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German Pages 327 Year 1996
WOLFGANG REETZ
Der Schutz vor negativen Immissionen als Regelungsaufgabe des zivilrechtliehen und des öffentlich-rechtlichen Nachbarschutzes
Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 186
Der Schutz vor negativen Immissionen als Regelungsaufgabe des zivilrechtliehen und des öffentlichrechtlichen Nachbarschutzes
Von
Wolfgang Reetz
Duncker & Humblot · Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Reetz, Wolfgang: Der Schutz vor negativen Immissionen als Regelungsaufgabe des zivilrechtliehen und des öffentlich-rechtlichen Nachbarschutzes I von Wolfgang Reetz.Berlin : Duncker und Humblot, 1996 (Schriften zum bürgerlichen Recht ; Bd. 186) Zugl.: Würzburg, Univ., Diss., 1993/94 ISBN 3-428-08254-0 NE:GT
Alle Rechte vorbehalten © 1996 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7387 ISBN 3-428-08254-0 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
9
Vorwort Das Interesse am Thema der vorliegenden Arbeit erwuchs aus der Zusammenschau zivilrechtlicher und öffentlich-rechtlicher Normkomplexe im Hinblick auf die Lösung ähnlicher eigentumsrechtlicher Lebenssachverhalte. Negative Immissionen als nachbarrechtliches Problem resultieren aus nicht unmittelbar grenzüberschreitenden Handlungen auf einem Grundstück, in deren Folge lagebezogene Vorteile eines Nachbargrundstücks, über die dieses bisher verfügte, beeinträchtigt werden. Die tatsächliche Bedeutung dieser nachbarrechtlichen Konflikte läßt sich anhand von Fallgruppen auf der Basis der Differenzierung von Zuführungs- und Abfiihrungsbehinderungen natürlicher und auch künstlicher (Umwelt)Vorteile aufzeigen. Hiernach sind der Entzug von Licht, Luft, Wind, Wasser, Infrastrukturverbindungen, die Abschattung von Sonnen- und Windenergieanlagen und sonderfallartig der Entzug der (guten) Aussicht einerseits, von der Verhinderung der natürlichen Abführung (Stauwirkung) vergleichbarer Umweltmedien und dem Sonderfall der Reflexion andererseits zu unterscheiden. Die herrschende zivilrechtliche Rechtsprechung und Literatur gehen von einer grundsätzlichen Unabwehrbarkeit negativer Immissionen aus und rekurrieren dabei auf typische Argumentationsstrukturen und Begrifflichkeiten der Rechtsprechung des RG. Hierbei wird m.E. die Bedeutung des Eigentumsbegriffs vernachlässigt. Auf der Grundlage einer weitergehenden Analyse zivilrechtlicher Normen mit möglicher oder gezielter Abwehrrelevanz hinsichtlich negativer Immissionen, soll die Frage beantwortet werden, ob die herrschende zivilrechtliche Ansicht insgesamt überzeugen kann. Ein wesentlich anderes Bild der Bewertung negativer Immissionen wird durch das öffentliche Recht vermittelt. Negative Immissionen der verschiedensten Art werden hier als ein offensichtlich zu lösendes Problem grundstücksnachbarlicher Nutzungskonflikte verstanden und dementsprechend in den verstreuten Fachgesetzen positiv geregelt. Neben Beispielen aus dem Wasser- und dem Straßen- und Wegerecht läßt sich die rechtliche Handhabung negativer Immissionen besonders deutlich am Baurecht aufzeigen. So machen
6
Vorwort
etwa die Iandesrechtlichen Bauordnungen im Flächenabstandsrecht den Schutz vor negativen Immissionen zu einem der zentralen, auch drittschützend wirkenden Gesichtspunkte der baurechtliehen Rechtmäßigkeitsprüfung. Abschließend stellt sich die Frage, ob aus der unterschiedlichen Handhabung der negativen Immissionen und den auftretenden Wertungswidersprüchen Ansätze einer einheitlichen Betrachtung zu ermitteln sind. Die Arbeit wurde im Dezember 1993 der Juristischen Fakultät der Bayerischen Julius-Maximilians-Universität zu Würzburg als Dissertation vorgelegt. Das Promotionsverfahren wurde im Februar 1994 mit der mündlichen Doktorprüfung abgeschlossen. Herzlich danke ich meinen akademischen Lehrern, zuerst meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. Karl-Georg Loritz, filr die Betreuung der Arbeit und die Erstellung seines Erstgutachtens. Einen besonderen Dank schulde ich Herrn Professor Dr. Dieter H. Scheuing fur die Übernahme des Zweitgutachtens und filr seine vielfaltige Förderung, filr den Rückhalt und die Freiheit, die er mir als seinem Wissenschaftlichen Assistenten zur Erarbeitung des Themas gegeben hat. Mein besonderer Dank gilt auch Herrn Professor Dr. Manfred Just fiir die Anregung zu der vorliegenden Arbeit sowie ihm und Herrn Professor Dr. Alexander Blankenagel fur ihre ständige Bereitschaft zur Diskussion. Den Herausgebern der Schriftenreihe sei fiir die Aufnahme der Arbeit gedankt, dem Verlag fiir deren technische Durchfilhrung. Gesetzgebung, Literatur und Rechtsprechung konnten bis zum Dezember 1993 berücksichtigt werden. Die Arbeit widme ich meiner lieben Frau Dr. Susanne Horn-Reetz und meinem lieben Sohn Burkard.
Wolfgang Reetz
Inhaltsverzeichnis Teil 1 Problemstellung und Fallgruppen
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A. Begriffiichkeit und Ziel der Arbeit .................. .................................................. 21
I.
Begriffiichkeit .... .. ........ ............ ............................. .................................... 21
II.
Ziel
....................................................................................................... 23
B. Die Nachbarrechtsverhältnisse .......................................................................... 24
I.
Struktur und Normgefüge des zivilrechtliehen Nachbarrechtsverhältnisses ..........................................................................,................... 25
II.
Struktur und Normgefüge des öffentlich-rechtlichen Nachbarrechtsverhältnisses ...... .. ..... .............................................. ...... ............................. 26
III.
Arten nachbarrechtlicher Normen .................. ............................ ............... 28
C. Fallgruppen
....................... ............................... .... .............................. .... ..... ...... 29
I.
Allgemeines ............. ................................................ .... ............... ..... .... .. .. 30
li.
Abhalten von natürlichen und künstlichen Zuführungen .......................... 30 I. Entzug von Licht, Sonneneinstrahlung .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . 31 2. Entzug von Luft, Wind ......................................................................... 33 3. Entzug von (Grund) Wasser .................................................................. 35 4. Entzug von Infrastrukturverbindungen ................................................. 39 a) Abschneiden von Zugangsmöglichkeiten .............. .... .............. ........ 39 b) Abschatten von elektromagnetischen Funk- und Fernsehwellen ..... 41 5. Abschatten von Sonnen- und Windenergieanlagen .............................. 44 6. Sonderfall: Entzug der (guten) Aussicht ............................................... 47
III.
Verhinderung der natürlichen Abführung (Stauwirkung) ......................... 49 I. Abführungsbehinderung von Luft und Wind ....................................... 50 2. Abführungsbehinderung von Wasser.......... ............................................ 51
8
Inhaltsverzeichnis a) Abflihrungsbehinderung von Regenwasser ................. ....... ...... ....... 51 b) Abflihrungsbehinderung von Bachwasser ........ ...... ........ .. .. .. .... .. .... . 54 c) Abflihrungsbehinderung von Grundwasser ..................................... 56 3. Sonderfall: Wildstau ............................................................................. 60 4. Sonderfall: Reflexionen (Rückwurfwirkungen) .................................... 61 IV.
Zusammenfassung und Ausblick .............................................................. 63
Tei/2 Zivilrechtliche Lösungsansätze der Abwehr negativer Immissionen
65
A. Zivilrechtsnormen mit möglicher Relevanz für die Abwehr negativer Immissionen ....... ............................................................................................... 65 I.
§ 903 BGB ................................................................................................ 65
I. Allgemeines .......................................................................................... 65 2. Eigentumsbegriff des historischen Gesetzgebers .................................. 66 a) Allgemeines .. .. ............ .. .. .. .... ........... .. ..... .. ........... .... ..... ................... 66 b) Negative Immissionen ..................................................................... 68 3. Konturen des zivilrechtliehen Eigentumsbegriffs ................................. 71 a) Verfügungsbefugnis des Eigentümers ............................................. 71 b) Ausschlußfunktion des Eigentums .................................................. 73 aa) Einwirkung auf die Sachsubstanz ................................................. 74 bb) Einwirkung auf die Sachzuordnung ............................................. 75 cc) Einwirkung auf den Sachbesitz ..................................................... 77 dd) Einwirkung auf den Sachgebrauch ............................................... 79 (I) Allgemeines ............. ............... ......... .. ...................... .. .............. 79 (2) Gesetzlicher Schutz des Sachgebrauchs im Grundstücksrecht ......................................................................................... 80 (3) Weiterentwickelter Schutz des Sachgebrauchs ........................ 81 (4) Verwertbarkeit des§ 100 BGB ................................................ 84 c) Eigentumsbeschränkungen, Nachbarrecht ....................................... 85 aa) Allgemeines ... ..... .. .. ... .. ........ ...... .. ......... ... .... .... ............................. 85
Inhaltsverzeichnis
9
bb) Regelungsdichte im Nachbarrecht ................................................ 86 cc) Arten von Beschränkungen .......................................................... 87 4. Fazit ..................................................................................................... 89 ll.
§ 1004 BGB .............................................................................................. 90 I. Allgemeines ... .. ... .... ... ..... ...... .. .. ......... .. .. .. .. .. .. .... .... .. .. .. ... .. .. .. ... ...... .. .. ... 90 2. Gläubiger des Anspruchs .. .. ............................... ... .. ..... .. .. .. .. .. .. ......... .... 91 3. Schuldner des Anspruchs; Störerbegriff ............................................... 92 4. Outdungspflicht ... ... .... .. .. ....... .... .. ... .. .. .. ... ... .. ..... .. ... .. ... .... .. .. .... ... .. .... ... . 94 5. Verjährung ............................................................................................ 95 6. Anspruchsinhalt ..... ................................. .............................................. 96 a) "Beeinträchtigung" als Gegenstand der Beseitigungspflicht ........... 96 aa) Allgemeines .. .. ........ .. .. .. .. .. .. .. ....... .. .. .... .. .. .. ...... .. .. ... .. .. .. .... ... .. .. .. .. . 96 bb) Konturen des Beeinträchtigungsbegriffs .. .. .. ... .. .. .......... .... .... .. .. ... 97 (I) Negatives Tatbestandsmerkmal ............................................... 97 (2) Menschliches Verhalten .......................................................... 97 (3) Aktualität ... .... .. .. .. .. ..... .. ....... .. .. ...... .. ... .. .. .. .... .. .. .. .. .. .... ... ... ... ... . 99 (4) Rechtswidrigkeit ...................................................................... I 00 b) Beseitigung der "Beeinträchtigung" .. ... .. ..... .. .. .. .. .. .. ............ .... .. .. .. .. I 00 c) "Beeinträchtigung" durch negative Immissionen ............................. 101 aa) Das herrschende "Gleichsetzungsargument" ................................ 102 (I) Darstellung .............................................................................. I 02 (2) Kritik .. .. .. ...... .. .. .. .. .. .. .. .... ...... .. ........... .. .. .. .. .. .. .. .. .. .... ... .... ... .... .. I 03 (3) Folgerung ................................................................................ 106 bb) Bedeutung des quasi-negatorischen Beseitigungsanspruchs im Zusammenhang mit negativen Immissionen ................................ I 08 7. Fazit ..................................................................................................... 109
lll.
§ 906 8GB ................................................................................................ 109 I. Allgemeines .......................................................................................... I 09 a) Normzweck ...................................................................................... 110 b) Funktion der Norm .......................................................................... III 2. Tatbestand des§ 906 Abs. I 8GB ........................................................ 112
10
Inhaltsverzeichnis a) Begriff der zuführenden Einwirkung, Immission ............................ 112 b) Wesentliche und unwesentliche Beeinträchtigung der Benutzung des Immissionsgrundstücks ............................................................ 114 c) Ortsübliche Benutzung des Emissions- und Immissionsgrundstücks ....... ................................................. .............................. 115 d) Zumutbarkeit von Schutzmaßnahmen ............................................. 116 3. Die Berücksichtigung negativer Immissionen in§ 906 Abs. 1 BGB .... 117 a) Ähnliche Einwirkungen ................................................................... 117 b) Extensive Auslegung des Immissionsbegriffs ................................. 119 aa) Kritik der Immissionstheorie und des "Grenzüberschreitungsarguments" ................................................................................... 120 bb) Entwicklungsauftrag im Nachbarrecht ......................................... 123 c) Analoge Anwendung des§ 906 BGB .............................................. 125 d) Ähnliche Einwirkungen als Typusbegriff ........................................ 128 4. Fazit ...................................................................................................... 130 IV.
§ 907 BGB ............................................................................................... 131 1. Allgemeines .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. ... ... ... .. .. .. .. ... .. .. .. .. ... .. .. .. ... .. .. .. ... ... .. .. .. .. .. 13 1
2. Tatbestand des § 907 BGB ................................................................... 132 a) Anlagenbegriff ................................................................................. 132 b) Nachbargrundstück .......................................................................... 133 c) Einwirkungsbegriffdes § 907 BGB ................................................. 134 d) Sichere Voraussicht ......................................................................... 134 3. Die Berücksichtigung negativer Immissionen in § 907 BGB ............... 135 4. Fazit ...................................................................................................... 138 V.
§ 226 BGB ................................................................................................ 139 1. Allgemeines .......................................................................................... 139
2. Tatbestand ............................................................................................. 139 3. Die Berücksichtigung negativer Immissionen in§ 226 BGB ............... 141
B. Zivilrechtsnormen mit gezielter Relevanz für die Abwehr negativer Immissionen ..................................................................................................... 141 I.
Normierte Abwehr negativer Immissionen im BGB ................................. 141
Inhaltsverzeichnis
I. Die Vertiefungen,§ 909 BGB a) Allgemeines b) Tatbestand
II
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aa) Vertiefung und Stützverlust bb) Nachbargrundstück
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cc) Genügend anderweitige Befestigung
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c) Die Berücksichtigung negativer Immissionen in§ 909 BGB 2. Notwegerecht, §§ 917 f. BGB a) Allgemeines b) Tatbestand
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c) Rechtsfolgen
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d) Notleitungsrecht
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e) Die Berücksichtigung negativer Immissionen in§ 917 BGB II.
000000 00 00
00 00 00 00 00
I41 141 143 143 I44 145 145 146 146 147 148 149 I 50
Normierte Abwehr negativer Immissionen nach Art. 124 EGBGB i.V.m. dem BayAGBGB
15I
I. EinfUhrung
151
oo oo oooooooooooo . . . . . . oo . . oo . . oo oo oooo oo oooooooo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . oo .
00 . . . 00 0 0 . 00 . . . 00 00 00 00 00 00 00 00 00 0 0 . 00 . . . . . . 00 . . . . 00 00 • • 00 00 00 00 00 00 00 . . . 00 00 . . 00 . 00 00 00 . . . .
2. Der Grenzabstand der Pflanzen nach Art. 47 ff. BayAGBGB a) Allgemeines
00 00 0000 00 . . . .
oo . . . . . . 00 . . . . . . . . . . . . . . . . . . oo . . oooo• . . . 0000 . . . 00 . . 00 . . . . 0000 00000000 . . . . . . . . . oo oo . . .
b) Die Grundregel des Art. 47 Abs. 1 BayAGBGB und ihre Konkretisierungen ......
00 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 00 00 00000000 00 . . . . . . . . . . . . . . . . . . oo . . . . . . . . .
aa) Tatbestand und Anspruchsinhalt bb) Gläubiger des Anspruchs cc) Schuldner des Anspruchs dd) Ausschluß des Anspruchs
oooo oo oo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . oo . . oo oo oo oo oooo•
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00 00 . . . . . . oooo oo oooo oo oooo . . oo . . . . . . 0000 00 00 0000 oo oo oo oooo 00
ee) Die Verjährung des Anspruchs ....
oo oo oooo oo OOOOOOoo oooo OOOOOOoooo . . . . oo . . oooooo oo .
152 I 52 154 154 157 158 158 159
c) Die Ausnahmevorschrift des Art. 47 Abs. 2 BayAGBGB - Abstandsverringerung
16 I
d) Die Ausnahmevorschrift des Art. 50 BayAGBGB - Abstandsverringerung .
162
e) Das Landwirtschaftsprivileg des Art. 48 BayAGBGB - Abstandsvergrößerung ..........
I 64
00 00 00 00 00 00 . . . . . . . . . . . 00 00 . 00 00 00 00 . . . . 00 00 00 00 0 0 . 00 • • 00 00 00 00 0 0 . .
00 0 0 . 00 00 0 0 . 00 00 00 0 0 . 00 00 00 00 . . . . 0 0 . 00 00 00 0 0 . 00 00 00 0 0 . 00 00 00 0 0 . . . .
00 00 00 00 oo . . 00 00 oo • 00 00 oo · 00 oooo • 00 00 00 . oo• . 00 0000 0000 0 .
I2
Inhaltsverzeichnis
t) Anhang: Die Bedeutung öffentlich-rechtlicher Normen hinsichtlich der Beptlanzungsbeschränkungen ................................ I64 g) Fazit ................................................................................................ I65 3. Licht- oder Licht(schutz)recht .............................................................. I66 a) Allgemeines ..................................................................
00 . . . . . .
.. .. .. .. ...
I66
b) Licht(schutz)recht im BGB und BayAGBGB ................................. I67 c) Altrechtliches Licht(schutz)recht ..................................
00 . . . . . . . . . . . . . . . . .
I67
d) Anhang: Bauplanungsrechtliches Licht(schutz)recht ...................... I69 4. Das zivilrechtliche Bauabstandsrecht .................................................... I69 III.
Fazit
........................................................................................................ I70
C. Zivilrechtliches Richterrecht mit Relevanz für die Abwehr negativer Immissionen .........................................
I.
00 . . . . . . . . . . . . . . . . . . oo . . . . . . . . . . . . . oo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Das "nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis", § 242 BGB ........ I. Allgemeines .................................................................. 2. Rechtsgrundlage .................................................. 3. Rechtsnatur .......
oo . . oooooooo oo . . . . oo . . . . . . . . . . . . . .
oo . . . . . . . . . . . . . oo . . . . . . . . . . . . . . . . oo . . . . . . . . . . 00oooooo oo ooo . . . . . . . . . . .
a) Unterlassungspflicht ........ b) Duldungspflicht .............
oo . . oo00oooooooo oo . . . . . . oooooo . . . . . . . . . . . . . . . . . . oo oo . . . . . . . . . . . .
ooooooOOoooo . . . . . . . . . oo . . . oooo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch
oo oo oo oooooooo oooo oooooo oooo . . . . . . . . oo . . oo
5. Die Berücksichtigung negativer Immissionen ...... Fazit
.........
00 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
00 . 00 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 00 . . . . . . . . . 00 . . 00 . . . . . . . . 00 . . . 00 00 00 . . . . 00 .
4. Inhalt ................................
II.
00 . . . . . . . . . . . . .
oo . . oo . . . . . . 0000 00 00 . . . . . . . . . . . .
oo . . . . . . . . . . . oo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . oo oooo oo . . . . . . oo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 00 .
D. Zusammenfassung und Ausblick ..
00 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Tei/3 Öffentlich-rechtliche Lösungsansätze der Abwehr negativer Immissionen
A. Allgemeines
00 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . oo . . . . 00 00 00 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 00 . . . 00 00 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 00 . . . . . . . . . 00 . . 00
Exkurs: Schutzwalderklärungen ...................
oo . . . . . . . oo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . oo . . . . . . . 00 . . . . . . . . . . . . .
8. Negative Immissionen im Immissionsschutzrecht ....
oo . . . . . . . . . . . . oo . . . . . . . . oooo . . . . . . . . . . 00
I70 I70 I70 I7I I 72 I74 I74 I75 I75 I77 I78 I79
I80
180 I80 182
Inhaltsverzeichnis
13
C. Negative Immissionen im Bauplanungsrecht ................................................... 185
I.
Die Berücksichtigung negativer Immissionen im Planungsvorgang . .. . .. .. 185 I. Das Prinzip der Planmäßigkeit im Bauleitplanungsrecht ...................... 185
2. Das Prinzip der Abwägung im Bauleitplanungsrecht . .. .. .. .. . .. .. .. .. .. .. ..... 186 a) Der Begriff "privater Belang" ............ ...... .... .................... ................ 188 b) Negative Immissionen als abwägungserhebliche "private Belange" .. .. .. ........ .. .. .. .... .. .. .. ... .. ..... .... .. ... .. .. .. .. ... . .. .. .. ..... .. .. .. .... . .. .. . .. 190 3. Die verfahrensrechtliche Absicherung der Berücksichtigung der "privaten Belange" bei der Planaufstellung ......................................... 192 a) Frühzeitige Bürgerbeteiligung ......................................................... 192 b) Auslegungsverfahren .... ............. ................. ..... .... ... .. .... . .. ... ... .... ...... 193 4. Fazit ..................................................................................................... 195
Il.
Die Berücksichtigung negativer Immissionen in drittschützenden Normen des BauGB und der BauNVO; Schutznormtheorie und "Gebot der Rücksichtnahme" ..... ...... ........... ......................... .......... ........... 195 1. Die Schutznormtheorie .. . .. .. .. .. .. .... .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .... .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . .. .. .. .. . 196
2. Das ( baurechtliche) Rücksichtnahmegebot .. .. .... .... .. .......... .... .... .... .. .... . 199 a) Die Entwicklung des Rücksichtnahmegebots in der älteren Rechtsprechung des BVerwG ................................................................... 199 b) Die Wende zum Drittschutzcharakter des Rücksichtnahmegebots .... 201 3. Die negativen Immissionen in den einzelnen, bauplanungsrechtlich relevanten Bereichen ............................................................................. 205 a) Der Planbereich (qualifizierter Bebauungsplan) .............................. 206 aa) Allgemeines .................................................................................. 206 bb) Nachbarschützende Funktion ....................................................... 208 cc) Festsetzungen im Bebauungsplan mit Bezug zu negativen Immissionen ................................................................................. 210 ( 1) Allgemeines ............................................................................. 21 0
(2) Bauweise, §§ 9 Abs. 1 Nr. 2 BauGB, 22 BauNVO ................. 210 (3) Überbaubare Grundstücksfläche, §§ 9 Abs. I Nr. 2 BauGB, 23 BauNVO ............................................................................ 212 (4) Stellung baulicher Anlagen,§ 9 Abs. 1 Nr. 2 BauGB ............. 215
14
Inhaltsverzeichnis (5) Maß baulicher Nutzung, §§ 9 Abs. 1 Nr. 1 BauGB, 16 Abs. 2 BauNVO .................................................................. 216 (6) Versorgungsflächen, § 9 Abs. 1 Nr. 12 BauGB ....................... 221 (7) Geh-, Fahr- und Leitungsrechte, § 9 Abs. 1 Nr. 21 BauGB ...... 222 (8) Art baulicher Nutzung, §§ 9 Abs. 1 Nr. 1 BauGB, 2-11 BauNVO, insb. Sondergebiete (SO),§ 11 BauNVO ...... 223 dd) Ausnahmen und Befreiungen ....................................................... 225 ee) Bauordnungsrechtliche Regelungen im Bebauungsplan ............... 228 b) Der (unbeplante) Innenbereich ........................................................ 229 aa) Allgemeines .................................................................................. 229 bb) Nachbarschützende Funktion ....................................................... 233 cc) Negative Immissionen im Innenbereich ........................................ 236 c) Der Außenbereich ............................................................................ 236 aa) Allgemeines .................................................................................. 236 bb) Nachbarschützende Funktion ....................................................... 238 cc) Negative Immissionen im Außenbereich ...................................... 241 d) Die Planaufstellung als Sonderkonstellation ................................... 243 aa) Allgemeines .................................................................................. 243 bb) Nachbarschützende Funktion ....................................................... 245 cc) Negative Immissionen im Aufstellungsbereich ............................ 245 e) Die Erschließung (als Problem des Außenkontakts) ........................ 246 f) § 15 BauNVO ................................................................................... 247
aa) Anwendungsbereich des§ 15 BauNVO ....................................... 247 bb) Analoge Anwendung des § 15 BauNVO ...................................... 249 4. Fazit ..................................................................................................... 249 D. Negative Immissionen im Bauordnungsrecht ................................................... 250
I.
Die Abstandsflächenregelungen des Bauordnungsrechts am Beispiel der BayBO ................................................................................................ 250
1. Allgemeines, Regelungszweck des Abstandsflächenrechts .................. 250 2. Aufbau des Abstandsflächenrechts am Beispiel der BayBO ................. 25 I
Inhaltsverzeichnis
15
3. Grundregel des bauordnungsrechtlichen Abstandsrechts und Vorrang der planungsrechtlichen Festsetzungen ........................... 252 4. Gebäude und andere bauliche Anlagen ohne Abstandsflächen ............ 254 5. Tiefe sowie Vergrößerung und Verringerung der Abstandsflächen ..... 254 6. Drittschutzwirkung der Abstandsflächenregelungen ............................ 256 II.
Fazit
...................................................................................................... 257
E. Negative Immissionen im Wasserrecht ............................................................. 258 I.
Allgemeines .............................................................................................. 258
II.
Gesetzliche Tatbestände des Schutzes vor negativen Immissionen .......... 259
1. Veränderung des Wasserabflusses ........................................................ 260 2. Veränderung des Wasserstandes .. .. .. .. .. .. .. .. .... .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . 261 3. Beeinträchtigung der bisherigen Benutzung eines Grundstücks ........... 262 4. Entziehung oder Schmälerung des Wassers flir eine Wassergewinnungsanlage .......................................................................................... 263 F. Negative Immissionen im Straßen- und Wegerecht ......................................... 264 '·
I.
Das Nachbarrecht der öffentlichen Straßen und Wege ............................. 264
II.
Begriff des Anliegergebrauchs ................................................................. 266 1. Abschneiden oder Erschweren des Zugangs (der Zufahrt) zu Infrastrukturverbindungen als Problem des Anliegergebrauchs ................... 267
2. Dauernder Entzug des Zutritts von Licht und Luft als Problem des Anliegergebrauchs ............................................................................... 268 G. Zusammenfassung und Ausblick ....................................................................... 270
Tei/4 Erfordernisse und Möglichkeiten eines Zusammenwirkens der öffentlich-rechtlichen und der zivilrechtliehen Lösungsansätze A. Allgemeines
271
....................................................................................................... 271
B. Anknüpfungspunkte zwischen Verwaltungsrecht und Zivilrecht .................. 273 I.
Verfassungsrechtliche Vorgaben .............................................................. 273 1. Der Topos der "Einheit der Rechtsordnung" ........................................ 273
16
Inhaltsverzeichnis 2. Widerspruchsfreiheit ............................................................................. 274
li.
Verknüpfungstatbestände .......................................................... , ............... 277 I. Wertungsvorgaben des Verwaltungsrechts ........................................... 277
2. Privatrechtsgestaltung durch Verwaltungsakt ....................................... 279 3. Verwaltungsrecht als Tatbestandsmerkmal in zivilrechtliehen Normen ................................................................................................. 281 a) Allgemeines ..................................................................................... 281 b) § 823 Abs. 2 BGB ........................................................................... 282 4. Eigentumsgestaltung durch verwaltungsrechtliches Gesetzesrecht ....... 286 a) Allgemeines ..................................................................................... 286 b) Die zivilrechtliche Theorie .............................................................. 287 c) Die eigentumsrechtliche Theorie ..................................................... 290
5. Eigentumsgestaltung durch Untergesetzesrecht .................................... 292 a) Allgemeines ..................................................................................... 292 b) Die zivilrechtliche Theorie .............................................................. 293 c) Die eigentumsrechtliche Theorie ..................................................... 296
111.
Fazit ......................................................................................................... 299
C. Schlußfolgerung und Ergebnis .......................................................................... 299
Tei/5
Zusammenfassung
300
Literaturverzeichnis ............................................................................................... 305
Teil]
Problemstellung und Fallgruppen Im Rahmen der dynamischen Fortentwicklung der Rechtsordnung kommt dem Problem des Schutzes individueller RechtsgUter als Grundlage der privaten Lebensführung hoher Stellenwert zu. Von zentraler Bedeutung sind insoweit die Ausgestaltung und Begrenzung des Eigentums und die Frage, welche allgemeinen Kriterien in der Vielfalt der eigentumsrechtlichen Einzelerscheinungen maßgeblich sind. Eine besondere Dichte eigentumsrechtlicher Regelungsbedürftigkeit bezieht sich auf Immobilien und hierbei auf die natürliche Lage des Grundstücks im Kontakt mit Nachbargrundstücken, also dem Regelungsgegenstand des privaten, aber eben auch des öffentlich-rechtlichen Nachbarrechts.' Eine Facette dieser Problematik ist die Einordnung sogenannter "negativer Immissionen" in die geltende Rechtswirklichkeit 2 Negative Immissionen resultieren, vorläufig gesprochen, aus nicht unmittelbar grenzüberschreitenden Handlungen auf einem Grundstück, in deren Folge dem Nachbargrundstück lagebezogene Vorteile, über die es bisher verfügte, entzogen werden. Allgemeiner gesprochen handelt es sich um ein Problem des Rechtsschutzes in Konstellationen, in denen die mögliche oder die "gewohnte Benutzung"3 eines Grundstückes durch nachbarliche Tätigkeiten beeinträchtigt wird, die das Verhältnis zur Umwelt zwar verändern, aber das gestörte Grundstück in seiner Sachsubstanz weder verletzen noch die Grenze zum gestörten Grundstück physikalisch meßbar überschreiten. Nicht ganz zutreffend ist demgegenüber die häufig gebrauchte Definition, derzufolge dem Grundstück durch die Wirkungsweise negativer Immissionen 1 Daneben und in zunehmendem Maße spielen nachbarrechtliche Regelungen auch unter dem Gesichtspunkt vermehrter Umweltbelastungen eine in der Praxis nicht zu überschätzende Rolle, vgl. Walz, in: FS Raiser(l974), 185. 2 Rechtsvergleichend zu den negativen Immissionen: Heubel, Entziehende Einwirkungen, 79 ff. "Frankreich und Schweiz"; Jabornegg, Bürgerliches Recht und Umweltschutz, 13 f.; ders., ÖJZ 1983, 365 (366 f.) "Österreich".
3
So Pawlowski, AcP 165 ( 1965), 395 (396).
2 Reetz
18
Teil 1: Problemstellung und Fallgruppen
"natürliche" Vorteile entzogen werden. 4 Diese Defmition mag zwar auf eine Vielzahl von Fällen zutreffen, so etwa auf den Entzug der natürlichen Besonnung, Belüftung oder die Beeinträchtigung des Lichteinfalls, unterschlägt aber die Problematik der Beeinträchtigung "künstlicher" Vorteile, etwa der Abschattung elektromagnetischer Wellen5 sowie die Beeinträchtigung durch aufstauende Wirkungen, also Abflußhemmungen. Im Einzelfall fUhren Beeinträchtigungen dieser Art zu schwerwiegenden Folgen, die in ihren Auswirkungen nachhaltiger sein können als die durch sogenannte "positive Immissionen" im Sinne einer tatsächlichen, grenzüberschreitenden Zufiihrung unwägbarer Stoffe, die gemäß § 1004 Abs. 1 i.V.m. § 906; 907 BGB oder unter bestimmten Umständen nach dem BimSchG und anderen öffentlich-rechtlichen Vorschriften durch den betroffenen Grundstückseigentümer abwehrbar sind. 6 Die Rechtsprechung7 und die überwiegende L~hre8 halten demgegenüber negative Immissionen, zumindest mit zivilrechtlichen Mitteln, fiir nicht abwehrbar. 9
4 Etwa M Wolf, Sachenrecht, Rdnr. 236; Palandt/Bassenge, BGB, 52. Auf!., § 903 Rdnr. 9; Müller, Sachenrecht, Rdnr. 723. Statt von natürlichen Vorteilen spricht Säcker, in: Müko, § 906 BGB Rdnr. 20 vom Entzugpositiver Umweltgegebenheiten.
5 Vgl. BGH vom 21.10.1983- V ZR 166/82- Z 88, 344; wie hier auch Heubel, Entziehende Einwirkungen, 29. 6
So schon 1905 der Befund von Crome, Recht an Sachen und an Rechten, 283.
7
Aus der umfangreichen Rechtsprechung: BGH vom 15.6.1951 -V ZR 55/50- LM Nr. I zu § 903 BGB = MDR 1951, 726; BGH vom 10.4.1953- V ZR 115/51- LM Nr. 2 zu§ 903 BGB = BB 1953, 373; BGH vom 21.10.1983- V ZR 166/82- Z 88, 344; BGH vom 22.2.1991 -V ZR 308/89-Z 113,384=NJW 1991,1671. 8 Aus der Kommentarliteratur: Gursky, in: Staudinger, 12. Auf!., § 1004 Rdnr. 46 ff.; Beutler, in: Staudinger, 12. Auf!., § 907 Rdnr. 7; Baur, in: Soergel, II. Auf!., § 903 BGB Rdnr. 4 und § 906 Rdnrn. 20, 24; Mühl, in: Soergel, 12. Auf!., § 1004 BGB Rdnr. 9; Säcker, in: Müko, § 906 BGB Rdnr. 20 und§ 907 Rdnr. 7; Medicus, in: Müko, § 1004 BGB Rdnr. 28 f. ; Erman-Hagen, BGB, 7. Auf!., § 903 BGB Rdnr. I und§ 906 Rdnr. 3 f.; Erman-Hefermehl, BGB, 8. Auf!., § 1004 BGB Rdnr. 12; Dehner, in: M/S!H/D, Nachbarrecht, 6. Aufl., § 38 I I e; Pikart, in: BGB-RGRK, 12. Auf!., § 1004 Rdnr. 23; Augustin, in: BGB-RGRK, 12. Auf!., § 906 Rdnr. 8; ders. , in: BGBRGRK, 12. Aufl ., § 903 Rdnrn. 22 und 24; Palandt/Bassenge, BGB, 52. Aufl., § 903 Rdnr. 9 und § 906 Rdnr. 4.
9 Kritisch gegenüber dieser herrschenden, zivilrechtliehen Auffassung: Heck, Sachenrecht, 219; Block, Nachbarliches Gemeinschaftsverhältnis, 91 ff. ; Müller-Michels, Negative Einwirkungen, 101; Heubel, Entziehende Einwirkungen, 137 ff.; Fessmann, ArchivPF 1976, 50 (62); Ostendorf, JuS 1974, 756 (758); Pleyer, JZ 1959, 305 (306); Tiedemann, Rechtsschutz gegen Störungen des Fernsehempfangs durch Hochbauten, Diss. Frankfurt!M. 1976; ders., MDR 1978,272. Gegen diese ausdrücklich: BGH vom 21.10.1983- V ZR 166/82- Z 88,344 (345 f.).
Teil 1: Problemstellung und Fallgruppen
19
Als in die Problematik einfUhrende Beispiele sollen die Kaltluftsee-Fälle 10 dienen, die auf der einen Seite der BGH im Jahre 1991 sowie auf der anderen Seite das OLG Koblenz im Jahre 1983 entschieden haben und die die Schwierigkeiten der Handhabung deutlich aufzeigen: Im Zusammenhang mit der Errichtung der Bundesbahn=Neubaustrecke Hannover-WUrzburg lagerte die bauausfUhrende Arge Aushubmaterial auf einer behördlich genehmigten Zwischendeponie parallel zu einem Weinbergsgrundstück. Die Deponie hatte eine Länge von ca. 200 Meter, eine Breite von 25 und eine Höhe von 4,5 Meter. Zwischen der Deponie und dem Weinberg bildete sich infolge der schwerkraftbedingten Absenkung kalter Luftmassen und der Abflußhemmung durch die Deponie im Verlaufe des strengen Winters 1984/85 ein "Kaltluftsee", der zu erheblichen Frostschäden an den Weinstökken fiihrte. Insgesamt entstand ein Schaden von nahezu 43.000 DM. Der BGH, der die Sache an die Tatsacheninstanz zurückverwiesen hat, hielt es aufgrund systematischer Überlegungen zum Eigentumsbegriff und zum zivilrechtliehen Nachbarrecht fiir denkbar, einen Ausgleichsanspruch auf der Grundlage von § 242 BGB zu gewähren. Er lehnte einen Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs. 2 i.V.m. § 907 Abs. 1 BGB ab, weil es an einer grenzüberschreitenden, physikalisch meßbaren Einwirkung fehle. In gleicher Weise argumentiert der BGH im Hinblick auf§ 823 Abs. 2 i.V.m. § 1004 BGB, weil der Einwirkungsbegriff hier nicht anders verstanden werden könne. Gleichwohl bejahte das Gericht eine Eigentumsverletzung beim klagenden Winzer (§ 823 Abs. 1 BGB), verneinte aber, der Lehre vom Handlungsunrecht folgend, die Rechtswidrigkeit. Daß die hier in Frage stehenden nachbarlichen Beeinträchtigungen auch bei der Erteilung der Baugenehmigung fiir die Aufschüttungen, gern. Art. 74 Abs. 1, 66 Abs. 2 Nr. 1, 2 Abs. 1 Nr. 1 BayBO hätte beachtet werden müssen, zeigt zugleich die öffentlich-rechtliche Dimension des Problems auf, auf die der BGH leider nicht näher eingeht. 11
10 Siehe BGH vom 22.2.1991 -V ZR 308/89 - Z 113, 384 = NJW 1991, 1671 und die Anmerkungen von Hagen, in: FS Lange (1992), 483 (495); OLG Kob1enz vom 23.11.1983 - I U 666/83- UPR 1984, 204.
11 Anders das OLG Kob1enz vom 23.11.1983- I U 666/83- UPR 1984, 204, das auf öffentlichrechtliche Entschädigung verweist; hiergegen wiederum Diederichsen, Referat L zum 56. DJT, 48 (52 f.).
20
Teil I: Problemstellung und Fallgruppen
Ähnlich gestaltete sich der Sachverhalt, der der Entscheidung des OLG Koblenz zugrundelag: 12 Im Zuge von Arbeiten zum Ausbau der Saar schüttete die Beklagte 3 bis 6 Meter hohe Abraumhalden auf, die zwischen diesen und einem angrenzenden Weinberg einen Kaltluftsee entstehen ließen. Die Ausbaumaßnahmen beruhten auf einem unanfechtbaren, wasserrechtlichen Planfeststellungsbeschluß. Im Frühjahr 1981 erfroren in erheblichem Umfang Weinstöcke. Das OLG bejahte, ebenso wie später der BGH, eine Eigentumsverletzung und gewährte Schadensersatz auf der Grundlage der §§ 22 Abs. 2 S. 2, 36 ff. WaStrG 13 • Das Gericht schloß sich insoweit der herrschenden Auffassung zu den negativen Immissionen an, als es sie für grundsätzlich nicht abwehrbar erklärte. Im vorliegenden Fall erblickte es aber abweichend davon einen das Eigentum des Geschädigt~n erweiternden Tatbestand in § 43 Rhpf Nachbarrechtsgesetz. § 43 RhpfNachbarrechtsgesetz gewährt dem Nachbarn Schutz vor Schädigungen infolge von Bodenerhöhungen. Vergegenwärtigt man sich an diesen einführenden Beispielen, daß in den allermeisten Konstellationen, die negative Immissionen berühren, sowohl öffentlich-rechtliche Normen als auch privatrechtliche Normen relevant sind, stellt sich die Frage, wie beide Teilrechtsordnungen mit negativen Immissionen umgehen und inwieweit die möglicherweise unterschiedlichen Ansätze zusammengeführt werden können.
12
13
OLG Koblenz vom 23.11.1983- I U 666/83- UPR 1984, 204.
Nach der Neubekanntmachung des Bundeswasserstraßengesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 23.8.1990 (BGBI. I, 1818) ist§ 22 WaStrG weggefallen.
A. Begrifflichkeit und Ziel
21
A. Begriffiichkeit und Ziel der Arbeit I. Begrifflichkeit Schon die Kaltluftsee-Fälle deuten die tatsächliche Reichweite negativer Immissionen an: Beide Fälle betrafen Abführungsbehinderungen oder anders ausgedrückt Stauwirkungen. Die Masse der Fälle ergibt sich demgegenüber aus Konstellationen der Zuführungsbehinderung, etwa des Verbauens der Besonnung oder Belüftung eines Grundstücks. 1 Bedenkt man allein diese grundsätzliche Unterscheidung, erweist sich die Begriffsbildung "negative Immission" als unscharfund widersprüchlich. 2 Schon das Wort Immission setzt nach zivilrechtlicher Anschauung ein Hinüberwirken, also eine Grenzüberschreitung und zumal eine physikalisch meßbare Grenzüberschreitung voraus.3 Es ist aber gerade typisch für negative Immissionen, daß ihnen eine physikalisch meßbare Grenzüberschreitung nicht zukommt. Die negativen Immissionen sind auch nicht "negativ", jedenfalls nicht, soweit hiermit nicht nur die rein entziehende Wirkung umschrieben werden soll, sondern auch die Abflußbehinderung, die als Stauwirkung ebenfalls eine Erscheinungsform negativer Immissionen ist. 4 Hinzu kommt, daß eine "negative" Immission sich ohne Schwierigkeiten "positiv" formulieren läßt; so ist beispielsweise der Entzug von Licht nichts anderes als das Werfen von Schatten. 5 Es verwundert daher nicht, daß die Begriffswahl uneinheitlich und die "negative Immission" unter diesen lediglich eine gebräuchliche ist:
1 So unterscheidet nunmehr auch Hagen, in: FS Lange (1992), 483 (495); Palandt/Bassenge, 8GB, 52. Aufl., § 903 Rdnr. 9; anders noch die 50. Aufl., 1991 .
2
Kritisch zur Sprachlogik des Begriffs "negative Immission": Kloepfer, Umweltrecht, 403.
Westermann, Sachenrecht, Bd. II, 6. Aufl., § 79 II I a, mit Nachweisen aus der Rechtsprechung; Heubel, Entziehende Einwirkungen, 30; aus öffentlich-rechtlicher Sicht: Kutscheidt, in: Salzwedel (Hrsg.), Grundzüge des Umweltrechts, 244 f. 3
4 Vgl. zuletzt BGH vom 22.2.1991- V ZR 308/89- Z 113, 384 = NJW 199 1, 1671 =JuS 1991, 860 (Karsten Schmidt). Eine im wesentlichen wertende Bedeutung der Begriffe positiv und negativ findet sich bei Säcker, in: Müko, § 906 8GB Rdnr. 20.
5 Winter, in: AK-BGB, § 906 Rdnr. 36; Kohl, in: AK-BGB, § 1004 Rdnr. 47; Jabornegg; Bürgerliches Recht und Umweltschutz, 13; ders., ÖJZ 1983, 365 (366 f.); Boley, Besitzstörung durch Einwirkung, 54; Müller-Michels, Negative Einwirkungen, 8 I; Heubel, Entziehende Einwirkungen, 31, der diese Wortspielereien jedoch zu Recht als gekünste lt kennzeichnet.
22
Teil 1: Problemstellung und Fallgruppen
Schwerdtfeger gebraucht im Zusammenhang mit dem Phänomen der negativen Immissionen die Bezeichnung passive Einwirkung und subsumiert hierunter den Entzug realer Vorteile und Möglichkeiten der Grundstücksnutzung. 6
Doch auch diese Begriffsbildung birgt Zweideutigkeiten in sich. So setzt der überwiegende Teil der zivilrechtliehen Dogmatik eine Grenzüberschreitung für den Begriff der Einwirkung voraus und legt dieses Verständnis der Auslegung der§§ 903, 906, 907 und 1004 BGB einheitlich zugrunde. Auch der Begriff der Passivität will nicht recht einleuchten, denn der "Störer" ist im Zusammenhang mit der Entstehung negativer Immissionen nicht weniger aktiv als dies bei positiven Immissionen der Fall ist, man denke nur an den Entzug der Belichtung infolge eines Hausbaus. Heubel benutzt den Begriff der entziehenden Einwirkung, 7 die wohl überwiegende, zivilrechtliche Literatur den der negativen Einwirkung, 8 mit dem ebenso der BGH arbeitet. 9
Doch der Verwendung des Einwirkungsbegriffs, dies wurde schon angedeutet, steht das traditionelle Verständnis dieses Terminus entgegen. Will man den Begriff der Einwirkung dennoch verwenden, setzt dies wohl voraus, sich von dem oben aufgezeigten, immissionsgeprägten Einwirkungsbegriff der h.M. zu trennen, was Heubel im Rahmen seiner Untersuchung auch vollzieht. Nachteilig wirkt sich allerdings auch die Verwendung des Begriffs des Entzugs aus, dieser vernachlässigt die Fallgruppen der Abführungsbehinderungen. 10 Begrifflich noch undurchsichtiger wird der Fall der negativen Immissionen, bezieht man das öffentliche Recht in die Betrachtungen ein: Im öffentlichen Recht ist der Begriff der negativen Immission oder der anderen aufgezeigten Varianten weitgehend ungebräuchlich. Lediglich im Rahmen des § 3 Abs. 1
Schwerdtfeger, NVwZ 1982, 5. Heubel, Entziehende Einwirkungen im Nachbarrecht, 1969. Müller-Michels, Negative Einwirkungen im Nachbarrecht des BGB, 1956; ebenso Säcker, in: MUko, § 906 BGB Rdnr. 20; Gursky, in: Staudinger, 12. Aufl., § 1004 Rdnr. 46; Augustin, in: BGB-RGRK, 12. Aufl., § 906 Rdnr. 8; Baur, Sachenrecht,§ 25 IV 2 b) cc); Baur/Stürner, Sachenrecht, 16. Aufl. 1992, § 25 IV 2 b) cc); Müller, Sachenrecht, Rdnr. 723; Palandt/Bassenge, BGB, 52. Aufl., § 903 Rdnr. 9; Picker, Beseitigungsanspruch, 108; Kodal/Krämer, Straßenrecht, Kap. 34 Rdnr. 46.7. 9
Vgl. zuletzt BGH vom 22.2.1991 -V ZR 308/89- Z I 13, 384 = NJW 1991, 1671.
10 Abfllhrungsbehinderungen spielen bei Müller-Michels, Negative Einwirkungen im Nach-
barrecht des BGB, 1956 und Heubel, Entziehende Einwirkungen im Nachbarrecht, 1969, keine Rolle.
A. Begrifflichkeit und Ziel
23
BlmSchG fmdet man ansatzweise eine diesbezügliche Diskussion, 11 wobei allerdings nach ganz herrschender Ansicht die Phänomene negativer Immissionen gerade nichts mit dem klassischen Immissionsschutzrecht zu tun haben.12 Wiederum verschieden ist die Situation im öffentlichen Baurecht. Hier lassen sich eine ganze Reihe gesetzlicher Regelungen im Wirkungsfeld der negativen Immissionen finden: So behandelt etwa das landesrechtliche Bauabstandsrecht zentral die Folgen des Entzugs natürlicher Umweltmedien durch zusammenhängende Bebauungen. 13 Dennoch spricht man auch im Zusammenhang baurechtlicher Fallgestaltungen nicht etwa von negativen Immissionen, sondern allgemein von städtebaulichen Konfliktsituationen. Vergegenwärtigt man sich zusammenfassend, daß das öffentliche Recht zumindest zur Begriffsbildung keinen originären Beitrag leistet, und daß das Zivilrecht die in Frage stehenden nachbarlichen Konflikte uneinheitlich benennt, spricht fiir den Terminus "negative Immission" wenigstens, daß er ansatzweise die Teilrechtsordnungen übergreifend verwendet wird. 14 Er soll deshalb, weil andere Begriffsbildungen keine wesentlichen Verbesserungen versprechen, dieser Arbeit zugrundegelegt werden.
II. Ziel Der bereits angedeuteten Vielschichtigkeit nachbarlicher Konfliktsituationen in Fällen negativer Immissionen entspricht eine Vielfalt von Lösungsansätzen in der Rechtswirklichkeit Soweit ersichtlich, sind diese bisher immer nur Einzelaspekle betreffend untersucht worden. Die vorliegende Arbeit will dazu bei11 Siehe hierzu Jarass, BlmSchG, I. Aufl., § 3 Rdnr. 48; ders., DVBI. 1983, 725 (726); Kloepfer, Umweltrecht, 403; Bender/Sparwasser, Umweltrecht, Rdnr. 199; Kutscheidt, in: Salzwedel (Hrsg.), Grundzüge des Umweltrechts, 245; Schmatz/Nöthlichs, Immissionsschutz, § I Anm. 4 und § 3 Anm. 2.
12 Vgl. statt aller Kutscheidt, in: Landmann!Rohmer, Umweltrecht, § 3 BlmSchG Rdnm. 7 und 20; ähnlich nunmehr auch Jarass, BlmSchG, 2. Aufl. 1993, § 3 Rdnr. 54, der jetzt nur noch den zivilrechtliehen Standpunkt referiert. 13
Vgl. statt aller: Köhler, in: Schrödter, BauGB, § 136 Rdnr. 71 ff.
Beispielsweise: Mosich, Jhering's Jb. LXXX (1930), 255 (295); Roth, in: Staudinger, 12. Aufl., § 906 Rdnr. 114 ff.; Tiedemann, Rechtsschutz gegen Störungen des Fernsehempfangs durch Hochbauten, Diss. Frankfurt!M. 1976; ders., MDR 1978, 272; Jarass, BlmSchG, I. Aufl., § 3 Rdnr. 48; ders., BlmSchG, 2. Aufl. 1993, § 3 Rdnr. 54; Bender/Sparwasser, Umwe1trecht, Rdnr. 199; Kutscheidt, in: Salzwedel (Hrsg.), Grundzüge des Umweltrechts, 245; Schmatz/Nöthlichs, Immissionsschutz, § I Anm. 4. 14
24
Teil I: Problemstellung und Fallgruppen
tragen, die Gesamtheit der derzeitigen Lösungsansätze zu erfassen und zu würdigen. Zu diesem Zwecke sollen vorweg, nach einer allgemeinen Charakterisierung der Nachbarrechtsverhältnisse und der Nachbarrechtsnormen, die relevanten Fallgruppen negativer Immissionen näher herausgearbeitet werden. Anschließend ist auf die zivilrechtliehen Lösungsansätze einerseits und die öffentlich-rechtlichen Lösungsansätze andererseits im einzelnen, einschließlich kritischer Auseinandersetzungen einzugehen. Sodann werden die Lösungsansätze beider Teilrechtsordnungen zueinander in Beziehung gesetzt und es wird der Frage nach einem sinnvollen Zusammenwirken bei der Bewältigung der Sachprobleme nachgegangen. Dies mag zu einer möglicherweise widerspruchsfreieren Behandlung des Phänomens negativer Immissionen beitragen. In diesem Sinne versteht sich die vorliegende Arbeit auch als ein Versuch zur Annäherung öffentlich-rechtlichen und zivilrechtliehen Nachbarschutzes.
B. Die Nachbarrechtsverhältnisse Die Einordnung der negativen Immissionen in das System des Nachbarrechts1 folgt allgemein dem traditionellen Verständnis von der Trennung des öffentlichen Rechts und des Privatrechts. Beide Teilrechtsordnungen betrachten sich als autonom/ die entsprechenden Regelungsmaterien entwickeln sich weitgehend unkoordiniert nebeneinander. Beide Teilrechtsordnungen verfügen auch über ein eigenständiges Nachbarrecht und verschiedenartig konstruierte Nachbarrechtsverhältnisse. 3 Hinzu kommt, daß sich zusätzlich zu dieser vertikalen Aufteilung in Teilrechtsordnungen eine horizontale befindet, nämlich die Aufteilung in jeweils privates und öffentliches Bundes- und Landesrecht, wobei sich aber die Arten von Nachbarrechtsnormen in den beiden Teilrechtsordnungen, egal ob im Bundes- oder Landesrecht, durchaus gleichen. Ausgangspunkt aller Überlegungen soll daher zunächst die Differenzierung und Darstellung des zivilrechtliehen und des öffentlich-rechtlichen Nachbarrechtsverhältnisses, einschließlich der sie bestimmenden Normen sein, denn die
1 Ob es ein solches tatsächlich gibt, ist wohl fraglich. Dafür scheintjedenfalls der Titel der Arbeit von Klein/ein, Das System des Nachbarrechts, Diss. München 1986, zu prechen.
2 Vgl. hierz u und zum daraus resultierenden Problem von Koordinations- und Koll isionsnormen: Gerhardt, BayVBI. 1990, 549 (550). 3 Zum Problem der Einheit der Rechtsordnung und ähnlichen Fragestellungen, siehe unten S. 273 ff.
B. Die Nachbarrechtsverhältnisse
25
Probleme der negativen Immissionen sind in diese Nachbarrechtsverhältnisse eingebettet:
I. Struktur und Normgef"üge des zivilrechtliehen Nachbarrechtsverhältnisses Kennzeichen des zivilrechtliehen Nachbarrechts ist das zweiseitige Rechtsverhältnis, nämlich zwischen den einzelnen, meist grenzbenachbarten Grundstückseigentümern.4 Dementsprechend sind die privatrechtliehen Abwehr-, Beseitigungs-, Schadensersatz- und Aufopferungsansprüche gegen den Störer auf der Gleichordnungsebene vor dem Zivilgericht geltend zu machen. Neben dinglichen und schuldrechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten des Nachbarrechtsverhältnisses finden sich die normativen Grundlagen des privaten Nachbarrechts im Bundes- und im Landesprivatrecht Auf der Grundlage der §§ 903- 905 BGB enthalten die§§ 1004, 906- 923 BGB den Kernbestand des bundesrechtlichen, privaten Nachbarrechts. 5 Darüber hinaus hat auf der Grundlage des § 242 BGB, in richterrechtlicher Rechtsfortbildung, das sog. "nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis" erhebliche Bedeutung gewonnen. Art. 124 EGBGB eröffnet weitergehend dem Landesgesetzgeber die Möglichkeit der inhalts- und schrankenbestimmenden Eigentumsregelungen des Nachbarrechtsverhälnisses durch ergänzende Landesnachbargesetze. 6 Hiervon hat ein Großteil der Bundesländer auch ausdrücklich Gebrauch gemacht. 7 Der Versuch einer bundeseinheitlichen Kodifizierung im BBauG scheiterte. 8 In Bayern besteht kein eigenes Nachbargesetz; landesprivatrechliches Nachbarrecht findet sich vielmehr in den Art. 43 ff. BayAGBGB9 •
4 Bender/Dohle, Nachbarschutz, Rdnr. 9; Redeker, NJW 1959, 749 (751); Sei/mann, DVBI. 1963, 271 (281); Send/er, BauR 1970, 4 (8); Schapp, Nachbarrecht, 171 f.; Arbeitskreis "Bauliches Nachbarrecht", BBau81. 1991, 10 (11).
5
Konrad, BayVBI. 1984, 33 (34) spricht von einem Basiskontingent zivilrechtlicher Normen.
Siehe zur Schwierigkeit der Handhabung des Nebeneinanders dieser Regelungen, Laujke, in: FS Lange (1970), 275 ff. 6
7 Siehe hierzu die Zusammenstellung bei Kriegbaum, in: Staudinger, 12. Aufl., Art. 124 EGBGB Rdnr. 9.
8
Siehe hierzu Westermann, in: FS Larenz (1973), 1003 (1005 m.w.N.)
Gesetz zur Ausführung des Bürgerlichen Gesetzbuches und anderer Gesetze vom 9.6.1899 in der Fassung vom 20.9.1982 (Bay RS 400-1-J). 9
26
Teil I: Problemstellung und Fallgruppen
Das hier zentral interessierende zivilrechtliche Immissionsschutzrecht der §§ 1004, 906 BGB sieht rechtstechnisch ein dreifach abgestuftes Konfliktlösungsmodell vor 10: primär einen verschuldeosunabhängigen Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch, sekundär einen verschuldeosunabhängigen Ausgleichsanspruch und tertiär einen verschuldensabhängigen, deliktischen Schadensersatzanspruch (§ 823 Abs. 1 und 2 BGB).
II. Struktur und Normgefüge des öffentlich-rechtlichen Nachbarrechtsverhältnisses Kennzeichen des öffentlich-rechtlichen Nachbarrechts ist das dreipolige Rechtsverhältnis, 11 nämlich zwischen dem Bauherrn, der Bauaufsichtsbehörde und dem Nachbarn. Nach der h.M. folgt aus der Dreipoligkeit dieses Rechtsverhältnisses aber nicht, daß auch zwischen allen Beteiligten ein eigenes (öffentlich-rechtliches) Rechtsverhältnis dergestalt besteht, daß sich die Dreiecksbeziehung in drei selbständige Rechtsverhältnisse aufspalten ließe. 12 Im Gegensatz zum privaten Nachbarrecht bestehen auf der öffentlich-rechtlichen Betrachtungsebene zwischen dem Bauherrn und dem Nachbarn keine Rechtsbeziehungen, 13 die Dreipoligkeit basiert vielmehr auf der jeweiligen Rechtsbeziehung der Baubehörde zum Bauherrn und zu dessen Nachbam; 14 die Behörde verwaltet somit den eigentlichen Nachbarkonflikt quasi als Sachwalter. Die Struktur dieses dreipoligen Nachbarrechtsverhältnisses gründet nämlich auf
10
Hagen, NVwZ 1991, 817.
11
Vgl. Wahl, JuS 1984, 577 ff., der auch ähnliche Konstellationen im Verfassungsrecht aufzeigt; Bauer, AöR 113 (1988), 582 (624 f.); Bender/Dohle, Nachbarschutz, Rdnr. 10; Löhr, in: Battis/Krautzberger!Löhr, BauGB, § 31 Rdnr. 55; Pietzner/Ronellenfitsch, §51 Rdnr. 3; H.Schrödter, in: Schrödter, BauGB, § 31 Rdnr. 37 a.E.; Schlichter, in: Schlichter/Stich (Hrsg.), Berliner Kommentar, 4. Auf!., Vorb. zu §§ 29 bis 38 BauGB Rdnr. 4; Arbeitskreis "Bauliches Nachbarrecht", BBauBI. 1991, 10; Preu, Subjektivrechtliche Grundlagen des öffentlichrechtlichen Drittschutzes, 59 ff.; Sellner, Referat L zum 56. DJT, 9; Dürr/König, Baurecht, Rdnr. 372; Schwarzer, Handbuch, IV, Rdnr. 97; Hoppenberg, in: Hoppenberg (Hrsg.), Handbuch, Teil H Rdnr. 6. 12 Schwarzer, UPR 1989, 201 (202); ders., Handbuch, 111, Rdnr. 97; Hoppenberg, in: Hoppenberg (Hrsg.), Handbuch, Teil H Rdnr. 6. Zunächst sollen Fragen des derivativen Privatrechts außer Betracht bleiben. 13 Hiergegen Martens, NJW 1985, 2302 (2307 f.), der sogar ein zwischen den Nachbarn bestehendes öffentlich-rechtliches Rechtsverhältnis annimmt. 14 So auch Pietzner/Ronellenfitsch, § 15 Rdnr. 8; Bauer, AöR 113 (1988), 582 (622 f.); Hoppenberg, in: Hoppenberg (Hrsg.), Handbuch, Teil H Rdnr. 6.
B. Die Nachbarrechtsverhältnisse
27
der Baugenehmigung, als einem Verwaltungsakt mit Doppelwirkung, 15 der den Bauherrn begünstigt und gleichzeitig den Nachbarn belastet. 16 Vom Rechtschutzstandpunkt aus betrachtet bedeutet diese Konstellation, daß der Nachbar nur dann erfolgversprechend gegen die genehmigende Baubehörde vorgehen kann, wenn diese die Baugenehmigung materiell rechtswidrig erteilt und kumulativ ein den Nachbarn schützendes, subjektives Recht verletzt. 17 Dementsprechend ist das öffentlich-rechtliche Abwehrbegehren des Nachbarn in der Regel in Form der Nachbaranfechtungsklage, §§ 42 Abs. I, 113 Abs. 1 VwGO, gegen die ihn benachteiligende Baugenehmigung vor dem Verwaltungsgericht statthaft. Die auf ein Einschreiten der Bauordnungsbehörde gerichtete Nachbarverpflichtungsklage, §§ 42 Abs. I, I13 Abs. I VwGO, ist in diesem Zusammenhang ein weiterer denkbarer Fall der öffentlich-rechtlichen Nachbarklage; beide richten sich gegen den Rechtsträger der Baubehörde, der "störende" Eigentümer ist notwendiger Beigeladener, § 65 Abs. 2 VwG0.18 Ein ganz anderer Befund ist es, daß das Baunachbarrecht, wie noch zu zeigen sein wird, auch typische privatrechtliche Interessenkonflikte umfaßt, 19 und daß auf der Grundlage nachbarschützender Normen auch ein, oftmals deliktisches (privatrechtliches) Rechtsverhältnis entsteht. Die normativen Grundlagen des öffentlich-rechtlichen Nachbarrechtsverhältnisses finden sich sowohl im Bundesrecht, auf der Ebene der förmlichen Gesetze (z.B. im BauGB, WHG, FStrG), als auch in Bundes-Rechtsverordnungen (z.B. in der BauNVO), auf der Ebene des materiellen Untergesetzesrechts. In gleicher Weise fmden sich landesrechtliche Vorschriften in förmlichen Gesetzen (z.B. in der BayBO, dem BayWG, dem BayStrWG), aber auch in kommunalen Satzungen (etwa dem Bebauungsplan). Im Hinblick auf das
15 Hoppe, in: Ernst/Hoppe, Baurecht, Rdnr. 451; Breuer, DVBI. 1983, 431 m.w.N.; Arbeitskreis "Bauliches Nachbarrecht", BBauBI. 1991, 10; Preu, Subjektivrechtliche Grundlagen des öffentlichrechtlichen Drittschutzes, 33 f. 16 Teile der Literatur sehen demgegenüber den Eingriff nicht in der Erteilung der Baugenehmigung durch die Baugenehmigungsbehörde, sondern erst in der Verwirklichung der Baugenehmigung durch den Bauherm, Schwerdifeger, NVwZ 1982, 5; vgl. auch Steinberg, NJW 1984,457 (462) m.w.N.; Pietzner/Rone//enfitsch, § 15 Rdnr. 8. 17 Siehe etwa Schwerdtjeger, NVwZ 1982, 5; BVerwG vom 23.8.1974- IV C 29.73- E 47, 19 (22), ständige Rechtsprechung. 18 Zusammenfassend zur verfahrensrechtlichen Situation: Arbeitskreis "Bauliches Nachbarrecht", BBauBI. 1991, 10 (11). 19
Siehe hierzu auch Picker, AcP 176 (1976), 28 (30 ff.).
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Teil I: Problemstellung und Fallgruppen
untergesetzliche Recht gestaltet sich das öffentlich-rechtliche Nachbarrecht damit vielschichtiger als das private Nachbarrecht
111. Arten nachbarrechtlicher Normen Neben der aufgezeigten Unterschiedlichkeit der Nachbarrechtsverhältnisse und des Standortes der nachbarrechtsrelevanten Normen lassen sich zwei die gesamte Materie des Nachbarrechts durchziehende charakteristische Regelungstechniken feststellen: Auf der einen Seite finden sich in den gesetzlichen Regelungen Normen, die eine tatsächliche Beeinträchtigung des Nachbarn/ 0 im hier interessierenden Bereich zumeist des Grenznachbam, tatbestandlieh voraussetzen. 21 Auf der anderen Seite hingegen finden sich Normen, die einen grenznachbarlichen Konflikt zentimeterscharf regeln und dementsprechend eine tatsächliche, grundstücksbezogene Beeinträchtigung des Nachbarn nicht voraussetzen. 22 Diese unterschiedliche Regelungstechnik ist deshalb von Interesse, weil der Gesetzgeber in der zweiten Gruppe den Nachbarkonflikt typisiert betrachtet und folglich die tatrichterlichen Möglichkeiten einengt, in der ersten, generalklauselartig geregelten Gruppe tatrichterliche Wertungsmaßstäbe in weitem Umfang zuläßt. Dem entspricht es, daß die erste Gruppe von Normen der richterrechtlichen Rechtsfortbildung zugänglich ist und somit im Nachbarrecht auf neuartige, gerade auch städtebauliche Probleme reagiert werden kann. Innerhalb der zweiten Gruppe, also der typisierenden Regelungen, existiert hingegen schon bei jedem geringwertigen Normverstoß eine unteilbare Rechtswidrigkeie3 der nachbarlichen Handlungen oder Zustände. Grundsätzlich bleibt hier kein Raum für bewertende Betrachtungen. 24
20 Die Möglichkeit der rechtlichen Beeinträchtigung des Nachbarn, etwa durch die Entstehung eines Notwegerechts, mag hier außer Betracht bleiben. 21 Die Rolle der tatsächlichen Beeinträchtigung ist im öffentlichen Recht durchaus streitig: Siehe hierzu Jacob, BauR 1984, I; Hoppenberg, in: Hoppenberg (Hrsg.), Handbuch, Teil H Rdnr. 137 ff.; VGH Bad.-Württ. vom 28.1.1982-3 S 2359/81- VBIBW 1982,334. 22 Insoweit § 113 VwGO eine Rechtsbeeinträchtigung voraussetzt, kann dies, da in der eigentlichen Nachbarrechtsnorm nicht tatbestandlich, unberücksichtigt bleiben: Hoppenberg, in: Hoppenberg (Hrsg.), Handbuch, Teil H Rdnr. 135; Ort/off, Abstandsflächenrecht, Rdnr. 291. 23 Für den öffentlich-rechtlichen Bereich ist dies strittig: Dyong, in: E/Z/B, BauGB, § 31 Rdnr. III f.; Hoppenberg, in: Hoppenberg (Hrsg.), Handbuch, Teil H Rdnr. 135 f. ; OVG Münster vom 26.1.1960- VII A 1187/57- DVBI. 1960, 603; VGH BadWürtt. vom 21.3.1989-3 S 536/89NVwZ 1989, 977; OVG Lilneburg vom 22.3.1962- I OVG A 96/61 - DVBI. 1962, 418 (420), zu
C. Fallgruppen
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Normen, die eine tatsächliche Beeinträchtigung als Tatbestandsmerkmal enthalten und die, wie sich zeigen wird, einen Bezug zu negativen Immissionen haben, finden sich im öffentlich-rechtlichen Regelungsbereich im Bauplanungsrecht, im Wasserrecht sowie im Straßen- und Wegerecht. Im zivilrechtliehen Bereich finden sich entsprechende Regelungen in den §§ 903, 906 ff., 1004 BGB. Das Spektrum solcher wertenden Elemente reicht beispielsweise bei der Ausfiillung des Tatbestandsmerkmals der Beeinträchtigung von der Forderung der Unzumutbarkeit, der Wesentlichkeit, der Wertminderung des Nachbargrundstücks/ 5 der optischen, u.U. psychischen Belastung des Nachbam26 bis zur Erheblichkeil jeder Veränderung unterhalb der Schikaneschwelle.27 Normen, die eine typisierte, zentimeterscharfe Regelung grenznachbarlicher Konflikte aufweisen, finden sich im öffentlichen Recht in den Bauabstandsregelungen des Bauordnungsrechts und im Zivilrecht in den landesrechtliehen Nachbargesetzen, etwa denen, die den Grenzabstand der Pflanzen regeln.
C. Fallgruppen Sowohl auf der Grundlage des zivilrechtliehen als auch des öffentlich-rechtlichen Nachbarrechtsverhältnisses soll nunmehr anband von Fallgruppen die Vielfalt der Erscheinungsformen negativer Immissionen aufgezeigt werden:
absolut geringfligigen Grenzabstandsverstößen. Siehe zur gleichen Problematik im Abstandsrecht der Pflanzen: Sprau, Justizgesetze in Bayern, Art. 47 BayAGBGB Rdnr. 36. 24 Jacob, BauR 1984, I (4); so wohl auch Sendler, BauR 1970, 10 (II); Ausnahmen gelten natürlich ftlr rein schikanöse Nachbarhandlungen. 25
Siehe hierzu Jacob, BauR 1984, I (2 m.w.N.).
26 HessVGH vom 23.4.1982- IV TG 23/82- BauR 1982,369 (371). 27 Schäfer, DVBI. 1962, 844 (845).
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Teil 1: Problemstellung und Fallgruppen
I. Allgemeines Das Phänomen des Entzugs lagebedingter Vorteile ist, dies hat sich schon angedeutet, in zwei grundsätzlich gegenläufige Erscheinungsformen zu unterteilen: 1 Negative Immissionen lassen sich zum einen als Zuführungsbehinderung beschreiben. Sinnfällige Beispiele dieser Art sind der Entzug von Luft, Wasser, Sonnenlicht oder grenzfallartig der guten Aussicht. Zum anderen stellen auch die spiegelbildlichen Fälle, nämlich die Abführungsbehinderungen nach h.M. negative Immissionen dar. 2 Hierbei resultiert aus dem Handeln auf dem eigenen Grundstück bei dem "gestörten" Nachbarn eine beispielsweise vernässende Stauwirkung. Dieser Vorgang ist dem der ZufUhrungsbehinderungen insofern gleichzustellen, als der "störende" Eigentümer ausschließlich innerhalb der räumlichen Grenzen seines Grundstücks tätig wird, und die akkumulierend wirkende Aufstauung in der Sache selbst keine Grenzüberschreitung darstellt.
II. Abhalten von natürlichen und künstlichen Zuführungen Die Gruppe der Zuführungsbehinderungen natürlicher oder künstlicher (Umwelt)Medien auf ein Grundstück kann jeweils nach diesen Medien weiter unterschieden werden: Es ergeben sich hieraus Fallkonstellationen durch den Entzug von Licht (Belichtung, Besonnung), den Entzug von Luft (Wind) und den Entzug von Wasser (Grundwasser, Oberflächenwasser, wild abfließendes Wasser). Die in Rede stehende ZufUhrung dieser natürlichen Umweltmedien muß dabei nicht gleichsam naturbedingt sein. Es gehören hierher auch diejenigen Fälle, in denen sich ein Grundstück deshalb im Einwirkungsbereich bestimmter Vorteile befand, weil dies durch eine konkrete Nutzungsform des Nachbargrundstücks erst ermöglicht wurde, diese Vorteile dann aber durch eine Nutzungsänderung auch
1 So unterscheidet nunmehr auch Palandt/Bassenge, BGB, 52. Aufl., § 903 Rdnr. 9; anders noch die 50. Aufl., § 903 Rdnr. 9. 2 Die Einordnung von Abfohrungsbehinderungen in den Problembereich der negativen Immissionen wird von der Rechtsprechung flir nicht weiter begründungsbedürftig gehalten: BGH vom 22.2.1991- V ZR 308/89- Z 113, 384 = NJW 1991, 1671 (1672); vgl. auch Roth, in: Staudinger, 12. Aufl ., § 906 Rdnr. 114 ff.
C. Fallgruppen
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dem insoweit mittelbar begünstigten Nachbargrundstück wieder entzogen werden. Stellt man nicht lediglich auf natürliche Umweltmedien ab, sondern auch auf künstlich bedingte Vorteile einer Grundstücksnutzung, so gehört der Entzug von Infrastrukturverbindungen zu den negativen Immissionen. Als solche lassen sich das Abschneiden von Zugangsmöglichkeiten (tatsächlicher Zugang, Anfahrt, Kanalisation, Telefonkabel u.s.w.), aber auch das Abschneiden elektromagnetischer Funk- und Fernsehwellen verstehen. Zwei Sondertalle der entziehenden Wirkung entstehen durch das Abschatten von Sonnen- und Windenergieanlagen, also einer energiepolitischen Variante des Entzugs von Luft und Licht, sowie durch den Entzug der "guten Aussicht" 3 • Die so ermittelbaren Fallgruppen sollen nunmehr anband einschlägiger, zumeist höchstrichterlicher Entscheidungen dargestellt werden: 1. Entzug von Licht, Sonneneinstrahlung
Der Zutritt von Licht zu einem Grundstück ist eine natürliche Erscheinung, die abhängig ist von der Lage des Grundstücks in der Landschaft, aber auch von der Art der Nutzung der benachbarten Grundstücke. Die Fallgruppe des Entzugs von Licht4 ist demnach dadurch gekennzeichnet, daß der "störende" Eigentümer auf seinem Grundstück Aktivitäten entfaltet (zumeist baulicher Art\ die den natürlichen Lichteinfall auf das Nachbargrundstück, und u.U. 3 Vgl. zur Berücksichtigung des Entzugs der guten Aussicht im Rahmen der negativen Immissionen: Roth, in: Staudinger, 12. Aufl., § 906 Rdnm. 117 und 114 m.w.N. 4 Hierzu insbesondere aus der Kommentarliteratur: Gursky, in: Staudinger, 12. Aufl., § 1004 Rdnr. 49; Roth, in: Staudinger, 12. Aufl., § 906 Rdnr. 114; Kohl, in: AK-BGB, § 1004 Rdnr. 47; J.F. Baur, in: Soergel, 12. Aufl., § 906 BGB Rdnr. 33; Winter, in: AK-BGB, § 906 Rdnr. 36; Säkker, in: MUko, § 906 BGB Rdnr. 20; Palandt/Bassenge, BGB, 52. Aufl., § 903 Rdnr. 9; siehe auch Schwabl Prüfling, Sachenrecht, § 28 II I . d).
5 Siehe etwa RG vom 8.1.1908- 186/07 V.- JW 1908, 142 Nr. 12; RG vom 27.11.1913- VI 493/13- WarnR 1914, 84 Nr. 57; RG vom 8.1.1920- VI 349/19- Z 98, 15; BGH vom 15.6.1951V ZR 55150- MDR 1951, 726; BGH vom 10.4.1953- V ZR 115/51 - BB 1953, 373; OLG Celle vom 25.11.1952-4 U 27/52- NJW 1953, 388; BGH vom 21.12.1973- V ZR 107/72- WM 1974, 572; OLG Harnburg vom 8.8.1962-8 U 44/62- MDR 1963, 135; LG Harnburg vom 20.7.196218 S 77/62- MDR 1963, 50; LG Dortmund vom 27.2.1964- 2 S 274/63- MDR 1965, 43; zum Lichtentzug durch Sträucher und Bäume: KG vom 15.6.1937-2 U 1011/37- JW 1937, 2928; AG Harnburg-Wandsbeck vom 11.3.1963 - 12 C 91163- BIGBW 1964, 143; LG Harnburg vom 10.7.1963- 17 S 114/63- BIGBW 1964, 143; OLG DUsseldorfvom 6.7.1979-4 U 18179- NJW 1979, 2618, ohne daß es hierbei auf das Landesnachbarrecht angekommen ware; vgl. auch Roth, in: Staudinger, 12. Aufl., § 906 Rdnr. 114 m.w.N.
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Teil I: Problemstellung und Fallgruppen
dessen Nutzung, negativ beeinflussen. Der Entzug des natürlichen Umweltmediums Licht ist, was die Wertigkeit dieses Problems unterstreicht, neben seiner (landes)privatrechtlichen Relevanz insbesondere auch Regelungsgegenstand des Bauplanungs- und des Bauordnungsrechts, sowie anderer nachbarrechtsrelevanter Teilbereiche des besonderen Verwaltungsrechts. 6 Die Bedeutung baubedingten Lichtentzugs erschließt sich der Betrachtung deutlich, wenn die Bewohnbarkeit einzelner verschatteter Räume oder vergleichbare, bestehende Nutzungen 'erheblich verschlechtert werden. Eine Umfrage unter Gebäudebewohnern hat bezeichnenderweise ergeben, daß die Frage einer ausreichenden Tagesbeleuchtung eher höher gewichtet wird als der Gesichtspunkt des störfreien, immissionsbezogenen Wohnens. 7 Der BGH hatte einen Fall zu entscheiden, 8 in dem die Wiedererrichtung eines kriegsbedingt zerstörten Hauses dazu filhren mußte, daß auf dem Nachbargrundstück Fenster hätten vermauert werden müssen. Die Vorschriften des öffentlichen Baurechts waren nicht verletzt. Das Dachgeschoß wäre nicht mehr, der erste und zweite Stock nur noch eingeschränkt nutzbar gewesen. Das Gericht verneinte die Anwendbarkeit der §§ 903, 1004 Abs. 1, 906, 907 BGB, weil es an einer einheitlich zu beurteilenden, grenzüberschreitenden Einwirkung auf das Nachbargrundstück fehle. 9 Letztendlich stützte sich das Gericht, das das als unbefriedigend empfundene Ergebnis zu vermeiden suchte, auf einen im "nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis" wurzelnden Unterlassungsanspruch.10 Aus dem "nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis" ergebe sich eine Pflicht zur Rücksichtnahme, die im Einzelfall und ausnahmsweise auch die
6 Vgl. an dieser Stelle § 136 Abs. 3 Nr. Ia BauGB oder Art. 17 Abs. 4 BayStrWG und ergänzend Krautzberger, in: Battis/Krautzberger!Löhr, BauGB, § 136 Rdnm. 15, 29 zum Gegenstand des städtebaulichen Sanierungsrechts bzw. Sieder/Zeitler/Kreuzer/Zech, Bay. Straßen- u. Wegegesetz, Art. 17 Rdnr. 52 ff. zum Straßen- und Wegerecht. 7 Mindestabstände zwischen Gebäuden und Fenstergrößen fllr ausreichende Tagesbeleuchtung - Forschungsbericht aus dem Institut fllr Lichttechnik der Technischen Universität Berlin und dem Institut fllr Tageslicht-Technik Stuttgart, I 978, zitiert nach Boeddinghaus, UPR I 986, 3 (9).
8 BGH vom I 0.4.1953 - V ZR I I 5/5 I - BB 1953, 373; zur Einordnung dieses Falls in das Problemfeld negativer Immissionen auch Pawlowski, AcP 165 (I965), 395 (398 Fn. 18); vgl. auch: BGH vom 15.6.1951- V ZR 55/50- MDR I95I, 726.
9 EbensoRG vom 8.1.1920- VI 349119- Z 98, I5; RG vom 8.1.1908- I86/07 V.- JW 1908, 142 Nr. 12; BGH vom 15.6.1951 -V ZR 55/50 - MDR 1951, 726. Aus der älteren Kommentarliteratur sprechen sich für eine Abwehrbarkeil aus: Korber, in: Staudinger, 10. Auf!., § 906 Rdnr. 12; Palandt/Hoche, BGB, 7. Auf!. (1949), § 906 Anm. 2 b und§ 903 Anm. 3.
10 Siehe hierzu weiter unten S. 174 ; zur Einordnung dieses Falls: Deneke, Gemeinschaftsverhältnis, 20 ff.
C. Fallgruppen
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Ausübung bestehender Rechtspositionen verhindem könne. Abschwächend stellte das Gericht klar, daß hieraus keine allgemeine Pflicht dergestalt abgeleitet werden könne, daß nur die denkbar unschädlichste Nutzungsart rechtmäßig sei. Die konkrete Einzelfallbetrachtung ergab aber eine so schwere und unerträgliche Betroffenheit, daß es dem Senat angebracht erschien, die Sache an die Tatsacheninstanz zurückzuverweisen, um die Möglichkeit einer gleichwertigen, aber die Nachbarin weniger belastenden Nutzung zu ermitteln. Das BVerwG hat eine vergleichbare Konstellation aus öffentlich-rechtlicher Sicht gänzlich anders bewertet: 11 Bei der Erteilung einer Baugenehmigung sei auch die zu erwartende Minderung der Besonnung des nachbarlichen Grundstückes und die damit einhergehende Beschränkung der Nutzbarkeit des hier streitgegenständlichen Gartens zu berücksichtigen. Das Gericht hebt hervor, daß einzelne nachteilige Auswirkungen fiir sich betrachtet zwar noch nicht das "Gebot der Rücksichtnahme" 12 verletzen, jedoch die Gesamtheit der negativen Auswirkungen, zu denen eben auch negative Immissionen zählen, maßgebend sei. 13 2. Entzug von Luft, Wind
Der Zutritt von Luft zu einem Grundstück ist ebenfalls eine natürliche Erscheinung, die abhängig ist von der Lage des Grundstücks in der Landschaft, aber auch von der Art der Nutzung der benachbarten Grundstücke. Die Fallgruppe des Entzugs von Luftzufuhr spielt vor allem im Rahmen der geschlossenen Bauweise im städtischen Wohnbereich eine wesentliche Rolle. 14 Im Zuge wachsender Raumnot kommt es beispielsweise bei der Errichtung von Bauwerken auf dem angrenzenden Nachbargrundstück infolge unterschiedlicher Geschoßzahl zum Entzug der Kaminluft, zum Entzug der Luftzufuhr fiir Lüftungsschächte und Klimaanlagen oder ganz allgemein zur Verschlechterung des sogenannten Kleinklimas. Der beeinträchtigte Nachbar sieht sich so unter Um-
11 BVerwG vom 5.8.1983 - 4 C 96179- E 67, 334 (340); zum Problem der "erdrückenden Wirkung" eines nachbarlichen Gebäudes: BVerwG vom 13.3.1981 - 4 C 1/78- BBauBI 1981, 576; vgl. auch BGH vom 21.12.1973 - V ZR 107/72 - WM 1974, 572 zur Bedeutung nachbarschützender Normen des öffentlich-rechtlichen Baurechts.
12
Zur Einordnung des "Gebots der Rücksichtnahme" siehe unten S. 195 ff.
13
Vgl. zu dieser Entscheidung auch Mühl, JZ 1984, 850 (851), der den Ansatz des BVerwG filr insgesamt vorzugswürdig hält. 14
Siehe hierzu auch Gursky, in: Staudinger, 12. Aufl., § 1004 Rdnr. 49 m.w.N.
3 Reetz
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Teil I: Problemstellung und Fallgruppen
ständen Mietminderungsansprüchen oder einer verschlechterten Vermietbarkeit seiner Räumlichkeiten gegenüber, weil entweder die Zentralheizungen bzw. die Etagenheizungen verrußen, 15 die Raumlüftung nur eingeschränkt oder gar nicht zu gewährleisten ist oder eine Atriumgartennutzung erschwert wird. Die zivilrechtliche Rechtsprechung verweigert dem beeinträchtigten Nachbarn (Mieter oder Eigentümer) jegliche, gegen den "Störer" gerichteten Ansprüche wegen der eingeschränkten Nutzbarkeit des Grundstücks. Der höherbauende Nachbar ist nicht unter dem Gesichtspunkt eigentums- oder besitzrechtlicher Vorschriften und auch nicht aufgrund Geschäftsfiihrung ohne Auftrag oder sittenwidriger Schädigung verpflichtet, die Kamine oder Lüftungsschächte des niedrigeren Nachbarhauses höher ziehen zu lassen oder die Kosten dafiir zu tragen. 16 Im Gegenteil, läßt der höherbauende Nachbar den Kamin oder Lüftungsschacht des Nachbarn aufmauem, steht ihm ein Bereicherungsanspruch gegen seinen, an sich beeinträchtigten Nachbarn zu. 17 In manchen Bundesländern bestehen positive landesrechtliche Regelungen dahingehend, daß Höherbauende die Schornsteine und Lüftungsschächte auf Nachbargrundstücken an den Giebelmauem ihrer Gebäude hochzufilhren, zu befestigen und zu unterhalten haben. 18 Fehlen aber, wie in Bayern, landesrechtliche Regelungen, können sich entsprechende Verpflichtungen des Eigentümers möglicherweise aufgrund des "nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses" ergeben. Bei genauer Betrachtung gehören in dieselbe Fallgruppe, wenngleich eher unter rechtshistorischem Aspekt verwertbar, die Fälle des sog. Mahlwindent-
15 Vgl. Brähmer, 8auR 1973, 77; OLG München vom 22.11.1956 -I U 2020/55- DWW 1957, 68. Die insgesamt umweltschädlicheren Verbrennungswerte mögen hier außer Ansatz bleiben. 16 OLG München vom 22.11.1956 - I U 2020/55 - DWW 1957, 68; so auch schon RG vom 8.1.1908- 186/07 V.- JW 1908, 142 Nr. 12; RG vom 8.1.1920- VI 349/19- Z 98, 15; RG vom 27.11.1913- VI 493/13- WamR 1914, 84 Nr. 57; Dehner, in: MISIH/D, Nachbarrecht, 7. Autl., 8 § 28 a I I (S. 1), ders., in: MIS/HID, Nachbarrecht, 6. Autl., § 38 I I e Fn. 28. 17 So LG DUsseldorfvom 4.12.1956- 22S 140/1956- BBauBI. 1957, 355 zu einem weiteren Wiederaufbaufall aufgrund Kriegszerstörungen.
18 Vgl. den genauen Wortlaut der entsprechenden Nachbarrechtsgesetze (NRG) in der synoptischen Gegenüberstellung der §§ 7 d NRG BadWürtt., 19 NRG Berlin, 36 f. NRG Hessen, 49 NRG Nieders., 26 NRG NRW, 17-20 NRG RhPf, 21-23 NRG Saarl., 20 f. NRG SchiH bei Dehner, in: MIS/HID, Nachbarrecht, 7. Aufl., 8 § 28 a; siehe zudem Schäfer, in: Hoppenberg (Hrsg.), Handbuch, Teil J Rdnr. 263. Der gescheiterte "Entwurf eines Bundesbaugesetzes" (BT-Drs. 3361111) enthielt als 8. Teil ein bauliches Nachbarrecht privatrechtlicher Natur, und in § 172 eine Regelung zur Höherführung von Schornsteinen und Lüftungsleitungen.
C. Fallgruppen
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zugs bei Windmühlen, 19 und eine neuartige Dimension aufzeigend, der Entzug oder die ungünstige Beeinflussung des Windes im Hinblick auf die Nutzung und den Betrieb von Windenergieanlagen. Soweit erkennbar liegt Rechtsprechung zu dieser letztgenannten Konstellation (noch) nicht vor. Das öffentliche Baurecht hat hieraufmit planungsrechtlichen Instrumenten reagiert. 20 3. Entzug von (Grund)Wasser
Auch der Zutritt von Wasser zu einem Grundstück ist zumeist eine natürliche Erscheinung, die abhängig ist von der Lage des Grundstücks in der Landschaft, aber auch von der Art der konkreten Nutzung der benachbarten Grundstücke. Im Rahmen der Fallgruppe Wasserentzug soll an dieser Stelle der Entzug des Grundwassers21 als solcher im Vordergrund der Betrachtung stehen. Vergleichbare Problemlagen ergeben sich freilich auch im Zusammenhang mit dem Entzug von Wasser aus Oberflächengewässem22 oder wild abfließendem Wasser. Soweit hier der Grundwasserentzug als solcher dargestellt wird, soll nicht auf die mittelbar, die Statik von Gebäuden beeinträchtigende Stützveränderung eingegangen werden.23 Diese beschäftigt die Rechtsprechung ebenso, wenn 19 Die Argumentationsmuster des Reichsgerichts im Hinblick auf die Nichtabwehrbarkeit des Mahlwindentzugs gleichen denjenigen, die die Rechtsprechung bis heute beibehalten hat: Vgl. RG vom 20.1.1909- 131/08 V.- JW 1909, 161 und 174; RG vom 8.6.1921- V. 76/21- Gruchot 65, 612; OLG Rostock vom 12.11.1890, Seuff.A. 48, Nr. 246; OLG Stuttgart vom 17.5.1907 - V 155/07 - Seuff.A. 64, 225; abweichend unter dem Einfluß bergrechtlicher Normen: RG vom 27.6.1901 - V.l33/0I - Z 49, 281. Siehe auch Dehner, in: M/SIH/D, Nachbarrecht, 6. Auf!.,§ 17 II 2 Fn. 31 m.w.N.; Roth, in: Staudinger, 12. Auf!.,§ 906 Rdnr. 114 a.E. In diesen Zusammenhang gehört auch§ 247 II ALR, hierzu RG vom 1.3.1902- V.409/0I- Z 50, 319; RG vom 8.6.1912V.45/12 - Z 79, 402 (403 f.) und der in die Rechtsgeschichte eingegangene Fall des Müllers Arnold aus dem Jahre 1779; hierzu ebenfalls Hülle, in: Handbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Bd. III, Berlin 1984, 726; Müller-Michels, Negative Einwirkungen, I ff. mit vielen Nachweisen.
20
Siehe hierzu unten S. 223 ff.
21
Eine Legaldefinition des Grundwassers findet sich nicht in § I Abs. I Nr. 2 WHG, der den Begriffvielmehr voraussetzt. Nach wasserrechtlicher Rechtsprechung, BVerwG vom 7.6.1967IV C 208.65 - DVBI. 1968, 32 (33), gehört zum Grundwasser das gesamte, nicht künstlich gefaßte unterirdische Wasser; der Begriff ist nicht auf bestimmte wasserfUhrende Schichten beschränkt und umfaßt sogar vorübergehende Erdaufschlüsse. 22 Vgl. den Fall des Wasserentzugs ftlr eine Mühle: OLG Celle vom 2.8.1927 - I V 370/24 JW 1928, 3191; OAG Berlin vom 15.9.1871, Seuff.A. 27 Nr. 93; unter Anwendung bergrechtlieber Normen bei Entzug bisher zugeflossenen Quellwassers: RG vom 8.1.1913 - V 323/12 WamR 1913, 187 Nr. !53; hierzu auch Heubel, Entziehende Einwirkungen, 47. 23 Den Fall der Gebäudeschädigung infolge Grundwasserabsenkung behandelt BGH vom 5.11.1976- V ZR 93/73- ZfW 1977, 163; BGH vom 20.12.1971 - II1 ZR 110/69- Z 57, 370; RG vom 7.2.1906- V.522/05- Z 62, 370 (372); RG vom 19.2.1931- VI 386/30- Z 132, 51 (53);
3*
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Teil 1: Problemstellung und Fallgruppen
auch nicht ausschließlich, im Zusammenhang mit Problemen des Rückstaus, also der Vernässung eines Grundstücks als Folge der Verhinderung des natürlichen Grundwasserabflusses. 24 Darauf wird später eingegangen. Probleme der hier interessierenden Art entstehen vor allem dadurch, daß der "störende" Eigentümer auf seinem Grundstück Maßnahmen ergreift, die den Grundwasserspiegel absinken lassen, was zwangsläufig auch die Grundwassersituation der Nachbargrundstücke tangiert. 25 So kann dieser Eigentümer auf seinem Grundstück Bodenverdichtungen ausfUhren, die das Durchsickern des Oberflächenwassers hemmen; er kann selbst Grundwasser fordern und so den Grundwasserspiegel bzw. eine bestehende Quellschüttung beeinflussen oder er kann eine bauliche Anlage errichten und hierzu den Baugrund trockenlegen, was Rückwirkungen auf das Grundwasser nach sich ziehen mag. 26 Der Entzug von Grundwasser als einem weiteren Fall negativer Immissionen ist nach h.M. nicht mittels zivilrechtlicher Anspruchsgrundlagen gern. §§ 1004 Abs. 1, 907 BGB27 und nur beschränkt nach § 909 BGB oder analog § 909 BGB abwehrbar, soweit sich nämlich die Einflußnahme auf den Grundwasserspiegel als eine Vertiefung begreifen läßt. 28 In einem solchen Fall steht aber
Kohler, Vermögensrecht, 133; Weber, Das Problem der Entschädigung bei Grundwassersenkungsschäden, GrundE 1942, 21; Beutler, in: Staudinger, 12. Aufl., § 909 Rdnr. 6 m.w.N.; Säcker, in: Müko, § 909 BGB Rdnr. II; Baur/Stürner, Sachenrecht, 16. Aufl. 1992, § 25 IV 3 c) m.w.N. 24
Beispielsweise: RG vom 16.6.193 7 - V 241/36 - Z 155, 154.
25
Beispiele bei Theisel, BB 1965, 225; Kohler, Vermögensrecht, 133.
Vom öffentlich-rechtlichen Standpunkt aus betrachtet liegt eine erlaubnisfreie Grundwasserbenutzung gern. § 33 Abs. I WHG dann vor, wenn geringe Mengen Grundwassers fllr den Haushaltsbedarf und filr landwirtschaftliche Betriebe entnommen wird. Genehmigungsfrei ist auch die vorübergehende Grundwasserentnahme etwa zum Zwecke der Entwässerung von Baugruben und die gewöhnliche Bodenentwässerung. Siehe hierzu BGH vom 22.12.1976- III ZR 62/74- Z 69,1 (11); Kloepjer, Umweltrecht, 615; siehe im übrigen zu den Facetten dieser Fallgruppe: Kodal/Krämer, Straßenrecht, Kap. 34 Rdnr. 46.76. 26
27 Vgl. RG vom 7.12.1912- 280/12 V. - JW 1913, 267; BayObLG vom 1.7.1931 - Reg. I Nr. 53/1931- E 31, 244; BayObLG vom 21.12.1921- Reg. I Nr. 149/1921- E 21,403 (405 f.) "Grundwasserentzug durch Brunnen"; BayObLG vom 22.1.1965 - BReg. Ia Z 164/62- E 65 (n.F.), 7 = NJW 1965, 973; OLG München vom 28.12.1966-1 U 1175/65- NJW 1967,570 (571) m. Anm. Dellian; BGH vom 20.12.1971- III ZR 110/69- Z 57, 370 "Grundwasserabsenkung durch Gemeindekanalisation"; BGH vom 22.12.1976 - III ZR 62/74 - Z 69, I; BGH vom 22.12.1976- III ZR 89/75 - DÖV 1977, 867; vgl. auch Dellian, NJW 1968, 1912; Salzwedel, RdW Heft 18 (1973), 93 (100); Kodal/Krämer, Straßenrecht, Kap. 34 Rdnr. 46.76; Gursky, in: Staudinger, 12. Aufl., § 1004 Rdnr. 53; Zeuner, in: Soergel, II. Aufl., § 823 BGB Rdnr. 38. 28 Vgl. BGH vom20.12.1971 -111 ZR 110/69-Z 57, 370(374); RGvom 13.10.1937- V 64/37 - Z 155, 389 (391); RG vom 21.4.1941 -V 103/40- Z 167, 14 (20 f.); Beutler, in: Staudinger, 12.
C. Fallgruppen
37
nicht mehr der Grundwasserentzug als solcher im Vordergrund, sondern vielmehr das Merkmal des Stützverlustes für ein Gebäude. Pointiert läßt sich also formulieren, es besteht nach zivilrechtlichem Maßstab ein "Recht der stärkeren Pumpe". 29 Anders kann die Situation nach dem öffentlichen Wasserrecht zu beurteilen sein. Sollte für die Einwirkung auf das Grundwasser (Benutzungstatbestand) eine Erlaubnis oder Bewilligung nach dem WHG erforderlich sein (§§ 7, 8 WHG), so können im Erteilungsverfahren Gesichtspunkte eines nachbarrelevanten Grundwasserentzugs rechtlich geschützte Interessen sein. Diese Rechtslage ergibt sich aus§ 8 Abs. 3, 4 WHG i.V.m. Art. 18 BayWG30, und nach der Rechtsprechung des BGH handelt es sich bei diesen Normen um Schutzgesetze i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB, die der Geschädigte selbst unabhängig von der Tatsache geltend machen kann, ob der "Störer" auch tatsächlich im Besitz einer wasserrechtlichen Gestattung ist. 31 Weitergehend kann der "gestörte" Nachbar u.U. eigentumskräftig einwenden, durch den Grundwasserentzug stehe die widmungsgemäße Benutzung seines Grundstücks schlechthin auf dem Spiel. 32 Der BGH33 hatte einen Fall zu entscheiden, in dem die Kläger auf ihrem Grundstück vier mineralhaltige Brunnen zu gewerblichen Zwecken unterhielten. Die Beklagte errichtete auf einem nicht grenzbenachbarten Grundstück, in 54 Meter Entfernung, ein vielgeschossiges, baugenehmigtes Wohnhaus. Im Zuge der Ausschachtungsarbeiten und noch nach Fertigstellung des Gebäudes förderte der Bauherr Grundwasser, zunächst zur Trockenlegung der Baugrube
Aufl., § 909 Rdnr. 6; Säcker, in: Müko, § 909 8GB Rdnr. 11; JF. Baur, in: Soerge1, 12. Aufl., §9098GB Rdnr. 4. 29
Theisel, 88 1965,225 (229); Gursky, in: Staudinger, 12. Aufl., § 1004 Rdnr. 53.
Bayerisches Wassergesetz, in der Fassung der Bekanntmachung vom 3.2.1988 (GVBI. 33, BayRS 753-1-1). Vgl. auch BGH vom 5.11.1976- V ZR 93/73- ZfW 1977, 163; BayObLG vom 14.3.1989-2 Z 36/88- ZfW 1990, 299 (302); Sieder/Zeitler/Dahme, Bay. Wassergesetl, 1991, Art. 18 Rdnr. 17; Giesekel Wiedemann/Czychowski, WHG, § 8 Rdnr. 65; Knopp/Manner, WHG, § 8 Rdnr. 8; a.A. möglicherweise Kodai!Krämer, Straßenrecht, Kap. 34 Rdnr. 46.76, die allerdings wasserrechtliche Gesichtspunkte unerwähnt lassen. Vgl. hierzu genauer unten S 232 ff. 30
31 Vgl. BGH vom 23.6.1983- 111 ZR 79/82- Z 88, 34; Knopp/Manner, WHG, § 8 Rdnr. 19 m.w.N.
32 Salzwedel, RdW Heft 18 (1973), 93 (103); Breuer, Wasserrecht, Rdnr. 453 m.w.N. und Rdnr. 748; BVerwG vom 11.11.1970- IV C 102.67 - E 36, 248 (250 f. ); BGH vom 22.12.1976 111 ZR 89/75 - DÖV 1977, 867 läßt diese Frage offen. 33
BGH vom 22.12.1976-111 ZR 62/74- Z 69, I.
38
Teil I: Problemstellung und Fallgruppen
und später des Kellergeschosses. Dem Bauherrn, der keine wasserrechtliche Gestattung zum Abpumpen des Grundwassers besaß, wurde diese nach Fertigstellung des Hauses endgültig verweigert. Die Kläger machten Schadensersatzansprüche wegen der Veränderung des Grundwassers u.a. aus dem Gesichtspunkt der Eigentumsverletzung geltend: Die natürliche Schüttung eines Brunnens war zurückgegangen und zudem hatte sich die Qualität des Mineralwassers nachteilig verändert. Das Gericht, das zunächst das Grundwasser sachenrechtlich einordnee\ stellt in bezug auf das "störende" Abpumpen fest: "Ein Grundstückseigentümer, der von diesem Recht Gebrauch macht, etwa indem er auf seinem Grundstück Grundwasser fördert oder ableitet, verletzt nicht fremdes Eigentum, mögen seine Maßnahmen auch dazu führen, daß dem Grundstück eines anderen Grundwasser entzogen wird. "35 Der BGH, der nicht eigens auf eine Einordnung in die negativen Immissionen rekurrierte, verneinte eine Eigentumsschädigung (§ 823 Abs. 1 BGB) allein deshalb, weil am zufließenden Grundwasser Eigentum nicht möglich sei, und das Grundstückseigentum nicht das Recht auf Wasserzufluß in bisheriger Menge und Güte beinhalte. 36 Obwohl das Gericht auf die interessante Frage funktionalen Eigentumsschutzes nicht weiter eingegangen ist, hat die Entscheidung im Zusammenhang mit der Einordnung negativer Immissionen ihre Bedeutung im Hinblick auf den vom Gericht bejahten Schutzgesetzcharakter des § 8 Abs. 3, 4 WHG i.V.m.
34 Es handelt sich um keine Sache i.S.d. § 90 BGB: BGH vom 22.12.1976- lll ZR 62174- Z 69, I (4 m.w.N ); BayObLG vom 22.1.1965- BReg. Ia Z 164/62- NJW 1965, 973 (974); OLG Frankfurt vom 3.10.1985 - 3 U 252/84 - NJW-RR 1986, 819 (820); grundlegend zur eigentumsrechtlichen Einordnung des Grundwassers: BVerfG vom 15.7.1981- I BvL 77178- E 58, 300 (336 f.); siehe auch OLG Nürnberg vom 16.1.1990- I U 3248/89- NJW 1991, 299; Roth, in: Staudinger, 12. Auf!., § 905 Rdnr. 6; Säcker, in: Müko, § 905 BGB Rdnr. 5; Palandt/Bassenge, BGB, 52. Auf! .,§ 905 Rdnr. 2.
35 BGH vom 22.12.1976 - lll ZR 62174 - Z 69, I (4) unter Verweis auf BayObLG vom 22.1.1965 - BReg. Ia Z 164/62 - NJW 1965, 973 (974); zustimmend Roth, in: Staudinger, 12. Auf!.,§ 905 Rdnr. 6 a.E.; Palandt/Bassenge, BGB, 52. Auf!.,§ 905 Rdnr. 2; a.A. Salzwedel, RdW Heft 18 (1973}, 93 (101 ff.). 36 Vgl. hierzu auch BGH vom 22.12.1976 - lll ZR 62174 - Z 69, I (4); BayObLG vom 22.1.1965- BReg. Ia Z 164/62- NJW 1965, 973 (974); OLG München vom 28.12.1966- I U 1175/65- NJW 1967,570 (571); OLG Nürnberg vom 14.7.1971-4 U 58171 - RdL 1972, 10 (13); Gursky, in: Staudinger, 12. Auf!.,§ 1004 Rdnr. 53.
C. Fallgruppen
39
Art. 18 BayWG37, wodurch gleichzeitig die öffentlich-rechtliche Dimension angedeutet wird.38
4. Entzug von Infrastrukturverbindungen Seit jeher anders beurteilen Rechtsprechung und Literatur einen speziellen Fall der negativen Immissionen, nämlich das Abschneiden eines Grundstückes von seinen Infrastrukturverbindungen.39 Im wesentlichen handelt es sich hierbei um Störungen der tatsächlichen Zugangsmöglichkeiten,40 auch zu Versorgungsleitungen und zum kabel- oder antennengestützten Radio- und Femsehempfang.41 Für diese Fallgruppe, die außerhalb des Abschneidens von natürlichen Umweltmedien liegt, haben sich auch die Begriffe Beeinträchtigung des "Kontakts nach außen" oder "Störung der Umweltbeziehungen"42 eingebürgert. a) Abschneiden von Zugangsmöglichkeiten Der augenflilligste Fall des Abschneidens von Infrastrukturverbindungen ist der des Entzugs von realen Zugangsmöglichkeiten (Zuwegung) zu einem Grundstück. Solche Behinderungen können sich etwa durch Baumaßnahmen auf einem benachbarten Grundstück, durch eine Änderung der (ordnungsgemäßen) Bewirtschaftung des notleidenden Grundstücks oder gar durch eme nachträgliche Grundstücksteilung ergeben: 43 37 Der Entscheidung des BGH lagen die gleichlautenden Normen des Landes-Wasserrechts NRW zugrunde.
38 BGH vom 22.12.1976- II1 ZR 62/74- Z 69, 1 (19 ff.). 39 Loewenheim, NJW 1975, 826 (827); Dörner, JuS 1978, 666; Mauern, WM 1979, 34 (41
m.w.N.); Roth, in: Staudinger, 12. Autl., § 906 Rdnr. 123; Mertens, in: Müko, § 823 BGB Rdnr. 91 ff. will diese Fälle nur dann als Eigentumsverletzung anerkennen, wenn sie zu einer Marktwertminderung führen; so wohl auch Kötz, Deliktsrecht, C I I b; dagegen grundsätzlich Zeuner, in: Soergel, 11. Autl., § 823 BGB Rdnm. 30 und 32; siehe im übrigen aus der Rechtsprechung: OLG Karlsruhe vom 7.12.1977- I U 210/77- NJW 1978, 274 fllr die Beeinträchtigung von Zufahrtsmöglichkeiten.
40 Siehe etwa Pleyer, JZ 1959, 305 (306) m.w.N.; Zeuner, in: Soergel, 11. Autl., § 823 BGB Rdnr. 30. 41 Siehe zur Zusammenschau dieser Fallgruppe: Kohl, in: AK-BGB, § 1004 Rdnr. 47; Zeuner, in: Soergel, 11. Autl., § 823 BGB Rdnr. 38.
42 Vgl. Zeuner, in: FS Flume I, 775; ders. , in: Soergel, 11. Autl., § 823 BGB Rdnr. 30 m.w.N.; Roth, in: Staudinger, 12. Autl., § 906 Rdnr. 123; Hagen, in: FS Lange (1992), 483 (497 ff.).
43 Vgl. Säcker/Paschke, NJW 1981, 1009 (1013); M Wolf, Sachenrecht, Rdnr. 281; Westermann, Sachenrecht, Bd. II, 6. Autl., § 81 II; Augustin, in: BGB-RGRK; 12. Autl., § 917
40
Teil I: Problemstellung und Fallgruppen
In seiner Entscheidung vom 31.5.1974 hat der BGH44 einen Ausgleich fiir Gewinnausfall zuerkannt, der der Klägerin dadurch entstanden war, daß der Zugang zu ihrem Ladengeschäft, einer Drogerie, und der Zugang zur Schaufensterwerbung während der Errichtung eines Hauses auf dem Nachbargrundstück erheblich erschwert worden war. Im wesentlichen beruhte die Zugangsstörung auf einer baustellenbedingten Nutzung des öffentlichen Gehsteigs, wobei allerdings eine unanfechtbare, öffentlich-rechtliche Sondernutzungserlaubnis der Beklageten i.S.d. Art. 18 BayStrWG vorgelegen hatte. Da somit die Sondernutzung rechtmäßig war, kamen Deliktsansprüche nicht in Betracht; im übrigen hätte es auch an der Betriebsbezogenheit der Störung bei Geltendmachung des Rechtsam eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb gefehlt. 45 Der BGH erwog in dieser Situation einen Ausgleichsanspruch analog § 906 Abs. 2 S. 2 BGB.46 Eine direkte Anwendung schloß das Gericht aus, da es an einer (grenzüberschreitenden) Einwirkung fehlte; zudem war die Beeinträchtigung nicht unmittelbar vom Nachbargrundstück ausgegangen.47 Die nähere Begründung der analogen Anwendung basiert auf einer empirisch festellbaren Konfliktlage, die nach Ansicht des Gerichts regelungsbedürftig sei: nachbarlicher Interessenkonflikt, zwangsläufige, d.h. unentrinnbare Grenznachbarschaft, Nutzungsbeeinträchtigung.48 (Dies sind bei Lichte betrachtet die typischen Konfliktsituationen negativer Immissionen.) Im einzelnen meint der BGH, die Erteilung der privatnützigen Sondernutzungserlaubnis entspreche einer zu duldenden Einwirkung, die aber die ortsübliche Benutzung des klägerischen Grundstücks oder dessen Ertrag über das zurnutbare Maß hinaus beeinträchtige, § 906 Abs. 2 S. 2 BGB. Die Höhe des Anspruchs ergebe sich einzelfallbezogen nach den Grundsätzen der Enteignungsentschädigung.49 Das Vehikel zur Anwendung der Norm auf einen IetztRdnr. I; Beutler, in: Staudinger, 12. Autl ., § 917 Rdnr. 3 ff.; Schwab/Prütting, Sachenrecht, § 28 11 I. d); Dehner, in: M/S/HID, Nachbarrecht, 6. Autl., § 27 I 2 m.w.N.
44 BGH vom 31.5.1974- V ZR 114/72- Z 62, 361 mit Anm. v. Schwabe, DVBI. 1975, 39; zu diesem Fall auch Gehrmann, GewArch 1979, 287 (291 f.) und Hagen, in: FS Lange (1992), 483 (497).
45 Zu diesem Problem Schäfer, in: Staudinger, 12. Autl., § 823 Rdnr. 157. 46 In der Literatur behandelt auch Mattem, WM 1979, 34 (41) die hier vorliegende Fallgruppe
der Beeinträchtigung des Anliegergemeingebrauchs analog einer Immission.
47 Was bei der Anwendung des § 906 BGB gar keine Rolle spielt. 48
BGH vom 31.5.1974- V ZR 114/72- Z 62, 361 (367).
49 BGH vom 31.5.1974 - V ZR 114/72 - Z 62, 361 (3 71) und später auch BGH vom 26.11.1982
-V ZR314/81 -Z 85,375 (386); BGH vom2.3.1984- V ZR 54/83 -Z90, 255.
C. Fallgruppen
41
lieh typischen Nachbarrechtskonflikt war die Figur des "nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses".50 Der BGH geht sogar soweit, das "nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis" als Grundlage der Anwendung des § 906 Abs. 2 S. 2 BGB zu bezeichnen. 51 Das Gericht hat die aufgezeigte Argumentation später weiter ausgebaut. 52 Die öffentlich-rechtliche Dimension von Zugangsbehinderungen zu bebauten Grundstücken ergibt sich bauplanungsrechtlich aus der Erschließungssicherung im Rahmen der Zulässigkeitsvoraussetzungen baulicher Anlagen gern. §§ 30 Abs. 1, 34 Abs. 1 S. 1, 35 Abs. 1 BauGB, 53 aus den möglichen Bebauungsplanfestsetzungen auf der Grundlage des § 9 Abs. 1 Nm. 12 und 21 BauGB54 und im Zusammenhang mit dem Straßen- und Wegerecht aus der Figur des Anliegergebrauchs. 55 b) Abschatten von elektromagnetischen Funk- und Fernsehwellen Eine vieldiskutierte Variante des Entzugs von Infrastrukturverbindungen stellt das Abschatten von Funkwellen durch Hochhäuser mit der Folge dar, daß auf den Nachbargrundstücken ein Empfang sowohl des Fernsehens als auch des Radios und des Privatfunks nur eingeschränkt oder gar nicht mehr möglich ist. 56
50 8GH vom 31.5.1974- V ZR 114/72- Z 62, 361 (366 f.). 51 Der 8GH zweifelt an dieser Konstruktion mittlerweile selbst: 8GH vom 22.2.1991 -V ZR
308/89- Z 113,384 = NJW 1991, 1671 (1673 m.w.N.).
52 8GH vom 10.11.1977- III ZR 157/75- Z 70, 212 (220)- "Friseurgeschäft"; ähnliches gilt flir Anliegerschäden durch Straßenarbeiten: Arndt, WM 1972, 1018. Der 8GH ordnet neuerdings "Störungen des Kontakts nach außen" in die Kategorie "faktischen Duldungszwangs" ein, jedenfalls wenn eine bestandskräftige, öffentlich-rechtliche Genehmigung zugrunde liegt: Zusammenstellung bei 8GH vom 20.4.1990- V ZR 282/88- NJW 1990, 1910 (1911); Hagen, in: FS Lange (1992), 483 (497 ff.). 53 Siehe hierzu statt aller: HSchrödter, in: Schrödter, 8 auG8, § 30 Rdnr. 3 tf., § 34 Rdnr. 24 f. und § 35 Rdnr. 36 f.
54 Siehe hierzu statt aller: W.Schrödter, in: Schrödter, 8auG8, § 9 Rdnrn. 68 f. und 122 ff.
55 Siehe hierzu statt aller: Prandi/Gil/essen, 8ayStrWG, Art. 17 Rdnr. 1, Art. 18 Rdnr. 2 und Art. 19 Rdnr. 2.
56 Siehe hierzu insgesamt: Tiedemann, Rechtsschutz gegen Störungen des Fernsehempfangs durch Hochbauten, Diss. Frankfurt/M. 1976; Ratlijen, Probleme des Nachbarrechts bei Fernsehempfangsstörungen durch Hochhäuser, MDR 1974, 453; Glaser, 81GW8 1979, 172; Ostendorf, JuS 1974, 756 mit Hinweisen zu speziellen nachbarrechtlichen Normen verschiedener Bundesländer; Vieweg, 88 1973, 1050; Fessmann, ArchivPF 1976, 50; Barisch, 81G8W 1972, 61 ; Kehr-
42
Teil I: Problemstellung und Fallgruppen
Ähnlich gelagerte Probleme, nämlich der Empfangsbeeinträchtigung, können sich bei metallischen Hausverkleidungen ergeben/7 wobei in diesem Zusammenhang das Problem der Reflexion im Vordergrund steht. 58 Eine Fallkonstellation der Funkabschattung lag der Entscheidung des BGH vom 21.10.1983 59 zugrunde: Der (störende) Eigentümer errichtete in den Jahren 1965 - 70 neben einem bebauten und bewohnten Einfamilienhaus-Grundstück einen neungeschossigen Krankenhauskomplex, der die Abschattung des Fernsehempfangs bewirkte. Der (gestörte) Nachbar begehrte im wesentlichen einen Anschluß seiner Antennenanlage an die des Hochhauses und die Erstattung der dadurch entstehenden Anschlußkosten. Der BGH judizierte, in derartigen Fällen solle der Eigentümer des beeinträchtigten Grundstücks nichts beanspruchen können, auch nicht die Kosten des Anschlusses an eine Sammelantenne auf dem störenden Hochhaus. Er habe keinen Anspruch auf einen angemessenen Ausgleich in Geld, um damit Ausgleichsmaßnahmen finanzieren zu können. 60 § 23 FAG scheide als spezielle Anspruchsgrundlage aus, weil ein Hochhaus keine elektrische Anlage i.S. dieser Bestimmung sei.61 Wenigstens aber komme, so meintdas Gericht, eine Du!husch, BIGBW 1981, 228; Spruth, BIGBW 1968, 144; Jarass, JZ 1980, 119 (124); Schwab/Prütting, Sachenrecht, § 28 II I. d). Aus der Rechtsprechung: AG Frankfurt vom 2.11.1976- 30 C 12330/76- NJW 1977, 1782 m. Anm. Tiedemann; LG Köln vom 25.6.1970-2 0 146/70- BB 1971, 1080 m. Anm. Landmann; BGH vom 21.10.1983 -V ZR 166/82 - Z 88, 344 mit umfangreichen Nachweisen. 51 Beispiel nach Heube/, Entziehende Einwirkungen, 25; Hulvershorn, NJW 1961, 1448; Vieweg, BB 1961, 160; ders., BB 1973, 1050; Fessmann, ArchivPF 1976, SO (57 ff.). 58 Zu den sich daraus ergebenden technischen Problemen des Sendeempfangs: Tiedemann, Rechtsschutz gegen Störungen des Fernsehempfangs durch Hochbauten, 36 ff.; Ostendorf, JuS 1974, 756.
59 BGH vom 21.10.1983- V ZR 166/82- Z 88, 344; siehe hierzu auch die Anmerkungen von Diescher, RdE 1984, 80; Hagen, LM Nr. 161 zu§ 1004 BGB; Müht, JZ 1984, 850; Schadow, ArchivPF, 1985,64. 60 Die hier zugrundeliegende Problematik mag unter dem Aspekt der Verkabelung der Bundesrepublik in der Zukunft an Bedeutung verlieren, tritt allerdings im Zuge satellitengestützten Sendeempfangs wieder in den Mittelpunkt des Interesses: Jauernig, JZ 1986, 605 (6IO); Pfeiffer, Immissionsschutz, 233; Vieweg, BB 1973, 1050. Vgl. zudem den Wortlaut spezieller landesprivatrechtlicher Regelungen in den Nachbarrechtsgesetzen (NRG) der §§ 19 NRG Berlin, 26 NRG NRW, 17 NRG RhPf, 21 NRG Saarl., 20 NRG SchiH bei Dehner, in: M/SIH/D, Nachbarrecht, 7. Aufl., B § 28 a (Synopse). Diese gesetzlichen Regelungen beziehen sich nicht auf Antennen von Amateurfunkem. 61 Siehe hierzu ausfuhrlieh Tiedemann, Rechtsschutz gegen Störungen des Fernsehempfangs durch Hochbauten, 92 ff.; Fessmann, ArchivPF 1976, 50.
C. Fallgruppen
43
dungspflicht des "störenden" Hochhauseigentümers aus der Rechtsfigur des "nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses" zum Anschluß benachbarter Fernsehanlagen an eine Sammelantenne des Hochhauses in Frage. 62 Das Gericht hat diese Entscheidung aus dem Jahre 198363 zum Anlaß genommen, seine Auffasung zum Problem der negativen Immission ausruhrlieh und zusammenfassend darzustellen64 : Eine Subsumtion der negativen Immissionen65 unter den Begriff der "Beeinträchtigung" des § 1004 BGB schließt das Gericht ebenso aus, wie eine Subsumtion unter das Tatbestandsmerkmal der "Einwirkung" i.S.d. § 903 BGB. Der BGH verneint die direkte66, aber auch die analoge Anwendung des § 906 BGB,67 weil es zu einer Grenzüberschreitung nicht gekommen sei, dies aber gerade die Voraussetzung der Annahme einer "ähnlichen Einwirkung" i.S.d. § 906 BGB sein soll. Der V. Senat vertritt zudem das Kodifikationsargument, indem er meint, der historische Gesetzgeber habe bewußt eine Nichtregelung der negativen Immissionen gewollt, und der Gesetzgeber des Jahres 195968 habe bei Kenntnis auch des technischen Fortschrittes eine Revision der Rechtslage ebenso bewußt vermieden. 69 Daß der BGH an seiner bisherigen Rechtsprechung festhalten will, begründet er zu einem wesentlichen Teil mit dem Argument der Rechtssicherheit und der Kontinuität der Rechtsprechung. 70
62 So jedenfalls deutet es BGH vom 21.10.1983 -V ZR 166/82- Z 88, 344 an; ebenso schon Landmann, BB 1971, 1081; Vieweg, BB 1973, 1050.
63
BGH vom 21.10.1983- V ZR 166/82- Z 88,344.
Siehe auch Hagen, WM 1984, 677, als Richter des angegangenen Senats dem BGH zustimmend; gegen die Leitfunktion gerade dieser Entscheidung Ronellenjitsch/Wolf, NJW 1986, 1955 (1960). 64
65 Der BGH hält offensichtlich Abschattungsflllle der vorliegenden Art ohne weiteres filr solche der negativen Immissionen.
66
So aber Fessmann, ArchivPF 1976, 50 (62).
67
Für eine analoge Anwendung Ostendorf, JuS 1974, 756 (759 m.w.N.).
Gesetz zur Änderung der Gewerbeordnung und Ergänzung des Bürgerlichen Gesetzbuchs vom 22.12.1959 (BGBI. I, 781), sog. Luftreinhaltegesetz. 68
69 Hiergegen spricht, daß der Gesetzgeber bei seiner Novellierung nur die zum "nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis" ergangene Aufopferungsrechtsprechung normieren wollte, negative Immissionen aber gar nicht diskutiert wurden: Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 3. WP, StenBer., 4855; gegen die Argumente des BGH auch Mühl, JZ 1984, 850 (851 m.w.N.).
70 BGH vom 21.10.1983- V ZR 166/82- Z 88, 344 (347 m.w.N.), wobei diese Argumentation schon in gewisser Weise als ein RUckzugsgefecht gewertet werden kann. Zweifelnd auch Jauernig, JZ 1986,605 (606).
44
Teil I: Problemstellung und Fallgruppen
Die Entscheidung ist in der Literatur auf Kritik gestoßen: So hält Müht 1 das Problem der Funk- und Fernsehabschattung für eine Frage des bauplanungsrechtlich geprägten "nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses" 72 und zweifelt schon an der vom BGH und der h.M. vertretenen Unterscheidung zwischen positiven, meint grenzüberschreitenden und negativen Immissionen. 73 Auch Argumente aus der Entstehungsgeschichte des zivilrechtliehen Nachbarrechts des BGB läßt er wegen der Unvorhersehbarkeit der technisch-zivilisatorischen Entwicklung zu Anfang des 20. Jahrhunderts nicht gelten. 74 Anders hat wiederum das BVerwG einen ähnlichen Falf5 aus bauplanungsrechtlicher Sicht entschieden und hierbei auf seine Rechtsprechung zum Drittschutz des Rücksichtnahmegebots (§ 34 Abs. I BBauG) zurückgegriffen. Inwiefern ein solcher Belang zivilrechtlich hätte nutzbar gemacht werden können/6 läßt die Hochhausentscheidung des BGH bedauerlicherweise nicht erkennen. 5. Abschatten von Sonnen- und Windenergieanlagen Unter energiepolitischen, zunehmend auch umweltpolitischen Aspekten interessant ist die Verschattung von Sonnenenergieanlagen, beispielsweise von sonnenkollektorenbedeckten Dächern, bis zu ihrer gänzlichen Nutzlosigkeit. 77 Ähnlich gelagerte Probleme der Verschattung können sich darüber hinaus auch in bezug auf eine andere, erneuerbare Energiequelle ergeben, nämlich durch die Beeinträchtigung der Windzufuhr zu Windenergieanlagen.78
71
Müht, in: Soergel, 12. Aufl., § 1004 BOB Rdnr. 36.
72
Zu dieser Konzeption vgl. Müht, in: FS F. Baur (1981), 83.
73 Ähnliche Argumente finden sich bei Fessmann, ArchivPF 1976, 50; Glaser, BIGWB 1979, 172; Ostendorf, JuS 1974, 756 (758). 74
Müht, in: Soergel, 12. Aufl., § I 004 BOB Rdnm. 36 und 66; ders., JZ 1984, 850.
BVerwG vom 13.3.1981 -4 C 1.78- DÖV 1981, 672 (674 f.); vgl. hierzu auch Alexy, DÖV 1984, 953 (955); Birkl/Geiger, Nachbarschutz, TeilE Rdnr. 133 halten Festsetzungen in Bebauungsp1änen, die Funkabschattungsschutz gewähren sollen, filr drittschützend. 75
76
Zu denken ist etwa an § 823 Abs. 2 BOB, siehe hierzu unten S. 282 ff.
77
Siehe zu den technischen Vorgängen bei der Gewinnung von Energie aus der Strahlung der Sonne den kurzen Überblick bei Jarras, JZ 1980, 119. 78 Siehe zur Nutzbarkeit von (Kiein)Windenergieanlagen auch zur privaten Stromerzeugung: Pöttinger, DÖV 1984, 100; Ronellenfitsch, VerwArch 75 (1984), 407 (410 Fn. 20); von Mutius, DVBI. 1992, 1469.
C. Fallgruppen
45
Der Einsatz von Sonnenkollektoren kann räumlich betrachtet sehr verschiedenartig gestaltet sein: Solche Kollektoren können an Hauswänden, auf Hausdächern oder auch einfach auf der Oberfläche eines Grundstücks verlegt oder angebracht sein. 79 Entsprechend dieser Einsatzbandbreite ergeben sich die Verschattungsmöglichkeiten. Der Entzug von verwertbarem Tageslicht mag dabei durch nachbarliche Bautätigkeit, aber auch durch einfachen Pflanzenhöhenwuchs verursacht werden. Die Einsatzbandbreite rotorbetriebener Windenergieanlagen ist raumbezogen naturgemäß auf die ortsfester, baulicher Anlagen beschränkt; sie sind planungsrechtlich als Haupt- oder Nebenanlagen im beplanten und nichtbeplanten Innen- und im Außenbereich vorstellbar. 80 Nachbarrechtliche Lösungsmodelle auf der Grundlage zivilrechtlicher Abwehrnormen ergeben sich aus dem Landesprivatrecht, nämlich beispielsweise dem Pflanzenabstandsrecht81 , möglicherweise auch aus dem BGB. Zivilrechtliehe Entscheidungen zum Problem der Verschattung solcher alternativer Energiegewinnungsformen sind, soweit ersichtlich, (noch) nicht ergangen. Vergleichbar erscheinen jedoch ältere Fälle des Entzugs von Zugluft bei Schornsteinen,82 der Verschattung von Windmühlen, 83 und auch allgemein die Problematik des Lichtentzugs, denn die Verschattungsprobleme von Sonnenenergieanlagen sind ihrer Art nach nicht anders zu beurteilen als die Abschattung eines Hausaußenfensters. 84
79 Siehe zu Einzelheiten, insbesondere zu den Fragen, inwieweit es sich um "bauliche Anlagen" handelt und bauordnungsrechtliche Gesichtspunkte zu beachten sind: Jarass, JZ 1980, 119 ff.
80 Siehe etwa BVerwG vom 18.2.1982 - 4 C 19.81 - E 67, 33 "Windenergieanlage im Außenbereich nicht privilegiert"; BVerwG vom 18.2.1982-4 C 18.81 - E 67,23 "Windenergiean1age als Nebenanlage"; BVerwG vom 18.2.1982-4 C 10.82- E 67,41 "Windenergieanlage im Außenbereich"; OVG MOnster von 15.11.1983 - 7 A 1614/83 - BRS 40 Nr. 87; OVG MOnster von 23.9.1980 -7 A 2092/79- NJW 1981, 2714; von Mutius, DVBI. 1992, 1469. 81 FUr Bayern gelten insoweit die Regelungen der Art. 47 ff. BayAGBGB i.V.m. § 124 EGBGB; Sprau, Justizgesetze in Bayern, Art. 47 ff. Bay~GBGB, hierzu ausftlhrlich S. 151 ff. Vgl. auch die Übersichten bei Palandt!Bassenge, BGB, 52. Aufl., § 124 EGBGB Rdnr. 3; Kriegbaum, in: Staudinger, 12. Aufl., § 124 EGBGB Rdnr. 19; Bayer/Lindner, Bayerisches Nachbarrecht, 120 ff. 82 Siehe hierzu Brähmer, BauR 1973, 77; Dehner, in: M/S/H/D, Nachbarrecht, 6. Aufl., § 17 II 2 Fn. 31 m.w.N. 83
84
Vgl. den Fall RG vom 20.1.1909- 131/08 V.- JW 1909, 161.
Lichtentzug durch Bäume: AG Hamburg-Wandsbeck vom 11.3.1963- 12 C 91/63- BIGBW 1964, 143; LG Harnburg vom 10.7.1963- 17 S 114/63- BIGBW 1964, 143; OLGDOsseldorfvom 6.7.1979-4 U 18/79- NJW 1979,2618.
46
Teil 1: Problemstellung und Fallgruppen
Davon ausgehend, und bei Berücksichtigung der h.M. zu den negativen Immissionen, dürfte allerdings die Zivilrechtsprechung insgesamt einen effektiven Schutz versagen. Jarass 85 zieht folglich den eher resignativen Schluß, der Rechtsschutz in dieser Frage solle, soweit nicht das spezielle Landesnachbarrecht abhelfen könne, dem öffentlichen Recht86, meint dem Baurecht vorbehalten bleiben. Tatsächlich hat sich die Rechtsprechung zum öffentlichen Baurecht verschiedentlich mit Fragen zur Errichtung von Windenergieanlagen befaßt,87 hierbei aber nicht zu explizit nachbarrechtlichen Konstellationen Stellung genommen, sondern zunächst Fragen der Genehmigungsbedürftigkeit solcher Anlagen diskutiert.88 Daneben hat der Gesetzgeber normativ auf die speziellen Anforderungen der erneuerbaren Energien reagiert: Nach§ 9 Abs. 1 Nr. 12 BauGB besteht die Möglichkeit, in Bebauungsplänen Flächen zum Betrieb von Windenergieanlagen festzusetzen; 89 § 14 Abs. 1 und 2 BauNVO behandelt zudem die Zulässigkeit von Nebenanlagen zur Gewinnung erneuerbarer Energien. 90 Soweit ein Verschattungsschutz nach dem öffentlich-rechtlichen Nachbar(bau)recht denkbar ist, ergibt sich folgendes Bild: Aus der Baugenehmigung fUr Anlagen zur Gewinnung regenerativer Energien lassen sich keine weiterfUhrenden Rechte ableiten. Relevante, drittschützende Normen des Baurechts können sich aber sowohl aus dem Bauordnungsrecht (Abstandsflächenrecht) als auch aus dem Bauplanungsrecht ergeben, und Lichtentzug durch Gebäude: RG vom 8.1.1908- 186/07 V. - JW 1908, 142 Nr. 12; RG vom 27.11.1913- VI493/13- WamR 1914, 84 Nr. 57; RG vom 8.1.1920- VI 349/19- Z 98, 15; BGH vom 15.6.1951- V ZR 55/50- MDR 1951, 726; BGH vom 10.4.1953- V ZR 115/51- BB 1953, 373. 85
Jarass, JZ 1980, 124 f.
86 Zumindest
straßen- und wegerechtlich findet der Versehartungsschutz von Sonnenenergieanlagen ausdrückliche Anerkennung: Sieder/Zeitler/Kreuzer/Zech, Bay. Straßen- u. Wegegesetz, Art. 17 Rdnr. 54.
87 Siehe etwa BVerwG vom 18.2.1982-4 C 19.81 - E 67, 33; BVerwG vom 18.2.1982- 4 C 18.81 - E 67, 23; BVerwG vom 18.2.1982-4 C 10.82- E 67, 41 ; OVG Münster von 15.11.19837 A 1614/83- BRS 40 Nr. 87; OVG Münster von 23.9.1980-7 A 2092/79- NJW 1981,2714. 88 Hierzu nehmen Stellung: Jarass, JZ 1980, 119 f., filr alle planungsrechtlichen Bereiche; Ronellenfitsch, VerwArch 75 (1984), 407; Pöllinger, DÖV 1984, 100; Söjker, BBauBI. 1983, 486; Ballis/Krieger, NuR 1982, 137; von Mutius, DVBI. 1992, 1469; Fickert-Fieseler, BauNVO, 6. Aufl., § 14 Rdnm. 7 und II. I.
89 Vgl. Löhr, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, § 9 Rdnr. 50; siehe unten S. 225.
90
Siehe hierzu Fickert-Fieseler, BauNVO, 6. Aufl., § 14 Rdnm. 7 und 11 .1; von Mutius, DVBI. 1992, 1469 (1472 f.).
C. Fallgruppen
47
zwar unter Einschluß des ausnahmsweise drittschützenden Gebots der Rücksichtnahme. Neben diesen einfachgesetzlichen Abwehrgrundlagen können satzungsrechtliche Festsetzungen in Bebauungsplänen Verschattungsschutz gewähren. Im übrigen wird die Nutzung regenerativer Energien auch im Planungsvorgang selbst, nämlich als abwägungserheblicher Belang eine Rolle spielen können. 91
6. Sonderfall: Entzug der (guten) Aussicht Im zivilrechtliehen Nachbarrecht spielen Probleme des Entzugs der (guten) Aussicht92 vor allem im Zusammenhang mit der Errichtung von grenznahen Sichtblenden in Form von Zäunen93 , Mauern oder Sträuchern eine erhebliche Rolle. 94 Die Motivation des "störenden" Nachbarn ergibt sich aus seinem Bedürfnis, seine Wohnruhe dadurch zu gewährleisten, daß er dem Nachbarn bewußt die Möglichkeit der Einsichtnahme auf sein Grundstück und damit auf seinen Privatbereich entzieht. Formuliert man aus der Perspektive des "Störers", so handelt es sich demnach um Sicht- oder Einsichtsschutz. Als Nebeneffekt kann sich ein gänzlicher Entzug des Landschaftsblicks für den insoweit betroffenen Nachbarn ergeben. In bezug auf die Erhaltung eines gegebenen Landschaftsblicks führt auch die schlichte Errichtung von sichtverbauenden Gebäuden zu rechtlichen Problemen. Innerhalb dieser Variante ist der Effekt der Sichtblende nicht das angestrebte Ziel und der Zweck der baulichen Tätigkeit, sondern eine reflexartige
9 1 Zu den Möglichkeiten öffentlich-rechtlichen Drittschutzes im Zusammenhang mit der Gewährleistung der Sonneneinstrahlung: Jarass, JZ 1980, 119 (122 ff.) und im folgenden unten 223 ff.
92 Zur Einordnung dieser Fallgruppe in das Recht der negativen Immissionen auch Roth, in: Staudinger, 12. Aufl., § 906 Rdnr. 114; Gursky, in: Staudinger, 12. Aufl., § 1004 Rdnr. 114 mit vielen Nachweisen; Birki!Möstl, Nachbarschutz, Teil C Rdnr. 12. Götz, in: MIRIR/G, Nachbarrecht,§ 34 Rdnr. 7.
93 Siehe OLG München vom 13.3.1907- 945/06 III L.- Seuff.A. 62, Nr. 151; LG Berlin vom 10.4.1968-54 S 18/68- MDR 1969, 52; AG Köln vom 17.3.1961-41 C 800/60- MDR 1961, 1015 m. Anm. Weimar; Baur/Stürner, Sachenrecht, 16. Aufl. 1992, § 25 IV 2 b) cc); Gursky, in: Staudinger, 12. Aufl., § 1004 Rdnr. 49. 94 Siehe zum vergleichbaren Fall der Abdeckung von Werbeanlagen: OLG Köln vom 28.4.1961 - 4 U 168/59 - JZ 1963, 94 m. Anm. Pleyer; LG Duisburg vom 1.2.1952 - 7 S.313/51 ZMR 1952, 159; Tschierschke, ZMR 1969, 8; Roth, in: Staudinger, 12. Aufl., § 906 Rdnr. 114; Gursky, in: Staudinger, 12. Aufl., § 1004 Rdnr. 49; zu Sichtblenden im Zusammenhang mit dem Straßenbau: Kodal/Krämer, Straßenrecht, Kap. 34 Rdnr. 46.73.
48
Teil I: Problemstellung und Fallgruppen
Benachteiligung. Fälle dieser Art beschäftigen überwiegend die Verwaltungsgerichtsbarkeit und haben insoweit (auch) baurechtliehen Charakter. Insgesamt ergibt sich die Besonderheit dieser Fallgruppe daraus, daß nicht eigentlich die Zufuhrung natürlicher oder künstlicher Vorteile im Vordergrund der Nachbarstreitigkeit steht, sondern der, im weitesten Sinne, ästhetische Genuß der Umgebung. 95 Die Nachteilszufugung beruht demnach wesentlich auf einer psychischen Ve~ittlung durch den benachteiligten Grundstücksnutzer. 96 Dennoch kann nicht außer acht bleiben, daß auch die Wertschätzung eines Grundstücks maßgeblich durch die Möglichkeiten optischen Landschaftsgenusses mitgeprägt werden kann. Während das Zivilrecht einen effektiven Rechtsschutz versagt, 97 gilt im Hinblick auf die Erhaltung der (guten) Aussicht auch nach öffentlichem Recht grundsätzlich, daß eine eigentumsrechtlich relevante Position nicht anzuerkennen ist. Der natürliche Lagevorteil eines Grundstücks bietet lediglich eine eigentumsrechtlich nicht weiter geschützte Chance.98 Dennoch, aus baurechtlicher Sicht besteht wenigstens die Möglichkeit, den "Schutz der (guten) Aussicht" in nachbarrechtlich relevante Bebauungsplanfestsetzungen, also in Normen einer kommunalen Satzung (vgl. § 10 BauGB) zu gießen. 99 Nach der herrschenden zivilrechtliehen Dogmatik dürfte dies zu einer Dienstbarmachung auch im privaten Nachbarrecht fuhren, § 823 Abs. 2 BGB. 100 Abseits einer ausdrücklichen Bebauungsplanfestsetzung kann die "gute Aussicht" eigentumsrechtlich nur in Ausnahmesituationen erfaßt werden: Namentlich bei der Bebauung von Hanggrundstücken und bevorzugten Berglagen ist
95 Physikalisch betrachtet handelt es sich bei dieser Fallgruppe selbstverständlich um eine Zufilhrungsbehinderung von Licht. 96
Vgl. OVG Lüneburg vom 31.5.1967 -I OVG A 81/66- DVBI. 1968,45 (47).
LG Berlin vom 10.4.1968-54 S 18/68- MDR 1969, 52; AG Köln vom 17.3.1961-41 C 800/60 - MDR 1961, 1015 m. Anm. Weimar; Roth, in: Staudinger, 12. Aufl., § 906 Rdnr. 114; Gursky, in: Staudinger, 12. Aufl., § 1004 Rdnr. 114; Auguslin, in: BGB-RGRK, 12. Aufl., § 907 Rdnr. 9; Götz, in: M/R!RIG, Nachbarrecht, § 34 Rdnr. 7. 97
98 BVerwG vom 13.6.1969- IV C 80.67- BRS 22 Nr. 183; BVerwG vom 3.1.1982- IV B 224.82- BRS 40 Nr. 192; Birki/Geiger, Nachbarschutz, TeilE Rdnr. 58 m.w.N. 99 Vgl. OVG Lüneburg vom 31.5.1967 - I OVG A 81/66 - DVBI. 1968, 45 (47); andeutungsweise mißt der BGH vom 21.12.1973 - V ZR 107/72 - WM 1974, 572 öffentlichrechtlichen Bauabstandsvorschriften auch die Funktion eines Sichtschutzes bei.
100
Siehe zu diesem Fragenkreis unten S. 282 ff.
C. Fallgruppen
49
eine Anreicherung des Grundeigentums (sog. "Situationsberechtigung" 101 ) durch die bestehenden Aussichtsmöglichkeiten denkbar. 102 Die Voraussetzungen einer solchen Ausnahme sind jedoch restriktiv zu handhaben, und die Gerichte verlangen im einzelnen, daß es sich nach den örtlichen Verhältnissen um eine besonders wertvolle, den Grundstückswert erheblich mitbestimmende Aussicht handeln muß, daß die Aussichtsbeeinträchtigung wesentlich ist und daß nach der örtlichen Siedlungsstruktur dem Hinterlieger die Rücksichtnahme zuzumuten ist. 103
111. Verhinderung der natürlichen Abf"ührung (Stauwirkung) Die Gruppe der Abflihrungsbehinderungen natürlicher (Umwelt)Medien, die zumeist irrfolge rück- oder aufstauender Wirkung ein benachbartes Grundstück tangiert, kann jeweils nach diesen Medien weiter unterschieden werden: Es ergeben sich hieraus Fallkonstellationen durch die Auf- oder Rückstauung von Luft (Wind) oder von Wasser (Regen-, Bach- und Grundwasser). Die in Rede stehende, gestörte Abführung dieser natürlichen Umweltmedien muß dabei nicht gleichsam naturbedingt gewährleistet sein. Es gehören hierher auch diejenigen Fälle, in denen sich das "gestörte" Grundstück deshalb im Einwirkungsbereich bestimmter Vorteile befand, weil diese durch einen konkreten Nutzungsstand des "störenden" Grundstücks, etwa die Existenz eines Entwässerungsgrabens, ermöglicht wurde, diese Vorteile dann aber durch eine Nutzungsänderung auch dem insoweit mittelbar begünstigten Nachbargrundstück wieder entzogen werden. Zwei Sonderfälle der Abführungsbehinderung entstehen durch das Abschneiden des natürlichen Wildwechsels mittels sog. Wildzäune (Wildstau) und in bezug auf die Wirkungsweisen sog. Reflexionen von Licht- oder elektromagnetischen Wellen.
101
Grundlegend: BVerwG vom 13.6.1969- IV e 234.65 - E 32, 173.
OVG Lüneburg vom 31.5.1967 -I OVG A 81/66- DVBI. 1968, 45 ; HessVGH vom 29.4.1977- IV TG 26/77- DVBI. 1977, 728; BayVGH vom 19.4.1983- 15 es 83 A.197- unveröffentlicht; BayVGH vom 15.10.1983 - 15 es 83 A.336 - unveröffentlicht; VGH vom 14.10.1986- I es 86.02593 -unveröffentlicht; BayVGH vom 30.4.1987 - 20 CS 87.00935 "Blick auf den Ammersee" -unveröffentlicht. 102
103 BayVGH vom 30.4.1987-20 es 87.00935- "Blick auf den Ammersee"- unveröffentlicht; BayVGH vom 22.6.1990-20 B 90.402 - BayVBI. 199 1, 369 (370).
4 Reetz
50
Teil I: Problemstellung und Fallgruppen
Die so ennittelbaren Fallgruppen sollen ebenfalls anband einschlägiger, zumeist höchstrichterlicher Entscheidungen dargestellt werden: 1. Abführungsbehinderung von Luft und Wind
Die Fallgruppe der Abflußhemmung von Luft (Wind) - man spricht auch von der Beeinflussung des Kleinklimas 104 - ist dadurch gekennzeichnet, daß der "störende" Eigentümer auf seinem Grundstück Aktivitäten entfaltet (zumeist baulicher Art), die den natürlichen Luftaustausch über der Erdoberfläche eines Nachbargrundstücks hemmen. Kalte Luftmassen sinken auf diese Weise schwerkraftbedingt zu Boden ("Kaltluftsee"), bleiben liegen und bewirken im Zusammenspiel mit kalter Witterung Frost- oder Feuchtigkeitsschäden an empfmdlichen Kulturen (Obst- und Weinpflanzungen). Soweit ersichtlich, ist ein Geldausgleich filr Schäden dieser Art lediglich auf der Grundlage einer rechtsanalogen Anwendung des § 906 Abs. 2 S. 2 BGB oder des richterrechtlich entwickelten "nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses" zu erlangen. 105 Instruktive Beispiele negativer Immissionen im Bereich des Luftstaus bilden die einleitend erwähnten Fälle des BGH und des OLG Koblenz. 106 Ergänzend hierzu sollen die Erwägungen der Berufungsinstanz, des OLG Bamberg 107, aufgezeigt werden: Ebenso wie der BGH hat das OLG einen Anspruch auf der Grundlage zivilrechtlicher Normen versagt. Das Gericht stellt zunächst klar, daß es sich bei § 907 BGB zwar um ein Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB handele, daß aber eine Einwirkung auf das Grundstück der Klägerin i.S. dieser Nonn gerade nicht gegeben sei, denn es fehle an einer Grenzüberschreitung, wie er dem Begriff der Einwirkung in den §§ 903 - 907 BGB einheitlich zugrundeliege. Die Bildung des Kaltluftsees sei als typische negative Immission nicht abwehrbar, es handele sich zwar um eine Einflußnahme auf natürliche Abläufe, aber eben nicht um die Zufilhrung von Stoffen durch eine Anlage, 104
Siehe zu dieser Terminologie: Kodal/Krämer, Straßenrecht, Kap. 34 Rdnr. 46.75.
So jedenfalls der BGH vom 22.2.1991- V ZR 308/89- Z 113, 384 = NJW 1991, 1671 (1673 m.w.N.), der den Fall in bezugauf die Beachtung dieses Punkts an die Tatsacheninstanz zurückverwies. 105
106 OLG Koblenz vom 23.11.1983 - I U 666/83 - UPR 1984, 204; BGH vom 22.2.1991 - V ZR 308/89- Z 113, 384 = NJW 1991, 1671 und hierzu die Vorinstanzen OLG Harnberg vom 3.7.1989 -4 U 21189- unveröffentlicht; LG Würzburg vom 21.12.1988-2 0 1125/86- unveröffentlicht. 107
OLG Harnberg vom 3.7.1989-4 U 21/89- unveröffentlicht.
C. Fallgruppen
51
nämlich die Deponie. Ausdrücklich spricht sich das OLG Harnberg gegen die Ansicht Säckers 108 aus, wonach eine unzulässige Einwirkung dann vorliegt, wenn eine Anlage natürliche Vorgänge derart beeinflußt, daß angrenzende Grundstücke nachteilig beeinträchtigt werden. 109 Nicht geprüft hat das Gericht eine analoge Anwendung des§ 907 BGB. Das Gericht verneint, insoweit anders als der BGH, die Anwendbarkeit des § 242 BGB, wobei offen bleibt, ob die Anwendung der Figur des "nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses" gemeint war. Die öffentlich-rechtliche Betrachtung ergibt, daß bei einer Genehmigungserteilung, die der Errichtung einer baulichen Anlage, die eine wesentliche Stauwirkung hervorrufen könnte, zugrunde liegt, die Interessen des beeinträchtigten Nachbarn als private Belange u. U. hätten beachtet werden müssen; 110 die gleichen Erwägungen gelten ftlr die Phase der Planungsvorgänge, etwa der Aufstellung eines Bebauungsplans, soweit erhebliche Stauwirkungen vorauszusehen sind.
2. Abführungsbehinderung von Wasser Die Fallgruppe der Abftlhrungsbehinderungen von Wasser kann in die Varianten der Abftlhrungsbehinderung von Regenwasser, Bachwasser und Grundwasser gegliedert werden. Diese nähere Differenzierung bietet sich an, weil das komplementäre, öffentliche Wasserrecht unter dem Gesichtspunkt des wild abfließenden Wassers, des oberirdischen Gewässers und des Grundwassers ebenso verschiedenartige Regelungen trifft. a) Abftlhrungsbehinderung von Regenwasser Die Fallgruppe der Verhinderung des natürlichen (oder auch künstlich geschaffenen) Regenwasserabflusses und des Regenwasserstaus ist dadurch gekennzeichnet, daß auf dem "störenden" Grundstück nicht grenzüberschreitende Handlungen vorgenommen werden, die den Abfluß des natürlichen Niederschlagswassers in einer Weise verändern, die zu einer Vernässung (auch) 108
Säcker, in: MüKo, 2. Aufl., § 907 BGB Rdnm. 7 und 8a.
109
Die zitierte Stelle bei Säcker befaßt sich allerdings mit Fallen der Reflexion, ohne daß das OLG Samberg klarstellt, ob es Rückstaufalle künftig als Reflexionen verstanden wissen will. 110 So deutet es auch BGH vom 22.2.1991- V ZR 308/89- Z 113,384 (1672) an.
= NJW
1991, 1671
52
Teil 1: Problemstellung und Fallgruppen
des Nachbargrundstücks fUhren. Hierbei kann der "störende" Eigentümer einen ausschließlich auf seinem Grundstück gefiihrten Entwässerungsgraben zuschütten, eine Drainage zerstören, die Oberflächennutzung seines Grundstücks ändern, oder die Dichtigkeit des Bodens erhöhen. Die Abflußverhinderung kann durch die Errichtung einer Anlage i.S.d. § 907 BGB oder im landwirt-schaftlichen Bereich durch einen Fruchtwechsel bewirkt werden. Es ist selbst eine Abflußbehinderung denkbar, die nur durch schlichtes Nichtstun entsteht, indem der Eigentümer beispielsweise einen Entwässerungsgraben zur Aufnahme von Niederschlagswasser verlanden läßt. Das Beispiel einer negativen Immission mit der Folge einer Überschwemmungsgefahr durch Regenwasserrückstau auf dem "störenden" Grundstück behandelt eine Entscheidung des RG aus dem Jahre 1910 111 : Im Zuge der Errichtung eines Eisenbahnprojektes hatte die Beklagte den auf ihrem Grundstück gelegenen Entwässerungsgraben in einer Art und Weise baulich verändert, die die Überschwemmungsgefahr infolge eines Regenwasserrückstaus auf das industriell genutzte Nachbargrundstück des Klägers erheblich zunehmen ließ. Der so "gestörte" Nachbar war offensichtlich nicht Inhaber eines schuldrechtlichen oder gar dinglichen Rechts, das zur Aufrechterhaltung des vorhandenen Entwässerungsgrabens berechtigt hätte. Das RG verweigerte, anders als die Vorinstanz, das OLG Naumburg, einen Abwehranspruch gern. §§ 907, 1004 Abs. 1, 2 i.V.m. 906 BGB, weil es an einer positiven, grenzüberschreitenden Einwirkung auf das Grundstück des Klägers fehle. Das RG hielt aber einen Abwehr- oder Schadensersatzanspruch im Falle einer schuldhaft den Nachbar beeinträchtigenden Errichtung des Entwässerungsgrabens jedenfalls fiir denkbar. Wohl abweichend von der Ansicht des BGH ist ein ähnlich gelagerter Fall aus dem Jahre 1991 in die Fallgruppe der Abfiihrungsbehinderungen von Regenwasser einzuordnen 112 : Hier änderte der beklagte Oberlieger die Fruchtfolge seines landwirtschaftlich genutzten Grundstücks mit dem Ergebnis einer geringeren Aufnahmekapazität des Bodens fiir das Niederschlagswasser. Dieses floß vermehrt über das
111 RG vom 5.10.1910- V 567/09- WarnR 1910, Nr. 447; zu diesem Fall auch Augustin, in: BGB-RGRK, 12. Aufl., § 907 Rdnr. 9. 112
BGH vom 18.4.1991- III ZR 1/90- MDR 1991,869.
C. Fallgruppen
53
Unterliegergrundstück des Klägers ab. Der Unterlieger verlangte Vorkehrungen zur Zurückhaltung des Niederschlagswassers. Der BGH lehnte einen Anspruch aus § 1004 Abs. 1 BGB ab, da die Beeinträchtigung lediglich auf das Wirken von Naturkräften zurückführbar sei. Im Zuge seiner Begründung verwarf das Gericht abermals die sog. Eigentumstheorie113 im Rahmen der Anspruchsvoraussetzungen des § 1004 BGB. Das Gericht meinte, die Störung des Unterliegers sei nicht auf menschliches Handeln zurückfilhrbar, vielmehr sei der Wechsel der Fruchtfolge eine zwangsläufige, natürliche Eigenart des landwirtschaftlich genutzten Grundstücks. Landeswasserrechtliche Ansprüche auf der Grundlage des § 115 WG NRW (§ 197 PrWG) verwarf der Senat. Der Sache nach handelt es sich um eine Regenwasserabflußhemmung, denn die durch den Fruchtwechsel herbeigefilhrte, verminderte Aufnahmefähigkeit des Bodens bedeutet nichts anderes, als eine Behinderung des Abfließens durch den Boden in vertikaler Richtung. Daß diese durch die Änderung des Anbaus herbeigeführte Abführungsbehinderung auf menschliches Verhalten zurückführbar ist, ist evident, und der BGH geht ansonsten im Zusammenhang mit § 1004 Abs. 1 BGB ohne weiteres davon aus, daß eine Mitverursachung dieser Art ausreicht, eine Störerverantwortlichkeit annehmen zu können. 114 Die Besonderheit des vorliegenden Falls liegt darin, daß die vertikal wirkende Abflußhemmung zu einem grenzüberschreitenden Abfließen über die Oberfläche des Unterliegergrundstücks führt. Der Einordnung in die negativen Immissionen kann dies aber nicht entgegenstehen, denn der BGH geht bei sog. Rückwurfwirkungen (Reflexionen), die sich letztlich ebenfalls grenzüberschreitend ausbreiten, ohne weiteres von negativen Immissionen aus. 11 5 Die Entscheidung des BGH ist aber auch in anderer Hinsicht interessant: Das Gericht geht, ähnlich der Verwaltungsrechtsprechung zum Entzug der (guten)
113
Siehe hierzu unten S. 98.
Vgl. RG vom 4.ll.l931 -V 204131 - Z 134, 231 (234); RG vom 13.10.1935- V 99/35 - Z 149,205 (210 f.); OLG Koblenz vom 27.1l.l974- I U 557/73- MDR 1975, 403; weitere Beispiele bei Palandt/Bassenge, BGB, 52. Aufl., § 1004 Rdnr. 6; Mühl, in: Soergel, 12. Aufl., § 1004 BGB Rdnm. 80 und 105; Baur, AcP 160 (1960), 465; Tiedemann, Rechtsschutz gegen Störungen des Fernsehempfangs durch Hochbauten, 165; siehe auch die Hinweise bei Wolff-Raiser, Sachenrecht, 348 und 188, Fn. I. 114
115
Zuletzt BGH vom 21.10.1983 - V ZR 166/82 - Z 88, 344 (348).
54
Teil I: Problemstellung und Fallgruppen
Aussicht, 116 von einer konkreten Situationsgebundenheit des Unterliegergrundstücks aus. Es argumentiert, das beeinträchtigte Grundstück sei mit den Folgen eines Fruchtwechsels auf dem Nachbargrundstück belastet und deshalb ergebe sich keine eigentumskräftige Abwehrposition gegen die Folgen der Nutzungsänderung. Die Frage so gestellt, bedeutet aber eine Beantwortung auf der Ebene des§ 903 BGB, nicht auf der Ebene des§ 1004 BGB. Die Situationsbedingtheit eines Grundstücks bestimmte danach den Inhalt des zivilrechtliehen Eigentums.117 Die öffentlich-rechtliche Komponente der Abführungsbehinderung von Regenwasser ergibt sich aus Vorschriften der Landeswasserrechte 118 (in Bayern aus Art. 63 BayWG), wonach der Abfluß von atmosphärischem Niederschlagswasserals sogenanntes "wild abfließendes Wasser" nicht zum Nachteil eines Unterliegergrundstücks verändert werden darf. Diese Normen sind im übrigen Schutzgesetze i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB. 119 b) Abführungsbehinderung von Bachwasser Die Variante der Behinderung des Bachwasserabflusses und des Bachwasserstaus ist dadurch gekennzeichnet, daß auf dem "störenden" Wasser- oder Ufergrundstück nicht grenzüberschreitende Handlungen vorgenommen werden, die den bisherigen Bachwasserabfluß in einer Weise tangieren, die zu einer Vemässung benachbarter Hinterliegergrundstücke führt. Der "störende" Eigentümer könnte beispielsweise das Bachufer befestigen oder bebauen und dadurch die Fließgeschwindigkeit aufstauend hemmen. Überhaupt liegt dieser Fallgruppe zumeist eine bauliche Tätigkeit, in wasserrechtlicher Terminologie, eine Ausbaumaßnahme (§ 31 WHG) oder jedenfalls ein Einbringen fester Stoffe in das Wasser (§ 3 Abs. I Nm. 2 und 4 WHG: Benutzungstatbestand) zugrunde.
11 6 BayVGH vom 22.6.1990 - 20 8 90.402 - BayVBI. 1991, 369 (370); BayVGH vom 19.4.1983- 15 es 83 A.l97- unveröffentlicht; BayVGH vom 15.10.1983- 15 es 83 A.336- unveröffentlicht; VGH vom 14.10.1986 - I es 86.02593 - unveröffentlicht; BayVGH vom 30.4.1987- 20 es 87.00935 -"Blick auf den Ammersee"- unveröffentlicht. 117
Siehe hierzu schon S. 48 f.
Vgl. die Zusammenstellung bei Gursky, in: Staudinger, 12. Aufl., § 1004 Rdnr. 43 und Breuer, Wasserrecht, Rdnr. 28 Fn. 3 und 4 sowie Rdnr. 746. 118
11 9
Sieder/Zeit/er/Dahme, Bay. Wassergesetz, 1991, Art. 63 Rdnr. 5 m.w.N.
C. Fallgruppen
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Die Behinderung des Bachwasserabflusses ist aber auch durch rein passives Verhalten verursachbar, nämlich als Folge der Vernachlässigung bestehender Gewässerunterhaltungspflichten (§§ 28 ff. WHG). Neben Fragen wasserrechtlicher Ansprüche bildet die Abwehr einer negativen Immission im Zusammenhang mit der Ablaufstauung von Bachwasser, insbesondere anläßlich regelmäßigen Hochwassers, den Zentralpunkt einer illustrativen Entscheidung des RG aus dem Jahre 1930: 120 Der Kläger, Eigentümer eines Hinterliegergrundstücks entlang eines Bachlaufes und Inhaber einer Mühlengerechtigkeit, verklagte den Eigentümer des benachbarten Unterliegergrundstücks auf Duldung des Hochwasserablaufs in der bisher geübten Art und Weise. Der Unterlieger hatte durch die Befestigung und Bebauung des Bachufers den Ablauf des Wassers derart gehemmt und gestaut, daß das ablaufende Wasser auf das Grundstück des Hinterliegers gedrängt wurde und dort erhebliche Schäden verursachte. Das RG verneinte einen Anspruch aus§ 907 BGB oder§ 1004 BGB mit dem Hinweis auf das Fehlen einer Grenzüberschreitung der schädigenden Einwirkung, selbst wenn der Abzug des Hochwassers zum Nachteil des Klägers beeinflußt würde. Die Betätigung des Beklagten allein auf seinem Grundstück sei von § 903 BGB gedeckt. Schon aus diesem Grunde lehnte das RG ebenso einen deliktischen Schadensersatzanspruch, in einer streng an der Theorie vom Handlungsunrecht orientierten Argumentation, ab. 121 Demgegenüber vertrat das OLG Nürnberg in einem grundsätzlich vergleichbaren Fall aus dem Jahre 1970 122 die gegenteilige Ansicht: Durch die Stauung eines Wasserlaufes versumpften bisher trockene, nachbarliche Wiesengrundstücke. Das Gericht ging, anders als das RG, dem dogmatischen Problem der negativen Immissionen in der Variante der Verhinderung der natürlichen Abfilhrung dadurch aus dem Wege, daß es die Stauwirkung schlicht zur abwehrfähigen positiven Immission erklärte. 123 Dieser Auffassung sind Teile der Literatur gefolgt. 124
120
RG vom 12.4.1930- V.24/29- Seuff.A. 84,248.
Diese Argumentation hat der BGH in seiner Kaltluftsee-Entscheidung, BGH vom 22.2.1991 -V ZR 308/89- Z 113, 384 = NJW 1991, 1671, wieder aufgenommen; siehe oben S. 19 f. 121
122
OLG Nllmberg vom 19.6.1970- 6 U 84/67- RdL 1970, 317.
OLG Nllmberg vom 19.6.1970-6 U 84/67- RdL 1970, 317 (318); fllr die Abwehrbarkeil einer Beeinträchtigung durch Behinderung des gleichmäßigen Wasserabflusses bei Verstoß gegen 123
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Teil I: Problemstellung und Fallgruppen
Nach dem öffentlichen Wasserrecht kann eine abflußbeeinträchtigende Einwirkung auf einen Bachlauf im Hinblick auf einen betroffenen Hinterlieger anders als nach zivilrechtliehen Maßstäben zu beurteilen sein. Sollte für die Einwirkung auf das oberirdische Gewässer Bach (Benutzungstatbestand) eine Erlaubnis oder Bewilligung nach dem WHG erforderlich sein (§§ 7, 8 WHG), können im Erteilungsverfahren Gesichtspunkte einer nutzungsrelevanten Grundstücksvemässung rechtlich geschützte Interessen sein. Diese Rechtslage ergibt sich aus§ 8 Abs. 3, 4 WHG i.V.m. Art. 18 BayWG. 125 Nach der Rechtsprechung des BGH handelt es sich bei § 8 Abs. 3, 4 WHG i.V.m. Art. 18 BayWG um Schutzgesetze i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB, die der Geschädigte unabhängig von der Tatsache geltend machen kann, ob der "Störer" auch tatsächlich im Besitz einer wasserrechtlichen Gestattung ist. 126 Soweit der Abflußhemmung eine Ausbaumaßnahme gern. § 31 WHG zugrundeliegt, kann der beeinträchtigte Nachbar seine rechtlich geschützten Interessen im Planfeststellungsverfahren zur Geltung bringen (Art. 58 Abs. 3 i.V.m. Art. 18 BayWG); handelt es sich um eine privatnützige Planfeststellung, die letztlich einer Genehmigung gleichsteht, können seine berechtigten Interessen nicht einmal mehr durch die Abwägung überwunden werden. 127 Kann durch die abflußbeeinträchtigende Einwirkung gleichzeitig der Hochwasserabfluß behindert sein, ist möglicherweise Art. 62 BayWG berührt. c) Abflihrungsbehinderung von Grundwasser Probleme der Abfllhrungsbehinderung von Grundwasser entstehen dadurch, daß der "störende" Eigentümer auf seinem Grundstück nicht grenzüberschreitende Maßnahmen ergreift, die insgesamt den Grundwasserspiegel ansteigen lassen, was zwangsläufig auch die Grundwassersituation der Nachbargrundstücke tangiert und auf diese Weise zur Versumpfung oder Vemässung fuhren wasserrechtliche Schutzvorschriften: OLG Nümberg vom 8.7.1970-4 U 148/67- RdL 1970, 220 (223). 124
Gursky, in: Staudinger, 12. Aufl., § 1004 Rdnr. 53 m.w.N.
125
Siehe auch BGH vom 5.11.1976- V ZR 93/73- ZfW 1977, 163; Sieder/Zeitler/Dahme, Bay. Wassergesetz, 1991, Art. 18 Rdnr. 17; vgl. hierzu genauer unten S. 258 ff. 126 Vgl. BGH vom 23.6.1983 - 111 ZR 79/82 - Z 88, 34; Knopp/Manner, WHG, § 8 Rdnr. 19 m.w.N. 127 Grundlegend: BVerwG vom 10.2. 1978-4 C 25.75- E 55, 220 (226 f.); Breuer, Wasserrecht, Rdnr. 703 f.; Hoppe/Beckmann, Umweltrecht, § 21 Rdnr. 174 und § 8 Rdnr. 33 f.; Kloepfer, Umweltrecht, 645.
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kann. Der "störende" Eigentümer wird auf seinem Grundstück möglicherweise Bodenverdichtungen ausführen, die das Abfließen des Grundwassers aufstauend hemmen oder er beabsichtigt eine bauliche Anlage zu errichten, die den gleichen Effekt bewirken wird. Auch hier ist eine Abflußbehinderung denkbar, die nur durch schlichtes Nichtstun entsteht, indem der Eigentümer beispielsweise einen Entwässerungsgraben zur oberflächennahen Aufnahme von Niederschlagswasser verlanden läßt und das in den Boden eindringende Niederschlagswasser den Grundwasserspiegel ansteigen läßt. 128 Solche Einwirkungen auf den Grundwasserabfluß, bedingt durch Maßnahmen auf dem eigenen Grundstück, stellen in bezug auf das mitbetroffene Nachbargrundstück negative Immissionen dar. 129 Erstaunlicherweise bewertet die Rechtsprechung, und ihr folgend die Kommentarliteratur, den Fall der Aufstauung eines Wasserlaufes mit der Folge des Versumpfens eines bisher trockenen Nachbargrundstück als "positive" Einwirkung. 130 Eine Begründung dieser Unterscheidung ist im Hinblick auf die Einordnung der Abführungsbehinderung von Grund- und Bachwasser nicht ersichtlich und sachlich auch nicht gerechtfertigt. Die Abführungsbehinderung von Grundwasser als ein weiterer Fall negativer Immissionen ist nach h.M. nicht mittels zivilrechtlicher Anspruchsgrundlagen gern. §§ 1004 Abs. I, 907 BGB und nur beschränkt nach§ 909 BGB oder analog § 909 BGB abwehrbar, wenn nämlich eine Vertiefung gleichzeitig die Erhöhung des Wasserstandes verursacht und ein Stützverlust durch das Aufweichen des Untergrundes zu befürchten ist. 131 Das OLG Nümberg 132 hatte einen Fall zu entscheiden, in dem die Veränderungen auf dem "störenden" Grundstück zu einem Anstieg des Grundwassers
128 Vgl. auch RG vom 17.10.1928 -V 561/27 - Z 122, 134; RG vom 22.1.1912 -V 358/ 11 JW 1912, 391 Nr. 12; RG vom 5.10.1910- V 567/09- WamR 1910, Nr. 447. 129 Vgl. zu dieser Fallkonstellation: Gursky, in: Staudinger, 12. Aufl., § 1004 Rdnr. 53; OLG Nürnberg vom 14.7.1971-4 U 58171- RdL 1972, 10 (13). 130 Gursky, in: Staudinger, 12. Aufl., § 1004 Rdnr. 53; ähnlich auch OLG Harnburg vom 24.11.1911 - IV. ZS - OLGE 26, 21 zu Feuchtigkeitsschäden durch eine grenznahe Erdaufschüttung. 131 Beutler, in: Staudinger, 12. Aufl., § 909 Rdnr. 6; Palandt/Bassenge, BGB, 52. Aufl., § 909 Rdnr. 5.
132 OLG Nümberg vom 14.7.1971-4 U 58/71 - RdL 1972, 10; zu dieser Entscheidung auch Breuer, Wasserrecht, Rdnr. 748.
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führten und so mittelbar die Vemässung eines Nachbargrundstücks bewirkten, das nicht Grenznachbargrundstück war: Die Beklagte hatte ausschließlich auf ihrem Grundstück einen wasserrechtlich genehmigten Weiher errichtet und dabei Teile eines weiträumigen Drainagesystems abgetragen. 133 Insgesamt führten diese Maßnahmen zu einem Grundwasseranstieg, der die bisherige landwirtschaftliche Nutzung unmöglich machte. Das OLG verneinte sowohl einen Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. einem wasserrechtlichen Schutzgesetz, weil es ein solches nicht gebe, als auch einen Beseitigungsanspruch gern. § 1004 BGB i.V.m. § 906 BGB oder § 907 BGB. 134 Es stellte klar, daß es in den Abflußbehinderungen eine negative Immission sehe, die mangels realer Grenzüberschreitung nicht abwehrfahig sei: "Was für den Fall der Entziehung gilt, ist erst recht für den Fall zutreffend, in welchem der Abfluß des vorhandenen Grundwassers durch die Maßnahme eines anderen Eigentümers erschwert wird." 135 Ausgangspunkt dieser Rechtsprechung zum Problem der Beeinflussung des Grundwassers im Hinblick auf Überstauungen bilden Argumentationsmuster, die noch heute 136 im wesentlichen auf reichsgerichtlicher Tradition beruhen: In seinem markanten Urteil vom 16.6.193i 37 hatte das RG über eine Schadensersatzklage wegen Gebäudeschäden zu entscheiden. Diese waren ursächlich auf eine Geländeaufschüttung an einer Deichanlage im Vorfeld des klägerischen Grundstücks zurückzuführen. Die Geländeaufschüttungen hatten infolge einer Erdreichverdichtung auf dem Nachbargrundstück zu einem Grundwasseranstieg (Stauwirkung) und damit mittelbar zur Veränderung der Gebäudestatik geführt. Nach den Ausführungen der Vorinstanz hätte der Klägerin ei-
133 Vergleichbar sind die Fälle: RG vom 19.10.1939- V 44/39- Z 161, 364 (371 f.); KG vom 17.4.1913- XIV. ZS- OLGE 29,336.
134 Dagegen Breuer, Wasserrecht, Rdnr. 748, der darauf abstellt, daß im vorliegenden Fall die "aktuelle Nutzung des Eigentums schlechthin" zunichte gemacht werde, dies aber auch nach § 1004 BGB abwehrbar sein müsse. 135 OLG Nümberg vom 14.7.1971 -4 U 58171- RdL 1972, 10 (13); vergleichbar KG vom 17.4.1913- XIV. ZS- OLGE 29,336 f. : "Ebensowenig wie Schmälerung oder Entziehung macht auch die Vermehrung des Grundwassers, Erhöhung seines Standes, den EigentUrner des GrundstUcks dem Nachbar gegenüber schadensersatzptlichtig." 136
Siehe besonders deutlich: OLG NUrnberg vom 14.7.1971-4 U 58171- RdL 1972, 10.
RG vom 16.6.1937 - V 241/36 - Z 155, 154; zu diesem Fall auch Augustin, in: BGBRGRK, 12. Aufl., § 907 Rdnr. 9. 137
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ne Schadloshaltung zugestanden, wenn sie gegenüber der Grundstückseinwirkung einen Abwehranspruch hätte geltend machen können, dieser aber nicht durchsetzbar war, weil die Aufschüttung im Allgemeininteresse lag und damit geduldet werden mußte (Aufopferung). 138 Das RG konstatiert zwar eine Grundstücksentwertung139, es verneinte allerdings dennoch eine Beeinträchtigung i.S.d. § 1004 BGB, da es an einer grenzüberschreitenden Zuführung sinnlich wahrnehmbarer Stoffe, also an einer Immission, fehlte. 140 Das RG verneint auch die Anwendbarkeit der Grundsätze des "nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses", da es sich vorliegend nur um mittelbare Einwirkungen handele, diese aber aus Gründen der Rechtssicherheit nach der nachbarrechtlichen Systematik nicht erfaßt seien. 141 Halte sich der Eigentümer innerhalb der Grenzen seines Eigentums, müsse er mittelbare Folgen hinnehmen. Die Entscheidung ist auch deshalb von Interesse, weil das RG die Figur des "nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses" neben § 242 BGB erwähnt. Das Gericht verneinte zudem eine direkte und analoge Anwendung von § 909 BG B, 142 denn einmal handele es sich um keine Vertiefung, 143 wenn auch eine Statikbeeinflussung unterstellt werden könne, zum anderen sei § 909 BGB nicht analogietahig, weil er eine Ausnahmevorschrift darstelle. 144 Vom öffentlich-rechtlichen Standpunkt aus betrachtet, liegt keine erlaubnisfreie Grundwasserbenutzung gern. § 33 Abs. I WHG vor, wenn auf dieses abtlußhemmend eingewirkt wird; es fehlt am Tatbestandsmerkmal einer Entnahme.
138 RG vom 16.6.1937- V 241136- Z 155, 154 (156): Aufopferung am Leitbild von§§ 29 GewO, 75 EiniALR; vgl. RG vom 15.12.1920- V 348/20- Z 101, 102 (105); RG vom 17.10.1928V 561127- Z 122, 134 (136); nach BVerfG vom 15.7.1981- I BvL 77/78- E 58, 300 hat der BGH auf diese Konstruktion in weitem Umfang zurückgegriffen. 139 RG vom 16.6.1937- V 241/36- Z 155, 154 (156); zu dieser Entscheidung auch Picker, Beseitigungsanspruch, I 09 f.
140 RG vom 16.6.1937 -V 241136 - Z 155, 154 (158) mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung des RG. 141
RG vom 16.6.1937- V 241136- Z 155, 154 (159).
Zustimmend etwa Gursky, in: Staudinger, 12. Auf!.,§ 1004 Rdnr. 53; Dehner, in: M/SIH/D, Nachbarrecht, 6. Auf!., § 20 (in Fn. 19); a.A. offenbar Säcker, in: MüKo, 2. Auf!., § 909 BGB Rdnr. 10, der den Regelungszweck der Vorschrift hervorhebt, nämlich den Schutz vor jeglichem Stützverlust auf dem gestörten Grundstück. 142
143
Hiergegen besonders Säcker, in: MüKo, 2. Auf!., § 909 BGB Rdnr. I 0.
RG vom 16.6.1937- V 241136 - Z 155, 154 (160); a.A. Säcker, in: MüKo, 2. Auf!.,§ 909 BGB Rdnr. 10 a.E. 144
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Trotzdem ist in einer aufstauend wirkenden Einflußnahme auf das Grundwasser ein Benutzungstatbestand gern. § 3 Abs. 2 Nr. 1 WHG zu sehen. Hiernach genügt es nämlich, daß eine Anlage objektiv dazu geeignet ist, aufstauend auf das Grundwasser einzuwirken, unabhängig davon, ob dies gewollt war oder nicht. Als Errichtung einer solchen Anlage ist der Bau einer Kanalisation, das Anlegen von Teichen oder der Bau einer Straße an einem Hang anerkannt. 145 Innerhalb des wasserrechtlichen Erlaubnis- oder Bewilligungsverfahrens kann der durch die Abflußhemmung beeinträchtigte Eigentümer seine Interessen gern. § 8 Abs. 3, 4 WHG i.V.m. Art. 18 BayWG 146 geltend machen. Bei schweren Beeinträchtigungen kann der "gestörte" Nachbar u.U. gern. § 8 Abs. 3 WHG eigentumskräftig einwenden, durch die Abflußhemmung stehe die widmungsgemäße Benutzung seines Grundstücks schlechthin auf dem Spiel. 147 3. Sonderfall: Wildstau
Ebenfalls in den Bereich der negativen Immissionen einzuordnen ist der sog. Wildstau. 148 Diese Fallgruppe ist, wie die anderen Fallgruppen auch, im wesentlichen durch die Dominanz des Grenzüberschreitungsarguments geprägt: In einem Fall des OLG Harnburg wurde durch die Errichtung eines Zaunes der natürliche Wildwechsel verhindert, was zur Zunahme des "Wildverbisses" auf dem Grundstück des Nachbarn führte. Eine Abwehr auf der Grundlage des § 907 BGB scheidet nach Meinung der Rechtsprechung aus, weil es bei der Zaunerrichtung zu keiner Grenzüberschreitung komme. 149 In die gleiche Richtung judizierte das KG im Falle eines vermehrten Rattenübertritts auf ein gewerblich genutztes Grundstück, der durch den Niederriß
145 BayObLG vom 14.3.1989- 2 Z 36/88- ZfW 1990, 299 "Kanalsammler"; OLG Nümberg vom 14.7.1971 - 4 U 58171 - RdL 1972, 10; Giesekel Wiedemann!Czychowski, WHG, § 3 Rdnr. 65. 146 Siehe auch BGH vom 5.11.1976- V ZR 93173 - ZfW 1977, 163; Sieder/Zeitler/Dahme, Bay. Wassergesetz, 1991, Art. 18 Rdnr. 17; Knopp/Manner, WHG, § 8 Rdnr. 24; zum Schutzgesetzcharakter gelten die gleichen Erwägungen wie bei der Bachwasserabflußhemmung.
147 Salzwedel, RdW Heft 18 (1973), 93 (103); Breuer, Wasserrecht, Rdnr. 453 m.w.N. und Rdnr. 748; BVerwG vom 11 .11.1970 - IV C I 02.67 - E 36, 248 (250 f.). 148
Gursky, in: Staudinger, 12. Aufl., § 1004 Rdnr. 52.
OLG Kiel vom 15.3.1940-2 U 266/39 - SchiHA 1940, 138 (140); zustimmend Gursky, in: Staudinger, 12. Aufl., § 1004 Rdnr. 52. 149
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des Nachbarhauses verursacht worden war. 1' 0 Der sein Haus abreißende Eigentümer hielt sich ausschließlich in den Grenzen seines Grundstücks und eine Verpflichtung zur Rückhaltung der Ratten bestand nicht. 4. Sonderfall: Reflexionen (Rückwurfwirkungen)
Ausgangspunkt der nachbarrechtlichen Einordnung von Rückwurfwirkungen ist, soweit ersichtlich, eine Entscheidung des RG aus dem Jahre 1914 151 , die den Windrückwurf an der Außenwand eines Rathausgebäudes in Richtung des "gestörten" Nachbargrundstücks zum Gegenstand hatte. Die Revision, die eine Subsumtion der Vorgänge unter den Begriff der "unzulässigen Einwirkungen" des § 907 BGB zu erstreiten suchte, berief sich hierbei nachhaltig auf die ihrer Meinung nach entscheidende Verschiedenartigkeit der physikalischen Vorgänge bei einer bloßen Verhinderung der natürlichen Zuführung, und damit der Einordnung als grundsätzlich hinzunehmende negative Immission, und beim Rückwurf als einer Variante der Verhinderung der natürlichen Abführung, die als Reflexion eine tatsächliche Grenzüberschreitung bewirke. Das RG ist den Argumenten der Revision nicht gefolgt. 152 Zum gleichen Problemkreis, nämlich zur Einordnung von Reflexionen in den Rahmen des Nachbarrechts, nimmt auch die schon angesprochene Fernsehempfangs-Entscheidung des BGH aus dem Jahre 1983 153 aus Anlaß ihrer zusammenfassenden Darstellung zu den negativen Immissionen Stellung: 154 Der Senat geht ebenfalls von einer rechtlichen Gleichbehandlung der Abschattungen und Reflexionen aus. 155 Das Gericht meint, bei Fragen der Reflexion handele es sich um Wirkungen, die nicht von einem reflektierenden Ge-
°
15 KG vom 18.10.1929 - 14 U 7803/29 - HRR 1930, 1105; zustimmend Planck/Strecker, 5. Aufl. (1933), § 903 Anm. 2. a) a). 151
RGvom 27.11.1913- VI. 498/13 -.JW 1914, 196.
152
RG vom 27.11.1 9 13- VI. 498/13- JW 1914, 196.
153
BGH vom 21.10.1983- V ZR 166/82- Z 88, 344.
154
Siehe hierzu schon S. 41 ff.
155 BGH vom 21.10.1983- V ZR 166/82- Z 88, 344 (348); zustimmend: Hagen, WM 1984, 677; Beutler, in: Staudinger, 12. Aufl., § 906 Rdnr. 7; JF. Baur, in: Soergel, 12. Aufl., § 907 BGB Rdnr. 8; Erman-Hagen, BGB, 8. Aufl., § 907 BGB Rdnr. 3; Augustin, in: BGB-RGRK, 12. Aufl., § 907 Rdnr. 9; Landmann, BB 1971 , 1081 ; Vieweg, BB 1973, 1050; Kehrbusch, BIGBW 1981 , 228; Spruth, BIGBW 1968, 144; ablehnend: Heubel, Entziehende Einwirkung, 31 f. ; Fessmann, ArchivPF 1976, 50 (59 f.), hält die Reflexion von elektromagnetischen Wellen an den Außenwänden von Gebäuden fllr positive Immissionen.
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bäude ausgehen, sondern um solche, die letztlich auf rein naturgesetzliehen Vorgängen beruhten, 156 wobei der Reflektor nicht anders verstanden werden könne als eine rein zuführungsbehindernde Anlage.157 Im übrigen aber hält das Gericht die Einordnung der Reflexionen für unmittelbar einleuchtend, so daß man annehmen kann, die Rechtsprechung messe dieser Abgrenzungsfrage keine sonderliche Bedeutung mehr bei. Trotz dieser eindeutigen Rechtsprechung muß man sich in diesem Zusammenhang klarmachen, daß die streitgegenständlichen Reflexionen von elektromagnetischen Wellen tatsächlich nicht zu einem gänzlichen Empfangsverlust fü.hren, die Abschattung hingegen schon. 158 Der BGH mag sich insbesondere aus diesem Grunde für eine Gleichsetzung entschieden haben, weil er sonst bei einem Weniger an Beeinträchtigung ein Mehr an Rechtsschutz hätte zugestehen müssen. Nicht so eindeutig wie die der Rechtsprechung sind die Stellungnahmen der Literatur: In den Fällen eines nachbarlichen Gebäudes, das insoweit keine Grenzbebauung darstellt, 159 hält Götz 160, wohl im Anschluß an Säcker, 161 Regenwasserreflexionen für von einer Anlage ausgehende, grenzüberschreitende positive Immissionen i.S.d. § 907 BGB und damit das nachbarliche Gebäude fü.r eine gefahrdrohende Anlage.
156 Zum Problem des Wirkens von Naturkräften zuletzt BGH vom 18.4.1991 - III ZR 1/90MDR 1991,869. 157 M.E. sind die Reflexionsbeeinträchtigungen (Stauwirkungen) eher mit den Mechanismen vergleichbar, die den Abftlhrungsbehinderungen zugrundeliegen; kritisch auch Müht, JZ 1984, 850 f. Im übrigen hält die Argumentation des Wirkens von Naturkräften einer Kausalitätsuntersuchung nicht stand und steht im Widerspruch zur Relevanz der Mitverursachung und Zustandshaftung im Zusammenhang mit§ 1004 BGB: Vgl. RG vom 4.11.1931- V 204/31- Z 134, 231 (234); RG vom 13.10.1935- V 99/35- Z 149,205 (210 f.); OLG Koblenz vom 27.11 .1974- I U 557/73 - MDR 1975, 403; weitere Beispiele bei Palandt/Bassenge, BGB, 52. Aufl., § 1004 Rdnr. 6; Mühl, in: Soergel, 12. Aufl., § 1004 BGB Rdnm. 80 und 105; Baur, AcP 160 (1960), 465; Tiedemann, Rechtsschutz gegen Störungen des Fernsehempfangs durch Hochbauten, 165; siehe auch die Hinweise bei Wol.ff-Raiser, Sachenrecht, 348 und 188, Fn. I. 158 Zu den technischen Vorgängen bei der Reflexion einerseits und der Abschattung andereseits: Tiedemann, Rechtsschutz gegen Störungen des Fernsehempfangs durch Hochbauten, 34 ff.; Fessmann, ArchivPF 1976, 50. 159
(707).
Siehe zu dieser Unterscheidung die Darstellung und Wertung bei Just, BayVBI. 1988, 705
160 Götz, in: MIRIR/G, Nachbarrecht, § 14 Rdnr. 11 ; gegen eine Gleichstellung auch Ostendorf, JuS 1974, 756 (58); Fessmann, ArchivPF 1976, 50 (60); Tiedemann, Rechtsschutz gegen Störungen des Fernsehempfangs durch Hochbauten, 187; Säcker, in: Müko, § 907 BGB Rdnr. 7. 161
Säcker, in: MüKo, 2. Aufl., § 907 BGB Rdnr. 7.
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Aber, auch in bezugauf Regenwasserreflexionen ist die h.M. 162, seit der Entscheidung des RG 163 , diesem im wesentlichen mit gleichgebliebener Argumentation gefolgt: Sie stellt auf den Einwirkungsbegriff ab, wonach § 907 BGB nur solche Grenzüberschreitungen meine, die ursächlich auf dem (störenden) Grundstück entstehen, nicht bloß dort verstärkt (oder umgelenkt) würden.164 Damit bestätigt sich auch im Zusammenhang mit den Rückwurfwirkungen der Befund einer Dominanz des Immissionsbegriffs des § 906 BGB fur die Auslegung des Einwirkungsbegriffs im gesamten zivilrechtliehen Nachbarrecht. Die Reflexion ist demgemäß eine bloße Variante der negativen Immissionen, 165 und zwar ein Unterfall der Verhinderung der natürlichen AbfUhrung. Eine rein auf das "Grenzüberschreiten" abstellende Auslegung wird als begriffsjuristisch abgelehnt. Stelle sich nämlich die gleiche Problematik bei einer Grenzbebauung, könne nicht einmal mehr von einem "Hinüberwirken" gesprochen werden. 166 Eine Abhilfemöglichkeit gewährt, unterhalb der Schikaneschwelle, § 226 BGB, nur die Figur des "nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses". Ebenfalls in die hier problematisierte Gruppe gehören die Funkwellenreflexionen an nachbarlichen, gegebenenfalls metallischen Außenhauswänden.
IV. Zusammenfassung und Ausblick 1. Die Fallgruppen der ZufUhrungs- und Abfiihrungsbehinderungen natürlicher und auch künstlicher (Umwelt)Medien haben die tatsächliche Reichweite negativer Immissionen aufgezeigt. Das Privatrecht geht dabei von einer grundsätzlichen Unabwehrbarkeit dieser realen Nachteile aus, das öffentliche Recht
162 Augustin, in: BGB-RGRK, 12. Auf!., § 907 Rdnr. 7; Beutler, in: Staudinger, 12. Auf!., § 907 Rdnr. 7; Gursky, in: Staudinger, 12.Aufl., § 1004 Rdnr. 51; JF. Baur, in: Soergel, 12. Auf!., § 907 BGB Rdnr. 8; Just, BayVBI. 1988, 705 (707). 163 RG vom 27.11.1913- VI. 498/13- JW 1914, 196. 164 Augustin, in: BGB-RGRK, 12. Auf!., § 907 Rdnr. 9; besonders deutlich Beutler, in: Stau-
dinger, 12. Auf!., § 907 Rdnr. 7; unbeachtet bleibt insoweit aber, daß Regenwasserreflexionen im Ergebnis zu andersartigen Störungen ftlhren als z.B. die Reflexion elektromagnetischer Wellen.
165 Just, BayVBI. 1988, 705 (707); aus der Rechtsprechung: OLG Nümberg vom 14.7.1971 -4 U 58171- RdL 1972, 10 (13). 166 Just, BayVBI. 1988, 705 (707).
64
Teil I: Problemstellung und Fallgruppen
reagiert demgegenüber einzelfallbezogen, jenseits einer vereinheitlichenden, dogmatischen Erfassung der negativen Immissionen. 2. Die zivilrechtliche Rechtsprechung und Literatur rekurrieren im Zusammenhang mit negativen Immissionen auf typische Argumentationsstrukturen und Begrifflichkeiten, die wesentlich der Rechtsprechung des RG entnommen sind: Hiernach bewirken negative Immissionen zwar möglicherweise eine Grundstücksentwertung, und selbst der Begriff der Einwirkung wird teilweise zur Umschreibung des tatsächlichen Kausalgeschehens verwendet. Auf der anderen Seite argumentiert man mit hinzunehmenden mittelbaren Einwirkungen, dem Fehlen einer Beeinträchtigung, dem Fehlen einer unzulässigen Einwirkung, einer geschlossenen nachbarrechtlichen Kodifikation und der mangelnden analogen Anwendbarkeit des positiven Nachbarrechts. 3. Als wichtige Grundlage der Einordnung der negativen Immissionen erweist sich das Grenzüberschreitungsargument: Die negativen Immissionen sind deshalb grundsätzlich nicht verbietbar, weil der "Störer" bei seinen Aktivitäten in den räumlichen Grenzen seines Grundstücks verbleibt, §§ 903, 905 BGB. Aus der Nichterwähnung der negativen Immissionen in § 906 Abs. I BGB folgert die herrschende zivilrechtliche Anschauung, daß ein negatorischer Rechtsschutz nicht besteht, denn der Einwirkungs- und Beeinträchtigungsbegriff in den §§ 903, 1004 Abs. 1, 907 BGB wird einheitlich immissionsgeprägt verstanden, nämlich grenzüberschreitend. Im folgenden soll daher zunächst untersucht werden, ob die herrschende zivilrechtliche Rechtsprechung und die ihr zustimmende Literatur überzeugen oder ob negative Immissionen nicht doch mittels zivilrechtlicher Anspruchsgrundlagen abgewehrt werden können.
Tei/2
Zivilrechtliche Lösungsansätze der Abwehr negativer Immissionen A. Zivilrechtsnormen mit möglicher Relevanz für die Abwehr negativer Immissionen I.§ 903 BGB Grundlage negatorischer und sonstiger nachbarrechtlicher Ansprüche des Zivilrechts sind Inhalt und Umfang des Eigentums i.S.d. § 903 BGB. Es kommt daher zunächst entscheidend darauf an, ob die Nutzung des eigenen Grundstücks, frei von Beeinträchtigungen durch negative Immissionen, Inhalt des zivilrechtliehen Eigentums ist bzw. sein kann.' 1. Allgemeines
Nach § 903 BGB kann der Eigentümer einer Sache, soweit nicht das Gesetz oder Rechte anderer entgegenstehen, mit dieser nach Belieben verfahren und andere von jeder Einwirkung ausschließen. Damit ist das Eigentum schlagwortartig das Vollrecht an einer Sache. 2 Zwei Elemente sind für dieses Vollrecht, das privatrechtliche Eigentum maßgebend: Zum einen die Ausschlußbefugnis (negative Befugnisse, negativer Eigentumskem), samt der daraus resultierenden Zuordnung der Sache/ des Eigentumsobjekts, und zum zweiten die im untechnischen Sinne verstandene Verfü-
1 Zur Bedeutung des § 903 8GB im Zusammenhang mit den problematischen ideellen, ästhetischen und negativen Immissionen: Jauernig, JZ 1986, 605; Baur, JZ 1969, 432; Pleyer, JZ 1959, 305 (306). 2
Seiler, in: Staudinger, 12. Aufl., § 903 Rdnm. 2 und 6.
Siehe zusammenfassend Westermann, Sachenrecht, Bd. I, 179; Säcker, in: Mülco, § 903 BGB Rdnr. 5. 3
5 Reetz
66
Teil 2: Zivilrechtliche Lösungsansätze der Abwehr negativer Immissionen
gungsbefugnis (Einwirkungsbefugnis, positive Befugnis, positiver Eigentumskern) über die Sache durch das Subjekt der Zuordnung. 4
Die Schwierigkeiten der tatsächlichen Handhabung des Eigentumsbegriffs ergeben sich aus der unüberschaubaren Zahl aktueller und potentieller, unmittelbarer und mittelbarer Verfiigungsmöglichkeiten. Der reale Umfang der Verfiigungsfreiheit des Eigentümers, "mit der Sache nach Belieben (zu) verfahren", ergibt sich nicht aus dem Begriff der gesetzlichen Bestimmung selbst, dieser ist lediglich deskriptiv/ sondern aus der Gesamtrechtsordnung6 • Das Hauptgewicht liegt somit notwendig auf dem in § 903 BGB enthaltenen Gesetzesvorbehalt: "soweit nicht das Gesetz entgegen(steht)",7 hieraus ermittelt sich ein System der positivierten Ausübungsschranken. 8 Den Anwendungsbereich dieses überaus wichtigen Gesetzesvorbehalts erschließt Art. 2 EGBGB. 9 Diese offene und zugleich deskriptive Defmition des zivilrechtliehen Eigentums wird durch den historischen Gesetzgeber, auch mit Blick auf die negativen Immissionen bestätigt. 2. Eigentumsbegriff des historischen Gesetzgebers a) Allgemeines Der Eigentumsbegriff des Zivilrechts war und ist seit jeher umstritten. 10 Ausgangspunkt der konzeptionellen Vorstellungen des historischen Gesetzgebers sind die Aussagen der Vorentwürfe; hier fmden sich ausfiihrliche, eigentumsbezogene Stellungnahmen, während die eigentlichen Gesetzesberatungen nur noch wenig anderes ergeben haben.11
4
Eich/er, Institutionen, 14 und 138 f.; Säcker, in: Müko, § 903 BGB Rdnr. 6.
5 Seiler, in: Staudinger, 12. Auf!., § 903 Rdnr. 6; Jakobs!Schubert, Die Beratungen des BGB,
Sachenrecht I§§ 854-1017, 442.
JF. Baur, in: Soergel, 12. Auf!., § 903 BGB Rdnr. 13. Sontis, in: FS Larenz (1973), 981 (981 f.); Wolff-Raiser, Sachenrecht, 174. Sontis, in: FS Larenz (1973), 981 (988). Vgl. zur Reichweite des Gesetzesvorbehalts Merten/Kirchhoff, in: Staudinger, 12. Auf!., Art. 2 EGBGB Rdnr. 4; Seiler, in: Staudinger, 12. Auf!.,§ 903 Rdnr. 14. 10 Zu den politisch-ideologischen Konflikten soll keine Stellung genommen werden. Siehe insgesamt die Überblicke bei Hattenhauer, Grundbegriffe des Bürgerlichen Rechts, 115; 0/zen, JuS 1984,328.
A. Zivilrechtsnormen mit möglicher Abwehrrelevanz
67
Der in § 903 BGB Gesetz gewordene zivilrechtliche Eigentumsbegriff ist nach überwiegender, aber auch mißverständlicher Auffassung 12 der einer absoluten Sachherrschaft. 13 Das ontologische Verständnis der absoluten Sachherrschaft drückte sich in den Worten Plancks aus, einem der Redaktoren: "Ja, ich behaupte, es ist gar kein anderer Begriff des Eigentums möglich."14 Der Wortlaut des ersten Entwurfs Johows 15 bestätigte die Vorstellung eines "an sich" unbegrenzten und schrankenlosen Eigentums. Eine inhaltlich positve Definition legte Johow nicht vor. Schon er griff zur noch heute gültigen Regelungstechnik, die die Konturen des Eigentums im wesentlichen durch einen offenen Katalog von Eigentumsbeschränkungen aufzeigt. 16 Im Zuge dieser Vorgehensweise erwies sich ein Defmitionsversuch letztlich als unmöglich und auch als praktisch bedeutungslos. 17 Folgerichtig widmete sich Johow eingehend den Beschränkungen des Eigentums, vermied es dabei aber bewußt, ein vollständiges Bild der durch Natur, Gesetz oder Willenserklärung sich ergebenden Einschränkungen liefern zu wollen. 18 Der in der Sache ähnliche Entwurf der ersten Kommission 19 wiederholte schließlich weitgehend die Vorentwürfe des Redaktors. Er stellte die akzeptierte Gesetzgebungstechnik noch einmal klar, daß das Gesetz nämlich "weniger eine Defmition gebe, als den wesentlichen Inhalt der dem Eigenthümer zu11 So auch Seiler, in: Staudinger, 12. Aufl., Vorb. zu § 903 Rdnr. 50; zur weiteren dogmengeschichtlichen Problematik Säcker, in: MUko, § 903 BGB Rdnr. 7 ff. m.w.N. 12 Eine schrankenlose Befugnis gibt es selbstverständlich nicht, auch in § 903 BGB wird "der andere" stets mitgedacht Vgl. Jauernig, in: FS Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg (1986), 87 (88); Dehner, in: M.-S.-Hodes-Dehner, Bundesnachbarrecht, A § I, 1.; so wohl auch JF. Baur, in: Soergel, 12. Aufl., § 903 BGB Rdnr. 20. 13
Westermann, Sachenrecht, Bd. I, 165 und 179.
Mugdan, Gesamte Materialien zum BGB I, 886; vgl. auch v. Savigny, System des heutigen römischen Rechts I, 367. 14
15 § 85. Der Eigenthümer hat das Recht, die Sache zu besitzen und über dieselbe mit Ausschließung Anderer zu verfügen, soweit nicht Beschränkungen dieses Rechts durch Gesetz oder Rechte Dritter begründet sind. 16
Vgl. Schubert, Die VorentwUrfe der Redaktoren zum BGB, Sachenrecht I, 490 (495 ff.).
17
Seiler, in: Staudinger, 12. Aufl., Vorb. zu§ 903 Rdnr. 51.
18
Schubert, Die VorentwUrfe der Redaktoren zum BGB, Sachenrecht I, 499 (507).
E I § 848. Der Eigenthümer einer Sache hat das Recht, mit Ausschließung Anderer nach Willkür mit der Sache zu verfahren und über dieselbe zu verfügen, soweit nicht Beschränkungen dieses Rechtes durch Gesetz oder Rechte Dritter begründet sind. Der heutige Wortlaut stammt, nach sprachlicher Intervention, von der 2. Kommission, Mugdan, Gesamte Materialien zum BGB III, 578; siehe auch Dehner, in: M.-S.-Hodes-Dehner, Bundesnachbarrecht, A § I, I Fn. I. Die Fassung E II § 818 entspricht dabei dem ursprUngliehen Wortlaut der Fassung des§ 903 BGB. 19
s•
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Teil 2: Zivilrechtliche Lösungsansätze der Abwehr negativer Immissionen
stehenden Rechte feststellen" 20 wolle und daß "das Gesetz ... mithin den Inhalt des Eigenthums fest(stellt), indem es zunächst voll giebt, sodann aber das gegebene wieder beschränkt." 21 Aus dieser gesetzestechnischen Konzeption folgt im Ergebnis die essentielle Vermutung der Unbeschränktheil des Eigentums/2 wenn eine Beschränkung normativ oder auf sonstige Weise nicht erkennbar ist, aber auch das Prinzip der Konsolidation, 23 wenn eine bestehende Beschränkung später wieder wegflillt. Akzeptiert man diese Prinzipien als den wesentlichen Gehalt des § 903 BGB, ist man auf die Vorstellung eines vorgegebenen, überpositiven Eigentumssbegriffs nicht länger angewiesen. 24 b) Negative Immissionen Im Zusammenhang mit dem weniger defmitorischen als vielmehr beschreibenden Eigentumsbegriff des BGB hat der Gesetzgeber zwar auch zu den negativen Immissionen und ihren Auswirkungen auf das nachbarliche Zusammenleben Stellung genommen. Dabei zeigen die Materialien aber deutlich, daß er den negativen Immissionen wenig Aufmerksamkeit beimaß?5 Welche Bedeutung man dieser Geringschätzung entnehmen will, ist umstritten. Der Gesetzgeber hatte die Problematik wohl nicht in ihrer Tragweite erkannt. Die heutige Dimension des Problems, insbesondere unter dem gewandelten Eigentumsbegriff des Grundgesetzes, wird man nicht einfach ignorieren können. 26 Der BGH, der sich zur Stützung seiner Auffassung von der Unabwehrbarkeit negativer Immissionen gern auf die Materialien zum BGB beruft, scheint frei20 Mugdan, Gesamte Materialien zum BGB 111, 145; siehe auch Seiler, in: Staudinger, 12. Aufl., Vorb. zu § 903 Rdnr. 52.
21
Schubert, Die Vorentwürfe der Redaktoren zum BGB, Sachenrecht I, 490 (503).
22
Planck, BGB, 3. Aufl., § 903 BGB Anm. 3. a); Schmidt, Sachenrecht, 34; Motive III, 259.
23 Vgl. insoweit
Seiler, in: Staudinger, 12. Aufl., Vorb. zu§ 903 Rdnr. 54; von "Elastizität des Eigentums" spricht Schmidt, Sachenrecht, 34. 24 Man nähert sich insoweit auch der eigentumsrechtlichen Kozeption des Bundesverfassungsgerichts: BVerfD vom 15.7.1981 - I BvL 77/78 - E 58, 300 (338 ff.) "Naßauskiesung"; BVerfG vom 12.6.1979- I BvL 19/76- E 52, I (29 ff.) "Kleingarten"; Seiler, in: Staudinger, 12. Aufl., Vorb. zu§ 903 Rdnr. 29 f.; Böhmer, NJW 1988, 2561; Schmidt-Aßmann, DVBI. 1987, 216 (217); das BVerfD scharf ablehnend Baur, Sachenrecht, § 24 I I. a) aa); Baur/Stürner, Sachenrecht, 16. Aufl. 1992, § 24 I I. a) aa).
25 Motive III, 264 f.; Protokolle III, 119, 123, 124; vgl. ferner RG vom 8.4.1911 - V.328/10- Z 76, 130 (132); Hinweise auch bei RG vom 20.9.1933- V 153/33- Z 141 , 406 (409). 26
So auch Tiedemann, MDR 1978,272 (274); Säcker/Paschke, NJW 1981, 1009.
A. Zivilrechtsnormen mit möglicher Abwehrrelevanz
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lieh anzunehmen, aus der von dem Redaktor Johow in Randüberschriften eingeführten Unterscheidung zwischen "positiven" und "negativen" Eigentumsbeschränkungen ergebe sich unzweideutig eine schon vom historischen Gesetzgeber gewollte Unabwehrbarkeit negativer Immissionen.27 Eine solche Bedeutung kann den Randüberschriften Johowi 8 indes nicht beigemessen werden. Die Unterscheidung zwischen "positiven" und "negativen" Eigentumsbeschränkungen zugunsten des Nachbarn bedeutet im Hinblick auf Immissionen, Projektionen und Notwegerecht nichts anderes als eine Erweiterung, bzw. im Hinblick auf das Graben in die Tiefe und das Errichten gefährdender Anlagen eine Verengung des konkreten Eigentumsrechts.Z9 Tatsächlich ist den Randüberschriften nicht mehr zu entnehmen, als eine Bestätigung der herrschenden Nachharrechtstheorie, die konstruktiv davon ausgeht, daß Normen der Art der §§ 907, 908, 909, 912, 917 BGB, Art. 47 ff. BayAGBGB u.a. nicht als gesetzliche Grunddienstbarkeiten30 oder grunddienstbarkeitsähnliche Rechte31 einzustufen sind, sondern daß sie eine Erweiterung und kongruent eine Verengung des Inhalts des Eigentums an benachbarten Grundstücken darstellen. 32 Vom praktischen Ergebnis her betrachtet, ist es nicht einmal mehr von Belang, ob diese Nachbarrechtsnormen "negativ" als Verbotstatbestand oder "positiv" als Unterlassungstatbestand ausgestaltet sind; das Gesetz benutzt beide Möglichkeiten gleichwertig. 33
27 Vgl. BOH vom 21.10.1983 ·V ZR 166/82 • Z 88,344 (347); hierzu auch Müht, JZ 1984, 848 (851); Jauernig, JZ 1986, 605 (609); zur limitierten Bedeutung der historischen Auslegung: BVerfD vom 21.5.1952 - 2 BvH 2/52 - E I, 299 (312); BVerfD vom 14.2.1973 - I BvR II2/65 NJW 1973, 122I (1225 m.w.N.); RO vom 30.10.1902- VI.208/02- Z 52, 373 (378) spricht gar von einer "allgemeinen Unmaßgeblichkeil der Motive"; Bender, MDR 1959, 442. 28
Vgl. Schubert, Die Vorentwürfe der Redaktoren zum BGB, Sachenrecht I, 17 und I8.
29
Siehe Motive 111, 258 f. und 572 f.; Jauernig, JZ 1986, 605 (609 f.).
30 Vgl. Baur, Sachenrecht,§ 25 1112. c) aa); Baur/Stürner, Sachenrecht, I6. Aufl. 1992, § 25 111 2. c) aa). 31 Vgl. RO vom 20.3.1907- V.634/06- Z 65,361 (362 f.); RG vom 30.3.1939- V I21138- Z I60, I66 (I79 m.w.N.). 32 Vgl. zur Nachbarrechtstheorie: Mosich, Jhering's Jb. LXXX (I930), 255 (269 f.); von Gierke, Sachenrecht, 7I f.; Wolff-Raiser, Sachenrecht, I98 f. m.w.N.; Säcker/Paschke, NJW 1981, I009 (1010); Paschke, AcP 187 (1987), 70 (79 f.); Säcker, in: Müko, § 912 BOB Rdnr. 2; ders , in: Müko, § 917 BOB Rdnr. I ff. ; Beutler, in: Staudinger, 12. Aufl., § 912 Rdnr. I , § 914 Rdnr. I und § 917 Rdnr. I; Westermann, Sachenrecht, Bd. II, 6. Auf!., § 80 III 1.; Just, BayVBI. 1985, 289 (294); Sprau, Justizgesetze in Bayern, Art. 47 BayAOBOB Rdnr. 2. Die Nachbarrechtstheorie wird auch durch den Wortlaut des Art. 124 EOBOB gestützt.
70
Teil 2: Zivilrechtliche Lösungsansätze der Abwehr negativer Immissionen
Eine Aussage zu negativen Immissionen ist diesen Randüberschriften jedenfalls nicht zu entnehmen. Zur Bewertung der negativen Immissionen hat sich der historische Gesetzgeber aber beispielsweise im Zusammenhang mit dem Lichtschutzrecht geäußert.34 Aus diesen Fundstellen (Schutz vor Lichtentzug: "Nichtbeschattung von Feldfrlichten") ergibt sich eine Kapitulation vor diesen Nutzungskontlikten. Wegen der außerordentlich großen lokalen Unterschiedlichkeit der ehedem bestehenden Schutzvorschriften überließ Johow diese Frage dem Landesrecht. Die Kommission verfuhr aus den gleichen Gründen und in gleicher Weise mit den Vorschlägen zum Schutz vor Wasserentzug durch das Ausbringen von Brunnen in Anlehnung an das sächs. B.G.B. § 353, mit den Regelungen zum wild abfließenden Oberflächenwasser und mit dem Fenster- und Lichtrecht, die Johow noch in § 106 und §§ 112, 113 des Vorentwurfs aufgenommen hatte.35 Der historische Gesetzgeber rechtfertigte seine Zurückhaltung insgesamt damit, "daß der Entwurf in Folge der Streichung auch dann, wenn die Landesgesetze schweigen, keine Lücke enthalten werde, da die Freiheit der Anlegung aller innerhalb der eigenen Grenzen sich haltenden baulichen Anlagen ... aus dem gesetzlichen Inhalte des Eigenthums sich ergebe" 36. Im Ergebnis tragen diese Erwägungen zur Handhabung des Problems der negativen Immissionen jedoch wenig bei. Der Sache nach hat es der Gesetzgeber des 8GB schlicht bei der Vermutung der Unbeschränktheil unter dem Regelungsvorbehalt des § 903 Hs. 2 8GB bewenden lassen, und nur diese Vermutung der Unbeschränktheil bewirkt, daß eine normative Lücke nicht entsteht. Es kann daraus aber nicht im Umkehrschluß gefolgert werden, die nicht ausdrückliche Regelung der negativen Immissionen sei eine planmäßige, abschließende Kodifikation dieses nachbarlichen Konflikts, 37 ein "beredtes" oder "qualifiziertes Schweigen"38 . Würde man dies annehmen, wäre aufgrundder Regelungs-
33
So auch Seiler, in: Staudinger, 12. Autl., Vorb. zu§ 903 Rdnr. 9.
34 Schubert, Die Vorentwürfe der Redaktoren zum BGB, Sachenrecht I, 490 (579, 611). 35 Vgl. zum Schicksal dieser Regelungsvorschläge: Jakobs/Schubert, Die Beratungen des BGB,
Sachenrecht I§§ 854-1017,465,454 ff.
36 Jakobs/Schubert, Die Beratungen des BGB, Sachenrecht I§§ 854-1017, 466; ähnlich Motive III, 259; siehe auch Jauernig, JZ 1986, 605 (6 I 0).
37 So aber offenbar BGH vom 21.10.1983- V ZR 166/82- Z 88, 344 (347); RG vom 8.4.1911 V.328110- Z 76, 130, (132); undeutlich Jauernig, JZ 1986, 605 (609 f.).
A. Zivilrechtsnormen mit möglicher Abwehrrelevanz
71
technik des § 903 BGB insbesondere eine richterrechtliche Rechtsfortbildung des zivilrechtliehen Eigentumsbegriffs nur noch schwer vorstellbar. Das insoweit feststellbare Mißverständnis der Rechtsprechung beruht darauf, daß § 903 BGB als deskriptive Norm das tatsächliche Verhältnis des Eigentums und seiner Beschränkungen gesetzestechnisch nur unzulänglich wiedergeben kann. 39 Zusammenfassend und ganz unspektakulär bedeutet die verlegenheitsartige Zurückhaltung des Gesetzgebers nur, daß sich eine abweichende Lösung aus der heute gültigen, eigentumsrelevanten Gesamtrechtsordnung ergeben kann, und auf dieser Basis auch eine Ausfilllung von Wertungslücken nicht ausgeschlossen ist. 40 Die freie Verfilgungsbefugnis des "störenden" Eigentümers, die rechtstechnisch wie ein Auffangtatbestand wirkt, schließt lediglich eine Formulierungslücke41, nicht ausgeschlossen ist damit die Ausfüllung andersartiger Gesetzeslücken. 3. Konturen des zivilrechtliehen Eigentumsbegriffs
Auf der Basis der aufgezeigten Unschärfe des zivilrechtliehen Eigentumsbegriffs lassen sich dennoch allgemeine desselben Konturen feststellen, die auch eine Einordnung negativer Immissionen erleichtern. Wesentliche Eckpfeiler zum Verständnis des § 903 BGB sind, wie schon angedeutet, neben der Vermutungswirkung und den Eigentumsbeschränkungen, die Verfügungsbefugnis sowie die Ausschlußfunktion des Eigentums. a) Verfilgungsbefugnis des Eigentümers Die Verfügungsbefugnis beschreibt den positiven Inhalt der Berechtigung an dem Objekt der Zuordnung, einer Sache i.S.d. § 90 BGB. Sie deckt Handlungen rechtlicher und tatsächlicher Natur. Verfügungen im technischen Sinne, die
38 Vgl. hierzu Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, 40 ff. und 50 f.; Pawlowski, Methodenlehre fllr Juristen, Rdnr. 4 72 ff.
39
Siehe hierzu Jauernig, in: FS Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg (1986), 87 (88).
40
Bei einer sog. Wertungslücke wäre das positive Recht seinem Wortlaut nach zwar logisch widerspruchsfrei, das Ergebnis aber ein Wertungswiderspruch. Vgl. Zippelius, Einftlhrung in die Juristische Methodenlehre, 68; siehe auch Obermayer, NJW 1966, 1889.
41 Vgl. zur Bedeutung einer Formulierungslücke: BGH vom 12.5.1976- 3 StR 100/76- St 26, 335 (338).
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Teil 2: Zivilrechtliche Lösungsansätze der Abwehr negativer Immissionen
das Recht unmittelbar übertragen, belasten, ändern oder aufheben, 42 stellen hierbei lediglich einen Teilaspekt dar. Ein anderer Teilaspekt ist die schuldrechtliche Disposition über die Sache, einschließlich der auf Kausalgeschäften beruhenden derivativen Besitzverschaffung an Dritte. Eigentümerverfügungen tatsächlicher Art sind die Inbesitznahme, der tatsächliche Gebrauch, der Verbrauch, aber auch nutzlose Handlungen, wie die gänzliche Sachzerstörung.43 Im Rahmen des Grundstückseigentums läßt sich die Verfügungsbefugnis zumindest räumlich abgrenzen: sie endet an der Grundstücksgrenze,44 umfaßt aber auch den Erdkörper unter der Erdoberfläche und den Luftraum, § 905 S. I BGB (sog. Säuleneigentum). Der Gesichtspunkt der Verfügungsbefugnis des Eigentümers spielt, wie schon aufgezeigt, bei der Beurteilung der negativen Immissionen eine erhebliche Rolle: Die herrschende zivilrechtliche Ansicht geht davon aus, daß der Eigentümer in den räumlichen Grenzen seines Grundstücks mit diesem beliebig verfahren darf, also etwa die Baufreiheit grundsätzlichen Vorrang genießt, auch wenn sich die Bebauung beschattend oder grundwasserentziehend auswirken mag. 45 Diese Handhabung entspricht der Vermutung der Unbeschränktheil des Eigentums. Sind demzufolge Substanzschäden am fremden Eigentum auf die Wirkung negativer Immissionen zurückzuführen, etwa das Erfrieren der Weinstöcke im Kaltluftsee-Falt6 , wirkt sich die vermutet unbeschränkte Verfügungsbefugnis des "störenden" Eigentümers auf der Ebene der Rechtswidrigkeit des Handeins entscheidend aus. Da die der negativen Immission zugrunde liegende Handlung rechtmäßig ist, entfallt jenseits möglicher Billigkeitslösungen zumindest jede Schadensersatzpflicht47
42
Siehe hierzu etwa Medicus, Bürgerliches Recht, Rdnr. 24 ff.
Seiler, in: Staudinger, 12. Autl., § 903 Rdnr. II; Gursky, in: Staudinger, 12. Autl., § 1004 Rdnr. 8 ff.; J.F Baur, in: Soergel, 12. Autl., § 903 BGB Rdnr. 35 benutzt fllr die Umschreibung des positiven Eigentumsinhalts die Begriffe "Verfllgungsbefugnis" (im technischen Sinne) und "sonstige Nutzungen". 43
44
BVerfG vom 15.7.1981 - I BvL 77178- E 58, 300 (329).
Siehe statt aller Medicus, in: MOKo, 2. Autl., § 1004 BGB Rdnr. 29; Jauernig, JZ 1986, 605 (610). 45
46
Vgl. BGH vom 22.2.1991 -V ZR 308/89- Z 113, 384 = NJW 1991, 1671.
A. Zivilrechtsnormen mit möglicher Abwehrrelevanz
73
b) Ausschlußfunktion des Eigentums Die Ausschlußfunktion des Eigentums bedeutet, daß ein Eigentümer Dritte von jeder Einwirkung auf die Sache ausschließen kann. Die Ausschlußfunktion ist jedoch keine eigenständige, in § 903 BGB enthaltene Anspruchsgrundlage dergestalt, daß der Eigentümer sich auf den Hs. 2 berufen könnte. 48 § 903 BGB sagt nicht, "was als Einwirkung verboten werden kann und was nicht";49 § 903 BGB sagt auch nicht, wie die Einwirkung verboten werden kann. Die wichtigsten Anspruchsgrundlagen zur Herstellung der Integrität des Eigentums sind vielmehr die§§ 1004,50 985, 823 BGB u.a. 51 Die tatsächliche Bedeutung der Ausschlußfunktion ist konstruktiver Art. Die nicht ausdrilcklich benannte Kategorie der Zuordnunl 2 ergibt sich notwendig aus der Ausschlußfunktion des Eigentums, sie ist die Kehrseite der negativen Befugnis. Ist es dem Eigentümer erlaubt, jeden von der Sache auszuschließen, bleibt nur die eine Verbindung der Sache, nämlich zu ihm selbst, dies ist die Zuordnung. Die absolute Ausschlußbefugnis setzt die Exklusivität des Berechtigten geradezu voraus. Diese Zuordnung ist rechtlicher Natur, ein Rechtsverhältnis zum Objekt des Eigentums/ 3 kein tatsächliches Verhältnis wie der Besitz. 54 Dieses einheitliche Rechtsverhältnis erzeugt jedoch nicht nur subjektive Herrschaftsrechte, sondern auch "Rechtspflichten", "Obliegenheiten" und "sonstige Gebundenheiten". 55
47 Vgl. BGH vom 22.2.1991- V ZR 308/89- Z 113, 384 = NJW 1991, 1671 (1672); BGH vom 18.9.1984 _ VI ZR 223/82 - Z 92, 143; BGH vom 21.10.1983 - V ZR 166/82 - Z 88, 344 (346 f.); Medicus, in: MUKo, 2. Aufl., § 1004 8GB Rdnr. 29. 48 So auch JF. Baur, in: Soergel, 12. Aufl., § 903 8GB Rdnr. 40; Seiler, in: Staudinger, 12. Aufl., § 903 Rdnr. 6. 49
BGH vom 21.10.1983 - V ZR 166/82 - Z 88, 344 (346).
Zum Zusammenspiel der§§ 903 und 1004 8GB Grunsky, JurA 1970, 407 (408); siehe auch Müller, Sachenrecht, Rdnr. 710 ff; zu den Problemen der Abgrenzung der Fallgruppen Zeuner, in: Soergel, II. Aufl., § 823 BGB Rdnr. 29 ff. 50
51 Vgl. JF. Baur, in: Soergel, 12. Aufl., §9038GB Rdnr. 41 ; Seiler, in: Staudinger, 12. Aufl., § 903 Rdnr. 12 und den weiteren Gang der Untersuchung. 52 Siehe zu diesem Begriff: Zeuner, in: FS Flume I, 775 (784); Westermann; 8GB-Sachenrecht, § 5, I.
53 Streitig, siehe E. Wolf, Sachenrecht, 2. Aufl., I und 4; wie hier: Baur, Sachenrecht, § 2 I I a); Lent-Schwab, Sachenrecht, I ; Sontis, in: FS Larenz (1973), 981 m.w.N. in Fn. 58. 54 Die Trennung zwischen Zuordnung auf der einen Seite und Sachherrschaft im Tatsächlichen ist die Grundlage des Auseinanderfallens von Eigentum und Besitz. 55
Sontis, in: FS Larenz (1973), 981 (996 f.).
74
Tei12: Zivilrechtliche Lösungsansätze der Abwehr negativer Immissionen
Die so verstandene Ausschlußfunktion des Eigentums läßt sich inhaltlich anband von Fallgruppen zum Einwirkungsbegriff näher beschreiben; wobei auch das Problem der Einwirkung durch negative Immissionen berücksichtigt wird. aa) Einwirkung auf die Sachsubstanz
Paradefall einer ausschließbaren Einwirkung, weil augenfällig und der naturalistischen Betrachtungsweise des Eigentums entsprechend, 56 ist die Zerstörung oder Beschädigung der Sachsubstanz;57 wobei die gänzliche Zerstörung zum Wegfall des Eigentumsobjekts und damit auch zum Zusammenbruch des Zuordnungsverhältnisses fuhrt. Die Kompensation wird vorwiegend durch das Deliktsrecht geleistet, daneben können aber auch eine Reihe nichtdeliktischer Ansprüche, z.B. die EiDgriffskondiktion bestehen. Im übrigen aber ist ein abwehrbarer Eingriff in die Sachsubstanz auch dann gegeben, wenn dieser zu einer Werterhöhung geführt hat. 58 Substanzeinwirkungen infolge negativer Immissionen liegen beispielsweise den mit Stützverlusten einhergehenden Fallgruppen des Entzugs von Grundwasser und der Abfilhrungsbehinderung von Wasser zugrunde. 59 Ähnlich gelagert sind die Kaltluftsee-Fälle im Rahmen des Luftstaus.60 Nach der anfechtbaren Auffassung der h.M. fehlt es aber an der Rechtswidrigkeit dieser Sub-
56
Ott, in: AK-BOB, § 903 Rdnr. 23; Gursky, in: Staudinger, 12. Auf!., § 1004 Rdnr. 8 ff.
57
Insoweit ist auch die tatsächliche Herrschaft betroffen: Planck, BGB, 3. Auf!., § 903 BGB Anm. 2. a); zu dieser Fallgruppe auch Medicus, Schuldrecht 11, § 138 11 2; Ste.ffen, in: BOBRORK, 12. Auf!., § 823 Rdnr. 20; Zeuner, in: Soergel, II . Auf!., § 823 BOB Rdnr. 29 ff.; Schäfer, in: Staudinger, 12. Aufl., § 823 Rdnr. 50. 58 Vgl. Müller, Sachenrecht, Rdnr. 711, der im übrigen nur nachbarrechtliche Konflikte benennt; Kohl, in: AK-BOB, § 1004 Rdnr. 38; Gursky, in: Staudinger, 12. Aufl., § 1004 Rdnr. 9 m.w.N. 59 Den Fall der Gebäudeschädigung infolge Grundwasserabsenkung behandelt BGH vom 5.11.1976- V ZR 93/73 - ZfW 1977, 163; BGH vom 20.12.1971 - III ZR 110/69- Z 57, 370; RG vom 19.2.1931- VI 386/30- Z 132, SI (53); Weber, Das Problem der Entschädigung bei Grundwassersenkungsschäden, GrundE 1942, 21; Beutler, in: Staudinger, 12. Auf!., § 909 Rdnr. 6 m.w.N.; Säcker, in: Müko, § 909 BOB Rdnr. II; Baur/Stürner, Sachenrecht, 16. Auf!. 1992, § 25 IV 3 c) m.w.N.; zu Schäden infolge Orundwasserstaus: RO vom 16.6.1937- V 241 /36- Z ISS, 154; zu diesem Fall auch Augustin, in: BGB-RGRK, 12. Aufl., § 907 Rdnr. 9; Picker, Beseitigungsanspruch, I 09 f. 60 BGH vom 22.2.1991 -V ZR 308/89- Z 113, 384 23.11.1983- I U 666/83- UPR 1984, 204.
=
NJW 1991, 1671 ; OLG Koblenz vom
A. Zivilrechtsnonnen mit möglicher Abwehrrelevanz
75
stanzeinwirkungen,61 so daß diese Fälle im Ergebnis von der Ausschlußfunktion des Eigentums nicht umfaßt werden. Die Einwirkungen auf die Sachsubstanz und damit auf das Eigentumsobjekt selbst sind zwar augenilillige, keineswegs aber die einzigen oder gar wichtigsten Fälle von Einwirkungen auf das Eigentum.62 Erheblich sind ebenso Eingriffe in die durch den Eigentümer bestimmte soziale und ökonomische Funktion sowie in die Umweltbeziehung des Eigentumsobjekts: 63 bb) Einwirkung auf die Sachzuordnung
Die eigentumsartige Zuordnung der Sache zu einer Person ist ein Rechtsverhältnis.64 Sache und Eigentum sind nicht identisch. Eine Einwirkung auf die Zuordnung liegt demnach dann vor, wenn der Störer das eigentumserzeugende Rechtsverhältnis der Sache zu dem Eigentümer verändert; er greift damit in den Bestand des Eigentums ein. Dies war lange streitig. Noch das RG 65 ist davon ausgegangen, eine Einwirkung setze zumindest auch Substanzeingriffe voraus, "welche die im Eigentum stehende Sache selbst antasten und in Handlungen oder Vorkehrungen bestehen, die nicht bloß gegen das Eigentumsrecht an der Sache, sondern unmittelbar gegen die Sache selbst gerichtet sind." Diese Beschränkung ist überwunden. 66 Da sich jedoch die in Frage stehende Zuordnungsbeziehung in einem rein rechtlichen Raum bewegt, also zur Disposition des Gesetzgebers steht, ist insoweit eine Störung nur dann denkbar, wenn die Rechtsordnung diese Veränderung der Zuordnung auch duldet. Mit anderen Worten: Eine Störung im Zuordnungsverhältnis ist nur deshalb möglich, weil die Rechtsordnung sie im Interesse des Verkehrs sanktioniert. 67
61
Vgl. statt aller: BGH vom22.2.1991- V ZR308/89-Z 113, 384=NJW 1991,1671.
62
So auch Müht, in: Soergel, 12. Aufl., § 1004 BGB Rdnr. 70 und 71.
63
Vgl. Ott, in: AK-BGB, § 903 Rdnr. 23; Zeuner, in: FS Flume I, 775.
64
Siehe aber Pawlowski, AcP 165 (1965), 395 (402 m.w.N.).
65
RG vom 27.6.1928- V 543/27- Z 121,335 (336); hierzu auch Picker, Beseitigungsanspruch, 83 f. m.w.N. 66 Müht, in: Soergel, 12. Aufl., § 1004 BGB Rdnr. 31; Kohl, in: AK-BGB, § 1004 Rdnr. 46; Picker, Beseitigungsanspruch, 83; wie ehemals nun wieder Ruhwedel, JuS 1975, 242 und Schmid, NJW 1975, 2056; Palandt/Bassenge, 8GB, 52. Aufl., § 858 Rdnr. 6. 67 Siehe hierzu Mühl, in: Soergel, 12. Aufl., § 1004 BGB Rdnr. 31; Planck, BGB, 3. Aufl., § 903 8GB Anm. 2. a) ß).
76
Teil 2: Zivilrechtliche Lösungsansätze der Abwehr negativer Immissionen
Schulfalle dieser Art sind die dinglich wirksamen Verfiigungen des Nichtberechtigten,68 also die Regelungen über den gutgläubigen Erwerb an beweglichen und unbeweglichen Sachen, gern. §§ 932-934, 892 BGB.69 VerfUgt der Nichtberechtigte lediglich in der Weise, daß er dingliche Rechte an dem Gegenstand wirksam begründet (z.B.: Verpfandung gern.§ 1207 BGB), bedeutet dies eine teilweise Einwirkung auf die Zuordnung. Dieser massive Eingriff, der letztlich enteignend wirkt, wird in der Regel gegenüber dem Verfugenden durch verschiedenste sekundäre Ersatzansprüche ausgeglichen.70 Ausnahmsweise, nämlich unter den Voraussetzungen des§ 816 Abs. 1 S. I BGB ist auch der Erweber, der ja ebenfalls Störer ist, ausgleichspflichtig. Bei lediglich teilweiser Einwirkung auf die Zuordnung (dingliche Belastung) besteht noch die Möglichkeit einer Ablösung gern. §§ 1142, 1249 BGB und des zusätzlichen derivativen Erwerbs schuldrechtlicher Ansprüche im Wege einer Legalzession. 71 Ist die Einwirkung dinglich noch nicht vollzogen, bahnt sie sich jedoch an, eröffnet sich der Raum ftlr die Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche. Besteht im Mobiliarsachenrecht eine Vindikationslage, ist§ 985 BGB einschlägig. Sind die Anspruchsvoraussetzungen nicht gegeben, liegt wohl ein Fall des § 1004 Abs. I BGB vor, 72 was anzunehmen ist, wenn ein berechtigter Besitzer sein Nutzungsrecht überschreitet. 73 Auf der Ebene des lmmobiliarsachenrechts, besonders der Einwirkung auf die Grundbuchposition, ist § 894 BGB der speziellere Störungsfreiheitsanspruch.74 Ähnliches gilt fiir die §§ 767, 771 ZPO im Zwangsvollstreckungsrecht.75
68 Gursky, in: Staudinger, 12. Aufl., § 1004 Rdnr. 17 m.w.N.; Mühl, in: Soergel, 12. Aufl., § 1004 BGB Rdnr. 6; Picker, Beseitigungsanspruch, 83 f.; Plum, AcP 181 (1981), 68 (94 f.); Steffen, in: BGB-RGRK, 12. Aufl., § 823 Rdnr. 25 ; Palandt/Bassenge, BGB, 52. Aufl., § 1004 Rdnr. 5. 69 Siehe zu den Einzelheiten Tiedtke , Gutgläubiger Erwerb, I ff. und 89 ff. 70 Westermann, Sachenrecht, Bd. I, 146; vgl. zu Einzelheiten Tiedtke, Gutgläubiger Erwerb,
48 f.
71 Vgl. Palandt/Bassenge, BGB, 52. Aufl., § 1142 Rdnr. I f. und§ 1249 Rdnr. I f.
72
83f.
So auch Mühl, in: Soergel, 12. Aufl., § 1004 BGB Rdnr. 31; Picker, Beseitigungsanspruch,
73 Sehr streitig, vgl. Gursky, in: Staudinger, 12. Aufl., § I 004 Rdnr. II .
A. Zivilrechtsnormen mit möglicher Abwehrrelevanz
77
Negative Immissionen spielen innerhalb der Fallgruppe der Einwirkung auf das Zuordnungsverhältnis keine Rolle. cc) Einwirkung auf den Sachbesitz
Die Besitzeinwirkung76 ist der wichtigste Fall einer Gruppe von Störungen, die gemeinsam hat, daß sich der Störer wie der Eigentümer geriert, ohne daß das Zuordnungsverhältnis oder die Sachsubstanz notwendig verändert werden. Das Eigentum ist insoweit betroffen, als die Zuweisung einer Sache zu Haben und zu Nutzen Bestandteil des Eigentums ist. 77 Die Besitzeinwirkung spielt sich auf der Ebene des Tatsächlichen78, der Sachherrschaft ab. Sie manifestiert sich in der Erscheinungsform Besitzentziehung oder Besitzstörung, § 858 BGB. Hierher gehören nach Ansicht der Rechtsprechung auch Fälle der schuldrechtlichen Verpflichtung über einen Gegenstand und sogar das lediglich verbale Bestreiten des Eigentums. 79 Der Schutz vor der Besitzeinwirkung wird primär durch das Besitzschutzrecht der§§ 858 ff., 1007 BGB gewährleistet, aber auch durch Schadensersatzansprüche80 und durch das Bereicherungsrecht. 81 Wird der Eigentümer eines Grundstücks durch negative Immissionen in seiner tatsächlichen Sachherrschaft beeinträchtigt, stellen sich auf der Ebene der §§ 858, 862 BGB die gleichen dogmatischen Probleme der Erfassung solcher Störungen wie im Rahmen der §§ 903, 1004 Abs. I BGB. Auch die besitzrechtliche Betrachtung der negativen Immissionen ergibt nämlich, daß der Be74 BGH vom 8.2.2952 -V ZR 6/50- Z 5, 76 (82); Palandt/Bassenge, BGB, 52. Aufl., § 1004 Rdnr. 3; Medicus, in: MüKo, 2. Aufl., § 1004 BGB Rdnr. 7; Westermann, Sachenrecht, Bd. I, 246. 75
Medicus, in: MüKo, 2. Aufl., § 1004 BGB Rdnr. 9.
76 Siehe zu dieser Fallgruppe auch Medicus, Schuldrecht II, § 138 II 3; Gursky, in: Staudinger,
12. Aufl., § 1004 Rdnr. 18 f.
77 Raiser, JZ 1961, 467; Fabricius, AcP 160 (1960), 273 (298): "Es gehört auch der Besitz, die tatsächliche Sachherrschaft, zum Inhalt des Eigentums."
78 Zum Besitz als tatsächlicher Sachherrschaft statt aller: Palandt/Bassenge, BGB, 52. Aufl., Überbl. vor§ 854 Rdnr. I; zum Sonderfall des Rechtsbesitzes: Pa/andt/Bassenge, BGB, 52. Aufl., Überbl. vor§ 854 Rdnr. 4 m.w.N.
79 RG vom 25.2.1908-323/07 III.- JW 1908,274 Nr. 9; RG vom 16.5.1931-507/30 IX.- JW 1931,2904 m. Anm. Matthiessen; zustimmend Mühl, in: Soergel, 12. Aufl., § 858 BGB Rdnr. 13; von Gierke, Sachenrecht, 23; einschränkend Palandt/Bassenge, BGB, 52. Aufl., § 858 Rdnr. 6; Gursky, in: Staudinger, 12. Aufl., § IOÖ4 Rdnr. 19 m.w.N. 80 Siehe hierzu etwa: Palandt/Thomas, BGB, 52. Aufl., § 823 Rdnr. 3 m.w.N.
81
Siehe hierzu einschränkend: Palandt/Thomas, BGB, 52. Aufl., § 861 Rdnr. 12.
78
Teil 2: Zivilrechtliche Lösungsansätze der Abwehr negativer Immissionen
troffene (dies kann auch ein lediglich schuldrechtlich Berechtigter sein) in einem Ausschnitt aus den Gebrauchs- und Nutzungsmöglichkeiten, die die Sache gewährt, gestört wird. Der Störungsbegriff des Besitzschutzrechts ist dabei weitgehend mit dem des § 1004 Abs. 1 BGB identisch. 82 Die Rechtsprechung nimmt folglich eine Besitzstörung nur dann an, wenn sie bei der negatorischen Klage des Eigentümers eine abwehrbare Beeinträchtigung bejahen würde. 83 Nachbarliche Immissionen werden dementsprechend im Besitzschutzrecht nicht anders behandelt als im weitergehenden Recht des Eigentumsschutzes, denn die Rechte des Besitzers, gleichgültig ob dieser mit dem Eigentümer identisch ist oder nicht, können nicht weiter reichen als die des Eigentümers. 84 Bei Beachtung dieser Rechtsanwendung wäre die Ausschlußfunktion des Eigentums i.d.R. nicht berührt. Erstaunlicherweise gestaltet sich der besitzschutzrechtliche Aspekt der negativen Immissionen bei der Fallgruppe der Abschattung oder Reflexion elektromagnetischer Radio- und Fernsehwellen differenzierter. Ein erheblicher Teil der Kommentarliteratur bejaht nämlich eine abwehrfähige Besitzstörung ohne weitergehende Begründung,85 obwohl ein negatorischer Beseitigungsanspruch auf der Grundlage der §§ 903, 1004 Abs. 1 BGB von der Rechtsprechung weitgehend abgelehnt wird. 86
82 Vgl. Westermann, Sachenrecht, Bd. I, 6. Aufl., § 22 I 2; Bund, in: Staudinger, 12. Aufl., § 858 Rdnr. 13; Kregel, in: BGB-RGRK, 12. Aufl., § 862 Rdnr. I ; Pikart, Rechtsgutachten, 3 (36 f.);Erman-Werner, BGB, 8. Aufl., § 862 BGB Rdnr. 2; Müller-Michels, Negative Einwirkungen, 30f. m.w.N. 83 Vgl. fllr den Fall ideeller Immissionen BGH vom 15.5.1970- V ZR 20/68- Z 54, 56 (60); Baur/Stürner, Sachenrecht, 16. Aufl. 1992, § 9 III I b); Palandt/Bassenge, BGB, 52. Aufl., § 858 Rdnr. 6; Bund, in: Staudinger, 12. Aufl., § 858 Rdnr. 13; Joost, in: MUKo, 2. Aufl., § 858 BGB Rdnr. 5. 84
Besonders deutlich: Bund, in: Staudinger, 12. Aufl., § 858 Rdnr. 13 m.w.N.
85
Erman-Werner, BGB, 8. Aufl., § 858 BGB Rdnr. 3; Bund, in: Staudinger, 12. Aufl., § 858 Rdnr. 44; Mühl, in: Soergel, 12. Aufl., § 858 BGB Rdnr. 13; aus der älteren Rechtsprechung: LG Berlin vom 25.9.1931-82 S 231130- JW 1932, 897 Nr. 2; dagegen Kregel, in: BGB-RGRK, 12. Auf!., § 858 Rdnr. 6; Schack, JW 1932, 849; siehe außerdem Bund, in: Staudinger, 12. Auf!., § 858 Rdnr. 37 zum Schutz gegen Geschäftsschilder, die den Blick in ein Schaufenster behindern. 86 AG Frankfurt vom 2.11 .1976 - 30 C 12330/76 - NJW 1977, 1782 m. Anm. Tiedemann; LG Köln vom 25.6.1970-2 0 146/70- BB 1971, 1080 m. Anm. Landmann; BGH vom 21.10.1983V ZR 166/82 - Z 88, 344 mit umfangreichen Nachweisen.
A. Zivilrechtsnormen mit möglicher Abwehrrelevanz
79
dd) Einwirkung auf den Sachgebrauch
(I) Allgemeines
Dieser Fall der Einwirkung ist, wenn er nicht mit anderen Fällen zusammentrifft, dadurch unterscheidbar, daß in seinem Zusammenhang weder die Sachsubstanz als solche, noch die Zuordnung, also der Bestand des Eigentums angegriffen wird.87 DerStörerzieht vielmehr den Sachgenuß, die Nutzungen, 88 oder er behindert den Eigentiimer, den Sachgenuß zu ziehen bzw. die widmungsgemäße Benutzung der Sache (des Grundstücks) herzustellen oder aufrechtzuerhalten. 89 Von Bedeutung ist abermals die Unterscheidung des Grundstücks selbst (Eigentumsobjekt), also des physischen Teilausschnittes der Erdoberfläche, von dem Grundstückseigentum, dem absoluten, sachenrechtliehen Herrschaftsverhältnis; beides ist nicht identisch.90 Die Einwirkung auf das Herrschaftsverhältnis ist eine ebensogute Einwirkung wie die auf das Eigentumsobjekt selbst,9 1 und ein Teilausschnitt des sachenrechtliehen Herrschaftsverhältnisses ist der widmungsgemäße Gebrauch. Der Sache nach handelt es sich damit auch um eine Frage des Schutzes der Kompetenz des Eigentiimers, die seinem Ermessen entsprechende Umweltgestaltung des Grundstacks durchzusetzen, 92 und dieser Fall läßt sich insoweit zu 87
Ähnlich Medicus, in: MüKo, 2. Aufl., § 1004 BGB Rdnr. 27; Zeuner, in: FS Flume I, 775 ff.
88
Siehe etwa die Fälle: OLG DUsseldorfvom 6.3.1964-2 V 141/63- BB 1965, 1126; BGH vom 11.11.1966 - V ZR 191/63 - JZ 1968, 384; vgl. auch die umstrittenen Photofl!lle: BGH vom 13.10.1965 - lb ZR 111163 - Z 44, 288 (293 m.w.N.); BGH vom 20.9.1974- I ZR 99173 - JZ 1975, 491 mit Anm. Baur; Schmieder, NJW 1975, 1164; Gerstenberg, GRUR 1975, 500; Gerauer, GRUR 1988, 672; Zeuner, in: Soergel, II. Aufl., § 823 BGB Rdnr. 31; Mertens, in: Müko, § 823 BGB Rdnr. 98; Kühler, in: FS F. Baur (1981), 51; zustimmend Palandt/Bassenge, BGB, 52. Aufl., § 1004 Rdnr. 5; für den Sonderfall der gewerblichen Nutzung wohl auch Medicus, in: MüKo, 2. Aufl., § 1004 BGB Rdnr. 27 m.w.N.; Müht, in: Soergel, 12. Aufl., § 1004 BGB Rdnr. 71; ablehnend Kohl, in: AK-BGB, § 1004 Rdnr. 49; Ruhwedel, JuS 1975, 242. 89 Siehe zur Einordnung dieses Falltyps auch Medicus, Schuldrecht II, § 138 II 4 ; Plum, AcP 181, 68 (92 ff.); Müller, Sachenrecht, Rdnr. 718 ff., mit Beispielen aus der neueren Rechtsprechung; Steffen, in: BGB-RGRK, 12. Aufl., § 823 Rdnr. 21 f., der sogar auf negative Immissionen eingeht, aber eine Beeinträchtigung ohne nähere Begründung ablehnt. 90
Vgl. Just, BayVBI. 1988, 705 (706).
91
Daher stört der gezielte Angriff auf die Psyche des Eigentümers auch das Grundstückseigentum: Vgl. BGH vom 7.3.1956- V ZR 106/54- Z 20, 169; ähnlich schon RG vom 29.3.1882 -1.705/81 - 6, 217 (219).
z
92
Siehe auch Pawlowski, AcP 165 (1965), 395 (415).
80
Teil 2: Zivilrechtliche Lösungsansätze der Abwehr negativer Immissionen
Recht als Störung des Funktionszusammenhangs bezeichnen.93 Bedenkt man, daß die Störung des Funktionszusammenhangs eine grenzüberschreitende Einwirkung nicht voraussetzt, ist diese Fallgruppe mit Blick auf die Abwehr negativer Immissionen von besonderem Wert. (2) Gesetzlicher Schutz des Sachgebrauchs im Grundstücksrecht
Das BGB selbst kennt im Grundstücksrecht gesetzliche Tatbestände, die dem eigentumsrechtlichen Schutz des Sachgebrauchs zuzuordnen sind. Hierher gehört beispielsweise der durch § 1004 Abs. 1 BGB gewährleistete und in § 906 BGB im Hinblick aufunwägbare Stoffe näher ausgestaltete Immissionsschutz. Die Einwirkung von Imponderabilien auf ein Grundstück tangiert stofflich die Sachsubstanz des Zuordnungsobjekts, jedoch nicht das Zuordnungsverhältnis und auch nicht die besitzrechtlichen Verhältnisse am Immissionsgrundstück.94 Primär wirken "unwägbare Stoffe" auf den durch den Eigentümer gewidmeten Gebrauch des Immissionsgrundstücks ein. Dies bringt § 906 BGB deutlich dadurch zum Ausdruck, daß das Gesetz in Abs. 1 auf eine Einwirkung auf "die Benutzung des Grundstücks" abstellt. §§ 1004 Abs. I, 906 BGB enthalten demnach einen gesetzlichen "Nutzungsschutz", der damit als Teil des Eigentumsbegriffs grundsätzliche Anerkennung gefunden hat. 95 Auch § 917 BGB betrifft den Schutz vor einer Gebrauchseinwirkung: Kann der Eigentümer eines Grundstücks dieses tatsächlich nicht erreichen, weil aufgrundder räumlichen Anordnung keine Verbindung zu einem öffentlichen Weg besteht, so liegt darin eine Beeinträchtigung im (ordnungsgemäßen) Sachgebrauch. Die Isolation des Grundstücks führt weder zu einer Substanzeinwirkung noch zur Störung des Zuordnungsverhältnisses, und sie bewirkt auch keine Besitzstörung, sie setzt nicht einmal ein Tätigwerden des pflichtigen Nachbarn voraus. Daß hier ein Fall der Gebrauchseinwirkung betroffen ist, zeigt wiederum der Wortlaut der Norm. Das Gesetz spricht in Abs. 1 S. 1 von der Gewährleistung
93 So Ott, in: AK-BGB, § 903 Rdnr. 23; siehe auch Zeuner, in: FS Flume I, 775 (783); Möschel, JuS 1977, I (2); Palandt/Thomas, BGB, 52. Aufl., § 823 Rdnr. 8.
94 So auch Zeuner, in: FS Flume I, 775 (778). 95
Zeuner, in: FS Flume I, 775 (779); ähnliche Erwägungen gelten auch filr § 909 BGB.
A. Zivilrechtsnormen mit möglicher Abwehrrelevanz
81
einer "ordnungsgemäßen Benutzung" des Grundstücks als dem Regelungsziel des§ 917 BGB. Nach alledem beinhaltet auch § 917 BGB "Nutzungsschutz" und bestätigt den Befund, daß dieser durch das BGB grundsätzlich Anerkennung gefunden hat, 96 wobei jedoch als signifikanter Unterschied die Tatsache zu beachten ist, daß § 906 BGB eine Einwirkung durch Grenzüberschreitung, § 917 BGB hingegen eine Gebrauchseinwirkung gänzlich ohne Grenzüberschreitung regelt. Dennoch, § 917 BGB zeigt auf, daß der Schutz des Sachgebrauchs nicht auf ausschließlich grenzüberschreitende Tatbestände beschränkt werden muß. Das entscheidende, übergeordnete Merkmal dieser Normen ist das Anknüpfen an die Auswirkung auf den bestimmungsgemäßen Gebrauch eines Grundstücks. Offen bleibt natürlich, ob man daraus folgern will, jeder Art von Sachgebrauch und damit jeder Eigentümerwidmung sei rechtliche Relevanz beizumessen.97 (3) Weiterentwickelter Schutz des Sachgebrauchs
Jenseits der aufgezeigten, normierten Tatbestände hat die Rechtsprechung den eigentumskräftigen Aspekt der Sachnutzung verschiedentlich deutlich angesprochen. So findet man in fiilhen Entscheidungen des RG98 die Bemerkung: "... das Eigentum wird von dem Menschen ausgeübt nicht um der Sache willen, an welcher es zusteht, sondern menschlichen Bedürfnissen willen, welche durch die Sache befriedigt werden. Das Recht an der Sache wird verletzt, nicht bloß wenn die Integrität der Sache beschädigt wird, ... sondern auch dann, wenn die Benutzbarkeit der Sache für Menschen aus einem Grunde verhindert oder erschwert wird, welcher sich gegen die Menschen selbst richtet, deren Bedürfnis durch die an dieser Stelle befindliche Sache befriedigt werden soll." Der BGH hat hieran vereinzelt angeknüpft, 99 und der Sache nach wird man auch die Grundsätze zum Zuparken einer Einfahrt oder eines PKW 100 und den illustrati96
Ebenso Zeuner, in: FS Flume I, 775 (780).
97
Hierzu die problematischen Photofl!lle: BGH vom 13. I 0.1965 - Ib ZR I I 1/63 - Z 44, 288 (293 m.w.N.) und BGH vom 20.9.1974 -1 ZR 99173- JZ 1975, 491 mit Anm. Baur; Kohl, in: AKBGB, § 1004 Rdnr. 49; Gerauer, GRUR I988, 672; Pawlowski, AcP 165 (1965), 395 (411 ff.). 98 RG vom 29.3.1882 - 1.705/81 - Z 6, 217 (219) und vergleichbar: OLG Colmar vom 10.10.1902 -I.CS- OLGE 5, 386 (387); OLG Celle vom 27.5.1903-3 U 126/03- Seuff.A. 60, 18 (20); OLG Karlsruhe vom 26.4.1901, Seuff.A. 56,355.
99
Vgl. BGH vom 7.3.1956- V ZR 106/54- Z 20, 169.
OLG Karlsruhe vom 7.12.1977- I U 210177- NJW 1978, 274; Mühl, in: Soergel, 12. Aufl., § 1004 BGB Rdnr. 29; Kohl, in: AK-BGB, § 1004 Rdnr. 25; Dörner, JuS 1978, 666; weitere Fälle 100
6 Reetz
82
Teil 2: Zivilrechtliche Lösungsansätze der Abwehr negativer Immissionen
ven Fleetfall in die Fallgruppe funktionalen Eigentumsschutzes einordnen müssen:1o1 Ein Schiffsunternehmer belieferte eine an einem Fleet liegende Mühle. Durch Verschulden der nicht hoheitlich handelnden Bundesrepublik wurde das Fleet infolge eines Böschungseinsturzes unpassierbar; das an der Mühle liegende Schiff des klagenden Unternehmers blieb eingesperrt, vor dem Fleet wartende Schiffe blieben ausgesperrt. Der BGH bejahte eine Eigentumsverletzung an dem eingesperrten Schiff, 102 nicht aber in bezug auf die noch benutzbaren, ausgesperrten Schiffe. Das Eigentum an einem Schiff werde nicht nur durch eine Einwirkung auf die Sachsubstanz, sondern ebenso durch eine Einwirkung auf die Nutzungsbefugnisse, nämlich den Funktionalzusammenhang verletzt. Das eingesperrte Schiff war seiner Nutzungsfunktion gänzlich beraubt, es war "als Transportmittel praktisch ausgeschaltet" worden. Die ausgesperrten Schiffe hingegen waren weiterhin als solche benutzbar und damit ihrem "natürlichen Gebrauch" nicht entzogen.103 Der hier zum Kern der Entscheidung gemachte Schutz vor Einwirkungen auf den Sachgebrauch warf sogleich Fragen der Begrenzung auf. Denn es schien schlecht vorstellbar, jede nur denkbare Eigentümerwidmung solle unter dem Schutz des Eigentums stehen; 104 die rechtsbewehrte Benutzung ist enger als die denkbare Benutzung. 105 bei Medicus, Schuldrecht II, § 138 II 4; Plum, AcP 181 (1981), 68 (92 ff.); Müller, Sachenrecht, Rdnr. 719; nach Auffassung der Rechtsprechung genügt im Rechtsverkehr selbst das verbale Bestreiten des Eigentums, also des Zuordnungsverhältnisses, jedenfalls wenn dies zu einer Nutzungsminderung führt: vgl. BGH vom 7.3.1956- V ZR 106/54- Z 20, 169 (170) unter Hinweis auf die Rechtsprechung des RG; zu dieser Entscheidung auch Baur, JZ 1969, 432 (433). 101 BGH vom 21.12.1970- II ZR 133/68- Z 55, !53; siehe zu diesem Fall auch Möschel, JuS 1977, I; Medicus, Bürgerliches Recht, Rdnr. 613; Larenz, Besonderes Schuldrecht, 12. Aufl., § 72 I a); Plum, AcP 181,68 (124 ff.). 102 Zustimmend: Larenz, Besonderes Schuldrecht, 12. Aufl., § 72 I a); Medicus, Schuldrecht II, § 138 II 4; ders. Bürgerliches Recht, Rdnr. 613; Zeuner, in: FS Flume I, 775; Neumann-Duesberg, NJW 1972, 133; Möschel, JuS 1977, I; Kötz, Deliktsrecht, CI lb; Willoweit, NJW 1975, 1190; Palandt/Thomas, BGB, 52. Aufl., § 823 Rdnr. 8; BGH vom 31.10.1974 - III ZR 85/73- 63, 203 (206) "Führerscheinentzug"; BGH vom 21.6.1977- VI ZR 58/76- NJW 1977, 2264; wohl ablehnend Stall, JZ 1976, 281 (283). 103 Zustimmend Larenz, Besonderes Schuldrecht, 12. Aufl., § 72 I a); Möschel, JuS 1977, I (4); zweifelnd Medicus, Schuldrecht II, § 138 II 4. 104 Zu diesen Fragen: Medicus, Schuldrecht II, § 138 114; ders. Bürgerliches Recht, Rdnr. 613; Larenz, Besonderes Schuldrecht, 12. Aufl., § 72 I a); Zeuner, in: FS Flume I, 775 (779); Willoweit, NJW 1975, 1190 (1193). 105 So auch Gursky, in: Staudinger, 12. Aufl., § 1004 Rdnr. 7.
A. Zivilrechtsnormen mit möglicher Abwehrrelevanz
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Die Rechtsprechung hat folglich einschränkend festgelegt, eine relevante Eigentumseinwirkung sei erst dann anzuerkennen, wenn eine der Sache selbst anhaftende, objektive Gebrauchsuntauglichkeit vorliege (Argument der Sachbezogenheit)106 und die Nutzung der Sache wenigstens vorübergehend gänzlich aufgehoben sei (Argument der gänzlichen Gebrauchs/osigkeit) 101. Nicht relevant sind mithin Gebrauchseinwirkungen, deren Ursachen letztlich in der Person des Eigentümers liegen 108 oder zu einer bloß eingeschränkten Nutzungsbehinderung ftlhren. 109 Selbst bei Beachtung der Kriterien Sachbezogenheit und gänzlicher Gebrauchslosigkeit sind nach den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen negative Immissionen ohne weiteres innerhalb der Fallgruppe der Einwirkung auf den Sachgebrauch denkbar, und sie wären damit im Ergebnis von der Ausschlußfunktion des Eigentums umfaßt: 110 So würde beispielsweise die Beschattung einer Sonnen(süd)terrasse zu einer dauernden Gebrauchsuntauglichkeit der Sache selbst fUhren, gleiches müßte für die Beschattung von Sonnenkollektoren auf Dächern oder für den Entzug von Grundwasser bis zum Versiegen eines Brunnens angenommen werden. Bezieht man gar das öffentliche Recht in diese Betrachtung ein, so kann sich die objektive Gebrauchswidmung und damit der Gegenstand der sachbezogenen, zur gänzlichen Gebrauchslosigkeit fUhrenden Einwirkung in Form satzungsrechtlicher Normen aus den Festsetzungen eines Bebauungsplans erge106 BGH vom 31.10.1974 - III ZR 85173 - 63, 203 (206); dem steht aber wohl BGH vom 7.3.1956- V ZR 106/54- Z 20, 169 (170) entgegen, wonach schon das Bestreiten des Eigentums eine Beeinträchtigung sein kann; vgl. auch RG vom 29.3.1882 -1.705/81 - Z 6, 217 (219); ähnlich auch Wi/loweit, NJW 1975, 1190; gegen diesen wiederum Schmid, NJW 1975, 2056 und Zeuner, in: FS Flume I, 775 (773); dezidiert ftlr das Argument der Sachbezogenheit Zeuner, in: Soergel, II . Aufl., § 823 BGB Rdnr. 30; Mertens, in: Müko, § 823 BGB Rdnr. 94 ff. 107 BGH vom 21.6.1977- VI ZR 58176- NJW 1977, 2264; andeutungsweise auch BGH vom 21.10.1983- V ZR 166/82- Z 88,344 (349); Larenz, Besonderes Schuldrecht, 12. Aufl., § 72 I a); zweifelnd hinsichtlich der Handhabbarkeit dieses Kriteriums Medicus, Schuldrecht II, § 138 II 4; ders., Bürgerliches Recht, Rdnr. 613.
108 Beispiel nach Medicus, Schuldrecht II, § 138 II 4: Entzug des Führerscheins in bezug auf den Gebrauch des eigenen Kfz; so auch BGH vom 31.10.1974 - III ZR 85173 - 63, 203 (206). Schutzobjekt ist nicht die allgemeine Handlungsfreiheit, sondern das Eigentum: Larenz, Besonderes Schuldrecht, 12. Aufl., § 72 I a). 109 Medicus leuchtet dieses letztgenannte Kriterium zu Recht nicht ein, dieses sei der Sache nach, mit Blick auf§ 903 BGB, schwer zu begründen: Medicus, Schuldrecht II, § 138 II 4 mit weiteren Beispielen aus der Rechtsprechung; ders. , Bürgerliches Recht, Rdnr. 613; ders., Gesetzliche Schuldverhältnisse, Fall 32. 110
6•
Zu diesem Ergebnis kommt auch Deneke, Gemeinschaftsverhältnis, 66 f.
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Teil 2: Zivilrechtliche Lösungsansätze der Abwehr negativer Immissionen
ben. Eine solche Konstellation müßte man beispielsweise bei Lichtentzugseinwirkungen in einem Einfamilienhausgebiet annehmen, in dem festsetzungsgemäß die Grundstückssüdseite von Garagenbebauung freizuhalten ist, um die ungestörte Besonnung der Gärten zu ermöglichen. 111 Die gänzliche Vereitelung des satzungsgemäßen Gebrauchs stellt dann (auch) eine zivilrechtliche Eigentumsverletzung dar, der mit der unmittelbaren Anwendung des § 1004 Abs. 1 BGB begegnet werden könnte. (4) Verwertbarkeit des§ 100 BGB
Den Aspekt der Sachnutzung in Form von Gebrauchsvorteilen (§ 100 BGB), stellt Heubel in den Vordergrund seiner Betrachtungen zu den negativen Immissionen.112 Der Gebrauchsvorteil einer Sache, eines Grundstücks, ist der Vorteil, welchen der Gebrauch der Sache gewährt, ohne daß es sich dabei um Sachfrücbte i.S.v. § 99 BGB handelt. 113 Er ist letztlich der aus dem Sachbesitz, also der tatsächlichen Nutzung, gezogene Vorteil, wozu ebenso die Möglichkeit zählt, die Sachumgebung nach eigenem Gutdünken zu gestalten. 114 Aus der Tatsache, daß auch die von Beeinträchtigungen durch negative Immissionen freie Nutzung des eigenen Grundstücks zu den Gebrauchsvorteilen i.S.d. § l 00 BGB zählt, schließt Heubel, es handele sich bei der Abwehr negativer Immissionen nicht um lediglich rechtlich ungeschützte Interessen der Grundstücksnutzung. Die §§ 987 ff., 100 BGB zeigten, daß dieser Sachvorteil allein dem Eigentümer gebühre und also rechtserheblicher Eigentumsinhalt sei. Dieser Argumentation kann nicht gefolgt werden. Die §§ 987 ff., 100 BGB bestimmen nicht, daß der Sachgebrauch in der einmal gewählten Art und Weise bestandsgeschützt ist. Ihre Funktion ist es vielmehr, den bestehenden Gebrauchsvorteil dem Eigentümer zuzuordnen, ihn also zu verteilen. Über den Bestand dieses Vorteils in der Zukunft schweigen sie. Die Frage des bestandsgeschützten Sachgebrauchs ist damit weiterhin ausschließlich auf der Ebene des Eigentumsinhalts (§ 903 BGB) zu beantworten. 111
Beispiel nach Birki/Geiger, Nachbarschutz, Teil E Rdnr. 68.
112 Heubel, Entziehende Einwirkungen, 137 ff. 113 Vgl. BGH vom 9.7.1986 - GZS 1/86 - NJW 1987, 50; Ho/eh, in: Müko, § 100 8GB
Rdnr. 2; Dilcher, in: Staudinger, 12. Aufl., § 100 Rdnr. 2; Palandt/Heinrichse, BGB, 52. Aufl., § 100 Rdnr. I; Gursky, in: Staudinger, 12. Aufl., § 987 Rdnr. 5; Baur!Stürner, Sachenrecht, 16. Aufl. 1992, § 3 II 3 c); M Wolf, Sachenrecht, Rdnr. 191. 114 Dilcher, in: Staudinger, 12. Aufl., § 100 Rdnr. 2; OLG Harnburg vom 28.5.1953 - 2 U 70/53 - MDR 1953, 613.
A. Zivilrechtsnonnen mit möglicher Abwehrrelevanz
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c) Eigentumsbeschränkungen, Nachbarrecht aa) Allgemeines
Ein wesentlicher Punkt der eigentumsrechtlichen Dogmatik liegt, dies hat sich schon angedeutet, in den Eigentumsbeschränkungen. Der hierbei im Vordergrund stehende Gesetzesvorbehalt fmdet sich in dem Nebensatz des § 903 BGB, "soweit nicht das Gesetz oder Rechte Dritter entgegenstehen". Nur aufgrund der Beschränkungen ergibt sich ein näher konturiertes Bild des Eigentumsinhalts: "In dieser Abgrenzung des Eigentumsinhalts liegt der Hauptwert der ganzen Bestimmung." 115 Soweit tatsächlich Eigentumsbeschränkungen bestehen, sind die Vermutung der Unbeschränktheit ausgeschaltet und, soweit die Beschränkungen dem Nachbarn subjektive Rechte einräumen, die Ausschlußfunktion seines Eigentums erweitert. Wichtige Einschränkungen dieser Art ergeben sich aus dem Nachbarrecht Eigentumsbeschränkende Vorschriften sind daher im zivilrechtliehen Kontext nicht so zu verstehen, als würden sie ein umfassendes Herrschaftsrecht eingrenzen; sie gestalten vielmehr inhaltlich die Eigentümerbefugnisse aus, sie konkretisieren den Geltungsanspruch des Eigentums und insoweit auch den Raum, in dem das Verhalten des Eigentümers als von der Rechtsordnung erlaubt gilt. 116 Der konkrete Inhalt des Eigentumsrechts ergibt sich somit unter Einbeziehung aller Beschränkungen oder Erweiterungen nach der sog. lmmanenztheorie111, die im wesentlichen besagt, daß der Gesetzesvorbehalt in § 903 BGB, wenn auch redaktionell als Ausnahmetatbestand ausgestaltet, gleichwertiger Bestandteil des Eigentumsbegriffs ist und nicht ein sekundäres, gleichsam von außen kommendes Merkmal darstellt. 118 Aus der Immanenzwirkung folgt dann, daß die beschränkenden und gestaltenden Gesetze notwendiger Bestandteil des Eigentums selbst sind. 11 9
115 Mugdan, Gesamte Materialien zum BGB III, 578; Seiler, in: Staudinger, 12. Aufl., § 903 Rdnr. 3. 116
So ausdrUcklieh Säcker/Paschke, NJW 1981, 1009 (1012).
Anders die sog. Außentheorie und die sog. Trennungstheorie, siehe hierzu J.F. Baur, in: Soerge1, 12. Aufl., § 903 BGB Rdnr. 16 ff. m.w.N. Die Immanenztheorie ist wohl auch die Grundlage der sog. Nachbarrechtstheorie. 117
118 Sontis, in: FS Larenz (1973), 981 (983); die gleichen Annäherungsprobleme ergeben sich im übrigen bei der Erfassung des Eigentumsbegriffs in Art. 14 GG, siehe hierzu den ähnlichen dogmatischen Ansatz bei Böhmer, NJW 1988, 2561 (2573 f.); ähnlch auch Säcker/Paschke, NJW 1981, 1009 (1012).
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Teil 2: Zivilrechtliche Lösungsansätze der Abwehr negativer Immissionen bb) Regelungsdichte im Nachbarrecht
Angesichts der wichtigen konstruktiven Funktion der Eigentumsbeschränkungen hat der historische Gesetzgeber zur Regelungsdichte im Hinblick auf das hier vordringlich interessierende Grundstücksnachbarrecht eingehend Stellung genommen. Die Materialien gehen zunächst von der überragenden Bedeutung und den Besonderheiten des Grundeigentums aus. Anders als bewegliche Sachen nehmen Grundstücke "im Raum eine unveränderliche Lage" ein und sind "Teil eines zusammenhängenden Ganzen". 120 Aus dieser Unentrinnbarkeit folgt die freilich ambivalent wirkende Regelungsbedürftigkeit des benachbarten Zusammenlebens. Der Gesetzgeber ließ sich eingedenk dessen von den Maximen leiten, daß das Nachbarrecht jedenfalls nicht verkehrs- und wirtschaftsfeindlich wirken dürfe, daß den partikularrechtliehen Interessen und der Praxis der Rechtsanwendung eine besondere Bedeutung zukomme und daß nachbarrechtliche Rechtsbegriffe elastisch im Sinne fortschreitender zivilisatorischer Entwicklung zu konzipieren seien. 121 Auf dieser Grundlage hat der Gesetzgeber dann zwar ein komplexes 122, aber doch ein bewußt lückenhaftes Nachbarrecht geschaffen: "bunte Bilder werden aneinandergereiht" .123 Diese bewußte Lückenhaftigkeit eröffnet dem Gesetzgeber, aber auch den Gerichten einen Entwicklungsauftrag zur weiteren Formung des Grundeigentums;124 und es ist im Nachbarrecht des BGB (§§ 906-924) geradezu auffällig, daß eine eigentliche Systematik der nachbarrechtlichen Regelungen fehlt. Der historische Gesetzgeber hat sich insoweit bewußt auf die Regelung allgemein häufig vorkommender Einzelfalle zurückgezogen und unter anderem auch dem
119 Siehe hierzu J.F. Baur, in: Soergel, 12. Auf!., § 903 BGB Rdnr. 17; Sontis, in: FS Larenz (1973), 981 ff. ; Baur, AcP 176 (1976), 97 (117 f.); ähnlich auch Schmidt, Sachenrecht, 34.
120 Mugdan, Gesamte Materialien zum BGB III, 142. 121 Vgl. insbesondere Mühl, in: FS Raiser (1974), 161;
Materialien zum BGB III, 147.
Motive III, 266; Mugdan, Gesamte
122 Seiler, in: Staudinger, 12. Auf!., Vorb. zu§ 903 Rdnr. 9. 123 So Hedemann, Sachenrecht, 108; vgl. auch Seiler, in: Staudinger,
12. Auf!., Vorb. zu§ 903 Rdnr. 8 f.; ganz anders aber BGH vom 26.4.1991- V ZR 346/89- NJW 1991,2826 (2827), hier wird bei den §§ 905 ff. BGB von einer ins einzelne gehenden Sonderregelung gesprochen.
124 Seiler, in: Staudinger, 12. Auf!., § 903 Rdnr. 3; Schuber/, Die Vorentwürfe der Redaktoren zum BGB, Sachenrecht I, 490 (499); Deneke, Gemeinschaftsverhaltnis, 105.
A. Zivilrechtsnormen mit möglicher Abwehrrelevanz
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öffentlichen Recht das Feld überlassen. 125 Er wollte im BGB letztlich nur ein solches Maß nachbarrechtlicher Eigentumsbeschränkungen, "das für alle lokalen Verhältnisse paßt." 126 Aus diesem Kontext heraus verstehen sich auch die den Landesgesetzgebern eröffneten, wesentlichen Gestaltungsmöglichkeiten auf der Grundlage der Art. 122-125 EGBGB. Daneben enthält das EGBGB im Rahmen von Übergangsvorschriften nachbarrechtliche Vorbehalte fiir die Landesgesetzgeber soweit bewaldete Grundstücke betroffen sind; und Materien wie das Wasser-, Jagdund Fischereirecht sind ihm sogar gänzlich überlassen. cc) Arten von Beschränkungen
Die Gesetzesmaterialien unterscheiden bei den Eigentumsbeschränkungen solche allgemeiner Art und solche speziell nachbarlicher Provienienz. 127 Im BGB sind mit letzteren primär die Regelungen des privaten Nachbarrechts angesprochen, doch fmden sich solche Regelungen auch außerhalb des BGB. Beschränkungen allgemeiner Art sind die, die "zugunsten eines jeden lauten, der durch seine Thätigkeit in den räumlichen Herrschaftsbezirk des Eigenthümers" hineinwirkt. 128 Diese Beschränkungen brauchen gerade nicht primär nachbarrechtlicher Herkunft zu sein, sie dienen weitestgehend, nicht aber notwendig ausschließlich, dem Allgemeininteresse. Sie fmden sich vordringlich im öffentlichen Recht (etwa: Bodenverkehrs-, Bauordnungs-, Bauplanungsrecht)129 und bestimmen insoweit gleichrangig das privatrechtliche Eigentum. 130 Die wichtige Tatsache der Gleichrangigkeit ergibt sich daraus, daß Inhalt und Schranken durch die Gesetze festgelegt werden. Dieser Plural, der sich nicht
125 Zum kasuistischen Charakter nachbarrechtlicher Regelungen im BGB: Laujke, in: FS Lange (1970), 275. 126
Mugdan, Gesamte Materialien zum BGB III, 143.
Säcker, in: Müko, § 903 BGB Rdnr. 24; Seiler, in: Staudinger, 12. Auf!., Vorb. zu § 903 Rdnr. 7 ff. 127
128 Mugdan, Gesamte Materialien zum BGB III, 143; vgl. zu dieser Zweiteilung auch Seiler, in: Staudinger, 12. Auf!., § 903 Rdnr. 13; Säcker, in: Müko, § 906 BGB Rdnr. 24; vgl. auch Paschke, AcP 187 (1987), 70 (79 f.). 129 Siehe insgesamt die Aufstellungen bei Seiler, in: Staudinger, 12. Aufl., § 903 Rdnr. 16 ff.; JF Baur, in: Soergel, 12. Aufl., § 903 BGB Rdnr. 33 ff.; Säcker, in: Müko, § 906 BGB Rdnr. 32 ff.; Palandt!Bassenge, BGB, 52. Auf!.,§ 903 Rdnr. 14 ff.; Paschke, AcP 187 (1987), 70 (79 f.). 130 Siehe hierzu Sontis, in: FS Larenz (1973), 981 (1001 f.); Böhmer, NJW 1988, 2561 (2570, in Fn. 69); ablehnend wohl die sog. zivilrechtliche Theorie; siehe dazu unten S. 290 f. und 292 f.
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Teil 2: Zivilrechtliche Lösungsansätze der Abwehr negativer Immissionen
auf das Zivilrecht beschränkt, ist ausweislich der Beratungsprotokolle bewußt gewählt, was auch durch den Wortlaut des Art. 2 EGBGB bestätigt wird. Art. 2 EGBGB statuiert den maßgeblichen Gesetzesbegriff filr das gesamte bürgerliche Recht, 131 und er nimmt das öffentliche Recht nicht aus. Dieser Befund wird zudem durch die nachbarrechtlichen Regelungen der §§ 905 ff. BGB selbst belegt; diese enthalten keine abschließende Kodifikation der Eigentumsbegrenzungen.132 Im Ergebnis besitzt damit die Tatsache, daß sich eigentumsbestimmende Normen in Teilbereichen des öffentlichen oder des privaten Rechts auffinden lassen, keine eigenständige Bedeutung; und es kommt hinzu, daß öffentlichrechtliches Nachbarrecht auch materiell privatrechtlicher Natur sein kann. 133 Der historische Gesetzgeber bestätigt dies: "Auch das öffentliche Recht enthält bürgerliches Recht", und "daraus, daß ein Rechtssatz im öffentlichen Interesse aufgestellt ist, folgt noch nicht, daß er nicht zum bürgerlichen Recht gehöre." 134 Beispielhaft bedeutet dies: Das Bauplanungsrecht hat die Zuordnung der Grundstücke in bezug auf bodenrechtliche Belange (§ 1 Abs. 5 BauGB) einer öffentlich-rechtlichen Ordnung unterstellt; gleiches gilt flir die bauordnungsrechtlichen Vorschriften, etwa das Abstandsflächenrecht Die Verfügungsbefugnis des Eigentümers ist durch diese öffentlich-rechtlichen Beschränkungen in gleicher Weise limitiert wie durch das zivilrechtliche Nachbarrecht In bezug auf konkrete Grundstücke läßt sich folglich die Frage nach dem Inhalt und der Reichweite des Eigentums nicht einheitlich beantworten. § 903 BGB enthält eben keine allgemeinverbindliche Definition des Eigentums. 135 Welche positiven und negativen Befugnisse einem Grundstückseigentümer zu einem bestimmten Zeitpunkt tatsächlich zustehen, ergibt sich vielmehr aus einer Zusammenschau aller zu diesem Zeitpunkt geltenden öffentlich-rechtlichen 131 Palandt/Heinrichs, BGB, 52. Autl., Art. 2 EGBGB Rdnr. I; Merten/Kirchhoff, in: Staudinger, 12. Autl ., Art. 2 EGBGB Rdnr. 30; Hartmann, in: Soergel, II. Aufl., Art. 2 EGBGB Rdnr. 8; Stein-Jonas/Leipold, ZPO, 20. Aufl., § 293 Rdnr. 30 ff.
132 Siehe etwa OLG Düsseldorfvom 20.4.1988-9 U 228/87- NJW 1989, 1807 m.w.N.
133 So aus der Rechtsprechung zu § 8 Abs. 3 u. 4 WHG, Art. 18 BayWG: BGH vom 22.12.1976- 111 ZR 62/74- Z 69, I (21 f.) ; BGH vom 23.6.1983 - 111 ZR 79/82- DVBI. 1984, 329 (330); BayObLG vom 13.6.1 980- 2 Z 141/79- BayVBI. 1980, 728 (729), wobei aber hier die Schutzgesetzproblematik im Vordergrund stand.
134 135
Schuber/, Die Vorentwürfe der Redaktoren zum BGB, Sachenrecht I, 490 (509 a.E.).
Seiler, in: Staudinger, 12. Autl., § 903 Rdnr. 6; J.F. Baur, in: Soergel, 12. Aufl., § 903 BGB Rdnr. II; Wolff-Raiser, Sachenrecht, 174; Westermann, Sachenrecht, Bd. I, § 28 I 2; Planck/ Strecker (1933), § 903 Anm. I; dagegen Sontis, in: FS Larenz (1973), 981 (995 f.).
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und privatrechtlichen, die Eigentümerstellung regelnden Vorschriften, und zwar unter Umständen für jedes Grundstück verschieden. 136 Zeigt sich hierbei, daß der Eigentümer eine bestimmte Befugnis nicht hat, so gehört diese nicht zu seinem Eigentumsrecht Wie und in welchem Gesetz der Gesetzgeber den Befugnisausschluß herbeiführt, ist danach lediglich eine Frage der Gesetzestechnik.137 Setzt er zunächst die Eigentümerbefugnisse umfassend voraus, wie dies in § 903 BGB geschehen ist, um in weiteren Vorschriften, auch außerhalb des BGB, bestimmte Herrschaftsbefugnisse wieder auszunehmen, so ist dem Eigentümer von vomherein nur eine in dieser Weise eingeschränkte Rechtsposition eingeräumt. 138 Es liegt folglich nahe, die Frage nach der eigentumsrechtlichen Einordnung negativer Immissionen aus der relevanten Gesamtrechtsordnung zu beantworten.
4. Fazit 1. Aus dem deskriptiven, unscharfen Begriff des zivilrechtliehen Eigentums in § 903 BGB läßt sich nicht herleiten, eine eigentumskräftige Nutzung des Grundstücks frei von Einwirkungen durch negative Immissionen gebe es nicht. 2. Die von Rechtsprechung und Literatur gebilligten Fallkonstellationen zum Eigentumsschutz des Sachgebrauchs stehen vielfach in Widerspruch zum Diktum der Unabwehrbarkeit negativer Immissionen, soweit diese den tatsächlichen Sachgebrauch tatsächlich und erheblich beeinträchtigen.
3. Der konkrete Inhalt des individuell zu bestimmenden Eigentumsrechts an einem Grundstück läßt sich auch im Hinblick auf negative Immissionen nur durch Zusammenschau aller nachbarrechtlich wirkenden Normen ermitteln; diese sind gleichrangig dem Privatrecht und dem öffentlichen Recht zu entnehmen.
136 JF Baur, in: Soergel, 12. Aufl., § 903 BGB Rdnr. 13 spricht richtigerweise davon, das Eigentum sei individuell aus der Gesamtrechtsordnung zu entnehmen. 137 Zur gegenseitigen Durchdringung des privaten und öffentlichen Rechts auch Baur, in: FS Sontis ( 1977), 181 (20 I) und unten S. 277 ff. 138 Vgl. zur ähnlichen Situation bei Art. 14 GG: BVerfG vom 15.7.1981 -I BvL 77/78- E 58, 300 (336); BVerfG vom 25.10.1978- I BvR 352171 - E 49, 382 (393); Schmidt-Aßmann, DVBI. 1987,216 (217).
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II. § 1004 BGB 1. Allgemeines "§ 1004 BGB hat die Funktion, das individuell bestimmte Eigentum zu schützen." 139 Grundsätzlich kann der Eigentümer, also auch der Grundstückseigentümer, soweit nicht das Gesetz oder Rechte Dritter entgegenstehen, mit der ihm gehörenden Sache nach Belieben verfahren und andere von jeder Einwirkung ausschließen, § 903 BGB. Aber § 903 BGB ist eben keine Anspruchsgrundlage und vermag daher die Ausschlußbefugnisse des Eigentümers nicht durchzusetzen. 140 Die Anspruchsgrundlagen zur Verwirklichung des Eigentums finden sich an anderer Stelle im Gesetz, und sie umfassen nicht nur den Herausgabeanspruch gegen den unrechtmäßigen Besitzer, § 985 BGB, sondern ebenso die Befugnis zur Abwehr jedweder anderen rechtswidrigen Einwirkung, die gerade nicht in der Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes liegt. 141 Die Beseitigung solcher Eigentumsstörungen kann der Anspruchsberechtigte, also der Eigentümer, nach § 1004 Abs. 1 8GB verlangen, und er kann auf Unterlassung klagen, wenn weitere, gegebenenfalls sogar erstmalige Störungen zu befiirchten sind, § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB. 142 Bezogen auf den Problemkreis der negativen Immissionen stellt der negatorische Freiheitsanspruch somit eine zentrale, näher zu erörternde Anspruchsgrundlage dar: Der Störungsfreiheitsanspruch ist Ausfluß des negativen Eigentumskerns. 143 Er ist ausgeschlossen, wenn der Eigentümer zur Duldung rechtsgeschäftlich oder gesetzlich verpflichtet ist, § 1004 Abs. 2 BGB. Der Anspruch aus § 1004 BGB ist nicht selbständig abtretbar, es handelt sich um einen dinglichen Anspruch, der das Eigentum selbst verwirklicht. 144 Das Begehren richtet sich gegen den Störer. 145
139
Westermann, in: FS Larenz (1973), 1003 (1010).
So auch J.F. Baur, in: Soergel, 12. Aufl., § 903 BGB Rdnr. 40; BGH vom 21.10.1983- V ZR 166/82 - Z 88, 344 (346); a.A. offenbar de Boor, Bürgerliches Recht, 452. 140
141 Vgl. Westermann, Sachenrecht, Bd. I, 246; Medicus, in: MUKo, 2. Aufl., § 1004 BGB Rdnr. 1 und 11 ff. ; kritisch zur Regelungstechnik Gursky, in: Staudinger, § 1004 Rdnm. 2 und 60; Palandt/Bassenge, BGB, 52. Aufl., § 1004 Rdnr. I; Kohl, in: AK-BGB, § 1004 Rdnr. 32; Pikart, in: BGB-RGRK, 12. Aufl., § 1004 Rdnr. 19. 142
Vgl. Münzberg, JZ 1967, 689; Kohl, in: AK-BGB, § 1004 Rdnr. 26.
143
Westermann, in: FS Larenz (1973), 1003 (1005).
A. Zivilrechtsnormen mit möglicher Abwehrrelevanz
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Als quasinegatorischer Abwehranspruch findet § 1004 Abs. 1 BGB entsprechende Anwendung bei der Abwehr von Einwirkungen insbesondere auf das Persönlichkeitsrecht und andere absolute Rechte, die unter anderem nach § 823 Abs. 1 BGB deliktischen Schutz genießen. 146 Eine spezifische Problematik der Anwendung des § 1004 BGB ergibt sich aus der Abgrenzung zur Naturalrestitution bei deliktischen Schadensersatzansprüchen gern. §§ 823 Abs. I und 2, 249 BGB, die im Gegensatz zu § 1004 BGB Verschulden voraussetzen.147 Der Sache nach ist § 1004 BGB die umfangliebste Anspruchsgrundlage zur Verwirklichung des Eigentums, alle anderen Regelungen sind Einschränkungen oder Modifikationen; 148 und obwohl die Anwendung des § 1004 BGB ihrem Wortlaut nach weder auf das Eigentum an beweglichen noch an unbeweglichen Sachen beschränkt ist, erlangt § 1004 BGB zentrale Bedeutung im Grundstücksrecht und dort im Nachbarrecht. 149
2. Gläubiger des Anspruchs Aus der untrennbaren Verknüpfung der dinglichen Ansprüche mit dem Eigentum ergibt sich die Gläubigerposition des Eigentümers 150 sowie des Miteigentümers, und zwar fiir die ganze Sache, § 1011 BGB. 15 1 Ein Eigentümer144 Palandt/Bassenge, BGB, 52. Autl., § 1004 Rdnr. 15; Larenz, Allgemeiner Teil, 6. Autl., § 141.; Medicus, Bürgerliches Recht, Rdnr. 436 ff., 445; ders., in: MüKo, 2. Autl., Vorb. zu§ 985 BGB Rdnr. 2; Gernhuber, Bürgerliches Recht, § 23; Gast, JuS 1985, 611; Heck, Sachenrecht, § 31 , 32; zuletzt: Mager, AcP 193 (1993), 68 ff.; zur dogmatischen Einordnung dinglicher Ansprüche auch Mugdan, Gesamte Materialien zum BGB III, 218 f. 145 Der Störerbegriff ist in jeder Hinsicht umstritten, "schillernd und vielfliltig": OLG München vom 22.6.1988-21 V 2954/88- NJW 1989,910. 146 Siehe hierzu die Hinweise bei Medicus, in: MüKo, 2. Aufl., § 1004 BGB Rdnr. 6; Palandt/Bassenge, BGB, 52. Autl., § 1004 Rdnr. 2; Westermann, Sachen-recht, Bd. I, 246 f. 147 Hier liegt der Ansatzpunkt der Kritik von Picker, Beseitigungsanspruch, 51 ; siehe zu Einzelheiten: Schapp, Sachenrecht, 77 ff. ; Müller, Sachenrecht, Rdnr. 707 ff.; Westermann, Sachenrecht, Bd. I, 250; Medicus, Bürgerliches Recht, Rdnr. 629, jeweils mit weiteren Nachweisen; zum Verschulden: Gursky, in: Staudinger, 12. Aufl., § 1004 Rdnr. 20. 148 Gursky, in: Staudinger, 12. Aufl., Vorb. zu§§ 985-1007 Rdnr. 2 und§ 1004 Rdnr. 2; Kohl, in: AK-BGB, § I 004 Rdnr. 2; J.F. Baur, in: Soergel, 12. Aufl., § 903 BGB Rdnm. 45, 49, der aber aus dieser Erkenntnis unter Hinweis auf§ 905 BGB keine Rückschlüsse auf die Stellung negativer Immissionen zulassen will. 149 Wolff-Raiser, Sachenrecht, 347; Westermann, Sachenrecht, Bd. I, 246; Müht, in: Soergel, 12. Aufl., § 1004 BGB Rdnr. 3; Gursky, in: Staudinger, 12. Aufl., § 1004 Rdnr. 4; Kohl, in: AKBGB, § 1004 Rdnm. I und 25; Wilhelm, Sachenrecht, Rdnr. 368.
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Teil 2: Zivilrechtliche Lösungsansätze der Abwehr negativer Immissionen
wechsel hat zur Folge, daß der negatorische Anspruch bei dem neuen Eigentümer originär entsteht, während er bei dem alten Eigentümer untergeht. 152 Unter den Voraussetzungen einer Prozeßstandschaft ist trotz der Unabtretbarkeit die Geltendmachung des fremden Rechts im eigenen Namen durch einen Dritten möglich. 153
3. Schuldner des Anspruchs; Störerbegriff
§ 1004 Abs. 1 S. 1 BGB bezeichnet den Schuldner des Anspruchs als den "Störer", ohne eine genauere inhaltliche Erfassung von handhabbaren Störereigenschaften zu geben. Maßstab des Störerbegriffs ist nach der h.M. die Verantwortlichkeit, also eine willensgetragene Verursachung, 154 die jedoch grundsätzlich nicht mit Verschulden verwechselt werden darf. 155 Verantwortlichkeit kann sich sowohl aus einer Handlung als auch aus dem Zustand einer Sache ergeben. Dementsprechend haben sich die Begriffe Handlungs- und Zustandsstörer etabliert; 156 ihre polizeirechtliche Provienienz ist unverkennbar.157
150 Gleiches gilt für die dem Eigentümer gleichgestellten Berechtigten: § II Abs. I ErbbVO; § 1027 BGB; § 1067 BGB; §§ 1090 Abs. 2, 1027 BGB; § 34 Abs. 2 WEG; vgl. auch die Zusammenstellung bei Gursky, in: Staudinger, 12. Aufl., § 1004 Rdnr. 5; Palandt/Bassenge, BGB, 52. Aufl., § 1004 Rdnr. 2. 151 Vgl. OLG Nümberg vom 8.7.1970-4 U 148/67- RdL 1970,220 (222). 152 Picker, Beseitigungsanspruch, 131; ders., JuS 1974, 357 (359); Larenz, Allgemeiner Teil, 6.
Aufl., § 141.; undeutlich BGH vom 23.2.1973- V ZR 109171 - Z 60, 235 (240); a.A. Gursky, in: Staudinger, 12. Aufl., § 1004 Rdnr. 148 und§ 985 Rdnr. II.
153 Vgl. OLG Zweibrücken vom 19.3.1980-7 U 104/79- NJW 1981, 129; BGH vom 5.2.1964 - VIII ZR 156/62 - WM 1964, 426 zur vergleichbaren Rechtslage bei § 985 BGB; Palandt/Bassenge, BGB, 52. Aufl., § 1004 Rdnr. 15; Kohl, in: AK-BGB, § 1004 Rdnr. 30.
154 RG vom 4.11.1931 -V 204131 - Z 134, 231 ; RG vom 13.10.1935- V 99/35- Z 149, 205; Gursky, in: Staudinger, 12. Aufl., § 1004 Rdnr. 68; gegen das Willenselement Pleyer, AcP 156 (1958), 304; Westermann, Sachenrecht, Bd. I, 248.
155 Schapp, Sachenrecht, 79; Westermann, Sachenrecht, Bd. I, 247 f. ; Götz, in: M/RIRIG, Nachbarrecht, § 34 Rdnr. 23; Palandt/Bassenge, BGB, 52. Aufl., § 1004 Rdnr. 10.
156 Siehe Mühl, in: Soergel, 12. Aufl., § 1004 BGB Rdnr. 30; Jauernig, BGB, § 1004 BGB Anm. 6; Westermann, Sachenrecht, Bd. I, 247 f.; Baur/Stürner, Sachenrecht, 16. Aufl. 1992, , § 12 III; dagegen Medicus, in: MüKo, 2. Aufl., § I 004 BGB Rdnr. 32 ff. , der von Tätigkeits- und Untätigkeitsstörern spricht. 157 So auch Schapp, Sachenrecht, 79; Herrmann, Der Störernach § 1004 BGB, 64 ff.
A. Zivilrechtsnormen mit möglicher Abwehrrelevanz
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Handlungsstörerist derjenige, der durch sein (verantwortliches) Handeln die Beeinträchtigung des fremden Eigentums adäquat verursacht, 158 was auf der Handlungsebene ein positives Tun oder ein gleichzubewertendes, pflichtwidriges Unterlassen voraussetzt.
Im Rahmen der Handlungsform positives Tun ist die Verursachung von Beeinträchtigungen durch weisungsgebundene Tätigkeit problematisch und vieldiskutiert. 159 Unstreitig ist in diesem Zusammenhang, daß jedenfalls der anweisende Störer, die Störungsvermittlung, unbeachtlich ist. 160 Auf der Ebene der Handlungsform des Unterlassens ergeben sich die problematischen Fälle aus der Begründung der Pflicht zur Störungsabwendung. Eine solche Pflichtigkeit kann sich im Einzelfall aus vorangegangenem Tun (fragliche Abgrenzung zur Zustandsstörung) ergeben, aber auch aus dem "nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis". 161 Zustandsstörer ist demgegenüber derjenige, der eine eingetretene Eigentumsbeeinträchtigung aufrechterhält, obwohl die Beseitigung möglich und von seiner Willensbetätigung abhängig ist (Aufrechterhaltungsformel). 162 Ansatzpunkt der Zustandsstörung ist zumeist eine sachenrechtliche Zuordnung, nämlich der Besitz oder/und das Eigentum an der störenden Sache. Wechselt das Eigentum an der störenden Sache, wechselt auch der Zustandsstörer, 163 es sei denn, der alte Eigentümer war zugleich Handlungsstörer, denn auf die Beseitigungspflicht des Handlungsstörers hat der Eigentumswechsel keinen Einfluß. 164 Zu-
158 Vgl. BGH vom 12.1.1951 -V ZR 14/50- Z 1, 57 (64); Gursky, in: Staudinger, 12. Aufl., § 1004 Rdnr. 68; Palandt/Bassenge, BGB, 52. Aufl., § 1004 Rdnr. 17. 159
Zu dieser Frage auch Pleyer, AcP 161 (1961), 500.
Vgl. BGH vom 30.5.1962- V ZR 121160- NJW 1962, 1342; BGH vom 13.4.1962- V ZR 197/60- WM 1962, 765 (767); siehe auch Gursky, in: Staudinger, 12. Aufl., § 1004 Rdnr. 87 ff.; ebenfalls zu Fragen der mittelbaren Störungsverantwortlichkeit OLG München vom 22.6.1988 21 U 2954/88- NJW 1989,910. 160
16 1 Sehr streitig: Schon RG vom 30.10.1902 - Vl.208/02 - Z 52, 373 spricht von "billiger Rücksichtnahme" der Nachbarn; zustimmend Mühl, in: Soergel, 12. Aufl., § 1004 BGB Rdnr. 105 162 Vgl. BGH vom 29.5.1964 - V ZR 58/62- Z 41 , 393 (397); BGH vom 9.7.1958- V ZR 205/57 - Z 28, 110 (112 f.); Picker, Beseitigungsanspruch, 40 ff.; Herrmann, Der Störer nach § 1004 BGB, 18 ff.; kritisch Westermann, Sachenrecht, Bd. I, 245; Gursky, in: Staudinger, 12. Aufl., § 1004 Rdnr. 69 ff.; Palandt/Bassenge, BGB, 52. Aufl., § 1004 Rdnr. 18. 163 Picker, Beseitigungsanspruch, 113 ff. ; a.A. BGH vom 29.5.1964- V ZR 58/62- Z 41 , 393; Westermann, Sachenrecht, Bd. I, 247. 164
So lag wohl der Fall BGH vom 29.5.1964- V ZR 58/62- Z 41,393 (397).
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Teil 2: Zivilrechtliche Lösungsansätze der Abwehr negativer Immissionen
standsstörer ist (auch) der Besitzer der störenden Sache, soweit er tatsächlich und auch rechtlich in der Lage ist, die Störung zu beseitigen. 165 Aus der Figur der Zustandshaftung ergeben sich die eigentlichen Probleme des Störerbegriffs, denn sie wird allgemein als zu weitgehend empfunden. 166 Die h.M. und auch die Rechtsprechung fordern daher, daß der Zustandsstörer, wenn kein Fall der Aufrechterhaltungsformel vorliegt, die Störungslage wenigstens mitgeschaffen haben muß. 167 Dem wird man kaum folgen können, weil dann eben eine schlichte, wenn auch mittelbar wirkende Handlungsstörung vorliegt. 4. Duldungspßicht
Die Duldungspflicht des Eigentümers läßt die Rechtswidrigkeit der Störung entfallen, dennoch bleibt es tatbestandlieh bei einer Beeinträchtigung; dies legt der Wortlaut des§ 1004 Abs. 2 BGB nahe. Bei der Duldungspflicht handelt es sich um eine Einrede. 168 Die Duldungspflicht selbst kann sich sowohl aus dem Gesetz, also etwa aus dem zivilrechtliehen Nachbarrecht, aber auch aus beschränkten dinglichen Rechten, z.B. Dienstbarkeiten, § 1018 BGB, oder schuldrechtlichen, relativen Rechten 169 ergeben. Eine schuldrechtliche Duldungspflicht bindet nur denjenigen, der sie auch tatsächlich eingegangen ist, sowie seinen Gesamtrechtsnachfolger. Sie bindet jedoch grundsätzlich nicht den Einzelrechtsnachfolger im Eigentum. 170
165
BGH vom 29.5.1964- V ZR 58/62- Z 41, 393.
166
Siehe Schapp, Sachenrecht, 79 f. ; Pa/andt/Bassenge, BGB, 52. Aufl., § 1004 Rdnr. 18.
167
Vgl. RG vom 25.8.1937- V 74/37- Z 155, 316 (319); BGH vom 2.3.1984- V ZR 54/83- Z 90, 255 (266); Schapp, Sachenrecht, 79; Mühl, in: Soergel, 12. Aufl., § 1004 BGB Rdnr. 105 m.w.N. 168 So auch RG vom 13.4.1934 -VII 324/33 - Z 144, 268 (271 ); a.A. Pa/andt/Bassenge, BGB, 52. Aufl., § 906 Rdnr. 31 ; Kohl, in: AK-BGB, § 1004 Rdnr. 54 und wohl auch Westermann, Sachenrecht, Bd. I, 245. 169 Hierbei ist§ 986 Abs. I S. I BGB anwendbar: BGH vom 17.9.1958- V ZR 63/58- NJW 1958, 2061; Palandt!Bassenge, BGB, 52. Aufl., § 1004 Rdnr. 33; Medicus, in: MüKo, 2. Aufl., § 1004 BGB Rdnr. 52 ff. 170 RG vom 11.5.1907- V.483/06- Z 66, 126 (128); BGH vom 19.12.1975- V ZR 38/74- Z 66, 37 (39); Gursky, in: Staudinger, 12. Aufl., § 1004 Rdnr. 140; Müht, in: Soergel, 12. Aufl., § 1004 BGB Rdnr. 195; Medicus, in: MüKo, 2. Aufl., § 1004 BGB Rdnr. 54; Kohl, in: AK-BGB, § 1004 Rdnr. 54 ff; Westermann, Sachenrecht, Bd. I, 246.
A Zivilrechtsnormen mit möglicher Abwehrrelevanz
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Duldungspflichten ergeben sich auch aus öffentlich-rechtlichen Vorschriften, etwa § 14 BimSchG oder aus öffentlich-rechtlichen Widmungsakten, m.a.W. Instituten des öffentlichen Sachenrechts; 171 auch wichtige Betriebe des öffentlichen Interesses sollen Duldungspflichten begründen können. 172 5. Verjährung
Nach wohl h.M. unterliegt der Beseitigungsanspruch grundsätzlich der dreißigjährigen Verjährung gern.§§ 194 Abs. I, 195 BGB. Bei einem Eigentümerwechsel kommt dem Einzelrechtsnachfolger die während des Besitzes des Rechtsvorgängers verstrichene Verjährungszeit zustatten,§ 221 BGB. 173 Nach umstrittener Ansicht gilt das auch hinsichtlich des im Grundbuch eingetragenen Grundstückseigentums. 174 Dies soll sich unter anderem daraus ergeben, daß der Beseitigungsanspruch als solcher, ähnlich der ausdrücklichen Regelung der Schadensersatzansprüche in § 902 Abs. I S. 2 BGB, nicht aus dem Grundbuch ersichtlich ist. 175 Diese Argumentation überzeugt jedoch nicht. § I 004 BGB steht als dinglicher Rechtsverwirklichungsanspruch dem § 985 BGB systematisch näher, filr diesen aber gilt der § 902 Abs. 1 S. I BGB unstreitig, 176 so daß es bei der Unverjährbarkeit bleibt. 171 BGH vom 19.6.1963- V ZR 226/62- Z 40, 20; vgl. auch Papier, Recht der öffentlichen Sachen, 130 ff. 172 BGH vom 21.9.1960- V ZR 89/59- NJW 1960, 2335; BGH vom 25.1.1973-111 ZR 61/70 - Z 60, 119 "Überspannung" eines Grundstücks; vgl. auch Palandt/ Bassenge, BGB, 52. Aufl., § 1004 Rdnr. 34; Gursky, in: Staudinger, 12. Aufl., § 1004 Rdnr. 135; Kohl, in: AK-BGB, § 1004 Rdnr. 57a; Müller, Sachenrecht, Rdnr. 774.
173 BGH vom 23.2.1973 - V ZR I 09171 - Z 60, 235 (239); BGH vom 22.6.1990 - V ZR 3/89 NJW 1990, 2555 (2556); Kohl, in: AK-BGB, § 1004 Rdnr. 77; Gursky, in: Staudinger, 12. Aufl., § 1004 Rdnr. 147; Mühl, in: Soerge1, 12. Aufl., § 1004 BGB Rdnr. 94; Palandt/Bassenge, BGB, 52. Aufl., § 1004 Rdnr. 36; Larenz, Allgemeiner Teil, 6. Aufl., § 14 1.; Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, 166; vgl. aber auch Art. 78 Abs. I S. 2 BayAGBGB. 174 Vgl. BGH vom 23.2.1973- V ZR 109171 - Z 60, 235 (237 f .); OLG NUmberg vom 8.7.1970 - 4 U 148/67- RdL 1970, 220 (222); Augustin, in: BGB-RGRK, 12. Aufl., § 902 Rdnr. 8; Palandt/Bassenge, BGB, 52. Aufl., § 906 Rdnr. 3; Baur, JZ 1973, 560; a.A. Planck/Strecker, § 906 Anm. Sg; Gursky, in: Staudinger, 12. Aufl., § 1004 Rdnr. 143; Medicus, in: MUKo, 2. Aufl., § 1004 BGB Rdnr. 70; Wacke, in: MüKo, 2. Aufl., § 902 BGB Rdnr. 9; Mühl, in: Soergel, 12. Aufl., § 1004 BGB Rdnr. 186; Picker, JuS 1974, 357. 175 Vgl. BGH vom 23.2.1973 - V ZR 109171 - Z 60, 235 (238 f.); Müller, Sachenrecht, Rdnr. 769; dagegen überzeugend Picker, JuS 1974, 357; Gursky, in: Staudinger, 12. Aufl., § 1004 Rdnr. 143 176 So Picker, JuS 1974, 357, ihm folgend der Großteil der Kommentarliteratur; abweichend jedoch Medicus, in: MüKo, 2. Aufl., § 1004 BGB Rdnr. 70; gegen diesen wiederum Gursky, in: Staudinger, 12. Aufl., § 1004 Rdnr. 143; vgl. auch Motive. 111, 423.
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6. Anspruchsinhalt
a) "Beeinträchtigung" als Gegenstand der Beseitigungspflicht aa) Allgemeines
Ausgangspunkt der Anwendung des § 1004 BGB ist der Beeinträchtigungsbegrif/,171 denn hiernach definieren sich Gegenstand und Umfang der Beseitigungspflicht des Störe~s. Maßstab der Beeinträchtigung ist die geltende zivilrechtliche Eigentumsordnung. 178 Eine Beeinträchtigung ist die dem Inhalt des Eigentums widersprechende Handlung oder der eigentumswidrige Zustand einer Sache. 179 Die Motive zum BGB 180 gehen hierbei von den tatsächlichen Verhältnissen aus, d.h. der Anspruchsinhaber muß ein körperliches Verhältnis zum streitigen Gegenstand haben und der Anspruchsgegner muß einen Zustand schaffen oder aufrechterhalten, der auf der Ebene des Tatsächlichen zum geltenden Eigentumsinhalt in Widerspruch steht. Hingegen kann eine Beeinträchtigung (heute) anerkanntermaßen rechtlicher oder tatsächlicher Natur sein. Nicht mehr wesentlich ist, daß auch die Sachsubstanz betroffen wird; es genügt das Betroffensein in den Eigentümerbefugnissen, 181 wozu auch der Sachgebrauch zu zählen ist. 182
177 Kohl, in: AK-BGB, § 1004 Rdnr. 18; allerdings ist die Tendenz unverkennbar, die Diskussion in den Störerbegriff zu verlagern: Medicus, in: MüKo, 2. Auf!.,§ 1004 BGB Rdnr. 36 ff.; Müller, Sachenrecht, Rdnr. 710; Schapp, Sachenrecht, 78 ff.; Kohl, in: AK·BGB, § 1004 Rdnr. 32; siehe auch Picker, Beseitigungsanspruch, 49 ff.; zu Picker wiederum kritisch Müht, in: Soergel, 12. Auf!.,§ 1004 BGB Rdnr. 29; siehe auch Medicus, in: MüKo, 2. Auf!.,§ 1004 BGB Rdnr. 20 ff. m.w.N. 178
Vgl. Gursky, in: Staudinger, 12. Auf!.,§ 1004 Rdnr. 7.
Picker, Beseitigungsanspruch, 49 ff., 82 ff. (Fallgruppen), spricht von einer "Rechtsusurpation", danach liegt eine Beeinträchtigung dann vor, wenn das Eigentum von einer fremden Rechtssphäre überlagert, also in das Belieben des EigentUrners gern. § 903 BGB eingegriffen wird, wobei eine strukturelle Ähnlichkeit zur bereicherungsrechtlichen Eingriffskondiktion und dem Eingriff in den Zuweisungsgehalt besteht. Zustimmend: Gursky, in: Staudinger, 12. Auf!., § 1004 Rdnr. 7 ff.; Koller, DB 1974, 2385 (2388); ähnlich : Kohl, in: AK-BGB, § 1004 Rdnr. 18; Westermann, Sachenrecht, Bd. I, 247; Müller, Sachenrecht, Rdnr. 710; Pinger, EBV, 188; wohl auch: BGH vom 21.4.1989- V ZR 248/87- NJW 1989, 2541 (2542); schwankend: Schapp, Sachenrecht, 78 f.; wenig zustimmend: Müht, in: Soergel, 12. Auf!.,§ 1004 BGB Rdnr. 29; Medicus, in: MüKo, 2. Auf!.,§ 1004 BGB Rdnr. 23 a und b, m.w.N. 179
180
Motive III, 424 und auch 392.
So auch BGH vom 21.12.1970- II ZR 133/68 -Z 55, 153 (159); BGH vom 21.6.1977- VI ZR 58/76- NJW 1977, 2264; siehe auch schon BGH vom 7.3.1956- V ZR 106/54- Z 20, 169 (170) unter Hinweis auf die Rechtsprechung des RG; Westermann, Sachenrecht, Bd. I, 246; Me181
A. Zivilrechtsnonnen mit möglicher Abwehrrelevanz
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Entsprechend der Abgrenzungsschwierigkeiten bei der Erfassung des Einwirkungsbegriffs in § 903 BGB hat sich eine umfangreiche Kasuistik und Fallgruppenbildung auch zur Beschreibung des Beeinträchtigungsbegriffs herausgebildet, 183 was aber nicht weiter verwundem kann, denn § 1004 Abs. 1 BGB ist der Sache nach der Standort für die anspruchsrechtliche Verwirklichung zur Abwehr solcher "Einwirkungen". bb) Konturen des Beeinträchtigungsbegriffs
Die überwiegende Meinung in Literatur und Rechtsprechung hat folgende, einheitliche Konturen des Beeinträchtigungsbegriffs herausgearbeitet: (1) Negatives Tatbestandsmerkmal
Grammatikalisch ist der Beeinträchtigungstatbestand weit gefaßt, er beinhaltet dem Wortsinn nach sogar die Besitzentziehung. 184 Nach der Regelungstechnik der Norm wird die Entziehungsbeeinträchtigung als negatives Tatbestandsmerkmal aus § 1004 BGB wieder ausgeschieden und letztlich § 985 BGB zugewiesen. 185 § 1004 BGB ist demnach eine Generalklausel und § 985 BGB ein spezielles Segment dieser Klausel. 186 Treffen einfache Besitzbeeinträchtigung und -entziehung zusammen, sind beide Normen nebeneinander anwendbar.ls7 (2) Menschliches Verhalten
Die relevante Beeinträchtigung muß auf (verantwortliches) menschliches Verhalten zurückfUhrbar sein. 188 Dies beinhaltet nicht nur den Ansatz zur Stödicus, in: MUKo, 2. Aufl., § 1004 BGB Rdnr. 24; ders., Bürgerliches Recht, Rdnr. 613; ders., SBT, § 138114; Mühl, in: Soergel, 12. Aufl., § 1004 BGB Rdnr. 29. 182 Siehe auch die Fallgruppe "Unbefugter Gebrauch" bei Gursky, in: Staudinger, 12. Aufl., § 1004 Rdnr. II und oben S. 79 ff.
183 Vgl. nur Palandt/Bassenge, BGB, 52. Aufl., § 1004 Rdnr. 6; Mühl, in: Soergel, 12. Aufl., § 1004 BGB Rdnr. 33-80; Gursky, in: Staudinger, 12. Aufl., § 1004 Rdnm. 8-59; zu den Fallgruppen oben S. 74 ff. 184
Vgl. Schapp, Sachenrecht, 77.
185
Mühl, in: Soergel, 12. Aufl., § 1004 BGB Rdnr. 28; siehe auch Steffen, in: BGB-RGRK, 12. Aufl., § 823 Rdnr. 23. 186 Baur, AcP 160 (1960), 465 (467 und 490); Pinger, EBV, 188; Gursky, in: Staudinger, 12. Aufl., Vorb. zu§§ 985-1007 Rdnr. 2.
187 BGH vom 29.5.1964- V ZR 58/62- WM 1964, 883 (884); Medicus, in: MüKo, 2. Aufl., § 1004 BGB Rdnr. 20; Pikart, in: BGB-RGRK, 12. Aufl., § 1004 Rdnr. I.
7 Reetz
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Teil 2: Zivilrechtliche Lösungsansätze der Abwehr negativer Immissionen
reridentifikation, sondern auch zur Problematik der äquivalenten und adäquaten Verursachung. Nicht ausreichend sind demnach Beeinträchtigungen durch den nur auf Naturkräfte rückführbaren Zustand einer Sache, also etwa einen Felsbrockensturz189 oder einen Erdrutschaufgrund der natürlichen Bodenstruktur190. Anders ist lediglich dann zu entscheiden, wenn zumindest auch eine Störerhandlung, sei sie auch noch so geringfügig, ursächlich war, oder wenn eine Pflicht, etwa eine Verkehrssicherungspflicht zur Verhinderung bestand. 191 Der Störer braucht die adäquat kausale Handlung oder das pflichtwidrige Unterlassen, welches zur Beeinträchtigung flihrte, nicht allein verursacht haben, Mitverursachung genügt. 192 Entgegen der h.M. von der willensgetragenen Verantwotlichkeit für eine Störung will die sog. Eigentumstheorie 193 bei der Erfassung der abwehrbaren Beeinträchtigung auf eine kausale Willensbetätigung gänzlich verzichten und den Haftungsgrund ausschließlich auf das Eigentum selbst stützen. 194 Der Anwendungsbereich des § 1004 BGB wäre damit der Sache nach eine den Gefährdungshaftungstatbeständen angenäherte Konstruktion. 195 Die nur aus dem Eigentum herrührende Störerstellung resultiert nach dieser Auffassung aus dem 188 Palandt!Bassenge, BGB, 52. Aufl., § 1004 Rdnr. 8; Medicus, in: MüKo, 2. Aufl., § 1004 BGB Rdnr. 21; Mühl, in: Soergel, 12. Auf!.,§ 1004 BGB Rdnr. 105; Schapp, Sachenrecht, 77; dagegen begrifflich argumentierend Müller, Sachenrecht, Rdnr. 706. 189 BGH vom 12.2.1985- VI ZR 193/83- NJW 1985, 1773; hierzu auch Heinze, 138; Westermann, Sachenrecht, Bd. I, 249; Stad/er, Nachbarrecht, 4. Aufl., 154 f. 190 OLG Stuttgart vom 10.11.1986- 13 U 239/84- NuR 1990, 141; OLG NUmberg vom 8.7.1970- 4 U 148/67- RdL 1970, 220 (223); siehe zu weiteren Beispielen Palandt!Bassenge, BGB, 52. Auf!.,§ 1004 Rdnr. 6; verfehlt insoweit BGH vom 18.4.1991- III ZR 1/90- MDR 1991, 869.
191 Vgl. OLG Koblenz vom 27.11.1974- I U 557173- MDR 1975, 403; /andt!Bassenge, BGB, 52. Auf!., § 1004 Rdnr. 6; siehe auch die Hinweise chenrecht, 348 und 188, Fn. I.
weitere Beispiele Pabei Wolff-Raiser, Sa-
192 RG vom 19.12.1929- VI 95/29- Z 127,29 (34); Palandt/Bassenge, BGB, 52. Aufl., § 1004 Rdnr. 8. 193 So Pleyer, AcP !56 (1957), 291 (306); ders. , AcP 161 (1962), 500 (507); ders. , JZ 1959, 305 (306 f.); ders., JZ 1961, 499 (500); Kühler, AcP 159 (1960), 236 (276); zustimmend auch Westermann, Sachenrecht, Bd. I, 249; differenzierend Kohl, in: AK-BGB, § 1004 Rdnr. 50; dagegen zuletzt BGH vom 2.3.1984- V ZR 54/83- Z 90, 255 (266); BGH vom 12.2.1985 -VI ZR 193/83- NJW 1985, 1773 (1774); BGH vom 18.4.1991 - 111 ZR 1190- MDR 1991, 869 und Herrmann, Der Störernach § I004 BGB, 112 f.; Jauernig, in: FS Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg (1986), 87 (98 f.). 194 Dies soll nicht fllr "höhere Gewalt" gelten: Pleyer, AcP 156 (1956), 291 (307 f.); ders., JZ 1959, 305 (307); Westermann, Sachenrecht, Bd. I, 249. 195 Pleyer, AcP 156 (1956), 291 (304).
A. Zivilrechtsnonnen mit möglicher Abwehrrelevanz
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Postulat der Sozialverträglichkeit des Art. 14 Abs. 2 S. 1 GG i.V.m. § 242 BGB.I96
Ob man dieser Argumentation folgen will, kann hier offen bleiben, denn daß negative Immissionen auf nicht willensgetragenen Vorgängen beruhen könnten, erscheint wenig wahrscheinlich. Das Pflanzenabstandsrecht, als einer Spezialregelung negativer Immissionen, setzt willensgetragenes Handeln des störenden Grundstückseigentümers jedenfalls nicht voraus. 197 (3) Aktualität
Die Beeinträchtigung muß aktue/1198 sein, d.h. einerseits genügend konkret in der Entstehungsphase der Störung, andererseits noch nicht abgeschlossen in der Vergangenheit. 199 Nicht genügend konkret ist beispielsweise das Einreichen eines Bauplans bei der Genehmigungsbehörde, der im Falle seiner Verwirklichung den geschützten Eigentumsinteressen des Nachbarn zuwiderliefe. 200 Genügend konkret soll aber die akute Umsturzgefahr eines Baumes sein. 201 Das Erfordernis der Aktualität, also der Fortdauer der Störung ergibt sich schon daraus, daß ansonsten nichts mehr zu beseitigen wäre. 202 Die Wiederholungsgefahr ist keine Frage der Aktualität, 203 sondern einzig Voraussetzung des Unterlassungsanspruchs gern.§ 1004 Abs. 1 S. 2 BGB.204
196 Pleyer, AcP 156 (1956), 291 (305). Ein Rekurrieren auf Art. 14 GG kann nicht wesentlich weiterhelfen. Das BVerfG hat ausdrucklieh klargestellt, daß sich die Sozialbindungsklausel ausschließlich an den Gesetzgeber wendet: BVerfG vom 15.7.1981 - I BvL 77178- E 58, 300 (338) "Naßauskiesung"; BVerfG vom 8.1.1985- I BvR 792, 501/83- E 68, 361 (367 f.); Jauernig, in: FS Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg (1986), 87 (94 ff.); ders., JZ 1986, 605; anders zwar Nüßgen-Boujong, Eigentum, Sozialbindung, Enteignung, 69; hiergegen aber wiederum überzeugend Böhmer, NJW 1988,2561 (2573 f.). 197
Vgl. Sprau, Justizgesetze in Bayern, Art. 47 BayAGBGB Rdnr. 23.
198
Man spricht auch von "Gegenwärtigkeit" oder "Fortdauern", Palandt!Bassenge, BGB, 52. Aufl., § 1004 Rdnr. 12; Medicus, Bürgerliches Recht, Rdnr. 629. 199 Medicus, in: MüKo, 2. Aufl., § 1004 BGB Rdnr. 22 m.w.N.; Mühl, in: Soergel, 12. Aufl., § I 004 BGB Rdnr. 32; vgl. auch Westermann, Sachenrecht, Bd. I, 249; Hoh/och, 54 f. 200 RG vom 6.10.1917- V 160/17- LZ 1918, 389; Mühl, in: Soergel, 12. Aufl., § 1004 BGB Rdnr. 31 ; Pikart, in: BGB-RGRK, 12. Aufl., § 1004 Rdnr. 32. 201 OLG Köln vom 17.5.1989 - 13 U 113/88 - NJW-RR 1989, 1177; siehe auch Palandt/Bassenge, BGB, 52. Aufl., § 1004 Rdnr. II mit weiteren Beispielen
202 203
So auch Medicus, in: MüKo, 2. Aufl., § 1004 BGB Rdnr. 22.
Unklar die Abgrenzug bei Palandt/Bassenge, BGB, 52. Aufl., § 1004 Rdnr. 12; anders auch Westermann, Sachenrecht, Bd. I, 249, bei ständig neu entstehender Störung.
100
Teil2: Zivilrechtliche Lösungsansätze der Abwehr negativer Immissionen (4) Rechtswidrigkeit
Der Beseitigungsanspruch setzt als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal die Rechtswidrigkeit der Beeinträchtigung voraus. 205 Die Beeinträchtigung ist rechtswidrig, wenn der Eigentümer in keiner Weise verpflichtet ist, sie zu dulden, wenn also kein Fall des Abs. 2 und auch keine rechtsgeschäftliche Duldungspflicht besteht. 206 Die Eigentumsbeeinträchtigung indiziert i.d.R. die Rechtswidrigkeit. 207 Rechtswidrigkeit und Duldungspflicht sind die zwei Seiten einer Münze.208 b) Beseitigung der "Beeinträchtigung" Der Störer hat einen Zustand herzustellen, der die Beeinträchtigung dauerhaft beseitigt. 209 Die Art und Weise der Beseitigung bleibt ihm überlassen.210
§ 1004 BGB beruht auf dem Modell der Bekämpfung von Störungen im Einwirkungsbereich und nicht im Verursachungsbereich, also beispielsweise auf dem Emissionsgrundstück. Hier kann letztlich nur eingegriffen werden, gleichsam mittelbar, wenn und soweit die Störung im Einwirkungsbereich, auf dem Immissionsgrundstück, nicht anders als durch die Veränderung oder Beseitigung der Störungsquelle bekämpft werden kann. Der Gläubiger des Anspruchs kann nach dem Grundsatz von Treu und Glauben eine Störungsbeseitigung dann nicht verlangen, wenn sie unzumutbar, 211 204 Mühl, in: Soergel, 12. Aufl., § 1004 BGB Rdnr. 32; Palandt!Bassenge, BGB, 52. Aufl., § 1004 Rdnr. 29.
205 Westermann, Sachenrecht, Bd. I, 245; Baur, AcP 160 (1960), 465 ff.; dagegen Münzberg, JZ 1967, 689 (680 f.), der darauf hinweist, daß auf das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal der Rechtswidrigkeit in älteren Darstellungen gar nicht eingegangen wird. 206 Medicus, in: MüKo, 2. Aufl., § 1004 BGB Rdnr. 49; Palandt!Bassenge, BGB, 52. Aufl., § 1004 Rdnr. 9. 207
BGH vom 4.12.1970- V ZR 79/68- WM 1971,278 (279).
208
Streitig: Erman-Hejermehl, BGB, 8. Aufl., § 1004 BGB Rdnr. 32; Kohl, in: AK-BGB, § 1004 Rdnm. 17 und 50; Baur, Sachenrecht, § 12 II 2.; Baur!Stürner, Sachenrecht, 16. Aufl. 1992, § 1211 2.; BGH vom 19. 12.1975- V ZR 38/74- Z 66, 37 (39). 209
I, 249.
Vgl. BGH vom 16.6.1972- V ZR 93/70- NJW 1972, 1464; Westermann, Sachenrecht, Bd.
210 Vgl. BGH vom 21.9.1960- V ZR 89/59- NJW 1960, 2335; zu Fragen der Bestimmtheit des Klageantrags: BGH vom 22.10.1976- V ZR 36/75 - Z 67, 252. 211 Einen Extremfall dieser Art zeigt OLG DUsseldorf vom 21.5.1986- 9 U 31/86 - NJW 1986, 2512; hierzu auch Westermann, Sachenrecht, Bd. I, 249.
A. Zivilrechtsnormen mit möglicher Abwehrrelevanz
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oder mit solchen Aufwendungen verbunden ist, daß diese zu den Interessen des Berechtigten in keinem vernünftigen Verhältnis stehen. 212 In einem solchen, seltenen Fall soll der Berechtigte jedoch entsprechend § 25I Abs. 2 BGB eine Entschädigung verlangen können. 213 Im übrigen sind im Rahmen von § I 004 BGB auch andere schuldrechtliche Normen in weitem Umfang anwendbar? 14 c) "Beeinträchtigung" durch negative Immissionen Nach der h.M. 215 fallen die negativen Immissionen nicht unter den Beeinträchtigungsbegriff und damit nicht in den Anwendungsbereich des § I 004 Abs.I BGB.216 Anders soll jedoch zu entscheiden sein, sofern auf landesrechtliche Nachbargesetze217 zurückgegriffen werden kann. Abweichend davon konzediert die herrschende Ansicht auch dann eine Subsumtion unter den Begriff der Beeinträchtigung, wenn das Grundstück von lebenswichtigen Versorgungsquellen oder Zugangsmöglichkeiten abgeschnitten wird, 218 also die Fallgruppe des Entzugs von Infrastrukturverbindungen betroffen ist. Einschränkend
212
Vgl. BGH vom 21.12.1973- V ZR 107/72- WM 1974, 572 (573).
213
Vgl. BGH vom 21.6.1974- V ZR 164/72- Z 62, 388 (391); BGH vom 29.4.1977- V ZR 71/75 - NJW 1977, 1448; Westermann, Sachenrecht, Bd. I, 250; Mühl, in: Soergel, 12. Aufl., § 1004 BGB Rdnr. 114 m.w.N.; ablehnend Picker, AcP 176 (1976), 28 (53). 214 Vgl. etwa BGH vom 14.12.1954 -I ZR 134/53- NJW 1955, 340; BGH vom 21.4.1989- V ZR 248/87- NJW 1989, 2542; Gursky, in: Staudinger, 12. Aufl., § 1004 Rdnr. 114 ff. ; Medicus, in: MUKo, 2. Auß., § I 004 BGB Rdnr. 65 ff.; Mühl, in: Soergel, 12. Aufl., § I 004 BGB Rdnr. 114 f.; Hohloch, 182 ff. 215 Aus der Rechtsprechung: RG vom 8.1.1920 -VI 349/19 - Z 98, 15; RG vom 16.6.1937 -V 241/36- Z 155, 154; BGH 21.10.1983- V ZR 166/82- Z 88, 344; BGH vom 22.12.1976 -lll ZR 62/74- Z 69, I; BGH vom 15.6.1951- V ZR 55/50- LM Nr. I zu§ 903 BGB = MDR 1951, 726; BGH vom 10.4.1953 -V ZR I 15/51 - LM Nr. 2 zu § 903 BGB = BB 1953, 373; OLG DUsseldorf vom 6.7.1979 - 4 V 18/79- NJW 1979,2618. Aus der Literatur: Medicus, in: MUKo, 2. Aufl., § 1004 BGB Rdnr. 28; Gursky, in: Staudinger, 12. Aufl., § 1004 Rdnr. 47; Pikart, in: BGB-RGRK, 12. Aufl., § 1004 Rdnr. 23; Mühl, in: Soergel, 12. Auß., § 1004 BGB Rdnr. 36; Palandt!Bassenge, BGB, 52. Aufl., § 1004 Rdnr. 5; Cape/le, Sachenrecht, 75; Kodal!Krämer, Straßenrecht, Kap. 34 Rdnr. 46.7. 21 6 Stark von der (naturalistischen) Vorstellung des Säuleneigentums geprägt ist die Argumentation, § 1004 Abs. I BGB schütze im Grundstücksnachbarrecht lediglich Beeinträchtigungen im Raum über dem Grundstück: Eich/er, Institutionen des Sachenrechts 11.1 , 273. Gegen dieses Argument schon Tiedemann, MDR 1978, 272 (274); Block, Nachbarliches Gemeinschaftsverhältnis, 165 ff.; siehe auch Unger, GrunhutsZ Bd. 13 (1886), 715 (724). 217 M.E. handelt es sich bei den nachbarrechtlichen Abwehransprüchen um eigenständige Anspruchsgrundlagen, die neben § I 004 BGB treten, siehe hierzu unten S. 152 f. 218 Pikart, in: BGB-RGRK, 12. Aufl., § 1004 Rdnr. 24; Medicus, in: MUKo, 2. Aufl., § 1004 BGB Rdnr. 28 a.E.; wohl auch Gursky, in: Staudinger, 12. Aufl., § 1004 Rdnr. 48.
i02
Teil 2: Zivilrechtliche Lösungsansätze der Abwehr negativer Immissionen
muß jedoch wiederum angemerkt werden, daß die Tendenz besteht, Fälle dieser Art als Form des Rechtsmißbrauchs dem Anwendungsbereich des § 242 BGB zuzuordnen.219 Diese h.M. basiert wesentlich auf der Verwendung des sog. Gleichsetzungsarguments. aa) Das herrschende "Gieichsetzungsargument" (I) Darstellung
In der Rechtsprechung und der ihr zustimmenden Literatur220 hat sich zur Ausgrenzung der negativen Immissionen aus dem Beeinträchtigungsbegriff des § I 004 BG B ein Argumentationsmuster herausgebildet, das man auch als Gleichsetzungsargument bezeichnen kann. Es entstammt der Rechtsprechung des Reichsgerichts. 221 Der BGH hat diese Rechtsprechung fortgeftlhrt, 222 und auch die Instanzgerichte haben die Gleichsetzungslösung übernommen. 223 Gegenüber der Gewichtigkeit der Gleichsetzungslösung ist diejenige Ansicht vereinzelt geblieben22\ die das Unterlassen von Handlungen, die negative Immissionen bewirken, grundsätzlich für unzumutbar und nicht der Zwecksetzung des § I 004 Abs. I BGB entsprechend erachten. 219
OLO DUsseldorfvom 6.7.1979-4 U 18/79- NJW 1979,2618.
220
Eich/er, Institutionen, 273; Crome, Recht an Sachen und an Rechten, 283; Heilfron/Pick, Sachenrecht, 294 ff.; zur älteren Literatur die Nachweise bei Tiedemann, MDR 1978, 272 (273, Nachweise in Fn. II); Ostendorj, JuS 1974, 756 (758); Klein/ein, System, 220 ff.; Hagen; WM 1984, 677; Säcker, in: Müko, § 906 BGB Rdnr. 20; Roth, in: Staudinger, 12. Aufl., § 906 Rdnm. 114 ff., in Rdnr. 119 dann ausschließlich auf§ 1004 abstellend. Dagegen: Heck, Sachenrecht, 219; Block, Nachbarliches Oemeinschaftsverhältnis, 151 ; MüllerMichels, Negative Einwirkungen, 16 ff.; Heubel, Entziehende Einwirkungen, 48; Pleyer, JZ 1959, 305 (306); Tiedemann, Rechtsschutz gegen Störungen des Fernsehempfangs durch Hochbauten, 167 ff.; ders. , MDR 1978, 272; Baur, Sachenrecht,§ 25 IV 2 b) cc); Baur/Stürner, Sachenrecht, 16. Aufl. 1992, § 25 IV 2 b) cc); Jauernig, JZ 1986, 605 (610); Medicus, in: MUKo, 2. Aufl., § 1004 BOB Rdnr. 29. 221 Vgl.etwaRGvom8.1.1920-VI349119-Z98, 15; ROvom 16.6.1937-V241/36-Z 155, 154; RO vom 8.1.1908 - 186/07 V. - JW 1908, 142 Nr. 12; vgl. auch aus der Instanzrechtsprechung: OLO Celle vom 27.5.1903- 3 U 126/03- Seuff.A. 60, 18; OLO Stuttgart vom 17.5.1907- U 155/07- Seuff.A. 64, 225. 222 Vgl. etwa BOH vom 15.6.1951 - V ZR 55150 - LM Nr. I zu § 903 BOB; BOH vom 10.4.1953- V ZR 115/51- LM Nr. 2 zu§ 903 BOB; zuletzt BOH vom 22.2.1991- V ZR 308/89Z 113,384=NJW 1991,1671. 223 Besonders deutlich: KO vom 15.6.1937-2 U 1011/37- JW 1937, 2928; OLO Celle vom 25.11.1952 - 4 U 27/52- NJW 1953, 388; und die zahlreichen Nachweise bei Heubel, Entziehende Einwirkungen, 39 Fn. 5. 224
Hubernage I, DJZ 36 Sp. 804-6.
A. Zivilrechtsnormen mit möglicher Abwehrrelevanz
103
Die Struktur des Gleichsetzungsarguments basiert wesentlich auf einer Verengung des an sich abwehrfähigen (§ 1004 Abs. 1 BGB), umfassenden Ernwirkungsbegriffs des § 903 BGB, und zunächst geht dieser Ansatz richtigerweise davon aus, daß eine Einwirkung, und damit eine Beeinträchtigung dann nicht abwehrbar ist, wenn man sie nach § 906 BGB zu dulden hat. Die Vertreter der Gleichsetzungslösung setzen nun aber bei der Auslegung des § 906 BGB an. Sie verstehen den immissionsgeprägten Einwirkungsbegriff des § 906 BGB, die "Zuführung", identisch mit dem Einwirkungsbegriff des § 903 BGB. Liegt demnach eine "zuführende" Einwirkung nach § 906 BGB vor, dann liegt auch eine nach § 903 vor. Gleiches soll jedoch auch im Umkehrschluß gelten: Liegt keine "zuführende" Einwirkung i.S.d. § 906 vor, dann liegt auch keine i.S.d. § 903 vor. Damit ist im Ergebnis die Gleichsetzung von Immission und Einwirkung erreicht. Faktisch bewirkt diese Ansicht, daß die Reichweite der Ausschlußbefugnis des "gestörten" Nachbarn auf der Ebene des zivilrechtliehen Eigentumsbegriffs nicht mehr problematisiert wird, weil diese eigentliche Fragestellung schon durch eine Deduktion aus § 906 BGB als entschieden gilt. 225 Die Erfassung negativer Immissionen auf der Ebene der§§ 1004 Abs. 1, 903 BGB wird konsequenterweise vemachlässigt/26 und aus dem Zusammenwirken mit dem Grenzüberschreitungsargumene27 ergibt sich so die grundsätzliche Unabwehrbarkeit. (2) Kritik
Daß der Einwirkungsbegriff des § 903 BGB im Sinne einer Gleichsetzung mit dem Immissionsbegriff des § 906 BGB umfanglieh ilbereinstimmen soll, kann nicht überzeugen. Es liegt der Regelungstechnik des BGB wesentlich näher, den expansiven Einwirkungsbegriff des § 903 BGB und die kongruente Anspruchsgrundlage des § 1004 BGB weit auszulegen und sie nicht auf den Immissionsbegriff des § 906 BGB zu verdichten. 228 Es spricht einiges dagegen,
225 MerkwUrdigerweise ist die Rechtsprechung diesen Weg bei sog. Grobimmissionen nicht gegangen: BGH vom 8.10.1958- V ZR 54/56- Z 28, 225; vgl. auch Diederichsen, Referat L zum 56. DJT, 48 (52). 226 Jauernig, JZ 1986, 605 (609); Pfei.ffer, Immissionsschutz, 232 f.; ähnlich Roth, in: Staudinger, 12. Aufl., § 906 Rdnr. 119. 227 Siehe hierzu unten 120 ff. 228 So auch Pleyer, JZ 1959, 305 (306); Tiedemann, MDR 1978, 272 (273); ausftlhrlich: Heu-
bel, Entziehende Einwirkungen, 165 f.
104
Teil 2: Zivilrechtliche Lösungsansätze der Abwehr negativer Immissionen
daß die differenzierte Wortwahl des Gesetzes in der Sache zu keinen Unterschieden führen soll. 229 Daß der Begriff des "Zufilhrens" in§ 906 BGB enger ist als der Begriff der Einwirkung, ergibt sich schon aus dem Wortlaut des § 906 BGB selbst; dieser sieht die "Zufilhrung" als einen Teilausschnitt von möglichen Einwirkungen auf ein Grundstück. Überträgt man dieses limitierende Verständnis des Begriffs der "Zuführung" auf die Ebene des § 903 BGB, dann stellt sich der "Entzug" als ein komplementärer Fall der Einwirkung dar. Ein solches Verständnis des Einwirkungsund Beeinträchtigungsbegriffs wird auch durch die teleologische Auslegung gestützt. Eine Beeinträchtigung durch negative Immissionen ist nämlich nicht weniger ein nachbarlicher Grundstücksnutzungskonflikt als eine Beeinträchtigung durch positive Immissionen/ 30 sie flir unabwehrbar zu erklären, wäre insoweit wertungswidrig. Das Gleichsetzungsargument kann auch in der Rechtsanwendung nicht überzeugen. Die Einwirkungen von Flüssigkeiten/31 Lichtreflexen und elektrischen Strömen232 werden genauso wie die sog. grobkörperlichen Immissionen233 in den Beeinträchtigungsbegriff des § 1004 Abs. 1 BGB einbezogen, weil sie gerade keine Immissionen i.S.d. § 906 BGB darstellen und ihnen auch nicht gleichgesetzt werden können. Die Rechtsprechung hat dies beispielsweise filr die Einwirkung von Steinbrocken infolge einer Sprengung, die Überschwemmung eines Grundstücks nach einem Dammbruch, das Eindringen von Baumwurzeln, das Einwirken von Bleischrot und auch das Eindringen größerer Tiere anerkannt. 234 Die Zuführung solcher "Stoffe" oder Wellen kann grundsätzlich
229
Ebenso Heubel, Entziehende Einwirkungen, 165 f.
230
Auf die teleologische Auslegung des Beeinträchtigungsbegriffs geht z.B. Tiedemann, MDR 1978, 272 (274) näher ein. 231 Zur Einordnung von Flüssigkeiten und des Wasser(rechts): Palandt/Bassenge, BGB, 52. Aufl., § 906 Rdnr. 4; Müht, in: Soergel, 12. Aufl., § 1004 BGB Rdnr. 72; Roth, in: Staudinger, 12. Aufl., § 906 Rdnr. 112 f. , jeweils m.w.N.
232 RG vom 8.4.1911- V.328/IO- Z 76, 130 (132); RG vom 21.10.1931- V 43/31- Z 133, 342 (346); VGH München vom 18.12.1990- 8 8 87.03780- NJW 1991 , 2660 m.w.N.; Pleyer, JZ 1959, 305 (306). 233 BGH vom 8.10.1958- V ZR 54/56- Z 28, 225 (229); Gursky, in: Staudinger, 12. Auß., § 1004 Rdnr. 14; Kohl, in: AK-BGB, § 1004 Rdnr. 44; Winter, in: AK-BGB, § 906 Rdnr. 36; Säkker, in: Müko, § 906 BGB Rdnr. 19; Roth, in: Staudinger, 12. Auß., § 906 Rdnr. 109 ff. ; Dehner, in: M/S/HID, Nachbarrecht, 7. Auß., B § 16 II 3 (S. 15): "Das einzelne Sandkorn ist ein fester Körper". 234 BGH vom 8.1 0. I 958 - V ZR 54/ 56 - Z 28, 225 (229); RG vom 26.6.1939 - VIII 66/39 - Z 161, 65; BGH vom 20.4.1990- V ZR 282/88- NJW 1990, 1910 (1911); BGH vom 26.4.1991- V
A. Zivilrechtsnormen mit möglicher Abwehrrelevanz
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gern. § I004 Abs. I BGB verboten werden, und zwar unabhängig davon, ob diese die Grundstücksnutzung wesentlich beeinträchtigen oder nicht. 235 Nur im Rahmen besonders gelagerter Ausnahmetalle soll eine Duldung dieser Einwirkungen über die Figur des "nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses" erreichbar sein;236 das flexible Konfliktlösungsmodell des § 906 BGB bleibt verschlossen. Ein sachlicher Grund, warum sog. grobkörperliche Immissionen und auch das Einwirken von Flüssigkeiten ohne weiteres unter den Beeinträchtigungsbegriff des § 1004 BGB subsumierbar sind, nicht aber negative Immissionen, die sich den unwägbaren Stoffen ebenfalls nicht gleichsetzen lassen, ist nicht ersichtlich. Das Gleichsetzungsargument ist auch in der Literatur nicht ohne Kritik geblieben: Zu Recht spricht Pfeiffer von einer Umkehrung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses,237 und Tiedemann stellt schlicht auf den Wortlaut des§ 1004 Abs. I BGB ab, aus dem sich jenseits großer Auslegungskünste ergebe, daß negative Immissionen Beeinträchtigungen seien. 238 Baur erklärt seit dem Erscheinen seines Lehrbuchs zum Sachenrecht, daß sich die Erfassung auch der negativen Immissionen nicht durch Auslegung des § 906 BGB ergibt, sondern nur auf der Grundlage der§§ 903, 1004 BGB gefunden werden kann.239 Westermann240 bevorzugt eine normative Auslegung des§ 1004 Abs. I BGB und vertritt die Auffassung, eine abwehrflihige Position ergebe sich jenseits aller Gleichsetzungen im Falle der Minderung des Verkehrswerts des betroffenen Grundstücks. 241 ZR 346/89- NJW 1991, 2826; Müller, Sachenrecht, Rdnr. 703; Gursky, in: Staudinger, 12. Aufl., § 1004 Rdnr. 14; Roth, in: Staudinger, 12. Aufl., § 906 Rdnr. 109 ff.,jeweils m.w.N. 235 Vgl. Gursky, in: Staudinger, 12. Aufl., § 1004 Rdnr. 14; Säcker, in: Müko, § 906 BGB Rdnr. 19; Dehner, in: M/S/H/0, Nachbarrecht, 7. Aufl., 8 § 16113 (S. 15); Wilhelm, Sachenrecht, Rdnr. 373. 236 Gursky, in: Staudinger, 12. Aufl., § 1004 Rdnrn. 14,41 und 128; Säcker, in: Müko, § 906 8GB Rdnr. 19. 237
Pfeiffer, Immissionsschutz, 232.
Tiedemann, MDR 1978, 272 (273), der aber die Bedeutung des§ 9038GB als Grundlage des§ 1004 8GB nicht beachtet. Hieraufhat schon Jauernig, JZ 1986, 605 (610) hingewiesen. 238
239 "Dann wird man zu der Feststellung kommen, daß die eigentliche Problematik in §§ 903, 1004, nicht in§ 906 liegt"; Baur, Sachenrecht,§ 25 IV 2 b) cc); Baur/Stürner, Sachenrecht, 16. Aufl. 1992, § 25 IV 2 b) cc).
240 Westermann, Sachenrecht, 5. Aufl., § 36 I I a, fur ideelle Immissionen, wobei die ProblemJage aufnormativer Ebene vergleichbar ist.
106
Tei12: Zivilrechtliche Lösungsansätze der Abwehr negativer Immissionen
Auch Medicus deutet im Hinblick auf§ 1004 Abs. 1 BGB an, daß der Immissionsbegriff des § 906 BGB zur Ausgliederung der negativen Immissionen untauglich sei. 242 Sein letztlich der h.M. zustimmendes Ergebnis basiert auf der Vermutung der Unbeschränktheil des zivilrechtliehen Eigentums gern. § 903 BGB.243 Er verengt seine Argumentation ganz auf die traditionelle Säulenvorstellung vom Grundstückseigentum und vernachlässigt so die Einbruchstellen und Wertungen des öffentlichen Rechts. 244 Der von dem Gleichsetzungsargument bevorzugten Auslegung, derzufolge die Zulässigkeit von Einwirkungen grundsätzlich nach § 906 BGB zu beurteilen sei/45 kann demnach nicht gefolgt werden/46 und in der Sache handelt es sich um nichts anderes als ein Vehikel zum Transport des Grenzüberschreitungsarguments in den § 1004 Abs. I BGB. Das Immissionsschutzrecht des BGB ist eine Spezialregelung, die eine Duldungspflicht in Ansehung von Einwirkungen oder Beeinträchtigungen durch sog. unwägbare, lästige und schädliche Stoffe statuiert,247 nicht aber eine abschließende Definitionsnorm zu den §§ 1004 Abs. 1, 903 BGB. Systematisch gehört § 906 BGB zu § 1004 Abs. 2 BGB, und es ist Jauernig zuzustimmen, daß "der Streit um die Abwehrfähigkeit sog. negativer Einwirkungen auf dem falschen Kampfplatz geführt wird. § 903 BGB, nicht§ 906 BGB ist der richtige Ort."24s (3) Folgerung
Die Folge einer Ablehnung der Gleichsetzungslösung mutet zunächst kurios an:
241 Zustimmend insoweit Just, BayVBI. 1988, 705 (706), ebenfalls im Rahmen ideeller lmmissionsbeeinträchtigung. 242
Medicus, in: MüKo, 2. Aufl., § 1004 BGB Rdnr. 29.
Medicus deutet in MüKo, 2. Aufl., § 1004 BGB Rdnr. 29 die insoweit systemfremde Anerkennung einer Beeinträchtigung beim Entzug von Infrastrukturverbindungen an. 243
244
Siehe hierzu unten S. 277 ff.
245
So ausdrücklich Bayer/Lindner, Bayerisches Nachbarrecht, 51, wobei der Hinweis aufBGH vom 28.9.1962- V ZR 233/60- NJW 1962,2341 der Sache nach verfehlt ist. 246 So auch Pleyer, JZ 1959, 305 (306); Tiedemann, MDR 1978, 272 (274); Ger/ach, Privatrecht und Umweltschutz im System des Umweltrechts, 190 f.
247 Pleyer, JZ 1959, 305 (306); Diederichsen, Referat L zum 56. DJT, 48 (52). 248
Jauernig, JZ 1986, 605 (6 10).
A. Zivilrechtsnonnen mit möglicher Abwehrrelevanz
107
Pflichtet man der h.M. bei, dann lassen sich negative Immissionen nicht unter den Immissionsbegriff des § 906 BGB subsumieren, weil eine Grenzüberschreitung nicht vorliegt (Grenzüberschreitungsargument). Hält man aber im Zuge der Ablehnung des Gleichsetzungsarguments eine Subsumtion unter den Einwirkungsbegriff des § 903 BGB249 und/oder den Beeinträchtigungsbegriff des § I 004 Abs. I BGB für möglich/ 50 zeigt sich das erstaunliche Ergebnis, daß der dadurch erlangbare Schutz stärker wirkt als der gegen (möglicherweise zu duldende) positive Immissionen i.S.d. § 906 BGB.251 Die Rechtslage wäre insoweit dieselbe, die allgemein bei den grobkörperlichen Immissionen anerkannt wird: der "gestörte" Grundstückseigentümer bräuchte demnach negative Immissionen niemals hinzunehmen, auch nicht, wenn sie unwesentlich oder wesentlich, aber ortsüblich sind. Gerade wegen dieser Schlußfolgerung scheint Kemnade die Abwehrbarkeil negativer Immissionen grundsätzlich abzulehnen. 252 Negative Immissionen sind seiner Ansicht nach gerade deshalb hinzunehmen, weil sie ansonsten im Konfliktlösungsmodell des § 906 BGB berücksichtigt worden wären. Diese Schlußfolgerung ist jedoch nicht zwingend. Das Nachbarrecht des BGB ist eben keine geschlossene Kodifikation, und schon Heck hat darauf hingewiesen, daß der Gesetzgeber die Notwendigkeit der Anwendung des Ortsüblichkeits- und Unwesentlichkeilsmaßstabs übersehen haben könnte. 253 Daß dies zumindest nicht ausgeschlossen ist, bestätigen auch die Schwierigkeiten im Umgang mit der grobkörperlichen "Immission" in Gestalt von Katzen oder Laub. 254 Die entstandene Wertungslücke zum Immissionsschutz kann jedoch entweder durch eine Analogie zum bestehenden Nachbarrecht geschlossen werden/55 oder sie löst sich möglicherweise schon auf der Ebene des individuell bestimmten Eigentumsinhalts.
249 Diese Schlußfolgerung zieht auch Tiedemann, MDR 1978,272 (273). 250 Lediglich auf § 1004 BOB abstellend: Baur, Sachenrecht, § 25 IV 2 b cc; Pleyer, JZ
1959,305.
251 So auch Birkl/Möstl, Nachbarschutz, Teil C Rdnr. 12, unter Hinweis auf Tiedemann, MDR 1978, 272. 252 Vgl. Kemnade, Der Rechtsschutz des Nachbarn im Baurecht, 3 ff. 253 Heck, Sachenrecht, 219; ebenso Tiedemann, MDR 1978,272 (274). 254 Aus der unUberschaubaren Kasuistik: OLG Frankfurt vom 14.7.1987- 14 U 124/86- NJW
1988, 2618; OLG Köln vom 17.9.1982- 20 U 44/82- NJW 1985, 2338; OLG München vom 26.6.1990- 5 U 7178/89- NJW-RR 1991, 17; weitere Beispiele zur Katzenhaltung bei Schäfer, in: Hoppenberg (Hrsg.), Handbuch, Teil J Rdnr. 451.
I 08
Teil 2: Zivilrechtliche Lösungsansätze der Abwehr negativer Immissionen
Die Einordnung der negativen Immissionen als Beeinträchtigung i.S. des § 1004 BGB bereitet demnach keine unüberwindbaren Schwierigkeiten, eine uferlose Ausdehnung von Abwehrmöglichkeiten über § 1004 BGB, die über § 906 BGB wieder korrigiert werden würde, ist nicht zu erkennen. In Ausnahmefällen hat der BGH ohnehin auf § 242 BGB zurückgegriffen, während er im übrigen betont, daß § 906 dem Grundsatz des § 242 vorgeht. 256 Das Abstellen auf den unbestimmten § 242 BGB ist freilich unbefriedigend. bb) Bedeutung des quasi-negatorischen Beseitigungsanspruchs im Zusammenhang mit negativen Immissionen
Neben der Frage der Subsumtion unter den Einwirkungs- bzw. Beeinträchtigungsbegriff der§§ 1004 Abs. 1, 903 BGB spielt der Schutz vor negativen Immissionen im Zusammenwirken mit dem Deliktsrecht eine wichtige Rolle. Unstreitig sind Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche als quasi-negatorische Ansprüche analog § 1004 Abs. 1 BGB zum Schutze anderer absoluter Rechte gegeben. 257 Über die Transportnorm des§ 823 Abs. 2 BGB werden freilich auch nachbarschützende Normen des öffentlichen Baurechts mit Bezug zum Grundstückseigentum in das Anspruchssystem des BGB übergeleitet, deren eigentumsschützender Umfang den herkömmlichen Schutz durch das Zivilrecht durchbricht. 258 Auf diese Weise können nachbarschützende öffentlichrechtliche Normen, selbst in Form von Festsetzungen eines Bebauungsplans, zu einem privatrechtliehen Unterlassungsanspruch fiihren. 259 Das öffentliche Baurecht unterscheidet allerdings nicht zwischen negativen und positiven Immissionen als Maßstab relevanter Beeinträchtigungen. Vielmehr geht das Baurecht von zu lösenden städtebaulichen Konfliktsituationen, von zu berücksichtigenden Rechten, Belangen und Interessen aus. 260 Der Bruch in der Bewertung gleichartiger Interessenlagen, oftmals an ein und demselben Grundstück, wird 255 Tiedemann, Rechtsschutz gegen Störungen des Fernsehempfangs durch Hochbauten, 178 ff.; ders., MDR 1978,272 (275). 256 BOH vom 15.6.1951- V ZR 55/50- LM Nr. I zu§ 903 BOB; BOH vom 10.4.1953- V ZR 115/51- LM Nr. 2 zu§ 903 BOB = BB 1953, 373; Brox, JA 1984, 182 (183). 257
Siehe zur Entwicklung der quasi-negatorischen Beseitigungsansprüche Hohloch, 47 ff.
Siehe hierzu Picker, AcP 176 (1976), 28; andeutungsweise auch Westermann, Sachenrecht, Bd. I, 251 und ausfllhrlicher unten S. 282 ff. 258
259 Vgl. zu bauordnungsrechtlichen Normen, die den Schutz vor Beschattung und Luftentzug gewährleisten: BOH vom 21.12.1973- V ZR 107/72- WM 1974, 572 (573). 260
Siehe hierzu ausführlich S. 185 ff.
A. Zivilrechtsnormen mit möglicher Abwehrrelevanz
109
so augenfällig. In der Literatur zeigt sich folglich eine gewisse Skepsis gegenüber der Ausdehnung quasi-negatorischer Beseitigungsansprüche. 261
7. Fazit 1. § 1004 BGB verwirklicht die Ausschlußfunktion des Eigentums anspruchsrechtlich. Soweit sich aus dem individuell zu bestimmenden Eigentum Abwehrpositionen gegen negative Immissionen ergeben, liegt eine abwehrbare Beeinträchtigung vor.
2. Einer Subsumtion negativer Immissionen unter den Beeinträchtigungsbegriff kann systematisch nicht mit dem Argument begegnet werden, diese seien keine Zuführungen i.S.d. § 906 BGB. Das Gleichsetzungsargument der herrschenden, zivilrechtliehen Auffassung vermag nicht zu überzeugen. 3. Es will nicht einleuchten, warum negative Immissionen im Rahmen des § 1004 BGB wertungsmäßig anders zu beurteilen sind, als die sog. grobkörperlichen oder flüssigen Immissionen; diese lassen sich den Immissionen i.S.d. § 906 BGB unzweifelhaft nicht gleichsetzen und sind gerade deshalb abwehrbar. Insoweit Friktionen zum Immissionsschutzrecht bestehen, könnte eine analoge Anwendung des § 906 BGB abhelfen. 4. Auf der Basis quasi-negatorischer Beseitigungsansprüche ist ein aus dem öffentlichen Recht abgeleiteter Schutz vor negativen Immissionen nach h.M. möglich; dies kann allerdings zu Friktionen in bezug auf zivilrechtliche Wertungen führen.
111. § 906 BGB 1. Allgemeines § 906 BGB ist eine Zentralnorm des zivilrechtliehen Nachbarrechts,262 das nach Aussage der Verfasser des BGB "das Zusammenleben der Menschen auf dem Grund des Luftmeeres" gestaltet. 263
261
Schapp, Nachbarrecht, 209 ff.
262
Vgl. statt aller Schapp, Sachenrecht, 83.
263
Motive 111, 264.
110
Teil2: Zivilrechtliche Lösungsansätze der Abwehr negativer Immissionen
Die derzeitige Fassung des § 906 BG8264 spiegelt den richterrechtlich geprägten Meinungsstand des vom RG 265 entwickelten und vom BGH266 fortgeführten nachbarrechtlichen Konfliktlösungsmodells wider. Das zivilrechtliche Immissionsschutzrecht beinhaltet traditionell Aspekte der Substanzsicherung, 261 während der BGH demgegenüber schon frühzeitig, unter dem Einfluß des Grundgesetzes, auch die personenrechtliche Schutzkomponente des § 906 BGB betont. 268 Es stellt sich somit die Frage, inwieweit § 906 BGB bei der rechtlichen Erfassung negativer Immissionen zu beachten ist. a) Normzweck Der Normzweck des § 906 BG erschließt sich aus der umfassenden Konstruktion des § 903 BGB. 269 Der Gesetzgeber hat ein weites, absolutes Herrschaftsrecht geschaffen, und er grenzt es, Einzelaspekte betreffend, wieder ein. Während § 905 BGB, als Grundlage des sog. "Säuleneigentums", das Herrschaftsgebilde in den Raum über das Grundstück und auf den Erdkörper unter der Erdoberfläche ausweitet, regelt § 906 BGB das Grundstückseigentum in Teilaspekten seiner nachbarlichen Beziehungen, in seinem sozialen Kontakt, im Aufeinanderprallen positiver und negativer Eigentümerbefugnisse. 270 § 906 BGB macht mit der Situationsgebundenheit des Grundstücks ernst, indem er Einwirkungsbefugnisse auf fremde Grundstücke statuiert.271 264 Die heutige Fassung beruht auf dem Ges. zur Änderung der Gewerbeordnung und Ergänzung des Bürgerlichen Gesetzbuchs vom 22.12.1959 (BGBI. I, 781), sog. Luftreinhaltegesetz (siehe auch BT-Prot., 3. Wahlperiode, 5187), in Kraft getreten am 1.6.1960 und reflektiert im wesentlichen richterrechtliche Rechtsfortbildungen; vgl. zur Geschichte der Norm: Säcker, in: Müko, § 906 BGB Rdnr. 2; Winter, in: AK-BGB, § 906 Rdnr. 4 ff.; Hagen, NVwZ 1991, 817 (818); Gehrmann, GewArch 1979, 287; Mühl, in: FS Raiser (1974), 159 (170 ff.). 265
Grundlegend RG vom 10.3.1937- V 218/36- Z 154, 161 (165 ff.), "GutehoffnungshUtte".
Vgl. BGH vom 8.10.1958- V ZR 54/56- Z 28, 225 (229 f.); siehe auch die Darstellung von Hagen, in: FS Lange (1992), 483, der die von der Rechtsprechung angeregte Gesetzesfassung filr eine weithin Obertragbare "Musterlösung" hält. 266
267
Vgl. Säcker, in: MUKo, 2. Aufl., § 906 BGB Rdnr. 2; Motive III, 264 ff.
Zuletzt BGH vom 18.9.1984- VI ZR 223/82 - Z 92, 143, wobei die zentralen Probleme zwar deliktischer Natur waren, gewisse Anleihen bei § 906 BGB aber unverkennbar sind; vgl. zu "ideellen Immissionen" BGH vom 7.3.1969- V ZR 169/65- Z 51 , 396 und Anm. Baur, JZ 1969, 432; dem BGH zustimmend: Zeuner, in: FS Flume I, 775 (778); Laujke, in: FS Lange (1970), 275 (277). 268
269
Säcker, in: MUKo, 2. Aufl., § 906 BGB Rdnr. I.
J.F. Baur, in: Soergel, 12. Aufl., § 906 BGB Rdnr. I; Säcker, in: MOKo, 2. Aufl., § 906 BGB Rdnr. I. 270
A. Zivilrechtsnonnen mit möglicher Abwehrrelevanz
111
b) Funktion der Norm
§ 906 BGB ist keine Anspruchsgrundlage; die Abwehr von beeinträchtigenden Einwirkungen auf ein Grundstück wird durch § 1004 BGB gewährleistet. 272 Der tatsächliche Rechtswert des § 906 BGB ist differenziert zu betrachten. Durch § 906 BGB werden zunächst der Inhalt des zivilrechtliehen Eigentums ausgestaltet und weitergehend Duldungstatbestände in bezug auf die Zufiihrung von Imponderabilien festgelegt. Der Eigentümer hat unwesentliche, die Benutzung des Grundstücks nicht beeinträchtigende Immissionen hinzunehmen, und er hat wesentliche Immissionen zu dulden, wenn sie unvermeidbar und ortsüblich sowie durch wirtschaftlich zurnutbare Maßnahmen nicht zu verhindem sind. Er bräuchte eine wesentliche Einwirkung auf sein Grundstück nach § I 004 Abs. I BGB nicht hinzunehmen, aber das zivilrechtliche Immissionsschutzrecht normiert insoweit einen Duldungskanon 273 i.S.d. § I 004 Abs. 2 BGB. Diese Duldung wird freilich durch einen Ausgleichsanspruch in Geld kompensiert, der sich in Anlehnung an die Enteignungsentschädigung bemißt.274 Den Sonderfall der Zuführung unwägbarer Stoffe durch Leitungen braucht der Eigentümer hingegen niemals zu dulden, § 906 Abs. 3 BGB. Der Schutz gegen Einwirkungen, die die Grundstücksnutzung nur unwesentlich beeinträchtigen gehört konstruktiv nicht zum Eigentumsinhalt des Immissionsgrundstücks.275 Bei § 906 Abs. I BGB handelt es sich rechtstechnisch um eine dem Gesetzesvorbehalt des § 903 BGB entsprechende Inhaltsbestimmung, die eine tatbestandliehe Verletzung des Eigentums ausschließt. 276 271
Westermann, in: FS Larenz (1973), 1003 (1005).
Vgl. Roth, in: Staudinger, 12. Aufl., § 906 Rdnr. 3; M Wolf, in: StudKomm. zum BGB, 2. Aufl., § 903; BGHvom 15.5.1970- V ZR20/68 -Z 54,56 (60). 272
273
Begriffbei Diederichsen, Referat L zum 56. DJT, 48 (52).
BGH vom 26.11.1982- V ZR 314/81 - Z 85, 375 (386); BGH vom 2.3.1984- V ZR 54/83Z 90, 255 (263); Hagen, NVwZ 1991, 817 (818). 214
215 Gursky, in: Staudinger, 12. Aufl., § 1004 Rdnrn. 12 und 126; Picker, Beseitigungsanspruch, 110 Fn. 268; andeutungsweise auch Kleindienst, Immissionsschutz, 13, anders aber wiederum 19 ff.; ähnlich auch schon Spangenberg, AcP IX (1826), 265 (269). Manche Autoren verstehen § 906 Abs. I BGB auch als eine spezielle Rechtsmißbrauchsklausel: J.F. Baur, in: Soergel, 12. Aufl., § 906 BGB Rdnr. 3; Baur, Sachenrecht, § 25 IV I a); Baur/Stürner, Sachenrecht, 16. Aufl. 1992, § 25. 216 Gegen diese Differenzierung und mehr oder weniger ausdrücklich fllr eine einheitliche Duldungsnorrn i.S.d. § 1004 Abs. 2 BGB Roth, in: Staudinger, 12. Aufl., § 906 Rdnr. 3 (Wertungsgleichlauf); Medicus, in: MüKo, 2. Aufl., § 1004 BGB Rdnr. 52; Winter, in: AK-BGB, § 906
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Teil 2: Zivilrechtliche Lösungsansätze der Abwehr negativer Immissionen
Im Kontext der prozessualen Durchsetzung immissionsschutzrechtlicher Ansprüche hat der Kläger sein Eigentum am Immissionsgrundstück und die Einwirkung auf dieses Grundstück als solche, der Beklagte alle Ausnahmetatbestände, nämlich die Unwesentlichkeit, die Ortsüblichkeit, die wirtschaftliche Unzumutbarkeit der Abhilfe u.ä. zu beweisen. 277 Die differenzierende Handhabung der Abs. 1 und 2 hat dabei auf die Verteilung der Beweislast keinen Einfluß. 278
2. Tatbestand des § 906 Abs. 1 BGB a) Begriff der zufuhrenden Einwirkung, Immission Der Gesetzeswortlaut geht zunächst vom Begriff der "Einwirkung" aus und widmet sich anschließend dem engeren Unterbegriff der "Zuführung", als einem Teilausschnitt der schon aus dem Wortlaut des § 903 BGB bekannten "Einwirkung". Der Einwirkungsbegriff umschreibt neutral die Tatsache der Veränderung auf dem Immissionsgrundstück, die Zufuhrung, die grenzüberschreitend bewirkte Veränderung. Die zufuhrende Einwirkung (Immission) i.S.d. § 906 BGB beschränkt sich nach der herrschenden Auslegung auf die Grenzüberschreitung von unwägbaren Stoffen, der sogenannten Imponderabilien 219, die auf natürliche Art und Weise auf das Immissionsgrundstück gelangen. Der Gesetzeswortlaut selbst umschreibt die Imponderabilien, indem die "hauptsächlichen Beispiele"280 der "Immission von Imponderablien" aufgezählt werden: "Gase, Dämpfe, Gerüche, Rauch, Ruß, Wärme, Geräusch, Erschütterung". 281 Diese Aufzählung ist allerRdnr. I ; Palandt/Bassenge, BOB, 52. Aufl., § 1004 Rdnr. 34; Schapp, Sachenrecht, 83; Müller, Sachenrecht, Rdnr. 771; Westermann, Sachenrecht, Bd. II, 6. Aufl., § 79 II 2.; Brox, JuS 1984, 182. 277
Siehe zu näheren Einzelheiten Erman-Hagen, BOB, 8. Aufl., § 906 BOB Rdnr. 27.
278
Gursky, in: Staudinger, 12. Aufl., § 1004 Rdnr. 12; Picker, Beseitigungsanspruch, 110 Fn.
268.
279 Gegen die Begriffe "unwägbar" und "Imponderabilien" mit überzeugenden Argumenten Jauernig, JZ 1986, 605 (607 f.), der nur noch auf die Unterscheidung der unwesentlich, wesentlich und nicht beeinträchtigenden Einwirkung zulassen will. 280 281
Motive 111, 264.
Zu Einzelheiten und der umfangreichen Kasuistik: Dehner, in: M/SIH/D, Nachbarrecht, 7. Aufl., B § 1611; Roth, in: Staudinger, 12. Aufl., § 906 Rdnr. 129 ff.; Säcker, in: MUko, § 906 BOB Rdnr. 31 ff.; JF. Baur, in: Soergel, 12. Aufl., § 906 BOB Rdnr. 40 ff.; Palandt/Bassenge, BOB, 52. Aufl., § I 004 Rdnr. 6 ff.
A. Zivilrechtsnormen mit möglicher Abwehrrelevanz
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dings nicht abschließend, ähnliche Einwirkungen (Immissionen) stehen diesen Beispielen gleich. Das BGB hat diese Art der Regelungstechnik selten verwendet.282 Sie findet ihre Berechtigung in der Schwierigkeit, den nachbarrechtlich relevanten Immissionsbegriff formulieren zu können. Diese Schwierigkeit hatte schon die Vorarbeiten zum l. Entwurf des BGB geprägt; der richterrechtliche Entwicklungsauftrag ist seitdem ein Leitgedanke des § 906 BGB: 283 "Das Gesetz hat deshalb den Ausweg zu wählen, die hauptsächlichen Beispiele anzuführen und die weitere Entwicklung des leitenden Gedankens der Praxis zu überlassen". 284 Die zuruhrende Einwirkung muß sinnlich wahrnehmbar sein und von einem anderen Grundstuck auf das Immissionsgrundstück gelangen. Dies kann auf physikalischem oder mechanischem Wege, auf oder unter der Erde, oder durch die Luft geschehen. 285 Die Zufiihrung braucht nicht einmal auf menschlicher Tätigkeit zu beruhen, es reichen selbst Naturereignisse. Die Immission setzt aber notwendig die Emission voraus, beide müssen demnach in einem Kausalverhältnis stehen. 286 "Sinnlich wahrnehmbar" heißt in diesem Zusammenhang nicht, daß eine Wahrnehmung für den Menschen unabhängig von physikalisch-technischen Geräten gewährleistet sein muß. 287 Und "von einem anderen Grundstück" heißt nicht, daß die Einwirkung grenznachbarlich erfolgen muß. 288 Wie schon angedeutet fallen nicht unter § 906 BGB, jedoch unter den weitergehenden § 1004 Abs. 1 BGB das Eindringen von Flüssigkeiten289 und so282 Vgl. Roth, in: Staudinger, 12. Aufl., § 906 Rdnr. 107; zur ähnlichen Regelungstechnik bei § 18 EStG und den daraus sich ergebenden Anforderungen an die Rechtsprechung Kirchhof, in: FS Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg (1986), II (18 f.); Wi/helm, Sachenrecht, Rdnr. 368 f. 283 Vgl. Mosich, Jhering's Jb. LXXX (1930), 255 (276); Roth, in: Staudinger, 12. Aufl., § 906 Rdnm. 107 und 127; Diederichsen, in: FS R. Schmidt (1976), I (8); Jauernig, JZ 1986, 605 (606); ferner RG vom 20.9.1933 - V 153/33 - Z 141, 406 (409); Kirchhof, in: FS Ruprecht-KarlsUniversität Heidelberg ( 1986), II (18). 284
Motive 111, 264 f.
So J.F. Baur, in: Soergel, 12. Aufl., § 906 BGB Rdnr. 27 mit vielen Nachweisen aus der Rechtsprechung; Westermann, in: FS Larenz (1973), 1003 (1009). 285
286
Westermann, in: FS Larenz (1973), 1003 (1010).
Siehe hierzu schon RG vom 21.10.1931 -V 43/31 - Z 133, 342 (346 f.); Götz, in: MIR/RIG, Nachbarrecht, § 13 Rdnr. 7; Dehner, in: M/SIH/D, Nachbarrecht, 7. Autl., 8 § 16 II I. 287
288
Vgl. RG vom 4 .10.1922- V 611/21 - Z 105, 213 (216).
Insoweit bei der Einwirkung von Flüssigkeiten Wasser betroffen ist, hat sich dieser Materie zunehmend das öffentliche Wasserrecht bemächtigt. So regelt etwa Art. 63 BayWG die Rechtslage hinsichtlich wild abfließenden Wassers; vgl. auch Bayer/Lindner, Bay. Nachbarrecht, 52. 289
8 Reetz
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Teil 2: Zivilrechtliche Lösungsansätze der Abwehr negativer Immissionen
genannter grobkörperlicher Immissionen290 , also fester Stoffe. Die ausschließliche Subsumtion unter § 1004 BGB erbringt den entscheidenden Vorteil, daß sich die Duldungsgrenzen zugunsten des "gestörten" Eigentümers verschieben. Weder in den Anwendungsbereich des § 906 BGB noch in den des § 1004 Abs. 1 BGB gehören nach der h.M. die sog. immateriellen oder moralischen Immissionen. 291 b) Wesentliche und unwesentliche Beeinträchtigung der Benutzung des Immissionsgrundstücks Die Erfassung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Wesentlichkeif von Nutzungsbeeinträchtigungen bemißt sich, der ganz herrschenden Ansicht folgend, nach dem Empfinden eines Durchschnittsmenschen (differenziert objektivsubjekti"er Maßstab), wobei Natur und Zweckbestimmung des von der Beeinträchtigung betroffenen Immissionsgrundstücks in seiner konkreten Beschaffenheit entscheidende Bedeutung zukommt. 292 Das Beeinträchtigungssubstrat, die Grundstücksbenutzung ist dabei weit zu fassen; sie beinhaltet insbesondere auch die den Verkehrswert mitbestimmende Annehmlichkeit des Wohnens. 293 Der Eigentümer des Immissionsgrundstücks braucht sich im Zuge der Bestimmung der Wesentlichkeit nicht entgegenhalten zu lassen, daß sein Grundstück jedenfalls den technisch möglichen passiven Immissionsschutz nicht aufweise (z.B. Lärmschutzfenster). Die Wesentlichkeit bemißt sich nicht nach theore-
Grundlegend zur Einordnung des öffentlichen Wasserrechts in Abgrenzung zu § 903 BGB: BVerfG vom 15.7.1981- I BvL 77178- E 58, 300 "Naßauskiesung". 290
Siehe hierzu schon S. I 04 f.
Solche Einwirkungen sollen auch keine Eigentumsstörung i.S.d. § 1004 BGB sein, vgl. die ständige Rechtsprechung: RG vom 8.4.1911 - V.328/10- Z 76, 130; BGH vom 7.3.1969- V ZR 169/65- Z 51 , 396 mit abl. Anm. von Baur, JZ 1969, 432; BGH vom 15.5.1970- V ZR 20/68- Z 54, 56 mit abl. Anm. von Gursky, JZ 1970, 785; ders., in: Staudinger, 12. Autl, § 1004 Rdnr. 56 ff. m.w.N.; Palandtl Bassenge, BGB, 52. Aufl., § 1004 Rdnr. 5; fUr eine Einbeziehung in den Immissionsbegriff möglicherweise aber auch fUr eine Analogie: Heck, Sachenrecht, § 50 Ziff. 7; Wolff-Raiser, Sachenrecht, 189; Forke/, Immissionsschutz, 35 ff. ; Roth, NJW 1972, 922, wobei letztere im wesentlichen Gesichtspunkte des Persönlichkeitsschutzes in den Vordergrund stellen. 291
292 Vgl. BGH vom 23.3.1990- V ZR 58/89- NJW 1990, 2465; BGH vom 2.3 .19.84- V ZR 54/83 - NJW 1984, 2207; Säcker, in: Müko, § 906 BGB Rdnr. 26; J.F. Baur, in: Soergel, 12. Aufl., § 906 BGB Rdnr. 36; Hagen, UPR 1985, 192 (200); Arbeitskreis "Bauliches Nachbarrecht", BBauBI. 1991, 10 (14 m.w.N.); zur Wesentlichkeil als unbestimmtem Rechtsbegriff: Jauernig, in: FS Ruprecht-Karls-Universität Heide1berg (1986), 87 (99). 293 BGH vom 18.10.1979- III ZR 177177- MDR 1980, 655; Scherer, DRiZ 1963, 49 (51); Palandt/Bassenge, BGB, 52. Aufl., § I 004 Rdnr. 17.
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tisch möglichen, sondern anhand konkreter Nutzungstatbestände. 294 Tendenziell orientiert sich die Handhabung des Wesentlichkeitsbegriffs, dort wo vorhanden, an öffentlich-rechtlichen Standards, so daß VDI-Richtlinien, TA Luft/Länn und andere immissionsschutzrechtliche Vorgaben in weitem Umfang zivilrechtlich rezipiert werden. 295 Für die Bestimmung der Unwesentlichkeit von Beeinträchtigungen gelten die gleichen Erwägungen wie fiir die Bestimmung der Wesentlichkeit. Eine solche wird man beispielsweise annehmen können, wenn es sich um Beeinträchtigungen handelt, von denen typischerweise jedes bewohnte Grundstück infolge haushalterischer Tätigkeiten betroffen ist. 296 Die Unwesentlichkeit vermittelt gewisse Anklänge an den Begriff der Situationsgebundenheit eines Grundstücks. c) Ortsübliche Benutzung des Emissions- und Immissionsgrundstücks Ortsüblich297 ist die Benutzung des Emissionsgrundstücks dann, wenn eine Mehrheit von Grundstücken in einem organisch vergleichbaren Gebiet nach Art und Umfang gleichartig beeinträchtigend wirken ("Geprägetheorie").298 Maßgebend sind die tatsächlichen Verhältnisse des Orts oder Ortsteils, in dem das Grundstück belegen ist. Die strukturelle Ähnlichkeit der Bestimmung des Ortsüblichkeitsbegriffs zur Handhabung des § 34 BauGB ist auffallend, und eine Zuhilfenahme der Gebietstypisierung der BauNVO ist anerkannt. 299 Trotz dieser Anlehnung geht die Rechtsprechung von einem originär zivilrechtliehen 294 Vgl. BGH vom 11.11.1983- V ZR 231/82- NJW 1984, 1242; BGH vom 6.6.1969- V ZR 53/66- WM 1969, 1042 (1045); JF. Baur, in: Soergel, 12. Auf!., § 906 BGB Rdnr. 37. 295 Vgl. BGH vom 23.3.1990- V ZR 58/89- NJW 1990, 2465; Roth, in: Staudinger, 12. Auf!., § 906 Rdnr. 167; Säcker, in: Müko, § 906 BGB Rdnr. 31 ff.; Ronellerifitsch/Wo/f, NJW 1986, 1955 (1960) sprechen schon von einem "publizistischen Einschlag" des§ 906 BGB; Arbeitskreis "Bauliches Nachbarrecht", BBauBI. 1991, 10 (12 ff.); Kloepfer, Umweltrecht, 230 spricht sogar von einer partiellen Interpretationsherrschaft des öffentlichen Rechts; ablehnend wohl Westermann, in: FS Larenz (1973), 1003 (1023 f.). 296
Vgl. Spiess, JuS 1980, 100 (101); Roth, in: Staudinger, 12. Auf!., § 906 Rdnr. !59 m.w.N.
Es handelt sich um einen ausfllllungsbedürftigen unbestimmten Rechtsbegriff; vgl. Jauernig, in: FS Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg (1986), 87 (99). Siehe zur historischen Entwicklung des Ortsüblichkeitsbegriffs Westermann, in: FS Larenz (1973), 1003 (1018 f.). 297
298 Vgl. BGH vom 23.3.1990 -V ZR 58/89 - NJW 1990, 2465 (2467 m.w.N.); BGH vom 28.4.1967- V ZR 216/64- WM 1967, 727 (728); JF. Baur, in: Soergel, 12. Auf!., § 906 BGB Rdnr. 76 ff. 299 Säcker, in: Müko, § 906 BGB Rdnr. 79; siehe zu Einzelheiten der Gebietstypen: JF. Baur, in: Soergel, 12. Auf!.,§ 906 BGB Rdnm. 42-48.
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Teil2: Zivilrechtliche Lösungsansätze der Abwehr negativer Immissionen
Begriff aus, der sich ausschließlich aus den gegenwärtigen, tatsächlichen Verhältnissen ergebe, also statisch aufzufassen sei. Bauplanungsrechtliche Entwicklungsvorgaben durch Bebauungspläne können die Ortsüblichkeit demzufolge nicht prägen, jedenfalls solange nicht, als sie noch unverwirklicht sind. 300 Die so entstehende Statik stellt neben der konservierenden und statuserhaltenden Funktion auch eine gewisse Schwäche dar. 301 Sie hat zwar klagenden Nachbarn von Sportanlagen gegen Festsetzungen eines qualifizierten Bebauungsplans (zu Unrecht) zum Erfolg verholfen. Der Pferdefuß aber liegt darin begründet, daß sich Nachbarn gegen eine sukzessive Änderung ihrer grundstücksprägenden Umgebung genausowenig zur Wehr setzen können wie gegen einzelne nachbarliche Anlagen, die gerade durch ihre Massivität, also eine starke Eingriffsintensivität, umgebungsprägend wirken. 302 Die Ausklammerung der entwicklunsplanerischen Festsetzungen aus dem Ortsüblichkeitsbegriff bewirkt damit im Ergebnis, und unabhängig von ihrer dogmatischen Zweifelhaftigkeit, auch eine Verkürzung von Rechtspositionen. d) Zumutbarkeit von Schutzmaßnahmen Der Eigentümer des Immissionsgrundstücks braucht eine wesentliche, durch ortsübliche Nutzung des Emissionsgrundstücks hervorgerufene Beeinträchtigung nur hinzunehmen, wenn sie nicht durch (wirtschaftlich) zurnutbare Maßnahmen auf dem Emissionsgrundstück verhindert werden können, § 906 Abs. 2 S. 1 Hs. 2 BGB. Der Begriff der Ortsüblichkeit steht somit unter dem Vorbehalt der Zumutbarkeit.303 Der Maßstab, der an den Emittenten anzulegen ist, bemißt sich freilich nicht nach seiner individuellen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, sondern danach, ob auf dem Emissionsgrundstück objektiv die Errichtung technisch und betriebswirtschaftlich möglicher Schutzmaßnahmen zurnutbar ist. 304 300
Vgl. BGH vom 17.12.1982- V ZR 55/82- NJW 1983, 751 "Tennisplatz".
Vgl. hierzu Jauernig, in: FS Ruprecht-Karls-UniversiU!t Heidelberg (1986), 87 (99 f.); ders. , JZ 1986, 605 (606), im Zusammenhang mit den sog. ideellen Immissionen. 301
302 So ist der Betrieb eines Flughafens in der Regel ortsüblich, da er durch seine Errichtung und Anlage die Umgebung prägt: BGH vom 10.11.1972- V ZR 54171 - Z 59, 378 (381); BGH vom 15.6.1977- V ZR 44/75- Z 69, 105 (111); Stich, in: Salzwedel (Hrsg.), Grundzüge des Umweltrechts, 291 (294); vgl. auch die ältere, ähnlich gelagerte Rechtsprechung: BGH vom 29.10. 1954- V ZR 53/53 - Z 15 146 (149); RG vom 10.3.1937- V 218/36- Z 154, 161 (164) "Gutehoffnungshutte". 303
Säcker, in: Müko, § 906 BGB Rdnr. 102.
Vgl. OLG DUsseldorfvom 27.6.1979-9 U 64/79- Z 1980, 16; Augustin, in: BGB-RGRK, 12. Aufl., § 906 Rdnr. 53; Palandt/Bassenge, BGB, 52. Aufl., § 1004 Rdnr. 29; Roth, in: Staudin304
A. Zivilrechtsnormen mit möglicher Abwehrrelevanz
117
Der anzulegende Maßstab ist somit abermals differenziert zu handhaben.305 Für einen Industriebetrieb sind andere Schutzmaßnahmen zurnutbar als für einen kleinen Gewerbebetrieb. 3. Die Berücksichtigung negativer Immissionen in § 906 Abs. 1 BGB
Negative Immissionen sollen nach der h.M. nicht in den Regelungsbereich des § 906 BGB fallen. Es soll sich weder um ähnliche Einwirkungen handeln, noch soll eine erweiternde Auslegung des Immissionsbegriffs und auch keine analoge Anwendung des § 906 BGB möglich sein. Eine Erfassung im Rahmen des zivilrechtliehen Immissionsschutzes sei vor allem deshalb ausgeschlossen, weil es an einer tatsächlich grenzüberschreitenden Einwirkung fehle, diese aber ein konstitutiver Bestandteil jeder Immission ("Zuführung") sei. 306 Bei näherem Hinsehen bestehen gegen diese herrschende Meinung erhebliche Bedenken. a) Ähnliche Einwirkungen Nach überwiegender Ansicht sind ähnliche Einwirkungen ebenso wie die gesetzlichen Beispielsaufzählungen unkörperliche bzw. leichtkörperliche Immissionen. 307 Es sollen nur grenzüberschreitende Tatbestände erfaßt sein, die auf natürliche Weise auf das Immissionsgrundstück gelangen. Eine Beeinträchtigung durch "ähnliche Einwirkungen" setzt keine direkte Grenznachbarschaft zum Emissionsgrundstück oder emittierenden Betrieb voraus, und der Wesentlichkeitsmaßstab ist differenziert objektiv-subjektiv zu bestimmen. Die Rechtsprechung hat eine Subsumtion unter das Tatbestandsmerkmal der "ähnlichen Einwirkungen" bejaht bei pflanzlichen Immissionen/08 dem Einwirger, 12. Auf!.,§ 906 Rdnr. 207 f.; J.F. Baur, in: Soergel, 12. Auf!.,§ 906 BGB Rdnr. 95 ff.; Beispiele bei Pfeiffe r, Immissionsschutz, 204 ff. 305 Ähnliches wie bei der Ermittlung der "Wesentlichkeit" gilt also auch bei der Frage der "Zumutbarkeit": Kleindienst, Immissionsschutz, 36; Roth, in: Staudinger, 12. Auf!., § 906 Rdnr. 207 a.E.
306
Vgl. statt aller BGH vom 21.10.1983- V ZR 166/82- Z 88,344.
Vgl. zuletzt BGH vom 20.4.1990 - V ZR 282/88 - NJW 1990, 1910 (1911) "Bleischrot"; Säcker, in: Mtiko, § 906 BGB Rdnr. 70; Erman-Hagen, BGB, 8. Auf!., § 906 BGB Rdnr. 10; kritisch hierzu schon Mosich, Jhering's Jb. LXXX (1930), 255 (287 ff.). 307
308 Umstr. tur Laub-, Samen-, BlUten-, Pollen- und Nadelflug sowie Tannenzapfen: OLG Karlsruhe vom 9.3.1983-6 U 150/82- NJW 1983, 2886; Bayer/Lindner, Bay. Nachbarrecht, 55;
118
Tei12: Zivilrechtliche Lösungsansätze der Abwehr negativer Immissionen
ken von Herbiziden/ 09 dem Funkenflug/ 10 elektromagnetischen Wellen/ 11 ionisierender Strahlung312 usw. 313 Eine Einzelfallbetrachtung ergibt, daß die Handhabung des Rechtsbegriffs "ähnliche Einwirkungen" mit Blick auf negative Immissionen wenig stringent erscheint. So soll etwa das Eindringen von Tieren geringen Körperumfangs/ 14 der Vogelflug (Tauben) oder u.U. das Eindringen von Katzen, Hunden und Kaninchen noch unter den Begriff der "ähnlichen Einwirkungen" subsumierbar sein.315 In der Sache hat die Rechtsprechung und die ihr zustimmende Literatur damit aber das von ihr selbst vorausgesetzte Definitionsmerkmal der Imponderabilität gesprengt. Und obwohl man sich scheut, die Fälle grenzüberschreitender KleintieGursky, in: Staudinger, 12. Auf!., § 1004 Rdnm. 32 ff.; Roth, in: Staudinger, 12. Auf!., § 906 Rdnr. !53 ff.; Säcker, in: Müko, § 906 BGB Rdnr. 73; Just, BayVBI. 1985, 289 (293 f.); Dehner, in: MISIWD, Nachbarrecht, 7. Auf!., B § 16 II 2. 309 Säcker, in: Müko, § 906 BGB Rdnr. 74; Stad/er, Nachbarrecht, 5. Auf!., 103; Dehner, in: MIS/WD, Nachbarrecht, 7. Auf!., B § 16 II 3 (S. 19 f.); BGH vom 2.3.1984- V ZR 54/83- Z 90, 255. 310 Säcker, in: MUko, § 906 BGB Rdnr. 75; Roth, in: Staudinger, 12. Auf!., § 906 Rdnr. !56; Augustin, in: BGB-RGRK, 12. Auf!., § 906 Rdnr. 23; Dehner, in: M/S/H/0, Nachbarrecht, 7. Auf!., B § 1611 2.; jeweils m.w.N.
311 RG vorn 21.10.1931 - V 43/31 - Z 133, 342; Roth, in: Staudinger, 12. Auf!., § 906 Rdnr. 156; Säcker, in: MUko, § 906 BGB Rdnr. 70; Dehner, in: M/S/H/0, Nachbarrecht, 7. Auf!., B § 16 II 2.; jeweils m.w.N. 312 Säcker, in: Müko, § 906 BGB Rdnr. 70; Augustin, in: BGB-RGRK, 12. Auf!., § 906 Rdnr. 23; JF Baur, in: Soergel, 12. Auf!., § 906 BGB Rdnr. 36; Roth, in: Staudinger, 12. Auf!., § 906 Rdnr. 156. 313 Ausfllhrlich: Dehner, in: M/S/WD, Nachbarrecht, 7. Auf!., B § 1611 2; Roth, in: Staudinger, 12. Auf!.,§ 906 Rdnr. 151 ff.; vgl. auch Mosich, Jhering's Jb. LXXX (1930), 255 (288 ff.). 314 Fliegen, Käfer und andere Insekten (Ungeziefer): RG vom 22.6.1939 - V 212/38 - Z 160, 381; OLG Nümberg vom 25.2.1970- 4 U 106/68- RdL 1970, 95; LG Stuttgart vorn 12.12.19664 S 318/65- RdL 1967, 49; LG Dortmund vom 7.1.1966-3 0 287/62- GewArch 1966, 186; zuletzt VGH Kassel vom 26.4.1988 - II UE 468/85 - NJW 1989, 1500 (1501); Säcker, in: Müko, § 906 BGB Rdnr. 72; Roth, in: Staudinger, 12. Auf!., § 906 Rdnr. !52; JF Baur, in: Soergel, 12. Auf!., § 906 BGB Rdnr. 74. Zu den Besonderheiten bei Bienen: BGH vom 28.2.1955- 111 ZR 136/54- Z 16, 366; auch schon RGvom20.9.1933- V 153/33 -Z 141, 406; RGvom 15.12.1938- V 125/38 -Z 159, 68; Götz, in: M/RIRIG, Nachbarrecht, § 13 Rdnr. 14; Gercke, NuR 1991, 59 (62 f.). 315 Vgl. zu Hunden, Katzen, Kaninchen u.ä.: OLG Köln vom 17.9.1982- 20 U 44/82- NJW 1985, 2338; OLG DUsseldorfvom 25.5.1966-9 U 206/64- MDR 1968, 841; KG vom 22.3.19682 Ws (B) 215/67- RdL 1969, 54; a.A.: RG vom 8.4.1911- V.328/ 10- Z 76, 130 (132); filr eine analoge Anwendung bei der Immission von Tauben: OLG DUsseldorf vom 27.6.1979 - 9 U 64/79 - Z 1980, 16; Pa/andt/Bassenge, BGB, 52. Auf!., § 906 Rdnr. 14; Dehner, in: MISIWD, Nachbarrecht, 7. Auf!., B § 16 II 3 (S. 17 ff.), jeweils m.w.N.
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119
re den grobkörperlichen Immissionen zuzurechnen - dies wirkt gekünstelt -, ist dieser Beurteilung im Ergebnis wohl zuzustimmen. Eine Subsumtion dieser Art von Immissionen unter § 906 BGB erscheint deshalb angemessen, weil § 906 BGB als materielles Konfliktlösungsmodell auf diesen Lebenssachverhalt paßt. 316 Streng genommen handelt es sich jedoch um eine analoge Anwendung des § 906 BGB im Rahmen des Abwehranspruchs nach § 1004 Abs. 1 BGB. Im Ergebnis muß man sich allerdings klarrnachen, daß die Vertreter einer Einbeziehung der Fälle grenzüberschreitender Kleintiere und ähnlicher Sachverhalte unausgesprochen bereit sind, sich von einer wesentlichen Determinante des herrschenden Immissionsbegriffs zu lösen, nämlich der des Imponderabile. Warum eine gleichartige, wertungsgerechte Ausnahme vom Grenzüberschreitungsdogmanicht möglich sein soll, ist nicht verständlich. 317 b) Extensive Auslegung des Immissionsbegriffs Die Einordnung der negativen Immissionen in den Regelungsbereich des § 906 BGB versuchen Teile der Literatur durch eine extensive Auslegung des Immissionsbegriffs zu erreichen. 318 Der Ansatzpunkt ist zumeist eine wertende Betrachtung der tatsächlichen Auswirkungen auf das Immissionsgrundstück, wobei eine genaue Unterscheidung zu denjenigen Stimmen, die eine Subsumtion unter die "ähnlichen Einwirkungen" oder eine "Analogie" fordern, nicht immer möglich ist. Die Argumentation der erweiternden Auslegung setzt sich später in einer grundsätzlichen, rechtshistorisch begründeten Ablehnung der herrschenden Immissionstheorie fort, und unterstützend berufen sich einige Stimmen (aber nicht nur im Zusammenhang mit negativen Immissionen) auf eine Kritik an der ins-
316 So zutreffend J.F. Baur, in: Soergel, 12. Aufl., § 906 BGB Rdnr. 72; Dehner, in: M/S!H/D, Nachbarrecht, 7. Aufl., B § 16 II 3 (S. 17); Mosich, Jhering's Jb. LXXX (1930), 255 (291 f.). 317 Für eine Erfassung negativer Immissionen als "ähnliche Einwirkungen": Mosich, Jhering's Jb. LXXX (1930), 255 (295 ff.), der dann aber eine Analogie bevorzugt; Heubel, Entziehende Einwirkungen, 162 ff.; Jabornegg; Bürgerliches Recht und Umweltschutz, 14; ders., ÖJZ 1983, 365 (367 f.); Laujke, in: FS Lange (1970), 275 (277); Glaser, BIGWB 1979, 172. 318 Mosich, Jhering's Jb. LXXX (1930), 255 (300), der dann aber bei negativen Immissionen eine Analogie vorschlägt; ahnlieh Kober, in: Staudinger, 10. Aufl., § 906 Rdnr. 12 a.E.; Hubernagel, DJZ 1936, 804; Pleyer, JZ 1959, 306; wohl auch Baur, Sachenrecht, 2. Auß., München 1963, 203 ff. ; Wol.ff-Raiser, Sachenrecht, 188 ff.; Jabornegg; Bürgerliches Recht und Umweltschutz, 14. Gegen eine verkürzende Auslegung des Immissionsbegriffs vor Erlaß des BGB: Jhering, Jhering's Jb. VI (1863), 81 (110 f. und 129 f.); Unger, GrünhutsZ Bd. 13 (1886), 715 (724); weitere Hinweise bei Pawlowski, AcP 165 (1965), 395 (396 Fn. 5, 398).
120
Teil 2: Zivilrechtliche Lösungsansätze der Abwehr negativer Immissionen
gesamt als zu restriktiv empfundenen Rechtsprechung, die ihrem Entwicklungsauftrag im Zusammenhang mit dem Nachbarrecht nicht oder nur zögerlich und ungleichgewichtig nachgekommen sei. Methodologisch knüpft die erweiternde Auslegung an den Wortlaut der Norm, also des § 906 BGB an; sie entscheidet sich für das Ausnutzen einer weiten Wortbedeutung. Im Zusammenhang mit den negativen Immissionen geht sie im Grunde von der Nichtrelevanz des die Immissionstheorie prägenden Grenzüberschreitungsarguments aus. Auf der Grundlage eines insoweit bereinigten Immissionsbegriffs sieht sie den in Rede stehenden, nachbarrechtlichen Konflikt vom Wortlaut der Norm (gerade) noch umfaßt. aa) Kritik der Immissionstheorie und des "Grenzüberschreitungsarguments"
Der Ausgangspunkt der extensiven Auslegung ist zumeist eine Kritik der noch heute vorherrschenden Immissionstheorie. Diese ist wohl entwicklungsgeschichtlich auf Spangenberg zurückzufiihren, 319 der ausgehend von Ulpianus, 1. 17 ad ed., D. 8, 5, 8, 5. 320 einen Immissionsbegriff schuf, der maßgeblich auf das Merkmal einer Grenzüberschreitung körperlicher bzw. leichtkörperlicher Stoffe abstellte. 321 Schon in der auf Spangenberg folgenden dogmatischen Auseinandersetzung um den maßgeblichen Immissionsbegriff standen aber nicht etwa Fragen der Sinnhaftigkeit des von ihm vertretenen Grenzüberschreitungsarguments im Mittelpunkt, sondern diejenigen, ob neben körperlichen auch unkörperliche Einwirkungen,322 und ob neben direkten auch indirekte Einwirkungen (z.B. der Geruchstransport mittels Windes) erfaßbar seien. 323 31 9 Vgl. Spangenberg, AcP IX (I 826), 265; siehe auch Rechtsflille (preuß.) Königliches OberTribunal (Pienarbeschluß) vom 7.6.1852 - Bd. 23, 252, wobei sich das Gericht ausdrücklich auf Spangenberg bezieht. Siehe zu diesem Beschluß auch Jauernig, in: FS Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg (I 986), 87 (88). 320 " .. . in suo hactenus facere licet, quatenus nihil in alienum immittat, fumi autem sicut aquae esse immissionem ... " Übersetzung: ... Auf seinem Grundstück darf nämlich ein jeder nur insoweit tätig werden, als er keine Stoffe in das fremde (Grundstück) einleitet. Eine Immission von Wasser ist der von Dampf gleichzustellen .. Zur Bedeutung dieser Textstelle: Jhering, Jhering's Jb. VI (1863), 8I (I IO f.); Block, Nachbarliches Gemeinschaftsverhältnis, 159 ff.; Tiedemann, Rechtsschutz gegen Störungen des Fernsehempfangs durch Hochbauten, 172; Heube/, Entziehende Einwirkungen, 61 ff.; Palmer, Entwicklung, 25 ff. 321 Vgl. die Aufzählung bei Spangenberg, AcP IX (1826), 265 (269) und die Ausgrenzung ästhetischer und ideeller Immissionen a.a.O., 272.
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Erst Jhering überwand diese hergebrachten Streitpunkte in Richtung auf eine primär wertende Betrachtung, die wesentlich auf nachteilige Wirkungen auf das Immissionsgrundstück und die Dispositionsbefugnis des "gestörten" Eigentümers abstellte. 324 Doch trotz dieses wichtigen Ansatzes einer wertenden Betrachtung, der ja letztendlich auch Gesetz geworden ist, 325 hatte dies seltsamerweise im Hinblick auf das Grenzüberschreitungsdogma keinerlei Auswirkungen, es blieb bis aufwenige Ausnahmen unangefochten.326 Dieser Befund wird insgesamt durch einen Blick auf die Rechtsprechung vor Erlaß und Inkrafttreten des BGB bestätigt. Sie ging im Rahmen des Immissionsschutzrechts ebenfalls und ohne weiteres von der Notwendigkeit einer grenzüberschreitenden Einwirkung aus. 327 So judizierte beispielsweise das (Preuß.) Königliche Ober-Tribunal in einem Fall statikbeeinträchtigender Vertiefungen und in einem Fall zum Grundwasserentzug im Sinne der Notwendigkeit eines "körperlichen Eingreifens oder Hinübergreifens" auf das Nachbargrundstück. 328
322 Wegen fehlender Körperlichkeit fielen etwa Geräusche und Gerüche nach der Ansicht von Hesse, Ueber die Rechtsverhältnisse zwischen GrundstUcks=Nachbam, Zweiter Band, erste Abtheilung, Eisenberg 1861, ... nicht in den Immissionsbegriff: "Hiernach ist der Begriff der Immission dahin zu bestimmen: Sie ist das Eindringen eines festen Körpers in den Bereich unseres Grundeigenthums, welcher einen sichtbaren Raum einnimmt ... ". Dagegen beispielsweise Sturm, Beiträge, 41: "Darunter ist jedes Einwirken, jedes Einsenden von körperlichen oder unkörperlichen Substanzen in einen anderen Stoff zu verstehen." Zu Einzelheiten dieser Auseinandersetzung Palmer, Entwicklung, 29 ff. 323 Vgl. hierzu Werenberg, Jhering's Jb. VI (1863), I; (Preuß.) Königliches Ober-Tribunal vom 7.6.1852, Rechtsflille Bd. 23, 252; zu Einzelheiten dieses Streits Palmer, Entwicklung, 36 ff. ; Heubel, Entziehende Einwirkungen, 58 ff. 324
Vgl. Jhering, Jhering's Jb. VI (1863), 81 (110 ff.);
Siehe das Tatbestandsmerkmal der wesentlichen oder unwesentlichen Beein-trächtigung der Benutzbarkeit des Immissionsgrundstücks in § 906 Abs. I BGB. 325
326 Jhering erwähnt in Jhering's Jb. VI (1863), 81 (128-130) die Probleme nicht grenzüberschreitender Einwirkungen, behält sich aber eine abschließende Entscheidung zur rechtlichen Bewertung vor. Pininski, Eigentumsrecht, 105 ist aus Wertungsgesichtspunkten filr eine Einbeziehung negativer Immissionen. Ganz anders wiederum Hesse, Jhering's Jb. VI (1863), 378 (409), der nicht einmal einen Schutz gegen statikgeflihrdende Vertiefungen auf dem Nachbargrundstück gewähren will. 327 (Preuß.) Königliches Ober-Tribunal vom 3.1.1861 - No. 31.-11. Senat - Rechtsfalle Bd. 40, 116 "Wasserabfluß"; OAG Berlin vom 15.9.1871, Seuff.A. 27, Nr. 93 "Behinderung des Wasserzuflusses"; OLG Rostock vom 12.11.1890, Seuff.A. 48, Nr. 246 "Windentzug"; RG vom 9.11 .1880- 11.251/80- z 2, 368 (369). 328 (Preuß.) Königliches Ober-Tribunal vom 16.9.1873 -No. 42.- II. Senat- Rechtsflille Bd. 89,246.
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Teil 2: Zivilrechtliche Lösungsansätze der Abwehr negativer Immissionen
Das Tatbestandsmerkmal einer Grenzüberschreitung war innerhalb des Immissionsbegriffs so selbstverständlich geworden, daß sich auch der historische Gesetzgeber von diesem Standpunkt bei der Abfassung des § 906 BGB leiten ließ und es im Terminus der "Zuführung" kodifizierte. Weder in den Protokollen noch in den Motiven lassen sich Hinweise einer davon abweichenden Auffassung auffinden. In bezug auf die gemeinrechtliche Herleitung der Immissionstheorie haben dann insbesondere Heubel, Block und Tiedemann nachgewiesen, daß das Grenzüberschreitungsargument wesentlich auf einer verkürzten Rezeption römisch-rechtlicher Quellen beruht. 329 Die traditionsprägende Einschätzung, das römische Recht habe keinen Fall negativer Immissionen als unzulässig erachtet,330 erweist sich als falsch, ein einheitlicher Immissionsbegriff existierte vielmehr nicht. Neben Aussagen zu grenzüberschreitenden Zuführungen finden sich ebenso Verbote der Errichtung von Anlagen, die den Regenwasserablaufzum Nachteil des Nachbarn verhinderten, die Grundstücksvertiefungen mit einhergehendem Stützverlust regelten und die einen benachteiligenden Windentzug oder gar das Verbauen der Aussicht auf das Meer untersagten. 331 Aus der Überwindung des Grenzüberschreitungsdogmas durch die Exegese römisch-rechtlicher Quellen ergeben sich Argumente für eine erweiternde, wertorientierte Auslegung, 332 die sich letztendlich für die Einbeziehung der negativen Immissionen in § 906 BGB ausspricht. Block kommt gar zu dem Ergebnis, ein Tatbestandsmerkmal der Grenzüberschreitung muß bei der Hand-
329 Block, Nachbarliches Gemeinschaftsverhältnis, 158 ff.; Tiedemann, Rechtsschutz gegen Störungen des Fernsehempfangs durch Hochbauten, 171 ff.; Heubel, Entziehende Einwirkungen, 72 ff.; ebenso weist Jhering, Jhering's Jb. VI (1863), 81 (111 f. und 128 f.) schon daraufhin, daß den römischen Quellen kein einheitlicher Immissionsbegriff zu entnehmen sei. 330 Hesse, Die Rechtsverhältnisse zwischen GrundstUcksnachbarn (1880), 277; Spangenberg, AcP IX (1826), 265 (271); 331 Pomponius libro decimo ex variis lectionibus, 0.39,3,22,2: Regenwasserabfluß; Ulpianus libro octogensimo primo ad edictum, 0.39,2,24,12: statikbeeinträchtigender Grundwasserentzug; Justinian, C.3,34,14,1: Windentzug durch höherbauenden Nachbarn; Nov. LXIII, Praef.: Schutz der Aussicht auf das Meer. Zu diesen und weiteren Einzelheiten Heubel, Entziehende Einwirkungen, 72 ff. 332 Block, Nachbarliches Gemeinschaftsverhältnis, 158 ff.; Tiedemann, Rechtsschutz gegen Störungen des Fernsehempfangs durch Hochbauten, 171 ff.; ders., MDR 1978, 272 (276); abweichend: Heubel, Entziehende Einwirkungen, 72 ff. und 162 ff., der ganz auf einen einheitlichen Einwirkungsbegriff abstellt.
A. Zivilrechtsnormen mit möglicher Abwehrrelevanz
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habung des§ 906 Abs. 1 BGB, selbst nach dem Wortlaut der Norm, nicht notwendig zugrundegelegt werden. 333 bb) Entwicklungsauftrag im Nachbarrecht
Wie schon oben angedeutet, ist der Entwicklungsauftrag an Rechtsprechung und Lehre einer der tragenden Pfeiler des in § 906 BGB Gesetz gewordenen Immissionsbegriffs. 334 Neben der grundsätzlichen Kritik an der gemeinrechtlichen Herleitung der Immissionstheorie basieren die Argumente einer erweiternden Auslegung auch auf der ungleichgewichtigen Handhabung dieses Entwicklungsauftrags. 335 Ganz im Gegensatz zu dem auch im Wortlaut der Norm zum Ausdruck gebrachten Entwicklungsgedanken bevorzugte insbesondere die Judikatur seit Inkrafttreten des BGB zunächst eine streng grammatikalische und syllogistische Auslegung der nachbarrechtlichen Normen. 336 Die Rechtsprechung faßte das zivile Nachbarrecht als enge Ausnahmevorschriften zu § 903 BGB auf, 337 weil sie nicht anerkannte, daß Eigentumsbeschränkungen selbst Inhalt des zivilrechtlichen Eigentums sind. Erst später akzeptierte sie den nachbarrechtlichen Entwicklungsauftrag und griff in Einzeltallen auf extensive Auslegung338 und Analogie 339 zurück. Schließlich ergänzte sie das bestehende Recht durch die Figur des "nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses"340 und korrigierte § 906 BGB in einer Art und Weise, die später sogar der Gesetzgeber übernahm. 341 333 Vgl. Block, Nachbarliches Gemeinschaftsverhaltnis, 160; ahnlieh wohl auch Heck, Sachenrecht, 218. 334 Siehe oben S. 86. Vgl. auch Mosich, Jhering's Jb. LXXX (1930), 255 (276); Roth, in: Staudinger, 12. Autl., § 906 Rdnm. 107 und 127; Diederichsen, in: FS R. Schmidt (1976), I (8); Jauernig, JZ 1986, 605 (606); Motive III, 264; RG vom 20.9.1933- V 153/33- Z 141, 406 (409). 335 Siehe zur Entwicklung der Rechtsprechung auf dem Gebiet des Nachbarrechts Laujke, in: FS Lange, 1970, 275 f., mit ausfuhrliehen Nachweisen. 336 Gegen eine rein begriffliche Argumentation ohne normative Elemente auch Marburger, Gutachten C zum 56. DJT, 101 f., der aber insgesamt den Ergebnissen der h.M. zustimmt. 337 Vgl. RG vom 27.2.1902 - V 403/01 - Z 50, 225 (228) "Explosionsgefahr"; RG vom 30.4.1902- V.52/02- Z 51 , 251 (253 ff.) "Straßenerhöhung"; RG vom 7.2.1906- V.522/05- Z 62, 370 (372) "Wasserentzug und StUtzverlust"; RG vom 16.6.1937- V 241/36- Z 155, 154 (158); RG vom 7.12.1912-280/12 V.- JW 1913, 267 "Grundwasserentzug"; RG vom 27.11.1913- VI. 498/13- JW 1914, 196; OLG Celle vom 18.12.1953-4 U 189/53- MDR 1954,241 (242). 338 Grundwasserentzug und StUtzverlust RG vom 13.10.1937- V 64/37- Z 155, 389 (393); RG vom 21.4.1941 -V 103/40- Z 167, 14 (20 f.); RG vom 1.3.1922- 411/2l.V- JW 1923, 288. 339 Vgl. BGH vom 14.4.1954- VI ZR 35/53- LM Nr. I zu§ 906 BGB; OLG DUsseldorfvom 27.6.1979-9 u 64/79- z 1980, 16.
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Teil2: Zivilrechtliche Lösungsansätze der Abwehr negativer Immissionen
Jenseits dieser richterlichen Rechtsfortbildung und obwohl gerade die Regelungstechnik einer offenen Beispielsaufzählung in § 906 BGB der dynamischen Wirklichkeit bewußt Tür und Tor öffnet, ist sie auch der Ausgangspunkt restriktiver Auslegung geblieben. Gerade auf dem Gebiet der negativen Immissionen342 hat der Entwicklungsauftrag an die Praxis zur Ausgrenzung dieser Erscheinungsform aus dem zivilen Nachbarrecht geführt; die Rechtsprechung ist insoweit, und in gewissem Gegensatz zu sonstigen Tendenzen/43 auf dem Stand der grammatikalischen und syllogistischen Auslegung stehengeblieben. Jauernig spricht pointiert von einem "versteinerten Immissionsbegriff', 344 und es ist in der Tat auffallend, daß viele Entscheidungen zu negativen Immissionen lediglich auf eine "ständige Rechtsprechung" (insbesondere des Reichsgerichtsi 45 verweisen, ohne eine eigene, eigentumsrechtliche Konzeption zugrunde zu legen. Dies istangesichtsdes grundlegenden Wandels der Eigentumsdogmatik durch den Erlaß des Grundgesetzes verwunderlich. 346 Das aufgezeigte Ungleichgewicht in der praktischen Handhabung des Entwicklungsauftrags und die Betonung prinzipiell gleichartiger Interessen der durch positive oder negative Immissionen beeinträchtigten Grundstückseigenttimer, verleihen somit dem auf Jhering zurtickgehenden Ansatz einer wertenden Betrachtung wieder an Gewicht. Die erweiternde Auslegung, die diese Ge-
340 Vgl. beispielsweise RG vom 16.6.1937- V 241/36- Z 155, 154; RG vom 7.12.1939- V 125/39- Z 162, 209 (216); RG vom 21.4.1941- V 103/40 - Z 167, 14 (24); BGH vom 9.7.1958V ZR 205/57- Z 28, 110 (114); BGH vom 15.6.1951 -V ZR 55/50- LM Nr. I zu§ 903 BGB; BGH vom 10.4.1953 -V ZR 115/51 - LM Nr. 2 zu§ 903 BGB; zur Entwicklung innerhalb der Rechtsprechung: Deneke, Gemeinschaftsverhältnis, 5 ff.
341 Vgl. RG vom 8.7.1931- V 9/31- Z 133, 152 (!54); RG vom 10.3.1937- V 218/36- Z 154, 161 (165 ff.) "Gutehoffnungshütte"; BGH vom 9.7.1958- V ZR 205/57- Z 28, 110 (114). Siehe auch BT-Prot., 3. Wahlperiode, 5187 zum Ges. zur Änderung der Gewerbeordnung und Ergänzung des Bürgerlichen Gesetzbuchs vom 22.12.1959 (BGBI. I, 781 ), sog. Luftreinhaltegesetz. 342 Dies gilt in gleicher Weise für ideelle, unästhetische und moralische Immissionen. Anders und in bewußter Abgrenzung zur h.M. in der Rechtsprechung: AG Münster vom 2.3.1983 - 29 C 80/83 - NJW 1983, 2886, mit dem Argument eines zu berücksichtigenden Wandels im Umweltbewußtsein.
343 Man denke jenseits des Nachbarrechts an den Bereich des Nichtvennögensschadens, wo sogar gegen den Wortlaut des § 253 BGB Rechtsfortbildung betrieben wird: BGH vom 5.3.1963 VI ZR 55/62- Z 39, 124 (132); BGH vom 9.7.1985- VI ZR 214/83- Z 95,212 (215); billigend BVerfD vom 14.2.1973- I BvR 112/65- E 34,269 (289 f.). 344
Jauernig, JZ 1986, 605 (606).
345 Siehe etwa BGH vom 21.10.1983 -V ZR 166/82- Z 88, 344 (345). 346 Hierauf weist Tiedemann, MDR 1978, 272 (273) hin; ähnlich auch Säcker/ Paschke, NJW 1981, 1009.
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danken in den Vordergrund stellt, sieht als Maßstab der Abwehrbarkeit negativer Immissionen den "Schweregrad"347 oder den "Wertverlust" (Kommerzialisierungsargument) des ImmissionsgrundstUcks. 348 c) Analoge Anwendung des§ 906 BGB Die analoge Anwendung des § 906 BGB auf negative Immissionen ist keine Frage der Einordnung in den Tatbestand der Norm ·selbst, auch nicht in das offene Tatbestandsmerkmal"ähnliche Einwirkungen", dies würde der Sache nach eine direkte Anwendung bedeuten. Die verfassungsrechtlich grundsätzlich unbedenkliche Analogie/ 49 die über die extensive Auslegung hinausgeht, zu dieser aber fließende Grenzen aufweist, setzt voraus, daß der zu entscheidende Fall vom gesetzlich geregelten nur unwesentlich abweicht, also rechtsähnlich ist. Sie wendet den hinter einem Rechtssatz, hier dem § 906 BGB, stehenden Regelungsgedanken in der Art eines Obersatzes auf einen außerhalb der tatsächlichen Norm stehenden Fall an. 350 Voraussetzung der Analogie ist das Bestehen einer ausfüllungsbedürftigen Gesetzeslücke, 351 die ihrer Art nach eine "planwidrige Unvollständigkeit" darstellen muß. 352 Das RG hat eine rechtsanaloge Anwendung des § 906 BGB grundsätzlich, unter dem Hinweis auf den Ausnahmecharakter der Vorschrift zu § 903 BGB, 347 Boley, Besitzstörung durch Einwirkung, 54; ähnlich auch schon Pininski, Eigentumsrecht, 105; Leonhard, Bürgerliches Recht, 129; Siller, Duldungspflicht, 35; Offtermatt, Dinglicher Beseitigungsanspruch, 30 f. : "Entscheidend ist allein die Interessenwirkung." 348 Westermann, Sachenrecht, 5. Aufl., § 36 I I a, fUr ideelle Immissionen, wobei die Problemlage hinsichtlich der Grenzüberschreitung vergleichbar ist. 349
Vgl. BVerfG vom 3.4.1990- I BvR 1186/89- JZ 1990, 811 mit Anm. Roe/lecke.
Grundsätzlich ähnlich verfllhrt die teleologische Extension, die die Anwendung der Norm in den Zusammenhang mit ihrem objektiven Zweckgehalt (das Telos), also auch unter die Berücksichtigung von Wertungsgesichtspunkten stellt. Die Prüfung der Interessenlage ergibt dabei, daß die wortgetreue Verwendung einer Norm unangemessene Ergebnisse zeitigt. Eine teleologische Extension ist dann zulässig und geboten, wenn eine vom Gesetzgeber bei Erlaß der Vorschrift noch nicht in ihrer Reichweite erfaßte Interessenlage die Annahme rechtfertigt, er hätte sie bei vernünftiger Bewertung so und nicht anders geordnet. Zur Nähe von teleologischer Extension und Analogie: Larenz, Methodenlehre, 2. Aufl., 376; Pawlowski, Methodenlehre fllr Juristen, Rdnr. 500. 350
351 Siehe zur Reichweite lückenfüllender Rechtsprechung: BVerwG vom 27.2.1976 - VII C 44.74- E 50,255 (261 f.); Pawlowski, Methodenlehre fUr Juristen, Rdnm. 455 ff. und 461 ff. 352 Vgl. BGH vom 28.11.1975- V ZR 127/74- E 65, 300 (302); BGH vom 4.5.1988- VIII ZR 196/87- NJW 1988,2109 (2110); Larenz, Methodenlehre, 6. Aufl., 358.
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abgelehnt. 353 Diese restriktive Handhabung des § 906 BGB nach dem Grundsatz "Singularia non sunt extendenda" ist in der frühen Judikatur des RG kein Einzelfall, sondern, wie schon dargelegt, allgemeiner Ausdruck seines Verständnisses des kasuistisch normierten Nachbarrechts.354 Die Ansicht des RG kann indes schon systematisch nicht überzeugen. § 906 BGB ist in wesentlichen Teilen eine Einschränkung des Anwendungsbereichs von § I004 Abs. I BGB (Duldungsvorschrift i.S.d. § I004 Abs. 2 BGB) und nicht des § 903 BGB. Im übrigen konkretisiert § 906 BGB den Eigentumsinhalt und entspricht damit dem Regelungsvorbehalt des § 903 S. I Hs. 2 BGB. 355 Würde man mit dem Reichsgericht das Vorliegen einer engen Ausnahmevorschrift akzeptieren, ließe sich der Inhalt des Eigentums wohl nicht aus der Gesamtrechtsordnung herleiten, 356 sondern müßte entweder definitiv in § 903 BGB enthalten sein oder als quasi naturgegeben vorausgesetzt werden. Bemerkenswert erscheint es auch, daß das RG an anderer Stelle § 906 BGB nicht als Ausnahmevorschrift und also widersprüchlich handhabt. Das Gericht, und in seiner Nachfolge auch der BGH, begreifen nämlich den Immissionsbegriff des § 906 BGB, trotz des angenommenen Ausnahmecharakters, identisch mit dem Einwirkungsbegriff des§ I004 BGB und haben ihn zur Grundlage des (anfechtbaren) "Gleichsetzungsarguments" gemacht. Hinzu kommt, selbst unter der Prämisse Ausnahmevorschrift wäre in den Grenzen des Gesetzeszweckes, nämlich der Schaffung einer nachbarlichen, nutzungsbezogenen Friedensordnung, eine Analogie methodologisch statthaft.357
353 Vgl. RG vorn 27.2.1902 - V 403/01 - Z 50, 225 (226) "Explosionsgefahr"; RG vom 20.3.1907- V.634/06- Z 65, 361 (364); zustimmend Müller-Michels, Negative Einwirkungen, 16 f. und 87; siehe zur vergleichbaren Lage bei den sog. ideellen Immissionen: OLG Celle vom 18.12.1953-4 U 189/53- MDR 1954,241 und hierzu die Bemerkungen von Laujke, in: FS Lange (1970), 275 f.; ftlr die Analogieruhigkeit schon Mosich, Jhering's Jb. LXXX (1930), 255 (300); ftlr eine analoge Anwendung des § 906 BGB auf den Taubenflug, vgl. OLG Düsseldorf vom 27.6.1979 - 9 u 64/79 - z 1980, 16. 354 Laujke, in: FS Lange (1970), 275 f. mit Nachweisen aus der Rechtsprechung des Reichsgerichts. 355 So auch Mosich, Jhering's Jb. LXXX (1930), 255 (300); Forke/, Immissionsschutz, 43; Ostendorf, JuS 1974, 756 (759). 356 357
So aber beispielsweise JF. Baur, in: Soergel, 12. Aufl., § 903 BGB Rdnr. 13.
Vgl. zur Analogieruhigkeit von sog. Ausnahmevorschriften: BGH vom 19.11.1957 -VIII ZR 409/56- 26, 78 (83 m.w.N.); OLG Frankfurt vom 12.2.1982 - 20 W 447/81 - BB 1982, 515 m.w.N.
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Anders als diese Rechtsprechung hat das OLG Köln eine analoge Anwendung der§§ 905 ff. BGB jedenfalls dann für möglich erachtet, wenn die negative Immission den Gebrauch eines Nachbargrundstücks gegenstandslos macht. 358 Auch der BGH hat später auf die Möglichkeit einer analogen Anwendung des § 906 BGB hingewiesen/ 59 diesen Gedankengang dann aber außerhalb seiner Rechtsprechung zum Abschneiden von Infrastrukturverbindungen360 nicht mehr weiterverfolgt In der Literatur finden sich die Beftlrworter einer analogen Anwendung von § 906 BGB361 vor allem unter denjenigen, die auch den Gesichtspunkt einer vermehrt wertenden Betrachtung befilrworten.362 Es erscheint ihnen angesichts der möglichen, völligen Nutzungsentwertung eines Grundstückes unerträglich, den gestörten Eigentümer entschädigungslos zu lassen. Die Anhänger der analogen Anwendung, die einen weitestgehenden Interessengleichlauf zum positiven Immissionsschutz erkennen, scheuen die Figur des "nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses" und damit eine Lösung auf der Ebene des § 242 BGB. Gerade diesen Weg aber beschreitet der BGH. 363 Gegen eine analoge Anwendung des § 906 BGB haben sich jedoch neuerdings dezidiert Ronel/enfitsch/Wolf ausgesprochen. Ohne nähere Begründung verneinen sie die Existenz einer Regelungslücke und auch die Effizienz einer möglichen Anwendung der§§ 1004,906 BGB.364
358 OLG Köln vom 28.4.1961 - 4 U 168/59- JZ 1963, 94 f. Die in Verweisung genommenen Entscheidungen befassen sich allerdings mit der Figur des "nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses", nicht mit einer Analogie zu den §§ 905 ff; siehe auch ab I. Anm. von Pleyer, JZ 1963, 95. 359 BGH vom 15.6.1951- V ZR 55/50- LM Nr. I zu§ 903 BGB; BGH vom 10.4.1953- V ZR 115/51- LM Nr. 2 zu§ 903 BGB. 360
Vgl. zu diesen Fällen oben S. 39 ff.
Mosich, Jhering's Jb. LXXX (1930), 255 (300); Pjeiffer, Immissionsschutz, 234; M Wolf, Sachenrecht, Rdnr. 273; ders., in: StudKomm. zum BGB, 2. Aufl., § 903, 3 b; Schwab!Prütting, Sachenrecht, § 28 II I. d); Deneke, Gemeinschaftsverhältnis, 148; hierzu auch Pleyer, JZ 1959, 305 (306), gerade gegen die Anwendung der Figur des "nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses"; Ostendorj, JuS 1974, 756 (759); siehe auch den Hinweis bei Pawlowski, AcP 165 (1965), 395 (398). 361
362 So etwa Pfeiffer, Immissionsschutz, 234, der insbesondere die in § 906 BGB enthaltene Entschädigungsregelung ftlr ein praktikables Konfliktlösungsmodell hält.
363 Zuletzt BGH vom 22.2.1991 -V ZR 308/89- Z 113, 384 = NJW 1991, 1671 "Kaltluftsee". 364 Ronellenfitsch!Wolj, NJW 1986, 1955 (1960).
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Für die Annahme einer Analogie spricht die vom Gesetzgeber bewußt geschaffene Lückenhaftigkeit des positivierten Nachbarrechts. 365 Neben diesem rechtshistorischen Argument ist aber auch zu beachten, daß die tatsächliche und rechtliche Entwicklung eine zunächst vollständige Regelung lückenhaft und zugleich ergänzungsfähig werden lassen kann. Rechtliche Kodiflkationen unterliegen insoweit einem Alterungsprozeß. 366 In der Literatur ist verschiedentlich darauf hingewiesen worden, daß der historische Gesetzgeber die Dimension nachbarlicher Grundstijcksbeeinträchtigungen durch negative Immissionen nicht gesehen hat. 367 Unterstützend, und der Rechtsprechung des BVerfG entsprechend, hat sich mit Blick auf die öffentlich-rechtliche Regelungsdichte zu negativen Immissionen auch die rechtliche Entwicklung in einer Art und Weise zugunsten der Abwehrbarkeil verschoben, die eine analoge Anwendung des § 906 BGB zumindest möglich erscheinen läßt. 368 d) Ähnliche Einwirkungen als Typusbegriff Wenig Beachtung hat bisher die Möglichkeit gefunden,§ 906 Abs. I BGB im Tatbestandsmerkmal der "ähnlichen Einwirkungen" methodologisch als einen sog. Typusbegrijj 69 aufzufassen. Lediglich JF.Baur bemerkt,370 daß die Beispielsaufzählung in § 906 BGB in gewisser Weise einen "Typus" von Einwirkungen kennzeichne, wobei aber selbst den Merkmalen der Imponderabilität, der Unwägbarkeit und der Unkörperlichkeit wenig Charakteristisches zu entnehmen sei. Unerwähnt bleibt auch bei ihm das Kennzeichen der Grenzüber-
365 Vgl. Seiler, in: Staudinger, 12. Aufl., § 903 Rdnr. 3; Schubert, Die Vorentwürfe der Redaktoren zum BGB, Sachenrecht I, 490 (499); ähnlich auch Laujke, in: FS Lange (1970), 275. 366 Vgl. hierzu ausführlich: BVerfD vom 14.2.1973 - I BvR 112/65 - E 34, 269 (288 f.); BVerfD vom 3.4.1990- I BvR 1186/89- JZ 1990, 811; Pawlowski, Methodenlehre filr Juristen, Rdnr. 463. 367 Vgl. Mühl, JZ 1984, 848 (851); Tiedemann, MDR 1978,272 (274); vgl. auch AG Münster vom 2.3.1983 - 29 C 80/83 - NJW 1983, 2886, mit dem Argument eines zu berücksichtigenden Wandels im Umweltbewußtsein. 368 Die öffentlich-rechtliche Handhabung der negativen Immissionen wäre auch im Zusammenhang einer systematischen Auslegung zu berücksichtigen. Zur systematischen Auslegung: BVerfD vom 21 .6.1977 - 2 BvR 308/77- E 45, 363 (371 f.). 369 Zum "Typus": Engisch, Die Idee der Konkretisierung, 2. Aufl., 237 ff. und 242 ff.; Leenen, Typus und Rechtsfindung, Berlin 1971; Larenz, Methodenlehre, 6. Aufl., 216 ff.; ders., in: FS Wilburg (1975), 217; Byd/inski, Juristische Methodenlehre, 543 ff.; Paw/owski, Methodenlehre filr Juristen, Rdnr. 145 ff. 370 Vgl. J.F. Baur, in: Soergel, 12. Aufl., § 906 BGB Rdnr. 29; siehe zu § 906 BGB noch Larenz, Methodenlehre, 2. Aufl., 442.
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schreitung, und J.F.Baur zieht aus seiner Annahme eines "Typus" im weiteren keine Konsequenzen. Es stellt sich aber berechtigterweise die Frage, ob das Tatbestandsmerkmal der "ähnlichen Einwirkungen" als ein Typusbegriff verstanden werden kann und ob damit das Dogma der Grenzüberschreitung jenseits einer ahalogen Anwendung des § 906 BGB überwunden werden kann. Der Gesetzgeber, der einen Lebenssachverhalt juristisch zu erfassen versucht, hat die Wahl, die Begriffe auf der Tatbestandsseite einer Norm durch möglichst scharf konturierte, also letztlich unverzichtbar und abschließend gedachte Begriffsmerkmale zu definieren. 371 Die Maxime lautet dann: Die Norm ist nur dann und immer dann anzuwenden, wenn .... Die Methode der Rechtsanwendung ist die Subsumtion. 372 Der Gesetzgeber hat aber auch die Möglichkeit, sich anstatt eines scharf definitorischen Begriffs zur Kennzeichnung eines regelbaren Sachverhalts, eines "Typus" zu bedienen, der gerade keine unverzichtbaren Merkmale abschließend festlegt. Die Maxime liegt dann auf einer wertorientierten Betrachtung des Einzelfalls. 373 Die Methode der Rechtsanwendung ist die Zuordnung.374 Der Typus hat damit die Stufe einer abstrakten Definition nicht erreicht; er ist offen und seine Grenzen sind fließend. 375 Von den Merkmalen, die für den "Typus" als insgesamt charakteristisch angesehen werden, kann im Einzelfall das eine oder das andere gänzlich fehlen, ohne die Zugehörigkeit zum "Typus" insgesamt in Frage zu stellen. 376 Entscheidend ist das Gesamtbild. 377 Die Merkmale des "Typus" können durch repräsentative Aufzählungen exemplifiziert werden, die dadurch gleichsam den Maßstab eines Begriffsmodells abgeben. 378 371 Vgl. Pawlowski, Methodenlehre filr Juristen, Rdnr. 145 ff.; Larenz, Methodenlehre, 6. Aufl., 221. 372
Larenz, Methodenlehre, 6. Aufl., 221; Bydlinski, Juristische Methodenlehre, 544.
373
Larenz, Methodenlehre, 6. Aufl., 222; Leenen, Typus und Rechtsfindung, 97.
374
Larenz, Methodenlehre, 6. Aufl., 221 f.; Pawlowski, Methodenlehre fi.lr Juristen, Rdnr. 147.
Vgl. Larenz, Methodenlehre, 2. Auf!., 439; Tipke, Steuerrecht, 13. Aufl., 91 ; Bydlinski, Juristische Methodenlehre, 544; Leenen, Typus und Rechtsfindung, 34 ff. 375
376 Larenz, Methodenlehre, 6. Aufl., 472 m.w.N.; Bydlinski, Juristische Methodenlehre, 544; Pawlowski, Methodenlehre fi.lr Juristen, Rdnr. 147. 377
Tipke, Steuerrecht, 13. Aufl., 91.
Diese Art rechtstechnischen Vorgehens hat beispielsweise auch der Steuergesetzgeber verschiedentlich gewählt: § 18 Abs. I Nr. I EStG "ähnliche Berufe", § 19 Abs. 2 Nr. I EStG "gleichartig". Zur Bedeutung des Typusbegriffs im Steuerrecht: Vogel, StuW 1971, 308 (313). 378
9 Reetz
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Beispielhaft bietet § 705 BGB keine Defmition der Gesellschaft des bürgerlichen Rechts. 379 Die bestimmenden Merkmale ergeben sich vielmehr erst aus den folgenden gesetzlichen Regelungen. Außer der Verfolgung eines gemeinsamen Zwecks sind aber einzelne weitergehende Merkmale entbehrlich, ohne die Existenz einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts letztlich in Frage zu stellen. So ist eine Gesellschaft als reine Innengesellschaft auch ohne die Bildung von Gesamtbandseigentum anerkannt. In gleicher Weise stehen Geschäftsfiihrung und Vertretung der Gesellschaft zur Disposition. In gleicher Art und Weise lassen sich negative Immissionen den "ähnlichen Einwirkungen" des§ 906 BGB zuordnen. Typusleitende Merkmale in ihrer Gesamtschau ergeben sich sowohl aus der Grenzüberschreitung, der Imponderabilität oder der Unwägbarkeit als auch aus der Unkörperlichkeit der Einwirkungen. Im Einzelfall kann aber aus wertorientierten Gesichtspunkten selbst das gänzliche Fehlen eines typusbildenden Merkmals einer Zuordnung nicht entgegenstehen. Im Falle der negativen Immissionen könnte demnach auf die Grenzüberschreitung verzichtet werden, ohne den wertungsorientierten Gesamtzusammenhang zu verlassen, nämlich eine zumutbare, (nachbar)beeinträchtigungsfreie Grundstücksnutzung. 4. Fazit
I. Die zentrale Norm des zivilrechtliehen Immissionsschutzes stellt § 906 BGB dar; es handelt sich nicht um eine Anspruchsgrundlage zur Abwehr von Einwirkungen. 2. Nach den seit der Entstehungszeit des BGB tradierten Vorstellungen wird der Immissionsbegriff des § 906 BGB vom Grenzüberschreitungsdogma dominiert; dies fuhrt nach zivilrechtlicher Anschauung dazu, daß negative Immissionen jedenfalls nicht durch den Regelungsgehalt des § 906 BGB erfaßt werden.
379 Zur Typusbildung bei § 705 BGB: Keßler, in: Staudinger, 12. Aufl., Vorb. zu § 705 Rdnr. 18 m.w.N. Weitere Beispiele typologischer Begriffe im BGB: § 93 BGB "wesentliche Bestandteile", § 831 BGB "Verrichtungsgehilfe", § 855 BGB "Besitzdiener", § 833 BGB "Tierhalter". Hierzu im einzelnen: Larenz, Methodenlehre, 6. Aufl., 220 f. und 466 ff.; ders., in: FS Wilburg (1975), 217 (219); Pawlowski, Methodenlehre fllr Juristen, Rdnr. 146; Bydlinski, Juristische Methodenlehre, 544 f.
A. Zivilrechtsnonnen mit möglicher Abwehrrelevanz
131
3. Am herrschenden Grenzüberschreitungsargument bestehen gravierende rechtshistorische, wertungsrechtliche und systematische Zweifel, die von einer Minderheit in der zivilrechtliehen Literatur geteilt werden. 4. Neben der Zweifelhaftigkeit des Grenzüberschreitungsarguments lassen sich negative Immissionen mit guten Gründen als Bestandteil des offenen Tatbestandsmerkmals "ähnliche Einwirkungen" auffassen. Diese (extensive) Auslegung würde dem Entwicklungsauftrag an das Nachbarrecht entsprechen. 5. Ebenfalls mit guten Gründen kann § 906 BGB analog auf Störungen durch negative Immissionen angewandt werden. 6. Begreift man das Tatbestandsmerkmal "ähnliche Einwirkungen" als Typusbegriff, kann ohne weiteres auf die Vorraussetzung einer physikalisch meßbaren Grenzüberschreitung verzichtet werden, die negativen Immissionen ließen sich zwanglos dem § 906 BGB zuordnen.
IV.§ 907 BGB 1. Allgemeines
Der Eigentümer380 eines Grundstücks kann nach § 907 Abs. I BGB verlangen, daß auf dem Nachbargrundstück keine Anlagen hergestellt oder unterhalten werden, von denen mit Sicherheit vorauszusehen ist, daß ihr Bestand oder ihre Benutzung eine unzulässige (grenzüberschreitende) Einwirkung zur Folge hat. Anspruchsgegner ist der Störer, also derjenige, der die Anlage errichtet hat, sie nutzt oder unterhält. 381 Entsprechend der herrschenden Nachbarrechtstheorie erweitert bzw. beschränkt § 907 BGB das Eigentumsrecht, den Eigentumsinhalt,382 indem dem
380 Anspruchsberechtigt sind neben dem Eigentümer die dem Eigentümer gleichgestellten Berechtigten: § II Abs. l ErbbVO; § 1027 BGB; § 1067 BGB; §§ 1090 Abs. 2, 1027 BGB; § 34 Abs. 2 WEG; vgl. auch die Zusammenstellung bei Beutler, in: Staudinger, 12. Aufl., § 907 Rdnr. 22; Säcker, in: Müko, § 907 BGB Rdnr. 17; JF. Baur, in: Soergel, 12. Aufl., § 907 BGB Rdnr. 12. Gegen eine Anspruchsberechtigung des Besitzers, der nicht Eigentümer ist: RG vom 28.12.1904- V.272/04- Z 59, 326 (327); dagegen Säcker, in: Müko, § 907 BGB Rdnr. 17 m.w.N. 381 Vgl. zu Einzelheiten des Störerbegriffs im Rahmen des§ 907 BGB: Herrmann, Der Störer nach§ 1004 BGB, 181 ff.; Säcker, in: Müko, § 907 BGB Rdnr. 19 f.; Beutler, in: Staudinger, 12. Autl., § 907 Rdnr. 23. 382 Vgl. RG vom 13.7.1934- VII 33/34- Z 145, 107 (115); Beutler, in: Staudinger, 12. Aufl., § 907 Rdnm. I und 16; Palandt/Bassenge, BGB, 52. Aufl., § 907 Rdnr. I; Bayer/Lindner, Bay.
9*
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Teil2: Zivilrechtliche Lösungsansätze der Abwehr negativer Immissionen
Nachbarn drei verschiedene dingliche, nach § 924 BGB unverjährbare Ansprüche eingeräumt werden. 383 § 907 Abs. I S. 1 BGB will präventiv, als vorbeugender Unter/assungsanspruch, verhindern, daß zukünftig eine Störung entsteht, nicht aber eine bereits entstandene Störung nachgängig beseitigen. Genügt demgegenüber die nutzungsbeeinträchtigende Anlage den Iandesrechtlichen Abstandsvorschriften oder sonstigen Schutzmaßregeln,384 setzt § 907 Abs. 1 S. 2 BGB einschränkend voraus, daß eine Störung schon einmal zutage getreten ist. Ist die Störung noch gegenwärtig, entsteht ein nachgängiger Beseitigungsanspruch; ist eine eintretende Störung wieder zu erwarten, ein Unterlassungsanspruch Der Art nach findet sich insoweit in § 907 BGB eine teilweise verwaltungsrechtsakzessorische, nachbarrechtliche Regelung, die keine abstrakte, sondern eine tatsächliche (zu erwartende) Beeinträchtigung voraussetzt. § 907 BGB ist nach h.M. Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB; 385 und eingedenk der Folgerungen aus der herrschenden Nachbarrechtstheorie wird man auch § 823 Abs. 1 (Eigentum) als einschlägig betrachten müssen. 386
2. Tatbestand des § 907 BGB a) Anlagenbegriff Der Anspruch aus § 907 BGB richtet sich gegen die Existenz einer künstlich geschaffenen 387, nachbarlichen Anlage; 388 diese muß selbst oder durch die Art Nachbarrecht, 78; ausfUhrlieh zur Nachbarrechtstheorie: Säcker/Paschlre, NJW 1981, 1009 (1010); Paschke, AcP 187 (1987), 70 (79 f.). 383 Vgl. RG vom 13.7.1934 - VII 33/34 - Z 145, 107 (115); Säcker, in: MUko, § 907 BGB Rdnr. 15. 384 Einschlägig sind Regelungen auf der Grundlage des Art. 124 EGBGB und mit Masse öffentlich-rechtliche (Bau)Abstandsvorschriften: Beutler, in: Staudinger, 12. Auf!., § 907 Rdnr. 18 ff.; Säcker, in: Müko, § 907 BGB Rdnr. I 5 f. ; J.F Baur, in: Soergel, 12. Auf!., § 907 BGB Rdnr. II ; Augustin, in: BGB-RGRK, 12. Auf!.,§ 907 Rdnr. II f.; Dehner, in: MIS/HID, Nachbarrecht, 6. Auf!.,§ 18; siehe auch Protokolle III, 159. 385 Vgl. RG vom 13.7.1 934- VII 33/34- Z 145, 107 (115); BGH vom 21.2.1980- III ZR 185/78- NJW 1980,2580 (2581); BGH vom 22.2.1991- V ZR 308/89- Z 113, 384 = NJW 1991, 1671; Beutler, in: Staudinger, 12. Auf!.,§ 907 Rdnr. 27; Säcker, in: Müko, § 907 BGB Rdnr. 21; Bayer/Lindner, Bay. Nachbarrecht, 82; Palandt/ Thomas, BGB, 52. Auf!., § 823 Rdnr. 145. 386 So auch RG vom 13.7.1934- VII 33/34- Z 145, 107 (115); J.F Baur, in: Soergel, 12. Auf!.,§ 907 BGB Rdnr. 10; Erman-Hagen, BGB, 8. Auf!.,§ 907 BGB Rdnr. I; anders wiederum Säcker, in: Müko, § 907 BGB Rdnr. 21 und Bayer/Lindner, Bay. Nachbarrecht, 82, die § 907 BGB im Rahmen des § 823 Abs. I BGB als ein "sonstiges Recht" verstehen.
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und Weise ihrer Benutzung stören oder jedenfalls potentiell stören. Zu den gefahrdrohenden, begrifflich weitgefaßten Anlagen i.S.d. § 907 BGB zählen dabei nur solche von einer gewissen Selbständigkeit und Beständigkeit. 389 Inwiefern eine auf Dauer angelegte Verbindung mit dem Grundstück vorhanden sein muß, ist streitig. 390 Anerkannte (gefahrdrohende) Anlagen können beispielsweise Straßen, Garagen, Aufschüttungen von Schlamm- und Sandmassen, Gebäude oder ein Waschplatz mit Hebebühne sein.391 Keine Anlagen i.S.d. § 907 BGB sind hingegen natürliche Bodenerhöhungen392, Bäume und Sträucher, § 907 Abs. 2 BGB.393 b) Nachbargrundstück Wie auch bei § 906 BGB bezieht sich der Begriff des Nachbargrundstücks nicht nur auf die unmittelbare Grenznachbarschaft Entscheidend ist vielmehr der reale Einwirkungsbereich der störenden Anlage, also das räumlich wirkende Störungspotential. 394 Daß sich der Begriff der Nachbarschaft dadurch zugun-
387
Vgl. statt aller: Beutler, in: Staudinger, 12. Autl., § 907 Rdnr. 5 m.w.N.
Vgl. hierzu und zum insoweit engeren Beseitigungsanspruch gern. § 1004 BGB: Wes/ermann, Sachenrecht, Bd. II, 6. Autl., § 79 111 I. 388
389 Vgl. BGH vom 30.4.1965- V ZR 17/63- BB 1965, 1125 "Garage"; J.F. Baur, in: Soergel, 12. Autl., § 907 BGB Rdnr. 2; Säcker, in: Müko, § 907 BGB Rdnr. 3; Beutler, in: Staudinger, 12. Autl., § 907 Rdnr. 5; Erman-Hagen, BGB, 8. Autl., § 907 BGB Rdnr. 3; Augustin, in: BGBRGRK, 12. Autl., § 907 Rdnr. 6; ausfilhrlich zum maßgebenden Anlagenbegriff: Herrmann, Der Störernach § 1004 BGB, 169 ff. 390 Gegen eine feste Verbindung: Säcker, in: Müko, § 907 BGB Rdnr. 2; J.F. Baur, in: Soergel, 12. Aufl., § 907 BGB Rdnr. 2; flir eine feste Verbindung: Stad/er, Nachbarrecht, 5. Aufl., 105; Palandt/Bassenge, BGB, 52. Autl., § 907 Rdnr. I; Herrmann, Der Störernach § 1004 BGB, 176 ff.; undeutlich: Beutler, in: Staudinger, 12. Autl., § 907 Rdnr. 5. 391 BGH vom 22.2.1991- V ZR 308/89- Z 113,384 = NJW 1991, 1671 "Abraumhalde"; BGH vom 30.4.1965- V ZR 17/63- BB 1965, 1125 "Garage"; RG vom 13.7.1934- VII 33/34- Z 145, 107 "Straßenrampe"; OLG Dusseldorfvom 27.6.1979-9 U 64179- Z 1980, 16 "Taubenschlag"; ausführliche Beispielsaufzählung bei Dehner, in: M/SIH/D, Nachbarrecht, 6. Autl., § 16 II I; grundsätzlich zum Anlagenbegriff im BGB: Herrmann, Der Störernach § I 004 BGB, 169 ff.
392 BGH vom 11.10.1973 - 111 ZR 159171 - NJW 1974, 53 (54); BGH vom 20.5.1976 - 111 ZR 103174- NJW 1976, 1840 (1841); Jauernig, BGB, § 907 BGB Anm. 2. 393 394
Vgl. statt aller: Beutler, in: Staudinger, 12. Autl., § 907 Rdnr. 9.
Vgl. RG vom 1.3.1922- 411/2l.V- JW 1923, 288; Palandt/Bassenge, BGB, 52. Autl., § 907 Rdnr. I; Beutler, in: Staudinger, 12. Autl., § 907 Rdnr. 4; Säcker, in: Müko, § 907 BGB Rdnr. 6; J.F. Baur, in: Soergel, 12. Autl., § 907 BGB Rdnr. 7; Augustin, in: BGB-RGRK, 12. Aufl., § 907 Rdnr. 5; Erman-Hagen, BGB, 8. Autl., § 907 BGB Rdnr. 2; Dehner, in: M/S/H/0, Nachbarrecht, 7. Autl., § 17 II 2 m.w.N.
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sten des Begriffs der drohenden oder bestehenden Einwirkung auflöst, ist aus Wertungsgesichtspunkten hinzunehmen. 395 c) Einwirkungsbegriff des§ 907 BGB Auch der Gesetzeswortlaut des § 907 BGB verwendet zunächst den aus dem Wortlaut des § 903 BGB bekannten Begriff der "Einwirkung", verknüpft ihn aber mit dem Adjektiv "unzulässig". Der Einwirkungsbegriff umschreibt neutral die Tatsache der Veränderung auf dem Immissionsgrundstück, die Unzulässigkeil verweist nach h.M. auf den Maßstab der§§ 903-906 BGB. 396 Der maßgebliche Einwirkungsbegriff des § 907 BGB ist weit zu fassen und beinhaltet gleichermaßen Imponderabilien und Grobimmissionen. 397 Die Einwirkungen müssen direkt oder indirekt aufmenschliches Verhalten zurückfUhrbar sein. Gleichgültig ist es demnach, ob die Einwirkung durch eine unmittelbare (menschliche) Benutzung der Anlage oder zwar durch natürliche Vorgänge (z.B. Froschgequake), aber letztlich indirekt durch eine willentliche Errichtung der Anlage (mit)verursacht wird. 398 d) Sichere Voraussicht Im Rahmen des vorbeugenden Unterlassungsanspruchs verlangt der Tatbestand der Norm, daß eine unzulässige Einwirkung mit Sicherheit vorauszusehen ist, § 907 Abs. 1 S. 1 BGB. Gemeint ist hiermit eine aufgrund allgemeiner Lebenserfahrung der Gewißheit gleichkommende, höchste Wahrscheinlichkeit eines Störungseintritts, die aber nicht im Sinne einer mathematisch-naturwissenschaftlichen Notwendigkeit interpretiert werden darf. 399 Die sichere Voraussicht 395
So auch Säcker, in: Müko, § 907 BGB Rdnr. 6.
Vgl. BGH vom 22.2.1991 -V ZR 308/89- Z 113, 384 = NJW 1991, 1671 (1672); BGH vom BGH vom 7.3.1969- V ZR 169/65- Z 51,396 (399) und Anm. Baur, JZ 1969, 432; RG vom 16.6.1937- V 241 /36 - Z 155, 154 (158); OLG Hamm vom 19.3.1981- 5 U 140/80 - AgrarR 1981, 317; Beutler, in: Staudinger, 12. Autl., § 907 Rdnr. 6; Säcker, in: MUko, § 907 BGB Rdnr. 10; in der Sache ähnlich J.F. Baur, in: Soergel, 12. Autl., § 907 BGB Rdnr. 8. 396
397 Säcker, in: MUko, § 907 BGB Rdnr. 7; Stad/er, Nachbarrecht, 5. Aufl., 105 f.; Augustin, in: BGB-RGRK, 12. Autl., § 907 Rdnr. 9. 398 Vgl. RG vom 4.11.1931 -V 204/31 - Z 134, 231 (234) "Froschteich"; Beutler, in: Staudinger, 12. Autl., § 907 Rdnr. 6; Säcker, in: Müko, § 907 BGB Rdnr. 8; Bayer/Lindner, Bay. Nachbarrecht, 79. 399 Vgl. RG vom 9.12.1931 -V 228/31 - Z 134, 254 (256); RG vom 1.3.1922- 411 /21.V- JW 1923, 288 (289); BGH vom 11.2.1955- V ZR 134/54- WM 1955, 998 (999); Säcker, in: Müko, § 907 BGB Rdnr. 10; Augustin, in: BGB-RGRK, 12. Autl., § 907 Rdnr. 7; Beutler, in: Staudinger,
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knüpft an den Normalzustand und Normalbetrieb der nachbarlichen Anlage an. Nicht maßgebend ist es deshalb, daß jede technische Anlage möglicherweise einmal versagen kann (Restrisiko). 400 Da es sich um einen Tatbestand handelt, der eine tatsächliche (Nutzungs) Beeinträchtigung regelt, kann der "gestörte" Eigentümer erst dann von § 907 Abs. 1 S. 1 BGB Gebrauch machen, wenn er eine rechtmäßige, gestörte Grundstücksnutzung auch tatsächlich vornimmt oder deren Vomahme unmittelbar einleitet.401
3. Die Berücksichtigung negativer Immissionen in § 907 BGB Die ganz herrschende Ansicht in Rechtsprechung und Literatur akzeptiert als Einwirkungen i.S.d. § 907 BGB nur solche, die positiv, grenzüberschreitend wirken, also gerade keine negativen Immissonen sind. 402 Zwar findet sich im Wortlaut des § 907 BGB an keiner Stelle der Begriff der "Zufilhrung", wie ihn § 906 BGB verwendet, dennoch wird das bekannte Gleichsetzungsargument auf den Tatbestand der Norm ohne weiteres und obwohl Grobimmissionen unstreitig unter § 907 BGB zu subsumieren sind, angewandt. 403 Die Anwendung
12. Auf!., § 907 Rdnr. 12 ff.: J.F. Baur, in: Soergel, 12. Auf!., § 907 BGB Rdnr. 9; Jauernig, BGB, § 907 BQB Anm. 2; Dehner, in: M/SIH/D, Nachbarrecht, 6. Auf!., B § 17 II 3; Arbeitskreis "Bauliches Nachbarrecht", BBauBI. 1991 , 10 (12); Bayer/Lindner, Bay. Nachbarrecht, 80. 400
Vgl. Säcker, in: Müko, § 907 BGB Rdnr. 10.
Säcker, in: Müko, § 907 BGB Rdnr. 10; anders OLG Harnburg vom 26.2.1915 - 5. Zs OLGE 31, 319 (320). 401
402 Beispielsweise: RG vom 27.11.1913 - VI 493/13 - WamR 1914, 84 Nr. 57; RG vom 8.1.1920- VI 349/19- Z 98, 15 (17); BGH vom 21.2.1980- 111 ZR 185/78- NJW 1980, 2580 (2581); Augustin, in: BGB-RGRK, 12. Auf!., § 907 Rdnm. 6 und 9; Beutler, in: Staudinger, 12. Auf!., § 907 Rdnr. 7; Säcker, in: MUko, § 907 BGB Rdnr. 7; J.F. Baur, in: Soergel, 12. Auf!., § 907 BGB Rdnr. 8; Erman-Hagen, BOB, 8. Auf!., § 907 BGB Rdnr. 4; Palandt/Bassenge, BGB, 52. Auf!., § 907 Rdnr. I; Bayer/Lindner, Bay. Nachbarrecht, 79; Dehner, in: M/S/HID, Nachbarrecht, 6. Auf!., § 17 II I und 2.
403 BGH vom 22.2.1991 -V ZR 308/89- Z 113, 384 = NJW 1991, 1671 ; BGH vom 20.12.1971 - 111 ZR II 0/69 - Z 57, 370 "Grundwasserabsenkung durch Gemeindekanalisation"; BGH vom 10.4.1953- V ZR 115/51- BB 1953, 373; BGH vom 15.6.1951 -V ZR 55/50 - MDR 1951, 726; RG vom 12.4.1930 - V.24/29 - Seuff.A. 84, 248; RG vom 8.1.1920 - VI 349/19 - Z 98, 15 (17); RG vom 5.10.1910- V 567/09- WamR 1910, Nr. 447; RG vom 7.12.1912-280112 V.JW 1913, 267; RG vom 8.1.1908 - 186/07 V. - JW 1908, 142 Nr. 12; BayObLG vom 22.1.1965 BReg. Ia Z 164/62 - E 65 (n.F.), 7 = NJW 1965, 973; BayObLG vom 1.7.1931 - Reg. I Nr. 53/1931- E 31, 244; BayObLG vom 21.12.1921- Reg. I Nr. 149/1921- E 21, 403 (405 f.) "Grundwasserentzug durch Brunnen"; OLG Samberg vom 3.7.1989 - 4 U 21189- unveröffentlicht; OLG NUmberg vom 14.7.1971 - 4 U 58/71 - RdL 1972, 10, zu dieser Entscheidung auch Breuer, Wasserrecht, Rdnr. 748; OLG München vom 28.12.1966 - I U 1175/65 - NJW 1967, 570 (571); OLG Kiel vom 15.3.1940-2 U 266/39- Sch!HA 1940, 138 (140).
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Teil 2: Zivilrechtliche Lösungsansätze der Abwehr negativer Immissionen
des Gleichsetzungsarguments basiert im Rahmen des § 907 BGB wohl auf dem Verständnis des Begriffs der "Unzulässigkeit".404 Wird dieser allein aus den §§ 903-906 BGB deduziert, 405 führt dies unmerklich zur Gleichbehandlung mit der "zuführenden Einwirkung" des § 906 BGB, weil diese grundsätzlich (aber anzweifelbar) als Definition aller Einwirkungen verstanden wird. Nach Aussage des BGH will zumindest der mit dem Nachbarrecht befaßte V. Senat an dieser Lösung auch in Kenntnis vereinzelter, abweichender Meinungen der Literatur festhalten. 406 Im einzelnen wird die Anwendung des § 907 BGB bei den Fallgruppen des Entzugs von Licht, Luft, Wind und der guten Aussicht allgemein abgelehnt. 407 Gleiches gilt für den Entzug oder die Abführungsbehinderung von Grundwasser oder Oberjlächenwasser, 408 wobei die Anwendung des§ 907 BGB aufwasserwirtschaftliche Einwirkungen von benachbarten Anlagen generell umstritten ist. 409 Ebenfalls nicht unter§ 907 BGB fallen Veränderungen an Straßen durch Höher- oder Tieferlegen. Während das Tieferlegen einer Straße in Einzelaspekten durch § 909 BGB erfaßt werden kann, ist die Frage der Anwendung des Anla-
404 So j edenfalls offenbar Augustin, in: BGB-RGRK, 12. Aufl., § 907 Rdnr. 6; Erman-Hagen, BGB, 8. Aufl., § 907 BGB Rdnr. 4; zweifelnd hinsichtlich des Begriffs der "unzulässigen Einwirkung" noch das RGvom 16.6.1937- V 241 /36 -Z 155, 154 (158). 405 So BGH vom 7.3.1969- V ZR 169/65- Z 51, 396 (399); RG vom 16.6.1937- V 241136- Z 155, 154 (158); OLG Hamm vom 19.3.1981 -5 U 140/80- AgrarR 1981, 317; Beutler, in: Staudinger, 12. Autl ., § 907 Rdnr. 6; Säcker, in: Müko, § 907 BGB Rdnr. 10; in der Sache ähnlich JF. Baur, in: Soergel, 12. Aufl., § 907 BGB Rdnr. 8. 406
BGH vom 22.2.1991- V ZR 308/89- Z 113, 384 = NJW 1991, 1671 (1672).
407
RG vom 8.1.1920- VI 349/19- Z 98, 15 (17); RG vom 27.11.1913 -VI 493/13 - WarnR 1914, 84 Nr. 57; Augustin, in: BGB-RGRK, 12. Aufl., § 907 Rdnr. 9; Beutler, in: Staudinger, 12. Aufl., § 907 Rdnr. 7; Säcker, in: Müko, § 907 BGB Rdnr. 7; Bayer/Lindner, Bay. Nachbarrecht, 79; Jauernig, BGB, § 907 BGB Anm. 2. 408 RG vom 17. 10.1928- V 561 /27- Z 122, 134; RG vom 16.6.1937- V 241/36- Z 155, 154 (158); BayübLG vom 22.1.1965 - BReg. I a Z 164/62 - E 65 (n.F.), 7 = NJW 1965, 973; siehe auch OLG Breslau vom 9.7.1908- IV. ZS.- OLGE 18, 126; Beutler, in: Staudinger, 12. Aufl., § 907 Rdnr. 8; Säcker, in: Müko, § 907 BGB Rdnm. 4 und 7; Augustin, in: BGB-RGRK, 12. Aufl., § 907 Rdnr. 9 f. 409 Gegen eine Anwendbarkeit: Salzwedel, RdW Heft 18 (1973), 93 (100); J.F. Baur, in: Soergel, 12. Autl., § 907 BGB Rdnr. 6; fUr eine Anwendung jenseits landesrechtlicher Regelungen: RG vom 16.6.1937- V 241/36- Z 155, 154 (158); BGH vom 21.2.1980- 111 ZR 185/78- NJW 1980, 2580 (2581); Breuer, Wasserrecht, Rdnr. 742; Augustin, in: BGB-RGRK, 12. Aufl., § 907 Rdnr. 10; Beutler, in: Staudinger, 12. Aufl., § 907 Rdnr. 8; Säcker, in: Müko, § 907 BGB Rdnr. 4; vgl. auch BGH vom 22.2.1971 - 111 ZR 221 /67- NJW 1971 , 750.
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genbegriffs auf Straßen weithin umstritten. 410 Sofern Straßen allerdings negative Immissionen verursachen, sollen diese nach herrschender Meinung auch dann nicht abwehrbar sein, wenn man sie unter den Anlagenbegriff subsumieren würde. 411 Ähnliche Grundsätze gelten gegenüber den durch bergrechtliche Anlagen verursachten negativen Immissionen, beispielsweise den Entzug von Grundwasser. Die einstmals umstrittene Frage der Anwendbarkeit des § 907 BGB auf bergrechtliche Anlagen ist zwar nunmehr durch § 9 Abs. 1 BBergG4 12 positiv entschieden, denn § 907 BGB gehört zu den "für die Grundstücke geltenden Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches". 413 Doch wird die herrschende Meinung die Abwehrbarkeit von negativen Immissionen wegen des allgegenwärtigen Gleichsetzungsdogmas zu§ 906 BGB wohl nicht zulassen. Eine andere Frage ist es, ob Beeinträchtigungen durch negative Immissionen im öffentlich-rechtlichen Betriebsplanzulassungsverfahren (§§51 ff. BBergG) oder bei nicht (so) zugelassenen Betrieben im Untersagungsverfahren (§ 72 f. BBergG) materiell zu berücksichtigen sind. 41 4 Für eine differenziertere Betrachtung negativer Immissionen spricht allerdings § 907 Abs. 1 S. 2 BGB. Nach dieser einschränkenden Regelung entfallt der vorbeugende Unterlassungsanspruch auf der Basis des § 907 Abs. 1 S. 1 BGB dann, wenn die Anlage landesgesetzlichen Vorschriften entspricht, die einen bestimmten Abstand von der Grundstücksgrenze oder sonstige Schutzmaßregeln vorschreiben. Die Iandesrechtlichen Regelungen können öffentlichrechtlicher oder zivilrechtlicher Natur sein. 415 Soweit Abstandsvorschriften an-
4 10 Vgl. einerseits RG vom 13.7.1934- VII 33/34- Z 145, 107 (115); andererseits BGH vom 11.10.1973 - lll ZR 159171 - NJW 1974, 53 (54); BGH vom 20.5.1976- lll ZR 103174- NJW 1976, 1840 (1841); BGH vom 21.2.1980 -lll ZR 185178- NJW 1980,2580 (2581); Beutler, in: Staudinger, 12. Aufl., § 907 Rdnr. 9; Dehner, in: M/S/HID, Nachbarrecht, 6. Aufl., B § 17 II I ; JF. Baur, in: Soergel, 12. Aufl., § 907 BGB Rdnr. 5; nachdrücklich gegen den BGH: Säcker, in: Müko, § 907 BGB Rdnr. 4. 411
Vgl. statt aller: Beutler, in: Staudinger, 12. Aufl., § 907 Rdnr. 9.
4 12
Bundesberggesetz (BBergG) vom 3.8.1980 (BGBI. I, 1310), in Kraft getreten am 1.1.1982.
So jedenfalls Säcker, in: Mtiko, § 907 BGB Rdnm. 4 und 18; Beutler, in: Staudinger, 12. Aufl ., § 907 Rdnr. 3; a.A. aber ohne weitere Begründung: Erman-Hagen, BGB, 8. Aufl., § 907 BGB Rdnr. I; Piens/Schulte/Graf Vilzthum, BBergG, § 9 Rdnr. 7. 41 3
414 § 72 BBergG stellt jedenfalls keine nachbarschützende Norm dar: Piens/Schulte/Graf Vitzthum, BBergG, § 72 Rdnr. 15; vgl. auch Beutler, in: Staudinger, 12. Aufl., § 907 Rdnr. 3; Säkker, in: Müko, § 907 8GB Rdnr. 18. 4 15 Vgl. OLG Hamm vom 19.3.1981- 5 U 140/80 - AgrarR 1981, 317 (318); OLG München vom 11.1.1954 - 5 U 1736/53 - NJW 1954, 513 (514); Säcker, in: Müko, § 907 BGB Rdnr. 15;
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Teil 2: Zivilrechtliche Lösungsansätze der Abwehr negativer Immissionen
gesprochen sind, geht § 907 Abs. 1 S. 2 BGB davon aus, daß Anlagen, die eine statuierte Abstandspflicht einhalten, gewöhnlich keine unzulässigen Einwirkungen hervorrufen. 416 Paradebeispiele solcher abstandsrechtlicher Vorschriften (zumal drittschützend) sind diejenigen des Iandesrechtlichen Bauordnungsrechts.417 Der Regelungszweck der bauordnungsrechtlichen Abstandsflächen liegt aber neben der ordnungspolitischen Funktion gerade in der Erhaltung einer ausreichenden Belüftung, Belichtung und Besonnung der Gebäude und Grundstücke,418 also der Bewältigung von "grundstücksbezogenen Nutzungskonflikten" im Hinblick aufnegative Immissionen. § 907 Abs. 1 S. 2 BGB unterscheidet hinsichtlich abstandsrechtlicher Vorschriften nicht zwischen solchen, die vor negativen Immissionen und solchen, die vor grenzüberschreitenden Immissionen schützen wollen. Warum nun auf der Grundlage des (anfechtbaren) Gleichsetzungsarguments nur grenzüberschreitende Tatbestände von § 907 BGB erfaßt werden sollen, nicht aber die Wertungen der in der Norm selbst in Bezug genommenen Abstandsvorschriften erscheint unklar.
4. Fazit 1. Über das auch im Rahmen des § 1004 BGB vielfach verwendete Gleichsetzungsargument wird die Auslegung des Tatbestandsmerkmals "unzulässige Einwirkung" in § 907 BGB vom Grenzüberschreitungsdogma beherrscht. 2. Weder aus § 907 BGB noch aus den §§ 903, 906, 1004 BGB ergibt sich zwingend die Notwendigkeit gleichlaufender Einwirkungsbegriffe. 3. Die Wertungen der in§ 907 Abs. 1 S. 2 BGB in Bezug genommenen Regelungen des öffentlich-rechtlichen oder zivilrechtliehen Abstandsrechts spre-
Beutler, in: Staudinger, 12. Aufl., § 907 Rdnr. 19; Dehner, in: M/S/HID, Nachbarrecht, 6. Aufl., 8 § 17 V. 416 Säcker, in: MUko, § 907 8GB Rdnr. 15; Dehner, in: M/S/HID, Nachbarrecht, 6. Aufl., 8 § 17 V. 417 Vgl auch insoweit OLG Hamm vom 19.3.1981 - 5 U 140/80- AgrarR 1981, 317 (318); OLG München vom 11.1.1954 - 5 U 1736/53 - NJW 1954, 513 (514); Säcker, in: MUko, § 907 BGB Rdnr. 15; Beutler, in: Staudinger, 12. Aufl., § 907 Rdnr. 19; Dehner, in: M/S/HID, Nachbarrecht, 6. Aufl., 8 § 17 V. 418 Vgl. BayVGH vom 20.11.1986 - 2 CS 86.02888 - BayVBI. 1987, 337 (338) mit abl. Anm. von Jäde, BayVBI. 1987, 338; OVG Lüneburg vom 22.3.1962- I OVG A 96/61 - DVBI. 1962, 418 (419); Simon, Bay. Bauordnung, Art. 6 Rdnr. Ia; Jarass, JZ 1980, 119 (123); aus zivilrechtlicher Sicht: Picker, AcP 176 (1976), 28 (44).
A. Zivilrechtsnormen mit möglicher Abwehrrelevanz
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chen fiir eine Berücksichtigung auch nicht grenzüberschreitender Einwirkungen, also einschließlich negativer Immissionen.
V. §226BGB 1. Allgemeines
Grundsätzlich ergibt sich auf der Basis des BGB die Möglichkeit, sich gegen negative Immissionen jedenfalls dann zur Wehr zu setzen, wenn diese sich als "schikanöse Rechtsausübung" des Nachbarn begreifen lassen. Nach§ 226 BGB ist die Ausübung des (Eigentums)Rechts unzulässig, wenn sie nur den Zweck haben kann, einem anderen (dem Grundstücksnachbam) Schaden zuzufiigen. 419 Die tatbestandliehen Voraussetzungen dieser Norm sind freilich so eng, daß ihr eine praktische Bedeutung zur Lösung nachbarlicher Konflikte so gut wie nicht zukommt. 420 Diese Tatsache hat den Anwendungsbereich der Norm zugunsten des § 826 BGB und in noch verstärktem Maße zugunsten des auf der Grundlage von § 242 BGB entwickelten "nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses" paralysiert.421 2. Tatbestand
§ 226 setzt objektiv voraus, daß die Rechtsausübung (des Grundstückseigentümers) keinen weiteren Zweck haben kann als die Schädigung eines an419 Streitig ist die Rechtsnormqualität des § 226 BGB. Unabhängig von der Frage, ob es sich um eine eigenständige Anspruchsgrundlage handelt, liegt jedenfalls auch ein Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB vor. Vgl. hierzu RG vom 3.12.1909- 11.190/09- Z 72, 251 (254); Fahse, in: Soergel, 12. Aufl., § 226 BGB Rdnr. 12; Dilcher, in: Staudinger, 12. Aufl., § 226 Rdnr. 16; Palandt/Bassenge, BGB, 52. Aufl., § 907 Rdnr. 5; Dehner, in: M/S/HID, Nachbarrecht, 7. Aufl., B § 13 (S. 8 f.).
420 So auch 011, in: AK-BGB, § 903 Rdnr. 7; Fahse, in: Soergel, 12. Aufl., § 226 BGB Rdnr. 3; Jauernig, BGB, § 226 BGB Anm. 2; Palandt/Bassenge, BGB, 52. Aufl., § 226 Rdnr. I; Dehner, in: M/S/HID, Nachbarrecht, 7. Aufl., B § 13; Hübner, Allg. Teil des BGB, Rdnr. 240; Heubel, Entziehende Einwirkungen, 49. 421 So auch Dehner, in: M/S/HID, Nachbarrecht, 7. Aufl., B § 13; Heubel, Entziehende Einwirkungen, 50 f. ; Jauernig, BGB, § 226 BGB Anm. 2; Fahse, in: Soergel, 12. Aufl., § 226 BGB Rdnr. 3; Dilcher, in: Staudinger, 12. Aufl., § 226 Rdnr. 8.
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Teil 2: Zivilrechtliche Lösungsansätze der Abwehr negativer Immissionen
deren. 422 Jeder weitergehende auch nur denkbare Zweck muß ausgeschlossen sein. 423 Es genügt demnach nicht, daß die Rechtsausübung der Absicht des Nachbarn, schädigend zu wirken, entspricht, und daß dies nachweisbar der subjektiv einzige Zweck seiner Handlung war. 424 Maßgebend ist vielmehr der nach Sachlage objektive Gehalt der Handlung, daß nämlich auch hypothetisch kein anderer Zweck als die Schädigung gedacht werden kann. 425 Bei dinglichen, also auch nachbarrechtlichen Fallgestaltungen muß zur Feststellung schikanöser Rechtsausübung aus den gesamten örtlichen Begebenheiten der Beweis erbracht werden, daß weder ein weitergehender wirtschaftlicher, idealer oder persönlicher Vorteil vorliegen kann,426 so daß beispielsweise schon aus diesem Grunde ein Vorgehen gegen einen sog. Neidbau praktisch aussichtslos erscheint. 427 Auch ein zukünftiger Vorteil kann § 226 BGB ausschließen. 428 Die bezweckte Schädigung muß vorsätzlich erfolgen, Absicht ist hingegen nicht erforderlich. 429 Der Schadensbegriff des § 226 BGB ist nicht vermögensrechtlich determiniert, auch die Verletzung ideeller oder nichtrechtlicher Interessen bewirkt einen Schaden. 430 Auf dieser Grundlage würde auch das Interesse an einer Grundstücksnutzung frei von negativen Immissionen unter den Schadensbegriff subsumierbar sein.
422 Vgl. RG vom 26.5.1908- VII.468/07- Z 68,424 (425); RG vom 10.6.1929- VI 510/28- Z 125, 108 (110 f.); OLG Frankfurt vom 6.3.1979 - 3 Ws 9-25, 84-85/79 - NJW 1979, 1613 "prozeßrechtliches Schikaneverbot"; Dehner, in: M/SIH/D, Nachbarrecht, 7. Auf!., B § 13; Fahse, in: Soergel, 12. Auf!., § 226 BGB Rdnr. 4; Dilcher, in: Staudinger, 12. Auf!., § 226 Rdnr. 9; Palandt/Bassenge, BGB, 52. Auf!., § 226 Rdnr. 3.
423 RG vom 8.1.1920- VI 349/12- Z 98, 15 (17); BayübLG vom 1.3.1905- Reg.I.271/ 1904Z 6, 146 (148 f.); Dilcher, in: Staudinger, 12. Auf!.,§ 226 Rdnr. 9 m.w.N. 424 Zur Bedeutung innerer Beweggründe des Schädigers: BayübLG vom 30.1.1911 Reg.I.211 / 1910- Z 12, 86 (110); RG vom 26.5.1908- VII.468/07- Z 68, 424 (425); Fahse, in: Soergel, 12. Auf!., § 226 BGB Rdnr. 6. 425
Vgl. Dehner, in: M/S/WD, Nachbarrecht, 7. Auf!., B § 13.
Vgl. RG vom 3.12.1909 -11.190/09- Z 72,251 "Grabstättenbesuch"; Dehner, in: M/S/WD, Nachbarrecht, 7. Auf!., B § 13, auch zu beweisrechtlichen Fragestellungen. 426
427
So auch Dehner, in: M/S/H!D, Nachbarrecht, 7. Auf!., B § 13 (S. 6 f.).
428
RG vom 19.5.1903 - Vl1.72/03- 54, 433 (434).
BGH vom I 0.4.1953 - V ZR 115/51 - LM Nr. 2 zu § 903 BGB = BB 1953, 373 (374); Dilcher, in: Staudinger, 12. Auf!., § 226 Rdnr. 10; Fahse, in: Soergel, 12. Auf!.,§ 226 BGB Rdnr. 6. 429
430
Vgl. Fahse, in: Soergel, 12. Auf!.,§ 226 BGB Rdnr. 9.
B. Zivilrechtsnormen mit gezielter Abwehrrelevanz
141
3. Die Berücksichtigung negativer Immissionen in § 226 BGB
Eingedenk des ohnehin engen und zumal des sich zugunsten der Figur des "nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses" auflösenden Anwendungsbereichs von § 226 BGB sind erfolgreiche Judizia mit Bezug zu negativen Immissionen nicht bekannt. So ist etwa die Errichtung einer ein Grundstück umgebenden Mauer, durch die dem Nachbarn das Tageslicht entzogen wird, nicht unrechtmäßig, auch nicht wenn sie nachweisbar nur zu dem Zweck des Licht- und Aussichtsentzugs errichtet wurde. 431 Eine solche Umfriedung kann objektiv dem wirtschaftlichen Interesse des "störenden" Grundstücks dienen.432 Anders wäre wohl nur dann zu entscheiden, wenn die Mauer derartig hoch geführt wird, daß die Unwirtschaftlichkeit offenkundig erscheint oder eine Umfriedung des Grundstücks nur auf der dem Nachbarn zugewandten Seite undurchsichtig ausgefilrt werden würde. 433
B. Zivilrechtsnormen mit gezielter Relevanz für die Abwehr negativer Immissionen I. Normierte Abwehr negativer Immissionen im BGB 1. Die Vertiefungen,§ 909 BGB a) Allgemeines Der Eigentümer1 eines Grundstücks kann nach § 909 BGB verlangen, daß ein Nachbargrundstück nicht in einer Weise vertieft wird, die seinem Grundstück
431 Zu Recht weisen Heubel, Entziehende Einwirkungen, 51 und Dehner, in: M/S/H/0, Nachbarrecht, 7. Aufl., B § 13 (S. 5) im vorliegenden Fall auf die Möglichkeit der Anwendung des § 823 BGB hin. 432 So der Fall: BayObLG 18.12.1884- Reg. l. 99- Z 10, 619; hierzu auch Dehner, in: M/S/ H/0, Nachbarrecht, 7. Aufl., B § 13; Heubel, Entziehende Einwirkungen, 50.
433
Beispiele nach Dehner, in: M/S/HID, Nachbarrecht, 7. Aufl., B § 13 (S. 5 f.).
142
Teil 2: Zivilrechtliche Lösungsansätze der Abwehr negativer Immissionen
die erforderliche bodenphysikalische Stütze nimmt. Er kann dies nicht verlangen, wenn fiir eine anderweitig genügende Befestigung gesorgt ist oder ausschließlich Naturkräfte2 wirken. Entsprechend der herrschenden Nachbarrechtstheorie erweitert bzw. beschränkt § 909 BGB das Eigentumsrecht, den Eigentumsinhalt/ indem dem Nachbarn eigenständige, dingliche, nach § 924 BGB unverjährbare Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche4 eingeräumt werden. 5 Der Art nach findet sich in der von § 1004 BGB unabhängigen Anspruchsgrundlage des§ 909 BGB eine nachbarrechtliche Regelung, die keine abstrakte, sondern eine tatsächliche (zu erwartende) Beeinträchtigung voraussetzt. § 909 BGB ist nach h.M. Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB;6 und eingedenk der
1 Anspruchsberechtigt sind neben dem Eigentümer die dem Eigentümer gleichgestellten Berechtigten: § II Abs. I ErbbVO; § 1027 BOB; § 1067 BOB; §§ 1090 Abs. 2, 1027 BOB; § 34 Abs. 2 WEG; vgl. auch die Zusammenstellung bei Beutler, in: Staudinger, 12. Auf!., § 909 Rdnr. 15; Bayer/ Lindner, Bay. Nachbarrecht, 87. Für eine Anspruchsberechtigung eines Besitzers, der nicht Eigentümer ist: Beutler, in: Staudinger, 12. Aufl., § 909 Rdnr. 15; JF. Baur, in: Soergel, 12. Aufl., § 909 BOB Rdnr. 13; Erman-Hagen, BOB, 8. Aufl., § 909 BOB Rdnr. 4; Dehner, in: M/S/H/0, Nachbarrecht, 6. Aufl., § 20 I 5; Bayer/Lindner, Bay. Nachbarrecht, 87; dagegen wohl Palandt!Bassenge, BGB, 52. Aufl., § 909 Rdnr. 9. Zur Frage der Anspruchsberechtigung, wenn der Berechtigte die Vertiefung selbst herbeigefUhrt hat und dann das Grundstück veräußert: BGH vom 25.5.1984- V ZR 199/82- Z 91, 282; BGH vom 18.12.1987- V ZR 223/85- Z 103, 39 (42). 2
Bayer/Lindner, Bay. Nachbarrecht, 85.
3
Vgl. BGH vom 25.5.1984- V ZR 199/82- Z 91, 282 (284); BGH vom 18.12.1987- V ZR 223/85- Z 103, 39 (42); Beutler, in: Staudinger, 12. Aufl., § 909 Rdnm. I; Erman-Hagen, BOB, 8. Aufl., § 909 BOB Rdnr. I; Palandt!Bassenge, BOB, 52. Aufl., § 909 Rdnr. I; Bayer/Lindner, Bay. Nachbarrecht, 84; Scherer, BB 1965, 253 (255 f.); ausfuhrlieh zur Bedeutung der Nachbarrechtstheorie: Säekerl Paschke, NJW 1981 , 1009 (1010); Paschke, AcP 187 (1987), 70 (79 f.) . 4 Vgl. RG vom 12.11.1921 - V 151/21 - Z I 03, 174 (175); Beutler, in: Staudinger, 12. Aufl., § 909 Rdnr. 16 ff.; Säcker, in: Müko, § 909 BOB Rdnr. 16 f.; Augustin, in: BGB-RGRK, 12. Auf!., § 909 Rdnr. 9; Erman-Hagen, BOB, 8. Aufl., § 909 BOB Rdnr. 4; JF. Baur, in: Soergel, 12. Aufl., § 909 BOB Rdnr. 7; Bayer!Lindner, Bay. Nachbarrecht, 88.
5 Vgl. Beutler, in: Staudinger, 12. Aufl., § 909 Rdnm. 2 und 47; Stad/er, Nachbarrecht, 5. Aufl., 95; Müller, Sachenrecht, Rdnr. 347. 6 Vgl. BGH vom 22.12.1953- V ZR 175/52- Z 12, 75; BGH vom 25.10.1974- V ZR 47/70Z 63, 176 (179); BGH vom 7.2.1980- II ZR 153/78- NJW 1980, 1679; BGH vom 4.7.1980- III ZR 240/77- NJW 1981, 50 (51); BGH vom 10.7.1987- V ZR 285/85- Z 101, 290; Beutler, in: Staudinger, 12. Aufl., § 909 Rdnr. 21; Säcker, in: Müko, § 909 BOB Rdnr. 22; Augustin, in: BGBRGRK, 12. Auf!., § 909 Rdnr. 14; Erman-Hagen, BOB, 8. Auf!., § 909 BOB Rdnr. 5; J.F. Baur, in: Soergel, 12. Aufl., § 909 BOB Rdnr. 8; Bayer/Lindner, Bay. Nachbarrecht, 88; Palandt/Thomas, BOB, 52. Aufl., § 823 Rdnr. 145; Westermann, Sachenrecht, Bd. II, 6. Auf!., § 79 IV; Schäfer, in: Hoppenberg (Hrsg.), Handbuch, Teil J Rdnr. 240; Scherer, BB 1965, 253 (256); Maltern, WM 1979, 34 (43 m.w.N.).
B. Zivilrechtsnormen mit gezielter Abwehrrelevanz
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Folgerungen aus der herrschenden Nachbarrechtstheorie wird man auch § 823 Abs. 1 (Eigentum) als einschlägig betrachten müssen. 7 b) Tatbestand aa) Vertiefung und Stützverlust
Unter einer Vertiefung versteht man jede Senkung der Oberfläche oder unterer Erdschichten eines Grundstücks durch Wegnahme von Bodenbestandteilen oder sonstige in ihren Wirkungen vergleichbare Handlungen. Der Boden muß in der Vertikalen oder auch der Horizontalen den Halt, die Festigkeit verlieren (können). 8 Dies ist immer dann der Fall, wenn er in Bewegung gerät oder zusammensinkt. 9 Art, Zweck, Größe und Dauer der Vertiefung spielen keine Rolle, 10 es muß jedoch gerade die Vertiefung dafilr kausal sein, daß die Gefahr eines Stützverlustes eintritt oder eintreten kann.11 Eine Vertiefung i.S.d. Norm kann folglich in der realen Wegnahme von Bodenbestandteilen, also dem Abgraben bestehen. Sie kann ebenso durch eine übermäßige Gewichtsbelastung des Erdreichs, durch Bohrungen oder durch das Entfernen einer Kellermauer hervorgerufen werden. 12
7 So auch Beutler, in: Staudinger, 12. Aufl., § 909 Rdnr. 21; Säcker, in: Müko, § 909 BGB Rdnr. 22; Augustin, in: BGB-RGRK, 12. Aufl., § 909 Rdnr. 14; J.F Baur, in: Soergel, 12. Aufl., § 908 BGB Rdnr. 8; Bayer/Lindner, Bay. Nachbarrecht, 88, wobei jedoch alle Autoren merkwürdigerweise von einem Vorrang des § 823 Abs. 2 BGB ausgehen. 8 Vgl. BGH vom 10.7.1987- V ZR 285/85- NJW 1987,2808 (2811); BGH vom 26.11.1982V ZR 314/81 - Z 85, 375; BGH vom 19.9.1979- V ZR 22178- NJW 1980, 224 (225); ErmanHagen, BGB, 8. Aufl., § 909 BGB Rdnr. I; Bayer/ Lindner, Bay. Nachbarrecht, 85; Beutler, in: Staudinger, 12. Aufl., § 909 Rdnm. 6 und II; Augustin, in: BGB-RGRK, 12. Aufl., § 909 Rdnr. 4; Säcker, in: Müko, § 909 BGB Rdnr. 7; Schäfer, in: Hoppenberg (Hrsg.), Handbuch, Teil J Rdnr. 241 f.; ausfilhrlich: Dehner, in: M/S/HID, Nachbarrecht, 6. Aufl., § 20 I 3; Westermann, Sachenrecht, Bd. II, 6. Aufl., § 79 IV. 9 Vgl. BGH vom 13.7.1965- V ZR 169/64- Z 44, 130 (135); J.F Baur, in: Soergel, 12. Aufl., § 909 BGB Rdnr. 6; Augustin, in: BGB-RGRK, 12. Aufl., § 909 Rdnr. 4; Scherer, BB 1965, 253 (256); Dehner, in: M/S/HID, Nachbarrecht, 6. Aufl., § 20 I 3 (S. 457); Müller, Sachenrecht, Rdnr. 345.
10 BGH vom 10.7.1987- V ZR 285/85- NJW 1987, 2809; BGH vom 20.12.1971 - III ZR 110/69- NJW 1972, 527 (528) "nur vorübergehend"; RG vom 17.3.1934- V 28/34- Z 144, 170 "Größe eines Bohrlochs"; Augustin, in: BGB-RGRK, 12. Aufl., § 909 Rdnr. 2; Beutler, in: Staudinger, 12. Aufl., § 909 Rdnr. 3; Bayer/Lindner, Bay. Nachbarrecht, 85; Dehner, in: M/S/HID, Nachbarrecht, 6. Aufl., § 20 I 3 (457 ff.). 11
Müller, Sachenrecht, Rdnr. 345.
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Teil 2: Zivilrechtliche Lösungsansätze der Abwehr negativer Immissionen
Der durch § 909 BGB vennittelte Schutz der Stützfunktion des Bodens spielt anerkanntennaßen auch in den Fällen der entziehenden oder aufstauenden Einflußnahme auf das Grund- und Regenwasser eine erhebliche Rolle. 13 Daher ist das Absinken des Grundwasserstandes oder ein sonstiges Austrocknen des Nachbargrundstücks, etwa als Folge von Tietbauarbeiten, des Ausbringens von Brunnenanlagen oder des Abpumpens auf dem Störergrundstück nicht nur wasserrechtlich, sondern auch nach § 909 BGB zu beurteilen. 14 Ein relevanter Stützverlust kann in tlem durch Untergrundpressung verursachten Wegschwemmen von Bodenbestandteilen des Nachbargrundstücks, in der Beeinflussung eines Wasserlaufes durch eine Sickerströmung oder der Vernachlässigung der Gewässerunterhaltung zu sehen sein. 15 In welchem Umfang gerade eine durch die Bodendurchfeuchtung gewährleistete Stütze erforderlich ist, richtet sich nach der tatsächlich vorhandenen, aber auch der noch in Zukunft zu erwartenden Nutzung des nachbarlichen Grundstücks (z.B. Bebauung). 16
§ 909 BGB ist nicht direkt und auch nicht analog auf Bodenerhöhungen oder Erschütterungen anläßlich von Vertiefungsarbeiten, die keinen Stützverlust herbeiführten, anzuwenden. 17 bb) Nachbargrundstück
Wie bei den §§ 906, 907 BGB bezieht sich der Begriff des Nachbargrundstücks nicht nur auf die unmittelbare Grenznachbarschaft. Entscheidend ist 12 RG vom 17.3.1934- V 28/34- Z 144, 170 "Bohrloch"; Beutler, in: Staudinger, 12. Aufl., § 909 Rdnr. 4 ff.; zu § 909 8GB im Zusammenhang mit dem Bau von Straßen: Kodal/Krämer, Straßenrecht, Kap. 34 Rdnr. 46.8.
13 Vgl. beispielhaft BGH vom 10.11.1977 -III ZR 121/75- WM 1978, 645 und die Fallgruppen oben S. 51 ff. 14 Vgl. BGH vom 10.7.1987 -V ZR 285/85 - NJW 1987, 2808 (2811); BGH vom 5.11.1976V ZR 93/73 - ZfW 1977; BGH vom 20.12.1971 - III ZR 113/69- Z 57, 375; BGH vom 20.12.1971 -li! ZR 110/69- Z 57, 370; RG vom 19.2.1931- VI386/30- Z 132, 51 (53); Weber, Das Problem der Entschädigung bei Grundwassersenkungsschäden, GrundE 1942, 21 ; Beutler, in: Staudinger, 12. Aufl., § 909 Rdnr. 6 m.w.N. ; Säcker, in: MOko, § 909 BGB Rdnr. II ; Augustin, in: BGB-RGRK, 12. Auf!., § 907 Rdnr. 9; Picker, Beseitigungsanspruch, 109 f.; Baurl Stürner, Sachenrecht, 16. Aufl. 1992, § 25 IV 3 c) m.w.N.
15 Vgl. BGH vom 18.6.1964- III ZR 65/63- WM 1964,986 (988); BGH vom 25.10.1974- V ZR 47/70- Z 63, 167; Beutler, in: Staudinger, 12. Aufl., § 909 Rdnr. 6 m.w.N.
16
Vgl. BGHvom25.I0.1974- V ZR47/70 -z 63, 167.
Vgl. BGH vom 20.5.1976 -III ZR 103/74- NJW 1976, 1840 (1841); BGH vom 26.11.1982V ZR 314/81- NJW 1983, 872 (873); Westermann, Sachenrecht, Bd. II, 6. Aufl., § 79 IV; Beutler, in: Staudinger, 12. Aufl., § 909 Rdnr. 48. 17
B. Zivilrechtsnormen mit gezielter Abwehrrelevanz
145
vielmehr der reale Einwirkungsbereich der gefahrdenden Vertiefung, also das räumlich wirkende Störungspotential. 18 Daß sich der Begriff des Nachbargrundstücks dadurch zugunsten des Begriffs des (drohenden) Stützverlustes teilweise auflöst, ist aus Wertungsgesichtspunkten hinzunehmen. 19 cc) Genügend anderweitige Befestigung
Eine Grundstücksvertiefung ist zulässig, wenn auf dem eigenen Grundstück20 fiir eine anderweitige Befestigung gesorgt ist; § 909 BGB statuiert jedoch keine Anspruchsgrundlage auf Herstellung einer solchen Befestigung.21 Die stützende Vorkehrung ist dann "genügend", wenn sie die gleiche Befestigung des Nachbargrundstücks bewirkt, die ohne die Vertiefung bestehen würde. 22 Dies kann beispielsweise durch Anlegen einer Böschung oder durch Errichten einer Stützmauer geschehen. c) Die Berücksichtigung negativer Immissionen in§ 909 BGB § 909 BGB statuiert, daß ein Grundstückseigentümer eine Handlungsweise zu unterlassen hat, die sich ausschließlich innerhalb der Grenzen seines (Störer) Grundstücks abspielt. Soweit nicht eine reale, stützgefährdende Bodenvertiefung in Rede steht, können mittelbar die Fallgruppen des Entzugs oder der Abflußbehinderung von Wasser betroffen sein. Eine tatsächliche materielle Grenzüberschreitung spielt im Rahmen der Norm keinerlei Rolle. 23 Damit handelt es sich bei dieser Norm um einen zivilrechtlich kodifizierten Fall der Verhinderung negativer Immissionen. 24 In bezug auf die Tatsache der 18 Vgl. BGH vom 22.12.1953 - V ZR 175/52- Z 12, 75 (78); BGH vom 22.2.1971 - 1II ZR 221167- NJW 1971, 750; Augustin, in: BGB-RGRK, 12. Aufl., § 909 Rdnr. 3; Säcker, in: Müko, § 909 BGB Rdnr. 2; J.F. Baur, in: Soergel, 12. Aufl., § 909 BGB Rdnr. 3; Bayer/Lindner, Bay. Nachbarrecht, 85; Palandt/Bassenge, BGB, 52. Aufl., § 909 Rdnr. 4; Stad/er, Nachbarrecht, 5. Aufl., 94; a.A. offenbar Beutler, in: Staudinger, 12. Aufl., § 909 Rdnr. 9.
19
Siehe zu ähnlichen Problemen bei§ 907 BGB Säcker, in: Müko, § 907 BGB Rdnr. 6.
Vgl. Säcker, in: Müko, § 909 BGB Rdnr. 17; Augustin, in: BGB-RGRK, 12. Aufl., § 909 Rdnr. 5; Beutler, in: Staudinger, 12. Aufl., § 909 Rdnr. 14; Dehner, in: M/S!H/D, Nachbarrecht, 6. Aufl., § 2014 (S. 461). 20
21 Vgl. Säcker, in: Müko, § 909 BGB Rdnr. 16; Augustin, in: BGB-RGRK, 12. Aufl., § 909 Rdnr. 6. 22
Vgl. BGH vom 25.10.1974- V ZR 47/70- Z 63, 176 (179).
Vgl. Beutler, in: Staudinger, 12. Aufl., § 909 Rdnr. I; Heck, Sachenrecht, 219 "negatives Hinüberwirken". 23
10 Reetz
146
Tei12: Zivilrechtliche Lösungsansätze der Abwehr negativer Immissionen
Regelung eines nicht grenzüberschreitend wirkenden Nutzungskonflikts ist § 909 BGB durchaus mit § 917 BGB vergleichbar. Daß das BGB diesen Fall der negativen Immissionen tatsächlich geregelt hat, hat sich jedoch insgesamt eher kontraproduktiv ausgewirkt. So wird gerade aus der Existenz des § 909 BGB im Wege des Gegenschlusses (argumentum e contrario) die Rechtsunerheblichkeit anderweitiger negativer Immissionen behauptet.25 Hiernach ergibt sich aus der positivierten Erfassung der Grundstücksvertiefungen, daß andere negative Immissionen im Nachbarrecht des BGB unberücksichtigt bleiben sollten (Kodifikationsargument), also ein beredtes Schweigen anzunehmen sei. Diese Schlußfolgerung erscheint in keiner Weise zwingend, denn ebenso plausibel erscheint die Argumentation, der Gesetzgeber habe diesen besonders sensiblen Bereich negativer Immissionen geregelt und belasse es im übrigen beim nachbarrechtlichen Entwicklungsauftrag und der dogmatischen Erfassung des Einwirkungsbegriffs des § 903 BGB. Dies entspräche der dargestellten, kasuistischen Regelungstechnik des zivilen Nachbarrechts. 26
2. Notwegerecht, §§ 917 f. BGB a) Allgemeines Der Eigentümer27 eines Grundstücks kann von einem Nachbarn nach § 917 BGB verlangen, daß dieser die Herstellung einer ordnungsgemäßen Verbindung zu einem öffentlichen Weg über sein Grundstück duldet, wenn eine solche nicht schon vorhanden und zur ordnungsgemäßen Benutzung des isolierten Grundstücks notwendig ist.
24 Müller-Michels, Negative Einwirkungen, 22 f., meint jedoch ohne nähere Begründung, bei StUtzverlust durch Vertiefungen handele es sich um keine negativen Immissionen. Auch M Wolf, Sachenrecht, Rdnr. 235, spricht ohne weiteres von einer positiven GrundstUckseinwirkung.
25 Vgl. Müller-Michels, Negative Einwirkungen, 22. 26 Siehe hierzu schon oben S. 86 f. 27 Anspruchsberechtigt sind neben dem EigentUrner die dem EigentUrner gleichgestellten Be-
rechtigten: § II Abs. I ErbbVO, nach h.M. nicht aber sonstige schuldrechtlich Berechtigte oder der Nießbraucher, vgl. auch die Zusammenstellung bei Beutler, in: Staudinger, 12. Aufl., § 917 Rdnr. 18; Bayer/Lindner, Bay. Nachbarrecht, 95 f.; Augustin, in: BGB-RGRK, 12. Aufl., § 917 Rdnr. 7; Palandt!Bassenge, BGB, 52. Aufl., § 917 Rdnr. 8; Just, BayVBI. 1985, 289 (292); weitergehend Säcker, in: MUko, § 917 BGB Rdnr. 16.
B. Zivilrechtsnormen mit gezielter Abwehrrelevanz
147
Auf der Grundlage der herrschenden Nachbarrechtstheorie erweitert bzw. beschränkt § 917 BGB das Eigentumsrecht, den Eigentumsinhalt/8 indem dem Berechtigten ein eigenständiger, dinglicher, nach § 924 BGB unverjährbarer Duldungsanspruch29 eingeräumt wird. Entsprechend dieser Konstruktion ist das Notwegerecht nicht eintragungsfähig, und das Urteil eines Rechtsstreits um die Existenz eines solchen Rechts hat nur deklaratorische Bedeutung. 30 Beeinträchtigungen des Notwegerechts können, da es sich um nichts anderes als den Eigentumsinhalt selbst handelt, auf der Grundlage des § 1004 BGB abgewehrt werden. 31
§ 917 BGB macht in besonderer Weise mit der Situationsgebundenheit des Grundstücks ernst, indem er letztlich Einwirkungsbefugnisse auf fremde Grundstücke statuiert.32 b) Tatbestand Voraussetzung fiir das Entstehen eines Notwegerechts ist das Fehlen einer infrastrukturellen Verbindung zu einem öffentlichen Verkehrsraum i.S.d. FStrG oder des BayStrWG. 33 Das Fehlen einer solchen Verbindung ist bereits dann anzunehmen, wenn zwar der öffentliche Verkehrsraum erreicht werden kann, dies aber zur ordnungsgemäßen Nutzung und Bewirtschaftung des isolierten Grundstücks nicht ausreicht. Unter Umständen kann sich die Notwegeberechtigung sogar auf den Zugang zu einem Gewässer erstrecken. 34 Das tatsächliche Ausmaß der wirtschaftlichen Nutzung des isolierten Grundstücks ist maßgebend fiir den Umfang des Notwegerechts, es paßt sich dynamisch den ord28 Vgl. RG vom 22.12.1915- V.263/15- Z 87, 424; Beutler, in: Staudinger, 12. Aufl., § 917 Rdnr. I; Erman-Hagen, BGB, 8. Aufl., § 917 BGB Rdnr. I; Augustin, in: BGB-RGRK, 12. Aufl., § 917 Rdnr. 16; Palandt!Bassenge, BGB, 52. Aufl., § 917 Rdnr. I; Dehner, in: M/SIH/D, Nachbarrecht, 6. Aufl., § 27 II; Bayer/Lindner, Bay. Nachbarrecht, 93; ausfilhrlich und mit vielen Nachweisen: Säcker, in: Müko, § 917 BGB Rdnr. I f.; Säcker!Paschke, NJW 1981, 1009 (1010); Motive 111, 291; Paschke, AcP 187 (1987), 70 (79 f.).
29 Vgl. Beutler, in: Staudinger, 12. Aufl., § 917 Rdnr. 25; Augustin, in: BGB-RGRK, 12. Aufl., § 917 Rdnr. II; Dehner, in: M/SIH/D, Nachbarrecht, 6. Aufl., § 27 II 6. 30
Vgl. Säcker/Paschke, NJW 1981, 1009 (1010).
31
Vgl. statt aller Augustin, in: BGB-RGRK, 12. Aufl., § 917 Rdnr. 24 m.w.N.
32
Vgl. Säcker/Paschke, NJW 1981, 1009 (1011 m.w.N.).
33 M Wolf, Sachenrecht, Rdnr. 281 ; Westermann, Sachenrecht, Bd. li, 6. Aufl., § 81 li; Augustin, in: BGB-RGRK, 12. Aufl., § 917 Rdnr. I; Beutler, in: Staudinger, 12. Aufl., § 917 Rdnr. 3 ff. ; Dehner, in: M/S/HID, Nachbarrecht, 6. Aufl., § 27 I 2 m.w.N. 34
10•
Vgl. Breuer, Wasserrecht, Rdnr. 744.
148
Teil2: Zivilrechtliche Lösungsansätze der Abwehr negativer Immissionen
nungsgemäßen Bewirtschaftungsinteressen des herrschenden Grundstücks an und erweist sich insoweit stärker als eine Dienstbarkeit gern. § 1018 Alt. 1 BGB. 35 Ob die Bewirtschaftung ordnungsgemäß ist, ergibt sich objektiv aus den tatsächlichen Bedürfnissen einer praktischen Wirtschaft. 36 Stehen dem Eigentümer des isolierten Grundstücks mehrere Verbindungsgrundstücke zur Verfügung, muß er sich mit demjenigen zufriedengeben, das den Pflichtigen am wenigsten belastet und dennoch effektiv die Verbindungslosigkeit beseitigt. Das Notwegerecht dient angesichts der Schwere des Eingriffs in das Eigentum nicht der Bequemlichkeit oder Zweckmäßigkeit des Berechtigten. 37 Negatives Tatbestandmerkmal ist es, daß der Eigentümer den Wegebedarf nicht willkürlich herbeigefuhrt haben darf, § 918 Abs. 1 BGB. Dies ist schon dann anzunehmen, wenn er bauliche Maßnahmen vornimmt oder duldet, die einen vorhandenen Weg abschneiden, ohne daß eine adäquate Verbindung geschaffen ·wird.38 Streitig ist es, ob das Verlangen der Benutzungsduldung konstitutives Erfordernis der Entstehung des dinglichen Notwegerechts ist. 39 c) Rechtsfolgen Das entstandene Notwegerecht fuhrt zu einer dinglich begründeten Duldungspflicht des belasteten Grundstückseigentümers. Sie erstreckt sich auf die notwendige Benutzung, also eine solche im Rahmen der ordnungsgemäßen wirtschaftlichen Bedürfnisse des notleidenden Grundstücks. Der Berechtigte ist zur Tragung des Notwegeunterhalts verpflichtet. Der belastete Eigentümer
35 Vgl. Just, BayVBI. 1985, 289 (292); Palandt/Bassenge, BGB, 52. Aufl., § 909 Rdnr. 16 f.; Westermann, Sachenrecht, Bd. II, 6. Aufl., § 81 II 2; Beutler, in: Staudinger, 12. Aufl., § 917 Rdnr. 15. 36 Es gelten strenge Beurteilungsmaßstäbe: BGH vom 11.11.1959 - V ZR 98/58 - NJW 1960, 93; BGH vom 9.11.1979- V ZR 85178- NJW 1980, 585; Säcker/Paschke, NJW 1981, 1009 (1014); Mattem, WM 1979, 34 (45); Säcker, in: Moko, § 907 BGB Rdnr. 9; Beutler, in: Staudinger, 12. Aufl., § 909 Rdnr. 8; Augustin, in: BGB-RGRK, 12. Aufl., § 909 Rdnr. 3. 37 Vgl. M Wolf, Sachenrecht, Rdnr. 281; Westermann, Sachenrecht, Bd. II, 6. Aufl., § 81 II 1; Säcker/Paschke, NJW 1981, 1009 (1013). 38 Beutler, in: Staudinger, 12. AuO., § 917 Rdnr. 17; Dehner, in: M/SIH/D, Nachbarrecht, 6. Aufl., § 27 I 4; Säcker/Paschke, NJW 1981, 1009 (1013); Mattem, WM 1979,34 (45). 39 Datur BGH vom 19.4.1985 -V ZR 152/83 - NJW 1985, 1952 m.w.N.; M Wolf, Sachenrecht, Rdnr. 281; Jauernig, BGB, § 917 BGB Anm. 1; Beutler, in: Staudinger, 12. Aufl., § 917 Rdnm. I und 26; Dehner, in: M/S/H/0, Nachbarrecht, 6. Aufl., § 27 II I; a.A. Säcker, in: MUko, § 917 BGB Rdnr. 19 "kraft Gesetzes"; Säcker/Paschke, NJW 1981, 1009 (!Oll f.); unklar Augustin, in: BGB-RGRK, 12. Aufl., § 917 Rdnr. 9 .
B. Zivilrechtsnormen mit gezielter Abwehrrelevanz
149
kann aber unter Umständen die Verlegung des Notweges auf seinem Grundstück verlangen, trägt dann jedoch dafilr die Kostenpflicht Steht die Existenz einer Notwegeberechtigung außer Zweifel, bedeutet dies dennoch nicht, daß der Anspruchsinhaber sich einen bestimmten, möglichst günstigen Weg über das pflichtige Grundstück suchen kann. Er muß den geringst belastenden, möglichst effektiven Weg auswählen. Eine weitere wesentliche Rechtsfolge, die hier aber nicht näher interessiert, ist die mit dem Notwegerecht einhergehende Entstehung einer Notwegerente, §§ 917 Abs. 2 S. 2, 913, 914 Abs. I S. 2 BGB, die wesentlicher Bestandteil (§§ 93, 97 BGB) des Eigentumsam notwegepflichtigen Grundstück ist. d) Notleitungsrecht Fehlt einem Grundstück die zur ordnungsgemäßen Nutzung notwendige infrastrukturelle Verbindung zu Wasserversorgungs- oder Entwässerungswegen, kann dem Eigentümer gegenüber dem Nachbarn ein eigentumskräftiger, dinglicher Anspruch auf Duldung der Wasser- oder Abwasserdurchleitung, möglicherweise auch der Mitbenutzung vorhandener Leitungen zustehen.40 Insoweit sich ein solches Recht nicht aus dem Landesrecht ergibt,41 entsteht es unter entsprechender Anwendung des§ 917 f. BGB.42 Der potentiell begünstigte Eigentümer muß allerdings wegen der Eingriffsintensität in das Eigentum soweit möglich von einer realisierbaren Verbindungsalternative Gebrauch machen, auch wenn diese kostspieliger, unbequemer und umständlicher ist. 43 Er ist grundsätzlich zur Tragung der Kosten zur Verwirklichung des Notleitungsrechts entsprechend § 9 I 7 Abs. 2 S. I BGB verpflichtet. 44 40 Gleiches gilt ftlr die fehlende Verbindung zum Gas-, Strom- und Femsprechleitungsnetz: BGH vom 30.1.1981 -V ZR 6/80- NJW 1981, 1036 (1037); Beutler, in: Staudinger, 12. Aufl., § 909 Rdnr. 46. 41 Vgl. die Zusammenstellung bei Beutler, in: Staudinger, 12. Aufl., § 909 Rdnr. 47; zur Vorrangwirkungdes spezielleren Landesrechts Breuer, Wasserrecht, Rdnr. 745 m.w.N.
42 Vgl. BGH vom 30.1.1981- V ZR 6/80- NJW 1981, 1036 (1037); BGH vom 15.4.1964- V ZR 134/62 - NJW 1964, 1321; Dehner, in: M/S/HID, Nachbarrecht, 6. Aufl., § 20 V; ; Just, BayVBI. 1985, 289 (293); Bender/Dohle, Nachbarschutz, Rdnr. 350; Beutler, in: Staudinger, 12. Aufl., § 909 Rdnr. 46 f.; Säcker, in: Müko, § 907 BOB Rdnr. 37; Bayer/Lindner, Bay. Nachbarrecht, 102. 43 Vgl. BGH vom 15.4.1964 - V ZR 134/62 - NJW 1964, 1321; Breuer, Wasserrecht, Rdnr. 744.
150
Teil 2: Zivilrechtliche Lösungsansätze der Abwehr negativer Immissionen
Neben der rein privatrechtliehen Dimension der Fallgruppe des Abschneidens von Infrastrukturverbindungen hat der Gesetzgeber diesem nachbarlichen Nutzungskonflikt sowohl bauplanungsrechtliche als auch bauordnungsrechtliche Relevanz beigemessen. Gemäß § 9 Abs. 1 Nm. 12 und 21 BauGB kann der örtliche Planungsträger in Bebauungsplänen Festsetzungen von Geh-, Fahr- und Leitungsrechten zugunsten der Allgemeinheit statuieren.45 Zudem steht die Bebauung von Grundstücken allgemein unter der Bedingung der Erreichbarkeit der Infrastrukturanlagen, §§ 34 Abs. 1 S. I, 35 Abs. 1 BauGB (Erschließung);46 Art. 4 Abs. I Nm. 2 und 3 BayBO. e) Die Berücksichtigung negativer Immissionen in § 917 BGB § 917 BGB schafft dingliche Rechtspositionen zugunsten eines Grundstückseigentümers, der allein aufgrund der tatsächlichen räumlichen Anordnung seines Grundstücks nicht in der Lage ist, sein Eigentum ordnungsgemäß zu bewirtschaften, zu nutzen. Der pflichtige Eigentümer "stört" den Nachbarn in keiner Weise durch Handlungen innerhalb und schon gar nicht durch Überschreiten der Grenzen seines eigenen Grundstücks. Die Pflichtigkeit entsteht allein aus der nachbarlichen Situationsgebundenheit und hat keinerlei Bezug zu immissionsschutzrechtlichen Konstellationen. Selbst wenn man das Abschneiden und die Unerreichbarkeit von Infrastrukturverbindungen als eine Fallgruppe negativer Immissionen begreift,47 kann § 917 f. BGB wohl nur grenzfallartig als ein zivilrechtlich kodifizierter Fall der Verhinderung negativer Immissionen aufgefaßt werden es fehlt entscheidend an jeglicher "störender" Handlungsweise des pflichtigen Nachbam. 48 Indes können aus den Regelungen des § 917 f. BGB wichtige Wertungsgesichtspunkte zum zivilrechtliehen Verständnis negativer Immissionen entnommen werden. Das BGB hat hier nämlich einen nicht grenzüberschreitenden, nachbarlichen Nutzungskonflikt zugunsten des notleidenden Grundstücks entschieden, ob44
Vgl. Just, BayVBI. 1985,289 (293).
45
Siehe hierzu statt aller WSchrödter, in: Schrödter, BauGB, § 9 Rdnr. 68 f. und 122 ff.
Siehe hierzu statt aller: HSchrödter, in: Schrödter, BauGB, § 30 Rdnr. 3 ff., § 34 Rdnr. 24 f. und § 35 Rdnr. 36 f. 46
47 48
Siehe hierzu oben S. 39 ff.
Hierin wird man u.a. eine Legitimation der Entschädigungspflicht gern. § 917 Abs. 2 BGB erblicken können; siehe auch Säcker/ Paschke, NJW 1981, 1009 (1011).
B. Zivilrechtsnormen mit gezielter Abwehrrelevanz
151
wohl die Notlage in keiner Weise die Folge nachbarlichen Tätigwerdens ist. Angesichts dieser Konstellation erscheint es wenig überzeugend, daß die ebenfalls nicht grenzüberschreitend wirkenden negativen Immissionen, die ebenso Nutzungsbeeinträchtigungen herbeiführen, grundsätzlich nicht abwehrbar sein sollen, obwohl diese gerade einem nachbarlichen Tätigwerden entspringen, sich also eine (Handlungs)Störerverantwortlichkeit herstellen läßt. Wenn sich einschneidende dingliche Rechtsfolgen schon allein aus der Lage eines Grundstücks ergeben können, muß dies umso mehr in bezug auf ähnlich gelagerte Konfliktfälle gelten, die aus einer Handlungsweise des "störenden" Eigentümers resultieren.
II. Normierte Abwehr negativer Immissionen nach Art. 124 EGBGB i.V.m. dem BayAGBGB 1. Einführung
Nach Art. 124 EGBGB sind die landesrechtliehen Vorschriften über die nachbarrechtlichen, privatnützigen Eigentumsbeschränkungen49 an Grundstükken mit dem lnkrafttreten des BGB unberührt geblieben. Dem Wortlaut des Art. 124 EGBGB ist zu entnehmen, daß dies nur fiir solche Vorschriften gilt, die den nachbarrechtlichen Eigentumsinhalt "noch anderen" als den Bestimmungen des BGB (§§ 906 - 923 BGB) unterwerfen. Hierunter ist gern. Art. 2 EGBGB grundsätzlich jede Rechtsnorm zu verstehen, selbst das Gewohnheitsrecht, 50 jedenfalls solange es der Landesgesetzgeber nicht im Rahmen seiner Zuständigkeit mittlerweile aufgehoben hat. 5 1 Abänderungen oder Verschärfungen der Normen des BGB sind, anders als im Rahmen der Art. 122, 123 EGBGB, keinesfalls zulässig. 52 Innerhalb dieser Iandesprivatrechtlichen Eigen-
49
Kriegbaum, in: Staudinger, 12. Auf!., Art. 124 EGBGB Rdnr. 2.
50
Vgl. Palandt/Heinrichs, BGB, 52. Auf!., Art. 2 Rdnr. I; Mühl, in: Soergel, 12. Auf!., § 1004 BGB Rdnr. 25,jeweils m.w.N. 51 52
Siehe hierzu Dehner, in: MISIH/D, Nachbarrecht, 6. Auf!., AT§ 4 Teil IV.
Dies ergibt sich auch aus der Entstehungsgeschichte der Norm: Der Vorläufer des Art. 124 EGBGB, nämlichE I§ 866, hatte noch folgenden Wortlaut: "Die Landesgesetze, welche das Eigentum an Grundstücken zugunsten der Nachbarn noch anderen oder weitergehenden Beschränkungen unterwerfen, bleiben unberührt. "
152
Teil2: Zivilrechtliche Lösungsansätze der Abwehr negativer Immissionen
tumsbeschränkungen finden sich Normen, die Schutz vor bestimmten negativen Immissionen gewähren. 2. Der Grenzabstand der Pflanzen nach Art. 47 ff. BayAGBGB
a) Allgemeines Das detaillierte Abstandsrecht der Anpflanzungen auf Nachbargrundstücken (Art. 47- 52 BayAGBGB 53 ) stellt einen landesrechtliehen Fall des gesetzlichen Schutzes vor negativen Immissionen dar. Es bezweckt primär, den begünstigten Grundstückseigentümer vor dem Entzug von Besonnung und Belichtung zu bewahren, und ist somit Teil lagebezogener Nutzungssicherung. Es handelt sich insgesamt um eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Inhalts- und Schrankenbestimmmung des Eigentums. 54 Das Pflanzenabstandsrecht verwirklicht die Stellungnahme der Motive zum BGB, wonach das Nachbarrecht des BGB keinen abschließenden Charakter haben sollte. 55 Es gewährt, entsprechend den vergleichbaren Abstandsregelungen des öffentlichen Baurechts, subjektive Abwehrrechte. Die Voraussetzungen des Art. 124 S. I und S. 2 EGBGB sind eingehalten. 56 Systematisch betrachtet ergänzen die Art. 47 - 52 BayAGBGB 1982 eigenständig den zivilrechtliehen Nachbarschutz vor pflanzlichen, grenzüberschreitenden Einwirkungen. Sie stehen insoweit neben § 910 BGB (Herüberwirken von Zweigen und Wurzeln) sowie § 906 Abs. I BGB (Laub-, Nadel- und Sa-
Erst die II. Kommission hat die Abänderungs- und Verschärfungskompetenz aus dem Gesetzentwurf gestrichen und der Norm den heutigen Wortlaut gegeben. Siehe zu weiteren Einzelheiten: BayVerfGH vom 13.6.1958 - 42.Vll.57 - BayVBI. 1958, 376 (377), unter Verweis auf RG vom 7.12.1939- V 125/39- Z 162, 209 (210); Kriegbaum, in: Staudinger, 12. Aufl., Art. 124 EGBGB Rdnrn. I und 3. 53 Gesetz zur Ausfilhrung des Bürgerlichen Gesetzbuches und anderer Gesetze vom 9.6.1899 in der Fassung vom 20.9.1982 (Bay RS 400-1-J). Dieses lösten, im wesentlichen inhaltlich unverändert, die Art. 71 -78 BayAGBGB 1899 ab. Siehe auch Bayer/Lindner, Bay. Nachbarrecht, 120. 54 BayVerfGH vom 13.6.1958- 42.Vll.57- BayVBI. 1958,376, zu den vergleichbaren Art. 43 ff. BayAGBGB; BVerfG vom 4.6.1985- I BvR 1222/82- (unveröffentlicht) zum gleichlautenden Hessischen Nachbargesetz; Sprau, Justizgesetze in Bayern, Art. 47 BayAGBGB Rdnr. 2.
55 Vgl. Seiler, in: Staudinger, 12. Aufl., § 903 Rdnr. 3; Schubert, Die Vorentwürfe der Redaktoren zum BGB, Sachenrecht I, 490 (499); Deneke, Gemeinschaftsverhältnis, 105. 56 Lediglich die Übergangsregelungen der Art. 51 Abs. 3 und 4 BayAGBGB ergänzen § 910 BGB und beruhen insoweit auf Art. 183 EGBGB.
B. Zivilrechtsnormen mit gezielter Abwehrrelevanz
153
menimmissionen). Ob daneben auch eine präventive Funktion57 gegen Überhang, Überwuchs u.ä. gewollt ist, muß bezweifelt werden. Der präventive RechtsgUterschutz im Vorfeld der bundesrechtlichen Nachbarrechtsnonnen wird entweder durch diese selbst oder wohl abschließend durch § 1004 Abs. 1 BGB gewährleistet. 58 Wenn also die Grenzabstandsregelungen für Pflanzen auch im Vorfeld grenzüberschreitender Einwirkungen Schutz gewähren, geschieht dies lediglich reflexartig. 59 Die dogmatische Einordnung der Abstandsregeln ist nicht unumstritten: Ungeklärt ist beispielsweise, ob der Art. 47 Abs. I BayAGBGB selbst als eine Anspruchsgrundlage oder lediglich als ein Voraustatbestand des bundesrechtlichen § 1004 Abs. 1 BGB aufzufassen ist. 60 Der ersten Auffassung ist zuzustimmen;61 selbst das BGB behandelt die insoweit vergleichbaren nachbarrechtlichen §§ 907, 908 und 909 BGB als eigenständige Anspruchsgrundlagen. 62 Zusätzlich entspricht diese Auslegung dem Wortlaut des Art. 52 Abs. 1 S. 1 BayAGBGB. Auch die teilweise geäußerten Zweifel an der Iandesgesetzgeberischen Kompetenz zur eigenständigen Verjährungsregelung gern. Art. 52 Abs. I S. 2 und 3 BayAGBGB63 lösen sich widerspruchsfrei auf, akzeptiert man Art. 47 Abs. 1 BayAGBGB als eigenständige, landesrechtliche Anspruchsgrundlage und nicht als bloßen Voraustatbestand.64 Im Rahmen des Pflanzenabstandsrechts gilt konstruktiv, daß die Art. 47 ff. BayAGBGB das Eigentumsrecht, den Eigentumsinhalt entsprechend der herrschenden Nachbarrechtstheorie erweitern bzw. beschränken,65 indem dem 57
Eine präventive Funktion hat sicherlich § 907 BGB.
58
A.A. wohl Kriegbaum, in: Staudinger, 12. Aufl., Art. 124 EGBGB Rdnr. 4.
So auch andeutungsweise Sprau, Justizgesetze in Bayern, Art. 47 BayAGBGB Rdnr. I; anders jedoch Bayer/Lindner, Bay. Nachbarrecht, 120; Götz, in: M/R/R/G, Nachbarrecht, § 18 Rdnr. I. 59
60 Vgl. Just, BayVBI. 1985, 289 (295); Götz, in: MIR/R/G, Nachbarrecht, § 22 Rdnr. 23 zur ähnlichen Rechtslage bei den Art. 43 ff. BayAGBGB (Fensterrecht), unklar in§ 18; wohl von einem Voraustatbestand zu§ 1004 BGB ausgehend: JF Baur, in: Soergel, 12. Aufl., § 903 BGB Rdnr. 56; Gursky, in: Staudinger, 12. Aufl., § 1004 Rdnr. 49; BGH vom 9.2.1979 - V ZR 108/7773, 272 (275).
z
6 1 So auch Sprau, Justizgesetze in Bayern, Art. 43 BayAGBGB Rdnr. 2; Götz, in: M/R/R/G, Nachbarrecht, § 18 Rdnr. 10.
62
Siehe Palandt/Bassenge, BGB, 52. Aufl., § 907 Rdnr. I,§ 908 Rdnr. I, § 909 Rdnr. 9.
63
Zur Verjährungsdebatte im Normbereich des § I 004 siehe oben S. 95.
Vgl. Sprau, Justizgesetze in Bayern, Art. 43 BayAGBGB Rdnr. 2 mit Hinweisen zur vergleichbaren Problematik im Nachbarrechtsgesetz NRW. 64
!54
Teil2: Zivilrechtliche Lösungsansätze der Abwehr negativer Immissionen
Nachbarn eigenständige, dingliche Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche eingeräumt werden. Der Art nach findet sich in den von § 1004 BGB unabhängigen Anspruchsgrundlagen eine nachbarrechtliche Regelung, die, indem sie zentimeterscharfe Abgrenzungen normiert, typisierten Nachbarschutz gewährt, ohne eine tatsächliche Beeinträchtigung der nachbarlichen Grundstücksnutzung vorauszusetzen. Art. 47 BayAGBGB ist nach h.M. Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB;66 und eingedenk der Folgerungen aus der herrschenden Nachbarrechtstheorie wird man auch§ 823 Abs. 1 (Eigentum) als einschlägig betrachten müssen. b) Die Grundregel des Art. 47 Abs. 1 BayAGBGB und ihre Konkretisierungen aa) Tatbestand und Anspruchsinhalt
Die Art. 47- 52 BayAGBGB 1982 normieren den erforderlichen Grenzabstand von bestimmten Pflanzen zentimeterscharf Die Grundregel des Art. 47 Abs. 1 BayAGBGB 1982 besagt dabei, in welchem grundsätzlichen Grenzabstand Pflanzen bis zu welcher Höhe gehalten werden dürfen. In den weiteren, modifizierenden Normen 67 finden sich Regelungen zur Vergrößerung oder Verringerung der Grenzabstände in Abhängigkeit von der Nutzungsart aneinandergrenzender Grundstücke oder der Art und des Alters bestimmter, betroffener Pflanzen.68 Im einzelnen dürfen in einem Streifen von 0,5 Meter Tiefe Bäume, Sträucher, Hecken, Wein- und Hopfenstöcke nicht gehalten werden, jedenfalls dann nicht, wenn der Nachbar dies verlangt. 69
65 Vgl. Just, BayVBI. 1985, 289 (294); Sprau, Justizgesetze in Bayern, Art. 47 BayAGBGB Rdnr. 2 und Art. 43 BayAGBGB Rdnr. 2; die Anwendbarkeit der Nachbarrechtstheorie folgt im übrigen auch aus dem Wortlaut des Art. 124 EGBGB; ausfilhrlich zur Bedeutung der Nachbarrechtstheorie: Säcker/Paschke, NJW 1981, 1009 (1010); Paschke, AcP 187 (1987), 70 (79 f.).
66 Vgl. AG Köln vom 7.5.1982- 132 C 3017/82- AgrarR 1983, 222; Sprau, Justizgesetze in Bayern, Art. 47 BayAGBGB Rdnr. 26. 67 Siehe etwa die Übergangsvorschrift des Art. 51 BayAGBGB; zu den Einzelheiten: Stad/er, Nachbarrecht, 4 . Aufl., 144 ff.; Bayer/Lindner, Bay. Nachbarrecht, 125 f.; Götz, in: M/RIRIG, Nachbarrecht, § 18 Rdnr. 25 f. ; Sprau, Justizgesetze in Bayern, Art. 51 BayAGBGB; Amti.Begr., BayAGBGB 1982,23. 68 Zu weiteren zeitbezogenen und regionalen Besonderheiten Sprau, Justizgesetze in Bayern, Art. 47 BayAGBGB Rdnr. 4 f.
B. Zivilrechtsnormen mit gezielter Abwehrrelevanz
155
Tatbestandlieber Anknüpfungspunkt der Norm ist allein die Existenz der pflichtigen Pflanzen. Es kommt nicht darauf an, ob diese mit dem Willen des Eigentümers oder aber durch natürliche Aussaat angewachsen sind.70 Grundsätzlich ist es auch nicht erforderlich, daß eine Beeinträchtigung der Nutzung des Nachbargrundstücks gegeben oder zu befürchten ist. 71 Es ist nicht einmal bedeutsam, wie das begünstigte Grundstück tatsächlich genutzt wird. 72 Aus der bestimmten Aufzählung der Norm folgert die h.M. ihren abschließenden Charakter; 73 nur diese Pflanzen sind abstandspflichtig. Damit ist das Halten anderer Pflanzen, unabhängig von ihrer beschattenden, wasser- oder luftentziehenden Wirkung, vom Geltungsbereich des Art. 47 Abs. I BayAGBGB ausgenommen und in abstandsrechtlicher Hinsicht zulässig. Diese restriktive Auslegung begünstigt insbesondere Blumen und Stauden, selbst wenn beispielsweise Sonnenblumen eine erhebliche (störende) Höhe erreichen können. 74 Negative Immissionen durch diesen Zustand hat der Nachbar nach h.M. hinzunehmen.75 In einem zweiten Grenzstreifen bis zu einer Gesamttiefe von 2 Meter (dieser Streifen hat also eine Tiefe von I ,5 Meter) dürfen die pflichtigen Pflanzen zwar gehalten werden, aber aufVerlangen des Nachbarn die Höhe von 2 Meter nicht übersteigen. Andere Pflanzen unterliegen wiederum keinen Beschränkungen. 76 Fraglich ist, ob das ausdrückliche, formfreie Beseitigungsverlangen77 zu den eigentlichen Anspruchsvoraussetzungen gehört, also konstitutiv wirkt. Der BGH hat dies für die vergleichbare Anspruchskonstruktion in § 917 Abs. I 69 Art. 47 BayAGBGB gewährt kein Selbsthilferecht Siehe zur vergleichbaren Situation beim Notwegerecht OLG Hamm vom 3.7.1984- 14 W 38/84- OLGZ 1985, 222 (223 f.); anders noch KG vom 1.7.1090 -I. S 497/09- Recht 1909, 846.
70 Sprau, Justizgesetze in Bayern, Art. 47 BayAGBGB Rdnr. 23. 71 Bayer/Lindner, Bay. Nachbarrecht, 120; Götz, in: MIRIR/G, Nachbarrecht, § 18 Rdnr. 6. An-
ders ist die Situation bei den§§ 907, 909, 917, 1004 BGB; vergleichbar jedoch bei öffentlichrechtlichen Bauabstandsflachen. 72 Sprau, Justizgesetze in Bayern, Art. 47 BayAGBGB Rdnr. 20; LG Duisburg vom 2.12.19825 S 119/81- AgrarR 1983,252 filr die vergleichbare Rechtslage in NRW.
73 Bayer/Lindner, Bay. Nachbarrecht, 121; Just, BayVBI. 1985,289 (294). 74 Bayer/Lindner, Bay. Nachbarrecht, 121; Stad/er, Nachbarrecht, 4. Aufl., 135; Sprau, Justiz-
gesetze in Bayern, Art. 47 BayAGBGB Rdnr. 15.
75 Sprau, Justizgesetze in Bayern, Art. 47 BayAGBGB Rdnr. I. 76 So auch Reich, BayVBI. 1983, 137; unklar insoweit Bayer/Lindner, Bay. Nachbarrecht, 121 ;
Stad/er, Nachbarrecht, 4. Aufl., 135. 77
Bayer/Lindner, Bay. Nachbarrecht, 127.
156
Teil 2: Zivilrechtliche Lösungsansätze der Abwehr negativer Immissionen
BGB bejaht. 78 Folgt man dieser Ansicht, müßte ein Halten von abstandspflichtigen Pflanzen vor dem anspruchsbegründenden Verlangen rechtmäßig sein. 79 Unbestritten gilt, daß der maßgebliche Zeitpunkt flir das Vorliegen aller anspruchsbegründenden Tatsachen der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ist, und daß spätestens in der Klageerhebung ein (konstitutives) Beseitigungsverlangen zu sehen ist. 80 Ergänzt werden die Abstandsregelungen durch Art. 49 BayAGBGB, der meßtechnisch bestimmt, wie der seitliche Grenzabstand zu ermitteln ist: Haben demnach die grenzabstandspflichtigen Pflanzen einen Stamm, so ist die Mitte des Stammes maßgeblich; da wo dieser aus dem Boden tritt. Das gesamte Astund Wurzelwerk spielt abstandsrechtlich keine Rolle. Nachbarrechtlich tritt es erst als Überhang, also grenzüberschreitend wieder in Erscheinung, § 910 BGB. Sträucher und Hecken, die stammlos aus der Erde treten, werden von der Mitte des Triebes, der zunächst der Grenze aus dem Boden wächst, abstandsrechtlich gemessen. 81 Für den Seitenabstand von Hopfenstöcken ist die Stange oder der Steigdraht maßgeblich. 82 Die Höhe der Pflanzen bemißt sich vom Austritt aus der Erde bis zur obersten Spitze.83 Diese grundsätzlichen Standards der Grenzabstände erfahren als Ausdruck der Situationsgebundenheit des Eigentums eine Reihe von Sonderregelungen zugunsten bestimmter Nutzungsarten. Diese Regelungen verringern oder vergrößern den einzuhaltenden Grenzabstand oder sie stellen Übergangsregelungen zur altrechtlichen Rechtslage dar.
78 BGH vom 19.4.1985- V ZR 152/83 - Z 94, 160; so wohl auch Westermann, Sachenrecht, Bd. II, 37; Palandt/Bassenge, BGB, 52. Aufl., § 917 Rdnr. 7; Götz, in: MIRIR/G, Nachbarrecht, § 25 Rdnr. 19 f. m.w.N.; mit guten Gründen dagegen Säcker, in: Müko, § 917 BGB Rdnr. 19 "kraft Gesetzes"; Säcker/Paschke, NJW 1981, 1009 (!Oll f.); unklar Augustin, in: BGB-RGRK, 12. Aufl., § 917 Rdnr. 9.
19 So auch Bayer/Lindner, Bay. Nachbarrecht, 127; zu den schadensersatzrechtlichen Fragen oben S. 154. 80 Bayer/Lindner, Bay. Nachbarrecht, 127; Sprau, Justizgesetze in Bayern, Art. 47 BayAGBGB Rdnr. 40; Stad/er, Nachbarrecht, 4. Aufl., 137.
81 Siehe näher zu den Meßvorgl!ngen Bayer/Lindner, Bay. Nachbarrecht, 121 f.; Stad/er, Nachbarrecht, 4. Aufl., 137 f.; zu untypischen Varianten: LG Wiesbaden vom 18.1.1980- I S 221/80RdL 1981,39. 82
Vgl. Bayer/Lindner, Bay. Nachbarrecht, 121.
83
Bayer/Lindner, Bay. Nachbarrecht, 121.
B. Zivilrechtsnormen mit gezielter Abwehrrelevanz
157
Art. 47 BayAGBGB gewährt inhaltlich einen Anspruch auf Beseitigung. 84 Dies bedeutet in dem 0,5 Meter Grenzstreifen einen Anspruch auf gänzliche Entfemung,85 in dem sich anschließenden 1,5 Meter Streifen ein Anspruch auf Rückschnitt. 86 Die wohl h.M. nimmt allerdings im zweiten Fall an, auch hier könne nur die gänzliche Entfernung der pflichtigen Pflanzen verlangt werden. 87 Dem kann wohl nicht gefolgt werden. Es besteht lediglich ein Anspruch auf Herstellung gesetzmäßiger Zustände. Ein solcher ist aber schon erreicht, wenn eine abstandspflichtige Pflanze im zweiten Grenzstreifen die Höhe von 2 Meter nicht übersteigt, nicht erst wenn sie dort physisch entfernt wird. 88 Fraglich ist allerdings, ob damit tatsächlich eine Befriedung des Nachbarschaftsverhältnisses erreicht werden kann, denn der Höhennachwuchs ist vorprogrammiert; es ergeben sich zudem Probleme der Verjährung. 89 bb) Gläubiger des Anspruchs
Der Anspruchsberechtigte90 ist typischerweise der Eigentümer, auch der einzelne Miteigentümer, § 1011 BGB, des begünstigten Grundstücks, denn die Abstandsvorschriften begründen eine Erweiterung seines Eigentums. 91 Ebenso berechtigt ist der Erbbauberechtigte, § II ErbbVO und andere dinglich Be84 So auch: Reich, BayVBI. 1983, 137; Stad/er, Nachbarrecht, 4. Aufl., 135 m.w.N. Soweit dies streitig ist, kommt es in der Praxis darauf nicht an, da jedenfalls unbestritten ist, daß eine Unterlassungsklage zulässig wäre: Vgl. Stad/er, Nachbarrecht, 4. Aufl., 134; Bayer!Lindner, Bay. Nachbarrecht, 127.
85 Entsprechend dem Grundsatz a majore ad minus soll auch ein bloßer RUckschnitt an sich nicht zu duldender Pflanzen verlangt werden dürfen: So jedenfalls Reich, BayVBI. 1983, 137 f.; Götz, in: M!RIR/G, Nachbarrecht, § 18 Rdnr. 8.; Sprau, Justizgesetze in Bayern, Art. 47 BayAGBGB Rdnrn. 27 und 29; LG Limburg vom 6.3.1985-3 S 188/84- NJW 1986, 595 zum vergleichbaren hessischen Nachbarrecht; a.A. Stad/er, Nachbarrecht, 4. Aufl., 135. 86
Stad/er, Nachbarrecht, 4. Aufl., 134 f.; Reich, BayVBI. 1983, 137.
87
LG NUrnberg-Fürth vom 20.11.1984- 13 S 5358/84- in: Bayer/Lindner, Bay. Nachbarrecht, 195 m.w.N. 88 So auch Stad/er, Nachbarrecht, 4. Aufl., 135 m.w.N.; Götz, in: M/RIR!G, Nachbarrecht, § 18 Rdnr. 8, gegen die Vorauflage; Sprau, Justizgesetze in Bayern, Art. 47 BayAGBGB Rdnr. 24 mit eingehender Darstellung des Streitstandes. 89 Hierzu Reich, BayVBI. 1983, 137 f.; Sprau, Justizgesetze in Bayern, Art. 47 BayAGBGB Rdnr. 24 f. Prozeßrechtlich kann eine mit dem Beseitigungsverlangen kumulativ gestellte vorbeugende Unterlassungsklage abhelfen. 90 Einzelheiten sind umstritten: Sprau, Justizgesetze in Bayern, Art. 47 BayAGBGB Rdnr. 33; Götz, in: M/RIR/G, Nachbarrecht, § 18 Rdnr. 4; Stad/er, Nachbarrecht, 4. Aufl., 126; Stad/er, Nachbarrecht, 4. Aufl., 133, alle m.w.N. 91
Vgl. hierzu den Wortlaut von Art. 124 EGBGB.
158
Teil 2: Zivilrechtliche Lösungsansätze der Abwehr negativer Immissionen
rechtigte, die im Hinblick auf die Grundstücksnutzung der dem Schutzzweck des Pflanzenabstandsrechts typischen Gefahrdungslage unterliegen.92 Keine unmittelbaren Anspruchsgläubiger sind die lediglich schuldrechtlich berechtigten Besitzer des Grundstücks; 93 sie können im Wege der Prozeßstandschaft die Rechte aus dem Eigentum geltend machen. 94 Der Träger der Straßenbaulast kann, selbst wenn er nicht zivilrechtlicher Eigentümer des Straßengrundstücks ist, die nachbarrechtlichen Abwehransprüche in dem Umfang geltend machen, der zur Aufrechterhaltung des Gemeingebrauchs nötig ist, Art. 13 Abs. 1 BayStrWG.95 cc) Schuldner des Anspruchs
Die Frage nach dem Schuldner des Beseitigungsanspruchs beantwortet sich nach der Störereigenschaft und damit nach der Verantwortlichkeit flir den nicht gesetzmäßigen Zustand. 96 Es ergeben sich keine Unterschiede zur Rechtslage bei § 1004 BGB. Störer ist demnach der Zustands- und der Handlungsstörer, also regelmäßig der Eigentümer und der Besitzer des pflichtigen Grundstücks. Ob der Besitzer abstandspflichtige Pflanzen in Ausübung seines Nutzungsrechts hält, ist dabei unerheblich.97 dd) Ausschluß des Anspruchs
Eine Einrede gegen das Beseitigungsverlangen ergibt sich gern. § 1004 Abs. 2 BGB analog, wenn der Berechtigte zur Duldung verpflichtet ist.
92 So auch Bayer/Lindner, Bay. Nachbarrecht, 126; Sprau, Justizgesetze in Bayern, Art. 47 BayAGBGB Rdnr. 33; a.A. ohne Begründung Stad/er, Nachbarrecht, 4. Aufl., 133. 93 So die h.M. : Sprau, Justizgesetze in Bayern, Art. 47 BayAGBGB Rdnr. 33; Götz, in: MIR/ RIG, Nachbarrecht, § 18 Rdnr. 4; Stad/er, Nachbarrecht, 4. Aufl., 126; Stad/er, Nachbarrecht, 4. Aufl., 133.
94 Vgl. BGH vom 12.7.1985 -V ZR 56/84- WM 1985, 1324 fllr den ähnlich gelagerten Fall des § 985 BGB; Just, BayVBI. 1985, 289 (294); oben S. 90 f.
95 Vgl. Zimniok, BayStrWG, Art. 13, 2. f.; Prandl/Gi/lessen, BayStrWG, Art. 17 Rdnr. I, Art. 18 Rdnr. 2 und Art. 13 Rdnr. 2. 96 Vgl. Götz, in: MIR/RIG, Nachbarrecht, § 18 Rdnr. 7; Sprau, Justizgesetze in Bayern, Art. 47 BayAGBGB Rdnr. 33; Stad/er, Nachbarrecht, 4. Aufl., 134; Bayer/Lindner, Bay. Nachbarrecht, 126 f.
97
A.A. ohne Begründung Sprau, Justizgesetze in Bayern, Art. 47 BayAGBGB Rdnr. 33.
B. Zivilrechtsnormen mit gezielter Abwehrrelevanz
159
Eine Duldungspflicht kann sich insoweit aus schuldrechtlichen und damit nur relativ wirkenden Abreden ergeben;98 ebenso kommen dinglich wirkende Ausschlußdienstbarkeiten (§ 1018 Alt. 3 BGB) oder spezielle gesetzliche Vorschriften in Betracht. Gesetzliche Duldungspflichten aus dem zivilrechtliehen Bereich ergeben sich aus § 923 BGB und §§ 921, 922 S. 3 BGB, wenn Bepflanzungen Grenzeinrichtungen darstellen. Nach richtiger Ansicht sollte im Zusammenhang mit öffentlich-rechtlichen Normen nur zurückhaltend von Duldungspflichten gesprochen werden; 99 diese wirken zumeist eigentumsinhaltsbestimmend. Als solche Normen 100 sind von Bedeutung: Festsetzungen in Bebauungsplänen, Baumschutzsatzungen101 u.a.m. Ausgeschlossen ist der Beseitigungsanspruch auch, wenn die Geltendmachung dem Grundsatz von Treu und Glauben oder dem Schikaneverbot (§§ 242, 226 BGB) widerspricht. 102 Dies hat jedenfalls die Instanzrechtsprechung vereinzelt und nicht verallgemeinerungsfiihig angenommen: So ist etwa das LG Duisburg 103 in einem Fall zum nordrhein-wesWilischen Recht dann von einem Anspruchsausschluß ausgegangen, wenn nach den tatsächlichen örtlichen Verhältnissen die Nutzung des Grenzstreifens praktisch ausgeschlossen ist. 104 ee) Die Verjährung des Anspruchs
Die Einordnung der Verjährung des Beseitigungsanspruchs ist abhängig von der Frage, wie Art. 47 Abs. 1 BayAGBGB in das System der eigentumsschützenden Vorschriften einzugliedern ist. Nach der hier vertretenen Auffassung
98 Dies kann sich u.U. auch mittels Auslegung aus einem Grenzveränderungsvertrag ergeben; so Stad/er, Nachbarrecht, 4. Aufl., 151. 99 Wie hier Götz, in: MIRIR/G, Nachbarrecht, § 18 Rdnr.3; Jus/, BayVBI. 1985, 289 (295); anders Sprau, Justizgesetze in Bayern, Art. 47 BayAGBGB Rdnr. 36 und 10.
100 Vgl. hierzu die Aufzahlung bei Sprau, Justizgesetze in Bayern, Art. 47 BayAGBGB Rdnr. 10. 101 Hierzu auch Jus/, BayVBI. 1985, 289 (295); allgemein: Otto, NVwZ 1986, 900; Schäfer, in: Hoppenberg (Hrsg.), Handbuch, Teil J Rdnr. 441; zu Bebauungsplänen: BVerfD vom 14.5.1985 2 BvR 397, 398, 399/82- E 70, 35 (52 f.). 102 Allgemein zu diesen Gegenrechten im Nachbarrecht Götz, in: MIRIR/G, Nachbarrecht, § I I; siehe zur untergeordneten Bedeutung des § 226 BGB unten S. 139 ff. 103
LG Duisburg vom 2.12.1982-5 S 119/81- AgrarR 1983, 253.
Weitere Beispiele bei Sprau, Justizgesetze in Bayern, Art. 47 BayAGBGB Rdnr. 36; siehe auch Stad/er, Nachbarrecht, 4. Aufl., 134 und 24. 104
160
Teil 2: Zivilrechtliche Lösungsansätze der Abwehr negativer Immissionen
handelt es sich um einen eigenständigen Iandesrechtlichen Anspruch und nicht um einen Voraustatbestand zu § I 004 Abs. I BGB. 105 Gern. Art. 52 Abs. I S. 2 und 3 BayAGBGB 106 verjährt der Anspruch in fünf Jahren. 107 Es handelt sich um eine Einrede, nicht um eine Einwendung, § 222 BGB. 108 Die Verjährungsfrist beginnt mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Abstandspflichtverletzung erkennbar wird; ein Rückgriff auf Anspruchsgrundlagen des BGB is~ nicht möglich. 109 Erkennbarkeil ist gegeben, wenn ein objektiver (dritter) Betrachter die Abstandspflichtverletzung erkennen konnte. Bei einer Grenzverwirrung ist dies ausgeschlossen. 110 Zur Berechnung der Frist gelten die allgemeinen Bestimmungen des BGB; 111 sie beginnt folglich immer an einem I. Januar. Der Lauf der Frist ist unabhängig vom Wechsel der Person des Berechtigten oder des Pflichtigen. 112 Die Vorschriften des BGB zur Verjährungshemmung und -Unterbrechung sind anwendbar (Art. 53 Abs. 2 S. I Bay AGBGB), 113 ebenso, da es sich um einen dinglichen Anspruch handelt, § 221 BGB. 114 Zwar wird bei letzterem die Rechtsnachfolge auf Seiten des Berechtigten nicht geregelt, die Norm ist jedoch analog anzuwenden. 115 Bei einer Grenzänderung, auch bei einer Grundstücksteilung, beginnt die Verjährung erst mit Ablauf des Jahres der Wirksamkeit bzw. des genügend ge-
105
Siehe oben S. 152 f.
106
Die Regelung entspricht Art. 78 BayAGBGB 1899.
107 Vgl. hierzu auch Becher, Materialien lVN Bd. I, 95; siehe auch Götz, in: MIRIR/G, Nachbarrecht, § 18 Rdnr. 12 f. mit Berechnungsbeispielen. 108
Vgl. Just, BayVBl. 1985, 289 (295).
109
Vgl. OLG DUsseldorfvom 6.7.1979-4 U 18/79- NJW 1979, 2618.
Götz, in: MIR/RIG, Nachbarrecht, § 18 Rdnr. I 0; Just, BayVBl. 1985, 289 (295); Sprau, Justizgesetze in Bayern, Art. 52 BayAGBGB Rdnr. 7. 110
111
Sprau, Justizgesetze in Bayern, Art. 52 BayAGBGB Rdnr. 3.
Reich, BayVBl. 1983, 137 (139); Bayer/Lindner, Bay. Nachbarrecht, 131 ; Götz, in: MIR/ RIG, Nachbarrecht, § II Rdnr. 9; Stad/er, Nachbarrecht, 4. Aufl., 151 ; Sprau, Justizgesetze in Bayern, Art. 52 BayAGBGB Rdnr. 5; Just, BayVBl. 1985, 289 (295); vgl. auch BGH vom 23.2.1973- V ZR 109171- Z 60,235 (240). 112
113 Siehe hierzu näher Reich, BayVBl. 1983, 137 (138); Sprau, Justizgesetze in Bayern, Art. 52 BayAGBGB Rdnr. 8. 114 Reich, BayVBl. 1983, 137 (139); Sprau, Justizgesetze in Bayern, Art. 52 BayAGBGB Rdnr. 5 m.w.N.; Stad/er, Nachbarrecht, 4. Aufl., 151. 115 BGH vom 23.2.1973- V ZR 109171 - Z 60, 235 (238); Reich, BayVBl. 1983, 137 (139); Sprau, Justizgesetze in Bayern, Art. 52 BayAGBGB Rdnr. 5.
B. Zivilrechtsnormen mit gezielter Abwehrrelevanz
161
sicherten dinglichen Vollzugs, im Veräußerungsfalle nach Teilung. 116 Änderungen im tatsächlichen Bereich, so wenn eine Mauer i.S.d. Art. 50 Abs. I S. I BayAGBGB fallt, beeinflussen den Lauf der Verjährung. 117 Die Einrede der Verjährung ist einzelfallbezogen. Beachtlich ist deshalb, daß bei Neupflanzen die Frist erneut zu laufen beginnt. Keine neue Frist läuft hingegen bei reinen Ergänzungspflanzen, Art. 51 Abs. 2 BayAGBGB. Diese Norm gewährt übergreifenden Bestandsschutz im Rahmen von Pflanzengruppen, die eine gärtnerische Funktionseinheit bilden. 118 c) Die Ausnahmevorschrift des Art. 47 Abs.2 BayAGBGB - Abstandsverringerung Der Eigentümer eines Waldgrundstücks 119 kann von seinem Nachbarn nur verlangen, dieser habe den Grenzabstand von 0,5 Meter mit den nach Art. 47 Abs. I BayAGBGB pflichtigen Pflanzen einzuhalten, Art. 47 Abs. 2 S. I BayAGBGB. Das bedeutet, jenseits dieser Grenze bestehen keinerlei Restriktionen mehr. Hier manifestiert sich wiederum der Regelungszweck der Abstandsvorschriften in Richtung auf die Vermeidung negativer Immissionen, denn auf einem Waldgrundstück kommt ein Schutz vor Beschattung nicht sinnvoll in Betracht.120 Gegenüber einem Nachbargrundstück, das nicht bewaldet ist, gilt jedoch die Pflichtigkeit gemäß der Abstandregelungen des Art. 47 Abs. I BayAGBGB. Hier hat der Beschattungsschutz wieder seinen Sinn. 121 Für alte Waldbestände ergeben sich zusätzliche, wohl auch landschaftsschützerisch motivierte Beschränkungen gern. Art. 51 Abs. I und 2 BayAGBGB, die allerdings systematisch zu den Übergangsregelungen gehören. Ähnliche Sonderregelungen gelten fiir den Eigentümer eines mit Hopfen oder Wein bebauten Grundstücks, allerdings unter der wesentlichen Schranke der
116 So auch Sprau, Justizgesetze in Bayern, Art. 52 BayAGBGB Rdnr. 6; Bayer/ Lindner, Bay. Nachbarrecht, 131; Stad/er, Nachbarrecht, 4. Aufl., 151; Just, BayVBI. 1985, 289 (295); a.A. Götz, in: MIRIR/G, Nachbarrecht, § 18 Rdnr. 11. 117
Vgl. Reich, BayVBI. 1983, 137 (138).
118 Zu Einzelheiten Sprau, Justizgesetze in Bayern, Art. 52 BayAGBGB Rdnr. 10. 119 Siehe zu diesem Begriff: Götz, in: MIRIR/G, Nachbarrecht, § 17 Rdnr. 14; Bayer/Lindner, Bay. Nachbarrecht, 117 f.; Sprau, Justizgesetze in Bayern, Art. 47 BayAGBGB Rdnr. 30 f.
120 So auch Stad/er, Nachbarrecht, 4. Aufl., 135; Becher, Materialien IVN Bd. I, 91 . 121 Stad/er, Nachbarrecht, 4. Auf!., 135; Bayer/Lindner, Bay. Nachbarrecht, 122; Sprau, Ju-
stizgesetze in Bayern, Art. 4 7 BayAGBGB Rdnr. 31. II Reetz
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Teil 2: Zivilrechtliche Lösungsansätze der Abwehr negativer Immissionen
Ortsüblichkeit dieser Art landwirtschaftlicher Bodennutzung, Art. 47 Abs. 2 S. 2 BayAGBGB. 122 d) Die Ausnahmevorschrift des Art. 50 BayAGBGB- Abstandsverringerung Hält der Grundstückseigentümer abstandspflichtige Pflanzen nach Art. 4 7 BayAGBGB hinter einer Mauer oder dichten Einfriedung und überragen diese die Einfriedung nicht oder nur unwesentlich, braucht er gar keinen Grenzabstand einzuhalten, Art. 50 Abs. I S. I BayAGBGB 123 • Ohne Bedeutung ist, auf welchem der grenznachbarlichen Grundstücke die Mauer oder dichte Einfriedung errichtet ist, denn keiner der Nachbarn hat einen Pflanzabstand einzuhalten, kein Grundstück ist belastet oder begünstigt. 124 Diese Ausnahmeregelung ergibt sich aus dem Schutzzweck der Pflanzenabstände von selbst. Soll eine Beschattung des Nachbargrundstücks verhindert werden, ist im Falle einer grenznahen Mauer oder Einfriedung abstandsrechtlich auf diese abzustellen. 125 Nicht gefolgt werden kann Stad/er und Götz, 126 die meinen, es sei wesentlich, daß die Einfriedung das Hindurchragen von Zweigen auf das Nachbargrundstück verhindere. Art. 50 BayAGBGB regelt keine Fragen des Überhangs, dies ist Sache des BGB. Anders scheint die Situation auszusehen, wenn Pflanzenteile derart durch die Einfriedung ragen, daß sie eine beschattende Wirkung als solche hervorrufen können. Hier soll auf den Grenzabstand dieser Pflanzenteile abgestellt werden. 127 Dem kann aber gleichfalls nicht gefolgt werden. Pflanzenteile, also Äste, sind abstandsrechtlich irrelevant und nachbarrechtlich erst von Bedeutung, wenn daraus ein Überhang wird. Durchdringen Äste eine dichte Einfriedung, bleibt es demnach bei der Regel des Art. 50 BayAGBGB; denn der Maßstab der Dichte einer Einfriedung ist nur deren Geeignetheit selbst eine Beschattung zu bewirken. 128 Ist die Einfriedung
122 Vgl. zu alledem Bayer/Lindner, Bay. Nachbarrecht, 122; Stad/er, Nachbarrecht, 4. Aufl., 135; Sprau, Justizgesetze in Bayern, Art. 47 BayAGBGB Rdnr. 32 m.w.N. auch zu den Materialien. 123
Die Vorschrift entspricht inhaltlich Art. 74 Abs. I S. I BayAGBGB 1899.
Stad/er, Nachbarrecht, 4. Aufl., 139; Bayer/Lindner, Bay. Nachbarrecht, 123; Götz, in: MIRIR/G, Nachbarrecht, § 18 Rdnr. 23. 124
125
So auch Bayer/Lindner, Bay. Nachbarrecht, 123.
126
Stad/er, Nachbarrecht, 4. Aufl., 139; Götz, in: MIRIR/G, Nachbarrecht, § 18 Rdnr. 23.
127
So etwa Bayer/Lindner, Bay. Nachbarrecht, 123.
128
Bayer/Lindner, Bay. Nachbarrecht, 123.
B. Zivilrechtsnormen mit gezielter Abwehrrelevanz
163
nicht dicht genug, ist sie keine Einfriedung i.S.d. Art. 50 BayAGBGB, dann bleibt es freilich bei der abstandsrechtlichen Grundregel des Art. 47 BayAGBGB; auf ein Durchragen kommt es nicht mehr an. 129 Eine Bepflanzung unmittelbar an der Grenze und ohne Rücksicht auf beschattende Wirkung ist auch dann hinzunehmen, wenn sie im öffentlichen Interesse liegt. Zum Schutze von Abhängen, Böschungen, zum Uferschutz und zum Schutz einer Eisenbahn, aber auch längs einer öffentlichen Straße oder auf einem öffentlichen Platz ist dies nach gesetzlicher Anordnung der Fall (Schutzbepflanzung), Art. 50 Abs. I S. 2 BayAGBGBn°. Der Eigentümer eines Nachbargrundstücks muß dies als Teil der Situationsgebundenheit seines Grundstücks hinnehmen. n 1 Teile der nachbarrechtlichen Literatur schließen aus dem Wortlaut des Art. 50 Abs. I S. 2 BayAGBGB, von dem Eigentümer eines längs einer öffentlichen Straße oder eines öffentlichen Platzes gelegenen Grundstücks könne ebenfalls die Einhaltung eines Grenzabstandes nicht verlangt werden. 132 Andere schließen aus dem Wortlaut der Norm genau das Gegenteil. 133 Dem Wortlaut läßt sich eine auf den Träger der Straßenbaulast beschränkte Begünstigung nicht entnehmen. Der Schutzzweck der Norm gibt vielmehr der Auslegung Recht, die auch den privaten Anliegereigentümer begünstigt wissen will. Ein Beschattungsschutz als Ausdruck der Konservierung der gegenwärtigen Grundstücksnutzung spielt in bezug auf öffentliche Straßen und Plätze keine Rolle; hier bestehen lediglich für Bestimmungen wegerechtlicher und straßenverkehrsrechtlicher Natur Bedürfnisse. Nur diese sind eigentumsrechtlich zulässig, weil nur sie dem Maßstab der Erforderlichkeil genügen. Folglich ergeben sich die abstandsrechtlichen Bestimmungen ausschließlich aus § li Abs. 2 FStrG, Art. 29 Abs. 2 BayStrWG, wobei verkehrssicherheitsrechtliche Aspekte dominieren. n 4 Der Wortlaut des Art. 50 Abs. I S. 2 BayAGBGB läßt eine solche Auslegung zu. 129 Keine Bedeutung mißt Götz, in: MIR/RJG, Nachbarrecht, § 18 Rdnr. 23, der Dichte der Umfriedung bei. 130
Die Vorschrift entspricht inhaltlich Art. 74 Abs. I S. 2 BayAGBGB 1899.
So auch Bayer/Lindner, Bay. Nachbarrecht, 123. Im Zusammenhang mit Art. 30 BayStrWG kann Art. 50 BayAGBGB besondere Bedeutung bei der Begrünung des urbanen Lebensraumes zukommen. 131
132
133
Bayer/Lindner, Bay. Nachbarrecht, 123.
So Stad/er, Nachbarrecht, 4. Aufl., 141; Götz, in: MIR/R/G, Nachbarrecht, § 18 Rdnr. 24; noch anders Sprau, Justizgesetze in Bayern, Art. 47 BayAGBGB Rdnr. 21. II*
164
Tei12: Zivilrechtliche Lösungsansätze der Abwehr negativer Immissionen
e) Das Landwirtschaftsprivileg des Art. 48 BayAGBGB - Abstandsvergrößerung Die Einhaltung eines wesentlich vergrößerten Grenzabstandes von Bäumen kann der Eigentümer eines landwirtschaftlich genutzten Grundstücks verlangen, Art. 48 BayAGBGB. Danach ist das Halten von Bäumen, die mehr als 2 Meter hoch sind erst ab einem Grenzabstand von 4 Metern zulässig. 135 Die Vorschrift ist auch deshalb interessant, weil sie die Einhaltung des 4-Meter-Abstands von dem Nachweis abhängig macht, daß die wirtschaftliche Bestimmung durch Schmälerung des Sonnenlichtes (eine negative Immission) erheblich beeinträchtigt werden würde. Der Gesetzgeber hat die Art der nachbarrechtlichen Norm gewechselt. Es geht nicht mehr um abstrakt vermittelten Nachbarschutz, sondern der Begünstigte hat ausnahmsweise die Nachweispflicht einer tatsächlichen Beeinträchtigung. 136 f) Anhang: Die Bedeutung öffentlich-rechtlicher Normen hinsichtlich der Bepflanzungsbeschränkungen
Neben den Iandesprivatrechtlichen Pflanzenabstandsregelungen finden sich insbesondere in verschiedenen Teilbereichen des öffentlichen Rechts Normen, die entweder ebenfalls Beschränkungen der Bepflanzung vorsehen oder aber in Gegensatz zu den privatrechtliehen Beseitigungsverlangen geraten (können). 137 Das Verhältnis der beiden Teilrechtsordnungen ist nicht nur im Bepflanzungsrecht weitgehend ungeklärt, aber wohl in den meisten Fällen zugunsten öffentlich-rechtlicher Normen zu lösen. 138 In Gegensatz zu Art. 47 ff. BayAGBGB können beispielsweise Festsetzungen in Bebauungsplänen gern. § 9 Abs. 1 Nr. 25 BauGB geraten: 139 Diese sollen die 134 Im Ergebnis ebenso Just, BayVBI. 1985, 289 (294); Bayer/Lindner, Bay. Nachbarrecht, 125 f.; s. auch Stad/er, Nachbarrecht, 4. Aufl., 141 f.; Götz, in: MIRIR/G, Nachbarrecht, § 18 Rdnr. 24 a.E., die aber von einem Vorrang des öffentlichen Rechts ausgehen. 135 Privilegiert sind demgegenüber wieder Stein- und Kemobstbäume, denn insoweit bleibt es bei der Grundregel des Art. 47 BayAGBGB; dies ergibt sich aus Art. 50 Abs. 2 BayAGBGB. 136
Vgl. hierzu auch Stad/er, Nachbarrecht, 4. Aufl., 136 f.
Beispielsweise: § II Abs. 2 FStrG, Art. 29 Abs. 2 BayStrWG (freizuhaltende Schutzstreifen an öffentlichen Straßen); Art. 12 Abs. I und 2 BayNatSchG (Baumschutzverordnung); Art. 91 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. Art. 5 BayBO (Beseitigungs- und Beschädigungsverbot von Bäumen und Pflanzen); Art. 9, 10 BayWaldG (Schutzwald); siehe auch Sprau, Justizgesetze in Bayern, Art. 47 BayAGBGB Rdnr. 9 ff. 137
138
Vgl. zu diesem Fragenkomplex unten S. 277 ff.
B. Zivilrechtsnonnen mit gezielter Abwehrrelevanz
165
auch städteplanerisch bedeutsame Begrünung des Plangebiets sichern oder herstellen. 140 Hiernach kann die planende Gemeinde fiir Baugebiete, in Teilen davon, 141 aber auch in nicht weiter beplanten Gebieten Flächen festsetzen, in denen Bäume, Sträuche oder andere Bepflanzungen anzulegen sind. Selbst die Art der Bäume und Pflanzen können satzungsrechtlich genau bestimmt werden. 142 Solche Festsetzungen müssen sich in den Abwägungszusammenhang des bestehenden oder gleichzeitig zu erlassenden Bebauungsplans einfugen und insgesamt dem Abwägungserfordernis entsprechen. 143 Sie sind durch Pflanzgebote nach § 178 BauGB oder auch als Nebenbestimmungen zu Baugenehmigungen durchsetzbar. 144 Nach der herrschenden, aber anfechtbaren Meinung in der privatrechtliehen Literatur und Rechtsprechung beeinflußt eine bauplanungsrechtliche Festsetzung zivilrechtliche Ansprüche nicht. 145 Hiernach könnte ein Nachbar die Entfernung störender Pflanzen entgegen dem Bebauungsplan verlangen oder ein erstmaliges Bepflanzen verhindern. 146 g) Fazit 1. Das Pflanzenabstandsrecht des BayAGBGB ist eine eingehende Regelung zum Schutz vor negativen Immissionen im (Landes)Zivilrecht. Es beschränkt
139 Vgl. zu Einzelheiten bauplanungsrechtlicher Festsetzungen mit Bezug zu negativen Immissionen S. 210 ff. 140 Vgl. Löhr, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, § 9 Rdnr. 95; W.Schrödter, in: Schrödter, BauGB, § 9 Rdnr. 183. 141 Nicht zul:!ssig ist ein das gesamte Gemeindegebiet erfassender Begrünungsplan: BVerwG vom 30.1.1976- IV C 26.74- E 50, 114; W.Schrödter, in: Schrödter, BauGB, § 9 Rdnr. 185; Löhr, in: Battis/Krautzberger!Löhr, BauGB, § 9 Rdnr. 94; Gaentzsch, in: Schlichter/Stich (Hrsg.}, Berliner Kommentar, 4. Aufl., § 9 BauGB Rdnr. 61. 142
Vgl. W.Schrödter, in: Schrödter, BauGB, § 9 Rdnr. 185 m.w.N.
Vgl. OVG LUneburg vom 12.5.1981 - I A 235/80 - BauR 1981, 543; Löhr, in: Battis/ Krautzberger!Löhr, BauGB, § 9 Rdnr. 94; zu weiteren Einzelheiten bauplanungsrechtlicher Abwägung, unten S. 186 ff. 143
144 Vgl. dazu Löhr, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, § 9 Rdnr. 96; W.Schrödter, in: Schrödter, BauGB, § 9 Rdnr. 185; Köhler, in: Schrödter, BauGB, § 178 Rdnr. 3; Gaentzsch, in: Schlichter/Stich (Hrsg.), Berliner Kommentar, 4. Aufl., § 9 BauGB Rdnr. 61. 145
Siehe zur Ablehnung dieser Ansicht unten S. 292 ff.
So Stad/er, Nachbarrecht, 5. Aufl., 169 f.; Götz, in: M/RIRIG, Nachbarrecht, § 18 Rdnr. 3; dagegen: Sprau, Justizgesetze in Bayern, Art. 47 BayAGBGB Rdnm. 8 und 11 ; undeutlich: Simon, Bay. Bauordnung, Art. 5 Rdnr. 8; siehe auch Art. 91 Abs. 2 Nr. 3 BayBO. 146
166
Tei12: Zivilrechtliche Lösungsansätze der Abwehr negativer Immissionen
sich ausschließlich auf den Schutz vor von bestimmten Pflanzen ausgehenden negativen Immissionen. 2. Die Regelungen des BayAGBGB gewähren abstrakten Schutz; eine tatsächliche Beeinträchtigung des Nachbarn wird nicht vorausgesetzt. Der Nachbarschutz gegen negative Immissionen ist typisiert und zentimeterscharf festgelegt. 3. Die normative Ausgestaltung gleicht den Regelungen zum Abstandsflächenrecht der BayBO; insgesamt handelt es sich um abschließende Spezialregelungen. 4. Das Pflanzenabstandsrecht gibt keinen Anlaß zu verallgemeinerungsfahigen Aussagen, insbesondere nicht in der Richtung, daß (andere) negative Immissionen auf der Grundlage allgemeiner, zivilrechtlicher Normen hinzunehmen seien. 3. Licht- oder Licht(schutz)recht
a) Allgemeines Licht- oder Licht(schutz)recht 147 bedeutet die privatrechtliche Befugnis eines Grundstückseigentümers, dem Nachbarn unter bestimmten Bedingungen die Verbauung des Lichteinfalls aufund damit durch ein Fenster zu verbieten; 148 es handelt sich um ein dingliches Recht. 149 Vom Licht(schutz)recht ist das Fensterrecht deutlich zu unterscheiden; dieses regelt einzig die Frage, unter welchen bestimmten Umständen ein Grundstückseigentümer ein Fenster in Richtung des Nachbargrundstücks halten oder errichten darf. 150 Licht(schutz)recht ist konservierende Nutzungssicherung und stellt damit eine typische Variante der Regelung negativer Immisssionen dar, denn es geht um den Entzug des natürlichen Lichteinfalls auf und durch ein Fenster als Folge nichtgrenzüberschreitender Bebauung auf dem Nachbargrundstück.
147
Siehe hierzu zusammenfassend: Scherer, DRiZ 1963, 112; Just, BayVBI. 1985, 289 (296).
148
Sprau, Justizgesetze in Bayern, vor Art. 57 BayAGBGB Rdnr. 54 m.w.N.
149
Scherer, DRiZ 1963, 112 (114).
150
Vgl. Just, BayVBI. 1985, 295; zur ähnlichen Fragestellung im Rahmen (drittschützender) bauordnungsrechtlicher Fensterabstandsregeln außerhalb Bayerns: OVG Harnburg vom 24.3.1983 - II 4 und 9/81 - NVwZ 1984, 229.
B. Zivilrechtsnormen mit gezielter Abwehrrelevanz
167
b) Licht(schutz)recht im BGB und BayAGBGB Weder das Nachbarrecht des BGB noch das der Art. 43 - 54 BayAGBGB 1982 enthalten Regelungen zu einem eigenständigen Licht(schutz)recht. 151 Die h.M. verneint dementsprechend eine Abwehrbefugnis, da sie grundsätzlich von einem Duldenmüssen von negativen Immissionen ausgeht. 152 Jenseits der §§ 226, 826 BGB konzediert man ausnahmsweise die Existenz eines Abwehranspruchs aus dem "nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis" in der Art und Weise, daß das Verbauen im besonders zu beurteilenden Einzelfall eine unzulässige Rechtsausübung (Ausübungsschranke), § 242 BGB, darstellen kann. 153 Unbenommen bleibt selbstverständlich die Möglichkeit, ein zivilrechtliches Licht(schutz)recht auf der Grundlage rechtsgeschäftlicher Gestaltung, also durch relativen, schuldrechtlichen Vertrag oder durch dinglich wirkende Unterlassungsdienstbarkeiten gern.§ 1018 Alt. 2 BGB zu erreichen. 154 c) Altrechtliches Licht(schutz)recht In Bayern ist weiterhin die zivilrechtliche Rechtslage hinsichtlich altrechtlichen Lichtrechts bedeutsam. 155 Beachtliche Rechtsgrundlagen sind die §§ 142144 ALR I 8, welche bis zur Anlage des Grundbuchs, also zum 1.10.1910, in den Markgrafschaften von Bayreuth und Ansbach galten. Solche Licht(schutz) rechte bestehen nunmehr als Grunddienstbarkeiten gern. Art. 67 Abs. I BayAGBGB 1899 und der Rechtswirkungsklausel des Art. 78 BayAGBGB 1982 fort. 156 Es handelt sich hierbei um nicht eintragungsbedürftige Altgerechtigkeiten gern. Art. 184, 187, 189, 191 EGBGB. Sie konnten und können aber auch
151 Siehe etwa den Fall LG Berlin vom 10.4.1968-54 S 18/68- MDR 1969, 52 mit Hinweisen aufaltrechtliche Lichtschutzrechte; Schäfer, in: Hoppenberg (Hrsg.), Handbuch, Teil J Rdnr. 206. 152 Vgl. Just, BayVBI. 1985,289 (296); OLG DUsseldorfvom 6.7.1979-4 U 18/79- NJW 1979, 2618; Palandt/Bassenge, BGB, 52. Aufl., § 906 Rdnr. 9 m.w.N.
153 Vgl. BayObLG vom 12.2.1960- RReg. I Z 74/58- Z 1960, 67 (76 f.); Just, BayVBI. 1985, 289 (296); Sprau, Justizgesetze in Bayern, vor Art. 57 BayAGBGB Rdnr. 54; Palandt/Bassenge, BGB, 52. Aufl., § 906 Rdnr. 9; Götz, in: MIRIR/G, Nachbarrecht, § II Rdnr. 12 fT. und § 23. 154
Just, BayVBI. 1985,289 (296).
155
Vgl. zum Weiterbestehen altrechtlicher Grunddienstbarkeiten Götz, in: M/RJR/G, Nachbarrecht, § 32 Rdnr. 9; Sprau, Justizgesetze in Bayern, vor Art. 57 BayAGBGB Rdnr. 34; Kanzleiter/Hönle, in: Staudinger, 12. Aufl., Art. 187 EGBGB Rdnr. I fT.; Fischer, AgrarR 1975, 132; Scherer, DRiZ 1963, 112 (114 f.). 156 Sprau, Justizgesetze in Bayern, Art. 78 BayAGBGB Rdnr. 7 und vor Art. 57 BayAGBGB Rdnr. 54.
168
Teil 2: Zivilrechtliche Lösungsansätze der Abwehr negativer Immissionen
künftig in das Grundbuch eingetragen werden. 157 Ein gutgläubiger, lastenfreier Erwerb eines solchen, mit einem nichteingetragenen Lichtschutzrecht belasteten Grundstück nach § 892 Abs. 1 BGB ist nicht möglich, weil dieses aus dem Grundbuch eben nicht ersichtlich ist. 158 Seiner Rechtsnatur nach handelt es sich um gesetzliche Grunddienstbarkeiten, 159 aber nicht um ein nach zehn Jahren ersitzbares Unterlassungsrecht; 160 hierfür fehlt es schon am ersitzbaren Gegenstand. Laut einer solchen Altgerechtigkeit 161 durfte bei zehnjährigem Bestand von Fenstern, die allein von der nachbargewandten Bebauungsseite den Lichteinfall zuließen, der Eigentümer nur in einem solchen Abstand bauen oder sein Gebäude erhöhen 162 , der es einem mittelgroßen Mann in aufrechter Stellung 163 ermöglichte, aus dem ungeöffneten Fenster des unteren Stockwerks (Erdgeschoß) den Himmel erblicken zu können. War hingegen der Lichteinfall auch von einer anderen Seite her gewährleistet 164, hatte der Belastete einen Abstand zu halten, der es ermöglichte aus dem ungeöffneten Fenster des zweiten Stockwerks (erstes Obergeschoß) den Himmel sehen zu können. War kein zweites Stockwerk vorhanden, fingierte die Rechtsprechung ein Fenster in einem ebenfalls fiktiven zweiten Stockwerk. 165 Das Licht(schutz)recht hat auch dann seine Bedeutung, wenn es zwar gegenüber dem Erdgeschoß gewahrt ist oder dort gar kein Fenster vorhanden ist, es aber für ein höher gelegenes Fenster besteht. 166 Bestand das begünstigte Fenster noch nicht zehn Jahre lang, war jedenfalls ein Abstand von 90 cm einzuhalten.
157 Vgl. Stadler, Nachbarrecht, 4. Aufl., 122; Amti.Begr., BayAGBGB 1982, 22; Sprau, Justizgesetze in Bayern, vor Art. 57 BayAGBGB Rdnr. 34; Kanzleiter/Hönle, in: Staudinger, 12. Aufl., Art. 187 EGBGB Rdnr. I ff. 158
Kanzleiter/Hönle, in: Staudinger, 12. Aufl., Art. 187 EGBGB Rdnr. I.
So jedenfalls Koch, Kommentar zum ALR, Art. 142 I 8; dagegen Wolff-Raiser, Sachenrecht, 208. 159
160 So aber Dernburg, Sachenrecht, § 86 Fn. 17; dagegen Wolff-Raiser, Sachenrecht, 208 m.w.N. 161
Siehe zum folgenden Jus/, BayVBI. 1985, 289 (296).
162
Scherer, DRiZ 1963, 112 (115).
163
RGvom25 .10.1893-V.I65/93-Z32, 188(196f.).
164
Siehe zur praktischen Durchfilhrung Wo/ff-Raiser, Sachenrecht, 208 Fn. 5.
165 RG vom 25.10.1893- V. l65/93- Z 32, 188 (194); siehe auch Wolff-Raiser, Sachenrecht, 208 m.w.N. 166
Scherer, DRiZ 1963, 112 (115); BGH vom 18.6. 1954- V ZR 29/53- Z 16, 64.
B. Zivilrechtsnormen mit gezielter Abwehrrelevanz
169
Ebenfalls als nicht eintragungsbedürftige Altgerechtigkeiten (Art. 187 EGBGB) bestanden oder bestehen Licht(schutz)rechte in den übrigen, nichtpreußischen Regionen Nordbayerns auf der Grundlage gemeinen Rechts. Inhaltlich bestimmen sich diese gern. Art. 184 S. 1 EGBGB nach altem Recht, die Ausübung hingegen gern. Art. 184 S. 2 Alt. 2 EGBGB nach den§§ 1020- 1028 BGB. Bezüglich der Möglichkeit gutgläubigen Erwerbs gilt gleiches wie zu Altrechten auf der Grundlage des Preuß.ALR. d) Anhang: Bauplanungsrechtliches Licht(schutz)recht Normativen, öffentlich-rechtlichen Schutz vor Lichtentzug 167 können drittschützende Festsetzungen eines Bebauungsplanes i.S.d. § 30 BauGB gewähren, wenn solche Festsetzungen, der Schutznormtheorie entsprechend, den Nachbarn nicht nur reflexartig begünstigen. Zur Auslegung der Festsetzungen des Bebauungsplans ist die integrierte Planbegründung mit heranzuziehen. 168
4. Das zivilrechtliche Bauabstandsrecht Weder das BGB noch das Landesprivatrecht in Bayern schreiben Grenzabstände fiir die Errichtung baulicher Anlagen vor (sog. Zwischenraumrecht, ius interstitii). 169 Auch das Fenster- und Lichtrecht stellt keine Bauabstandsregelung dar; es setzt vielmehr die Errichtung einer baulichen Anlage nach den öffentlich-rechtlichen Normen des Bauplanungs- und Bauordnungsrechts voraus. Erst anschließend kommen die Iandesrechtlichen Vorschriften der Art. 43 ff. BayAGBGB zum Zuge. 170 Dennoch kann schon an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, daß die öffentlich-rechtlichen Bauabstandsregelungen letztlich privatrechtlicher Provienienz sind. 171
167
Andeutungsweise klingt dies auch bei Wolff-Raiser, Sachenrecht, 209 Fn. 9 an.
168
Siehe hierzu oben S. 208 f.
Siehe hierzu und zu den wenigen außerbayerischen Ausnahmen Kriegbaum, in: Staudinger, 12. Autl., Art. 124 EGBGB Rdnr. 17; Schäfer, in: Hoppenberg (Hrsg.), Handbuch, Teil J Rdnr. 137 ff.; vgl. im Ubrigen Art. 139 f. ALR I 8. 169
170
So auch Sprau, Justizgesetze in Bayern, Art. 43 BayAGBGB Rdnr. I.
Siehe hierzu noch Dehner, in: M/S/HID, Nachbarrecht, 6. Autl., § 18 II 2; Picker, AcP 176 (1976), 28 (46) jeweils mit vielen Nachweisen. 171
170
Teil 2: Zivilrechtliche Lösungsansätze der Abwehr negativer Immissionen
111. Fazit 1. Im Rahmen des BGB können die§§ 909, 917 BGB als Nonnierungen zur Abwehr bestimmter negativer Immissionen aufgefaßt werden. Ihnen ist zumindest aber zu entnehmen, daß auch einer nachbarlichen Störung, die nicht immissionsbezogen und grenzüberschreitend wirkt, rechtliche Relevanz zukommen kann. Aus der Zusammenschau des Nachbarrechts im BGB kann nicht geschlossen werden, daß die §§ 909, 9178GB eine abschließende Kodifikation nicht grenzüberschreitender Nachbarstörungen darstellen sollen. 2. Das landesrechtliche. Pflanzenabstandsrecht ist eine detaillierte Kodifikation eines ganz speziellen Segments aus dem Bereich negativer Immissionen; es gleicht dem Bauabstandsrecht der landesrechtliehen Bauordnungen und regelt den Nutzungskonflikt zentimeterscharf Aus dem Pflanzenabstandsrecht kann nicht geschlossen werden, daß (andere) negative Immissionen auf der Grundlage allgemeiner, zivilrechtlicher Nonnen hinzunehmen seien. 3. Während in Einzelfällen das weitergeltende, altrechtliche Licht(schutz) recht Schutz vor bestimmten negativen Immissionen gewährt, existiert ein originär zivilrechtliches Bauabstandsrecht, das auch die Abwehr negativer Immissionen bewirken könnte, nicht.
C. Zivilrechtliches Richterrecht mit Relevanz f"tir . die Abwehr negativer Immissionen I. Das "nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis", § 242 BGB 1. Allgemeines
Nach der absolut herrschenden Rechtsprechung entsteht aus der richterrechtlich 1 geschaffenen Figur des "nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses" eine Rechtspflicht zur gegenseitigen Rücksichtnahme bei widerstreitenden nachbarlichen Eigentümerinteressen. 2 Das "nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis" 1 Hierzu eingehend Deneke, Gemeinschaftsverhältnis, 101 ff.; Block, Nachbarliches Gemeinschaftsverhältnis, 13 ff.; Dehner, in: M/S/HID, Nachbarrecht, 6. Auf!., A § I II; Stühler, VBIBW 1987, 126 (130 f.); Hagen, in: FS Lange (1992), 483 (491 tf.). 2 Siehe auch schon die Andeutungen bei Jhering, Jhering's Jb. VI (1863), 81 (97); Heck, Sachenrecht, §50 I ; weitere Hinweise bei Mühl, in: Soergel, 12. Auf!., § 1004 BGB Rdnr. 22; Ko-
C. Zivilrechtliches Richterrecht mit Abwehrrelevanz
171
setzt dabei unterhalb der Ebene sittenwidriger Rechtsausiibung, also unterhalb der Ebene des § 826 BGB und erst recht des § 226 BGB an. Es hat zumeist zur Folge, daß die Ausübung eines an sich bestehenden Rechts ganz oder teilweise unzulässig wird. 3 Anders als die verwaltungsrechtliche Rechtsprechung zum strukturell vergleichbaren "Gebot der Riicksichtnahme"4 hat es die zivilrechtliche Rechtsprechung (bisher) nicht vermocht, die Figur des "nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses" in eine originär grundstücksrechtliche Norm einzubetten. 2. Rechtsgrundlage
Soweit ersichtlich hat das Reichsgericht die Figur des "nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses" zunächst als eigenständige nachbarrechtliche Qualität eingefiihrt. 5 Während anfänglich die normative Grundlage undeutlich erschien, wird spätestens mit der Berliner V-Bahn-Entscheidung klar, daß es sich um eine grundstücksbezogene Ausgestaltung des Grundsatzes von Treu und Glauben, § 242 BGB, handelt. 6 Der BGH hat diese Rechtsprechung übernommen und weiterentwickelt. 7 Vereinzelt wird die Ansicht vertreten, die Figur des
dal/Krämer, Straßenrecht, Kap. 34 Rdnr. 46.71. Der Begriff geht wohl auf Klausing zurück: Klausing, JW 1937, 68 (69); hierzu auch Tiedemann, MDR 1978, 272 (275); gegen den Begriff des "nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses": Dehner, in: M/S!H/D, Nachbarrecht, 6. Aufl., A
§ I II.
3 BGH vom 22.2.1991 -V ZR 308/89- Z 113, 384 = NJW 1991, 1671 (1672); Beispielsfltlle bei Augustin, in: BGB-RGRK, 12. Aufl., § 903 Rdnr. 30. 4 Hierzu ausftlhrlich Mühl, in: FS F. Baur (1981), 83 (94 ff.); Stühler, VBIBW 191!7, 126 (130 f.).
5 Grundlegend RG vom 10.3.1937- V 218/36- Z 154, 161 "Gutehoffnungshütte"; RG vom 16.6.1937- V 241/36- Z 155, 154; zu diesen Entscheidungen: Mühl, in: FS F. Baur (1981), 83 (94); Kleindienst, Immissionsschutz, 26 ff.; Deneke, Gemeinschaftsverhältnis, 10 ff.; Block, Nachbarliches Gemeinschaftsverhältnis, 28 ff.; Stühler, VBIBW 1987, 126 (128 ff.). 6 Vgl. RG vom 21.4.1941 -V 103/40- Z 167, 14 (24); gegen diese Rechtsprechung Schapp, Nachbarrecht, 80 ff.; Westermann, JZ 1963, 407 (408); zur Entscheidung des RG auch Deneke, Gemeinschaftsverhältnis, 17 f. Zur Heranziehung von § 242 BGB im Sachenrecht: Schmidt, in: Staudinger, 12. Aufl., § 242 Rdnr. 1365; A/ff, in: BGB-RGRK, 12. Aufl., § 242 Rdnr. 7 ff.; Mühl, NJW 1956, 1657. 7 Vgl. BGH vom 15.4.1959 - V ZR 3/58 - Z 30, 273 (280); ähnlich auch schon BGH vom 14.4.1954- VI ZR 35/53 - LM Nr. I zu § 906 BGB; zu diesen Fällen: Gehrmann, GewArch 1979, 287 (288 f.); insgesamt zustimmend: Deneke, Gemeinschaftsverhältnis, 97 ff.; Augustin, in: BGBRGRK, 12. Aufl., § 903 Rdnr. 29; Stühler, VBIBW 1987, 126 (130); Hagen, in: FS Lange (1992), 483 (491 m.w.N.).
172
Teil 2: Zivilrechtliche Lösungsansätze der Abwehr negativer Immissionen
"nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses" lasse sich direkt aus Art. 14 GG ableiten. 8 Zur Anwendung des "nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses" betont der BGH im Anschluß an das Reichsgericht in ständiger Rechtsprechung9, gegenseitige Rechte und Pflichten benachbarter Grundstückseigentümer ergäben sich zuerst und grundsätzlich aus den gesetzlichen Bestimmungen zum Nachbarrecht; die Normen der§§ 905 ff. BGB seien "eine ins einzelne gehende Sonderregelung" . 10 Immerhin erfordere aber der gerechte Ausgleich nachbarlicher Nutzungsinteressen, daß in manchen Fällen über die gesetzliche Regelung hinausgegangen werden müsse. Die Bedeutung des § 242 BGB sei insoweit eine einschränkende und ausgleichende, seine Anwendung folge dem Subsidiaritätsgrundsatz und sei nur dann zu rechtfertigen, wenn ein weitergehender Interessenausgleich dringend (zwingeni 1) geboten erscheine. 12 3. Rechtsnatur
Nach h.M. handelt es sich bei der Figur des "nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses" um ein faktisches, räumliches Näheverhältnis, eine Pflichtenverdichtung, aber gerade nicht um ein Schuldverhältnis. Dies entspricht der allgemeinen Auffassung, daß das nachbarliche Zusammenleben keine Tatsache ist, die a priori Rechtsverhältnisse erzeugt. 13 Darüber hinausgehende Rechtsbezieh-
8 Vgl. Kühler, AcP 159 (1959), 236; gegen diesen zu Recht Deneke, Gemeinschaftsverhältnis, 91 ff. 9 BGH vom 15.6.1951- V ZR 55/50- LM Nr. I zu§ 903 BOB; BGH vom 24.4.1970- V ZR 97/67- WM 1970, 793 (794); BGH vom 22.9.1972- V ZR 8171 - WM 1972, 1400 (1401); BGH vom 9.7.1958- V ZR 205/57- Z 28, 110 (114); BGH vom 25.11.1964- V ZR 185/62- Z 42, 374 (377); BGH vom 29.4.1977- V ZR 71/75- Z 68,350 (355); BGH vom 21.10.1983- V ZR 166/82 - Z 88, 344 (351 ); zuletzt BGH vom 26.4.1991 - V ZR 346/89 - NJW 1991, 2826 (2827).
10 So ausdrücklich und sicherlich gegen die Vorstellungen des historischen Gesetzgebers: BGH vom 26.4.1991 - V ZR 346/89 - NJW 1991, 2826 (2827) und BGH vom 21.10.1983 - V ZR 166/ 82- Z 88, 344 (351); abschwächend auch Augustin, in: BGB-RGRK, 12. Aufl., § 90 Rdnr. 29. 11
Hagen, WM 1984,677 (679).
BGH vom 9.7.1958- V ZR 205/57- Z 28, 110 (114); BGH vom 25.11.1964- V ZR 185/62Z 42, 374 (377); BGH vom 21.10.1983- V ZR 166/82- Z 88, 344 (351); BGH vom 22.2.1991 -V ZR 308/89- Z 113, 384 = NJW 1991, 1671 (1672); BGH vom 26.4.1991 -V ZR 346/89- NJW 1991, 2826 (2827); Mattem, WM 1979, 34 (39). 12
13 BGH vom 30.10.1959 - VI ZR 156/58 - NJW 1960, 335; Dehner, in: M/S!H/D, Nachbarrecht, 6. Aufl., § 38 I I c; Götz, in: MIR/RIO, Nachbarrecht, § II Rdnr. 13; Palandt/Bassenge, BOB, 52. Aufl., § 903 Rdnr. 13; Augustin, in: BGB-RGRK, 12. Aufl., § 903 Rdnr. 30; Baur/Stür-
C. Zivilrechtliches Richterrecht mit Abwehrrelevanz
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ungen bedürfen hiernach eines zusätzlichen, konstitutiven Aktes, z.B. einer beiden Nachbarn zugeordneten Kommunmauer, § 922 S. 4 i.V.m. §§ 741 ff. BGB. 14 Das unverrückbare Näheverhältnis der Grundstückseigentümer bewirkt nach Ansicht der Rechtsprechung sogar in den Ausnahmesituationen einer als extensiv empfundenen Eigentumsausübung keine schuldrechtlichen, sondern nur aufopferungsähnliche Rechtsbeziehungen. 15 Vereinzelt sind demgegenüber die Stimmen geblieben, die wenigstens eine schuldrechtsähnliche Beziehung annehmen wollen. 16 Die gesamte Argumentation und das Ausweichen auf Aufopferungsgedanken dienen dabei augenscheinlich nur dem Ziel, § 278 BGB auszuschalten, 17 und bewirken so den Schutz von Architekten und Bauunternehmern. 18 Angesichts der neueren Rechtsprechung des BGH zur vergleichbaren Situation des (Begleit)Schuldverhältnisses im Recht der Grunddienstbarkeiten 19 wird man der herrschenden Ansicht wohl nicht mehr (lange) folgen können. 20 ner, Sachenrecht, 16. Aufl. 1992, § 5 II I c) cc); Schutz, MDR 1955, 260; Böhmer, JR 1959, 141; Heiseke, MDR 1961, 461; Brox, JA 1984, 182. A.A. Palandt!Heinrichs, BGB, 52. Aufl., § 278 Rdnr. 3 m.w.N.; Westermann, Sachenrecht, Bd. II, 6. Aufl., § 63 IV 2; Sdcker, in: Müko, § 909 BGB Rdnr. 26; Müht, NJW 1960, 1136; ders., AcP 189 (1989), 190 (194); ders., in: Soergel, 12. Aufl., § 1004 BGB Rdnr. 22. Siehe auch Motive 111, 276; Paschke, AcP 187 (1987), 70 (80 f.); zu Einzelheiten dieses Streits: Deneke, Gemeinschaftsverhaltnis, 75 ff. 14 BGH vom 25.11.1964 - V ZR 185/62 - Z 42, 374; nicht ausreichen soll eine Nachbarunterschrift gern. Art. 73 Abs. I S. 2 BayBO: BayObLG vom 2.7.1990- RReg.l Z 285/89BayVBI. 1991, 28; vgl. insgesamt Medicus, Bürgerliches Recht, Rdnr. 799; Baur, Sachenrecht, § 5 II 1 c) cc); Baur/Stürner, Sachenrecht, 16. Aufl. 1992, § 5 II 1 c) cc); Götz, in: MIR/RIG, Nachbarrecht, § 11 Rdnr. 13 a.E.
15
Siehe hierzu unten S. 175 f.
Westermann, Sachenrecht, Bd. I, 6. Aufl., § 63 I 2; Sdcker, in: Müko, § 909 BGB Rdnr. 26; Patandt!Heinrichs, BGB, 52. Aufl., § 278 Rdnr. 3; OLG DUsseldorfvom 25.11.1958-4 U 135/58 - NJW 1959, 580. 16
17
Just, BayVBI. 1988, 705.
Siehe BGH vom 10.12.1976- V ZR 235/75- NJW 1977, 375; BGH vom 24.6.1964- V ZR 162/61- Z 42, 63. Einen ähnlichen, ergebnisorientierten Weg geht der BGH bei§ 909 BGB, wo er ebenfalls nur einen verschuldensunabhangigen, nachbarrechtlichen Ausgleichsanpruch analog § 906 Abs. 2 BGB für möglich hält, eine schuldrechtliche Sonderverbindung aber ausschließt: BGH vom 26.10.1978 - III ZR 26/77 - Z 72, 289; BGH vom 26.11 .1982 - V ZR 3 I 4/8 I - Z 85, 375 (386). 18
19 BGH vom 28.6.1985- V ZR 111/84- Z 95, 144 = NJW 1985, 2944; dazu die im Ergebnis zustimmende Urteilsanmerkung von Schreiber, JR 1986, II 0; siehe auch Medicus, Bürgerliches Recht, Rdnr. 800; Westermann, Sachenrecht, Bd. II, 6. Aufl., § 79 I 3 a; Palandt/Bassenge, BGB, 52. Aufl., Ein!. vor§ 854 Rdnr. 9, § 1018 Rdnr. I und § 1020 Rdnr. I; anders noch BGH vom 25.2.1959- V ZR 176/57- DNotZ 1959, 240.
174
Teil 2: Zivilrechtliche Lösungsansätze der Abwehr negativer Immissionen
Ob allerdings die Grundsätze zum (Begleit)Schuldverhältnis bei Grunddienstbarkeiten tatsächlich eine Wende in der Beurteilung der Re.chtsnatur des "nachbarrechtlichen Gemeinschaftsverhältnisses" einleiten, muß im Hinblick auf die Rechtsprechung mehr als fraglich erscheinen. Der BGH betont in der maßgebenden Entscheidung ausdrücklich, daß "das bloße nachbarliche Nebeneinander von Grundstücken für sich allein nicht ausreiche, um zwischen den Berechtigten schuldrechtliche Beziehungen herzustellen". 21 4. Inhalt
a) Unterlassungspflicht Der dem "nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis" zugrundeliegende Gedanke von Treu und Glauben begründet in der Regel keine selbständigen Ansprüche, sondern wirkt als reine Rechtsausübungsschranke und kann insoweit Duldungs- und Unterlassungspflichten des betroffenen Nachbarn begründen. 22 Die Geltendmachung bedient sich der rechtsvernichtenden Einwendung der unzulässigen Rechtsausübung. Soweit Unter/assungspjlichten 23 inmitten stehen, kommen diese nach Ansicht der Rechtsprechung nur dann in Betracht, wenn einer ungewöhnlich schweren Beeinträchtigung eines Nachbarn ein nur geringer wirtschaftlicher Nutzen der ungehinderten Eigentumsausübung gegenübersteht (Abwägungsformel). Ausdruck einer Unterlassungspflicht in bezug auf an sich bestehende Rechtspositionen(§ 903 BGB: Verfügungsbefugnis, positiver Eigentumskern) kann es sein, den Pflichtigen zur Wahl einer modifizierten, den Nachbarn weniger störenden, aber doch gleichwertigen Nutzungsart zu zwingen. Der BGH betont jedoch abschwächend, hieraus könne keine allgemeine Pflicht dergestalt abgeleitet werden, daß jeweils nur eine denkbar unschädlichste Nutzungsart rechtmäßig sei. 24 20 So auch Just, BayVBI. 1988, 705; wohl auch Westermann, Sachenrecht, Bd. II, 6. Aufl., §7913a. 21 BGH vom 28.6.1985 -V ZR 111/84 - Z 95, 144. Dieser Ansicht hat sich zuletzt das BayObLG entschieden angeschlossen: BayObLG vom 2.7.1990- RReg.l Z 285/89- BayVBI. 1991,28 (29). 22 Just, BayVBI. 1985, 289; Scherer, BB 1965, 253 (261); Augustin, in: BGB-RGRK, 12. Aufl., § 903 Rdnr. 29; Hagen, in: FS Lange (1992), 483 (896). 23 Vgl. die Fälle: BGH vom 15.6.1951 -V ZR 55/50- LM Nr. I zu§ 903 BGB; BGH vom I 0.4.1953 - V ZR 115/51 - LM Nr. 2 zu § 903 BGB; BGH vom 28.2.1955 - I11 ZR 136/54 - Z 16, 366; siehe zudem Hagen, in: FS Lange (1992), 483 (496 f.).
C. Zivilrechtliches Richterrecht mit Abwehrrelevanz
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b) Duldungspflicht Aus dem "nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis" kann sich aber nicht nur eine Unterlassungspflicht hinsichtlich an sich bestehender Rechte entwickeln, sondern ausnahmsweise auch die Pflicht, von einem dem Grunde nach gegebenen Unterlassungsanspruch keinen Gebrauch zu machen (Duldungspflicht).25 Das Duldenmüssen zielt seiner Art nach auf die Beschneidung des negativen Eigentumskerns (Ausschlußfunktion), nicht aber auf die Einschränkung der Verfiigungsbefugnis. Auch im Zusammenhang mit Duldungspflichten betont die Rechtsprechung den Ausnahmecharakter dieses Instituts. Zu beachten bleibt, daß § 906 BGB im Bereich der Immission von Imponderabilien als eine abschließende Regel verstanden wird, und somit ein Rückgriff auf das "nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis" zur Begründung eines ausnahmsweise DuldenmUssens ausscheidet. 26 c) Nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch Ebenfalls nur ausnahmsweise kann sich auf der Grundlage des § 242 BGB ein verschuldensunabhängiger, nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch (Zahlungsanspruch) entwickeln. 27 Schon die Rechtsprechung des Reichsgerichts ging im Immissionsschutzrecht von dem Gedanken aus, daß das einer Aufopferung ähnlich empfundene Nichtausübenkönnen des§ 242 BGB in Geld auszugleichen sei. 28 Nachdem auch der BGH dieser Rechtsprechung beigetreten war, hat der Gesetzgeber diesen Teilaspekt in § 906 Abs. 2 S. 2 BGB kodifiziert. 29 Der BGH bezeichnet § 906
24 BGH vom 10.4.1953- V ZR 115/51- BB 1953, 373; zustimmendAugustin, in: BGB-RGRK, 12. Aufl., § 903 Rdnr. 29.
25 Grundlegend BGH vom 8.10.1958- V ZR 54/56- Z 28, 225; vgl. auch BGH vom 24.4.1970 -V ZR 97/67- WM 1970, 793; BGH vom 22.9.1972- V ZR 8171 - WM 1972, 1400; BGH vom 29.4.1977 - V ZR 71/75 - Z 68, 350; BGH vom 13.3.1980 - III ZR 156/78 - VersR 1980, 650; BGH vom 21 .10.1983- V ZR 166/82- Z 88,344. 26 Vgl. BGH vom 28.9.1962- V ZR 233/60- Z 38, 61 (64 f.).
27 BGH vom 22.2.1991 -V ZR 308/89- Z 113, 384 = NJW 1991, 1671 (1673); siehe auch Augustin, in: BGB-RGRK, 12. Aufl., § 903 Rdnr. 29; Hagen, in: FS Lange (1992), 483 (497 f.). 28
Grundlegend RG vom 10.3.1937- V 218/36- Z 154, 161 "GutehoffnungshUtte".
Vgl. BGH vom 9.7.1958- V ZR 205/57- Z 28, 110; BGH vom 15.4.1959- V ZR 3/58- Z 30, 273; Ges. zur Änderung der Gewerbeordnung und Ergänzung des Bürgerlichen Gesetzbuchs vom 22.12.1959 (BGBI. I, 781), sog. Luftreinhaltegesetz (siehe auch BT-Prot., 3. Wahlperiode, 5187), in Kraft getreten am 1.6.1960; vgl. zur Geschichte der Norm: Säcker, in: Müko, § 906 29
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Teil 2: Zivilrechtliche Lösungsansätze der Abwehr negativer Immissionen
Abs. 2 S. 2 BGB folgerichtig als eine Ausprägung der Figur des "nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses". 30 Vergleichbare aber doch außerhalb des Anwendungsbereichs von § 906 BGB liegende Fälle (dazu gehören per definitionem die Fälle negativer Immissionen) werden von der Rechtsprechung entweder analog § 906 Abs. 2 S. 2 BGB oder direkt aus§ 242 BGB31 in Geld ausgeglichen. Die Fälle der analogen Anwendung des § 906 Abs. 2 S. 2 BGB betrafen mit Masse die Fallgruppe des "Abschneidens von Zugangsmöglichkeiten", also negative Immissionen in Gestalt des Entzugs von Infrastrukturverbindungen. 32 Neuerdings hat der BGH jedoch grundsätzlich klargestellt, daß er eine Analogie des § 906 Abs. 2 S. 2 BGB nur noch auf Fälle nachbarlicher Beeinträchtigungen angewendet wissen will, die der betroffene Grundstückseigentümer durch eine an sich, nach dem System des kodifizierten Nachbarrechts abwehrfähige Einwirkung (z.B. § 909 BGB) erlitten, aber aufgrund besonderer Umstände nicht (rechtzeitig) geltend gemacht hat. 33 Die Fälle eines im direkten Durchgriff auf§ 242 BGB (also aus dem "nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis") realisierbaren Ausgleichsanspruchs beschränken sich im Wertungsgleichlauf auf Konstellationen, in denen der beeinträchtigte Nachbar eigentlich die subsidiär wirkende Rechtsausübungsschranke (§ 242) hätte geltend machen können, dies aber aufgrund faktischen Duldungszwangs nicht (rechtzeitig) möglich war. 34 BGB Rdnr. 2; Winter, in: AK-BGB, § 906 Rdnr. 4 ff.; Hagen, NVwZ 1991, 817 (818); ders., in: FS Lange (1992), 483; Müht, in: FS Raiser (1974), !59 (170 ff.). 30 BGH vom 31.5.1974 - V ZR 114/72 - Z 62, 361 (367); BGH vom 22.2.1991 - V ZR 308/89 Z 113, 384 = NJW 1991,1671 (1673). 31 BGH vom 9.7.1958- V ZR 205/57 - Z 28, 110 (115); BGH vom 8.10.1958 -V ZR 54/56 Z 28, 225; BGH vom 8.2.1972- VI ZR 155/70- Z 58, 149; BGH vom 29.4.1977- V ZR 71/75z 68, 350.
32 BGH vom 31.5.1974- V ZR 114/72- Z 62, 361; BGH vom 10.11.1977- II1 ZR 157/75 - Z 70, 212 (220) - "Friseurgeschäft"; ähnliches gilt filr Anliegerschäden durch Straßenarbeiten: Arndt, WM 1972, 1018. Der BGH ordnet neuerdings "Störungen des Kontakts nach außen" in die Kategorie "faktischen Duldungszwangs" ein, jedenfalls wenn eine bestandskräftige, öffentlichrechtliche Genehmigung zugrunde liegt: Vgl. die Zusammenstellung bei BGH vom 20.4.1990- V ZR 282/88- NJW 1990, 1910 (1911).
33 Dies nennt der BGH Fälle "faktischen Duldungszwangs": BGH vom 2.3.1984- V ZR 54/83Z 90, 255 (261); BGH vom 22.2.1991 -V ZR 308/89- Z 113, 384 = NJW 1991, 1671 (1673); BGH vom 20.4.1990- V ZR 282/88- NJW 1990, 1910 (1911). 34 BGH vom 22.2.1991- V ZR 308/89- Z 113,384 = NJW 1991, 1671 (1673); Hagen, in: FS Lange (1992), 483 (498 ff.).
C. Zivilrechtliches Richterrecht mit Abwehrrelevanz
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5. Die Berücksichtigung negativer Immissionen Rechtsprechung und herrschende Ansicht in der Literatur gehen von der grundsätzlichen Unabwehrbarkeit negativer Immissionen aus. Die Grundlage dieser Position ist der weit verstandene Eigentumsbegriff des § 903 BGB bzw. der sich daraus ergebende positive Eigentumskern (Verfligungsbefugnis). Da diese Ansicht das positivierte Nachbarrecht des BGB als Mittel des Schutzes vor negativen Immissionen nicht anerkennt und die §§ 906 ff. BGB auch nicht analog angewendet wissen will, eröffnet sich unterhalb der Schwelle der §§ 226, 826 BGB der Anwendungsbereich für die Figur des "nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses". Häufig finden sich Judizia, in denen das "nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis" zur Grundlage von Unterlassungspflichten herangezogen wird. 35 Soweit diese Gestaltung angesprochen ist, läßt sich eine Verengung auf bestimmte Fallgruppen der negativen Immissionen nicht feststellen. In seiner Rechtsprechung zum Entzug von Licht hat der BGH schon früh die Variante der Unterlassungspflicht in Form einer Ausübungsbeschränkung auf eine vergleichbare, unschädlichere Nutzungsart angewandt. 36 Diese Form einer Pflicht zur modifizierten Rechtsausübung kann wohl auch im Rahmen anderer Fallgruppen der negativen Immissionen verwendet werden. Dies gilt jedenfalls eingedenk des Hinweises, daß ein allgemeiner Rechtsanspruch auf die möglichst schonendste Rechtsausübung nicht existiert.37 Auch im Hinblick auf die Begründung von Duldungspjlichten im Zusammenhang mit der Wirkung negativer Immissionen hat die Rechtsprechung auf das "nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis" rechtsbegründend zurückgegriffen.38 Innerhalb der Fallgruppe des Entzugs von Infrastrukturverbindungen (Abschneiden von elektromagnetischen Funk- und Femsehwellen) hat es der
35 Siehe beispielsweise die frühen Entscheidungen BGH vom 15.6.1951 -V ZR 55150 - LM Nr. I zu§ 903 BGB; BGH vom 10.4.1953- V ZR 115/51 - LM Nr. 2 zu§ 903 BGB. 36 BGH vom 10.4.1953- V ZR 115/51 - LM Nr. 2 zu§ 903 BGB; zur Einordnung dieses Falls in das Problemfeld negativer Immissionen auch Pawlowski, AcP 165 (1965), 395 (398 Fn. 18); Hagen, in: FS Lange (1992), 483 (495); Deneke, Gemeinschaftsverhältnis, 20 ff. und unten S. 32 f. 37
Vgl. BGH vom 10.4.1953- V ZR 115/51- BB 1953,373.
38 Vgl. BGH vom 21.10.1983 -V ZR 166/82- Z 88, 344. 12 Reetz
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Teil 2: Zivilrechtliche Lösungsansätze der Abwehr negativer Immissionen
BGH39 wegen des im "nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis" wurzelnden Gebots der Rücksichtnahme ftlr möglich gehalten, daß der "störende" Hochhauseigentümer zur Duldung des Anschlusses an seine Sammetantenne verpflichtet sei. Warnend fUgt das Gericht jedoch hinzu, der dem "nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis" innewohnende Gedanke von Treu und Glauben begründe in der Regel keine selbständigen Ansprüche. Selbst der sich ausnahmsweise aus dem "nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis" entwickelnde, nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch (Zahlungsanspruch) ist im Recht der negativen Immissionen verwendbar. Der BGH hat dies jedenfalls im Kaltluftsee-Falt0 aufgrund "faktischen Duldungszwangs" ftlr möglich gehalten, wenn nämlich das Absinken und Aufstauen der kalten Luftmassen im öffentlich-rechtlichen Genehmigungsverfahren nicht vorhersehbar war (Aufopferungsgedanke ).
II. Fazit 1. Das nichtnormierte System zur Abwehr negativer Immissionen erschöpft sich in der durch die Rechtsprechung entwickelten Figur des "nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses ". 2. Die Anwendung dieses Instituts auf negative Immissionen ist durch die Rechtsprechung in weitem Umfange anerkannt. Hierbei ist allerdings zu berücksichtigen, daß ein Berufen auf das "nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis" nur in Ausnahmesituationen möglich ist und restriktiv gehandhabt wird. 3. Das diffuse Erscheinungsbild des "nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses" ist der Rechtssicherheit im Nachbarrecht abträglich, so daß es wenig sinnvoll erscheint, das Problem der negativen Immissionen allein auf dieser Grundlage lösen zu wollen.
39 8GH vom 21.10.1983- V ZR 166/82- Z 88,344 (351); Hagen, WM 1984, 677 (679 f.); so auch schon Landmann, 88 1971, 1081; Vieweg, 88 1973, 1050. 40 8GH vom 22.2.1991- V ZR 308/89- Z 113, 384 = NJW 1991, 1671 (1673); siehe auch Hagen, in: FS Lange (1992), 483 (495); Augustin, in: 8G8-RGRK, 12. Aufl., § 903 Rdnr. 29.
D. Zusammenfassung und Ausblick
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D. Zusammenfassung und Ausblick Die Regelungen des BGB, die §§ 903, 906 ff., 1004 BGB sind augenfllllig keine abschließende Kodifikation des Nachbarrechts, nicht einmal des zivilrechtlichen Nachbarrechts. Auch im Zusammenhang mit den aufgezeigten Iandesprivatrechtlichen Nachbarrechtsnormen ergibt sich kein geschlossenes Bild eines zivilrechtliehen Nachbarrechts. Sowohl das Landesrecht als auch das BGB haben altbekannte Einzelflille zur Grundlage gesetzlicher Einzelregelungen gemacht, es aber ansonsten bei§ 1004 BGB belassen. Die privatrechtliehen Nachbarrechtsvorschriften sind rein kasuistisch und verdanken ihre Entstehung oftmals reinen Zuflllligkeiten; 1 ein systematischer Gedanke ist Ihnen nicht zu entnehmen. Der historische Gesetzgeber hat seine Zurückhaltung auf dem Gebiet des Nachbarrechts deutlich zum Ausdruck gebracht; 2 er hat der Praxis einen weitgehenden Entwicklungsauftrag hinterlassen. Die Rechtsprechung und Teile der Literatur gehen hingegen davon aus, der Gesetzgeber habe bewußte Nichtregelungen vorgenommen und damit gegen negative Immissionen keine Abwehrmöglichkeiten schaffen wollen. 3 Neben diesem Kodifikationsargument basiert die Ablehnung von Abwehrmöglichkeiten wesentlich auf einer Gleichsetzung des Einwirkungs- und Beeinträchtigungsbegriffs (§§ 903, 907, 1004 BGB) mit dem Immissionsbegriff des § 906 BGB, der ausschließlich und abschließend grenzüberschreitend verstanden wird. An der Plausibilität des Grenzüberschreitungs- und Gleichsetzungsarguments bestehen im Zusammenhang mit den zu einer möglichen Abwehr negativer Immissionen bereitstehenden nachbarrechtlichen Normen erhebliche Zweifel. Der Fortgang der Untersuchung soll nunmehr aufzeigen, daß das öffentliche Recht einen anderen Zugang zum Problembereich der negativen Immissionen gefunden hat, und wie die öffentlich-rechtlichen Lösungsmodelle in das Zivilrecht diffundieren.
1
Laujke, in: FS Lange (1970), 275 m.w.N.
Vgl. die Nachweise bei Seiler, in: Staudinger, 12. Aufl., § 903 Rdnr. 3; Schubert, Die Vorentwürfe der Redaktoren zum BGB, Sachenrecht I, 490 (499); Deneke, Gemeinschaftsverhältnis, 105. 2
3 BGH vom 21.10.1983- V ZR 166/82- Z 88, 344; auch BGH vom 12.7.1985- V ZR 172/84NJW 1985, 2823 (2814); ohne nähere Begründung zustimmend Ronellen-fitsch/Wolf, NJW 1986, 1955 (1960).
12*
Tei/3
Öffentlich-rechtliche Lösungsansätze der Abwehr negativer Immissionen A. Allgemeines Die Teilrechtsordnung öffentliches Recht beschäftigt sich in nicht unerheblichem Außmaße mit grundstücksbezogenen Rechtsfragen; sie überschneidet sich daher notwendig mit Teilen des zivilrechtliehen Immobiliarsachenrechts. Wie dieses verfiigt das öffentliche Recht über nachbarrechtliche Lösungsmodelle, die aber jeweils eigenständig in den sachbezogenen Teilbereichen des Besonderen Verwaltungsrechts aufzufinden sind. Soweit hiernach der Problembereich negativer Immissionen eine Rolle spielen kann, wird im folgenden näher auf das öffentlich-rechtliche Immissionsschutzrecht, das Baurecht, das Wasserrecht und das Straßen- und Wegerecht eingegan, Vorweg soll aber noch darauf hingewiesen werden, daß im öffentlichen Recht nicht nur die in dieser Arbeit im Vordergrund stehenden Fragen des Schutzes vor den Wirkungen negativer Immissionen eine Rolle spielen. Vielmehr macht sich das öffentliche Recht in einigen Teilbereichen gerade die entziehende oder aufstauende Wirkungsweise negativer Immissionen nutzbar, um so die (bisherige) Funktion eines benachbarten Grundstücks zu gewährleisten. Eine solche Dienstbarmachung negativer Immissionen läßt sich am Beispiel von Schutzwalderklärungen nach dem Fernstraßen- bzw. dem Straßen- und Wegerecht aufzeigen.
Exkurs: Schutzwalderklärungen
Die Figur des Schutzwaldes gern. § 10 FStrG 1 (siehe auch § 12 BundeswaldG2) bedient sich als Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums3 1 Bundesfernstraßengesetz (FStrG), in der Fassung der Bekanntmachung vom 8.8.1990 (BGBI. I, 1714). Eingehend zu Schutzwalderklärungen: Kodal!Krämer, Straßenrecht, Kap. 30 Rdnr. 5 ff.
A. Allgemeines
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der Schutzwirkungen einer negativen Immission. Hiernach dürfen nämlich die Anlieger von Autobahnen und Bundesfernstraßen ihre mit Wald und Gehölz bewachsenen Grundstücke in einer Breite von 40 Metern nicht verändern, wenn die Straßenbaubehörde diese konstitutiv zum Schutzwald erklärt. Regelungsziel dieser Vorschrift ist der Schutz der Straße, denn ein ordnungsgemäß bewirtschafteter Wald bewahrt den Straßenkörper vor natürlichen Einflüssen, wie Schneeverwehungen, Wind u.ä. Der betroffene Waldeigentümer, der dies hinzunehmen hat, kann fiir entstandene Nachteile Entschädigungen nach Enteignungsgrundsätzen verlangen. Auch aufgrund landesrechtlicher Bestimmungen können Wälder mit gleicher Intention zu Schutzwäldern erklärt werden. Auch in diesen Fällen handelt es sich um eine öffentlich-rechtliche Dienstbarmachung von negativen Immissionen. Gemäß Art. 10 BayWaldG4 können Wälder selbst dann zu Schutzwäldern erklärt werden, wenn sie sich nicht direkt auf Straßenanliegergrundstücken befinden (siehe auch Art. 11 Abs. 2 BayStrWG: Bann- oder Immissionswald). Art. 10 i.V.m. Art. 14 BayWaldG vermittelt dem insoweit begünstigten Nachbarn zudem Drittschutz entsprechend den Grundsätzen der Schutznormtheorie, und der Schutzwaldeigentümer macht sich schadensersatzpflichtig, wenn dem Nachbarn durch Rodung ein Sturmschaden entstanden ist, denn Art. I 0 Abs. 2 i.V.m. 14 BayWaldG ist auch Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB. 5 Nachstehend wird jedoch nicht weiter nach solchen Nutzbarmacbungen negativer Immissionen, sondern vordringlich nach der Abwehr bzw. Gestaltung nachbarlicher Konflikte aus dem Bereich der negativen Immissionen gefragt werden.
2 Gesetz zur Erhaltung des Waldes und zur Förderung der Forstwirtschaft tBundeswaldgesetz) vom 2.5.1975 (BGBI. I, 1037). 3
Vgl. Kodal/Krämer, Straßenrecht, Kap. 30 Rdnr. 10.
4
Waldgesetz fllr Bayern in der Fassung der Bekanntmachung vom 25.8.1982 (BayRS 79021-E), zuletzt gelindert durch Gesetz vom 23.2.1989 (GVBI., 25). Siehe zu tatbestandliehen Einzelheiten: Zerle/Hein/Brinkmann, Forstrecht, Art. 10 Bay-WaldG Rdnr. I ff. 5 Vgl. OLG München vom 29.6.1990- 14 U 7/90- BayVBI. 1991, 605; Zerle/Hein/Brinkmann, Forstrecht, Art. 10 BayWaldG Rdnr. 5.
182
Teil3: Öffentlich-rechtliche Lösungsansätze der Abwehr neg. Immissionen
B. Negative Immissionen im Immissionsschutzrecht Das BlmSchG 1 umschreibt die Anforderungen an dieBetreiberund den Betrieb von bestimmten, umweltrelevanten Anlagen; es ist technisches Sicherheitsrecht Immissionen im Sinne dieses Gesetzes sind die auf Menschen oder Tiere, Pflanzen, den ·Boden, das Wasser, die Atmosphäre oder andere Sachgüter, eben auch Grundstücke, 2 einwirkenden Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen, Licht, Wärme, Strahlen und ähnliche Umwelteinwirkungen, § 3 Abs. 2 Hs. 2 BlmSchG (vgl. auch die Zwecksetzung in § I BlmSchG). Entscheidende Bedeutung im Rahmen der Handhabung des Immissionsschutzrechts kommt dem Begriff der Einwirkung zu. Die Einwirkung als Begriffsbestandteil der Immission markiert den Unterschied zur Emission, die die grundsätzlich gleichen Störungsfaktoren an der Störungsquelle beschreibt. 3 Einwirkung bedeutet insoweit nicht notwendigerweise eine Wirkung an den Schutzgütern des BlmSchG, es genügt ein wahrnehmbares Auftreten der Immission am Einwirkungsort. Daß sich das Problem der negativen Immissionen begrifflich unter keinem anderen Aspekt als dem der ähnlichen Umwelteinwirkungen abhandeln läßt, liegt auf der Hand. Mit dem Begriff der "ähnlichen Umwelteinwirkungen" (eine nahezu identische Terminologie findet sich in § 906 BGB) hat der Gesetzgeber eine Generalklausel geschaffen, die eine Integration der zu Lasten der Umwelt gehenden technischen Fortentwicklung möglich macht. 4 Unstreitig fallen hierunter jeden1 Gesetz zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen und ähnliche Vorgänge (Bundes-lmmissionsschutzgesetz- BlmSchG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 14.5.1990 (BGBI. I, 870).
2
So auch Stich/Porger, BlmSchG, § I Anm. 7; Stich, in: Salzwedel (Hrsg.), GrundzUge des Umweltrechts, 291. Die VDI-Richtlinie 2104 (Sept. 1968) definiert: "Die Zuftlhrung von festen, flüssigen und gasilirmigen, luftverunreinigenden Stoffen, die ständig oder vorObergehend in Bodennähe verweilen." 3 Siehe hierzu Bender/Sparwasser, Umweltrecht, Rdnr. 168 ff.; Engelhardt, BlmSchG, § 3 Rdnr. 2; Feldhaus, BlmSchG, § 3 Anm. 5; Schmatz/Nöthlichs, Immissionsschutz, § 3 Anm. 4; Boisseree/Oe/s/Hansmann, B1mSchG, § 3 Rdnr. 1.
4
.
Vgl. Kloepfer, Umweltrecht, 402; Fe/dhaus, BlmSchG, § 3 Anm. 5; Enge/hardt, BlmSchG, § 3 Rdnr. 2; Kutscheidt, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, § 3 BlmSchG Rdnr. 20; Birk//Geiger, Nachbarschutz, Teil F Rdnr. II .
B. Negative Immissionen im Immissionsschutzrecht
183
falls solche Vorgänge, die am Einwirkungsort physikalische Veränderungen erzielen können. Zu denken ist beispielsweise an die Einwirkung durch Funkenflug, kalte Luft oder sogar Krankheitserreger. 5 Jarass weist nun im Zusammenhang mit dem Begriff der ähnlichen Umwelteinwirkungen darauf hin, daß das BimSchG in § 3 Abs. 2 den Begriff des "Zuführens", also der Grenzüberschreitung, wie er sich im ansonsten strukturähnlichen § 906 BGB fmdet, gerade nicht enthält. Hieraus folgert er die Möglichkeit einer Einbeziehung der negativen Immissionen in den Immissionsbegriff des § 3 Abs. 2 BlmSchG.6
Die wohl h.M. hat sich mit folgender Begründung gegen diese Auslegung gewandt: § 906 BGB komme deshalb zu einer Verwendung des Zuführungsbegriffs, weil er das Verhältnis benachbarter, wenn auch nicht notwendig grenzbenachbarter Grundstücke im Auge habe. § 3 BimSchG stelle unterdessen lediglich auf einen Einwirkungsort ab, der aber nicht unbedingt grundstücksbezogener Ort sein müsse, und der deshalb auch keinen Ansatzpunkt für eine finale "Zuführung" bilde. Unter Einbeziehung dieser Auslegung ergibt sich aus dem Begriff der "Ähnlichkeit", daß im öffentlich-rechtlichen Immissionsschutzrecht nur physikalisch meßbare Vorgänge7 und die Einwirkung unwägbarer Stoffe erfaßt sein sollen. 8 Daß diese Diskussion um die Einbeziehung negativer Immissionen in den Begriff der "ähnlichen Umwelteinwirkungen" insgesamt wenig praktische Be5 Vgl. Schmatz/Nöthlichs, Immissionsschutz,§ 3 Anm. 2; Birkl/Geiger, Nachbarschutz, Teil F Rdnr. II; Jarass, DVBI. 1983, 725 (726). 6 Jarass, BimSchG, I. Aufl., § 3 Rdnr. 48; ders.; DVBl. 1983, 725 (726); im Ergebnis wohl zustimmend Kloepfer, Umweltrecht, 403; unentschlossen Bender/Sparwasser, Umweltrecht, Rdnr. 199; dagegen: Kutscheidt, in: Salzwedel (Hrsg.), Grundzüge des Umweltrechts, 244 f.; Schmatz/Nöthlichs, Immissionsschutz, § I Anm. 4 und § 3 Anm. 2; Stich/Porger, BimSchG, § 3 Anm. 6; Birkl/Geiger, Nachbarschutz, Teil F Rdnr. 12; nunmehr auch ablehnend Jarass, BimSchG, 2. Aufl. 1993, § 3 Rdnr. 54. 7 Vgl. noch zu§ 25 Gewü: BVerwG vom 24.10.1967- I C 64.65- E 28, 131 (137 f.); Kloepfer, Umweltrecht, 402; Stich/Porger, BimSchG, § 3 Anm. 6; Schmatz/Nöthlichs, Immissionsschutz, § I Anm. 4 und § 3 Anm. 2; Kutscheidt, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, § 3 BimSchG Rdnm. 4, 7 und 20; Birkl/Geiger, Nachbarschutz, Teil F Rdnr. II.
8 So auch die Gesetzesbegründung: BT-Drs. 7/179, 29; ebenso Kloepfer, Umweltrecht, 402; Jarass, DVBI. 1983, 725 (727); Schmatz/Nöthlichs, Immissionsschutz, § 3 Anm. 2 ; Kutscheidt, in: Landmann!Rohmer, Umweltrecht, § 3 BlmSchG Rdnr. 20; Birkl/Geiger, Nachbarschutz, Teil F Rdnr. II.
184
Teil3: Öffentlich-rechtliche Lösungsansätze der Abwehr neg. Immissionen
deutung erlangt hat, zeigt die Tatsache, daß so gut wie keine Rechtsprechung hierzu vorhanden ist. 9 Die Erläuterungen zu negativen Immissionen in der einschlägigen Literatur beruhen auf einer Rezeption rein· zivilrechtlicher Traditionen, haben aber keine originär immissionsschutzrechtliche Relevanz erlangt. Im Ergebnis läßt sich also sagen, daß nach überwiegender Meinung negative Immissionen nicht unter den Immissionsbegriff des § 3 BimSchG zu subsumieren sind. Obwohl damit das Problem negativer Immissionen vom öffentlich-rechtlichen Immissionsschutzrecht nicht erfaßt wird, kommt niemand in der öffentlich-rechtlichen Literatur oder Rechtsprechung auf den Gedanken, dieses Phänomen aus dem öffentlichen Recht insgesamt auszusondern und gleich der zivilrechtlichen Dogmatik als nicht abwehrbare Beeinträchtigung der Grundstücksnutzung zu behandeln. Untersucht man wichtige, nachbarrechtsrelevante Teilbereiche des öffentlichen Rechts, so finden sich unschwer Regelungen zum Schutz vor negativen Immissionen. Beispiele lassen sich aufzeigen aus dem Bauplanungs- und Bauordnungsrecht, dem Wasserrecht oder dem Straßen- und Wegerecht. Soweit planungsrechtliche Vorgänge betroffen sind, kann sich der Schutz im Planungsverfahren oder im materiellen Planungsrecht manifestieren. Zu beachten ist freilich immer, daß die einschlägigen Normen unterschiedlicher Qualität sein können; neben den relevanten förmlichen Gesetzen finden sich Rechtsverordnungen des Bundes oder landesrechtliche Bebauungspläne der Kommunen. In vielen Fällen stellt sich zudem die wichtige Frage nach der Drittschutzkomponente der einschlägigen, nachbarrechtlichen Normen. Die rechtliche Relevanz negativer Immissionen hängt damit im öffentlichen Recht jedenfalls weder vom Begriff der Immission (Gleichsetzungsargument) noch von Grenzüberschreitungstatbeständen (Grenzüberschreitungsargument) ab. Das öffentliche Recht reagiert auf Probleme negativer Immissionen dann, wenn nachteilige Wirkungen auf nachbarlichen Grundstücken, jedenfalls ausserhalb der Geringwertigkeitsschwelle, empirisch feststellbar oder zu erwarten sind. Dieser andersartige Ansatz mag darin begründet liegen, daß außerhalb des bedeutungslosen Streits im Immissionsschutzrecht niemand von negativen Immissionen als einem Regelungsgegenstand des öffentlichen Rechts spricht; die-
9 Vgl. zu§ 25 GewO andeutungsweise: BVerwG vom 24.10.1967- I C 64.65 - E 28, 131 (137 f.); Kutscheidt, in: Salzwedel (Hrsg.}, Grundzüge des Umweltrechts, 237 (244 f.).
C. Negative Immissionen im Bauplanungsrecht
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ser Terminus ist weitestgehend ungebräuchlich und wirkt folglich im öffentlichen Recht auch nicht mythenbildend.
C. Negative Immissionen und Bauplanungsrecht Aus der Natur der Sache folgt, daß die rechtliche Relevanz negativer Immissionen hauptsächlich im Baurecht zu Tage tritt. In diesem zentralen Teilbereich des öffentlichen Rechts ist zwischen dem bundesrechtlichen Bauplanungsrecht und dem landesrechtliehen Bauordnungsrecht zu unterscheiden. Auf der Ebene des Planungsrechts kann weitergehend zwischen dem eigentlichen Planungsvorgang und dem Regelungsbereich der übrigen, materiellen bauplanungsrechtlichen Vorschriften unterschieden werden.
I. Die Berücksichtigung negativer Immissionen im Planungsvorgang 1. Das Prinzip der Planmäßigkeit im Bauleitplanungsrecht Das Bauplanungsrecht normiert ein dynamisches Geschehen, nämlich die raumbedeutsame Entwicklung bodenrechtlich relevanter Vorgänge. Grundsatz ist das Prinzip der Planmäßigkeit 1 Dies drückt sich augenfällig im Verfahren der gemeindlichen Bauleitplanung aus, deren normativer Endpunkt der eigentumsrechtlich relevante2 Bebauungsplan ist, § 30 BauGB. Doch auch die scheinbar starren bauplanungsrechtlichen Normen, die die Bebaubarkeil im unbeplanten Innenbereich und im Außenbereich steuern, sind planmäßiger Natur. Diese Normen sind das Ergebnis der Ersatzplanung des Gesetzgebers. 3 Man kann in diesem Zusammenhang auch von Plansurrogaten sprechen. 1 Jäde, BayVBI. 1985, 577 (579 f.); Söjker, in: E/Z/8, BauGB, § I Rdnr. 10; Dyong, in: E/Z/8, BauGB, § 34 Rdnr. I ; Hoppe, in: Ernst/Hoppe, Baurecht, Rdnr. 248; Schmidt-Aßmann, BauR 1978, 99 (I 00); Klein/ein, DÖV 1986, I 010. 2 Vgl. BVerwG vom 1.11.1974- IV C 38.71- BayVBI. 1975, 538 (540); VGH BadWürtt. vom 22.7.1966- I 131/65- DVBI. 1967, 385 (387) "Tübinger Hochhaus-Fall"; ausftlhrlich: Hoppe, DVBI. 1964, 165; Westermann, in: FS Nipperdey Bd. I (1965), 765 (770); Dürr, in: Brügelmann/Dürr, BauGB, § 30 Rdnr. 35; Grabe, DÖV 1990, 805 (814 ff.).
3 Vgl. zum Außenbereich: BVerwG vom 25.10.1967- IV C 86/66- E 28, 148 (151 f.); BVerwG vom 27.6.1983-4 B 206/82- NVwZ 1984, 169 (170); Dyong, in: E/ZIB, BauGB, § 34 Rdnr. 3 m.w.N.
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Teil 3: Öffentlich-rechtliche Lösungsansätze der Abwehr neg. Immissionen
2. Das Prinzip der Abwägung im Bauleitplanungsrecht Integrativer Bestandteil (bau)planungsrechtlicher Vorgänge ist die abwägende Behandlung bodenrechtlich relevanter Konflikte. Die tatsächliche Bedeutung der Abwägung (§ I Abs. 6 BauGB) erschließt sich aus der Betrachtung einer über zwanzigjährigen Rechtsprechungstradition der Verwaltungsgerichte; sie folgt aus dem Wesen rechtsstaatlicher Planung überhaupt. 4 Die im wesentlichen von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur Handhabung des äußeren und inneren Abwägungsvorganges sehen den gerechten Ausgleich privater und öffentlicher Belange gegeneinander und untereinander vor. Ein in dieser Weise abwägendes Planen wäre verfassungsrechtlich wohl auch dann geboten, wenn eine Normierung im § I Abs. 6 BauGB unterblieben wäre.5 In eine gerechte Abwägung sind demnach folgende Maßstäbe allein schon an den äußeren Vorgang anzulegen: - Der Planungsträger hat zunächst überhaupt eine sachgerechte Abwägung vorzunehmen. - In die Abwägung sind alle Belange einzubeziehen, die nach Lage der Dinge in sie einbezogen werden müssen. - Die Bedeutung der betroffenen, privaten und öffentlichen Belange darf nicht in ihrer Gewichtung verkannt werden. - Der Ausgleich zwischen den betroffenen privaten und öffentlichen Belangen darf nicht in einer Weise erfolgen, die zu ihrer objektiven Gewichtigkeit außer Verhältnis steht. 6 Die so faßbare Gestaltung des äußeren Abwägungsvorgangs determiniert wesentlich die (verwaltungs)gerichtliche Kontrolldichte7 zur Überprüfung des kommunalen Planungsermessens, dringt aber in den eigentlichen Planungskern
4 BVerwG vom 20.10.1972 -IV C 14.71 - BayVBI. 1973, 501 ; zusammenfassend Gelzer/Birk, Bauplanungsrecht, Rdnr. 38 ff. 5 BVerwG vom 12.12.1969 - IV C I 05.66 - E 34, 301 (307); BVerwG vom 20.12.1972 - IV C 14.71 - E 41, 67 (68); vgl. auch Hoppe, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR. III, § 71 Rdnr. 96, m.w.N. in Fn. 333.
6
Grundlegend BVerwG vom 12.12.1969 - IV C 105.66 - E 34, 301 (307); BVerwG vom 5.7.1974- IV C 50.72- E 45,309 (314 f.) ; in etwas modifizierter Form: BVerwG vom 14.2.1975 IV C 21.74- E 48, 56 (63 f.). 7 Siehe hierzu ausführlich:
Kloepfer, Umweltrecht, § 5 Rdnr. 40 ff.
C. Negative Immissionen im Bauplanungsrecht
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nicht ein. Im Anschluß an die grundlegenden Arbeiten von Hoppe8 bezeichnet die Literatur die Abwägungs- und Überprüfungsmaßstäbe negativ, nämlich gerade im Hinblick auf die gerichtliche Kontrolldichte, als Abwägungsausfall, Abwägungsdefizit9, Abwägungsfehleinschätzung und Abwägungsdisproportionalität. 10 Inwiefern dabei zwischen Abwägungsfehleinschätzung und Abwägungsdisproportionalität ein praktischer Unterschied besteht ist zwar streitig, 11 aber ohne Bedeutung im hier behandelten Zusammenhang. Innerhalb des so gezogenen Rahmens wird das Abwägungsgebot nicht verletzt, wenn sich der Planungsträger ftir die Bevorzugung des einen und damit gegen die Berücksichtigung eines anderen Belangs ausspricht, denn dies ist originärer Ausdruck des inneren Planungskems, der planerischen Entschließung, und damit kein äußerlich nachvollziehbarer Vorgang. 12 Ist der Abwägungsvorgang als solcher nicht zu beanstanden, braucht dies nicht notwendig auch ftir das Abwägungsergebnis zu gelten. Ist ftir den Abwägungsvorgang der Zeitpunkt der gemeindlichen Beschlußfassung maßgeblich (§ 214 Abs. 3 S. I BauGB), so ist es ftir das Ergebnis der Zeitpunkt der Bekanntmachung, so daß erhebliche Änderungen der Sach- und Rechtslage noch erfaßt werden können. 13 Entspricht ein auch ansonsten gültiger Bebauungsplan insgesamt dem Abwägungsgebot (im Rahmen des § 214 Abs. 3 S. 2 BauGB), werden durch ihn i.S.d. Art. 14 GG Inhalt und Schranken des Eigentums bestimmt. 14 Fehler des Abwägungsvorgangs sind nach § 214 Abs. 3 S. 2 BauGB jedenfalls nur insoweit erheblich, als sie "offensichtlich und auf das Abwägungser8 Hoppe, BauR 1970, 15 (17); ders., DVBI. 1964, 165; ders., in: 1sensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR. III, § 71 Rdnr. 96.
9 Siehe OVG Lüneburg vom 23.6.1981 - 6 OVG C 15/80- NJW 1982, 843; hiermit zusammenhängend das "Gebot der Konfliktbewältigung", vgl. BVerwG vom 9.3.1979 - 4 C 41.75 E 57, 297 (300). 10 Hoppe,
BauR 1970, 15 (17); ders., in: lsensee/Kirchhof(Hrsg.), HdbStR. III, § 71 Rdnr. 96.
BVerwG vom 14.2.1975 -IV C 71.74- E 48, 56 (64); Hoppe, in: Ernst/Hoppe, Baurecht, Rdnr. 292 a.E.; Weyreuther, BauR 1977,293 (299 f.). 11
12
Vgl. BVerwG vom 12.12.1969 -IV C 105.66- E 34,301 (309).
13
Battis, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, § 214 Rdnr. 14; vgl. auch BVerwG vom 20..9. 1978 - 4 C 30.76 - E 56, 283 (288). 14
Grundlegend BVerwG vom l.J 1.1974- IV C 38.71 - BayVBI. 1975, 538 (540); VGH BadWürtt. vom 22.7.1966-1131/65- DVBI. 1967, 385 (387) "Tübinger Hochhaus-Fall"; Gaentzsch, in: Schlichter/Stich (Hrsg.), Berliner Kommentar, 4. Aufl., § I BauGB Rdnr. 66; ausfilhrlich: Hoppe, DVBI. 1964, 165; Dürr, in: Brügelmann/Dürr, BauGB, § 30 Rdnr. 35; Grabe, DÖV 1990, 805 (814 ff.).
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Teil 3: Öffentlich-rechtliche Lösungsansätze der Abwehr neg. Immissionen
gebnis von Einfluß gewesen sind." 15 Unter engen Voraussetzungen können Abwägungsfehler sogar zur Haftung wegen einer Amtspflichtverletzung fUhren. 16 a) Der Begriff "privater Belang" Das Substrat des gesamten Abwägungsvorgangs bildet das einzubringende Abwägungsmaterial, also die abwägungserheblichen Belange. Hierbei ist den "öffentlichen Belangen" nicht von vornherein ein Vorrang gegenüber (entgegenstehenden) "privaten Belangen" eingeräumt, vielmehr ist grundsätzlich von Gleichrangigkeit auszugehen. 17 Dies ergibt sich aus dem Wortlaut der Norm und der Natur der Abwägung selbst. Die Notwendigkeit einer Berücksichtigung der negativen Immissionen im Abwägungsvorgang der Bebauungsplanaufstellung knüpft letztlich an den Begriff des "privaten Belangs" an. 18 § 1 Abs. 6 BauGB verwendet diesen Begriff ausdrücklich. Hierbei handelt es sich um einen selbständigen, bauplanungsrechtlichen Terminus, der insoweit nicht identisch ist mit demjenigen einer privat- oder öffentlich-rechtlich geschützten Rechtsposition. Trotz einer gewissen Unschärfe ist der Rechtsbegriff des "privaten Belangs" nicht ausufernd oder wahllos zu handhaben. Eine wichtige Determinante ergibt sich sogleich aus der Notwendigkeit der bodenrechtliehen Relevanz, denn das Bauplanungsrecht bezweckt letztlich nur den Ausgleich von "grundstücksbezogenen Nutzungskonflikten". Aus diesen Überlegungen heraus dürfte sich beispielsweise ergeben, daß im Gegensatz zur eindeutig bodenrechtliehen Relevanz negativer Immissionen die Erfassung immaterieller Immissionen eine untergeordnete Rolle . I 19 spiet. Im einzelnen bleibt festzuhalten, daß der "private Belang" jedenfalls umfassender zu verstehen ist als das Interesse an der Erhaltung einer privaten Rechts-
15 Zu Einzelheiten BVerwG vom 218.1981-4 C 57/80- NJW 1982, 591; Battis, in: Battis/ Krautzberger/Löhr, BauGB, § 214 Rdnm. 16 ff. 16 Jedenfalls bejaht dies BGH vom 28.6.1984 - III ZR 35/83 - BauR 1984, 480 im Falle der Nichtbeachtung des drittschützend wirkenden Rücksichtnahmegebots.
17 BVerwG vom 1.11.1974- IV C 38.71- BayVBI. 1975, 538; BVerwG vom 14.2.1975- IV C 2174- E 48, 56 (64 ff.); W.Schrödter, in: Schrödter, BauGB, §I Rdnr. 162; Söjker, in: E/Z/B, BauGB, § I Rdnr. 192. 18 Zur wachsenden Bedeutung und Berücksichtigung von Auswirkungen negativer Immissionen bei der planerischen Konfliktbewältigung Boeddinghaus, UPR 1986,3. 19
So auch tendentiell OVG Koblenz vom 1.3.1983- 10 C 13/82- BauR 1983, 340.
C. Negative Immissionen im Bauplanungsrecht
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position, die sich aus dem Eigentum selbst ergibt. 20 Er geht über das hinaus, was der durch Art. 14 GG gewährleistete Eigentumsschutz an Berücksichtigung erfordert, umfaßt diesen aber auch.21 Er ist mit dem weitergehenden Begriff des Interesses, insbesondere dem an einer umfassenden Eigentumsnutzung gleichzusetzen?2 Eine nicht abschließende Zusammenstellung23 wichtiger, in die Abwägung einzubeziehender privater und öffentlicher Belange läßt sich dem Zielkatalog der Planungsleitlinien des § 1 Abs. 5 BauGB entnehmen. Die Nichtbeachtung der sich aus diesen Planungsleitlinien ergebenden Belange bedingt regelmäßig Fehler der Abwägung. Dies gilt auch, wenn die planende Behörde von einer grundsätzlich gewichtigeren Bedeutung von öffentlichen Belangen ausgeht, ein Rangverhälinis der Belange existiert gerade nicht (Abwägungsfehleinschätzung).24 Anerkannte und beachtliche private Belange sind beispielsweise die Erhaltung oder Erweiterung von Erwerbschancen auf einem Betriebsgrundstück, 25 die Auswirkungen einer im Gebiet des belegenen Grundstücks vogesehenen Ausweitung der bisher zulässigen baulichen Nutzung26 oder auch die Erhaltung der Naherholungsqualität eines benachbarten, nunmehr zur Bebauung vorgesehenen Gebiets?7 Auch das an sich nicht rechtlich geschützte, vom Anliegerge-
20
BVerwG vom 16.4.1971 -IV C 66/67- E 59, 87 (100); vgl. auch BVerwG vom 14.2.1975IV C 21.74- E 48, 56 (65).
21 BVerwG vom 1.11.1974 -IV C 38.71 - BayVBI. 1975, 538; Gaentzsch, in: Schlichter/Stich (Hrsg.), Berliner Kommentar, 4. Autl., § I BauGB Rdnr. 66; Söjker, in: E/Z/8, BauGB, § 1 Rdnr. 199; Löhr, in: Battis/Krautzberger!Löhr, BauGB, § 9 Rdnr. 101; WSchrödter, in: Schrödter, BauGB, § I Rdnr. 162. 22 VGH BadWürtt. vom 22.7.1966- I 131/65 - DVBI. 1967, 385 (387) "Tübinger HochhausFall"; Westermann, in: FS Nipperdey Bd. I (1965), 765 (770); Hoppe, DVBI. 1964, 165 (168 und 170); ders. in: FS Scupin (1973), 121 (137 ff.); ders. in: Ernst/Hoppe, Baurecht, Rdnr. 296; Krautzberger in: Battis/Krautzberger/ Löhr, BauGB, § 1 Rdnr. I 01 . 23 Krautzberger, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, § I Rdnr. 59; Söjker, in: E/Z/8, BauGB, § I Rdnr. 191.
24 Grundlegend BVerwG vom 1.11.1974 -IV C 38.71- BayVBI. 1975, 538 (540). 25
Vgl. BayVGH vom 12.11.1987- 26N 84.2134- BayVBI. 1989, 694.
26
Vgl. VGH BadWürtt. vom 25.2.1975 - II I 080174 - BRS 29 Nr. 5; VGH BadWürtt. vom 22.7.1966- I 131/65- DVBI. 1967, 385 "Tübinger Hochhaus-Fall". 27
Vgl. OVG Münster vom 10.10.1980- 10 aNE 42.78 BRS 36 Nr. 81.
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Teil 3: Öffentlich-rechtliche Lösungsansätze der Abwehr neg. Immissionen
brauch umfaßte, wirtschaftliche Interesse an der Aufrechterhaltung einer bestimmten verkehrsgünstigen (Grundstücks)Lage gehört hierher. 28 b) Negative Immissionen als abwägungserhebliche "private Belange" Da sich die als Abwägungsmaterial beachtlichen privaten Belange nicht auf anerkannte subjektiv öffentliche Rechte beschränken, 29 in die Abwägung vielmehr alle privaten Interessen, die nicht objektiv geringwertig oder im gegebenen Zusammenhang schutzunwürdig sind, einzustellen sind/0 kann ein planbetroffener Grundstückseigentümer die zu erwartenden Auswirkungen negativer Immissionen in das Planungsverfahren einbringen. Dabei sind solche Interessen nicht schutzwürdig, mit deren Beeinträchtigung vernünftigerweise gerechnet werden mußte (Situationsbedingtheit des Grundstücks). 31 Im Zusammenhang mit der vorliegenden Arbeit ist neben den unspezifizierten Belangen, die negative Immissionen ansprechen, insbesondere die Berücksichtigung der sich aus der Planungsleitlinie "Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse und die Sicherheit der Wohn- und Arbeitsbevölkerung" (§ 1 Abs. 5 S. 2 Nr. 1 BauGB) als einzubringender und abwägungserheblicher Belang von Bedeutung; dieser ergibt sich nämlich aus dem Baurecht selbst. Die Planungsleitlinie § 1 Abs. 5 S. 2 Nr. 1 BauGB bezeichnet zugleich öffentliche und private Belange sowie eines der zentralen Anliegen des Städtebaurechts überhaupt. 32 Im Sanierungsrecht (§§ 136 ff. BauGB) fmdet sich eine nähere Umschreibung der hier besonders interessierenden "gesunden Wohn- und Arbeitsverhältnisse". § 136 Abs. 3 Nr. la und e BauGB enthält beispielhafte Beurteilungsgrößen fiir diesen Begriff: 33 Es sind dies die sich aus der Vermeidung der 28 Vgl. zum Fachplanungsrecht BVerwG vom 18.12.1987-4 C 49/83- NVwZ 1989, 147 (148). 29 So auch zuletzt BVerwG vom 18.12.1987-4 C 49/83- NVwZ 1989, 147 (148); insb. zu den eigentumsrechtlichen, abwägungserheblichen Belangen Kastner, VerwArch. 80 (1989), 74 (79 ff.); siehe ausftlhrlich Brohm, NJW 1981, 1689.
30 BVerwG vom 9.11.1979-4 N 1.87- E 59, 87; zur Problematik normativer Elemente bei der Feststellung der Belange/Interessen: Hoppe, in: Ernst/Hoppe, Baurecht, Rdnr. 295. 31
Vgl. Birkl/Jäde, Nachbarschutz, Teil D Rdnr. 141.
32 Krautzberger,
in: Battis/Krautzberger!Löhr, BauGB, § I Rdnr. 63; Stüer, in: Hoppenberg (Hrsg.), Handbuch, Teil B Rdnr. 381. 33 Vgl. hierzu auch Krautzberger, in: Battis/Krautzberger!Löhr, BauGB, § 136 Rdnm. 15, 29; Söjker, in: E/Z/B, BauGB, § I Rdnr. 118; WSchrödter, in: Schrödter, BauGB, § I Rdnr. 93; Gaentzsch, in: Schlichter/Stich (Hrsg.), Berliner Kommentar, 4. Auf!., § I BauGB Rdnr. 49; Neu-
C. Negative Immissionen im Bauplanungsrecht
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Beeinträchtigung von Belichtung, Besonnung und Belüftung der Wohnungen ergebenden Probleme, aber auch Fragen der Zugänglichkeif von Grundstücken. Hier sind also expressis verbis die Wirkungen von negativen Immissionen angesprochen. Das Städtebaurecht kennt im folgenden keinerlei Bedenken, die Berücksichtigung solcher typischen Phänomene der negativen Immissionen gleichrangig mit denen positiver Immissionen zu benennen, in den Abwägungsvorgang einzustellen und filr lösungsbedürftig zu erklären. In § 136 Abs. 3 Nr. I f. BauGB werden gleichwertig "Einwirkungen, die von Grundstücken, Betrieben, Einrichtungen oder Verkehrsanlagen ausgehen, insbesondere durch Lärm, Verunreinigung und Erschütterungen" (grenzüberschreitende Immissionen) als beachtliche, städtebauliche Konfliktsituationen aufgelistet. Ohne sich direkt aus einer Planungsleitlinie und damit aus dem BauGB zu ergeben, hat die Rechtsprechung jedenfalls auch ganz allgemein das Interesse eines Planbetroffenen an der Erhaltung einer vorgegebenen Gebietsstruktur als abwägungserheblichen, privaten Belang anerkannt. Führt nämlich die Überplanung einer vorgegebenen Gebietsstruktur zu einer Verdichtung der Wohnbebauung, so sind in der Sache zumeist Fallgruppen der negativen Immissionen angesprochen, 34 die sich freilich mit denen der auch in den Planungsleitlinien benannten überschneiden können. Ebenfalls abwägungserheblicher Belang und eine Fallgruppe der negativen Immissionen repräsentierend ist die Problematik, die sich aus der Festsetzung oder der Änderung solcher Festsetzungen eines Bebauungsplans ergibt, die die Dachform bestimmen und insoweit die "gute Aussicht" vom Nachbargrundstück zu beeinträchtigen vermögen. 35 Solche Festsetzungen baugestalterischer Art sind auf der Grundlage landesgesetzlicher Ermächtigungen, die ihrerseits auf § 9 Abs. 4 BauGB basieren, als Bestandteil eines Bebauungsplans möglich.36 hausen, in: BrUgelmann/Dürr, BauGB, § 136 Rdnr. 28 f.; Stüer, in: Hoppenberg (Hrsg.), Handbuch, Teil B Rdnr. 381. 34 Vgl. die Fälle VGH BadWürtt. vom 2.6.1971 - II 407/70 - BauR 1971, 242 "Villengegend Heidelberg-Schlierbach"; VGH BadWUrtt. vom 22.7.1966- I 131/65 - DVBI. 1967, 385 "Tübinger Hochhaus-Fall"; VGH BadWürtt. vom 10.7.1973 - II 438/73 -unveröffentlicht; abschwächend: VGH BadWürtt. vom 25.5.1966- V 751/66- BRS 17 Nr. II . 35
Vgl. VGH BadWürrt. vom 15.5.1968 - 111 738/67 - BRS 20 Nr. 4; VGH BadWürrt. vom 14.11.1981- 5 S 527.80- VBIBW 1981 , 357; VGH BadWürrt. vom 7.5.1987- 8 S 1542/86 BauR 1988, 310; VGH BadWürrt. vom 30.7.1987- 5 S 2906.86- ZffiR 1988, 52; HessVGH vom 24.9.1987 - 5 N 5/85 - BauR 1988, 312; OVG Lüneburg vom 30.6.1987 - I C 19/86 - BauR 1988, 307; Söjker, in: E/Z/B, BauGB, § I Rdnr. 200.
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Teil 3: Öffentlich-rechtliche Lösungsansätze der Abwehr neg. Immissionen
3. Die verfahrensrechtliche Absicherung der Berücksichtigung der "privaten Belange" bei der Planaufstellung Betrachtet man auf der einen Seite die weitgehenden Möglichkeiten und Notwendigkeiten der Berücksichtigung "privater Belange" im Planungsvorgang, müssen auf der anderen Seite die verwaltungsverfahrensrechtlichen Implikationen beachtet werden, die hier wenigstens angedeutet werden sollen: Den (von negativen Immissionen betroffenen) Grundstückseigentümer treffen gewisse Mitwirkungslasten. 37 So ist beispielsweise zu beachten, daß die planende Behörde nur solche Umstände, also relevante "private Belange", aufklären(§ 24 VwVfG) und auch abwägend berücksichtigen muß, die für sie erkennbar waren. Dies ist aber immer dann der Fall, wenn sie sich der Behörde geradezu aufdrängen oder ein Planbetroffener sie im Wege der Bürgerbeteiligung gern. § 3 Abs. 1 und 2 BauGB bzw. auf andere Weise rechtzeitig bekannt gibt. 38 Ein späteres, behördliches Nachschieben von Abwägungsmaterial im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ist unzulässig, selbst wenn bei deren Berücksichtigung die Planung Bestand hätte. 39 Diese verfahrensrechtliche Dimension drückt sich besonders auffallig in der die Planaufstellung begleitenden, obligatorischen Bürgerbeteiligung aus, § 3 BauGB.40 Dabei dient die Bürgerbeteiligung neben anderen Zwecken insbesondere der Informationsbeschaffung des Planungsträgers; sie hat aber auch eine Rechtsschutzkomponente.41 Im einzelnen kann zwischen der sog. "frühzeitigen Bürgerbeteiligung" und dem "Auslegungsverfahren" unterschieden werden. a) Frühzeitige Bürgerbeteiligung Die Bürger, also auch die Planbetroffenen, sind im Rahmen der baurechtliehen Planung möglichst frühzeitig über die Zwecke, Ziele und Auswirkungen 36 Siehe hierzu oben S. 228 f. 37
Birki!Jäde, Nachbarschutz, Teil D Rdnr. 136.
38
Vgl. BVerwG vom 9.11.1979- 4 N 1.87- E 59, 87; BVerwG vom 13.9.1985 - 4 C 64/80BauR 1986, 59; zuletzt: BVerwG vom 7.12.1988-7 B 98/88- NVwZ-RR 1989, 241 ; siehe auch Birk, Bauplanungsrecht, Rdnr. 30; Erbguth, Bauplanungsrecht, Rdnr. 132. 39 BVerwG vom 14.8.1989-4 NB 24.88- DVBI. 1989, 1105.
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4
Fragen des Aufstellungsbeschlusses und des diskussionsflihigen Planentwurfs sollen hier unbehandelt bleiben, siehe etwa: Finkelnburg/Ortloff, Baurecht, Bd. I, 27 f. ; Erbguth, Bauplanungsrecht, Rdnr. 123 ff. 41
Erbguth, Bauplanungsrecht, Rdnr. 130;
C. Negative Immissionen im Bauplanungsrecht
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der Planung zu unterrichten. Der Planungsträger hat ihnen folglich Gelegenheit zur Äußerung und tatsächlichen Erörterung zu geben;42 § 3 Abs. I BauGB ist insoweit eine Form unmittelbarer Partizipation. 43 Die "frühzeitige" oder "vorgezogene Bürgerbeteiligung" verfolgt dabei primär den Sinn der Informationsbeschaffung und -Optimierung im Hinblick auf die konkrete Planung. 44 Bürger i.S.d. Vorschrift ist jeder, d.h. unabhängig von kommunalrechtlichen Vorschriften, der an der Planung Interesse zeigt. 45 Die Form der öffentlichen, frühzeitigen Bürgerbeteiligung ist in das Ermessen des zuständigen Planungsträgers gelegt; 46 denkbar sind Diskussionsveranstaltungen, Veröffentlichungen im Amtsblatt, Aushang oder auch öffentliche Erörterungen. Für den betreffenden Planungsträger ist die "frühzeitige Bürgerbeteiligung" deshalb von Interesse, weil sich so in einem zeitigen Stadium der Planung die voraussichtlichen Nutzungskonflikte der Beteiligten zeigen und artikulieren. Soweit solche Nutzungskonflikte die Wirkungsweise negativer Immissionen umfassen, können auch diese im Rahmen des § 3 Abs. 1 BauGB vorgebracht werden. Die rechtlichen Sanktionen wegen eines Verstoßes gegen das Gebot der "frühzeitigen Bürgerbeteiligung" sind freilich zu vernachlässigen, denn sie fuhren nach§ 214 BauGB zur Unbeachtlichkeit und gerade nicht zur Ungültigkeit der Bebauungsplanung. Unbenommen bleibt es der höheren Verwaltungsbehörde, einen Fehler auf der Grundlage des § 216 BauGB zu rügen und die Genehmigung (einstweilen) zu verweigern. b) Auslegungsverfahren Der Gedanke der Bürgerbeteiligung erstreckt sich auch auf das förmliche "Auslegungsverfahren". Die Auslegung findet statt, wenn eine Mehrheit des 42
Ausnahmen ergeben sich gern. § 3 Abs. 2 S. 2 Nm. 2 und 3 BauGB.
43
So auch Finkelnburg/Ortlojj, Baurecht, Bd. I, 28; WSchrödter, in: Schrödter, BauGB, § 3 Rdnr. 3; Bielenberg, in: E/Z/8, BauGB, § 3 Rdnr. 8; ausfuhrlieh Erbsen, DVBI. 1984, I I 07 (1108 f.). 44 Str. Battis, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, § 3 Rdnr. 4; Gaentzsch, in: Schlichter/ Stich (Hrsg.), Berliner Kommentar, 4. Aufl., § 3 BauGB Rdnr. 3; BVerwG vom 6.7.1984- 4 C 22.80- E 69, 344 (345). 45 Battis, in: Battis/Krautzberger!Löhr, BauGB, § 3 Rdnr. 6; Gaentzsch, in: Schlichter/Stich (Hrsg.), Berliner Kommentar, 4. Aufl., § 3 BauGB Rdnr. 5; Bielenberg, in: E/Z/8, BauGB, § 3 Rdnr. 8 m.w.N. 46 Vgl. Battis, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, § 3 Rdnr. 9; Grauvogel, in: Brügelmann/ Dürr, BauGB, § 3 Rdnr. 26.
13 Reetz
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Teil 3: Öffentlich-rechtliche Lösungsansätze der Abwehr neg. Immissionen
Planungsträgers durch Beschluß zum Ausdruck gebracht hat, wie sie sich die Bebauung eines bestimmten Gebiets unter Einbeziehung städtebaulicher Zielsetzung, bekannter (widerstreitender) Interessen und Einhaltung rechtlicher Planungsvorschriften vorstellt. Mit der Auslegung verbindet sich die Aufforderung an die Planbetroffenen, ihre divergierenden Nutzungsinteressen innerhalb der vorgesehenen und bekanntgemachten Frist darzulegen. Die Auslegung erfolgt auf der Grundlage eines Auslegungsbeschlusses, der vor der Bekanntmachung und tatsächlichen Auslegung gefaßt sein muß, § 3 Abs. 2 BauGB. Die näheren Umstände der Auslegung ergeben sich aus § 3 Abs. 3 BauGB. Von hoher praktischer Bedeutung, gerade auch im Hinblick auf die Berücksichtigung negativer Immissionen, ist die Vollständigkeit der Auslegungsunterlagen (Plan mit Begründung). Nur vollständige Unterlagen lassen denkbare Konfliktpotentiale frühzeitig erkennen. Auch die Auslegung dient wesentlich der Beschaffung des abwägungserheblichen Materials, also der abwägend zu berücksichtigenden Belange. Unterläßt es ein Planbetroffener, seine individuelle Betroffenheit vorzutragen, ist diese i.d.R. nur noch dann abwägungserheblich, wenn sie sich aufdrängen mußte,47 eine materielle Präklusion findet nicht statt. Die Rechtschutzfunktion des Auslegungsverfahrens ist eher als gering einzustufen. Stets beachtliche Fehler des Auslegungsverfahrens kennt das BauGB nicht. 48 Ansonsten sind Mängel des Auslegungsbeschlusses, der Bekanntmachung, der Auslegungsdauer, bei der Zugänglichkeit, hinsichtlich des Auslegungsorts, sogar bei den Auslegungsgegenständen (Plan mit Begründung) nur beachtlich, wenn sie innerhalb Jahresfrist, egal von wem, gerügt werden, § 214 Abs. 1 S. 1 Nm. 1 und 2 BauGB. Völlig unbeachtlich ist demgegenüber die Unvollständigkeit der Entwurfsbegründung,§ 214 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 a.E. BauGB. Hat der Grundstückseigentümer gegen die gemeindliche Bebauungsplanung fristgemäß Bedenken oder Anregungen hinsichtlich der Wirkung negativer Immissionen vorgebracht, so sind diese durch die Gemeinde zu prüfen und das positive oder negative Ergebnis mitzuteilen, § 3 Abs. 2 S. 4 BauGB.49 Darüber 47
Grundlegend BVerwG vom 9.11.1979 - 4 N 1.78, 2-4.79 - E 59, 87; Erbguth, Bauplanungsrecht, Rdnr. 132; Grauvogel, in: Brügelmann/Dürr, BauGB, § Rdnr. 61. 48 49
Kommunalrechtliche Fehler sollen in diesem Zusammenhang unbeachtet bleiben.
Es handelt sich lediglich um eine Ordnungsvorschrift, vgl. Battis, in: Battis/Krautzberger/ Löhr, BauGB, § 3 Rdnr. 17; Grauvoge/, in: Brügelmann/Dürr, BauGB, § 3 Rdnr. II 0 ff.
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hinaus sind die nicht berücksichtigten Bedenken und Anregungen bei der VorJage des als Satzung beschlossenen Plans der Genehmigungsbehörde vorzulegen, § 3 Abs. 2 S. 6 BauGB. Fehlbeurteilungen der vorgebrachten Bedenken und Anregungen, die auf das Abwägungsergebnis durchschlagen, sind gern. § 214 Abs. 1 BauGB rügelos innnerhalb von sieben Jahren beachtlich. Bleibt das Abwägungsergebnis insgesamt unberührt, liegt aber etwa ein gerügter Verstoß gegen die Mitteilungspflicht vor, so ist auch dies noch innerhalb Jahresfrist gern. §§ 214 Abs. 1 Nr. 1, 215 Abs. 1 Nr. 1 BauGB erheblich. 4. Fazit I . Negative Immissionen sind vielfach, jenseits der Unerheblichkeitsschwelle und unter Beachtung der verfahrensrechtlichen Implikationen, abwägungserhebliche "private Belange" der Bauleitplanung (oder auch anderer Fachplanungen).
2. Das öffentliche Bauplanungsrecht kennt keinerlei dogmatische Hindernisse, die negativen Immissionen als zu berücksichtigende Belange in die Gestaltung nachbarrechtlicher Verhältnisse einzubeziehen und so präventiv städtebaulichen Mißständen vorzubeugen. 50 Gerade im Zusammenhang mit dem Sanierungsrecht wird deutlich, daß der Gesetzgeber negative Immissionen der hier beschriebenen Art als städtebauliche Substanzschwäche51 charakterisiert und fur sanierungsbedürftig erklärt.
II. Die Berücksichtigung negativer Immissionen in drittschützenden Normen des BauGB und der BauNVO; Schutznormtheorie und "Gebot der Rücksichtnahme" Jenseits der eigentlichen Phase der Bebauungsplanaufstellung und der Möglichkeiten, die nachteiligen Wirkungsweisen negativer Immissionen in die Planung als abwägungserhebliche Belange einzubringen, stehen die materiellen Normen des Baurechts, die im Einzelfall einen (auch) gegen den Nachbarn ge-
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5 Krautzberger, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, ~ I Rdnr. 65. 51 Krautzberger,
in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, § 136 Rdnr. 14 ff.; Bielenberg, in: E/Z/8 , BauGB, § 136 Rdnr. 40; Köhler, in: Schrödter, BauGB, § 136 Rdnr. 71 ff.; Bielenberg/ Koopmannn!Krautzberger, Städtebaullirderungsrecht, C § 136 Rdnr. 44. 13*
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Teil3: Öffentlich-rechtliche Lösungsansätze der Abwehr neg. Immissionen
richteten Schutz vor negativen Immissionen bewirken können. Der damit angesprochene baurechtliche Nachbarschutz wird üblicherweise unter dem Aspekt des gerichtlichen Rechtsschutzes behandelt. 52 Es geht dabei im Rahmen des dreipoligen Rechtsverhältnisses um die Frage, ob der "gestörte" Grundstücksnachbar oder ein Dritter durch eine den "störenden" Bauherrn begünstigende Baugenehmigung in seinen subjektiv-öffentlichen Rechten verletzt wird, §§ 42 Abs. 2, 113 Abs. I VwGO. Die Verletzung nachbarlicher Rechtspositionen durch die Erteilung einer rechtswidrigen Baugenehmigung bewirkt einen Anspruch auf Aufhebung der Genehmigung, u.U. einen Anspruch auf Ausgleich in Geld oder einen Anspruch auf ein behördliches Einschreiten.53 1. Die Schutznormtheorie
Baurechtlicher Nachbarschutz ist nur dann zu einer wehrflihigen Position verdichtet, wenn die entsprechenden Normen inhaltlich den Anforderungen der herrschenden, nicht nur zum Baurecht entwickelten Schutznormtheorie54 entsprechen. Somit fUhren solche Rechtsbehelfe nur dann zum Erfolg, wenn die Verletzung eines den Nachbarn schützenden subjektiv-öffentlichen Rechts erwiesen ist.
52 Selbstverständlich erschöpft sich die Frage des baurechtliehen Nachbarschutzes nicht nur in nachgängiger Rechtsschutzgewährung; auch die Behörden haben einen eigenständigen Nachbarschutzauftrag, der weitergehen kann als der, der subjektives Nachbarrecht voraussetzt: VGH BadWürtt. vom 15.9.1986-3 S 2547/85- BauR 1987,67. 53 Vgl. BVerwG vom 7.9.1988-4 N 1/87- NJW 1989, 467; Finkelnburg/Ortlo.ff, Baurecht, Bd. II, 197 ff.; Arbeitskreis "Bauliches Nachbarrecht", BBauBI. 1991, 10 (II). 54 Vgl. zur Bandbreite der Anwendung der Schutznormtheorie: BVerwG vom 22.12.1980- 7 C 84.78 - E 6\, 256 "Atomrecht"; BVerwG vom 23.3.1982 - I C 157.79 - DVBI. 1982, 692 "Ladenschlußgesetz"; BVerwG vom 25.2.1977- IV C 22.75- E 52, 122 (128 f.) "Baurecht"; allgemein zur Schutznormtheorie: BVerwG vom 1.12.1982- 7 C 111.81 - E 66, 307; Jarass, BlmSchG, I. Aufl., § 6, Rn. 27; Breuer, DVBI. I983, 431; ders., DVBI. 1986, 849; Ladeur, UPR 1894, I; Marburger, Gutachten C zum 56. DJT, 97; Hoppenberg, in: Hoppenberg (Hrsg.), Handbuch, Teil H Rdnr. 86 ff.; Bauer, AöR 113 (1988), 582; ders., DVBI. 1986, 208; Kloepfer, Umweltrecht, 261 m.w.N. in Fn. 44 und die Nachweise bei Alex:y, DÖV 1984, 953 (956 in Fn. 44); Arbeitskreis "Bauliches Nachbarrecht", BBauBI. 1991, 10 (11); Sellner, Referat L zum 56. DJT, 9 (10 ff.). Probleme der Schutznormtheorie sind neben § 823 Abs. 2 BGB auch noch von anderen Teilbereichen des Zivilrechts her bekannt und werden dort in vergleichbarer Weise gelöst: Im Zwangsvollstreckungsrecht haben beispielsweise Dritte die Erinnerungsbefugnis gern. § 766 ZPO, wenn und soweit der angegriffene Vollstreckungsakt gegen Normen verstößt, die eben auch dem Drittschutz dienen: Stein/Jonas/Münzberg, ZPO, § 766 Rdnr. 33.
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Die grundlegend auf Bühler55 zurückgehende und immer wieder kritisierte56 Konzeption der Schutznonntheorie zielte ursprünglich auf die zweipolige Rechtsbeziehung zwischen Verwaltung und Gewaltunterworfenem; von der das öffentliche Nachbarrecht dominierenden, dreipoligen Rechtsbeziehung zwischen dem Begünstigten, der Verwaltung und dem Nachbarn war indes noch keine Rede. Im Sinne der (nunmehr auch im dreipoligen Rechtsverhältnis) geltenden Schutznonntheorie kann dann von einem wehrfähigen, subjektiven Recht gesprochen werden, wenn eine auslegungsfähige Norm zumindest auch einem individuellen Interesse zu dienen bestimmt ist und der Schutzgehalt nicht nur einen einfachen Rechtsreflex darstellt, 57 was heute beispielhaft bei baugestalterischen Vorschriften angenommen wird. 58 Nicht notwendig ist es, daß der Schutz des Nachbarn der alleinige Normzweck ist. 59 Es ist nicht einmal der Nachweis zu führen, daß der Gesetzgeber den Drittschutz als Komponente der Norm gesehen oder gar gewollt hat, schon gar nicht, daß dies im Wortlaut der Norm zum Ausdruck kommt. 60 Entscheidende Bedeutung kommt vielmehr der Frage zu, ob das geschützte Interesse, die Art seiner Verletzung und der geschützte Personenkreis erkennbar, d.h. individualisierbar ist. 61 Die eigentliche Grundlage der Nachbarschutzausrichtung einer Norm ist die natürliche Verbundenheit der Grundstückseigentümer, das 55 Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte und ihr Schutz in der Verwaltungsrechtsprechung, 1914, 21; zur Genese der Schutznormtheorie: Bauer, AöR 113 (1988), 582 (587 ff.); Ramsauer, AöR !II (1986), 501 (503 ff.); Sening, NuR 1980, 102 (104 f.); Stüer, NuR 1981, 149 (!51 Fn. 15); Ladeur, UPR 1984, I (3 f.); Scherzberg, DVBl. 1988, 129 (131). 56 Beispielsweise: Bartelsperger, DVBI. 1971, 723; Henke, DÖV 1980, 621 ; Ladeur, UPR 1984, I; Martens, NJW 1985, 2302; Peine, DÖV 1984,963 (969); Sailer, NuR 1987,207 (211 ff.); Zuleeg, DVBI. 1976, 510 (511 ff.); zur Entwicklung der subjektiv-öffentlichen Rechte im Nachbarrecht Jellinek, Verwaltungsrecht, 1948,203 mit vielen rechtshistorischen Hinweisen, vor allem zu den unterschiedlichen Handhabungen in den deutschen Ländern; siehe im übrigen die Nachweise bei Bauer, AöR 113 (1988), 582 (585). Ausführlich zur Geschichte des Drittschutzes Preu, Die historische Genese der öffentlichrechtlichen Bau- und Gewerbenachbarklage (ca. 18001970), Berlin 1990. 57 Vgl. BVerwG vom 13.6.1969 - IV C 234.65 - E 32, 173 (177); HSchrödter, in: Schrödter, BauGB, § 31 Rdnr. 50 ff.; Dürr, in: Brügelmann/Dürr, BauGB, § 30 Rdnr. 44 m.w.N. aus der Rechtsprechung; Scherzberg, DVBI. 1988, 129 (130 m.w.N.); Henke, DÖV 1980, 621 f. 58
Birkl/Geiger, Nachbarschutz, Teil E Rdnr. 40 m.w.N. aus der Rechtsprechung.
59 Hoppe, in: Ernst/Hoppe, Baurecht, Rdnr. 892. 60 .
OVG Lüneburg vom 25.ll.l965- l B 87/65- DVBI. 1966, 275 (278); OVG Harnburg vom 19.8.1963- Bfll 98/63- MDR 1964,446 (447); Birkl/Geiger, Nachbarschutz, TeilE Rdnr. 41. 61
Bender/Dohle, Nachbarschutz, Rdnr. 26; Finkelnburg/Ortlojf, Baurecht, Bd. II, 170 ff.
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Teil 3: Öffentlich-rechtliche Lösungsansätze der Abwehr neg. Immissionen
beinahe schuldrechtlich formuliert als Austauschverhältnis62 bzw. bau- und bodenrecht/iche Schicksalsgemeinschaft63 bezeichnet wird. Aus diesen Anforderungen der Schutznormtheorie folgt zugleich, daß nicht jeder Norm mit nachbarrechtlichem Bezug auch potentiell Drittschutz zukommt. Eine Vielzahl beispielsweise baurechtlicher Normen dient ausschließlich der geordneten städtebaulichen Entwicklung und damit dem Allgemeininteresse. 64 Die tatsächliche Reichweite der Schutznormtheorie läßt sich am besten mit den Worten des BVerwG65 wie folgt darstellen: "... bedarf es jeweils der Klärung, ob eine baurechtliche Vorschrift ausschließlich objektivrechtlichen Charakter hat oder ob sie (auch) dem Schutz individueller Interessen dient, ob sie also Rücksichtnahme auf Interessen Dritter gebietet. Das kann sich unmittelbar aus dem Wortlaut der Norm ergeben, etwa dann, wenn sie Abwehrrechte Betroffener ausdrücklich begründet. In der Regel allerdings wird insoweit - da der Normgeber nur in Ausnahmefallen derartige Abwehrrechte ausdrücklich statuiert hat- eine Auslegung der Norm nach Sinn und Zweck in Betracht kommen; gelegentlich mag sich auch aus der Entstehungsgeschichte der Wille des historischen Normgebers ermitteln lassen, die Interessen Dritter zu schützen. Hieraus folgt zugleich, daß es nicht darauf ankommen kann, ob die Norm ausdrücklich einen fest "abgrenzbaren Kreis der Betroffenen" benennt. Insoweit ist die frühere Rechtsprechung des Senats (BVerwG 27, 29 (33) ...) zu modifizieren: "Es kommt weder darauf an, ob die Norm einen geschützten Personenkreis räumlich, etwa durch Bezeichnung eines Gebiets, abgrenzt, noch darauf, ob sie in ihrer vollen Reichweite auch dem Schutz individueller Interessen zu dienen bestimmt ist. ... Worauf es ankommt, ist, daß sich aus individualisierenden Tatbestandsmerkmalen der Norm ein Personenkreis entnehmen läßt, der sich von der Allgemeinheit unterscheidet." 62 Vgl. VGH BadWürtt. vom 24.9 .1991 - 3 S 2049/91 - VBIBW 1992, 105; grundlegend Sendler, BauR 1970, 4 (6); siehe zum gesamten Komplex der Herleitung aus diesem Rechtsgrund Preu, Subjektivrechtliche Grundlagen des öffentlichrechtlichen Drittschutzes, 158 f. 63 BVerwG vom 14.12.1973 - IV C 71.71 - E 44, 244 = DVBI. 1974, 358 mit Anm. Schrödter; Dürr, in: Brügelmann/Dürr, BauGB, § 30 Rdnr. 44 f. 64 So ausdrücklich BVerwG vom 16.8.1983 - 4 B 94/83 - NVwZ 1984, 38; BVerwG vom 19.9.1986-4 C 8/84- NVwZ 1987, 409; a.A. OVG Münster vom 10.9.1982- 10 A 2296/79 NVwZ 1983,414.
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BVerwG vom 19.9.1986 - 4 C 8/84 - NVwZ 1987, 409.
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Auf der Grundlage der herrschenden Schutznormtheorie soll im einzelnen zu bauplanungsrechtlichen Normen und Instituten Stellung genommen werden: 2. Das (baurechtliche) Rücksichtnahmegebot Neben der grundlegenden Schutznormtheorie, die letztlich ein Auslegungsnormativ ist, hat das sog. "Gebot der Rücksichtnahme" wichtige Teilbereiche des baurechtlich vermittelten Nachbarschutzes durchdrungen. Es handelt sich hierbei um ein Institut, das strukturell dem "nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis" des privaten Nachbarrechts verwandt ist, 66 und in dem sich potentiell Fälle aus dem Bereich der negativen Immissionen abspielen können.
a) Die Entwicklung des Rücksichtnahmegebots in der älteren Rechtsprechung des BVerwG Als objektivrechtlicher Belang ist das "Gebot der Rücksichtnahme"67 planungsrechtlich schon seit eh und je Bestandteil der Rechtsprechung des BVerwG zum raumbedeutsamen Planungsrecht 68 Demgegenüber wurde die Drittschutzkomponente bauplanungsrechtlicher Entscheidungen oder Normen eher restriktiv gehandhabt. 69 Ausgangspunkt dieser Entwicklung war die Unterscheidung der drei Planungsbereiche, in denen ein Grundstück notwendigerweise belegen ist. Im Planungsbereich konnten Festsetzungen Drittschutz vermitteln, wenn dies entsprechend der Schutznormtheorie, also im Wege der 66 Vgl. Stühler, VBIBW 1987, 126; Mühl, in: Soergel, 12. Aufl., § 1004 BOB Rdnr. 23; und ausführlich ders., in: FS F. Baur(l981), 83 (94 ff.). 67 Bemerkenswert ist, daß das Rücksichtnahmegebot in seiner Anwendung auf das Baurecht und Teile des Planungsrechts beschränkt geblieben ist; siehe den gescheiterten Versuch, es als allgemeines Verwaltungsrechtsprinzip zu verankern: OVG Harnburg vom 19.5.1981 - Bf. 11 76/81 NVwZ 1982, 198 und die ablehnende Revisionsentscheidung: BVerwG vom 1.12.1982 - 7 C 111 .81 - NVwZ 1983, 151 "Dünnsäure". 68 BVerwG vom 10.4.1968- IV C 3/67- E 29, 286; BVerwG vom 16.4.1971 -IV C 2/69BayVBI. 1972, 188; BVerwG vom 3.3.1972- IV C 4/69 - BayVBI. 1973, 72; BVerwG vom 8.9.1972 -IV C 17171 - BayVBI. 1973, 273 "Krabbenkamp"; BVerwG vom 5.7.1974 -IV C 50/72 - BauR 1974,3111321 "Flachglas"; BVerwG vom 16.10.1974 -IV C 77/73- BayVBI. 1975, 370; BVerwG vom 12.12.1975 -IV C 71/73- E 50, 49 "Tunnelofen". Auch das BVerfG hat mehrfach auf das "Gebot der Rücksichtnahme" hingewiesen: BVerfG vom 23.4.1974 - I BvR 6/74 und 2270/73- E 37, 132 (149); BVerfG vom 4.2.1975-2 BvA 1169- E 38, 347 (370); BVerfG vom 8.7.1976 -I BvL 19 und 20/75, I BvR 148/75- E 42,263 (294). 69
Vgl. Alexy, DÖV 1984,953.
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Teil 3: Öffentlich-rechtliche Lösungsansätze der Abwehr neg. Immissionen
Auslegung, ableitbar war. Die planersetzende Norm des § 34 Abs. 1 BBauG vermittelte hingegen in keiner Weise Drittschutz, und die den Außenbereich regelnde Norm des § 35 BBauG gewährte nur unter sehr engen Voraussetzungen dem privilegierten Vorhaben eine nachbarschützende Position70• Die subjektivrechtliche Stellung des Nachbarn mußte ob dieser restriktiven Haltung als mangelhaft empfunden werden; das BVerwG suchte in dieser Situation Zuflucht bei der direkten Anwendung der Grundrechte. Sehr limitiert hat es die Möglichkeit zugelassen, daß Nachbarn direkt aus Grundrechten - mit anderen Worten, ohne eine klagefähige Rechtsposition im einfachen Gesetzesrecht - gegen Bauvorhaben vorgehen konnten. 71 Einschlägig sind hier Art. 2 Abs. 2 GG 72, das Recht auf Leben und Gesundheit, und Art. 14 GG, das Eigentumsgrundrecht. Die drittschützende Wirkung wird dann bejaht, wenn in den Schutzbereich des Grundrechts schwer und unerträglich oder willkürlich eingegriffen wird.73 Mit dieser Rechtsprechung mochten problematische Konfliktfälle bei Fehlen einfachgesetzlicher Regelungen zufriedenstellend gelöst worden sein; dogmatisch konnte sie nicht überzeugen. Die Konsequenz einer solchen Konstellation ist eine unmittelbare Drittwirkung der Grundrechte, die aber gerade mit guten Gründen abgelehnt wird. 74 Die Bejahung solcher grundrechtliehen Klagepositionen durch die Rechtsprechung bereitet auch kompetenzielle Probleme. Grundsätzlich konkretisiert nämlich der Gesetzgeber in der einfachen Gesetzgebung den Interessenausgleich der grundrechtliehen Rechtsposi70 BVerwG vom 25.10.1967 -IV C 86/66- E 28, 148; BVerwG vom 21.10.1968 -IV C 13.68DVBI. 1969, 263; BVerwG vom 16.4.1971 - IV C 66.67 - DVBI. 1971, 639; siehe hierzu im übrigen: HSchrödter, in: Schrödter, BauGB, 31 Rdnr. 86 ff. ; Löhr, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, § 31 Rdnr. 80; Birki/Geiger, Nachbarschutz, Teil E Rdnr. 324; siehe hierzu unten S. 238 ff.
*
71 Finke/nburg/Ortlo.ff, Öffentliches Baurecht Bd.ll, 175, 189; Ort/off, NVwZ 1987, 374 (381 mit zahlreichen Nachweisen); Parodi, BauR 1985, 415; BVerwG vom 13.6.1969- IV C 234.65E 32, 173; BVerwG vom 14.12.1973- IV C 71.71- E 44, 244; BVerwG vom 26.3.1976 -IV C 7.74- E 50, 282.
72 So jedenfalls grundsätzlich das BVerwG in einem obiter dictum: BVerwG vom 29.7.1977 IV C 51.75- E 54, 211 (223); siehe auch Wahl, JuS 1984, 577 (582); Mühl, in: Soergel, 12. Aufl., § I 004 BGB Rdnr. 24; zusammenfassend Seewald, NuR 1988, 161 . 73 Siehe etwa: BVerwG vom 13.6.1969 -IV C 234.65- E 32, 173; BVerwG vom 14.12.1973IV C 71.71 - E 44, 244; BVerwG vom 26.3.1976- IV C 7.74- E 50, 282; vgl. auch Finkelnburg/Ortlo.ff, Öffentliches Baurecht Bd.ll, 175, 189; Ort/off, NVwZ 1987, 374 (381 mit zahlreichen Nachweisen); Parodi, BauR 1985, 415. 74 In diese Richtung bewegt sich nunmehr auch das BVerwG: BVerwG vom 30.9.1983-4 C 18.80- UPR 1984, 128; BVerwG vom 30.9.1983 - 4 C 74.78- E 68, 58; zur Drittwirkung der Grundrechte: Jarass, NJW 1983, 2844 (2847); Kopp, VwGO, § 42 Rn. 62 m.w.N.; BVerfG vom 8.8.1978 - 2 BvL 8177 - E 49, 89 (142).
C. Negative Immissionen im Bauplanungsrecht
201
tionen der Bürger. Er schafft subjektive Rechte auf der Ebene des einfachen Rechts, wodurch ist ein unmittelbares Zurückgreifen in die Grundrechte verschlossen. 75 Der grundrechtsgeprägte baurechtliche Nachbarschutz konnte indes die Lükke im subjektivrechtlichen Bereich nicht zufriedenstellend schließen, denn auf der positivrechtlichen Seite blieb es bei der restriktiven Auslegung der planungsrechtlichen Normen, auf der grundrechtliehen Seite, wohl aufgrund "schlechten Gewissens", bei der kaum handhabbaren Schwelle des "schweren und unerträglichen Eingriffs".76 Dies führte im Ergebnis zur Eingliederung der grundrechtsbezogenen Wertungen in die positiven bauplanungsrechtlichen Normen, nämlich zur Entwicklung des drittschützenden Rücksichtnahmegebots.77 b) Die Wende zum Drittschutzcharakter des Rücksichtnahmegebots Entscheidende Bedeutung auf dem Weg zur Drittschutzfunktion des Gebots der Rücksichtnahme im Baurecht hat die Entscheidung des BVerwG vom 25.2.1977/8 die zu einem privilegierten Außenbereichsvorhaben ergangen war. Das Gericht stellt zunächst klar, daß das "Gebot der Rücksichtnahme" auf schutzwürdige Individualinteressen (objektivrechtlich) einen öffentlichen Belang i.S.d. § 35 Abs. I BBauG darstelle, 79 also tatbestandlieh erfaßt sei. Es läßt sich hiernach aufgrund folgender Formel (Abwägungsformel) anwenden: "Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung derer ist, denen die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zugute kommt, um so mehr an Rücksicht kann verlangt werden. Je verständlicher und unabweisbarer die mit 75 So auch Dolde, NJW 1984, 1713 (1727) m.w.N. in Fn. 232. Für den Fall einer unzureichenden Handhabung der Interessenkollision zwischen Bauherrn und Nachbar bleibt insoweit (nur) die verfassungskonforme Auslegung des positiven Gesetzesrechts oder die Vorlagepflicht des Gerichts gern. Art. 100 Abs I GG. Die Zuerkennung von letztendlich gegenüber Dritten einklagbaren Rechtspositionen aus Grundrechten sprengt dieses System; siehe hierzu: Koch/Hasch, Baurecht, 291. 76
Siehe Schlichter, NVwZ 1983, 644.
77
Das BVerwG hat allerdings an dem Nachbarschutz aus Art. 14 Abs. I GG auch noch nach der Ausbildung des "RUcksichtnahmegebots" festgehalten: BVerwG vom 25.2.1977- IV C 22.75E 52, 122 unter Bezugnahme aufBVerwG vom 13.6.1969 -IV C 134.65- E 32, 173; siehe hierzu auch Müht, in: Soergel, 12. Aufl., § 1004 BGB Rdnr. 24 m.w.N. 78 BVerwG vom 25.2.1977 -IV C 22.75- E 52, 122 ~ DVBI. 1977, 722 mit Anm. Schrödter; kritisch hierzu HJ. Müller, NJW 1979, 2378; zur grundlegenden Bedeutung dieser Entscheidung auch Alexy, DÖV 1984,953 (954 ff.); Mühl-Jäckel, DVBI. 1986, 545. 79
BVerwG vom 25.2.1977 -IV C 22.75- E 52, 122 (125 f.) .
202
Teil 3: Öffentlich-rechtliche Lösungsansätze der Abwehr neg. Immissionen
dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, um so weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen." 80 Schutzwürdige Individualinteressen leitet das Gericht z.B. aus dem eigentumsrechtlich nicht mehr zurnutbaren Maß der Wertminderung der Nachbargrundstücke ab. 81 (Mit ähnlicher Begründung argumentiert Westermann im zivilrechtliehen Bereich. 82) Grundsätzlich, so konstatiert das BVerwG, habe der objektivrechtliche, öffentliche Belang der Rücksichtnahme keine Drittschutzkomponente.83 Allerdings vermittele das "Gebot der Rücksichtnahme" bei einzelfallbezogenem Hinzutreten besonderer, die Pflicht zur Rücksichtnahme qualifizierender und zugleich individualisierender Umstände drittschützende Wirkung oder aber dann, wenn die gegebenen Umstände so handgreiflich (aufdrängend84 ) sind, daß sie die notwendige Qualifizierung und Individualisierung bewirken (Sub. kllvzerungs . . ,{; l) 85 Je 1 orme . Die dogmatische Herleitung eines Geltungsgrundes des drittschützenden "Rücksichtnahmegebots" ist bis heute umstritten geblieben. 86 Das Spektrum der warnenden und ablehnenden Stimmen argumentiert mit einer Gefährdung der Schutznormtheorie87, über einen überflüssigen lrrweg88 und Einwände der praktischen Handhabbarkeit89 bis hin zu verfassungsrechtlichen Bedenken. 90 80
BVerwG vom 25.2.1977- IV C 22.75- E 52, I22 (126).
81
BVerwG vom 25.2.1977 - IV C 22.75 - E 52, 122 (124 f.). Diese Herleitung ist ein Abkömmling der "Schweretheorie" des eigentumsrechtlichen Aufopferungsanspruchs des Staatshaftungsrechts, wenn das BVerwG dies auch bestreitet: BVerwG vom 13.3.1981 - 4 C 1.78 DVBI. 1981, 928. 82 Westermann, Sachenrecht, 5. Aufl., § 36 I I a, filr ideelle Immissionen, wobei die ProblemJage auf normativer Ebene vergleichbar ist; zustimmend insoweit Just, BayVBI. 1988, 705 (706). Vgl. auch die Entscheidung des RG vom 16.6.1937- V 241 /36- Z 155, !54 (156). 83
BVerwG vom 25.2.1977 -IV C 22.75 - E 52, 122 (128).
84
Zu einer solchen Variante vgl. BVerwG vom 13.3.1981-4 C 1.78- DVBI. 1981 , 928 (929).
85
BVerwG vom 25.2.1977- IV C 22.75- E 52, 122 (131); Jacob, BauR 1984, I (7) bezeichnet den Übergang zum subjektiven Recht als eine Art "Schwellenlehre". 86 Siehe insbesondere A/exy, DÖV I984, 953 (955 ff.), der die ablehnenden Stimmen in insgesamt filnf Einwande gliedert. 87 Müller, DVBI. I 978, 80; ders., NJW 1979, 2378; ahnlieh Breuer, DVBI. 1983, 431 (438); und ders., DVBI. 1982, 1065 (1070); Thie/e, DÖV I979, 236 (241); siehe auch Ziegert, BauR 1984, 15 (20 f.).
88 Redeker, DVBI. 1984, 870 (872); vgl. auch ders. , NJW 1978, 2567. In eine ahnliehe Richtung gehen auch Breuer, DVBI. 1983, 43I (437); Schenke, NuR 1983, 81 (88 ff.). 89 HessVGH vom 18.10.1978 - IV TG 57/78 - BauR 1979, 120; vgl. auch HessVGH vom 17.9.1980 - IV TG 70/80 - BRS 36 Nr. 68; Brohm, JuS 1977, 500 (506); Jäde, NVwZ 1986, I 01;
C. Negative Immissionen im Bauplanungsrecht
203
Erichsen91 etwa beklagt ein Begründungsdefizit Der Einstieg in die Popularklage wird prophezeit,92 und die Rechtsprechung wird als praeterlegales Richterrecht bezeichnet. 93 In seiner Grundsatzentscheidung vom 25.2.197794 bezieht sich das BVerwG ausdrücklich auf die Arbeiten von Weyreuthe/ 5• Dieser geht von einem ungeschriebenen, eigentumsrechtlichen, baurechtlichen, jedenfalls aber geltenden Rücksichtnahmegebot aus. Er nennt es "Schonung im Rahmen des Möglichen", nicht etwa des rechtlich Zulässigen. Weyreuther läßt es offen, wo genau dieses Gebot seinen positiven Niederschlag gefunden hat. Er entwickelt die Figur des Rücksichtnahmegebots aus der "Soziallast" des Art. 14 Abs. 2 GG, 96 scheut sich aber, dem Rücksichtnahmegebot eine verfassungsrechtliche Stellung zuzuerkennen.97 Er formuliert dementsprechend vorsichtig, wenn er sagt, der Nachbarschutz aufgrund des Rücksichtr.ahmegebots ist "insoweit sogar verfassungsrechtlich abgesichert" 98 . Das BVerwG hat inzwischen klargestellt, daß es das Gebot der Rücksichtnahme als ein Problem des einfachen Gesetzesrechts auffaßt.99 Die die drittschützende Komponente der Rücksichtnahme anerkennende Rechtsprechung, als "archimedischer Punkt" des Nachbarrechts bezeichnet, 100 Lenz, BauR 1985, 402; Müller, NJW 1979, 2378 (2380); Müht, in: FS F. Baur (1981), 83 (93 f.); Schröer, BauR 1985, 406. 90 Vgl. Breuer, DVBI. 1982, 1065 (1069); Broß, DÖV 1978,283 (285); Erichsen, DVBI. 1978, 569 (573); Erbguth, in: FS Ernst (1980), 98; Menger, VerwArch. 69 (1978), 313 (316); Müller, NJW 1979,2378 (2379); ders., DVBI. 1978, 80; Peine, DÖV 1984, 963; Schenke, NuR 1983, 81 (83); Thiele, DÖV 1979,236 (239). 9 1 Erichsen, 92
DVBI. 1978, 569 (573).
Menger, VerwArch. 69 (1978), 313 (318).
93 Breuer, DVBI. 1983,431 (438); siehe auch ders., DVBI. 1982, 1065. 94 BVerwGvom25.2.1977 -IVC22.75- E 52,122 (129 f.). 95 Weyreuther, BauR 1975, I; später auch ders., Außenbereich, 307 (310 ff.).
96 Weyreuther, BauR 1975, I (6 f.); Müht, in: FS F. Baur (1981), 83 (89). 97 Ein Rekurs auf Art. 14 Abs. 2 GG erscheint nicht unbedenklich, denn die Sozialbindungs-
klausel wendet sich primär an den Gesetzgeber: BVerfG vom 15.7.1981 - I BvL 77/78- E 58, 300 (338) "Naßauskiesung"; BVerfG vom 8.1.1985- I BvR 792, 501/83- E 68, 361 (367 f.); Jauernig, JZ 1986, 605; anders zwar Nüßgen-Boujong, Eigentum, Sozialbindung, Enteignung, 69; hiergegen aber wiederum überzeugend: Böhmer, NJW 1988, 2561 (2573 f.).
98 Weyreuther, BauR 1975, I (9); ders., Außenbereich, 310. 99 Vgl. BVerG vom 20.9.1984-4 B 181.84- NVwZ 1985, 37; BVerwG vom 25.4.1985-4 B
48.85- UPR 1985, 340; Müht-Jäckel, DVBI. 1986, 545 (546). 100
Ziegert, BauR 1984, 15 (19).
204
Teil3: Öffentlich-rechtliche Lösungsansätze der Abwehr neg. Immissionen
entwickelte sich erwartungsgemäß zum Selbstläufer. Die sofort von Teilen der Literatur 101 geforderte Ausdehnung der Individualschutzkomponente auf den beplanten und unbeplanten Innenbereich ließ nicht lange auf sich warten. 102 Doch schon ein Jahr nach seiner Grundsatzentscheidung fiihlte sich das BVerwG 103 zur einschränkenden (unwesentlichen 104) Korrektur seiner Entscheidungsgrundlagen auf der Ebene der Abwägungsformel genötigt. Hatte das Gericht zunächst die (objektivrechtlich) schutzwürdigen Individualinteressen, die es aus dem Maß der Wertminderung des Nachbargrundstücks abgeleitet hatte, zum Ausgangspunkt seiner Überlegungen gemacht, sollte nunmehr die Wertminderung nicht mehr den Angelpunkt der Interessenabwägung darstellen. Ausgangspunkt wurde vielmehr die Beeinträchtigung der konkreten Nutzungsmöglichkeit; die Wertminderung hat lediglich noch indizielle Bedeutung. Doch auch bei dieser Korrektur blieb es nicht. Zum Zentralbegriff der Abwägungsformel wurde die Unzumutbarkeit, "in dem Sinne, daß dem Betroffenen die nachteilige Einwirkung des streitigen Bauwerks billigerweise nicht mehr zugemutet werden soll". 105 Zusammenfassend läßt sich sagen, daß der Nachbarschutz aus dem Rücksichtnahmegebot insgesamt seit der Leitentscheidung des BVerwG eine erstaunliche Entwicklung durchgemacht hat: 106 Zunächst meinte man, mit dem Rücksichtnahmegebot einen eigenständigen, subjektiv-öffentlichrechtlichen Abwehranspruch entwickelt zu haben. Dieser stand systematisch zwischen den drittschützenden positiven Normen des Bau(nachbar)rechts und den auf Art. 14 Abs. 1, 2 Abs. 2 GG begrUndeten AbwehransprUchen. Inzwischen hat sich allerdings deutlich herauskristallisiert, daß das Rücksichtnahmegebot eben nichts anderes ist als eine ausnahmsweise, einzelfallbezogene Ausformung 107 eigentlich nicht drittschützender Normen 101
Dohle, NJW 1977, 1372 (1377).
102
Für den unbep1anten 1nnenbereich: BVerwG vom 31.10.1977- IV B 185, 77- Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 31 "Geretsried"; BVerwG vom 17.5.1978-4 C 9.77- BayVBI. 1979, I 52 (154 f.); OVG Münster vom 11.10.1977- 7 A 373175- BauR 1977, 389; hierzu die Bedenken von Schrödter, DVBI. 1977, 727 (in der Fn.). Für den Planbereich: BVerwG vom 5.8.1983-4 C 96 - DÖV 1984, 295 (296 f.). 103
BVerwG vom I 4.4. I 978 - 4 C 96, 97176 - NJW 1979, 995
104
So jedenfalls Mühl, in: FS F. Baur (1981), 83 (89).
105
BVerwG vom 13.3.1981 -4 C 1.78- DVBI. 1981,928 (929).
106
=
DVBI. 1978, 614.
Redeker, DVBI. 1984, 870; Schlichter, DVBI. 1984, 875; Schulte, UPR 1984, 212; Dolde, NJW 1984, 1727; Ort/off, NVwZ 1985, 13 (19 f.). 107
Terminologie bei Ort/off, NVwZ 1985, 13 (19).
C. Negative Immissionen im Bauplanungsrecht
205
des Bau(nachbar)rechts, also eine Frage der konkreten, grundstücksbezogenen Situation. So fonnuliert das BVerwG neuerdings nur noch: 108 "Ein drittschützendes baurechtliches Rücksichtnahmegebot gibt es nur nach Maßgabe der (einfachen) Gesetze (also im "Vorfeld" des Art. 14 Abs. 1 GG. 109). Es ist nur verletzt, wenn und soweit die Nutzung von Drittgrundstücken (Nachbargrundstücken) durch die Erteilung einer Baugenehmigung oder ihrer Ausnutzung unzumutbar beeinträchtigt sind." Die subjektivrechtliche Komponente des Rücksichtnahmegebots ergibt sich somit aus der unzumutbaren Beeinträchtigung des Dritten nach den konkreten Umständen des Einzelfalls, 110 womit sich leider keinerlei Begriffsschärfe gewinnen läßt. Die Nonn, in der das Gebot objektivrechtlich verankert ist, gewährleistet demnach ipso iure keinen Drittschutz. Letztendlich ist die Gewährung von Drittschutz über das baurechtliche Rücksichtnahmegebot eben doch eine reine Billigkeitsfrage geblieben. 111 Soweit im hier interessierenden Zusammenhang bauplanungsrechtliche Normen als Ausgangspunkt des drittschützenden "Rücksichtnahmegebot" in Frage kommen, handelt es sich um § 31 Abs. 2 BauGB bzw. § 15 BauNVO im Geltungsbereich ·eines Bebauungsplans, um § 35 Abs. 1 BauGB und um § 35 Abs. 2, 3 BauGB. 3. Die negativen Immissionen in den einzelnen, bauplanungsrechtlich relevanten Bereichen
Jeder nach dem BauGB bedeutsame Vorgang spielt sich notwendig in einem der drei planungsrechtlichen Bereiche ab, die durch § 19 Abs. 1 BauGB in das Gesetz eingeführt werden; einen planungsrechtlichen Freiraum gibt es nicht. 112 Der nicht gesetzestechnische Begriff des Planbereichs bezeichnet hierbei den Geltungsraum eines sog. qualifizierten Bebauungsplans, der die Mindest108 BVerwG vom 20.9.1984-4 B 181.84- NVwZ 1985, 37 (Leitsatz); BVerwG vom 25.4.1985 -4 B 48:85- UPR 1985, 340; insofern aber wieder mißverständlich BVerwG vom 5.10.1984-4 B 190-192.84- NVwZ 1985, 38; siehe auch Mühl-Jäckel, DVBI. 1986, 545 (546). 109 110
Siehe hierzu auch Müht, in: FS F. Baur (1981), 83 (95). So auch Ort/off, NVwZ 1985, 13 (19).
111
Dies ist auch die wörtliche Quintessenz von BVerwG vom 13.3. 1981-4 C 1.78- DVBI. 1981,928 (929). 11 2 Vgl. Zinkahn, in: E/Z/B, BauGB, § 19 Rdnr. 17 ff. ; zusammenfassend: BVerwG vom 6.11.1968- IV C 2.66- BayVBI. 1969,316.
206
Teil 3: Öffentlich-rechtliche Lösungsansätze der Abwehr neg. Immissionen
festsetzungen des § 30 Abs. I BauGB enthält. Der ebenfalls untechnische Begriff des Innenbereichs bezeichnet jene Gebiete eines "im Zusammenhang bebauten Ortsteils", die nicht unter die Herrschaft eines qualifizierten Bebauungsplans fallen, aber dennoch eine mehr oder weniger geschlossene und organische Siedlungsstruktur aufweisen. Der negativ definierte Außenbereich ist jener Bereich, der weder Innen- noch Planungsbereich ist, § 19 Abs. 1 Nr. 3 BauGB. In allen Planungsbereichen spielen negative Immissionen als städtebauliche Konfliktsituationen eine erhebliche, den subjektiven Nachbarschutz und das "Gebot der Rücksichtnahme" tangierende Rolle: a) Der Planbereich (qualifizierter Bebauungsplan) aa) Allgemeines
Der Bebauungsplan ist seiner Rechtsnatur nach Rechtsnorm, nämlich kommunale Satzung (§ I 0 BauGB) und damit Untergesetzesrecht unter dem förmlichen Landesgesetz. 113 Nach § 30 Abs. I BauGB enthält ein qualifizierter Bebauungsplan normativ wirkende Mindestfestsetzungen (§ 8 Abs. 1 S. I BauGB) über die Art der baulichen Nutzung(§§ I - 14 BauNVO), das Maß der baulichen Nutzung(§§ 16 2Ia BauNVO), die überbaubare Grundstücksfläche (§ 23 BauNVO) und die örtlichen Verkehrsjlächen. Enthält der Bebauungsplan diese Mindestanforderungen nicht, so ist er nur ein einfacher Bebauungsplan, 114 wobei auch dieser in seinen Festsetzungen Normqualität aufweist und unmittelbar verbindlich ist, § 30 Abs. 2 BauGB. Im einzelnen ergeben sich die möglichen Festsetzungen aus § 9 Abs. 1 BauGB. Dieser Katalog ist abschließend, 115 jedenfalls unter der Einschränkung 113 Vgl. VGH BadWUrtt. vom vom 22.7.1966-1 131/65- DVBI. 1967, 385 "TUbinger Hochhaus-Fall"; die Literatur geht teilweise von einem Rechtssatz sui generis aus, Niehues, DVBI. 1982, 317 (321 m.v.N.); von "fließenden Grenzen" spricht BVerwG vom 30.1.1976 -IV C 26.74E 50, 114 (120).
114 Löhr, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, § 30 Rdnr. 7; Söjker, in: E/Z/B, BauGB, § 30 Rdnr. 31 ff.; H.Schrödter, in: Schrödter, BauGB, § 30 Rdnr. 2; Schlichter, in: Schlichter/Stich (Hrsg.), Berliner Kommentar, 4. Aufl., § 30 Rdnr. I; Gelzer/Birk, Bauplanungsrecht, Rdnr. 255. 115 BVerwG vom 24.4.1970 - IV C 53.67 - BayVBI. 1970, 285; Löhr, in: Battis/ Krautzberger/Löhr, BauGB, § 9 Rdnr. 5; Gaentzsch, in: Schlichter/Stich (Hrsg.), Berliner Kommentar, 4. Aufl., § 9 Rdnr. 3; Dürr/König, Baurecht, Rdnr. 67; Gelzer/ Birk, Bauplanungsrecht, Rdnr. 84.
C. Negative Immissionen im Bauplanungsrecht
207
des Abs. 4. 116 Bei der Betrachtung möglicher Festsetzungen ist ergänzend die BauNV0 117 heranzuziehen. Sinn und Zweck dieser Bundesverordnung ist die Präzisierung des Bauplanungsrechts. Die Vorgaben der BauNVO betreffen beispielsweise die bauliche Nutzung von Grundstücken hinsichtlich der Art (Bauflächen, Baugebiete), des Maßes (Geschoßflächen, Baumasse, Höhenbegrenzung baulicher Anlagen, Grundflächengröße, Zahl der Vollgeschosse), der Bauweise (offen oder geschlossen) oder der überbaubaren Grundstücksflächen; 118 sie sind also nicht auf die reine Ausgestaltung der Mindestfestsetzungen beschränkt. Neben der Vereinheitlichungswirkung entlastet vor allem die Vorgabe bestimmter Gebietstypen die Darstellung der kommunalen Bauleitpläne. Von zentraler und zugleich illustrativer Bedeutung für die Einbeziehung und die Wirkungsweise der BauNVO in die (qualifizierte) kommunale Bebauungsplanung sind somit die §§ I Abs. 2, 3 S. 1 BauNVO i.V.m. § 9 Abs. 1 BauGB. Hiernach sind in Bebauungsplänen, soweit erforderlich, die für die Bebauung vorgesehenen Flächen nach der besonderen Art der baulichen Nutzung darzustellen und festzusetzen. Der Begriff der Art der baulichen Nutzung meint dabei die Festsetzung eines in der BauNVO vorgesehenen Baugebiets in einem Bebauungsplan. 119 Die einzelnen Baugebietstypen ergeben sich ihrerseits aus § 1 Abs. 2 BauNVO und den näheren Bestimmungen der §§ 2 - II BauNV0. 120 Enthält nunmehr ein Bebauungsplan Festsetzungen gemäß § 1 Abs. 3 S. 1 BauNVO, werden die Vorschriften über den entsprechenden Baugebietstyp nach § I Abs. 3 S. 2 BauNVO Bestandteil des Bebauungsplans. Eine andere Art der baulichen Nutzung kann die Gemeinde nicht festsetzen. Die Vorgaben der Gebietstypen sind zwingend; 121 Abweichungsmöglichkeiten ergeben sich lediglich im Rahmen des § 1 Abs. 1 - 9 BauNVO. Die planungsrechtliche Zulässigkeit konkreter baulicher Vorhaben richtet sich demnach im Geltungs116 Siehe hierzu Löhr, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, § 9 Rdnr. I 07 ff.; Gelzer/Birk, Bauplanungsrecht, Rdnr. 84 und unten S. 228 f. 117 Verordnung über die bauliche Nutzung der Grundstücke - BauNVO - in der Fassung der Bekanntmachung vom 23.1.1990 (BGBI. I, 132). Die BauNVO beruht auf der Ermächtigungsgrundlage des § 2 Abs. 5 Nm. I - 3 BauGB. 118
Vgl. Hoppe, in: Ernst/Hoppe, Baurecht, Rdnr. 124 m.w.N.
Finkelnburg/Ortloff, Baurecht, Bd. I, 79 ff.; Dürr/König, Baurecht, Rdnr. 69; Löhr, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, § 9 Rdnr. 8. 119
120
Siehe hierzu im einzelnen die Darstellung bei Finkelnburg/Ortloff, Baurecht, Bd.l, § 10.
121
Vgl. Finkelnburg/Ortlojj, Baurecht, Bd. I, 81 m.w.N.
208
Teil 3: Öffentlich-rechtliche Lösungsansätze der Abwehr neg. Immissionen
hereich eines qualifizierten Bebauungsplans, § 30 BauGB, auch nach den Maßstäben der BauNV0. 122 Grundsätzlich und unter Einbeziehung der präzisierenden Normen der BauNVO ist es denkbar, (auch nachbarschützende) Festsetzungen über negative Immissionen in einfachen sowie in qualifizierten Bebauungsplänen aufzufinden. Solche Festsetzungen sind insgesamt keine Seltenheit. bb) Nachbarschützende Funktion
Ausgangspunkt der Betrachtungen zur nachbarschutzgewährenden Berücksichtigung negativer Immissionen im Bereich eines qualifizierten Bebauungsplans sind aber dessen Festsetzungen. Entscheidend ist zunächst, daß die normative Grundlage, nämlich § 30 Abs. 1 BauGB, aus sich heraus keine drittschützende Regelung darstellt. 123 Nach der Auffassung der Rechtsprechung 124 vermitteln auch die in einem Bebauungsplan in Bezug genommenen Vorschriften der BauNVO (eine Ausnahme gilt insoweit fiir § 15 BauNVO) keinen eigenständigen Drittschutz. Nur die individuellen, ortsrechtlichen Festsetzungen selbst können eine solche Wirkung entfalten. Um allerdings rechtsstaatliehen Anforderungen zu genügen, müssen Festsetzungen dieser Art inhaltlich ausreichend bestimmt sein, was sich aus ihrer grundrechtsrelevanten Dimension ergibt. Wirksame Festsetzungen determinieren als Vorschriften i.S.d. Art 14 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 GG das Grundstückseigentum unter dem Gesichtspunkt der nutzungsbedingten Immissionen. 125 Grundsätzlich haben Bebauungspläne und insoweit auch ihre Festsetzungen städtebauliche Ordnungsfunktion; sie ergehen im öffentlichen Interesse. Aus diesem Grunde kommt den Festsetzungen eines Bebauungsplans generell keine Drittschutzwirkung zu. 126 Soll einer Bebauungsplanfestsetzung dennoch nach122 Im unbeplanten Innenbereich, § 34 BauGB, werden die Vorschriften der§§ 2- II BauNVO zum Maßstab filr die zulässige Art von Vorhaben gern. § 34 Abs. 2 BauGB.
123 Vgl. BVerwG vom 18.10.1985 -IV C 19.82- Dö V 1986, 571 (572); Löhr, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, § 30 Rdnr. 26; Dyong, in: EIZ/B, BauGB, § 31 Rdnr. 128; Hoppenberg, in: Hoppenberg (Hrsg.), Handbuch, Teil H Rdnr. 167; Simon, Bay. Bauordnung, Art. 73 Rdnr. 17.
BVerwG vom 18.10.1985- IV C 19.82- Dö V 1986, 571 (572); BVerwG vom 20.9.19844 B 202/84- NVwZ 1985, 748. 124
125 BVerwG vom 11.3.1988-4 C 56.84- DVBI. 1988,845 (846) unter Verweis aufBVerwG vom 16.2.1973 - 4 C 99179- E 45, 5; siehe auch BVertD vom 14.5.1985 - 2 BvR 397, 398, 399/82 - E 70, 35 (52 f.); Finkelnburg/Ortloff, Baurecht, Bd. I, 79.
C. Negative Immissionen im Bauplanungsrecht
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barschützende Funktion zugemessen werden, ist dies nur dann anzunehmen, wenn es sich mittels Auslegung im Einzelfall 127 aus dem Plan selber, gegebenenfalls unter Zuhilfenahme der Planbegründung, 128 besonders ergibt. 129 Die Begründung als solche ist zwar nicht Planbestandteil; nichtsdestotrotz gewinnen sie und die in die Auslegung einzustellenden gesamten Planunterlagen erhebliche Bedeutung. 130 Der in Kraft getretene Bebauungsplan ist gern. § 12 S. 2 BauGB mit der Begründung zu jedermanns Einsicht bereitzuhalten. Die Rechtsgrundlage filr die Einsichtnahme in die weiteren Verfahrensakten ergibt sich aus § 29 VwVfG. 131 Ein vollständiger, nach einem ordnungsgemäßen Planverfahren aufgestellter Bebauungsplan besteht untechnisch gesprochen aus folgenden Bestandteilen: Dem eigentlichen Bebauungsplan in seinen zeichnerischen Darstellungen mit Legende und Verfahrensvermerken, den textlichen, entweder auf dem Plan selbst oder getrennt davon vermerkten Festsetzungen, der Bebauungsplanbegründung, § 9 Abs. 8 BauGB, und den Bebauungsplanakten, die den verfahrensmäßigen Gang nachvollziehbar enthalten müssen. 132 Lautet eine schriftliche Festsetzung beispielsweise: "Eingeschossige Wohngebäude mit einem fremder 126 Vgl. OVG Münster vom 22.10.1987 - 21 A 330/87 - NVwZ 1988, 554 (559) "Brennelemente-Zwischenlager Ahaus"; BVerwG vom 19.9.1986- 4 C 8/84- NVwZ 1987, 409; Gelzer/Birk, Bauplanungsrecht, Rdnr. 973 ff. 127 Zur Auslegungsfl!higkeit von Bebauungsplanfestsetzungen: BVerwG vom 18.12.1987 - 4 NB 2/86- NVwZ 1988, 822 (823); BVerwG vom 20.9.1984-4 B 202/84- NVwZ 1985, 748; siehe außerdem BVerwG vom 16.8.1983- IV B 94.83- DVBI. 1984, 145; Simon, Bay. Bauordnung, Art. 73 Rdnr. 17; siehe in bezug auf Sonnenenergieanlagen Jarass, JZ 1980, 119 (123); a.A. Schroer, DVBI. 1984,426. 128 Siehe hierzu OVG Münster vom 3.10.1973 - VII A 462/73 - DVBI. 1974, 364 (365); BVerwGvom 20.9.1984-4 B 202/84- NVwZ 1985,748. 129 Zu beachten ist, daß es sich bei der Auslegung des Bebauungsplans um irreversibles Ortsrecht handelt, §§ 137 Abs. I Nr. I, 173 VwGO i.V.m. § 563 BGB, das BVerwG also lediglich bundesrechtlich erhebliche Verstöße gegen Auslegungsgrundsätze überprüfen kann; vgl. BVerwG vom 6.10.1989-4 C 14/87- NJW 1990, 1192; Hoppenberg, in: Hoppenberg (Hrsg.), Handbuch, Teil H Rdnr. 219. 130
So auch BVerwG vom 11.3.1988 - 4 C 56.84- BayVBI. 1988, 568; dagegen aber BayVGH vom 12.7.1983 - I N 1321/78- BayVBI. 1984, 339; hiergegen wiederum Birkl!Jäde, Nachbarschutz, Teil D Rdnr. 123. 131 Birk, Bauplanungsrecht, Rdnr. 4; filr das gerichtliche Verfahren ergibt sich dies aus § 100 VwGO. 132 Siehe zur Berücksichtigung dieser Unterlagen bei der Auslegung der Festsetzungen: VGH BadWürtt. vom 4.10.1983 - 5 S 933/83, BauR 1984, 52 (54); BVerwG vom 20.9.1984 - 4 B 202/84 - NVwZ 1985, 748; Löhr, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, § 31 Rdnr. 62; Birk, Bauplanungsrecht, Rdnr. 2.
14 Reetz
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Teil 3: Öffentlich-rechtliche Lösungsansätze der Abwehr neg. Immissionen
Sicht entzogenen Gartenhof", so wird der (nachbarbegünstigende) Schutzgehalt . 133 zu beJ"ahen sem. cc) Festsetzungen im Bebauungsplan mit Bezug zu negativen Immissionen (1) Allgemeines
Die Bewältigung städtebaulicher Konflikte aus dem Bereich negativer Immissionen als einer wesentlichen Determinante der Grundstücksnutzung ist im Rahmen von Bebauungsplanfestsetzungen in vielfaltiger Weise möglich und auch gängige Praxis. Sofern solche Festsetzungen den betroffenen Grundstückseigentümer nicht nur reflexartig begünstigen wollen, müssen die dargestellten Anforderungen der Schutznormtheorie erfüllt sein, muß also die einzelfallbezogene Auslegung der Festsetzungen deren individualisierende Schutzrichtung ergeben. Aus dem Katalog des § 9 Abs. 1 BauGB haben einige mögliche Festsetzungen deutliche Affinität zu Fallgruppen aus dem Bereich der negativen Immissionen: (2) Bauweise, §§ 9 Abs. 1 Nr. 2 BauGB, 22 BauNVO
Gegenstand einer Festsetzung der Bauweise ist die Frage, ob ein Gebäude mit Abstand zur seitlichen Grundstücksgrenze, also in offener Bauweise, oder ohne die Einhaltung eines seitlichen Grenzabstandes, demnach in geschlossener Bauweise, errichtet werden darf. Eine Abweichungsmöglichkeit von den Regelbauweisen eröffnet § 22 Abs. 4 BauNVO durch die Instrumente der halboffenen Bauweise, der Kettenbauweise oder solcher Bauweisen, die sich auf die hintere oder vordere Grundstücksgrenze beziehen; 134 hier aber insgesamt vernachlässigt werden können. § 22 Abs. 2 BauNVO regelt zusätzlich die zulässigen Gebäudearten.135 133 So im Falle BVerwG vom 20.9.1984-4 B 202/ 84- NVwZ 1985, 748 und hierzu die Vorinstanz OVG Lüneburg vom 27.6.1984-6 A 68/82- BauR 1984,619. 134 Vgl. Schwarzer, Handbuch, 11, Rdnr. 133; Gelzer/Birk, Bauplanungsrecht, Rdnr. 87; WSchrödter, in: Schrödter, BauGB, § 9 Rdnr. 33; Bielenberg, in: E/Z/B, BauGB, § 9 Rdnr. 21 ; Gierke, in: Brügelmann/Dürr, BauGB, § 9 Rdnr. 123 ff. 135 Siehe zu Einzelheiten Grabe, BauR 1991, 530; Birkl/Geiger, Nachbarschutz, Teil E Rdnr. 143 m.w.N. auch aus der Rechtsprechung; Fickert-Fieseler, BauNVO, 6. Aufl., § 22 Rdnr. 6.
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Eine Feinsteuerung der Grundstücksnutzung ist über die Regelungen der Bauweise nicht zu erreichen; die Gemeinde fallt lediglich eine Entscheidung über eine zusammenhängende oder aufgelockerte Bebauung. 136 Die Festsetzungen über die offene Bauweise werden durch das Abstandsflächenrecht der Landesbauordnungen, in Bayern Art. 6 f. BayBO, ergänzt. Das landesrechtliche Abstandsflächenrecht bewirkt grundsätzlich, also auch ohne planungsrechtliche Festsetzungen gern. § 22 BauNVO, eine offene Bauweise. Ein gültiger Bebauungsplan verdrängt jedoch die bauordnungsrechtlichen Vorgaben, wenn die geschlossene Bauweise angeordnet wird. 137 Die Gebäude sind dann in allen Geschossen mit den Brandwänden auf den seitlichen Grenzen zu errichten. 138 Etwas anderes gilt lediglich, falls die schon vorhandene Bebauung dies dringend erfordert. Solche zwingenden Abweichungsgründe können sich unter anderem aus der Regelungsbedürftigkeit negativer Immissionen ergeben, nämlich mangelnder Belichtung und Besonnung als Ausdruck insgesamt ungesunder Wohn- und Arbeitsverhältnisse. 139 Allerdings liegen solche Gründe nicht schon dann vor, wenn in der (Grenz-)Außenwand bereits bestehender Gebäude ein Fenster durch den Nachbarn verbaut werden würde. 140 Die Frage nach der nachbarschützenden Funktion der Festsetzungen über die Bauweise ist differenziert zu beantworten: Überwiegend wird den Festsetzungen über die offene Bauweise drittschützende Wirkung zuerkannt. 141 Strenggenommen ist diese Zuerkennung überflüssig, denn der Drittschutz ergibt sich bei offener Bauweise schon aus dem Abstandsflächenrecht der Landesbauordnungen. Trotzdem kann der überwiegenden Meinung gefolgt werden, denn bei der Festsetzung der offenen Bebauung gibt der Planungsträger auch auf der normativen Ebene des § 10 136 Finke/nburg/Ortlojf, Baurecht, Bd. I, III; Fickert-Fieseler, BauNVO, 6. Auf!., § 22 Rdnr. 2. 137
Finkelnburg/Ortlojf, Baurecht, Bd. I, II I.
138
Vgl. HessVGH vom 31.10.1979 - IV TG 56179 - BRS 35 Nr. 94; Fickert-Fiese/er, BauNVO, 6. Auf!., § 22 Rdnr. 9; Finkelnburg/Ortlojf, Baurecht, Bd. I, III f. 139 Dieses Beispiel auch bei Fickert-Fiese/er, BauNVO, 6. Auf!., § 22 Rdnr. 9; andeutungsweise: Birkl/Geiger, Nachbarschutz, TeilE Rdnr. 145; Dyong, in: E/Z/B, BauGB, § 31 Rdnr. 147. 140 Siehe zu Einzelheiten: OVG Münster vom 31.1.1991 - 7 B 241/91 - BauR 1991 738; Birk/1 Geiger, Nachbarschutz, TeilE Rdnr. 145 m.w.N. aus der Rechtsprechung. 141 Fickert-Fieseler, BauNVO, 6. Auf!., § 22 Rdnr. 8; Birkl/Geiger, Nachbarschutz, Teil E Rdnr. 144 m.w.N.; Ge/zer/Birk, Bauplanungsrecht, Rdnr. 1002; Dyong, in: E/Z/B, BauGB, § 31 Rdnr. 147; Dürr, in: Brügelmann/DUrr, BauGB, § 30 Rdnr. 91 ; Bielenberg, in: E/Z/B, BauNVO, § 22 Rdnr. 35; Löhr, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, § 31 Rdnr. 70; Hoppenberg, in: Hoppenberg (Hrsg.), Handbuch, Teil H Rdnr. 313; Send/er, BauR 1970, 4 (II ).
14*
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Teil3: Öffentlich-rechtliche Lösungsansätze der Abwehr neg. Immissionen
BauGB zu erkennen, daß neben der städtebaulichen Gestaltung das benachbarte Gebäude über ausreichenden Brandschutz sowie Belüftung und Besonnung verfügen soll. 142 Dagegen kommt den Festsetzungen über die geschlossene Bauweise in der Regel keine drittschützende Wirkung zu; sie dienen überwiegend städtebaulichen Zielsetzungen. 143 In bestimmten Konstellationen muß aber selbst den Festsetzungen über die geschlossene Bauweise drittschützende Wirkung zuerkannt werden. So kann etwa der Eigentümer eines Grundstückes, der richtigerweise auf die Grenze gebaut hat, verlangen, daß der Nachbar nicht durch Unterschreitung eine sog. "enge Reihe" entstehen läßt. 144 "Enge Reihen" sind nicht nur aus städtebaulichen Gründen unerwünscht, sie begünstigen in erheblichem Maße unerwünschte Wirkungen von negativen Immissionen: Die "enge Reihe" trägt nämlich durch Stauwirkung bzw. Behinderung einer ausreichenden Belüftung, zur Vemässung und Versehrnutzung der Grundstücke bei. Nachbarschutz ergibt sichtrotz der Festsetzung geschlossener Bauweise auch gemäß Art. 6 Abs. I S. 4 BayBO, wenn ausnahmsweise eine Abstandsfläche einzuhalten ist, 145 nicht aber, wenn ein Grundstückseigentümer freiwillig auf die Grenzbebauung verzichtet hat. 146 (3) Überbaubare Grundstücksfläche, §§ 9 Abs. 1 Nr. 2 BauGB, 23 BauNVO
§ 23 Abs. 1 BauNVO benennt die drei Techniken, mit deren Hilfe die überbaubare Grundstücksfläche bestimmt werden kann. Es wird hierdurch die konkrete Größe der Grundfläche der baulichen Anlage und ihre räumliche Lage im Verhältnis zur übrigen Bebauung bestimmt, 147 was ansonsten durch die Festset142 So auch Birkl/Geiger, Nachbarschutz, TeilE Rdnr. 144 a.E.; andeutungsweise Gelzer/Birk, Baup1anungsrecht, Rdnr. 89. 143 Vgl. Bielenberg, in: E/Z/B, BauNVO, § 22 Rdnr. 35; Hoppenberg, in: Hoppenberg (Hrsg.), Handbuch, Teil H Rdnr. 314; L6hr, in: Banis!Krautzberger!Löhr, BauGB, § 31 Rdnr. 71 ; Ge/zer/ Birk, Bauplanungsrecht, Rdnr. 1002.
144 So auch Birkl/Geiger, Nachbarschutz, Teil E Rdnr. 146; Dyong, in: E/Z/B, BauGB, § 31 Rdnr. 148; L6hr, in: Banis/Krautzberger/Löhr, BauGB, § 31 Rdnr. 71; Dürr, in: Brügelmann/ Dürr, BauGB, § 30 Rdnr. 91 ; Hoppenberg, in: Hoppenberg (Hrsg.), Handbuch, Teil H Rdnr. 315. 145
Dyong, in: E/Z/8, BauGB, § 31 Rdnr. 148; Birkl/Geiger, Nachbarschutz, Teil E Rdnr. 146.
146
BayVGH vom 15.12.1975- Nr. 185 I 75- BayVBI. 1976, 146; Dyong, in: E/Z/B, BauGB, § 31 Rdnr. 148. 147 Schwarzer, Handbuch, II, Rdnr. 134 m.w.N.; WSchr6dter, in: Schrödter, BauGB, § 9 Rdnr. 34 ff.; Bielenberg, in: E/Z/B, BauGB, § 9 Rdnr. 22; Gierke, in: Brügelmann/Dürr, BauGB, § 9 Rdnr. 127 ff. ; Finkelnburg/Ortloff, Baurecht, Bd. I, 112 f.
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zung von Art und Maß der baulichen Nutzung nicht und durch die Festsetzung der Bauweise nur im Verhältnis zu den seitlichen Grundstücksgrenzen möglich ist. Festsetzungen der überbaubaren Grundstücksflächen können geschoßweise unterschiedlich getroffen werden. § 23 Abs. 2 BauNVO regelt die Bau/inie 148 , d. h., der Bauherr muß zwingend an diese Linie bauen, ein Vor- oder Zurücktreten ist grundsätzlich unzulässig. Baulinien können an allen Seiten des Grundstücks festgesetzt werden. Der Bebauungsplan kann nach Art und Umfang genau defmierte Ausnahmen zulassen. Ebenso können Ausnahmen ftir geringftigige Abweichungen von einzelnen Gebäudeteilen zugelassen werden.
Im Gegensatz zur Baulinie bedeutet die in § 23 Abs. 3 BauNVO angesprochene Baugrenze 149 , daß diese von Gebäuden oder Gebäudeteilen nicht überschritten werden darf, ein Zurücktreten dagegen grundsätzlich zulässig ist. Ebenso wie Baulinien können Baugrenzen an allen Seiten des Grundstücks festgesetzt werden. Auch im Rahmen der Baugrenz-Bestimmungen sind Ausnahmen im Umfange des Abs. 2 zulässig. Dem § 23 Abs. 4 BauNVO ist die Definition der Bebauungstiefe, der rückwärtigen Baugrenze, zu entnehmen. Sie ist grundsätzlich von der tatsächlichen Straßengrenze ab zu ermitteln. Hieraus resultiert, daß eine zeichnerische Darstellung in der Regel nicht erfolgt, sondern auf den textlichen Teil zurückgegriffen werden muß. 150 In § 23 Abs. 5 BauNVO sind Fragen der Zulässigkeit von Nebenanlagen in den nicht überbaubaren Flächen im Hinblick auf das Bauplanungs- und das (Landes-) Bauordnungsrecht geregelt. Teile - vor allem der älteren Rechtsprechung - gingen davon aus, die Festsetzungen über die überbaubare Grundstücksfläche verfolgten rein städtebauliche Ziele und begünstigten den Nachbarn lediglich reflexartig, wodurch ein subjektiver Nachbarrechtsschutz ausgeschlossen sei. 151 Aus heutiger Sicht muß hinsichtlich der nachbarschützenden Funktion unterschieden werden:
148 Die Baulinie wird rot eingezeichnet, vgl. 3.3 der Anlage zur PlanzVO; siehe im übrigen Hoppe, in: Ernst/Hoppe, Baurecht, Rdnr. 275; Gierke, in: Brügelmann!Dürr, BauGB, § 9 Rdnr. 128; Ge/zer/Birk, Bauplanungsrecht, Rdnr. 91 f.; Finkelnburg/Ortlo.ff, Baurecht, Bd. I, 113. 149 Die Baugrenze wird blau eingezeichnet, vgl. 3.4 der Anlage zur PlanzVO; siehe im übrigen Hoppe, in: Ernst/Hoppe, Baurecht, Rdnr. 276; Gierke, in: Brügelmann/DUrr, BauGB, § 9 Rdnr. 128; Gelzer/Birk, Bauplanungsrecht, Rdnr. 91 f. ; Finkelnburg/Ortlo.ff, Baurecht, Bd. I, 113 f.
°
15 Finkelnburg/Ort/o.ff, Baurecht, Bd. I, 114; siehe auch Gelzer/Birk, Bauplanungsrecht, Rdnr. 96 f.
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Teil3: Öffentlich-rechtliche Lösungsansätze der Abwehr neg. Immissionen
Die Rechtsprechung gewährt in der Regel Drittschutz bei Festsetzungen über Baulinien und Baugrenzen. 152 Hiernach kommt den seitlichen und hinteren Baulinien und Baugrenzen in einem reinen oder allgemeinen Wohngebiet nachbarschützende Wirkung zugunsten des an der Grenze liegenden Nachbarn zu. 153 Der VGH Mannheim betont in diesem Zusammenhang, daß in der FestIegung der seitlichen und hinteren Baugrenzen gar kein anderer Zweck als der des Nachbarschutzes gesehen werden kann und nur diese Auslegung dem typischen nachbarlichen Austauschverhältnis gerecht wird. 154 Dem wird man jedenfalls flir die Fälle folgen können, in welchen die seitlichen oder hinteren Baugrenzen die Grenzabstände des Bauordnungsrechts wiedergeben oder diese gar unterschreiten 155 • Baulinien und Baugrenzen rezipieren in diesen Fällen nämlich auch den unstreitig drittschützenden, bauordnungsrechtlichen Regelungszweck der ausreichenden Belichtung, Besonnung, Belüftung sowie des Einsichtsschutzes und damit den Schutz vor negativen Immissionen. 156 Ein Überschreiten der Iandesrechtlichen Abstandsflächenregelungen erfolgt demgegenüber aus überwiegend städtebaulichen Gründen. 157 In der Regel kommt den Festsetzungen der vorderen Baugrenze oder Baulinie kein Drittschutz zu, weil hierdurch typischerweise städtebauliche Konflikte gelöst werden. Will der gemeindliche Satzungsgeber jedoch besonders tiefe Vorgärten durch weit zurückliegende Baulinien oder Baugrenzen schaffen, um 151
OVG Lüneburg vom 25.4.1967 -IV B 21/67- BRS 18 Nr. 142; Hess VGH vom 24.1.1969IV OG 90/ 68 - BRS 22 Nr. 168; Fickert-Fieseler, BauNVO, 6. Aufl., § 23 Rdnr. 6 m.w.N., der unverständlicherweise aus Abs. 5 den fehlenden Drittschutz herleitet. 152
Vgl. VGH BadWUrtt. vom 9.6.1983- 5 S 606/83- BauR 1984, 52; VGH BadWUrtt. vom 19.2.1987-8 S 2957/85- BauR 1987, 67 (69 f.); OVG Münster vom 14.11.1974- XI A 319/74BRS 28 Nr. 129; siehe auch Birkl/Geiger, Nachbarschutz, Teil E Rdnr. 149 m.w.N .; Löhr, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, § 31 Rdnr. 72; Dürr, in: Brügelmann/Dürr, BauGB, § 30 Rdnr. 92; Gelzer/Birk, Bauplanungsrecht, Rdnr. 1003 m.w.N. 153 VGH BadWUrtt. vom 23.7.1991-8 S 1606/91- NJW 1992, 1060 m.w.N.; VGH BadWürtt. vom 4.10.1983 - 5 S 933/83, BauR 1984, 52; VGH BadWürtt. vom 8.9.1970- 111 701/70 - BRS 23 Nr. 185. 154
VGH BadWürtt. vom 23.7.1991 - 8 S 1606/91 - NJW 1992, 1060 m.w.N.
155
Fickert-Fieseler, BauNVO, 6. Aull., § 23 Rdnr. 7.1; Hoppenberg, in: Hoppenberg (Hrsg.), Handbuch, Teil H Rdnr. 318; zur Unterschreitung der Iandesrechtlichen Bauabstandsflächen: Art. 7 Abs. I BayBO; BayVGH vom 20.11.1986- 2 CS 86. 2888 - UPR 1987, 442. 156
So auch Dürr, in: Brügelmann/Dürr, BauGB, § 30 Rdnr. 93 f.; Birk//Geiger, Nachbarschutz, Teil E Rdnr. 149; Fickertgf-Fiese/er, BauNVO, 6. Aufl., § 23 Rdnr. 7.1; Löhr, in: Battis/ Krautzberger/Löhr, BauGB, § 31 Rdnr. 72; Hoppenberg, in: Hoppenberg (Hrsg.), Handbuch, Teil H Rdnr. 318. 157 HessVGH vom 4.11.1991 - 4 TG 1610/91 - UPR 1992, 197; Fickert-Fieseler, BauNVO, 6. Aufl., § 23 Rdnr. 7.1.
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Einsehbarkeitsschutz oder die Besonnung der Außenwohnbereiche zu ermöglichen, ist der Drittschutz in Fragen negativer Immissionen gegeben. 158 Gegebenenfalls ist der Sinn der vorderen Baulinie oder Baugrenze durch Auslegung unter Zuhilfenahme der Planbegründung zu ermitteln. Die gleichen Erwägungen wie zuvor gelten hinsichtlich der hinteren Baulinien und Baugrenzen. 159 Doch auch hier kann zumindest dann nachbarschützende Wirkung angenommen werden, wenn für eine nach Süden hin orientierte Reihenhausbesiedlung eine gestaffelte hintere Baulinie festgesetzt wird, um eine ausreichende Besonnung der Freisitze zu gewährleisten. 160 Es handelt sich insoweit um eine Festsetzung im Bereich negativer Immissionen. Keine weitere Bedeutung für den Nachbarschutz hat § 23 Abs. 5 BauNVO.I61
(4) Stellung baulicher Anlagen,§ 9 Abs. 1 Nr. 2 BauGB
Durch eine von den Baulinien und Baugrenzen unterscheidbare Festsetzung eigener Art kann die Stellung der baulichen Anlagen planungsrechtlich determiniert werden. Diese Festsetzungsmöglichkeit ergibt sich allein aus § 9 Abs. l Nr. 2 BauGB, also unabhängig von der BauNV0; 162 sie wird allgemein durch die Festlegung der Firstrichtung an Bezugspunkten oder die Himmelsrichtung bestimmt. 163 Die Festsetzung der Stellung der baulichen Anlage hat starken baugestalterischen Charakter. Sie ist deshalb insgesamt umstritten. 164 Es ergibt 158 So auch Birki/Geiger, Nachbarschutz, Teil E Rdnr. ISO; H(;ppenberg, in: Hoppenberg (Hrsg.), Handbuch, Teil H Rdnr. 320; Fickert-Fieseler, BauNVO, 6. Auf!., § 23 Rdnr. 7 m.w.N. 159 Löhr, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, § 31 Rdnr. 72 mit Beispielen aus dem Bereich der negativen Immissionen; Dürr, in: Brügelmann/Dürr, BauGB, § 30 Rdnr. 93 f.; Dyong, in: E/Z/B, BauGB, § 31 Rdnr. !52; Birki/Geiger, Nachbarschutz, Teil E Rdnr. 151 m.w.N. vor allem aus der Rechtsprechung.
160 OVGMünstervom 14.11.1974- XI A 319174- BRS 28 Nr. 129; BVerwG vom 18.3.19834 C 17.81 - BRS 40 Nr. 92; Fickert-Fieseler, BauNVO, 6. Auf!., § 23 Rdnr. 7; Hoppenberg, in: Hoppenberg (Hrsg.), Handbuch, Teil H Rdnr. 322; Dyong, in: E/Z/B, BauGB, § 31 Rdnr. !52 m.w.N. 161 Vgl. insoweit Bielenberg, in: E/Z/B, BauNVO, § 31 Rdnr. 59; Hoppenberg, in: Hoppenberg (Hrsg.), Handbuch, Teil H Rdnr. 327; Birkl/Geiger, Nachbarschutz, TeilE Rdnr. !52 m.w.N. auch zur vergleichbaren Rechtslage nach § 13 Abs. 4 RGaO.
162 So auch Gelzer/Birk, Bauplanungsrecht, Rdnr. 98; Bielenberg, in: E/Z/B, BauGB, § 9 Rdnr. 23. 163 Siehe zu Einzelheiten: Gaentzsch, in: Schlichter/Stich (Hrsg.), Berliner Kommentar, 4. Auf!.,§ 9 BauGB Rdnr. 19; Bielenberg, in: E/Z/B, BauGB, § 9 Rdnr. 23; Gierke, in: Brügelmann/Dürr, BauGB, § 9 Rdnr. 135.
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Teil 3: Öffentlich-rechtliche Lösungsansätze der Abwehr neg. Immissionen
sich allerdings keine Fixierung auf baugestalterische Fragen; die Notwendigkeit einer solchen Festsetzung kann sich auch im Rahmen der planerischen Konfliktbewältigung im Hinblick auf Wirkungsweisen negativer Immissionen ergeben, etwa im Zusammenhang mit möglichen Beeinträchtigungen der Besonnung, Belüftung und Empfangsstörung elektromagnetischer Wellen. 165 Soweit die Festsetzung der Stellung einer baulichen Anlage überwiegend baugestalterische Ziele verfolgt, handelt es sich geradezu um einen klassischen Fall einer rein im öffentlichen Interesse erlassenen Norm. Handelt es sich jedoch um Festsetzungen zur planerischen Bewältigung von grundstücksbezogenen Konfliktlagen im Zusammenhang mit negativen Immissionen, wird man entsprechend der Schutznormtheorie, d.h. bei genügender lndividualisierbarkeit der Begünstigten, Drittschutz annehmen müssen. (5) Maß baulicher Nutzung,§§ 9 Abs. 1 Nr. 1 BauGB, 16 Abs. 2 BauNVO
Nach § 16 Abs. 2 BauNVO kann das zulässige Maß der baulichen Nutzung bestimmt werden durch Festsetzungen der Grundflächenzahl oder der Größe der Grundfläche der baulichen Anlagen, durch Festsetzungen der Geschoßflächenzahl oder der Größe der Geschoßfläche, der Baumassenzahl oder der Baumasse, durch Festsetzungen der Zahl der Vollgeschosse und der Höhe baulicher Anlagen. § 16 Abs. 2 BauNVO stellt insoweit das Instrumentarium bereit, die Größe der Baukörper zu dimensionieren. 166
- Grundflächenzahl und Grundfläche: Die Begriffe und Techniken zur Ermittlung der Grundflächenzahl (GRZ) bzw. der Grundfläche (GR) sind im einzelnen§ 19 BauNVO zu entnehmen. Sie geben an, welcher Anteil der Grundstücksfläche 167 mit baulichen Anlagen 164 Vgl. die Hinweise bei Gelzer/Birk, Bauplanungsrecht, Rdnr. 98 f.; Bielenberg, in: E/Z/B, BauGB, § 9 Rdnr. 23; Kuhn, DVBI. 1968, 497 (500). 165 So ausdrücklich: Bielenberg, in: E/Z/B, BauGB, § 9 Rdnr. 23 m.w.N.; Gaentzsch, in: Schlichter/Stich (Hrsg.), Berliner Kommentar, 4. Auf!., § 9 BauGB Rdnr. 18 a.E., hier auch zur Ausnutzung regenerativer Energien. 166 Vgl. Löhr, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, § 9 Rdnr. 10; Gierke, in: Brügelmann/ Dürr, BauGB, § 9 Rdnr. 114 ff.; Finkelnburg/Ortlojj, Baurecht, Bd. I, 105 f.; Fickert-Fieseler, BauNVO, 6. Auf!., § 16 Rdnr. I ff.; Gelzer!Birk, Bauplanungsrecht, Rdnr. 86; Schwarzer, Handbuch, II, Rdnr. 132. 167 Zum maßgeblichen Grundstücksbegriff: BVerwG vom 16.4.1971 -IV C 73.68 - DVBI. 1970, 829; Birkl/Geiger, Nachbarschutz, Teil E Rdnr. 135; Fickert-Fieseler, BauNVO, 6. Aufl., § 19 Rdnr. 2 f. ; Bielenberg, in: E/Z/B, BauGB, § 9 Rdnr. 7 f.; Boeddinghaus, BauR 1992, 181.
C. Negative Immissionen im Bauplanungsrecht
217
überdeckt werden darf und in welchem Umfang er unbebaut zu bleiben hat. Lautet die GRZ beispielsweise 0,5, darf bezogen auf ein 1000 m2 großes Grundstück ein Grundstücksanteil von 500 m2 real überbaut werden. An Stelle dieser relativen Größen, verwendet die GR absolute Größen, beispielsweise: GR 120m2. Ob Festsetzungen über die Grundflächenzahl oder die Grundfläche nachbarschützend wirken, wird uneinheitlich, aber zu Recht überwiegend ablehnend beantwortet. 168 Festsetzungen dieser Art verfolgen durch ihre baubeschränkende Wirkung vordringlich städtebauliche Ziele, nämlich die Auflockerung der Bebauung. Daß dies den Nachbarn durch die Verhinderung typischer Konfliktsituationen aus dem Bereich der negativen Immissionen zugute kommt, ist ein Reflex objektiven Rechts, nicht aber die Einräumung einer wehrfähigen Rechtsposition. 169 Da durch solche Festsetzungen eine genaue Situierung der baulichen Anlagen nicht zu erreichen ist, resultiert dies, trotz des Bezugs zu negativen Immissionen, aus der Schutznormtheorie infolge mangelnder Individualisierbarkeitsmerkmale möglicher Berechtigter. - Geschoßflächenzahl und Geschoßfläche:
Die Begriffe der Geschoßflächenzahl (GFZ) bzw. Geschoßfläche (GF) ergeben sich aus § 20 BauNVO. Vereinfacht ausgedrückt, beschreiben sie die Nutzfläche, die im Verhältnis zur Grundstücksgröße auf dem Grundstück verwirklicht werden darf. Die Geschoßfläche ist nach den Ausmaßen der Gebäude in allen Vollgeschossen zu ermitteln, § 20 Abs. 3 BauNVO. Bei der Ermittlung der Geschoßfläche bleiben Nebenanlagen i.S.d. § 14 BauNVO unberücksichtigt; gleiches gilt für bauliche Anlagen, die landesrechtlich innerhalb von Abstandsflächen zulässig sind, § 20 Abs. 4 BauNVO. Durch Festsetzungen dieser Art dimensioniert der Bebauungsplan die Baukörper und bestimmt gebietsbezogen die Bebauungsdichte. 170 Setzt der Bebauungsplan eine GFZ von 0,3 fest, kann auf einem 1000 m2 großen Grundstück eine Nutzfläche von ca. 300 m2 verwirklicht werden.
168 OVG Bremen vom 1.3.1989- I B 5/89- NVwZ-RR 1990, 293; Dyong, in: E/Z/B, BauGB, § 31 Rdnr. 143 m.w.N.; Dürr, in: Brügelmann/Dürr, BauGB, § 30 Rdnr. 88 f.; Birkl/Geiger, Nachbarschutz, TeilE Rdnr. 137; Gelzer/Birk, Bauplanungsrecht, Rdnr. 996; Finkelnburg/Ortloff, Baurecht, Bd. I, 108; Hoppenberg, in: Hoppenberg (Hrsg.), Handbuch, Teil H Rdnr. 307; a.A. VGH BadWürtt. vom 20.1.1964-11612/63- DÖV 1964, 388. 169
In der Sache ebenso Birkl/Geiger, Nachbarschutz, TeilE Rdnr. 137.
170
Vgl. Finkelnburg/Ort/off, Baurecht, Bd. I, 109 f.
218
Teil 3: Öffentlich-rechtliche Lösungsansätze der Abwehr neg. Immissionen
Nach der überwiegenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur kommt den Festsetzungen über die Geschoßfläche keine drittschützende Wirkung zu. 171 Derartige Festsetzungen beeinflussen primär die Bebauungs- und Einwohnerdichte172 eines Plangebietes, und sie haben insofern eine vordringlich städtebauliche Dimension. Soweit durch die Grundfläche ein präventiver Schutz vor den Wirkungen von negativen Immissionen erreicht wird, handelt es sich um einen bloßen Reflex objektiven Rechts. Die Geschoßfläche beeinflußt nicht die genaue Situierung des Gebäudes auf einem Grundstück. Entsprechend der Schutznormtheorie fehlt es damit an einem Ansatzpunkt zur Individualisierung konkreter nachbarlicher Interessen, die über diejenigen aller Planbetroffenen hinausgeht. - Zahl der Vollgeschosse:
Die Festsetzung der Zahl der Vollgeschosse gehört zu den wichtigsten Festsetzungen eines qualifizierten Bebauungsplans; sie ist allerdings entbehrlich, wenn die Höhe der Gebäude als solche festgesetzt wird. Aus dem Bebauungsplan kann sich ergeben, ob die Geschoßzahl zwingend ist. Ist dies nicht der Fall, ist das Maß der baulichen Nutzung nur insoweit beschränkt, als nicht über die festgesetzte Geschoßzahl gebaut werden darf. Für den Begriff Vollgeschoß (Z) verweist § 20 Abs. 1 BauNVO auf das Landesrecht, also für Bayern auf Art. 2 Abs. 4 BayBO. Hiernach gelten als Vollgeschosse diejenigen, die vollständig über der Geländefläche liegen und über mindestens zwei Drittel ihrer Grundfläche eine Höhe von wenigstens 2,30 m aufweisen. Die Frage nach dem Drittschutzcharakter von Festsetzungen über die Zahl der Vollgeschosse ist in der Rechtsprechung und Literatur stark umstritten. 173 171 Vgl. HessVGH vom 26.1.1968- IV OG II7/67- BRS 20 Nr. I57; Dyong, in: E/Z/B, BauGB, § 31 Rdnr. 144; Birkl/Geiger, Nachbarschutz, Teil E Rdnr. 139 c; Gelzer/Birk, Bauplanungsrecht, Rdnr. 1000; Dürr, in: Brügelmann!Dürr, BauGB, § 30 Rdnr. 89; a.A. VGH BadWürtt. vom 22.7.1966- I 131/65- DVBI. 1967,385 (388) "TUbinger Hochhaus-Fall"; Schlichter, in: Schlichter/Stich (Hrsg.), Berliner Kommentar, 4. Aufl., Vorb. zu den §§ 29-38 BauGB Rdnr. 57; Hoppenberg, in: Hoppenberg (Hrsg.), Handbuch, Teil H Rdnr. 307. Für den Einzelfall aber anerkannt durch: BVerwG vom 13.3.1981 -4 C 1.78- DVBI. 1981, 928. 172 Vgl. Dyong, in: E/Z/B, BauGB, § 31 Rdnr. 144; Birkl/Geiger, Nachbarschutz, Teil E Rdnr. 139 c.
173
Dagegen: OVG LUneburg vom 31.5 .1967 -I A 81/66- DVBI. 1968, 45; OVG Bremen vom 11.11.1970- I B 58/70- BRS 23 Nr. 175; OVG Berlin vom 14.4.1967- II 8 27.66- BRS 18 Nr. 124; OVG Münster vom 18.4.1991 - II A 696/87 - BauR 1992, 60; Dyong, in: E/Z/8, BauGB, § 31 Rdnr. 146 m.w.N. Daflir, aber auf den Einzelfall abstellend: BVerwG vom 13.3.I98I -4 C 1.78- DVBI. I 98I , 928; VGH BadWürtt. vom 8.3.1988-8 S 1021/88- BRS 48 Nr. I69; HessVGH vom 3.4.I968-
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Unverkennbar kommt diesen Festsetzungen in erheblichem Maße städtebauliche Funktion zu. Dennoch wird man eine Tendenz zur nachbarschützenden Funktion annehmen müssen, denn es soll gerade auch im Hinblick auf die Wirkungsweise negativer Immissionen eine störende Höhenentwicklung baulicher Anlagen verhindert werden. Diese Tendenz zum (individualisierbaren) Drittschutz wird jedenfalls überwiegend bei der Bebauung von Hanglagen bejaht, wenn durch die Festsetzungen der Vollgeschosse ein Aussichtsschutz der Oberlieger bezweckt sein könnte. 174 Im Hinblick auf die Erhaltung der (guten) Aussicht gilt zwar auch nach öffentlichem Recht, daß eine eigentumsrechtlich relevante "Situationsberechtigung" grundsätzlich nicht anzuerkennen ist; der natürliche Lagevorteil eines Grundstücks bietet insoweit lediglich eine eigentumsrechtlich nicht geschützte Chance. 175 In der Regel werden Festsetzungen zur Zahl der zulässigen Vollgeschosse auch nicht die (gute) Aussicht schützen wollen. Entscheidend ist aber nicht, wie eine Mehrzahl von Fällen tatsächlich gehandhabt wird, sondern daß eine nachbarschützende Festsetzung zum Aussichtsschutz möglicher und erlaubter Gegenstand der manifestierten Planungsvorstellungen sein kann. 176 Dieselbe Festsetzung kann demnach in einem Fall nachbarschützend sein, in einem anderen nicht. Ist die Zahl der zulässigen Vollgeschosse erkennbar nur aus städtebaulichen Ordnungsgründen begrenzt, kommt einer solchen Festsetzung keine drittschützende Funktion zu. Soll dieselbe Festsetzung hingegen gezielt - u. U. aus der Planbegründung entnehmbar - die (gute) Aussicht eines vorhandenen Baugebiets erhalten, ist sie drittschützend und eine öffentlichrechtliche Regelung auf dem Gebiet der negativen Immissionen; wobei ähnliIV OG 30/68- BRS 20 Nr. I59; OVG Saarland vom 20.6.1990-2 W 16/90- BRS 50 Nr. 118; Birki/Geiger, Nachbarschutz, Teil E Rdnr. 139 b; Fickert-Fieseler, BauNVO, 6. Aufl., § 16 Rdnr. 59; Gelzer/Birk, Bauplanungsrecht, Rdnr. 1000; Schlichter, in: Schlichter/Stich (Hrsg.), Berliner Kommentar, 4. Aufl., Vorb. zu den §§ 29-38 BauGB Rdnr. 56 f.; H.Schrödter, in: Schrödter, Bau-GB, § 31 Rdnr. 65; Hoppenberg, in: Hoppenberg (Hrsg.), Handbuch, Teil H Rdnr. 309; Send/er, BauR 1970,4 (10 f.). 174 So ausdrücklich: Birki/Geiger, Nachbarschutz, Teil E Rdnr. 139 b; Dyong, in: E/Z/B, BauGB, § 31 Rdnr. 146; Fickert-Fiese/er, BauNVO, 6. Aufl., § 16 Rdnr. 59; Hoppenberg, in: Hoppenberg (Hrsg.), Handbuch, Teil H Rdnr. 310 mit Nachweisen auf zum Teil unveröffentlichte Rechtsprechung.
175 BVerwG vom 13.6.1969- IV C 80.67- BRS 22 Nr. 183; BVerwG vom 3.1.1982- IV B 224.82- BRS 40 Nr. 192; Birkl/Geiger, Nachbarschutz, TeilE Rdnr. 58 m.w.N. 176 Siehe hierzu BVerwG vom 17.2.1971- IV C 2.68- DVBI. 1971, 754; OVG Lüneburg vom 31.5.1967 -I OVG A 81/66- DVBI. 1968,45 (47); zu diesen Entscheidungen, gerade im Hinblick auf den Aussichtsschutz: Gelzer/Birk, Bauplanungsrecht, Rdnr. 93 Fn. 6; Dürr, in: Brügelmannl Dürr, BauGB, § 30 Rdnr. 88 m.w.N.
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Teil 3: Öffentlich-rechtliche Lösungsansätze der Abwehr neg. Immissionen
ehe Erwägungen für diejenigen Fälle gelten, in denen erkennbar wird, daß durch die entsprechenden Festsetzungen ein Besonnungsschutz der Grundstükke erreicht werden sollte. 177 - Höhe baulicher Anlagen:
§ 18 Abs. 1 BauNVO eröffuet der planenden Gemeinde die Befugnis, die Festsetzung der Höhe der baulichen Anlage und die dazugehörigen Bezugspunkte im Bebauungsplan zu bestimmen. 178 Die Festsetzung der Höhe einer baulichen Anlage ist eine alternative oder ergänzende Möglichkeit zu den Festsetzungen der Zahl der Vollgeschosse. Im Zusammenhang mit den Höhenfestsetzungen ist§ 16 Abs. 4 BauNVO zu beachten, der neben der Möglichkeit, Höchstmaße zu bestimmen, auch Mindesthöhen zuläßt. Die Höhe der Anlagen kann zwingend festgesetzt werden; geringfUgige Abweichungen ermöglicht § 18 Abs. 2 BauNVO. Auch für§ 18 BauNVO (etwa im Zusammenhang mit§ 16 Abs. 4 BauNVO) gilt, daß nicht die Norm selbst, sondern bestenfalls die Bebauungsplanfestsetzung als solche Drittschutz zu vermitteln vermag.179 Allgemein kann gesagt werden, daß Festsetzungen über die Höhe baulicher Anlagen, wie überhaupt über das Maß der baulichen Nutzung in erster Linie städtebaulichen Zwecken dienen. Gerade die Höhenentwicklung von Gebäuden hat aber erhebliche Auswirkungen auf die Grundstücksnutzung der Nachbargrundstücke im Hinblick auf Besonnung, Belichtung und Belüftung; hiermit sind erneut die Grundkonstellationen der negativen Immissionen angesprochen. Man wird diesen Festsetzungen unter der Voraussetzung der Schutznormtheorie Drittschutz zubilligen müssen. 180 - Baumassenzahl und Baumasse:
Die Begriffe der Baumassenzahl (BMZ) oder der Baumasse erschließen sich aus § 21 BauNVO. Die BMZ gibt an, wieviel Baumasse im Verhältnis zur 177 Beispiel nach: Gelzer/Birk, Bauplanungsrecht, Rdnr. 1000; ähnlich auch HSchrödter, in: Schrödter, BauGB, § 9 Rdnr. 65 . 178 Siehe zu Einzelheiten: Boeddinghaus, BauR 1991, 4; aus der älteren Rechtsprechung: Jahrb. Sächs. OVG 4, 189 (190); 29, 153 (158). 179 180
Grundlegend BVerwG vom 17.2.1971- IV C 2.68- DVBI. 1971, 754.
So auch ausdrücklich Birk//Geiger, Nachbarschutz, Teil E Rdnr. 133 und Bie/enberg, in: E/Z/8, BauGB, § 9 Rdnr. 23; Löhr, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, § 9 Rdnr. 17, unter Hinweis auf die Problematik der Funk- und Femsehempfangsbeschattung; Dürr, in: Brügelmann/ Dürr, BauGB, § 30 Rdnr. 88; schwankend Ge/zer/Birk, Bauplanungsrecht, Rdnr. 999.
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Grundstücksgröße erzielt werden kann; sie bezeichnet den Rauminhalt in Kubikmetern. Lautet bei einem Grundstück von I 000 m2 die BMZ 0, 7, so kann eine bauliche Anlage mit einem Rauminhalt von700m3 errichtet werden. 181 Aufgrund der relativen Unbestimmtheit der BMZ - die genaue Situierung der Gebäude auf einem Grundstück kann mit dieser Festsetzung nicht gesteuert werden - kann auf der Grundlage der Schutznonntheorie davon ausgegangen werden, daß eine solche Festsetzung keinen Drittschutz gewährt. 182 (6) Versorgungsflächen, § 9 Abs. I Nr. 12 BauGB
Im Zusammenhang mit negativen Immissionen spielen auch mögliche Festsetzungen von Versorgungsj/ächen 183 insofern eine gewisse Rolle, als hierbei Energiegewinnungsanlagen begünstigt werden können, die auf der Ausnutzung natürlicher, regenerativer Energiequellen basieren. 184 Der Sache nach besteht zwischen dem Begriff der Versorgungsflächen und dem in § 5 Abs. 2 Nr. 4 BauGB verwendetem Tenninus "Flächen für Versorgungsanlagen" kein Unterschied.185 Zu denken ist bei den begünstigten Anlagen in erster Linie an die . Iagen 187. PIanungs. schon emgangs erwäh"nten w·md- 186 un d Sonnenenerg1ean rechtlich ohne Belang ist die Frage, ob es sich hierbei um private oder öffentliche Anlagen handelt (arg. § 5 Abs. 2 Nr. 2 BauGB). 188
181 Zu weiteren Einzelheiten: Fickert-Fieseler, BauNVO, ger, Nachbarschutz, TeilE Rdnr. 141.
6. Aufl., § 21 Rdnr. I ff.; Birkl/Gei-
182 Vgl. HessVGH vom 26.1.1968 -IV OG 117/67- BRS 20 Nr. 157; Birkl/Geiger, Nachbarschutz, Teil E Rdnr. 141 a; Dürr, in: Brügelmann/Dürr, BauGB, § 30 Rdnr. 89; Hoppenberg, in: Hoppenberg (Hrsg.), Handbuch, Teil H Rdnr. 311.
183 Festsetzungen nach§ 9 Abs. I Nr. 12 BauGB müssen im Zusammenhang mit solchen nach Nm. 13 und 21 gesehen werden: Bielenberg, in: E/Z/8, BauGB, § 9 Rdnr. 53; WSchrödter, in: Schrödter, BauGB, § 9 Rdnr. 68.
184 Für die Gemeinden hat eine solche Festsetzung große Bedeutung im Zusammenhang mit Begründung von Vorkaufs- und Enteignungsrechten, § 24 Abs. 1 Nr.l und § 40 Abs. 1 Nr. 6 BauGB sowie mit dem Erlaß einer Veränderungssperre zur Sicherung des Standorts. Siehe hierzu Gelzer/Birk, Bauplanungsrecht, Rdnr. 142 ff. 185 Gaentzsch, in: Schlichter/Stich (Hrsg.), Berliner Kommentar, 4. Aufl., § 9 BauGB Rdnr. W.Schrödter, in: Schrödter, BauGB, § 9 Rdnr. 68.
33;
186 Siehe hierzu Bielenberg, in: E/Z/8, BauGB, § 9 Rdnr. 51 m.w.N; Ronellenfitsch, VerwArch 75 (1984), 407; Pöttinger, DÖV 1984, 100; Söjker, BBauBI. 1983,486.
187 Siehe zu diesem Problemkreis Jarass, JZ 1980, 119.
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Teil 3: Öffentlich-rechtliche Lösungsansätze der Abwehr neg. Immissionen
Dient die Festsetzung von Versorgungsflächen gerade dem Betrieb solcher, auf die Ausnutzung regenerativer Energien konzipierter Anlagen, wobei die Art der Anlage im Bebauungsplan genau zu bezeichnen ist, 189 wird diese Festsetzung regelmäßig Drittschutz gegenüber beschattenden Nachbarvorhaben genießen, weil ansonsten eine bestimmungsgemäße Nutzung der Anlagen und damit eine Verwirklichung der Festsetzung nicht mehr möglich erscheint. 190 Soweit lediglich kleiner dimensionierte, private Windenergieanlagen errichtet werden sollen, können diese, unabhängig von Festsetzungen gern. § 9 Abs. I Nr. 12 BauGB, als untergeordnete Nebenanlagen nach § 14 BauNVO in einem Baugebiet zulässig sein. 191 Solche Anlagen werden somit Drittschutz gegen die Wirkung abschattender, negativer Immissionen nur im Rahmen der subjektivrechtlichen Variante des Rücksichtnahmegebots erlangen können. 192 (7) Geh-, Fahr- und Leitungsrechte, § 9 Abs. 1 Nr. 21 BauGB
Festsetzungen nach § 9 Abs. I Nr. 2I BauGB (siehe auch § 9 Abs. I Nr. 13 BauGB) betreffen das Problemfeld des Abschneidens von bzw. den Zugang zu schon bestehenden Infrastrukturverbindungen, wie sie in Teilausschnitten der Fallgruppe negativer Immissionen in Gestalt des "Abschneidens von Zugangsmöglichkeiten" entsprechen. Der Gesetzgeber hat diesem Fragenbereich sowohl bauplanungsrechtliche als auch bauordnungsrechtliche (Art. 4 BayBO) Relevanz beigemessen; wie erläutert, kennt auch das BGB entsprechende Regelungen zu diesem Problembereich,§§ 9I7 f. BGB. 193 Voraussetzung jeglicher Bebauung in allen Plangebieten ist die Erschließung der Grundstücke, §§ 30 Abs. I S. 1, 34 Abs. I S. I, 35 Abs. I BauGB. Liegt demnach ein Grundstück durch ein anderes von der Straße oder anderen Ver188 Finkelnburg/Ortloff, Baurecht, Bd. I, 121; anders aber Gaentzsch, in: Schlichter/Stich (Hrsg.), Berliner Kommentar, 4. Auf!., § 9 BauGB Rdnr. 33, der nur auf öffentliche Versorgungsanlagen abstellt; undeutlich auch W.Schrödter, in: Schrödter, BauGB, § 9 Rdnr. 68 a. 189
Finkelnburg/Ortloff, Baurecht, Bd. I, 121.
190
So auch Jarass, JZ 1980, 119 (123).
19 1
Löhr, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, § 9 Rdnr. 50; Gaentzsch, in: Schlichter/Stich (Hrsg.), Berliner Kommentar, 4. Auf!., § 9 BauGB Rdnr. 33; Bielenberg, in: E/ZIB, BauGB, § 9 Rdnr. 54; Gelzer/Birk, Bauplanungsrecht, Rdnr. 144; Finkelnburg/Ortloff, Baurecht, Bd. I, 121. 192 193
So wohl auch Jarass, JZ 1980, 119 (124).
Siehe zu den Problemen der Überschneidung von Bundes- und Landesrecht in diesem Punkt Sarnighausen, NVwZ 1993, 424.
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sorgungseinrichtungen getrennt, hat der Bebauungsplan diese Konfliktlage zu bewältigen. Hierin liegt der Sinn und Zweck des Instrumentariums von Festsetzungen gern. § 9 Abs. I Nr. 21 BauGB. Eine solche Festsetzung bestimmt dementsprechend Flächen, die mit Geh-, Fahr- und Leitungsrechten belastet werden können. 194 Solche Rechte (z.B. Grunddienstbarkeiten, beschränkte persönliche Dienstbarkeiten, §§ 1018 ff., 1090 ff. BGB) werden durch die Festsetzungen nicht selbst, auch nicht in Fonn von Duldungspflichten, begründet. Es bedarf vielmehr der rechtsgeschäftliehen bzw. dinglichen Umsetzung bis hin zu enteignungsrechtlichen Maßnahmen, §§ 85 Abs. 1 Nr. I, 86 Abs. 1 Nr. 1 und 4 BauGB. 195 Der Bebauungsplan hindert den belasteten Eigentümer lediglich daran, sein Grundstück in einer Art und Weise baulich zu nutzen, die eine Verwirklichung der Festsetzung unmöglich machen würde. (8) Art baulicher Nutzung, §§ 9 Abs. I Nr. I BauGB, 2-11 BauNVO, insb. Sondergebiete (SO), § II BauNVO
Wie oben angedeutet verstehen das BauGB und die näher konkretisierende BauNVO unter Festsetzungen der Art der baulichen Nutzung die satzungsrechtliche (Bebauungsplan) Festschreibung der in den §§ 2-II BauNVO vorgesehenen Baugebiete, wie z.B. reiner oder allgemeiner Wohngebiete (WR, WA), Dorfgebiete (MD), Kerngebiete (MK) und Sondergebiete (SO). § 1 Abs. 3 BauNVO bestimmt, daß im Rahmen der Erforderlichkeit diese und nur diese Baugebiete (prinzipieller Typenzwang) festzusetzen sind. Kommt es zur Festsetzung eines bestimmten Baugebiets, wird die entsprechende Vorschrift der BauNVO, die die Rechtsverhältnisse dieses Gebietstyps näher ausgestaltet, Bestandteil des Bebauungsplans; es bedarf keiner Wiedergabe oder Bezugnahme im Bebauungsplan. Unbeschadet bleibt jedoch das Recht der planenden Kommune, im Rahmen des § I Abs. 4 - 10 BauNVO einzelne, abweichende Bestimmungen zu treffen. 196 194 Zu den inhaltlichen Anforderungen an eine solche Festsetzung: BVerwG vom 18.12.19874 NB 2/86- NVwZ 1988, 822 (823); W.Schrödter, in: Schrödter, BauGB, § 9 Rdnr. 124. 195 Vgl. BVerwG vom 18.12.1987- 4 NB 2/86- NVwZ 1988, 822 (823 f.); W.Schrödter, in: Schrödter, BauGB, § 9 Rdnr. 123; Gaentzsch, in: Schlichter/Stich (Hrsg.), Berliner Kommentar, 4. Auf!., § 9 BauGB Rdnr. 50; Bielenberg, in: E/Z/B, BauGB, § 9 Rdnr. 60 ff.; Löhr, in: Battis/ Krautzberger/Löhr, BauGB, § 9 Rdnr. 74; Battis, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, § 41 Rdnr. 3; GelzerI Birk, Bauplanungsrecht, Rdnr. 180. 196 Siehe insgesamt zu Festsetzungen der Art der baulichen Nutzung: Bielenberg, in: E/Z/B, BauGB, § 9 Rdnr. 12 f.; W.Schrödter, in: Schrödter, BauGB, § 9 Rdnr. 20 ff. ; Löhr, in: Battis/ Krautzberger/Löhr, BauGB, § 9 Rdnr. 8; Gierke, in: Brügelmann!Dürr, BauGB, § 9 Rdnr. 101 ff.;
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Tei13: Öffentlich-rechtliche Lösungsansätze der Abwehr neg. Immissionen
Es ist grundsätzlich anerkannt, daß den Festsetzungen der Art der baulichen Nutzung hinsichtlich der damit verbundenen Beschränkungen der in den jeweiligen Baugebieten zulässigen baulichen Anlagen nachbarschützender Charakter zukommt. 197 Die Annahme einer Drittschutzkomponente beruht auf dem Gedanken eines Austauschverhältnisses der in einem Baugebiet belegenen Grundstücke, die durch ihre gleichartige Überplanung in einem organischen Abhängigkeitsverhältnis zueinander stehen. Wird dieses Austauschverhältnis durch die Erteilung einer Baugenehmigung, die eine gebietsfremde Nutzung ermöglicht, gestört, steht den betroffenen Grundstücksnachbarn ein subjektivöffentliches Abwehrrecht zu. 198 Als "Musterfall" einer nachbarschützenden Festsetzung der Art der baulichen Nutzung gilt § 3 BauNVO, also die Planung eines reines Wohngebiets (WR). 199 Das geschlitzte Interesse des Nachbarn zielt auf die Erhaltung der Wohnruhe, des Wohnwerts und des Wohnklimas? 00 Als Bestandteil dieses Interesses erstreckt sich der Schutzgehalt auch auf die Nutzung der Hausgärten, also auf den sog. Außenwohnbereich. 201 Hier erscheint auch eine Störung durch die Wirkungsweise gebietsfremder negativer Immissionen möglich (z.B. Versehartung von Außenwohnbereichen), die somit auf der Grundlage öffentlich-rechtlicher Normen abwehrbar wäre. Über die Festsetzungen von reinen oder allgemeinen Wohngebieten hinaus (Schutz des Wohnklirnas) ergeben sich aus den Baugebietstypen der BauNVO Schwarzer, Handbuch, II, Rdnr. 127 ff.; Upmeier, in: Hoppenberg (Hrsg.), Handbuch, Teil A Rdnr. 164 ff.; Birki/Geiger, Nachbarschutz, Teil E Rdnr. 69 ff. ; Finkelnburg/Ort/off, Baurecht, Bd. I, 79 ff. 197 Vgl. Löhr, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, § 31 Rdnr. 64; Dyong, in: E/Z/B, BauGB, § 31 Rdnr. 135; Fickert-Fieseler, BauNVO, 6. Auf!., § 3 Rdnr. 5.1 ; WSchrödter, in: Schrödter, BauGB, § 9 Rdnr. 30a; H.Schrödter, in: Schrödter, BauGB, § 31 Rdnr. 62; Gelzer/Birk, Bauplanungsrecht, Rdnr. 979; Birkl/Geiger, Nachbarschutz, Teil E Rdnr. 69; Hoppenberg, in: Hoppenberg (Hrsg.), Handbuch, Teil H Rdnr. 222. 198 BVerwG vom 17.2.1971 -IV C 2/ 68 - DVBI. 1971, 754; Fickert-Fiese/er, BauNVO, 6. Auf!., § 23 Rdnr. 5.1 m.w.N.; Birkl/Geiger, Nachbarschutz, Teil E Rdnr. 69 m.w.N. ; Hoppenberg, in: Hoppenberg (Hrsg.), Handbuch, Teil H Rdnr. 222. 199 Vgl. VGH BadWürtt. vom 17.5.1989- 3 S 3650/88- NJW 1989, 2278 (2279 f.); Sielenberg, in: E/Z/B, BauNVO, § 3 Rdnr. 26; Fickert-Fieseler, BauNVO, 6. Auf!.,§ 3 Rdnr. 5.1; Gelzer/Birk, Bauplanungsrecht, Rdnr. 981 ; Birk//Geiger, Nachbarschutz, TeilE Rdnr. 76. 200 Vgl. VGH BadWürtt. vom 12.9.1973- II1 65/72- BRS 17 Nr. 31; Birki/Geiger, Nachbarschutz, Teil E Rdnr. 76 f. mit Beispielsaufzählungen; Hoppenberg, in: Hoppenberg (Hrsg.), Handbuch, Teil H Rdnr. 226. 201 Vgl. in bezug aufGeräuschimmissionen: BVerwG vom 19.1.1989- 7 C 77/87- NJW 1989, 1291 (1293 m.w.N.).
C. Negative Immissionen im Bauplanungsrecht
225
keine speziellen Anhaltspunkte für einen wirksamen Nachbarschutz gegen negative Immissionen. Allerdings ermöglicht die BauNVO im Zusammenwirken mit dem BauGB die Festsetzung eines Sondergebiets zur Erforschung, Entwicklung und Nutzung erneuerbarer Energien, § II Abs. 2 a.E. BauNVO. Dieses sonstige Sondergebiet ist erst durch die Novellierung des Jahres 1990 in die BauNVO gelangt. 202 Der Bundesverordnungsgeber trägt hiermit der wachsenden Bedeutung solcher Techniken Rechnung. Den Gemeinden eröffuet sich dadurch die Möglickeit, denkbare Standorte planungsrechtlich zu sichern. 203 Solche Festsetzungen gehen über diejenigen von Versorgungsflächen (§ 9 Abs. I Nr. 12 BauGB) hinaus. Unterschiedlich ist die Frage nach dem Umfang einer möglichen nachbarschützenden Funktion der Festsetzungen eines SO-Gebiets zu beantworten.204 Jedenfalls vermittelt § 11 BauNVO aus sich heraus keinen Nachbarschutz. Der Nachbarschutz bei der hier in Rede stehenden SO-Festsetzung wird hingegen der Natur der Anlagen nach zu bejahen sein, wenn und soweit es gerade im Verflechtungsbereich um die Beschattung von Sonnen- und Windenergieanlagen geht. Eine tatsächliche Verwirklichung der SO-Festsetzung wäre andernfalls partiell nicht möglich. Die Rechtslage kann ähnlich derjenigen bei Festsetzungen gern. § 9 Abs. 1 Nr. 12 BauGB beurteilt werden. dd) Ausnahmen und Befreiungen
Ausnahmen (§ 31 Abs. 1 BauGB) von Festsetzungen eines Bebauungsplans auch solchen zur Regelung negativer Immissionen - sind möglich, wenn ein entsprechender Vorbehalt in dem Plan selber nach Art und Ausmaß vorhanden ist. 205 Die Erteilung einer Ausnahme steht im pflichtgemäßen Ermessen. Das gemeindliche Einvernehmen (§ 36 Abs. 1 BauGB) ist in jedem Einzelfall zusätzlich herzustellen?06 Sind über die Nahtstelle des § 1 Abs. 3 S. 3 BauNVO 202 Verordnung ilber die bauliche Nutzung der Grundstücke - BauNVO - in der Fassung der Bekanntmachung vom 23.1.1990 (BGBI.I, 132). 203
Vgl. BR-Drs. 354/89 zu Nr. 2a.
204
Allgemeine Kriterien finden sich bei Hoppenberg, in: Hoppenberg (Hrsg.), Handbuch, Teil H Rdnr. 273. 205 Löhr, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, § 31 Rdnr. 12-13; Birk//Geiger, Nachbarschutz, TeilE Rdnr. 159; Hoppe, in: Ernst/Hoppe, Baurecht, Rdnr. 365; Gelzer/Birk, Bauplanungsrecht, Rdnr. 898. 206 Löhr, in: Battis/Krautzberger!Löhr, BauGB, § 31 Rdnr. 16; Hoppe, in: Ernst/ Hoppe, Baurecht, Rdnr. 367; Dürr/König, Baurecht, Rdnr. 147.
15 Reetz
226
Teil 3: Öffentlich-rechtliche Lösungsansätze der Abwehr neg. Immissionen
Bestimmungen der§§ 2 bis 9 BauNVO Bestandteil eines Bebauungsplans geworden, ergeben sich aus diesen Geweils Abs. 3) oder § 1 Abs. 4 bis 9 BauGB Ausnahmevorbehalte. 207 § 31 BauGB selbst gewährt keinen Nachbarschutz. Dies ergibt sich schon aus dem insoweit unterschiedlichen Wortlaut des Abs. 2 a.E. (Befreiung). Nachbarschutz kommt also nur dann in Betracht, wenn in rechtswidriger Art und Weise von drittschützenden Festsetzungen eines Bebauungsplans abgewichen werden soll.208 Dies können selbstverständlich Festsetzungen mit Bezug zu negativen Immissionen sein. Befreiungen (§ 31 Abs. 2 BauGB) von zwingenden Festsetzungen eines Bebauungsplans - auch solchen zur Regelung negativer Immissionen - sind möglich, wenn Ausnahmen weder in einem Bebauungsplan selbst noch in der BauNVQ vorgesehen oder die Ausnahmevoraussetzungen nicht erfilllt sind.209 Die Erteilung einer Befreiung steht im pflichtgemäßen Ermessen. Das gemeindliche Einvernehmen (§ 36 Abs. I BauGB) ist in jedem Einzelfall zusätzlich herzustellen. 210 Voraussetzung für die Erteilung einer Befreiung ist, daß Gründe des Wohls der Allgemeinheit diese erfordern, die Abweichung städtebaulich vertretbar ist, die Grundzüge der Planung nicht berührt werden und die Durchführung des Bebauungsplans zu einer offenbar nicht beabsichtigten grundstücksbezogenen Härte führen würde. Bei der Prüfung der Tatbestandsvoraussetzungen flir die Erteilung einer Befreiung ist ein strenger Maßstab anzulegen. 211 Die Rechtsprechung billigt auch § 31 Abs. 2 BauGB insoweit Drittschutz zu, als die Vorschrift das Ermessen der Baugenehmigungsbehörde dahingehend bindet, daß die intendierte Abweichung von den Festsetzungen des Bebauungs207 Dürr/König, Baurecht, Rdnr. 147; Löhr, in: Battis/Krautzberger!Löhr, BauGB, § 30 Rdnr. 13; H.Schrödter, in: Schrödter, BauGB, § 31 Rdnr. 7 ff.; ders., in: E/Z/B, BauGB, § 31 Rdnr. 7 ff.; Birkl/Geiger, Nachbarschutz, Teil E Rdnr. 159; Schlichter, in: Schlichter/Stich (Hrsg.), Berliner Kommentar, 4. Aufl., § 31 BauGB Rdnr. 13 ff. 208 BVerwG vom 4.2.1966 - IV C 77.65- DVBI. 1966, 272; BVerwG vom 10.12.1982-4 C 49.79 - DVBI. 1983, 348; Dyong, in: E/Z/8, BauGB, § 31 Rdnr. 129; Löhr, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, § 31 Rdnr. 21; Birkl/Geiger, Nachbarschutz, TeilE Rdnr. 165; Hoppenberg, in: Hoppenberg (Hrsg.), Handbuch, Teil H Rdnr. 168. 209 Zum Institut der Befreiung: H.Schrödter, in: Schrödter, BauGB, § 31 Rdnr. 13 ff.; Birk/1 Geiger, Nachbarschutz, TeilE Rdnr. 160; Bielenberg, in: E/Z/B, BauGB, § 31 Rdnr. 30 ff.; Löhr, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, § 31 Rdnr. 23 ff. 210 211
Vgl. Gelzer/Birk, Bauplanungsrecht, Rdnm. 903 und 959 ff.
BVerwG vom 14.7.1972- IV C 69.70- E 40, 268 (271 f.); Gelzer/Birk, Bauplanungsrecht, Rdnr. 903 m.w.N.
C. Negative Immissionen im Bauplanungsrecht
227
plans "auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen" mit den öffentlichen
. bar sem . m uß .212 BeIangen verem
Außer Frage steht, daß § 31 Abs. 2 BauGB genau wie § 31 Abs. I BauGB dann Drittschutz vermittelt, wenn rechtswidrig von Festsetzungen eines Bebauungsplans abgewichen werden soll, die ihrerseits den Nachbarn schützen wollen. 213 Nach der Vorstellung des BVerwG vermittelt § 31 Abs. 2 BauGB aber sogar darm Drittschutz, wenn die Festsetzungen des Bebauungsplans, von denen abgewichen oder befreit werden soll, keine drittschützende Wirkung entfalten.214 Das Gericht legt überzeugend dar, daß schon aus dem Wortlaut der Norm folge, daß die "Würdigung nachbarlicher Interessen" bei Anwendung des § 31 Abs. 2 BauGB obligatorisch sei, unabhängig von der Qualität der zugrundeliegenden Festsetzung. Dies erscheint sachgerecht; denn wird eine Befreiung erteilt, fUhrt dies partiell, nämlich im Hinblick auf die durchbrochene Festsetzung, zur Notwendigkeit eines erneuten Interessenausgleichs.215 Man kann auch von einer erneut notwendig werdenden Abwägung sprechen. 216 Zum Ausgleich des Verlustes aller Beteiligungsrechte im Zusammenhang mit dieser bauplanungsrechtlichen Entscheidung entsteht der potentielle Nachbarschutz des § 31 Abs. 2 BauGB, der freilich immer unter der Herrschaft der allgemeinen Grundsätze der Schutznormtheorie steht. 217 Mit Blick auf die Wirkungen von negativen Immissionen vermittelt § 31 Abs. 2 BauGB damit auch dann Drittschutz, wenn eine planungsrechtliche Festsetzung nur objektivrechtlichen Schutz gewährte, dem Grundstückseigentümer also (bisher) nur reflexartig zugute kam. Einschränkend muß freilich bemerkt werden, daß sich der Nachbar nur dann auf eine Verletzung dieser nachbarschützenden Wirkung des § 31 Abs. 2 BauGB berufen kann, wenn die Behörde die Norm auch tatsächlich angewendet hat. Er kann sich nicht darauf berufen, wenn die Behörde die Norm mög212
Vgl. BVerwG vom 19.9.1986- 4 C 8/84- NVwZ 1987, 409 und zuletzt BVerwG vom 6.10.1989- 4 C 14/87- NJW 1990, 1192 (1193); Birkl!Geiger, Nachbarschutz, TeilE Rdnr. 168; Hoppenberg, in: Hoppenberg (Hrsg.), Handbuch, Teil H Rdnr. 171 m.w.N.; dagegen Pietznerl Ronellenfitsch, § 15 Rdnr. 12. 213 So auch ausdrücklich BVerwG vom 19.9.1986-4 C 8/84- NVwZ 1987, 409; Hoppenberg, in: Hoppenberg (Hrsg.), Handbuch, Teil H Rdnr. 173; Dürr/König, Baurecht, Rdnr. 384. 214 BVerwG vom 19.9.1986-4 C 8/84- NVwZ 1987,409 und zuletzt BVerwG vom 6.10.1989 -4 C 14/87- NJW 1990, 1192. 215
BVerwG vom 19.9.1986-4 C 8/84- NVwZ 1987,409.
216
So auch Dürr/König, Baurecht, Rdnr. 384.
217
So im Ergebnis auch BVerwG vom 19.9.1986-4 C 8/84- NVwZ 1987, 409.
15*
228
Teil 3: Öffentlich-rechtliche Lösungsansätze der Abwehr neg. Immissionen
lieherweise hätte anwenden müssen, dies aber mißachtet hat und demnach ein Verstoß gegen § 30 Abs. I BauGB vorliegt. 218 Das hieraus folgende, nachbarrechtlich insgesamt unbefriedigende Ergebnis, daß keine drittschützende Norm zur Verfügung steht, wenn ein Rückgriff auf§ 3I Abs. 2 BauGB nicht möglich ist, obwohl eine Befreiung (nichts anderes kann für eine Ausnahme gelten) hätte erteilt werden müssen, schließt die Rechtsprechung durch eine analoge Anwendung von§ I5 Abs. I S. 2 BauNVO aus. 219 ee) Bauordnungsrechtliche Regelungen im Bebauungsplan
§ 9 Abs. 4 BauGB ermächtigt die Gemeinden, zusätzliche bauordnungsrechtliche Regelungen in einem Bebauungsplan zu treffen; hierdurch ist eine (landesrechtliche) Erweiterung von Festsetzungsmöglichkeiten erreicht. 220 Die landesrechtlich korrespondierende Vorschrift der BayBO ist Art. 9I Abs. 3, die zugleich bestimmt, welche Vorschriften des BauGB auf die Iandesrechtlichen Regelungen Anwendung finden. 221 Die BayBO läßt der planenden Gemeinde die Wahl, ob und wie sie solche örtlichen Bauvorschriften nach Art. 9I Abs. I oder Abs. 3 BayBO erläßt, nämlich als selbständige, allgemein geltende Satzung oder als in den Bebauungsplan eingebundene Festsetzungen. 222 Der wichtigste Anwendungsbereich der ortsrechtlichen Bauvorschriften ist neben baugestalterischen Maßgaben (Art. 9I Abs. I Nr. I BayBO) die Abänderung der Abstandsflächen (Art. 9I Abs. I Nm. 5 und 6 BayBO) und damit die Einflußnahme auf die Prävention im Bereich negativer Immissionen.
218
BVerwG vom 6.10.1989-4 C 14/87- NJW 1990, 1192.
219
BVerwG vom 6.10.1989-4 C 14/87- NJW 1990, 1192 (1193); skeptisch Pietzner!Ronellenfitsch, § 15 Rdnm. 8 und 12. 220 Löhr, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, § 9 Rdnr. 107 ff.; Bielenberg, in: E/Z/B, BauGB, § 9 Rdnr. 85 a ff.; Gelzer/Birk, Bauplanungsrecht, Rdnr. 212 ff. ; Gaentzsch, in: Schlichter/Stich (Hrsg.), Berliner Kommentar, 4. Aufl., § 9 BauGB Rdnr. 67 ff.; W.Schrödter, in: Schrödter, BauGB, § 9 Rdnr. 194 ff. 221 Hierzu Löhr, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, § 9 Rdnr. I 08; Gelzer!Birk, Bauplanungsrecht, Rdnr. 212; Simon, Bay. Bauordnung, Art. 91 Rdnr. 32. Eine Zusammenstellung der Iandesrechtlichen Vorschriften findet sich bei: Bielenberg, in: E/Z/B, BauGB, § 9 Rdnr. 87 d; Gaentzsch, in: Schlichter/Stich (Hrsg.), Berliner Kommentar, 4. Aufl., § 9 BauGB Rdnr. 70. 222 Vgl. Simon, Bay. Bauordnung, Art. 91 Rdnm. 3 a und 30 m.w.N.; Schwarzer, Handbuch, III, Rdnr. 405 ; Dürr/König, Baurecht, Rdnr. 284.
C. Negative Immissionen im Bauplanungsrecht
229
Nach Art. 91 Abs. 1 Nr. 5 BayBO können ortsrechtlich größere Abstandsflächen als die nach Art. 6 BayBO vorgesehenen festgesetzt werden. 223 Sinn und Zweck dieser Vorschrift ist es, eine möglichst aufgelockerte Bebauung mit ausreichender Durchgrünung und ausreichendem Sozialabstand im Interesse eines gesunden Wohnens und Arbeitens herzustellen. 224 Diese Vergrößerung des Sozialabstands bewirkt notwendigerweise auch eine Entschärfung der Konfliktpotentiale aus dem Bereich der negativen Immissionen, insbesondere in betreff der Fallgruppen des Entzugs der Besonnung, Belichtung und Belüftung. Der durch diese ortsrechtlichen Festsetzungen oder eigenständigen Satzungen erreichte Vorteil bewirkt allerdings keinen zusätzlichen Drittschutz; es handelt sich lediglich um nicht weiter wehrfähige Reflexe objektiven Rechts. Alle Festsetzungen oder eigenständigen, ortsrechtlichen Satzungen auf der Grundlage des Art. 91 BayBO ergehen in ausschließlich öffentlichem Interesse. Soweit sich also aus dem Abstandsflächenrecht der BayBO nachbarschützende Positionen ergeben, bleiben diese als solche erhalten, werden aber nicht erweitert. Soweit Art. 91 Abs. 1 Nr. 6 BayBO unter engen Voraussetzungen eine Verkleinerung der Abstandsflächen ermöglicht, ist eine solche im Hinblick auf die Wirkungsweise negativer Immissionen nur zulässig, wenn die Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 1 BayBO, nämlich eine genügende Besonnung und Belichtung der Grundstücke gewährleistet ist. 225 Auch im Rahmen der Abstandsflächenverkleinerung bleibt der Drittschutz ausschließlich auf der Grundlage des Art. 6 f. BayBO erhalten. b) Der (unbeplante) Innenbereich aa) Allgemeines
Ist kein qualifizierter Bebauungsplan vorhanden, ein Ortsteil aber im Zusammenhang bebaut, erhebt sich ftlr die planungsrechtliche Zulässigkeit eines 223 AusfUhrlieh zur Verfassungsmäßigkeit ortsrechtlicher Abstandvorschriften: BayVerfGH vom 10.10.1966 Vf. 31-VIII-64- E 19, 81 (86 ff.); vgl. auch Simon, Bay. Bauordnung, Art. 91 Rdnr. 18; Schwarzer, Handbuch, III, Rdnr. 412. Zu den Anforderungen an die Bestimmtheit solcher Festsetzungen: BayVGH vom 20.11 .1986 - 2 es 86.02888 - BayVBI. 1987, 337 (338), gegen diese Entscheidung Jäde, BayVBI. 1987, 338; siehe auch Koch/Molodovsky/Rahm, Bay. Bauordnung, Art. 7 Anm. 2.4.2. 224
Vgl. Simon, Bay. Bauordnung, Art. 91 Rdnr. 18; Schwarzer, Handbuch, III, Rdnr. 412.
Vgl. BayVGH vom 20.11.1986-2 es 86.02888- BayVBI. 1987, 337 (338) m. Anm. Jäde; Simon, Bay. Bauordnung, Art. 91 Rdnr. 19 und Art. 7 Rdnr. 2; Schwarzer, Handbuch, III, Rdnrn. 76 und 413. 225
230
Teil3: Öffentlich-rechtliche Lösungsansätze der Abwehr neg. Immissionen
Vorhabens vorrangig die Frage, ob Festsetzungen, gegebenfalls auch in bezug auf negative Immissionen, auf der Grundlage eines einfachen Bebauungsplans beachtlich sind, § 30 Abs. 2 BauGB. 226 Solche einfachen Bebauungspläne finden sich häufig in der Form übergeleiteter Pläne gern. § 173 Abs. 3 BauGB. 227 In dem Bereich, der nicht oder nicht erschöpfend durch Festsetzungen eines einfachen Bebauungsplans gereglt ist, ergibt sich gern. § 30 Abs. 2 BauGB ("im übrigen") der Anwendungsbereich des § 34 Abs. I BauGB. Hiernach ist entscheidend, ob bei dem Vorhaben von einem "Einfügen" in die nähere Umgebung eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils gesprochen werden kann, ob dem Vorhaben keine Belange des § 34 Abs. I S. 2 BauGB entgegenstehen und ob die Erschließung gesichert ist. Von einem Ortsteil i.S.d. Vorschrift kann dann gesprochen werden, wenn trotz vorhandener Baulücken der Eindruck von Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit entsteht, die Bebauung ein gewisses (städtebauliches) Gewicht vermittelt und Ausdruck einer insgesamt organischen Siedlungsstruktur ist. 228 Der Begriff des Ortsteils hat keine geographische Bedeutung, maßgebend ist allein das "Gewicht" und die "Organik" der vorhandenen Bebauung. Hierbei ist der optische Eindruck nicht unmaßgebend; so kann schon eine Straße die Grenze markieren; 229 eine Mindestzahl notwendiger Gebäude kann nicht angegeben werden. 230 Unbebaute Grundstücke scheiden als Beurteilungsgrößen dann aus, wenn sie den Eindruck der Geschlossenheit stören oder ihrerseits von der umgebenden Bebauung städtebaulich nicht geprägt werden. Entscheidend ist somit die tatsächlich vorzufindende Bebauung, unabhängig davon, ob sie ihrerseits legal errichtet wurde.231 Der Bebauungszusammenhang und damit der Ortsteil endet mit der letzten Bebauung. 226 Die Wirkung einfacher Bebauungspläne im Innenbereich Obersieht JF. Baur, in: Soergel, 12. Aufl., § 903 BGB Rdnr. 63. Siehe im übrigen zur Wirkungsweise einfacher Bebauungsplane: HSchrödter, in: Schrödter, BauGB, § 31 Rdnr. 2; Löhr, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, § 30 Rdnr. 7; Gelzer/Birk, Bauplanungsrecht, Rdnm. 255 und 1121 f.; Söjker. in: E/Z/8, BauGB, § 30 Rdnr. 31 fT.; Dyong. in: E/Z/B, BauGB, § 34 Rdnr. 37 ff. 227
Vgl. Bie/enberg, in: E/Z/B, BauGB, § 233 Rdnm. I und 8.
228
Ständige Rechtsprechung, grundlegend BVerwG vom 6.11.1968 - IV C 31.66 - E 31, 22 (26); Dürr/König, Baurecht, Rdnr. !58; Schmaltz, in: Schrödter, BauGB, § 19 Rdnr. 18; Schlichter, in: Schlichter/Stich (Hrsg.), Berliner Kommentar, 4. Aufl., § 34 BauGB Rdnr. 9 f.; Dyong, in: E/Z/B, BauGB, § 34 Rdnr. 41 tf.; Birk//Geiger, Nachbarschutz, TeilE Rdnr. 182. 229 Vgl. zur Bedeutung des optischen Gesamteindrucks: BVerwG vom 6.7.1984-4 C 28/83NJW 1985, 1569; Krautzberger, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, § 34 Rdnr. 14; zur Bedeutung einer Straße: BVerwG vom 12.12.1990- 4 C 40.87- NVwZ 1991, 879; Birkl/Geiger, Nachbarschutz, Teil E Rdnr. 181 m.w.N.; Dyong, in: E/Z/B, BauGB, § 34 Rdnr. 44. 230
Dürr/König, Baurecht, Rdnr. 161 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung.
C. Negative Immissionen im Bauplanungsrecht
231
Entspricht ein bauliches Vorhaben den Festsetzungen eines einfachen Bebauungsplans oder ist kein solcher vorhanden, ist zu ennitteln, wie weit die als Maßstab ftlr die Zulässigkeit von Innenbereichsvorhaben wirkende Umgebung reicht. Von der Eigenart der Umgebung hängt es ab, ob hinsichtlich der Zulässigkeit der Art der baulichen Nutzung die BauNVO einschlägig ist. Nach der Rechtsprechung geht die Umgebung i.S.d. § 34 BauGB zum einen so weit, wie sie noch bodenrechtlich "prägend" auf das betreffende Grundstück einwirkt, zum anderen so weit, wie das Vorhaben seinerseits auf das umliegende Gebiet ausstrahlt. 232 Steht die maßgebende Umgebung fest, kann diese möglicherweise mit einem Baugebiet der BauNVO übereinstimmen oder aber ein einfacher Bebauungsplan hat eine dementsprechende Festsetzung der Art der baulichen Nutzung getroffen. Ist dies der Fall, ist die BauNVO entweder auf der Grundlage des § 34 Abs. 2 BauGB anzuwenden oder bereits gemäß § I Abs. 3 S. 2 BauNVO. Ist die maßgebliche Umgebung in sich uneinheitlich, richtet sich die Zulässigkeit eines baulichen Vorhabens in Art, Maß, Bauweise und überbaubarer Grundstücksfläche nach der rahmenbildenden Eigenart dieser Umgebung, § 34 Abs. 1 BauGB. 233 Anband der Umgebung würde sich also beispielsweise der Rahmen des Maßes der baulichen Nutzung auf der Grundlage der vorhandenen Geschoßzahl oder der überbaubaren Grundstücksflächen ennitteln lassen. Mittelbar ergäbe sich auf diese Weise auch die rahmenbildende Eigenart hinsichtlich der Situation des Schutzes vor negativen Immissionen. Zu der Frage, wann sich nun ein Bauvorhaben "in die Eigenart der näheren Umgebung (des im Zusammenhang bebauten Ortsteils) einfügt", hat das BVerwG neuerdings eine 3-Stufen-Lehre entwickele34 231 Jedenfalls solange die Behörde nicht zu erkennen gibt, das Gebäude demnächst beseitigen zu wollen, BVerwG vom 6.11.1968 - IV C 31.66 - E 31, 22 (26); Dürr/König, Baurecht, Rdnr. !58; Schlichter, in: Schlichter/Stich (Hrsg.), Berliner Kommentar, 4. Autl., § 34 BauGB Rdnr. II; Birki/Geiger, Nachbarschutz, Teil E Rdnr. 181; Schmaltz, in: Schrödter, BauGB, § 34 Rdnr. 18. 232 Vgl. zuletzt: BVerwG vom 19.9.1986- 4 C 15.84- E 75, 34 (35 ff.); BVerwG vom 26.5.1978-4 C 9.77- E 55,369 (379 ff.); OVG Bremen vom 15.8.1989- I BA 4/89- UPR 1990, 112 (113 f.); Birki/Geiger, Nachbarschutz, Teil E Rdnr. 183; Krautzberger, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, § 34 Rdnr. 13; Dyong, in: E/Z/B, BauGB, § 34 Rdnr. 41 ff.; HSchrödter, in: Schrödter, BauGB, § 34 Rdnr. 16.
D3 Aus der Rechtsprechung: BVerwG vom 4.7.1980-4 C 101.77- DÖV 1980, 919; BVerwG vom 3.4.1987 - 4 C 41.84 - DVBI. 1987, 903; BVerwG vom 28.9.1988 - 4 B 175.88DÖV 1990, 36. Aus der Literatur: Birk//Geiger, Nachbarschutz, Teil E Rdnr. 184; Krautzberger, in: Battis/ Krautzberger/Löhr, BauGB, § 34 Rdnr. 15; HSchrödter, in: Schrödter, BauGB, § 34 Rdnr. 15.
232
Teil 3: Öffentlich-rechtliche Lösungsansätze der Abwehr neg. Immissionen
Auf der ersten Stufe hat jenseits aller wünschenswerten städtebaulichen Entwicklung eine objektive Bestandsaufnahme der vorhandenen Bebauung in der räumlich näheren Umgebung zu erfolgen. Auf der zweiten Stufe ist im Wege einer schon überwiegend wertenden Betrachtung eine Wesentlichkeitsprüfung anzustellen. Hiernach sind solche baulichen Anlagen auszusondern, die von ihrem quantitativen Erscheinungsbild in bezug auf die Umgebung kraftlos und solche die zwar quantitativ erheblich sind, aber qualitativ aus dem Rahmen fallen (Unikate). Auf der dritten Stufe ist dann zu entscheiden, ob solche Unikate möglicherweise aufgrund ihrerer tonangebenden Wirkung und Ausstrahlungskraft nicht doch die Umgebung beherrschen und also in den Rahmen einzustellen sind. 235 Für Einzelfalle, die den Bereich der negativen Immissionen tangieren, hat die Rechtsprechung ein "Einfügen" abgelehnt, wenn beispielsweise ein Hochhaus ( 12-geschossig), das nicht als städtische Dominante gedacht ist, in einer umgebenden ftinfgeschossigen Bebauung errichtet werden soll, 236 oder wenn eine sog. Hinterlandbebauung geeignet ist, ausgleichsbedürftige Spannungen zu schaffen oder zu erhöhen (z.B. Probleme hinsichtlich der ausreichenden Grundstücksdurchlüftung).237 Auch wenn sich ein Vorhaben in die nähere Umgebung einfügt, kann sich auf der Grundlage der in § 34 Abs. 1 S. 2 BauGB genannten Belange eine Unzulässigkeit oder zumindest ein Zwang zur Modifizierung des Vorhabens ergeben.238 Soweit als ein solcher Belang die "Anforderungen an gesunde Wohnund Arbeitsverhältnisse" angesprochen sind, kann abermals auf die Begriffsbestimmung des § 136 Abs. 3 Nr. 1a BauGB zurückgegriffen werden. Hiernach ist es denkbar, ein Vorhaben im Innenbereich u.U. scheitern zu lassen, wenn 234 8VerwG vom 15.2.1 990 - 4 C 23/86 - NVwZ 1990, 755; siehe allgemein zum Problem des "Einfligens": Dyong, in: E/Z/8, 8auG8, ~ 34 Rdnr. II ff.; Krautzberger, in: 8attis/Krautzberger/ Löhr, 8auG8, ~ 34 Rdnr. 15 ff.; H.Schrödter, in: Schrödter, 8auG8, § 34 Rdnr. 19. 235 8VerwG vom 15.2.1990 - 4 C 23/86 - NVwZ 1990, 755; vgl. auch die ähnliche Problematik bei der Handhabung des "Ortsüblichkeitsbegriffs" in § 906 8G8. 236 Vgl. HessVGH vom 8.11.1971 - IV OE 76/79 - 8auR 1972, 230; siehe auch: 8VerwG vom 13.3.1981 - 4 C 1.78- DV81. 1981, 928; OVG Lüneburg vom 5.1.1970- I 8 104/69- 8RS 23 Nr. 4 (16-geschossiges Hochhaus nahe eines Einfamilienhauses); OVG Lüneburg vom 30.8.1972I A 6/72- 8RS 25 Nr. 114; Derichs, 8auR 1972, 206 m.w.N.; Dyong, in: E/Z/8, 8auG8, ~ 34 Rdnr. 20. 237
Vgl. 8VerwG vom 28.11.1989 - 4 B 43, 44.89- NVwZ-RR 1990, 294; BVerwG vom 21.10.1980-4 C 30.78 - DVBI. 1981, 100; BVerwG vom 13.2.1976 -IV C 72.74- DÖV 1976, 562; Dyong, in: E/Z/8, BauG8, ~ 34 Rdnr. 20; Birkl/Geiger, Nachbarschutz, TeilE Rdnr. 184 a. 238 Siehe hierzu insbesondere: Stich, GewArch 1979, 41 ; Birkl/Geiger, Nachbarschutz, Teil E Rdnr. 187; Dyong, in: E/Z/B, BauGB, § 34 Rdnr. 73 ff.
C. Negative Immissionen im Bauplanungsrecht
233
Mißstände im Hinblick auf die Belichtung, Besonnung und Belüftung von Wohn- und Arbeitsstätten, also negative Immissionen entstehen. 239 bb) Nachbarschützende Funktion
Hinsichtlich der nachbarschützenden Wirkung des § 34 BauGB ist zwischen Abs. I und Abs. 2 zu unterscheiden.Z40 Nach wie vor gilt: eine generell nachbarschützende Wirkung des § 34 BauGB wird im nicht (qualifiziert) beplanten Innenbereich mit der Begründung abgelehnt, der Kreis der Begünstigten lasse sich über den Begriff der "vorhandenen Bebauung" nicht hinreichend genau individualisieren/41 und er biete daher keine "praktikable Abgrenzung eines berechtigten Personenkreises". 242 Im einzelnen ist es bei der Frage, ob ein nach § 34 Abs. 1 BauGB zu beurteilendes Vorhaben mit einem Nachbarrechtsbehelf bekämpft werden kann, zunächst nötig festzustellen, inwieweit Festsetzungen eines einfachen Bebauungsplans Drittschutz vermitteln;243 hierzu kann auf die obigen Ausfiihrungen, auch mit Bezug zu den negativen Immissionen verwiesen werden. Ergibt sich der Drittschutz im Rahmen des § 34 Abs. 1 BauGB nicht schon aus den Festsetzungen eines Bebauungsplans, behilft sich die mittlerweile ständige Rechtsprechung in bezug auf subjektiv-nachbarrechtliche Positionen mit dem "Gebot der Rücksichtnahme".244 239 Vgl. OVG Münster vom 25.3.1977- XI A 935176- BRS 32 Nr. 103; OVG Münster vom 29.6.1981 - 7 A 2987/87 - BRS 49 Nr. 119; ähnlich auch schon der BGH vom 13.7.1967 - III ZR 1165- Z 48, 193; Stich, GewArch 1979, 41 ; Birkl/Geiger, Nachbarschutz, TeilE Rdnr. 187; Dyong, in: E/ZIB, BauGB, § 34 Rdnr. 75. 240 Eine kurze Zusammenfassung gibt Dürr/König, Baurecht, Rdnr. 385. Zu Fragen des Nachbarschutzes der hier nicht weiter interessierenden Abs. 3 - 5 siehe Birkl/Geiger, Nachbarschutz, Teil E Rdnr. 193 ff. 241 BVerwG vom 13.6.1969 -IV C 234.65- E 32, 173 (175); dagegen: Erbguth, in: FS Ernst (1980), 101; ders., Bauplanungsrecht, Rdnr. 406; Wasmuth, NVwZ 1988, 322 (324); Battis, Öffentliches Baurecht, 283 m.w.N.
242 BVerwG vom 13.6.1969- IV C 234.65 - E 32, 173 (1 75); nunmehr modifizierend: BVerwG vom 19.9.1986-4 C 8/84- NVwZ 1987, 409; vgl. im einzelnen Dyong, in: E/Z/8, BauGB, § 34 Rdnr. 124; Birkl/Geiger, Nachbarschutz, TeilE Rdnr. 194; Hoppenberg, in: Hoppenberg (Hrsg.), Handbuch, Teil H Rdnr. 178; a.A. Dürr, NVwZ 1985, 719 (720 f.); ders., in: Brügelmann, BauGB, § 34 Rdnr. 84. 243
244
Vgl. Geiger, JA 1986,76 (81); Dürr, in: Brügelmann/Dürr, BauGB, § 34 Rdnr. 82 m.w.N.
Siehe BVerwG vom 31.!0.1977- IV B 185, 77- Buchholz 406 19 Nachbarschutz Nr. 31 "Geretsried"; siehe auch BVerwG vom 17.5.1978- 4 C 9.77- BayVBI. 1979, 152 (154 f.) ; BVerwG vom 18.10.1985-4 C 19/82- NJW 1986, 1703 und die ständige Rechtsprechung; zum
234
Teil 3: Öffentlich-rechtliche Lösungsansätze der Abwehr neg. Immissionen
Diese richterrechtliche Entwicklung war und ist, wie oben angedeutet, umstritten.245 Teile der obergerichtliehen Rechtsprechung sind dem BVerwG nur zögerlich gefolgt. Das OVG Kobleni 46 hat beispielsweise die Drittschutzgenese des § 34 Abs. I BBauG zunächst nicht nachvollziehen wollen. Bei der Handhabung des "Gebots der Rücksichtnahme" geht die Praxis nach wie vor davon aus, daß es sich grundsätzlich nicht um ein nachbarschützendes Institut handelt. Es hat zunächst einmal (nur) objektivrechtlichen Charakter. Die Gerichte verankern es tatbestandlieh im Begriff des "Einfiigens". 247 Konstruktiv bedeutet dies, daß die Frage des "Gebots der Rücksichtnahme" selbständig und unabhängig neben der Frage zu prüfen ist, ob ein Bauvorhaben den vorhandenen Rahmen eingehalten hat. Daraus folgt gleichzeitig, ein Vorhaben, das sich in jeder Hinsicht an die Vorgaben der rahmenbildenden Umgebung hält, kann unzulässig sein, wenn es die nötige Rücksichtnahme auf die Nachbarschaft vermissen läßt. Die subjektivrechtliche Variante des "Rücksichtnahmegebots" in § 34 Abs. I BauGB wird bei Verletzung der objektivrechtlichen Seite eröffnet, wenn die Voraussetzungen der Subjektivierungsformel kumulativ gegeben sind, also verkürzt gesagt - in zugleich qualifizierter und individualisierender Art und Weise auf besondere Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises von Betroffenen Rücksicht zu nehmen war. 248
Ganzen: Geiger, JA 1986, 76 (80 f.); Gelzer/Birk, Bauplanungsrecht, Rdnr. 1225 ff.; Hoppenberg, in: Hoppenberg (Hrsg.), Handbuch, Teil H Rdnr. 179 ff.; Löhr, in: Battis/Krautzberger!Löhr, BauGB, § 31 Rdnr. 77; Dürr, in: Brügelmann!Dürr, BauGB, § 30 Rdnr. 88 ff.; Pietzner/Ronellenfitsch, § 15 Rdnr. 15 m.w.N.; dagegen Redeker, DVBI. 1984, 870 (872); ders. , NJW 1978, 2567. Näheres zum "Gebot der Rücksichtnahme", oben S. 195 ff. 245 Siehe beispielsweise aus der Literatur: Hoppe, in: Ernst/Hoppe, Baurecht, Rdnr. 390; Dürr, NVwZ 1985, 719; Schenke, NuR 1983,84. 246 OVG Koblenz vom 14.8.1978-7 B 29178- AS 15, 135 (137); noch anders: HessVGH vom 17.9.1980 -IV TG 70/80- BRS 36 Nr. 68. 247 Grundlegend zum Einfligungsgebot: BVerwG vom 26.5.1978 - 4 C 9.77 - BayVBI. 1979, 152; nach BVerwG vom 13.3.1981 - 4 C 1.78- DVBI. 1981,928, entspricht der Begriffdes "Einfilgens" in bezug auf das Rücksichtnahmegebot dem Begriff der "Unbedenklichkeit" des § 34 BBauG 1960 (Bundesbaugesetz vom 23.6.1960- BGBI. I, 341); siehe auch Dürr, in: Brügelmann/ Dürr, BauGB, § 30 Rdnr. 89. 248 Zu den Besonderheiten des gebietsübergreifenden Nachbarschutzes: BVerwG vom 21.10.1968-4 C 13.68- DVBI. 1969, 263; BVerwG vom 16.4.1971 - 4 C 66.67- DVBI. 1971, 639; BVerwG vom 10.12.1982-4 C 28.81- BayVBI. 1983, 277; BVerwG vom 21.1.1983-4 C 59.79 - NVwZ 1983, 609; Geiger, JA 1986, 76 (81); Birki/Geiger, Nachbarschutz, Teil E Rdnr. 198 f.
C. Negative Immissionen im Bauplanungsrecht
235
Auf der Grundlage des derart konstruierten nachbarschützenden "Gebots der Rücksichtnaheme" ist dann etwa ein Abwehranspruch gegen die Bebauung rückwärtiger, zusammenhängend begrünter Grundstücksflächen bejaht worden.Z49 Eine solche Bebauung hätte, samt der nachteiligen Wirkungen negativer Immissionen, zu einer krassen Verschlechterung des bestehenden Wohnklimas geführt. Des weiteren wurde eine Verletzung subjektiver Nachbarrechte anläßtich der Errichtung eines Hochhauses neben einer zweigeschossigen Bebauung oder der Errichtung eines Großhotels neben einem reinen Wohngebiet angenommen/50 wobei auch in diesen Beispielen negative Immissionen die eigentlich zu lösenden Konfliktpotentiale darstellten. Auch § 34 Abs. 2 BauGB bewirkt aus sich heraus keinen Nachbarschutz.Z51 Die Bezugnahme auf die BauNVO ändert daran nichts, denn diese vermittelt ebenfalls keinen eigenständigen Nachbarschutz.252 Anders ist die Situation nur im Hinblick auf§ 15 Abs. 1 BauNVO zu beurteilen. Dieser erzeugt im Rahmen des § 34 Abs. 2 BauGB Drittschutz, insoweit in ihm selbst das Rücksichtnahmegebot normiert ist. 253 Die so erreichbare Drittschutzwirkung geht allerdings nicht weiter, als die durch den Begriff des "Einftlgens" in § 34 Abs. 1 BauGB erlangbare. Soweit Ausnahme- oder Befreiungstatbestände gern. § 31 BauGB im Rahmen des § 34 BauGB eine Rolle spielen, kommt möglicherweise die drittschützende Wirkung des § 31 BauGB zum Tragen. Hiernach ist es nicht mehr unbedingt Voraussetzung subjektivrechtlichen Rechtsschutzes, daß eine zugrundeliegende Festsetzung ihrerseits Drittschutz vermittelt hat.254 Die Anwendung von § 31 Abs. 2 BauGB auf solche Festsetzungen begründet immer eine subjektivrechtliche Position.
249 HessVGH vom 17.12.1984 - 4 TG 2545/84 - BRS 42 Nr. 77. 250 BVerwGvom 13.3.1981-4C 1.78-DVBI.1981, 928(929); 0VGLüneburgvom2.7.1979
- VI B 32179- BauR 1980, 145.
251 BVerwG vom 26.3.1976- IV C 7.74- E 50,282 (285).
252 Vgl. Geiger, JA 1986, 76 (81); Birki/Geiger, Nachbarschutz, TeilE Rdnr. 200.
253 BVerwG vom 18.10.1985-3 4 C 19.82- DVBI. 1986, 187 (188); BayVGH vom 20.2.1991 - 1 B 88.3146- NVwZ-RR 1992,61. 254 Siehe hierzu oben S. 224 ff.
236
Teil 3: Öffentlich-rechtliche Lösungsansätze der Abwehr neg. Immissionen cc) Negative Immissionen im Innenbereich
Die Berücksichtigung negativer Immissionen im Innenbereich kann sich, wie aufgezeigt, aus den Festsetzungen eines einfachen Bebauungsplans ergeben. Hierbei muß wiederum die Auslegung ergeben, inwieweit ein subjektiver Nachbarschutz intendiert gewesen ist. Die Beachtlichkeit negativer Immissionen kann auch aus der rahmenbildenden Umgebung ableitbar sein. Hier kommt in erster Linie die tatsächliche Umgebungssituation hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung in Betracht. Negative Immissionen ·können weitergehend als städtebauliche Mißstände auf der Ebene der Belange des § 34 Abs. 1 S. 2 BauGB die Realisierung eines baulichen Vorhabens entscheidend beeinflussen. Soweit im Einzelfall die Wirkungsweise negativer Immissionen zu städtebaulichen Konflikten führt, ist u.U. aus dem "Gebot der Rücksichtnahme" als Bestandteil des "Einfügens" Drittschutz zu erlangen. Negative Immissionen im Zusammenhang mit der Fallgruppe des Abschneidens von Infrastrukturverbindungen vermögen im Innenbereich bodenrechtliehe Wirkung zu entwickeln, wenn die Teilung eines Innenbereichsgrundstücks, §§ 19, 20 BauGB, die vorhandene Bebauung von den Infrastrukturverbindungen abschneiden würde.255 c) Der Außenbereich aa) Allgemeines
Die Regelungen des materiellen Städtebaurechts sind so konzipiert, daß die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit von Vorhaben in jedem Fall nach einem der drei Maßstäbe der §§ 30, 34 oder 35 BauGB zu beurteilen ist; es gibt keinen planungsrechtlich freien Raum.256 Eingedenk dieser Tatsache definiert § 19 Abs. 1 Nr. 3 BauGB den Außenbereich negativ, nämlich in Abgrenzung zum qualifizierten Planbereich und zum unbeplanten Innenbereich, § 19 Abs. 1 Nm. I u. 2 BauGB. 257 Außenbereich hat demnach nicht notwendig etwas mit "draußen" oder gar "freier Natur" zu tun. 258 255 256
Vgl. BVerwG vom 24.10.1980-4 C 3.78- E 61 , 128 (132).
Vgl. Zinkahn, in: E/Z/B, BauGB, § 19 Rdnr. 17 ff.; zusammenfassend BVerwG vom 6.11.1968 -IV C 2.66- BayVBI. 1969, 316.
C. Negative Immissionen im Bauplanungsrecht
237
Die Grundkonzeption des § 35 BauGB unterscheidet zwischen privilegierten und nichtprivilegierten Vorhaben? 59 Hierbei sind nach der Entscheidung des Gesetzgebers privilegierte Vorhaben in planähnlicher Art und Weise dem Außenbereich zugewiesen und dort grundsätzlich zulässig, 260 wenn auch nicht gerade erwünscht. Anders sind die nichtprivilegierten Vorhaben des § 35 Abs. 2 BauGB zu beurteilen; sie sind nach der Wertung des Gesetzes grundsätzlich nicht zulässig, und man kann zu Recht davon sprechen, daß es sich praktisch um ein Bauverbot handelt. 261 Trotz dieser entscheidenden gesetzlichen Bevorzugung privilegierter Vorhaben ist zu beachten, daß die gesetzliche Ersatzplanung diese nicht von einer abwägenden 262 , einzelfallbezogenen Prüfung entgegenstehender öffentlicher Belange enthebt. 263 Es kommt jedoch der Tatsache der Privilegierung abwägungserhebliche Bedeutung zu. Der weitgehende Ausschluß nichtprivilegierter Vorhaben wird hingegen dadurch bewirkt, daß allein schon ein Beeinträchtigen von öffentlichen Belangen die Zulässigkeit des Vorhabens verhindert, während dies ein privilegiertes Vorhaben nur dann zu Fall zu bringen vermag, wenn die grundsätzlich gleichen öffentlichen Belange264 dem Vorhaben entgegenstehen. D.h. also, berührt ein 257
Dürr/König, Baurecht, Rdnr. 185; Birkl/Geiger, Nachbarschutz, Teil E Rdnr. 218; HSchrödter, in: Schrödter, BauGB, § 35 Rdnr. 4; Taegen, in: Schlichter/Stich (Hrsg.), Berliner Kommentar, 4. Auf!., § 35 BauGB Rdnr. 5; Krautzberger, in: Battis/Krautzberger!Löhr, BauGB, § 35 Rdnr. 2; Weyreuther, Außenbereich, 47 f.; Gelzer/Birk, Bauplanungsrecht, Rdnr. 1238; Krebs, in: von MOnchi Schmidt-Aßmann, BesVerwR, 9. Auf!., 335; Finkelnburg/ Ortloff, Baurecht, Bd. I, 256 mit zahlreichen Nachweisen. 258 BVerwG vom 1.12.1972- IV C 6.71- E 41 , 227 (232); Taegen, in: Schlichter/Stich (Hrsg.), Berliner Kommentar, 4. Auf!., § 35 BauGB Rdnr. 5; Gelzer/Birk, Bauplanungsrecht, Rdnr. 1239. 259 Hier nicht weiter interessierend sind die teilprivilegierten Vorhaben gern. § 35 Abs. 4 BauGB. Zu den Einzelheiten hinsichtlich privilegierter und nichtprivilegierter Vorhaben, siehe die entsprechende Kommentarliteratur. 260 Grundlegend BVerwG vom 25.1.1967 - IV C 86/66 - E 28, 148 (151); BVerwG vom 20.1.1984-4C43.81-E68, 311 (314f.). 261 So jedenfalls Hoppe, in: Ernst/Hoppe, Baurecht, Rdnr. 392; ähnlich auch H.Schrödter, in: Schrödter, BauGB, § 35 Rdnr. 3. 262 Hierbei handelt es sich nicht um ein planungsrechtliches Abwägen, sondern um eine nachvollziehende, die allgemeine gesetzliche Wertung flir den Einzelfall konkretisierende Abwägung, BVerwG vom 22.5.1987- 4 C 57/84- NVwZ 1988, 54 (56); Ort/off, NVwZ 1985, 13 (20); vgl. auch Weyreuther, Außenbereich, 18 f.; Gassner, DVBI. 1984, 703. 263 BVerwG vom 20.1.1984-4 C 43 .81 - E 68, 311 (315); Taegen, in: Schlichter/Stich (Hrsg.), Berliner Kommentar, 4. Auf!., § 35 BauGB Rdnr. 8 m.w.N. 264 Zur Gleichartigkeit der öffentlichen Belange BVerwG vom 25.1.1967 - IV C 86/66 - E 28, 148 (151); siehe auch: Krautzberger, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, § 35 Rdnr. 6; Ge/zer/
238
Teil 3: Öffentlich-rechtliche Lösungsansätze der Abwehr neg. Immissionen
privilegiertes Vorhaben öffentliche Belange, so ist gebührend zu berücksichtigen, daß schon der "ersatzplanende" Gesetzgeber dieses Vorhaben wegen seiner besonderen Eigenarten dem Außenbereich zugewiesen hat; dies macht das privilegierte Vorhaben oftmals durchsetzbar, während ein Vorhaben nach § 35 Abs. 2 BauGB in vergleichbarer Lage scheitern müßte.Z65 Die zu berücksichtigenden öffentlichen Belange ergeben sich aus § 35 Abs. 3 BauGB. Obwohl sich dieser seinem Wortlaut nach nur auf Abs. 2 bezieht, können die aufgezählten Belange auch für die weitere Beurteilung privilegierter Außenbereichsvorhaben sinngemäß herangezogen werden. 266 Dabei bleibt allerdings zu beachten, daß u.U. das Hervorrufen schädlicher Umwelteinwirkungen und die Entstehung, Verfestigung oder Erweiterung einer Splittersiedlung einem privilegierten Vorhaben sinnvoll nicht entgegengesetzt werden können. 267 Zu den nicht abschließend ("insbesondere") genannten öffentlichen Belangen gehört nach der Rechtsprechung auch das das gesamte Baurecht beherrschende "Gebot der Rücksichtnahme". bb) Nachbarschützende Funktion
Auch § 35 BauGB vermittelt grundsätzlich keinen Nachbarschutz.268 Ansatzpunkt eines Nachbarschutzes sind bestenfalls die entgegenstehenden oder beeinträchtigten Belange des § 35 Abs. 3 BauGB. Auf die Einhaltung dieser Belange kann weder wirksam verzichtet werden, weil eine Disponibilität nicht gegeben ist,269 noch sind die Belange des § 35 Abs. 3 BauGB unter sich saldierbar.270
Birk, Bauplanungsrecht, Rdnr. 1246; Birkl/Geiger, Nachbarschutz, Teil E Rdnr. 223; Dyong, in: E/Z/B, BauGB, § 35 Rdnr. 153; HSchrödter, in: Schrödter, BauGB, § 35 Rdnr. 40. 265 BVerwG vom 14.3.1975- IV C 41.73- E 48, 109 (114 f.); Dyong, in: E/Z/B, BauGB, § 35 Rdnr. 153. 266
Vgl. Krautzberger, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, § 35 Rdnr. 6.
267
Vgl. Taegen, in: Schlichter/Stich (Hrsg.), Berliner Kommentar, 4. Aufl., § 35 BauGB Rdnr. 8; Dyong, in: E/Z/B, BauGB, § 35 Rdnr. 156; Krautzberger, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, § 35 Rdnr. 6. 268 Vgl. BVerwG vom 6.12.1967- IV C 94.66- E 28,268 (273 f.); BVerwG vom 26.3.1976IV C 7.74- E 50, 282 (285). 269 Ein dennoch vereinbarter Verzicht berUhrt bestenfalls die Klagebefugnis, § 42 Abs. 2 VwGO oder allgemein das Rechtsschutzbedürfnis. 270 Vgl. BVerwG vom 9.5.1972 - IV CB 30/69 - DVBI. 1972, 685 (686); Dyong, in: E/Z/B, BauGB, § 35 Rdnr. 155; Krautzberger, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, § 35 Rdnr. 6.
C. Negative Immissionen im Bauplanungsrecht
239
Diejenigen Belange, die § 35 Abs. 3 BauGB in Spiegelstrichaufzählung bereitstellt, vennögen allerdings grundsätzlich keinen Drittschutz zu entfalten; durch sie wird lediglich das öffentliche Interesse an der Erhaltung des Außenbereichs geschützt. 271 Eine Subjektivierung und Individualisierung dieser Belange entsprechend der Schutznonntheorie ist nur schwer vorstellbar. Gleiches gilt für die nicht genannten öffentlichen Belange, wie etwa die geordnete städtebauliche Entwicklung272 und eine vorhandene, verfestigte Fachplanung. 273 Eine Ausnahme gilt hingegen für den Belang des Schutzes vor schädlichen Umwelteinwirkungen (§ 35 Abs. 3 2. Spiegelstrich BauGB), der das Immissionsschutzrecht berührt. 274 Konstellationen, die den Schutz vor negativen Immissionen beinhalten, sind hier, wie die Ausführungen zum öffentlich-rechtlichen Immissionsbegriff gezeigt haben, nicht vorstellbar. Im Rahmen von § 35 Abs. 3 BauGB vennag demnach vordringlich das "Gebot der Rücksichtnahme" im Einzelfall Drittschutz zu vennitteln/ 75 eine negative Immissionen berücksichtigende Situation erscheint hier grundsätzlich denkbar. Das zunächst einmal objektivrechtlich wirkende "Gebot der Rücksichtnahme", auch hier der Ausgangspunkt einer Drittschutzanwendung, entnimmt das BVerwG dem nicht abschließenden Katalog der zu berücksichtigenden öffentlichen Belange des § 35 Abs. 3 BauGB.276 Es gilt damit sowohl bei der Genehmigung privilegierter als auch nichtprivilegierter Außenbereichsvorhaben . . Welche Anforderungen aus dem objektivrechtlichen Rücksichtnahmegebot im einzelnen zu entwickeln sind, ist eine Frage der konkreten Grundstückssi271 VgL beispielsweise BayVGH vom 9.3.1976-90 I 71- BayVBL 1977, 49 (51); zu Einzelheiten Birki/Geiger, Nachbarschutz, Teil E Rdnr. 262 ff. 272 OVG Koblenz vom 8.12.1977- I A 61/77- BauR 1978, 42; Birkl/Geiger, Nachbarschutz, Teil E Rdnr. 294.
273 VgL BGH vom 7.3.1985- III ZR 126/83- UPR 1985, 292 (293 f.); Krautzberger, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, § 35 Rdnr. 72 m.w.N.; Birkl/Geiger, Nachbarschutz, Teil E Rdnr. 295. 274 BVerwG vom 21.1.1983- IV C 59.79- BauR 1983, 143; BVerwG vom 25.2.1977- IV C 22.75 - E 52, 122; Birkl/Geiger, Nachbarschutz, Teil E Rdnr. 268 ff.; Gelzer/Birk, Bauplanungsrecht, Rdnr. 1397. 275 276
Siehe die Übersicht bei Mühi-Jäckel, DVBL 1986, 545 (547 f.).
BVerwGvom 18.2.1983 -4C 19.81- E 67, 33 (39); BVerwGvom 5.8.1983-4 C 96179- E 67, 334 (337); Birk//Geiger, Nachbarschutz, Teil E Rdnr. 324; Löhr, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, § 31 Rdnr. 82; Dürr, in: BrUgelmann/Dürr, BauGB, § 35 Rdnr. 179 f.; Weyreuther, Außenbereich, 310 ff.; Pietzner/Ronellenfitsch, § 15 Rdnr. 15 m.w.N.; Geiger, JA 1986,76 (81); undeutlich H.Schrödter, in: Schrödter, BauGB, § 31 Rdnr. 89.
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Teil3: Öffentlich-rechtliche Lösungsansätze der Abwehr neg. Immissionen
tuation. Die Ansatzschwelle des objektivrechtlichen Rücksichtnahmegebots liegt dabei jedenfalls niedriger als die eines schweren und unerträglichen Eingriffs in das Eigentum. Zusammenfassend läßt sich die objektivrechtliche Ausprägung des Rücksichtnahmegebots für den Anwendungsfall des Außenbereichs folgendermaßen darstellen: Je empfindlicher und schutzwürdiger die Situation des Begünstigten ist, desto mehr Rücksichtnahme hat der Belastete zu gewähren. Je unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, um so weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu üben. Diese Fragen der Zumutbarkeit bedürfen einer interessengerechten "Abwägung" (Abwägungsformel). Dieser im Rahmen des Rücksichtnahmegebots durch die Rechtssprechung verwendete Begriff der "Abwägung" hat auch hier keinen planerischen Impetus; er ist lediglich Ausdruck des wertenden Vorgehens in der konkreten Grundstückssituation. 277 Der Abwägungsvorgang hat allerdings zu berücksichtigen, daß demjenigen, der sein Grundstück in ansonsten zulässiger Weise baulich nutzen will, insoweit ein Vorrang einzuräumen ist, als er seine berechtigten Interessen nicht deshalb zurückzustellen braucht, um gleichwertige nachbarliche Interessen zu ermöglichen. Dies gilt über die reine Abwägungsformel hinaus erst recht, wenn sich beim Vergleich der konkurrierenden nachbarlichen Interessen derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, darauf berufen kann, daß das Gesetz seine Interessen privilegiert und dadurch eine gesetzlich verankerte Wertung in den Abwägungsvorgang einführt. Bei Beachtung dieser Grundsätze bewirkt die Handhabung des objektivrechtlichen "Gebots der Rücksichtnahme" keine andere Vorgehensweise als bei den Strichaufzählungen der öffentlichen Belange; nichtprivilegierte Vorhaben vermögen auf diese Weise keine flir sich positiven, gesetzlichen Wertungen in die Waagschale zu werfen. Die subjektiv-rechtliche Komponente des Rücksichtnahmegebots ist dann eröffnet, wenn ein Verstoß gegen das objektivrechtliche Gebot in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise rücksichtnahmebegünstigte Interessen Dritter betrifft oder wenn unabhängig von der besonderen rechtlichen Schutzwürdigkeit der Betroffenen ihr Betroffensein wegen der gegebenen Umstände
277 So auch Ort/off, NVwZ 1985, 13 (20); vgl. auch Weyreuther, Außenbereich, 18 f. ; Gassner, DVBI. 1984, 703.
C. Negative Immissionen im Bauplanungsrecht
241
so handgreiflich ist, daß dies die notwendige Qualifizierung und Individualisierung bewirkt (Subjektivierungsfonnel). Neben der möglicherweise drittschützenden Funktion des "Gebots der Rücksichtnahme" soll nach der Rechtsprechung278 § 35 Abs. I BauGB ausnahmsweise in der Lage sein, einen gewissen Nachbarschutz zu vennitteln, der aber der Sache nach eine Variante des Bestandsschutzes darstellt. 279 Ausgangspunkt dieser Argumentation ist die Entscheidung des Gesetzgebers, bestimmte Vorhaben als privilegiert zu bewerten. § 35 Abs. 1 BauGB vennittelt hiernach den im Außenbereich gelegenen privilegierten Vorhaben das Recht, Beeinträchtigungen der ungehinderten Ausnutzung der Privilegierung abzuwehren, und dies sogar überschießend im Hinblick auf vernünftige, betriebswirtschaftlich sinnvolle Erweiterungen der privilegierten Betätigung. 280 Der Träger des privilegierten Vorhabens kann sich auf die Verletzung derjenigen öffentlichen Belange(§ 35 Abs. 3 BauGB) berufen, deren Nichtbeachtung im Zusammenwirken mit der erteilten Genehmigung des Nachbarvorhabens seine Privilegierung beeinträchtigen.Z81 Ob das beeinträchtigende Vorhaben selbst privilegiert oder nichtprivilegiert ist, spielt keine Rolle. 282 cc) Negative Immissionen im Außenbereich
In bezug auf negative Immissionen ist der dargestellte Nachbarschutz auf der Grundlage des "Rücksichtnahmegebots" denkbar; soweit ersichtlich liegen hierzu Judikate (noch) nicht vor.
278 BVerwG vom 25.10.1967 -IV C 86/66- E 28, 148; BVerwG vom 21.10.1968 -IV C 13.68 - DVBI. 1969, 263; BVerwG vom 16.4.1971- IV C 66.67- DVBI. 1971, 639; siehe hierzu im übrigen: HSchrödter, in: Schrödter, BauGB, § 31 Rdnr. 86 ff.; Löhr, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, § 31 Rdnr. 80; Birkl/Geiger, Nachbarschutz, Teil E Rdnr. 324; Gelzer/ Birk, Bauplanungsrecht, Rdnr. 1477; Taegen, in: Schlichter/Stich (Hrsg.), Berliner Kommentar, 4. Aufl., § 35 BauGB Rdnr. 79; Geiger, JA 1986, 76 (81). 279 Dogmatische Zweifel äußert Klein/ein, DÖV 1986, 1010 (1014); Schlichter, NVwZ 1983, 641 (643) ordnet diese Rechtsprechung dem Rücksichtnahmegebot zu. 280 BVerwG vom 21.10.1968- IV C 13.68- DVBI. 1969, 263; HessVGH vom 2.9.1980- IV TG 52.80- BauR 1981, 177; OVG Münster vom 21.10.1987- II A 1090/84- NVwZ 1988, 377; Krautzberger, in: Battis/Krautzberger!Löhr, BauGB, § 35 Rdnr. 110; Dürr/König, Baurecht, Rdnr. 198.
281 BVerwG vom 21.10.1968- IV C 13.68- DVBI. 1969, 263; Krautzberger, in: Battis/Krautzberger!Löhr, BauGB, § 35 Rdnr. 110. 282
BVerwG vom 25.10.1967- IV C 86/66- E 28, 148.
16 Reetz
242
Teil 3: Öffentlich-rechtliche Lösungsansätze der Abwehr neg. Immissionen
Die ausnahmsweise mögliche Drittschutzwirkung des § 35 Abs. 1 BauGB kann zukünftig im Bereich der Wind- und Sonnenenergieanlagen Bedeutung erlangen. Dies ist jedenfalls dann vorstellbar, wenn solche Anlagen auch tatsächlich als privilegiert anerkannt werden. Private Anlagen der Windenergieerzeugung zählt die Rechtsprechung i.d.R. nicht zu den privilegierten Vorhaben.Z 83 Diese Anlagen fallen weder unter§ 35 Abs. 1 Nr. 4 noch Nr. 5 BauGB. Als private Energieversorgung scheidet die Nr. 4 schon deshalb aus, weil die Anlage nicht zur Versorgung der Allgemeinheit dient. 284 Soweit Windenergieanlagen dieser Art ohne weiteres auch im Innenbereich und als Nebenanlagen im Planbereich zugelassen werden können, sind sie auch nicht gern. der Nr. 5 privilegiert. 285 Da es sich damit nicht um Außenbereichsvorhaben i.S.d. § 35 Abs. 1 BauGB handelt, kann der bedingt wirksame Nachbarschutz privilegierter Vorhaben gegen heranrückende privilegierte, nichtprivilegierte und Innenbereichsbebauung keine Geltung erlangen. Hier wäre ein Ansatzpunkt für wirksamen Abschattungsschutz denkbar gewe286 sen. Sollte es sich bei einer Windenergieanlage um eine solche handeln, die - unabhängig von der Rechtsform des Setreibers - der Versorgung der Allgemeinheit dient, ist eine Privilegierung gern. Nr. 4 und ein Nachbarschutz nach den Grundsätzen des Schutzes privilegierter Außenbereichsvorhaben gerade im Hinblick auf den Entzug von Wind oder die erhebliche Beeinflussung des Windes gegeben. Was hier für Windenergieanlagen beschrieben wurde, gilt in gleicher Weise auch für Sonnenenergieanlagen und gestaltet sich zwanglos als eine Frage des Schutzes gegen negative nachbarliche Immissionen.
283 Siehe die Fallgruppe "Abschatten von Sonnen- und Windenergieanlagen"; zum gesamten Problemkreis: Battis/Krieger, NuR 1982, 137; Gelzer/Birk, Bauplanungsrecht, Rdnr. 1334, Stichwort: Windenergieanlagen. 284
BVerwG vom 18.2.1983 -IV C 19.81 - BRS 40 Nr. 84.
285
BVerwG vom 18.2.1983 -IV C 19.81 - BRS 40 Nr. 84; OVG Münster vom 15.11.1983 - 7 A 1614/83- BRS 40 Nr. 87; OVG Münster vom 23.9.1980-7 A 622/80- BRS 36 Nr. 91. 286 Für Drittschutz bei privat betriebenen Anlagen, wenn eine Abschattung zur gänzlichen Funktionslosigkeit filhrt, Jarass, JZ 1980, 119 (124) bei vergleichbaren Fragen der Sonnenenergienutzung.
C. Negative Immissionen im Bauplanungsrecht
243
d) Die Planaufstellung als Sonderkonstellation aa) Allgemeines
Ein bauliches Vorhaben liegt notwendigerweise in einem der drei planungsrechtlichen Bereiche der §§ 30, 34 und 35 BauGB. Demgegenüber normiert § 33 BauGB, der sog. "Aufstellungsbereich", keinen eigenständigen Planungsbereich.287 Die Besonderheit liegt darin, daß für den in Frage stehenden Plan-, Innen- oder Außenbereich gerade ein (neuer) einfacher oder qualifizierter Bebauungsplan aufgestellt wird/88 dessen Festsetzungen sich auf Baugenehmigungsvorhaben schon auszuwirken vermögen, obwohl er noch nicht in Kraft getreten ist. Diese Vorwirkung von Festsetzungen eines in Aufstellung befindlichen Plans können grundsätzlich auch Festsetzungen aus dem Bereich negativer Immissionen entfalten, insoweit gilt nichts anderes als im Wirkungsbereich qualifizierter und einfacher Bebauungsplanung?89 Bei der Wirkungsweise des § 33 BauGB ist nun allerdings zu beachten, daß er nur ein ergänzender, positiver Zulässigkeitstatbestand und eben keine verengende Versagungsnorm gegenüber den §§ 30, 34 und 35 BauGB darstellt. 290 Das bedeutet, ein Vorhaben, das den Voraussetzungen der §§ 30, 34 oder 35 BauGB entspricht, darf nicht schon deshalb abgelehnt werden, weil es den Festsetzungen des künftigen Bebauungsplans zuwiderläuft; will der Planungsträger dies erreichen, muß er gegenüber der Genehmigungsbehörde auf eine Zurückstellung des Baugesuchs, § 15 BauGB, drängen oder selber im Rahmen des§ 14 BauGB eine Veränderungssperre erlassen. 291 Nur ausnahmsweise, nämlich außerhalb des Anwendungsbereichs des § 33 BauGB, kann ein in Aufstellung befindlicher Bebauungsplan zur gänzlichen Unzulässigkeit eines Vorhabens führen. Ein nichtprivilegiertes Außenbereichs287 288
Siehe allgemein zur Funktion des § 33 BauGB Steiner, DVBI. 1991, 739. .
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Hterbet genugen auch Anderung oder Ergänzung des Plans: BVerwG vom 17.12.1964- I C 36.64 - E 20, 127 (132); Zinkahn, in: E/Z/B, BauGB, § 33 Rdnr. 5; HSchrödter, in: Schrödter, BauGB, § 33 Rdnr. I ; Schlichter, in: Schlichter/Stich (Hrsg.), Berliner Kommentar, 4. Aufl., § 33 BauGB Rdnr. 3; Gelzer/Birk, Bauplanungsrecht Rdnr. 1055; Hoppe, in: Ernst/Hoppe, Baurecht, Rdnr. 370. 289 290
Siehe oben S. 210 ff.
BVerwG vom 17.12.1964 - I C 36.64 - E 20, 127 (131); Krautzberger, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, § 33 Rdnr. I; HSchrödter, in: Schrödter, BauGB, § 33 Rdnr. 2; Zinkahn, in: E/Z/B, BauGB, § 33 Rdnr. 2; Schlichter, in: Schlichter/Stich (Hrsg.), Berliner Kommentar, 4. Aufl., § 33 BauGB Rdnr. 3; Birkl/Geiger, Nachbarschutz, Teil E Rdnr. 175; Ge/zer/ Birk, Bauplanungsrecht, Rdnr. 1056. 29 1 . h Ste e DürrI.König, Baurecht, Rdnr. 154. 16*
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Teil 3: Öffentlich-rechtliche Lösungsansätze der Abwehr neg. Immissionen
vorhaben i.S.d. § 35 Abs. 2 BauGB kann eine Beeinträchtigung öffentlicher Belange bewirken, wenn es Festsetzungen eines künftigen Bebauungsplans widerspricht.292 Versagungstatbestand ist dann jedoch § 35 Abs. 3 BauGB. Im einzelnen verlangt § 33 Abs. I BauGB als Voraussetzung einer vorgreifliehen Baugenehmigung das Vorliegen des Planaufstellungsbeschlusses, die abgeschlossene öffentliche Planauslegung und Beteiligung der Träger öffentlicher Belange (formelle Planreife) sowie die begründete Annahme, die künftigen Festsetzungen werden dem Vorhaben nicht entgegenstehen (materielle Planreife). 293 Außerdem muß der Antragsteller die künftigen, vorhersehbaren Festsetzungen ftir sich und seine Rechtsnachfolger schriftlich anerkennen, 294 und die Erschließung des Grundstücks muß gesichert sein295 • Könnten von den künftigen Festsetzungen Ausnahmen und Befreiungen296 erteilt werden, ist auch § 31 Abs. 1 Und 2 BauGB analog auf die Aufstellungsphase anwendbar. § 36 BauGB ist anwendbar. Liegen die Voraussetzungen des § 33 Abs. 1 BauGB vor, besteht ein Genehmigungsanspruch, wohingegen § 33 Abs. 2 BauGB bei (Noch)Nichterreichen der formellen Planungsreife nur einen Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung gewährt. Vor Erreichen der formellen Planungsreife kann sich die Zulässigkeit eines Bauvorhabens am Maßstab antizipierter Festsetzungen nur nach § 33 Abs. 2 BauGB richten. Unverzichtbar ist wiederum das Vorliegen wenigstens materieller Planreife, einschließlich der Abwägung des § 1 Abs. 6 BauGB, während in verfahrensrechtlicher Hinsicht Abs. 2 S. 2 eine erleichterte Form der Beteiligung von "betroffenen" Bürgern und "berührten" Trägem öffentlicher Belange eröffnet. 297 292
BVerwG vom 8.2.1974- IV C 77.71 - BayVBI. I 974, 535.
293
Siehe zu Einzelheiten der Planreife, Steiner, DVBI. 1991,739 m.w.N.
294 Zur Wirkungsweise und Rechtsqualität des Anerkenntnisses: Bielenberg, DVBI. 1965, 265; Zinkahn, in: E/Z/B, BauGB, § 33 Rdnr. 16 ff.; Krautzberger, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, § 33 Rdnr. II ; Schlichter, in: Schlichter/Stich (Hrsg.), Berliner Kommentar, 4. Auf!., § 31 BauGB Rdnr. 9; HSchrödter, in: Schrödter, BauGB, § 33 Rdnr. 14 ff.; Birki/Geiger, Nachbarschutz, TeilE Rdnr. 173; Gelzer/Birk, Bauplanungsrecht, Rdnr. 1070 ff. 295 Vgl. Zinkahn, in: E/Z/B, BauGB, § 33 Rdnr. 20; HSchrödter, in: Schrödter, BauGB, § 33 Rdnr. 18; Gelzer/Birk, Bauplanungsrecht, Rdnr. 1076. 296 Streitig: Jäde, BauR 1987, 252; Schlichter, in: Schlichter/Stich (Hrsg.), Berliner Kommentar, 4. Auf!., § 33 BauGB Rdnr. 8; Gelzer/Birk, Bauplanungsrecht, Rdnr. 1067; Zinkahn, in: E/Z/8, BauGB, § 33 Rdnr. 15 m.w.N. 297 Vgl. OVG Münstervom 15.2.1991 -11 B 2659/80- DÖV 1991, 746; Steiner, DVBI. 1991 , 739 (741); Birkl/Geiger, Nachbarschutz, TeilE Rdnr. 174.
C. Negative Immissionen im Bauplanungsrecht
245
bb) Nachbarschützende Funktion
§ 33 BauGB selbst bewirkt keinen Drittschutz. Da § 33 BauGB allerdings die Wirkung eines künftigen Bebauungsplans vorwegnimmt, ist es gerechtfertigt, die Drittschutzmechanismen der§§ 30 und 31 BauGB im Rahmen der Vorwirkung anzuwenden. 298 Es wäre nicht einzusehen, weshalb der Bauwerber nicht auch die Nachteile einer künftigen Festsetzung hinnehmen müßte, wenn er die Vorteile künftiger Festsetzungen in Anspruch nimmt. Soweit neben einem künftigen einfachen Bebauungsplan die§§ 34 und 35 BauGB Anwendung fmden, greifen zusätzlich die hierzu entwickelten nachbarrechtlichen Grundsätze • 299 em. Eine Besonderheit ergibt sich hinsichtlich des Anerkenntnisses künftiger Festsetzungen. Das dinglich wirkende Anerkenntnis umfaßt nicht nur diejenigen Festsetzungen, die das eigene Grundstück betreffen, sondern auch solche mit Bezug zu nachbarlichen Liegenschaften. Es besteht daher nicht mehr die Möglichkeit einer Nachbarbaugenehmigung entgegenzuhalten, die Voraussetzungen des§ 33 BauGB lägen nicht vor. 300 cc) Negative Immissionen im Aufstellungsbereich
Im Bereich einer Drittschutzgewährung vor den Auswirkungen negativer Immissionen erlangt § 33 BauGB Bedeutung, wenn eine Festsetzung des künftigen Bebauungsplans die Abwehr negativer Immissionen zum Gegenstand haben wird. Die Einhaltung solcher künftigen Festsetzungen kann im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens anerkannt werden. Für die Auslegung solcher Festsetzungen gelten die gleichen Maßstäbe, die bezüglich des Bebauungsplans besprochen wurden; auch für die möglichen inhaltlichen Festsetzungen gilt nichts anderes.
298 So auch OVG Münster vom 15.2.1991- II B 2659/80- DÖV 1991, 746; OVG Berlin vom 19.4.1991 - 2 B 11/88 - NVwZ 1992, 897 (898); Dyong, in: E/Z/8, BauGB, § 31 Rdnr. 131; Dürr, in: Brügelmann!Dürr, BauGB, § 33 Rdnr. 20; Hoppenberg, in: Hoppenberg (Hrsg.), Handbuch, Teil H Rdnr. 174 f.; Birkl/Geiger, Nachbarschutz, TeilE Rdnr. 176. 299
300
Vgl. oben S. 233 ff. und 238 ff.
Vgl. VG Berlin vom 5.1.1989 - 13 A 198/88 - NVwZ 1989, 283; OVG Berlin vom 19.4.1991-2 B 11/88- NVwZ 1992, 897; Hoppenberg, in: Hoppenberg (Hrsg.), Handbuch, Teil H Rdnr. 176.
246
Tei\3: Öffentlich-rechtliche Lösungsansätze der Abwehr neg. Immissionen
e) Die Erschließung (als Problem des Außenkontakts) Aus planungsrechtlicher Sicht darf eine Baugenehmigung innerhalb eines jeden Planungsbereichs nur dann erteilt werden, wenn die Erschließung des zu bebauenden Grundstücks gesichert ist: §§ 30 Abs. I, 3I Abs. I S. I, 33, 35 Abs. I BauGB. 301 Ausnahmen und Befreiungen von dieser Anforderung sind nicht statthaft. 302 In der Sache bewirkt das Erschließungsgebot die infrastrukturelle Anhindung des Grundstücks an die öffentlichen Versorgungswege oder Leitungen und tangiert insoweit Fragestellungen der negativen Immissionen. 303 Die Erschließungssicherung ist Prävention im Zusammenhang mit der Fallgruppe des "Kontakts nach außen" und damit funktioneller Eigentumsschutz. In welcher Art und Weise in einem konkreten Fall beispielsweise eine ausreichende Grundstückszufahrt als gesichert anzusehen ist, ist nicht Gegenstand des Bauplanungsrechts. Die Mindestanforderungen richten sich nach dem jeweiligen Einzelfall und den tatsächlichen Gegebenheiten. 304 Im Zusammenhang mit der Sicherstellung der Erschließung sind Festsetzungen gern. § 9 Abs. I Nr. 2I BauGB möglich. 305 Die bundesrechtlichen Normen des Erschließungsgebots werden allerdings auch aus bauordnungsrechtlicher Hinsicht ergänzt und konkretisiert: 306 Voraussetzung der bauaufsichtliehen Genehmigung eines Einzelvorhabens ist insoweit eine sichere Zufahrt (Art. 4 Abs. I Nr. 2, Abs. 2, 3 BayBO), eine Versorgung mit einwandfreiem Wasser (Art. 40 BayBO) und die Sicherstellung einer einwandfreien Beseitigung der Abwässer (Art. 42 BayB0).307 Die Benutzbarkeit der Erschließungsanlagen im erforderlichen Umfage muß bei Beginn der Nutzung des Vorhabens gegeben sein.
301 Vgl. statt aller Söjker. in: E/Z/B, BauGB, § 30 Rdnr. 38 ff. 302 Söjker, in: E/Z/B, BauGB, § 30 Rdnr. 38; Löhr, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, § 30
Rdnr. 13.
303 BayVGH vom 29.9.1982 - 4 N 80 A. 2156 - BayVBI. 1983, 336; Löhr, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, § 30 Rdnr. 16; Söjker, in: E/Z/B, BauGB, § 30 Rdnr. 42; Gloria, NVwZ 1991, 720 (722).
304 Vgl. BVerwG vom 6.9.1968 -IV C 12.66- E 30, 203; BayVGH vom 29.9.1982-4 N 80 A. 2156- BayVBI. 1983, 336 (338); OVG Lüneburg vom 9.6.1966- I A 225/64- NJW 1967, 74; Birki/Geiger, Nachbarschutz. Teil E Rdnr. 221; Upmeier, in: Hoppenberg (Hrsg.), Handbuch, Teil A Rdnr. 450; Sarnighausen, NVwZ 1993,424.
305 Siehe hierzu oben S. 222 f. 306 BayVGH vom 29.9.1982 - 4 N 80 A. 2156- BayVBI. 1983, 336 (338). 307 Vgl. zu weiteren Einzelheiten Simon, Bay. Bauordnung, Art. 4 Rdnr. 3; zum Zusammen-
wirken der Iandes- und bundesrechtlichen Normen Sarnighausen, NVwZ 1993,424.
C. Negative Immissionen im Bauplanungsrecht
247
Ein Anspruch auf Erschließung besteht grundsätzlich nicht. Die allgerneine Erschließungspflicht der Gemeinden kann sich jedoch im Rahmen vermehrter Baugenehrnigungserteilungen, bei Erlaß eines qualifizierten Bebauungsplans und bei Erhebung von Vorausleistungen zu einer aktuellen, gebietsbezogenen Erschließungspflicht verdichten. 308 Grundsätzlich ist das Erschließungsgebot aber nicht nachbarschützend; 309 eine Ausnahme kann nur dann angenommen werden, wenn wegen der fehlenden Erschließung ein Notwegerecht nach § 917 BGB beansprucht werden könnte. 310 t) § 15 BauNVO aa) Anwendungsbereich des § 15 BauNVO
§ 15 BauNVO ist ein generalklauselartiger311 Auffangtatbestand für die baurechtliche Einzelfallbeurteilung grundsätzlich und/oder ausnahmsweise zulässiger baulicher Vorhaben in den Gebieten i.S.d. §§ 2- 14 BauNVO. Der Anwendungsbereich der Norm erstreckt sich folglich von Vorhaben in Bereichen der §§ 30, 31 Abs. 1, 34 Abs. 2 bis zu solchen im Aufstellungsbereich gern. § 33 BauGB. 312 Der Bundesverordnungsgeber verfolgt mit dieser Norm die Absicht, Vorhaben zu verhindern, die nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebietes widersprechen oder von denen Störungen und Belästigungen ausgehen, die in dem Baugebiet oder seiner Umgebung unzumutbar sind. 313 308 Vgl. BVerwG vom 11.11.1987- 8 C 4.86- E 78, 266 (272); BVerwG vom 23.5.1975 -IV C 73.73 - NJW 1975 2221; Birkl/Geiger, Nachbarschutz, Teil E Rdnm. 67 a und 222; Ernst, in: E/Z/8, BauGB, § 123 Rdnr. 26 ff.; Löhr, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, § 123 Rdnr. 5 f.; Gloria, NVwZ 1991,720.
309 Vgl. VGH BadWUrtt. vom 26.2.1986- 8 S 3212/85- BRS 46 Nr. 180; Birkl/Geiger, Nachbarschutz, Teil E Rdnr. 222. 310 311
Vgl. BVerwG vom 26.3.1976 -IV C 7.74- E 50,282 (289 ff.). So auch Bielenberg, in: E/Z/8, BauGB, § 15 BauNVO Rdnr. 5.
312
Vgl. BVerwG vom 5.8.1983-4 C 96.79- DVBI. 1984, 143; BVerwG vom 15.11.1985- 4 C 19.82- DVBI. 1986, 188; Birk//Geiger, Nachbarschutz, Teil E Rdnr. 110 a; Roellecke, DÖV 1976, 30 I; Bielenberg, in: E/Z/8, BauGB, § 15 BauNVO Rdnr. 12 ff.; Fickert-Fieseler, BauNVO, 6. Auf!.,§ 15 Rdnr. 5; siehe auch die Einzelfltlle bei Hoppenberg, in: Hoppenberg (Hrsg.), Handbuch, Teil H Rdnr. 305; Birkl/Geiger, Nachbarschutz, TeilE Rdnr. 117 ff. 313 Vgl. Birk//Geiger, Nachbarschutz, Teil E Rdnr. II 0 a; Fickert-Fieseler, BauNVO, 6. Auf!., § 15 Rdnr. 8 ff.; Bielenberg, in: E/Z/8, BauGB, § 15 BauNVO Rdnr. 6; Finkelnburg!Ortlojj, Baurecht, Bd. I, 237 f.; Brüggelmann-Dürr, BauGB, § 30 Rdnr. 27; BVerwG vom 6.10.1989- 4 C 14/87- NJW 1990, 1192 (1193).
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Teil 3: Öffentlich-rechtliche Lösungsansätze der Abwehr neg. Immissionen
§ I5 BauNVO stellt insgesamt eine positive Ausprägung des "Gebots der Rücksichtnahme" dar. 314 Die Rechtsprechung bejaht demgemäß die drittschützende Wirkung des § I5 BauNVO unter den Voraussetzungen, die zur subjektiven Drittschutzvariante des Rücksichtnahmegebots dargestellt wurden,315 also insbesondere unter der Voraussetzung der Subjektivierungsformel, wenn sich nämlich die nachbarliche Betroffenheit handgreiflich ergibt und die besondere Schutzwürdigkeit anzuerkennen ist. 316
Konkret ist § I5 Abs. I BauNVO nur dort anwendbar, wo ein Vorhaben in Übereinstimmung mit den Festsetzungen eines Bebauungsplans oder wenigstens im Wege einer Ausnahme gern. § 3I Abs. I BauGB zugelassen werden könnte. Die tatsächliche Anwendung des § I5 Abs. I BauNVO führt damit zu einer Einschränkung einer an sich gegebenen Zulässigkeil von Bauvorhaben;317 er dient insoweit der nachbarlichen Feinabstimmung im Plangebiet, ist aber kein Instrument der Korrektur von Festsetzungen, sondern lediglich eines der Ergänzung. 318 Dem Schutzzweck der Norm entsprechend kann die nachbarschützende Komponente des § I5 BauNVO auch im Bereich der Störungen durch negative Immissionen eine Rolle spielen. Ist ein bauliches Vorhaben nach dem Maßstab der §§ 2 bis I4 BauNVO grundsätzlich zulässig, kann sich etwa durch die entziehende Wirkung von negativen Immissionen aus den konkreten, besonderen Verhältnissen des Einzelfalls ein Widerspruch zur Eigenart des Baugebiets oder eine unzumutbare Beeinträchtigung der Umgebung ergeben. Das BVerwG319 hat dies beispielsweise bei der Bebauung im inneren Bereich eines Baublocks mit Blick auf die zu erwartende Verminderung der Besonnung und der dadurch zu befürchtenden Einschränkung der nachbarlichen Gartennutzbarkeit bejaht. 314 So ausdrücklich das BVerwG vom 5.8.1983-4 C 96.79- DVBI. 1984, 143; siehe auch BTDrs. 354/89 zu Nr.13; BVerwG vom 6.10.1989-4 C 14/87- NJW 1990, 1192 (1193); Jäde, BayVBI. 1985, 577 (578 f.); Fickert-Fieseler, BauNVO, 6. Aufl., § 15 Rdnr. 6; Hoppenberg, in: Hoppenberg (Hrsg.), Handbuch, Teil H Rdnr. 301; Bielenberg, in: E/Z/8, BauGB, § 15 BauNVO Rdnr. 13; Ge/zer/ Birk, Bauplanungsrecht, Rdnr. 994. 315 BVerwG vom 5.8.1983-4 C 96.79- DVBI. 1984, 143 in Abkehr von der früheren Rechtsprechung des BVerwG vom 14.12.1973 -IV C 71.71- E 44,244 = DVBI. 1974, 358 (361) mit Anm. Schrödter. 31 6 BVerwG vom 5.8.1983-4 C 96.79- DVBI. 1984, 143 (144); im einzelnen: Fickert-Fieseler, BauNVO, 6. Aufl., § 23 Rdnr. 7.1; Bielenberg, in: E/Z/8, BauGB, § 15 BauNVO Rdnr. 13; Hoppenberg, in: Hoppenberg (Hrsg.), Handbuch, Teil H Rdnr. 300. 317
So auch BVerwG vom 6.10.1989-4 C 14/87- NJW 1990, 1192 (1193) m.w.N.
318
BVerwG vom 6.3.1989- 4 NB 8.89 - NVwZ 1989, 960.
319
BVerwG vom 5.8.1983 - 4 C 96.79- DVBI. 1984, 143 (145).
C. Negative Immissionen im Bauplanungsrecht
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bb) Analoge Anwendung des§ 15 BauNVO
Die Rechtsprechung vertritt die Ansicht, nach dem "erst recht"-Grundsatz ergebe sich die analoge Anwendbarkeit des § 15 Abs. 1 BauGB auch in Fällen, in denen ein lediglich objektiver Verstoß eines Bauvorhabens gegen die Festsetzungen eines Bebauungsplans vorliegt. Wenn schon ein Vorhaben, das eigentlich den Maßgaben eines Bebauungsplans entspräche, im Einzelfall an § 15 Abs. 1 BauGB scheitern kann, dann muß dies erst recht gelten, wenn ein Vorhaben zusätzlich gegen objektives Ortsbaurecht verstößt. 320 Diese Rechtsprechung des BVerwG hat grundsätzlich auch Bedeutung im Zusammenhang mit der Handhabung negativer Immissionen im Plangebiet So berief sich der Kläger im Falle von BVerwG, NJW 1990, 1192321 unter anderem auf den Entzug der Besonnung seines Hanggrundstücks infolge der Errichtung eines objektiv rechtswidrig genehmigten Anbaus auf dem Oberliegergrundstück des Nachbarn. Das Gericht schloß eine analoge Anwendung des § 15 Abs. I S. 2 BauNVO nur deshalb aus, weil wenigstens der bauordnugsrechtliche Abstand eingehalten und die Beeinträchtigung durch die negative Immission nur geringfiigig war; die Schwelle der "bloßen Lästigkeiten" war noch nicht überschritten. 322 4. Fazit
1. Das bundesrechtliche Bauplanungsrecht kennt den Begriff der negativen Immission nicht. Soweit jedoch grundstücksbezogene Konfliktsituationen im Zusammenhang mit den Fallgruppen der negativen Immissionen auftreten, werde diese bau(planungs) rechtlich gelöst. 2. Der Grundsatz der Vermeidung negativer Immissionen ist durch die Planungsleitlinien und das städtebauliche Sanierungsrecht gesetzlich anerkannt, §§ I Abs. 5 S. 2 Nr. I, 136 Abs. 3 Nr. Ia BauGB. 3. Die Wirkungsweisen negativer Immissionen können nicht nur im Verfahren zur Aufstellung eines Bebauungsplans als abwägungserhebliche "private 320 BVerwG vom 6.10.1989-4 C 14/87- NJW 1990, 1192 (1193) m.w.N.; zustimmend Pietzner/Rone/lenfitsch, § 15 Rdnr. 15. 321 322
BVerwG vom 6.10.1989-4 C 14/87- NJW 1990, 1192.
So jedenfalls BVerwG vom 6.10.1989 - 4 C 14/87 - NJW 1990, 1192 ( 1193) im Falle des Entzugs der Besonnung, sowie unter Hinweis auf die Belichtung und Belüftung des Nachbargrundstücks.
250
Teil 3: Öffentlich-rechtliche Lösungsansätze der Abwehr neg. Immissionen
Belange", sondern auch im Rahmen des materiellen Baurechts (§§ 30 - 35 BauGB) rechtliche Wirkung entfalten. 4. Der Schutz vor negativen Immissionen kann ohne weiteres Gegenstand von (drittschützenden) Bebauungsplanfestsetzungen sein; eine Reihe von Festsetzungen beschäftigen sich typischerweise mit negativen Immissionen. 5. Soweit baurechtliche Normen im Einzelfall drittschützenden Charakter entfalten, kann sich dieser Drittschutz auch auf Konfliktsituationen aus dem Bereich der negativen Immissionen erstrecken. Eine wesentliche Rolle spielt hierbei das "Gebot der Rücksichtnahme".
D. Negative Immissionen im Bauordnungsrecht Neben das bundesrechtliche Bauplanungsrecht tritt das landesrechtliche Bauordnungs- und Sicherheitsrecht Auch auf dieser Ebene der Rechtmäßigkeitskontrolle baulicher Anlagen und Vorhaben spielen negative Immissionen eine nicht unerhebliche Rolle. Einen Schwerpunkt zur Vermeidung solcher grundstücksbezogener Nachbarkonflikte stellt das Instrumetarium des Abstandsflächenrechts dar; es beeinflußt wesentlich die Qualität des Wohnklimas.
I. Die Abstandsflächenregelungen des Bauordnungsrechts am Beispiel der BayBO 1. Allgemeines, Regelungszweck des Abstandsflächenrechts
Die Abstandsflächen des Bauordnungsrechts sind gedachte, horizontal gelegene Flächen vor den Außenwänden von Gebäuden auf dem eigenen Grundstück, die grundsätzlich von jeglicher Bebauung freizuhalten sind und einander nicht überdecken dürfen (beachte aber Art. 6 Abs. 2 Hs. 2 BayBO). 1 Sollten sich ausnahmsweise die Abstandsflächen auf das Nachbargrundstück erstrekken, muß zugunsten des Trägers der Bauaufsichtsbehörde (zivilrechtlich) dinglich gesichert sein, daß sie für die Abstandsflächen anderer Gebäude nicht herangezogen werden, Art. 7 Abs. 6 BayBO.
1 Finkelnburg/Ortloff, Baurecht, Bd. II, 20; Ort/off, Abstandsflächenrecht, 2. Auf!., Rdnr. 6; Simon, Bay. Bauordnung, Art. 6 Rdnr. I a; Dürr/König, Baurecht, Rdnr. 244.
D. Negative Immissionen im Bauordnungsrecht
251
Der Regelungszweck der Abstandsflächen liegt neben der ordnungspolitischen Funktion in der Verhinderung "enger Reihen".2 Mit Blick auf die Grundstücksnutzung bedeutet dies eine gesetzliche Entscheidung fiir die Erhaltung einer ausreichenden Belüftung, Belichtung und Besonnung der Gebäude und Grundstücke, 3 also die präventive Bewältigung von "grundstücksbezogenen Nutzungskonflikten" im Hinblick auf negative Immissionen. Der Schutz vor Beeinträchtigungen durch negative Immissionen ist nachgerade ein zentrales Anliegen des Bauordnungsrechts.4 Im Zuge der sicherheitsrechtlichen Zielsetzung des Bauordnungsrechts besteht daneben 5 die Absicht, ein insgesamt gesundes Wohnen und Arbeiten, den Brandschutz, den Wohnfrieden6 und das Abstellen von Kraftfahrzeugen auf dem betreffenden Baugrundstück zu gewährleisten.7 Insgesamt betrachtet, ist das Bauabstandsrecht das Instrument der grundstücksbezogenen Feinsteuerung in Ergänzung der bauplanungsrechtlichen Determinanten; es bildet als solches den Kern der bauordnungsrechtlichen Rechtmäßigkeitsprüfung. 8 2. Aufbau des Abstandsflächenrechts am Beispiel der BayBO
Der Aufbau des Abstandsflächenrechts der BayBO ist unglücklich. Art. 6 Abs. I S. I BayBO enthält die grundsätzliche Regelung; in den folgenden Sätzen des gleichen Absatzes werden hingegen wichtige Ausnahmen von der Ab2
SiehehierzuBayVGH vom 18.5.1985 -26B 81A.215- BayVBI. 1985, 177 (178).
3
BayVGH vom 20.11.1986 - 2 CS 86.02888 - BayVBI. 1987, 337 (338) mit abl. Anm. von Jäde, BayVBI. 1987, 338; OVG Lüneburg vom 22.3.1962- I OVG A 96/61 - DVBI. 1962, 418 (419); Simon, Bay. Bauordnung, Art. 6 Rdnr. I a; Koch/Molodovsky/Rahm, Bay. Bauordnung, Art. 6 Anm. 1.2; Dürr/König, Baurecht, Rdnr. 244; Begründung der Bay Staatsregierung zum Entwurfftlr das Vierte Gesetz zur Änderung der BayBO, LT-Drs. 9/7854,29. Siehe auch die allgemeine bauordnungsrechtliche Anforderung an die Be1üftbarkeit und den Einfall von Tageslicht in Räume nach Art. 20 BayBO. 4 Jarass, JZ 1980, 119 (123); Simon, Bay. Bauordnung, Art. 6 Rdnr. I a; so auch aus zivilrechtlicher Sicht Picker, AcP 176 (1976), 28 (44).
5 Vgl. Simon, Bay. Bauordnung, Art. 6 Rdnr. I a; Boeddinghaus, UPR 1986, 3 (6); Jäde, BayVBI. 1987,338 (339). 6 Siehe hierzu VGH BadWürtt. vom 26.11.1986-3 S 1723/86- VBIBW 1987, 465; Simon, Bay. Bauordnung, Art. 6 Rdnr. I a; Dürr/König, Baurecht, Rdnr. 244; Ortlojj, Abstandsflächenrecht, 2. Aufl., Rdnr. 8 f. 7 Vgl. die Begründung der Bay Staatsregierung zum Entwurffür das Vierte Gesetz zur Änderung der BayBO, LT-Drs. 9/7854,29.
8
Finkelnburg/Ortlojj, Baurecht, Bd. II, I 8.
252
Teil 3: Öffentlich-rechtliche Lösungsansätze der Abwehr neg. Immissionen
Standspflicht statuiert, die ihrerseits wiederum sytematisch zu Art. 7 BayBO gehören. 9 Die Bedeutung von "grundstücksbezogenen Konfliktsituationen" aus dem Bereich der negativen Immissionen verdeutlicht sich aus der Systematik der Normen. 3. Grundregel des bauordnungsrechtlichen Abstandsrechts und Vorrang der planungsrechtlichen Festsetzungen Ausgangsposition des Bauabstandsrechts ist Art. 6 Abs. 1 S. 1 BayBO, der die grundsätzliche Abstandspflichtigkeit anordnet. Diese Pflichtigkeit gilt nicht nur für Gebäude 10, sondern flir alle baulichen Anlagen, von denen Wirkungen (z.B. negative Immissionen) wie von Gebäuden ausgehen können, Art. 6 Abs. 10 BayBO. Nur über diese folgerichtige Ausdehnung läßt sich der Schutzzweck der Norm erreichen. 11 Der Grundsatz des Art. 6 Abs. I BayBO, der vor den Außenwänden oberirdischer, baulicher Anlagen die Einhaltung von Abstandsflächen verlangt, steht unter dem Vorrang des bundesrechtlichen Bauplanungsrechts. Dies stellt Art. 6 Abs. 1 S. 2 BayBO klar, wonach keine Abstandsflächen eingehalten werden müssen, wenn planungsrechtlich eine Bebauung bis an die Grundstücksgrenze zulässig ist. Solche planungsrechtlichen Festsetzungen finden sich u.a. in den Gebietsausweisungen eines Bebauungsplans; 12 sie müssen aber insgesamt Grenzbezug aufweisen. So richtet sich beispielsweise die planungsrechtliche Zulässigkeit eines Grenzanbaus nach den Festsetzungen über die Bauweise, § 22 BauNVO, jedenfalls soweit es um die seitlichen Grundstücksgrenzen geht. Diese Norm hat folglich unmittelbaren Grenzbezug. 13 9 Vgl. BayVGH vom 21.4.1986- Gr.S. 1/85 - 15 B 84 A.2534- BayVBI. 1986, 397; Anm. von R. König, BayVBI. 1986, 627; Dürr/König, Baurecht, Rdnr. 245. 10 Siehe
Art. 2 Abs. 2 BayBO.
11
Simon, Bay. Bauordnung, Art. 6 Rdnr. 52; Koch/Molodovsky/Rahm, Bay. Bauordnung, Art. 6 Anm. 2.6; Ort/off, Abstandsflächenrecht, 2. Aufl., Rdnr. 188 ff. mit vielen Beispielen; Finkelnburg/Ortloff, Baurecht, Bd. II, 20. 12 Simon, Bay. Bauordnung, Art. 6 Rdnr. 5 f.; Koch/Molodovsky/Rahm, Bay. Bauordnung, Art. 6 Anm. 3.3; Ort/off, Abstandsflächenrecht, 2. Aufl., Rdnr. II f.; Dürr/König, Baurecht, Rdnr. 246; Finke/nburg/Ortloff, Baurecht, Bd. II, 21. 13 Vgl. BayVGH vom 7.4.1987- IN 83 A.3262- BayVBI. 1988, 274; vgl. zur geschlossenen Bauweise: OVG Berlin vom 28.1.1981 - 2 S 194/80- NJW 1981, 1284; VGH BadWürtt. vom 7.11.1984- 3 S 2571184- NVwZ 1986, 142; Ort/off, Abstandsflächenrecht, 2. Aufl., Rdnr. 25;
D. Negative Immissionen im Bauordnungsrecht
253
Keine unmittelbare Beziehung zur Grundstücksgrenze haben dagegen planungsrechtliche Festsetzungen über die Baugrenze, § 23 Abs. 1 BauNVO. Sie sind somit nicht geeignet, die seitlichen Abstandsflächenregelungen zu durchbrechen.14 Gleiche Erwägungen gelten hinsichtlich der Festsetzungen von Baulinien, § 23 Abs. 2 BauNVO, jedenfalls soweit nicht die vordere bzw. hintere Grundstücksgrenze betroffen ist. Verläuft eine Baulinie auf der vorderen oder hinteren Grundstücksgrenze, muß an diese Grenze gebaut werden; fallen diese Grundstücksgrenzen mit einer Baugrenze zusammen, darf dort gebaut werden. Unter den Vorrang des Planungsrechts läßt sich auch die planersetzende Norm des § 34 BauGB subsumieren. Dort ergeben sich die abstandsflächenbestimmenden Maßgaben zumeist aus der rahmenbildenden, vorhandenen Bebauung.15 Besteht also nach der beurteilungserheblichen Umgebung eine Grenzbebauung, so darf aus planungsrechtlichen Gründen ohne Einhaltung eines Grenzabstands gebaut werden. 16 Der Grundsatz des planungsrechtlichen Vorrangs vor dem bauordnungsrechtlichen Abstandsflächenrecht wird seinerseits wieder durchbrochen, d.h. trotz an sich gebotener und zulässiger Grenzbebauung sind Abstandsflächen einzuhalten, um so den Nachteilen "enger Reihen" in bezugauf die Belichtung und Belüftung der Grundstücke zu begegnen. Diese Regelung findet sich in Art. 6 Abs. 1 S. 4 BayBO (Anbauverbot), der anzuwenden ist, wenn in einem beplanten Gebiet in Widerspruch zur gebotenen Grenzbebauung ein Grenzabstand tatsächlich eingehalten wurde. 17 Den entgegengesetzten Fall regelt wiederum Art. 6 Abs. 1 S. 3 BayBO (Anbaugebot). Hiernach darf ausnahmsweise, trotz entgegenstehender bauplanungsrechtlicher Festsetzung, ein Grenzanbau zugelassen werden, wenn auch der Nachbar an die Grenze gebaut hat. Grenzanbau i.S.d. Vorschrift ist insoweit Simon, Bay. Bauordnung, Art. 6 Rdnr. 16; Koch/Molodovsky/Rahm, Bay. Bauordnung, Art. 6 Anm. 3.3.
14 BayVGH vom 7.4.1987- IN 83 A.3262- BayVBI. 1988, 274 (275). 15 Vgl. BayVGH vom 27.1.1986- 14 B 84 A.3022- BayVBI. 1987, 52 (53); Simon, Bay. Bau-
ordnung, Art. 6 Rdnm. 5 a und 16.
16 Vgl. BayVGH vom 27.1.1984 - 2 CS 83 A.3030- BayVBI. 1984, 214; VGH BadWürtt. vom 7.11.1984- 3 S 2571/84- NVwZ 1986, 142; a.A.: Koch/Molodovsky/Rahm, Bay. Bauordnung, Art. 6 Anm. 3.3.1; Simon, Bay. Bauordnung, Art. 6 Rdnr. 16. Siehe auch zum Problem der Rücksichtnahme auf Fenster bei Grenzbebauung: BayVGH vom 20.5.1985 - 14 B 84 A.593 - BauR 1986, 193; BayVGH vom 27.1.1986 - 14 B 84 A.3022 - BayVBI. 1987, 52. 17 Siehe hierzu ausftlhrlich: Simon, Bay. Bauordnung, Art. 6 Rdnr. 23 f.; Koch/Molodovsky/ Rahm, Bay. Bauordnung, Art. 6 Anm. 4.3; Ort/off, Abstands-flächenrecht, 2. Aufl., Rdnr. 41 f.
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Teil 3: Öffentlich-rechtliche Lösungsansätze der Abwehr neg. Immissionen
auch die grenznahe Bebauung. 18 Ein subjektiv-öffentliches Recht auf Grenzanbau besteht allerdings nach Meinung der Rechtsprechung nicht, 19 denn Art. 6 Abs. I S. 3 BayBO ist, wie S. 4, reine Ermessensnorm. Im übrigen rechtfertigt die Norm auf dem Nachbargrundstück nur einen etwa gleichgroßen Grenzanbau.Z0
4. Gebäude und andere bauliche Anlagen ohne Abstandsflächen Der Präventivschutz der Abstandsflächen wird durch Art. 6 Abs. 9 BayBO durchbrochen, wonach untergeordnete und unbedeutende bauliche Anlagen in den Abstandsflächen zugelassen weden können. Anhaltspunkt für die Art solcher Anlagen ist Art. 66 Abs. I Nr. 26 BayBO. Gebäude der örtlichen Versorgungsbetriebe für Elektrizität, Wärme, Gas und Wasser nimmt Art. 7 Abs. 3 S. I BayBO grundsätzlich dann von der Abstandspflicht aus, wenn deren Trauthöhe nicht mehr als fünf Meter beträgt. Diese Gebäude brauchen selbst dann keinen Grenzabstand einzuhalten, wenn ein Grenzanbau planungsrechtlich unzulässig ist. 21 In gleicher Weise bevorzugt sind Gewächshäuser für den Erwerbsgartenbau und Gärfutterbehälter flir die Landwirtschaft, Art. 7 Abs. 3 S. I BayBO. Konfliktsituationen aus dem Bereich der negativen Immissionen sind bei den genannten privilegierten Gebäuden nach den Wertungen des Gesetzes hinzunehmen, weil diese entweder im Allgemeininteresse errichtet werden oder typischerweise ein störendes Ausmaß nicht erreichen.
5. Tiefe sowie Vergrößerung und Verringerung der Abstandsflächen Die Tiefe der Abstandsflächen bemißt sich nach der (Außen)Wandhöhe. Einzelheiten der Bemessung ergeben sich aus Art. 6 Abs. 3 BayB0. 22 18 So grundsätzlich: VGH BadWUrtt. vom 7.11.1984- 3 S 2571/84- NVwZ 1986, 142; zurUckhaltend Simon, Bay. Bauordnung, Art. 6 Rdnr. 21 a.
19 Vgl. BayVGH vom 22.11.1983 - I B 82 A.2737 - BayVBI. 1984, 245, m.w.N.; Ort/off, Abstandsflächenrecht, 2. Auf!., Rdnm. 31 und 36 ff.; Simon, Bay. Bauordnung, Art. 6 Rdnm. 21 a und 22; Koch/Molodovsky/Rahm, Bay. Bauordnung, Art. 6 Anm. 4.2.4. 20 Vgl. Ort/off, Abstandsflächenrecht, 2. Auf!., Rdnr. 34; Simon, Bay. Bauordnung, Art. 6 Rdnr. 21 a; Koch/Molodovsky/Rahm, Bay. Bauordnung, Art. 6 Anm. 4.2.3.
21 Vgl.
Simon, Bay. Bauordnung, Art. 6 Rdnr. 10 b.
D. Negative Immissionen im Bauordnungsrecht
255
Das Mindestmaß der Abstandsfläche beträgt in jedem Fall 3 Meter, Art. 6 Abs. 4 S. 1 BayBO, wobei sich je nach Gebietscharakter viele Einzelheiten ergeben.23 Ausnahmen von der Bestimmung der Abstandsflächentiefe stellen beispielsweise die Regelungen des "16-Meter-Privilegs" gern. Art. 6 Abs. 5 BayBO dar. 24 Die Gemeinde, als der wichtigste Planungsträger im öffentlichen Baurecht, ist gern. Art. 7 Abs. 1 BayBO der Ermächtigungsträger, der satzungsrechtlich, nämlich in einem Bebauungsplan (§ 9 Abs. 4 BauGB) oder im Wege örtlicher Bauvorschriften (§ 91 Abs. 1 Nr. 5 und 6 BauGB) kürzere oder tiefere Abstandsflächen festlegt. 25 Sie ist allerdings auch im Rahmen von Art. 7 Abs. 1 BayBO an die Berücksichtigung der Auswirkungen negativer Immissionen gebunden. Art. 7 Abs. 2 S. 2 BayBO normiert ausdrücklich, daß eine ausreichende Belichtung und Belüftung bei Verkürzung der Abstandsflächen gewährleistet sein muß. 26 Im Rahmen der Vereinbarkeil mit öffentlichen Belangen (Art. 72 Abs. 2 BayBO) gewähren auch die drei speziellen Ausnahmetatbestände der Art. 7 Abs. 2 Nm. 1 - 3 BayBO Abweichungsmöglichkeiten von der Einhaltung der Grenzabstandsflächen auf der Grundlage des Art. 6 BayBO. Große praktische Bedeutung kommt hierbei Art. 7 Abs. 2 Nr. 2 BayBO zu, der städtebaulich begründete Ausnahmen rechtfertigt, wenn beispielsweise ein Neubau in eine historische Bauflucht eingefugt werden soll. 27 Einen weiteren speziellen Ausnahmetatbestand von der Einhaltung der Abstandsflächen regelt Art. 7 Abs. 4 BayBO. Hiernach kann der Gebäudeabstand eines eingeschossigen "Nicht-Wohngebäudes" auf die halbe Wandhöhe reduziert werden. Der wichtigste Anwendungsfall dieser Ausnahmvorschrift bezieht sich auf die Errichtung freistehender Garagen. 28 22
Vgl. auch BayVGH vom 21.4.1986- Gr.S. 1185- 15 B 84 A.2534- BayVBI. 1986, 397;
Dürr/König, Baurecht, Rdnr. 256.
23 Zu den Einzelheiten, vgl. Art. 6 AbS. 4 BayBO; Dürr/König, Baurecht, Rdnr. 257 ff. 24 Hierzu BayVGH vom 21.4.1986 - Gr.S. 1185 - 15 B 84 A.2534 - BayVBI. 1986, 397 und die
Anm. von Simon, BayVBI. 1986,609.
25 Hierbei handelt es sich um eine Angelegenheit des übertragenen Wirkungskreises, vgl. BayVGH vom 29.10.1985 - I B 85 A.2163 - BayVBI. 1986, 213; siehe zu den ortsrechtlichen Vorschriften schon oben S. 228 ff.
26 Vgl. Simon, Bay. Bauordnung, Art. 7 Rdnr. 2 e; siehe auch die allgemeine Anforderung des Art. 20 BayBO. 27
Vgl. Simon, Bay. Bauordnung, Art. 7 Rdnr. 13 ff.
28
Vgl. Simon, Bay. Bauordnung, Art. 7 Rdnr. 21.
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Teil 3: Öffentlich-rechtliche Lösungsansätze der Abwehr neg. Immissionen
Wie Art. 7 Abs. I BayBO stehen aber auch die weitgehenden Ausnahmevorschriften der Art. 7 Abs. 2 und 4 BayBO unter dem Vorbehalt der Berücksichtigung der durch mögliche negative Immissionen berührten Belange, denn die Beachtung einer genügenden Belüftung und Belichtung der benachbarten Grundstücke ist zwingend, vgl. Art. 7 Abs. 2 S. 2, Abs. 4 a.E. 29 Auch hier, bei der Verkürzung der Abstandstlächen, zeigt das Gesetz erneut, welche Bedeutung es der Berücksichtigung negativer Immissionen beimißt Und nur ganz ausnahmsweise ist im Zusammenhang mit dem Abstandsflächenrecht eine Berücksichtigung der Belüftungs- und Belichtungssituation des Nachbargrundstücks nicht notwendig. Dies gilt vorwiegend fiir sog. Grenzgaragen und Nebengebäude i.S.v. Art. 7 Abs. 5 BayBO, die direkt an der Grundstücksgrenze zulässig sind. Eine gewisse Beachtlichkeit von negativen Immissionen ist hier nur bauplanungsrechtlich vorstellbar,30 denn die Frage, an welcher konkreten Stelle des Grundstücks die Grenzgarage situiert werden darf, beantwortet Art. 7 Abs. 5 BayBO nicht. 6. Drittschutzwirkung der Abstandsflächenregelungen
Neben der ordnungs- und sicherheitsrechtlichen Funktion verfolgen die Regelungen der Grenzabstände, wie gezeigt, gerade auch das Ziel, eine ausreichende Besonnung, Belichtung und Belüftung benachbarter Grundstücke zu gewährleisten. Schon hieraus sind Schutzzweck, Schutzumfang und der geschützte Personenkreis i.S.d. Schutznormtheorie hinreichend klar ermittel- und individualisierbar. 31 Von einer nachbarschützenden Wirkung der Bauabstandsregeln geht demnach die ganz herrschende Meinung in Literatur und Rechtsprechung aus. 32 Die Bauabstandsregelungen sind geradezu der archetypische Fall auch nachbarschützender Normen. 33 29 30
Siehe hierzu Simon, Bay. Bauordnung, Art. 7 Rdnr. 10.
Vgl. BayVGH vom 27.1.1986- 14 B 85 A.89- BayVBI. 1986, 436; BVerwG vom 18.12. 1985 - 4 CB 49 u. 50/85 - NVwZ 1986, 468. 31
Statt aller BVerwG vom 28.4.1967- IV C 10.65- NJW 1967, 1770 (1771).
32
Siehe etwa BayVGH vom 14.10.1985- 14 B 85A.I224- BayVBI. 1986, 143; HessVGH vom 16.6.1988- 5 TG 1830.88 - BRS 48 Nr. 172; Simon, Bay. Bauordnung, Art. 6 Rdnr. 53; Schwarzer, Bay. Bauordnung, Art. 6 Anm. II ; Menze/, BauR 1985, 492 (495); H-G. König, Baurecht, 17 ff.; a.A. OVG Berlin vom 27.3.1987 - 2 B 56.86- BRS 47 Nr. 167; differenzierend Dürr/König, Baurecht, Rdnr. 388. 33 Aus der älteren Rechtsprechung: RG vom 15.12.1915- V.217/ 15- Z 87, 371 fllr die Rechtslage in Braunschweig (Überbau der Abstandsflächen); Jahrb. sächs. OVG 4, 189 (190); 9, 15 (16 f.); 12, 19.
D. Negative Immissionen im Bauordnungsrecht
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Aus der "zentimeterscharfen" Konzeption des Abstandsflächenrechts folgt, daß schon eine relativ geringe Unterschreitung der vorgeschriebenen Abstände den (gerichtlich durchsetzbaren) Nachbarrechtsschutz auslöst, sofern die Geltendmachung keine unzulässige Rechtsausübung darstellt/ 4 was allerdings regelmäßig der Fall ist, wenn und soweit der belastete Nachbar den Bauabstand ebenfalls nicht eingehalten hat. 35 Grundsätzlich gilt, daß der durch das Abstandsflächenrecht vermittelte Nachbarschutz nur in den Grenzen der Verwirkung gewährt wird. 36 Darauf, ob und wie stark der Nachbar durch die Unterschreitung von Abstandsflächen tatsächlich in der Nutzung seines Grundstücks beeinträchtigt ist, kommt es nicht an. 37 Insoweit offenbart sich das Abstandsflächenrecht als Form des typisierten Nachbarschutzes, wie es auch das Merkmal des zivilrechtliehen Nachbarrechts nach dem BayAGBGB ist. 38 Die tatsächliche Nachbarbeeinträchtigung vermag lediglich bei der Ermessensbetätigung der Bauaufsichtsbehörde dann Berücksichtigung zu finden, wenn eine Ausnahme oder Befreiung erteilt werden soll. 39
II. Fazit I . Die Iandesrechtlichen Bauordnungen machen im Flächenabstandsrecht den Schutz vor negativen Immissionen zu einem der zentralen Gesichtspunkte der baurechtliehen Rechtmäßigkeitsprüfung. 2. Das Abstandsflächenrecht vermittelt den begünstigten Grundstückseigentümern Drittschutz auf der Grundlage der Schutznormtheorie; es ist BigenturnsbestandteiL 3. Soweit Drittschutz tatsächlich gegeben ist, kann der Grundstückseigentümer diesen (auch) über das Vehikel der §§ 823 Abs. 2, 1004 Abs. 1 BGB zivilrechtlich nutzbar machen.
34 Vgl. OVG Saarland vom 6.3.1987 - 2 R 180/84- BauR 1988, 190; Birki/Geiger, Nachbarschutz, Teil E Rdnr. 42. 35
Vgl. HessVGH vom 16.6.1988 - 5 TG 1830/88 - BRS 48 Nr. 177.
36
Vgl. BVerwG vom 18.1.1988 - 4 B 257.87 - NVwZ 1988, 532; Koch/Molodovsky/Rahm, Bay. Bauordnung, Art. 6 Anm. 4.1; Birki/Geiger, Nachbarschutz, TeilE Rdnr. 30,jeweils m.w.N. 37
Vgl. Schwarzer, Handbuch, III, Rdnr. 83; Jacob, BauR 1984, I ; Ort/off, Abstandsflächenrecht, Rdnr. 291. 38
Siehe hierzu oben S. 154.
39
Vgl. Schwarzer, Handbuch, lll, Rdnr. 83.
17 Reetz
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Teil 3: Öffentlich-rechtliche Lösungsansätze der Abwehr neg. Immissionen
E. Negative Immissionen im Wasserrecht I. Allgemeines Fragen des Nachbarschutzes, und damit verbunden der negativen Immissionen, spielen, wie eingangs die Fallgruppen gezeigt haben, auch im Rahmen des Wasserrechts eine gewichtige Rolle. 1 Die insoweit interessierenden öffentlichrechtlichen Regelungsmaterien ergeben sich aus dem WHG2 des Bundes und aus den Wassergesetzen der Länder3 . Aus dem gesetzgeberischen Sinn und Zweck des normierten Wasserrechts erschließt sich, daß anders als im raum- und bodenbedeutsamen Baurecht, das Medium Wasser einer weitestgehend öffentlich-rechtlichen Nutzungsordnung mit dem Ziel eines gemeinnützig zu bewirtschaftenden Wasserhaushalts unterliegt.4"Grundsätzlich ergibt sich daraus, daß derjenige, der ein Gewässer "benutzen", also auf es einwirken will, einer wasserrechtlichen Gestaltung, nämlich einer Erlaubnis (§ 7 WHG), einer Bewilligung(§ 8 WHG) oder einer Planfeststellung(§ 31 WHG) bedarf, § 2 WHG. Betrachtet man die Gestattungsarten näher, stellt die wasserrechtliche Erlaubnis ihrer Art nach eine widerrufliche und i.d.R. befristete Nutzungsbefugnis dar, die privatrechtliche Abwehransprüche unberührt läßt. 5 Die ein subjektivöffentliches Recht vermittelnde Bewilligung wirkt demgegenüber privatrechtsgestaltend6 (§ 11 WHG), und entsprechend dieser weitgehenden Wirkung sind die Einwendungen von Nachbarn nach § 8 Abs. III WHG bzw. § 8 Abs. IV WHG in Verbindung mit den entsprechenden Iandesrechtlichen Vorschriften 1 Siehe etwa Gursky, in: Staudinger, 12. Aufl., § 1004 Rdnr. 53; zu den Problemen des Grundwasserentzugs, oben S. 35 ff. und 56 ff. 2 Gesetz zur Ordnung des Wasserhaushalts (Wasserhaushaltsgesetz- WHG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 23.9.1986 (BGBI. III 753-1), zuletzt geändert durch Gesetz vom 12.2.1990 (BGBI. I, 205).
3 In Bayern: Bayerisches Wassergesetz (BayWG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 3.2.1988 (GVBI., 33), zuletzt geändert durch Gesetz vom 26.3.1992 (GVBI., 46). 4 Siehe BVerfG vom 15.7.1981- I BvL 77178- E 58,300 (328) "Naßauskiesung"; BGH vom 22.12.1976- 111 ZR 62174- Z 69, I (18); Gieseke/Wiede-mann/Czychowski, WHG, § 2 Rdnr. 2; Breuer, Wasserrecht, Rdnr. 65 ff.; Salzwedel, in: Salzwedel (Hrsg.), GrundzUge des Umweltrechts, 577.
5 Vgl. zu den Einzelheiten: Salzwedel, in: Salzwedel (Hrsg.), GrundzUge des Umweltrechts, 597 f.; Breuer, Wasserrecht, Rdnr. 86 ff. 6 Breuer, in: von Münch, BesVerwR, 8. Aufl., 651; ders., Wasserrecht, Rdnr. 736. Zu den einzelnen, privatrechtsgestaltenden Wirkungen des § II WHG: Giesekel Wiedemann/Czychowski, WHG, § II Rdnr. 2; Sieder/Zeitler/Dahme, WHG, § II Rdnr. 5 ff.
E. Negative Immissionen im Wasserrecht
259
(Art. 18 BayWG) im Bewilligungsverfahren in besonderem Maße zu berücksichtigen. Auf der Grundlage eines Bewilligungsverfahrens kann dem Nachbarn u.U. eine Entschädigung zuerkannt werden,§ 8 Abs. IV WHG. Die nachbarrechtlich überaus wichtige Norm des § 11 WHG gilt im übrigen entsprechend im Rahmen der Planfeststellung bei gemeinnützigem Gewässerausbau (§ 31 WHG, Art. 58 Abs. V BayWG) und in eingeschränktem Umfang bei der Erteilung einer gehobenen Erlaubnis auf der Grundlage des Art. 16 Abs. III BayWG.
II. Gesetzliche Tatbestände des Schutzes vor negativen Immissionen Im Zusammenhang mit dem Wassernachbarrecht scheint es demnach auf den ersten Blick von entscheidender Bedeutung zu sein, ob die konkrete Nutzung eines Grundstücks Inhalt des (privatrechtlich oder öffentlich-rechtlich zu verstehenden) Eigentums an einem Grundstück ist oder nicht. Eine solche Fragestellung scheint insbesondere dann eine Rolle zu spielen, wenn bei der Erteilung wasserrechtlicher Gestattungen widerstreitende nachbarliche absolute Rechte in das Genehmigungsverfahren einzubringen sind,§ 8 Abs. 3 WHG. Der Gesetzgeber hat nun allerdings die Wasserbehörden und damit auch die Gerichte insoweit von der Ermittlung des konkreten situationsberechtigenden Eigentumsinhalts eines Nachbargrundstücks entlastet, als er über § 8 Abs. 4 WHG i.V.m. landeswasserrechtlichen Normen enumerativ7 bestimmte und tatsächlich bestehende Nutzungsinteressen mit den nach § 8 Abs. 3 WHG zu berücksichtigenden absoluten Rechten gleichgestellt hat. 8 Solchermaßen schutzwürdige Nutzungsinteressen sind überwiegend diejenigen, die sich aus dem Bereich der nachteiligen Wirkungen von negativen Immissionen ergeben. Der Schutz vor der Wirkungsweise negativer Immissionen wird im bayerischen Landeswasserrecht auf der Grundlage des § 8 Abs. 4 WHG vor allem und ausdrücklich über die Norm des Art. 18 Abs. 1 BayWG gewährleistet. Hiernach kann ein Nachbar gegen die Erteilung einer wasserrechtlichen Bewil7 Zum abschließenden Charakter der Aufzählung einzelner Nutzungsinteressen: Gieseke/ Wiedemann/Czychowski, WHG, § 8 Rdnr. 55; Breuer, Wasserrecht, Rdnr. 464; Sieder/Zeitler/Dahme, Bay. Wassergesetz, 1991, Art. 18 Rdnr. 10; Knopp/Manner, BayWG, § 18 Rdnr. I. 8 Vgl. Sieder/Zeitler/Dahme, Bay. Wassergesetz, 1991, Art. 18 Rdnr. 2; Knopp/Manner, BayWG, § 18 Rdnr. I. Siehe die Zusammenstellung der entsprechenden landesgesetzlichen Regelungen in den Bundesländern: Breuer, Wasserrecht, Rdnr. 464; Gieseke/ Wiedemann/Czychowski, WHG, § 8 Rdnr. 55 .
17*
260
Teil 3: Öffentlich-rechtliche Lösungsansätze der Abwehr neg. Immissionen
ligung Einwendungen erheben (insoweit ist er auch materiell- und nicht bloß formellrechtlich geschützt\ wenn jenseits der Geringwertigkeit zu erwarten ist, daß durch die intendierte Benutzung des Gewässers der Wasserzufluß oder Wasserstand verändert, insgesamt die bisherige Grundstücksnutzung beeinträchtigt oder das Wasser für eine Wassergewinnungsanlage entzogen bzw. geschmälert wird. Soweit Art. 18 BayWG eine zugleich materiell-rechtliche Rechtsstellung gewährt, handelt es sich um ein Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 8GB, also um derivatives Nachbarrecht, 10 das der Nachbar unabhängig von der Tatsache geltend machen kann, ob der nachbarliche "Störer" im Besitz einer wasserrechtlichen Gestattung ist. 11 Über das im Vordergrund stehende Bewilligungsverfahren hinaus ist der Art. 18 BayWG im Verfahren zur Erteilung einer gehobenen Erlaubnis (Art. 16 BayWG), einer beschränkten Erlaubnis (Art. 17 BayWG) und im Rahmen der wasserrechtlichen Planfeststellung, also beim Gewässerausbau anwendbar.12
1. Veränderung des Wasserabflusses Jenseits einer geringwertigen Veränderung wird durch Art. 18 Abs. 1 Nr. 1 BayWG das Interesse an der Beibehaltung des bestehenden Wasserabflusses geschützt. Die Gefahr einer solchen Veränderung ergibt sich durch eine Beschleunigung oder Verlangsamung des Wasserabflusses. 13 Eine Beeinflussung des status quo kann im Hinblick auf die Fallgruppen der negativen Immissionen zu einer Erhöhung der Überschwemmungsgefahr, der Grundstücksvernässung, der Versumpfung, der Austrocknung und damit allgemein einer Verschlechterung der Nutzbarkeit eines benachbarten Grundstücks führen, 14 ohne 9 Siehe hierzu: Gieseke/Wiedemann!Czychowski, WHG,
NJW 1976,2195 (2198 f.).
§ 8 Rdnr. 57; ausfilhrlich: Jarass,
10
BGH vom 22.12.1976- III ZR 62174 - Z 69, I (14 ff.); BayObLG vom 14.3.1989-2 Z 36/88 - ZfW 1990, 299; Sieder/Zeitler/Dahme, Bay. Wassergesetz, 1991 , Art. 18 Rdnr. 2; Knopp/ Manner, BayWG, § 18 Rdnr. 2; Gieseke/ Wiedemann!Czychowski, WHG, § 8 Rdnr. 57 und § 2 Rdnr. 11. 11 Vgl. BGH vom 23.6.1983- III ZR 79/82- Z 88, 34; Knopp/Manner, WHG, § 8 Rdnr. 19 m.w.N.
12 Vgl. die Zusammenstellung bei Sieder/Zeitler/Dahme, Bay. Wassergesetz, 1991, Art. 18 Rdnr. 3 ff. ; Knopp/Manner, BayWG, § 18 Rdnr. 3. 13 Vgl. Knopp/Manner, BayWG, § 18 Rdnr. 4; Gieseke/ Wiedemann!Czychowski, WHG, § 8 Rdnr. 59; Sieder/Zeitler/Dahme, Bay. Wassergesetz, 1991 , Art. 18 Rdnr. 15; Breuer, Wasserrecht, Rdnr. 465.
E. Negative Immissionen im Wasserrecht
261
daß das Tätigwerden des Gewässerbenutzers unmittelbar die Grundstücksgrenze überschreitet. Art. 18 Abs. 1 Nr. 1 BayWG tangiert nicht den Aspekt des Wasserzuflusses, also der Zuführung einer bestimmtem Menge (und Güte) von Wasser; hier bleibt es bei der Grundregel des § 2 Abs. 2 WHG, 15 wonach ein solches Recht gerade nicht existiert.
2. Veränderung des Wasserstandes Gleichfalls jenseits einer geringwertigen Veränderung wird durch Art. 18 Abs. 1 Nr. 2 BayWG das nachbarliche Interesse an der Beibehaltung des bestehenden (oberirdischen 16) Wasserstandes geschützt. Unter Wasserstand ist hierbei die durch Anheben oder Senken beeinflußbare Höhe des Wasserspiegels zu verstehen. 17 Wie bei Art. 18 Abs. 1 Nr. 1 BayWG ist nicht auf die Zuführung bestimmter Wassermengen abzustellen. 18 Auch im Hinblick auf den Wasserstand bewirkt eine Beeinflussung des status quo u.U. eine Erhöhung der Überschwemmungsgefahr, der Grundstücksvernässung, der Versumpfung, der Austrocknung und damit allgemein einer Verschlechterung der Nutzbarkeit eines benachbarten Grundstücks. 19 Zu einer direkten Grenzüberschreitung durch den "störenden" Nachbarn kommt es nicht.
14 Vgl. Sieder/Zeit/er/Dahme, Bay. Wassergesetz, 1991, Art. 18 Rdnr. 15; Knopp/Manner, BayWG, § 18 Rdnr. 4; Gieseke/ Wiedemann/Czychowski, WHG, § 8 Rdnr. 60 mit weiteren Beispielen aus dem Bereich negativer Immissionen. 15 So auch Sieder/Zeitler/Dahme, Bay. Wassergesetz, 1991, Art. 18 Rdnr. 15 a.E.; Breuer, Wasserrecht, Rdnr. 465; Jarass, NJW 1976, 2195 (2198); Oiesekel Wiedemann/Czychowski, WHG, § 8 Rdnr. 59 m.w.N. aus der Rechtsprechung. 16 Str., siehe hierzu einerseits: BGH vom 5.11.1976- V ZR 93/73- ZfW 1977, 163; Breuer, Wasserrecht, Rdnr. 466 a.E.; andererseits: Sieder/Zeit/er/Dahme, Bay. Wassergesetz, 1991, Art. 18 Rdnr. 17; Knopp/Manner, BayWG, § 18 Rdnr. 6; offen gelassen von: Gieseke/ Wiedemann/Czychowski, WHG, § 8 Rdnr. 60. Zu Fragen des Absinkens des Grundwasserspiegels, siehe oben S. 35 ff. und 56 ff.
17 Zu den meßtechnischen Einzelheiten Sieder/Zeitler/Dahme, Bay. Wassergesetz, 1991, Art. 18 Rdnr. 17. 18
19
Vgl. statt aller Breuer, Wasserrecht, Rdnr. 466.
Vgl. Sieder/Zeitler/Dahme, Bay. Wassergesetz, 1991, Art. 18 Rdnr. 17; Breuer, Wasserrecht, Rdnr. 466 m.w.N.; Gieseke/ Wiedemann/Czychowski, WHG, § 8 Rdnr. 60 mit weiteren Beispielen aus dem Bereich negativer Immissionen.
262
Teil 3: Öffentlich-rechtliche Lösungsansätze der Abwehr neg. Immissionen
3. Beeinträchtigung der bisherigen Benutzung eines Grundstücks Das durch Art. 18 Abs. 1 Nr. 3 BayWG geschützte Interesse vor Beeinträchtigungen der bisherigen Benutzung eines (benachbarten) Grundstücks kann als Folge wasserrechtlicher Benutzungstatbestände an oberirdischen Gewässern oder aber am Grundwasser berührt sein?0 Unter dem Tatbestandsmerkmal der "bisherigen Benutzung" ist die tatsächliche und rechtrnäßige, 21 zum Zeitpunkt des wasserrechtlichen Gestattungsverfahrens ausgeübte Grundstücksnutzung zu verstehen; 22 von dieser muß eine vorübergehende oder dauernde Negativabweichung zu beftlrchten sein. Eine solchermaßen mögliche Beeinträchtigung liegt zwar nicht in Gestalt des Abschneidens der Anliegerlage an einem Gewässer vor, 23 wohl aber in Form der Grundstücksaus-trocknung, der Vernässung, der Versumpfung oder des Verlustes landwirtschaftlicher Anbaumöglichkeiten/4 also angesichts von Problemlagen, die negative Immissionen tangieren. Keine wasserrechtlich relevante Beeinträchtigung, weil letztlich nicht wasserwirtschaftlicher Natur, ist anzunehmen, wenn einer Gaststätte durch die Anlegung eines Deiches der Blick auf einen Wasserlauf entzogen wird und demnach die Fallgruppe des Entzugs der "guten Aussicht" betroffen ist. 25 Zu beachten bleibt freilich, daß die Rechtsprechung über den Wortlaut der Norm hinaus grundsätzlich nur solche Einwirkungen auf die bisherige Grundstücksnutzung als einwendungsfähig und rechtlich zu schützende Interessen anerkennen will, die schwerwiegende Auswirkungen haben und eine bestehende Benutzung als solche aufs Spiel setzen. 26 20 Vgl. Knopp/Manner, BayWG, § 18 Rdnr. 7; Breuer, Wasserrecht, Rdnr. 468; Sieder/Zeitlerl Dahme, Bay. Wassergesetz, 1991 , Art. 18 Rdnr. 18; Giesekel Wiedemann/Czychowski, WHG, § 8 Rdnr. 63.
21
OVG Lüneburg vom 23.3 1982-3 OVG A 52/78- Ztw Sh 1986 Nr. 39.
22
Der Gesetzgeber hat somit im Konfliktbereich der Wasserbenutzung mit einer konkurrierenden Grundstücksnutzung den Prioritätsgrundsatz normiert. 23
Vgl. BGH vom 20.10. 1967- V ZR 78/65- Z 48, 340; BayVGH vom 5.12.1978- Nr. I VIII 74- NuR 1981,60 (62); Knopp/Manner, BayWG, § 18 Rdnr. 7; Sieder/Zeitler/Dahme, Bay. Wassergesetz, 1991, Art. 18 Rdnr. 18; Breuer, Wasserrecht, Rdnr. 468 m.w.N.; zu eigentumsrechtlichen Fragen im Hinblick auf eine "Situationsberechtigung" eines Ufergrundstücks: BVerwG vom 16.3.1976 -IV B 186.75- DÖV 1976,389. 24 Siehe, auch zu weiteren Beispielen: Sieder/Zeitler/Dahme, Bay. Wassergesetz, 1991, Art. 18 Rdnr. 18; Breuer, Wasserrecht, Rdnr. 468. 25 Vgl. zu diesem Fall: OLG Schleswig vom 25.9. 1975- 5 U 14/74- Ztw Sh 1977 Nr. 34; Breuer, Wasserrecht, Rdnr. 468. 26 BGH vom 2.10.1978- 111 ZR 151/76- Ztw 1979, 159; Gieseke/Wiedemann/Czychowski, WHG, § 8 Rdnr. 63 a.E.
E. Negative Immissionen im Wasserrecht
263
4. Entziehung oder Schmälerung des Wassers für eine Wassergewinnungsanlage Das BayWG schützt in Art. 18 Abs. I Nr. 4 auch vor dem durch eine geplante, konkurrierende Wasserbenutzung zu befurchtenden Wasserentzug oder der Wasserschmälerung zum Zwecke des Betriebs einer Wassergewinnungsanlage. Diese Schutznorm betrifft mithin zentral Konstellationen aus den Fallgruppen des Wasserentzugs im Rahmen negativer Immissionen durch nachbarliche Tätigkeiten. Fragestellungen dieser Art können sich allgemein ergeben, sobald der Wasserhaushalt berührt ist, was u.U. schon durch einfache nachbarliche Bautätigkeiten der Fall sein kann. Die wirkliche Bedeutung der Vorschrift liegt in der Kompensation des unvollkommenen Eigentumsschutzes und des Fehlens eines Rechts auf Wasserzufluß. 27 Dieser durch das BayWG gewährte, auch materiell-rechtlich wirksame Schutz erstreckt sich freilich nur auf bestehende und tatsächlich genutzte Wassergewinnungsanlagen, wobei es keine Rolle spielt, ob die Wassergewinnung aus oberirdischen Gewässern oder dem Grundwasser erfolgt. 28 Keine Bedeutung kommt der Tatsache zu, ob die Wassergewinnung wie auf der Grundlage des § 33 Abs. I WHG gestattungsfrei oder aber generell gestattungspflichtig ausgeübt wird.Z9 Es spielt auch keine Rolle, ob die Wassergewinnungsanlage öffentlichen oder privaten Zwecken dient bzw. Trink- oder Brauchwasser betrifft.30 Im Rahmen des Art. 18 Abs. 1 Nr. 4 BayWG ist jedoch nur die rechtmäßig betriebene Wassergewinnung geschützt, 31 und das auch nur, wenn der Eingriff nicht geringwertig ist, also mehr als 5 -I 0 % des Wassers entzogen werden. 32
27 So ausdrUcklieh Breuer, Wasserrecht, Rdnr. 469 m.w.N. 28 Vgl. Gieseke/Wiedemann/Czychowski, WHG, § 8 Rdnr. 65; Sieder/Zeitlerl Dahme, Bay.
Wassergesetz, 1991, Art. 18 Rdnr. 19; Knopp/Manner, BayWG, § 18 Rdnr. 10.
29 Vgl. Gieseke/ Wiedemann/Czychowski, WHG, § 8 Rdnr. 65; Sieder/Zeitler/Dahme, Bay. Wassergesetz, 1991, Art. 18 Rdnr. 19.
30 Vgl. Sieder/Zeitler/Dahme, Bay. Wassergesetz, 1991, Art. 18 Rdnr. 19. 31 BayVGH vom 11.1.1967 - Nr. 38 V111 66 - VGH n.F. 20, 20; Gieseke/ Wiede-mann/Czy-
chowski, WHG, § 8 Rdnr. 65; Sieder/Zeitler/Dahme, Bay. Wassergesetz, 1991, Art. 18 Rdnr. 19; Breuer, Wasserrecht, Rdnr. 469.
32 Sieder/Zeitler/Dahme, Bay. Wassergesetz, 1991, Art. 18 Rdnr. 19.
264
Teil 3: Öffentlich-rechtliche Lösungsansätze der Abwehr neg. Immissionen
F. Negative Immissionen im Straßen- und Wegerecht Neben den exkursartig angeführten Regelungen zu Schutzwalderklärungen im Zusammenhang mit dem Betrieb angrenzender Straßen und Wege 1 lassen sich sowohl dem bundesrechtlich geregelten Fernstraßenreche als auch dem landesrechtlich geregelten Straßen- und Wegereche ausdrückliche Normierungen negativer Immissionen entnehmen: In § 8 a FStrG und in der parallelen Vorschrift des Art. 17 BayStrWG finden sich neben Normen zur Fallgruppe des "Kontakts nach außen", also des Abschneidens von Infrastrukturverbindungen, auch solche zur Reaktion auf die dauernde Zutrittsveränderung von Licht oder Luft zu einem Grundstück, die infolge des Baus oder der sonstigen Veränderung einer Straße (§ 8 a Abs. 7 FStrG; Art. 17 Abs. 4 BayStrWG) entstehen können. Die straßen- und wegerechtliche Einordnung dieser negativen Immissionen ist dabei eine Facette der Ausgestaltung und rechtlichen Einordnung des Anliegergebrauchs an einer Straße. Bemerkenswert ist, daß sich auch im Straßen- und Wegerecht hinsichtlich der rechtlichen Behandlung der negativen Immissionen keine Anklänge an ein zivilrechtlich vorgeprägtes Begriffs- und Problemverständnis finden. 4
I. Das Nachbarrecht der öffentlichen Straßen und Wege Grundsätzlich kann der Eigentümer eines Grundstücks Beeinträchtigungen seines Eigentums auf der Grundlage zivilrechtlicher Abwehrnormen (z.B. §§ 1004 Abs. I BGB; 823 Abs. I, 2 BGB) unterbinden. Derartige privatrechtliche Anspruchsgrundlagen sind jedoch - unabhängig von der Frage, ob sie hinsichtlich negativer Immissionen überhaupt greifen - ausgeschlossen, wenn die Beeinträchtigung durch eine in den Formen des öffentlichen Rechts organisierte Einrichtung der öffentlichen Hand erfolgt. Das privatrechtliche Nachbarrechtsverhältnis wird durch die öffentlich-rechtliche Zweckbindung überlagert. Die Zweckbindung wiederum beruht auf einem statusbegründenden Akt, der Widmung, die ihrerseits die nachbarrechtlichen Nutzungskonflikte insgesamt 1 Siehe oben S. 180 ff. 2
Bayerisches Straßen- und Wegegesetz (BayStrWG), in der Fassung der Bekanntmachung vom 5.10.1981 (BayRS 91-1-1), zuletzt gelindert durch§ 8 Gesetz vom 16.7.1986 (GVBI., 135). 3 Bundesfernstraßengesetz (FStrG), in der Fassung der Bekanntmachung vom 8.8.1990 (BGBI. I, 1714).
4
So auch Kodal/Krämer, Straßenrecht, Kap. 25 Rdnr. 64, anders aber in Kap. 34 Rdnr. 46.
F. Negative Immissionen im Straßen- und Wegerecht
265
dem öffentlichen Recht unterstellt. 5 Die Errichtung und der Betrieb öffentlicher Straßen stellen typischerweise eine solche überlagernde, öffentlich-rechtliche Nutzung dar; 6 und obwohl insoweit ein öffentlich-rechtliches Nachbarrechtsverhältnis entsteht, ist dieses, anders als etwa im Bau- oder Wasserrecht, zweipolig ausgestaltet. Art. 17 BayStrWG und der korrespondierende § 8 a FStrG enthalten eine, wenn auch unvollständige, konkrete Ausgestaltung dieses öffentlich-rechtlichen Nachbarrechtsverhältnisses zwischen der Straße als öffentlicher Sache und dem der Straße benachbarten Grundstückseigentümer,7 wobei insgesamt betrachtet, die tatsächliche Ausgestaltung dieses Nachbarrechtsverhältnisses in weiten Teilen durch die Rechtsprechung8 geprägt wird. Soweit durch Art. 17 Abs. 2 - 4 BayStrWG Fallgruppen aus dem Bereich der negativen Immissionen angesprochen werden, ist jedoch beachtenswert, daß es sich, anders als in den bisher besprochenen Konstellationen, nicht um Abwehransprüche gegen zu erwartende Nachteile in bezug auf eine bestehende Grundstücksnutzung, sondern um reine nachbarrechtliche Ausgleichsansprüche (Realausgleich oder Entschädigung in Geld) handelt.9 Verpflichten solche Normen zur Leistung von Geld, handelt es sich systematisch betrachtet um echte Entschädigungsansprüche, wobei sich allerdings aus dieser Einordnung ergibt, daß die zu entschädigenden Positionen des Anliegers (Straßennachbar) bestehende, vermögenswerte Rechte vorraussetzen. 10 Aus dieser Betrachtung folgt somit auch für das Straßen- und Wegerecht die grundsätzliche Anerkennung eines eigentumsrechtlichen oder eigentumsähnlichen Schutzes bestehender Grundstücksnutzungen vor den Wirkungsweisen negativer Immissionen.
5 Vgl. Steiner, in: Steiner (Hrsg.), Bes. Verwaltungsrecht, V Rdnr. 131; Steinberg, Nachbarrecht der öffentlichen Anlagen, Kap. I Rdnr. 3; Roth, in: Staudinger, 12. Aufl., § 906 Rdnr. 85; Augustin, in: BGB-RGRK, 12. Aufl., § 906 Rdnr. 67; Säcker, in: Müko, § 906 BGB Rdnr. 106 ff. 6 Vgl. Steinberg, Nachbarrecht der öffentlichen Anlagen, Kap. I Rdnr. 3; Kodal/Krämer, Straßenrecht, Kap. 5 Rdnr. 22 und Kap. 7 Rdnr. 4; Steiner, in: Steiner (Hrsg.), Bes. Verwaltungsrecht, V Rdnr. 24 ff. 7
Sieder/Zeitler/Kreuzer/Zech, Bay. Straßen- u. Wegegesetz, Art. 17 Rdnr. 1.
8
Siehe hierzu die Nachweise bei Sieder/Zeitler/Kreuzer/Zech, Bay. Straßen- u. Wegegesetz, Art. 17 Rdnr. 7; Kodal/Krämer, Straßenrecht, Kap. 25 Rdnr. 17 ff. 9
Vgl. Sieder/Zeitler/Kreuzer/Zech, Bay. Straßen- u. Wegegesetz, Art. 17 Rdnm. 20 u. 52.
10 ..
Ahnlieh auch BayübLG vorn 3l.I .I964 - RReg. I Z 245/61 - BayVBI. 1964, 267; BayübLG vorn 5.2.1970- RReg. 1a Z 123/68- BayVBI. 1970, 263; BGH vorn 11.1.1979- III ZR 120177BauR 1979, 236 (zu§ 8 a Abs. 4 FStrG); Sieder/ Zeitler/Kreuzer/Zech, Bay. Straßen- u. Wegegesetz, Art. 17 Rdnr. 24.
266
Teil3: Öffentlich-rechtliche Lösungsansätze der Abwehr neg. Immissionen
II. Begriff des Anliegergebrauchs Die Problematik negativer Immissionen wird im Straßen- und Wegerecht als eine solche der Ausgestaltung des eigentumskräftigen Anliegergebrauchs verstanden: Auch der Anlieger an einer dem öffentlichen Verkehr gewidmeten Straße, d.h. der Eigentümer eines Anliegergrundstücks übt grun9sätzlich zulassungsfreien ("gesteigerten") Gemeingebrauch 11 an dieser Straße aus. Das Interesse dieses Anliegereigentümers geht aber über den schlichten, im wesentlichen verkehrs- und kommunikationsbezogenen Gemeingebrauch hinaus. 12 Er benötigt die Straße als Infrastrukturverbindung, zum Zugang zu und zum Abgang von seinem Grundstück sowie zur Ermöglichung des Zutritts von Licht und Luft und des Erhalts anderer Lagevorteile. Schließlich will er die Straße in gesteigertem Maße durch Überfahren des Gehwegs nutzen.13 Dieses über dem schlichten Gemeingebrauch liegende natürliche Interesse des Anliegereigentümers korrespondiert letztlich mit der bauplanungsrechtlichen Erschließungsfunktion der Straße, § I27 Abs. I Nr. I und 2 BauGB, an deren Realisierung der Anlieger finanziell beteiligt ist, §§ I27 ff. BauGB. 14 Die eigentumsrechtliche Einordnung des Anliegergebrauchs, die die notwendige Grundlage der Entschädigungsregelungen darstellt, ist wesentlich durch die Rechtsprechung des BVerwG geprägt. In seinem grundlegenden Urteil vom 25.9 .I968 15 stellt das Gericht fest, daß der Kerngehalt des Gemeingebrauchs - als Teil dieses Gemeingebrauchs wird der Anliegergebrauch verstanden- verfassungsrechtlich durch die Art. 2 Abs. I, 3 Abs. I und I4 Abs. I GG gewährleistet sei. Später differenzierte das Gericht und sah den Anliegergebrauch als solchen durch Art. I4 Abs. I GG geschützt. 16 Diese grundrechtliehe Verankerung reicht allerdings "nur soweit, wie die angemessene Nutzung 11 Kritisch zu der Vorstellung eines umfassenden Begriffs des Gemeingebrauchs: Maurer, DÖV 1975, 217 (226 f.); siehe auch die umfassende Darstellung bei Kodal/Krämer, Straßenrecht, Kap. 25 Rdnr. I ff. 12 Steiner, in: Steiner (Hrsg.), Bes. Verwaltungsrecht, V Rdnr. 105; Kodal/Krämer, Straßenrecht, Kap. 25 Rdnr. 5; Prandl/Gillessen, BayStrWG, Art. 17 Rdnr. I, Art. 18 Rdnr. 2 und Art. 19 Rdnr. 2.
13 Pappermann/Löhr/Andriske, Recht der öffentlichen Sachen, 80; Steiner, in: Steiner (Hrsg.), Bes. Verwaltungsrecht, V Rdnr. 105; Marschall, Bundesfernstraßengesetz, § 8 a Anm. 7.
14 Diesen Zusammenhang betonen auch Kodal/Krämer, Straßenrecht, Kap. 25 Rdnr. 6. 15 16
BVerwG vom 25.9.1968 -IV C 195.65- E 30,235.
BVerwG vom 25.6.1969- IV C 77.67- E 32, 222; BVerwG vom 21.10.1970 -IV C 95.68DVBI. 1971 , 180.
F. Negative Immissionen im Straßen- und Wegerecht
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des Grundeigentums eine Benutzung der Straße erfordert. Angemessen in diesem Sinne ist nicht jede Nutzung, zu der das Grundeigentum Gelegenheit bietet, sondern ausschließlich das, was aus dem Grundstück und seiner sowohl der Rechtslage als auch den tatsächlichen Gegebenheiten entsprechenden Nutzung als Bedürfnis hervorgeht." 17 Der Umfang der tatsächlich geschützten Nutzungsund Gebrauchsarten ergibt sich dabei (deklaratorisch) aus Art. 17 Abs. 2 - 4 BayStrWG. Undeutlich geblieben ist allerdings, wie die eigentumsrechtliche Erfassung des Anliegergebrauchs konstruktiv auf-zufassen ist. Man kann insoweit den Anliegergebrauch als eigenständiges subjektiv-öffentliches Recht oder aber unselbständig als Inhaltsbestimmung des Eigentums an einem bestimmten Grundstück begreifen. 18
1. Abschneiden oder Erschweren des Zugangs (der Zufahrt) zu Infrastrukturverbindungen als Problem des Anliegergebrauchs Teil des eigentumsrechtlich geschützten Anliegergebrauchs ist die Erhaltung einer bestehenden, ausreichenden Verbindung des Anliegergrundstücks zum allgemeinen Verkehrsnetz. 19 Art. 17 Abs. 2 BayStrWG und § 8 a Abs. 4 FStrG regeln die Ansprüche (Realausgleich oder Entschädigung in Geld) des Anliegers, wenn die Änderung oder Einziehung einer Straße berechtigte20 Zufahrten oder Zugänge zum benachbarten Anliegergrundstück dauernd und erheblich beeinträchtigen und eine anderweitige ausreichende Verbindung zu dem öffentlichen Wegenetz nicht erreichbar ist. 21 Der Begriff der Anderung umfaßt im wesentlichen tatsächliche Maßnahmen, also den Straßenbau (z.B. das Anlegen eines Straßendamms), der der Einziehung erfordert einen statusändernden 17 BVerwG vom 21.10.1970 - IV C 95.68 - DVBI. 1971, 180; ebenso: BVerwG vom 20.12.1972 - IV B 198171 - GewArch 1972, 105 (I 06); BVerwG vom 15.12.1972 - IV C 112.68 DVBI. 1973,496 (497); BVerwG vom 29.4.1977- IV C 15.75- E 51, I; BVerwG vom 13.6.1980 - 4 C 98 u. 99.76- DÖV 1980, 727; llhnlich: BGH vom 4.5.1973 -V ZR 176171 - Z 60, 365 (369); BGH vom 20.12.I973- III ZR 154171- DVBI. 1974, 284; BayObLG vom 21.10.1974- RReg. 2 Z 180/73- BayVBI. 1975, 23; RG vom 16.2.1929- V 40/28- Z 123, 181 (184); siehe auch Kodal/Krämer, Straßenrecht, Kap. 25 Rdnm. 21-23; Prandl/Gillessen, BayStrWG, Art. 17 Rdnr. I; Beckmann, BB 1972, 598 (599 f.); Send/er, DÖV 1978, 581 (588); Maurer, DÖV 1975, 217 (222); Steiner, in: Steiner (Hrsg.), Bes. Verwa1tungsrecht, V Rdnr. I 08. 18 Siehe hierzu ausftlhrlich: Maurer, DÖV 1975; 217 (225 m.w.N.); insgesamt zur eigentumsrechtlichen Einordnung des Anliegergebrauchs Kodal/Krämer, Straßenrecht, Kap. 25 Rdnr. 17 ff.
19 Vgl. BVerwG vom 13.6.1980-4 C 98 u. 99.76- DÖV 1980, 727; Sieder/Zeitler/Kreuzerl Zech, Bay. Straßen- u. Wegegesetz, Art. 17 Rdnr. 32 m.w.N. 20
Sieder/Zeitler/Kreuzer/Zech, Bay. Straßen- u. Wegegesetz, Art. 17 Rdnr. 30.
21 Beachte in Bayern auch die Nm. 29-35 der Zufahrten-Richtlinie vom 27.2.1978, MABI. 199.
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Teil 3: Öffentlich-rechtliche Lösungsansätze der Abwehr neg. Immissionen
Rechtsakt Die Beeinträchtigung des Zugangs ist erheblich, wenn eine Straße höher oder niedriger gelegt wird und hierdurch die Erreichbarkeil des Grundstücks nur durch bauliche Anpassungsmaßnahmen zu bewerkstelligen ist. 22 Sie ist demnach unerheblich, wenn beispielsweise eine Durchgangsstraße zur Sackgasse verändert wird. 23 Art. 17 Abs. 3 BayStrWG und § 8 a Abs. 5 FStrG erfassen die Fälle der durch vorübergehende Straßenarbeiten verursachten, länger andauernden, erheblichen Nutzungserschwerungen und -Unterbrechungen von Grundstückszufahrten und -zugängen. Auch diese Regelung gewährt im Einzelfall Ansprüche auf Realausgleich oder Entschädigung in Geld. Da aber Beeinträchtigungen der Straßenbenutzung durch Straßenbauarbeiten grundsätzlich entschädigungslos hinzunehmen sind, 24 liegt die Besonderheit dieser Norm in der Beschränkung auf den Schutz des anliegenden Gewerbetreibenden, wobei eine akute Existenzgefährdung allein durch die intendierten Straßenbaumaßnahmen zu befurchten sein muß. 25
2. Dauernder Entzug des Zutritts von Licht und Luft als Problem des Anliegergebrauchs Teil des eigentumsrechtlich geschützten Anliegergebrauchs ist auch die Erhaltung des bestehenden Zutritts von Luft und Licht zu einem (Anlieger) Nachbargrundstück.26 Art. 17 Abs. 4 BayStrWG und § 8 a Abs. 7 FStrG regeln die 22 Vgl. BGH vom 2.7.1959 - I1I ZR 76/58 - DVBI. 1959, 777; Sieder/Zeitler/Kreuzer/Zech, Bay. Straßen- u. Wegegesetz, Art. 17 Rdnr. 39. 23 Vgl. Zimniok, BayStrWG, Art. 17 Anm. 5. f) bb); weitere Beispiele bei Sieder/Zeitler/Kreuzer/Zech, Bay. Straßen- u. Wegegesetz, Art. 17 Rdnm. 35 ff. und 43.
24 BGH vom 20.12.1971 - I1I ZR 79/69- DVBI. 1972, 240 (241); Zimniok, BayStrWG, Art. 17 Anm. 5. a); Kodal/Krämer, Straßenrecht, Kap. 25 Rdnr. 52 f.; Prandl/Gillessen, BayStrWG, Art. 17 Rdnr. 2 b); die Rechtsprechung zusammenfassend: BGH vom 7.7.1980- III ZR- BayVBI. 1981, 633; Sieder/Zeitler/ Kreuzer/Zech, Bay. Straßen- u. Wegegesetz, Art. 17 Rdnr. 47 f.
25 Vgl. BGH vom 3.3.1977 -lll ZR- NJW 1977, 1817; Sieder/Zeitler/Kreuzer/Zech, Bay. Straßen- u. Wegegesetz, Art. 17 Rdnr. 49 f.; Kodal/Krämer, Straßenrecht, Kap. 25 Rdnr. 60; Prand/1 Gillessen, BayStrWG, Art. 17 Rdnr. 2 b); siehe auch die Nachweise unten S. 264 f.
26 Ausdrücklich auf eine eigentumsrechtliche Position i.S.d. Art. 14 Abs. I GG verweisen Sieder/Zeitler/Kreuzer/Zech, Bay. Straßen- u. Wegegesetz, Art. 17 Rdnr. 56. Koda//Krämer, Straßenrecht, Kap. 34 Rdnr. 46.75 gehen im Zusammenhang mit ihren grundsätzlichen Ausfilhrungen zu negativen Immissionen überraschenderweise jedoch ohne Hinweis auf die Systematik der EntschädigungsansprUche nicht von eigentumskräftigen Positionen des "gestörten" Anliegers aus. Auffallend ist in Kap. 35 allerdings, daß sie lediglich zivilrechtliche Argumentationsmuster wiedergeben.
· F. Negative Immissionen im Straßen- und Wegerecht
269
nachbarrechtlichen Ausgleichsansprüche (Entschädigung in Geld27 ) des Anliegers, wenn die Änderung oder der Bau einer Straße den Zutritt dieser natürlichen Umweltmedien dauernd und erheblich entzieht oder beeinträchtigt, was insbesondere bei der Nutzung von an Straßen errichteten Gebäuden, also zumeist in geschlossenen Bebauungslagen, eine maßgebliche Rolle spielen kann, ohne daß allerdings eine bauliche Nutzung des betroffenen Grundstücks An28 spruchsvoraussetzung 1st. 0
Tatbestandlieh kommen filr die Entstehung des Ausgleichsanspruchs nur straßenbauliche oder straßentechnische Änderungen in Betracht, wozu u.a. auch der Komplex der Straßenbegrünung durch hochwachsende Bäume und Sträucher zu zählen ist. 29 Der völlige Entzug von Licht und Luft ist nur in Ausnahmesituationen denkbar, beispielsweise bei Errichtung eines Straßendamms oder von Stütz- und Lärmschutzwänden unmittelbar vor einer Wohnbebauung. Eine erhebliche Beeinträchtigung, also ein besonderes Opfer gegenüber der Allgemeinheit,30 ist demgegenüber schon dann anzunehmen, wenn eine Beschränkung der bestimmungsgemäßen Nutzbarkeit des Grundstücks eintritt. 31 Diese Voraussetzung ist gegeben, wenn aufgrund ungünstiger Beeinflussung des Lichteinfalls eine Gärtnerei geringere Erträge erwirtschaftet oder eine Solarenergieanlage nur noch eingeschränkt benutzbar ist. 32 Eine erhebliche Beeinträchtigung soll hingegen nicht vorliegen, wenn eine Versehartung den Mietwert einer Wohnung mindert33 oder allgemein zwar eine Grundstücksentwertung eintritt, die ordnungsgemäße Nutzung als solche aber nicht berührt ·ist. 34 Eine sinnvolle Unterscheidung läßt sich dieser Kasuistik nicht entnehmen. 27 Zu der Frage, ob im Rahmen einer Planfeststellung nicht doch ein Vorrang von realen Ausgleichsmaßnahmen besteht: Sieder/Zeitler/Kreuzer/Zech, Bay. Straßen- u. Wegegesetz, Art. 17 Rdnr. 56; undeutlich Kodal/Krämer, Straßenrecht, Kap. 25 Rdnr. 74. 28 Vgl. Kodal/Krämer, Straßenrecht, Kap. 25 Rdnr. 65 f.; Sieder/Zeitler/Kreuzer/Zech, Bay. Straßen- u. Wegegesetz, Art. 17 Rdnr. 52. 29 Vgl. Sieder/Zeitler/Kreuzer/Zech, Bay. Straßen- u. Wegegesetz, Art. 17 Rdnm. 40 u. 53; Kodal/Krämer, Straßenrecht, Kap. 25 Rdnr. 68 f.
30 Sieder/Zeitler/Kreuzer/Zech, Bay. Straßen- u. Wegegesetz, Art. 17 Rdnr. 55; Zimniok, BayStrWG, Art. 17, 6. c). 31 Vgl. Sieder/Zeitler/Kreuzer/Zech, Bay. Straßen- u. Wegegesetz, Art. 17 Rdnr. 54; Marschall, Bundesfemstraßengesetz, § 8 a Anm. 7.1; Kodal/Krämer, Straßenrecht, Kap. 25 Rdnr. 70 f. 32 Siehe zu diesen Beispielen Sieder/Zeitler/Kreuzer/Zech, Bay. Straßen- u. Wegegesetz, Art. 17 Rdnr. 54.
33 OLG NUmberg vom 14.6.1967-4 U 34/67- NJW 1968, 654; Sieder/ Zeitler/Kreuzer/Zech, Bay. Straßen- u. Wegegesetz, Art. 17 Rdnr. 54; Koda// Krämer, Straßenrecht, Kap. 25 Rdnr. 72.
270
Teil 3: Öffentlich-rechtliche Lösungsansätze der Abwehr neg. Immissionen
Ebenfalls Tatbestandsmerkmale der Norm sind die berechtigte Ausübung der tatsächlichen oder geplanten Nutzung des Anliegergrundstücks .und ein auf Dauer angelegter Entzug der entsprechenden Umweltmedien. 35 Soweit im Zusammenhang mit einem straßenrechtlichen Planfeststellungsverfahren Nachbarbelange der hier beschriebenen Art tangiert werden, sind diese abwägungserheblich zu berücksichtigen36 und sofern Entschädigungsansprüche gewährt werden, dem Grunde nach im Planfesstellungsbeschluß festzuschreiben. 37
G. Zusammenfassung und Ausblick Die nicht abschließend aufgezeigten Teilbereiche des grundstücksbezogenen öffentlichen Rechts haben die tatsächliche und rechtliche Relevanz negativer Immissionen innerhalb dieser Teilrechtsordnung angedeutet. Negative Immissionen stehen hier vorbehaltlos neben anderen regelungsbedürftigen Konfliktsituationen. Im folgenden soll der Versuch unternommen werden, die in den beiden Teilrechtordnungen feststellbare, unterschiedliche Handhabung der negativen Immissionen anzugleichen.
34 Vgl. BGH vom 16.3.1972 - Ill ZR 26171 - DÖV 1973, I 03; BGH vom 11.10.1973 - Ill ZR 159171- NJW 1974, 53. 35
Vgl. Sieder/Zeitler/Kreuzer/Zech, Bay. Straßen- u. Wegegesetz, Art. 17 Rdnm. 56 u. 57.
36
Es handelt sich schließlich um eigentumsrechtliche Positionen. Siehe zur Berücksichtigung privater Belange im Abwägungsvorgang der straßenrechtlichen Planfeststellung Dürr, UPR 1993, 161 (166 m.w.N.). 37 Kodal/Krämer, Straßenrecht, Kap. 34 Rdnm. 22.53, 22.63, 46.74; Sieder/Zeitler/Kreuzer/ Zech, Bay. Straßen- u. Wegegesetz, Art. 17 Rdnr. 56 und Art. 38 Rdnr. 168 f.
Tei/4
Erfordernisse und Möglichkeiten eines Zusammenwirkens der öffentlich-rechtlichen und der zivilrechtliehen Lösungsansätze A. Allgemeines Der bisherige Gang der Untersuchung hat aufgezeigt, daß insbesondere das öffentliche Recht dem vielgestaltigen Problembereich negativer Immissionen der Sache nach breite Aufmerksamkeit hat zukommen lassen. Die konstatierte Regelungsdichte bedeutet dennoch nicht, daß dem öffentlichen Recht ein einheitliches Regelungssystem für die Problematik negativer Immissionen zu entnehmen wäre. Die einzelnen Vorschriften finden sich in den grundstücksbezogenen Gesetzen vielmehr punktuell, was im übrigen der Zersplitterung des Verwaltungsrechts entspricht. So wenig wie man von einem System der negativen Immisssionen sprechen kann, so wenig findet man im öffentlichen Recht überhaupt den Begriff der negativen Immission; dieser geht vielmehr - quasi unerkannt- in dem Begriffsfeld der "grundstücksbezogenen Nutzungskontlikte" auf. Ganz anders ist die Lage im Zivilrecht: Die Probleme der negativen Immissionen sind hier als solche benannt und werden, soweit nicht enge Spezialtatbestände - Ptlanzenabstandsrecht, Vertiefungsschäden - eingreifen, von der Rechtsprechung seit den Tagen des Reichsgerichtes in dogmatischer Kontinuität als insgesamt nicht abwehrbar beurteilt. Pointiert läßt sich innerhalb des Zivilrechts beinahe von einem "Mythos der negativen Immissionen" sprechen. 1 Im Lichte dieses unverbundenen Nebeneinanders drängt sich die Fragestellung auf, ob nicht das innovativere, öffentliche Recht Einfluß auf die traditionellen zivilrechtliehen Anschauungen auszuüben vermag. Mit anderen Worten: Auch mit Blick auf die negativen Immissionen ergeben sich Fragen der Einheit 1
Tiedemann, MDR 1978, 272.
272
Teil 4: Erfordernisse und Möglichkeiten eines Zusammenwirkens
der Rechtsordnuni, der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung und des Verwaltungsrechts als Vorgabe für das Zivilrecht3, jedenfalls aber nach seiner Influenz. Eine umfassende dogmatische Aufbereitung des Zusammenwirkens von Verwaltungsrecht und Zivilrecht liegt nicht vor; fiir den Teilbereich des Nachbarrechts als dem hier interessierenden Anwendungsfeld gibt es nähere Untersuchungen,4 die aber mehrheitlich darauf gerichtet sind, das öffentliche vom privaten Recht zu trennen. 5 Diese strikte Trennung der Teilrechtsordnungen will nicht recht einleuchten. Erst recht leuchtet nicht ein, wenn allein aus der Tatsache dieser Trennung Rückschlüsse gezogen werden. Man muß sich demgegenüber klarmachen, daß es weder einen eigentlichen Zivilrechtsgesetzgeber noch einen davon unterscheidbaren Gesetzgeber für öffentlich-rechtliche Gesetze gibt. Es gibt nur einen Gesetzgeber, nämlich den parlamentarischen Gesetzgeber, diesem sind alle Gesetze letztlich als Einheit zuzuordnen. 6 Mit Blick auf die negativen Immissionen verstärkt sich dieses Unbehagen hinsichtlich der aufgezeigten und weitgehend ungeklärten Problematik des Zusammenwirkens von Zivil- und öffentlichem Recht noch deshalb, weil beide Rechtsgebiete hier denselben Regelungsgegenstand erfassen, wenn auch mit unterschiedlichen aber sich teilweise doch überschneidenden Regelungsmotivationen oder Regelungszielen. Beide Rechtsgebiete konkretisieren das Privateigentum und damit unter Umständen das Eigentum an ein und demselben realen Grundstück, und beide wollen den Freiheitsstatus des einzelnen Eigentümers sichern und sozialverträglich gestalten. De facto steht damit das Grundeigentum und mit ihm die Nutzung des Grundeigentums in einer echten gesetzlichen Gemengelage.7 2 Siehe hierzu insbesondere auch Schröder, VVDStRL 50 (1991), 196 (205 ff.); Jarass, VVDStRL 50 (1991), 238 (260 f.). 3 Siehe hierzu in letzter Zeit: Schmidt, Die Unterscheidung von privatem und öffentlichem Recht, 1985; Gerhardt, BayVBI. 1990, 549; Medicus, NuR 1990, 145; Ossenbühl, DVBI. 1990, 963; Jarass, VVDStRL 50 (1991), 238; Schröder, VVDStRL 50 (1991), 198; Peine, JZ 1990, 201 (209 f.), jeweils m.w.M.
4 Diese stehen vor allem im Zusammenhang mit dem Nebeneinander von Sport und Wohnen: Papier, Rechtsgutachten, 97 m.w.N; zuletzt Berkemann, NVwZ 1992, 817 mit Nachweisen aus Literatur und Rechtsprechung. 5
Jarass, VVDStRL 50 (1991), 238 (239).
6
So ausdrUcklieh Ossenbühl, DVBI. 1990, 963 (967).
7
Trzaskalik, DVBI. 1981, 71 m.w.N.; siehe hierzu auch oben S. 26 f.
B. Anknüpfungspunkte zwischen Verwaltungsrecht und Zivilrecht
273
Die eigentliche Schwierigkeit dieses übergreifenden Gesichtspunkts liegt wohl in der Inkompatibilität der unterschiedlichen Konstruktion der Nachbarrechtsverhältnisse, d.h. der lediglich zweipoligen Rechtsbeziehungen im privaten Nachbarrecht und der unechten dreipoligen Rechtsbeziehungen im öffentlichen Nachbarrecht. 8 Man kann daher das Problem auch als ein Problem der Überleitung subjektiv-öffentlicher Rechte (mit drittschützender Wirkung) und Wertungen in ein privatrechtliches Rechtsverhältnis begreifen.
B. Anknüpfungspunkte zwischen Verwaltungsrecht und Zivilrecht I. Verfassungsrechtliche Vorgaben I. Der Topos der "Einheit der Rechtsordnung"
Über die Tatsache hinaus, daß die "Einheit der Rechtsordnung" dadurch gewahrt wird, daß ein einheitlicher Gesetzgeber sowohl das Zivilrecht als auch das öffentliche Recht geschaffen hat, und daß beide Teilrechtssysteme innerhalb der Normpyramide unter dem Dach eines Grundgesetzes stehen, ist die Figur der "Einheit der Rechtsordnung" zur Lösung konkreter Fragestellungen wenig ergiebig. 1 Es handelt sich um nicht viel mehr als ein Schlagwort. Aus dem Topos der "Einheit der Rechtsordnung" können demgemäß Rechtsfolgerungen nicht hergeleitet werden; 2 eine "Einheit der Rechtsordnung" ist rechtstatsächlich nicht vorhanden, 3 nicht einmal die Verfassung selbst verwirklicht die Merkmale einer Einheit. 4
8
Siehe hierzu oben S. 26 f.
1
Siehe hierzu Gerhardt, BayVBI. 1990, 549 (550); Fischer, in: HUbschmann!Hepp/Spitaler, AO, § 40 Rdnr. 19; Schröder, VVDStRL 50 (1991), 196 (205 f.); zur rechtphilosophischen Einordnung: Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 2. Auf!., 1983, 16; Müller, Juristische Methodik, 4. Auf\., 1990,216 ff. 2 Die Verwendung dieses Topos ist vielfach auch deshalb verdächtig, weil die Berufung auf eine wie immer geartete "Einheit" bezwecken kann, positive Normen einer Teilrechtsordnung zugunsten einer anderen einzuschränken oder zu instrumentalisieren; Fischer, in: Hübschmannt Hepp/Spitaler, AO, § 40 Rdnr. 19. 3
Peine, Das Recht als System, 1983, 99 ff.
4
Müller, Die Einheit der Verfassung, Berlin 1979, 91 ff. ; siehe zur ähnlich gelagerten Problematik der "Einheit der Verfassung" Luhmann, Die Einheit des Rechtssystems, Rechtstheorie 14 (1 983), 129 ff. 18 Reetz
274
Teil 4: Erfordernisse und Möglichkeiten eines Zusammenwirkens
Sehröder bezeichnet dieses "Argumentationsmuster"5 folglich als viel zu pauschalen Maßstab fiir die Verknüpfung der Teilrechtsordnungen6 , und Gerhardt hält es fiir insgesamt wenig hilfreich. 7 Kloepfer konstatiert, die Konzeption der "Einheit der Rechtsordnung" sei in einem offenen, komplexen Rechtssystem illusorisch und nicht einmal verfassungsgeboten.8
Die praktische Bedeutung der Formel von der "Einheit der Rechtsordnung" scheint vielmehr in der Zielvorgabe an den Gesetzgeber zu liegen, eine gerechte Ordnung auf der Grundlage des Gleichheitssatzes zu konkretisieren9 und den Rahmen selbstgewählter Sachgesetzlichkeiten einzuhalten. 10 Auf die Ebene der Rechtsanwendung übersetzt bedeutet dies, die Notwendigkeit einer widerspruchsfreien, gegebenenfalls rechtsfortbildenden Handhabung des positiven Normbestands, der in einem konkreten Rechtsfall in sachlicher Beziehung steht. 11 Mit Blick auf die negativen Immisssionen ist ein gemeinsamer übergreifender Beziehungspunkt, nämlich die Grundstücksnutzung gegeben. Die Handhabung der sich in diesem Punkt, der Grundstücksnutzung, begegnenden Teilrechtsordnungen sollte daher wenigstens dem aus der Figur der "Einheit der Rechtsordnung" ableitbaren Gebot der Widerspruchsfreiheit entsprechen.12 Es wird einem Eigentümer nicht recht klar zu machen sein, daß eine öffentlich-rechtlich verbietbare Nutzungsposition zivilrechtlich erlaubt ist. 2. Widerspruchsfreiheit
Die Teilrechtsordnungen sind grundsätzlich autonom; 13 dies gilt fiir das Verwaltungsrecht und fiir das Zivilrecht auch mit Blick auf nachbarrechtliche Begriff bei Kloepfer, UTR Bd. I, 34. 6
Schröder, VVDStRL 50 (1991), 196 (205 f.).
7
Gerhardt, BayVBI. 1990, 549 (550). Kloepfer, UTR Bd. I, 34.
9
Siehe zu diesem Gesichtspunkt Schneider, Gesetzgebung, 1982, Rdnr. 58; Schröder, VVDStRL 50 (1991), 196 (206 f.). 10 Zippelius, VVDStRL 47 (1989), 7 (20 ff.); Schröder, VVDStRL 50 (1991), 196 (206 f.); Fischer, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO, § 40 Rdnr. 21 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung des BVerfG.
11 Zippelius, Juristische Methodenlehre, 5. Auf!. 1990, § I 0 II allgemein zur Auslegung von Rechtsnormen; Fischer, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO, § 40 Rdnr. 22.
12 Schröder, VVDStRL 50 (1991), 196 (206 f.); Ossenbühl, DVBI. 1990, 963 (966); Jarass, VVDStRL 50 (1991), 238 (260 m.w.N.); Zippelius, Juristische Methodenlehre, 5. Auf!. 1990, § 10 I.
B. Anknüpfungspunkte zwischen Verwaltungsrecht und Zivilrecht
275
Aspekte. Der übergeordnete Gesichtspunkt der Widerspruchsfreiheit ist aber dann tangiert, wenn beide Teilbereiche Verhaltensweisen unter gleichen oder zumindest teilweise gleichen Gesichtspunkten miteinander unvereinbar regeln (Normwiderspruch) oder unterschiedlichen Wertmaßstäben unterwerfen (Wertungswiderspruch).14 Bei ganzheitlicher Betrachtung der negativen Immissionen handelt es sich um ein Problem der aus dem Eigentum fließenden Nutzungsbefugnis an einem Grundstück. Beide Teilrechtsordnungen betreffen solche Fragen der Nutzungsbefugnisse an Grundstücken, und zwar gerade unter dem Aspekt ihrer nachbarlichen Auswirkungen. Hierbei überschneiden sich Regelungsziele und Regelungsmotivationen teilweise. Für das öffentlich-rechtliche Nachbarrecht steht die dem Allgemeininteresse zuzuordnende Raumplanung zwar im Vordergrund; dennoch beinhaltet das öffentlich-rechtliche Nachbarrecht, genauso wie das Zivilrecht, auch Normen im Zusammenhang mit kleinnachbarlichen Nutzungskonflikten, die durchsetzbare (drittschützende) Rechtspositionen schaffen und sich insoweit mit dem Zivilrecht überschneiden. 15 Da sich somit überlagemde Gesichtpunkte unschwer finden lassen, kann die Frage nach der Widerspruchsfreiheit sinnvoll aufgeworfen werden: Allerdings ist die Widerspruchsfreiheit wohl gewährleistet, soweit die Kategorie der echten Normwidersprüche angesprochen wird. Echte Normwidersprüche wären dann gegeben, wenn beide Teilrechtsordnungen an ein und denselben Tatbestand, hier die individuelle Grundstücksnutzung, unvereinbare Rechtsfolgen knüpfen würden. 16 Das öffentliche Nachbarrecht gewährleistet unter den verschiedensten Gesichtspunkten (Dritt) Schutz gegen negative Immissionen, während das Privatrecht einen solchen Schutz grundsätzlich verweigert. Diese Widersprüchlichkeit führt aber nicht zu einer gänzlichen Unvereinbarkeit. Dies wäre nur dann der Fall, wenn das Privatrecht die Mißachtung der durch das öffentliche Recht geschützten Nutzungsinteressen vorschreiben würde, was jedoch nicht der Fall ist. 17 13 Die Figur der "Einheit der Rechtsordnung" steht dem nicht entgegen.
14 Siehe etwa den Fall zur Personenbefllrderungsgenehmigung: BGH vom 11.11 .1983 - V ZR 231/82- DVBI. 1984,472 (473) mit Anm. Bettermann. 15 Anders wäre ein ableitbarer Drittschutz nicht erklärbar.
16Jarass, VVDStRL 50 (1991), 238 (261 17
f.).
Der von Jarass, VVDStRL 50 (1991), 238 (261 f.) angefllhrte Beispielsfall der kommunalen Baumschutzsatzung trifft die Kategorie des echten Normwiderspruchs m.E. nicht. Das OLG DUsseldorf hat mit Urteil vom 20.4.1988 - 9 U 228/87 - NJW 1989, 1807 ausgefllhrt, daß es von einer 18*
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Teil 4: Erfordernisse und Möglichkeiten eines Zusammenwirkens
Widerspruchsfreiheit ist bei der Handhabung negativer Immissionen aber nicht im Hinblick auf die Freiheit von Wertungswidersprüchen gegeben. Von solchen Wertungswidersprüchen kann ausgegangen werden, wenn die Rechtsfolgen der jeweiligen Normen sich zwar nicht unvereinbar zueinander verhalten, die Befolgung der einen Norm aber dem der anderen Norm zugrundeliegenden Wertungsgefüge widerspricht und so deren Regelungsziele konterkariert.18 Der Schutz vor negativen Immissionen im öffentlichen (Bau)Recht wird, dies hat der bisherige Gang der Untersuchung aufgezeigt, gewährt, um beispielsweise gesunde Wohnverhältnisse entweder zu schaffen oder vorhandene zu konservieren. Diese Zielvorgabe läßt sich exemplarisch an dem das ganze städtebauliche Sanierungsrecht bestimmenden § 136 BauGB oder auch am landesrechtliehen Flächenabstandsrecht ablesen. Der Gesetzgeber regelt damit einen empirisch feststellbaren Nutzungskonflikt sowohl unter dem Gesichtspunkt des Allgemeininteresses als auch durch die Schaffung subjektiv-öffentlicher Abwehrrechte, jedenfalls dann, wenn eine Drittschutzkomponente zu bejahen ist. Die Handhabung des privaten Nachbarrechts widerspricht hier den Wertungen, die das öffentliche Recht solchen Konflikten beimißt Das Zivilrecht konstatiert die Beeinträchtigungen durch die negative Immission, hält aber eine Grundstücksnutzung, die einen solchen Nutzungskonflikt bewirkt oder verstärkt für unbedenklich, weil dem Eigentümer durch die positive Befugnis des § 903 BGB dazu grundsätzlich die Rechtsmacht verliehen worden sei. 19 Die so entstandenen Wertungswidersprüche werden in ihren Auswirkungen jedoch relativiert, wenn man die Verknüpfungstatbestände, die das öffentlichrechtliche und private Nachbarrecht beinhalten, in die Betrachtung einbezieht. Solche Verknüpfungstatbestände, die einen gewissen Grad von Einheit der Rechtsordnung zu erzeugen vermögen, finden sich in einzelnen Normen beider Eigentumsinhaltsbestimmung gern. § 903 BGB i.V.m Art. 2 EGBGB ausgehe und so die Widersprüchlichkeit auf der Ebene des Eigentumsbegriffs korrigiere.
18 Jarass, VVDStRL 50 (1991), 238 (262); Hili, Gesetzgebungslehre, 98 f., der von teleologischen Wertungswidersprüchen spricht; Larenz, Methodenlehre, 6. Aufl., 377 m.w.N.; zum Wertungswiderspruchund "Funktionswandel" im Recht Bydlinski, Juristische Methodenlehre, 585 ff. ; zu Wertungswidersprüchen zwischen dem öffentlichen Recht und dem Zivilrecht auch BGH vom 15.6.1977- V ZR 44/75- Z 69, 105 (110 ff.)- "Flughafen DUsseldorf'.
19 Auf Fragen des§ 823 Abs. 2 BGB und quasinegatorische BeseitigungsansprUche wird später eingegangen.
B. Anknüpfungspunkte zwischen Verwaltungsrecht und Zivilrecht
277
Rechtsgebiete und erzeugen im Ergebnis eine Vorgabewirkung fiir das Verwaltungsrecht So kann das Verwaltungsrecht beispielweise dem Zivilrecht zugehörige, unbestimmte Rechtsbegriffe im Wege von Wertungsvorgaben ausfiillen; es kann derivativ in Tatbestandsmerkmale zivilrechtlicher Anspruchsnormen transportiert werden; es kann den zivilrechtliehen Eigentumsbegriff formen (str.), und es kann über konkretisierende Verwaltungsakte direkt in private Rechtsverhältnisse eingreifen. Die Vorgabewirkung ist je nach der Technik, die der Gesetzgeber gewählt hat, verschieden intensiv, und der Ausgangspunkt der Vorgabewirkung kann sich sowohl in zivilrechtliehen als auch in öffentlich-rechtlichen Normen auffmden lassen. Für den Bereich der negativen Immissionen stellt sich die Frage, inwieweit solche Verknüpfungstatbestände die Wertungswidersprüche der Teilrechtsordnungen kompensieren können.
II. Verknüpfungstatbestände 1. Wertungsvorgaben des Verwaltungsrechts
Eine wesentliche Einfluß- oder Vorgabewirkung entfaltet das Verwaltungsrecht durch den Transport von Wertungen, die sich einzelnen materiellen Gesetzen oder in dieser Fallgruppe auch Verwaltungsvorschriften entnehmen lassen?0 Die Einflußnahme vollzieht sich hierbei auf der Ebene der Auslegung und Anwendung zivilrechtlicher Normen, die auf der Tatbestandseite unbestimmte oder jedenfalls auslegungsfähige Rechtsbegriffe enthalten. Man kann solchen Wertungstransport zu Recht als "mittelbare" Vorgabewirkung, als "indizielle Wirkung" oder vielleicht sogar als "Interpretationsherrschaft" bezeichnen?1 Ein Wertungstransport dieser Art kann allerdings nur insoweit in das Zivilrecht übergreifen, als nicht ausschließlich spezifisch öffentlich-rechtliche Ordnungsvorstellungen verwirklicht werden sollen?2 Betrachtet man diese Vorgabevariante unter dem Blickwinkel der Einflußintensität, so steht sie deutlich hinter der Fallgruppe verwaltungsrechtlicher Vorgaben als Tatbestandsmerkmale der Privatrechtsnorm zurück. 23 Die Verlet20
Siehe hierzu umfassend Jarass, VVDStRL 50 (1991), 238 (241 f.).
21
Ossenbühl, DVBI. 1990,963 (966); Kloepfer, VerwArch. 76 (1985), 371 (380).
22
Siehe hierzu Ossenbühl, DVBI. 1990,963 (966).
23
Jarass, VVDStRL 50 (1991), 238 (2250 f.); siehe hierzu sogleich S. 281.
278
Teil 4: Erfordernisse und Möglichkeiten eines Zusammenwirkens
zung der verwaltungsrechtlichen Vorgaben wirkt hier nämlich nur beweiserleichternd oder umgekehrt beweiserschwerend, nicht aber anspruchsbegründend.24 Das Transportmedium der Wertungsvorgaben liefern die zivilrechtliehen Generalklauseln und unbestimmten oder auslegungsfähigen Rechtsbegriffe. Im Nachbarrecht hat insbesondere die Auslegung der unbestimmten Rechtsbegriffe auf der Tatbestandsseite des§ 906 BGB zu solchermaßen öffentlich-rechtlichen Vorgabewirkungen, namentlich des Immissionsschutzrechts gefiihrt?5 Im Mittelpunkt stehen hierbei die Begriffe der "Wesentlichkeit" und der "Ortsüblichkeit'' von Immissionen. 26 Die Praxis hat zu einer einheitlichen Verwendung der Maßstäbe der TA-Luft und TALärm geflihrt. 27 Auf der Grundlage dieser Vorgabewirkung judiziert beispielsweise das BVerwG/ 8 es "besteht kein Anlaß, die grundlegenden Maßstäbe, mit denen das private und das öffentliche Immissionsschutzrecht die Grenzen fiir eine Duldungspflicht gegenüber Immissionen und damit deren Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit gegenüber der Nachbarschaft im Ansatz bestimmen, nämlich einerseits die 'Wesentlichkeit' und andererseits die 'Erheblichkeit', unterschiedlich auszulegen". Dieser Auffassung hat sich der BGH in ständiger Rechtsprechung angeschlossen, 29 und er spricht mittlerweile von einer Identität zwischen § 906 Abs. 1 BGB und den §§ 3 Abs. 1, 22 Abs. 1 BimSchG. 30 Erste Ansätze der sich daraus ergebenden Vereinheitlichung des Immissionsbegriffs fanden 24
Vgl. BGH vom 16.12.1977 - V ZR 91175 - Z 70, I 02 (I 10); Jarass, VVDStRL 50 (1991 ), 238 (250). 25 Die auch rechtspolitische Bedeutung der hier verankerten Vorgabewirkung liegt in der Schaffung einheitlicher nachbarrechtlicher Standards und letztlich eines einheitlichen Umweltrechts. Siehe hierzu naher: Hagen, NVwZ 1991, 817 (819 f.); sehr zurückhaltend gegenüber der Leistungsfahigkeit öffentlich-rechtlicher Standards Diederichsen, Referat L zum 56. DJT, 48 (59 ff.).
26 Die Unterschiedlichkeit der Immissionsbegriffe betont demgegenüber Westermann, in: FS Larenz (1973), 1003 (1023 f.). Auch im Rahmen der richterrechtlich geprägten Verkehrssicherungspflichten (§ 823 Abs. I BGB) spielen Wertungsvorgaben des Verwaltungsrechts eine erhebliche Rolle: Mertens, in: Müko, § 823 BGB Rdnr. 190 b; Palandt/Bassenge, BGB, 52. Aufl., § 823 Rdnr. 58 ff.; Ossenbühl, DVBI. 1990,963 (966).
27 Ronel/enfitsch/Wolf, NJW 1986, 1955 (1960) sprechen schon von einem "publizistischen Einschlag" des § 906 BGB; Kloepfer, Umweltrecht, 230 und VerwArch. 76 (1985), 371 (380) spricht sogar von einer partiellen Interpretationsherrschaft des öffentlichen Rechts; siehe auch Jarass, VVDStRL 50 (1991), 238 (239 f.); Säcker, in: Müko, § 906 BGB Rdnr. 31 ff; zur Bedeutung filr beweisrechtliche Fragen Ossenbühl, DVBI. 1990, 963 (966 m.w.N.). 28
BVerwG vom 29.4.1988- 7 C 33.87- E 79, 254 (258).
29 BGH vom 13.1.1977-111 ZR 6/75- NJW 1977, 894; BGH vom 10.11.1977-111 ZR 166/75-
MDR 1978, 296; zuletzt BGH vom 23.3.1990- V ZR 58/89- NJW 1990, 2465.
B. Anknüpfungspunkte zwischen Verwaltungsrecht und Zivilrecht
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sich schon unter Hinweis auf § 42 BlmSchG in der Rechtsprechung des BGH zum Straßenverkehrslärm. 31 Gegenläufig ist die Handhabung des Einwirkungs- und Beeinträchtigungsbegriffs (§§ 903, 906, 907, 1004 BGB). Obwohl sich gerade im Nachbarrecht insoweit ein Gleichlauf mit dem Begriffsfeld der "grundstücksbezogenen Nutzungskonflikte" anbietet, verharrt die zivilrechtliche Rechtsprechung bei der Gleichsetzung mit der rein grenzüberschreitend verstandenen Immission. 2. Privatrechtsgestaltung durch Verwaltungsakt
Der Paradefall einer öffentlich-rechtlichen Einflußnahme auf das Zivilrecht ist die ausdrückliche gesetzliche Anordnung der Privatrechtsgestaltung32 • Solche, insbesondere von Verwaltungsakten ausgehenden Wirkungen beziehen sich in vielerlei Fallgestaltungen auf die Begründung, den Bestand und die Beendigung zivilrechtlicher Rechtsverhältnisse. 33 Im grundstücksbezogenen Nachbarrecht fiihrt beispielhaft die Erteilung einer bestandskräftigen Anlagengenehmigung zum Betrieb einer emittierenden Anlage gern. § 14 BlmSchG34 zum Ausschluß zivilrechtlicher Abwehransprüche. Diese zivilrechtliehen Ansprüche müssen ihre Grundlage im allgemeinen Nachbarrecht oder im Deliktsrecht haben; nicht erfaßt sind vertragliche Sonderbeziehungen oder eingetragene Dienstbarkeiten. In Betracht kommen daher im wesentlichen Ansprüche aus §§ 823, 862, 869, 906, 907 und 1004 BGB.35 Der Verlust dieser zivilrechtliehen Abwehrpositionen wird im Genehmigungsverfahren durch weitreichende Ansprüche auf Schutzvorkehrungen oder nachgängiger Leistung von Schadensersatz ausgeglichen. Noch weitergehend als Anlagengenehmigungen schließen Planfeststellungsbeschlüsse im Anschluß an ein förmliches Verwaltungsverfahren zivilrechtliche Abwehrpositionen aus, §§ 17 FStrG, 31 WHG, 36 BBahnG oder typisiert durch 30 BGH vom 23.3.1990- V ZR 58/89- NJW 1990, 2465; so auch Dürr, in: Brilgelmann!Dilrr, BauGB, § 30 Rdnr. 28 m.w.N. 31 BGH vom 20.3.1975 - 111 ZR 215/71 - Z 64, 220; hierzu die Bespr. von Kloepfer, JuS 1976, 436. 32 Jarass, VVDStRL 50 (1991), 238 (244) spricht im Zusammenhang dieser Fallgruppe von "Präklusionswirkung". 33 34
Beispiele bei Ossenbühl, DVBI. 1990, 963 (965).
Ähnliche Regelungen: § 23 GentG; § 7 Abs. 6 AtG; § II LuftVG; Art. 54 BayAGBGB. 35 Vgl. zum Ganzen eingehend Jarass, BlmSchG, I. Aufl., § 14 Rdnm. 7- II.
280
Teil 4: Erfordernisse und Möglichkeiten eines Zusammenwirkens
§ 75 Abs. 2 S. 1 VwVfG. Nach diesen Vorschriften kann für den Verlust zivilrechtlicher Ansprüche nicht einmal mehr eine Kompensation in Gestalt von Schutzvorkehrungen verlangt werden.36 Weder einen Anspruch auf Schutzvorkehrungen noch die Leistung von Schadensersatz kann ein Nachbar von dem Inhaber einer wasserrechtlichen Bewilligung verlangen, § 11 WHG. Die Privatrechtsgestaltung durch Verwaltungsrecht geht hier am weitesten. 37 Nicht zu Unrecht nennt Breuer38 dies die Wirkung eines "Zerreißwolfs" der privatrechtliehen Ansprüche. Die betroffenen Nachbarn sind demnach gehalten, ihre Interessen - auch solche aus dem Wirkungsgefüge negativer Immissionen - ausschließlich und rechtzeitig im Verwaltungsverfahren und gegebenenfalls vor den Verwaltungsgerichten zu verfolgen. Die die öffentlich-rechtliche Legalität vermittelnde Baugenehmigung entfaltet nach der h.M. keine echte Privatrechtsgestaltung;39 dies ist in den landesrechtliehen Bauordnungen, z.B. Art. 74 Abs. 6 BayBO ausdrücklich angeordnet. Daraus folgt, daß zivilrechtliche Abwehrpositionen grundsätzlich erhalten bleiben. Eine in der öffentlich-rechtlichen Literatur vertretene Ansicht argumentiert demgegenüber mit einer jedenfalls formell-rechtlichen Gestaltungswirkung, die unter bestimmten Umständen privatrechtliche Ansprüche auszuschließen vermag. 40 Ausgangspunkt dieser Argumentation ist die Figur der sog. Tatbestandswirkung bestandskräftiger Verwaltungsakte, die zumindest derivative zivilrechtliche Ansprüche nach der Bestandskraft der Baugenehmigung ausschließen soll. 41 36
Breuer, in: von MUnch, BesVerwR, 8. Aufl., 651 f.
37
Vgl. Ossenbühl, DVBI. 1990, 963 (965); Jarass, VVDStRL 50 (1991), 238 (244); Gieseckel Wiedemann/Czychowski, WHG, 5. Aufl., § II Rdnr. 3. 38
Breuer, in: von Münch, BesVerwR, 8. Aufl., 651; ders., Wasserrecht, Rdnr. 736.
39
Vgl. zum Folgenden insbesondere: Fluck, VerwArch. 79 (1988), 406; Peine, JZ 1990, 201.
40
Breuer, in: von Münch, BesVerwR, 8. Aufl., 649 f.; Schapp, Nachbarrecht, 164 ff.; Gaentzsch, NVwZ 1986,605. 41 Vgl. zu diesem Problemkomplex: BVerwG vom 15.3.1967 -IV C 205.65- E 26,287 (288); BVerwG vom 26.3.1976- IV C 7.74- E SO, 282 (290); BayübLG vom 2.7.1990- RReg.l Z 285/89- BayVBI. 1991, 28; Kopp, VwVfG, 5. Aufl., Vorb. § 35 Rdnr. 26 m.w.N.; Ossenbühl, DVBI. 1990, 963 (968); Schlichter, in: Schlichter/Stich (Hrsg.), Berliner Kommentar, 4. Aufl., Vorb. zu den §§ 29-38 BauGB Rdnr. 4; Bender!Dohle, Nachbarschutz, Rdnr. 105 f.; Kemnade, Der Rechtsschutz des Nachbarn im Baurecht, 5 f.; Rüfner, DVBI. 1963, 609; Timmermann, Der baurechtliche Nachbarschutz, 238; Baur/Stürner, Sachenrecht, 16. Aufl., 263; Roth, in: Staudinger, 12. Aufl., § 906 Rdnr. 190 a.E.; zusammenfassend Arbeitskreis "Bauliches Nachbarrecht", BBauBI. 1991, 10 (21).
B. Anknüpfungspunkte zwischen Verwaltungsrecht und Zivilrecht
281
Für das Problemfeld der negativen Immissionen ist die Einflußnahme des Verwaltungsrechts auf das Zivilrecht durch privatrechtsgestaltenden Verwaltungsakt nur insofern von Bedeutung, als in förmlichen Verwaltungsverfahren, die beispielsweise auf den Erlaß von Planfeststellungsbeschlüssen gerichtet sind, die Störwirkung durch negative Immissionen als beachtliche Belange oder Interessen im Abwägungsvorgang zu berücksichtigen sind. Das Problem, ob die Nutzung des eigenen Grundstücks frei von negativen Immissionen als eigentumsrechtliche Frage zu behandeln ist, wird dabei vom Gesetzgeber teilweise, nämlich im Falle der§ 8 Abs. 4 WHG i.V.m. Art. 18 BayWG, bewußt außer Streit gestellt. Er bezeichnet diesen Nutzungskonflikt als jedenfalls gleich zu behandelndes Interesse. 3. Verwaltungsrecht als Tatbestandsmerkmal in zivilrechtliehen Normen
a) Allgemeines Die Vorgabewirkung des Verwaltungsrechts für das Zivilrecht wird auch besonders dort deutlich, wo öffentlich-rechtliche Normen als Tatbestandsmerkmale zivilrechtlicher Ansprüche wiederkehren und demnach die Einfluß- oder Vorgabegrundlage in einer Zivilrechtsnorm selbst zu finden ist. 42 Die Integration des Verwaltungsrechts geht hier am weitesten, denn das Verwaltungsrecht wird gleichsam Bestandteil des Zivilrechts. Jarass bezeichnet diesen Fall folgerichtig als den eigentlichen Fall der Privatrechtsgestaltung.43 Modellhaft findet sich diese Regelungstechnik in neueren zivilrechtliehen Kodifikationen, etwa in § 1 Abs. 2 Nr. 4 ProdHaftG.44 Im Sinne dieser Vorschrift kann der Hersteller eines fehlerhaften Produkts seiner Schadensersatzpflicht dann entgehen, wenn der Fehler darauf beruht, daß das Produkt in dem Zeitpunkt, in dem der Hersteller es in den Verkehr brachte, zwingenden (öffentlich-rechtlichen) Rechtsvorschriften entsprochen hat. 45 In ähnlicher Weise zeigt sich die Verzahnung öffentlich-rechtlicher Normen und zivilrechtlicher Anspruchstatbestände auch im Umwelthaftungsgesetz.46 42 Siehe zu dieser Konstellation und auch zum folgenden: Ossenbühl, DVBI. 1990, 963 (964 ff.); Jarass, WDStRL 50 (1991), 238 (251 f.).
43 Vgl. Jarass, VVDStRL 50 (1991), 238 (250), der neben § 823 Abs. 2 BGB auch die §§ 134 BGB, I UWG systematisch auf der gleichen Intensitätsstufe ansiedelt. 44
ln der Fassung der Bekanntmachung vom 15.12.1989 (BGBI. I, 2198).
45
Ossenbühl, DVBI. 1990,963 (964 m.w.N. in Fn. 9).
282
Teil 4: Erfordernisse und Möglichkeiten eines Zusammenwirkens
Dort wird die Ursachenvermutung flir Schäden durch Umwelteinwirkungen dann ausgeschlossen, wenn die Anlage bestimmungsgemäß, also wenn sie verwaltungsrechtskonform betrieben wurde,§ 6 Abs. 2 und 3 UmweltHG. Nachbarrechtlich verwertbar und gerade den Bereich der negativen Immissionen erfassend, ist der Anwendungsbereich von § 823 Abs. 2 BGB: 47 b) § 823 Abs. 2 BGB Gemäß § 823 Abs. 2 BGB muß Schadensersatz leisten - primär auf Wiederherstellung, sekundär in Geld,§§ 249,251 BGB, wer schuldhaftgegen ein Gesetz verstößt, das zumindest auch den Schutz eines anderen bezweckt, also nicht ausschließlich im öffentlichen Interesse ergangen ist. Im grundstücksbezogenen Verwaltungsrecht haben zahlreiche öffentlich-rechtliche Normen drittschützenden Charakter und können im beschriebenen Sinne privatrechtsgestaltend, nämlich als Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB Tatbestandsmerkmal dieser zivilrechtliehen Schadensersatznorm sein. 48 Die so erreichte Verknüpfung der beiden Rechtsgebiete ist seit langem anerkannt und gängige Praxis,49 wenn auch im praktischen Anwendungsbereich Unklarheiten bestehen. 50 Umstritten !st etwa, ob sich der Schutzinhalt unmittelbar aus der Rechtsnorm oder der sie im Einzelfall konkretisierenden Verwaltungsmaßnahme, z.B. des Verwaltungsaktes ergibt. 51 Innerhalb der unstreitig verwertbaren drittschützenden Normen des öffentlichen Rechts ist - wie gezeigt - die Abwehr von negativen Immissionen als -Ausdruck funktionalen Eigentumsschutzes weitgehend unproblematisch.52
46
In der Fassung der Bekanntmachung vom 10.12.1990 (BGBL I, 2634).
47
Siehe zur Funktion deliktischer Normen im Nachbarrecht: Bayer/Lindner, Bay. Nachbarrecht, 138 ff.; Kloepfer, Umwe1trecht, 235; Hoppe/Beckmann, Umwe1trecht, § 15 Rdnm. 11-13; Dürr, in: Brügelmann/Dürr, BauGB, § 30 Rdnr. 29. 48 Grundlegend BGH vom 27.11.1963 -V ZR 201/61 - Z 40, 306; siehe zu weiteren Einzelheiten oben S. 285 f. 49 Konrad, BayVBL 1984, 33 (37); siehe die Zusammenstellungen bei Mertens, in: Müko, § 823 BGB Rdnr. 166 ff.; abweichend noch OLG Celle vom 25.11.1952-4 U 27/52- NJW 1953, 388, dagegen wiederum OLG München vom 6.10.1958-3 U 1575/57- NJW 1959, 1185 m. Anm. Seufert; BGH vom 21.12.1973- V ZR 107/72- WM 1974, 572 zu Problemen baubedingten Luft-, Licht- und Sichtentzugs.
50
Ossenbühl, DVBL 1990,963 (964 f.).
51 Mertens, in: Müko, § 823 BGB Rdnr. !53 ff. 52 Siehe dazu oben S. 195 ff.
B. Anknüpfungspunkte zwischen Verwaltungsrecht und Zivilrecht
283
Betrachtet man das Problem der Schutzgesetze von der Ebene der Normhierarchie, so erfaßt die aufgezeigte Verknüpfung über die Transportnorm des § 823 Abs. 2 BGB nicht nur einfachgesetzliche, förmliche Rechtsnormen, sondern gerade auch das Untergesetzesrecht53 • Grundsätzlich kann jede Rechtsnorm i.S.d. Art. 2 EGBGB Schutzgesetz sein54 entscheidend ist, daß die Norm ein definierbares Verhalten ge- oder verbietet und dem rechtsstaatliehen Bestimmtheitsgrundsatz genügt. Nicht anerkannt ist hingegen die Verknüpfung mit einfachen Verwaltungsvorschriften und anderen Regelwerken. 55 Im einzelnen gilt: Schutzgesetz kann somitjede Norm des Verwaltungsrechts sein, die ein bestimmtes Verhalten gebietet oder verbietet, um hierdurch einzelnen Personen oder einen abgrenzbaren Kreis von Personen in ihren rechtlich anerkannten (Eigentums)lnteressen zu schützen. 56 Die Praxis verlangt insoweit, daß der Individualschutz vom Gesetzgeber zumindest mitgewollt sein muß. 57 Dieser Wille des Gesetzgebers muß zwar als solcher nicht empirisch feststellbar sein, es muß jedoch zumindest eine durch Auslegung ermittelbare Individualschutzkomponente erkennbar werden. 58 Des weiteren verlangt die Praxis, daß
53 Siehe etwa Medicus, JZ 1986, 778 (780); Breuer, Wasserrecht, Rdnr. 760 m.w.N.; zu drittschützenden Festsetzungen eines Bebauungsplans: BVerwG vom 20.9.1984- 4 B 202/84- NVwZ 1985, 748; BVerwG vom 2.3.1973 -IV C 35.70- BayVBI. 1973, 589; zu anderen Ortssatzungen: OLG DUsseldorfvom 6.7.1979-4 U 18179- NJW 1979,2618 (Lichtentzug und Einfriedungssatzung). 54 Medicus, Schuldrecht II, § 142 II I; ders., JZ 1986, 778 (783); Zeuner, in: Soergel, 11. Aufl., § 823 BGB Rdnr. 248; RG vom 18.2.1932- VIII 537/31- Z 135,242 (245); Schäfer, in: Staudinger, 12. Aufl., § 823 Rdnr. 576.
55 Medicus, JZ 1986, 778 (783); Jarass, VVDStRL 50 (1991), 238 (246); Mertens, in: Müko, § 823 BGB Rdnr. 158; Palandt/Bassenge, BGB, 52. Aufl., § 823 Rdnr. 140 m.w.N .; einschränkend Hoppe/Beckmann, Umweltrecht, § 15 Rdnr. 12, die zu Recht darauf hinweisen, daß die ablehnenden Stimmen die Rechtsprechung zu normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften noch nicht genügend berücksichtigt haben; anders wiederum Ossenbühl, DVBI. 1990, 963 (965) unter Hinweis auf Steifen, NJW 1990, 1817 (1819), der aber die Vorgabewirkung von Verwaltungsvorschriften, hier der TA-Luft, gerade nicht unter dem Aspekt des Schutzgesetzes anspricht. 56 BGH vom 27.1.1983- I1I ZR 131.81- Z 86, 356 (362); Larenz, Besonderes Schuldrecht, 12. Aufl., § 72 II; Zeuner, in: Soergel, 11 . Aufl., § 823 BGB Rdnr. 252 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung; zu den inhaltlichen Anforderungen an Schutzgesetze im einzelnen Schäfer, in: Staudinger, 12. Aufl., § 823 Rdnr. 578 ff.; Arbeitskreis "Bauliches Nachbarrecht", BBauBI. 1991, 10 (11); zu Recht weist Konrad, BayVBI. 1984, 33 (37) darauf hin, daß die Schutzgesetzdefinition mit der der öffentlich-rechtlichen Schutznormtheorie übereinstimmt. 57
Vgl. BGH vom 23.6.1983 - II ZR 79/82 - UPR 1984, 193 ( 194); BGH vom 27 .1l.l963 - V ZR 201/61 - Z 40, 306 und beispielsweise flir § 8 Abs. 3 u. 4 WHG, Art. 18 BayWG: BGH vom 22.12.1976- 111 ZR 62174- Z 69, I (21 f.); BGH vom 23.6.1983 - III ZR 79/82- DVBI. 1984, 329 (330); BayObLG vom 13.6.1980- 2 Z 141179 - BayVBI. 1980, 728 (729); Konrad, BayVBI. 1984, 33 (37); besonders deutlich Schäfer, in: Staudinger, 12. Aufl., § 823 Rdnr. 585.
284
Teil 4: Erfordernisse und Möglichkeiten eines Zusammenwirkens
sich das Schutzgesetz abstrakt in einen schadensersatzrechtlichen Gesamtzusammenhang einbauen läßt, daß nämlich "die Schaffung eines individuellen Schadensersatzanspruches, auch soweit sie nicht schon vom Gesetz erstrebt wird, sinnvoll und im Lichte des haftpflichtrechtlichen Gesamtsystems tragbar erscheint. "59 Neben die eigentliche Schutzgesetzproblematik treten auf der Ebene der Rechtsanwendung noch Fragen des persönlichen und sachlichen Schutzbereichs: Gerade der vermeintlich Geschädigte muß zum geschützten Personenkreis der Norm gehören.60 Auf das grundstücksbezogene Verwaltungsrecht angewandt heißt das, der Geschädigte muß Nachbar im Sinne der jeweiligen öffentlich-rechtlichen Norm sein, wobei dies nicht unbedingt Grenznachbarschaft zu bedeuten braucht. 61 Bei der Frage nach dem sachlichen Schutzbereich geht es darum, ob gerade das verletzte Rechtsgut von der Schutznorm umfaßt wird. 62 In bezug auf negative Immissionen bedeutet dies, die Norm muß funktionellen Eigentumsschutz dadurch gewähren wollen, daß sie vor dem Entzug lagebedingter Vorteile schützt. Der Verstoß gegen das Schutzgesetz ist immer dann gegeben, wenn der Schädiger im Gegensatz zur angeordneten Handlungs- oder Unterlassungspflicht tätig wird. Zusätzlich zu dieser Frage eines objektiven Normverstoßes ist im Zusammenhang mit dem öffentlich-rechtlichen Nachbarrecht § 823 Abs. 2 S. 2 BGB von Bedeutung.63 Normen des öffentlich-rechtlichen Nachbarrechts kennen auf der Tatbestandsseite keine Verschuldenselemente.64 Da die Ersatz58 Larenz, Besonderes Schuldrecht, 12. Auf!.,§ 72 II; Medicus, Schuldrecht II, § 142 II 1; ausfuhrlieh Schäfer, in: Staudinger, 12. Auf!., § 823 Rdnr. 588 f. 59 BGH vom 8.6.1976- VI ZR 50/75- Z 66, 388; OLG Dllsseldorfvom 6.7.1979-4 U 18/79NJW 1979,2618. 60 BGH vom 19.1.1979- V ZR 115/76- VersR 1979, 442 zu§ 909 BGB; Larenz, Besonderes Schuldrecht, 12. Auf!.,§ 72 II; Medicus, Schuldrecht II, § 142 II 2; Zeuner, in: Soergel, 11. Aufl., § 823 BGB Rdnr. 253.
61 So z.B. im Hinblick auf das Immissionsschutzrecht OVG Lilneburg vom 28.2.1985 - 7 B 64/84- NVwZ 1985, 357; BayVGH vom 30.11.1988 - 20 A 86.400030 u.a. - BayVBl. 1989, 530 (531); Jarass, NJW 1983, 2844; K/oepfer, Umweltrecht, 266. 62 BGH vom 19.1.1979- V ZR 115/76- VersR 1979, 442 zu§ 909 BGB; Larenz, Besonderes Schuldrecht, 12. Auf!., § 72 II; Medicus, Schuldrecht II, § 142 112. 63
Siehe statt aller Zeuner, in: Soergel, II . Aufl., § 823 BGB Rdnr. 257 m.w.N.
64
Von Normen des flankierenden Ordnungswidrigkeitenrechts soll hier abgesehen werden.
B. Anknüpfungspunkte zwischen Verwaltungsrecht und Zivilrecht
285
pflichtaus § 823 Abs. 2 BGB einen schuldhaften Verstoß gegen ein Schutzgesetz erfordert, tritt der regelmäßig im Zivilrecht geltende Verschuldensmaßstab -mindestens also Fahrlässigkeit-,§ 276 BGB, an die Stelle der nicht vorhandenen Schuldelemente der Normen des öffentlich-rechtlichen Nachbarrechts.65 Der auf diese Weise überleitbare deliktische Schutz spielt vor allem im Zusammenwirken mit dem Baurecht eine wichtige, das zivilrechtliche Nachbarrecht erweiternde Rolle. Anerkannte nachbarschützende Normen des Baurechts sind etwa folgende Beispiele: 66 - Auf der Ebene des Bundesrechts vermittelt das zum gesetzlichen Tatbestand der planungsrechtlichen Normen gehörende Gebot der Rücksichtnahme unmittelbaren Nachbarschutz.67 - Auf der Ebene des Landesrechts vermitteln die Art. 6 f. BayBO durch Abstandsflächen Drittschutz gegenüber Einwirkungen aus nachbarlicher Nähe als solcher.68 Art. 15 S. 3 BayBO vermittelt Drittschutz gegenüber den Gefahren für die Tragfähigkeit des Baugrunds von Nachbargrundstücken.69 Die Art. 17, 29 Abs. I, 31 Abs. 4 Bay BO schützen den Nachbarn gegen die Gefiihrdungen durch Brände70 u.s.w. - Auf der Ebene des Untergesetzesrechts kann sich Nachbarschutz, auch im Zusammenwirken mit Normen der BauNV0,71 aus einzelnen Festsetzungen des Bebauungsplans ergeben.72
65 Neben der reinen Tatbestandsfunktion bildet der Verstoß gegen ein Schutzgesetz u.U. auch ein Indiz ftlr die Ursächlichkeit. Das Verschulden oder die Einhaltung des Schutzgesetzes dient als Rechtfertigungsgrund: BGH vom 9.5 .1961- VI ZR 197/60- VersR 1961, 828; Jarass, VVDStRL 50 (1991), 238 (247); Schäfer, in: Staudinger, 12. Aufl., § 823 Rdnr. 609; Steffen, in: BGBRGRK, 12. Aufl., § 823 Rdnr. 538; Mertens, in: Müko, § 823 BGB Rdnr. 164; zur Frage des Rechtfertigungsgrundes: Ste.ffen, in: BGB-RGRK, 12. Aufl., § 823 Rdnr. 390. 66 Vgl. die ausfuhrliehe Behandlung des Nachbarschutzes im Hinblick auf alle Normen der BayBO bei Simon, Bay. Bauordnung, Art. 73 Rdnr. 16; im übrigen zu baurechtliehen Schutzgesetzen Schapp, Nachbarrecht, 209 vorWiegend mit Nachweisen aus der älteren Literatur; eine Zusammenstellung bauordnungsrechtlicher Normen der Bundesländer findet sich bei Zeuner, in: Soergel, II. Aufl., § 823 BGB Rdnr. 264. 67
Siehe hierzu oben S. 199 ff.
68
Grundlegend: BGH vom 30.4.1976- V ZR 188/74- Z 66, 354; BGH vom 24.4.1970- V ZR 97/67- WM 1970, 793; hierzu auch Schäfer, in: Staudinger, 12. Aufl., § 823 Rdnr. 605. 69 Vgl. Simon, Bay. Bauordnung, Art. 15 Rdnr. 13; siehe aber auch OLG München vom 6.10. 1976- 15 U 4854/75- NJW 1977,438 "Feuchtigkeitsschutz". 70
Vgl. Simon, Bay. Bauordnung, Art. 73 Rdnr. 16 Ziff. 2.15.
71
Siehe hierzu im einzelnen unten S. 210 ff.
286
Teil 4: Erfordernisse und Möglichkeiten eines Zusammenwirkens
-In gleicher Art und Weise vermitteln die aufgezeigten drittschützenden Tatbestände des Landes- und Bundeswasserrechts oder des Landes- bzw. Bundesstraßen- und Wegerechts Drittschutz. 73 Damit gilt im wesentlichen: Was öffentlich-rechtlichen Nachbarschutz vermittelt, vermittelt zugleich privatrechtliehen Nachbarschutz. 74 Dies gilt ohne weiteres auch fiir den Drittschutz von Nonnen auf dem Gebiet der negativen Immissionen, die somit Tatbestandelement des § 823 Abs. 2 BGB und damit Teil des Zivilrechts werden können. 4. Eigentumsgestaltung durch verwaltungsrechtliches Gesetzesrecht a) Allgemeines Eine Einwirkung des Verwaltungsrechts auf das Zivilrecht ist auch auf der Ebene der Gestaltung des zivilrechtliehen Eigentums denkbar. Ausgangspunkt dieser Gestaltung durch förmliches Verwaltungsrecht ist der Regelungsvorbehalt des § 903 BGB. 75 Es stellt sich nämlich die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen förmliche Gesetze öffentlich-rechtlicher Natur Gesetze i.S.d. § 903 BGB sind, die der Befugnis des Eigentümers, mit der Sache nach Belieben zu verfahren, entgegenstehen und so das zivilrechtliche Eigentum an einem Grundstück inhaltlich formen. 76 Stimmt man grundsätzlich der These zu, daß förmliche Baurechtsnonnen oder förmliche Wasserrechtsnonnen den Inhalt und die Schranken des Eigentums zu bestimmen in der Lage sind, ist die auf diese Art und Weise erreichte Einflußintensität des Verwaltungsrechts als zumindest genauso gewichtig zu beurteilen, wie es das Verwaltungsrecht als Tatbestandsmerkmal bürgerlich72 BVerwG vom 17.2.1971 -IV C 2.68- DVBI. 1971, 754; BVerwG vom 20.9.1984-4 B 202/ 84 - NVwZ 1985, 748 und die Vorinstanz OVG Lüneburg vom 27.6.1984 - 6 A 68/82 - BauR 1984, 619. Aus der zivilrechtliehen Rechtsprechung: OLG DUsseldorfvom 6.7.1979-4 U 18/79NJW 1979, 2618. 73 Siehe hierzu, insbesondere unter dem Blickwinkel negativer Immissionen, oben S. 258 ff. und 264 ff. 74 Konrad, BayVBI. 1984, 33 (37), was aber zusatzlieh Verschulden bei der Anwendung des § 823 Abs. 2 BGB voraussetzt.
75 Mugdan, Gesammte Materialien zum BGB III, 145; siehe auch Seiler, in: Staudinger, 12. Aufl., Vorb. zu § 903 Rdnr. 52; siehe insgesamt zum Eigentumsbegriff und zur Bedeutung der Eigentumsbeschrllnkungen oben S. 85 ff. 76
Siehe hierzu insbesondere Böhmer, NJW 1988,2561 (2570, in Fn. 69).
B. Anknüpfungspunkte zwischen Verwaltungsrecht und Zivilrecht
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rechtlicher Anspruchsgrundlagen darstellt. Das förmliche Verwaltungsrecht wäre dann in der Lage, gleichberechtigt den Kern des zivilrechtliehen Eigentums festzulegen. Die Frage nach der inhaltlichen Gestaltung des Eigentums durch förmliches Verwaltungsrecht ist umstritten. Die herrschende Meinung in der Zivilistischen Literatur, die man auch die zivilrechtliche Theorie nennen kann, geht davon aus, daß die nachbarrechtsrelevanten, einfachgesetzlichen Normen des Bundes- oder Landesverwaltungsrechts ihre zivilrechtliche Bedeutung erst und ausschließlich über § 823 Abs. 2 BGB erreichen. Hiernach handelt es sich also um Schutzgesetze, die gleichsam derivativ ihre privatrechtliche Zuordnung erlangen. 77 Diese Ansicht begreift die Bedeutung des öffentlichen Rechts, auch wenn ihm eine Tatbestandsfunktion in § 823 Abs. 2 BGB zukommt, nur im Zusammenhang mit rein deliktischen oder (quasi)negatorischen Ansprüchen. Die gegenteilige eigentumsrechtliche Theorie betrachtet die drittschützenden positiven Normen des Baurechts oder anderer grundstücksbezogener Regelungen als grundsätzlich eigentumsinhaltsbestimmend, also als Normen i.S.d. Gesetzesvorbehalts in § 903 BGB.78 Die Vertreter der eigentumsrechtlichen Theorie können folglich einen deliktischen Schutz öffentlich-rechtlich begründeter Eigentumspositionen auch auf der Grundlage des§ 823 Abs. 1 BGB verwirklichen; sie können, müssen aber nicht auf § 823 Abs. 2 BGB zurückgreifen. Auch in bezug auf eine Störungsbeseitigung ergeben sich Änderungen; ein quasinegatorischer Beseitigungsanspruch wäre systematisch betrachtet überflüssig. b) Die zivilrechtliche Theorie Die Anhänger der zivilrechtliehen Theorie verweisen zur Stützung ihrer Ansicht darauf, daß sich nicht beweisen lasse, daß der Gesetzgeber durch individualbegünstigende Vorschriften, beispielsweise des öffentlichen Baurechts, zugleich Inhalt und Schranken des (zivilrechtlichen) Grundstückseigentums habe konkretisieren wollen. 79 Diese Argumentation enthält somit Elemente, die die Drittschutzkomponente öffentlich-rechtlicher Normen tangieren, die Rückschlüsse aus der Stellung von 77
Siehe hierzu umfassend Picker, AcP 176 (1976), 28 (32 ff.).
78 Seiler, 79
in: Staudinger, 12. Aufl., § 903 Rdnr. 30.
So ausdrUcklieh Gursky, in: Staudinger, 12. Aufl., § 1004 Rdnr. 54.
288
Teil 4: Erfordernisse und Möglichkeiten eines Zusammenwirkens
Normen im jeweiligen Kodifikationszusammenhang ziehen und die allgemein Fragen der gesetzlichen Regelungstechniken betreffen. Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden: Im Gegensatz zur Ansicht der zivilrechtliehen Theorie hat der Gesetzgeber bei Erlaß beispielsweise der Baurechtsnormen eine Drittschutzbestimmung nicht treffen müssen. Daß die Baurechtsnormen gerade auch auf der Gleichordnungsebene, und nicht nur gegenüber der Baubehörde, das Verhältnis der Nachbarn ordnen sollen, ergibt sich deutlich aus der selbst von den Anhängern der zivilrechtliehen Theorie nicht in Frage gestellten Verwendung der Baurechtsnormen als öffentlich-rechtliche Schutzgesetze im Rahmen des § 823 Abs. 2 BGB. Empirisch festgestellt werden muß ein (Drittschutz)Wille des Gesetzgebers ohnehin nicht; die Schutzrichtung muß sich vielmehr im Wege der Auslegung systematisch ermitteln Iasso sen. Ebensowenig überzeugend erscheint es, daß der Gesetzgeber gezwungen sein soll, inhalts- und schrankenbestimmende Normen nur in einen ausdrücklich zivilrechtliehen Kodifikationszusammenhang stellen zu dürfen. Selbst der BGH geht davon aus, daß sich materielles Zivilrecht in öffentlich-rechtlichem Regelungszusammenbang auffinden läßt. 81 Für Bestimmungen, die auf der Grundlage der Art. 65, 125 EGBGB zum Teil in landesrechtliche Wassergesetze Eingang gefunden haben, ist beispiesweise anerkannt, daß es sich um privates Nachbarrecht handelt. 82 Die Anhänger der zivilrechtliehen Theorie verweisen zur Stützung ihrer Ansicht auch darauf, die Baurechtsnormen seien primär oder überwiegend im öffentlichen Interesse ergangen. Gegenüber dieser Argumentation, die aus der Zufalligkeit des Auseinanderfallens von öffentlichem und privatem Recht Rückschlüsse ziehen will, ist schon frühzeitig nachgeweisen worden, daß nachbarrechtliche Grundregeln, wie der Gebäudeabstand, ehedem in zivilrechtliehen Nachbargesetzen geregelt waren oder sind. 83 Die Überfiihrung eines erhebli80 Larenz,
Besonderes Schuldrecht, 12. Aufl., § 72 11; Medicus, Schuldrecht 11, § 142 II I.
81
So BGH vom 23.6.1983- III ZR 79/82- Z 88, 34 (39) zu drittschützenden Vorschriften des Landeswasserrechts, die er als "materielles Wassemachbarrecht privatrechtlicher Natur" bezeichnet. 82 Vgl. Breuer, Wasserrecht, Rdnr. 746; Sieder/Zeitler/Dahme, Bay. Wassergesetz, 1991, Art. 63 Rdnr. 3 ff., die ausdrücklich von einer Inhaltsbestimmung des § 903 BOB ausgehen; siehe im übrigen die Zusammenstellung der landeswasserrechtlichen Normen bei Gursky, in: Staudinger, 12. Aufl., § 1004 Rdnr. 43. 83 Siehe Dehner, in: M/S/HID, Nachbarrecht, 6. Aufl., § 18 11 2; Schulte, Eigentum und öffentliches Interesse, 209, der "privates Nachbarrecht" annimmt; Schwabe, NJW 1971, 913 (915f.).
B. Anknüpfungspunkte zwischen Verwaltungsrecht und Zivilrecht
289
chen Teils des Nachbarrechts in das öffentliche Recht kann an der zivilrechtliehen Relevanz nichts ändern. Der Regelungsstandort verweist lediglich darauf, daß das Nachbarrecht eine städtebauliche Relevanz besitzt, die die Berücksichtigung öffentlicher Belange einschließt oder selbst öffentlicher Belang ist. 84 Berücksichtigt man den materiellen Gehalt der nachbarschützenden Normen, zeigt sich, daß es zufallig ist, in welchem Gesetz die Norm zu finden ist; bei der Wahl des Standortes handelt es sich nämlich um "kaum mehr als eine rechtstechnische Frage".85 Der Gesetzgeber hat es im übrigen auch nicht an einer gesetzlichen Anordnung der zivilrechtliehen Relevanz fehlen lassen. In Art. 2 EGBGB hat er das Spektrum der inhalts- und schrankenbestimmenden Normen eindeutig festgelegt. Unter Gesetz ist nach Art. 2 EGBGB nämlich jede Rechtsnorm zu verstehen.86 Daß dies im Bereich des § 903 BGB für förmliche Gesetze des Bundes und der Länder gilt, ist unstreitig. Schon zur Zeit der Entstehung des BGB war dem Gesetzgeber klar, daß die gesetzlichen Beschränkungen des § 903 BGB mit Masse dem öffentlichen Recht zu entnehmen seien. 87 Schon damals war das Baurecht oder das Wasserrecht als wesentliche Beschränkung des zivilrechtlichen Eigentums anerkannt. 88 Er hat damit eine Regelungstechnik gewählt, die es überflüssig macht, bei auch individualbegünstigenden, eigentumsrelevanten Normen in dem jeweiligen Gesetzeszusammenhang die zivilrechtliehe Relevanz eigens festzulegen; im EGBGB findet sich eine generelle Regelung. 89 Die korrekte Frage kann demnach nur lauten, ob sich ausnahmsweise aus der jeweiligen Norm oder deren Regelungszusammenhang entnehmen läßt, 84 Der gescheiterte "Entwurfeines Bundesbaugesetzes" (BT-Drs. 336/III) enthielt als 8. Teil ein bauliches Nachbarrecht privatrechtlicher Natur,§§ 165, 166, 167: Nachbarwände, § 168: Gründungstiefe, § 169: Grenzwand, § 170: Übergreifende Bauteile, § 171: Grenzwand, § 172: Höherführen von Schornsteinen und Lüftungsleitungen, § 173: Hammerschlags- und Leiterrecht, § 174: Duldung von Leitungen. Siehe im übrigen zu diesem Versuch, das gesamte Nachbarrecht im BBauG zu kodifizieren Westermann, in: FS Larenz (1973), I 003 (I 005 m.w.N.).
85 Bullinger, Öffentliches Recht und Privatrecht, 114; so auch Picker, AcP 176 (1976), 28 (47). 86 Merten/Kirchho.ff, in: Staudinger, 12. Aufl., Art. 2 EGBGB Rdnr. 5 ff. und 14; Seiler, in:
Staudinger, 12. Aufl., § 903 Rdnr. 14; siehe auch Jauernig, BGB, § 903 Anm. 4 a) bb); Medicus,
JZ 1986, 778 (783).
87 Seiler, in: Staudinger, 12. Aufl., § 903 Rdnr. 14; Planck, BGB, 1., 2. Aufl. 1902 und 3. Aufl. 1906, vor § 903 BGB Anm. 4.
88 Planck, BGB, 1., 2. Aufl. 1902 und 3. Aufl. 1906, vor§ 903 BGB Anm. 4. 89 Etwas anderes gilt bei privatrechtsgestaltenden Verwaltungsakten. Normen wie § 14
BlmSchG sind insoweit systematisch notwendig, und Normen der Art des Art. 74 Abs. 6 BayBO wirken lediglich klarstellend. 19 Reetz
290
Teil 4: Erfordernisse und Möglichkeiten eines Zusammenwirkens
daß eine eigentumsinhaltsbestimmende Wirkung nicht gewollt ist,90 was beispielsweise bei § 8 Abs. 4 WHG i.V.m. Art. 18 BayWG angenommen werden muß. Denn der Gesetzgeber hat hier das Interesse am Schutz vor negativen Immissionen zwar einer eigentumsrechtlichen Position gleichgestellt, die Frage nach einer Inhaltsbestimmung des Eigentums selbst aber offengelassen. c) Die eigentumsrechtliche Theorie Die eigentumsrechtliche Theorie, die wesentlich von einer gleichwertigen Inhaltsbestimmung des Eigentums i.S.d. § 903 BGB durch Zivilrecht und öffentliches Recht ausgeht und die damit die Auffassung von einem unantastbaren zivilrechtliehen Eigentumsbegriff verwirft, ist selbst in der privatrechtliehen Literatur und Rechtsprechung nicht ohne Anhänger. Zweifel an der rein zivilrechtliehen Theorie äußert beispielsweise Baur, wenn er fragt, wie sich öffentlich-rechtliche (förmliche) Gesetze unmittelbar auf den zivilrechtliehen Gehalt des Eigentums auswirken. Nach seiner Ansicht reicht die Vorstellung einer bloßen Beschränkung des ansonsten zivilrechtlich unangetasteten Eigentums nicht aus.91 Vereinzelt sind Stimmen erhoben worden, die zum Ausdruck bringen, daß auch das öffentliche Baurecht privates Nachbarrecht schafft und aus diesem Grund eigentumsinhaltsbestimmend ist;92 es wird auch von einer Doppelfunktion öffentlich-rechtlicher Normen gesprochen. 93 In der Zivilrechtsdogmatik wurde gelegentlich der Rückzug in die rein zivilrechtliche Betrachtungsweise gar als "Schmollwinkel" apostrophiert. 94
90 So z.B. im Wasserrecht, wo zwar EntschädigungsansprUche im Zusammenhang mit negativen Immissionen geregelt werden, aus dem Gesamtzusammenhang der Wasserrechts aber erkennbar wird, daß keine eigentumsrechtlichen Fragen des Grundstücksrechts betroffen sind. 91 Baur, in: FS Sontis (1977), 181 (189), der dies sogar vorsichtig auf Bebauungspläne ausgeweitet wissen will; siehe hierzu unten S. 297.
92 Bu/linger, Öffentliches Recht und Privatrecht, 114; Schulte, Eigentum und öffentliches Interesse, 191 und 205; Schwabe, NJW 1971, 913 (914 ff.); ders., NJW 1971, 1835; Picker, AcP 176 (1976), 28 (42 ff.); Klein/ein, NVwZ 1982,668 (669); ders., DÖV 1986, 1010 (1015); ders. System, 122 ff.; Finkelnburg/Ortloff, Baurecht, Bd. II, 166; ähnlich auch Trzaskalik, DVBI. 1981, 71 (72); Dürr, in: Brügelmann/Dürr, BauGB, § 30 Rdnr. 35. 93 So etwa Laujke, in: FS Lange (1970), 275 (183) am Beispiel wasserrechtlicher Nachbarrechtsvorschriften; ähnlich auch Tausch, NuR 1991, 480 f. tllr den Bereich naturschutzrechtlicher Normen. 94
Baur, in: FS Sontis (1977), 181 f.
B. Anknüpfungspunkte zwischen Verwaltungsrecht und Zivilrecht
291
Aus der zivilrechtliehen Literatur meint etwa Laujke: "Hat ein Grundstückseigentümer in Verletzung einer (bauabstandsrechtlichen) Vorschrift gehandelt, die seinem Eigentum Schranken zieht und dadurch ausnahmsweise das Recht des Nachbarn erweitert, so entstehen gegebenenfalls aufgrund unmittelbarer Anwendung des§ 1004 BGB Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche sowie nach § 823 Abs. 1 BGB Schadensersatzansprüche. "95 Laujke setzt damit im Sinne der hier vertretenen Ansicht eine Eigentumsinhaltsbestimmung durch das öffentliche Recht voraus, die dann durch § 1004 Abs. 1 BGB anspruchsrechtlich verwirklicht wird und die folglich über § 823 Abs. 1 und nicht Abs. 2 BGB schadensersatzrechtlich abgesichert ist. 96 Der eigentumsrechtlichen Theorie ist nach alledem zuzustimmen. An den Baugesetzen zeigt sich deutlich, Regelungsobjekt ist das Eigentum, und die auch privatrechtliche Ordnungsfunktion97 besteht für die baurechtsrelevante Nutzungsform in einer Konkretisierung der positiven Eigentümerbefugnisse. Indem die baurechtliehen Determinanten nicht nur den benachbarten Eigentümer reflexartig, sondern gezielt begünstigen,98 werden komplementär die Eigentumssphären der benachbarten Grundstückseigentümer entsprechend der Nachbarrechtstheorie99 gestaltet. 100 Die bauordnungs- und auch die bauplanungsrechtlichen Normen stehen damit funktionell auf der gleichen Ebene wie die punktuellen Nachbarrechtsvorschriften der §§ 906 ff. BGB und die ergänzenden landesrechtliehen Nachbargesetze, beispielsweise über den Grenzabstand der Pflanzen. 101 Sie konkreti95 Laujke, in: FS Lange (1970), 275 (288), der aber mit keinem Wort auf§ 903 BGB eingeht und an anderer Stelle im Zusammenhang mit öffentlich-rechtlichen Normen wieder nur von Schutzgesetzen i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB spricht.
96 Aus der Rechtsprechung hat beispielsweise das LG Dortmund angenommen, daß Regelungen des öffentlich-rechtlichen Bauabstandsrechts solche i.S.d. Regelungsvorbehalts des § 903 BGB sind, im schadensersatzrechtlichen Zusammenhang aber nur auf § 823 Abs. 2 BGB zurückgegriffen: LG Dortmund vom 11.6.1964 - 7 Q 7/64 - NJW 1964, 2065 (2066); siehe zu dieser Entscheidung auch Picker, AcP 176 (1976), 28 (34 Fn. 21). 97 Begriffbei Picker, AcP 176 (1976), 28 ff.; in diesem Sinne auch Schmidt-Aßmann, DVBI. 1987,216 (220).
98 Siehe auch Art. 74 Abs. 2 S. 1 BayBO zur gesetzlichen Verankerung nachbarschUtzender Vorschriften.
99 Vgl. zur Nachbarrechtstheorie: Wolff-Raiser, Sachenrecht, 198 f. m.w.N.; Säcker/Paschke, NJW 1981, 1009 (1010); Paschke, AcP 187 (1987), 70 (79 f.) ; Säcker, in: Müko, § 912 BGB Rdnr. 2; ders., in: Müko, § 917 BGB Rdnr. 1 ff.; Beutler, in: Staudinger, 12. Auf!.,§ 912 Rdnr. I, § 914 Rdnr. I und§ 917 Rdnr. 1; Westermann, Sachenrecht, Bd. 11, 6. Auf!., § 80 I1I 1.; Jus/, BayVBI. 1985, 289 (294); Sprau, Justizgesetze in Bayern, Art. 47 BayAGBGB Rdnr. 2. 100
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Siehe auch Laujke, in: FS Lange (1970), 275 (279).
292
Teil 4: Erfordernisse und Möglichkeiten eines Zusammenwirkens
sieren § 903 BGB und fiillen den Gesetzesvorbehalt aus; sie wirken insgesamt nutzungsdeterminierend: 102 "Ihre privatrechtliche Ordnungsfunktion ist deshalb die von Gesetzen, die den Inhalt des Eigentumsrechts bestimmen. " 103 Bezogen auf den Gegenstand der Arbeit bedeutet die Einordnung des (drittschützenden) förmlichen Baurechts mit Bezug zu negativen Immissionen in den Eigentumsbegriff des § 903 BGB, daß sich individuell fiir jedes einzelne Grundstück aus der gesamten Rechtsordnung abzuleitende Einschränkungen der Eigentumsnutzung (positiver Eigentumskem) ergeben können. 104 Auf das vielbeschworene Grenzüberschreitungsargument kommt es nicht mehr entscheidend an, weil die wesentlichen Determinanten vielfach aus dem öffentlich-rechtlich geprägten Begriffsfeld der grundstücksbezogenen Nutzungskonflikte stammen können, die auf eine Grenzüberschreitung nicht abstellen. Soweit eine solche Nutzungseinschränkung reicht, ist der Nachbar korrespondierend, nämlich eigentumsrechtlich· begünstigt. 105 Der Zivilrichter muß demnach die baurechtliche oder sonstige öffentlich-rechtliche Regelungsmaterie im Rahmen des privaten Nachbarrechtsstreits genauso sorgfaltig berücksichtigen, wie dies der Verwaltungsrichter im öffentlich-rechtlichen Nachbarstreit zu praktizieren hat, und er hat auch die aus dem öffentlichen Recht stammenden Wertungen bei der Rechtsanwendung, insbesondere der Subsumtion zivilrechtlicher Normen zu berücksichtigen, weil diese Bestandteil eines einheitlichen Ei-gentumsbegriffs sind. 5. Eigentumsgestaltung durch Untergesetzesrecht
a) Allgemeines Die Frage nach der Privatrechtsgestaltung durch förmliches Parlamentsgesetz einerseits oder Verwaltungsakt andererseits ist (zunächst) von der Frage nach der Gestaltung auch der zivilrechtliehen Rechtsverhältnisse durch einen gülti101 Gursky, in: Staudinger, 12. Aufl., § 1004 Rdnr. 54 empfindet trotz der Richtigkeit dieses Befundes die herrschende zivilrechtliche Ungleichbewertung der Normen "unbedenklich". Eine Begründung erfolgt nicht. 102
P1cker, AcP 176 (1976), 28 (41).
.
103
Picker, AcP 176 (1976), 28 (42).
104
So auch Picker, AcP 176 (1976), 28 (44); im Gegensatz dazu meint Pfeiffer, Immissionsschutz, 233, die Probleme der negativen Immissionen ganz und gar nur auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts lösen zu können. 105 Besonders deutlich: BVerwG vom 18.8.1960- I C 42.59- E II, 95 (96). Aus der zivilrechtlichen Literatur Laufke, in: FS Lange (1970), 275 (278 f.), dieser spricht davon, daß die Erweiterung der Eigentümerposition in gewisser Weise einer Legalservitut ähnele, aber wohl nicht Inhalt des begünstigten Eigentums werde.
B. Anknüpfungspunkte zwischen Verwaltungsrecht und Zivilrecht
293
gen Bebauungsplan (Untergesetzesrecht) zu trennen. Im Gegensatz zur Baugenehmigung handelt es sich bei gültigem Untergesetzesrecht zwar um echten Normbestand, im Hinblick auf formliehe Parlamentsgesetze aber nur und ausschließlich um Satzungen oder Verordnungen. Diese ambivalente Stellung von (gültigen) Bebauungsplänen in der Normhierarchie bewirkt, daß die Frage nach der eigentumsrechtlichen Qualität solcher Normen in der zivilrechtliehen Auseinandersetzung praktisch keine Rolle spielt. Die sehr kontrovers gefiihrte wissenschaftliche Diskussion 106 um die verwaltungsrechtliche Vorgabewirkung gültigen Untergesetzesrechts hat im Gefolge der vielbeachteten Tennisplatzentscheidung des BGH 107 gerade am Beispiel der Festsetzungen eines Bebauungsplans ausschließlich bei der Auslegung und Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe in § 906 BGB, nämlich der "Ortsüblichkeit" oder der "Wesentlichkeit" angesetzt. Der BGH, der im Entscheidungsfall die Benutzung eines Tennisplatzes untersagte, obwohl dieser den Festsetzungen eines Bebauungsplans entsprach, verneint im Ergebnis jegliche Privatrechtsgestaltung durch einen Bebauungsplan. Auf die Frage, ob die Bebauungsplanfestsetzungen den Inhalt des Eigentums gestalten und bestimmen könnten, ist er nicht einmal beiläufig eingegangen. b) Die zivilrechtliche Theorie Auch soweit es um die Frage der Einflußnahme des Untergesetzesrechts auf den zivilrechtliehen Eigentumsbegriff geht, kann in bezug auf die herrschende Meinung von Anhängern einer zivilrechtliehen Theorie gesprochen werden. Wie auch im Rahmen der Auseinandersetzung um das formliehe Verwaltungsrecht gehen diese von einem unantastbaren Eigentumsbegriff aus; sie konzedieren dem Untergesetzesrecht bestenfalls eine derivative, deliktische Wirkung. Geht es um eigentumsrelevante, nämlich um nachbarrechtliche Fragen, hat gerade die Tennisplatz-Entscheidung ergeben, daß das Untergesetzesrecht nicht einmal in der Lage sein soll, die Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe des Zivilrechts maßgeblich zu beeinflussen: Hiernach bestimmt sich die OrtsübIichkeit i.S.d. § 906 BGB in erster Linie nach den tatsächlichen, vorhandenen 106 Aus den umfangreichen Stellungmnahmen: Hagen, NVwZ 1991, 817; ders., UPR 1985, 195; Papier, in: Pickart/Gelzer/Papier (Hrsg.), Umwelteinwirkungen, 97 ff.; ders., UPR 1985, 73; Gaentzsch, NVwZ 1986, 601; ders. UPR 1985,201; Salzwedel, UPR 1985, 210; Klein/ein, NVwZ 1982, 668; Peine, JuS 1987, 175 f.; Birki/Jäde, Nachbarschutz, Teil A Rdnr. 27; Schmitz, NVwZ 1991, 1126. 107
BGHvom 17.12.1982-VZR55/82-NJW 1983,751 "Tennisplatz".
294
Teil 4: Erfordernisse und Möglichkeiten eines Zusammenwirkens
(statischen) Umgebungsverhältnissen. Eine bebauungsplanrechtliche, und damit eine auf Fortentwicklung des Raumes angelegte öffentlich-rechtliche Zulässigkeit einer bestimmten Nutzungsform ist nach dieser Auffassung allenfalls Anhaltspunkt für die Ermittlung der tatbestandliehen Ortsüblichkeit. 108 Der baurechtliche Entwicklungsgedanke kann somit zivilrechtlich vollständig konterkariert werden, 109 was auch bei noch so bestimmten und präzisen Festsetzungen eines Bebauungsplans einzutreten vermag. Der Bebauungsplan, der somit nicht einmal die Ortsüblichkeit (oder Wesentlichkeit), geschweige denn das Eigentum bestimmt, schließt - seine Rechtmäßigkeit unterstellt - zivilrechtliche Beseitigungs- bzw. Unterlassungsansprüche nicht aus. Diese keinesfalls neue oder überraschende Judikatur des BGH 110 muß als ständige Rechtsprechung betrachtet werden, und sie ist als solche ein wichtiges Dokument der zivilrechtliehen Theorie. Schon 1958 judizierte der BGH, die Bebauungsplanausweisung sei flir den gegenwärtigen Charakter eines Gebietes belanglos. 111 Der Eigentümer einer Industrieanlage hatte sich auf die Ortsüblichkeit der von seinem Grundstück ausgehenden Immissionen berufen, denn das fragliche Gelände war im Bebauungsplan als Industriegebiet ausgewiesen. 1963 entschied der BGH, 112 die Bewertung der von einer Schule ausgehenden Immissionen als ortsüblich hänge von den tatsächlichen (d.h. statischen) Verhältnissen ab. Planungsrechtliche Maßstäbe könnten nur einen Anhaltspunkt geben. In BGHZ 41, 264 (270) entschied das Gericht, der Bebauungsplan habe als Ortsrecht keinen Einfluß auf den tatsächlichen Gebrauch eines Grundstücks. 113
108 Hagen, NVwZ 1991, 817; ders., UPR 1985, 195; Medicus, JZ 1986,778 (784); Säcker, in: Müko, § 906 BGB Rdnr. 80; Roth, in: Staudinger, 12. Aufl., § 906 Rdnr. 188 ff.; Westermann, in: FS Larenz (1973), 1003 (1013 und 1025 f.), der insoweit eine Schutzgebietsanordnung (Rechtsverordnung) auf der Grundlage des § 49 BlmSchG als ein Problem der Ortsüblichkeit ansieht, obwohl die Errichtung oder der Betrieb von Anlagen hiernach gänzlich versagt werden kann. 109 Papier, in: Pickart/Gelzer/Papier (Hrsg.), Umwelteinwirkungen, 97 ff. ; Klein/ein, NVwZ 1982, 668; Peine, JuS 1987, 175 f. ; Gaentzsch, NVwZ 1986, 601 ; Birki/Jäde, Nachbarschutz, Teil A Rdnr. 27; Trzaskalik, DVBI. 1981, 71 (73). 110
BGH vom 17.12.1982 - V ZR 55/82 - NJW 1983, 751 "Tennisplatz".
111
BGH vom 30.4.1958- V ZR 142/56- NJW 1958, 1776.
112
BGH vorn 28.9.1962- V ZR 233/60- JZ 1963,406 mit Anm. Westermann.
11 3
BGH vom 18.3.1964- V ZR 44/62- Z 41, 264 (270).
B. Anknüpfungspunkte zwischen Verwaltungsrecht und Zivilrecht
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1970 wiederum entschied das Gericht, 114 die Ortsüblichkeit von Staubimmissionen sei zu verneinen, wenn die bestehende Nutzung (Geprägetheorie 115) der Umgebung aus Wohn- und Verwaltungsgebäuden bestehe, auch wenn fiir die Zukunft nach der gültigen Planung nur noch gewerbliche und industrielle Nutzung zugelassen werden solle. § 906 BGB stelle auf die tatsächliche Nutzung ab, Pläne dienten dagegen der vorbereitenden Nutzung. Eine Verdrängung der bestehenden zivilrechtliehen Eigentumsordnung durch öffentlich-rechtliche (satzungsrechtliche) Gestaltung ergebe sich nicht. Gegen die statischen Vorstellungen des BGH haben sich, mehrheitlich vom öffentlich-rechtlichen Standpunkt ausgehend, folgende Thesen herausgebildet, die jedoch letztlich den Rahmen der zivilrechtliehen Theorie ebenfalls nicht zu durchbrechen vermögen, weil sie nicht bei § 903 BGB ansetzen: In seinem Rechtsgutachten kommt Papier 116 zu dem Ergebnis, daß der gültige Bebauungsplan nicht nur öffentlich-rechtlich, sondern umfassend die nachbarlichen Raumentwicklungs- und Raumnutzungskonflikte regele. 117 Hiernach entwickele der Bebauungsplan "privatrechtsgestaltende" Wirkung und präkludiere die "grundstücksbezogenen Nutzungskonflikte" umfänglich. Papier folgert, der Bebauungsplan begründe in Ansehung einer plankonformen Nutzung normative Du/dungspjlichten im Sinne des § 1004 Abs. 2 BGB, die wegen ihrer Spezialität den allgemeinen Regelungen des § 906, 907 BGB vorgingen. Ob der Bebauungsplan rechtmäßig zustande gekommen, insbesondere die Abwägung der relevanten privaten und öffentlichen Belange tragfähig sei, habe der Zivilrichter im Rahmen der Abwehrklage inzident zu überprüfen. 118 Der Zivilrichter dürfe aber die gestalterische Entscheidung des Raumordnungskonflikts, die letztlich auf einer gesetzlichen Anordnung, § 1 BauGB, beruhe, nicht einfach ignorieren. Eine zivilgerichtliche Entscheidung gegen diese Grundsätze 114
BGH vom 15.1.1971- V ZR 110/60- MDR 1971,286.
115
Siehe hierzu oben und Säcker, in: MUko, § 906 BGB Rdnr. 78 m.w.N.
116 Papier, in: Pickart/Gelzer/Papier (Hrsg.), Umwelteinwirkungen, 97 ff.; ders., UPR 1985, 73; ihm folgend: Gaentzsch, UPR 1985, 201 (209); ders., NVwZ 1986, 601 (602 f.) ; Birkl/Jäde, Nachbarschutz, Teil E Rdnr. 27; ähnlich auch Friauj, DVBI. 1971 , 713 (718). 117 So auch schon ausfllhrlich Picker, AcP 176 (1976), 28 m.w.N.; Kleinlein, NVwZ 1982, 668 (669); ders., DÖV 1986, 1010 (1015); ders. System, 122 ff.; Schmitz, NVwZ 1991 , 1126 (1131 f.), die aber nur auf eine Inhalts- und Schrankenbestimmung i.S.d. Art. 14 GG abstellt, den Schritt zu§ 903 BGB dann aber nicht nachvollzieht; andeutungsweise auch Baur, in: FS Sontis (1977), 181 (188 f.). 118 So auch Laujke, in: FS Lange (1970), 275 (288); Pikart, in: Pickart/Gelzer/Papier (Hrsg.), Umwelteinwirkungen, I (31); Papier, in: Pickart/Gelzer/Papier (Hrsg.), Umwelteinwirkungen, 97 (101); Johlen, BauR 1984, 138; Schmitz, NVwZ 1991, 1126 (1132).
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Teil 4: Erfordernisse und Möglichkeiten eines Zusammenwirkens
verstoße gegen die grundrechtliche Verbürgung des Grundeigentums, Art. 14 Abs. 1 GG, und gegen die gemeindliche Selbstverwaltungsgarantie in Form der Planungshoheit, Art. 28 Abs. 2 GG. 119 Eine wohl überwiegende Auffassung stellt demgegenüber auf den Gesichtspunkt der normativen Ausfüllungsfähigkeit des unbestimmten Rechtsbegriffs Ortsüblichkeit ab. Eine Nutzung sei nicht nur dann i.S.d. § 906 Abs. 1 BGB ortsüblich, wenn sie bereits mehrfach und gewichtig ausgeübt werde, sondern auch, wenn sie unter Berücksichtigung des vorrangig durch einen Bebauungsplan zu bestimmenden Gebietscharakters mit der Umgebung in Einklang stehe. Was sich unter Einschluß der "Feinsteuerungsmöglichkeiten" des § 15 BauNVO als genehmigungsfähig erweise, sei auch ortsüblich. 120 Die privatrechtliehe Verhinderung der durch die Festsetzungen eines Bebauungsplans eröffneten (neuen) Nutzungsmöglichkeiten stelle einen Eingriff in eigentumsmäßig geschützte Rechtspositionen dar. 121 c) Die eigentumsrechtliche Theorie Eine weitergehende und den Streit um die Auslegung einzelner, unbestimmter Rechtsbegriffe hinter sich lassende Ansicht, die man auch im Zusammenhang mit der Vorgabewirkung von Untergesetzesrecht als eigentumsrechtliche Theorie bezeichnen kann, sieht in den Festsetzungen eines Bebauungsplans Inhalts- und Schrankenbestimmungen des Eigentums, die auf das private Nachbarrecht mittels des Gesetzesvorbehalts in § 903 BGB i.V.m. Art. 2 EGBGB durchschlagen. 122 Eine plankonforme Realisierung von baulichen Vorhaben kann somit tatbestandlieh kein Eingriff in das Eigentum darstellen; es fehlt an einer Beeinträchtigung i.S.d. §§ 903, 1004 Abs. 1 BGB. Im übrigen berücksichtigt diese An119
Papier, in: Pickart/Gelzer/Papier (Hrsg.), Umwelteinwirkungen, 97 ff.
120
Birk, NVwZ 1985, 689 (697); Breuer, DVBI. 1983, 431 (438); Johlen, BauR 1984, 134; Vieweg, JZ 1987, 1104 (1109); Ger/ach, JZ 1988, 161 (173); Koch/Hasch, Baurecht, 292 f.; Schlichter, in: Schlichter/Stich (Hrsg.), Berliner Kommentar, 4. Aufl., vor § 29 BauGB Rdnr. 4; Arbeitskreis "Bauliches Nachbarrecht", BBauBI. 1991, 10 (16); sich dieser Auffassung nunmehr vorsichtig annähernd: Hagen, NVwZ 1991, 817 (822 f.). 121
122
Vgl. Johlen, BauR 1984, 134 (136).
Vgl. insbesondere Klein/ein, NVwZ 1982, 668 (669); ders., DÖV 1986, 1010 (1015); ders. System, 122 ff.; Finkelnburg/Ortloff, Baurecht, Bd. II, 166; Dürr, in: Brügelmann/Dürr, BauGB, § 30 Rdnr. 35; Bullinger, Öffentliches Recht und Privatrecht, 114; Schulte, Eigentum und öffentliches Interesse, 191 und 205; Schwabe, NJW 1971,913 (914 ff.); ders., NJW 1971, 1835; Pikker, AcP 176 (1976), 28 (42 ff.); ähnlich auch Trzaskalik, DVBI. 1981,71 (72).
B. Anknüpfungspunkte zwischen Verwaltungsrecht und Zivilrecht
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sieht zutreffend, daß das Eigentum nicht nur von der Ebene des Tatsächlichen, gleichsam naturalistisch verstanden werden kann, sondern als ein normativ formbares Rechtsverhältnis. Eine privatrechtsgestaltende Wirkung ist deshalb zumindest dann anzunehmen, wenn Bebauungsplanfestsetzungen hinreichend unter Zuhilfenahme der Planbegründung- bestimmt und konkretisiert sind. 123 Daß den untergesetzlichen Festsetzungen eines Bebauungsplans mit den gleichen Argumenten, die schon zur Vorgabewirkung förmlicher Verwaltungsrechtsnormen dargestellt wurden, inhaltsbestimmende Funktion in bezug auf das zivilrechtliche Eigentum zukommt, hat aus zivilrechtlicher Sicht Baur anerkannt: Er geht von einer gleichwertigen und damit inhaltsgestaltenden Funktion der zivil- und öffentlich-rechtlichen Normen auf allen Ebenen der Normhierarchie aus. Es sei nicht einsehbar, wieso die Festsetzung über Geschoßzahlen nicht den privatrechtliehen Nutzungsgehalt eines Grundstücks regele. Das gleiche gelte von der öffentlich-rechtlichen Erlaubnis der Errichtung einer Grenzgarage 124 oder hinsichtlich der Regelungen der BauNVO, die auch der Zivilrichter in seine Rechtsfindung einzubeziehen habe. 125 Die der eigentumsrechtlichen Theorie folgende Auffassung entspricht auch eher der Ansicht des BVerfG zur eigentumsrechtlichen Bedeutung von Bebauungsplanfestsetzungen im Hinblick auf Art. 14 GG: "Solche Festsetzungen", meint das Gericht, "bestimmen individuell und konkret die Art und das Maß der baulichen Nutzung. Ihr Vollzug, soweit es seiner noch bedarf, liegt bis in die Einzelheiten hinein fest. Die Dispositionsbefugnis des Eigentümers wird durch sie unmittelbar eingeschränkt. Der Bebauungsplan gibt den in seinem Gebiet gelegenen Grundstücken einen bestimmten rechtlichen Status, ohne daß es dazu des Dazwischentretens eines weiteren Vollzugsakts bedürfe." 126 Wertet man diese Rechtsprechung nämlich auf der Grundlage der privatrechtliehen Theorie, müßte man wohl zu dem Ergebnis gelangen, daß Bebauungsplanfestsetzungen zwar Inhalt und Schranken des Art. 14 GG, nicht aber den Inhalt des privatrechtliehen Eigentums i.S.d. § 903 BGB gestalten können. Demnach gäbe es privatrechtliche Eigentumspositionen auf der Grundlage des § 903 BGB, die bezogen auf eine konkrete Grundstückssituation nicht Inhalt des Art. 14 GG sind, sondern außerhalb seines Schutzbereiches lägen. 123
Vgl. Gaentzsch, UPR 1985,201 (209).
Baur, in: FS Sontis (1977), 181 (189), der dann aber a.a.O. diesen Ansatz nicht mehr weiterverfolgt hat; vgl. auch schon Planck, BGB, 3. Aufl., § 903 BGB Anm. 2. b). 124
125
Ge/zer, in: FS Korbion (1986), 117 (121).
126
BVerfG vom 14.5.1985-2 BvR 397,398,399/82- E 70, 35 (53).
298
Teil 4: Erfordernisse und Möglichkeiten eines Zusammenwirkens
Die der eigentumsrechtlichen Theorie zustimmende Ansicht der Literatur bestätigt darüber hinaus die weithin unangefochtene Rechtsprechung zum Rechtswert des Untergesetzesrechts im Zusammenhang mit kommunalen Baumschutzsatzungen 127• Das OLG Düsseldorf128 beispielsweise ließ an der privatrechtsgestaltenden Wirkung einer solchen Satzung keinen Zweifel. Die grenzbenachbarten Parteien stritten um die Beseitigung störender Birken entlang der Grundstücksgrenze. Die Stadt Wuppertal hatte auf der Grundlage einer gültigen Baumschutzsatzung das Fällen oder Beschneiden der streitgegenständlichen Bäume nicht gestattet. Das OLG stellte klar, daß die Rechte von Grundstückseigentümern nach § 903 8GB nur soweit reichten, wie das Gesetz nicht entgegenstehe. Die Baumschutzsatzung sei ein einschränkendes Gesetz im Sinne des § 903 8GB, denn es handele sich um eine Rechtsnorm (Art. 2 EGBGB). 129 Bezogen auf den Gegenstand der Arbeit bedeutet die Einordnung auch der satzungsrechtlichen Bebauungspläne mit Bezug zu negativen Immissionen in den Eigentumsbegriff des § 903 BGB, daß sich fiir jedes einzelne Grundstück unter Einschluß nutzungsdeterminierender Festsetzungen der Umfang der Verfiigungsbefugnis (positiver Eigentumskem) individuell ergeben kann. 130 Auf das vielbeschworene Grenzüberschreitungsargument kommt es insoweit nicht mehr an, weil die wesentlichen Determinanten vielfach aus dem übergreifenden, dem öffentlichen Recht entstammenden Begriffsfeld der grundstücksbezogenen Nutzungskonflikte stammen können, die auf eine Grenzüberschreitung nicht abstellen. Soweit eine bebauungsplanrechtliche Nutzungseinschränkung reicht, ist der Nachbar korrespondierend, nämlich eigentumsrechtlich begünstigt.131 Der Zivilrichter muß demnach die planungsrechtliche oder sonstige öffentlich-rechtliche Situation im Rahmen des privaten Nachbarrechtsstreits genauso sorgfältig berücksichtigen, wie dies der Verwaltungsrichter im öffent127 Ennächtigungsgrundlage: § 18 BNatSchG, Art. 12 BayNatSchG. 128 OLG Dusseldorf vom 20.4.1988 - 9 U 228/87 - NJW 1989, 1807; zu kommunalen Baum-
schutzsatzungen auch Müller, VR 1987, 301; Otto, NVwZ 1986, 900; ders., NJW 1989, 1783; Bartholomäi, UPR 1988,241.
129 So auch Palandt/Bassenge, BGB, 52. Aufl., Art. 2 EGBGB Rdnr. I; Hartmann, in: Soergel, II. Aufl., Art. 2 EGBGB Rdnr. 8; Merten-Kirchhoj, in: Staudinger, 12. Aufl., Art. 2 EGBGB Rdnr. 30; Sprau, Justizgesetze in Bayern, vor Art. 47 BayAGBGB Rdnm. 8 und 10. Nicht ganz stringent prUft das OLG DUsseldorf nur die Voraussetzungen einer Duldungsnonn gern. § 1004 Abs. 2 BGB. 130
So auch Picker, AcP 176 (1976), 28 (44); a.A. Pfeiffer, Immissionsschutz, 233.
131 BVerwG vom 18.8.1960- I C 42.59- E II, 95 (96); aus zivilrechtlicher Sicht Laujke, in:
FS Lange (1970), 275 (278 f.).
C. Schlußfolgerung und Ergebnis
299
lieh-rechtlichen Nachbarstreit zu praktizieren hat. Er hat auch die aus dem öffentlichen Recht stammenden Wertungen bei der Rechtsanwendung, insbesondere der Subsumtion zivilrechtlicher Normen zu berücksichtigen, weil diese Bestandteil eines einheitlichen Eigentumsbegriffs sind.
111. Fazit 1. Die Handhabung der negativen Immissionen durch die beiden Teilrechtsordnungen des öffentlichen Rechts und des Zivilrechts fuhrt zu Wertungswidersprüchen. 2. Die Reichweite der konstatierten Wertungswidersprüche relativiert sich unter Einbeziehung der Verknüpfungstatbestände zwischen den beiden Teilrechtsordnungen. 3. Auf dem Gebiet der negativen Immissionen ist eine Vorgabewirkung (drittschützender) öffentlich-rechtlicher Normen nur über die Transportnorm des § 823 Abs. 2 BGB (Schutzgesetz) anerkannt. 4. Im Gegensatz zur herrschenden zivilrechtliehen Theorie ergibt sich, daß schon die Reichweite des zivilrechtliehen Eigentums (§ 903 BGB) auch durch förmliches oder nur materielles öffentliches Rechts bestimmt wird. Der Schutz vor negativem Immissionen kann somit Bestandteil des jeweils individuell zu bestimmenden Eigentums sein.
C. Schlußfolgerung und Ergebnis Ausgangspunkt der eigentumsrechtlichen Einordnung der negativen Immissionen ist nicht allein das BGB, sondern vielmehr eine ganzheitliche Betrachtung der Inhaltsbestimmungen des§ 903 BGB i.V.m. Art. 2 EGBGB. Dies wird vor allem in der zivilrechtliehen Rechtsprechung und Dogmatik verkannt, die zu Unrecht von einem autarken Nachbarrecht des Privatrechts ausgeht und sich so in Wertungswidersprüche zum öffentlich-rechtlichen Nachbarrecht setzt. Zum Ausgangspunkt einer ganzheitlichen rechtlichen Beurteilung negativer Immissionen sollte der dem öffentlichen Recht entstammende Begriff der "grundstücksbezogenen Nutzungskonflikte" gemacht werden; dieser ist nicht auf das die Zivilrechtsdogmatik beherrschende Grenzüberschreitungsargument fixiert, sondern setzt bei einem funktionell verstandenen Eigentumsbegriff an.
Tei/5
Zusammenfassung I. Die tatsächliche Reichweite des nachbarrechtlichen Problems negativer Immissionen läßt sich nur anband von Fallgruppen aufzeigen. Eine Definitionstindung wird durch die unterschiedliche Terminologie erschwert. 1. Negative Immissionen resultieren aus nicht unmittelbar grenzüberschreitenden Handlungen auf einem Grundstück, in deren Folge lagebezogene Vorteile eines Nachbargrundstücks, über die dieses bisher verfügte, beeinträchtigt werden.
2. Die tatsächliche Bedeutung nachbarrechtlicher Konflikte aus dem Bereich der negativen Immissionen läßt sich anband von Fallgruppen auf der Basis der Differenzierung von Zuführungs- und Abführungsbehinderungen natürlicher und auch künstlicher (Umwelt)Vorteile aufzeigen. Hiernach sind der Entzug von Licht, Luft, Wind, Wasser, Infrastrukturverbindungen, die Abschattung von Sonnen- und Windenergieanlagen und sonderfallartig der Entzug der (guten) Aussicht einerseits, von der Verhinderung der natürlichen Abführung (Stauwirkung) vergleichbarer Umweltmedien und dem Sonderfall der Reflexion andererseits zu unterscheiden. 3. Die herrschende zivilrechtliche Rechtsprechung und Literatur gehen von einer grundsätzlichen Unabwehrbarkeit dieser realen Nachteile aus und rekurrieren dabei auf typische Argumentationsstrukturen und Begrifflichkeiten der Rechtsprechung des RG. 4. Als wesentliche dogmatische Grundlage zur zivilrechtliehen Einordnung negativer Immissionen erweisen sich das Grenzüberschreitungs- und das Gleichsetzungsargument: Negative Immissionen sollen deshalb grundsätzlich nicht verbietbar sein, weil der "Störer" bei seinen Aktivitäten in den räumlichen Grenzen seines Grundstücks verbleibt, §§ 903, 905 BGB. Weiterhin folge aus der Nichterwähnung negativer Immissionen in § 906 Abs. 1 BGB, daß kein negatorischer
Teil 5: Zusammenfassung
301
Rechtsschutz besteht, denn der Einwirkungs- und Beeinträchtigungsbegriff in den §§ 903, 1004 Abs. 1, 907 BGB sei einheitlich immissionsgeprägt, nämlich grenzüberschreitend zu verstehen.
II. Die herrschende zivilrechtliche Ansicht kann bei genauer Analyse der einschlägigen Normen nicht überzeugen. 1. Aus dem deskriptiven, unscharfen Begriff des zivilrechtliehen Eigentums in § 903 BGB läßt sich nicht herleiten, eine eigentumskräftige Nutzung des Grundstücks frei von Einwirkungen durch negative Immissionen gebe es nicht. 2. Die von Rechtsprechung und Literatur gebilligten Fallkonstellationen zum Eigentumsschutz des Sachgebrauchs stehen vielfach in Wertungswiderspruch zum Diktum der Unabwehrbarkeit negativer Immissionen. 3. Einer Subsumtion negativer Immissionen unter den Beeinträchtigungsbegriff des § 1004 Abs. 1 BGB kann systematisch nicht mit dem Argument begegnet werden, diese seien keine Zuführungen i.S.d. § 906 BGB. Das Gleichsetzungsargument der herrschenden zivilrechtliehen Auffassung vermag weder dogmatisch noch rechtshistorisch zu überzeugen. 4. Es will nicht einleuchten, warum negative Immissionen im Rahmen des § 1004 BGB wertungsmäßig anders zu beurteilen sind, als die sog. grobkörperlichen oder flüssigen Immissionen; diese lassen sich den Immissionen i.S.d. § 906 BGB unzweifelhaft nicht gleichsetzen und sind gerade deshalb abwehrbar. 5.Auf der Basis quasi-negatorischer Beseitigungsansprüche ist ein aus dem öffentlichen Recht abgeleiteter Schutz vor negativen Immissionen nach h.M. möglich; dies führt zu Friktionen in bezugauf zivilrechtliche Wertungen. 6. Neben der Zweifelhaftigkeit des Grenzüberschreitungsarguments lassen sich negative Immissionen mit guten Gründen als Bestandteil des offenen Tatbestandsmerkmals "ähnliche Einwirkungen" in § 906 Abs. 1 BGB auffassen. Diese (extensive) Auslegung würde dem Entwicklungsauftrag an das Nachbarrecht entsprechen. 7. Ebenfalls mit guten Gründen kann § 906 8GB analog auf Störungen durch negative Immissionen angewandt werden. 8. Begreift man das Tatbestandsmerkmal "ähnliche Einwirkungen" als Typusbegriff, kann ohne weiteres auf die Voraussetzung einer physikalisch meßbaren
302
TeilS: Zusammenfassung
Grenzüberschreitung verzichtet werden; negative Immissionen ließen sich zwanglos dem§ 906 BGB zuordnen. 9. Über das auch im Rahmen des§ 1004 BGB vielfach verwendete Gleichsetzungsargument wird auch die Auslegung des Tatbestandsmerkmals "unzulässige Einwirkung" in § 907 BGB vom Grenzüberschreitungsdogma beherrscht. Auch hier bestehen erhebliche Zweifel. 10. Die Wertungen der in§ 907 Abs. 1 S. 2 BGB in Bezug genommenen Regelungen des öffentlich-rechtlichen oder zivilrechtliehen Abstandsrechts sprechen fiir eine Berücksichtigung auch nicht grenzüberschreitender Einwirkungen, also einschließlich negativer Immissionen. 11. Im Rahmen des BGB können die §§ 909, 917 BGB als Normen mit gezielter Relevanz fiir die Abwehr bestimmter negativer Immissionen aufgefaßt werden. Ihnen ist zu entnehmen, daß nachbarliche Störungen, die nicht immissionsbezogen und grenzüberschreitend wirken, abwehrbar sind. Ihnen ist allerdings nicht zu entnehmen, daß die§§ 909, 917 BGB eine abschließende Kodifikation nicht grenzüberschreitender Nachbarstörungen darstellen sollen. 12. Das landesrechtliche Pflanzenabstandsrecht ist eine detaillierte Kodifikation eines ganz speziellen Segments aus dem Bereich negativer Immissionen; es gleicht dem Bauabstandsrecht der landesrechtliehen Bauordnungen und regelt den Nutzungskonflikt zentimeterscharf. Aus dem Pflanzenabstandsrecht kann ebenfalls nicht geschlossen werden, daß (andere) negative Immissionen auf der Grundlage allgemeiner, zivilrechtlicher Normen hinzunehmen seien. 13. Soweit nichtnormierte zivilrechtliche Institute mit Relevanz zur Abwehr negativer Immissionen existieren, erschöpfen sich diese in der durch die Rechtsprechung entwickelten Figur des "nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses". Die Anwendung dieses Instituts auf negative Immissionen ist durch die Rechtsprechung in weitem Umfange anerkannt. Hierbei ist allerdings zu berücksichtigen, daß ein Berufen auf das "nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis" nur in Ausnahmesituationen möglich ist und restriktiv gehandhabt wird. III. In die Bewertung negativer Immissionen ist das öffentliche Recht einzubeziehen, wodurch sich ein wesentlich anderes Bild ergibt. 1. Negative Immissionen werden hier nicht als ein Problem des Immissionsschutzes aufgefaßt und deshalb nicht im Wege einer Gleichsetzung als Grenzüberschreitungsstörung verstanden.
Teil 5: Zusammenfassung
303
2. Neben Beispielen aus dem Wasser- und dem Straßen- und Wegerecht läßt sich jedoch die rechtliche Handhabung negativer Immissionen besonders deutlich am Baurecht aufzeigen: Negative Immissionen sind vielfach, jenseits der Unerheblichkeitsschwelle und unter Beachtung der verfahrensrechtlichen Implikationen, abwägungserhebliche "private Belange" der Bauleitplanung (oder auch anderer Fachplanungen). Im Zusammenhang mit dem Sanierungsrecht wird deutlich, daß der Gesetzgeber negative Immissionen als zu vermeidende städtebauliche Substanzschwäche betrachtet,§§ 1 Abs. 5 S. 2 Nr. 1, 136 Abs. 3 Nr. 1a BauGB. 3. Der Schutz vor negativen Immissionen kann insoweit Gegenstand von (drittschützenden) Bebauungsplanfestsetzungen sein; eine Reihe von Festsetzungen beschäftigen sich typischerweise mit negativen Immissionen. Der Schutz vor negativen Immissionen kann auch innerhalb der planersetzenden Normen der §§ 30 ff. BauGB von Bedeutung sein. Eine wesentliche Rolle spielt hierbei das "Gebot der Rücksichtnahme". 4. Die Iandesrechtlichen Bauordnungen machen im Flächenabstandsrecht den Schutz vor negativen Immissionen zu einem der zentralen, auch drittschützend wirkenden Gesichtspunkte der baurechtliehen Rechtmäßigkeitsprüfung. IV. Aus der unterschiedlichen Handhabung der negativen Immissionen ergeben sich Ansätze einer einheitlichen Bewertung. 1. Bedenkt man die unterschiedliche Handhabung der negativen Immissionen durch die beiden Teilrechtsordnungen des öffentlichen Rechts und des Zivilrechts, filhrt dies zu Wertungswidersprüchen. 2. Die Reichweite der konstatierten Wertungswidersprüche relativiert sich unter Einbeziehung der Verknüpfungstatbestände zwischen den beiden Teilrechtsordnungen. 3. Auf dem Gebiet der negativen Immissionen ist allerdings eine Vorgabewirkung (drittschützender) öffentlich-rechtlicher Normen nur über die Transportnorm des § 823 Abs. 2 BGB (Schutzgesetz) anerkannt. 4. Im Gegensatz zur herrschenden zivilrechtliehen Anschauung ist Ausgangspunkt der Einordnung der negativen Immissionen nicht allein § 823 Abs. 2 BGB, sondern vielmehr eine ganzheitliche Betrachtung der eigentumsrecht-
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Teil 5: Zusammenfassung
Iichen Inhaltsbestimmungen des§ 903 BGB i.V.m. Art. 2 EGBGB. Diese ganzheitliche Betrachtung umfaßt auch das öffentlich-rechtliche Geset~es- und Untergesetzesrecht. Der Schutz vor negativen Immissionen kann somit Bestandteil der jeweils individuell zu bestimmenden Eigentumssituation sein. 5. Zur rechtlichen Beurteilung negativer Immissionen sollte somit der dem öffentlichen Recht entstammende Begriff der "grundstücksbezogenen Nutzungskonflikte" herangezogen werden.
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