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German Pages 398 Year 2013
Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Band 318
Der Unterlassungsanspruch in der deutschen und europäischen Betriebs- und Personalverfassung Von
Daniel Klocke
Duncker & Humblot · Berlin
DANIEL KLOCKE
Der Unterlassungsanspruch in der deutschen und europäischen Betriebs- und Personalverfassung
Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Herausgegeben von Prof. Dr. Matthias Jacobs, Hamburg Prof. Dr. Rüdiger Krause, Göttingen Prof. Dr. Sebastian Krebber, Freiburg Prof. Dr. Thomas Lobinger, Heidelberg Prof. Dr. Markus Stoffels, Heidelberg Prof. Dr. Raimund Waltermann, Bonn
Band 318
Der Unterlassungsanspruch in der deutschen und europäischen Betriebs- und Personalverfassung
Von
Daniel Klocke
Duncker & Humblot · Berlin
Die Juristische und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg hat diese Arbeit im Jahre 2012 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
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© 2013 Duncker & Humblot GmbH, Berlin
Fremddatenübernahme: L101 Mediengestaltung, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0227 ISBN 978-3-428-14148-7 (Print) ISBN 978-3-428-54148-5 (E-Book) ISBN 978-3-428-84148-6 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
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Meiner geliebten Familie
Vorwort Zunächst möchte ich meiner geliebten Familie danken. Ihr habt mir in unterschiedlichster Weise geholfen und ohne Euch hätte ich diese Arbeit nicht fertig stellen können. Daher widme ich euch dieses Buch in tiefster Dankbarkeit. Ich danke auch Herrn Prof. Dr. Wolfhard Kohte für die Erstellung des Erstgutachtens und sein Engagement bei der Veröffentlichung der Arbeit. Herrn Prof. Dr. Wissmann danke ich für die rasche Erstellung des Zweitgutachtens. Zudem möchte ich Herrn Prof. Dr. Armin Höland für die fachliche und menschliche Unterstützung danken. Die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg kann sich glücklich schätzen, solche Professoren zu haben. Das gleiche gilt für Dr. Josef Molkenbur, dessen Unterstützung mir sehr geholfen hat. Ich danke auch dem Land Sachsen-Anhalt für die Gewährung des Landes-Graduierten-Stipendiums und der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg für die herausragenden Studien- und Forschungsbedingungen. Zum Schluss ist es mir ein dringendes Anliegen, mich bei all denen zu bedanken, die mir mit den Korrekturarbeiten geholfen haben: Vielen Dank! Halle/Berlin 2013
Daniel Matthias Klocke
Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1. Kapitel Die Unterlassungsansprüche und ihre Durchsetzung
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A. Die negatorischen Abwehransprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Unterlassungsansprüche im Allgemeinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Rechtsusurpationstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die herrschende Ansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. §§ 1004, 12, 862 BGB analog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Erstbegehungsgefahr. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Das System des Rechtsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
29 29 30 30 31 31 32 33
B. Die Durchsetzung der Unterlassungsansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
34
2. Kapitel Die Unterlassungsansprüche des Betriebsrats
36
A. Das Problem. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
36
B. Der Zweck der Mitbestimmung im Betrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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C. Unterlassungsansprüche als Elemente der Betriebsverfassung. . . . . . . . . . . . . . I. Die Unterlassungsansprüche im BetrVG. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Asymmetrie der Unterlassungsansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die grundlegende Struktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
39 39 39 40
D. Das Anterioritätsprinzip. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Beteiligungslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das Vorher der Beteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die zeitliche Struktur der Beteiligungsrechte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Ausnahmen vom Anterioritätsprinzip. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Konklusion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Gewinnung des Rechtsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die Bedeutung des Anterioritätsprinzips für das System der Beteiligungsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
40 41 41 42 43 44 44 45
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Inhaltsverzeichnis 1. Die Optimierung der ungeschriebenen Betriebsverfassung . . . . . . . . . 2. Die Konkordanz zu anderen Prinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
45 45
E. Der paritätische Unterlassungsanspruch bei § 87 BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Überblick über die Rechtsprechungsentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die unterschiedlichen Begründungsansätze. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die grundsätzlichen Einwände gegen einen allgemeinen Unterlassungsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Sperrwirkung des § 23 Abs. 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Sperrwirkung des § 2 Abs. 1 BetrVG. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Ausgestaltung des Sanktionssystems im BetrVG . . . . . . . . . . . d) Die Einigung und die Einigungsstelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Die Realisierung des Beteiligungsrechts über den einstweiligen Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Zwischenergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die verschiedenen Begründungsansätze eines paritätischen Unterlassungsanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Schwäche eines unmittelbaren Rekurses auf § 1004 BGB . . aa) Absolute/subjektive Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Beteiligungsrechte als absolute Rechte . . . . . . . . . . . . . . . (2) Beteiligungsrechte als subjektive Rechte. . . . . . . . . . . . . . (a) Die Fassung des Begriffs des subjektiven Rechts . . (b) Ansätze in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Subsumtion mithilfe der Kombinationslehre. . . . . . . (3) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Schutznormen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Ergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Ausbau des § 1004 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Der Unterlassungsanspruch als allgemeines Rechtsprinzip . . . . . . d) Der Unterlassungsanspruch als negative Seite des Beteiligungsrechts. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Der Unterlassungsanspruch als Produkt einer Nebenpflicht aus § 2 Abs. 1 BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Prozessuale Begründungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Die Begründung über § 78 S. 1 BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . h) Die Ansicht des Bundesarbeitsgerichts. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Der Beschluss vom 3.5.1994 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Kritik in der Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Das dogmatische Fundament der Rechtsprechung . . . . . . . . . (1) Die Fortbildung der Rechtsprechung des Sechsten Senats und der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Die Theorie der notwendigen Mitbestimmung. . . . . . . . . (3) Normkonkretisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
46 46 47 48 48 50 51 52 52 53 53 53 54 54 55 56 57 58 59 59 61 61 61 64 64 65 66 67 67 69 71 71 72 73
Inhaltsverzeichnis
III. F. Die I. II. III.
(4) Das Unterlassen der Maßnahme vor der Parität der Betriebsparteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Schlüsse aus § 77 Abs. 1 S. 2. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (6) Nicht ohne Zustimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (7) Das Licht des § 2 Abs. 1 BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Das Prinzip der vertrauensvollen Zusammenarbeit (b) Die Auswirkung auf § 87 BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . dd) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Die Bedeutung des Teilhabegedankens. . . . . . . . . . . . . . . . . . . Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsgrundlage des verfahrenssichernden Unterlassungsanspruchs . . . . Die dogmatischen Probleme der Ansicht des Bundesarbeitsgericht. . . . Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eigene Ansicht: § 23 Abs. 3 BetrVG analog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der präventive Unterlassungsanspruch des § 23 Abs. 3 S. 1 BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) § 23 Abs. 3 BetrVG als Anspruchsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der grobe Verstoß gegen betriebsverfassungsrechtliche Pflichten c) Der präventive Schutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Das disziplinarische Verständnis der herrschenden Meinung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Der Wortlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Die systematische und historische Auslegung. . . . . . . . . . . . . dd) Sinn und Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Der Vergleich zu § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . ff) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) § 23 Abs. 3 S. 1 BetrVG als Gegenstand einer einstweiligen Verfügung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Durchführung der Maßnahme und der grobe Verstoß (der Kumulationseffekt). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. § 23 Abs. 3 S. 1 BetrVG analog. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Planwidrigkeit der Regelungslücke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Der Lückenbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Der Regelungshorizont des Gesetzgebers. . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Vom System des BetrVG zu § 23 Abs. 3 BetrVG. . . . . . . . . b) Der Sinn und Zweck des § 23 Abs. 3 BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Der Schutz der betriebsverfassungsrechtlichen Ordnung . . . bb) Der zusätzliche Schutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Der systematisch-teleologische Raum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Das Erfordernis, Gleiches gleich zu behandeln. . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Inkohärenz des § 23 Abs. 3 S. 1 BetrVG im Hinblick auf die Maßnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis
IV. V. VI.
(1) Die Widersprüchlichkeit der Verhinderung weiterer Verstöße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Die Inkohärenz beim groben Verstoß . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die gesetzgeberische Missbilligung der Vornahme als Differenzierungskriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Die Bedeutung der Missbilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Die Integritätswertung der Beteiligungsrechte . . . . . . . . . (a) Unwirksamkeit als Kriterium? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Der Sinn von § 98 Abs. 5 S. 4 BetrVG. . . . . . . . . . . (c) Die positive Ausgestaltung des Beteiligungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (d) Das Anterioritätsprinzip und seine Gewährleistungsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (e) Die Wertung aus dem Beteiligungsrecht vor § 2 Abs. 1 BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (f) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Die gleiche Behandlung der wertungsgemäß gleichgelagerten Fälle. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Die fehlende Rechtfertigung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Das Mindestmaß an Schutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Der Unterschied zwischen einfachen und groben Verstößen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) § 23 Abs. 3 BetrVG als Legitimation für Eingriffe in die Unternehmerfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Rechtsfortbildung aufgrund des negatorischen Koinzidenzprinzips. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Die Grenzen der Rechtsfortbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Wortlautreduktion und die Zweckentsprechung . . . . . . . . cc) Die „grob“ erfordernden Fälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Nicht klagbare Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Prozessstandschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Konklusion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Nebeneinander von § 23 Abs. 3 S. 2–5 BetrVG und § 890 ZPO. . Konsequenzen für den Betriebsrat. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
G. Der verfahrenssichernde Unterlassungsanspruch in wirtschaftlichen Angelegenheiten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Ausgestaltung und das System des Mitwirkungsrechts nach § 111 Abs. 1 BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der zugrunde liegende Interessenkonflikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Beteiligungsrecht und die Beteiligungsresultate. . . . . . . . . . . . . . . 3. Die rechtliche Spannungslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis II. III. IV. V.
Die Grundlage des Unterlassungsanspruchs bei den Beteiligungsrechten nach §§ 111 ff. BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ausdrückliche Ablehnung durch den Gesetzgeber? . . . . . . . . . . . . . . . . . . Folgerungen aus der schwächeren Position . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unternehmerfreiheit contra Beteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Fundament des Verbots des Eingriffs in die Unternehmerfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Auflösung des Konflikts von Unternehmerfreiheit und Verfahrensloyalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Unternehmerfreiheit und die Beteiligungsrechte: Grundrechtliche und einfachgesetzliche Spannungslage . . . . . . . . b) § 113 Abs. 3 BetrVG. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Voraussetzungen der Norm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Voraussetzungen einer Sperrwirkung. . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Kein verbleibender Anwendungsbereich für § 113 Abs. 3 BetrVG? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Die historische Interpretation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Der doppelte Zweck des § 113 BetrVG . . . . . . . . . . . . . . (2) Der historische Zweck der Schaffung des § 113 Abs. 3 BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) § 113 Abs. 3 als objektiv abschließende Norm? . . . . . . . . . . (1) Die Wechselwirkung von § 113 Abs. 3 BetrVG und Sozialplan. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Die mögliche Einwirkung auf den Sozialplan . . . . . (b) Die Harmonisierung der Verfahren durch den Unterlassungsanspruch. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) § 113 Abs. 3 BetrVG als betriebsverfassungsrechtliche ultima ratio. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Die Trennung von individueller und kollektiver Ebene (3) Das Verschieben der Rechtsmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Die Bedeutung von § 2 Abs. 2 GKG . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Konklusion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Freiheit nach Abschluss eines Interessenausgleichs . . . . . . . . aa) Der Interessenausgleich und seine Realisierung . . . . . . . . . . . bb) Der Interessenausgleich als „Privileg“ des Unternehmers? cc) Die Auflösung des Widerspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Exkurs: Der Unterlassungsanspruch bei § 99 BetrVG. . . . . . . . . . aa) Die Entwicklung der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Der weitere Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) § 100 BetrVG als sperrendes Sonderverfahren? . . . . . . . . . . . (1) § 100 Abs. 1 BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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126 127 129 131 131 132 132 134 134 135 136 137 137 138 139 139 139 140 140 142 142 144 144 145 146 147 147 148 149 149 150 151 151
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Inhaltsverzeichnis (2) § 100 Abs. 2 und 3 BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Der Regelungsgehalt der Vorschrift . . . . . . . . . . . . . . (b) Der Sinn und Zweck der „Privilegierung“ . . . . . . . . (aa) Die zeitliche Koordinierung der Aufklärungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (bb) Die aktive Rolle des Arbeitgebers. . . . . . . . . . . (cc) Eigene Kenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (dd) Probleme beim Aufheben der Maßnahme . . . . (ee) Konklusion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) § 101 BetrVG als abschließende Norm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Die Logik der Abwehrrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Kurzzeitige und längere Maßnahmen. . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Die Rechtskraft als Tatbestandsmerkmal. . . . . . . . . . . . . . ee) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Die Verknüpfung von Beteiligungsrecht und Maßnahme. . . . . . . . aa) Das Rechtzeitigkeitserfordernis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) § 122 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Das Intermezzo mit den Sätzen 2 und 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Die rechtliche Bewertung der hypothetischen Beteiligung . . . . . . g) Die Letztentscheidungskompetenz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Der Unterlassungsanspruch als unzulässiges Druckmittel? . . . . . . . . . . . . VII. Kein Schadenersatz nach § 945 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX. Die Auswirkungen der Richtlinie 2002/14/EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Europäisierung der elementaren Fragestellungen . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Vorgaben der Richtlinie für die Sicherung der Beteiligungsrechte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Auslegung europäischen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der rechtliche Rahmen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Europäische Betriebsverfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Recht der Arbeitnehmer auf Unterrichtung und Anhörung. . cc) Die Beteiligungsrechte der Richtlinie und die Struktur von Entscheidung und Einflussnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Die von der Richtlinie 2002/14/EG erfassten Rechte . . . . . . c) Die Freiheit der Mitgliedstaaten und der effet utile . . . . . . . . . . . . d) Die Unterlassungspflicht des Arbeitgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Das Urteil „Junk“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Begründung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Die Einordnung der Unterlassungspflicht in die Richtlinie dd) Übertragung auf die Richtlinie 2002/14/EG . . . . . . . . . . . . . . (1) Die Übertragbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
152 153 154 154 155 156 156 156 158 158 159 160 161 161 162 163 163 165 166 167 167 168 169 170 170 172 172 173 174 175 175 177 179 181 181 182 182 183 183
Inhaltsverzeichnis
ee)
ff) gg)
e) Die aa) bb) cc)
dd)
(2) Der Zeitpunkt der Konsultation nach der Richtlinie 2002/14/EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Die praktische Wirksamkeit des Dialoges und des Verhandlungsanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eigenständige Begründungslinien der Richtlinie . . . . . . . . . . (1) Die Rücksichtnahme bei der Rechtsausübung. . . . . . . . . (2) Die Ausnahmevorschrift des Art. 6 Abs. 2 . . . . . . . . . . . Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Renault/Vilvoorde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Tribunal de Grande Instance de Nanterre . . . . . . . . . . . . (2) Cour d’appel Versailles . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Der Stellenwert der historischen Auslegung . . . . . . (b) Der Einfluss des „Fall Vilvoorde“ auf die Richtliniensetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Die französischen Urteile als Leitbilder effektiven und vorherigen Schutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Exkurs: Ein Blick auf das Vorbildrecht . . . . . . . . . . . . . . (a) Das französische System der Arbeitnehmervertretung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (aa) Die Systematik der betrieblichen Akteure . . . (bb) Information und Konsultation durch das comité d’entreprise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Das comité d’entreprise als Berechtigter der Richtlinie 2002/14/EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Die Durchsetzung der Rechte des comité d’entreprise über das référé-Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . (d) Überblick über die Kasuistik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (e) Ein Beispiel: Gaz du France/SUEZ . . . . . . . . . . . . . . (f) Die Implikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gewährleistungsfunktion des allgemeinen Rahmens . . . . . . . Erwägungsgrund 6 und Art. 11 Abs. 1 S. 1 HS. 2 . . . . . . . . Zwei feste Säulen der Durchsetzung: Anteriorität und wirksame Durchsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Unterlassung der Maßnahme als Konsequenz eines fairen Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Die vier Traditionslinien der Richtlinienentwicklung . . (2) Die Unterlassungspflicht als Konsequenz der Entwicklung eines fairen Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Vorgaben für die Ausgestaltung zur Gewährleistung der Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Keine unmittelbaren Durchsetzungsinstrumente auf individualrechtlicher Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
15
184 185 186 186 187 188 188 189 190 190 190 191 193 194 195 195 196 198 199 202 203 206 208 208 209 210 210 211 212 213
16
Inhaltsverzeichnis (2) Keine Ex-posteriori-Sicherungsinstrumente in Art. 8 Abs. 1 RL 2002/14/EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Die Konsequenzen für die Europäische Betriebsverfassung 3. Die Regelungen des BetrVG vor dem Hintergrund der Richtlinie 2002/14/EG. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Geltendmachung des Beteiligungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) § 23 Abs. 3 BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) § 113 BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die fehlende abschreckende Wirkung nach herrschender Auffassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) § 113 als individualrechtliches Sicherungsmittel a posteriori . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Eine Alternative bei konformer Auslegung? . . . . . . . . . . . . . . dd) Ergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) §§ 121, 119 BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Lücken des strafrechtlichen Schutzes. . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Vorgaben aus Nokia/Wärdell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Das Parallelverhältnis strafrechtlicher und zivilrechtlicher Sanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Synergieeffizienz der Normen und Ergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die richtlinienkonforme Rechtsfortbildung des BetrVG. . . . . . . . . . . . a) Umsetzungsfreiheit und Richterrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das methodische Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die richtlinienkonforme Auslegung und Rechtsfortbildung (1) Die Entwicklung der richtlinienkonformen Rechtsfortbildung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Die Reichweite der Pflicht zur Rechtsfortbildung. . . . . . bb) Die Grenzen der richtlinienkonformen Rechtsfortbildung. . . cc) Die Einschränkung durch die nationalen Wertungen . . . . . . . (1) Die entscheidende Rolle der Wertentscheidungen. . . . . . (2) Die europäischen Richtlinien als Teil des Wertesystems. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Artikel 8 der Richtlinie 2002/14/EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Überschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Art. 8 Abs. 1 S. 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Die Vorgaben des Abs. 1 S. 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Die Durchsetzung im Falle des Verstoßes gegen die Unterlassungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Art. 8 Abs. 1 S. 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Das untersagende Gericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Die Rolle der gerichtlichen Sicherung für das Europarecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
214 215 216 217 218 219 219 220 221 221 222 222 223 224 225 226 226 228 228 229 231 232 233 233 234 235 235 236 237 237 238 239 239
Inhaltsverzeichnis
X.
(b) Die Rolle der gerichtlichen Sicherung in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Die Auswirkung dieses Leitbildes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Art. 8 Abs. 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Konklusion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Das Äquivalenzgebot des EuGH. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Die sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Richtlinienspezifische Einwände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeine Bedenken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kein Mitbestimmungsrecht/Rechtsgrundlage. . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Richtliniensetzungsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Unzulässigkeit wegen des europarechtlichen Transparenzgebotes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Die Verhältnismäßigkeit des Unterlassungsanspruchs . . . . . . . . . . 6. Die Rückwirkung der europarechtlichen Implikationen auf den Streitstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Ausschließlichkeit des § 113 BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Stütze für § 23 Abs. 3 BetrVG analog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kein Unterlassungsanspruch bis zum Feststellen des Scheiterns des Interessenausgleichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Keine „gespaltene Rechtsfortbildung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die unmittelbar betroffenen Beteiligungsrechte . . . . . . . . . . . . . . . b) Die weiteren Beteiligungsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
17
240 241 242 243 244 245 246 249 249 250 252 253 256 257 257 257 258 259 260 261 262 262
H. Der verfahrenssichernde Unterlassungsanspruch bei § 90 BetrVG. . . . . . . . . . I. Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Sperrung durch § 91 BetrVG?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. § 91 BetrVG im System des Beteiligungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Unterlassungsanspruch bei § 91 BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die besondere Anspruchsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
263 263 264 264 264 265 266
I.
267 267 268 269 269 270
Der verfahrenssichernde Unterlassungsanspruch bei der Berufsbildung . . . . . I. § 97 BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. § 98 BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. § 98 Abs. 1 BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. § 98 Abs. 2 BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. § 98 Abs. 3 BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
J. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271
18
Inhaltsverzeichnis 3. Kapitel Der Unterlassungsanspruch des Europäischen Betriebsrats
272
A. Die Auswirkung des Systems des EBRG auf den Unterlassungsanspruch . . . 273 B. Zuständigkeiten des Europäischen Betriebsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 C. Die Sicherung der Beteiligungsrechte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die §§ 42 ff. EBRG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der Meinungsstand zum Unterlassungsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. § 23 Abs. 3 BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der allgemeine Unterlassungsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Herleitung des Unterlassungsanspruchs aus § 42 Nr. 2 EBRG . . . . 1. Die axiomatische Einbettung des Beteiligungsrechts . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Tatbestand des § 42 Nr. 2 EBRG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Wortlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) § 42 Nr. 2 EBRG vor dem System der §§ 119, 78 BetrVG (1) Unterschiede zwischen § 119 und § 78 BetrVG . . . . . . . (2) Notwendige Einschränkungen für § 42 Nr. 2?. . . . . . . . . bb) Weitere systematische Argumente im EBRG . . . . . . . . . . . . . . (1) §§ 19, 42 Nr. 2 EBRG. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Strafrechtlicher Schutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Das System des EBRG als abschließendes System . . . . cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die gesetzgeberische Zweckbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die ursprüngliche Zweckbestimmung und unionsrechtskonforme Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Die Unterlassungspflicht und Durchsetzungsanforderungen der Richtlinie 2009/38/EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Die Struktur der Beteiligungsrechte . . . . . . . . . . . . . . (aa) Der Inhalt und die zeitliche Ausgestaltung des Beteiligungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (bb) Keine Durchbrechung der Anteriorität . . . . . . . (cc) Die Bedeutung des Willens zur Verständigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (dd) Die Beachtung der Rechte bei der Durchführung der Maßnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (ee) Vermeintliche Absagen an eine Unterlassungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (ff) Nr. 3 Abs. 4 des Anhangs der Richtlinie 2009/38/EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (gg) Zwischenergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Die Effektivität der Rechtsdurchsetzung . . . . . . . . . .
274 274 274 275 276 278 278 279 279 279 280 280 280 281 281 282 283 284 284 284 285 285 286 287 288 288 289 291 292 292
Inhaltsverzeichnis (2) Der institutionelle Ansatz der Richtlinie 2009/38/EG (3) Keine ausdrückliche Übernahme des französischen Systems in der Neufassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Der Unterlassungsanspruch als unzulässige Maximalumsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die historische Auslegung vor dem Hintergrund der Neuregelung in 2011. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
19 294 294 294 295
D. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 4. Kapitel Der Unterlassungsanspruch des Personalrats A. Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Darstellung der Rechtsprechungsentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Ablehnung eines Unterlassungsanspruchs in der älteren Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Lösung in der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die problematischen Fundamente der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die grundsätzlichen Probleme des Konzepts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Vergleich mit der kirchlichen Mitbestimmung. . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vertrauensvorsprung des öffentlich-rechtlichen Arbeitgebers?. . . . . . III. Die Ansicht des Ersten, Zweiten und Vierten Senats des Bundesarbeitsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Der weitere Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
298 299 299 299 300 302 302 303 305 306 307
B. Die Bezugspunkte des objektiven Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die These vom Beschlussverfahren als einem objektiven Verfahren. . . II. Die Exklusion der beteiligungspflichtigen Maßnahme . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das überkommene Gerüst dieses Theorems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Rechtsbeziehungen als untauglicher Einwand . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der Verfahrensanspruch als untaugliche Beschränkung. . . . . . . . . . . . III. Das richtlinienkonforme Verständnis des BPersVG . . . . . . . . . . . . . . . . . .
308 309 311 311 312 312 313
C. Der I. II. III.
Grund für den Verzicht auf ausdrückliche Sicherungsnormen. . . . . . . . . . Die Dienstaufsichtsbeschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Kritik an einem ausschließlichen Sicherungssystem . . . . . . . . . . . . . Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
314 315 315 317
D. Die I. II. III. IV. V.
Unterlassungsansprüche in den Personalvertretungsgesetzen der Länder Länder ohne weitergehenden Schutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Länder mit Spezialregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Insbesondere: Niedersachsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Insbesondere: Nordrhein-Westfalen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schlüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
317 317 318 320 320 321
20
Inhaltsverzeichnis
E. Die Herleitung des personalvertretungsrechtlichen Unterlassungsanspruchs . . I. § 8 BPersVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der Unterlassungsanspruch im öffentlichen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundlagen und Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Anwendbarkeit auf das Personalvertretungsrecht . . . . . . . . . . . . . . a) Der allgemeine verfahrenssichernde öffentlich-rechtliche Unterlassungsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Beteiligungsrechte als subjektive Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Innen- und Außenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Struktur von Innenrecht und Außenrecht im Personalvertretungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Die Funktion der Dienststelle für das Personalvertretungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Die Bedeutung des Rechtsträgers für das Personalvertretungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Das Verhältnis Dienststelle – Dienststellenleiter als Innenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Das Verhältnis Dienststelle (Rechtsträger) Personalrat als Außenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts . . . . . (b) Die partielle Entsprechung des Bundesverwaltungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Die Rechtsstellung des Personalrats im BPersVG . . (d) Die Unabhängigkeit des Personalrats . . . . . . . . . . . . . (aa) Dienstpflichten und § 28 BPersVG. . . . . . . . . . (bb) Pflichten des Personalratsamtes als Amtspflichten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (cc) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (e) Das System des BPersVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (aa) Die verschiedenen Zuordnungs- und Zurechnungssubjekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (bb) Die systematische und rechtliche Zweiteilung (cc) Die fehlende demokratische Legitimation als Ausdruck des Außenrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . (dd) Die Parallele zum Verwaltungsverfahren . . . . . (f) Der Personalrat ein Organ der Verwaltung? . . . . . . . (aa) Der Organbegriff in der Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (bb) Die Anwendung des Begriffs auf den Personalrat. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Die Beteiligungsrechte als subjektiv-öffentliche Rechte . . . . (1) Das subjektiv-öffentliche Recht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
322 322 323 323 325 325 326 327 328 328 329 330 331 331 332 333 334 334 335 335 336 336 336 337 337 338 338 339 340 340 340
Inhaltsverzeichnis
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(a) Die Entwicklung des Begriffs des subjektivöffentlichen Rechts. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Subjektive Rechte zwischen öffentlich-rechtlichen Rechtsträgern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Die Ermittlung von subjektiven Rechten . . . . . . . . . (2) Die Beteiligungsrechte als subjektive öffentliche Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Richtlinienkonformes Verständnis der Beteiligungsrechte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Die europäischen Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Fazit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Beteiligungsrechte als materielles Recht. . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
344 346 346 347 347
F. Das aus den §§ 69 und 72 BPersVG folgende Verbot der Durchführung der Maßnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Mitbestimmungsrechte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Mitwirkungsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Anteriorität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die besonderen Verfahren des § 72 BPersVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Grundlage der Unterlassungsverpflichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Konklusion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
347 348 349 349 349 350 350
G. Verfassungsrechtliche Einwirkungen auf den Unterlassungsanspruch . . . . . . . I. Die Personalverfassung im Grundgesetz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Demokratieprinzip und Mitbestimmung im öffentlichen Dienst . . . . . . . 1. Die Verfassungswidrigkeit des § 58 Abs. 3 MBG SH . . . . . . . . . . . . . 2. Das Demokratieprinzip und die Mitbestimmung. . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das „Dreistufenmodell“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Das Demokratieprinzip und der Unterlassungsanspruch . . . . . . . . . . . a) Das Demokratieprinzip als Grenze einer Unterlassungsverfügung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das Demokratieprinzip als mittelbarer inhaltsbestimmender Faktor. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Organisations-, Sach-, Personalhoheit und Effizienz der Verwaltung . . IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
341 341 342 342
351 351 352 353 354 355 356 356 358 359 361
H. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362 5. Kapitel Zusammenfassung der Ergebnisse
363
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395
Abkürzungsverzeichnis Bezüglich der verwendeten Abkürzungen wird auf Kircher, Hildebert; Pannier, Dietrich; Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache verwiesen. Des Weiteren sind folgende Abkürzungen maßgeblich: Art. L CA CC c.d.e. c.e.e. dr. social EJIR IJCLLIR RIB RJS RPDS TGI
Article, partie législative Cour d’appel Cour de Cassation, chambre sociale comité d’entreprise comité d’entreprise européen droit social European Journal of International Relations The International Journal of Comparative Labour and Industrial Relations Renault Industrie Belgique Revue de jurisprudence sociale Revue practique de droit social Tribunal de Grande Instance
Einleitung Seit fast 30 Jahren herrscht Streit hinsichtlich der Frage, inwieweit ein Betriebsrat von einem Arbeitgeber die Unterlassung einer beteiligungspflichtigen Maßnahme verlangen kann, wenn er noch nicht ordnungsgemäß beteiligt wurde. Während die Frage im Bereich der sozialen Angelegenheiten zugunsten des Unterlassungsanspruchs in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts als geklärt gelten kann, setzen sich die Diskussionen in allen anderen beteiligungspflichtigen Bereichen weiterhin fort. Das Zentrum der Streitigkeiten bilden mittlerweile die wirtschaftlichen Angelegenheiten. Die Faszination und die Attraktivität der Problemstellung resultieren aus den damit zusammenhängenden unterschiedlichen dogmatischen Facetten, die sowohl in der Rechtsgrundlage des Unterlassungsanspruchs als auch in den jeweils unterschiedlich ausgestalteten Beteiligungsrechten wurzeln. Prütting beschrieb demgemäß die Lösung des Problems als eine der wohl schwierigsten Aufgaben der innerbetrieblichen Mitbestimmung.1 Im Laufe der Zeit haben sich verschiedene Lösungswege herauskristallisiert. Eine endgültige theoretische Lösung des Problems wurde dabei nicht gefunden. So weist Oetker darauf hin, dass es bisher noch nicht gelungen sei, eine schlüssige und allgemein akzeptierte Gesamtkonzeption der betriebsverfassungsrechtlichen Sanktionen zu entwickeln.2 Richardi konstatiert darüber hinaus, dass dieses theoretische Defizit praktisch von erheblichem Gewicht sei.3 Gerade in Bezug auf den heiklen Bereich der wirtschaftlichen Beteiligung erweisen sich die Landesarbeitsgerichte in der ganzen Republik als nachhaltig zerstritten. Fauser/Nacken bringen es auf den Punkt: In der Rechtsprechung ist eine Situation entstanden, die eine berechenbare und vorhersehbare Judikatur weitgehend vermissen lässt.4 Die Kontroverse um den Unterlassungsanspruch hat sich mittlerweile zu einem Oszillator für betriebsverfassungsrechtliche Veränderungen entwickelt. Beispielhaft ist das Intermezzo mit der Neufassung des § 113 BetrVG durch das Beschäftigungsförderungsgesetz. Als die Norm zugunsten des Arbeitgebers verändert wurde, feierte ein Teil des Schrifttums das Ende 1 2 3 4
Prütting, RdA 1995, 257 (257). GK-Oetker, § 23 Rn. 122. Richardi, FS Wlotzke, 407 (407). Fauser/Nacken, NZA 2006, 1136 (1136).
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der Diskussion, um nur zwei Jahre später mittels einer „Schutzschrift“ nach der Rückgängigmachung der Gesetzesänderung ein Ausschwingen der Rechtsprechung zugunsten einstweiliger Verfügungen auf Unterlassung zu verhindern.5 In diesem Dilemma erfuhr die Diskussion durch die Richtlinie 2002/14/ EG einen starken europarechtlichen Impetus.6 So hob Kohte hervor, dass die Inkaufnahme von Effizienzdefiziten bei der Rechtsdurchsetzung auf unionsrechtlicher Ebene inakzeptabel sei.7 Die genauen Auswirkungen sind dabei überwiegend unerforscht. Lobinger etwa führt an, dass Art. 8 der Richtlinie 2002/14/EG im deutschen Betriebsverfassungsrecht in ein Feld höchster Ungeklärtheit ziele, selbst aber nicht die notwendige Klarheit schaffe.8 Über den Richtlinientext hinaus ist mit der Rechtsprechung des EuGH hinsichtlich der Anforderungen an Sanktionen ein weiterer wesentlicher Impuls für die Auslegung des europäischen wie nationalen Rechts vorhanden. Wißmann hat in diesem Kontext festgestellt, dass die genaue Wirkung der Sanktionsforderungen, „solcher Risiken und Nebenwirkungen arbeitsrechtlicher Richtlinien“, noch wenig erforscht sei.9 Dabei spricht er insbesondere die mit der Richtlinie einhergehende Pflicht der Gerichte an, das nationale Recht konform mit den europarechtlichen (Sanktions-)Vorgaben zu interpretieren. Ein Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit besteht in der Diskussion, ob sich aus der Richtlinie die Forderung an die deutsche Rechtsprechung ergibt, die deutsche Betriebsverfassung so fortzubilden, dass die Frage nach einem Unterlassungsanspruch einheitlich beantwortet werden kann. Doch darf dabei gerade die Systematik des deutschen Rechts nicht aus dem Blick geraten. In der Diskussion wurde der bejahenden Position immer wieder vorgeworfen, ihre Seite allein auf praktische Erwägungen zu stützen und nicht dogmatisch zu untermauern.10 Das soll die vorliegende Arbeit entkräften. Beide Aspekte sollen von der Arbeit gleichbedeutend dargestellt und gewichtet werden. Einen klagbaren Unterlassungsanspruch direkt aus der Richtlinie 2002/14/EG zu gewinnen, ist dabei vor der Vielzahl von unterschiedlich 5
Ehler, BB 2000, 978 (978 ff.); siehe S. 163 f. Wobei zu betonen ist, dass v. a. die Massenentlassungsrichtlinie 98/59/EG für die Betriebsänderungen i. F. v. Massenentlassungen einschlägig ist, hierzu O. Hinrichs, passim und Mauthner, passim. Ein genereller Ansatz folgt aber nur aus der Rahmenrichtlinie 2002/14/EG. 7 Kohte, FS Richardi, 601 (613); Weber, FS Konzen, 921 (930). 8 Lobinger, ZfA 2004, 101 (179). 9 Wißmann, RdA 1999, 152 (156). 10 Völksen, RdA 2010, 354 (357 f.). 6
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ausgestalteten Rechtsordnungen und den diese bedingenden Traditionen nicht möglich. Nur in wenigen Bereichen unterscheiden sich die Mitgliedstaaten der EU so sehr wie im kollektiven Arbeitsrecht.11 Die Anerkennung eines Unterlassungsanspruchs in der Betriebsverfassung kann sich daher nur aus dem Zusammenspiel von deutschem und europäischem Recht ergeben. Damit wird die Anwendung der unionsrechtskonformen Auslegung/Rechtsfortbildung aus dem bloßen Verständnis einer Zweifelsregel oder Einschränkungsverpflichtung hin zu einer positiven, d.h. begründenden Funktion geführt. Insbesondere geht es darum, die Vorgaben des Europäischen Gerichtshofes für die Gewährleistung des Unionsrechts zu ordnen – ein, wie Malmberg feststellt,12 hoch komplexes Vorhaben. Die Vorgaben des EuGH werden nämlich sowohl für die Ablehnung als auch für die Anerkennung des Unterlassungsanspruchs ins Feld geführt. Dem Gedanken der Europäisierung eines Rechtsgebiets, welches in den Mitgliedstaaten so unterschiedlich ausgeprägt ist, liegt der Umstand zugrunde, dass die zunehmend transnational organisierten unternehmerischen Tätigkeiten und Entscheidungsprozesse Defizite für die Arbeitnehmer begründen,13 deren unkoordinierte Lösung in einem europäischen Binnenmarkt zwangsläufig zu Verwerfungen führen muss. Dabei versteht die Kommission der Europäischen Union die Beteiligung von Arbeitnehmern nicht mehr lediglich als Defizitausgleich, sondern als elementar für die Wirtschaftlichkeit sowie Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Union in einer globalisierten Welt. Sie stützt sich auf die Ansicht, dass die Beteiligung von Arbeitnehmern an den sie betreffenden betrieblichen und den Betrieb berührenden Angelegenheiten für die soziale und wirtschaftliche Entwicklung der Unternehmen förderlich ist. Information und Konsultation stärken die Anpassungsfähigkeit der Unternehmen. Die finanzielle Belastung tritt im Vergleich zur Steigerung der Qualifikation, Arbeitsmoral und Identifikation zurück.14 Beteiligung wird nunmehr als unabdingbar für die Wettbewerbsfähigkeit Europas anerkannt. Gemeinsam mit der Vollendung des Binnenmarkts ist es notwendig, die soziale Dimension zu stärken und das frei werdende Potenzial zu nutzen. Wie so häufig in der langen Geschichte des Unterlassungsanspruchs muss sich dieser vor den Änderungen der gesetzlichen Parameter positionieren. Mit der Richtlinie 2002/14/EG zur Schaffung eines allgemeinen Rahmens der Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer ist ein Paradigmenwech11
Weiss, NZA 2003, 177 (177); Rebhahn, IJCLLIR 2004, 107 (107). Malmberg, EJIR 2004, 219 (220). 13 Vgl. Wißmann, RdA 1999, 152 (158). 14 KOM (1998) 612 endg. S. 2 f.; Davignon-Bericht S. 2; Blanpain Involvement S. XVI; für Deutschland: Freckmann/Koller-van Delden, BB 2006, 490 (490). 12
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sel zumindest für ein dialogorientiertes Verständnis von Arbeitnehmerrechten verbunden. Es wäre nicht das erste Mal, dass richtlinienkonforme Auslegung einen Wandel der Rechtsprechung bedingt.15 Die unionsrechtliche Dimension ist geeignet, die Lösung des Problems in größere Zusammenhänge zu stellen. Die deutsche Diskussion des Unterlassungsanspruchs erweist sich wegen der historischen Herkunft des Problems aus § 87 BetrVG als sehr mitbestimmungszentriert. Gegen eine derartige Vorstellung hilft ein Blick auf die französische Rechtslage. Dort werden Informations- und Beteiligungsrechte über Untersagungsverfügungen gesichert. Man versteht diese Konzeption ganz bewusst vor der Schwäche der Rechte – auch gerade im Vergleich mit dem deutschen Mitbestimmungsrecht.16 Diese Arbeit kann nicht auf die Betriebsverfassung beschränkt werden. Die Beteiligung der Arbeitnehmer, ihr fundamental verbürgtes Recht auf Information und Konsultation, das positiv in der Europäischen Grundrechte-Charta und der Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer formuliert ist, avanciert mit zunehmender Verflechtung der unternehmerischen und staatlichen Strukturen zu einem europäischen Thema. Den größten Durchbruch des europäischen Kollektivarbeitsrechts repräsentiert die Euro-Betriebsrat-Richtlinie 2009/38/EG, welche die bahnbrechende Richtlinie 94/45/EG ablöste. Angesichts mit der Betriebsverfassung vergleichbarer, wenn auch schwächerer Anhörungs-, Beratungs- und Informationsrechte stellt sich auch hier die Frage nach dem Unterlassungsanspruch. Die Rechte der europäischen Betriebsräte sind in Deutschland bislang lediglich hinsichtlich der Informationsrechte im Rahmen der Gründung Gegenstand breiter Diskussionen, während diese Rechte im Feld der alltäglichen Arbeiten bisher fast unbearbeitet sind.17 Erst vor kurzem wurde der Fokus durch zwei Veröffentlichungen auf die Frage nach der Durchsetzungsmöglichkeit der Beteiligungsrechte des Europäischen Betriebsrats gelenkt.18 Dass beide Autoren gleichzeitig zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangen, unterstreicht die eminente Notwendigkeit der Beantwortung dieser Frage. Jüngst hat das Problem auch die gerichtliche Praxis erreicht. Das LAG Köln hat in einem ersten Beschluss einen Unterlassungsanspruch abgelehnt.19 15 Vgl. etwa BAG, Urteil vom 15.10.1992 – 2 AZR 227/92 = juris; Kohte/ Schulze-Doll, JurisPR-ArbR 14/2006, Anm. 3. 16 Remy, AE 2007, 114 (114). 17 Altmeyer, AiB 2007, 503 (506). 18 Vgl. die im Literaturverzeichnis angeführten Monografien von Bauckhage und L. Hinrichs. 19 LAG Köln, Beschluss vom 8.9.2011 – 13 Ta 267/11, ZIP 2011, 2121.
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Den letzten Schwerpunkt legt diese Abhandlung auf das die Beteiligung im öffentlichen Dienst regelnde Personalvertretungsrecht. Im Rahmen des Personalvertretungsrechts wird die unwiederbringliche Vereitelung der Rechte der Personalräte ebenso kritisch beurteilt20 und als ein Kernproblem bezeichnet.21 Während das Bundesarbeitsgericht einen Unterlassungsanspruch aus dem Mitbestimmungsrecht abgeleitet hat, verneint das Bundesverwaltungsgericht eine derartige Sicherung im Personalvertretungsrecht. Die einschlägige Kommentarliteratur zum BPersVG folgt dieser Rechtsprechung nur eingeschränkt22 und betont die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zum BetrVG. Im Rahmen der Wustrauer Tagung vom 20.-24.5.1996 flammte auch eine Diskussion um die Durchsetzung von Ansprüchen auf Durchführung eines Mitbestimmungsverfahrens auf.23 Am Ende stand der Auftrag an die Wissenschaft fest. Es muss eingehend geklärt werden, ob die Auslegung des BPersVG für oder gegen einen Unterlassungsanspruch streitet. Die Rechtsprechung des BVerwG ist nunmehr fast 35 Jahre alt. In der Zwischenzeit ist das Gericht sukzessive von seinem Standpunkt abgerückt – so erkannte es beispielsweise materielle Sachansprüche im BPersVG an und ließ einstweiligen Rechtsschutz zu. Die letzte verbliebene Frage ist die nach dem Unterlassungsanspruch. Hier ist die Diskussion noch offen, denn auch im Personalvertretungsrecht bringen die Einwirkungen der Richtlinie 2002/14/EG neue Impulse. Die Problematik reicht im Personalvertretungsrecht ferner tief in die öffentlich-rechtliche Dogmatik hinein. Es offenbart sich hierbei ein Grundproblem des BPersVG – seine dogmatische Unerschlossenheit. Das Bundesverwaltungsgericht hat im Personalvertretungsrecht Innenrecht angenommen, eine dogmatische Fundierung ist jedoch noch offen. Dabei ist die Unterscheidung von Innen- und Außenrecht von enormer Bedeutung.24 So bedauerlich dieser Umstand in der rechtlichen Praxis sein mag, für eine wissenschaftliche Arbeit ist er es nicht. Führt man sich vor Augen, dass in Teilen der Literatur und im Landesrecht noch die Einführung einer Norm wie § 23 Abs. 3 BetrVG für das Bundespersonalvertretungsrecht propagiert wird,25 muss man diese Diskussion zu einem sachgerechten Ende führen.
20
Süllwold, ZfPR, 1989, 118 (119). Albers, ZBR 1990, 356 (357). 22 Lorenzen/Gerhold § 69 Rn. 58; ablehnend: Altvater/Baden/Kröll/Lemcke/Peiseler, § 69 Rn. 71; Richardi-Treber, § 83 Rn. 54 ff.; neuerdings ablehnend: Ilbertz/ Widmaier/Sommer, § 69 Rn. 39b. 23 Vgl. hierzu den Kurzbericht von Schneider, NJW 1997, 444. 24 Erbguth, § 5 Rn. 3. 25 Huster, PersV 2008, 414 (418); zur Neuregelung in NRW: Welkoborsky, PersR 2011, 413. 21
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Einleitung
Die Herausforderung des Themas liegt nicht zuletzt darin, ein in sich stimmiges System des Schutzes der Beteiligungsrechte zu finden, ohne dabei Normen- und Wertungswidersprüche zu erzeugen. Der strukturelle Aufbau dieser Abhandlung richtet sich daher an den verschiedenen Beteiligungsrechten aus. Innerhalb dieser Sektionen wird jeweils nach dem dogmatischen Gerüst eines Unterlassungsanspruchs gesucht sowie dessen Anwendung auf die jeweiligen Beteiligungsrechte geprüft. Im Übrigen ergibt sich der inhaltliche Aufbau aus dem Ineinandergreifen von deutscher und europäischer Betriebs- und Personalverfassung. Die Richtlinie 2002/14/EG deckt weite Teile der Beteiligungstatbestände im deutschen Recht ab. Da in jedem Tatbestand der Interessengegensatz von Arbeitnehmern und Arbeitgebern in einem anderen Licht bzw. unter veränderten Parametern auftritt, erscheint es angebracht, den Kreis der untersuchten Beteiligungsrechte auf den Bereich zu beschränken, der von der Richtlinie 2002/14/EG erfasst wird und dogmatisch hervorzuhebende Besonderheiten aufweist, um den Umfang der Arbeit nicht ausufern zu lassen. Dabei darf wegen der möglichen Vergleichbarkeit der §§ 111, 113 BetrVG mit den §§ 99, 100, 101 BetrVG der Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 23. Juni 2009 nicht außer Betracht bleiben.26 Vorangestellt wird eine allgemeine Betrachtung des Unterlassungsanspruchs in der Rechtsordnung im ersten Kapitel. Der Unterlassungsanspruch der Arbeitnehmerrepräsentanten begegnet nämlich dem grundlegenden Problem der meisten Unterlassungsansprüche, nur selten explizit im materiellen Recht geregelt zu sein.27 So betont etwa Derleder die Notwendigkeit, den Unterlassungsanspruch des Betriebsrats auch an der ratio der übrigen Beteiligungs- und allgemeinen Abwehrechte zu messen.28 Folglich muss es darum gehen, verallgemeinerungsfähige Strukturen und Grundgedanken (eine ratio der Abwehrrechte) zu eruieren, mit deren Hilfe die Herleitung des Unterlassungsanspruchs erst ermöglicht wird. Da diese grundsätzlichen Feststellungen für das System der Unterlassungsansprüche umfassende Bedeutung besitzen, werden sie hier „vor die Klammer“ gezogen.
26 BAG, Beschluss vom 23.6.2009 – 1 ABR 23/08, BAGE 131, 145; bestätigt in BAG, Beschluss vom 9.3.2011 – 7 ABR 137/09, NZA 2011, 871. 27 Prütting, RdA 1995, 257 (260). 28 Derleder, AuR 1995, 13 (16).
1. Kapitel
Die Unterlassungsansprüche und ihre Durchsetzung Die Anzahl von Unterlassungsansprüchen in den verschiedenen Gesetzen ist kaum zu übersehen. Dies verwundert nicht, da die Bedeutung der Unterlassungsansprüche immer weiter zunimmt, je weniger die Folgen einer widerrechtlichen Handlung abzusehen sind. Damit geht gleichermaßen einher, dass die präventive Rechtsdurchsetzung in den vergangenen Jahrzehnten effizienter geworden ist und Rechtsschutz von vornherein und nicht erst durch eine repressive Reaktion gewährt werden soll. Will man die Problematik des Unterlassungsanspruchs des Betriebsrats von ihrem Ausgangspunkt her verstehen, ist es geboten, diese Entwicklung der Unterlassungsansprüche im allgemeinen negatorischen System zu kennen. Für eine besondere Theorie sind die allgemeinen Vorgaben und deren theoretische Prämissen daher unabdingbar.
A. Die negatorischen Abwehransprüche I. Die Unterlassungsansprüche im Allgemeinen Den zentralen bzw. bekanntesten Unterlassungsanspruch repräsentiert § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB. Das deutsche Recht ist aber keineswegs auf diese Norm limitiert. So werden ebenfalls im BGB noch der Besitz und der Name einem gleichlaufenden Schutz unterstellt (§§ 862, 12 BGB). Des Weiteren finden sich in den dinglichen Rechten häufig Rechtsgrundverweisungen auf § 1004 BGB, wie sich aus § 1027 oder § 1090 Abs. 2 BGB ergibt. Dem Inhalt des § 1004 BGB verwandt formulierte Unterlassungsansprüche bilden § 139 Abs. 1 i. V. m. §§ 9 ff. PatG und § 97 S. 1 Alt. 2 UrhG. Weitere Unterlassungsansprüche enthalten u. a. § 37 Abs. 2 S. 1 HGB und § 8 UWG. Insoweit beantworten die meisten Rechtsgebiete ausdrücklich und eigenständig die Frage, ob Handlungen in Bezug auf drohende Rechtsverletzungen zu unterlassen sind. Der Begriff des Unterlassungsanspruchs ist zugleich Ausdruck der herrschenden dogmatischen Einordnung dieser Institute in das materielle Recht.1 1 Das Institut der Unterlassungsklage ist streitig. Es finden sich – auch heute noch – Autoren, welche die Unterlassungsklage als einheitliches Rechtsinstrument
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1. Kap.: Die Unterlassungsansprüche und ihre Durchsetzung
II. § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB Die Struktur der Unterlassungsansprüche und das dogmatische Fundament der Unterlassungsansprüche werden anhand der Norm des § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB sehr deutlich. 1. Die Rechtsusurpationstheorie Eine im Schrifttum verbreitete Ansicht stellt die von Picker begründete Rechtsusurpationstheorie dar.2 Der dogmatische Kern des Unterlassungsanspruchs für alle verliehenen Rechte steht nach dieser Ansicht neben der positiven Rechtsordnung und -zuweisung.3 Als Ausgangspunkt fungiert die Abgrenzung des negatorischen Beseitigungsanspruchs vom Schadenersatzanspruch. Der Unterlassungsanspruch ist mit diesem Problem dergestalt verknüpft, dass er die Voraussetzungen des Beseitigungsanspruchs benötigt und damit in seinem Umfang von der Auslegung mit diesem übereinstimmt. Die Rechtsusurpationstheorie geht davon aus, dass die Rechtsordnung Befugnisse verteilt und diese Verteilung schützt. Eine Beeinträchtigung eines Rechts soll vorliegen, wenn und solange ein Dritter eine Herrschaftsposition einnimmt, die ihm nach der Eigentumsordnung nicht zukommt, indem er auf die Sache einwirkt oder Einwirkungen nicht unterlässt. Die Begriffsfindung orientiert sich damit am Eigentumsrecht. Die Rechtsusurpationstheorie misst die Okkupation eines Rechts an einem faktischen Rechtszuwachs; die Rede ist – plastisch – „von einem Stück Recht mehr“.4 Bildlich gesprochen, nimmt der Störer eine Position ein, die eigentlich dem Eigentümer zukäme.5 Über § 1004 BGB soll das „Stück“ Recht vom Usurpierenden an den Rechtsinhaber zurückverschoben werden.6
betrachten und das Bestehen von Unterlassungsansprüchen zumindest in den klassischen Rechtsgebieten bestreiten (vgl. Esser/Weyers, § 62 IV); von einer solch formalen Interpretation ist der Gesetzgeber abgewichen und konzipiert Unterlassungsansprüche, die mittels der Leistungsklage in ihrer speziellen Form der Unterlassungsklage durchzusetzen sind; vgl. nur den Wortlaut von § 97 Abs. 1 Alt. 1 UrhG oder § 8 Abs. 1 UWG. 2 Grundlegend Picker passim; ihm folgen Staudinger-Gursky, § 1004 Rn. 1 ff.; Wilhelm, Rn. 1379; Richardi, NZA 1995, 8 (10); Thalhofer, S. 26. 3 Picker, FS Gernhuber, 315 (331 ff.); Richardi, FS Wlotzke, 407 (413). 4 Picker, S. 51; Picker, FS Gernhuber, 315 (333); Thalhofer, S. 28. 5 Soergel-Münch, § 1004 Rn. 25. 6 Picker, S. 51; Picker, FS Gernhuber, 315 (333): „Der Störer muss innehaben, was dem Gestörten fehlt.“
A. Die negatorischen Abwehransprüche
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2. Die herrschende Ansicht In der Rechtsprechung und Literatur ist hingegen ein weites und in erster Linie kausales Verständnis vorherrschend. Die Rechtsprechung und der überwiegende Teil der Literatur legen den Begriff der Beeinträchtigung im Rahmen des § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB gegenständlich aus. Unter Beeinträchtigung versteht die herrschende Konzeption daher jede auch von außen kommende Einwirkung auf eine Sache.7 Anspruchsgegner ist stets der Störer, d. h. derjenige, auf dessen Willensbetätigung die Beeinträchtigung unmittelbar oder adäquat mittelbar zurückzuführen ist.8 3. §§ 1004, 12, 862 BGB analog Der Blick auf die jeweils in den einzelnen Rechtsgebieten vorhandenen Unterlassungsansprüche macht die grundsätzlich fragmentarische Konzeption des negatorischen Rechtsschutzes deutlich. Unterlassungsansprüche sind in Bezug auf die jeweiligen Rechte hin zu entwerfen. Allerdings würden die im Gesetz existierenden Ansprüche auf den ersten Blick nicht einmal Rechtsgüter wie Leben und Gesundheit schützen – eine zweifelhafte Unterteilung, betrachtete man den Wert dieser Rechtsgüter und die evidente Notwendigkeit, sie auch auf privater Ebene präventiv zu schützen. Die Rechtsprechung hat dieses Problem bereits früh erkannt und gelöst. In den ersten Urteilen des Reichsgerichts wurde der Rechtsschutz auf den deliktischen Bereich ausgeweitet.9 Das Reichsgericht erblickte in der Schadenersatzpflicht des § 826 BGB eine implizierte Unterlassungspflicht. Es verknüpfte diese Pflicht dann mit einem Forderungsrecht, weil „das Gesetz, wenn es ein Recht gewährt oder eine Pflicht auferlegt, auch die Möglichkeit gewähren muss, den Anspruch hierauf . . . gegen den Verpflichteten im Wege der Klage verfolgen zu lassen.“10 Mittlerweile entspricht es gefestigter Überzeugung und ständiger Rechtsprechung, dass §§ 1004, 12, 862 BGB analog auf jedes absolute Recht anzuwenden
7 MünchKomm-Baldus, § 1004 Rn. 24 ff.; beispielhaft: BGH, Urteil vom 18.4.1997 – V ZR 28,96, BGHZ 135, 235 (238). 8 BGH, Urteil vom 25.11.1955 – V ZR 37/54, BGHZ 19, 126 (129 f.); JauernigJauernig, § 1004 Rn. 16 m. w. N. 9 Erstmals im Jahr 1901 zu § 826 BGB, vgl. RG, Urteil vom 11.4.1901 – VI 443/00, RGZ 48 114 (120 f.) RG, Urteil vom 5.1.1905 – VI 38/04; RG, Urteil vom 16.10.1905, RGZ 61, 366 (369); aus jüngerer Rspr.: BGH, Urteil vom 26.2.1993 – V ZR 74/92, JR 1994, 100 (101). 10 RG, Urteil vom 11.4.1901 – VI 443/00, RGZ 48, 114 (120), offen lassend, ob § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB auf diesen Fall analog anzuwenden ist.
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1. Kap.: Die Unterlassungsansprüche und ihre Durchsetzung
sind,11 andernfalls wäre die Zuweisung eines absoluten Rechts ohne Möglichkeit zur Verteidigung „eine leere Deklamation“.12 Damit besteht ein Unterlassungsanspruch – gestützt auf §§ 1004 Abs. 1 S. 2, 12, 862 BGB –, wenn ein Rechtsgut, ein absolutes Recht oder ein sonstiges Recht i. S. d. § 823 Abs. 1 BGB oder eines Schutzgesetzes i. S. d. § 823 Abs. 2 BGB verletzt zu werden droht. Abstrahiert man diese Gedanken, entscheidet der Inhalt des Rechts über die negatorische Sicherung. § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB (ggf. analog) transformiert eine gesetzgeberische Integritätswertung in das materielle Recht. Das beste Beispiel für eine dieser Idee folgende Rechtsfortbildung ist die Anpassung des § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB an die deliktisch implizierte Unterlassungsverpflichtung. 4. Die Erstbegehungsgefahr Neben der sachlichen Ausweitung wurde der Unterlassungsanspruch auch in zeitlicher Hinsicht fortgebildet. Aus der Anerkennung des quasinegatorischen Unterlassungsanspruchs bei Wiederholungsgefahr leitete das Reichsgericht ab, dass auch eine Erstbegehungsgefahr genügen kann.13 Dabei verkörpert die Wiederholungsgefahr die auf objektiven Tatsachen beruhende ernstliche Besorgnis weiterer Störungen.14 Der eindeutige Wortlaut des § 1004 BGB scheint auf den ersten Blick gegen die Erstreckung des präventiven Schutzes zu sprechen. Ein solches Verständnis hat sich indes nicht durchgesetzt. Die erstmalig drohende Beeinträchtigung des Eigentums kann ebenfalls abgewehrt werden. Andernfalls käme man zu dem Ergebnis, dass ein Eigentümer die erstmalige Beeinträchtigung abwarten müsste. Das Reichsgericht bildete ausgehend vom deliktischen vorbeugenden Unterlassungsanspruch den vorbeugenden Unterlassungsanspruch auch bei § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB heraus. Bereits die Drohung mit dem Eingriff in ein geschütztes Recht bzw. Rechtsgut könne eine empfindliche Störung des Rechtsfriedens und ferner einen rechtswidrigen Eingriff darstellen.15 Genau 11 Vgl. nur BGH, Urteil vom 13.3.1998 – V ZR 190/97, NJW 1998, 2058 (2959); vgl. schon Wolff/Raiser, § 87 III; Palandt-Bassenge, § 1004 Rn. 4; Soergel-Mühl § 1004 Rn. 5.; Erman-Ebbing, § 1004 Rn. 9; MünchKomm-Baldus, § 1004 Rn. 9. 12 Staudinger-Gursky, § 1004 Rn. 15, 13 RG, Urteil vom 17. Februar 1921 RGZ 101, 335 (340); ohne Ausführungen zu den Voraussetzungen einer Rechtsfortbildung – dazu die methodische Kritik von Münzberg JZ 1967, 689 (690) – und unter Verweis auf RG 48, 114 (120), wo ausgeführt wird, dass ein Gesetz, wenn es ein Recht gewährt oder eine Verpflichtung auferlegt, auch die Möglichkeit gewähren muss, den Anspruch hierauf, also zutreffenden Falles den Anspruch auf Unterlassung, gegen den Verpflichteten im Wege der Klage verfolgen zu lassen. 14 Palandt-Bassenge, § 1004 Rn. 32; MünchKomm-Baldus, § 1004 Rn. 134 ff.
A. Die negatorischen Abwehransprüche
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hier setze der Unterlassungsanspruch ein. Das Reichsgericht begründete diese den Gesetzestext übersteigenden Rechtsfortbildung zudem mit dem Argument, dass ein anderes Vorgehen praktisch unbefriedigend sei und eine nicht gebotene Einschränkung des vorbeugenden Rechtsschutzes und des Grundgedankens des § 1004 BGB repräsentiere. Die Wiederholungsgefahr bezweckt das Verhindern weiterer Beeinträchtigungen. Die Einbeziehung des ersten Verstoßes „denkt“ den hier zum Ausdruck kommenden Präventionsgedanken zu Ende. In einem größeren Kontext bietet sie damit eine rechtliche Handhabe gegen nicht gestattete bzw. missbilligte Zustände. Nimmt aber das Gesetz eine eindeutige Entscheidung zugunsten der Interessen des Geschädigten bzw. Beeinträchtigten vor, kann wertungsgemäß keine andere Entscheidung im Vorfeld getroffen werden. In diesem Fall muss der materielle Ausdruck dieser Bewertung auf vorhergehenden Schutz hinauslaufen. Zumindest in dieser Fallkonstellation muss der Betroffene nicht bis zum Eintritt dieses Zustands warten, sondern kann diesen sogar verhindern. Dogmatisch wird das Tatbestandsmerkmal „weitere“ im Hinblick auf die Konzeption der quasi-negatorischen Unterlassungsklage „systematisch reduziert“.16
III. Das System des Rechtsschutzes Unterlassungsansprüche verkörpern präventive Sicherungsinstitute, die sich in normativer Interpretation an dem von ihnen geschützten Recht orientieren. Sie fußen auf dem Gedanken, dass rechtwidrige Handlungen nicht hingenommen werden müssen und stellen sich somit neben die Ansprüche auf Befolgung des Rechts. Durch ihre Rechtsbewahrungsfunktion unterstützen und komplettieren sie die Rechtsdurchsetzung: Negatorischer Rechtsschutz kommt überall dort in Betracht, wo die Rechtsordnung die Vornahme einer Handlung oder den Eintritt des Erfolges missbilligt. So kommen sowohl die Zeit vor einer Handlung, die Zeit während einer Handlung als auch die Zeit nach einer Störung als Ansatzpunkt für einen Unterlassungsanspruch infrage. Im letztgenannten Fall ist der Unterlassungsanspruch auf die Unterlassung weiterer bzw. anderer gleich gearteter Beeinträchtigungen ausgerichtet. Es bedarf in diesen Situationen entweder einer drohenden Gefahr oder einer realisierten Gefahr der Beeinträchtigung. Über das Merkmal „fehlende Duldungspflicht“ kann das generelle Verbot dem Einzelfall bzw. spezielleren Wertungen geöffnet werden. Diese Interaktion 15
RG, Urteil vom 17. Februar 1921, RGZ 101, 335 (340). OLG Zweibrücken, Urteil vom 4.2.1992 – 8 U 103/91, NJW 1992, 1241 (1242); ausdrücklich Esser/Weyers, § 62 II. 16
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1. Kap.: Die Unterlassungsansprüche und ihre Durchsetzung
vermittelt die Flexibilität des Unterlassungsanspruchs. Er ist nicht statisch, sondern entfällt, wenn die Rechtsordnung trotz der Beeinträchtigung des Rechts die Handlung erlaubt.
B. Die Durchsetzung der Unterlassungsansprüche Unterlassungsansprüche werden mittels Leistungsklage gerichtlich geltend gemacht,17 die vereinfachend als Unterlassungsklage bezeichnet wird. Praktisch relevanter ist im Bereich der Unterlassungsansprüche aber der einstweilige Rechtschutz. Voraussetzung für eine einstweilige Verfügung i. S. d. § 935 ff. ZPO ist das Bestehen eines zu sichernden Anspruchs (Verfügungsanspruch) sowie eine dem Anspruch drohende Gefahr (Verfügungsgrund). Die in der Literatur erarbeitete Differenzierung zwischen Sicherungs-, Regelungs- und Leistungs- bzw. Befriedigungsverfügung,18 wird in der Praxis nur selten aufgegriffen.19 Die herrschende Auffassung betrachtet die Unterlassungsverfügung als Leistungsverfügung bzw. Befriedungsverfügung.20 Da im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nur eine summarische Prüfung stattfinden kann, gleicht § 945 ZPO bei einer ungerechtfertigten einstweiligen Anordnung die dadurch entstandenen entstandene Kosten verschuldensunabhängig aus. Der Norm liegt das Verständnis zugrunde, dass derjenige, welcher einen noch nicht endgültigen Titel erwirkt, das Risiko tragen soll, dass sich sein Vorgehen als unberechtigt herausstellt.21 Einer Grundsatzfrage22 wird dabei regelmäßig wenig Bedeutung beigemessen: Stark umstritten ist nämlich, inwieweit eine einstweilige Verfügung einen materiell-rechtlichen Inhalt besitzen muss. Während beispielsweise Vollkommer auf einen Anspruch aus dem Rechtsverhältnis bei § 940 ZPO verzichten will,23 widerspricht Walker24 unter Hinweis auf den durch den einstweiligen Rechtschutz vermittelten Rechtsschutz und das Antragser17
Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Grundz, § 253 Rn. 8. Vgl. Olderog, NZA 1985, 753 (756); Schulze S. 84. 19 Vgl. Stein/Jonas-Grunsky, vor § 935 Rn. 30; Musielak, Rn. 757. 20 Stein/Jonas-Grunsky, § 935 Rn. 47; MünchKomm ZPO-Drescher, § 938 Rn. 28. 21 OLG Saarbrücken, Urteil vom 15.10.1997 – 1 U 109/97-35, NJW-RR 1998, 1039 (1039). 22 Zu den Zwecken des Zivilprozessrechts: Zöller-Vollkommer Einl. Rn. 39 u. 92; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann § 253 Grundz. Rn. 3 f. 23 Zöller-Vollkommer, § 940 Rn. 2 m. w. N. 24 Walker, Rn. 115; ebenso BVerfG, Beschluss vom 22.2.2001 – 2 BvR 208/01 = lexetius.com; für § 938 ZPO Spreer, S. 117 m. w. N. 18
B. Die Durchsetzung der Unterlassungsansprüche
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fordernis und fordert zumindest ein zukünftiges Recht. Lobinger sieht in dem Verzicht auf einen Anspruch die Durchbrechung der funktionalen Zweiteilung von materiellem Recht und Prozessrecht, die damit dem Richter die Befugnis zur originären Gestaltung des Rechtsverhältnisses zuspricht.25 Die Gefahr der Umgehung materiell-rechtlicher Wertungen drängt sich auf. Daher ist vorrangig zu diskutieren, ob das materielle Recht einen Anspruch bereitstellt. Liegt ein gerichtliches Verbot vor, muss der Schuldner sich daran halten. Der Zwangsvollstreckung kommt in praktischer Hinsicht großes Gewicht zu. Denn genau hier offenbart sich regelmäßig der wahre Wert eines Unterlassungsanspruchs.
25 Lobinger, ZfA 2004, 101 (114); ausführlich zu diesem Thema: Bengelsdorf, DB 1990, 1282 (1284 ff.).
2. Kapitel
Die Unterlassungsansprüche des Betriebsrats Der Unterlassungsanspruch des Betriebsrats bildet den zentralen Streitpunkt im System der betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsdurchsetzung. Im Kern geht es darum, ob der Betriebsrat die Durchführung einer beteiligungspflichtigen Maßnahme untersagen kann, bis er ordnungsgemäß beteiligt wurde. Daneben wird ein Unterlassungsanspruch des Betriebsrats auch anerkannt, wenn eine Betriebsvereinbarung vom Arbeitgeber, der nach § 77 Abs. 1 BetrVG für die Durchführung zuständig ist, nicht ordnungsgemäß durchgeführt wird. Dieser Anspruch ist in den Grundzügen in der Rechtsprechung des BAG geklärt1 und soll hier nicht weiter diskutiert werden.
A. Das Problem Das Betriebsverfassungsrecht weist dem Betriebsrat in den Vorschriften der §§ 87 ff. BetrVG Rechte auf Beteiligung im Hinblick auf geplante Maßnahmen zu. Nach § 77 Abs. 1 S. 2 BetrVG steht die Kompetenz zur Durchführung etwaiger der im Mitbestimmungsverfahren konsensual bestimmten Maßnahmen allein dem Arbeitgeber zu. Diese Rechtsposition ermöglicht es dem Arbeitgeber, eine Maßnahme durchzuführen bzw. anzuordnen und damit die Beteiligungsrechte faktisch zu übergehen. Das BetrVG reagiert zwar vereinzelt mit der Rechtsfolge der Unwirksamkeit auf dieses Problem. Vor allem aber bei Realakten, Rechtsgeschäften mit Dritten oder irreparablen Vorgängen kann aufgrund der faktischen Vollziehung eine Beteiligungspflicht übergangen werden. Stellt die Betriebsverfassung damit die Beteiligungsrechte faktisch zur Disposition des Arbeitgebers? Der Betriebsrat kann seine Beteiligungsrechte gerichtlich geltend machen; ein Hauptsacheverfahren ist indes langwierig und kann den Vollzug der Maßnahme nicht verhindern.2 Eine von der Rechtsfolge her umfassende Sicherungsnorm existiert in Form von § 23 Abs. 3 BetrVG. 1 BAG, Beschluss vom 29.4.2004 – 1 ABR 30/02, NZA 2004, 670 (674); Ahrendt, NZA 2011, 774 (777). 2 Fauser/Nacken, NZA 2006, 1136 (1136).
B. Der Zweck der Mitbestimmung im Betrieb
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Diese Norm wird in der Literatur wegen ihrer Begrenzung auf grobe Verstöße und der in S. 2 ff. enthaltenen Höchstsumme von 10.000 Euro nur für eine „schnurrige Maus“ gehalten3. Betrachtete man die Betriebsverfassung von dieser Warte aus, so offenbarte sich eine Diskrepanz zwischen qualifikationslosen Beteiligungsrechten auf der einen und ihren Sicherungsinstrumenten auf der anderen Seite. Rechte sind im Streitfall aber immer nur so stark wie ihre Durchsetzung. Lediglich nach überkommener Ansicht sind derartige Widersprüche im Gesetz widerspruchslos hinzunehmen.4 Die Frage nach dem Unterlassungsanspruch verkörpert allerdings weit mehr als eine bloße Sicherungsfrage. Die Zubilligung eines Unterlassungsanspruchs ist die Beantwortung der offenen Bewertungsfrage, ob das hinter den Rechten und Freiheiten des Arbeitgebers stehende Interesse, beteiligungspflichtige Maßnahmen ohne Störungen durchführen zu können, oder das hinter den Beteiligungsrechten stehende Interesse an der Teilhabe am betrieblichen Entscheidungsprozess den Vorrang genießt. Die Diskussion um den Unterlassungsanspruch bei den Beteiligungsrechten erweist sich demzufolge auch als eine Strukturfrage, da in ihr dieses Spannungsverhältnis materiell-rechtlich aufgelöst wird. Hier tritt die dogmatische Schwierigkeit des Problems zutage: Inwiefern die Beteiligungsrechte die Arbeitgeberentscheidung binden, wird auf den ersten Blick nicht explizit durch das Betriebsverfassungsgesetz deutlich gemacht. Die Problematik wird zudem dadurch dogmatisch verschärft, dass die Bewertung der Nichtbeteiligung und die Bewertung der Durchführung der Maßnahme nicht kongruent sein müssen. Daher kommt es bei jedem einzelnen Beteiligungsrecht zu einem speziellen Spannungsverhältnis zwischen der Gewähr der Einflussnahme auf die Maßnahme und der Durchführungskompetenz des Arbeitgebers. Dementsprechend hat das Bundesarbeitsgericht entschieden, dass für jeden Mitbestimmungstatbestand gesondert geprüft werden muss, ob dieser dem Betriebsrat einen Unterlassungsanspruch gewährt oder nicht.5
B. Der Zweck der Mitbestimmung im Betrieb Die Problematik des Unterlassungsanspruchs führt tief in die Dogmatik des Verständnisses der Betriebsverfassung. Klassisch betrachtet, stellt das 3 Richardi, NZA 1995, 8 (8) nach einem Spottvers des Horaz: „[. . .] nascetur ridiculus mus.“ 4 RG, Urteil vom 15.11.1934 – 2 D 83/34, RGSt 68, 407 (410), sowie Engisch (6. Auflage), S. 161. 5 BAG, Beschluss vom 03.05.1994 – 1 ABR 24/93, NZA 1995, 40 (42).
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2. Kap.: Die Unterlassungsansprüche des Betriebsrats
BetrVG eine Reaktion auf ein funktionales Defizit des Individualvertragsrechts dar.6 Der Arbeitnehmer verpflichtet sich in einem allgemeinen Rahmen zur Erledigung von Aufgaben innerhalb eines fremden Arbeitsbereichs, ohne dass er seinerseits auf die Ausübung des Direktionsrechts des Arbeitgebers Einfluss nehmen könnte. Das BetrVG sichert davor die Selbstbestimmung der Arbeitnehmer auf der kollektiven Ebene, indem es dem Arbeitgeber einen Betriebsrat gegenüberstellt. Der Einzelvertrag wird folglich in den Bereichen ergänzt, in denen eine selbstbestimmte Entscheidung gegenüber dem Arbeitgeber nicht möglich ist.7 Verstünde man Beteiligung indes allein in diesem Sinne, so müsste ein effektives Sicherungssystem vor allem an den Nachteilen für die betroffenen Arbeitnehmer ansetzen. Die Notwendigkeit eines verfahrenssichernden Unterlassungsanspruchs würde in den Hintergrund rücken.8 Ein allein an den individuellen Nachteilen anknüpfendes Verständnis wird der Funktion der Betriebsverfassung aber nicht vollends gerecht. Die überwiegende Rechtslehre und Rechtsprechung vertreten deshalb inzwischen die Ansicht, dass der Schutz der Arbeitnehmer weniger durch Eindämmung des Direktionsrechts oder sonstiger Rechtsausübung als vielmehr durch gleichberechtigte Teilhabe an den grundlegenden Entscheidungen in den Angelegenheiten des Betriebs gewährleistet werden soll.9 Der Arbeitnehmer wird durch die Betriebsverfassung zu einem mitwirkenden Subjekt.10 Unmittelbar tritt dies in den §§ 81 ff. BetrVG zutage, im Übrigen mittelbar über den Betriebsrat.11 Mit der Kollektivierung wird aber zugleich auch ein solches Maß an Abstraktheit erreicht, dass das Individuum und seine Individualität zurückgedrängt werden. Der Betriebsrat nimmt nicht nur die Interessen eines Arbeitnehmers wahr, sondern gleichermaßen die der Belegschaft. Damit einhergehend verkörpert das einfache Anknüpfen an den Schutz des einzelnen Arbeitnehmers lediglich eine Facette der Betriebsverfassung. Von dem weitergehenden Teilhabegedanken ausgehend, erweist sich die losgelöste Sicherung des kollektiven Meinungsaustausches als eine folgerichtige Fragestellung. Der betriebliche Dialog ist ein Wert an sich.
6
Raab, S. 28 ff.; Zöllner, AcP 176, 221 (229); GK-Wiese, Einleitung Rn. 71 f. Belling, S. 175 ff. 8 Matthes, FS Dieterich, 355 (356 f.). 9 MünchArbR-Matthes § 238 Rn. 16 ff. unter Bezugnahme auf BAG, Beschluss vom 24.2.1987 – 1 ABR 18/85, NZA 1987, 639 (640); HaKo-BetrVG-Kohte, § 87 Rn. 1; Konzen, S. 85; GK-Wiese, Einl. Rn. 80; kritisch: Jawad, S. 26 f. 10 GK-Wiese, Einl. Rn. 80. 11 GK-Wiese, Einl. Rn. 80. 7
C. Unterlassungsansprüche als Elemente der Betriebsverfassung
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C. Unterlassungsansprüche als Elemente der Betriebsverfassung I. Die Unterlassungsansprüche im BetrVG Geht man davon aus, dass die Frage des Unterlassungsanspruchs mehr ist als eine Frage der Sicherung der Rechte, sondern vielmehr ein Strukturelement der Teilhabe darstellt, so kann diese Grundannahme in einen systematischen Zusammenhang mit den sonstigen Unterlassungsansprüchen im BetrVG gesetzt werden. Dem BetrVG ist das Rechtsinstitut „Unterlassungsanspruch“ nicht fremd: Einen wichtigen Baustein im System bildet der umfassende Tätigkeitsschutz vor Behinderungen nach § 78 BetrVG. Diese Norm sichert die Peripherie der Beteiligung. Der Begriff der Behinderung ist dabei umfassend zu verstehen. Er erfasst jede unzulässige Erschwerung, Störung oder gar Verhinderung der Betriebsratsarbeit.12 Neben dieser Norm sticht § 23 Abs. 3 S. 1 BetrVG mit seiner klaren Unterlassungsrechtsfolge ins Auge. Auch diese Generalnorm verdeutlicht, dass Unterlassungsansprüche ein wesentliches Instrumentarium des Betriebsrats sein sollen, denn diese Norm bezieht sich auf alle Rechte des Betriebsrates. Auf der anderen Seite des Betriebsverhältnisses hat der Arbeitgeber etwa einen Unterlassungsanspruch gegen die Durchführung einer voraussichtlich nichtigen Betriebsratswahl.13
II. Die Asymmetrie der Unterlassungsansprüche Ursprünglich zeigte sich noch eine gewisse Symmetrie in der Zuweisung von Unterlassungsansprüchen zugunsten der Betriebspartner. In der neueren Entwicklung hat sich jedoch eine Asymmetrie herausgebildet. In der vormals herrschenden Interpretation enthielt § 74 Abs. 2 BetrVG beiderseitige einforderbare Unterlassungsverpflichtungen bezüglich Arbeitskampfmaßnahmen, Störungen des Arbeitsablaufs und Betriebsfriedens sowie der parteipolitischen Betätigung im Betrieb. Das Bundesarbeitsgericht hat aber nunmehr seine bis dahin bejahende Ansicht aufgegeben und eine einseitige Rechtspflicht angenommen. Argumentativ stützte sich das Gericht auf den von §§ 1004, 862 BGB abweichenden Wortlaut („unzulässig“) und die fehlende Aktivlegitimation.14 Zusätzlich betonte das Gericht die Vermögens12 BAG, Beschluss vom 12.11.1997 – 7 ABR 14/97, EzA, § 23 BetrVG 1972, Nr. 38. 13 BAG, Beschluss vom 27.7.2011 – 7 ABR 61/10, NZA, 345. 14 BAG, Beschluss vom 17.3.2010 – 7 ABR 95/08, NZA 2010, 1133 (1135) = AP § 74 BetrVG Nr. 12 m. Anm. Husemann; zustimmend LAG Berlin-Branden-
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2. Kap.: Die Unterlassungsansprüche des Betriebsrats
losigkeit des Betriebsrats und die sich daraus ergebenden vollstreckungsrechtlichen Probleme, so dass der Arbeitgeber in letzter Konsequenz auf die Verfahren gemäß § 23 Abs. 1 BetrVG und § 256 ZPO verwiesen wird.
III. Die grundlegende Struktur Dieser Asymmetrie entspricht eine differenzierte Zielrichtung des betriebsverfassungsrechtlichen Unterlassungsregimes. Wie schon aus § 80 BetrVG folgt, ist der Betriebsrat auch ein Wächterorgan. Die Betriebsverfassung kennt Unterlassungsansprüche als Mittel der Rechtsbewahrung. Die neue Asymmetrie der Unterlassungsansprüche zugunsten des Betriebsrats entspricht der grundsätzlichen Asymmetrie der Handlungsbefugnisse zugunsten des Arbeitgebers. Der Arbeitgeber kann zudem Rechtsverstöße zulasten des Betriebsrats durch bloßes Unterlassen verhindern. Der Betriebsrat benötigt hier ein rechtliches Instrument. Strukturell liegt folglich ein Unterlassungsanspruch nahe. Systematisch lässt sich diese Funktion über die Wertentscheidung zugunsten der Teilhabe am Entscheidungsprozess gegenüber anderen Rechtsverletzungen begründen. Hinzu kommt eine spezielle Struktur bei der Herausbildung von Unterlassungsbefugnissen. So beschränkt das Bundesarbeitsgericht den Unterlassungsanspruch des Betriebsrates auf die Sicherung der Rechte bzw. der Teilhabe des Betriebsrats, während ein allgemeiner Unterlassungsanspruch des Betriebsrats zur Sicherung der Individualrechte gegen Rechtsverletzungen abgelehnt wird.15
D. Das Anterioritätsprinzip16 Nähert man sich dem materiellen Recht, so setzt die Beantwortung der Frage nach dem Unterlassungsanspruch zunächst voraus, das Verhältnis zwischen der Durchführung beteiligungspflichtiger Maßnahmen und dem jeweiligen Beteiligungsrecht zu klären. Für die Verknüpfung dieser Elemente ist ein allgemeiner betriebsverfassungsrechtlicher Grundsatz erforderlich: burg, Beschluss vom 8.4.2011 – 9 TaBV 2765/10 = juris.de; a. A. Reichold, RdA 2011, 59 (61). 15 BAG, Beschluss vom 17.5.2011 – 1 ABR 121/09, EzA § 23 BetrVG 2001 Nr. 5. 16 Der Begriff ist aus dem französischen Recht entlehnt, hierzu S. 194. Der Rechtsvergleich soll für die Arbeit nur einen Exkurs darstellen und kann nicht institutionell auf Deutschland wirken. Das deutsche Recht enthält diesen Grundsatz völlig losgelöst von der französischen Rechtslage. Der Begriff wurde gewählt, weil er das auch dem deutschen Recht zugrunde liegende Prinzip besonders präzise beschreibt.
D. Das Anterioritätsprinzip
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Nicht nur, dass Beteiligung stattzufinden hat, sie muss auch „vorher“ geschehen. Von diesem Gedanken lässt sich ein wichtiges Strukturprinzip der betriebsverfassungsrechtlichen Beteiligung ableiten: das Anterioritätsprinzip. Das Betriebsverfassungsrecht kennt viele allgemeine Grundsätze.17 Im Folgenden soll das Anterioritätsprinzip als ein allgemeines Strukturprinzip des BetrVG diskutiert werden.
I. Die Beteiligungslage Zeitlich betrachtet, greifen die Beteiligungsrechte auf allgemeine Strukturen zurück. Sie besitzen neben ihrer inhaltlichen Dimension (Beratung, Information etc.) auch eine zeitliche Komponente. Dabei ist zwischen anlassbezogener und nicht anlassbezogener Beteiligung zu differenzieren. Grundsätzlich anlassunabhängig ist die Zusammenarbeit im Rahmen der Monatsbesprechung gemäß § 74 Abs. 1 S. 1 BetrVG. Anlassbezogen hingegen sind alle Tatbestände, die auf eine Beteiligung an einer geplanten Maßnahme ausgerichtet sind. In diesen Fällen bestehen mehrere Abschnitte für jedes Beteiligungsrecht: die Zeitspanne bis zur Entschlussfassung des Arbeitgebers (Planungsphase), die Zeitspanne bis zum Beginn der Realisierung (Zwischenphase) und die Zeit der Realisierung (Durchführungsphase).18 Die Zeitspanne, die von dem Zeitpunkt, zu dem der Arbeitgeber zum ersten Mal den Betriebsrat einschalten müsste, bis zu dem Zeitpunkt reicht, an dem eine Beteiligung ihren Sinn verliert, wird hier als Beteiligungslage bezeichnet. Sie besteht bei anlassbezogener Beteiligung nur vor der Durchführung der Maßnahme.
II. Das Vorher der Beteiligung Im Folgenden geht es darum, eine verallgemeinerungsfähige, zeitliche Vorgabe aus den Beteiligungsrechten abzuleiten: Sowohl Mitwirkung als auch Mitbestimmung haben im Vorfeld der beteiligungspflichtigen Maßnahme stattzufinden. Dieses „Vorher“ wohnt allen Beteiligungsrechten inne. Zum Teil wird auch vom Grundprinzip der vorherigen Konsultation gesprochen.19 Das Anterioritätsprinzip löst die einzelnen Beteiligungstatbestände aus einem abstrakten Verständnis von Beteiligung und Durchführung einer Maßnahme heraus und verbindet diese Elemente in einem Prinzip. Es zieht sich von § 80 bis § 111 BetrVG durch alle Beteiligungsrechte.
17 18 19
Vgl. MünchArbR-von Hoyningen-Huene § 214 Rn. 1 ff. Zu diesen Begrifflichkeiten: Langner/Widhammer, NZA 2011, 430 (430). Kohte, FS Richardi, 601 (615).
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2. Kap.: Die Unterlassungsansprüche des Betriebsrats
1. Die zeitliche Struktur der Beteiligungsrechte Bei den Mitbestimmungsrechten (Bsp.: §§ 87, 91, 98 BetrVG) ergibt sich die zeitliche Reihenfolge von Beteiligung und Durchführung aus der Theorie der notwendigen Mitbestimmung.20 Das Bundesarbeitsgericht hat mehrmals betont, dass die Zustimmung im Rahmen des § 87 BetrVG vorher eingeholt werden muss.21 Richtigerweise kann eine nachträgliche Genehmigung das Verfahren nicht heilen.22 Im Rahmen der Zustimmungsverweigerungsrechte (Vgl. §§ 94, 95 oder 99 BetrVG) ist ebenfalls anerkannt, dass die Einholung der Zustimmung vorab erfolgen muss.23 Das folgt bei § 99 Abs. 1 BetrVG unmittelbar aus dem Wortlaut der Norm. Auch bei § 99 Abs. 3 BetrVG tritt dies zutage. Nach Einholung der Zustimmung beträgt der Zeitraum der vorherigen Beteiligung zumindest eine Woche. Sobald die Zustimmung als erteilt gilt, endet dieser Zeitraum. Auch bei den weniger starken Beteiligungsrechten wirkt dieses Prinzip. Es ist in der allgemeinen Norm des § 80 Abs. 2 BetrVG durch die „rechtzeitige Unterrichtung“ verankert. Bei den Beratungsrechten (§§ 89, 90, 92, 96, 111 BetrVG u. v. m.) tritt es ebenfalls in der Forderung hervor, dass die Beteiligung rechtzeitig zu geschehen habe. Exemplarisch für diese Mitwirkungsrechte ist § 111 BetrVG hervorzuheben.24 In der Norm ist das Prinzip in der Vorgabe der „rechtzeitigen Unterrichtung“ und der Beratung über die „geplante Betriebsänderung“ enthalten. Über die rechtzeitige Beteiligung soll der Betriebsrat in die Lage versetzt werden, auf die Entscheidung Einfluss nehmen zu können. Das kann er aber nicht mehr, wenn die Entscheidung getroffen ist. Jedenfalls mit Durchführung der Maßnahme ist die Beratung damit nicht mehr rechtzeitig. Die Beratung muss aus diesem Grund noch in einem Stadium erfolgen, in dem die Maßnahme weder vollends noch teilweise verwirklicht wurde25 und der Umfang der Maßnahme noch nicht endgültig feststeht. Das Gesetz setzt gerade ein Planungsstadium voraus. Eine durchgeführte Maßnahme ist nicht mehr geplant, sondern realisiert. 20
Zur Theorie der notwendigen Mitbestimmung: S. 72. BAG, Beschluss vom 2.3.2004 – 1 AZR 271/03, EzA § 87 BetrVG 2001 betriebliche Lohngestaltung Nr. 4; Schaub-Koch, § 235 Rn. 12. 22 GK-Wiese, § 87 Rn. 100; zu § 98 noch S. 268. 23 GK-Kraft/Raab, § 99 Rn. 110; zu § 95 vgl. Richardi-Thüsing § 95 Rn. 45: „Zweck des Mitbestimmungsrechts ist es, zu verhindern, dass in die Richtlinie Merkmale aufgenommen werden, die . . .“ ausführlicher S. 82. 24 Ausführlicher: S. 123. 25 Zu § 111 BetrVG vgl. Schaub-Koch, § 244 Rn. 26. 21
D. Das Anterioritätsprinzip
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In § 90 Abs. 2 BetrVG wird die Rechtzeitigkeit der Beratung präzisiert. Nach der Norm muss diese derart („so rechtzeitig“) erfolgen, dass die Vorschläge und Bedenken des Betriebsrats bei der Planung Berücksichtigung finden können. Folgerichtig ist die Beteiligung zwingend in der Planungsphase durchzuführen.26 Schließlich durchzieht das Anterioritätsprinzip auch die Anhörungs- und Informationsrechte. So spricht § 102 Abs. 1 S. 1 BetrVG ausdrücklich davon, dass die Anhörung vor der Kündigung27 zu geschehen hat. Das Bundesarbeitsgericht hat dies dahin gehend präzisiert, dass die Beteiligung vor dem Ausspruch der Kündigung zu erfolgen hat; der Ausspruch wiederum ist erfolgt, wenn die Erklärung den Machtbereich des Arbeitgebers verlassen hat.28 Gerade bei den Informationsrechten wird die grundlegende Bedeutung des Anterioritätsprinzips deutlich. Wenn die Information nicht rechtzeitig, d. h. vorgelagert, geschieht, kann auch eine umfassende Information die Einflussnahme des Betriebsrats nicht gewährleisten. Im Rahmen des Informationsrechts muss die Unterrichtung also so früh stattfinden, dass der Betriebsrat noch prüfen kann, ob sich für ihn Aufgaben stellen und er hier tätig werden soll.29 Damit geht einher, dass der Betriebsrat überhaupt noch Einfluss auf die Maßnahme nehmen kann.30 Dieser kurze Überblick zeigt: Die Beteiligungsrechte enthalten eine nähere Beschreibung ihrer zeitlichen Komponente; sei es ausdrücklich mit den Tatbestandsmerkmalen rechtzeitig bzw. vor oder implizit über geplant. 2. Die Ausnahmen vom Anterioritätsprinzip Nicht nur die Ausgestaltung der jeweiligen Beteiligungsrechte spricht für die Existenz des Anterioritätsprinzips. Dieses Prinzip wird zudem durch seine Ausnahmen bestätigt. Das BetrVG regelt ausdrücklich, wann der Arbeitgeber vorläufig – d. h. ohne den Betriebsrat zu beteiligen – handeln kann. Dass nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts der 26
HaKo-Kohte, § 90 Rn. 18 f. Wlotzke/Preis-Preis, § 102 Rn. 31, auch zu weiteren Fällen. 28 BAG, Beschluss vom 13.11.1975 – 2 AZR 610/74, AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 7. 29 BAG, Beschluss vom 27.6.1989 – 1 ABR 19/88, AP § 80 BetrVG Nr. 37; BAG, Beschluss vom 17.5.1983 – 1 ABR 21/80, AP § 80 BetrVG 1972 Nr. 19; BAG, Beschluss vom 31.1.1989 – 1 ABR 72/87, AP § 80 BetrVG Nr. 33; RichardiThüsing, § 80 Rn. 53; MünchArbR-Matthes, § 237 Rn. 14 m. w. N. 30 Preis, S. 529. 27
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2. Kap.: Die Unterlassungsansprüche des Betriebsrats
Sozialplan auch nach Durchführung einer Betriebsänderung verhandelt werden kann,31 steht diesem Prinzip somit nicht entgegen. Beim Sozialplan geht es nicht um die Einflussnahme auf die Betriebsänderung, sondern um die Abmilderung der Nachteile. Gleiches gilt etwa im Fall von § 100 Abs. 1 BetrVG. Die Norm wäre überflüssig, wäre die Entscheidung nicht im Grundsatz an die vorherige Zustimmung gebunden. 3. Konklusion Die Verknüpfung von Beteiligung und Maßnahme durch ein Rechtsprinzip bedingt einen Paradigmenwechsel der Beteiligungsrechte. Geht man davon aus, dass das Treffen von Maßnahmen die Beratung nicht berührt und dass die Maßnahme der Einflussnahme auch noch nach ihrer Durchführung zugänglich ist, so umschreibt man einen Zustand, der einem ohne zeitliche Vorgabe entspricht. Dieses Verständnis würde das Tatbestandsmerkmal „rechtzeitig“ überflüssig machen. Der Gesetzgeber hat sich indes ausdrücklich für eine zeitliche Spezifikation und damit im Ergebnis für eine tatbestandsmäßige Verknüpfung entschieden, der durch die Aufnahme des Merkmals „verspätet“ in die Bußgeldvorschrift des § 121 BetrVG unterstrichen wird. Aus der Existenz der ansonsten obsoleten zeitlichen Tatbestandsmerkmale lässt sich eine Bindung an die Kategorie „Vorher“ ableiten.
III. Die Gewinnung des Rechtsprinzips Typisch für das Hervortreten von Prinzipien ist die mittelbare normative Verwirklichung.32 Das Rechtsprinzip der Anteriorität ergibt sich aus der Induktion des positiven Rechts.33 Im Falle des BetrVG schlägt sich dieses Prinzip in den Beteiligungsrechten selbst nieder. Enthält der Terminus „Beteiligungsrecht“ bereits eine Abstraktion der Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte, so lässt sich auch die zeitliche Dimension der Beteiligungsrechte als „vorhergehend“ verallgemeinern. Aus der Abstraktion der zeitlichen Dimension aller anlassbezogenen Beteiligungsrechte tritt daher das betriebsverfassungsrechtliche Prinzip hervor. Das Anterioritätsprinzip stellt somit die grundsätzliche Anforderung an die Ausgestaltung und Interpretation der Betriebsverfassung auf, zur Verwirklichung und Durchsetzung der Anteriorität geeignet zu sein.34
31 32 33 34
Dazu ausführlich unten S. 124 und 139 ff. Hierzu Penski, JZ 1989, 105 (107). Canaris, Lücken, S. 124; Bydlinski, Grundzüge, S. 73; Höpfner, S. 92. Hierzu allgemein: Penski, JZ 1989, 105 (107).
D. Das Anterioritätsprinzip
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IV. Die Bedeutung des Anterioritätsprinzips für das System der Beteiligungsrechte Mit der Anerkennung des Anterioritätsprinzip setzen die allgemeinen Wirkungen von Rechtsprinzipien ein. 1. Die Optimierung der ungeschriebenen Betriebsverfassung Prinzipien begründen Optimierungsgebote,35 sie sind in einem möglichst hohen Maß bei den Rechten zu realisieren, bei denen es angelegt ist. In der Terminologie von Rüthers36 kann man auch von einer Rechtsnorm des BetrVG sprechen – im Gegensatz zu den einfachen Rechtssätzen der §§ 1 ff. BetrVG. Für das Anterioritätsprinzip bedeutet dies zweierlei: Es legt die zeitliche Reihenfolge fest und verbindet diese Reihenfolge mit einem Imperativ. Die Beteiligung muss vor der Durchführung stattfinden. Aus der Eigenschaft als Rechtsprinzip und der Herleitung aus den Beteiligungsrechten selbst folgen die umfassende Geltung in der Betriebsverfassung und die Berücksichtigung auf allen Ebenen der Betriebsverfassung.37 Aus diesem Grund entfaltet das Anterioritätsprinzip auch Wirkung, wenn es nicht um die Erfüllung der Beteiligung, sondern um die Vereitelung geht. Es setzt normativ den Zustand der vorherigen Beteiligung voraus. Damit korrespondiert das Unterbleiben der Maßnahme ohne vorherige Beteiligung. Hieraus ist die Anforderung an die Handlungsweise des Arbeitgebers abzuleiten. Der Arbeitgeber kann aus der Formulierung „rechtzeitig“ im Grundsatz die Anordnung ableiten, mit der Durchführung der Maßnahme zu warten, wenn er bislang den Betriebsrat nicht beteiligt hat: In dem Moment, in dem er die Maßnahme durchführen will, trifft das Recht für ihn eine andere Handlungsanordnung: er soll zunächst beteiligen. Im Umkehrschluss muss er daher die Maßnahme unterlassen. Genau hier befindet sich das tiefere dogmatische Fundament des Unterlassungsanspruchs im BetrVG. 2. Die Konkordanz zu anderen Prinzipien Gleichzeitig muss das Anterioritätsprinzip in Konkordanz zu den übrigen Prinzipien der Rechtsordnung bzw. des BetrVG gesetzt werden; die betrof35 Grundlegend: Alexy, TdG, S. 75; Alexy, in: Alexy/Koch/Kuhlen/Rüßmann, 217 (223 f.). 36 Rüthers/Fischer/Birk Rn. 92, insoweit zeigt sich hier die Verkörperung der Rechtsnorm in den Rechtssätzen. 37 Zur Reichweite eines Prinzips: Eidenmüller, S. 465 f.
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2. Kap.: Die Unterlassungsansprüche des Betriebsrats
fenen Prinzipien sind gegeneinander abzuwägen.38 Allerdings existiert nach der Rechtsprechung des BAG und der herrschenden Meinung in der arbeitsrechtlichen Literatur kein umfassendes Prinzip der Freiheit des Arbeitgebers bei der beteiligungspflichtigen Entscheidung und einer damit einhergehenden immanenten Schranke der Mitbestimmung des Betriebsrats.39 Die Frage, inwieweit die Freiheit des Arbeitgebers zurückgedrängt wird oder zu akzentuieren ist, ist anhand der Reichweite jedes einzelnen Rechts und der daraus resultierenden Wertung zu beantworten. Kann man aus einem Beteiligungsrecht ein lokales Prinzip der Arbeitgeberfreiheit herleiten, dann müsste dieses in die Abwägung mit hineinfließen. Diese vorrangige Wertung verdrängte bzw. beschränkte das Anterioritätsprinzip.
E. Der paritätische Unterlassungsanspruch bei § 87 BetrVG Die Sicherung des Mitbestimmungsrechts bei § 87 BetrVG ist der klassische Bezugspunkt der Kontroverse um den Unterlassungsanspruch. Bei § 87 BetrVG hat das Bundesarbeitsgericht der umfassenden Unternehmerfreiheit als immanenter Schranke des Beteiligungsrechts unter Zustimmung des Bundesverfassungsgerichts eine Absage erteilt.40 Geht man daher vom Anterioritätsprinzip aus, so stellt sich die Frage, worin die Rechtgrundlage eines Unterlassungsanspruchs zu sehen sein könnte.
I. Überblick über die Rechtsprechungsentwicklung Die Frage nach der Sicherung der Beteiligungsrechte über einen Unterlassungsanspruch tauchte vergleichsweise spät in der Rechtsprechung auf. Während mehrere Beschlüsse41 der 1970er- und frühen 1980er-Jahre einen Unterlassungsanspruch bejahten, kam es mit der personellen Neubesetzung 38
Alexy, in: Alexy/Koch/Kuhlen/Rüßmann, 217 (231). Grundlegend: BAG, Beschluss vom 31.8.1982 – 1 ABR 27/80, AP § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit Nr. 8; MünchArbR-Matthes, § 327 Rn. 46; FESTL, § 87 Rn. 5; GK-Kreutz, § 87 Rn. 144 ff.; a. A.: Lieb/Jacobs, Rn. 718. 40 BAG, Beschluss vom 31.8.1982 – 1 ABR 27/80, AP § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit Nr. 8: bestätigt durch BVerfG 18.12.1985 – 1 BvR 143/83, AP § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit Nr. 15. 41 BAG Beschluss vom 18.3.1977 – 1 ABR 54/74, AP § 37 BetrVG 1972 Nr. 27: „Dem Spruch der Einigungsstelle darf durch einseitige Maßnahmen nicht vorgegriffen werden.“ BAG, Beschluss vom 22.12.1980 – 1 ABR 2/79, DB 1981, 321 (325): „Er kann u. U. eine einstweilige Verfügung erwirken, die dem Arbeitgeber die Einführung von Kurzarbeit aus Rechtsgründen verbietet.“ BAG, Beschluss vom 8.6.1982 – 1 ABR 56/80, DB 1982, 2356 (2357): „[. . .] Das berechtigt den Betriebs39
E. Der paritätische Unterlassungsanspruch bei § 87 BetrVG
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des Ersten Senats des Bundesarbeitsgerichts am 22.2.1983 zu einer Rechtsprechungsänderung hin zur Ablehnung eines solchen Instituts unter Hinweis auf die abschließende Funktion des § 23 Abs. 3 BetrVG.42 Noch im selben Jahr schränkte das Gericht seine Argumentation und damit die Reichweite seiner Rechtsprechung ein, bestätigte indes seine Rechtsansicht.43 Ausdrücklich im BetrVG vorgesehene Ansprüche würden von § 23 Abs. 3 BetrVG nicht verdrängt.44 Zwischenzeitlich (1985) votierte der Sechste Senat des Bundesarbeitsgerichts gegen die Rechtsprechung des Ersten Senats und leitete einen Anspruch neben § 23 Abs. 3 aus dem Mitbestimmungsrecht selbst her.45 Die Kontroverse wurde wegen der Änderung des Geschäftsverteilungsplans nicht vor den Großen Senat gebracht. In der Folge verweigerten zahlreiche Landesarbeitsgerichte auch unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Sechsten Senats dem Ersten Senat die Gefolgschaft.46 Erst am 3.5.1994 bejahte der – wiederum neu zusammengesetzte – Erste Senat des Bundesarbeitsgerichts nach über zehn Jahren wieder einen allgemeinen Unterlassungsanspruch des Betriebsrats in sozialen Angelegenheiten.47 Trotz weiterer personeller Veränderungen wird der Unterlassungsanspruch bei § 87 BetrVG nunmehr in ständiger Rechtsprechung bejaht48, während § 23 Abs. 3 BetrVG als subsidiärer Auffangtatbestand genutzt wird.49
II. Die unterschiedlichen Begründungsansätze Der Unterlassungsanspruch ist nicht ausdrücklich im Betriebsverfassungsgesetz niedergeschrieben. Er ist durch die Rechtsprechung in die Rechtsordnung eingeführt worden. Die dogmatische Begründung wurde indes seit rat, die Unterlassung eines solchen zu verlangen. Er ist nicht darauf beschränkt, die Feststellung seines Mitbestimmungsrechts zu betreiben.“ 42 BAG Beschluss vom 22.2.1982 – 1 ABR 27/81, SAE 1984, 182. 43 BAG, Beschluss vom 17.5.1983 – 1 ABR 21/80, AP § 80 BetrVG 1972 Nr. 19: Danach sollte die grobe Pflichtverletzung nicht für Ansprüche, die auf Geld oder Vorlage von Unterlagen etc. gerichtet waren, gelten. 44 Zur Konkurrenz von § 23 Abs. 3 zu § 78 S. 1: BAG 12.11.1997 – 7 ABR 14/97, NZA 1998, 559. 45 BAG, Beschluss vom 18.4.1985 – 6 ABR 19/84, BAGE 48, 246 (250 ff.). 46 Zusammenfassend Kümpel, AiB 1983, 132 (138), und Kümpel, AuR 1985, 78 (84 ff.). 47 BAG, Beschluss vom 3.5.1994 – 1 ABR 24/93, NZA 1995, 40 ff. 48 aktuell: BAG, Beschluss vom 7.2.2012 – 1 ABR 63/10, NZA 2012, 685 (686). 49 BAG, Beschluss vom 18.5.2010 – 1 ABR 6/09, NZA 2010, 1433, 1435; BAG, Beschluss vom 7.2.2012 – 1 ABR 77/10, NZA-RR 2012, 359; Ahrendt NZA 2011, 774 (777).
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2. Kap.: Die Unterlassungsansprüche des Betriebsrats
Entdeckung des Problems sehr kontrovers diskutiert.50 Dabei wurde zu Beginn der Kontroverse sogar Art. 19 Abs. 4 GG eingespannt.51 1. Die grundsätzlichen Einwände gegen einen allgemeinen Unterlassungsanspruch Zunächst ist jedoch zu klären, ob grundsätzliche Einwände gegen einen allgemeinen Unterlassungsanspruch sprechen. a) Sperrwirkung des § 23 Abs. 352 In seiner ablehnenden Entscheidung vom 22.2.1983 nahm der Erste Senat des Bundesarbeitsgerichts an, § 23 Abs. 3 S. 1 BetrVG repräsentiere eine abschließende Sonderregelung, die weitere Unterlassungsansprüche bei betrieblichen Rechten und Pflichten sperre.53 § 23 Abs. 3 S. 1 sei ansonsten überflüssig, wenn schon ein Anspruch mit geringeren Voraussetzungen eine gleiche Rechtsfolge herbeiführen könne. In der Literatur wird diese Ansicht von einigen Autoren bis heute aufrechterhalten.54 Dieser Ansicht zufolge wird der grobe Verstoß zum Archimedischen Punkt der Rechtsdurchsetzung. Dass dies gleichwohl zu Problemen führt, erkannte der Erste Senat des Bundesarbeitsgerichts schnell nach Erlass seines ablehnenden Beschlusses und nahm die betriebsverfassungsrechtlichen Erfüllungsansprüche aus dem ausschließlichen Anwendungsbereich des § 23 Abs. 3 S. 1 BetrVG heraus.55 Auch in Bezug auf die Unterlassungsalternative sprechen die besseren Gründe dafür, dass die Norm nicht abschließend ist. In der Literatur wird hierfür der Wortlaut des § 23 Abs. 3 BetrVG angeführt. Es fehlten Wörter wie „nur“.56 Zudem wird auf die gesetzgeberische Spezifikation als Gene50 Den allgemeinen Unterlassungsanspruch lehnen z. B. ab: Walker, SAE 1995, 99 ff.; Dobberahn, NJW 1995, 1333 (1333 f.); Konzen, NZA 1995, 865 ff.; Adomeit, NJW 1995, 1004 (1005); vgl. die ausführliche Darstellung der Gegenargumente bei Raab, ZfA 1997, 183 (210 ff.). 51 Coen, DB 1984, 2459 (2461) hält die alte Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts schwer mit Art. 19 Abs. 4 GG vereinbar. Dagegen: Konzen/Rupp, DB 1984, 2695 (2698 f.). 52 Zu den Voraussetzungen einer Sperrwirkung ausführlich S. 135. 53 BAG, Beschluss vom 22.2.1983 – 1 ABR 27/81, NJW 1984, 196 (196); wohl grundlegend: Heinze, DB 1983, Beilage Nr. 9, S. 6 ff. 54 Evers, passim. m. w. N. 55 BAG, Beschluss vom 17.5.1983 – 1 ABR 21/80, AP § 80 BetrVG 1972 Nr. 19. 56 Trittin, BB 1984, 1169 (1170); Kümpel, AuR 1985, 78 (81).
E. Der paritätische Unterlassungsanspruch bei § 87 BetrVG
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ralklausel hingewiesen: § 23 Abs. 3 bestehe sogar ohne Wiederholungsgefahr und bezöge sich auch auf Pflichten, in denen anerkanntermaßen kein eigener Unterlassungsanspruch bestünde.57 Entscheidend gegen das abschließende Verständnis spricht ein Gedanke, den Dütz in die Diskussion eingebracht hat. Das abdrängende Verständnis bewirkt nämlich, dass wegen der einengenden Voraussetzung § 23 Abs. 3 BetrVG zu einer lex specialis würde und damit im Widerspruch zum gesetzgeberischen Entwurf stünde. Gerade historisch sollten 1972 die Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrecht ausgebaut und verstärkt werden.58 Eine mittelbare Beschränkung der Rechte war mit § 23 Abs. 3 BetrVG nicht bezweckt und würde der gesamten Zielrichtung59 des BetrVG 1972 widersprechen.60 Ebenso wie bei der Frage nach der Reichweite der Erfüllungsansprüche enthält § 23 Abs. 3 keine explizite Entscheidung über eine mit den Beteiligungsrechten verbundene Unterlassungsverpflichtung. Die Drucksachen sprechen zudem ausdrücklich von einer lex generalis.61 § 23 Abs. 3 BetrVG bezieht sich folglich auf alle Pflichten der Betriebsverfassung. Die Norm erfasst die Nichtdurchführung einer Betriebsvereinbarung (§ 77 Abs. 1 S. 1 BetrVG) ebenso wie das Erstatten des Berichts über das Personal- und Sozialwesen sowie die wirtschaftliche Lage und Entwicklung in der Betriebsversammlung (§ 43 Abs. 2 BetrVG); schließlich erfasst sie auch die Nichtbeteiligung des Betriebsrats. Eine wichtige Funktion der Norm ist mit diesem Punkt eng verbunden, denn § 23 Abs. 3 kann nicht einklagbare Pflichten zu Ansprüchen transformieren.62 Ferner ist ein abdrängendes Verständnis nicht mit der in der Norm enthaltenen Prozessstandschaft vereinbar.63 Indem das Einschreiten einer Gewerkschaft zur Sicherung der Rechte und Pflichten den Ausnahmefall bilden soll, wird ein von erhöhten Anforderungen befreites primäres Sicherungssystem der Rechte des Betriebsrats impliziert.64 Dieses System sollte nicht eingegrenzt, sondern ergänzt werden. Der Gesetzgeber hat damit einen allgemeinen Tatbestand geschaffen, der subsidiär die Verletzung der betriebsverfassungsrechtlichen Pflichten schüt57
Walker, SAE 1995, 99 (100). Bt.-Drs. VI/2729 S. 21. 59 FESTL Einl. Rn. 10 f. 60 Dütz, DB 1984, 115 (116). 61 Bt.-Drs. VI/2729 S. 21, auf S. 31 kommt zum Ausdruck, dass § 23 Abs. 3 BetrVG die Rechtsstellung des Betriebsrats ausbauen und stärken soll. 62 Konzen, S. 45. 63 Hierzu S. 116. 64 Sacher, S. 26. 58
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2. Kap.: Die Unterlassungsansprüche des Betriebsrats
zen soll.65 In dieser Eigenschaft vermag § 23 Abs. 3 BetrVG nicht die Besonderheiten jedes einzelnen Rechts aufzunehmen. § 23 Abs. 3 BetrVG stellt sich ferner den Wertungen und Grundsätzen aus anderen Normen oder Prinzipien nicht entgegen.66 Davon ausgehend, hat Konzen das Wesen des § 23 Abs. 3 BetrVG bislang am besten konturiert. Die Norm sei nicht auf die abschließende Regelung des Unterlassungsanspruchs gerichtet, sondern verkörpere einen Auffangtatbestand für ungeregelte Fälle und gewähre somit zusätzlichen Schutz.67 b) Sperrwirkung des § 2 Abs. 1 BetrVG In der jüngeren Literatur wird aus diesem Grund stärker auf das abschließende Zusammenspiel von § 2 Abs. 1 und § 23 Abs. 3 BetrVG abgestellt.68 Die Zubilligung des Unterlassungsanspruchs widerspreche dem Grundprinzip von Kompromiss und Kooperation. Aus § 2 Abs. 1 BetrVG folge, das streitige Thema außergerichtlich klären zu müssen. Gerichtlicher Schutz sei in diesem Fall allenfalls subsidiär. Der Konfliktlösung durch Verhandlung und Kooperation sei der Vorrang vor der „Konfrontation“ einzuräumen. Diese Konzeption erweist sich indes als praktisch und dogmatisch unbefriedigend. Sie verbindet den Unterlassungsanspruch unnötigerweise mit Konfrontation, ohne zu erkennen, dass hierin ein Element zugunsten der Beteiligung und zugunsten der Kooperation zu erblicken ist. Sie setzt zudem voraus, dass der Betriebsrat im Falle des rechtswidrigen Verhaltens des Arbeitgebers auf diesen zukommt. Stellte man nun allein hierauf ab, so würde man die vertrauensvolle Zusammenarbeit durch sich selbst schwächen. § 2 Abs. 1 BetrVG setzt beim regelgerechten Ausüben und Befolgen der Rechte und Pflichten ein und konturiert diese. Mit diesem Leitbild ließe sich ein einseitiges Ausschwingen des § 2 Abs. 1 BetrVG zugunsten des die Betriebsverfassung Missachtenden nicht in Einklang bringen. Die Konfliktlösungspflicht aus § 2 Abs. 1 BetrVG existiert zudem unabhängig von der Verpflichtung, die Maßnahme zu unterlassen und fügt sich problemlos in ein solches System ein. § 2 Abs. 1 BetrVG fungiert dann als 65
Anschaulich BAG, Beschluss vom 7.2.2012 – 1 ABR 77/10, EzA § 23 BetrVG 2001 Nr. 6, in dem es ausdrücklich nicht um einen paritätischen Unterlassungsanspruch geht. 66 Raab, Anm. zu BAG, Beschluss vom 3.5.1994 – 1 ABR 24/93, EzA § 23 1972 Nr. 36; zu den Prinzipien der Betriebsverfassung vgl. S. 40 und S. 107. 67 Grundlegend: Konzen, S. 39 ff.; Konzen, Anm. zu BAG, Beschluss vom 18.04.1985 – 6 ABR 19/84, EzA § 23 BetrVG Nr. 10; Konzen/Rupp, DB 1984, 2695 (2698); Konzen, NZA 1995, 865 (868). 68 Evers, S. 95 ff.
E. Der paritätische Unterlassungsanspruch bei § 87 BetrVG
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Rechtsausübungsschranke. Die Norm kann ihrerseits nämlich nur dann rechtliche Wirkung entfalten, wenn sie in ein Gerüst eingebettet ist, welches die auf sie folgende Beteiligung noch ermöglicht. Die Lösung des Konflikts muss im Einklang mit der zwingenden Natur der Beteiligung erfolgen. Die Entscheidung, ob der zur Beteiligung hin gewandte Betriebsrat oder nicht beteiligende Arbeitgeber in seinen Handlungsbefugnissen aus der Norm eingeschränkt werden muss, fällt mithin zugunsten der Beteiligung aus. Die Sperrwirkung des § 2 Abs. 1 BetrVG ist folglich abzulehnen, sie würde die Norm als Zentralwertung für Beteiligung und Dialog in diesem Punkt umwerten. c) Die Ausgestaltung des Sanktionssystems im BetrVG Einen systematischen Einwand hat Konzen gegen den Unterlassungsanspruch erhoben. Aus seiner Sicht sei das Schutzsystem abschließend und lasse insofern keinen Raum für einen allgemeinen Unterlassungsanspruch.69 Die erste Aussage ist bereits im Hinblick auf die undifferenzierte Rechtsfolgenregelung bei §§ 87 und 99 BetrVG vor dem Hintergrund des § 101 BetrVG nicht haltbar. Die Annahme ist zudem ungenau, sie setzt voraus, dass der Gesetzgeber alles geregelt hat, ohne die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass spezielle Implikationen aus den Normen heraus folgen könnten. Dafür fehlen in den Materialien hinreichende Anhaltspunkte. Die positive Kodifikation bildet bis heute eher eine bruchstückhafte Detailregelung als ein detailliertes Rechtsfolgensystem.70 Nach heute herrschender Ansicht ist das Gesamtkonzept nicht geeignet, aus sich heraus die Beachtung der Beteiligungsrechte zu gewährleisten.71 Richtigerweise müssen die oben bereits angesprochenen Vorgaben des Bundesarbeitsgerichts beachtet und somit für jedes Mitbestimmungsrecht gesondert dahin gehend geprüft werden, ob die Regelung der Bejahung eines Unterlassungsanspruch entgegensteht oder einen solchen Anspruch voraussetzt.
69 Konzen, S. 86 f.; Konzen/Rupp, DB 1984, 2695 (2698); S/W/S, § 23 Rn. 27; konkreter: Braun, FS Simon, 53 (70): „System“. 70 Sacher, S. 36; BAG, Beschluss vom 23.7.1996 – 1 ABR 13/96, NZA 1997, 274 (277). 71 Pohl, FS ARGE, 989 (989) – es kommt ja schon zu erheblichen Widersprüchen, zöge man den Umkehrschluss aus § 102 Abs. 1 S. 3 BetrVG. Dem folgt die Theorie der notwendigen Mitbestimmung auch nicht; ausführlich: Kümpel, AuR 1985, 78 (87).
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d) Die Einigung und die Einigungsstelle Der Abschluss einer Vereinbarung ist das Ziel der Mitbestimmung.72 Hierzu sieht das Gesetz das Beteiligungsverfahren und im Falle des Scheiterns das Einigungsstellenverfahren vor. Es stellt sich daher die Frage, ob das Einigungsstellenverfahren einen Unterlassungsanspruch verdrängt. Die Einigungsstelle verkörpert ein wesentliches Charakteristikum der Mitbestimmung. Allerdings legt die Formulierung des § 87 Abs. 1 S. 1 nicht nahe, dass das Einigungsstellenverfahren allein die Beteiligungsrechte sichert. Der gesetzliche Regelfall sieht keine konstante, sondern eine konfliktbezogene Bildung vor. Die erzwingbare73 Einigungsstelle wird allein zur Lösung eines Streits gebildet.74 Wenn der Arbeitgeber keine Dialogmöglichkeit gewährt und die Maßnahme einfach durchführt, läuft auch der inhaltliche Schutz durch die Existenz der Einigungsstelle leer.75 Genau diese soll aber nach der gesetzgeberischen Konzeption im Streitfall aktiv werden. Auf diese Weise würde der Arbeitgeber nicht nur die Beteiligung, sondern ebenfalls ein ihm vom Gesetzgeber auferlegtes, weiteres Verfahren bzw. einen Konfliktlösungsmechanismus unterlaufen. Ein Unterlassungsanspruch aus § 87 Abs. 1 BetrVG setzt demgegenüber genau an der gesetzgeberischen Vorstellung der Existenz dieses Verfahrens an und schützt die Existenz des Verfahrens bis hin zum Spruch der Einigungsstelle. Vor diesem systematischen Zusammenhang überzeugt es nicht, wegen der Möglichkeit, die Einigungsstelle anzurufen, einstweiligen Rechtsschutz zu verweigern.76 e) Die Realisierung des Beteiligungsrechts über den einstweiligen Rechtsschutz Weiter wird eingewandt, dass eine Sicherung der Beteiligung durch eine einstweilige Verfügung auf Beteiligung ausreichend sei.77 Im präventiven 72 Richardi-Richardi § 87 Rn. 7 m. w. N. zur Entwicklung; DKKW-Klebe § 87 Rn. 16. 73 Zur freiwilligen Bildung einer ständigen Einigungsstelle FESTL § 76 Rn 10; BAG, Beschluss vom 26.8.2008 – 1 ABR 16/07, NZA 2008, 1187. 74 Bt.-Drs. VI/2729, S. 10. 75 Leisten, BB 1992, 266 (272). 76 Vgl. etwa ArbG Bielefeld, Beschluss vom 16.7.1987 – 2 [5] BV Ga 10/87, DB 1987, 2663. Wenn diese Problematik vor dem Rechtschutzbedürfnis diskutiert wird, so ist dies verfehlt, weil durch die Unterlassung der Maßnahme nicht zugleich eine positive inhaltliche Gestaltung erreicht werden kann. 77 Ehrich, BB 1993, 356 (359); Joost, SAE 1985, 59 (61), unter Verweis auf praktische Probleme.
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Bereich laufen beide Institute zeitlich parallel, wenn noch keine Maßnahme getroffen wurde. Die Beteiligungsverfügung ist dabei näher an § 2 Abs. 1 BetrVG. Gleichwohl kann eine effektive Sicherung ausschließlich durch eine Untersagungsverfügung erreicht werden, da eine Beteiligungsverfügung den Arbeitgeber nicht daran hindert, vollendete Tatsachen zu schaffen. Er kann die Maßnahme immer noch treffen. Zudem verlieren die Beteiligungsrechte ihren Sinn, sobald die Maßnahme durchgeführt wurde.78 Der einstweiligen Verfügung auf Beteiligung kann somit die Grundlage abhandenkommen. Die Ausrichtung des einstweiligen Rechtsschutzes und der Zwangsvollstreckung an den Ansprüchen spricht ebenfalls dagegen. Den problematischen Fall kann allein die Untersagungsverfügung gemäß § 890 ZPO verhindern – die Durchführungsverfügung sowie § 888 ZPO regeln ihn nicht. Richtigerweise ist die zusätzliche Antragstellung auf Beteiligung bei Unterlassung der einzuschlagende Weg. f) Zwischenergebnis Somit besteht kein Grund, einen Unterlassungsanspruch aus systematischen Gründen abzulehnen. 2. Die verschiedenen Begründungsansätze eines paritätischen Unterlassungsanspruchs Bei der Herleitung des Unterlassungsanspruchs legte die Wissenschaft ihr Hauptaugenmerk auf das Mitbestimmungsrecht in sozialen Angelegenheiten. Es wurden und werden mehrere Positionen vertreten: a) Die Schwäche eines unmittelbaren Rekurses auf § 1004 BGB Im älteren Schrifttum propagierten Autoren79 die Herleitung des allgemeinen Unterlassungsanspruchs über die Institute des quasi-negatorischen bzw. deliktischen Unterlassungsanspruchs aus §§ 1004 Abs. 1 S. 2, 861, 12 BGB analog. Dies erfordert die Klärung der Frage, wie ein Beteiligungsrecht einzuordnen ist. Insofern kommt der quasi-negatorische Unterlassungsanspruch sowohl in seiner Funktion als Schutzinstrument der absoluten Rechte als auch zugunsten der deliktisch geschützten Rechte in Betracht. 78 79
Schulze, S. 114; Derleder, AuR 1995, 13 (17). Denck, RdA 1982, 279 (285); Trittin, DB 1984, 1169 (1173).
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aa) Absolute/subjektive Rechte (1) Beteiligungsrechte als absolute Rechte Absolute Rechte richten sich gegen jedermann, das relative Recht lediglich gegen eine bestimmte Anzahl von Personen.80 Weit überwiegend wird in den Beteiligungsrechten ein relatives Recht im Rahmen der Sonderverbindung des Betriebsverhältnisses gesehen.81 Ein Blick auf die Beteiligten der Betriebsverfassung macht eines deutlich: Die Allgemeinheit ist ausgeschlossen. Mitbestimmungsrechte werden nur in den bei ihnen genannten Angelegenheiten zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber relevant. Dennoch finden sich Autoren, die eine absolute Natur annehmen. So soll aus § 78 BetrVG die Ausschließungsmöglichkeit gegenüber jedermann folgen.82 § 78 S. 1 BetrVG statuiert u. a. ein Störungs- und Behinderungsverbot bzgl. der Tätigkeit des Betriebsrats. Auch wenn § 78 BetrVG lediglich das einzelne Mitglied nennt, so ist doch zugleich der Betriebsrat geschützt: Die Behinderung nur eines Mitglieds in seiner Amtstätigkeit behindert zugleich die Institution Betriebsrat.83 Die ganz herrschende Meinung bejaht aus dieser Norm Rechtschutz gegen Behinderung und Benachteiligung in Form eines Unterlassungsanspruchs,84 auch wenn § 78 BetrVG keine so klare Rechtsfolgenanordnung wie § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB enthält.85 Das Verbot betrifft jedermann (auch jede außerbetriebliche Stelle86) und geht sogar so weit, dass der Anspruch eines Mitglieds gegen den gesamten Betriebsrat bestehen kann.87 Der Adressatenkreis dieses Verbots legt augenscheinlich einen absoluten Schutz nahe. Indes dringt diese Konzeption nicht umfassend durch. Geschützt ist die ordnungsgemäße und pflichtgemäße Betätigung.88 § 78 BetrVG sichert allerdings einzig die Amtsausübung und nicht den Rechtebestand gegenüber allen anderen. Die Norm sichert Handlungen im Beteiligungsverfahren, jedoch nicht das Beteiligungsverfahren
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Hübner, AT, Rn. 355 ff. Vgl. nur Raab, ZfA 1997, 183 (193 f.). 82 Trittin, BB 1984, 1169 (1173); DKKW-Buschmann, § 78 Rn. 11; zur herrschenden Gegenmeinung: Gamillscheg, S. 756. 83 Richardi-Thüsing, § 78 Rn. 8; GK-Kreutz, § 78 Rn. 6. 84 BAG, Beschluss vom 12.11.1997 – 7 ABR 14/97, NZA 1998, 559. 85 Raab, S. 94; GK-Kreutz, § 78 Rn. 31; a. A.: Heinze, BB 1983; Beil 9, S. 15 f.; Konzen, S. 65; wohl auch Richardi-Thüsing § 78 Rn. 37; vgl. aber Rn. 34, dann dürfte jedenfalls ein deliktischer Unterlassungsanspruch in Betracht kommen. 86 FESTL, § 78 Rn. 7. 87 Richardi-Thüsing, § 78 Rn. 11. 88 Richardi-Thüsing, § 78 Rn. 13. 81
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insgesamt.89 Die Beteiligungsrechte werden dadurch nicht zu absoluten Rechten. Einen anderen Ansatz verfolgt Kümpel. Er unterstellt das Mitbestimmungsrecht dem gleichen Schutz, welchen das Recht aus dem eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb genießt.90 Zur Begründung zieht er die gesetzgeberische Verleihung heran. Dieser Ansatz ist in seinem Paritätsbestreben verständlich. Er kann indes nicht den strukturellen Unterschied ausräumen, dass der Gewerbebetrieb91 einer unvorhersehbaren Zahl potenzieller Gefahren von außen ausgesetzt sein kann, während der Betriebsrat den Bestand seiner Rechte einzig gegenüber dem Arbeitgeber einbüßen kann und diese Rechte auch ausschließlich in diesem Verhältnis zu respektieren sind. Mitbestimmung bedeutet zwar Gleichberechtigung, aber dennoch keine formal-juristische Rechtsparität erga omnes. Die Gleichheit verwirklicht sich nur im Verhältnis des Rechts zum Arbeitgeber. Schließlich führt Trittin92 an, das Mitbestimmungsrecht vermittle eine kraft Gesetz zugewiesene Rechtsstellung, durch welche die Freiheit des Betriebsrats zur Willensbildung und betätigung geschützt werde. Damit will er eine Brücke zur „geschützten Freiheit der Willensbetätigung“ schlagen. Die Willensbetätigung ist aber nach herrschender Meinung nicht unter den Begriff der Freiheit i. S. d. § 823 BGB zu fassen, da § 823 Abs. 1 BGB anderenfalls umfassenden Vermögensschutz gewähren würde.93 Die Beteiligung repräsentiert lediglich eine konkretisierte Willensbildung des Betriebsrats. Auch diese Willensbildung ist einzig vom Arbeitgeber zu beachten. Für Außenstehende besitzt sie keine unmittelbare Bedeutung. Die Beteiligungsrechte und insbesondere die Mitbestimmungsrechte begründen keine absoluten Rechte des Betriebsrats. (2) Beteiligungsrechte als subjektive Rechte Nach den eingangs erläuterten Grundsätzen kann die Kategorie des subjektiven Rechts allein keine Relevanz für den negatorischen Privatrechtsschutz aufweisen. Dessen ungeachtet finden sich – nicht nur innerhalb der 89
Dazu noch S. 66. Kümpel, AiB 1983, 132 (136). 91 Ausführlich: MünchKomm-Wagner, § 823 Rn. 187, mit umfangreichen Nachweisen zur Kritik ab Rn. 189. 92 DKKW-Trittin, § 23 Rn. 342, ähnlich: Kümpel, AiB 1983, 132 (136), nach dessen Konzeption die Einbuße an Freiheit des Arbeitgebers durch die Statuierung des Mitbestimmungsrechts den Schutz der damit eingeräumten Freiheit auf der Betriebsratsseite zur Folge hat. 93 MünchKomm-Wagner, § 823 Rn. 99 m. w. N. 90
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Rechtsusurpationstheorie – Autoren, die den negatorischen Rechtsschutz allein an das subjektive Recht koppeln.94 Der eigentliche Begriff des subjektiven Rechts ist historisch gewachsen und vom Begriff des Rechts eines Subjekts zu unterscheiden. In der Terminologie wird diesbezüglich nicht immer sauber unterschieden, sodass das subjektive Recht sowohl eine besondere Rechtsposition umschreiben oder einfache Ansprüche charakterisieren kann. Der historische Begriff ist aber nicht mit dem des Anspruchs identisch.95 (a) Die Fassung des Begriffs des subjektiven Rechts Die Fassung des Begriffs des subjektiven Rechts war zurzeit der Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuchs umstritten.96 Man versuchte v. a. auf dem Wege einer Begriffsbestimmung die Grenzen des Rechts und damit die Grenzen der Rechtsausübung zu konturieren. Windscheid und später Kipp97 fassten das subjektive Recht als von der Rechtsordnung verliehene Willensmacht oder Willensherrschaft auf: Der Berechtigte könne seinen Willen hinsichtlich des Rechts frei entfalten. Ihering98 betonte den Zweck der Machtverleihung. Er fasste das subjektive Recht als die rechtliche Einräumung einer Befriedungsmöglichkeit rechtlich geschützten Interesses auf. Keiner dieser beiden Ansätze hat sich durchzusetzen vermocht. Von der heute herrschenden Meinung werden beide Ansätze miteinander verknüpft (sog. Kombinationstheorie). Die aktuelle Literatur sieht im subjektiven Recht eine Zuweisung einer Rechtsstellung an ein bestimmtes Rechtssubjekt, von der aus der Einzelne seine schutzwürdigen Interessen verfolgen kann.99 Das subjektive Recht ist folglich durch die Zuweisung einer Verhaltensberechtigung gekennzeichnet.100 94 Lobinger, ZfA 2004, 101 (126); Salje, DB 1988, 909 (911); Picker, FS Gernhuber, 315 (339). 95 Zu den zwei Bedeutungen: Röhl/Röhl § 44 I 1: „[. . .] konkreter klagbarer Anspruch und als primäres Recht im Sinne einer Quelle solcher Ansprüche [. . .]“; zu dieser Unterscheidung schon Windscheid, S. 130: „Vom Recht im Sinne von Berechtigung spricht man in doppelter Bedeutung.“ 96 Man muss dazu nur die Nachweise bei Windscheid/Kipp, S. 131 Fn. 3, vergleichen; einen ausführlichen Überblick über die Entwicklung des subjektiven Rechts bietet Coing, S. 241 ff. 97 Windscheid/Kipp, S. 131. 98 Ihering, S. 328. 99 Köhler, AT, § 17 Rn. 5: die dem Einzelnen verliehene Rechtsmacht zur Befriedigung bestimmter Interessen; auch Richardi, FS Wlotzke, 407 (424); Jellinek, Verwaltungsrecht, § 9 IV 1 (S. 201). 100 Bork, AT, Rn. 281; Medicus, AT, Rn. 61.
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Der begrifflichen Diskussion haben insbesondere Coing und Raiser ein Ende gesetzt. Coing konstatierte, dass das Privatrecht nicht ausschließlich als ein System subjektiver Rechte verstanden werden könne. Im Gedanken des subjektiven Rechts werde (nur) die Natur des Privatrechts als ein Recht der voneinander unabhängigen, nach ihren eigenen Entschlüssen handelnden Personen („Rechtsgenossen“) artikuliert.101 Raiser betonte, dass die Bedeutung des subjektiven Rechts in der Rechtspraxis zugunsten eines pragmatische(re)n Rechtsverständnisses nachgelassen habe.102 (b) Ansätze in der Literatur Es fällt nicht leicht, die Beteiligungsrechte des Betriebsrats bereits im Hinblick auf die Amtsausübung des Betriebsrats als eine freiheitsgetragene juristische Position anzuerkennen. Deutlich ist das Gegenüber von Betriebsrat und Arbeitgeber innerhalb der Betriebsverfassung. Klar ist ferner, dass die Beteiligungsrechte Positionen verschaffen, die zu erfüllen, einklagbar und im Falle des Mitbestimmungsrechts zusätzlich durch das besondere Instrument der Einigungsstelle durchsetzbar sind. In der Literatur findet sich nicht zuletzt deshalb die Bejahung der subjektiv-rechtlichen Qualität.103 Andererseits existieren gerade in jüngerer Zeit differenzierte Entwürfe. So fasst Lobinger nur einige Beteiligungsrechte als subjektive Rechte auf.104 Für ihn ist entscheidend, dass der Betriebsrat eine privilegierte Position einnimmt, indem er ein Mehr an Freiheit als jeder andere innehat. Darüber hinaus leitet Lobinger den subjektiv-rechtlichen Charakter von der unternehmerischen Freiheit ab. Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats hat seiner Meinung nach seinen Ursprung in den Rechten des Arbeitgebers. Dem Betriebsrat seien diese Befugnisse überwiesen, aber erst auf der Rechtausübungsebene relevant, sodass der Arbeitgeber alleiniger Rechtsinhaber bleibe. Das Mehr an Freiheit einer bestimmten Rechtsrelation sei kennzeichnend für solche privilegierte Positionen, ebenso der Zusammenhang mit den dadurch beschränkten Handlungsmöglichkeiten. In der Literatur mangelt es nicht an Gegenentwürfen. So sei ein Beteiligungsrecht kein subjektives Recht, sondern eine Berechtigung, zum Schutz des Arbeitnehmers durch Ausübung des jeweiligen Beteiligungsrechts mitgestaltend tätig zu werden.105 Letztlich spreche die Feststellung als Verfah101
Coing/Lawson/Grönfors, S. 22. Raiser, JZ 1961, 465 (465 f.). 103 Andres, Anmerkung zu LAG Düsseldorf vom 19. November 1996 – 8 TaBV 80/96, LAGE, § 111 BetrVG 1972, Nr. 14; wohl auch: Prütting, RdA 1995, 257 (261). 104 Lobinger, ZfA 2004, 101 (126 ff.). 105 GMPMG-Matthes § 85 Rn. 37. 102
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rensbeteiligung ohne gesichertes Verhandlungsergebnis106 nicht für die Einordnung als subjektives Recht. (c) Subsumtion mithilfe der Kombinationslehre Unter Zugrundelegung der Kombinationstheorie bejaht vor allem Salje ein subjektives Recht.107 Als Ansatzpunkt der Kombinationslehre fungieren für ihn die Interessen. Diese bestehen bei den einzelnen Arbeitnehmern sowie bei der Belegschaft – sehr plastisch wird dies in § 99 BetrVG, der beiden Interessen „Schutz“ durch den Betriebsrat gewährt.108 Indessen ist ein schützenswertes originäres Interesse des Betriebsrats nur insofern auszumachen, als dieser korrekt seine Pflichten aus dem BetrVG erfüllen kann. Sein Interesse ist auf die Rechtsausübung und -durchsetzung gerichtet. Die Beteiligungsrechte des Betriebsverfassungsrechts gewähren dabei „Pflichtenrechte“:109 Der Betriebsrat ist Zuordnungssubjekt für diese Rechte. Er ist aber zugleich Pflichtenadressat, da er sein Amt ordnungsgemäß zu erfüllen hat.110 Ein reines Pflichteninteresse hatte Ihering aber wohl nicht im Sinne, als er „Genuss“ zentrierte.111 Die Diskussion um die hinter den Beteiligungsrechten stehenden Interessen ist letztlich unergiebig. Die Qualifikation scheitert an dem weiteren Kriterium der Willensmacht. Entscheidend ist nämlich, dass das Recht disponibel sein muss. Es stellt ein Wesensmerkmal des subjektiven Rechts dar, auf dieses verzichten zu können,112 also das „Ob“ der Ausübung dem Willen zu unterwerfen. Das Bundesarbeitsgericht und die ganz herrschende Literatur vertreten aber die Überzeugung, dass der Betriebsrat nicht einfach, d. h. ohne Grund, auf seine Rechte verzichten kann bzw. darf.113 Ein Verzicht 106
Derleder, AuR 1995, 13 (14). Salje, DB 1988, 909 (911). 108 Sehr ausführlich zur Verteilung im Rahmen von § 99 BetrVG: Sacher, S. 6. 109 Ebenso Richardi-Thüsing, § 23 Rn. 4; Richardi-Richardi, Einl. Rn. 109; Konzen S. 28. 110 BAG, Beschluss vom 29.07.1982 – 6 ABR 41/79 = juris; ArbG Berlin, Beschluss vom 10.01.2007 – 76 BV 16593/06 = juris. 111 Ihering, S. 337, Ihering versteht diesen Begriff auf S. 327 f. als faktisches Interesse und lädt ihn durch die individuellen Rechtsgüter Persönlichkeit, Freiheit, Ehre etc. auf. 112 So auch Röhl/Röhl, § 46 V. 113 BAG, Urteil vom 26.4.2005 – 1 AZR 76/04, NZA 2005, 892 (893); Wlotzke/ Preis-Bender, § 87 Rn. 3; DKKW-Klebe, § 87 Rn. 49; FESTL, § 87 Rn. 4; GKWiese, § 87 Rn. 5; E. Schmidt, S. 144. Diese These darf indes nicht dazu führen, die Betriebspraxis unnötig zu verkomplizieren; daraus resultieren ferner zahlreiche Ausnahmen im Kleinen, vgl. E. Schmidt, S. 144 ff. 107
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kann dabei weder vereinbart noch erklärt werden. Das faktische Nichtausüben ist wegen der Pflicht zur ordnungsgemäßen Amtserfüllung nicht von der dem Betriebsrat zustehenden Rechtsstellung gedeckt. Den totalen, nicht mitbestimmungsrechtlich kompensierten Verzicht hält das Bundesarbeitsgericht aus diesem Grund zu Recht für unzulässig.114 Joussen führt den insoweit klaren Imperativ „hat mitzubestimmen“ als Argument gegen den Totalverzicht ins Feld.115 Darüber hinaus hat sich eine diffizile und notwendige Praxis der Verhandlung entwickelt, wobei das Bundesarbeitsgericht stets betont, dass die Substanz des Mitbestimmungsrechts vom Verzicht unberührt bleiben müsse.116 Damit steht fest, dass die Beteiligungsrechte des Betriebsverfassungsrechts mit dem historischen Begriff des subjektiven Rechts nicht sachgerecht zu erfassen sind. Das Betriebsverfassungsrecht verfährt bei der Zuweisung der Rechte nicht in den Dimensionen des subjektiven Rechts. Vielmehr handelt es sich um eine Berechtigung in einem Verfahren zur Ausübung der subjektiven Rechte des Arbeitgebers oder gemeinsamer Kompetenzen.117 (3) Fazit Die dem Betriebsrat verliehene Rechtsstellung ist nicht subjektiv-rechtlich und auch nicht absolut. Es erweist sich als unmöglich, über die Rechtsqualität einen quasi-negatorischen Rechtsschutz zu begründen. bb) Schutznormen Damit verbleibt letztlich die Möglichkeit, in den Normen des Betriebsverfassungsrechts Schutzgesetze i. S. v. § 823 Abs. 2 BGB zu sehen. Eine solche Rechtsnorm muss Ge- oder Verbotscharakter besitzen.118 Voraussetzung hierfür ist, dass eine Schutznorm Individualschutz gewährt.119 Der 114 BAG, Beschluss vom 14.2.1967 – 1 ABR 6/66, AP § 56 BetrVG 1952 Wohlfahrtseinrichtungen Nr. 9; BAG, 21.9.1993 – 1 ABR 16/93, AP § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit zu § 87 BetrVG (für Tarifparteien); HaKo-BetrVG-Kohte, § 87 Rn. 17. 115 Joussen, RdA 2005, 31 (36). 116 BAG Urteil vom 26.4.2005 – 1 AZR 76/04, AP § 87 BetrVG 1972 Nr. 12 m. w. N.; ausführlich: Schmidt Verzicht, S. 144 ff.; Joussen, RdA 2005, 31 (33), teilt in unmittelbaren und indirekten Verzicht ein. 117 Kümpel, ArbuR 1985, 78 (91); Raab, ZfA 1997, 183 (194); Bengelsdorf, SAE 1996, 139 (143). 118 Soergel-Spickhoff, § 823 Rn. 195. 119 BGH, Beschluss vom 9.10.2003 – 2 BvR 1497/03, NJW 2004, 356 (357).
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Schutz des Einzelnen als bloßer Rechtsreflex wird nicht erfasst. Zudem muss das Schutzgesetz nach der Vorstellung des Gesetzgebers aus Wertungsgesichtspunkten gerade die zu unterlassende Handlung verbieten.120 Die herrschende Meinung verneint indes den Schutznormcharakter aus systematischen Gründen. So seien die Normen §§ 78 S. 2, 79, 82 BetrVG ihrerseits bereits Schutzgesetze.121 Das überzeugt nicht. Die Schutzrichtung für eine behinderungsfreie Amtserledigung wird explizit in der Norm hervorgehoben. Die „Doppelung“ des Rechtsschutzes über die Schutznormen des § 823 Abs. 2 BGB ist zudem unproblematisch möglich. Es ist also grundsätzlich denkbar, auf § 119 BetrVG zurückzugreifen. Aus §§ 1004, 823 Abs. 2 BGB, 119 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG kann jedoch kein umfassender allgemeiner Unterlassungsanspruch des Betriebsrats hergeleitet werden. Die Verletzung eines Schutzgesetzes setzt im Falle einer Strafnorm die Vollendung des objektiven und subjektiven Tatbestands voraus.122 Aus § 15 StGB ergibt sich folglich, dass ein Rechtsschutz über §§ 1004, 823 Abs. 2 BGB nur ein vorsätzliches Durchführen einer beteiligungspflichtigen Maßnahme verhindern könnte. Um darüber hinaus einen allgemeinen Unterlassungsanspruch zu gewinnen, wurden §§ 87 und 78 BetrVG als Schutznormen eingespannt. So erblickte Salje123 in § 87 BetrVG ein Schutzgesetz. Dabei billigte er § 87 BetrVG einen doppelten Schutzzweck zu: Schutz des einzelnen Arbeitnehmers vor einseitigen und nachteiligen Maßnahmen des Arbeitgebers und Schutz des Betriebsrats. Dieser könne nämlich seine Aufgaben nicht erfüllen, wenn die Ausübung seiner Rechte nicht durch § 87 BetrVG geschützt werde. Dieses Element macht deutlich, wie sehr die Schutzgesetzqualität von einer autonomen Findung eines Unterlassungsgebotes in der Norm abhängig ist. Denn ohne eine Fundierung in der Norm kann auch § 823 Abs. 2 BGB nicht über § 87 BetrVG Schutz vermitteln. Besitzt § 87 BetrVG diese Schutzdimension, so spricht bereits vieles für eine Herleitung des Unterlassungsanspruchs unmittelbar aus dem Wortlaut der Vorschrift. Insoweit ist ein Rekurs auf §§ 1004, 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 87 BetrVG dann überflüssig und böte allenfalls eine zusätzliche Möglichkeit. In die gleiche Richtung geht auch die Akzentuierung des § 78 BetrVG. In der Literatur hat sich Dütz124 mit seiner Ausarbeitung zur Qualifikation des § 78 BetrVG als Schutzgesetz hervorgetan. Nach den Ausführungen zu § 87 120
Kohte, JurA 1988, 125 (128 u. 131). Richardi-Annuß, Vorbem. §§ 119 ff. Rn. 2; Wlotzke/Preis-Preis, § 119 Rn. 2. 122 St. Rspr.: BGH, Urteil vom 29.4.1966 – V ZR 147/63, BGHZ 46, 17 (21) m. w. N.; Palandt-Sprau, § 823 Rn. 60; Kohte, JurA 1988, 125 (131). 123 Salje, DB 1988, 909 (913). 124 Dazu noch S. 66. 121
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BetrVG kann § 78 BetrVG allein dann der spezifische Schutznormcharakter zugesprochen werden, wenn die Norm aus sich heraus vor der Durchführung der Maßnahme schützen will. Wiese die Norm diesen Charakter auf, diente § 78 BetrVG wiederum als taugliche Anspruchsgrundlage. cc) Ergebnis Eine autonome Ausrichtung an den hergebrachten Lehren des allgemeinen Zivilrechts scheitert. Zöllner hat hierzu angemerkt, dass eine Orientierung an § 1004 BGB „gänzlich schief“ sei.125 b) Der Ausbau des § 1004 BGB Wie soeben dar- und klargestellt, kann der in § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB enthaltene quasi-negatorische Unterlassungsanspruch nach klassischer Auffassung kein adäquates Sicherungsmittel des Mitbestimmungsrechts bieten. Aus diesem Grund wurde im Kontext des Unterlassungsanspruchs des Betriebsrats eine Ausweitung des § 1004 BGB auf die Beteiligungsrechte diskutiert. So führte u. a. Prütting126 den Schutz der Mitbestimmung auf § 1004 BGB zurück. Dabei nahm er Bezug auf einen Beschluss des Landesarbeitsgerichts Berlin127, der eine Parallele zu vergleichbaren rechtlichen Situationen aufzeigte, in denen mehrere Personen eine Handlungskompetenz gemeinsam innehätten. Dort bestünden nach ganz herrschender Ansicht Unterlassungsansprüche. c) Der Unterlassungsanspruch als allgemeines Rechtsprinzip Richardi128 begründet dagegen einen Unterlassungsanspruch aus allgemeinen Rechtsprinzipien. Für ihn bildet ein bzw. der Unterlassungsanspruch eine elementare Rechtsfigur,129 die sich aus der Rechtszuweisung an den Betriebsrat ergebe („selbstverständliche Konsequenz“), keiner 125
Zöllner, § 48 Abs. 3 S. 6. Prütting, RdA 1995, 257 (261); i. Erg. Pflüger, DB 1998, 2062 (2063); andeutend: Trittin, BB 1984, 1169 (1173). 127 LAG Berlin, Beschluss vom 7.9.1995 – 10 TaBV 5/95 u. 9/95, LAGE, § 111 BetrVG 1972, Nr. 13. 128 Richardi, NZA 1995, 8 (10); Richardi-Richardi, § 87 Rn. 139; Richardi, FS Wlotzke, 407 (413); Richardi, AP § 23 BetrVG 1972 Nr. 23; Thalhofer, S. 37: Anwendung eines Rechtsprinzips; Sacher, S. 75 ff.; Wenderoth, S. 62 ff.; Salje, DB 1988, 909 (911 f.); Seeberger, S. 145 ff.; Schwegler S. 207. 129 Richardi, NZA 1995, 8 (10). 126
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Grundlage im Gesetzestext bedürfe und aus der durch das Mitbestimmungsrecht eingeräumten Berechtigung resultiere. Plastisch wird dieses Verständnis, wenn man sich einen Rechtsverletzungs-Unterlassungsanspruch neben der positiven Rechtsordnung vorstellt, welcher in den positiven und speziellen Unterlassungsansprüchen des jeweiligen Rechtsgebietes zum Vorschein kommt. Als Fundament der meisten Vertreter dieser Ansicht dient die Rechtsusurpationstheorie.130 Doch dann stellt sich die Frage, wie der Arbeitgeber in den Mitbestimmungsfällen ein Stück Recht mehr innehaben kann, wenn doch in der Regel eine mitbestimmungswidrige Maßnahme unwirksam ist. Für Richardi gestaltet sich dies im Endeffekt unproblematisch, da er sein Gegenmodell zur Theorie der notwendigen Mitbestimmung anwendet, welches die Wirksamkeit der Regelung voraussetzt.131 Folglich hat der Arbeitgeber nach Durchführung der Maßnahme eine Position inne, die ihm nach der Rechtsordnung nicht zukäme, da die Maßnahme nur mit Zustimmung des Betriebsrats hätte getroffen werden könne. Soweit der Arbeitgeber eine Maßnahme lediglich mit Zustimmung des Betriebsrats treffen könne, beeinträchtigte er dessen Rechtsposition, wenn er die Maßnahme einseitig anordne.132 Für den Anwendungsbereich der Rechtsusurpationstheorie sei es – so Richardi – nicht notwendig, dass ein subjektives Recht vorliege, es reiche vielmehr eine Rechtsposition aus, die gesetzlich eingeräumt wurde.133 Aus diesen Grundlagen ergibt sich für diese Ansicht die Konsequenz, dass Mitwirkungsrechte nicht Gegenstand des Unterlassungsanspruchs sein können, da der Arbeitgeber in dieser Konstellation kein Stück Recht mehr innehaben könne. Die Kompetenzen würden durch die Mitwirkungsrechte nämlich nicht eingeschränkt. Die Entscheidungskompetenz verbleibe in der Sphäre des Arbeitgebers.134 Der Arbeitgeber könne seinen Willen durchsetzen, ohne fremde Befugnisse für sich zu beanspruchen. Eine Modifikation bzw. Spezifikation erfährt diese Ansicht in der jüngeren Literatur durch Lobinger. Den Ausgangspunkt seines dogmatischen Fundaments bildet das allgemeine Rechtsprinzip der Koinzidenz von 130 Richardi, FS Wlotzke, 407 (412 ff.); zu den Differenzierungen Thalhofer, S. 42 ff., welche in diesen Fällen keinen Unterlassungsanspruch bejaht. Hier offenbart sich die Schwierigkeit des Rekurses allein auf ein Rechtsprinzip – die Rigidität der Rechtsusurpationstheorie betrachtet nicht die Wertungen, sondern lediglich das Stück mehr, vgl. Thalhofer, S. 39. 131 Richardi, FS Wlotzke, 407 (421 f.). 132 Richardi, NZA 1995, 8 (10); Richardi-Richardi, § 87 Rn. 139: „So verletzt der Arbeitgeber ein dem Betriebsrat zugewiesenes Recht, wenn er die Maßnahme ohne dessen Zustimmung trifft.“ 133 Richardi, FS Wlotzke, 407 (414). 134 Richardi, FS Wlotzke, 407 (418); Thalhofer, S. 42.
E. Der paritätische Unterlassungsanspruch bei § 87 BetrVG
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Rechtszuweisung und negatorischem Schutz der zugewiesenen Rechtsposition.135 Die sachlichen Voraussetzungen des Unterlassungsanspruchs entnimmt Lobinger § 1004, 12 BGB analog, Rechtsgrundlage bleibe aber das Prinzip selbst.136 Dabei spannt er über das Beispiel des Eigentums und anderer Rechte in §§ 12, 1994, 1065, 1134, 1227 BGB den Bogen zu einem negatorischen Schutz des subjektiven Rechts. Daraus folge, dass die hinter der Betriebsratsbeteiligung stehende Rechtsposition und nicht die Beteiligungsart das entscheidende Kriterium sei; wegen der gleichen Schutzwürdigkeit sei zudem nicht zwischen absoluten und relativen Rechten zu differenzieren.137 Anders als die Vertreter der Rechtsusurpationstheorie kann Lobinger auch bei Beratungsrechten somit einen Unterlassungsanspruch über den Rekurs auf das identische Rechtsprinzip gewinnen.138 Die Konstruktion des Schutzes verläuft nach Lobinger anhand von drei Rechtstypen. Es müsse – in Konkretisierung der bundesarbeitsgerichtlichen Vorgaben zu den jeweiligen Beteiligungsrechten – danach differenziert werden, ob die Rechtsposition funktional betrachtet ein eigenes Recht des Betriebsrats darstelle. Liege eine solche Position nicht vor, so könne der Betriebsrat per se auch nicht die Unterlassung des Eingriffs in seinen Herrschaftsbereich verlangen.139 In den Fällen des Individualschutzes seien individualrechtliche Sicherungsmechanismen wie etwa die Unwirksamkeit die dogmatische Entsprechung.140 Sie schließen aber individuelle Unterlassungsansprüche nicht aus. Gerade im Falle der Unwirksamkeit erscheine der Unterlassungsanspruch in einem anderen Gewand. Aus der Position des Betriebsrats als Medium resultiere aus § 185 BGB analog die im eigenen Namen stattfindende Wahrnehmung materieller Arbeitnehmerrechte.141 Diese Konstruktion erfordere indes eine Ermächtigung des Betriebsrats in diesen Fällen. Letztlich differenziert Lobinger noch nach den Beteiligungsfällen, die allein im „betriebsöffentlichen“ Interesse bestehen.142 Als einen solchen Tatbestand fasst er § 74 Abs. 2 BetrVG auf. In diesem Fall könne ein Rückgriff auf das allgemeine Schutzprinzip mangels individueller Befugnisse nicht erfolgen. Eine Sicherung könne in diesen Fällen 135 Lobinger, ZfA 2004, 101, (122 u. 158); Lobinger, FS Richardi, 657 (663); Wenderoth, S. 62 ff.; Lobinger, RdA 2010, 76 (77). 136 Lobinger, ZfA 2004, 101 (158). 137 Lobinger, ZfA 2004, 101 (144 ff. u. 125). 138 Beispielhaft etwa zu § 111 BetrVG: Lobinger, FS Richardi, 657 passim. 139 Lobinger, ZfA 2004, 101 (148); Lobinger, FS Richardi, 657 (664). 140 Lobinger, ZfA 2004, 101 (159 ff.); beispielhaft für die individualrechtliche Fundierung eines Beteiligungsrechts: Lobinger, ZfA 2006, 173 passim. 141 Lobinger, ZfA 2004, 101 (162 ff.); ausführlicher zur Herleitung der Geltendmachung: Lobinger, FS Richardi, 657 (672 ff.). 142 Lobinger, ZfA 2004, 101 (165).
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ausschließlich über die artverwandten Sicherungsinstrumente der positiven Betriebsverfassung geschehen, wie etwa §§ 23, 98 Abs. 5, 101 BetrVG.143 In dieser Konstellation ist es für Lobinger dogmatisch möglich, Unterlassungsansprüche auch unterhalb der Schwelle des groben Verstoßes anzunehmen.144 d) Der Unterlassungsanspruch als negative Seite des Beteiligungsrechts Stärker an den Beteiligungsrechten orientiert ist die Ansicht, die Betriebsverfassung setze den Unterlassungsanspruch voraus.145 Der Unterlassungsanspruch wird nach dieser Auffassung durch die Beteiligungsrechte impliziert. Diese erforderten denknotwendig das Innehalten des Arbeitgebers. Teilweise verschwimmen die Grenzen zum Beteiligungsrecht, so leitete das LAG Hamm den Unterlassungsanspruch einmal unmittelbar aus dem Anspruch des § 111 BetrVG her.146 In diese Richtung – zugleich in der Nähe zu Prütting – argumentiert auch Pahle, wenn er anführt, dass das Privatrecht in den Fällen der gemeinsamen Handlungskompetenz grundsätzlich Unterlassungsansprüche anerkenne, ohne sie ausdrücklich zu nennen.147 e) Der Unterlassungsanspruch als Produkt einer Nebenpflicht aus § 2 Abs. 1 BetrVG Im Schuldrecht angesiedelt ist der Standpunkt, den Derleder148 in die Diskussion eingebracht hat. Seiner Meinung nach ist das Betriebsverhältnis ein gesetzliches Schuldverhältnis und somit seien auch die schuldrechtlichen Grundsätze zur Sicherung von Leistungspflichten anzuwenden. Als Hauptleistungsanspruch fungierten die Ansprüche auf Einschaltung der Einigungsstelle und auf Durchführung eines Einigungsstellenverfahrens. Der Unterlassungsanspruch folge dann aus einer Nebenleistungspflicht aus dem Schuldverhältnis. Dabei solle es sich hier um eine verfahrenssichernde Ne143
Lobinger, ZfA 2004, 101 (165 ff.). Lobinger, ZfA 2004, 101 (165 f.). 145 LAG Hamm Beschluss vom 28.8.2003 – 13 TaBV 127/03, NZA-RR 2004 80 (81), schon vorher LAG Berlin, Beschluss vom 7.9.1995 – 10 TaBV 5/95, LAGE, § 111 Nr. 13; Pflüger, DB 1998, 2062 (2065), der allerdings auch auf neminem laedere zurückgreift. 146 LAG Hamm, Beschluss vom 23.3.1983 – 12 TaBV 15/83, AuR 1984, 54 (54). 147 Pahle, NZA 1990, 51 (52). 148 Derleder, AuR 1983, 289 (300 f.); zustimmend: Trittin, DB 1983, 230 (230 f.); Trittin, BB 1984, 1169 (1972); in seinem Aufsatz in AuR 1995, S. 13 ff., geht Derleder mit keinem Wort auf seine frühere Konzeption ein. 144
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benpflicht handeln.149 Diese lasse sich unproblematisch aus dem vertraglichen Leistungsversprechen150 ableiten. Bei bestehenden gesetzlichen Schuldverhältnissen ergeben sich Schutzpflichten seit der Schuldrechtsmodernisierung grundsätzlich auch aus §§ 241 Abs. 1, 242 BGB.151 Derleder verweist in seiner Konzeption auf § 2 Abs. 1 BetrVG – die Parallelnorm der Betriebsverfassung zu § 242 BGB. In § 2 Abs. 1 BetrVG sei die nicht ausdrücklich genannte Pflicht zur Gewährleistung des notwendigen betrieblichen Beratungs- und Entscheidungsprozesses enthalten. Die Pflicht zur Respektierung des Verfahrens müsse nach modernen zivilrechtlichen Maßstäben für die Entwicklung der Obligation als eine Selbstverständlichkeit angesehen werden.152 Vor dem Hintergrund der Ermittlung einer Pflicht zur Verfahrensloyalität sei es ein Widerspruch, ein auf Einigung ausgerichtetes Verfahren nicht vor verfahrenswidrigem Verhalten zu schützen. Die Pflicht folge somit aus dem Zweck des Schuldverhältnisses. Die Verwirklichung der Mitbestimmung sei nur möglich, wenn der Arbeitgeber die Maßnahme bis zum Abschluss des Verfahrens unterlasse. In die Tradition dieses Ansatzes ist der Entwurf von Raab einzuordnen.153 Raab betont ebenso das zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat bestehende Rechtsverhältnis, entfernt sich aber dogmatisch von der Kategorie der Verfahrensloyalität und rückt den Unterlassungsanspruch in die Nähe der Leistungssicherung und Zweckerreichung, wobei er die weniger auf Ansprüchen als vielmehr auf Kompetenzen basierende Konzeption des BetrVG betont, hierin aber keinen Grund zur Differenzierung erblickt. Zweck des Rechtsverhältnisses ist seiner Meinung nach die Herstellung eines Machtgleichgewichts. Demzufolge äußere sich der Unterlassungsanspruch als Anwendungsfall des allgemeinen Gebots der Zweckvereitelung, indem er die Abwehr vor Kompetenzübergriffen ermögliche, um den Zweck des Rechtsverhältnisses zu gewährleisten. f) Prozessuale Begründungen Die Derleder-These weist eine prozessuale Entsprechung auf. So sympathisiert beispielsweise Buchner mit der sichernden Nebenpflicht, verneint 149
Derleder, AuR 1983, 289 (301). Die Terminologie Derleders ist teilweise unglücklich gewählt, so spricht er auf S. 302 von einem vertraglichen Unterlassungsanspruch, was er meint ist hingegen evident. 151 Staudinger-Olzen § 241 Rn. 268. 152 Derleder, AuR 1983, 289 (301). 153 Grundlegend: Raab, S. 132 ff.; Raab, ZfA 1997, 183 (201 f.). 150
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sie gleichwohl im materiellen Recht und findet ein Pendant im Prozessrecht.154 Ihm folgend vertritt ein Teil der älteren Rechtsprechung und eine nicht unbeträchtliche Anzahl von Autoren eine Sicherung allein auf dem Boden des Prozessrechts über die einstweilige Verfügung.155 So soll der jeweilige Anspruch – durchgesetzt durch die einstweilige Verfügung – die Sicherung mittels Zwangsgeld für unvertretbare Handlungen bewirken. Gemäß §§ 85 ArbGG, 938 ZPO könne das Gericht nach freiem Ermessen eine Handlung verbieten und somit eine Verfügung zur Sicherung des jeweiligen Beteiligungsrechts erlassen. Dies setze einzig voraus, dass ein Verfügungsanspruch vorliege. Diesen stelle dabei das Mitbestimmungsrecht dar. Eine weitere von Olderog156 begründete Spielart dieser Ansicht zentriert § 940 ZPO. Das hierfür notwendige Rechtsverhältnis, aus dem sich Ansprüche ergeben könnten, bilde die gegenseitige Verpflichtung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat zur Vereinbarung mitbestimmungspflichtiger Reglungen. Eingerahmt werde dieses Rechtsverhältnis durch § 74 Abs. 1 S. 2 BetrVG. Den Begriff des streitigen Rechtsverhältnisses interpretiert Olderog dahin gehend, dass eine Verletzung des Rechtsverhältnisses genüge; im Fall des Mitbestimmungsrechts legitimiere die Gefahr der Beseitigung des Anspruchs auf Einleitung des Einigungsstellenverfahrens zu einer einstweiligen Verfügung. Genau dieser Anspruch helfe als Gegenstand der Hauptverhandlung über das Fehlen eines materiellen Unterlassungsanspruchs hinweg. Vor kurzem hat das Bundesarbeitsgericht eine solche Verfügung für nicht ausgeschlossen gehalten.157 Allerdings bezog sich das Gericht auf eine Sicherung des negatorischen Anspruchs aus § 101 BetrVG und damit nicht auf ein Beteiligungsrecht. Da die Aufhebung einer personellen Maßnahme auch ein Verbot beinhaltet, diese aufrechtzuerhalten,158 ist nicht davon auszugehen, dass das BAG eine rein prozessuale Lösung vorgeschlagen hat. g) Die Begründung über § 78 S. 1 BetrVG Einen weiteren autonomen Ansatz hat Dütz herausgearbeitet. Rechtsgrundlage des Unterlassungsanspruchs sollen seiner Meinung nach § 78 154
Buchner, SAE 1984, 187 (191). LAG Frankfurt, Beschluss vom 30.8.1984 – 4 TaBV Ga 114/84, DB 1985, 178 (178 f.) zu § 940 ZPO m. w. N.; Buchner, SAE 1984, 187 (191); GMPMG-Matthes, § 85 Rn. 34; ErfK-Koch § 85 ArbGG Rn. 4. 156 Olderog, NZA 1985, 753 (759). 157 BAG, Beschluss vom 23.6.2009 – 1 ABR 23/08, BB 2010, 768 (769); kritisch zu dieser Formulierung: Gastell, BB 2010, 768 (770). 158 Matthes, JurisPR-ArbR 28/2011 Anm. 7 mit abl. Haltung zur einstweiligen Verfügung. 155
E. Der paritätische Unterlassungsanspruch bei § 87 BetrVG
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BetrVG bzw. §§ 1004, 823 Abs. 2 i. V. m. § 78 BetrVG sein. Zunächst widerspricht er dem in diesem Kontext angeführten Argument, § 78 S. 1 BetrVG könne kein Schutzgesetz sein, da der Betriebsrat keine Vermögenskompensation erhalten könne, mit dem Hinweis auf das Mitbestimmungsrecht als konkrete Schadensposition und die allein notwendige Voraussetzung einer verbotenen Verhaltensweise.159 Tatsächlich geht es ihm aber unmittelbar um § 78 BetrVG. Ausgangspunkt sei dabei, dass trotz des anders lautenden Wortlautes der Betriebsrat die Rechte aus § 78 BetrVG selbst geltend machen könne, die Norm mithin Anspruchsqualität besitze.160 Wollte man das Nichtbeteiligen unter § 78 BetrVG fassen, so müsse man eine Behinderung in Ausführung der Tätigkeit durch Nichtbeachten der Beteiligungsrechte annehmen.161 Dies setze aber eine aufgenommene Tätigkeit voraus, die eben gerade noch nicht vorläge. Eine Subsumtion sei aus diesem Grund nicht möglich. Diesem Problem entgeht Dütz, indem er einen Erst-Recht-Schluss vollzieht: Eine Verhinderung von Mitbestimmungsbefugnissen durch völliges Übergehen des Betriebsrats gehe der Intensität nach über eine Störung oder Behinderung hinaus, sodass dies erst recht erfasst werde.162 Diese Sicht der Dinge korrespondiert – scheinbar – mit der höchstrichterlichen Judikatur, denn das Bundesarbeitsgericht vertritt die Meinung, dass eine Behinderung umfassend zu verstehen sei und damit jede unzulässige Erschwerung, Störung oder auch Verhinderung der Betriebsratsarbeit umfasse.163 h) Die Ansicht des Bundesarbeitsgerichts aa) Der Beschluss vom 3.5.1994 Das Bundesarbeitsgericht bejaht seit 1994 durchgängig einen Unterlassungsanspruch bei der Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten.164 Nach Ansicht des Gerichts stellt der Unterlassungsanspruch des Betriebsrats einen 159
Dütz, S. 5; Dütz DB 1984, 115 (118 ff.). Dütz, S. 6; dieser Hinweis mag heute befremdlich anmuten, 1983 bildete aber genau dies das Zentralproblem vor dem Hintergrund des § 23 Abs. 3 BetrVG. Es ging darum, dass § 78 BetrVG seinerseits nicht den Mittler i. S. d. § 23 Abs. 3 BetrVG braucht, um materiell-rechtliche Wirkungen zu erzeugen. 161 I. Schmidt, RdA 2001, Sonderbeilage Heft 5, 12 (21). 162 Dütz, S. 8; Dütz, DB 1984, 115 (118 f.). 163 BAG, Beschluss vom 1.8.1990 – 7 ABR 99/88, AuR 1991, 188 (189), zu dem in diesem Punkt gleichlautenden § 8 BPersVG; BAG, Beschluss vom 19.7.1995 – 7 ABR 60/94, AP § 23 BetrVG 1972 Nr. 25; BAG, Beschluss vom 12.11.1997 – 7 ABR 14/97, AP § 23 BetrVG 1972 Nr. 27. 164 BAG, Beschluss vom 03.05.1994 – 1 ABR 24/93, NZA 1995, 40 ff. 160
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2. Kap.: Die Unterlassungsansprüche des Betriebsrats
selbstständigen Nebenleistungsanspruch dar. Es stützte den Unterlassungsanspruch auf zwei Säulen: § 87 und § 2 Abs. 1 BetrVG. Der Anspruch könne grundsätzlich auch ohne ausdrückliche gesetzliche Nennung bestehen. Das sei bei Verletzung eines absoluten Rechts oder eines gemäß § 823 Abs. 2 BGB geschützten Rechts unproblematisch, werde aber auch im vertraglichen Bereich auf der Grundlage des § 242 BGB anerkannt. So ergebe sich der Anspruch bei sozialen Angelegenheiten aus der besonderen Rechtsbeziehung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat – dem einem Dauerschuldverhältnis ähnlichen Betriebsverhältnis. Dieses werde durch die Beteiligungsrechte sowie die sonstigen Rechte und Pflichten und insbesondere die wechselseitige Rücksichtsnahmepflichten aus § 2 Abs. 1 BetrVG konstituiert. § 2 Abs. 1 BetrVG sei dabei mit § 242 BGB vergleichbar. Somit könnten aus der Norm zwar keine Mitbestimmungs- oder Mitwirkungsrechte entnommen werden, wohl aber das Gebot, alles zu unterlassen, was der Wahrnehmung des konkreten Mitbestimmungstatbestands entgegenstehe. Insoweit entsprächen sich Betriebsverhältnis und vertragliches Schuldverhältnis. Allerdings leitete das Bundesarbeitsgericht den Unterlassungsanspruch nicht direkt aus § 2 Abs. 1 BetrVG ab, sondern entnahm lediglich die allgemeinen Vorgaben des Unterlassungsanspruchs aus dieser Norm. Die Grundlage stellte das Betriebsverhältnis und damit § 87 BetrVG dar. Das Gericht führte aus, es sei nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber die Durchführung einer Maßnahme in diesem Bereich zeitweilig gestatten wolle. Hierzu verwies es auf den Umkehrschluss aus der für die Schifffahrt existierenden Ausnahmevorschrift des § 115 Abs. 7 Nr. 4 BetrVG zugunsten einer vorläufigen Regelungskompetenz des Kapitäns. Während es darüber hinaus auch die Einigungsstelle nicht als ausreichendes Sicherungsinstrument der Mitbestimmung ansah, ging das Gericht auf den eigentlichen dogmatischen Kern der Begründung des allgemeinen Unterlassungsanspruchs bei § 87 BetrVG ein. Der Nebenleistungsanspruch resultiere aus einer sachgerechten Auslegung des § 87 BetrVG im Lichte des § 2 Abs. 1 BetrVG. Als wesentliches Begründungsmerkmal fungierte die Zweckerreichung des Beteiligungsrechts, denn es sei gerechtfertigt und geboten, dem Betriebsrat einen selbstständigen Nebenleistungsanspruch zuzubilligen, der das gesetzliche Ziel erreichbar mache. In einem späteren Beschluss stellte das Gericht das Erfordernis der Wiederholungsgefahr klar.165 Erforderlich sei danach eine ernstliche, sich auf Tatsachen gründende Besorgnis weiterer Eingriffe zur Zeit der letzten mündlichen Verhandlung.
165 BAG, Beschluss vom 29.02.2000 – 1 ABR 4/99, AP § 87 BetrVG 1972, Lohngestaltung Nr. 105.
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bb) Kritik in der Literatur Die Entscheidung vom 3.5.1994 wurde in Teilen der Literatur heftig kritisiert. So wurde vorgebracht, das Bundesarbeitsgericht messe § 2 Abs. 1 BetrVG anspruchserzeugende Wirkung zu.166 Genau das hat das Gericht jedoch über seine Konstruktion vermieden. Aus § 2 Abs. 1 BetrVG kann sich eine Vielzahl von Verhaltenspflichten ergeben. Mit diesen Pflichten korrespondieren jedoch keine Rechte. Das Bundesarbeitsgericht stellte ganz richtig dar, dass § 2 Abs. 1 BetrVG eine Kompetenzschranke ist. Das bedeutet, dass der Arbeitgeber seine Unternehmerfreiheit nicht ausüben kann. Das Gericht betont dann dogmatisch zutreffend die weitere Funktion des § 2 Abs. 1 als Auslegungshilfe. Über diese Funktion wird das Nichtausführendürfen des § 2 Abs. 1 in § 87 BetrVG transportiert. Das bedeutet wiederum nichts anderes, als dass § 87 BetrVG und nicht § 2 BetrVG die anspruchserzeugende Wirkung hat. Darüber hinaus bildet die „Schwäche“ des § 2 Abs. 1 BetrVG167 keinen durchdringenden Kritikpunkt. Zwar trifft es zu, dass § 2 Abs. 1 BetrVG bereits eine wesentliche Rolle in der alten Rechtsprechung des Ersten Senats spielte, als das Gericht das Zusammenspiel von § 2 und § 23 Abs. 3 BetrVG betonte.168 Ausgehend von der vertrauensvollen Zusammenarbeit sollte es erst gerechtfertigt sein, die Unterlassung eines Verhaltens zu verlangen, wenn der Arbeitgeber grob gegen seine Pflichten verstoße. Kritik ist an dem früheren Beschluss zu üben. Die Entscheidung von 1983 strapazierte das § 2 Abs. 1 innewohnende Toleranzgebot unverhältnismäßig. Sie machte aus einer Einzelfallbetrachtung eine Rechteumverteilung. § 2 Abs. 1 BetrVG kann aber nur in Ausnahmefällen der Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs aus Toleranzgründen entgegenstehen. Das Bundesarbeitsgericht hat 1983 die Reichweite des § 2 Abs. 1 BetrVG schlicht verkannt. Sowohl das Toleranzgebot als auch die Unterlassungspflicht be-
166 Walker, SAE 1995, 99 (101); Raab, Anm. zu BAG, Beschluss vom 3.5.1994 – 1 ABR 24/93, EzA § 23 1972 Nr. 36, der im Übrigen die Konstruktion des BAG kritisiert, einerseits den Unterlassungsanspruchs für jedes Beteiligungsrecht gesondert zu prüfen, aber andererseits aus § 2 Abs. 1 die Pflicht herleitet, alles zu unterlassen, was der Mitbestimmung entgegenstehe. Das schließt sich aber nicht aus. Eine spezielle gesetzgeberische Entscheidung im Rahmen eines Mitbestimmungsrechts, die Durchführung ohne Rücksicht auf das Beteiligungsrecht zu erlauben, führt gerade dazu, dass § 2 Abs. 1 nicht einschlägig ist, da die Unterlassung nicht mehr im Rahmen des Beteiligungsrechts impliziert wird. 167 Lobinger, ZfA 2004, 101 (116). 168 BAG, Beschluss vom 22.2.1983 – 1 ABR 27/81, AP § 23 BetrVG 1972 Nr. 2.
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2. Kap.: Die Unterlassungsansprüche des Betriebsrats
züglich der Mitbestimmungsvereitelung können aus der Norm hergeleitet werden, ohne sich zu widersprechen.169 Einen weiteren Kritikpunkt stellte die Einordnung als Nebenleistungsanspruch dar. Da ein schuldrechtlicher Hauptanspruch fehle – einen solchen lehnt die herrschende Dogmatik bei § 87 BetrVG ab170 –, könne auch kein Nebenanspruch auf Unterlassung mitbestimmungswidriger Maßnahmen existieren.171 Die terminologische Einordnung als Nebenleistungsanspruch ist nicht hilfreich und erklärt sich aus einer vertragsrechtlichen Tradition. Für Ansprüche ist das Bestehen eines Primäranspruchs grundsätzlich dogmatisch unerheblich. Sie können jederzeit das Produkt von Auslegung und Rechtsfortbildung sein. Letztlich wurde die dogmatische Position des Dauerrechtsverhältnisses Betriebsverhältnis kritisiert. Allein aus dieser Rechtsbeziehung lasse sich logischerweise noch kein Rechtsanspruch auf Unterlassen herleiten.172 Die Rechtsbeziehung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat wird heute überwiegend im Anschluss an von Hoyningen-Huene173 als Betriebsverhältnis (im Gegensatz zum Einzelarbeitsverhältnis) bezeichnet. Es stellt jedenfalls ein Dauerrechtsverhältnis dar.174 Von Hoyningen-Huene fasste es als ein gesetzliches, unabhängig vom Arbeitgeber begründetes, unkündbares, zweiseitiges, kollektivrechtliches Dauerschuldverhältnis eigener Art mit gesteigerten Verhaltenspflichten auf.175 Der Nutzen dieser Begrifflichkeit ist rein terminologischer Natur. Im Endeffekt geht die Kritik fehl, da das Betriebsverhältnis lediglich als Ausgangspunkt des Unterlassungsanspruchs dient und nicht als dessen alleiniges Fundament. Ihm vorrangig ist das Mitbestimmungsrecht als konkretisiertes Element des Betriebsverhältnisses.176 Die an169
Vgl. S. 50. Konzen, NZA 1995, 865 (873); Dobberahn, NJW 1995, 1333 (1334); Richardi, NZA 1995, 8 (10); Walker, Rn. 831; a. A.: MünchArbR-von HoyningenHuene, § 300 Rn. 20; von Hoyningen-Huene, § 12 Rn. 13 (unvollkommene Ansprüche). 171 Dobberahn, NJW 1995, 1333 (1334); Richardi, NZA 1995, 8 (10). 172 Lobinger, ZfA 2004, 101 (118 f.); Kort, WiB 1995, 165 (166). 173 von Hoyningen-Huene, NZA 1989 121 ff.; MünchArbR-von HoyningenHuene, § 213 Rn. 6 f.; umfassend zum Meinungsstand: Wenderoth, S. 8 ff., mit eigener Ansicht auf S. 16: gesetzliches Schuldverhältnis, das auf Partizipation angelegt ist. Das Betriebsverhältnis weist wegen der Ausrichtung auf Betriebsvereinbarungen eine Nähe zu einem vorvertraglichen Schuldverhältnis aus, ist aber freilich in diesem Stadium stärker ausdifferenziert. 174 So GK-Wiese, Einl. Rn. 100. 175 von Hoyningen-Huene, NZA 1989, 121 (122); für eine schuldrechtliche Einordnung auch Braun, FS Simon, 53 (65). 176 BAG, Beschluss vom 23.7.1996 – 1 ABR 13/96, NZA 1997, 274 (277). 170
E. Der paritätische Unterlassungsanspruch bei § 87 BetrVG
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fängliche Formulierung des Bundesarbeitsgerichts177 war missverständlich, der vorgebrachte Inhalt indes nicht. Die Kritik blendet folglich die wichtige Rolle des Mitbestimmungsrechts selbst aus. cc) Das dogmatische Fundament der Rechtsprechung Das Vorgehen des Bundesarbeitsgerichts ist vor der hergebrachten negatorischen Dogmatik erläuterungsbedürftig. Grundsätzlich schützen Rechte sich nicht selbst vor Störungen, sondern benötigen negatorische Schutzmittler wie z. B. § 1004 BGB. (1) Die Fortbildung der Rechtsprechung des Sechsten Senats und der Literatur Die direkte Orientierung am Mitbestimmungsrecht ist nicht neu. Schon der Sechste Senat leitete den Unterlassungsanspruch direkt aus dem Recht her.178 Auch in der Literatur war und ist der Ansatz verbreitet.179 Neu an der Konzeption ist die Wirkung des § 2 Abs. 1 BetrVG als Auslegungshilfe bzw. -stütze. Jenseits der Aufnahme der Rechtsprechung des Sechsten Senats sind die Einflüsse der Entwürfe von Derleder und Raab unverkennbar. Während Derleder die Verfahrensloyalität erfüllungsbegleitend versteht, betont Raab die Bedeutung der Zweckerreichung bzw. Zweckgefährdung im Rechtsverhältnis Betriebsrat – Arbeitgeber.180 Allerdings betonen beide § 2 Abs. 1 BetrVG stärker, als es das Bundesarbeitsgericht tut, denn dieses spart einen direkten bzw. unmittelbaren Rückgriff aus und verwendet die Erkenntnisse beider Autoren nur als Stützen seiner Argumentation.
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„Ob in diesem Sinne ein Unterlassungsanspruch als selbst. Nebenleistungsanspruch unmittelbar aus § 87 BetrVG abzuleiten ist, mag fraglich erscheinen, der Anspruch ergibt sich jedoch bei sozialen Angelegenheiten i. S. v. § 87 BetrVG aus der besonderen Rechtsbeziehung.“ Am Ende des Beschlusses: „[. . .] ist es gerechtfertigt und geboten, dem Betriebsrat einen selbständigen Nebenleistungsanspruch zuzubilligen, der das gesetzl. Ziel erreichbar macht. Dies ergibt eine sachgerechte Auslegung des § 87 BetrVG im Lichte des § 2 BetrVG.“ 178 BAG, Beschluss vom 18.4.1985 – 6 ABR 19/84, BAGE 48, 246 (252). 179 Bobke, AiB 1983, 84 (85); Dütz, DB 1984, 115 (120); Trittin, BB 1984, 1169 (1172); Neumann, BB 1984, 676 (677). 180 Raab, ZfA 1997, 183 (203); Raab, Anm. zu BAG, Beschluss vom 3.5.1994 – 1 ABR 24/93, EzA § 23 1972 Nr. 36; noch stärker an der Kompetenzzuweisung orientiert sich Raab S. 184 u. 218.
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2. Kap.: Die Unterlassungsansprüche des Betriebsrats
(2) Die Theorie der notwendigen Mitbestimmung Zunächst ist zu überprüfen, inwieweit sich § 87 BetrVG gegen das Treffen der Maßnahme ohne vorherige Beteiligung sperrt. Die relevante Information liefert das tiefere dogmatische Verständnis der Mitbestimmung. Das dogmatische Fundament des Mitbestimmungsrechts (i. e. S.) sieht die herrschende Meinung nämlich in seinem Wesen als notwendige Mitbestimmung begründet. Inhalt der Mitbestimmung ist demnach, dass der Arbeitgeber eine mitbestimmungspflichtige Maßnahme nur vornehmen kann, wenn das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats auch wahrgenommen wurde oder die Einigungsstelle einen Spruch gefällt hat.181 Die überkommene Gegenansicht182 (sog. Theorie vom Regelungsanspruch) erachtete die Maßnahme bis zum Spruch der Einigungsstelle als wirksam. Der Arbeitgeber könne so lange nach seinem Willen verfahren, wie der Betriebsrat die Regelung nicht verlange. Das Bundesarbeitsgericht hat sich in einem Urteil vom 7.9.1956 gegen die Theorie vom Regelungsanspruch entschieden.183 Der Wortlaut des Gesetzes liefere keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Mitbestimmung des Betriebsrats in sozialen Angelegenheiten nur mittels Betriebsvereinbarung erfolgte. Weiter sei die Notwendigkeit der Beteiligung aus dem Wortlaut („hat“) sowie dem Sinn und Zweck des § 56 BetrVG 1952 abzuleiten. Es entspräche dem Wesen des Rechts, dass der Arbeitgeber eine der Mitbestimmung des Betriebsrats unterliegende Maßnahme nur mit Zustimmung desselben treffen könne. Der Schutzzweck bestehe zudem darin, die individualarbeitsrechtlichen Möglichkeiten des Arbeitgebers einzuengen. Diesem Schutzzweck werde die Theorie vom Regelungsanspruch nicht gerecht, da der Arbeitgeber die Maßnahme durchführen könne und somit die vollen individualrechtlichen Möglichkeiten zur Verfügung habe. Dieses Verständnis erscheint auch vor dem Teilhabegedanke der Mitbestimmung als korrekt. Die Zustimmung bildet einen rechtsnotwendigen Bestandteil der Maßnahme selbst.184 Ein wichtiger Schluss aus der Theorie der notwendigen Mitbestimmung lautet daher, dass die Rechtsfolgen des § 87 BetrVG sich nicht im Abschluss einer Betriebsvereinbarung erschöpfen. Ein 181 BAG, Urteil vom 7.9.1956 1 AZR 646/54, AP § 56 BetrVG 1952 Nr. 2; krit. Wolter, RdA 2006, 137 (139 f.); die Theorie der notwendigen Mitbestimmung darf nicht mit der Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung gleichgesetzt werden. Letztere folgt aus Ersterer. 182 Dietz, § 56 Rn. 7 ff.; nunmehr: Richardi-Richardi, § 87 Rn. 125 ff. 183 BAG, Urteil vom 7.9.1956 – 1 AZR 646/54, AP § 56 BetrVG 1952 Nr. 2; BAG, Urteil vom 1.2.1957 – 1 AZR 521/54, BAGE 3, 267 (272 f.). 184 GK-Wiese, § 87 Rn. 100; Miersch, S. 104.
E. Der paritätische Unterlassungsanspruch bei § 87 BetrVG
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Verstoß gegen das Recht bedingt grundsätzlich die Unwirksamkeit.185 Zudem verdeutlicht die Theorie der notwendigen Mitbestimmung das Zusammenwirken der zeitlichen Dimension des § 87 BetrVG mit dem Nichttreffendürfen: Die Veranlagung des Rechts, Maßnahmen die Wirksamkeit zu versagen, schiebt das rechtswirksame Treffen der Maßnahme hinaus und schränkt folgerichtig die Freiheit des Arbeitgebers ein, wirksam zu entscheiden. (3) Normkonkretisierung Davon ausgehend, muss die Auslegung des Passus „hat mitzubestimmen“ im Lichte des § 2 Abs. 1 BetrVG methodisch klassifiziert werden. Die Herleitung des Unterlassungsanspruchs aus § 87 BetrVG erweist sich v. a. wegen der Offenheit der Norm als problematisch. Nach Rüthers/Henssler enthält § 87 BetrVG in erster Linie ein Normbündel zur Verteilung betriebsverfassungsrechtlicher Kompetenzen und soll kaum konturierbar sein.186 Andererseits stellt sich die Herleitung der Unwirksamkeit der Maßnahme aus der Norm einem abgeschlossenen Verständnis entgegen.187 § 87 BetrVG ist vielmehr eine umfassende Generalklausel und damit ein Stück offen gelassene Gesetzgebung.188 Insofern liegt eine Ermächtigung an die Rechtsprechung seitens des Gesetzgebers vor, diesen Bereich auszufüllen und die Norm zu konkretisieren.189 Die bei der Auslegung erfolgende Sinnermittlung fällt bei der Normkonkretisierung mit der genauen Konturierung der Norm zusammen. Je bestimmter und aussagekräftiger die Gesetzesbegriffe sind, umso unmittelbarer ist die Rechtsentscheidung vorgegeben.190 Je unbestimmter der Begriff ist, über desto mehr Spielraum verfügen die Gerichte; mit der Unbestimmtheit der Gesetzesfassung ist folglich der Scheitelpunkt von Rechtsbildung und Rechtsbindung beschrieben.191 Daher überzeugt es nicht, wenn Konzen die Konkretisierung aus § 87 BetrVG ablehnt, weil bei der Schaffung des Mitbestimmungsrechts niemand 185
BAG, Urteil vom 11.6.2002 – 1 AZR 390/01, BAGE 101, 288 (295); von Hoyningen-Huene, § 12 Rn. 31. 186 Rüthers/Henssler, Anm. zu BAG, Beschluss vom 22.2.1983 – 1 ABR 27/81, EzA, § 23 BetrVG 1972 Nr. 9. 187 Der Ansicht Richardis, FS Wlotze 407 (409), § 87 BetrVG regele lediglich eine Befugnis zur Ausübung von Mitbestimmung, nicht aber eine Befugnis bei Nichteinhaltung, ist damit ebenso nicht zu folgen. 188 Richardi, FS Wlotzke, 407 (420). 189 Vgl. Röthel, S. 49 ff. 190 Röthel, S. 25. 191 Röthel, S. 75 f.
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2. Kap.: Die Unterlassungsansprüche des Betriebsrats
an einen Unterlassungsanspruch gedacht habe.192 Normkonkretisierung zeichnet sich u. a. gerade dadurch aus, dass Rechtsfiguren oder -institute herausgebildet werden, die vorher unbekannt waren; hierin liegt vielmehr ein Legitimierungsgrund der Delegation an die Rechtsprechung.193 Im Folgenden wird es darum gehen, eine sachliche Präzisierung durch Heranziehung aller Normen, Gesetzeszwecke, Grundwertungen und Rechtsprinzipien194 herauszuarbeiten und damit die Rechtsfolge zu klären, die aus den Wörtern „hat mitzubestimmen“ für die Betriebsbeteiligten resultiert, wenn eine Maßnahme ohne vorherige Beteiligung durchgeführt werden soll. (4) Das Unterlassen der Maßnahme vor der Parität der Betriebsparteien Für die Konturierung gibt die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zum Initiativrecht entscheidende Hinweise. Das BAG hat das Initiativrecht ebenfalls aus § 87 BetrVG gewonnen. Im Rahmen der Begründung bestätigte das Gericht das dogmatisch gehaltvolle Judikat des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf:195 Das Gericht hatte umfassend dargelegt, dass die Norm in ihrer Paritätsverwirklichung und der Begriff des Mitbestimmens das Initiativrecht umfassten.196 Die Rechtsstellung von Betriebsrat und Arbeitgeber sei gleichartig und gleich stark. Dies habe zur Folge, dass beide Parteien die Initiative ergreifen dürften, um eine Regelung herbeizuführen. Dabei sei es gleichgültig, wer die mitbestimmungspflichtige Maßnahme ergreifen wolle: Weigerte sich der andere, so sei die Einigungsstelle anzurufen. Das Bundesarbeitsgericht bejahte mit fast identischer Begründung das Initiativrecht aus dem Wortlaut des § 87 BetrVG. Insbesondere hob es hervor, dass Mitbestimmung gleiche Rechte für beide Teile bedeute.197 192 Konzen, Anm. zu BAG, Beschluss vom 18.04.1985 – 6 ABR 19/84, EzA § 23 BetrVG Nr. 10. 193 Röthel, S. 75 f.; der Gesetzgeber hat offensichtlich nicht sämtliche Wirkungen des § 242 BGB vorhergesehen. 194 Bydlinski, S. 583 f., im Zusammenhang mit der Generalklausel; Bydlinski, Symposion Canaris, 27 (65). 195 BAG, Beschluss vom 14.11.1976 – 1 ABR 65/73 AP § 87 BetrVG 1972 Nr. 1; schon vorher hatte das Gericht vereinzelt ein Initiativrecht bejaht, vgl. die Nachweise bei LAG Düsseldorf, Beschluss vom 17.7.1973 – 8 TaBV 11/73, EzA § 87 Initiativrecht Nr. 1. 196 LAG Düsseldorf, Beschluss vom 17.7.1973 – 8 TaBV 11/73, EzA § 87 Initiativrecht Nr. 1 mit weiteren historischen Argumenten für ein Initiativrecht. 197 BAG, Beschluss vom 14.11.1976 – 1 ABR 65/73 AP § 87 BetrVG 1972 Nr. 1; seitdem st. Rspr.: vgl. BAG, Beschluss vom 28.11.1989 1 ABR 97/88, AP § 87 BetrVG 1972 Initiativrecht Nr. 4.
E. Der paritätische Unterlassungsanspruch bei § 87 BetrVG
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Der Berechtigung auf der einen Seite entspricht somit grundsätzlich spiegelbildlich eine Berechtigung auf der anderen (man könnte sogar von einem Spiegelbildprinzip der Mitbestimmung reden). Das Recht des Arbeitgebers zur Regelung einer sozialen Angelegenheit besteht jederzeit. Identisches muss aus dem Paritätsgedanken dann auch für den Betriebsrat gelten. Dabei ist die Parität der Betriebspartner auf die Entscheidung als solche ausgerichtet. Ganz allgemein umschreibt Mitbestimmung nämlich die Teilhabe an und die Einflussnahme auf eine Entscheidung.198 Diese verstärkt sich bei § 87 BetrVG zur Parität hinsichtlich der Entscheidungsbefugnis. „Mit“ und „bestimmen“ verdeutlichen, dass der Betriebsrat in diesen Angelegenheiten eine gleichgewichtige bzw. gleichberechtigte Stellung innehat. Geht man also mit dem Bundesarbeitsgericht davon aus, dass Mitbestimmung im Grundsatz identische Rechte für beide Betriebsparteien bedeutet, dann ist an der Berechtigung des Arbeitgebers anzusetzen, von der Maßnahme abzulassen oder sie gar nicht erst zu realisieren. Diese Berechtigung ist Ausdruck der Rechtsstellung als Arbeitgeber und Rechteinhaber. Sie ist Ausfluss des regelmäßig subjektiv-rechtlichen Gedankens der Willensmacht und der damit zusammenhängenden Disponibilität des Rechts. Hinsichtlich der Mitbestimmung ist diese Berechtigung durch eine taktische Komponente bei den Verhandlungen charakterisiert, insbesondere bei solchen, die auf Initiative des Betriebsrats stattfinden. Diese Berechtigung muss auf der Seite des Betriebsrats aus Paritätsgründen eine Entsprechung aufweisen.199 Der Betriebsrat muss die Möglichkeit besitzen, von der Maßnahme abzulassen. Da er aber keine Durchführungskompetenz hat, kann er auch nicht von der Maßnahme ablassen. Die vorhandenen Maßnahmen, insbesondere das Einigungsstellenverfahren, genügen den strukturellen Anforderungen der Parität nicht. Es geht um die grundsätzliche Ausgestaltung der Betriebsverfassung. Ein sich verweigernder Betriebsrat kann vom Arbeitgeber vor die Einigungsstelle zitiert werden. Dieses Initiativrecht verkörpert eine Reaktion auf diese grundsätzliche Berechtigung. So gesehen, schließt der Unterlassungsanspruch eine paritätische Lücke, da er im Initiativrecht des Arbeitgebers mündet. In Bezug auf § 87 BetrVG entspringt der Unterlassungsanspruch damit der spiegelbildlichen Transformation der Befugnis des Arbeitgebers, die Maßnahme unterlassen zu können und fügt sich in das Mitbestimmungsverfahren ein. 198
Köbler „Mitbestimmung“. Um dem Missverständnis vorzubeugen; hierbei handelt es sich nicht um die Kreation einer subjektiven Berechtigung, es handelt sich nur um eine stückweise Übertragung einer herausgelösten Facette der Arbeitgeberfreiheit, vgl. auch den Ansatz von Lobinger, ZfA 2004, 101 (127) m. w. N., allerdings nicht unmittelbar auf den Unterlassungsanspruch bezogen. 199
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2. Kap.: Die Unterlassungsansprüche des Betriebsrats
(5) Schlüsse aus § 77 Abs. 1 S. 2 Diese Spiegelbildlichkeit wird durch § 77 Abs. 1 S. 2 BetrVG eingeschränkt, da die Durchführungsbefugnis grundsätzlich kein Pendant aufseiten des Betriebsrats enthält.200 Andererseits ist § 77 Abs. 1 S. 2 BetrVG für die Inhaltsbestimmung des § 87 BetrVG von Bedeutung. Denn im Umkehrschluss stärkt diese Regelung das umfassende Verständnis der gleichen Rechte auf beiden Seiten im Hinblick auf die Maßnahme. Die Aspekte, die nicht Gegenstand des § 77 Abs. 1 S. 2 BetrVG sind, sind Gegenstand der Spiegelbildlichkeit. Wenn der Betriebsrat selbst eine Maßnahme nicht unterlassen kann, muss er eine Rechtsmacht in Bezug auf die Person haben, die unterlassen kann. § 77 Abs. 1 S. 2 soll nach einhelliger Meinung nur eine Selbsthilfe des Betriebsrats auf betrieblicher Ebene ausschließen. Gerichtliche Hilfe im Sinne einer Durchsetzung von Ansprüchen wird von diesem Verbot nicht tangiert.201 Die Existenz des § 77 Abs. 1 S. 2 BetrVG bedingt dann die Anerkennung der Rechtsmacht des Betriebsrats, seine Unterlassungsberechtigung gegenüber dem Arbeitgeber mittels eines Unterlassungsanspruchs geltend machen zu können. Dies entspricht auch der Zubilligung von Rechtsmacht durch die Rechtsprechung des BAG beim sog. Durchführungsanspruch aus § 77 Abs. 1 S. 1 BetrVG.202 Man kann diese Erkenntnis zudem aus vergleichbaren Konstellationen gewinnen. So haben das Landesarbeitsgericht Berlin und ein großer Teil der arbeitsrechtlichen Literatur203 vor dem Hintergrund der einseitigen Durchführungsbefugnis des Arbeitgebers den Unterlassungsanspruch parallel zu ähnlichen Konstruktionen hergeleitet, in denen die Rechtsordnung negatorische Ansprüche anerkennt. Wenn bereits im allgemeinen Privatrecht gemeinsame Kompetenzen durch Unterlassungsansprüche gesichert werden könnten, müsse dies auch für die Betriebsverfassung gelten.204 Augenfällig ist der Vergleich vor der Parität der Betriebsparteien bei den Miteigentümern, die gegenseitige Beeinträchtigungen abwehren können. Zum Teil wurden und werden außerdem negatorische Befugnisse des einen Elternteils gegenüber dem anderen aus dem Recht der elterlichen Sorge gewonnen.205 In diesem Kontext geht es um ein Mitbestimmen zum Wohle des Kindes. 200
Zur Bedeutung des § 77 BetrVG: Ahrendt, NZA 2011, 774 (774). Sacher, S. 41 m. w. N. 202 BAG, Beschluss vom 18.5.2010 – 1 ABR 6/09, NZA 2010, 1433. 203 LAG Berlin, Beschluss vom 22.4.1987 – 12 TaBV 1/87, LAGE, § 23 BetrVG 1972, Nr. 8; Kohte, FS Richardi, 601 (614); zustimmend: Pahle, NZA 1990, 51 (52). 204 LAG Berlin, Beschluss vom 22.4.1987 – 12 TaBV 1/87, LAGE, § 23 BetrVG 1972, Nr. 8. 205 MünchKomm-Hinz, (3. Aufl.), § 1628 Rn. 12. 201
E. Der paritätische Unterlassungsanspruch bei § 87 BetrVG
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In Kommentaren zum Gesellschaftsrecht findet sich die weit verbreitete Ansicht, der widersprechende Gesellschafter könne auf Unterlassung der Geschäftstätigkeit eines mit Einzelgeschäftsführungsbefugnis ausgestatteten Gesellschafters klagen.206 Eine weitere Ansicht will hier einen Anspruch auf Unterlassung nachteiliger Maßnahmen im Wege der actio pro socio bejahen.207 Dass nur eine Person Geschäftsführungsbefugnis innehat, stellt eine gewisse Parallele zu § 77 Abs. 1 S. 2 BetrVG. Der Bundesgerichtshof hat zwar einen Anspruch eines Kommanditisten gegenüber dem einzig persönlich haftenden Gesellschafter mit dem Argument abgelehnt, die dem Geschäftsführer eingeräumte Entscheidungs- bzw. Geschäftsführungskompetenz müsse gewahrt bleiben und dürfe nicht verwischt werden.208 Für den Fall des Mitbestimmungsrechts gilt jedoch, dass es gerade um die gleichberechtigte Fassung der Entscheidung geht. Mithin greift genau dieses Argument vor dem positiven Konsensprinzip nicht. Der Bundesgerichtshof bejahte ferner in vergleichbarer Weise in einem kirchenrechtlichen Fall einen Unterlassungsanspruch gegen einen eingesetzten kommissarischen Geschäftsführer.209 (6) Nicht ohne Zustimmung Diese Begründungsstruktur fügt sich in die tiefere Dogmatik des § 87 BetrVG ein. Das Bundesarbeitsgericht konstatierte mit Blick auf § 87 BetrVG, dass der Arbeitgeber nach dem eindeutigen Willen des Gesetzgebers eine Maßnahme nur mit Zustimmung des Betriebsrats durchführen könne.210 Diese Annahme wird durch ihre Ausnahmen weiter fundiert. Bei § 87 BetrVG entnahm das Gericht die mangelnde gesetzgeberische Duldung dem Umkehrschluss aus der Norm des § 115 Abs. 7 Nr. 4 BetrVG. § 115 BetrVG erlaubt ausnahmsweise das Treffen einer mitbestimmungspflichtigen Regelung. Da § 87 BetrVG eine vergleichbare Norm nicht enthält, konnte das Gericht schlussfolgern, dass der Gesetzgeber hier nicht einmal zeitweise eine beteiligungslose Maßnahme dulden wollte. Richtigerweise bezieht sich § 115 Abs. 7 Nr. 4 BetrVG auf zwei Aspekte: Zum einen führt die Norm Maßnahmen, die im Regelfall mitbestimmungswidrig wären, in die Rechtswirksamkeit, zum anderen schließt sie Unterlassungsansprüche aus. 206
Baumbach/Hopt-Hopt § 116 Rn. 4 m. w. N. Grunewald, S. 29 ff. 208 BGH, Urteil vom 11.2.1980 – II ZR 41/79, BGHZ 76, 160 (168); zustimmend: MünchKomm-Ulmer, § 705 Rn. 204. 209 BGH, Urteil vom 11.2.2000 – V ZR 271/99, NJW 2000, 1555 (1556). 210 BAG, Urteil vom 3.5.1994 – 1 ABR 24/93, SAE 1995, 93 (96). 207
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2. Kap.: Die Unterlassungsansprüche des Betriebsrats
(7) Das Licht des § 2 Abs. 1 BetrVG In der soeben vorgenommenen Konturierung des § 87 BetrVG nimmt § 2 Abs. 1 BetrVG eine überragende Stellung ein. Der sog. Kooperationsmaxime obliegt u. a. die Aufgabe, die betriebsverfassungsrechtlichen Rechte und Pflichten zu konkretisieren.211 Während § 87 in Verbindung mit dem Umkehrschluss aus § 77 Abs. 1 S. 2 die Berechtigung entwirft, setzt § 2 Abs. 1 zur weiteren Konkretisierung des Anspruchs bei der Verpflichtung des Arbeitgebers an und spannt den Bogen hin zur Berechtigung des Betriebsrats. (a) Das Prinzip der vertrauensvollen Zusammenarbeit Bereits die Wahl des Wortes „vertrauensvoll“ demonstriert, dass Treu und Glauben das Verhalten der Betriebspartner prägen sollen.212 Das Leitbild wird auch als Konfliktlösung durch Dialog umschrieben.213 Die Norm stellt somit klar, dass Kooperation, nicht aber Konfrontation als Leitbild der Betriebsverfassung fungiert.214 Hinzu kommt eine weitere Komponente: die Kommunikation.215 Diese bildet das Fundament einer funktionierenden Betriebsverfassung. § 2 Abs. 1 BetrVG dabei wird durch § 74 Abs. 1 S. 2 BetrVG ergänzt,216 nach dem bei streitigen Fragen die Pflicht existiert, mit ernstlichem Willen zu verhandeln. Der Gesetzgeber sprach ihr „grundsätzliche Bedeutung“ zu, die sich in der Praxis bewahrheitet hat.217 Darüber hinaus hat der Grundsatz eine erfüllungsbegleitende Funktion. So wird konstatiert, aus § 2 BetrVG folge, dass beide Seiten ihre Pflichten ordnungsgemäß zu erfüllen hätten.218 § 2 BetrVG ist damit kein Programmsatz, sondern unmittelbar zwingendes Recht: Die Norm durchdringt sämtliche betriebsverfassungsrechtlichen Beziehungen.219 So betrifft sie auch die Frage, wie Arbeitgeber und Betriebsrat im Verhältnis zueinander die jeweiligen Interessen wahrnehmen.220 § 2 BetrVG wirkt dabei als Leitmotiv, als Auslegungsregel und Kompetenzschranke.221 Anspruchsgrundlage kann 211
Witt S. 54; Konzen, NZA 1995, 865 (871). GK- Franzen, § 2 Rn. 13; Richardi-Richardi, § 2 Rn. 14. 213 DKKW-Däubler, Einl. BetrVG Rn. 78. 214 GK-Kraft/Franzen, § 2 Rn. 15; HaKo-Kloppenburg, § 2 Rn. 6. 215 Benecke, S. 194. 216 Gemäß der Begründung zum BetrVG 1972 rühren beide Normen aus § 49 BetrVG 1952 her, vgl. Bt.Drs. VI/1786 S. 46. 217 Bt.-Drs. VI/1786, S. 35. 218 BAG, Beschluss vom 24.9.1968 – 1 ABR 3/68, AP, § 61 BetrVG 1952, Nr. 5. 219 BAG, Beschluss vom 17.5.1983 – 1 ABR 21/80, AP § 80 BetrVG 1972 Nr. 19; Witt, S. 53; FESTL § 2 Rn. 22. 220 Lieb/Jakobs, Rn. 739; GK-Kraft/Franzen, § 2 Rn. 5. 212
E. Der paritätische Unterlassungsanspruch bei § 87 BetrVG
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die Vorschrift hingegen nicht sein:222 Im Grundsatz gilt, dass weitere über die bestehenden hinausgehenden Rechte aus § 2 Abs. 1 BetrVG nicht hergeleitet werden können, sondern einer weiteren Fundierung im Gesetz bedürfen.223 Dies gilt indes nicht für Verhaltenspflichten, diese können ja gerade Folge dieses Gebots sein und entsprechen dann der Eigenart des § 2 Abs. 1 als Kompetenz- bzw. Rechtsausübungsschranke. In ähnlicher Weise ist es möglich, dass § 2 Abs. 1 der Ausübung eines Abwehrrechts entgegensteht und dementsprechend mittelbar Befugnisse schafft. Damit enthält die Norm eine programmatische Grundentscheidung der Betriebsverfassung: die Betriebspartner sollen sich bei der Interessenverfolgung innerhalb des gesetzlich Zulässigen halten (sog. Regeltreue) und ihre Rechte so ausüben, dass eine vertrauensvolle Zusammenarbeit (mit Blick auf die Zukunft) möglich bleibt.224 (b) Die Auswirkung auf § 87 BetrVG Der Erste Senat hat § 87 BetrVG in der Situation untersucht, in welcher der Arbeitgeber im Begriff ist, die beteiligungspflichtige Maßnahme durchzuführen. Er ist zu dem Schluss gekommen, dass „mitzubestimmen“ dahin gehend zu verstehen ist, dass der Betriebsrat das Unterlassen der Durchführung verlangen kann. Der Begriff der Mitbestimmung beinhaltet eine Rechtsmacht für ein sich aus der Norm ergebendes Sicherungs- bzw. Strukturinstrument der Beteiligung als Ausdruck der Parität und Parallelität der beiderseitigen Berechtigungen. Den entscheidenden konkretisierenden Gesichtspunkt hat das Gericht aus § 2 Abs. 1 BetrVG gewonnen. Es folgerte das Gebot, alles zu unterlassen, was der Wahrnehmung des konkreten Mitbestimmungstatbestands entgegensteht.225 Das einseitige Treffen einer Maßnahme stellt das Gegenteil des Leitbildes aus § 2 Abs. 1 BetrVG dar. Vor dem Gebot der vertrauensvollen Zu221 Richardi-Richardi, § 2 Rn. 7 u. 17 ff.; GK-Franzen, § 2 Rn. 11 ff.; von Hoyningnen-Huene, § 72 Rn. 57; ausführlich: Witt, S. 78 ff. 222 Richardi-Richardi, § 2 Rn. 21; Thalhofer, S. 81 ff.; a. A.: Trittin, BB 1984, 1169 (1173) m. w. N. 223 Konzen, S. 66; GK-Franzen, § 2 Rn. 13. 224 GK-Franzen, § 2 Rn. 14. 225 Andere Ansätze betonten die Pflicht der Betriebspartner zur Gewährleistung des notwendigen betrieblichen Beratungs- und Entscheidungsprozesses (Derleder, AuR 1983, 289 [301]) oder das Verbot, entgegen einem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats vollendete Tatsachen zu schaffen (Freckmann/Koller-van Delden, BB 2006, 490 [491]; FESTL § 2 Rn. 26). Diese Aussagen sind lediglich Spielarten des dahinter stehenden Gewährleistungsgedankens der betrieblichen Teilhabe und Zusammenarbeit.
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2. Kap.: Die Unterlassungsansprüche des Betriebsrats
sammenarbeit ist im Bereich der Mitbestimmung und der sich damit ergebenden Gleichberechtigung jedes eigenmächtige Verhalten nicht hinnehmbar. Nichts anderes kommt auch in § 77 Abs. 1 S. 2 BetrVG sowie dem damit einhergehenden Ausschluss der Selbsthilfe des Betriebsrats zum Ausdruck. Ein einseitiges Vorgehen beendet nicht nur die Beteiligungslage, sondern auch das Vertrauen des einen Betriebspartners gegenüber dem anderen. In diesem Verhalten offenbart sich zugleich eine Abwertung des betrieblichen Dialogs. Das Verhalten gleicht nämlich dem ohne institutionalisierte Betriebsverfassung. Es stellt damit nicht nur den Betriebsrat infrage, sondern auch die Betriebsratswahl und die Betriebsversammlung. Kurzum, es erschüttert die Betriebsverfassung. Gerade vor der Zukunftsorientiertheit des § 2 Abs. 1 spricht die Norm gegen das einseitige Treffen der Maßnahme. Dieses Ergebnis geht in die erfüllungsbegleitende Funktion des § 2 Abs. 1 BetrVG über. Diese Erkenntnisse sind auf § 87 BetrVG zu übertragen. So wird § 2 Abs. 1 BetrVG innerhalb des § 87 BetrVG angewandt und führt nicht zu einer Erweiterung des Mitbestimmungstatbestands, sondern zur Inhaltsbestimmung. Dagegen wird zwar vorgebracht, dass die Akzentuierung von § 2 Abs. 1 BetrVG eine Verschiebung der normalen Voraussetzungen der Rechtsfortbildung hin zu einem richterlichen Wertungsspielraums bedinge.226 Dieser Einwand übersieht indes die unterstützende Funktion des § 2 Abs. 1 BetrVG bei der Konkretisierung der Anforderungen des § 87 BetrVG. Dieser methodische Gang über die Normkonkretisierung ist durch die gesetzgeberisch gewählte Offenheit des § 87 BetrVG legitimiert. Die Konkretisierungsermächtigung des § 87 BetrVG bildet den Ausgangspunkt. § 2 Abs. 1 hilft dabei, der Unbestimmtheit Herr zu werden, und wird auf ein Szenario angewendet, in welchem eine Mitbestimmung zu erfolgen hat. dd) Ergebnis Die Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs aus § 87 BetrVG ist Mitbestimmungsausübung. Das Treffen der Maßnahme ist lediglich mit Zustimmung des Betriebsrats möglich. Indem der Betriebsrat die Unterlassung der Maßnahme verlangt, bestimmt er über die Maßnahme mit. Der hier sog. paritätische Unterlassungsanspruch rührt aus der grundsätzlichen Annahme der Mitbestimmung her, dass im Gesetz für beide Betriebspartner die gleichen Rechte in Bezug auf die Maßnahme angelegt sind. Der Anspruch ist das Spiegelbild der Unterlassungsberechtigung des Arbeitgebers. Ebenso reflektiert das Initiativrecht des Betriebsrates die Initiativberechtigung des Arbeitgebers. 226
Konzen, NZA 1995, 865 (871).
E. Der paritätische Unterlassungsanspruch bei § 87 BetrVG
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Der Begriff des Nebenleistungsanspruchs drückt diesen dogmatischen Stellenwert nur unzureichend aus. Der paritätische Unterlassungsanspruch steht auf einer Stufe mit dem Initiativrecht. Die Anspruchsqualität resultiert aus der Rückwirkung des § 77 Abs. 1 S. 2 BetrVG in Verbindung mit dem Mitbestimmungsrecht. Diesen Anspruch wiederum konturiert bzw. bildet § 2 Abs. 1 BetrVG heraus. Das „hat mitzubestimmen“ verknüpft Unterlassungspflicht und Forderungsrecht. ee) Die Bedeutung des Teilhabegedankens Die Rechtsprechung zu § 87 BetrVG steht damit auf einem soliden dogmatischen Fundament und hat dementsprechend inzwischen beachtliche Zustimmung erfahren. Der teleologische Zusammenhang wird deutlicher, wenn man diese Rechtsprechung mit der modifizierten Position von Matthes vergleicht, der 1983 der Ablehnung mitgewirkt, diese Position aber später modifiziert hat. Matthes227 will einen allgemeinen Unterlassungsanspruch von der Frage abhängig machen, welche Nachteile den Arbeitnehmern entstehen oder entstehen können, wenn der Betriebsrat nicht vorher beteiligt wurde. Die Vereitelung der Mitbestimmung schätzt er in diesem Zusammenhang nicht als entscheidend ein. Matthes führt im Einzelnen an, dass es durchaus vorkommen könne, dass der Arbeitnehmer ohne Beteiligung des Betriebsrats besser gestellt sei als mit ihr.228 Diese Ansicht führt zurück in ein bloßes Schutzverständnis der betriebsverfassungsrechtlichen Dogmatik. Vor dem Teilhabegedanken der modernen Betriebsverfassung bleibt das konkrete Beteiligungsrecht maßgebend.
III. Resümee Alle genannten Begründungsmodelle stehen grundsätzlich nicht in einem Konkurrenzverhältnis; sie versuchen das Phänomen des Unterlassungsanspruchs betriebsverfassungsrechtlich zu fassen und gehen auf dieselben Wertungsgesichtspunkte zurück.229 Soweit man wegen des Fehlens einer ausdrücklichen Anspruchsgrundlage den Anspruch verneint, verfällt man in einen Rechtspositivismus, der für die Lösung juristischer Erkenntnisprobleme zu fehlerhaften Begründungsansätzen verleitet.230 227
MünchArbR-Matthes, § 240 Rn. 25. Matthes, FS Dieterich, 355 (357). 229 Ebenso Kümpel, AuR 1985, 78 (92). 230 Richardi, NZA 1995, 8 (10); dies übersehen Riesenkampff, S. 99, und zum Teil Bengelsdorf, SAE 1996, 139 (143 f.). 228
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2. Kap.: Die Unterlassungsansprüche des Betriebsrats
Nach der hier vertretenen Konzeption begründet § 87 Abs. 1 i. V. m. § 2 Abs. 1 BetrVG einen paritätischen Unterlassungsanspruch. Das Unterlassungsverlangen ist Mitbestimmung im Falle einer beteiligungswidrigen Maßnahme. Der Anspruch leitete sich aus dem Grundgedanken, gleicher Rechte für beide Teile und der Unterlassungsbefugnis des Arbeitgebers ab. Davor ist der Anspruch das negatorische Pendant des Initiativrechts.
F. Die Rechtsgrundlage des verfahrenssichernden Unterlassungsanspruchs Die bisherige Entwicklung des Unterlassungsanspruchs war weitgehend auf § 87 BetrVG ausgerichtet und beruhte auf mitbestimmungsrechtlichen Aspekten: Der Unterlassungsanspruch ist die Entsprechung der Unterlassungsbefugnis des Arbeitgebers und das negatorische Pendant des Initiativrechts. Der tragende Gedanke umfassender Parität im Hinblick auf das Treffen der Maßnahme ist aber bei anderen Beteiligungsrechten nicht vorhanden. Daher rückt bei den übrigen Rechten die verfahrenssichernde Dimension des Unterlassungsanspruchs in den Vordergrund. Das rechtfertigt es, in den Bereichen jenseits des positiven Konsensprinzips von verfahrenssichernden Unterlassungsansprüchen zu sprechen.
I. Die dogmatischen Probleme der Ansicht des Bundesarbeitsgericht Die Probleme einer Verallgemeinerung der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts über § 87 BetrVG hinaus offenbaren sich am Fall des § 95 BetrVG. Hier bejaht das Bundesarbeitsgericht seit 2005 ebenfalls einen Unterlassungsanspruch:231 Der Betriebsrat hat danach einen Anspruch darauf, dass ein Arbeitgeber die Anwendung eines Punkteschemas auf die Sozialauswahl unterlässt, wenn er diesem Vorgehen nicht zugestimmt oder die Einigungsstelle seine Zustimmung nicht ersetzt hat. In dem diesem Beschluss zugrunde liegenden Sachverhalt herrschte Streit darüber, ob der Betriebsrat bei der Aufstellung eines Punktesystems im Rahmen der Sozialauswahl für die betriebsbedingte Kündigung mitbestimmen kann. In der Folgezeit sprach die Arbeitgeberin diverse betriebsbedingte Kündigungen aus. Wie bereits 1994 bejahte das Bundesarbeitsgericht einen Anspruch als Nebenpflicht aus dem Beteiligungsrecht i. V. m. § 2 Abs. 1 BetrVG, stellte allerdings erneut klar, dass nicht jede Verletzung von Rechten ohne Weiteres zu einem Unterlassungsanspruch führe; es komme vielmehr auf die einzelnen 231
BAG, Beschluss vom 26.7.2005 – 1 ABR 29/04, NZA 2005 1372.
F. Die Rechtsgrundlage des verfahrenssichernden Unterlassungsanspruchs
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Mitbestimmungstatbestände, deren gesetzliche Ausgestaltung sowie die Art der Rechtsverletzung an.232 In Bezug auf § 95 BetrVG sollte entscheidend sein, dass kein anderer wirksamer Weg zur Durchsetzung dieses Mitbestimmungsrechts zur Verfügung stehe.233 Hinzu komme, dass dem Arbeitgeber keinerlei Sanktionen drohten.
II. Würdigung Im Hinblick auf die Rechtsprechung des BAG seit 1994 ist der Beschluss konsequent und die Feststellung eines Unterlassungsanspruchs als Nebenleistungspflicht im Ergebnis nicht zu beanstanden. Ferner stellt das Gericht die – nach allgemeinen Grundsätzen ohnehin anzunehmende – Unterlassungsalternative nach Durchführung der Maßnahme klar. Auch baut die Rechtsprechung die Wirkungsweise des Unterlassungsanspruchs vor dem Zustimmungserfordernis im Hinblick auf die Verwendung des mitbestimmungswidrigen Ergebnisses aus.234 Es begegnet indes methodischen Bedenken, wenn schlichtweg auf die Entscheidung aus dem Jahre 1994 abgestellt wird. Die Auslegung im Lichte des § 2 Abs. 1 BetrVG war dort wegen der Unbestimmtheit des Wortes „mitzubestimmen“ legitim, das Betriebsverhältnis als Rechtsgrundlage war durch das Recht bzw. dessen Wortlaut klar konturiert. Bei § 95 BetrVG stellt sich aber die Frage, ob die Formulierung bzw. die Wortlautgrenze das gleiche methodische Vorgehen überhaupt zulässt. Wäre dies nicht der Fall, dann läge keine Normkonkretisierung vor, sondern eine unmittelbar auf § 2 Abs. 1 BetrVG gestützte oder eine den Wortlaut übersteigende Rechtsfortbildung, weil dann allein § 2 Abs. 1 das Betriebsverhältnis in der Konstellation konturieren würde. In dem vom BAG zu entscheidenden Sachverhalt ging es um ein Möbelhaus mit 200 Arbeitnehmern. Hier hat der Betriebsrat kein vollwertiges Mitbestimmungsrecht, sondern nach § 95 Abs. 1 BetrVG nur ein (defensives) Zustimmungsverweigerungsrecht. Schon strukturell ist dieses Recht schwächer als das Recht aus § 87 BetrVG. Die Zustimmungspflicht und die Berechtigung, nach der Zustimmung gefragt zu werden, sind eindeutig und in ihrer Rechtswirkung einfach und prägnant formuliert. Dass eine Unterlassungsverpflichtung in der Zustimmungsverpflichtung verwurzelt ist, 232
BAG, Beschluss vom 26.7.2005 – 1 ABR 29/04, NZA 2005 1372 (1374). Das Bundesarbeitsgericht hat auch seither bekräftigt, dass eine fehlenden Beteiligung nicht zur Unwirksamkeit der nachfolgenden Kündigung führen kann: BAG, Urteil vom 9.11.2006 – 2 AZR 812/05, NZA 2007, 549 (552) m. w. N. 234 Vgl. zu den Besonderheiten des § 95 BetrVG: Rossa/Salomon, NJW 2008, 1991 (1993 ff.). 233
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2. Kap.: Die Unterlassungsansprüche des Betriebsrats
erscheint wegen des negativen Konsensprinzips einleuchtend. Ob hieraus ein Unterlassungsanspruch aus der Formulierung der Norm im Lichte des § 2 Abs. 1 BetrVG entnommen werden kann, hat das Bundesarbeitsgericht hingegen nicht beantwortet.235 Das Zustimmungserfordernis beinhaltet für sich keinen Auslegungsspielraum zur Herausbildung eines Anspruchs. Es handelt sich daher um Rechtsfortbildung. Allein die Betonung der Wirksamkeit des Rechtsschutzes ist als teleologischer Aspekt nur ein wichtiger Baustein für den Unterlassungsanspruch. Die Übertragung der Grundsätze kann dieser Aspekt allein nicht begründen. Der Wortlaut der Norm und die Dogmatik des Betriebsverhältnisses sind bei § 95 BetrVG anders als bei § 87 BetrVG.
III. Eigene Ansicht: § 23 Abs. 3 BetrVG analog Zur Sicherung des Zustimmungserfordernisses aus § 95 BetrVG könnte man auf § 23 Abs. 3 S. 1 BetrVG zurückgreifen. Die Norm erfüllt zwar vor allem eine optische Funktion innerhalb von § 23 BetrVG,236 dennoch sollte man die Norm nicht vorschnell aus dem Kontext des allgemeinen Unterlassungsanspruchs ausklammern. Ausgehend von der Feststellung des Ersten Senats, § 23 Abs. 3 BetrVG verkörpere keine Regelung mit Ausschlusswirkung,237 und der zutreffenden Interpretation in der Literatur als Auffangtatbestand könnte man die Norm der Rechtsfortbildung öffnen und den allgemeinen verfahrenssichernden Unterlassungsanspruch aus § 23 Abs. 3 S. 1 BetrVG analog entnehmen. Dazu muss zunächst überprüft werden, ob die Norm einen drohenden Verstoß verhindern kann. Erst danach sind die Voraussetzungen der Rechtsfortbildung der Norm zu diskutieren. 1. Der präventive Unterlassungsanspruch des § 23 Abs. 3 S. 1 BetrVG § 23 Abs. 3 BetrVG gehört zu den meistdiskutierten Normen des Betriebsverfassungsrechts. Obwohl es nicht an Vorschlägen mangelt, ist eine einheitliche Auslegung dieser Unterlassungsalternative bislang nicht gelungen.
235 Etwa in dem Beschluss vom 23.7.1996 – 1 ABR 13/96, NZA 1997, 274 (277) geht das Gericht ja ausdrücklich von Konkretisierung als methodische gebotener Vorgehensweise aus. 236 Gamillscheg, S. 753; vgl. auch S. 48. 237 BAG, Beschluss vom 3.5.1994 – 1 ABR 24/93, SAE 1995, 93 (95).
F. Die Rechtsgrundlage des verfahrenssichernden Unterlassungsanspruchs
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a) § 23 Abs. 3 BetrVG als Anspruchsgrundlage Die genaue dogmatische Einordnung der Norm in das materielle Recht oder das Prozessrecht ist immer noch stark umstritten. Die herrschende Meinung begründet ihr materiell-rechtliches Verständnis mit dem aus ihrer Sicht klaren Wortlaut, der Systematik (etwa dem vergleichbaren Aufbau mit § 1004 BGB) sowie dem Sinn und Zweck der Norm als sekundärem Durchsetzungsinstrument der Rechte.238 Der prozessualen Einordnung ist indes zuzugeben, dass dem Antrag der CDU-/CSU-Fraktion, die Norm des § 23 Abs. 3 zu streichen, weil ihr Inhalt zweckmäßiger im Verfahrensrecht zu regeln sei, nicht aus dogmatischen Überlegungen widersprochen wurde, sondern vielmehr um optisch eine Gleichheit mit § 23 Abs. 1 BetrVG herzustellen.239 Allerdings bezieht sich diese Feststellung genau genommen auf die Sätze 2–5. Deren Nähe zur Zwangsvollstreckung ist unverkennbar. Wenn Satz 1 zudem von Anrufung des Arbeitsgerichts spricht, ist diese Formulierung keineswegs ausschließlich prozessrechtlicher Natur. Die klassische Formulierung von Anspruchsgrundlagen wie „kann verlangen“ ist kein Muss.240 Die ähnlich unpräzise Formulierung des § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB hindert heute niemanden daran, von der festgelegten prozessualen Position auf die materielle Rechtslage zu schließen. Auch § 23 Abs. 3 besitzt daher einen materiell-rechtlichen Kern. b) Der grobe Verstoß gegen betriebsverfassungsrechtliche Pflichten Den Dreh- und Angelpunkt der Norm bildet die grobe Verletzung betriebsverfassungsrechtlicher Pflichten. Der Begriff der „Verpflichtungen aus diesem Gesetz“ erstreckt sich trotz der augenscheinlich eindeutigen Fassung auf alle materiell betriebsverfassungsrechtlichen Pflichten, z. B. auch auf § 17 Abs. 2 KSchG.241 Ein Verschulden ist nicht erforderlich.242 Dies folgt 238 BAG, Beschluss vom 3.5.994 – 1 ABR 24/93, EzA § 23 BetrVG 1972 Nr. 36; ebenso Raab, S. 72 ff.; Raab., ZfA 1997, 183 (187); MünchArbR-Matthes, § 240 Rn. 5; Schulze, S. 128; eine Anspruchsnorm bejahen im Ergebnis: SWS, § 23 Rn. 17; ausführlich Evers, S. 17 f.; Walker, Rn. 774. 239 Bt.-Drs. VI 2729, S. 21; Hierzu: GK-Oetker, § 23 Rn. 129; wohl auch Wlotzke/Preis-Kreft, § 23 Rn. 28: der materiell-rechtliche Inhalt muss andernorts begründet werden. 240 Vgl. auch BAG, Beschluss vom 17.3.2010 – 7 ABR 95/08, NZA 2010, 1133 (1135) zu Bedeutung der Aktivlegitimation für die Anspruchsermittlung. 241 HaKo-Düwell, § 23 Rn. 58; zu § 17 Abs. 2 KSchG vgl. BT-Ausschuss, Drs. 16 (11) 337 S. 2.; a. A. offenbar HSWGNR-Schlochauer, § 23 Rn. 61. 242 So die h. M.: BAG, Beschluss vom 8.8.1989, EzA § 23 BetrVG Nr. 26; vgl. die Nachweise bei GK-Oetker, § 23 Rn. 176; FESTL § 23 Rn. 64; a. A.: Adomeit, NJW 1995, 1004 (1005).
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2. Kap.: Die Unterlassungsansprüche des Betriebsrats
nicht zuletzt aus der Parallele zu anderen Unterlassungsansprüchen, wie z. B. §§ 1004, 12, 862 BGB, § 8 UWG u. v. m.243 Die Auslegung des Terminus „grobe Pflichtverletzung“ erfolgt parallel zu § 23 Abs. 1 BetrVG. Eine grobe Pflichtverletzung liegt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts vor, wenn die Pflichtverletzung objektiv erheblich und offensichtlich schwerwiegend ist.244 Ein grober Verstoß hätte nach diesem Verständnis zwei Komponenten. Gleichwohl ist dies nicht der Fall, die beiden Inhalte sind im Wesentlichen deckungsgleich. Dem entspricht die wahrzunehmende Tendenz, den letzten Teil der Definition als Erläuterung des Erstgenannten zu verstehen und demnach objektive Erheblichkeit in einem besonders schwerwiegend gegen den Zweck des Gesetzes gerichteten Verstoß zu erblicken.245 Dabei muss nicht eine einzige Handlung vorliegen, die ihrerseits einen groben Verstoß darstellt. Es genügt, wenn mehrere einfache Verstöße insgesamt grob gegen die Betriebsverfassung verstoßen.246 Problematisch erscheint weiter, ob § 23 Abs. 3 BetrVG eine Wiederholungsgefahr erfordert. Die herrschende Konzeption lehnt das Erfordernis ab247 und begründet dies mit der friedensstiftenden und erzieherischen Wirkung, die von einer gerichtlichen Erkenntnis ausgehe. Alternativ wird darauf verwiesen, dass eine grobe Pflichtverletzung eine Wiederholungsgefahr indiziere.248 Die Rechtsprechung hat dieses Erfordernis einmal bejaht, lässt es aber mittlerweile wegen der regelmäßigen Indikation offen.249 c) Der präventive Schutz Die bislang präsentierte Konzeption rückt die Norm in die Nähe einer Disziplinarvorschrift.250 Dem entspricht es, wenn die herrschende Auffassung bereits bei Satz 1 einen vollendeten Verstoß voraussetzt.251 Dieses 243
Ebenfalls von Hoyningen-Huene, AP, § 23 BetrVG 1972 Nr. 5. BAG 23.6.1992 – 1 ABR 11/92, AP BetrVG 1972 § 23 Nr. 20. 245 BAG 21.2.1978 – 1 ABR 54/76, EzA § 74 BetrVG 1972 Nr. 4; GK-Oetker, § 23 Rn. 36; FESTL § 23 Rn. 62; HaKo-Düwell, § 23 Rn. 63. 246 Hess. LAG, Beschluss vom 4.7.2006 – 4/18 TaBV 46/05 = juris; RichardiThüsing, § 23 Rn. 93. 247 HaKo-Düwell, § 23 Rn. 66. 248 HaKo-Düwell, § 23 Rn. 66; ErfK-Koch § 23 Rn. 18. 249 BAG, Beschluss vom 19.7.1995 – 7 ABR 60/94, AP § 23 BetrVG 1972 Nr. 25. 250 Lobinger, FS Richardi, 657 (661). 251 BAG, Beschluss vom 18.4.1985 – 6 ABR 19/84, AP § 23 BetrVG 1972 Nr. 5; BAG, Beschluss vom 22. Februar 1983 EzA Nr. 9 zu § 23 BetrVG (Leitsatz 2); ErfK-Koch, § 23 BetrVG Rn. 18; HaKo-Düwell, § 23 Rn. 64 Voraussetzung ist eine vollendete grobe Pflichtverletzung; SWS, § 23 Rn. 14; HSWGNR-Schlochauer, § 23 244
F. Die Rechtsgrundlage des verfahrenssichernden Unterlassungsanspruchs
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Verständnis hat sich in der Folge der Entscheidung des Sechsten Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 18.4.1985 herausgebildet. Dort sprach das Gericht von einer kollektivrechtlichen Abmahnung.252 Hinter diesem Verständnis steht die Absicht, § 23 Abs. 3 BetrVG in seiner Relevanz für den Rechteschutz in der Betriebsverfassung zurückzudrängen und stärker auf die allgemeinen Strukturen der Betriebsverfassung zurückzugreifen. Folgte man diesem Verständnis, besäße die Norm lediglich einen unvollständigen negatorischen Charakter. Ausdrücklich verneinen indes nur wenige Autoren die negatorische Eigenschaft des § 23 Abs. 3 BetrVG.253 aa) Das disziplinarische Verständnis der herrschenden Meinung Die herrschende Meinung in der Literatur und der ehemalige Sechste Senat des Bundesarbeitsgerichts ordnen § 23 Abs. 3 BetrVG einem vollendeten groben Verstoß zu.254 Für diese Sichtweise wird angeführt, dass auch Absatz 1 einen vollendeten Verstoß erfordere.255 Argumentiert wird auch, dass § 23 Abs. 3 BetrVG lediglich darauf ausgerichtet sei, das zukünftige gesetzeskonforme Handeln sicherzustellen.256 Den ersten Verstoß versucht diese Ansicht über §§ 119 und 121 BetrVG und damit über Repressionsinstrumente zu verhindern.257 Der Ausgangspunkt der herrschenden Meinung trifft zu. Er schließt aber eine präventive Alternative nicht zwingend aus. Es ist daher weiter zu prüfen, inwieweit neben dieser Alternative ein präventiver Unterlassungsanspruch vorhanden ist. bb) Der Wortlaut Der Wortlaut der Vorschrift ist nicht eindeutig. Die Formulierung „bei groben Verstößen“ ist keineswegs rein resultativ, sondern offen. Auf eine Akzentuierung von „bei“ kann sich die herrschende Meinung nicht stützen. Denn wollte man „bei“ rein zeitlich interpretieren, so eröffnete sich ein Rn. 63, gehen auch von einer Sanktionsnorm aus; FESTL § 23 Rn. 75; wohl auch Raab, S. 105 f.; Prütting, RdA 1995, 257 (262). 252 BAG, Beschluss vom 18.4.1985 – 6 ABR 19/84, AP § 23 BetrVG 1972 Nr. 5. 253 Richardi-Thüsing, § 23 Rn. 77; Richardi, AP, § 23 BetrVG 1972, Nr. 23, Richardi, FS Wlotzke, 407 (409). 254 BAG, Beschluss 18.4.1985 – 6 ABR 19/84, AP § 23 BetrVG 1972 Nr. 5; FESTL § 23 Rn. 59; HaKo-Düwell, § 23 Rn. 64; ErfK-Koch, § 23 Rn. 18. 255 HaKo-Düwell, § 23 Rn. 64, der wegen des allgemeinen Unterlassungsanspruchs keine praktische Notwendigkeit sieht. 256 Richardi-Thüsing, § 23 Rn. 1. 257 Vgl. FESTL, § 23 Rn. 75; HWSGN-Schlochauer, § 23 Rn. 67.
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2. Kap.: Die Unterlassungsansprüche des Betriebsrats
Korridor vor, während und nach dem Verstoß. All dies ist von der Verwendung des Wortes „bei“ gedeckt. „Bei“ erfasst auch den Raum des unmittelbaren Bevorstehens. Das Tatbestandsmerkmal „Verstoß“ ändert hieran nichts. Nicht zuletzt wegen der Verwendung von „bei“ bedarf es keiner zusätzlichen Adjektive wie „drohend“ oder „erstmalig“. Auch der Zusammenhang mit der Formulierung „eine Handlung zu unterlassen“ erzwingt kein resultatives Verständnis. Ob diese Handlung deckungsgleich mit dem Verstoß sein kann oder diesem zwingend nachgelagert ist, hat der Gesetzgeber offen gelassen. cc) Die systematische und historische Auslegung Systematisch spricht für die herrschende Meinung, dass § 23 Abs. 1 BetrVG einen vollendeten Verstoß voraussetzt. Indes darf § 23 Abs. 3 BetrVG nicht schematisch an Absatz 1 gekoppelt werden. Historisch betrachtet, sollte § 23 Abs. 3 BetrVG die Gleichgewichtigkeit im Hinblick auf § 23 Abs. 1 BetrVG garantieren.258 Gerade die unterschiedlichen Rechtsfolgen, die sich für den Arbeitgeber einerseits und den Betriebsrat andererseits ergeben, sprechen gegen eine zwingende systematische Koppelung zwischen § 23 Abs. 1 und 3 BetrVG. Der Betriebsrat kann den Arbeitgeber nicht aus der Betriebsverfassung ausschließen. § 23 Abs. 1 BetrVG verhindert aus diesem Grund absolut jede weitere Pflichtverletzung des betroffenen Betriebsratsmitglieds bis hin zum gesamten Betriebsrat. § 23 Abs. 3 untersagt nur eine Handlung und ist bezüglich seiner Durchschlagskraft weit hinter § 23 Abs. 1 zurückgeblieben. Will man davor Gleichgewichtigkeit herstellen, ist jedenfalls ein präventiver Anspruch notwendig. Auch § 2 Abs. 1 BetrVG spricht für eine präventive Alternative. Bereits die drohende beteiligungslose Durchführung einer beteiligungspflichtigen Maßnahme ist für das Betriebsverhältnis bzw. den Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit eine erhebliche Belastung. Vor dem Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit ist das Verhindern des Rechtsbruchs und die Rückkehr zur Verhandlung einer „Kompensation“ mit den Mitteln des Strafrechts oder einer repressiven Anordnung durch das Arbeitsgericht vorzuziehen. dd) Sinn und Zweck Raab hat zu Recht darauf hingewiesen, dass der zukunftsorientierte und präventive Zweck nicht in erster Linie in der Ahndung des begangenen 258 Bt.-Drs. VI/2729, S. 21: „Gründe der Gleichgewichtigkeit“; DKKW-Trittin § 23 Rn. 209.
F. Die Rechtsgrundlage des verfahrenssichernden Unterlassungsanspruchs
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Pflichtenverstoßes, sondern vielmehr in der Verhinderung einer Wiederholung liegt.259 Dem Sinn und Zweck der Vorschrift, die betriebsverfassungsrechtliche Ordnung zu sichern,260 wird daher die Einbeziehung eines erstmaligen groben Verstoßes besser gerecht. Folgerichtig vertritt eine im Vordringen befindliche Mindermeinung, dass das Hinnehmen eines erstmaligen Verstoßes nicht mit dem Zweck der Norm vereinbar sei.261 Wenn die betriebsverfassungsrechtliche Ordnung geschützt werden soll und der Wortlaut der Norm ein präventives Verständnis ermöglicht, so soll die Norm Einbußen am Rechtsbestand verhindern. Das Argument, dass § 23 Abs. 3 BetrVG für die Zukunft wirken soll, steht einer präventiven Auslegung nicht entgegen. Jeder Unterlassungsanspruch zielt unabhängig von seinen rechtlichen Grundlagen in die Zukunft.262 Die Norm blickt auf einen intakten Rechtsbestand innerhalb der Betriebsverfassung. Die Wirkung für die Zukunft meint nicht nur die ferne Zukunft. ee) Der Vergleich zu § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB Methodisch drängt sich bei der Einordnung der Erstbegehung die Parallele zu § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB auf.263 Diese Norm schließt die Erstbegehung ja sogar ausdrücklich nach ihrem Wortlaut aus: § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB geht seinem Wortlaut nach von einem begangenen Verstoß aus und stellt dann auf die Besorgnis weiterer Beeinträchtigungen ab. § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB wurde fortgebildet, demgegenüber handelt es sich bei § 23 Abs. 3 BetrVG nur um eine teleologische Auslegung und damit um ein Minus zur Rechtsfortbildung. ff) Ergebnis Es ist daher festzuhalten, dass § 23 Abs. 3 S. 1 BetrVG auch in Fällen des drohenden ersten Verstoßes einschlägig sein kann. „Bei“ ist dahingehend auszulegen, dass eine Erstbegehungsgefahr erforderlich, aber auch ausreichend ist. Die unmittelbar präventive Variante des § 23 Abs. 3 S. 1 259
Raab, ZfA 1997, 183 (188). Dazu noch ausführlich S. 98. 261 So auch DKKW-Trittin, § 23 Rn. 208; GK-Oetker § 23 Rn. 177; Pahle, NZA 1990, 51 (54); Konzen, S. 74; MünchArbR-Matthes, § 240 Rn. 8; auch schon Heinze, DB 1983, Beilage 9/83, S. 12; Evers, S. 11; Seeberger S. 122. 262 Fritzsche, S. 38 f., unter Verweis auf BGH, Urteil vom 17.3.1964 – Ia ZR 193/63, BGHZ 42 340 (345): „stets künftige Leistung“; wohl auch Evers S. 12. 263 DKKW-Trittin § 23 Rn. 208. 260
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2. Kap.: Die Unterlassungsansprüche des Betriebsrats
BetrVG tritt neben die ihr nach herrschender Meinung zukommende Disziplinarfunktion. In praktischer Hinsicht schließen sich beide Varianten nicht aus, sondern ergänzen sich im Hinblick auf den Zweck der Vorschrift. d) § 23 Abs. 3 S. 1 BetrVG als Gegenstand einer einstweiligen Verfügung Liefert § 23 Abs. 3 S. 1 BetrVG folglich einen Unterlassungsanspruch bezüglich eines bevorstehenden Verstoßes, so stellt sich die Frage, ob eine einstweilige Verfügung aufgrund von § 23 Abs. 3 S. 1 BetrVG ergehen kann. Im Wesentlichen setzt sich hier der Streit um das präventive Verständnis fort.264 Nach einem rein repressiven Verständnis kann § 23 Abs. 3 BetrVG nicht Gegenstand einer einstweiligen Verfügung sein.265 Hinzu kommt nun, dass die Verurteilung zu einer Geldstrafe nach den Sätzen 2–5 die Rechtskraft einer gerichtlichen Entscheidung voraussetzt. Dies muss aber nicht gegen die Zulässigkeit der einstweiligen Verfügung sprechen, die ein geeignetes präventives Instrument darstellt. Der Hinweis auf das Rechtskrafterfordernis überdehnt zudem den Zusammenhang von Satz 1 und den folgenden Sätzen. § 23 Abs. 3 S. 1 BetrVG enthält einen Anspruch, der im Beschlussverfahren nach § 85 Abs. 2 ArbGG vorläufig durchsetzbar ist. Evers wendet daher zu Recht den Umkehrschluss aus § 85 Abs. 1 S. 3 ArbGG an:266 Dem Umstand, dass § 23 Abs. 3 BetrVG dort ausdrücklich hervorgehoben wurde, in Abs. 2 aber keine Ausnahme geregelt ist, ist zu entnehmen, dass § 23 Abs. 3 S. 1 im einstweiligen Rechtsschutz durchgesetzt werden kann. Satz 2 enthält somit keine Beschränkung auf rechtskräftige Entscheidungen, sondern eine Sonderregel im Falle einer rechtskräftigen Entscheidung, um den Verstoß gegen eine rechtskräftige Entscheidung zu sanktionieren. Eine einstweilige Verfügung ist folglich möglich. e) Zwischenergebnis Die nach herrschender Meinung bestehende, im Nachhinein wirkende Alternative des § 23 Abs. 3 S. 1 BetrVG ist um eine präventiven Variante zu ergänzen. Auf diese Weise wird man der Struktur des § 23 Abs. 3 S. 1 BetrVG besser gerecht. Durch die dreigliedrige Rechtsfolgenanordnung erhält die Norm drei alternative, voneinander unabhängige Tatbestände. 264 265 266
Zur Gegenansicht bspw. Richardi-Thüsing, § 23 Rn. 103. HaKo-Düwell, § 23 Rn. 43. Evers, S. 13.
F. Die Rechtsgrundlage des verfahrenssichernden Unterlassungsanspruchs
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Durch die Fassung des Tatbestandes („bei“) enthält die Norm mehrere zeitliche Anknüpfungspunkte: kurz davor, während und kurz danach. Auf diese Weise besitzt die Norm drei verschiedene Anspruchsgrundlagen, die jeweils zu drei verschiedenen Zeitpunkten einschlägig sein können.267 § 23 Abs. 3 S. 1 BetrVG enthält daher einen umfassenden Unterlassungsanspruch bezüglich einer groben Verletzung einer betriebsverfassungsrechtlichen Pflicht. 2. Die Durchführung der Maßnahme und der grobe Verstoß (der Kumulationseffekt) Um einen allgemeinen Unterlassungsanspruch des Betriebsrats bei beteiligungswidrigen Maßnahmen zu begründen, müsste die Durchführung einer beteiligungspflichtigen Maßnahme einen groben Verstoß gegen eine betriebsverfassungsrechtliche Pflicht darstellen.268 Dazu müsste das Durchführen der Maßnahme objektiv erheblich und offensichtlich schwerwiegend gegen die betriebsverfassungsrechtlichen Pflichten verstoßen.269 Diesbezüglich kann man an zwei unterschiedlichen Pflichtverletzungen anknüpfen: die Beseitigung des Beteiligungsrechts als solche oder die Verletzung des aus § 2 Abs. 1 folgenden Gebotes, keine Maßnahmen zu ergreifen, die die Mitbestimmung beseitigen. Der wertungsoffene Begriff des Verstoßes gegen eine Pflicht ist nicht auf das bloße Nichterfüllen der Pflicht beschränkt, sondern erfasst auch das Beseitigen der durch das Beteiligungsrecht geschaffenen Beteiligungslage.270 In der Durchführung der Maßnahme wird dann ein gesteigertes, wegen der Beseitigung der Beteiligungslage negativ zu bewertendes Verhalten im Vergleich zur bloßen Nichtbeteiligung offenbar. Es liegt eine Vertiefung des Nichtbeteiligens vor. Ob das Durchführen der Maßnahme einen Verstoß gegen die Pflichten bildet, ist dabei grundsätzlich vor der Teleologie eines jeden Beteiligungsrechts gesondert zu prüfen. In dem vorangestellten Beispiel 267 Einige Pflichten schließen sich aber aus. So kann in der vorgelagerten Interpretation von „bei“ ein Beseitigungsanspruch nicht bestehen, es fehlt etwas Beseitigungsfähiges. 268 Dafür: Wolmerath, JurisPR-ArbR 41/2007, Anm. 4. 269 BAG, Beschluss vom 23.6.1992 – 1 ABR 11/92, AP BetrVG 1972 § 23 Nr. 20. 270 Im Rahmen der Terminologie des § 23 Abs. 3 BetrVG wäre es missverständlich, von leichten Verstößen zu reden. Man kann gegen Pflichten nicht „ein bisschen“ verstoßen. Insofern existiert lediglich der einfache Verstoß. Die Art und Weise des Verstoßes kann aber erheblich über das zum Verstoß Notwendige hinausgehen. In diesen Fällen ist eine erhebliche und schwerwiegende Verletzung als grob anzusehen.
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2. Kap.: Die Unterlassungsansprüche des Betriebsrats
des § 95 BetrVG folgt aber aus der Bindung der Maßnahme an die Zustimmung der Verstoß, wenn die Maßnahme trotzdem durchgeführt wird. Dennoch leistet § 23 Abs. 3 S. 1 BetrVG unmittelbar keinen allgemeinen Unterlassungsanspruch. Die Verletzung eines Beteiligungsrechts erweist sich nicht notwendig als grob i. S. d. § 23 Abs. 3 S. 1 BetrVG. Gemessen an der Rechtzeitigkeit bzw. der Anteriorität der Beteiligung ist eine Verletzung denklogisch lediglich nach der Durchführung möglich. Die Durchführung ist derart stark mit der Verletzung der zeitlichen Dimension des Beteiligungsrechts verbunden, dass es schwer ist, einen groben Verstoß alleine im bloßen Durchführen der Maßnahme zu sehen. Hinzu kommt, dass die Durchführung der Maßnahme grundsätzlich der Wahrnehmung einer eigenen Berechtigung des Arbeitgebers entspricht. Das hier gefundene Subsumtionsergebnis deckt sich mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Das Bundesarbeitsgericht geht davon aus, dass erst mehrere Fälle des Übergehens eines Mitbestimmungsrechts einen groben Verstoß gegen die Verpflichtung aus dem Mitbestimmungsrecht darstellen können.271 Ein einmaliger Verstoß hingegen könne nur bei Übergehung eines höchstrichterlich festgestellten Mitbestimmungsrechts eine grobe Pflichtverletzung begründen.272 Zu keinem anderen Ergebnis kommt man, wenn man die vom Bundesarbeitsgericht begründete Verpflichtung aus § 2 Abs. 1 BetrVG zugrunde legt, alles zu unterlassen, was der Beteiligung zuwiderläuft. Es liegt dann ebenfalls nur ein einfacher Verstoß vor. Jenseits der komplexen Anordnung der Mitbestimmung sind Beteiligungsrechte unkompliziert strukturiert. Sie enthalten einfache Pflichten des Arbeitgebers vorher zu informieren, anzuhören, zu beraten etc. Eine isolierte Durchführung einer beteiligungspflichtigen Maßnahme ist in der Regel nicht geeignet, um als grobe Pflichtverletzung bewertet zu werden. Erst wenn zusätzliche Umstände hinzutreten (hier sog. Kumulationseffekt), wie etwa weiteres Verhalten des Arbeitgebers oder die Klärung der Rechtslage durch das Bundesarbeitsgericht, kann gemäß § 23 Abs. 3 S. 1 eine Bewertung der Durchführung als grob erfolgen. Hinzu kommt die Fallgruppe, dass ein Verstoß in „Schwere“ erwächst, je länger er andauert.273 Die Durchführung einer beteiligungspflichtigen Maßnahme kann somit grundsätzlich nur untersagt werden, wenn sie ein Element eines groben Verstoßes darstellt.
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BAG, Beschluss vom 18.4.1985 – 6 ABR 19/84, AP § 23 BetrVG 1972 Nr. 5. BAG, Beschluss vom 8.8.1989 – 1 ABR 59/88, AP § 23 BetrVG 1972 Nr. 11; zust. von Hoyningen-Huene, § 4 Rn. 90; vgl. BAG, Beschluss vom 23.6.2009 – 1 ABR 23/08, NZA 2009, 1430. 273 LAG Mainz, Beschluss vom 21.6.2004 – 7 TaBV 6-04 = juris.de. 272
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3. § 23 Abs. 3 S. 1 BetrVG analog Allerdings könnte man § 23 Abs. 3 BetrVG analog anwenden. Die Norm bezweckt den Schutz der betriebsverfassungsrechtlichen Ordnung274 und damit auch der Beteiligungsrechte. Davon ausgehend, dass § 23 Abs. 3 S. 1 BetrVG undifferenziert auf jede betriebsverfassungsrechtliche Pflicht Bezug nimmt und zusätzlichen Schutz gewährt, könnte man die Norm dann den Besonderheiten und Wertungen der jeweiligen Beteiligungsrechte öffnen und systematisch-teleologisch extendieren. Mit anderen Worten: Man könnte die Wertung des Beteiligungsrechts in § 23 Abs. 3 S. 1 BetrVG hinein transportieren. Dieser Gedanke ist dabei nicht gänzlich neu. Bereits Lobinger hatte die Idee einer teleologischen Extension des § 23 Abs. 3 BetrVG zur Sprache gebracht.275 Eine teleologische Extension setzt eine Abweichung von Gesetzeswortlaut und Gesetzeszweck voraus.276 Mithin bedarf es einer abstrakt beschreibbaren Fallgruppe, die von den Grundwertungen oder Zwecken des Gesetzes, aber nicht von seinem Wortlaut erfasst wird und sich von der Regelung nicht derart unterscheidet, dass die Ungleichbehandlung sachlich ungerechtfertigt und willkürlich wäre.277 Dabei greift die teleologische Extension eine in der Norm zum Ausdruck gebrachte Wertentscheidung auf und bringt sie zur vollen Geltung.278 Im Folgenden soll daher geprüft werden, 274 Richardi-Thüsing § 87 Rn. 74; ErfK-Koch § 23 Rn. 17; DKKW-Trittin § 23 Rn. 195. 275 Lobinger, ZfA 2004, 101 (166, insb. Fn. 236); ausgehend von der „Härte“ der weitreichenden Befugnis des Arbeitgebers aus § 23 Abs. 1 BetrVG und der damit einhergehenden Möglichkeit, dass „Minusmaßnahmen“ die Norm stützen können (so auch einen Unterlassungsanspruch), spannt er wegen des der Norm innewohnenden historischen Paritätsgedankens von Abs. 1 und Abs. 3 den Bogen zu § 23 Abs. 3 BetrVG und den Bezug auf einfache Verstöße. Dabei muss er indes unterstellen, dass eine Minusmaßnahme auf der einen Seite die Ausweitung auf der anderen bedingt. Das Wesen der Minusmaßnahme besteht gleichwohl darin, sich innerhalb/ unterhalb der zugewiesenen Berechtigung bzw. Rechtsfolge zu halten, da man sich im Rahmen der Eingriffsintensität bewegt. Diese Ansicht besitzt einen richtigen Kern, denn sie geht davon aus, dass die mit den Regelungen bezweckten Rechtsfolgen hinsichtlich ihrer Intensitäten identisch sind. Es wird darüber hinaus den Besonderheiten der Beteiligungsrechte nicht gerecht, allein aus diesem Grund dem Unterlassungsanspruch auf der einen Seite den Unterlassungsanspruch auf der anderen folgen zu lassen. In diese Richtung scheint auch das ArbG Berlin, Beschluss vom 10.12.2010 – 28 BV 9966/10 zu tendieren, mit Begründung in juris.de. 276 Höchstrichterlich anerkannt: BFH, Urteil vom 17.5.2006 – X R 43/03, DB 2006, 1467 (1469); Larenz/Canaris, S. 216 ff. 277 Bydlinski, S. 480, zur teleologischen Reduktion; beachtenswert ist, dass Hanau § 23 Abs. 3 BetrVG ebenfalls den speziell-gesetzlichen Wertungen unterstellt, aber ausschließlich den Anwendungsbereich limitiert, JuS 1985, 360 (364). 278 Looschelders/Roth S. 269; Schwacke, S. 140.
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2. Kap.: Die Unterlassungsansprüche des Betriebsrats
ob Raum für eine Rechtsfortbildung besteht, ob eine abstrakte Grundwertung vorhanden ist und ob vor dieser Grundwertung die Fälle gleich gehandelt werden müssen. a) Die Planwidrigkeit der Regelungslücke Was allgemein für den Unterlassungsanspruch moniert wird,279 soll nun gerade in Bezug auf § 23 Abs. 3 BetrVG analog untersucht werden. Es könnte eine planwidrige Regelungslücke fehlen. Die Annahme liegt auf den ersten Blick nahe, weil § 23 Abs. 3 ein weitgehendes System beinhaltet, das ein zusätzliches Durchsetzungsverfahrens in den S. 2–5 einschließt. Das Kriterium der Regelungslücke ist dabei keineswegs unumstritten. Während Teile der Methodenlehre280 auf diese Voraussetzung verzichten wollen und allein die Gleichbehandlung von wesentlich Gleichem fordern, fordert die herrschende Praxis das Kriterium wegen des Gewaltenteilungsgrundsatzes.281 Das Bundesarbeitsgericht forderte jedenfalls in älteren Urteilen auch im Bereich der teleologiegetragenen Rechtsfortbildung eine planwidrige Regelungslücke.282 Da Lückenfeststellung und Lückenschließung bei einer teleologischen Extension regelmäßig zusammenfallen,283 soll die Frage an dieser Stelle nur dahingehend erörtert werden, was das Regelungsziel des Gesetzgebers bei § 23 Abs. 3 BetrVG war und warum dieses Ziel Raum für die weitergehende Frage der Lückenschließung lässt. Die vom Sinn und Zweck vorgegebene Ausweitung der Norm (Schutz der betriebsverfassungsrechtlichen Ordnung) begründet dann auch die Regelungslücke. aa) Der Lückenbegriff Über das Kriterium der Regelungslücke wird die einfache Rechtsfortbildung (intra ius) von der gesetzesübersteigenden abgegrenzt.284 Eine planwidrige Gesetzeslücke liegt dabei nicht schon dann vor, wenn ein Sachverhalt nicht geregelt ist. Eine Gesetzeslücke und gesetzgeberisches Schweigen 279 Vgl. etwa Völksen, RdA 2010, 354 (358) unter Rekurs auf die allgemeinen Ausführungen zur Lücke bei Bydlinski S. 472 ff. 280 Röhl/Röhl S. 635; Pawlowski Rn. 475. 281 Ausführlich BAG, Urteil vom 7.7.2010 – 4 AZR 549/08, NZA 2010, 1068 = KommJur 2010, 345 (350) unter Bezug auf Larenz/Canaris S. 192 ff. 282 BAG, Urteil vom 25.6.1987 – 6 AZR 332/85 AP § 611 Dienstordnungs-Angestellte Nr. 64; Fenn, FS Kissel, 213 (216 ff.). 283 Canaris, Lücken S. 88 ff. 284 Larenz/Canaris S. 191.
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sind nicht dasselbe.285 Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts soll erforderlich sein, dass der mit dem Gesetz verfolgte Zweck – der „gesetzgeberische Plan“ – eine Regelung voraussetze, diese aber nicht getroffen wurde. Entscheidend sei, ob das Gesetz nach seiner eigenen Regelungsabsicht tatsächlich unvollständig sei oder ob die in ihm getroffene Entscheidung nur rechtspolitisch kritisiert werden könne.286 Ein eventuelles rechtspolitisches Versäumnis des Gesetzgebers begründe keine der Rechtsfortbildung zugängliche Regelungslücke. Die maßgebende Faktoren der Feststellung der Regelungslücke sind die Regelungsabsicht des Gesetzgebers und die Teleologie des Gesetzes.287 Es muss eine Wertung vorliegen, dass dort, „wo etwas fehlt, etwas sein sollte“.288 Insbesondere rechtspolitische Versäumnisse sind über das Abstellen auf die Regelungsabsicht des Gesetzgebers auszuscheiden.289 Mitentscheidend kann dann sein, dass im Nichtregeln ein Verstoß gegen das Gebot, Gleiches gleich zu behandeln, liegen kann.290 Schließlich ist zwischen verdeckter und offener Lücke zu unterscheiden. Eine sog. offene Lücke liegt vor, wenn für einen Konflikt eine Entscheidungsanweisung fehlt, die aber nach Sinn und Zweck nicht fehlen sollte.291 Eine sog. verdeckte Lücke besteht hingegen, wenn augenscheinlich eine Entscheidungsanweisung vorliegt, sie aber die für den Fall bestehende Wertungen außer Acht lässt.292 bb) Der Regelungshorizont des Gesetzgebers Für die Lückenfeststellung ist zunächst das nach dem Gesetzgeberhorizont Erfasste entscheidend. Es müsste an einer Stellungnahme des Gesetzgebers fehlen. Als allgemeine und ausdrückliche Anspruchsgrundlage repräsentierte § 23 Abs. 3 bereits 1972 ein Novum. Auch im Gesamtkonzept der Novellierung kam der Norm keine große Aufmerksamkeit zu, da es um den 285
Larenz/Canaris S. 191. BAG, Urteil vom 7.7.2010 – 4 AZR 549/08, NZA 2010, 1068 = KommJur 2010, 345 (350); Kramer S. 162 f.; Fenn FS Kissel, 213, 226 und 229. 287 Larenz/Canaris S. 194. 288 So ausdrücklich Fenn, FS Kissel, 213 (226) im Anschluss an Canaris, Lücken. 289 Larenz/Canaris S. 195. 290 Larenz/Canaris S. 193; Zippelius § 11 I. 291 Schwacke, S. 128. 292 BGH, Urteil vom 21.12.2011 – VIII ZR 70/08, NJW 2012, 1073 (1077); Schwacke, S. 128; mit anderer Terminologie und stärker auf die dann entscheidende Teleologie abstellend: Rüthers/Fischer/Birk Rn. 886. 286
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Ausbau der Beteiligungsordnung an sich ging.293 „Der Unterlassungsanspruch“ beschäftigte die Arbeitsgerichtsbarkeit und die arbeitsrechtliche Literatur damals nicht. Vorher hatte man, von den vereinzelten Regelungen abgesehen, allein auf die Möglichkeit zurückgegriffen, die Feststellung seines Mitbestimmungsrechts zu beantragen.294 Der Gesetzgeber hatte diese Konstellation somit nicht vor Augen. 1972 stellte die Norm vielmehr einen Schritt in Richtung einer allgemeinen Sicherung der Beteiligungsrechte dar. Mit der Einführung war eine Verbesserung des Rechtsschutzes für den Betriebsrat beabsichtigt. Wenn man weiter in den Begründungen des Gesetzesentwurfs die Bemerkung findet, § 23 Abs. 3 diene der Gleichgewichtigkeit zu § 23 Abs. 1 BetrVG, so liegt hierin ein Hinweis auf die verfassungsrechtliche Problematik der Rechtslage vor 1972:295 Zu dieser Zeit existierte lediglich Absatz 1. Vor allem Radke und Rüthers hatten eine Ungleichbehandlung bei der nachträglichen Verarbeitung eines Verstoßes gegen das Verbot parteipolitischer Betätigung (§ 51 S. 2 a. F., also § 74 Abs. 2 S. 3 BetrVG 1972) festgestellt.296 Der Schaffung des § 23 Abs. 3 BetrVG lag folglich ein ausgleichendes Verständnis zugrunde. Dabei fokussierte der Gesetzgeber weniger S. 1, sondern vielmehr die folgenden Sätze. Die Gesetzesbegründung macht dies mit dem Passus: „Der neu angefügte Absatz 3 gibt nunmehr unmittelbar im Entwurf dem Betriebsrat und einer im Betrieb vertretenen Gewerkschaft die Möglichkeit, beim Arbeitsgericht die Verhängung einer Geldstrafe zu beantragen, wenn der Arbeitgeber ein ihm durch rechtskräftige Entscheidung untersagtes pflichtwidriges Verhalten fortsetzt.“
sehr deutlich. Dies gilt umso mehr als es sich um die erste Stellungnahme zur neuen Regelung handelte. Die Einführung des § 23 Abs. 3 BetrVG hat somit – entweder unbeabsichtigt oder ihn voraussetzend – den negatorischteleologischen Bereich in der Betriebsverfassung fest verankert. Nach Seeberger hingegen soll gerade die Einführung der Gleichwertigkeit gegen eine Lücke sprechen.297 § 23 Abs. 1 BetrVG könne sinnvollerweise nur eingreifen, wenn grobe Verstöße vorlägen. Daher müsse dieses nur auch in Abs. 3 gelesen werden. Seeberger führt allerdings selbst an, dass 293
Vgl. Bt. Drs. VI/1785 Vorblatt. Beispielhaft: BAG Beschluss vom 3.6.1960 – 1 ABR 6/59, AP § 56 BetrVG 1952 Nr. 21; BAG, Beschluss vom 23.3.1962 – 1 ABR 13/60, AP § 56 BetrVG 1952 Akkord Nr. 2, auch mit Ausführungen in Bezug auf die Festlegung zur Art der Verwirklichung. 295 Bt.-Drs VI/2729, S. 21. 296 Radke, BB 1957, 1111 (1115); Rüthers, BB 1958, 778 (779). 297 Seeberger S. 138 f. 294
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die Grundidee vom zusätzlichen Schutz eine Rechtsfortbildung ermöglichen könne.298 Der erstgenannte Gedanke kann auch schon deswegen nicht überzeugen, weil der Gesetzgeber keine zwingende Koppelung, sondern nur vergleichbare Intensität wollte, um den Druck durch Art. 3 Abs. 1 GG zu entfernen. Jedenfalls kann eine abschließende Regelungsabsicht nicht angenommen werden. cc) Vom System des BetrVG zu § 23 Abs. 3 BetrVG In der Regelungsabsicht des BetrVG-Systems liegt es offensichtlich, die Frage nach dem Unterlassungsanspruch zu beantworten: das Problem stellt sich in der Praxis häufig. An dieser Stelle muss man nun zwei Aspekte voneinander trennen. Zum einen wollte der Gesetzgeber gewiss eine Regelung in Abs. 3 in Bezug auf grobe Verstöße treffen. Auf der anderen Seite wollte der Gesetzgeber gewiss keine Beschränkung des gesamten Duchsetzungssystems auf grobe Verstöße und § 23 Abs. 3 BetrVG zu einer Art § 280 BGB machen. Er wollte die Rechte stärken, nicht mittelbar limitieren. Das BetrVG offenbart damit die Lückenfrage nach dem Unterlassungsanspruch und § 23 Abs. 3 BetrVG die Frage, was bei einfachen Verstößen gelten soll. Beide Lückenfragen interagieren. Wenn § 23 Abs. 3 BetrVG primär also eine Antwort auf fehlende zivilrechtliche Repression geben sollte, dann liegt es nahe, die Anforderungen an die grobe Verletzung anhand dieses Szenarios zu entwerfen. Da es in den siebziger Jahren das Problem des negatorischen Rechtsschutzes in der Betriebsverfassung in der heutigen Form so nicht gab, liegt ferner die Annahme nahe, dass der Gesetzgeber mit einer anderen Sicht operiert hat. Er hatte nicht den Fall der Maßnahmedurchführung trotz unterlassener Beteiligung vor Augen, sondern den Brückenschlag zu Abs. 1. Durch das Zuwachsen dieser Fälle in den achtziger Jahren offenbarte sich eine Lücke im BetrVG und nach dem hier Gesagten auch in § 23 Abs. 3 BetrVG. In den – etwas weitgehenden – Worten von Bydlinski zur Lückenfeststellung: Die ursprüngliche Regelung beruht somit auf einem Anschauungsfehler, da der Gesetzgeber die gleich zu behandelnden Fälle nicht ausreichend gewürdigt hat.299 Im Vokabular der Lückenfeststellung könnte man nun auf der einen Seite ansetzen und wegen des Merkmals „grob“ von einer verdeckten Lücke sprechen, auf der anderen Seite könnte man wegen des Umstands, dass gerade nur der grobe Verstoß geregelt ist, auch von einer offenen Lücke im 298 299
Seeberger S. 139. Bydlinski S. 475.
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2. Kap.: Die Unterlassungsansprüche des Betriebsrats
System ausgehen. Letzteres ist der herrschende Gedankengang. Ersteres wird hier zugrundegelegt. b) Der Sinn und Zweck des § 23 Abs. 3 BetrVG Da der Wortlaut der Norm eindeutig ist, kommt nur eine durch Sinn und Zweck gebotene Rechtsfortbildung in Betracht. Dazu muss zunächst der Zweck des § 23 Abs. 3 BetrVG geklärt werden. aa) Der Schutz der betriebsverfassungsrechtlichen Ordnung Die Zweckbestimmung des § 23 Abs. 3 BetrVG wird nicht einheitlich vorgenommen. Das Bundesarbeitsgericht hat mehrmals zum Zweck des § 23 Abs. 3 BetrVG Stellung genommen. In einem Beschluss von 1991 hat es den Zweck der Vorschrift darin gesehen, dass ein Mindestmaß an gesetzmäßigem Verhalten sichergestellt und somit die Betriebsverfassung vor groben Verstößen geschützt werde.300 In einem späteren Beschluss sprach das Bundesarbeitsgericht davon, dass § 23 Abs. 3 BetrVG die betriebsverfassungsrechtliche Ordnung gewährleiste.301 Im Beschluss des Sechsten Senats von 1985 legte dieser § 23 Abs. 3 BetrVG das Ziel zugrunde, die Erfüllung sämtlicher betriebsverfassungsrechtlicher Pflichten des Arbeitgebers zu sichern.302 Die wohl überwiegende Literatur verzichtet ebenfalls auf eine einengende Zweckbestimmung und sieht den Zweck des § 23 Abs. 3 BetrVG im Schutz der betriebsverfassungsrechtlichen Ordnung bzw. ihrer gesetzmäßigen Durchführung.303 Die betriebsverfassungsrechtliche Ordnung umfasst dabei die Gesamtheit der Rechte und Pflichten aus der Betriebsverfassung.304 Im Ausgangspunkt vermittelt der Normtext den Normzweck.305 Die Betonung des groben Verstoßes im Hinblick auf den Schutzzweck läuft allerdings Gefahr, nicht ausreichend zwischen Schutzgut und Tatbestandsmerk300 BAG, Beschluss vom 20.08.1991 – 1 ABR 85/90, AP § 77 BetrVG 1972 Tarifvorbehalt Nr. 2; aus der neueren Judikatur: BAG, Beschluss vom 18.5.2010 – 1 ABR 6/09, NZA 2010, 1433 (1435); vgl. auch Ahrendt, NZA 2011, 774 (776 f.). 301 BAG, Beschluss vom 20.04.1999 – 1 ABR 72/98, BAGE 91, 210 (221). 302 BAG, Beschluss vom 18.4.1985 – 6 ABR 19/84, BAGE 48, 246 (250); BAG, Beschluss vom 5.12.1978 – 6 ABR 70/77, AP § 101 BetrVG 1972 Nr. 4. 303 ArbG Stralsund, Beschluss vom 14.12.2004 – 5 BV 1/04, AiB 2005, 498 (499); Richardi-Thüsing, § 23 Rn. 1 u. 74; FESTL § 23 Rn. 51; HaKo-Düwell, § 23 Rn. 35. 304 ErfK-Koch § 23 BetrVG Rn. 17; DKKW-Trittin § 23 Rn. 197; vgl. auch Richardi-Thüsing § 23 Rn. 88 ff. 305 Rüthers/Fischer/Birk, Rn. 729 f.
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malen zu unterscheiden. Zudem würde die Zweckermittlung unvollständig bleiben.306 Vielmehr ist in der Norm eine andere Struktur vorgegeben: Die betriebsverfassungsrechtliche Ordnung verkörpert das Schutzgut. Dies kommt in den Tatbestandsmerkmalen „Verpflichtungen aus diesem Gesetz“ und „Verstoß“ zum Ausdruck. Die Schutzmittler sind jeweils die Handlungs-, Duldungs- und Unterlassungsalternativen der Norm. Geschützt wird schließlich vor groben Verstößen. Diese Dreiteilung bzw. Aufteilung ist für das weitere methodische Vorgehen wichtig, weil sie die Entfernung des groben Verstoßes aus dem Schutzgut verdeutlicht. Ein wichtiger – wenn nicht der wichtigste – Baustein für die teleologische Extension des § 23 Abs. 3 BetrVG ist die Fallgruppe der Unterbindung mehrerer einfacher Verstöße. Die Fallgruppe verdeutlicht die Weite der Schutzwirkung von § 23 Abs. 3 BetrVG. Denn der von § 23 Abs. 3 BetrVG vermittelte Schutz ist in dieser Konstellation auch nach herrschendem Verständnis nicht auf grobe Verstöße beschränkt. Das folgt daraus, dass mehrere kleine Verstöße einen groben Verstoß ergeben können, das Arbeitsgericht indes nur die Unterlassung einer Handlung aussprechen kann. Die Handlung i. S. v. § 23 Abs. 3 S. 1 BetrVG beschreibt in diesem Fall einen einfachen Verstoß. Folgerichtig erhält der Betriebsrat in diesen Fällen einen Anspruch sowie einen Titel für einen Verstoß, der für sich genommen noch gar keinen groben Verstoß darstellen würde. Sehr anschaulich wird diese teleologische Ausweitung auch in einem Beschluss des Ersten Senats vom 8.8.1989.307 Dort ging es um das Unterlassen der Änderung von Dienstplänen, nachdem das Bundesarbeitsgericht zuvor schon die Mitbestimmungspflichtigkeit festgestellt hatte. Hier bejahte das Gericht einen groben Verstoß und drohte das Ordnungsgeld angemessen zur Pflichtverletzung in Höhe von 200 DM an. In die gleiche Richtung geht ein jüngerer Beschluss des Bundesarbeitsgerichts hinsichtlich mehrerer einfacherer Verstöße. Das Gericht untersagte die künftige Anordnung von Arbeit während der Pausenzeiten – und damit einen einfachen Verstoß.308 Folglich bezweckt die Norm auch Schutz vor einfachen Verstößen. Die Struktur ist dabei immer dieselbe: auf Tatbestandsebene wird der grobe Verstoß subsumiert und auf Rechtsfolgenseite wird eine Handlung untersagt, die für sich genommen auch als einfacher Verstoß bewertet werden könnte.
306 Hierzu Rüthers/Fischer/Birk Rn. 729 und 730; ausführlich: Schwacke, S. 100 ff. 307 BAG, Beschluss vom 8.8.1989 – 1 ABR 59/88, AP § 23 BetrVG 1972 Nr. 11, weitergehend: DKKW-Trittin, § 23 Rn. 75, hinsichtlich der von Literatur und Rechtsprechung anerkannten Mitbestimmungsrechte. 308 BAG, Beschluss vom 7.2.2012 – 1 ABR 77/10, NZA-RR 2012, 359.
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bb) Der zusätzliche Schutz In § 23 Abs. 3 BetrVG kommt damit die Wertung zum Ausdruck, dass die Rechte der Betriebsverfassung Schutz erfahren sollen. Diesen Aspekt aufnehmend ist § 23 Abs. 3 BetrVG von seiner gesetzgeberischen Konzeption her eine einseitig den Betriebsrat durch zusätzliche materielle Ansprüche im Fall grober Pflichtverletzungen begünstigende Norm und enthält keine Rechtswirkungen (insbesondere einen Spielraum) zugunsten des Arbeitgebers.309 Mit Richardi ist festzuhalten, dass § 23 Abs. 3 BetrVG in Ansehung dieser Zielrichtung und der Gesetzgebungsgeschichte sowie seines Wortlauts keinen Umkehrschluss aus seiner Formulierung gegen die Einbeziehung einfacher Verstöße gebietet und damit die Zwangsmittel gegen den Arbeitgeber nicht einschränken will.310 Die Norm ist zusätzlicher Schutz. Führt man diesen Gedanken fort, so kann man die Norm dann für die Wertungen der Betriebsverfassung öffnen. cc) Der systematisch-teleologische Raum Ausgehend von dieser Schutzdimension und der klaren Schutzgutbestimmung, ist der teleologische Raum des § 23 Abs. 3 BetrVG weiter zu bestimmen als es der Wortlaut vermuten lässt. Insbesondere müssen in die systematisch-teleologische Rechtsfortbildung die Wertungen des jeweiligen Rechts mit einfließen.311 Der Wortlaut der Norm spricht undifferenziert von Pflichten und der Begriff der betriebsverfassungsrechtlichen Ordnung umschreibt ferner die Summe aller Rechte und Pflichten, die sich aus der Betriebsverfassung ergeben.312 Dass die Beteiligungsrechte aber das Herzstück der materiellen Betriebsverfassung repräsentieren, kommt in dieser Aufteilung überhaupt nicht zum Ausdruck. Schon der Erste Senat des Bundesarbeitsgerichts hat in seiner Entscheidung vom 17. Mai 1983 die besondere Stellung des Beteiligungsrechts im Rahmen des § 23 Abs. 3 BetrVG hervorgehoben und die Norm hierauf entworfen.313 Das gesamte BetrVG wurde in erster Linie entwickelt, um die Beteiligung des Betriebsrates einzurichten und zu gewährleisten. Die übrigen Rechte der Betriebsverfassung streben demgemäß nur dahin, die Ausübung der Beteiligungsrechte und der sonstigen Aufgaben zu ermöglichen 309
Dütz S. 33 ff. Richardi, NZA 1995, 8 (8 f.). 311 Grundlegend: Canaris, System, S. 97 ff. 312 ErfK-Koch § 23 BetrVG Rn. 17; DKKW-Trittin § 23 Rn. 197. 313 BAG, Beschluss vom 17.05.1983 – 1 ABR 21/80, AP BetrVG 1972 § 80 Nr. 19. 310
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oder zu konturieren. Die Beteiligungsrechte tragen demgegenüber ihren Geltungsgrund in sich selbst. Diese Pflichten bzw. Verpflichtungen als Kern des Dialogs sind daher systematisch für die Betriebsverfassung wertungsgebend und folglich in systematischer Hinsicht bedeutsamer sind als diejenigen, welche den Ablauf der Beteiligung ermöglichen und sichern. Dieser grundlegende Unterschied tritt gleichwohl im Wortlaut des § 23 Abs. 3 BetrVG nicht zum Vorschein, ist aber im System der Betriebsverfassung angelegt. Richtigerweis muss daher für jede Verpflichtung gesondert geprüft werden, inwieweit ihre Auswirkung auf § 23 Abs. 3 BetrVG in systematisch-teleologischer Weise den teleologischen Raum beeinflusst. Die nur auf den ersten Blick unzureichend vorgenommene Bewertung der Besonderheiten der jeweils erfassten Rechte ist funktional aufzuheben; die Norm muss den jeweiligen Wertungen der Beteiligungsrechte geöffnet werden. Die Norm ist systemoffen. Mithilfe der systematischen Stellung und der mit den Beteiligungsrechten bezweckten Erfolgen kann man die Wertungen in dem besonderen Teil der Mitbestimmungsordnung auf § 23 Abs. 3 BetrVG zurückwirken lassen. Nicht § 23 Abs. 3 BetrVG gibt die Wertungen vor, sondern das System der Betriebsverfassung bestimmt sie. Auf diese Weise avanciert der teleologische Raum des § 23 Abs. 3 BetrVG zu einem Vehikel für die Wertungen des Mitbestimmungssystems. c) Das Erfordernis, Gleiches gleich zu behandeln Die Überwindung des Tatbestandsmerkmals „grob“ bei der Durchführung der Maßnahme führt zu einer Extension des Anwendungsbereichs der Norm. Im Ergebnis ist methodisch nicht zwischen teleologischer Extension und Analogie zu trennen. Die Nähe beider methodischen Institute in dem Bereich der Schutzbereichsausweitung tritt ebenfalls in dem Satz „ubi eadem ratio ibi eadem iuris dispositio“314 hervor. Mit einer teleologischen Extension geht eine inneranaloge Anwendung der Norm einher. Nach Larenz/Canaris kommt dem Prinzip der Gleichbehandlung des Gleichartigen im Rahmen der teleologiegetragenen Rechtsfortbildung herausragende Bedeutung zu.315 Rechtsgedanken, die im Gesetz angelegt sind, werden mithilfe des Gleichheitsgrundsatzes zu Ende gedacht.316 Der nicht 314 Zu diesem Phänomen Kramer, S. 177; zu den Unterschieden im methodischen Anwendungsbereich vgl. Schwacke, S. 140 f. 315 Larenz/Canaris, S. 155; Bydlinski, S. 454; Canaris, FS Bydlinski, 47 (89); Canaris, S. 71 ff., 82 ff. 316 Zippelius, § 11 III d).
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geregelte Tatbestand muss dann einbezogen werden, um den Zweck der Regelung in solchen Fällen zu erreichen.317 Mithin geht es darum, die unterschiedliche Bewertung wertungsgemäß gleich liegender Tatbestände aufzulösen,318 wobei der Gleichheitssatz dafür eine systemimmanente Grundwertung erfordert.319 aa) Die Inkohärenz des § 23 Abs. 3 S. 1 BetrVG im Hinblick auf die Maßnahme Wendete man nun die Norm undifferenziert an, so produzierte sie vor dem Hintergrund des Kumulationseffekts und vor ihrem Schutzzweck widersinnige Ergebnisse. (1) Die Widersprüchlichkeit der Verhinderung weiterer Verstöße Legt man die Fallgruppe der vielen einfachen Verstöße zugrunde, so kann das System nicht erklären, warum erst nach wiederholter Durchführung einer Maßnahme das Beteiligungsrecht in Zukunft nicht mehr verletzt werden darf, wenn die betriebsverfassungsrechtliche Ordnung zugleich geschützt werden soll. Von dieser Warte aus bewertet die Norm die Verstöße ungleich. Vor der bereits bei § 1004 BGB festgestellten Einbeziehung der Erstbegehungsgefahr320 liegt es näher, die diese spätere Bewertung auf den ersten Verstoß zu erstrecken. Dieser Widerspruch verstärkt sich, betrachtet etwa man die Stilllegung oder die Veräußerung eines Betriebes.321 Es wird schnell deutlich, dass weitere gleichgelagerte Verletzungen der Beteiligungspflichten durch diesen Arbeitgeber nicht mehr zu besorgen sind. Verstöße, die lediglich einmal begangen werden müssen, stünden dann vor § 23 Abs. 3 BetrVG zur Disposition des Arbeitgebers, obwohl die Norm im – undenkbaren – Wiederholungsfall einen Unterlassungsanspruch bereitstellte. Damit bedingt ein zufälliges Strukturelement der Maßnahme eine schutzrechtliche Privilegierung des Arbeitgebers – ein Zustand, den der Gesetzgeber nicht gesehen hat und der über die teleologische Extension beseitigt werden kann. 317
Larenz/Canaris, S. 218; Schwacke, S. 139. Larenz/Canaris, S. 155; in der Rechtsprechung ist daher der Rekurs auf Art. 3 GG verbreitet: BGH, Urteil vom 22.5.2012 – XI ZR 290/11 = juris Rn. 47; BAG, Urteil vom 8.5.2007 – 9 AZR 777/06, AP § 611 BGB Nr. 15. 319 Michael, S. 277. 320 Vgl. S. 32. 321 Zur umstrittenen Frage des Betriebsübergangs als Betriebsänderung: HaKoKohte, RL 2002/14/EG, Rn. 19; zur richtlinienkonformen Auslegung ferner: Bonin, AuR 2004, 321 (325); Karthus, AuR 2007, 114 (115 ff.). 318
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(2) Die Inkohärenz beim groben Verstoß Ähnliche Diskrepanzen existieren bei der wichtigen Fallgruppe, in der die erstmalige beteiligungslose Durchführung den groben Verstoß verkörpert. Anschaulich wird dieser Effekt in einem Fall, in dem der Arbeitgeber versuchte, mit unzutreffender und leicht zu widerlegender Begründung den Vorwurf der Verletzung des § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG zu entkräften.322 Erst die Tatsache, dass sich der Arbeitgeber unsubstantiiert wehrte und damit die Mitbestimmung verweigerte, erzeugte einen Unterlassungsanspruch: Allein dieser Umstand macht aus dem Verstoß einen groben. Warum gerade nur in diesen Fällen die Unterlassung geboten ist, kann nicht plausibel hergeleitet werden. Der Zusammenhang von Maßnahme und Durchführung wird in seiner abstrakten Interessenbewertung durch ein nebenbei geschehenes Verhalten nicht berührt: Der Verstoß gegen eine Verhaltenspflicht steht nicht im tieferen Zusammenhang mit der Durchsetzung der Beteiligungsrechte per se. Hat man somit einen schützenden Zustand erreicht, kann man wiederum die nicht im Schutzzusammenhang stehenden Pflichtverletzungen teleologisch entfernen. (3) Zwischenfazit Aus dem Kumulationseffekt des § 23 Abs. 3 BetrVG resultieren im Rahmen der Beteiligungsrechte dogmatisch inkonsistente Lösungen. Einige Fälle werden nicht geschützt, andere hingegen werden erfasst, obwohl die Gewährung von Schutz nicht im Zusammenhang mit dem Beteiligungsrecht steht. Unterstellte man, dass der Gesetzgeber in Bezug auf ein Beteiligungsrecht die Durchführung nicht gestattet hätte, dann muss sich die Frage aufwerfen, ob der Kumulationseffekt des § 23 Abs. 3 S. 1 BetrVG bei Beteiligungsrechten aus Wertungsgründen nicht überwunden werden kann. bb) Die gesetzgeberische Missbilligung der Vornahme als Differenzierungskriterium Die Grundwertung für die unterschiedliche oder gleichmäßige Zubilligung des Unterlassungsanspruchs ist die gesetzgeberische Missbilligung des Treffens der Maßnahme.
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LAG Nds., Beschluss vom 13.10.1999 – 13 TaBV 106/98 = juris.
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(1) Die Bedeutung der Missbilligung Für die Herausbildung eines verfahrenssichernden Unterlassungsanspruchs eignet sich § 95 BetrVG deshalb besonders gut. Dieser Beteiligungstatbestand verleiht dem Betriebsrat zwar nicht die gleiche Rechtsstellung wie im Falle eines echten Mitbestimmungsrechts, bezüglich der Missbilligung der Vornahme der Maßnahme indes entsprechen sich § 87 und § 95 BetrVG. In beiden Fällen ist das Treffen der Maßnahme an die Zustimmung des Betriebsrats geknüpft. Das Zustimmungserfordernis darf dabei nicht mit der Missbilligung der Vornahme gleichgesetzt werden. Das Zustimmungserfordernis beinhaltet die – klar artikulierte – besondere Form der Missbilligung der Vornahme, während die gesetzgeberische Missbilligung der Vornahme nicht zugleich ein Zustimmungserfordernis voraussetzt. Verfahrensmäßig bedeutet das Zustimmungserfordernis praktisch eine Stärkung der Verhandlungsposition des Betriebsrats, während die einfache Missbilligung stärker auf die gegenseitigen Rechte und § 2 Abs. 1 BetrVG hin entworfen werden kann. Hat man die gesetzgeberische Missbilligung des Treffens der Maßnahme vor dem Bestehen des Beteiligungsrechts eruiert, ist weiter zu untersuchen, welche Auswirkungen dies auf § 23 Abs. 3 S. 1 BetrVG hat. An dieser Stelle zeigt sich bereits der Unterschied zur dogmatischen Konzeption des Bundesarbeitsgerichts: Es geht nicht unmittelbar um ein objektives Schutzdefizit,323 sondern um das konsequente Zuendedenken gesetzgeberischer Missbilligung. Dass die Betriebsverfassungswidrigkeit von Auswahlrichtlinien nicht zur Unwirksamkeit einer Folgekündigung führt, stützt daher die Konzeption des BAG,324 nicht jedoch die gesetzgeberische Missbilligung. Auf der anderen Seite ist die Unwirksamkeitsrechtsfolge nur ein Indiz für die Missbilligung. Ein weitaus stärkeres ist die Qualität und Wertung des Beteiligungsrechts selbst. (2) Die Integritätswertung der Beteiligungsrechte Diese Wertung könnte in den Beteiligungsrechten selbst zu finden sein. Die Missbilligung kann nur für jedes Recht gesondert diskutiert werden. Eine allgemeine Feststellung, den Arbeitgeber treffe aus dem Beteiligungsrecht eine Unterlassungsverpflichtung, muss als undifferenziert scheitern. Es geht vielmehr darum, ob sich aus dem System der Betriebsverfassung eine Vermutung entnehmen lässt, dass der Gesetzgeber das Treffen der Maßnahme ohne vorherige Beteiligung missbilligt. 323 324
Sehr kritisch zu diesem Ansatz: Konzen, NZA 1995, 864 (872). BAG, Beschluss vom 9.11.2006 – 2 AZR 812/05, NZA 2007, 549 (552).
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Diese Integritätsvermutung stünde in der Tradition der Vorgaben des Bundesarbeitsgerichts. Das Gericht geht nämlich von einer Vermutung zugunsten des Unterlassungsanspruchs aus: Da man dem Gesetzgeber nicht unterstellen könne, rechtswidriges Verhalten einfach so hinzunehmen, bedürfe die Verneinung des Unterlassungsanspruchs, nicht aber die Bejahung einer besonderen Begründung.325 Diese Vermutung erstarkt in den Fällen zu einer Grundannahme, in denen die Betriebsverfassung keine weitergehenden Aussagen zur Sicherung eines Beteiligungsrechts trifft. Dem Beteiligungsrecht wohnte dann eine Integritätswertung inne. Methodisch bildet die Wertung für ein Unterlassen ein Minus zur Ansicht, das Beteiligungsrecht impliziere einen korrespondierenden Unterlassungsanspruch.326 (a) Unwirksamkeit als Kriterium? Gegen eine solche umfassende Vermutung könnte die nur teilweise vorhandene Unwirksamkeitsrechtsfolge sprechen. Die Unwirksamkeit und die betriebsverfassungswidrige Lage sind aber nicht zwingend miteinander verbunden. Die Unwirksamkeit ist nur eine besondere Form der gesetzgeberischen Missbilligung. So lassen sich denn auch in der allgemeinen Rechtslehre leges perfectae und leges minus quam perfectae unterscheiden. Während bei den Ersten ein Verstoß Unwirksamkeit und Strafe auslöst, ist die Vornahme Letzterer nur mit Strafe verbunden.327 Rechtlich missbilligt wird die Verletzung beider Gesetzeskategorien. (b) Der Sinn von § 98 Abs. 5 S. 4 BetrVG Gegen eine Missbilligung spricht ferner nicht, dass die positive Betriebsverfassung lediglich einem Beteiligungsrecht (§ 98 BetrVG) ausdrücklich einen Unterlassungsanspruch zuordnet. In Bezug auf § 98 Abs. 5 BetrVG hat der Gesetzgeber klargestellt, dass diese Norm deswegen aufgenommen wurde, um das Verhältnis zu den Vorschriften des Berufsbildungsgesetzes zu klären.328 Nach § 33 BBiG verfügt die nach Landesrecht zuständige Behörde über weitgehende Untersagungsbefugnisse. Diese Norm stellt die ultima ratio des Ausbildungswesens dar329. § 98 Abs. 5 BetrVG stellt damit klar, dass der Betriebsrat sich nicht an die Behörde wenden muss, sondern 325 326 327 328 329
BAG, Beschluss vom 27.3.1996 – 1 ABR 13/96, NZA 1996, 274 (277). Vgl. S. 64. Vgl. Röhl/Röhl, § 25 V. Bt.-Drs. VI/2729, S. 6. Zur Vorgängernorm Leinemann/Taubert, § 24 Rn. 4.
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2. Kap.: Die Unterlassungsansprüche des Betriebsrats
aus eigenem Recht vorgehen kann. Im Weiteren legt die Gesetzesbegründung nahe, dass die Betriebsverfassung diese Möglichkeit voraussetze und es gerade wegen etwaiger Konkurrenzprobleme notwendig gewesen sei, den Unterlassungsanspruch klarzustellen. Das wiederum stärkt die These, dass § 98 Abs. 5 nur einen Ausschnitt und Ausdruck eines der Betriebsverfassung zugrunde liegenden Prinzips zugunsten der Untersagung der betriebsverfassungswidrigen Arbeitgebermaßnahme bildet.330 (c) Die positive Ausgestaltung des Beteiligungsverfahrens Für die Vermutung der Missbilligung spricht zudem die stark ausdifferenzierte Gestaltung der Beteiligungsverfahren.331 Häufig sind Verfahren mehrstufig oder setzen die Hinzuziehung weiterer Personen voraus. All diese gesetzlich vorgesehenen und gewollten Abschnitte sprechen für eine sie stets begleitende Unterlassungsverpflichtung, weil es anderenfalls nicht zu ihrer Realisierung käme. Zwar sind die verfahrensmäßig erforderlichen Schritte von Beteiligungsrecht zu Beteiligungsrecht und von Beteiligungslage zu Beteiligungslage unterschiedlich. Gewisse Grundstrukturen sind allerdings stets einschlägig. So trifft den Arbeitgeber stets eine Unterrichtungspflicht. Für den Dialog stellt das BetrVG mit § 74 Abs. 1 S. 2 BetrVG zudem eine allgemeine Regelung zur Verfügung, die für alle Beteiligungsrechte gleichermaßen gilt. Die Norm wirkt als Leitprinzip, indem sie die Beteiligungslage verfahrensmäßig ausfüllt und voraussetzt.332 § 74 Abs. 1 S. 2 BetrVG fordert nämlich im Falle von Meinungsverschiedenheiten eine Hinwendung zur Konfliktlösung im Dialog innerhalb des Verfahrens. Folglich setzt § 74 BetrVG für jedes Beteiligungsrecht trotz des Bestehens einer Meinungsverschiedenheit einen Zustand voraus, in dem sinnvoll eine Lösung gefunden werden kann. Es liegt somit eine verfahrensmäßige Zeitspanne vor, innerhalb derer der Gesetzgeber die Vornahme von Verfahrenshandlungen erwartet, ohne dass die beteiligungspflichtige Maßnahme getroffen ist.
330 Für die Rechtsusurpationstheorie ist diese Norm deswegen wichtig, weil es in diesem Bereich nicht zu einer Rechtsusurpation kommen kann, vgl. Thalhofer, S. 59; für seine Konzeption einschränkend: Lobinger, ZfA 2004, 101 (166 ff.). 331 Andres, Anmerkung zu LAG Düsseldorf vom 19. November 1996 – 8 TaBV 80/96, LAGE, § 111 BetrVG 1972, Nr. 14. 332 Richardi-Richardi, § 74 Rn. 12.
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(d) Das Anterioritätsprinzip und seine Gewährleistungsfunktion Die Tatsache, dass der Gesetzgeber ein Verfahren ausgestaltet und damit voraussetzt, wird als Wertung durch das Anterioritätsprinzip unterstützt. Eine Beteiligung nach Durchführung ist nicht rechtzeitig, sondern geschieht verspätet. Bereits aus der Verwendung des Begriffs recht-zeitig ergibt sich dabei die gesetzgeberische Missbilligung für entgegen dieser Anordnung getroffene Maßnahmen. Das Bundesarbeitsgericht spricht in einem solchen Fall von einer betriebsverfassungswidrigen Lage.333 In einer Entscheidung vom 8.6.1982 verband der Erste Senat eine ohne Beteiligung durchgeführte Maßnahme sogar mit dem Prädikat rechtswidrig.334 Das Anterioritätsprinzip enthält damit neben seiner rein zeitlichen Komponente auch noch eine Bewertung der Arbeitgebermaßnahme. Das Prinzip wertet für die Erhaltung des Zustandes des Vorhers. Droht eine Verletzung, so entspricht es allgemeiner Prinzipiendogmatik, dass sich Prinzipien als Verbote artikulieren.335 Durch das Anterioritätsprinzip wird somit deutlich, dass der Gesetzgeber den Beteiligungsrechten eine eigene Gewährleistungsfunktion zuspricht. Mit der Zubilligung von Beteiligungsrechten ist die Gewähr verbunden, dass eine umfassende Beteiligung durchgeführt wird. Der Gesetzgeber will mit den Beteiligungsrechten die Berücksichtigung der Arbeitnehmerbelange im Rahmen der Entscheidungsfindung sicherstellen. Diese Wertung wird besonders in den Gesetzesmaterialien deutlich. So verband der Gesetzgeber ausdrücklich die Neuregelung des § 90 BetrVG mit der Sicherstellung der Einflussnahme.336 Aber auch im generellen Kontext der Betriebsverfassung sind diesbezüglich Wertungen zu finden. So ging es dem Gesetzgeber bei der Novellierung des BetrVG im Jahr 2001 um die Sicherung der Mitbestimmung vor Umstrukturierungen und neuen Organisationsformen in dem Sinne, dass dort Mitbestimmung umfassend stattzufinden habe.337 Es entspricht schließlich dem Gebot der Normlogik,338 dass ein Recht, welches das Recht der Arbeitnehmer auf Anhörung und Beratung gewähren soll, seinerseits für seine Beachtung streitet und sich folglich gegen eine Durchführung ohne seine Beachtung stemmt. Wertete das Beteiligungsrecht 333
BAG, Beschluss vom 3.5.1994 – 1 ABR 24/93 SAE 1995, 93 (96). BAG, Beschluss vom 8.6.1982 – 1 ABR 56/80, AP § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit Nr. 7. 335 Penski, JZ 1989, 104 (108). 336 Bt.-Drs. VI/1786, S. 46, und VI/2729, S. 5. 337 Bt.-Drs. 14/5741, S. 25. 338 Ein weiteres Beispiel für das Wirken des Gebotes der Normlogik bietet Art. 79 Abs. 3, vgl. Maunz/Dürig-Herdegen, Art. 79 Rn. 75. 334
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2. Kap.: Die Unterlassungsansprüche des Betriebsrats
nicht für die Bewahrung des status quo, wären die hierauf angelegten Tatbestandsmerkmale wie „vor“ oder „rechtzeitig“ ohne praktische Bedeutung, da andernfalls ein rechtlicher Zustand geschaffen werden würde, der dem Verzicht auf diese Tatbestandsmerkmal gleichkäme. (e) Die Wertung aus dem Beteiligungsrecht vor § 2 Abs. 1 BetrVG Eine weitere Fundierung der Integritätsvermutung geht aus der Übertragung der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Bedeutung von § 2 Abs. 1 BetrVG für den Unterlassungsanspruch hervor.339 Ohne einen Unterlassungsanspruch zugleich begründen zu müssen, kann man aus dem jeweiligen Beteiligungsrecht in Verbindung mit § 2 Abs. 1 BetrVG bzw. im Lichte dieses Grundsatzes schließen, dass der Arbeitgeber verpflichtet ist, alles zu unterlassen, was der Wahrnehmung des Beteiligungsrechts entgegensteht. Wegen der normativen Verknüpfung von der Durchführung der Maßnahme und dem Beteiligungsrecht wohnt jedem Beteiligungsrecht die Forderung an den Arbeitgeber inne, mit der Durchführung der Maßnahme zu warten.340 (f) Fazit Aus all diesen Faktoren ergibt sich grundsätzlich die Bewertung, dass der Gesetzgeber das Treffen der Maßnahme unter die Bedingung vorheriger Beteiligung stellt und die Vornahme der Maßnahme grundsätzlich missbilligt, bis nicht beteiligt wurde. Mit dem Bundesarbeitsgericht ist daher festzuhalten, dass nicht die Begründung eines Unterlassungsanspruchs, sondern vielmehr die Verneinung aus dem der Wertung folgenden Unterlassungsanspruch einer besonderen Begründung bedarf.341 Bleibt die Integritätsvermutung unwiderlegt, kann man also im System der Betriebsverfassung annehmen, dass für das jeweilige Beteiligungsrecht die Rechtsnorm besteht, dass die Maßnahme unterbleiben muss.342 Diese Norm braucht dann nur noch eine Anspruchsgrundlage, die sie vollends durchsetzt.
339
Vgl. S. 67. Duldet der Gesetzgeber hingegen die Durchführung der Maßnahme, so ist auch die hier diskutierte Vermutung widerlegt. 341 BAG, Beschluss vom 23.7.1996 – 1 ABR 13/96, NZA 1997, 274 (277); LAG Hamm, Beschluss vom 628.8.2003 – 13 TaBV 127/03, NZA 2004, 80. 342 Zu dieser Terminologie Rüthers/Fischer/Birk Rn. 92. 340
F. Die Rechtsgrundlage des verfahrenssichernden Unterlassungsanspruchs 109
cc) Die gleiche Behandlung der wertungsgemäß gleichgelagerten Fälle Betrachtete man allein die Formulierung des § 23 Abs. 3 BetrVG, so löste der Gesetzgeber in der Norm den Interessenkonflikt beim Schutz der Beteiligungsrechte zugunsten des Betriebsrats bei groben Verstößen und zugunsten des Arbeitgebers in allen übrigen Fällen. Die Beteiligungsrechte hingegen werten grundsätzlich für ein Innehalten vor dem Durchführen der Maßnahme. § 23 Abs. 3 bliebe damit hinter dieser gesetzgeberischen Entscheidung zurück. Ein solches Ergebnis wäre auch mit der generellen Zweckrichtung als Schutz der betriebsverfassungsrechtlichen Ordnung nicht in Einklang zu bringen. Über eine teleologische Extension wird dieser Widerspruch nunmehr aufgelöst: Die Qualität des Verstoßes hat für die Beseitigung des Beteiligungsrechts keine Bedeutung, da das Beteiligungsrecht auch bei einem einfachen Verstoß beseitigt werden kann. Alle Qualifikationen des Verstoßes bergen dementsprechend für ein Beteiligungsrecht die gleiche Gefahr. Der Grad an Missbilligung im Hinblick auf die Durchführung der Maßnahme ist in den Fällen der groben und einfachen Verstöße identisch. Es besteht folglich stets das gleiche Schutzbedürfnis bezüglich der Aufrechterhaltung der Beteiligungslage per se. Gerade dieser Gleichbehandlung stellt sich § 23 Abs. 3 BetrVG nicht entgegen. Die Analogie ist vielmehr eine konsequente Fortentwicklung der Norm. Die Gebotenheit der einheitlichen und umfassenden Anwendung des § 23 Abs. 3 S. 1 BetrVG ergibt sich vor allem aus den bereits skizzierten abstrakten Fallgruppen des groben Verstoßes bei einer Vielzahl von einfachen Verstößen. In diesen Fällen kann die Norm mit Wirkung für die Zukunft jeden leichten Verstoß dieser Art verhindern. Warum aber erst mehrere leichte Verstöße das allgemeine Verbot dieses leichten Verstoßes für die Zukunft begründen können, ist aus der Zielsetzung der Norm nicht erklärlich. Vielmehr muss gerade dieser Schutzaspekt maßgeblich sein, um den Ausbau zu rechtfertigen. Die Extension des § 23 Abs. 3 S. 1 BetrVG beseitigt dann diese Ergebnis-Schutzzweck-Verzerrung. Die Norm wird somit vor der immanenten Integritätswertung eines Beteiligungsrechts widerspruchsfrei, da die späteren Verstöße und die davon Betroffenen nicht mehr anders behandelt werden als diejenigen, denen alleine das „Pech“ beschieden war, die ersten in einer Reihe zu sein. Wenn das System der Betriebsverfassung das Durchführen der Maßnahme stets gleich bewertet, muss ein systemkonformer § 23 Abs. 3 S. 1 BetrVG dies ebenfalls tun. Das gleiche gilt auch in den übrigen Fällen des Kumulationseffekts. So wirkte es sich positiv auf den Rechteschutz aus, wenn ein Arbeitgeber die mitbestimmungspflichtige Maßnahme ankündigte, den Betriebsrat immer
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2. Kap.: Die Unterlassungsansprüche des Betriebsrats
wieder hinhielte und die Maßnahme dann doch alleine durchführte. Das Verhalten ist sicherlich nicht zu billigen und stellt einen grober Verstoß dar, vom Blickpunkt der Beteiligungsrechte geht das Verhalten aber über das bloße Nichtbeteiligen hinaus und rückt den Betriebsrat näher an die Beteiligung heran als beim bloßen Übergehen der Beteiligungsrechte. Denn ohne die Mitteilung wüsste der Betriebsrat nichts von der Beteiligung und könnte seine Rechte nicht geltend machen. Alleine wegen der Verschleppung der Beteiligung kann der Betriebsrat nun die Unterlassung verlangen. Für den Rechtsbestand ergeben sich indes keine Unterschiede. In beiden Fällen entfällt das Recht. Die Verhaltensweise steht folglich in keinem legitimierenden Zusammenhang mit dem Untersagen des Treffens der Maßnahme. Der Arbeitgeber könnte auch einfach die Maßnahme durchführen und zum gleichen Ergebnis gelangen. Den einen Fall über die Untersagungsverfügung zu regeln, den anderen nicht, ist willkürlich und muss überwunden werden.343 Auch hier ist eine unterschiedliche Behandlung nicht vertretbar. Die qualifizierenden Verhaltensweisen sind deshalb für die Zubilligung von negatorischem Schutz ohne Belang, weil sie in keinem Verhältnis zu diesem Schutz stehen. Vielmehr besteht im Beteiligungsrecht und seiner Integritätswertung selbst die Legitimation. Über die Gleichbewertung beider Fälle ist eine analoge Anwendung der Norm geboten. Auf diese Weise wird also ein vor der Integritätswertung344 kohärentes System geschaffen. dd) Die fehlende Rechtfertigung Die Ungleichbehandlung der Fälle lässt sich nicht rechtfertigen. (1) Das Mindestmaß an Schutz Einen untauglichen Differenzierungsgrund bildet der Hinweis, dass durch § 23 Abs. 3 S. 1 jedenfalls grobe Verstöße verhindert werden sollen bzw. ein Mindestmaß an gesetzeskonformem Verhalten sichergestellt werden solle.345 Damit wird schon keine Untergrenze für den Schutzzweck begründet. Von ihrer Grundkonzeption vermittelt die Norm zusätzlichen Schutz und begründet vielmehr eine Öffnungsmöglichkeit jenseits der groben Ver343
Hierzu Canaris, System, S. 127. Zur darauf beruhenden Rechtsfortbildung: Looschelders/Roth, S. 226 ff. 345 Mindestmaß: BAG, Beschluss vom 20.08.1991 – 1 ABR 85/90, AP § 77 BetrVG 1972 Tarifvorbehalt Nr. 2; GK-Oetker, § 23 Rn. 124; auf keinen Fall: Raab, ZfA 1997, 184 (189). 344
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stöße. Ein ausschließliches Mindestmaßverständnis wäre zudem auch unsystematisch, es würde dazu führen, dass die übrigen Fälle schutzlos gestellt werden. Dann wäre § 23 Abs. 3 BetrVG kein Mindestmaß mehr, sondern eine starre Trennlinie zwischen faktischer Befugnis des Arbeitgebers und negatorischem Rechteschutz des Betriebsrats. Demgegenüber kann man gerade aus einem Mindestmaß heraus für die übrigen gleichgelagerten Fälle im Wege teleologischer Extension Schutzrechte entwickeln. Das Mindestmaß ist vielmehr unmittelbarer Gegenstand und Ansatzpunkt der Gleichbehandlung. (2) Der Unterschied zwischen einfachen und groben Verstößen Gegen eine Rechtsfortbildung wendet Forst ein, es fehle (wohl) an der Vergleichbarkeit der Sachverhalte. § 23 Abs. 3 BetrVG sei eben nur bei groben Verstößen anzuwenden, die allenfalls bei beharrlichen Verstößen angenommen werden könnten.346 Der einfache und der grobe Verstoß sind aber, wie oben dargelegt, bei der Verletzung von Beteiligungsrechten vergleichbar. (3) § 23 Abs. 3 BetrVG als Legitimation für Eingriffe in die Unternehmerfreiheit Sieht man im groben Verstoß gerade die Berechtigung in die Unternehmerfreiheit einzugreifen,347 so läuft man Gefahr die Beteiligungsrechte auf der Ebene des Rechtsschutzes zu entwerten. Die Beteiligungsrechte stellen ihrerseits einen Eingriff in die Freiheiten des Arbeitgebers dar. Die Interessen der Arbeitnehmer an einer Beteiligung sind ausweislich des Wortlauts jedes einzelnen Beteiligungsrechts aber nicht erst dann tangiert, wenn sie in grober Weise verletzt werden. Diese Wertung würde man übergehen, wenn man auf der Ebene des Rechtsschutzes auf dem groben Verstoß verharrte. Zudem hat der Gesetzgeber die Norm offensichtlich nicht allein unter dem Aspekt der Unternehmerfreiheit konzipiert. Die Norm stellt gerade auf alle Pflichten aus der Betriebsverfassung und auf die Arbeitgebereigenschaft ab – im Unterschied zur Formulierung in § 111 BetrVG. Vorzugswürdiger erscheint es daher die Teleologie der Beteiligungsrechte in § 23 Abs. 3 BetrVG hineinzulesen. Die Unterlassungsansprüche folgen aus der Verbindung mit der Ausgestaltung des jeweiligen Beteiligungsrechts. Erlaubte ein 346 347
Forst, ZESAR 2011, 107 (115 f.); Forst, ZESAR 2013, 15 (21). So Seeberger S. 139.
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2. Kap.: Die Unterlassungsansprüche des Betriebsrats
Beteiligungsrecht das beteiligungswidrige Treffen der Maßnahme wegen der Unternehmerfreiheit, so käme ein allgemeiner Unterlassungsanspruch eben nicht in Betracht; wertete das Beteiligungsrecht gegen das Treffen der Maßnahme, beurteilte § 23 Abs. 3 S. 1 BetrVG die Interessenlage anders. d) Rechtsfortbildung aufgrund des negatorischen Koinzidenzprinzips Die teleologische Extension des § 23 Abs. 3 S. 1 BetrVG ist auch durch das Koinzidenzprinzip348 vorgegeben. Dieses Prinzip lässt der Gewährung eines Rechts dessen Gewährleistung folgen. Die Zuweisung einer Rechtsposition hat allein dann einen Sinn, wenn die Rechtsordnung ihren Bestand gewährleistet.349 Eine Umgehungsmöglichkeit auf der Ebene der Schutzrechte steht hierzu in einem Spannungsverhältnis. Eine Rechtsordnung, die Rechte verleiht, deren Schutz aber nicht sicherstellt, setzt sich nämlich zu sich selbst in Widerspruch. Rechtsprinzipien stellen abstrakte Gesetzeszwecke350 dar. Sie wirken nach herrschendem Verständnis nicht unmittelbar und zwingend, sondern vielmehr als Optimierungsgebote.351 Fällt eine Rechtsnorm somit in den Kontext eines bestimmten Prinzips, ist dieses so weit wie möglich zu verwirklichen.352 Vor allem die eingangs dargestellte Rechtsusurpationstheorie postuliert ein allgemeines Schutzprinzip als Grundlage des neben der positiven Rechtsordnung stehenden Unterlassungsanspruchs.353 Weiter hat Richardi die allgemeine Zuordnung zu absoluten bzw. subjektiven Rechten überwunden und auf den jeweiligen Inhalt des Rechts abgestellt.354 Lobinger hat da348
Zu diesem Prinzip: Lobinger, ZfA 2004, 101 (122 ff.). In diese Richtung bereits Richardi, FS Wlotzke, 407 (413); Picker, S. 57; Picker, FS Gernhuber, 315 (339 f.). 350 Alexy, TjA, S. 299; Schmalz, Rn. 259; in der Literatur findet sich ferner die Meinung, dass ein Zweck durch ein Prinzip in eine Norm hineingetragen werden kann, vgl. Brandenburg, S. 65. 351 Penski, JZ 1989, 104 (109); Höpfner, S. 97; Larenz weist den Prinzipien eine positive Funktion, d. h. Richtungsweisungsfunktion, sowie eine negative Funktion, d. h. Ausschlussfunktion, für alle dem Prinzip widersprechenden Ergebnisse zu, vgl. Larenz, S. 23 ff.; vgl. auch zur Tarifpluralität: BAG, Beschluss vom 27.1.2010 – 4 AZR 549/08, AP § 3 TVG Nr. 46. 352 Zippelius, § 10 III. c). 353 Dieses methodische Vorgehen spricht Lobinger kurz an, in sein dogmatisches Konzept passt es gleichwohl nicht, vgl. Lobinger, ZfA 2004, 101 (176); Schnorbus, AcP 2001, 860 (891), wenn eine Norm dem Prinzip entspringt; das Prinzip betonend, aber für § 2 Abs. 1 BetrVG einspannend: Gruber, NZA 2011, 1011 (1015). 354 Richardi, FS Wlotze, 407 (413 f.). 349
F. Die Rechtsgrundlage des verfahrenssichernden Unterlassungsanspruchs 113
rüber hinaus begründet, dass dieses Prinzip nicht allein auf die Rechtsusurpation, sondern auf die Störung des Rechts zu entwerfen ist.355 In § 23 Abs. 3 S. 1 BetrVG erhält das Prinzip nun eine allgemeine positiv-rechtliche Einbruchsstelle in die Betriebsverfassung: Rechtsverletzungen können, sofern sie grob sind, verhindert werden. Dass dieses Prinzip in der Betriebsverfassung wirkt, dokumentieren zudem die §§ 98 und 101 BetrVG. Auch das Bundesarbeitsgericht hat dieses Prinzip in seiner Entscheidung vom 3.5.1994 in die Betriebsverfassung transportiert, als es feststellte, dass der Gesetzgeber eine betriebsverfassungswidrige Lage nicht einmal zeitweilig dulden wollte.356 Der Schutz der betriebsverfassungsrechtlichen Ordnung und das negatorische Koinzidenzprinzip greifen dabei nahtlos ineinander. § 23 Abs. 3 BetrVG begründet wegen des Auffangcharakters und der zusätzlichen Schutzdimension keine Grenze. Folgerichtig kann man nunmehr § 23 Abs. 3 BetrVG mit dem Prinzip der Durchsetzung von Rechten harmonisieren und extendieren. e) Die Grenzen der Rechtsfortbildung Wegen des festgeschriebenen Tatbestandsmerkmals „grober Verstoß“ führt die teleologische Extension von § 23 Abs. 3 S. 1 BetrVG an die Grenzen der Rechtsfortbildung. aa) Grundsätze Nach herrschender Auffassung bildet dabei der Wortsinn die Grenze zwischen Auslegung und Rechtsfortbildung.357 Die Trennlinie zwischen zulässiger und unzulässiger Rechtsfortbildung358 wird wiederum mit der contra355
Lobinger, FS Richardi, 657 (663); Lobinger, RdA 2011, 76 (81). BAG, 1. Senat, Beschluss vom 03.05.1994 – 1 ABR 24/93, NZA 1995, 40 (42). 357 Sogenannte Theorie der Wortsinngrenze, vgl. Bydlinski, S. 467 f.; Engisch, S. 93; anders z. B.: Wank, S. 44; folgte man dieser Konzeption, so wären die Rechtsinstrumente der teleologischen Reduktion oder Extension eine bloße Auslegung; es offenbart sich indes schnell, dass beide Ansätze in der Regel zu identischen Ergebnissen führen. 358 Den Auftrag der Gerichte zur Rechtsfortbildung kann man aus § 132 Abs. 4 GVG oder – speziell für das Arbeitsrecht – aus § 45 Abs. 4 ArbGG ableiten. Die verfassungsrechtliche Grundlage findet sich in der Aufteilung in Art. 20 GG; dort spricht man von Gesetz und Recht. Diese Zweiteilung begründet eine Ablehnung eines engen Gesetzespositivismus und legitimiert den Richter dazu, das Gesetz im Rahmen des Rechts fortzubilden [BVerfG, Beschluss vom 14.2.1973 – 1 BvR 112/65, BVerfGE 34, 269 (286 ff.)]. 356
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2. Kap.: Die Unterlassungsansprüche des Betriebsrats
legem-Grenze umschrieben.359 Eine contra legem-Fortbildung soll insbesondere vorliegen, wenn ein Tatbestandsmerkmal vollends beseitigt wird.360 Zulässig ist eine Rechtsfortbildung im sog. lex-lata-Bereich.361 Dieser wird mit dem Wortlaut und dem Zweck der Vorschrift umschrieben.362 Diese Differenzierung erweist sich hinsichtlich der Wertung der Beteiligungsrechte als enorm bedeutend. Auch wenn ihr Wortsinn nicht im Hinblick auf einen Unterlassungsanspruch ausgelegt oder konkretisiert werden kann, so könnten sie nach ihrem Sinn und Zweck ein Innehalten erfordern und damit die Rechtsfortbildung rechtfertigen. Die genaue Konturierung der contra-legem-Grenze ist sehr problematisch. Es besteht eine ganze Reihe von Vorgaben, welche die Befugnis des Richters zur Rechtsfortbildung beschränken. Das Bundesverfassungsgericht hat in der Soraya-Entscheidung grundlegend eine dogmatische Vertretbarkeit363 gefordert, ein Richterspruch sei anderenfalls willkürlich. Diese Willkür sei objektiv festzustellen und setzte kein Verschulden voraus.364 Ferner stellte das Gericht zwei weitere verfassungsrechtliche Grenzfaktoren auf: die Respektierung der gesetzgeberischen Grundentscheidung sowie die Anwendung der anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung.365 Das dann zu schaffende Recht sei aus den allgemeinen Rechtsgrundlagen abzuleiten, die für die betroffene Rechtsbeziehung maßgeblich seien. Verkenne das Gericht diese Grenzen, so begebe es sich aus der Rolle des Normanwenders in die des Normsetzers.366 bb) Die Wortlautreduktion und die Zweckentsprechung Der hier vorgenommenen teleologischen Extension steht die contra-legem-Grenze nicht entgegen. Die Rechtsfortbildung bewegt sich im teleolo359 BAG, Urteil vom 23.04.2008 2 AZR 21/07 = juris; Auer, NJW 2007, 1106 (1107); Canaris, FS Bydlinski, 47 (91 f.). 360 Canaris, in: FS Bydlinski, 47 (103). 361 Bydlinski, Symposion Canaris, 27 (28). 362 BVerfG, Beschluss vom 12.11.1997 – 1 BvR 479/92 und 307/94; BVerfGE 96, 375 (394); BVerfG, Beschluss vom 22.8.2006 – 1 BvR 1168/04, NJW 2006, 3409 (3409); Canaris, FS Bydlinski, 47 (92); Canaris, System, S. 119, im Kontext der Lückenermittlung; Gusy, JuS 1983, 189 (194); Brandenburg, S. 71; vgl. Bydlinski, Symposion Canaris, 27 (52 ff.), mit einer ausführlichen Herleitung der beiden Grenzfaktoren. In diese Richtung wohl auch: BVerfG, Beschluss vom 30.6.1964 – 1 BvL 16/62; BVerfGE 18, 97 (111); BVerfGE; BVerfG, Beschluss vom 22.10.1985 – 1 BvL 44/83, BVerfGE 71, 81, 105. 363 BVerfG, Beschluss vom 14.2.1973 – 1 BvR 112/65, BVerfGE 34, 269 (291). 364 BVerfG, Beschluss vom 3.11.1992 – 1 BvR 1243/88, BVerfG 87, 273 (278 f.). 365 BVerfG, Beschluss vom 22.8.2006 – 1 BvR 1168/04, NJW 2006, 3409 (3409). 366 BVerfG, Beschluss vom 3.11.1992 – 1 BvR 1243/88, BVerfGE 87, 273 (280).
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gischen Raum der Norm: die betriebsverfassungsrechtliche Ordnung wird geschützt. Bei § 23 Abs. 3 S. 1 BetrVG besteht außerdem die Besonderheit, dass „grob“ und „Verletzung“ eine Einheit bilden. „Grob“ kann konstruktiv nicht ohne Verletzung, „Verletzung“ aber kann ohne „grob“ im Normtext bestehen bleiben. Wenn nun ein Merkmal nicht ohne das andere existieren kann, liegt eine eindeutige Zu- und Unterordnung vor. Für die teleologische Extension ist diese enge Verflechtung deswegen so relevant, weil bei einer fallgruppenspezifischen, relativen Reduktion von grob das Tatbestandsmerkmal per se bestehen bleibt. Die Friktion mit dem Wortlaut wird demzufolge auf ein Minimum reduziert. cc) Die „grob“ erfordernden Fälle In Übereinstimmung mit den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts ist noch zu überprüfen, ob für die unmittelbare Anwendung des § 23 Abs. 3 S. 1 BetrVG Anwendungsfälle verbleiben. (1) Nicht klagbare Pflichten Die betriebsverfassungsrechtlichen Pflichten können unterschiedlich bzw. nicht durchsetzbar sein. Nicht immer ist mit ihnen die Anspruchsqualität verbunden: Verhaltenspflichten etwa sind nicht einklagbar. Sie ergeben sich im Rahmen der Betriebsverfassung zumeist aus § 2 Abs. 1 BetrVG. Daneben sieht etwa § 74 Abs. 1 BetrVG eine Verhandlungspflicht vor.367 § 23 Abs. 3 S. 1 BetrVG kann nun über das Tatbestandsmerkmal des groben Verstoßes einseitige, nicht einklagbare Pflichten dennoch in die Hand des aus der Pflicht Begünstigten legen.368 Da sie gerade auf der Ebene des Betriebs für das gemeinsame Agieren der Betriebspartner von erheblicher Relevanz sind, stellt der Gesetzgeber ein Instrumentarium bereit, um dieser praktischen Bedeutung Rechnung zu tragen. Zudem beachtet § 23 Abs. 3 BetrVG den dogmatischen Ursprung dieser Pflichten. Ihrer grundsätzlichen Form als nicht einklagbare Pflichten widerspräche ein Verzicht auf das Merkmal „grob“. In groben Fällen wiederum ist es aber vor dem Schutzzweck des § 23 Abs. 3 BetrVG geboten, ihre Verletzung verhindern zu können.
367 368
DKKW-Berg, § 74 Rn. 12 ff.; HSWGNR-Worzalla, § 74 Rn. 8. Vgl. Raab, S. 93 f.
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2. Kap.: Die Unterlassungsansprüche des Betriebsrats
(2) Prozessstandschaft § 23 Abs. 3 S. 1 BetrVG bildet daneben ein komplexes Gebilde aus verschiedenen Möglichkeiten, fremde Rechte wahrzunehmen. Nach zutreffender Ansicht beinhaltet § 23 Abs. 3 BetrVG eine Art Prozessstandschaft.369 Hierin erklärt sich das Intensitätserfordernis des groben Verstoßes. Über § 23 Abs. 3 BetrVG kann eine Gewerkschaft als außenstehende Organisation ebenfalls Schutzrechte bei groben Verletzungen geltend machen. Wenn eine Gewerkschaft die Unterlassung einer Verletzung oder sogar die Erfüllung eines Beteiligungsrechts verlangen kann, dann nimmt sie originäre Betriebsratsrechte wahr. Aus der Rechtszuweisung an den Betriebsrat folgt, dass die Wächterstellung der Gewerkschaft dabei subsidiär bleiben und auf Extremfälle beschränkt werden soll. Die Bedeutung dieser Facette des § 23 Abs. 3 BetrVG hat vor einiger Zeit ein anschaulicher Fall verdeutlicht: So ermöglichte es § 23 Abs. 3 BetrVG einer Gewerkschaft, die Einhaltung eines Gleitzeitrahmens zu erzwingen.370 Nicht nur die Rechtsstellung der Gewerkschaft wird gestärkt. Der Betriebsrat kann die Individualrechte der §§ 81 ff. BetrVG durch § 23 Abs. 3 BetrVG geltend machen.371 Grundsätzlich muss sich der einzelne Arbeitnehmer auf diese Rechte berufen. In Extremfällen – also groben Verstößen – soll der Betriebsrat Erfüllung an den einzelnen Arbeitnehmer oder Unterlassung einer Verletzungshandlung verlangen können. Über den Gedanken der bloßen Prozessstandschaft zugunsten des Arbeitnehmers hinaus enthält § 23 Abs. 3 BetrVG auch ein Sicherungsinstrument zugunsten des Betriebsrats hinsichtlich der Beteiligungsrechte der anderen Gremien im Unternehmen.372 Das Erfordernis des groben Verstoßes trägt damit der Tatsache Rechnung, dass ein Fremder die Rechter anderer geltend machen bzw. sichern kann. Dies erscheint u. a. deshalb systemgerecht, da einfache Verletzungen – von der Grundüberlegung eines Gesetzgebers her – regelmäßig nicht derart intensive Folgen für den Einzelnen haben wie eine grobe Verletzung.
369 Raab, ZfA 1997, 183 (187); Raab, Anm. zu BAG, Beschluss vom 3.5.1994 – 1 ABR 24/93, EzA § 23 1972 Nr. 36; Trittin, BB 1984, 1169 (1170); Derleder, AuR 1983, 289 (293); a. A. Evers, S. 17 ff. 370 BAG, Beschluss vom 29.4.2004 – 1 ABR 30/02, AP § 77 BetrVG 2001 Nr. 8. 371 BAG, Beschluss vom 16.11.2004 – 1 ABR 53/03, NZA 2005, 416 (417). 372 BAG, Beschluss vom 17.5.2011 – 1 ABR 121/09, EzA § 23 BetrVG 2001 Nr. 5.
F. Die Rechtsgrundlage des verfahrenssichernden Unterlassungsanspruchs 117
4. Konklusion Betrachtet man § 95 BetrVG, so gewährte § 23 Abs. 3 S. 1 BetrVG ausschließlich dann negatorischen Schutz, wenn zusätzliche Umstände zum Treffen der Maßnahme hinzukämen. Dies wird in den Fällen deutlich, in denen erst ein wiederholtes Übergehen der Mitbestimmungsrechte einen groben Verstoß begründet. Tatsächlich dokumentiert das Zustimmungserfordernis aber die gesetzgeberische Missbilligung der Durchführung in jedem dieser Fälle. Die teleologische Extension des § 23 Abs. 3 S. 1 BetrVG (bzw. die relative teleologische Reduktion von „grob“) denkt dann den in dieser Norm vorhandenen Schutz konsequent vor den Wertungen des Betriebsverfassungsrechts und des allgemeinen Zivilrechts zu Ende. Methodisch ist dieses Vorgehen mit dem des Reichsgerichts vergleichbar als das Gericht die deliktisch angelegte Unterlassungsverpflichtung über § 1004 BGB analog materialisierte. Sucht man nach den dogmatischen Wurzeln des allgemeinen Unterlassungsanspruchs, so findet man sie in der Verknüpfung der Durchführung der Maßnahme mit der Beteiligung. Hinzutritt das die Beteiligungslage stabilisierende Anterioritätsprinzip in Verbindung mit dem negatorischen Koinzidenzprinzip. Gerade die Rechtsprinzipien gehören nach Canaris zu den Elementen, die eine Rechtsfortbildung ermöglichen.373 Wie er zudem ausführt, kann die teleologische Rechtsfortbildung nicht nur den eigenen Zwecken, sondern auch den außerhalb der betroffenen Norm liegenden Wertungen zum Durchbruch verhelfen.374 Für § 23 Abs. 3 S. 1 BetrVG bedeutet dies nichts anderes, als dass das Schutzobjekt der betriebsverfassungsrechtlichen Ordnung spezialisiert wird, um den Wertungen des jeweiligen Beteiligungsrechts und der Verfahrensloyalität zu entsprechen. Denn § 23 Abs. 3 S. 1 BetrVG enthält seinerseits keine spezielle Bewertung des Falles der Durchführung der Maßnahme: Wertungstechnisch liegt vielmehr eine Blankettnorm vor. Da die Norm dennoch auch auf den Fall der Durchführung angewendet werden kann, müssen sich die speziellen Wertungen auf den Anwendungsbereich der Norm durchschlagen. Der prinzipiengestützten Rechtsfortbildung wird zwar teilweise mit Argwohn begegnet, da auf diese Weise die Wertungen der Gesetzgebung umgangen werden könnten und der Grundsatz der richterlichen Rechtsbindung eingeschränkt werden könnte.375 In der Prinzipienlehre ist aber allgemein
373 Canaris, Lücken S. 93; Canaris, System, S. 95; allgemeiner, aber ebenso auf den Fall zutreffend: Looschelders/Roth, S. 226. 374 Canaris, FS Bydlinski, 48 (90). 375 Höpfner, S. 387 u. 99.
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2. Kap.: Die Unterlassungsansprüche des Betriebsrats
anerkannt, dass ein Prinzip eine entgegenstehende Norm nicht überwinden kann: Die Regel geht vielmehr vor.376 Ist ferner erarbeitet worden, dass Szenarien existieren, an denen sich die Formulierung des § 23 Abs. 3 BetrVG orientiert, und die eine Qualifikation zwingend voraussetzen, könnte man die Norm schließlich für nicht einschlägig erachten und eine totale teleologische Reduktion erwägen. Dies wäre indes ein Widerspruch zur Schutzaufgabe des § 23 Abs. 3 BetrVG, die gerade und v. a. im präventiven Bereich aller Verpflichtungen verwirklicht werden kann. Vielmehr ist bei der Voraussetzung „grob“ anzusetzen und die Norm auszuweiten. § 23 Abs. 3 BetrVG analog vermittelt dabei keinen absoluten Schutz für alle Beteiligungsrechte. Die Norm stellt nur das Schutzvehikel zur Durchsetzung des Anterioritätsprinzips dar.377 Es ist für jedes Beteiligungsrecht selbst zu ermitteln, inwieweit einem Schutz durch den allgemeinen Unterlassungsanspruch zugänglich ist. Dabei ist von der Integritätsvermutung auszugehen und zu überprüfen, ob der Gesetzgeber das Treffen der Maßnahme nicht ausnahmsweise hinnimmt. Verneint man dies, so kann § 23 Abs. 3 BetrVG analog angewendet werden.
IV. Das Nebeneinander von § 23 Abs. 3 S. 2–5 BetrVG und § 890 ZPO Letztlich ist das Verhältnis von § 23 Abs. 1 S. 1 BetrVG analog zu den Sätzen 2–5 zu bestimmen. Es geht um die Frage, ob der verfahrenssichernde Unterlassungsanspruch aus § 23 Abs. 3 S. 1 BetrVG über § 890 ZPO oder über § 23 Abs. 3 S. 2 ff. BetrVG vollstreckt wird. Das Bundesarbeitsgericht geht davon aus, dass die Höchstgrenze des § 23 Abs. 3 S. 5 auch im Rahmen des § 890 ZPO als lex specialis zu beachten ist.378 Begründet wird dies mit einem Erst-Recht-Schluss: Die Zwangsmaßnahmen könnten bei einem einfachen Verstoß nicht weiter gehen als bei einer groben Verletzung der gleichen Pflicht.379 376
Vgl. Röhl/Röhl, § 33 Abs. 3. Daher können sich die Gewerkschaften nicht auf die analoge Anwendung des § 23 Abs. 3 BetrVG berufen, da Ihnen keine präventiven Beteiligungsrechte im BetrVG zugebilligt sind. Es verbleibt bei der im Gesetz angelegten Wächterfunktion für grundlegende Anforderungen der betriebsverfassungsrechtlichen Ordnung. 378 BAG 29.4.2004 – 1 ABR 30/02, AP BetrVG 1972 § 77 Durchführung Nr. 3; BAG, Beschluss vom 24.04.2007 – 1 ABR 47/06, AP BetrVG 1972 § 87 Arbeitszeit Nr. 124; FESTL, § 23 Rn. 110 – unklar: Rn. 107. 379 BAG, Beschluss vom 5.10.2010 – 1 ABR 71/09, NZA 2011, 174. 377
F. Die Rechtsgrundlage des verfahrenssichernden Unterlassungsanspruchs 119
Diese Annahme birgt die Gefahr, dass das Recht über das Zwangsvollstreckungsverfahren entwertet wird, indem der Arbeitgeber sich „freikaufen“ kann. In der Literatur wird daher diskutiert, wie sich die Sätze 2 ff. zur allgemeinen Zwangsvollstreckung verhalten bzw. diese ausschließen.380 Auch dort steht der vermeintliche Widerspruch im Zentrum, im Falle eines groben Verstoßes lediglich ein Ordnungsgeld in Höhe von 10.000 Euro, bei weniger gewichtigen Verstößen hingegen ein Ordnungsgeld von bis zu 250.000 Euro beantragen zu können.381 Tatsächlich tritt § 23 Abs. 3 S. 2 ff. BetrVG neben die allgemeinen Regeln der Zwangsvollstreckung und enthält eine separate Disziplinarvorschrift, die zeitlich parallel zur Zwangsvollstreckung verläuft.382 § 23 Abs. 3 BetrVG ist von seiner Konzeption nicht nur ein Auffangtatbestand, sondern auch – und dies sogar vordergründig – eine begleitende Norm. In dieser Funktion enthält § 23 Abs. 3 BetrVG keine vollstreckungsrechtlichen Normen i. e. S. Die formale Zuordnung zum Vollstreckungsverfahren ist bereits in der Gesetzesbegründung abgelehnt worden. Denn dort heißt es, dass § 23 Abs. 3 S. 2 ff. nur an die Zwangsvollstreckung angelehnt sein soll.383 Das erklärt wiederum die parallele Verwendung der Begrifflichkeiten in den Sätzen. Zudem soll § 23 Abs. 3 BetrVG die arbeitsgerichtliche Verhängung einer Geldstrafe ermöglichen.384 Während also beim allgemeinen Unterlassungsanspruch die materielle Rechtslage und die sich aus den Beteiligungsrechten ergebenden Wertungen entscheidend sind, war für die Schaffung des § 23 Abs. 3 BetrVG gerade die Geldstrafe per se das entscheidende Moment. Die Nähe zur Zwangsvollstreckung erklärt sich daraus, dass diese Materie gerade in den zeitlichen und räumlichen Bereich der Zwangsvollstreckung fällt. Im System der betriebsverfassungsrechtlichen Instrumentarien ist § 23 Abs. 3 S. 2 ff. BetrVG die eigentliche, schwerpunktmäßige Disziplinarnorm, die ihre Legitimation im Rechtsbruch gegen die betriebsverfassungsrechtliche Ordnung trotz Vorliegens einer unanfechtbaren Entscheidung hat. Die Parallelität von § 890 ZPO und § 23 Abs. 3 S. 2 ff. BetrVG wird noch deutlicher, führt man sich den begleitenden Charakter der Norm vor Augen. Den Ausgangspunkt bilden dabei die Beteiligungsansprüche. Hier kann sich die Nichterfüllung durch Begleitumstände zu einem groben Ver380
Vgl. FESTL, § 23 Rn. 107 ff.; HSWGNR-Schlochauer, § 23 Rn. 90. Heinze, DB 1983, Beilage 9/83, S. 9; Ehrich, BB 1993, 356 (359). 382 Zu § 101 BetrVG: Hess. LAG, Beschluss vom 1.11.2005 – 4/18/5 TaBV 47/05 = juris. 383 Bt.-Drs. VI/2729, S. 21. 384 Bt.-Drs. VI/1786, S. 39. 381
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2. Kap.: Die Unterlassungsansprüche des Betriebsrats
stoß aufschwingen. In diesem Fall vermittelt Satz 1 einen weiteren, praktisch unbedeutenden Anspruch auf Beteiligung. Die Sätze 2 ff. beinhalten hingegen ein separates bzw. zusätzliches – und damit wichtiges – Sanktionssystem im Falle eines rechtskräftigen Leistungsbeschlusses. Satz 1 verschafft somit auf Handlungen zielende Ansprüche, die auch ohne § 23 Abs. 3 S. 1 BetrVG bestehen. Genau auf diese (Normal-)Fallkonstellation hin ist § 23 Abs. 3 BetrVG entworfen worden und sind die Sätze 2–5 zu verstehen. Sie gewähren ein separates Sanktionsverfahren, das neben die zwangsvollstreckungsrechtlichen Regelungen des eigentlichen Erfüllungsanspruchs tritt. Dieses Verständnis war auch nach alter Rechtsprechung zumindest für die ausdrücklichen Ansprüche der BetrVG anerkannt.385 Für Unterlassungsansprüche gilt das gleiche. Der Gesetzgeber hat den Regelungsgrund der Geldstrafe im Fortsetzen der untersagten Handlung gesehen.386 Als Beispiel kann man die Flankierung des § 78 BetrVG nehmen. § 78 BetrVG erhält eine Vollstreckung nicht über § 23 Abs. 3 S. 2 ff. sondern über § 890 ZPO. § 23 Abs. 3 BetrVG flankiert nun diesen Anspruch und setzt eine Vollstreckung nach § 890 ZPO voraus, der § 23 Abs. 3 S. 2 ff. ein „Disziplinarverfahren“ zur Seite stellt. Von dieser Funktion grenzen sich die Situationen ab, in denen § 23 Abs. 3 S. 1 BetrVG einen eigenständigen Anspruch liefert, ohne einen vorhandenen Anspruch zu begleiten. Liefert § 23 Abs. 3 S. 1 BetrVG (nicht analog) nun einen originären Anspruch, so ist vor dem soeben beschriebenen Normalfall auch eine Vollstreckung nach § 890 BetrVG möglich. In diesen Fällen gabelt sich der Anspruch des § 23 Abs. 3 S. 1 in die Sätze 2 ff. und die allgemeine vollstreckungsrechtliche Vorschrift des § 890 ZPO. Dies verdeutlicht § 85 Abs. 1 S. 3 ArbGG. Dort wird die Ordnungshaft aus den Instrumentarien herausgenommen. Diese Anordnung ist notwendig, da die allgemeinen Zwangsvollstreckungsregeln diese gerade vorsehen. § 23 Abs. 3 S. 2 wiederum erwähnt diese Möglichkeit überhaupt nicht. Sie stünde auch im Widerspruch zur Konzeption der Sanktionierung über Geldstrafen. Dabei ist es unerheblich, dass sich in § 85 Abs. 1 S. 3 ArbGG ein verallgemeinerungsfähiges Rechtsprinzip verbirgt. Wichtig ist der Rückschluss auf die Öffnung des § 23 Abs. 3 S. 1 BetrVG für die §§ 888, 890 ZPO. Die Regelung ist deshalb notwendig, weil die allgemeinen Regelungen auf S. 1 Anwendung finden und S. 2 daneben tritt. Eine Limitation der Zwangsvollstreckung auf 10.000 Euro ist auch aus normativen Gesichtspunkten abzulehnen. § 85 Abs. 1 S. 3 ArbGG i. V. m. §§ 709, 710 ZPO ermöglicht es dem Betriebsrat, im Falle eines Unterlas385 BAG, Beschluss vom 17.05.1983 – 1 ABR 21/80, AP § 80 BetrVG 1972 Nr. 19. 386 Bt.-Drs. VI/1786, S. 39.
F. Die Rechtsgrundlage des verfahrenssichernden Unterlassungsanspruchs 121
sungsbeschlusses die vorläufige Vollstreckbarkeit zu erreichen.387 Wegen der Beseitigung des Beteiligungsrechts (schwer ersetzbarer Nachteil) und der Vermögenslosigkeit des Betriebsrats ist § 710 ZPO in der Regel stets erfüllt. Im Gegensatz dazu enthält § 23 Abs. 3 BetrVG für den Zeitraum vor der Rechtskraft keine Regelung. Es gibt keinen Grund, den Arbeitgeber in der Zeit nach Erlass des Beschlusses und bis zum Erwachsen in Rechtskraft zwangsvollstreckungsrechtlich zu privilegieren – ungeachtet der Tatsache, dass die Höhe von 10.000 Euro ihrerseits eine Privilegierung darstellte. Es wäre mit dem Regelungszweck des § 23 Abs. 3 S. 1 BetrVG unvereinbar, einen Zeitraum ohne vollstreckungsrechtlichen Schutz zu lassen. Die faktische Umgehungsmöglichkeit würde trotz eines entgegengesetzten Beschlusses fortbestehen. Umkehrt ist die Einschränkung der Höhe von 250.000 Euro auf 10.000 Euro gerade nach Eintritt der Rechtskraft nicht plausibel. Aus diesem Grund spricht alles dafür, dass allein § 890 ZPO die Vollstreckung regelt. Will man keine Wertungswidersprüche erzeugen, muss man § 23 Abs. 3 S. 2–5 dogmatisch zutreffend als Betriebsbuße neben § 890 ZPO stellen. Demzufolge kann Folgendes für § 23 Abs. 3 S. 1 BetrVG analog festgehalten werden: Die Vollstreckung richtet sich nach § 890 ZPO. § 23 Abs. 3 S. 1 i. V. m. § 23 Abs. 3 S. 2 ff. BetrVG ergänzt nur § 23 Abs. 3 S. 1 BetrVG analog i. V. m. § 890 ZPO.
V. Konsequenzen für den Betriebsrat Der verfahrenssichernde Unterlassungsanspruch hat – wie sein Name bereits sagt – allein den Zweck, die Mitwirkungsrechte des Betriebsrats zu sichern. Über das rechtliche Instrument des Unterlassungsanspruchs soll es dem Betriebsrat hingegen nicht ermöglicht werden, seine Verhandlungsposition so erstarken zu lassen, dass er faktisch die beteiligungspflichtige Maßnahme positiv mitbestimmen kann. Beteiligte der Arbeitgeber, könnte der Betriebsrat auch nur beratend tätig werden. Daraus resultieren erhöhte Anforderungen für die Dauer des Konsultationsprozesses. Während der Arbeitgeber die Maßnahme nicht durchführen darf, treffen den Betriebsrat im Vergleich zum paritätischen Unterlassungsanspruch Mitwirkungspflichten aus § 2 Abs. 1 BetrVG – je nach Ausgestaltung des Einzelfalls. Die Mitwirkungsvorgabe darf allerdings nicht zur Steuerung der Betriebsratsarbeit von außen führen. Im Vergleich zum paritätischen Unterlassungsanspruch zeichnet sich der verfahrenssichernde Unterlassungsanspruch über387
Hauck/Helml, § 85 Rn. 5.
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2. Kap.: Die Unterlassungsansprüche des Betriebsrats
haupt durch die durchgängige Existenz dieser Pflichten aus, während im paritätischen Konzept die Weigerung ein legitimes, vom Mitbestimmungsrecht regelmäßig gedecktes Verhandlungsinstrument darstellt. Eine Verletzung dieser sich aus § 2 Abs. 1 BetrVG ergebenden Pflichten kann dann den Unterlassungsanspruch zu Fall bringen. Als Beispiel für eine solche Pflicht dient die Unterlassungsverpflichtung des Betriebsrats, eigene Verfahrenshandlungen von Zugeständnissen abhängig zu machen.
VI. Ergebnis Am Beispiel des § 95 BetrVG wurde die Inkonsequenz des rechtlichen Status quo bezüglich der gerichtlichen Sicherung der Beteiligungsrechte gezeigt und über die Figur des verfahrenssichernden Unterlassungsanspruchs behoben. Der paritätische Unterlassungsanspruch und der beteiligungssichernde Unterlassungsanspruch stehen grundsätzlich nebeneinander. In Konkurrenzfällen hat der paritätische Unterlassungsanspruch Vorrang. Dieser Anspruch ist wegen seiner Rechtsgrundlage und des verfahrensmäßigen Spielraum, den er dem Betriebsrat gewährt, spezieller.
G. Der verfahrenssichernde Unterlassungsanspruch in wirtschaftlichen Angelegenheiten Waren bislang nur das Mitbestimmungsrecht des § 87 BetrVG und das Zustimmungserfordernis des § 95 BetrVG Gegenstand der Untersuchung, so sind nun die Beratungsrechte in den Fokus zu rücken. Das wohl bedeutendste Beratungsrecht findet sich bei den wirtschaftlichen Angelegenheiten. Nach §§ 111 ff. BetrVG muss der Unternehmer den Betriebsrat über Betriebsänderungen unterrichten und mit dem Betriebsrat die Betriebsänderungen beraten. Ob diesem vor Abschluss der Beratung ein Unterlassungsanspruch zur Sicherung dieser Rechte zusteht, ist höchst strittig. Die lange Zeit herrschende Meinung lehnt dies ab.388 388 LAG BW, Beschluss vom 21.10.2009 – 20 TaBVGa 1/09, BeckRS 2010, 66550; LAG Nürnberg, Beschluss vom 9.3.2009 – 6 TaBVGa 2/09, BB 2009, 1917 (nur Leitsatz) = juris.de; LAG LSA, Beschluss vom 30.11.2004 – 11 TaBV 18/04 = juris; LAG Nds., Beschluss vom 29.11.2002 – 12 TaBV 111/02, BB 2003, 1337 (1337); LAG Köln, Beschluss vom 30.4.2004 – 5 Ta 166/04, NZA-RR 2005, 199 (199); LAG München, Beschluss vom 24.9.2003 – 5 TaBV 48/03, NZA-RR 2004, 536 (536); LAG Rheinl.-Pfalz, Beschluss vom 24.11.2004 – 9 TaBV 29/04 = juris; LAG Düsseldorf, Beschluss vom 19.11.1996 – 8 TaBV 80/96, LAGE, § 111 Nr. 14, abgelehnt von Andres in der Anmerkung zu diesem Urteil; Bengelsdorf, DB 1990, 1233 (1235); Ehler, BB 2000, 978 (979); Konzen, S. 91; Riesenkampff, S. 55 ff.;
G. Der verfahrenssichernde Unterlassungsanspruch
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I. Die Ausgestaltung und das System des Mitwirkungsrechts nach § 111 Abs. 1 BetrVG 1. Der zugrunde liegende Interessenkonflikt Die Beteiligung des Betriebsrats gemäß §§ 111 ff. BetrVG in wirtschaftlichen Angelegenheiten findet im Vorfeld der Unternehmerentscheidungen statt. Deshalb steht die Beteiligung in wirtschaftlichen Angelegenheiten vor der Aufgabe, einerseits die mit der Verantwortung für das Schicksal des Unternehmens verbundene Entscheidungsfreiheit des Unternehmers zu erhalten und andererseits den sozialen Belangen der von der Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmern Rechnung zu tragen.389 Die Regelungen der §§ 111–113 BetrVG bieten Gewähr dafür, dass sich ein Unternehmer nicht leichtfertig und ohne Rücksicht auf die Arbeitnehmer zu einer Betriebsänderung entschließt und eine beschlossene Betriebsänderung möglichst schonend durchführt.390 Der grundlegende Zweck der Beratung besteht folglich darin, die Arbeitnehmerbelange in den Entscheidungsprozess des Unternehmers über die Betriebsänderung einzubringen.391 Das beste Beispiel für Folgewirkungen von Betriebsänderungen sind betriebsbedingte Kündigungen. Die Betriebsänderung kann eine nach § 1 KSchG nur sehr eingeschränkt überprüfbare Unternehmerentscheidung392 darstellen und einem bestehenden Kündigungsschutz die Grundlage entziehen. Da eine Individualisierung der betroffenen Arbeitnehmer vorher kaum möglich sein wird, hat die gesamte Belegschaft folglich ein Interesse an der Beteiligung. Dieses Interesse realisiert der Betriebsrat als Repräsentant. ErfK-Koch § 23 Rn. 27 f.; wegen RL 2002/14/EG mit Zweifeln: Richardi-Annuß § 111 Rn. 168; SWS §§ 111–113 Rn. 102 ff.; Raab, ZfA 1997, 183 (246 ff.); Lipinski/Melms, BB 2002, 2226 (2228 f.); Heupgen, NZA 1997, 1271 (1272); Walker, Rn. 876, jeweils m. w. N.;. a. A. LAG Berlin, Beschluss vom 7.9.1995, NZA 1996, 1284; LAG Hamburg, Beschluss vom 27. Juni 1997 – 5 TaBV 5/97 LAGE, § 111 Rn. 15; LAG Hamm, Beschluss vom 28.8.2003 – 13 TaBV 127/03, NZA-RR 2004, 80; LAG Thüringen, Beschluss vom 26.9.2000 – 1 TaBV 14/2000, LAGE, § 111 BetrVG 1972, Nr. 17; LAG München, Beschluss vom 22.12.2008 – 6 TaBVGa 6/08, AuR 2009, 142; LAG SH, Beschluss vom 15.12.2010 – 3 TaBVGa 12/10, DB 2011, 714; Fauser/Nacken, NZA 2006, 1136; Gruber, NZA 2011, 1011; DKKW-Trittin § 23 Rn. 353; Forst, ZESAR 2011, 107 (114); HWK-Bepler § 85 ArbGG Rn. 11; Düwell/Lipke-Reinfelder § 85 Rn. 30. 389 BAG, Beschluss vom 20.04.1982 – 1 ABR 3/80, AP § 112 BetrVG 1972 Nr. 15; Edenfeld, BV, Rn. 289. 390 BAG, Beschluss vom 20.04.1982 – 1 ABR 3/80, AP § 112 BetrVG 1972 Nr. 15. 391 Matthes, FS Wlotzke, 393 (405 f.). 392 Hierzu: ErfK-Oetker § 1 KSchG Rn. 239 ff.
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2. Kap.: Die Unterlassungsansprüche des Betriebsrats
2. Das Beteiligungsrecht und die Beteiligungsresultate Als maßgebliche Instrumentarien zur Interessenwahrung in Bezug auf die Betriebsänderung fungieren die Beteiligungsrechte der §§ 111 und 112 BetrVG. Bei der Komposition des Beteiligungstatbestandes hat der Gesetzgeber zwischen der unternehmerischen Maßnahme selbst und den daraus resultierenden wirtschaftlichen Nachteilen unterschieden.393 Den Ausgangspunkt bildet das Informations- und Beratungsrecht des § 111 BetrVG, welches durch konkrete Planungen des Arbeitgebers ausgelöst wird.394 Das Beteiligungsrecht des § 111 BetrVG ist im Vergleich zu § 87 BetrVG schwächer ausgestaltet. Jedoch geht die Beratung über die einseitige Anhörung in § 102 BetrVG hinaus. Der Arbeitgeber muss nicht nur die Meinung des Betriebsrats zur Kenntnis nehmen, er muss auch das Gespräch suchen und das Für und Wider abwägen.395 Es geht um eine ernsthafte Beratung über Alternativlösungen.396 Der Unternehmer muss sich dazu mit den vom Betriebsrat vorgeschlagenen Alternativen argumentativ auseinandersetzen.397 Nach der Beratung darf der Arbeitgeber die Maßnahme dann so durchführen, wie er sie für richtig hält. Zu beteiligen ist der Betriebsrat aber nicht nur am Prozess über die Betriebsänderung, sondern auch hinsichtlich der Kompensation der wirtschaftlichen Nachteile. Das Gesetz bringt diese Differenzierung in der Zweiteilung der Beratungs- bzw. Verhandlungsergebnisse zum Ausdruck: Interessenausgleich und Sozialplan. Der Interessenausgleich hat das Ob, Wann und Wie der geplanten Betriebsänderung zum Gegenstand.398 Verhandlungen über einen Interessenausgleich setzen eine hinreichend bestimmte, in Einzelheiten bereits absehbare Maßnahme voraus, deren Durchführung der Arbeitgeber konkret anstrebt.399 Das Zustandekommen eines Interessenausgleichs ist dabei nach herrschender Meinung freiwillig.400 Die Einigungsstelle gibt in diesen Fällen lediglich eine Empfehlung ab, wobei es auch möglich ist, die Bundes393
Bt.-Drs. VI/1786, S. 33. BAG, Urteil vom 20.11.2001 – 1 AZR 97/01, BB 2002, 1862 (1863). 395 Edenfeld, BV, Rn. 200. 396 BAG, Beschluss vom 21.3.2012 – 6 AZR 596/10, NZA 2012, 1058 (1060) unter Verweis auf O.Hinrichs S. 166 ff. 397 BAG, Beschluss vom 16.8.2011 – 1 AZR 44/10, AP § 113 BetrVG 1972 Nr. 55; FESTL §§ 112, 112a Rn. 42. 398 BAG, Beschluss vom 27.10.1987 – 1 ABR 9/86, AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 41; BAG, Beschluss vom 17.9.1991 – 1 ABR 23/91, AP § 112 BetrVG 1972 Nr. 59. 399 BAG, Urteil vom 19.1.1999 – 1 AZR 342/98, AP BetrVG 1972 § 113 Nr. 37. 400 § 112 BetrVG sieht dabei auch die Möglichkeit vor, die Einigungsstelle anzurufen, allerdings besitzt diese lediglich eine eingeschränkte Kompetenz. 394
G. Der verfahrenssichernde Unterlassungsanspruch
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agentur für Arbeit um Vermittlung zu ersuchen (§ 112 Abs. 2). Die fehlende zwingende Natur resultiert aus der Unternehmerfreiheit. Der Arbeitgeber soll nämlich in letzter Instanz das Recht besitzen, über die Maßnahme allein entscheiden zu können.401 Der Sozialplan bezweckt gemäß § 112 Abs. 1 S. 2 BetrVG den Ausgleich und die Minderung der wirtschaftlichen Nachteile, die sich aus der Betriebsänderung ergeben.402 Das Sozialplanverfahren ist als Mitbestimmungsverfahren über die wirtschaftlichen Nachteile zu qualifizieren. Bei nicht gelungener Einigung entscheidet nach § 112 Abs. 4 BetrVG die Einigungsstelle bindend.403 Die Vereinbarung des Sozialplans ist sachlich und zeitlich weniger eng mit der Betriebsänderung verbunden und kann auch nach dem Beginn der Betriebsänderung erfolgen. Nach heute herrschender Meinung setzt der Sozialplan nicht notwendig eine konkrete Betriebsänderung voraus, sondern kann auch freiwillig als vorsorglicher Sozialplan im Vorgriff auf eine noch nicht geplante, aber abschätzbare Betriebsänderung vereinbart werden.404 Die Pflicht zum Versuch eines Interessenausgleichs und die erzwingbare Aufstellung eines Sozialplans stehen in einem systematischen und funktionalen Zusammenhang.405 Denn während der Interessenausgleich dafür Sorge tragen soll, dass Nachteile nicht entstehen oder gemeinsam akzeptiert werden, ist es Aufgabe des Sozialplans, entstehende Nachteile abzumildern oder auszugleichen.406 Auch soll die Ausgleichspflicht unmittelbar in die Erwägungen des Unternehmers über die Betriebsänderung einfließen.407 3. Die rechtliche Spannungslage Im Gesetz ist damit im Rahmen der Beratung bzw. Verhandlung über einen Interessenausgleich ein „Minimaldiskurs“ verfahrensmäßig institutiona401 BAG, Beschluss vom 20.04.1982 – 1 ABR 3/80, AP § 112 BetrVG 1972 Nr. 15. 402 Zu den Konsequenzen für die Ausgestaltung des Sozialplans: BAG, Beschluss vom 6.11.2007 – 1 AZR 960/06, NZA 2008, 232 (234) m. w. N. 403 LAG Berlin, Beschluss vom 7.9.1995 – 10 TaBV 5/95 u. 9/95, LAGE, § 111 BetrVG 1972, Nr. 13. 404 BAG, Beschluss vom 26.8.1997 – 1 ABR 12/97, AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 117; zuletzt BAG, Beschluss vom 17.4.2012 – 11 ZR 119/11, NZA 2012, 1240; Wlotzke/Preis-Preis/Bender, § 112, 112a Rn. 26; Richardi-Annuß, § 112 Rn. 63. 405 BAG, Beschluss vom 20.04.1982 – 1 ABR 3/80, AP § 112 BetrVG 1972 Nr. 15. 406 Richardi-Annuß, § 112 Rn. 51. 407 BAG, Beschluss vom 20.04.1982 – 1 ABR 3/80, AP § 112 BetrVG 1972 Nr. 15.
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2. Kap.: Die Unterlassungsansprüche des Betriebsrats
lisiert.408 Vor dem Hintergrund der dem Beteiligungsrecht innewohnenden Interessenlage stellt sich nun die Frage, ob § 111 BetrVG einen Unterlassungsanspruch bedingt. Ein Unterlassungsanspruch reduziert die Möglichkeit des Unternehmers/Arbeitgebers, auf wirtschaftliche Fragen und Probleme schnell reagieren zu können. Mitunter kann der Zeitdruck dazu führen, dass aus wirtschaftlicher Notwendigkeit Maßnahmen getroffen werden müssen, die einem Interessenausgleich vorweg gehen.409 Dies konfligiert wiederum mit dem stark ausgebauten – prozeduralisierten – Konzept der Einflussnahme auf diese Entscheidung durch den Betriebsrat. Die Antwort auf die Frage bedarf einer Interessenabwägung. Es ist offensichtlich, dass es gewichtige und dringende Gründe geben kann, eine unternehmerische Entscheidung schnell zu treffen. Die Frage ist nur, ob der Unterlassungsanspruch im Normalfall oder erst in wichtigen Fällen (dann wegen Verstoßes gegen § 2 Abs. 1 BetrVG) ausgeschlossen sein soll. Gerade über das Merkmal der „fehlenden Duldungspflicht“ enthält der Unterlassungsanspruchs des Betriebsrates über § 2 Abs. 1 BetrVG ein Einfallstor für eine Interessenabwägung.
II. Die Grundlage des Unterlassungsanspruchs bei den Beteiligungsrechten nach §§ 111 ff. BetrVG Bei der Suche nach einem Unterlassungsanspruch zur Sicherung der Beratung im Rahmen des § 111 BetrVG liegt es nahe, eine Auslegung im Lichte des § 2 Abs. 1 BetrVG durchzuführen. Wurden bereits Bedenken bezüglich der Unbestimmtheit der Zustimmungsrechte und damit der methodischen Zulässigkeit der Übertragung der Rechtsprechung geäußert, so ist nunmehr hinsichtlich der Merkmale „unterrichten“ und „beraten“ zu prüfen, ob diese nicht eine Auslegung im Lichte des § 2 Abs. 1 BetrVG zulassen. Diese Begriffe sind auf eine spezifische Kommunikation zwischen den Betriebsparteien ausgerichtet. Sie legen es indessen nicht nahe, ihnen eine unmittelbare Rechtsfolge zuzusprechen, die auf ihren eigenen Schutz hinausläuft. Die aus § 111 BetrVG resultierende Rechtsmacht ist auf die Beteiligungshandlungen an sich beschränkt. Während also bei einer drohenden Durchführung der nach § 87 BetrVG beteiligungspflichtigen Maßnahme durch den Unterlassungsanspruch „mitbestimmt“ wird, bleibt es im Fall des § 111 BetrVG bei der Informations- und Beratungspflicht. Eine Konkretisierung hin zu einem Unterlassungsanspruch unmittelbar aus § 111 BetrVG 408 Derleder, AuR 1995, 13 (18); Fauser/Nacken, NZA 2006, 1136 (1136 f.); Zabel, AuR 2008, 173 (173). 409 Gruber, NZA 2011, 1011 (1011).
G. Der verfahrenssichernde Unterlassungsanspruch
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ist somit nicht möglich. Ein Rekurs auf § 2 Abs. 1 würde in Abgrenzung zum Vorgehen im Rahmen des § 87 BetrVG zu einer wortlautübersteigenden Rechtsfortbildung führen. Zu diesem Zweck kann aber bereits § 23 Abs. 3 S. 1 BetrVG analog herangezogen werden. Das bedeutet wiederum, dass zu prüfen ist, ob das Beteiligungsrecht in den §§ 111–113 BetrVG für oder gegen die Durchführung der Maßnahme vor Abschluss des Beteiligungsverfahrens wertet. Das Bundesarbeitsgericht hat in einem Urteil das Treffen der Maßnahme ohne vorherige Beteiligung als ein objektiv betriebsverfassungswidriges Verhalten bewertet.410 Unter Anwendung dieser Rechtsprechung ließe sich ein Unterlassungsanspruch aus § 23 Abs. 3 S. 1 BetrVG analog herleiten.
III. Ausdrückliche Ablehnung durch den Gesetzgeber? Einwände gegen einen Unterlassungsanspruch im Bereich der wirtschaftlichen Angelegenheiten könnten sich aus den Voraussetzungen der richterlichen Rechtsfortbildung selbst ergeben. Es könnte an einer planwidrigen Regelungslücke fehlen. Dies jedenfalls scheint die jüngere Gesetzgebungsgeschichte zu belegen. Entsprechende Argumentationen finden sich in Rechtsprechung und Literatur.411 So wiesen das Arbeitsgericht Halle und ihm folgend das LAG Sachsen-Anhalt darauf hin,412 dass ein entsprechender Antrag der PDS-Fraktion auf Empfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung abgelehnt wurde.413 In dem Antrag hieß es unter Nr. 17:414 „[. . .] Es muss ein Verbot von Betriebsänderungen vor Beendigung des Interessenausgleichsverfahrens aufgenommen werden sowie ein Anspruch des Betriebsrates auf Verhinderung der Betriebsänderung im Rahmen einer einstweiligen Verfügung, so lange dieses Verfahren noch nicht abgeschlossen ist.“
Zusätzlich führen Lipinski/Melms415 u. a. eine Stellungnahme des Deutschen Gewerkschaftsbundes416 zum Referentenentwurf gegen dem Unterlassungsanspruch an. Der relevante Passus zum Referentenentwurf lautete: 410
BAG, Urteil vom 10.11.1987 – 1 AZR 360/86, AP Nr. 15 AP § 113 BetrVG
1972. 411
FESTL, § 111 Rn. 135; Lipinski/Melms, BB, 2226 (2229). ArbG Halle, Beschluss vom 29.10.2004 – 6 BVGa 7/04 = juris; LAG LSA, Beschluss vom 30.11.2004 11 TaBV 18/04 = juris. 413 Bt.-Drs. 14/5213; der elementare Unterlassungsanspruch wird hier nicht als ein wesentlicher Inhalt aufgefasst, vgl. II. des Berichts – nicht zuletzt dies verdeutlicht die politische Motivation hinter der Ablehnung. 414 Bt.-Drs. 14/4071, S. 5. 415 Lipinski/Melms, BB 2002, 2226 (2229); FESTL, § 111 Rn. 135; Ferme/ Lipinski, NZA 2006, 937 (944). 416 Bundesvorstand des DGB, NZA 2001, 135 (137). 412
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2. Kap.: Die Unterlassungsansprüche des Betriebsrats
„Der Beratungs- und Verhandlungsanspruch des Betriebsrates wie z. B. bei Massenentlassungen, darf nicht einseitig durch Beginn der Kündigungsverfahren konterkariert werden können. Schneller und wirksamer Rechtsschutz durch einen verbrieften Unterlassungsanspruch in diesen Fällen ist dringend notwendig. Das würde die unterschiedliche Entscheidungspraxis der Landesarbeitsgerichte endlich beenden und Rechtssicherheit schaffen. [. . .]“
Diese Äußerungen machten den Unterlassungsanspruch zum Gegenstand des Gesetzgebungsverfahrens i. w. S. Allerdings besitzen die Äußerungen des DGB keine hermeneutische Relevanz, da sie den sich der kausalen gesetzgeberischen Willensbildung entziehenden Vorarbeiten zuzuordnen sind.417 Im Falle des PDS-Antrags sieht dies aber anders aus. Die Entsprechung der Empfehlung des Ausschusses begründet eine Ablehnung des Antrages.418 Hier liegt der Kern der Berechtigung des Einwandes. Er dringt indes nicht durch. Auf einen Willen des Gesetzgebers lassen in erster Linie die ausdrücklichen Begründungen schließen.419 Diese dokumentieren einen Willen als Resultat eines abgeschlossenen Prozesses. Schweigt der Gesetzgeber zum Für und Wider eines Punktes, so kann man nicht jeden Punkt, auf den der Gesetzgeber in der Begründung nicht eingegangen ist, als eine Ablehnung sehen. Es gäbe dann keine planwidrigen Regelungslücken. Bereits in den verschiedenen Arbeitsgruppen und Ausschüssen hat der Unterlassungsanspruch keine Rolle mehr gespielt.420 Zudem sprechen auch einfach-politische Gründe dagegen, hier ein Votum gegen einen Unterlassungsanspruch anzunehmen. Man darf nicht übersehen, dass PDS-Anträge bzw. nunmehr solche der Linkspartei in der bundespolitischen Wirklichkeit eine geringe Auswirkung haben und deswegen in ihrer Einflussnahme und Relevanz für den gesetzgeberischen Meinungsprozess nicht überschätzt werden sollten. Wegen dieser Schwierigkeiten in der Findung eines historischen Willens findet sich in den meisten Entscheidungen nur ein Rückgriff auf die (positive) Begründung des Regierungsentwurfs als Willen des Gesetzgebers.421 In der Begründung existiert indes kein einziger Vermerk, dass ganz bewusst auf einen Unterlassungsanspruch verzichtet wurde.422 Bei ei417
Vgl. die Auflistung bei Wank S. 66. Vgl. den Bericht von Weiß, Bt.-Drs. 14/6352. 419 Larenz S. 329: „Als ‚Wille des Gesetzgebers‘ ist hiernach nur anzusehen die zutage liegende Grundabsicht des Gesetzgebers und diejenigen Vorstellungen, die in den Beratungen der gesetzlichen Körperschaft oder ihrer zuständigen Ausschüsse zum Ausdruck gebracht wurden und ohne Widerspruch geblieben sind.“ 420 Lipinski/Melms, BB 2002, 2226 (2229); dies macht gleichermaßen Bt.Drs. 14/6352 deutlich. 421 Identisch wohl auch Bruns, AuR 2003, 15 (18). 422 Vgl. Bt.-Drs. 14/5741 passim; darauf weist auch Bruns in AuR 2003, 15 (18 Fn. 41) hin. 418
G. Der verfahrenssichernde Unterlassungsanspruch
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ner Entscheidung dieser Tragweite hätte der Gesetzgeber in den Drucksachen ausdrücklich Stellung bezogen. Das ergibt sich schon aus der Parlamentsverantwortung. Der Verweis auf die Ablehnung des PDS-Antrags ist damit nicht tragfähig. Der Einwand vermengt den Willen des Gesetzgebers mit politischen Absagen. Zudem könnte die Ablehnung ebenso gut daraus resultieren, dass der Unterlassungsanspruch als existent betrachtet wurde und als Institut der Rechtsfortbildung bzw. Ausdruck eines allgemeineren Gedankens neben der positiven Betriebsverfassung bestehen bleiben und von den Gerichten konkretisiert werden sollte.423 Letztlich muss beachtet werden, dass es 2001 vorrangig darum ging, das BetrVG den sich ändernden Strukturen in den Betrieben und Unternehmen anzupassen.424 Der Gesetzgeber wollte die Rechte, nicht aber die Instrumente der Rechtssicherung modifizieren und modernisieren. Alles in allem hat der Gesetzgeber das Problem des Unterlassungsanspruchs an die Literatur und Rechtsprechung delegiert. Dementsprechend hat er sich auch 2001 nicht ausdrücklich dazu geäußert. Die jüngere Gesetzgebungsgeschichte kann somit eine gewollte Regelungslücke nicht begründen.
IV. Folgerungen aus der schwächeren Position Die Ausgestaltung der Beteiligungsrechte im BetrVG ist in sich sorgfältig abgestuft. § 111 Abs. 1 S. 1 BetrVG gewährt kein Mitbestimmungsrecht, sondern lediglich einen Beratungs- und Informationsanspruch.425 Daran anknüpfend, findet sich der Einwand, dass dieses System nicht durch die Gewährung eines Unterlassungsanspruchs verzerrt werden dürfe.426 Dementsprechend differenziert ein großer Teil der Rechtslehre bei der Herleitung eines Unterlassungsanspruchs nach der Ausprägung der Beteiligungsrechte. Die Mitbestimmungsrechte sollen als am stärksten ausgeprägte Rechte einen Unterlassungsanspruch begründen können, während ein bloßes Recht auf Beratung und/oder Information dies nicht vermöge.427 Im Vergleich zu den übrigen Beratungsrechten ist § 111 BetrVG stärker ausgeprägt. Das ergibt sich im Wesentlichen aus § 113 Abs. 3 BetrVG, der nicht nur die Beteiligung absichert, sondern auch mittelbar weitergehende Verfahrenshandlungen erfordert und sich bis zum Abschluss des Interessen423
Der Gesetzgeber hat ja auch bislang davon abgesehen, den deliktischen oder quasi-negatorischen Unterlassungsanspruch zu kodifizieren. 424 Bt.-Drs. 14/5741, S. 1. 425 Darauf weist hin: FESTL, § 111 BetrVG, Rn. 135. 426 Ehrich, BB 1993, 356 (358); Bengelsdorf, DB 1990, 1233 (1236). 427 Thalhofer S. 42 f.
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2. Kap.: Die Unterlassungsansprüche des Betriebsrats
ausgleichs fortsetzt. So verlangt § 113 Abs. 3 BetrVG, dass der Arbeitgeber alle Möglichkeiten einer Einigung ausschöpft.428 Eine Unterlassungsberechtigung aus dem Mitbestimmungsrecht i. e. S. ist kein die Mitbestimmung i. w. S. ausmachendes Merkmal. Es handelt sich nur um eine spezielle, unmittelbar aus dem jeweiligen Mitbestimmungsrecht zu gewinnende Rechtsposition, nämlich den paritätischen Unterlassungsanspruch. Verfahrenssichernde Gedanken schließt diese Figur nicht aus. Das Phänomen des allgemeinen Unterlassungsanspruchs fußt auf den verbindenden Prinzipien des Betriebsverfassungsrechts sowie auf der Erreichung eines dem jeweiligen Beteiligungsrecht innewohnenden Beteiligungserfolges. Allein das Herabsenken der Qualität der Beteiligung vermag keine geeignete Differenzierung für oder gegen einen Unterlassungsanspruch zu repräsentieren. So werden Informationsrechte gemeinhin als schwächste Rechte eingestuft.429 Ihrer praktischen Bedeutung als Fundament jeder weiteren Beteiligung wird diese Einteilung hingegen nicht gerecht.430 Selbst wenn man den Gedanken der graduellen Wertigkeit weiterführt, erübrigen sich die daraus resultierenden Bedenken. Die Anforderungen, welche die einzelnen Beteiligungsrechte an den Arbeitgeber stellen, sind unterschiedlich hoch und verfahrensmäßig einfacher zu erfüllen. Die Information beispielsweise muss zwar umfassend sein, d. h. alle wesentlichen Tatsachen, Einschätzungen und Bewertungen umfassen.431 Diesen Anforderungen zu genügen, sollte im Vorfeld einer beabsichtigten Maßnahme aber kein Problem sein: Der Unternehmer verfügt über die nötigen Informationen oder sollte zumindest über sie verfügen, da das Gesetz davon ausgeht, dass eine Betriebsänderung vorher geplant wird. Kehrt man nun die Betrachtungsweise um, so kann der Arbeitgeber auf einfacherem Wege einer etwaigen gerichtlichen Untersagungsverfügung allein durch Anspruchserfüllung begegnen. Die Anforderungen und die Verbotsgefahr in diesem Bereich sind daher wesentlich geringer. Kein anderes Bild zeichnet sich etwa bei den Beratungsrechten ab. Beratungen müssen zwar rechtzeitig geschehen und mit dem ernsten Willen zur Verständigung durchgeführt werden – unter dem Strich kosten den Arbeitgeber aber die Gespräche weniger Zeit und Aufwand als eine umfassende Mitbestimmungsverhandlung.
428
BAG, Urteil vom 26.10.2004 – 1 AZR 493/03, AP § 113 BetrVG 1972 Nr. 49. Vgl. MünchArbR-Matthes § 238 Rn. 1. 430 Zur Klagbarkeit von Informationsansprüchen auch außerhalb des Anwendungsbereichs des § 23 Abs. 3 BetrVG BAG, Beschluss vom 17.5.1983 – 1 ABR 21/80, AP § 80 BetrVG 1972 Nr. 19. 431 DKKW-Klebe, § 90 Rn. 23. 429
G. Der verfahrenssichernde Unterlassungsanspruch
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V. Unternehmerfreiheit contra Beteiligung Überwiegend wird davon ausgegangen, dass die Mitbestimmung des Betriebsrats in wirtschaftlichen Angelegenheiten durch den Grundsatz bzw. das Leitbild der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit geprägt sei.432 Zu dieser gehöre die Möglichkeit, Unternehmerentscheidungen über Betriebsänderungen so rechtzeitig treffen zu können, dass die Realisierung nicht durch veränderte Umstände verhindert wird.433 Der Unterlassungsanspruch sei ein Instrument, das den Arbeitgeber zum Nichtstun zwingen könne, sobald seine Voraussetzungen vorliegen. Die Vertreter dieser Ansicht gehen von einer detaillierten Ausgestaltung des Normenkomplexes der §§ 111–113 aus, die das Treffen der Entscheidung – lediglich unter finanziellen Einbußen – in das Belieben des Arbeitgebers stellt. Betrachtet man alle Elemente der §§ 111–113 BetrVG gemeinsam, so könnte die Kombination von grundsätzlicher Unklagbarkeit des Interessenausgleichs, der alleinigen Notwendigkeit des Versuchs des Abschlusses sowie der damit zusammenhängenden Rechtsfolge des Nachteilsausgleichs die Befugnis zum freien Treffen der Maßnahme begründen. Vor diesem Hintergrund könnte die Herleitung des Unterlassungsanspruchs im Rahmen der §§ 111 ff. BetrVG unzulässig sein, da auf diese Weise der Unternehmer zu einer bestimmten Unternehmenspolitik gezwungen würde, nämlich der Beibehaltung der bisherigen Unternehmenspolitik.434 1. Das Fundament des Verbots des Eingriffs in die Unternehmerfreiheit Zunächst ist der Grundlage des Verbots des Eingriffs in die Unternehmerfreiheit nachzugehen. Eine Auslegungsmaxime bzw. immanente Einschränkung der Mitbestimmung stellt die Unternehmerfreiheit nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts nicht dar.435 Ein allgemeinverbindliches Dogma, dass ein Unterlassungsanspruch nicht mehr gewähren dürfe als das zu sichernde Recht, scheitert bereits an dem Umstand, dass Unterlassungsansprüche im Hinblick auf das zu sichernde Recht stets überschießend 432 Raab, ZfA 1997, 183 (247): wie ein roter Faden; Hohenstatt: NZA 1998, 846 (850); Riesenkampff, S. 85; Walker, ZfA 2005, 42 (74); Walker, ZfA 2004, 501 (526 f.); Hümmerich/Spirolke, BB 1996, 1986 (1990). 433 LAG SH, NZA-RR 2003, 592 (594); Walker, ZfA 2005, 45 (74); Walker, ZfA 2004, 501 (526 f.). 434 Beuthien, ZfA 1988, 1 (22); Bengelsdorf, DB 1990, 1233 (1234). 435 BAG, Beschluss vom 31.8.1982 – 1 ABR 27/80, AP BetrVG 1972 § 87 Arbeitszeit Nr. 8.
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2. Kap.: Die Unterlassungsansprüche des Betriebsrats
sind.436 Ansonsten wären sie überflüssig, und die Rechtsprechung zum quasi-negatorischen Unterlassungsanspruch müsste aufgegeben werden. Dieses rechtsfortbildende Vorgehen ist indes gewohnheitsrechtlich anerkannt. Allerdings muss sich die Rechtsfortbildung an den gesetzlichen Entscheidungen, Leitmotiven und Wertungen orientieren, ansonsten wäre sie nach der erläuterten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts contra legem.437 Genau hier liegt das dogmatische Fundament des Verbots des Eingriffs in die Unternehmerfreiheit. Andere Autoren leiten das Verbot hingegen aus einem nicht gerechtfertigten Eingriff in die Arbeitgebergrundrechte ab.438 Eine weitere Ansicht sieht in der Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs einen Verstoß gegen § 77 Abs. 1 S. 2 BetrVG, mithin einen unzulässigen Eingriff in die Leitung des Betriebes.439 2. Die Auflösung des Konflikts von Unternehmerfreiheit und Verfahrensloyalität Es gilt daher zu überprüfen, welche Reichweite und welche Grenzen die Freiheit des Unternehmers im Rahmen der §§ 111–113 BetrVG aufweist. a) Die Unternehmerfreiheit und die Beteiligungsrechte: Grundrechtliche und einfachgesetzliche Spannungslage Die unternehmerische Betätigungs- und Handlungsfreiheit ist im BetrVG nicht allgemein geregelt. Sie ist grundrechtlich und grundsätzlich in den Art. 2, 12, 14 GG verbürgt.440 Die Bedeutung dieser Grundrechte muss die Rechtsprechung zwingend bei der Rechtsfortbildung beachten (Art. 1 Abs. 3 GG). Sie haben anerkanntermaßen eine Ausstrahlungswirkung im Zivilrecht.441 Die Unternehmerfreiheit umfasst als Folge der Führung des Unternehmens die Freiheit, die betrieblichen Abläufe und Verfahren frei 436
Kritisch und ordnend: Raab S. 170 f. Dazu S. 93 ff. 438 Lipinski/Melms, BB 2002, 2226 (2228); eingeschränkt: Hümmerich/Spirolke, BB 1996, 1986 (1990). 439 Kort, WiB 1995, (166). 440 Bauer, NZA 2001, 375 (379); Willemsen/Hohenstatt, NZA 1997, 345 (345); Art. 9 hinzuzählend: Beuthien, ZfA 1988, 1 (1 f.); auf Beuthien Bezug nehmend: Walker, ZfA 2005, 501 (502). 441 Jüngst wieder BVerfG, Beschluss vom 21.12.2010 – 1 BvR 2760/08, GRUR 2011, 223 (224); ebenso: BAG, Urteil vom 12.11.2002 – 1 AZR 58/02, NZA 2003, 1287 (1290). 437
G. Der verfahrenssichernde Unterlassungsanspruch
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aufbauen zu können. Vor allem fällt die autonome Planung und Realisierung von unternehmerischen Maßnahmen in den Schutzbereich dieser Freiheit.442 Einfachgesetzlich ergibt sich diese Unternehmerfreiheit aus der Summe der dem Unternehmer zustehenden Berechtigungen bei der Führung seines Unternehmens. Genau an diesen zahlreichen Berechtigungen setzt das BetrVG an und sieht zwingend die Beteiligung des Betriebsrats in den §§ 111–113 BetrVG vor. Die Entscheidungsfindung erfolgt im Vorfeld der Maßnahme und schließt mit ihr ab. Das BetrVG berechtigt den Betriebsrat durch die jeweiligen Beteiligungsrechte zur Einflussnahme auf den Entscheidungsprozess. Die unterschiedliche Intensität der Beteiligungsrechte ist nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts die gesetzgeberische Einteilung des Maßes an Unternehmerfreiheit und Beteiligungsnotwendigkeit.443 Dabei ist die erzwingbare inhaltliche Prägung der Maßnahme abhängig von der Ausgestaltung der Beteiligungsrechte. Während in den Bereichen der Mitbestimmung das Alleinentscheidungsrecht aufgehoben ist, steht nach der gesetzgeberischen Konzeption die endgültige Berechtigung bei den Beratungsund Anhörungsrechten dem Arbeitgeber zu. Die Unternehmerfreiheit wird durch die Beteiligungsverfahren im BetrVG daher einfachgesetzlich eingeschränkt, vgl. Art. 12 Abs. 1 S. 2, Art. 14 Abs. 1 S. 2, Art. 2 Abs. 1 GG. Inwieweit im Einzelfall der Unternehmerfreiheit oder dem Beteiligungsinteresse der Vorzug gebührt, bildet damit eine Frage des Beteiligungsrechts und der Systematik des Betriebsverfassungsrechts.444 Die Unternehmerfreiheit steht damit unter dem Vorbehalt der verfassungsgemäßen Einschränkung durch die einfachgesetzliche Ausgestaltung,445 die sich wertungsgemäß auf die nicht geregelten Fälle durchschlägt. Vor der Einschätzungsprärogative446 des Gesetzgebers können die verfassungsrechtliche und die einfachgesetzliche Spannungslage nicht synchron aufgelöst werden. Im ersten Fall geht es um die Überprüfung der Rechtsfortbildung einer bewerteten Interessenkollision, im zweiten um die Über442 BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 9.10.2000 – 1 BvR 1627/95 = juris Rn. 27 m. w. N. 443 BAG, Beschluss vom 31.8.1982 – 1 ABR 27/80, AP BetrVG 1972 § 87 Arbeitszeit Nr. 8; Gruber, NZA 2011, 1011 (1013 f.). 444 BAG, Beschluss vom 31.8.1982 – 1 ABR 27/80, AP BetrVG 1972 § 87 Arbeitszeit Nr. 8. 445 Weiterführend Völksen, RdA 2010, 354 (355) allein zur Schrankendogmatik, er berührt die Frage nicht, ob nicht i. V. m. der AEUV europarechtskonform soziale Grundrechte anzuerkennen sind. 446 Zum Begriff Maunz/Dürig-Schmidt-Aßmann Art. 19 Rn. 197.
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2. Kap.: Die Unterlassungsansprüche des Betriebsrats
prüfung der Ausübung der gesetzgeberischen Bewertung. Die verfassungsrechtlichen Friktionen von Arbeitgeberfreiheiten und Arbeitnehmerberechtigungen werden gerade durch die Einschätzungsprärogative entschärft. Uneingeschränkt überprüfbar hingegen ist, ob die Rechtsfortbildung gegen den Willen des Gesetzgebers verstößt. Mithin kommt es darauf an, ob sich aus den §§ 111–113 BetrVG trotz Bestehens eines Beteiligungsrechts die Befugnis des Arbeitgebers bzw. Unternehmers ableiten lässt, die Maßnahme ohne Beratung durchzuführen. Umgekehrt könnte der Normkomplex aber auch eine hinsichtlich der betriebsverfassungsrechtlichen Integritätswertung speziellere und diese transportierende Missbilligung der Durchführung enthalten. b) § 113 Abs. 3 BetrVG Für die Frage nach der Freiheit des Unternehmers ist die Norm des § 113 BetrVG wichtig. Dabei werden mehrere Aspekte des § 113 BetrVG relevant. Zum Teil wird § 113 BetrVG dahin gehend interpretiert, dass seine Alleinstellung dem Unternehmer die Wahl zwischen vorheriger Beteiligung und Durchführung der Maßnahme unter Zahlung des Nachteilsausgleichs belasse.447 Diese Konzeption würde ein Unterlassungsanspruch in der Tat unterlaufen. Andere führen diese faktische Befugnis auf die Tatsache zurück, dass § 113 BetrVG eine abschließende Regelung repräsentiere, die eine Sperrwirkung entfalte.448 In dieser Konzeption billigt der Gesetzgeber die Durchführung der Betriebsänderung und benutzt § 113 Abs. 3 BetrVG dazu, den Unternehmer lediglich zum vorherigen Beteiligen anzuhalten, verlangt aber nicht mehr.449 In der strittigen Frage der Rechtsfortbildung des BetrVG ist die Problematik relevant, da § 113 BetrVG eine Lücke oder zumindest deren Planwidrigkeit ausschließen könnte. Alle Aspekte lassen sich auf die Wertungsfrage konzentrieren, ob § 113 Abs. 3 BetrVG weitergehenden Sicherungsrechten entgegensteht. aa) Die Voraussetzungen der Norm Versucht der Arbeitgeber nicht einmal einen Interessenausgleich und führt er die Maßnahme dann durch, so ist er entsprechend den Absätzen 1 und 2 zur Abfindung und Ausgleichung der wirtschaftlichen Nachteile ge447 LAG Köln, Beschluss vom 30.3.2006 – 2 Ta 145/06 = juris; LAG Nürnberg, Beschluss vom 9.3.2009 – 6 TaBVGa = juris. 448 Ehler, BB 2000, 978 (979); Ehler, BB 1994, 2270 (2273); Bengelsdorf, DB 1990, 1233 (1236 ff.). 449 HSWGNR-Hess, § 111 Rn. 191.
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genüber einem betroffenen Arbeitnehmer verpflichtet. § 113 Abs. 3 BetrVG stellt einen individuellen Anspruch des betroffenen Arbeitnehmers dar.450 Die Norm verlangt dabei mehr als nur bloßes Nichtbeteiligen i. S. v. § 111 BetrVG. Es wird an die konkrete Nichtvornahme darüber hinausgehender Verfahrensschritte (§ 112 Abs. 2 S. 1 BetrVG) angeknüpft, sanktioniert wird dann aber die Vornahme der Handlung. Es werden folglich zwei Schutzrichtungen bzw. -korridore erkennbar: die qualifizierten Verfahrensanforderungen des Beteiligungsrechts und die Wirkung der Durchführung der Maßnahme als solcher. § 113 Abs. 3 BetrVG setzt tatbestandlich direkt dort an, wo ein etwaiger Unterlassungsanspruch ansetzen sollte: bei der Durchführung der Betriebsänderung durch den Unternehmer/Arbeitgeber. Dabei knüpft die Norm allerdings an einen Zeitpunkt an, an dem die Betriebsänderung bereits durchgeführt wird.451 Zusätzlich muss der Versuch eines Interessenausgleichs unterblieben sein. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung gehört zu dem Versuch i. S. d. § 113 Abs. 3 BetrVG die Anrufung der Einigungsstelle sowie der Versuch der Einigung in der Einigungsstelle.452 In diesem Verfahren erhalten die Parteien ein letztes Mal Gelegenheit, unter Mitwirkung eines unparteiischen Vorsitzenden Alternativen zur geplanten Betriebsänderung zu erörtern. Die Einigungsstelle muss schließlich das Scheitern feststellen.453 bb) Die Voraussetzungen einer Sperrwirkung Die Sperrwirkung einer Norm bildet einen besonderen Fall des Vorliegens eines Spezialitätsverhältnisses.454 Hinter den Konkurrenzregeln stehen die Ziele der Vermeidung von Widersprüchen im Recht sowie das Ziel der Einheit der Rechtsordnung.455 Grundsätzlich kann man davon ausgehen, dass die lex specialis den generellen Tatbestand derogiert. Problematisch wird es, wenn der Tatbestand der mutmaßlichen lex specialis Fälle nicht mehr erfasst, die von einer anderen Norm erfasst werden. Wank charakterisiert den Fall, dass zwar nicht die Tatbestände gleich laufen und dennoch 450
DKKW-Däubler, § 113 Rn. 3. Zusammenfassend: BAG, Urteil vom 30.05.2006 – 1 AZR 25/05, AP § 209 InsO Nr. 5. 452 BAG; Urteil vom 18.12.1984 – 1 AZR 176/82 = juris; BAG, Urteil vom 20.11.2001 – 1 AZR 97/01, BB 2002, 1862 (1864). 453 BAG, Urteil vom 9.7.1985 – 1 AZR 323/83 AP § 113 BetrVG 1972 Nr. 13 = NZA 1986, 100 (101). 454 Schmalz, Rn. 77. 455 Engisch, S. 213. 451
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eine Norm die andere ausschließt, als inhaltliche Spezialität.456 Im Verhältnis von Unterlassungsanspruch und § 113 Abs. 3 BetrVG ist der Zusammenhang aber noch komplizierter, da § 113 tatbestandsmäßig an der Durchführung der Betriebsänderung ansetzt und zudem die Rechtsfolgen nicht deckungsgleich sind. Eine Exklusivität kann nur aus der Auslegung der Norm folgen.457 In der Methodenlehre wird immer wieder darauf hingewiesen, dass der Spezialitätsgrundsatz nicht unkritisch-mechanisch verwendet werden dürfe, vielmehr müsse wertend eruiert werden, was für einen Vorrang bzw. eine Exklusivität spreche.458 Vor allem Coing hat darauf hingewiesen, dass der lex specialis-Grundsatz nicht zu dogmatischen Schlüssen jenseits von Sinn und Zweck führen dürfe.459 Auch die Literatur zur Methodenlehre und der Bundesgerichtshof messen dem Zweck und den Wertungen entscheidende Bedeutung zu.460 Entscheidend sei, dass der Gesetzgeber bestimmte Fälle einheitlich durch eine Regelung entscheiden wolle und die Anwendung einer Norm den Zweck der anderen unterlaufen würde. Ferner hat das Bundesarbeitsgericht in der Burda-Entscheidung eine Analogie einer Norm nicht deshalb für ausgeschlossen gehalten, wenn bereits ein anderes Institut den gleichen Zweck verfolge, solange das verdrängte Institut seinen Sinn als zusätzliches Sicherungsmittel behalte.461 cc) Kein verbleibender Anwendungsbereich für § 113 Abs. 3 BetrVG? Bengelsdorf äußert nun Bedenken, dass § 113 BetrVG seinen Anwendungsbereich verlöre, wenn man einen Unterlassungsanspruch statuiere.462 Ein solcher Widerspruch müsse vermieden werden. Dabei verkennt er den wesentlichen Aspekt des Spezialitätsgrundsatzes. Dieser ist im systematischen Anwendungsbereich der Norm angesiedelt. Aus dem gleichen Grund bestehen § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB und § 823 Abs. 1 BGB auch nebeneinan456
Wank, S. 98. Schmalz, Rn. 77 fordert, dass man ein „nur“ in die Norm hineinlesen werden müsse. 458 Kramer, S. 98. 459 Staudinger-Coing, Einl. BGB, Rn. 149. 460 Larenz/Canaris, S. 89; BGH, Urteil vom 14.12.1960 – V ZR 40/60, BGHZ, 34, 32 (34): Der bekannteste Schulfall: das Verbot des Rückgriffs auf das Anfechtungsrecht nach § 119 Abs. 2 im Anwendungsbereich der §§ 435 ff. BGB (nach altem Recht). Eine Norm kann im Gegenzug nicht schon deshalb eine Sperrwirkung ausüben, weil ihr Anwendungsfeld eingeschränkt sei. 461 BAG, Beschluss vom 20.4.1999 – 1 ABR 72/98, NZA 1999, 887 (892). 462 Bengelsdorf, DB 1990, 1233 (1237); Konzen, S. 91. 457
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der, obwohl Ersterer dem Zweiten die Fälle „stiehlt“. Dies gilt sowohl im Ausdrücklichen (Eigentum) als auch im Bereich der Rechtsfortbildung (beispielsweise Gesundheit). Hinter der Doppelung steht der Gedanke umfassender Rechtsbewahrung. Eine doppelte Sanktionierung durch § 113 Abs. 3 BetrVG und den allgemeinen Unterlassungsanspruch ist ebenso wie bei § 823 Abs. 1 und § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB ausgeschlossen. Dies wird deswegen nicht angezweifelt, weil der Unterlassungsanspruch den Rechtsschutz verstärkt bzw. ihn konsequent zu Ende denkt. Wird der Unterlassungsanspruch rechtzeitig realisiert, dann gibt es keinen Anspruch aus § 113 Abs. 3 BetrVG. Gelingt es dem Betriebsrat nicht, den Unterlassungsanspruch durchzusetzen, dann greift § 113 Abs. 3 BetrVG ein.463 dd) Die historische Interpretation Daneben könnte die historische Interpretation für eine systematische Öffnung des § 113 Abs. 3 BetrVG sprechen. (1) Der doppelte Zweck des § 113 BetrVG Nach der gesetzgeberischen Konzeption soll durch § 113 BetrVG die Einhaltung der Beteiligung bei unternehmerischen Maßnahmen sichergestellt werden (Sicherungszweck) und im Falle der Nichtbeachtung der Mitbestimmungsregelung für etwaige wirtschaftliche Nachteile ein Ausgleich geleistet werden (Kompensationszweck).464 In der Literatur geht man überwiegend von einem Gleichlauf der Zwecke aus.465 Durch das Mittel der Ausgleichspflicht sind die beiden genannten Zwecke miteinander verzahnt. Daraus resultiert zugleich, dass § 113 BetrVG den Zielen des Gesetzgebers nur eingeschränkt entspricht bzw. hinter diesen zurückbleibt. Durch den Ausgleich beschränkt die Norm ausgerechnet die präventive Wirkung auf das für die Ausgleichsfunktion Notwendige. Betrachtet man ferner den Sozialplan, so tritt der Ausgleichszweck nicht ausschließlich in § 113 BetrVG zutage. Es liegt daher nahe, auch den Sicherungszweck nicht auf § 113 BetrVG zu beschränken. Beide Zwecke sind vielmehr in das größere Geflecht der §§ 111 ff. BetrVG eingewoben. Davor zeigen sich Lücken im System. Zum einen vermittelt § 113 Abs. 3 BetrVG nur in den Fällen Schutz, in denen tatsächlich wirtschaftliche Nach463 Kohte/Schulze-Doll, JurisPR 14/2006, Anm. 3; O. Hinrichs, S. 203; Seeberger S. 158 f.; dagegen: ErfK-Kania, § 111 Rn. 24. 464 Bt.-Drs. VI 1786, S. 55; ausführlich: GK-Oetker, § 113 Rn. 3. 465 ausführlich Richardi-Annuß, § 113 Rn. 2 m. w. N.; DKKW-Däubler § 113 Rn. 1.
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teile eintreten. Zum anderen spricht § 111 BetrVG von wesentlichen Nachteilen, § 113 BetrVG von wirtschaftlichen. Der erste Nachteilsbegriff ist somit gerade nicht auf wirtschaftliche Nachteile beschränkt.466 Dieser „Widerspruch“ ist lediglich vor einer nicht abschließenden Konzeption des § 113 BetrVG erklärlich. Die Struktur des § 113 BetrVG ist historisch der Kombination des Ausgleichsgedankens in das Interessenausgleichsverfahren geschuldet. Wie die Zwecke darüber hinaus realisiert werden, ist aus dem System der §§ 111 ff. BetrVG abzuleiten. (2) Der historische Zweck der Schaffung des § 113 Abs. 3 BetrVG Zudem war der Gesetzgeber mit § 113 Abs. 3 BetrVG darauf bedacht, eine Schutzlücke der Rechtsfolge des Absatzes 1 auf Tatbestandsebene zu schließen. § 74 BetrVG 1952 sah nur eine Regelung vor, die mit dem heutigen § 113 Abs. 1 BetrVG vergleichbar war.467 Somit enthielt die Norm nur eine Regelung über das Abweichen vom Interessenausgleich, allerdings keine Regelung beim völligen Fehlen von Verhandlungen. § 113 Abs. 3 BetrVG greift davor die vor 1972 vertretenen Ansicht des Bundesarbeitsgerichts auf, dass die Ansprüche der Absätze 1 und 2 auch beim Fehlen der Beteiligung bestehen sollten.468 Das wesentliche Begründungselement der Rechtsprechung lautete, dass der Unternehmer es andernfalls in der Hand hätte, den Abfindungsforderungen dadurch zu entgehen, dass er das Verfahren nicht voll durchführte.469 Der Gesetzgeber hat folglich von der Rechtsfolge auf den Sachverhalt geschlossen und eine teleologische Extension materialisiert. Damit geht einher, dass ein ausdrücklicher Wille, den zu regelnden Tatbestand allein mit dieser Rechtsfolge zu versehen, nicht angenommen werden kann, da der Sachverhalt nicht abschließend, sondern nur hinsichtlich einer Rechtsfolge kongruent bzw. widerspruchsfrei geregelt wurde. Die Übernahme der Rechtsprechung stellt einen Schritt in die Richtung dar, die Vermeidung des gesetzlich vorgeschriebenen Konsultationsganges durch den Unternehmer zu unterbinden.
466
Vgl. GK-Oetker, § 111 Rn. 164. Liegt eine Einigung (§ 73 Abs. 1) oder ein Einigungsvorschlag vor und wird der Unternehmer infolge von Handlungen oder Unterlassungen, die von der Einigung oder dem Einigungsvorschlag abweichen, genötigt, Kündigungen auszusprechen, so können die von rechtswirksamen Kündigungen betroffenen Arbeitnehmer beim Arbeitsgericht Klage erheben mit dem Antrag, den Unternehmer zur Zahlung von angemessenen Abfindungen zu verurteilen [. . .]. 468 Vgl. BAG, Urteil vom 20.1.1961, BAGE 10, 329 (333 f.); BAG, Urteil vom 10.6.1969, AP § 72 BetrVG 1972 Nr. 6 = BAGE 22, 73 (78). 469 BAG, Urteil vom 10.6.1969 – 1 AZR 2/69, BAGE, 73 (78). 467
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(3) Zwischenergebnis Die Gesetzgebungsgeschichte spricht damit gegen eine abschließende Interpretation des § 113 Abs. 3 BetrVG. Bereits im Rahmen der Schaffung von § 23 Abs. 3 BetrVG sah der Gesetzgeber keine Konkurrenzbeziehung zwischen § 113 BetrVG und § 23 Abs. 3,470 wie er sie etwa bei §§ 98 Abs. 5 und 101 BetrVG besonders hervorgehoben hat. Nichts anderes kann daher für einen allgemeinen Unterlassungsanspruch gelten. Gestützt wird dieses Ergebnis dadurch, dass § 113 Abs. 3 BetrVG primär aus einem Vermeidungsgedanken herrührt. Die Formulierung in der Gesetzesbegründung – „dient der Sicherung“471 – lässt folglich darauf schließen, dass die Norm in einen größeren Präventionsgedanken eingebettet ist. Der tiefere Sinn der Existenz des § 113 Abs. 3 BetrVG liegt zudem in der Wirksamkeit der unternehmerischen Maßnahme trotz Nichtbeteiligung begründet, er kompensiert die fehlende, da unpassende Unwirksamkeit472 und hält die in der Regel schlimmsten Folgen vom Arbeitnehmer fern. ee) § 113 Abs. 3 als objektiv abschließende Norm? Damit könnte allein das System der §§ 111 ff. auf eine abschließende Konzeption hindeuten. Zu diesem Zweck müsste sich die abschließende Konzeption besser in das geltende Rechtssystem einfügen als die nicht abschließende Sichtweise.473 (1) Die Wechselwirkung von § 113 Abs. 3 BetrVG und Sozialplan Für das korrekte systematische Verständnis von § 113 BetrVG ist das Verhältnis von Interessenausgleichs- und Sozialplanverfahren entscheidend. Wenn die Betriebsänderung ohne vorherige Beteiligung durchgeführt wird, kommt es zur Konkurrenz von §§ 113 Abs. 3 und dem Anspruch aus dem Sozialplan. Von der Rechtsfolge zielen sowohl der Sozialplan als auch der Nachteilsausgleich auf die Kompensation von Nachteilen ab. Der Sozialplan freilich macht aus diesem Aspekt eine mitbestimmungsrechtliche Verhandlungssache, während der Nachteilsausgleich eine rigide Ausgleichspflicht statuiert.
470
Bt.-Drs. VI/2729, S. 21. Bt.-Drs. VI/1786, S. 55. 472 LAG Berlin, Beschluss vom 7.9.1995 – 10 TaBV 5/95 u. 9/95, LAGE, § 111 BetrVG 1972, Nr. 13. 473 Bydlinski, Grundzüge, S. 27. 471
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(a) Die mögliche Einwirkung auf den Sozialplan Überwiegend wird angenommen, dass beide Institute demselben (Ausgleichs-)Zweck zuzuordnen seien, was im Fall beiderseitiger Erfüllung die gegenseitige Anrechnung bedinge.474 Nicht zuletzt deswegen erfuhr die Regelung der §§ 111–113 BetrVG heftige Kritik.475 Auf den ersten Blick erscheint es paradox, dass das Gesetz beide Institute trennt, sie aber am Ende wieder zusammenführt. Ausgehend von diesen Parametern, wäre mit der abschließenden Konzeption des § 113 BetrVG eine sinnwidrige Beschränkung der Bedeutung des Sozialplans verbunden. Systematisch bestehen Ansprüche aus § 113 Abs. 3 und dem Sozialplan unabhängig voneinander und existieren nebeneinander.476 Wird eine umfassende Anrechenbarkeit der Nachteile anerkannt, läuft eines der beiden Instrumente bei gleicher Höhe völlig leer, wenn das andere geltend gemacht wird.477 Noch deutlicher wird dies, wenn der Anspruch aus § 113 Abs. 3 BetrVG höherwertiger ist als derjenige aus dem Sozialplan.478 Ist ein Sozialplan zustande gekommen, wird dieses Beteiligungsergebnis (eines Mitbestimmungsverfahrens) durch einen unvollständigen Versuch des Interessenausgleichsverfahrens der Höhe nach aufgezehrt. Die Höhe des Sozialplans stünde dann folglich in letzter Konsequenz im Belieben des Unternehmers. Das wiederum widerspricht der mitbestimmungsrechtlichen Struktur des Sozialplans.479 (b) Die Harmonisierung der Verfahren durch den Unterlassungsanspruch Diese Verzerrung erscheint auf den ersten Blick nicht problematisch, da in jeder Variante ein Ausgleich gewährt wird. Jedoch würde mittelbar die Wertigkeit des Sozialplanverfahrens verringert. In der Definition des Sozialplans in § 112 Abs. 1 S. 2 BetrVG wird die Kausalität zur Betriebsänderung hervorgehoben. Hierbei differenziert die Norm nicht, ob die Betriebs-
474 BAG, Urteil vom 13.6.1989 – 1 AZR 819/87 – BAGE 62, 88 (99); FESTL, § 113 Rn. 32; Richardi-Annuß, § 112 Rn. 203; einschränkend: GK-Oetker, § 113 Rn. 103, vgl. aber Rn. 104 bzgl. Unionsrecht. m. w. N.; a. A.: DKKW-Däubler, BetrVG, §§ 112, 112 a Rn. 123 ff.; ErfK-Kania, § 113 BetrVG, Rn. 2; zum Problem im Rahmen richtlinienkonformer Auslegung: S. 151. 475 Vgl. die Nachweise bei Schulze, S. 164 f. 476 FESTL, § 113 Rn. 32, im Folgenden zweifelnd; Richardi-Annuß, § 113 Rn. 65. 477 DKKW-Däubler, §§ 112, 112a Rn. 123. 478 ErfK-Kania, § 113 Rn. 2. 479 Vgl. auch zu der Frage der Anrechenbarkeit S. 219 f. und 257.
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änderung auf legalem oder betriebsverfassungswidrigem Wege erfolgt ist. Die Sozialplanpflichtigkeit ist mithin grundsätzlich umfassend.480 Trotz der weitergehenden praktischen Komplexität der zeitlichen Koordinierung und der Unabhängigkeit beider Verfahren481 geht der Gesetzgeber davon aus, dass Interessenausgleichs- und Sozialplanverfahren grundsätzlich zeitnah realisiert werden. Beide Verfahren gehen der Maßnahme im Regelfall voraus. Das gilt insbesondere auch für den Sozialplan, wie der Wortlaut („geplant“) des § 112 Abs. 1 S. 2 BetrVG deutlich macht.482 Nach der gesetzgeberischen Vorstellung bezieht sich der Sozialplan auf die Folgen der im Interessenausgleich bezeichneten unternehmerischen Maßnahme. Aus diesem Leitbild resultiert auch die Notwendigkeit der Regelung des § 113 Abs. 1 und 2 BetrVG. Diese Normen setzen an den Nachteilen an, die erst aus der Abweichung resultieren und somit nicht Gegenstand der Verhandlungen des Sozialplans gewesen sein können.483 In diesem Fall muss über neu entstandene Nachteile nicht mehr verhandelt werden. Umgekehrt gilt freilich, dass im Falle zwingender Gründe i. S. v. § 113 Abs. 1 BetrVG der Anspruch aus dem Sozialplan bestehen bleibt.484 Diese Wechselwirkung rührt aus dem historischen Kontext her, ist aber vorrangig für die objektive Auslegung heranzuziehen. Richtigerweise will das Gesetz folgende Verfahrenskonstellation herstellen: Es soll sowohl über einen Interessenausgleich als auch über einen Sozialplan verhandelt werden. Während § 113 BetrVG allein durch eine vollständige Verrechnung mit dem Sozialplan diesen Zustand unterlaufen könnte, führt die zeitliche Sicherung über den Unterlassungsanspruch zum Fortgelten der parallelen Beteiligungsstruktur. Dieses Ergebnis ist bereits vor § 2 Abs. 1 BetrVG interessengerecht, denn der Unternehmer kann auf diese Weise noch über die Nachteile verhandeln und muss dafür lediglich die gesetzlich vorgeschriebenen Beteiligungsrechte einhalten.
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ErfK-Kania §§ 112, 112a Rn. 14 ff. zu den Einzelheiten bei § 112a BetrVG. Das Verhältnis von Interessenausgleich und Sozialplan gestaltet sich sehr komplex. Für das Aufstellen eines Sozialplans ist eine Einigung im Interessenausgleichsverfahren unerheblich. Er kann ihm sogar vorhergehen bzw. vorsorglich geschlossen werden (BAG, Beschluss vom 26.8.1997 – 1 ABR 12/97, AP § 112 BetrVG 1972 Nr. 117) oder erst nach der Betriebsänderung ergehen. Zudem können Interessenausgleich und Sozialplan uno actu zusammengefasst werden. Für das § 113 BetrVG zugrunde liegende Leitbild hat diese ausgeprägte Kasuistik eine geringe Relevanz, weil es in jedem Fall zu einer Konkurrenz der Ansprüche aus § 113 Abs. 3 und dem Sozialplan kommen kann. 482 Ebenso Richardi-Annuß, § 112 Rn. 61. 483 Richardi-Annuß, § 112 Rn. 205. 484 Richardi-Annuß, § 112 Rn. 205. 481
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2. Kap.: Die Unterlassungsansprüche des Betriebsrats
(c) § 113 Abs. 3 BetrVG als betriebsverfassungsrechtliche ultima ratio Richtigerweise ist § 113 Abs. 3 BetrVG daher nur die ultima ratio des Verfahrens und der verfahrenssichernde Unterlassungsanspruch gerade im Hinblick auf die korrekte Gewährung beider Beteiligungsverfahren spezieller, weil dieser in objektiver Auslegung der gesetzgeberischen Vorstellung am besten entspricht. Da das Anterioritätsprinzip durch das Tatbestandsmerkmal „rechtzeitig“ gleichberechtigt neben § 113 BetrVG steht, sprechen gegen dieses Auslegungsergebnis keine normhierarchischen, prinzipientheoretischen oder sonstigen systematischen Gründe. Die Ausgleichsfunktion des § 113 Abs. 3 BetrVG gewinnt dann überall dort Bedeutung, wo der Unterlassungsanspruch zu spät kommt. (2) Die Trennung von individueller und kollektiver Ebene Im Zusammenhang mit der Frage nach der abschließenden Funktion des § 113 BetrVG wird von den Befürwortern des Unterlassungsanspruchs in wirtschaftlichen Angelegenheiten die Tatsache angeführt, dass § 113 BetrVG nur einen individualrechtlichen Anspruch gewähre.485 Daraus wird ein – gemessen am Schutzzweck der Norm – unzureichendes Sicherungsniveau abgeleitet und das Fehlen einer kollektiven Rechtsfolge konstatiert. Der durch § 113 Abs. 3 BetrVG erzeugte Beteiligungsdruck hinge dann nämlich vom Handeln einzelner Arbeitnehmer ab und läge aus kollektivrechtlicher Sicht nicht in der Macht des Betriebsrats.486 In der Rechtsprechung ist das LAG Hamburg sogar so weit gegangen, dass § 113 Abs. 3 BetrVG die Rechte und Pflichten des Betriebsrats gänzlich unberührt lasse.487 Der Betriebsrat könne die betroffenen Arbeitnehmer allenfalls auf dieses Recht hinweisen. Insofern kann man die gleichen Bedenken anmelden, die im Rahmen des § 87 BetrVG hinsichtlich der Theorie der Unwirksamkeit das Bundesarbeitsgericht überzeugt haben, einen Unterlassungsanspruch anzunehmen: Effektiver Schutz der Rechte des Betriebsrats kann ausschließlich durch den Betriebsrat selbst geschehen. Dies gilt ja umso mehr, als die Unwirksamkeit eine völlige Verhinderung der Maßnahme darstellt und die Pflicht des § 113 BetrVG allein über eine Zahlungsverpflichtung wirkt. Hier offen485 LAG Thüringen, Beschluss vom 26.9.2000 – 1 TaBV 14/2000, LAGE, § 111 BetrVG 1972, Nr. 17; Ortmann, BRat 1995, 11 (12); Zabel, AuR 2008, 173 (174). 486 DKKW-Trittin, § 23 Rn. 353; LAG Berlin, Beschluss vom 7.9.1995 – 10 TaBV 5/95, AuR 1996, 159 (160); LAG Hamburg, Beschluss vom 27.6.1998 – 5 TaBV 5/97, LAGE, § 111 BetrVG 1972, Nr. 15. 487 LAG Hamburg, Beschluss vom 27. Juni 1997 – 5 TaBV 5/97; LAGE, § 111 BetrVG 1972, Nr. 15.
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bart sich ein weiterer wichtiger Aspekt des § 113 BetrVG: Vergleicht man §§ 111, 113 BetrVG mit § 87 BetrVG, so ist § 113 Abs. 3 von seiner Wirkung ein abgeschwächtes Pendant zur Rechtsfolge der Unwirksamkeit.488 Dem wird in der Literatur dadurch begegnet, dass auf die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers bezüglich der Ebene hingewiesen wird, auf welcher er eine Sanktion vorsieht.489 Daneben bringt Kania vor, die Trennung in individualrechtliche und kollektivrechtliche Wirkung passe nicht auf den Regelungskomplex der §§ 111, 113 BetrVG, schließlich solle die Sanktionsnorm den Arbeitgeber gerade auch dazu anhalten, seine Verpflichtung aus § 111 BetrVG zu erfüllen.490 Richtig ist, dass auch eine Norm des Individualarbeitsrechts Verhalten auf kollektiver Ebene steuern kann – dies ist ein Zweck des § 113 Abs. 3 BetrVG. Nicht richtig ist es hingegen, die Rechtsgewährung auf kollektiver Ebene mit Hilfe der Instrumente individueller Rechtsdurchsetzung auf die individuelle Ebene zu beschränken. Eine solche Rückwirkung ist systemwidrig. Zunächst konnte der Gesetzgeber die mit der Norm verbundenen beiden Zwecke nur über eine individualrechtliche Norm erreichen: Nur dem einzelnen Arbeitnehmer entstehen Nachteile. Daraus aber zu folgern, eine kollektiv-rechtliche Sicherung sei ausgeschlossen, gewichtet den Stellenwert der Sicherung zulasten des Kollektivs und einzig „zugunsten“ derer, die eigentlich nur in ihren wirtschaftlichen Interessen abgesichert werden sollten. Hieraus kann schließlich auch das entscheidende Argument gegen eine Ausschließlichkeit gewonnen werden: § 113 BetrVG gewährt Schutz einzig dem individualen Interessenraum. Hierin erschöpfen sich die Regelungen der §§ 111 ff. BetrVG aber gerade nicht, weil diese Verfahrensregelungen in Übereinstimmung mit der neueren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ernsthafte Beratungen über Alternativlösungen gewährleisten sollen.491 Den weitergehenden Teilhabegedanken – so z. B. bei der Verteilung von Abwicklungsarbeiten bei einer Betriebsstilllegung492 – kann diese Norm nur unvollständig aufgreifen. Seine unbestrittene Existenz öffnet dann geradezu die kollektive Ebene der Rechtsfortbildung. Das Interesse an der Beteiligung hinsichtlich der Steuerung des Eintritts sonstiger Nachteile deckt die Norm somit nicht ab. Anhaltspunkte, dass diese 488 LAG Berlin, Beschluss vom 7.9.1995 – 10 TaBV 5/95 u. 9/95, LAGE, § 111 BetrVG 1972, Nr. 13; Fauser/Nacken, NZA 2006, 1136 (1139). 489 Schulze, S. 164. 490 ErfK-Kania, § 111 Rn. 24. 491 BAG, Urteil vom 21.3.2012 – 6 AZR 596/10, NZA 2012, 1058 (1059 Rn. 23); O.Hinrichs S. 166 ff. 492 BAG, Urteil vom 22.7.2003 – 1 AZR 541/02, AP § 113 BetrVG 1972 Nr. 42.
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Interessen vernachlässigenswert wären, können den §§ 111 ff. BetrVG nicht entnommen werden. Der unterschiedliche Wortlaut bei § 111 S. 1 BetrVG einerseits und § 113 BetrVG andererseits machen sogar das Gegenteil deutlich. Geht es folglich darum, der Belegschaft als ganzer Teilhabe an der Entscheidung zukommen zu lassen, muss man § 113 BetrVG als zusätzlichen Schutz der betroffenen Arbeitnehmer auf individualrechtlicher Ebene ansehen. (3) Das Verschieben der Rechtsmacht Die abschließende Konzeption erscheint auch aus Wertungsgesichtspunkten nicht überzeugend. Durch die Betonung des § 113 Abs. 3 BetrVG käme es tatsächlich zu einer Verschiebung der Rechtsmacht und damit zu einer Umwertung der §§ 111 ff. BetrVG. Der Betriebsrat hat nicht mehr die Möglichkeit, seine Rechte zu sichern. Die verfahrensmäßigen Verhaltenspflichten und das gesamte System der Beteiligung in wirtschaftlichen Angelegenheiten würden einem ökonomischen Rechenspiel493 des Arbeitgebers weichen. Damit wird aber ein Widerspruch zur grundsätzlichen Rechtsmacht aus § 111 BetrVG erzeugt. Betont man § 113 derart stark, wie es zum Teil geschieht, dann hat es der Arbeitgeber in der Hand, zu beteiligen oder dies zu lassen. Tut er es nicht, so muss er einzig – wenn überhaupt – zahlen. Beließe man es bei diesem „Wahlrecht“,494 so wäre nicht § 111 BetrVG die zentrale Norm, sondern das Wahlrecht des Arbeitgebers aus § 113 Abs. 3 BetrVG – einer materialisierten teleologischen Extension einer Norm (§ 113 Abs. 1 BetrVG)495, die das Abweichen vom gemeinsam geschlossenen Interessenausgleich regelt. Insofern begründete man eine Pervertierung der Inhaberschaft des Beteiligungsrechts. Das kann in einer Mitbestimmungs- und Mitwirkungsordnung nicht richtig sein: § 111 BetrVG gibt die Inhalte und die grundsätzliche Bewertung des Interessengegensatzes bei drohender Durchführung vor, nicht § 113 BetrVG. (4) Die Bedeutung von § 2 Abs. 2 GKG Verlagerte man den Schutz der Beteiligung allein auf § 113 BetrVG, so bedeutete dies, dass der einzelne Arbeitnehmer vor dem Arbeitsgericht auf Zahlung klagen müsste. Da § 113 BetrVG im Urteilsverfahren geltend ge493 In diese Richtung auch Bruns, AuR 2003, 15 (17); Fauser/Nacken, NZA 2006, 1136 (1140). 494 Die Ansicht dahin gehend zusammenfassend: Lobinger, FS Richardi, 657 (662). 495 Vgl. S. 138.
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macht wird, entstehen Kosten.496 Der einzelne Arbeitnehmer trüge dann das Prozessrisiko, um die Gewährung der Rechte des Betriebsrats sicherzustellen.497 Vor dem Hintergrund eines möglichen Prozesses wird daher manch ein Arbeitnehmer sich scheuen, seine Rechte geltend zu machen. Im Falle der Gewährung des Rechtsschutzes auf kollektiver Ebene wäre hingegen § 2 Abs. 2 GKG einschlägig, das Verfahren wäre gerichtskostenfrei. Man kann in dieser Norm nicht nur eine Öffnung für die kollektive Rechtsverfolgung begründet sehen, man kann ebenfalls die Individualrechte als zusätzliche, der kollektiven Teilhabe entrückten Sonderschutzvorschriften auffassen. Der alleinige Gang über das Urteilsverfahren führte letztlich dazu, dass die kollektivrechtliche Ebene vom „Mut“ der Arbeitnehmer abhängig ist, obwohl es gerade Aufgabe des kollektiven Arbeitsrechts ist, die strukturellen Defizite des Individualarbeitsverhältnis zu überwinden.498 (5) Konklusion Ebenso wie § 823 Abs. 1 BGB vorbeugenden Rechtsschutz nicht auszuschließen vermag,499 kann die nachträgliche Abwicklung wirtschaftlicher Nachteile das Verhindern der Entstehung derselben nicht ausschließen. Im komplexen System der §§ 111–113 BetrVG darf die Ausgleichsfunktion des § 113 Abs. 3 nicht überbewertet werden. Vorrangig gilt es, ein § 2 Abs. 1 BetrVG entsprechendes System herausbilden, das der Verhandlung über die Nachteile auch im Falle des verfahrensilloyalen Verhaltens im Interessenausgleichsverfahren den Vorrang einräumt. Das abschließende Verständnis als „Erlaubnis gegen Zahlung“ überzeugt davor nicht. Einzig in der ökonomischen Interpretation des Rechts ist die Entscheidungsfindung von den normativen Vorgaben entrückt und wird zu einem Rechenspiel.500 Gleichwohl betont die ökonomische Theorie die Verhaltensanalyse, nicht die gesetzgeberische Bewertung. Maßgeblich bleibt daher, was der Gesetzgeber – ob in objektiver oder subjektiver Facette – will bzw. wollte. Im Rahmen von § 113 BetrVG hat die Untersuchung zutage gefördert, dass die Norm sich gegen die Durchführung wendet und sie keineswegs erlaubt.501 § 113 BetrVG enthält keine ausgleichende Erlaubnis, die Norm statuiert ein Verbot. Dieses verstärkt sich unter dem Regime des 496 497 498 499 500 501
Richardi-Annuß, § 113 Rn. 55: Streitigkeit aus dem Arbeitsverhältnis. Fischer, AuR 1997, 177 (180). Däubler ArbuR 1995, 305 (305 f.) m. w. N. S. 31 u. 32. Vgl. zum Strafrecht Adams, S. 462. So auch Bruns, AuR 2003, 15 (17); Lobinger, FS Richardi, 657 (671).
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§ 119 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG. Insofern stört das ungerechtfertigte Abweichen die Betriebsratsarbeit, wenn das Ergebnis derselben einfach übergangen werden kann. Historisch betrachtet, setzt § 113 Abs. 3 BetrVG Absatz 1 fort. Grundgedanke war nicht der abschließende Charakter, sondern das Ziel, den Arbeitgeber von einer Umgehung des Absatzes 1 durch einfaches Nichtbeteiligung abzuhalten. Untersucht man die Norm im System der §§ 111–113 BetrVG, kann man keine Sperrwirkung begründen. Die für eine Sperrwirkung notwendige vorrangige Wertung fehlt. Vielmehr setzt das harmonische Gefüge der §§ 111 ff. BetrVG den Unterlassungsanspruch voraus. Entscheidend ist letztlich die nur partiell parallele Zweckstruktur beider Institute, die das BAG bereits früh als eine „Teilidentität“ qualifiziert hat.502 Sowohl § 113 Abs. 3 BetrVG als auch der Unterlassungsanspruch wollen das Unterlassen der Maßnahme erreichen. Allerdings impliziert das eine Institut dies nur, während das andere unmittelbare Rechtsmacht darauf gewährt. Genau hier aber liegt auch die Lösung: Der Regelungsgehalt des Unterlassungsanspruchs ist näher an diesem Zweck. So gesehen, ist der Unterlassungsanspruch das zweck-speziellere Mittel. Dies wird nicht zuletzt durch die Tatsache untermauert, dass § 113 Abs. 3 BetrVG mehrere Zwecke erfüllt und somit zweckgenereller ist. Teleologische Aspekte können für die Ausschließlichkeit zweier Institute nur dann hermeneutischen Wert besitzen, wenn sich die Zwecke überschneiden oder in der jeweiligen Realisierung konterkarieren würden. Ist die Fortbildung hingegen teleologisch begründet, kann keine Sperrwirkung eintreten. Insoweit entspricht dieses Vorgehen auch den Vorgaben des Bundesarbeitsgerichts in der Burda-Entscheidung.503 Im Ergebnis ist festzuhalten, dass die Möglichkeit aus § 113 Abs. 3 BetrVG neben einen Unterlassungsanspruch tritt.504 § 113 Abs. 3 BetrVG kommt keine die Regelung des § 111 BetrVG beschränkende Wirkung zu.505 c) Die Freiheit nach Abschluss eines Interessenausgleichs506 Der Anerkennung des Unterlassungsanspruchs könnte indes die mangelnde Durchsetzbarkeit des Interessenausgleichs entgegenstehen. Dem Ar502
BAG, Urteil vom 20.11.2001 – 1 AZR 97/01, AP § 113 BetrVG 1972 Nr. 39. BAG, Beschluss vom 20.4.1999 – 1 ABR 72/98, NZA 1999, 887 (892). 504 Ortmann, BetrR 1995, 11 (12). 505 Richardi-Annuß, § 113 Rn. 10. 506 Zu der in diesem Zusammenhang fallenden Frage, nach der Aufwertung des Mitwirkungsrecht zu einem Mitbestimmungsrecht noch, Völksen, RdA 2010, 354 (357). 503
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beitgeber könnte die Durchführung der Betriebsänderung zur Sicherung des Informations- und Beratungsanspruchs untersagt werden, welches dem Betriebsrat lediglich eine Verhandlungschance und eine ungewisse Aussicht auf eine solche Vereinbarung eröffnet.507 Hanau spricht davon, dass man im Falle der Bejahung eines Unterlassungsanspruchs bis zum Abschluss des Versuchs eines Interessenausgleichs auch einen Unterlassungsanspruch bezüglich vom Interessenausgleich abweichender Betriebsänderungen vertreten müsse: andernfalls würde man das Recht auf Interessenausgleich stärker sanktionieren als das Recht aus dem Interessenausgleich.508 aa) Der Interessenausgleich und seine Realisierung In der Tat versagt das Bundesarbeitsgericht dem Betriebsrat einen Anspruch auf Einhaltung des Interessenausgleichs.509 Das Gericht sieht die Verpflichtung in Abgrenzung zur Betriebsvereinbarung als eine nicht einklagbare Naturalobligation an. Dass der Interessenausgleich gerade keine Betriebsvereinbarung ist, entnimmt die herrschende Meinung dem Umkehrschluss aus § 112 Abs. 1 S. 3 BetrVG.510 Eine Bindungswirkung erhalte der Interessenausgleich allein über §§ 113 Abs. 1 und 2 BetrVG. Dieses System ist im Gegensatz zu § 113 Abs. 3 BetrVG abschließend, da ansonsten die dogmatische Konzeption als Naturalobliegenheit unterlaufen werde würde. Somit scheiden nach herrschender Meinung ein Unterlassungsanspruch und ein Erfüllungsanspruch aus der Vereinbarung aus.511 bb) Der Interessenausgleich als „Privileg“ des Unternehmers? Die Rechtsprechung begründet eine weitreichende Privilegierung: Der Arbeitgeber ist nicht wie im Regelfall den zwingenden Bindungen und insbesondere einem Erfüllungsanspruch aus einer Betriebsvereinbarung ausgesetzt. Hinzu kommt, dass Unternehmerhandlungen, die gegen den Interessenausgleich verstoßen, nicht nichtig sind.512 507 LAG Baden-Württemberg, Beschluss vom 21.10.2009 – 20 TaBVGa 1/09 = juris; Hümmerich/Spirolke, BB 1996, 1986 (1990); Raab, ZfA 1997, 183 (248); Bengelsdorf, DB 1990, 1233 (1235). 508 Hanau, JuS 1985, 360 (364). 509 BAG, Beschluss vom 28.08.1991 – 7 ABR 72/90, NZA 1992, 41 (42); ebenso: ErfK-Kania § 112, 112a Rn. 9; einschränkend: FESTL, §§ 112, 112a Rn. 45; Richardi-Annuß, § 112 Rn. 47; a. A.: MünchArbR-Matthes, § 269 Rn. 34. 510 HaKo-Steffan, § 112, 112a Rn. 11; ErfK-Kania, §§ 112, 112a Rn. 9. 511 FESTL, § 112, 112a Rn. 45 u. 47. 512 Willemsen/Hohenstatt, NZA 1997, 345 (352).
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Allerdings gilt, dass der sanktionslose Raum der Unternehmerfreiheit in §§ 111 ff. stark eingeschränkt und auf zwingende Gründe für das Treffen der Maßnahme limitiert ist, vgl. § 113 Abs. 1 BetrVG. Ein zwingender Grund setzt höhere Anforderungen als ein wichtiger Grund. Erforderlich ist, dass ein verantwortungsbewusster Unternehmer nicht anders handeln kann, als die Maßnahme entgegen dem Interessenausgleich durchzuführen.513 Mit dem Abstellen auf den verantwortungsbewussten Unternehmer ist die Freiheit dem Unternehmer nur noch insofern überlassen, als er selbst verantwortungsbewusst handelt. Dies wiederum bewirkt eine Begrenzung der Willensherrschaft. Eine umfassende Privilegierung besteht somit nicht. cc) Die Auflösung des Widerspruchs Bei näherer Betrachtung löst sich der ausgemachte Wertungswiderspruch auf. Die unterschiedliche Behandlung der Beteiligung im Vergleich zum Rechtszustand nach Abschluss fußt auf dem eigenständigen Wert des Dialogs. So hat das LAG Hamm seine ablehnende Haltung gegenüber dem Unterlassungsanspruch wegen dieser Erkenntnis und des damit einhergehenden Aspekts aufgegeben, dass ein verständiger Unternehmer bei guten Argumenten seine Entscheidung überprüfen oder gar modifizieren wird.514 Zudem können zum Interessenausgleich weitere Aspekte hinzutreten, die diesen ergänzen. So erkennt das Bundesarbeitsgericht seit 2007 den sog. qualifizierten Interessenausgleich an.515 Anders als bei den sonstigen – vom Interessenausgleich zu trennenden – freiwilligen Betriebsvereinbarungen geht es beim qualifizierten Interessenausgleich um Regelungen, die ihrer Art nach Geltung für die Arbeitsverhältnisse beanspruchen und den Arbeitnehmern Rechte oder Ansprüche einräumen. Diese hängen in der Regel mit der Betriebsänderung zusammen. Eine hierauf gerichtete Verhandlungschance wäre indes bei einer unbedingten Durchführungskompetenz nicht gesichert. Mit dieser Rechtsprechung hat das BAG die Konsequenz aus der neueren Gesetzgebung gezogen, die in §§ 323 Abs. 2 UmwG, 1 Abs. 5 KSchG und 125 InsO den Betriebsparteien das Recht zuerkannt hat, in einem qualifizierten Interessenausgleich unmittelbare Auswirkungen auf das einzelne Arbeitsverhältnis festzulegen.516 513 Richardi-Annuß, § 113 Rn. 13; GK-Oetker, § 113 Rn. 30 f.; SWS §§ 111–113 Rn. 165d f.; FESTL, § 113 Rn. 8. 514 LAG Hamm, Beschluss vom 28.8.2003, NZA-RR 2004, 80 (81): Wichtig ist die Herausstellung, dass der Unterlassungsanspruch dazu dient, den Arbeitgeber „an den Tisch zu kriegen“. 515 BAG, Beschluss vom 25.04.2007 – 6 AZR 622/06 = juris; FESTL, §§ 112, 112a Rn. 47; GK-/Oetker, §§ 112, 112a Rn. 85; Richardi-Annuß, § 112 Rn. 46. 516 Dazu nur Däubler, RdA 1995, 136 (141).
G. Der verfahrenssichernde Unterlassungsanspruch
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Ferner ist es grundsätzlich möglich, die Klagbarkeit der Regelungen aus dem Interessenausgleich gesondert zu vereinbaren. Es muss dann stets ausgelegt werden, ob ein Wille hervortritt, unmittelbar Rechte oder Pflichten zu begründen.517 Die Möglichkeit ist freilich strittig. Einer Vereinbarung über die Klagbarkeit haben Hohenstatt/Willemsen 1997 das „fein austarierte“ System der §§ 11–113 BetrVG entgegen gehalten.518 Der Einwand geht gleichwohl fehl. Wenn die §§ 111–113 BetrVG auch Teil des Ausdrucks der Unternehmerfreiheit sein sollen bzw. zumindest das Letztentscheidungsrecht dem Unternehmer zusichern, dann liegt es nahe, dem Unternehmer das Recht einzuräumen, über den von § 112 BetrVG vermittelten Entscheidungsschutz nach Abschluss eines Interessenausgleichs disponieren zu können und die Klagbarkeit vereinbaren zu dürfen. In den Fällen des qualifizierten Interessenausgleichs, die inzwischen einen bedeutenden Raum einnehmen, ist es nicht untypisch, dass er solche Gegenleistungen einräumt. d) Exkurs: Der Unterlassungsanspruch bei § 99 BetrVG An dieser Stelle ist ein Exkurs zu § 99 BetrVG geboten, zum einen weil die Diskussion im Hinblick auf die Sperrwirkung vergleichbar geführt wird und zum anderen, weil das Bundesarbeitsgericht jüngst – 2009 – den Unterlassungsanspruch bei § 99 BetrVG verneint hat. Seitdem wird in Teilen der Literatur vertreten, dass die Argumentation des Bundesarbeitsgerichts auf die Frage des Unterlassungsanspruchs der §§ 111, 113 BetrVG übertragen werden könne.519 aa) Die Entwicklung der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts Bereits vor der Entscheidung im Jahr 2009 deutete das Gericht immer wieder das Schicksal des Unterlassungsanspruchs bei § 99 BetrVG an. Im Grundsatzbeschluss von 1994 erklärte das Gericht ausdrücklich, dass die Anerkennung des Unterlassungsanspruchs bei § 87 BetrVG einer mögliche Ablehnung bei § 111 oder § 99 BetrVG nicht widerspreche.520 In einem späteren Beschluss im selben Jahr lehnte das Bundesarbeitsgericht einen Antrag in Bezug auf einen Unterlassungsanspruch aus § 99 BetrVG zwar ab,521 517
Dafür auch FESTL, §§ 112, 112a Rn. 45 u. 47; Zwanziger, BB 1998, 477 (479); Ahrendt, NZA 2011, 774 (774). 518 Willemsen/Hohenstatt, NZA 1997, 345 (352). 519 Vgl. etwa Völksen, RdA 2010, 354 (361): „nahezu deckungsgleich“. 520 BAG, Beschluss vom 3.5.1994 – 1 ABR 24/93 = juris Rn. 34. 521 BAG, Beschluss vom 6.12.1994 – 1 ABR, NZA 1995, 488 (489).
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2. Kap.: Die Unterlassungsansprüche des Betriebsrats
ließ aber die Grundsatzfrage offen, da der Antrag des Betriebsrats als (unbegründeter) Globalantrag verworfen wurde. Mit Beschluss vom 23.6.2009 lehnte das Bundesarbeitsgericht schließlich einen Unterlassungsanspruch bei § 99 BetrVG ab.522 Schutz gewährten allein § 23 Abs. 3 BetrVG und ein Feststellungsantrag.523 Der Anspruch bestehe nicht einmal dann, wenn zu erwarten sei, dass der Arbeitgeber das Verfahren nach §§ 99, 100 Abs. 2 BetrVG nicht einhalte. Die eigene dogmatische Konzeption (Nebenpflicht aus dem Betriebsverhältnis) greife nicht, da das Gesetz das Treffen der Maßnahme, „ohne dass ihre materielle Rechtsmäßigkeit feststünde“, in Kauf nehme. Das folge aus § 100 BetrVG, da dort nicht das objektive Vorliegen der dringenden Erforderlichkeit vorausgesetzt werde, sondern nur das Einhalten der prozeduralen Voraussetzungen. Zudem habe der Gesetzgeber die Rechtsfolgen eines Verstoßes in §§ 23 Abs. 3 S. 1 und 101 BetrVG ausdrücklich geregelt. Einer Korrektur bei kurzfristigen personellen Maßnahmen – dort kommt eine Rücknahme nach § 101 BetrVG nicht in Betracht – bedürfe es nicht, da keine besondere Schutzlücke vorliege. Denn die Lücke sei im Vergleich zu längerfristigen Maßnahmen nicht größer. Bei letzteren sei die Schutznotwendigkeit erhöht. Je kürzer die Maßnahme währe, desto geringer falle der Rechtsverstoß ins Gewicht. Der Betriebsrat müsse daher einen rechtswidrigen Zustand solange hinnehmen bis sein Aufhebungsanspruch tituliert sei. Bemerkenswert ist dabei, dass das Gericht die Bewertung der Vornahmen der Handlung nunmehr ebenfalls in das Zentrum der Frage um den Unterlassungsanspruch stellt. bb) Der weitere Meinungsstand Diese Ansicht entspricht der nunmehr herrschenden Meinung in der Literatur.524 So spricht z. B. Braun525 davon, dass das in sich abgeschlossene 522 BAG, Beschluss vom 23.6.2009 – 1 ABR 23/08, BAGE 131, 145; der Antrag war auf die Unterlassung von Maßnahmen bezogen, die nicht unter § 100 BetrVG fallen. 523 Bestätigt durch BAG, Beschluss vom 9.3.2011 – 7 ABR 137/09, NZA 2011, 871. 524 Lieb/Jakobs Rn. 737; Matthes, FS Dieterich, 355 (360); anerkennend FESTL § 99 Rn. 295; Bengelsdorf, SAE 1996, 137 (153); Braun, FS Simon, 53; RichardiThüsing § 99 Rn. 305; Raab, ZfA 1997, 183 (236 ff.); ErfK-Kania § 101 Rn. 9; Konzen, NZA 1995, 865 (872), der weniger auf eine Sperrwirkung als auf eine fehlende Regelungslücke abstellt; Berger-Boemke, Kap. 14, Rn. 172; Wirlitsch/Lang, ArbRAktuell 2010, 520; Lüders/Hexel, NZA 2010, 613 (616). 525 Braun, FS Simon, 53 (69).
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Rechtsschutzsystem nicht angetastet werden dürfe. Die bejahenden Stellungnahmen und Beschlüsse wiederholen im Wesentlichen die dogmatische Lösung bei § 87 BetrVG.526 Speziell zu § 99 BetrVG bejaht etwa Sacher einen Anspruch unter Anwendung der Rechtsusurpationstheorie.527 Nach der hier vorgestellten Konzeption kommt es darauf an, ob § 99 BetrVG tatsächlich das Treffen der Maßnahme (kurzfristig) billigt oder nicht. Die Annahme der Sperrwirkung der §§ 100 und 101 BetrVG geht damit einher.528 cc) § 100 BetrVG als sperrendes Sonderverfahren? Betrachtet man zunächst § 100 BetrVG, so ist zwischen den Absätzen zu differenzieren: (1) § 100 Abs. 1 BetrVG § 100 Abs. 1 BetrVG ermöglicht dem Arbeitgeber, personelle Maßnahmen ohne Beteiligung des Betriebsrates durchzuführen. Dabei müssen erhöhte Voraussetzungen vorliegen: Die Maßnahme muss aus sachlichen Gründen dringend erforderlich sein. Es genügt also nicht die Erforderlichkeit zu bejahen, sie muss dringend und sachlich begründet sein. Diese Voraussetzungen stellen zusätzliche Anforderungen an das Eilinteresse des Arbeitgebers.529 Maßstab ist der verantwortungsbewusste, objektive Arbeitgeber.530 Insoweit entrückt § 100 BetrVG die Maßnahme der reinen Willensmacht des Arbeitgebers. Für § 100 Abs. 1 BetrVG ist die objektive Rechtslage relevant und nicht die Rechtsansicht des Arbeitgebers.531 Ein Irrtum kann keine anspruchsausschließende Wirkung haben. Dies führt zu der Frage, ob § 100 Abs. 1 einen betriebsverfassungswidrigen Zustand billigt oder eine Wertung für eine Unterlassungsverpflichtung enthält. Richtigerweise ist § 100 BetrVG eine Begrenzung des konkretisier526 Aus der Literatur etwa Soost/Hummel, AiB 2000, 621; wohl auch HaKoKreuder § 99 Rn. 73; Sacher passim.; DKKW-Bachner § 99 Rn. 265; mit eigener Konzeption Lobinger, ZfA 2004, 101 (169). 527 Sacher S. 104. 528 Vgl. auch Derleder ArbuR 1995, 13 (16), der anhand des Systems nicht nach einer Sperre, sondern nach dem (noch) vorhandenen Raum für einen Unterlassungsanspruch fragt. Hierfür auch LAG Hessen, Beschluss vom 1.11.2005 – 4/18/5 TaBV 47/05 = juris Rn. 92. 529 Wlotzke/Preis-Preis § 100 Rn. 2. 530 DKKW- Bachner § 100 Rn. 3. 531 So auch LAG Hessen 4/18/5 TaBV 47/05 = juris; Wernery S. 301.
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2. Kap.: Die Unterlassungsansprüche des Betriebsrats
ten Mitbestimmungsrechts selbst532 und steht einem etwaigen dem Beteiligungsrecht folgenden Unterlassungsanspruch in den Bereichen entgegen, in denen die Voraussetzungen der Norm erfüllt sind. Die Norm wird also bei der Ermittlung des Umfangs des Mitwirkungsrechts relevant. Sind die Voraussetzungen erfüllt, besteht auch kein betriebsverfassungswidriger Zustand. Der Ausfall eines Mitbestimmungsrechts hat dann den Ausfall des Unterlassungsanspruchs zur Folge. Dass § 100 BetrVG nur bei der Beurteilung, ob überhaupt ein Mitbestimmungsrecht besteht, relevant wird, ergibt sich auch aus den Materialien zum BetrVG 1972.533 Im Umkehrschluss ist § 100 Abs. 1 BetrVG vielmehr eine Stärkung der Bindung der Entscheidung an das Zustimmungserfordernis. Diese Norm dokumentiert, dass die vorherige Zustimmung des Betriebsrats auch bei § 99 BetrVG der Regelfall534 ist, von dem nur unter gesetzlich abschließend535 kodifizierten Voraussetzungen abgewichen werden kann. Wäre der Arbeitgeber frei, bedürfte es keiner Norm wie § 100 Abs. 1 BetrVG. Man kann daher auf die gesetzgeberische Missbilligung des Treffens der Maßnahme schließen, die über § 23 Abs. 3 BetrVG analog zu einem Unterlassungsanspruch erstarkt.536 (2) § 100 Abs. 2 und 3 BetrVG Weitaus schwieriger und daher von besonderem Interesse ist die Frage der Auswirkung der Absätze 2 und 3 auf den Unterlassungsanspruch.537 Auch diese Normen bezwecken den Schutz des Mitbestimmungsrechts.538 Die meisten Autoren differenzieren an dieser Stelle zwischen einem verfahrensloyalem und einem verfahrensilloyalem Arbeitgeber.539 Andererseits beto532 So auch Sacher S. 19; vgl. jetzt BAG, Beschluss 19.1.2010 – 1 ABR 55/08, NZA 2010, 659 (662) Rn 29aE; der Senat spricht von einer „Beschränkung der Beteiligungsrechte“ aus § 99 BetrVG durch § 100 BetrVG. 533 Bt. Drs. VI/1786 S. 52: „diese Vorschrift mildert das grundsätzliche Zustimmungserfordernis des § 99 zugunsten der Möglichkeit vorläufiger personeller Maßnahmen (. . .)“ 534 GK-Raab § 100 Rn. 1 und § 99 Rn. 3. 535 BAG, Beschlus vom 19.1.2010 – 1 ABR 55/08, NZA 2010, 659 (662) Rn. 29aE. 536 Vgl. Lobinger, ZfA 2004, 101 (170). 537 Die Frage wirft auch Hanau JuS 1985, 361 (362) auf, der diese Situation zutreffend als Rechtslage und nicht als Rechtsposition auffasst. Er lässt sie aber unbeantwortet. 538 Richardi, Anm. AP § 100 BetrVG 1972 Nr. 1. 539 Derleder ArbuR 1995, 13 (16); Raab, ZfA 1997, 183 (236); aufnehmend: Wernery S. 302 und Bengelsdorf SAE 1996, 139 (152).
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nen Bengelsdorf und Wernery, dass § 100 BetrVG die Wertentscheidung zugrundeliege, die getroffene Maßnahme als wirksam hinzunehmen.540 (a) Der Regelungsgehalt der Vorschrift Nach § 100 Abs. 2 hat der Arbeitgeber den Betriebsrat unverzüglich von der vorläufigen personellen Maßnahme zu unterrichten; bestreitet der Betriebsrat, dass die Maßnahme aus sachlichen Gründen dringend erforderlich ist, so hat er dies dem Arbeitgeber unverzüglich mitzuteilen. In diesem Fall darf der Arbeitgeber die vorläufige personelle Maßnahme nur aufrechterhalten, wenn er innerhalb von drei Tagen beim Arbeitsgericht die Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats und die Feststellung beantragt, dass die Maßnahme aus sachlichen Gründen dringend erforderlich war. Lehnt das Gericht dann durch rechtskräftige Entscheidung die Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats ab oder stellt es rechtskräftig fest, dass die Maßnahme aus sachlichen Gründen offensichtlich nicht dringend erforderlich war, so endet die vorläufige personelle Maßnahme gemäß § 100 Abs. 3 mit Ablauf von zwei Wochen nach Rechtskraft der Entscheidung. Von diesem Zeitpunkt an darf die personelle Maßnahme nicht aufrechterhalten werden. Dass die Maßnahme offensichtlich nicht dringend erforderlich war, setzt eine grobe Verkennung der sachlich-betrieblichen Notwendigkeiten der vorläufigen Durchführung voraus.541 Die Beteiligungspflicht des § 100 Abs. 2 BetrVG ist nicht mit der in § 99 BetrVG statuierten Pflicht identisch.542 Augenfällig ist ferner die Durchbrechung des Anterioritätsprinzips. Die vorherige Beteiligung ist nach dem Wortlaut nicht erforderlich, sie muss nur unverzüglich erfolgen. Das ist auch denkbar, nachdem die Maßnahme getroffen worden ist.543 In Teilen der Literatur wird § 100 BetrVG als Regelung des einstweiligen Rechtsschutzes544 im materiell-rechtlichen Gewand angesehen, da die Norm für den Fall des Streits über die Zulässigkeit der Maßnahme eine vorläufige Maßnahme erlaube.545 Genauer ist es, § 100 Abs. 2 u. 3 BetrVG als 540
Bengelsdorf, SAE 1996, 139 (153); Wernery S. 302. BAG, Beschluss vom 7.11.1977 – 1 ABR 55/74, AP BetrVG 1972 § 100 Nr. 1; LAG Düsseldorf, Beschluss vom 6.7.2012 – 6 TaBV 30/12 = juris Rn. 111; ArbG Leipzig, Beschluss vom 15.2.2012 – 11 BV 79/11 = juris Rn. 60. 542 Richardi-Thüsing § 100 Rn. 13; GK-Raab § 100 Rn. 25. 543 Vgl. die Zusammenfassung bei Richardi-Thüsing § 100 Rn. 14. 544 Es ist hier nicht zu vertiefen, dass durch die jetzige Verfahrensgestaltung diese Zügigkeit bei § 100 BetrVG nicht erreicht wird, dazu nur Matthes, BB 2010, 2109. 545 Raab, ZfA 1997, 183 (238); Wernery S. 303. 541
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2. Kap.: Die Unterlassungsansprüche des Betriebsrats
Sonderregelung bei einem Streit über die Eilbedürftigkeit zu qualifizieren. Diese Regelung gibt dem Arbeitgeber das Recht allein durch verfahrensgemäßes Verhalten die Maßnahme zeitweilig aufrechterhalten, auch wenn sie nicht dringend erforderlich ist. (b) Der Sinn und Zweck der „Privilegierung“ Anders formuliert könnte § 100 Abs. 2 und 3 BetrVG den Arbeitgeber privilegieren.546 Der Gesetzgeber nähme bei bloßer Formalisierung der Beteiligung das Treffen der Maßnahme in Kauf. Mit einer solchen Privilegierung wäre der Unterlassungsanspruch unvereinbar, da er diese unterliefe.547 Eine rechtliche Missbilligung wäre im Umkehrschluss auszuschließen; § 23 Abs. 3 S. 1 BetrVG analog könnte nicht angewendet werden. Betrachtet man den Normenkomplex wiederum vor der Sperrwirkung, kommt dem Willen des Gesetzes/Gesetzgebers entscheidende Bedeutung zu.548 Hierzu ist § 100 BetrVG vor § 99 BetrVG zu positionieren und die Bedeutung der Unterrichtung nach § 100 Abs. 2 S. 1 im System herauszustellen. (aa) Die zeitliche Koordinierung der Aufklärungspflicht Der Schlüssel hierzu ist die zeitliche Einordnung des § 100 Abs. 2 S. 1 BetrVG beim Beteiligungsrecht aus § 99 BetrVG. Ist der Betriebsrat noch nicht nach § 99 BetrVG beteiligt, so fallen §§ 99 und 100 zeitlich zusammen. Das Beteiligungsverfahren verläuft synchron: Die Reichweite des Unterrichtungsrechts nach § 100 Abs. 2 BetrVG folgt aus dem Sinn und Zweck des Beteiligungsrechts. Es geht darum, die Erforderlichkeit und den sachlichen Grund für die Vorläufigkeit beurteilen zu können.549 Die Information gemäß § 100 Abs. 2 S. 1 BetrVG muss daher die Maßnahme, insbesondere ihren genauen Zeitpunkt, benennen und Angaben darüber enthalten, warum sie aus sachlichen Gründen dringend erforderlich ist.550 Durch das Tatbestandsmerkmal „unverzüglich“ erhält die 546 So ausdrücklich Bengelsdorf SAE 1996 (156); Derleder, AuR 1995, 13 (15 f.); mit Hinweis auf das erhebliche Missbrauchspotenzial der Vorschrift DKKWBachner § 100 Rn. 1. 547 Vgl. etwa Bengelsdorf SAE 1996 (153); auch Derleder, AuR 1995, 13 (15 f.); Wernery S. 302, der sogar die Wirksamkeit annimmt. 548 Zu den Voraussetzungen S. 135; insbesondere die Zweckparallelität steht einer Rechtsfortbildung nicht im Wege. 549 DKKW-Bachner § 100 Rn. 2 f. 550 LAG Bremen, Beschluss vom 11.3.2010 – 3 TaBV 24/09 = juris.de; ErfKKania § 100 Rn. 3.
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Norm eine ganz eigenständige dem Anterioritätsprinzip entrückte Dynamik. Es kommt gemäß § 121 BGB auf ein Handeln ohne schuldhaftes Zögern an. Eine vorherige Beteiligung ist nicht erforderlich. Ableiten kann man dies aus der Verwendung der Präposition „von“.551 Das kann nun dazu führen, dass das Treffen der Maßnahme dringend geboten ist und daher vor der Beteiligung stattfindet. Auf der anderen Seite bezieht sich „unverzüglich“ auch auf die Fassung des Entschlusses zur vorläufigen Maßnahme. Dies kann man über § 2 Abs. 1 BetrVG als Auslegungshilfe gewinnen. Das Gebot zu vertrauensvoller Zusammenarbeit fordert vom Arbeitgeber, der im Begriff ist einen beteiligungslosen Zustand zu schaffen, eine möglichst frühzeitige Konsultation. Laufen §§ 100 und 99 BetrVG parallel, so steht § 100 Abs. 2 am Anfang des Beteiligungsprozesses. Damit besteht § 100 Abs. 2 S. 1 BetrVG in einer Situation, in der rechtlich die Frage nach dem Unterlassungsanspruch entschieden wird. Es kommt somit darauf an, wann der Arbeitgeber von den die Erforderlichkeit begründenden Tatsachen Kenntnis erlangt hat. Hält er dann seine Aufklärungsfrist in dem Fall, in dem eine vorherige Beteiligung möglich ist, nicht ein, so liegt eine beteiligungslose Lage vor. Es gibt dann keinen Grund den Arbeitgeber zu privilegieren. Ein Unterlassungsanspruch kann angenommen werden. Erst wenn dieser seiner Aufklärungspflicht nachgekommen ist, sind die Implikationen des § 100 Abs. 2 BetrVG relevant.552 (bb) Die aktive Rolle des Arbeitgebers Ein Arbeitgeber, welcher nach Abs. 2 verfahrensloyal den Betriebsrat beteiligt, würde nach der Vorstellung des Gesetzgebers keine offensichtlich unzulässige Maßnahme treffen. Ausweislich der Gesetzesbegründung entspringt Abs. 2 keinem Privilegierungs- sondern einem Verantwortungsgedanken. Der Arbeitgeber soll unterrichten und er soll im Fall der vorläufigen Maßnahme die gerichtliche Klärung betreiben.553 Mehr verlangt das Gesetz zu diesem Zeitpunkt vom Arbeitgeber nicht. Dieser Umstand spricht nicht gegen ein eigenständiges Sicherungsinstrument des Betriebsrates. Ein solches ist vor diesem Ausgangspunkt zusätzlich möglich. Denn es geht nicht um eine Umkehr der Rollen, sondern um eine relative Facette, in der der Arbeitgeber die Konsequenz aus seinem Handeln 551
BAG, Beschluss vom 7.11.1977 – 1 ABR 55/74, AP BetrVG 1972 § 100
Nr. 1. 552 553
Soost/Hummel, AiB 2000, 621 (623). Bt.-Drs. VI/1786 S. 52.
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2. Kap.: Die Unterlassungsansprüche des Betriebsrats
ziehen soll. Insofern soll § 100 Abs. 2, 3 den Betriebsrat verfahrensrechtlich stärken. Damit verträgt sich wiederum die Annahme eines zusätzlichen Verfahrens, welches die Aktivposition des Betriebsrates nicht beeinträchtigt. (cc) Eigene Kenntnis § 100 Abs. 2 S. 1 BetrVG geht ferner von einem Szenario aus, in dem der Betriebsrat nichts von der vorläufigen Maßnahme weiß – daher die Unterrichtungspflicht. Damit stellt sich die Situation, in der der Betriebsrat von der bevorstehenden Maßnahme im Vorfeld aus anderer Quelle erfahren hat als eine ganz andere Fallkonstellation dar. Solange der Arbeitgeber der Unterrichtungspflicht nach Abs. 2 S. 1 noch nicht nachgekommen wurde, ist auch ein Unterlassungsanspruch denkbar. Wernery führt in diesem Zusammenhang an, dass ein Verstoß unter Einhaltung des § 100 Abs. 2 BetrVG schwerer wiegen könnte als ein Verstoß ohne jedwede Beteiligung. Dieser Gedanke überzeugt vor der gleich bleibenden Interessenbewertung hinsichtlich des Durchführens der Maßnahme und der Untersagung der Maßnahme nicht.554 (dd) Probleme beim Aufheben der Maßnahme Der tiefere Grund für die Existenz des § 100 Abs. 2 u. 3 BetrVG liegt auch in der tatsächlichen Konstellation begründet. Richtigerweise handelt es sich davor nicht um eine Privilegierung des Arbeitgebers. Der Gesetzgeber hat nur abstrakt generell die Schwierigkeit der Aufhebung und Rückgängigmachung der personellen Maßnahme gesehen und in diesem Bereich eine Frist angesetzt. Da § 99 BetrVG nicht die Wirksamkeit der Maßnahme angreift, kann es schwierig werden, diese zu beenden. Entscheidend ist daher, dass der Gesetzgeber die Wirksamkeit der Maßnahme über das Merkmal „endet“ kraft Gesetzes suspendiert.555 (ee) Konklusion Eine generelle Sperrwirkung des Verfahrens nach § 100 Abs. 2 u. 3 BetrVG gegenüber einem Unterlassungsanspruch kann nicht angenommen werden. Der Gesetzgeber hat für eine spezielle Ausnahmesituation eine materielle Regelung normiert, die dem Arbeitgeber die Möglichkeit einer vorläufigen Maßnahme einräumt, wenn er konkrete verfahrensrechtliche Anfor554 555
Vgl. zu § 23 Abs. 3 BetrVG S. 103 ff. Richardi-Thüsing § 100 Rn. 44 ff.: Beendigungswirkung.
G. Der verfahrenssichernde Unterlassungsanspruch
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derungen befolgt. Ebenso wie bei §§ 99 Abs. 4, 102 Abs. 5 BetrVG wurde dem Arbeitgeber die Initiativlast zugewiesen. Die Grundwertung des § 100 Abs. 1 BetrVG (Stärkung der Zustimmung für den Regelfall im Umkehrschluss) ist auch hier systematisch zutreffend und gibt die Möglichkeit, ein konkordantes Ergebnis herbeizuführen. Der Unterlassungsanspruch betrifft z. B. eine Konstellation, in der der Betriebsrat auf anderem Wege als über § 100 Abs. 2 S. 1 BetrVG von der bevorstehenden Maßnahme erfahren hat. Hier ist Raum für einen Unterlassungsanspruch,556 weil der Gesetzgeber diese Fallkonstellation ausweislich der Unterrichtungsnotwendigkeit nicht geregelt hat. Richtigerweise sperrt § 100 Abs. 2 BetrVG den Unterlassungsanspruch nicht, die Norm schränkt ihn aber ein: Sobald bzw. erst, wenn das in der Norm vorgeschriebene Verfahren BetrVG mit der Unterrichtung tatsächlich begonnen hat, wird der Unterlassungsanspruch gesperrt.557 § 100 BetrVG stuft damit die Möglichkeiten eines Unterlassungsantrags ab.558 Wendet der Arbeitgeber etwa im Verfahren des Unterlassungsanspruchs ein, die Maßnahme sei so dringend gewesen, dass er vorher nicht beteiligen konnte, so kann dies eine Duldungspflicht begründen und den Unterlassungsanspruch zu Fall bringen. Dazu muss seine Behauptung aber zutreffen. Aus § 100 Abs. 3 BetrVG folgt eine weitere Sperre: Im Rahmen der Prüfung der Duldungspflicht kommt dem Arbeitgeber § 100 Abs. 3 S. 1 BetrVG analog zugute.559 Der Betriebsrat muss das Treffen der Maßnahme bereits dann dulden, wenn die Maßnahme nicht offensichtlich unzulässig war. Das wiederum erfordert eine grobe Verkennung der sachlich-betrieblichen Notwendigkeiten der vorläufigen Durchführung im Voraus.560 Diese Duldungspflicht ist aus Wertungsgesichtspunkten folgerichtig. In der Norm kommt ein allgemeiner Gedanke zum Ausdruck. Regelmäßig ist es für den Arbeitgeber schwer erkennbar, ob eine Maßnahme die hohen Hürden des § 100 Abs. 1 BetrVG überwindet. Hier soll er geschützt werden. Gegen den Unterlassungsanspruch bei verfahrensilloyalem Verhalten bringt Bengelsdorf vor, der Gesetzgeber differenziere nicht zwischen verfahrensloyalem und verfahrensilloyalem Arbeitgeber.561 Dass ist aber nur 556
So auch Derleder AuR 1995, 13 (16); vgl. Leisten BB 1992, 266 (272). Soost/Hummel, AiB 2000, 621 (623). 558 Lobinger, ZfA 2004, 101 (169); Derleder, AuR 1995, 11 (15).; Raab, ZfA 1997, 183 (237). 559 Lobinger, ZFA 2004, 101 (170). 560 BAG, Beschluss vom 7.11.1977 – 1 ABR 55/74, AP BetrVG 1972 § 100 Nr. 1; LAG Düsseldorf, Beschluss vom 6.7.2012 – 6 TaBV 30/12 = juris Rn. 111; ArbG Leipzig, Beschluss vom 15.2.2012 – 11 BV 79/11 = juris Rn. 60. 561 Bengelsdorf, SAE 1996, 137 (153). 557
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insofern richtig, als ein solches Adjektiv in den §§ 99 ff. BetrVG nicht genutzt wird. Der Gesetzgeber ist aber von einem Leitbild ausgegangen: Wie gerade § 100 BetrVG deutlich macht, ging der Gesetzgeber davon aus, dass der Betriebsrat vom Arbeitgeber Kenntnis erhält und der Arbeitgeber sodann für die gerichtliche Klärung sorgt. Diese Vorstellung umschreibt den verfahrensloyalen Arbeitgeber. Die Trennung wird in § 100 und § 101 BetrVG ebenfalls deutlich. dd) § 101 BetrVG als abschließende Norm Nach § 100 BetrVG ist die Sperrwirkung des § 101 BetrVG zu klären.562 Die klassischen Konkurrenzregeln setzen dort ein, wo mehrere Normen einen Sachverhalt bewerten, sie also einen tatbestandlichen Gleichlauf haben.563 Von ihrer Spezialität betrachtet sind der Unterlassungs- und der Beseitigungsanspruch gleich speziell. Auch liegt kein Überschneidungsverhältnis vor. Sie können nicht kumulativ auf ein und denselben Tatbestand angewendet werden. Während § 101 BetrVG den vollendeten Verstoß im Auge hat, betrifft der Unterlassungsanspruch aus § 23 Abs. 3 S. 1 analog den drohenden. Das Treffen der Maßnahme stellt für diese Unterscheidung auch eine hinreichende Zäsur dar. Wie bereits bei § 113 BetrVG564 in Parallelität zu § 1004 BGB und § 823 BGB festgestellt, kommt den verschiedenen Normen jeweils eine gesetzgeberisch differenziert formulierte Rolle zu.565 (1) Die Logik der Abwehrrechte Gerade bei § 101 BetrVG ist nicht davon auszugehen, dass dieses Abwehrrecht ein anders Abwehrrecht ausschließen soll, es widerspräche der Logik der Abwehrrechte.566 In der Tat ist es bereits methodisch sehr problematisch, Normen mit einer eindeutigen Schutzrichtung gegen weitere Schutzmechanismen wirken zu lassen. Ein Beseitigungsanspruch schließt damit grundsätzlich einen Unterlassungsanspruch nicht aus. Sie knüpfen 562 Hierzu etwa: LAG Köln, Beschluss vom 2.4.2007 – 14 TaBV 9/07 = juris Rn. 36; LAG Hamm, Beschluss vom 26.2.2007 – 10 TaBVGa 3/07 = juris Rn. 67 m. w. N. 563 Larenz S. 207; vgl. ausführlicher S. 135. 564 Vgl. S. 139. 565 Hierzu Kramer S. 95 u. 98. 566 So ursprünglich Bauer/Diller, ZIP 1995, 95 (98): Man wird nicht erst die Durchführung der Maßnahme abwarten müssen; von Bauer in ArbRAktuell 2009, 214 aufgegeben; Derleder AuR 1995, 13 (16); sehr kritisch: Bengelsdorf, SAE 1996, 137 (153).
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beide an unterschiedliche Punkte einer Rechtsverletzung an. Der hinter der Norm stehende Schutzzweck – nicht zuletzt wegen der dann gegebenen Möglichkeit der Verhinderung kurzfristiger Maßnahmen – erfährt eine erhebliche Stärkung und gerade keine Einschränkung. (2) Kurzzeitige und längere Maßnahmen Betrachtet man §§ 101 und 100 BetrVG im Zusammenhang, so erkennt man schnell, dass dem gesamten Normenkomplex das 1972 auch der betrieblichen Realität entsprechende Verständnis des Gesetzgebers zu Grunde liegt, dass personelle Maßnahmen längerfristig angelegt werden. Inzwischen laufen die Normen Gefahr, an der geänderten Wirklichkeit flexiblen Personaleinsatzes vorbeizugehen.567 § 100 BetrVG geht davon aus, dass eine Maßnahme grundlegend länger als zwei Wochen besteht. § 101 BetrVG setzt ebenso voraus, dass noch eine Maßnahme vorhanden ist, die aufgehoben werden kann. Diese Voraussetzungen sind aber nicht erfüllt, wenn sich die Maßnahme erledigt hat. Genau hier offenbart sich das Problem der Argumentation des Bundesarbeitsgerichts im Beschluss vom 23.6.2009 zu kurzfristigen Maßnahmen: Der Ausgangspunkt trifft nicht zu. So schließt das Gericht von einer längeren Maßnahme auf eine kurzfristige. Während es also im Grundsatz die Schutzbedürftigkeit der längerfristigen Maßnahme bejaht, soll ein Beteiligungsrecht nur deshalb, weil die Maßnahme kurzfristig ist, nicht schutzbedürftig sein. Dieser Gedankengang müsste vom Kopf auf die Füße gestellt werden: Dringliche Maßnahmen sind in der Regel kurzfristig. Sie bilden den Ausgangspunkt. Außerdem greifen nur bei längerfristigen Maßnahmen die §§ 100 Abs. 2 u. 3, 101 BetrVG ein. Längerfristige Maßnahmen können komplex und eine besondere Belastung für die Zusammenarbeit sein, sodass es eines zusätzlichen Verfahrens bedarf. Damit wird aber zugleich die Grundkonstellation hervorgehoben, in der es eines Unterlassungsanspruchs bedarf. Auf diese Weise fängt man auch die Grundwertung des § 100 Abs. 1 BetrVG zugunsten der vorherigen Beteiligung wieder ein. Der Schutzzweck der Normen greift somit auch in den Fällen der kurzfristigen personellen Maßnahme, da gerade hier Beteiligungsrechte unterlaufen werden können. Sogar Gegner des allgemeinen Unterlassungsanspruchs konstatieren hier ein Schutzdefizit.568 Insoweit hat Richardi zutreffend eine verdeckte Regelungslücke festgestellt. Das Gesetz ordne Parität an, treffe 567
So Richardi DB 1974, 1285 (1289): § 100 BetrVG ist auf eine längerfristige Einstellung zugeschnitten; Sacher S. 8 f. 568 Vgl. Bengelsdorf SAE 1996, 139 (154); Konzen, NZA 1995, 865 (872) für ein Schutzdefizit, aber gegen eine Gesetzeslücke; Wernery S. 304 ff.
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2. Kap.: Die Unterlassungsansprüche des Betriebsrats
aber keine Verfahrensregelung, durch die sich die Parität verwirklichen lasse.569 Weitergehende Beschränkungen als in § 100 BetrVG vorgesehen bedarf das Beteiligungsrecht auch nach der Rechtsprechung des BAG offenkundig nicht.570 Die Praxis hat aber nicht nur bei kurzzeitigen Maßnahmen Defizite aufgedeckt. § 101 BetrVG muss unter Umständen drei Instanzen durchlaufen. So lagen denn auch in einer der ersten Entscheidungen des BAG zu § 101 BetrVG571 vier Jahre zwischen Vornahme und Rückgängigmachung. Diese zeitliche Dimension relativiert den Begriff der Kurzfristigkeit. Vier Jahre lang wurde entgegen der berechtigten Zustimmungsverweigerung des Betriebsrats eine verfahrensrechtlich nicht legitimierte Einstellung eines externen Bewerbers aufrecht erhalten. Ein Unterlassungsanspruch hätte dies verhindert. (3) Die Rechtskraft als Tatbestandsmerkmal Nach einer verbreiteten Ansicht soll § 101 BetrVG eine einstweilige negatorische Verfügung generell ausschließen. § 101 S. 2 BetrVG setzt die Rechtskraft des Beseitigungsbeschlusses voraus, bevor Zwangsmittel eingesetzt werden dürfen. Eine einstweilige Verfügung würde dann die Notwendigkeit des Hauptsacheverfahrens unterlaufen.572 Dagegen bestehen grundlegende Bedenken. So stellt § 85 ArbGG die Möglichkeit der einstweiligen Verfügung in Abs. 2 neben den § 101 BetrVG nennenden § 85 Abs. 1 ArbGG. Insofern gelten die gleichen Grundsätze wie bei § 23 Abs. 3 S. 2 ff. BetrVG.573 Davor ist richtig, von einer Sonderregelung für den Fall auszugehen, dass trotz des rechtskräftigen Beschlusses die Maßnahme nicht aufgehoben wird.574 In der Literatur finden sich daher unterschiedlich abgestufte Positionen, unter welchen Voraussetzungen eine Unterlassungsverfügung neben dem Verfahren nach § 101 BetrVG möglich ist.575 Ungeach569 So ausdrücklich Richardi DB 1974, 1285 (1289), der die Ausfüllung dieser Lücke in die Hand von Betriebsrat und Arbeitgeber legt.; LAG Hessen Beschluss vom 1.11.2005 – 4/15/5 TaBV 47/05 = juris. 570 BAG, Beschluss vom 19.1.2010 – 1 ABR 55/08 – NZA 2010, 659 (662). 571 BAG, Beschluss vom 18.7.1978 – 1 ABR 43/75 AP Nr. 1 § 101 BetrVG 1972 mit diesen Umstand hervorhebender Anm. von Meisel. 572 LAG Hamm, Beschluss vom 17.2.1998 – 13 TaBV 14/98, NZA-RR 1998, 421 (421); LAG Hamm, Beschluss vom 26.2.2007 – 10 TaBVGa 3/07 = juris Rn. 67. 573 Hierzu S. 90. 574 So auch: LAG Hessen, Beschluss vom 1.11.2005 – 4/18/5 TaBV 47/05 = juris Rn. 89 ff. 575 Dazu nur HWK-Bepler ArbGG § 85 Rn 14; Düwell/Lipke-Reinfelder ArbGG § 85 Rn 22; ErfK-Kania BetrVG § 101 Rn 8.
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tet der unterschiedlichen Abstufungen zeigen sie, dass im Bereich der personellen Einzelmaßnahmen ein Unterlassungsanspruch nicht ausgeschlossen, sondern in modifizierter Form möglich ist. ee) Fazit Dieser Exkurs war mit der Frage eingeleitet worden, ob sich aus den Sonderregelungen im Recht der personellen Mitbestimmung Argumente gegen einen verfahrenssichernden Unterlassungsanspruch gewinnen lassen. Diese Frage lässt sich jetzt verneinen: Hält sich der Arbeitgeber nicht an das Verfahren des § 100 BetrVG, so bleibt Raum für einen Unterlassungsanspruch, da die §§ 100, 101 BetrVG nicht den Rechtsschutz beschränken sollen. In den schwierigen Fällen muss der Betriebsrat die Maßnahme dulden und den Arbeitgeber in das Verfahren nach § 100 BetrVG drängen. Ein Unterlassungsanspruch ist dann ausgeschlossen. Geht man nun zum Beschluss des Bundesarbeitsgerichts zurück, so reduziert sich die Ablehnung des Anspruchs auf die Fallgruppe der nicht offensichtlich rechtswidrigen Maßnahmen, wenn die sonstigen Voraussetzungen des § 100 Abs. 2 und 3 BetrVG eingehalten worden sind. Selbst wenn man dem Bundesarbeitsgericht ohne Einschränkungen folgte, würden sich für den Unterlassungsanspruch aus §§ 111 i. V. m. § 23 Abs. 3 BetrVG aber keine zwingenden Vorgaben ergeben. Gerade die argumentativ wichtige Norm des § 100 BetrVG ist in das System der §§ 111 ff. BetrVG nicht übernommen worden. Zudem ist § 101 BetrVG eine kollektiv-rechtliche Norm, § 113 Abs. 3 BetrVG hingegen nicht. e) Die Verknüpfung von Beteiligungsrecht und Maßnahme Nachdem auch § 100 Abs. 1 BetrVG gezeigt hat, dass auch bei personellen Einzelmaßnahmen das Anterioritätsprinzip den Regelfall beschreibt, weil der Zweck der Beratung nur durch eine vorherige Konsultation erreicht werden kann, liegt es nahe, auch im Recht der wirtschaftlichen Angelegenheiten die Frage zu stellen, ob sich auch hier aus der Normsystematik die Implikation des Innehaltens bis zum Ende des Beratungsverfahrens gewinnen lässt. Folgt aus den §§ 111 ff. BetrVG die Missbilligung des Treffens der Maßnahme, so kann § 23 Abs. 3 S. 1 BetrVG analog angewandt werden.
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aa) Das Rechtzeitigkeitserfordernis § 111 BetrVG verleiht explizit keinen Unterlassungsanspruch; dies kann jedoch nicht dazu führen, dass über den Wortlaut des Beteiligungsrechts hinausgehende Implikationen zur Gänze ausgeblendet werden.576 Jedes Beteiligungsrecht hat eine Wertungsperipherie, in die auch die Frage gehört, ob die Durchführung der Maßnahme zu unterbleiben hat bis die Beteiligung ordnungsgemäß durchgeführt wurde. Nach den allgemeinen Grundsätzen der Betriebsverfassung kann man zunächst davon ausgehen, dass der Gesetzgeber grundsätzlich ein Durchführen der Maßnahme ohne vorherige Konsultation nicht akzeptieren wollte.577 Darüber hinaus kann man isoliert diskutieren, inwieweit § 111 BetrVG die Befugnis des Unternehmers, die Maßnahme zu treffen, in zeitlicher Hinsicht einschränkt. Das Bundesarbeitsgericht betont, dass die Beteiligung vor der Betriebsänderung stattfinden soll.578 Die Interessenausgleichverhandlungen sollen ergebnisoffen sein. Der Entscheidungsspielraum der Verhandlungspartner wäre entscheidend eingeschränkt, stünde das Endergebnis bereits vor Abschluss des Verfahrens fest. Das Gericht hat ferner früh hervorgehoben, dass das vorgesehene Verfahren der §§ 111, 112 BetrVG in einem Stadium abgewickelt werden müsse, in dem der Plan zur Betriebsänderung noch nicht und auch nicht einmal teilweise realisiert wurde.579 Dies folgerte das Gericht aus der Verwendung des Wortes „rechtzeitig“. Rechtzeitig bedeute „so früh wie möglich“. Diese Verwendung werde durch „geplant“ flankiert. Die Sichtweise des Bundesarbeitsgerichts bestätigt sich in der Gesetzesbegründung aus dem Jahr 1972. Dort wird ausdrücklich gefordert, dass die Durchführung der Betriebsänderung vor Abschluss des Interessenausgleichs oder ein Abweichen von diesem verhindert werden soll.580 Die Einschränkung der Unternehmerfreiheit wird nun besonders deutlich bei der Struktur von „ob“ und „wann“ der Beteiligung. Während die grundlegenden Fragen des „Ob“ zur Disposition stehen, ist das „Wann“ der Maßnahme bereits der Natur der Sache nach dem zeitlichen Verlauf des Verfahrens unterworfen. Das „Wann“ der Maßnahme unterliegt der immanenten Einschränkung des Abschlusses des Verfahrens. Diese Einschränkung erhält ihre normative Basis im Tatbestandsmerkmal „rechtzeitig“ und der damit einhergehenden Bindung an den Verfahrensprozess. In einem den 576
So aber Bengelsdorf, DB 1990, 1233 (1235). Siehe S. 40 ff. und 100. 578 BAG, Urteil vom 4.6.2003 – 10 AZR 586/02, NZA 2003, 1087 (1091). 579 BAG Urteil vom 14.9.1976 – 1 AZR 784/75, AP § 113 BetrVG 1972 Nr. 2; BAG, Urteil vom 4.6.2003 – 10 AZR 586/02, NZA 2003, 1087 (1091). 580 Bt.-Drs. VI/1786 S. 55. 577
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gesetzgeberischen Vorstellungen entsprechenden Beteiligungsverfahren folgt auf eine umfassende und rechtzeitige Information eine erschöpfende Beratung, getragen von einem Willen zur Einigung. Erst danach wird der Arbeitgeber die Maßnahme durchführen. Daher wird auch die fehlende „Rechtzeitigkeit“ der Unterrichtung durch § 121 BetrVG gesichert, ohne dass damit eigene Rechtsschutzmöglichkeiten des Betriebsrats ausgeschlossen werden.581 Einen weiteren Aspekt bildet die Vorschlagspflicht in § 112 Abs. 3 BetrVG. Ginge der Gesetzgeber davon aus, dass eine Durchführung der Maßnahme vor dem Interessenausgleich gestattet sei, bedürfte es keiner Pflicht, Meinungsverschiedenheiten über den Inhalt des Interessenausgleichs beizulegen. Somit verstärkt § 112 Abs. 3 BetrVG die allgemeine Wertung aus § 74 Abs. 1 S. 2 BetrVG. bb) § 122 InsO Dafür, dass der Gesetzgeber die Maßnahme ohne eine vorherige Beteiligung nicht dulden will, spricht auch § 122 Abs. 1 S. 1 InsO. Hiernach kann der Insolvenzverwalter beim Arbeitsgericht beantragen, ihm zu erlauben, die Betriebsänderung auch ohne eine Einigung durchzuführen. Voraussetzung dafür ist, dass eine Verhandlung überhaupt stattgefunden hat und der Arbeitgeber seinen Verpflichtungen aus § 111 BetrVG nachgekommen ist. Gerade im Insolvenzverfahren stehen flexible Handlungsmöglichkeiten im Vordergrund, im Normalfall wird man dann erst recht ein verfahrenswahrendes Unterlassen erwarten können.582 Die Norm übernimmt das durch die §§ 111 ff. BetrVG implizierte Verbot an den Arbeitgeber und lockert es auf. § 122 InsO zeigt daher, dass im Regelfall die Betriebsänderung erst nach der Einigung erfolgen soll. cc) Das Intermezzo mit den Sätzen 2 und 3 Als 1996 die Sätze 2 und 3 an § 113 BetrVG alter und mittlerweile wieder neuer Fassung angehängt wurden, gingen viele Autoren von einer Stärkung der einen Unterlassungsanspruch ablehnenden Ansicht aus.583 Umso stärker war das Echo, als 1998 eben diese Sätze gestrichen wurden. Aus der damit einhergehenden Stärkung der Betriebsratsrechte folgerte die Ge581 582 583
So bereits Lipke DB 1980, 2239, 2241. Zwanziger, BB 1998, 477 (480). Löwisch, RdA 1996, 352 (353); Heupgen, NZA 1997, 1271 (1272): erst recht.
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2. Kap.: Die Unterlassungsansprüche des Betriebsrats
genansicht eine Wertung für einen Unterlassungsanspruch.584 § 113 Abs. 3 S. 2 und 3 lauteten: „Der Unternehmer hat den Interessenausgleich versucht, wenn er den Betriebsrat gemäß § 111 Satz 1 beteiligt hat und nicht innerhalb von zwei Monaten nach Beginn der Beratungen ein Interessenausgleich nach § 112 Abs. 2 und 3 zustande gekommen ist. Wird innerhalb der Frist nach Satz 2 die Einigungsstelle angerufen endet die Frist einen Monat nach Anrufung der Einigungsstelle, wenn dadurch die Frist nach Satz 2 überschritten wird.“
Die Ergänzung sollte das Verfahren beschleunigen; in den Bundestagdrucksachen heißt es:585 „Der Unternehmer kann dann die geplante Betriebsänderung durchführen, ohne dass ihn die Sanktion des Nachteilsausgleichs [. . .] trifft.“
Diesen Passus interpretierten Bauer/Göpfert dahin gehend, dass der Unternehmer nach Ablauf der Frist in seiner Entscheidung frei sei.586 Zudem bestehe kein Unterlassungsanspruch vor dem Ablauf der Frist, denn der Gesetzgeber habe mit der Neuregelung die betriebsverfassungsrechtlichen Pflichten abschließend definiert. Bertzbach hingegen erblickte in der Änderung der Norm keine direkte Einflussnahme auf den Streitstand, der Unterlassungsanspruch sei nur zeitlich beschränkt worden.587 Weiter wurde zum Teil gefolgert, dass derjenige, der innerhalb einer Frist verpflichtet sei, zu einem Interessenausgleich zu gelangen, jedenfalls innerhalb dieser Pflicht alles unterlassen müsse, was dem Interessenausgleich entgegenstehe.588 Insbesondere wurde die Frist als eine Art Garantie aufgefasst, in diesen zeitlichen Zustand überhaupt erst einzutreten.589 Nach nur zwei Jahren wurde die Ergänzung wieder entfernt. Begründet wurde die Rücknahme wie folgt: „Dem Betriebsrat soll es wieder ermöglicht werden, mit dem Arbeitgeber Alternativen zur geplanten Betriebsänderung in einem Zeitraum zu beraten, der nach Umfang, Schwierigkeit und Tragweite der Umstrukturierung erforderlich ist, um zu sachgerechten Lösungen kommen zu können.“590
584
Vgl. Bruns, AuR 2003, 15 (17); Zabel, AuR 2008, 173 (173). Bt-Drs. 13/5107, S. 31. 586 Bauer/Göpfert, DB 1997, 1464 (1470). 587 Bertzbach, FS Heinrichs, 1 (7). Bereits dieser Gedanke ist nicht zwingend notwendig. Man kann die Ergänzung auch alleine auf die zeitliche Dimension des individualrechtlichen Nachteilsausgleichs beziehen, so zu Recht Fischer, AuR 1997, 177 (180). 588 Heither, FS Däubler, 338 (342). 589 So wohl Fischer, NZA 1997, 177 (181). 590 Bt-Drs. 14/45, S. 17. 585
G. Der verfahrenssichernde Unterlassungsanspruch
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Dieses Zwischenspiel dokumentiert das Zusammenspiel von Beteiligungsrecht und Sanktionsebene. Anstatt das Beteiligungsrecht zeitlich zu beschränken, limitierte der Gesetzgeber ein Instrumentarium der sekundären Rechtsdurchsetzung. Vor dem Verständnis des Rechts als einem axiologischen System591 liegt der hermeneutische Wert dieses Intermezzos v. a. darin, dass es die Parameter des § 111 BetrVG sowohl in die eine als auch in die andere Richtung ausleuchtet und die gesetzgeberische Wertentscheidung aufflackern lässt. Am Ende der Konsultation soll eine sachgerechte Lösung stehen, der Gesetzgeber betont den Weg dorthin und institutionalisiert eine Gewährleistung der Beteiligung des Betriebsrats („ermöglicht“). Unmittelbar besitzt diese Aussage keine Auswirkung auf den Unterlassungsanspruch, mittelbar konturiert sie das Beteiligungsrecht und die gesetzgeberische Vorstellung eines unbedingten Vorhers. Die Durchführung der Maßnahme ist damit an die vorherige Konsultation gebunden. f) Die rechtliche Bewertung der hypothetischen Beteiligung Angesichts der im Beteiligungsrecht angelegten Unterlassungsentscheidung des Gesetzgebers argumentiert Mauthner, dass der Unterlassungsanspruch lediglich den Zustand wiederherstelle, der bei einem rechtsgetreuen Verhalten sowieso bestünde.592 Bei einer ordnungsgemäßen Beteiligung käme es schließlich auch zu einer Verzögerung. Wenn bereits beim regelgemäßen Verhalten die Unterlassung angelegt ist, dann müsse diese Verpflichtung erst recht im widerrechtlichen Verhalten begründet sein. Man kann zwar nur hypothetisch betrachten, ob die rechtmäßige Beteiligung kürzer dauern würde als die erzwungene. Das dürfte aber in der Regel der Fall sein. Die längere Dauer rechtfertigt sich daraus, dass das Verhalten des Unternehmers betriebsverfassungswidrig ist. Auch der Betriebsrat steht praktisch schlechter da als im Falle erfolgter Beteiligung. Zudem hängt der Anspruch in diesem Stadium vom Handeln des Unternehmers ab. Dieser hat nämlich eine Möglichkeit, den Weg zur Realisierung seiner Unternehmerfreiheit zu öffnen: Er kann zu jeder Zeit beteiligen. Diese Möglichkeit kompensiert die drohende zeitliche Suspension seiner Rechte. Im Endeffekt läuft die gesamte Rechtslage darauf hinaus, dass der Beteiligungspflicht entsprochen wird. Der Unterlassungsanspruch gewährt damit keine privilegierte Stellung im Vergleich zu dem, was nicht schon im Gesetz angelegt wäre.
591 592
Canaris, Systemdenken, S. 40 ff. Mauthner, S. 198; Lobinger, FS Richardi, 657 (672).
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2. Kap.: Die Unterlassungsansprüche des Betriebsrats
g) Die Letztentscheidungskompetenz Der Unternehmer hat das alleinige Letztentscheidungsrecht,593 ob und wie er die Betriebsänderung durchführt. Hierbei sieht sich der Unternehmer dem faktischen Druck aus der vorverlagerten Beteiligung ausgesetzt. Dogmatisch betrachtet, erzwingt das Letztentscheidungsrecht nicht, dass der Arbeitgeber ohne Konsultation agieren kann.594 Vielmehr wird mit dieser Berechtigung umschrieben, dass nach dem abgeschlossenen Beteiligungsverfahren in den Grenzen des § 113 Abs. 1 BetrVG die Berechtigung existiert, die Betriebsänderung nach den eigenen Vorstellungen zu treffen.595 Der verfahrenssichernde Unterlassungsanspruch verfügt über keine inhaltlich-gestaltende Komponente, sondern einzig über eine zeitliche. Problematisch ist daher allein die Konstellation, in der sich der Arbeitgeber beharrlich weigert, den Betriebsrat zu konsultieren. Nur wenn man diese Fallgestaltung weiterführte, würde der Unterlassungsanspruch durch die Suspendierung des Treffens der Maßnahme auch das Letztentscheidungsrecht beeinträchtigen. Diese Problematik entlarvt sich indes als ein Scheinproblem. Der Unterlassungsanspruch steht dogmatisch wegen seiner teleologischen Koppelung an die Anteriorität des Beteiligungsrechts unter der auflösenden Bedingung der Beteiligung des Betriebsrats.596 Während der Unterlassung der Maßnahme kann der Betriebsrat die Beteiligung gerichtlich durchsetzen. Ist das Beteiligungsrecht erfüllt, endet auch der Unterlassungsanspruch. Eine endlose Inanspruchnahme der Unternehmerfreiheit ist folglich nicht zu besorgen.597 In einem extrem gelagerten Fall, in dem der Betriebsrat von einer gerichtlichen Durchsetzung seines Beteiligungsrechts absieht, dürfte der Ausübung des Unterlassungsanspruchs § 2 Abs. 1 BetrVG in Form einer Duldungspflicht entgegenstehen, weil der Anspruch dann kein schützenswertes Interesse mehr sichert. Die Freiheit des Unternehmers wäre wiederhergestellt. Des Weiteren steht mit der Möglichkeit der prozessualen Befristung ein Mittel zur Verfügung, um praktisch befriedigende Ergebnisse herbeizuführen:598 Der Arbeitgeber wird nur zeitweise in seinen Befugnissen eingeschränkt, und der Betriebsrat kann – so er der Meinung ist, dass das Be593
Kohte, FS Richardi, 601 (612 f.); FESTL, § 111 Rn. 5. Kohte, FS Richardi, 601 (613); HaKo-Kohte, RL 2002/14/EG Rn. 43. 595 Kohte, FS Richardi 601 (612 f.). 596 LAG Thüringen, Beschluss vom 26.9.2000 – 1 TaBV 14/2000, LAGE, § 111 BetrVG 1972, Nr. 17. 597 Dazu bereits Lipke, DB 1990, 2239 (2241). 598 Hess. LAG, Urteil vom 27.6.2007 – 4 TaBVGa 137/07, AuR 2008, 267 (268); Hess. LAG, Beschluss vom 21.9.1982 – 4 TaBV Ga 94/82, DB 1983, 613 (613 f.): 594
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teiligungsrecht nicht erfüllt worden sei – im Notfall wieder vor Gericht ziehen. Der Fall wird dann erneut rechtlich geprüft. 3. Ergebnis Im Konflikt zwischen Freiheit der Durchführung der Maßnahme und Notwendigkeit der Beteiligung spricht das System des Beteiligungsrechts eindeutig zugunsten einer immanenten Wertung, die Durchführung der Maßnahme vor der Beteiligung zu unterlassen.
VI. Der Unterlassungsanspruch als unzulässiges Druckmittel? Weiter wird von der ablehnenden Ansicht geltend gemacht, dass ein Unterlassungsanspruch dem Betriebsrat ein unzulässiges Druckmittel beim Aushandeln von Interessenausgleich und Sozialplan an die Hand gebe.599 Der Arbeitgeber trage das Unternehmensrisiko allein. Der Faktor Zeit bedeute daher für den Unternehmer erhöhte Kosten und begründete eine Verhandlungsmacht beim Betriebsrat. Dies erscheint auf den ersten Blick in der Tat bedenklich. Allerdings dringen diese Bedenken nicht durch. So hat Raab zu Recht darauf hingewiesen, dass ein Rechtsmissbrauch nicht dazu führen dürfe, dass das Recht an sich verneint werde.600 Die Betriebsverfassung kennt mit § 2 Abs. 1 BetrVG auch gerade ein Instrument, welches dem Rechtsmissbrauch entgegenwirke. Wird Druck ausgeübt, so steht dem § 2 Abs. 1 BetrVG entgegen. Einen etwaigen Druck in den Verhandlungen kann der Arbeitgeber mit dem Hinweis auf die stattfindende Beteiligung entkräften – der Unterlassungsanspruch sichert im Ausgangspunkt nur die Beteiligung und nicht die Ergebnisse. Der Arbeitgeber kann die Beteiligung einleiten. Verhandelt der Betriebsrat nicht mit, so entfällt der Unterlassungsanspruch mangels schützenswerten Interesses gem. § 2 Abs. 1 BetrVG. Dass § 111 BetrVG dem Betriebsrat nicht die gleichen taktischen Möglichkeiten an die Hand geben kann wie etwa § 87 BetrVG versteht sich vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Rechtsqualität von selbst. Auf diese Besonderheit wird aber über § 2 Abs. 1 BetrVG bereits durch die Betriebsverfassung reagiert. nur für die Dauer einer angemessenen Verhandlungsfrist; HaKo-Kohte, Anhang, RL 2002/14 Rn. 43; Bruns, AuR 2003, 15 (19); Heither, FS Däubler, 338 (342). 599 Hümmerich/Spirolke, BB 1996, 1986 (1986); Bengelsdorf, DB 1990, 1233 (1237). 600 Raab ZfA 1997, 183 (218).
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2. Kap.: Die Unterlassungsansprüche des Betriebsrats
VII. Kein Schadenersatz nach § 945 ZPO Nicht selten wird zur Ablehnung des Unterlassungsanspruchs auf § 945 ZPO verwiesen.601 Gerade im Bereich der Betriebsänderung kann es zu kostenintensiven zeitlichen Verzögerungen bei der Realisierung eines unbegründeten Unterlassungsanspruchs kommen. Es sind irreparable Schäden bis hin zur Insolvenz denkbar, für die alleine der Unternehmer einstehen müsste. Daraus wird die Unzumutbarkeit des wirtschaftlichen Risikos und hieraus wiederum die Unzulässigkeit des Unterlassungsanspruchs gefolgert. Das Problem, dass gemäß § 85 Abs. 2 S. 2 ArbGG im Beschlussverfahren kein Schadenersatz für eine rechtwidrige einstweilige Anordnung zu leisten ist, verkörpert ein allgemeines Strukturproblem der einstweiligen Untersagung von Arbeitgebermaßnahmen. Betriebsänderungen kommen zudem in der Regel nicht aus heiterem Himmel – dort, wo die Unternehmerfreiheit regiert, verlangt sie vom Unternehmer vorausschauendes Planen sowie einen Entwurf der wirtschaftlichen Aktivitäten. Über den damit gewonnenen Zeitraum verlieren Verzögerungen durch die zeitgerechte Beteiligung ihren Schrecken.602 Dringliche wirtschaftliche Notfälle liegen lediglich in seltenen Einzelfällen vor, und selbst bei solchen liegt es fern, dass ein Betriebsrat das Unternehmen sehenden Auges in die Insolvenz treibt oder willentlich schädigt. Das BetrVG kann daher nicht mit einem solchen Leitbild ausgelegt werden. Der Gesetzgeber bürdet beiden Parteien hohe Verantwortung für den Betrieb auf. Damit geht ein Vertrauen in die Vernünftigkeit der Verhandlungsführung einher. Richtig ist es, eine etwaige Existenzbedrohung des Arbeitgebers als solche in den Abwägungsprozess einfließen zu lassen – spätestens bei der Bewertung des Verfügungsgrundes. Der Ausschluss des § 945 ZPO, der mit der Vermögenslosigkeit des Betriebsrats korrespondiert, ist kein Argument gegen den in § 85 Abs. 2 ArbGG vorausgesetzten Verfügungsanspruch des Betriebsrats, sondern ein Element im Rahmen der Abwägung bei der Prüfung des Verfügungsgrunds.603 Die generelle Ausgestaltung des einstweiligen Rechtsschutzes im Beschlussverfahren hat somit keine materiell-rechtlichen Rückwirkungen, mit deren Hilfe die Existenz eines Unterlassungsanspruchs negiert werden kann.
601 Ehrich, BB 1993, 356 (359); stärker auf die Abwägung im Verfügungsgrund bezogen: Schlochauer, ArbR der Gegenwart (20), 61 (68). 602 So schon Fauser/Nacken, NZA 2006, 1136 (1139). 603 HWK-Bepler ArbGG § 85 Rn 13; Düwell/Lipke-Reinfelder ArbGG § 85 Rn 21; ErfK-Koch ArbGG § 85 Rn 5.
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VIII. Zwischenergebnis Das Beratungsrecht des § 111 BetrVG erfordert während seines Bestehens das Unterlassen der Maßnahme bis zum Abschluss des Beratungsverfahrens. Hinter diesem Postulat bleibt § 23 Abs. 3 S. 1 BetrVG zurück. Zur Überwindung dieses Widerspruchs ist § 23 Abs. 3 wegen der vorrangigen Wertung aus § 111 BetrVG dergestalt zu extendieren, dass er im Fall der drohenden Verletzung als Vehikel dieser Unterlassungsverpflichtung fungiert. §§ 111, 23 Abs. 3 analog BetrVG gewähren dem Betriebsrat somit einen Unterlassungsanspruch bis zur Beendigung des Beteiligungsverfahrens. Dieser Anspruch geht nicht über das hinaus, was in den §§ 111 ff. BetrVG angelegt ist. Die Geltendmachung eines Unterlassungsanspruchs in Verbindung mit der Durchführung der Beteiligung ist von der Wirkung nicht anders zu beurteilen als eine Beteiligungslage mit implizierter einseitiger Unterlassungsverpflichtung des Arbeitgebers. In beiden Fällen liegt eine Kombination aus Unterlassungs- und Beteiligungsverpflichtung vor. Solange der Arbeitgeber die Beteiligung nicht durchführt, muss er die Durchführung der Maßnahme wegen der suspensiven Wirkung der zeitlichen Tatbestandsmerkmale unterlassen. Eine allumfassende Unternehmerfreiheit liegt den §§ 111–113 BetrVG nicht zugrunde. Allein die jedem Beratungsrecht innewohnende Letztentscheidungskompetenz wird durch die §§ 111–113 BetrVG nicht angerührt – der Anspruch wirkt lediglich zeitweilig und verhandlungsbegleitend.604 Schließlich hat der Arbeitgeber eine Möglichkeit inne, die Inanspruchnahme der Freiheit zu umgehen: Er kann schon durch pflichtgemäßes Handeln den Anspruch verhindern.605 Auch gerade wegen der Unternehmerfreiheit wird vom Arbeitgeber erwartet, dass er alle Belange bzw. Argumente einholt und in den Entscheidungsprozess einbezieht.606 Sucht man nach umfassender Unternehmerfreiheit, so findet man sie – folgt man dem Umkehrschluss aus § 111 BetrVG – bei Maßnahmen, die sich nicht negativ auf Arbeitnehmer auswirken können. Insgesamt kann die herrschende Meinung mit ihren Argumenten nicht durchdringen. Das Konzept eines Unterlassungsanspruchs mit erhöhten Pflichten des Betriebsrats ist vorzugswürdig, andernfalls stünde die Beratung zur Disposition des Arbeitgebers. Diese Konzeption entspricht zudem dem gesetzgeberischen Leitbild des Ablaufs der Beteiligung und damit nur 604 605 606
HaKo-Kohte, RL 2002/14/EG, Rn. 43. Gruber, NZA 2011, 1011 (1017). Kohte, FS 50 Jahre BAG, 1219 (1248).
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2. Kap.: Die Unterlassungsansprüche des Betriebsrats
dessen sanktionsrechtlicher Fortsetzung. Zugleich zeigt diese Konzeption, dass und warum hier der Unterlassungsanspruch nicht als paritätischer Anspruch, sondern als verfahrenssichernder Anspruch ausgestaltet ist.607
IX. Die Auswirkungen der Richtlinie 2002/14/EG Jenseits der Argumente des deutschen Rechts könnte als maßgeblicher Aspekt bei der Lösung der Kontroverse das Europarecht in Form der Richtlinien der Europäischen Betriebsverfassung dienen. Die deutschen Gerichte könnten nämlich verpflichtet sein, die Betriebsverfassung in den wirtschaftlichen Angelegenheiten richtlinienkonform auszulegen bzw. fortzubilden und folglich dem Betriebsrat einen Unterlassungsanspruch zuzusprechen. Besonders relevant ist die Richtlinie 2002/14/EG, deren Umsetzungsfrist am 23.03.2005 verstrichen ist (vgl. Art. 11 Abs. 1 S. 1 HS. 1 RL 2002/14/ EG). Diese Richtlinie regelt Mindestanforderungen und erfordert die Schaffung eines generellen Rahmens für die Information und Anhörung der Arbeitnehmer in der Europäischen Union. In Präzisierung dieser Vorgabe fordert Art. 8 Abs. 1 RL 2002/14/EG die Mitgliedstaaten auf, geeignete Maßnahmen für den Fall der Nichteinhaltung der von der Richtlinie verlangten und umgesetzten Rechte zu schaffen. Absatz 2 spricht weiter davon, dass die Mitgliedstaaten im Falle eines Verstoßes gegen die Richtlinienbestimmungen Sanktionen vorsehen sollen. Diese müssen ihrerseits wirksam, angemessen und abschreckend sein. Vor dem Hintergrund dieser unionsrechtlichen Anforderungen vertreten zunehmend Autoren die Herleitung des Unterlassungsanspruchs unter richtlinienkonformer Auslegung bzw. Rechtsfortbildung.608 Die lange Zeit herrschende Meinung sieht die vorhandenen Sicherungsinstrumente vor den europarechtlichen Anforderungen als ausreichend an.609 1. Die Europäisierung der elementaren Fragestellungen Ebenso wie das BetrVG äußert sich auch die Richtlinie 2002/14/EG nicht ausdrücklich zu der Frage, ob die Beteiligungsrechte mittels eines all607
Zur Sicherung der Verfahrensloyalität Derleder AuR 1995, 13 (18). Zabel, AuR 2008, 173 (174); Fauser/Nacken NZA 2006, 1136; Karthus, AuR 2007, 114 (118 ff.); Schulze-Doll/Ritschel, AuR 2008, 268 (269); Gruber NZA 2011, 1011; HWK-Bepler ArbGG § 85 Rn. 11; HaKo-Steffan §§ 112,112a Rn. 15; wohl auch Richardi-Annuß, § 111 Rn. 168; zur RL 98/58/EG: ArbG Regensburg, Beschluss vom 24.6.2005 – 3 BVGa 5/05 S = juris. 609 Reichold, NZA 2003, 289 (299); Giesen, RdA 2000, 298 (303); Walker, ZfA 2004, 501 (527 f.); Walker, FA 2008, 290 (292); Seitz, S. 155 Fn. 819. 608
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gemeinen Unterlassungsanspruchs sicherbar sind. Die Rechtsordnungen in Europa sind in der Frage der Ausgestaltung der Rechte der Arbeitnehmervertreter zudem so verschieden, dass eine allgemeine europarechtliche Forderung nach einem Unterlassungsanspruch nach deutschem Verständnis dort zu Verzerrungen führen könnte, wo diese vor den Vorgaben des Europarechts und insbesondere dessen Durchsetzung gar nicht notwendig wären, weil ein praktisch wirksames Durchsetzungssystem besteht.610 Zudem bestehen auf nationaler Ebene unterschiedliche Auffassung von der Reichweite und Durchsetzung der Beteiligungsrechte. Nach englischem Recht etwa kann das Arbeitsgericht nur mittelbar über das Central Arbitration Comittee angerufen werden, um eine Geldstrafe zu beantragen.611 Außerdem kann das Central Arbitration Comittee selbst die Entscheidungen des Arbeitgebers nicht aufhalten612 und hat keinen Zugang zu den Gerichten in diesen Fällen. Großbritannien repräsentiert freilich einen Sonderfall, in der Regel bestehen die Unterschiede darin, wie die Realisierung einer beteiligungswidrigen Maßnahme unterbunden werden kann. Frankreich hat sich trotz des Bestehens einer Arbeitsverwaltung für den gerichtlichen Weg entschieden. Die Gerichte untersagen dort beteiligungspflichtige Maßnahmen. In Spanien erfolgt die Durchsetzung bislang nicht mit Hilfe eines Unterlassungsanspruchs, sondern durch Sanktionen der Arbeitsaufsichtsbehörden.613 Generell erweisen sich die Diskussionen um den Unterlassungsanspruch sowie die Art und Weise, in der sie geführt wird, als ein spezifisch deutsches Phänomen.614 Die hinter dem Problem des Unterlassungsanspruchs stehenden Fragen der Umgehungsmöglichkeit der Rechte, der Struktur und Sicherung können europäisiert werden – die Frage nach dem Unterlassungsanspruch per se nicht. Ein „Unterlassungsanspruch des Betriebsrats“ kann daher einzig aus der Synergie mit dem deutschen Recht folgen. Insoweit ist die Richtlinie auf ihre Vorgaben für die Ausformung des deutschen Rechts zu untersuchen. Ausgangspunkte bilden das zur Entscheidung berufene Gericht und dessen Konfrontation mit einem Unterlassungsantrag des Betriebsrats in der Fallkonstellation, dass der Arbeitgeber die beteiligungspflichtige Maßnahme ohne vorherige und vollständige Beteiligung durchführen will. Die Handlungsformen des Gerichts in dieser Situation sind in die Rechtsgewinnung 610
Vgl. Weiss, NZA 2003, 177 (177); Überblick für die „neuen“ EU-Mitglieder: Höland, FS Wissmann, 558 (575). 611 Buhlinger, S. 157 f. 612 Lorber, IJCLLIR 2006, 231 (251). 613 Henssler/Braun-Calle, Spanien, Rn. 186. 614 Malmberg-Malmberg, S. 180.
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mit einzubeziehen. Anders als der EuGH hat das deutsche Gericht nämlich Zugriff auf das deutsche und das europäische Recht als Rechtserkenntnisquellen. 2. Die Vorgaben der Richtlinie für die Sicherung der Beteiligungsrechte a) Die Auslegung europäischen Rechts Der EuGH hat in ständiger Rechtsprechung eine eigene Auslegungsmethodik entwickelt. Im Wesentlichen bedient sich das Gericht des in der deutschen Methodik bekannten Kanons. Das Gericht wird dabei nicht müde zu betonen, dass jede Vorschrift des Europarechts im Lichte des gesamten Europarechts sowie seiner Ziele auszulegen ist (ganzheitliches Verständnis).615 Die Begriffe müssen zudem grundsätzlich autonom und einheitlich ausgelegt werden.616 Daraus resultiert das wesentliche Kernproblem der Gewichtung des Wortlautarguments. Richtlinien werden in eine Vielzahl von Sprachen übersetzt, und alle Fassungen bilden gleichberechtigtes Interpretationsmaterial.617 So hat das Gericht beispielsweise in der Rechtssache Institute of the Motor Industry618 festgelegt, dass die in einer der Sprachfassungen einer unionsrechtlichen Vorschrift verwendete Formulierung nicht als alleinige Grundlage für die Auslegung dieser Vorschrift herangezogen werden oder gar Vorrang vor anderen Formulierungen beanspruchen könne. Es gehe vielmehr um eine Auslegung der betreffenden Vorschrift nach dem allgemeinen Aufbau und dem Zweck der Regelung. Dabei ist zu erwähnen, dass die interne Arbeitssprache des EuGH Französisch ist; praktisch beginnt damit die Auslegung der Rechtssätze mit der französischen Version.619 Dem folgend, geht die überwiegende Methodenlehre davon aus, dass ein sprachliches Mehrheitsverhältnis (nur) ein Indiz bzw. einen Anhaltpunkt620 für eine Auslegungsalternative darstellt. Metho615 Bleckmann, ZGR 1992, 364 (365 f.); zur Zielgerichtetheit: Schroeder, JuS 2004, 180 (186). 616 Riesenhuber I-Riesenhuber § 11 Rn. 4 ff.; ErfK-Wißmann Art. 267 Rn. 8 f. 617 Müller/Christensen, Rn. 8 ff. 618 EuGH, Urteil vom 12.11.1998 – C-149/97 (Institute of Motor Industry), Slg. 1998 I, 7053 (7079); schon vorher Urteil vom 27. März – C-372/88 (Cricket St. Thomas), Slg. 1990 I 1370 (1376); EuGH, Urteil vom 27.10.1977 – C-30/77 (Bouchereau) Slg. 1977, 1999 (2010); jüngst EuGH, Urteil vom 15.4.2010 – C 511/08 (Heinrich Heine). 619 Colneric, ZEuP 2005, 225 (227). 620 Müller/Christensen, Rn. 12 ff., unter Nennung weiterer Konzeptionen; Riesenhuber I-Pechstein/Drechsler § 8 Rn. 20.
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disch kann man von einem wertenden Rechtssprachenvergleich ausgehen, bei dem nicht die Zahl entscheidet, sondern der Umstand, ob die Fassung dem Sinn und Zweck der Regelung am besten entspricht.621 In der Entscheidung Junk brachte der EuGH einen wesentlichen Teil seiner Interpretationsmethodik bei Richtlinien auf diesen Punkt. So verbiete sich eine isolierte Betrachtung. Die Richtlinie sei vielmehr nach dem wirklichen Willen ihres Urhebers und dem von diesem verfolgten Zweck namentlich im Lichte ihrer Fassung in allen Sprachen auszulegen.622 Der EuGH hat im Fall Bouchereau schließlich herausgearbeitet, dass ein gemeinsamer europäischer Begriff erst am Ende des Auslegungsprozesses steht.623 Als wichtiger Interpretationsgrundsatz des EuGH ist der effet utile, der Grundsatz der praktischen Wirksamkeit, zu nennen. Über dieses Instrumentarium kann der EuGH verschiedene Auslegungsmöglichkeiten auf ihre „nützliche Wirkung“ für die Verwirklichung der Vertragsziele untersuchen.624 Speziell für Richtlinien steht im Fokus, über das Auslegungsergebnis den mit der Richtlinie gewollten rechtlichen Zustand vorzugeben.625 Ein weiteres methodisches Novum ist der Rekurs auf die Erwägungsgründe. Die Erwägungsgründe eines Rechtsaktes der Europäischen Union besitzen zwar per se keinen normativen Gehalt, gleichwohl begründen sie vielmehr die wichtigsten Bestimmungen des Rechtsaktes und liefern folglich verlässliche Auslegungshilfen. Erwägungsgründe haben nämlich im Gegensatz zu Gesetzesmaterialien im deutschen Recht teil an der Autorität des publizierten Normtextes.626 b) Der rechtliche Rahmen In allen europäischen Staaten hat sich die Überzeugung durchgesetzt, dass die Organisation des Arbeitsprozesses nicht allein im Belieben des Unternehmers steht, sondern die Arbeitnehmer an dieser beteiligt werden müssen.627 Dies führt auf mehreren Ebenen zu Vorgaben für die Ausgestaltung des nationalen Rechts.
621
Streinz, Rn. 275. EuGH, Urteil vom 27.1.2005 – C-188/03 (Junk), NJW 2005, 1099 (1099 f.). 623 EuGH, Urteil vom 27.10.1977 – C-30/77 (Bouchereau), Slg. 1977, 1999 (2010): vorher Auslegung nach dem Aufbau und dem Zweck der Regelung; Haltern Rn. 629. 624 Vgl. Streinz, Rn. 570; Moreau, dr. social 1997, 493 (499). 625 Bauckhage, S. 211; Skouris, Zeus 2005, 463 (465). 626 Riesenhuber II-Köndgen, § 7 Rn. 21. 627 Ausführlich Fuchs/Marhold, S. 12 ff. 622
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aa) Die Europäische Betriebsverfassung Die bereits erwähnte Richtlinie 2002/14/EG ist in einen größeren Kontext eingebettet, der als Europäische Betriebsverfassung bezeichnet werden kann.628 Neben die Richtlinie 2002/14/EG treten die Richtlinie 2009/38/EG bzw. 94/45/EG über die Einsetzung eines Europäischen Betriebsrats oder die Schaffung eines Verfahrens zur Information und Konsultation der Arbeitnehmer in unionsweit operierenden Unternehmen und Unternehmensgruppen und die Richtlinie 98/59 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen sowie die Richtlinie 2001/23/EG zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen. Die EU spricht auch von einem gemeinschaftlichen Rahmen, vgl. Erwägungsgrund 9 der Richtlinie 2009/38/EG. Allerdings betritt die Union mit der Richtlinie 2002/14/EG regelungstechnisch Neuland, denn während sie mit den vorangegangenen Richtlinien einen fragmentarischen bzw. punktuellen Ansatz verfolgte, stellt diese Richtlinie einen allgemeinen Mindeststandard auf.629 Zugleich setzt sie am vorhandenen rechtlichen Besitzstand an und lässt diese speziellen Regelungen unberührt, vgl. Art. 9 RL 2002/14/EG. Die Kompetenz der Union für derartige kollektivrechtliche Richtlinien im Bereich der Information und Anhörung der Arbeitnehmer liegt in Art. 153 Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 lit. e) und f) AEUV.630
628 Düwell, FA 2002, 172 (172); Reichold, NZA 2003, 289 (289). Von einer Betriebsverfassung in europäischen Dimensionen zu reden, setzt angesichts der Vielzahl von Ländern, die die betriebliche Repräsentation u. a. auch auf die Gewerkschaft delegieren, voraus, dass sie nicht mit der deutschen Betriebsverfassung identifiziert wird. Für das deutsche Betriebsverfassungsrecht bildet dieses Richtlinienkonvolut aber den rechtlichen Rahmen, sodass im Rahmen der zu erörternden Problemstellung die Terminologie beibehalten werden kann. 629 In der neueren Rechtsentwicklung ist ergänzend noch das Beteiligungssystem der societas europaea zu nennen. Für die Gesellschaftsform der societas europaea gelten besondere bzw. spezielle Regelungen: die Verordnung Nr. 2157/2001 über das Statut einer Europäischen Aktiengesellschaft und die Richtlinie 2001/86/EG zur Ergänzung des Statuts der Europäischen Gesellschaft hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer. 630 Der ursprüngliche Entwurf zur Richtlinie 2002/14 stützte sich noch auf den identischen Art. 2 Abs. 2 des Abkommens über Sozialpolitik, welche durch den Amsterdamer Vertrag in den EGV überführt wurde.
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bb) Recht der Arbeitnehmer auf Unterrichtung und Anhörung Hinter diesen Richtlinien – das macht auch Art. 153 AEUV deutlich – steht das Recht der Arbeitnehmer auf Unterrichtung und Anhörung, wie es Art. 17 der Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer – auf diese Norm nimmt Erwägungsgrund 2 der Richtlinie 2002/14/EG explizit Bezug – und Art. 27 der Europäischen Grundrechte-Charta (EGCh) voraussetzen. Zumindest die EGCh dient als Ausdruck gemeinsamer Grundüberzeugung aller Mitgliedstaaten und damit als Rechtserkenntnisquelle.631 Die Normen des Unionsrechts sind daher auch im Lichte des Art. 27 EGCh grundrechtskonform auszulegen, umso zu einer möglichst effektiven Anhörung und Unterrichtung der Arbeitnehmer zu gelangen.632 Waren diese Vorgaben früher impliziert, so sind sie jetzt vor dem Hintergrund des Art. 6 EUV ausdrücklich geregelt. Für die Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer gilt die Besonderheit, dass die Richtlinie deren Anforderungen konkretisieren soll: Erwägungsgrund 2 der Richtlinie 2002/14 geht über ein bloßes Zitieren des Vertrages hinaus. Durch ihn nimmt die Richtlinie das Ziel und die Forderung des Art. 17 der Gemeinschaftscharta der Grundrechte der Arbeitnehmer in sich auf, die Rechte der Arbeitnehmer in geeigneter Weise weiterzuentwickeln. Diese Vorgabe gilt sowohl für den Entwurf der Richtlinie selbst als auch für die Interpretation bzw. Fortbildung der Normen durch den EuGH. Ein genereller Rahmen lässt dem Recht auf Information und Anhörung in seinen konkreten Ausformungen ein diese Berechtigungen garantierendes Durchsetzungsregime folgen. cc) Die Beteiligungsrechte der Richtlinie und die Struktur von Entscheidung und Einflussnahme Den Ausgangspunkt für die Herleitung eines Unterlassungsanspruchs bildet die vorgegebene Struktur des Beteiligungsverfahrens in der Richtlinie. Sofern eine freiwillige Festlegung des Umfangs der Modalitäten dieser Rechte i. S. v. Art. 5 der RL 2002/14/EG nicht getroffen wurde, regelt die Richtlinie das Recht auf Unterrichtung und Anhörung. Sie enthält drei ge631 Everling, GS Heinze, 157 (158); Jarass, § 29 Rn. 1 u. 6: „[. . .] bei der Auslegung des einschlägigen Sekundärrechts und bei der Auslegung des nationalen Rechts zu berücksichtigen.“; hinsichtlich der Charta der sozialen Grundrechte dürfte nunmehr nichts anderes gelten, mit der Anerkennung der Europäischen Grundrechtecharta wird diese Quelle in der Präambel aufgewertet, hinzukommt Art 151; ferner deutlich: EuGH, Urteil vom 11.12.2007 – C-438/05 = juris.de Rn. 43 u. 44. 632 Rengeling/Szczekalla Rn. 1005 (S. 806).
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2. Kap.: Die Unterlassungsansprüche des Betriebsrats
neralisierte Mitwirkungstatbestände. In Art. 4 Abs. 2 lit. a) statuiert sie ein Unterrichtungsrecht der Arbeitnehmervertretung bezüglich der jüngsten Entwicklung und der wahrscheinlichen Weiterentwicklung der Tätigkeit sowie der wirtschaftlichen Situation des Unternehmens. Neben dieses Informationsrecht treten die Konsultationsrechte in den lit. b) und c), in denen es um die Beschäftigungsstruktur, -situation und -entwicklung sowie um wirtschaftliche Entscheidungen, welche wesentliche Veränderungen der Arbeitsorganisation oder der Arbeitsverträge mit sich bringen können, geht. Im Vergleich zur Struktur des BetrVG sind die Beteiligungstatbestände im Rahmen von Art. 4 Abs. 2 RL nicht allein auf die Durchführung spezifischer Maßnahme angelegt, sondern weiter gefasst. Insofern sind die Möglichkeiten Einfluss zu nehmen in einen allgemeineren Kontext eingebettet. Bei Art. 4 Abs. 2 lit. a) ist etwa ein Zusammenhang von einer etwaigen Entscheidung des Unternehmers nicht auszumachen. Vielmehr ist die Informationspflicht an die tatsächliche und erwartete Veränderung gekoppelt. Anders sieht dies im Falle des lit. b) aus. Dort wird lediglich eine geplante antizipative Maßnahme zum Gegenstand der Beratung. In lit. c) wird die Verknüpfung der Entscheidung mit der Konsultation, welche wesentliche Veränderungen der Arbeitsorganisation oder der Arbeitsverträge mit sich bringen kann, vorgenommen. Hier zeigt sich die aus der Betriebsverfassung bekannte Struktur der maßnahmebezogenen Beratung deutlich. Wenn nun die Richtlinie von Anhörung spricht, so ist dieser Begriff nicht mit dem des Betriebsverfassungsrechts gleichzusetzen. Gemäß der Legaldefinition in Art. 2 g) der RL 2002/14/EG bezeichnet dieser Begriff die Durchführung eines Meinungsaustauschs und eines Dialogs zwischen Arbeitnehmervertretern und Arbeitgeber. Das hier umschriebene Beteiligungsverfahren kommt in den anderssprachigen Fassungen mit der Bezeichnung consultation etc. besser zum Ausdruck.633 Betrachtet man dieses Konsultationsrecht noch genauer, geht es auch über den wohl herrschenden betriebsverfassungsrechtlichen Beratungsbegriff hinaus. Der EuGH hat den Begriff der Konsultation im Kontext der Massenentlassungsrichtlinie (98/59/EG) näher erläutert und das Verhandlungsmoment in der Beratung gestärkt.634 Der EuGH spricht davon, dass die Verpflichtung besteht, auf eine Einigung hin zu verhandeln. Die Massenentlassungsrichtlinie ist dabei relativ offen formuliert. Sie spricht in 633
Kohte, EuroAS 1996, 115 (115); Bonin, AuR 2004, 321 (324); Thüsing, § 10 Rn. 83. 634 EuGH, Urteil vom 8.6.1994 – C-383/92 (Massenentlassungen), Slg. 1994 I, 2483 (2493 u. 2495).
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Art. 2 Abs. 1 RL 98/59/EG von einer Pflicht zur Konsultation und lädt diese dann mit dem Ziel der Einigung auf. Die RL 2002/14/EG betont in Art. 4 Abs. 4 lit. e), dass die Einigung Ziel der Konsultation sei. Insofern lässt sich die Rechtsprechung des EuGH zur Verhandlungspflicht auf die Konsultation nach der RL 2002/14/EG übertragen. In der Rechtsprechung des EuGH tritt noch ein weiterer Aspekt zutage. Im soeben genannten Massenentlassungen-Urteil akzentuierte der EuGH die Möglichkeit, welche die Konsultation in sich birgt. Die Konsultation hat nach Art. 2 Abs. 2 RL 98/59/EG so zu geschehen, dass im Regelfall die Möglichkeit existiert, Massenentlassungen zu verhindern.635 Selbst wenn dies nicht der Fall ist, hat sich die Konsultation auf soziale Schutzmaßnahmen wie anderweitige Verwendung oder Umschulungen zu erstrecken.636 Die Beteiligungsrechte sind folglich auch auf europäischer Ebene durch eine Schutzdimension charakterisiert, wenn es um die Beteiligung an den für die Arbeitnehmer nachteiligen Maßnahmen geht. Dieser Gedanke gilt insbesondere für das Beteiligungsrecht aus Art. 4 Abs. 2 lit. c). Die Beteiligung stellt die Einflussnahme auf die Folgen der Entscheidungen in diesem Bereich sicher und schützt auf diese Weise Arbeitsplätze und soziale Interessen der Arbeitnehmer. dd) Die von der Richtlinie 2002/14/EG erfassten Rechte Die Richtlinie 2002/14/EG sieht weitreichende Beteiligungstatbestände bezüglich wirtschaftlicher und personaler Angelegenheiten vor. Nach Art. 4 Abs. 2 lit. a RL 2002/14/EG muss der Arbeitgeber den zuständigen Arbeitnehmerrepräsentanten über die jüngste Entwicklung sowie die wahrscheinliche Weiterentwicklung der Tätigkeit und der wirtschaftlichen Situation des Unternehmens unterrichten. Gemäß Art. 4 Abs. 2 lit. b) der Richtlinie müssen eine Information und Konsultation zu Beschäftigungssituation, Beschäftigungsstruktur und wahrscheinlicher Beschäftigungsentwicklung im Unternehmen oder Betrieb sowie zu gegebenenfalls geplanten antizipativen Maßnahmen (insbesondere bei einer Bedrohung für die Beschäftigung) stattfinden. Über Abs. 2 lit. c) werden Entscheidungen, die wesentliche Veränderungen der Arbeitsorganisation oder der Arbeitsverträge mit sich bringen können, unterrichtungs- und konsultationspflichtig. Die erfassten Beteiligungstatbestände im BetrVG überschneiden sich in ihrer Relevanz für die lit. a)–c) zu Teilen. § 111 BetrVG beispielsweise 635 EuGH, Urteil vom 8.6.1994 – C-383/92 (Massenentlassungen), Slg. 1994 I, 2483 (2492). 636 EuGH, Urteil vom 3.3.2011 – C-235/10 (Claes), NZA 2011, 337 (339).
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2. Kap.: Die Unterlassungsansprüche des Betriebsrats
wird von allen drei Tatbeständen tangiert.637 Jedoch sticht die Bedeutung von lit. c) deutlich hervor. Nach Art. 4 Abs. 2 lit. c) RL 2002/14/EG soll die Unterrichtung und Anhörung zu Entscheidungen, die wesentliche Veränderungen der Arbeitsorganisationen oder Arbeitsverträge mit sich bringen können, stattfinden. Der Begriff der Veränderung ist weiter als der des Nachteils i. S. v. § 111 BetrVG, umfasst diesen jedoch, denn jeder Nachteil setzt auch eine Veränderung voraus. Die Arbeitsorganisation meint alle äußeren tatsächlichen und rechtlichen Umstände, unter denen die Arbeitsleistung zu erbringen ist.638 Insofern wird die Struktur des § 111 BetrVG (Betriebsänderungen, die Nachteile zur Folge haben können) umfassend aufgenommen. Die Veränderung der Arbeitsverträge ist ferner nicht vertragsrechtlich sondern vor dem effet utile in tatsächlicher Hinsicht zu interpretieren,639 so dass trotz eines weiten Direktionsrechts eine Betriebsverlagerung i. S. v. § 111 S. 3 HS 2 Nr. 2 BetrVG eine nachteilige Veränderung darstellen kann. Die anlassunabhängige Informationspflicht640 des Buchstaben a) wird v. a. im Hinblick auf §§ 80 Abs. 2, 111 und 106 BetrVG eingeordnet.641 Aus der Gestaltung von lit. b) resultieren in der Betriebsverfassung Schwierigkeiten. Gemäß dem Wortlaut ist die Beteiligungspflicht ausschließlich im Rahmen antizipatorischer Maßnahmen zwingend anlassabhängig. Grundlegend ist das Beteiligungsrecht auf § 92 BetrVG hin zu entwerfen. Die Norm sieht – richtlinienkonform ausgelegt – ein umfassendes Informationsund Beratungsrecht hinsichtlich der Personalplanung vor.642 Die von lit. b) genannte Beteiligung an antizipatorischen Maßnahmen erfüllen die Regelungen der §§ 92, 92a, 93 ff., 96 ff. Die Fassung des Begriffs der Entscheidung, die wesentliche Veränderungen der Arbeitsorganisation oder der Arbeitsverträge mit sich bringen kann, ist vor der Betriebsverfassung v. a. auf die §§ 90 f. und § 111 BetrVG zu beziehen. Daneben berührt der Tatbestand weitere Beteiligungsrechte. Insbesondere sind die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats bei der abstrakt-generellen Lohngestaltung nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG (wesentliche Veränderung der Arbeitsverträge) und bei Regelungen über die Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten etc. nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG (wesentliche Veränderung der Arbeitsverträge) erfasst.643 637
Umfassender Bonin AuR 2004, 321 (323 ff.). Bonin, AuR 2004, 321 (325); Deinert, NZA 1999, 800 (803). 639 Bruns S. 87. 640 So Wendeling-Schröder/Welkoborsky, NZA 2002, 1370 (1372). 641 Oetker/Schubert, EAS B 8300, Rn. 350 ff.; Weber, FS Konzen, 921 (930); mit weiteren Ausführungen zu den Umsetzungsproblemen vgl. Bonin, AuR 2004, 321 (324). 642 Bonin, AuR 2004, 321 (325); a. A. Oetker/Schubert, EAS B 8300, Rn. 363. 638
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Für die europarechtliche Rechtsfortbildung ist die Frage, welche Rechte genau erfasst werden, von untergeordneter Relevanz. Wichtig ist vielmehr im Rahmen dieser Arbeit, dass § 111 BetrVG erfasst wird. Die kohärente Einordnung von möglicherweise nicht erfassten Beteiligungstatbeständen muss die nationale Methodenlehre ordnen.644 c) Die Freiheit der Mitgliedstaaten und der effet utile Die richterliche Rechtsfortbildung eines Unterlassungsanspruchs muss dort beginnen, wo dies gleichermaßen eine gesetzgeberische Umsetzung tun würde. Teilweise wird davor eine direkte Herleitung aus der Richtlinie bereits allein unter Hinweis auf die Umsetzungsfreiheit der Mitgliedstaaten verneint.645 Dies erscheint zu pauschal. Die verbürgte Freiheit von Form und Mittel der Mitgliedstaaten im Rahmen der gestuften Verbindlichkeit646 der Richtlinien kann lediglich als Ausgangspunkt dienen und nur am Ende einer Untersuchung als Ergebnis herausgestellt werden, vgl. Art. 288 AEUV. Speziell im arbeitsrechtlichen Bereich hat der Europäische Gerichtshof zwar betont, dass die Förderung der Beschäftigung ein legitimes Ziel der Sozialpolitik darstelle und dass die Mitgliedstaaten bei der Wahl der zur Verwirklichung ihrer sozialpolitischen Ziele geeigneten Maßnahmen über einen weiten Ermessensspielraum verfügen.647 Diese Freiheit des Art. 288 Abs. 3 HS. 2 AEUV wird allerdings in Konkordanz zu Art. 288 Abs. 3 HS. 1 in Verbindung mit Art. 4 Abs. 3 EUV durch den EuGH – gerade im Arbeitsrecht – wieder eingeschränkt. Wenn es dem Sinn und Zweck des Art. 288 AEUV entspricht, den Mitgliedstaaten die Möglichkeit einzuräumen, ihre nationalen Besonderheiten einbringen zu können, dann bleibt die Pflicht davon unberührt, Form und Mittel derart zu wählen, dass das von der Richtlinie vorgegebene Ziel erreicht wird.648 Die Freiheit der Mitgliedstaaten ist daher vor dem europa643
Oetker/Schubert, EAS B 8300, Rn. 371 u. Rn. 364. Vgl. Kohte, FS 50 Jahre BAG, 1219 (1252) sowie hier S. 260. 645 Vgl. Weberling, AfP 2005, 139 (141), unter Hinweis auf BAG, Urteil vom 18.11.2003 – 1 AZR 637/02, NZA 2004, 741 (744). 646 Streinz, Rn. 433. 647 EuGH, Urteil vom 18.1.2007 – C-385/05 (confédération générale du travail) = juris; Urt. vom 9.2.1999 – C-167/97 (Seymour-Smith/Perez), Slg. 1999 I, 666 (686); EuGH, Urteil vom 20.3.2003 – C 187/00 (Kutz-Bauer), Slg. 2003 I, 2771 (2790). 648 EuGH, Urteil vom 10.4.1984 – C-14/83 (von Colson/Kamann), AP § 611a BGB Nr. 1; EuGH, Urteil vom 10.4.1984 – C-79/83 (Harz), Slg. 1984, 1921 (1940 ff.); von der Groeben/Schwarze-Schmidt, Art. 249 Rn. 40; Wißmann, RdA 1998, 221 (225). 644
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2. Kap.: Die Unterlassungsansprüche des Betriebsrats
rechtlichen Effizienzgebot eingeschränkt.649 Präziser im Hinblick auf die Eignung spricht der EuGH auch von der Pflicht, einen tatsächlichen und wirksamen Rechtsschutz zu gewährleisten.650 In der Rechtssache Royer hat das Gericht zunächst ausgeführt, dass die Mitgliedstaaten innerhalb der Entscheidungsfreiheit nach Art. 249/189 a. F. EGV bzw. Art. 288 AEUV verpflichtet seien, bei der Umsetzung der Richtlinie diejenigen Formen und Mittel zu wählen, die für die Gewährleistung der praktischen Wirksamkeit der Richtlinie und des mit ihr verfolgten Zwecks am besten geeignet sind.651 Das daraus folgende Optimierungsgebot wurde in mehreren Fällen stärker betont. So finden sich weitere aktuellere Ausführungen in den Rechtssachen Galotti,652 Yonemoto653 und Adeneler654 – „am besten“ wurde in „am geeignetsten“ (most appropriate, plus appropriés) umformuliert. Inhaltliche Änderungen waren mit der Formulierung allerdings nicht verbunden, der EuGH weist Rechtsprechungsänderungen offen aus.655 Gerade im Hinblick auf die Richtlinie 2002/14/EG betonte der EuGH, dass der Ermessensspielraum nicht dazu führen dürfe, dass ein tragender Grundsatz oder eine Vorschrift des Unionsrechts ausgehöhlt würde.656 Bereits mit den ersten Richtlinien, v. a. der Massenentlassungsrichtlinie, bildeten sich Ansätze heraus,657 die ein europäisches Postulat für einen Unterlassungsanspruch zur Sicherung der dort statuierten Beteiligungsrechte sahen.
649 Die Auswirkung des Effektivitätsgebots wird mitunter sehr kritisch gesehen. So wird zum Teil erneut die Befürchtung laut, falsch verstandene Effektivitätsforderungen und ihre Ableitungen im europäischen Recht könnten dazu führen, dass die nationalen Vorstellungen des Rechtsschutzsystems in Synergie mit den neuen Systemen zu Friktionen und Widersprüchen führen. Eine solche Vorstellung, der hier nicht gefolgt wird, würde das Europarecht seiner Innovations- und Harmonisierungswirkung berauben und spräche in letzter Konsequenz dem Europarecht seine bindende Wirkung ab. Sehr ausführlich zu der umfassenden Kritik einer solchen Nutzung des effet utile: Streinz, FS Everling, 1491 (1491 ff.). 650 EuGH, Urteil 08.11.1990 – C-177/88 (Dekker), AP Art. 119 EWG-Vertrag Art. 119 Nr. 23; EuGH, Urteil vom 10.4.1984 – C-14/83 (von Colson/Kamann), AP § 611a BGB Nr. 1. 651 EuGH, Urteil vom 8.4.1976 – C-48/75 (Royer), Slg. 1976, 497 (517). 652 EuGH, Urteil vom 12.9.1996 – C-58/95 (Galotti u. a.), EuZW 1996, 659 (660). 653 EuGH, Urteil vom 8.9.2005 – C-40/04 (Yonemoto), EuZW 2005, 689 (692). 654 EuGH, Urteil vom 04.07.2006 – C-212/04 (Adeneler) = juris. 655 Colneric, ZEuP 2005, 225 (229 f.). 656 EuGH, Urteil vom 18.1.2007 – C-385/05 (confédération générale du travail) = juris. 657 Kurzer Überblick zur Diskussion bei DKK-Trittin, (11. Auflage) § 23 Rn. 131.
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d) Die Unterlassungspflicht des Arbeitgebers Betrachtet man den Unterlassungsanspruch als ein Instrument des Schutzes vor der Umgehung der Beteiligungsrechte, liegt es auf Hand, dass er als Mittel zu Gewährleistung der praktischen Wirksamkeit der Beteiligungsrechte fungieren kann. Untersucht man zunächst die Richtlinie 2002/14/EG separat, so wirft sich von der Struktur und dem Wesen der Konsultationsrechte ausgehend die Frage auf, inwieweit jedenfalls eine (einseitige) Pflicht des Arbeitgebers existiert, die Maßnahme bis zur Beendigung des Konsultationsverfahrens zu unterlassen. Diese Frage stellt sich noch allen mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen. aa) Das Urteil „Junk“ Der EuGH hat sich bislang – trotz einiger ergangener Urteile zur Richtlinie 2002/14/EG – noch nicht zu der Frage äußern können. Im Zusammenhang mit der Massenentlassungsrichtlinie hat er indes bedeutsame Ausführungen gemacht. Obwohl es insoweit eindeutig ist, ist das im Übrigen spektakuläre Urteil in der Rechtssache Junk vom 27. Januar 2005 nur selten im Hinblick auf eine Unterlassungspflicht zitiert oder gar in den Kontext eines Unterlassungsanspruchs gestellt worden.658 Das Urteil erging in Bezug auf zwei Fragen des Arbeitsgerichts Berlin über die Auslegung der Richtlinie 98/59/EG. Die Klägerin war bei einer gemeinnützigen Pflegegesellschaft als Pflegehelferin/Hauspflegerin beschäftigt. Ein Betriebsrat war wirksam errichtet. Im Rahmen des Insolvenzverfahrens kam es zu Massenentlassungen. Diesbezüglich teilte die Gesellschaft dem Betriebsrat am 19.6.2002 die Namen der zu entlassenden Arbeitnehmer mit. Der Betriebsrat wiederum teilte am 26.6.2002 mit, eine zügige Abwicklung sei auch in seinem Sinne. Am Tag darauf wurden die Kündigungen ausgesprochen. Hiergegen wehrte sich die Klägerin. Die erste Frage des Arbeitsgerichts Berlin bezog sich auf die Auslegung des Begriffs „Entlassung“ in § 17 Abs. 2 KSchG. Ferner fragte das Gericht, ob das Konsultations- und das Anzeigeverfahren der Richtlinie vor dem Ausspruch der Kündigung abgeschlossen sein müssten. Der EuGH setzte den Begriff der Entlassung mit der Kündigungserklärung gleich und fokussierte damit den Beteiligungstatbestand auf die Ent658 EuGH, Urteil vom 27.1.2005 – C-188/03 (Junk), NJW 2005, 1099 ff.; Überblick zur Diskussion um den Entlassungsbegriff bei Reichold, ZESAR 2005, 474 ff.; in erster Linie wird die Unwirksamkeit der Kündigung als Rechtsfolge des Verstoßes diskutiert; inzwischen aber: BAG, Urteil vom 21.9.2006 – 2 AZR 120/06 = juris; den Unterlassungsanspruch andeutend Wolter, AuR 2005, 135 (140); Ausführungen allgemeiner Art bei Seebacher, AiB 2005, 579 ff. m. w. N. zur Junk-Rspr.
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scheidung per se und nicht auf das tatsächliche Ausscheiden des Arbeitnehmers. Die zweite Frage beantwortete das Gericht dahin gehend, dass die vorgesehenen Verfahren vor dem Ausspruch der Kündigungserklärung abgeschlossen sein müssen und so lange nicht ausgesprochen werden dürften, bis dies der Fall sei. Das Gericht ging in diesem Fall sogar einen Schritt in Richtung Unterlassungsanspruch, als es in Punkt 44 – beiläufig – davon ausging, dass die Arbeitnehmervertreter den Verzicht auf die Maßnahme erreichen könnten. Im Mittelpunkt steht gleichwohl die eindeutige Pflicht des Arbeitgebers, die Maßnahme bis zum Ende des Konsultationsprozesses zu unterlassen. bb) Die Begründung Interpretiert man die Ausführungen des EuGH, führen sie wertungsmäßig zu einer Unterlassungsverpflichtung. Das Gericht begründete das Verbot der Kündigung vor Abschluss der Beratung mit dem von der Richtlinie vorausgesetzten Verfahrenszeitpunkt und dem im Beratungsrecht angelegten Verhandlungsmoment. Bezüglich des ersten Punktes stellte es auf die Fassung des Art. 3 Abs. 1 RL 98/59/EG ab. Das Tatbestandsmerkmal „beabsichtigt“ entspreche einer Situation, in der noch keine Entscheidung getroffen worden sei. Dem stehe der Zeitraum, in dem die Entscheidung bereits wirke, entgegen. Ferner sei es das Ziel der Richtlinie, Kündigungen zu vermeiden oder in ihrer Zahl zu beschränken. Dieses Ziel könne offensichtlich dann nicht erreicht werden, wenn die Konsultation der Arbeitnehmervertreter nach der Entscheidung stattfinde. Neben der Verortung der Verhandlung in einem Zeitpunkt der Planungsphase setzte der EuGH die Möglichkeit des Unternehmers zur Kündigung in einen Zusammenhang mit der Beteiligung. Hier betonte das Gericht die Verhandlungspflicht aus Art. 2 RL 98/59/EG. Diese Pflicht ergebe sich aus dem Richtlinienpassus, um zu einer Einigung zu gelangen in Verbindung mit dem Ziel in Art. 2 Abs. 2, Massenentlassungen zu vermeiden oder zu beschränken, sowie auf die Möglichkeit, ihre Folgen durch soziale Begleitmaßnahmen [. . .] zu mildern. Wenn hingegen die Möglichkeit bestünde, die Arbeitsverträge vor oder während des Verfahrens zu kündigen, wäre die praktische Wirksamkeit der Richtlinie beeinträchtigt. cc) Die Einordnung der Unterlassungspflicht in die Richtlinie Wie wichtig die Beteiligungs- und Verhandlungspflicht für das europäische Recht und die Erreichung der Ziele der Richtlinie ist, wird daran deutlich, dass der EuGH verlangt, die einfache Beeinträchtigung der praktischen
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Wirksamkeit dieser Verpflichtung auszuschließen. Der EuGH hat das Massenentlassungsverfahren unterteilt und strukturiert: Erst nach Abschluss des Konsultationsverfahrens und der Erstattung der Massenentlassungsanzeige darf der Ausspruch der Kündigung erfolgen. Diese verfahrensmäßige Sichtweise impliziert eine verfahrenssichernde Unterlassungspflicht. Die Verwendung der Wörter nicht dürfen macht die Einschränkung der Arbeitgeberfreiheit in diesem Bereich mehr als deutlich. Mit dieser Einschränkung korrespondiert dann die Verpflichtung, die verbotene Handlung zu unterlassen. Insofern konkretisiert das Gericht das von der Richtlinie vom Arbeitgeber erwartete Verhalten zu einer Unterlassungspflicht als unmittelbarer Regelungsgegenstand der Richtlinie. Zu dieser Fortbildung war der EuGH berechtigt. Soweit sich die Fortbildung innerhalb der Kompetenzen nach dem AEUV bewegt, existiert an der Befugnis des EuGH Richtlinien fortzubilden kein Zweifel.659 dd) Übertragung auf die Richtlinie 2002/14/EG Hinter dieser Rechtsprechung könnte ein übertragbarer europäischer Gedanke stehen, dass dort, wo eine Arbeitgebermaßnahme der Beteiligung unterworfen ist, diese so lange zu unterbleiben hat, bis die Beteiligung abgeschlossen ist. In der Literatur wird dies vereinzelt und ohne Begründung angenommen.660 Von der Rechtsprechung des EuGH ausgehend, kann man zwei Eckpfeiler eines Unterlassungsanspruchs abstrahieren: die zeitliche Veranlagung der Beteiligung sowie die praktische Wirksamkeit der vollständigen Beteiligung im Vorfeld der Durchführung der Maßnahme. (1) Die Übertragbarkeit Zunächst muss geklärt werden, ob das Urteil, das zur Massenentlassungsrichtlinie ergangen ist, auf die RL 2002/14/EG übertragen werden kann. Zum einen könnte man die Bindungswirkung des EuGH für diesen Fall bezweifeln, zum anderen war Junk im Kern ein individualrechtlicher Streit. Die Ausführungen könnten daher allein dieser Ebene zuzuordnen zu sein. Auslegungsurteile des EuGH entfalten im Grundsatz nur eine eingeschränkte Wirkung, die Auslegung ist auf die vorgelegte Norm beschränkt.661 Zutreffenderweise ist jedoch der C.I.L.F.I.T.-Rechtsprechung 659 Franzen, S. 597 ff.; vgl. den Überblick bei Vogenauer, Bd. 1, S. 395 ff.; Calliess, NJW 2005, 929 (930). 660 Thüsing, § 10 Rn. 88. 661 Weiterführed Grabitz/Hilf/Nettesheim-Karpenstein Art. 267 Rn. 101; Herdegen § 9 Rn. 35: faktisch allgemeine Wirkung.
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des EuGH zu entnehmen, dass die Bindung auch durch das Bestehen einer gesicherten Rechtsprechung erfolgen kann, selbst wenn die Verfahren nicht gleich und die strittigen Fragen nicht vollkommen identisch sind.662 Was für den Bereich der Vorlageverpflichtung gilt, gilt auch für die Übertragbarkeit abstrahierbarer europarechtlicher Gedanken. Folglich kommt es grundlegend auf die vorhandenen Strukturen der Richtlinien an. Die Zuordnung zur Individual- oder Kollektivebene kann man über die Passiv- und die Aktivlegitimation sowie den Regelungskontext ermitteln. Die Ausführungen zur zweiten Vorlagefrage hatten allein eine einseitige Pflicht des Arbeitgebers zum Gegenstand. Der Arbeitgeber ist aber gerade auch ein kollektiver Akteur. Zudem deutete das Gericht die Rolle der Arbeitnehmervertreter im Hinblick auf diese Pflicht an. Die kündigungsrechtliche Herkunft des Rechtsstreits tritt vor dem (unions-)rechtlichen Kontext, der Massenentlassungsrichtlinie und dem Beratungsrecht aus der Richtlinie, in den Hintergrund. Gegen ein rein individuelles Verständnis spricht daher vor allem der offensichtliche kollektive Kontext. Deutlich wird dies auch im Urteil AEK663, in dem die vorherige Konsultation vor dem Ausspruch eine konzernrechtliche Dimension erhält.664 Ist die Rechtsprechung übertragbar, muss zudem die Richtlinie 2002/14/EG festlegen, ob man und, wenn ja, wer die Unterlassungspflicht einfordern kann. (2) Der Zeitpunkt der Konsultation nach der Richtlinie 2002/14/EG Dass eine Anhörung vor der Kündigung stattzufinden habe, wurde vom Gerichtshof aus der Verwendung bestimmter Passagen in der Massenentlassungsrichtlinie gewonnen. So spricht Art. 2 Abs. 1 vom Beabsichtigen, eine Massenentlassung vorzunehmen. Ferner stellt Art. 3 Abs. 1 darauf ab, dass die beabsichtigten Massenentlassungen anzuzeigen seien. Der EuGH hat aus dem Abstellen auf die Absicht geschlossen, dass noch keine Entscheidung getroffen worden sein dürfte, bevor nicht das Konsultationsverfahren eingeleitet wurde. Während die RL 98/59 die Konsultation eindeutig im Vorfeld der Kündigung ansiedelt, kommt dies bei der Richtlinie 2002/14/ EG vordergründig nicht so stark zum Ausdruck. Der Zeitpunkt der Konsultation wird in Art. 4 Abs. 4 erörtert. Dort wird durch die Zweckangemessenheit (lit. a) eine eigene zeitliche Dynamik der Konsultation vermittelt. Aus diesem Grund ist der Zeitpunkt für jede Beteiligungslage gesondert zu ermitteln. Die antizipatorischen Maßnahmen bei 662 663 664
EuGH, Urteil vom 6.10.1982 – C-283/81, Slg. 1982, 3415 (3429). EuGH, Urteil vom 10.9.2009 – C-44/08, NZA 2009, 1083 (1086). Vgl. auch Forst, NZA 2010, 144 (147).
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lit. b) beispielsweise sind offensichtlich im Planungsstadium angesiedelt. Beim Buchstaben c) des Absatzes 2 finden sich keine eindeutigen Hinweise. Der Wortlaut: Entscheidungen, die wesentliche Veränderungen [. . .] mit sich bringen können, enthält einen vagen Hinweis auf einen Zeitpunkt, in dem noch nicht klar ist, dass diese Entscheidungen Veränderungen mit sich bringen. Klar ist dies in der Regel erst nach der Durchführung. Insofern umschreibt der Passus eine generelle Eigenschaft der Entscheidungen, aber eben auch einen Zeitpunkt bzw. Zustand, in dem diese Eigenschaft weder veri- noch falsifiziert wurde. Evident werden die Parallelen bei der präventiven Ausrichtung. Wie sich aus Erwägungsgrund 9 ergibt, ordnet die Richtlinie die Beteiligung als eine Vorbedingung einer erfolgreichen Bewältigung von Umstrukturierungen ein. Diese Funktion kann ein Beteiligungsrecht überhaupt nur dann aufweisen, wenn es vor der Durchführung realisiert wird. Die Übertragbarkeit der Junk-Grundsätze wird zudem von den Erwägungsgründen 10 und 13 gestützt: Die Begriffe „Antizipation“ und „Prävention“ stehen im Mittelpunkt; eine Verarbeitung im Nachhinein ist nicht von der Richtlinie ausdrücklich ausgeschlossen. Im Vorschlag der Kommission findet sich denn auch eine Schwerpunktbildung im Hinblick auf einen Zeitpunkt vor Durchführung der Maßnahme.665 So führte die Kommission aus, dass das frühzeitige Erkennen von Problemen wesentlich sei. Es gehe v. a. um wirkungsvolle präventive und begleitende soziale Maßnahmen. Die Konsultation muss daher vor der Durchführung geschehen – wobei sie bis kurz vor Realisierung der Maßnahme erfolgen kann. (3) Die praktische Wirksamkeit des Dialoges und des Verhandlungsanspruchs Ebenso wie die RL 98/59/EG sieht die RL 2002/14/EG eine Verhandlungspflicht vor. Dabei rückt der Fokus stärker auf den Dialog. Dies macht bereits die gegenüber Art. 2 Abs. 1 RL 98/59/EG anders gefasste Definition der Beratungsrechte deutlich. Ferner gibt die Richtlinie für alle Beteiligungsrechte vor, die Unterrichtung und Konsultation zu fördern, zu intensivieren und die Arbeitnehmer auf diese Weise in die Unternehmensabläufe zu integrieren sowie an der Gestaltung der Zukunft partizipieren zu lassen (vgl. Erwägungsgründe 7 und 8). Art. 4 Abs. 4 lit. e) enthält darüber hinaus noch explizit die Zielvorgabe gegenüber beiden Betriebspartnern für den Konsultationstatbestand in Abs. 2 lit. c), eine Vereinbarung herbeizuführen. Für die anderen Tat665
KOM (1998) 612 endg. S. 4.
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bestände fehlt es an einer vergleichbaren Komponente. Es bleibt bei der Dialogverpflichtung. Bestünde dementsprechend die Möglichkeit, die Maßnahme ohne vorherigen Dialog durchzuführen, dann stünde auch die praktische Wirksamkeit des Dialogs und der Verhandlung zur Disposition des Arbeitgebers. Insofern finden sich die Vorgaben aus „Junk“ hier wieder. ee) Eigenständige Begründungslinien der Richtlinie Neben der Übertragung der Begründungslinien des EuGH begründet die Richtlinie die Unterlassungspflicht des Arbeitgebers aus weiteren Aspekten. (1) Die Rücksichtnahme bei der Rechtsausübung Ein weiteres Fundament der Unterlassungsverpflichtung ergibt sich aus der in Art. 1 Abs. 3 RL 2002/14/EG enthaltenen Rücksichtsnahmepflicht auf die Rechte der Arbeitnehmer und Arbeitnehmervertreter. Der EuGH konnte zu diesem Aspekt im Falle Junk keine Stellung beziehen, da eine derartige Regelung in der RL 98/59/EG fehlt. Analysiert man die Möglichkeit des Arbeitgebers, mit der Durchführung der Maßnahme die Beteiligungsrechte zu vereiteln, so spricht bereits die Formulierung des Art. 1 Abs. 3 „unter gebührender Beachtung der Rechte des anderen Teils“ dafür, hier eine Unterlassungsverpflichtung abzuleiten. Art. 1 Abs. 3 ist die konsequente Entsprechung der Gewährung eines Rechts auf der anderen Seite. Er produziert die mit der wirksamen Ausübung der Rechte korrespondierenden Pflichten. Transportiert man die Norm in die Fallgestaltung der drohenden Durchführung der Maßnahme, stellt sich die Frage nach der Unterlassungspflicht des Arbeitgebers. Vor den bereits dargelegten teleologischen Erfordernissen der Beteiligungsrechte wäre es mit den zwingenden Beteiligungsrechten nicht vereinbar, einfach eine Rechtsverletzung zuzulassen. Diesen Systemgedanken aufnehmend, kann sich gebührende Rücksichtnahme lediglich in einem Unterlassen artikulieren und folglich vor der unbedingten Formulierung der Norm zu einer Unterlassungsverpflichtung erstarken.666 Ebenso wie bei § 2 Abs. 1 BetrVG gilt es, alles zu unterlassen, was der Wahrnehmung des Mitbestimmungsrechts zuwider laufen würde. Das in Art. 1 Abs. 3 RL 2002/14/ EG angelegte Gebot der Rücksichtnahme repräsentiert eine Kompetenzschranke und artikuliert sich als Unterlassungsverpflichtung. Hierbei handelt es sich um den Normalfall. Die Norm trägt eine umfassende Interessenberücksichtigung in die RL 2002/14/EG hinein. Der unter 666
Die Norm nicht auf den Konfliktfall ausrichtend: Brors, S. 182.
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Umständen virulent werdende Konflikt dieser Interessen tritt in Erwägungsgrund 22 zutage. Dort heißt es, dass der gemeinschaftliche Rahmen für die Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer die Belastung der Unternehmen oder Betriebe auf ein Mindestmaß begrenzen sollte, aber zugleich auch die wirksame Ausübung der eingeräumten Rechte gewährleisten soll. Der Erwägungsgrund löst somit die Interessenkonflikte im Rahmen der wirksamen Ausübung der Beteiligungsrechte und der angemessenen Begrenzung der wirtschaftlichen Belastung grundsätzlich zugunsten einer wirksamen Gestaltung der Beteiligung. Dass Art. 1 Abs. 3 RL seinerseits als Generalklausel in Extremfällen die Unterlassungsverpflichtung aushebeln könnte, steht auf einem anderen Blatt. Dieser Gedanke wird allerdings bereits von Art. 6 Abs. 2 RL 2002/14/EG transportiert. (2) Die Ausnahmevorschrift des Art. 6 Abs. 2 Gerade die Existenz dieser Norm ermöglicht einen ergänzenden Rückschluss. Nach Art. 6 Abs. 2 RL 2002/14/EG sollen die Mitgliedstaaten eine Ausnahme von der Beteiligungspflichtigkeit treffen, wenn diese nach objektiven Kriterien die Tätigkeit des Unternehmens oder Betriebs erheblich beeinträchtigt oder dem Unternehmen oder Betrieb schaden könnte. Als Ausnahmevorschrift ist Art. 6 Abs. 2 RL 2002/14/EG nach der europarechtlichen Methodik eng auszulegen.667 Der Norm liegt ein weitergehendes, mit der Junk-Rechtsprechung harmonierendes Verständnis von Informierung und Konsultation zugrunde: Es ist schwer vorstellbar, dass die einfache Durchführung der Beteiligung die Tätigkeit des Unternehmens beeinträchtigen oder gar dem Unternehmen über die notwendigen Kosten hinausgehend Schaden zufügen kann. Dies ist allein dann möglich, wenn die Beteiligung untrennbar mit der Unterlassung der Maßnahme verknüpft wird.668 In diesem Fall kann es durch die zeitliche Hinauszögerung zu Beeinträchtigungen im Ablauf und sogar zu wirtschaftlichen Einbußen kommen. Genau aus dieser Einbindung kann man das Bedürfnis nach einer Ausnahmevorschrift nachvollziehen. Interpretierte man hingegen dieses begleitende Unterlassen einzig als einen einfachen Reflex der Beteiligung, stünde dies nicht im Einklang mit 667 EuGH, Urteil vom 6.7.2000 – C-11/99 (WDR)), NZA 2000, 877; Kohte, JurisPR 19/2007, Anm. 2. 668 Schäfer S. 164; enger wohl Spreer, S. 59, mit weitergehenden Zusammenhängen, in denen Informationen per se die Effekte des Art. 6 Abs. 2 haben können. Dies leuchtet im Bereich der Information ein. Die Konsultation hingegen ist unmittelbar auf die Maßnahme gerichtet und kann die zu verhindernden Effekte lediglich durch die mit ihr einhergehende Verlangsamung der Durchführung der Maßnahme bewirken.
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der Grundannahme des Art. 6 Abs. 2 RL 2002/14/EG. Dann könnte der Arbeitgeber jederzeit die Maßnahme durchführen und würde „nur“ eine Verhaltenspflicht verletzen. Richtigerweise kann alleine eine Unterlassungsverpflichtung eine Ausnahmevorschrift wie Art. 6 Abs. 2 RL erklären. Man kann aus diesem Grund aus der Existenz einer Ausnahmevorschrift auf die im Regelfall bestehende Unterlassungsverpflichtung schließen. ff) Zwischenfazit Die Rechtssache Junk liefert die entscheidenden Grundlagen für die Diskussion. Zum einen hilft sie dabei, den Zusammenhang der Unternehmerentscheidung – in dem Fall eine Kündigung – und der Beteiligung im Rahmen der gebotenen Abwägung zugunsten der Beteiligung und zulasten der Unternehmerentscheidung mittels des effet utile zu klären. Sie gibt aber auch einen wichtigen Baustein im Sicherungssystem der Europäischen Betriebsverfassung: Der Unternehmer ist zu einem Unterlassen verpflichtet. Dem entspricht es, wenn der EuGH in Junk nicht auf etwaige Besonderheiten der Kündigung und insbesondere nicht auf die Arbeitgeberfreiheiten einging, die einem Verbot als solchem entgegenstehen könnten. Der EuGH sieht dieses Ergebnis vor dem europarechtlich verbürgten Schutz der Unternehmerfreiheit einerseits und den Rechten der Arbeitnehmer auf Information und Konsultation andererseits vor Art. 10 EGV (jetzt Art. 4 Abs. 3 AEUV) als konkordant an. Zudem demonstriert die Junk-Entscheidung die enge Verzahnung der Unterlassungsverpflichtung mit dem Beteiligungsverfahren. Im Falle der Richtlinie 2002/14/EG wird diese Unterlassungsverpflichtung weitergehend konturiert. Zum einen entspricht sie im Regelfall der interessengerechten Rechtswahrnehmung nach Art. 1 Abs. 3 und folgt zum anderen aus dem argumentum e contrario des Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie. Die Unterlassungspflicht bildet dementsprechend ein Strukturelement der Beteiligungsrechte der Richtlinie. gg) Renault/Vilvoorde Eine weitere erhebliche Bedeutung für die Interpretation der Richtlinie hat der Fall Renault/Vilvoorde.669 Der französische Automobilhersteller Renault wollte 1997 ein Montagewerk im belgischen Vilvoorde schließen und 669 Eine ausführliche Darstellung und umfassende Auswertung des Sachverhalts ist bei Höland, S. 113 ff., zu finden. Ebenso: Kolvenbach/Kolvenbach, NZA 1997, 695 (695 f.); Thüsing, § 10 Rn. 71.
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über 3.000 Arbeiter entlassen. Dies wurde am 27.2.1997 angekündigt, bereits bis zum 31.7. desselben Jahres sollte die Produktion gänzlich eingestellt werden. Dabei beteiligte bzw. informierte das belgische Tochterunternehmen „Renault Industrie Belgique“ (i.F: RIB) die Arbeitnehmervertretungen in keiner Weise. In der Folge ergingen mehrere Urteile. Das Arbeitsgericht Brüssel entschied am 3.4.1997,670 dass RIB gegen zwei für allgemeinverbindlich erklärte Kollektivverträge verstoßen habe, indem das Unternehmen den Betriebsrat nicht vor dem 27.2.1997 unterrichtet und konsultiert habe. Unterrichtung und Beratung hätten nämlich im Vorfeld dieses Beschlusses stattfinden müssen. RIB wurde daher verurteilt, unverzüglich eine wirkliche Beratung mit der Arbeitnehmervertretung zu beginnen. Zudem wurde Renault-Chef Louis Schweitzer eine Geldbuße geringen Ausmaßes auferlegt.671 Markiert dieses Urteil auch ein Votum für Beteiligung so sind zwei französische Urteile in Bezug auf den in Frankreich durch Vereinbarung672 gegründeten Europäischen Betriebsrat noch bedeutender: (1) Tribunal de Grande Instance de Nanterre Am 4.4.1997 erging das Urteil des TGI Nanterre zugunsten des Europäischen Betriebsrats von Renault (Comité de Groupe Européen Renault).673 Das Gericht untersagte [faisons (. . .) interdiction] die Ausführung der Schließung des Werks, bis Renault seinen Verpflichtungen aus der EBRVereinbarung nachgekommen sei. Zudem musste Renault 15.000 Francs an den Europäischen Betriebsrat zahlen. Das Gericht legte dabei die aus einer Vereinbarung herrührenden Beteiligungsrechte im Lichte der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer und der Richtlinie 94/45/EG aus. Dabei stellte das Gericht etwas ganz Elementares fest: Wie sonst auch könne der Unternehmer von seinem Recht zur unternehmerischen Entscheidung regelmäßig nur Beachtung der Rechte anderer, hier eben der Rechte der Belegschaftsvertretung, Gebrauch machen.674 Er könne sich nicht auf eine Verletzung seiner Vorrechte (prérogatives) berufen, wenn er zur Beteiligung verpflichtet sei. 670
Ausführlich zusammengefasst bei Kolvenbach/Kolvenbach, NZA 1997, 695
(696). 671 672 673
Reichold, NZA 2003, 289 (289). Lorenz/Zumfelde, RdA 1998, 168 (168). TGI de Nanterre, Urteil vom 4. April 1997, Nr. 97/00992, dr. social 1997,
504 f. 674 TGI de Nanterre, Urteil vom 4. April 1997, Nr. 97/00992, dr. social 1997, 504 (505).
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Gerade das Übergehen der Verpflichtungen zu informieren und zu konsultieren in Bezug auf den Entschluss, das Werk zu schließen, münde in eine offensichtlich unerlaubte Störung [manifestement (. . .) un trouble illicite]. Dies ergebe sich daraus, dass die Beteiligungsrechte des Europäischen Betriebsrats der Durchsetzung der sozialen Grundrechte auf nationaler wie europäischer Ebene zur Durchsetzung gereichen sollen. Es sei Sache des Eilverfahrens, derartige Störungen zu unterbinden. (2) Cour d’appel Versailles Etwa einen Monat später erging am 7.5.1997 ein Urteil im Berufungsverfahren zum Urteil des TGI Nanterre durch die Cour d’appel Versailles.675 Das Gericht kam zum gleichen Ergebnis wie das TGI. Es verbot den Vollzug der angekündigten Schließung. Bemerkenswert ist der Umstand, dass das Gericht die EBR-Richtlinie für den Unterlassungsanspruch nutzbar machte. Es akzentuierte die Rolle der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer, konkretisierte sie aber in Bezug auf das Recht auf Information und Konsultation sowie die damit verbundene verfahrensmäßige Institutionalisierung der Beteiligung in der Richtlinie 94/45/EG.676 Dabei verstand die Cour d’appel das zeitliche Vorangehen der Beteiligung nicht derart statisch wie das TGI. Vor dem effet utile der Bestimmungen müsse die Beteiligung lediglich in geeigneter Zeit geschehen. Ein absolutes zeitliches Vorangehen sei – anders als im französischen Recht – weder eine zwingende noch eine wesentliche Bestimmung. Gerade aber der effet utile im Zusammenwirken mit dem Geeignetheitskriterium erfordere im konkreten Fall ganz eindeutig ein Vorab der Konsultation. Dies wiederum bedinge eine offenkundige unrechtmäßige Störung i. S. d. Art. 809 des Nouveau code de procédure Civil und damit vorläufigen Rechtsschutz. (3) Konsequenzen (a) Der Stellenwert der historischen Auslegung Der Fall Vilvoorde und seine Untersagungsurteile gehören zu den historischen Determinanten der Richtlinie 2002/14/EG. Das europarechtliche 675
Cour d’appel de Versailles, Urteil vom 7. Mai 1997, Nr. 308, Reg. Nr. 2780/97, dr. social 1997, 506 ff.; ins Deutsche übersetzt: AuR 1997, 299 ff. 676 Cour d’appel de Versailles, Urteil vom 7. Mai 1997, Nr. 308, Reg. Nr. 2780/97, dr. social 1997, 506 (507).
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Schrifttum zeigt sich allerdings sehr kritisch gegenüber der historischen Auslegung.677 Die Skepsis bezieht sich dabei auf die Verwendung der Materialien und der diesen innewohnenden Kompromisstendenz. Die Aspekte, die erst die Normsetzung ins Rollen gebracht haben, werden regelmäßig nicht erörtert. Dabei trennt sogar der EuGH zwischen Vorarbeiten bzw. Materialien sowie Entstehungsgeschichte im weiteren Sinn.678 Kennzeichen historischer Interpretation ist nicht nur der subjektive Wille des Gesetzgebers, sondern gleichfalls die Herausarbeitung der historischen Umstände und rechtlichen Daten und daraus resultierenden Fragestellungen.679 Das historische Argument ist aber – vor allem im Rahmen des sekundären Unionsrechts – dann von großer Bedeutung, wenn alle an der Schaffung der Richtlinie beteiligten Organe dieselbe Überzeugung geäußert haben.680 (b) Der Einfluss des „Fall Vilvoorde“ auf die Richtliniensetzung Das Echo auf den Fall Vilvoorde war enorm. Der Fall wurde von der gesamten europäischen Öffentlichkeit aufgenommen.681 Vilvoorde prägte und konturierte in der Folge die Richtliniensetzungsgeschichte. Die Richtlinie 2002/14/EG ist eine direkte Reaktion auf Vilvoorde: Der damalige Präsident der Europäischen Kommission Jacques Santer bezeichnete das Verhalten von Renault als „Schlag gegen den europäischen Geist des Vertrauens“ und betonte die Notwendigkeit der vorherigen Beteiligung der Arbeitnehmerrepräsentanten.682 Darüber hinaus kündigte der damalige Kommissar für soziale Angelegenheiten Pádraig Flynn eine Überprüfung der Rechtslage an. Vor diesem Hintergrund begann die Kommission im Juni 1997 mit der Konsultation der europäischen Sozialpartner und unterbreitete der Kommission im November 1998 einen Vorschlag für eine Richtlinie, die einen allgemeinen Rahmen für die Information und Anhörung darstellen sollte,683 die heutige Richtlinie 2002/14/EG. In der Begründung heißt es: „Mehrere Ereignisse, die auf großes Interesse in der Politik und in den Medien gestoßen sind, haben die Unzulänglichkeit des einzelstaatlichen wie des gemeinschaftlichen Rechts vor Augen geführt. 677
Anweiler, S. 246 ff.; Lutter, JZ 1992, 593 (599 ff.) m. w. N. Jüngst: EuGH, Urteil vom 26.4.2012 – C 419/10 = juris.de. 679 Rüthers/Fischer/Birk, Rn. 780 ff. 680 Leisner, EuR 2007, 689 (694 ff.), auch zur Bedeutung der Unzugänglichkeit von Materialien; vgl. auch Rüthers/Höpfner, AcP 2009, 1 (14). 681 Höland S. 129. 682 Zitiert nach Kolvenbach/Kolvenbach, NZA 1997, 695 (696). 683 KOM (98) 612 endg.; Blanpain, Rn. 1603. 678
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2. Kap.: Die Unterlassungsansprüche des Betriebsrats
Es hat sich gezeigt, dass auch bestehende Regelwerke über die Information und Anhörung bisher wenig effizient waren: Entweder hatten sie eher rituellen Charakter oder sie wurden erst a posteriori wirksam.“684
Gemeint ist wiederum auch der Renault-Fall.685 Diese Verknüpfung hat der Richtlinie den Namen Renault-Richtlinie eingebracht.686 Das einseitige Treffen der Maßnahme ohne parallele Einhaltung der Beteiligungsrechte wird als historisch missbilligtes Verhalten aus den von der Richtlinie ermöglichten bzw. gebilligten Handlungsweisen des Arbeitgebers herausgenommen. Gerade Art. 8 RL 2002/14/EG ist eine direkte Konsequenz des Vilvoorde-Falles.687 Die von den Gerichten vorgenommene Bewertung als widerrechtlich (illicite) wurde von allen europäischen Organen geteilt. Es dauerte fast vier Jahre, bis die Richtlinie am 5.2.2002 vom Europäischen Parlament und am 18.2.2002 vom Rat angenommen wurde – an der Bewertung der Arbeitgebermaßnahme änderte sich nichts. Die Bewertung fand sich ausdrücklich in Art. 7 Abs. 3 des ersten Entwurfs der Kommission: „Als schwerwiegender Verstoß gelten das völlige Fehlen einer Information oder Anhörung der Arbeitnehmervertreter vor einer Entscheidung oder vor der öffentlichen Bekanntgabe einer Entscheidung [. . .].“
Das Europäische Parlament sowie der Wirtschafts- und Sozialausschuss begrüßten den Vorschlag und akzentuierten die Notwendigkeit des Vorhers im Verhältnis zur Durchführung der Maßnahme.688 Allein der Rat zeigte gegen die detaillierten Regelungen des Art. 7 Abs. 3 a. F. Bedenken. Aber selbst im Vermittlungsausschuss war die Einordnung einer fehlenden vorherigen Beteiligung als Verstoß unstrittig.689 Die Streichung dieser ausdrücklichen Bewertung als Kompromiss rührt nicht aus einem fehlenden Konsens her, sondern aus den Schwierigkeiten der aus dieser Bewertung folgenden Unwirksamkeit.690 Der Rat vertrat die Ansicht, dass Art. 8 Abs. 2 in seiner getroffenen Fassung eine ausreichende Grundlage repräsentiere.
684
KOM (1998) 612 endg S. 2. Reichold, NZA 2003, 289 (289). 686 Vgl. etwa Reichold, NZA 2003, 289 (289); Weiler, AiB 2002, 265 (265). 687 Vgl. Schäfer, S. 117; dort zitiert Schäfer die Aussage von der federführenden Kommissarin Diamantopoulou, dass strong sanctions eine direkte Konsequenz aus der Werksschließung in Vilvoorde seien. 688 Europäisches Parlament: Bulletin 1999/4/13.16; Wirtschafts- und Sozialausschuss: Abl. EG C 1999 258/24. 689 PRES 2001/479 im Hinblick auf Abl. EG, C 2001 307/25. 690 Abl. EG, C 2001 307/25, dazu noch S. 172. 685
G. Der verfahrenssichernde Unterlassungsanspruch
193
(c) Die französischen Urteile als Leitbilder effektiven und vorherigen Schutzes Für die historische Interpretation muss man nun zwei Aspekte trennen: Sachverhalt (Sachverhalt i. e. S. und die Urteile) und das französische Gesetz per se – das eindeutige Votum gegen das Treffen einer Entscheidung vor korrekter Durchführung der Konsultation sowie die Verallgemeinerung der ergangenen Urteile zweier französischer Gerichte auf der einen und das angewandte Recht auf der anderen Seite.691 Während der zweite Aspekt nur als Exkurs behandelt werden soll, zeichnen die französischen Urteile autonome Leitbilder – ohne auf das zugrundeliegende Recht zurückgreifen zu müssen: Eine staatliche Stelle verhindert den Verstoß. Die französischen Urteile wurden überall in Europa aufmerksam studiert und kommentiert. Der berühmte französische Arbeitsrechtler Lyon-Caen nannte das Urteil der Cour d’appel de Versailles bedeutend und hoffte, dass es Schule machen würde.692 Wie den Ausführungen der Kommissionen in der Folge zu entnehmen ist, schwebt dem Entwurf ein Schutzniveau vor Augen, welches sich von einem rituellen Charakter entfernt und Rechtsschutz vor der Rechtsverletzung gewährt. Ausgehend von einer rechtsvergleichenden Studie, musste die Kommission feststellen, dass häufig nur die bereits geschaffenen Tatsachen korrigiert werden.693 Dieses Bild haben die französischen Urteile geformt. Daher haben die Kommission und der Rat Art. 8 RL 2002/14/EG so formuliert, dass auch Mitgliedstaaten, deren Sicherungsmechanismen stärker auf administrativer Ebene angelegt sind, ihr System wegen der Verhinderung der beteiligungslosen Maßnahme nicht umstellen, sondern gegebenenfalls nur verstärken müssen. Abstrakt zeigt sich aus dem Zusammenspiel des Vilvoorde-Falles mit Art. 8 Abs. 1 S. 2 RL 2002/14/EG eine Schutzstruktur, die auf das Verhindern einer beteiligungswidrigen Maßnahme gerichtet ist und diesen Schutz über die staatlichen Autoritäten vermittelt. Europa hat aus Vilvoorde gelernt: Damals betrachtete die Führung des Unternehmens Renault die Berechtigungen des comité d’entreprise européen als bloße Formalität, ohne auch nur irgendein Interesse für die Belange der Arbeitnehmer zu zeigen.694 Da die Richtlinie eine Reaktion auf das beteiligungslose Vorgehen darstellt, kann man in historischer Auslegung das beteiligungslose Vornehmen einer Maßnahme zu den missbilligten 691 692 693 694
Vgl. etwa Kohte/Schulze-Doll, JurisPR 14/2006, Anm. 3. Lyon-Caen, dr. social 1997, 509 (509). KOM (1998) 612 endg. S. 4. So die Deutung von Moreau, dr. social 1997, 493 (499).
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2. Kap.: Die Unterlassungsansprüche des Betriebsrats
Handlungsweisen zählen. Die Urteile dienen als funktionale Leitbilder für die Ausgestaltung der Rechtsordnungen. Das nationale Recht muss sich dann fragen, wie diese Leitbilder umgesetzt werden. (4) Exkurs: Ein Blick auf das Vorbildrecht Das Effizienzniveau des französischen Rechts hat die Kommission bei der Ausarbeitung des Richtlinienvorschlages eindeutig geprägt. Womit sonst sollte die Kommission die Effizienz des Brüsseler Verfahrens vor dem Eindruck des Falles verglichen haben? Mit der Verhinderung einer Werksschließung griffen die französischen Gerichte in die Unternehmerfreiheit ein. Es wurde das Leitbild geschaffen, dass die Durchführung einer Unternehmerentscheidung nur dann geschehen kann, wenn die Arbeitnehmervertreter in Hinblick auf die Maßnahme ausreichend informiert und konsultiert wurden.695 Der Vergleich mit Frankreich bietet sich aber nicht nur wegen Vilvoorde an, sondern auch, weil das französische Recht im System der Rechtsordnungen eine Sonderstellung für die Richtlinien über Information und Konsultation einnimmt. Das französische Beteiligungssystem bezüglich des sog. Unternehmensausschusses (comité d’entreprise [i.F: c.d.e]) stand schon Pate für die Richtlinie über die Einsetzung eines Europäischen Betriebsrates (Richtlinie 94/45/EG)696 und auch im Rahmen der Richtlinie 2002/14/EG sind bei der Informations- und Konsultation eindeutige Parallelen erkennbar.697 In Frankreich selbst wurden die Vilvoorde-Urteile in einen größeren Rahmen eingeordnet; eine Vorreiterrolle kommt den Urteilen nur in Bezug auf den europäischen Unternehmensausschuss (comité d’entreprise européen) zu.698 Bei den Massenentlassungen beispielsweise lassen sich die Urteile bis in die achtziger Jahre zurückverfolgen.699 Der Gang zu den Zivilgerichten ist dabei relativ neu. Erst seit 1982 und den sog. Auroux-Reformen kann das comité d’entreprise seine Rechte vor dem juge des référés civil geltend machen.700 695 Reichold, NZA 2003, 289 (296); wohl auch Birk, FS Kreutz, 59 (59) und tendenziell Lobinger, FS Richardi, 658 (660). 696 Junker RIW 2002, 81 (83): das französische Recht hat Pate gestanden für die Richtlinie über den Europäischen Betriebsrat; Junker, ZfA 2001, 225 (228); Körner NZA 2001, 429 (430). 697 Vgl. etwa Reichold, NZA 2003, 289 (296). 698 Bélier, dr. social 2006, 319 (321); Moreau, dr. social 1997, 493 (501). 699 Vgl. ausführlich Lafuma Rn. 443 f. 700 Vgl. zur Beteiligung bei Massenentlassungen: Cohen, RPDS 1985, 277 (287).
G. Der verfahrenssichernde Unterlassungsanspruch
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(a) Das französische System der Arbeitnehmervertretung Das französische System der betrieblichen Partizipation701 ist organisatorisch komplexer als das deutsche. Auch wenn das c.d.e. im deutschen Schrifttum mit dem Betriebsrat gleichgesetzt wird, sind die funktionalen Facetten der Betriebsratsarbeit nicht allein auf das c.d.e. entworfen. So hat das comité beispielsweise die in §§ 75, 80 BetrVG zutage tretende Ombudsfunktion nicht inne.702 Diese Funktion wird durch die Personaldelegierten ausgeübt. Generell ist das französische Repräsentationssystem durch eine Vielzahl betrieblicher Akteure gekennzeichnet; im Mittelpunkt der betrieblichen Aktionen stehen drei Repräsentationsorgane: die délégués du personnel (Belegschaftsvertreter), die délégués syndicaux (Gewerkschaftsvertreter) und das comité d’entreprise. Neben diesen Institutionen existieren das comité d’hygiène, de sécurité et des conditions de travail und die sections syndicales. (aa) Die Systematik der betrieblichen Akteure Die Belegschaftsvertreter haben die Aufgabe, dem Arbeitgeber einzelne oder kollektive Beschwerden über alle Fragen des Arbeitsablaufs, der Betriebsverfassung, der Gehälter, des sozialen Schutzes wie auch der Arbeitssicherheit vorzutragen; hinzukommt die Überwachung der gesetzlichen Regelungen (Art. L 2313-1 c.t.). Die Arbeit der délégués syndicaux ist auf den Abschluss von accords collectifs ausgerichtet (vgl. etwa Art. L 2142-1-1 c.t.). Die Gewerkschaftsdelegierten werden nur in Unternehmen mit mehr als 50 Arbeitnehmern gebildet (Art. L 2143-3 c.t.). In kleineren Unternehmen können die Gewerkschaften einen Belegschaftsvertreter für die Dauer seines Mandats zum Gewerkschaftsdelegierten ernennen (Art. L 2143-6 c.t.). Bei der Gewerkschaftsektion (sections syndicales, Art. L 2142 ff. c.t.) handelt es sich um eine betriebliche Untergliederung der örtlichen Gewerkschaft ohne eigene Rechtspersönlichkeit.703 Die Sektionen erfassen nur gewerkschaftlich organisierte Arbeitnehmer und stellen demnach keine Repräsentationsorgane der Arbeitnehmerschaft dar.704 701 Die Darstellung kann nur als Überblick gestaltet werden, alles andere würde den Umfang der Arbeit sprengen. Ausführlich behandeln das französische Mitbestimmungsrecht Körner und Barten in ihren jeweiligen Monografien. Punktuell für das Kündigungsrecht: Schuster, passim. 702 Vgl. Junker RIW 2002, 81 (83). 703 Körner S. 63. 704 Körner S. 63.
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2. Kap.: Die Unterlassungsansprüche des Betriebsrats
Das comité d’entreprise ist der betriebliche Hauptakteur.705 Es hat im Wesentlichen zwei Funktionen: Zum einen übernimmt es die Leitung der den Arbeitnehmern angebotenen sozialen und kulturellen Aktivitäten (Art. L 2323-83 c.t.). Zum anderen tritt die Verwaltung der sozialen Einrichtungen sowie die Information und Konsultation als zweite große und in den letzten Jahren erheblich in den Vordergrund gerückte Aufgabe des c.d.e. hervor: Das comité ist in regelmäßigen Abständen über die Unternehmenslage zu unterrichten und zu diesen Fragen anzuhören (Art. L 2323-6 c.t.). Das c.d.e. hat daher die Aufgabe, den kollektiven Meinungsausdruck (l’expression collective) der Arbeitnehmer wahrzunehmen bzw. zu gewährleisten. Deutschland und Frankreich haben damit die Gemeinsamkeit, dass gewählte Vertretungen Informations- und Konsultationsrechte ausüben, während die Gewerkschaften die Tarifverhandlungen führen.706 Genauso wie das deutsche Recht sieht die französische Konzeption eine duale Vertretungsstruktur vor: Neben die Gewerkschaften treten gewählte Repräsentanten. Auf der betrieblichen Vertretungsebene hingegen bestehen erhebliche Unterschiede. (bb) Information und Konsultation durch das comité d’entreprise Zentraler Beteiligungspunkt in wirtschaftlichen Angelegenheiten ist Art. L 2323-6 c.t. (Art. L 432-1 a. F.). Demzufolge muss das c.d.e. bei allen Fragen von Interesse für die Führung, den generellen Lauf des Unternehmens (la marche générale) und die Maßnahmen, die die Anzahl oder die Struktur der Beschäftigten, die Arbeitszeit, die Arbeitsbedingungen und die Berufsbildung betreffen informiert und konsultiert werden. Diese umfassenden Vorgaben konkretisierend, ist das französische Beteiligungssystem stark auf den wirtschaftlichen Bereich konzentriert (l’ordre économique) und läuft letztlich auf alle Verwaltung- und Führungsprobleme des Unternehmens hinaus.707 Diese Ausrichtung wird an der beispielhaften Aufzählung des konsultationspflichtigen Bereiches der wirtschaftlichen oder rechtlichen Organisation in Art. L 2323-19 c.t. (Art. 432-1 Abs. 3 a. F.) deutlich. Die Norm nennt die fusion, cession, modification importante des structures de production (bedeutende Veränderung der Produktionsstruktur708), acquisitation oder cession de filales und die prise de participation (Beteiligung an einem Unternehmen). Das Verhältnis von Entscheidung und Beteiligung hat der französische Gesetzgeber in Art. L 2323-2 c.t. festgelegt. Die Beteiligung muss grund705 706 707 708
Vgl. Körner NZA 2001, 429 (432). Vgl. Körner S. 20; zu strukturellen Parallelität etc. Birk, FS Kreutz 59 (63). Barten S. 155 f. Vgl. Barten S. 164.
G. Der verfahrenssichernde Unterlassungsanspruch
197
sätzlich in allen Fällen der Durchführung der Maßnahme vorangehen (Les décisions de l’employeur sont précédées de la consultation du comité d’entreprise). Eine Ausnahme besteht nur im Fall des Art. L 2323-25 c.t., also beim Vorliegen eines offre publique d’acquisition. Weitere Ausnahmen wie etwa Dringlichkeit oder Wichtigkeit der beabsichtigten Maßnahme wurden nicht von Rechtsprechung und Literatur zugelassen.709 Was das Pflichtenverhältnis angeht, so war die bis zum 30.4.2008 geltende Vorgängernorm (Art. L 431-5 c.t. a. F.) leichter verständlich und formulierte: doit être précédée. Cohen charakterisierte diese gesetzliche Anordnung als principe d’antériorité.710 Ergänzt wird das nationale System der Information und Anhörung durch das comité d’entreprise européen (Europäischer Betriebsrat). Der Europäische Betriebsrat wird systematisch in der Nähe des comité d’entreprise eingeordnet. Systematisch schließen sich die Regelungen über das europäische Comité an die Regelungen zum comité d’entreprise an (genauer: das comité de groupe) an (Art. 2341-1 ff. c.t.).711 Dass ein derartiges comité gebildet wird, sichert in Übereinstimmung mit den europarechtlichen Vorgaben das besondere Verhandlungsgremium (Art. L 2342-9 c.t.) sowie die subsidiären Vorschriften (Art. L 2343-1 c.t.). Daneben sieht der code du travail in Art. L 2343-4 ein Informations- und Konsultationsrecht bezüglich Maßnahmen vor, die die Interessen der Arbeitnehmer in beachtenswerter Weise (considérablement) betreffen. Eine Besonderheit der französischen Lösung besteht darin, dass der Arbeitgeber Teil bzw. sogar Vorsitzender des comité d’enterprise ist. Aus dieser Konzeption folgt, dass es Beteiligungsrechte wie in Deutschland nicht gibt. Denn was in Deutschland zwischen betrieblichen Subjekten geschieht, wird in Frankreich innerhalb eines „Organs“ geregelt. In der Praxis wird der Leitung des Gesprächs durch den Arbeitgeber durch vorbereitende Sitzungen entgegengewirkt und die aus der Vorsitzstellung resultierende Einflussnahmemöglichkeit minimiert.712 Im Rahmen eines funktionalen Vergleichs kann die Stellung des Arbeitgebers im c.d.e. nicht den grundsätzlichen Interessenunterschied zwischen den „Betriebsparteien“ einebnen. Ob der Arbeitgeber innerhalb oder außerhalb des Repräsentationsorgans angelegt ist, macht für die Rechte der Arbeitnehmervertreter keinen zentralen Unterschied. Dies gilt umso mehr, als das Stimmrecht des Arbeitgebers weit zurückgedrängt ist. 709 Cohen S. 559; Lardy-Pelissier/Pelissier/Roset/Tholy Art. L. 2323-2 mit Beispielen insbesondere im wirtschaftlichen Bereich. 710 Cohen S. 558; Rodière, dr. social 2007, 1015 (1019). 711 Vgl. zur Neukodifizierung: Thüsing, RdA 2008, 51 (55). 712 Vgl. Körner S. 133; Schulze-Doll S. 205.
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2. Kap.: Die Unterlassungsansprüche des Betriebsrats
(b) Das comité d’entreprise als Berechtigter der Richtlinie 2002/14/EG Während das comité d’entreprise européen der Richtlinie 2009/38/EG bzw. 94/45/EG zugeordnet wird, werden die Vorgaben der Richtlinie 2002/14/EG im Hinblick auf das comité d’entreprise interpretiert.713 Vergleicht man die Strukturen, so sind die Parallelen offensichtlich. Die Kompetenzen des c.d.e. und der Arbeitnehmerrepräsentanten laufen auf Information und Konsultation hinaus. Die Festlegung der Verfahrensstruktur unterscheidet sich nur durch die Nominalisierung. Während der code du travail die Wendung (. . .) es obligatoirement informé et consulté (. . .) gebraucht, spricht die französische Fassung der Richtlinie von l’information und la consultation. Die Begriffsbildung ist identisch (während das deutsche Recht noch zwischen Anhörung und Beratung differenziert): La consultation erfasst l’échange de vues et l’établissement d’un dialogue entre les représentants des travailleurs et l’employeur (vgl. Art. 2 lit. f) und g)). Nach allgemeiner Auffassung umfasst consulter „un échange de vues, une réponse de la direction aux questions pertinentes et une libre discussion714“. So ist es nicht verwunderlich, dass überwiegend konstatiert wird, der rechtliche Rahmen existiere in Frankreich bereits in Form der Berechtigungen des c.d.e.715 Diese Ausgestaltung hat Art. L 2323-3 c.t. (Article L432-10 a. F.) dahingehend ausgebaut, dass in konsultationspflichtigen Fragen sowohl eine eigene Stellungnahme als auch Vorschläge vom c.d.e. abgegeben werden dürfen. Inhaltlich hat sich sonst nichts verändert. Bezüglich der Definition der Information unterscheiden sich Richtlinie und code du travail ebenfalls kaum.716 Das französische Recht ist nur ausführlicher bei der Erläuterung der Übermittlung der Information. Die finale Prägung der Übermittlung hin zur Kenntnisnahme findet sich sowohl in Art. 2 g) und in Art. L2323-4 c.t. Das französische Recht ist hier stärker auf die Konsultation bezogen, allerdings zielt es nicht generell auf den Abschluss eines Abkommens.717 Auch was den geforderten Inhalt der Kompetenzen angeht, decken sich Richtlinie und der code du travail,718 da das französische Recht bezüglich des wirtschaftlichen Bereiches – wie dargelegt – umfassend ist.
713 714 715 716 717 718
Brill-Venkatasamy, IJCLLIR Pelissier Rn. 730 m. w. N. Brill-Venkatasamy, IJCLLIR Brill-Venkatasamy, IJCLLIR Schulze-Doll S. 202. Brill-Venkatasamy, IJCLLIR
2006, 259 (259 f.). 2006, 259 (260). 2006, 259 (265). 2006, 259 (269 f.).
G. Der verfahrenssichernde Unterlassungsanspruch
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(c) Die Durchsetzung der Rechte des comité d’entreprise über das référé-Verfahren Neben der strafrechtlichen Ahndung, dem delit d’entrave719, verfügt das französische Recht über die Sicherung der Beteiligungsrechte im référé-Verfahren. Der juge de référes kann in einem dem deutschen einstweiligen Rechtsschutz vergleichbaren Verfahren zur Sicherung der Rechte des c.d.e. Verfügungen anordnen. Dieser Schutz beschränkt sich nicht auf das c.d.e., sondern auf für alle Erscheinungsarten des comité d’entreprise, da die gleichen Grundsätze gelten. Die Kompetenz des tribunal de grande instance, Sicherungsverfügungen auszusprechen, findet sich in der insoweit maßgebenden Vorschrift Art. 809 des Nouveau code de procédure Civil720: „Le président peut toujours, même en présence d’une contestation sérieuse, prescrire en référé les mesures conservatoires ou de remise en état qui s’imposent, soit pour prévenir un dommage imminent, soit pour faire cesser un trouble manifestement illicite. Dans les cas où l’existence de l’obligation n’est pas sérieusement contestable, il peut accorder une provision au créancier, ou ordonner l’exécution de l’obligation même s’il s’agit d’une obligation de faire.“
Die Definition der ordonnance de référé gibt Art. 484 n.c.p.c.: „L’ordonnance de référé est une décision provisoire rendue à la demande d’une partie, l’autre présente ou appelée, dans les cas où la loi confère à un juge qui n’est pas saisi du principal le pouvoir d’ordonner immédiatement les mesures nécessaires.“
Dieser Vorgabe praktisch folgend, steht das référé-Verfahren in dem Ruf, schnell und einfach zu sein.721 Wenn es darum geht, einen drohenden Schaden zu verhindern oder eine offensichtlich unerlaubte Störung zu beenden, hat der Richter – genauer: der Präsident des TGI als Einzelrichter – die Möglichkeit die Rücknahme (la reprise) oder eine Sicherungsmaßnahme anzuordnen. In seinem Aufbau entspricht die Zweiteilung der Schutzmittel 719 Das délit d’entrave ist ein weiteres wesentliches Element der Sicherung der Beteiligungsrechte des comité d’entreprise. Diese Norm des französischen Nebenstrafrechts wird dahingehend interpretiert, dass sie die Informations- und Konsultationsrechte umfassend gewährleistet (vgl. Barten S. 178, Birk FS Kreutz, 59 [63 f.]). Le délit d’entrave gegenüber dem c.d.e. ist in Art. L2328-1 (ehem. Art. L 483-1) geregelt. Art. L 2346-1 (ehem. Art. L 483-1-2) bestimmt das gleiche Verbot für das c.e.e. Entrave meint dabei Behinderung bzw. Beeinträchtigung. Das Ansetzen an der Vollendung der Behinderung kam in der alten Fassung besser zum Ausdruck (apportée), daran wird sich aber nichts geändert haben (le fait d’apporter). Es besteht typischer a-posteriori-Schutz. 720 Die Vorschriften der anderen Gerichte entsprechen zudem dieser Regelung, vgl. auch Weber S. 45. 721 Héron Rn. 372.
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der zeitlichen Orientierung an der Störungshandlung. Beide Maßnahmen werden durch die Vornahme der Störungshandlung getrennt und knüpfen folglich an verschiedene Situationen einer Störungshandlung an.722 Anhaltspunkt für die unzureichende Beteiligung ist die offensichtlich unerlaubte (i. e. rechtswidrige) Störung (un trouble manifestement723 illicite). In Bezug auf die Beteiligungsrechte des c.d.e. wird Art. 809 n.c.p.c. auf die Handlungen des Arbeitgebers bzw. des Unternehmens entworfen. Als Rechtsverletzung i. S. d. Art. 809 n.c.d.p. wird sowohl das völlige Fehlen einer Beteiligung, als auch die fehlerhafte Beteiligung angesehen.724 Der Zusammenhang der Sicherung mit den erwarteten prozeduralen Handlungen wird dabei vorausgesetzt. Die Gerichte sind in der Terminologie im Rahmen der Sicherungsmaßnahmen nicht einheitlich. So sprechen sie teilweise von interdire oder interrompre, am häufigsten trifft man auf suspendre. Die nicht einheitliche Terminologie ist vor der Unbestimmtheit des Art. 809 zu verstehen. Insofern stellen die Urteile jeweils eine Spezifikation der mesures conservatoires im Hinblick auf das Beteiligungsverfahren dar und sind jeweils auf den gleichen Erfolg, das Unterbleiben weiterer Maßnahmen (interrompre l’operation725), entworfen. Schließlich ist zu beachten, dass sich der Begriff der Suspension nicht auf die Unterlassung einer bevorstehenden Handlung limitiert. Unter diesem Begriff wird auch das Problem diskutiert, inwiefern Effekte oder Maßnahmen aufgrund einer bereits getroffenen Maßnahme ausgesetzt werden können. Diesbezüglich ist die Rechtsprechung aber sehr zurückhaltend. Das Paradebeispiel ist eine Kündigung. Hier geht man unstrittig davon aus, dass eine Suspendierung der Kündigung dazu führte, dass die bei der Missachtung von Beteiligungsrechten regelmäßig nicht eintretende Unwirksamkeitsrechtsfolge umgangen werden würde, und lehnt es daher ab, die Kündigung zu suspendieren.726 Die gerichtliche Möglichkeit die Nichtigkeit der Kündigung festzustellen bleibt auf Einzelfälle beschränkt.727 Ein weiteres Beispiel stellt die erste Sietam-Entscheidung (von den dreien) dar. Dort lehnte es die Cour de Cassation ab, einen getätigten Aktientransfer zu unterbinden.728 722
Heron Rn. 400. Das référé-Verfahren unterscheidet zwischen eindeutiger und nicht eindeutiger Rechtslage, Weber S. 78 ff. 724 Vgl. Cohen, RPDS 1998, 283 (283). 725 DALLOZ comité d’entreprise – role et attributions en matiere economique Art. 7 § 1er. 726 Ausführlich Lafuma Rn. 449. 727 Hierzu CC, 14.1.2003, dr. social 2003, 344; vgl. auch Birk, FS Kreutz 59 (64 f.). 723
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Bemerkenswert ist, dass das Sietam-Urteil trotz seines negativen Ausgangs als Stärkung der Möglichkeit des Eilverfahrens gewertet wird.729 Im Übrigen kann man davon ausgehen, dass wenn weitere Maßnahme erforderlich sind, diese untersagt werden können.730 Die Rechtsprechung ist in diesem Bereich sehr sparsam in ihren dogmatischen Ausführungen. Differenzierungen bezüglich der Untersagung und der damit einhergehenden Freiheitsbeschränkungen der Betroffenen finden sich nicht. Die Gerichte wägen – zumindest in der Entscheidungsbegründung – nicht ab, was die Entscheidung für die Rechte des Arbeitgebers bedeutet. Regelmäßig gehen die Gerichte schwerpunktmäßig auf die Rechtsverletzung und damit auf den Inhalt des Beteiligungsrechts (insbesondere auf das Vorher der umfassenden Beteiligung) ein. Ein derartiges hermeneutisches Vorgehen ist nicht etwa unzulänglich. Es ist das Ergebnis der Überzeugung, dass Rechte, die ihrem Sinn gemäß in die Freiheitssphären anderer eingreifen, auch in ihrer Rechtsbewahrung in diese Sphären eingreifen können. War die Beteiligung nicht rechtmäßig, so kommt Art. 809 n.c.p.c. zur Anwendung. Für die deutsche Rechtslage ist dabei sehr interessant, wie sich Art. 809 n.c.p.c. zum materiellen Recht verhält. Denn die soeben genannten Elemente der Beteiligungsrechte finden sich auch in den Beteiligungsrechten des BetrVG und §§ 935, 940 ZPO sehen einstweiligen Rechtsschutz vor. Der französischen Norm liegt dabei ein anderes Verständnis des Zusammenspiels von materiellem und prozessualem Recht zugrunde. Das référéVerfahren ist zwar von der materiellen Rechtslage abhängig, es besteht aber eine Interaktion und weniger eine Abhängigkeit von der materiellen Rechtslage, wie sie der herrschenden dogmatischen Einteilung in Deutschland entspräche.731 So determiniert der Inhalt des materiellen Rechts die Störung. Müsste die Beteiligung nicht vorher geschehen (vgl. Art. 2323-2 c.t.) und würden nicht explizite verfahrenstechnische Schritte gefordert, bestünde keine für das Prozessrecht erforderliche Gefahr einer unrechten Störung. Das référé-Verfahren unterscheidet dabei sogar zwischen eindeutiger und nicht eindeutiger Rechtslage. Art. 809 n.c.p.c. setzt wegen des Tatbestandsmerkmals manifestement eine eindeutige Rechtslage voraus. In den Fällen einer eindeutig rechtswidrigen Störung oder einer ernsthaft nicht zu bestreitenden Forderung, prüft das Gericht stets summarisch, ob unter Berücksich728 CC, dr. social 1996, 487 (488); vgl. auch Körner S. 189 zur Einordnung des Urteils in der französischen Literatur; aktuell: Lafuma Rn. 446. 729 Pélissier/Lyon-Caen/Jeaummaud/Dockès S. 524. 730 Vgl. die Nachweise bei Lafuma Rn. 450. 731 s. S. 65.
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2. Kap.: Die Unterlassungsansprüche des Betriebsrats
tigung des Beklagtenvorbringens eine eindeutige Rechtslage vorliegt, die keinen Zweifel am Ausgang des Hauptsachverfahrens lässt. Im Falle eines beiderseitig substantiierten Streites ist es ebenfalls notwendig, dass die materielle Position des Klägers von vornherein nicht ausgeschlossen ist.732 Während in Deutschland die Untersagungsverfügung als vorläufige Vorwegnahme einer eigenen Hauptsache zur Sicherung fungiert, hat die ordonnance en référé den Sinn, die Entscheidung in der Hauptsache des Beteiligungsstreits zu gewährleisten.733 Die Unterlassungsverfügung hat damit unmittelbar prozesssichernden Charakter, den das deutsche Recht wegen der Zentrierung des materiellen Rechts nur reflexartig erfüllt. Aus der deutschen Sichtweise wäre Art. 809 c.n.p.c. in etwa mit dem Gedanken der Koinzidenz von Rechtsverleihung und Rechtsdurchsetzung vergleichbar. Ein funktional vergleichbares Gesamtkonstrukt wird dabei erst in der Addition von Prozessrecht und materiellem Unterlassungsanspruch errichtet. Wobei der Aspekt der Sicherung des Hauptverfahrens in Deutschland stark in den Schatten der Vorwegnahme der Hauptsache getreten ist.734 Dennoch sind die Entscheidungen, in denen die Gerichte explizit Handlungen unter Zwang (sous astreinte) untersagen (l’interdiction) bis die Beteiligung abgeschlossen ist (tant que la procédeure nèst pas terminée), vergleichbar. Der juge de référé ist für das c.d.e. praktisch die einzige Möglichkeit seine Rechte zu realisieren. Diese Funktion und dieser Stellenwert haben dem Eilrichter die Bezeichnung juge de procedure, Richter des Verfahrens, eingebracht.735 (d) Überblick über die Kasuistik Betrachtet man die für die Richtlinie 2002/14/EG besonders interessanten wirtschaftlichen Angelegenheiten, so gibt es kaum eine unternehmerische Entscheidung, die nicht Gegenstand einer Untersagungsverfügung geworden ist. Die französischen Gerichte haben eine Kasuistik herausgebildet, in der der Eilrichter, die Maßnahme zu verhindern hat:736 Die Maßnahmen reichen vom Verhindern des Abtransportes von Fabrikationsmaterial bis zur Untersagung der Restrukturierung des Unternehmens; von der Aufgabe Materia732 733 734
Weber S. 81. Weber S. 111. Vgl. zur Rezeption dieses Gedankens im Französischen: Birk, FS Kreutz, 59
(65). 735 736
Lafuma Rn. 451. Vgl. auch die Zusammenstellung bei Birk, FS Kreutz, 59 (67),
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lien zurückzubringen, bis zur Suspendierung des Ausgliederns ganzer Unternehmsteile.737 Ergänzend hat die Cour de Cassation in Honeywell ein Urteil bestätigt, in welchem dem Arbeitgeber aufgegeben wurde, den Transfer von Beschäftigten im Rahmen einer Neuorganisation zu unterlassen.738 Regelmäßig werden auch Werkschließungen vor den Gerichten erörtert. Ein Beispiel hierfür ist die bereits erörterte Rechtssache Vilvoorde.739 In dem auch in Deutschland bekannten Fall Marks & Spencer untersagte das TGI Paris am 19.9.2001 sogar die Schließung einer gesamten Kette in Frankreich.740 Ein Beispiel für die Untersagung einer Verlagerung ins Ausland ist der Fall Chaffoteaux & Maury. Am 10.9.2004 untersagte das tribunal de grande instance de Nanterre eine solche Maßnahme (faire interdiction à l’empoyeur de procéder à toute opération de delocalisation) bevor nicht die Konsultation abgeschlossen ist741 und versah das Verbot mit einem Zwangsgeld i. H. v. 100 000 Euro. Hinzukommt der Fall Vivendi, in dem das TGI de Rennes die Durchführung eines Abkommens über die Verkürzung der Arbeitszeit im Unternehmen aussetzte.742 (e) Ein Beispiel: Gaz du France/SUEZ Besonders bemerkenswert sind die Urteile in der Rechtsache Gaz de France/SUEZ (Comité de entreprise européen de Gaz de France gegen Gaz de France SA), an denen das System der Sicherung exemplarisch dargestellt werden soll. Nicht nur, dass mit der Untersagung einer Fusion der Kernbereich unternehmerischer Entscheidungen betroffen war, mittlerweile ist der Rechtsstreit durch sämtliche Instanzen hindurch zugunsten der Sicherung der Beteiligungsrechte entschieden worden und stellt damit ein klares Votum der französischen Rechtsordnung zugunsten der Sicherung der Beteiligungsrechte dar. In der aktuellen französischen Literatur wurde daher von Lafuma die Frage aufgeworfen, ob diese Urteile nicht verallgemeinerungsfähig seien.743 Jedenfalls sicherten sie den effet utile der Beteiligungsrechte. 737 Cohen S. 603 f.; DALLOZ comité d’èntreprise – role et attributions en materie économique Art. 7 § 1er. 738 z, 18.6.2002 – n0 2130 FS-P, RJS 2002, 855. 739 Vgl. oben; die Schließung einer Bank: TGI de Paris, RJS 2002 1248 (1249). 740 TGI Nanterre, AuR 2002, 32. 741 TGI Nanterre, RPDS 2004, 365 (366). 742 TGI Rennes, RPDS 1998, 289 ff.; bestätigt durch Cour de Cassation, RJS 1999, 47 f.; in dieselbe Richtung: CC, 28.11.2000, dr. social 2001, 212. 743 Lafuma Rn. 446; zum Zeitpunkt der Konsultation: Lhernould, RJS 2002, 279 (280).
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2. Kap.: Die Unterlassungsansprüche des Betriebsrats
Der Fall nahm seinen Anfang am 25. Februar 2006. An diesem Tag verkündete der Premier-Minister Dominique de Villepin das ehrgeizige Projekt der Fusion zweier Energieversorger. Hinter der Fusion stand das Bemühen der französischen Regierung, SUEZ vor einer Übernahme eines italienischen Konkurrenten zu bewahren.744 Gewerkschaften hingegen fürchteten durch die Fusion von Gaz de France SA mit SUEZ insgesamt einen Arbeitsplatzverlust in Höhe von ca. 20.000 Stellen.745 Das c.e.e. von Gaz de France – am14.11.2001 durch Vereinbarung gebildet – trat am 23. März und am 31 Mai 2006 zusammen, um über das Projekt zu beraten. Dem c.e.e. war es zu diesem Zeitpunkt nicht möglich, zu den die Fusion maßgeblich beeinflussenden Berichten Stellung zu nehmen. In der zweiten Sitzung baten die Mitglieder daher um die Übermittlung von Dokumenten, die ein Experte für das c.d.e. angefertigt hatte, sowie um deren Übersetzung in die jeweiligen Sprachen der Mitglieder des c.e.e. Man behielt sich vor, je nach den Resultaten dieser Dokumente zusätzliche Fragen zu stellen und notfalls ein eigenes Gutachten erstellen zu lassen, um das Gutachten gegebenenfalls sowohl für Frankreich auszubauen als auch sich bezüglich ausländischer Tochterfirmen eine eigene Meinung zu bilden. Am 20. Oktober schickte der Vizepräsident der (General-)Sekretärin des c.e.e. (la secrétaire746) eine E-Mail, in er der eine außerordentliche Sitzung des c.e.e. am 7.11. anberaumte, um die Modalitäten und den Inhalt der Fusion und deren Auswirkungen auf die Arbeitnehmerschaft zu erörtern und das c.e.e. hierzu zu konsultieren. Die Generalsekretärin konnte dieser Bitte nicht nachkommen; sie selbst hatte keine Kenntnis von den Dokumenten, welche die Firmenleitung dem c.e.e. übermitteln sollte. Am 24. Oktober übersandte der Vizepräsident der Generalsekretärin sodann die für das c.d.e. erstellten Dokumente sowie ein Schreiben der Europäischen Kommission bezüglich der Fusion sowie Vorschläge zur Abmilderung der Folgen. Er meinte, damit sei die Information komplett. Die Dokumente waren indes nicht übersetzt. Daraufhin verlegte der Vizepräsident die Sitzung auf Gesuch der Generalsekretärin auf den 15.11.2006. Am 15.11.2006 wiederum wurde einstimmig der Beschluss gefasst, die Unzulänglichkeit der Information bezüglich der Konsequenzen und Risiken, die sich für die Beschäftigten ergäben, zu verurteilen.747 Im Speziellen ging es um die Redundanz des Tätigkeitsbereichs zweier Tochterfirmen (Cofat744
Altmeyer, AiB 2007, 503 (504). Altmeyer, AiB 2007, 503 (504). 746 Der Sekretär bzw. die Sekretärin des c.d.e bzw. des c.e.e. ist praktisch betrachtet die Führungsfigur der Arbeitnehmerseite, eine Stimme bei Abstimmungen hat sie bzw. er aber nicht. Ausführlich: Barten S. 138. 747 www.cfe-energies.com/download.php?id=5002690 (30.1.2009). 745
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hec und Elto) in Italien, die zu einer Gefährdung von bis zu 3000 Arbeitsplätzen hätte führen können. Hierzu wollte das c.e.e. Gutachten erstellen und insbesondere die notwendigen Informationen zusammentragen lassen. Darauf aufbauend lehnte das c.e.e. es ab, eine Stellungnahme zum Projekt abzugeben und forderte eine weitere Sitzung, um dann informiert beraten zu können. Die Zeit hierzu war denkbar knapp. Bereits am 22.11.2006 wollte der Verwaltungsrat der Gaz de France der Fusion zustimmen. Noch am 15.11.2006 zog das comité vor Gericht. Im Eilverfahren untersagte das TGI de Paris am 21.11.2006 der Gaz de France SA, weitere Schritte bezüglich einer Fusion bis zur vollständigen Beteiligung des Europäischen Betriebsrats zu unternehmen.748 Ferner verschob es das drohende Treffen des Verwaltungsrates. Das Gericht bezog sich in der Begründung vor allem auf die aus einer Vereinbarung herrührenden Beteiligungsrechte749 und insbesondere auf die Berechtigung des c.e.e., eine Expertise einzuholen zu können. Ergänzend wies es auch auf die unvollständige Information hin. Ferner betonte das TGI, dass das Begehren des c.e.e. nicht rechtsmissbräuchlich sei. Gaz de France habe die Verzögerung und die Unvollständigkeit der Informationen verursacht. Zudem seien die geforderten Gutachten notwendig, um dem c.e.e. einen angemessene Stellungnahme bezüglich der Fusion zu ermöglichen. Denn bezüglich des Inhalts der Beteiligung stützte das Gericht seine Entscheidung darauf, dass Gaz de France die europäische Dimension des Projekts verkannt habe, da die erforderlichen Schritte des Beteiligungsrechts nicht identisch mit der Information für das c.d.e. seien. Ferner stellte das Gericht fest, dass noch weitere Informationen fehlten. Zudem müssten die Antworten der Gaz de France auf die Fragen des c.e.e. erfolgen und in die erforderlichen Sprachen übersetzen werden. Im Ergebnis folgerte das Gericht, dass die Art der Verfahrensführung die Rechte des c.e.e. verletze und das Verfahren per se noch nicht vollständig abgeschlossen sei. Gegen dieses Urteil wehrte sich Gaz de France vergebens. Die Cour d’appel bestätigte das Urteil noch am selben Tag um Mitternacht.750 Weder der Einwand, es fehle an einer eindeutig rechtswidrigen Störung751 noch der Hinweis, die Verzögerung gefährde das gesamte Projekt der Fusion, vermochten die cour d’appel umzustimmen. Zur Begründung betonte das Ge748 TGI de Paris, ord. De ref. 21 nov. 2006 No. 06/59279, von der CA. de Paris bestätigt, No. 781; http://www.union-network.org/unieuropan.nsf/3827-df393340872 dc12572aa004d73fc/132a0b4cef77243bc12572c20050d047?OpenDocument (30.1. 2009). 749 http://www.epsu.org/IMG/pdf/accord_GDFallemand.pdf. 750 Cour d’appel, RG No. 06/59279, Altmeyer, AiB 2007, 503 (504). 751 In der Tat fehlte im Urteil des TGI eine Bezugnahme auf Art. 809, wobei auch das Urteil der Cour d’appel die Norm nicht ausdrücklich nennt.
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2. Kap.: Die Unterlassungsansprüche des Betriebsrats
richt die Bedeutung des europäischen Rahmens für die verletzten Beteiligungsrechte. Zusätzlich stellte es auf die Verantwortung von Gaz de France ab, denn dieser obliege es, die zeitlichen Abläufe der Beteiligungsverfahren zu koordinieren. Das letztinstanzliche Urteil der Cour de cassation752 bestätigte am 16.1. 2008 die vorangegangenen Urteile und stellte gesondert heraus, dass die Beteiligungspflichten von c.e.e. und c.d.e nicht den gleichen Gegenstand haben müssten und dass die Auskunft an das eine comité nicht zur Folge haben müsse, dass das andere nicht zu beteiligen sei. Der darauf bezogene Einwand von Gaz de France, die Cour d’appel habe das c.e.e zu einer Art supranationalem c.d.e. gemacht, zeige deutlich, dass die Leitung die europäische Dimension verkannt habe. Ferner stellte das Gericht fest, dass unter den Umständen der Informationslage die Untersagungsverfügung eine bzw. die notwendige Maßnahme war. Zudem erteilte er der Ansicht der Gaz de France, die Untersagungsverfügung hätte befristet werden müssen, eine Absage und beließ es beim Bedingungszusammenhang von negatorischem Schutz und Rechtsbestand. Das ordnungsgemäße Konsultationsverfahren wurde in nicht mehr als drei Monaten abgeschlossen. Seit Mitte 2008 firmieren beide Unternehmen unter dem Namen GDF Suez SA. (f) Die Implikationen Die grundlegende Erkenntnis, dass die Verleihung von Rechten und die Einrichtung eines Dialogs und eines hieraufgerichteten Verfahrens notwendigerweise eine Untersagungsverfügung erfordern, tangiert auch Deutschland. Die Verfestigung dieser Rechtsüberzeugung in Frankreich ist schon deswegen erstaunlich, weil sich die Arbeitsgerichte erst seit Anfang der achtziger Jahre mit der Frage beschäftigen. Dies ist aber angesichts der Evidenz der Schutzwürdigkeit der Rechte nicht überraschend. So interessant hingegen das französische Konstrukt des Schutzes der Beteiligungsrechte der Arbeitnehmervertreter auch ist, für Deutschland hat die dogmatische Verlagerung der Problemlösung auf das Prozessrecht keine weiterführende Bedeutung. Diese dogmatische Unterscheidung wird nur in seltenen Fällen zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. So kann in Frankreich schon bei dem Bestehen eines vertraglichen Beteiligungsrechts regelmäßig die Unterlassung beantragt werden, in Deutschland wäre unter Umständen noch die Vereinbarung (ergänzend) auszulegen. Wichtiger ist es, die Funktionen und den Sitz des Instituts in der Praxis des Landes zu betrachten. Die dogmatischen Fundamente beruhen häufig 752
CC, 16.1.2008, RJS 2008, 347.
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auf historischen, ideologischen oder gar zufälligen Besonderheiten.753 Es geht also um eine funktionale Betrachtung des Sicherungssystems und die Betrachtung der Lösung des spezifischen Problems unter Beachtung des gesamten Kontextes der Rechtsordnungen.754 Frankreich hat ein System von Information und Konsultation geschaffen, das aufgrund seiner Struktur und seines Inhalts mit den europäischen Vorgaben stark harmoniert und als eine Art Baustein betrieblicher Beteiligung jedem Mitgliedstaat vermittelbar ist. Insofern liegt es nahe, die prozessuale Sicherung für die Rechtsgewinnung heranzuziehen. Es wird das Leitbild des die beteiligungspflichtige Maßnahme untersagenden Gerichts geprägt.755 Der Richter wird zum Richter des Verfahrens. Zugleich wird vor Art. 8 Abs. 1 S. 2 eine mitgliedstaatenadäquate Lösung getroffen. Freilich darf man nicht unbesehen die französische Lösung in Art. 8 RL 2002/14/EG hineinlesen. Europarecht ist prima facie vor dem Postulat der autonomen und einheitlichen Interpretation niemals nur vor dem Hintergrund der Rechtsordnung eines Staates, sondern grundsätzlich im Lichte der gemeinsamen Rechtstradition der Mitgliedstaaten der EU auszulegen.756 Dabei tritt allerdings wegen der angebrachten Rechtsbewertung bei Unterschieden im nationalen Recht die Rechtsordnung in den Vordergrund, welche den Zielen und Strukturen des Unionsrechts am besten entspricht.757 Insofern liefert ein Vorbildrecht einen Anhaltspunkt für die Auslegung des Unionsrechts.758 Wie Daig richtig feststellte, darf der (Unions-)Richter die Regelungen nicht ignorieren, aus denen das Unionsrecht hervorgegangen und auf die es zurückzuwirken bestimmt ist.759 Der Richter müsse sich fragen, welche Lösung am besten in das Unionsrecht hineinpasse. Diese Vorbildfunktion müsse sich folgerichtig auch auf die Art und Weise erstrecken, wie ein Lebenssachverhalt mit seinen innewohnenden Interessengegensätzen geregelt ist.760 Zumindest liegt dieser Schluss näher als ein sicherungsloser Zustand. Man kann dann nicht automatisch ein Sicherungsniveau aus dem französischen Recht auf die europäische Ebene übertragen. Im Endeffekt hat das französische Recht jedoch eine Indizfunktion für den rechtlichen Rahmen, von dessen Sicherungsniveau „nach unten“ nicht ohne triftigen Grund abgewichen werden darf. Es hilft somit das Mindestniveau der Richtlinie zu eru753 754 755 756 757 758 759 760
Gamillscheg, RdA 1987, 29 (31). Zum Nutzen derartiger Vergleiche: Fabricius S. 4; Schuster S. 25. Hierzu noch: S. 239. Bleckmann ZGR 1992, 364 (365 f.). Bleckmann ZGR 1992, 364 (366). Riesenhuber I-Riesenhuber § 11 Rn. 38. Daig, FS Zweigert, 395 (408 f.). Gamillscheg, RdA 1987, 29 (31).
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ieren und damit den Rahmen der Mindestvorschriften zu konturieren. Genau das ist beim Verständnis und der Interpretation von Art. 8 Abs. 1 S. 1 i. V. m. S. 2 bei der nationalen Entscheidung für ein gerichtliches Verfahren (Var. 2) zu berücksichtigen. Das französische Recht zeigt Deutschland, dass einfache Informations- und Konsultationsrechte – ohne dabei auf ein Vetorecht hinauszulaufen – über Untersagungsverfügungen effektiv gesichert werden können und müssen, wenn man ihre Einhaltung erreichen will.761 Unter Verweis auf seine Praxis geht man in Frankreich zudem folgerichtig davon aus, dass die Junk-Rechtsprechung keine Auswirkungen auf das französische Arbeitsrecht hat.762 Ein deutsches Gericht sollte seine Auslegung dahingehend präzisieren, dass diese die Rechtseinheit vor der RL 2002/14/EG wahrt.763 Dann kann auch in Deutschland die Erfüllung der Vorgaben aus der RL 2002/14/EG und derjenigen des EuGH in der Rechtssache Junk realisiert werden. e) Die Gewährleistungsfunktion des allgemeinen Rahmens Die Herausbildung einer Unterlassungsverpflichtung des Arbeitgebers legitimiert sich ferner aus der Gewährleistungsfunktion des allgemeinen Rahmens als eigenem Ziel der Richtlinie. Zugleich ist die Unterlassungspflicht der zentrale Ausdruck dieser Eigenschaft der Richtlinie. Richtlinien geben vor, welches Verhalten sie akzeptieren bzw. nicht akzeptieren und vor welchen Situationen geschützt werden soll.764 Die Vornahme der Maßnahme ohne vorherige Konsultation gehört zu den von der Richtlinie nicht akzeptierten Verhaltensweisen. Damit rückt auch das Verhindern dieses Verhaltens in den Mittelpunkt des allgemeinen Rahmens. Darüber hinaus dokumentiert die Genese der Richtlinie die Anforderungen an den nationalen Umsetzungsakt. aa) Erwägungsgrund 6 und Art. 11 Abs. 1 S. 1 HS. 2 Bereits frühzeitig wurde in der Literatur auf die Bedeutung der Erwägungsgründe für die Problematik des Unterlassungsanspruchs hingewiesen.765 In der Tat stützen sie das gefundene Ergebnis. Während die ersten fünf Erwägungsgründe den primärrechtlichen Rahmen der Richtlinie inklu761 762 763 764 765
Remy, dr. social, 2008, 903 (913). Vgl. Remy, AE 2007, 114 (114 u. 117). Zweigert/Kötz S. 19 f. Malmberg-Malmberg, S. 27; Malmberg, EJIR 2004, 219 (219). Kohte, FS, 50 Jahre BAG, 1219 (1248 f.).
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sive des Richtliniensetzungsverfahrens beschreiben, setzt sich Erwägungsgrund 6 an die Spitze der Erläuterungen der inhaltlichen Vorgaben. Dieser Erwägungsgrund hält sowohl den bestehenden unionsrechtlichen Regelungen wie den nationalen Systemen mangelnde Effektivität bezüglich der Einbeziehung der Arbeitnehmer in die Unternehmensabläufe und bei den sie betreffenden Entscheidungen vor. Diese Regelungen konnten vor 2002 nicht immer verhindern, dass Arbeitnehmer betreffende schwerwiegende Entscheidungen gefällt und bekannt gemacht wurden, ohne dass zuvor das Informations- und Konsultationsverfahren durchgeführt worden war. Schon aus diesem als Rüge formulierten Erwägungsgrund lässt sich ableiten, dass die RL 2002/14/EG ein Durchsetzungssystem fordert, mithilfe dessen die Einhaltung der Beteiligungsrechte stets erreicht wird. Mit dieser Vorgabe schließt die Richtlinie in Art. 11 Abs. 1 HS. 2 auch ab. Nach dieser Norm müssen die Mitgliedstaaten alle notwendigen Maßnahmen treffen, um die Erreichung der von der Richtlinie vorausgesetzten Ergebnisse jederzeit erreichen zu können. bb) Zwei feste Säulen der Durchsetzung: Anteriorität und wirksame Durchsetzung Der Gedanke der unbedingten Beachtung der vorherigen bzw. frühzeitigen Beteiligung zieht sich durch sämtliche einschlägigen Richtlinien,766 dokumentiert sich aber zum ersten Mal ausdrücklich in der Richtlinie 2002/14/EG. In der Europäischen Betriebsverfassung finden sich fortzuentwickelnde verallgemeinerungsfähige Strukturen wie etwa die faire verfahrensmäßige Ausgestaltung. Die Forderung nach rechtzeitiger Information und Konsultation findet sich auch in Art. 7 RL 94/45/EG i. V. m. Nr. 3 des Anhangs (unverzüglich), Art. 2 Abs. 1 und 3 RL 98/59/EG, Art. 7 Nr. 1 S. 2 RL 2001/23/EG (rechtzeitig) sowie Art. 4 Abs. 3 und 4 RL 2002/ 14/EG. Art. 7 RL 2001/23/EG spricht von rechtzeitig vor dem Vollzug. Bei der Massenentlassungsrichtlinie ist die Anteriorität durch den EuGH in Junk umfassend herausgestellt worden.767 In der Systematik ist der Erwägungsgrund 20 der Richtlinie 94/45/EG hervorzuheben. Dort heißt es, dass die Arbeitnehmervertreter unverzüglich zu unterrichten und zu konsultieren sind und dies gerade zu einem Zeitpunkt, bevor etwaige Beschlüsse ausgeführt werden. Diesen Gedanken setzt der bereits zitierte Erwägungsgrund 6 der RL 2002/14/EG voraus. Diese Aussage besitzt folglich Modellcharakter für die 766
Brors, S. 97. Ausdrücklich bestätigt durch EuGH, Urteil vom 10.9.2009 – C-44/08 (AEK), NZA 2009, 1083. 767
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Europäische Betriebsverfassung und ist Inbegriff eines umfassenden Rechtsgedankens, der in die späteren Richtlinien inkorporiert wurde und keiner weiteren derart expliziten Erwähnung bedarf. Auch zur Durchsetzung der Rechte und damit des Vorher der Beteiligung finden sich in den Richtlinien der Europäischen Betriebsverfassung entsprechende Regelungen, etwa in Art. 11 Abs. 1 RL 94/45/EG, Art. 6 RL 98/59/EG, Art. 9 RL 2001/23/EG und Art. 8 Abs. 1 und 2 RL 2002/14/EG. cc) Die Unterlassung der Maßnahme als Konsequenz eines fairen Verfahrens Die Verdichtung der einzelnen Richtlinienbestimmungen bezüglich des Rechts der Arbeitnehmer auf Information und Konsultation768 ist ein zeitlicher und inhaltlich-kompositorischer Vorgang, der seit den 1970er-Jahren von der Europäischen Kommission vorangetrieben wurde bzw. wird. (1) Die vier Traditionslinien der Richtlinienentwicklung In der wissenschaftlichen Diskussion sind dementsprechend vier Traditionslinien in der Europäischen Betriebsverfassung herausgearbeitet worden, die sich aus dem Prozess der Richtliniensetzung in der Europäischen Union herausfiltern lassen:769 Aus dem klassischen Schutzzweck der Beteiligung bzw. des Arbeitsrechts heraus ermöglichen die Richtlinien sachgerechte Lösungen für die einzelnen Arbeitnehmer. Dies gilt sowohl innerhalb des Betriebes als auch außerhalb, denn vorherige Beteiligung eröffnet den Betroffenen die Möglichkeit, gegebenenfalls externe und v. a. frühzeitige Lösungen zu finden. Diese arbeitsrechtliche Linie leitet in eine sozialrechtliche über. Dadurch, dass das Antizipationspotenzial der Betriebe ausgeschöpft bzw. effektiviert wird, werden die Sozialversicherungssysteme entlastet. Frühzeitige Realisierung der Beteiligungsrechte und damit einhergehende Antizipation durch die Arbeitnehmer beugt der Arbeitslosigkeit vor, reduziert die Notwendigkeit von Leistungen der Sozialversicherung und wirkt sich damit dämpfend auf die Beitragssätze aus. 768
Der Blick muss geweitet werden. Nicht nur die Richtlinien der Europäischen Betriebsverfassung sehen Informations- und Konsultationsrechte vor, de facto existiert eine Vielzahl an Bestimmungen, vgl. im Überblick: H/S/W; zur Arbeitnehmerbeteiligung im Arbeitssicherungsrecht Bücker/Feldhoff/Kohte, Rn. 267 ff. 769 HaKo-Kohte, RL 2002/14/EG, Rn. 8; Fuchs/Marhold, S. 299 Fn. 884; spezieller für die Information: Kohte, FS 50 Jahre BAG, 1219 (1229 f.).
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Die dritte Traditionslinie ist einer wirtschaftsrechtlichen Betrachtung geschuldet. In der Europäischen Union hat sich die Überzeugung durchgesetzt, dass die Beteiligung der Arbeitnehmer für die Umstrukturierungsmaßnahmen unerlässlich ist. Durch die Aktivierung des ArbeitnehmerKnow-how kann der betriebliche Informationspool potenziert werden. Dies führt zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit Europas – gerade vor dem Hintergrund der Herausforderungen der Globalisierung. Die letzte Linie ist eine prozedurale. In allen Richtlinien wird vorausgesetzt, dass Information, Konsultation und Verhandlung fair bleiben und mit gegenseitigem Respekt durchgeführt werden. Diese Traditionslinie erweist sich für die Realisierung der anderen als unabdingbar. Nur wenn eine faire prozedurale Ausgestaltung vorgenommen wird, können sich die anderen Traditionslinien verwirklichen. Die vier Linien greifen offensichtlich ineinander und bilden zudem ein dynamisches Konzept. (2) Die Unterlassungspflicht als Konsequenz der Entwicklung eines fairen Verfahrens Dieses dynamische Konzept wird durch die Richtlinie 2002/14/EG fortentwickelt. Vom einfachen Arbeitnehmerschutzrecht (erste Linie) hat sich ein bedeutender, allerdings nur zwischen den Zeilen wahrnehmbarer Schritt vollzogen. In letzter Konsequenz hat sich in der Richtlinie eindeutig eine Entwicklung hin zu einem europäischen Teilhabegedanken abgeschlossen. Dieses Verständnis findet sich im Davignon-Bericht, der die Abkehr des Bildes des Anweisungen entgegennehmenden Arbeitnehmers hin zu einem Element der Entscheidungsfindung postuliert.770 Dieser Bericht hat den Vorschlag der Kommission maßgeblich beeinflusst.771 Zudem wird der Arbeitnehmer aus den Rechtsbeziehungen in der Richtlinie 2002/14/EG herausgenommen.772 Mit diesem Verständnis erhält auch die kollektiv-rechtliche prozedurale Linie eine Aufwertung. In ihr müssen nunmehr die Interessenkonflikte fair gelöst werden Die prozedurale Fairness wird neben der RL 94/45/EG im Bereich der europäischen Betriebsräte nunmehr erstmals für die rein national orientierten Beteiligungsordnungen zwingend festgeschrieben. Damit besteht nicht mehr lediglich ein normatives Leitbild, sondern ein zwingendes Programm. Das Leitbild der Fairness bedingt zudem die Forderung an die Mitgliedstaaten, effektive Sicherungsinstrumente vorzusehen, um in den Fällen der 770 771 772
Davignon-Bericht, S. 2; ebenso Blanpain, Involvement, S. XVI. KOM (1998) 612endg. S. 2. Dazu sogleich S. 213.
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Nichteinhaltung der Rechte bzw. des unfairen Verhaltens die Rechte aus der Richtlinie zu gewährleisten. Den effet utile der Richtlinienvorgaben hebt nur die Richtlinie 2002/14/EG ausdrücklich hervor, vgl. Art. 1 Abs. 2 und Art. 11 Abs. 1 S. 1 HS. 1. Für die übrigen Richtlinien fand das Postulat seine Stütze bisher allein in Art. 10 EGV (Art. 4 Abs. 3 AEUV). Geht man wiederum von der prozeduralen Traditionslinie aus, so präzisiert die Richtlinie 2002/14/EG diese normative Vorgabe und mündet in der unbedingten, d. h. jederzeitigen Gewährleistung. Dieser Aspekt repräsentiert das negatorische Destillat der vierten Traditionslinie. Nach Art. 11 haben die Mitgliedstaaten alle notwendigen Maßnahmen zu treffen, um jederzeit gewährleisten zu können, dass die in der Richtlinie vorgeschriebenen Ergebnisse erreicht werden können. In dieser Akzentuierung bilden Art. 8 Abs. 1 und 2 der RL 2002/14/EG nunmehr lediglich Teile im umfassenden Gewährleistungssystem. Ältere Richtlinien hingegen widmen der Gewährleistung stets nur einen Artikel. Historisch lässt sich dieser Aspekt nicht allein unter Rekurs auf den Vilvoorde-Fall belegen. In dem der Richtlinie auch zugrunde liegenden GyllenhammerBericht findet sich gerade in Bezug auf die Eigendynamik des europäischen Entwurfs die Betonung der Notwendigkeit, Mindeststandards festzulegen, die ganz spezifisch darauf hinauslaufen, Unregelmäßigkeiten im Hinblick auf die Information und Konsultation der Arbeitnehmer zu verhindern.773 Dem folgend, hob der Kommissionsvorschlag in Punkt 4 ausdrücklich die Gewährleistung der vorherigen Information und Anhörung der Arbeitnehmer hervor. Nach der Vorstellung der Kommission soll die Richtlinie daher gewährleisten, dass ein Informations- und Konsultationsrecht seinen Sinn erfüllt, einen bevorstehenden Wandel in einem sozialverträglichen Rahmen ablaufen zu lassen und der Beschäftigungspolitik den Vorrang einzuräumen.774 dd) Die Vorgaben für die Ausgestaltung zur Gewährleistung der Rechte Mag es nach dieser kurzen summarischen Betrachtung den Anschein haben, als füge sich Richtlinie 2002/14/EG nahtlos in das Richtliniensystem sowie in die vorgegebenen Strukturen ein und fülle positive Lücken, so täuscht dies. Die Richtlinie 2002/14/EG baut, der Vorgabe des Gyllenhammer-Berichts folgend, es gelte Neues zu schaffen und Bestehendes zu verbessern,775 773 774 775
Gyllenhammer-Bericht, S. 5 u. 8. KOM (1998) 612endg S. 3. Gyllenhammer-Bericht, S. 5.
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die Europäische Betriebsverfassung nicht nur in quantitativer, sondern auch in qualitativer Hinsicht aus.776 (1) Keine unmittelbaren Durchsetzungsinstrumente auf individualrechtlicher Ebene In der Literatur weisen Schulze-Doll/Ritschel sowie Kohte auf die mit der Richtlinie 2002/14/EG einhergehende Trennung von individueller und kollektiver Ebene hin777 und übertragen diesen Gedanken auch auf die Durchsetzungsinstrumentarien. Art. 8 Abs. 1 RL 2002/14/EG ist diesbezüglich nicht eindeutig. Er nennt zwar nur Arbeitgeber und Arbeitnehmervertreter, bezieht diese Nennung aber lediglich auf die Nichteinhaltung und entwirft dieses Verhältnis folglich nicht positiv. Satz 2 ist ebenso unbestimmt. Vor seiner Formulierung ist es grundsätzlich denkbar, die gerichtliche Durchsetzung des Nachteilsausgleichs als ein gerichtliches Verfahren anzusehen. Daneben denkt die Richtlinie auch in den Kategorien Arbeitnehmer/Arbeitnehmervertreter, vgl. Art. 2 lit. d) und e). Andererseits kann man anführen, dass Arbeitnehmer eben gerade nicht bei Art. 8 der RL 2002/14/EG genannt werden. Die Richtlinie spricht zudem im Rahmen der Beteiligungstatbestände ausschließlich von Arbeitnehmerrepräsentanten. Daraus ist zu folgern, dass in Art. 8 RL 2002/14/EG die kollektive Ebene rechtlich ausgestaltet wird.778 Den hierfür maßgebenden Punkt bildet Art. 1 Abs. 3 RL 2002/14/EG. Nach dieser Norm sind die effektiv auszugestaltenden Modalitäten der Beteiligungsrechte allein auf Arbeitgeber und Arbeitnehmervertreter zu verteilen. Die Arbeitnehmer werden bewusst aus der Zuweisung der Rechte und Pflichten der Richtlinie herausgehalten. Führt man sich ferner vor Augen, dass die Herleitung der Unterlassungspflicht des Arbeitgebers in der Rechtsprechung des EuGH gerade aus den verfahrensmäßig praktisch wirksamen Voraussetzungen der Beteiligungsrechte herausgearbeitet wurde, handelt es sich auch bei der verfahrenssichernden Unterlassungsverpflichtung um eine Modalität der kollektiven Information und Konsultation. Auch die weitere Ausgestaltung dieser Pflicht liegt dann im Anwendungsbereich der Vorgaben des Art. 1 Abs. 2 und 3 RL 2002/14/EG. 776
Brors, S. 188 u. 195: Evolution. Schulze-Doll/Ritschel, AuR 2008, 268 (269); Kohte, FS Richardi, 601 (612); a. A. Oetker/Schubert, EAS B 8300, Rn. 388; zweifelnd Lobinger, ZfA 2004, 101 (180). 778 In diese Richtung: Schiek, Teil 2 D, Rn. 32; vor der Formulierung des Art. 4 Abs. 2 lit. c) zweifelnd: Lobinger, ZfA 2004, 101 (180). 777
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2. Kap.: Die Unterlassungsansprüche des Betriebsrats
Dieses Ergebnis deckt sich wiederum mit dem Erwägungsgrund 16, denn danach bleiben Regelungen unberührt, welche die direkte Mitwirkung der Arbeitnehmer enthalten. Damit geht die Aufgabe der Rechtsdurchsetzungsalternativität einher. Weiter noch: Derjenige, dem die Rechte nach der Richtlinie zugewiesen sind, muss auch das Sicherungsrecht für diese Rechte innehaben.779 Betrachtet man die vorangegangenen Richtlinien, v. a. im Arbeitsschutzrecht, so gingen diese in der Regel von einer alternativen Rechtsträgerschaft der Beteiligungsrechte zwischen Arbeitnehmern und Arbeitnehmervertretern aus.780 Von einer derartigen Grundannahme hat sich die RL 2002/14/EG sichtbar entfernt. Letztlich streiten auch die Existenz des Art. 7 RL und die darin enthaltene umfassende Sicherung der Arbeitnehmervertreter in der Ausübung ihrer Tätigkeit für die Konkretisierung der Geltendmachung der gerichtlichen Sicherungsmaßnahmen durch die Arbeitnehmervertreter.781 (2) Keine Ex-posteriori-Sicherungsinstrumente in Art. 8 Abs. 1 RL 2002/14/EG Eine weitere Vorgabe der Richtlinie bezieht sich darauf, nicht mehr nur allein im Nachhinein auf unternehmerische Entscheidungen zu reagieren. In Erwägungsgrund 13 kommt dieser Aspekt explizit zum Ausdruck. Die schwerpunktmäßige nachträgliche Bewältigung in den einzelnen nationalen Rechtordnungen wird als nachteilig bewertet. Dieser Erwägungsgrund bedeutet eine eindeutige Hinwendung zu einem schwerpunktmäßig präventiven Konzept. Es soll um die Antizipation der Beschäftigungsentwicklung und die Prävention von Risiken aus der Unternehmerentscheidung gehen. Ferner setzt eine effektiv ausgestaltete Betriebsverfassung Maßnahmen voraus, die von ihrer Art und Weise diesem Ziel entsprechen. Als ein diese Vorgabe auslösendes abschreckendes Beispiel dient die Verurteilung von Louis Schweitzer durch das Brüsseler Arbeitsgericht im Rahmen der affaire Vilvoorde, welche hinsichtlich der Information und Konsultation der Arbeitnehmer keinen weiterführenden Sinn besaß. Die Wahrnehmung der Richtlinienrechte sowie der Schutz dieser Rechte setzen bereits mit Beginn der Planungsphase ein. In dieses Konzept passt ein ausschließlich nachträglich repressiv wirkendes Sicherungssystem nicht. Es muss darum gehen, die Erhaltung dieser vorausgesetzten Möglichkeiten schon im Sicherungsinstrument selbst anzulegen. Gerade Art. 8 Abs. 1 S. 2 779 780 781
(288).
Kohte, FS Richardi, 601 (612). Umfassend: Kohte, Betrieblicher Arbeitsschutz, S. 9 ff. Vgl. auch EuGH, Urteil vom 11.2010 – C-405/08 (Holst)., NZA 2010, 286
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RL 2002/14/EG782 ist vor dem Hintergrund dieses Eindrucks zu interpretieren und stellt die Erfüllung der Rechte und Pflichten in einen unmittelbaren Zusammenhang mit der gerichtlichen Sicherung. Im Nachhinein greifende Instrumente können in diesem System allenfalls eine zusätzliche und flankierende Schutzfunktion einnehmen. Das gerichtliche Verfahren muss vielmehr unmittelbar auf die rechtzeitige Verhinderung ausgerichtet sein. Die Richtlinie verknüpft die Gerichte mit der Rechtsbewahrung, nicht mit der Verletzungsabwicklung. Die Umsetzungsnorm muss vollends im Vorher der Durchführung der Maßnahme beheimatet sein. Nichts anderes kann man auch aus dem Erfüllungsanspruch der Beteiligungsrechte ableiten. Diese sind nur bis zur Durchführung der Maßnahme erfüllbar. So gesehen, denkt die Richtlinie in Art. 8 Abs. 1 diesen Gedanken zu Ende. ee) Die Konsequenzen für die Europäische Betriebsverfassung Die eigene Gewährleistungsfunktion der Richtlinie kommt in den Art. 1 Abs. 2 und 3, 8 sowie 11 positiv zum Ausdruck. Die Sicherung der Beteiligungsrechte ist ein eigenständiges Ziel der RL 2002/14/EG. Diese Gewichtung der Sicherung bildet das Produkt einer langen Entwicklung in der Rechtssetzungstradition der EG/EU und ist maßgeblich durch die Vorkommnisse in Vilvoorde inspiriert. Die Sicherung der vorherigen Beteiligung steht damit auf derselben Stufe wie die Beteiligungsrechte selbst. Die unmittelbare Durchsetzung der Beteiligung und ihre unmittelbare Sicherung durch die Arbeitnehmervertreter vor dem Vollzug durch den Arbeitgeber verkörpern daher zwei gleichwertige Seiten der Medaille. Die Unterlassungsverpflichtung des Arbeitgebers rangiert folglich auf einer Stufe mit den Beteiligungsrechten. Auch für die übrigen Richtlinien der Europäischen Betriebsverfassung entfalten die Spezifikationen Wirkung. Nirgendwo sonst kommt die Ergänzungsfunktion der RL 2002/14/EG so stark zum Tragen wie in der Frage der Peripherie der Rechte der Arbeitnehmervertreter. Art. 9 wird zu Recht dahin gehend interpretiert, dass allein das spezifische Verfahren unberührt bleibt.783 Die Konkretisierung der Peripherie durch die RL 2002/14/EG fließt in die Europäische Betriebsverfassung zur Gänze ein. In der Rechtssache CGT784 wandte der EuGH die Richtlinien 2002/14/EG und 98/59/EG nebeneinander an. Dies verdeutlicht den besonderen, umspannenden Cha782
Zu Art. 8 noch gesondert: S. 235. Schäfer, S. 182 ff. 784 EuGH, Urteil vom 18.1.2007 – C-385/05 (confédération générale du travail), NZA 2007, 193. 783
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rakter der Richtlinie 2002/14/EG, welcher das Beteiligungsverfahren in seiner allgemeinen Ausrichtung her stärkt.785 3. Die Regelungen des BetrVG vor dem Hintergrund der Richtlinie 2002/14/EG Wie eingangs geschildert, bildet die Umsetzungsfreiheit der Mitgliedstaaten für die Herleitung des Unterlassungsanspruchs über die Richtlinie 2002/14/EG den Ausgangspunkt. Der alleinige Verweis auf die Freiheit der Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der Vorgaben ist zu pauschal und nicht geeignet, die Forderung nach dem Unterlassungsanspruch zu verneinen. Die in der Richtlinie enthaltenen Vorgaben könnten auch so genau sein, dass der Mitgliedstaat keine andere Regelung erlassen kann, ohne dass er ein Vertragsverletzungsverfahren riskiert.786 Richtigerweise ist auch die Umsetzungsfreiheit der Mitgliedstaaten erst das Ergebnis einer Untersuchung bezüglich der Geeignetheit der Sicherungsmechanismen. Zu beachten ist dabei, dass die Umsetzungsfreiheit der Mitgliedstaaten nicht in gleicher Weise für die das BetrVG fortbildenden Gerichte gilt. Diese sind vielmehr zusätzlich den allgemeinen Grenzen der Rechtsfortbildung unterworfen. Wenn es etwa dem Gesetzgeber freisteht, im Falle einer Diskriminierung ein Verfahren vorzusehen, in dem ein Gericht oder eine zuständige Verwaltungsbehörde die Diskriminierung feststellt oder dem Arbeitgeber nach den entsprechenden Vorschriften im nationalen Recht aufgegeben wird, die festgestellte diskriminierende Praxis zu unterlassen oder gar einem Dritten, der das Verfahren bestritten hat, Schadenersatz zuzusprechen,787 dann gilt dies nicht in gleicher Weise für ein Gericht. Das Gericht muss vielmehr zweistufig vorgehen. Es muss die vorhandenen Instrumente auf ihre Wirksamkeit hin überprüfen und im Falle der Insuffizienz geeignete Instrumente unter Beachtung der Grenzen der Rechtsfortbildung erweitern oder gar schaffen. Die Diskussion muss aus diesem Grund von der existierenden nationalen Betriebsverfassung ausgehen. Das geltende Gesetz kann dann durch seine bestehenden Wertungen eine Rechtsfortbildung entweder ermöglichen oder verhindern. Ausschließlich innerhalb der Wertungen kann der Richter die praktische Wirksamkeit gewährleisten. Es kommt folglich für die Diskussion weniger auf die Umsetzungsfreiheit per se als vielmehr darauf an, ob 785
Kohte/Ritschel, JurisPR-ArbR 49/2007, Nr. 1. Skouris, ZEuS 2005, 463 (465). 787 So die Feryn-Vorgaben des EuGH, Urteil Gerichtshof vom 10.07.2008 – C-54/07 (Feryn) = juris. 786
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das existierende System den Vorgaben des Europarechts entspricht. Dann kann keine Umsetzungspflicht vorliegen. Legt man dieses Verständnis zugrunde, ist das Durchsetzungsniveau der Instrumente zu untersuchen, um im konkreten Fall die Durchführung der Maßnahme zu unterbinden. Auch wenn in der Literatur häufig angenommen wird, dass das deutsche Recht den Vorgaben des Europarechts in seiner positiven Form (insb. über §§ 23 Abs. 3 und 119, 121 BetrVG) genüge,788 so bleiben dennoch Zweifel: Deutschland verfügt zwar über ein ausdifferenziertes und weitgehendes Mitbestimmungssystem, mithilfe dessen die Rechte der Arbeitnehmer auf Information und Konsultation durchgesetzt werden. Die Wertigkeit dieser Mitbestimmungsordnung ist aber infrage zu stellen, betrachtet man lediglich die ausdrücklich in der Betriebsverfassung statuierten präventiven Sicherungsmechanismen sowie die praktischen Umgehungsmöglichkeiten der Beteiligungsrechte. Der Status quo der betriebsverfassungsrechtlichen Sicherungsmechanismen könnte dementsprechend hinter den europäischen Vorgaben zurückbleiben. Ausgehend von der Geeignetheit und praktischen Wirksamkeit der unmittelbaren Verhaltenssteuerung, ist in Fortsetzung des Eingangs Gesagten in jedem Fall, der im Anwendungsbereich der Richtlinie liegt, gesondert zu prüfen, ob dem Mitgliedstaat in diesem Fall noch die Freiheit verbleibt, unter mehreren geeigneten Instrumenten zu wählen.789 a) Die Geltendmachung des Beteiligungsrechts In der Literatur finden sich immer wieder Autoren, die einen Anspruch auf Unterlassung ablehnen, da der Betriebsrat insofern auch seine Informations- und Beratungsrechte durchsetzen könne.790 Der Arbeitgeber könne mittels Androhung eines Zwangsgeldes zur Vornahme der Handlung gezwungen werden, vgl. § 888 ZPO. Diese Art der Sicherung ist nur dann praktisch wirksam, wenn sie ihrerseits nicht unterlaufen werden kann. I. Schmidt hat in diesem Kontext darauf hingewiesen, dass gerade die Betriebsverfassung als Beispiel dafür diene, dass die einstweilige Verfügung eines Konsultationsanspruchs durch die faktische Vollziehung der betei788 Reichold, NZA 2003, 289 (299); Giesen, RdA 2000, 298 (303); Walker, FA, 2008, 290 (292); Seitz, S. 155 Fn. 819; Raif, ArbRAktuell 2010, 236; in der Rechtsprechung: LAG BW, Beschluss vom 21.10.2009 – 20 TaBVGa 1/09 = juris.de; zur Kritik ausführlich Gruber, NZA 2011, 1011. 789 vgl. S. 179. 790 Ehrich, BB 1993, 356 (359); speziell vor dem Blick des Europarechts vertritt dies: Spreer, S. 62; Völksen, RdA 2010, 354 (362).
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ligungspflichtigen Maßnahme ad absurdum geführt werden könne.791 Realisiert der Arbeitgeber die Maßnahme, so fehlt es an einem Verfügungsgrund.792 Tatsächlich geht der Verweis vor den Anforderungen des Europarechts fehl. Er ist nicht ausreichend differenziert. Die Richtlinie trennt zwischen der Verpflichtung des Arbeitgebers, die Arbeitnehmervertreter nach Art. 4 RL zu beteiligen und der Pflicht, bis zu diesem Zeitpunkt die Maßnahme zu unterlassen. So gesehen, setzt der Erfüllungsanspruch der Beteiligungsrechte die Unterlassungsverpflichtung nicht ausreichend um. In der deutschen Literatur herrscht daher mittlerweile überwiegend die Ansicht vor, dass die einstweilige Verfügung hinsichtlich des Beratungsanspruchs keine effektive Sicherung zu leisten vermag.793 Generell erweist es sich als problematisch, Absatz 1 allein auf die Beteiligungsrechte hin zu entwerfen.794 Der Wortlaut bezieht sich auf die gesamte Richtlinie. Auf der anderen Seite wird geltend gemacht, dass auch trotz einer Unterlassungsverfügung die Maßnahme durchgeführt werden könne.795 Der Gedanke, dass eine Unterlassungsverfügung die Rechte nicht zu schützen vermag, berührt die gerichtliche Durchsetzung im Kern. Rechtstheoretisch muss die Durchsetzungseignung unterstellt werden, anderenfalls müsste man einstweiligen Rechtsschutz abschaffen. Eine Rechtsordnung muss vielmehr unterstellen, dass der Streitgegenstand den materiellen Anspruch durchzusetzen vermag. Die Effektivität der einstweiligen Verfügung ist somit nicht anzuzweifeln. b) § 23 Abs. 3 BetrVG Nach Hanau genügte ein einstweilig sicherbarer Anspruch aus § 23 Abs. 3 BetrVG796 den Anforderungen der Richtlinie.797 Dem ist zu widersprechen. Der Begriff der Nichtbeachtung kann nicht mit dem groben Verstoß gleichgesetzt werden. Zudem stellt § 23 Abs. 3 BetrVG – so wie er von der herrschenden Meinung ausgelegt wird – dem Arbeitgeber einen Verstoß 791
I. Schmidt, RdA 2001, Sonderbeilage, Heft 5, 12 (22); Seeberger S. 172. Derleder, AuR 1995, 13 (18); Olderog, NZA 1985, 753 (757). 793 Korinth, Rn. 108; GMPM-Matthes, § 85 Rn. 32. 794 Oetker/Schubert, EAS B 8300, Rn. 388. 795 Völksen RdA 2010, 354 (362). 796 § 23 Abs. 3 analog trägt die europarechtlichen Vorgaben; da es hier aber gerade darum geht, ob diese Rechtsfortbildung ihre Legitimation im Europarecht findet, bleibt die Lösung an dieser Stelle außer Betracht. 797 HSW, § 19 Rn. 134; ebenso Konzen, ZfA 2005, 189 (207); auch Seeberger S. 172; Riesenhuber, EuAR § 28 Rn. 36. 792
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frei. Die Richtlinie hingegen missbilligt jeden Verstoß. Indem sich die Norm auf grobe Verstöße beschränkt, setzt sie sich damit in Widerspruch zur Rechtsprechung des EuGH, für jeden (Einzel-)Fall ein Sicherungsmittel bereitzustellen.798 § 23 Abs. 3 BetrVG erscheint für sich genommen nicht als geeignet, um den Vorgaben der Richtlinie zu entsprechen. c) § 113 BetrVG Neben der Realisierung des Beteiligungsanspruchs durch Klage oder einstweilige Verfügung gewährt § 113 Abs. 3 BetrVG das Mittel der Sanktion. Geht man von der Beteiligungs- und der Unterlassungsverpflichtung aus, so stellt § 113 BetrVG ausweislich der gesetzgeberischen Konzeption ein Mittel zur Sicherung der Beteiligung dar. Die Norm soll über die Ausgleichsverpflichtung die Durchführung verhindern. Zugleich setzt die Norm damit die Unterlassungsverpflichtung durch. Dieser Aspekt ist vor der Rechtsprechung des LAG München relevant. Das Gericht betonte die Pflicht aus dem Junk-Urteil, verwies aber zugleich auf § 113 Abs. 3 BetrVG als Instrument zur Durchsetzung der Unterlassungspflicht.799 In der Literatur wird demgegenüber überwiegend angenommen, § 113 BetrVG genüge in seiner jetzigen Form nicht den Vorgaben der Richtlinie 2002/14/ EG.800 Die auch dort vorhandene, bejahende Position betont demgegenüber die verhaltenssteuernde Funktion des § 113 Abs. 3 BetrVG i. V. m. der Entscheidungsfreiheit des Gesetzgebers.801 aa) Die fehlende abschreckende Wirkung nach herrschender Auffassung Bercusson etwa bezweifelt, dass die Norm ausreicht. Die Ausgleichszahlung werde der gebotenen Effektivität nicht gerecht. Sie habe keine abschreckende Wirkung (i.F.: Deterrenzeffekt).802 Sanktionen müssen nach ständiger Rechtsprechung des EuGH und Art. 8 Abs. 2 RL 2002/14/EG abschreckend sein. Eine Ausgleichspflicht gleicht aber eben nur aus und be798 Vgl. etwa: EuGH, Urteil vom 17.07.2008 – C-94/07 (Raccanelli), NZA 2008, 995; EuGH, Urteil vom 11. Oktober 2007 – C-460/06 (Paquay) = juris. 799 LAG München, Beschluss vom 28.6.2005 – 4 TaBV 46/05 = juris. 800 Kohte, FS Richardi, 601 (612); Kohte/Ritschel, JurisPR-ArbR 49/2007, Anm. 1; Ritschel/Schulze-Doll, AuR 2008, 268 (269); Richardi-Annuß, § 111 Rn. 168; das hess. LAG spricht von Ineffektivität der Norm, Hess. LAG, Urteil vom 27.6.2007 – 4 TaBVGa 137/07, AuR 2008, 267 (268). 801 Vgl. Bauer/Krieger, BB 2010, 53 (54). 802 Bercusson, S. 141.
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gründet damit keine Anreize zum rechtskonformen Handeln. Das Verfahren über § 113 BetrVG ist in der Regel erheblich kostengünstiger als ein Innehalten bis zum Abschluss des Beteiligungsverfahrens.803 Gerade im Bereich der Kündigungen wiegt sich der wirtschaftliche Nachteil mit den ausbleibenden Gehaltszahlungen auf. Vor die Wahl gestellt, wird der Arbeitgeber stets die Kosten abwägen. So gesehen, repräsentiert § 113 Abs. 3 BetrVG einen Anreiz zum Rechtsbruch. Noch schwieriger europarechtlich zu legitimieren ist die Anrechenbarkeit auf den Sozialplan. Der EuGH hat in der Massenentlassungsentscheidung einer Sanktion bei Anrechnung einer Zahlungsverpflichtung auf weitere Ansprüche die praktische Wirksamkeit abgesprochen und eine fehlende abschreckende Wirkung attestiert.804 Überträgt man die Rüge des EuGH auf § 113 Abs. 3 BetrVG, so ist der Effekt vergleichbar. Zwar hängt die Anrechenbarkeit vom Aufstellen eines Sozialplans ab, da dieser aber erzwingbar ist und auch nach dem Durchführen der Maßnahme aufgestellt werden kann, wird er ein steter Begleiter des Nachteilsausgleichs sein. bb) § 113 als individualrechtliches Sicherungsmittel a posteriori Von seiner Konzeption her entspricht § 113 Abs. 3 BetrVG nicht den weiteren Vorstellungen der Richtlinie. Die Norm soll zwar präventiv wirken. Sie verwirklicht dies aber über die Abwicklung der Durchführung im Nachhinein. Die Richtlinie 2002/14/EG verlangt nun allerdings, dass die Durchsetzungsinstrumente im Vorfeld der Maßnahme und auch auf der kollektiven Ebene angelegt sind. Betrachtet man die Ausgleichszahlung, so stellt diese Sicherungsmaßnahme einen Paradefall einer nachträglichen Bewältigung der Maßnahme im Verhältnis zum Arbeitnehmer dar. Gerade eine derartige Sicherung ist nicht mehr ausreichend. Zudem schließt die verfahrensmäßige Einbindung der Durchsetzungsinstrumente in die Steuerungsmöglichkeit der Arbeitgebervertreter ein mittelbares, nur über den einzelnen Arbeitnehmer realisiertes Sicherungsinstrument aus. Vielmehr müssen die Maßnahmen auf kollektiver Ebene in die Hand des Betriebsrats gelegt werden. Die Richtlinienvorgaben verbieten indes Normen wie § 113 nicht völlig. Raum besteht nach Art. 8 Abs. 2 RL und nach Art. 5 Abs. 1 können zusätzliche günstige Regelungen eingeführt werden.
803
Hess. LAG, Urteil vom 27.6.2007 – 4 TaBVGa 137/07, AuR 2008, 267 (268). EuGH Urteil vom 8.6.1994 – RS C-383/92 (Massenentlassungen), Slg. 1994 I, 2479 (2494); ebenso Düwell, FA 2002, 172 (174), das übersieht Konzen, ZfA 2005, 189 (207). 804
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cc) Eine Alternative bei konformer Auslegung? Teilweise wird gegen die Notwendigkeit des Unterlassungsanspruchs angeführt, europarechtskonform ausgelegt wäre § 113 Abs. 3 BetrVG von seiner Druckwirkung her geeignet, eine vergleichbare Verhaltenssteuerung zu kreieren.805 Der Gedanke tendiert dahin, die Nachteilsausgleichszahlung nicht mehr auf den Sozialplan anzurechnen. So verstanden, wäre der Kritikpunkt des EuGH bezüglich der Anrechenbarkeit beseitigt. In der Tat wäre § 113 BetrVG dann wirksamer. Man könnte über die zusätzliche finanzielle Belastung im Falle der Durchführung der Maßnahme eine Verhaltenssteuerung herbeiführen. Dass § 113 BetrVG in europarechtskonformer Auslegung und als Konsequenz vor den Vorgaben des EuGH nicht mehr auf den Sozialplan anrechenbar ist, hat O. Hinrichs ausführlich dargelegt und es bedarf an dieser Stelle keiner weiteren Erörterung.806 Hinsichtlich der Richtlinie 2002/14/EG führt dies jedoch zu keiner Änderung. Mit dem Gesamtkonzept der Richtlinie schlüssig kombiniert, kann auch ein europarechtskonformer § 113 Abs. 3 BetrVG nicht als Durchsetzung der Beteiligungsrechte ausreichen. Es bleiben nämlich die anderen oben erhobenen Einwände bestehen: Es handelt sich um einen Anspruch auf individualrechtlicher Ebene, der erst im Nachhinein der Durchführung der Maßnahme wirkt. Der Aussage von Oetker/Schubert,807 es bestünde eine Wahlmöglichkeit des Gesetzgebers zwischen der Ausgleichspflicht und dem Unterlassungsanspruch, ist daher nicht zuzustimmen. dd) Ergebnis § 113 BetrVG wird den Vorgaben der RL 2002/14/EG nicht gerecht. Im europarechtlichen Kontext ist die Norm eine neben dem zur praktischen Wirksamkeit benötigten Schutz stehende und damit im Gesamtsystem für die Arbeitnehmer günstige Vorschrift i. S. v. Erwägungsgrund 16 und 18 sowie Art. 5 Abs. 1. Im Verhältnis zu dem infrage stehenden Unterlassungsanspruch kommt es auch nicht zu einer den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz strapazierenden doppelten Sanktionierung. Entweder wird der Unterlassungsanspruch rechtzeitig realisiert – dann gibt es keinen Anspruch aus § 111 BetrVG –, oder es gelingt dem Betriebsrat nicht diesen durchzusetzen – dann greift § 113 Abs. 3 BetrVG.808
805 806 807 808
Oetker/Schubert, EAS B 8300, Rn. 394. O. Hinrichs, S. 180; ebenso Oetker/Schubert, EAS B 8300, Rn. 389. Oetker/Schubert, EAS B 8300, Rn. 395. Kohte/Schulze-Doll, JurisPR 14/2006, Anm. 3; O. Hinrichs, S. 203.
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d) §§ 121, 119 BetrVG Weitere Durchsetzungsinstrumente stellen die Normen §§ 121, 119 BetrVG dar. Von ihrem Anwendungsbereich her beziehen sie sich auch auf die Durchführung der Maßnahme und schützen folglich vor dieser. Das Unter-Strafe-Stellen wäre grundsätzlich geeignet, zu gesetzeskonformen Verhalten zu veranlassen und die europarechtlichen Vorgaben zu erfüllen. Da es sich ebenso wie § 113 BetrVG um Normen handelt, die an dem Verstoß anknüpfen, sind die Vorschriften der §§ 119, 121 BetrVG für sich genommen nicht geeignet,809 die Vorgaben des Art. 8 Abs. 1 umzusetzen. Aber auch ansonsten offenbaren sich Lücken: aa) Die Lücken des strafrechtlichen Schutzes Das europarechtliche Effizienzstreben und das strafrechtliche Sanktionssystem reiben sich seit jeher. Während das Europarecht einen effizienten Ausbau der betroffenen Rechtsbeziehungen verlangt, muss sich das Strafrecht der Kohärenzanforderung der gesamten nationalen Rechtsordnung stellen und die geschützten Güter in ein Verhältnis zueinander setzen. Hier offenbart das Strafrecht – vom Europarecht aus betrachtet – Lücken, die nach deutschem Verständnis durchaus nachvollziehbar sind.810 Von seiner Ausrichtung ist § 119 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG nicht geeignet, in allen Fällen ein Verbot darzustellen. Er unterbindet nur vorsätzliches Handeln. Gegen fahrlässiges Handeln entfaltet er keine Verbotswirkung, vgl. § 15 StGB. Ein Übersehen, mithin eine typische Fehleinordnung führt bereits dazu, dass kein Vorsatz angenommen werden könnte. Hinzu kommt die strafrechtliche Irrtumslehre i. Ü. § 119 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG bleibt daher hinter den allgemeinen Anforderungen an Sanktionen zurück. Der EuGH sprach in der Rechtssache Dekker davon, dass eine von subjektiven Momenten abhängige Sanktion die praktische Wirksamkeit der europarechtlichen Vorgaben erheblich beeinträchtigen würde.811 Ferner erscheint die abschreckende Wirkung gering. Vor der Maximalstrafe des StGB von 15 Jahren sieht die Norm einen Strafrahmen von bis zu einem Jahr oder eine Geldstrafe vor. Die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung endet an den Grenzen der nationalen Rechtsordnung.812 809
So offenbar auch Gruber, NZA 2011, 1011 (1014). Auf das europarechtliche Verhältnismäßigkeitsprinzip hinweisend: Tiedemann, NJW 1993, 23 (25). 811 EuGH, Urteil 08.11.1990 – C-177/88 (Dekker), AP Art. 119 EWG-Vertrag Art. 119 Nr. 23. 812 s. S. 233. 810
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Eine Erweiterung des Strafrahmens im Zuge der richterlichen Rechtsfortbildung kommt wegen des Verbots aus Art. 103 Abs. 2 GG, über die Grenze des Wortsinnes hinauszugehen,813 aus diesem Grund nicht in Betracht. § 119 Abs. 2 Nr. 2 BetrVG kann folglich nicht auf fahrlässige Begehungsweisen erstreckt werden. Auch in der praktischen Ausgestaltung weist eine rein strafrechtliche Sicherung Defizite auf. Der Hinweis des Betriebsrats auf eine Anzeige gemäß Art. 119 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG besitzt keine autoritative Wirkung. Ein Verweis auf diese Handlungsmöglichkeit wäre zudem mit dem in Art. 8 Abs. 1 S. 2 enthaltenen eigenständigen Zugang zum Gericht nicht vereinbar. bb) Die Vorgaben aus Nokia/Wärdell Der EuGH geht grundsätzlich davon aus, dass ein gerichtliches Verbot (auch) eine Sanktion verkörpert. Unterlassungsanspruch und strafrechtliches Verbot sind unterschiedlich geeignet. Der EuGH begründet den Vorrang gerichtlicher Verbotsverfügungen mit dem Deterrenzgebot. Im markenrechtlichen Fall Nokia/Wärdell ging es darum, ob ein Gericht, das feststellt, dass der Beklagte eine Gemeinschaftsmarke verletzt hat, von diesem Verbot absehen kann, weil klar ist, dass eine fortgesetzte Verletzung von einem generellen gesetzlichen Verbot der Verletzung nach nationalem Recht erfasst wird und dem Beklagten im Fall einer vorsätzlichen oder grob fahrlässigen fortgesetzten Verletzung eine strafrechtliche Sanktion auferlegt werden kann. Nokia, die französische Regierung, die Generalanwältin Sharpston und der EuGH verneinten diese Möglichkeit.814 Im Laufe der sehr spezifischen Argumentation stellte das Gericht zusätzliche verallgemeinerbare Grundsätze auf. Der EuGH konstatierte, dass die Existenz eines generellen Verbots im anwendbaren nationalen Recht sowie die Möglichkeit einer strafrechtlichen Sanktion nicht dieselbe abschreckende Wirkung hätten wie ein gerichtlich auferlegtes, bereits vollstreckbares Verbot der Fortsetzung der betreffenden Handlungen. Demnach könne das Recht des Inhabers der verletzten Marke ohne ein solches spezifisches Verbot nicht in vergleichbarer Weise geschützt werden.815 Diese Vorgaben gelten insbesondere vor der Umsetzung der Unterlassungsverpflichtung in RL 2002/14/EG. Im Rahmen des Betriebsverhältnisses kann man davon 813
Vgl. Sachs-Degenhart, Art. 103 Rn. 70; Jarass/Pieroth, Art. 103 Rn. 47. Urteil und Stellungnahme der Generalanwältin: Slg. I 2006, 12086 (12093 f.). 815 EuGH, Urteil vom 14.12.2006 C-316/05 (Nokia) GRUR 2007, 228 (230); diesen Gedanken äußerten bereits O. Hinrichs, S. 200, und Wißmann, RdA1998, 221 (227) zur Massenentlassungsrichtlinie. 814
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2. Kap.: Die Unterlassungsansprüche des Betriebsrats
ausgehen, dass ein Unterlassungsanspruch die abschreckendere Sanktion darstellt.816 Hier ist ein gerichtliches Verhaltensgebot der repressiven Sicherung von der Grenzsicherung her vorzuziehen. cc) Das Parallelverhältnis strafrechtlicher und zivilrechtlicher Sanktionen Die Entscheidung Nokia/Wärdell ist nicht dahingehend verallgemeinernd zu interpretieren, dass strafrechtliche Sanktionen für die Durchsetzung überhaupt keine Bedeutung besäßen. Bestehen sowohl strafrechtliche als auch zivilrechtliche Sanktionen, existiert kein Problem, sondern ein sachgerechtes Sicherungssystem. Richtigerweise stehen die §§ 119, 121 BetrVG und ein präventiver zivilrechtlicher Schutz gar nicht in einem Konkurrenz-, sondern in einem Kongruenzverhältnis. Vor den Vorgaben des Art. 8 der RL 2002/14/EG und der Aufteilung des BetrVG ist eine systematische Zweiteilung in strafrechtlichen und zivilrechtlichen Schutz gerechtfertigt. Zwar ordnet der EuGH zuweilen Unterlassungsverfügungen auch als Sanktionen ein,817 dem widerspricht es aber nicht, von einer grundsätzlichen Zweiteilung auszugehen. Denn bei der Eigenschaft als Sanktion handelt es sich nur um eine Facette von Unterlassungsansprüchen. Wie sich dem Umkehrschluss aus Art. 8 Abs. 1 S. 2 RL 2002/14/EG entnehmen lässt, ist der Sinn des Absatzes 2 vorrangig in repressiven Maßnahmen zu sehen. Eine andere Interpretation würde Absatz 2 lediglich einen klarstellenden Charakter gegenüber Absatz 1 zusprechen und ihn damit einer praktischen Wirksamkeit berauben. Auf Institute des Ex-posterioriSchutzes zurückzugreifen, widerspricht der Fortentwicklung der europäischen Betriebsverfassung dabei nicht. Es ist vielmehr Inbegriff einer Fortentwicklung, sich alter Elemente bedienen zu können. Sie können eben nur nicht allen Anforderungen der Richtlinie entsprechen. Das erforderliche Nebeneinander gerichtlicher und strafrechtlicher Sanktionen lässt sich auf Erwägungsgrund 28 stützen, der allein von einer Alternativität administrativer und gerichtlicher Sicherung ausgeht, sodann aber gesondert („sowie“) die Forderung nach Sanktionen aufstellt. Es muss folglich auch Sanktionen geben, die nicht mit der gerichtlichen Sicherung gleichzusetzen sind. Dass die Norm dabei in erster Linie strafrechtlichen Schutz im Auge hat, ist offensichtlich. Denn diese Sicherungselemente sind in Europa weit verbreitet und zudem Inbegriff einer Verarbeitung im Nachhinein. Folgerichtig ist der von den §§ 119, 121 BetrVG geschützte 816 817
Lorber, IJCLLIR 2006, 231 (251). EuGH, Urteil vom 10.7.2008 – C-54/07 (feryn) = juris Rn. 39.
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Bereich vor den separaten Anforderungen des Art. 8 Abs. 1 S. 1 und 2 nicht geeignet, den spezifischen Schutzanforderungen der Richtlinie zu entsprechen. e) Synergieeffizienz der Normen und Ergebnis Neben der Einzelanalyse ist es grundsätzlich notwendig, §§ 23 Abs. 3, 113 Abs. 3 BetrVG auf ein zivilrechtlich lückenloses Rechtsdurchsetzungssystem – also auf ihre Gesamtwirkung – hin zu untersuchen. Während man die den europarechtlichen Anforderungen kaum entsprechenden §§ 119, 121, 113 Abs. 3 BetrVG dem Art. 8 Abs. 2 RL 2002/14/EG zuordnen kann, ist im Rahmen des Art. 8 Abs. 1 RL 2002/14/EG § 23 Abs. 3 BetrVG die nahe liegende nationale Norm. Diese Norm kann aber die Einhaltung der Richtlinie nicht umfassend gewähren. Richtlinienumsetzungen müssen ein lückenloses rechtliches System herbeiführen, das in jeder Situation die Erreichung der Vornahme einer gebotenen und die Verhinderung einer verbotenen Handlung ermöglicht. Ein angerufenes Gericht kann dem Arbeitgeber nicht den Rechtsbruch erlauben, es muss ihn untersagen. Den Gerichten obliegt als staatlichen Organen eine Garantenstellung für die Integrität der europarechtlich durchzogenen Rechtsquellen.818 Der deutsche Status quo bleibt hinter dem geforderten Niveau zurück. Insbesondere vor dem Hintergrund der Rechtsprechung Nokia/Wärdell stellt die strafrechtliche Sicherung keine Alternative gegenüber der an die Arbeitsgerichte gerichtete Forderung nach Effizienz dar. Der Sinn der Sanktionen zeigt sich im Zusammenhang mit den verbleibenden Effizienzdefiziten eines Unterlassungsanspruchs. Er ist zwar in der Regel dazu geeignet, widerrechtliche Zustände zu verhindern. Im Einzelfall kann aber auch er zu spät kommen.819 Vor allem aber setzt die Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs Kenntnis voraus. An dieser kann es mangels Information durch den Arbeitgeber fehlen.820 Die einstweilige Untersagungsverfügung kann in diesen Ausnahmefällen zu spät ergehen und ist damit allein ebenfalls nicht geeignet, in jedem Fall das Recht zu gewährleisten. In diesen Fällen nimmt die Relevanz des Strafrechts bzw. des nachträglichen Schutzes zu. Es schließt die Lücken des Schutzes im Vorfeld. Eine Sperrung des präventiven Schutzes ist vor den Vorgaben der Richtlinie ausgeschlossen. Mit dieser Trennung entspricht die Richtlinie auch deut818
s. S. 239. Dabei handelt es sich um echte Extremfälle: In der Praxis können einstweilige Verfügungen binnen weniger Stunden ergehen. 820 Zumeist deuten sich Entscheidungen durch vorbereitende Handlungen an. In dieser Konstellation kann der Betriebsrat nachfragen und reagieren. 819
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2. Kap.: Die Unterlassungsansprüche des Betriebsrats
scher Rechtstradition und dem deutschen Rechtsstandard, dass mehrere Sanktionsmöglichkeiten nebeneinander zur Anwendung kommen.821 4. Die richtlinienkonforme Rechtsfortbildung des BetrVG Die europarechtlichen Vorgaben für eine Unterlassungspflicht des Arbeitgebers – insbesondere Art. 8 Abs. 1 S. 2 RL – hat ein mit einem Unterlassungsanspruch befasstes Gericht zu berücksichtigen. In dem Moment, in dem ein Gericht mit einem Fall der drohenden beteiligungswidrigen Maßnahme betraut wird, kann es unter Berücksichtigung der europarechtlichen Vorgaben den Verstoß nicht einfach geschehen lassen. Gemäß den Vorgaben des EuGH für die Sanktionen innerhalb von Art. 8 Abs. 2 und 1 RL 2002/14/EG ist daher zu prüfen, ob der Unterlassungsanspruch als materiell-rechtliches Fundament der gerichtlichen Sicherungsverfügung das vom Gericht einzusetzende Mittel ist.822 a) Umsetzungsfreiheit und Richterrecht Zunächst ist auf die eingangs bereits angesprochene Umsetzungsfreiheit der Mitgliedstaaten einzugehen. Die Frage drängt sich auf, warum gerade ein Unterlassungsanspruch verlangt sein soll, wenn der EuGH in vielen Fällen die Umsetzungsfreiheit der mitgliedstaatlichen Sicherungsinstrumenten betont. Einige Beispiele sollen die Schwierigkeit verdeutlichen: In von Colson/Kamann823 antwortete der EuGH auf die Frage des vorlegenden deutschen Gerichts, ob die Richtlinie 76/207 im Falle einer Diskriminierung eines Bewerbers zu einer Anstellung verpflichtet, negativ, weil die Richtlinie zu unbestimmt sei. In Adeneler824 betonte das Gericht, dass die Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge keine Sanktionsregelung vorsehe. Für den Fall, dass der öffentliche Sektor von der Umwandlung von befristeten in unbefristete Arbeitsverhältnisse trotz Fehlens eines Sachgrundes ausgenommen werde, stehe die Richtlinie aber dieser Ausnahmeregelung entgegen. Bei Raccanelli825 fragte das vorlegende Gericht danach, welche Rechtsfolgen eine Diskriminierung eines auslän821
O. Hinrichs, S. 199. Kohte/Ritschel, JurisPR-ArbR 49/2007, Nr. 1. 823 EuGH, Urteil vom 10.4.1984 – C-14/83 (von Colson/Kamann), Slg. 1984, 1891 (1892). 824 EuGH, Urteil vom 4.7.2006 – C-212/04 (Adeneler) = juris.de Rn. 94. 825 EuGH, Urteil vom 17.72008 – C-94/07 (Raccanelli), AP Art. 39 EG Nr. 17. 822
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dischen Doktoranden habe. Das Gericht betonte abermals die Umsetzungsfreiheit und nahm das nationale Gericht in die Pflicht. Es habe im Bereich der nationalen, außervertraglichen Haftung nach einer Norm zu suchen. Noch deutlicher wird die Bedeutung der Umsetzungsfreiheit in Feryn.826 Ein belgisches Arbeitsgericht fragte, welche Sanktionen für abstrakte Diskriminierungen als angemessen angesehen werden könnten. Das Gericht betonte, dass auch dort, wo kein Diskriminierungsopfer zu ermitteln sei, wirksame Sanktionen bestehen müssten. Beispielhaft zählte es eine behördliche oder gerichtliche Feststellung oder gar eine Untersagung auf (sic!). Was genau vorausgesetzt werde, könnte der Gerichtshof nicht sagen, es bestünde ja Umsetzungsfreiheit. Diese Beispiele zeigen die Abhängigkeit der EuGH-Urteile von den Vorlagefragen. Auf sie allein abzustellen, wäre aber unvollständig. Der EuGH muss als Organ der Union vor den nationalen Regelungen haltmachen, er kann nur abstrakt „Regelungen wie . . .“ kontrollieren.827 Dabei darf das nationale Gericht aber nicht stehenbleiben. Denn der EuGH spielt den Ball zu den nationalen Gerichten zurück: nur diese können das nationale Recht auslegen und es damit auch in einem europäischen Sinn fortbilden. Wenn sich aus dem Europarecht noch keine unmittelbare Forderung nach einem Unterlassungsanspruch ergibt, so entbindet dies das nationale Gericht nicht davon, das nationale Recht in Übereinstimmung mit den unbestimmten, effizienzgetragenen Vorgaben auszulegen. Es geht also an dieser Stelle gar nicht darum, ob die Rahmenrichtlinie den nationalen Spielraum des Gesetzgebers einengt, sondern darum ob die europarechtlichen Vorgaben in Verbindung mit den nationalen System- und Wertungsgedanken die Entwicklung des Unterlassungsanspruch durch ein Gericht erforderlich machen. Diese Frage ist unterschiedlich zu beantworten für Staaten mit administrativer Umsetzung durch eine Arbeitsinspektion, für Staaten mit allgemeinverbindlichen Kollektivverträgen zu Beteiligungsrechten und für Staaten mit arbeitsgerichtlicher Orientierung. Immerhin kann man Dekker und auch Feryn so verstehen, dass in einem nationalen Rechtssystem, das sich für einen Unterlassungsanspruch wie § 23 Abs. 3 BetrVG entschieden hat, dieser auch geeignet sein kann, alle Verstöße gegen das Europarecht zu verhindern. Bei der Umsetzungsfreiheit halt zu machen, stellte sich somit als unzulässige Verkürzung dar. Das Europarecht interagiert mit dem nationalen Recht – ohne dass das Europarecht im Lichte des nationalen Rechts ausgelegt wird und somit die autonome Interpretation un826
EuGH, Urteil vom 10.7.2008 – C-54/07 (feryn) = juris Rn. 39. Calliess/Ruffert-Wegener Art. 267 Rn. 4 f., ErfK-Wißmann Art. 267 AEUV Rn. 4 f. und 39. 827
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2. Kap.: Die Unterlassungsansprüche des Betriebsrats
terlaufen würde. Die Rechtsordnungen dienen gerade nur dem nationalen Gericht als Rechtserkenntnisquellen. Wie der Bundesgerichtshof jüngst ausgeführt hat, muss sich die unionsrechtskonforme Auslegung und Rechtsfortbildung an den im Gesetz vorhandenen Bausteinen orientieren, sie muss sich möglichst eng an das geltende Recht anlehnen.828 Nur der Gesetzgeber kann gänzlich neue Kategorien schaffen. Ein System welches ein unmittelbares Forderungsrecht hinsichtlich einer Unterlassungsverpflichtung (Junk) verlangt, bedeutet in Deutschland vor den gegebenen Strukturen einen Unterlassungsanspruch anzuerkennen. Dies kann § 23 Abs. 3 BetrVG analog gewährleisten. b) Das methodische Vorgehen829 Die Betriebsverfassung bleibt hinsichtlich der explizit normierten Durchsetzungsinstrumente hinter den Anforderungen der Richtlinie 2002/14/EG zurück. Das LAG Rheinland-Pfalz, das diesem Befund zustimmte, sah in diesem Fall allein den Gesetzgeber in der Pflicht, „die vorhandenen Sanktionen der §§ 113, 121 BetrVG so auszubauen, dass sich Pflichtverstöße nicht mehr lohnen“830, und verweigerte die Rechtsfortbildung. Wenn sich aus der Betriebsverfassung keine Möglichkeit ergibt, innerhalb der Wortsinngrenze einen allgemeinen Unterlassungsanspruch zu gewinnen, muss jedoch im Gegensatz zum LAG Rheinland-Pfalz eine unionsrechtskonforme Rechtsfortbildung geprüft werden. Diese ist in dieser Arbeit bisher unter dem Blickwinkel des deutschen Betriebsverfassungsrechts diskutiert und eine analoge Anwendung des § 23 Abs. 3 BetrVG befürwortet worden; im Folgenden soll diskutiert werden, ob diese Rechtsfortbildung auch unionsrechtlich geboten ist. aa) Die richtlinienkonforme Auslegung und Rechtsfortbildung Der EuGH gibt den nationalen Gerichten vor, sie müssten unter Berücksichtigung des gesamten nationalen Rechts und unter Anwendung ihrer Auslegungsmethoden alles tun, was in ihrer Zuständigkeit liegt, um die volle Wirksamkeit der fraglichen Richtlinie zu gewährleisten und zu einem Ergebnis zu gelangen, das mit dem von den von der Richtlinie verfolgten Ziel übereinstimmt.831 828
BGH, Urteil vom 21.12.2011- VIII ZR 70/08, NJW 2012, 1073 (1077). Da es sich eben – anerkanntermaßen – um Rechtsfortbildung handelt, vermag der Einwand von Lipinski/Reinhardt, NZA 2009, 1184 (1188), es würde mehr gewährt als im BetrVG vorgesehen, nicht durchzudringen. 830 LAG Rheinl.-Pfalz, Beschluss vom 24.11.2004 – 9 TaBV 29/04 = juris. 829
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(1) Die Entwicklung der richtlinienkonformen Rechtsfortbildung Davon ausgehend ist in den vergangenen Jahren die richtlinienkonforme Rechtsfortbildung stärker in den Blickpunkt der juristischen Methodik geraten. Sie geht mit der anerkannten und praktisch überaus bedeutsamen richtlinienkonformen Auslegung einher und erfasst die Fälle, in denen eine einfache Auslegung nicht mehr möglich ist. Der EuGH selbst differenziert nicht zwischen diese beiden methodischen Vorgehensweisen. Französischer Rechtstradition folgend, begrenzt das Gericht den Begriff der richtlinienkonformen Auslegung nicht auf den herkömmlichen deutschen Begriff832 und billigt ihm eine wortlautübersteigende Dimension zu.833 Dabei rekurriert das Gericht nicht auf den Lückenbegriff der deutschen Methodenlehre. Dieses Vorgehen steht ebenfalls stärker in der Tradition der übrigen Mitgliedstaaten. Dort ist der Lückenbegriff keine methodische Determinante,834 vielmehr stehen teleologische Argumente im Zentrum der Ergebnisfindung.835 Dabei dürften die Ergebnisse nur selten variieren, da die deutsche Methodik stark auf Sinn und Zweck ausgerichtet ist und eine teleologische Lücke aus sich selbst heraus Lückenschließung erfordert.836 Ihre Grundlage hat die Pflicht zur Konformauslegung in den unionsrechtlichen Rechts- und Rechtsetzungspflichten der Mitgliedstaaten.837 Der genaue Standort wird allerdings immer noch kontrovers diskutiert. Die herrschende Ansicht in der Literatur wandte Art. 10 und Art. 249 Abs. 3 EGV kumulativ an, diesen Normen entsprechen jetzt Art. 4 Abs. 3 EUV und Art. 291 AEUV.838 Der EuGH bezog sich früher lediglich auf Art. 10 EGV.839 Eine dritte Ansicht verweist schließlich alleine auf Art. 249 Abs. 3 831
EuGH, Urteil vom 4.7.2006 – C-212/04 (Adeneler), NJW 2006, 2465 (2467); Bücker/Feldhoff/Kohte Rn. 212. 832 Gänzlich neu ist ein weites Verständnis des Wortes „auslegen“ nicht, so hat auch das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zur verfassungskonformen Auslegung einen sehr weiten Auslegungsbegriff an den Tag gelegt; vgl. BVerfG, Beschluss vom 12.11.1997 – 1 BvR 479/92, NJW 1998, 519 (521). 833 Vgl. Schürnbrand, JZ 2007, 910 (910). 834 Colneric, ZeuP 2005, 225 (230); Schlachter, RdA 2005, 115 (119). 835 Risenhuber II-Roth, § 14 Rn. 17. 836 Canaris, Lücken S. 148 ff.; das ist denknotwendig bei der teleologischen Reduktion spiegelverkehrt. 837 Herresthal, EuZW 2007, 396 (397). 838 Brechmann, S. 247; Callies/Ruffert-Ruffert, Art. 249 Rn. 117. 839 EuGH, Urteil vom 10.4.1984 – C-14/83 (von Colson/Kamann), AP § 611a BGB Nr. 1; Feldhoff, S. 134; Wißmann, RdA 1999, 152 (156); für beides nunmehr EuGH, Urteil vom 4.7.2006 – C212/04 (Adeneler), NJW 2006, 2465 (2468).
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2. Kap.: Die Unterlassungsansprüche des Betriebsrats
EGV bzw. Art. 291 AEUV.840 Im Ergebnis führt dieser dogmatische Streit jedoch nicht zu unterschiedlichen Ergebnissen. Ausdrücklich wird die richtlinienkonforme Rechtsfortbildung erst seit kurzem intensiv diskutiert. Zwar deutete sich die Pflicht nationaler Gerichte, das Recht in Fällen der Umsetzungsdefizite notfalls fortzubilden, bereits in der Rechtssache Marleasing841 an. Aber erst seit der Rechtssache Pfeiffer geht die überwiegende Literatur davon aus, dass der EuGH diese Pflicht ausdrücklich vertritt.842 Ermögliche es das nationale Recht, durch die Anwendung seiner Auslegungsmethoden die Reichweite der Bestimmung zum Zweck der Kollisionsvermeidung mit anderen Normen einzuschränken, so müsse das nationale Gericht ebenfalls so vorgehen, um das Richtlinienziel zu erreichen.843 Noch deutlicher wird die Forderung des EuGH, wenn man sich den Fall Pfeiffer gemeinsam mit den nationalen Normen vor Augen führt. Nach § 7 ArbZG a. F. konnte die Höchstarbeitszeit pro Woche von 48 Stunden i. S. d. § 3 ArbZG erhöht werden. § 3 ArbZG geht auf die Richtlinie 93/104 zurück, § 7 ist autonomes nationales Recht. Im Urteil ging es dann – den allgemeinen Grundsätzen folgend – darum, § 7 ArbZG einzuschränken – eine Operation, die nach deutschen Begriffen mit einer systematischteleologischen Reduktion umschrieben werden kann.844 Der EuGH hat folglich mit der Pfeiffer-Rechtsprechung auch die methodische Äquivalenz nationalen und europäischen Rechts hergestellt. Durch die richtlinienkonforme Rechtsfortbildung wird auf effektive Weise ein innerstaatliches Instrument geschaffen, welches die effektive Setzung europarechtlich motivierter Rechtsnormen absichert und damit ihre praktische Wirksamkeit gewährleistet. Auf diese Weise kann – neben dem Vertragsverletzungsverfahren – gesetzgeberische Untätigkeit und damit gegebenenfalls eine Privilegierung des Untätigen bis hin zum Wettbewerbsvorteil einer ganzen Volkswirtschaft verhindert werden. Auf jeden Fall darf gesetzgeberische Untätigkeit nicht zu einer Schädigung der aus der Richtlinie Begünstigten führen. Die im früheren Schrifttum verbreitete Ablehnung der richtlinienkonformen Rechtsfortbildung konnte sich zu Recht nicht durchsetzen 840
Franzen, S. 296 f., mit weiteren Nennungen zum Streitstand. EuGH, Urteil vom 13.11.1990 – C-106/89 (Marleasing), Slg. I 1990, 4135 (4159). 842 Vgl. Canaris, FS Bydlinski, 47 (47 ff.); Kokott, RdA 2006, Sonderbeilage, Heft 6, 30 (34); Riesenhuber/Domröse, RIW 2005, 47 (48 u. 51); Kreft, RdA 2006, Sonderbeilage, Heft 6, 38 (44); Schürnbrand, JZ 2007, 910 (912 f.); kritisch, aber resignierend: Konzen, ZfA 2005, 189 (203). 843 EuGH, Urteil vom 5.10.2005 – C-397/01 bis C-403/01 (Pfeiffer u. a.), Slg. 2004 I, 8878 ff. 844 Kokott, RdA 2006, Sonderbeilage, Heft 6, 30 (34): „richtlinienkonforme Reduktion“. 841
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und ist seit der Rechtssache Pfeiffer überholt.845 Sowohl der Bundesgerichtshof als auch das Bundesarbeitsgericht haben die richtlinienkonforme Rechtsfortbildung in ihren methodischen Kanon übernommen.846 Unter Bezugnahme auf die Pfeiffer-Entscheidung hat inzwischen auch das Bundesverfassungsgericht in seiner aktuellen Entscheidung 2011 zum Fall „Heininger“ anerkannt, dass die methodengerechte Rechtsfortbildung des nationalen Rechts Teil der unionsrechtskonformen Auslegung ist.847 (2) Die Reichweite der Pflicht zur Rechtsfortbildung Die praktische Relevanz der richtlinienkonformen Auslegung und Rechtsfortbildung ergibt sich daraus, dass Rechtsfiguren auch in privaten Rechtsbeziehungen wirken.848 Für die Reichweite der richtlinienkonformen Auslegung ist auf die Grundsätze des Marleasing-Urteils abzustellen. In dem Fall konstatierte der EuGH, dass das gesamte nationale Recht der richtlinienkonformen Auslegung zugänglich sei, selbst dann, wenn die einschlägige Vorschrift nicht auf der Richtlinie basiere.849 Diese Annahme deckt sich mit dem Urteil in der Rechtssache Carbonari;850 hier forderte das Ge845 Einen Überblick über die überkommene Ansicht bietet L. Hinrichs, S. 60 Fn. 107. 846 BGH, Urteil vom 26.11.2008 – VIII ZR 200/05, NJW 2009, 427 (429); BAG, Urteil vom 24.3.2009 – 9 AZR 983/07, AP § 7 BUrlG Nr. 39. 847 BVerfG, Beschluss vom 26.9.2011, NJW 2012, 669 (670); ebenso ErfK/Wißmann, Vorbem. AEUV Rn 35. 848 Das Spannungsverhältnis zur horizontalen Drittwirkung von Richtlinien wird durch die bestehende Grauzone besonders deutlich. Der EuGH vertritt in ständiger Rechtsprechung eine differenzierende Ansicht. Ist eine Richtlinie bestimmt und aus sich selbst heraus grundsätzlich anwendbar, dann kann sie, sobald die Umsetzungsfrist verstrichen ist, gegenüber staatlichen Stellen unmittelbar gelten. Begründet wird dies damit, dass der Staat nicht durch seine eigene Versäumnis begünstigt werden dürfe. Was die Länder und Kommunen angeht, so ist die EU bekanntlich „länderblind“. Anders entscheidet der EuGH in den Fällen, in denen sich zwei Private gegenüberstehen und Rechte aus einer Richtlinie herleiten wollen (sog. horizontale Wirkung). Hier lehnt der EuGH eine unmittelbare Wirkung ab und verlagert die Problematik in das Staatshaftungsrecht. Ausführlich m. w. N.: Bücker/Feldhoff/ Kohte, Rn. 191 ff. 849 EuGH, Urteil vom 13.11.1990 – C-106/89 (Marleasing), Slg. I 1990, 4135 (4159): „Daraus folgt, dass ein nationales Gericht, soweit es bei der Anwendung des nationalen Rechts – gleich, ob es sich um vor oder nach der Richtlinie erlassene Vorschriften handelt – diese Rechte auszulegen hat, seine Auslegung soweit wie möglich am Wortlaut und Zweck der Richtlinie ausrichten muss, um das mit der Richtlinie verfolgte Ziel zu erreichen und auf diese Weise Artikel 189 Abs. 3 EWGVertrag nachzukommen.“ 850 EuGH, Urteil vom 25.2.1999 RS. C-131/97 (Carbonari), Slg. 1999 I, 1103 (1119).
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2. Kap.: Die Unterlassungsansprüche des Betriebsrats
richt, das gesamte Recht – also nicht nur die einzelne Vorschrift – anhand des Wortlauts und des Zwecks auszulegen. Daher ist beispielsweise die Ansicht von Schnorbus, dass eine richtlinienkonforme Rechtsfortbildung nur im Falle des Vorliegens eines Transformationsgesetzes zulässig sei,851 nicht mehr haltbar. Im größeren Kontext bedeuten diese Vorgaben, dass das gesamte Recht des jeweiligen Mitgliedstaates nicht zu einem der Richtlinie widersprechenden Ergebnis führen darf.852 Das nationale Gericht muss also unter voller Ausschöpfung des Spielraums, den ihm das gesamte nationale Recht einräumt, in Übereinstimmung mit den Anforderungen des Unionsrechts das gesamte nationale Recht auslegen und fortbilden.853 bb) Die Grenzen der richtlinienkonformen Rechtsfortbildung Mit der umfassenden Reichweite der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung geht zwangsläufig die Frage ihrer Grenzen einher. Die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung ist nach herrschender Meinung eine interpretatorische Vorrangregel: Unter mehreren Auslegungsalternativen ist diejenige auszuwählen, die sich am besten mit dem Sinn und Zweck der Richtlinie vereinbaren lässt.854 Für die richtlinienkonforme Rechtsfortbildung kann dies nicht in gleicher Weise gelten. Vielmehr gibt in diesem Fall das Ziel der Richtlinie zugleich den zu schaffenden Zustand vor, der über die nationale Rechtsfortbildungsmethodik erreicht werden muss. Im Bereich der richtlinienkonformen Auslegung ist man mit mehreren Ergebnissen innerhalb eines Tatbestands konfrontiert. Im Bereich der Rechtsfortbildung geht dagegen um die Schaffung eines Tatbestands, der es erst ermöglicht, diese Ergebnisse zu produzieren. Insofern ist die teleologische Reduktion einfacher und näher an der eigentlichen Auslegung als das Ausfüllen eines leeren Raums. Mit den Aussagen „soweit wie möglich“ (Marleasing) oder „Beurteilungsspielraum, den das nationale Recht einräumt“ (von Colsen/Kamann) erkennt der EuGH Grenzen der richtlinienkonformen Auslegung an. Nach ständiger Rechtsprechung stellen die nationalen Auslegungsregeln die 851
Schnorbus, AcP 2001, 860 (892). EuGH, Urteil vom 5.10.2005 – C-397/01 bis C-403/01 (Pfeiffer u. a.) Slg. 2004 I, 8878 (8918); zustimmend Riesenhuber II-Roth, § 14 Rn. 15. 853 EuGH, Urteil vom 10.4.1984 – C-14/83 (von Colson/Kamann), AP § 611a BGB Nr. 1 EuGH, Urteil vom 13.11.1990 – C-106/89 (Marleasing), Slg. I 1990, 4135 (4159); Nebe, S. 165. 854 Auer, NJW 2007, 1106 (1106); Kohte, CR 1997, 620 (621); Müller/Christensen, Rn. 163 ff.; Schürnbrand, JZ 2007, 910 (911). 852
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Grenze der richtlinienkonformen Auslegung dar.855 Dies wird v. a. an der Grenze des contra-legem-Juristizierens deutlich. So verbot der EuGH in der Rechtssache Adeneler856 ausdrücklich, die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung als Grundlage für eine Auslegung des nationalen Rechts contra legem zu benutzen. Gleichwohl klärte das Gericht nicht, wann seiner Meinung nach eine solche gegeben sei.857 Diesbezüglich stellen sich jedenfalls die eingangs erwähnten nationalen Auslegungs- bzw. Fortbildungsgrenzen.858 Dementsprechend ist eine Rechtsfortbildung dann nicht möglich, wenn sie nach deutschen Maßstäben contra legem wäre. Es kommen also die allgemeinen Vorgaben der Methodenlehre zur Anwendung.859 Hervorzuheben ist die positive Wirkung der richtlinienkonformen Rechtsfortbildung. Während Fälle, in denen der EuGH die Unvereinbarkeit einer Norm mit dem Europarecht ausspricht, über eine teleologische Reduktion erfasst werden können, stellt sich die Frage, wie unbestimmte Richtlinienbestimmungen im leeren Raum wirken.860 Hier kann nur das deutsche Recht seine Strukturen vorgeben, die im Geist des Regelungszwecks des Europarechts auszufüllen sind. Deutsches Recht und europäisches Recht bewegen sich aufeinander zu. cc) Die Einschränkung durch die nationalen Wertungen Den entscheidenden Aspekt hinsichtlich der Ausgestaltung des nationalen Rechts vor den europarechtlichen Vorgaben bilden vielmehr die gesetzgeberischen Wertungen und vorgesehenen Strukturen. (1) Die entscheidende Rolle der Wertentscheidungen Die nationalen Auslegungsmethoden besitzen für die Rechtsfortbildung i. e. S. nur für die Feststellung einer Lücke Relevanz. Überträgt man – konsequenterweise – diesen Grundgedanken der Auslegung auf die Rechtsfortbildung, bedeutet es in der Tat, dass die Grenzen für die Rechtsbildung nach nationalem Recht auch Grenzen der Fortbildung verkörpern. Das betont auch Gotthard, wenn er feststellt, dass eine bestimmte juristische Sank855
Jarass, EuR 1991 211 (218); Brechmann, S. 272 f. EuGH Urteil vom 04.07.2006 – C-212/04 (Adeneler) NJW 2006, 2465 (2467); ebenso Schürnbrand, JZ 2007, 910 (916); Herresthal, EuZW 2007, 996 (399 f.). 857 Genauer dagegen EuGH, Urteil vom 15.4.2008 – C-268/06 (Impact), NZA 2008, 581 (586) zu den Grenzen des nationalen Rechts. 858 s. S. 113. 859 hierzu s. S. 93. 860 Gebauer-Gebauer Kapitel 4 Rn. 45; Heiderhoff Rn. 118. 856
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2. Kap.: Die Unterlassungsansprüche des Betriebsrats
tion nicht aufgestellt werden sollte, ohne vorher in das nationale System zu blicken.861 Man kann diesen Satz auch umdrehen: Nationale Rechtsordnungen können von der Richtlinie vorgegebene Rechtsbehelfe bereits nach ihrer dogmatischen Grundausrichtung ausschließen. (2) Die europäischen Richtlinien als Teil des Wertesystems Diese Feststellung könnte wiederum zu relativieren sein, wenn man die Richtlinie in den Bereich der nationalen Dogmatik einfließen ließe. So begreift u. a. Canaris die Richtlinie als Mittel zur Lückenfeststellung.862 Ausgehend vom Lückenbegriff der nationalen Dogmatik, müsste die Richtlinie so eingeordnet werden, wenn man die Gesamtrechtsordnung als maßgeblich ansieht. Das Unionsrecht ist jedenfalls – im Bereich der Verordnungen – partiell Teil der deutschen Rechtsordnung.863 Während Canaris eine Richtlinie nach Ablauf ihres Umsetzungszeitraums in den Kanon des nationalen Rechts einstellen will, trennt Kreft und pocht auf die Isolation der nationalen Rechtsordnungen und Wertungen.864 Dafür spricht, dass die Unionsrechtsordnung und die innerstaatliche Rechtsordnung zwei voneinander zu trennende unabhängige und eigenständige Rechtsordnungen repräsentieren.865 Es besteht nur eine Pflicht des Mitgliedstaates zur Umsetzung der Richtlinien. Die entgegengesetzte Position nimmt Auer ein.866 Sie ordnet die Richtlinie der Gesamtrechtsordnung zu und lässt die Bestimmungen derselben die contra-legem-Grenze ausweiten. Eine Art Mittelweg geht Herresthal, der die (weiterhin) aktuelle und bewusste Wertentscheidung des Gesetzgebers berücksichtigt.867 Angewandt auf diesen Fall, bereitete Auer die Anerkennung des allgemeinen Unterlassungsanspruchs qua richtlinienkonformer Rechtsfortbildung keine Probleme. Geht man wie die Gegenansicht davon aus, dass gesetzgeberische Wertungen durch die richtlinienkonforme Rechtsfortbildung nicht umgangen werden dürfen, so erhält die Frage nach der Betonung der Arbeitgeberfreiheit erneut Relevanz. Legt man das hier gefundene Ergebnis zugrunde, besteht keine gesetzgeberische Begrenzung. Wie dargelegt, fehlt es an einer ausdrücklichen oder sonstigen Wertentscheidung des Gesetz861
Malmberg-Gotthard, S. 258. Canaris, FS Bydlinski, 47 (85). 863 Kokott, RdA 2006, Sonderbeilage, Heft 6, 30 (30). 864 Unter Bezug auf Pfeiffer: Kreft, RdA 2006, Sonderbeilage, Heft 6, 38 (45). 865 Zu diesem Grundsatz: EuGH, Urteil 15.7.64 – C-6/64 (Costa/E.N.E.L.), Slg. 1964, 1253 (1269). 866 Auer, NJW 2007, 1106 (1108). 867 Herresthal, EuZW 2007, 396 (400). 862
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gebers zugunsten einer umfassenden und nicht begrenzten Freiheit des Arbeitgebers.868 Dies belegt nicht zuletzt § 122 Abs. 1 S. 1 InsO.869 Die Besonderheit der nationalen Wertentscheidung für die Rechtsfortbildung lässt sich auch anhand der überkommenen Lehre Heinzes gut illustrieren.870 Nähme man § 23 Abs. 3 BetrVG als Ausdruck eines abschließenden gesetzgeberischen Willen an, müsste man aufgrund des § 23 Abs. 3 BetrVG jede weitergehende Sicherung als contra legem ablehnen. In der neueren Literatur wird genau dieser Rekurs vertreten. So lehnt Brors mit Hinweis auf das System der §§ 106 ff., 23 Abs. 3, 119 ff. BetrVG eine europarechtskonforme Rechtsfortbildung ab.871 Die Entwicklung des Betriebsverfassungsrechts ist inzwischen jedoch über dieses Verständnis hinausgegangen. Es liegen, wie oben erläutert, Wertentscheidungen vor, die im Bereich der Beteiligungsrechte Raum für eine Rechtsfortbildung lassen. Im Ergebnis macht es daher keinen Unterschied, welcher Ansicht man bei der Berücksichtigung von Richtlinien bei der Wertermittlung folgt. Raum für die Fortbildung des verfahrenssichernden Unterlassungsanspruchs vor der Durchführung beteiligungswidriger Maßnahmen existiert. c) Artikel 8 der Richtlinie 2002/14/EG Mit der unmittelbar aus der Richtlinie folgenden Unterlassungsverpflichtung des Arbeitgebers ist noch nichts über das Recht des Betriebsrats gesagt, dieses Unterlassen auch verlangen zu können. Den Dreh- und Angelpunkt der Diskussion um die europarechtliche Gebotenheit des Unterlassungsanspruch bildet daher Art. 8 RL 2002/14/EG. Art. 8 ist mit Durchsetzung der Rechte überschrieben. Absatz 1 spricht von geeigneten Maßnahmen im Fall der Nichteinhaltung der Richtlinie. Absatz 2 spricht von wirksamen, angemessenen und abschreckenden Sanktionen. aa) Die Überschrift Die Richtlinie 2002/14/EG versieht ebenso wie die Richtlinie über den Europäischen Betriebsrat und im Gegensatz zu den Richtlinien 2001/23/ EG, 98/59/EG die einzelnen Artikel mit Überschriften. Wenn nun die Über868 BAG, Beschluss vom 31.8.1982 – 1 ABR 27/80, AP § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit Nr. 8. 869 Vgl. S. 163. 870 Diese zentrierte die abschließende Wirkung des § 23 Abs. 3 BetrVG, siehe S. 48. 871 Brors, S. 176.
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2. Kap.: Die Unterlassungsansprüche des Betriebsrats
schrift des Art. 8 von Durchsetzung der Rechte spricht, umschreibt sie den Inhalt der Absätze 1 und 2 und liefert damit eine wichtige Auslegungshilfe. Der Begriff der Durchsetzbarkeit bezieht sich auf ein Recht oder eine Pflicht und gewährt dessen Realisierung. Ob hiermit auch der Schutz des Rechts über einen Unterlassungsanspruch erfasst wird, ist wegen der Unbestimmtheit problematisch, aber nicht von vornherein auszuschließen. Jedenfalls betrifft die Frage, ob ein Recht durchsetzbar ist, stets eine Situation, in der ein Gegenüber den gesetzlichen Pflichten nicht entspricht. Das macht deutlich, dass ein Erfüllungsanspruch zwar am Anfang der Durchsetzbarkeitsfrage steht, aber nicht immer eine ausreichende Lösung sein kann.872 Die Durchsetzbarkeit ist wegen der europarechtlichen Besonderheit autonom zu interpretieren und kann in die Richtung verstanden werden, dass es um die Freiheit der ungestörten, sachgerechten Rechtsausübung und somit um die Abwehr von Störungen sowie um den Schutz der Rechtswahrnehmung geht. Diese Facette der Überschrift deckt sich auch mit den meisten Wortfassungen der Mitgliedstaaten, die allesamt einen defensiveren Ton anstimmen als die deutsche Version. So spricht die englische Version von Protection of rights, die insoweit identischen Fassungen im Französischen, Spanischen, und Italienischen sprechen von Défense des droits, Defensa de los derechos und Difesa dei diritti. Ähnliches findet sich im Niederländischen: Bescherming van rechten. Nichts anderes bedeutet das polnische Ochrona praw. Besonders bildlich wird der Vergleich im Griechischen mit Prostasûa twn dikaiwmÜtwn. In einer Wortbedeutung kann Prostasûa sogar Schild bedeuten. Die Überschrift legt somit ein weites bzw. umfassendes und vor allem auch negatorisches Verständnis des Schutzes der Rechte durch die Richtlinie 2002/14/EG nahe. Der Schutzbereich des Art. 8 reicht damit bereits vom Ansatz her deutlich weit über die Geltendmachung von Erfüllungsansprüchen hinaus. bb) Art. 8 Abs. 1 S. 1 Diese Annahme findet ihre Spezifikation in Absatz 1 Satz 1. Die Wahl des Wortes „Nichteinhaltung“ öffnet einen Korridor für alle Fälle, in denen die aus der Richtlinie resultierenden Rechte und Pflichten nicht beachtet werden. Hierzu gehört nicht nur das das Nichtbeteiligen, sondern auch jede nicht ordnungsgemäße Beteiligung.
872
So schon Giesen, RdA 2000, 298 (304), zum ersten Entwurf.
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(1) Die Vorgaben des Abs. 1 S. 1 In Absatz 1 geht es nicht um den generellen Fall der Nichteinhaltung, sondern vielmehr um den jeweils konkreten Fall einer Nichteinhaltung. Die Verwendung der Formulierung im Fall besitzt dementsprechend lokalisierenden Charakter. Die Nichteinhaltung wird als solche zum Gegenstand der Sicherung und öffnet zugleich den zeitlichen Raum. Erfasst werden auch zeitlich eng mit der Nichteinhaltung verbundene Punkte und damit nicht nur eine aktuelle, sondern gleichfalls eine drohende Verletzung der Richtlinienrechte. Das Merkmal geeignete Maßnahmen ist eine abstrakte Umschreibung und zugleich Anforderung an die Rechtsdurchsetzungs- bzw. Rechtsbewahrungsinstrumentarien. Die Kontur des Merkmals ergibt sich in relativer Auslegung und Konkretisierung zur Nichteinhaltung. In jedem Fall muss eine Maßnahme vorliegen, die ihrerseits geeignet ist, die Richtlinie sicherzustellen.873 Absatz 1 S. 1 fordert mithin für jeden einzelnen konkreten Fall eine besondere Maßnahme, die geeignet ist, die Rechte bei Nichtbefolgung in dieser Situation sicherzustellen. Diese Interpretation wird deutlicher vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des EuGH in den Fällen von Colson/Karmann, Marschall sowie neuerdings Raccanelli und Paquay.874 Das Gericht betonte dort, dass eine Richtlinie unter Umständen für unterschiedliche Sachverhalte unterschiedliche geeignete Maßnahmen erfordern könne. Daraus muss man folgen, dass jeder einzelne Mitgliedstaat für jede denkbare Konstellation ein die Effektivität der Beteiligung sicherndes Instrument bereitzustellen hat. Bei der bevorstehenden Durchführung der Maßnahme kann ein einfacher Erfüllungsanspruch nicht genügen, wenn er nicht rechtzeitig realisiert werden kann. Diese Vorgabe gilt für das Beteiligungsrecht. Der Druck wird noch erhöht, wenn man sich die ebenfalls bestehende Unterlassungsverpflichtung vor Augen führt. (2) Die Durchsetzung im Falle des Verstoßes gegen die Unterlassungspflicht Verstößt der Arbeitgeber gegen die Pflicht, die Maßnahme zu unterlassen, so verlangt Art. 8 der Richtlinie 2002/14/EG folglich von der nationalen Rechtsordnung auch in diesem Falle eine geeignete Maßnahme zur Gewähr873
Spreer, S. 61. EuGH, Urteil vom 17.07.2008 – C-94/07 (Raccanelli) = juris; EuGH, Urteil vom 11. Oktober 2007 – C-460/06 (Paquay) = juris. 874
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2. Kap.: Die Unterlassungsansprüche des Betriebsrats
leistung der Einhaltung. Das kann damit erreicht werden, dass man der Unterlassungsverpflichtung gemäß Art. 8 Abs. 1 RL 2002/14/EG die Rechtsmacht der Arbeitnehmerrepräsentanten folgen lässt, die Verpflichtung verlangen zu dürfen. Problematisch ist, ob Art. 8 Abs. 1 RL 2002/14/EG diese Pflicht erfasst. Man könnte sich auf den Standpunkt stellen, die Norm erfasse allein die Pflichten, die der Richtliniengeber bei Erlass explizit geregelt habe. Dem ist aber nicht so. Der Wortlaut des Art. 8 ist auch auf die Auslegung durch den EuGH angelegt, da nicht nur die ausdrücklichen, sondern alle sich aus der Richtlinie ergebenden Pflichten erfasst werden. Mittels dieses Passus wird sichergestellt, dass der nachträglichen Fortbildung durch den nationalen Gesetzgeber nicht weniger Bedeutung zugemessen wird als den ausdrücklichen Regelungen. Dies gilt umso mehr, als sich die Unterlassungsverpflichtung nicht als bloßes Produkt richterrechtlicher Rechtsschöpfung zeigt, sondern auf den Vorgaben und Grundideen der Richtlinie beruht bzw. aus ihnen resultiert. cc) Art. 8 Abs. 1 S. 2 In Satz 2 wird die Pflicht aus Satz 1 in einem besonders wichtigen Teilbereich näher konkretisiert. So bedarf es insbesondere geeigneter Verwaltungs- und Gerichtsverfahren, mit deren Hilfe die Erfüllung der sich aus der Richtlinie ergebenden Verpflichtungen durchgesetzt werden kann. Der Zugang zu den Gerichten für den Fall, dass man seine europarechtlich verbürgten Rechte verletzt sieht, bildet einen wesentlichen Eckpfeiler des Effektivitätsgebots des Europarechts.875 In Anlehnung an die zwei Gerichtsentscheidungen in Vilvoorde liegt es nahe, die Funktion des Gerichts nicht nur auf die bloße Erfüllung der Beteiligungsrechte zu beschränken. Hervorzuheben ist nämlich, dass der verwendete Begriff des Durchsetzens, eine Übernahme aus der Überschrift, in den anderen Sprachversionen, in dieser Form nicht übertragen wurde.876 Die englische Version spricht von enable. Will man eine Entsprechung des prozessualen Begriffs der Durchsetzung im Englischen finden, so drängt sich enforcement auf. Dieses Wort existiert indes lediglich in der englischen Version der Massenentlassungs875
Malmberg-Peijpe, S. 137. Die deutsche Übersetzung der Überschrift ist eindeutig von der Fassung der Massenentlassungsrichtlinie geprägt. Diese spricht in Art. 6 innerhalb der Schlussbestimmung von administrativen oder gerichtlichen Verfahren zur Durchsetzung. In der parallelen Verwendung kommt eine Konkretisierung nicht zum Ausdruck, wie sie z. B. der englischen Version zugrunde liegt. Denn diese Bestimmung spricht von enforcement of obligations und nicht – wie in der Richtlinie 2002/14/EG – von enable. 876
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richtlinie. Überschrieben ist die Norm mit protection. Das Französische greift ebenfalls nicht auf die Überschrift (defense) zurück. So soll das Verfahren insbesondere die Einhaltung (die Richtlinie benutzt das Verb respecter) administrativ und judikativ prozessual gewährleisten. Ähnliches zeichnet sich auch in den spanischen und italienischen Fassungen ab (respetar bzw. rispettare). Die bloße Beschränkung des Inhaltes des Satzes 2 auf Beteiligungsklagen ist vor diesen weiten Interpretationsmöglichkeiten abzulehnen. (1) Das untersagende Gericht Geht man davon aus, dass die Unterlassungspflicht erfasst ist, kann man in einem weiteren Schritt die Struktur der Richtlinie in Art. 8 Abs. 1 S. 2 auf diese Pflicht beziehen. Danach bedarf es eines Verwaltungs- bzw. eines Gerichtsverfahrens, mit dessen Hilfe die Verpflichtung durchgesetzt werden kann. Dabei ist der Wortlaut undeutlich. Tatsächlich kommt es nicht auf zwei gesonderte Verfahren an. Wichtig ist, dass eines dieser Verfahren bereitgestellt wird und die Durchsetzung ermöglicht wird. Dies ergibt sich aus einer Interpretation im Lichte von Erwägungsgrund 28, der eine alternative Forderung enthält. Abstrakt kann man Satz 2 somit das Erfordernis entnehmen, die Rechte und Pflichten der Richtlinie über hoheitliche Autoritäten durchsetzen zu können. (a) Die Rolle der gerichtlichen Sicherung für das Europarecht Die Regelung des Art. 8 Abs. 1 S. 2 RL 2002/14/EG kann mit zwei wesentlichen Gedanken aus der EuGH-Rechtsprechung verdeutlicht werden. Ausgehend von der Pflicht der mitgliedstaatlichen Hoheitsträger, die Wahrung und Durchsetzung des Europarechts zu gewährleisten, greift das Unionsrecht mangels eigener spezieller Fachgerichte auf die mitgliedstaatlichen Gerichte zurück.877 In Simmenthal stellte der EuGH eine elementare Funktion der nationalen Gerichte heraus: Als Organe eines Mitgliedstaates hätten diese die Aufgabe, die Rechte zu schützen, die das Unionsrecht den Einzelnen verleiht.878 Diese Pflicht wird von der Notwendigkeit flankiert, den Rechtsschutz wirksam zu gestalten, d. h. auch in Eilfällen die volle Wirksamkeit des EU877
Vgl. Herresthal, S. 172. EuGH, Urteil vom 9.3.1978 – C-106/77 (Simmenthal), Slg. 1978, 629 (644); in der Literatur wurde das Urteil im Hinblick auf den Vorrang des Unionsrechts diskutiert, vgl. Dauses, JZ 1978, 512 (512 f.). 878
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Rechts zu gewährleisten. Der EuGH hat in der Rechtssache factortame879 die Notwendigkeit des vorläufigen Rechtsschutzes zur Herstellung der praktischen Wirksamkeit betont. Er ging sogar so weit, entgegenstehendes britisches Recht als unanwendbar zu erklären. Das Gericht hat folglich eine nachvollziehbare Verknüpfung von präventivem Rechtsschutz und praktischer Wirksamkeit hergestellt. Im Anschluss an die Rechtssache factortame ist das Fehlen einer einstweiligen Verfügung eine Behinderung der praktischen Wirksamkeit der Beteiligungsrechte aus der Richtlinie 2002/14/EG. Im Umkehrschluss muss das nationale Gericht die einstweilige Untersagung aussprechen können. Im Fall, dass eine nationale Regelung in den Einflussbereich des Europarechts fällt, wird die Notwendigkeit der gerichtlichen Sicherung durch das Vorlageverfahren des Art. 267 AEUV verstärkt. Die Auslegungskompetenz des Europäischen Gerichtshofs erfordert bis zur Entscheidung des nationalen Gerichts auf der Basis des EuGH-Spruchs die Möglichkeit des nationalen Gerichts, die Unterlassung der Maßnahme anzuordnen. Dieses Verfahren bzw. diese Verfahrensnotwendigkeit existiert sowohl in bürgerlich-rechtlichen als auch in öffentlich-rechtlichen Verfahren. Die Auslegung des nationalen Rechts geschieht ja gerade vor der Garantenpflicht aus Simmenthal. Davon ausgehend muss das nationale Gericht den Rechtsverstoß verhindern. (b) Die Rolle der gerichtlichen Sicherung in Deutschland Die nationalen Rechtsordnungen lassen drei Konzepte erkennen, das Arbeitsrecht effektiv zu gestalten bzw. durchzusetzen: Verhandlungen zwischen den Interessenvertretungen, administrative Steuerung und gerichtliche Durchsetzung.880 Der Weg, Lösungen vor Gericht zu finden, ist in Deutschland im europäischen Vergleich stark ausgeprägt. Dieser Satz darf zwar nicht verabsolutiert werden, im Hinblick auf die betriebliche Interessenvertretung ist ihm aber zuzustimmen. Speziell in der Betriebsverfassung kann man zwar noch zwischen der strafrechtlichen Sicherung sowie der gerichtlichen Durchsetzung trennen. Eine behördliche Sicherung ist über die strafrechtlichen bzw. ordnungswidrigkeitsrechtlichen Verbote im BetrVG hinaus nicht vorgesehen.881 Eine weitergehende Zuständigkeit und eine konkrete Rechtsgrundlage fehlen. Die Sicherung der Rechte des Betriebsrats obliegt nach dem Status quo in Deutschland daher den Gerichten. 879 EuGH, Urteil vom 19.6.1990 – C-312/89 (factortame), Slg. 1990 I, 2466 (2473 f.). 880 Vgl. Malmberg-Malmberg, S. 64 ff. 881 Zu den Schwierigkeiten dieser Sicherungsmittel S. 214.
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Die deutschen Gerichte haben durch die ZPO und im Speziellen durch die Verweisung des ArbGG auf die ZPO (§§ 46, 80 und 85 ArbGG) die Befugnis erhalten, Unterlassungsurteile/-beschlüsse und Untersagungsverfügungen auszusprechen. Dies gilt sowohl in arbeitsrechtlichen Urteils- als auch im Beschlussverfahren.882 Unterlassungsbeschlüsse bzw. verfügungen sind geeignet, Verletzungshandlungen zu unterbinden. Gemäß der Vorgabe des EuGH, dass die nationalen Strukturen zu beachten sind,883 kann ein Gericht nicht von sich aus tätig werden. Es bedarf eines Antrags und des Vorliegens der übrigen Prozessvoraussetzungen. Andernfalls bildete man die ZPO contra legem fort. Damit benötigt ein deutsches Arbeitsgericht für die Untersagung der Maßnahme die Zulässigkeit und Begründetheit eines Antrags des Betriebsrats. Geht es nun nicht mehr um die Auslegung einer streitentscheidenden Norm, sondern um die Herleitung einer Anspruchsgrundlage, führt genau dieser Aspekt zur richtlinienkonformen Rechtsfortbildung. Die beiden Aspekte vereinen sich in dem Fall, dass ein Betriebsrat ein Gericht anruft und die Unterlassung der beteiligungspflichtigen Maßnahme beantragt. Über die richtlinienkonforme Rechtsfortbildung sowie die darauf basierende gerichtliche Untersagung wird der Garantenpflicht Genüge getan. (2) Die Auswirkung dieses Leitbildes Für die Verortung des Unterlassungsanspruchs im deutschen Recht ist es nunmehr notwendig, Satz 2 in den Kontext der Betriebsverfassung bzw. der deutschen Rechtsordnung zu rücken. Da die Begründetheit des gerichtlichen Beschlusses einen Anspruch erfordert, führt die Existenz der allgemeinen Unterlassungsverpflichtung zur Zubilligung der Rechtsmacht im Hinblick auf die Durchführung der Pflicht. Dass dazu § 23 Abs. 3 BetrVG analog anzuwenden ist, ist oben dargelegt worden.884 Dieser Anspruch ist in die Hand des Betriebsrats zu legen. Die Richtlinie postuliert kein eigenes institutionell-organisatorisches Gerüst, sondern ist vielmehr funktional zu verstehen und drängt abstrakt in die nationale Rechtsordnung hinein.885 Vom Standpunkt des Europarechts kann der aus der Richtlinie Begünstigte lediglich allgemein als Arbeitnehmerrepräsentant festgelegt werden. Die Richtlinie selbst sagt nichts darüber aus, wer genau 882 883 884 885
GMPMG-Germelmann, § 46 Rn. 67; GMPMG-Matthes, § 81 Rn. 14. EuGH, Urteil vom 04.07.2006 C-212/04 (Adeneler), NJW 2006, 2465 (2467). Vgl. S. 84. HaKo-Kohte, RL 2002/14/EG Rn. 1; Reichold, NZA 2003, 289 (293).
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in den nationalen Rechtsordnungen per se von den Rechtswirkungen profitieren soll. Sie beschränkt sich auf eine Legaldefinition der Arbeitnehmerrepräsentanten. Nach Art. 2 lit. e) sind dies die nach den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten vorgesehenen Vertreter der Arbeitnehmer. Vom Standpunkt der Betriebsverfassung ist der Akteur als Betriebsrat klar benannt. In der deutschen Rechtsordnung hingegen sind sowohl die Betriebsräte als auch die Gewerkschaften Arbeitnehmervertreter i. S. d. Richtlinie. Hier kommt erneut ein Grundsatz der richterlichen Rechtsfortbildung zum Tragen. Die richtlinienkonforme Rechtsfortbildung orientiert sich an den Leitbildern des Gesetzes, welches sie fortbildet. Auf der Ebene des Betriebs besteht die ausdrückliche gesetzgeberische Wertung, dass die Sicherung der Beteiligungsrechte nur in den Fällen eines groben Verstoßes des Arbeitgebers durch eine Gewerkschaft unternommen werden kann. Die Rechtssicherung durch Dritte ist nach der Wertung des § 23 Abs. 3 BetrVG lediglich unter zusätzlichen Anforderungen möglich. Die Geltendmachung von Ansprüchen aus dem BetrVG durch eine Gewerkschaft oder durch den einzelnen Arbeitgeber stellt die absolute Ausnahme dar. Die Geltendmachung von Schutzmaßnahmen bezüglich der Rechte aus dem BetrVG ist vornehmlich in die Hände des Betriebsrats gelegt. Das machen in erster Linie die Beteiligungsrechte deutlich. Das Leitbild findet seine Bestätigung aber auch in den vereinzelten negatorischen Ansprüchen in §§ 101 und 98 Abs. 5 BetrVG. Die Richtlinie setzt die Beteiligungsrechte und den daraus Berechtigten in einen untrennbaren Zusammenhang. Das ergibt sich zudem auch aus Art. 4 Abs. 1. Das Recht auf Unterrichtung und Anhörung ist auf geeigneter Ebene wahrzunehmen. Auch hier könnten Gewerkschaften allenfalls über § 23 Abs. 3 BetrVG subsidiär eingreifen.886 dd) Art. 8 Abs. 2 Nach Absatz 2 erfordert die Richtlinie Sanktionen. Art. 8 RL 2002/14/ EG nimmt die ständige Rechtsprechung des EuGH auf, wonach Sanktionen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein müssen.887 Der EuGH hat trotz vieler diesen Begriff tangierender Rechtsfälle keine abschließende Definition für einen unionsrechtlichen Sanktionsbegriff formuliert. Das Ge886 Der nationale Gesetzgeber ist nicht auf eine Rechtsfigur beschränkt, so ist im AGG auch den Gewerkschaften ein Klagerecht nach § 17 AGG zugebilligt worden. 887 Zu dieser Rechtsprechung: EuGH, Urteil vom 12.9.1996 – C-58/95 (Galotti u. a.), EuZW 1996, 659 (660); EuGH, Urteil vom 8. Juni 1994 – C 383/92 (Massenentlassungen), Slg. 1994 I, 2435 (2494).
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richt ordnet Sanktionen indessen als Mittel zur Durchsetzung der Rechte der Richtlinien ein.888 In der Massenentlassungsentscheidung sprach das Gericht von ahnden889 und deutete repressive Züge des Begriffs an. In derselben Entscheidung erteilte der EuGH zugleich einem rein öffentlichrechtlichen Verständnis eine Absage, indem er Ausgleichszahlungen Privater an Private grundsätzlich als Sanktion wertete. In der deutschen Tradition ist man schnell geneigt, Sanktion mit Repression gleichzusetzen, die im Nachhinein und mit besonderer Intensität wirkt. Diese Deutung scheint auch auf den ersten Blick mit dem Deterrenzerfordernis zu harmonieren. Zwingend ist der Schluss aber nicht. Auch rein präventiver Rechtsschutz kann durch seine drohende Realisierung eine abschreckende Wirkung entfalten. In der Literatur wird unter dem Begriff der Sanktion eine mit einer rechtlichen Regelung verbundene Rechtsfolge verstanden, die dieser zur effektiven Geltung verhelfen soll.890 Nach Magiera erstreckt sich der Sanktionsbegriff auf alle Maßnahmen zur wirksamen Durchsetzung des Unionsrechts.891 Eine vertiefte Erarbeitung eines europarechtlichen Sanktionsbegriffs kann allerdings unterbleiben. Der EuGH hat jedenfalls in Nokia ein auf Grundlage des Zivilrechts ergehendes gerichtliches Verbot als Sanktion bewertet.892 Diese Einordnung wiederholte das Gericht auch in der Rechtsache Feryn als es eine Untersagung als eine von vielen möglichen Sanktionen ansah.893 ee) Konklusion Mit Art. 8 RL 2002/14/EG besteht eine Norm, die für das deutsche Recht ihrerseits die gerichtliche Untersagungsverfügung – materiell untermauert durch den Unterlassungsanspruch – fordert. Die Wirkungsweise des Art. 8 RL ist dabei vielschichtig, weil mit der Durchsetzung in Absatz 1 und der Sanktion in Absatz 2 unterschiedliche Mechanismen eingesetzt werden. Beide Aspekte kann man zusammenführen: 888 EuGH, Urteil vom 10.4.1984 – C-14/83 (von Colson/Kamann), AP § 611a BGB Nr. 1. 889 EuGH, Urteil vom 8.6.1994 – C-383/92 (Massenentlassungen), Slg. 1994 I, 2479 (2494). 890 Creifelds „Sanktion“. 891 S/Z/K-Magiera, § 13 Rn. 61. 892 EuGH, Urteil vom 14.12.2006 C-316/05 (Nokia) GRUR, 2007, 229 (230); so lautet die gängige Ansicht der EU bzw. EG im Übrigen: vgl. Art. 8 der Richtlinie 2005/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. September 2005 über die Meeresverschmutzung durch Schiffe und die Einführung von Sanktionen für Verstöße. 893 EuGH, Urteil vom 10.7.2008 – C54/07 (Feryn) = juris.
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2. Kap.: Die Unterlassungsansprüche des Betriebsrats
Geht man von den Anforderungen des Art. 8 RL 2002/14/EG aus, so ist unter den Befürwortern eines europarechtlichen Unterlassungsanspruchs der genaue Standpunkt des Unterlassungsanspruchs streitig. Wenn Fischer den Unterlassungsanspruch als eine Sanktion einordnet, so müsste Absatz 2 der richtige Standpunkt sein.894 Anderen hingegen erscheint es vorzugswürdig, diesen in Absatz 1 zu sehen.895 So habe die Sicherung Vorrang – scheitere sie bzw. gelinge sie nicht, bedürfe es der Sanktion. Tatsächlich ist der Unterlassungsanspruch des Betriebsrats ein Hybride. Je nachdem, welchen Aspekt seiner Wirkungsweise man betont, wird man in ihm sowohl eine Sanktion als auch ein Sicherungs- oder Durchsetzungsinstrument bzw. schlicht beides erblicken können. Dieses Verständnis entspricht zumindest den EuGH-Vorgaben. d) Zwischenergebnis Der Unterlassungsanspruch in der deutschen Betriebsverfassung gewährt ein unmittelbares Recht zur Erreichung der Unterlassungsverpflichtung, das für das deutsche Recht von der Richtlinie 2002/14/EG verlangt wird. In dieser Eigenschaft dient der Unterlassungsanspruch als Vehikel der europarechtlichen Zielerreichung umfassender Gewährleistung vorheriger Information und Konsultation. Er bildet das rechtliche Instrument zur Installierung eines europarechtskonformen Gesamtzustandes. Wer mit einem Unterlassungsanspruch rechnen muss, wird die Verletzungshandlung nicht vornehmen. Der Unterlassungsanspruch ist geeignet, die Verletzung der Rechte aus der Richtlinie zu verhindern. Steuerungstechnisch legt der Anspruch es den Arbeitnehmervertretern in die Hand, den Rechtsverlust zu verhindern. Seine Durchsetzung sorgt dafür, dass es nicht zu einem Rechtsbruch kommt.896 Betrachtet man den Unterlassungsanspruch von seiner Sanktionswirkung, kann in wirtschaftlichen Angelegenheiten die Verzögerung einer Maßnahme wegen etwaiger Vermögenseinbußen ein Drohpotenzial entwickeln.897 Gewichtiger noch ist die vollstreckungsrechtliche Rechtsfolge eines Bußgeldes i. H. v. 250.000 Euro plus der Sanktion nach § 23 Abs. 3 S. 2 BetrVG i. H. v. 10.000 Euro. Die Effizienz des Unterlassungsanspruchs wird daher nicht infrage gestellt.898
894 Fischer, NZA, Sonderbeilage 16/2003, 57 (61); ebenso Bauckhage zu den Sanktionen in: EBRG, S. 164 ff. 895 Fauser/Nacken, NZA 2006, 1136 (1142); wohl auch Thüsing, § 10 Rn. 65; Zabel, AuR 2008, 173 (174), spricht vom Nebeneinander von verfahrenssichernden Maßnahmen und Sanktionen. 896 O. Hinrichs, S. 199. 897 Bauckhage, S. 232.
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e) Das Äquivalenzgebot des EuGH Eine autonome europarechtliche Forderung nach einem Unterlassungsanspruch könnte sich zudem aus dem Äquivalenzgebot ergeben, dem sog. Grundsatz der Gleichwertigkeit.899 Dieses Gebot verlangt, dass umsetzendes nationales Recht im Vergleich zum sonstigen nationalen Recht nicht ungünstiger ausgestaltet sein darf.900 In der Literatur wird darauf hingewiesen, dass ein Vergleich mit der Rechtslage zu den §§ 111 ff. BetrVG in diesem Zusammenhang unerbringlich sei.901 Das Äquivalenzgebot betrachtet indes nicht lediglich die Sicherung identischer, sondern auch die vergleichbarer Rechte. Es wäre andernfalls sinnentleert. Die Diskussion hat bisher den Vergleich mit der Sicherung der anderen Beteiligungsrechte des BetrVG ausgespart. Insofern muss verglichen werden, was der gleichen Sicherung wie § 87, 95 BetrVG durch das BAG widerspricht.902 Hinzu kommt der ausdrückliche Unterlassungsanspruch bei § 98 Abs. 5 BetrVG für das Widerspruchsrecht des § 98 Abs. 2 BetrVG. Die Rechte aus Art. 4 der Richtlinie und §§ 87, 95, 98 Abs. 2 BetrVG sind Rechte, welche die Beteiligung von Arbeitnehmerrepräsentanten ermöglichen. Im Rahmen des § 87 BetrVG kann der Betriebsrat mittels Klage oder einstweiliger Verfügung die Sicherung dieses Rechts über den Unterlassungsanspruch realisieren. Mit dem Äquivalenzgebot wäre es nicht vereinbar, absolute strukturelle Identität der Sicherungsmittel zu fordern, es geht um Gleichwertigkeit. Aber: Beide Normen besitzen einen Beratungs- und Verhandlungskern und gerade den Weg zur Diskussion sichert der Unterlassungsanspruch der §§ 95, 87 BetrVG auch. Da die Mitwirkungsrechte nach der Beratung enden, muss dieser zeitweisen Parallele auch eine sicherungstechnische Parallele folgen. Die stärkere inhaltliche Ausprägung der Mitbestimmung spielt im Rahmen der Sicherung keine Rolle. Der Unterlassungsanspruch soll im 898 Vgl. Oetker/Schubert, EAS B 8300, Rn. 394; Fauser/Nacken, NZA 2006, 1136 (1142); Walker, SAE 1995, 99 (102); Schulze-Doll/Ritschel, AuR 2008, 268 (269); hingegen sehr kritisch zur Betonung des effet utile: Lobinger, FS Richardi, 657 (661). 899 Begründet durch den EuGH, Urteil vom 16.12.1976 – C-33/76 (Rewe) Slg. 1976, 1989 (1998), und den EuGH, Urteil vom 16.12.1976 – C-45/76 (Comet) Slg. 1976, 2043 (2053), zur Durchsetzung von Rechten aus Verordnungen; für Richtlinien speziell: EuGH, Urteil vom 8.9.2005 – C-40/04 (Yonemoto), EuZW 2005, 689 (692); EuGH, Urteil vom 08.06.1994 – C-383/92 (Massenentlassungen), Slg. 1994 I, 2483 (2494). 900 jüngst EuGH, Urteil vom 18.10.2012 – C-603/10 = juris Rn. 23. 901 Lobinger, FS Richardi, 657 (660). 902 Malmberg-van Peijpe, S. 181.
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2. Kap.: Die Unterlassungsansprüche des Betriebsrats
Rahmen des § 87 BetrVG die vorherige Beteiligung sichern (Theorie der notwendigen Mitbestimmung). Das Gleiche gilt für die Rechte aus der Richtlinie, wie die Junk-Rechtsprechung belegt. Ergänzend kommt die ebenfalls in beiden Fällen vorliegende Verhaltenspflicht hinzu, so lange zu warten, bis das Beteiligungsverfahren abgeschlossen ist. In diesen Punkten und damit im Fundament der Sicherungsnotwendigkeit sind die Rechte gleichartig im Sinne des Äquivalenzgebots und erfordern gleichwertigen Schutz nach dem nationalen Verständnis. Ein Schutz aus § 113 Abs. 3 BetrVG wird diesen Anforderungen nicht gerecht, weil die Norm nicht die gleiche Wirkung wie der Unterlassungsanspruch entfaltet.903 Sowohl bei § 87 BetrVG als auch bei § 111 BetrVG sichert der Unterlassungsanspruch den Meinungsaustausch. Dass der Unterlassungsanspruch bei § 87 BetrVG notwendigerweise über den des § 111 BetrVG hinaus geht, ist dabei unschädlich. Der die beiden Rechte unterteilende Gesichtspunkt besteht in der Alleinentscheidung. Den Weg über die Einigungsstelle nach dem Scheitern der Beratung/Verhandlungen geht der Unterlassungsanspruch bei § 87 BetrVG allein; so weit geht der Unterlassungsanspruch bei § 111 BetrVG hingegen nicht. Der paritätische Unterlassungsanspruch wird nur in seinem verfahrenssichernden Kern äquivalent übernommen. Die Forderung nach Äquivalenz gilt umso mehr, wenn man sich vor Augen führt, dass etwa § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG europarechtlich aufgeladen ist,904 bereits über den paritätischen Unterlassungsanspruch gesichert wird und dass nun die Rechte aus der Richtlinie anders behandelt werden würden. Das Äquivalenzgebot verlangt somit im Vergleich zu den Rechten aus §§ 87 und 95 BetrVG die Sicherung der Konsultation mittels eines Unterlassungsanspruchs. f) Die sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer Seit dem Inkrafttreten des Lissabon-Vertrags hat die Durchführung des Unionsrechts auch in Übereinstimmung mit der EGCh zu erfolgen. Nach Art. 27 EGCh muss für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer oder ihre Vertreter auf den geeigneten Ebenen eine rechtzeitige Unterrichtung und Anhörung in den Fällen und unter den Voraussetzungen gewährleistet sein, die nach dem Gemeinschaftsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten vorgesehen sind. In der Rechtssache Vilvoorde stellte die Cour d’appel de Versailles fest, dass die Richtlinien903 s. S. 219; vgl. auch LAG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 15.12.2010 – 3 TaBVGa 12/10, LAGE § 111 BetrVG 2001 Nr. 11 Rn 23 f. 904 HaKo-Kohte § 87 Rn. 78.
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bestimmungen im Lichte der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer auszulegen seien.905 Die Sicherung der Verfahren der Richtlinie über Unterlassungsrechte ist vor den sozialen Grundrechten der Arbeitnehmer in der Europäischen Union zwingend erforderlich. Die Einordnung als Grundrechte verdeutlicht deren Stellenwert und welche Gefahr von der Verhinderung der Durchführung für die Gewährung und Fortbildung der Rechte der Arbeitnehmer ausgeht. Generell zielt die europäische Normsetzung im Bereich der Richtliniensetzung darauf ab, die Grundrechte zu gewährleisten und praktisch zu verwirklichen.906 Bereits im Vorschlag der Kommission zur Richtlinie 2002/14/EG findet sich die Vorgabe, das soziale Grundrecht der Arbeitnehmer in jedem Fall und auf wirksame Weise zu gewährleisten.907 Der EuGH geht seinerseits in seiner ständigen Rechtsprechung davon aus, dass das Europarecht im Lichte der Grundrechte auszulegen ist.908 Dies hat das Gericht 2006 auch für die Grundrechtscharta der EU klargestellt;909 inzwischen folgt dieses Gebot aus Art. 6 Abs. 1 EUV. Besonders hervorzuheben ist das Erfordernis der rechtzeitigen Unterrichtung und Anhörung. Einen weiteren wesentlichen Aspekt bildet die Garantieverpflichtung. Diese Bestimmung ist im Hinblick auf die Anteriorität der Konsultation auszulegen. Während der ursprüngliche Text generell von effektiver Information und Konsultation sprach, besitzt der aktuelle Passus einen präzisierenden Charakter hinsichtlich der Effektivitätsanforderung für die zeitliche Dimension der Rechtsverwirklichung:910 Die Information und Konsultation muss nicht nur in geeigneter Zeit geschehen. Das Verfahren muss dies ausweislich des klaren Wortlauts gewährleisten. Diese Punkte bestätigen sich auch in der RESC sowie der GCSGR: Art. 21 RESC911 enthält Forderungen nach regelmäßiger und zeitlich angemessener Information (a) sowie rechtzeitiger Konsultation (b). Art. 17 GCSGR verlangt, dass die Information, Konsultation und Partizipation in angemessenen Bahnen und im Hinblick auf die Besonderheiten der Mitgliedstaaten entwickelt werden. 905
Cour d’appel de Versailles, Urteil vom 7. Mai 1997, dr. social 1997, 506
(507). 906
Hierzu Everling, FS Heinze, 157 (172). KOM (1998) 612 endg. S. 4. 908 EuGH, Urteil v. 26.6.1997 – C-368/95 (Familapress), Slg. 1997 I 3689 (3717); EuGH, Urteil vom 20.5.2003 – C-465/00 (ORF), Slg. 2003 I 5014 (5037 ff.); Bercusson-Bercusson/Clauwaert/Schömann, S. 48: indirect effect; Rengeling/Szczekalla, Rn. 1005; Fuchs/Marhold, S. 27.; Moreau, dr. social 1997, 493 (500). 909 EuGH, Urteil vom 27.06.2006 – C- 540/03 = juris. 910 Bercusson-Blanke, S. 262 f. 911 Ausführlich zur Entwicklung: Bercusson-Blanke, S. 260 ff. 907
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2. Kap.: Die Unterlassungsansprüche des Betriebsrats
Diesen besonderen Anschub greift die Richtlinie explizit auf (vgl. Erwägungsgrund 2). Die Bedeutung der Unternehmerfreiheit muss in diesen Zusammenhang gestellt werden. Sie kann nicht so verstanden werden, dass sie die rechtzeitige Anhörung und Konsultation ausschließt. Die auf die Unternehmerfreiheit gestützte Durchführung einer Maßnahme ohne vorherige Beteiligung würde einen Totalausfall der Grundrechte aus Art. 27 EGCh bewirken und würde dem Gebot der praktischen Konkordanz unterschiedlicher Grundrechte zuwiderlaufen. In Frankreich beispielsweise beginnt die Kodifikation der Regelungen des Europäischen Betriebsrats mit der Betonung der Garantie der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer (Art. L2341-4, vormals Art. L439-6, code du travail). Zu Recht weist Lörcher darauf hin, dass die sozialen Grundrechte ein soziales Schutzniveau widerspiegeln und damit einen Mindeststandard auf EU-Ebene repräsentieren.912 Das nicht rechtzeitige Durchführen dieses Rechts unterschreitet offensichtlich dieses Niveau. Zwar bedeuten soziale Grundrechte für zahlreiche Mitgliedstaaten verfassungsrechtliches Neuland,913 sie resultieren aber aus der Fortentwicklung der bürgerlichen Freiheitssphären. Das Denken in Unterlassungsrechten ist innerhalb der Grundrechtsverwirklichung seit Langem anerkannt. In Deutschland beispielsweise dienen Unterlassungsansprüche – auch zwischen Privaten – schon lange als mittelbare (teilweise gar unmittelbare) Gradmesser der grundrechtlich abgesicherten Freiheitssphären.914 Die Gewährleistung der Rechte der Arbeitnehmer ist logischerweise auf die Relation Arbeitnehmervertreter – Arbeitgeber ausgerichtet, sodass die Stärkung der Rechte gerade in dieser Beziehung wirken muss. Für die Gemeinschaftscharta der Arbeitnehmer gilt die Besonderheit, dass die Richtlinie das Ziel und die Forderung des Art. 17 der Gemeinschaftscharta der Grundrechte der Arbeitnehmer in sich aufnimmt, die Rechte der Arbeitnehmer in geeigneter Weise weiterzuentwickeln. Diese Vorgabe gilt sowohl für die positive Ausgestaltung der Richtlinie selbst als auch für die Interpretation bzw. Fortbildung der Normen durch den EuGH. Ein genereller Rahmen lässt dem Recht auf Information und Anhörung in seinen konkreten Ausformungen ein diese Berechtigungen garantierendes 912 Lörcher, AuR 2000, 241 (245); allgemeiner für das gesamte europäische Arbeitsrecht: Bercusson-Bercusson, S. 33. 913 Ehlers-Kingreen, § 18 Rn. 59. 914 BVerfG, Beschluss vom 13.6.2007 – 1 BvR 1783/05 = juris; BVerfG, Beschluss vom 14.2.1973 – 1 BvR 112/65, BVerfGE 34, 269 (270 ff.); BAG, Beschluss vom 20.4.1999 – 1 ABR 72/98, AP Art. 9 GG Nr. 89.
G. Der verfahrenssichernde Unterlassungsanspruch
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Durchsetzungsregime folgen. Er verhindert grundrechtsfreie Situationen in Deutschland über Unterlassungsansprüche. 5. Richtlinienspezifische Einwände In der Diskussion um die Anforderungen der Richtlinie 2002/14/EG werden verschiedene Aspekte geltend gemacht, die gegen eine Herausbildung eines Unterlassungsanspruchs bzw. einer Unterlassungsverpflichtung sprechen könnten. a) Allgemeine Bedenken Zunächst werden im Schrifttum teilweise Bedenken allgemeiner Art geäußert, aus der Richtlinie einen Unterlassungsanspruch herzuleiten. Unter Hinweis auf die Materialen findet sich folgende Ansicht: Aus der Tatsache, dass die Kommission trotz Fehlens einer ausdrücklichen Regelung und gefestigten Rechtsprechung in Deutschland keinen Umsetzungsbedarf gesehen habe, lasse sich nun schließen, dass eine unionsrechtskonforme Auslegung nicht in Betracht komme.915 Analysiert man diese Feststellungen, so finden sich keinerlei Hinweise, die diese Annahme rechtfertigen, es zeichnet sich vielmehr ein ernüchterndes Bild ab. Hinsichtlich der Sanktionen wird von der Kommission lediglich auf die Massenentlassung eingegangen. Es wird auf die Unwirksamkeit der Kündigung und den in Betracht kommenden Wiedereinstellungsanspruch hingewiesen – Rechtsfolgen, die sich im Bereich der §§ 17 KSchG und 102 BetrVG bewegen. Sehr trocken wirkt die Feststellung der Kommission im August 2006 bezüglich der Umsetzung der Richtlinie in den Mitgliedstaaten. Hier wird lakonisch festgehalten, dass Deutschland festgestellt habe, dass die existierenden Gesetze bereits den europarechtlichen Anforderungen entsprächen.916 Letztlich gibt es jedoch keine Äußerung einer europäischen Stelle, welche abschließend keinen weiteren Umsetzungsbedarf konstatierte.917 In dieselbe Richtung gehen auch Überlegungen, ein Unterlassungsanspruch sei keine Mindestvorschrift.918 Wenn in Erwägungsgrund 18 die 915
Lobinger, FS Richardi, 657 (660) unter Hinweis auf KOM (1998) 612endg. http://ec.europa.eu/employment_social/labour_law/docs/ic-implementation_en. pdf.(30.1.2009). 917 KOM (2008) 146 endg. Ist ebenfalls undeutlich. Theoretisch reicht das nationale Verfahrensrecht aus. 918 Brors, S. 176, im Zusammenhang mit den Erfüllungsansprüchen, der undifferenziert davon ausgeht, dass das Europarecht nicht über das höchste Mitbestimmungsniveau Europas hinausgehen wolle. Offenbar überliest er Art. 8 Abs. 1 S. 2 916
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2. Kap.: Die Unterlassungsansprüche des Betriebsrats
Rede davon ist, dass Mindestvorschriften festgelegt werden sollen, dann bedeutet dies nicht etwa eine Einschränkung der verliehenen Rechte, sondern vielmehr die Festlegung eines erwarteten Standards. Damit ist aber noch nichts über die Qualität dieses Standards gesagt. Die Anordnung ist nun nicht so zu verstehen, dass bei der Interpretation an der untersten Wirkungsstufe anzusetzen wäre. Jede Norm muss nach dem Sinn und Zweck ausgelegt werden. Die so ausgelegte und Wirkung entfaltende Norm verkörpert dann eine Mindestvorschrift. Mindestvorschrift heißt ferner nicht, bei einem Erfüllungsanspruch der Beteiligungsrechte haltzumachen. Erwägungsgrund 18 ist wiederum vor dem effet utile umfassend zu verstehen. Bei Art. 8 kann es nicht nur um unmittelbare Durchsetzung von Rechten gehen.919 Dies ist nur ein Ausschnitt aus dem Effektivitätsgrundsatz, die praktische Durchsetzbarkeit ist schlechterdings gehemmt, wenn ein gerichtlich durchsetzbarer Anspruch umgangen werden kann. Eine Regelung zur Verhinderung der Umgehungsmöglichkeit ist demzufolge auch eine Mindestvorschrift. b) Kein Mitbestimmungsrecht/Rechtsgrundlage Nach einer weiteren Ansicht würde ein Unterlassungsanspruch ein Mitwirkungsrecht zu einem „Mitbestimmungsrecht auf Zeit“ machen. Damit werde eine ganz andere Rechtsgrundlage erforderlich.920 So ermächtige Art. 153 Abs. 1 lit. e) AEUV nicht dazu, ein Mitbestimmungsrecht zu statuieren.921 Dies wird wiederum daran festgemacht, dass aufgrund des Absatzes 1 nicht in die unternehmerische Freiheit eingegriffen werden dürfe.922 Eine Kompetenz für echte Mitbestimmung sei vielmehr in lit. f) zu finden. Dieser europäische Begriff sei mit der deutschen unternehmerischen und betrieblichen Mitbestimmung identisch.923 Die Buchstaben e) und f) werden demnach über die Entscheidungsfreiheit des Arbeitgebers abgegrenzt.924 und die Forderung der Kommission nach einem access to justice, vgl. KOM (1998) 612 final S. 8; beim EBRG dahingehend argumentierend: Holz, S. 201. 919 Hierzu S. 235; a. A.: Oetker Schubert EAS B 8300 Rn. 383 ohne nähere Erläuterung der Peripherie. 920 Spreer, S. 114 u. 156; Ritter, S. 282 m. w. N. zur parallelen Argumentation bei der Richtlinie 94/45/EG. 921 Callies/Rüffert-Krebber, Art. 153 Rn. 26; Blank, AuR 1993, 229 (235); Buchner, RdA 1993, 193 (196 u. 197); HSW, § 12 Rn. 53. 922 von der Groeben/Schwarze-Högl, Art. 137 Rn. 24. 923 von der Groeben/Schwarze-Högl, Art. 137 Rn. 26. 924 von der Groeben/Schwarze-Högl, Art. 137 Rn. 24.
G. Der verfahrenssichernde Unterlassungsanspruch
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Die Konsultationspflichten sind nicht Bestandteil eines Mitbestimmungsrechts in den von der Richtlinie tangierten Bereichen.925 Im deutschen Kontext ist der verfahrenssichernde Unterlassungsanspruch nicht – wie z. B. das Initiativrecht – im Kern der Mitbestimmungsrechte angelegt. Allein der paritätische Unterlassungsanspruch ist eine Konsequenz aus dem Mitbestimmungsrecht. Ob dies im europäischen Kontext identisch ist, setzt eine genaue begriffliche Klärung der europarechtlichen Begriffe von Beteiligung und Mitbestimmung voraus. Was den Eingriff in die Unternehmerfreiheit angeht, so geht der Unterlassungsanspruch nicht über das hinaus, was bereits verfahrensmäßig in der rechtmäßigen Beratung angelegt ist. Dadurch werden die Mitwirkungsrechte auch nicht zu echten Mitbestimmungsrechten. Der Arbeitgeber kann durch bloße Information oder Konsultation den Anspruch verhindern.926 Eine zwingende inhaltliche Mitgestaltung durch den Betriebsrat ist nicht möglich. Man kann vom Trennungsverständnis des französischen Rechts lernen und die Inhalte von Mitbestimmung sowie Mitwirkung von der engen Verbindung mit dem Unterlassungsanspruch entkoppeln. Richtigerweise ist nämlich zu differenzieren. Vom Inhalt her erfassen die Kompetenzen ausschließlich die positive Einwirkung auf die Arbeitgeberentscheidung. Die Sicherung dieser graduell unterschiedlichen Rechte ist eine Frage der Annexkompetenz. Die Entwicklung der Sicherung der Richtlinienrechte ist ein fundamentaler Grundsatz jeder Richtlinie. Dies dokumentiert die Vielzahl der Fälle vor dem EuGH im Hinblick auf die Sanktionsproblematik. Ohne Sanktionen sind die Bestimmungen praktisch wertlos. Der EuGH begründet nachgeordnete Zuständigkeiten in der Regel über einen Effektivitätsrekurs.927 Die vorliegende Untersuchung hat ergeben, dass eine effektive Sicherung und Wahrnehmung des Informations- und Konsultationsrechts eine Unterlassungsbefugnis erfordert. Die Zuständigkeit erfasst folgerichtig auch den Bereich, durch dessen Fehlen die ausdrücklich erwähnten Punkte sinnlos wären oder nicht vernünftigerweise und zweckmäßigerweise zur Anwendung gelangen könnten.928 Die durchsetzbare Verpflichtung, die Maßnahme so lange zu unterlassen, bis die Beteiligung ordnungsgemäß stattgefunden hat, ist demnach von der Ermächtigungsgrundlage gedeckt. Die richtlinienkonforme Rechtsfortbildung entspricht damit auch den primär-europarechtlichen Bestimmungen.
925 926 927 928
Bonin, AuR 2004, 321 (321). Ebenso Bonin, AuR 2004, 320 (328). Vgl. Calliess/Ruffert-Calliess, Art. 5 Rn. 15 ff.; Jarass, AöR 121, 173 (177). Calliess/Ruffert-Calliess, Art. 5 Rn. 15.
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2. Kap.: Die Unterlassungsansprüche des Betriebsrats
c) Richtliniensetzungsprozess Den Richtliniensetzungsprozess dominierte der Entwurf des Art. 8 Abs. 3. Ursprünglich sollte Art. 8 RL 2002/14/EG nämlich einen dritten Absatz enthalten:929 „Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass im Falle eines schwerwiegenden Verstoßes des Arbeitgebers gegen die Informations- und Anhörungspflicht bei Entscheidungen, die unter Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe c) fallen, die betreffenden Entscheidungen, wenn sie unmittelbare Konsequenzen im Sinne einer wesentlichen Änderung oder einer Beendigung von Arbeitsverträgen oder Arbeitsverhältnissen hätten, keinerlei Rechtswirkungen hinsichtlich Arbeitsvertrag und Arbeitsverhältnis der betroffenen Arbeitnehmer haben. Dies gilt, solange der Arbeitgeber seinen Verpflichtungen nicht nachgekommen ist oder, falls dies nicht mehr möglich ist, solange keine angemessene Entschädigung gemäß den von den Mitgliedstaaten zu bestimmenden Modalitäten festgelegt wurde. Die Bestimmungen des vorstehenden Absatzes finden auch Anwendung auf die entsprechenden Verpflichtungen der Vereinbarungen nach Artikel 3. Als schwerwiegender Verstoß im Sinne des vorstehenden Abs. gelten: a) Völliges Fehlen einer Information und/oder Anhörung der Arbeitnehmervertreter vor einer Entscheidung oder vor der öffentlichen Bekanntgabe einer Entscheidung sowie b) Zurückhaltung wichtiger Informationen oder Weitergabe falscher Informationen, wenn dadurch das Recht auf Information und Anhörung seiner Wirkung beraubt wird.“
Dieser Absatz ist in die endgültige Richtlinie nicht übernommen worden. Ritter will aus der Streichung des Art. 8 Abs. 3 auf die Unzulässigkeit der Existenz des Unterlassungsanspruchs schließen, denn dieser Absatz sei wegen seiner unangemessenen Schärfe gestrichen worden.930 Diese Interpretation ist nicht überzeugend. Nach den ausdrücklichen Erläuterungen in den Materialien wurde die Regelung als insgesamt unklar verworfen.931 Während zugleich die Notwendigkeit der Sicherung betont wurde, erfolgte die Begründung der Ablehnung durch den Rat mit drei Argumenten. Eine Unwirksamkeitskonzeption existiere in den meisten europäischen Ländern nicht. Ferner könnte die Regelung durch langjährige Verfahren Rechtsunsicherheit bedingen, aus der möglicherweise schwere finanzielle Einbußen und damit Nachteile für das Unternehmen und die Beschäftigungssituation resultieren würden. Schließlich sei eine Rechtsunsicherheit in Bezug auf die Unterrichtung und Anhörung im Falle des Betriebsübergangs zu befürchten gewesen. 929 930 931
Vgl. KOM (1998) 612 endg. Ritter, S. 279; auch Seeberger S. 171. Abl. EG, C 307/25, vgl. auch Schäfer, S. 118.
G. Der verfahrenssichernde Unterlassungsanspruch
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In Bezug auf den Betriebsübergang vermag die Begründung zu überzeugen und deckt sich im ersten Argument zum Teil mit den Einzelheiten der Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung. Die grundsätzliche Ablehnung der Unwirksamkeit von Folgeentscheidungen, die im Übrigen auch dem deutschen Recht außerhalb von § 87 BetrVG entspricht, bewirkt aber gerade eine Stärkung der Sicherungsnotwendigkeit im präventiven Bereich. Die im Richtlinienprozess geltend gemachten Unsicherheits- und Unklarheitsbedenken sind nachvollziehbar für die Reichweite der Unwirksamkeit von Folgeentscheidungen; sie können nicht gegen einen Unterlassungsbeschluss ins Feld geführt werden. Zudem hilft der Anspruch, die Existenz unklarer Sachverhalte zu verhindern. Selbst wenn man annimmt, man habe aus Kompromissgründen auf weitergehende Vorschriften verzichtet, gilt für die Auslegung des europäischen Rechts grundsätzlich, dass der Kompromisscharakter nicht geeignet ist, die Rechtsfortbildung und strikte Interpretation durch den EuGH zu behindern. Der Präsident des EuGH, Skouris, hat auf einen wichtigen Aspekt der Arbeit des EuGH gerade im Bereich der Richtlinien hingewiesen. So seien diese nicht selten Kompromiss bzw. kleinster gemeinsamer Nenner.932 Gerade in diesen Fällen sieht Skouris den EuGH berufen, der Richtlinie einen genaueren Inhalt zu geben. d) Unzulässigkeit wegen des europarechtlichen Transparenzgebotes Ein weiterer Einwand wird auf das Transparenzgebot gestützt. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist es im Zusammenhang mit der praktischen Wirksamkeit erforderlich, dass die sich so ergebende Rechtslage bestimmt und klar ist und den Begünstigten in die Lage versetzt, von seinen Rechten Kenntnis zu erlangen sowie diese gegebenenfalls vor den nationalen Gerichten geltend zu machen.933 In Kommission/Französische Republik weitete das Gericht den Kreis der aus dem Transparenzgebot Begünstigten aus und sprach nun auch davon, dass die Verpflichteten Kenntnis erlangen können müssen.934 Das Gebot wurde ursprünglich im Zusammenhang mit den Anforderungen an eine Verwaltungspraxis als Umsetzungssurrogat entwor932
Skouris, ZEuS 2005, 463 (466). EuGH, Urteil vom 30.5.1991 – C 361/88 (Kommission/Deutschland), Slg. 1991 I, 2596 (2601); EuGH, Urteil vom 10.5.2001 – C-144/99 (Kommission/Niederlande), EuZW 2001, 437 (438); EuGH, Urteil vom 23.3.1995 – C-365/93 (Kommission/Griechenland), Slg. 1995 I, 504 (507 f.). 934 EuGH, Urteil vom 14.3.2006 – Rs. C-177/04 (Kommission/Frankreich), EuZW 2006, 506 (509). 933
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2. Kap.: Die Unterlassungsansprüche des Betriebsrats
fen.935 Der EuGH hat das Prinzip aber auch im Verhältnis zweier Privater zur Anwendung gebracht.936 In der Richtlinie 2002/14/EG kommt es in Art. 11 Abs. 2 zum Ausdruck. Dieses Gebot steht logischerweise in einem Spannungsverhältnis zur Rechtsfortbildung. Gesetzestexte sind in der Regel leichter zugänglich als Gerichtsurteile. Diese werden teilweise nicht einmal veröffentlicht. Ausgehend von einer vertieften Verbindung von Transparenzgebot und Rechtsfortbildung, kommt L. Hinrichs zu dem Schluss, dass eine Rechtsfortbildung dann nicht zulässig sei, wenn weder der Gesetzgeber in der Umsetzung der Richtlinie tätig geworden sei noch eine gefestigte Rechtsfortbildung bestehe.937 In diesem Fall erfolge die Rechtsfortbildung contra legem.938 Diesen Voraussetzungen entspreche der Unterlassungsanspruch nur in den Gebieten, in denen er bereits seit Langem anerkannt sei. Dies bedeute umgekehrt, dass die Statuierung eines Unterlassungsanspruchs in den bislang strittigen Fällen nicht kraft richterrechtlicher Rechtsfortbildung erfolgen kann oder erst mehrere Jahre nach der praktischen Anerkennung auch europäische Anerkennung finden würde. Grundsätzlich verknüpft der EuGH das Transparenzgebot mit den europarechtlichen Forderungen nach Rechtssicherheit und Rechtsklarheit.939 Der Ansatz von L. Hinrichs ruft nun seinerseits erhebliche Friktionen mit den europäischen Prinzipien der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit hervor, da die von ihm geforderte „Festigkeit“ nur selten unproblematisch zu ermitteln sein wird. Außerdem spricht ein weiteres gewichtiges Argument gegen diesen Einsatz des Transparenzgebotes: Sowohl die Setzung einer Norm durch den Gesetzgeber als auch die Entwicklung von Richterrecht lassen sich auf den 935 Erstmals EuGH, Urteil vom 30.5.1991 – C 361/88 (Kommission/Deutschland), Slg. 1991 I, 2596 (2601) EuGH, Urteil vom 10.5.2001 C-144/99 (Kommission/Niederlande), EuZW 2001, 437 (438); EuGH, Urteil vom 7. Mai 2002 – C-478/99 (Kommission/Schweden) Slg. 2002 I, 4147 (4172). 936 EuGH, Urteil vom 10.5.2001 – C-144/99 (Kommission/Niederlande), EuZW 2001, 437 (438). 937 L. Hinrichs, S. 58 f.; ähnlich Thüsing, § 10 Rn. 65 u § 1 Rn. 39; generell ausschließend Forst ZESAR 2011, 107 (116); kritisch ebenfalls: Lobinger, FS Richardi, 658 (660). 938 Vgl. Hinrichs zum Europäischen Betriebsrat, S. 70 und v. a. S. 191; unproblematisch sei hingegen die Sicherung über die Institute des einstweiligen Rechtsschutzes, vgl. S. 196 f.; Probleme mit dem Transparenzgebot werfen §§ 935, 938, 940 ZPO in der Tat nicht auf. 939 EuGH, Urteil vom 10.5 2007 – C-508/04 (Kommission/Österreich) = juris; EuGH, Urteil vom 10.5.2001 – C144/99 (Kommission/Niederlande), EuZW 2001, 437 (438).
G. Der verfahrenssichernde Unterlassungsanspruch
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Grundsatz zurückführen, das Richtlinienergebnis in den nationalen Rechtsordnungen herbeizuführen.940 Analysiert man das Transparenzgebot, so entspringt es der Pflicht, eine Richtlinie durch die Maßnahmen umzusetzen, die sich für die Erreichung der praktischen Wirksamkeit unter Berücksichtigung des mit ihr verfolgten Zwecks am besten eignet.941 Vor diesem Wirksamkeitsaspekt ist das Richterrecht ein Mehr an Effekt und folglich europarechtlich betrachtet dem Zustand der Nichtexistenz praktischer Wirksamkeit vorzuziehen. Das Transparenzgebot ist somit nicht geeignet, eine richtliniengebotene Rechtsfortbildung zu verhindern. Das Transparenzgebot stellt eine formelle Anforderung an eine legislative Richtlinienumsetzung dar. Inhaltliche Anforderungen sind streng von ihr zu trennen. Sie dann mit dem Inhalt zu belegen, die Gewährleistung des praktischen Zustandes zu verhindern, liefe konträr zu ihrem eigentlichen Ziel: formelle Optimierung der Praxis. Die Transparenzpflicht ergänzt die wichtigere Pflicht, die Richtlinie umzusetzen. Gerade diese Pflicht wird in der Praxis wiederum dadurch abgesichert, dass die Gerichte das geltende Recht richtlinienkonform interpretieren oder fortbilden. Bei der Anwendung des Rechts wiederum gebührt der praktischen Wirksamkeit der Vorrang. Selbst eine konkrete Umsetzungsnorm kann nicht immer gewährleisten, dass die von der Richtlinie vergebene Transparenz erreicht wird; dann trägt eine richterliche Präzisierung gerade zur Rechtssicherheit bei.942 Stets sind die Gerichte an der Erreichung von Transparenz beteiligt, sei es durch Auslegung oder durch Konkretisierung. Der EuGH hat in Kommission/Griechenland 943 deutlich gemacht, dass die richtlinienkonforme Interpretation durch die Gerichte der Mitgliedstaaten nicht von ihrer Umsetzungspflicht entbindet. Die Rechtsprechung des Gerichtshofs ist damit rein auf das Vertragsverletzungsverfahren bezogen und erklärt sich aus der Eigenschaft des Transparenzgebotes als formaler Anforderung. Der EuGH hat somit einen wichtigen Punkt festgehalten: Im Spannungsverhältnis von Transparenz und effektiver Geltung kann sich ein Mitgliedstaat im Vertragsverletzungsverfahren nicht auf die Möglichkeit der richtlinienkonformen Auslegung berufen. Er muss der Umsetzungspflicht nachkommen. Diese Annahme deckt sich gleichfalls mit der Überzeugung aller Mitgliedstaaten, dass die praktische Notwendigkeit der Rechtsfortbildung einer 940
Herresthal, S. 85. So wohl auch Leible EuZW 2001, 438 (438). 942 Herresthal, S. 86 u. 211. 943 EuGH, Urteil vom 23.3.1995 – C-365/93 (Kommission/Griechenland), Slg. 1995 I, 504 (507 f.). 941
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2. Kap.: Die Unterlassungsansprüche des Betriebsrats
absoluten – im Rechtspositivismus verhafteten – Rechtssicherheit vorzuziehen ist.944 Das Bundesverfassungsgericht spricht gar davon, dass die Rechtsfortbildung ein Bestandteil jahrhundertelanger gemeineuropäischer Rechtsüberlieferung und Rechtskultur sei,945 die den Richter nicht einzig als „Mund der Rechtssätze“ verstehe. Der EuGH hat selbst die Transparenzpflicht ganz bewusst aus dem Metakontext (Pflicht zur Erreichung des Zustandes) herausgenommen und das Transparenzgebot der Umsetzungspflicht durch Gesetz zugeordnet. Es ist daher nicht widersprüchlich, eine richtlinienkonforme Rechtsfortbildung anzuerkennen und zugleich mit Hilfe des Vertragsverletzungsverfahrens ein gesetzgeberisches Tätigwerden zu erzwingen. Das Transparenzgebot kann folglich nicht ins Feld geführt werden, um die richtlinienkonforme Rechtsfortbildung zu verhindern. e) Die Verhältnismäßigkeit des Unterlassungsanspruchs Oetker/Schubert zweifeln die Verhältnismäßigkeit des Unterlassungsanspruchs an, weil ein Unterlassungsanspruch die Maßnahme vollständig aufschieben würde.946 Damit würden erhebliche Kostenbelastungen verursacht. Die Verhältnismäßigkeit des Unterlassungsanspruchs ergibt sich aus dem Verhältnis der beiden Rechtspositionen und der Schwere der jeweiligen Alternativen.947 Der Unterlassungsanspruch ist per se nicht darauf gerichtet, Schäden anzurichten, er soll einzig den Dialog sichern, der als Recht der Arbeitnehmervertreter statuiert ist. Dieses Recht beschränkt den Arbeitgeber in seiner Unternehmerfreiheit. Elementar für die Verhältnismäßigkeit spricht die Ausnahme des Art. 6 Abs. 2, denn dort wird der Arbeitgeber gerade vor nachhaltig belastenden Folgen abgesichert. Im Übrigen besteht für den Arbeitgeber die Obliegenheit, auch im eigenen Interesse die Arbeitnehmervertreter zu konsultieren. Er kann Schäden von sich abhalten, indem er den Dialog rechtzeitig sucht. Der Einwand der Verhältnismäßigkeit wird ferner durch Art. 1 Abs. 3 RL 2002/14/EG entkräftet. Diese Norm bestätigt, dass sich im Regelfall die Unterlassung als gebotene Rücksichtnahme darstellt; sie kann darüber hinaus in unverhältnismäßigen Sonderkonstellationen gegen den Unterlassungsanspruch eingewandt werden.
944 Im Vergleich zu den übrigen Staaten wirkt Deutschland geradezu konservativ; überblicksartig Vogenauer, Bd. 1, S. 141 ff., 289 ff. u. 736. 945 BVerfG, Beschluss vom 8.4.1987 – 2 BvR 687/85, BVerfGE 75, 223 (243); vgl. zur Rechtsfortbildung (teleologische Reduktion von § 5 HWiG) als Mittel der unionsrechtskonformen Auslegung: BVerfG, Beschluss vom 26.9.2011, NJW 2012, 669. 946 Oetker/Schubert, EAS B 8300, Rn. 391. 947 Instruktiv: Kluth, JA 1999, 606 (610).
G. Der verfahrenssichernde Unterlassungsanspruch
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6. Die Rückwirkung der europarechtlichen Implikationen auf den Streitstand Aus der Richtlinie 2002/14/EG folgt die Vorgabe für die deutschen Arbeitsgerichte, die Unterlassung beteiligungswidriger Maßnahmen zu verfügen. Insoweit enthält die Richtlinie im Zusammenspiel mit der nationalen Methodik für den Streitstand weitere, diesen auflösende Vorgaben. a) Die Ausschließlichkeit des § 113 BetrVG Prüft man § 113 BetrVG auf seine abschließende Wirkung, so kann man die abschließende Konzeption durch einen Rückgriff auf die EuGH-Rechtsprechung überwinden. Denn nach der Wagner-Miret-Rechtsprechung948 des EuGH ist davon ausgehen, dass der Wille des Gesetzgebers einer Öffnung der nationalen Regelungen zugunsten der europarechtskonformen Rechtsfortbildung nicht entgegensteht.949 Im Wege der richtlinienkonformen Auslegung ist dann der Auslegungsvariante der Vorrang einzuräumen, welche die Sperrwirkung ausschließt. b) Stütze für § 23 Abs. 3 BetrVG analog Auch für die teleologische Extension des § 23 Abs. 3 BetrVG könnten sich weitere Stützen finden. Zunächst untermauert die Richtlinie das Verständnis, § 23 Abs. 3 BetrVG sei nicht abschließend. Eine ausdrückliche gesetzgeberische Entscheidung liegt gerade nicht vor, zugleich erfordert die Richtlinie 2002/14/EG umfassende Gewährleistung. Daneben stellt § 23 Abs. 3 BetrVG eine nationale Struktur dar, an die der Rechtsschutz sowie die Rechtsfortbildung anknüpfen können und die das europäische Gebot nach autoritativer Durchsetzung aufnimmt. Die Einbeziehung einfacher Verstöße ermöglicht die Umsetzung der Richtlinienvorgaben. Der EuGH verlangt bei der Kollision von Normen mit Richtlinienvorgaben die Anwendung methodischer Regeln, die das Gericht im Fall eines sog. Normenwiderspruchs anwenden würde.950 Unter strikter Beachtung der in der Adeneler-Entscheidung aufgestellten contra-legem-Grenze kann man diesen Gedanken auch in die andere Richtung führen und eine 948 EuGH, Urteil vom 16.12.1993 – C-334/92 (Teodoro Wagner Miret), NJW 1994, 921 (922): „[. . .] jedes nationale Gericht bei der Auslegung und Anwendung des nationalen Rechts davon auszugehen, daß der Staat die Absicht hatte, den sich aus der Richtlinie ergebenden Verpflichtungen in vollem Umfang nachzukommen.“ 949 Ebenso Schnobus, AcP 2001, 860 (900). 950 Riesenhuber/Domröse, RIW 2005, 47 (51).
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2. Kap.: Die Unterlassungsansprüche des Betriebsrats
Norm, für die keine klaren gesetzgeberischen Vorgaben bestehen, richtlinienkonform extendieren.951 Mit der Absage an ein abschließendes Verständnis des § 23 Abs. 3 BetrVG und mit der Orientierung an der generellen Schutzbestimmung, der betriebsverfassungsrechtlichen Ordnung zu dienen, trifft die Richtlinienforderung nach Durchsetzung der Unterlassungsverpflichtung den Zweck der Norm. Insbesondere die Rechtsprechung des EuGH im Fall Dekker952 stützt das Rechtsfortbildungsergebnis. Der EuGH forderte, dass im nationalen Recht vorgesehene Rechtfertigungsgründe unberücksichtigt bleiben müssten, wenn diese mit der Systematik der Richtlinie nicht vereinbar sind. Zipprich interpretiert diese Rechtsprechung zutreffend dahin gehend, dass nicht allein in der deutschen Kategorie des externen Rechtfertigungsgrundes gedacht werden dürfe, so dass die Entscheidung des nationalen Gesetzgebers, z. B. eine zivilrechtliche Haftung zu wählen zu einer teleologischen Extension dieser Haftung führen kann.953 Aus Dekker954 kann man ferner ableiten, dass eine Sanktion, welche ein Mitgliedstaat für diesen Fall bereitstellt (vorsähe), nicht von zusätzlichen Anforderungen abhängig gemacht werden darf, die die Richtlinie nicht vorsieht. Zwar hat der deutsche Gesetzgeber § 23 Abs. 3 BetrVG nicht zum zentralen Durchsetzungsinstrument machen wollen, das BetrVG hat diese Norm aber als ein Sicherungsinstrument ohne subjektive Vorgaben installiert. Die Vorgaben der Richtlinie sind schließlich auch für die Interpretation des § 23 Abs. 3 S. 2 ff. BetrVG relevant. So stützen die Effektivitäts- und Deterrenzvorgaben über die richtlinienkonforme Interpretation der Sätze 2 ff. die oben befürwortete Vollstreckbarkeit eines Anspruchs aus § 23 Abs. 3 S. 1 über die §§ 888 ff. ZPO. c) Kein Unterlassungsanspruch bis zum Feststellen des Scheiterns des Interessenausgleichs Ein weiteres wesentliches Problem besteht in der Reichweite des Gebotes zur richtlinienkonformen Rechtsfortbildung. Die Richtlinienrechte sind inhaltlich auf Anhörung bzw. Konsultation i. S. v. Art. 2 g) RL 2002/14/EG 951
Ebenso Canaris, FS Bydlinski, 47 (90). EuGH, Urteil 08.11.1990 – C-177/88 (Dekker), AP Art. 119 EWG-Vertrag Art. 119 Nr. 23; das Bundesarbeitsgericht ist in der Folge nicht den Weg der Fortbildung des § 611a BGB gegangen, sondern ist auf § 823 Abs. 1 i. V. m. dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht ausgewichen (vgl. die Nachweise bei Bücker/Feldhoff/Kohte, Rn. 204 ff.). 953 Zipprich, S. 41. 954 EuGH, Urteil vom 8.11.1990 – C-177/88 (Dekker) = lexetius.com. 952
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beschränkt. Man kann zwar aus dem Richtlinienzusammenhang einen Verhandlungsanspruch herleiten, darüber hinaus enthält die Richtlinie keine Feststellungen, dass der Arbeitgeber auch die Einigungsstelle bzw. ein vergleichbares europarechtliches Pendant anrufen müsste. Aus der Rechtsprechung des EuGH im Fall Junk geht nur hervor, dass das Erlöschen der Unterlassungsverpflichtung voraussetzt, dass das Konsultationsverfahren beendet sein muss, mithin der Arbeitgeber seine Verpflichtungen erfüllt hat.955 Diese Vorgabe könnte man dahin gehend interpretieren, dass das Interessenausgleichsverfahren als Teil des Konsultationsverfahrens nach deutschem Recht vollständig durchlaufen werden müsse.956 Das Bundesarbeitsgericht hat 2008 einer solchen Lesart zu § 17 KSchG eine Absage im Rahmen der RL 98/59 erteilt.957 Ausdrücklich sei ein derartiges Verfahren nicht vorgesehen, und es fehle an einem Verweis auf innerstaatliche Rechtsvorschriften oder Praktiken. Klumpp weist darauf hin, dass die RL 2002/14/EG allein den Meinungsaustausch zwischen den betrieblichen Akteuren vorschreibe und eine Schlichtungsstelle nicht vorsähe.958 Eine solche Ausgestaltung des Dialoges wäre in der Tat für alle Mitgliedstaaten verbindlich, umso höhere Anforderungen müssen an die Transparenz der RL 2002/14/EG gestellt werden. Die dortige Regelung erschöpft sich in den Informations- und Beratungstatbeständen.959 Diese Frage ist jedoch keine Frage des europäischen Rechts. Vor dem System der deutschen Rechtsordnung muss abgewogen werden, weshalb die Sicherung bis zum Ende der tangierten Konsultationspflicht anders zu bewerten sein sollte als bis zum Einigungsstellenverfahren.960 7. Zwischenergebnis Das Unionsrecht hat über Art. 4 Abs. 3 EUV, Art. 291 AEUV einen Rahmen geschaffen, innerhalb dessen der Grundsatz der praktischen Wirksamkeit in jeden Winkel des vom primären oder sekundären Europarecht durchdrungenen nationalen materiellen und prozessualen Rechts vorgedrungen 955 956
EuGH, Urteil vom 27.1.2005 – C-188/03 (Junk), NJW 2005, 1099 (1099 f.). Zu § 17 Abs. 2 S. 2: Appel DB 2005, 1002 (1005); Wolter, AuR 2005, 135
(139). 957
BAG Urteil vom 21.05.2008 – 8 AZR 84/07 = juris. Klump, NZA 2006, 703 (705). 959 Vgl. zu RL 98/59/EG: Bauer/Krieger/Powietzka, BB 2006, 2023 (2025). 960 Es ist gut vorstellbar, den Schutz des Verfahrens als unionsrechtsorientierte Rechtsfortbildung anzusehen und sich darauf zu stützen. Dann diente die Unterlassungsverpflichtung als Orientierungspunkt für die Rechtsfortbildung. Jedenfalls erschiene vor dieser Implikation ein Unterlassen vorzugswürdiger. Zu diesem Phänomen vgl. Herresthal, S. 281. 958
260
2. Kap.: Die Unterlassungsansprüche des Betriebsrats
ist. Erst über die Strukturen des deutschen Rechts kann die erstmals in der Junk-Entscheidung herausgebildete Unterlassungsverpflichtung zu einem Unterlassungsanspruch erstarken. Die Praxis der Richtliniensetzung ist trotz teilweise ungenauer Vorgaben darauf gerichtet, detailliert und differenziert die erfassten Fälle zu lösen.961 Für die Unterlassungspflicht streiten insbesondere die Struktur der Beteiligungsrechte, die Erwägungsgründe und nicht zuletzt die Geschichte der Richtlinie. Wenn die Mitgliedstaaten ein gerichtliches Verfahren vorsehen, verpflichtet der effet utile die nationalen Gerichte, auf Antrag der Repräsentanten, das Verbot der Durchführung einer Maßnahme auszusprechen. Auf das deutsche Recht bezogen, wird dies mit Hilfe eines materiell-rechtlichen Unterlassungsanspruchs bewirkt. Europarechtlich betrachtet, begründet das Verbot der Durchführung vor Abschluss des Dialogs ein integratives Moment der Beteiligung für die Mitgliedstaaten, welche die Information und Konsultation bislang lediglich fakultativ ermöglichen. Die Pflicht übt Druck auf und stellt zugleich ein Sicherungsinstrument dar, welches geeignet ist, die Rechtspraxis in den betreffenden Staaten zugunsten der zwingenden Beteiligung zu verändern. In letzter Konsequenz verhindert die Unterlassungspflicht auch einen Wettbewerb zulasten der Konkurrenten und der Arbeitnehmer. Dadurch, dass dem Nichtbeteiligenden die Maßnahme untersagt werden kann, ist ein Vorteil durch Rechtsbruch ausgeschlossen. 8. Keine „gespaltene Rechtsfortbildung“ Im Kontext mit der Umsetzung von Richtlinien weist Bercusson darauf hin, dass die Vorgaben weniger im Hinblick auf die geregelten Einzelfälle betrachtet werden sollten, sondern vielmehr als Teil einer Fortbildung eines gesamten Arbeitsrechts in der EU.962 Wenn das Europarecht die Gerichte im Anwendungsfeld der Richtlinie verpflichtet, den Unterlassungsanspruch anzuerkennen, dann ergeben sich zwei Fragen. Erstens ist es fragwürdig, ob nur der von der Richtlinie tangierte Bereich oder der gesamte Bereich eines Beteiligungsrechts erfasst wird. Des Weiteren steht die europarechtlich induzierte umfassende Übernahme dieses Instituts für alle nicht erfassten Beteiligungsrechte im Raum. Diese allgemeine Problematik hat ihrerseits zahlreiche Monografien und Aufsätze hervorgerufen.963 Eine ausführliche Stellungnahme würde den Rahmen dieser Abhandlung bei Weitem sprengen. 961 962 963
Skouris, ZEuS, 2005, 463 (465). Bercusson, S. 221. Herresthal, S. 281; Mayer/Schürnbrand, JZ 2004, 545 ff.; Jäger, S. 140.
G. Der verfahrenssichernde Unterlassungsanspruch
261
a) Die unmittelbar betroffenen Beteiligungsrechte Hinsichtlich der unmittelbar betroffenen Beteiligungsrechte ist darauf hinzuweisen, dass der Auslegung der Norm im Rahmen der Ermittlung einer gesetzgeberischen Entscheidung für oder gegen das Durchführen der Maßnahme oberste Bedeutung zukommt. Es kommt daher allein darauf an, ob es zulässig ist, die Normen gegebenenfalls diesbezüglich „gespalten“ auszulegen. Die Möglichkeit der gespaltenen Auslegung wird sehr kontrovers diskutiert. Der Bundesgerichtshof hat sie mit guten Gründen verneint.964 Argumentativ stützte sich das Gericht auf das Postulat der Rechtsordnung nach Gleichbehandlung der in einer Norm geregelten Situationen. Ergänzt wird dieses Verständnis durch das Vermeiden von Rechtsanwendungsproblemen. Die Rechtserkenntnis aus einer Norm ist nicht nur auf ihren Wortlaut limitiert. Wenn also die teleologische Auslegung – offensichtlich europarechtlich aufgeladen – eine Wertung gegen das Durchführen der Maßnahme ergibt, liegt dasselbe in den übrigen ebenfalls von derselben Norm erfassten Fällen nahe. Trotzdem sollte die sog. Heininger-Entscheidung nicht blindlings übernommen werden. Dort ging es um die einheitliche Auslegung eines Tatbestandsmerkmals in zwei unterschiedlichen Situationen. Keine beteiligungspflichtige Maßnahme gleicht indes der anderen. Dies gilt insbesondere bei Betriebsänderungen. Andererseits – und dies legitimiert eine Gleichbehandlung prima facie – ist mit der Einordnung der Entscheidungen in bestimmte Beteiligungsrechte eine Kategorisierung der beteiligungspflichtigen Maßnahmen und eine grundsätzliche Gleichbewertung bezweckt965 und verbunden. Dies gilt auch auf der Ebene der Zuordnung von Sanktionen, wie etwa § 101 oder § 113 BetrVG verdeutlichen. Diese Normen gelten nämlich für alle Tatbestände des Beteiligungsbereichs. Es kann folglich nur darum gehen, ausnahmsweise aus Wertungsgründen und unter hohen hermeneutischen Anforderungen ein anderes Auslegungsergebnis anzuerkennen, im Grundsatz aber die Beteiligungsrechte einheitlich zugunsten ihrer Sicherung auszulegen.966
964 BGH, Urteil vom 9.4.2002 – XI ZR 91/99, NZM 2002, 539 (542); die Reichweite der einheitlichen Auslegung ist dabei wiederum ein Thema für sich, jüngst: BGH, Urteil vom 17.10.2012 – VIII ZR 226/11, DB 2012, 2804. 965 Vgl. auch BGH, Urteil vom 21.12.2011 – VIII ZR 70/08, NJW 2012, 1073 (1078). 966 Mayer/Schürnbrand, JZ 2004, 545 (550): jederzeit widerlegliche Vermutung zugunsten einer einheitlichen Auslegung. Riesenhuber II-Habersack/Mayer, § 15 Rn. 39 ff., mit überzeugenden Ausnahmekonstellationen.
262
2. Kap.: Die Unterlassungsansprüche des Betriebsrats
b) Die weiteren Beteiligungsrechte Dessen ungeachtet ist sehr fragwürdig, ob auch die nicht erfassten Beteiligungsrechte beeinflusst werden. Die europarechtlichen Vorgaben könnten als Leitbilder für die Rechtsfortbildung dienen. Man kann insofern von unionsrechtorientierter Rechtsfortbildung sprechen.967 In diesem Fall ordnet Herresthal die Richtlinienvorgaben als Rechtsgewinnungsquellen mit besonderem argumentativem Gewicht ein.968 Als Leitbild der Richtlinie 2002/14/ EG fungiert die Unterlassungspflicht des Arbeitgebers. Für den Richter rührt die Ausweitung des Anwendungsbereichs des Unterlassungsanspruchs auf alle strukturell vergleichbaren Beteiligungsrechte aus dem hermeneutischen Prinzip, gleiches gleich zu behandeln. Hagen betont diesbezüglich die Notwendigkeit für eine nach Rationalität strebende Rechtswissenschaft, die Rechtsordnung widerspruchsfrei fortzubilden. Dazu gehöre auch eine identische Lösung gleich gelagerter Probleme.969 Diese Feststellung ist eng an die Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts aus dem Soraya-Beschluss angelehnt, in dem das Bundesverfassungsgericht postulierte, die richterliche Rechtsfortbildung müsse die Vorstellungen des Gesetzes ans Licht bringen und sich dabei von Willkür fernhalten sowie auf dem Boden der rationale Argumentation bleiben.970 Wenn man bei § 111 BetrVG den verfahrenssichernden Unterlassungsanspruch bejaht, gibt es keinen Grund, ihn nicht als Sicherungsinstrument bei den anderen Beratungsrechten anzunehmen. Im Gegenteil, es wäre widersprüchlich, dies nicht zu tun.
X. Ergebnis Im Ergebnis steht dem Betriebsrat in wirtschaftlichen Angelegenheiten ein verfahrenssichernder Unterlassungsanspruch zur Seite. Dieser ergibt sich jedenfalls zwingend aus dem richtlinienkonformen Verständnis der §§ 111, 23 Abs. 3 S. 1 BetrVG analog. In Extremfällen kann aus § 2 Abs. 1 BetrVG eine Duldungspflicht resultieren.971
967
Vgl. Herresthal, EuZW 2007, 396 (397). Herresthal, S. 281; Herresthal, EuZW 2007, 396 (397). 969 Hagen, FS Larenz, 867 (868). 970 BVerfG, Beschluss vom 14.2.1973 – 1 BvR 112/65, BVerfGE 34, 269 (287). 971 Die Befürchtungen von Lipinski/Reinhardt, NZA 2009, 1184 (1186) gehen also fehl. 968
H. Der verfahrenssichernde Unterlassungsanspruch bei § 90 BetrVG
263
H. Der verfahrenssichernde Unterlassungsanspruch bei § 90 BetrVG Die Richtlinie 2002/14 bezieht sich gemäß Art. 4 Abs. 2 c) auch auf Entscheidungen, die eine wesentliche Veränderung der Arbeitsorganisation mit sich bringen. Die von der Richtlinie verlangte „Antizipation“ ist gerade bei diesen Entscheidungen zur Geltung zu bringen.972 In diesem Bereich sieht § 90 BetrVG ein Informations- (Abs. 1) und ein Beratungsrecht (Abs. 2) vor. Das Beteiligungsrecht steht im systematischen Kontext mit § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG. Bei dieser Norm ist ein Unterlassungsanspruch anerkannt.973 Vor den soeben dargelegten Grundsätzen des europäischen Rechts stellt sich die Frage, welche Bedeutung die richtlinienkonforme Auslegung für § 90 BetrVG hat.
I. Grundsätzliches Bei dem Beteiligungsrecht aus § 90 Abs. 2 BetrVG liegen keine Besonderheiten vor, die gegen eine negatorische Sicherung über § 23 Abs. 3 analog sprächen. Der Zweck der Beratung besteht darin, dem Betriebsrat eine Chance einzuräumen, Einfluss auf die betrieblichen Planungs- und Entscheidungsabläufe zu nehmen.974 Es geht zudem darum, bereits im Planungsstadium sicherzustellen, dass bei der technischen und organisatorischen Gestaltung der Arbeitsplätze die arbeitswissenschaftlichen Erkenntnisse über die menschengerechte Gestaltung der Arbeitsplätze berücksichtigt werden.975 Nach § 90 Abs. 2 BetrVG sollen die Themen dabei so rechtzeitig beraten werden, dass die Vorschläge und Bedenken bei der Planung Berücksichtigung finden können. Das setzt wiederum voraus, dass die Maßnahme noch nicht ergriffen wurde. Damit bildet auch hier das Anterioritätsprinzip den tragenden Grund, einen verfahrenssichernden Unterlassungsanspruch zuzusprechen.976 Eine verbreitete Ansicht nimmt daher im Anwendungsbereich des § 90 BetrVG einen Unterlassungsanspruch an.977 972
HaKo-BetrVG-Kohte RL 2002/14/EG Rn 18. Ausführlich S. 67; Wegen der Bedeutung des Gesundheitsschutzes ist hier auch ein Beseitigungsanspruch anerkannt: BAG, Beschluss vom 16.6.1998 – 1 ABR 68/97, BB 1999, 55. 974 BAG, Urteil vom 11.12.1991 – 4 AZR 432/91, NZA 1992 850 (852); HaKoBetrVG Kohte, § 90 Rn. 30. 975 Wlotzke/Preis-Bender, § 90 Rn. 1; Richardi-Annuß, Vor § 90 Rn. 1. 976 Hako-BetrVG/Kohte, § 90 Rn. 30; DKKW-Klebe § 90 Rn. 38 m. w. N. 977 Im Zusammenhang mit § 91 BetrVG: Richardi-Annuß, § 90 Rn. 42; für eine prozessuale Sicherung: FESTL, § 90 Rn. 48. 973
264
2. Kap.: Die Unterlassungsansprüche des Betriebsrats
II. Sperrung durch § 91 BetrVG? Problematisch wird die Sicherung erst im Zusammenspiel mit § 91 BetrVG. Nach dieser Norm kann der Betriebsrat angemessene Maßnahmen zur Abwendung, Milderung oder zum Ausgleich der Belastung verlangen, wenn Arbeitnehmer durch Änderungen der Arbeitsplätze, des Arbeitsablaufs oder der Arbeitsumgebung in besonderer Weise belastet werden, die den gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen über die menschengerechte Gestaltung der Arbeit offensichtlich widersprechen. Kommt eine Einigung nicht zustande, so entscheidet die Einigungsstelle. Boemke entnimmt dem Umstand, dass erst im Nachhinein eine Änderung erwirkt werden könne, dass die Entscheidungsgewalt des Unternehmers gestärkt werden solle.978 Das Treffen der Maßnahme solle seiner Meinung nach sogar dann möglich sein, wenn sie arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen widerspräche. 1. § 91 BetrVG im System des Beteiligungsrechts § 91 BetrVG bezweckt die Sicherung der Arbeitnehmer vor besonderen Belastungen. Von seinem Schutzbereich aus betrachtet, besitzt die Norm keinen verfahrenssichernden Charakter. Zur scheinbaren Kollision kommt es nur deswegen, weil der Unterlassungsanspruch und § 91 BetrVG die Maßnahme im Blick haben. § 90 BetrVG ist aber keine logische Vorstufe des § 91 BetrVG. § 91 BetrVG greift nämlich auch dann ein, wenn der Arbeitgeber seiner Verpflichtung aus § 90 BetrVG nachgekommen ist und der Betriebsrat der Maßnahme zugestimmt hat.979 Denn dieses Mitbestimmungsrecht umfasst auch die Fälle, in denen alle Beteiligten erst nachträglich die besondere Belastung der Arbeitnehmer erkennen, so dass der Betriebsrat sich mit der Geltendmachung des § 91 BetrVG zu seinem früheren Verhalten nicht in Widerspruch setzt. Es handelt sich vielmehr bei § 91 BetrVG um ein Sicherungsinstrument zugunsten der Arbeitnehmer, das gerade dann eingreifen soll, wenn die Betriebsparteien nachträglich feststellen müssen, dass ihre verfahrensrechtlich korrekt geplanten Maßnahmen gleichwohl zu besonderen Belastungen geführt haben. 2. Der Unterlassungsanspruch bei § 91 BetrVG Das Problem, inwieweit aus § 91 BetrVG ein eigenständiger Unterlassungsanspruch zu gewinnen ist, ist noch nicht Gegenstand breiter Diskus978 979
Berger-Boemke, Kap. 14, Rn. 161. Richardi-Annuß, § 91 Rn. 31.
H. Der verfahrenssichernde Unterlassungsanspruch bei § 90 BetrVG
265
sion gewesen. Die Möglichkeit eines Unterlassungsanspruchs nehmen Kohte und Weberling980 unter Rekurs auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu § 87 BetrVG an. Die überwiegende Ansicht verneint den Anspruch wegen der korrigierenden Natur des § 91 BetrVG.981 a) Die besondere Anspruchsgrundlage Anders als bei den übrigen Mitbestimmungsrechten könnte der Unterlassungsanspruch bei § 91 BetrVG bereits aus dem Wortlaut abgeleitet werden. Auch wenn der Begriff der Abwendung in der Literatur vorrangig im Hinblick auf eine Beseitigung interpretiert wird,982 liegt ein präventives Verständnis nahe. Die Formulierung des Satzes 1 legt jedenfalls kein reaktives Verständnis des Gesetzgebers an den Tag. Auch der Passus „werden [. . .] in besonderer Weise belastet“ muss nicht zwangsweise dahin gehend verstanden werden, dass die Belastung bereits eingetreten sein muss. Die Formulierung ist vielmehr abstrahiert. Die Norm ist demzufolge auch dann einschlägig, wenn die Belastung bevorsteht. Dieses Verständnis verdeckt die von der herrschenden Meinung vorgenommene Titulierung als „korrigierendes Mitbestimmungsrecht“. Sie greift angesichts der präventiven Bedeutung menschengerechter Gestaltung der Arbeit zu kurz; das Mitbestimmungsrecht kann auch zur Korrektur genutzt werden, verlangt aber nicht die Hinnahme besonderer Belastungen, wenn diese rechtzeitig erkannt sind. Als problematisch erweist sich indes die Rechtsfolgenseite des Anspruchs. § 91 BetrVG erlaubt eine angemessene Maßnahme zur Abwendung. Nach dem korrigierenden Verständnis der Norm entzündet sich der Streitpunkt an der Frage, ob qua § 91 BetrVG auch die Rückgängigmachung der Entscheidung verlangt werden darf. Richtigerweise zielt § 91 BetrVG gerade auf die Einschränkung der ungerechtfertigten, weil belastenden Ausübung der Arbeitgeberentscheidung ab.983 Sachgerecht und unstreitig ist die Rücknahme der Maßnahme vor dem der Norm innewohnenden Verhältnismäßigkeitsprinzip dann, wenn die Belastung nicht mehr durch andere Maßnahmen abgewendet werden kann.984 Denn vor den anderen Alternativen des § 91 BetrVG ist die Abwendung die zuvorderst anzustrebende Alternative. Erst wenn die Abwendung un980
HaKo-Kohte, § 91 Rn. 18; Weberling, AfP 2005, 139 (141). Raab, ZfA 1997, 183 (221); DKKW-Klebe, § 91 Rn. 25 m. w. N.; BergerBoemke, Kap. 14, Rn. 161. 982 FESTL, § 91 Rn. 19. 983 Richardi-Annuß, § 91 Rn. 18. 984 HSWGNR-Rose, § 91 Rn. 30. 981
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2. Kap.: Die Unterlassungsansprüche des Betriebsrats
möglich ist, kommen Milderung und Ausgleich in Betracht.985 Der gesamte Inhalt der Maßnahme wird damit allenfalls mittelbar zum Gegenstand des Zwecks von § 91 BetrVG. Dieses dogmatische Fundament muss die Herausbildung des Unterlassungsanspruchs beachten. Er existiert unproblematisch in den Fällen, in denen die Belastungen nur durch ein Unterbleiben der Maßnahme abgewendet werden können. Darüber hinaus muss er konstruktiv dem Verhandeln weichen. In diesem präventiven Bereich verknüpfen sich §§ 90 und 91 BetrVG dann erneut. Verfahrensmäßiger Rechtsschutz über § 23 Abs. 3 BetrVG analog wird lediglich bei Nichteinhaltung des Verfahrens des § 90 BetrVG gewährt. Nicht richtig ist es, gegen die Herleitung eines Unterlassungsanspruchs das Einigungsstellenverfahren nach § 91 S. 2 und 3 zu akzentuieren.986 Das Einigungsstellenverfahren erwies sich bereits für die Auslegung des § 87 BetrVG nicht als abschließendes Sicherungsinstrument. Die gestaffelte Formulierung des § 91 BetrVG in mehrere Sätze spricht deutlich für eine gestufte Rechtsrealisierung. Das Einigungsstellenverfahren ist auf die Fälle hin entworfen, in denen die Belastung besteht. Ist es möglich, den offensichtlich unerwünschten Zustand zu verhindern, widerspräche es dem Sinn und Zweck der Norm, dies nicht zu tun. Verhandlungsoffen ist das Treffen der belastenden Maßnahme – so ist § 91 BetrVG im Umkehrschluss seiner reaktiven Fassung auch zu verstehen – nicht. b) Ergebnis Im System der Unterlassungsansprüche führen Beteiligungsdefizite bei § 91 BetrVG nicht zu einem verfahrenssichernden Unterlassungsanspruch. Das Mitbestimmungsrecht ist vielmehr auf den Schutz der betroffenen Arbeitnehmer vor besonderen Belastungen hin entworfen. Einen verfahrenssichernden Unterlassungsanspruch bei § 90 BetrVG kann die Existenz des § 91 BetrVG nicht sperren, zumal sich seine Schutzfunktion in dieser Konstellation in jedem Fall realisieren würde. Seinen besonderen Geltungsgrund hat § 91 BetrVG in seiner Geltung losgelöst vom vorherigen, möglicherweise fehlerhaften Verhalten der Betriebspartner: In Bezug auf den Unterlassungsanspruch bei § 91 BetrVG ist eine Zustimmung im Rahmen der Beratung bei § 90 BetrVG unschädlich. Der Gesetzgeber hat das Interesse der Arbeitnehmer, vor besonderen Belastungen geschützt zu werden, höher bewertet als das Interesse des Arbeitgebers, in die Zustimmung zu vertrauen.987
985 986 987
Richardi-Annuß, § 91 Rn. 16 f. So aber Raab, ZfA 1997, 183 (222); wohl auch Walker, Rn. 863. HaKo-Kohte, § 91 Rn. 1; Richardi-Annuß, § 91 Rn. 32.
I. Der verfahrenssichernde Unterlassungsanspruch bei der Berufsbildung
267
I. Der verfahrenssichernde Unterlassungsanspruch bei der Berufsbildung Bislang war lediglich der Tatbestand des Art. 4 Abs. 2c) RL 2002/14/EG Gegenstand der Untersuchung. Auch Art. 4 Abs. 2b) RL 2002/14/EG hat Auswirkungen auf das BetrVG. Art. 4 Abs. 2b) RL 2002/14/EG ist von der Realisierung des Beteiligungstatbestandes auf Prävention ausgerichtet. Wie in den §§ 92 ff. BetrVG geht es um die Sicherung von Arbeitsplätzen. Die Beteiligung bei der Berufsbildung sichert demzufolge die Interessenwahrung der Beschäftigten im Rahmen eines gerechten Beteiligungsverfahrens und insbesondere eine ordnungsgemäße Durchführung der Bildungsmaßnahme.988 Die Realisierung beratungspflichtiger, nicht von den §§ 97 ff. BetrVG erfasster Fragen ist grundsätzlich über § 23 Abs. 3 analog i. V. m. § 96 BetrVG geschützt. Sinn und Zweck dieser Norm ist die Sicherung des breiten Diskurses über alle Themen rund um die Berufsbildung. Dogmatisch interessant sind für das deutsche Recht die Spezialtatbestände der §§ 97 und 98 BetrVG. Interessant sind die antizipatorischen Maßnahmen deswegen, weil sie auf den ersten Blick eine eindeutig die Arbeitnehmer unterstützende Funktion haben, ihre Erreichung aber maßgeblich von der praktischen Durchführung abhängt. Werden Fehler gemacht, kann eine solche Maßnahme sogar negative Auswirkungen haben.
I. § 97 BetrVG § 97 Ab. 1 BetrVG statuiert einen Beratungsanspruch hinsichtlich der Errichtung und Ausstattung von betrieblichen Einrichtungen der Berufsbildung. Werden solche Maßnahmen ohne korrekte Zuziehung des Betriebsrats getroffen, kann der Betriebsrat nach § 23 Abs. 3 BetrVG analog die Unterlassung der Errichtung oder Ausstattung verlangen. Über Abs. 1 hinausgehend gewährt § 97 Abs. 2 BetrVG dem Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht, wenn der Arbeitgeber Maßnahmen plant oder durchführt, die dazu führen, dass sich die Tätigkeit der betroffenen Arbeitnehmer ändert und ihre beruflichen Kenntnisse und Fähigkeiten zur Erfüllen ihrer Aufgaben nicht mehr ausreichen.§ 97 Abs. 2 BetrVG beschränkt nicht das Recht des Unternehmers, Maßnahmen zu treffen, die zur Änderung der Tätigkeit der Arbeitnehmer führen. Führten diese aber dazu, dass ihre beruflichen Kenntnisse und Fähigkeiten nicht mehr ausreichen, hat der Be988
GK-Raab, § 96 Rn. 1.
268
2. Kap.: Die Unterlassungsansprüche des Betriebsrats
triebsrat bei der Einführung von Maßnahmen der betrieblichen Berufsbildung mitzubestimmen. Abs. 2 wirkt sowohl im Planungs- als auch im Durchführungszeitraum bis zum Abschluss der die Rahmenbedingungen verändernden Maßnahme. Somit hat § 97 Abs. 2 BetrVG eindeutig beschäftigungssichernden Charakter.989 Dogmatisch unproblematisch ist die Herleitung des Unterlassungsanspruchs, er ergibt sich auf jeden Fall aus der Auslegung des § 97 Abs. 2 BetrVG im Lichte des § 2 Abs. 1 BetrVG.990 Verdrängende Regelungen existieren nicht. Sehr problematisch hingegen ist die Verknüpfung dieses Rechts mit den Konsequenzen aus der fehlenden Qualifikation der Arbeitnehmer. Vorrangig geht die Diskussion um die Einbeziehung der Kündigung in den Schutzbereich des Unterlassungsanspruchs. Die Kündigung steht nämlich in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit der Bildungsmaßnahme. Im Zwischenbereich von Mitbestimmungsausübung und Durchführung der Bildungsmaßnahme weist Franzen zu Recht darauf hin, dass eine Kündigung den Erfolg des Mitbestimmungsrechts unterlaufen würde.991 Allerdings folgt diese Möglichkeit nicht aus dem in der Norm angelegten paritätischen Unterlassungsanspruch. Dieser bezieht sich nur auf die Maßnahme der Berufsbildung. Richtigerweise folgt die Verhinderung der Kündigung aus § 23 Abs. 3 BetrVG analog und damit aus dem verfahrenssichernden Unterlassungsanspruch. Anhand von § 97 BetrVG lässt sich somit die subsidiäre Stellung des verfahrenssichernden Unterlassungsanspruch besonders gut dokumentieren. Im Mitbestimmungsrecht des § 97 Abs. 2 BetrVG wurzelt ein Verantwortungsgedanke des Arbeitgebers für seine Arbeitnehmer, wenn er diese vor erhöhte Anforderungen stellt. Über den verfahrenssichernden Inhalt des Unterlassungsanspruchs kann der Betriebsrat auch Unterlassung der Konsequenzen verlangen, solange nicht alle mitbestimmungsgemäßen Handlungen durchgeführt wurden.
II. § 98 BetrVG § 98 BetrVG regelt den Fall, in dem der Arbeitgeber selbst als Träger der Berufsbildungsmaßnahme auftritt.992 § 98 BetrVG scheint auf den ersten Blick für Unterlassungsansprüche einfach aufgebaut zu sein: Abs. 1 gewährt einen paritätischen Unterlassungsanspruch, dem Widerspruchsrecht aus Abs. 2 wird über Abs. 5 ebenfalls – sogar positiv geregelt – eine negatorische Befugnis verliehen. 989 990 991 992
Richardi-Thüsing § 97 Rn. 1a. Ebenso: Franzen NZA 2001, 865 (871); FESTL § 97 Rn. 35. Franzen NZA 2001, 865 (871). Richardi-Thüsing § 98 Rn. 10.
I. Der verfahrenssichernde Unterlassungsanspruch bei der Berufsbildung
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1. § 98 Abs. 1 BetrVG Nach § 98 Abs. 1 BetrVG hat der Betriebsrat bei der Durchführung einer betrieblichen Bildungsmaßnahme mitzubestimmen. Problematisch ist dabei, inwiefern der Betriebsrat über den paritätischen Unterlassungsanspruch des § 98 Abs. 1 die Durchführung der Maßnahme verzögern oder gar ihr Unterbleiben im Sinne einer Durchführungsbestimmung untersagen kann. Das muss man trotz des Wortlautes „mitzubestimmen“ verneinen. Die Norm steht in einem schwierigen Wirkungszusammenhang mit § 97 Abs. 1 BetrVG. Zu Recht wird angenommen, aus diesem systematischen Verhältnis folge dass das „Ob“ der Maßnahme der betrieblichen Berufsbildung in der Hand des Arbeitgebers verbleibe.993 Dies wird daran deutlich, dass sich die Norm allein auf die „Durchführung“ bezieht. Wegen der Herausnahme des „ob“ versagt die Spiegelbildlichkeit des Mitbestimmungsrechts. Eine Normkonkretisierung ist – trotz des mehrdeutigen Wortlauts – nicht möglich. Gleichwohl gibt es im Licht der RL 2002/14/EG keinen Grund, negatorischen Rechtsschutz zu verweigern. Wenn auch ein paritätischer Unterlassungsanspruch nicht besteht, so kann man subsidiär auf den verfahrenssichernden Unterlassungsanspruch zurückgreifen. Aus der Theorie der notwendigen Mitbestimmung folgt, dass die Durchführung nur mit Zustimmung des Betriebsrats möglich ist. Das dogmatisch interessante Konstrukt, welches nunmehr über die Existenz der Einigungsstelle entsteht, ist ein vom Konsensprinzip getragener verfahrenssichernder Unterlassungsanspruch nach § 23 Abs. 3 BetrVG analog mit einem positiven innerbetrieblichen Durchsetzungsinstrument. 2. § 98 Abs. 2 BetrVG Von der Freiheit des „Ob“ macht § 98 Abs. 2 BetrVG eine Ausnahme. Gemäß § 98 Abs. 2 BetrVG kann der Betriebsrat der Bestellung widersprechen oder die Abberufung einer fortbildenden Person verlangen, wenn diese die persönliche oder fachliche, insbesondere die berufs- und arbeitspädagogische Eignung im Sinne des Berufsbildungsgesetzes nicht besitzt oder ihre Aufgaben vernachlässigt. Bei dieser Norm wird ein negatorischer Rechtsschutz weitgehend – § 23 Abs. 3 BetrVG bleibt davon unberührt – abgelehnt.994 Allerdings impliziert die Verwendung des Widersprechens in Wechselwirkung mit der Abberufung die Rechtsmacht des Betriebsrates, die Bestellung der Person zu verhindern. Die Alternativität drückt aus, dass nur 993 HaKo-Kreuder § 98 Rn. 2; Richardi-Thüsing § 98 Rn. 11; Wlotzke/PreisPreis § 98 Rn. 8; FESTL § 98 Rn. 2. 994 Raab, ZfA 1997, 183 (234).
270
2. Kap.: Die Unterlassungsansprüche des Betriebsrats
im Falle des Abberufens überhaupt ein diese Beseitigung erfordernder Zustand entstanden ist. Und in der Tat konkretisiert § 98 Abs. 5 S. 1 BetrVG den Widerspruch zu einem Unterlassungsanspruch, wenn eine Einigung über die Bestellung nicht zustande kommt. Die Koppelung von Widerspruchsrecht und Unterlassungsanspruch ist beispielhaft für die Synergie von Missbilligung und Anspruch. Dabei enthält die Norm genau wie § 23 Abs. 3 und 101 BetrVG keine Beschränkung auf rechtskräftige Beschlüsse, sondern eine Sonderregel im Falle eines Verstoßes gegen einen rechtskräftigen Beschluss. Schwierig zu beantworten hingegen ist die Frage, ob schon vor den Verhandlungen die Unterlassung verlangt werden darf. §§ 98 Abs. 2 und 5 BetrVG sollen verhindern, dass eine die persönliche oder fachliche Eignung nicht besitzende oder ihre Arbeit vernachlässigende Person die Berufsbildung übernimmt. Das Gesetz ist von der positiven Vorstellung geprägt, dass der Arbeitgeber auf den Betriebsrat zugeht und in Zusammenarbeit über die Beststellung der Person berät (vgl. § 98 Abs. 2, 97 Abs. 1 BetrVG). Missachtet der Arbeitgeber diesen Weg, so besteht – wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 vorliegen – derselbe Zweck. Folgerichtig ist § 98 Abs. 5 BetrVG analog auf diese Konstellation anzuwenden. 3. § 98 Abs. 3 BetrVG § 98 Abs. 3 BetrVG gibt dem Betriebsrat bei Berufsbildungsmaßnahmen ein Vorschlagsrecht für Arbeitnehmer. Hier stellt sich die Frage, ob der Betriebsrat die Unterlassung der Fortbildung von einzelnen Arbeitnehmern verlangen kann, solange über seine Vorschläge noch keine Einigung getroffen ist.995 Das Mitbestimmungsrecht soll die Chancengleichheit sicherstellen, wenn es um die Qualifizierung beim beruflichen Fortkommen oder die Erhaltung des Arbeitsplatzes geht.996 § 98 Abs. 3 BetrVG ermöglicht es dem Betriebsrat allein zusätzliche Arbeitnehmer vorzuschlagen. Die tatsächliche Förderung kann er über Abs. 3 nicht beeinflussen. Einzelnen Arbeitnehmer die Berufsbildung zu versagen könnte sich zwar aus dem Teilhabegedanken herleiten lassen. Das Recht bei § 98 BetrVG ist aber nicht darauf gerichtet, Chancen zu vereiteln. Dogmatisch besteht zudem keine grundsätzliche Konnexität zwischen der vom Betriebsrat gewollten und der vom Arbeitgeber beabsichtigten Bildungsmaßnahme. Richtigerweise ist in systematisch-teleologischer Interpretation § 98 BetrVG zu entnehmen, dass 995
Jüngst dagegen: Hess. LAG, Beschluss vom 21.6.2012 – 9 TaBV 75/12 = ju-
ris.de. 996 FESTL § 98 Rn. 28; Richardi-Thüsing § 98 Rn. 55 insbesondere vor dem Gleichbehandlungsgrundsatz.
J. Ergebnis
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der Betriebsrat sein Vorschlagsrecht während der Festlegung der Bildungsmaßnahme i. S. v. § 98 Abs. 1 BetrVG geltend macht. Dieser Zeitraum ist gesichert. Es bestehen wegen des positiven Konsensprinzips zudem keine Hinwirkungspflichten, sodass der Betriebsrat das Verfahren dann verlängern kann, wenn er Vorschläge machen will.
J. Ergebnis Das Koinzidenz- und das Anterioritätsprinzip enthalten Optimierungsgebote für die Betriebsverfassung und die Beteiligungsrechte und repräsentieren damit das axiomatische Grundgerüst des Unterlassungsanspruchs. Diesen Prinzipien stellt sich die Freiheit des Arbeitgebers bzw. des Unternehmers entgegen. Da es hier an einem die gesamte Betriebsverfassung durchziehenden Rechtsprinzip mangelt, ist die abstrakte Ausgestaltung der Betriebsverfassung mit einem Unterlassungsanspruch möglich. Es muss dann aber für jedes Recht gesondert geprüft werden, ob die Freiheit des Arbeitgebers überwiegt. Die zuerst genannten Rechtsprinzipien führen dann die in der Gewährung der Beteiligungsrechte angelegte Einschränkung des Arbeitgebers zu systemgerechten und differenzierten Ergebnissen. Ausdruck dieser Prinzipien sind der paritätische Unterlassungsanspruch aus dem Mitbestimmungsrecht selbst und der verfahrenssichernde Unterlassungsanspruch aus § 23 Abs. 3 S. 1 BetrVG analog. Im größeren Kontext erscheint dieses Vorgehen sachgerecht. Der quasi-negatorische Unterlassungsanspruch wird nicht neu erfunden, sein Anwendungsbereich wird nicht durch die Hintertür erweitert. Das Recht der Betriebsverfassung gibt vielmehr seine eigene Antwort auf das Problem.
3. Kapitel
Der Unterlassungsanspruch des Europäischen Betriebsrats Die Anerkennung eines umfassenden Rechts auf Anhörung und Information macht nicht vor den Grenzen der nationalen Staaten halt. Die Durchsetzung und Gewährleistung dieses Rechts erfordert europaweite Strukturen.1 Um die eine europäische Dimension herzustellen, wurde der Europäische Betriebsrat als eigenständige Institution des kollektiven Arbeitsrechts auf Unionsebene implementiert. In einem Europa, welches das Recht der Arbeitnehmer auf Unterrichtung und Anhörung in Art. 27 EGRC gewährleistet, ist es nicht hinnehmbar, dass unternehmerische Entscheidungen in einem Mitgliedstaat der EU mit Auswirkungen in anderen Mitgliedstaaten ohne jegliche Beteiligung der dortigen Arbeitnehmer hinweg getroffen werden können.2 Dementsprechend stellt sich auch für den Europäischen Betriebsrat die Frage, ob er eine Maßnahme untersagen kann, bis er vollständig beteiligt wurde. Vom deutschen Recht aus betrachtet, schließt die Existenz des Europäischen Betriebsrats auf europäischer Ebene die Lücken, die daraus resultieren, dass die maßgeblichen Entscheidungen nicht im Anwendungsbereich des BetrVG getroffen werden. Dieses konzentriert sich im Regelfall auf die Betriebe in Deutschland (sog. Territorialitätsprinzip)3. So sieht zwar das BetrVG die Möglichkeit vor, einen Gesamt- oder Konzernbetriebsrat zu bilden, um der Aushöhlung der Beteiligungsrechte auf Unternehmens- und 1 Im grenzüberschreitenden Raum steht das EBRG bzw. die EBR-Richtlinie nicht allein. Es ist möglich eine Europäische Gesellschaft, eine Societas Europaea – kurz: SE – zu gründen. Während der Ansatz der EBR-Richtlinie eher ein vertikaler ist, ist das System der SE auf diese Gesellschaftsform beschränkt und damit eher horizontal konzipiert. Allerdings gehen die Regelungen der SE vor. Die Beteiligung der Arbeitnehmer ist nicht in der eigentlichen Verordnung (VO 2157/2001), sondern in einer gesonderten Richtlinie enthalten, der Richtlinie 2001/86/EG. Eine vertiefte Auseinandersetzung unterbleibt an dieser Stelle. Freilich kennt das Gesetz über den Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit in § 40 SEBG und in § 44 Nr. 2 SEBG (Tätigkeitschutz) vergleichbare Strukturen, so dass sich eine Übertragung der gefundenen Ergebnisse anbietet; vgl. auch: Forst, ZESAR 2013, 15 (22 ff.). 2 Vgl. auch Bt.-Drs. 13/4520, S. 14 zur Richtlinie 94/45/EG. 3 Vgl. Wlotzke/Preis-Preis, § 1 Rn. 9 f.; GK-Kreutz, § 7 Rn. 33; Richardi-Richardi Einl. Rn. 66; zum Streitstand: Eckhoff, S. 73 ff.; zur sog. Ausstrahlung etwa Richardi-Thüsing § 102 Rn. 32a.
A. Die Auswirkung des Systems des EBRG
273
Konzernebene zu begegnen, vgl. § 54 BetrVG. Dessen ungeachtet machen diese Strukturen vor der Grenze halt. Ein Konzernbetriebsrat kann im Falle eines herrschenden Unternehmens mit Sitz im Ausland wegen des Territorialitätsprinzips nicht im Inland gebildet werden.4 Genau hier setzt der Europäische Betriebsrat an.5 Mit dem Erlass der Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer vom 9.12. 1989 und dem daraus resultierenden Fortentwicklungsimpuls erhielt die Frage eines europaweiten Vertretungsorgans vor dem Hintergrund der Ernüchterungen der frühen 1980er-Jahre neuen Auftrieb6 und mündete im Erlass der Richtlinie 94/45/EG, die ihrerseits durch die Richtlinie 2009/38/ EG ersetzt wurde. Das EBRG repräsentiert das deutsche Umsetzungsgesetz dieser Richtlinien.
A. Die Auswirkung des Systems des EBRG auf den Unterlassungsanspruch Das EBRG findet Anwendung auf Unternehmen mit Sitz in Deutschland, die in den Mitgliedstaaten mindestens 1.000 Arbeitnehmer beschäftigen und davon mindestens 150 Arbeitnehmer in je zwei Mitgliedstaaten haben sowie für Unternehmensgruppen mit Sitz des herrschenden Unternehmens im Inland, wenn bei 1.000 Beschäftigten zwei Unternehmen mit Sitz in verschiedenen Mitgliedstaaten jeweils 150 Arbeitnehmer in verschiedenen Mitgliedstaaten beschäftigen (§§ 2 u. 3 EBRG). Das EBRG sieht in Entsprechung der Richtlinienvorgaben zwei Formen der Errichtung eines Europäischen Betriebsrats vor: den Europäischen Betriebsrat durch Vereinbarung (§§ 8–20 EBRG) und den Europäischen Betriebsrat kraft Gesetzes (§§ 21–33 BetrVG). Während die Frage nach dem Unterlassungsanspruch im ersten Fall durch die Sozialpartner beantwortet wird und damit durch die Auslegung der Vereinbarung gelöst werden kann7, ist sie im zweiten Fall durch Auslegung und gegebenenfalls Rechtsfortbildung des EBRG in Verbindung mit der Richtlinie 2009/38/EG zu lösen. 4 ArbG Stuttgart, Beschluss vom 1.8.2003 – 26 BV 11/02, NZA-RR 2004 138 (139). 5 Freckmann/Blanke, BB-Special 2005, Nr. 9, 17 (17). 6 Zum Scheitern der Vredeling-Richtlinie: Lerche, S. 91 ff.; Fuchs/Marhold, S. 301 f. 7 HWK-Giesen, EBRG, Rn. 45; Forst, ZESAR 2013, 15 (22); in diesem Fall muss die Auslegung der Vereinbarung ebenfalls den Anforderungen des Europarechts genügen. Eine Art. 9 Abs. 3 GG vergleichbare Regelung besteht nicht, so dass staatliche Gerichte die Vereinbarung ohne Vorbehalte interessengerecht auslegen können.
274
3. Kap.: Der Unterlassungsanspruch des Europäischen Betriebsrats
B. Zuständigkeiten des Europäischen Betriebsrats Besteht keine Vereinbarung, folgen die Zuständigkeiten des Europäischen Betriebsrats aus den §§ 29 und 30 EBRG. In § 29 EBRG ist die jährliche Unterrichtung und Anhörung über die Entwicklung der Geschäftslage sowie die Perspektiven des Unternehmens geregelt. Mittels dieser Vorschrift wird die konstante Beteiligung der Arbeitnehmer gewährleistet. Die jährliche Unterrichtung und „Anhörung“ bilden ein besonderes Anliegen des europäischen Gesetzgebers.8 Treten im laufenden Kalenderjahr außergewöhnliche Umstände auf oder sollen Entscheidungen getroffen werden, die erhebliche Auswirkungen auf die Interessen der Arbeitnehmer haben, so ergibt sich gemäß § 30 EBRG ein gesondertes Unterrichtungs- und Anhörungsrecht des Europäischen Betriebsrats. Dabei gilt zum Anhörungsrecht das bereits im Rahmen der Richtlinie 2002/14/EG Gesagte. Anhörung ist als Beratung i. S. d. deutschen Mitbestimmungsterminologie zu verstehen, es geht um Meinungsaustausch und die Einrichtung eines Dialogs, vgl. § 1 Abs. 5 EBRG und Art. 2 Abs. 1 g) RL 2009/38/EG.9
C. Die Sicherung der Beteiligungsrechte Davon ausgehend stellt sich nunmehr die Frage, ob und wie die Beteiligung des Europäischen Betriebsrates gesichert wird.
I. Die §§ 42 ff. EBRG Auch im EBRG besteht ein generelles Durchsetzungssystem. Zur Sicherung der Rechte des Europäischen Betriebsrats hat der deutsche Gesetzgeber die §§ 42 ff. EBRG erlassen. § 42 Nr. 1 gewährt zivilrechtlichen Errichtungsschutz, Nr. 2 Tätigkeitsschutz und Nr. 3 Benachteiligungs- und Begünstigungsschutz. Diese Verbote werden in § 44 EBRG unter Strafe gestellt und überwiegend parallel zu § 119 BetrVG ausgelegt.10 In § 45 Abs. 1 Nr. 2 EBRG existiert zudem ein Pendant zu § 121 BetrVG.
II. Der Meinungsstand zum Unterlassungsanspruch In den vorhandenen Stellungnahmen zum Problem wird der Unterlassungsanspruch im EBRG als eine Frage der Rechtsfortbildung diskutiert, 8
Bachner/Nielebock, AuR 1997, 129 (134). Zur Kontroverse um diesen Punkt S. 175. 10 Blanke, § 42 Rn. 1 ff.; Müller, § 42 Rn. 1. 9
C. Die Sicherung der Beteiligungsrechte
275
denn im Gesetzestext des EBRG soll sich kein Anhalt für einen Unterlassungsanspruch finden lassen.11 Im Zentrum der Diskussion stehen sowohl die (analoge) Anwendung des § 23 Abs. 3 BetrVG als auch die Anerkennung eines verfahrenssichernden Unterlassungsanspruchs im Übrigen. 1. § 23 Abs. 3 BetrVG Nähert man sich der Problematik, so kommt eine analoge Anwendung des ausdrücklich in der Betriebsverfassung vorgesehenen § 23 Abs. 3 BetrVG in Betracht. In der Literatur wird dieses Vorgehen vor allem von Blanke vertreten.12 Der Betriebsrat i. S. d. Vorschrift soll infolge europarechtskonformer Auslegung auch der Europäische Betriebsrat sein. Dem wird in der Literatur widersprochen. Zum einen seien die Voraussetzungen des § 23 Abs. 3 BetrVG im Verhältnis der zentralen Leitung und des Europäischen Betriebsrats nicht erfüllt, zum anderen sei kein Raum für eine Analogie.13 Diese Sichtweise ist vorzugswürdig. Während die Materialisierung von Verhaltenspflichten im Verhältnis zur zentralen Leitung durchaus denkbar ist, ist eine Prozessstandschaft im EBRG deplatziert. Weder sieht das Gesetz Individualrechte vor noch besteht ein Bedürfnis nach einem Eingreifen des Europäischen Betriebsrats zugunsten der Arbeitnehmer. Diese werden auf der nationalen Ebene durch ihre nationalen Repräsentanten geschützt. Dieses System setzt sich fort, wenn man mit Rademacher in den Verpflichtungen der zentralen Leitung betriebsverfassungsrechtliche Pflichten und demzufolge „Pflichten aus diesem Gesetz“ i. S. v. § 23 Abs. 3 BetrVG erblickt. Folgerichtig kann er die unmittelbare Anwendung des § 23 Abs. 3 BetrVG zugunsten des nationalen Betriebsrats und einer Gewerkschaft als Prozessstandschafter bejahen.14 Daneben belegt § 17 Abs. 2 AGG, dass der Gesetzgeber Normen wie § 23 Abs. 3 BetrVG bewusst setzt oder dies unterlässt. Es fehlt schließlich am eigentlichen Geltungsgrund des § 23 Abs. 3 BetrVG, an einer § 23 Abs. 1 BetrVG vergleichbaren Vorschrift. Ließe man diese Zweifel ruhen und ginge von der hier vertretenen Konzeption eines verfahrenssichernden Unterlassungsanspruchs aus § 23 Abs. 3 BetrVG analog aus, so läge eine „doppelte Analogie“ zwar nahe, eine solche Frage stellte sich jedoch nur dann, wenn das EBRG nicht selbst eine Antwort ermöglichte. 11 12 13 14
Eckhoff, S. 246; ebenso I. Schmidt, RdA 2001, Sonderbeilage 5, 12 (22). Blanke, § 32 Rn. 36. I. Schmidt, RdA 2001, Beil., Heft 5, 12 (22); L.Hinrichs, S. 157. Rademacher, S. 132.
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3. Kap.: Der Unterlassungsanspruch des Europäischen Betriebsrats
2. Der allgemeine Unterlassungsanspruch Die Diskussion um einen allgemeinen Unterlassungsanspruch ist sehr stark auf die Parallelen und Vergleiche zur Betriebsverfassung konzentriert und demzufolge sehr strittig. Bislang sind die bejahenden Stimmen in der Minderheit.15 Die weit überwiegende Mehrheit lehnt den Anspruch ab.16 Zugleich konstatieren aber auch vehemente Kritiker des Unterlassungsanspruchs durch sein Fehlen einen Effizienzverlust bei der Rechtsdurchsetzung.17 Die herrschende Meinung führt ein im EBRG angelegtes Gesamtkonzept an. Verwiesen wird auf die schwache Ausgestaltung im Vergleich zu § 111 BetrVG, denn sogar im Verhältnis zu §§ 111 ff. BetrVG sei § 30 weitaus schwächer ausgestaltet.18 Weder liege ein Verhandlungsanspruch innerhalb eines Interessenausgleichsverfahrens noch ein suspensives Vetorecht vor.19 Weiter wird geltend gemacht, dass nicht einmal eine § 113 Abs. 3 BetrVG vergleichbare Norm existiere.20 Ein Unterlassungsanspruch liefere demzufolge ein Mitbestimmungsrecht auf Zeit und greife in die gesetzlich gewährte Unternehmerfreiheit ein.21 Adäquater erscheine es aus diesem Grund, die Regelungen der §§ 29 u. 30 EBRG über die einstweilige Verfügung des Anspruchs sowie die Ordnungswidrigkeiten in § 45 EBRG durchsetzen.22 Giesen weist ergänzend darauf hin, dass die einzige Möglichkeit des Gesetzgebers, sich gegen einen Unterlassungsanspruch zu entscheiden, dessen Nichtregelung sei.23 Seit 2011 wird diese Position auch in der Rechtsprechung vertreten. Mit Beschluss vom 8.9.2011 lehnte das LAG Köln einen Unterlassungsanspruch ab.24 Im Fall ging es um eine Betriebsstilllegung in Spanien. Das Gericht führte an, dass dem Europäischen Betriebsrat zwar ein Beteiligungsrecht 15 Büggel/Buschak, AiB 2000, 418 (421); Blanke, § 32 Rn. 36 u § 33 Rn. 24 ff.; HaKo-Blanke § 32 Rn. 4 ff. 16 MünchArbR-Joost, § 275 Rn. 73; HWK-Giessen, EBRG, Rn. 66; Oetker/Schubert, EAS B 8300, Rn; Müller, § 33 Rn. 6; Holz, S. 200; Eckhoff, S. 246 ff. 17 Oetker/Schubert, EAS B 8300, Rn. 238. 18 Eckhoff, S. 248; Oetker/Schubert, EAS B 8300, Rn. 235; Schlinkhoff S. 146. 19 Müller, § 33 Rn. 6. 20 HSW, § 19 Rn. 99. 21 Holz, S. 200; I. Schmidt, RdA 2001, Sonderbeilage 5, 12 (22); Heckelmann/ Wolff, BB 2012, 200 (220). 22 Eckhoff, S. 247 zur den Vorgängerbestimmungen. 23 HWK-Giessen, EBRG, Rn. 66. 24 LAG Köln, Beschluss vom 8.9.2011 – 13 Ta 267/11, BB 2012, 197; dazu Heckelmann/Wolff, BB 2012, 200 ff. und Hayen AiB 2012, 126 ff. sowie Forst ZESAR 2013, 15 ff.
C. Die Sicherung der Beteiligungsrechte
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zugestanden habe und dieses Recht die zentrale Leitung nicht erfüllt habe, jedoch enthalte das EBRG keinen Unterlassungsanspruch. Allein eine Bußgeldvorschrift sichere die Beteiligungsrechte, eine Norm wie § 23 Abs. 3 BetrVG fehle. Auch bestehe kein Mitbestimmungsrecht, auf welches die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgericht ja gerade abziele (§ 87 BetrVG). Schließlich zeige das EBRG auch eine ganz andere Struktur als § 111 BetrVG, weil ein Interessenausgleich nicht vorgesehen sei. Der herrschenden Meinung wird in der Literatur mit Skepsis begegnet. Konzeptionell überzeuge es nicht, die inhaltlich schwächeren Beteiligungsrechte zusätzlich in der Gewährleistung ihrer Beachtung zu schwächen.25 Gerade die schwache Ausgestaltung der EBR-Richtlinie erkläre sich aus der französischen Rechtskultur heraus, die für die EBR-Richtlinie Pate gestanden habe.26 Dass keine Mitbestimmungsrechte geregelt seien, liege auch daran, dass das comité d’entreprise keine solchen Rechte innehabe. Das französische Recht lehre indes, dass auch derart „schwache Rechte“ eine effektive Sicherung nach sich ziehen könnten. Speziell für die Beteiligungsrechte des Europäischen Betriebsrats finden sich nur wenige neue Ausführungen, welche die Frage in die Dogmatik des EBRG und der RL 2009/38/EG hineinführen. Zu nennen ist die Ansicht Bauckhages, der nach der deutschen Dogmatik einen Unterlassungsanspruch ablehnt (Vorrang der Unternehmerfreiheit),27 ihn aber aufgrund der europarechtlichen Implikationen im Rahmen richtlinienkonformer Rechtsfortbildung herleitet.28 Methodisch stützt er sich dabei auf die von Grundmannn entwickelte Konzeption, Normen immer dann über ihren Wortlaut und Sinn „auszulegen“, wenn sie nach dem gesetzgeberischen Willen eine Richtlinie umsetzen sollen.29 Im Übrigen finden sich die zum BetrVG entwickelten Argumentationsstrukturen für einen Unterlassungsanspruch.30 Jüngst hat Hayen § 1004 BGB als Anspruchsgrundlage vorgeschlagen – damit wäre man wieder am Anfang.31
25
I. Schmidt, RdA 2001, Beil., Heft 5, 12 (22). Vgl. S. 194 f.; sowie Barnard, S. 708. Die Legitimität dieses Gedankenganges überzeugt umso mehr, wenn man sich vor Augen führt, dass sich die Europäische Kommission an den bestehenden Übereinkommen orientiert; nach französischem Recht wird bei der Sicherung der Beteiligungsrechte aber unterschiedslos Art. 809 n. c. p. c. angewendet. 27 Bauckhage, S. 67 f. u. 164 ff. 28 Bauckhage, S. 171 ff. 29 Grundmann, ZeuP 1996, 399 (420 ff.). 30 DKKW-Kittner, § 30 Rn. 6; Blanke, § 32 Rn. 37 u. § 33 Rn. 24 ff.: § 1004 BGB analog. 31 Hayen, JurisPR-ArbR 40/2012 Anm. 3; ebenso: Forst, ZESAR 2013,15 (21). 26
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3. Kap.: Der Unterlassungsanspruch des Europäischen Betriebsrats
III. Die Herleitung des Unterlassungsanspruchs aus § 42 Nr. 2 EBRG Jenseits aller Herleitungsbemühungen könnte der Anspruch im EBRG geregelt sein. Sucht man im EBRG nach sichernden Ansprüchen, so fällt schnell § 42 Nr. 2 EBRG auf. Aus dieser Norm könnte ein eigenständiger verfahrenssichernder Unterlassungsanspruch zu gewinnen sein.32 Ausweislich ihres Wortlauts enthält die Norm einen eigenständigen Unterlassungsanspruch gegen Störungen und Behinderungen der Tätigkeit der Arbeitnehmervertreter im Rahmen eines Verfahrens zur Unterrichtung und Anhörung. Trotz des engen Zusammenhangs mit der Strafnorm des § 44 Nr. 2 EBRG ist § 42 EBRG nicht auf diesen Kontext limitiert und besitzt als Verbot eigenständige Anspruchsqualität. Andernfalls hätte man beide Normen nicht trennen müssen. In Bezug auf einen allgemeinen Unterlassungsanspruch ist der Wortlaut nicht eindeutig, insofern könnte die Richtlinie 2009/38/EG wichtige Auslegungsimpulse geben. Damit aber die richtlinienkonforme Auslegung aus § 42 Nr. 2 EBRG einen Unterlassungsanspruch gegen das Durchführen einer beteiligungswidrigen Maßnahme gewinnen kann, dürfte es nicht ausgeschlossen sein, in der Durchführung einer solchen Maßnahme eine Störung bzw. Behinderung der Tätigkeit des Europäischen Betriebsrats im Rahmen eines Verfahrens zur Unterrichtung und Anhörung zu erblicken. 1. Die axiomatische Einbettung des Beteiligungsrechts § 30 EBRG transportiert über das Tatbestandsmerkmal „rechtzeitig“ das Anterioritätsprinzip. Die Gesetzesbegründung geht auch ausdrücklich in Bezug auf § 33 EBRG a. F. davon aus, dass die Beteiligung vor der Entschlussfassung stattzufinden hat, damit das Vorbringen des Europäischen Betriebsrats noch berücksichtigt werden kann. Der Europäische Betriebsrat soll so rechtzeitig angehört werden, dass seine Vorschläge oder Bedenken noch Berücksichtigung finden können.33 Mit der Rechtsverleihung wird zudem das negatorische Koinzidenzprinzip aktiviert.
32
Unklar Lerche, S. 287 f., der diesen bei Verweigerung der Zusammenarbeit postuliert, im nächsten Satz auf die Durchsetzungsmöglichkeiten der Beratungsrechte eingeht und anschließend den einstweiligen Rechtsschutz akzentuiert; a. A. Bauckhage, S. 50 f., der aber nicht erklären kann, warum § 44 die Beteiligungsrechte schützt, § 42 aber „nur“ die Tätigkeit. 33 Bt.-Drs. 13/4520, S. 15 u. 26.
C. Die Sicherung der Beteiligungsrechte
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2. Der Tatbestand des § 42 Nr. 2 EBRG Entscheidend ist nun der Tatbestand der Norm. Nach § 42 Nr. 2 EBRG darf niemand die Tätigkeit des besonderen Verhandlungsgremiums, eines Europäischen Betriebsrats oder der Arbeitnehmervertreter im Rahmen eines Verfahrens zur Unterrichtung und Anhörung behindern oder stören. a) Der Wortlaut Der Wortlaut spricht nicht gegen ein extensives Verständnis des Tätigkeitsstörungsverbots. Begrifflich erscheint es möglich, im Treffen der Maßnahme eine Störung der Tätigkeit des Europäischen Betriebsrates zu erblicken. Sprachlich34 umfasst der Begriff der Tätigkeit unterschiedliche Inhalte. Beispielsweise beschreibt er das Tätigsein oder das Sich-mit-etwasBeschäftigen. Er wird indes auch im Sinne von Aufgabe oder Arbeit verstanden. Ferner hat er eine zusammenfassende Funktion und bezeichnet die Summe derjenigen Verrichtungen, mit denen jemand in Ausübung seines Berufs zu tun hat. Die Tätigkeit des Europäischen Betriebsrats erklärt sich aus der Summe seiner Aufgaben. So verstanden, schließt ein abstraktes Verständnis von Tätigkeit die Aufgabenwahrnehmung im Rahmen der gesetzlichen Zuständigkeit ein. Der Begriff des Verfahrens legt zudem ein formalisiertes Verständnis nahe. Der Rahmen eines Verfahrens umschreibt in zeitlicher Hinsicht die Beteiligungslage, die unabhängig von der Geltendmachung eines existenten Beteiligungsanspruchs und Verfahrenshandlungen besteht. Die Begriffe des Behinderns und Störens sind relativ und normativ im Hinblick auf die konkrete Tätigkeit hin zu interpretieren. Der Wortlaut spricht daher nicht gegen eine Auslegungsalternative „verfahrenssichernder Unterlassungsanspruch“. b) Das System Die Aufgabenwahrnehmung als Unterfall der Tätigkeit des Europäischen Betriebsrats zu subsumieren, begegnet in systematischer Hinsicht zunächst Bedenken. Es könnte sich bei § 42 Nr. 2 EBRG um das EBRG-Pendant zu Normen wie § 78 BetrVG, § 2 Abs. 3 SprAuG oder 8 BPersVG handeln. Problematisch ist in diesem Zusammenhang die Verwendung der Formulierung „im Rahmen eines Verfahren“. Zu prüfen ist daher, ob der Formulie34
Duden „Tätigkeit“.
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3. Kap.: Der Unterlassungsanspruch des Europäischen Betriebsrats
rung „im Rahmen“ der Umkehrschluss zu entnehmen ist, dass die Wahrnehmung eines Beteiligungsrechts erst den Rahmen begründet und damit die Wahrnehmung selbst aus dem Rahmen herausfällt. Dieses Problem hat seinen Ursprung in der Herleitung des allgemeinen Unterlassungsanspruchs aus § 78 BetrVG. Dort wird ein Unterlassungsanspruch bei Durchführung einer beteiligungspflichtigen Maßnahme abgelehnt. So hat etwa Richardi auf die petitio pricipii hingewiesen, in der Nichtbeteiligung eine Störung der Ausübung der Betriebsratstätigkeit zu sehen.35 Vor allem Eckhoff rückt § 42 Nr. 2 daher in die Nähe des § 78 BetrVG.36 aa) § 42 Nr. 2 EBRG vor dem System der §§ 119, 78 BetrVG § 42 Nr. 2 wirkt wie eine Kombination aus § 78 BetrVG einerseits und § 119 BetrVG anderseits. Während die Eigenschaft als zivilrechtlicher Unterlassungsanspruch an § 78 BetrVG heranrückt, ist sein Tatbestand stärker an § 119 BetrVG angelehnt. (1) Unterschiede zwischen § 119 und § 78 BetrVG Daher wird bei der Auslegung des § 42 EBRG in der Regel auf § 119 BetrVG Bezug genommen.37 Zwischen § 78 und § 119 BetrVG bestehen erhebliche Unterschiede. § 78 BetrVG spricht von Ausübung in der Tätigkeit im Gegensatz zur bloßen Tätigkeit in § 119 BetrVG. Bei § 119 BetrVG wird die Nichtbeachtung eines Beteiligungsrechts davor allgemein als tatbestandsmäßig angesehen.38 Allen voran ist hier die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu § 78 BetrVG 1952, der Vorgängernorm des § 119 BetrVG 1972, zu nennen, dass auch die beteiligungswidrige Durchführung der Maßnahme vom Tatbestand der Norm erfasst wird.39 (2) Notwendige Einschränkungen für § 42 Nr. 2? Sowohl für § 78 BetrVG40 als auch für § 119 BetrVG werden einschränkende Auslegungen propagiert. Zu § 119 BetrVG fordert die herrschende Meinung41 im vermeintlichen Anschluss an ein Urteil des Bundesarbeits35 36 37 38 39 40
Richardi-Richardi, § 87 Rn. 137; Richardi, FS Wlotzke, 407 (417). Eckhoff, S. 260. Vgl. die Kommentierung von Blanke § 42. Vgl. GK-Oetker, § 119 Rn. 20 m. w. N. BAG, Urteil vom 20.9.1957 – 1 AZR 136/56, AP § 1 KSchG Nr. 34. Gleichwohl in geringerem Ausmaß, vgl. GK-Kreutz, § 78 Rn. 28.
C. Die Sicherung der Beteiligungsrechte
281
gerichts vom 20.9.195742 ein bewusstes Beiseiteschieben der Beteiligungsrechte als zusätzliches Tatbestandsmerkmal, wenn die Durchführung der Maßnahme die Strafbarkeit auslösen soll. Dieses Kriterium ist schon im Hinblick auf das Urteil sehr fragwürdig. Das BAG hat ein bewusstes Beiseiteschieben als solches als tatbestandsmäßig subsumiert.43 Das Gericht postulierte jedoch keine Restriktion des Tatbestandes, sondern erarbeitete in dieser Entscheidung eine konkrete Fallgruppe. Diese Erkenntnis deckt sich mit der im Vordringen befindlichen Ansicht, welche auf dieses subjektive Merkmal verzichtet.44 In der betriebsverfassungsrechtlichen Literatur überwiegt nunmehr eine objektive Restriktionstendenz, die eine wiederholte und beharrliche Missachtung bzw. eine erhebliche und spürbare Beeinträchtigung fordert.45 Auch diese Ansicht überzeugt nicht. Alle Einschränkungen des Tatbestandes führen lediglich dazu, dass die Norm noch mehr von ihrer präventiven Wirkung verliert, die sie ohnehin kaum innehat. Bereits zu § 78 BetrVG hatte Dütz eingewandt, dass der Wortlaut nichts für Restriktionen hergibt.46 Ebenso trifft sein Hinweis zu, dass die Aufgabenwahrnehmung auch durch einfache Störungen oder Behinderungen beeinträchtigt wird und die vom Zweck der Norm her zu vermeidende Funktionsstörung eintreten kann. Die Restriktion des § 119 BetrVG erklärt sich in erster Linie vor der Strafandrohung. bb) Weitere systematische Argumente im EBRG (1) §§ 19, 42 Nr. 2 EBRG Nicht nur der Vergleich mit den §§ 78, 119 BetrVG stützt die hier diskutierte Auslegungsalternative. Gegen eine alleinige Orientierung an § 78 BetrVG spricht der Verweis in § 40 EBRG auf diese Norm. Wollte der Gesetzgeber diese Norm auch im Bereich des § 42 Nr. 2 verankern, hätte er ebenfalls eine Rechtsverweisung durchführen können. 41
Wlotzke/Preis-Preis, § 119 Rn. 26. BAG, Urteil vom 20.9.1957 – 1 AZR 136/56, AP § 1 KSchG Nr. 34. 43 Der genaue Passus lautet: „In dem wiederholten vorsätzlichen, rechtswidrigen und schuldhaften Unterlassen [. . .] der gebotenen Anhörung kann ein bewusstes Beiseiteschieben des Betriebsrats liegen. Ein solches Verhalten könnte als Hinderung oder Störung der Tätigkeit des Betriebsrats angesehen werden [. . .]“ 44 Pasewaldt; ZIS 2007, 75 (79); Dannecker, FS Gitter, 167 (182). 45 Für Ersteres: GK-Oetker, § 119 Rn. 20; für Letzteres bspw.: Dannecker, in: FS Gitter, 167 (182). 46 Dütz, S. 12; wohl auch Blanke, § 42 Rn. 2. 42
282
3. Kap.: Der Unterlassungsanspruch des Europäischen Betriebsrats
Für die Erfassung der Aufgabenwahrnehmung spricht zudem der Standort der Norm. § 40 Nr. 2 EBRG befindet sich im fünften Teil des EBRG, der mit „Grundsätze der Zusammenarbeit und Schutzbestimmungen“ überschrieben ist. Die Norm bezieht sich auch auf den dritten Abschnitt und damit auf die Beteiligungsrechte des Europäischen Betriebsrats. Die Norm befindet sich somit „hinter der Klammer“. Des Weiteren ist im Umkehrschluss aus § 45 EBRG zu folgern, dass die Beratungsrechte über § 44 EBRG i. V. m. § 42 Nr. 2 EBRG geschützt werden. Es wäre mit der Systematik unvereinbar, das schwächere Informationsrecht stärker zu schützen als das Konsultationsrecht. Mit Blick auf diese Systematik erachtet auch Blanke in der auf Anfrage unterlassenen Beteiligung eine Störung der Tätigkeit.47 Weiterhin hält das EBRG für die Reichweite des Begriffs des Verfahrens Hinweise bereit. Das Gesetz spricht in § 19 EBRG von der Einführung eines Verfahrens und meint damit nicht etwa ein konkretes Verfahren, sondern die Festlegung der Voraussetzungen einer jeden Information und Konsultation. Das Gesetz fasst damit den Begriff des Verfahrens wesentlich allgemeiner, als dies dem ersten Anschein nach der Fall ist. Dementsprechend schützt § 42 Nr. 1 EBRG auch die Einführung eines (allgemeinen) Verfahrens. Ein weiteres systematisch-teleologisches Argument ist aus dem Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit zu gewinnen. Das Bundesarbeitsgericht leitete 1994 aus diesem Gebot die Pflicht des Arbeitgebers her, die Durchführung der beteiligungspflichtigen Maßnahme so lange zu unterlassen, bis die Beteiligung vollständig durchgeführt wurde. Dass es der Aufnahme ganz konkreter Verfahrenshandlungen bedarf, ist unter diesen Aspekten nicht haltbar. Der Ausdruck „im Rahmen des Verfahrens“ ist weit zu verstehen und erfasst auch Fälle, in denen noch keine Handlungen in Bezug auf die Beteiligungsrechte unternommen wurden. Äußerer Rand des Verfahrensrahmens ist das Bestehen bzw. Entstehen eines (konkreten) Beteiligungsrechts. Die Durchführung einer beteiligungspflichtigen Maßnahme kann logischerweise erst nach Entstehen des Beteiligungsanspruchs erfolgen, andernfalls wäre die Maßnahme nicht beteiligungspflichtig. (2) Strafrechtlicher Schutz Die Strafbarkeit der Nichtbeteiligung in § 44 EBRG ist an die Voraussetzungen des § 42 Nr. 2 EBRG gekoppelt. Allerdings hat die Zweiteilung zivilrechtlicher und strafrechtlicher Verbotsnormen das Ziel, die Sicherung 47
Blanke, § 32 Rn. 32.
C. Die Sicherung der Beteiligungsrechte
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der Rechte nicht alleine an die restriktiven Voraussetzungen des allgemeinen Strafrechts zu koppeln, sondern die gesetzlich missbilligte Handlung mit den Mitteln des Zivilrechts zu verhindern. In dieser Zweiteilung kommt ein im Kontext der Herleitung des Unterlassungsanspruchs und der effektiven Sicherung der Beteiligungsrechte geäußerter Gedanke zum Ausdruck: Zunächst bedarf es der Prävention, gelingt sie nicht, greift die Repression.48 L. Hinrichs wendet gegen einen Unterlassungsanspruch aus § 42 Nr. 2 EBRG gerade die systematische Stellung bei den Schlussvorschriften und die enge Verzahnung mit § 44 EBRG ein.49 Zudem sei nicht klar, wer überhaupt berechtigt werde. Er setzt sich indes nicht mit der bewussten Trennung von § 42 und § 44 EBRG auseinander. In der Trennung wird ein gesetzgeberisches Systemverständnis deutlich. Aufbauend auf zivilrechtlichem Schutz soll die strafrechtliche Sanktion – limitiert auf vorsätzliche Handlungen – parallel laufen. An welcher Stelle der Gesetzgeber Schutzvorschriften positioniert, bleibt ihm überlassen. Die Berechtigung des Europäischen Betriebsrats als solche ist durch Auslegung zu gewinnen und kann gegebenenfalls auch durch die Richtlinie vorgegeben sein. Der Europäische Betriebsrat jedenfalls hat als Inhaber der Beteiligungsrechte auch den Anspruch auf ungestörte Amtsführung inne. Hierfür spricht schon das Koinzidenzprinzip.50 Der in der neueren Literatur zu findende Hinweis auf die vergleichsweise höhere Geldbuße in § 45 EBRG (15.000 Euro) im Vergleich zu § 121 BetrVG (10.000 Euro)51 überzeugt ebenfalls nicht als Sperre gegen einen Unterlassungsanspruch. Die Erhöhung um 5.000 Euro belegt vielmehr die Einheitlichkeit des Systems. Sowohl der strafrechtliche als auch der zivilrechtliche Schutz wurden gestärkt. Entscheidend ist in systematischer Interpretation zudem § 44 EBRG. Diese Norm harmonisiert § 42 EBRG mit dem strafrechtlichen Schutz. (3) Das System des EBRG als abschließendes System Zum Teil wird geltend gemacht, die Anerkennung eines Unterlassungsanspruchs aus § 42 Nr. 2 EBRG würde die spezifischen Wertungen des EBRG umgehen.52 Da die Norm im Grundsatz alle Rechte erfasst und die Position des Betriebsrates schützen soll, liegt die Annahme einer Sperrwirkung fern. Stärkstes Indiz ist somit bereits § 42 EBRG selbst. Ferner nimmt 48 49 50 51 52
Fauser/Nacken, NZA 2006, 1136 (1139). L. Hinrichs, S. 155. Vgl. S. 112. Heckelmann/Günther, BB 2012, 200 (200). Schlinkhoff S. 154.
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3. Kap.: Der Unterlassungsanspruch des Europäischen Betriebsrats
§ 33 EBRG über das Merkmal der „Rechtzeitigkeit“ die Anteriorität und die damit einhergehende Wertung auf, die Beteiligung im Vorher zu halten. Das Beteiligungsrecht entfaltet mithin systematisch Wirkung für eine effektive Sicherung. Eine Sperrwirkung kann ihm somit nicht entnommen werden. cc) Zwischenergebnis § 42 EBRG verbietet, anders als § 78 BetrVG, nicht die Behinderung der Personen in der Ausübung ihrer Tätigkeit, sondern ist allgemeiner formuliert und spricht allein von Tätigkeit. Ohne dessen Restriktionen aufzunehmen, orientiert sich § 42 Nr. 2 EBRG an § 119 BetrVG. Dass die Norm „nur“ § 78 BetrVG für das EBRG sein soll, ergibt sich aus der Gesetzesbegründung nicht. Die Norm ist vielmehr auf die Umsetzung der europarechtlichen Vorgaben fokussiert gewesen. Insbesondere Richardi, der die Dütz-These im BetrVG falsifizierte, vertritt zu § 78 BetrVG, dass in der Verletzung eines Mitbestimmungsrechts auch eine Behinderung der Tätigkeit des Betriebsrats zu erblickt werden könne, lautete der Wortlaut so.53 Das Rechtssystem spricht hier daher für die Einbeziehung in den Schutzbereich des § 42 Nr. 2 EBRG. c) Die gesetzgeberische Zweckbestimmung Wortlaut und System des § 42 Nr. 2 EBRG lassen es zu, das Durchführen einer Maßnahme als Störung der Tätigkeit aufzufassen. Diese Sichtweise wäre weiter gestärkt, wenn Sinn und Zweck der Norm diese Interpretation forderten. Andererseits könnte die (neuere) Gesetzgebungsgeschichte dagegen sprechen. aa) Die ursprüngliche Zweckbestimmung und unionsrechtskonforme Auslegung Blanke etwa sieht den Zweck der Vorschrift darin, die Amtsführung zu schützen.54 Dies rückt die Norm zu sehr nahe an § 78 BetrVG, was ausweislich des Wortlauts nicht zwingend ist. Weitergehend hat Blanke aber auch festgestellt, dass § 42 eine allgemeine Verbotsnorm darstellt, welche die Etablierung und Funktionsfähigkeit der Arbeitnehmervertretung und ihrer Mitglieder schützt.55 53 54 55
Richardi, NZA 1995, 8 (10). Blanke, § 42 Rn. 3. HaKo-Blanke, Anhang EBRG, § 42 Rn. 1.
C. Die Sicherung der Beteiligungsrechte
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Ausweislich der Gesetzesbegründung aus der 13. Legislaturperiode steht § 42 im Zusammenhang mit Art. 11 der Richtlinie 94/45/EG und der Durchsetzung der Rechte des Europäischen Betriebsrats.56 Der Gesetzgeber hat folglich mit der Verwendung der Begriffe in § 42 Nr. 2 EBRG ganz bewusst eine Zuweisung allein zum Tätigkeitsausübungsschutz unterlassen, vielmehr hat er § 42 Nr. 2 derart gestaltet, dass Rechtsprechung und Lehre ihn den europarechtlichen Anforderungen entsprechend auslegen können. Es kommt daher maßgeblich auf die Vorgaben der Richtlinie 94/45/EG bzw. ihrer Nachfolgerrichtlinie 2009/38/EG an. Die Diskussion ähnelt an dieser Stelle wiederum deutlich der Diskussion zum BetrVG. Auch bezüglich der Vorgaben der Richtlinie 2009/38/EG wird die Umsetzungsfreiheit betont57 während andere die Notwendigkeit des Unterlassungsanspruchs hervorheben.58 Im Kern der folgenden Darstellung steht die Übertragung des gefundenen Musters: Die Richtlinie muss eine Unterlassungspflicht des Arbeitgebers während der Beteiligung fordern und diese Pflicht muss von einer Durchsetzungspflicht erfasst werden. Letztere ist in den Art. 10 und 11 der Richtlinie angelegt. (1) Die Unterlassungspflicht und Durchsetzungsanforderungen der Richtlinie 2009/38/EG Folgt man der hier vertretenen Ansicht, dass durch die RL 2002/14/EG ein umfassender Gewährleistungsgedanke in die gesamte europäische Betriebsverfassung transportiert wird, erübrigt sich eigentlich ein Eingehen auf die RL 2009/38/EG. Allerdings sieht Art. 9 Abs. 2 RL 2002/14/EG vor, dass die RL 94/45/EG und nunmehr die RL 2009/38/EG unberührt bleiben sollen; insoweit muss die Richtlinie eigenständige Feststellungen enthalten, aus denen sich eine Unterlassungsverpflichtung als Teil der Richtlinie herleiten ließe oder verneint werden müsste. Hinzukommen muss die Forderung nach effektiver Durchsetzung der enthaltenen Pflichten.59 (a) Die Struktur der Beteiligungsrechte Den Richtlinien 98/59/EG und 2002/14/EG ähnliche Regelungen befinden sich im Anhang der Richtlinie 2009/38/EG, welcher über Art. 7 Abs. 2 56
Bt. Drs. 13/4520, S. 29. Wank, EWiR 2012, 17 (18). 58 Hayen, AiB 2009, 401 (402). 59 Zum parallelen Vorgehen des EuGH bei Junk s. S. 181; dafür sich an Junk auch hier zu orientieren: Forst, ZESAR 2013, 15 (18 f.). 57
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3. Kap.: Der Unterlassungsanspruch des Europäischen Betriebsrats
unmittelbarer Bestandteil der Richtlinie wird und die subsidiären Regelungen zum Europäischen Betriebsrat enthält. Nach Nr. 3 hat der Europäische Betriebsrat neben einem besonders hervorgehobenen Recht auf Information auch das Recht, angehört zu werden, wenn außergewöhnliche Umstände eintreten oder Entscheidungen getroffen werden, die erhebliche Auswirkungen auf die Interessen der Arbeitnehmer haben. Die Richtlinie gibt einige Beispiele: Verlegung, Schließung von Unternehmen/Betrieben und Massenentlassungen. (aa) Der Inhalt und die zeitliche Ausgestaltung des Beteiligungsrechts Die Begriffe Unterrichtung und Anhörung werden in Art. 2 RL 2009/38/ EG näher definiert. Nach Art. 2 Abs. 1 lit. f) erfolgt die Unterrichtung zu einem Zeitpunkt, in einer Weise und in einer inhaltlichen Ausgestaltung, die dem Zweck angemessen sind und es den Arbeitnehmervertretern ermöglichen, die möglichen Auswirkungen eingehend zu bewerten und gegebenenfalls Anhörungen mit dem zuständigen Organ des gemeinschaftsweit operierenden Unternehmens oder der gemeinschaftsweit operierenden Unternehmensgruppe vorzubereiten. Lit. g) definiert Anhörung als die Einrichtung eines Dialogs und den Meinungsaustausch zwischen den Arbeitnehmervertretern und der zentralen Leitung oder einer anderen, angemesseneren Leitungsebene. Dieser Dialog soll zu einem Zeitpunkt, in einer Weise und in einer inhaltlichen Ausgestaltung stattfinden, die es den Arbeitnehmervertretern auf der Grundlage der erhaltenen Informationen ermöglichen, unbeschadet der Zuständigkeiten der Unternehmensleitung innerhalb einer angemessenen Frist zu den vorgeschlagenen Maßnahmen, die Gegenstand der Anhörung sind, eine Stellungnahme abzugeben, die innerhalb des gemeinschaftsweit operierenden Unternehmens oder der gemeinschaftsweit operierenden Unternehmensgruppe berücksichtigt werden kann. Den Zeitpunkt der Anhörung beantwortet die Richtlinie situationsbedingt. Allerdings legt die Verwendung von „vorgeschlagen“ und „berücksichtigt werden kann“ zwingend nahe, dass die Maßnahme noch nicht getroffen worden sein darf. Die Beteiligungsrechte realisieren sich damit im Vorher der Maßnahme. Im Kommissionsvorschlag findet sich durch die Formulierung „anstehende Entscheidungen“ ebenfalls ein Hinweis auf dieses Verständnis.60
60
KOM 2008/419 endg. Nr. 40.
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(bb) Keine Durchbrechung der Anteriorität Zu diesen Vorgaben würde sich ein Arbeitgeber in Widerspruch setzen, wenn er die Maßnahme ohne vorherige Beteiligung durchführte. Im Grundsatz finden sich die Junk-Grundsätze also bestätigt. In den Erwägungsgründen 22 und 23 der RL 2009/38/EG werden die Strukturen des Informations- und des Anhörungsrechts nun aber deutlicher aufgezeigt. Erwägungsgrund 22 spricht davon, dass die Unterrichtung den Entscheidungsprozess in dem Unternehmen nicht verlangsamen soll. Dies trifft die Frage nach einer Unterlassungsverpflichtung im Kern. Die möglichen Interpretationen variieren nun von folgenlosem Verbalvorbehalt oder bloßer interner Verpflichtung des Unternehmens bis hin zur immanenten Einschränkung der Arbeitnehmerrechte.61 Blanke hat zu Recht darauf hingewiesen, dass die letzte Lesart mit dem Grundgedanken, die Rechte des Betriebsrats durch die Richtlinie 2009/38/EG weiter zu stärken und in der Praxis zu verankern, nicht vereinbar ist.62 Es handelt sich hierbei um die allgemeine Vorgabe, im Interesse des Betriebes rasch zu einer Lösung zu gelangen. Wird der – vorausgesetzte – Pfad der verfahrensgemäßen Handlungen ausgesetzt, so ist auch der Pfad rascher Entscheidungsfindung abgebrochen. Das Europarecht betont dann die effektive Durchsetzung der Rechte und die Sicherung der Einflussnahme. Des Weiteren findet sich diese Vorgabe bei dem Recht auf Anhörung in Erwägungsgrund 23 gerade nicht. Durch die Herstellung der Angemessenheit des Beteiligungszeitraums in Erwägungsgrund 23 wird deutlich, dass es ähnlich wie bei der Richtlinie 2002/14/EG Fälle geben kann, in denen die Anhörung erst nach dem berechtigterweise durchgeführten Entschluss erfolgt (Art. 6 Abs. 2 RL 2002/14/EG). Die Richtlinie bringt diesen Vorbehalt im Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit sowie bei der angemessenen Frist des Art. 2 Abs. 1 lit. g) unter. Im 43. Erwägungsgrund heißt es ferner: Bevor bestimmte Beschlüsse mit erheblichen Auswirkungen ausgeführt werden, sind die Arbeitnehmervertreter unverzüglich zu unterrichten und anzuhören. Das zeitliche Moment wird durch die Verwendung des Wortes „unverzüglich“ unterstrichen. Dieses verknüpft die Durchführung der Beteiligung stärker mit dem Vorher und belässt die Beteiligungslage zwingend in der Planungsphase („bevor“). Die Richtlinie streitet also für strenge Anteriorität.
61 62
HaKo-Blanke EBRG Rn. 20. HaKo-Blanke EBRG Rn. 21.
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3. Kap.: Der Unterlassungsanspruch des Europäischen Betriebsrats
(cc) Die Bedeutung des Willens zur Verständigung Das Junk-Urteil wird auch hinsichtlich des Beteiligungswillens aufgenommen. Anders als die Richtlinie 98/59/EG (Junk) spricht die EBRRichtlinie nicht von einem Ziel, zu einer Einigung zu gelangen. Sie setzt vielmehr in Art. 9 Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 im Rahmen einer Verhandlung den Willen zur Verständigung voraus. Beide Formulierungen unterscheiden sich dabei nicht gravierend voneinander. Denn eine Verständigung stellt nichts anderes als ein Ergebnis der Beteiligung dar, welches von beiden Seiten getragen wird. Die weniger finale Färbung des Art. 9 RL 2009/38/EG im Vergleich zu Art. 2 Abs. 1 RL 98/59/EG schwächt dabei die Forderung der praktischen Wirksamkeit nicht. Diese fordert neben dem Willen zu einer Verständigung auch Handlungen zur Realisierung dieses Willens und damit Verhandlungsaktivität beider Partner. (dd) Die Beachtung der Rechte bei der Durchführung der Maßnahme Über die Junk Grundsätze hinaus enthält auch die RL 2009/38/EG weitere Anhaltspunkte für eine Unterlassungspflicht. So spricht Art. 9 von der Beachtung der Rechte des EBR. Die ursprüngliche Fassung der Richtlinie 94/45/EG enthielt noch (in der deutschen Version) die Einschränkung auf angemessene Beachtung.63 Die französische Version nimmt diese Einschränkung ebenfalls nicht auf und formuliert: La direction centrale et le comité d’entreprise européen travaillent dans un esprit de collaboration dans le respect de leurs droits et obligations réciproques. Allein in der englischen Version findet sich eine Einschränkung auf die gebührende Beachtung (due regard to their reciprocal rights and obligations). Der Begriff der Beachtung ist dabei stets Ausdruck einer Integritätswertung der Rechte. Der Richtliniensetzungsprozess spricht dafür, dass die Beachtung der Rechte des Europäischen Betriebsrats keiner grundsätzlichen Einschränkung unterliegt. Der Vorschlag der Kommission am 21.7.1994 zu RL 94/45/EG sah noch vor, „angemessen“ hinzuzufügen.64 Beim gemeinsamen Standpunkt des Rates am 18.8.1994 fehlt diese wertende Einschränkung.65 In den vorangegangenen Verfahren zwischen Rat, Kommission und Europäischem Parlament hat die Änderung dieser Formulierung keine wesentliche Rolle gespielt. Sie ist damit aber auch nicht Gegenstand von Verhandlungen ge63 64 65
Vgl. Abl. EG, C 1994/135/13. Vgl. Abl. EG, C 199/20. Abl. EG, C 244/37.
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worden. Die neue Fassung ist indes erklärlich. Die Änderungen durch den Text des gemeinsamen Standpunkts des Rates sind zum Teil redaktioneller Natur und sollen den Inhalt der Bestimmungen klarer machen und die Ziele der Richtlinie verdeutlichen.66 Dies lässt darauf schließen, dass die Beachtung der gegenseitigen Rechte unbedingt gewährleistet werden sollte. Sicherlich ist in Art. 9 die Kooperationsmaxime enthalten.67 Art. 9 enthält aber auch die Verpflichtung, alles zu unterlassen, was der Beteiligung entgegenstehen könnte. Es handelt sich hierbei um eine Verpflichtung aus der Richtlinie. (ee) Vermeintliche Absagen an eine Unterlassungspflicht Als ein möglicher Einwand gegen eine Unterlassungspflicht wird das Schicksal der Vrededling-Richtlinie diskutiert. Der gescheiterte Entwurf der Vredeling-Richtlinie enthielt in Art. 4 Abs. 5 folgende Regelung: „(5) Die in Absatz 1 erwähnte Entscheidung darf nicht durchgeführt werden, bevor die Stellungnahme der Arbeitnehmervertreter eingegangen ist oder, wenn diese nicht erfolgt, bevor die in Abs. 3 genannte Frist abgelaufen ist.“
In dem genannten Absatz 3 war eine dreißigtägige Frist für Konsultationen vorgesehen. Absatz 1 thematisierte die Entscheidung eines Mutterunternehmens mit schwerwiegenden Folgen in der Europäischen Gemeinschaft. Da eine solche Regelung nicht in die Richtlinie 94/45/EG aufgenommen wurde, meint Holz, dass ein Unterlassungsanspruch nicht möglich sei, da dieser einen quasi identischen Inhalt habe.68 Die Vredeling-Richtlinie ist damals am Widerstand Großbritanniens gescheitert.69 Die EBR-Richtlinie ist jedoch 1994 ohne Beteiligung von Großbritannien, das erst 1997 zustimmte, beschlossen worden. Man übersähe zudem die rechtlichen Meilensteine, die mit den sozialen Grundrechten in den unionsrechtlichen Besitzstand gelangt sind. Vorrangig gilt es, RL 94/45/EG und 2009/38/EG autonom zu interpretieren. Die Nichtregelung erklärte sich aus dem fehlenden Bedürfnis nach einer solchen Norm. Das System der Beteiligungsrechte des subsidiären Teils sowie Art. 11 Abs. 3 RL 94/45/EG bilden ein flexibles Konzept. Der RL 94/45/EG liegt somit kein statisches (i. e. fristenbezogenes), sondern ein dynamisches (i. e. ein sich nach der Notwendigkeit der konkret erforderlichen 66
SEK (94) 1181 endg. S. 2. Wohl auf diese beschränkend: Fuchs/Marhold, S. 300. 68 Oetker/Schubert, EAS B 8300, Rn. 234; Holz, S. 200, der in seiner weitreichenden Argumentation Erwägungsgrund 20 übersieht; Eckhoff, S. 249. 69 Weiss, NZA 2003, 177 (179). 67
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3. Kap.: Der Unterlassungsanspruch des Europäischen Betriebsrats
Verfahrenshandlungen richtendes) Konzept zugrunde.70 Diese Dynamik vermitteln auch das Tatbestandsmerkmal der Rechtzeitigkeit im EBRG sowie das Erfordernis der unverzüglichen Konsultation in Anhang Nr. 3 RL 94/45/ EG. Die Neuregelung der Richtlinie im Jahr 2009 verstärkt diese Dynamik. Wenn Schlinkhoff71 eine Feststellung der Kommission bezüglich des Verzichts auf eine Frist als Votum gegen eine Unterlassungspflicht verstehen will, so verfängt das ebenfalls nicht. Der entscheidende Passus lautet: „Der Vorschlag sieht im Übrigen keine Verfahrensmöglichkeit zur Umgehung („by-pass procedures) der Richtlinienbestimmungen vor und enthält keinerlei Regelung in Bezug auf eine Frist, innerhalb derer geplante Entscheidungen, die der Konsultationspflicht unterliegen, in Ermangelung einer Stellungnahme der im Betriebsrat vereinigten Arbeitnehmervertreter nicht durchgeführt werden dürfen. Nach Auffassung der Kommission soll nämlich Dialogbereitschaft, die sich konkret in der Einsetzung eines solchen Ausschusses äußert, logischerweise die beiden betroffenen Parteien dazu führen, gemeinsam in einem offenen, konstruktiven Geiste zu handeln.“72
Entscheidend ist der Verzicht auf eine „By-pass-Regelung“ und das darin enthaltene klare Votum für die Verfahrensloyalität. Die Stellungnahme enthält somit wie bereits oben festgestellt in erster Linie ein Votum gegen zeitliche Statik in der Diskussion. Die Absage an eine feste Frist wertet die Notwendigkeit vorheriger Diskussion auf. Man kann diesen Gedanken sogar umkehren. Tatsächlich ging die Kommission davon aus, dass eine Unterlassungspflicht besteht, allein ein formelles Ende dieser Pflicht sollte nicht vorgegeben werden. Eine vergleichbare Problematik ist durch die Neuregelung der Richtlinie 2009/38/EG aufgetreten. Während Erwägungsgrund 36 noch den Grundsatz der Effizienz betont, ergänzt Erwägungsgrund 37 die Gedanken der Kohärenz und Rechtssicherheit. Es bedürfe einer Abstimmung zwischen der Richtlinie und den nationalen Gepflogenheiten. So soll es auch möglich sein, eine nationale Frist, in der die Beteiligung durchgeführt werden müsse, aufrechtzuerhalten. Gemeint sind allerdings die Fristen der nationalen Beteiligungssysteme. Der Erwägungsgrund ist gerade hier so zu verstehen, dass die Beteiligung des Europäischen Betriebsrats dann vorher oder zumindest gleichzeitig stattzufinden hat. Es geht in dem Erwägungsgrund darum, eine verfahrensmäßige Koordinierung des nationalen Beteiligungsverfahrens mit dem des Europäischen Betriebsrates herbeizuführen. Unter Umständen kann eine zu kurze nationale Frist auch nicht mit dem Gedanken der Beteiligung vereinbar sein. 70 71 72
KOM (94) 134 endg. S. 16. Schlinkhoff S. 148. KOM (94), 134 endg. Rn. 32 Spiegelstrich 1 = S. 16.
C. Die Sicherung der Beteiligungsrechte
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(ff) Nr. 3 Abs. 4 des Anhangs der Richtlinie 2009/38/EG Als problematisch erweist sich die Bedeutung von Nr. 3 Abs. 4 des Anhangs der Richtlinie 2009/38. Danach sollen durch die Verhandlungssitzungen die Rechte der zentralen Leitung unberührt bleiben; die Richtlinie 94/45/EG sprach noch von Vorrechten. Die Regelung stellt einen Kompromiss zwischen der Befürchtung der Arbeitgeber hinsichtlich eines disrupting effect der Masse an notwendigen Beteiligungen bei nur einer Maßnahme sowie dem Standpunkt der Kommission dar, welche die Konsultation tatsächlich wirksam implementieren wollte.73 Oetker/Schubert fassen unter Vorrechte auch die Befugnis, die Maßnahme durchzuführen, auf.74 Folgte man dieser Ansicht, müsste eine Unterlassungspflicht scheitern. Der Begriff der Vorrechte war wenig bestimmt und gleichwohl seit Beginn des Gesetzgebungsverfahrens in der Richtlinie enthalten.75 Dies wird auch durch den Vergleich mit anderen Sprachen nicht deutlicher: Die englische Version der Richtlinien 94/45/EG und 2009/38/EG spricht von prerogatives, die französische von prérogatives. Indes erscheint sehr fraglich, ob die plurale Begriffsverwendung wirklich auf die uneingeschränkte Durchführungsbefugnis der zentralen Leitung abzielt. Gemeint sein könnten auch die Rechtspositionen oder die Durchführungsbefugnis, die dem Arbeitgeber/Unternehmer zustehen. Dann wäre Nr. 3 Abs. 4 in die Richtung einer formellen Rechtsinhaberschaftsgarantie zu verstehen und gegen eine „Enteignung“ gerichtet. Eine ausdrückliche Umsetzung dieser Vorgaben hat nicht stattgefunden. In Österreich, wo die Vorrechte in § 200 Abs. 3 S. 2 ArbVG gewahrt werden, interpretiert man diese Klauseln im Hinblick auf die Sicherung des Letztentscheidungsrechts.76 Der Begriffsinhalt erschließt sich erst, wenn man sich verdeutlicht, dass die ursprüngliche Fassung des Vorschlags der Kommission in Nr. 3 noch eine Entscheidung zugunsten der ausschließlichen Freiheit der Entscheidung über die Umsetzung der in Aussicht genommenen Maßnahmen enthielt.77 Damit sind Teile der Unternehmerfreiheit im Hinblick auf die Interpretation dieses Passus gesperrt. Demzufolge ist es vorzugswürdig, nur das Letztentscheidungsrecht des Arbeitgebers der Steuerungsbefugnis des Europäischen Betriebsrats zu entrücken.
73
Barnard, S. 715. Oetker/Schubert, EAS B 8300, Rn. 235; dagegen jüngst: Forst, ZESAR 2013, 15 (20). 75 Vgl. KOM (94) 134 endg. 76 Ausführlich: L. Hinrichs, S. 255. 77 KOM (94) 134 endg. S. 36. 74
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Gegen eine Interpretation zugunsten einer weiterreichenden Unternehmerfreiheit spricht letztlich, dass nach der oben zitierten Auffassung der Kommission die Richtlinie keine Regelungen über eine Frist enthält, innerhalb derer die geplanten konsultationspflichtigen Entscheidungen in Ermangelung einer Stellungnahme der Arbeitnehmervertretung nicht durchgeführt werden dürfen.78 Daraus kann man im Umkehrschluss folgern, dass die Durchführung per se nicht zu den Vorrechten des Arbeitgebers gehört, sondern zum Gegenstand dieser Richtlinie wird. Der Hinweis auf die Frist erklärt sich zudem aus der Historie der Vredeling-Richtlinie. Ferner verzichtete die Kommission auf eine „By-pass-Regelung“ zur Umgehung der Richtlinienbestimmung.79 Könnte man aber wegen seines „Vorrechts“ die Maßnahme dennoch durchführen, läge eine Umgehungsregelung in Nr. 3 vor. Die Oetker’sche Interpretation widerspricht daher der Entstehungsgeschichte. Die Betonung der Rechte der zentralen Leitung setzt sich folglich nicht in ein Spannungsverhältnis zu einem Unterlassungsanspruch. Die Rechte werden auch von Art. 9 RL vorausgesetzt und gerade diese Norm spricht für ein Unterlassenmüssen. (gg) Zwischenergebnis Damit finden sich die wesentlichen Begründungselemente der Pflicht, die Maßnahme so lange zu unterlassen, bis die Beteiligung abgeschlossen wurde, auch in der EBR-Richtlinie. Demzufolge spricht alles dafür, die Grundsätze der Junk-Entscheidung auch autonom auf die Richtlinie 2009/38/EG zu übertragen. Durch Art. 9 RL 2009/38/EG wird dies noch verstärkt. Insofern enthält auch die Richtlinie 2009/38/EG eine Unterlassungspflicht. (b) Die Effektivität der Rechtsdurchsetzung Diese Unterlassungspflicht muss nun durchsetzbar sein. Die effektive Gewährleistung der Rechte aus der Richtlinie kommt an mehreren Stellen zum Ausdruck. Auf der anderen Seite waren Effizienzdefizite gerade der wesentliche Grund für die Kommission, einen neuen Vorschlag zu machen: es war Absicht das Recht auf Information und Konsultation aus der Europäischen Grundrechte-Charta unbedingt zu sichern (ensure full respect).80 Nach Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie 2009/38/EG verfügen die Mitglieder des Europäischen Betriebsrats unbeschadet der Zuständigkeiten der anderen 78 79 80
KOM (94) 134 endg. S. 16. KOM (94) 134 S. 16. Vgl. KOM 2008, 419 endg. Nr. 4 und 9.
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Gremien oder Organisationen in diesem Bereich über die Mittel, die erforderlich sind, um die Rechte auszuüben, die sich aus dieser Richtlinie ergeben, um kollektiv die Interessen der Arbeitnehmer des gemeinschaftsweit operierenden Unternehmens oder der gemeinschaftsweit operierenden Unternehmensgruppe zu vertreten. Nach Art. 11 Abs. 3 der Richtlinie 94/45 hatten die Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass die sich aus der Richtlinie ergebenden Rechte durchgesetzt werden können. Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2009/38/EG spricht nunmehr anstatt von sicherstellen von gewährleisten. Noch stärker wird das Verhältnis der Sicherung und Gewährleistung der Arbeitnehmerrechte zur Autonomie der Mitgliedstaaten in Erwägungsgrund 46 herausgestellt. Die Richtlinie geht von der grundrechtlichen Fundierung der Beteiligungsrechte aus und transportiert damit einen umfassenden Beachtungsgedanken. Nach Art. 11 Abs. 2 HS. 2 RL 2009/38/EG tragen die Mitgliedstaaten Sorge dafür, dass die Erfüllung der aus der Richtlinie hervorgehenden Verpflichtungen auch verfahrensmäßig durchgesetzt werden kann. Der Wortlaut dieses Halbsatzes ist nicht auf die klagbare Durchsetzung der Beteiligungsrechte beschränkt. Wie bereits zur Richtlinie 2002/14/EG dargelegt81, geht es vielmehr darum, ein materiell fundiertes Verfahren bereitzustellen, welches die Gewährleistung der Verpflichtungen zu jeder Zeit zu leisten imstande ist. Art. 11 Abs. 2 ist dahingehend zu interpretieren, dass er die Schaffung eines Gesamtzustandes fordert, in dem die Beteiligung vor der Durchführung geschieht. Auch wenn die Richtlinien 94/45/EG und 2009/38/EG nicht ausdrücklich die Pflicht zur Setzung von Sanktionen fordern, handelt es sich bei der ausdrücklichen Nennung der Sanktionierungspflicht lediglich um eine Festschreibung der bisher geltenden Rechtsprechung des EuGH zur Sanktionierung von Verstößen gegen die Festsetzungen einer Richtlinie. Im Ergebnis gelten dieselben Anforderungen wie sie schon bei der Richtlinie 2002/14/ EG dargestellt wurden. Überträgt man nun die Grundsätze der Rechtsprechung des EuGH zu den Anforderungen an die Sanktionen, so ist zunächst von der Rechtssache Paquay82 ausgehend der Fall zu umreißen: Es geht um die Konstellation, dass die Gefahr besteht, dass der Arbeitgeber eine beteiligungspflichtige Maßnahme ohne korrekte Beteiligung durchführt. Den europarechtlichen Anforderungen an diese Konstellation wird gemäß den Anforderungen der Rechtssache Nokia/Wärdell83 eine alleinige Sanktion wie § 44 EBRG nicht gerecht, da nur eine gerichtliche Unterlassungsverfügung in diesem Punkt abschreckender ist. 81 82 83
Vgl. s. S. 241. EuGH, Urteil vom 11. Oktober 2007 – C-460/06 (Paquay) = juris. S. 214.
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(2) Der institutionelle Ansatz der Richtlinie 2009/38/EG Je mehr Verfahrenshandlungen die Richtlinie voraussetzt, desto mehr streitet sie für ein Innehalten während dieser Zeit. Bereits die Struktur der Beteiligungsrechte hat durch die RL 2009/38/EG im Vergleich zur RL 94/45/EG eine Aufwertung erfahren und macht eine effektive Sicherung notwendig, will man diesen legislativen Fortschritt nicht entwerten. Die Richtlinie 2009/38/EG geht von einem Rahmen rund um die Informations- und Anhörungsrechte aus. Dies wird vor allem in der Definition der Rechte deutlich, die in Erwägungsgrund 7 ein Bündel von Maßnahmen umfasst. Dort heißt es, dass es einer besseren Abstimmung unionsrechtlicher Rechtsinstrumente im Bereich der Information und Anhörung bedürfe. Dies hat gerade auch bei der Einrichtung eines unterstützenden, die Beteiligung sichernden Instruments Bedeutung. Es muss also Instrumente geben, die im zeitlichen, jedenfalls systematischen Vorfeld der eigentlichen Beteiligung angelegt sind. Dies geht nahtlos in Erwägungsgrund 14 über. Danach sollen die Modalitäten der Beteiligung so festgelegt werden, dass die Wirksamkeit der Bestimmungen gewährt ist. Hier kommt ein wichtiger Gedanke zum Ausdruck: die Modalitäten der Beteiligung unterstützen nicht nur die Effektivität, sondern sind ihrerseits an dem Grundsatz der Effektivität zu messen. S. 2 gibt dann vor, dass die Beteiligungssituation im Vorher zu halten ist: Der Europäische Betriebsrat soll die Möglichkeit haben, dem Unternehmen die Stellungnahme rechtzeitig vorzulegen. (3) Keine ausdrückliche Übernahme des französischen Systems in der Neufassung Gegen einen Unterlassungsanspruch des Europäischen Betriebsrats wird die fehlende Übernahme der französischen Rechtsprechung in die Richtlinie 2009/38/EG als Gegenargument angeführt.84 Diese Ansicht übersieht die Struktur der Beteiligung und die Orientierung an Frankreich und die Öffnung für alle Mitgliedstaaten der EU; dass Frankreich und Deutschland in diesem Punkt deckungsgleich sein können, liegt an dem deutschen Sicherungsmechanismus. (4) Der Unterlassungsanspruch als unzulässige Maximalumsetzung Ein historisches Argument zur Vorgängerrichtlinie 94/45/EG führt Holz gegen einen Unterlassungsanspruch im EBRG an. Seiner Meinung nach soll 84
Heckelmann/Günther, BB 2012, 200 (200).
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dieser mit den Vorgaben der RL 94/45/EG (und 2009/38/EG) nicht vereinbar sein, da die Vorgaben der Richtlinie auch von der Intensität her begrenzt seien.85 Er nennt die Normen der Richtlinie einen Maximalkatalog. Dies schließt er aus der Streichung von „zumindest“ in Art. 7 Abs. 2 und Art. 12 Abs. 3 des Entwurfs zu der Richtlinie 94/45/EG. Dieser Umstand solle bedingen, dass die subsidiären Vorschriften einheitlich umgesetzt würden. Da diese aber keinen Unterlassungsanspruch vorsehen würden, wäre ein Unterlassungsanspruch unzulässig. Die These von Holz scheitert bereits am Umkehrschluss aus Art. 7 Abs. 2 RL 94/45/EG. Die Norm setzt nur einen Maßstab, nicht aber eine Begrenzung nach oben. Hier sind die Mitgliedstaaten in ihrer Rechtssetzungsfreiheit nicht beschränkt. bb) Die historische Auslegung vor dem Hintergrund der Neuregelung in 2011 Gegen einen Unterlassungsanspruch wird in der aktuellen Diskussion die Entstehungsgeschichte des EBRG n. F. geltend gemacht. Trotz der Forderung im Gesetzgebungsverfahren sei eine Reglung bewusst unterlassen worden.86 Mehrere Abgeordnete der SPD (zu der Zeit in der Opposition) hatten den Antrag „Wirkungsvolle Sanktionen zur Stärkung von Europäischen Betriebsräten“ eingebracht.87 Der Antrag beinhaltete fünf Punkte. Punkt eins war die Erhöhung der Geldbuße, Punkt zwei die Forderung, einen Anspruch auf Unterlassung beteiligungswidriger Maßnahmen festzuschreiben. Die übrigen Punkte zielten auf die Verbesserung des Verfahrens an sich. Der DGB schloss sich den Vorschlägen der SPD an und betonte seinerseits den Umsetzungsdruck aus der Richtlinie. Neben einer Aufstockung der Sanktionshöhe schlug er vor:88 „Unter dieser Maßgabe der Verankerung von angemessenen, wirksamen und abschreckenden Sanktionen bedürfte es nach Auffassung des DGB grundsätzlich der Regelung eines gesetzlichen Anspruchs auf Unterlassung beteiligungswidriger Maßnahmen (allgemeiner Unterlassungsanspruch) damit – entsprechend der französischen und belgischen Rechtsprechung zu arbeitgeberseitigen Verstößen (. . .) – richtlinien- bzw. gesetzeswidrige Maßnahmen unwirksam sind, nicht vollzogen werden dürfen und zu ihrer Wirksamkeit unter Beachtung der gesetzlichen Vorgaben nachgeholt werden können.“
85 86 87 88
Holz, S. 201; a. A.: I. Schmidt, RdA 2001, Sonderbeilage 5, 12 (22). Bt.-Drs 17/5399 S. 2, vgl. Heckelmann/Wolff, BB 2012, 200 (200). Bt. Drs. 17/5184. Dt. Ausschussdrucksachen 17 (11) 475, S. 10 f.
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3. Kap.: Der Unterlassungsanspruch des Europäischen Betriebsrats
Im Ausschuss hat Franzen in der Anhörung darauf hingewiesen, dass eine Anerkennung des Unterlassungsanspruchs im EBRG Gefahr liefe zu Wertungswidersprüchen zu führen.89 Ein solcher Unterlassungsanspruch sei ferner nicht in der Richtlinie vorgesehen. Hierbei handelt es sich um die einzigen Argumente, die im Ausschuss perpetuiert wurden. Allein der Hinweis, dass der Anspruch bislang nicht geregelt worden sei, kann kein Argument für eine Neuregelung vor dem allgemein anerkannten Grundsatz des Ausbaus der Rechte des Europäischen Betriebsrats sein. Die Ablehnung des Antrags setzte sich auch nicht mit den Punkten des Antrags auseinander. Ein abwägender, ablehnender Wille ist demnach nicht auszumachen. Davor genügen die Anhaltspunkte nicht, um von einer Position in der Anhörung auf einen parlamentarischen Willen zu schließen, dem Unterlassungsanspruch eine Absage zu erteilen. Dieser Einwand führt vielmehr zur der grundsätzlichen Problematik zurück: Wegen der politischen und wirtschaftlichen Dimension dieser Forderung wird sie zumeist nur von der Opposition erhoben. Richtig ist daher, dass der Gesetzgeber die Beantwortung dieser Frage regelmäßig den Gerichten überantwortet hat.90 Vor der hier vertretenen Konzeption verwundert es nicht, dass der Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur Änderung des EBRG zu der Frage des Unterlassungsanspruchs keine Aussage traf.91 Der Anspruch befand sich schon im Gesetz. Das Schweigen spricht somit eine einfache Sprache und das Nichtändern der Formulierung ebenso. Überdies spricht auch Art. 12 Abs. 5 der Richtlinie 2009/38/EG davon, dass die Umsetzung nicht zu Rückschritten hinsichtlich des Schutzniveaus führen darf. Das wird man dem Gesetzgeber nicht unterstellen dürfen.
D. Ergebnis Anders als das BetrVG kennt das EBRG zwar keinen paritätischen Unterlassungsanspruch, aber einen verfahrenssichernden Unterlassungsanspruch. Die Untersuchung hat gezeigt, dass es teleologisch geboten ist, über § 42 Nr. 2 EBRG einen Unterlassungsanspruch zugunsten der Beteiligungsrechte des Europäischen Betriebsrats zu gewinnen. Geht man davon aus, dass der (zeitliche) Rahmen eines solchen Verfahrens mit der Beteiligungslage identisch ist, dann stört die Durchführung der Maßnahme das Beteiligungsrecht, indem es die Beteiligungslage vor Abschluss der Konsultation beseitigt. Als unschädlich erweist sich hingegen, dass der Gesetzgeber den Begriff des 89 90 91
Bt. Ausschussdrucksachen 17 (11) 475 S. 25. Weitergehend: Hayen, JurisPR 40/2012 Anm. 3. Bt. Drs. 17/4808 S. 1 ff.
D. Ergebnis
297
Störens bzw. Behinderns gewählt hat. In Bezug auf den abstrakten Begriff der Tätigkeit stellt das einmalige Vereiteln und damit die Beseitigung einer Beteiligungslage eine Störung dar. Genau diese soll aber verhindert werden; die RL 2009/38/EG und die Novellierung des EBRG sollten dazu effektive Instrumente zur Verfügung stellen. Folglich ergibt sich aus richtlinienkonformer Auslegung von § 42 EBRG ein verfahrenssichernder Unterlassungsanspruch. Die richtlinienkonforme Auslegung ist nach dem heutigen Verständnis gegenüber den klassischen Auslegungskriterien vorrangig.92 Der Europäische Betriebsrat kann damit das Unterlassen der Maßnahme verlangen, wenn das Beteiligungsverfahren nicht korrekt durchgeführt wurde. Da sich der Unterlassungsanspruch aus § 42 Nr. 2 EBRG ergibt, war eine § 23 Abs. 3 BetrVG vergleichbare Norm nicht erforderlich.
92 Lutter, JZ 1992, 593 (604); Canaris, FS Bydlinski, 47 (68 ff.); a. A. di Fabio, NJW 1990, 947 (952).
4. Kapitel
Der Unterlassungsanspruch des Personalrats Während die bisherige Untersuchung auf die Privatwirtschaft konzentriert war, soll nun der Fokus auf die Arbeitnehmerbeteiligung im öffentlichen Dienst gelegt werden. Dort regelt das Personalvertretungsrecht die Mitbestimmung der Beschäftigten an den für sie relevanten Themen.1 Die Regelungen weisen größtenteils tatbestandliche Parallelen zum BetrVG auf. Dennoch ist eine generelle Vergleichbarkeit betriebs- und personalverfassungsrechtlicher Regelungen nicht anerkannt, sie wird vielmehr überwiegend abgelehnt.2 Zur Lösung funktional vergleichbarer Probleme greift das Bundesverwaltungsgericht dennoch gelegentlich „rechtsvergleichend“ auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zurück.3 Folgerichtig musste und muss auch die Frage gestellt werden, ob ein Unterlassungsanspruch im Bereich der Beteiligungsrechte des Personalrats existiert. Die berechtigte Vorsicht gegenüber der unbesehenen Übernahme betriebsverfassungsrechtlicher Strukturen rechtfertigt sich aus der unmittelbaren Beziehung zu Verwaltungs- bzw. Hoheitsträgern und damit einhergehenden rechtlichen, insbesondere verfassungsrechtlichen Besonderheiten. Ein besonderer Zweck der Mitbestimmung im öffentlichen Dienst liegt denn auch nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts darin, die berechtigten Belange der Beschäftigten mit den dienstlichen Erfordernissen in Einklang zu bringen.4 Hinzu kommt, dass den Staat als Arbeitgeber auch besondere Pflichten treffen, die sich auf die Rechte des Personalrats in besonderer Weise auswirken.5 So sind staatliche Institute aus Art. 20 Abs. 3 GG dazu verpflichtet, die Rechte des Personalrats zu wahren. Diese Besonderheit wird zudem beim Rechtsschutz aufgewertet. Aus dem Rechtsstaatsprinzip in Art. 20 Abs. 3 GG ergibt sich im Allgemeinen 1
Richardi/Dörner/Weber-Richardi, Einleitung Rn. 17. GmS OBG, Beschluss vom 12.3.1987 – GmS-OGB 6/86, PersV 1987, 461 (464); BVerwG, Beschluss vom 6.2.1987 – 6 P 8/84, BVerwGE 75, 365 (371). 3 Vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 10.01.2008 – 6 P 5/07; BVerwG, Beschluss vom 23.04.2008 – 6 PB 7/08 = juris; BVerwG, Beschluss vom 22.10.2007 – 6 P 1/07 = juris; BVerwG, Beschluss vom 12.09.2005 – 6 P 1/05, NVwZ 2006, 466 (468); BVerwG, Beschluss vom 4.9.2012 – 6 P 10/11, PersR 2012, 464 (465). 4 BVerwG, Beschluss vom 24.4.2002 – 6 P 3.01, BVerwGE 116, 216 (220). 5 Zum speziellen Beamtenverhältnis Leppek Rn. 40. 2
A. Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
299
das Gebot effektiven Rechtsschutzes.6 Dieses Gebot wird im Zusammenhang mit öffentlicher Gewalt und subjektiv-öffentlichen Rechten durch Art. 19 Abs. 4 GG verstärkt.7 Der Personalrat muss daher eine wirksame Möglichkeit besitzen, seine Rechte durchzusetzen.
A. Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts Mit der Frage nach einem Unterlassungsanspruch des Personalrats war das Bundesverwaltungsgericht bereits 1978 und damit vergleichsweise früh konfrontiert.
I. Darstellung der Rechtsprechungsentwicklung Damals hatte das Bundesverwaltungsgericht ein eigenes Sicherungskonzept entworfen. Seit Ende der 1970er-Jahre bis heute nahm das Gericht allerdings immer wieder Ergänzungen und Korrekturen vor. Insbesondere redaktionelle Reaktionen auf die bundesarbeitsrechtliche Rechtsprechung zum Unterlassungsanspruch sind nicht zu übersehen. 1. Die Ablehnung eines Unterlassungsanspruchs in der älteren Rechtsprechung In seiner Grundsatzentscheidung aus dem Jahre 1978 nahm das Bundesverwaltungsgericht an, dass dem Personalvertretungsrecht ein Unterlassungsanspruch zur Sicherung der Beteiligungsrechte fremd sei.8 Es begründete dies mit dem Charakter des Beschlussverfahrens im Personalvertretungsrecht. Dieses sei nämlich ein objektives Verfahren, in dem ausschließlich Zuständigkeiten geregelt seien und nur in Ausnahmefällen Ansprüche geltend gemacht werden könnten. Hinzu komme, dass es im Personalvertretungsrecht Normen wie §§ 101, 23 Abs. 3 BetrVG nicht gebe. Der Verzicht auf diese Normen erkläre sich wiederum daraus, dass anders als im BetrVG einem Pflichtenverstoß auch ohne diese Normen begegnet werden könne. Durchsetzbar seien die Rechte nämlich über die disziplinarischen Maßnahmen der Dienststelle. Der negatorische Rechtsschutz ist demgegenüber im Verwaltungsrecht im Allgemeinen schon seit Längerem anerkannt. In einem aus dem Jahr 1986 6
Sachs-Sachs, Art. 20 Rn. 162. Widmaier, ZfPR 2012, 84 (84); Sachs-Sachs, Art. 19 Rn. 143 ff.; Kopp/ Schenke, § 80 Rn. 1; Schoch, S. 122. 8 BVerwG, Beschluss vom 15.12.1978 – 6 P 13.78, ZBR 1980, 59 (61 f.). 7
300
4. Kap.: Der Unterlassungsanspruch des Personalrats
stammenden Beschluss billigte das Gericht einem von einer Maßnahme betroffenen Beamten einen Folgenbeseitigungsanspruch zu.9 Das Gericht führte aus, dass ein derartiger Anspruch notwendig sei, weil andernfalls das Beteiligungsrecht des Personalrats unterlaufen werden könne. Zudem erfordere der Rechtsschutzanspruch des Betroffenen diese Möglichkeit. 2. Die Lösung in der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts Ab dem Jahre 1990 entwickelte das Gericht dann ein eigenes Sicherungssystem. Dieses verfügt über eine präventive sowie eine „quasi“ negatorische Komponente: Durch Beschluss zum Bundespersonalvertretungsrecht vom 27. Juli 199010 stellte das Gericht klar, dass das Beschlussverfahren als objektives Verfahren einem materiellen Anspruch auf Unterlassung einer beteiligungspflichtigen Maßnahme entgegenstehe, es aber eine einstweilige Verfügung mit verfahrensrechtlichem Inhalt nicht ausschließe. Der verfahrensrechtliche Inhalt ergebe sich aus den Handlungen im Beteiligungsverfahren. Mit dieser Möglichkeit akzentuierte das Gericht die Forderung des Rechtsstaatsgebots nach wirksamem und innerhalb angemessener Zeit stattfindendem Rechtsschutz für den Personalrat. Rechtzeitig vor der Durchführung einer beteiligungspflichtigen Maßnahme sei der Dienststellenleiter verpflichtet, das Beteiligungsverfahren einzuleiten oder diesem Fortgang zu verschaffen. Diese Feststellung löste in der Literatur Irritationen aus. Es war nicht klar, ob mit dieser Verfahrensfortgangsverfügung auch eine Unterlassungsverpflichtung verbunden war, da den Dienststellenleiter eine Pflicht aus § 69 Abs. 1 BPersVG getroffen hätte und damit ein Unterlassungsanspruch durch die Hintertür eingeführt worden wäre.11 Einer solchen Lesart erteilte der Richter am BVerwG Albers allerdings eine Absage.12 In späteren Entscheidungen führte das Gericht die Verfügung mit verfahrensrechtlichem Inhalt auf sog. Verfahrensansprüche zurück. Dabei erblickte es in allen Beteiligungsrechten – auch in den Mitbestimmungsrechten i. e. S. – derartige Ansprüche.13 Die Verfahrensansprüche seien dahin gehend 9 BVerwG, Beschluss vom 13.11.1986 – 2 C 20.84, BVerwGE 75, 138; hierzu Widmaier, PersV 2000, 50 (51). 10 BVerwG, Beschluss vom 27.07.1990 – 6 PB 12/89, PersR 1990, 297 (298). 11 Dannhäuser, PersV 1991, 193 (197); Vallendar, PersR 1993, 61 (63); Haas, PersV 1992, 145 (146). 12 Albers, PersV 1993, 487 (490 f.). 13 BVerwG, Beschluss vom 20. Januar 1993 – 6 P 18.90, PersR 1993, 307 (308); BVerwG, Beschluss vom 15.3.1995 – 6 P 31/93, NVwZ 1997, 80 (82).
A. Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
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zu verstehen, dass der Anspruch neben der Metaebene (Einleitung oder Fortführung) nicht bestimmte Handlungen vorschreibe, sondern lediglich die gebotenen Verfahrenshandlungen. Der Anspruch mache daher vor einer konkreten Verfahrenshandlung halt und unterstelle sie der freien Verhandlung der Dienststellenparteien. Weiter verstärkte das Gericht sein Sicherungskonzept im Jahr 1993 dadurch, dass das Mitbestimmungsrecht im Falle des Treffens der Maßnahme nicht ohne Weiteres gegenstandslos werden sollte und die Maßnahme im Einzelfall abzuändern sei oder gar zurückgenommen werden müsse, falls dies möglich sei.14 Werde die Verletzung eines Mitbestimmungsrechts durch die Durchführung einer beteiligungspflichtigen Maßnahme gerichtlich festgestellt, so folge aus Art. 20 Abs. 3 GG die Verpflichtung, diese zurückzunehmen. Anders als bei den Verfahrensansprüchen ging das Gericht aber nicht den Weg über einen Leistungsantrag, sondern beließ es bei einer einseitigen Pflicht. Eine externe Zäsur dieser Rechtsprechungsentwicklung bewirkte der Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 3.5.1994. In einer ersten Reaktion auf die geänderte Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts behielt das Bundesverwaltungsgericht im Beschluss vom 16. September 199415 seine Konzeption bei, gab jedoch mit Beschluss vom 15. März 199516 seinem Konzept ein anderes dogmatisches Fundament. In diesem Beschluss legte das Gericht den Begriff der Zuständigkeit in § 83 BPersVG aus und konstatierte, der Pflicht aus Art. 20 Abs. 3 GG entspreche kein Recht des Personalrats und damit keine „Zuständigkeit“. Weiter begründete das Gericht zum ersten Mal die Zuordnung zum Bereich der innerorganisatorischen Streitigkeiten des öffentlichen Rechts. Das Personalvertretungsrecht sei die Regelung eines verwaltungsinternen Entscheidungsverfahrens und das Mitbestimmungsrecht damit ein öffentliches Recht auf Teilhabe am verwaltungsinternen Entscheidungsverfahren. Materielle Sachansprüche17 im BPersVG besäßen allenfalls eine Hilfsfunktion für die Ausübung der innenrechtlichen Beteiligungsansprüche. Aus der Zuordnung zum Innerorganstreit folge auch, dass eine Vollstreckung nicht möglich sei und durch Art. 20 Abs. 3 surrogiert werde. Der Verwaltung sei es nämlich nicht möglich, eine für sie bindende gerichtliche Feststellung zu missachten. Bemerkenswert ist schließlich, dass das Gericht unter Betonung 14 BVerwG, Beschluss vom 20.1.1993 – 6 P 18.90, PersR 1993, 307 (308); bestätigend: BVerwG, Beschluss vom 18. Mai 1994 – 6 P 27.92, PersR 1994, 466 (466). 15 BVerwG, Beschluss vom 16.9.1994 – 6 P 32/92, PersR 1995, 16 (17). 16 BVerwG, Beschluss vom 15.3.1995 – 6 P 31/93, NVwZ 1997, 80 ff. 17 Widersprüchlich insofern: BVerwG, Beschluss vom 26.02.2003 – 6 P 9/02, BVerwGE 118, 1 (6).
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4. Kap.: Der Unterlassungsanspruch des Personalrats
der Beteiligungsrechte als Verfahrensansprüche die Maßnahme per se aus dem Anwendungsbereich des Beschlussverfahrens herausnahm.18 Neben der dogmatischen Einordnung des personalvertretungsrechtlichen Rechtsstreits in das Innenrecht fundierte das Gericht den Fortsetzungs- bzw. Nachholungsanspruch des Personalrats. Das Gericht akzentuierte die Bedeutung der Mitbestimmungsrechte. Sinn und Zweck des Beteiligungsrechts bestehe darin, die Beschäftigten an den sie berührenden Angelegenheiten zu beteiligen, damit sie ihre Belange zur Geltung bringen und gegebenenfalls auch durchsetzen könnten. Die einzige bereitgestellte Möglichkeit sei die Fortsetzung des Verfahrensgangs. Damit müsse wenigstens die Durchführung und Einhaltung dieses Verfahrens im Rechtswege erzwungen werden können. Die Eminenz dieser Durchsetzung für den Gesetzgeber verdeutliche das Wort nur in § 69 Abs. 1 BPersVG. Dieser wolle das Beteiligungsrecht bzw. das Verfahren in jedem Fall gewährleistet wissen. In den vorherigen Beschlüssen ließ das Gericht unbeantwortet, worauf es die Möglichkeit stützte, die Fortsetzungsmöglichkeit anzunehmen. Diesmal nahm das Gericht Stellung und leitete die generelle Nachholbarkeit eines Beteiligungsrechts aus § 66 Abs. 8 NWPersVG ab, der inhaltlichen Entsprechung des § 69 Abs. 5 BPersVG. Dort werde im Rahmen der vorläufigen Regelung davon gesprochen, dass das Verfahren fortzusetzen sei. Dies müsse auch im Übrigen möglich sein.
II. Die problematischen Fundamente der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts Nach dieser Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gibt es keinen Unterlassungsanspruch.19 Bevor also ein solcher Anspruch diskutiert werden kann, müssen die Argumente des Bundesverwaltungsgerichts untersucht werden. 1. Die grundsätzlichen Probleme des Konzepts Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts wirkt auf den ersten Blick in sich geschlossen. Jedoch kann das dogmatische Gerüst des BVerwG nicht alle Fragen beantworten und wirft seinerseits zusätzliche Fragen auf. So betonte das Gericht in seinem Beschluss vom 15.3.1995 die 18
BVerwG, Beschluss vom 15.3.1995 – 6 P 31/93, NVwZ 1997, 80 (80). Jüngst etwa: BVerwG, Beschluss vom 28.8.2008 – 6 PB 19/08, PersR 2008, 458; BVerwG, Beschluss vom 09.11.1998 – 6 P 1/98 = juris.de; zuletzt OVG BerlinBrandenburg, Beschluss vom 29.3.2012 – OVG 60 PV 1/12, PersR 426. 19
A. Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
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Gewährleistung der Beteiligung „in jedem Falle“ und den hierauf gerichteten gesetzgeberischen Willen in § 69 Abs. 1 BPersVG,20 äußerte sich aber nicht zu der Frage, wie bei nicht nachholbaren Maßnahmen zu verfahren sei. Auch die Konstruktion eines sich fortsetzenden Beteiligungsrechts ist dogmatisch problematisch, denn das Beteiligungsrecht besteht nicht per se fort, sondern die Regelung des § 69 Abs. 5 schafft einen eigenen Beteiligungstatbestand. Dieser fällt zwar inhaltlich in den beteiligungspflichtigen Bereich, hat aber ansonsten mit dem ursprünglichen Beteiligungsrecht nichts mehr gemein. Insbesondere überwindet die Norm die zeitliche Struktur der Beteiligungsrechte als Ausnahmevorschrift. Zudem ist die Unterlassung einer beteiligungspflichtigen Maßnahme eines Verfahrens jedenfalls eine begleitende oder gar selbst eine Verfahrenshandlung. In letzter Konsequenz spart das Gericht den Gedanken eines verfahrensrechtlichen Unterlassungsanspruchs als Hilfsanspruch der Verfahrensansprüche aus. Auch im Innenrecht sind jedoch Unterlassungsansprüche möglich. Das Gleiche gilt, wenn man die Beteiligungsrechte nicht als subjektive Rechte auffasst. Das BVerwG hätte sich beispielsweise an einem Urteil des OVG Münster orientieren können. Dieses Gericht hat im Kommunal-Organstreit einen Unterlassungsanspruch eines Organs gegen ein anderes angenommen.21 Ein materiell-rechtliches Verständnis liegt einem derartigen Unterlassungsanspruch nicht zugrunde. 2. Der Vergleich mit der kirchlichen Mitbestimmung Die Ablehnung des Unterlassungsanspruchs kann auch nicht überzeugen, wenn man sich die Entwicklung im kirchlichen Arbeitsrecht vor Augen führt. Dort besteht nämlich ein weiteres Rechtsgebiet, in dem der Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit (vgl. §§ 33 MVG, 26 MAVO) wirkt und in dem Unterlassungsansprüche anerkannt werden. Es ist dabei sehr bemerkenswert, dass ein „kleinerer Rechtszweig“ wie das kirchliche kollektive Arbeitsrecht hier stärkere Dynamik, Flexibilität und Adaptabilität aufweist als das Personalvertretungsrecht. Dies gilt umso mehr, als sich die Interpretation dieser Regelungen bei der Sicherung stärker am Betriebsverfassungsrecht orientiert, obwohl anderes logischer wäre. Grundsätzlich wäre nämlich das Personalvertretungs20
BVerwG, Beschluss vom 15.3.1995 – 3 P 31/93, NVwZ 1997, 80 (81).; kritisch Baden, ZfPR 2013, 18 (21). 21 OVG Münster, Urteil vom 27.7.1990 – 15 A 709/88, NVwZ-RR 1991, 260 (260 f.); ebenfalls zweifelnd: Wißmann, FS BVerwG, 71 (80).
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4. Kap.: Der Unterlassungsanspruch des Personalrats
recht anzuwenden, wäre dies nicht nach § 112 BPersVG ausgeschlossen.22 – schließlich agieren hier öffentlich-rechtliche Körperschaften. Dies verstärkt sich noch vor der Tatsache, dass die Ausgestaltung der kirchlichen Beteiligungsordnungen am Aufbau des Personalvertretungsrechts orientiert war bzw. ist23 und damit vergleichbare Gerüste für einen Unterlassungsanspruch bereithält: Im Mitarbeitervertretungsrecht der Evangelischen Kirche ist unter dem Regime des § 38 MVG EKD, nach dem eine Maßnahme erst dann vollzogen werden darf, wenn die Zustimmung der Mitarbeitervertretung vorliegt oder kirchengerichtlich ersetzt worden ist, die kirchengerichtliche Untersagung einer beteiligungspflichtigen Maßnahme anerkannt. Sie kann notfalls über eine einstweilige Verfügung i. S. v. §§ 60, 61 MVG EKD gesichert werden.24 Die vorhandenen Entscheidungen orientieren sich dabei unmittelbar an den Vorgaben des Bundesarbeitsgerichts und sind auch deswegen bemerkenswert, weil es um die Durchsetzung eines Mitberatungsrechts i. S. v. § 45 MVG EKD ging.25 Der Kirchengerichtshof hat diese „Tradition“ fortgesetzt.26 Ebenso wie das BAG (zu § 80 BetrVG) lehnt auch er einen umfassenden Unterlassungsanspruch bei Rechtsverstößen ab.27 Im Bereich der MAVO ist negatorischer Schutz ebenfalls anerkannt.28 In den vergangenen Jahren sind zwei beachtenswerte Beschlüsse ergangen. Sowohl das kirchliche Arbeitsgericht für die Diözesen Limburg, Mainz, Speyer und Trier29 als auch das der Erzdiözese Freiburg30 bejahten einen Unterlassungsanspruch gegen die Entscheidung des Arbeit- bzw. Dienstgebers. Auch in der Kommentarliteratur folgt man mittlerweile explizit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts.31
22 Vgl. MünchHb-Richardi § 196 Rn. 3 f., vorbehaltlich jedweder verfassungsrechtlicher Spannungslage. 23 Richardi, FS Kissel, 967 (977 ff.). 24 Vgl. VerwG.EKD, Beschluss vom 29.12.1997 – 0124/C 1-98, ZMV 1998, 188 (der Beschluss verweist allein auf das BAG) sowie VerwG.EKD, Beschluss vom 5.11.1998 0124/C19-98 = juris.de. 25 In der Kommentarliteratur formiert sich zu dieser Entwicklung kein Widerstand, vgl. Fey/Rehren § 45 Rn. 19 sowie § 38 Rn. 41a ff. 26 KGH, Beschluss vom 9.7.2007 – II-0124/N24-07 = juris.de. 27 KGH, Beschluss vom 8.9.2011 – I-0124/S67-10 = juris. 28 Vgl. auch Richardi, NZA 2012, 1393 (1396) m. w. N. 29 Beschluss vom 02.04.2007 – M 9/07 Sp = juris. 30 Urteil vom 28.08.2007 – 1/2007 = juris. 31 Bleistein/Thiel-Bleistein/Thiel, § 34 Rn. 63, vgl. ferner umfassend zur Entwicklung: Kohte, FS Richardi, 601 (607 f.).
A. Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
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3. Vertrauensvorsprung des öffentlich-rechtlichen Arbeitgebers? Dass das Bundesverwaltungsgericht eine Rechtsfortbildung hin zu einem Unterlassungsanspruch bislang nicht vorgenommen hat, führt Wißmann auf einen Vertrauensvorsprung des öffentlichen Arbeitgebers beim Bundesverwaltungsgericht zurück.32 Zugleich leistet er Überzeugungsarbeit zugunsten einer Gleichbehandlung von öffentlichem und privatem Arbeitgeber. Seiner Meinung nach existiert kein allgemeiner Grundsatz dergestalt, dass ein öffentlich-rechtlicher Arbeitgeber sich regelmäßig rechtskonform verhalte.33 Öffentliche Arbeitgeber seien genauso wie die privatrechtlichen der Klagemöglichkeit ihrer Arbeitnehmer unterworfen. So gesehen, sei die Aufweichung auf der kollektiven Ebene widersprüchlich. Schließlich konstatiert Wißmann, dass ein etwaiger Vertrauensvorsprung im kollektiven Recht stetig abgetragen werde. In der Rechtsprechung wird regelmäßig die unterschiedliche Interessenlage betont, um einen Unterlassungsanspruch zu verneinen. Dem öffentlichrechtlichen Arbeitgeber gehe es um die Sicherung des Gemeinwohls im Rahmen des Gesetzes.34 Das übersieht aber den Geltungsgrund des Unterlassungsanspruchs an sich. Er ist keine Reaktion auf eine rechtsfeindliche Gesinnung, sondern die Konsequenz aus der Konfrontation mit den Rechtmäßigkeitsanforderungen eines verliehenen Rechts. Das fehlende wirtschaftliche Eigeninteresse des öffentlich-rechtlichen Arbeitgebers ist auch kein Argument, das die Unterscheidung stützen könnte. Zum einen herrscht auch im öffentlichen Dienst ein erheblicher Zeitdruck und zum anderen können auch erhebliche personalvertretungsrechtliche Fehler gemacht werden. In der Diskussion darf zudem nicht übersehen werden, dass die Sicherung über den Unterlassungsanspruch stets das letzte Mittel ist. Im Gros der Fälle funktioniert das Zusammenarbeiten von Personalrat und Dienststelle. Dass ein böswilliger Dienststellenleiter, der sich bewusst und gewollt über die Beteiligungsrechte hinwegsetzte, wohl eher eine seltene Ausnahme darstelle, ist aber kein Argument gegen einen Unterlassungsanspruch.35 Gerade wegen der Extremfallkonstellation ist die grundsätzliche Vertrauenshaltung zu statisch und versperrt den Blick auf die zu lösenden Fälle. Aus der oben dargelegten Rechtsprechungsentwicklung ist deutlich zu erkennen, wie sich der Topos des Vertrauensvorsprungs langsam abbaut. Es war prozessual nötig, die Möglichkeit des einstweiligen Rechtsschutzes 32
Wißmann, FS BVerwG, 71 (77). Wißmann, FS BVerwG, 71 (79). 34 Grundlegend: GmS OBG, Beschluss vom 12.3.1987 – GmS-OGB 6/86, PersV 1987, 461 (464); Bosch, PersR 1995, 273 (274). 35 Lorenzen-Gerhold, § 69 Rn. 58. 33
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4. Kap.: Der Unterlassungsanspruch des Personalrats
klarzustellen. Für den Inhalt der Rechte reichte es nach Überzeugung des Gerichts anfangs aus, eine Feststellung zu treffen; nunmehr bildet die unmittelbare Durchsetzung der Verfahrensansprüche das Zentrum des Rechtsschutzes. In letzter Konsequenz spricht bereits die Vielzahl der Streitigkeiten über die Beteiligungsrechte für sich. In regelmäßigen Abständen berichten daher Befürworter des personalvertretungsrechtlichen Unterlassungsanspruchs über weitere Fälle, in denen die Dienststelle die Rechte des Personals oder des Personalrats verletzt hat. So schildert Edenfeld den Fall des Verwaltungsgerichts Darmstadt, in dem der Dienststellenleiter Aussagen eines Personalrats über eine Mitarbeiterin des Reinigungspersonals unter Verletzung der Schweigepflicht publik gemacht hatte; der Dienststellenleiter wollte auch in Zukunft Äußerungen des Personalrats nachgehen.36 Das Gericht stellte die mangelnde Einsicht in die Fehlerhaftigkeit des eigenen Verhaltens fest. Diese Kette von Beispielen lässt sich fortführen. Die Fehlerquellen sind zudem mit Zunahme der Komplexität der Verwaltungsaufgaben nicht geringer geworden. Beispielhaft für einen völligen Ausfall rechtmäßigen nach innen gerichteten Verwaltungshandelns ist der Sachverhalt, den das Verwaltungsgericht Wiesbaden am 23. Mai 2005 entschied.37 In diesem Fall ging es um die Einführung eines Personalinformationssystems. Der Personalrat war nach Ansicht des Gerichts nach §§ 62 Abs. 1 Nr. 2 und 81 Abs. 1 HPVG zu beteiligen. Es untersagte die Einführung, weil wegen eines „derart groben Verstoßes [. . .] dem Personalrat das Recht zusteht, die Anwendung stoppen zu lassen“. Das gesamte EDV-System war grob fehlerhaft, es verfügte u. a. über keine Löschroutine und die Zugriffs- und Aufbewahrungskonzepte waren ungeklärt. Nach Ansicht des Gerichts hätten die daraus resultierenden Nachteile für die Belegschaft (verfassungswidrige Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung) durch eine ordnungsgemäße Beteiligung verhindert werden können. Der Fall macht deutlich, dass massive Gefährdungen der Rechte der Beschäftigten möglich sind. Vor dem Hintergrund der Fehlermöglichkeiten liegt es nahe, einen präventiven Abwehrmechanismus auf Arbeitnehmerseite anzuerkennen.
III. Die Ansicht des Ersten, Zweiten und Vierten Senats des Bundesarbeitsgerichts Die Zulässigkeit der Unterlassungsansprüche des Personalrats beschäftigte auch das Bundesarbeitsgericht.38 Der Vierte Senat nahm bereits im 36 37
Edenfeld, S. 370. VG Wiesbaden, Beschluss vom 23.5.2005 – 23 LG 560/05, RDV 2005, 117.
A. Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
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Jahr 1991 die Klagbarkeit der Rücknahmepflicht an.39 Der Erste Senat ließ es offen, ob er dem Bundesverwaltungsgericht folge.40 In der jüngeren Rechtsprechung finden sich bemerkenswerte Ausführungen des Zweiten Senats.41 Das Gericht stellte für das Personalvertretungsrecht fest, dass der Personalrat nach einem Mitbestimmungsverstoß dem Arbeitgeber gegenüber die Beseitigung des mitbestimmungswidrigen Zustandes ggf. auch gerichtlich durchsetzen könne. Diese Formulierung ist wegen der Verbindung mit dem ausdrücklichen Hinweis auf den arbeitsgerichtlichen Unterlassungsanspruch als Ablehnung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu sehen.
IV. Der weitere Meinungsstand Auch wenn das Personalvertretungsrecht nicht dem privaten Arbeitsrecht zuzuordnen ist und Betriebsverfassungsrecht sowie Personalvertretungsrecht unterschiedliche Rechtsquellen mit unterschiedlichen Parametern darstellen, hindert dies die Gerichte nicht daran, diese Rechtsquellen und die hier gefundenen Ergebnisse zu vergleichen.42 Mit der Änderung der bundesarbeitsgerichtlichen Rechtsprechung zum allgemeinen Unterlassungsanspruch hat sich – sofern man dieser Ansicht folgt – der vom Bundesverwaltungsgericht vollzogene Umkehrschluss aus der Nichtexistenz des § 23 Abs. 3 BetrVG erledigt.43 Hinzu kommt: Im Personalvertretungsrecht ist in § 69 BPersVG sogar ausdrücklich geregelt, dass eine der Mitbestimmung unterliegende Maßnahme nicht ohne Zustimmung des Personalrats getroffen werden darf. Diese Norm geht weiter als alle vergleichbaren Normen im Betriebsverfassungsrecht und entspricht explizit den Ausführungen des Bundesarbeitsgerichts, welche dieses bei der Herleitung des Unterlassungsanspruchs verwendete. Genauso wie in den vorher erläuterten Diskussionen zu einem etwaigen allgemeinen Unterlassungsanspruch liegt auch im Personalvertretungsrecht ein weites Meinungsspektrum vor. Die Rechtsprechung folgt weitestgehend 38 Das BAG ist in zwei Bereichen originär für die Entscheidung über Personalvertretungsrecht zuständig, vgl. Wißmann, FS BVerwG, 71 (72 f.): Post und NATOStreitkräfte. 39 BAG, Urteil vom 16.1.1991 – 4 AZR 301/90, NZA 1991, 490 (492). 40 BAG, Beschluss vom 28. Mai 2002 – 1 ABR 35/01, SAE 101, 232 (243). 41 BAG, Urteil vom 9.11.2006 – 2 AZR 518/05, § 1 KSchG 1969, Soziale Auswahl, Nr. 84; vgl. die Parallelentscheidung vom 06.07.2006, 2 AZR 442/05, NZA 2007, 139. 42 s. S. 298. 43 So auch Kossens, PersV 1996, 390 (392); ohne Begründung a. A.: OVG LSA, Beschluss vom 15.2.2012 – 6 M 3/11 = juris.de.
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4. Kap.: Der Unterlassungsanspruch des Personalrats
den Vorgaben des Bundesverwaltungsgerichts.44 Daneben haben sich die konträren Positionen in der Literatur verfestigt: noch herrschende Ablehnung45 und umfassende Anerkennung des Unterlassungsanspruchs.46 In der jüngeren Literatur findet sich ein spezieller Ansatz, der den Unterlassungsanspruch aus § 69 Abs. 1 i. V. m. § 2 Abs. 1 BetrVG herleitet.47 Neu hieran ist, dass anders als bei § 87 i. V. m. § 2 Abs. 1 BetrVG nicht der Begriff des Mitbestimmens in den Fokus rückt, sondern die explizite Unterlassungsverpflichtung. § 2 BPersVG ermittelt für diese Ansicht in seiner Funktion als Auslegungshilfe den Anspruchsinhaber, mithin die Person, die auf der anderen Seite des § 69 Abs. 1 verlangen kann, dass die Maßnahme so lange unterbleiben muss. Die Mehrzahl der Autoren überträgt die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts auf die Personalverfassung.48 Betrachtet man das BPersVG, so sind alle Bausteine des paritätischen Unterlassungsanspruchs vorhanden. Die generelle Anordnung der Mitbestimmung kann über das aus § 2 Abs. 1 BPersVG folgende Gebot konkretisiert werden, alles zu unterlassen, was der Wahrnehmung der Mitbestimmung entgegensteht. Ebenso wie in der Betriebsverfassung akzentuieren diese Autoren die Nebenleistungspflicht.
B. Die Bezugspunkte des objektiven Verfahrens Zunächst ist die Herausnahme der beteiligungspflichtigen Maßnahme aus dem Sicherungsbereich des Personalvertretungsrechts und des Beschlussverfahrens zu überprüfen. Bestätigte sich diese These, wäre ein Unterlassungsanspruch kein möglicher Regelungsgegenstand des Personalvertretungsrechts. 44 OVG LSA, Beschluss vom 26.05.1999 – A 5 S 3/99, PersR 2000, 162; Thür. OVG, Beschluss vom 17.9.1996 – 5 PO 119/96, PersR 1997, 123; VG Potsdam, Beschluss vom 3.11.2003 – 21 L 679/03.PVL, PersV 2004, 347; Bay. VGH, Beschluss vom 19.2.1992 – 18 PC 92.236, PersR 1992, 459; VG Mainz, Beschluss vom 8.6.2004 – 5 K 86/04 = juris; OVG NRW, Beschluss vom 17.02.2003 – 1 B 2544/02.PVL = juris; VGH BW, Beschluss vom 2.7.2002 – PL 15 S 2497/01, NZARR 2003, 447. 45 B/V/P/K, § 61 Rn. 152 u. § 78 Rn. 120; Baden, PersR 2008, 266 (269); Dannhäuser, PersV 1991, 193 (200 f.); de lege lata verneinend, aber den Gesetzgeber in die Pflicht nehmend: Bosch, PersR 1994, 455 (457). 46 Kohte, FS Richardi, 601 (605 ff.); Altvater/Baden/Kröll/Lemcke/Peiseler, § 69 Rn. 71; Bosch, PersR 1995, 273 (275 f.); v. Roetteken, PersR 1993, 296 (297); wohl auch Benecke, S. 192 ff.; Edenfeld, S. 373. 47 Richardi/Dörner/Weber-Treber, § 83 Rn. 56; Ilbertz/Widmaier/Sommer § 69 Rn. 39b. unter Hinweis auf § 66 BPersVG; Widmaier, ZfPR 2012, 84 (87). 48 Vgl. nur Edenfeld, PersV 2001, 298 (303 f.); Küssner, PersR 1995, 361 (363); Kossens, PersV 1996, 390 (392).
B. Die Bezugspunkte des objektiven Verfahrens
309
I. Die These vom Beschlussverfahren als einem objektiven Verfahren Auch in der aktuellen Diskussion wird daher immer noch auf die Ausgestaltung bzw. dogmatische Einordnung des Beschlussverfahrens als ein „objektives Verfahren“ hingewiesen.49 Im Beschluss vom 15.12.197850 hatte das Bundesverwaltungsgericht einen Unterlassungsantrag im personalvertretungsrechtlichen Beschlussverfahren als unzulässig qualifiziert, weil das Beschlussverfahren ein Verfahren sei, das nicht bzw. nur mit wenigen Ausnahmen der Verfolgung von Individualrechtsansprüchen diene und vielmehr auf die Klärung und Feststellung von Zuständigkeiten, von Befugnissen sowie Entscheidungen bei Wahlanfechtungen gerichtet sei. Ferner hatte das Gericht angenommen, speziell für einstweilige Verfügungen äußere sich dies darin, dass einstweiliger Rechtsschutz über diese Grenzen hinausgehe und mehr gewähre, als im Hauptsachverfahren zugesprochen werden könne, da dieses keinen Unterlassungsanspruch gestatten könne.51 § 83 Nr. 3 BPersVG scheint diese These nur vordergründig zu bestätigen. Die Norm spricht von Zuständigkeiten, Geschäftsführung und Rechtsstellung des Personalrats. Allerdings wird § 83 BPersVG ganz überwiegend als Generalklausel für alle aus dem Personalvertretungsrecht herrührenden Streitigkeiten behandelt.52 Die Verwendung der Begriffe steht einem Leistungsantrag aus der „Zuständigkeit“ des Personalrats nicht entgegen. Die Norm verweist in Abs. 2 umfassend auf die Vorschriften des ArbGG für das Beschlussverfahren. Über § 80 i. V. m. § 48 ArbGG kommt es zur grundsätzlichen Zulässigkeit der Leistungsanträge im Bereich der Zuständigkeit des Personalrats. Mit der Einbettung ist zudem noch nicht beantwortet, ob die Beteiligungsrechte materielle Ansprüche sind. Dies konstatiert das Bundesverwaltungsrecht selbst, wenn es in derselben Entscheidung beiläufig einräumt, dass das PersVG Sachansprüche durchaus kenne und sie umfassend regele. 49 OVG LSA, Beschluss vom 26.05.1999 – A 5 S 3/99, PersR 2000, 162; OVG LSA, Beschluss vom 15.2.2012 – 6 M 3/11, NZA-RR 2012, 95; OVG B-B, Beschluss vom 29.3.2012 – OVG 62 PV 1.12, PersR 2012, 426; OVG NRW, Beschluss vom 21.9.2011 – 16 B 1124/11.PVB; NZA-RR 2012, 95; Rehak, FG Lorenzen, 47 (65); deutlich dagegen: Baden, PersR 2013, 18. 50 BVerwG, Beschluss vom 15.12.1978 – 6 P 13.78, ZBR 1980, 59 (61 f.); schon vorher BVerwG, Beschluss vom 24.10.1975 – VII P 11.73, BVerwGE 49, 259 (264). 51 VGH BW, Beschluss vom 26.11.1991, PersR 1992, 258 (260); wohl auch Hess VGH, Beschluss vom 27.2.1992 – HPV TL 2246/91, CR 1993, 773 (774 f.); Dannhäuser, PersV 1991, 193 (200). 52 Richardi/Dörner/Weber-Treber, § 83 Rn. 28; Ilbertz/Widmaier/Sommer, § 83 Rn. 22.
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4. Kap.: Der Unterlassungsanspruch des Personalrats
Ein Beispiel für derartige Ansprüche bilde die Kostentragungspflicht aus § 44 BPersVG.53 Als Richter des Sechsten Senats des Bundesverwaltungsgerichts hatte Albers der Kritik am Bundesverwaltungsgericht durch Teile der Literatur und Rechtsprechung vehement widersprochen und auf die Neuausrichtung der Rechtsprechung seines Senats hingewiesen. Das Verständnis des Beschlussverfahrens sei vom Bundesverwaltungsgericht stets weiterentwickelt worden.54 Zwar wurden 1990 erneut der objektive Charakter und die Ablehnung eines materiell-rechtlichen Unterlassungsanspruchs betont.55 Indes wurden dieses Mal der einstweilige Rechtsschutz und ein „Ausspruch verfahrensrechtlichen Inhalts in dem Sinne, dass er sich nur auf Verfahrenshandlungen bezieht“, zugelassen. Zuvor war der Ausschluss von einstweiligen Verfügungen im Hinblick auf Art. 20 Abs. 3 GG heftig attackiert worden.56 Von dem ursprünglich festgelegten Umfang des Beschlussverfahrens hat sich das Bundesverwaltungsgericht immer weiter entfernt. Am Ende dieser Entwicklung steht der Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 28.6. 2000. In diesem Beschluss wird nachdrücklich betont, dass das Beschlussverfahren im Bereich der Ansprüche des Personalrats keine objektive Prägung erfährt. Denn in den Fällen, in denen das Beschlussverfahren der Durchsetzung konkreter Rechtspositionen (des Innenrechts) diene, sei es kein sog. objektives Verfahren.57 2011 hat der 6. Senat des BVerwG schließlich ausdrücklich hervorgehoben, dass er bereits 1995 von der These des „objektiven Verfahrens“ abgerückt sei.58 Dem ist zuzustimmen – sofern die Ausgestaltung des Prozessrechts nicht explizit bestimmte Möglichkeiten ausschließt, muss es den Vorgaben des materiellen Rechts eine Plattform geben und darf es nicht beschränken. Das Prozessrecht folgt dem materiellen Recht.59 Ein anderes Verständnis wäre überkommenes Aktionendenken und würde Art. 20 Abs. 3 GG verletzen. Das Prozessrecht bzw. die Ausgestaltung des Beschlussverfahrens stellt damit keine Limitation für die Anerkennung eines Unterlassungsanspruchs dar.
53
BVerwG, Beschluss vom 27.4.1983 – 6 P 3.81, DVBl. 1984, 44 (45). Albers, PersV 1993, 487 (493). 55 BVerwG, Beschluss vom 27.07.1990 – 6 PB 12/89, PersR 1990 297 (298). 56 Süllwold, ZfPR 1989, 118 (119); Süllwold, ZfPR 1991, 56 (57) m. w. N. 57 BVerwG, Beschluss vom 28.6.2000 – 6 P 1.00, BVerwGE 111, 259 (262 f.). 58 BVerwG, Beschluss vom 11.5.2011 – 6 P 4/10, PersR 2011, 438; vgl. auch Baden PersR 2013, 18 (20); Widmaier, ZfPR 2012, 84 (85). 59 Bosch, PersR 1994, 455 (457). 54
B. Die Bezugspunkte des objektiven Verfahrens
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II. Die Exklusion der beteiligungspflichtigen Maßnahme Stark mit dem Charakter als „objektives Verfahren“ korreliert die These, die beteiligungspflichtige Maßnahme könne nicht Gegenstand des personalvertretungsrechtlichen Verfahrens sein.60 Man muss an diesem Punkt differenzieren. Während Leistungsansprüche im Übrigen nunmehr unproblematisch Gegenstand des Beschlussverfahrens sein können, soll bei Ansprüchen, die sich auf die beteiligungspflichtige Maßnahme beziehen, anderes gelten. Diese Frage betrifft sowohl den materiell-rechtlichen Teil des Personalvertretungsrechts als auch die Ausgestaltung des Beschlussverfahrens nach § 83 Abs. 1 und 2 i. V. m. §§ 80 ff. (inkl. § 80 Abs. 2 i. V. m. §§ 46 ff. ArbGG). Konstruktiv findet regelmäßig eine Zweiteilung statt. Im Beschlussverfahren werde lediglich das Bestehen der Beteiligungsrechte überprüft. Bezüglich weitergehender Konsequenzen solle allein der unmittelbar Betroffene antragsberechtigt sein.61 1. Das überkommene Gerüst dieses Theorems Diese Beschränkung geht wiederum auf eine überkommene Rechtslage zurück. Unter Verweis auf § 73 des PersVG Bln a. F. hatte es das Bundesverwaltungsgericht 1963 abgelehnt, darüber zu entscheiden, welche rechtlichen Folgen eine unterlassene Beteiligung für die beteiligungspflichtige Maßnahme habe.62 Diese Norm entsprach dem heutigen § 83 BPersVG sowie dem heutigen § 91 PersVG Berlin nicht, es fehlte die Auflistung des Begriffs der Rechtsstellung. Die Rechtsfolgen, so das Gericht, reichten über das, was sich dem Wortlaut der Norm (Zuständigkeit) entnehmen lasse, hinaus. Dies sollte darin begründet sein, dass die Beteiligung des Personalrats im personellen und sozialen Bereich vorwiegend in Einzelmaßnahmen bestünde und es daher dem Einzelnen vorbehalten bleiben sollte, die Rechtfolgen einer fehlerhaften Beteiligung geltend zu machen. Das Gericht rückte also offen vom Teilhabegedanken ab. Andernfalls – so das Gericht – käme es zu Überschneidungen mit anderen Rechtswegen. Nunmehr stellt sich die Frage nach der Rechtsstellung des Personalrats in dem Moment der drohenden Vornahme der beteiligungspflichtigen Maßnahme. Gerade wegen der Einführung des Begriffs wird die Norm heute 60 BVerwG, Beschluss vom 15.3.1995 – 6 P 31/93, NVwZ 1997, 80 (80); VGH BW, Beschluss vom 2.7.2002 – PL 15 S 2497/01, NZA-RR 2003, 447 (447); Rehak, FG Lorenzen, 47 (65); Albers, PersV 1993, 487 (493); Ballerstedt/Schleicher/Faber, Art. 81 Rn. 44b; Battis/Kersten, PersR 2005, 138 (142). 61 Rehak, FG Lorenzen, 47 (66). 62 BVerwG, Beschluss vom 6.12.1963 – VII P 17.62, BVerwGE, 17, 250.
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4. Kap.: Der Unterlassungsanspruch des Personalrats
unstrittig als Generalklausel verstanden.63 Diese Frage hat das Gericht auch in seinem Judikat vom 15.3.1995 ausgespart. Richtigerweise liefert das Personalvertretungsrecht für eine limitierende Rückwirkung keine Anhaltspunkte (mehr). 2. Die Rechtsbeziehungen als untauglicher Einwand Die Rechtsprechung, mit der dem Personalrat ausschließlich Verfahrensansprüche, aber keine Rechte zur Beseitigung der mitbestimmungswidrig getroffenen Maßnahme zuerkannt werden sollte, war damit gerechtfertigt worden, dass das Rechtsverhältnis von Beamten sowie anderen Beschäftigten und Dienstherrn nicht zu einem dreiseitigen Rechtsverhältnis unter Einschluss des Personalrats umgewertet werden sollte.64 Damit verneint man jedoch jegliche Wechselwirkung oder gar Verknüpfung der verschiedenen Rechtsbeziehungen. Das Recht kennt zudem mehrgliedrige Rechtsverhältnisse und löst sie. In der modernen Rechtswissenschaft ist es etabliert, bei der Kollision von Rechtsbeziehungen diese über die vorrangigen fallspezifischen Wertungen aufzulösen. Es ist angesichts der Rechtsprinzipien nicht erforderlich, die personalvertretungsrechtliche Beteiligung vollends auszublenden, wenn sie in einer sachangemessenen Abwägung zurücktreten wird. Über dieses methodische Verständnis lässt sich auch verhindern, dass von der Gesamtrechtsordnung bedingte, als vorrangig bewertete Belange des Personals nur deswegen nicht berücksichtigt werden, weil das rigide Rechtsverständnis Vorrang beansprucht. Im Übrigen besteht auch nicht die Gefahr, dass es zu einer Überschneidung verschiedener Verfahren kommt, denn der präventive Unterlassungsanspruch verhindert, wenn er begründet ist, individualrechtliche Nachteile und führt damit zu einer Rechtswegkonzentration sowie zugleich zur Bewahrung der Teilhabe der Arbeitnehmer. 3. Der Verfahrensanspruch als untaugliche Beschränkung Des Weiteren wird die Herausnahme der Maßnahme vom Bundesverwaltungsgericht auf die Eigenart der Verfahrensansprüche gestützt. Diese dogmatische Reduktion des Anwendungsbereichs des Personalvertretungsrechts ist von Albers untermauert worden.65 Allein die subjektiv-abgesicherte Ver63 Richardi/Dörner/Weber-Treber, § 83 Rn. 8 m. w. N.; auch für die Durchsetzung von Ansprüchen: Ilbertz/Widmaier/Sommer § 69 Rn. 39b. 64 Bay. VGH, Beschluss vom 5.6.1991 – 18 P 91.00944, PersR 1991, 350 (350); zustimmend Widmaier, PersV 2000, 50 (50). 65 Albers, PersV 1993, 487 (492).
B. Die Bezugspunkte des objektiven Verfahrens
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fahrensposition mache die Substanz des Beteiligungsrechts aus, dem Beteiligungsrecht fehle aber ein materiell-rechtlicher Bezug. In keinem Fall könne das Beteiligungsrecht allein bestimmen, ob, wann und welche Maßnahme zu treffen sei. Die Herausnahme der Maßnahme per se aus der Jurisdiktion hat ihre zutreffende Berechtigung in der Idee, dass es dem Richter vor dem Gewaltenteilungsgrundsatz nicht erlaubt sein kann, Regelungen für die Verwaltung zu treffen. Gerade im Falle eines Rechtsverstoßes artikuliert sich aber die elementare – verfassungsrechtlich vorgegebene – Aufgabe der Rechtsprechung, den Rechtsbestand zu sichern und durchzusetzen. Diese Aufgabe kann sogar bis in die Organstreitigkeiten hineinreichen. Während Dienststelle und Personalrat die Dienstvereinbarungen allein gestalten können und müssen, ist die Bewahrung des Rechts nicht ohne Intervention des Richters im Hinblick auf die Maßnahme möglich. Auf dem Boden des materiellen Personalvertretungsrechts findet die Ansicht von Albers keine Stütze. In der Personalverfassung wird die Maßnahme notwendigerweise zum Gegenstand kollektiver Rechtsbeziehungen. Dies ergibt sich nicht zuletzt aus der Mitbestimmung durch den Personalrat. Dafür spricht auch § 69 Abs. 1 BPersVG. Denn selbst wenn man in dieser Norm eine alleinige Verhaltensanweisung an den Dienststellenleiter erblickte,66 änderte dies nichts an der Tatsache, dass das Personalvertretungsrecht die Maßnahme unmittelbar zum Gegenstand einer Regelung macht. Der Gesetzgeber hat diese Norm bewusst an die erste Stelle der Vorschriften über das Verfahren der Mitbestimmung und Mitwirkung gesetzt. Des Weiteren setzt sich die Rechtsprechung mit ihrer Beschränkung zur Klagbarkeit auf Handlungen aus der Dienstvereinbarung in Widerspruch.67
III. Das richtlinienkonforme Verständnis des BPersVG Die Zulassung von Leistungsanträgen mit materiell-rechtlichem Inhalt ist auch europarechtlich geboten. In Art. 2 a) der RL 2002/14/EG wird der Begriff des Unternehmens auch öffentlich-rechtlich verstanden. Den prozessualen Rahmenbedingungen der Richtlinie trägt das Verständnis des § 83 BPersVG als Generalklausel mit seiner Verweisung auf das ArbGG Rechnung. Nach den zum BetrVG aufgestellten Grundsätzen enthält die Richtlinie 2002/14/EG eine Unterlassungsverpflichtung des Arbeitgebers,68 66 OVG Thüringen, Beschluss vom 17.9.1996 – 5 PO 119/96, PersR 1997, 123 (124). 67 Hierzu: Altvater/Baden/Kröll/Lemcke/Peiseler, § 73 Rn. 25. 68 Siehe S. 122 ff.; für einen Unterlassungsanspruch auf Grundlage der Richtlinie: Widmaier, ZfPR 2012, 84 (89); Kohte, PersR 2009, 224.
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4. Kap.: Der Unterlassungsanspruch des Personalrats
die ihrem Inhalt nach mit § 69 Abs. 1 BPersVG identisch ist. Indes macht die Richtlinie an diesem Punkt nicht halt und fordert in Art. 8 Abs. 1 S. 2 ein effektives Verfahren zur Durchsetzung der Verpflichtungen. Man könnte einen Moment zögern und auf die Dienstaufsicht hinweisen. So betont etwa Spreer die Wirksamkeit, die Angemessenheit und die Deterrenz des innerdienstlichen Sanktionsapparates.69 Die zum deutschen Recht sogleich zu äußernden Kritikpunkte verschärfen sich aber noch vor den europarechtlichen Vorgaben.70 Es wäre dem Personalrat nicht einmal möglich, eine Entscheidung zu erzwingen. Richtigerweise muss daher das Beschlussverfahren und das zugrunde liegende materielle Recht richtlinienkonform ausgelegt werden. Der Hinweis von Vogelgesang auf die Effizienz der Bundesverwaltungsgerichtskonzeption71 und die damit einhergehende fehlende Notwendigkeit der Neujustierung des Anwendungsbereichs des Personalvertretungsrechts verblassen bereits vor dem Postulat der Durchsetzung der Unterlassungsverpflichtung. Ein anderes Verständnis würde dazu führen, dass das europarechtlich durchdrungene Recht in den Fällen der Irreparabilität keine Antwort parat hielte. Art. 8 Abs. 1 S. 1 RL 2002/14/EG fordert jedoch die Sicherung eines jeden Falles. Das Beschlussverfahren kann demzufolge Unterlassungsansprüche praktisch vermitteln.
C. Der Grund für den Verzicht auf ausdrückliche Sicherungsnormen Im Kern der Problematik um den Unterlassungsanspruch im Personalvertretungsrecht steht die Frage, weshalb das BPersVG keine Normen wie §§ 23, 101, 113 BetrVG vorsieht. Der Verzicht auf derartige Normen wurzelt nach der früheren Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts in der Möglichkeit der Sicherung der Beteiligung über die Dienstaufsicht. In der jüngeren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts findet sich dieser Verweis nicht mehr. Dagegen führen ihn immer noch die meisten Oberverwaltungsgerichte an.72
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Spreer, S. 142. Siehe S. 314. 71 Vogelgesang, PersV 2006, 364 (372 f.). 72 Beispielhaft: OVG Hamburg, Beschluss vom 20.01.2003 – 8 Bf 266/02 PVL = juris; VGH BW, Beschluss vom 2.7.2002 – PL 15 S 2497/01 = juris; OVG Brandenburg, Beschluss vom 10.12.1998 – 6 A 210/97.PVL, PersR 2000, 73 (74). 70
C. Der Grund für den Verzicht auf ausdrückliche Sicherungsnormen
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I. Die Dienstaufsichtsbeschwerde Die Dienstaufsicht bezieht sich auf die innere Ordnung, die allgemeine Geschäftsführung und die Personalangelegenheiten der Behörde.73 Sie ermöglicht die interne Kontrolle des Verhaltens (Art und Weise des behördlichen Tätigwerdens) des Beamten und zielt auf das dienststelleninterne Interesse ab, beim Einsatz der Amtswalter die bestehenden Gesetze zu beachten. Gerichtet ist sie auf die Vornahme einer dienstrechtlichen Maßnahme durch den Dienstvorgesetzten.74 Zu erheben ist die Dienstaufsichtsbeschwerde daher auch gegenüber dem Vorgesetzten desjenigen, dessen Verhalten beanstandet wird.75 Verfassungsrechtlich ergibt sich die Dienstaufsichtsbeschwerde aus dem Jedermann-Petitionsrecht aus Art. 17 GG. Sie stellt damit einen formlosen Rechtsbehelf gegen das persönliche Verhalten eines Entscheidungsträgers dar.76 Die Möglichkeit, eine Petition einzureichen, repräsentiert eine zusätzliche Sicherung der Rechte, die in der Regel neben die förmlichen Rechtsbehelfe tritt.77
II. Die Kritik an einem ausschließlichen Sicherungssystem Dieser 1978 aufgestellte Erklärungsansatz ist überwiegend auf Kritik gestoßen. Die alleinige Durchsetzung der Beteiligungsrechte über die Dienstaufsichtsbeschwerde leidet unter strukturellen, dogmatischen und praktischen Defiziten. Diese form- und fristlosen Sicherungsmittel bleiben oftmals fruchtlos.78 Gerade diese Fruchtlosigkeit weist ein enormes Spannungspotenzial gegenüber dem Grundsatz der praktischen Wirksamkeit auf.79 Die diskutierten Entscheidungen beruhten regelmäßig auf Weisungen der Oberbehörde, die auch für die Dienstaufsicht zuständig ist.80 In den übrigen Fällen gehen manche Autoren sogar so weit zu sagen, dass die Aufsicht im Zweifel auf der Seite des Amtswalters stünde.81 Einen strukturellen 73
Maurer, § 22 Rn. 32; Wolff/Bachoff/Stober/Kluth/Müller, VerwR III, § 102 II Nr. 4 Rn. 21; Thieme, DÖD 2001, 77 (77). 74 Wagner, Rn. 300; Schweickhardt, Rn. 1033. 75 Wolff/Bachoff/Stober-Kluth, VerwR, Bd. 3, § 102 Rn. 21. 76 Wichmann/Langer, Rn. 299. 77 Wolff/Bachoff/Stober/Kluth/Müller, VerwR 3, § 102 Rn. 26. 78 Thieme, DÖD 2001, 77 (77): „das dreifache F“. 79 Hierzu S. 344. 80 Bay VGH, Beschluss 5.6.1991 – 18 P 91.00944, PersR 1991, 350 (350 f.); Huster, PersV 2008, 414 (416); Gillengarten, PersR 1991, 351 (351). 81 Wolff/Bachoff/Stober/Kluth/Müller, VerwR 3, § 102 Rn. 23: „in den seltensten Fällen erfolgreich“. „Es fehlt an Unabhängigkeit des Aufsichtsführenden.“ Über-
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4. Kap.: Der Unterlassungsanspruch des Personalrats
Kritikpunkt bildet die vielfach vorhandene Einstufigkeit der Verwaltung.82 Die Entscheidung bleibt in diesem Fall innerhalb der Behörde. Tatsächlich ist diese Konzeption mit dem heutigen Verwaltungsrecht nicht vereinbar. Es hat sich mittlerweile durchgesetzt, davon auszugehen, dass nur externe Kontrolle dafür sorgt, dass die Kontrolleure nicht befangen oder kollegial verstrickt sind.83 Die Abschirmung vom gerichtlichen Rechtsschutz in dieser Facette der Rechtsbewahrung des Personalrats wird dadurch verschärft, dass die Bescheide nicht gerichtsfähig sind: Man kann gegen eine Dienstaufsichtsbescheide nicht klagen, sondern muss erneut Dienstaufsichtsbeschwerde einlegen.84 Hinzu kommt die mangelnde Erreichbarkeit einer Entscheidung, auch auf gerichtlichem Wege. Die Bezeichnung als Beschwerde darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich bei der Dienstaufsichtsbeschwerde um an die Aufsichtsbehörden gerichtete Anregungen handelt, von ihren Aufsichts- und Weisungsbefugnissen Gebrauch zu machen.85 Die Dienstaufsichts- und Disziplinarvorschriften begründen keine subjektiven Rechte, die Aufsicht dient einzig dem öffentlichen Interesse an der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung.86 Ob der Vorgesetzte von seinem Weisungsrecht Gebrauch macht, liegt allein in seinem pflichtgemäßen Ermessen.87 Eine auf Vornahme gerichtete Klage wäre mangels Klagebefugnis bereits unzulässig. Man gelangt folglich zu dem dogmatisch unbefriedigenden Ergebnis, dass das (subjektive) Recht des Personalrats über ein ihm entrücktes, in der Disziplinarhoheit der Verwaltung wurzelndes Verfahren durchgesetzt werden müsste. Die bloße Existenz eines subjektiven Rechts stellt Anforderungen an die Ausgestaltung des Rechtsschutzes, denen ein faktisch in der Hand der Behörde liegendes Durchsetzungsinstrument nicht genügt. Entscheidend gegen ein ausschließliches Verständnis spricht die allgemeine verfassungsrechtlich vorgezeichnete Rechtsschutzaufteilung. Es besteht eine verfassungsrechtlich vorgegebene Zweispurigkeit: Petitionsweg (Art. 17 GG) und Gerichtsweg (Art. 19 Abs. 4/Art. 20 GG).88 In der Tat spitzt: Thieme, DÖD 2001, 77 (77): „In der Praxis der Dienstaufsicht scheint es aber so zu sein, dass sich die Bürger immer nur in den Fällen beschweren, in denen die Beamten keine Fehler gemacht haben.“ 82 Bosch, PersR 1995, 273 (275). 83 Püttner, § 20 II 1: schonungslose Kontrolle. 84 Becker-Karvan, DÖD 2000, 273 (277). 85 Maurer, § 22 Rn. 33. 86 Schweickhardt, Rn. 1030; Kossens, PersV 1996, 390 (392). 87 Schweickhardt, Rn. 1010. 88 Schweickhardt, Rn. 1051; Wagner, Rn. 298 ff.; stärker zwischen Petition und Dienstaufsichtsbeschwerde trennend: Wolff/Bachoff/Stober-Kluth, VerwR Bd. 3, § 102 Rn. 21 ff.
D. Die Unterlassungsansprüche in den Personalvertretungsgesetzen
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fordert nunmehr auch das Bundesverwaltungsgericht einen wirksamen und effektiven Rechtsschutz gemäß Art. 20 Abs. 3 GG. Man kann also davon ausgehen, dass jedenfalls ein ausschließliches Verständnis, das ausschließlich auf die Aufsicht verweist, verworfen wurde.89
III. Fazit Der Verweis auf das Fehlen der Normen des Betriebsverfassungsrechts ist überholt. Es gilt zu erkennen, dass sämtliche positiven Sicherungsmechanismen in der betriebsverfassungsrechtlichen Diskussion maßgeblich herangezogen werden, um einen Unterlassungsanspruch zu sperren. So gesehen, ist das Bundespersonalvertretungsrecht freier.90 Der Grund für den Verzicht auf positive Regelungen ist vielmehr in der grundsätzlichen Anwendbarkeit des Staatshaftungsrechts als Reaktion auf das rechtwidrige Beeinträchtigen eines subjektiven Rechts zu sehen. Das Staatshaftungsrecht hat gerade einen Geltungsgrund in der Haftung für hoheitliches Unrecht und ist der Inbegriff aller Restitutionspflichten der öffentlichen Hand bei rechtswidriger Ausübung öffentlicher Gewalt.91 Wie schon beschrieben, wird das Personalvertretungsrecht gerade auf die Ausübung öffentlicher Gewalt bezogen, und das Ausüben führte zum Untergang des Beteiligungsrechts. Es liegt daher eine typische Konstellation des Staatshaftungsrechts vor.
D. Die Unterlassungsansprüche in den Personalvertretungsgesetzen der Länder Will man nun die bestehende Rechtslage „umdrehen“, so bietet sich ein Blick in die Personalvertretungsgesetze der Länder an. Hier ist ein deutlicher Prozess zugunsten des Unterlassungsanspruchs auszumachen. Bemerkenswert sind die Akteure der gewandelten Rechtsansichten. Die Änderungen kommen nicht allein vom Gesetzgeber, auch die Gerichte interpretieren die Rechtsstellung des Personalrates als Unterlassungsanspruch.
I. Länder ohne weitergehenden Schutz Die Rechtslage in den einzelnen Bundesländern stellt sich geteilt dar. Der überwiegende Teil enthält keine § 23 Abs. 3 BetrVG vergleichbare Norm, 89
Ebenso Kohte, FS Richardi, 601 (606 f.). Wißmann, FS BVerwG, 71 (76). 91 Ossenbühl, S. 1, mit weiteren Ausführungen zu außerhalb des staatlichen Unrechts stehenden Ansprüchen. 90
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4. Kap.: Der Unterlassungsanspruch des Personalrats
wohl aber Normen, die § 23 Abs. 1 BetrVG bzw. § 28 BPersVG gleichen bzw. ähneln. In Baden-Württemberg gilt § 28 PersVG BW. Das Gleiche gilt im Freistaat Bayern. Art. 28 regelt nur die Auflösung des Personalrats. Ähnlich ist die Rechtslage auch in Berlin, wie sich aus § 25 PersVG ergibt. Dasselbe Bild zeigt sich in § 25 des Bremer Personalvertretungsgesetzes. Des Weiteren sind Hamburg (§ 28 PersVG Hbg), das Saarland (§ 27 PersVG SL) und der Freistaat Sachsen (§ 28) zu nennen. Letztlich gibt es auch in Sachsen-Anhalt nur eine § 23 Abs. 1 entsprechende Norm in § 27 Abs. 3 PersVG LSA. Damit entsprechen diese Länder der Rechtslage im BPersVG. Beispielhaft zur Anwendung des Landespersonalvertretungsrechts ist die Rechtsprechung des OVG LSA. Das Gericht folgt noch heute der Lehre vom „objektivem Verfahren“ ohne Beachtung der neueren Entwicklung.92
II. Länder mit Spezialregelungen In den übrigen sieben Bundesländern finden sich spezielle Regelungen, in Hessen etwa § 111 Abs. 2 HPVG: „Der Personalrat oder eine in der Dienststelle vertretene Gewerkschaft können bei groben Verstößen des Dienststellenleiters gegen seine Verpflichtungen aus diesem Gesetz beim Verwaltungsgericht beantragen, dem Dienststellenleiter zur Sicherung der Rechte nach diesem Gesetz aufzugeben, eine Handlung zu unterlassen, die Vornahme einer Handlung zu dulden oder eine Handlung vorzunehmen.“
Die Regelung entspricht § 23 Abs. 3 BetrVG. Eine anderslautende Regelung findet sich in Rheinland-Pfalz mit § 74 Abs. 1 des dortigen Personalvertretungsrechts: „Soweit eine Maßnahme der Mitbestimmung des Personalrats unterliegt, kann sie nur mit seiner Zustimmung getroffen werden. Ist das Mitbestimmungsverfahren nicht oder nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden und stimmt der Personalrat bei nachgeholter Befassung nicht zu, ist die Maßnahme, soweit nicht zwingende gesetzliche Bestimmungen entgegenstehen, rückgängig zu machen.“
In Schleswig-Holstein findet sich mit § 58 Abs. 3 des Mitbestimmungsgesetzes eine detaillierte Regelung, der die Regelungen in Brandenburg (§ 74 Abs. 3 PersVG Brb.) Mecklenburg-Vorpommern (§ 67 Abs. 3 MPersVG) entsprechen. „Unzulässig ist die Durchführung von Maßnahmen, die 1. ohne die gesetzlich vorgeschriebene Beteiligung, 2. unter einem Verstoß gegen wesentliche Verfahrensvorschriften erfolgt. Maßnahmen, die entgegen Satz 1 durchgeführt worden sind, sind zurückzunehmen, soweit Rechtsvorschriften nicht entgegenstehen.“ 92
OVG LSA, Beschluss vom 15.2.2012 – 6 M 3/11, NZA-RR 2012, 448.
D. Die Unterlassungsansprüche in den Personalvertretungsgesetzen
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Fast wortgleich gilt im Freistaat Thüringen § 69 Abs. 10 ThürPersVG: „Unzulässig ist die Durchführung von Maßnahmen, die ohne die gesetzlich vorgeschriebene Beteiligung oder unter einem Verstoß gegen wesentliche Verfahrensvorschriften erfolgt sind. Entgegen Satz 1 durchgeführte Maßnahmen sind zurückzunehmen, soweit Rechtsvorschriften nicht entgegenstehen.“
Das Verwaltungsgericht Potsdam hat hier aus Satz 2, in dem es eine Anspruchsgrundlage erblickte, im Wege eines argumentum a maiore ad minus einen Anspruch auf Unterlassung einer noch andauernden Maßnahme hergeleitet.93 In der Literatur wird dies damit erklärt, dass das brandenburgische Personalvertretungsrecht weitergehende Mitbestimmungsrechte gewähre.94 Nunmehr liegt jedoch aktuellere Rechtsprechung vor, die diese Verpflichtung ihrerseits als objektiv-rechtlich ausgestaltet betrachtet.95 § 69 Abs. 1 Thüringer PersVG entspricht § 69 BPersVG. Auch hierzu liegt Rechtsprechung vor. Das VG Gera hat in § 69 Abs. 10 einen tauglichen Regelungsanspruch gesehen.96 Das VG Meiningen hingegen stellte fest, dass § 69 Abs. 10 ThürPersVG für den Personalrat keine Zuständigkeiten begründe, sondern nur eine objektiv-rechtliche Verpflichtung des Dienststellenleiters enthalte, Maßnahmen nicht auszuführen, die ohne die vorgeschriebene Beteiligung oder unter einem Verstoß gegen wesentliche Verfahrensvorschriften erfolgt sind, sowie in dieser Weise durchgeführte Maßnahmen zurückzunehmen, soweit dem Rechtsvorschriften nicht entgegenstehen.97 Noch ausführlicher lehnt das OVG Thüringen den Anspruch98 ab. Angefangen beim Wortlaut, lasse sich kein Anspruchsinhaber entnehmen, nur ein Verpflichteter: die Dienststelle. Zudem sei der Normbefehl auf ein generelles Durchführungsverbot ausgerichtet und die Norm als solche ungenügend ausgestaltet, also per se undifferenziert v. a. in Bezug auf Maßnahmen mit Außenwirkung und solche ohne. Auffallend ist, dass die Interpretation der einfachen Unzulässigkeitsformel in der Landesrechtsprechung unter Beachtung der bundesgerichtlichen Interpretation umgangen wird. 93 VG Potsdam, Beschluss vom 12.2.1996 – 11 L 75/96.PVL, PersR 1996 206 (208); zustimmend: Hamer, PersR 1999, 19 (20 f.); die Anspruchsqualität bestätigt VG Potsdam, Beschluss vom 27.2.1997 – 11 L 5/97.PVL, PersR 1997, 222 (223), zugleich mit Zweifeln am Erfassen von Aufhebungsansprüchen mit Drittbezug. 94 Hamer, PersR 1999, 19 (21), der aber zugleich ein subjektives Recht in diesem Anspruch erblickt. 95 OVG BB, Beschluss vom 26.2.2009 – OVG 61 1.09 = juris.de; VG Potsdam, Beschluss vom 18.7.2001 – 16 L 453/01.PVL = juris. 96 VG Gera, Beschluss vom 16.09.1999 – 1 E 833/99.GE = juris. 97 VG Meiningen, Beschluss vom 27.09.2000 – 3 E 50030/00.Me = juris. 98 OVG Thüringen, Beschluss vom 17.9.1996 – 5 PO 119/96, PersR 1997, 123 (123 f.).
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4. Kap.: Der Unterlassungsanspruch des Personalrats
III. Insbesondere: Niedersachsen Hervorzuheben ist § 63 Nds. PersVG. „Maßnahmen, bei denen 1. die gesetzlich vorgeschriebene Beteiligung unterlassen oder 2. bei einer Beteiligung gegen wesentliche Verfahrensvorschriften verstoßen worden ist, dürfen nicht vollzogen werden. Maßnahmen, die entgegen Satz 1 durchgeführt worden sind, sind zurückzunehmen, soweit nicht Rechte Dritter oder öffentliche Interessen entgegenstehen.“
Bemerkenswert ist diese Vorschrift deswegen, weil sie nach den gesetzgeberischen Vorstellungen der bisherigen herrschenden Meinung entgegentritt und ausdrücklich einen Anspruch auf Rückgängigmachung in Satz 2 statuiert sehen will.99 Nicht überraschend ist es daher, dass der niedersächsische Gesetzgeber mit der Neufassung und unveränderten Übernahme der Vorschrift ausweislich der Landtags-Drucksachen davon ausgeht und wegen der subjektiven Determination der Vorschrift auch davon ausgehen darf, die Richtlinie 2002/14/EG umgesetzt zu haben.100 Insbesondere Bieler/MüllerFritzsche legitimieren die Vorschrift über den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers.101 Auch in der niedersächsischen Judikatur ist ein Wechsel hin zur Bejahung negatorischer Befugnisse erkennbar. In einem Beschluss aus dem Jahr 1995 verstand das niedersächsische OVG die hier enthaltene Verpflichtung noch als eine objektiv-rechtliche.102 Die neuere Rechtsprechung bejaht nunmehr einen Anspruch.103 In der Begründung verwies das Gericht explizit auf die Drucksachen. Inzwischen räumt auch das BVerwG den Anspruchscharakter des § 63 Nds. PersVG ein.104
IV. Insbesondere: Nordrhein-Westfalen Bemerkenswert ist auch hier die direkte Absage an das objektiv-rechtliche Verständnis des personalvertretungsrechtlichen Beschlussverfahrens. In der Neufassung des § 79 Abs. 3 S. 1 PersVG NRW wird explizit gesagt, 99
LT-Drs. Nds. 12/4370, S. 141. Nds. GVBl. 2007, 11 (12). 101 Bieler/Müller-Friztsche, § 63 Rn. 10a. 102 OVG Nds., Beschluss vom 28.12.1995 – 18 M 4529/95 nv., stillschweigende Aufgabe bei OVG Nds., Beschluss vom 19.6.2003 – 18 MP 7/03 = juris. 103 OVG Nds., Beschluss vom 15.3.2007 – 5 ME 295/06, PersR 2008, 75 (78); VG Lüneburg, Beschluss vom 24.1.2008 – 18 MP 14/07, NZA-RR 2008, 391 (391); LAG Nds., Urteil vom 29.1.2003 – 15 Sa 455/02 =juris. 104 BVerwG, Beschluss vom 11.5.2011 – 6 P 4/10, PersR 2011, 438. 100
D. Die Unterlassungsansprüche in den Personalvertretungsgesetzen
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dass Rechtsbehelfe auch auf die Unterlassung einer Maßnahme gerichtet sein können. Ferner wird in S. 2 § 23 Abs. 3 BetrVG für anwendbar erklärt. Nach der Auffassung des Landesgesetzgebers soll § 79 Abs. 3 eine deklaratorische Funktion dahingehend haben und folglich Unterlassungsanträge vorauszusetzen.105 In einem ersten Beschluss hat das Verwaltungsgericht Düsseldorf betont, dass diese neue Regelung die Anforderung an die Annahme eines Verfügungsanspruchs und eines Verfügungsgrundes nicht absenke.106
V. Schlüsse In der Literatur wird die vereinzelte ausdrückliche Existenz von Unterlassungs- und Beseitigungsansprüchen in der landesrechtlichen Praxis zu Recht als Beweis für eine funktionierende Personalordnung mit simultanem Rechtsschutz begriffen.107 Aus den Regelungen der Länder können ferner weitere wichtige Schlüsse gezogen werden. Zum einen untermauert die fortschreitende und vom Gesetzgeber als notwendig erachtete Sicherung der Beteiligungsrechte, dass ein Vertrauensvorsprung des öffentlich-rechtlichen Arbeitgebers unberechtigt ist. Zum anderen zeigt die dogmatische Kontroverse um die Qualität der Rechtspflichten, dass die einseitigen Pflichten konstruktiv nicht unumstößlich sind und ein umfassendes Anspruchssystem im Personalvertretungsrecht kein Fremdkörper sein muss. Im Gegenteil, gerade die Regelung in Niedersachsen beweist, wie einfach es wäre, den gesetzlichen Status quo im Lichte einer Außenrechtsqualität zu interpretieren. Diese gilt vor dem Hintergrund der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung und Umsetzung der RL 2002/14/EG umso mehr. In ihrem Wortlaut unterscheiden sich die Regelungen nicht in Bezug auf ein Forderungsrecht. Betrachtet man diese Möglichkeit aus der Perspektive eines „länderblinden“ Äquivalenzprinzips, muss eine uneinheitliche Behandlung der Arbeitnehmervertreter bundesweit vermieden werden. Schließlich hat auch das Bundesverwaltungsgericht die niedersächsische Rechtslage und Interpretation bestätigt.108
105
Lt. Drs. 15/2218 S. 55. VG Düsseldorf, Beschluss vom 29.3.2012 – 40 L 348/12.PVL = juris.de. 107 Kohte, FS Richardi, 601 (606); andeutend: Edenfeld, S. 376; Edenfeld, PersV 2001, 298 (304 f.). 108 BVerwG, Beschluss vom 11.5.2011 – 6 P 4/10 = juris Rn. 9. 106
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4. Kap.: Der Unterlassungsanspruch des Personalrats
E. Die Herleitung des personalvertretungsrechtlichen Unterlassungsanspruchs Legt man all dies zugrunde, so kann weiter geprüft werden, ob ein Unterlassungsanspruch zugunsten des Personalrats besteht. Wie bereits in Bezug auf das BetrVG vertreten, kommt auch im BPersVG dem paritätischen Unterlassungsanspruch im Bereich der personalvertretungsrechtlichen Unterlassungsansprüche der höchste Rang zu. Daneben stellt sich aber die Frage, wo ein taugliches Fundament für die Sicherung der Mitbestimmungsrechte im Übrigen zu finden ist.
I. § 8 BPersVG Weitgehend ignoriert wird bislang die Bedeutung des § 8 BPersVG als Anspruchsgrundlage. Unumstritten sind sowohl die Anspruchsqualität als auch die Berechtigung des Personalrats aus der Norm.109 Der Begriff der Behinderung in § 8 BPersVG ist nach der Rechtsprechung umfassend auszulegen. So ist jede Form der Beeinträchtigung der Aufgabenwahrnehmung des Personalrats – von der Erschwerung und Störung bis zur Verhinderung – als Behinderung anzusehen.110 Damit ist das Verhindern der Aufgabenwahrnehmung nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts tatbestandsmäßig. Legte man der Norm ein generalisierendes Verständnis zugrunde, lieferte sie den Anspruch. Die Auslegung ist sogar einfacher, da nunmehr nicht mehr von Tätigkeit gesprochen wird, sondern ganz klar die Aufgabenwahrnehmung vor Behinderungen geschützt wird. Allerdings muss auch bei § 8 BPersVG ein allgemeiner Unterlassungsanspruch scheitern. Denn die Norm verwendet das Wort „darin“ und schützt folglich in der Aufgabenwahrnehmung. Aus der Verwendung des Wortes ist zu schließen, dass die Norm alleine die Ausübung vor Behinderungen schützt. Kompositorisch hätte man auch auf das Wort verzichten können, der Gesetzgeber hat es gleichwohl bewusst verwendet und damit eine Einschränkung verbunden. Die Durchführung der Maßnahme fällt damit nicht in den Schutzbereich des § 8 BPersVG. Dieses Ergebnis ist auch im Verhältnis zu §§ 78 BetrVG und 42 Nr. 2 EBRG tragfähig. Die Komposition des Paragrafen ist näher an der Normstruktur des § 78 BetrVG.
109
BVerwG, Beschluss vom 16.06.1989 – 6 P 10.86, AP § 8 BPersVG Nr. 3; Richardi/Dörner/Weber-Treber, § 8 Rn. 9 u. 34. 110 BVerwG, 6. Senat, Beschluss vom 16.06.1989 – 6 P 10.86, AP § 8 BPersVG Nr. 3.
E. Herleitung des personalvertretungsrechtlichen Unterlassungsanspruchs 323
II. Der Unterlassungsanspruch im öffentlichen Recht Für die Lösung des Problems bietet das öffentliche Recht eine eigenständige Lösung an. Allgemein wird präventiver Rechtsschutz durch den sog. öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruch gewährt. Dieses Instrument richtet sich gegen jedwedes hoheitliche Handeln und ist ein eigenständiges Institut des öffentlichen Rechts zur Bewahrung subjektiv-öffentlicher Rechte.111 1. Grundlagen und Voraussetzungen In der Literatur wird der öffentlich-rechtliche Unterlassungsanspruch im Zusammenhang mit dem allgemeinen Folgenbeseitigungsanspruch erörtert. So wird für die Herleitung in der Regel auf die Grundsätze zum Folgenbeseitigungsanspruch verwiesen.112 Zum Teil wird dieser Anspruch aus dem Rechtsstaatprinzip und der subjektiv-rechtlichen Dimension dieser Staatszielbestimmung, welche diese durch die Grundrechte erhielte, hergeleitet.113 Mittlerweile herrschend ist eine Ableitung aus dem status negativus der Grundrechte.114 Diese Vorgehensweise versagt aber in den Fällen, in denen einzelgesetzliche subjektive Rechte nicht auf Grundrechte zurückgehen.115 Eine weitere Ansicht verweist daher auf das in §§ 1004, 861, 12 BGB zutage tretende Rechtsprinzip, welches jede Verletzung subjektiver Rechte untersage.116 Dabei geht man nicht vom klassischen zivilrechtlichen Besitzstand aus, sondern entwirft das Prinzip im Hinblick auf das subjektivöffentliche Recht. So interpretiert etwa Brügger die Normen als Reaktion der Rechtsordnung auf rechtswidriges Verwaltungshandeln fall- und rechtsbezogen.117 Das Bundesverwaltungsgericht und die Instanzgerichte betonen die gewohnheitsrechtliche Anerkennung dieses richterrechtlichen Instituts.118 111
Laubinger, VerwArch 80 (1989), 261 (287). Zu dieser Verzahnung Ossenbühl, S. 299; Köckerbauer/Büllesbach, JuS 1991, 373 (375). 113 Mangoldt-Sommermann, Art. 20 Abs. 3 Rn. 271. 114 Rösslein, S. 75 ff.; Ossenbühl, S. 298; Schneider, S. 79. 115 Hierzu Roth, S. 856. 116 VG Hamburg, Urteil vom 11.10.2006 – 10 K 914/06 = juris; Roth, S. 857 ff.; Pietzko, S. 119 ff. 117 Brügger, JuS 1999, 625 (625 u. 630). 118 BVerwG, Urteil vom 26. August 1993 – 4 C 24/91 (Bargteheide), BVerwGE 94, 100, (103); VG Hamburg, Urteil vom 11.10.2006 – 10 K 914/06 = juris; VG Cottbus, Beschluss vom 8.2.2007 – 6 L 152/06 = juris; ebenfalls Brügger, JuS 1999, 625 (625). 112
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4. Kap.: Der Unterlassungsanspruch des Personalrats
Dogmatisch betonte das höchste Verwaltungsgericht Art. 20 Abs. 3 GG sowie die verfassungsrechtliche Herkunft des Instituts.119 In der BargteheideEntscheidung fundierte der Vierte Senat den Anspruch und betonte Art. 19 Abs. 4 GG.120 Es sei nicht zu bezweifeln, dass die Grundsätze des materiellen Rechtsstaates, zu denen auch die Grundrechte gehörten, bei rechtswidrigem Handeln eine Sanktion verlangten, die sich nicht im Zahlen einer Entschädigung erschöpfe.121 Die negatorische Behandlung rechtswidriger Beeinträchtigung durch den Staat sei Aufgabe eines effektiven Rechtsschutzes. Dem Anspruch auf effektiven Rechtsschutz diene nicht allein ein gerichtliches Verfahren, in dem eine Rechtsverletzung festgestellt werde, sondern er werde durch auf unmittelbare Abwehr der Rechtsverletzung gerichtete Ansprüche substantiiert. Es ist die letzte Konsequenz dieses Gedankens, die das Bundesverwaltungsgericht zur Annahme des Anspruchs veranlasst hat. Zwar dürfe grundsätzlich erwartet werden, dass ein Träger hoheitlicher Macht in eigener Entscheidung die gebotenen Folgerungen aus der durch ein Gericht festgestellten Rechtswidrigkeit seines Verhaltens ziehe und selbst rechtmäßige Zustände herstelle. Es seien aber Fälle denkbar – und der Bargteheide-Fall war nach Ansicht des Gerichts ein solcher –, in denen der Bürger auf einen materiell-rechtlichen Beseitigungsanspruch angewiesen sei, solle der verfahrensrechtliche Rechtsschutz, wie ihn etwa Art. 19 Abs. 4 GG garantiert, letztlich nicht leerlaufen. Die Begründungsentwürfe stehen in keinem Konkurrenzverhältnis zueinander, sondern ergänzen sich. Dass alle subjektiven öffentlichen Rechte Schutz genießen, ist unstrittig. Neben der Existenz eines subjektiven Rechts kommt es auf eine Störung durch hoheitliches Handeln an. Hoheitlich ist ein Handeln, wenn die betreffende Handlung von einem Träger der öffentlichen Verwaltung aufgrund und in Anwendung öffentlich-rechtlicher Normen vorgenommen wurde.122 In seiner vorbeugenden Dimension muss der Eingriff zu befürchten sein. Des Weiteren darf keine Duldungspflicht bestehen.
119
BVerwG, Urteil vom 19.7.1984 – 3 C 81.82, BVerwGE 69, 366 (368 ff.). Die Wirkungsweise von Art. 19 Abs. 4 GG und damit die Vorgabe des Bundesverwaltungsgerichts wird häufig nicht richtig verstanden. Art. 19 Abs. 4 benötigt zu seiner Wirkung keinen Unterlassungsanspruch, sondern nur ein subjektives Recht, also ein Beteiligungsrecht, das verkennt etwa OVG LSA, Beschluss vom 15.2.2012 – 6 M 3/11, PersR 2012, 326. 121 BVerwG, Urteil vom 26. August 1993 – 4 C 24/91 (Bargteheide), BVerwGE 94, 100, (103); Hervorhebung durch Verfasser. 122 Köckerbauer/Büllesbach, JuS 1991, 373 (373). 120
E. Herleitung des personalvertretungsrechtlichen Unterlassungsanspruchs 325
2. Die Anwendbarkeit auf das Personalvertretungsrecht Die entscheidende Frage lautet nun, ob die Beteiligungsrechte mittels des allgemeinen Unterlassungsanspruchs sicherbar sind. Die Herleitung des Sicherungssystems im BPersVG und die Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts in der Bargteheide-Entscheidung divergieren offensichtlich. Während der Sechste Senat den letzten Schritt hin zu Leistungsansprüchen nicht gehen will, geht der Vierte Senat den soeben skizzierten Schritt. Die Legitimation zu diesem Schritt rührt aus der Existenz eines subjektiven öffentlichen Rechts her, der Sechste Senat ging bisher nur von einem objektiven Recht auf Teilhabe aus.123 Die positive Beantwortung dieser Frage ist also an die Frage nach der Rechtsqualität der Beteiligungsrechte und damit auch an die Frage der Einordnung des Personalrats in den Verwaltungsapparat gekoppelt. a) Der allgemeine verfahrenssichernde öffentlich-rechtliche Unterlassungsanspruch Allein weil sie auf den Erlass einer Maßnahme ausgerichtet sind, können die Beteiligungsrechte jedenfalls nicht dem allgemeinen negatorischen Schutz entzogen werden. Der öffentlich-rechtliche Unterlassungsanspruch kann auch Verfahrensrechte sichern, so diese subjektive Rechte verkörpern. In diesem Fall besitzt der allgemeine öffentlich-rechtliche Unterlassungsanspruch verfahrenssichernden Charakter. Hierbei handelt es sich um eine nur selten besprochene wertungsoffene Problematik. Ossenbühl etwa bejaht negatorischen Rechtsschutz bei drohender formeller Rechtswidrigkeit.124 Dabei dürfen die Beteiligungsrechte des Personalrats nicht per se mit den Beteiligungsrechten eines Bürgers im allgemeinen Verwaltungsverfahren gleichgesetzt werden. Personalvertretungsrecht und Verwaltungsverfahrensrecht bilden zwei unterschiedliche Rechtsquellen. Das Bundesverwaltungsgericht sieht die Bürgerbeteiligung als nach außen gerichtet und das Personalvertretungsrecht als nach innen wirkend an.125 Ferner hat es diese Trennung der Beteiligung des Personalrats dahin gehend konkretisiert, dass trotz der Beteiligung der Entscheidung der Personalrat nicht als Behörde i. S. d. § 45 Abs. 1 Nr. 5 VwVfG NW und auch nicht als Beteiligter i. S. d. § 45 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG NW aufgefasst werden dürfe.126 Die zutreffende 123
Vgl. zur Abkehr von der These zum objektiven Verfahren S. 308 ff. Ossenbühl, S. 313. 125 BVerwG, Beschluss vom 21.6.1982 – 6 P 13/79, BVerwGE 66, 15 (18). 126 BVerwG, Beschluss vom 21.6.1982 – 6 P 13/79, BVerwGE 66, 15 (18); BVerwG, Urteil vom 24.11.1983 – 2 C 9/82, BVerwGE 68, 189 (193); die Normen stimmen mit den bundesrechtlichen überein. 124
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4. Kap.: Der Unterlassungsanspruch des Personalrats
Trennung nötigt zu einer sensiblen Auseinandersetzung mit dem Personalvertretungsrecht in Verbindung mit den verwaltungsrechtlichen bzw. staatshaftungsrechtlichen Vorgaben. Gegen die Anwendbarkeit des allgemeinen Unterlassungsanspruchs bestehen indes keine gesetzessystematischen Bedenken. Sie folgt nicht aus der engen Verbindung mit dem allgemeinen Verwaltungsrecht, sondern aus der Konfrontation eines subjektiven Rechts mit hoheitlichen Handlungen. Die Ausrichtung des allgemeinen Unterlassungsanspruchs erfolgt daher am subjektiven Recht und an den Vorgaben des Systems dieses Rechts.127 Eine Ausnahme über das Merkmal der Duldungspflicht ist aus Systemgründen (in erster Linie wird es um § 69 Abs. 5 BPersVG gehen) möglich. b) Die Beteiligungsrechte als subjektive Rechte Der allgemeine öffentlich-rechtliche Unterlassungsanspruch setzt ein subjektiv-öffentliches Recht voraus. Ein solches Recht erfordert nach herrschender dogmatischer Einteilung das Vorliegen einer Außenrechtsbeziehung. In der klassischen Systematik verläuft hier eine Trennlinie zwischen subjektiv-öffentlichem Recht und sonstigen öffentlichen Rechten. Denn nach herrschender Auffassung können Organrechte oder Zuständigkeiten innerhalb des Verwaltungsverfahrens keine subjektiven Rechte sein.128 Es besteht eine Wechselwirkung: Nicht nur das Vorliegen von Außenrecht begründet subjektive Rechte, die Existenz eines subjektiven Rechts bedingt wiederum Außenrecht. In der neueren Entwicklung ist diese Zweiteilung zunehmend in Frage gestellt worden, für die Fragestellung dieser Arbeit genügt es jedoch, wenn jedenfalls eine Außenrechtsbeziehung vorliegt. Die These, Personalvertretungsrecht sei Innenrecht, wurde vom Bundesverwaltungsgericht begründet.129 Eine ausdifferenzierte Beschreibung hat die Rechtsprechung bislang nicht geleistet. In personalvertretungsrechtlichen Fällen unternimmt das Bundesverwaltungsgericht keine detaillierte Begriffsklärung. Es wird lediglich erörtert, dass die Personalvertretung nicht 127
So wohl auch Wandtke, PersV 1987, 500 (501). Hoppe, NJW 1980, 1017 (1019) m. w. N.; Böckenförde, FS Wolff, 269 (303); Bauer/Krause, JuS 1996, 512 (513 f.); Bayer, LKV 1992, 56 (56); Diemert, S. 40 u. 47; teilweise auch a. A.: Roth, S. 491, für das Recht an der Kompetenz; gänzlich a. A.: Kopp/Schenke, § 42 Rn. 80. 129 BVerwG, Beschluss vom 15.3.1995 – 6 P 31/93, NVwZ 1997, 80 (80), BVerwG, Beschluss vom 28.06.2000 – 6 P 1/00, BVerwGE 111, 259 (262); OVG Hamburg, Beschluss vom 29.11.2002 – 8 Bs 328/02 PVL = beck-online; OVG Münster, Beschluss vom 30.06.2005 – 1L A 2358/03 = beck-online; zustimmend: Lechtermann, PersV 2006, 4 (10). 128
E. Herleitung des personalvertretungsrechtlichen Unterlassungsanspruchs 327
rechtlich verselbständigt und nicht organisatorisch aus der Dienststelle ausgegliedert sei, bei der der Personalrat gebildet werde. Der Personalrat sei lediglich innerhalb der Dienststelle organisatorisch verselbständigt und dienststellenintern mit eigenen Aufgaben und Befugnissen ausgestattet.130 Damit beschreibt das Bundesverwaltungsgericht den Personalrat als Organ innerhalb der Verwaltungsorganisation. aa) Innen- und Außenrecht Der Begriff des Außenrechts leidet seit jeher an der Konnotation „außerhalb des Staates“. Aber lediglich nach einer in einem überkommenen Dualismus denkenden Ansicht rührt die Unterscheidung Innenrecht/Außenrecht aus dem Gegenüber von Staat und Bürger her.131 Die genaue Trennlinie war ebenso wie die Abgrenzung von Zweifelsfällen lange kontrovers. Inzwischen kann u. a. die Ansicht, welche die beiden Rechtsbereiche nach den Erzeugungsregeln abgrenzte, als überholt gelten.132 Überwiegend wird heute das jeweilige Rechtsverhältnis am Maßstab der Rechtssubjektivität der Akteure analysiert. Jede einzelne Rechtsbeziehung ist dabei gesondert einzuordnen. Innenrecht kann dann auf die Rechtssätze innerhalb einer juristischen Person bzw. eines Rechtssubjektes bezogen werden.133 Treffend bezeichnen Rupp und Schmidt-De Caluwe das Innenrecht als die Normen, die den „organschaftlichen Funktionsablauf zwischen Organwaltern, Organen und Organismus betreffen“. Das Außenrecht hingegen fassen sie als „Komplex von Rechtsrelationen“ auf, durch die das Verhältnis der Verwaltungsorganisation zu Subjekten, die nicht in einer Organfunktion (sc. dieser) begriffen sind, bestimmt wird.134 Nach nunmehr herrschender Meinung ist auch das zwischen Rechtssubjekten der Verwaltung bestehende Recht Außenrecht.135 Auf Vollrechtsfähigkeit kommt es nicht an, entscheidend ist die im Verhältnis zweier Subjekte bestehende relative Rechtsfähigkeit.136 Präzisiert wird die Abgrenzung über den Normadressaten: Innenrecht liegt vor, wenn eine Regelung an ein 130
BVerwG, Beschluss vom 26.02.2003 – 6 P 9.02; AP § 81 ArbGG 1979 Nr. 55. Maurer, § 3 Rn. 6; Peine, Rn. 187. 132 Vgl. Schwabe, JA 1975, 45 (48). 133 Krebs, in: Hb. des StR, § 108 Rn. 34; Schmidt-De Caluwe, JA 1993, 115 (116): Grenze ist der Verwaltungsträger (Organismus); Roth, S. 155; Hoppe, NJW 1980, 1017 (1018); auf Hoppe beruft sich im Übrigen das Bundesverwaltungsgericht. 134 Rupp, S. 34; Schmidt-De Caluwe, JA 1993, 115 (115); Roth, S. 156; zustimmend: Schnapp, AöR, 105 (1980), 243 (250 f.). 135 Schmidt-De Caluwe, JA 1993, 133 (115 f.); Maurer, § 3 Rn. 5 f.; Peine, Rn. 49 u. 187 f.; Erbguth, § 5 Rn. 3; Roth, S. 155. 136 Vgl. Diemert, S. 64 m. w. N.; Roth, S. 512 ff. 131
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4. Kap.: Der Unterlassungsanspruch des Personalrats
in Wahrnehmung von Organfunktionen begriffenes Subjekt adressiert ist.137 Dies wiederum ist der Fall, wenn die Rechtsätze die Wahrnehmung und Handlungsfähigkeit einer Organisation sicherstellen und auf diesem Weg die Voraussetzung geschaffen wird, dass Rechte und Pflichten wahrgenommen werden. In Zweifelsfällen kommt es darauf an, ob nach dem Willen des Regelsetzers die Adressaten im Innen- oder Außenverhältnis zueinander positioniert werden sollen.138 bb) Die Struktur von Innenrecht und Außenrecht im Personalvertretungsrecht Als maßgeblich für die Einordnung erweist sich daher die Position des Personalrats im Verhältnis zur Dienststelle bzw. dem Rechtsträger der Dienststelle. Vorrangig muss die Frage nach der Rechtsfähigkeit bzw. nach einer organisationsrechtlichen Qualität gestellt werden. Man kann zwei Lösungsmodelle erwägen: die gesetzgeberische Inkorporation eines auf die Interessenvertretung gerichteten Vertreters in den Verwaltungsablauf und -apparat oder die gesetzgeberische Entscheidung, durch den Personalrat einen externen Interessenvertreter der Belegschaft an der Entscheidungsfindung zu beteiligen. Im ersten Fall läge Innen-, im zweiten Außenrecht vor. In einem solchen Zweifelsfall kann lediglich der gesetzgeberische Wille entscheiden. Offensichtlich beabsichtigt der Gesetzgeber eine praktische Konkretisierung des Personalvertretungsrechts auf die Institutionen Personalrat und Dienststelle bzw. Dienststellenleiter. Dabei hat der Gesetzgeber im BPersVG jedenfalls kein reines Innenrecht setzen wollen, anders ließe sich das Zugangsrecht der Gewerkschaften in § 2 Abs. 2 BPersVG nicht erklären. (1) Die Funktion der Dienststelle für das Personalvertretungsrecht Die Einordnung des Personalvertretungsrechts in der Rechtsprechung geht einher mit der Qualifikation des Personalrats als einem internen Organ der Dienststelle.139 Eine Begriffsbestimmung und die genaue Einordnung der Dienststelle hat der Gesetzgeber unterlassen. Nach der Definition des Bundesverwaltungsgerichts verkörpern Dienststellen organisatorische Einheiten, denen ein selbstständiger Aufgabenbereich obliegt und die innerhalb der Verwaltungsorganisation verselbstständigt sind.140 137 138 139 140
Vgl. Diemert, S. 65 f. Diemert, S. 66; Schwabe, JA 1975, 45 (50). Etwa: BVerwG, Beschluss vom 1.10.1993 – 6 P 7/91 = juris. BVerwG, Beschluss vom 13.8.1986 – 6 P 7/85 NVwZ 1987, 807 (808).
E. Herleitung des personalvertretungsrechtlichen Unterlassungsanspruchs 329
Das Personalvertretungsrecht findet in den Dienststellen statt. Über diese Organisationseinheit baut sich die Personalverfassung in der Verwaltung auf. Die Relevanz des Dienststellenbegriffs folgt v. a. aus ihrer die Personalverfassung konstituierenden Funktion vor den allgemeinen Befugniszuweisungen innerhalb der Verwaltung. Erst die dem Leiter der Einrichtung mit deren organisatorischen Verselbständigung zuwachsende Regelungskompetenz im personellen und sachlichen Bereich schafft die Grundlage für das in § 2 Abs. 1 BPersVG geforderte vertrauensvolle Zusammenwirken zwischen ihm und der Personalvertretung.141 Diese Kompetenz des Dienststellenleiters rührt nicht originär aus seiner Eigenschaft als „Vorsitzender“ einer Organisationseinheit der Personalverfassung, sondern aus der allgemeinen Verwaltungsorganisation her und damit aus den vor der Einrichtung der konkreten Personalverfassung vorhandenen hoheitlichen Befugnissen. Die Funktion des Begriffs des Leiters der Dienststelle ist damit allein in der personellen Zu- und Einordnung begrenzt. Der Leiter ist ein Organ des Rechtsträgers der Dienststelle. Vergleicht man die identischen Funktionen des Betriebs- und des Dienststellenbegriffs in §§ 1, 4 BetrVG und §§ 1, 6 BPersVG, so verbietet sich die Annahme jedweder – aktiver oder passiver – Rechtsfähigkeit der Dienststelle. Auf nichts anderes würde aber das rechtliche Konstrukt der Verfahrensansprüche gegenüber der Dienststelle hinauslaufen. Die Beteiligungsrechte bestehen vielmehr gegenüber dem Rechtsträger der Dienststelle – ebenso wie sie dem Arbeitgeber gegenüber bestehen. Die Dienststelle ist keine Rechtsinstitution, sondern das Organisationselement der Personalverfassung.142 Dieses rein organisatorische Verständnis deckt sich damit, dass der Gesetzgeber allein die Rechtsstellung (Aufgaben und Befugnisse) des Personalrats mit dem BPersVG regeln bzw. begründen wollte.143 (2) Die Bedeutung des Rechtsträgers für das Personalvertretungsrecht Dem Personalvertretungsrecht liegt auf den ersten Blick ein zweiseitiges Verständnis (Personalrat – Dienststelle/Dienststellenleiter) zugrunde. Ein dritter Akteur tritt nicht auf. Durch die praktische Fokussierung dieser Akteure werden aber die genauen rechtlichen Beziehungen verwischt bzw. nicht näher benannt. So spricht § 75 Abs. 1 Nr. 1 BPersVG nur von Einstellung, ohne zu präzisieren, wer aus dem Blickwinkel des Personalvertretungsrechts eigentlich einstellt. Tatsächlich steht hinter der Dienststelle der Rechtsträger der Behörden, Verwaltungsstellen oder Betriebe i. S. v. § 6 141 142 143
BVerwG, Beschluss vom 13.8.1986 – 6 P 7/85 NVwZ 1987, 807 (808). Ebenso: Laubinger, VerwArch 76 (1985), 449 (460). Bt.-Drs. 7/176 S. 26; Bt.-Drs. 7/1373 S. 2.
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4. Kap.: Der Unterlassungsanspruch des Personalrats
Abs. 1 BPersVG. Es entspricht dabei auch der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts, die Rechtsrelationen des Beschäftigten i. S. d. BPersVG auf den Rechtsträger der Einrichtungen der §§ 1, 6 BPersVG hin zu entwerfen.144 Darin findet sich ein tiefer greifendes Phänomen der Personalverfassung wieder: Die rechtlichen Beziehungen sind auf den Rechtsträger hin entworfen, obgleich das Gesetz diesen in keiner Silbe erwähnt.145 Es setzt diese Annahme ebenso voraus, wie es die Verwaltungsorganisation voraussetzt, auf der das Gesetz aufbaut. Die Rechtsbeziehungen werden auch anhand des § 44 BPersVG für die Praxis deutlich. Durch die Kostentragungspflicht wird nicht – wie es der Wortlaut nahelegt – ein Anspruch gegenüber der Dienststelle, sondern gegenüber dem Rechtsträger der Dienststelle begründet.146 Die Bedeutung des Rechtsträgers dokumentiert sich ferner daran, dass dessen Rechtsform für die Abgrenzung von Betriebs- und Personalverfassungsrecht maßgebend ist.147 Die Beteiligungsrechte bestehen somit gegenüber dem Arbeitgeber bzw. dem Rechtsträger. Das BPersVG sorgt dann dafür, dass diese Ansprüche in der Dienststelle vom Dienststellenleiter erfüllt werden und die mitbestimmungspflichtigen Angelegenheiten grundsätzlich bei den organisatorischen Einheiten angelegt sind, also die notwendige Sachnähe gegeben ist. Diese beiden Aspekte rechtfertigen die rechtsorganisatorische Zwischenschaltung der Dienststelle. Im Gegenüber von Rechtsträger und Personal-, Bezirkspersonal- sowie Hauptpersonalräten baut sich die Personalverfassung dann in den einzelnen Dienststellen und hierarchisch am jeweiligen Rechtsträger auf, vgl. § 53 BPersVG. (3) Das Verhältnis Dienststelle – Dienststellenleiter als Innenrecht In der Rechtsbeziehung Dienststelle (Rechtsträger) – Dienststellenleiter liegt im Grundsatz unproblematisch Innenrecht der Verwaltung vor. Nach § 7 BPersVG handelt der Dienststellenleiter für die Dienststelle. Das kom144 BAG, Urteil vom 19.04.2007 – 2 AZR 180/06, AP § 174 BGB Nr. 20; BVerwG, Beschluss vom 20.5.1992 – 6 P 4.90 – BVerwGE 90, 194 (197) m. w. N. 145 Kritisch insoweit Laubinger, VerwArch 76 (1985), 449 (459); wohl auch Becker, S. 19. 146 Richardi/Dörner/Weber-Richardi, Einleitung, Rn. 85; Richardi/Dörner/WeberJacobs, § 44 Rn. 52 f. 147 Richardi/Dörner/Weber-Richardi, Einleitung, Rn. 58; BVerwG, Beschluss vom 27.4.1983 – 6 P 3.81, DVBl. 1984, 44 (45). a. A.: BVerwG, Beschluss vom 26.02.2003 – 6 P 9/02, BVerwGE 118, 1 (6): Kostentragungspflicht der Dienststelle (ohne korrespondiere Berechtigung).
E. Herleitung des personalvertretungsrechtlichen Unterlassungsanspruchs 331
plettiert eine typische Struktur des Innenrechts: Einer Pflicht im Außenrecht entspricht eine Pflicht eines Organs bzw. Organwalters im Innenrecht, diese Außenrechtspflicht zu erfüllen.148 Die Beteiligungsrechte des Personalrats erfüllt der Dienststellenleiter, ein Organ der Dienststelle bzw. des Rechtsträgers der Dienststelle. Das grundsätzliche Verhältnis Dienststelle – Dienststellenleiter wird dabei über die allgemeine Verwaltungsorganisation bestimmt. Die Begriffe Dienststellenleiter und Dienststelle haben im Innenrecht eindeutig organisatorischen Charakter. In der Außenbeziehung legen sie den Ansprechpartner des Personalrats fest. Jedenfalls konstituiert sich in dieser Rechtsbeziehung die Dienststelle bzw. der Teil des Rechtsträgers gegenüber dem Personalrat. (4) Das Verhältnis Dienststelle (Rechtsträger) Personalrat als Außenrecht Nach der Festlegung der rechtlichen Parameter kann die gesetzgeberische Einordnung des personalvertretungsrechtlichen Mitbestimmungsstatuts geklärt werden. Die gesetzgeberischen Vorgaben in den Materialien sind wenig hilfreich. Der Gesetzesentwurf 1973 der SPD-/FDP-Fraktionen definierte das Personalvertretungsrecht als System der internen Willensbildung bei innerdienstlichen Entscheidungen der Verwaltung.149 Ein solches System kann aber auch über die rechtliche Verselbstständigung des Personalrats erreicht werden. (a) Die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts Eine genauere Erfassung des Personalrats und der ihm zustehenden Rechte ergibt sich aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts sprach 1976 dem Personalrat in Übereinstimmung mit der herrschenden Literatur die eigene Rechtspersönlichkeit ab.150 Dogmatisch verknüpfte das Gericht diese Annahme mit der Vertretereigenschaft des Personalrats für die Bediensteten als eigentliche Träger von Rechten. 1979 präzisierte das Gericht seine Auffas148
Schwabe, JA 1975, 45 (50). Vgl. Bt.-Drs. 7/176, S. 1. 150 BVerfG, Entscheidung vom 31.08.1976 – 2 BvR 467/76, AuR 1977, 347; zu dem terminologischen Problem der Rechtspersönlichkeit: Diemert, S. 63 f. Das Bundesverfassungsgericht hat dem Personalrat nur eine Rechtspersönlichkeit in Bezug auf die Grundrechte abgesprochen, denn wie Böckenförde treffend bemerkt hat, ist auch der Begriff der Rechtspersönlichkeit ein relativer, vgl. Böckenförde, FS Wolff, 269 (282). 149
332
4. Kap.: Der Unterlassungsanspruch des Personalrats
sung. Demnach sei der Personalrat einer vom Staat distanzierten („gegenüber dem Staat“), dem Lebensbereich der Bürger zuzuordnenden und der Verwirklichung individueller Grundrechte dienenden Einrichtung zumindest nahegerückt.151 Die Distanz zum Staat entnahm das Gericht der grundlegenden Aufgabenstellung zur Wahrung der Rechte der Beschäftigten. Zugleich distanzierte sich das Gericht in Bezug auf den Personalrat ausdrücklich von dem Verständnis einer unselbstständigen Stelle der Exekutive, die ausschließlich öffentliche Aufgaben wahrnehme.152 Der Personalrat sei zwar auch eine in den organisatorischen Aufbau eingebettete Institution, aber eben nicht als Teil des Staates. Das Bundesverfassungsgericht exkorporierte damit den Personalrat aus dem Staatsgebilde. Die strukturelle Verortung der Beteiligungsrechte in der Sphäre der Bediensteten als Bürger verlegte das Gericht damit dogmatisch nach außen. (b) Die partielle Entsprechung des Bundesverwaltungsgerichts Dem stellt sich bis heute das Bundesverwaltungsgericht entgegen. Die Stellung des Personalrats sei zwar eine solche gegenüber dem Dienststellenleiter, und in dieser Position sei der Personalrat Träger eigenständiger personalvertretungsrechtlicher Rechte und Pflichten. Im Übrigen aber sei er nicht aus der Dienststelle – als ein ihr gegenüber rechtlich verselbstständigter Teil – ausgegliedert oder sonst von ihren rechtsstaatlichen Bindungen losgelöst, sondern ein Teil der Dienststelle.153 Das Gericht begründete diese Einordnung u. a. mit der Bindung an das Gesetz und die Tarifverträge nach § 2 Abs. 1 BPersVG. Dieses Argument verfängt nicht, weil diese wegen ihres zwingenden und unmittelbaren Charakters auch ohne § 2 Abs. 1 und ungeachtet der Zuordnung zu Innen- oder Außenrecht für den Personalrat gelten würden. 151 BVerfG, Beschluss vom 27.3.1979 – 2 BvR 1011/78, BVerfGE 51, 77 (87), Hervorhebung durch das Gericht; zur Fähigkeit des Personalrats, die prozessualen Grundrechte nach Art. 101, 103 GG wahrzunehmen: BVerfG, Beschluss vom 26.5.1970 – 2 BvR 311/67, AP Art. 9 GG Nr. 18; Richardi/Dörner/Weber-Richardi Einl. Rn. 82. 152 BVerfG, Beschluss vom 27.3.1979 – 2 BvR 1011/78, BVerfGE 51, 77 (86); den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zum schleswig-holsteinischen BetrVG zu weit auslegend und darin eine Abkehr von der Exklusionsthese erblickend: v. Roetteken, PersR 1997, 233 (233). Die Ausübung von Staatsgewalt oder die Partizipation kann nicht zugleich die Inklusion in den Staat bedeuten. Zu den Aussagen des Urteils detailliert unten: S. 240 ff. 153 BVerwG, Beschluss vom 15.03.1995 – 6 P 24/93 = juris Rn. 18; BVerwG, Beschluss vom 26.02.2003 – 6 P 9/02, BVerwGE 118, 1 (6).
E. Herleitung des personalvertretungsrechtlichen Unterlassungsanspruchs 333
(c) Die Rechtsstellung des Personalrats im BPersVG Aus dem eingangs zur Unterscheidung von Innen- und Außenrecht Gesagten folgt, dass es maßgeblich auf die Rechtssubjektivität und die damit einhergehende Rechtsbeziehung zwischen Personalrat und dem Rechtsträger der Dienststelle ankommt. Der Personalrat verfügt zwar über keine umfassende Rechtspersönlichkeit, er ist nicht umfassend rechts- und vermögensfähig.154 Allerdings ist dieser Umstand nicht ausschlaggebend. Denn in Bezug auf die ihm vom BPersVG zugewiesenen Rechte nimmt man unstrittig eine partielle Rechtsfähigkeit des Personalrats gegenüber dem Arbeitgeber/ Dienstherrn an.155 Diese Eigenschaft wiederum genügt für Außenrecht. Die relative Rechtsfähigkeit ist auch deshalb wichtig, weil sie die Abgrenzung zu anderen Rechtssubjekten (wie etwa dem Rechtsträger der Dienststelle) ermöglicht. Diese Abgrenzung liefern vorrangig die Beteiligungsrechte. Es ist aber seit jeher fraglich, ob diese Rechte oder Zuständigkeiten bzw. Kompetenzen im Sinne der Verwaltungsorganisation sind.156 Hier könnte die Verwendung des Begriffs der Zuständigkeit in § 83 BPersVG als Indiz für Innenrecht verstanden werden. Einem solchen Verständnis des Begriffs ist der Gesetzgeber aber mit der Addition des Begriffs der Rechtsstellung entgegengetreten, zudem hätte sich ein derartiges Verständnis nicht mit dem Anspruch aus § 43 BPersVG a. F. vertragen. Wiederum ein einseitiges Pflichtensystem legt die Formulierung der Mitbestimmungstatbestände nahe, Formulierungen wie hat mitzubestimmen (§ 75 f.), kann Zustimmung verweigern (§ 77 BPersVG), wirkt mit (§§ 78 Abs. 1, 79 BPersVG), ist anzuhören (§§ 78 Abs. 3 und 5, 79 Abs. 3 BPersVG). Dieses Phänomen erklärt sich aber aus der Absicht des Gesetzgebers, einzig die Rechtsstellung des Personalrats regeln zu wollen. In den Materialien findet der Gesetzgeber eindeutige Worte, da er die Rechtspositionen als Mitbestimmungsrechte tituliert.157 Bereits 1954 sprach der Gesetzgeber von der Geltendmachung dieser Rechte und der Ausübung des Rechts auf Mitbestimmung.158
154 Ilbertz/Widmaier/Sommer, § 1 Rn. 35; Altvater/Baden/Kröll/Lemcke/Peiseler, § 1 Rn. 13b. 155 Altvater/Baden/Kröll/Lemcke/Peiseler, § 1 Rn. 13b; Ilbertz/Widmaier/Sommer, § 1 Rn. 35 f. 156 von Roetteken, PersR 1997, 233; Hecker, PersV 1981, 190; Laubinger, VerwArch 76 (1985), 449; vgl. auch Rehak, FG Lorenzen, 47 (51). 157 Bt.-Drs. 7/1373, S. 5 f. 158 Bt.-Drs. 2/160 (neu), S. 9.
334
4. Kap.: Der Unterlassungsanspruch des Personalrats
(d) Die Unabhängigkeit des Personalrats Der Personalrat besitzt nicht nur gegenüber der Dienststelle bzw. dem Rechtsträger eigene Rechte: die Geltendmachung dieser Rechte ist auch der Steuerbarkeit der Verwaltung entzogen. Gerade diese Unabhängigkeit gegenüber der Dienststelle in der Geltendmachung des Rechts erweist sich als maßgebender Faktor für Außenrecht. Zutreffend weisen daher Söllner/Reinert auf das eigenständige Wesen der Personalvertretung als Vertreterin der Beschäftigtengemeinschaft hin.159 (aa) Dienstpflichten und § 28 BPersVG Der Personalrat unterliegt weder Weisungen des Dienstherrn noch Aufträgen der Belegschaft.160 Die Pflichten des Personalrats sind keine Dienstpflichten und folglich nicht den dienstlichen Disziplinarmaßnahmen unterstellt.161 Dies stärkt die Unabhängigkeit gegenüber dem Rechtsträger und den Dienststellenleitern. Der Personalrat ist vielmehr zum Rechtskreis der Beschäftigten zu zählen und repräsentiert deren Gesamtinteressen; er ist rechtlich von der Dienststelle unabhängig.162 Der Personalrat nimmt seine Beteiligungsrechte gegenüber den Verantwortlichen der Dienststelle wahr. Dabei trifft ihn nur „Aufsicht“ i. S. v. § 28 BPersVG. Die Norm räumt den von der Aufgabenwahrnehmung unmittelbar Betroffenen ein Auflösungs- oder Ausschlussrecht ein. Durch § 28 Abs. 1 S. 3 BPersVG wird auch der Verwaltungsträger gegen grobe Verstöße des Personalrats abgesichert. Tatsächlich privilegiert die Norm den Personalrat, wenn nur grobe Pflichtverletzungen geahndet werden. Wäre er in das Innenverhältnis einbezogen, bedürfte es des § 28 Abs. 1 S. 3 BPersVG nicht. Die Auflösung fiele in die Organisationsgewalt des Verwaltungsträgers. § 28 BPersVG ist damit ein Ausdruck der dem Personalrat zukommenden Amtsausübungsfreiheit. § 28 PersVG belegt somit nicht nur die Unabhängigkeit des Personalrats, er macht in systematischer Interpretation die Exklusion des Personalrats aus dem Verwaltungsträger deutlich und dokumentiert, dass die Pflichten des Personalrats keine Dienstpflichten sind.
159
Söllner/Reinert, S. 61. MünchArbR-Germelmann (2. Aufl.), § 369 Rn. 1; Becker, S. 14; Grabendorff, PersV 1958, 1 (2). 161 Ilbertz/Widmaier/Sommer, § 28 Rn. 3 ff.; Hecker, PersV 1981, 190 (193); Windscheid, ZBR 1956, 169 (171). 162 Altvater/Baden/Kröll/Lemcke/Peiseler, § 1 Rn. 13d; v. Roetteken, PersR 1997, 233 (237). 160
E. Herleitung des personalvertretungsrechtlichen Unterlassungsanspruchs 335
(bb) Pflichten des Personalratsamtes als Amtspflichten? Jenseits von Abhängigkeit und Organschaft müssten die Zuordnung des Personalrats zur Sphäre des Staates und die Einordnung der Pflichten des Personalrats zur ordnungsgemäßen Aufgabenerfüllung eigentlich eine Einordnung in das System der Amtspflichten begründen. Dann wäre ein adäquat kausaler, auf ein Versäumnis des Personalrats zurückgehender Schaden über § 839 BGB für Beamte oder Angestellte ersetzbar. Gerade dieser Gedanke führte zu einer Umwertung der gesetzgeberischen Vorstellungen. Als Interessenvertreter der Beschäftigten gehen Fehler des Personalrats zulasten der Beschäftigten. Besonders deutlich wird dies bei der Beteiligung an Kündigungen und der dort etablierten Sphärentheorie. Die Ordnungsgemäßheit der Kündigung vor § 79 Abs. 4 BPersVG berühren solche Fehler nicht, die aus dem Zuständigkeits- und Verantwortungsbereich des Personalrats stammen.163 Wegen § 839 BGB, Art. 34 GG müsste der Staat für einen Fehler des Repräsentationsorgans derer einstehen, zulasten derer dieser Fehler eigentlich von der Risikozuordnung gehen müsste. Unter Betonung des bestehenden Spannungsverhältnisses und des Gegenübers verneinte auch das OVG Saarland164 ein Amt im Sinne der öffentlich-rechtlichen Verwaltungsorganisation. Richtig sind daher die Zuordnung von Amtspflichtverletzungen in eine eigene Kategorie und eine eigenständige Sanktionierung über § 28 BPersVG.165 Ausweislich dieser Risikozuordnung verbietet sich die Einordnung als Teil der Verwaltung. (cc) Ergebnis Die Eigenständigkeit des Personalrates wird durch zwei weitere Punkte ermöglicht, die der Gesetzgeber ausdrücklich festgelegt hat: die eigenen Rechte innerhalb des Aufgabenfeldes und ein diese begleitender Kostendeckungsanspruch. Der Personalrat stellt nach alledem ein eigenständiges und teilrechtsfähiges Gremium dar. Er tritt im Verhältnis zur Dienststelle als geschlossene Einheit auf und steht dem Dienststellenleiter frei gegenüber, ohne ihm unterstellt zu sein.166 Seine Rechtsausübung geschieht unabhängig.
163 164
Richardi/Dörner/Weber-Benecke, § 79 Rn. 120. OLG Saarland, Beschluss vom 23.12.1986 – 2 W 1096/86, RiA 1987, 95
(96). 165
Wißmann, FS BVerwG, 71 (74). Grabendorff, PersV 1958, 1 (2), so auch BVerfG, Beschluss vom 27.03.1979 – 2 BvR 1011/78, BVerfGE 51, 77 (86 f.). 166
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4. Kap.: Der Unterlassungsanspruch des Personalrats
(e) Das System des BPersVG Für den Willen des Gesetzgebers, den Personalrat im Außenrecht einzuordnen, könnte auch das System des BPersVG sprechen. Nur in räumlichorganisatorischer Hinsicht ist der Personalrat untrennbar mit der Dienststelle vereint. Er nutzt i. d. R. das Dienstgebäude, da die nach § 44 Abs. 2 BPersVG zu überlassenden Räume sich innerhalb des Dienstgebäudes befinden müssen.167 (aa) Die verschiedenen Zuordnungs- und Zurechnungssubjekte Das BPersVG baut sich dualistisch auf. Das äußert sich v. a. in der Konstituierung der Dienststellenparteien. Während der Dienststellenleiter qua § 7 eindeutig der Dienststelle und damit dem Rechtsträger zugeordnet wird, fehlt eine § 7 S. 1 BPersVG vergleichbare, den Personalrat in die Dienststelle bzw. in den Rechtsträger einordnende Norm. Für den Personalrat sieht § 32 Abs. 1 S. 3, Abs. 3 BPersVG vor, dass er einen ihn vertretenden Vorstand erhält. Der Personalrat wird damit zu einer Zuordnungseinheit. Hieraus kann man folgern, dass er rechtlich verselbstständigt und der Dienststelle entrückt ist. § 12 BPersVG steht dem nicht entgegen. Zwar spricht die Norm davon, dass in allen Dienststellen Personalräte zu wählen sind. Die Norm hat aber nur die Funktion, die Personalverfassung zu organisieren. Mit ihr geht nicht zwingend einher, dass der Personalrat der Dienststelle auch zugeordnet sein muss. (bb) Die systematische und rechtliche Zweiteilung Für zwei unabhängige Rechtssubjekte streitet auch die Existenz des Instituts der Dienstvereinbarung nach § 73 BPersVG. Ganz herrschend wird sie als rechtsgeschäftliche Vereinbarung aufgefasst.168 Parteien sind wiederum der Rechtsträger der Dienststelle und der Personalrat.169 Daraus kann entnommen werden, dass die Beteiligungsrechte gegenüber dem Rechtsträger bestehen. Die Beteiligungsrechte sind inhaltlich auf eine Einigung gerichtet. Die Vertretungsbefugnis der Dienststellenverantwortlichen rührt ebenfalls aus der allgemeinen Verwaltungsorganisation in Verbindung mit der Befugnis aus dem BPersVG her. In der Unterteilung von Dienststelle und Per167 168 169
Richardi/Weber/Dörner-Jacobs, § 44 Rn. 73. Vgl. Richardi/Dörner/Weber-Weber, § 73 Rn. 5. Richardi/Dörner/Weber-Weber, § 73 Rn. 9.
E. Herleitung des personalvertretungsrechtlichen Unterlassungsanspruchs 337
sonalrat in § 73 Abs. 1 S. 2 BPersVG kommt demzufolge die rechtliche Unterteilung zum Ausdruck. Man kann daher auf eine Trennung der Rechtssphären schließen. Diese Trennung von Dienststelle und Personalrat zieht sich durch das gesamte BPersVG hindurch (vgl. § 46 Abs. 4 BPersVG). § 74 BPersVG nimmt eine eindeutige zeitliche Zuteilung vor. Absatz 1 spricht davon, dass einer Durchführung der Entscheidung die Beteiligung voranzugehen hat. Zugleich ordnet er die Ausführungsbefugnis (im Zweifel) der Dienststelle zu. Erneut zeigt sich das Gegenüber von Dienststelle und Personalrat. Denn im Fall der Organschaft würde die Dienststelle ja ebenfalls die Entscheidung durchführen. Ebenso wird der Zusammenhang von Dienststelle und Personalrat in § 2 Abs. 1 BPersVG deutlich. So arbeiten von der juristischen Konstruktion nicht etwa Dienststellenleiter und Personalrat auf ein Ergebnis der Dienststelle hin, sondern die Dienststelle und der Personalrat auf ein gemeinsames Ergebnis. (cc) Die fehlende demokratische Legitimation als Ausdruck des Außenrechts Die Feststellung der Aufgabenwahrnehmung für den Staat ist auch vor der andernorts häufig bemängelten fehlenden demokratischen Legitimation des Personalrats nicht durchhaltbar. Dessen Stellung außerhalb des Staates wird vor dem Hintergrund des Demokratieprinzips170 noch deutlicher. Die Wahrnehmung von Verwaltungsaufgaben ist an die Legitimationskette gebunden. Der Personalrat steht außerhalb dieser Kette. Es ist zwar möglich, dass die Legitimation nach außen gelangt. Innenrecht hingegen zeichnet sich aber dadurch aus, dass es sich auf Einheiten bezieht, die diese Legitimierung aufweisen. Das Fehlen einer solchen Legitimierung stellt damit ein weiteres Indiz für eine Außenrechtsbeziehung dar. In verfassungskonformer Rechtseinordnung ist daher von Außenrecht auszugehen. (dd) Die Parallele zum Verwaltungsverfahren Auch wenn das Verhältnis des Personalvertretungsrechts zum Verwaltungsorganisationsrecht problematisch ist und eine weitgehende Einbettung in das VwVfG ausgeschlossen wurde, kann man im Hinblick auf die Konstruktion zwei vergleichbare Muster herausarbeiten. Einerseits könnte der Personalrat im Rahmen des internen Verwaltungsverfahrens eingesetzt werden, an dessen Ende mit der Maßnahme ein Produkt steht, oder er könnte 170
Vgl. auch Klein, PersV 1990, 49 (53); dazu ausführlich S. 352.
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4. Kap.: Der Unterlassungsanspruch des Personalrats
mit einem Bürger gleich selbst am Ende eines „Verwaltungsverfahrens“ stehen. Im Entwurf von 1954 zog der Gesetzgeber die Parallele zum regelrechten Verwaltungsverfahren im Hinblick auf Fristen sowie die Notwendigkeit schriftlicher und begründeter Entscheidungen.171 Das Verfahren ähnelt damit einem Verfahren im Außenverhältnis. Der Gesetzgeber hat folglich neben das allgemeine Verwaltungsverfahren ein weiteres (anderes) Beteiligungsverfahren gesetzt. (f) Der Personalrat ein Organ der Verwaltung? Die Abgrenzung von Innen- und Außenrecht wird bislang in der personalvertretungsrechtlichen Literatur anhand der Organqualität des Personalrats diskutiert. Das ist nicht unproblematisch, weil über einen Begriff des allgemeinen Verwaltungsorganisationsrechts die Sonderstellung der Personalräte leicht verzerrt werden könnte. Grabendorff nannte denn auch die Kategorisierung eine in ihren Konsequenzen nicht unbedenkliche Überspitzung eines Gesichtspunkts.172 Auch Böckenförde musste feststellen, dass über den Begriff des Organs noch ein gutes Stück Begriffsjurisprudenz in der Verwaltungswissenschaft wirke.173 Der tatsächliche Geltungsgrund dieser Diskussion liegt in der Problematik begründet, dass die Aufgabenwahrnehmung des Personalrats auch der Dienststelle dienen soll; vgl. §§ 2 Abs. 1, 61 Abs. 1 Nr. 1 BPersVG.174 (aa) Der Organbegriff in der Rechtsprechung und Literatur Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts soll sich die Organeigenschaft primär aus der Tatsache ergeben, dass das Handeln des Personalrats funktionell mit dem behördlichen Handeln eng verbunden sei.175 Dieser Umstand rührt aber aus der zu regelnden Materie denknotwenig her ohne diese Annahme zu erzwingen. Das Personalvertretungsrecht muss konstruktiv nach innen gerichtet sein, da die Interessen Interner tangiert werden. In der Literatur wird überwiegend auf den Organbegriff des allgemeinen Verwaltungsrechts rekurriert.176 Im Anschluss an Wolff wird das Organ als 171
Bt.-Drs. 2/160 (neu), S. 9. Grabendorff, PersV 1958, 1 (2); Laubinger, VerwArch 76 (1985), 449 (458): Etikettierung mit geringem Wert, juristisch substanzlos, ja irreführend. 173 Böckenforde, FS Wolff, 269 (288). 174 Becker, S. 20. 175 BVerwG, Beschluss vom 15.3.1995 – 6 P 31/93, NVwZ 1997, 80 (80 f.). 176 Witting, S. 58; Becker, S. 18 ff. 172
E. Herleitung des personalvertretungsrechtlichen Unterlassungsanspruchs 339
ein eigenständiges, institutionelles Subjekt von Zuständigkeiten zur transitorischen Wahrnehmung von Eigenzuständigkeiten einer juristischen Person verstanden.177 Man differenziert Eigen- und Wahrnehmungszuständigkeiten. Organe handeln bei der Wahrnehmung der Zuständigkeit als die juristische Person, der sie zugeordnet sind.178 Transitorisch beschreibt dabei diese Zurechnung des Handelns des Organs zu einer übergeordneten, zumindest teilrechtsfähigen Person, in welche das Organ eingegliedert sein muss.179 (bb) Die Anwendung des Begriffs auf den Personalrat Geht man mit Rupp davon aus, dass bei einem Organ gegenüber dem Organismus allenfalls Pflichten bestehen können, so müssen Rechte schlechthin ausfallen.180 Dieses Theorem hat seine Begründung in der Grundidee des Organeinsatzes bzw. der arbeitsteiligen Aufgabenerledigung. Ein Verfahrensanspruch stellte davor einen Fremdkörper im Innenrecht dar. Nimmt man demgegenüber an, dass Organe grundsätzlich auch Zurechnungsendsubjekte von Innenrechtssätzen sein können,181 so passt das Personalvertretungsrecht nicht in diese Struktur. Die Organeigenschaft ist dadurch gekennzeichnet, dass die Organrechte am Gemeinwohl orientiert sind.182 Das trifft aber auf die Aufgaben des Personalrates nicht zu, da diese auf die Arbeitnehmer- und Dienststellenbelange beschränkt sind (vgl. § 68 Abs. 1 BPersVG). Der Personalrat stellt danach mit seinen Beteiligungsrechten ein eigenständiges, unabhängiges und teilrechtsfähiges Gremium dar. Er tritt gegenüber der Dienststelle als geschlossene Einheit auf, ohne ihm in irgendeiner Form unterstellt zu sein. Wegen dieser erheblichen Unterschiede zum klassischen Organ sprechen das Bundesverwaltungsgericht und Teile der Literatur auch von einem Organ eigener Art.183 Rechtssystematisch kann man den Organbegriff allenfalls untechnisch gebrauchen. Dass sich Dienststelle und Personalrat in der Aufgabenstellung einander teilweise entsprechen (vgl. § 2 BPersVG), spricht nicht zwingend für eine Organschaft. Es ist möglich, dass ein und dieselbe Aufgabe nach der gesetzgeberischen Konzeption von zwei Rechtssubjekten durchgeführt wird. 177
Wolff, VerwR II, § 74 f.). Böckenforde, FS Wolff, 269 (274). 179 Wolff, VerwR II, § 74 f.); Becker, S. 18. 180 Rupp, S. 99 f. 181 SSP-Wahl, Vorb. § 42 Abs. 2 Rn. 120. 182 SSP-Wahl, Vorb. § 42 Abs. 2 Rn. 120. 183 BVerwG, Beschluss vom 10.5.1984 – 6 P 33.83, BVerwGE 69, 222 (223); zustimmend: Laubinger, VerwArch 76 (1985), 449 (461). 178
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4. Kap.: Der Unterlassungsanspruch des Personalrats
Dies gilt umso mehr, als dem Personalrat die Aufgaben durch das BPersVG unabhängig von der Organisation der Dienststelle zugewiesen werden. Zudem tendieren die denkbaren Beziehungen eines Organwalters nach innen, sie beziehen sich dementsprechend auf das Rechtssubjekt, welchem er zugeordnet ist.184 Zwar kann das Handeln des Personalrats der Dienststelle zugute kommen, insoweit handelt es sich aber nur um einen gesetzgeberisch erwünschten Reflex der Personalratsarbeit. Ferner müsste wegen der Transitorität unterstellt werden, die Beteiligung sei ein Recht des Rechtsträgers. Dies ist aber offensichtlich verfehlt. Es bedarf keiner rechtlichen Regelung im Falle der Selbstinformationsverpflichtung. Zudem stellt das Einbringen von Arbeitnehmerbelangen, vorschlägen und -interessen keine originäre Behördenfunktion dar.185 (5) Zwischenergebnis Die Beteiligungsrechte bilden in Bezug auf den Personalrat Außenrecht.186 Das Bundesverwaltungsgericht kaschiert dieses Problem mit der Kreation der „Verfahrensansprüche“. cc) Die Beteiligungsrechte als subjektiv-öffentliche Rechte Mit der Einordnung des Personalvertretungsrechts als Innenrecht durch die Rechtsprechung geht die Klassifikation der Verfahrensansprüche als objektive Rechte auf Teilhabe einher.187 Geht man von Außenrecht aus, liegen subjektive Rechte nahe. (1) Das subjektiv-öffentliche Recht Anders als im privaten Recht, dort hat die Klassifikation als subjektives Recht an Bedeutung verloren, ist im öffentlichen Recht die Bejahung einer subjektiven Rechtsposition aus dem objektiven Recht heraus praktisch allgegenwärtig.
184
Vgl. nur Rupp, S. 34. Hecker, PersV 1982, 190 (192). 186 V. Roetteken, PersR 1997, 233 (237), mit weiteren Ausführungen im Hinblick auf die Bindung an den Haushaltsplan. Wie überkommen die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist, dokumentiert sich nicht zuletzt an der Aufweichung des Haushaltseinwandes: BVerwG, Beschluss vom 26.2.2003 – 6 P 10/02 = juris. 187 BVerwG, Beschluss vom 15.3.1995 – 6 P 31/93, NVwZ 1997, 80 (80); Lechtermann, PerSV 2006, 4 (10). 185
E. Herleitung des personalvertretungsrechtlichen Unterlassungsanspruchs 341
(a) Die Entwicklung des Begriffs des subjektiv-öffentlichen Rechts Die Verwendung des gleichen Begriffs geht auf das Ende des 19. Jahrhunderts und den Anfang des 20. Jahrhunderts zurück. Es kam nämlich im öffentlichen Recht zu einem Rekurs auf die Zivilrechtslehre.188 So rezipierte etwa Jellinek die Kombinationstheorie.189 Später hat die öffentlichrechtliche Verwendung des Begriffs dann eine erhebliche Veränderung erfahren. Klassisch wird ein subjektiv-öffentliches Recht als diejenige rechtliche Stellung des Untertanen (sc. Bürgers) zum Staat betrachtet, in welcher er aufgrund eines Rechtsgeschäfts oder eines zwingenden, zum Schutz seiner Individualinteressen erlassenen Rechtssatzes, auf den er sich der Verwaltung gegenüber soll berufen können, vom Staat etwas verlangen oder ihm gegenüber etwas tun kann.190 Ein subjektives Recht ist die dem Einzelnen kraft öffentlichen Rechts verliehene Rechtsmacht, vom Staat zur Verfolgung eigener Interessen ein bestimmtes Verhalten verlangen zu können.191 Anders als im Privatrecht repräsentieren Ansprüche gegen den Staat subjektive öffentliche Rechte.192 (b) Subjektive Rechte zwischen öffentlich-rechtlichen Rechtsträgern Während das subjektive Recht als Ausdruck der Personalität und Individualität aus der Abgrenzung der Freiheitsbereiche bzw. Willens- und Handlungssphären her definiert wurde, ist es im Öffentlichen Recht nicht mehr allein auf die Beziehung Bürger – Staat entworfen, sondern schlicht auf eine Außenbeziehung. Das subjektive öffentliche Recht ist daher auch im Verhältnis von Trägern öffentlicher Rechte untereinander möglich.193 Mit anderen Worten: Subjektive Rechte liegen also immer vor, wenn ein anderer von einem öffentlich-rechtlichen Rechtsträger ein Tun, Dulden oder Unterlassen verlangen kann. Organrechte erklären sich hingegen aus ihrer Gemeinwohlorientierung und aus dem einheitlichen Wirkungszusammenhang mit dem Rechtsträger.194
188 189 190 191 192 193 194
Zusammenfassend: Bauer, S. 73 ff. Jellinek, VerwR, § 9 IV. Maurer, § 8 Rn. 2; Peine, Rn. 246. Maurer, § 8 Rn. 2. Detterbeck, Rn. 397. Detterbeck, Rn. 396; Maurer, § 8 Rn. 2. Böckenförde, FS Wolff, 269 (303).
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4. Kap.: Der Unterlassungsanspruch des Personalrats
(c) Die Ermittlung von subjektiven Rechten Das subjektive öffentliche Recht verkörpert eine Selbstbindung des Staates.195 Dieser begründet das Recht und muss es dann einhalten. Das Wesen des subjektiv-öffentlichen Rechts ist die Rechtsmacht. Diese liegt in der Berechtigung begründet, einen Normbefehl gegenüber einem Rechtssubjekt geltend zu machen. Genauer formuliert, geht es um das Recht auf Normvollzug.196 Die Kombinationstheorie ist für die Gewinnung subjektiver öffentlicher Rechte in der Praxis zugunsten einer pragmatischeren Position zurückgedrängt worden. So gewinnt das Bundesverwaltungsgericht in unklaren Fällen eine subjektive Position aus der Anwendung der Schutznormtheorie. Dazu muss eine objektive Verhaltenspflicht bestehen, die nicht ausschließlich öffentlichen Interessen, sondern zumindest auch Individualinteressen dient und dem Betroffenen eine Rechtsmacht verleiht, die normgeschützten Interessen gegenüber dem Verpflichteten durchzusetzen.197 Das Bundesverwaltungsgericht verknüpft die Schutznormtheorie mit bezwecktem („zu dienen bestimmt ist“) Interessenschutz.198 Ein verengtes Verständnis, dass bei der Ermittlung nur der nachweisbare Wille des Normsetzers zähle, wird zugunsten einer objektiven Ermittlung des Schutzzweckes abgelehnt.199 Die praktische Bedeutung der Schutznormtheorie hat die Sicht beschränkt. Die Schutznormtheorie ist nur eine Zweifelsregel. Es ist auch ohne sie möglich, subjektive Rechte anzuerkennen. Dies ist stets dann der Fall, wenn die Norm ausdrücklich eine Berechtigung bzw. einen Anspruch vorsieht. Dies kann v. a. durch ausdrückliche Nennung des Anspruchsinhabers geschehen. (2) Die Beteiligungsrechte als subjektive öffentliche Rechte Seit der Mülheim-Kärlich-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts steht außer Frage, dass auch Beteiligungsrechte subjektive Rechte begründen können.200 In Bezug auf Beteiligungsrechte hat das Bundesverwaltungsgericht aber weitere Anforderungen an eine subjektiv-rechtliche Qualität aufgestellt. Subjektiv-rechtliche Qualität besitze ein Beteiligungsrecht le195
Jellinek, System, S. 195 ff. Scherzberg, § 11 Rn. 4; SSP-Wahl, Vorb § 42 Abs. 2 Rn. 46 f. 197 Peine, Rn. 246; Röhl/Röhl, § 43 V. 198 BVerwG, Urteil vom 25.2.1977 – IV C 22/75, NJW 1978, 62 (63); BVerwG, Urteil vom 15.11.1985 – 8 C 43/83, NJW 1986, 1628 (1629). 199 Ausführlich: Maunz/Dürig-Schmidt-Aßmann, Art. 19 Abs. 4 Rn. 128 u. 138. 200 BVerfG, Urteil vom 20.12.1979 – 1 BvR 385/77, BVerfGE 53, 30–96; Kuhla/ Hüttenbrink, Rn. 75; auf diesen Aspekt weist auch Vallendar, PersR 1993, 61 (63) hin. 196
E. Herleitung des personalvertretungsrechtlichen Unterlassungsanspruchs 343
diglich dann, wenn es nicht nur der Ordnung des Verfahrensablaufs, insbesondere einer umfassenden Informationsbeschaffung der Behörde diene, sondern dem betroffenen Dritten in spezieller Weise und unabhängig vom materiellen Recht eine eigene, nämlich selbstständig durchsetzbare verfahrensrechtliche Rechtsposition gewähren wolle.201 Entscheidend sei der Schutzzweck der Vorschrift selbst, dieser müsse gerade in der Wahrung der Anhörung und Mitwirkung liegen. Wurden diese Feststellungen primär im Hinblick auf die Beteiligungsrechte des allgemeinen Verwaltungsrechts entworfen, können sie doch auch auf die Beteiligungsrechte des Personalrats erstreckt werden. Denn auch im Personalvertretungsrecht geht es um die Akzentuierung berechtigter Belange im Vorfeld einer Maßnahme. Dabei ist allerdings zu beachten, dass das Verwaltungsverfahrensrecht dem Rechtsschutz insofern dient, als es gewährleisten soll, dass das materielle Recht korrekt zur Anwendung gelangt.202 Dies mag zwar im Einzelfall zweifelhaft sein. Im Personalvertretungsrecht hingegen wurde dieser Wert – ein Verfahren im Interesse der Belegschaft – ganz bewusst geschaffen. Somit darf die rechtliche Bewertung des Rechts im System der öffentlichen Rechte nicht vor den Anforderungen der Rechtsordnung hinter den Verfahrensrechten zurückbleiben. Verstärkt wird dies durch die zusätzliche arbeitsrechtliche Beteiligungstradition. Denn von dieser Warte aus ergibt sich in der Verletzung der Beteiligungsrechte regelmäßig die Missbilligung der Maßnahme per se. Die Missbilligung der Missachtung der Beteiligungsrechte ist im BPersVG verschärft. Den qualifizierenden Anforderungen des Bundesverwaltungsgerichts werden die Beteiligungsrechte daher gerecht. Die klassischen Voraussetzungen eines subjektiv-öffentlichen Rechts erfüllen die Beteiligungsrechte ebenfalls. Sie verpflichten zur Beteiligung des Personalrats und sind damit für sich betrachtet unstreitig öffentlich-rechtlicher Natur. Das Element der Selbstverpflichtung beinhalten sie ebenfalls. Für eine subjektiv-rechtliche Einordnung spricht die Ausgestaltung des Mitbestimmungsanspruchs. Während es im Betriebsverfassungsrecht sehr strittig ist, ob ein Mitbestimmungsrecht einen Anspruch auf Mitbestimmung vermittelt, ist dieser in der Personalverfassung in Form von Verfahrensansprüchen anerkannt. Die Anspruchsqualität der übrigen Beteiligungsrechte ist ebenfalls anerkannt.203 201 BVerwG, Schluss v. 15.10.1998 – 4 B 94-98, NVwZ 1999, 876 (877); BVerwG, Urteil vom 20.10.1972 – IV C 107.67, BVerwGE 41, 58 (64 f.); BVerwG, Urteil vom 14.12.1973 – IV C 50.71, BVerwGE 44, 235 (239 f.). 202 BVerwG, Beschluss vom 15.10.1998 – 4 B 94-98, NVwZ 1999 876 (877). 203 Zum Informationsanspruch aus § 65 NWPersVG jüngst: BVerwG, Beschluss vom 4.9.2012 – 6 P 5/11 = juris Rn. 10; BVerwG, Beschluss vom 8.11.2011 – 6 P 23/10, BVerwGE 141, 134 zum Nachholungsanspruch, vgl. auch S. 312.
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4. Kap.: Der Unterlassungsanspruch des Personalrats
Alle Beteiligungsrechte vermitteln folglich Rechtsmacht und sind daher in letzter Konsequenz subjektive Rechte. Diese Rechtsansicht teilt auch Albers als vehementer Verfechter der Verfahrensanspruchslösung.204 (3) Richtlinienkonformes Verständnis der Beteiligungsrechte Das hier vertretene dogmatische Konzept findet seine Stütze in den europarechtlichen Vorgaben der Richtlinie 2002/14/EG. Der Umsetzung von Europarecht über die Setzung von Innenrecht steht der EuGH grundsätzlich ablehnend gegenüber.205 Huber etwa stellt heraus, dass der Tatbestand des subjektiven Rechts per se erfüllt sei, wenn das Europarecht dem Einzelnen im eigenen Interesse Rechtsmacht gegenüber dem Staat verleihe und er diese über Gerichte durchsetzen könne.206 Bereits frühzeitig hat der EuGH verlangt, dass die Mitgliedstaaten einen eindeutigen gesetzlichen Rahmen auf dem betroffenen Gebiet bereitstellen müssen, um die volle Anwendung der jeweiligen Richtlinie in rechtlicher und nicht nur in tatsächlicher Hinsicht zu gewährleisten.207 Ferner hat der Gerichtshof entschieden, dass die Betroffenen in allen Fällen, in denen die Nichtbeachtung der Maßnahmen, die in Richtlinien vorgegeben werden, in der Lage sein müssen, sich auf die in diesen Richtlinien enthaltenen zwingenden Vorschriften zu berufen.208 Denn soll die Richtlinie Ansprüche des Einzelnen begründen, müssen die Maßnahmen zur Umsetzung der Richtlinie nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht nur die staatlichen Behörden binden, sondern auch den Begünstigten ermöglichen, von allen ihren Rechten Kenntnis zu erlangen und diese gegebenenfalls vor den nationalen Gerichten geltend zu machen. Genau dieser Aspekt entspricht dem Verständnis von Rechtsmacht im Sinne des subjektiven öffentlichen Rechts. Den letzten Aspekt versteht der EuGH nicht nur im Hinblick auf den Rechtsschutz vor den Behörden und Gerichten, sondern auch gegenüber den verpflichteten Behörden selbst. Schon seit Langem ist daher in der Wissenschaft anerkannt, dass Richtlinien die Schaffung subjektiver Rechte im nationalen Recht fordern können und dort, wo das Unionsrecht einer Person Rechte verleiht, diese durch au204
Albers, PersV 1993, 487 (492). EuGH, Urteil vom 30.5.1991 – C 361/88 (Kommission/Deutschland), Slg. 1991 I, 2596 (2603 ff.). 206 Mangoldt-Huber, Art. 19 Abs. 4 Rn. 410. 207 EuGH, Urteil vom 30.5.1991 – C 361/88 (Kommission/Deutschland), Slg. 1991 I, 2596 (2604); EuGH, Urteil vom 28.2.1991 – C-131/88 (Kommission/ Deutschland) = juris. 208 EuGH, Urteil vom 17.10.1991 – C-58/89 (Kommission/Deutschland), Slg. 1991 I, 4983 (5023). 205
E. Herleitung des personalvertretungsrechtlichen Unterlassungsanspruchs 345
ßenverbindliche Rechtssätze in das nationale Recht umgesetzt werden müssen. Problematisch ist ein derartiges Richtlinienpostulat lediglich dann, wenn die Berechtigung über den herkömmlichen Begriff des subjektiv-öffentlichen Rechts hinausgeht.209 Wie sich aus Art. 1 Abs. 3 RL 2002/14/EG ergibt, führt kein Weg an der Begründung gegenseitiger Rechte vorbei: Aus den Beteiligungsrechten der Richtlinie werden die Arbeitnehmervertreter berechtigt und der Arbeitgeber verpflichtet. Im Personalvertretungsrecht sind dies Personalrat und der jeweilige Rechtsträger der Dienststelle. Art. 8 RL 2002/14/EG zwingt zudem wegen der gerichtlichen Durchsetzung zu der Anerkennung von Rechtsmacht. Gerade im subjektiven Recht besteht auch eine Rechtsfigur, die den Effektivitätsanforderungen des Europarechts genügt.210 Gegenüber der Verfahrensanspruchskonzeption birgt das subjektive Recht nicht zuletzt wegen der Anwendbarkeit des Staatshaftungsrechts eindeutige Effektivitätsvorteile.211 Die Forderung nach subjektiv-rechtlicher Interpretation der Rechte der Arbeitnehmer wird zudem durch die Tatsache verstärkt, dass die Umsetzung der Richtlinie 2002/14/EG der Grundrechtsverwirklichung dient.212 Zuweilen wird eingewandt, die Bedeutung der Richtlinie 2002/14/EG für das Personalvertretungsrecht sei zu gering bzw. nicht vorhanden.213 Der Einwand rührt aus der Verwendung der Begriffe „Unternehmen“ und „Betrieb“ in der Richtlinie und der damit einhergehenden Notwendigkeit der Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit her. Die Wirkung der Richtlinie nun aber für jede Dienststelle gesondert zu prüfen, überzeugt nicht. Dies würde nämlich zu einem geteilten Verständnis der Beteiligungsrechte führen, was wiederum der gemeinsamen Kategorisierung durch den Gesetzgeber in § 6 BPersVG widerspräche. Entscheidend ist zudem, dass der Bundesgesetzgeber und das Grundgesetz in Art. 110 Abs. 1 S. 2 GG die Möglichkeit der Einrichtung von Bundesbetrieben eröffnet hat. Die abstrakte Festlegung der Rechtsqualität entspricht daher dem abstrakt-generellen Charakter eines Gesetzes. Diese Erwägung dokumentiert sich in § 1 S. 2 209 Da EU-Recht und deutschem Recht unterschiedliche Konzepte individueller Berechtigung zugrunde liegen, führen die Vorgaben zu Friktionen mit dem klassischen Begriff des subjektiven Rechts, insbesondere dem Individualinteresse. Wesentlicher Unterschied in der Reichweite sind Klagemöglichkeiten, die allgemeinen Interessen auf dem Wege individueller Durchsetzung zum Durchbruch verhelfen sollen (sog. funktionale Subjektivierung); vgl. Maunz/Dürig-Schmidt-Aßmann, Art. 19 Abs. 4 Rn. 152. 210 Rüffert, DVBl. 1998, 69 (71) u. (74); Everling, GS Heinze, 157 (172). 211 Für effektiven Rechtsschutz: Ilbertz/Widmaier/Sommer § 69 Rn. 39b. 212 Everling, GS Heinze, 157 (172). 213 OVG NRW, Beschluss vom 21.9.2011 – 16 B 1124/11.PVB = juris.de.
346
4. Kap.: Der Unterlassungsanspruch des Personalrats
BPersVG. In der Norm werden die Betriebsverwaltungen sonstigen Verwaltungen gerade zu- bzw. beigeordnet. Im jetzigen BPersVG kann es somit kein gespaltenes Verständnis geben.214 (4) Die europäischen Grundrechte Die Einordnung als subjektive Rechte führt auch die subjektiv-rechtliche Dimension des Art. 27 der EGRC fort.215 Durch die Aufwertung der Europäischen Grundrechte-Charta in Art. 6 EUV verstärkt sich der Druck. Obgleich die Verwendung von „anerkennen“ Zweifel aufwerfen mag, so besteht in der Literatur im Hinblick auf die Entstehungsgeschichte kein Zweifel daran, dass die Charta nunmehr rechtsverbindlich sein soll.216 Wenn nun das grundrechtliche Fundament ein subjektives Recht gegenüber dem öffentlichen Arbeitgeber gewährt, ist es damit unvereinbar, die einzelgesetzlichen Ausgestaltungen der Rechtsmacht zu entrücken. Die subjektiv-rechtliche Dimension muss sich vielmehr auf der Ebene des einfachen Rechts fortsetzen. dd) Fazit Das System der Personalverfassung ist auf die Dienststelle und den Personalrat bezogen.217 Innenrecht liegt nur im Verhältnis Dienststellenleiter/ Dienststelle zum Rechtsträger vor. Der Dienststellenleiter handelt in Erfüllung der Pflichten des betroffenen Trägers gegenüber dem Personalrat. Die Beteiligungsrechte repräsentieren subjektive öffentliche Rechte218 und sind Außenrecht. Sämtliche Charakteristika des Verwaltungsorganisationsrechts treffen auf den Personalrat nicht zu: Er ist nicht weisungsgebunden, er hat wegen § 74 Abs. 1 BPersVG keine Zuständigkeit im Außenverhältnis, er leistet keine Amtshilfe, und er untersteht keiner staatlichen Aufsicht im verwaltungsverfahrensrechtlichen Sinne.219
214
Vgl. S. 260. Vgl. hierzu Tettinger/Stern-Lang, Art. 27 Rn. 7; für nationale Grundrechte: Maunz/Dürig-Schmidt-Aßmann, Art. 19 Abs. 4 Rn. 128. 216 Grabitz/Hilf/Nettesheim-Schorkopf Art. 6 EUV Rn. 20; Callies/Ruffert-Kingreen Art. 6 EUV Rn. 8 und 12. 217 Richardi/Dörner/Weber-Richardi, Einleitung, Rn. 73. 218 Vgl. auch Kohte, PersR 2009, 224 (226). 219 Vgl. zu den einzelnen Aspekten Bayer, LKV 1992, 56 (57). 215
F. Verbot der Durchführung der Maßnahme
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c) Die Beteiligungsrechte als materielles Recht Mit dieser Einteilung geht gleichermaßen das Verständnis der Rechtsprechung von der Kategorisierung in materielles Recht/formelles Recht einher. Materielles Recht meint dabei die Normen, welche das Verhalten von Rechtssubjekten regeln. Formelles Recht hingegen umschreibt die Normen über die Organisation, die Form und das Verhalten für die Rechtsentscheidung und ihre Durchsetzung.220 Im Rahmen der Darstellung der Entwicklung der Rechtsprechung wurde bereits geklärt, dass das Bundesverwaltungsgericht differenziert. Der alleinige Hinweis, die materiellen Sachansprüche des Personalrats besäßen nur Hilfsfunktion,221 offenbart, dass das Personalvertretungsrecht materielle Sachansprüche kennt und mit diesen operiert. Richtigerweise handelt es sich auch bei den Beteiligungsrechten, den Verfahrensansprüchen, um materielle Sachansprüche. Die dogmatische Trennung von Verfahrensansprüchen und diese unterstützenden materiellrechtlichen Ansprüchen überzeugt davor nicht. 3. Ergebnis Damit ist das Fundament des personalverfassungsrechtlichen Unterlassungsanspruchs gefunden. Mithilfe des allgemeinen öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruchs kann der Personalrat grundsätzlich die Durchführung mitbestimmungspflichtiger Maßnahmen verhindern. Der Gesetzgeber selbst hat festgestellt, dass sich das Fehlen von Regelungen im Personalvertretungsrecht aus der Ergänzung durch andere Rechtsquellen erklären kann:222 Das völlige Fehlen von Normen wie § 98 Abs. 5 oder gar § 23 Abs. 3 BetrVG erklärt sich daher aus dem im Vergleich zu § 23 Abs. 3 BetrVG wesentlich strengeren Regime des Staatshaftungsrechts.
F. Das aus den §§ 69 und 72 BPersVG folgende Verbot der Durchführung der Maßnahme Das Vorliegen subjektiver Rechte und die Anwendbarkeit des öffentlichrechtlichen Unterlassungsanspruchs führen im letzten Schritt zu der entscheidenden Frage, wann die Durchführung einer Maßnahme eine Rechtsverletzung für das betroffene Beteiligungsrecht darstellt. Anders als das 220 221 222
Schmidt-de Caluwe, JA 1993, 77 (86). Lechtermann, PersV 2006, 4 (11). Bt.-Drs. 7/1373, S. 2, sowie Bt.-Drs. 7/176, S. 26.
348
4. Kap.: Der Unterlassungsanspruch des Personalrats
Bundesarbeitsgericht223 geht das Bundesverwaltungsgericht verallgemeinernd davon aus, dass eine Maßnahme bei fehlender Beteiligung des Personalrats rechtswidrig ist.224 Das BPersVG ermöglicht in der Tat eine allgemeinere Lösung. Es kennt in § 69 und § 72 BPersVG einen allgemeinen Teil der Beteiligungsrechte. Während das Verbot im BetrVG jedem einzelnen Beteiligungsrecht zu entnehmen war, wurden die wesentlichen Wertungen im BPersVG vor die Klammer gezogen. Dem folgt nur noch eine einfache Aufzählung der Beteiligungstatbestände.
I. Die Mitbestimmungsrechte § 69 Abs. 1 BPersVG enthält das allen Mitbestimmungsrechten zugrunde liegende Verbot der Durchführung ohne Zustimmung des Personalrats. Soweit der Großteil der personalvertretungsrechtlichen Literatur in § 69 BPersVG ein Vetorecht des Personalrats begründet sieht,225 ist diese Annahme unvollständig. Aus der Norm ist zudem eine Rechtsausübungsschranke zu gewinnen. Dieses Verbot wird durch seine Ausnahmen verstärkt. Das Personalvertretungsrecht räumt dem Dienststellenleiter die Befugnis ein, Maßnahmen, die der Natur der Sache nach keinen Aufschub dulden, auch ohne Zustimmung des Personalrats vorläufig zu regeln. In der Praxis wird diese Vorschrift extensiv angewendet.226 Anders als beim Betriebsverfassungsrecht hat sich der Gesetzgeber nicht für ein ausdifferenziertes System der vorläufigen Regelung entschieden, sondern diese Befugnis auch vor die Klammer gezogen. Der umfassende Anwendungsbereich dient der Sicherstellung der sach- und zeitgerechten Erfüllung der Aufgaben der Dienststelle.227 Dabei sichert § 69 Abs. 5 weniger das Entscheidungsrecht als die Entscheidung selbst. Denn durch die Anforderung, dass die Maßnahme keinen Aufschub dulden darf, wird die Entscheidungsbefugnis von „ob“ und „wann“ objektiviert. Dies ist gerade vor dem grundsätzlichen Verbot des § 69 Abs. 1 BPersVG geboten. Im Vergleich ist erst recht zu erkennen, dass der Gesetzgeber eine mitbestimmungswidrige Lage nicht dulden wollte.228
223
Hierzu S. 67, BVerwG, Beschluss vom 13.11.1986 – 2 C 20.84, BVerwGE 75, 138 (140) m. w. N. 225 Rehak, FG Lorenzen, 47 (47). 226 Vgl. Kossens, PersV 1996, 390 (392) m. w. N. 227 Richardi/Dörner/Weber-Weber, § 69 Rn. 108. 228 In diese Richtung auch Edenfeld, S. 374. 224
F. Verbot der Durchführung der Maßnahme
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II. Die Mitwirkungsrechte Schwieriger gestaltet sich die Suche nach einer gesetzgeberischen Wertung bei den Mitwirkungsrechten. Eine umfassende Norm wie § 69 Abs. 1 BPersVG ist nicht vorhanden. 1. Die Anteriorität In § 72 Abs. 1 findet sich die zwingende Anordnung, dass die beabsichtigte Maßnahme vor der Durchführung mit dem Ziel einer Verständigung rechtzeitig und eingehend mit dem Personalrat zu erörtern ist. Die Verwendung des Wortes „beabsichtigt“ impliziert einen zeitlichen Zustand, in dem die Maßnahme noch nicht vollzogen worden sein darf. Rechtzeitig ist eine Erörterung nur dann, wenn sie so frühzeitig geführt wird, dass Gegenvorstellungen des Personalrats noch bei der weiteren Planung berücksichtigt und in sie einbezogen werden können.229 Folglich transportiert die Norm das Anterioritätsprinzip, welches seinerseits bei der Frage nach Verbot oder Erlaubnis grundsätzlich ein Verbot nahe legt.230 Dabei ist aus dem Fehlen einer § 69 Abs. 1 BPersVG vergleichbaren Norm nicht zu schließen, dass der Gesetzgeber die Durchführung der Maßnahme vor Abschluss des Beteiligungsverfahrens erlaubt. Der Verzicht auf eine § 69 Abs. 1 BPersVG vergleichbare Regelung rechtfertigt sich aus den engeren Grenzen des Verbots zugunsten des Personalrats. 2. Die besonderen Verfahren des § 72 BPersVG Daneben bestehen weitere Normen, die dieses Ergebnis stützen. Die Möglichkeit, eine vorläufige Regelung zu treffen, ist nicht auf die Mitbestimmung beschränkt. § 69 Abs. 5 gilt nach § 72 Abs. 6 BPersVG auch für die Konsultationspflicht. Dass eine Maßnahme nicht ohne vorherige Beteiligung stattfinden darf, ergibt sich somit im Umkehrschluss aus § 72 Abs. 6 i. V. m. § 69 Abs. 5 BPersVG. Ganz ähnlich hat das Bundesarbeitsgericht 1994 das Verbot für § 87 BetrVG aus der im Vergleich zu § 72 Abs. 6 BPersVG weiter entfernten Ausnahmenorm des § 115 Abs. 3 Nr. 4 BetrVG hergeleitet.231 Eine weitere Stütze liefern die gesonderten Regelungen im Fall des Scheiterns einer Einigung i. S. v. § 72 Abs. 3 und 4 BPersVG. Die Ein229 230 231
Ilbertz/Widmaier/Sommer, § 72 Rn. 5. Hierzu S. 40. Siehe S. 67.
350
4. Kap.: Der Unterlassungsanspruch des Personalrats
wände des Personalrats in den Mitwirkungsfällen oder die mangelnde Einigung im Mitbestimmungsverfahren führen zur Möglichkeit der Vorlage bei der übergeordneten Dienststelle. Geht der Personalrat diesen Weg, so statuiert § 72 Abs. 5 ein Aussetzungsgebot bezüglich der Maßnahme. In diesem Fall regelt der Gesetzgeber, dass nach dem Ende der originären Beteiligung und bei fehlender Einigung dennoch die Maßnahme unterbleiben muss, wenn der Personalrat den Schritt des § 72 Abs. 4 geht. Wird hier abermals nicht im Sinne des Personalrats entschieden, kann sich der Personalrat an die oberste Dienstbehörde wenden. Auch hier darf die Maßnahme nicht durchgeführt werden, bis eine Entscheidung ergangen ist.232 Die Notwendigkeit der Regelung ergibt sich daraus, dass das eigentliche Beteiligungsverfahren bereits abgeschlossen ist und in diesem Fall in die Verlängerung geht. Tatsächlich bestärkt das Verbot im weiteren Verfahren die Existenz des Verbots im herkömmlichen Verfahren. Es wäre mit dem Sinn und Zweck dieses Verbots nicht vereinbar, wenn über ein vorschnelles Vollziehen die Unterlassungspflicht des § 72 Abs. 5 BPersVG unterlaufen werden könnte. Vielmehr handelt es sich bei dem weiteren Verfahren um ein Recht des Personalrats zur inhaltlichen Einflussnahme – beispielhaft verknüpft das Gesetz positive Einwirkung und Unterlassungspflicht. 3. Die Grundlage der Unterlassungsverpflichtung Will man dieses Verbot materiell verankern, so ist eine Analogie zu § 69 Abs. 1 wegen der Besonderheiten der Zustimmungsverweigerung im Rahmen des Mitbestimmungsrechts nicht zielführend. Richtigerweise setzt § 72 Abs. 5 BPersVG den grundsätzlichen Gedanken des § 72 BPersVG über das für das Beteiligungsrecht per se Notwendige fort. Er enthält den Gedanken der Zweckvereitelung des Beteiligungsrechts und des spezifischen Verfahrens in Absatz 3 und 4. Das implizierte Verbot kann daher auf den in Absatz 5 enthaltenen Rechtsgedanken gestützt werden.
III. Konklusion Dass die §§ 69 Abs. 5 und 72 Abs. 6 in allen Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrechten besondere Verfahren vorsehen, Maßnahmen ausnahmsweise vor Ende der Konsultation durchzuführen, bedingt im Umkehrschluss die Anerkennung der umfassenden Unterlassungspflicht für den Regelfall. Gestützt wird dieses Auslegungsergebnis der §§ 69 und 72 BPersVG durch § 2 Abs. 1 BPersVG, den Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit 232
Ausführlich Altvater/Baden/Kröll/Lemcke/Peiseler § 72 Rn. 17 ff.
G. Verfassungsrechtliche Einwirkungen auf den Unterlassungsanspruch
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im Personalvertretungsrecht. Man muss auch im BPersVG von einer Pflicht des Dienststellenleiters ausgehen, die mitbestimmungspflichtige Maßnahme so lange zu unterlassen, bis der Personalrat vollends beteiligt wurde. Nur im Anwendungsbereich des § 69 Abs. 5 BPersVG ist kein Raum für einen Unterlassungsanspruch. Hier tritt das Interesse der Personalvertretung und der Beschäftigten hinter der Funktionsfähigkeit der Verwaltung zurück.233 Wenn dies dem Bedürfnis der Verwaltung umfassend Rechnung trägt und in den betroffenen Bereichen die Mitbestimmung aushebelt, dann kann im Übrigen nach der gesetzgeberischen Vorstellung die Durchführung der Maßnahme lediglich unter dem Vorbehalt korrekter Beteiligung stehen. Angesichts der durch §§ 69 und 72 BPersVG ermittelten umfassenden Missbilligung der Maßnahme ist eine Auseinandersetzung mit den jeweiligen Beteiligungsrechten nicht erforderlich: Jedes Mal verbietet sich die Durchführung einer beteiligungspflichtigen Maßnahme ohne vorherige Einflussnahme des Personalrats. Der allgemeine Unterlassungsanspruch entspricht daher den Wertungen der Beteiligungsrechte und baut ein kohärentes System von Recht und Rechtsschutz auf.
G. Verfassungsrechtliche Einwirkungen auf den Unterlassungsanspruch Da das Personalvertretungsrecht an der staatlichen Entscheidungshoheit ansetzt, hat das Rechtsgebiet viele Berührungspunkte mit der Verfassung. Diese gehen weit über die Rücknahmepflicht aus Art. 20 Abs. 3 GG hinaus. So wird die Zubilligung eines Unterlassungsanspruchs in der Literatur teilweise als verfassungswidrig angesehen. So lehnt u. a. Gerhold den Unterlassungsanspruch wegen der verfassungsrechtlich garantierten Personal-, Sachund Organisationshoheit der Verwaltung und ihrer Parlamentsverantwortung ab.234 In dieses Spannungsfeld fällt auch ein Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, welches eine mögliche Anspruchsgrundlage für einen Unterlassungsanspruch für verfassungswidrig erklärte.
I. Die Personalverfassung im Grundgesetz Welche verfassungsrechtlichen Belange auf der Seite des Personalvertretungsrechts für die Mitbestimmung oder gar einen effektiven Rechtsschutz 233
MünchArbR-Germelmann, § 371 Rn. 1. Lorenzen-Gerhold, § 83 Rn. 55; zustimmend: Thür. OVG, Beschluss vom 17.9.1996 – 5 PO 119/96, PersR 1997, 123; alleine die Organisationsgewalt betont: Spreer, S. 140; zur Bedeutung dieser Fragestellung: Widmaier ZfPR 2012, 84 (86). 234
352
4. Kap.: Der Unterlassungsanspruch des Personalrats
streiten, wurde vom Bundesverfassungsgericht bislang nicht abschließend geklärt. Das Grundgesetz enthält jedenfalls keine Art. 130 Abs. 3 WRV vergleichbare Regelung. In einem älteren Beschluss betonte das Bundesverfassungsgericht die Bedeutung der Wurzeln der Mitwirkung in den Grundrechten der Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 und 5 Abs. 1 GG sowie im Sozialstaatsprinzip.235 Das Gericht geht nunmehr davon aus, dass das Grundgesetz „jedenfalls Raum für eine Personalratsbeteiligung“ lässt.236 Die besondere mittelbare Wirkung der Grundrechte liegt wegen des Schutzzweckes des Personalvertretungsrechts nahe: Der Verlust bzw. die Einschränkung der Selbstbestimmung ist mit einer Tätigkeit in der öffentlichen Verwaltung zwangsläufig verbunden.237 Ziel der Mitbestimmung ist es daher, den Einzelnen nicht bloß als Objekt von Leitungs- und Kontrollmaßnahmen dem Hoheitsträger unterzuordnen, sondern ihn gerade vor diesem Schicksal zu bewahren.238 In der Literatur wird vor allem das Sozialstaatsgebot betont,239 es wirke als Gebot an den Gesetzgeber, die Lebensverhältnisse unter Berücksichtigung sozialer Lebensverhältnisse auszugestalten. Es soll gewährleisten, dass eine Personalbeteiligung überhaupt existiere.
II. Demokratieprinzip und Mitbestimmung im öffentlichen Dienst Bemerkenswert häufig wird der Unterlassungsanspruch von Autoren im Schrifttum vor dem Hintergrund des Demokratieprinzips als verfassungswidrig angesehen.240
235 BVerfG, Beschluss vom 26.5.1970 – 2 BvR 311/67, AP Art. 9 GG Nr. 18; Art. 130 Abs. 3 WRV lautete: „Die Beamten erhalten nach näherer reichsgesetzlicher Bestimmung besondere Beamtenvertretungen.“ 236 BVerfG, Beschluss vom 24.5.1995 – 2 BvF 1/92, BVerfGE 93, 37. 237 Loschelder, Hdb. des Staatsrechts, Bd. III, § 68 Rn. 68; Lecheler, PersV 2004, 244 (244). 238 Battis, NVwZ 1986, 884 (885). 239 Battis, NVwZ 1986, 884 (885); Schenke, JZ 1991, 581 (582 f.). 240 Widmaier, PersV 2000, 50 (54); ebenso Bay. VGH, Beschluss vom 26.3.1986 – 17 CE 86.00312, BayVbl. 1987, 54 (54); Ballerstedt/Schleicher/Faber, Art. 81 Rn. 44a; allein auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu § 58 des schleswig-holsteinischen Personalvertretungsgesetzes stellen ab: Bosch, ZfPR 1997, 124 (126); Bosch, PersR 1997, 94 (94 f.); Pfohl, ZBR 1996, 82 (89); wohl auch Battis/Kersten, PersR 2005, 138 (144), die zugleich die Freiheit des Gesetzgebers betonen, negatorische Sicherungsrechte einführen zu können.
G. Verfassungsrechtliche Einwirkungen auf den Unterlassungsanspruch
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1. Die Verfassungswidrigkeit des § 58 Abs. 3 MBG SH Hinter dieser Rüge steht die seit Jahrzehnten herrschende Problematik der Vereinbarkeit der Teilhabe der Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst im Kontext der Ausübung von Verwaltungshoheiten mit dem Demokratieprinzip aus Art. 20 GG. In dem wohl bedeutendsten Beschluss im Bereich des Personalvertretungsrechts verneinte das Bundesverfassungsgericht die Verfassungskonformität verschiedener Mitbestimmungsrechte des Personalrats und der Sicherung des positiven Inhalts einer Entscheidung über die Entscheidungsstelle. Das Bundesverfassungsgericht stellte aber auch die Verfassungswidrigkeit des § 58 Abs. 3 des Mitbestimmungsgesetzes SchleswigHolsteins fest;241 die Norm lautet(e): „Unzulässig ist die Durchführung von Maßnahmen, die 1. ohne die gesetzlich vorgeschriebene Beteiligung, 2. unter einem Verstoß gegen wesentliche Verfahrensvorschriften erfolgt. Maßnahmen, die entgegen Satz 1 durchgeführt worden sind, sind zurückzunehmen, soweit Rechtsvorschriften nicht entgegenstehen.“
Die Norm existiert noch heute.242 Auch wenn Satz 1 mit Sicherheit im Hinblick auf einen enthaltenen Unterlassungsanspruch auslegungsbedürftig ist, ändert dies nichts an der Parallelität der Wirkung einer einseitigen (objektiven) Unterlassungsverpflichtung. Die Begründung der Entscheidung ist in diesem Punkt allerdings nicht auf den Unterlassungsanspruch per se gerichtet, sondern vielmehr auf die Synergie der Sicherung mit verfassungswidrigen Mitbestimmungsrechten. Diese sollte sich „notwendig“ auf § 58 Abs. 3 negativ auswirken, soweit die Norm die Durchführung von Entscheidungen betrifft, an denen der Personalrat beteiligt war.243 Folgerichtig kann der Beschluss als solcher nicht die Verfassungswidrigkeit des Unterlassungsanspruchs im Personalvertretungsrecht begründen. Nicht § 58 war für sich allein genommen verfassungswidrig, sondern nur als „Annexregelung“ eines als verfassungswidrig qualifizierten Mitbestimmungsmodells.244 Mit der Änderung der Beteiligungsrechte verlor § 58 seinen partiell verfassungswidrigen Charakter. Es somit nur konsequent, dass die Norm noch heute besteht, ohne das verfassungsrechtliche Bedenken bestehen. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht in seiner neueren Judikatur ausdrücklich eingeräumt.245 241
BVerfG, Beschluss vom 24.5.1995 – 2 BvF 1/92, BVerfGE 93, 37 (80). GVOBl. 1990, S. 577; MBG zuletzt geändert durch Gesetz vom 4.2.2011, GVOBl. 34, 41, ber. S. 48. 243 Böckenförde, HStR (3. Auflage), § 44 Rn. 11 ff. 244 BVerwG, Beschluss vom 11.5.2011 – 6 P 4/10, NZA-RR 2011, 498 (499). 245 BVerwG, Beschluss vom 29.2.2012 – 6 P 2/11, NVwZ-RR 2012, 399 (404); im Anschluss an BVerwG, Beschluss vom 11.5.2011 – 6 P 4/10, NZA-RR 2011, 498 (499). 242
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4. Kap.: Der Unterlassungsanspruch des Personalrats
2. Das Demokratieprinzip und die Mitbestimmung Das Bundesverfassungsgericht sieht hinsichtlich der Einwirkung auf die Entscheidung das Demokratieprinzip als Grenze der Ausgestaltung der Mitbestimmungsrechte an. Sowohl das Bremer als auch das schleswig-holsteinische Personalvertretungsrecht mussten in Bezug auf diese Grenze zu Teilen korrigiert werden.246 Mitbestimmung im öffentlichen Dienst steht im Hinblick auf zwei eng miteinander verflochtene Aspekte des Demokratieprinzips in einem Spannungsverhältnis: die Parlamentsverantwortung und die diese vermittelnde Legitimationskette. Das Demokratieprinzip setzt als Legitimation staatlichen Handelns eine ununterbrochene Legitimations- und Kontrollkette in personeller und sachlicher Hinsicht voraus.247 Diese Kette wird vom Volk als Inhaber der Staatsgewalt (vgl. Art. 20 GG) begründet, über die Wahlen vermittelt und muss sich bis zum Amtswalter fortsetzen. Als Ausübung von Staatsgewalt, die demokratischer Legitimation bedarf, stellt sich jedenfalls alles amtliche Handeln mit Entscheidungscharakter dar.248 Die vom Bundes- oder Landesparlament gewählten Regierungen sind zudem grundsätzlich befugt, die jeweiligen Ressorts eigenständig bzw. selbstständig zu leiten. Dieser Eigenständigkeit folgt auch eine zwingende Verantwortlichkeit gegenüber dem Parlament.249 Dementsprechend dürfen staatliche Entscheidungen bei politischer Tragweite nicht generell der Regierungsverantwortung entzogen und auf von Regierung und Parlament unabhängige Stellen übertragen werden. Diesen Aspekt des Demokratieprinzips betonte das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zum Bremer Personalvertretungsrecht vom 27.04.1959.250 Der erstgenannte Aspekt trat in der Entscheidung vom 24.05.1995251 hervor. Andererseits lässt es das demokratische Prinzip auch zu, dass die Beschäftigten zur Wahrung ihrer Belange Beteiligungsrechte erhalten.252 Personalvertretungsrechtliche Beteiligungsrechte führen generell zu einer Privilegierung einer bestimmten Teilmenge des Volkes, wirklich problematisch wird diese Privilegierung erst dann, wenn die verantwortlichen Stellen nicht ohne die Zustimmung des Personalrats handeln können oder gar ihre Ent246 Schleswig-Holstein: BVerfG, Beschluss vom 24.5.1995 – 2 BvF 1/92, BVerfGE 93, 37 (65 ff.); Bremen: BVerfG, Urteil vom 27.04.1959 – 2 BvF 2/58 = juris. 247 Zippelius/Würtenberger, § 10 II. 2. A) (2.). 248 BVerfG, Beschluss vom 24.5.1995 – 2 BvF 1/92, BVerfGE 93, 37 (73); Böckenförde, HStR (3. Aufl.), § 34 Rn. 18 f. 249 StGH Hessen, Urteil vom 30.4.1986 – P.St. 1023, PersV 1986, 227 (230). 250 BVerfG, Urteil vom 27.04.1959 – 2 BvF 2/58 = juris. 251 BVerfG, Beschluss vom 24.5.1995 – 2 BvF 1/92, BVerfGE 93, 37 (80). 252 BVerfG, Beschluss vom 24.5.1995 – 2 BvF 1/92, BVerfGE 93, 37 (69).
G. Verfassungsrechtliche Einwirkungen auf den Unterlassungsanspruch
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scheidungsbefugnis an die Einigungsstelle abgeben müssen. Die ungestörte Tätigkeit der Verwaltung ist nämlich nicht Selbstzweck, sie ist das Mittel, durch das der parlamentarische Rechtsstaat seinen Willen verwirklicht. Das Verwaltungshandeln lässt den demokratischen Rechtsstaat Realität gewinnen.253 Demnach müssen Entscheidungen mit Auswirkungen auf die Allgemeinheit und damit wesentliche Bestandteile der Regierungsgewalt der inhaltlichen Bestimmung durch neutrale Instanzen entzogen sein.254 3. Das „Dreistufenmodell“ Dieses Spannungsfeld zwischen effektivem, freiem und zu legitimierendem Verwaltungshandeln und Arbeitnehmerbeteiligung prägt jedes einzelne Beteiligungsrecht vor. Es nimmt zu, je nachhaltiger die amtliche Aufgabenerfüllung selbst oder der Personaleinsatz berührt sind.255 Die Interessen der Beschäftigten wiegen schwerer, wenn es um bloße Modalitäten des Dienstbetriebes geht. Sie sind weniger maßgeblich, je nachhaltiger die Amtserfüllung nach außen in den Vordergrund rückt. Davon ausgehend, hat das Bundesverfassungsgericht für die positive Ausgestaltung der Personalverfassung das sog. „Dreistufenmodell“ entwickelt.256 Wie und wann die Mitbestimmung oder eine andere Form der Beteiligung der Personalvertretung verfassungsrechtlich zulässig ist, sei unter Würdigung der Bedeutung der beteiligungspflichtigen Maßnahmen sowohl für die Arbeitssituation der Beschäftigten und deren Dienstverhältnis als auch für die Erfüllung des Amtsauftrages zu bestimmen. Zum einen dürfe die Mitbestimmung sich nur auf innerdienstliche Maßnahmen erstrecken und nur so weit gehen, wie die spezifischen, in dem Beschäftigungsverhältnis angelegten Interessen der Angehörigen der Dienststelle sie rechtfertigten, sog. Schutzzweckgrenze. Die sog. Verantwortungsgrenze verlange weiter, dass bei Entscheidungen von Bedeutung für die Erfüllung des Amtsauftrages jedenfalls das Letztentscheidungsrecht der Kompetenz des Personalrats entrückt werden müsse.257 Davon ausgehend, unterteilt das Bundesverfassungsgericht drei Gruppen: Angelegenheiten, die in ihrem Schwerpunkt die Beschäftigten in ihrem Beschäftigungsverhältnis betreffen, typischerweise aber nicht oder nicht unerheblich die Wahrnehmung von Amtsaufgaben gegenüber dem Bürger berühren; Maßnahmen, die den Binnenbereich des Beschäftigungsverhältnisses 253 254 255 256 257
Loschelder, HStR (2. Aufl.) III, § 68 Rn. 69. Ilbertz/Widmaier/Sommer, § 104 Rn. 2. Loschelder, HStR (2. Aufl.) III, § 68 Rn. 69. BVerfG, Beschluss vom 24.5.1995 – 2 BvF 1/92, BVerfGE 93, 37 (80). Vgl. zum Begriff Richardi/Dörner/Weber-Richardi, Einleitung, Rn. 45.
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4. Kap.: Der Unterlassungsanspruch des Personalrats
betreffen, die Wahrnehmung des Amtsauftrages jedoch typischerweise nicht unerheblich berühren; Maßnahmen, die schwerpunktmäßig die Erledigung von Amtsaufgaben betreffen, unvermeidlich aber auch die Interessen der Beschäftigten berühren. In dieser Aufteilung entspricht das Personalvertretungsrecht den Vorgaben des Demokratieprinzips. Führt man sich nun vor Augen, dass die Pflicht, die Maßnahme bis zur Zustimmung zu unterlassen, Bestandteil des Mitbestimmungsrechts (i. e. S.) ist, dann kann für den Unterlassungsanspruch nichts anderes gelten. Zur ersten Gruppe zählen v. a. die sozialen Angelegenheiten in Art. 74 Abs. 2 und die innerdienstlichen Angelegenheiten des § 75 Abs. 3 mit Ausnahme der Nr. 10, 14 und 17.258 In die zweite Gruppe gehören die §§ 75 Abs. 3 Nr. 14 und 17, § 78 Abs. 1 Nr. 1 BPersVG. Der dritten Gruppe sind etwa die §§ 75 Abs. 1, 76, 78 Abs. 1 Nr. 2, 3 und 4 sowie § 79 BPersVG zuzuordnen. 4. Das Demokratieprinzip und der Unterlassungsanspruch Für den Unterlassungsanspruch sind zwei Aspekte besonders wichtig: Zum einen stellt er die grundsätzliche freie Entscheidung der Verwaltung infrage. Zum anderen könnte ein paritätischer Unterlassungsanspruch in den Mitbestimmungsrechten über seine taktischen Möglichkeiten dem Leiter der Dienststelle ein Verhalten abnötigen, welches unter Beachtung der im konkreten Fall hervortretenden Hoheit nicht im Sinn des Verwaltungsträgers ist. a) Das Demokratieprinzip als Grenze einer Unterlassungsverfügung Betrachtet man die der Verwaltung zustehenden Handlungsmöglichkeiten in Bezug auf einen beteiligungspflichtigen Tatbestand, dann ist auch das Unterlassen der Maßnahme eine solche Möglichkeit. Wenn der Personalrat also mittels Unterlassungsverfügung die Durchführung einer Maßnahme untersagt, so bestimmt er in diesem Punkt das Handeln des legitimierten Amtswalters.259 Allerdings ist diese „Unterlassungsentscheidung“ im Rahmen eines verfahrenssichernden Unterlassungsanspruchs keine endgültige Entscheidung, sondern wirkt nur bis zum Abschluss des Beteiligungsverfahrens. Vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlichen Vorgaben kommt es auf ein all258
Richardi/Dörner/Weber-Richardi, Einleitung, Rn. 47. Weitergehend Schenke, JZ 1991, 581 (583), der die Geltendmachung eines Vetorechts als Staatstätigkeit auffasst dies hätte aber zur Konsequenz, dass jedes Verbot eines Rechtssubjekts Staatshandeln wäre. 259
G. Verfassungsrechtliche Einwirkungen auf den Unterlassungsanspruch
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gemeines Legitimationsniveau an.260 Der „Ausfall“ demokratischer Legitimation wegen eines Beschluss, die Maßnahme bis zur Beteiligung zu unterlassen, rechtfertigt sich aus der in engem Zusammenhang stehenden grundsätzlichen Letztentscheidung auf der dritten Stufe. Besteht folglich eine Wechselwirkung von Durchführung, Abwendungsbefugnis und Unterlassung, erlaubt die Gesamtbetrachtung vor dem Hintergrund des allgemeinen Legitimationsniveaus den Unterlassungsanspruch. Ein Unterlassungsgebot setzt sich auch im Übrigen nicht in eine vergleichbare Spannungslage zum Demokratieprinzip wie ein über die Einigungsstelle durchsetzbares Mitbestimmungsrecht. Grundsätzlich hängt der Anspruch zwar von Reichweite und Inhalt des Rechts ab. Von der jeweils negativen und positiven Wirkung her unterscheiden sich Mitbestimmungsrecht und Unterlassungsanspruch aber. Während eine gleichberechtigte Entscheidungsfindung bedingt, dass die Fortführung der gemeinschaftlichen Aufgaben im Herbeiführen gemeinschaftlich geregelter Zustände an einem demokratischen Mangel leidet, führt das Unterlassen nur zum Status quo. Der rechtliche, in Entsprechung zum Demokratieprinzip ausgebaute Zustand legitimierter Amtswalter bleibt zur Gänze erhalten. Es kommt also nicht zu einer Erosion der legitimierten Ordnung. Das stete Abtragen der legitimierten Ordnung ist nicht zu befürchten. Damit verbleibt als einzig problematischer Punkt, dass der Wille des legitimierten Amtswalters nicht sofort durchgeführt wird. Genau diesen Aspekt eines Beteiligungsverfahrens, das Verlangsamen der Entscheidungsfindung, stellte der Gesetzgeber aber 1973 heraus und akzeptierte ihn.261 Damit hat der Gesetzgeber den ihm zustehenden Entscheidungsspielraum in diesem schwierigen Spannungsfeld zugunsten der Beteiligung genutzt. In seinen Ausführungen zum schleswig-holsteinischen PersVG hat das Bundesverfassungsgericht daher auch zwischen den Beteiligungsrechten einerseits und den Sicherungsmechanismen andererseits unterschieden.262 Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts entfaltet das Demokratieprinzip – zusammen mit dem Rechtsstaatsgebot – auch bei den Durchsetzungsmechanismen Wirkung. Damit sagt das Gericht aber vorrangig, dass die Ausübung der Staatsgewalt nicht mit negatorischer Steuerung gleichgesetzt werden darf. Auf diese Weise setzt es die Idee fort, dass ein sich an einem Beteiligungsrecht orientierendes Verbot in seiner Verfassungsgemäßheit vorrangig von der Verfassungsgemäßheit des Beteiligungsrechts selbst abhängig ist. 260 261 262
BVerfG, Beschluss vom 24.5.1995 – 2 BvF 1/92, BVerfGE 93, 37 (67). Bt.-Drs. 7/176, S. 26. BVerfG, Beschluss vom 24.5.1995 – 2 BvF 1/92, BVerfGE 93, 37 (80 u. 74).
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4. Kap.: Der Unterlassungsanspruch des Personalrats
In der Literatur wurde der Hinweis auf das Rechtsstaatsgebot ausgebaut. Kossens wollte das Spannungsverhältnis über einen Rückgriff auf das Gesetzmäßigkeitsprinzip lösen.263 Da diese Norm ihrerseits nur verfassungsgemäße Normen schützt, liegt auf den ersten Blick ein Zirkelschluss nahe. Tatsächlich geht es aber nicht um den Unterlassungsanspruch, sondern um die Beteiligungsrechte. So diese unter Beachtung der Dreistufenregelung verfassungsgemäß sind und ihrer Teleologie nach ein Unterbleiben der Maßnahme voraussetzen, streitet das Rechtsstaatsprinzip für den Unterlassungsanspruch. Durch das Hinzutreten des Rechtsstaatsprinzips folgt auch das Gebot effektiver Durchführung der Beteiligung zur Erledigung der Angelegenheiten. Dieses Ergebnis deckt sich im Übrigen mit ßenrechts: Auch in den sonstigen Fällen des anspruchs greifen Bürger, die nicht einfach mit den dürfen, in die Entscheidungsbefugnis ein. hier vor.
anderen Phänomen des Auallgemeinen Unterlassungsdem Volk gleichgesetzt werRechtmäßiges Handeln geht
b) Das Demokratieprinzip als mittelbarer inhaltsbestimmender Faktor Auch wenn das Demokratieprinzip den Unterlassungsanspruch generell nicht zu Fall bringt, ist es doch bei seiner praktischen Ausformung zu beachten.264 Das „Dreistufenmodell“ hat nämlich erhebliche Auswirkungen auf die positive Durchsetzung der Arbeitnehmerinteressen, weil eine Einigungsstelle eine nur unvollkommene demokratische Legitimation besitzt, aber zugleich nach der gesetzlichen Konzeption das letzte Wort hat. Diese Art der Rechtsdurchsetzung wird in den sog. oberen Stufen der Beteiligung in verfassungskonformer Auslegung auf eine Empfehlungsberechtigung reduziert.265 Während im BetrVG es dem Arbeitgeber in Mitbestimmungsfällen zugemutet werden kann, die Einigungsstelle anzurufen, ist dies im Personalvertretungsrecht gerade nicht möglich, wenn hier demokratieprinzipbezogene Bedenken existieren. An diesem Punkt tritt die Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts aus dem Schleswig-Holstein-Beschluss in den Vordergrund. Nach Ansicht des Gerichts stellt das Demokratieprinzip auch Anforderungen an die Ausgestaltung der Sicherungsmechanismen des Personalvertre263
Kossens, PersV 1996, 390 (393). Vgl. nunmehr auch Widmaier, ZfPR 2012, 84 (88 f.). 265 Vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 16.04.2008 – 6 P 8/07 = juris; Richardi/ Dörner/Weber-Weber, § 69 Rn. 100; ausführlich zu einzelnen Beteiligungstatbeständen: von Roetteken, NZA-RR 2001, 505 (506 u. 515 u. 522). 264
G. Verfassungsrechtliche Einwirkungen auf den Unterlassungsanspruch
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tungsrechts. Die gemeinwohlorientierte, an Gesetz und Recht gebundene, wirksame Erfüllung des Amtsauftrages setze voraus, dass die dafür erforderlichen organisatorischen und sonstigen innerdienstlichen Bedingungen sach- und auch zeitgerecht geschaffen würden. Der Gesetzgeber dürfe aus diesem Grund die verantwortlichen Amtsträger nicht in eine Lage bringen, in der sie jene Maßnahmen, die für die Herstellung der Bedingungen einer ordnungsgemäßen Erfüllung des Amtsauftrages notwendig sind, zeitgerecht nur um den Preis von Zugeständnissen durchsetzen können, die sie nicht oder nur mit Einschränkungen für sachgerecht halten und in die sie sonst nicht einzuwilligen bereit wären.266 Geht man von diesen Vorgaben aus, so können nicht alle Mitbestimmungsrechte (i. e. S.) über eine paritätische Konzeption gesichert werden. Dann würde ein Unterlassungsanspruch darauf hinauslaufen, den öffentlichen Arbeitgeber in das Einigungsstellenverfahren hineindrängen zu können. Dies wiederum würde zu einer Entscheidungsfindung durch einen demokratisch unzureichend legitimierten Dritten führen und wäre mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Demokratieprinzips unvereinbar. Zwar ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in diesen Fällen lediglich von einer Empfehlung auszugehen. Die paritätische Konzeption fußt gerade auf der Konzentration auf die Lösung durch die Einigungsstelle als ultima ratio. Wenn jedoch verfassungsrechtlich eine Letztentscheidung des Leiters der Dienststelle verlangt wird, kann daher allein ein verfahrenssichernder Unterlassungsanspruch mit seinen erhöhten Anforderungen das adäquate Sicherungsmittel sein.
III. Organisations-, Sach-, Personalhoheit und Effizienz der Verwaltung Neben dem Demokratieprinzip wird auch auf die Verwaltungshoheiten hingewiesen.267 Unter der Organisationshoheit versteht man das Recht, die Angelegenheiten der inneren Verwaltungsorganisation selbst zu regeln.268 Die Personalhoheit umfasst das Recht auf freie Auswahl, Anstellung, Beförderung und Entlassung der Gemeindebediensteten; im Kernbereich dieser Freiheit steht alleine das Recht, eigene Bedienstete zu haben.269 In Bezug auf die gemeindlichen Verwaltungshoheiten ist der Verfassungsrang dersel266
BVerfG, Beschluss vom 24.5.1995 – 2 BvF 1/92, BVerfGE 93, 37 (80). Lorenzen-Gerhold, § 83 Rn. 55. 268 BVerfG, Beschluss vom 26.10.1994 – 2 BvR 445/91, DVBl. 1995 290 (291); Schmidt-De Caluwe, JA 1993, 115 (116 f.). 269 BVerfG, Beschluss vom 26.10.1994 – 2 BvR 445/91, DVBl. 1995 290 (291); Sachs-Nierhaus, Art. 28 Rn. 53. 267
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4. Kap.: Der Unterlassungsanspruch des Personalrats
ben aus Art. 28 Abs. 2 GG zu gewinnen.270 Diese Norm enthält aber auch eine Schranke bzw. einen Gesetzesvorbehalt. Richtigerweise stehen sämtliche hoheitlichen Rechtsträger grundsätzlich unter dem Vorbehalt der Legislative. Im Bereich des Bundes ist der Rechtsgedanke des Art. 86 S. 2 GG einschlägig. Es geht nicht nur um die Organisationsgewalt i. e. S., sondern auch um die Festlegung der Kompetenzen bei der Beschaffung der räumlichen und sachlichen Mitteln sowie des Personals.271 Mit Satz 2 ist insbesondere die Kompetenz des Parlaments zur Einrichtung der Behörden durch Gesetz gemeint, was wiederum den Erlass spezifischer, die Hoheiten des Verwaltungsträgers limitierender Verfahrensvorschriften einschließt.272 Der Typus des Gesetzes (Außenrecht oder Innenrecht) ist dabei irrelevant. So spricht etwa Krebs davon, dass der Riss von Außen- und Innenrecht quer durch die Verwaltungsorganisation verläuft.273 Auf den ersten Blick stellt sich der Unterlassungsanspruch als eine Einschränkung dieser Hoheiten dar: Gäbe man einem Unterlassungsverlangen statt, könnte die Verwaltung nicht handeln. Die Effektivität des Verwaltungshandelns wäre gefährdet. Der Kernbereich der Organisationshoheit ist aber bei einem vorgeschalteten Verfahren dann nicht betroffen, wenn der Dienststellenleiter durch eigenes Handeln und Beachten der Beteiligungsrechte die Untersagung der Ausübung dieser Hoheiten unterbinden kann. Böckenförde hat umfassend dargelegt, dass dort, wo das sog. Zugriffsrecht des Parlaments seine Grenzen hat, eine rahmenmäßige Vorgabe mit Art. 86 GG und dem geltenden Verfassungsrecht vereinbar wäre.274 Das BPersVG ist insoweit auch eine Artikulation des parlamentarischen Zugriffsrechts auf die verwaltungsinternen Abläufe. Orientiert man sich an den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts im Rahmen des Dreistufenmodells, so bestehen keine verfassungsmäßigen Bedenken. Jedenfalls das Bundesverfassungsgericht hat derartiges nicht geäußert, obwohl es explizit zu den Sicherungsmechanismen Stellung nahm.275 Auch unter dem Gesichtspunkt der Effizienz des Verwaltungshandelns angeht, so kann nicht jedes Sicherungsinstrument, das zu einer Verlang270 BVerfG, Urteil vom 20.12.2007 – 2 BvR 2433/04, NVwZ 2008, 183 (185); Vgl. zur Finanzhoheit: Maunz/Dürig-Scholz Art. 28 Rn. 84a. 271 Vgl. Mangoldt-Burgi, Art. 86 Rn. 76; Maunz/Dürig-Ibler, Art. 86 Rn. 154; ausführlich zur Organisationsgewalt i. e. S. Schmidt-De Caluwe, JA 1993, 143 (143 ff.). 272 Mangoldt-Burgi, Art. 86 Rn. 76. 273 Krebs, in: Hb. des StR, § 108 Rn. 34. 274 Böckenförde, S. 288 ff., auch zur Einschlägigkeit des Art. 86 bei der Ausübung der Organisationsgewalt, S. 103 ff. 275 BVerfG, Beschluss vom 24.5.1995 – 2 BvF 1/92, BVerfGE 93, 37 (80).
G. Verfassungsrechtliche Einwirkungen auf den Unterlassungsanspruch
361
samung der Verwaltungsabläufe führt, verfassungswidrig sein. Die Effizienz des Verwaltungshandelns bildet keinen eigenständigen Wert an sich, sondern ist auf die bestehenden Aufgaben hin entworfen. Aus dem Rechtsstaatsprinzip folgt der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung.276 Dem damit einhergehenden Grundsatz des Vorranges des Gesetzes ist zu entnehmen, dass die Verwaltung nicht gegen existierende Gesetze verstoßen darf.277 Sicherung der Gesetze und Effizienz des Verwaltungsverfahrens stehen sich einander gegenüber. Tatsächlich handelt es sich bei diesem Problem folglich um eine akzessorische Frage der Verfassungsgemäßheit und des Inhalts des einfachgesetzlichen Rechts, das in § 69 Abs. 5 BPersVG eine eigenständige Konfliktregelung enthält, die davon ausgeht, dass im Regelfall das Mitbestimmungsverfahren gewährleistet werden soll und eigenständige Mechanismen zur Beschleunigung zur Verfügung stellt.278
IV. Ergebnis Die verfassungsrechtlichen Bedenken gegen einen Unterlassungsanspruch können somit nicht durchdringen. Ein Unterlassungsanspruch, der sich an den geltenden Beteiligungsrechten orientiert, ist nicht verfassungswidrig. Zudem schlägt das Demokratieprinzip auch für die Sicherung des auf dem Willen des Parlaments beruhenden Rechts aus.279 Die negatorische Sicherung von Rechten orientiert sich stets an der Reichweite des Rechts. Im Rahmen der Mitbestimmung läuft ein Unterlassungsanspruch von seiner Wirkung parallel zur Unterlassungspflicht des § 69 Abs. 1 BPersVG. Beide begrenzen die Ausübung der Staatshoheiten. Wenn das Beteiligungsrecht nicht verfassungswidrig ist, kann und muss es durchgesetzt werden.280 Die Fallkonstellation des realisierten Unterlassungsanspruchs ist dabei nicht weit von der gesetzgeberischen Idealvorstellung entfernt. Da man einem Dienststellenleiter unterstellen kann, das Beteiligungsverfahren schnellstmöglich und korrekt durchzuführen, ist die zeitliche Belastung der Effizienz und der Hoheiten minimiert. Beachtet man weiter, dass dadurch die Beteiligungsrechte ihren Sinn behalten, also ein Mehr an praktischer Wirksamkeit gewinnen, ist dieser Zustand konkordant. Nach der Beteiligung kann die Dienststelle die Maßnahme ausführen. 276
Vgl. Mangoldt-Sommermann, Art. 20 Abs. 3 Rn. 260. Mangoldt-Sommermann, Art. 20 Abs. 3 Rn. 261. 278 So zu Schleswig-Holstein: BVerwG, Beschluss vom 29.2.2012 – 6 P 2/11, NVwZ-RR 2012, 399 (403 f.). 279 Kohte, FS Richardi, 601 (607). 280 Benecke, S. 203. 277
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4. Kap.: Der Unterlassungsanspruch des Personalrats
H. Ergebnis Der Personalrat kann seine Beteiligungsrechte über Unterlassungsansprüche sichern. Ihm stehen im Bereich der nicht korrigierten Mitbestimmung der paritätische Unterlassungsanspruch aus §§ 69 Abs. 1, 2 Abs. 1 in Verbindung mit dem jeweiligen Mitbestimmungsrecht und in den sonstigen Fällen der allgemeine (verfahrenssichernde) öffentlich-rechtliche Unterlassungsanspruch zu. Darauf hinzuweisen, der Gesetzgeber habe trotz der strittigen Situation keinen Reformbedarf gesehen,281 erhält vor dem seit jeher existierenden Institut des öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruchs eine ganz andere Richtung. In jedem Fall geht der Unterlassungsanspruch nicht über die Regeln des Personalvertretungsrechts hinaus: Besteht ein Beteiligungsrecht, ist die Dienststelle zur Unterlassung verpflichtet, vgl. § 69 Abs. 1 BPersVG. Ist § 69 Abs. 5 BPersVG einschlägig, so besteht weder eine Unterlassungspflicht noch ein Unterlassungsanspruch.282 In dem hier zugrunde gelegten Verständnis kann das Bundespersonalvertretungsrecht in Übereinstimmung mit den europarechtlichen Vorgaben ausgelegt werden. Auch wenn die Auswirkungen der RL 2002/14/EG im Gros des Anwendungsfeldes des Personalvertretungsrechts eher gering sind, so gewährleistet ein einheitliches Verständnis der Beteiligungsrechte des Personalrats die Einheit des Rechts.283 Es geht weniger um eine richtlinienkonforme Auslegung der Anspruchsgrundlage an sich, vielmehr ist ein europarechtskonformes Verständnis der Beteiligungsrechte als subjektive Rechte Ansatzpunkt für eine nationale Lösung über den öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruch. Bemerkenswert ist letztlich, dass im Personalvertretungsrecht die von Richardi begründete und im Personalvertretungsrecht ansonsten nur noch von Kohte vertretene Ansicht des allgemeinen, neben der positiven Rechtsordnung stehenden, am Recht orientierten Unterlassungsanspruchs vor den hier dargelegten Erkenntnissen zutrifft.284 Lediglich der paritätische Unterlassungsanspruch geht in den vom Demokratieprinzip offen gelassenen Fällen vor.
281
Widmaier, PersV 2000, (50 (50). Widmaier, ZfPR 2012, 84 (89). 283 Mit weiterführenden Argumenten von Standpunkt des Europarechts aus: Kohte, PersR 2009, 224 (227). 284 Vgl. Richardi/Dörner/Weber-Richardi, § 2 Rn. 21; Kohte, FS Richardi, 601 (605 ff.). 282
5. Kapitel
Zusammenfassung der Ergebnisse 1. Allgemein sind Unterlassungsansprüche die Konsequenz der gesetzgeberischen Bewertung von Handlungen. Sie geben dem von einer negativ bewerteten, missbilligten Maßnahme Betroffenen ein Recht an die Hand, die Unterlassung dieser Maßnahme verlangen zu dürfen. Generell kommt es bei der Anerkennung von Unterlassungsansprüchen nicht auf die Qualität der Verletzung an. Die Orientierung des klassischen und allgemeinen Rechtsschutzes am absoluten Recht hat ihre berechtigenden Gedanken in der Ausschlussfunktion dieser Rechte. Doch zeigt sich dort nur ein Ausschnitt der Feststellung gesetzgeberischer Missbilligung. Die Notwendigkeit einer gesetzgeberischen Bewertung einer Handlung tritt noch deutlicher im deliktischen Unterlassungsanspruch hervor. Das Reichsgericht leitete den Anspruch aus der durch die Schadenersatzpflicht implizierten Unterlassungsverpflichtung der Schädigungshandlung ab. Regelmäßig stehen die Bewertungen erst am Ende einer ausführlichen systematisch-teleologischen Interpretation fest. Über das Merkmal „fehlende Duldungspflicht“ ermöglichen Unterlassungsansprüche jedenfalls bei Generalklauseln wie §§ 242 BGB und § 2 Abs. 1 BetrVG ein interessengerechtes, weil der konkreten Bewertung der Handlung und des Verhaltens aller anderen entsprechendes Ergebnis. 2. Die Sicherung der Rechte des Betriebsrats basiert auf zwei grundsätzlich zu unterscheidenden Anspruchsgrundlagen: Der paritätische Unterlassungsanspruch sichert die Mitbestimmungsrechte i. e. S., der verfahrenssichernde Unterlassungsanspruch sichert die übrigen Beteiligungsrechte. Der paritätische Unterlassungsanspruch folgt unmittelbar aus der Formulierung „mitzubestimmen“, der verfahrensrechtliche folgt aus § 23 Abs. 3 S. 1 BetrVG analog. 3. Dabei muss für jedes Beteiligungsrecht selbst überprüft werden, ob es durch einen Unterlassungsanspruch gesichert werden kann bzw. muss. Zum einen kann der paritätische Unterlassungsanspruch nur bei Mitbestimmungsrechten eingreifen. Zum anderen ist der Inhalt des Rechts entscheidend. So ist es etwa im Rahmen des § 98 Abs. 1 BetrVG trotz des Wortlauts nicht möglich, die paritätische Konzeption anzuwenden. Da dennoch eine gesetzgeberische Missbilligung ermittelt werden kann, führt dies zur Anwendung des verfahrenssichernden Unterlassungsanspruchs.
364
5. Kap.: Zusammenfassung der Ergebnisse
4. Im Hintergrund der Fragestellung nach dem Unterlassungsanspruch zeigen sich abstrakte Strukturen der Rechtssätze, die ihrerseits den jeweiligen Unterlassungsanspruch tragen: Zwei Prinzipien sind der dogmatische Ausgangspunkt des Unterlassungsanspruchs: das Anterioritätsprinzip und das negatorische Koinzidenzprinzip. Das erste Prinzip ergibt sich als Grundsatz aus der Induktion der zeitlichen Tatbestandsmerkmale der Beteiligungsrechte. Es besagt, dass Beteiligung vor der Durchführung der anvisierten Maßnahme stattzufinden hat. Das zweite Prinzip ist ein allgemeines Prinzip unserer Rechtsordnung, welches der gesetzgeberischen Verleihung von Rechten negatorischen Schutz folgen lässt. Ein Gedanke, der umfassend von der Rechtsusurpationstheorie in die Betriebsverfassung getragen wurde und seitdem in der theoretischen Diskussion einen hohen Stellenwert innehat und methodischer Ausgangspunkt ist – eine eigenständige Rechtsnorm begründet das Prinzip nicht.1 5. Der allgemeinen Prinzipiendogmatik folgend, sind diese Axiome in allen relevanten Bereichen der Betriebsverfassung so weit wie möglich zu verwirklichen. Das Anterioritätsprinzip erhält damit Relevanz für das Verständnis der weiteren nicht ausdrücklich geregelten Rechtsdurchsetzung. Der Rechtsschutz muss so ausgestaltet sein, dass er die vorherige Beteiligung realisiert. Im Zusammenspiel mit dem negatorischen Koinzidenzprinzip führt dies zu einer umfassenden Anerkennung der die Beteiligung flankierenden Unterlassungsansprüche. 6. Der paritätische Unterlassungsanspruch ist im Wege der Normkonkretisierung der Mitbestimmungsrechte (i. e. S.) aus der Formulierung „hat mitzubestimmen“ zu gewinnen. Indem der Betriebsrat die Unterlassung fordert, bestimmt er über die Maßnahme mit. Das Mitbestimmungsrecht bedeutet gleiche Rechte für beide Betriebspartner. Wegen dieser Spiegelbildlichkeit folgt der Berechtigung des Arbeitgebers, die Maßnahme zu nicht durchzuführen, die Berechtigung des Betriebsrats, die Unterlassung der beteiligungswidrigen Maßnahme zu verlangen. Wegen § 77 Abs. 1 S. 2 BetrVG kann dies nur dadurch gelingen, dass der durchführungsberechtigten Partei die Unterlassung aufgegeben wird. Maßgeblicher Faktor der Normkonkretisierung ist § 2 Abs. 1 BetrVG. Die herrschende dogmatische Einordnung als Nebenleistungspflicht wird dieser Figur nicht gerecht: Der Anspruch steht als Gestaltungsmittel der betrieblichen Mitbestimmung auf derselben Stufe wie das Initiativrecht, dessen negatorisches Pendant er ist. 7. Für die nicht vom paritätischen Unterlassungsanspruch erfassten Beteiligungsrechte ist der verfahrenssichernde Unterlassungsanspruch maßgeb1 Deutlich: BAG, Beschluss vom 27.1.2010 – 4 AZR 549/08, NZA 2010, 645 (651).
5. Kap.: Zusammenfassung der Ergebnisse
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lich. Dieser beruht auf einer Rechtsfortbildung des BetrVG – genauer von § 23 Abs. 3 BetrVG. a) Wird die Vornahme der Maßnahme missbilligt, dann wäre die wortlautgemäße Anwendung des § 23 Abs. 3 BetrVG im Rahmen der Beteiligungsrechte widersprüchlich. Denn in diesem Falle wäre erst dann eine Sicherung möglich, wenn mehrere einfache Verstöße eingetreten wären. Danach wäre auf der Rechtsfolgenseite des § 23 Abs. 3 BetrVG jeder weitere einfache Verstoß untersagt. Für die rechtliche Ungleichbehandlung der ersten Fälle gibt es keinen Rechtfertigungsgrund. Der sich zeigende Gedanke der Sicherung der Beteiligungsrechte ist vielmehr vor der systematisch-teleologisch vorrangigen Integritätswertung der Beteiligungsrechte und den damit einhergehenden Axiomen im Wege der teleologischen Extension zu komplettieren: In Bezug auf die Beteiligungsrechte ist § 23 Abs. 3 S. 1 BetrVG analog auf jeden einfachen Verstoß anzuwenden. b) Die nach der herrschenden Praxis erforderliche planwidrige Regelungslücke liegt vor. Der Gesetzgeber hatte nicht die Beteiligungsrechte, sondern allgemein den Rechtsverstoß vor Augen. Die auf die Beteiligungsrechte bezogene Frage nach einem Unterlassungsanspruch bei der Schaffung von § 23 Abs. 3 BetrVG gab es nicht. In seinem Regelungshorizont befand sich vielmehr die Herstellung von Gleichberechtigung im Verhältnis zu § 23 Abs. 1 BetrVG vor dem Hintergrund der generellen Zielrichtung des Ausbaus der Mitbestimmungsordnung. Diese Maßgabe öffnet die Norm systematisch. c) In ihrer analogen Anwendung kann nach dieser Norm die Durchführung einer beteiligungspflichtigen Maßnahme unterbunden werden. Diese Möglichkeit setzt in Entsprechung zur allgemeinen Lehre voraus, dass das BetrVG die Vornahme der Maßnahme ohne hinreichende Beteiligung missbilligt. Diese Missbilligung ist der erste Schritt der Auslegung eines jeden Beteiligungsrechts vor der Frage der Verfahrenssicherung. Sie setzt eine teleologische Bewertung der jeweiligen Beteiligungsrechte und des damit verbundenen Beteiligungsverfahrens voraus. Regelmäßig ist sie das Produkt einer Auslegung der Beteiligungsrechte im Lichte des § 2 Abs. 1 BetrVG. Aus der Missbilligung der Maßnahme folgt die Erforderlichkeit der Sicherung. Hier treffen sich die Argumentationslinien der Konzeption dieser Arbeit und der des Bundesarbeitsgerichts. Normativ wird der Unterlassungsanspruch durch § 2 Abs. 1 einerseits und § 23 Abs. 3 BetrVG andererseits vorgezeichnet. d) Von der Anerkennung einer Anspruchsgrundlage ist die umfassende Anwendung von § 23 Abs. 3 BetrVG auf die Beteiligungsrechte zu trennen. Es muss auch hier für jedes Beteiligungsrecht geprüft werden, ob es an der Integritätswertung teilhat (diese wird nur vermutet) oder die rechtswidrige
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Maßnahme – zumindest zeitweise – billigt (dies muss positiv argumentativ herausgestellt werden). Letzteres hat das Bundesarbeitsgericht etwa bei § 99 BetrVG angenommen. e) Soweit die Beteiligungsrechte das Anterioritätsprinzip in sich tragen, würde durch das Treffen der Maßnahme ohne vorherige Beteiligung ein Zustand geschaffen, der dem bei Nichtexistenz der Tatbestandsmerkmale gleichkäme. Folglich würde eine gestattende Interpretation den gesetzgeberischen Willen derogieren und wäre somit unzulässig. 8. Durch die allgemein aufgeworfenen Fragestellungen lässt sich auch die Sicherung des § 111 BetrVG einem interessengerechten Ergebnis zuführen. Die Missbilligung der Maßnahme ohne vorherige Beteiligung wird von verschiedenen Autoren abgelehnt, weil die Realisierung auf Grund der Unternehmerfreiheit im Belieben des Arbeitgebers stünde. Auch ließe sich § 113 BetrVG nicht als Missbilligung, sondern als privilegierende Sonderregelung i. R. d. § 111 Abs. 3 BetrVG und damit als Durchbrechung des negatorischen Koinzidenzprinzips auffassen. Der Gesetzgeber würde also nicht missbilligen, sähe aber eine Kompensation für die betroffenen Arbeitnehmer vor. All dies überzeugt nicht: a) Die Anerkennung des Unterlassungsanspruchs in wirtschaftlichen Angelegenheiten wurzelt im Grundverständnis der Arbeitnehmerbeteiligung als Chance zur positiven und interessengerechten Gestaltung der Zukunft des Unternehmens. Diese Chance manifestiert sich in dem Beteiligungsresultat des Interessenausgleichs sowie den anderen möglichen darüber hinausgehenden Vereinbarungen. Es macht einen Unterschied, die §§ 111 ff. BetrVG ausgehend von § 111 BetrVG oder von § 113 BetrVG zu lesen. Allein § 111 BetrVG steht am Anfang und ist die Grundnorm für alle weiteren Wertungen. b) Die Auslegung des Beteiligungstatbestands ist von der Diskussion um § 113 Abs. 3 BetrVG geprägt. Die lange Zeit herrschende Meinung übersah, dass mit der Regelung der Zahlungspflicht die Missbilligung – wie beim allgemeinen Muster der § 823 Abs. 1 BGB und § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog – impliziert wird. c) Eine Sperrwirkung lässt sich zudem nicht auf den Sinn und Zweck des § 113 Abs. 3 BetrVG stützen. § 113 Abs. 3 BetrVG hat einen speziellen, den einzelnen Arbeitnehmer schützenden Charakter, der hinter der Gewährleistung der kollektiven Ebene zurücktritt: Der Unterlassungsanspruch ist das zweckspeziellere Instrument zur Wahrung und Schaffung von Beteiligungsresultaten. Dem Gesetzgeber geht es in erster Linie um einen Dialog. Die Absicherung über § 113 Abs. 3 BetrVG wird vor dem Primat der Beteiligung zur ultima ratio.
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d) Die Diskussion um § 111 BetrVG dokumentiert eine elementare Eigenschaft des verfahrenssichernden Unterlassungsanspruchs. Das Letztentscheidungsrecht des Unternehmers bleibt unberührt. Der Betriebsrat ist in seinen Handlungsmöglichkeiten auf das Verfahren konzentriert. Die Spannungslage wird dadurch eliminiert, dass der Unternehmer es in der Hand hat, durch korrekte Beteiligung den Unterlassungsanspruch auszuschließen und der Betriebsrat verpflichtet ist, auf die sachgerechte und zeitnahe Beendigung der Beteiligung hinzuarbeiten. Dieser Anspruch ist daher nicht zeitlich unbegrenzt gewährt. 9. Die bislang gefundenen Ergebnisse ermöglichen die Richtlinienkonformität des BetrVG. Die Richtlinie 2002/14/EG erfasst die Mehrzahl der im BetrVG geregelten Beteiligungsrechte und verlangt von Deutschland, alles zu tun, um den mit der Einführung bezweckten Zustand zu erreichen. Art. 8 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2002/14/EG spezifizieren diese Vorgabe für die Durchsetzungsinstrumente. a) Ausgangspunkt ist die in der Richtlinie statuierte Gewährleistung des sozialen Dialogs. Diese verlangt die vom EuGH in der Rechtssache Junk herausgebildete Unterlassungsverpflichtung des Arbeitgebers bezüglich der Durchführung einer beteiligungspflichtigen Maßnahme, bis die Beteiligung abgeschlossen ist. Diese Pflicht muss effektiv, d.h. praktisch wirksam auch in Deutschland durchgesetzt werden. Unzureichend ist es, den Blick allein auf die Beteiligungsrechte zu richten. Sowohl die Beteiligungspflicht als auch die Unterlassungspflicht sind Pflichten i. S. d. Art. 8 der Richtlinie; dass aus diesem Artikel die Anspruchsqualität für das deutsche Recht zu folgern ist, ist sogar unter den i.Ü. verneinenden Stimmen unbestritten. b) Der Unterlassungsanspruch ist das einzige Mittel, welches es dem Betriebsrat im deutschen Recht systemkonform ermöglicht, seine Rechte zu sichern ohne ihn zugleich zum Zuschauer des Rechtsbruchs zu machen; denn nach deutschem Verständnis ist der Unterlassungsanspruch das einzige Rechtsinstrument in den Händen einer Partei, welches ein Verbot beinhaltet und über das Merkmal der „fehlenden Duldungspflicht“ der Einzelfallgerechtigkeit offensteht. Diese Schalterfunktion der Duldungspflicht trägt somit den Vorgaben der Art. 1, 8 und Art. 6 Abs. 2 RL 2002/14/EG Rechnung. c) Der Fall Vilvoorde verdeutlicht die von der Richtlinie missbilligten Handlungen. Eine ohne vorherige Beteiligung vorgenommene Maßnahme ist von der Warte des Unionsrechts nicht tolerierbar. Die Richtlinie ist mit ihrer allgemeinen und unbedingten Gewährleistungsfunktion die Konsequenz aus einem auf Fairness basierenden Grundverständnis von Arbeitnehmerbeteiligung vor dem Hintergrund des Art. 27 EGCh. Die betei-
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ligungslose Maßnahme zu verhindern, stellt ein eigenes Ziel der Richtlinie dar, welches gleichrangig neben der Einrichtung der Beteiligung als solcher steht. d) Besonders zu betonen sind die mit der Richtlinie einhergehenden Anforderungen an die Durchsetzungsmechanismen. Die Richtlinie stellt eine Absage an eine allein im Nachhinein wirkende Sicherung der Beteiligung. Daneben wird einer einzig auf Individualschutz hinauslaufenden Rechtsbewahrung eine Absage erteilt. Für das BetrVG geht damit einher, dass Sicherungsrechte wie §§ 113, 101 BetrVG nicht als Argumente für einen ausreichenden Schutz angeführt werden können. Ohne unionsrechtskonforme Rechtsfortbildung ist § 23 Abs. 3 BetrVG ferner nicht geeignet jeden Verstoß zu verhindern. e) Die unionsrechtliche Forderung nach einem Unterlassungsanspruch ist das Produkt des Aufeinandertreffens von deutscher Rechtsordnung und europäischer Richtlinie: Während die nationale Rechtsordnung mit den Klagearten und Prozessvoraussetzungen einen institutionellen Rahmen bildet, konturiert sie zugleich die Erfüllung der an den nationalen Richter gerichteten Pflicht, den Richtlinienbestimmungen zur Geltung zu verhelfen und die Wahrung des Europarechts zu garantieren. Aus der prozessualen Möglichkeit, einen Unterlassungsbeschluss oder eine einstweilige Anordnung auf Unterlassung auszusprechen, folgt die Rückwirkung auf die Fortbildung des materiellen Rechts. Der Unterlassungsanspruch ist dann das Produkt richtlinienkonformer Rechtsfortbildung. f) Daneben folgt die Anerkennung des Unterlassungsanspruchs aus dem Äquivalenzprinzip des Unionsrechts. Man kann jedes Mitbestimmungsrecht auf einen Beratungs- bzw. Anhörungskern zurückführen, man kann ferner auch den bei § 87 BetrVG anerkannten paritätischen Unterlassungsanspruch auf einen verfahrensrechtlichen Kern reduzieren. Äquivalenz bedeutet zwar nicht Identität, aber gleichwertige Behandlung von gleichen Strukturen. Von der Richtlinie erfasste Normen werden heute schon zum Teil durch einen Unterlassungsanspruch gesichert. g) Insbesondere das französische Recht lehrt, den Unterlassungsanspruch nicht zwangsläufig mit einem Mitbestimmungsrecht gleichzusetzen. Mitwirkungsrechte sind in ihrer positiven Durchsetzung auf einen „Richter des Beteiligungsverfahrens“ angewiesen, der notfalls die Durchführung untersagt – gleich ob es sich um eine unternehmerische Entscheidung handelt. 10. Im EBRG stellt sich die Problematik, nicht aber ihre Lösung in vergleichbarer Weise. Dogmatisch kommt es nicht auf eine Konkretisierung oder Rechtsfortbildung des EBRG an. Die Lösung liegt vielmehr in der richtlinienkonformen Auslegung des § 42 Nr. 2 EBRG.
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a) Der Methodenkanon des deutschen Rechts legt die Interpretation der Norm nicht so fest, dass die Unterlassung von Maßnahmen als Auslegungsergebnis ausscheidet. Der Gesetzgeber hat mit der offenen Formulierung des § 42 Nr. 2 EBRG eine Eigenständigkeit dieser Norm gegenüber § 78 BetrVG und somit eine offene hermeneutische Einflussnahme des Europarechts ermöglicht. b) Gerade die Vorgaben der europäischen Betriebsverfassung in Konkretisierung durch die Richtlinien 94/45/EG und 2009/38/EG sprechen innerhalb der Interpretationsmöglichkeiten eine deutliche Sprache. Sie verlangen die Unterlassung der Maßnahme bis zum Schluss der Beteiligung. 11. Im Personalvertretungsrecht kann der Personalrat ebenfalls die Unterlassung der Maßnahme verlangen, wenn er nicht korrekt beteiligt wurde. Im Bereich der Mitbestimmungsrechte resultiert diese Möglichkeit aus der Normkonkretisierung im Lichte der §§ 69 und 2 Abs. 1 BPersVG. Bei den übrigen Beteiligungsrechten ist der allgemeine öffentlich-rechtliche Unterlassungsanspruch einschlägig. 12. Im BPersVG führt die Problematik in die Tiefendogmatik dieses Rechtsgebiets. Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hat ihre Konzeption in den vergangenen Jahren immer weiter ausgebaut und verfeinert. Den letzten Schritt hin zu einem vollumfänglich fairen Beteiligungsverfahren – die Anerkennung des Unterlassungsanspruchs – ist sie bislang nicht gegangen. Die Aufwertung der Europäischen Grundrechtecharta sollte der richtige Anlass sein, diesen Schritt zu gehen. a) Die von der Rechtsprechung bisher vorgenommene Einordnung des Personalvertretungsrechts als Innenrecht ist unzutreffend. Richtigerweise liegt Außenrecht vor. Mit der Annahme korrespondiert die Kategorisierung der Beteiligungsrechte als subjektiv-öffentliches Rechte auf Teilhabe. Der Personalrat ist kein Organ des Verwaltungsträgers im Sinne des allgemeinen Verwaltungsrechts. Dieser Begriff hat allenfalls eine deskriptive Funktion. b) Insbesondere wird an der Struktur der Beteiligung die Verteilung von Innen- und Außenrecht deutlich. Der Dienststellenleiter erfüllt gegenüber dem Personalrat die Pflichten des Rechtsträgers, dem die Dienststelle zugeordnet ist: Einer Zuständigkeit im Innenrecht entspricht die Berechtigung im Außenrecht. 13. Aus der Annahme von Außenrecht und subjektivem Recht folgen die Anwendbarkeit des Staatshaftungsrechts und damit die Anwendbarkeit des allgemeinen Unterlassungsanspruchs. Dieser ist gewohnheitsrechtlich anerkannt und unterbindet die Verletzung eines subjektiven Rechts. a) Auch wenn damit ein Unterlassungsanspruch besteht, ist zu klären, inwieweit eine gesetzgeberische Missbilligung der Vornahme der Maßnahme
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vorliegt. Denn das Staatshaftungsrecht und insbesondere der Unterlassungsanspruch müssen in die speziellen Wertungen des jeweiligen Rechtsgebietes eingebettet werden. Die Missbilligung lässt sich für das Mitbestimmungsrecht aus § 69 Abs. 1 und für die übrigen Bestimmungen aus § 72 BPersVG ableiten. Das Fehlen einer § 69 Abs. 1 BPersVG entsprechenden Norm bei § 72 BPersVG erklärt sich aus der mangelnden positiven Erzwingbarkeit des Inhalts der Maßnahme und der damit einhergehenden Absage an weitergehende, auf Verzögerung beruhende Verhandlungsmöglichkeiten. b) Zur Sicherung der Effektivität der Verwaltung kann im Einzelfall der Unterlassungsanspruch durch die Normen des §§ 69 Abs. 5 und 72 Abs. 6 BPersVG ausgeschlossen sein. c) Dieser Unterlassungsanspruch ist als Recht des Personalrates klagbar und über die einstweilige Verfügung sicherbar. Es liegt eine Rechtsstellung i. S. v. § 83 Nr. 3 BPersVG vor. d) Versteht man den Rechtsschutz auf diese Weise, hat man kein Problem mit den Anforderungen der Richtlinie 2002/14/EG und Art. 27 EGCh. Die europarechtliche Forderung nach subjektiven Rechten und damit einhergehendem effektiven Rechtsschutz wird vollumfänglich gewährleistet. Das beste Beispiel ist die Richtlinienumsetzung im LPersVG von Niedersachsen: der normative Besitzstand ist identisch, allein das Verständnis hat sich verändert.
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Sachwortverzeichnis Absolutes Recht 31 f., 54 Amtspflichten 335 Anterioritätsprinzip 40 ff., 107, 209, 285 Äquivalenzgebot 245 Arbeitgeberfreiheit 46, 131 Asymmetrie der Unterlassungspflichten 39 Ausgestaltung des Beteiligungsverfahrens 106 Auslegung des Unionsrechts 172 Außenrecht 327 Ausübungsschutz 67 Bargteheide 325 Berufsbildung 267 Beteiligungsresultate 124 Beteiligungsverfahren 41 Betriebsverfassungsrechtliche Ordnung 98 Betriebsverhältnis 68 By-pass-Regelung 290 Comité d’entreprise 194 Demokratieprinzip 352, 356 Demokratische Legitimation 337 Deterrenzeffekt 219 Dienstaufsichtsbeschwerde 315 Dreistufenmodell 355 Druckmittel 167
Europäische Betriebsverfassung 174 Europäischer Betriebsrat 272 Ex-posteriori-Sicherungsinstrumente 214 Frankreich 195, 294 Gaz du France 203 Geltendmachung des Beteiligungsrechts 217 Gemeinschaftscharta 175, 273 Gerichtliche Sicherung des Unionsrecht 239 Gesetzgeberische Missbilligung 103 Gespaltene Rechtsfortbildung 260 Gestaltung von Arbeitsplatz, Arbeitsablauf und Arbeitsumgebung 263 Gleichbehandlungsgrundsatz 101, 109 Grenzen der richtlinienkonformen Rechtsfortbildung 232 Grober Verstoß 85 Historische Auslegung 127, 295 Hypothetische Beteiligung 165 Innenrecht 327 Innerorganstreit 301 Insolvenzordnung 163 Integritätswertung 104 Interessenausgleich 124, 146 Junk 181, 288
Effet utile 179, 185, 292 Einigungsstelle 52 Einstweiliger Rechtsschutz 34, 90 Erstbegehungsgefahr 32
Kirchliche Mitbestimmung 303 Koinzidenzprinzip 112 Kombinationstheorie 56
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Sachwortverzeichnis
Kooperationsmaxime 78 Kumulationseffekt 91 Kurzeitige Maßnahmen 159 Leitbild 241 Letztentscheidung 166 Logik der Abwehrrechte 158 Massenentlassungen-Urteil 177 Mindestmaßverständnis 110 Missbilligung 104 Mitbestimmung 79 Mitbestimmungsrecht 129, 250 Nachteilsausgleich 134 Nationale Wertungen 233 Nebenpflicht 64 Nokia/Wärdell 223 Normkonkretisierung 73 Objektives Verfahren 300, 309 Öffentlich-rechtlicher Unterlassungsanspruch 323 Optimierungsgebot 45 Organbegriff 338 Paritätischer Unterlassungsanspruch 46 Personalrat 298 Personalvertretungsgesetze der Länder 317 Personalvertretungsrecht in Niedersachsen 320 Personalvertretungsrecht in NRW 320 Personelle Einzelmaßnahme 149 Pflichtenrechte 58 Positives Konsensprinzip 74 Prozessstandschaft 116 Prozesszwecke 34 Quasinegatorischer Unterlassungsanspruch 31
Rechtsfortbildung 113 Rechtsprinzip 44 Rechtsträger 329 Rechtsusurpationstheorie 30, 62 Rechtzeitigkeit 162 Référé-Verfahren 199 Regelungshorizont 95 Regelungslücke 94 Renault 188 Richtlinie 2002/14/EG 170, 198 Richtlinie 2009/38/EG 285 Richtlinienkonforme Auslegung 313 Richtlinienkonforme Rechtsfortbildung 226 Rücksichtnahme bei der Rechtsausübung 186 Rückwirkung der europarechtlichen Implikationen 257 Schadenersatz 168 Schutznorm 59 Schutzzweckgrenze 355 Soziale Grundrechte der Arbeitnehmer 246 Sozialplan 125, 139 Sperrwirkung 48, 50, 135, 151 Spiegelbildlichkeit 76 Strafrechtlicher Schutz 222, 282 Struktur der Unterlassungsansprüche 33 Strukturelement 37 Subjektives Recht 55, 326, 340 Tätigkeitsschutz 274, 322 Teilhabe 38 Teleologische Extension 93 Theorie der notwendigen Mitbestimmung 72 Traditionslinien der Richtlinienentwicklung 210 Transparenzgebot 253 Ultima ratio 142 Umsetzungsfreiheit 179, 226
Sachwortverzeichnis Unterlassungsanspruch, (allgemein) 29 Unterlassungsanspruch und Grundgesetz 351 Unwirksamkeit der Maßnahme 105 Verantwortungsgrenze 355 Verfahrensanspruch 300, 312 Verfahrenssichernder Unterlassungsanspruch 82 Vergleichbarkeit von Betriebs- und Personalverfassung 298 Verhaltenspflichten 115
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Verhältnismäßigkeit 256 Vertrauensvolle Zusammenarbeit 78, 108 Vertrauensvorsprung 305 Verwaltungshoheiten 359 Verwaltungsverfahren 337 Vollstreckung 35, 118 Vorbildrecht 194 Vorher 41 Vorläufige Maßnahme 151 Wirtschaftliche Angelegenheiten 122