Der Tod liest mit : Seuchengeschichtliche Aspekte im Buch- und Bibliothekswesen 9783942090278

Herausgegeben von Tobias Wimbauer Der Tod liest mit ... wurde am 6. November 2012 als Halloween-Lecture am Institut fü

121 67 20MB

German Pages [127] Year 2013

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Recommend Papers

Der Tod liest mit : Seuchengeschichtliche Aspekte im Buch- und Bibliothekswesen
 9783942090278

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

Eric W. Steinhauer

Der Tod liest mit ••• Seuchengeschichtliche Aspekte im Buch- und Bibliothekswesen

1ISI NI lli r VERLAG

Der Tod liest mit ...

Eric W. Steinhauer

Der Tod liest mit ... Seuchengeschichtliche Aspekte im Buch- und Bibliothekswesen

EISENHII Tv ERLAG

Bibliotope. Band 12 Herausgegeben von Tobias Wimbauer

Der Tod liest mit ... wurde am 6. November 2012 als Halloiveen-Ljecture am Institut jur Bibliotheks- und Informationsivissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin gehalten.

1. Auflage 2013 © 2013 Eisenhut Verlag Silvia Stolz-Wimbauer, HagenBerchum, www.eisenhutverlag.de Einbandgestaltung: Susanne Schattmann, Nürnberg, www.wohlgestalt.de, nach einem Konzept von Michaela von Aichberger, Erlangen, www.michaela-von-aichberger.de Alle Rechte vorbehalten Druck und Bindung: Druckhaus AJSp, Vilnius/Litauen Printed in Lithuania ISBN 978-3-942090-27-8

»Nicht nur im Innern des Buches droht dieser Tod. ... Nach allem bleibt nur zu raten, es möge Vorsicht nach jeder Richtung geübt werden.« l^adewig, Politik der Bücherei, Leipzig 1912, S. 326 f., 330.

»Car il savait ce que cette foule en joie ignorait, et qu’on peut lire dans les livres, que le bacille de la peste ne meurt ni ne disparaît jamais, qu’il peut rester pendant des dizaines d’années dans ... les paperasses, et que, peut-être, le jour viendrait où, pour le malheur et l’enseignement des hommes, la peste réveillerait ses rats et les enverrait mourir dans une cité heureuse.« Camus, La Peste, Paris 1974, S. 332.

»Es wird dringend ersucht, die Bücher sauber zu halten und besonders beim Umblättern die Finger nicht anzufeuchten!« Nutzungshinweis aus der Stadtbibliothek in Elberfeld (um 1907)

»Pergament- und Papierbücher sind manchmal im eigentlichen Sinne krank und müssen wie kranke Menschen von den Krankheitsstoffen befreit werden.« Gardthausen, Handbuch der wissenschaftlichen Bibliothekskunde, Bd.l, Leipzig 1920, S. 48.

»0,2 — 0,4 g töten einen erwachsenen Menschen.« Ullmann, Enzyklopädie der technischen Chemie, Bd. 8, S. 623.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1. Hinführung

2. Seuchen — ein Buch- und Medienereignis

2.1 Drei beispielhafte Seuchen­

schilderungen 2.2 Humoralpathologische Erklärungen 3. Seuchenschriften als literarische Gattung

3.1 Pestconsilia 3.2 Gedruckte Seuchenpublizistik 3.3 Pest und Buchdruck 4. Contagiöses Papier

5. Bestandshygiene 5.1 Seuchenpost 5.2 Die Bibliothek als Desinfektionsanstalt

10

6. Seuchenrechtliche Fragen 7. Die Mikrobiologie des Buches 8. Leseseuchen 8.1 Seuchensemantik 8.2 »Bibliothekspolicey«

8.3 Sanitätspolicey und Schunddebatte 8.4 Pastoralhygienische Aspekte

9. Seuchensemantik der Gegenwart 10. Immunologie und Bibliothek

Epilog Liste wichtiger Buchpilze

Abkürzungsverzeichnis

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

11

Vorwort

Bibliotheken als »gefährliche Brutstätten des Geistes« zu bezeichnen, ist eine beliebte und gängige Redewen­

dung.1 Sie spielt an auf gewisse subversive, ja verbotene Buchinhalte, die den Leser auf die berühmten »komi­

schen Ideen« bringen können. Da ist es nicht verwun­ derlich, wenn zu allen Zeiten versucht wurde, den Zu­ gang zu Büchern aus Furcht vor ihrer intellektuellen

Ansteckungsgefahr in irgendeiner Form zu reglemen­ tieren. Übersehen wird bei dieser, von medizinisch-bio­

logischen Metaphern merkwürdig geprägten Redeweise freilich das reale Infektionsrisiko, das von Büchern und ihrer Lektüre ausgehen kann. In dieser Hinsicht nämlich

darf man Bibliotheken wirklich als gefährliche Brut­ stätten bezeichnen, gefährlich vielleicht nicht für den

Geist, wohl aber für den Leser und seine Gesundheit. Hier setzt die vorliegende kleine Abhandlung an und stellt die unterschätzte und weithin in Vergessenheit ge­

ratene Pathologie der Bibliotheksnutzung als eine Seu­

chengeschichte dar, die selbst wiederum Teil einer bib­

liotheksbezogenen Kulturwissenschaft des Morbiden ist. Dabei führt der ungewohnte Blickwinkel der an Ver­

fall, Tod und Vergänglichkeit orientierten Fragestellun1 Der Ausspruch soll auf einen Jahresbericht des Generalinspekteurs für das Bibliothekswesen des Preußischen Kultusministeriums aus dem Jahre 1857 zurückgehen.

12

gen zu interessanten, manchmal auch überraschenden

kulturanthropologischen Einsichten und Erkenntnis­ sen.2

Eine Seuchengeschichte der Bücher und Bibliotheken zu schreiben, ist faszinierend, aber auch anspruchsvoll,

nehmen doch die Naturwissenschaften einen nicht ge­ ringen Raum ein. Für den Nichtfachmann auf diesem

Gebiet, als der der Autor sich hier bekennt, ist das kein unriskantes, dafür aber ein umso spannenderes Unter­

fangen. Obwohl die vorliegende Themenstellung sehr abgelegen

ist und meines Wissens in dieser Form noch nicht bear­

beitet wurde, lässt sich doch erstaunlich viel Material freilegen, das im Detail und in der Tiefe zu untersuchen, den Rahmen einer kompakten essayistischen Darstel­

lung sprengt.

Das, was hier geboten wird, ist daher als bloßer Pros­

pekt und als Einladung zu lesen, das überaus spannende Thema eingehender zu behandeln, es vielleicht sogar zu

einer umfassenden Medienanthropologie der Seuchen

2 Siehe hierzu Steinhauer, Theorie und Praxis der Bibliotheksmumie, 2012; ders., Vampyrologie für Bibliothekare, 2011. Den theoretischen Ertrag dieses Blickwinkels hat Kreuter, Rez. »Steinhauer, Vampyrologie für Bibliothekare«, in: ZfB 47 (2011), S. 285-287 ausdrücklich gewür­ digt, vgl. auch das von Urs Wi/imann mit mir geführte Interview »Friedhof der Datenträger« in der ZEIT vom 25. Oktober 2012, S. 43.

13

auszubauen.3 Das gilt auch für die in dieser Untersu­ chung unverhofft entdeckten frühen Ursprünge des heutigen Bibliotheksrechts. Wie kommt man bloß dazu, sich mit seuchenbezogenen

Aspekten im Buch- und Bibliothekswesen zu beschäf­ tigen? Das wird sich macher Leser fragen. Ich jedenfalls

wurde auf dieses Thema bei meinen Arbeiten zu dem Phänomen der Bibliotheksmumie aufmerksam.4 Mumi­

en nämlich werden nicht nur bemerkenswert oft in Bib­

liotheken gesammelt, auch ihre Erhaltung weist in der

gemeinsamen Bedrohung durch zerstörerische Mikroor­ ganismen viele Parallelen zur Welt der Bücher auf. Unheimlich in beiden Fällen ist zudem, wie lebendig in

biologischer Hinsicht, aber auch gefährlich die ver­ meintlich toten Objekte sind, sieht man nur genauer hin.5

3 Wirkungsästhetische Ansätze unter der Leitmetapher der An­ steckung, die als Elemente einer Medienanthropologie der Seuchen gelten können, finden sich etwa bei Schaub/Suthor/Fischer-Uchte, An­ steckung : zur Körperlichkeit eines ästhetischen Prinzips, 2005. 4 Vgl. Steinhauer, Theorie und Praxis der Bibliotheksmumie, 2012. 5 Den entscheidenden Anstoß, nach seuchenbezogenen Aspekten im Bibliothekswesen Ausschau zu halten, verdanke ich dem Aufsatz von Michaelsen et al.. Molecular and Microscopical Investigation of the Microflora Inhabiting a Deteriorated Italian Manuscript Dated from the Thirteenth Century, in: Microb. Ecol. 60 (2010), S. 69-80.

14

Für die kritische Lektüre des ersten Manuskripts und ihre Anmerkungen danke ich herzlich Anja Landsmann

aus Leipzig.

Das Institut für ßibliotheks- und lnformationsivissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin hat im Berliner Biblio­

thekswissenschaftlichen Kolloquium auch dieses Mal wieder einen wunderbaren Rahmen bereit gestellt, um

meine Überlegungen vor ihrer Veröffentlichung einem größeren PubEkum zu präsentieren.

Rüthen, im Februar 2013

Eric IF. Steinhauer

15

1. Hinführung

Seuchen gehören zu den großen Gestaltungskräften der

Geschichte.6 Allein der modernen Medizin und einem hohen hygienischen Standard ist es zu verdanken, dass diese Tatsache den meisten Menschen kaum noch be­

wusst ist. Die vielfältigen Spuren, die Seuchen in unse­

rer Kultur hinterlassen haben,7 sind mittlerweile daher fast so unscheinbar wie die unheimlichen Seuchen­

erreger selbst. Schaut man aber lange genug hin, werden diese Spuren plötzlich sichtbar.8 Das gilt auch für das Buch- und Bibliothekswesen und wird nach einer klei­ nen grundlegenden Einführung in die historische Seu­

chenkunde das Thema der vorliegenden Abhandlung sein.

Geboten wird dabei eine kurze Seuchengeschichte der

Bücher und Bibliotheken. Geschichte meint hier nicht

nur die Schilderung historischer Ereignisse. Vielmehr soll der Begriff der Geschichte in einem weiteren, mehr traditionellen Sinn verwendet werden, wie wir ihn von 6 Vgl. Bergdoh, Die Pest, S. 8; Raulff, Die Schule der Ratten gegen die Schule der Flöhe, S. 17-19; Ulbricht, Die Allgegenwärtigkeit der Pest in der Frühen Neuzeit und ihre Vernachlässigung in der Geschichtswis­ senschaft, S. 1-15; Vasold, Die Pest, S. 11. 7 Vgl. Duqne, Art. »Plague Memorials«, in: Encyclopedia of Pestilence, Pandemics, and Plagues, Bd. 2, S. 530 f.; RuffielSoumia, Die Seuchen in der Geschichte der Menschheit, S. 63 f. 8 Ein Beispiel bietet aus dem Erbrecht § 2250 BGB (Nottestament vor drei Zeugen), das auf das gemeinrechtliche »testamentum tempore pestis« zurückgeht, vgl. von Lübtow, Erbrecht, Bd. 1, S. 219. Wenig bekannt ist auch, dass das Eau de Cologne 1742 ursprünglich als Pestpräservativ entwickelt wurde, vgl. Leven, Von Ratten und Men­ schen, S. 19; Rath, Die Pest, in: Ciba-Zeitschrift 73 (1955), S. 2422.

16

der Bezeichnung »Naturgeschichte« her kennen. Dort bedeutet er eine die Natur und ihre Erscheinungen

weniger analysierende, sie vielmehr ausführlich be­ schreibende, also phänomenologisch arbeitende Wis­ senschaftsdisziplin.9 In dieser Weise wollen auch wir im Folgenden unter der Seuchengeschichte der Bücher und

Bibliotheken die umfassende Darstellung aller einschlä­

gigen loimologischen Sachverhalte in Vergangenheit und Gegenwart verstehen.10 2. Seuchen — ein Buch und Medienereignis

Die großen Epidemien der Geschichte, die Pest zumal, kennen wir meist nur durch schriftliche Berichte, letzt­

lich also aus Büchern. In jüngter Zeit wird dieses Wis­ sen mehr und mehr ergänzt durch paläopathologische

Forschungen auf alten Friedhöfen.11 Doch auch dort liefern vor allem schriftliche Überlieferungen erst die relevanten Fragestellungen, etwa für den Versuch einer

retrospektiven Diagnostik historischer Seuchen.12 9 Vgl. Miilkr-W'iUe, Art. »Naturgeschichte«, in: EnzN Bd. 8, Sp. 1177 f.; Wuketits, Eine kurze Kulturgeschichte der Biologie, S. 29-32, 144. 10 Der Begriff »Loimologie« leitet sich vom griechischen Wort »Ä.ot|AÖ(j« (Pest, Seuche) ab und ist ein mittlerweile veralteter Ausdruck für Seuchenkunde bzw. Infektionsepidemiologie, vgl. Pschyrembel Klinisches Wörterbuch, S. 980. 11 Vgl. Callaway, Plague genome, in: Nature 478 (2011), S. 444-446; Haensch et al., Dinstinct Clones of Yersinia pestis caused the Black Death, in: PLoS Pathog. 6 (2010) el()01134; Jakob, Art. »Paleo­ pathology«, in: Encyclopedia of Pestilence, Pandemics, and Plagues, Bd. 2, S. 451-454. 12 Eine spannende Frage ist hier, ob der »Schwarze Tod« des Mittel­ alters tatsächlich die durch den Erreger Yersinia pestis verursachte Pest war oder nicht. Vasold, Grippe, Pest und Cholera, S. 56-68 bestreitet dies. Angesichts neuer paläogenetischer Forschungen scheint die

17

2.1 Drei beispielhafte Seuchenschilderungen

Eine der frühesten und zugleich auch prominentesten

Seuchenschilderungen des Abendlandes finden wir bei dem griechischen Autor Thukydides (ca. 460 bis ca. 400

v.Chr.) im zweiten Buch seiner »Geschichte des Pelo-

ponnesischen Krieges« (Thuk. 2, 47-54). Dort be­ schreibt er die so genannte »Attische Pest«, die um das

Jahr 430 v. Chr. in Athen wütete.13 Sein Bericht ist nicht

nur wegen seiner literarischen Qualitäten interessant, er ist auch in hohem Maße authentisch, da der Autor selbst an der Seuche erkrankte, sie aber im Gegensatz

zu den meisten seiner Leidensgenossen überlebte (Thuk. 2, 48). Thukydides beschreibt aber nicht nur die

Symptome der Krankheit (Thuk. 2, 49). Er schildert vor allem den durch sie bewirkten Zusammenbruch aller

staatlichen, rechtlichen, gesellschaftlichen und religiösen Ordnung (Thuk. 2, 53). Die Art und Weise, wie er das menschliche Leid und die Trostlosigkeit der Situation

These Vasolds wiederlegt zu sein, vgl. Haenseh et al, Distinct Clones of Yersinia pestis Caused the Black Death, in: PLoS Pathog. 6 (2010), el0001134. I^even, Von Ratten und Menschen, S. 32 freilich ist grundsätzlich skeptisch, ob medizinhistorische Sachverhalte mit natur­ wissenschaftlichen Methoden überhaupt abschließend zu klären sind. 13 Dazu I^even, Art. »Pest, >Attische l\ st, Pestseelsorge«, in: LThK3 Bd. 8, Sp. 79; Parello, Art. »Schutzmantelmadonna«, in: MarLex. Bd. 6, S. 85; Schawe, Art. »Pestbild«, in: MarLex. Bd. 5, S. 164-167.

23

die des Tages fliegen, vor der Pest, die im Finstern schleicht.«28 Göttliche Macht konnte also nicht nur töten, sie konnte und sollte auch heilen und beschützen. So war es in

Griechenland üblich, im Krankheitsfall ein Asklepieion aufzusuchen und sich dort neben dem Rat von Ärzten

göttlicher Hilfe anzuvertrauen. Man glaubte, Äskulap, der Gott der Heilkunst und Sohn Apollons, besuche die

im Heiligtum nächtigenden Kranken im Schlaf und

heile sie.29 Auch Thukydides hat ja erwähnt, dass die ster­ benskranken Menschen in Heiligtümern ihre Zuflucht

genommen hatten. Neben einer religiösen Sicht, boten sich aber auch

naturphilosophische Überlegungen als Erklärungsmo­ delle für Krankheiten an. Ausgehend von der bereits bei den griechischen Vorsokratikern zu findenden Annah­

me, die Welt bestehe aus vier Elementen, suchte man im menschlichen Organismus nach einer Entsprechung dieses Aufbauschemas und entwickelte die so genannte

Vier-Säfte-Lehre, die auch als Humoralpathologie be-

28 Vgl. Feuerstein-Her^, Gotts verhengnis und seine straffe, S. 209; Ulbricht, Die Allgegenwärtigkeit der Pest in der Frühen Neuzeit und ihre Vernachlässigung in der Geschichtswissenschaft, S. 38. 29 Vgl. Bynum, Geschichte der Medizin, S. 16; Leven, Geschichte der Medizin, S. 17; Porter, Geschröpft und zur Ader gelassen, S. 41; Siefert, Art. »Tempelschlaf«, in: Enzyklopädie Medizingeschichte, S. 1381 f.

24

zeichnet wird.30 Danach war das Zusammenspiel von vier Körperflüssigkeiten, nämlich der gelben und der

schwarzen Galle sowie von Blut und Schleim für die Gesundheit des Menschen verantwortlich.31 War das

Gleichgewicht dieser vier Säfte gestört, wurde man krank. Die Sorge der Medizin galt daher dem Gleich­

gewicht dieser vier Säfte. Dazu dienten nicht nur Prak­

tiken wie der Aderlass, sondern auch Ernährungsrat­ schläge.

Speziell das Aufkommen von Seuchen erklärte man sich mit ungünstigen klimatischen Verhältnissen und faulig­

warmen Ausdünstungen, den Miasmen,32 die das

Gleichgewicht der Säfte in Unordnung brachten.33 Eine wichtige Rolle bei der Entstehung der Miasmen wurde astrologischen Ereignissen wie besonderen Planeten­

konstellationen und dergleichen zugeschrieben.34 Entwickelt wurde die Vier-Säfte-Lehre in der griechi­

schen Medizin, die traditionell auf Hippokrates von Kos (ca. 460 - ca. 375 v. Chr.), einem Zeitgenossen des Thukydides, und dessen Schüler zurückgeführt wird. 30 Vgl. Leven, Geschichte der Medizin, S. 21; Toepfer, Historisches Wörterbuch der Biologie, Bd. 2, S. 290 (Art. »Krankheit«); Weisser, Hippokrates/Galen, S. 13. 31 Vgl. Gundert, Art. »Humoralpathologie«, in: Leven, Antike Medizin, S. 436-441; Weisser, Hippokrates/Galen, S. 13 f. 32 Dazu Gudermann, Art. »Miasmen«, in: EnzN Bd. 8, Sp. 474-481; Potter, Art. »Miasma«, in: Leven, Antike Medizin, S. 615. 33 Vgl. Dinges, Seuchen im Mittelalter und Früher Neuzeit, S. 20 f. 34 Vgl. Gudermann, Art. »Miasmen«, in: EnzN Bd. 8, Sp. 475; Keil, Art. »Seuchen«, in: RGA Bd. 28, S. 233.

25

In der Schnabel-Maske des Pest-Arztes befinden sich wohlriechende Substanzen, um ihn vor krankmachenden Miasmen zu schützen. Stich aus dem Jahre 1656.

Vervollkommnet und für die weitere Rezeption zu­

sammengefasst hat sie der römische Arzt Galen (129 — ca. 200). Die akademische Medizin hielt — mit Modi­

fikationen freilich — an dieser Theorie bis in das 19. Jahrhundert fest,35 auch wenn mit dem Aufkommen des empirisch-naturwissenschaftlichen

Arbeitens in der

35 Vgl. Jankrift, Krankheit und Heilkunde im Mittelalter, S. 81; Wegner, Art. »Miasma«, in: Enzyklopädie Medizingeschichte, S. 986.

26

Frühen Neuzeit, vor allem aber im Zeitalter der Auf­

klärung, eine im Wesentlichen durch antike Autoritäten gestützte Medizin immer fragwürdiger wurde.36 An die­ ser Stelle sei betont, dass bei allen letztlich unhaltbaren

spekulativen Elementen der Humoralpathologie ihr An­ satz ein zutiefst rationaler war, denn man suchte Krank­ heiten ohne religiöse Voraussetzungen zu verstehen und

zu heilen.37 3. Seuchenschriften als titerarische Gattung

Es liegt auf der Hand, dass ärztliches Handeln, das auf

der Grundlage einer letztlich philosophischen Theorie agiert, nicht im Labor oder am Krankenbett, sondern in

der gelehrten Spekulation und der Lektüre medizini­ scher Klassiker seinen Schwerpunkt hatte.38 Der briti­

sche Medizinhistoriker William Rynum hat diese Form der Medizin sehr treffend als »Bibliotheksmedizin« be­ zeichnet.39

Aus ihr heraus entwickelte sich als direkte Folge der großen Pestepidemien des späten Mittelalters die neue

36 Vgl. Leven, Geschichte der Medizin, S. 47; Weisser, Hippokrates/Galen, S. 28. 37 Vgl. Weisser, Hippokrates/Galen, S. 14. 38 Vgl. Leven, Geschichte der Medizin, S. 28; Weisser, Hippokra­ tes/Galen, S. 27. Ein schönes Beispiel bietet Cassiodor (ca. 485-ca. 580) in seinen »Institutiones divinarum et saeculariutn litterarum«, wo er im 31. Kapitel »de medicis« zu Ausbildungszwecken insbesondere die Lektüre der medizinischen Klassiker empfiehlt: »legite Hippocratem atque Galienum ... et anonymum quendam, qui ex diversis auctoribus probatur esse collectus.« 39 Vgl. Bjnam, Geschichte der Medizin, S. 34.

27

Literaturgattung der Seuchenschriften. Man kann hier —

ganz grob — drei verschiedene Typen von Publikationen unterscheiden, wenn die rein theologisch-erbaulichen

Werke außer Betracht bleiben. 3.1 Pestconsilia

Zunächst sind die gelehrten, meist lateinisch geschrie­

benen Abhandlungen der akademischen Medizin zu nennen, in denen auf Grundlage der humoralpathologi­

schen Tradition Erklärungen für das Auftreten von Seu­ chen gegeben werden, verbunden mit Ratschlägen, sie zu vermeiden und zu bekämpfen. Diese Schriften wer­ den in Analogie zu den Rechtsgutachten der juristischen

Fakultäten, den Rechtsconsilia, in der seuchengeschicht­ lichen Literatur als Pestconsilia bezeichnet.40 Sie wandten

sich, vor allem im Handschriftenzeitalter, an ein akade­ misch ausgebildetes Fachpublikum sowie im Sinne einer

frühen Form der wissenschaftlichen Politikberatung an

die jeweilige Obrigkeit einer von der Pest heimgesuch­ ten Region.

Das wohl bekannteste und wichtigste Gutachten dieser Art ist das Pariser Pestgutachten der Medizinischen Fa­

kultät von 1348 bzw. 1349.41 Es wurde in der Folgezeit 40 Vgl. Bergdo/t, Der Schwarze Tod in Europa, S. 27. 41 Vgl. Corsten, Art. »Pestbücher«, in: LGB2 Bd. 5, S. 604; Keil, Art. »Pariser Pestgutachten (Visis effectibus / Veus et consideres les effecs)«, in: VerfLex. Bd. 7, Sp. 309-312; Schipperges, Die Kranken im Mittelalter, S. 107-110. Das Gutachten sieht astrologische bzw. siderische Konstellationen und den dadurch entstandenen Pesthauch als Ursache für die Krankheit an.

28

in viele andere Werke aufgenommen, etwa in den »Sinn

der höchsten Meister von Paris«, einer 1349 im Umkreis der Universität Prag entstandenen Schrift.42

Mit dem Aufkommen des Buchdrucks in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts wurden neue Formen der

Seuchenpublizistik populär,43 nämlich die Pesttraktate oder Pestregimina sowie die Seucbenordnungen. 3.2 Gedruckte Seuchenpublizistik

Pesttraktate oder Pestregimina, die sich vor allem nach 1470 vermehrt nachweisen lassen, sind im Gegensatz zu

den Pestconsilia der Handschriftenzeit zumeist in der

Volkssprache verfasst und zielen damit auf ein breiteres Publikum.44 Sie enthalten praktische Diätvorschriften

zur Seuchenprophylaxe sowie diagnostische und volks­ medizinische Hinweise.

Als Ratgeber im Falle des Falles versprachen die Pest­ traktate Hilfe zur Selbsthilfe, gerade im ländlichen Be­

reich, wo es keine medizinische Versorgung durch Ärzte gab.45 Das machte sie attraktiv. Außerdem konnte durch 42 Vgl. Keil, Art. »Sinn der höchsten Meister von Paris«, in: VerfLex. Bd. 8, Sp. 1281-1283. 43 Vgl. Kuffie/ Sournia, Die Seuchen in der Geschichte der Menschheit, S. 42. 44 Vgl. Marshall, Art. »Plague Literature and Art, Early Modern European«, in Encyclopedia of Pestilence, Pandemics, and Plagues, Bd. 2, S. 523 f. 45 Ein schönes Beispiel ist Philipp Imsser, Pestilentz-Büchlein / für die armen Handwercks- und Baurs-Leuthe, 1680, dazu Feuerstein-Her^ Gotts verhengnis und seine straffe, S. 241.

29

Druckschriften medizinische Expertise schnell und relativ gefahrlos in akute Seuchengebiete gelangen.

Zwar gab es auch schon im Handschriftenzeitalter mehrere volkssprachliche Pestschriften, die jedermann

medizinisches Wissen zugänglich machen wollten, etwa

die Schrift »Also das ein Mensch Zeichen gewun« des aus Ulm stammenden Arztes Jakob Engelin (ca. 1365 -

vor 1427)46 oder ein Pesttraktat des württembergischen

Arztes Nikolaus vom Schwert (um 1419).47 Allerdings wa­

ren die Verbreitungsmöglichkeiten dieser Werke noch sehr begrenzt. Erst der Buchdruck konnte diesen Tex­

ten eine angemessene Öffentlichkeit erschließen. Als

erste eigenständige Seuchenschrift, die auf diese Weise verbreitet wurde, gilt das 1473 erstmals gedruckte Werk

»Die Ordnung der Pestilenz« des Ulmer Arztes und Humanisten Heinrich Steinhöwel (ca. 1420 — 1482).48

Inhaltlich greifen die Pesttrakte vielfach und in kompilatorischer Weise auf Vorlagen der Handschriftenzeit zu­ 46 Vgl. Bergmann, Art. »Engelin, Jakob«, in: VerfLex. Bd. 2, Sp. 562. Dabei greift Engetin auch auf ältere Pestautoren zurück, etwa auf Gallus von Prag (gest. nach 1378) und dessen »Prager Sendbrief« von 1371, vgl. Keil, Art. »Gallus von Prag«, in: VerfLex. Bd. 2, Sp. 1069. 47 Vgl. Keil, Art. »Nikolaus vorn Schwert (Meister N.)«, in: VerfLex. Bd. 6, Sp. 1151-1153. 48 Vgl. Ametung, Art. »Steinhöwel, Heinrich«, in: LGB2 Bd. 7, S. 234; Dicke, Art. »Steinhöwel, Heinrich«, in: VerfLex. Bd. 9, Sp. 261 f.; Feuerstein-Her^ Gotts verhengnis und seine straffe, S. 174; dies., Im Druck der Seuchen - Seuchen und Buchdruck in der Frühen Neuzeit am Beispiel der Bestände der Herzog August Bibliothek, S. 29. Die durch den Buchdruck erweiterte Öffentlichkeit und die damit gegebe­ nen neuen Kommunikations- und Rezeptionssituationen untersucht Giesecke, Der Buchdruck in der frühen Neuzeit, S. 366-376 exem­ plarisch am Beispiel von Steinhöwels Pestschrift.

30

rück. Beispielhaft sei hier die Schrift »Regiment vnd lere

wider die swaren kranckheit der pestilenz« des Berliner Arztes Konrad Schwestermüller (ca. 1450-1522) genannt,49 der für sein insoweit repräsentatives Werk mehrere be­ kannte loimologische Kleinschriften des 14. Jahrhun­

derts benutzt hat, etwa den im Anschluss an das Pariser

Pestgutachten verfassten »Sinn der höchsten Meister von Paris«, das »Pesdaßmännlein«,50 den »Brief an die

Frau von Plauen«51, den für die mittelalterliche Pest­

therapie sehr wichtigen »Sendbrief-Aderlaßanhang« von

134952 sowie die schon erwähnte Pestschrift von Jakob Engelin.

Im Gegensatz zu den Pesttraktaten waren die Seuchenord­ nungen, auch wenn sie sich in ihrer konkreten Form

nicht immer scharf abgrenzen lassen, keine medizini­ schen Abhandlungen oder Ratgeber, sondern obrigkeit­

liche Anordnungen und Verhaltensregeln im Seuchen­ fall.53 Sie stellen damit ein frühes Beispiel polizeilichen

49 Vgl. Keil/Reiningtr, Art. »Schwestermüller (Schwestermiller), Kon­ rad«, in: VerfLex. Bd. 8, Sp. 950-953. 50 Vgl. Keil, Art. »Pesdaßmännlein«, in: VerfLex. Bd. 7, Sp. 416-418. 51 Vgl. Keil, Art. »Brief an die Frau von Plauen«, in: VerfLex. Bd. 2, Sp. 1035 f. 52 Vgl. Keil, Art. »Sendbrief-Aderlaßanhang«, in: VerfLex. Bd. 8, Sp. 1077 f. 53 Vgl. die Beispiele bei Feuerstein-Her^, Gotts verhengnis und seine straffe, S. 199-204, sowie Knispel, Art. »Pestordnungen«, in: Lexikon der Letzten Dinge, S. 333 f.; Kümmel, Art. »Seuchenordnungen«, in: HRG Bd. 4, Sp. 1650-1654; Vasold, Die Pest, S. 130,134 f. Geschicht­ liche Hinweise finden sich bei Hess, Seuchengesetzgebung in den deut­ schen Staaten und im Kaiserreich vom ausgehenden 18. Jahrhundert bis zum Reichsseuchengesetz 1900, S. 83 f. et passim.

31

Handelns öffentlicher Stellen dar. Mit ihren Vorschrif­ ten freilich stehen die Seuchenordnungen nicht selten in

einer gewissen Spannung zu den humoralpathologi­

schen Theorien der akademischen Medizin. Zwar ließen die politischen Autoritäten sich durchaus von Medizi­ nern beraten, bei der konkreten Bekämpfung eines Pest­

ausbruchs aber waren weniger Lehrmeinungen als viel­

mehr pragmatische Entscheidungen gefragt.54 Auch wenn man die Möglichkeit von Krankheitsübertragung durch Ansteckung bzw. einen Ansteckungsstoff (»Kon-

tagium«) nur schwer in das System der klassischen Medizin integrieren konnte,55 handelten die Verwal­

tungsstellen etwa durch die Anordnung von Quaran­ tänen, was ja stillschweigend die Existenz von Krank­

heitserregern voraussetzt, gerade nicht expertengläubig, sondern erfahrungsgeleitet.56 Die Effektivität solcher Maßnahmen hat übrigens nicht wenig zur Festigung und Akzeptanz obrigkeitlicher Verwaltungsstrukturen und damit zur Herausbildung des neuzeitlichen Staates

beigetragen.57 54 Vgl. Dinges, Pest und Politik in der europäischen Neuzeit, S. 291; ders., Seuchen im Mittelalter und Früher Neuzeit, S. 23-26. 55 Vgl. zum Konflikt zwischen Miasma und Kontagium als Seuchen­ konzepte Gudermann, Art. »Miasma«, in: EnzN Bd. 8, Sp. 477 f.; Leven, Geschichte der Medizin, S. 78 f.; Schön, Bakterien, S. 101-103. 56 Zur Entwicklung der Ansteckungstheorie vgl. Varlik, Art. »Contagion Theory of Disease, Premodem«, in: Encyclopedia of Pestilence, Pandemics, and Plagues, Bd. 1, S. 134 f. 57 So sieht etwa Foucault, Überwachen und Strafen, S. 254 f. in Seu­ chen wie der Pest eine wichtige Ursache für den Aufbau staatlicher Kontrollstrukturen; vgl. auch Dinges, Pest und Staat, S. 71-103; Reichert, Der Diskurs der Seuche, S. 9-17; Rölli, Ansteckungsgefahr! Diszipli­ nierung im Zeichen des Schwarzen Todes, S. 353-366; Vasold, Die

32

I

2ßie

i»ep ^eforgtnbcn $nfte

I dtnbtneni^cnintinnnunbanbfrrinju (*,!*... z unb S Iw. h/*** CVnZf* galten/ roornad) *1/4. fid) ein l/»Jv*v jtbtnmSallbttiRoti) pmctfai; iih

SScrfäflunb I

Publicirt ANNO 1713.

Mnirg an btrStonau/

Beispiel für eine gedruckte Seuchenordnung.

3.3 Pest und Buchdruck

Dass die Seuchenschriften vor allem mit dem Aufkom­ men des Buchdrucks einen bedeutenden Aufschwung

erfahren haben, ist kein Zufall. Da sie, anders als etwa klassische Texte der antiken Literatur oder spekulative

theologische Abhandlungen, auf ein reges, ja vitales

Pest, S 129. Ulbricht, Die Allgegenwärtigkeit der Pest in der Frühen Neuzeit und ihre Vernachlässigung in der Geschichtswissenschaft, S. 43-46 freilich weist darauf hin, dass man bei gesetzlichen Vorschriften gerade in der Frühen Neuzeit mit mehr oder weniger großen Voll­ zugsdefiziten zu rechnen habe.

33

Interesse einer großen Leserschaft rechnen konnten,58

war der Buchdruck für sie ein idealer Verbreitungsweg, der nicht nur ausgiebig genutzt, sondern mancherorts

zur Herstellung von Seuchenschriften überhaupt erst

eingeführt wurde.59 Pesttraktate gehören regelmäßig zu den frühen Produktionen eines neuen Druckstand­

ortes.60 Doch damit nicht genug. Seuchenschriften sind nicht nur wegen ihrer hohen Auflage und der Vielfalt der

Drucke eine buchgeschichtlich wichtige Literaturgat­ tung der Inkunabelzeit und darüber hinaus.61 Seuchen

wie die Pest werden sogar als mitursächlich für die Er­

findung des Buchdrucks angesehen.

Diese vor allem von dem amerikanischen Historiker David Herlihy (1930-1991) vertretene These besagt, dass durch den massiven Rückgang der Bevölkerung als Fol­ 58 Nach Corsten, Art. »Pestbücher«, in: LGB2 Bd. 5, S. 604 gehörten loimologische Kleinschriften zu den meistgelesenen Texten der dama­ ligen deutschen Literatur. 59 Vgl. Feuerstein-Her& Im Druck der Seuchen - Seuchen und Buch­ druck in der Frühen Neuzeit am Beispiel der Bestände der Herzog August Bibliothek, S. 30-32. 60 Vgl. beispielsweise für Köln V'oullieme, Der Buchdruck Kölns bis zum Ende des fünfzehnten Jahrhunderts, Nr. 1194 und 1195. 61 Für die Inkunabelzeit lassen sich allein im deutschen Sprachraum 150 verschiedene Werke nachweisen, vgl. Feuerstein-Her^ Im Druck der Seuchen - Seuchen und Buchdruck in der Frühen Neuzeit am Beispiel der Bestände der Herzog August Bibliothek, S. 35. Zur Bibliographie siehe KJebs, Die Pestinkunabeln, S. 16-84. Unver­ ständlich ist es, wenn angesichts dieser Zahlen bei Geldner, Inkunabel­ kunde, S. 229 nur das Pestbuch des Hieronymus Brunschwig beiläufig erwähnt, die Seuchenschriften als eigene Gattung aber übergangen werden.

34

ge der verheerenden Pestepidemien technische Innova­

tionen begünstigt wurden, um die knapp gewordene

menschliche Arbeitskraft zu ersetzen.62 Eine dieser In­ novationen war eben der Buchdruck, der die Arbeit vie­ ler Schreiber entbehrlich machte.

Herlibys These wurde mit Blick auf die Zahlenent­

wicklung der Buchproduktion angezweifelt63 Merkwür­ dig ist auch, dass Bücher und Handschriften in der

Frühzeit des Buchdrucks zum gleichen Preis gehandelt

wurden; das spricht nicht unbedingt für einen Rationali­ sierungserfolg.64 Diskussionswürdig aber ist diese These allemal.

Das gilt auch für eine weitere Verbindung von Seuche und Buchdruck, die der Kölner Buchwissenschafder

Uwe Neddermeyer herausgearbeitet hat. Seiner Ansicht

nach hat der pestbedingte Bevölkerungsverlust zu einer Bevölkerungsverschiebung zugunsten der Städte ge­

führt, was eine Ausweitung der Schriftlichkeit zur Folge hatte, die sich wiederum positiv auf die Buchproduktion

auswirkte.65 62 Vgl. Herlihy, Der Schwarze Tod und die Verwandlung Europas, S. 56 f. 63 Vgl. Samuel K. Cobn jr. im Nachwort zu Herlihy, Der Schwarze Tod und die Verwandlung Europas, S. 115. 64 Vgl. Wolf, Von geschriebenen Drucken und gedruckten Hand­ schriften, S. 5 sowie S. 14, der darauf hinweist, dass Drucke erst nach 1480/90 im Vergleich zu Handschriften deutlich günstiger gehandelt wurden. 65 Neddermeyer, Von der Handschrift zum gedruckten Buch, S. 268 sowie Wolf, Von geschriebenen Drucken und gedruckten Handschrif-

35

Die vielfältigen Bezüge von Pest und Buchgeschichte können hier nur angedeutet werden. Für die historische

Buchforschung aber ist eine nähere Beschäftigung mit

diesem Thema durchaus lohnend.66 Am Rande sei vermerkt, dass die älteste bekannte bild­ liche Darstellung eines Schriftsetzers bzw. einer Buch­

druckerei auf einem Holzschnitt des Jahres 1499 zu fin­

den ist, einem in Lyon von Matthias Huß (um 1455nach 1507)67 gedruckten Totentanzbild.68

Die literarische und künstlerische Gattung des Toten­ tanzes, die in eindrücklichen, ja drastischen Bildern die

Todesverfallenheit aller Menschen — ob reich, ob arm —

thematisiert, hat gerade durch die Erfahrungen des gro­ ßen Sterbens in Pestzeiten eine besondere Popularität erhalten.69 Am Beginn seiner eigenen Ikonographie ist

ten, S. 20, der der These einer zunehmenden Literarisierung im Grun­ de zustimmt. 66 Vgl. beispielhaft Totano, The Plague in Print, Pittsburgh 2010. Dies gilt nicht nur für den Buchdruck im engeren Sinn. So betont An^elewsky, Art. »Pestblätter«, in: LMA Bd. 6, Sp. 1921, dass Einblattdrucke mit pestbezogenem Inhalt zu den frühesten Zeugnissen des Holz­ schnitts gehören; vgl. auch Schilling, Pest und Flugblatt, S. 93-99. 67 Vgl. Geldner, Art. »Huß, Matthias«, in: NDB 10 (1974), S. 84 f. 68 Vgl. Corsten, Die Erfindung der Buchkunst im 15. Jahrhundert, S. 145; Hegerlofy Die Frühzeit des Buchdrucks als Zeugnis eines Medien­ wandels, S. 39-41. 69 Bergdolt, Die Pest, S. 97 f.; den., Der Schwarze Tod in Europa, S. 214 f.; Feuerstein-Her^, Gotts verhengnis und seine straffe, S. 181; Gallery, Art. »Dance of Death«, in: Encyclopedia of Death and Dying, S. 134. Kritisch zum Verhältnis von Pest und Totentanz Kiening, Art. »Toten­ tanz - B. Literatur - I. Deutsche Literatur«, in: LMA Bd. 8, Sp. 899.

36

der Buchdruck also von einem gewissen Pesthauch um­ weht,70 wahrnehmbar freilich nur für die kundige Nase.

Der Lyoner Totentanz von Matthias Huß.

4. Contagiöses Papier

Bücher und Druckschriften hatten in Gestalt der Pest­ traktate eine durchaus medizinische Funktion. Sie soll­

ten ihren Lesern den aus verschiedenen Gründen nicht erreichbaren Arzt ersetzen und waren daher, wie es der

Straßburger Wundarzt Hieronymus Brunschivig (14501512) für seine populären medizinischen Schriften ein­

mal treffend formuliert hat »Buch und schütz, der ar­ men Artzney«.71 70 Vgl. Ligerlofy Die Frühzeit des Buchdrucks als Zeugnis eines Medi­ enwandels, S.40. 71 Zitiert nach Feuerstein-Her^ Im Druck der Seuchen - Seuchen und Buchdruck in der Frühen Neuzeit am Beispiel der Bestände der

37

Die Herstellungsbedingungen von Büchern freilich waren alles andere als gesund. Vor allem die Papierpro­

duktion stellte eine nicht unerhebliche Gefahr dar, sich mit einer tödlichen Krankheit anzustecken, und hat zu­ dem die Ausbreitung von Seuchen begünstigt.72 In der

Literatur finden sich auffallend häufig Berichte von

Pest- und Seuchenausbrüchen im Umkreis von Papier­

mühlen, etwa in Arnstadt oder Leipzig.73 Auch der

Gründer der ersten deutschen Papiermühle, die 1390 in Nürnberg ihren Betrieb aufnahm,74 Ulman Stromer

(1329-1407), starb, wie etliche seiner Familienmitglieder

und Mitarbeiter, an der Pest.75 Obwohl Stromer die Mühle ab 1394 verpachtet hatte und als Investor mit dem Betrieb selbst wohl kaum noch in Berührung kam,

so war er doch weiter mit der Beschaffung der Roh­

stoffe befasst, denn Stromer handelte mit alten Kleidern

Herzog August Bibliothek, S. 36. Zu Bmnschwig vgl. Frederiksen, Art. »Brunschwig, Hieronymus«, in: VerfLex. Bd. 1, Sp. 1073-1075; Keil, Art. »Brunschwig, Hieronymus«, in: LGB2 Bd. 1, S. 565. 72 Vgl. Bayer!, Die Papiermühle, S. 356-365. 73 Vgl. Bayerl, Die Papiermühle, S. 359; Hatham, Arnstadt, S. 40: »allein sie [die Pest, Anm. d. Verf.] soll vielmehr aus der Papiermühle von Lumpen, die sie aus fremden Landen erhalten, hergerührt haben«; Sahm, Geschichte der Pest in Ostpreussen, S. 72 (Papiermühle zu Trutenau im Samland); Sticker, Abhandlungen aus der Seuchenge­ schichte und Seuchenlehre, Bd. 1, S. 206: »In Thüringen war man all­ gemein der Ansicht, daß das Übel an den Lumpen hafte, die in den Papiermühlen gesammelt wurden.« 74 Vgl. Sondermann, Kulturgeschichte des Papiers, S. 80-82. 75 Vgl. Kurras, Art. »Stromer, Ulman«, in: VerfLex. Bd. 9, Sp. 457 f.; Sporhan-Krempellvon Stromer, Das Handelshaus der Stromer in Nürn­ berg und die Geschichte der ersten deutschen Papiermühle, in: VSWG 47 (1960), S. 82.

38

und Lumpen,76 aus denen die für die Papierherstellung

unentbehrlichen Hadern gewonnen wurden. Alte Kleider waren daher ein sehr begehrter und oft auch knapper Rohstoff, der von Lumpensammlern zu­

sammengetragen und sogar überregional gehandelt wur­

de. Um aus ihnen die Hadern zu gewinnen, wurden sie in der Papiermühle zerkleinert und mit Hilfe eines

Stampfwerkes und Wasser zu einer breiigen Masse ver­

arbeitet, aus der dann das Papier mit Sieben geschöpft und nach dem Trocken zu einem beschreibbaren glatten Material weiterverarbeitet wurde.77 Hadern waren bis

etwa 1840 praktisch der einzige, danach für lange Zeit immer noch ein wichtiger Rohstoff für die Herstellung von Papier.78

Loimologisch, also seuchenkundlich interessant sind

hier vor allem die Beschaffung der Lumpen sowie deren

mechanische Zerkleinerung in der Papiermühle. Gerade die zuletzt genannte Tätigkeit war nicht nur mit einer

starken Staubentwicklung verbunden, bei der krankma­ chende Erreger leicht eingeatmet werden konnten, in der alten Kleidung saßen oft auch Flöhe, für die die Ar­

76 Vgl. Piecard, Über die Anfänge des Gebrauchs des Papiers in deut­ schen Kanzleien, in: FS-Fanfani, Bd. 3, S. 363. 77 Zum Herstellungsprozess vgl. Reriker, Geschichte des Papiers, S. 1054-1058. 78 Vgl. Sandermann, Kulturgeschichte des Papiers, S. 95-103; Sommerfeld, Art. »Papier«, in: Pfeiffer/Proskauer, Encyklopädie der Hygiene, Bd. 2, S. 178.

39

beiter der Papiermühle willkommene Wirte waren.79 Flöhe freilich können Krankheiten übertragen. Gerade

bei der Pest spielen sie eine bedeutende Rolle.80

Eine typische Pestbeule.

Der Pesterreger Yersinia pestis nämlich hat seinen natür­ lichen Lebensraum vor allem bei Ratten und wird dort

über Flohstiche weitergegeben.81 Der Floh nimmt dabei über das Blut die Pestbakterien in sich auf und gibt sie bei der nächsten Blutmahlzeit an seinen neuen Wirt wei­ ter. Stirbt nun eine verpestete Ratte und ist kein ver­ gleichbarer Wirt zu finden, geht der Rattenfloh auch auf

79 Vgl. Bayerl, Die Papiermühle, S. 358. 80 Vgl. Lexikon der Biologie, Bd. 6, S. 337 (Art. »Pestfloh«); Vasold, Die Pest, S. 74-76. 81 Vgl. K«7, Art. »Pest«, in: RGA Bd. 22, S. 618 £; Lexikon der Biologie, Bd. 8, S. 476 (Art. »Yersinia«); Mims et al, Medizinische Mikrobiologie — Infektiologie, S. 433-435.

40

Menschen über.82 Die typischen Pestbeulen etwa sind eine unmittelbare Folge des infektiösen Flohstichs.

Die Einzelheiten dieses Infektionsvorganges sind recht kompliziert, zumal bestimmte Floharten auf spezielle Wirte beschränkt sind. Beim Menschen jedenfalls über­

nimmt, sofern nicht die Lunge von der Pest befallen wurde und die Krankheit dann sehr ansteckend und ge­ fährlich durch Tröpfcheninfektion weitergegeben wird, Pulex irritans, der Menschenfloh, die weitere Verbreitung

des Erregers. Daneben werden auch Kopf- und

Kleiderläuse als mögliche Pestüberträger diskutiert.83 Flöhe und Läuse nun finden sich in großer Zahl in ge­ brauchter Kleidung. Durch Lumpensammler, die gerade

bei großen Epidemien reichlich herrenloses und damit

sehr lukratives Material vorfanden, und den anschlie­

ßenden Handel mit den gesammelten Lumpen ge­

langten die Pesterreger leicht in bisher unverseuchte

Gebiete; infizierte Flöhe können bis zu 30 Tage in den Lumpen überleben.84 Die Papiermühle als Ziel des

82 Vgl. Porter, Geschröpft und zur Ader gelassen, S. 25. 83 Vgl. Paoult et al., Body lice, yersinia pestis orientals, and black death, in: Emerg. Infect. Dis. 16 (2010), S. 892 f.; dies., Experimental model to evaluate the human body louse as a vector of plague, in: J Infect. Dis. 194 (2006), S. 1589-1596. Nach Vasold, Pest, Not und schwere Plagen, S. 72 und 85 können Pesterreger auch in Staub und Textilien einige Zeit infektiös bleiben. 84 Vgl. Bergdolt, Der Schwarze Tod in Europa, S. 18. Kohn, Ency­ clopedia of Plague and Pestilence, S. 159 (Art. »Italian Plagues of 1629-31«) gibt sogar einen Zeitraum von 6 Wochen bis zu einem Jahr (!) an.

41

Lumpenhandels war also ein idealer Ausgangspunkt für

die weitere Verbreitung der Pest. Auch wenn aus Sicht

der damaligen Medizin und ihrer humoralpathologi­ schen Thesen der tatsächliche Infektionsweg der Pest

nicht bekannt war, so wurde die Kleidung von Seuchen­ opfern dennoch als ungesund angesehen, zumal sie ja ungute Ausdünstungen enthalten konnte. Konsequen­ terweise verbot man in den Pestordnungen den Handel mit Lumpen oder reglementierte ihn doch sehr stark.85

Ob die Erkrankungen im Umkreis der Papiermühlen tatsächlich in jedem Fall als Pest zu diagnostizieren sind,

ist allerdings fraglich. Denn auch nach dem Verschwin­ den der eigentlichen Pest in Europa blieben Papiermüh­

len bzw. -fabriken ein gefährlicher Ort. Mit den Lum­

pen wurden nämlich nicht nur infizierte Flöhe und Läu­

se transportiert. Der Stoff selbst enthielt oft Erreger, die dann bei der Reinigung und der mechanischen Zerklei­

nerung der Lumpen eingeatmet wurden. Für das 19. 85 Vgl. Kümmel, Art. »Seuchenordnungen«, in: HRG Bd. 4, Sp. 1651; Vasold, Die Pest, S. 126. Beispielhaft sei die Churpfältqische Neuburgische Pest-Ordnung von 1713, S. 12 angeführt: »Solle weder in noch nach der Pest denen Dandern / Juden / oder anderen gestattet werden / einige alte Kleyder / Lumpen / Bether / Leingewand / und dergleichen / heimblich / oder öffentlich zuverkaufen / wann nicht vor der Obrig­ keit / oder dem Gesundheits-Directore genugsamb erwisen werden kan / daß selbige an keinem inficirten Orth gewesen.« Vgl. auch das Kurpfal^-Baierische Mandat vom 29. Dezember 1747 »Von Sammlung der Hader«: »... doch daß das Haderlumpensammeln bey Pest- und Kontagions-Zeiten (so Gott gnädiglich abwenden wolle) gänzlich eingestellet seyn, und unterbleiben solle.« Vgl. aus Sicht der älteren Medi­ zin auch Krügelstein, Von dem Trödelhandel und dessen großen Nach­ teilen für die Gesundheit, in: Zeitschrift für die Staatsarzneikunde 38 (1839), S. 241-268, insbes. 244.

42

Jahrhundert etwa sind die Erkrankungen der vor allem weiblichen Beschäftigen in den vorindustriellen Papier­ fabriken gut dokumentiert: Von 1.000 Arbeiterinnen

starben damals innerhalb von 10 Jahren im Schnitt rund 50 an einer tödlichen Lungenkrankheit.86

Die Ursache hierfür ist der bis heute auch als »Hadern­ krankheit« bezeichnete Lungenmilzbrand,87 Milzbrand

übrigens war wohl auch die Ursache vermehrt auftre­ tender tödlicher Erkrankungen in amerikanischen Papierfabriken des 19. Jahrhunderts, in denen aus Ägyp­

ten importierte Mumienbinden als Rohstoff verwendet

wurden,88 auch wenn die damalige Presse natürlich

pharaonische Flüche oder andere raffinierte Gemeinhei­ ten der alten Ägypter zum Schutz gegen Grabräuber als

Ursache für die Todesfälle in Betracht zog.89

Der kurze Blick auf die Seuchengeschichte der Papier­ herstellung soll an dieser Stelle enden. Es ist sicher nicht 86 Vgl. Bayerly Die Papiermühle, S. 363 m.w.N. 87 Vgl. Bayerl, Die Papiermühle, S. 359-365 m.w.N.; Eppinger, Die Ha­ dernkrankheit, Jena 1894; Nowaky Lehrbuch der Hygiene, S. 772; Rotb, Art. »Gewerbehygiene«, in: Pfeiffer/Proskauer, Encyklopädie der Hygiene, Bd. 1, S. 378, 381; Sommerfeld, Art. »Hadernkrankheit«, in: Pfeiffer/Proskauer, Encyklopädie der Hygiene, Bd. 1, S. 426 f.Vasold, Die Pest, S. 51 merkt an, dass Pest und Milzbranz im Krankheitsbild oft schwer zu unterscheiden sind; Winkle, Geisseln der Menschheit, S. 48, 59 f. Sommerfeld, Art. »Papier«, in: Pfeiffer/Proskauer, Ency­ klopädie der Hygiene, Bd. 2, S. 178 nennt neben Milzbrand übrigens noch Scharlach, Masern, Flecktyphus, Gelbfieber, Diphtherie und Cholera als durch Lumpen übertragbare Krankheiten. 88 Vgl. Sandermann, Kulturgeschichte des Papiers, S. 101-103. 89 Vgl. Steinbauer, Theorie und Praxis der Bibliotheksmumie, S. 57; Wolfe, Mummies in Nineteenth Century America, S. 197-200.

43

übertrieben, wenn man annimmt, dass die Produktion

von Papier im Laufe der Jahrhunderte tausenden von Menschen durch Infektionskrankheiten das Leben

gekostet hat.

Bacillus anthracis (Milzbranderreger)

Davon ahnt der Leser eines schönen alten Buches heute

freilich nichts mehr, denn der Zusammenhang zwischen Seuchengeschichte und Papierproduktion ist weitge­ hend unbekannt und wird, wenn überhaupt, nicht in der bibliotheks-, sondern in der seuchengeschichtlichen Li­

teratur erwähnt — und auch dort nur am Rande, wenn es

um das Lumpensammeln geht.90 Dabei ist es schon ein 90 Vgl. Winkle, Geisseln der Menschheit, S. 48, 59 f.

44

merkwürdiges Gefühl, zu wissen, dass alte Bücher, die

wir heute in die Hand nehmen, vielleicht einmal Klei­ dungsstücke todkranker Menschen auf ihrem Sterbe­

lager oder tödliche Seuchenherde waren.91 5. Bestandshygiene

Überlegungen, durch wie viele Hände ein Buch schon

gegangen sein mag, sind aber nicht nur ein schöner

Stoff für melancholische Spekulationen beim abendli­

chen Rotwein nach 22 Uhr. Hier geht es auch um hygie­ nische Fragen. Wer fasst schon mit Behagen ein stark

fingergriffiges Buch aus der Lehrbuchsammlung einer Hochschulbibliothek und dessen leicht klebrige, ins

Gelbliche verschossene Foliierung an, zieht ein solches

Buch gar als Betdektüre in Erwägung? Niemand. Ir­ gendwie hat man Sorge, das Buch sei nicht bloß

schmutzig, sondern auch ungesund.92 Ganz abwegig sind solche Gedanken nicht. Historisch freilich sind sie

aus zwei Gründen eher jüngeren Datums.

Zum einen waren Bücher lange Zeit ein luxuriöser Ge­ genstand, der allenfalls in privaten Zirkeln, relativ ge­ schlossenen akademischen Milieus oder Klostergemein­

91 Winkle, Geisseln der Menschheit, S. 60 weist darauf hin, dass auch Buchbinder durch den Kontakt mit infiziertem Leder oft an Haut­ milzbrand erkrankten. 92 Diese Sorge illustriert anschaulich der hypochondrisch formulierte Buchtitel von Stratmann/ Grillparzer, Ist dieses Buch ansteckend?, Mün­ chen 2008.

45

schäften kursierte.93 Hier sei angemerkt, dass die ersten genuin bibliotheksrechtlichen Abhandlungen immer

auch einen erbrechtlichen Schwerpunkt hatten, denn

Bücher galten als wertvoller Familienbesitz und wurden

daher teilweise zum unverkäuflichen Bestand des Fami­

lienvermögens gezählt.94 Zum anderen zogen Leser vor dem Hintergrund der bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts von der Medi­

zin vertretenen humoralpathologischen Krankheitskon­

zepte eine Ansteckungsgefahr durch Bücher kaum in Betracht, es sei denn, die Bände stammten aus dem un­ mittelbaren Gebrauch siecher Personen. Dann hielt man auch damals eine ansteckende Wirkung jedenfalls

für denkbar. Von solchen Überlegungen etwa war die zur Zeit der großen Cholera-Epidemien um 1830 ange­ ordnete Desinfektion von Postsendungen, Briefen zu­

mal, mit heißem Dampf und dergleichen getragen.95 93 Einen guten Eindruck vom elitären Charakter des privaten Buchbe­ sitzes vermittelt die Darstellung von Bu^as, Deutsche Bibliotheksge­ schichte der Neuzeit, S. 85-106, siehe auch Chartier, Der Lesezirkel, S. 184-192. ' 94 Vgl. den beiläufigen Hinweis bei Bogeng, Umriss einer Fachkunde für Büchersammler, Nr. 421, sowie die Ausführungen »De iure bibliothecarum ratione actuum ultimae voluntatis« bei Berckelman, De jure bibliothecarum, Caput III und Struve, De iure bibliothecarum, S. 27-42. 95 Vgl. beispielhaft § 26 der Anweisung vom 13. Juni 1831 der Preußischen Verwaltung zu Königsberg an die örtlichen Postgrenzsta­ tionen: »Alle Briefe und andere Papiere, welche nicht sichern Bewei­ sen zufolge aus einer von der Cholera völlig freien, sondern aus einer verdächtigen oder anerkannt inficirten Gegend kommen, müssen Behufs ihrer Reinigung geräuchert werden.«, zitiert nach: Lauer, Rez. K. F. Meyer, Disinfected Mail, Holton 1962, in: Sudhoffs Archiv 47 (1963), S. 501.

46

5.1 Seuchenpost

Die Seuchen- oder Desinfektionspost, ein Sammel- und

Forschungsgebiet der so genannten Vorphilatelie,96 ei­ ner etwas randständigen medienhistorischen Hilfswis­

senschaft,97 ist eines der frühen Beispiele für die Annah­ me einer Übertragung von Krankheiten durch kursie­

rende papierene Informationsträger. Vom medizini­

schen Standpunkt aus betrachtet, waren die damaligen Maßnahmen übrigens sinnlos, denn die Cholera wird

nicht durch Papier, sondern durch unsauberes Trink­ wasser übertragen.98 Die Praxis der Seuchenpost war

gleichwohl ein Vorgeschmack auf eine unter Bibliothe­

96 Vgl. Häger, Großes Lexikon der Philatelie, Bd. 1, S. 191 (Art. »Des­ infizierte Post«); K. F. Meyer, Disinfected Mail, Holton 1962 sowie Klaus Meyer, Desinfizierte Post, in: Postgeschichte und Altbriefkunde 89 (1987), S. 1-15, sowie Grüntcffg/Mehlhom, Robert Koch, S. 55-65. 97 Krqys, Art. »Library Historiography«, in: Encyclopedia of Library and Information Sciences, Bd. 15, S. 300 etwa zählt die Philatelie zu den Hilfswissenschaften der Bibliotheksgeschichte, allerdings nur, so­ weit es um ihre Motivik geht. Allgemein zum wissenschaftlichen Sta­ tus der Briefmarkenkunde Bender, Gedanken zum wissenschaftlichen Charakter der Philatelie, in: Jahrbuch der Deutschen Bundespost 29 (1978), S. 295-375. Zur kommunikativen und literarischen Funktion des Briefs in Zeiten der Cholera vgl. Briese, Angst in den Zeiten der Cholera, Bd. 3, S. 7-21. 98 Vgl. Hacker, Menschen, Seuchen und Mikroben, S. 34; Vasold, Pest, Not und schwere Plagen, S. 15. In der Folgezeit wurden flächige Desinfektionsmaßnahmen im Postverkehr aufgegeben, vgl. die Mel­ dung über den Verzicht auf eine periodische Desinfektion von Post­ säcken in Belgien, in: Veröffentlichungen des Kaiserlichen Gesundheitsamtes 26 (1902), S. 877, sowie Mitten^weig, Die Bakterien-Aetiologie der Infections-Krankheiten, S. 119: »Desinfection von ... Postbeuteln ist überflüssig.« Als hygienische Maßnahmen wurden in der Folgezeit aber regelmäßige Entstaubungen der Postsäcke durchgeführt, vgl. Handwörterbuch des Postwesens, S. 136 (Art. »Beutelschüttelwerk«) sowie im Publikumsverkehr die Femsprecheinrichtungen gereinigt, eben­ dort, S. 623 (Art. »Tuberkulosefürsorge«).

47

karen in der Zeit zwischen 1885 und dem Ersten Welt­

krieg recht intensiv geführte Diskussion." 5.2 Die Bibliothek als Desinfektionsanstalt

Was war geschehen? Als Folge einer breit angelegten Alphabetisierung konnten weite Teile der Bevölkerung,

Angehörige der Unterschicht zumal, plötzhch lesen.

Wohlfeilen Lesestoff stellten Leihbüchereien unter­ schiedlichster Träger bereit. Die Nutzerschaft war

gesellschaftlich durchaus gemischt,99 100 denn in diesen Leihbüchereien zirkulierte die für viele Leser, auch der

besseren Kreise, attraktive Trivialliteratur.101 Hygienisch sah man hier zunächst kein Problem.

Das änderte sich schlagartig, als Robert Koch (18431910) in seinem berühmten, am 24. März 1882 in Berlin über die »Aetiologie der Tuberculose« gehaltenen Vor­

trag nachweisen konnte, dass Krankheiten durch Bak­

terien verursacht und übertragen werden.102

99 Vgl. Jaeschke, Volksbibliotheken, S. 157-160; Rosé, Die I Leihbib­ liotheken bei Epidemien und ansteckenden Krankheiten, 1890. 100 Vgl. Schneider, Art. »Leser/in«, in: EnzN Bd. 7, Sp. 853. 101 Vgl. Bu^as, Deutsche Bibliotheksgeschichte der Neuzeit, S. 110. 102 Vgl. DeKnrif, Mikrobenjäger, S. 122 f.; Mochmann/Köhler, Meilenstei­ ne der Bakteriologie, S. 115-126. Die Infektiosität des Milzbranderre­ gers hatte Koch schon 1876 entdeckt, vgl. Schön, Bakterien, S. 103-105.

48

liEHIJXEK

«SSiä«

KLIMX(’HE WK’HENSCHÜIFT. OriM f«r jrartWir A2° Vgl. ¿ie ausführlich dokumentierte Untersuchung von Mitulescu, Beiträge zur Aetiologie der Tuberculose, in: Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten 44 (1903), S. 401-406 an Büchern aus Ber­ liner Volksbibliotheken. 121 Vgl. Greve, Das Problem der Bücher- und Lesehallen, S. 254 f.; Uon, Untersuchungen über den Keimgehalt und die Desinfection be­ nutzter Bücher, S. 24 f: »Obgleich nun der Keimgehalt gebrauchter Bücher ... ziemlich gering ist, so wäre das Zustandekommen einer In­ fektion durch Bücher theoretisch nicht in Abrede zu stellen.« Uon rät dennoch, wohl aus der bakteriologischen Euphorie der Zeit heraus, zu einer umfassenden Desinfektion zurückgegebener Bücher in Leihbib­ liotheken. 122 So geht etwa Bansa, Art. »Desinfektion«, in: LGB2 Bd. 2, S. 254 f. nur noch auf buchkonservatorische Fragen der Schimmelbekämpfung ein. 123 Vgl. Gelderblom, Die Krankenhausbücherei, S. 624; Rjtemer, Mikroor­ ganismen in abgegriffenen Bibliotheksbüchern und auf Geldscheinen, in: Das Papier 8 (1954), S. 279 f.; Schmidt, Einrichtung und Organisa­ tion einer Krankenhausbücherei, S. 106 f. 124 Vgl Daschner, Bibliotheksbücher als Krankheitsherd, in: Die neue Bücherei 1992, S. 475 f.; Richtlinien für Öffentliche Krankenhausbibliotheken, S. 16 f.

55

Medien, die auf Quarantänestationen zum Einsatz kom­ men.125 6. Seuchenrechtliche Fragen

Auch wenn seuchenhygienische Fragestellungen aus dem Alltag der Bibliotheksbenutzung mittlerweile weit­

gehend verschwunden sind,126 die dahinter stehende

Problematik hat sich damit nicht erledigt. In den Me­

dien etwa erfährt man immer wieder von Briefen, die

mit Milzbranderregern kontaminiert wurden,127 mit töd­

licher Wirkung für ihre Empfänger. Papier kann also durchaus gefährliche Erreger transportieren. Von daher ist es nicht völlig abwegig, wenn auch noch nach dem

Zweiten Weltkrieg einige Bibliotheken ansteckende

Krankheiten in ihren Benutzungsordnungen thema­ tisieren.128 Ein Beispiel hierfür bietet § 23 Abs. 10 Allge­

meine Benützungsordnung [sic!] der Bayerischen Staat­ lichen Bibliotheken (ABOB) vom 30. November 1966:

125 vgl. Richtlinien für Öffentliche Krankenhaushibliotheken, S. 14: »... in den Infektionsabteilungen ... ist ein eigener ... Buchbestand ... zu schaffen, der auf diesen Stationen verbleibt und dauernd erneuert werden muss.« 126 Eine neuere Untersuchung hat Hermann, Zur Frage der Desin­ fektion bzw. Sterilisation von Büchern : Untersuchung alter Bücher in öffentlichen Büchereien auf Pilze, 1969 vorgelegt. Siehe auch Daschner, Bibliotheksbücher als Krankheitsherd, in: Die neue Bücherei 1992, S. 475 f. 127 Vg| Hacker, Menschen, Seuchen und Mikroben, S. 8,108. 128 Hiller, Ueber die Infektionsgefahr durch Bücher und die Desin­ fektion von Büchern, in: Zentralblatt für Bibliothekswesen 26 (1909), S. 199 hat die Berücksichtigung ansteckender Krankheiten in den Be­ nutzungsordnungen ausdrücklich gefordert.

56

»Der Entleiher hat, wenn in seiner Wohnung eine übertragbare

Krankheit im Sinne des § 3 Bundes-Seuchengesetzes vom 18. Juli 1961 (BGBl. IS. 1012) in derjeweils geltenden Fassung ausge­

brochen ist, hiervon der Bibliothek Mitteilung zu machen und die entliehenen Werke ^urück^ugeben. Die Bibliothek kann nach

ihrer Wahl Desinfizierung der Bücher auf Kosten des Benützers verlangen oder die Bücher auf dessen Kosten desinfizieren las­ sen.«™ Eine vergleichbare Regelung findet sich für die evan­

gelisch-kirchlichen Bibliotheken in § 7 Nr. 3 der Ord­ nung für die Benutzung kirchlicher Bibhotheken vom

15. April 1965, die vom Nutzer verlangt, »entliehene Bü­

cher auf seine Kosten zff desinfizieren, wenn in seiner Wohnung eine desinfektionspflichtige Krankheit ausgebrochen ist.«™

Die genannten Vorschriften sind freilich schon älteren

Datums und heute in dieser Form nicht mehr in Kraft. Die Allgemeine Benützungsordnung [sic!] der Bayeri­

schen Staatlichen Bibliotheken (ABOB) etwa hat in der aktuellen Fassung vom 18. August 1993 auf ihre seu­ chenrechtlichen Bestimmungen verzichtet.

Umso mehr wundert man sich, in der Benutzungsord­ nung der Bibliothek der Pädagogischen Hochschule* 129Jahrbuch der Deutschen Bibliotheken 42 (1967), S. 440-455. 130 Richtlinien der Evangelischen Kirche in Deutschland gern. Art. 9 Buchstahe f der Grundordnung betreffend die Ordnung für die Benutzung kirchlicher Biblio­ theken (Benutzungsordnung) vom 15. April 1965, in: Lansky, Bibliotheks­ rechtliche Vorschriften, 2. Aufl., Nr. 590.

57

Freiburg vom 25. Januar 2012 in § 7 Abs. 11 diesen

Passus zu finden:

»Die Ausleihenden haben, wenn in derjeweiligen Wohnung eine

übertragbare Krankheit im Sinne von § 6 Infektionsschutz; gesetff' in derjeweils geltenden Fassung auftritt, hiervon der Bib­

liothek umgehend Mitteilung Z“ machen. Die Bibliothek kann nach ihrer Wahl vor der Rückgabe von Bibliotheksmedien aus ei­ ner infizierten Wohnung eine Desinfizierung auf Kosten der Aus­ leibenden verlangen oder die Bücher auf deren Kosten desinfizieren

lassen«

Aber nicht nur in einer wissenschaftlichen Bibliothek,

vor allem in den Öffentlichen Bibliotheken finden sich — vor dem Hintergrund der früheren Kritik an der un­

hygienischen Leihbücherei verständlich — auch heute noch vielfach seuchenbezogene Vorschriften.131 132

So hat kurz vor dem Erlass der neuen Freiburger Benut­ zungsordnung auch die Stadtbibliothek in Fürstenwalde/Spree neue Benutzungsbestimmungen erhalten.

In § 7 ihrer Benutzungsordnung vom 14. April 2011 wird wie in Freiburg eine Desinfektionspflicht für ver­

seuchte Bücher angeordnet, ohne jedoch die Frage der

131 Das Infektionsschutzgesetz hat im Jahr 2000 das Bundes-Seuchen­ gesetz abgelöst. 132 Ein Grund dafür mag in dem von Busch, Büchereiverwaltung, S. 91 f. zusammengestellten Musterschema für eine Bibliotheksbenutzungs­ ordnung zu suchen sein, wo auch eine »Meldepflicht bei Wohnungs­ wechsel und ansteckenden Krankheiten« vorgesehen ist.

58

Kosten explizit zu regeln. Zudem wird bestimmt, dass

Personen, die an einer meldepflichtigen Krankheit nach dem Infektionsschutzgesetz leiden, von der Benutzung

ausgeschlossen werden, wobei in begründeten Einzel­ fällen Ausnahmen möglich sind. Offenbar gesteht man dem Bibliothekspersonal in Fürstenwalde eine gewisse

seuchenhygienische Kompetenz zu. Auch in anderen Öffentlichen Bibliotheken finden sich

vergleichbare Regelungen, etwa in den Benutzungsvor­ schriften der Stadtbücherei Hameln133 oder der Stadt­

bibliothek Duisburg134. Diese Beispiele ließen sich leicht

vermehren. Angesichts der immer noch recht häufig zu findenden

»Seuchenklauseln« in den Benutzungsordnungen insbe­ 133 Vgl. Punkt 6.4 der Benutzungsordnung für die Stadtbücherei Hameln'. »Büchereikunden, in deren Wohnung eine meldepflichtige übertrag­ bare Krankheit auftritt, dürfen die Stadtbücherei während der Zeit der Ansteckungsgefahr nicht benutzen. Bereits entliehene Medien dürfen erst nach der Desinfektion, für die der Büchereikunde verantwortlich ist und die er nachzuweisen hat, zurückgebracht werden. Die Stadtbü­ cherei ist zu verständigen.» 134 Vgl. § 6 Abs. 6 der Benutzungsordnung der Stadtbibliothek Duisburg vom 2. Oktober 1989: »Benutzer, die an einer übertragbaren Krankheit i. S. des Bundesseuchengesetzes in der jeweils gültigen Fassung, zuletzt be­ kanntgemacht durch Gesetz vom 18.12.79 (BGBl. I S. 2262, ber. BGBl. I 1980 S. 151), zuletzt geändert durch Gesetz vom 27.06.85 (BGBl. I S. 1254), leiden oder mit Personen Zusammenleben, die an einer solchen Krankheit leiden, dürfen die Stadtbibliothek während der Zeit der Ansteckungsgefahr nicht benutzen. Die bereits entliehe­ nen bzw. gemieteten Medieneinheiten dürfen erst nach der Desinfek­ tion, für die der Benutzer verantwortlich ist, zurückgebracht werden. Für die dadurch verursachten Leih- und Mietfristüberschreitungen stellt die Stadtbibliothek den Benutzer von Entgelten frei, sofern er unverzüglich die Desinfektion anzeigt. «

59

sondere der Öffentlichen Bibliotheken stellt man mit

einer gewissen Verwunderung fest, dass die Benut­ zungsordnung der Bibliothek des Berliner RobertKoch-Instituts, deren Bücher sich wie bei keiner an­

deren Bibliothek in Deutschland in räumlicher Nähe zu hochgradig infektiösen Krankheitserregern befinden,

spezifisch seuchenbezogene Regelungen nicht kennt.

Das ist kein Ausdruck professioneller Coolness abge­ brühter Epidemiologen, sondern schlicht sachgerecht, denn auf seuchenrechtliche Vorschriften kann man im

Benutzungsrecht von Bibliotheken getrost verzichten.135

Richtigerweise wird auch in der in jeder Hinsicht sehr gründlichen Arbeit von Hildebert Kirchner (1920-2012)

und Rosa Maria Wendt über Bibliotheksbenutzungsord­ nungen dieses Problem als nicht mehr relevant bezeich­

net.136 Soweit nämlich ein Bedürfnis besteht, Gefahren durch

ansteckende Krankheiten vom Bibliotheksbetrieb abzu­ wehren, kommt das Infektionsschutzgesetz (IfSG) zur Anwendung. Zuständig sind dabei nicht die Bibliothe­

ken, sondern die jeweiligen Gesundheitsbehörden. Sie können die notwendigen bibliotheksrelevanten Maß­ nahmen ergreifen. Wenn beispielsweise Bibliotheksbü­

cher mit Krankheitserregern verseucht sind, was ja bei hoch ansteckenden Krankheiten nicht resdos ausge­ 135 So zutreffend auch Deyhle, Benutzungsordnungen für Öffentliche Bibliotheken, S. 42 f. 136 Vgl. Kirchner/ Wendt, Bibliotheksbenutzungsordnungen, S. 31.

60

schlossen werden kann, so wird nach § 17 IfSG die Desinfektion oder auch die Vernichtung dieser Bücher angeordnet.137 Erkrankte Bibliothekare können mit

einem Berufsverbot belegt, infizierte Personen isoliert

werden, was natürlich zu einem faktischen Ausschluss von der weiteren Bibliotheksbenutzung führt. In ganz

besonders gelagerten Fällen schließlich werden Biblio­ theken wie andere öffentliche Einrichtungen auch ge­

schlossen.138

Bibliotheksrechtlich interessant sind im Seuchenfall frei­ lich die Fälle, in denen durch Maßnahmen nach § 17

IfSG Schäden an ausgeliehenen Büchern und Medien

entstehen. Hier stellt sich die Frage der Haftung.

Grundsätzlich gilt nach § 69 IfSG, dass die öffentliche Hand für die Kosten einer Desinfektion aufkommt, so­

137 § 17 IfSG lautet: »Wenn Gegenstände mit meldepflichtigen Krank­ heitserregern behaftet sind oder wenn das anzunehmen ist und da­ durch eine Verbreitung der Krankheit zu befurchten ist, hat die zu­ ständige Behörde die notwendigen Maßnahmen zur Abwendung der hierdurch drohenden Gefahren zu treffen. Wenn andere Maßnahmen nicht ausreichen, kann die Vernichtung von Gegenständen angeord­ net werden. Sie kann auch angeordnet werden, wenn andere Maßnah­ men im Verhältnis zum Wert der Gegenstände zu kostspielig sind, es sei denn, dass derjenige, der ein Recht an diesem Gegenstand oder die tatsächliche Gewalt darüber hat, widerspricht und auch die höheren Kosten übernimmt. Müssen Gegenstände entseucht, von Gesund­ heitsschädlingen befreit oder vernichtet werden, so kann ihre Benut­ zung und die Benutzung der Räume und Grundstücke, in denen oder auf denen sie sich befinden, untersagt werden, bis die Maßnahme durchgeführt ist.« 138 G'zwe, Das Problem der Bücher- und Lesehallen, S. 256 berichtet von der Schließung der Bibliothek in Zittau wegen Masern und Röteln in den Jahren 1903 und 1904.

61

weit nichts anderes gesetzlich bestimmt ist.139 An dieser Stelle könnte sich tatsächlich durch eine Kostentra­

gungspflicht in der Benutzungsordnung einer Bibliothek etwas anderes ergeben.140 Allerdings fragt es sich schon,

warum etwa die Pädagogische Hochschule Freiburg ein

Interesse an der Schonung fremder öffentlicher Kassen zu Lasten ihrer Nutzer haben sollte? Zudem kann zweifelhaft sein, ob eine pauschale Abwälzung der Kosten auf den Nutzer seuchenrechdich überhaupt zu­

lässig ist, da durchaus die Gefahr besteht, dass mit Blick

auf die drohenden Kosten eine ansteckende Krankheit nicht angezeigt wird, ein Ergebnis, dass durch die

grundsätzliche Kostentragungspflicht der öffentlichen Hand, wie sie in § 69 IfSG vorgesehen ist, ja gerade ver­

hindert werden soll.141

Ein anderes bibliotheksrechtliches Problem stellt der Schadensersatz bei Vernichtung eines verseuchten Buches dar. Normalerweise wird hierfür nach § 65 IfSG

139 § 69 IfSG lautet: »Die Kosten für die Maßnahmen nach § 17 Abs. 1, auch in Verbindung mit Absatz 3, soweit sie von der zuständigen Behörde angeordnet worden sind und die Notwendigkeit der Maß­ nahmen nicht vorsätzlich herbeigeführt wurde, sind aus öffentlichen Mitteln zu bestreiten, soweit nicht auf Grund anderweitiger gesetz­ licher Vorschriften oder auf Grund Vertrages Dritte zur Kostentra­ gung verpflichtet sind.« Dazu üales/Baumann/Schnitzler, Infektions­ schutzgesetz, § 69, Rn. 4: Es soll verhindert werden, dass aus falsch verstandener »Sparsamkeit« erforderliche Desinfektionen unterblei­ ben. 140 Nach Schumacher/Meyn, Bundes-Seuchengesetz, S. 164 ist hier wohl eher an die Kostentragung durch eine Versicherung zu denken. 141 Vgl. lbales/ Baumann/Schnitzler, Infektionsschutzgesetz, § 69, Rn. 1.

62

kein Ersatz geleistet,142 da nach allgemeinen polizeirech­ tlichen Grundsätzen die erkrankte Person als Störer Eingriffe in ihr Eigentum dulden muss.143 Ein Biblio­ theksbuch aber gehört dem erkrankten Entleiher nicht. Die Lösung dieser interessanten haftungsrechtlichen Frage, die es natürlich gibt, soll uns in dieser Abhand­

lung aber nicht mehr weiter beschäftigen. Wir können an dieser Stelle festhalten, dass unabhängig davon, ob die Bibliotheken es in ihrem Benutzungsrecht

regeln oder nicht, ausgeliehene Bücher seuchenrecht­

lichen Maßnahmen unterfallen können, wenn der Leser

an einer meldepflichtigen Erkrankung im Sinne des In­ fektionsschutzgesetzes leidet. Damit bleiben Seuchen und andere ansteckende Krankheiten auch heute noch

ein Thema für den Benutzungsbetrieb von Bibliothe­ ken, wenn auch glücklicherweise ein nicht mehr beson­

ders relevantes.

142 § 65 IfSG lautet: »Soweit auf Grund einer Maßnahme nach den §§ 16 und 17 Gegenstände vernichtet, beschädigt oder in sonstiger Weise in ihrem Wert gemindert werden oder ein anderer nicht nur un­ wesentlicher Vermögensnachteil verursacht wird, ist eine Entschädi­ gung in Geld zu leisten; eine Entschädigung erhält jedoch nicht der­ jenige, dessen Gegenstände mit Krankheitserregern oder mit Gesund­ heitsschädlingen als vermutlichen Überträgern solcher Krankheitser­ reger behaftet oder dessen verdächtig sind.« 143 Vgl. Rates/Raumann/Schnitzler, Infektionsschutzgesetz, § 65, Rn. 1.

63

7. Die Mikrobiologie des Buches

Der Umstand, dass Seuchen und ansteckende Krank­ heiten im Alltag von Bibliotheken praktisch bedeu­

tungslos sind, ist allerdings nur die halbe, für die unein­ geweihte Öffentlichkeit bestimmte Wahrheit. In Wirk­

lichkeit nämlich sind Bibliotheken, vor allem große wissenschaftliche Bibliotheken mit Altbeständen, in

mikrobiologischer Hinsicht überaus aktive Orte.144

Dabei werden weniger die Leserinnen und Leser, als vielmehr die Bücher selbst von Mikroorganismen besiedelt, infiziert und in letzter Konsequenz sogar zer­

stört.145 Mittelbar sind davon natürlich auch die Men­ schen betroffen, die mit diesen Büchern in Berührung kommen. Da der Altbestand als Folge der zunehmen­ den Digitalisierung nur noch selten im Original konsul­

tiert wird, sind die gesundheitlichen Risiken für Biblio­

theksnutzer jedenfalls gering.146 Für Bibliotheksmitar­

beiter gilt das freilich nicht.

144 Sehr plastisch Ewald, Mikroorganismen als Schädlinge in Biblio­ theken und Archiven, in: Bibliothek und Wissenschaft 5 (1966), S. 41: »... mag sich manchmal der Gedanke aufdrängen, Bibliotheken und Archive seien riesige Anhäufungen potentieller Nahrungsmittel für Mikroorganismen. Das ist etwas kraß ausgedrückt, aber es entspricht den Tatsachen.«, sowie ebendort, S. 44: »Es darf als sicher ange­ nommen werden, daß die Luft fast aller Bibliotheken und Archive rei­ cher an Keimen buchbewohnender Mikroorganismen ist als die Luft in anderen Gebäuden.« 145 Vgl. Kowalik., Some Aspects of Microbiology of Paper and Parchment, S. 61-83. 146 Siehe aber Schwär^ Mörderische Lektüre lauert im Archiv, in: Schwäbisches Tagblatt vom 8. August 1995.

64

Wenn von der Mikrobiologie des Buches die Rede ist, sind vor allem zwei Arten von Mikroorganismen ange­

sprochen, nämlich die umgangssprachlich so genannten

Schimmelpilze sowie Bakterien.147 Beide mögen Bücher wegen der organischen Materialien,

aus denen sie bestehen und die ihnen als willkommene Nahrungsquelle dienen. Nicht nur die Cellulose des Pa­ piers, auch aus Knochen hergestellter Leim, Buchein­

bände aus Leder oder das als Beschreib- und Einband­ stoff gleichermaßen Verwendung findende Pergament sind ganz nach ihrem Geschmack.148 Vor allem die Pilze

erfüllen hier eine ökologisch eigentlich wichtige, bei Bü­ chern jedoch höchst unerwünschte Funktion: Sie bauen totes organisches Material ab, um es dem Stoffkreislauf

wieder zurückzugeben.149 Pilze oder ihre Sporen sind

daher als Bioaerosole allgegenwärtig.150 Stimmen die Umweltbedingungen, grob gesagt also eine Temperatur

ab 18 bis 20 Grad Celsius und eine relative Luft­

147 Vgl. Krempl-Lamprecht, Pergament und Papier als Träger verschie­ dener Mikroorganismengesellschaften, in: Archivalische Zeitschrift 62 (196(»,S. 131-137. 148 Vgl. Ewald, Mikroorganismen als Schädlinge in Bibliotheken und Archiven, in: Bibliothek und Wissenschaft 5 (1966), S. 33-41. 149 Vgl. Ewald, Mikroorganismen als Schädlinge in Bibliotheken und Archiven, in: Bibliothek und Wissenschaft 5 (1966), S. 32 f.; Klot^ lehrendes, Schimmelpilzbefall in Bibliotheken, in: Bibliotheksdienst 34 (2(KIO), S. 47 f. 150 Vgl. Neuheuser, Gesundheitsvorsorge gegen Schimmelpilz-Kontami­ nation in Archiv, Bibliothek, Museum und Verwaltung, in: Bibliothek: Forschung und Praxis 20 (1996), S. 198.

65

feuchtigkeit von über 65%,151 dann erwachen die Spo­

ren der meisten papierbesiedelnden Arten zu neuem Le­ ben, und der Pilz blüht auf. Er beginnt das Papier anzugreifen und dessen Cellulose­

ketten zu verstoffwechseln.

Cellulose

Unter optimalen Bedingungen werden so jährlich 20 % des befallenen Materials zerstört.152 Das Buch verwest regelrecht. Die auf Büchern und Papier siedelnden Pilze

gehören gut 15 verschiedenen Arten an.153 Bakterien 151 In der Literatur finden sich sehr unterschiedliche Werte, so wollen Bansa, Art. »Schimmel«, in: LGB2 Bd. 6, S. 543 und Ewald, Mikroorga­ nismen als Schädlinge in Bibliotheken und Archiven, in: Bibliothek und Wissenschaft 5 (1966), S. 75 f. noch 70% bzw. 65% relative Luft­ feuchtigkeit akzeptieren, während allgemein bereits 55% als Ober­ grenze angenommen werden, vgl. Klot^-Behrendes, Schimmelpilzbefall in Bibliotheken, in: Bibliotheksdienst 34 (2000), S. 51. Entscheidend ist hier freilich immer noch die Raumtemperatur, die Bansa, a.a.O. mit 25° C und höher angibt. 152 Vgl. Neuheuser, Gesundheitsvorsorge gegen Schimmelpilz-Kontami­ nation in Archiv, Bibliothek, Museum und Verwaltung, in: Bibliothek: Forschung und Praxis 20 (1996), S. 196. 153 Vgl. die Liste auf S. 103, sowie Walther, Bibliotheken und Archive: (K)ein Platz für Schimmelpilze, S. 11. Allerdings ist das Spektrum der möglichen Arten noch erheblich größer, siehe nur die umfangreiche, aber nicht abschließende Aufstellung bei Ewald, Mikroorganismen als Schädlinge in Bibliotheken und Archiven, in: Bibliothek und Wissen­ schaft 5 (1966), S. 104-112. Klot^-Behrendes, Schimmelpilzbefall in Bib-

66

sind demgegenüber, sieht man von einigen wenigen

Cytophaga-Arten einmal ab,154155 auf Büchern eher selten

zu finden. Ihr Schlaraffenland ist das Pergament. Hier ist vor allem Serratia marcescens,xii auch Racterium prodigi-

osum genannt, bemerkenswert, das Prodigiosin ausschei­ det, einen roten Farbstoff, der den Eindruck erzeugt, das Buch blute.156 Auf Hostien ist Prodigiosin die natür­

liche Ursache vieler mittelalterlicher Wunderberichte.157 Vom infektiösen Standpunkt aus betrachtet, ist dieses

Bakterium übrigens weitgehend harmlos.

Serratia marcescens

liotheken, in: Bibliotheksdienst 34 (2000), S. 48 spricht von rund 200 bibliotheksrelevanten Arten. im Vgl. Lexikon der Biologe, Bd. 2, S. 352 (Art. »Cytophagales«). 155 Vgl. Lexikon der Biologe, Bd. 7, S. 411 (Art. »Serratia«). 156 Vgl. Ewald, Mikroorganismen als Schädlinge in Bibliotheken und Archiven, in: Bibliothek und Wissenschaft 5 (1966), S. 23. 157 Vgl. Carolin Walker Byniim, Wonderful Blood, S. 287, Anm. 17; Köhler, Blutwunder und Wunderblutbakterien, S. 49-74; Schwegler, Klei­ nes Lexikon der Vorzeichen und Wunder, S. 71 (Art. »Hostien­ wunder«); Winkle, Geisseln der Menschheit, S. 1067-1080.

67

Das lässt sich leider nicht von allen Mikroorganismen

behaupten, die Bücher und Papier befallen. Nachfol­ gend wollen wir uns, obwohl diese Lebensform nicht mehr zum klassischen Seuchenthema im engeren Sinn

gehört, auf Pilze und die von ihnen ausgelösten Krank­ heiten beschränken. Für den Menschen lassen sich hier drei Gefährdungsszenarien unterscheiden, nämlich die

Mykose, die Infektion mit dem Pilz selbst, der dann den

menschlichen Organismus besiedelt,158 die Mykoallergose, also eine allergische Reaktion auf Sporen oder

Pilzteile,159 sowie die Mykotoxikose, die Vergiftung durch Stoffwechselprodukte des Pilzes.160

Glaubt man Teilen der Literatur, sollen Mykotoxine in

Büchern im Gegensatz etwa zu verschimmelten Lebens­ mitteln nicht vorkommen,161 für das nierenschädigende

Ochratoxin wird dies aber bestritten.162

158 Vgl. Lexikon der Biologie, Bd. 6, S. 84 (Art. »Mykose«). 159 Vgl. Lexikon der Biologie, Bd. 1, S. 113 (Art. »Allergosen«). 160 Vgl. Klot^-Behrendes, Schimmelpilzbefall in Bibliotheken, in: Biblio­ theksdienst 34 (2000), S. 51-53; Lexikon der Biologie, Bd. 6, S. 84 (Art. »Mykotoxikosen«); Schön, Pilze, S. 76-80. 161 Vgl. Klot^-Behrendes, Schimmelpilzbefall in Bibliotheken, in: Biblio­ theksdienst 34 (2000), S. 52, anders aber Walther, Bibliotheken und Ar­ chive: (K)ein Platz für Schimmelpilze, S. 16. 162 Explizit Bezug nehmend auf alte Gräber und alte Bücher gleicher­ maßen Keller/ Geberth, Praxis der Nephrologie, S. 177.

c

Aspergillus fumigatus (Kann Aspergillose verursachen.)

Pilzinfektionen, also Mykosen durch verschimmelte Bü­ cher sind da schon wahrscheinlicher. Nutzer mit einem

angegriffenen Immunsystem können hier an so genann­ ten systemischen Mykosen erkranken, etwa an einer Aspergillose,163 die schwer therapierbar ist; ein tödlicher

Verlauf ist oft die Regel.164 Glücklicherweise kommen solche Mykosen nur sehr selten vor. Das gilt leider nicht

für unangenehme Entzündungen, die entstehen, wenn man sich bei der Lektüre mit pilzverseuchten Fingern

seine müden Augen reibt.165 Vor allem Archivare ken­ 163 Befallen wird meist die Lunge, vgl. Lexikon der Biologie, Art. »Asper­ gillose«, Bd. 1, S. 265; Walther, Bibliotheken und Archive: (K)ein Platz für Schimmelpilze, S. 15, aber auch die Nasennebenhöhle, vgl. Frössel, Schimmelpilze in Wohnungen : das Lexikon, S. 39 (Art. »Aspergillom«). Nach Lrössel, a.a.O., S. 40 (Art. »Aspergillus spp.«) kann es bei Befall der Lunge zu Bluthusten kommen. 164 Vgl. Mims et al., Medizinische Mikrobiologie - Infektiologie, S. 45, 654 f.; Schön, Pilze, S. 63. 165 Vgl. Kowalik, Paper and Parchment deteriorating fungi pathogenic to man, S. 85.

69

nen das Problem aus — im wahrsten Sinne des Wortes —

eigener »Anschauung«.166

Das häufigste gesundheitliche Problem, das verpilzte Bücher verursachen, stellen aber allergische Reaktionen dar. Betroffen davon sind, wie gesagt, weniger Nutzer­

innen und Nutzer der Bibliothek, als vielmehr die Bib­

liothekare.167 Arbeitsschutzrechtliche Vorschriften sol­ len hier gesundheitliche Beeinträchtigungen verhin­ dern.168 So sind Dauerarbeitsplätze im Magazinbereich

nicht zulässig, und bei der Reinigung offenkundig von Schimmel befallener Bücher müssen besondere Schutz­ maßnahmen beachtet werden. War die Ansteckungs­

gefahr durch bakteriell verseuchte Bücher für die Biblio­

theksnutzer in der Rückschau eher ein Scheinproblem, ist das Gesundheitsrisiko, das von verschimmelten Bü­

chern ausgeht, durchaus ernst zu nehmen. Dass Biblio­ theken in den Benutzungsordnungen regelmäßig ihre Haftung aus dem Benutzungsverhältnis auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit beschränken, kann in Erkran­

kungen durch mikrobiologisch geschädigte Bücher übri­

166 Vgl. Walther, Bibliotheken und Archive: (K)ein Platz für Schimmel­ pilze, S. 15. 167 Vgl. Neuheuser et al., Gesundheitsvorsorge in Archiven, in: Der Archivar 47 (1994), S. 124 f. 168 Vgi Glauert, Empfehlungen zum Umgang mit schimmelbefallenem Archivgut, S. 73-89; Walther, Bibliotheken und Archive: (K)ein Platz für Schimmelpilze, S. 2-5.

70

gens einen wenig beachteten, gleichwohl aber nicht un­

wichtigen Anwendungsfall haben.169

Wenn man nicht aufpasst, hat die Lektüre in alten Texten also unangenehme Nebenwirkungen. Schon

beim bloßen Umwenden der Seiten kann allergenes Ma­ terial in die Luft abgegeben werden.170 Der an sich reiz­

vollen Überlegung, dass dabei auch psychoaktive Sub­

stanzen eine euphorisierende Wirkung auf den Leser ha­ ben könnten,171 wollen wir an dieser Stelle nicht weiter

nachgehen. Die besondere Begeisterung speziell für alte Bücher dürfte wohl eher in der betörenden leichten

Vanillenote ihren Ursprung haben,172 die bei der che­ mischen Zersetzung von Papier durch Oxidation und Hydrolyse entsteht.173 Von drei Gefährdungen durch Buchpilze war die Rede. Hinzu tritt, eher indirekt, eine vierte. Um Pilze in

169 Vgl. Neuheuser, Gesundheitsvorsorge gegen Schimmelpilz-Kontami­ nation in Archiv, Bibliothek, Museum und Verwaltung, in: Bibliothek: Forschung und Praxis 20 (1996), S. 210. 170 Vgl. Neuheuser, Gesundheitsvorsorge gegen Schimmelpilz-Kontami­ nation in Archiv, Bibliothek, Museum und Verwaltung, in: Bibliothek: Forschung und Praxis 20 (1996), S. 202. 171 Allgemein zu psychoaktiven Pilzen Köhler, Rauschdrogen, S. 83, 114-116. 172 Vgl. Stritt et al, Material Degradomics: On the Smell of Old Books, in: Anal. Chem. 81 (2009), S. 8617: »The aroma of an old book is familar to every user of a traditional library. A combination of grassy notes with a tang of acids and a hint of vanilla over an underlying mustiness, this unmistakable smell is as much part of the book as its contents.« 173 Vgl. hierzu üansa, Papierchemie - einige unentbehrliche Grundbe­ griffe, S. 1-11.

71

Büchern wirksam zu bekämpfen, werden unterschied­

liche Methoden eingesetzt. Eine zeitlang gehörte dazu auch die Behandlung von Büchern mit Sublimat, einer pilztötenden,174 aber hochgiftigen Chemikalie,175 mit der früher etwa anatomische Präparate dauerhaft kon­

serviert wurden,176 bevor man wegen der Gesundheits­

gefahren davon abkam.177 Speziell bei Büchern hat Sub­ limat die unangenehme Eigenschaft, im Papier zu ver­

bleiben. Wenn nun ein Nutzer eine entsprechend be­

handelte Seite umblättert, dabei seine Finger befeuchtet und diese wieder zum Mund führt, besteht die ernst­

hafte Gefahr einer Vergiftung.178 Wer in der neueren

Belletristik wohlbeschlagen ist, wird hier sogleich an Umberto Ecos Roman »Der Name der Rose« denken — und damit gar nicht falsch liegen.179

174 Vgl. Ullmanns Enzyklopädie der technischen Chemie, Bd. 10, S. 46 (Art. »Desinfektionsmittel«). 175 Vgl. Jaeger, Art. »Sublimat«, in: Pfeiffer/Proskauer, Encyklopädie der Hygiene, Bd. 2, S. 400; Ullmann, Enzyklopädie der technischen Chemie, Bd. 8, S. 623 (Art. »Quecksilberverbindungen - Quecksilber­ chloride«): »0,2-0,4 g töten einen erwachsenen Menschen«. 176 Vgl. Römpp-Chemie-Eexikon, Bd. 9, S. 3740 (Art. »Quecksilberchlori­ de«). 177 Vgl. Ewald, Mikroorganismen als Schädlinge in Bibliotheken und Archiven, in: Bibliothek und Wissenschaft 5 (1966), S. 60. 178 Ewald, Mikroorganismen als Schädlinge in Bibliotheken und Ar­ chiven, in: Bibliothek und Wissenschaft 5 (1966), S. 60 fragt daher zu­ recht: »Darf man ahnungslosen Benutzern solche vergifteten Bücher aushändigen, zumal ja bekannt ist, daß viele Menschen die Ange­ wohnheit haben, die Finger vor dem Umdrehen der Seiten anzulecken oder sich nicht die Hände waschen, bevor sie essen?« 179 Vgl. Eco, Der Name der Rose, S. 595-601; Kahr, Der Rote Faden, in: Pharmazeutische Zeitung 139 (1994), S. 2608.

72

Nur der Vollständigkeit halber sei noch auf tierische

Bücherschädlinge eingegangen. Die Entomologie der Buchinsekten, ein dankbarer Gegenstand für den detail­

verliebten Spezialisten,180 lassen wir gleich am Rande lie­ gen.181 Für unsere Fragestellung allein interessant ist ein Säugetier, die Ratte nämlich.182 Wir hatten bei der tradi­ tionellen Papierherstellung aus Hadern bereits ihre Be­

deutung für die Übertragung der Pest thematisiert. Da ist es beunruhigend, zu wissen, dass Ratten gerne an Bü­

chern nagen und auch Bibliotheken bevölkern. Kultur­

geschichtlich soll übrigens die Katzenhaltung des Men­ schen als Maßnahme gegen Ratten und andere schädi­

gende Nagetiere ihren Ursprung haben.183 Doch wäre es

vielleicht eine zu weit gehende Behauptung, die innige

Beziehung insbesondere von Bibliothekarinnen zu diesen Tieren sei als seuchengeschichtliches Relikt zu

verstehen.

iso Vgl. den guten Überblick bei Cymonk, Schadinsekten in Büchern, S. 33-59. 181 Hier mag der Hinweis genügen, dass die sog. Bücherlaus (Liposcelis divinatorius, vgl. Lexikon der Biologie, Bd. 7, S. 47 (Art. [»Psocoptera«]) zwar die Bücher selbst nicht schädigt, sondern sich von Schim­ melpilzen ernährt. Insoweit ist die Bücherlaus ein wichtiger Indikator für mikrobiellen Befall von Bibliotheksgut, vgl. Bansa, Art. »Bücher­ laus«, in: LGB2 Bd. 2, S. 6 Frössel, Schimmelpilze in Wohnungen : das Lexikon, S. 204 (Art. »Lästlinge - Staubläuse«). Die Bücherlaus selbst wiederum dient dem Bücherskorpion (Chelifer cancroides) als Nahrungsquelle, vgl. Lexikon der Biologie, Bd. 2, S. 153 f. (Art. »Bücherskor­ pion«). 182 Zu Bibliotheksratten Blades, Die Bücherfeinde, S. 96 f. 183 Vgl. Reichstein, Art. »Ratte - § 2 Zoologisch-Archäologisches«, in: RGA Bd. 24, S. 159.

73

8. Leseseuchen

Lesen und die intensive Beschäftigung mit Büchern gel­ ten gemeinhin als positiv besetzte Tätigkeiten. Das war

nicht immer so. Im 18. Jahrhundert etwa wurde das im Zuge der Alphabetisierung wachsende Interesse für Bü­

cher insbesondere bei Frauen und einfachen Leuten, aber auch bei Heranwachsenden nicht selten scharf kri­

tisiert.'84 8.1 Seuchensemantik

Anstoß erregte nicht nur die mit der Lektüre angeblich vergeudete Zeit, sondern auch die Wahl der Lektüre­ stoffe, die entweder als zu gebildet für die konkrete so­

ziale Stellung und damit als Ausgangspunkt für unan­ ständiges Räsonieren angesehen wurden — man witterte ein offenbar unanständiges Bedürfnis nach Aufstieg durch Lesen und Bildung — oder die man speziell bei den Leserinnen als Flucht in romanhafte Scheinwelten ansah: Die Vernachlässigung familiärer Pflichten, ja un­

sittliche Ausschweifungen waren die Folge.'85 Selbst der

große Aufklärungsphilosoph Immanuel Kant (1724-

1804) hat sich solche Lesekritik nicht versagt:*

im Vgi prass, Art. »Lesekultur«, in: EnzN Bd. 7, Sp. 848 f.; Schön, Der Verlust der Sinnlichkeit oder die Verwandlungen des Lesers, S. 46-49; Wittmann, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 171-199. 185 Vgl. Sailer, Glückseligkeitslehre, Bd. 1, S. 207: »Das Lesen kann be­ sonders Mädchen gefährlich werden, daß sie besser in ein Musäum als in eine Haushaltung taugen. Was würde aus der Welt werden, wenn das Bürgersweib ... einen gelehrten Aufsatz macht, wo sie ihr Kind waschen und kämmen sollte?«; Tiet^el, Literaturökonomik, S. 132 f.

74

»Das Romanlesen bat außer manchen anderen Verstimmungen des Gemüths auch dieses %ur Folge, daß es die Zerstreuung habi­ tuell macht. ... und ein sonst guter Kopf kann doch nicht von sieb ablehnen, ein confuser %u beißen.

Dabei ging es gar nicht um das Lesen an sich, gegen Bil­ dung durch Lektüre hätte Kant sicher nichts einzuwen­ den gehabt; der seichte, unterhaltsame Lektürestoff war

das Ziel seiner Kritik.186 187

Das Lesepublikum indes blieb davon unbeeindruckt und frönte in wachsendem Maße seinem schönen Zeit­

vertreib. Der geradezu unheimliche Aufschwung der

Lesebegeisterung wurde von seinen Gegnern mit star­ ken Metaphern belegt. Man sprach von einer »Leseseu­ che«188 und von »Lesepest«189 und nahm damit Bezug

auf kollektive Ängste vor Ansteckungen und Epide­ mien, die damals ja noch zur lebendigen Erfahrung der

Menschen gehörten. Erinnert sei nur an die verheerende

186 Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, S. [208]. Kiesgen, Art. »Privatlektüre der Jugend«, in: LexP, Bd. 4, Sp. 55 bezieht sich in seiner Lesekritik ebenfalls auf Kant. 187 Vgl. auch Sailer, Glückseligkeitslehre, Bd. 1, S. 206: »Das Lesen der Romane ... richtet besonders unter jungen Lesern einen Gräuel der Verwüstung an. Sie verbreiten die Seuche der Empfindeiei und Über­ spannen die Gefühle.« 188 Vgl. von Kotff-Schmising, Literatur und Leser - Leseverbot, Leseer­ fahrungen und Leseförderung, in: Politische Studien 50 (1999), S. 101; Münch, Universal-Lexikon der Erziehungs- und Unterrichtslehre, Bd. 2, Art. »Lesesucht (Leseuche)«, S. 144-146; Tiet^el, Literaturökonomik, S. 132. 189 Vgl. Wolgast, Das Elend unserer Jugendliteratur, S. 4: »... die Lese­ wut bricht wie eine Pest über das arme Kind herein.«

75

Choleraepidemie um 1830, zu deren prominenten

Opfern auch der Philosoph Georg Wilhelm Friedrich

Hegel (1770-1831) in BerEn gehört haben soll.190 Aber nicht nur das Lesen wurde als ansteckende und schädHche Krankheit bezeichnet, auch die Bücher selbst wur­

den, soweit sie als Schundliteratur galten, wie eine

Krankheit empfunden und eine »Bücherpest« ge­ nannt.191 Zugegeben sei, dass der bedeutende Auf­ schwung der Buchproduktion damit durchaus treffend

charakterisiert wurde, sofern man auf die mit einer Epi­

demie vergleichbare rein quantitative Zunahme des

Buchangebotes abstellt.192

190 Vgl. die zeitgenössischen Quellen bei Briese, Angst in den Zeiten der Cholera, Bd. 2, S. 298-325. 191 Etwa Winter, P. Nikolaus Joseph Albert von Diessbach S.J., in: Zeitschrift für schweizerische Kirchengeschichte = Revue d’histoire ecclésiastique suisse 18 (1924), S. 32, einen französischen Text von 1771 in deutscher Übersetzung zitierend: »Dießbach sucht darin nach Mitteln gegen die >Bücherpestbösartige Ausdünstung< [ein Hinweis auf die Miasma-Theorie, Anm. d. Verf.] der schlechten Literatur.« Siehe auch die Polemik von Heinemann, Über die Pest der deutschen IJteratur, 1795, der auf S. 445 zudem eine »Wissenschaftsseuche« kritisiert, die gewissen Praktiken der gegenwärtigen Wissensgesellschaft nicht unähnlich ist. 192 Mit Blick auf die anschwellende Zeitungs-Literatur spricht von Igar, Zeitungsromane, in: Das Magazin für die Litteratur des In- und Aus­ landes 55 (1886), S. 60 von einer »Epidemie«.

76

8.2 »Bibliothekspolicey«193

Leseseuche und Bücherpest sind mehr als bloße Meta­ phern. Sie beinhalten einen moralischen Vorwurf und dieser lautet: Lockerung der Sitten durch ausschwei­

fende Lektüre schlechter Bücher. Dass die bei diesem

Vorwurf verwendete Seuchensemantik moralisch ver­ standen wurde und auch so gemeint war, liegt an sehr

alten

Interpretationsmustem

zur

Erklärung

an­

steckender Krankheiten, die bis weit in die Frühe Neu­

zeit hinein als gerechte Strafe Gottes für sündhaftes Verhalten angesehen wurden.194 Seuche und Sünde wa­

ren gewissermaßen zwei Seiten einer Medaille. Da war es konsequent, dass zur Vermeidung von Seuchen auch

explizit moralische Vorschriften erlassen wurden.195

Markant sind hier die so genannten »Aufwandsord­ nungen«, die wir vor allem in der Frühen Neuzeit fin­

den.196 Das sind obrigkeitliche Verhaltensregeln, die ins­

besondere den Frauen das Tragen auffälliger Kleidung verboten und allgemein zu Bescheidenheit und Mäßi­

gung im öffentlichen Auftreten mahnten.197 193 Der Begriff »Bibliothekspolicey« im Sinne einer alle Aspekte der Bibliotheksnutzung umfassenden Sorge und Einrichtung findet sich etwa bei Dney, Ueber Lesevereine der Geistlichen; deren Zweck, Ein­ richtung und Leitung, in: ThQ 1840, S. 100, sowie bei Christian Gottlob Voigt (1743-1819) in einem Brief an Goethe vom 25. Novem­ ber 1798, vgl. Goethes Briefwechsel mit Christian Gottlob Voigt, Bd. 2, S. 106: »Wegen der Bibliothekspolizei will ich die erforderlichen Kon­ zepte entwerfen«. 194 Vgl. Iseli, Gute Policey, S. 51. 195 Vgl. Iseli, Gute Policey, S. 33 f. 196 Vgl. Klippel, Art. »Aufwandsordnungen«, in: EnzN Bd. 1, Sp. 840844. 197 Vgl. Iseli, Gute Policey, S. 39-43.

77

Einem sich in dieser Weise demütig und gottesfürchtig

zeigenden Gemeinwesen würde, so war die Überlegung,

keine Gefahr durch ansteckende Krankheiten drohen. Moral gehörte in dieser Perspektive gewissermaßen zur

öffentlichen Hygiene.198

Aufwandsordnungen verfolgten freilich noch andere Ziele, denn sie waren Ausdruck einer alle Lebensberei­

che umfassenden Staatlichkeit, die nicht nur Sicherheit und Ordnung, sondern auch allgemeine Wohlfahrt und

Glückseligkeit zu erreichen suchte. Wir hatten in Gestalt

der Pestordnungen ein frühes Beispiel obrigkeitlicher Regelungsmacht bereits kennengelernt. Aus Gründen der »guten Policey«, so umschrieb man

die staatlicherseits angestrebte umfassend gute Ordnung des Gemeinwesens begrifflich,199 wurde die Obrigkeit

nicht mehr nur bei Gefahr für Leib und Leben tätig, sondern griff vor allem im 17. und 18. Jahrhundert mit­ unter sehr detailliert in den Alltag und die persönliche

Lebensführung ihrer Untertanen ein. Theoretisch re­

flektiert wurde diese Entwicklung in der »Policeywissenschaft«, einer bunten Mischung aus Verwaltungslehre,

Politik und manch’ anderem.200

198 Vgl. Bulst, Die Pest verstehen, S. 149,157. 199 Vgl. Härter, Art. »Polizei«, in: EnzN Bd. 10, Sp. 170 f. 200 Vgi lieber, Art. »Polizeiwissenschaft«, in: EnzN Bd. 10, Sp. 183 f.

78

Als besonders produktiver Leitbegriff für die verschie­

denen policeylichen Bemühungen des Staates hat sich

dabei die Gesundheit erwiesen.201 Sympathisch gerade für den Geist der Aufklärung mag hier die Vernünftig­ keit des Zieles und die Rationalität der Mittel, es zu er­

reichen, gewesen sein. Im Sinne einer Sanitäts- oder Medizinalpolicey wurde die körperliche und seelische Ge­ sundheit gewissermaßen zur Staatsräson erklärt. Ent­

sprechende Überlegungen waren durch ihre Empfeh­ lungen für eine maßvolle Lebensführung zudem gut an­ schlussfähig an die überkommene humoralpathologi­

sche medizinische Theorie, die ja im Gleichgewicht der

Körpersäfte die Ursache der Gesundheit erblickte. Das Konzept war dabei im weitesten Sinne ganzheitlich, so dass nicht nur physische Faktoren, sondern auch Umweltbedingungen und psychische Zustände mit ein­

bezogen wurden.

201 Vgl. Leivn, Geschichte der Medizin, S. 48-50.

79

Von dort aus war es nur ein kleiner Schritt, auch das Le­ sen und die Wahl der Lektürestoffe zum Gegenstand policeylicher Überlegungen zu machen.202 Gerade der

Konsum schlechter Literatur wurde kritisiert, da er

nicht nur zu einer Lockerung der Sitten, sondern auch zu melancholischer Verstimmung, ja zu einer gesund­

heitlichen Beeinträchtigung führen konnte.203 202 Vgl. Frank, System einer vollständigen medicinischen Polizey, Bd. 1, S. 70 f.: : »Nicht die Natur des Weibes, sondern dessen Lebensart hat sich verändert: Das viele Thee und Coffee-Trinken ... und das Blut erhitzende Lesen besonderer Bücher ... Wo man hinsieht, trifft man in allen städtischen Gesellschaften, kleine blasse Gesichter mit breiten blauen Ringen um beide Augen, und entweder aufgedunsene oder ausgemergelte Körper an; welche die Fortpflanzung ihres glei­ chen gewiß nichts weniger, als erwünschlich machen können.« 203 Vgl. An^ Literatur und Lust, S. 11-16; Sailer, Glückseligkeitslehre, Bd. 1, S. 205: »Schon die Leseseuche ist als Seuche so schädlich als ir­

80

Hier muss man wissen, dass man starke Gefühle wie Furcht und Schrecken wegen der durch sie hervorgeru­

fenen Imaginationen204 als direkt gesundheitsschädlich ansah.205 Es war daher nicht abwegig, in einem auf­ wühlenden Buch eine tödliche Gefahr und in unmäßiger

Lektüre eine Krankheitsursache zu vermuten.206 In Zedlers Universallexikon findet sich beispielsweise die

Ansicht, maßloses Lesen verursache Schwindsucht, also Tuberkulose.207 Ähnliche Bedenken, wie sie gegen wähl­ gendeine; schädlich der Gesundheit, trocknet die Säfte auf [sic!], und spannet die Nerven ab ... schädlich dem Verstände ... dem Herzen ... der frohen Laune ...« 204 Vgl. Schott, Der sympathetische Arzt, S. 28 f., der auf die so ge­ nannte Imaginationslehre der Medizin des 18. Jahrhunderts hinweist, sowie Baader, Frühneuzeitliche Magie als Theorie der Ansteckung und die Kraft der Imagination, S. 133-151. 205 Vgl. Pulst, Die Pest verstehen, S. 159; Buffie/Sournia, Die Seuchen in der Geschichte der Menschheit, S. 108: »Angst wurde ... bis ins 19. Jahrhundert hinein noch für eine mögliche Krankheits- und Todesur­ sache gehalten.« Speziell für die Pest nahm Paracelsus (ca. 1493-1541) an, dass allein die Nachricht ihres Ausbruchs zu einer Ansteckung führe und sich die Seuche auf diesem Wege besonders tückisch aus­ breite, vgl. Paracelsus, Liber de occulta philosophia, S. 41-43: «... dem andern Bruder ... komme die Bottschafft, wie sein Bruder waere an Peste gestorben, deßwegen entsetzt sich derselbige ... hebt an zu imaginieren ... also kommt die pestis weiter von einem Menschen in den anderen ... nicht wegen der Lufft oder Gestanck ... sondern deß­ wegen daß man solche Dinge weder sehen noch hoeren moegen auff dass mans nicht ins gemueth fasse.« 206 Noch um 1900 wurde aus hygienischen Gründen vor der aufwüh­ lenden, den gesunden Schlaf störenden Wirkung gerade des lauten Le­ sens gewarnt, vgl. Sarasin, Reizbare Maschinen, S. 167. 207 Vgl. Zedier, Großes vollständiges Universal-Lexikon aller Wissen­ schafften und Künste, Bd. 7, Sp. 207 (Art. »Darrsucht, Darr, Schwind­ sucht, Schwindung«): »Auch leiden die Lebens-Geister grossen Ab­ gang bey der Unruhe des Gemüths. Und darff man sich nicht verwun­ dern, daß diese vermögend ist die Schwindsucht zu verursachen. Denn diejenigen ... allzuviel studieren ... haben schlechten Appetit, können wenig schlaffen, und schlaffen sie noch etwas so träumet ih­ nen doch lauter wunderliches Zeug, oder wenn auch dieses nicht ist, empfinden sie dennoch wenig Kräffte davon, sie stehen mätter auf, als

81

loses Lesen vorgebracht wurden, galten auch für Thea­ terstücke, bei denen eine Ansteckung, eine Infektion des

Publikums mit starken Emotionen ja handgreiflich war.208

Dass kleine Vampir-Flügel am Ende des Zeigestocks, den der PestArzt in der Hand hält, zu sehen sind, ist sicher reiner Zufall ...209

Hinzu kamen in allen diesen Fällen aus staatlicher Sicht

natürlich noch politische Vorbehalte gegen manche In­

sie sich niederlegten, wenn also alle Instrumental-Theile geschwächet sind, und mehr gute Säffte Weggehen, als wieder dazu kommen, so muß nothwendig die Schwindsucht entstehen.« Siehe auch Boan, Art. »Tuberculosis and Romanticism«, in Encyclopedia of Pestilence, Pandemics, and Plagues, Bd. 2, S. 706. 208 Vgl. Fischer-Lichte, Zuschauen als Ansteckung, S. 35-50. 209 Nur kurz sei darauf hingewiesen, dass bestimmte Phänomene des Vampirismus ebenfalls durch Imagination und Lektüre hervorgerufen werden sollen, vgl. Sailer, Glückseligkeitslehre, Bd. 1, S. 205: »... die Leseseuche ... macht ... Gespenster glaubwürdig.«; Steinhauer, Vampyrologie für Bibliothekare, S. 47. Bulst, Die Pest verstehen, S. 154 macht auf einen interessanten Zusammenhang zwischen Pestaus­ bruch und Wiedergängerglauben aufmerksam; Walter, Der »Schwarze Tod« und seine Sippe, S. 366 f. weist auf das Pestmptiv in Walter Mumaus Vampirfilm »Nosferatu« hin. Vgl. auch Heiduck, Wieder­ gänger im Seuchendiskurs, S. 11-33; Lauper, Die »phantastische Seu­ che«, 2011.

82

halte.210 Dies hat zusammen mit den genannten sanitätspoliceylichen Erwägungen zu ersten speziellen Rechts­

vorschriften

für

(gewerbliche)

Leihbüchereien ge­

führt.211 Die Anfänge unseres heutigen Bibliotheks­ rechts liegen nicht, wie man vielleicht denken könnte, in kulturpolitischen Initiativen, sondern in (bibliotheks)po-

liceylichen Regelungen,212 die wiederum als Ausdruck 2,0 Vgl. von Mohl, Die Polizei-Wissenschaft nach den Grundsätzen des Rechtsstaates, Bd. 1, S. 597, der aber eine ästhetische Gängelung der Leser strikt ablehnt: »... nur hat der Staat kein Recht, seinen Bürgern blos ernsthafte Bücher aufzunöthigen ...« 2.1 Vgl. Medicus, Art. »Kulturpolizei«, in: Bluntschli/Brater, Deutsches Staats-Wörterbuch, Bd. 6, S. 157. Als Beispiel sei genannt »Verordnung der Ministerien des Innern und der Justiz und der obersten Polizeibehörde vom 5. Mai 1858 ... womit das unbefugte Halten einer 1 Leihbibliothek als eine Vebertretung der Preßordnung erklärt wird«, in: Landes-Regierungsblatt für das Erzherzogthum Oesterreich unter der Enns, Jahrgang 1858 - Erste Abtheilung, S. 172 f. Siehe auch die bei Zeller, Die Gewerbepolizei in den Preußischen Staaten, Erster Theil, S. 82-86 aufgeführten buchund bibliotheksrechtlichen Bestimmungen. 2.2 Die Motive für solche Regelungen stellt ein Preußisches Ministerial-Rescript vom 17. Februar 1826 gut heraus: »Es liegt in den besonderen Verhältnissen des Gegenstandes, daß bei der Ertheilung der polizeilichen Erlaubniß zur Anlegung einer Leihbibliothek nicht allein auf die Qualifikation des Nachsuchenden, sondern auch auf die übrigen Umstände Rücksicht zu nehmen ist, wohin vornämlich auch eine für schädlich zu haltende Vermehrung der vorhandenen Leihbib­ liotheken und müßiger Ixserei durch dieselben gehört, wie denn auch die so nöthige Aufsicht auf dieselben, durch unnütze Vermehrung derselben erschwert wird und die Concurrenz die Versuchung der Un­ ternehmer vermehrt, sich durch unsittliche Bücher Zulauf zu ver­ schaffen.«, abgedruckt bei Zeller, Die Gewerbepolizei in den Preußi­ schen Staaten, Erster Theil, S. 83 f. Siehe auch Hopfner, Etwas über Lesebibliotheken, I^esegesellschaften politische Schwärmereyen, und Polizeypflicht (1794), abgedruckt bei: Vodosek, Vorformen der Öffentlichen Bibliothek, S. 103, wo auch noch medizinische Aspekte angesprochen werden: »... die ... Ixsegeseilschäften einer Policeyaufsicht zu unterwerfen und dadurch den Umlauf solcher Schriften die, nach der altmodigen Art der Dinge in der Welt angesehen, ... Krankheiten, und wohl gar Gemüthsverwirrungen beförderten, ... zu beschränken oder zu hemmen.« Vgl. demgegenüber aber die schon sehr modern anmutenden Ausführungen bei von Mohl, Die Polizei­

83

obrigkeitlicher Sorge um die Wohlfahrt des Gemeinwe­

sens zu nicht geringen Teilen auch auf die Pest- und

Seuchenordnungen des Mittelalters zurückgeführt wer­ den können. 8.3 Sanitätspolizei und Schunddebatte

Die Geburt des Bibliotheksrechts aus dem Geist der

Pestabwehr und Seuchenprophylaxe erlebte mit dem

Aufschwung der Bakteriologie Ende des 19. Jahrhun­ derts eine neue Plausibilität, als Maßnahmen zur Be­

kämpfung von Infektionskrankheiten jetzt explizit Ein­

gang in die Benutzungsbestimmungen von Bibliotheken fanden.*213 Anders aber als in der metaphorischen Rede

von »Leseseuche« und »Bücherpest« waren die War­

nungen vor dem Büchereibuch nicht allein von der Sor­ ge um den guten Geschmack oder die Gesundheit der

Wissenschaft nach den Grundsätzen des Rechtsstaates, Bd. 1, S. 596602. 213 Wie in einem Brennglas bündeln zwei Berliner Ereignisse des ersten Halbjahres 1882 diesen Umschwung von der Kulturpolizei zur Medizinalpolizei im engeren Sinn, auf den allgemein auch Jochum, Die Idole der Bibliothekare, S. 119 f. (von der »geistigen Polizei« zur »Ge­ sundheitspolizei«) hinweist. Mit Urteil vom 14. Juni 1882 (»Kreuzbergurteil)« hat das Preußische Oberverwaltungsgericht (Fundstelle: PrOVG 9, 353) die polizeilichen Befugnisse auf Fragen der Sicherheit und Ordnung begrenzt und damit rein wohlfahrtsstaat­ lichen Gründen für ein polizeiliches Einschreiten einen Riegel vorge­ schoben, vgl. Pieroth/Scblinkj Kniesei, Polizei- und Ordnungsrecht, § 1, Rn. 10 f. Wenige Wochen zuvor hatte Robert Koch in einem berühm­ ten Vortrag am 24. März 1882 bei der Berliner Physiologischen Ge­ sellschaft über die »Aetiologie der Tuberculose« die Ansteckung durch Bakterien öffentlich bewiesen. Damit war die Grundlage gelegt, öffentlich zugängliche Bibliotheken nun aus naturwissenschaftlich-hy­ gienischen und nicht mehr aus bloß sittlich-moralischen Gründen zu beaufsichtigen und zu kritisieren.

84

Leser bestimmt,214 es gab auch handfeste ökonomische

Interessen, denen das bakteriologische Zwielicht der

Büchereien durchaus willkommen war. Die Rede ist

vom Buchhandel und den Verlagen. Der Börsenverein der Deutschen Buchhändler zu Leipzig etwa und ihm

nahestehende Kreise nahmen die Sorge um die mögli­ cherweise krankmachende Wirkung der Lektüre in ge­ liehenen Büchern zum Ausgangspunkt, um massiv für den Kauf eigener Bücher und gerade bei den wohlha­

benden Kreisen für den Aufbau einer eigenen Privatbib­ liothek zu werben.215 Etwas böswillig könnte man hier

von der medizinischen Variante von Kampagnen wie

»Nur das Original ist legal« und »Raubkopierer sind Verbrecher« sprechen.

Aber auch die Erfüllung der Forderung, Leihbüchereien zu meiden, hat nicht dazu geführt, dass die Lese- und 214 Vgl. Kiesgen, Art. »Privatlektüre der Jugend«, in: LexP, Bd. 4, Sp. 56, der noch 1915 die überkommene Lesekritik des 19. Jahrhunderts wie­ derholt: »Dazu gesellen sich nicht selten gesundheitliche Schädi­ gungen, nervöse Störungen, Kurzsichtigkeit u. Rückenverkrümmung. Die Begriffe Verwirrung des Weltbildes, Verwilderung des Gemütes u. endlich gar völlige geistige u. sittliche Verwahrlosung kennzeichnen die Steigerung im Verlaufe der ungeregelten Vielleserei.« 215 Vgl. Jäger, Die deutsche Leihbibliothek im 19. Jahrhundert, in: IASL 2 (1977), S. 126: »Größere Erfolge hatte die Polemik, als sie die Hygiene in den Vordergrund rückte und Ekel vor dem geliehenen Buch erzeugte«; Hartmann, Die Entwicklung der Literatur und der Buchhandel, S. 157 fordert eine Beschränkung der Leihbüchereien »zugunsten des Buchhandels und des Schutzes vor Verschleppung von ansteckenden Krankheiten ... durch gesundheitspolizeiliche Maß­ regeln«; Martino, Die deutsche Leihbibliothek, S. 571 m.w.N.; ders., Die »Leihbibliotheksfrage«, S. 102; Vodosek, Auf dem Weg zur öffent­ lichen Literaturversorgung, S. 98, 153-155; Wittmann, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 253.

85

Lektürekritik nun keinen hygienischen Ansatzpunkt

mehr hätte. War es in der überkommenen humoral­ pathologischen Lehre die durch aufreizende Lektüre krankmachende Unordnung der Körpersäfte, auf die

lesekritische Stimmen sich beziehen konnten, so war es jetzt um die Jahrhundertwende die »Augenhygiene«, die

eine maßvolle Lektüre rechtfertigen sollte.216

Heute ist das genauso Geschichte wie die bildhafte Rede von Lesepest und Leseseuche, die gegen Schundli­

teratur gerichtet war, und nach dem Zweiten Weltkrieg weitgehend verstummt ist. Ob hier aber tatsächlich eine

liberalere Haltung Platz gegriffen oder ob sich die Schunddebatte nur weg von den Büchern auf relevante­ re, die große Masse der Bevölkerung stärker anspre­

chende Medien wie Kino und Fernsehen verlagert hat, mag dahinstehen; in Bezug auf das Internet ist sie jeden­

falls noch deutlich vernehmbar.

216 Vgl. Hamburger, Art. »Kurzsichtigkeit«, in: Pfeiffer/Proskauer, Encyklopädie der Hygiene, Bd. 1, S. 577-582; ]anke, Art. »Lesen«, in: Pfeiffer/Proskauer, Encyklopädie der Hygiene, Bd. 2, S. 40. Inter­ essant ist in diesem Zusammenhang, dass auch im Rahmen einer ophthalmologischen und damit sachlich-medizinischen Behandlung des Themas gleichwohl noch Raum für die klassische Schmutz- und Schunddebatte geblieben ist. So wird die Lektüre erotisch gefärbter Literatur, wozu sogar die »unverkürzte Bibel« gehören soll, abgelehnt, weil sie zu vermehrter autoerotischer Betätigung und diese wiederum zu Augenleiden führe, vgl. den Abschnitt »Augenleiden bei Ona­ nisten« bei Cohn, Art. »Augenhygiene«, in: Pfeiffer/Proskauer, Ency­ klopädie der Hygiene, Bd. 1, S. 61 f.

86

8.4 Pastoralhygienische Aspekte

Im katholischen Biotop waren die Sorge um »das gute Buch« und der aktive Kampf gegen schlechte Literatur

bis weit in die 1970er Jahre hinein noch recht aktuell. So

wurde etwa der Index librorum prohibitorum, der Index der

verbotenen Bücher, erst 1966 aufgehoben.217 Damit

fand eine lange, bis in die Frühzeit des Buchdrucks, ja noch in das Handschriftenzeitalter reichende Zensurge­

schichte ihren Abschluss.218 Disziplinär freilich inter­ essant ist, dass nicht allein in der Moraltheologie als der Wissenschaft von den Sünden oder — wegen der dro­ henden Exkommunikation bei abseitiger Lektüre — im

Kirchenrecht über die Bekämpfung von Schundliteratur nachgedacht wurde, sondern auch in einer etwas merk­

würdigen, heute in dieser Form verschwundenen theo­

logischen Disziplin, nämlich in der Pastoralhygiene.219

Der assoziative Zusammenhang mit Seuchen und Krankheiten stellt sich bei dieser Wissenschaft, die ihre

hygienischen Bemühungen auf Körper und Geist zu­ gleich ausrichtete, sofort ein. Und in der Tat wurden in der einschlägigen Literatur auch schlechte Geisteswerke

217 Vgl. AAS 58 (1966), S. 445 und 1186, wobei die moralische Pflicht, glaubensfeindliche Bücher zu meiden, fortbesteht, dazu Peschke, Christliche Ethik - Spezielle Moraltheologie, S. 40 f. 218 Siehe Steinhauer, Das kanonische Bücherrecht in Vergangenheit und Gegenwart, in: Kirchliches Buch- und Bibliothekswesen 5 (2004), S. 149-164. 219 Zum Begriff vgl. Niederweyer, Philosophische Propädeutik der Me­ dizin, S. 30; Roth, Art. »Pastoralhygiene«, in: Praktisches Wörterbuch der Pastoralanthropologie, S. 811.

87

behandelt und »hygienisch« betrachtet und mit echten

Krankheitserregern verglichen.220 Auch die ältere Pre­ digtliteratur verzichtet bei ihrer Kritik des schlechten

Buches nicht auf die traditionelle Seuchensemantik.221 Ob es da wohl ein Zufall ist, wenn mit dem heiligen

Karl Borromäus (1538-1584) der wichtigste Pestheilige

der Neuzeit222 als Patron der katholischen Büchereien und der kirchlichen Bibliotheksarbeit verehrt wird? Die Dachorganisation der katholischen öffentlichen Bü­

chereien außerhalb Bayerns, der 1844 gegründete 220 Vgl. Niederweyer, Compendium der Pastoralhygiene, S. 325: »Was in den Auslagen der Buchhandlungen die Blicke der Massen anzieht, ver­ dient keine andere Bezeichnung als die von geistigen Exkrementen. Dies gilt besonders von jenem Teil der Literatur, der ausschließlich auf die erotische Sensationsgier der Massen spekuliert ... vom Stand­ punkt der Kultur-Hygiene bedenklich ... wird zur Gefahr für die geistige Gesundheit der Menschen.«, vgl. auch Niederweyer, Philosophi­ sche Propädeutik der Medizin, S. 137; ders., Compendium der Pasto­ ralmedizin, S. 6. Leitender Begriff dabei sind so genannte »Zivilisa­ tionsschäden«, die eben auch durch die Lektüre abseitiger und mora­ lisch bedenklicher Schriften hervorgerufen werden können. 221 Gegen schlechte Literatur werden von Koch, Homiletisches Hand­ buch, Bd. 14, Abschnitt 773, Nr. 7 dem Prediger folgende Vergleiche für seine Ansprachen empfohlen: »Zum Verständnis der Sicherungs­ maßnahmen der Kirche gegen schlechte Bücher vgl. die Vorschriften zum Schutz vor Ansteckung und Gefährdung in öffentlichen Betrie­ ben, auf Bahnen usw. (Bakterien als geistige Giftkeime) ...«, siehe auch ders., Homiletisches Handbuch, Bd. 4, Abschnitt 773: »Das Buch als Gefahr. Büchergesetze der Kirche«, dort Nr. 9/2. Vgl. überdies Müssener, Die kirchlichen Büchergesetze, S. 46: »Erfahrene Männer schätzen die Zahl der Schundschriften auf drei Milliarden, also rund 50 Hefte für den Kopf der Bevölkerung. Man glaube nicht, daß ge­ schlossene katholische Gegenden von dieser Pest frei seien. In einer katholischen Stadt wurden bei einer einzigen Nachsuche 50.000 Schundhefte aufgegriffen ... Die Seuche bedroht also alle Volkskreise ohne Ausnahme.« 222 Vgl. Bach, Karl Borromäus, S. 109 f.

88

Borromäusverein, jedenfalls ist nach diesem Heiligen benannt.223

Hl. Karl Borromäus mit gelehrten Attributen.

9. Seuchensemantik der Gegenwart

Heute ist ein solches Denken, auch im kirchlichen

Bereich, grundsätzlich überwunden. Bibliotheken ver­ stehen sich in keinster Weise als Kontrolleinrichtungen

für geistige Arbeit. Sie sind vielmehr, wie alle bislang verabschiedeten Bibliotheksgesetze prominent heraus­ streichen, Institutionen zur Verwirklichung von Infor­

223 Vgl. Hodick, Art. »Borromäusverein«, in: LThK3 Bd. 2, Sp. 600 f. Nach Bach, Karl Borromäus, S. 162 ist der Grund für dieses Patronat merkwürdig unbestimmt.

89

mationsfreiheit.224 Dass jetzt in Hessen das Pflicht­

exemplarrecht aus dem Presserecht und damit aus einem historischen Zusammenhang von Publikations­ kontrolle und Zensur herausgelöst und in das Hessische

Bibliotheksgesetz überführt worden ist, unterstreicht

dies nachdrücklich.225 Gleichwohl ist die Seuchensemantik im Zusammenhang

mit Medien nicht verschwunden. Sicher hat jeder schon einmal seine eigenen Erfahrungen mit »virenwerseuch-

ten Dateien oder elektronischen Dokumenten gemacht.

Und in der Kommunikationswissenschaft wird eine be­

sonders erfolgreiche Strategie, Inhalte schnell und um­ fassend zu verbreiten, als »viral« bezeichnet.226 Die Kul­

turwissenschaft schließlich hat historische und gegen­ wärtige Seuchendiskurse als eigenes Forschungsfeld ent­

deckt und untersucht die mediale Präsenz von Epidemi­ en als Kommunikationsphänomen227 ebenso wie die Be­ 224 Beispielsweise § 1 Thüringer Bibliotheksgesetz. Vgl. aber schon von Mohl, Die Polizei-Wissenschaft nach den Grundsätzen des Rechts­ staates, Bd, 1, S. 600: »Endlich ist nöthig eine große allgemeine [vom Staat unterhaltene, Anm. d. Verf.) Bibliothek, oder ... eine Mehrzahl solcher Sammlungen, welche aus allen Fächern des menschlichen Wis­ sens die schriftlichen Denkmale wohl geordnet und Jedem zugänglich enthalten. Je vollständiger sie sind, desto besser.« 225 Vgl. Landtags-Drucksache (Hessen) 18/6067, S. 27. 226 Vgl. beispielhaft die Beiträge im Themenheft »Virus«, Zeitschrift Ästhetik & Kommunikation 41 (2010), H. 149; Schult^ McLuhan, Pasteur des Medienzeitalters : Kausalität als Ansteckung - zur Diag­ nose der (elektrischen) Medienkultur, S. 331-350 sowie aus kultur­ soziologischer Sicht Baudril/ard, Viralität und Virulenz, S. 81-92. 227 Beispielsweise Käser, Wie und zu welchem Ende werden Seuchen erzählt?, in: IASL 29 (2004) S. 200-227; Pulver, Tribut der Seuche oder: Seuchenmythen als Quelle sozialer Kalibrierung, 1999; Padeiski, Seu­ chen, Ängste und Diskure, Berlin [u.a.[ 2011; W'eingart, »Rumoritis«:

90

deutung

medialer Ausdrucksmöglichkeiten

in

der

epidemiologischen Forschung.228

Im Buch- und Bibliothekswesen der Gegenwart hinge­ gen kommt ein entsprechender metaphorischer Ge­

brauch der Rede von Seuchen fast nicht mehr vor.

Offenbar sind bibliothekarische Diensdeistungen zu wenig spektakulär, um sie wenigstens als »viral« bezeich­

nen zu können.229 Vor dem Hintergrund aber der, wie

wir jetzt wissen, nicht ganz unbedeutenden seuchenge­ schichtlichen und mikrobiellen Implikationen im Buchund Bibliothekswesen ist es vielleicht doch lohnend,

auch heute Aufgaben und Funktionen von Bibliotheken im Metaphernfeld von Seuchen zu beschreiben, zu ver­

stehen und über sie nachzudenken.230 Zur Modellierung von Massenkommunikation als Epidemie, S. 278299; 7.i~ek, Die Pest der Phantasmen, 1999. 228 Vgl. Schlich, »Wichtiger als der Gegenstand selbst« - Die Bedeutung des fotographischen Bildes in der Begründung der bakteriologischen Krankheitsauffassung durch Robert Koch, S. 143-174, passend dazu Neubaues, Art. »Mikrophotographie«, in: Pfeiffer/Proskauer, Encyklopädie der Hygiene, Bd. 2, S. 105-107, sowie Sarasin, Die Visualisierung des Feindes, S. 427-461. 229 Vgl. aber Müller, Von Leseviren und I^esetrojanem, in: Mbmagazin, Ausgabe 150/151, 10/2012, S. 6: »Der Lesevirus ist kein Krankheits­ erreger, sondern ein sich schnell verbreitendes Lesefieber, das sich an Vorbildern nährt.« Auffallend ist hier die durchgehend positive Kon­ notation der Krankheitsmetaphern. 230 Umgekehrt werden viele Vorgänge in der Biologie durch Begriffe aus dem Buch- und Bibliothekswesen umschrieben, vgl. Kay, Das Buch des Lebens, 2005 sowie Keller, Das Leben neu denken, S. 106147, die vor allem auf Computer-Vergleiche eingeht, die freilich als in­ formationsverarbeitende Systeme letztlich nichts weiter als »elektri­ sche Bibliotheken« sind. Die genannten Metaphern haben in der Naturwissenschaft in nicht geringem Maße auch eine heuristische Funktion für die weitere Forschung. Für Bibliotheken und ihre Arbeit könnte das bei der Seuchensemantik auch gelten.

91

Als Ausgangspunkt hierfür bietet sich weniger die Gefährlichkeit von Bibliotheken in ästhetischer oder gar

hygienischer Hinsicht, als vielmehr ihre Rolle als bewah­

rende Gedächtnisinstitutionen an: Bibliotheken sind Orte gegen das Vergessen; sie ermöglichen Erinnerung.

Damit sie diese Funktion erfüllen können, besteht ein

nicht unbedeutender Teil der bibliothekarischen Arbeit in der sachgerechten Aufbewahrung von Büchern. Und

dies wiederum meint, so haben wir eindrucksvoll gesehen, zu einem nicht geringen Teil die aktive oder passive Abwehr von Mikroorganismen, die Bücher an­

greifen und zerstören können. Aus Sicht des Buches ist

die Bibliothek mit einem Immunsystem vergleichbar. 10. Immunologie und Bibliothek

Ein Immunsystem dient der Abwehr von schädlichen Mikroorganismen. Wenn man Bibliotheken als ein

Immunsystem auffasst, so kann man das zunächst ganz konkret auf die Erhaltung von Büchern beziehen und

bibliothekarische Tätigkeiten, die Pilze und Bakterien sowie andere, etwa tierische Schädlinge von Büchern

abhalten, als immunologische Tätigkeiten verstehen.

Im Sinne einer Bewahrung menschlichen Wissens

können Bibliotheken darüber hinaus in Zeiten grassie­ render Seuchen die kulturelle Überlieferung sicher­ stellen. Hält man sich den immensen Bevölkerungsrück­

gang während der Pestepidemien des Mittelalters und der Frühen Neuzeit vor Augen, ist es Gedächtnisinsti­

92

tutionen wie den Bibliotheken zu verdanken, dass die

demographische Katastrophe nicht zu einem Abriss der kulturellen Überlieferung führte. An dieser Stelle ist vielleicht interessant, dass auch das

biologische Immunsystem über eine Art Gedächtnis

verfügt, das Informationen über schädliche Mikroorga­

nismen speichert und so eine effektivere und schnelle Abwehrreaktion des Körpers ermöglicht.231 Die Immu­

nisierung gegen Krankheiten durch Impfungen basiert

auf diesem Prinzip.

Wenn wir nun Bibliotheken als Immunsystem zum Schutz von Büchern und Kultur bezeichnen, so ist das eine ausgesprochen positive metaphorische Zuschrei­

bung, ganz im Gegensatz zu der Rede von »Leseseu­

chen« und »Bücherpest«. Doch man kann die Sache mit dem Immunsystem auch anders sehen.

Im Kampf gegen Schund und Schmutz, eines der be­ sonderen Kennzeichen gerade der katholischen Bücher­ eiarbeit unter dem Patronat des Pestheiligen Karl

Borromäus,232 gehörte es zu Aufgabe des Bibliothekars,

231 Vgl. Lexikon der Biologie, Bd. 4, S. 339 (Art. »Immunzellen«); Mar­ tin/Resch, Immunologie, S. 177-180; Zänker, Das Immunsystem des Menschen, S. 15. 232 Passend hier die bei Bach, Karl Borromäus, S. 72 abgedruckte Ord­ nung für die Bibliotheken der Priesterseminare, die Karl Borromäus 1580 erlassen hat: »Auch das eine oder andere Exemplar des Index der verbotenen Bücher soll in den Händen des Bibliothekars sein und

93

schlechte Bücher aus dem Bestand zu verbannen.233 Die so gepflegte Bibliothek wurde dabei zu einem Refugium der Ordnung und einem Ort der Reinheit. In einer

immunologischen Perspektive könnte man den Biblio­ thekar einer solchen Bibliothek als »Fresszelle der

Hochkultur« begreifen, genitivus subjectivus versteht sich.

Tatsächlich ließe sich die unter den Begriffen »Lese­ seuche« und »Lesepest« geführte Schunddebatte auch in

einer Immunsemantik führen.234 Dass dies nicht passiert

ist, hat einen sehr einfachen Grund. Wir wissen erst seit den 60er Jahren, wie unser Immunsystem in Grund­

zügen tatsächlich arbeitet.235 Die Schunddebatte des 19. und frühen 20. Jahrhunderts konnte ihre bildhafte

Sprache daher nur der Seuchenkunde entnehmen. Wir hatten gesagt, dass Bibliotheken in ihrer Funktion,

Bücher vor schädlichen Mikroorganismen zu bewahren, wie ein Immunsystem wirken. Das mag für den Alt­

bestand, an dessen physischem Erhalt ein gewisses kul­

turelles Interesse besteht, sicher auch in Zukunft so gelten. Die große Masse der intrinsisch nicht besonders

wertvollen Bücher der Gegenwart und jüngsten Ver­

gangenheit ebenfalls alle im Original erhalten zu wollen,

dieser sorge, daß kein derartiges Buch in der Bibliothek aufbewahrt werde.« 233 Vgl. Lexikon des katholischen Lebens, S. 719 (Art. »Lektüre«). 234 Vgl. beispielhaft Esposito, Immunitas, Berlin 2004, der medizinische Immunität als politisch-philosophische Metapher verwendet. 235 Vgl. Rheinberger!Hagner, Experimentalsysteme, S. 17.

94

erscheint demgegenüber als unpraktisch und wenig sinnvoll.236 Hier könnte die Digitalisierung der Bestände

ein möglicher Weg sein, um die in den Büchern aufge­ zeichnete Information verfügbar zu halten. In dem Maße, in dem eine immer größere Zahl von Publika­

tionen ohnehin nur noch in elektronischer Form ver­ öffentlicht wird, könnte eine gemeinsame digitale Archi­

vierungsstrategie ursprünglich gedruckt und originär elektronisch publizierter Inhalte sogar Medienbrüche

zwischen den unterschiedlichen Formaten überwinden und zugleich praktische Synergieeffekte ergeben. Inwieweit diese digitalen Inhalte durch Computerw'n?» (!) in ihrer Authentizität und Lesbarkeit bedroht sind, ist

zwar eine interessante, im Vergleich zu den technischen

Herausforderungen der digitalen Langzeitarchivierung jedoch nachrangige Frage. Technisch nämlich sind nicht nur die Interpretierbarkeit der Formate oder die Integri­

tät der Daten kritisch, es ist vor allem die geringe phy­

sische Haltbarkeit der Datenträger, die eine zuverlässige

Langzeitverfügbarkeit bedroht und zu einer dauernden

Herausforderung macht. Der einzige Ausweg scheint ein ständiges Umkopieren auf neue Datenträger zu sein. Dabei können sich Fehler im Datenbestand ergeben.

Viel problematischer aber ist die Zeit, die für den

236 Auch die Allianz ^ur Erhaltung des schriftlichen Kulturguts hält es in ihrer 2009 erschienenen Denkschrift »Zukunft bewahren«, S. 9 für ausreichend, wenn von Druckwerken, die nach 1850 erschienen sind, lediglich ein dauerhaft gesichertes Papierexemplar erhalten bleibt.

95

Umkopiervorgang benötigt wird. Je größer die zu

sichernde Datenmenge ist, desto zeitintensiver werden

entsprechende Prozesse. Schon jetzt kann es Monate dauern, nur ein einziges Rechenzentrum zu sichern. Ideal wäre daher ein Datenträger, der so dauerhaft ist, dass ein Umkopieren entfallt. Hier taucht am Horizont

des technisch Machbaren prototypisch die Möglichkeit

einer Datenspeicherung in Form genetischer Informa­ tion auf. Erste, viel versprechende Versuche der Codierung und des Auslesens von Information in Form

von DNA wurden bereits unternommen.237 Decoding soil-referential DNA thaï encodes these noies

f

1000H011 «000110100 autonom 91100101 w ti’1100101*1 esevereine der Geisdichen; deren Zweck, Einrichtung und Ixitung, in: ThQ 1840, S. 75-102. Duque, Adriano: Art. »Plague Memorials«, in: Encyclopedia of l\•stilence, Pandemics, and Plagues, Bd. 2, S. 530 f. Eco, Umberto: Der Name der Rose, München [u.a.] 1982. Elsner, [N.N.J: Art. »Formaldehyd« in: Pfeiffer/Proskauer, Encyklopädie der Hygiene, Bd. 1, S. 320-323. Encyclopedia of Death and Dying / ed. by Giennys Howarth and Oliver Ixaman, London [u.a.] 2001. Encyclopedia of Pestilence, Pandemics, and Plagues / ed. by Joseph P. Byrne, Westport, CT |u.a.J 2008. Engelhardt, Dietrich von; Fritz Elartmann (Hrsg.): Klassiker der Medizin : Erster Band: von Hippokrates bis Christoph Wilhelm Hufeland, Miiik hen 1991 Enzyklopädie der Neuheit, im Auftr. des Kulturwissenschaftlichen Instituts (Essen) und in Verbindung mit den Fachwissenschafdem hrsg. von Friedrich Jaeger. Lizenzausg. Darmstadt 2005 ff. Enzyklopädie des Eisenbahnwesens / hrsg. von [Victor] von Röll, Berlin [u.a.] 1912-1923. Enzyklopädie Mediz^ngeschichte / hrsg. von Werner E. Gerabek et al., Berlin [u.a.] 2005.

113 Eppinger, Hans: Die Hadernkrankheit: eine typische InhalationsMilzbrandinfection beim Menschen ; unter besonderer Berücksichtigung ihrer pathologischen Anatomie und Pathogenesis, Jena 1894. Esposito, Roberto: Immunitas : Schutz und Negation des Lebens, Berlin 2004. Ewald, Gustav: Mikroorganismen als Schädlinge in Bibliotheken und Archiven, in: Bibliothek und Wissenschaft 5 (1966), S. 13-112. Feuerstein-Her^ Petra (Hrsg.): Gotts verhengnis und seine straffe : zur Geschichte der Seuchen in der Frühen Neuzeit, Wolfenbüttel 2005 (Ausstellungskataloge der Herzog August Bibliothek ; 84). Dies.: Im Druck der Seuchen - Seuchen und Buchdruck in der Frühen Neuzeit am Beispiel der Bestände der Herzog August Bibliothek, in: dies. (Hrsg.), Gotts verhengnis und seine straffe, S. 27-36. Fischer-Lichte, Erika: Zuschauen als Ansteckung, in: Schaub/Suthor/dies. (Hrsg.): Ansteckung, S. 34-50. Foucault, Michel: Überwachen und Strafen : die Geburt des Gefängnisses, Frankfurt am Main 1994 (suhrkamp taschenbuch ; 2271). Frank, Johann Peter: System einer vollständigen medicinischen Polizey, Bd. 1, 2. Aufl. 1784. Fredenksen, jun: Art. »Brunschwig, Hieronymus«, in: VerfLex. Bd. 1, Sp. 1073-1075. Frössel, Frank: Schimmelpilze in Wohnungen : das Lexikon, WaldshutTiengen 2012. Gallery, Steven: Art. »Dance of Death«, in: Encyclopedia of Death and Dying, S. 134 f. Gardt, Andreas et al. (Hrsg.): Buchkultur und Wissensvermittlung in Mittelalter und Früher Neuzeit, Berlin [u.a.] 2011. Gardthausen, Victor: Handbuch der wissenschaftlichen Bibliothekskunde, Erster Band, Leipzig 1920. Gelderblom, Gertrud: Die Krankenhausbücherei, in: Langfeldt (Hrsg.), Handbuch des Büchereiwesens, 2. Halbband, S. 589-627. Geldner, Ferdinand: Art. »Huß, Matthias«, in: NDB 10 (1974), S. 84 f. Ders.: Inkunabelkunde : eine Einführung in die Welt des frühesten Buchdrucks, Wiesbaden 1978 (Elemente des Buch- und Bibliothekswesens ; 5). Giesecke, Michael: Der Buchdruck in der frühen Neuzeit: eine historische Fallstudie über die Durchsetzung neuer Informations­ und Kommunikationstechnologien, Frankfurt am Main 1994. Glaser, Erhard: Über Bücherdesinfektion, Wien 1907 (= Beilage Nr. 28, Österreichisches Sanitätswesen 1907). Glauert, Mario: Empfehlungen zum Umgang mit schimmelbefallenem Archivgut, in: ders./Ruhnau (Hrsg.), Verwahren, Sichern, Erhalten, S. 73-89. Ders.-, Sabine Ruhnau (Hrsg.): Verwahren, Sichern, Erhalten : Handreichungen zur Bestandserhaltung in Archiven, Potsdam 2005.

114 Goethes Briefwechsel mit Christian Gottlob Voigt — Band 2 / bearbeitet und herausgegeben von Hans Tümmler, Weimar 1951 (Schriften der Goethe-Gesellschaft; 54). Greenberg, Gerald S.: Books as Disease Carriers 1880-1920, in: Libraries & Culture 23 (1988), S. 281-294. Greve, HJenri] E[khard]: Das Problem der Bücher- und Lesehallen, Leipzig 1908. Grob, Dieter et al. (Hrsg.): Naturkatastrophen : Beiträge zu ihrer Deutung, Wahrnehmung und Darstellung in Text und Bild von der Antike bis ins 20. Jahrhundert, Tübingen 2003 (Literatur und Anthropologie ; 13). Grüntnfg, Johannes WHeinz Mehlhorrr. Robert Koch : Seuchenjäger und Nobelpreisträger, Heidelberg 2010. Gudermann, Rita: Art. »Miasmen«, in: EnzN Bd. 8, Sp. 474-481. Gundert, Beate: Art. »Humoralpathologie«, in: Leven (Hrsg.), Antike Medizin, S. 436-441. Hacker, Jörg: Menschen, Seuchen und Mikroben : Infektionen und ihre Erreger, München 2003 (C.H. Beck Wissen : Beck’sche Reihe ; 2317). Häger, Ullrich: Großes Lexikon der Philatelie : in zwei Bänden, Gütersloh 1978. Hähner-Rombach, Sylvelyn: Sozialgeschichte der Tuberkulose : vom Kaiserreich bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges unter besonderer Berücksichtigung Württembergs, Stuttgart 2000 (Medizin, Gesellschaft und Geschichte : Jahrbuch des Instituts für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung - Beiheft; 14). Haensch, Stephanie et al.: Distinct Clones of Yersinia pestis Caused the Black Death, in: PLoS Pathog. 6 (2010), elOOOl 134 (DOI: 10.1371 / joumal.ppat. 1001134). Härter, Karl: Art. »Polizei«, in: EnzN Bd. 10, Sp. 170-180. Hamburger, Carl: Art. »Kurzsichtigkeit«, in: Pfeiffer/Proskauer, Encyklopädie der Hygiene, Bd. 1, S. 574-584. Handwörterbuch %ur deutschen Rechtsgeschichte / hrsg. von Adalbert Erler et al., Berlin 1971-1990. Handwörterbuch des Postwesens / hrsg. von Wilhelm Küsgen et al., Berlin 1927. Hartmann, Otto: Die Entwicklung der Iäteratur und der Buchhandel, Leipzig 1910. Hatham, Andreas Heinrich August (Hrsg.): Arnstadt nach seinen gegenwärtigen Verhältnissen und unter Beifügung vieler geschichtlicher Notizen, sowie einer kurzen, getreuen Schilderung seiner Umgebung dargestellt: ein Hand- und Adressbuch für Einheimische und Fremde, Sondershausen [1842]. Haupt, Heinz-Gerhard: Orte des Alltags : Miniaturen aus der europäischen Kulturgeschichte, München 1994.

115 Heiduck, Matthias: Wiedergänger im Seuchendiskurs : Wechselwirkungen zwischen medizinischer Wissenschaft und Vampirmythos vom 18. bis zum 21. Jahrhundert, in: Wahrmann et al. (Hrsg.), Seuche und Mensch, S. 11-33. Heinemann, Johann Georg: Über die Pest der deutschen Literatur / Appel [sic!] an meine Nation über Aufklärung und Aufklärer; über Gelehrsamkeit und Schriftsteller; über Büchermanufakturisten, Rezensenten, Buchhändler; über moderne Philosophen und Menschenerzieher; auch über mancherlei anderes, was Menschenfreyheit und Menschenrechte betrifft, Bern 1795. Herlihy, David: Der Schwarze Tod und die Verwandlung Europas, Berlin 2000. Hermann, Uwe: Zur Frage der Desinfektion bzw. Sterilisation von Büchern : Untersuchung alter Bücher in öffentlichen Büchereien auf Pilze, Diss. Leipzig 1969. Hess, Bärbel-Jutta: Seuchengesetzgebung in den deutschen Staaten und im Kaiserreich vom ausgehenden 18. Jahrhundert bis zum Reichsseuchengesetz 1900, Diss. Heidelberg 2009, URL: http://archiv.ub.uni-heidelberg.de/volltextserver/10458/ [Abruf am 8. Januar 2013]. Hillenberg, [N.N.J: Ueber die Bedeutung der Schul-, Leih- und Volksbibliotheken hinsichtlich der Übertragung ansteckender Krankheiten, in: Zeitschrift für Medizinalbeamte 21 (1908), S. 500505. Hiller, A.: Ueber die Infektionsgefahr durch Bücher und die ’ Desinfektion von Büchern, in: Zentralblatt für Bibliothekswesen 26 (1909), S. 197-202. Hodick, Erich: Art. »Borromäusverein«, in: LThK3 Bd. 2, Sp. 600 f. Homer. Ilias / neue Übersetzung, Nachwort und Register von Roland Hampe, Stuttgart 1979 (Universal-Bibliothek ; 249). Igar, Schack von: Zeitungsromane, in: Das Magazin für die Litteratur des In- und Auslandes 55 (1886), S. 60-61. lndice Biografico Italiano - Italian Biographical Index - Italienischer Biographischer Index / a cura di ... Tommaso Nappo, Paolo Noto, München [u.a.] 1993. Imsser, Philipp: Pestilentz-Büchlein / für die armen Handwercks- und Baurs-Lcuthc, s.l. 1680. Iseli, Andrea: Gute Policey : öffentliche Ordnung in der Frühen Neuzeit, Stuttgart 2009 (UTB ; 3271). Jacobsen, Jens Peter: Novellen und Gedichte, Zürich 1956 (Manesse Bibliothek der Weltliteratur). Ders.: Die Pest in Bergamo, in: ders., Novellen und Gedichte, S. 108122. Jacobus de Voragine\ Legenda aurea / ausgewählt, übersetzt und herausgegeben von Rainer Nickel, Stuttgart 1988 (UniversalBibliothek 8464). Jaeger, [N.N.J: Art. »Sublimat«, in: Pfeiffer/Proskauer, Encyklopädie der Hygiene, Bd. 2, S. 400.

116

Jäger, Georg: Die deutsche Leihbibliothek im 19. Jahrhundert : Verbreitung — Organisation — Verfall, in: IASL 2 (1977), S. 96-133. Ders.; Jörg Schönert (Hrsg.): Die 1 Leihbibliothek als Institution des literarischen Lebens im 18. und 19. Jahrhundert : Organisationsformen, Bestände und Publikum ; Arbeitsgespräch in der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel 30. September bis 1. Oktober 1977, Hamburg 1980 (Wolfenbütteier Schriften zur Geschichte des Buchwesens ; 3). Jaescbke, Emil: Volksbibliotheken (Bücher- und Lesehallen) : ihre Einrichtung und Verwaltung, Leipzig 1907 (Sammlung Göschen ; 332). Jakob, Tina: Art. »Paleopathology«, in: Encyclopedia of Pestilence, Pandemics, and Plagues, Bd. 2, S. 451-454. Janke, [N.N.]: Art. »Lesen«, in: Pfeiffer/Proskauer, Encyklopädie der Hygiene, Bd. 2, S. 40. Jankrift, Kay Peter: Krankheit und Heilkunde im Mittelalter, Darmstadt 2003 (Geschichte kompakt ; Mittelalter). Jochum, Uwe: Die Idole der Bibliothekare, Würzburg 1995. Käser, Rudolf: Wie und zu welchem Ende werden Seuchen erzählt?, in: IASL 29 (2004) S. 200-227. Kabr, Peter Hardy: Der Rote Faden, in: Pharmazeutische Zeitung 139 (1994), S. 2608-2610. Kant, Immanuel: Anthropologie in pragmatischer Hinsicht / hrsg. von Reinhard Brandt, Hamburg 2000 (Philosophische Bibliothek ; 490). Kay, Lily E.: Das Buch des Lebens : wer schrieb den genetischen Code?, Frankfurt am Main 2005 (suhrkamp taschenbuch Wissenschaft ; 1746). Keil, Gfundolf]: Art. »Brief an die Frau von Plauen«, in: VerfLex. Bd. 2, Sp. 1035 f. Ders.: Art. »Brunschwig, Hieronymus«, in: LGB2 Bd. 1, S. 565. Ders.: Art. »Gallus von Prag«, in: VerfLex. Bd. 2, Sp. 1065-1069. Ders.: Art. »Nikolaus vom Schwert (Meister N.)«, in: VerfLex. Bd. 6, Sp. 1151-1153. Ders.: Art. »Pariser Pestgutachten (Visis effectibus / Veus et considérés les effecs)«, in: VerfLex. Bd. 7, Sp. 309-312. Ders.: Art. »Pest«, in: RGA Bd. 22, S. 618-623. Ders.: Art. »Pesdaßmännlein«, in: VerfLex. Bd. 7, Sp. 416-418. Ders.', Monika Reininger, Art. »Schwestermüller (Schwestermiller), Konrad«, in: VerfLex. Bd. 8, Sp. 950-953. Ders.: Art. »Sendbrief-Aderlaßanhang«, in: VerfLex. Bd. 8, Sp. 1077 f. Ders.: Art. »Seuchen«, in: RGA Bd. 28, S. 232-236. Ders.: Art. »Sinn der höchsten Meister von Paris«, in: VerfLex. Bd. 8, Sp. 1281-1283. Keller, Evelyn Fox: Das Leben neu denken : Metaphern der Biologie im 20. Jahrhundert, München 1998. Keller, Christine K.; Steffen K. Geberth: Praxis der Nephrologie, 2. Aufl. Heidelberg [u.a.] 2007.

117 Kiening, Christian: Art. »Totentanz - B. Literatur - I. Deutsche Literatur«, in: LMA Bd. 8, Sp. 899 f. Kiesgen, Laurenz: Art. »Privatlektüre der Jugend«, in: LexP Bd. 4, Sp. 55-58. Kirchner, Hildebert; Rosa Maria Wendt Bibliotheksbenutzungsordnungen : Regelungsgegenstände Formulierungshilfen - Rechtsgutachten, Berlin 1990 (dbimaterialien ; 93). Klebs, Carl: Die Pestinkunabeln, in: Sudhoff, Die ersten gedruckten Pestschriften, S. 16-84. Klippel, Diethelm: Art. »Aufwandsordnungen«, in: EnzN Bd. 1, Sp. 840-844. Klot^-Behrendes, Bruno: Schimmelpilzbefall in Bibliotheken, in: Bibliotheksdienst 34 (2000), S.47-59. Knispel, Franz: Art. »Pestordnungen«, in: Lexikon der letzten Dinge, S. 333 f. Koch, Anton: Homiletisches Handbuch - erste Abteilung: Homiletisches Quellenwerk : Stoffquellen für Predigt und christliche Unterweisung, vierter Band: siebenter Teil: das Menschenleben — achter Teil: das Leben der Vollkommenheit, 1. und 2. Aufl., Freiburg/Brsg. 1939. Ders.: Homiletisches Handbuch - vierzehnter Band: Ergänzungswerk - zweiter Teil: Homiletische Gleichnissammlung - zweiter Band: Gleichnisse zur katholischen Sittenlehre (Teil V - VIII des Lehrund Quellenwerkes), Freiburg/Brsg. 1954. Köhler, Thomas: Rauschdrogen : Geschichte - Substanzen - Wirkung, München 2008 (C.H. Beck Wissen : Beck’sche Reihe ; 2445). Köhler, Werner: Blutwunder und Wunderblutbakterien, in: Wagner/Zintzen (Hrsg.), Essays zu Mittelalter und Renaissance, S. 49-74. Kohn, George C.: Encyclopedia of Plague and Pestilence, New York 1995. “'Die-' Krankenhausbücherei: Referate des Fortbildungslehrgangs für Bibliothekare an Krankenhausbüchereien Düsseldorf 1971, Köln 1972 (Veröffentlichung des Bibliothekar-Lehrinstituts des Landes Nordrhein-Westfalen). Koiff-Schmising, Barbara von: Literatur und Leser - Leseverbot, Lese­ erfahrungen und Leseförderung ; die Geschichte des Lesens vom späten 18. Jahrhundert bis heute, in: Politische Studien 50 (1999), S. 93-108. Kowalik, Romuald: Paper and Parchment deteriorating fungi pathogenic to man, in: Petersen (Hrsg.), Das alte Buch als Aufgabe für Naturwissenschaft und Forschung, S. 85-90. Ders.: Some Aspects of Microbiology of Paper and Parchment, in: Petersen (Hrsg.), Das alte Buch als Aufgabe für Naturwissenschaft und Forschung, S. 61-83. Kras^nahorkai, Laszlö: Melancholie des Widerstands : Roman, Frankfurt am Main 1995.

118 Kraus% Arthur: Ueber die Infectionsfähigkeit und Desinfection von gebrauchten Büchern, in: Zeitschrift für Hygiene 37 (1901), S. 241249. Krempl-\Mmprecht, Luise: Pergament und Papier als Träger verschiedener Mikroorganismengesellschaften, in: Archivalische Zeitschrift 62 (1966), S. 131-137. Kreuter, Mario: Rez. »Steinhauer, Vampyrologie für Bibliothekare«, in: ZfB 47(2011), S. 285-287. Krügelstein, [Franz Christian Karl): Von dem Trödelhandel und dessen großen Nachteilen für die Gesundheit, in: Zeitschrift für die Staatsarzneikunde 38 (1839), S. 241-268. Krg/s, Richard: Art. »Library Historiography«, in: Encyclopedia of IJbrary and Information Sciences, Bd. 15, New York 1975, S. 294330. Kümmel, W(erner] F. Art. »Seuchenordnungen«, in: HRG Bd. 4, Sp. 1650-1654. Kurras, Lotte: Art. »Stromer, Ulman«, in: VerfLex. Bd. 9, Sp. 457-460. Kurpfal^-Baierische Mandat vom 29. Dezember 1747 »Von Sammlung der Hader«, in: Sammlung der Kurpfalz-Baierischen allgemeinen und besonderen Landesverordnungen von Policey- und Landesverbesserungs- Religions- Kirchen- und GeistlichkeitsKriegs- und vermischten Sachen, Zweyter Band, hrsg. von Georg Karl Mayr, München 1784, S. 730 f. ladewig, Paul: Politik der Bücherei, Leipzig 1912. Langfeldt, Johannes (Hrsg.): Handbuch des Büchereiwesens : 2. Halbband, Wiesbaden 1965. \Mnsky, Ralph: Bibliotheksrechtliche Vorschriften, 2. Aufl., Frankfurt am Main 1969. lassak, [N.N.]: Art. »Desinfektion«, in: Enzklopädie des Eisenbahnwesens, Bd. 3, S. 272-281. Ders.: Art. »Desinfektionsanstalten«, in: Enzklopädie des Eisenbahnwesens, Bd. 3, S. 281-283. Ders.: Art. »Desinfektionsapparate«, in: Enzklopädie des Eisenbahnwesens, Bd. 3, S. 283-285. Lauer, Hans H.: Rez. K. F. Meyer, Disinfected Mail, Holton 1962, in: Sudhoffs Archiv 47 (1963), S. 501. louper, Anja: Die »phantastische Seuche« : Episoden des Vampirismus im 18. Jahrhundert, Zürich 2011 ([Se]qu[enzia]). Degerlot^ Gregor: Die Frühzeit des Buchdrucks als Zeugnis eines Medienwandels am Beispiel des Text-Bild-Bezugs im »Narrenschiff« des Sebastian Brant, München 2007. Liven, Karl-Heinz (Hrsg.): Antike Medizin : ein Lexikon, München 2005. Ders.: Geschichte der Medizin : von der Antike bis zur Gegenwart, München 2008 (C.H. Beck Wissen : Beck’sche Reihe ; 2452). Ders.: Art. »Pest, >Attische«