert die Freiheitsentziehung: § 2 Abs. 2 Nr. 1 StrEG behandelt die einstweilige Unterbringung sowie die Unterbringung zur Beobachtung, § 2 Abs. 2
21 BGHZ 9, 83, 89; 13,88, 91; 65, 196,206; Bender, § 3 Rn. 36, S. 15 f.; Ossenbühl, § 12.1, S. 106 - 108, sowie § 13, S. 112; Papier, in: MaunzlDürig, Art. 14 Rn. 678.
A.A. noch RGZ 156, 305, 310. 22Rüfner, in: Erichsen, A11gVerwR, § 49 Rn. 17, S. 615, sowie § 49 Rn. 58, S. 634; Ossenbühl, § 12.3, S. 109. 23
BVerfGE 58, 300.
24
A.a.O., S. 324.
Die Auffassungen darüber, inwieweit nach der Naßauskiesungs-Entscheidung noch Raum für eine Entschädigung wegen enteignungsgleichen Eingriffs ist, sind geteilt. Darstellungen über den Meinungsstand fmden sich bei Ossenbühl, JuS 1988, 193 - 196; dems., NJW 1983, 16; Papier, in: MaunzlDürig, Art. 14 Rn. 720 - 728; Rüfner, in: Erichsen, A11gVerwR, § 49 Rn. 55 - 57, S. 632 - 634. Der BGH hat nach der Naßauskiesungs-Entschddung keinen Anlaß gesehen, das Rechtsinstitut des enteignungs gleichen Eingriffs aufzugeben. Er hat aber den enteignungsgleichen Eingriff aus dem Analogiebereich des Art. 14 GG gelöst und als selbständiges Rechtsinstitut ausdrücklich begründet. Anspruchsgrundlage soll der Aufopferungsgedanke in seiner richterrechtlich geprägten Ausformung sein: BGHZ 90, 17, 31. Zustimmend u.a. Götz, DVBl. 1984,395 - 397.
8. Kap.: Rechtsnatur der Entschädigung nach dem StrEG
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Nr. 2 StrEG die vorläufige Festnahme, § 2 Abs. 2 Nr. 3 StrEG die Maßnahmen bei Aussetzung des Haftbefehls. Etwas schwieriger wird die Beurteilung bei der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis, aufgeführt in § 2 Abs. 2 Nr. 5 StrEG, und beim vorläufigen Berufsverbot, angesprochen durch § 2 Abs. 2 Nr. 6 StrEG. Das vorläufige Berufsverbot beeinträchtigt die Berufsfreiheit, Art. 12 00, während die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis den Beschuldigten in der freien Entfaltung seiner Persönlichkeit, Art. 2 Abs. I 00, beschränkt. Nun gehören weder die Berufsfreiheit noch das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit zum Kreis jener Rechtspositionen, die durch den allgemeinen Aufopferungsanspruch geschützt wären2S ; denn das Institut der Aufopferung bezieht sich in seiner gewohnheitsrechtlichen Ausprägung nur auf Eingriffe in Leben, Gesundheit oder Freiheit. Dies allein ist freilich kein Grund zu sagen, die Strafverfolgungsentschädigung könne in den Fällen des Berufsverbots oder der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis keine Aufopferungsentschädigung sein. Denn dem Gesetzgeber steht es frei, bei seinen Regelungen über den gewohnheitsrechtlichen Rahmen der Aufopferung hinauszugehen. Gewährt er Entschädigung für nichtvennögenswerte Rechtsgüter außerhalb von Leben, Gesundheit und Freiheit, schafft er der Sache nach einen Anspruch aus Aufopferung, ungeachtet der Tatsache, daß der allgemeine Aufopferungsanspruch in diesen Fällen nicht eingreift26 • Als wirklich problematisch bleiben dann noch jene Maßnahmen übrig, die § 2 Abs. 2 Nr. 4 StrEG behandelt: Sicherstellung; Beschlagnahme; Arrest nach §§ 11ld, 1110 StPO; Vennögensbeschlagnahme nach § 11lp StPO. Hier ist der Beschuldigte in seinem Eigentum oder jedenfalls in einer vennögenswerten Rechtsposition betroffen. Für eine Entschädigung wären daher eigentlich die Institute der Enteignung bzw. des enteignungsgleichen Eingriffs maßgebend27 • Wenn das StrEG diese Fälle gleichwohl miterfaßea, stellt sich die Frage, ob das nicht die Zuordnung zum Institut der Aufopferung vereitelt. 2SRüfner, in: Erichsen, AllgVerwR, § 49 Rn. 82 f., S. 647 f. 26 Die Ausdehnung der Aufopferungsentschädigung auf andere Rechtsgüter fordern z.B. Battis, S. 104 ff., 108, fiir einen Eingriff in die Berufsfreiheit, und Dürig, in: MaunzJDürig, Art. 2 Abs. 1 Rn. 27, fiir das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit. Ferner siehe Papier, in: MaunzJDürig, Art. 14 Rn. 679, sowie Ossenbühl, § 13.1, S.112.
In bezug auf Art. 12 GG ablehnend jedoch BGH, NJW 1994, 1468; ders., NJW 1994, 2229 f. 27 Ob die Maßnahmen bereits als Enteignungen bzw. enteignungsgleiche Eingriffe
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3. Teil: Anspruch aufStrafverfolgungsentschädigung
11. Bewältigung jener Fälle, in denen das StrEG den Eingriff in vermögenswerte Rechte entschädigt Zu Beginn dieses Kapitels wurde auf § 75 Einl ALR hingewiesen. Er hat im deutschen Rechtskreis den Gedanken der Aufopferung erstmals in gesetzliche Worte gefaßt. Dieser Urtext unterschied nicht, ob der Staat in vennögens- oder nichtvennögenswerte Rechtsgüter eingegriffen hatte. Zur Trennung kam es später9 und auch nicht etwa deswegen, weil die beiden Entschädigungs-Typen sich im Inhalt auseinanderentwickelt hätten. Sondern das formale Kriterium, daß der Eingriff in vennögenswerte Rechte, die Enteignung, alsbald ausführlicher und auf verfassungsrechtlicher Ebene geregelt wurde, gab den Ausschlag. Das sollte als Hintergrund bedacht werden, damit man die Unterschiede zwischen Enteignung / enteignungsgleichem Eingriff auf der einen Seite, Aufopferung auf der anderen Seite nicht überbewertet. Man könnte vielmehr im StrEG ein Beispiel dafür sehen, daß der Gesetzgeber bei diesem Einzelfall zur ursprünglichen Einheit von Enteignung und Aufopferung zurückgekehrt
isfo.
Angesichts der geringen sachlichen Differenzen wäre es aber auf jeden Fall überzogen, die Strafverfolgungsentschädigung nur deswegen nicht als Fall der Aufopferung behandeln zu wollen, weil gelegentlich auch der Eingriff in vermögenswerte Rechte ausgeglichen wird. Mengenmäßig betrachtet, dürfte das Merkmal "Ausgleich für einen hoheitlichen Eingriff in ein nichtvennögenswertes Recht" in über 90% der Fälle erfüllt sein. Wenn die Entschädigung dann in weniger als 10% der Fälle einen Eingriff in vennögenswerte Rechte betrim, können diese Ausnahmen nicht den Charakter der Strafverfolgungsentschädigung insgesamt bestimmen. Sondern es handelt sich um eine Art von Annexregelung. Sofern die übrigen Merkmale vorliegen, bleibt es weiterhin möglich, die Strafverfolgungsentschädigung unter das Institut der Aufopferung zu bringen.
einzuordnen sind, soll hier noch dahingestellt bleiben. Möglich erscheint auch, daß die genannten Maßnahmen noch innerhalb der Sozialpflichtigkeit liegen, diese Inhaltsbestimmung aber ausnahmsweise entschädigungspflichtig ist. Dazu siehe den Pflichtexemplare-Fall, BVerfGE 58, 137, 144 f., 150 f. 28 So auch Schätzler, Ein!. Rn. 23: Der Betroffene opfere im Aligemeininteresse Freiheit und vermögenswerte Rechte. 290ssenbühl, § 12.1, S. 105 f. 30 Auch
bei Tiedemann, MDR 1964, 971, 973, wird daraufhingewiesen, daß der Anspruch aus Aufopferung Le.S. und der Anspruch aus enteignungsgleichem Eingriffnur Unterarten des allgemeinen Aufopferungsanspruchs sind.
8. Kap.: Rechtsnatur der Entschädigung nach dem StrEG
127
D. Strafverfolgung als Ursache eines Sonderopfers Das entscheidende nächste Merkmal ist das des Sonderopfers. Die h.M. geht davon aus, daß Maßnahmen der Strafverfolgung dem Beschuldigten ein Sonderopfer auferlegen; doch sind neuerdings auch kritische Stimmen hierzu laut geworden.
I. Darstellung der bisher herrschenden Meinung - Notwendigkeit der Überprüfung an den einzelnen vom StrEG erfaßten Fällen
In den Äußerungen der h.M. ist bisher offengeblieben, worin das Sonderopfer liegt, das bei der Strafverfolgungsentschädigung . ausgeglichen werden soll. Wie sich zeigen wird, ist eine entsprechende Begründung durchaus nicht so einfach, als daß man die h.M. ungeprüft übernehmen könnte. Die allgemeinen Voraussetztingen, wann ein Sonderopfer anzunehmen ist, sind maßgeblich von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes entwickelt worden. Ihr zufolge ist das Sonderopfer dadurch gekennzeichnet, daß dem Betroffenen ein besonderes, den übrigen nicht zugemutetes Opfer für die Allgemeinheit abverlangt wird. Das Sonderopfer ergibt sich letztlich aus einem Verstoß gegen den Gleichheitssat:t 1• Der BGH selbst hat einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GO stets dann bejaht, wenn der Eingriff rechtswidrig wat 2 • Danach hätte der Beschuldigte ein Sonderopfer immer dort erlitten, wo die Strafverfolgungsmaßnahme rechtswidrig angeordnet worden ist. Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht im sog. Naßauskiesungsbeschluß der Rechtsprechung des BGH eine Absage erteilt: Der Betroffene müsse gegen eine rechtswidrige Beeinträchtigung - dort handelte es sich um eine Enteignung - mit den verfügbaren Rechtsmitteln vorgehen. Eine Entschädigung könne er nur verlangen, sofern eine gesetzliche Anspruchsgrundlage vorhanden sei33 • Auf den ersten Blick scheinen die Regelungen des StrEG eben
31 BGHZ
6, 270, 280; 9, 83, 90; 45, 58, 76; 65, 196, 206.
32BGHZ 32, 208, 210 f.; 58,124,127; BGH, NJW 1963, 1915, 1916, für Enteignungen und enteignungsgleiche Eingriffe. Die h.M. überträgt diese Grundsätze auf die Aufopferung. RÜfner, in: Erichsen, A11gVerwR, § 49 Rn. 84, S. 648, weist sogar darauf hin, daß das Sonderopfer bei der Aufopferung beinahe stets durch rechtswidrige, nur ausnahmsweise durch rechtmäßige Eingriffe begründet werde.
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3. Teil: Anspruch aufStrafverfolgungsentschädigung
diese, nach dem Naßauskiesungsbeschluß notwendige Anspruchsgrundlage zu liefern. Dabei müßte man freilich unterstellen, daß die Entschädigung, die durch das StrEG gewährt wird, solche Fälle betreffen soll, in denen die Strafverfolgungsmaßnahme rechtswidrig verhängt wurde. Gerade diese Unterstellung verbietet sich jedoch, weil der Gesetzgeber dem StrEG eine eindeutig andere Funktion gegeben hat: Er ging davon aus, in erster Linie eine Entschädigung für rechtmäßig verhängte Maßnahmen zu regelnl4 . An diesem vom Gesetzgeber gewollten Normalfall muß die vorliegende Untersuchung sich orientieren. Das verbaut ihr den "einfachen" Weg, wonach bei rechtswidrig verhängter Maßnahme ohne weiteres ein Sonderopfer angenommen werden kannls . Sie muß das Sonderopfer für eine rechtmäßig verhängte Maßnahme begründen. Grundsätzlich ist es anerkannt, daß auch eine rechtmäßig verhängte Maßnahme zu einem Sonderopfer führen kann. Es geht dabei in der Regel um Fälle, in denen der Staat mit allgemeinem Zwang gegen seine Bürger vorgeht, wie z.B. beim Impfzwang. Weil der Eingriff allgemein erfolgt, liegt in ihm selbst normalerweise noch kein Sonderopfer begründet. Dieses entsteht vielmehr erst durch eine Verletzung, die sich ergibt, falls die Wirkung des Eingriffs einen atypischen Verlauf nimmtl6 . Beispiel dafür ist etwa die schwere Gesundheitsschädigung, die nach einer Impfung eintreten kannl7 . Ob die zwangsweise herbeigeführten Schäden bereits in ein Sonderopfer umgeschlagen sind, prüft die Rechtsprechung üblicherweise an folgenden Kriterien: an der "ratio legis'r38, der "Natur der Sache't39, dem "vernünftigen Urteil der billig und gerecht Denkenden"40 sowie dem "allgemeinen Lebensrisiko"41. 33 BVerfGE 58, 300, 319, 322 - 324. 34 Begründung der Bundesregierung zum Entwurf des StrEG, BT-Drs. 6/460, S. 5 f.; MR Schätzler (BMJ), BT-Rechtsausschuß, Prot. 6/19 vom 17. September 1970, S. 28; Abg. Dürr, BT-Plenarprot. 6/84, S. 4704. 35 Eine ganz andere Frage ist, ob das StrEG auf rechtswidrige Maßnahmen erstreckt werden könnte. Das bejahen Paeffgen, S. 217, und Baumann, in: FS für Heinitz, S. 705, 707 Fn. 7. 36 Die Sonderopfergrenze wird bei solchen Schäden überschritten, die aus der "Zwangstypik" herausfallen und nicht mehr "eingriffsadäquat" sind: Ossenbühl, § 13.5, S. 115; ders., JuS 1970, 276, 277. 37BGHZ 9, 83, 87 f., 91. 38BGHZ 9, 83, 92; 17, 172, 175; 65, 196,208; BGH, NJW 1963, 1828, 1830; OLG Frankfurt, NJW 1967,632,633. 39BGHZ 17, 172, 175; BGH, NJW 1963, 1828, 1830 . .oBGHZ 17, 172, 175; BGH, NJW 1963, 1828, 1830. 41 Grundlegend: BGHZ 46,327,330.
8. Kap.: Rechtsnatur der Entschädigung nach dem StrEG
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Nun geht es allerdings im StrEG nicht in erster Linie um Folgeschäden42 , für die etwa die Tötung durch einen Mithäftling ein Beispiel wäre43 • Sondern die Entschädigung soll durchaus unmittelbar wegen der erlittenen Strafverfolgungsmaßnahme als solcher gewährt werden. Deshalb kann das Sonderopfer nur im Eingriff selbst liegen44 • Gleichwohl können die zum allgemeinen Zwang entwickelten Kriterien herangezogen werden um zu bestimmen, ob die Strafverfolgungsmaßnahmen bereits die allgemeine Opfergrenze überschreiten45 • Schließlich konkretisieren sie nur, wann der allgemeine Gleichheitssatz verletzt und damit das Sonderopfer begründet ist.
11. Begründung des Sonderopfers bei der Entschädigung für Urteilsfolgen, § 1 StrEG Hauptfall der in § 1 StrEG geregelten Entschädigungsfalle ist der, daß ein Verurteilter im Wiederaufnahmeverfahren freigesprochen bzw. milder bestraft wird. Dabei setzt § I StrEG nicht voraus, daß die Strafe vollstreckt ist. Schon die Schäden, die allein von der Verurteilung herrühren, werden ersetzt46 • Das bedeutet, daß sich hier das Sonderopfer nicht nur in der verbüßten Strathaft, sondern auch bereits in der Verurteilung als solcher zeigen müßte. Soll bereits durch die Verurteilung an sich das Sonderopfer begründet werden, so muß es mit der Verurteilung eine besondere Bewandtnis haben. Denn die Strafprozeßordnung verpflichtet den Verurteilten, grundsätzlich jedes rechtskräftige Urteil zu dulden, selbst ein fehlerhaftes. Insofern könnte man argumentieren, gehöre es eben in einer modemen Gesellschaft zum "allgemeinen Lebensrisiko", in ein Strafverfahren verwickelt und unter Umständen sogar Opfer eines Fehlurteils zu werden. Wenn nach den §§ 359 ff. StPO trotzdem unter bestimmten Voraussetzungen das Verfahren zugunsten des Verurteilten wiederaufgenommen werden 42
BGHZ 60, 302, 304 f.
43
Dazu BGHZ 17, 172, 175 f., wo der BGH das Sonderopfer verneint hat.
44 Paeffgen, S. 224. Schulbeispiel dafür, daß schon im Zwang selbst das Sonderopfer liegen kann, ist der Thorotrast-Fall, BGHZ 20, 61 ff.
45 Paeffgen, S. 225. Außerdem stellt der BGH auch im Thorotrast-Fall darauf ab, welche Opfer der Betroffene nach der ratio legis der Wehrgesetze entschädigungslos hinzunehmen hat und welche schon ein Sonderopfer begründen: BGHZ 20,61,64. 46 Begründung der Bundesregierung zum Entwurf des StrEG, BT-Drs. 6/460, S. 5,6; Schätzler, § 1 Rn. 18.
9 Friehe
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3. Teil: Anspruch auf Strafverfolgungsentschädigung
kann und damit der Einzelfallgerechtigkeit Vorrang vor der Rechtskraft eingeräumt ist, so deshalb, weil die zugrunde liegenden Urteile in einer für das Gerechtigkeitsempfinden unerträglichen Weise offensichtlich falsch sind. Teilweise haben nämlich sogar Dritte durch Straftaten den Gang des Strafverfahrens beeinflußt (§ 359 Nm. 1 - 3 StPO) und dadurch ein neues, nicht mehr der Natur des normalen Strafprozesses entsprechendes Risik047 geschaffen. Aus diesen Gründen verlangen die ergangenen falschen Verurteilungen dem Betroffenen mehr ab als "gewöhnliche" Fehlurteile, die etwa nur auf fehlerhafter Rechtsanwendung beruhen. Die Ursachen, die zu den wiederaufnahmeflihigen Entscheidungen geführt haben, liegen eben außerhalb der allgemeinen Lebensrisiken. Deshalb läßt die Einzelfallgerechtigkeit es nicht mehr zu, daß der Verurteilte noch länger die Strafhaft dulden muß. Nach § 373 Abs. 1 StPO muß ein freisprechendes Urteil, das im Wiederaufnahmeverfahren ergeht, das voraufgegangene Fehlurteil ausdrücklich aufheben. Mit dieser Maßnahme erkennt der Staat förmlich an, daß das erste Urteil materiell falsch war, daß er sich geirrt und dem Betroffenen Unrecht zugefügt hat. Deutlicher kann gar nicht mehr klargestellt werden, daß der Betroffene ein Opfer erlitten hat, das ihn im Verhältnis zu anderen besonders belastet4•. Dies gilt um so mehr, als das Sonderopfer bei der Aufopferung wie bei der Enteignung durch zwei Komponenten bestimmt wird: nämlich zum einen durch die Verletzung des allgemeinen Lastengleichheitssatzes, zum anderen durch die "Schwere"49 des Eingriffs. Schwerer als durch ein offensichtlich falsches Strafurteil kann der Staat aber kaum noch in Rechte seiner Bürger eingreifen. Für die anderen in § 1 StrEG geregelten Fälleso gilt entsprechendes. Auch dort wird dem Betroffenen durch die materiell offensichtlich rechtswidrige Maßnahme ein Opfer zugemutet, das ihn im Vergleich zu anderen besonders belastet. Zu nennen ist zunächst der rechtskräftige Strafbefehl, der nachträglich wegfällt, weil die Tat in einem ordentlichen Verfahren unter einem anderen Aspekt verfolgt worden ist, der Beschuldigte in dem neuen Verfahren aber wider Erwarten freigesprochen wird. Ebenso übersteigt ein strafrechtliches Urteil die allgemeine Opfergrenze, das aufgrund einer Verfassungsbeschwerde 47 Wird ein neuer Gefahrenbereich geschaffen, nimmt BGHZ 46,327,330, ein Sonderopfer an. 48 Paeffgen, S. 233, akzeptiert zwar, daß die in § 1 StrEG geregelten Fälle auch Aufopferungscharakter haben, will sie aber, genauso wie die Entschädigung für V-Haft, der Gefährdungshaftung unterstellen, S. 256 ff.
49 Sog. Schweretheorie des BVerwG; siehe z.B., auf die Enteignung bezogen, BVerwGE 5, 143, 145 f.; 15, 1 f. 50
Einen Überblick über diese Fälle gibt Schätzler, § 1 Rn. 2 - 5.
8. Kap.: Rechtsnatur der Entschädigung nach dem StrEG
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aufgehoben worden ist oder das sich auf eine verfassungswidrige Nonn stützte. Schließlich wird nach § 1 StrEG deIjenige entschädigt, dessen rechtskräftige Verurteilung erst auf die Revision eines Mitangeklagten beseitigt wird, weil in dem betreffenden Urteil materielles Recht verletzt worden ist (§ 357 StPO). Zwar handelt es sich in § 357 StPO um "nonnale" Fehlurteile, die nach den bisherigen Ausführungen weder die Rechtskraft durchbrechen noch ein Sonderopfer begründen. Der Gesetzgeber macht hier jedoch eine Ausnahme von der Regel, weil ein und dasselbe Urteil, das als falsch erkannt ist, nicht wegen einer bloßen Fonnalie gegen den einen Mitverurteilten bestehen bleiben soll, während es gegen den' anderen aufgehoben wird. Es geht also darum, Ungerechtigkeiten zu verhindern, die andernfalls zwischen den Mitverurteilten und damit innerhalb der engsten Vergleichsgruppe i.S.d. allgemeinen Gleichheitssatzes entstünden. Als Zwischenergebnis ist festzuhalten: Jedenfalls in § 1 StrEG wird die Entschädigung dafür geleistet, daß dem Betroffenen durch die Urteilsfolgen Sonderopfer auferlegt worden sind.
III. Der Zweifelsfall der UntersuchungshaftPaeffgens Bedenken gegen die Annahme eines Sonderopfers
Im Gegensatz zur h.M. kommt Paeffgen für die Untersuchungshaft zu dem Ergebnis, dem Beschuldigten werde kein Sonderopfer auferlegt. Bei der Entschädigung handele es sich um einen Anspruch aus einem Gefährdungshaftungstatbestand eigener Art, der nur insofern der Aufopferung ähnele, als der Staat beide Male eine Entschädigung aus Billigkeit gewähreSl.
1. Auseinandersetzung mit der Auffassung Paeffgens, der Untersuchungshäftling stehe einem Anscheinsstörer gleich Paeffgen verneint vor allem deshalb das Sonderopfer, weil er die polizeirechtlichen Störerkonstellationen auf die Untersuchungshaft überträgt. Dabei argumentiert Paeffgen, der Tatverdacht allein bringe den Beschuldigten in der RegelS2 noch nicht hinter Gitter. Erst die Gefahr, der Beschuldigte könne durch slpaeffgen, S. 237, 245 - 251, 255; ders., in: SK-StPO, Vor § 112 Rn. 11,32. 9*
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3. Teil: Anspruch auf Strafverfolgungsentschädigung
Flucht oder Verfälschung von Beweismitteln das Verfahren sabotieren, schaffe die Voraussetzungen dafür, ihm die Freiheit zu entziehen. Die Untersuchungshaft diene also dazu, Gefahren abzuwehren, die der Durchführung des Strafverfahrens von seiten des Beschuldigten drohten. Der Untersuchungshäftling sei folglich wie ein Störer/Anscheinsstörer einzustufen, der durch die Haft lediglich in die Schranken seines Rechts verwiesen werde s3 • Diese Argumentation vermag nur auf den ersten Blick zu überzeugen. Sie stellt nämlich auf solche Untersuchungshäftlinge ab, die die Strafverfolgungsmaßnahme zurechenbar verursacht haben. Eben diese Gruppe soll jedoch nach dem StrEG gerade nicht entschädigt werden. So ist nach § 5 Abs. 2, 3 StrEG die Entschädigung ausgeschlossen, wenn und soweit der Beschuldigte die Strafverfolgungsmaßnahme vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht hat. Nach § 6 Abs. I S. I StrEG kann eine Entschädigung versagt werden, falls der Beschuldigte sich selbst belastet oder wesentliche entlastende Umstände verschwiegen hat, obwohl er sich zur Beschuldigung geäußert hat. In diesen Vorschriften hat der Gesetzgeber selbst - unterstellt, die Parallele zum Störer/Anscheinsstörer treffe zu - diejenigen Untersuchungshäftlinge von der Entschädigung ausgeschlossen, die die Gefahr oder den Anschein der Gefahr einer Verfahrenssabotage zu verantworten haben. Zwar ist zuzugeben, daß der Gesetzgeber in den §§ 5, 6 StrEG dem Beschuldigten nur bestimmte fahrlässige Verhaltensweisen zurechnet. Doch hat er insoweit nur das ihm zustehende Ermessen dazu benutzt, den Grundgedanken vom "Verschulden gegen sich selbst", § 254 BGB, den speziellen Bedürfnissen des Strafverfahrens anzupassen. Dabei war maßgeblich, daß Anknüpfungspunkt aller Strafverfolgungsmaßnahmen zunächst einmal der Tatverdacht ist, mithin der Staat die entscheidende Voraussetzung für die Strafverfolgung setzt. Da der Beschuldigte bis zu seiner Verurteilung den Schutz der Unschuldsvermutung genießt, das Recht ihm aber keine Mittel an die Hand gibt, das Verfahren bis zum Nachweis seiner Unschuld zu betreiben, sollte das Risiko der Strafverfolgung auf den Staat verlagert werden. Und eben dieses Ziel wäre vereitelt worden, wenn schon bei leichter Fahrlässigkeit eine Entschädigung ausgeschlossen wäreS4 • Folglich ist an den Ausschluß- und Versagungsgründen ablesbar, welche Risiken der Strafverfolgung vom Staat und welche vom Beschuldigten zu verantworten sind. Alle Handlungen des Verdächtigen, die unterhalb der Verschuldensgrenze der §§ 5, 6 StrEG liegen, sind diesem nicht zuzurechnen.
l2 Ausnahme: § 112 Abs. 3 StPO. l3Paeffgen, S. 220 f., 234,163; ders., in: SK-StPO, Vor § 112 Rn. 32. l4 Im Ergebnis ebenso: Schätzler, § 5 Rn. 3.
8. Kap.: Rechtsnatur der Entschädigung nach dem StrEG
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Wenn man daher schon Parallelen zu den polizeirechtlichen Störerbegriffen zieht, müssen die Untersuchungshäftlinge, die die Strafverfolgungsmaßnahme i.S.d. §§ 5, 6 StrEG nicht zu verantworten haben, konsequenterweise mit denjenigen Anscheinsstörern verglichen werden, die den Anschein der Gefahr nicht zurechenbar verursacht haben. Bei solchen Anscheinsstörern liegt aber, legt man die Rechtsprechung des BGH zugrunde, ein Sonderopfer vors. Manche meinen allerdings, der Anscheinsstörer, der den Anschein der Gefahr nicht zu verantworten hat, müsse wenigstens einen sog. "Gefahrenerforschungseingriff" entschädigungslos duldens6 • Diese Auffassung bezieht sich aber auf Eingriffe in das Eigentum des Anscheinsstörers s7 , und dieses ist durch Art. 14 Abs. 200 der Sozialpjlichtigkeit unterworfen. Der Eigentümer hat sein Recht nicht nur im eigenen, sondern stets zugleich im Interesse der Gemeinschaft zu nutzenS8 und muß deshalb dafür sorgen, daß die Gegenstände, die ihm gehören, anderen keine Schäden zufügen. Auf dieser Grundlage, weil nämlich die Inanspruchnahme bloß die Sozialpflichtigkeit konkretisiert, mag es dann vertretbar sein, einem Anscheinsstörer, der den Anschein der Gefahr nicht zu verantworten hat, die Entschädigung zu verwehren. Beim Recht auf körperliche Bewegungsfreiheit, Art. 2 Abs. 2 S. 2 00, besteht jedoch kein vergleichbarer Gemeinwohlauftrag. Infolgedessen kann die - zwar rechtmäßige, letztlich aber unberechtigte - Freiheitsentziehung auch nicht "Ausdruck einer Sozialpflichtigkeit" des Betroffenen sein. Hier ist an der BGH-Rechtsprechung festzuhalten, wonach der Anscheinsstörer, der den Anschein der Gefahr nicht zurechenbar veranlaßt hat und dennoch in Anspruch genommen wird, ein Sonderopfer erleidet. Das gilt um so mehr, als der Untersuchungshäftling erst durch den Staat, durch die Einleitung des Ermittlungsverfahrens in jene Situation gebracht wird, die den Anschein einer Gefahr begründen mag. Im Gegen-
55 BGHZ 5, 144, 152; 43, 196, 204; ebenso: Götz, § 7 III, Rn. 155 f., S. 63 f., § 17 Rn. 427, 439, S. 159, 162; Schenke, POR, Rn. 344, 347, in: Steiner, S. 336 f.; Schol-
lerlBroß, DÖV 1976,472,474.
Einige Zitate beziehen sich auf den Anscheinsstörer, dem die Entschädigung ausnahmsweise versagt wird, weil er den Anschein der Gefahr erweckt hat. Umgekehrt ergibt das den Grundsatz, daß der Anscheinsstörer Entschädigung erhält. 56 Papier, DVBl. 1975,567,574; Rietdorf, in: RietdorflHeiselBöckenförde/Strehlau, § 41 OBG NW, Rn. 22. Ähnlich Bender, 2. Aufl., A I, Rn. 36 f., S. 15 f., der betont, daß sich die Inanspruchnahme dann allerdings auf vorläufige Maßnahmen beschränken müsse.
57 Siehe z.B. BGHZ 5, 144, 152; 43, 196, 204; BVerwGE 39, 190, 196; BVerwG, DVBl. 1975,567. 58
Bryde, in: v. Münch / Kunig, Art. 14 Rn. 67 - 69.
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3. Teil: Anspruch auf StrafVerfolgungsentschädigung
satz dazu ist beim polizeirechtlichen Anscheinsstörer der Staat nicht daran beteiligt, daß die Gefahr entstehtS9 . Als weiteres Bedenken gegen Paeffgens Ansatz kommt hinzu, daß die Anscheinsstörer-Parallele bei einigen Fällen der Untersuchungshaft überhaupt nicht paßt. Paeffgen räumt selbst ein, daß sich weder der Haftgrund der Wiederholungsgefahr60 noch der besondere Haftgrund nach § 112 Abs. 3 StP061 in sein Konzept einfügen. Des weiteren kann die Figur des Störers/Anscheinsstörers auf denjenigen nicht übertragen werden, der im Wiederaufnahmeverfahren freigesprochen wird. Da der Gesetzgeber die alten Entschädigungsregelungen zu einem einheitlichen Gesetz zusammengefaßt hat, ist aber anzunehmen, daß er die Entschädigung für endgültige und für vorläufige Strafverfolgungsmaßnahmen einem Gesamtkonzept unterstellen wollte. Dem entspräche, daß die Entschädigungsansprüche aus einem gemeinsamen Rechtsgrund entspringen. Unter diesem Aspekt betrachtet, erscheint die polizeirechtliche Störerkonstellation, zumindest für die vorliegende Untersuchung, ohnehin wenig hilfreich.
2. Auseinandersetzung mit der Auffassung Paeffgens, die Ansprüche nach dem StrEG seien Ansprüche aus Gefährdungshaftung Nachdem sich Paeffgens These, der Untersuchungshäftling gleiche einem Anscheinsstörer, als durchaus angreifbar erwiesen hat, erscheint auch die andere Annahme, das StrEG normiere spezielle Tatbestände der Gefährdungshaftung, überprüfungsbedürftig. Paeffgen stützt sich insoweit auf zwei Argumente: - Erstens hält er die Gefährdungshaftung generell für passend, weil es ihrem Wesen entspreche, besondere Risikolagen abzudecken. Eine besondere Risikolage bestehe auch bei der Strafverfolgung, denn die Rechtsordnung nehme hier von vornherein in Kauf, daß gelegentlich Unschuldige den Maßnahmen der Strafverfolgung unterworfen werden62 • S9Nach D. Meyer, Ein!. Rn. 13, ist der Aufopferungsgedanke im StrafVerfahrensrecht sogar niemals in der gleichen Weise gesehen worden wie bei sonstigen staatlichen Eingriffen. 60 Paeffgen, S. 144. 61
Paeffgen, S. 136 f.
62
Paeffgen, S. 243 - 245.
8. Kap.: Rechtsnatur der Entschädigung nach dem StrEG
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- Weiterhin und zweitens sei es für die Gefährdungshaftung typisch, daß der Betreiber der Gefahrenquelle auf das Ganze hafte: Ein Mitverschulden des Opfers führe allenfalls dazu, daß der Anspruch anteilig gekürzt werde. Diese Struktur sei bei der Strafverfolgungsentschädigung genauso anzutreffen63 •
a) Struktur einer grundsätzlichen Haftung auf das Ganze? Was das zweite, speziellere Argument betriffi, kann es schlicht nicht nachvollzogen werden. Paeffgen behauptet, das StrEG lasse den Staat selbst bei nicht unbeträchtlichem Mitverschulden des Beschuldigten grundsätzlich auf das Ganze haften64 • Das "grundsätzlich" mag man vielleicht in dem Sinne verstehen, daß die Haftung zunächst einmal auf den vollen Schaden bezogen ist, der Ersatzpflichtige aber einredeweise ein Mitverschulden geltend machen kann und so, im Falle des Erfolges, über § 254 BGB eine Minderung seiner Ersatzpflicht bewirkt. Damit wäre dann zwar der Mechanismus, wie die Höhe der Ersatzpflicht sich berechnet, zutreffend beschrieben. Aber dieser Mechanismus wird nicht nur bei der Gefährdungshaftung wirksam, sondern bei allen Ersatzansprüchen, den Anspruch aus Aufopferung eingeschlossen. Denn auch für die Aufopferung ist anerkannt, daß § 254 BGB Anwendung findet6s • Und wenn es Paeffgen so besonders wichtig erscheint, daß dem Opfer bei der Gefährdungshaftung höchstens ein Mitverschuldensanteil angerechnet wird, dann ist nicht recht verständlich, wie dieses Element gerade im StrEG zu finden sein soll. Gewiß, §§ 1,2 StrEG gewähren die Entschädigung zunächst in Gänze, unabhängig vom Mitverschulden des Betroffenen. Doch wenig später stellen die §§ 5, 6 StrEG Voraussetzungen auf, die zu einer vollständigen Versagung der Entschädigung führen. Dabei geht es nicht bloß um eine Kürzung der Entschädigungssumme, bei der man argumentieren könnte, der "Anteil" des anzurechnenden Mitverschuldens steige zuweilen bis auf 100%. Sondern der Anspruch selbst wird durch die §§ 5, 6 StrEG in Frage gestellt. Die Ausschluß- und Versagungsgründe müssen nämlich bereits vom Strafgericht in der Grundentscheidung berücksichtigt werden66 • In der Grundent63
Paeffgen, S. 247.
64Paeffgen, S. 247. 65BGHZ 45, 290, 294 ff.; 56, 57, 64 ff.; Bender, § 3 Rn. 64, S. 26; Ossenbühl, § 14.4, S. 118; Schenke, POR, Rn. 349, in: Steiner, S. 338. A.A. nochRGZ 167, 14,26; Thomas, S. 117 ff. 66BGHZ 63, 209,212 f.; Hentsche1, Rn. 398a, S. 209; D. Meyer, Vor §§ 5, 6 Rn. 11, Vorbem. vor §§ 10 - 13, Rn. 5; Schätz1er, § 5 Rn. 2.
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3. Teil: Anspruch auf Strafverfolgungsentschädigung
scheidung wird aber noch gar nicht über die Anspruchshöhe entschieden, sondern nur darüber, ob überhaupt eine Entschädigung gewährt wird67 • Folglich betreffen die §§ 5, 6 StrEG die Entstehung des Anspruchs68 • Nach alledem kann es dahinstehen, wie die Gefährdungshaftung mit dem Problem des Mitverschuldens umgeht. Ist es wirklich wesentlich, daß die Haftungsvoraussetzungen unabhängig vom Mitverschulden des Geschädigten einseitig in den Vordergrund gestellt werden, fügt das StrEG sich jedenfalls nicht in ein derartiges Konzept ein. Statt dessen wird im StrEG das Mitverschulden auf eine Art und Weise berücksichtigt, wie sie im Aufopferungsrecht typisch ist: Daß nach §§ 5, 6 StrEG die Entschädigungspflicht entfällt, wenn der Beschuldigte sich die Strafverfolgung selbst zuzuschreiben hat, entspricht nämlich der Lage im Aufopferungsrecht, wonach ein Mitverschulden an einem rechtmäßigen Eingriff schon das Sonderopfer ausschließen kann69 • Geht es dagegen um ein Mitverschulden am Schadensausmaß, so wird der Anspruch über § 254 BGB gekürzeo.
b) Berücksichtigung der besonderen Risikolage Paeffgens generelle Überlegung, die Rechtsordnung nehme bei der Strafverfolgung in Kauf, daß zuweilen auch Unschuldige betroffen würden, triffi ohne weiteres zu. Ebenso wenig soll bestritten werden, daß die Strafverfolgungsentschädigung genau diesem gesteigerten Risiko Rechnung trägt. Doch ist die Schlußfolgerung, sie müsse deswegen ein Fall der Gefährdungshaftung sein, nicht so zwingend, wie Paeffgen sie hinstellt. Denn wie Ossenbühl überzeugend aufgezeigt hat, spielt die typische, gesteigerte Risikosituation nicht nur bei der Gefährdungshaftung eine Rolle, sondern sie ist ein genauso markantes Merkmal auch für die Aufopferung7 •• Dort ist es eine geläufige Überlegung, das Sonderopfer durch die "typische" Gefahrenlage zu begründen, die mit der "Eigenart der hoheitlichen Maßnahme" einhergeht. 67BGHZ 63, 209, 211; Schätzler, § 8 Rn. 3. 68Ebenso D. Meyer, vor §§ 5, 6 Rn. 1, der die §§ 5, 6 StrEG als negative Tatbestandsmerkmale bezeichnet. 69 Darauf weist auch Bender hin: § 3 Rn. 64, S. 26, insbesondere Fn. 58. Im gleichen Sinne BGHZ 17, 172, 175 f; 60, 302, 308 f 7°Bender, § 3 Rn. 64, S. 26, insbesondere Fn. 59, mit dem Hinweis aufBGHZ 45, 290, 294 ff.; 56, 57, 64 ff. 71
Ossenbühl, JuS 1988, 193, 196.
8. Kap.: Rechtsnatur der Entschädigung nach dem StrEG
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Das führt zu der Konsequenz, daß bestimmte Sachverhalte sich sowohl unter die Gefahrdungshaftung als auch unter den Aufopferungstatbestand subsumieren lassen. Doch darf dies nicht darüber hinwegtäuschen, daß der betroffene Anspruch seinem Charakter nach ein Aufopferungsanspruch bleibt. Denn die allgemeine staatsrechtliche Gefahrdungshaftung braucht dort nicht fortentwikkelt zu werden, wo das Aufopferungsrecht weiterhilft; im Gegenteil würden dadurch bewährte Strukturen der Staatshaftung ohne Not aufgebrochen72 • Diese Erwägungen führen deutlich zur Aufopferung zurück. Trotz einer gewissen Ähnlichkeit zur Gefahrdungshaftung wird die Entschädigungsregelung des StrEG als Fall der Aufopferung zu behandeln sein, sofern es gelingt, das Sonderopfer herauszuarbeiten.
IV. Begründung des Sonderopfers bei der Untersuchungshaft Anwendung der von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien Allerdings hat Paeffgen den Versuch, die Strafverfolgungsentschädigung durch den Gedanken der Gefahrdungshaftung zu begründen, gerade deswegen unternommen, weil er meint, das Merkmal des "Sonderopfers" lasse sich bei der Untersuchungshaft nicht feststellen. Folge man den von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien, so fehle es bereits an der "atypischen Folge": Da mit dem Freiheitsentzug eine Sabotage des Verfahrens verhindert werden solle, sei der Verlust der Freiheit keine atypische Folge, sondern das zentrale ausdrücklich gewollte Ziel der Eingriffsmaßnahme. Es sei "unbezweifelbarer Wille des Gesetzes", daß der Betroffene die Untersuchungshaft erleide'3. Das Sonderopfer zeige sich weder in der Schwere des Eingriffs'· noch in einer sog. "materiellen Rechtswidrigkeit" der Maßnahme. Wenn nämlich von einer "materiellen Rechtswidrigkeit" gesprochen werde, geschehe dies aufgrund eines Ex-post-Urteils. Bei der verfahrensabschließenden Entscheidung - dem Freispruch bzw. der Einstellung - handele es sich aber nicht um ein Ex-post-Urteil und schon gar nicht um ein solches über den Anjangsverdacht's. Das Faktum, daß die Strafprozeßordnung den Freiheitsentzug des Untersuchungshäftlings will und daß es ihr sogar darauf ankommt, diesen Verlust VOn Freiheit zu bewirken, ist in der Tat nicht zu bestreiten. Erneut stellt sich aber 72 73
Ebenso: Ossenbühl, JuS 1988, 193, 196. PaefTgen, S. 225.
74 Paeffgen, 7l
S. 228.
PaefTgen, S. 234 f.
l38
3. Teil: Anspruch auf Strafverfolgungsentschädigung
die Frage, ob die Folgerungen stimmen, die Paeffgen aus seinen Beobachtungen zieht. Das wird zu prüfen sein, wenn die vorliegende Untersuchung nunmehr die Begründungselemente des Sonderopfers im einzelnen durchgeht.
I. Schweretheorie des Bundesverwaltungsgerichts Es wurde bereits deutlich gemacht, daß bei den vom StrEG behandelten Maßnahmen das Sonderopfer jeweils nur im Zwang selbst liegen kann. Für diese Fälle bietet die Schweretheorie des Bundesverwaltungsgerichts eine gute Abgrenzungshilfe, weil sie auf die materielle Eingriffswirkung 76 und nicht bloß auf "atypische" (Zusatz-)Belastungen des Betroffenen abstellt". Wird der Verdächtige in Untersuchungshaft genommen, greift der Staat in das Recht auf körperliche Bewegungsfreiheit, Art. 2 Abs. 2 S. I 00, ein. Die Verfasser des Grundgesetzes haben dieses Grundrecht an den Anfang des Grundrechtskatalogs gestellt und dadurch seinen hohen Stellenwert betont. Sie haben seine Bedeutung zusätzlich durch die Formulierung, die Freiheit der Person sei unverletzlich, unterstrichen und deutlich gemacht, daß dieses Recht grundsätzlich keine Einschränkungen verträgt. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil zur lebenslangen Freiheitsstrafe ebenfalls hervorgehoben, daß die Freiheit der Person ein sehr gewichtiges Rechtsgut ist, weshalb es nur aus "besonders gewichtigem Grund" eingeschränkt werden dürfe". Wie zwingend diese Wertungen sind, zeigt sich schon daran, daß viele Grundrechte von einem Unfreien wenn überhaupt, dann nur sehr bedingt ausgeübt werden können. Art. 2 Abs. 2 S. I 00 schafft also erst die Voraussetzung dafür, daß der Bürger auch andere Grundrechte sinnvoll ausüben kann79 , wofür als Beispiele die Berufsfreiheit oder die Vereinigungsfreiheit genannt werden mögen. Unter diesem Aspekt betrachtet, ist ein Freiheitsentzug ohne weiteres als "schwerer" Eingriff im Sinne der vom Bundesverwaltungsgericht entwickelten Schweretheorie einzuordnen. Das gilt schon allgemein, erst recht jedoch, wenn der Entzug der Freiheit sich - wie häufig bei der Untersuchungshaft80 - über einen längeren Zeitraum erstreckt. 76
Besonders deutlich: BVerwGE 5,143, 145 f.
77 Das verkennt Paeffgen, S. 228. Er lehnt die Schweretheorie ab, weil sie gegenüber den vom BGH entwickelten Kriterien keine neue Abgrenzungshilfe gebe.
78
BVerfGE 45,187,223, unter Berufung auf BVerfGE 22,180,219.
79 Darauf, daß der Freiheitsentzug eine Vielzahl von Grundrechten betreffe, weisen BVerfGE 45, 187,223, und Jehle, S. 23, hin.
8. Kap.: Rechtsnatur der Entschädigung nach dem StrEG
139
Paeffgen verweist insoweit allerdings auf andere Bereiche, in denen der Bürger ebenfalls hoheitliche Eingriffe, die nachhaltig seinen Rechtskreis beeinträchtigten, dulden müsse, ohne daß die Schwere des Eingriffs die allgemeine Opfergrenze überschreite!l. Manchmal müsse der Bürger sogar hinnehmen, daß ein konkretes Rechtsgutsobjekt vernichtet werde. So erlaube die Rechtsordnung zum Beispiel, daß ein seuchenverdächtiges Tier getötet oder ein einsturzgefährdetes Haus abgerissen werde!2. In diesen Fällen entstehe ein Totalverlust, aber trotzdem komme die h.M. nicht dazu, eine Aufopferung anzuerkennen. Setzt man sich mit den angeführten Beispielen näher auseinander, zeigen sich wesentliche Unterschiede, die zu den freiheitsentziehenden Maßnahmen des Strafprozeßrechts bestehen. Das beginnt schon damit, daß der Untersuchungshäftling, anders als der Eigentümer des seuchenverdächtigen Tieres oder des einsturzgefährdeten Hauses, nicht als Störer in Anspruch genommen wird83 • Zweitens büßt der Untersuchungshäftling sein Recht auf Freiheit der Person ein, während die von Paeffgen als Beispiel herangezogenen Störer lediglich in ihrem Eigentumsrecht betroffen sind, das durch Art. 14 Abs. 2 GG einer von. vornherein größeren Sozialpflichtigkeit unterliegt. Drittens bewirkt die Untersuchungshaft, daß das Recht auf Freiheit der Person, und zwar die ganze Freiheit, die der Betroffene hat, für die Zeit der Inhaftierung unwiederbringlich verloren istB4 • Wird dem Bürger dagegen ein bestimmter Gegenstand entzogen, ist zwar das konkrete Stück Eigentum vernichtet, doch verbleibt dem Betroffenen das Eigentum an anderen Sachen. Paeffgens Darstellung, daß ein bestimmtes Eigentumsobjekt vernichtet werde, täuscht also nur sprachlich vor, dem Betroffenen werde mehr oder mindestens ebenso viel abverlangt wie bei einer Freiheitsentziehung. Von einem gleich schweren Eingriff kann dagegen nur gesprochen werden, falls diesem für eine bestimmte Zeit jegliches Eigentum entzogen würde. Und wenn so etwas vorkäme, wäre der darin liegende Eingriff ganz sicherlich als "schwer" i.S.d. BVerwG-Rechtsprechung einzustufen. Es gibt allerdings noch andere Fälle, auf die Paeffgen sich beruft. So erinnert erBs auch an jene Entscheidung des Bundesgerichtshofes, in der bei einem Strafgefangenen, der von seinem Mithäftling erschlagen worden war, ein Sonderopfer verneint wurde 86 • Doch darf nicht übersehen werden, daß es in jenem 80
Gebauer, S. 158, hat ermittelt, daß die U-Haft durchschnittlich 114 Tage dauert.
81
Paeffgen, S. 228 f.
82
Paeffgen, S. 228 Fn. 64.
83
Oben III 1, S. 132, 134.
84
Ähnlich Jehle, S. 10.
85
Paeffgen, S. 228 Fn. 64
140
3. Teil: Anspruch aufStrafVerfolgungsentschädigung
Urteil um die Folgen der Inhaftierung ging. Zur Inhaftierung als solcher hatte der BGH sich nicht zu äußern. Deshalb ist die Ausgangslage jenes Falles anders. Auch ein Schluß a maiore ad minus, wenn schon der Tod eines Häftlings kein Sonderopfer begründe, könne erst recht die bloße Freiheitsentziehung kein Sonderopfer sein, wäre methodisch unzulässig. Denn da bei der Untersuchungshaft das Sonderopfer nur im Eingriff selbst, der Inhaftierung, liegen kann, steht ausschließlich die Schwere dieses Eingriffs, nicht der möglichen Eingriffsfolge, auf dem Prüfstand. Letztere geht vielmehr, auch wenn sie bei Gelegenheit der Inhaftierung eintritt, auf einen neuen, selbständigen Kausalverlauf zurück, weshalb andersartige Sachverhalte, nicht bloß Maior und Minus vorliegen. Schließlich führt Paeffgen noch die Einberufung zum Wehr- und Zivildienst an, um seine Auffassung unter Beweis zu stellen, daß der Bürger auch in anderen Bereichen hoheitliche Eingriffe dulden müsse, die nachhaltig seinen Rechtskreis beeinträchtigten, ohne daß die Schwere des Eingriffs die allgemeine Opfergrenze überschreite. Paeffgen argumentiert, auch die Einberufung zum Wehr- und Zivildienst beeinträchtige zahlreiche Individualfreiheiten, wie Berufsausübungs-, Eigentums-, allgemeine Handlungsfreiheit und sogar das vorbehaltlos gewährte Institut von Ehe und Familie; aber dennoch werde die Erfüllung der Pflicht nirgendwo als Aufopferung klassifiziertS7 • Auch gegen diese Beispiele spricht jedoch, daß es jeweils um die Folgen einer hoheitlichen Maßnahme und nicht, wie bei der Untersuchungshaft, um den Eingriff selbst geht. Denn die Einschränkungen, die dem jeweils Betroffenen auferlegt werden, sind nicht Ziel der Einberufung, sondern Nebenfolgen. Im Unterschied zur Inhaftierung geht es beim Wehr- und Zivildienst eben nicht darum, dem Betroffenen ein bestimmtes Grundrecht für einen gewissen Zeitraum vollständig zu entziehen. Insgesamt bleibt es also dabei, daß der Freiheitsentzug, der durch die Untersuchungshaft geschieht, ein "schwerer" Eingriff in die körperliche Bewegungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG ist. Und er wiegt auch so schwer, daß die allgemeine Opfergrenze, was dem Bürger für gewöhnlich zuzumuten ist, überschritten wird.
86BGHZ 17, 172, 176. 87 Paeffgen, S. 228 Fn. 65.
8. Kap.: Rechtsnatur der Entschädigung nach dem StrEG
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2. Materielle Rechtswidrigkeit der Untersuchungshaft / Ableitung des Sonderopfers aus Sinn und Zweck der Entschädigung
Im folgenden soll der Versuch unternommen werden, das Sonderopfer sogar durch jene Kriterien nachzuweisen, die der Bundesgerichtshof entwickelt hat. Paeffgen meint zwar für die Untersuchungshaft, es liege nach der ratio legis gar kein rechtswidriger Eingriff vor. Doch erscheint es fraglich, ob seine Analyse einer näheren Überprüfung standhält. Gegen die Annahme, die Untersuchungshaft sei materiell rechtswidrig, führt Paeffgen folgendes ins Feld: Sei der Beschuldigte prozeßordnungsgemäß inhaftiert worden, ließe es sich mit der Einheit der Rechtsordnung nicht vereinbaren, die Untersuchungshaft zu einem späteren Zeitpunkt aufgrund einer neuen Erkenntnislage als rechtswidrig zu bewerten. Insbesondere könne ein und dieselbe Maßnahme nicht sowohl rechtmäßig als auch rechtswidrig sein88 • Daß es die Einheit der Rechtsordnung in dieser Art und Weise nicht gibt, wird schon an der Diskussion über die Frage deutlich, ob § 34 StGB als Ermächtigungsgrundlage für staatliches Handeln eingreift. Denn der Umstand, daß der Amtsträger nach § 34 StGB strafrechtlich gerechtfertigt ist, schließt nicht aus, die Diensthandlung als rechtswidrig zu bewerten89 • Dies ist ein Beispiel dafür, daß es nach unserer Rechtsordnung durchaus möglich ist, ein und dieselbe Handlung je nach Standpunkt rechtlich unterschiedlich zu würdigen.
a) Neubewertung als Voraussetzung der materiellen Rechtswidrigkeit ? Betrachtet man das Wiederaufnahmeverfahren, läßt sich feststellen, daß die ursprüngliche Entscheidung dort einer - auch formal erkennbaren - Neubewertung unterzogen wird. Es kommt nämlich zur Aufhebung des als "falsch" erkannten Urteils. Eine entsprechende formale Neubewertung findet bei der Untersuchungshaft nicht statt90 • Das drängt zu der Frage, ob die formale Neu-
88
Paeffgen, S. 230 f.
89 Amelung, NJW 1977, 833, 838, 840; Kirchhof, NJW 1978,969,971 f.; ders., JuS 1979,428,429 f., 433; Kratzsch, NJW 1974, 1546 f.; Seebode, in: FS für Klug, Bd. 11, S. 359, 370 m.w.N.; Sydow, JuS 1978, 222, 224 f.
A.A. etwa Lerche, in: FS für v.d. Heydte, 2. Halbbd., S. 1033, 1045 f. 90 Paeffgen,
S. 232 f.
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3. Teil: Anspruch aufStrafverfolgungsentschädigung
bewertung etwa zwingende Voraussetzung dafür ist, einen Eingriff, der zunächst als rechtmäßig eingeordnet wurde, später - aufgrund verbesserter Erkenntnisse - dennoch als rechtswidrig einstufen zu können. Die Frage kann verneint werden, sobald sich ein Gegenbeispiel findet, bei dem das geschehene materielle Unrecht ohne eine formliche Neubewertung zugegeben wird. Dafür bietet sich folgender Sachverhalt aus dem Polizeirecht an: Ein Polizist schießt rechtmäßig auf einen Flüchtigen. Der Schuß geht fehl und trim einen Passanten. Es ist anerkannt, daß diesem Passanten ein Ersatzanspruch aus Aufopferung zusteht91 , und zwar deswegen, weil ihm materielles Unrecht zugefügt wurde. Die h.M. stützt den Anspruch des Passanten nämlich auf die dem § 45 Abs. 1 S. 2 ME PoIG92 entsprechenden landesrechtlichen Vorschriften93 , und diese Regelungen setzen jeweils eine rechtswidrige Maßnahme voraus. Der scheinbare - Widerspruch, daß der Polizist gleichwohl "rechtmäßig" geschossen hat, ergibt sich daraus, daß hier zwei unterschiedliche Begriffe von Rechtmäßig- bzw. Rechtswidrigkeit in engster Nachbarschaft nebeneinanderstehen. Die Beurteilung, daß der Polizist rechtmäßig geschossen hat, betrim die Rechtmäßigkeit i.S.d. Verwaltungsrechts und damit die Frage, ob die Voraussetzungen für ein ordnungsmäßiges polizeiliches Handeln vorlagen. Dagegen beurteilt das Staatshaftungsrecht die Maßnahme danach, ob die Wirkungen des Eingriffs dem entsprechen, was die Rechtsordnung zuläßt oder nicht. So kann aus einer rechtmäßigen Amtshandlung materielles Unrecht erwachsen. Zu betonen ist jedoch, daß keine Neubewertung der polizeilichen Maßnahme stattfindet. Der Passant erhält seine Entschädigung, ohne daß die Maßnahme des Polizisten nachträglich mißbilligt würde. Eine solche Mißbilligung würde in diesem Fall auch gar nicht gelingen, eben weil der rechtswidrige Erfolg trotz rechtmäßiger Amtshandlung unterlaufen ist.
91 Götz, § 17 11, Rn. 442, S. 162 f.; Vogel, in: Drews-Wacke-VogeVMartens, § 33/3a, S. 665 - 667. Ebenso, schon zum alten § 41 Abs. 1lit. b OBG NW, der bereits eine dem § 39 Abs. 1 lit. b OBG NW entsprechende Regelung enthielt: Rietdorf, in: RietdorflHeiselBöckenfOrde/Strehlau, § 41 OBGNW, Rn. 14,19; Papier, DVBl. 1975, 567,572 f. 92 Wortlaut
des § 45 Abs. 1 ME Po1G, nach C1ages, VE ME PoIG, S. 39:
"Erleidet jemand infolge einer rechtmäßigen Inanspruchnahme nach § 6 einen Schaden, ist ihm ein angemessener Ausgleich zu gewähren. Das gleiche gilt, wenn jemand durch eine rechtswidrige Maßnahme der Polizei einen Schaden erleidet."
(§ 6 ME PolG betrim die Inanspruchnahme nicht verantwortlicher Personen.) Siehe die Aufzählung bei Götz, § 17 11, Rn. 442, S. 162 f. Zu einer entsprechenden Auslegung für § 39 Abs. 1 lit. a OBG NW siehe BGHZ 117, 303, 307 f. 93
8. Kap.: Rechtsnatur der Entschädigung nach dem StrEG
143
Diese Erkenntnis ennöglicht nun umgekehrt eine hilfreiche Neubesinnung auch für das Wiederaufnahmeverfahren. Denn im Grunde geht es nicht einmal dort darum, das frühere Verfahren rückwirkend völlig neu zu bewerten. Das verdeutlicht der folgende Gedanke: Hat sich ein unschuldig Verurteilter gegen die Haft zur Wehr gesetzt, so bleibt diese Handlung strafrechtlich rechtswidrig, auch wenn ein späteres Wiederaufnahmeverfahren dazu führt, daß das ursprünglich ergangene Urteil aufgehoben wird. In dieser Beziehung bleibt es nach wie vor dabei, daß die Verurteilung (fonnell) rechtmäßig erfolgte. Die Neubewertung, die im Wiederaufnahmeverfahren vorgenommen wird, hat demnach nur eine eingeschränkte Wirkung, und deshalb tut man gut daran, ihre Funktion nicht überzubewerten. Als Zwischenergebnis läßt sich feststellen: Die materielle Rechtswidrigkeit einer Maßnahme läßt sich nicht nur dort begründen, wo diese Maßnahme später aufgrund einer besseren Erkenntnislage auch fonnlich neu bewertet wird. Materiell rechtswidrig i.S.d. Staatshaftungsrechts kann vielmehr auch jene Maßnahme sein, die - i.S.d. des zugrunde liegenden Verfahrensrechts - rechtmäßig angeordnet wurde. Für das Staatshaftungsrecht zählt nur, ob der Betroffene materielles Unrecht erleidet. Deshalb kann auch eine Untersuchungshaft als materiell rechtswidrig eingestuft werden, obwohl in der verfahrensabschließenden Entscheidung keine nachträgliche .Neubewertung darüber erfolgt, ob sie rechtmäßig oder rechtswidrig verhängt wurde.
b) Kriterien für die materielle Rechtswidrigkeit der Untersuchungshaft Trifft ein fehlgegangener Schuß einen Passanten, wird die Verletzung deshalb als materiell rechtswidrig eingeordnet, weil der Erfolg vom Gesetz nicht gewollt ist. Daran zeigt sich: Ob ein Erfolg als materiell rechtswidrig anzusehen ist, hängt davon ab, wie die Rechtsordnung ihn bewertet. Die Parameter der Bewertung ergeben sich dabei zunächst aus dem einschlägigen Gesetz. Überträgt man diesen Gedanken auf die Untersuchungshaft, läßt sich folgender Maßstab zugrunde legen: Der Betreffende hat materielles Unrecht erlitten, wenn es der ratio legis widerspricht, daß ein Tatverdächtiger, der freigesprochen bzw. gegen den das Verfahren eingestellt wird, in Untersuchungshaft gesessen hat. Wie gesehen, kommt es der Strafprozeßordnung auf den Freiheitsentzug an. Die §§ 112 ff. StPO dürfen jedoch nicht isoliert von den anderen verfahrensund materiellrechtlichen Vorschriften gesehen werden. Insbesondere ist § 51 StGB zu beachten, wonach die erlittene Untersuchungshaft auf die Strafhaft
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3. Teil: Anspruch auf Strafverfolgungsentschädigung
anzurechnen ist. Der Gesetzgeber ist hier offenbar davon ausgegangen, daß der Verurteilte mit der Untersuchungshaft schon einen Teil seiner Strafe verbüßt hat. Er hat damit unterstellt, daß die Untersuchungshaft strafähnlich wirkt. Die Eingriffsvoraussetzungen der §§ 112 ff. StPO bestärken ebenfalls diesen Eindruck: Es kann nämlich überhaupt nur der Beschuldigte in Untersuchungshaft genommen werden. Der Verdächtige wird zwar in der Regel auch am ehesten daran interessiert sein, das Verfahren zu stören. Es läßt sich jedoch nicht ausschließen, daß unter Umständen auch Dritte, etwa Zeugen, versuchen könnten,. auf den Verfahrensausgang in unlauterer Weise Einfluß zu nehmen. Wenn die Strafprozeßordnung deren Inhaftierung gleichwohl nicht zuläßt, so doch offensichtlich deshalb, weil ein derart schwerwiegender Eingriff gegen einen Unschuldigen für unverhältnismäßig gehalten wird. Eine Kompensation durch Anrechnung auf die Strafhaft scheidet bei ihm nämlich schon von vornherein aus. Der Gedanke, daß die Untersuchungshaft auch wegen ihrer strafähnlichen Auswirkungen entschädigt wird, läßt sich noch durch eine weitere Überlegung stützen. Die §§ 112 ff. StPO lassen eine Untersuchungshaft nicht generell bei allen Beschuldigten zu, sondern nur da, wo jemand dringend verdächtig ist, die Straftat begangen zu haben, § 112 Abs. 1 S. 1 StPO. Ferner stellt § 113 StPO sicher, daß die Untersuchungshaft bei leichteren Taten, in denen lediglich eine Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder eine entsprechende Geldstrafe zu erwarten ist, nur unter erschwerten Voraussetzungen verhängt wird. Alle diese Regelungen konkretisieren den allgemeinen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, und es ist bemerkenswert, daß sie dabei die Zulässigkeit der verfahrenssichernden Maßnahme "Untersuchungshaft" an dem Ergebnis des Strafverfahrens ausrichten. Denn das bedeutet: Nach der Bewertung, die die einschlägigen Gesetze vornehmen, sollen nur solche Personen in Untersuchungshaft sitzen, die schließlich, durch das Strafverfahren, in der Tat zu einer Freiheitsstrafe verurteilt werden. Die Anordnung einer Untersuchungshaft wird also nur dann für verhältnismäßig gehalten, wenn sie sich gegen eine Person richtet, die eine Freiheitsstrafe verwirkt hat94 • Denn nur dann können die strafähnlichen Effekte der Untersuchungshaft dadurch kompensiert werden, daß sie nach § 51 StGB auf die Strafhaft angerechnet werden. 94 Dazu siehe Gebauer, S. 25, 69 f., 76. Er merkt kritisch an, daß die Praxis von der Vorgabe des Gesetzes weit entfernt ist. Die V-Haft wird zu "rasch" verhängt: Die Verrechnung mit der späteren Freiheitsstrafe kommt für 44% der V-Häftlinge nicht in Betracht, da sie gar nicht zu einer vollstreckbaren Freiheitsstrafe verurteilt werden. Siehe auch Dünkel, StV 1994, 610, 615.
Zur faktischen Ähnlichkeit in den Wirkungen von V-Haft und Strafhaft: Paeffgen, in: SK-StPO, Vor § 112 Rn. 31 f.
8. Kap.: Rechtsnatur der Entschädigung nach dem StrEG
145
Daß dieser Gesichtspunkt für die Entschädigung der Untersuchungshaft eine entscheidende Rolle gespielt hat, zeigt sich auch im Hinblick auf § 2 Abs. 2 StrEG. Denn für die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis, § 2 Abs. 2 Nr. 5 StrEG, und das vorläufige Berufsverbot, § 2 Abs. 2 Nr. 6 StrEG, läßt sich eine ganz ähnliche Systematik feststellen. Sowohl die Entziehung der Fahrerlaubnis als auch das Berufsverbot können als Maßregeln der Besserung und Sicherung verhängt werden. Zwar sehen § 69a Abs. 4 StGB und § 70 Abs. 2 StGB hier keine echte Anrechnung vors. Die vorläufigen Maßnahmen werden aber immerhin insoweit bei der Verhängung der endgültigen Maßnahmen berücksichtigt, als sich nach den genannten Vorschriften die Mindestsperre für die Entziehung der Fahrerlaubnis bzw. für das Berufsverbot um die Zeit verkürzt, in der die Maßnahme bereits vorläufig angeordnet worden war. Beide vorläufigen Eingriffe stellen sich also faktisch als Vorgriff einer endgültigen Maßnahme dar. Für die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis kommt hinzu, daß sie sich nicht nur wie eine Maßregel der Besserung und Sicherung, sondern auch wie eine Nebenstrafe, nämlich wie ein Fahrverbot nach § 44 StGB, auswirkt. Zwar sichert die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis nur die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 StGB, nicht dagegen das Fahrverbot nach § 44 StGB96 . Das darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis sich faktisch auch als Vorgriff eines Fahrverbots darstellt. Um dem Rechnung zu tragen, hat der Gesetzgeber in § 51 Abs. 5 S. I StGB angeordnet, daß die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis auf die Nebenstrafe des Fahrverbots anzurechnen ist. Das besondere Verhältnis der vorläufigen zu den endgültigen Maßnahmen hat man freilich auch schon früher in Betracht gezogen. J. Goldschmidt hat, noch auf der Grundlage des UHaftEntschG, gemeint, es spräche gerade dagegen, die Strafverfolgungs- als Aufopferungsentschädigung zu begreifen. Vielmehr bestehe eine Parallele zu jenen zivilprozessualen Vorschriften, die eine Entschädigung für vorläufige Vollstreckungen gewähren: § 302 Abs. 4 S. 3 ZPO, § 600 Abs. 2 ZPO, § 717 Abs. 2 ZPO, § 945 ZP097 . Wollte man aber J. Goldschmidt auch heute noch in dieser Bewertung folgen, müßte man akzeptieren, daß bei der Untersuchungshaft, bei der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis oder beim vorläufigen Berufsverbot eine vorläufige Vollstreckung der späteren Strafe stattfindet. Diese Konstruktion 9lBayOLG, NJW 1966,2371,2372; OLG Stuttgart, NJW 1967,2071,2072; DreherTröndle, § 69a Rn. 9; Lackner, in: LacknerlKühl, § 69a Rn. 5. 96K.leinknecht-Meyer-Meyer=Goßner, § lIla Rn. 1. 97J. Goldschmidt, in: FS für Gierke, Bd. III, S. 109,117; ebenso Nißen, 12. DIT (1874), Bd. I, S. 46, 61. \0 Friehe
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3. Teil: Anspruch auf Strafverfolgungsentschädigung
widerspräche jedoch der Unschuldsvennutung: Es geht nicht an, bereits vor einem rechtskräftigen Urteil in eine Strafvollstreckung einzutreten. Vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis und vorläufiges Berufsverbot dienen vielmehr dazu, die Allgemeinheit vor weiteren Straftaten zu schützen98 , während die Untersuchungshaft in erster Linie zur Verfahrenssicherung verhängt wird. Die vorläufigen Strafverfolgungsmaßnahmen verfolgen also keine Strafzwecke; normativ haben sie mit einer Strafe nichts gemein, und deshalb ist die von J. Goldschmidt vertretene Auffassung - zumindest auf der Grundlage des heutigen Rechts - abzulehnen99 • Es bleibt aber dabei, daß die genannten Maßnahmen sich strafahnlich auswirken. Sie sollen deshalb eigentlich nur gegen solche Personen verhängt werden, die hinterher zu einer entsprechenden Strafe verurteilt werden, so daß die vorläufigen Eingriffe angerechnet werden können. Ist eine solche Kompensation nicht möglich, weil der Betroffene freigesprochen bzw. das Verfahren gegen ihn eingestellt wird, hat dieser einen Eingriff erlitten, der wegen seiner strafahnlichen Auswirkungen eigentlich nicht vom Willen der einschlägigen Gesetze getragen wird. Deshalb ist dem Betroffenen materielles Unrecht widerfahren 1oo, das - wie ein Fehlurteil i.S.d. § 359 StPO - außerhalb des allgemeinen Lebensrisikos liegt. Es ergibt sich also, daß die Untersuchungshaft in jenen Fällen, in denen der Betroffene nach § 2 Abs. 1 StrEG entschädigt wird, materiell rechtswidrig ist. Dies gilt selbst dann, wenn die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für eine Inhaftierung vorgelegen haben, die Untersuchungshaft also rechtmäßig verhängt wurde.
3. Gesichtspunkt der ungerechtfertigten SchlechtersteIlung gegenüber solchen Untersuchungshäftlingen, die verurteilt werden Die hier vertretene These, daß bei § 2 Abs. 1 StrEG ein Sonderopfer entschädigt wird, erhält noch eine abschließende Bestätigung, wenn man einen Vergleich zu jenen Untersuchungshäftlingen herstellt, die verurteilt werden. Wie gesehen, eröffnet die Verurteilung die Möglichkeit, die Untersuchungs98 So Kleinknecht-Meyer-Meyer=Goßner, § llla Rn. 1 m.w.N., für die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis; § l32a Rn. 1 f. m.w.N., für das vorläufige Berufsverbot.
99Ebenso: Paeffgen, S. 235. 100 Auch
lich".
nach Schätzler, Einl. Rn. 23, sind die Maßnahmen "materiell widerrecht-
8. Kap.: Rechtsnatur der Entschädigung nach dem StrEG
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haft auf die zu verbüßende Strafhaft anzurechnen. Der Verdächtige, der freigesprochen bzw. gegen den das Verfahren eingestellt wird, ist von dieser Begünstigung ausgeschlossen. Solange diese Lücke unausgefüllt bleibt, besteht zu seinen Lasten eine Ungleichbehandlung. Diese wäre zugleich auch ungerechtfertigt, denn eine sachliche Begründung, warum man dem Unschuldigen mehr abverlangt als dem Verurteilten, wird man schwerlich finden können. Erst der Entschädigungsanspruch schließt die Lücke; daß er eine Ungleichbehandlung kompensiert, ist typisch für das Institut der Aufopferung. Damit haben die vorstehenden Ausführung insgesamt gezeigt, daß die Untersuchungshaft dem Betroffenen aus mehrerlei Gründen ein Sonderopfer auferlegt: - Der Eingriff ist "schwer" i.S.d. Schweretheorie des Bundesverwaltungsgerichts. - Er ist materiell rechtswidrig, falls er sich gegen eine Person gerichtet hat, die keine Freiheitsstrafe verwirkt hat. Denn nach der ratio legis ist nur dort eine Untersuchungshaft angemessen, wo die strafähnlichen Wirkungen sich hinterher durch Anrechnung auf die Strafhaft kompensieren lassen. - Er gleicht Nachteile aus, die der Unschuldige anderenfalls gegenüber einem Verurteilten hätte. Nur dem Verurteilten kommt nämlich die Möglichkeit zugute, daß die Untersuchungshaft auf die zu verbüßende Strafhaft angerechnet werden kann.
V. Begründung des Sonderopfers bei den anderen Strafverfolgungsmaßnahmen nach § 2 Abs. 2/3 StrEG In der Auseinandersetzung mit Paeffgen hat die vorliegende Arbeit sich innerhalb der Maßnahmen des § 2 StrEG zunächst auf die Untersuchungshaft konzentriert. Nachdem das Sonderopfer für die Untersuchungshaft begründet wurde, ist ergänzend auf die Maßnahmen nach § 2 Abs. 2/3 StrEG einzugehen.
1. Begründung des Sonderopfers bei den in § 2 Abs. 2 StrEG genannten Strafverfolgungsmaßnahmen In § 2 Abs. 2 StrEG finden sich die verschiedensten vorläufigen Strafverfolgungsmaßnahmen. Was zunächst die einstweilige Unterbringung und die 10·
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3. Teil: Anspruch aufStrafverfolgungsentschädigung
Unterbringung zur Beobachtung angeht, § 2 Abs. 2 Nr. 1 StrEG, beruhen diese zwar auf anderen rechtlichen Gesichtspunkten als die Untersuchungshaft. Da sie jedoch wie diese mit einer Freiheitsentziehung einhergehen, stehen sie der Untersuchungshaft von der Schwere des Eingriffs her in nichts nach. Die Ausführungen, die zur Begründung des Sonderopfers bei der Untersuchungshaft gemacht wurden, gelten daher entsprechend. Die anderen in § 2 Abs. 2 StrEG genannten Strafverfolgungsmaßnahmen dürften den Beschuldigten zwar in der Regel nicht so einschneidend berühren wie die genannten Freiheitsentziehungen. Gleichwohl kann auch von ihnen eine erhebliche Beeinträchtigung ausgehen. So kann die in § 2 Abs. 2 Nr. 2 StrEG erwähnte vorläufige Festnahme, § 127 Abs. 2 StPO, unter besonderen Umständen zu erheblichen und unzumutbaren Nachteilen führen, auch wenn kein Haftbefehl erlassen wird und der Beschuldigte demgemäß innerhalb der gesetzlichen Frist freikommt. So mag es sein, daß der Beschuldigte einen wichtigen Termin versäumt, oder er hat Vermögens-Ausfälle hinzunehmen, die unwiederbringlich sind lOI • Maßnahmen des Richters, die einen Haftbefehl aussetzen, § 2 Abs. 2 Nr. 3 StrEG, können den Betroffenen ebenfalls nachhaltig in seiner Freiheit behindern. Man stelle sich etwa vor, der Richter setzt den Haftbefehl mit der Anweisung aus, daß der Beschuldigte die Wohnung nur unter Aufsicht einer bestimmten Person verlassen darf (§ 116 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 StPO). Das vorläufige Berufsverbot, § 2 Abs. 2 Nr. 6 StrEG, kann dem Beschuldigten unter Umständen die Existenzgrundlage völlig entziehen. Ebenso sind bei der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis, § 2 Abs. 2 Nr. 5 StrEG, Fälle denkbar, in denen dem Betroffenen mehr als nur ein Verlust an Bequemlichkeit zugemutet wird. Für den Berufskraftfahrer bedarf es insoweit keiner weiteren Ausführungen. Sowohl für die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis als auch für das vorläufige Berufsverbot wurde schon aufgezeigt, daß sie - wie die Untersuchungshaft - materiell rechtswidrig sind, falls sie hinterher nicht durch eine entsprechende endgültige Maßregel der Besserung und Sicherung bestätigt werden. Für die restlichen in § 2 Abs. 2 StrEG geregelten Maßnahmen, die keinen sanktionsähnlichen Charakter aufweisen, gilt immerhin, daß sie fast alle nur gegen den Beschuldigten / den Verdächtigen, nicht jedoch gegen Dritte zulässig sind lo2 • Dabei reicht wie schon bei der Untersuchungshaft der bloße Verdacht nicht aus, um die Eingriffe vornehmen zu dürfen. Es müssen weitere Momente hinzukommen, etwa bei der Durchsuchung die Chance, Beweismit101
Schätzler, § 2 Rn. 27.
102
Ausnahme: § 2 Abs. 2 Nr. 4 StrEG.
8. Kap.: Rechtsnatur der Entschädigung nach dem StrEG
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tel aufzufinden (§ 102 StPO). Bei der vorläufigen Festnahme nach § 127 Abs. 2 StPO müssen die Voraussetzungen eines Haftbefehls vorliegen, und bei der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis muß aus dringenden Gründen anzunehmen sein, die Fahrerlaubnis werde durch das Strafgericht entzogen (§ lIla Abs. I S. 1 StPO). Alle Maßnahmen setzen also voraus, daß sich der Tatverdacht gegen den Beschuldigten am Ende verdichtet. Wie bei der Untersuchungshaft, kommt es folglich auf den Ausgang des Strafverfahrens an 103 • Dem Betroffenen werden die Maßnahmen in der Annahme zugemutet, er werde sie durch sein eigenes Verhalten - nämlich durch die ihm unterstellte Straftat - selbst verschuldet haben. Bestätigt sich der Tatverdacht nicht, hat der Staat diesen Verdächtigen über Gebühr belastet. Damit beruht auch hier die Entschädigung auf dem Gedanken des Sonderopfers. Ob dann auch im Einzelfall die allgemeine Opfergrenze wirklich überschritten ist, bedarf keiner näheren Überprüfung. Der Gesetzgeber hat das Risiko der Strafverfolgung auf den Staat verlagern wollen und deshalb eine unwiderlegbare Vermutung dafür geschaffen, daß Maßnahmen der Strafverfolgung die allgemeine Opfergrenze übersteigen lO4 • Vor dem Hintergrund der Unschuldsvermutung ist diese Risikoverteilung sachgerecht; es lag im Ermessen des Gesetzgebers, sie in dieser Weise vorzunehmen. Die Risikoverteilung ändert freilich nichts daran, daß die im StrEG geregelten Ansprüche von ihrer Struktur her zum Aufopferungsrecht zählen. Im übrigen hat der Gesetzgeber durch die Mindestschadensgrenze von 50 DM, § 7 Abs. 2 StrEG, selbst dafür Sorge getragen, daß Bagatellf311e, die jeder Staatsbürger hinzunehmen hat, zu keiner Entschädigung führen.
2. Begründung des Sonderopfers bei den in § 2 Abs. 3 StrEG genannten Strafverfolgungsmaßnahmen Die in § 2 Abs. 3 StrEG aufgezählten Maßnahmen im Auslieferungs- und Rechtshilfeverkehr sind dem Aufopferungsrecht ohne besondere Probleme zuzurechnen. Denn das Ersuchen der deutschen Stelle löst jeweils die Anordnung der Maßnahme aus, und da diese auf den Beschuldigten genauso wirkt
103
BGHSt 36, 237, 238; D. Meyer, Einl. Rn. 22; § 2 Rn. 8.
Ebenso: OLG Nümberg, MDR 1975, 779, 780; Schätz1er, Ein!. Rn. 23; ähnlich: D. Meyer, Ein!. Rn. 22 f., § 2 Rn. 5 - 8. 104
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3. Teil: Anspruch aufStrafverfolgungsentschädigung
wie eine in Deutschland durchgeführte Untersuchungshaft, Sicherstellung, Beschlagnahme oder Durchsuchung, ergeben sich keine Besonderheiten mehr.
Im Ergebnis kann für alle in § 2 Abs. 2/3 StrEG aufgeführten Maßnahmen festgestellt werden, daß sie, ebenso wie die Untersuchungshaft, dem Beschuldigten ein Sonderopfer abverlangen.
E. Ausscheiden der "sozialen Entschädigung" Zu Anfang dieses Kapitels ist aufgezeigt worden, daß die Strafverfolgungsentschädigung auch mit solchen Leistungen gleichgesetzt wird, die man üblicherweise der "sozialen Entschädigung" zurechnet. So wurde etwa bei den Beratungen zum StrEG das Bundesversorgungsgesetz namentlich erwähntlOS . Auch mit diesen Vorstellungen will die vorliegende Arbeit sich noch kurz auseinandersetzen; im Ergebnis sind sie ebenso abzulehnen wie der Vorschlag, die Strafverfolgungsentschädigung auf einen Gefährdungshaftungstatbestand sui generis zurückzuführen. Kennzeichen der sozialen Entschädigung ist, daß der Staat dem Bürger dort etwas gibt, wo dieser nach strenger rechtssystematischer Betrachtung eigentlich gar nichts zu verlangen hätte. Der Staat erfüllt somit keine aus dem Rechtsstaatsprinzip sich ergebende Einstandspflicht, sondern nimmt lediglich eine "unspezifische Kollektivverantwortung" wahr; er läßt es zu, daß gewisse schicksalsbedingte Schadensfälle auf ihn verlagert werden 106 • Deshalb fehlt es normalerweise an einem staatlichen Eingrifflo7; würde er vorliegen, kämen nämlich in der Regel bereits die Institute der Enteignung, des enteignungsgleichen Eingriffs oder der Aufopferung zum Zuge. So kann als typisches Beispiel sozialer Entschädigung die Leistung nach dem Opferentschädigungsgesetz angeführt werden lO8 • Dort geht der Eingriff nicht vom Staat, sondern von dem Straftäter aus. Ähnlich liegen die Dinge bei § 16 StrRehaG 109 • Hier ist zwar staatliches Unrecht auszugleichen, doch wurde J05 Abg.
Amdt, BT-Plenarprot. 6/84, S. 4707.
Gitter/Schnapp, JZ 1972, 474, 475; Schnapp, in: Das neue Sozialgesetzbuch, S. 144, 147, 155 f.; ders., in: BochKomm, § 5 Rn. 6. 106
J07
Schnapp, in: Das neue Sozialgesetzbuch, S. 144, 155; ders., in: BochKomm, § 5
Rn. 33.
JOS Das OEG ist der sozialen Entschädigung zuzurechnen: Kretschmer, in: GK-SGB I, § 5 Rn. 2, 3; Mrozynski, § 5 Rn. 1, 6, 7, 12; Rüfner, § 17 IV, S. 129; Schnapp, in: BochKomm, § 5 Rn. 30.
8. Kap.: Rechtsnatur der Entschädigung nach dem StrEG
151
dieses von den Organen der früheren Deutschen Demokratischen Republik verübt llO; den Ausgleich gewährenden Staat, die Bundesrepublik Deutschland, trifft insoweit keine eigene Verantwortlichkeit lll • Bei der Entschädigung für strafprozessuale Maßnahmen stellt sich die Lage ganz anders dar. Dafür kann nochmals auf das Beispiel der (in der Bundesrepublik Deutschland verhängten) Untersuchungshaft zurückgegriffen werden. Da der Untersuchungshäftling ein Sonderopfer erleidet, wäre der Staat auch dann aus dem allgemeinen Aufopferungsgrundsatz verpflichtet, Entschädigung zu leisten, wenn es das StrEG nicht gäbe. Der Staat gibt dem Betroffenen also nur das, worauf dieser schon nach den allgemeinen Grundsätzen der Rechtsordnung einen Anspruch hat. Ein Unterschied besteht ferner insoweit, als durch das StrEG der eingetretene Schaden wenigstens teilweise wieder ausgeglichen werden soll, während es bei der sozialen Entschädigung vorrangig um Rehabilitationsmaßnahmen im Gesundheitsbereich, etwa bei den Kriegsversehrten, geht ll2 •
F. Ergebnis: Anspntch aufStrafverfolgungsentschädigung als gesetzlich geregelter Aufopfentngsanspntch
Die Untersuchung hat gezeigt, daß die nach den §§ 1, 2 StrEG zu gewährende Entschädigung alle Merkmale einer Entschädigung aus Aufopferung erfüllt: - Der Anspruch hat öffentlich-rechtlichen Charakter.
109 Gesetz über die Rehabilitierung und Entschädigung von Opfern rechtsstaatswidriger Strafverfolgungsmaßnahmen im Beitrittsgebiet (StrRehaG), verkündet als Art. 1 des Ersten Gesetzes zur Bereinigung von SED-Unrecht (1. SED-UnBerG) vom 29. Oktober 1992, BGBl. I S. 1814; zuletzt geändert durch Gesetz vom 15. Dezember 1995, BGBl. I S. 1782.
II°Daß es sich um soziale Entschädigung handelt, vertreten: Kretschmer, in: GK-SGB I, § 5 Rn. 3 a.E.; Mrozynski, § 5 Rn. 6; Tappert, in: Bruns/Schröderffappert, § 16 Rn. 2f. 111 Für die Abgrenzung zum StrEG siehe außerdem Tappert, in: BrunslSchröder/ Tappert, Vorbemerkungen zu §§ 16 tT., Rn. 15. 112 So der Schwerpunkt der gesetzlichen Regelung in § 5 S. 1 Nr. 2 SGB I. Ergänzend siehe Kretschmer, in: GK-SGB I, § 5 Rn. 23 f.; Mrozynski, § 5 Rn. 9 - 11; PetersHommel, § 5 Anm. 7.
152
3. Teil: Anspruch aufStrafverfolgungsentschädigung
- Er wird ausgelöst durch den hoheitlichen Eingriff, den der Staat gegenüber dem Bürger vornimmt und der diesen in einer rechtlich geschützten Position betrim. - Ganz überwiegend geht es dabei um nichtvermögenswerte Rechtspositi0nen. Die wenigen Fälle, in denen das StrEG sich mit Eingriffen in vermögenswerte Rechtspositionen befaßt, sind bloße Annexregelungen. - Der innere Grund des Entschädigungsanspruchs liegt in dem Sonderopfer, das der Eingriff dem Bürger auferlegt. Bei den meisten der vom StrEG erfaßten Sachverhalte wäre der Staat also auch dann zur Entschädigung verpflichtet, wenn es das StrEG überhaupt nicht gäbe. Doch hat der Gesetzgeber im StrEG die Gelegenheit benutzt, selbst zu regeln, in welchen Fällen eine Strafverfolgungsmaßnahme die allgemeine Opfergrenze übersteigt. Deshalb kann - und muß - der Anspruch auf Strafverfolgungsentschädigung, wie er auf der Grundlage des StrEG entsteht, als gesetzlich geregelter Aufopferungsanspruch begriffen werden.
9. Kapitel Entstehungszeitpunkt des Anspruchs auf Strafverfolgungsentschädigung Abgesehen von der Frage der Rechtsnatur wirft der Anspruch auf Strafverfolgungsentschädigung noch in einer anderen Hinsicht ein grundsätzliches Problem auf, das vorab zu klären ist: Es sollte nicht im Ungewissen bleiben, wann der Anspruch überhaupt entsteht. Denn wie sich gezeigt hat, verzichtet der Beschuldigte oft schon während des laufenden Strafverfahrens. Der Gesetzgeber hat jedoch die wesentlichen Entscheidungen, ob und in welcher Höhe eine Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen zu gewähren ist, an das Ende des Strafprozesses bzw. sogar in ein besonderes, nachgeschaltetes Verfahren gelegt. Deshalb erscheint es fraglich, ob in dem Zeitpunkt, in dem der Verzicht erklärt wird, der Anspruch auf Strafverfolgungsentschädigung überhaupt schon existiert. Deshalb mag sich die Frage, ob die Entschädigung verzichtlich ist, zum Teil darauf zuspitzen, wann ein wirksamer Verzicht frühestens erfolgen kann 113.
113Diese Frage wird unten, Kap. 13 / A - C, S. 218 - 230, behandelt werden.
9. Kap.: Entstehungszeitpunkt des Entschädigungsanspruchs
153
A. Rechtskräftige Entscheidung des Betragsverfahrens als möglicher Entstehungszeitpunkt Spätestens mit dem letzten der gesetzlich vorgesehenen Verfahrensabschnitte muß der Anspruch zum Entstehen gelangen. Das wäre die rechtskräftige Entscheidung im Betragsverfahren.
§ 10 Abs. 1 S. 1 StrEG verlangt, daß der Anspruch auf Strafverfolgungsentschädigung innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entschädigungspflicht der Staatskasse rechtskräftig festgestellt ist, bei der Staatsanwaltschaft geltend gemacht werde, welche die Ermittlungen im ersten Rechtszug zuletzt geführt hat. Dieser Antrag leitet das sog. Betragsverfahren ein, an dessen Ende festgestellt wird, welche konkreten Zahlungen dem ehemals Beschuldigten zustehen. Es kann nicht von vornherein ausgeschlossen werden, daß der Anspruch auf Strafverfolgungsentschädigung erst dann entsteht, wenn die im Betragsverfahren ergangene Entscheidung rechtskräftig wird. Für jenen - sehr späten - Zeitpunkt wäre eventuell sogar § 13 Abs. 2 StrEG anzuführen. Nach dieser Vorschrift erhält der Begünstigte erst mit der Rechtskraft der Betragsentscheidung die Möglichkeit, seinen Anspruch auf jemand anderen zu übertragen. § 13 Abs. 2 StrEG soll jedoch nur helfen; einem unwürdigen Handel mit der Entschädigung vorzubeugen. Insbesondere wollte der Gesetzgeber verhindern, daß sich Dritte mit eigenem wirtschaftlichen' Interesse in das Verfahren einschalten ll4 • Um dieses Ziel zu erreichen, bedarf es nicht der radikalen Lösung, daß bis zum endgültigen Abschluß des Betragsverfahrens gar kein Anspruch vorliegen soll. Im Gegenteil deutet die Formulierung des § 13 Abs. 2 StrEG, der Anspruch sei nicht übertragbar, eher darauf hin, daß von dessen Existenz bereits ausgegangen werden kann. § 13 Abs. 2 StrEG wäre dann nur eines von zahlreichen Abtretungsverboten, die im deutschen Recht vorkommen llS • Setzt die Vorschrift aber den Anspruch schon als vorhanden voraus, muß dieser vor der rechtskräftigen Entscheidung des Betragsverfahrens entstehen.
114 Abg. Arndt, BT-Plenarprot. 6/84, S. 4707. Ferner siehe OLG Ramm, NJW 1975, 2075; LG Stuttgart, MDR 1980, 590.
llSSO wohl auch D. Meyer, § 13 Rn. 15; Schätzler, § 13 Rn. 7. Andere Abtretungsverbote sind z.B. in den §§ 400, 847 Abs. 1 S. 2, 1300 Abs. 2 BGB enthalten.
154
3. Teil: Anspruch aufStrafverfolgungsentschädigung
B. Rechtskräftige Grundentscheidung als möglicher Entstehungszeitpunkt Die Frist, die § 10 Abs. 1 S. 1 StrEG für den Antrag auf die Betragsentscheidung setzt, beginnt zu laufen, sobald die Entschädigungspflicht der Staatskasse rechtskräftig festgestellt ist. Das wäre folglich der nächst frühere Zeitpunkt, zu dem der Entschädigungsanspruch entstehen könnte. Die Feststellung, daß die Staatskasse zur Entschädigung verpflichtet ist, erfolgt durch die sog. Grundentscheidung. Üblicherweise wird sie vom Gericht in dem Urteil oder in dem Beschluß getroffen, der das Strafverfahren abschließt, § 8 Abs. I S. 1 StrEG. Nach § 8 Abs. 1 S. 2 StrEG kommt aber auch ein außerhalb der Hauptverhandlung ergehender Beschluß in Betracht. Hat die Staatsanwaltschaft das Verfahren eingestellt, ergeht eine gerichtliche Entscheidung nach Maßgabe von § 9 StrEG. Die h.M. nimmt an, daß der Anspruch auf Strafverfolgungsentschädigung mit der Rechtskraft der Grundentscheidung zustande kommt1l6 , so daß die soeben angeführten Entscheidungen jeweils den Anspruch konstituieren117. Diese Meinung kann sich in der Tat vor allem auf die Gesetzesmaterialien stützen. Wie der Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages betont hat, soll die Entscheidung des Strafgerichts, in der dieses die Entschädigungspflicht ausspreche, einer Anerkennung (des Anspruchs)1I8 gleichkommen. Außerdem konnte der Rechtsausschuß im Gesetzgebungsverfahren eine wichtige Änderung erwirken, was die Vererblichkeit des Anspruchs auf Entschädigung betraf. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung hatte vorgesehen, daß der Anspruch auf Ersatz des Schadens, der nicht Vermögensschaden sei, nur dann auf die Erben übergehen solle, wenn er im Betragsverfahren geltend gemacht
116Begründung der Bundesregierung zum Entwurf des StrEG, BT-Drs. 6/460, S. 8; BGH, MDR 1979, 562; OLG Schleswig bei D. Meyer, JurBüro 1983, 1165 f.; Schätzler, § 8 Rn. 4. Zum alten Recht siehe bereits BGHZ 8,169,170; 20,183,185; 36,245,247. 1l7BGH, MDR 1979,562; D. Meyer, Vorbem. vor §§ 1 - 6, Rn. 11; Schätzler, § 8 Rn. 4; ebenso schon die Begründung der Bundesregierung zum Entwurf des StrEG, BT-Drs. 6/460, S. 8. Zum alten Recht: BGHZ 8,169,170; 20,183,185; 36,245,247; Riecker, S. 38. 11aDer eingeklammerte Zusatz "des Anspruchs" stammt von der Verf. Daß der Rechtsausschuß davon ausging, es werde mit der Grundentscheidung bereits der Anspruch anerkannt, ergibt sich aus dem nachgestellten Zusatz "wenn auch nicht der Höhe nach", BT-Drs. 6/1512, S. 4.
9. Kap.: Entstehungszeitpunkt des Entschädigungsanspruchs
155
worden sei ll9 • Diese Bestimmung wurde gestrichen l20 , denn nach Meinung des Rechtsausschusses sollte die Entschädigung schon dann vererbt werden können, wenn über ihren Grund rechtskräftig entschieden wäre. Als Folge der vom Gesetzgeber bewußt vorgenommenen Korrektur geht die h.M. davon aus, daß der Anspruch auf Strafverfolgungsentschädigung mit der Rechtskraft der Grundentscheidung vererbbar wird l21 • Somit kann der Erbe aus eigener Berechtigung den Antrag nach § 10 Abs. I S. 1 StrEG stellen, d.h., das Betragsverfahren betreiben122 • Weder die Vererblichkeit noch das eigene Antragsrecht wären jedoch zu konstruieren, wenn der Anspruch als solcher nicht spätestens mit der Grundentscheidung vorläge. Zwar ist es möglich, daß der Erbe auch in "schwebende" Rechtsbeziehungen des Erblassers eintritt. "Schwebende" Rechtsbeziehungen sind jedoch nur dann vererblieh, wenn sie vermögensrechtlichen Charakter haben123 • Eben diese Voraussetzung erfüllt die Strafverfolgungsentschädigung zunächst nicht, weil sie Nachteile ausgleicht, die der Betroffene höchst persönlich erlitten hat 124 . Deshalb läßt der Umstand, daß die Entschädigung nach erfolgter Grundentscheidung vererbt werden kann, nur einen Schluß zu: Spätestens mit der Grundentscheidung muß die ursprünglich höchst persönliche Rechtsposition in einen gewöhnlichen vermögensrechtlichen Anspruch übergegangen sein.
C. Möglichkeiten, das Entstehen des Entschädigungsanspntchs
früher anzusetzen als die herrschende Meinung?
Folgt man der Auffassung der h.M., wonach die rechtskräftige Grundentscheidung den Anspruch konstituiert, so steht dem Beschuldigten während des Strafverfahrens noch gar kein Anspruch zu. Ein Verzicht, der vor der Grundentscheidung erklärt wird, bezöge sich folglich auf etwas, das noch gar nicht existiert. Den dogmatischen Problemen, die daraus erwachsen mögen, würde man entgehen, falls es gelingt, das Entstehen des Anspruchs wesentlich vor die Grundentscheidung zu verlegen. 119BT-Drs. 6/460, S. 4. 12°BT_Drs. 6/1512, S. 4. 12IKleinknecht-Meyer-Meyer=Goßner, § 13 StrEG, Rn. 3; D. Meyer, Vorbem. vor §§ 10 - 13, Rn. 12; Schätzler, § 13 Rn. 9. 122D. Meyer, Vorbem. vor §§ 10 - 13, Rn. 12; Schätzler, § 13 Rn. 9. 123 Leipold, in: MK, § 1922 Rn. 17; Schlüter, in: Erman, § 1922 Rn. 7, 18,39. 124 Begründung der Bundesregierung zum Entwurf des StrEG, BT-Drs. 6/460, S. 9.
156
3. Teil: Anspruch aufStrafverfolgungsentschädigung
Dann müßte die h.M. darin widerlegt werden, daß die Grundentscheidung den Anspruch auf Strafverfolgungsentschädigung konstituiere. In der Tat ist die Auffassung, daß die Grundentscheidung nicht konstitutiv, sondern nur deklaratorisch wirke, bereits vertreten worden. Allerdings geschah dies auf der Grundlage des früheren Rechts l2S . So meinte Burlage, das Gericht fasse in der Grundentscheidung nur "Beschluß über die Voraussetzungen des Entschädigungsanspruchs"126; das impliziert, daß diese Voraussetzungen bereits unabhängig vom richterlichen Befinden vorliegen.
D. Begründung des Anspruchs durch die Unschuld?
Zu einem sehr frühen Zeitpunkt käme man, falls der Anspruch auf Strafverfolgungsentschädigung allein schon durch die Unschuld des Betroffenen begründet werden kann, die von Beginn des Strafverfahrens an besteht. Bei dieser Variante entstünde der Anspruch bereits mit dem Einsetzen des Ermittlungsverfahrens, also noch bevor gegen den Betroffenen irgend eine Strafverfolgungsmaßnahme verhängt worden ist. Damit würde aber an einen Zeitpunkt angeknüpft, in dem die Voraussetzungen für den Entschädigungsanspruch noch gar nicht erfüllt sein können. Ein Anspruch, mag er auch bedingt sein, liegt immer erst vor, wenn zumindest seine wesentlichen Voraussetzungen gegeben sind. Was die Strafverfolgungsentschädigung betrifft, knüpfen die Tatbestände der §§ I, 2 StrEG daran an, daß zumindest eine der dort genannten Maßnahmen verhängt worden ist. Ausgangspunkt für die Entschädigung ist also nicht, daß der Betroffene in ein Strafverfahren verwickelt wurde, sondern daß er einer der ausdrücklich benannten Strafverfolgungsmaßnahmen ausgesetzt war. Schon am Titel des "Gesetzes über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen" wird das deutlich. Deshalb ist der Zeitpunkt, in dem gegen den Betroffenen eine Strafverfolgungsmaßnahme verhängt bzw. vollzogen wird, derfrühestmögliche, zu dem der Anspruch auf Entschädigung entstehen könnte. Vorher läßt sich von einem Anspruch, und sei dieser auch nur bedingt, nicht sprechen.
12l RGZ 163,297, 301; Burlage, § 4 UHaftEntschG, Anm. 3, S. 78 f.; Fuhrmann, in: Dalcke-FuhrmannJSchäfer, D 2, zu § 4 UHaftEntschG, Anm. 3; Kähler, S. 15 f. 126 Burlage, a.a.O.
9. Kap.: Entstehungszeitpunkt des Entschädigungsanspruchs
157
E. Begründung des Anspruchs durch Verhängung bzw. Vollziehung der Strafverfolgungsmaßnahme gegen den Unschuldigen?
Die soeben angestellten Überlegungen haben jenen Moment in den Blick gerückt, in dem die Maßnahme der Strafverfolgung verhängt oder vollzogen wird. Deshalb soll nunmehr geprüft werden, ob dies etwa der Zeitpunkt ist, zu dem der Anspruch auf Strafverfolgungsentschädigung entsteht. Daß dem so sein könnte, kommt insbesondere auch deshalb in Betracht, weil der Anspruch auf Strafverfolgungsentschädigung ein Aufopferungsanspruch ist l27 . Der allgemeine, gewohnheitsrechtlich anerkannte Anspruch aus Aufopferung 128 wird nämlich unmittelbar durch das Sonderopfer begründet, welches seinerseits in dem Eingriffliegtl29. Der Anspruch entsteht unabhängig von verfahrensrechtlichen Vorgaben. Daß der Berechtigte ihn einklagt, ist kein Tatbestandsmerkmal mehr, sondern nur der Weg, den bereits bestehenden Anspruch durchzusetzen. Würde entsprechendes auch für den Anspruch auf Strafverfolgungsentschädigung gelten, könnte man sich folgende Konstruktion vorstellen: Der Anspruch entsteht sogleich durch die Verhängung bzw. den Vollzug der Strafverfolgungsmaßnahme, die man insoweit als "Eingriff' sähe; die Grundentscheidung, §§ 8 Abs. 1, 9 Abs. 1 StrEG, wäre ein verfahrensmäßiger Schritt, durch den der Anspruch nicht begründet, sondern lediglich für das nachfolgende Betragsverfahren "fixiert" würde.
I. Keine Übertragbarkeit allgemeiner Grundsätze auf den spezialgesetzlich geregelten Fall Indessen ist der Rückgriff auf das allgemeine Aufopferungsrecht aus verschiedenen Gründen problematisch. Durch das Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen hat der Gesetzgeber eigene Regelungen getroffen, die diesen Fall der Aufopferung in besonderer Weise gestalten. Nun gilt bereits als allgemeines methodisches Prinzip, daß die speziellere Norm die generelle verdrängtl30. Im Recht der Aufopferung findet man diesen Grundsatz
127 So die oben in Kap. 8/ F, S. 151 f., gewonnene Erkenntnis. 128 Zu den dogmatischen Grundlagen siehe oben Kap. 8/ A / C I, S. 118 - 120, 124. 1290ssenbühl, § 13.5, S. 114; Rüfner, in: Erichsen, AllgVerwR, § 49 Rn. 82, S. 647. 130
Lex specialis derogat legi generali: Bydlinski, S. 465; Larenz, Methodenlehre,
158
3. Teil: Anspruch aufStrafverfolgungsentschädigung
zuweilen besonders betont: Die Subsidiarität des allgemeinen Aufopferungsanspruchs soll so weit gehen, daß die spezialgesetzlich geregelten Ansprüche ihn schon tatbestandlich ausschließen l31 • Letztlich folgt diese bemerkenswerte Nachgiebigkeit aus der Rechtsnatur des allgemeinen Aufopferungsanspruchs. Hier geht es nicht allein darum, daß die generelle Regelung der spezielleren zu weichen hat. Sondern die generelle Regelung muß überhaupt erst aus einem gewohnheitsrechtlich anerkannten Institut, eben der Aufopferung, abgeleitet und entwickelt werden. Nun mag das Gewohnheitsrecht wohl Lücken füllen, die das positive Recht aufweist132 • Wo aber ein Sachverhalt durch formliches Gesetz im einzelnen geregelt wird, tritt das Gewohnheitsrecht außer Funktion. Daß es jemals wieder gegenüber dem formlichen Gesetz die Oberhand gewinnen könnte 133 , erscheint in der Verfassungsordnung des Grundgesetzes 134 kaum vorstellbar13s • Das gilt sogar dann, wenn das formliche Gesetz mit Veifassungsgewohnheitsrecht 136 konkurriert. S. 267 f. 131
Ossenbühl, § 16.1, S. 119 f.; Papier, in: MaunzlDürig, Art. 14 Rn. 684 f.
§ 16 Rn. 73; Enneccerus-Nipperdey, § 38 11 2, S. 262; Ossenbühl, in: Erichsen, AllgVerwR, § 6 Rn. 74, S. 149. 132 Achterberg,
133Daß dies möglich sei, ist eine im 19. Jahrhundert begründete Meinung; zusammenfassend siehe Seidler, in: FS für Unger, S. 543, 568, 579. Damals lag ihre durchaus sinnvolle Funktion darin, der gesetzgebenden Gewalt des Monarchen Schranken zu setzen. Nach 1918 konnte diese Meinung sich als herrschend behaupten, vgl. etwa Hatschek-Kurtzig, Bd. I, § 2 I 3, S. 36; Kelsen, S. 238, RÜlnelin, S. 42 f., 58, oder Stier=Somlo, § II 11, S. 90. Zu erklären ist das nur durch die politische Instabilität jener Zeit, während der das gewählte Parlament zuweilen nicht die Kraft fand, Wertungswidersprüche des positiven Rechts zu korrigieren. Heute sind alle diese Gründe obsolet. Gleichwohl fmdet man die Auffassung, Gewohnheitsrecht könne sich contra legem scriptam entwickeln und durchsetzen, weiter überliefert: Enneccerus-Nipperdey, § 40 IV I, S.271; Forsthoff, § 7 B I, S. 147; Maurer, § 4 Rn. 22, S. 68; Wolff-Bachof-Stober, VerwR I, § 25 Rn. 14, S. 269. Ausdrücklich a.A. immerhin Nebinger, § 3 B I 2, S. 76, § 3 D I 3 a, S. 83. 134 Was sie betrim, mehren sich die Stimmen, daß die Bildung von Gewohnheitsrecht seit 1949 unterbunden ist. So mit überzeugender Begründung Freitag, S. 157 170; ferner Jarass/Pieroth, Vorb. vor Art. I, Rn. 35, Art. 2, Rn. 17; Meyer=Cording, S. 70, 71. Kritisch gegen das Gewohnheitsrecht auch· Esser, in: FS für v. Hippel, S. 95, 116 - 130.
m Treffend hat schon Seidler, in: FS für Unger, S. 543, 567, 579, von einer "Revolution milder Form" gesprochen. 136 Dem das Institut der Aufopferung verschiedentlich zugerechnet worden ist: BVerwGE 4, 6, 15; Bernhardt, in: BK, Art. 31 Rn. 17; v. Mangoldt - Klein, Art. 14
9. Kap.: Entstehungszeitpunkt des Entschädigungsanspruchs
159
Denn Gewohnheitsrecht kann nur insoweit ent- und fortbestehen, wie eine allgemeine Überzeugung über seinen Regelungsinhalt herrscht 137 . Für die Annahme, daß ein derart umfassender Konsens existiere, ist aber gar kein Raum, wenn die Mehrheit des gewählten Parlaments gerade für das Gegenteil dessen optiert, was Inhalt der allgemeinen Überzeugung sein soll138. Beim Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen hat der Gesetzgeber selbst diesen Entscheidungsvorrang gesehen und wahrgenommen. Er ging davon aus, einen Aufopferungsanspruch zu regeln 139 , hat es aber gleichwcOhl an mehreren Stellen des StrEG für richtig gehalten, von den allgemeinen Strukturen des Aufopferungsrechts abzuweichen. Beispielsweise hat er in §§ I - 4 StrEG enumerativ aufgeführt, welche Strafverfolgungsmaßnahmen überhaupt zu einem Sonderopfer und damit zu einer Entschädigung führen; alles übrige, was dem Beschuldigten während des Strafverfahrens zugemutet worden sein mag, bleibt unentschädigt, auch wenn die Merkmale des Sonderopfers, folgt man den allgemeinen Grundsätzen, erfüllt sein mögen 140 . Ferner ist der Gesetzgeber auch insoweit vom Rahmen des gewohnheitsrechtlieh anerkannten Aufopferungsanspruchs abgewichen, als nach dem StrEG nicht nur Eingriffe in Leben, Gesundheit und Freiheit, sondern auch Eingriffe in andere nichtvermögenswerte Rechte entschädigt werden 141 .
Anm. VI 3; Schack, 51. DIT (1955), Bd. I, S. 1,18,38,55 f.; Wolff, in: WolfflBachof, VerwR I, § 61 I b, S. 535. . Indessen ist hierauf nur vorsorglich hinzuweisen. Denn durch die Naßauskiesungs-Entscheidung, BVerfGE 58,300,324, dürfte die dargestellte Meinung erledigt sein; siehe oben Kap. 8/ C I, S. 124. 137Bydlinski, S. 215; Enneccerus-Nipperdey, § 38 I / III 2, S. 261, 264; Forsthoff, § 7 BI, S. 146 f.; Maurer, § 4 Rn. 19, S. 67; Ossenbühl, in: Erichsen, AllgVerwR, § 6 Rn. 73, S. 149; Wolff-Bachof-Stober, VerwR I, § 25 Rn. 13, S. 269. 131 Diese naheliegende Überlegung wird in der Literatur kaum angesprochen. Angedeutet fmdet man sie immerhin bei Schmidt=Jortzig, Rechtstheorie 12 (1981), S. 395, 408: Bei Bestimmungen, hinter denen die ganze Publizität und Autoritätsbeanspruchung des Gesetzgebers stehe, sei die Bildung eines "Gegenrechtsbewußtseins" als offener Rechtsbruch, als eine Demonstration aktiven Widerstandes einzuordnen. Ferner siehe Sachs, in: Stern, Bd. IIII2, § 80 IV 3, S. 444: Gegen bestehendes (Verfassungs-) Recht könne sich keine anzuerkennende allgemeine Rechtsüberzeugung bilden. 139Siehe oben Kap. 8/ A, S. 118 f. - Hinzuweisen ist nochmals auf die Gesetzesmotive und die Ausschußberatungen: BT-Drs. 6/460, S. 5; MR Schätzler (BMJ), BT-Rechtsausschuß, Prot. 6/19 vom 17. September 1970, S. 27, sowie Prot. 6/22 vom 15. Oktober 1970, S. 4. 140 Mit Recht stellt deshalb Galke, DVBl. 1990, 146, 148, fest, das StrEG habe gegenüber dem allgemeinen Aufopferungsrecht die Sonderopfergrenze höher angesetzt.
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3. Teil: Anspruch aufStrafverfolgungsentschädigung
Für die Frage, wann der Entschädigungsanspruch entsteht, ist von besonderer Bedeutung, wie detailliert der Gesetzgeber im StrEG das Verfahren gestaltet hat. Er hat genau festgelegt, in welchem Verfahrensabschnitt jeweils welche einzelnen Tatbestandsmerkmale des Entschädigungsanspruchs geprüft werden. Dies spricht dafür, daß mit den verfahrensrechtlichen Normen zugleich auch der Entstehungszeitpunkt für die Entschädigung vorgegeben sein soll. Denn der Gesetzgeber hatte es aufgrund seines Ermessens in der Hand, diesen Zeitpunkt durch eigene Kriterien festzulegen. Und weil solche eigenen Kriterien in den §§ 1 - 7 StrEG in großer Zahl vorkommen, drängt es sich auf, daß ihre Bedeutung über das rein Verfahrensrechtliche hinausreicht. Der Gesetzgeber hat ihnen eine weitergehende, materiellrechtliche Funktion beigelegt.
11. Unschuld kein Anknüpfungspunkt für das Sonderopfer Wenn der Anspruch auf Entschädigung dadurch begründet werden soll, daß die Maßnahme der Strafverfolgung gegen den Unschuldigen verhängt bzw. vollzogen wird, gerät erneut auf den Prüfstand, ob die Unschuld Anknüpfungspunkt für das Sonderopfer sein soll. Wer nämlich davon ausgeht, daß der Entschädigungsanspruch durch den Eingriff in die Rechte des Unschuldigen entsteht, der setzt voraus, daß das Sonderopfer gerade in dem Eingriff gegen den Unschuldigen läge. Indessen orientieren die §§ 1, 2 StrEG sich gerade nicht an der Unschuld des Betroffenen. Der Gesetzgeber hat dieses Kriterium bewußt fallengelassen l42 • Seit dem Inkrafttreten des StrEG hängt die Entscheidung, wer für erlittene Strafverfolgung zu entschädigen ist, allein von dem formalen Erfordernis l43 ab, daß das Verfahren zugunsten des Betroffenen beendet wurde. Gleichwohl wurde die Struktur des allgemeinen Aufopferungsanspruchs, daß nämlich nur ein Sonderopfer entschädigt werden kann, beibehalten. Im StrEG gelten die gleichen Prüfungskriterien wie im allgemeinen Aufopferungsrecht: Das Sonderopfer wird durch einen Eingriff ausgelöst, der sowohl schwer im Sinne der Schweretheorie als auch materiell rechtswidrig ist l44 • Ob 141
Oben Kap. 8/ C I, S. 125.
142
Im einzelnen siehe oben Kap. 1 / B, S. 48 f.
143 Daß es fiir den Anspruch auf formale Tatsachen ankommt, betont z.B. Schätzler, § 2 Rn. 11. Aber auch D. Meyer, § 1 Rn. 34, folgt dieser Betrachtungsweise. 144
Oben Kap. 8/ D IV 1, 2 b, 3, S. 138, 140, 143 - 145, 146, 146 f.
9. Kap.: Entstehungszeitpunkt des Entschädigungsanspruchs
161
eine Maßnahme der Strafverfolgung materiell rechtswidrig ist, hängt aber nicht davon ab, ob der Betroffene wirklich unschuldig ist. Für die Untersuchungshaft ist die vorliegende Arbeit dem im einzelnen nachgegangen l45 • Wie sich gezeigt hat, ist die Untersuchungshaft dann materiell rechtswidrig, wenn die Person, die ihr unterworfen wurde, im Ergebnis des Strafprozesses gar keine Freiheitsstrafe verwirkt hat. Denn nach der ratio legis von Strafprozeßordnung und Strafgesetzbuch ist nur dort eine Untersuchungshaft angemessen, wo die strafähnlichen Wirkungen sich hinterher durch Anrechnung auf die Strafhaft kompensieren lassen l46 • Entsprechendes wurde für die anderen Strafverfolgungsmaßnahmen festgestellt l47 • Damit liegt das Sonderopfer zwar im Eingriff; es besteht aber gerade nicht darin, daß sich der Eingriff gegen einen Unschuldigen gerichtet hat. Vielmehr wird das Sonderopfer dadurch begründet, daß eine Maßnahme der Strafverfolgung, welcher der Beschuldigte ausgesetzt war, am Ende des Strafverfahrens als nicht kompensierbar "stehenbleibt", weil eine ihr entsprechende strafrechtliche Verurteilung ausgeblieben ist.
III. Keine angemessene Erfassung des Falles, daß ein Schuldiger freigesprochen wird Schließlich ist die Annahme, der Eingriff in die Rechte des Unschuldigen schaffe den Entschädigungsanspruch, auch deshalb abzulehnen, weil sie für den Fall, daß ein Schuldiger freigesprochen wird, zu keiner angemessenen Lösung führt. Nach den Regelungen des StrEG wird auch der materiell Schuldige entschädigt, wenn er freigesprochen bzw. das Verfahren gegen ihn eingestellt wird. Sieht man das Sonderopfer darin, daß ein Unschuldiger einer bestimmten Strafverfolgungsmaßnahme unterworfen worden ist, müßte man zu dem Ergebnis gelangen, daß der freigesprochene Schuldige in Wahrheit gar keinen Aufopferungsanspruch habe. Da der freigesprochene Schuldige aber nach den Regelungen des StrEG gleichwohl entschädigt wird, müßte für ihn der Anspruch erst nachträglich, nämlich durch den günstigen Prozeßausgang entstehen.
145
Oben Kap. 8/ D III, IV, S. 131 - 147.
Oben Kap. 8/ D IV 2 b, 3, S. 143 - 145, 146, 146 f. 147 Oben Kap. 8/ D V 112, S. 148 - 150. 146
11 Priehe
162
3. Teil: Anspruch aufStrafverfolgungsentschädigung
Für eine solche Differenzierung, wann der Entschädigungsanspruch des Schuldigen und wann der Entschädigungsanspruch des Unschuldigen entsteht, findet sich weder ein verfahrensrechtlicher Ansatz im StrEG noch eine materielle Berechtigung. Denn wie bereits mehrfach betont, hat der Gesetzgeber den Entschädigungsanspruch gerade von dem materiellen Moment der Schuld bzw. Unschuld lösen wollen. Von daher verbietet es sich, die Differenzierung zwischen einem Schuldigen und einem Unschuldigen gleichsam durch die Hintertür in das Entschädigungsrecht wieder einzuführen. Gerade dies geschieht aber, wenn man den Entstehungszeitpunkt davon abhängig macht, ob der Betroffene schuldig oder unschuldig ist. Vielmehr gilt auch für den Schuldigen, der freigesprochen wird etc., daß er ein Sonderopfer erlitten hat. Dieses Sonderopfer liegt schlicht darin, daß das Strafverfahren eben nicht zu einer Verurteilung mit anschließenden Sanktionen geführt hat, die erlittene Strafverfolgung demgemäß nicht kompensiert werden kann. Denn auch ein Schuldiger muß die Strafverfolgung nur dann entschädigungslos dulden, wenn es dem Staat mit den gesetzlich zugelassenen Mitteln gelingt, ihn zu überführen.
F. Begründung des Anspruchs durch Verhängung bzw. Vollziehung der Strafverfolgungsmaßnahme, ohne daß es auf die Unschuld ankäme?
Wenn es mit den Regelungen des StrEG unvereinbar ist, den Entschädigungsanspruch durch den Eingriff gegen den Unschuldigen entstehen zu lassen, bedeutet das nicht unbedingt, daß der Zeitpunkt, in dem die Maßnahme verhängt bzw. vollzogen wird, gänzlich irrelevant sein muß. Die Bedenken, die diese Untersuchung erhoben hat, bezogen sich bisher darauf, daß für den Entschädigungsanspruch nicht zwischen Schuldigem und Unschuldigem unterschieden werden darf. Möglicherweise kann immerhin daran festgehalten werden, daß der Anspruch durch die Verhängung bzw. den Vollzug der Strafverfolgungsmaßnahme begründet wird, sofern man nur darauf verzichtet, daß der Eingriff sich gegen einen Unschuldigen gerichtet haben muß. Der Anspruch erwüchse dann jedem Beschuldigten, sobald dieser eine Strafverfolgungsmaßnahme erlitte. Für das Entschädigungsrecht wird eine solche Lösung bisher weder von der Rechtsprechung noch in der Literatur vertreten; Schätzier lehnt sie sogar ausdrücklich ab 148 • Anders verhält es sich im Auslagenrecht. Dort hat Reinisch die 148
Schätzler, § 8 Rn. 4.
9. Kap.: Entstehungszeitpunkt des Entschädigungsanspruchs
163
Position bezogen, der Anspruch auf Erstattung der Auslagen, § 467 Abs. 1 StPO, werde im Grunde schon durch die Erhebung der Anklage begründet. Freilich entstehe er unter einer doppelten Bedingung. Die eine sei, daß Auslagen überhaupt anfielen, und die andere liege darin, daß eine Kostengrundentscheidung ergehe, welche die Erstattung der notwendigen Auslagen anordne l49 .
I. Übertragung der von Reinisch vorgeschlagenen Lösung auf das Entschädigungsrecht Überträgt man die von Reinisch angestellten Erwägungen auf das Entschädigungsrecht, so entstünde der Anspruch auf Strafverfolgungsentschädigung, sobald gegen den Beschuldigten die Strafverfolgungsmaßnahme verhängt bzw. vollzogen worden ist. Dieser Anspruch wäre einmal dadurch bedingt, daß überhaupt ein Schaden eintritt, und zum anderen dadurch, daß das Gericht die Entschädigungspflicht aussprichtiSO . Der Vorteil dieser Lösung liegt wieder darin, daß sie den Entstehungszeitpunkt sehr früh ansetzt. Dem Beschuldigten würde bereits während des Strafverfahrens ein Anspruch zustehen. Andererseits ist nicht zu verkennen, daß Reinisch einer stark zivilistisch ausgerichteten Betrachtungsweise folgt. So bezeichnet er den aufschiebend bedingten Anspruch als AnwartschaftlSI. Indessen hat das voraufgegangene Kapitel gezeigt, daß der Anspruch auf Strafverfolgungsentschädigung dem öffentlichen Recht zugehört. Es liegt daher näher, für die Entschädigung statt auf bürgerlich-rechtliche auf öffentlich-rechtliche Konstruktionen zurückzugreifen.
11. Konstitutive Wirkung der Grundentscheidung als Folge der veifahrensrechtlichen Vorgaben des StrEG Wenn die Strafverfolgungsentschädigung zum öffentlichen Recht gehört, liegt es nahe, daß auch bestimmte Mechanismen, die aus dem öffentlichen Recht vertraut sind, im Verfahren um die Strafverfolgungsentschädigung vor149 ISO
151
11'
Reinisch, MDR 1966, 105, 106. Diese Lösung wird von Schätzler, § 8 Rn. 4, ausdrücklich abgelehnt. Reinisch, MDR 1966, 105, 106.
164
3. Teil: Anspruch aufStrafverfolgungsentschädigung
kommen. So fällt zum Verhältnis zwischen der Grundentscheidung und dem Anspruch auf Entschädigung auf, daß eine Parallele zu der Art und Weise besteht, wie der Verwaltungsakt den Anspruch auf eine Leistung der Verwaltung begründet - etwa im Rahmen der Sozialhilfe 1s2. Der Verwaltungsakt wirkt für den Anspruch auf die Leistung konstitutiv 1S3 , nicht bloß deklaratorisch. Das wird daran deutlich, daß der Betroffene im allgemeinen zunächst den Verwaltungsakt beantragen muß, bevor er die Leistung verlangen kann 1S4 . Da der Entschädigungsanspruch öffentlich-rechtlicher Natur ist, drängt es sich auf, daß der Beschuldigte - entsprechend der öffentlich-rechtlichen Konstruktion zunächst nur einen Anspruch auf die Grundentscheidung hat, aus der ihm hernach der eigentliche Entschädigungsanspruch erwächst. Daß die Grundentscheidung nicht deklaratorisch wirkt, sondern den Anspruch begründet, ergibt sich aber nicht bloß allgemein aus der öffentlichrechtlichen Natur der Entschädigung; sondern es ist aus dem StrEG selbst abzuleiten. Einmal getroffen, darf die Grundentscheidung später, im Betragsverfahren, grundsätzlich nicht mehr überprüft werdeniss. Die Justizverwaltungsbehörden und die Zivilgerichte, die die Entschädigungssumme festlegen, sind an den materiellen Inhalt der Grundentscheidung gebunden 1s6. Kann eine fehlerhafte Grundentscheidung nicht mehr während des Grundverfahrens korrigiert werden1s7 , wird sie Grundlage für das Betragsverfahren. Nur ausnahmsIl2Daß die Sozialhilfe durch Verwaltungsakt gewährt wird, ergibt sich aus § 96 Abs. I S. 2/ Abs. 2 S. 2 BSHG: Dort ist von einem Widerspruchsbescheid die Rede. Vgl. Wolff-Bachof, VerwR III, § 146 Rn. 19, S. 281. 113 Zwar gibt es auch deklaratorische Verwaltungsakte, H. Peters, S. 152. Sie kommen aber dort nicht in Betracht, wo es um Leistungen geht. Im Leistungsrecht sind selbst "feststellende" Verwaltungsakte stets konstitutiv, weil sie verbindlich feststellen, was im Einzelfall rechtens ist. Sollte im Leistungsrecht eine Feststellung nur deklaratorisch sein, fehlte es an einer "Regelung"; die Deflnition des § 35 VwVfG wäre nicht erfüllt. Vgl. Erichsen, in: Erichsen, AlIgVerwR, § 12 Rn. 22 - 25, S. 253 - 255; Maurer, § 9 Rn. 46, S. 203.
Il4 Prozessual geht daher die Verpflichtungs- der (allgemeinen) Leistungsklage vor: BVerwGE 31, 301, 303; BayVGH, BayVBl. 1961,59; OVG Berlin, NVwZ 1982, 253; Jakobs, NVwZ 1984,28; Kopp, VwGO, § 42 Rn. 11,29. IllBGHZ 63, 209, 214; OLG Hamm, NJW 1975, 2033, 2034; Galke, DVBI 1990, 145, 146. Früher hingegen hatten noch einige Gerichte die Auffassung vertreten, im Betragsverfahren dürfe die Grundentscheidung mit überprüft werden. Il6BGHZ, 63, 209,211; BGH, JZ 1979, 353, 354; ders., MDR 1993, 796, 797. Ebenso: OLG München, MDR 1976, 228; Hentschel, Rn. 398a, S. 209; Kleinknecht-MeyerMeyer=Goßner, § 8 StrEG, Rn. 1; D. Meyer, Vorbem. vor §§ 10 - 13, Rn. 5; Schätzler, §10Rn.9. Für das Kostenrecht siehe LG Flensburg, JurBüro 1983, 1219 f.
9. Kap.: Entstehungszeitpunkt des Entschädigungsanspruchs
165
weise, nämlich wenn der Anspruch auf Entschädigung schlechthin ge setzeswidrig gewährt ist, entfällt die Bindungswirkung ls8 . Damit hat die fehlerhafte Grundentscheidung eine ähnliche Bestandskraft wie der rechtswidrige Verwaltungsakt. Dieser ist erst dann nichtig, wenn sein Fehler besonders schwer wiegt und dies auch offenkundig ist, § 44 Abs. 1 VwVfG. Einen weiteren Beweis, daß der Anspruch auf Entschädigung erst durch die Grundentscheidung entsteht, liefert § 14 Abs. 1 StrEG. Ihm zufolge tritt der Entschädigungsanspruch außer Kraft, sobald das Verfahren zuungunsten des Betroffenen wieder aufgenommen wird. Dieser Vorschrift hätte es nicht bedurft, wenn die Grundentscheidung nur deklaratorische Bedeutung hätte. So aber muß erst der Rechtsgrund für die Entschädigung - die Grundentscheidung lS9 - wieder beseitigt werden, bevor der Staat die Entschädigung zurückverlangen kann, § 14 Abs. 1 S. 2 StrEG.
G. Zusammenfassung I Bedeutung der Grund- und der Betragsentscheidung fiir den Anspruch aufEntschädigung Die Auffassung der h.M., wonach der Anspruch auf Entschädigung durch die Grundentscheidung konstituiert wird l60 , hat durch die Analyse der Gesetzesmaterialien, der materiellrechtlichen und der verfahrensrechtlichen Vorgaben des StrEG eine deutliche Bestätigung erfahren. Danach hat der Beschuldigte, bevor das Strafgericht die Entschädigungspflicht nicht ausgesprochen hat, noch keinen Anspruch auf die Entschädigung, sondern allenfalls einen Anspruch auf die Grundentscheidung. Ein Anspruch auf die GrundentscheiIl7 Darauf, daß die Grundentscheidung nur im Grundverfahren korrigiert werden darf, weist ausdrücklich D. Meyer, Vorbem. vor §§ 10 - 13, Rn. 5, hin.
1l8D. Meyer, Vorbem. vor §§ 10 - 13, Rn. 8, unter Berufung auf AG Kappeln, JurBüro 1980, 1204 f. (mit zust. Anm. D. Meyer), das diese Position zu der gleich gelagerten Problematik im Kostenfestsetzungsverfahren bezogen hat. Ebenso wie D. Meyer auch Mfunmler, JurBüro 1981,882; a.A. dagegen LG Dortmund, JurBüro 1981,881. \l9D. Meyer, § 14 Rn. 2. Genauso schon Brandis, S. 134. 160Begründung der Bundesregierung zum Entwurf des StrEG, BT-Drs. 6/460, S. 8; BGH, MDR 1979, 562; OLG Schleswig bei D. Meyer, JurBüro 1983, 1165 f.; Schätzler, § 8 Rn. 4. Zum alten Recht ebenso: BGHZ 8, 169, 170; 20, 183, 185; 36,245,247. Für das Kostenrecht ebenso: Rieß, NJW 1975,81,91.
166
3. Teil: Anspruch aufStrafverfo1gungsentschädigung
dung wiederum entsteht erst mit dem Urteil oder dem Beschluß, der das Verfahren abschließt; die materielle Unschuld vermag auch hier allein noch nicht den Anspruch zu begründen. Schließt das Gericht das Verfahren ab, entscheidet es gleich in der Hauptverhandlung darüber, ob der Betroffene zu entschädigen ist oder nicht, § 8 Abs. I S. I StrEG. Dem Beschuldigten erwächst hier unmittelbar am Ende des Verfahrens der eigentliche Entschädigungsanspruch. Dies mag in der Praxis die Sicht dafür verstellen, daß der Entschädigungsanspruch nicht schon durch die günstige Verfahrensbeendigung entsteht. Kann das Gericht dagegen in der Hauptverhandlung noch nicht über die Entschädigungsfrage entscheiden, § 8 Abs. I S. 2 StrEG, oder stellt die Staatsanwaltschaft das Verfahren ein, § 9 StrEG, zeigt sich die vom StrEG vorgezeichnete Abfolge einander nachgeschalteter Ansprüche: Hier hat der Betroffene unmittelbar mit Verfahrensabschluß noch keinen Anspruch auf die Entschädigung, sondern nur einen Anspruch auf die Grundentscheidung. Mit der Grundentscheidung entsteht der Entschädigungsanspruch, allerdings noch immer mit der Einschränkung, daß er auftchiebend bedingt ist. Denn es muß jetzt noch das Betragsverfahren stattfinden. Daß hierin eine echte Bedingung liegt, ergibt sich aus § 10 Abs. I S. 2 StrEG. Ihm zufolge ist der Anspruch ausgeschlossen, falls der Berechtigte die Antragsfrist nach § 10 Abs. I S. I StrEG versäumt. Aufschiebend bedingt muß der durch die Grundentscheidung geschaffene Anspruch aber auch insofern sein, als im Grundverfahren noch gar nicht geklärt wird, inwieweit die zugrunde liegende Maßnahme der Strafverfolgung überhaupt zu einem Schaden geführt hat1 61 . Der aufschiebend bedingte Anspruch wandelt sich später, durch die Betragsentscheidung, in einen unbedingten Anspruch um. Das Problem, daß bei einem Verzicht während des Strafverfahrens der Anspruch auf Strafverfolgungsentschädigung noch gar nicht existiert, bleibt bestehen. Ob das ein überwindbares Hindernis ist, wird noch untersucht werden l62 .
161BGHZ 63, 211 = BGH, NJW 1975, 350; LG F1ensburg, JurBüro 1983, 1851 f.; Böing, in: Deutsche strafrechtliche Landesreferate, Beiheft zur ZStW, S. 73, 88; Kleinknecht-Meyer-Meyer=Goßner, § 8 StrEG, Rn. 1; D. Meyer, Vorbem. vor §§ 8 und 9, Rn. 9; Schätzler, § 8 Rn. 3. 162 Unten Kap. 13, S. 218 - 233.
Vierter Teil Rechtsmacht des Beschuldigten, auf Ansprüche und Rechte nach dem StrEG verzichten zu können
10. Kapitel Möglichkeit des Verzichts beim materiellen Anspruch auf Strafverfolgungsentschädigung Wie sich gezeigt hat l , nimmt der Staat, indem er dem Bürger für Strafverfolgungsmaßnahmen eine Entschädigung nach dem StrEG gewährt, zwei Aufgaben wahr: Zum einen soll die Entschädigung dazu beitragen, daß die Rechte des Bürgers, insbesondere auch dessen Grundrechte, im Strafverfahren angemessen verwirklicht werden. Zum anderen kommt der Staat seiner Verpflichtung nach, dem Bürger für auferlegte Sonderopfer einen finanziellen Ausgleich zu verschaffen. Der Umstand, daß Empfanger der Entschädigung eine Privatperson ist, darf also nicht davon ablenken, daß es im StrEG um öffentliche Interessen und Aufgaben geht. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob der Beschuldigte über die Entschädigung überhaupt disponieren kann. Vielleicht lassen die öffentlichen Interessen und Aufgaben, denen das Institut der Strafverfolgungsentschädigung dient, den Verzicht gar nicht zu.
A. Grundsätzliche Verzichtbarkeit von Ansprüchen aus Aufopferung Weder in der Literatur noch in der Rechtsprechung finden sich Stellungnahmen darüber, ob Aufopferungsanspruche grundsätzlich verzichtbar sind oder nicht. Anerkannt ist lediglich, daß der Berechtigte in der Regel auf öffentlich-rechtliche Anspruche vermögensrechtlicher Art verzichten kann2 • lOben Kap. 1/ C, S. 50, und Kap. 8 A / B II / D, S. 118 f., 122 f., 127 - 150.
168
4. Teil: Rechtsrnacht des Beschuldigten, verzichten zu können
Für Ansprüche auf Sozialleistungen ist die Möglichkeit des Verzichts sogar gesetzlich geregelt, § 46 SGB I. Andererseits gibt es wichtige Ausnahmen, wo dem Verzicht auf einen öffentlich-rechtlichen Vermögensanspruch die Wirksamkeit versagt wird. Beim Gehaltsanspruch der Beamten, Richter und Soldaten schließt § 2 Abs. 3 BBesG einen Verzicht aus, ebenso § 3 Abs. 3 BeamtVG beim Anspruch auf die gesetzlich zustehende Versorgung. Gleiches gilt gemäß § 3 I AbgG für die Entschädigung und Aufwandsentschädigung der Bundestagsabgeordneten. Ausgehend von den genannten Vorschriften, kommt noch für weitere Zahlungsansprüche der Abgeordneten, Beamten, Richter und Soldaten in Betracht, daß ein Verzicht unzulässig und unwirksam sein muß3 • Bevor § 46 SGB I in Kraft trat, wurde die Möglichkeit des Verzichts auch bei verschiedenen Sozialleistungen (Sozialhilfe, Leistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz, Leistungen aus der Sozialversicherung) ausgeschlossen4 • Als Sinn und Zweck derartiger Verzichtsverbote wird im allgemeinen angegeben, die in Rede stehenden Ansprüche würden nicht allein im Interesse des Einzelnen gewährt. Vielmehr verfolge die Rechtsordnung weitere, übergeordnete Ziele, die sie durch den Inhaber des Anspruchs nicht in Frage gestellt sehen wolles. Vor diesem Hintergrund findet man in der älteren Literatur desöfteren die Meinung, subjektive öffentliche Rechte seien generell unverzichtbat. Diese Auffassung konnte sich jedoch nicht durchsetzen. Die heute h.M. geht vielmehr davon aus, daß grundsätzlich auf subjektive öffentliche Rechte verzichtet werden kann. Ausnahmen bestehen, wo Sinn und Zweck des Gesetzes, das den Anspruch gewährt, dies gebieten7 • Ferner schei-
2Brüggemann, S. 79; Forsthoff, § 10.4, S. 192, § 14.2 b, S. 288; Middel, S. 32; v. Turegg - Kraus, S. 174; Walsmann, S. 144; Wilde, S. 149 f., 160 f. 3 Bachof, in: WolfflBachof, VerwR I, § 54 I c, S. 476; Brüggemann, S. 76; H. Peters, S. 150; Wilde, S. 132 f. 4 Bültmann, DOK 1934, 353; Elleser, BB 1965,461 f.; ders., SozVers. 1951, 112 f.; Leippert, S. 102 - 105; H. Peters, S. 150; Wilde, S. 142, 140. 144, 145, 146 f. l Wilde, S. III, 44 - 50. 6 Fleiner, § 12 11 2, S. 179; G. Jellinek, S. 46 ff., insbesondere S. 57; W. Jellinek, § 9 IV 7, S. 215; Schoenbom, S. 67 ff., 95.
7 Bachof, in: WolfflBachof, VerwR I, § 43 IV, S. 333; Bussfeld, DÖV 1976,765, 766; Elleser, SozVers. 1951, 112 f.; Middel, S. 32, 33; Maurer, § 14 Rn. 34, S. 366 f.; NebendahllRönnau, NVwZ 1988, 873, 876; H. Peters, S. 150; Quaritsch, in: GS für Martens, S. 407,409 f.; Schimpf, S. 200 f.; Schulke, DÖV 1959, 132, 133; Thieme, in: Wannagat, AT § 46, Rn. 2.
10. Kap.: Verzicht beim materiellen Anspruch
169
det ein Verzicht dort aus, wo der Inhaber im öffentlichen Interesse verpflichtet ist, das Recht wahrzunehmen8 • Legt man diese Maßstäbe zugrunde, so kann der Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung nicht allein deshalb ausgeschlossen sein, weil er einen öffentlich-rechtlichen Aufopferungsanspruch betrifft. Im Gegenteil müßte positiv festgestellt werden, daß bestimmte Regelungen des StrEG, eventuell auch Sinn und Zweck dieses Gesetzes insgesamt, einem Verzicht entgegenstehen bzw. den Beschuldigten vielleicht sogar verpflichten, seine Entschädigung wahrzunehmen.
B. Bestimmungen des StrEG, die für eine Verzichtbarkeit angeführt werden Soweit ersichtlich, ist bisher weder im Schrifttum noch in der Rechtsprechung behauptet worden, ein Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung sei von vornherein ausgeschlossen. ·Sondern im Gegenteil gehen zahlreiche Äußerungen davon aus, daß ein solcher Verzicht wirksam erfolgen könne9 • Gelegentlich wird darauf hingewiesen, daß die Entschädigung im Betragsverfahren ohnehin erst auf Antrag des Beschuldigten gewährt werde, § 10 Abs. 1 StrEG. Stelle die Staatsanwaltschaft das Verfahren ein, ergehe sogar die Grundentscheidung erst dann, wenn der Betroffene sie beantragt habe, § 9 Abs. 1 S. 3 StrEG. Demnach habe der Gesetzgeber es letztlich in das Belieben des Berechtigten gestellt, ob dieser die Entschädigung wolle oder nicht. Ohne weiteres müsse dann auch ein Verzicht zulässig sein IO •
BBachof, in: WolfflBachof, VerwR I, § 43 IV, S. 333; Middel, S. 33; NebendahlIRönnau, NVwZ 1988, 873, 876; Schulke, DÖV 1959, 132, 133; v. Turegg Kraus, S. 174. 9 Aus der Rechtsprechung: OLG Karlsrube, 1. Senat, Justiz(BW) 1981, 450, 451; OLG Saarbrücken, wistra 1996, 70, 71. Aus dem Schrifttum: Händel, VOR 1973, 243, 256 - 258; ders., Blutalkohol 1975, 238, 239; Hentschel, Rn. 398, S. 208 f.; Kleinknecht-Meyer-Meyer=Goßner, § 8 StrEG, Rn. 3.; D. Meyer, Vorbem. vor §§ 1 - 6, Rn. 13 - 20; Schätzler, § 8 Rn. 11.
Für das frühere Recht siehe Brandis, S. 98; Burlage, § 6 UHaftEntschG, Anm. 13, S. 102; Woermann, § 1 HaftEntschG, Anm. 6, S. 51; Wilde, S.52, 161. Für das OWiG-Verfabren siehe Rotberg-KleinewefersIBoujonglWilts, § 110 Rn. 12. 10
Händel, VOR 1973,243,258; Seebode, NStZ 1982, 144, 146.
170
4. Teil: Rechtsmacht des Beschuldigten, verzichten zu können
Ob aus den Antragserfordernissen allerdings geschlossen werden darf, der Beschuldigte könne uneingeschränkt über die Entschädigung disponieren, ist zweifelhaft. Zwar wird in der Verzichtslehre betont, daß Leistungen, die erst auf Antrag des Berechtigten gewährt werden, in der Regel auch zu dessen Disposition stehenll . Dennoch ist stets der Einzelfall zu prüfen. So werden Leistungen aus der Sozialhilfe oder der Sozialversicherung für gewöhnlich erst auf Antrag gewährt; dennoch galten sie der h.M. als unverzichtlich l2 , bis der Gesetzgeber dann in § 46 SGB I die gegenteilige Entscheidung traf. Ferner mag bei manchen Neben- und Ersatzleistungen, die der Abgeordnete, Beamte, Richter oder Soldat erhält, ein Verzicht ausgeschlossen sein, obwohl sie nur auf Antrag gewährt werden13 • So kann auch das Antragserfordernis im StrEG allenfalls ein Indiz hergeben, mehr nicht. Ein weiteres Indiz könnte § 13 Abs. 2 StrEG liefern, wonach der Anspruch frei verfügbar ist, sobald rechtskräftig über ihn entschieden wurde. Allerdings sagt der Umstand, daß der Berechtigte über rechtskräftig zugesprochene Leistungen frei verfügen darf, auch in anderen Bereichen nichts darüber aus, ob von vornherein zugunsten des Staates auf diesen Anspruch verzichtet werden kann. Das zeigt sich am Beispiel der Beamtenbesoldung: Obwohl der Beamte nach der Auszahlung mit seinen Bezügen beliebig verfahren kann, ist es ihm verwehrt, von vornherein auf diese zu verzichten.
Man macht es sich nach alledem zu einfach, wenn man die Möglichkeit, daß auf den materiellen Entschädigungsanspruch verzichtet werden kann, allein aus § 9 Abs. 1 S. 3 StrEG, aus § 10 Abs. 1 StrEG oder aus § 13 Abs. 2 StrEG begründen wollte. Vielmehr bleibt es dabei, daß der Verzicht sich in den rechtlichen Gesamtrahmen der Strafverfolgungsentschädigung einfügen muß.
11 OVG Münster, NJW 1987, 1964, 1965; Brüggemann, S. 78; W. Jellinek, § 9 N 7, S. 215, 216; Thieme, DÖV 1988,250,252; Wilde, S. 52, 149, 150.
12Bültmann, DOK 1934, 353, 354; Elleser, BB 1965, 461 f.; Fleiner, § 12 II 2, S. 179 mit Fn. 45; Wilde, S. 140, 142 - 145. 13 Siehe etwa die Überlegungen bei Wilde, S. 132 - 134, zu einzelnen dieser Leistungen.
10. Kap.: Verzicht beim materiellen Anspruch
171
C Verpflichtung des Beschuldigten. die Entschädigung wahrzunehmen ? In einem Punkt helfen § 9 Abs. 1 S. 3 StrEG sowie § 10 Abs. 1 StrEG aber immerhin einen entscheidenden Schritt weiter. Das ist die Frage, ob der Beschuldigte etwa verpflichtet sei, die ihm zustehende Entschädigung wahrzunehmen. § 9 Abs. 1 S. 3 StrEG und § 10 Abs. 1 StrEG sprechen klar gegen eine derartige Verpflichtung. Wenn nämlich die Entschädigungssumme erst auf Antrag festgestellt und ausgezahlt wird, wenn in einem Teilbereich sogar über die grundsätzliche Entschädigungspflicht erst auf Antrag entschieden wird, dann soll es ganz offensichtlich im Belieben des Beschuldigten stehen, ob er die Entschädigung wirklich haben will oder nicht. Wie gesagt, ist damit aber erst einer der zu prüfenden Punkte abgehandelt. Wenn keine Pflicht besteht, eine öffentlich-rechtlich eingeräumte Position wahrzunehmen, heißt das allein noch nicht, daß die Position als solche verzichtbar wäre. Das zeigt sich an folgendem Beispiel: Obwohl in Deutschland keine Wahlpflicht besteht, kann der Bürger auf sein Wahlrecht nicht verzichten l4 •
D. Ausschluß der Verzichtbarkeit durch Sinn und Zweck der Strafverfolgungsentschädigung ?
Als nächstes ist deshalb zu prüfen, ob der Verzicht mit dem Sinn und Zweck der Entschädigungsregelungen vereinbar ist. Dabei gilt es zu berücksichtigen, daß die Entschädigung auch im öffentlichen Interesse gewährt wird. Das muß zwar einem Verzicht nicht unbedingt entgegenstehen ls • Dennoch kann die Rechtsordnung im Einzelfall verlangen, daß ein verliehener Vorteil dem Bürger wirklich erhalten bleiben muß; und zwar deswegen, weil mit der Begünstigung Ziele verfolgt werden, die nicht durch den Individualwillen vereitelt werden sollenl6 •
14W. Jellinek, § 9 IV 7, S. 215; Wilde, S. 129. 15 Brüggemann, S. 24 f.; Fischer, S. 56. 16Brüggemann, S. 24; Bültmann, DOK 1934, 353; Fischer, S. 54 f.; Middel, S. 32, 35; Malomy, JA 1974, 475; Nebendahl/Rönnau, NVwZ 1988,873,876; Wilde, S. 132, 133, 140, 142, 145.
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4. Teil: Rechtsmacht des Beschuldigten, verzichten zu können
I. Vergleich zum Verzicht auf Sozialleistungen Insofern drängt sich ein Gedanke auf, der früher im Sozialrecht eine große Rolle gespielt hat. Dort hielt man den Verzicht für unzulässig, weil der Berechtigte sich in genau jenen hilfsbedürftigen Zustand versetze, den zu vermeiden oder zu beseitigen das Anliegen des Gesetzes und der gewährten Leistung sei l7 • Verzichtet der Beschuldigte auf seine Strafverfolgungsentschädigung, läßt sich im Einzelfall nicht ausschließen, daß er dringend benötigte finanzielle Mittel aufgibt. Wie Untersuchungen gezeigt haben, finden Untersuchungshäftlinge nach ihrer Entlassung häufig keine Bleibe und sind zudem oft hoch verschuldet l8 • Dieser Personenkreis dürfte also nachdrücklich auf die Entschädigung angewiesen sein. Weitere denkbare Beispiele für soziale Bedürftigkeit sind der Berufskraftfahrer, dem die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen worden ist, oder jemand, gegen den die Strafverfolgungsorgane ein vorläufiges Berufsverbot verhängt haben. Gleichwohl ist zweifelhaft, ob man in derartigen Fällen die Möglichkeit des Verzichts versagen soll. Anders als bei den Sozialleistungen wird nämlich mit der Strafverfolgungsentschädigung nicht der Zweck verfolgt, den Betroffenen aus hilfsbedürftiger Lage zu befreien. Daß der Beschuldigte sich durch seinen Verzicht in eine finanziell schwierige Lage bringt, kann deshalb allein kein Grund sein, der Verzichtserklärung die Wirksamkeit zu versagen l9 • Dies gilt erst recht, wenn man nunmehr den § 46 SGB I in die Überlegungen einbezieht. Wie diese Vorschrift belegt, hat sich das Sozialrecht selbst von der Wertung gelöst, öffentliche Fürsorge müsse dem Bedürftigen auch gegen seinen Willen zuteil werden. Statt dessen werden alle Sozialleistungen als Angebot begriffen20 , von dem der Bürger Gebrauch machen kann, das er aber ebensogut aus-
Man kann auch umgekehrt formulieren, daß der Verzicht möglich sei, wenn die betroffene Rechtsposition (allein oder wenigstens überwiegend) im Interesse des Begünstigten bestehe: OVG Münster, NJW 1987, 1964, 1965; Maurer, § 14 Rn. 34, S. 366; Quaritsch, in: GS für Martens, S. 407, 409 f.; Stern, Bd.IIV2, § 86 I 4, S. 892. 17Bültmann, DOK 1934, 353, 354; E1Ieser, BB 1965,461 f.; Wilde, S. 140, 142 145. 18 So die Ergebnisse der empirischen Untersuchung von Jehle, S. 262 - 265. 19S0 auch schon Wilde, S. 161, zur Rechtslage nach dem HaftEntschG und dem UHaftEntschG. 20
Gitter, in: BochKomm, § 46 Rn. 1; Hauck, in: Hauck, SGB I, K § 46 Rn. 1.
10. Kap.: Verzicht beim materiellen Anspruch
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schlagen mag. Das gilt ausdrücklich auch für die Sozialhilfe21 als jene Sozialleistung, die das Existenzminimum sichern soll. Im übrigen mag es zwar der Erfahrung entsprechen, daß, wer der Strafverfolgung ausgesetzt war, besonderer Hilfe bedarf. Zwingend ist das aber keineswegs. Hier besteht ein Unterschied etwa zur Sozialhilfe; denn deren Gewährung setzt tatbestandlieh voraus, daß der Begünstigte seinen notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln bestreiten kann22 • Wollte man das Anliegen, niemandem dürfe erlaubt sein, sich selbst in eine hilflose Lage (zurück) zu versetzen, bei der Strafverfolgungsentschädigung aufgreifen, müßte streng genommen stets am Einzelfall geprüft werden, über welche finanziellen Mittel der konkrete Beschuldigte verfUgt. Das wiederum hätte zur Folge, daß der Verzicht nur demjenigen gestattet werden dürfte, der ihn sich leisten kann. Entsprechend wäre es eine Frage des Geldbeutels, wieviel "Edelmut" oder Desinteresse gegenüber der staatlichen Wiedergutmachung der Beschuldigte zeigen dürfte. Das kann kein sachgerechtes Ergebnis sein.
Wie dargelegt, gibt es sogar Situationen, wo Edelmut und Desinteresse einer durchaus rationalen Prozeßstrategie entspringen können23 • Hat der Beschuldigte keinen nennenswerten Schaden erlitten oder kann er absehen, daß der Schaden sich nur schwer beweisen läßt, ist es eine "billige" Demonstration des guten Willens, auf Strafverfolgungsentschädigung zu verzichten. Verweigert man nun dem Verzicht die Wirksamkeit mit dem Argument, der Verzichtende bringe sich in eine finanzielle Notlage, bleibt es dem Wohlhabenden vorbehalten, dieses prozeßtaktische Mittel einzusetzen. Das wäre eine bedenkliche Konsequenz. Im Extremfall würde sie demjenigen, der sich den Verzicht finanziell leisten kann, erlauben, sich von der Strafverfolgung "freizukaufen", während der finanziell Schwächere die Strafverfolgung weiterhin zu ertragen hätte. Insgesamt spricht der Vergleich mit den Fällen des Sozialrechts also nicht gegen, sondernfür die Verzichtbarkeit der Strafverfolgungsentschädigung.
21 Denn nach § 28 Abs. 1 SGB I "können" Leistungen der Sozialhilfe in Anspruch genommen werden.
22§ 11 Abs. 1 S. 1 BSHG. 23
Oben Kap. 3 / A, S. 57 f.
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4. Teil: Rechtsmacht des Beschuldigten, verzichten zu können
11. Rückverlagerung des Strafverfolgungsrisikos auf den Bürger? Mit der Strafverfolgungsentschädigung wollte der Gesetzgeber einen angemessenen Ausgleich zwischen dem staatlichen Strafanspruch und der Unschuldsvermutung, zwischen den Belangen der Rechtspflege und den Grundrechten des Bürgers schaffen. Der Staat und nicht mehr der Bürger sollte fortan das Risiko dafür tragen, daß das Strafverfahren ohne Verurteilung endet24 • Mißt man den Verzicht an diesen Gesetzeszwecken, so ist er jedenfalls dann mit der ratio legis unvereinbar, wenn er das Strafverfolgungsrisiko wieder auf den Bürger ZUTÜcküberträgt. Für Verzichtserklärungen, die auf einer strafprozessualen Absprache beruhen, ist hier in der Tat ein ernst zu nehmendes Bedenken angesprochen. Darauf wird diese Arbeit noch ZUTÜckkommen2S • Vorläufig untersucht sie jene Fälle, in denen der Beschuldigte seine Entschädigung "edelmütig", ohne vorherige Absprache, preisgibt. Wo der Verzicht in dieser Weise erfolgt, ist nicht ersichtlich, wie es zu einer Rückverlagerung des Strafverfolgungsrisikos kommen sollte. Denn hier liegt in der Verzichtserklärung keinerlei Eingeständnis von Schuld, und selbstverständlich wird auch von seiten des Staates keine Schuldfeststellung gegen den Verzichtenden getroffen.
E. Ausschluß der Verzichtbarkeit im Hinblick auf die Unschuldsvermutung ? Wie zu Anfang dieser Arbeit ausgeführt26 , ging es bei der Reform des Entschädigungsrechts insbesondere darum, den Erfordernissen der Unschuldsvermutung Rechnung zu tragen. Deshalb muß die Unschuldsvermutung Leitbild auch bei der Anwendung des StrEG sein. Sollte ihre Durchsetzung verlangen, daß die in §§ 1,2 StrEG genannten Personen ohne Wenn und Aber in den Genuß einer Strafverfolgungsentschädigung kommen müssen, ist dem Verzicht die Wirksamkeit zu versagen.
24
Begründung der Bundesregierung zum Entwurf des StrEG, BT-Drs. 6/460, S. 5.
2lUnten Kap. 21 / B III / C III, S. 346, 351 f. 26 Oben
Kap. 1 / C, S. 49 f.
10. Kap.: Verzicht beim materiellen Anspruch
175
I. Anwendbarkeit der Unschuldsvennutung im Entschädigungsverfahren Will man aus der Unschuldsvennutung eine Entschädigungspflicht ableiten, setzt dies zunächst voraus, daß sich der Schutzbereich von Art. 6 Abs. 2 EMRK auf das Entschädigungsverfahren überhaupt erstreckt. Der Gesetzgeber ist offenbar ohne weiteres davon ausgegangen, daß das Entschädigungsverfahren den Erfordernissen der Unschuldsvennutung genügen muß; dies bezeugen die bereits mehrfach zitierten Gesetzesmotive27 • Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) dehnt den Schutzbereich der Unschuldsvennutung ebenfalls sehr weit aus. Im MinelliUrteil28 hat der Gerichtshof entschieden, daß Art. 6 Abs. 2 EMRK das Strafverfahren in seinem ganzen Umfang beherrscht. In dem betreffenden Fall war der Beschwerdeführer in einem schweizerischen Privatklageverfahren dazu verurteilt worden, die Gerichtskosten und eine Entschädigung an den Privatkläger zu zahlen. Der EGMR entschied, daß Art. 6 Abs. 2 EMRK sowohl in dem Privatklage- als auch in dem sich anschließenden Kostenverfahren zu beachten sei29 • Diese Rechtsprechung ist auf das deutsche Recht übertragbar; davon zeugen spätere Urteile, in denen der EGMR 4eutsche Auslagen- und Entschädigungsentscheidungen an Art. 6 Abs. 2 EMRK gemessen hat30 • Damit hat der Gerichtshof zu erkennen gegeben, daß sowohl im Kosten- als auch im Entschädigungsverfahren den Erfordernissen der Unschuldsvennutung Rechnung zu tragen ist31 • Freilich bezogen die Urteile sich jeweils auf das Gnmdverfahren. Deshalb bleibt es offen, inwieweit das Betragsverfahren ebenfalls in den Schutzbereich von Art. 6 Abs. 2 EMRK einzubeziehen ist. Die Anwendbarkeit der Unschuldsvennutung auf das Betragsverfahren ist deshalb zweifelhaft, weil das Betragsverfahren nach deutschem Recht nicht mehr zum eigentlichen
27 Denn der Gesetzgeber wollte durch das StrEG gerade der Unschuldsvermutung in besonderer Weise Rechnung tragen: Begründung der Bundesregierung zum Entwurf des StrEG, BT-Drs. 6/460, S. 5. 28EGMR, EuGRZ 1983,475 ff.
29EGMR, Urteil Minelli, Nm. 28 - 30, EuGRZ 1983,475,478 f. 30EGMR, Urteil Lutz, Nr. 60, EuGRZ 1987,399,403; ders., Urteil Nölkenbockhoff, LS, EuGRZ 1987,410. 31 Ebenso: OLG Hamm, NJW 1986, 734 f.; Kühl, NJW 1988, 3233, 3239; ders., ZStW 100 (1988), 601, 636.
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4. Teil: Rechtsmacht des Beschuldigten, verzichten zu können
Strafprozeß gehört, sondern ein eigenes Verwaltungsverfahren bildet, in dem die Regeln der Zivil-, nicht der Strafprozeßordnung gelten sollen32 • Gegen die Anwendung der Zivilprozeßordnung ist grundsätzlich nichts einzuwenden, weil im Betragsverfahren nur noch die Entschädigungssumme festgelegt wird. Sollte jedoch im Betragsverfahren die Schuldfrage relevant werden, muß etwas anderes gelten. Schließlich bewahrt die Unschuldsverrnutung den BeschUldigten nicht nur davor, daß er ohne Nachweis seiner Schuld verurteilt wird. Sie schützt ihn vielmehr über den Abschluß des eigentlichen Strafverfahrens hinaus. Ist das Verfahren ohne Verurteilung beendet worden, weil z.B. die Beweise für eine Überführung nicht ausreichten, so darf der Beschuldigte auch nach Abschluß des Verfahrens nicht wie ein Verurteilter behandelt werden33 • Insofern wirkt die Unschuldsverrnutung auch in das Betragsverfahren hinein. Daß dieses nach deutschem Recht gar nicht mehr zum Strafprozeß gehört, sondern ein selbständiges Verwaltungsverfahren bildet, ist für die Anwendung der Europäischen Menschenrechtskonvention ohnehin nicht von entscheidender Bedeutung. Der Rechtsprechung des EGMR zufolge greift die Konvention unabhängig davon ein, ob nach nationalem Recht formell ein Strafverfahren vorliegt. Entscheidend ist stets, wie sich die Lage materiell darstellt34 •
11. Auswirkungen der Unschuldsverrnutung auf das Entschädigungsverfahren Daß die Unschuldsverrnutung im gesamten Entschädigungsverfahren zu beachten ist, bedeutet noch nicht, daß sie eine Entschädigung fordert. Der EGMR hat in den Verfahren Lutzls, Nölkenbockho~6 und Englert37 diese Frage sogar ausdrücklich verneint. Weder von Art. 6 Abs. 2 EMRK noch von einer anderen Bestimmung der Konvention sei garantiert, daß der Betroffene ein Recht auf Entschädigung wegen erlittener Strafverfolgungsmaßnahrnen 32D. Meyer, Vorbem. vor §§ 10 - 13, Rn. 1; Schätzler, § 10 Rn. 13. 33 Ebenso: Kühl, NJW 1984, 1264, 1267. 34EGMR, Urteil Adolf, LS Nr. 30, EuGRZ 1982, 297, 301; ders., Urteil Engel, Nm. 80 - 82, EuGRZ 1976, 221,231 f.; ders., Urteil König, Nr. 88, EuGRZ 1978,406,415; ders., Urteil Deweer, Nr. 42, EuGRZ 1980,667,671. 35EGMR, Urteil Lutz, LS Nr. 59, EuGRZ 1987,399,403. 36EGMR, Urteil NölkenbockhofT, LS Nr. 36, EuGRZ 1987,410,413. 37EGMR, Urteil Englert, LS Nr. 36, EuGRZ 1987,405,408 f.
10. Kap.: Verzicht beim materiellen Anspruch
177
oder auf Auslagenerstattung habe. Wird eine Entschädigung gewährt, so ist nach der Rechtsprechung des EGMR allerdings darauf zu achten, daß nicht die Begründung der versagenden Entscheidung im Kern einer Schuldfeststellung gleichkommf8 • Legt man diese Rechtsprechung zugrunde, kann ein Verzicht nicht schon deshalb mit der Unschuldsvermutung unvereinbar sein, weil der Beschuldigte dadurch seine Entschädigung verliert; denn nach Art. 6 Abs. 2 EMRK dürfte das nationale Recht sogar ganz von einer Entschädigung absehen. Der Verzicht kann erst dort in Konflikt mit der Unschuldsvermutung geraten, wo er mit Schuldzuweisungen begründet wird. Das ist aber bei einem einfachen, ohne vorherige Absprache erklärten Verzicht nicht der Fall. Dieses Ergebnis behält auch dann Bestand, wenn man die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Unschuldsvermutung heranzieht, wonach diese eine besondere Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips isf 9 • Die Unschuldsvermutung genießt damit zwar automatisch Verfassungsrang40 , während Art. 6 Abs. 2 EMRK im Rang eines einfachen Gesetzes steht41 • Das Bundesverfassungsgericht hat der Unschuldsvermutung aber keinen von Art. 6 Abs. 2 EMRK abweichenden Inhalt gegeben, insbesondere aus ihr keine Verpflichtung zur Entschädigung abgeleitet. Auch hier bleibt es dabei, daß die Unschuldsvermutung nicht gebietet, Strafverfolgungsentschädigung zu gewähren; deshalb kann die Möglichkeit, auf den Entschädigungsanspruch zu verzichten, nicht im Widerspruch zur Unschuldsvermutung stehen.
F. Ausschluß der Verzichtbarkeit im Hinblick auf das Ziel der Strafveifolgungsentschädigung, Grundrechtseingri./Je auszugleichen ? Als weiteres Bedenken ließe sich gegen den Verzicht einwenden, er vereitele das Ziel der Entschädigung, innerhalb des Strafverfahrens die Grundrechte des Beschuldigten zu schützen und zu verwirklichen: Ebensowenig wie der Beschuldigte, bevor eine Maßnahme der Strafverfolgung gegen ihn ver38EGMR, Urteil Lutz, LS Nr. 60, EuGRZ 1987, 399,403; ders., Urteil Nölkenbockhoff, LS Nr. 37, EuGRZ 1987,410,413; ders., Urteil Englert, LS Nr. 37, EuGRZ 1987, 405,409. 39BVerfGE 19,342,347; 22, 254, 265; 25, 327, 331; 74, 358, 370. 40
BVerfGE, 74,358,370.
41
So wohl BVerfGE 74, 358, 370.
12 Friehe
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4. Teil: Rechtsrnacht des Beschuldigten, verzichten zu können
hängt werde, auf seinen Grundrechtsschutz verzichten könne, dürfe es ihm nachher möglich sein, dasjenige preiszugeben, was ihm zum Ausgleich der geschehenen Grundrechtsverletzung gewährt wird. In dieser Argumentation steckt eine doppelte Bedingung, die zur Verfassungswidrigkeit des Verzichts führen würde: - Der Verzicht auf Grundrechte muß unzulässig sein. - Der Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung muß einem Verzicht auf jenes Grundrecht gleichkommen, das durch die Maßnahme der Strafverfolgung betroffen war.
I. Möglichkeit des Verzichts auf Grundrechte Die Probleme des Grundrechtsverzichts sind bis heute nicht abschließend geklärt. In der Rechtslehre wird teilweise angenommen, der einzelne könne zwar nicht auf ein Grundrecht als solches, wohl aber auf einzelne daraus fließende Befugnisse verzichten42 • In die gleiche Richtung geht der Ansatz von Dürig, wonach ein zeitweiliger Verzicht zulässig, ein unbefristeter Verzicht dagegen rechtlich unbeachtlich sein so1143 • Folgt man diesen Meinungen, wäre gegen einen Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung selbst dann nichts einzuwenden, wenn für den Verzicht auf die Entschädigung die gleichen Maßstäbe gelten wie für den Verzicht auf das betroffene Grundrecht. Der Beschuldigte erhält nämlich seine Entschädigung für einen Grundrechtseingriff, der abgeschlossen ist; nach der von Dürig vorgenommenen Unterscheidung würde es sich um einen bloß befristeten Verzicht handeln. Oft wird der Verzicht sogar sachlich begrenzt sein, weil die meisten Strafverfolgungsmaßnahmen nur einen Ausschnitt aus dem jeweils angesprochenen Grundrecht beschränken44 • Wer zwischen einem Gesamt- und einem Teilverzicht differenziert, verwechselt aber den Verzicht womöglich nur mit jenem Fall, daß der Bürger rein tatsächlich davon absieht, sein Recht wahrzunehmen4S • Letzteres ist vollkom42Malomy, JA 1974,475,478; v. Münch, in: v. Münch / Kunig, Vorbem. Art. I 19, Rn. 63; ders., in: FS für Ipsen, S. 113, 127 f.; Pietzcker, Staat 17 (1978), 527, 551. Im Ergebnis ebenso: Bleckmann, JZ 1988, 57, 59. Ähnlich auch Maunz-Zippelius, § 20 II 2, S. 152 f., der jedenfalls die Ansicht, Grundrechte seien unverzichtbar, ablehnt. 43 Dürig, AöR 81 (1956), 117, 153. 44 Zum Beispiel hindert ein vorläufiges Berufsverbot den Betroffenen nicht daran, einem anderen Beruf nachzugehen.
4sDaraufweisen Robbers, JuS 1985,925, und Sturm, in: FS für Geiger, S. 173,185,
10. Kap.: Verzicht beim materiellen Anspruch
179
men unproblematisch, weil der Bürger nicht verpflichtet ist, von seinen Grundrechten Gebrauch zu machen. Während aber das tatsächliche Nichtausüben den Bürger rechtlich nicht bindet, so daß er jederzeit wieder sein Grundrecht wahrnehmen kann, bewirkt ein Verzicht, daß das Recht erlischt46 • Nach einem wirksamen Grundrechtsverzicht könnte der Bürger sich also nicht mehr auf sein Grundrecht berufen, und der Staat wäre nicht mehr verpflichtet, das Grundrecht bzw. die vom Verzicht erfaßten Teilbereiche des Grundrechts zu beachten. Angesichts dieser rechtlichen Konsequenzen erscheint die Möglichkeit eines Verzichts auf Grundrechte selbst dann problematisch, wenn man der klassischen, liberalen Konzeption folgt, wonach es bei den Grundrechten um den Einzelnen geht, der sein persönliches Belieben möglichst ungestört verwirklichen so1147 • Vor allem ist gar nicht einzusehen, wozu auf dieser Basis ein Verzicht auf Grundrechte überhaupt nötig sein so1148 • Der Freiheit des Bürgers genügt es, von einem Grundrecht keinen Gebrauch mehr zu machen. Ein Verzicht würde dagegen bewirken, daß das Grundrecht erlischt und der individuellen Freiheit insofern für alle Zukunft die Grundlage entzogen wird49 • Noch fragwürdiger wird der Verzicht auf Grundrechte, wenn man in die Betrachtung einbezieht, daß diese auch im öffentlichen Interesse gewährt sind, weil der demokratische Rechtsstaat über die Grundrechte seine innere Ordnung erfahrt. Insoweit ist es richtig, wenn gesagt wird, ohne waches bürgerliches Bewußtsein von den Notwendigkeiten und Chancen der Grundrechte, ohne ihren wirksamen Gehalt, bleibe die Demokratie tot, der Rechtsstaat ein Tors050 • Deshalb ist das öffentliche Interesse daran, daß jedem Bürger die Ausübung seiner Grundrechte möglich bleibt, höher zu veranschlagen als das Interesse, das ein einzelner Bürger an der - auch zeitweiligen - Preisgabe eines Grundrechts haben mag.
hin.
46 Sturm, in: FS für Geiger, S. 173, 186. 47Bleckmann, JZ 1988, 57, 58; Merten, JuS 1976,345,345 f. 48Von der Möglichkeit eines Grundrechtsverzichts gehen aber gleichwohl aus: v. Münch, in: v. Münch / Kunig, Vorb. Art. 1 - 19, Rn. 63; Pietzcker, Staat 17 (1978), 527,540; Robbers, JuS 1985,925,926; Stern, Bd. IIII2, § 86 II 1 - 5, S. 902 - 912. 49 Auf diese Problematik macht Bleckmann, JZ 1988, 57, 59 - 62, aufmerksam. Seiner Meinung nach kann deshalb ein Verzicht die rechtlichen Garantien (Gesetzesvorbehalt Le.S. und Lw.S., Verhältnismäßigkeitsprinzip) nicht außer Kraft setzen. lOHäberle, Wesensgehaltsgarantie, S. 4 f.; ders., Öffentliches Interesse, S. 355 f.; Sturm, in: FS für Geiger, 173, 195 f. 12'
180
4. Teil: Rechtsmacht des Beschuldigten, verzichten zu können
Das entscheidende Argument, warum die Grundrechte nicht zur Disposition ihres Trägers stehen, ergibt sich schließlich aus Art. 18 00. Diese Vorschrift läßt einen Verlust von Grundrechten zu, setzt ihm aber äußerst enge Grenzen. Diese gelten zum einen, was den Kreis der verlierbaren Grundrechte angeht, zum anderen aber auch für die Art und Weise, wie der Grundrechtsverlust eintreten kann: nämlich nur durch Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. An Art. 18 00 wird deutlich, daß die Verfasser des Grundgesetzes das Problem des Grundrechtsverlusts gesehen haben, diesen aber nur für den Fall zulassen wollten, daß der Betroffene seine Grundrechte gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung mißbraucht. Der Grundrechtsverlust wird damit zur seltenen Ausnahme, und nur dem Bundesverfassungsgericht, nicht dem Bürger selbst verleiht das Grundgesetz eine Befugnis, den Verlust herbeizuführen. Bei den meisten Grundrechten, die durch die Strafverfolgung berührt werden, wie z.B. beim Recht auf körperliche Bewegungsfreiheit, Art. 2 Abs. 2 S.2 00, oder beim Recht der Berufsfreiheit, Art. 1200, kommt hinzu, daß sie nicht einmal zu den verwirkbaren Grundrechten i.S. von Art. 18 00 zählensl . Kann aber das Bundesverfassungsgericht ihren Verlust nicht herbeiführen, wäre es abwegig zu meinen, sie könnten durch eine Verzichtserklärung untergehens2 •
11. Auswirkungen auf die Verzichtbarkeit der Entschädigung Steht also fest, daß Grundrechte unverzichtbar sind, kommt man zu der weiteren Frage, ob diese Unverzichtbarkeit auf den Entschädigungsanspruch hinübergreift. Das setzt mehr voraus, als daß die Entschädigung zur Grundrechtsverwirklichung beitragen soll. Vielmehr müßte die Entschädigung ihrer Funktion nach ein Substitut der jeweils entzogenen Freiheit sein, so daß der Anspruch den Zustand vor Grundrechtsverletzung wiederherstellen würde. Wie auch sonst im Aufopferungsrecht üblichs3 , ersetzt das StrEG grundsätzlich nur den Vermögensschaden, der durch den Eingriff verursacht wurde; § 7 51 Der Katalog der verwirkbaren Grundrechte im Sinne von Art. 18 GG ist abschließend, vgl. Krebs, in: v. MÜDch / Kunig, Art. 18 Rn. 7.
52 Soweit ersichtlich, ist Art. 18 GG in der Diskussion um den Grundrechtsverzicht bisher kaum berücksichtigt worden. Der hier vertretenen Argumentation nahe verwandt ist jedoch der Einwand bei Erichsen, StaatsR I, S. 161: Die Befugnis, Grundrechte einzuschränken, stehe aufgrund der Gesetzesvorbehalte nur dem Gesetzgeber zu; wegen dieses Kompetenz-Zusammenhanges sei es dem Einzelnen verwehrt, über seine Grundrechte zu disponieren.
10. Kap.: Verzicht beim materiellen Anspruch
181
Abs. 1, 1. Halbs. StrEG. Der Beschuldigte wird hier für die Folgeschäden, die aus dem Eingriff resultieren, schadlos gestellt, nicht für die Grundrechtseinbuße selbst. Daß der Ersatz wirklich nur auf den Folgeschaden bezogen ist, nicht auf die Rechtsbeeinträchtigung an sich, zeigt sich in all jenen Fällen, in denen die Strafverfolgungsmaßnahme gar keinen Vermögensschaden herbeigeführt hat. Dem Beschuldigten steht dann keine Entschädigung zu, so daß die eigentliche Grundrechtsbeeinträchtigung entschädigungslos bestehen bleibt. Bezüglich der Vermögensschäden kann man also nicht sagen, daß die Entschädigung ihrer Funktion nach ein Substitut der entzogenen Freiheit und dazu bestimmt wäre, diese Wiederherzustellen. Diese Voraussetzung kann vielmehr allenfalls dort erfüllt sein, wo dem Beschuldigten auch die immateriellen Schäden ersetzt werden. Das ist nur bei der Freiheitsentziehung der Fall und auch nur dort, wo diese auf gerichtlicher Entscheidung beruht; § 7 Abs. 1, 2. Halbs. / Abs. 3 StrEG. Bundesjustizminister Engelhard hat 1988, als das Gesetz zur Änderung des StrEG beraten wurde, geäußert, die Entschädigung nach § 7 Abs. I, 2. Halbs. / Abs. 3 StrEG sei nicht dazu bestimmt, einen wirklichen Ausgleich der verlorenen Freiheit·herzustellens4 . Damit trat er Forderungen entgegen, die Entschädigung müsse deutlich erhöht werden. Statt, wie von der Bundesregierung vorgeschlagen, die Pauschale von 10 D~s auf 20 D~6 für jeden Tag Freiheitsentziehung anzuheben, wollte nämlich die Fraktion der GRÜNEN die Pauschalierung gänzlich abschaffen; ihre Vorstellung ging dahin, daß der Ersatz des immateriellen Schadens genauso wie das gewöhnliche Schmerzensgeld, § 847 BGB, berechnet werden müsse S7 • Unter Berufung darauf, daß ein Schmerzensgeld eine schuldhafte Verletzung voraussetze, während die zu entschädigenden Strafverfolgungsmaßnahmen rechtmäßig verhängt worden seien, hat die damalige Regierungskoalition es aber abgelehnt, der Entschädigung nach § 7 Abs. 1, 2. Halbs. / Abs. 3 StrEG den Charakter eines Schmerzensgeldes beizulegensB. Die Entschädigung für die Inhaftierung sei vielmehr eine Art AnerkenS3
BGHZ 20, 61, 69; 45, 58, 77; Ossenbühl, § 14.1, S. 116.
s4BM Engelhard, BT-Plenarprot. 11169, S. 4686.
sSSo noch § 7 Abs. 3 StrEG Ld.F. vom 8. März 1971, BGBl. 1, S. 157, 158. S6
§ 7 Abs. 3 StrEG Ld.F. der Änderung durch Gesetz vom 24. Mai 1988, BGBl. I,
S.638.
S7 Abg. Nickels, BT-Plenarprot. 11169, S. 4685; dies., BT-Rechtsausschuß, Prot. 11115 vom 20. Januar 1988, S. 33. Ebenso schon Baumann, in: FS für Heinitz, S. 704, 709.
S8 Abg. Dr. Stark, BT-Plenarprot. 11169, S. 4684; BM Engelhard, ebd. S. 4686. Zum alten Recht schon Abg. Kleinert, BT-Rechtsausschuß, Prot. 6/22 vom 15. Oktober 1970, S. 56 f.
4. Teil: Rechtsmacht des Beschuldigten, verzichten zu können
182
nungsbetrag, mit dem der Staat seinen Fehler zugebe und dem Bürger eine gewisse Genugtuung leistes9 • Das ist freilich keine bindende Interpretation, sondern nur die Äußerung gesetzgeberischer Motive. Und da sie verbunden war mit einem Hinweis auf die begrenzte Finanzkraft der Länder60 , die den weit überwiegenden Teil der Entschädigung zu zahlen haben, war vielleicht der finanzpolitische Wunsch der Vater des angeblich rechtsdogmatischen Gedankens. Letzterer aber wurde nicht einmal schlüssig vorgetragen. Denn wenn der Pauschale eine Genugtuungsfunktion zukommen soll, spricht das nicht gegen, sondern fiir die Parallele zum Schmerzensgeld61 . Daß die Strafverfolgungsorgane rechtmäßig gehandelt haben, schließt ebenfalls den Schmerzensgeldcharakter der Entschädigung nicht aus; denn auch in anderen Bereichen wird für rechtmäßiges Verhalten Schmerzensgeld gewährt, sofern dieses zu einem materiell rechtswidrigen Erfolg geführt hat62 . Aber selbst auf der Grundlage, daß § 7 Abs. 1, 2. Halbs. / Abs. 3 StrEG eine
Art Schmerzensgeld gewährt, ist nicht gesagt, daß der gewährte Anspruch Sub-
stitut der entzogenen Freiheit ist, geeignet und bestimmt, den Zustand vor Grundrechtsbeeinträchtigung wieder herzustellen. Seit einer Entscheidung des Bundesgerichtshofes63 aus dem Jahre 1955 ist überwiegend anerkannt, daß das Schmerzensgeld zwei Funktionen hat: In erster Linie soll es die Einbußen am Wohlbefinden ausgleichen; außerdem soll es, wie bereits gesehen, der Genugtuung des Verletzten dienen64 • Der BGH hat, indem er diese Faktoren herangezogen hat, um den immateriellen Ersatzanspruch zu bestimmen, deutlich 59
Abg. Dr. Stark, BT-Plenarprot. 11169, S. 4684.
Bericht der Abg. Dr. Stark und Dr. de With, BT-Drs. 11/1892, S. 4. Ebenso: Abg. Singer, BT-Plenarprot. 11169, S. 4684. 60
61 Denn auch beim Schmerzensgeld geht es u.a. darum, dem Verletzten Genugtuung zu verschaffen: BGHZ 18, 149, 154 ff.; 80, 384, 386. So geht BGH, NJW 1993,781, 782, davon aus, daß das Schmerzensgeld nicht auf eine symbolische Entschädigung reduziert werden darf. Aus der Literatur, statt aller weiteren Nachweise: Thomas, in: Palandt, § 847
Rn. 4.
62 Zum Beispiel wird Schmerzensgeld für Gefahrdungshaftungstatbestände in den §§ 33 Abs. 1,34 Abs. I Nr. 2 S. 2 BGSG sowie in § 53 Abs. 3 S. I LuftVG geleistet. Schon Brandis, S. 91, hat für die früheren Gesetze, die noch keine immaterielle Entschädigung vorsahen, auf diesen Aspekt hingewiesen und Schmerzensgeld für den unschuldigen Untersuchungshäftling gefordert. 63BGHZ 18, 149 ff. 64BGHZ 18, 149, 154 f.; zuletzt bestätigt durch BGHZ 120, 1,7 f. Zusammenfassend siehe Brox, SchuldR BT, § 41, Rn. 509, S. 392 f.
10. Kap.: Verzicht beim materiellen Anspruch
183
gemacht, daß immaterielle Schäden sich nicht in Geld "umrechnen" lassen. Naturalrestitution scheidet aus6S , weil die Verletzung unabänderlich geschehen ist. Der Verletzte erhält nicht sein Recht - hier seine Freiheit - zurück, sondern einen Ausgleich für die durch die Verletzung eingetretenen Unbillen, körperlicher oder seelischer Art66 • Das Schmerzensgeld macht also nicht den Rechtsverlust - hier den Verlust an Freiheit - wieder wett, sondern gleicht die mit der Verletzung einhergehenden immateriellen Folgeschäden aus. Somit mag es zwar ein Äquivalent für die erlittene Rechtsverletzung sein; es ist und bleibt aber nur ein aliud67 • Dies läßt sich auf den Anspruch nach § 7 Abs. 1, 2. Halbs. / Abs. 3 StrEG ohne weiteres übertragen. Auch er ist nur ein aliud für den Freiheitsverlust. Daran wird sich selbst dann nichts ändern, wenn der Gesetzgeber die Pauschale so wesentlich erhöht, daß dem Beschuldigten in der Tat ein wirkliches Schmerzensgeld gewährt würde. Nach alledem läßt sich feststellen, daß die Entschädigung nach dem StrEG kein Substitut für das Stück Freiheit ist, das die Strafverfolgung dem Beschuldigten entzogen hat. Deshalb kann der Verzicht auf die Entschädigung in keinem Fall dem Verzicht auf das betroffene Grundrecht gleichgeachtet werden. Die Unzulässigkeit des Verzichts auf Grundrechte bewirkt nicht, daß auch der Anspruch auf Strafverfolgungsentschädigung unverzichtlich wäre.
65
Brox, SchuldR BI, § 41, Rn. 508, S. 391.
66Brox, SchuldR BI, § 41, Rn. 508, S. 392; Schiemann, in: Erman, § 847 Rn. 7; Thomas, in: Palandt, § 847 Rn. 4, 8. 67 Ähnlich schon Brandis, S. 92: "Der Einwand, daß Rechtsgüter wie Ehre, Freiheit, Gesundheit durch Geld überhaupt nicht zu ersetzen seien, ist zwar im allgemeinen zutreffend; es darf aber auf die obengenannten Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches (sc. § 847 BGB) hingewiesen werden, welche von dem Gedanken getragen sind, daß eine billige Geldentschädigung wenigstens einigermaßen ein Äquivalent für die zugefügten Unbilden zu gewähren vermöchte."
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4. Teil: Rechtsmacht des Beschuldigten, verzichten zu können
11. Kapitel Möglichkeit des Verzichts beim materiellen Anspruch auf Strafverfolgungsentschädigung: Ausschluß des Verzichts im Hinblick auf Dritte, insbesondere den Unterhaltsberechtigten? Die Erörterung, ob der materielle Anspruch auf Strafverfolgungsentschädigung .einem Verzicht unterliege, hat sich bisher auf solche Gründe konzentriert, die in der Person des Beschuldigten relevant werden. Nunmehr ändert sich die Perspektive. Der Verzicht könnte nämlich die Interessen anderer Personen berühren, denen der Beschuldigte rechtlich verbunden ist. Damit wird ein Gedanke aufgegriffen, der seinen allgemeinen Ausdruck in § 46 Abs. 2 SGB I gefunden hat: Der Verzicht auf Sozialleistungen soll unwirksam sein, soweit durch ihn andere Personen oder Leistungsträger belastet werden. Aber auch das StrEG selbst nimmt Bedacht darauf, daß die Frage der Entschädigung noch andere als denjenigen betrifft, der die Strafverfolgung unmittelbar zu erleiden hatte: Nach § 11 StrEG haben außer dem Beschuldigten auch diejenigen, denen er kraft Gesetzes zum Unterhalt verpflichtet ist, Anspruch auf Entschädigung; und zwar insoweit, als ihnen durch die Strafverfolgungsmaßnahme der Unterhalt entzogen wurde.
A. Bedenken gegen eine Verallgemeinerung des § 46 Abs. 2 SGB I
In § 46 Abs. 2 SGB I hat der Gesetzgeber berücksichtigt, daß die in Deutschland gewährten Sozialleistungen vielf3.1tig untereinander "vernetzt" sind. Zum Gesamtsystem des sozialen Netzes gehören auch nichtstaatliche Leistungen, besonders der Unterhalt innerhalb der Familie, §§ 1360 - 1361, 1601 - 16150 BGB. In diesem Gefüge aufeinander abgestimmter Ansprüche kann jeder Verpflichtete annähernd verläßlich voraussehen, welche Belastungen jeweils auf ihn selbst zukommen. Stärker als gesetzlich vorgesehen soll niemand belastet werden68 • Dem Berechtigten bleibt es daher verwehrt, durch einseitige Erklärung selbst eine "Bedarfslücke" zu schaffen, die andere, eigentlich nur subsidiär Verpflichtete, ausgleichen müßten69 • Mit dieser Tendenz
68
Gitter, in: BochKomm, § 46 Rn. 5.
69 Kretschmer,
in: GK-SGB I, § 46 Rn. 19.
11. Kap. : Verzicht beim materiellen Anspruch - Unterhaltsberechtigter
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schützt § 46 Abs. 2 SGB I Unterhaltsverpflichtete, Unterhaltsberechtigte und Träger nachrangiger Sozialleistungen70 • Gilt die Vorschrift - analog - auch für die Strafverfolgungsentschädigung, käme es für den Verzicht jeweils darauf an, wie weit der Beschuldigte ihn zu Lasten solcher Betroffener vornimmt.
I. Unsicherheiten in der Anwendung des § 46 Abs. 2 SGB I In die allgemeinen Lehren zum Verzicht hat § 46 Abs. 2 SGB I bisher keinen Eingang gefunden71 • Das dürfte schon an der geringen Bedeutung liegen, die dem § 46 SGB I für die Praxis zukommt72 • Würde die Vorschrift wenigstens im Sozialrecht häufiger angewandt, hätte sich wohl auch herausgestellt, wie unbestimmt § 46 Abs. 2 SGB I gefaßt ist. Im weitesten Sinne kann die Voraussetzung, daß andere Personen oder Leistungsträger belastet werden, bei jedem Verzicht erfüllt sein. Denn überall, wo jemand eine rechtliche Position preisgibt, schmälert er die finanziellen Mittel, aus denen er anderen Unterhalt gewähren könnte, vergrößert er die Gefahr, seinerseits auf Unterhalt oder Sozialhilfe angewiesen zu sein. So gesehen, wäre ein wirksamer Verzicht kaum mehr möglich. Um dieser Konsequenz zu entgehen, verlangt die Literatur, die Belastung müsse unmittelbar aus dem Verzicht herrühren73 • Das verlagert jedoch die Probleme nur auf eine andere Ebene. Die Entscheidung, was den Unterhaltsverpflichteten, den Unterhaltsberechtigten, den. Träger der Sozialhilfe "unmittelbar" belastet, verlangt eine Bewertung der Kausalität, und dafür vermag die bisherige Anwendung des § 46 Abs. 2 SGB I noch keine verläßlichen Kriterien zu liefern. Angesichts solcher Unwägbarkeiten erscheint es riskant, die 70Gitter, in: BochKomm, § 46 Rn. 6, 7, 11; Kretschmer, in: GK-SGB I, § 46 Rn. 19 f.; Peters-Hommel, § 46 Anm. 7; Seewald, in: KassKomm, § 46 SGB I, Rn. 6; Thieme, in: Wannagat, AT § 46, Rn. 6. 71 Man scheint auf § 46 SGB I kaum aufmerksam geworden zu sein. Soweit ersichtlich, kommen nur Quaritsch, in: GS für Martens, S. 407, 412,413, sowie Schmalz, Rn. 598, S. 246, auf ihn zu sprechen.
72 Siehe
schon oben Kap. 6 / A III, S. 98 a.E.
73 Gitter, in: BochKomm, § 46 Rn. 5; Hauck, in: Hauck, SGB I, K § 46 Rn. 6b; Peters-Hommel, § 46 Anm. 7; Seewald, in: KassKomm, § 46 SGB I, Rn. 6; Thieme, in: Wannagat, AT § 46, Rn. 6. Das geht zurück auf die Amtliche Begründung zum Entwurf des SGB I, BT-Drs. 7/868, S. 19,31.
186
4. Teil: Rechtsmacht des Beschuldigten, verzichten zu können
Vorschrift zu verallgemeinern oder durch Analogie auf weitere Fälle zu erstrecken74.
11. Unterschiede zwischen Sozialleistungen und Strafverfolgungsentschädigung
Im übrigen fehlt es an der Vergleichbarkeit der Sachverhalte, die dem Anspruch auf Sozialleistungen einerseits, auf Strafverfolgungsentschädigung andererseits zugrunde liegen. Wenigstens drei Unterschiede fallen insoweit auf.
I. Vertrauensaspekt Daß Ansprüche auf Sozialleistungen erworben werden bzw. sogar ohne Vorleistung bereitstehen, begünstigt der Sozialstaat auf vielfli.1tige Weise. Die Mitgliedschaft in der Sozialversicherung wird regelmäßig über einen Beitrittszwang begründet; andere Ansprüche, etwa auf Sozialhilfe, stehen jedem Bedürftigen ohne weiteres zu. So dicht, wie das soziale Netz geknüpft ist, darf jedermann darauf vertrauen, daß auch der jeweils andere über eine gewisse Absicherung verfügt. Hätte der Berechtigte es in der Hand, durch Verzicht auf Sozialleistungen Ansprüche wieder aufleben zu lassen, die eigentlich "gedeckt" sein sollen, würde dem allgemeinen Vertrauen auf das soziale Netz die Grundlage entzogen. So gesehen, sichert § 46 Abs. 2 SGB I Erwartungshaltungen ab, die der Sozialstaat durch seine zahlreichen Leistungen begründet und die ihrerseits ebenfalls ein Stück sozialer Sicherheit darstellen. Demgegenüber wird der Anspruch auf Strafverfolgungsentschädigung ganz und gar ungewollt, nämlich durch Sonderopfer begründet. Für niemanden steht konkret zu erwarten, daß gerade er von unberechtigter Strafverfolgung betroffen werden könnte. Somit haben weder der Unterhaltsverpflichtete, der Unterhaltsberechtigte noch irgend ein Träger von Sozialleistungen Anlaß, ein diesbezügliches Vertrauen zu bilden. 74 Skeptisch
insoweit auch Thieme, in: Wannagat, AT § 46, Rn. 1,8.
11. Kap.: Verzicht beim materiellen Anspruch - Unterhaltsberechtigter
187
2. Zeitliche Richtung Während die Strafverfolgungsentschädigung eine in der Vergangenheit liegende Einbuße kompensiert, decken Sozialleistungen einen gegenwärtigen oder künftigen Bedarf. Deshalb bezieht es sich auf Gegenwart und Zukunft, wenn § 46 Abs. 2 SGB I verlangt, andere Personen oder Leistungsträger dürften durch den Verzicht nicht belastet werden. Vorgänge der Vergangenheit sind abgeschlossen; eine rückwirkende Belastung läßt sich insoweit gar nicht konstruieren. Insbesondere erstrecken sich weder der Unterhalt noch die Sozialhilfe in die Vergangenheit. Für den Unterhalt folgt das aus § 1613 BGB, für die Sozialhilfe aus dem anerkannten Grundsatz7S , daß eine vergangene Notlage nicht durch eine Leistung der Gegenwa...-t überwunden werden kann.
3. Persönliche Verbundenheit Strafverfolgungsentschädigung erwächst aus einem persönlichen "Schicksal". Das nötigt zu einem höheren Maß an Respekt davor, was der Betroffene mit seinem Anspruch unternimmt. Der edelmütige Verzicht mag heutzutage die Sache verstiegener Gerechtigkeitsapostel sein76 • Gleichwohl muß es dem Staat verwehrt bleiben, das demonstrative Desinteresse, für erlittenes Unrecht "etliche Taler Geld"77 geboten zu erhalten, etwa zu ignorieren oder zu unterdrücken. Ihm, dessen Verfassung von der Idee gegen- und allseitiger Toleranz geprägt ist'8, steht es vielmehr an, einer solchen Haltung jedenfalls Raum zu lassen. Eine unwürdige Mißachtung des Verzichtenden und seiner Gefühle läge etwa darin, ihm die Sozialhilfe mit dem Argument versagen zu wollen, er habe sich die Strafverfolgungsentschädigung entgehen lassen; sein Verzicht belaste den Träger der Sozialhilfe, weil der Entschädigungsbetrag anderenfalls als ein7SBVerwGE 60,237,238; BVerwG, FEVS 32, 221,224; dass., FEVS 33, 133, 137; Gottschick-Giese, § 5 Rn. 4.1; Knopp, in: KnopplFichtnerlWienand, § 6 Rn. 6; Schulterrrenk=Hinterberger, S. 127. 76 Oben Kap. 3 / A, S. 58. 77Vollert, 11. DIT (1873), Bd. I, S. 95, 101. "Schnapp, JZ 1985, 857, 860 - 862.
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4. Teil: Rechtsrnacht des Beschuldigten, verzichten zu können
zusetzendes Vermögen, § 88 BSHG, verfügbar wäre 79 • Zwar mag es dem Träger der Sozialhilfe, also der Stadt oder dem Landkreis80 , ungelegen kommen, anstelle der Landeskasse 81 zahlen zu müssen, was dem Konflikt zwischen zwei Trägem von Sozialleistungen, § 46 Abs. 2, 2. Fall SGB I, durchaus gleicht. Aber es ginge schlicht zu weit, denjenigen, der zunächst schon unberechtigter Strafverfolgung ausgesetzt war, anschließend noch für einen Zuständigkeitsstreit zwischen zwei öffentlichen Kassen zu instrumentalisieren. Hier muß die Sozialhilfe ihrer Funktion als Auffangleistung gerecht werden. Sie würde ihr Ziel, dem Empfanger ein Leben in Menschenwürde ermöglichen82 , verfehlen, wollte sie es mit dem Mittel des § 46 Abs. 2 SGB I verfolgen!3. Damit ist zugleich bereits die Lösung jener Fälle vorgezeichnet, bei denen der Verzicht den (ehemals) Beschuldigten in die Lage brächte, auf familiären Unterhalt angewiesen zu sein. Gemäß § 1601 Abs. 1 BGB besteht eine Unterhaltspflicht nur insoweit, wie der Berechtigte außerstande ist, sich selbst zu unterhalten; dabei wird diesem zugemutet, zunächst sein vorhandenes Vermögen zu verwerten und bestehende Forderungen einzuziehen84 • Weil der Verzichtende es unterläßt bzw. sogar gezielt vereitelt, den Anspruch auf Strafverfol79 Grundsätzlich kann der Empfänger von Strafverfolgungsentschädigung nicht erwarten, daß diese fiir die Berechnung der Sozialhilfe außer Ansatz bleibe.
Die Strafverfolgungsentschädigung ist "verwertbares Vermögen" LS.v. § 88 Abs. I BSHG. Als verwertbar gelten nämlich alle Vermögensteile, die keinem Pfändungsverbot unterliegen: Schulteffrenk=Hinterberger, S. 225; Wienand, in: KnopplFichtner/Wienand, § 88 Rn. 3. Strafverfolgungsentschädigung zu pfänden, ist aber nur so lange verboten, wie das Betragsverfahren noch nicht rechtskräftig abgeschlossen ist, § 13 Abs. 2 StrEG LV.m. § 851 Abs. 1 ZPO. Auch in der Aufzählung des sog. Schonvermögens, § 88 Abs. 2 BSHG, kommt die Strafverfolgungsentschädigung nicht vor. 80
81
§§ 96 - 99 BSHG. § 15 Abs. 1 StrEG.
82§ 9 SGB I, § 1 Abs. 2 S. 1 BSHG.
Die Achtung vor der Würde des Menschen verbietet es bekanntlich, ihn zum bloßen Objekt staatlichen Handelns zu machen: BVerfGE 27, 1, 6; 45, 187, 228; 50, 166,175;72,105,106. 83
Ein geeigneter dogmatischer Ansatz, den Konflikt zwischen Strafverfolgungsentschädigung und Sozialhilfe sachgerecht zu lösen, eröffnet sich nunmehr durch BVerwGE 98, 256, 258. Danach bedeutet es grundsätzlich eine Härte LS.v. § 88 Abs. 3 BSHG, empfangenes Schmerzensgeld für die Bemessung der Sozialhilfe einsetzen zu sollen. Diese Wertung dürfte auf die Strafverfolgungsentschädigung übertragbar sein. 84Kappe, in: v. Staudinger, 12. Aufl., § 1602 Rn. 123; Köhler, in: MK, § 1602 Rn. 7. Kappe, a.a.O., Rn. 124, zählt ausdrücklich auch Schadensersatz- und Schmer-
zensgeldansprüche zu den Forderungen, die einzuziehen und zu verwerten sind.
11. Kap.: Verzicht beim materiellen Anspruch - Unterhaltsberechtigter
189
gungsentschädigung zu realisieren, steht ihm kein Unterhalt zu. Damit ist er wiederum auf Sozialhilfe angewiesen, weshalb im Ergebnis der gleiche Konflikt besteht wie dort, wo er unmittelbar die Sozialhilfe in Anspruch nimmt. Wie gezeigt, kann dieser Konflikt über § 46 SGB I nicht angemessen gelöst werden. Übrig bleibt der Fall, daß jemand belastet wird, dem der Verzichtende seinerseits Unterhalt schuldet. Doch wäre es auch insoweit verfehlt, § 46 Abs. 2 SGB I in das Recht der Strafverfolgungsentschädigung übertragen zu wollen. Für den Unterhaltsberechtigten stellt § 11 StrEG eine Sonderregelung bereit, die diesem einen eigenen Ersatzanspruch zubilligt. Die in § 46 Abs. 2 SGB I vorausgesetzte Belastung könnte also nur darin bestehen, daß mit dem Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung zugleich der Ersatzanspruch des Unterhaltsberechtigten entfiele. Das wiederum ist kein Thema, für das man auf § 46 Abs. 2 SGB I zurückgreifen müßte, sondern es fallt unmittelbar unter § 11 StrEG. Zur analogen Anwendung des § 46 Abs. 2 SGB I fehlt die Regelungslücke.
B. Prüfungsansatz für § 11 StrEG Der Ersatzanspruch des Unterhaltsberechtigten, § 11 StrEG, hängt unmittelbar vom Entschädigungsgrundanspruch des Beschuldigten ab. Er teilt dessen Schicksal sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach, wenn es darum geht, ob die Entschädigung ausgeschlossen ist, § 5 StrEG, ob sie gemäß § 6 StrEG ganz oder teilweise versagt wird oder ob sie sich, über §§ 3, 4 StrEG, je nach der Billigkeit bemißt85 • Wegen dieser Akzessorietät erscheint es in der Tat möglich, daß der Verzicht des Beschuldigten den Anspruch des Unterhaltsberechtigten mit ergreift. Entfällt der Anspruch des Unterhaltsberechtigten, ist zu überlegen, ob nicht hierin ein Hindernis gegen den Verzicht gesehen werden muß. Die Untersuchung hierüber soll in folgende gedankliche Schritte gegliedert werden: - Verschafft § 11 StrEG dem Unterhaltsberechtigten einen eigenen Anspruch? - Bewirkt der Verzicht des Beschuldigten, daß der in § 11 StrEG gewährte Anspruch vereitelt wird ? 8SLG Flensburg, JurBüro 1981, 1045, 1056; D. Meyer, § 11 Rn. 13; Schätzler, § 11
Rn. 3.
190
4. Teil: Rechtsmacht des Beschuldigten, verzichten zu können
- Steht diese Wirkung, falls und soweit sie eintritt, in einem Widerspruch zu grundsätzlichen Wertungen des StrEG ?
C. Der Ersatzanspruch nach § 11 StrEG als eigener Anspruch des Unterhaltsberechtigten Ob der Unterhaltsberechtigte in § 11 StrEG einen eigenen Anspruch erhält, bedarf deswegen der Untersuchung, weil ohne einen solchen Anspruch zweifelhaft würde, inwieweit der Unterhaltsberechtigte überhaupt eine eigene Rechtsposition innehat, die demgemäß auch schutzwürdig wäre. Denn wenn der Beschuldigte durch seinen Verzicht einen fremden Anspruch preisgibt, bestehen sicher größere Vorbehalte gegen die Möglichkeit des Verzichts, als wenn die dem Unterhaltsberechtigten gewährte Entschädigung lediglich Annex zur Entschädigung des Beschuldigten ist. Der äußere Anschein spricht zunächst für einen eigenen Anspruch. Verschiedene Äußerungen in der Literatur, ebenso die Ausführungsvorschriften zum StrEG, geben jedoch Anlaß, dies genauer zu klären. So ist in den Ausführungsvorschriften von einer "Gesamtentschädigung" die Rede 86 , was den Eindruck erweckt, der Ersatzanspruch sei lediglich ein Schadensposten innerhalb der Entschädigungssumme des Beschuldigten. Auch nach Schätzler soll der Ersatzanspruch in der Regel nur ein Teil des Entschädigungsanspruchs sein, den sowohl der Beschuldigte als auch der Unterhaltsberechtigte geltend machen könnten87 • Wäre der Ersatzanspruch ein reiner Schadensposten innerhalb der Entschädigungssumme des Beschuldigten, könnte der Unterhaltsberechtigte sich wegen seines entgangenen Unterhalts wohl nur an den Beschuldigten, nicht aber an den Staat wenden. Dann hätte der Unterhaltsberechtigte keinen selbständigen Anspruch gegen die Staatskasse. Gegen die Annahme, der Ersatzanspruch sei nur ein Schadensposten innerhalb einer Gesamtentschädigungssumme, bestehen jedoch Bedenken. Die Ausführungsvorschriften zum StrEG lassen an anderen Stellen keinen Zweifel daran, daß letztlich dem Unterhaltsberechtigten der Ersatzanspruch nach § 11 StrEG zustehen soll. Das zeigen die Regeln darüber, in welcher Art und Weise 86 Ausfiihrungsvorschriften zum StrEG, Teil I B II 3 b. Soweit die Ausfiihrungsvorschriften zum StrEG in allen Ländern übereinstimmen, ist dieser Teil der Ausfiihrungsvorschriften bei Kleinknecht-Meyer-Meyer=Goßner, A 15, RiStBV, Anlage C, S. 1781 - 1785, abgedruckt. 87 Schätzler, § 11 Rn. 4.
11. Kap.: Verzicht beim materiellen Anspruch - Unterhaltsberechtigter
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zu verfahren ist, falls sich der Beschuldigte und der Unterhaltsberechtigte nicht ohne weiteres über die Aufteilung der Gesamtentschädigungssumme einigen können88 • In diesem Fall kann auch nach Schätzler die Staatskasse nicht mehr nach Belieben an den Beschuldigten oder den Unterhaltsberechtigten leisten. Nach Sinn und Zweck des Gesetzes sei sie vielmehr gehalten, den Anspruch des Unterhaltsberechtigten gesondert zu erfüllen89 • Der Wortlaut des § 11 StrEG, wonach "außer demjenigen, zu dessen Gunsten die Entschädigungspflicht der Staatskasse ausgesprochen ist, ... die Personen, denen er kraft Gesetzes unterhaltspflichtig war, Anspruch auf Entschädigung" haben90 , spricht ebenfalls für einen selbständigen Anspruch des Unterhaltsberechtigten. Außerdem räumt § 11 Abs. 2 StrEG dem Unterhaltsberechtigten ein eigenes Antragsrecht ein. Für den selbständigen Anspruch läßt sich weiterhin die Systematik des Gesetzes anführen: Wäre ein selbständiger Anspruch nicht gewollt gewesen, hätte es nahegelegen, die Regelung des § 11 StrEG in jene über den Umfang des Anspruchs, also in § 7 StrEG, zu integrieren. Ein entscheidendes Argument läßt sich schließlich aus der ratio legis herleiten: Ist der Beschuldigte durch die Strafverfolgungsmaßnahme außerstande, seinen Unterhaltsverpflichtungen nachzukommen, hat der Unterhaltsberechtigte hinterher keine Möglichkeit mehr, vom Beschuldigten Unterhalt zu verlangen, wenn jener ihm den Unterhalt nicht freiwillig leistet. Denn wie sich aus § 1613 BGB ergibt, kann für die Vergangenheit in der Regel kein Unterhalt mehr gefordert werden91 . Damit ist der Beschuldigte von seinen Unterhaltsverpflichtungen befreit. Folglich hat er, was diese Verpflichtungen angeht, durch die Strafverfolgungsmaßnahme .keinen Schaden erlitten, den er liquidieren könnte 92 . Der Schaden liegt vielmehr beim Unterhaltsberechtigten selbst, und gerade deswegen will § 11 StrEG diesen schadlos stellen. Ein eigenständiger Ersatzanspruch des Unterhaltsberechtigten ist deshalb zu bejahen93 . Ausführungsvorschriften zum StrEG (Fn. 86), Teil I B 11 3 b/c. Schätz1er, § 11 Rn. 4. 90 Hervorhebung von der Verf.
88
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91 Auf den Zusammenhang zwischen § 11 StrEG und § 1613 BGB weist auch Schätzler, § 11 Rn. 1, hin. Ferner siehe die Begründung der Bundesregierung zum Entwurf des StrEG, BT-Drs. 6/460, S.9: "Entzogen ist der Unterhalt, wenn ... und der Berechtigte ihn auch nicht nachträglich beanspruchen könnte". Zum alten Recht vgl. Brandis, S. 97; Burlage, § 3 UHaftEntschG, Anm. 24, S. 76. 92 Brandis, S. 98. 930LG Karlsruhe, Justiz(BW) 1976, 367; OLG München, NJW 1973, 721; Klein-
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4. Teil: Rechtsmacht des Beschuldigten, verzichten zu können
D. Folgen eines vom Beschuldigten erklärten Verzichts für den Ersatzanspruch des Unterhaltsberechtigten
Der Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung, den der (ehemals) Beschuldigte vornimmt, kann den Ersatzanspruch des Unterhaltsberechtigten nur dann vereiteln, wenn er überhaupt irgendwelche Wirkungen auf die Rechtsposition des Unterhaltsberechtigten äußert. Das muß für die verschiedenen Stadien des Verfahrens getrennt untersucht werden.
I. Folgen des Verzichts, falls bereits eine Grundentscheidung ergangen ist
Verzichtet der Beschuldigte erst im Betragsverfahren, ist die Entschädigungspflicht der Staatskasse bereits festgestellt worden, sei es im Verfahren nach § 8 Abs. 1 StrEG oder aber im Verfahren nach § 9 Abs. 1 StrEG. Dadurch, daß die Grundentscheidung vorliegt, hat nicht nur der (ehemals) Beschuldigte einen vermögenswerten Anspruch erworben, sondern zugleich, über § 11 StrEG, auch der Unterhaltsberechtigte. § 11 Abs. 2 StrEG i.V.m. § 10 Abs. 1 StrEG gibt dem Unterhaltsberechtigten ein eigenes Recht, die Höhe dieses ihm selbst zustehenden Ersatzanspruchs festsetzen zu lassen. Das bedeutet, daß der Anspruch in diesem Stadium vollständig aus der ursprünglichen Akzessorietät zum Anspruch des Beschuldigten gelöst ist. Geht der Anspruch des Beschuldigten jetzt noch durch Verzicht unter, berührt das den Anspruch des Unterhaltsberechtigten nicht mehr. Hat aber der Verzicht, den der (ehemals) Beschuldigte nach Erlaß der Grundentscheidung erklärt, auf den Ersatzanspruch des Unterhaltsberechtigten keinerlei Wirkung, wird die Annahme, der Verzicht könne diesen Anspruch womöglich vereiteln, insoweit hinfällig. Umgekehrt bedeutet dies, daß § 11 StrEG für einen derartigen Verzicht kein Hindernis darstellt.
knecht-Meyer-Meyer=Goßner, § 11 StrEG, Rn. 1; D. Meyer, § 11 Rn. 1; K. Peters, Fehlerquellen, Bd. III, § 32 11 7, S. 189; Schätzler, § 11 Rn. 1; Schmehl, in: KKOWiG, § 110 Rn. 38. Zum alten Recht siehe Burlage, § 3 UHaftEntschG, Anm. 21, S. 75 f.; Kähler, § 4, S. 36.
11. Kap.: Verzicht beim materiellen Anspruch - Unterhaltsberechtigter
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11. Folgen des Verzichts, falls noch keine Grundentscheidung ergangen ist und das Strafverfahren vor dem Gericht abgeschlossen wird Bei einem Verzicht, den der Beschuldigte erklärt, bevor die Grundentscheidung ergangen ist, liegen die Dinge möglicherweise anders. Denn es ist äußerst zweifelhaft, ob der eigene Anspruch des Unterhaltsberechtigten bereits vor der Grundentscheidung als solcher besteht. In diesem Fall wäre dem Unterhaltsberechtigten aber eventuell schon dadurch geholfen, daß die Grundentscheidung trotz des Verzichts noch ergeht; denn sobald sie erginge, wäre noch nachträglich ein denkbarer Rechtsgrund für den eigenen Anspruch des Unterhaltsberechtigten gelegt.
1. Grundentscheidung als Tatbestandsvoraussetzung des Anspruchs aus § 11 StrEG Ebenso wie der Entschädigungsanspruch des Beschuldigten setzt auch der Anspruch des Unterhaltsberechtigten voraus, daß eine Grundentscheidung vorliegt. Das ergibt sich ohne weiteres aus dem Wortlaut des § 11 StrEG: Der Unterhaltsberechtigte erhält seinen eigenen Anspruch "außer demjenigen, zu dessen Gunsten die Entschädigungspflicht der Staatskasse ausgesprochen ist"94. Ist aber die Grundentscheidung eine unabdingbare Tatbestandsvoraussetzung für den Anspruch des Unterhaltsberechtigten, besteht dessen Anspruch noch nicht, solange die Grundentscheidung nicht gefallt wurde. Demnach könnte der Verzicht des Beschuldigten den Anspruch des Unterhaltsberechtigten vereiteln, sofern dieser Verzicht zur Folge hat, daß nicht einmal mehr eine Grundentscheidung ergeht.
2. Stand der Meinungen zur Frage, ob nach einem Verzicht eine Grundentscheidung zu treffen ist Schließt das Gericht das Verfahren ab, sieht § 8 Abs. 1 StrEG vor, daß es im Urteil bzw. im Beschluß über die Entschädigungspflicht der Staatskasse 94
Hervorhebung von der Verf.
13 Friehe
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4. Teil: Rechtsmacht des Beschuldigten, verzichten zu können
entscheide. Ob zu entschädigen ist oder nicht, wird also von Amts wegen geklärt95 , ohne daß es eines Antrags bedürfte. Andererseits ist § 8 Abs. 1 StrEG nicht so streng formuliert, daß der Urteils- oder Beschlußtenor stets eine Regelung der Entschädigungsfrage enthalten müßte. Ist das Gericht nur unter bestimmten Voraussetzungen verpflichtet, eine Grundentscheidung auszusprechen, bietet sich Raum für das Argument, bei einem Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung sei die Grundentscheidung entbehrlich96 • Diejenigen, die das annehmen, sehen weder auf seiten des Gerichts97 noch des Beschuldigten die Verpflichtung, die Interessen des Unterhaltsberechtigten zu wahren. Der Beschuldigte, so führen sie an, könne auch auf andere Weise dem Ersatzanspruch des Unterhaltsberechtigten die Grundlage entziehen, ohne auf dessen Belange Rücksicht nehmen zu müssen. Beispielsweise könne er eine Grundentscheidung, die die Entschädigungspflicht verneine, unangefochten und durch Fristablauf rechtskräftig werden lassen98 • Die Gegenposition wurde früher z.B. von Brandis99 , zum geltenden Recht wird sie vom OLG MÜDchen loo und vom zweiten Senat des OLG Karlsruhe lol vertreten: Es gehe nicht an, daß der Beschuldigte mit seinem Verzicht dem Ersatzanspruch von vornherein die Grundlage entziehe. Daher könne der Beschuldigte das Gericht nicht von dessen Verpflichtung entbinden, eine Grundentscheidung zu treffen. Außerdem werde im Grundverfahren noch gar nicht geprüft, inwieweit die Ansprüche Aussicht auf Erfolg hätten. Daneben gibt es eine mittlere Position, vertreten vom OLG Stuttgart sowie im StrEG-Kommentar von Meyer: Eine Grundentscheidung soll nur dann ent95
D. Meyer, § 8 Rn. 4; Schätzler, § 8 Rn. 8.
96 Die Ansicht, nach einem Verzicht könne von einer Grundentscheidung abgesehen werden, vertreten: Hentschel, Rn. 398, S. 208 f.; Herrmann, in: RebmannlRothIHerrmann, § 110 Rn. 16; Schätzler, § 8 Rn. 7; Schmehl, in: KK-OWiG, § 110 Rn. 38. Ferner siehe Kleinknecht, 35. Aufl., § 8 StrEG, Rn. 5; bei Kleinknecht-MeyerMeyer=Goßner, § 8 StrEG, Rn. 3, inzwischen wohl aufgegeben.
Die Ansicht, trotz des Verzichts müsse eine Grundentscheidung getroffen werden, vertreten: BGH, MDR 1990, 168; KG, VRS 72 (1987), 380, 382; OLG München, NJW 1973,721; OLG Karlsruhe, 2. Senat, Justiz(BW) 1976,367; Händel, Blutalkohol 1975, 238, 239; Seebode, NStZ 1982, 144, 146. Zum alten Recht siehe Brandis, S. 104. 97 Schätzler, § 8 Rn. 11. 98 So Händel, VOR 1973, 243, 257. Er hat diese Meinung in Blutalkohol 1975, 238, 239, aufgegeben.
99 100
Brandis, S. 104. OLG München, NJW 1973, 721.
OLG Karlsruhe, 2. Senat, Justiz(BW) 1976, 367. Offengelassen dagegen von OLG Karlsruhe, 1. Senat, Justiz(BW) 1981, 450, 451. 101
11. Kap.: Verzicht beim materiellen Anspruch - Unterhaltsberechtigter
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behrlich sein, wenn entweder der Beschuldigte für sich und seine Unterhaltsberechtigten wirksam verzichtet habe oder wenn Unterhaltsberechtigte nicht vorhanden seien 102 • Diese Argumentation hat den Vorteil, daß sie weder dem Unterhaltsberechtigten den Ersatzanspruch abschneidet, noch den Strafgerichten "unnütze" Arbeit aufbürdet. Freilich setzt auch sie voraus, daß das Strafgericht nach einem Verzicht in der Regel von einer Grundentscheidung absehen dürfe, und das ist gerade zweifelhaft.
3. Maßgeblicher Gesichtspunkt: "Anlaß" für eine Grundentscheidung Zutreffend zu beantworten ist die Frage, ob sich die Grundentscheidung nach einem Verzicht erübrigt, nur im Rahmen einer allgemeinen Prüfung, wann das Strafgericht verpflichtet ist, über die Entschädigung eine förmliche Entscheidung zu treffen. Den Ausgangspunkt bildet die allseits akzeptierte Meinung, daß nicht jede verfahrensabschließende Entscheidung einen Ausspruch zur Entschädigungspflicht enthalten muß. Die ausdrückliche Feststellung, daß der Angeschuldigte/Angeklagte zu entschädigen sei, ist vielmehr nur dort erforderlich, wo ein "Anlaß" dafür besteht 103 • Demnach gilt es zu untersuchen, ob ein Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung geeignet sein kann, den "Anlaß" für eine Grundentscheidung zu beseitigen.
a) "Anlaß" zur Grundentscheidung Anwendung dieses Kriteriums im allgemeinen Das Erfordernis des "Anlasses" soll sicherstellen, daß der Ausspruch über die Entschädigungspflicht nicht auch in solchen Fällen erfolgt, in denen er fehl am Platze wäre. So wäre es sinnlos, in der verfahrensabschließenden Entscheidung eine Entschädigung anzukündigen, wenn überhaupt keine entschädigungsfahige Strafverfolgungsmaßnahme vorausgegangen ist 104 . Handelt es sich um eine vorläufige Strafverfolgungsmaßnahme i.S.d. § 2 StrEG, besteht sogar 1020LG Stuttgart, MDR 1992, 897, 898; D. Meyer, § 8 Rn. 8 - 8b; ders., JurBüro 1990,423 f. 103D. Meyer, § 8 Rn. 6; Schätz1er, § 8 Rn. 9. 104 D. Meyer, § 8 Rn. 6; Schätz1er, § 8 Rn. 9. 13*
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4. Teil: Rechtsmacht des Beschuldigten, verzichten zu können
nur dann Anlaß, eine Grundentscheidung zu treffen, wenn die Maßnahme nicht bloß verhängt, sondern auch vollzogen wurdelos. Im Gegensatz zur Entschädigung für Urteilsfolgen löst die Anordnung einer vorläufigen Maßnahme nämlich noch keine Entschädigungspflicht aus 106 • Man könnte danach den Eindruck haben, als sei die Grundentscheidung entbehrlich, sobald eine Entschädigung offensichtlich nicht in Frage komme. Das wäre indessen zu einfach gedacht, wie an der folgenden Überlegung deutlich wird: Eine Entschädigung scheidet offensichtlich auch dann aus, wenn die Strafverfolgungsmaßnahme überhaupt keinen Schaden ausgelöst hat. Gleichwohl ist anerkannt, daß das Gericht in diesen Fällen eine Grundentscheidung treffen muß 107 • Denn im Grundverfahren wird noch gar nicht geprüft, inwieweit ein Schaden entstanden ist oder nichtl°8 • Vielmehr geht es hier nur um die haftungsbegründende Kausalität und damit die Frage, ob die Maßnahme überhaupt geeignet war, den eingetretenen Schaden auszulösen. Ob sie den Schaden auch tatsächlich verursacht hat1D9 , wird erst im Betragsverfahren bedeutsam. In dieser Hinsicht unterscheidet sich die Grundentscheidung vom Grundurteil des Zivilprozesses l1o . Aus der Tatsache, daß es die Zweiteilung zwischen Grund- und Betragsverfahren gibt, muß sogar gefolgert werden, daß der "Anlaß" für die Grundentscheidung nicht aus beliebigen Gründen verneint werden kann. Vor allem darf die Prüfung des Anlasses nicht vonvegnehmen, was erst im Betragsverfahren zur Entscheidung ansteht111 • Versucht man nun, die Grenze zwischen den beiden Prüfungsstadien herauszufinden, kommt dem Umstand, daß das Grundverfahren Teil des Strafprozesses ist, besondere Bedeutung zu. Im Strafverfahren soll ein Lebenssachverhalt straftechtlich gewürdigt werden. Deshalb darf es auch bei der Grundentscheidung nur um die straftechtlichen Umstände des lOS
Kleinknecht-Meyer-Meyer=Goßner, § 8 StrEG, Rn. 3; D. Meyer, § 8 Rn. 6.
I06BGH, MDR 1979, 562; OLG Hamburg, MDR 1982, 519. 10'BGHZ 63, 209, 211; OLG Düsse1dorf, NStZ-RR 1996, 287; LG F1ensburg, JurBüro 1983, 1851 f.; Kleinknecht-Meyer-Meyer=Goßner, § 8 StrEG, Rn. 1; Schmehl, in: KK-OWiG, § 110 Rn. 36. Für das Kosten- und Auslagenrecht auch D. Meyer, JurBüro 1990,9, 10, der ausdrücklich die Parallele zum Entschädigungsrecht zieht. 108 BGH, NJW 1975, 350; OLG Düsse1dorf, NStZ-RR 1996, 287; LG F1ensburg, JurBüro 1983, 1851 f.; LG Krefe1d, JurBüro 1972, 173; Göttlich-Mümm1er, Strafentschädigungsgesetz, S. 1320; D. Meyer, Vorbem. vor §§ 8 und 9, Rn. 9; ders., JurBüro 1990,9,10; Schätz1er, § 8 Rn. 3; Schmeh1, in: KK-OWiG, § 110 Rn. 36. I090LG Düsse1dorf, MDR 1987, 80, 81; dass., NStZ-RR 1996, 287. l1°D. Meyer, Vorbem. vor §§ 8 und 9, Rn. 9; Schätz1er, § 8 Rn. 3. 111
Ganz deutlich: OLG Düsse1dorf, NStZ-RR 1996,287.
11. Kap. : Verzicht beim materiellen Anspruch - Unterhaltsberechtigter
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Falles gehen, die für den Anspruchsgrund von Bedeutung sindll2 • Dies hat schon Brandis zum UHaftEntschG besonders deutlich herausgearbeitet l13 : "Die Festsetzung des Betrages jenes Anspruchs hätte gegebenenfalls der Vornahme von Erhebungen bedurft, die noch weniger als die Erörterungen über den Grund desselben in den Rahmen des Strafverfahrens als solches hineingepaßt hätten; denn während die Erhebungen über den Grund mit den zur Hauptsache notwendigen Erörterungen wenigstens zum Teil in einem äußeren kriminalistischen Zusammenhang standen, insofern sie sich auf Fragen bezogen, deren Beurteilung lediglich dem Strafrichter überlassen werden kann, besteht bezüglich der rein civilistischen Feststellung der Höhe des Betrages ein solcher Zusammenhang in keiner Weise."
Überträgt man diese Abgrenzung in das heutige Recht, erstreckt und beschränkt sich die Prüfung, ob "Anlaß" für eine Grundentscheidung besteht, auf die Subsumtion unter die §§ 1 - 6 StrEG. Das Strafgericht hat also zu untersuchen, ob eine entschädigungsfähige Strafverfolgungsmaßnahme vorgelegen hat, bei § 2 StrEG außerdem, ob die Maßnahme vollzogen wurde. Geht es um die Anwendung der §§ 3,4 StrEG, muß das Strafgericht der Frage nachgehen, ob eine Entschädigung nach den Umständen des Falles der Billigkeit entspricht. Und es ist abschließend immer zu prüfen, ob einer der Ausschlußoder VersagUngsgründe aus §§ 5, 6 StrEG vorliegt. Bei allen diesen Fällen sind rein tatsächliche Vorgänge bzw. Verhaltensweisen des Beschuldigten zu würdigen114. Dem Betragsverfahren, das nicht mehr zum Strafprozeß gehört, sondern ein eigenes Verwaltungsverfahren ise ls , bleiben jene Prüfungen vorbehalten, die Brandis als die "rein civilistischen" bezeichnet hat. Natürlich ist der Begriff "civilistisch" nicht mehr zeitgemäß, weil der Anspruch auf Strafverfolgungsentschädigung sich aus dem öffentlich-rechtlichen Gesichtspunkt der Aufopferung ergibt l16 . Dennoch ist klar, was Brandis meinte: Im Betragsverfahren muß sich zeigen, ob hinter der (abstrakten) Feststellung, daß der Angeschuldigte/ Angeklagte zu entschädigen seili', ein verwertbarer Anspntch stehe l8 . Mangelt I\2BGHZ 63, 209, 211; OLG Düsseldorf, NStZ-RR 1996, 287 f. I\J
Brandis, S. 127 f.
Dafür gibt auch die Begründung der Bundesregierung zu § 6 des StrEG-Entwurfs, BT-Drs. 6/460, S.8, einen klaren Anhaltspunkt: Das Gericht soll zur Grundentscheidung verpflichtet sein, "sofern sich im Verfahren ein entschädigungsfähiger Tatbestand ergeben hat" (Hervorhebung von der Verf.). 114
115BGHZ 66,122,124; BGH, MDR 1993, 696 f.; D. Meyer, Vorbem. vor §§ 10 - 13,
Rn. 1 - 3.; Schätzler, § 10 Rn. 1. 116
Oben Kap. 81 BIll F, S. 120, 122 f., 151 f.
117
Ein Beispiel zur Tenorierung siehe bei Birmanns/Solbach, S. 13.
1II0LG Düsse1dorf, NStZ-RR 1996, 287.
198
4. Teil: Rechtsmacht des Beschuldigten, verzichten zu können
es an einem Schaden, § 7 StrEG, wurde der Anspruch gar nicht erst begründet; ist die Frist des § 12 StrEG versäwnt, steht ihm eine Einrede entgegen. Aber natürlich sind auch andere Gründe denkbar, warum der Anspruch nicht entstanden, vielleicht schon untergegangen oder aber einredebehaftet sei. Entscheidend ist, daß es sich wn Faktoren handelt, die entweder die Valutierung betreffen oder die sich aus dem allgemeinen Verwaltungsrecht, insbesondere aus dem dortigen "Recht der Schuldverhältnisse"1l9 ergeben. Die Kriterien der §§ 1 - 6 StrEG bleiben dagegen im Betragsverfahren stets ausgeblendet120 .
b) "Anlaß" zur Grundentscheidung nach einem Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung Kommt man von dieser Vorklärung auf die Situation zurück, daß der Angeschuldigte/Angeklagte auf seine (etwaige) Strafverfolgungsentschädigung verzichtet, so liegt es auf der Hand, daß die tatsächlichen Voraussetzungen der §§ 1 - 6 StrEG hier nicht berührt sind. Vielmehr wird der Anspruch auf die Entschädigung durch Gründe aus dem allgemeinen Verwaltungsrecht, aus der Lehre von den verwaltungsrechtlichen Schuldverhältnissen in Frage gestellt. Denn daß und unter welchen Voraussetzungen auf eine öffentlich-rechtliche Forderung verzichtet werden kann, ist ein Thema, welches dorthin, nicht in das Strafrecht gehört. Brandis hätte insofern von einer "rein civilistischen" Frage gesprochen, die in den Rahmen des Strafverfahrens überhaupt nicht hineinpaßt, weil sie mit den dort vorzunehmenden Erörterungen in keinerlei kriminalistischem Zusammenhang steht. Beim Verzicht ist der Strafrichter sogar deutlich überfordert, eine etwa eintretende Wirkung schon bei der Grundentscheidung zutreffend einzuschätzen 121. Das hängt weniger damit zusammen, daß die Gültigkeit einer Verzichtserklärung Umstände betrifft, deren Beurteilung nur selten Gegenstand eines Strafverfahrens sein dürfte: Geschäfts- bzw. Handlungsfähigkeit (§§ 104 - 113 BGB, § 12 VwVfG), Willensmängel (§§ 116 - 124 BGB). Sondern die Überforderung folgt ganz einfach daraus, daß die Erklärung über den Verzicht auf 119 Diese Bezeichnung wird in Anlehnung an die Überschrift zum Zweiten Buch des BGB gewählt.
120BGHZ 63, 209, 212 f.; D. Meyer, Vorbem. vor §§ 10 - 13, Rn. 5; Schätz1er, § 5 Rn. 2 - 5. Ebenso die Begründung der Bundesregierung zu § 4 des StrEG-Entwurfs, der den heutigen §§ 5,6 StrEG entsprach, BT-Drs. 6/460, S. 5.
121 Zum Gesichtspunkt der "Überforderung", Fragen des Betragsverfahrens vorweg beurteilen zu wollen, siehe neuerdings OLG Düsse1dorf, NStZ-RR 1996, 287, 288.
11. Kap.: Verzicht beim materiellen Anspruch - Unterhaltsberechtigter
199
Strafverfolgungsentschädigung zugangsbedüiftig ist. Es gibt keine Gewähr dafür, daß der Strafrichter, wenn er über die Grundentscheidung zu befinden hat, den erfolgten Zugang bereits verläßlich feststellen könnte. Die vorliegende Arbeit wird die Probleme des Zugangs noch ausführlich erörtem122 • Vorläufig genügt die Andeutung, daß das Gericht keine Empfangszuständigkeit für die Verzichtserklärung besitzt. Diese liegt vielmehr bei der Landeskasse, allenfalls bei der StaatsanwaltschaJt123, die die Ermittlungen im ersten Rechtszug geführt hat. Das kann, muß aber nicht jene Staatsanwaltschaft sein, deren Vertreter gemäß § 226 StPO in der Hauptverhandlung anwesend ist. Unterläßt das Gericht also die Grundentscheidung, würde es eine Wirksamkeit des Verzichts unterstellen, die gar nicht gesichert ist. Vor diesem Hintergrund muß es dem Gericht verwehrt bleiben, sich in die Zugangsproblematik zu verstricken. Vielmehr soll das Gericht sich mit derartigen technischen Einzelheiten nicht belasten; das gerade ist der Sinn der Einteilung zwischen Grund- und Betragsverfahren, die der Gesetzgeber vorgenommen hat.
4. Ergebnis: Verzicht ist kein Hindernis für den Ersatzanspruch nach § 11 StrEG Nach alledem ist festzuhalten, daß der Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung kein Thema ist, das bereits im Grundverfahren behandelt werden dürfte. Ein etwa erklärter Verzicht bietet deshalb keinen "Anlaß", von der Grundentscheidung, daß der Angeschuldigte/Angeklagte zu entschädigen ist, abzusehen. Wenn aber die Grundentscheidung zwingend und von Amts wegen zu ergehen hat, selbst wenn ein Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung erklärt ist, kann dieser Verzicht dem Unterhaltsberechtigten in keiner Weise schaden. Denn die Grundentscheidung wird hierdurch nicht verhindert; und sobald sie ergeht, gelangt der Ersatzanspruch aus § 11 StrEG zum Entstehen. Umgekehrt muß dies bedeuten, daß § 11 StrEG kein Argument gegen jenen Verzicht liefert, der im gerichtlichen Verfahren erklärt wird.
122 Unten 123
Kap. 14/ A, S. 233 - 241.
Unten Kap. 14/ A 11/2, S. 234 - 236.
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4. Teil: Rechtsmacht des Beschuldigten, verzichten zu können
III. Folgen des Verzichts, falls noch keine Grundentscheidung ergangen ist und das Strafverfahren vor der Staatsanwaltschaft abgeschlossen wird Daß der (potentiell) Berechtigte einen Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung erklärt, bevor eine Grundentscheidung ergangen ist, kann auch im Ermittlungsverfahren vorkommen. Solche Fälle, in denen die Staatsanwaltschaft das Verfahren einstellt, behandelt § 9 StrEG. § 9 Abs. 1 S. 2 StrEG legt fest, daß die Grundentscheidung durch ein Gericht zu treffen ist; doch ergeht sie nur auf Antrag des Beschuldigten, § 9 Abs. 1 S. 3 StrEG. Hier gibt es also keine automatische, von Amts wegen zu treffende Grundentscheidung, und deswegen hat der Unterhaltsberechtigte keine Gewähr, daß ihm der Anspruch aus § 11 StrEG zwingend zuwächst. Denn an dem Erfordernis, daß "die Entschädigungspflicht der Staatskasse ausgesprochen worden ist", § 11 Abs. 1 S. 1 StrEG, ändert sich nichts; nur hat es diesmal der Beschuldigte in der Hand, ob sich diese Voraussetzung erfüllt.
1. Kausalität zwischen Verzicht und Unterbleiben der Grundentscheidung ? Bei dieser Konstellation mag man sehr wohl die Befürchtung hegen, daß der Beschuldigte den Anspruch des Unterhaltsberechtigten vereiteln könnte. Andererseits wäre jedoch genauer nachzufragen, ob die Folge, daß der Anspruch des Unterhaltsberechtigten nicht entsteht, kausal auf den Verzicht zurückgeht. Die eigentliche Ursache, warum die Grundentscheidung unterbleibt, dürfte wohl schlicht darin liegen, daß der Beschuldigte keinen Antrag stellt. Denn auf den Antrag kommt es nach § 9 Abs. 1 S. 3 StrEG an. Um dies näher zu prüfen, sollte man eine Art Gegenprobe vornehmen: Es wäre zu untersuchen, ob der Beschuldigte, nachdem er einen Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung erklärt hat, gleichwohl noch mit Aussicht auf Erfolg gemäß § 9 Abs. 1 S. 3 StrEG die Grundentscheidung beantragen könnte. Soweit ersichtlich, ist diese Frage im Schrifttum noch nicht behandelt worden. Die Antwort kann sich aber nur in einer konsequenten Parallele zu § 8 Abs. 1 StrEG ergeben. Denn die Grundentscheidung, die im Rahmen des § 9 Abs. 1 StrEG getroffen wird, unterscheidet sich qualitativ in nichts von jener Grundentscheidung, die beim Verfahren nach § 8 Abs. 1 StrEG ergeht. Beide
11. Kap. : Verzicht beim materiellen Anspruch - Unterhaltsberechtigter
20 I
Male soll nur die grundsätzliche Möglichkeit eröffnet werden, Strafverfolgungsentschädigung zu begehren. Beide Male folgt dem Grund- das Betragsverfahren mit der Prüfung, ob hinter der (abstrakten) Feststellung, daß zu entschädigen sei, ein verwertbarer Anspruch steht. Das wiederum bedeutet, daß der Prüfungsgegenstand in § 9 Abs. I StrEG kein anderer sein kann, als er für § 8 Abs. I StrEG ermittelt wurde: nämlich, ob eine entschädigungsfahige Maßnahme der Strafverfolgung vorgelegen hat, ob sie vollzogen wurde, ob Billigkeitsgründe gemäß §§ 3, 4 StrEG vorliegen, schließlich, ob Ausschlußoder Versagungsgründe nach §§ 5,6 StrEG eingreifen. Genauso wenig, wie nun im Verfahren nach § 8 Abs. I StrEG "Anlaß" besteht, wegen eines Verzichts auf Strafverfolgungsentschädigung die Grundentscheidung zu unterlassen, darf der Verzicht für die Begründetheit eines Antrags eine Rolle spielen, mit dem gemäß § 9 Abs. I S. 3 StrEG die Grundentscheidung begehrt wird. Die Grundentscheidung ist demnach trotz eines Verzichts zu erlassen. Sollte also nach einem Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung die Grundentscheidung nach § 9 Abs. I StrEG unterbleiben, geht dies nicht kausal auf den Verzicht zurück.
2. Ergebnis: Verzicht ist kein Hindernis für den Ersatzanspruch nach § ll StrEG Der Ausgang der "Gegenprobe" verdeutlicht, welche Folgen ein Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung, der noch während des Ermittlungsverfahrens erklärt wird, nach sich zieht: Für den Beschuldigten selbst führt er zu der beabsichtigten Konsequenz, daß er die Entschädigung nicht mehr erlangen kann. Förmlich zurückgewiesen wird der Anspruch allerdings erst dann, wenn es gemäß § 10 StrEG zum Betragsverfahren kommt. Mit einem Antrag auf die Grundentscheidung, § 9 Abs. I StrEG, dringt der (ehemals) Beschuldigte dagegen ohne weiteres durch; denn auf die Begründetheit dieses Antrags darf sich der vorgenommene Verzicht noch nicht auswirken. Freilich wird die erwirkte Grundentscheidung für den (ehemals) Beschuldigten in der Regel wertlos sein. Denn wenn die Verziehtserklärung bis zum Betragsverfahren wirksam geworden, insbesondere zugegangen ist, kann sie ihm dort entgegengehalten werden. Für den Unterhaltsberechtigten ist es dagegen von wesentlicher Bedeutung, daß die Grundentscheidung trotz eines Verzichts auf den Entschädigungsanspruch herbeigeführt werden kann. Wird sie herbeigeführt, erhält der Unter-
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4. Teil: Rechtsmacht des Beschuldigten, verzichten zu können
haltsberechtigte den eigenen Ersatzanspruch nach § 11 StrEG; sein Betragsverfahren bleibt von dem Umstand, daß der Beschuldigte verzichtet hat, unberührt l24 • Gewiß kann der Unterhaltsberechtigte den Beschuldigten nicht zwingen, über § 9 Abs. I S. 3 StrEG eine Grundentscheidung zu erwirken. Deshalb gibt es Vorschläge, ihm ein eigenes Recht auf die Grundentscheidung zu gewähren 12S • Ob das eine sinnvolle, mit dem Gesetz vereinbare Konstruktion ist, wird diese Arbeit noch zu untersuchen haben l26 • Gegenwärtig, bei der Prüfung, ob sich aus § 11 StrEG Argumente gegen die Zulässigkeit eines Verzichts ergeben, bedarf es dazu noch keiner Erörterung. Denn jedenfalls ist die in § 9 StrEG angelegte Gefahr, daß der Beschuldigte es nicht zur Grundentscheidung kommen läßt, ein allgemeines, kein verzichtsspezijisches Risiko: Es besteht, auch ohne daß ein Verzicht erklärt wurde, jedesmal, wenn das Strafverfahren bereits vor der Staatsanwaltschaft abgeschlossen wird.
E. Bewertung: Anspruch des Unterhaltsberechtigten liefert keinen Grund gegen einen Verzicht auf den materiellen Entschädigungsanspruch Angesichts der gewonnenen Ergebnisse erübrigt sich die in Aussicht genommene Analyse, ob eine durch den Verzicht bewirkte Vereitelung des Ersatzanspruchs grundSätzlichen Wertungen des StrEG widerspreche. Denn daß der Verzicht auf den materiellen Entschädigungsanspruch den Ersatzanspruch des Unterhaltsberechtigten vereitele, hat sich als unzutreffend erwiesen.
In zwei Situationen, nämlich wenn - der Verzicht erst nach erfolgter Grundentscheidung erklärt wird, - der Verzicht zwar vor der Grundentscheidung, aber im gerichtlichen Verfahren erklärt wird, 124Nur zur Klarstellung sei darauf hingewiesen, daß der Beschuldigte auf den materiellen Anspruch, den der Unterhaltsberechtigte durch § 11 StrEG erhält, natürlich nicht (mit-)verzichten kann. Sollte er gleichwohl eine entsprechende Erklärung abgeben, wäre der für den Unterhaltsberechtigten vorgenommene Verzicht die Verfügung eines NiChtberechtigten, § 185 BGB. 125LG Flensburg, JurBüro 1981, 1045 f.; dass., JurBüro 1984, 419, 420; Kleinknecht-Meyer-Meyer=Goßner, § 9 StrEG, Rn. 4; D. Meyer, § 8 Rn. 8b, § 9 Rn. 19; wohl auch Hentschel, Rn. 398, S. 208 f. 126
Unten Kap. 12/ C 11, S. 210 - 214.
11. Kap.: Verzicht beim materiellen Anspruch - Unterhaltsberechtigter
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bleibt die Stellung des Unterhaltsberechtigten völlig unangetastet. Beim ersten Mal ist der eigene Ersatzanspruch bereits entstanden; der Verzicht ist nicht geeignet, ihn wieder zum Erlöschen zu bringen. Beim zweiten Mal kommt dem Unterhaltsberechtigten zugute, daß das Gericht durch § 8 Abs. 1 S. 1 StrEG verpflichtet ist, die Grundentscheidung ungeachtet des vom Angeschuldigten/Angeklagten erklärten Verzichts zu treffen. Anlaß, die Vereitelung seines Ersatzanspruchs zu beklagen, hätte der Unterhaltsberechtigte nur dort, wo bereits die Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen den Beschuldigten eingestellt hat. Doch hat sich gezeigt, daß der (vonnals) Beschuldigte trotz seines Verzichts den Antrag auf die Grundentscheidung, § 9 Abs. 1 S. 3 StrEG, stellen kann. Da er selbst von der ergehenden Grundentscheidung nicht mehr profitiert, läge der Sinn eines solchen Antrags gerade darin, jedenfalls dem Unterhaltsberechtigten den Ersatzanspruch nach § 11 StrEG zu verschaffen. Findet sich der (ehemals) Beschuldigte nicht bereit, dem Unterhaltsberechtigten diesen Gefallen zu tun, ist das kein verziehtsspezifisches Problem. Der Unterhaltsberechtigte hätte sich nicht über den Verzicht zu beschweren, sondern über den Gesetzgeber, der es durch § 9 Abs. 1 S .. 3 StrEG LV.m. § 11 Abs. 1 StrEG generell in die Hand des (ehemals) Beschuldigten gelegt hat, ob der Anspruch des Unterhaltsberechtigten entstehen soll oder nicht.
F. Ergebnis: Auch im Hinblick auf Dritte kein Ausschluß des Verzichts Wie sich gezeigt hat, sind aus § 11 StrEG keine Argumente abzuleiten, warum der Beschuldigte nicht auf seinen materiellen Anspruch auf Strafverfolgungsentschädigung verzichten sollte. Ein Verzicht auf den materiellen Entschädigungsanspruch läßt nämlich die Position des Unterhaltsberechtigten unberührt. Deshalb wird der Unterhaltsberechtigte auch nicht "belastet" LS.v. § 46 Abs. 2 SGB I. Es wäre also, bezogen auf den Unterhaltsberechtigten, im Ergebnis unerheblich, ob diese Vorschrift geeigneter Prüfungsmaßstab fiir den Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung ist. Generell begegnet es Bedenken, den Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung an § 46 Abs. 2 SGB I zu messen. § 46 Abs. 2 SGB I ist auf die spezifischen Verhältnisse des Sozialrechts zugeschnitten. Sozialleistungen haben eine völlig andere Funktion als die Strafverfolgungsentschädigung. Führt der Ver-
204
4. Teil: Rechtsmacht des Beschuldigten, verzichten zu können
zieht auf Strafverfolgungsentschädigung dazu, daß der Verzichtende Sozialhilfe in Anspruch nehmen muß, wird deren Träger zwar "belastet". Das im Verzicht ausgedrückte Interesse des (ehemals) Beschuldigten, vom Staat keine Entschädigung annehmen zu wollen, ist jedoch höher zu bewerten als das öffentliche Interesse daran, daß eine Leistung von der "zuständigen" staatlichen Kasse erbracht werde. Damit verfestigt sich als Ergebnis, daß ein Verzicht auf den materiellen Entschädigungsanspruch möglich ist.
12. Kapitel Möglichkeit des Verzichts bei den zur Strafverfolgungsentschädigung gehörenden prozessualen Rechten Die Möglichkeiten des (potentiell) Berechtigten, seine Strafverfolgungsentschädigung preiszugeben, erschöpfen sich nicht darin, daß auf den materiellen Entschädigungsanspruch verzichtet werden kann. Wie sich gezeigt hat127 , kommt außerdem ein Verzicht auf die prozessualen Rechte in Betracht, die mit der Entschädigung in Zusammenhang stehen: etwa auf das in § 10 Abs. 1 S. 1 StrEG gewährte Recht, den festgestellten Anspruch auf Entschädigung geltend zu machen, ferner auf das in § 9 Abs. 1 S. 3 StrEG gewährte Recht, eine Entscheidung über die Entschädigungspflicht zu beantragen. Außerdem spielt in der Literatur der "Verzicht auf die Grundentscheidung" eine Rolle, wobei mit der Grundentscheidung diejenige gemeint ist, die dem Gericht gemäß § 8 Abs. I StrEG obliegtl28.
A. Verzichtbarkeit beim Recht, den festgestellten Anspruch auf Entschädigung geltend zu machen, § 10 Abs. 1 S. 1 StrEG Der Antrag nach § 10 Abs. 1 S. 1 StrEG dient dazu, nach einer bereits ergangenen Grundentscheidung das Betragsverfahren einzuleiten. Der Berechtigte erhält hierdurch das verfahrensmäßige Mittel, durch das er seinen materiellen Entschädigungsanspruch verfolgen kann. In dieser Funktion erschöpft 127 128
Oben Kap. 5/ B - D, S. 91 - 93. Oben Kap. 5 / D, S. 92 f.
12. Kap.: Verzicht bei den prozessualen Rechten
205
sich bereits das in § 10 Abs. 1 S. I StrEG gewährte prozessuale Recht. Nachdem feststeht, daß der materielle Entschädigungsanspruch verzichtbar ist129 , gibt es keinen vernünftigen Grund, warum der (potentiell) Berechtigte nicht ebenso auf das zugehörige Antragsrecht sollte verzichten können. Das Recht, den festgestellten Anspruch auf Entschädigung geltend zu machen, § 10 Abs. I S. I StrEG, unterliegt somit der Möglichkeit des Verzichts.
B. Verzichtbarkeit beim Recht auf die Grundentscheidung nach § 8 Abs. 1 StrEG Bevor dem Beschuldigten der Anspruch auf die Entschädigung erwächst, hat er zunächst nur einen Anspruch darauf, daß über die Entschädigungspflicht entschieden wird. Insofern gleicht das Verhältnis zwischen der Grundentscheidung und der Entschädigung dem zwischen einem begünstigenden Verwaltungsakt und der Leistung, die durch ihn konkretisiert wird130. Der Erlaß der Grundentscheidung dient also dazu, die vom Gesetz nur abstrakt-generell geregelte Entschädigungspflicht in einen konkret-individuellen Anspruch zugunsten des betroffenen Angeschuldigten!Angeklagten umzuwandeln. Und so, wie der Bürger ein Recht auf den begünstigenden Verwaltungsakt hat, kann man auch bei § 8 Abs. 1 StrEG von einem Recht auf die Grundentscheidung sprechen.
I. Sprachliche Mißverständnisse um den "Verzicht auf die Grundentscheidung" Bevor untersucht wird, ob dieses Recht verzichtbar ist, wäre zuerst noch darauf zurückzukommen l3l , wie mißverständlich der Begriff "Verzicht auf die Grundentscheidung" in der Literatur gebraucht wird. Denn meistens findet man unter diesem Stichwort die Streitfrage behandelt, ob das Gericht noch eine Grundentscheidung treffen muß, nachdem der Beschuldigte auf den mate129
Oben Kap. 10/ D - F, S. 173 a.E., 174, 177, 183, sowie Kap. 11 / E / F, S. 202 -
130
Oben Kap. 9/ F H, S. 164 f.
13l
Siehe zuerst Kap. 5 / D, S. 93.
204.
206
4. Teil: Rechtsmacht des Beschuldigten, verzichten zu können
riellen Entschädigungsanspruch verzichtet hat 132 • Dahinter verbirgt sich nichts anderes als die bereits untersuchte "Anlaß"-Problematik. Wie die vorliegende Arbeit gezeigt hat, kann der "Anlaß", gemäß § 8 Abs. I StrEG eine Grundentscheidung zugunsten des Angeschuldigten/Angeklagten zu treffen, nicht dadurch entfallen, daß dieser auf seinen (eventuellen) materiellen Entschädigungsanspruch verzichtet hat. Was die ganze Frage freilich mit einem Verzicht auf die Grundentscheidung zu tun haben soll, bleibt unerfindlich. Denn ob "Anlaß" besteht, die Grundentscheidung nach § 8 Abs. 1 StrEG zu treffen, ist eine Frage, die das Gericht sich stellen muß, und es hat sie je nach der gegebenen Sach- und Rechtslage zu beurteilen. Daß der Angeschuldigte bzw. Angeklagte im Hinblick auf die Grundentscheidung des § 8 Abs. 1 StrEG irgendeine Verfügung getroffen hätte, ist nicht Gegenstand der "Anlaß"-Problematik. Diese betriffi vielmehr die Rechtsfolgen, die sich ergeben könnten, falls der Angeschuldigte/Angeklagte auf den materiellen Entschädigungsanspruch verzichtet. Beim Thema "Verzicht auf die Grundentscheidung" ist dagegen zu erörtern, ob der Angeschuldigte/Angeklagte eine Rechtsrnacht hat, das Ergehen der Grundentscheidung von seinem Willen abhängig zu machen. Unterliegt nämlich das Recht auf die Grundentscheidung der Möglichkeit des Verzichts, so muß es erlöschen, sobald dieser Verzicht wirksam erfolgt; das Gericht hätte dem Rechnung zu tragen und die Grundentscheidung zu unterlassen.
11. Verfügungsbefugnis des Angeschuldigten/Angeklagten über die Grundentscheidung nach § 8 Abs. 1 StrEG? Im Rahmen der "Anlaß"-Problematik hat sich bereits gezeigt, daß das Strafgericht die Grundentscheidung des § 8 Abs. 1 StrEG von Amts wegen erläßt. Dabei besteht eine Verpflichtung, die Grundentscheidung zu treffen, sofern sich aus den §§ I - 6 StrEG ergibt, daß die tatsächlichen Voraussetzungen der Entschädigung in der Person des Angeschuldigten/Angeklagten erfüllt sind!33.
An diese Pflicht bleibt das Gericht gebunden, was immer der Beschuldigte erklären mag. Daß der Verzicht auf den materiellen Entschädigungsanspruch insoweit keine Änderung bewirkt, wurde sc:hon ausführlich begründet!34. Stimmt die allseits akzeptierte 13S Voraussetzung, daß § 8 Abs. I StrEG eine 132
Zum Meinungsstand siehe nochmals oben Kap. ll / D II 2, S. 194 f.
133
Oben Kap. 11 / D II 3 a, S. 197 f.
134
Oben Kap. 11 / D II 3 b, 4, S. 198 f.
12. Kap.: Verzicht bei den prozessualen Rechten
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von Amts wegen zu treffende Entscheidung beschreibt, kann für den Fall, daß der Angeschuldigte/Angeklagte erklärt, er verzichte auf die Grundentscheidung, nichts anderes gelten. Dieser Verzicht geht vielmehr ins Leere; seiner ungeachtet muß die Entschädigungspflicht trotzdem förmlich festgestellt werden. Allenfalls wäre jetzt die passende Gelegenheit nachzufragen, warum es sich bei § 8 Abs. 1 StrEG um eine von Amts wegen zu treffende Entscheidung handele. Hierüber wird nämlich, soweit ersichtlich, kaum jemals ein Wort der Begründung verloren. Dabei könnte der bloße Wortlaut des § 8 Abs. 1 S. 1 StrEG durchaus so verstanden werden, als lege er nur den Ort fest, wo die Grundentscheidung ausgesprochen werde,jalls das Gericht sie trim. Die erste, wenngleich etwas formale Erklärung kann auf die Motive des Gesetzgebers von 1970/71 verweisen. Denn die Begründung, welche die Bundesregierung ihrem StrEG-Entwurf gegeben hat, hebt ausdrücklich hervor, daß die Grundentscheidung von Amts wegen getroffen werden müsse, sofern sich im Verfahren ein entschädigungsfähiger Tatbestand ergeben habe; dies entspreche schon der (damals) bestehenden Rechtslage 136. Erkennbar orientierten sich die Vorstellungen zu § 8 StrEG an der Vorschrift über die Kostenentscheidung, § 464 StP0 137 • Das ist noch immer aus § 8 Abs. 3 S. 2 StrEG zu ersehen, der einen Verweis auf § 464 Abs. 3 S.2/3" StPO enthält. Freilich fehlt in § 8 StrEG eine ähnlich klare Anordnung, wie § 464 Abs. 1 StPO sie enthält. Da der Gesetzgeber von 1970/71 sich auf das frühere Recht bezogen hat, lohnt es sich nachzuforschen, was der ursprüngliche Anlaß gewesen sein mag, die Grundentscheidung zwingend vorzuschreiben. Dazu finden sich in den Motiven zum Untersuchungshaft-Entschädigimgsgesetz von 1904 folgende Erwägungen138: "Hat die Haft einen Unschuldigen betroffen, so erscheint es als eine Pflicht des Staates, den ersten Schritt zur Beseitigung des herbeigeführten Schadens zu tun, auch wenn ein Antrag nicht gestellt wird."
Das ist ein Sachargument. Überträgt man es in die heutigen Verhältnisse, hätte der historische Gesetzgeber die Pflicht zur Grundentscheidung als einen Teil der allgemeinen Wiedergutmachungspflicht begriffen, die der Staat gegenüber dem zu Unrecht Verfolgten erfüllen muß. Das erlittene Sonderopfer l3l Kleinknecht-Meyer-Meyer=Goßner, § 8 StrEG, Rn. 3; D. Meyer, § 8 Rn. 4; Schätzler, § 8 Rn. 8. 136BT_Drs. 6/460, S. 8. 137
D. Meyer, § 8 Rn. 2.
138Begründung zu § 4 des Entwurfs zwn UHaftEntschG; Reichstag, Steno Ber., 11. Leg.-Per.,1. Session (1903/05),2. Anlagenbd., Aktenstück Nr. 202, S. 859.
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4. Teil: Rechtsmacht des Beschuldigten, verzichten zu können
sollte nicht nur durch Geldzahlung ausgeglichen werden, sondern der Staat sollte dem Betroffenen gegenüber f6rmlich eingestehen, daß diesem ein entschädigungsWÜTdiges Unrecht widerfahren ist. Der heutige § 8 Abs. 1 StrEG bringt dieses Anliegen sogar noch eindringlicher zur Geltung. Nach dem Untersuchungshaft-Entschädigungsgesetz von 1904 erging die Grundentscheidung noch durch gesonderten Beschluß, abseits der verfahfensabschließenden Entscheidung. Das trug dem Umstand Rechnung, daß der Staat nur bei erwiesener Unschuld zur Entschädigung verpflichtet war l39 • Ob das Gericht diese Voraussetzung für gegeben erachtete, sollte im Interesse des Beschuldigten nicht öffentlich ausgebreitet werden. Mit dem Wegfall der Unschuldsklausel bedurfte es dieser Rücksichtnahme nicht länger; folgerichtig hat der Gesetzgeber in § 8 Abs. 1 StrEG bestimmt, daß das Gericht die Grundentscheidung als Teil der verfahrensabschließenden Entscheidung erlasse. Im Normalfall, daß das Verfahren bis zur Hauptverhandlung gelangt ist, soll das Gericht vor aller Öffentlichkeit bekunden, daß dem Angeklagten ein entschädigungsWÜTdiges Unrecht geschah. Die von Amts wegen zu treffende Grundentscheidung hat dadurch eine demonstrierende Funktion erhalten: Der Staat dokumentiert nach außen, daß er dem Betroffenen ein Sonderopfer auferlegt hat; zugleich aber stellt er klar, daß er ihn mit dem erlittenen Schaden nicht allein läßt. Es widerspräche diesem Sinn und Zweck, wenn der Angeschuldigte/Angeklagte das f6rmliche Bekenntnis zur Entschädigungspflicht verhindern könnte. Hat der Angeschuldigte/Angeklagte kein Interesse daran, Entschädigung zu erlangen, mag er auf den materiellen Entschädigungsanspruch verzichten; die Grundentscheidung nach § 8 Abs. I StrEG steht dennoch nicht zu seiner Disposition. Sein Recht auf die Grundentscheidung nach § 8 Abs. I StrEG bezieht sich nur darauf, daß er eine etwa unterlassene Grundentscheidung erzwingen kann; die Grundentscheidung des § 8 Abs. 1 StrEG durch Verzicht zu verhindern, muß ihm jedoch versagt bleiben.
C. Verzichtbarkeit beim Recht, eine Entscheidung über die Entschädigungspjlicht zu beantragen, § 9 Abs. 1 S. 3 StrEG Endet das Strafverfahren nicht vor Gericht, sondern wird es bereits durch die Staatsanwaltschaft eingestellt, ergeht die Grundentscheidung nicht von 139 § 4 Abs. I / Abs. 2 S. 1 HaftEntschG, RGBl. 1898, 345, 346; § 4 Abs. 1 / Abs. 3 S. 1 UHaftEntschG, RGBl. 1904,321,322. Siehe oben Kap. 1 / B, S. 48.
12. Kap.: Verzicht bei den prozessualen Rechten
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Amts wegen, sondern auf Antrag des Beschuldigten, § 9 Abs. I S. 3 StrEG. Da der Beschuldigte es in seiner Hand hat, den Antrag zu stellen oder zu unterlassen, liegt es nahe, auch einen Verzicht für möglich zu halten. Mit ihm würde der Beschuldigte nämlich nur vorwegnehmen, was er ohnehin herbeiführen kann.
I. Probleme im Hinblick auf den Anspruch des Unterhaltsberechtigten Die Beurteilung, ob das Antragsrecht des § 9 Abs. I S. 3 StrEG verzichtbar sein kann, darf sich jedoch nicht einseitig nur am Beschuldigten ausrichten. Immer wo es um die Grundentscheidung geht, muß auch auf den Unterhaltsberechtigten Bedacht genommen werden, denn dessen Ersatzanspruch aus § 11 StrEG hängt zwingend von der Grundentscheidung ab. Im gerichtlichen Verfahren kommt dem Unterhaltsberechtigten zugute, daß die Grundentscheidung zwingend von Amts wegen zu treffen ist. Dagegen bewirkt § 9 Abs. 1 S. 3 StrEG für das staatsanwaltschaftliehe Verfahren, daß Entscheidungen, die der Beschuldigte für sich selbst vornimmt, zugleich auch eine Rückwirkung auf den Unterhaltsberechtigten haben können. Das vorige Kapitel hat diese Problematik schon ausführlich angesprochen l40 • Dort ging es um den Fall, daß der Beschuldigte auf seinen materiellen Entschädigungsanspruch verzichtet. Wie sich herausstellte, sind in jener Situation die Belange des Unterhaltsberechtigten nicht unmittelbar berührt, denn der Verzicht auf den materiellen Entschädigungsanspruch hindert den (vormals) Beschuldigten nicht, gemäß § 9 Abs. 1 S. 3 StrEG die Grundentscheidung zu erwirken. Im Gegenteil würde ein entsprechender Antrag ausschließlich zugunsten des Unterhaltsberechtigten gestellt, weil der (vormals) Beschuldigte selbst keinen Nutzen mehr aus der Grundentscheidung ziehen kann. Verzichtet der Beschuldigte nicht (nur) auf den materiellen Entschädigungsanspruch, sondern auf das Antragsrecht des § 9 Abs. 1 S. 3 StrEG, geht er einen Schritt weiter. Er schließt von vornherein aus, daß er die vom Unterhaltsberechtigten benötigte Grundentscheidung noch jemals herbeiführen könnte. Das, so mag man befürchten, könnte einen Schritt zu weit gehen. Denn was den Beschuldigten und seinen persönlichen "Edelmut" betrifft, läßt dieser sich durch Verzicht auf den materiellen Entschädigungsanspruch zur Genüge beweisen. Kommt es dagegen zu der (zusätzlichen) Erklärung, es werde auf das Antragsrecht nach § 9 Abs. I S. 3 StrEG verzichtet, wäre zu fragen, ob 140
Oben Kap. 11 / D III 1/2, S. 201, 201 f.
14 Friehe
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4. Teil: Rechtsmacht des Beschuldigten, verzichten zu können
dies nicht einseitig zu Lasten des Unterhaltsberechtigten geht. Denn nunmehr begibt der Beschuldigte sich der Möglichkeit, während der Monatsfrist des § 9 Abs. 1 S. 4 StrEG in Ruhe zu überlegen, ob er dem Unterhaltsberechtigten wirklich den Ersatzanspruch nach § 11 StrEG versperren will. Man kann das Bedenken auch umgekehrt formulieren: Unterliegt das in § 9 Abs. 1 S. 3 StrEG gewährte Recht, eine Entscheidung über die Entschädigungspflicht zu beantragen, der Möglichkeit des Verzichts, hat der Unterhaltsberechtigte keine sichere Chance, beim (vormals) Beschuldigten einen Monat lang auf den Antrag nach § 9 Abs. 1 S. 3 StrEG hinzuwirken.
11. Eigenes Recht des Unterhaltsberechtigten, eine Entscheidung über die Entschädigungspflicht zu beantragen ? Der Verlust der Möglichkeit, über den (vormals) Beschuldigten eine Grundentscheidung herbeizuführen, würde den Unterhaltsberechtigten nicht weiter belasten, sofern er selbst befugt ist, die Grundentscheidung des § 9 Abs. 1 StrEG zu beantragen. Wie erwähnt l41 , wird ein eigenes Antragsrecht des Unterhaltsberechtigten durchaus vorgeschlagen l42 , und zwar bereits für den Fall, daß der Beschuldigte auf den materiellen Entschädigungsanspruch verzichtet. Dort ist freilich nicht der richtige Standort, dies zu erörtern, denn der Verzicht auf den materiellen Entschädigungsanspruch berührt die Position des Unterhaltsberechtigten im Grunde nicht l43 • Jetzt aber, beim Verzicht auf das in § 9 Abs. 1 S. 3 StrEG gewährte Antragsrecht, wird die Frage, ob der Unterhaltsberechtigte seinerseits die Grundentscheidung beantragen kann, entscheidungserheblich.
1. Bedenken im Hinblick auf die Interessen des Beschuldigten Das wohl einzige Argument, dem Unterhaltsberechtigten eine eigene Antragsbefugnis zu gewähren, besteht in der Hilfe, die diese Konstruktion ihm 141 Oben Kap. 11 / D III 2, S. 202. 142LG Flensburg, JurBüro 1981, 1045 f.; dass., JurBüro 1984, 419, 420; Kleinknecht-Meyer-Meyer=Goßner, § 9 StrEG, Rn. 4; D. Meyer, § 8 Rn. 8b, § 9 Rn. 19; wohl auch Hentschel, Rn. 398, S. 208 f. 143 Oben Kap. 11 / D III 2, S. 202.
12. Kap.: Verzicht bei den prozessualen Rechten
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geben würde: Er wäre nicht länger darauf angewiesen, daß der (ehemals) Beschuldigte das Grundverfahren betreibt. Die Vergünstigung, die man dem Unterhaltsberechtigten verschaffen will, hat freilich ihren Preis, und diesen muß der Beschuldigte zahlen: Er würde durch den Antrag des Unterhaltsberechtigten in ein Verfahren hineingezogen, an dem er selbst kein Interesse hatte, das er vielleicht sogar mit gutem Grund vermeiden wollte. Denn die Grundentscheidung, das darf nicht übersehen werden, wird stets im Hinblick auf ihn getroffen. Es geht darum, ob in seiner Person die tatsächlichen Voraussetzungen für eine Entschädigung erfüllt sind. Soweit zu prüfen ist, ob eine entschädigungsfähige Maßnahme der Strafverfolgung vorgelegen hat und ob sie auch vollzogen wurde, §§ 1, 2 StrEG, bringt das keine besonderen Probleme mit sich. Dagegen sind bei den Ausschluß- und Versagungsgründen der §§ 5, 6 StrEG Beurteilungen vorzunehmen, die das persönliche Verhalten des (ehemals) Beschuldigten betreffen und für diesen durchaus peinlich werden können. Wird etwa festgestellt, daß der Beschuldigte die Strafverfolgungsmaßnahme vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht hat, § 5 Abs. 2 S. 1 StrEG, liegt darin ein Vorwurf, dem der Beschuldigte sich gewiß nur ungern ausgesetzt sehen will. Gleiches gilt für die Feststellung nach § 6 Abs. I Nr. 1 StrEG, daß der Beschuldigte sich selbst in wesentlichen Punkten wahrheitswidrig oder im Widerspruch zu seinen späteren Erklärungen belastet habe. Erst recht muß eine Entscheidung nach Billigkeit, wie sie bei §§ 3,4 StrEG getroffen wird, den Beschuldigten persönlich belasten. Was nach den Umständen des Falles der Billigkeit entspricht, ist nämlich nur dann sachgerecht abzuschätzen, wenn das Gericht das strafrechtlich relevante Verhalten des Beschuldigten würdigt. Hier würde also, wenn auch unter verändertem Blickwinkel, die strafrechtliche Beurteilung des (vormals) Beschuldigten fortgesetzt.
Man könnte einwenden, daß der Beschuldigte den gleichen Belastungen auch im Rahmen des § 8 Abs. 1 StrEG unterliegt, wo die Grundentscheidung zwingend von Amts wegen getroffen werden muß. Was der Beschuldigte dort gegen seinen Willen über sich ergehen lassen müsse, könne man ihm ebenso auch im Verfahren nach § 9 Abs. 1 StrEG zumuten. Doch macht es einen Unterschied, ob sich der Beschuldigte ohnehin bereits vor Gericht befindet, § 8 Abs. 1 StrEG, oder ob er zunächst nur mit der Staatsanwaltschaft zu tun hatte, § 9 Abs. 1 StrEG. Bei § 8 Abs. 1 StrEG ist das Gericht sowieso damit befaßt, den Sachverhalt, dessentwegen der Beschuldigte angeklagt wurde, strafrechtlich zu würden; Prüfungen, wie sie zum Beispiel nach §§ 3,4 StrEG oder nach §§ 5 Abs. 2 S. 1,6 Abs. 1 Nr. 1 StrEG vorzunehmen sind, stehen mit dieser strafrechtlichen Würdigung des zugrunde liegenden Sachverhalts in einem engen Zusammenhang. Deshalb gibt es bei § 8 Abs. I StrEG keinen wirklichen Grund zu der Besorgnis, der Beschuldigte 14*
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4. Teil: Rechtsmacht des Beschuldigten, verzichten zu können
könne durch das Grundverfahren noch besonders belastet werden. Ganz anders ist die Ausgangslage in § 9 Abs. 1 StrEG. Dort bewirkt der Antrag auf die Grundentscheidung, daß das Gericht überhaupt erst mit dem Fall befaßt wird. Unter Umständen mag sich daraus für den Beschuldigten ein ernstzunehmendes Risiko ergeben: Das Gericht könnte auf Verdachtsmomente aufmerksam werden, die die Staatsanwaltschaft übersah. Dem entgeht der Beschuldigte, wenn er von der Möglichkeit, den Antrag nach § 9 Abs. I S. 3 StrEG zu stellen, keinen Gebrauch macht. Seine eigenen prozeßtaktischen Überlegungen werden aber durchkreuzt, wenn der Unterhaltsberechtigte die Initiative ergreifen kann und mit einem eigenen Antrag das Grundverfahren in Gang setzt.
2. Bedenken aus Wortlaut und Stellung der §§ 9 Abs. 1 S. 3, 11 StrEG Angesichts der Vorbehalte, die im Hinblick auf den Beschuldigten bestehen, kann auch nicht übergangen werden, daß das eigene Antragsrecht des Unterhaltsberechtigten gegen den Wortlaut des Gesetzes entwickelt werden müßte. Denn die Konstruktion, die das Gesetz vorgibt, besteht nun einmal darin, daß § 9 Abs. 1 S. 3 StrEG nur dem Beschuldigten selbst ein Antragsrecht einräumt und der Unterhaltsberechtigte warten muß, bis zugunsten des (ehemals) Beschuldigten die Entschädigungspflicht der Staatskasse ausgesprochen wurde. Auch die systematische Stellung des § 11 StrEG betont, daß der Unterhaltsberechtigte erst am Betragsverfahren teilnehmen soll, nicht bereits am Grundverfahren. § 11 StrEG steht mitten im Zusammenhang jener Vorschriften, die das Betragsverfahren regeln. Auf dieser Grundlage wäre die eigene Antragsbefugnis des Unterhaltsberechtigten nur dann zu rechtfertigen, wenn der Gesetzgeber die Regelung der §§ 9 Abs. I S. 3, 11 StrEG eher zufällig und unbedacht getroffen hätte. Doch dafür geben die Gesetzesmotive nicht allzu viel her. Den Verfassern des StrEG war bewußt, daß dort, wo bereits die Staatsanwaltschaft das Verfahren einstellt, ein Weg zum Gericht gefunden werden müsse, damit dieses die Grundentscheidung treffe. Dazu schufen sie die Antragslösung des § 9 Abs. 1 S.3 StrEG, verbunden mit der Belehrungspflicht der Staatsanwaltschaft gemäß § 9 Abs. 1 S. 5 StrEG I44 . Alternativ hierzu und in Parallele zu § 8 Abs. 1 S. I I44Begründung der Bundesregierung zu § 7 des StrEG-Entwurfs, dem heutigen § 9 StrEG: BT-Drs. 6/460, S. 9.
12. Kap.: Verzicht bei den prozessualen Rechten
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StrEG hätte die Staatsanwaltschaft auch verpflichtet werden können, von Amts wegen an das für die Grundentscheidung zuständige Gericht abzugeben. Wenn der Gesetzgeber sich dafür nicht entschieden hat, ist das durchaus nachvollziehbar. Denn wo das Strafverfahren schon vor der Staatsanwaltschaft endet, wurde zumeist nur geringfügig in Rechte des Beschuldigten eingegriffen; deshalb wäre der Verwaltungsaufwand, den die Abgabe an das zuständige Gericht erfordert, nur schwerlich zu vertreten. Auch das Bedürfnis, die Entschädigungsbereitschaft des Staates nach außen zu demonstrieren, wie es bei § 8 Abs. I StrEG eine Rolle spielt, ist unter den gegebenen Bedingungen nur gering. Zu einer öffentlichen Hauptverhandlung kommt es beim Verfahren des § 9 Abs. I StrEG ohnehin nicht l4s • Es zeigt sich demnach, daß man § 9 Abs. I S. 3 StrEG nicht auf schlichte Gedankenlosigkeit des Gesetzgebers zurückführen kann. Und so erscheint es durchaus fraglich, ob die für eine Analogie erforderliche unbewußte Gesetzeslücke besteht.
3. Bedenken im Hinblick auf die allgemeine Verfahrensstellung des Unterhaltsberechtigten Gewährt man dem Unterhaltsberechtigten eine eigene Befugnis, die Grundentscheidung des § 9 Abs. I StrEG zu beantragen, hat das Konsequenzen über diese Vorschrift hinaus. Denn die Begründung, der Unterhaltsberechtigte müsse sich selbst einen Zugang zum Betragsverfahren eröffnen können, wo der Beschuldigte diesen versperre, läßt sich ohne weiteres auch nach § 8 Abs. 1 StrEG übertragen. Dort mag es vorkommen, daß das Gericht die Feststellung, der Beschuldigte sei zu entschädigen, unterläßt; und während der Beschuldigte selbst bereit ist, sich hiermit abzufinden, könnte der Unterhaltsberechtigte ein Interesse daran haben, die seines Erachtens fehlerhafte Anwendung der §§ 1 6 StrEG zu rügen. Wenn es nun richtig ist, daß der Unterhaltsberechtigte sich auch gegen den Willen des Beschuldigten die Grundentscheidung verschaffen soll, kommt man nicht umhin, ihm eine eigene Antragsbefugnis, § 8 Abs. 1 S.2 StrEG I4\ sowie eine eigene Befugnis zur sofortigen Beschwerde, § 8 Abs. 3 StrEG, zu gewähren. Damit entstünde jedoch ein neuer Widerspruch. Das Grundverfahren des § 8 StrEG ist Teil des Strafverfahrens. Deshalb können an ihm nur solche Perso14l
Die Entscheidung ergeht durch Beschluß, Schätzler, § 9 Rn. 16.
146
So in der Tat D. Meyer, § S Rn. Sb.
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4. Teil: Rechtsmacht des Beschuldigten, verzichten zu können
nen beteiligt sein, die am Strafverfahren selbst teilnehmen. Im eigentlichen Strafverfahren hat der Unterhaltsberechtigte aber lediglich die Stellung eines beliebigen Dritten, was bedeutet, daß er nicht zu den Verfahrensbeteiligten gehört. Insbesondere gehört er auch nicht zu jenen "Beteiligten", die vor der Grundentscheidung - sei es über § 33 StPO, sei es über § 8 Abs. 1 S. 2 StrEG angehört werden müssen. Hält man an dem ursprünglichen Ansatz, dem Unterhaltsberechtigten müsse geholfen werden, fest, kann die Lösung dieser neuerlichen Schwierigkeiten nur darin bestehen, daß man den Unterhaltsberechtigten als einen QuasiBeteiligten des Strafverfahrens anerkennt. Es wäre nur folgerichtig, ihm eine Teilnahme an der Hauptverhandlung, das Fragerecht des § 240 Abs. 2 StPO, das Beweisantragsrecht des § 244 Abs. 3 - 6 StPO und anderes mehr zu gewähren - alles zu dem Ziel, die Unschuld des unterhaltsverpflichteten Beschuldigten zu beweisen und so in den Genuß des Ersatzanspruchs nach § 11 StrEG zu kommen. Spätestens diese Konsequenz muß den gesamten Versuch, dem Unterhaltsberechtigten zu helfen, ad absurdum führen. Offenbar wird aber viel zu selten gesehen, daß man den Unterhaltsberechtigten bis zum Erlaß der Grundentscheidung entweder gar nicht oder aber ganz am Strafverfahren beteiligen muß. Stehen nur diese beiden Extreme zur Auswahl, erscheint es richtig, die vom Gesetzgeber getroffene Entscheidung zu akzeptieren und dem Unterhaltsberechtigten bereits in § 9 Abs. 1 StrEG kein eigenes Recht auf die Grundentscheidung zu gewähren.
III. Abwägung der gegenseitigen Belange beim Verzicht auf das Antragsrecht des § 9 Abs. 1 S. 3 StrEG Wenn nach alledem der Unterhaltsberechtigte nicht befugt ist, selbst eine Entscheidung über die Entschädigungspflicht zu beantragen, muß er ungeschützt mit ansehen, wie der Beschuldigte auf das Antragsrecht nach § 9 Abs. 1 S. 3 StrEG verzichtet. Da ein wirksamer Verzicht den Weg zu der in § 11 StrEG erforderlichen Grundentscheidung versperrt, bleiben die Zweifel, ob er dem Berechtigten ermöglicht werden darf, aktuell. Die Entscheidung wird danach zu treffen sein, welcher Stellenwert den Belangen des Unterhaltsberechtigten von Gesetzes wegen zukommt - auch und gerade im Verhältnis zum Beschuldigten. Immerhin haben die Überlegungen zum Antragsrecht des
12. Kap.: Verzicht bei den prozessualen Rechten
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Unterhaltsberechtigten schon einige Kriterien geliefert, die bei dieser Abwägung relevant werden.
1. Eigene Interessen des Beschuldigten, den Verzicht auf das Antragsrecht bewirken zu können Zunächst sind nochmals die Dimensionen der anstehenden Entscheidung zurechtzurücken: Versagt man dem Beschuldigten, einen Verzicht auf das Antragsrecht des § 9 Abs. 1 S. 3 StrEG zu bewirken, gewinnt der Unterhaltsberechtigte nicht etwa die sichere Aussicht, den eigenen Ersatzanspruch des § 11 StrEG zu erlangen. Gewahrt wird nur die Chance, daß der Unterhaltsberechtigte den Beschuldigten einen Monat lang überreden kann, den Antrag nach § 9 Abs. 1 S. 3 StrEG zu stellen. Läßt der Beschuldigte die Monatsfrist, § 9 Abs. 1 S. 4 StrEG, verstreichen, ist die Aussicht, eine Grundentscheidung zu erlangen, ohnehin zerschlagen. Die vorliegende Arbeit hat dem Beschuldigten anfangs unterstellt, er werde mit dem Verzicht auf das Antragsrecht des § 9 Abs. 1 S. 3 StrEG keine wirklich eigenen Interessen verfolgen. Zum Beweis seines "Edelmuts" genüge der Verzicht auf den materiellen Entschädigungsanspruch; deshalb gehe es beim Verzicht auf das Antragsrecht nur darum, eigenen "Edelmut" zusätzlich dem Unterhaltsberechtigten aufzuzwingen. Dies bedarf nach den Überlegungen, die zur Antragsbefugnis des Unterhaltsberechtigten angestellt wurden, einer Korrektur. Wie sich gezeigt hat, kann es für den Beschuldigten durchaus sinnvoll sein zu verhindern, daß zusätzlich zur Staatsanwaltschaft noch ein Gericht mit seinem Fall befaßt wird. Denn jede neue Prüfung, auch wo sie unter rein entschädigungsrechtlichen Aspekten erfolgt, kann bisher übersehene Verdachtsmomente zutage fördern. Dieser Gesichtspunkt kommt auch dort in Betracht, wo ein Verzicht auf das in § 9 Abs. 1 S. 3 StrEG gewährte Antragsrecht erfolgen soll. Denn wenn der Beschuldigte sich sicher ist, die Risiken des gerichtlichen Verfahrens vermeiden zu wollen, kann er mit dieser Art von Verzicht einen klaren Schlußstrich ziehen. Jede Auseinandersetzung mit dem Unterhaltsberechtigten wird dadurch von vornherein femgehalten. Darüber hinaus mag es Situationen geben, in denen der Beschuldigte sich von einem raschen, umfassenden Verzicht die Einstellung seines Verfahrens erhoffen kann147 . 147Solange der Wunsch, eine Einstellung des Verfahrens zu erreichen, bloß inneres
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4. Teil: Rechtsmacht des Beschuldigten, verzichten zu können
2. Kein Verstoß gegen bestehende Unterhaltspflichten Verzichtet der Beschuldigte darauf, gemäß § 9 Abs. 1 S. 3 StrEG eine Entscheidung über die Entschädigungspflicht beantragen zu können, liegt darin kein Verstoß gegen gesetzliche Verbote. Die aus §§ 1360, 1601 BGB abzuleitende Verpflichtung, Unterhalt zu gewähren, bezieht sich grundsätzlich nicht auf die Vergangenheit, §§ 1613, 1360a Abs. 3 BGB. Deshalb wird die Unterhaltspflicht nicht berührt, wenn der Beschuldigte die auf die Vergangenheit bezogene Ersatzleistung des § 11 StrEG vereitelt. Mit entsprechender Begründung ist eine gemäß § 170b StGB strafbare Entziehung des Unterhalts zu verneinen. Denn auch § 170b StGB erfaßt nur solche Fälle, in denen der Unterhaltsverpflichtete künftige Leistungen vereitelt l48 • Im übrigen geht es in § 11 StrEG aber auch gar nicht um einen Unterhalts-, sondern um einen Ersatzanspruch. Es gibt keinen Rechtssatz, nach dem der Unterhaltsverpflichtete angewiesen wäre, einen Ersatzanspruch des Unterhaltsberechtigten zu verfolgen oder dem Unterhaltsberechtigten die Leistung aus einem Ersatzanspruch zu verschaffen l49 •
In der Art und Weise, wie der Ersatzanspruch des § 11 StrEG an den Beschuldigten gebunden ist, setzt sich vielmehr eine Risikoverteilung fort, die ganz allgemein zwischen Unterhaltsverpflichtetem und Unterhaltsberechtigtem besteht. Zum gewöhnlichen Lebensrisiko eines jeden Unterhaltsberechtigten gehört es nämlich, daß deIjenige, der ihm Unterhalt schuldet, diesen Unterhalt auch tatsächlich zu leisten vermag. Die Gründe, die den Unterhaltsverpflichteten an der Leistung hindern, können sehr vielfältig sein; sie reichen von Krankheit, mangelnder Arbeitsfähigkeit, fehlendem Erfolg bei der Stellensuche bis dahin, daß der Unterhaltsverpflichtete eine Strafhaft zu verbüßen hat. Solche Hinderungen hat der Unterhaltsberechtigte hinzunehmen, weil es nun einmal sein Schicksal ist, diesen und keinen anderen Unterhaltsverpflichteten Motiv des Beschuldigten bleibt, liegt keine verzichtsanbahnende Absprache vor. Deshalb besteht hier noch kein Grund, die besondere Problematik derartiger Absprachen zu erörtern. Behandelt wird die auf Einstellung des Verfahrens gerichtete verzichtsanbahnende Absprache unten in Kap. 19 - 24, 29, 30, 32, 33, S. 311 - 405, 446 - 484, 496 - 525. 148 Dreher-Tröndle, § l70b Rn. 7. 149 Zwar ist im Rahmen des § l70b StGB anerkannt, daß der Unterhaltsverpflichtete Ansprüche gegen Dritte geltend machen muß. Dabei geht es aber um Ansprüche, welche die eigene Leistungsfähigkeit des Unterhaltsverpflichteten stärken, z.B . Kindergeld oder Kinderzuschläge; Dreher-Tröndle, § l70b Rn. 6; Lenckner, in: Schönke-Schröder, § 170b Rn. 21.
12. Kap.: Verzicht bei den prozessualen Rechten
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zu haben. Der Unterhaltsverpflichtete braucht auch keineswegs schuldlos in Krankheit, Arbeitslosigkeit oder Strathaft geraten zu sein; wenn er sich aus mangelnder Vorsicht verletzt oder infiziert hat, wenn er es aus Desinteresse unterlassen hat, sich beruflich weiterzubilden, wenn er eine Straftat begangen hat, mutet die Rechtsordnung dem Unterhaltsberechtigten zu, diese Fehler hinnehmen und deren Folgen tragen zu müssen. Die gleiche Abhängigkeit besteht bei §§ 9 Abs. 1 S. 3, 11 StrEG: Die Regelung setzt voraus, daß der Unterhaltsverpflichtete schon in Wahrnehmung seiner eigenen Interessen die Grundentscheidung beantragt. Unterläßt er den Antrag oder verzichtet er sogar darauf, ihn zu stellen, wird er dafür seine Gründe haben; und wenn es keine plausiblen Gründe sind, dann bleibt das eine Sache, die er selbst und der Unterhaltsberechtigte untereinander bereinigen müssen.
3. Keine Verpflichtung des Gesetzgebers, dem Unterhaltsberechtigten Ersatz für den entgangenen Unterhalt zu verschaffen Die Rechtsordnung darf den Unterhaltsberechtigten in diese Abhängigkeit vom unterhaltsverpflichteten Beschuldigten stellen, weil sie zuvor auf andere Weise für ihn gesorgt hat. Denn für die Zeit,.in der der Unterhaltsberechtigte, bedingt durch die an dem Unterhaltsverpflichteten vollzogene Maßnahme, keinen Unterhalt bekommen hat, stand ihm Sozialhilfe zu. Der notwendige Lebensunterhalt wird durch §§ 11, 12 BSHG in jedem Fall gesichert. Anders als beim Beschuldigten selbst ist für den Unterhaltsberechtigten der Gesichtspunkt der Aufopferung nicht einschlägig. Denn der hoheitliche Eingriff erfolgt in den Rechtsbereich des Beschuldigten, nicht des Unterhaltsberechtigten. Letzterer ist von der Maßnahme der Strafverfolgung nur mittelbar betroffen; außerdem treten die Folgen nicht an Freiheit oder Eigentum, sondern allein an seinen Erwerbsaussichten ein, nämlich der Chance, Unterhalt zu bekommen. Dementsprechend haben überhaupt erst die §§ 9 Abs. 1 S. 3, 11 StrEG dem Unterhaltsberechtigten die Möglichkeit eröffnet, für eine Strafverfolgung, der der Beschuldigte im Ermittlungsveifahren ausgesetzt war, Ersatz zu erlangen. Dem früheren Recht war ein entsprechender Ersatzanspruch völlig fremd. Damit sind die Bedenken, die gegen einen Verzicht des Beschuldigten auf das in § 9 Abs. 1 S. 3 StrEG gewährte Antragsrecht bestehen mögen, ausgeräumt. Das Recht, gemäß § 9 Abs. 1 S. 3 StrEG eine Entscheidung über die Entschädigungspflicht zu beantragen, unterliegt der Möglichkeit des Verzichts.
Fünfter Teil Die Erklärung über den Verzicht Voraussetzungen ihrer Wirksamkeit I Rechtsfolgen
13. Kapitel Frühester Zeitpunkt, zu dem ein wirksamer Verzicht erfolgen kann Nachdem feststeht, daß der Beschuldigte grundsätzlich über seine Entschädigung und die zugehörigen Antragsrechte verfügen kann, gilt es jetzt im einzelnen zu klären, an welche Voraussetzungen ein wirksamer Verzicht gebunden ist. Dabei interessiert zuerst, ob zeitliche Vorgaben gesetzt sind, ob also das Straf- oder das Entschädigungsverfahren in ein bestimmtes Stadium eingetreten sein muß, damit der Verzicht vorgenommen werden kann. Die Fragestellung erinnert an das früher behandelte Problem, wann der Anspruch auf Strafverfolgungsentschädigung entstehtl, und hängt in der Tat damit zusammen. Denn damals hatte sich ergeben, daß ein Verzicht, der während des laufenden Strafverfahrens erklärt wird, einen Anspruch betrim, der zu dieser Zeit noch gar nicht existiert.
A. Verzicht nach rechtskräftiger Entscheidung des Betragsverfahrens Ohne Zweifel kann der Beschuldigte verzichten, wenn die Entscheidung des sog. Betragsverfahrens, § 10 StrEG, rechtskräftig geworden ist. Sie legt fest, welche konkreten Zahlungen zu leisten sind; deshalb beseitigt sie die ursprüngliche Bedingtheit des Anspruchs auf Strafverfolgungsentschädigung und valutiert ihn2• Mit Rechtskraft der Betragsentscheidung liegt ein gewöhnlOben Kap. 9, S. 152 - 166.
13. Kap.: Frühester Zeitpunkt für einen wirksamen Verzicht
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licher Zahlungsanspruch vor. § 13 Abs. 2 StrEG erlaubt es, ihn auf jemand anderen zu übertragen. Das beweist, daß der Beschuldigte keinerlei Beschränkungen mehr unterliegen soll, wie er über die Strafverfolgungsentschädigung verfUgen will. Neben der rechtsgeschäftlichen Übertragung muß erst recht auch der Verzicht möglich sein.
B. Verzicht nach rechtskräftiger Grnndentscheidung
Liegt die Betragsentscheidung noch nicht vor, ist jedoch die Grundentscheidung, §§ 8 Abs. 1, 9 Abs. 1 S. 1 StrEG, ergangen und rechtskräftig geworden, besteht der Anspruch auf Strafverfolgungsentschädigung; aber es haftet ihm die aufschiebende Bedingung an, daß noch das Betragsverfahren durchgefiihrt werde 3• Die Bedingtheit eines Anspruchs ist kein Grund, einen Verzicht auszuschließen. Im Gegenteil wird anerkannt, daß bedingte Ansprüche Gegenstand eines Erlaßvertrages, § 397 BGB, sein können4 • Zum öffentlich-rechtlichen Verzicht finden sich Äußerungen, wonach dieser auch Anwartschaftsrechte betreffen kann5 , und diese sind gerade durch ihre Bedingtheit definiert. Daß ein Verzicht, der vor der Rechtskraft der Betragsentscheidung erfolgt, unzulässig wäre, mag sich dann allenfalls aus dem StrEG selbst ergeben. Als Ansatz dafiir kommt § 13 Abs. 2 StrEG in Betracht, wonach der Anspruch auf Strafverfolgungsentschädigung bis zur rechtskräftigen Betragsentscheidung nicht übertragen werden kann. Doch wie schon ausgefiihrt6 , dient § 13 Abs. 2 StrEG lediglich dazu, einen der Strafrechtspflege abträglichen Handel mit dem Entschädigungsanspruch zu verhindern7• Der einseitige Verzicht des Beschuldigten gibt keinen Anlaß zu befiirchten, Dritte könnten sich mit eigenen wirtschaftlichen Interessen in das Verfahren drängen. Deshalb liefert § 13 Abs. 2 2
Siehe oben Kap. 9/ A / G, S. 153,166.
3
Siehe oben Kap. 9/ G, S. 166.
4 V• Feldmann, in: MK, § 397 Rn. 5; Heinrichs, in: Palandt, § 397 Rn. 2; H. P. Westermann, in: Erman, § 397 Rn. 4.
SEtwa bei Fischer, S. 8, bei Walsmann, S. 141 fT., 143, 200 f., oder bei Wilde, S. 14 f. 6
Oben Kap. 9/ A, S. 153.
Abg. Arndt, BT-Plenarprot. 6/84, S. 4707. Ebenso: OLG Hamm, NJW 1975, 2075; LG Stuttgart, MDR 1980, 590; Schätzler, § 13 Rn. 7. 7
220
5. Teil: Die Erklärung über den Verzicht
StrEG im Ergebnis kein Argument, daß der Beschuldigte zum Verzicht erst die Rechtskraft der Betragsentscheidung abwarten müsse. Einzugehen wäre dann auf § 10 Abs. I S. 1/2 StrEG, wonach der Anspruch auf Strafverfolgungsentschädigung ausgeschlossen ist, wenn der Berechtigte nicht spätestens sechs Monate nach rechtskräftiger Grundentscheidung den Antrag für das Betragsverfahren stellt. § 10 Abs. I S. 1/2 StrEG eröffnet eine Möglichkeit, die Entschädigung preiszugebenB. Wenn diese Möglichkeit erst ab Rechtskraft der Grundentscheidung besteht, könnte darin eine allgemeine gesetzliche Wertung liegen, die auch für andere Formen der Preisgabe, einschließlich des Verzichts, zu beachten wäre 9• Indessen findet man keine Anhaltspunkte dafür, daß § 10 Abs. I S. 1/2 StrEG über den unmittelbar geregelten Fall hinaus anwendbar wäre. Der Gesetzgeber hat hier keine generelle Schutzvorschrift zugunsten des Berechtigten schaffen wollen. Sondern es geht, ebenso wie bei der absoluten Ausschlußfrist des § 12 StrEG10 , schlicht darum, das Verfahren zu einem endgültigen Abschluß zu bringen. Bedenken, vor der in § 10 Abs. I S. 1/2 StrEG gesetzten Frist könne nicht verzichtet werden, erscheinen daher unbegründet; ein Verzicht nach rechtskräftiger Grundentscheidung ist möglich.
C. Verzicht vor rechtskräftiger Grundentscheidung Schwieriger ist die Frage zu beantworten, ob der Beschuldigte schon vor der Rechtskraft der Grundentscheidung wirksam verzichten kann, womöglich noch ehe die Grundentscheidung überhaupt ergeht. Denkbare Einwände kommen wiederum zunächst aus der allgemeinen Verzichtslehre, zum anderen aus der speziellen Dogmatik zur Strafverfolgungsentschädigung.
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Oben Kap. 5 / E, S. 94.
Konsequenterweise müßte man sich am Ablauf der in § 10 Abs. 1 S. 1/2 StrEG gesetzten Frist orientieren. Da der Anspruch von da an ohnehin ausgeschlossen ist, bliebe fiir einen Verzicht nach rechtskräftiger Grundentscheidung im Ergebnis überhaupt kein Raum. 9
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Zur Funktion des § 12 StrEG vgl. Schätzler, § 12 Rn. 1 f.
13. Kap.: Frühester Zeitpunkt für einen wirksamen Verzicht
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I. Möglichkeit, auf künftige Ansprüche zu verzichten, und ihre Einschränkungen nach allgemeiner Lehre Die Grundentscheidung, §§ 8 Abs. 1,9 Abs. I S. I StrEG, konstituiert den Anspruch auf Strafverfolgungsentschädigungll. Solange sie aussteht, existiert der Anspruch nicht, nicht einmal bedingt. Erfolgt deshalb der Verzicht vor der Grundentscheidung, richtet er sich auf etwas, das erst für die Zukunft erwartet werden kann.
I. Verzichtbarkeit künftiger Ansprüche im Zivilrecht Die bekannt gewordenen gerichtlichen Entscheidungen, ob künftige Ansprüche verzichtbar seien, stammen vorwiegend aus bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten .. Das Reichsgericht hat gemeint, ein Verzicht sei, ebenso wie ein Erlaß nach § 397 Abs. I BGB, begrifflich ausgeschlossen, wenn er sich auf ein (noch) nicht bestehendes Recht oder eine (noch) nicht bestehende Forderung beziehe 12 • Beide Rechtsgeschäfte setzten ein bestehendes Recht oder eine bestehende Forderung voraus. Denn es handele sich jeweils um Verfügungen, und diesen mangele es am Gegenstand, sofern das Recht oder die Forderung überhaupt nicht begründet seien. Vom Bundesgerichtshof wurde später bestritten, daß diese Rechtsprechung den Verzicht auf künftige Forderungen ausgeschlossen habe. Dem Reichsgericht sei es nur um die Frage gegangen, ob über eine künftige Forderung ein Erlaßvertrag nach § 397 Abs. 1 BGB geschlossen werden könne. Das sei zu Recht verneint worden, weil § 397 Abs. I BGB das Erlöschen eines Schuldverhältnisses regele; ein Erlöschen könne man aber nur dort bewirken, wo das Schuldverhältnis zunächst einmal bestehe. Für einen nicht bestehenden Anspruch bedürfe es gar keines Erlaßvertrages, sondern der Gläubiger könne "verzichten" mit der Folge, daß die künftige Forderung gar nicht zum Entstehen gelange 13 • Auf dieser Grundlage ist inzwischen allgemein anerkannt, daß ein Verzicht auf künftige Forderungen möglich isti •.
Oben Kap. 9/ B / F II / G, S. 154 f., 164 f., 165. l2RGZ 148,256,262. Zuvor siehe schon RGZ 124, 325, 326.
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5. Teil: Die Erklärung über den Verzicht
Wenngleich kaum verständlich wird, warum bereits das Reichsgericht den Verzicht auf künftige Forderungen zugelassen haben soll, verdient der BGH im Ergebnis dennoch Zustimmung. Die Äußerung des Reichsgerichts, eine bestehende Forderung werde sowohl beim Erlaßvertrag als auch beim Verzicht vorausgesetzt, ist in bezug auf letzteren eine reine Unterstellung. Wie diese Untersuchung ergeben hat, regelt § 397 Abs. I BGB einen Sonderfall des Verzichts: Wer eine schuldrechtliche Forderung preisgeben will, soll dies nur im Einvernehmen mit dem Schuldner tun können, damit dieser sich nicht gegen seinen Willen beschenken lassen muß 1s . Daß der Schuldner gegen seinen Willen beschenkt wird, kann indessen nur dort vorkommen, wo die Forderung als solche existiert. Deshalb erlauben Sinn und Zweck des § 397 Abs. I BGB den Gegenschluß, daß bei (noch) nicht bestehenden Ansprüchen ohne das erschwerende Erfordernis eines Erlaßvertrages verzichtet werden kann. Demnach ist mit dem BGH - aus § 397 Abs. I BGB nicht die Unmöglichkeit, sondern eine sehr weitgehende Freiheit des Verzichts auf künftige Forderungen zu folgern. Die Grenzen dieser Freiheit würde die allgemeine Verzichtslehre dort zu ziehen haben, wo der Anspruch in ganz ungewisser Zukunft liegt. Jede rechtsgeschäftliehe Verfügung braucht nämlich ein Mindestmaß an Klarheit, was ihr Gegenstand sein soll. Der Bundesgerichtshof hat die Möglichkeit, auf künftige Forderungen zu verzichten, am Beispiel des Vergleichs, § 779 BGB, erläutert l6 • Legt man dessen Voraussetzungen zugrunde, wird zu verlangen sein, daß der Verzichtende klar entscheiden kann, worauf er verzichtet17 • Ferner bietet sich eine Parallele zur Abtretung künftiger Forderungen an, § 398 BGB. Dort muß der Anspruch bestimmt oder jedenfalls bestimmbar sein l8 •
13 BGH,
BB 1956, 1086.
14BGHZ 40, 326, 330; v. Feldmann, in: MK., § 397 Rn. 6; Heinrichs, in: Palandt, § 397 Rn. 2; H. P. Westermann, in: Erman, § 397 Rn. 4. OLG Frankfurt, Rpfleger 1973, 143, 144, hat dies auch ausdrücklich fiir einen künftigen Anspruch auf Auslagenerstattung anerkannt. 15 Oben Kap. 6/ A H, S. 98. 16BGH, BB 1956, 1086. 17 In diesem Sinne wird jedenfalls das Merkmal des "Rechtsverhältnisses" interpretiert: BGH, NJW 1980,889; Pecher, in: MK., § 779 Rn. 2; Thomas, in: Palandt, § 779 Rn. 5.
Entsprechend siehe zum Verzicht auf Sozialleistungen: Peters-Hommel, § 46 Anm.3. 18 RGZ 98, 200, 202; BGHZ 7, 365, 367 f.; BGH, NJW 1974, 1130; Heinrichs, in: Palandt, § 398 Rn. 11, 14; Roth, in: MK, § 398 Rn. 63.
13. Kap.: Frühester Zeitpunkt für einen wirksamen Verzicht
223
2. Verzichtbarkeit künftiger Ansprüche im öffentlichen Recht Parallel zum Zivilrecht ist der Verzicht auf künftige Ansprüche auch im öfJentlichen Recht zunächst eher kritisch gesehen worden. W. Jellinek erklärte es fiir ausgeschlossen, daß der einzelne gegenüber dem Staat auf Rechte verzichte, die ihm noch gar nicht zustünden l9 • Er berief sich insoweit auf die von G. Jellinek begründete Statuslehre, die zwischen dem Rechtsstatus, - der generellen Fähigkeit des Bürgers, Träger öffentlicher Rechte und Pflichten sein zu können, und dem Rechtsverhältnis, - der konkreten Beziehung zwischen Staat und Bürger, kraft derer der Bürger etwas Bestimmtes tun oder nicht tun soll, darf oder kann, unterschied20 • Verzichte der Bürger auf einen Anspruch, der (noch) gar nicht existiere, sah W. Jellinek insoweit kein Rechtsverhältnis, das schon betroffen sein könnte; deshalb bezog er diese Art des Verzichts auf den Rechtsstatui 1• Daß der Bürger aber seine generelle Fähigkeit, Träger öffentlicher Rechte und Pflichten sein zu können, zur Disposition stellte, kam fiir die Statuslehre nicht in Betracht22 • Indessen erscheint es unschlüssig, dem Verzicht auf ein künftiges Recht zu unterstellen, er sei gegen den Rechtsstatus gerichtet. Wer auf einen künftigen Anspruch verzichtet, verzichtet auf eben diesen künftigen Anspruch. Daß der Gegenstand des Verzichts im Zeitpunkt der Erklärung noch nicht existiert, trifft zwar zu; die Skepsis gegen diesen Umstimd dürfte aber rein begrifJsjuristischem Denken entspringen. Was seine Funktion und die gewollte Rechtswirkung angeht, ist der Verzicht auf einen künftigen Anspruch genauso in die Zukunft gerichtet, wie auch der Anspruch erst in der Zukunft entsteht. Deshalb
19W. Jellinek, § 9 IV 7, S. 215. Zustimmend Leippert, S. 115 - 117, und die dort zitierten Urteile des Eidgenössischen Versicherungsgerichts. Zuvor siehe bereits Apelt, S. 73 Fn. 2, allerdings ohne nähere Begründung. 20W. Jellinek, § 9 I, S. 191 f. Entwickelt ist die Statuslehre bei G. Jellinek, S. 83 f., 86 f. - Siehe jetzt noch Wolff-Bachof-Stober, VerwR I, § 32 Rn. 12 - 23, 33 - 41, S. 392 - 396, 400 - 404. 21 W. Jellinek, § 9 IV 7, S. 215. 22 Grundlegend G. Jellinek, S. 342. Ihm folgen Leippert, S. 83 f., Schoenbom, S. 71, und Wassermann, AöR 28 (1912), 261, 267.
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5. Teil: Die Erklärung über den Verzicht
ist die geltend gemachte Disparität der zeitlichen Ebenen allenfalls vordergründig vorhanden23 • Inzwischen gibt es durch § 46 SGB I eine Entscheidung des Gesetzgebers, daß auf öffentlich-rechtliche Ansprüche verzichtet werden kann, noch bevor diese entstanden sind. Gemäß § 46 Abs. I SGB I unterliegen Ansprüche auf Sozialleistungen der Möglichkeit des Verzichts; doch kann der Verzicht jederzeit mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden. Diese Befugnis zum Widerruf setzt voraus, daß auch der Verzicht mit Wirkung für die Zukunft erklärt wurde; indirekt liegt darin das Anerkenntnis, daß ein Verzicht künftige Ansprüche auf Sozialleistungen umfassen darf24 • Auf dieser Grundlage wird jetzt im Sozialrecht allgemein anerkannt, daß ein Verzicht auf künftige Ansprüche zulässig istls. Es begegnet keinen Bedenken, die in § 46 SGB I getroffene Entscheidung noch auf weitere Ansprüche zu beziehen, die eine Zahlungspflicht öffentlicher Stellen zum Gegenstand haben. Aus § 46 Abs. 1 SGB I wird allerdings zugleich eine Beschränkung abgeleitet. Dem Wortlaut der Vorschrift folgend, gelten nur konkrete "Ansprüche auf Sozialleistungen" als verzichtlich. Keinem Verzicht soll dagegen das Stammrecht unterliegen, die allgemeine Berechtigung, Sozialleistungen beziehen zu dÜTfen26 • Nur weil das Stammrecht außer Disposition stehe, könne § 46 Abs. I SGB I bestimmen, daß der Verzicht auf einzelne Ansprüche jederzeit mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden könne, wie denn umgekehrt die Unantastbarkeit des Stammrechts durch § 46 Abs. 1 SGB I ihre gesetzliche Bestätigung finde 27 • Letztlich entspricht dies der Forderung der Statuslehre, daß die
23Das haben auch BTÜggemann, S. 83 f., Fischer, S.9, und Walsmann, S. 213 f., bereits geltend gemacht. Die von ihnen verfolgte Lösung, die zeitliche Disparität aufzuheben, geht dahin, daß der Verzicht auf eine künftige Forderung aufschiebend bedingt erklärt werde; aufschiebende Bedingung sei, daß die Forderung erst noch entstehen müsse. Diesem Ansatz kann die vorliegende Arbeit nicht folgen, weil es durchaus bedenklich erscheint, ob der Verzicht, eine in der Regel einseitig abgegebene Willenserklärung, unter eine Bedingung gestellt werden kann; siehe unten Kap. 39 / A I, S. 579 - 581. 24 Gitter,
in: BochKomm, § 46 Rn. 3.
Siehe noch Hauck, in: Hauck, SGB I, K § 46 Rn. 5; Kunz/Zeltner, § 1 Rn. 76; Mrozynski, § 46 Rn. 6. 2S
26 Huber, SozVers. 1982, 212, 213; Kretschmer, in: GK-SGB I, § 46 Rn. 17 f.; Mrozynski, § 46 Rn. 6; Peters-Hommel, § 46 Anm. 2; Seewald, in: KassKomm, § 46 SGB I, Rn. 4; Thieme, in: Wannagat, AT § 46, Rn. 1. 27
Kretschmer, in: GK-SGB I, § 46 Rn. 18.
13. Kap.: Frühester Zeitpunkt für einen wirksamen Verzicht
225
allgemeine Fähigkeit, Träger öffentlicher Rechte und Pflichten sein zu können, keinem Verzicht unterliegen dürfe.
3. Rückschlüsse für das Recht der Strafverfolgungsentschädigung Nach den soeben behandelten Lehren kann es keinen Bedenken begegnen, wenn der (vormals) Beschuldigte einen Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung vor der Grundentscheidung erklärt. Dieser Verzicht betrim einen Anspruch, der durch die Grundentscheidung entstehen würde. Aus der öffentlich-rechtlichen Erörterung wäre allerdings festzuhalten, daß die generelle Fähigkeit, Ansprüche auf Strafverfolgungsentschädigung erwerben und haben zu können, unverzichtlich ist. Die "große Geste", von vornherein jede Art von Strafverfolgungsentschädigung für sich abzulehnen, bleibt demnach ohne Rechtsfolgen. Verzichten kann der (ehemals) Beschuldigte nur auf einen konkreten Entschädigungsanspruch, wie dieser sich im Hinblick auf eine bestimmte strafprozessuale Maßnahme ergibt. Das Erfordernis genügender Bestimmtheit gilt darüber hinaus auch für den Anspruch selbst. Das ist aus den bürgerlich-rechtlichen Lehren zu folgern, wonach der Verzichtende Klarheit haben muß, worauf er verzichtet. Damit allein sind dem Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung freilich keine allzu strengen Sperren gesetzt. Sobald ein Strafurteil (§ 1 StrEG) bzw. eine sonstige Entscheidung vorliegt, mit der eine Maßnahme der Strafverfolgung verhängt wird (§ 2 StrEG), ist die Maßnahme als solche bekannt. Damit kann auch ein Verzicht hinreichend präzise vorgenommen werden. Der (ehemals) Beschuldigte braucht nur das Urteil, den Haftbefehl etc. zu bezeichnen, und kann sodann erklären, er verzichte auf die daraus (womöglich) erwachsende Strafverfolgungsentschädigung.
11. Unzulässigkeit des Verzichts vor Grundentscheidung wegen gesetzeswidriger Selbstbindung des Beschuldigten? Restriktivere Ergebnisse darf man von der speziellen Dogmatik des StrEGRechts erwarten, denn diese müßte besonderen Wert auf den Schutz des Beschuldigten legen. In der Tat hat Peters zu begründen versucht, daß vor 15 Friehe
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5. Teil: Die Erklärung über den Verzicht
Erlaß der Grundentscheidung kein wirksamer Verzicht vorgenommen werden könne. Dies folge daraus, daß der Entschädigungsanspruch als öffentlichrechtliche Folge aus dem obsiegenden Urteil erwachse. Der vorzeitige Verzicht erlege deshalb dem Beschuldigten eine auf gesetzesfremden Motiven beruhende unzulässige Selbstbindung aufs. Peters bezog seine Ausführungen allerdings auf solche Situationen, in denen der Beschuldigte eine Wiederaufnahme des Verfahrens zu bewirken hofft. Hintergrund ist folgendes 29 : Wer im Wiederaufnahmeverfahren freigesprochen wird, erhält den Anspruch auf Entschädigung, auch wenn der Beweis völliger Unschuld weiterhin nicht erbracht ist. Diese weitreichende Entschädigungspflicht mag die Justizbehörden dazu veranlassen, von der Wiederaufnahme nur sehr zurückhaltend Gebrauch zu machen. Wenn der Verurteilte in dieser Situation auf seine Entschädigung verzichtet, um die Justizorgane für eine Wiederaufnahme zu gewinnen, so läßt sich nicht leugnen, daß seine Motive der ratio legis zuwiderlaufen. Und zwar insofern, als es nach dem StrEG gerade nicht mehr darauf ankommen darf, welcher Tatverdacht am Ende des Wiederaufnahmeverfahrens bestehen bleibt.
Man kann Peters darin zustimmen, daß der Verurteilte sich selbst in den Möglichkeiten beschränkt, die das StrEG ihm nach einem Freispruch bieten würde. Fraglich ist nur, was an der beschriebenen Art von Selbstbindung unzulässig sein soll. Peters hat sein Beispiel nicht so gebildet, daß der Verurteilte mit der Staatsanwaltschaft oder dem Gericht eine Absprache über den Verzicht getroffen hätte. Sondern man müßte seiner Ansicht nach schon dann zur Unzulässigkeit des Verzichts gelangen, wenn dieser auf dem Motiv beruht, die Strafverfolgungsorgane milde zu stimmen. Dieses Motiv bräuchte nur innerlich zu bestehen, also nach außen gar nicht sichtbar zu werden. In unserer Rechtsordnung haben aber Motive, die nicht nach außen dringen, grundsätzlich keine Bedeutung. Für das bürgerliche Recht ist auf §§ 119 ff. BGB zu verweisen, die wegen eines Motivirrtums nicht einmal die Anfechtung zulassenlo . Nur wenn das Motiv, das der Erklärung zugrundeliegt, dem Empfänger erkennbar wird, kann ein solcher Irrtum unter Umständen beachtlich seinli. Im öffentlichen Recht ist das Motiv einer Erklärung genauso belanglos. Bezogen auf den Verzicht wird zuweilen ausdrücklich erwogen, §§ 119 ff. 28K.
Peters, Fehlerquellen, Bd. III, § 32 II 5, S. 187.
29
Siehe bereits oben Kap. 3/ B III 2 a, S. 73.
30
Brox, BGB AT, § 18 II 2, Rn. 370, S. 179; Larenz, BGB AT, § 20 II b, S. 378.
So vom Reichsgericht angenommen fUr den sog. "Kalkulationsirrtum": RGZ 64, 266, 268; 94, 65, 67; 97, 138, 140; 105,406, 407; 116, 15, 17; 149, 235, 239. 31
13. Kap.: Frühester Zeitpunkt für einen wirksamen Verzicht
227
BGB entsprechend anzuwenden32 • Ob sich diese Analogie durchgängig empfiehlt, mag dahinstehen. Doch ist kein Fall bekannt, wo einem Verzicht auf eine öffentlich-rechtliche Forderung allein wegen des inneren, nach außen nicht hervortretenden Motivs die Wirksamkeit versagt worden wäre. Aufschlußreich ist außerdem der Blick auf andere Sachverhalte, in denen die Rechtsordnung dem Bürger eine Selbstbindung verwehrt. Auch dort spielt die innere Motivlage keine Rolle. Ein Beispiel aus dem Strafrecht bietet § 226a StGB. Er läßt nicht zu, daß jemand in eine Körperverletzung einwilligt, die gegen die guten Sitten verstößt. Dabei kommt es für die Beurteilung der Sittenwidrigkeit und somit für die Grenze, von wo an die Selbstbindung unzulässig wird, auf die Sittenwidrigkeit der Tat, nicht hingegen der Einwilligung oder der Motive an, die der Tat zugrunde liegen33 • Aus dem Strafprozeßrecht wäre § 136a Abs. 2 StPO als Beispiel für unzulässige Selbstbindung anzuführen. Verbotenen Vernehmungsmethoden kann der Beschuldigte sich nicht unterwerfen, auch nicht freiwillig. Das gilt selbst dann, wenn der Beschuldigte sich von der Vernehmung den Beweis seiner Unschuld verspriche4 • Wiederum ist also das innere Motiv der Selbstbindung belanglos. . Wenn aber die Motive einer zu Selbstbindung führenden Erklärung im allgemeinen keine Bedeutung für deren Wirksamkeit haben, sollte dieses Prinzip auch beim Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung durchgehalten werden. Selbst der Umstand, daß der Entschädigungsanspruch als öffentlichrechtliche Folge eines obsiegenden Urteils entsteht, rechtfertigt insofern keine Ausnahme. Der Beschuldigte kann zwar über die Grundentscheidung als solche nicht verfügen. Doch darauf kommt es ihm auch gar nicht an, wenn er auf seine Entschädigung verzichtet. Es geht ihm nur darum, den Anspruch auf Entschädigung aufzugeben. Indessen bleibt das Strafgericht trotz des Verzichts verpflichtet, über den Grund der Entschädigung zu entscheiden, weil insofern zwischen dem Verzicht selbst und seinen Auswirkungen auf das Entschädigungsverfahren zu differenzieren ises. Der Beschuldigte greift also mit seinem Verzicht durchaus nicht, wie von Peters befürchtet, auf unzulässige Weise in den Ablauf des Entschädigungsverfahrens ein. 32LSG RhPf, SozVers. 1983, 22, 23; Hauck, in: Hauck, SGB I, K § 46 Rn. 3c; Kretschmer, in: GK-SGB I, § 46 Rn. 11; Mrozynski, § 46 Rn. 4; Peters-Hommel, § 46 Anm. 4; Seewald, in: KassKomm, § 46 SGB I, Rn. 5. 33 RGSt 74, 91, 95; BGHSt 4, 88, 91. 34 BVerfG, NJW 1982, 375, zur Anwendung eines Polygraphen; KleinknechtMeyer-Meyer=Goßner, § 136a Rn. 24. 3sOben Kap. 11 / D 11 4, S. 199, und Kap. 12/ B 11, S. 206 f. 15'
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5. Teil: Die Erklärung über den Verzicht
Übrigens würde sich in der Praxis kaum jemals klären lassen, ob der Verzichtende nur großzügig sein wollte oder ob er insgeheim gehofft hat, die Strafverfolgungsorgane für eine ihm günstige Entscheidung zu gewinnen. Erfolgte der Verzicht aus reinem Edelmut, dann würde Peters Ansatz dem Beschuldigten nachträglich die Möglichkeit verschaffen, sich von dem Verzicht loszusagen. Denn die Einlassung, er habe eigentlich mit seinem Verzicht nur eine milde Sachentscheidung erstrebt, wird niemand dem Beschuldigten widerlegen können. Auch hieran zeigt sich, daß der Gedanke, ein Verzicht vor Grundentscheidung führe eine unzulässige Selbstbindung des Beschuldigten herbei, nicht weiterführt.
III. Unzulässigkeit des Verzichts vor Grundentscheidung wegen Unabsehbarkeit der Verzichtsfolgen?
In einem Beschluß aus dem Jahr 1963 hat das Bayerische Oberste Landesgericht entschieden, ein Angeklagter könne im voraus weder auf die Anfechtung einer ihm die notwendigen Auslagen versagenden Entscheidung noch auf die Erstattung dieser Auslagen selbst verzichten36 • Was das Gericht hierzu ausführt, ist über § 467 StPO hinaus von Bedeutung. Denn wie dargelegf7, gibt es zwischen dem Verfahren der Auslagenerstattung und dem der Strafverfolgungsentschädigung etliche Parallelen. Die Bedenken, die das Bayerische Oberste Landesgericht vorgebracht hat, werden durchaus auch beim Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung relevant. So meint das Gericht, im Strafverfahren müsse der Beschuldigte wegen der Nachteile, die ihm unter Umständen erwachsen, immer erst den vollen Inhalt und Umfang der gegen ihn verhängten Maßnahmen kennen, bevor er die im Gesetz vorgesehene Möglichkeit preisgebe, sein bestehendes oder vermeintliches Recht weiter zu verfolgen. Ebensowenig wie der Angeklagte auf Rechtsmittel verzichten dürfe, bevor er nicht über den Inhalt der Entscheidung zuverlässig Kenntnis habe38 , könne er vor Erlaß der Grundentscheidung auf deren Anfechtung verzichten39 . Im Ergebnis richtet sich dieses Argument auch
36 BayOLG, OLGSt (a.F.) § 467 StPO, S. 1 f. 37
=
Rpfleger 1964, 59.
Oben Kap. 4 / A, S. 81.
38 So die h.M. zum Rechtsmittelverzicht: BGHSt 25, 234, 236; Gollwitzer, in: LR, § 302 Rn. 7; Ruß, in: KK, § 302 Rn. 6. 39BayOLG, OLGSt (a.F.) § 467 StPO, S. 2 = Rpfleger 1964, 59.
13. Kap.: Frühester Zeitpunkt für einen wirksamen Verzicht
229
gegen den Verzicht auf die Entschädigung selbst, den das Gericht gleichfalls für unzulässig erklärte4o • Dem Gedanken, daß der Beschuldigte wissen muß, worauf er sich mit seinem Verzicht einläßt, kann man ohne weiteres zustimmen. Schwierig ist, daß der Beschluß des Bayerischen Obersten Landesgerichts ihn so eng mit der Grundentscheidung verkoppelt. Aus der Perspektive des Jahres 1963 mag dies verständlich sein. Denn nach dem damaligen Recht hatte nur deIjenige, dessen Unschuld festgestellt wurde, Anspruch auf Auslagenerstattung einerseits, Strafverfolgungsentschädigung andererseits. Unter diesen Bedingungen brachte die Grundentscheidung - mittelbar - zum Ausdruck, ob der Betroffene nur als "nicht schuldig" zu gelten hatte oder ob er als wirklich "unschuldig" erfunden war. In der Tat konnte der Beschuldigte deswegen erst aus der Kenntnis der Grundentscheidung beurteilen, mit welchem Makel seine Person und seine Ehre gegebenenfalls belastet bleiben werde. So gesehen, war es durchaus konsequent, den Verzicht frühestens nach der Grundentscheidung zuzulassen. Nachdem die Unschuldsklausel aber sowohl im Kostenrecht als auch bei der Strafverfolgungsentschädigung gefallen ist, erscheint es nicht länger einleuchtend zu sagen, der Beschuldigte wisse vor der Grundentscheidung nicht, worauf er sich mit dem Verzicht einlasse. Denn bei der Abschätzung, was preiszugeben wäre, kann es heute nur mehr um die Schäden gehen, die aus der erlittenen Strafverfolgungsmaßnahme erwachsen sind. Hierüber kann der Beschuldigte sich aber im Klaren sein, bevor die Grundentscheidung ergeht. Jedenfalls näherungsweise stehen die Schäden fest, sobald die zugrunde liegende Maßnahme beendet wird. Aus der Systematik des StrEG ist sogar ein Argument dafür zu gewinnen, daß die Grundentscheidung keine maßgebliche Zeitgrenze sein kann. Zu verweisen ist auf § 9 StrEG, der jene Fälle regelt, in denen das Verfahren noch während der staatsanwaltlichen Ermittlungen eingestellt wird. Hier bedarf es bereits zur Grundentscheidung eines Antrags, den der Beschuldigte stellen muß. Die Frist hierfür beträgt einen Monat, § 9 Abs. 1 S. 4 StrEG. Sie ist bewußt kurz gehalten, weil der Beschuldigte sich so bald wie zumutbar schlüssig werden soll, ob er Entschädigung verlangen will41 ; wie bei § 10 Abs. 1 S. 1 StrEG geht es darum, einen zügigen Abschluß des Verfahrens zu ermöglichen. Folglich gelten für einen Verzicht, der noch vor Fristablauf erklärt wird, Überlegungen, wie sie vorhin zu § 10 Abs. 1 S. 1 StrEG angestellt worden sind: 40 Freilich mit modifizierter Begründung, die stärker auf die Unzulässigkeit strafprozessualer Absprachen abstellt. BayOLG, OLGSt (a.F.) § 467 StPO, S. 2 = Rpfleger 1964,59. 41 Schätzler, § 9 Rn. 8.
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5. Teil: Die Erklärung über den Verzicht
Wie dort, so ist auch hier anzunehmen, daß der Beschuldigte schon vor Ablauf der Frist seine Entschädigung sowie das Antragsrecht preisgeben kann. Ist aber im Ermittlungsverfahren ein Verzicht vor der Grundentscheidung möglich, erscheint es nur konsequent, daß ein gleicher Verzicht auch im gerichtlichen Verfahren zugelassen wird.
D. Maßgebliche Einschränkung: Die aus der Strafverfolgung erwachsenen Folgen müssen abschätzbar sein Die Erkenntnis, daß der Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung bereits vor der Grundentscheidung erfolgen kann42 , eröffnet einen grundsätzlich weiten zeitlichen Rahmen: Es kommt nicht auf den formalen Gesichtspunkt an, welches Stadium das Strafverfahren erreicht hat. Unabhängig davon bleibt es ein plausibler Ansatz, der (vormals) Beschuldigte müsse verläßlich erkennen können, worauf er verzichte. Diese Forderung ist in den vorstehenden Überlegungen mehrfach aufgetaucht; daß sie jeweils an bestimmte Verfahrensschritte anknüpfte, ist kein Grund, sie gänzlich beiseite zu schieben. Im Grunde handelt es sich um eine materielle Sperre, die injeder Phase des Verfahrens greifen kann.
I. Möglichkeit des Verzichts jedenfalls nach Beendigung der Maßnahme Wie sich gezeigt hat, verlangt bereits die allgemeine Verzichtslehre, daß der Gegenstand des Verzichts konkret bezeichnet werden kann. Die Anforderungen, welche die allgemeine Verzichtslehre an die Konkretisierbarkeit stellt, sind freilich nicht sehr hoch: Der Rechtsverkehr muß erkennen können, welche Ansprüche aus welchem Lebenssachverhalt der Verzichtende meint. Das kann 42 Sie entspricht der h.M., die diesem Problem bisher keine besondere Beachtung geschenkt hat. Statt dessen wird der Verzicht vor Grundentscheidung einfach zugelassen; die Diskussion konzentriert sich zumeist auf die logisch nachrangige Frage, ob nach erfolgtem Verzicht eine Grundentscheidung überhaupt noch getroffen werden muß.
Eine klare Äußerung findet sich immerhin bei Seebode, NStZ 1982, 144, 146.
13. Kap.: Frühester Zeitpunkt fiir einen wirksamen Verzicht
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ein Vorgang sein, der insgesamt noch in der Zukunft liegt43 , weshalb das Bestimmtheitsgebot der allgemeinen Verzichtslehre unter Umständen bereits erfüllt werden kann, bevor die Maßnahme der Strafverfolgung überhaupt verhängt wird. Eine am StrEG orientierte Betrachtungsweise verlangt einen höheren Grad von Bestimmbarkeit. Für sie steht der Schutz des Beschuldigten im Vordergrund. Dieser muß ermessen können, worauf er sich mit dem Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung einläßt, d.h., er muß abschätzen können, welchen finanziellen Umfang die etwa zu erwartende Entschädigung haben wird. Spätestens mit Beendigung der Maßnahme, derentwegen zu entschädigen wäre, ist diese Einschätzung und damit der Verzicht möglich.
11. Möglichkeit des Verzichts auch unmittelbar vor Beendigung der Maßnahme Ist demnach ein Verzicht, der nach Abschluß der Maßnahme erklärt wird, in aller Regel wirksam, wäre der Umkehrschluß, daß die Beendigung der Maßnahme den frühest möglichen Verzichtszeitpunkt markiere, gleichwohl zu streng. Die Praxis zeigt, daß die meisten Verzichtserklärungen vor der verfahrensabschließenden Entscheidung, also etwa dem Urteil oder der Einstellung des Verfahrens, abgegeben werden. Viele Maßnahmen der Strafverfolgung werden aber erst mit der verfahrensabschließenden Entscheidung aufgehoben; man denke an die Untersuchungshaft oder die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis. In solchen Fällen braucht man den ergangenen Verzichtserklärungen die Wirksamkeit nicht von vornherein zu versagen. Denn auch bei einem Verzicht, der noch während der Maßnahme erklärt wird, kann es bereits möglich sein, den finanziellen Umfang der zu erwartenden Entschädigung abzuschätzen. Das betrifft vor allem jene Fälle, in denen das Verfahren bei Abgabe der Verzichtserklärung bereits kurz vor dem Abschluß steht.
43 So bei der Abtretung künftiger Forderungen: Es können Forderungen abgetreten werden, fiir die der Entstehensgrund noch in keiner Weise gelegt ist. Notwendig ist allein, daß der erwartete Entstehensgrund konkret bezeichnet werden kann. Beispiel: Abgetreten werden alle Forderungen aus Lieferungen gegen den Kunden X. Siehe Roth, in: MK, § 398 Rn. 63, 65.
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5. Teil: Die Erklärung über den Verzicht
III. Keine Möglichkeit des Verzichts, wenn die Beendigung der Maßnahme noch nicht absehbar ist
Allerdings ist die Voraussetzung, daß das Verfahren unmittelbar vor dem Abschluß stehen muß, strikt einzuhalten. Jeder Versuch, sie "großzügig" handhaben zu wollen, schafft die Gefahr des Mißbrauchs. Deshalb ist jeder Verzicht verfrüht und unwirksam, bei dem der (ehemals) Beschuldigte das Ende des Verfahrens oder der Strafverfolgungsmaßnahme nicht unmittelbar vor sich sieht. Der zeitliche Spielraum kann eigentlich nur wenige Stunden betragen. Die äußerste Grenze mag analog zu Art. 104 Abs. 2 S.3 GG gezogen werden, wonach eine Freiheitsentziehung ohne richterliche Anordnung höchstens bis zum Ende des auf die Ergreifung folgenden Tages dauern darf. Zwar hat die Frist des Art. 104 Abs. 2 S. 3 GG ihre eigene Funktion, ganz abseits der Entschädigungsfrage. Andererseits gibt sie eine rechtsstaatliehe Garantie, nach welcher Dauer ein "Schwebezustand" über strafprozessuale Maßnahmen spätestens beendet sein muß. Wo das Ende des Verfahrens oder der Strafverfolgungsmaßnahme noch
nicht abzusehen ist, würde der Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung zu
einem Blankoscheck an die Behörden der Strafverfolgung. Diese könnten eine entschädigungspflichtige Sonderopfer-Situation aufrecht erhalten, ohne dafür "bezahlen" zu müssen. Das Beispiel eines Beschuldigten, der gerade erst in Untersuchungshaft genommen ist und gleichwohl bereits auf Strafverfolgungsentschädigung verzichtet, mag das verdeutlichen. Wäre dieser Verzicht wirksam, könnten die Organe der Strafverfolgung die Untersuchungshaft ohne Kostenrisiko fortsetzen. Dieses Kostenrisiko ist indessen eines von mehreren Mitteln, die das Gesetz gezielt einsetzt, um Staatsanwaltschaften und Gerichte zu disziplinieren. Wie eine Art Damoklesschwert soll die Pflicht zur Entschädigung über der Vollstreckung strafprozessualer Maßnahmen schweben, damit solche Maßnahmen auch im Hinblick auf etwaige Kostenfolgen fortwährend darauf überprüft werden, ob sie sachlich berechtigt und verhältnismäßig sind. Es hat also nicht nur etwas Formales, wenn verlangt wird, daß der Gegenstand des Verzichts bestimmbar sein müsse. Vielmehr verwirklicht sich in dieser Voraussetzung ein Stück Rechtsstaat. "Edelmut", demonstratives Desinteresse an finanzieller Wiedergutmachung darf nicht so weit gehen, daß der Verzichtende sich den Organen der Strafverfolgung ausliefert. Mit einem BlankoVerzicht schüfe der Beschuldigte die Gefahr, zum bloßen Objekt staatlicher Strafverfolgung zu werden. Diese Konsequenz liefe der Menschenwürde,
14. Kap.: Allgemeine Voraussetzungen für die Wirksamkeit
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Art. 1 00, zuwider4 \ weshalb ein solcher Zustand auch mit Einverständnis des Betroffenen niemals erreicht werden darf'5.
14. Kapitel Allgemeine Voraussetzungen f"ür die Wirksamkeit des Verzichts Der Verzicht wird durch rechtsgeschäftliehe Erklärung, durch eine Willenserklärung vorgenommen46 • Eine Analyse der Voraussetzungen, unter denen wirksam verzichtet werden kann, muß deshal~ auch die allgemeinen Wirksamkeitserfordernisse der Rechtsgeschäftslehre einbeziehen.
A. Zugang der Verzichtserklärung Wie jede andere Verzichtserklärung, ist der Verzicht auf subjektive öffentliche Rechte empfangsbedürftig47 • Folglich wird der Verzicht im öffentlichen Recht, auch der Verzicht des Beschuldigten auf seine im StrEG gewährten 44 BVerfGE 27,1,6; 28, 386, 391; 45,187,228; 50, 125, 133; 50, 166, 175; 50,205, 215; 72, 105, 116. 45 Die Menschenwürde ist gemäß Art. 1 Abs. 1 GG "unantastbar", kann folglich auch nicht vom Inhaber selbst in Frage gestellt werden: Stern, Bd. I1I12, § 86 III 3, S.923. 46 Oben Kap. 6/ A IV 3 / BI, S. 100 f, 106.
47RG, JW 1923, 988; PrOVG, Reger 13, 226, 227 f; dass., Reger 23,29,30; dass., GewArch. 1909,87,88; BayVGH, DVBI. 1950,372; OVG Münster, NJW 1987, 1964, 1965; LSG RhPf, SozVers. 1983, 22, 23; Apelt, S.71; Bachof, in: WolfflBachof, VerwR I, § 43 IV, S. 333; § 54 I c 2, S. 476; Brüggemann, S. 16; Bültmann, DOK 1934, 353, 355; Fischer, S. 9; Forsthoff, § 14.2 b, S. 289; Gitter, in: BochKomm, § 46 Rn. 19; Hauck, in: Hauck, SGB I, K § 46 Rn. 3c; Huber, SozVers. 1982,212; Krause, VerwArch. 61 (1970),298,320; Kretschmer, in: GK-SGB I, § 46 Rn. 11 f.; Leippert, S. 65; Malorny, JA 1974, 475; Middel, S. 31; Mrozynski, § 46 Rn. 4; Nebendahll Rönnau, NVwZ 1988, 873, 879; Nebinger, § 17 A V, S. 300 Fn. 74; Peters-Homme1, § 46 Anm. 4; Quaritsch, in: GS für Martens, S.407, 408, 414; Schoenborn, S. 32; Stelkens, in: StelkensIBonk/Sachs, § 53 Rn. 13, 17; Stern, Bd. IIII2, § 86 II 6, S. 915; Thieme, DÖV 1988, 250, 251; Wilde, S. 65 f
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5. Teil: Die Erklärung über den Verzicht
Rechte, erst wirksam, wenn die Erklärung dem zuständigen Erklärungsgegner zugeht. Insoweit gilt § 130 Abs. I S. I BGB analog. Solange der Zugang noch nicht bewirkt ist, kann der Beschuldigte sich durch einfachen Widerruf von seiner Erklärung lösen; das ergibt sich aus § 130 Abs. I S. 2 BGB, der ebenfalls entsprechende Anwendung findet48 • Damit stellt sich die Frage, wem die Verzichtserklärung eigentlich zugehen muß. Demi je nachdem, in welcher Entfernung der Verzichtende sich zu dem zuständigen Erklärungsgegner befindet, mag er in der Lage sein, die bereits getroffene Entscheidung noch einmal umzustoßen.
I. Zugang einer Erklärung, mit der auf den materiellen Entschädigungsanspruch verzichtet wird Beim Verzicht auf ein subjektives öffentliches Recht ist diejenige Behörde
für den Empfang zuständig, der im Hinblick auf das betroffene Recht Pflichten
obliegen oder die über den Bestand des Rechts entscheiden muß49 •
I. Empfangszuständigkeit der Landeskasse Die Verpflichtung, Strafverfolgungsentschädigung zu gewähren, liegt jeweils bei der Staatskasse des Landes, in dem das Strafverfahren im ersten Rechtszug anhängig war bzw. in dem das Ermittlungsverfahren durchgefiihrt wurde, §§ 15 Abs. 1,9 Abs. I S. 1/2 StrEG. Demnach geht die Verzichtserklärung jedenfalls in dem Augenblick zu, in dem sie die entsprechende Landeskasse erreicht.
.8 RG, JW 1923, 988; Gitter, in: BochKomm, § 46 Rn. 19; Kretschmer, in: GK-SGB I, § 46 Rn. 12; Stelkens, in: StelkenslBonk/Sachs, § 53 Rn. 17; Stern, Bd. IIII2, § 8611 6, S. 915. 49 PrOVG, Reger 13,226,227 f.; dass., Reger 23,29,30; dass., GewAreh. 1909,87, 88; BayVGH, DVBl. 1950,372; OVG Münster, NJW 1987, 1964, 1965; Apelt, S. 71; Brüggemann, S. 16; Forsthoff, § 14.2 b, S. 289; Krause, VerwAreh. 61 (1970), 297, 320; Middel, S. 32; Nebinger, § 17 A V, S. 300 a.E.; Wilde, S. 66. § 46 Abs. 1 SGB I verweist insoweit an den (zuständigen) "Leistungsträger" .
14. Kap.: Allgemeine Voraussetzungen für die Wirksamkeit
235
2. Mögliche Empfangszuständigkeit beim ermittelnden Staatsanwalt oder beim Strafrichter
Regelmäßig verzichtet der Beschuldigte schon während des laufenden Strafverfahrens. In diesen Fällen ist der Verzicht nur dann zugegangen und somit unwiderruflich, wenn bereits diejenigen, an die der Beschuldigte sich gewandt hat, etwa der ermittelnde Staatsanwalt oder der Strafrichter, eine Empfangszuständigkeit haben. Das mag eine eigene Zuständigkeit dieser Organe sein; ansonsten muß geprüft werden, ob sie Repräsentanten der empfangszuständigen Stelle sind. Selbst und unmittelbar empfangszuständig wären der ermittelnde Staatsanwalt oder der Strafrichter, falls sie den Verzicht bei ihrer eigenen Entscheidungsfindung berücksichtigen müßten. Dies ist aber nicht der Fall, schon gar nicht unter der hier maßgeblichen Hypothese, daß der Verzicht in keinerlei Zusammenhang mit einer strafprozessualen Absprache steht50 • Der edelmütige Verzicht auf den materiellen Entschädigungsanspruch berührt nur das Betragsverfahren; daran nehmen aber weder der ermittelnde Staatsanwalt noch der Strafrichter teil. Deshalb kann der edelmütige Verzicht auf den materiellen Entschädigungsanspruch, falls er schon während des Strafverfahrens erklärt wird, nur dann sofort zugehen, wenn der ermittelnde Staatsanwalt oder der Strafrichter als Repräsentanten im Herrschaftsbereich derjenigen Stelle stehen, die im Betragsverfahren über das Entschädigungsbegehren entscheidet. Nach § lO Abs. 2 S. 1 StrEG ist es Sache der Landesjustizverwaltung, über die Entschädigungssumme zu entscheiden. Die Justizministerien der Länder und das Bundesministerium der Justiz haben einheitliche Verwaltungsvorschriften vereinbart, wie der Anspruch jeweils zu prüfen und festzulegen ist. In einigen Bundesländern liegt die Befugnis, den Betrag der Entschädigung festzustellen, unmittelbar bei der obersten Justizbehördeli. In den meisten Bundesländern ist sie allerdings den Leitern der Staatsanwaltschaften bei den Landbzw. Oberlandesgerichten übertragenl2 .
lOOben Vorbemerkung zum Dritten Teil, S. 117; Kap. 12 I B III 1, S. 215 f. mit Fn.147. 51
Berlin: AV vom 29. Juli 1971, ABI. 1971, 1087, 1089. Hamburg: AV vom 2. August 1971, JVBI. 1971,61,64.
Schleswig-Holstein: Nach der AV vom 2. August 1971, SchlHA 1971, 196, 199, entscheidet das Justizministerium über die Höhe der Ansprüche.
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5. Teil: Die Erklärung über den Verzicht
Freilich gelten die durch Verwaltungsvorschriften vorgenommenen Zuweisungen nur verwaltungsintem. Für den Bürger ist maßgebend, welche Stelle der Landesjustizverwaltung ihm nach außen gegenübertritt. Das ist die Staatsanwaltschaft, die die Ermittlungen im ersten Rechtszug geführt hat. Sie belehrt den Beschuldigten über sein Antragsrecht, und bei ihr muß auch der Anspruch geltend gemacht werden, § 10 Abs. 1 S. 1/3 StrEG.
3. Zugang, wenn der Verzicht während des Ermittlungsverfahrens erklärt wird Da die Staatsanwaltschaft, welche die Ermittlungen im ersten Rechtszug geführt hat, zuständig jedenfalls für die Entgegennahme des Betrags-Antrags ist, läßt sich von hier aus vielleicht eine Verbindung in das vorgelagerte Strafverfahren herstellen. Besonders das Ennittlungsveifahren bietet sich insoweit
52 Baden-Württemberg: AV vom 20. Dezember 1986, Justiz(BW) 1987, 46 f., mit Änderung durch AV vom 27. Januar 1994, Justiz(BW) 1994, 73. Bayern: Bek. vom 2. August 1971, JMB!. 1971, 119, 121 f., mit Änderungen durch Bek. vom 26. September 1978, JMB!. 1978, 175, sowie vom 26. Juli 1994, JMB!. 1994, 236.
Brandenburg: AVvom 13. August 1991, JMB!. 1991,62,65. Hessen: RdEr!. vom 21. November 1994, JMB!. 1995,8, 14. Mecklenburg-Vorpommern: AV vom 19. März 1991, AB!. 1991, 196, 199. Niedersachsen: AV vom 8. Juli 1976, NdsRpfl. 1976, 151 f., mit Änderung durch AVvom 6. Juni 1988, NdsRpfl. 1988,155. Nordrhein-Westfalen: AV vom 2. August 1971, JMB!.NW 1971, 183, 186, mit Änderungen durch AV vom 24. Oktober 1979, JMB!.NW 1979, 254, sowie vom 21. August 1990, JMB!.NW 1990,225. Rheinland-Pfalz: VVvom 31. Oktober 1986, JB!. 1986,257. Saarland: AnO vom 4. Februar 1992, GMB!. Saar 1992,40. Sachsen: Bek. vom 14. Juni 1991, Ab!. Nr. 18,3. Sachsen-Anhalt: AV vom 3. März 1992, MB!.· 1992, 402, 405, mit Änderungen durch AV vom 10. Dezember 1992, MB!. 1993,455, sowie vom 22. Dezember 1994, MB!. 1995, 64. Schleswig-Holstein: Nach der AV vom 2. August 1971, SchlHA 1971, 196, 199, erfolgt die Prüfung der Ansprüche bei den Leitern der Staatsanwaltschaften. Thüringen: VVvom 7. März 1991, JMB!. 1991,42,45.
14. Kap.: Allgemeine Voraussetzungen für die Wirksamkeit
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an, weil "die Staatsanwaltschaft, welche die Ennittlungen im ersten Rechtszug zuletzt geführt hat", gerade dort präsent ist.
a) Abgabe der Erklärung erfolgt vor der (Landes-)Staatsanwaltschaft Verzichtet der Beschuldigte vor der ennittelnden Staatsanwaltschaft, wirft der Zugang nur insofern Probleme auf, als die Staatsanwaltschaft, die dem Bürger im Ennittlungsverfahren gegenübertritt, als Organ der Strafverfolgung tätig wird, während das Entschädigungsbegehren an die Staatsanwaltschaft als Verwaltungsbehörde zu richten istS3 • Die Justizverwaltungsbehörde "Staatsanwaltschaft" ist aber gegenüber dem Strafverfolgungsorgan "Staatsanwaltschaft" keine eigenständige Behörde. Vielmehr wird durch die Bezeichnungen Verwaltungsbehörde und Strafverfolgungsorgan lediglich kenntlich gemacht, in welcher Funktion die Behörde Staatsanwaltschaft tätig wird. Diese Funktionszuweisung ist vergleichbar mit der bei anderen Behörden, wo vielfach für bestimmte Aufgaben eigene, getrennte Ämter eingerichtet werden; man denke an die Stadtverwaltung, innerhalb derer das Ordnungsamt neben dem Hauptamt, dem Bauamt, dem Sozialamt etc. besteht. Gleichwohl sind die einzelnen Ämter einer Stadtverwaltung keine selbständigen Behörden, sondern nur Abteilungen der Behörde "Stadtverwaltung". Welches Amt (i.S.v. Abteilung einer BehördeS4) mit einer bestimmten Aufgabe betraut ist, ist dann lediglich eine Frage der inneren Geschäftsverteilung und insofern für den Bürger irrelevant. Für die Wirksamkeit seiner Anträge oder Erklärungen genügt es, daß er sich an die zuständige Behörde wendetSs • Deshalb kommt es auch für den Beschuldigten nicht darauf an, daß er vor der zuständigen Abteilung der Staatsanwaltschaft verzichtet. Und ebenso unbeachtlich ist es, ob die Staatsanwaltschaft im Moment der Erklärung als Justizverwaltungsbehörde oder als Strafverfolgungsorgan tätig wird. Bedeutungslos ist ferner, ob der ennittelnde Staatsanwalt später selbst über den Betrags-Antrag entscheiden würde oder ob dies Aufgabe eines anderen Kollegen wäre. Denn gemäß § 144 GVG wird in der hierarchisch organisierten Staatsanwaltschaft ohnehin jeder Akt dem Behördenleiter zugerechnet.
53 Kleinknecht-Meyer-Meyer=Goßner, § 10 StrEG, Rn. 2; Schätzler, § 10 Rn. 1. 54Die Bezeichnung "Amt" ist mehrdeutig. Zum Teil werden auch Behörden als "Ämter" bezeichnet, so z.B. das Justizprüfungsamt oder das Bundeskartellamt. 55 So auch zu § 46 Abs. 1 SGB: Kretschmer, in: GK-SGB I, § 46 Rn. 12.
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5. Teil: Die Erklärung über den Verzicht
b) Abgabe der Erklärung erfolgt vor der Bundesanwaltschaft Zweifelhaft ist der Zugang hingegen, wenn der Beschuldigte vor der Bundesanwaltschaft verzichtet. Die Bundesanwaltschaft ist hier die ermittelnde Staatsanwaltschaft im ersten Rechtszug gemäß § 142a Abs. 1,3 GVG i.V.m. § 120 Abs. 1 GVG. Damit könnte sie - stellt man auf den Wortlaut von § 10 Abs. 1 StrEG ab - für das Entschädigungsbegehren und folglich auch für den Verzicht die zuständige Behörde zu sein. Möglicherweise ist aber mit der "ermittelnden Staatsanwaltschaft" in § 10 Abs. 1 StrEG nur die LandesStaatsanwaltschaft, nicht hingegen die Bundesanwaltschaft gemeint. Für die zuletzt genannte Annahme spricht, daß das Betragsverfahren in all seinen sonstigen Abschnitten völlig von den Ländern getragen wird. Zur Entschädigung verpflichtet ist immer das Land, in dem der Prozeß im ersten Rechtszug anhängig war bzw. dessen Gericht über die Entschädigungspflicht entschieden hat, § 15 Abs. 1 StrEG. Das gilt auch dann, wenn das Oberlandesgericht im Wege der Organleihe Gerichtsbarkeit des Bundes ausübf 6 • Außerdem ist die Entscheidung im Betragsverfahren nach § 10 Abs. 2 StrEG allein den Landesjustizverwaltungen zugewiesen. Sogar mit Bezug auf landesinterne Zuständigkeitsaufsplitterungen wird 10 Abs. 1 StrEG einschränkend ausgelegt: Selbst wenn eine andere Behörde, z.B. das Finanzamt, die Ermittlungen geführt hat, bleibt allein die Staatsanwaltschaft zuständig, den Beschuldigten gemäß § 10 Abs. 1 S. 3 StrEG zu belehren und seinen Betrags-Antrag entgegenzunehmenS7 • Begründet wird dies damit, daß § 10 StrEG sich an die Landesjustizverwaltung wendet. Zur Landesjustizverwaltung zählt aber weder eine andere Ermittlungsbehörde des betreffenden Landes noch - und schon gar nicht - die Bundesanwaltschaft. Da die Bundesanwaltschaft auch keine übergeordnete Behörde der LandesStaatsanwaltschaften ist, kann eine Verzichtserklärung, die ihr gegenüber abgegeben worden ist, der zuständigen Landes-Staatsanwaltschaft nur noch mittelbar zugehen. In Betracht kommt, daß die Bundesanwaltschaft insofern als Bote fungiert. Das muß sie zunächst zwangsläufig auch in jenen Fällen sein, in denen der Beschuldigte nicht verzichtet. Hier ist die LandesStaatsanwaltschaft in irgendeiner Weise zu informieren, damit jene ihrer Belehrungspflicht nach § 10 Abs. 1 S. 3 StrEG nachkommen kann. Da die Bundesanwaltschaft eher in der Sphäre der Landes-Staatsanwaltschaften als in der des Beschuldigten steht, erscheint es gerechtfertigt, sie als 56Schätzler, § 15 Rn. 2. 57D. Meyer, § 10 Rn. 6.
14. Kap.: Allgemeine Voraussetzungen ftir die Wirksamkeit
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Empjangsboten der Landes-Staatsanwaltschaften einzustufensB. Wird eine Erklärung gegenüber einem Empfangsboten abgegeben, so geht sie dem Erklä-
rungsgegner in dem Zeitpunkt zu, zu dem regelmäßig die Weitergabe an ihn erwartet werden kannS9 • In der Regel wird die Bundesanwaltschaft die LandesStaatsanwaltschaft erst nach Abschluß des Verfahrens informieren. Der Verzicht, den der Beschuldigte vor der Bundesanwaltschaft erklärt, wird also nicht sofort wirksam.
4. Zugang, wenn der Verzicht während der Hauptverhandlung erklärt wird Verzichtet der Beschuldigte in der Hauptverhandlung, wird zwar häufig der Verzicht im Protokoll oder in den Akten vermerkt. Ein solches Vorgehen deutet darauf hin, daß das Gericht sich für empfangszuständig hält. Wie gesehen, berührt der edelmütige Verzicht aber lediglich das Betragsverfahren, und dort ist das Gericht nicht beteiligt. ·Das Gericht selbst ist daher nicht empfangszuständig60 • Der Zugang der Verzichtserklärung läßt sich aber wie folgt konstruieren: Gemäß § 226 StPO ist in der Sitzung zwingend ein Vertreter der Staatsanwaltschaft anwesend. Dieser ist Repräsentant der empfangszuständigen Stelle. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch Nr. 139 Abs. 3 der Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV), wonach der Staatsanwalt zur Frage der Entschädigung Stellung zu nehmen hat. Den Inhalt der Stellungnahme vermerkt er in den Handakten; bei einem Verzicht liegt es nahe, auch die Tatsache der entsprechenden Erklärung zu vermerken. Geschieht dies, ist der Zugang sogar aktenkundig festgehalten. Falls im Rechtsmittelverfahren die Bundesanwaltschaft die Anklage vertritt, wird die Verzichtserklärung wieder erst in dem Augenblick wirksam, in dem normalerweise damit zu rechnen ist, daß die Bundesanwaltschaft diese Erklärung an die Landes-Staatsanwaltschaft weitergibt.
l8 Ob ein Bote Empfangs- oder Erklärungsbote ist, hängt davon ab, ob er auf der Seite des Absenders oder des Adressaten steht: Larenz, BGB AT, § 30 I c, S. 592.
19Brox, BGB AT, § 7 III I b, Rn. 155, S. 82; Larenz, BGB AT, § 30 I c, S. 592. 60 Eine Parallele bietet RG, JW 1923, 988, für einen Verzicht auf einen öffentlichrechtlichen Regreßanspruch. In der Entscheidung heißt es ausdrücklich, ein Vermerk in den Akten könne die Kundgabe gegenüber der zuständigen Stelle nicht ersetzen.
240
5. Teil: Die Erklärung über den Verzicht
5. Zugang, wenn der Verzicht während des Zwischenverfahrens oder im Wiederaufnahmeverfahren erklärt wird Ebensowenig wie im Hauptverfahren ist das Gericht im Zwischen- oder im Wiederaufnahmeverfahren empfangszuständig. Eine dort abgegebene Verziehtserklärung geht daher erst in dem Augenblick zu, in dem die Staatsanwaltschaft Kenntnis von ihr erlangt. Beim Zwischenverfahren kann dies im Zuge der Mitteilung, daß der Antrag auf öffentliche Klage verworfen sei, § 174 Abs. 1 StPO,"geschehen; denn diese bietet dem Gericht die Gelegenheit, die Staatsanwaltschaft gleichzeitig über die Abgabe der Verzichtserklärung zu informieren. Verzichtet ein Verurteilter im Wiederaufnahmeverfahren, wird es oftmals auf den Zugang gar nicht ankommen. Denn wie gesehen61 , muß der (potentiell) zur Entschädigung Berechtigte stets wissen, worauf er sich mit seinem Verzicht einläßt. Eine einigermaßen sichere Einschätzung ist jedoch erst möglich, wenn die Aufhebung der Strafverfo1gungsmaßnahme kurz bevorsteht. Regelmäßig wird dies erst vor Abschluß des wiederaufgenommenen neuen Hauptverfahrens, nicht aber bereits während des Wiederaufnahmeverfahrens der Fall sein. Geht man der Frage des Zugangs dennoch weiter nach, ergibt sich, daß die Verbindung zu jener Staatsanwaltschaft, welche die Ermittlungen im ersten Rechtszug zuletzt geführt hat, nicht unbedingt gesichert ist. Gemäß § 140a Abs. 1 GVG entscheidet im Wiederaufnahmeverfahren ein anderes Gericht mit gleicher sachlicher Zuständigkeit als das Gericht, gegen dessen Entscheidung sich der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens richtet; handelt es sich um ein Revisionsurteil, entscheidet ein anderes Gericht der Ordnung des Gerichts, gegen dessen Urteil die Revision eingelegt war. Dort oder bei dem Gericht, dessen Urteil er anficht, muß der Verurteilte gemäß § 367 Abs. 1 StPO den Antrag auf Wiederaufnahme stellen. Die Staatsanwaltschaft, die mit dem Wiederaufnahmeverfahren befaßt wird und gemäß §§ 365, 296 Abs. 1 StPO auch ihrerseits die Wiederaufnahme beantragen könnte, ist diejenige, die bei dem Wiederaufnahme-Gericht besteht62; das ergibt sich aus § 143 Abs. 1 GVG. Da in der Regel jede Staatsanwaltschaft, die bei einem Gericht besteht, eine eigene Behörde bildet, gibt es zur Staatsanwaltschaft, welche die Ermittlungen im ersten Rechtszug zuletzt geführt hat, normalerweise keinen organisatorischen Zusammenhang. Deshalb müßte für den Zugang einer Verzichts-
61
Oben Kap. 13 / D I1I, S. 230, 232 f.
62 Kleinknecht-Meyer-Meyer=Goßner,
§ 367 Rn. 2.
14. Kap.: Allgemeine Voraussetzungen für die Wirksamkeit
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erklärung, die im Wiederaufnahmeverfahren abgegeben wird, eigens gesorgt werden. Ausnahmen sind denkbar, sofern in einem Land nur ein einziges Gericht der einschlägigen Ordnung eingerichtet ist; denn dann mag, nach Maßgabe von § 140a Abs. 2 - 6 GVG, die Zuständigkeit für das Wiederaufnahmeverfahren mit der für das ursprüngliche Verfahren zusammenfallen.
11. Zugang einer Erklärung, mit der auf die Antragsrechte nach §§ 9 Abs. 1 S. 3, 10 Abs. 1 S. I StrEG verzichtet wird Die Erklärung, daß auf das Antragsrecht zum Betragsverfahren, § 10 Abs. 1 S. 1 StrEG, verzichtet werde, geht unter den gleichen Bedingungen zu, die auch für jene Erklärung gelten, mit der auf den materiellen Entschädigungsanspruch verzichtet wird. Für die Erklärung, daß auf das Antragsrecht zur Grundentscheidung, § 9 Abs. 1 S. 3 StrEG, verzichtet werde, liegt die Empfangszuständigkeit bei dem Gericht, das die Grundentscheidung fällen muß. Dies erklärt sich daraus, daß das Gericht entscheiden muß, ob der Antrag auf die Grundentscheidung wegen des Verzichts zu verwerfen ist oder nicht. Die ermittelnde Staatsanwaltschaft hat lediglich die Aufgabe, den Beschuldigten über sein Antragsrecht zu belehren; eine Entscheidung über den Bestand des Antragsrechts trifft sie dagegen nicht. Folglich ist sie nicht empfangszuständig. Ein Verzicht auf das Antragsrecht nach § 9 Abs. 1 S. 3 StrEG, der vor der Staatsanwaltschaft abgegeben wird, ist daher erst in dem Augenblick wirksam, in dem das Gericht von dem Verzicht erfährt.
B. Annahmebedürjtigkeit der Verzichtserklänmg? Nach dem StrEG-Kommentar von Meyer hat der Verzicht den Regeln der §§ 397 BGB, 54 VwVfG zu folgen63 • Meyer geht also offenbar davon aus, daß der Verzicht der Annahme bedarf. Dagegen kann nach Seebode der Verzicht sowohl einseitig erklärt werden, als auch auf einem Vertrag nach § 54 VwVfG beruhen64 . Seebode befindet sich damit in Übereinstimmung mit Äußerungen 63D. Meyer, Vorbem. vor §§ 1 - 6, Rn. 18. Ebenso: Haas, MDR 1994, 9,10. 64Seebode, NStZ 1982,144,146. 16 Friehe
242
5. Teil: Die Erklärung über den Verzicht
aus dem Verwaltungsrecht, wonach die Beteiligten frei wählen können, ob der Verzicht auf eine Forderung einseitig erklärt oder zum Gegenstand einer vertraglichen Vereinbarung gemacht wird65 •
I. Auseinandersetzung mit der Forderung, § 397 Abs. I BGB anzuwenden Für den Ansatz von Seebode spricht, daß § 397 Abs. I BGB ohnehin nur beschränkt auf die Verzichtserklärung des Beschuldigten angewendet werden kann66 • § 397 Abs. I BGB bezieht sich ausschließlich auf den Verzicht von Forderungsrechten, so daß die Regelung zumindest in den Fällen nicht eingreifen kann, in denen der Beschuldigte seine Antragsrechte preisgibt. Deshalb käme allenfalls in Betracht, daß der Verzicht auf die Entschädigung der Annahme bedarf. Eine solche analoge Anwendung hätte dann aber zur Folge, daß der Beschuldigte seine Antragsrechte einseitig aufgeben könnte, während der Verzicht auf seine Entschädigung eines Vertrages bedürfte. Da beide Erklärungen des Beschuldigten letztlich zum Verlust der Entschädigung führen, erscheint es inkonsequent, den Verzicht auf die Antragsrechte einseitig zuzulassen, für den Verzicht auf die Entschädigung dagegen einen Vertrag zu verlangen. Dies gilt um so mehr, als es oftmals vom Zufall abhängen wird, ob der Beschuldigte seine Entschädigung oder seine Antragsrechte preisgibt. 6l Bonk, in: StelkenslBonk/Sachs, § 54 Rn. 70; Enneccerus-Nipperdey, § 143 III 3, S.885; Hauck, in: Hauck, SGB I, K § 46 Rn. 1, 3b; W. Jellinek, § 9 N 7, S.214; Maurer, § 14 Rn. 34, S. 365 a.E.; Middel, S. 31; Quaritsch, in: GS fiir Martens, S. 407, 408; Schimpf, S. 201; Stelkens, in: StelkenslBonk/Sachs, § 53 Rn. 13; Stern, Bd. IIII2, § 86 11 6, S. 914 f.
Diese Äußerungen dürften mittlerweile die h.M. darstellen. Im älteren verwaltungsrechtlichen Schrifttum überwog dagegen noch die Meinung, der Verzicht sei immer ein einseitiges Rechtsgeschäft: Bachof, in: WolfflBachof, VerwR I, § 43 N, S. 333; Fischer, S. 7; Forsthoff, § 14.2 b, S. 288; Nebinger, § 17 A V, S. 300 Fn. 74; Schoenbom, S. 24; v. Turegg - Kraus, S. 111, 174; Wolff, in: WolfflBachof, VerwR I, § 36 11 b 2, S. 256. Nach Wilde, S. 24, kann zwar eine zweiseitige Vereinbarung begrifflich die Merkmale des Verzichts erftillen; doch hält Wilde - mit inzwischen durch das VwVfG überholter Argumentation - den zweiseitigen Verzicht ausdrücklich fiir unzulässig, S. 62 - 64. Siehe schon oben Kap. 6/ AN 5, S. 102 f., wo es aber zunächst nur darum ging, den BegrifJdes Verzichts zu klären. 66
Oben Kap. 6/ All, S. 97.
14. Kap.: Allgemeine Voraussetzungen fiir die Wirksamkeit
243
Eine analoge Anwendung von § 397 Abs. 1 BGB setzt zudem voraus, daß die Interessenlage, die den Gesetzgeber veranlaßt hat, für den Erlaß einer bürgerlich-rechtlichen Forderung den Vertrag zu verlangen, auf das öffentliche Recht übertragbar ist67 • Hinter § 397 Abs. 1 BGB steht die Wertung, der Gläubiger einer bürgerlich-rechtlichen Forderung solle sich nicht einfach über den Willen des Schuldners, zu seiner Verbindlichkeit zu stehen, hinwegsetzen dürfen68 • § 397 Abs. 1 BGB betont insoweit die freie Willensentschließung des Schuldners: Dieser soll auch ohne vernünftigen Grund, geradezu willkürlich, den Verzicht des Berechtigten ablehnen dürfen. Dieser Gedanke paßt nicht auf den Staat, weil dessen "Wille" sich stets an dem öffentlichen Interesse orientieren muß. Für Willkür ist hier kein Platz. Man könnte auch sagen: Was in § 397 Abs. I BGB die Funktion der Annahme ist, ist für den Verzicht im öffentlichen Recht die Prüfung, ob der Verzicht sich mit öffentlichen Interessen vereinbaren läßt. Soweit nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt ist, ist daher ein Verzicht auf eine öffentlichrechtliche Forderung immer einseitig möglich69 • Entsprechend gilt auch für den Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung, daß er der Annahme nicht bedarf.
11. Kein grundsätzlicher Ausschluß der Möglichkeit, das Gestaltungsmittel des Vertrages zu wählen Daß der Verzicht einseitig erklärt werden kann, schließt nicht aus, daß im Einzelfall gleichwohl die Form des Vertrages gewählt werden mag. Das Bayerische Oberste Landesgericht hat sich zwar, was das StrajVerfahren betrifft, gegen einen Verzichtsvertrag ausgesprochen, weil zwischen den Strafverfol67 Zu den Voraussetzungen einer Analogie siehe: Larenz, Methodenlehre, S. 381 383. 61 Larenz,
SchuldR AT, § 19 I a, S. 267.
69RG, JW 1923, 988; Ape1t, S. 70; Bachof, in: Wo1fflBachof, VerwR I, § 43 N, S. 333; Bonk, in: StelkenslBonk/Sachs, § 54 Rn. 70; Fischer, S. 7; Forsthoff, § 14.2 b, S. 288; Gitter, in: BochKomm, § 46 Rn. 1, 19; Huber, SozVers. 1982,212; W. Jellinek, § 9 N 7, S. 214; Krause, VerwArch. 61 (1970),297,304; Maurer, § 14 Rn. 34, S. 365 f.; Ma1orny, JA 1974,475; Midde1, S. 31; Nebinger, § 17 A V, S. 300 Fn. 74; Peters-Hommel, § 46 Anm. 4; Schimpf, S. 201; Schoenborn, S. 24; Stelkens, in: StelkenslBonk/Sachs, § 53 Rn. 13; Stern, Bd. IIII2, § 86 II 6, S. 914 f.; Thieme, in: Wannagat, AT § 46, Rn. 3; Wilde, S. 24, 62 - 64; Wolff, in: WolfflBachof, VerwR I, § 36 II b 2, S. 256. 16'
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5. Teil: Die Erklärung über den Verzicht
gungsorganen und dem Beschuldigten ein Über- und Unterordnungsverhältnis herrsche, ein Vertrag indessen eine gewisse Gleichordnung der Parteien voraussetze 70 • Ein Über- und Unterordnungsverhältnis besteht aber auch im Verwaltungsrecht, und dennoch werden dort Verträge zwischen Staat und Bürger abgeschlossen, § 54 VwVfG. Für einen Verzicht, dem keine Absprache zugrundeliegt, sondern den der Beschuldigte aus sich heraus erklärt - sei es, um Großzügigkeit zu zeigen, oder weil er ohnehin keinen Schaden darlegen könnte -, ist im übrigen zu fragen, ob das Bedenken, im Strafverfahren dürften keine öffentlich-rechtlichen Verträge geschlossen werden, überhaupt zutriffi. Denn wie gezeigt, zielt dieser Verzicht auf das Betragsverfahren. Das Betragsverfahren aber gehört nicht mehr zum Strafverfahren, sondern ist ein gewöhnliches Verwaltungsverfahren, das sich an das Strafverfahren anschließt. Unbesorgt kann man deswegen die Regeln, die auch sonst im Verwaltungsverfahren herrschen, hierher übertragen. Der Beschuldigte kann daher auch durch einen Vertrag mit den zuständigen Behörden auf seine Forderung verzichten71 • Weil bereits die einseitige Erklärung den Verzicht herbeiführt, könnte man meinen, die Form des Vertrages habe nur theoretische Bedeutung. Das ist jedoch keineswegs der Fall. Denkbar ist eine vertragliche Vereinbarung zum Beispiel dann, wenn der Umfang der Entschädigungsleistung streitig bleibt. In diesen Fällen können die Beteiligten sich über die Summe vergleichen, was auf seiten des Beschuldigten einen teilweisen Verzicht bedeutet. Ausdrücklich vorgesehen ist die Möglichkeit des Vergleichs in den Ausführungsbestimmungen, welche die Länder Niedersachsen und Sachsen-Anhalt zum StrEG erlassen haben72 •
BayOLG, OLGSt (a.F.) § 467, S. 1,2 = Rpfleger 1964, 59. Siehe nochmals: Bonk, in: SelkenslBonk/Sachs, § 54 Rn. 70; Hauck, in: Hauck, SGB I, K § 46 Rn. 1, 3b; W. Jellinek, § 9 IV 7, S. 214; Maurer, § 14 Rn. 34, S. 365 a.E.; Middel, S.31; Quaritsch, in: GS für Martens, S.407, 408; Schimpf, S.201; Seebode, NStZ 1982, 144, 146; Stelkens, in: StelkensIBonk/Sachs, § 53 Rn. 13; Stern, Bd. IIII2, § 86 II 6, S. 915. 72 Niedersachsen: Teil II B b der AV vom 8. Juli 1976, NdsRpfl. 1976, 151. Sachsen-Anhalt: Teil II B b der AV vom 3. März 1992, MBl. 1992,402,405. 70 71
14. Kap.: Allgemeine Voraussetzungen für die Wirksamkeit
245
C. Form der einseitigen Verzichtserklärung Ein Verzicht ist nach h.M. formfrei möglich, sofern nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt ist73 • Für den Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung ergibt sich weder aus dem StrEG noch aus der Strafprozeßordnuilg, daß eine besondere Form, etwa die Schriftform, einzuhalten wäre. Gleichwohl sollte man nicht vorschnell als Ergebnis akzeptieren, daß der einseitig erklärte Verzicht keiner Form bedürfe. § 46 Abs. I SGB I, wonach der Verzicht auf Sozialleistungen nur schriftlich vorgenommen werden kann, gibt Anlaß zu einer kritischen Nachfrage. Das Formerfordernis des § 46 SGB I verfolgt zwei Ziele: Es soll den Berechtigten von einer übereilten Preisgabe seines Anspruchs abhalten, anschließend aber auch Beweis dafür erbringen, daß der Anspruch willentlich preisgegeben wurde 7•• Das sind Gesichtspunkte, die nicht nur bei Sozialleistungen relevant werden können. Die Beweisfunktion eines schriftlich erklärten Verzichts kommt allerdings nur der BehOrde zugute. Insoweit ist kein Grund erkennbar, warum das Formerfordernis über den unmittelbaren Anwendungsbereich des § 46 SGB I noch in andere Gebiete erstreckt werden müßte. Jede Behörde hat es in der Hand, zu Beweiszwecken eine schriftliche Erklärung selbst dort zu erwirken, wo das Gesetz sich mit der Mündlichkeit begnügt. Wo es ihr nicht gelingt, den Erklärenden zur Schriftlichkeit zu bewegen, wird es ihr lieber sein, der Verzicht ist schwer beweisbar als unwirksam. Zu prüfen bleibt somit die Erwägung, daß die Schriftform geeignet ist, den Inhaber des Anspruchs vor dem Verzicht zu warnen. Die Nützlichkeit einer solchen Warnung ist freilich für sich allein kein Grund, sie generell und verbindlich einzuführen. Was den Bereich der Strafverfolgungsentschädigung angeht, war dem Gesetzgeber das Phänomen des Verzichts bekannt, bevor er das StrEG in Kraft setzte7S • Dennoch hat er davon abgesehen, für derartige Fälle ein Formerfordernis einzuführen. Angesichts der Detailliertheit, mit der andere
73 Brüggemann, S. 16; Forsthoff, § 14.2 b, S. 289; Leippert, S. 67; Malomy, JA 1974,475; Nebinger, § 17 A V, S. 300, Fn. 74; Quaritsch, in: GS für Martens, S. 407, 413; Wilde, S. 66. 74 Amtliche Begründung zwn Entwurf des SGB I, BT-Drs. 7/868, S. 19, 30 f.; Peters-Homme1, § 46 Anm. 5.
7lOben Kap. 2 / A, S. 52. - Siehe nochmals den Nachweis bei Burlage, § 6 UHaftEntschG, Anm. 13, S. 101 f.
246
5. Teil: Die Erklärung über den Verzicht
Verfahrensfragen im StrEG geregelt sind, muß das so verstanden werden, daß er die Schriftform nicht für geboten hielt. In der Tat sorgen schon die äußeren Umstände, unter denen der Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung erfolgt, dafür, daß dem Erklärenden der Ernst der Lage klar sein muß. Der (ehemals) Beschuldigte steht dem Gericht oder der Staatsanwaltschaft gegenüber; Leichtfertigkeit ist im Umgang mit diesen Adressaten fehl am Platze. Wenn es häufig gerade diese Adressaten sind, die den Verzicht veranlassen76 , bliebe es zwar richtig, daß der Erklärende auch hier vor übereilten Schritten bewahrt werden muß. Doch würde die Schriftform insoweit kaum etwas nützen, weil der Beschuldigte den aufgedrängten Verzicht auch schriftlich vollziehen würde. Ohnehin ist es schon jetzt üblich, den Verzicht im Verhandlungsprotokoll oder in den Akten zu protokollieren77 • Das Formerfordernis wäre deshalb kein geeignetes Mittel, dem aufgedrängten Verzicht beizukommen; die Auseinandersetzung mit diesem Phänomen gehört nicht auf die formelle, sondern auf die materielle Ebene. Es kommt hinzu, daß auch andere Verzichtserklärungen des Strafprozeßrechts, etwa der Verzicht auf den Strafantrag, der Verzicht auf Beweisanträge, der Verzicht auf Rechtsmittel oder der Rügeverzicht, formlos gegenüber der Staatsanwaltschaft bzw. gegenüber dem Gericht abgegeben werden können. An Bedeutung und Tragweite stehen sie dem Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung keineswegs nach. Deshalb fiele es - einerseits - aus dem Rahmen des Üblichen, letzteren unter Formzwang zu stellen78 • Und was - andererseits die Gefahr der Oktroyierung betrim, ist diese bei den anderen Verzichtserklärungen durchaus nicht geringer; gleichwohl hat der Gesetzgeber sich auch dort nicht zur Schriftform veranlaßt gesehen. Somit kann und sollte es dabei verbleiben, daß der Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung, wo er einseitig erklärt wird, keiner Schriftform bedarf.
76 Oben
Kap. 3/ BI - III, S. 60 f., 63, 69 - 71, 72 f., 75 - 77.
77 Als
Beleg siehe: OLG Karlsruhe, Justiz(BW) 1981, 450, 451; OLG München, NJW 1973,721; Hertwig, S. 100 - lOS. Ferner wurde dies durch die rechtstatsächliche Untersuchung bestätigt, welche die Verf. im Rahmen dieser Arbeit durchgefiihrt hat; unten Kap. 18/ G, S. 306, 307 (Tabelle 12). "Siehe insoweit auch Thieme, in: Wannagat, AT § 46, Rn. 4 a.E.: Im Prozeß wird selbst § 46 Abs. 1 SGB I durch die dort maßgeblichen Formvorschriften verdrängt.
14. Kap.: Allgemeine Voraussetzungen für die Wirksamkeit
247
D. Form des Verzichtsvertrages Soweit ein Verzichtsvertrag geschlossen werden soll, ist die gesetzliche Ausgangslage anders. Öffentlich-rechtliche Verträge müssen grundsätzlich schriftlich geschlossen werden. Das gilt nicht nur im Sozialrecht, § 56 SGB X, sondern auch und gerade im allgemeinen Verwaltungsrecht, § 57 VwVfG. Wiederum dient die Schriftform zunächst der Sicherheit des Rechtsverkehrs. Hier geht es aber, anders als beim einseitigen Verzicht, nicht nur darum, die Abgabe einer sachlich eng begrenzte Erklärung als solche beweisen zu können. Verträge beschränken sich normalerweise nicht auf eine einzige Erklärung; sie werden ausgehandelt. Die schriftliche Abfassung gewährleistet, daß der gesamte Inhalt des Vereinbarten festgehalten bleibt. Ferner kommt es im Laufe der Vertragsgestaltung durchaus vor, daß die Verhandlungspartner wechseln79 . Beide Aspekte haben auch beim Verzichtsvertrag Gewicht. Man wird dieses Mittel nur wählen, wo es um mehr als eine schlichte Verzichtserklärung geht. Ziehen die Verhandlungen sich länger hin, mögen sowohl die Justizbehörden, aber auch der Beschuldigte durch mehrere Personen vertreten sein. Deshalb ist es für den Verzichtsvertrag ebenfalls angebracht, ihn schriftlich abzufassen80 • Die Schriftform in § 57 VwVfG soll darüber hinaus anzeigen, daß unter den Handlungsformen der Verwaltung der Vertrag noch immer die Ausnahme gegenüber dem - einseitigen - Verwaltungsakt sein muß81 • Auch diese Erwägung läßt sich auf den Verzichtsvertrag anwenden, denn nicht nur für den Bürger, sondern ebenfalls für die Justizbehörden ist dieser die atypische Handlungsweise.
79Begründung der Bundesregierung zwn Entwurf des VwVfG, BT-Drs. 7/910, S.81. 8°Generell für die Anwendung der §§ 54 ff. VwVfG sprechen sich aus: Quaritsch, in: GS für Martens, S. 407, 408; Stern, Bd. IIV2, § 86 II 6, S. 915. 81Begründung der Bundesregierung zwn Entwurf des VwVfG, BT-Drs. 7/910, S.81.
248
5. Teil: Die Erklärung über den Verzicht
15. Kapitel Rechtsfolgen eines wirksamen Verzichts
A. Materielle Rechts/olgen Ein wirksamer Verzicht hat zur Folge, daß das betreffende Recht erlischt82 • Bezieht der Verzicht sich auf ein Recht, das erst künftig vorhanden sein wird, bietet sich als Rechtsfolge an, daß dieses gar nicht erst entsteht. In diesem Sinne behandelt der BGH den antizipierten Verzicht auf schuldrechtliche Forderungen83 • Auch beim Verzicht auf künftige Sozialleistungen, § 46 SGB I, wird diese Lösung vertreten84 •
I. Folgen des Verzichts beim materiellen Anspruch auf Strafverfolgungsentschädigung
Der materielle Anspruch auf Strafverfolgungsentschädigung erwächst dem Beschuldigten erst durch die Grundentscheidung8s • Sobald also die Grundentscheidung vorliegt, bewirkt der Verzicht, daß der Anspruch erlischt. Verzichtet der Beschuldigte auf den materiellen Entschädigungsanspruch, bevor eine Grundentscheidung ergangen ist, kann diese (gleichwohl) noch getroffen werden; vor Gericht, § 8 Abs. 1 StrEG, muß sie sogar getroffen wer-
820VG Münster, NJW 1987, 1964, 1965; LSG RhPf, SozVers. 1983, 22, 23; Brüggemann, S. 8 f.; Forsthoff, § 14.2 b, S. 288; Gitter, in: BochKomm, § 46 Rn. 17; Hauck, in: Hauck, SGB I, K § 46 Rn. 5; Kretschmer, in: GK-SGB I, § 46 Rn. 3; Leippert, S. 76; Malomy, JA 1974, 475, 476; Midde1, S. 31; Quaritsch, in: GS für Martens, S.407, 408, 414; Schimpf, S. 201; Schoenbom, S. 37; Stelkens, in: Ste1kensJBonk/Sachs, § 53 Rn. 13; Thieme, DÖV 1988,250,251; Wilde, S. 17. 83 BGH, BB 1956, 1086; BGHZ 40, 326, 330. 84
Hauck, in: Hauck, SGB I, K § 46 Rn. 5. Ferner siehe Wilde, S. 15. In älteren verwaltungsrechtlichen Darstellungen findet man noch die Meinung,
das Recht entstehe zwar, erlösche aber sofort: Brüggemann, S. 83; Fischer, S. 9; Walsmann, S. 213. 8l Oben Kap. 9/ B / F 11 / G, S. 154 f., 164 f., 165.
15. Kap.: Rechtsfolgen eines wirksamen Verzichts
249
den86 • Man könnte sich nun fragen, ob der materielle Entschädigungsanspruch, sobald die Grundentscheidung ergeht, vielleicht für eine logische Sekunde vorhanden sei, um dann allerdings gleich wieder zu erlöschen. So hat etwa das OLG Frankfurt einmal ausgeführt, erst die Grundentscheidung lasse die Verzichtserklärung zu ihrer vollen Entfaltung kommen". Die besseren Argumente sprechen aber wohl dafür, daß der Anspruch gar nicht zum Entstehen gelangt. Zunächst folgt dies der Rechtsprechung des BGH zum antizipierten Verzicht auf schuldrechtliche Forderungen und der Tendenz bei § 46 SGB I. Des weiteren ist es gar nicht so ungewöhnlich, daß die Grundentscheidung auch einmal "ins Leere" gehen kann. Sie muß z.B. auch dort getroffen werden, wo der Beschuldigte erwiesenermaßen keinen Schaden erlitten hatss . Ohne Schaden ist der Anspruch von vornherein grundlos, beim Verzicht verliert er nachträglich seinen Grund. Ist es aber im ersten Fall geläufig, daß die Grundentscheidung "ins Leere hinein" ergeht, wäre es überzogen, im zweiten Fall zu verlangen, daß der Anspruch für eine logische Sekunde in die Welt trete. Vielmehr bietet sich auch beim verzichteten Entschädigungsanspruch an, daß er gar nicht erst entsteht. Wie gezeigt, wird die Grundentscheidung damit keineswegs funktionslos. Sie enthält die öffentliche Erklärung des Staates, daß dem Beschuldigten ein entschädigungsWÜTdiges Sonderopfer auferlegt wurde; materiell liegt die Bedeutung der Grundentscheidung darin, daß sie etwaige Ersatzansprüche von Unterhaltsberechtigten hervorbringt. Da ein verzichteter Entschädigungsanspruch in der logischen Sekunde der Grundentscheidung nicht entsteht, können Verfiigungsbeschränkungen, denen der Beschuldigte im Zeitpunkt der Grundentscheidung unterliegen mag, die Wirkung des Verzichts nicht mehr in Frage stellen.
11. Folgen des Verzichts beim Anspruch auf die Betragsentscheidung Wie der materielle Anspruch auf die Entschädigung, so entsteht auch der Anspruch auf die Betragsentscheidung, § 10 Abs. 1 StrEG, mit der Grundentscheidung. Liegt diese vor, bewirkt der Verzicht das Erlöschen des Anspruchs; 86
Oben Kap. 11 / D II 3 b, 4, S. 198, 199.
870LG Frankfurt, Rpfleger 1973, 143, 144. Es ging um einen Verzicht auf Auslagenerstattung; mit der Grundentscheidung ist also die Kostengrundentscheidung des § 464 Abs. 2 StPO gemeint.
uOben Kap. 11 / D 113 a, S. 197 f.
250
5. Teil: Die Erklärung über den Verzicht
liegt diese noch nicht vor, führt der Verzicht dazu, daß der Anspruch auf die Betragsentscheidung gar nicht erst entsteht.
III. Folgen des Verzichts beim Anspruch auf die Grundentscheidung Der Anspruch auf die Grundentscheidung unterliegt nur dann der Möglichkeit des Verzichts, wenn das Verfahren von der Staatsanwaltschaft eingestellt wird, § 9 Abs. 1 StrEG89 • Anspruch auf die Grundentscheidung des § 9 Abs. 1 StrEG erhält der Beschuldigte erst dadurch, daß die Staatsanwaltschaft das Verfahren einstellt. Deshalb kommen auch hier zwei Rechtsfolgen des Verzichts in Betracht: Wird nach Einstellung verzichtet, erlischt der Anspruch auf die Grundentscheidung, wird vorher verzichtet, kommt er gar nicht zum Entstehen.
IV. Folgen des Verzichts beim Ersatzanspruch des Unterhaltsberechtigten Auf den Ersatzanspruch des Unterhaltsberechtigten, § 11 StrEG, kann der Beschuldigte von sich aus nicht wirksam verzichten. Da es sich um einen eigenen Anspruch des Unterhaltsberechtigten handelt90 , wäre der vom Beschuldigten erklärte Verzicht die Verfügung eines Nichtberechtigten, die nur unter den Voraussetzungen des § 185 BGB wirksam werden kann. Wohl kann der Beschuldigte, gegen den bereits die Staatsanwaltschaft das Verfahren einstellt, auf sein Recht zur Grundentscheidung verzichten91 • Im Ergebnis ist für diesen Fall der Ersatzanspruch des Unterhaltsberechtigten erledigt, weil § 11 StrEG zu seiner Entstehung eine Grundentscheidung verlangt. Gleichwohl hat der Beschuldigte keine Verfügung über den Ersatzanspruch des Unterhaltsberechtigten getroffen, sondern verhindert, daß die tatbestands89 Oben
217.
Kap. 11 / D II 4, S. 199, sowie Kap. 12/ B II / C III, S. 206 - 208, 214 -
Kap. 11 / C, S. 191 a.E. 91 Oben Kap. 12/ C III 1 - 3, S. 214 - 217.
90 Oben
15. Kap.: Rechtsfolgen eines wirksamen Verzichts
251
mäßigen Voraussetzungen, unter denen der Ersatzanspruch entsteht, eintreten können. Der Unterhaltsberechtigte seinerseits kann auf den Ersatzanspruch in gleicher Weise verzichten, wie der materielle Entschädigungsanspruch des Beschuldigten der Möglichkeit des Verzichts unterliegt. Verzichtet also der Unterhaltsberechtigte, nachdem eine Orundentscheidung ergangen ist, erlischt sein Ersatzanspruch; verzichtet er, bevor eine Orundentscheidung ergangen ist, hat dies zur Folge, daß der Ersatzanspruch überhaupt nicht entsteht. Entsprechendes gilt für den Anspruch, den der Unterhaltsberechtigte gemäß §§ 11 Abs. 2 S. 2, 10 Abs. 1 StrEO auf die zugehörige Betragsentscheidung hat.
B. Prozessuale Rechts/olgen Was die prozessualen Rechtsfolgen eines wirksamen Verzicht betrim, ist zu klären, inwieweit die Anträge auf Strafverfolgungsentschädigung noch Erfolg haben können. Hier bedarf es einer genaueren Aufschlüsselung, welcher Verzicht welchen Antrag unzulässig oder unbegründet werden läßt.
I. Folgen des Verzichts auf den materiellen Anspruch auf Strafverfolgungsentschädigung Nach Ansicht des OLO Karlsruhe hat der Verzicht auf den materiellen Entschädigungsanspruch zur Folge, daß ein später gestellter Entschädigungsantrag unzulässig wird. Es fehle am Rechtsschutzbedürfnis92 •
1. Unzulässigkeit etwaiger Anträge auf Entschädigung? Indessen ist gar nicht einzusehen, warum das Gericht schon die Zulässigkeit verneinen will. Denn die Frage, inwieweit ein Verzicht auf den Entschädi920LG Karlsruhe, Justiz(BW) 1981,450,451.
252
5. Teil: Die Erklärung über den Verzicht
gungsanspruch noch Raum für eine Entschädigung läßt, ist materieller Natur und deshalb erst bei der Begründetheit zu prüfen. Unverständlich bleibt vor allem, warum der Verzicht auf den materiellen Entschädigungsanspruch gerade das RechtsschutzbedürJnis entfallen lasse. Für gewöhnlich wird das Rechtsschutzbedürfnis nur dort verneint, wo der Antragsteller sein Ziel einfacher als durch den gestellten Antrag erreichen kann, ferner, wenn der Antrag mutwillig, weil unnütz, oder sonst aus unlauteren Motiven gestellt wird93 • Am Rechtsschutzbedürfnis würde es daher z.B. fehlen, wenn die Strafverfolgungsorgane trotz des Verzichts bereit wären, den Beschuldigten zu entschädigen, dieser aber dennoch über die Entschädigung eine Entscheidung herbeiführen wollte. Damit ist der Sachverhalt, daß der Beschuldigte trotz des Verzichts eine Entschädigung begehrt, nicht zu vergleichen. Auch der Vorwurf, der Antrag sei unnütz, trim den Beschuldigten in der Regel nicht. Denn er wird nach einem Verzicht nur dann Entschädigung beantragen, wenn er sich von seiner Verzichtserklärung lösen will. Ob ein Verzicht Bestand hat oder nicht, bedarf dann normalerweise einer gründlichen Prüfung. Daher kann nicht schon in der Zulässigkeit beurteilt werden, ob ein Antrag "unnütz", ohne Rechtsschutzbedürfnis, gestellt wurde. Dem Antrag fehlt es auch nicht an der Beschwer. Im Rahmen der Zulässigkeit reicht es nämlich aus, wenn der Antragsteller ein ihm möglicherweise zustehendes Recht behaupten kann. Ob der geltend gemachte Anspruch wirklich (noch) besteht, ist dann im Rahmen der Begründetheit zu untersuchen.
2. Antrag auf Betragsentscheidung wird unbegründet Die besprochene Entscheidung des OLG Karlsruhe hat es offengelassen, ob ihre Erwägungen sich auf die Unzulässigkeit der Grund- oder der Betragsentscheidung beziehen sollten94 • Nach den Ergebnissen dieser Arbeit kann der Verzicht auf den materiellen Entschädigungsanspruch erst für den Antrag auf Betragsentscheidung, § 10 93
Creifelds-Kauffmann, "Rechtsschutzbedürfnis" , S. 1005.
940LG Karlsruhe, Justiz(BW) 1981,450,451. Der Sache nach ging es um einen Antrag auf Grundentscheidung: Das LG hatte, weil der Angeklagte auf eine (eventuelle) Haftentschädigung verzichtet habe, keine Grundentscheidung nach § 8 Abs. 1 StrEG erlassen. Einen Antrag des Angeklagten, die Grundentscheidung nachzuholen, hatte das LG als unzulässig verworfen. Dagegen richtete sich die sofortige Beschwerde.
15. Kap.: Rechtsfolgen eines wirksamen Verzichts
253
Abs. 1 StrEG, relevant werden. Die Grundentscheidung des § 8 Abs. 1 StrEG setzt nämlich einen Antrag überhaupt nicht voraus, sondern ergeht von Amts wegen, sobald jene Voraussetzungen vorliegen, die in den §§ 1 - 6 StrEG für die Entschädigungspflicht der Staatskasse aufgestellt sind95 . Und da die Grundentscheidung des § 9 Abs. 1 StrEG von der des § 8 Abs. 1 StrEG wesensmäßig nicht verschieden ist, können auch dort nur die §§ 1 - 6 StrEG Maßstab der Prüfung sein96 . Der Verzicht auf den materiellen Entschädigungsanspruch ist kein Thema der §§ 1 - 6 StrEG. Folglich darf er erst bei der Betragsentscheidung berücksichtigt werden und führt dort zur Unbegründetheit.
3. Antrag auf Grundentscheidung bleibt begründet In der vorstehenden Auseinandersetzung ist nochmals deutlich geworden, daß der Verzicht auf den materiellen Entschädigungsanspruch die Grundentscheidung nicht berührt. Wird das Strafverfahren vor Gericht beendet, ergeht die Grundentscheidung gemäß § 8 Abs. 1 StrEG von Amts wegen. Stellt die Staatsanwaltschaft das Verfahren ein, kann der (vormals) Beschuldigte durch Antrag gemäß § 9 Abs. 1 S. 3 StrEG eine Grundentscheidung erwirken, auch wenn er zuvor auf den materiellen Entschädigungsanspruch verzichtet hat. Dieser Antrag bleibt also begründet.
Die ergehende Grundentscheidung hilft dem Unterhaltsberechtigten, der nunmehr den eigenen Ersatzanspruch aus § 11 StrEG erlangt97.
11. Folgen des Verzichts auf den Anspruch auf die Betragsentscheidung Hat der Beschuldigte auf sein Antragsrecht nach § 10 Abs. 1 StrEG verzichtet und stellt er später dennoch einen solchen Antrag, ist dieser als unzulässig
9S
Oben Kap. 11 / D II 3 a, S. 196 - 198.
96 Oben 97
Kap. 11 / D III 1, S. 200 f.
Siehe schon oben Kap. 11 / D III 2, S. 201 f.
254
5. Teil: Die Erklärung über den Verzicht
zu verwerfen. Denn der Verzicht auf prozessuale Rechte bewirkt ganz allgemein die Unzulässigkeit eines entsprechenden prozessualen Begehrens98 •
III. Folgen des Verzichts auf den Anspruch auf die Grundentscheidung Hat der Beschuldigte auf sein Antragsrecht nach § 9 Abs. I S. 3 StrEG verzichtet und beantragt er später gleichwohl die Grundentscheidung, ist auch dieser Antrag als unzulässig zu verwerfen. Dies folgt ebenfalls aus der allgemeinen Regel, daß der Verzicht auf prozessuale Rechte die Unzulässigkeit der betroffenen Maßnahme bewirkt.
98Für den Rechtsmittelverzicht im Strafverfahren siehe BGH, NJW 1984, 1974, 1975; Kleinknecht-Meyer-Meyer=Goßner, § 302 Rn. 26; Ruß, in: KK, § 302 Rn. 1. Für den Verzicht auf Verfahrensrechte im Verwaltungsverfahren siehe Kopp, VwVfG, Vorbem. § 9, Rn. 14a; Stelkens, in: StelkensIBonk/Sachs, § 79 Rn. 29.
Zwischen bilanz zum Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung Mit den Überlegungen, welche Rechtsfolgen ein Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung nach sich zieht, ist ein wesentlicher Abschnitt der vorliegenden Untersuchung abgeschlossen. Er hatte den Verzicht als solchen zum Gegenstand, wie er etwa dann vorkommt, wenn der Beschuldigte seine Entschädigung "edelmütig" preisgibt. Ergeben hat sich, daß der Verzicht als solcher, von kleineren Einschränkungen abgesehen, zulässig und wirksam ist. Für gewöhnlich wird der Ve~icht den materiellen Anspruch auf Strafverfolgungsentschädigung betreffen, bei dem es sich um einen gesetzlich geregelten Aufopferungsanspruch handeltl. Der Charakter als Aufopferungsanspruch steht der Möglichkeit des Verzichts nicht entgegen2 • Ebensowenig können die Interessen des Unterhaltsberechtigten, der in § 1i StrEG einen eigenen Ersatzanspruch erhält, den Verzicht ausschließen3• Von den prozessualen Rechten, die zur Durchsetzung des materiellen Entschädigungsanspruchs bereitstehen, ist das Recht, die Betragsentscheidung zu beantragen, § 10 Abs. 1 StrEG, ebenfalls ohne weiteres verzichtbar". Das Recht, eine Grundentscheidung über die Entschädigungspflicht der Staatskasse zu erhalten, unterliegt nur im Rahmen des § 9 Abs. 1 StrEG der Möglichkeit des Verzichts, d.h., wenn das Strafverfahren schon durch die Staatsanwaltschaft eingestellt wurde l • Ist das Verfahren dagegen vor Gericht gelangt, § 8 Abs. 1 StrEG, muß dieses zwingend von Amts wegen eine Grundentscheidung erlassen, so daß kein Verzicht vorgenommen werden kann6 •
lOben Kap. 8/ B II / F, S. 120, 122 f., 151 f. 2
Oben Kap. 10/ D - F, S. 173 a.E., 174, 177, 183.
3
Oben Kap. 11 / E / F, S. 202 - 204.
4
Oben Kap. 12/ A, S. 205.
lOben Kap. 12/ C III 1 - 3, S. 214 - 217. 6
Oben Kap. 11 / D II 3 b, 4, S. 198, 199, sowie Kap. 12/ B II, S. 206 - 208.
Zwischenbilanz zum Verzicht aufStrafVerfolgungsentschädigung
256
Der Verzicht kann auch, wie es wohl meistens geschieht, erklärt werden,
bevor das betreffende Recht vorhanden ist. So entsteht der materielle Entschä-
digungsanspruch erst durch die Grundentscheidung. Gleichwohl kann der Beschuldigte schon vor der Grundentscheidung, also noch während des laufenden Strafverfahrens verzichten. Eine Sperre gegen einen zu frühen Verzicht liegt nur darin, daß der Beschuldigte beim Verzicht die aus der Strafverfolgung erwachsenen Folgen absehen können muß7 • Da der Verzicht durch Willenserklärung vorgenommen wird, bedarf es zu seiner Wirksamkeit. eines ordnungsgemäßen Zugangs - ein Gesichtspunkt, den die bisherige Diskussion offenbar völlig vernachlässigt hat. Empfangszuständig ist, neben der Landeskasse, die Staatsanwaltschaft des ersten Rechtszugs8 ; der Weg dorthin ist zuweilen lang und verschlungen9• Was die rechtliche Gestaltung des Verzichts angeht, herrscht die einseitige Erklärung vor; doch könnte auch ein (schriftlicher) Vertrag geschlossen werden 1o • Der wirksame Verzicht führt zum Erlöschen des betroffenen Anspruchs! Rechts bzw. dazu, daß diese gar nicht erst entstehenll . Ein Verzicht auf den materiellen Entschädigungsanspruch hat keine Auswirkungen auf die Grundentscheidung. Bei § 8 Abs. 1 StrEG muß diese von Amts wegen erlassen werden, bei § 9 Abs. 1 StrEG kann der (ehemals) Beschuldigte sie durch Antrag erwirken. Den Vorteil davon hat der Unterhaltsberechtigte, dessen Ersatzanspruch nach § 11 StrEG von der Grundentscheidung abhängtl2.
7
Oben Kap. 13/ D III, S. 230, 232 f.
8
Oben Kap. 14/ AI 112, S. 234, 236.
9 Oben
Kap. 14/ A I 3 - 5, S. 236 - 241.
10
Oben Kap. 14/ B / D, S. 241 - 244, 247.
11
Oben Kap. 15/ A I - III, S. 248, 249, 249 f., 250.
12
Oben Kap. 11/ D III 2, S. 201 f., sowie Kap. 15/ B 13, S. 253.
Sechster Teil Rechtstatsächliche Erkenntnisse zum Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung
Vorbemerkung Nachdem die rechtliche Bewertung, ob der Verzicht als solcher zulässig und wirksam ist, abgeschlossen wurde, ruckt die verzichtsanbahnende Absprache in den Mittelpunkt dieser Arbeit. Der Begriff steht für jenen Sachverhalt, daß der Beschuldigte vor dem eigentlichen Verzicht mit den Organen der Strafverfolgung übereinkommt, ihn zu erkläreni. Die Vermutung, wahrscheinlich werde der Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung beinahe immer auf eine derartige "Verständigung" zwischen den Beteiligten des Strafverfahrens zurückgehen, hat diese Arbeit schon früh geäußertl. Das entscheidende Motiv wurde dabei auf seiten der Strafverfolgungsorgane gesehen, denen es offenbar darum geht, eine "zusätzliche Belohnung" jenes Beschuldigten zu vermeiden, der zwar nicht überführt werden konnte, dem man aber andererseits die Tat noch immer zutraue. Jetzt, bevor die Zulässigkeit und Wirksamkeit verzichtsanbahnender Absprachen untersucht wird, erscheint es angebracht, die näheren Umstände dieser Art von strafj>rozessualer Verständigung aufzuhellen. Besonders wichtig wäre es zu wissen, - welche vorausgegangenen Strafverfolgungsmaßnahmen für eine zum Verzicht führende Verständigung "anfällig" sind; - in welchem Verfahrensstadium für gewöhnlich über einen Verzicht verhandelt wird; lOben Kap. 7/ B / C, S. 110, 114 f. 2 Oben
Kap. 3 / A / BI - III / C II, S. 58 - 61,63,69 - 73, 75 - 79. Ferner siehe die Vorbemerkung zum Dritten Teil, S. 117. lOben Kap. 3/ B III 2 b, S. 75 -77. 17 Friehe
258
6. Teil: Rechtstatsächliche Erkenntnisse
- welche (günstige) Sachentscheidung der Beschuldigte sich jeweils erhofft; - welchen Grad von "Verbindlichkeit" die Absprache erreicht. So gut es möglich war, hat die vorliegende Arbeit versucht, rechtstatsächliche Erkenntnisse hierüber - und über den Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung insgesamt - zu gewinnen. Was auf diese Weise zusammengetragen wurde, weist, wie noch zu erläutern ist, manche Unvollkommenheit auf. Dennoch bietet das gewonnene Material einen aufschlußreichen, um nicht zu sagen: spannenden Einblick in die Praxis des Verzichts.
16. Kapitel Bisher zur Verfügung stehende Quellen für rechtstatsächliche Daten über Verzichtserklärungen Auf bereits vorhandenes Datenmaterial konnte die rechtstatsächliche Untersuchung über den Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung kaum zurückgreifen. Was die von B. Schünemann, W. Bandilla, M. Gerstner, R. Hassemer und R. Schreieck 1987 durchgeführte Mannheimer Untersuchung über "Informelle Verständigung im Strafverfahren" erbracht hat, wurde bereits dargestellt4 • Als weitere Quellen kamen veröffentlichte amtliche Statistiken sowie interne Statistiken der Landesjustizverwaltungen in Betracht; hieraus waren aber allenfalls Ansätze für die Einschätzung der Verzichtspraxis zu gewinnen.
A. Veröffentlichte amtliche Statistiken Aus veröffentlichten amtlichen Statistiken ist weder direkt zu entnehmen, wie oft Beschuldigte auf ihre Strafverfolgungsentschädigung verzichten, noch läßt sich die Anzahl der Verzichtserklärungen durch eine Kombination von anderen Datenbeständen ermitteln; denn entsprechendes Zahlenmaterial ist nicht vorhanden.
4
Oben Kap. 2 / A, S. 52 f.
16. Kap.: Bisher zur Verfiigung stehende Quellen
259
Die einzelnen Bundesländer stellen zwar fest, wieviel sie jährlich für die Strafverfolgungsentschädigung ausgeben, und die ennittelten Beträge werden auch an das Bundesministeriurn der Justiz gemeldet. Eine regelrechte "Statistik" scheint dort aber nicht geführt zu werden; nur sporadisch findet man Gesamtangaben für die Bundesrepublik Deutschland mitgeteiltS . Und auch diese sind nur danach aufgeschlüsselt, auf welche Strafverfolgungsmaßnahmen die Zahlungen sich bezogen, in wie vielen Fällen gemäß §§ 3, 4 StrEG eine Entschädigung aus Billigkeitsgründen gewährt wurde, schließlich, wie oft immaterieller Schaden zu ersetzen war. Neben der Höhe der Gesamtentschädigung läßt sich daher riur noch die Anzahl der Fälle feststellen, in denen die Staatskasse tatsächlich eine Entschädigung erbracht hat. Man könnte natürlich die Angaben, wie oft Entschädigung geleistet wurde, mit der Zahl der Strafverfolgungsmaßnahmen vergleichen, die im Ergebnis zu Unrecht verhängt worden sind. Doch führt dies nicht weiter. Es gibt die verschiedensten Gründe, warum eine Entschädigung unterbleiben kann6 und darüber, welcher Grund jeweils vorgelegen hat, wird keine Statistik geführt. Deshalb gibt die Differenz zwischen den grundsätzlich für eine Entschädigung in Betracht gekommenen und den tatsächlich entschädigten Strafverfolgungsmaßnahmen nicht an, in wieviel Fällen ein Verzicht erklärt wurde.
B. Interne Erhebungen Die Verfasserin dieser Arbeit hat bei den einzelnen Landesjustizverwaltungen angefragt, ob interne Statistiken über Verzichtserklärungen geführt würden. Das ist nicht der Fall. Doch konnten die Landesjustizverwaltungen SSo im BT-Rechtsausschuß, Prot. 11115 vom 20. Januar 1988, Anlage 3. Damals wurde der Gesetzentwurf des Bundesrates zur Änderung des StrEG, BT-Drs. 111281, beraten. Es ging um die Anhebung der Entschädigung fUr immaterielle Schäden von 10 DM auf20 DM; § 7 Abs. 2 StrEG. 6 Eine Entschädigung kann z.B. aus folgenden Gründen unterbleiben: Die Entschädigung ist nach § 5 StrEG ausgeschlossen oder nach § 6 StrEG zu versagen. Der Beschuldigte hat nach einer Verfahrenseinstellung durch die Staatsanwaltschaft den nach § 9 Abs. 1 S. 3 StrEG erforderlichen Antrag nicht gestellt oder die Antragsfrist nach § 9 Abs. 1 S. 4 StrEG versäumt. Möglicherweise sieht der Beschuldigte auch davon ab, die Höhe der Entschädigungssumme festsetzen zu lassen. Oder es fehlt am nachgewiesenen Schaden bzw. an der Kausalität zwischen der Strafverfolgungsmaßnahme und dem eingetretenen Schaden. Oder der Schaden übersteigt nicht die in § 7 Abs. 2 StrEG festgelegte Schadensmindestgrenze von 50 DM.
17"
260
6. Teil: Rechtstatsächliche Erkenntnisse
von Schleswig-Holstein und Hamburg immerhin mit einigen Angaben weiterhelfen.
I. Schleswig-Holstein
In Schleswig-Holstein liegt zwar keine landesweite Statistik über Verzichtserklärungen vor. Doch wird bei der Staatsanwaltschaft in Lübeck eine Strichliste über Fälle geführt, in denen der Beschuldigte auf eine Entschädigung nach dem StrEG verzichtet. Dorther stammen die folgenden Angaben':
Jahr
1977 1978 1979 1980 1981 1982 1983
Gesamtzahl der rechtskräftig festgestellten Entschädilmn2sfälle
20
44
35 51 40 37 30
1984
27
1985
42
1986
29
1987
28
1988
25
1989
34
1990
24
1991
27
Preisgabe
1 Rücknahme
./. ./. kein Antraa in 4 Fällen kein Antrag in 8 Fällen kein Antraa in 8 Fällen kein Antraa in 3 Fällen kein Antrag in 1 Fall Rücknahme in 1 Fall kein Antrag in 4 Fällen Rücknahme in 1 Fall ./. kein Antrag in 4 Fällen Rücknahme bzw. Verzicht in 2 Fällen kein Antraa in 3 Fällen
kein Antrag in 3 Fällen Verzicht in 1 Fall kein Antrag in 1 Fall Verzicht in 1 Fall kein Antrag in 3 Fällen
7 Die nachfolgende Tabelle stammt aus dem Antwortschreiben des Justizministers vom 9. Februar 1990, Az. V 310 /4220 E - 318, ergänzt durch das Antwortschreiben des Ministeriums fiir Justiz, Bundes- und Europaangelegenheiten vom 13. September
1996, Az. II 310/4220 E - 318.
16. Kap.: Bisher zur Verfügung stehende Quellen 1992
34
1993 1994 1995 1996, 1. Halbjahr
37 23 22 12
261
kein Antrag in 6 Fällen Verzicht in 1 Fall kein Antrag in 3 Fällen ./. kein Antra~ in 3 Fällen ./.
Diese Tabelle hat den Vorzug, überhaupt einmal Zahlen zum Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung zu liefern. Dennoch gibt sie für die vorliegende Arbeit wenig her. Im wesentlichen bestätigt sie, daß Fälle, in denen eine Entschädigung nach dem StrEG anfällt, nicht besonders zahlreich vorkommenS. Zunächst scheint auch die Anzahl der Verzichtserklärungen gering zu sein. Doch ist die Tabelle wahrscheinlich so zu verstehen, daß sie nur solche Verzichtserklärungen erfaßt, die im Betragsverfahren, also nach Abschluß des Grundverfahrens, abgegeben wurden. Dafür spricht nämlich der Umstand, daß die Gesamtzahl der "rechtskräftig festgestellten Entschädigungsfälle" erfaßt wird. Von rechtskräftig festgestellten Entschädigungsfällen kann aber erst nach Abschluß des Betragsverfahrens gesprochen werden9 • Auch die Rubrik über die Preisgabe der Entschädigung läßt vermuten, daß es überwiegend um solche Fälle geht, in denen der Beschuldigte seine Entschädigung erst im Betragsverfahren aufgibt: Denn die Preisgabe ist in der Regel nicht durch förmlichen Verzicht erfolgt, sondern dadurch, daß kein Antrag gestellt wurde. Schließlich ist aber auch schon die Tatsache, daß es sich um eine von der Staatsanwaltschaft geführte Liste handelt, ein Indiz für die bloß beschränkte Reichweite der Liste: Bei den erwähnten "Anträgen" kann es sich nur um solche nach § 10 Abs. I S. 1 StrEG handeln, also um Anträge zur Festsetzung der Entschädi-
gungssumme.
Nun sind gerade jene Fälle, in denen der Beschuldigte lediglich davon abgesehen hat, keinen Antrag zu stellen, wenig geeignet, etwaigen verzichtsanbahnenden Absprachen auf den Grund zu gehen. Zwar ist nicht von vornherein auszuschließen, daß der Beschuldigte den Antrag deswegen unterläßt, weil er sich zuvor, im Rahmen einer strafprozessualen Verständigung, entsprechend "verpflichtet" hat. Im Betragsverfahren kann man sich eine solche strafprozessuale Verständigung aber nur noch in der Weise vorstellen, daß die Staatsanwaltschaft zusagt, von Rechtsmitteln zuungunsten des Beschuldigten abzusehen, falls dieser seine Entschädigung preisgibt. Das ist ein sehr schmaler lOben Kap. 3/ BI, S. 61 f. 9 Dies ergibt sich aus § 13 Abs. 2 StrEG, wobei im Justizverwaltungsverfahren an die Stelle der Rechtskraft die Unanfechtbarkeit der behördlichen Entscheidung tritt, D. Meyer, § 13 Rn. 14.
262
6. Teil: Rechtstatsächliche Erkenntnisse
Bereich. In der Regel wird es sich deswegen bei jenen Fällen, in denen kein Antrag gestellt ist, um solche handeln, in denen der Beschuldigte die Antragsfrist ungenutzt verstreichen läßt, weil er keinen oder nur einen sehr niedrigen Schaden erlitten hat, den Schaden nicht beweisen kann etc. Von daher spricht viel dafür, daß die Lübecker Strichliste ganz überwiegend Fälle einer "edelmütigen" Preisgabe erfaßt.
11. Hamburg Zahlenmäßige Angaben über Verzichtserklärungen waren auch aus Hamburg nicht zu erhalten. Die lustizbehörde hat aber bei den Richtern und Staatsanwälten der Stadt in allgemeiner Weise angefragt, welche Erfahrungen zum Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung vorliegen. Dem zufolge werden Verzichtserklärungen meistens im Zusammenhang mit Einstellungen wegen Geringfügigkeit, § 153 StPO, sowie bei Einstellungen wegen Erfüllung von Auflagen und Weisungen, § l53a StPO, abgegeben. Sie betrafen unter anderem solche Fälle, in denen Entschädigung für Untersuchungshaft, für SichersteIlung, für Beschlagnahme und vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis zu leisten gewesen wäre lO • Wenn es heißt, daß "im wesentlichen im Zusammenhang mit Verfahrenseinstellungen wegen Geringfügigkeit und nach Erfüllung von Auflagen (§§ 153, 153a StPO),,1I verzichtet werde, legt das die Vermutung nahe, daß es sich überwiegend um Fälle von abgesprochenem Verzicht gehandelt haben muß, also - anders als bei der Lübecker Strichliste - nicht um "edelmütig" abgegebene Verzichtserklärungen. Denn bei einem Verzicht, der aus Edelmut vorgenommen wird, besteht in der Regel kein Anlaß, den Zusammenhang mit einer bestimmten verfahrensabschließenden Entscheidung hervorzuheben. Daß die Hamburger Angaben wahrscheinlich den abgesprochenen Verzicht betreffen, zeigt sich auch und gerade am Bezug zu §§ 153, 153a StPO. Einstellungen wegen Geringfügigkeit gehören nämlich zu dem Terrain, das den Boden für strafprozessuale Absprachen erst bereitet hat und in dem es deshalb sehr gebräuchlich ist, die informelle Verständigung zu suchen.
10 So das Antwortschreiben der Justizbehörde von Hamburg vom 2. November 1989, Az.4220-2.10. 11 Wörtliches Zitat aus dem Antwortschreiben der Justizbehörde; Hervorhebung jedoch von der Verf.
17. Kap.: Vorstellung der durchgeführten Befragung
263
17. Kapitel Vorstellung der im Rahmen dieser Untersuchung durchgefUhrten Befragung Der Mangel an vorhandenem Material, das hinreichende Auskunft über die Praxis des Verzichts hätte bieten können, gab den Anstoß, eigene Nachforschungen anzustellen, wie verzichtsanbahnende Absprachen zustande kommen.
A. Aktenstudium ? Aus der veröffentlichten Rechtsprechung sind Fälle bekannt, in denen der Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung schriftlich festgehalten wurde 12. Deshalb hätte man erwägen können, ob nicht aus einschlägigen Verfahrensakten nähere Erkenntnisse zu gewinnen wären. Für die hauptsächlich interessierenden Fragen - welche Strafverfolgungsmaßnahmen für eine zum Verzicht führende Verständigung besonders "anfällig" sind, - in welchem Verfahrensstadium für gewöhnlich über einen Verzicht verhandelt wird, - welche (günstige) Sachentscheidung der Beschuldigte sich jeweils erhofft, - welchen Grad von "Verbindlichkeit" die Absprache erreicht, wäre das jedoch kein erfolgversprechender Weg gewesen. Denn normalerweise wird in den Akten nur die bloße Tatsache dokumentiert, daß verzichtet wurde. Einen Vermerk zu erwarten, wonach der Verzicht auf eine zuvor gefundene strafprozessuale Verständigung zurückgehe, wäre demgegenüber geradezu naiv. Denn obwohl strafprozessuale Absprachen in der Praxis heute schon weit verbreitet sind l3 , werden sie ganz überwiegend außerhalb des förmlichen Ver12 Z.B. im Protokoll der Hauptverhandlung: OLG Karlsruhe, Justiz(BW) 1981, 450, 451. Bei OLG München, NJW 1973, 721, war der Verzicht in den Schriftsätzen des Verteidigers erklärt worden. Davon, daß Verzichtserklärungen in der Regel zu Protokoll gegeben werden, berichtet auch Hertwig, S. 100 - 105.
13Nach der Mannheimer Untersuchung, S. 13, haben nur 1% der Befragten noch
264
6. Teil: Rechtstatsächliche Erkenntnisse
fahrens, etwa während einer Sitzungspause, getroffen l4 • Die juristische Grauzone, in der die Beteiligten agieren, zwingt zur allseitigen Diskretion; und so scheuen die Justizorgane sich nach wie vor, den Hergang und das Ergebnis einer strafprozessualen Verständigung schriftlich festzuhalten ls . Da ist der schlichte Vermerk, daß der Beschuldigte verzichtet habe, bereits das Äußerste, was man verlauten läßt. Er ist unverfänglich, weil er die Möglichkeit offenläßt, der Beschuldigte habe unaufgefordert, aus "Edelmut" verzichtet. Und da ein solcher Hergang andererseits nicht völlig auszuschließen ist, kann der Vermerk in der Tat nicht einmal als sicheres Indiz für den "Vollzug" einer strafprozessualen Verständigung genommen werden. Wenn aber der Verzicht auf eine Absprache zurückgeht, beschreibt der Aktenvermerk jedenfalls nicht, was der Inhalt dieser Absprache war. Nicht einmal zur Häufigkeit von Verzichtserklärungen hätte eine Aktenanalyse Genaueres zutage fordern können. Denn wie sich bereits aus der Strichliste der Lübecker Staatsanwaltschaftl6 schließen läßt, wird durchaus nicht jeder Verzicht schriftlich festgehalten. Zuweilen erfolgt der Vermerk in der Verteidigerakte, die ohnehin nicht zugänglich isti'. Das zu erwartende Ergebnis einer Aktenanalyse hätte daher in einem groben Mißverhältnis zu dem Aufwand gestanden, der bei einer solchen Arbeit zu leisten gewesen wäre. Das hat die Verfasserin veranlaßt, einen anderen Weg zu wählen: Sie hat sich für eine Befragung der Beteiligten, vor allem der Verteidiger entschieden.
B. Durchführung der Befragung
Zum Einsatz kam ein standardisierter Fragebogen, den die Verfasserin den potentiellen Interessenten über drei "Kanäle" zugeleitet hat. Eine erste Verteilung wurde im Sommer 1988 über den Deutschen Anwaltsverein vorgenommen; dieser war so freundlich, den Fragebogen als Anlage eines seiner Mitteilungsblätter der Strafverteidigervereinigung (MitBIStr. 2/1988), dem "Strafverteidiger-Forum", an die entsprechenden Mitglieder zu versenden. Anschließend wurde der Fragebogen noch auf dem 13. Strafverteidigertag in Köln (1989) sowie auf dem 45. Deutschen Anwaltstag in München (1989) ausgelegt. keine persönlichen Erfahrungen mit strafprozessualen Absprachen gehabt. 14
So die Erfahrungen der Mannheimer Untersuchung, S. 33.
11
So auch Gallandi, StY 1987, 290, 291.
16
Oben Kap. 16 / B I, S. 260 f.
17Ygl. OLG München, NJW 1973,721.
17. Kap.: Vorstellung der durchgeführten Befragung
265
I. Text des Fragebogens
Der Fragebogen hatte folgenden Wortlaut lB : Sehr geehrte Damen und Herren, darf ich Sie um Ihre Unterstützung bitten? Im Rahmen einer Doktorarbeit untersuche ich den "Verzicht des Beschuldigten auf eine Entschädigung nach dem StrEG und auf Auslagenerstattung" . Dazu möchte ich Ihre praktischen Erfahrungen auswerten. Bitte, fiillen Sie den nachfolgenden Fragebogen soweit als möglich aus. Im Fragebogen sind Mehrfachnennungen möglich. Sollte Ihnen eine prozentuale Angabe unmöglich sein, reichen schon ungefähre Mengenangaben ("oft", "manchmal", "nie") aus. Streichen Sie Fragen, mit denen Sie nichts anfangen können, einfach durch. Oder schildern Sie Verfahrenssituationen, die sich nicht in den Fragebogen einordnen lassen.
Sie sind: Rechtsanwalt ( ), Staatsanwalt ( ), Richter a. AG ( ), Richter a. LG ( ), Richter a. OLG ( ) im LG-Bezirk ............................... seit 19 ... .
A.
Verzicht au/Strafrechtsentschädigung
1.
Wie oft haben Sie erlebt, daß ein Beschuldigter auf eine Entschädigung nach dem StrEG (Strafrechtsentschädigung) verzichtet hat? absolute Anzahl: _ _ _ _ _ _ __ und/oder prozentuale Anzahl: _ _ _ _ _ _ __
II.
Für welche Strafverfolgungsmaßnahmen wäre der Beschuldigte entschädigt worden? 1. Untersuchungshaft
), ca. _
% der Verzichtsfälle;
2. SicherstellunglBeschlagnahmelDurchsuchung ca. _
% der Verzichtsfälle;
3. (vorläufige) Entziehung der Fahrerlaubnis ( ca. _
), ),
% der Verzichtsfälle;
18 Vielleicht werden dem Leser einige Inkongruenzen zum Sprachgebrauch der nunmehr abgeschlossenen Arbeit auffallen. So heißt es noch "Strafrechtsentschädigung" statt des jetzt gewählten Wortes "Strafverfolgungsentschädigung". Außerdem geht der Fragebogen vom seinerzeitigen Arbeitstitel der Dissertation aus, für die ursprünglich vorgesehen war, auch den Verzicht auf Auslagenerstattung zu behandeln.
266
6. Teil: Rechtstatsächliche Erkenntnisse 4. Freiheitsstrafe (
), ca. _
% der Verzichtsfalle;
5. Welche anderen Maßnahmen? : _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ __ ), ca. _ III.
% der Verzichts falle.
In welchem Verfahrensstadium hat der Beschuldigte verzichtet? 1. Der Beschuldigte hat im sog. Betragsverfahren (§ 10 StrEG) verzichtet, also nachdem dem Grunde nach bereits feststand, daß die Staatskasse den Beschuldigten entschädigen müsse. ( ), ca. _ % der Verzichtsfalle. 2. Der Beschuldigte hat im oder vor dem sog. Grundverfahren (§§ 8, 9 StrEG) verzichtet, also noch bevor das Strafgericht dem Grunde nach festgestellt hatte, ob der Beschuldigte überhaupt zu entschädigen war oder nicht. Der Beschuldigte verzichtete: a) im Ermittlungsverfahren ( b) im Zwischenverfahren ( c) im Hauptverfahren (
), ca. _ ), ca. _
), ca. _
% der Verzichtsfalle;
% der Verzichtsfalle;
d) im Wiederaufnahmeverfahren ( IV.
% der Verzichtsfalle;
), ca. _
% der Verzichtsfalle.
Welche Motive haben den Beschuldigten zu dem Verzicht veranlaßt ? 1. Großzügigkeit. / Dem Beschuldigten ging es nur "um seine Ehre". / Er hatte gar keinen Schaden erlitten. / Er konnte seinen Schaden nur schwer oder gar nicht beweisen. ( ), ca. _ % der Verzichtsfalle. 2. Der Verzicht sollte sich günstig auf das laufende Strafverfahren auswirken: Der Beschuldigte hat gehoffi, nach einem Verzicht seien die Strafverfolgungsorgane eher bereit, das Verfahren a) nach § 170 Abs. 2 StPO einzustellen ), ca. _
% der Verzichts falle;
b) nach § 153 Abs. 1/2 StPO einzustellen ), ca. _
% der Verzichtsfalle;
c) nach § l53a Abs. 1/2 StPO einzustellen ), ca. _
% der Verzichtsfalle;
d) nach § 154 Abs. 1/2 StPO einzustellen ), ca. _
% der Verzichtsfalle;
e) durch Freispruch zu beenden
(
), ca. _
t) zu seinen Gunsten wiederaufzunehmen ), ca. _
% der Verzichtsfalle;
% der Verzichtsfalle;
17. Kap.: Vorstellung der durchgeführten Befragung
267
g) durch welche andere günstige Entscheidung zu beenden? :
), ca.
% der Verzichtsfälle.
B.
Verzicht auf Auslagenerstattung
1.
Wie oft haben Sie erlebt, daß ein Beschuldigter auf Auslagenerstattung (§§ 464 ff. StPO) verzichtet hat bzw. erklärt bat, er trage seine Auslagen selbst? absolute Anzahl: _ _ _ _ _ _ _ _ _ __ und/oder prozentuale Anzahl: _ _ _ _ _ _ _ _ __
11.
In wie vielen Fällen hat der Beschuldigte dabei erklärt, auch die Auslagen des Nebenklägers übernehmen zu wollen? absolute Anzahl: _ _ _ _ _ _ _ _ _ __ und/oder prozentuale Anzahl : _ _ _ _ _ _ _ _ __
III.
In welchem Verfahrensstadiwn hat der Beschuldigte verzichtet? I. Der Beschuldigte hat im sog. Festsetzungsverfahren (§ 464b StPO) verzichtet, also nachdem dem Grunde nach bereits feststand, daß die Staatskasse dem Mandanten die Auslagen erstatten müsse. ), ca. _
% der Verzichtsfälle.
2. Der Beschuldigte hat im oder vor dem sog. Grundverfahren verzichtet, also noch bevor das Strafgericht dem Grunde nach festgestellt hatte, ob der Beschuldigte überhaupt Auslagenerstattung verlangen könne oder nicht. Der Beschuldigte verzichtete:
IV.
a) im Zwischenverfahren
(
b) im Hauptverfahren
), ca.
(
), ca. _
% der Verzichtsfälle;
% der Verzichtsfälle.
Welche Motive haben den Beschuldigten zu dem Verzicht veranlaßt ? 1. Großzügigkeit. / Dem Beschuldigten ging es nur "wn seine Ehre". / Er hatte gar keine Auslagen. / Er konnte seine Auslagen nur schwer oder gar nicht beweisen. ( ), ca. _ % der Verzichtsfälle. 2. Der Verzicht sollte sich günstig auf das laufende Strafverfahren auswirken: Der Beschuldigte hat gehoffi, nach einem Verzicht seien die Strafverfolgungsorgane eher bereit, das Verfahren
268
6. Teil: Rechtstatsächliche Erkenntnisse a) nach Klagerücknahme einzustellen (
), ca. _
b) nach § 153 Abs. 2 StPO einzustellen ( c) nach § 153a Abs. 2 StPO einzustellen ( d) nach § 154 Abs. 2 StPO einzustellen ( e) durch Freispruch zu beenden (
), ca. _
), ca. _ ), ca. _ ), ca. _
% der Verzichtsfälle;
% der Verzichtsfälle; % der Verzichtsfälle;
% der Verzichtsfälle;
% der Verzichtsfälle;
t) durch welche andere günstige Entscheidung zu beenden? :
), ca. _
% der Verzichtsfälle.
3. Der Verzicht sollte den Nebenkläger für die günstige Entscheidung gewinnen. (
), ca. _
% der Verzichtsfälle.
C.
Gemeinsame Fragen
I.
Warum hat der Beschuldigte / die Verteidigung angenommen, ein Verzicht auf Strafrechtsentschädigung und/oder Auslagenerstattung werde sich günstig auf die Sachentscheidung auswirken ? 1. Zu ca. % hat die Staatsanwaltschaft / zu ca. % das Gericht in Aussicht gestellt, das Strafverfahren gegen einen Verzicht günstig zu beenden.
2. Zu ca. % hat die Staatsanwaltschaft / zu ca. zieht gefordert.
% das Gericht den Ver-
3. Zu ca. _ % hat der Beschuldigte von sich aus, gewissermaßen "vorsorglich", verzichtet, z.B. weil er von anderen erfahren hat, ein Verzicht wirke sich in der Regel günstig aus. 4. Weshalb sonst? _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ __ ( H.
), ca. _
% der Verzichtsfälle.
AufweIche Art und Weise ist der Vorschlag "Günstige Sachentscheidung gegen Verzicht aufStrafrechtsentschädigung und/oder Auslagenerstattung" zur Sprache gebracht worden ? 1. Zu ca. _ lung.
% innerhalb des förmlichen Verfahrens, z.B. in der Hauptverhand-
2. Zu ca. _
% in informellen Gesprächen, z.B. in der Sitzungspause.
17. Kap.: Vorstellung der durchgeführten Befragung III.
Wurde der Beschuldigte in die Verhandlungen "Günstige Sachentscheidung gegen Verzicht" mit einbezogen ? % wurden die Verhandlungen nur mit der Verteidigung geführt.
Nein, zu ca. _ IV.
Wurden die Absprachen "Verzicht gegen günstige Sachentscheidung" eingehalten? Ja (
V.
), zu ca.
%. Wenn nein, von wem nicht?:
Hat es sich für den Beschuldigten nachteilig ausgewirkt, wenn dieser auf das Angebot der Strafverfolgungsorgane "Günstige Sachentscheidung gegen Verzicht" nicht einging (Nachteil: z.B. Anklage statt Verfahrenseinstellung) ? Nein (
VI.
269
), ca. _
% der Fälle / Ja (
), ca. _
% der Fälle.
W elche Verdachtslage bestand in den Fällen, in denen das Strafverfahren nur gegen einen Verzicht günstig beendet werden sollte? 1. Die Verdachtslage war eindeutig. Sie sprach a) für die günstige Verfahrensbeendigung ), ca. _
% der Verzichtsfälle;
b) gegen die günstige Verfahrensbeendigung ), ca. _
% der Verzichtsfälle.
2. Die Verdachtslage war noch ungeklärt. a) Nur umfangreiche Ermittlungen hätten sie klären können. ), ca. _
% der Verzichtsfälle.
b) Auch umfangreiche Ermittlungen hätten die Sachlage nicht weiter klären können. Die Strafverfolgungsorgane hätten daher ohnehin das Verfahren entsprechend dem Grundsatz "in dubio pro reo" günstig beenden müssen. ), ca. _
% der Verzichtsfälle.
VII. Gibt es eine Deliktsgruppe, wo Verzichtserklärungen besonders häufig sind ? Nein (
Wennja, welche?: _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ __
VIII. Wurde der Verzicht schriftlich festgehalten ? Ja ( ), zu ca. _ %, wo?: ____________________
270 IX.
6. Teil: Rechtstatsächliche Erkenntnisse Sollte die Absprache "Verzicht gegen günstige Sachentscheidung" verbindlich sein ? 1. Zu ca. _ % waren Absprachen mit der Staatsanwaltschaft für beide Seiten verbindlich.
2. Zu ca. _ lich.
% waren Absprachen mit dem Gericht für beide Seiten verbind-
3. Zu ca. _ % waren Absprachen mit der Staatsanwaltschaft nur für den Beschuldigten verbindlich, während die Staatsanwaltschaft die günstige Sachentscheidung lediglich in Aussicht stellte. 4. Zu ca. _ % waren Absprachen mit dem Gericht nur für den Beschuldigten verbindlich, während das Gericht die günstige Entscheidung lediglich in Aussicht stellte. Vielen Dank!
11. Erläuterungen zum Fragebogen Der Fragebogen ist in der Auswahl der Fragen von vornherein darauf zugeschnitten worden herauszufinden, welche Verzichtserklärungen in der Praxis typisch sind. Der Fragebogen zielte dagegen nicht darauf ab zu ermitteln, wie weit Verzichtserklärungen tatsächlich verbreitet sind. Denn dazu hätte es einer umfassenden flächendeckenden Befragung bedurft. Da der Fragebogen keinen statistischen Zwecken diente, wurde der übliche Vorspann über Herkunft der Befragten, Tätigkeitsfeld und -dauer etc. bewußt knapp gehalten 19 • Obwohl diese Arbeit das Thema letztlich ausgeklammert hat, sprach der Fragebogen auch den Verzicht auf Auslagenerstattung an20 • Dadurch sollte her19Der Vorspann "Sie sind: Rechtsanwalt ( ), Staatsanwalt ( ), Richter ( ) ... " wurde nur für jene Fragebögen eingesetzt, die auf dem 13. Strafverteidigertag in Köln (1989) sowie auf dem 45. Deutschen Anwaltstag in München (1989) ausgelegt wurden. Bei der Befragung über den Deutschen Anwaltsverein konnte insoweit auf Adresse und Poststempel zurückgegriffen werden. 20 Daneben wurde auch erfragt, wie häufig der Beschuldigte erklärt hat, die Auslagen des Nebenklägers übernehmen zu wollen. Das bot sich an, weil solche Übernahmeerklärungen erfahrungsgemäß ebenfalls eingesetzt werden, um auf den Ausgang des Strafverfahrens Einfluß zu nehmen. Dazu siehe z.B. Ahrens, S. 119 ff., oder Hertwig, S. 100 ff.
17. Kap.: Vorstellung der durchgefiihrten Befragung
271
ausgefunden werden, ob der Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung stets mit dem auf Auslagenerstattung einhergeht oder ob sich die Verschiedenartigkeit der Ansprüche auch rechtstatsächlich auswirkt.
1. Die Fragen A I - A IV und B I - B IV Die Fragen A I "Wie oft haben Sie erlebt, daß ein Beschuldigter auf eine Entschädigung nach dem StrEG (Strafrechtsentschädigung) verzichtet hat?"
undBI "Wie oft haben Sie erlebt, daß ein Beschuldigter auf Auslagenerstattung (§§ 464 ff. StPO) verzichtet hat bzw. erklärt hat, er trage seine Auslagen selbst?"
sollten einen "Einstieg" in den Fragebogen geben. Von den Antworten wurde allenfalls eine Tendenz erw~t, wie häufig Verzichtserklärungen vorkommen. Daneben sollten sie Aufschluß darüber vermitteln, wie "Verzichts-erfahren" der jeweilige Beantworter war, und dadurch eine bessere Auswertung der nachfolgenden Antworten ermöglichen. Die Fragen, in welchem Stadium des Verfahrens der Beschuldigte verzichtet habe CA III / BIll), zielten zum einen darauf ab zu klären, in welchem zahlenmäßigen Verhältnis der "edelmütige" sich zum abgesprochenen Verzicht bewegt. Vor allem aber sollten jene Stationen im Strafverfahren herausgefiltert werden, in denen verzichtsanbahnende Absprachen besonders häufig vorkommen CA III 2 / B III 2). Aus diesen Gründen wurde auch nach den Verzichtsmotiven geforscht CA IV / B IV). Die Fragen A I / B I bis A IV / B IV waren über weite Strecken identisch aufgebaut. Dennoch erschien es sinnvoll, zwischen dem Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung und dem auf Auslagenerstattung zu differenzieren. Denn nur so konnte festgestellt werden, ob und wie sich die speziellen Eigenarten der beiden Ansprüche auf die Verzichtserklärungen auswirken. Dies betraf sowohl die Frage A 11 "Für welche Strafverfolgungsmaßnahmen wäre der Beschuldigte entschädigt worden?"
als auch die Fragen nach dem Zeitpunkt der Absprache sowie nach den beteiligten Personen. Da ein Anspruch auf Strafverfolgungsentschädigung unabhängig davon besteht, wie weit das Strafverfahren bereits fortgeschritten ist,
272
6. Teil: Rechtstatsächliche Erkenntnisse
war anzunehmen, daß verzichtsanbahnende Absprachen, die die Entschädigung betreffen, in jedem Verfahrensstadium vorkommen und sowohl mit dem Gericht als auch mit der Staatsanwaltschaft getroffen werden. Im Gegensatz dazu kommt eine Auslagenerstattung erst in Betracht, wenn das Verfahren mindestens rechtshängig war. Über die Auslagenerstattung wird daher in der Regel erst ab Anklageerhebung verhandelt werden. Außerdem werden an den Absprachen vornehmlich die Gerichte beteiligt sein; eine Beteiligung der Staatsanwaltschaft ist nur in der Weise denkbar, daß eine dreiseitige Absprache zwischen Staatsanwaltschaft, Gericht und Beschuldigtem stattfindet. Bei den übrigen, unter Punkt C erscheinenden Fragen wäre eine Trennung zwischen dem Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung und dem auf Auslagenerstattung zwar ebenfalls wünschenswert gewesen. Der Fragebogen hätte sich dann allerdings erheblich verlängert. Bei einem derartigen Umfang wären vielleicht nur wenige Beteiligte bereit gewesen, ihn zu beantworten. Dieses Risiko wollte die Verfasserin nicht eingehen, und deshalb hat sie die Form einer zusammenfassenden Fragestellung gewählt.
2. Die gemeinsamen Fragen unter Punkt C Mit den Fragen unter Punkt C, die sich sowohl mit dem Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung als auch mit dem auf Auslagenerstattung beschäftigten, sollten ebenfalls typische Verzichtssituationen herausgefiltert werden. Bei Frage C I "Warum hat der Beschuldigte / die Verteidigung angenommen, ein Verzicht auf Strafrechtsentschädigung und/oder Auslagenerstattung werde sich günstig auf die Sachentscheidung auswirken?"
ging es darum festzustellen, mit welcher Intensität der Beschuldigte zu dem Verzicht aufgefordert wurde (C I 1/2) oder ob er gar von sich aus den Verzicht angeboten hat (C 13). Mit den restlichen Fragen, C 11 bis C IX, sollte geklärt werden, ob die verzichtsanbahnenden Absprachen sich mit anderen strafprozessualen Vereinbarungen vergleichen lassen oder ob sie ganz andere Strukturen aufweisen.
17. Kap.: Vorstellung der durchgefiihrten Befragung
273
C. Rücklauf der Fragebögen - Konsequenzen Der Rücklauf der Fragebögen ist, wie bereits angedeutet, geringer ausgefallen als erhoffi. Die Verfasserin hat insgesamt nur 28 Fragebögen erhalten, die sinnvollerweise in eine Auswertung einbezogen werden können. Darüber hinaus sind zwar Zuschriften und Fragebögen eingegangen, aus denen hervorgeht, daß Verzichtserklärungen überwiegend im Zusammenhang mit Verfahrenseinstellungen wegen Geringfügigkeit, §§ 153, 153a StPO, vorkommen, vor allem dann, wenn es um eine Entschädigung für die (vorläufige) Entziehung der Fahrerlaubnis geht. Da die letztgenannte Beobachtung mit den Angaben der Justizbehörde von Hamburg übereinstimme 1, ist anzunehmen, daß verzichtsanbahnende Absprachen auf diesem Gebiet tatsächlich üblich sind.
I. Gründe für den geringen Rücklauf
Für den spärlichen Rücklauf dürften verschiedene Gründe verantwortlich sein. So mag schon die Art und Weise, wie der Fragebogen verteilt wurde, eine Rolle gespielt haben. Die Mitglieder des Deutschen Anwaltsvereins erhielten ihn als Anlage der Mitteilungsblätter der Strafverteidigervereinigung (MitBIStr. 2/1988), des "Strafverteidiger-Forums". Die Geschäftsführung des Vereins hielt das für den praktikabelsten Weg, die Mitglieder zu erreichen. Die Verfasserin wäre freilich bereit gewesen, den Bogen individuell mit jeweils von ihr frankiertem Rückumschlag an die entsprechenden Rechtsanwälte zu versenden. Hiervon abgesehen, hat auch die Beantwortung des Fragebogens offenbar größere Probleme bereitet als zuvor bedacht. Insbesondere die abgefragten Prozentangaben, die statt der ansonsten üblichen soziologischen Einschätzungskriterien wie "häufig", "gelegentlich", "selten" und "nie" eigentlich als Erleichterung gedacht waren, brachten die Befragten in gewisse Schwierigkeiten. Dieser Umstand hätte allerdings niemanden von einer Beantwortung abhalten müssen; denn wie gesehen, wurde in dem Anschreiben ausdrücklich darauf hingewiesen, daß auch andere Angaben, z.B. absolute Zahlen, akzeptiert würden. Letzteres hätte sich insbesondere für diejenigen Rechtsanwälte
21
Oben Kap. 16/ B H, S. 262.
18 Friehe
274
6. Teil: Rechtstatsächliche Erkenntnisse
angeboten, die nur wenige Male einen Verzicht erlebt hatten, so daß sich eine prozentuale Aufsplitterung für sie als zu kompliziert erwies. Möglicherweise hat der geringe Rücklauf auch mit der Zielgruppe zu tun, an die die Befragung sich gewandt hat. Vornehmlich angesprochen waren Strafverteidiger, und diese scheinen Umfragen weniger zugänglich zu sein als andere am Strafverfahren Beteiligte. Das jedenfalls wäre ein Schluß, der aus der Mannheimer Untersuchung gezogen werden könnte; denn diese erreichte bei den Rechtsanwälten ebenfalls den geringsten Rücklauf. Während die Rücklaufquote bei den Staatsanwälten 80%, bei den Richtern an Amtsgerichten 88%, bei den Richtern an Landgerichten 84% und bei den an Wirtschaftsstrafkammern tätigen Richtern immerhin noch 77% betrug, lag sie bei den Rechtsanwälten nur bei 69%22. Neben den technischen Schwierigkeiten und dem Umstand, daß die Mannheimer Untersuchung einen Teil des Interesses für Umfragen über strafprozessuale Verständigungen abgeschöpft haben dürfte, stieß die Befragung aber auch auf mangelndes Problembewußtsein. In zahlreichen Gesprächen wurde deutlich, daß es vielfach für selbstverständlich gehalten wird, daß der Beschuldigte die besagten Ansprüche, vor allem die auf Strafverfolgungsentschädigung, preisgibt. Ohne einen Verzicht, so war zu hören, komme eine Verfahrenseinstellung gar nicht erst in Frage. Insbesondere wenn das Verfahren ohnehin schon durch eine strafprozessuale Verständigung beendet worden war, zeigten die Gesprächspartner sich überzeugt, daß der Verzicht in eine solche Absprache mit hineingehöre. Demzufolge scheinen verzichtsanbahnende Absprachen nicht nur als Einzelabsprachen nach dem Motto "Einstellung gegen Verzicht" vorzukommen, sondern auch in Kombination mit anderen Absprachen. So gesehen, wären sie Bestandteil eines Verständigungs"pakets", in dem der Verzicht nur noch Anhängsel an ein weiteres Zugeständnis des Beschuldigten ist. Andere Gesprächspartner sahen in einem Verzicht, der anläßlich einer Verfahrenseinstellung nach § 153a StPO erfolge, sogar nur eine Art von "Aufrechnung" der gegenseitig zu zahlenden Geldleistungen und trugen vor, in einem solchen Fall könne von einer Absprache "Verfahrenseinstellung gegen Verzicht" überhaupt nicht gesprochen werden.
22 Mannheimer
Untersuchung, S. 5.
17. Kap.: Vorstellung der durchgeftihrten Befragung
275
11. Konsequenzen Aus dem geringen Rücklauf sollte nicht geschlossen werden, der Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung spiele in der Praxis doch keine so große Rolle, wie die Hinweise in Rechtsprechung und Literatur zunächst vermuten ließen. Gegen eine derartige Schlußfolgerung sprechen eindeutig die Ergebnisse der Mannheimer Unter$uchung. Wie schon gesehen23 , gehört der Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung zwar zu denjenigen Zugeständnissen, die weniger häufig vorkommen. Andererseits ist aber gleichwohl festzustellen, daß der Verzicht in seiner praktischen Bedeutung nicht völlig hinter anderen Angeboten des Beschuldigten zurücksteht. Diese Einschätzung wird untermauert, wenn man die Einzelauswertungen der Mannheimer Untersuchung24 beizieht: Bei insgesamt 1.195 ausgewerteten Fragebögen2S schätzten lediglich 17% der Antwortenden, der Beschuldigte verzichte bei einer informellen Verständigung anläßlich einer Einstellung nach § J53a StPO "nie" auf seine Strafverfolgungsentschädigung. Bei einer informellen Verständigung anläßlich eines Urteils schätzten 23%, daß der Beschuldigte "nie" auf Strafverfolgungsentschädigung verzichte. Anders herum gewendet deuten diese Angaben darauf hin, daß die Befragten in offenbar weitem Umfang Erfahrungen mit verzichtsanbahnenden Absprachen über die Strafverfolgungsentschädigung hatten; nämlich 83 % im Hinblick auf Verfahrenseinstellungen nach § 153a StPO; 77% im Hinblick auf eine vor einem Urteil getroffene Verständigung. Insgesamt hatten also mindestens zwei Drittel der Befragten Erfahrungen mit verzichtsanbahnenden Absprachen. Da die Mannheimer Untersuchung eine extrem hohe Rücklaufquote verzeichnen konnte 26 , sind die gewonnenen Erkenntnisse repräsentativ und
23
Oben Kap. 2 / A, S. 52 f.
24 Mannheimer
Untersuchung, Tabellen im Anhang, S. 17a, 18a, 19a.
Die praktische Relevanz verzichtsanbahnender Absprachen wird auch dadurch untermauert, daß in der Literatur der Verzicht auf die Strafverfolgungsentschädigung verstärkt als eine derjenigen "Gegenleistungen" genannt wird, die der Beschuldigte anläßlich von strafprozessualen Verständigungen abgibt, so: Schlüchter, in: SK-StPO, Vor § 213 Rn. 28; Rückei, NStZ 1987,297,303; siehe aber auch Haas, MDR 1994, 9, 10 f.
In der 3. Aufl. des Kommentars von D. Meyer, Vorbem. vor §§ 1 - 6 Rn. 15,20 23, tritt im Vergleich zur 2. Aufl., Vorbem. vor §§ 1 - 6 Rn. 15, 20 - 23, ebenfalls deutlicher hervor, daß der Verzicht auf die Strafverfolgungsentschädigung insbesondere auch aus Anlaß einer strafprozessualen Verständigung abgegeben wird. 2S Mannheimer Untersuchung, S. 5 Fn. 1. 1S"
276
6. Teil: Rechtstatsächliche Erkenntnisse
daher geeignet, die praktische Relevanz der verzichtsanbahnenden Absprachen zu belegen. Diese Ausgangslage hat die Verfasserin ermutigt, trotz des geringen Rücklaufs eine Auswertung der Antworten zu versuchen, die sie bei der Befragung erzielt hat. Diese können zumindest einen gewissen Trend über die Art und Weise aufzeigen, in der verzichtsanbahnende Absprachen üblicherweise getroffen werden. Wegen des geringen Rücklaufs muß aber darauf verzichtet werden, allgemeingültige prozentuale Tendenzen zu formulieren. Um den Ertrag der Befragung unverf31scht darzustellen, sind die Antworten zumeist wörtlich in die nachfolgenden Tabellen übernommen worden. Wo dies nicht möglich war, ist dies durch runde Klammem "(.....)" kenntlich gemacht.
18. Kapitel Auswertung der Fragebögen
A. Häufigkeit von Verzichtserklärungen Die Antworten auf die Frage A I "Wie oft haben Sie erlebt, daß ein Beschuldigter auf eine Entschädigung nach dem StrEG (Strafrechtsentschädigung) verzichtet hat?"
erscheinen in der Tabelle 1. Gleichzeitig werden die Einsender dort "vorgestellt". Die Tabelle gibt nämlich ergänzend an, woher die jeweilige Zuschrift eintraf; ferner wird aufgeführt, welche berufliche Stellung der Einsender innehat. Zum Lesen der Tabelle folgende Erläuterungen: In der Spalte "absolut" ist die mitgeteilte absolute Anzahl erlebter Verzichtserklärungen eingetragen, in der Spalte "%" die prozentuale Anzahl. Einige Einsender haben beide Angaben gemacht, andere nur jeweils eine. Wieder andere Einsender haben, statt Zahlen zu nennen, in eigenen, allgemein gehaltenen Formulierungen beschrieben, wie oft sie mit Verzichtserklärungen zu tun hatten. Wo dies geschehen ist oder wo die Einsender ergänzende eigene Bemerkungen angebracht haben, ist das durch einen Stern (*) gekennzeichnet. Wo dagegen der Kreis (') erscheint, 26 Trotz Freiwilligkeit und Schriftform der Befragung lag die Quote bei 77%; Mannheimer Untersuchung, S. 5.
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40 - 60 _2~ ___
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56 24 10 3· 50·
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80
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S
90 10 40
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40 10
20
RA LG Düsseldorf RA LG Hamburg RA LG Hannover RA LG Karlsruhe RA ./. RA LG FrankfurtIM RA .I. RA LG München I RA LGBremen .I. RA .I. RiLG Köln RA, LG Freiburg RA Paderbom (gem. Poststempel) RA München (aem. Poststempel) RA Gau-Algesheim (gem. Poststempel) _ .I. BübllBaden (aem. Poststempel) RA Bremen (gem. PoststempelL RA Frankfurt/M (Rem. Poststempel) RA, Ludwigsburg (gem. Poststempel) _ RA KemntenlAllaäu (Rem. Poststempel) RA, Köln (Rem. Poststempel) RA, Düsseldorf (gem. Poststempel} RA SieRen (Rem. Poststemnel) RA, Karlsruhe (gem. Poststempel) RA Landshut (Rem. Poststemnel) RA, Omabrück .I. - - - - - ----
I 2 3 4 S 6 7 8 9 10 11 12 13 14 IS 16 17 18 19 20 21 22 23 24 2S 26 27 _ 28
20· 10 3-4
%
Ibsolut
RA I StA I RI, mit Anglbe des Bezirks
Brief
• maximal • ca. 50 in den letzten drei Jahren
• selten
• manchmal • oft • bei Beratung durch mich nie
• äußerst selten • oft , anscheinend selten
• in acht Jahren
Erläuterungen der Eln.ender (- *) Erläuterunl!en der Verf...crln (= ')
Tabelle I: Slrafverfolgungsentschädigung - Anzahl der Verzicbtserldänmgen
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278
6. Teil: Rechtstatsächliche Erkenntnisse
handelt es sich nicht um ein wörtliches Zitat, sondern um eine Schlußfolgerung, die die Verfasserin aus der jeweiligen Gesamt-Beantwortung gezogen hat. Geht man die Angaben zur Herkunft durch, ergibt sich, daß die Beantworter aus allen Teilen der (alten) Bundesrepublik stammen. Trotz des geringen Rücklaufs ist daher wenigstens die Aussage möglich, daß der Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung nicht nur ein lokales Phänomen bestimmter Landgerichtsbezirke ist; vielmehr muß davon ausgegangen werden, daß die Praxis des Verzichts allgemeine Verbreitung hat. Abgesehen von Brief Nr. 12, der von einem Richter am Landgericht stammt, haben nur Rechtsanwälte den Fragebogen ausgefüllt. Letzteres erklärt sich daraus, daß die Befragung sich, wie erläutert27 , vorwiegend an Rechtsanwälte gewandt hat. Soweit die Beantworter absolute Zahlen über die Häufigkeit von Verzichtserklärungen genannt haben, bewegen jene sich zwischen 1 und 80. Zwei Briefe sind noch dadurch interessant, daß sie den Bezugszeitraum vermerken. Der Einsender des Briefes Nr. 3 hatte zwanzig Fälle in acht Jahren erlebt; bei Brief Nr. 20 gab der Verfasser an, er habe in den zurückliegenden drei Jahren 50 Verzichtserklärungen erlebt. Da bei den anderen Einsendern ebenfalls zu vermuten ist, daß sie sich nicht nur auf ein Jahr, sondern auf einen längeren Zeitraum bezogen haben, sieht es zunächst so aus, als würden Verzichtserklärungen in der Praxis äußerst selten vorkommen. Die Antworten in den Fragebögen dürfen jedoch nicht isoliert von den übrigen Daten über die Strafverfolgungsentschädigung gesehen werden. Vor allem gilt es zu berücksichtigen, daß die Zahl der Fälle, in denen eine Entschädigung überhaupt geleistet wird, ebenfalls nicht besonders hoch ausfällt. In den achtziger Jahren bewegte sie sich für die gesamte Bundesrepublik (= alte Bundesländer) zwischen 1.500 und 1.900 jährlichlS • Vor diesem Hintergrund wird zudem verständlich, weshalb in den Briefen Nr. I, 17, 27 niedrige absolute Zahlen mit relativ hohen prozentualen Werten korrespondieren. Etliche Rechtsanwälte, immerhin ein Siebtel der Antwortenden, gaben sogar an, sie hätten in 80 - 90% der in Betracht kommenden Fälle erlebt, wie ihre Mandanten auf eine Entschädigung verzichteten. Die Tabelle 2 gibt die parallelen Antworten für den Verzicht auf Auslagenerstattung wieder. Ihr liegt die Frage B I zugrunde: "Wie oft haben Sie erlebt, daß ein Beschuldigter auf Auslagenerstattung (§§ 464 ff. StPO) verzichtet hat bzw. erklärt hat, er trage seine Auslagen selbst?" 27 Oben
Kap. 17/ B / C I, S. 264, 274.
28Gemäß der Aufstellung des BMJ in BT-Rechtsausschuß, Prot. 11/15 vom 20. Januar 1988, Anlage 3.
RA RA RA RA RA RA
LG Hannover LG Karlsruhe .I. LG FrankfurtfM .I. LG München I RA LG Bremen .I. RA .I. RiLG Köln RA, LG FreiburR RA Padcrbom (Rem. Poststempel) RA München (Rem. Poststemoe)) RA Gau-AIRcsheim (Rem. Poststempel) .I. BühllBaden (Rem. Poststemoe)) RA Bremen (Rem. Poststemoel) RA, FrankfurtfM (gem. Poststempel)
RA LudwiRSburR (Rem. Poststemoe)) RA KemDtcn/A1IRäu (Rem. Poststemoel) RA Köln (Rem. Poststempel) RA Dilsscldorf (Rem. Poststemoel) RA SieRen (Rem. Poststempcl) RA Karlsruhe (Ilem. Poststemoe\) RA Landshut (Rem. Poststempcl) RA Osnabtilclt .I.
20 21 22 23 24 25 26 27 28
RA LG Düsseldorf RA, LG Hamburg
RA I StA I Ri, mit Angabe des Bezirks
3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19
I 2
Brief
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ISO 0 ca. 120 ca. 1200 50
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97 ca. S
90 ca. 5
20
0
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·
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·
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%
30
absolut
• 20 % aller einRestelIten Strafverfahren
• nur soweit Dcckungszusage der RcchtsschutzversichcrunR vorla. • ca. 50 in den letzten drei Jahren
• gelegentlich
• oft
• selten • oft • Große Zahl. Fast 100 % der elß~estellten Fälle.
• Weiß ich nicht. Von welcher Bezugsgröße? Sehr oft bei unklarer BcweislaRe. • in acht Jahren
Erläuterungen der Einsender (= *)
Tabelle 2: Auslagenerstattung - Anzahl der Verzichtserklärungen
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280
6. Teil: Rechtstatsächliche Erkenntnisse
Vergleicht man die Werte der Tabelle 2 mit denen der Tabelle 1, so fällt auf, daß diese, jeweils auf den einzelnen Beantworter bezogen, durchaus unterschiedlich ausfallen können: Manche Rechtsanwälte waren mit Verzichtserklärungen, die sich auf die Auslagenerstattung bezogen, gut vertraut und hatten dennoch nie mit Verzichtserklärungen zu tun gehabt, die auf eine Preisgabe der Strafverfolgungsentschädigung abzielten. Auch der umgekehrte Fall ist möglich, wie die Briefe Nr. 11 und 15 zeigen. Ferner fällt auf, daß die Zahlen beim Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung "gleichmäßiger" verteilt sind; im Gegensatz dazu ist für den Verzicht auf Auslagenerstattung als Tendenz festzuhalten, daß die Verteidiger entweder kaum oder relativ große Erfahrung damit haben. Bei der Angabe im Brief Nr. 17 - "über 1.200 Verzichtserklärungen" - ist allerdings zu berücksichtigen, daß davon 1.080 Verzichtserklärungen bei Einstellungen nach § 153a StPO abgegeben worden sind; das wird weiter unten aus Tabelle 7 hervorgehen. Auf den ersten Blick ist das eine erstaunliche Angabe. Denn wo es zu einer Einstellung nach § 153a StPO kommt, werden die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten ohnehin nicht erstattet, § 467 Abs. 5 StPO. Aber obwohl in dieser Situation ein Anspruch gar nicht entsteht, ist ein Verzicht gleichwohl nicht von vornherein unangebracht oder etwa überflüssig. So könnte der Verzicht - neben der Erfüllung von Auflagen und Weisungen - ein Mittel des Beschuldigten sein, den Organen der Strafverfolgung "Bußbereitschaft" zu signalisieren und so das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung zu beseitigen. In dieser Funktion würde sich der Verzicht immerhin in das Regelungskonzept einpassen lassen, das den Gesetzgeber veranlaßt hat, den Absatz 5 in § 467 StPO einzufügen: Er sah in der betreffenden Regelung ein notwendiges Korrelat zu den Auflagen und Weisungen, denen sich der Beschuldigte bei einer Verfahrenseinstellung nach § 153a StPO unterwirft, um das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung zu beseitigen29 • Neben der Möglichkeit, daß der Verzicht nur eine rein symbolische "Buß-" bzw. "Unterwerfungshandlung" ist, kann der Verzicht freilich auch eine "Vorleistung" des Beschuldigten sein; in diesem Fall wäre er der Versuch, die Strafverfolgungsorgane überhaupt dafür zu gewinnen, den Weg des § 153a StPO zu gehen. Daß ein solches Angebot sich tatsächlich einstellungsfordernd auswirken kann, haben bereits die Untersuchungen von Ahrens gezeigt3o. Abgesehen vom Fall des § 153a StPO, muß der Verzicht auf Auslagenerstattung aber auch bei anderen Verfahrenseinstellungen eine große Rolle spielen. Der Beantworter von Brief Nr. 7 hat sogar erlebt, daß in 100% der 29 So der Bericht des BT-Sonderausschusses fiir die Strafrechtsrefonn zum Entwurf eines EGStGB, BT-Drs. 711261, S. 33 (zu Art. 19 Nr. 130).
30 Ahrens,
S. 119 - 131, insbesondere auch S. 130 f., Tabellen 33 und 34.
18. Kap.: Auswertung der Fragebögen
281
Einstellungs-Fälle auf Auslagenerstattung verzichtet wird. Brief Nr. 27 gibt immerhin noch eine Quote von 20% der Einstellungs-Fälle an. Interessant ist auch der Hinweis im Brief Nr. 19, der Verzicht habe davon abgehangen, ob eine Deckungszusage der Rechtsschutzversicherung vorlag.
B. Betroffene Strafverfolgungsmaßnahme beim Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung Aus Tabelle 3 geht hervor, was auf die Frage A 11 "Für welche Strafverfolgungsmaßnahme wäre der Beschuldigte entschädigt worden?"
geantwortet wurde. Je nachdem, was die Einsender mitgeteilt haben, erscheint eine absolute Zahl und/oder eine Angabe, welchen prozentualen Anteil welche Maßnahme an der Gesamtheit der Verzichtsfälle hat. Manche Einsender nannten weder Zahlen noch Anteile; .dann kennzeichnet der Stern (*) den von ihnen selbst gewählten Ausdruck, während der Kreis (') für eine durch die Verfasserin aus der Einsendung gewonnene Einschätzung steht. Überraschend deutlich läßt sich erkennen; daß Verzichtserklärungen nicht etwa nur dort abgegeben werden, wo es um eine Entschädigung für die (vorläufige) Entziehung der Fahrerlaubnis geht. Zwar gehört die Entziehung der Fahrerlaubnis zu jenen Maßnahmen, die für einen späteren Verzicht besonders "anfällig" sind. Fast ebenso häufig kommt es aber vor, daß der Verzicht im Hinblick auf eine Untersuchungshaft oder eine Sicherstellung, Beschlagnahme etc. erfolgt. Dagegen gibt nur selten jemand seine Haftentschädigung preis, die ihm gemäß § I StrEG für erlittene Freiheitsstrafe gebührt. Die Zahlen bei der Untersuchungshaft und der Entziehung der Fahrerlaubnis bestätigen die zu Anfang dieser Arbeit aufgestellte Vermutung, daß der Verzicht häufig in solchen Situationen nahegelegt wird, wo die Organe der Strafverfolgung dem Beschuldigten einen "Denkzettel" verpassen wollen31 • Das ist auch durchaus naheliegend, denn sowohl die Untersuchungshaft als auch die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis wirken faktisch bereits wie eine Bestrafung des Beschuldigten32 • Gerade deshalb eignet sich der Verzicht auf eine Entschädigung, die für diese Maßnahmen zu gewähren wäre, sogar besonders gut dazu, ein SanktionsbedÜffnis der Strafverfolgungsorgane zu befriedigen. Oben Kap. 3 / B III 2 b, S. 76 f. 32 Oben Kap. 8/ D V 1/2, S. 147 - 150. 31
I 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28
Brief
4
5
5
5 4
--
'manchmal -nie
'oft
%
-
-
60% 50%
'ca. 48 %
16% 60% 'ca. 50 % 2%
'13%
4% 5% 50% 100%
--
---
'manchmal ·oft
'100% 5%
70% 30%
%
60%
I
4
10
3
SIchersteIlung etc. absolut
20%
8% 80%
20%
100% 100% '6% 40% '9%
80%
10% 30% '25% '400/. 100%
Untersuchungshaft absolut
2
40
50 20
65
---
'manchmal ·oft
'oft
'81 % 50% '89% 84% 20% ca. 50% 80% 20% 100% 20% 100% ca. 48 % 35%
Entzug der Fahrerlaubnis absolut % 20% 40% '75% 15 '50% 5
I
I
absolut
---
-nie
Freiheitsstrafe
10% -2%
10%
%
Tabelle 3: Für welche Strafverfolgungsmaßnahmen wäre der Beschuldigte entschädigt worden?
5
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andere Maßnahmen absolut
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18. Kap.: Auswertung der Fragebögen
283
C. Zeitpunkt des Verzichts Auf die fiir die Strafverfolgungsentschädigung und die Auslagenerstattung parallel gestellten Fragen A III / B III "In welchem Verfahrensstadium hat der Beschuldigte verzichtet?"
ergab sich, daß die meisten Verzichtserklärungen während des Hauptverfahrens abgegeben werden. Beim Verzicht auf Auslagenerstattung, auf den hier zuerst eingegangen werden soll, ist das Hauptverfahren sogar besonders dominierend. Das belegt die Tabelle 4. Die zugrunde liegende Frage BIll ging dahin, wie viele Fälle der Beantworter in welchem Verfahrensstadium erlebt hatte bzw. wie sich die erlebten Fälle prozentual auf die einzelnen Verfahrensstadien verteilten. Manche Einsender nannten weder Zahlen noch Anteile; dann kennzeichnet der Stern C*) den von ihnen selbst gewählten Ausdruck, während der Kreis (') für eine durch die Verfasserin aus der Einsendung gewonnene Einschätzung steht. Wie sich zeigt, hat ein Drittel aller Beantworter angegeben, der Verzicht auf Auslagenerstattung komme ausschließlich während des Hauptverfahrens vor. Aber auch an den übrigen Antworten wird deutlich, welch zentrale Bedeutung das Hauptverfahren fiir den Verzicht auf Auslagenerstattung hat: Mit Ausnahme eines Rechtsanwalts, Einsender des Briefes Nr. 11, hatten alle anderen die Erfahrung gemacht, daß zwischen 60% und mehr als 90% der Verziehtserklärungen während des Hauptverfahrens abgegeben wurden. Dieses Ergebnis ist auch nicht weiter verwunderlich, denn es wirkt sich aus, daß die Auslagen überhaupt erst ab dem Zeitpunkt der Anklageerhebung ersetzt werden. Bis zum Abschluß des Ermittlungsverfahrens besteht deshalb kaum jemals Anlaß, eine Verständigung über die Auslagen zu suchen. Tabelle 5 gibt die korrespondierende Übersicht fiir den Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung. Diese Tabelle ist etwas umfänglicher, weil Frage A III auch das Ermittlungsverfahren sowie das Wiederaufnahmeverfahren einbeziehen mußte; im übrigen gelten zum Aufbau der Tabelle die gleichen Erläuterungen, die zur Tabelle 4 gegeben wurden. Wie die Tabelle zeigt, wird der Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung ebenfalls überwiegend im Hauptverfahren erklärt. Daneben erhält nun auch das Ermittlungsverfahren eine ernst zu nehmende Bedeutung. Höchst selten sind demgegenüber die
-
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26 27 28
2S
12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24
11
2 3 4 5 6 7 8 9 10
I
Brief
2
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-
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---
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-nie
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Betragsverfahren absolut
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5%
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5%
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---
Zwtlchenverfahren absolut
98 1000
3
absolut
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---
"überwie~end
---
·oft
---
·oft
---
Hauptverfahren
Tabelle 4: Auslagenerstattung - Zeitpunkt des Verzichts
97% 100% 100% 100%
"98% "84% 100% 95% 100% 60% 100% 100%
90%
5%
70% 90%
-100%
%
100% 100% 100%
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12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28
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I 2 3 4 5 6 7 8 9 10
Brief
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3
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-nie
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100% 20% 10 %
100%
5%
%
15
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%
'ca. 30 % 60% ·ca. 3 %
100%
ca. 100 %
'ca. 27 %
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60% 'ca. 33 %
80% 10% 50% 60% 'ca. 75 %
Ermittlungsverfahren absolut
I
---
'manchmal
%
'ca. 30 % 5%
40%
10%
ca. 33 %
'10%
ZwI.chenverfahren absolut
2
3 50
40 'ca. 3
'32
2 I 'oft
absolut
---
'oft
%
1
1
---
---
-me
-
·ca. 2 %
'10%
Wiederaufnahmeverfahren absolut "
100% 'ca. 30 % 35% 97% 100%- - -
100% 100% 60% 100%
40% 90% 'ca. 71 % 16%
'100%
40% 'ca. 33 %
20% 85 % 50% '20% ·ca. 2S % '100%
Hauptverfahren
Tabelle 5: Strafverfolgungsentschädigung - Zeitpunkt des Verzichts
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286
6. Teil: Rechtstatsächliche Erkenntnisse
Fälle, daß jemand im Wiederaufnahmeverfahren seine Haftentschädigung preisgibt. Für beide Arten des Verzichts fällt auf, wie häufig das ZwischenverJahren dazu benutzt wird, die entscheidende Erklärung des (potentiell) Berechtigten herbeizuführen. Bekanntlich hat das Zwischenverfahren in den meisten Strafprozessen eine recht geringe Bedeutung; so weit, daß es oft zur rein technischen Durchgangsstation verkümmert ist. Für Verhandlungen über die Strafverfolgungsentschädigung bzw. die Auslagenerstattung scheint es aber durchaus wichtig zu sein: Einige Verteidiger gaben an, daß 5 - 40% aller Verzichtserklärungen in diesem Verfahrensstadium ausgesprochen werden. Im übrigen findet man in den Tabellen 4 und 5 einen Umstand bestätigt, den diese Arbeit von Beginn an ins Kalkül gezogen hat: daß nämlich die Beschuldigten in der Regel schon während des Strafverfahrens ihre Ansprüche preisgeben33 • Das ist - um es in Erinnerung zu rufen - ein Stadium, in dem noch gar nicht darüber befunden ist, ob ein Anspruch überhaupt besteht oder nicht. Diese Entscheidung fällt erst durch die Grundentscheidung, die ihrerseits dem Betragsverfahren vorgelagert ist. Eben dieses Betragsverfahren spielt aber für Verzichtserklärungen eine ziemlich untergeordnete Rolle. Beim Verzicht auf Auslagenerstattung hat es offenbar fast gar keine Bedeutung mehr; lediglich ein Rechtsanwalt, Einsender des Briefes Nr. 11, hat angegeben, daß seine Mandanten überwiegend erst im Betragsverfahren auf ihre Ansprüche verzichteten. Wenn nun in der Tat die meisten Verzichtserklärungen bereits während des laufenden Strafverfahrens abgegeben werden, bestätigt das die Vermutung, daß die Frage der Entschädigungs- bzw. Auslagenerstattung nicht nur zeitlich, sondern auch sachlich mit dem Ausgang des Strafverfahrens verknüpft wird. Wie gesehen34 , berührt ein Verzicht, der lediglich aus Großzügigkeit, Beweisnot oder ähnlichen "edelmütigen" Motiven erklärt wird, die strafrechtliche Seite des Falles nicht; bei dieser Art von Verzichtserklärungen bestünde mithin gar kein Anlaß, bereits im Strafverfahren über den Bestand der Ansprüche zu verhandeln. Die Frage der Entschädigung bzw. Auslagenerstattung bereits im Strafprozeß selbst zu klären, hat vielmehr nur dann einen Sinn, wenn der Umstand, ob Ansprüche bestehen oder nicht, Einfluß auf den Ausgang des Strafverfahrens nehmen soll.
33 Oben Kap. 2/ A, S. 51; Kap. 9, Einleitung, S. 152; Kap. 13 / C I 3, III / D 11, III, S. 225, 228 - 230, 231 - 233. 34 Oben Kap. 11 / D 11 3 a/b, S. 196 - 198.
18. Kap.: Auswertung der Fragebögen
287
D. Motive for den Verzicht Inwieweit nun tatsächlich das Thema der Entschädigung bzw. Auslagenerstattung mit dem Ausgang des Strafverfahrens verknüpft wird, darüber geben die Tabellen 6 und 7 näheren Aufschluß. Dort finden sich jene Auskünfte zusammengestellt, die die Einsender auf die Fragen A IV / B IV gegeben haben: "Welche Motive haben den Beschuldigten zu dem Verzicht veranlaßt?"
Lauteten die beiden Fragen in ihrem Ansatz noch völlig gleich, wiesen die zur Auswahl gegebenen Antworten einige Unterschiede auf, die sich jetzt auch in den Rubriken der Tabellen 6 und 7 wiederfinden. Um ein Beispiel zu nennen, ergäbe es beim Verzicht auf Auslagenerstattung keinen rechten Sinn, die Aussicht auf Einstellung nach § 170 Abs. 2 ~tPO als Motiv zu erfragen; das Gesetz sieht für das Ermittlungsverfahren gar keine Auslagenerstattung vor. Doch wurden die Tabellen 6 und 7 immerhin so aufgebaut, daß jeweils korrespondierende Rubriken an gleicher Stelle erscheinen. Einige Mühe war darauf zu verwenden, unvollständige oder nur ungefähre Antworten in die Tabellen einzubringen. Wo die Verfasserin einen angegebenen Wert rechnend, kombinierend oder interpretierend "aufbereitet" hat, ist dieser mit dem Kreis versehen. Der 'Stern (*) bezeichnet dagegen ein authentisches Zitat aus der jeweiligen Zusen~ung. "x" bedeutet, daß der Einsender Fälle erlebt hatte, aber weder Zahlen- noch Prozentangaben machte. Verschiedentlich haben die Einsender auch Antwortmöglichkeiten, die die Fragen A IV / B IV boten, zusammengefaßt; die angegebenen Werte bezogen sich dann auf mehrere denkbare Motive in deren Gesamtheit. Wo Zahlen in den Tabellen 6 und 7 derart "spaltenübergreifend" zu verstehen sind, erscheinen entsprechende Pfeile »».
n
«« ...
In der Tabelle 7 geht die Summe der Angaben bei einigen Einsendern über 100% hinaus. Die Betreffenden haben das Motiv, den Nebenkläger für die günstige Entscheidung gewinnen zu wollen, separat, abseits von den zuvor erfragten Motiven behandelt, großzügig sein bzw. die Strafverfolgungsorgane für eine günstige Entscheidung gewinnen zu wollen.
28
26 27
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10%
2
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10%
'5
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20%
---
·nie
100%
0%
5%
%
'2
I
17 18 19 20 21 22 23 24
8
15 16
3
0
GroßZÜgigkeit
·100 % bei Entzug der Fahrerlaubrus
absolut
13 14
12
4 5 6 7 8 9 10 11
1 2 3
Brler
---
40%
%
20%
2 2-3
absolut '4
·oft
%
20% 10% 20% 'ca. 75 %
Einstellung nach § 153 Abs. 1/2 StPO
2 1 ·oft
20% 'ca. 25 %
Einstellung nach § 153. AbI. 1/2 StPO absolut % '10 50% 40% ·50 % beI U-Haft 1
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Einstellung nach § 154 AbI. 1/2 StPO
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%
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Einstellung nach § 170 AbI. 2 StPO
Tabelle 6: Strafverfolgungsentschädigung - Motive fiir den Verzicht
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17 18 19
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I 2 3
Brief
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·nie
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absolut
%
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:
:
(ohne Angabe)
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:
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10
3
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Tabelle 6: Strafverfolgungsentschädigung - Motive für den Verzicht (Fortsetzung)
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17 18 19 20 21 22 23 24 25 26
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I 2 3 4 5 6 7
Brief
absolut
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---
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absolut
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---
Einstellung nach § 153 Ab •. 2 StPO
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Einstellung nach § 154 Ab •. 2 StPO
absolut
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Tabelle 7: Auslagenerstattung - Motive für den Verzicht
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Straraussetzuna zur Bewährung in einem Parallelvmahren
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andere Motive
Tabelle 7: Auslagenerstattung - Motive für den Verzicht (Fortsetzung)
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292
6. Teil: Rechtstatsächliche Erkenntnisse
I. Bedeutung des Verzichts, der aus Großzügigkeit, Beweisnot oder ähnlichen Motiven erklärt wird Aus Tabelle 7 ist ablesbar, wie selten ein Verzicht auf Auslagenerstattung durch Großzügigkeit, Beweisnot oder ähnliches motiviert ist: In den 28 Antworten wurden diese Beweggründe nur ein einziges Mal erwähnt. Dagegen scheinen die genannten Ursachen eine größere Rolle zu spielen, sofern es um einen Verzicht auf Strafveifolgungsentschädigung geht; denn wie aus Tabelle 6 ersichtlich, taucht dieses Motiv bei einer ganzen Reihe von Briefen auf. Dennoch bleibt der edelmütige Verzicht auch hier die Ausnahme. Interessant ist, daß ein Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung, der aus Großzügigkeit, Beweisnot oder ähnlichen Gründen abgegeben wird, nicht nur im Betragsverfahren, sondern offenbar auch bereits während des laufenden Strafverfahrens ausgesprochen wird. Zu diesem Ergebnis gelangt man durch einen Vergleich mit der Tabelle 5. Dort war die Menge jener Verzichtserklärungen, die im Betragsverfahren erfolgen, insgesamt sehr gering ausgefallen. Die Menge der aus Großzügigkeit etc. abgegeben Verzichtserklärungen, Tabelle 6, ist weit größer. Der IÜberschuß" kann sinnvollerweise nur im Ermittlungs-, Zwischen- oder Hauptverfahren entstehen.
11. Maßgebliche Motive für den Verzicht Wenn es nur wenige Fälle sind, in denen der Beschuldigte sich aus Großzügigkeit, Beweisnot oder ähnlichen Beweggründen zu einem Verzicht entschließt, stellt sich die Frage, welches die maßgeblichen Motive sind. Die Gesamtschau der Tabellen 6 und 7 gibt hier ein klares Bild: Treibende Kraft ist der Wunsch, den Ausgang des Strafverfahrens günstig beeinflussen zu wollen.
1. Hoffnung auf Einstellung des Verfahrens Von den Ergebnissen, die der Beschuldigte erstrebt, steht an erster Stelle die Einstellung des Verfahrens nach den §§ 153, 153a StPO. Das deckt sich mit
18. Kap.: Auswertung der Fragebögen
293
Erkenntnissen aus der allgemeinen Absprachen-Diskussion; denn auch sonst ist die Einstellung nach §§ 153, 153a StPO ein bevorzugtes Ziel strafprozessualer Verständigung35 • Beobachtet man den Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung, dann steht an zweiter Stelle die Hoffnung des Beschuldigten, die Staatsanwaltschaft werde das Verfahren nach § 170 Abs. 2 StPO beenden, d.h., den Anlaß zur Erhebung der öffentlichen Klage verneinen. Für den Verzicht auf Auslagenerstattung scheidet dieses Motiv natürlich aus, weil Auslagen erst ab der Rechtshängigkeit ersetzt werden. Ein Verzicht auf Auslagenerstattung wird deshalb erst im Zwischenverfahren interessant: nämlich um die Staatsanwaltschaft zu bewegen, die Klage zurückzunehmen. Und in der Tat zeigt die Spalte "Klageriicknahme/Verfahrens-Einstellung" in Tabelle 7 auffaIlige Übereinstimmungen mit der Spalte "Einstellung nach § 170 Abs. 2 StPO" in Tabelle 6: Die Rücknahme der Klage wird beim Verzicht auf Auslagenerstattung fast ebenso häufig angestrebt, wie eine Verfahrenseinstellung mangels Tatverdachts Ziel eines Verzichts auf Strafverfolgungsentschädigung ist. Damit zeigt sich erneut, daß das Zwischenverfahren zumindest beim Verzicht auf Auslagenerstattung, ähnlich aber auch beim Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung, eine Rolle spielt, die ihm ansonsten im Strafverfahren eigentlich nicht zukommt. Das erstaunt erst recht, wenn man bedenkt, daß es im Zwischenverfahren kaum jemals eine nennenswerte Kommunikation zwischen den Prozeßbeteiligten gibt, statt dessen zumeist nur nach Aktenlage entschieden wird. Für den Verzicht müssen die Prozeßbeteiligten folglich aus ihrer sonst üblichen Reserve heraustreten. Weitaus geringere Bedeutung als die bisher behandelten Einstellungs-Arten hat die Einstellung nach § 154 StPO. Sie rangiert sowohl beim Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung als auch beim Verzicht auf Auslagenerstattung erst an dritter Stelle der Motiven-Skala.
2. Hoffnung auf andere Vergünstigungen Bei aller Dominanz gibt es neben der Einstellung des Verfahrens auch andere Ziele, die mit einem Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung oder Auslagenerstattung erstrebt sein können.
3l Mannheimer
Untersuchung, S. 15, Tabelle 8.
294
6. Teil: Rechtstatsächliche Erkenntnisse
Gelegentlich hegt der ßeschuldigte die Hoffnung, er werde die Strafverfolgungsorgane für einen Freispruch gewinnen können. Dennoch ist die Seltenheit, mit der dieses Motiv genannt wurde, das eigentlich Bemerkenswerte. Beim Verzicht auf Auslagenerstattung scheint es fast überhaupt keine Rolle zu spielen. Wahrscheinlich ist die Auslagenerstattung ein zu geringer "Preis", als daß man sie zugunsten eines Freispruchs in die Waagschale werfen könnte. Auf die Frage, welche anderen günstigen Entscheidungen sich die Beschuldigten von einem Verzicht versprochen hätten, wurden genannt: - Das Gericht habe in Richtung Bewährung beeinflußt werden sollen (Tabelle 6, BriefNr. 28, sowie Tabelle 7, BriefNr. 16). - Die Staatsanwaltschaft habe veranlaßt werden sollen, auf Revision zu verzichten (Tabelle 6, BriefNr. 4).
- Man habe eine geringere Bestrafung erreichen wollen. In der einen Fall-
gruppe sollte das Gericht von einern Entzug der Fahrerlaubnis bzw. einern Fahrverbot absehen (Tabelle 6, Brief Nr. 14), in der anderen sollte es die Strafhaft an die Untersuchungshaft anpassen (Tabelle 6, BriefNr. 16).
Die aufgezählten Ziele wurden aber lediglich vereinzelt genannt. Sie stehen ebenso wie der Freispruch zahlenmäßig weit hinter dem Wunsch zurück, mit dem Verzicht eine Einstellung des Verfahrens zu erreichen. Die Beobachtung, daß verzichtsanbahnende Absprachen in der Regel anläßlieh von Verfahrenseinstellungen, dagegen seltener im Hinblick auf sonstige "Vergünstigungen" getroffen werden, deckt sich mit den Ergebnissen der Mannheimer Untersuchung. Auch dort stellte sich heraus, daß der Verzicht häufiger im Zusammenhang mit einer Einstellung des Verfahrens als im Zusammenhang mit einern Urteil anzutreffen istl 6 •
36
Mannheimer Untersuchung, Tabellen auf S. l7a - 19a.
Dort waren die Unterschiede allerdings nicht so ausgeprägt wie bei der vorliegenden Befragung. Dies dürfte einmal darauf zurückzuführen sein, daß bei der Mannheimer Untersuchung nur die Verfahrenseinstellung nach § l53a StPO, nicht dagegen andere Verfahrenseinstellungen in die Statistik einbezogen wurden. Auf der anderen Seite sind die Werte der vorliegenden Befragung wegen der geringen Rücklaufquote ohnehin nur beschränkt aussagekräftig.
18. Kap.: Auswertung der Fragebögen
295
III. Ursachen für die Attraktivität verzichtsanbahnender Absprachen anläßlich von Verfahrenseinstellungen nach den §§ 153 ff. StPO Sucht man nach Gründen, warum verzichtsanbahnende Absprachen gerade im Zusammenhang mit Verfahrenseinstellungen, insbesondere denen nach §§ 153, 153a StPO, so attraktiv sind, dürften zwei Momente entscheidend sein.
1. Ausweichen vor rechtlichen Problemen Zum einen können die Strafverfolgungsorgane, wenn es zu einem Verzicht kommt, bestimmten rechtlichen Problemen aus dem Weg gehen, die sich ansonsten im Anschluß an Verfahrenseinstellungen nach den §§ 153 ff. StPO ergeben. So besteht ein erster Vorteil schon darin, daß bei Einstellungen nach den §§ 153 ff. StPO weder die Erstattung der Auslagen noch die Entschädigung obligatorisch ist. Vielmehr muß jeweils im Einzelfall entschieden werden, ob davon abgesehen werden kann, die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse aufzubürden, § 467 Abs. 4 StPO, bzw. ob eine Entschädigung nach den Umständen des Falles der Billigkeit entspricht, § 3 StrEG. Die genannten Billigkeitsentscheidungen sind, und das wäre der zweite Punkt, durchaus problemträchtig. So besteht z.B. Streit darüber, ob im Rahmen der Billigkeit auf den verbleibenden Tatverdacht abgestellt werden darf oder niche'. Drittens sehen die Strafverfolgungsorgane sich bei Verfahrenseinstellungen nach §§ 153a, 154 StPO dem Problem ausgesetzt, ob überhaupt eine Entschädigung gewährt werden kann oder ob eine Entschädigungsmöglichkeit nicht von vornherein ausscheidees. Allen diesen Streitfragen können die Strafverfolgungsorgane ausweichen, wenn es ihnen gelingt, den (potentiell) Berechtigten zu einem Verzicht zu bewegen. Damit muß die zu Anfang dieser Untersuchung vertretene Ansicht, eine von den Strafverfolgungsorganen erhoffte Arbeitsentlastung spiele beim Verzicht auf Strafverfolgungsentschädigung kaum eine Rolle 39 , kritisch überdacht werden. Es bleibt richtig, daß der Spielraum, über Absprachen zu
37
Siehe ausführlich unten Kap. 29 / B, S. 448 - 461.
38
Siehe ausführlich unten Kap. 31, S. 485 - 496, bzw. Kap. 33 / A, S. 512 - 516.
39
Oben Kap. 3/ B II 2 a/b, S. 67, 69.
296
6. Teil: Rechtstatsächliche Erkenntnisse
Arbeitserleichterungen zu kommen, im Entschädigungs- und Auslagenrecht äußerst gering ist; soweit er aber besteht, nämlich bei den Entscheidungen nach § 3 StrEG und nach § 467 Abs. 4 StPO, wird er von den Strafverfolgungsorganen anscheinend gerne genutzt. Es geht dann, wie bei allen sonstigen strafprozessualen Verständigungen auch, vor allem darum, schwierige und unübersichtliche Verfahrensschritte abzukürzen.
2. Befriedigung darüber, daß der Beschuldigte nicht "ungeschoren" davongekommen ist Neben der rein technischen Erleichterung verschafft ein Verzicht, der anläßlich einer Verfahrenseinstellung nach §§ 153 ff. StPO erreicht werden kann, den Strafverfolgungsorganen aber auch die Befriedigung, daß der Beschuldigte nicht "ungeschoren" davongekommen ist. Dabei spielt die bereits mehrfach genannte Vorstellung eine Rolle, es gelte, "doppelte Belohnungen" zu vermeiden. Dieser Aspekt spiegelt sich z.B. in einer Formulierung von Sieg wieder, wonach "Entschädigungsfragen ... selten strittig sein (dürften), wenn das Verfahren schon nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt" werde 40 • Eine solche Äußerung liegt zugleich auf einer Linie mit der Vorstellung, es sei selbstverständlich, daß der Beschuldigte angesichts einer Verfahrenseinstellung auf seine Entschädigung verzichte 41 • Daß in der Praxis nur äußerst selten eine Billigkeitsentschädigung nach § 3 StrEG gewährt wird, dürfte nicht zuletzt auf derartige Einstellungen zurückzuführen sein. Der Verzicht ist also nicht nur aus Gründen der Arbeitserleichterung so häufig im Zusammenhang mit Verfahrenseinstellungen nach den §§ 153 ff. StPO anzutreffen, sondern erfüllt daneben vor allem die Funktion, das Sanktionsbedürfnis der Strafverfolgungsorgane zu befriedigen. Die Entschädigung wird dem Beschuldigten abgerungen, damit dieser durch die erlittenen Strafverfolgungsmaßnahmen "bestraft" bleibt. Der Verzicht erfüllt dabei die Funktion einer Ersatzsanktion geradezu optimal, weil viele der vorläufigen Strafverfolgungsmaßnahmen faktisch wie echte Strafen wirken.
40
Sieg, MDR 1976, 116, 117.
41
Oben Kap. 17/ C I, S. 274.
18. Kap.: Auswertung der Fragebögen
297
IV. Der Verzicht als Verdachtssanktion Den Verzicht als Ersatzsanktion zu benutzen, ist allerdings nicht unproblematisch. Zu berücksichtigen ist schließlich, daß diese Ersatzsanktion auf nichts anderes gestützt werden kann als auf einen mehr oder weniger fortbestehenden Tatverdacht. Da aber auch bei Verfahrenseinstellungen nach den §§ 153 ff. StPO die Schuldfrage offenbleibt, gewinnt die Ersatzsanktion den Charakter einer Verdachtssanktion. Sollte sich diese Befürchtung im Laufe der folgenden Untersuchung bestätigen, stünde die verzichtsanbahnende Absprache nicht länger außerhalb der sonstigen gängigen strafprozessualen Verständigungen. Denn nach den Erkenntnissen, die SchÜDemann gewonnen hat, werden in der heutigen Verfahrenswirklichkeit die strafprozessualen Verständigungen nicht nur dazu eingesetzt, um verfahrensökonomische Erledigungen zu erzielen; sondern sie dienen in gleicher Weise dazu, Verdachtssanktionen einschließlich echter Verdachtsstrafen zu verhängen42 • Die bisherigen Erkenntnisse zum Verzicht, vor allem der Umstand, daß der Verzicht bei einer Verfahrenseinstellung oft für selbstverständlich gehalten wird, lassen allerdings darauf sehließen, daß die verzichtsanbahnende Absprache noch gezielter als andere strafprozessuale Verständigungen dazu dient, Ersatz- bzw. Verdachtssanktionen zu verhängen. Der Gesichtspunkt der Arbeitserleichterung - mag er auch eine gewisse Rolle spielen - tritt dahinter zurück. Verzichtsanbahnende Absprachen dürften vor allem innerhalb eines sog. Absprache"pakets", also als Teil einer umfangreicheren Verständigung, ihren Sinn haben.
E. Von wem geht die Initiative aus, zu einem Verzicht zu gelangen? In seinem dritten Teil, unter Punkt C, bezog der Fragebogen sich sowohl auf die Strafverfolgungsentschädigung als auch auf die Auslagenerstattung. In diesem Abschnitt sollte herausgefunden werden, ob verzichtsanbahnende Absprachen, was ihr Zustandekommen und ihre Abwicklung angeht, ähnliche Strukturen aufweisen wie andere strafprozessuale Verständigungen. Den Anfang bildete die Frage C I:
42
Schünemann, 58. DIT (1990), Bd. I, B 26.
298
6. Teil: Rechtstatsächliche Erkenntnisse
"Warum hat der Beschuldigte / die Verteidigung angenommen, ein Verzicht auf Strafrechtsentschädigung und/oder Auslagenerstattung werde sich günstig auf die Sachentscheidung auswirken?"
Sie betraf nicht (nochmals) die Motive. Wie aus den zur Auswahl gestellten Antworten hervorging, sollte vielmehr ennittelt werden, welcher Verfahrensbeteiligte die maßgebliche Initiative ergreift, die schließlich zum Verzicht führt. In Betracht kommt auf der einen Seite, daß Gericht oder Staatsanwaltschaft auf den Verzicht hinwirken; auf der anderen mag der Beschuldigte auch von sich aus, gewissennaßen "vorsorglich" verzichten. Die Ergebnisse finden sich in der Tabelle 8. Diese führt auf, welchen (prozentualen) Anteil an der Gesamtheit aller VerzichtsfaIle jene Fälle haben, - in denen die Staatsanwaltschaft, sollte es zum Verzicht kommen, eine günstige Entscheidung in Aussicht stellt; - in denen das Gericht, sollte es zum Verzicht kommen, eine günstige Entscheidung in Aussicht stellt; - in denen die Staatsanwaltschaft den Verzicht "fordert"; - in denen das Gericht den Verzicht "fordert"; - in denen der Beschuldigte "vorsorglich" von sich aus verzichtet. Idealerweise führen die Zahlen dieser fünf Spalten zur Summe von 100%. Manche Beantworter haben ihre Angaben anders geordnet; die 100%-Verknüpfungen, die sie hergestellt haben, sind jeweils durch den Doppelpfeil «===» markiert. Stern (*), Kreis (') und Pfeile «« ... »» haben wieder die aus den früheren Tabellen bekannte Bedeutung. Wie die Tabelle zeigt, wird der Beschuldigte meistens durch das Verhalten der Strafverfolgungsorgane dazu veranlaßt anzunehmen, ein Verzicht werde sich günstig auf die anstehende Sachentscheidung auswirken. Überwiegend stellen die Strafverfolgungsorgane die günstige Sachentscheidung nur in Aussicht. Teilweise wird der Verzicht aber auch direkt gefordert. Daß das Drängen der Strafverfolgungsorgane mal mehr, mal weniger intensiv ist, steht im Einklang mit den Erfahrungen bei anderen strafprozessualen Verständigungen. In der Regel wird dort freilich das bloße In-Aussicht-Stellen der "festen Zusage" gegenübergesetzt43 • Statt des Begriffs der festen Zusage hat der Fragebogen die Fonnulierung des "Forderns" gewählt. Damit wollte die Verfasserin dem Sanktionscharakter des Verzichts Rechnung tragen, der sich bereits im Vorfeld der von ihr durch43Die Mannheimer Untersuchung hat z.B. zwischen "Absichtserklärungen" und "konkreten Zusicherungen" differenziert, siehe ebd. S. 38, Tabelle 30.
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I
I
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Verzicht wurde "gefordert" durch Gericht durch StA 20% 10% 10% 20%
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300
6. Teil: Rechtstatsächliche Erkenntnisse
geführten Befragung andeutete. Denn wenn die Strafverfolgungsorgane mit Hilfe des Verzichts eine "doppelte Belohnung" des Beschuldigten verhindern bzw. diesem einen "Denkzettel" verpassen wollen, werden sie sich nicht unbedingt auf längere Erörterungen darüber einlassen, inwieweit der Verzicht die Sachentscheidung günstig beeinflussen kann; sie werden statt dessen den Verzicht ohne weiteres einfordern. Die Tabelle 8 zeigt allerdings auch, daß die Initiative vom Beschuldigten ausgehen kann. In einer ganzen Reihe von Fällen haben Beschuldigte von sich aus, gewissermaßen vorsorglich, ihre Entschädigung preisgegeben. Schon der Fragebogen zog als Beweggrund in Betracht, sie bzw. ihre Verteidiger könnten in anderen Verfahren erlebt haben, daß sich ein Verzicht günstig auf die weitere Entwicklung des Verfahrens auswirke.
F. Ablauf der Verhandlungen, die zum Verzicht führen / Einhaltung der getroffenen Absprache
Tabelle 9 beruht auf den Antworten, die zur Frage C 11 "Auf welche Art und Weise ist der Vorschlag 'Günstige Sachentscheidung gegen Verzicht auf Strafrechtsentschädigung und/oder Auslagenerstattung' zur Sprache gebracht worden?"
sowie zur Frage C III "Wurde der Beschuldigte in die Verhandlungen 'Günstige Sachentscheidung gegen Verzicht' mit einbezogen?"
gegeben wurden. Überraschend ist, wie offen über den Verzicht verhandelt wird. Den Angaben zufolge werden sogar etwas mehr als die Hälfte der zum Verzicht führenden Absprachen im förmlichen Verfahren, etwa in der Hauptverhandlung, und nicht in informellen Gesprächen getroffen, zu denen insbesondere die Sitzungspause genutzt werden mag. In dieses Bild paßt allerdings nicht, daß der Beschuldigte nur selten an den Verhandlungen beteiligt wird, daß also nur der Verteidiger mit den Strafverfolgungsorganen über den Verzicht verhandelt. Denn in der Hauptverhandlung ist der Beschuldigte schließlich anwesend, so daß gewissermaßen über seinen
~!L
2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27
I
Brief
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'manchmal 40%
Der Verteidiger handelte in ... % der Fälle allein. 100% 20% 90 % 30% 60% 'oft 25 % '100%
'oft 60% '100% 25% 50% 50% 80% 90% 50% 100% 20% 40% 100% 10%
Wie wurde der Verzicht zur Sprache gebracht? im förmlichen Verfahren In einem informellen Gespräch 10% 90% 80% 20% 50% 50% 80% 20% 40% 60% 'oft 'oft 50% 50% 10% 90%
Tabelle 9: Anbahnung des Verzichts
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302
6. Teil: Rechtstatsächliche Erkenntnisse
Kopf hinweg verhandelt werden müßte. Ein solches Vorgehen ist nur schwer vorstellbar. Näher liegt es anzunehmen, daß Verteidigung und Strafverfolgungsorgane zunächst ohne den Beschuldigten in informellen Gesprächen dazu gelangen, daß der Beschuldigte den Verzicht erklären solle; anschließend, im förmlichen Verfahren, erfüllt der Beschuldigte diese Absprache durch die Abgabe der eigentlichen Verzichtserklärung. Daß es so ist, wird sich noch weiter unten in Tabelle 12 bestätigen. Aus ihr geht nämlich hervor, daß der Verzicht häufig im Protokoll der Hauptverhandlung bzw. im Beschluß festgehalten wird. Aber das ist eben der Verzicht an sich, nicht die auf ihn hinführende Absprache. Nach den Angaben rechts in der Tabelle 10 ist die Weigerung des Beschuldigten, auf einen Verzichtsvorschlag der Strafverfolgungsorgane einzugehen, nicht so riskant, wie man zunächst vielleicht meinen könnte. Die Prozentwerte beziehen sich auf die Frage C V: "Hat es sich für den Beschuldigten nachteilig ausgewirkt, wenn dieser auf das Angebot der Strafverfolgungsorgane 'Günstige Sachentscheidung gegen Verzicht' nicht einging (Nachteil: z.B. Anklage statt Verfahrenseinstellung)?"
Nur etwas mehr als die Hälfte der Verteidiger haben die Erfahrung gemacht, daß die Verweigerung des Verzichts zu Nachteilen führt. Möglicherweise ist dies dadurch zu erklären, daß der Verzicht nur ein Element innerhalb eines umfassenderen Verständigungspakets ist; dann würde es auf ihn allein letztendlich nicht mehr entscheidend ankommen. Eine andere Erklärung liegt in den Bedenken, ob die Absprache über einen Verzicht überhaupt legal ist. Im Hinblick auf die rechtlichen Unsicherheiten schrecken die Organe der Strafverfolgung womöglich doch davor zurück, die günstige Sachentscheidung definitiv von dem Verzicht abhängig zu machen. Nur weniger Kommentare bedarf die linke Seite der Tabelle 10, in der die Antworten auf Frage C IV "Wurden die Absprachen 'Verzicht gegen günstige Sachentscheidung' eingehalten?"
zusammengestellt sind. Der Grad der Einhaltung ist sehr hoch; häufig wird er mit 100% angegeben. Was den Beschuldigten angeht, kann das Ergebnis nicht überraschen; denn im Verzicht selbst erfüllt dieser bereits die zuvor getroffene verzichtsanbahnende Absprache. Deshalb zielte die Frage eher auf die Strafverfolgungsorgane. Auch sie bleiben der getroffenen Absprache in der Regel treu. Einen möglichen Unsicherheitsfaktor zeigt der BriefNr. 21: Wenn Dritte, dort ein auswärtiges Gericht, nicht "mitspielen", kann das absprechende Strafverfolgungsorgan allein die getroffene Absprache nicht halten. Innerhalb eines Kollegial-
22 23 24 25 26 27 28
6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21
I 2 3 4 5
Brief
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-
100% 100%
1000/0 '"a 1000/0 *ja '"a 1000/0 1000/0 100% 100% 100% 100% 95 % 95%
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(Grad der) ElnhaJtung 1000/0 1000/0 1000/0 1000/0 1000/0
StA
--
SWGericht auswärtige Gerichte
StAlGericht je zur Hälfte
Wer hielt "icht ein?
800/0
manchmal
500/0 900/0
500/0
-nein 50 0; '
-50%
-
1000/0
·nein
0% 5% 20 % (5 Fälle) 100%
200/0
500/0
850/0 500/0
800/0
100% 100%
100/0 00/0 95% 80 % (20 Fälle)
-manchmal
·'8
Falls kein Verzicht: keine l'\achteile 1000/0 1000/0
Entfallt, denn Initiative gmg in der Re~el von der Verteldi~un~ aus"
l'\achteile
Tabelle 10: Einbaltung der Absprache - Nachteilige Folge, falls kein Verzicht
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-
304
6. Teil: Rechtstatsächliche Erkenntnisse
gerichts mag ähnliches passieren, wenn zwar der Vorsitzende die günstige Sachentscheidung in Aussicht gestellt hat, die anderen Richter dem jedoch die Gefolgschaft verweigern.
G. Ausgangslage für eine verzichtsanbahnende Absprache / Form und Verbindlichkeit
In der Tabelle 11 ist zusammengestellt, was die Einsender auf die Frage C VI "Welche Verdachtslage bestand in den Fällen, in denen das Strafverfahren nur gegen einen Verzicht günstig beendet werden sollte?"
geantwortet haben. Zur Wahl stand zunächst, ob die Verdachtslage eindeutig oder ungeklärt war. Bei eindeutiger Verdachtslage sollten die Beantworter mitteilen, ob diese für oder gegen die günstige Verfahrensbeendigung sprach. Bei ungeklärter Verdachtslage interessierte, ob der Sachverhalt durch weitere, umfangreiche Ermittlungen hätte aufgeklärt werden können oder ob dem Beschuldigten vielleicht der Grundsatz "in dubio pro reo" zugute gekommen wäre. Die Tabelle enthält Prozentangaben, die sich je Brief idealerweise zu I 00% addieren sollten. Manche Einsender trafen eine abweichende 100%-Verknüpfung; das ist durch den Doppelpfeil «===» kenntlich gemacht. Stern (*) und Kreis (') haben die aus den vorausgegangenen Tabellen geläufige Bedeutung. In der dritten Spalte der Tabelle zeigt sich, daß verzichtsanbahnende Absprachen ebenso wie alle anderen strafprozessualen Verständigungen dazu eingesetzt werden, um ein Verfahren mit einer unklaren Beweislage, die nur durch umfangreiche Ermittlungen aufgeklärt werden könnte, zu beenden. Daneben kommt es aber, wie die ersten beiden Spalten zeigen, zu einem nicht unbedeutenden Teil gerade in solchen Situationen zu verzichtsanbahnenden Absprachen, wo die Beweislage klar ist. So sind verzichtsanbahnende Absprachen einerseits in solchen Situationen anzutreffen, in denen die Verdachtslage ohnehin schon für die günstige Sachentscheidung spricht, so daß von einem "Entgegenkommen" seitens der Strafverfolgungsorgane eigentlich keine Rede sein kann. Andererseits gibt es Verzichtsvereinbarungen in solchen Situationen, in denen die Voraussetzungen für die günstige Sachentscheidung eigentlich (noch) nicht vorliegen. Seltener wird dagegen ein Verzicht anläßlich einer in-dubio-pro-reo-Lage vereinbart.
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ir
"lI ;.
I 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28
Brief
10% 30% 10%
-30%
10% 40%
50% 30% 12 Fälle: 5%
75%
80% 70% 'selten
---
10%
fiir
1%
'100%
'oft
20% '30%
90% 30% 90%
-70%
20% 10% 50% 30%
70% 50% 20% 960 Fälle:
95%
---
50% 87%
30%
_gegen
eindeutig fUr/gegeD die günstige VerfabreDsbeendlgung
80%
95% 20% 100/,
----
60%
45% 120 Fälle: 80% 95% 40% 40% 10%
'überwieaend 20%
I
50% bei andauernder V-Haft: 20 % '100%
100% 70%
'die meisten Fälle 'manchmal 20%
---
90% 60%
5% 20% 90%
...
--
10%
5% 108 Fälle: 20% 5% 30% 10%
10%
5%
'30%
00/0
---
10%
9%
in-dubto-pro-reo-Lage
ungeklärte Verdatbtslage
Umfangreiche Ermilllllngen wären erfqrderlich_Kewesen
Tabelle 11 : Welche Verdachtslage bestand, als das Verfahren durch den Verzicht günstig beendet werden sollte?
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6. Teil: Rechtstatsächliche Erkenntnisse
306
Tabelle 12 kombiniert die Antworten auf Frage C VII "Gibt es eine De1iktsgruppe, wo Verzichtserklärungen besonders häufig sind?"
und auf Frage C VIII "Wurde der Verzicht schriftlich festgehalten?"
Zu Frage C VII ergab sich, daß der Verzicht häufig im Zusammenhang mit Verkehrsdelikten steht. Das deckt sich mit den Erfahrungen der Hamburger Justizbehörden, daß Verzichtsabsprachen sehr oft nach einer vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis erfolgen44 • Mittelbar findet man dadurch erneut belegt, daß der Verzicht als Denkzettel-Sanktion eingesetzt wird. Zu Frage C VIII erscheint erstaunlich, wie häufig der Verzicht schriftlich festgehalten wird. Zumeist geschieht dies im Protokoll der Hauptverhandlung oder in einem Beschluß. Bei der Besprechung der Tabelle 9 wurde darauf bereits hingewiesen. Nochmals ist jedoch daran zu erinnern, daß nicht nach der "verzichtsanbahnenden Absprache" sondern nach dem "Verzicht" gefragt worden ist. Schriftlich festgehalten wird also nicht die strafprozessuale Verständigung als solche, sondern nur die Verzichtserklärung des Beschuldigten, d.h., die Eifüllung der zuvor getroffenen Absprache. Schließlich ist noch auf Tabelle 13 einzugehen, in der die Antworten auf Frage C IX "Sollte die Absprache 'Verzicht gegen günstige Sachentscheidung' verbindlich sein?"
ihren Niederschlag gefunden haben. Es zeigt sich, daß Absprachen über einen Verzicht überwiegend für alle Verfahrensbeteiligten als verbindlich eingestuft werden. Antworten, nach denen die Verbindlichkeit nur für den Beschuldigten bestehen sollte, blieben klar in der Minderheit. Da der Fragebogen möglichst knapp gehalten werden sollte, ließ die Fragestellung freilich unklar, welche Art von Verbindlichkeit eigentlich gemeint sei. Einige Einsender haben sich daher nicht damit begnügt, die erfragten Prozentangaben zu machen, sondern kritische Bemerkungen hinzugefügt. BriefNr.ll: "Ich habe jetzt Fälle gesehen, in denen die StA nachträglich das Verfahren wieder aufnehmen ließ, nachdem sie in der HV die Einstellung des Verfahrens nach §§ 154, 154a StPO beantragt hatte."
44
Oben Kap. 16 / B II, S. 262.
li
14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28
13
9 10 11 12
8
3 4 5 6 7
I 2
Brief
x
-
x x
--
x
x
X
nein
§ 230 StGB. § 142 StGB Wirtscbaftsde1ilcte Steuerdelikte Entziehuna der Fabrerlaubnis Filhrerschein-Sacben fahrlässiRe KörperverletzuDR im Straßc:nverkebr BetäubunJlSDlittelvergehen KörperverletzuDR
E~entumsde1ilcte
Verkehrsdelikte Bctrull fahrlässille KörperverletzUDll Wirtscbaftsdelilcte Straßenverkehrs-SD'allaten Filbrerscbein-Sachen I § 142 StGB
-Trunkenheit und "verwandte" Delikte
§§ 316 ff. StGB I BtMG
--
Bagatellsachen I Kleinkriminalität Wirtscballskriminalttät i.w.S.
Verkebrsdelikte Fiihrers