Der Schutz des negativen Interesses: Zur Verknüpfung von Selbstbindung und Sanktion im Privatrecht 9783161511998, 9783161488238

Die Haftung auf das negative Interesse wird im deutschen Privatrecht weithin auf einen im Vertrauen, im Verkehrsinteress

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German Pages 603 [604] Year 2007

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Vorwort
Inhaltsübersicht
Inhaltsverzeichnis
§1 Problemaufriß
I. Zum Anliegen der Untersuchung
1. Dogmatische Bruchstellen
a) Rechtsgeschäftliche Haftung und der Schutz des Erfüllungsinteresses
b) Gesetzliche Haftung und der Schutz des Vertrauensinteresses
2. Privatrechtstheoretische Defizite
3. Vorgehensweise: Von der Politik zum System der Haftung auf das negative Interesse
II. Zur Abgrenzung des Untersuchungsgegenstands
III. Zur Präzisierung der Fragestellung
Erster Teil Rechtspolitische Grundlagen
§2 Überblick
§3 Die Theorie der Haftung auf das negative Interesse in den Traditionen Jherings und Fullers
I. Jherings Lehre und ihre wissenschaftliche Weiterentwicklung: Die außervertragliche Konzeption der Haftung auf das negative Interesse
1. Jherings culpa in contrahendo
a) Die »empfi ndliche Lücke« im Haftungsrecht und das Willensdogma
b) Jherings Verständnis der Haftung auf das negative Interesse
2. Zur Rezeption Jherings
a) Die gemeinrechtliche Diskussion
aa) Die Erklärungstheorie Bährs
bb) Windscheids Rekurs auf die bona fides
b) Die Entwicklung unter dem BGB
II. Fullers Lehre und ihre wissenschaftliche Weiterentwicklung: Die vertragsimmanente Konzeption der Haftung auf das negative Interesse
1. Fullers »reliance interest« als Maßstab für den vertraglichen Schadensersatz
a) Das klassische amerikanische Vertragsrecht bei Holmes und Williston
aa) Die »objektive Willenstheorie«
bb) Die Bargain-Theorie
b) Fullers Gegenentwurf
aa) Implikationen des Willensprinzips für das Sanktionsproblem
bb) Der Versuch einer »ökonomisch-juristischen« Lösung des Sanktionsproblems
2. Zur Rezeption Fullers
a) »Socio-legal studies«: Vertragsbruchsanktionen als Instrumente zur Verwirklichung gesamtgesellschaftlicher Ziele
b) Ökonomische Analyse des Rechts: Vertragsbruchsanktionen als Anreize zu effizientem Verhalten
III. Folgerungen für das weitere Vorgehen
§4 Die Legitimation privatrechtlicher Selbstbindung: Vom Abbild des Versprechens zum Instrument der Freiheitssicherung
I. Vorüberlegung: Das formale Muster autonomer Bindung
II. Von der versprechensethischen zur funktionalistischen Sicht privatrechtlicher Selbstbindung
1. Die Dominanz versprechensethischer Tendenzen in den Rechtsgeschäftskonzepten der jüngeren deutschsprachigen Zivilrechtswissenschaft
a) Varianten subjektivierender Rechtsgeschäftslehren
aa) Zur Aktualität des Willensprinzips in der deutschen Dogmatik
(1) Die Geltungstheorie.
(2) Die Lehre Flumes.
(3) Neuere Varianten willenstheoretisch orientierter Lehren.
bb) Die versprechensethische Legitimitation der Rechtsgeschäftslehre als Hintergrund
b) Varianten objektivierender Rechtsgeschäftslehren
aa) Versprechensethisch vermittelte Legitimität: Normativierung oder Ergänzung des Selbstbestimmungsgedankens
(1) Normativierung der Selbstbestimmung.
(2) Ergänzung der Selbstbestimmung.
bb) Funktionalistisch vermittelte Legitimität: Die Lehre von der sozialen Selbstbindung
(1) Darstellung.
(2) Kritik.
c) Fazit
2. Die Überwindung der versprechensethischen Legitimation privatrechtlicher Selbstbindung in der neuzeitlichen Rechtsphilosophie
a) Das Grundproblem: Legitimation privatrechtlicher Selbstbindung in einer pluralistischen Gesellschaft
b) Vertragliche Bindung kraft Teilhabe an göttlicher Vernunft (Grotius)
c) Vertragliche Bindung als Konsequenz des Postulatsder praktischen Vernunft (Kant)
aa) Die Unzulänglichkeit des kategorischen Imperativs zur Begründungder Verbindlichkeit von Verträgen
(1) Das Sittengesetz
(2) Das Rechtsgesetz
bb) Die ergänzende Heranziehung des Vernunftpostulats
cc) Folgerungen für die Lösung des Legitimationsproblems
d) Vertragliche Bindung als wechselseitige Anerkennungvon Eigentümern (Hegel)
aa) Der Vertrag als Teil des abstrakten Rechts
(1) Die Person.
(2) Das Eigentum.
(3) Der Vertrag.
bb) Folgerungen für die Lösung des Legitimationsproblems
e) Die Politik privatrechtlicher Selbstbindung nach dem Ende der versprechensethischen Legitimation
aa) Abschied vom privatrechtlichen Moralismus
bb) Hinwendung zum privatrechtlichen Funktionalismus
III. Die privatrechtliche Selbstbindung als Instrument der Freiheitssicherung
1. Stabilisierungsleistung und Freiheitsgedanke
2. Markt und privatrechtliche Selbstbindung
a) Freiheitssicherung durch die soziale Institution »Markt«
b) Die auf Märkten agierende Person als homo oeconomicus
c) Die privatrechtliche Selbstbindung als Lösung des Kooperationsproblems
aa) Die Anreizfunktion privatrechtlicher Selbstbindung
bb) Alternative Sanktionen für Selbstbindungstatbestände
cc) Alternative Lösungen des Kooperationsproblems
3. Selbstbindung jenseits des Marktes
a) Erscheinungsformen
aa) Selbstbindung im Kontext familiärer, affektiver oder geselliger Beziehungen
bb) Selbstbindung im Kontext staatlicher Steuerung
b) Theoretische Einbindung
aa) Übertragbarkeit einer marktfunktionalen Selbstbindungskonzeption
bb) Positive Grenzen
cc) Normative Grenzen
c) Die marktbezogene Selbstbindung als Leitbild für das Privatrecht
4. Zur Vereinbarkeit des hiesigen Ansatzes mit den Vorgaben des Grundgesetzes
a) Das Menschenbild des Grundgesetzes
b) Die verfassungsrechtliche Gewährleistung der Privatautonomie
IV. Fazit
§5 Die Schutzwürdigkeit des negativen Interesses
I. Die Steuerung der Produktion normativer Erwartungen als Aufgabe des Haftungsrechts
II. Zur Ökonomik des Versprechens: Schadensrisiko und Schadensvermeidung
1. Kosten und Nutzen des Versprechens für den Versprechensempfänger
2. Schadensvermeidung durch den Versprechenden und durch den Versprechensempfänger
3. Effizienz der Schadensvermeidung
III. Die Legitimation der Haftung auf das negative Interesse
1. Das Problem adverser Selektion
a) Informationsasymmetrie als Ursache
b) Marktversagen als Folge
2. Haftungsrechtliche Anreize als Lösung
a) Haftungsbegründung
aa) Arglisthaftung?
bb) Verschuldens- oder Garantiehaftung?
b) Haftungsbegrenzung
aa) Kenntnis oder Erkennbarkeit des Nichterfüllungsrisikos für den Versprechensempfänger
bb) Fehlende Erkennbarkeit der Vertrauenskosten für den Versprechenden
cc) Ineffiziente Vertrauensinvestitionen
3. Vertrauenskosten und negatives Interesse
IV. Vom Versprechen zur Produktion zurechenbarer normativer Erwartungen
1. Normativitätsstiftendes Verhalten
2. Die Zurechnung normativer Erwartungen
V. Fazit
§6 Der Schutz des negativen Interesses in Abgrenzung zum Schutz des positiven Interesses
I. Die Relevanz der Unterscheidung zwischen negativem und positivem Interesse
II. Die Überlegenheit der Sanktionen zum Schutz des positiven Interesses im »Grundfall« vertraglicher Leistungsbeziehungen
1. Anreize im Stadium der Vertragserfüllung
a) Effiziente Erfüllungsentscheidung des Schuldners
b) Effiziente Investitionsentscheidung des Schuldners
c) Effiziente Investitionsentscheidung des Gläubigers
2. Anreize im Stadium des Vertragsabschlusses
III. Die Erforderlichkeit der Haftung auf das negative Interesse als Sanktion für Selbstbindungstatbestände
1. Unterkompensation des Gläubigers durch den Ersatzdes positiven Interesses
2. Übermäßige Belastung des Schuldners durch den Ersatzdes positiven Interesses
a) Drosselung normativitätsstiftenden Verhaltens
b) Unangebrachter Erfüllungsanreiz
aa) Ineffizienz wegen externer Kosten
bb) Ineffizienz wegen Fehlsteuerung der Parteien
IV. Fazit
§7 Der Schutz des negativen Interesses in Abgrenzung zum Verzicht auf privatrechtlichen Erwartungsschutz
I. Die Unterscheidung zwischen marktförmiger und nicht marktförmiger Kooperation
II. Normativitätsstiftendes Verhalten im zeitlichen Kontextder Vertragsanbahnung
1. Die Erforderlichkeit vorvertraglichen Erwartungsschutzes
a) Zur Effizienz vorvertraglicher Vertrauensinvestitionen
b) Fehlende Haftung als »penalty default rule«
2. Möglichkeiten vorvertraglichen Erwartungsschutzes
a) Der Schutz des positiven Interesses durch vorkonsensuale rechtsgeschäftliche Bindung
b) Der Schutz des negativen Interesses durch außerrechts-geschäftliche Abbruchshaftung
aa) Erwartungsschutz aufgrund heterenomer Bindung des anderen Teils: Haftungsrechtliche Verlagerung des Investitionsrisikos
bb) Erwartungsschutz aufgrund autonomer Bindung des anderen Teils: Normativitätsstiftende Verhandlungsäußerungen als Haftungsgrund
3. Vom nicht abgeschlossenen zum nicht erwartungsgerechten Vertrag
III. Normativitätsstiftendes Verhalten im sozialen Kontext außerrechtlicher Sanktionsmechanismen
1. Erscheinungsformen außerrechtlicher Kooperationssicherung
a) Das Gewissen als moralischer Steuerungsmechanismus
b) Die sich selbst durchsetzende Kooperation als sozialer Steuerungsmechanismus
aa) Theoretische Grundlagen
bb) Tatsächliche Verbreitung
2. Das Verhältnis der privatrechtlichen zur außerrechtlichen Kooperationssicherung
a) Sanktionsauswahl bei sich selbst durchsetzender Kooperation im »Grundfall« vertraglicher Leistungsbeziehungen
aa) Anreize für den Schuldner
bb) Anreize für den Gläubiger
b) Folgerungen für die Formulierung privatrechtlicher Selbstbindungstatbestände
aa) Probleme der Bezifferung außerrechtlicher Sanktionen
bb) Probleme der Wirksamkeit außerrechtlicher Sanktionen
IV. Fazit
§8 Ergebnisse des ersten Teils
Zweiter Teil Rechtssystematische Umsetzung
§9 Überblick
§10 Umfang und Grenzen der Ersatzfähigkeit des negativen Interesses
I. Grundlagen der Bestimmung des Vertrauensschadens
1. Ziel und Mittel der Ersatzleistung
a) Das Ziel der Ersatzleistung: Die Herbeiführung des gegenwärtigen hypothetischen Zustands ohne Schadensereignis
b) Die Art und Weise der Ersatzleistung
aa) Geldentschädigung
bb) Naturalrestitution
c) Adäquater Zusammenhang?
2. Schadenszurechnung
a) Äquivalente Kausalität
b) Schutzzweckzusammenhang
c) Adäquater Zusammenhang?
3. Fragen der Beweislast
a) Die Ursächlichkeit der Erklärung des Schuldners für die Vertrauensdisposition des Gläubigers
aa) Beweismaßreduzierung nach § 287 ZPO
bb) Anscheinsbeweis
cc) Beweislastumkehr
b) Hypothetischer Gewinn
c) Hypothetischer Verlust
II. Einzelne Schadenspositionen
1. Nutzlose Aufwendungen
a) Aufwendungen nach Vertragsschluß
aa) Aufwendungen im notwendigen Zusammenhang mit einem vertraglichen Leistungsaustausch
bb) Sonstige im Vertrauen auf den Erhalt der Leistung getätigte Aufwendungen
b) Aufwendungen anläßlich des Vertragsschlusses
c) Aufwendungen vor Vertragsschluß
aa) Divergenzen im Common Law
bb) Nutzlose vorvertragliche Aufwendungen als Teil des negativen Interesses
cc) Zur Abgrenzung: Nutzlose vorvertragliche Aufwendungen als Bemessungsgrundlage für das positive Interesse
2. Entgangener Gewinn
a) Die Vereinbarkeit des Gewinnersatzes mit dem Schutzzweck der Haftung
b) Das Verhältnis des Gewinnersatzes zum Aufwendungsersatz
3. Aufhebung und Rückabwicklung nicht erwartungsgerechter Verträge
a) Die bisherige Diskussion im Licht der Schuldrechtsreform
aa) Die Kodifikation der c.i.c.
bb) Zur Bedeutung der §§ 282, 324 BGB
b) Das Verhältnis der schadensrechtlichen Vertragsaufhebungund -rückabwicklung zur Anfechtungsregelung
4. Anpassung nicht erwartungsgerechter Verträge
a) Die Vertragsanpassung als Ersatz des negativen Interesses
b) Der Ersatz des »positiven Schadens« in Gestalt der Wertdifferenz zwischen Leistung und Gegenleistung
c) Der Ersatz des entgangenen Gewinns in Gestalt der Differenz zwischen tatsächlichem und hypothetischem Ertrag
III. Grenzen der Schadensersatzpflicht
1. Die Begrenzung auf den Betrag des positiven Interesses
a) Die Begrenzung als Ausdruck des Schutzzwecks der Norm
b) Der Betrag des positiven Interesses
c) Der hypothetische Schutz des positiven Interesses
2. Der Ausschluß bei Kenntnis oder Kennenmüssen
a) Haftungsausschluß bei Verschulden des Erklärenden?
b) Haftungssausschluß bei Veranlassung des Mangels durch den Erklärungsempfänger?
3. Die Berücksichtigung des Mitverschuldens nach § 254 II 1 BGB
a) Die Obliegenheit zur Schadensabwendung oder -minderung
b) Die Obliegenheit zur Warnung
aa) Schadenstragung bei beidseitig fehlender Vorhersehbarkeit
bb) Der für die Beurteilung der Warnobliegenheit relevante Zeitpunkt
cc) Zur Konkretisierung der Warnobliegenheit
4. Die Begrenzung nach Maßgabe der Angemessenheit in § 1298 II BGB
§11 Der Schutz des negativen Interesses bei wirksamen obligatorischen Rechtsgeschäften
I. Grundlagen
1. Das rechtspolitische Anliegen: Vermeidung ineffizienter Unterkompensation
2. Die rechtssystematische Umsetzung im Vergleich
a) Früheres deutschen Schuldrecht
aa) Das Fehlen einer gesetzlichen Grundlage für den Ausgleich des negativen Interesses
bb) Ausgleich des Kompensationsdefizits durch die Rechtsprechung
b) Common Law
aa) Der Erfolg des »reliance interest«: Praktische Notwendigkeitoder theoretische Überzeugungskraft?
bb) Folgeprobleme
c) Internationale Vertragsrechtsvereinheitlichung
aa) UN-Kaufrecht
bb) Einheitsvertragsrechte
II. Die systematische Einordnung von § 284 BGB
1. Ergänzung der Rentabilitätsvermutung bei immateriellem Leistungsinteresse?
2. Ersatz des positiven Interesses nach Maßgabe der Frustrationslehre?
a) Einwände im Hinblick auf § 284 BGB
aa) Nichtanwendbarkeit auf deliktische Ansprüche
bb) Beschränkung auf den Ersatz von Aufwendungen, die im Vertrauenauf den Leistungserhalt getätigt wurden
cc) Anknüpfung an die Voraussetzungen des Schadensersatzes statt der Leistung
b) Allgemeine Einwände gegen die Frustrationslehre
3. Partieller Ersatz des negativen Interesses
a) Vorzüge im Vergleich zur Frustrationslehre
b) Einwände im Hinblick auf § 284 BGB
aa) Beschränkung auf den Aufwendungsersatz
(1) Die Begründung der Beschränkung im Regierungsentwurf.
(2) Erforderlichkeit und Zulässigkeit einer Analogie.
bb) Anwendbarkeit bei Vorliegen der §§ 281, 282 oder 283 BGB
cc) Unabhängigkeit vom Vorliegen einer rechtsgeschäftlichen Leistungspflicht
dd) Unabhängigkeit vom Rücktritt
ee) Anwendbarkeit anstelle des »kleinen« Schadensersatzes
ff) Fehlende Begrenzung auf das positive Interesse
4. Die systematische Einordnung in der Gesamtschau
III. Der Ersatz des negativen Interessesauf der Grundlage von § 284 BGB
1. Die Komplementarität zum Ersatz des positiven Interesses
a) Ersatz des negativen Interesses anstelle des Schadensersatzes statt der Leistung
aa) Die Anknüpfung an die Voraussetzungen des Schadensersatzes statt der Leistung
bb) Die Alternativität zum Schadensersatz statt der Leistung
(1) Kombination mit dem Teilersatz des leistungsbezogenen positiven Interesses.
(2) Kombination mit dem Ersatz des leistungsübersteigenden positiven Interesses.
b) Ersatz des negativen Interesses anstelle des leistungsergänzenden Schadensersatzes?
c) Ersatz des negativen Interesses bei fehlendem Schutz des positiven Interesses?
aa) Nicht zu vertretende nachträgliche Leistungshindernisse
bb) Schuldlos verkannte anfängliche Leistungshindernisse
2. Der ersatzfähige Vertrauensschaden
a) Aufwendungen im Vertrauen auf den Erhalt der Leistung
b) Insbesondere: Die Gegenleistung und Verwendungen auf das Leistungsobjekt
c) Der entgangene Gewinn aus einem Alternativgeschäft
d) Sonstige Schäden
3. Der Einwand der Zweckverfehlung aus anderem Grund
a) Beweislast und Beweismaß
b) Zur Abgrenzung: Der Beweis des Aufwendungszwecks
c) Die entsprechende Begrenzung der Ersatzfähigkeit entgangenen Gewinns aus einem Alternativgeschäft
4. Die Billigkeitsgrenze und der Mitverschuldenseinwand
a) Billigkeit als Angemessenheit?
b) Billigkeit als Vorhersehbarkeit
c) Sonstige Fälle des Mitverschuldens
§12 Der Schutz des negativen Interesses bei unwirksamen obligatorischen Rechtsgeschäften
I. Grundlagen
1. Das rechtspolitische Anliegen: Beseitigung des Erfüllungsanreizes bei gleichzeitiger Steuerung der Versprechensabgabe
2. Die rechtssystematische Umsetzung im Vergleich
a) Das BGB in seiner ursprünglichen Fassung
aa) Der Anwendungsbereich der Haftung auf das negative Interesse
bb) Die Voraussetzungen der Haftung auf das negative Interesse
b) Common Law
aa) Zur Behandlung der im Vorfeld des BGB diskutierten Fälle
bb) Der auf das negative Interesse reduzierte Schutz des Gläubigers
c) Internationale Vertragsrechtsvereinheitlichung
II. Unwirksamkeit wegen Mängeln des rechtsgeschäftlichen Akts
1. Willensmängel
a) Gesetzlich geregelte Fälle
aa) Das Fehlen einer Schadensersatzpflicht in den Fällen der §§ 116 S. 2, 117,123 BGB
bb) Die Anordnung der Schadensersatzpflicht in den Fällen der §§ 118–120 BGB
(1) § 118 BGB.
(2) § 119 BGB.
(3) § 120 BGB. § 120 BGB
b) Problemfälle
aa) Die Erklärung ohne Erklärungsbewußtsein
bb) Die »abhanden gekommene« Willenserklärung
cc) Die vorsätzlich falsch übermittelte Willenserklärung
2. Fehlende Vertretungsmacht
3. Dissens
4. Formmängel
a) Haftung wegen einer Aufklärungspflichtverletzung?
aa) Zum gegenwärtigen Stand der Rechtsprechung
bb) Die Unvereinbarkeit der Aufklärungspflicht mit der Vertragsfreiheit
b) Haftung wegen der Abgabe einer formnichtigen Erklärung
aa) Haftungsausschluß als Konsequenz des von der verletzten Formvorschrift bezweckten Schutzes des Erklärenden
bb) Haftungsausschluß bei schuldloser Unkenntnis des Formerfordernisses?
III. Unwirksamkeit wegen fehlender rechtlicher Anerkennungdes Rechtsgeschäftsinhalts
1. Kritik der Rechtsprechung
2. Dogmatische Rekonstruktion als Erklärungshaftung
a) Die Beteiligung an dem unwirksamen Rechtsgeschäft als Haftungsgrund
b) Haftungsausschlußgründe
aa) Unvereinbarkeit der Haftung mit dem Normzweck
bb) Nicht zu vertretende Unkenntnis des Unwirksamkeitsgrundes auf Seiten des Erklärenden?
cc) Kenntnis oder verschuldete Unkenntnis des Unwirksamkeitsgrundes auf Seiten des Erklärungsempfängers
c) Der Umfang der Haftung
IV. Unwirksamkeit wegen der Schutzbedürftigkeitdes Rechtsgeschäftssubjekts
1. Der Schutz des Geschäftsunfähigen
2. Der Schutz des Verbrauchers
3. Zur Abgrenzung: Beschränkungen juristischer Personendes öffentlichen Rechts im rechtsgeschäftlichen Verkehr
§13 Der Schutz des negativen Interesses jenseitsdes Rechtsgeschäfts: Vor- und außervertragliche Selbstbindung
I. Grundlagen
1. Das rechtspolitische Anliegen: Sicherung effizienter außervertraglicher Vertrauensinvestitionen
2. Die rechtssystematische Umsetzung im Vergleich: Die Verantwortlichkeit für das Scheitern der Vertragsanbahnungim Common Law
a) Die Zurückweisung vorvertraglicher Treuepflichten
b) Die deliktische Haftung wegen misrepresentation
c) Die Selbstbindungshaftung aus promissory estoppelim amerikanischen Common Law
aa) »Promise« als Voraussetzung
bb) Der Ersatz des »reliance interest« als Rechtsfolge
II. Die Haftung für das Scheitern der Vertragsanbahnung
1. Kritik der Rechtsprechung im Licht der Schuldrechtsreform
a) Die zweispurige Haftungsbegründung im Rahmen der c.i.c.
b) Einwände und Erklärungsansätze im Schrifttum
c) Die Kodifikation der c.i.c. als Herausforderung an die Rechtsprechung
2. Dogmatische Rekonstruktion als Haftung für vorvertragliche Selbstbindungstatbestände
a) Die Begründung der Haftung
aa) Verhandlungsäußerungen als vorvertragliche Selbstbindung
bb) Anforderungen an die Selbstbindung
cc) Grenzen der Selbstbindung
dd) Sonderbehandlung des Abbruchs von Verhandlungen über formbedürftige Verträge?
b) Der Umfang der Haftung
aa) Ausschließlicher Schutz des negativen Interesses
bb) Haftungsgrenzen
III. Die Haftung für nicht erwartungsgerechte Verträge oder Leistungen: Das Beispiel des Sachkaufs
1. Die bisherige Rechtsprechung zur Verkäuferhaftung
2. Dogmatische Rekonstruktion im Rahmen des neuen Schuldrechts
a) Ausgangspunkt
b) Heteronom begründete Pflichten im vorvertraglichen Schuldverhältnis
c) Autonom begründete Pflichten im vorvertraglichen Schuldverhältnis
d) Das Verhältnis der c.i.c. zur vertraglichen Haftung des Verkäufers
aa) Die Einordnung der Fragestellung als Konkurrenzproblem
bb) Die Differenzierung zwischen heteronom und autonom begründeter Haftung als Lösung
3. Ausblick
IV. Dritthaftung: Das Beispiel des Sachverständigengutachtens
1. Die bisherige Rechtsprechung zur Gutachterhaftung
2. Dogmatische Rekonstruktion im Rahmen des neuen Schuldrechts
a) Vom Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritterzur außervertraglichen Selbstbindung
aa) Dritthaftung oder Drittberechtigung?
bb) Quasi-vertragliche oder quasi-deliktische Haftung?
b) Folgefragen
aa) Anforderungen an den Selbstbindungstatbestand
bb) Die Bestimmung des Kreises der Anspruchsberechtigten
cc) Möglichkeiten und Grenzen der Freizeichnung
§14 Ergebnisse des zweiten Teils
Literatur
Sachverzeichnis
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Der Schutz des negativen Interesses: Zur Verknüpfung von Selbstbindung und Sanktion im Privatrecht
 9783161511998, 9783161488238

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JUS PRIVAT UM Beiträge zum Privatrecht Band 122

Thomas Ackermann

Der Schutz des negativen Interesses Zur Verknüpfung von Selbstbindung und Sanktion im Privatrecht

Mohr Siebeck

Thomas Ackermann, geboren 1966, Studium in Bonn und Cambridge, 1997 Promotion und 2004 Habilitation an der Universität Bonn, seit 2004 Ordinarius an der Universität Erlangen-Nürnberg.

Gedruckt mit Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG WORT. e-ISBN PDF 978-3-16-151199-8 ISBN 978-3-16-148823-8 ISSN 0940-9610 (Jus Privatum) Die deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2007 Mohr Siebeck Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfi lmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde-Druck in Tübingen aus der Garamond-Antiqua gesetzt, auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden.

Vorwort Diese Arbeit wurde im Sommersemester 2004 von der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bonn als Habilitationsschrift angenommen. Ihr Anliegen, privatrechtliche Systembildung so zu betreiben, daß darin die Legitimität dieses Rechtsgebiets in einer Gesellschaft deutlich wird, die weder durch dessen antike Herkunft noch durch dessen naturrechtliche Überhöhung zu beeindrucken ist, beschäftigt mich nach wie vor. Zweifel an der Richtigkeit einiger Überlegungen haben mich zunächst mit der Veröffentlichung zögern lassen. Allerdings ist in den großen Fragen dieser Untersuchung mehr Gewißheit wohl nicht zu haben. Irrtümer in der einen oder anderen kleineren Frage dürften meinen Versuch, zur Entwicklung einer theoretisch reflektierten Zivilrechtsdogmatik beizutragen, nicht völlig entwerten. Für die Publikation, die ich vor diesem Hintergrund wage, habe ich die wichtigsten Entwicklungen in Wissenschaft und Rechtsprechung seit 2004 ohne Anspruch auf Vollständigkeit nachgetragen. Ohnehin ist diese Arbeit nicht darauf angelegt, sich das Prädikat einer umfassenden Materialaufbereitung zu verdienen, sondern auf die Begründung und Durchführung einer These, die – auch dem eiligen Leser des Vorworts leicht zugänglich – gleich auf der ersten Seite der Einleitung zu finden ist. Die Anfertigung dieser Studie war mir nur möglich, weil mir mein verehrter Lehrer, Herr Prof. Dr. Wulf-Henning Roth, LL.M., während meiner Assistentenjahre größtmögliche Freiheit gewährte. Hierfür bin ich ihm überaus dankbar. Auch wenn Thema und Stil der Arbeit sie nicht als Werk seiner Schule ausweisen, ist sie durch sein Vorbild geprägt. Dank schulde ich darüber hinaus Herrn Prof. Dr. Gerhard Wagner, LL.M., für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens, das mir wertvolle Hinweise gegeben hat. Einschließen in meinen Dank möchte ich auch meine früheren Kolleginnen und Kollegen am Institut für Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung der Universität Bonn sowie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter meines Lehrstuhls an der Universität Erlangen, welche die Mühe auf sich genommen haben, das Sachverzeichnis anzufertigen. Nicht zuletzt möchte ich meinen Eltern, Ursula und Karl Hans Ackermann, herzlich dafür danken, daß sie meine wissenschaftlichen Lehrjahre mit großer Geduld und mehr Vertrauen begleitet haben, als gerechtfertigt war. Gewidmet ist dieses Buch meiner Frau Dr. Sonja Ackermann, M.Jur., die mich es nie zu wichtig nehmen ließ. Erlangen, im März 2007

Thomas Ackermann

Inhaltsübersicht § 1 Problemaufriß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

Erster Teil

Rechtspolitische Grundlagen § 2 Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 3 Die Theorie der Haftung auf das negative Interesse in den Traditionen Jherings und Fullers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 4 Die Legitimation privatrechtlicher Selbstbindung: Vom Abbild des Versprechens zum Instrument der Freiheitssicherung . . . . . . . . § 5 Die Schutzwürdigkeit des negativen Interesses . . . . . . . . . . . . § 6 Der Schutz des negativen Interesses in Abgrenzung zum Schutz des positiven Interesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 7 Der Schutz des negativen Interesses in Abgrenzung zum Verzicht auf privatrechtlichen Erwartungsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . § 8 Ergebnisse des ersten Teils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

.

23

.

25

. .

64 138

.

174

. .

201 244

§ 9 Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 10 Umfang und Grenzen der Ersatzfähigkeit des negativen Interesses . . § 11 Der Schutz des negativen Interesses bei wirksamen obligatorischen Rechtsgeschäften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 12 Der Schutz des negativen Interesses bei unwirksamen obligatorischen Rechtsgeschäften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 13 Der Schutz des negativen Interesses jenseits des Rechtsgeschäfts: Vor- und außervertragliche Selbstbindung . . . . . . . . . . . . . . . § 14 Ergebnisse des zweiten Teils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

251 252

487 546

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

551 575

Zweiter Teil

Rechtssystematische Umsetzung

349 433

Inhaltsverzeichnis § 1 Problemaufriß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

I. Zum Anliegen der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

1. Dogmatische Bruchstellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtsgeschäftliche Haftung und der Schutz des Erfüllungsinteresses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gesetzliche Haftung und der Schutz des Vertrauensinteresses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Privatrechtstheoretische Defizite . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vorgehensweise: Von der Politik zum System der Haftung auf das negative Interesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2

10

II. Zur Abgrenzung des Untersuchungsgegenstands . . . . . . . . .

11

III. Zur Präzisierung der Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . .

17

2 5 8

Erster Teil

Rechtspolitische Grundlagen § 2 Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

23

§ 3 Die Theorie der Haftung auf das negative Interesse in den Traditionen Jherings und Fullers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

25

I. Jherings Lehre und ihre wissenschaftliche Weiterentwicklung: Die außervertragliche Konzeption der Haftung auf das negative Interesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

26

1. Jherings culpa in contrahendo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die »empfindliche Lücke« im Haftungsrecht und das Willensdogma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Jherings Verständnis der Haftung auf das negative Interesse 2. Zur Rezeption Jherings . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die gemeinrechtliche Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Erklärungstheorie Bährs . . . . . . . . . . . . . . . bb) Windscheids Rekurs auf die bona fides . . . . . . . . . .

26 27 32 35 35 35 37

X

Inhaltsverzeichnis

b) Die Entwicklung unter dem BGB . . . . . . . . . . . . . . .

40

II. Fullers Lehre und ihre wissenschaftliche Weiterentwicklung: Die vertragsimmanente Konzeption der Haftung auf das negative Interesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

44

1. Fullers »reliance interest« als Maßstab für den vertraglichen Schadensersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das klassische amerikanische Vertragsrecht bei Holmes und Williston . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die »objektive Willenstheorie« . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Bargain-Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Fullers Gegenentwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Implikationen des Willensprinzips für das Sanktionsproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Der Versuch einer »ökonomisch-juristischen« Lösung des Sanktionsproblems . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zur Rezeption Fullers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) »Socio-legal studies«: Vertragsbruchsanktionen als Instrumente zur Verwirklichung gesamtgesellschaftlicher Ziele. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ökonomische Analyse des Rechts: Vertragsbruchsanktionen als Anreize zu effizientem Verhalten . . . . . . .

44 45 45 47 49 51 53 56

57 59

III. Folgerungen für das weitere Vorgehen. . . . . . . . . . . . . . . .

61

§ 4 Die Legitimation privatrechtlicher Selbstbindung: Vom Abbild des Versprechens zum Instrument der Freiheitssicherung . . . . . . . . . .

64

I. Vorüberlegung: Das formale Muster autonomer Bindung . . . . .

65

II. Von der versprechensethischen zur funktionalistischen Sicht privatrechtlicher Selbstbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

68

1. Die Dominanz versprechensethischer Tendenzen in den Rechtsgeschäftskonzepten der jüngeren deutschsprachigen Zivilrechtswissenschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Varianten subjektivierender Rechtsgeschäftslehren . . . . aa) Zur Aktualität des Willensprinzips in der deutschen Dogmatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Die Geltungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Die Lehre Flumes . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Neuere Varianten willenstheoretisch orientierter Lehren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die versprechensethische Legitimitation der Rechtsgeschäftslehre als Hintergrund . . . . . . .

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69 70

. . .

70 71 72

.

73

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74

Inhaltsverzeichnis

XI

b) Varianten objektivierender Rechtsgeschäftslehren . . . . . . aa) Versprechensethisch vermittelte Legitimität: Normativierung oder Ergänzung des Selbstbestimmungsgedankens . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Normativierung der Selbstbestimmung . . . . . . . (2) Ergänzung der Selbstbestimmung . . . . . . . . . . bb) Funktionalistisch vermittelte Legitimität: Die Lehre von der sozialen Selbstbindung . . . . . . . . . . . . . . (1) Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Überwindung der versprechensethischen Legitimation privatrechtlicher Selbstbindung in der neuzeitlichen Rechtsphilosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das Grundproblem: Legitimation privatrechtlicher Selbstbindung in einer pluralistischen Gesellschaft . . . . . b) Vertragliche Bindung kraft Teilhabe an göttlicher Vernunft (Grotius) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Vertragliche Bindung als Konsequenz des Postulats der praktischen Vernunft (Kant) . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Unzulänglichkeit des kategorischen Imperativs zur Begründung der Verbindlichkeit von Verträgen. . . . . (1) Das Sittengesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Das Rechtsgesetz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die ergänzende Heranziehung des Vernunftpostulats . cc) Folgerungen für die Lösung des Legitimationsproblems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Vertragliche Bindung als wechselseitige Anerkennung von Eigentümern (Hegel) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Der Vertrag als Teil des abstrakten Rechts . . . . . . . . (1) Die Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Das Eigentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Der Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Folgerungen für die Lösung des Legitimationsproblems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Die Politik privatrechtlicher Selbstbindung nach dem Ende der versprechensethischen Legitimation . . . . . . . . . . . aa) Abschied vom privatrechtlichen Moralismus . . . . . . bb) Hinwendung zum privatrechtlichen Funktionalismus

78

79 79 81 83 83 85 87

88 88 89 91 92 92 94 95 97 100 101 101 102 103 105 107 107 107

III. Die privatrechtliche Selbstbindung als Instrument der Freiheitssicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

110

1. Stabilisierungsleistung und Freiheitsgedanke . . . . . . . . . .

110

XII

Inhaltsverzeichnis

2. Markt und privatrechtliche Selbstbindung . . . . . . . . . . . . a) Freiheitssicherung durch die soziale Institution »Markt« . . b) Die auf Märkten agierende Person als homo oeconomicus . c) Die privatrechtliche Selbstbindung als Lösung des Kooperationsproblems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Anreizfunktion privatrechtlicher Selbstbindung . . bb) Alternative Sanktionen für Selbstbindungstatbestände. cc) Alternative Lösungen des Kooperationsproblems . . . 3. Selbstbindung jenseits des Marktes . . . . . . . . . . . . . . . . a) Erscheinungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Selbstbindung im Kontext familiärer, affektiver oder geselliger Beziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Selbstbindung im Kontext staatlicher Steuerung . . . . b) Theoretische Einbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Übertragbarkeit einer marktfunktionalen Selbstbindungskonzeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Positive Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Normative Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die marktbezogene Selbstbindung als Leitbild für das Privatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zur Vereinbarkeit des hiesigen Ansatzes mit den Vorgaben des Grundgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das Menschenbild des Grundgesetzes . . . . . . . . . . . . b) Die verfassungsrechtliche Gewährleistung der Privatautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

112 112 114 117 117 120 121 123 123 124 126 129 129 130 130 132 133 133 134

IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

136

§ 5 Die Schutzwürdigkeit des negativen Interesses . . . . . . . . . . . . .

138

I. Die Steuerung der Produktion normativer Erwartungen als Aufgabe des Haftungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

138

II. Zur Ökonomik des Versprechens: Schadensrisiko und Schadensvermeidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

141

1. Kosten und Nutzen des Versprechens für den Versprechensempfänger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Schadensvermeidung durch den Versprechenden und durch den Versprechensempfänger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Effizienz der Schadensvermeidung . . . . . . . . . . . . . . . .

141 144 146

III. Die Legitimation der Haftung auf das negative Interesse . . . . .

149

1. Das Problem adverser Selektion . . . . . . . . . . . . . . . . . .

149

XIII

Inhaltsverzeichnis

a) Informationsasymmetrie als Ursache . . . . . . . . . . . . . b) Marktversagen als Folge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Haftungsrechtliche Anreize als Lösung . . . . . . . . . . . . . a) Haftungsbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Arglisthaftung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Verschuldens- oder Garantiehaftung? . . . . . . . . . . b) Haftungsbegrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Kenntnis oder Erkennbarkeit des Nichterfüllungsrisikos für den Versprechensempfänger . . . . . . . . . bb) Fehlende Erkennbarkeit der Vertrauenskosten für den Versprechenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Ineffiziente Vertrauensinvestitionen . . . . . . . . . . . 3. Vertrauenskosten und negatives Interesse . . . . . . . . . . . .

150 152 153 154 155 156 158 158 159 160 164

IV. Vom Versprechen zur Produktion zurechenbarer normativer Erwartungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

166

1. Normativitätsstiftendes Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Zurechnung normativer Erwartungen . . . . . . . . . . . .

167 170

V. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

173

§ 6 Der Schutz des negativen Interesses in Abgrenzung zum Schutz des positiven Interesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

174

I. Die Relevanz der Unterscheidung zwischen negativem und positivem Interesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

174

II. Die Überlegenheit der Sanktionen zum Schutz des positiven Interesses im »Grundfall« vertraglicher Leistungsbeziehungen 1. Anreize im Stadium der Vertragserfüllung . . . . . . . a) Effiziente Erfüllungsentscheidung des Schuldners . b) Effiziente Investitionsentscheidung des Schuldners c) Effiziente Investitionsentscheidung des Gläubigers 2. Anreize im Stadium des Vertragsabschlusses . . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

176 . . . . .

178 179 181 183 184

III. Die Erforderlichkeit der Haftung auf das negative Interesse als Sanktion für Selbstbindungstatbestände . . . . . . . . . . . . . .

186

1. Unterkompensation des Gläubigers durch den Ersatz des positiven Interesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Übermäßige Belastung des Schuldners durch den Ersatz des positiven Interesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Drosselung normativitätsstiftenden Verhaltens . . . . . . b) Unangebrachter Erfüllungsanreiz . . . . . . . . . . . . . .

.

187

. . .

191 191 196

XIV

Inhaltsverzeichnis

aa) Ineffizienz wegen externer Kosten . . . . . . . . . . . . bb) Ineffizienz wegen Fehlsteuerung der Parteien. . . . . .

197 198

IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

200

§ 7 Der Schutz des negativen Interesses in Abgrenzung zum Verzicht auf privatrechtlichen Erwartungsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

201

I. Die Unterscheidung zwischen marktförmiger und nicht marktförmiger Kooperation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

201

II. Normativitätsstiftendes Verhalten im zeitlichen Kontext der Vertragsanbahnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

204

1. Die Erforderlichkeit vorvertraglichen Erwartungsschutzes . . a) Zur Effizienz vorvertraglicher Vertrauensinvestitionen . . . b) Fehlende Haftung als »penalty default rule« . . . . . . . . . 2. Möglichkeiten vorvertraglichen Erwartungsschutzes . . . . . . a) Der Schutz des positiven Interesses durch vorkonsensuale rechtsgeschäftliche Bindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Schutz des negativen Interesses durch außerrechtsgeschäftliche Abbruchshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Erwartungsschutz aufgrund heterenomer Bindung des anderen Teils: Haftungsrechtliche Verlagerung des Investitionsrisikos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Erwartungsschutz aufgrund autonomer Bindung des anderen Teils: Normativitätsstiftende Verhandlungsäußerungen als Haftungsgrund . . . . . . . . . . . . . . 3. Vom nicht abgeschlossenen zum nicht erwartungsgerechten Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Normativitätsstiftendes Verhalten im sozialen Kontext außerrechtlicher Sanktionsmechanismen . . . . . . . . . . . . . . 1. Erscheinungsformen außerrechtlicher Kooperationssicherung a) Das Gewissen als moralischer Steuerungsmechanismus. . . b) Die sich selbst durchsetzende Kooperation als sozialer Steuerungsmechanismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Theoretische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Tatsächliche Verbreitung . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Verhältnis der privatrechtlichen zur außerrechtlichen Kooperationssicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

206 206 207 210 211 212

212

215 218 221 222 222 223 224 228 232

XV

Inhaltsverzeichnis

a) Sanktionsauswahl bei sich selbst durchsetzender Kooperation im »Grundfall« vertraglicher Leistungsbeziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Anreize für den Schuldner . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Anreize für den Gläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . b) Folgerungen für die Formulierung privatrechtlicher Selbstbindungstatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Probleme der Bezifferung außerrechtlicher Sanktionen bb) Probleme der Wirksamkeit außerrechtlicher Sanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

233 234 236 238 238 241

IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

243

§ 8 Ergebnisse des ersten Teils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

244

Zweiter Teil

Rechtssystematische Umsetzung § 9 Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

251

§ 10 Umfang und Grenzen der Ersatzfähigkeit des negativen Interesses . .

252

I. Grundlagen der Bestimmung des Vertrauensschadens . . . . . . .

253

1. Ziel und Mittel der Ersatzleistung. . . . . . . . . . . . . . . . a) Das Ziel der Ersatzleistung: Die Herbeiführung des gegenwärtigen hypothetischen Zustands ohne Schadensereignis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Art und Weise der Ersatzleistung . . . . . . . . . . . . aa) Geldentschädigung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Naturalrestitution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Schadenszurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Äquivalente Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Schutzzweckzusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Adäquater Zusammenhang? . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Fragen der Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Ursächlichkeit der Erklärung des Schuldners für die Vertrauensdisposition des Gläubigers . . . . . . . . . . . . aa) Beweismaßreduzierung nach § 287 ZPO . . . . . . . . bb) Anscheinsbeweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Beweislastumkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Hypothetischer Gewinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Hypothetischer Verlust . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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254

. . . . . . . . .

254 258 258 261 264 265 266 270 272

. . . . . .

272 273 275 276 277 279

XVI

Inhaltsverzeichnis

II. Einzelne Schadenspositionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

279

1. Nutzlose Aufwendungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Aufwendungen nach Vertragsschluß . . . . . . . . . . . . . aa) Aufwendungen im notwendigen Zusammenhang mit einem vertraglichen Leistungsaustausch . . . . . . . . . bb) Sonstige im Vertrauen auf den Erhalt der Leistung getätigte Aufwendungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Aufwendungen anläßlich des Vertragsschlusses . . . . . . . c) Aufwendungen vor Vertragsschluß . . . . . . . . . . . . . . aa) Divergenzen im Common Law . . . . . . . . . . . . . . bb) Nutzlose vorvertragliche Aufwendungen als Teil des negativen Interesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Zur Abgrenzung: Nutzlose vorvertragliche Aufwendungen als Bemessungsgrundlage für das positive Interesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Entgangener Gewinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Vereinbarkeit des Gewinnersatzes mit dem Schutzzweck der Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das Verhältnis des Gewinnersatzes zum Aufwendungsersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Aufhebung und Rückabwicklung nicht erwartungsgerechter Verträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die bisherige Diskussion im Licht der Schuldrechtsreform . aa) Die Kodifikation der c.i.c. . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Zur Bedeutung der §§ 282, 324 BGB . . . . . . . . . . . b) Das Verhältnis der schadensrechtlichen Vertragsaufhebung und -rückabwicklung zur Anfechtungsregelung . . . . . . . 4. Anpassung nicht erwartungsgerechter Verträge . . . . . . . . . a) Die Vertragsanpassung als Ersatz des negativen Interesses . b) Der Ersatz des »positiven Schadens« in Gestalt der Wertdifferenz zwischen Leistung und Gegenleistung . . . . . . . c) Der Ersatz des entgangenen Gewinns in Gestalt der Differenz zwischen tatsächlichem und hypothetischem Ertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

280 281 282 285 289 292 292 293

296 297 297 301 303 304 305 307 308 312 314 317

320

III. Grenzen der Schadensersatzpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . .

322

1. Die Begrenzung auf den Betrag des positiven Interesses . . . . a) Die Begrenzung als Ausdruck des Schutzzwecks der Norm b) Der Betrag des positiven Interesses . . . . . . . . . . . . . . c) Der hypothetische Schutz des positiven Interesses. . . . . . 2. Der Ausschluß bei Kenntnis oder Kennenmüssen . . . . . . . .

323 323 325 328 331

XVII

Inhaltsverzeichnis

a) Haftungsausschluß bei Verschulden des Erklärenden? . . . b) Haftungssausschluß bei Veranlassung des Mangels durch den Erklärungsempfänger? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Berücksichtigung des Mitverschuldens nach § 254 II 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Obliegenheit zur Schadensabwendung oder -minderung b) Die Obliegenheit zur Warnung . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Schadenstragung bei beidseitig fehlender Vorhersehbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Der für die Beurteilung der Warnobliegenheit relevante Zeitpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Zur Konkretisierung der Warnobliegenheit . . . . . . . 4. Die Begrenzung nach Maßgabe der Angemessenheit in § 1298 II BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

333 334 336 337 339 340 342 344 346

§ 11 Der Schutz des negativen Interesses bei wirksamen obligatorischen Rechtsgeschäften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

349

I. Grundlagen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

350

1. Das rechtspolitische Anliegen: Vermeidung ineffizienter Unterkompensation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die rechtssystematische Umsetzung im Vergleich . . . . . . a) Früheres deutschen Schuldrecht . . . . . . . . . . . . . . aa) Das Fehlen einer gesetzlichen Grundlage für den Ausgleich des negativen Interesses . . . . . . . . . . bb) Ausgleich des Kompensationsdefizits durch die Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Common Law . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Der Erfolg des »reliance interest«: Praktische Notwendigkeit oder theoretische Überzeugungskraft? . bb) Folgeprobleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Internationale Vertragsrechtsvereinheitlichung . . . . . aa) UN-Kaufrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Einheitsvertragsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . .

350 351 351

. .

351

. . . .

353 356

. . . . .

. . . . .

357 359 362 362 364

II. Die systematische Einordnung von § 284 BGB . . . . . . . . . . .

367

1. Ergänzung der Rentabilitätsvermutung bei immateriellem Leistungsinteresse? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ersatz des positiven Interesses nach Maßgabe der Frustrationslehre? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Einwände im Hinblick auf § 284 BGB . . . . . . . . . . . . . aa) Nichtanwendbarkeit auf deliktische Ansprüche . . . .

369 372 374 374

XVIII

Inhaltsverzeichnis

bb) Beschränkung auf den Ersatz von Aufwendungen, die im Vertrauen auf den Leistungserhalt getätigt wurden . cc) Anknüpfung an die Voraussetzungen des Schadensersatzes statt der Leistung . . . . . . . . . . . b) Allgemeine Einwände gegen die Frustrationslehre . . . . . . 3. Partieller Ersatz des negativen Interesses . . . . . . . . . . . . . a) Vorzüge im Vergleich zur Frustrationslehre . . . . . . . . . b) Einwände im Hinblick auf § 284 BGB . . . . . . . . . . . . . aa) Beschränkung auf den Aufwendungsersatz . . . . . . . (1) Die Begründung der Beschränkung im Regierungsentwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Die Erforderlichkeit und Zulässigkeit einer Analogie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Anwendbarkeit bei Vorliegen der §§ 281, 282 oder 283 BGB. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Unabhängigkeit vom Vorliegen einer rechtsgeschäftlichen Leistungspfl icht . . . . . . . . . . . . . . dd) Unabhängigkeit vom Rücktritt . . . . . . . . . . . . . . ee) Anwendbarkeit anstelle des »kleinen« Schadensersatzes ff) Fehlende Begrenzung auf das positive Interesse. . . . . 4. Die systematische Einordnung in der Gesamtschau . . . . . . . III. Der Ersatz des negativen Interesses auf der Grundlage von § 284 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Komplementarität zum Ersatz des positiven Interesses . . a) Ersatz des negativen Interesses anstelle des Schadensersatzes statt der Leistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Anknüpfung an die Voraussetzungen des Schadensersatzes statt der Leistung . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Alternativität zum Schadensersatz statt der Leistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Kombination mit dem Teilersatz des leistungsbezogenen positiven Interesses . . . . . . . . . . . . (2) Kombination mit dem Ersatz des leistungsübersteigenden positiven Interesses . . . . . . . . . b) Ersatz des negativen Interesses anstelle des leistungsergänzenden Schadensersatzes? . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ersatz des negativen Interesses bei fehlendem Schutz des positiven Interesses? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Nicht zu vertretende nachträgliche Leistungshindernisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Schuldlos verkannte anfängliche Leistungshindernisse 2. Der ersatzfähige Vertrauensschaden . . . . . . . . . . . . . . .

376 378 380 382 383 385 385 386 388 391 392 395 398 399 400 402 402 402 402 403 405 407 408 411 411 412 415

XIX

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a) Aufwendungen im Vertrauen auf den Erhalt der Leistung b) Insbesondere: Die Gegenleistung und Verwendungen auf das Leistungsobjekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Der entgangene Gewinn aus einem Alternativgeschäft . . d) Sonstige Schäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der Einwand der Zweckverfehlung aus anderem Grund . . . a) Beweislast und Beweismaß . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zur Abgrenzung: Der Beweis des Aufwendungszwecks . c) Die entsprechende Begrenzung der Ersatzfähigkeit entgangenen Gewinns aus einem Alternativgeschäft . . . 4. Die Billigkeitsgrenze und der Mitverschuldenseinwand . . . a) Billigkeit als Angemessenheit? . . . . . . . . . . . . . . . . b) Billigkeit als Vorhersehbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . c) Sonstige Fälle des Mitverschuldens . . . . . . . . . . . . .

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416 420 420 421 422 423

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424 426 427 428 430

§ 12 Der Schutz des negativen Interesses bei unwirksamen obligatorischen Rechtsgeschäften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

433

I. Grundlagen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

434

1. Das rechtspolitische Anliegen: Beseitigung des Erfüllungsanreizes bei gleichzeitiger Steuerung der Versprechensabgabe . 2. Die rechtssystematische Umsetzung im Vergleich . . . . . . . . a) Das BGB in seiner ursprünglichen Fassung . . . . . . . . . aa) Der Anwendungsbereich der Haftung auf das negative Interesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Voraussetzungen der Haftung auf das negative Interesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Common Law . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Zur Behandlung der im Vorfeld des BGB diskutierten Fälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Der auf das negative Interesse reduzierte Schutz des Gläubigers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Internationale Vertragsrechtsvereinheitlichung . . . . . . .

444 448

II. Unwirksamkeit wegen Mängeln des rechtsgeschäftlichen Akts . .

450

1. Willensmängel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gesetzlich geregelte Fälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Das Fehlen einer Schadensersatzpflicht in den Fällen der §§ 116 S. 2, 117, 123 BGB. . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Anordnung der Schadensersatzpflicht in den Fällen der §§ 118–120 BGB . . . . . . . . . . . . . . . (1) § 118 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) § 119 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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451 451

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434 436 436 437 439 442 442

XX

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(2) § 120 BGB. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Problemfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Erklärung ohne Erklärungsbewußtsein . . . . . . . bb) Die »abhanden gekommene« Willenserklärung . . . . . cc) Die vorsätzlich falsch übermittelte Willenserklärung . 2. Fehlende Vertretungsmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Dissens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Formmängel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Haftung wegen einer Aufklärungspflichtverletzung? . . . . aa) Zum gegenwärtigen Stand der Rechtsprechung . . . . . bb) Die Unvereinbarkeit der Aufklärungspflicht mit der Vertragsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Haftung wegen der Abgabe einer formnichtigen Erklärung aa) Haftungsausschluß als Konsequenz des von der verletzten Formvorschrift bezweckten Schutzes des Erklärenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Haftungsausschluß bei schuldloser Unkenntnis des Formerfordernisses? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Unwirksamkeit wegen fehlender rechtlicher Anerkennung des Rechtsgeschäftsinhalts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kritik der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Dogmatische Rekonstruktion als Erklärungshaftung . . . . . . a) Die Beteiligung an dem unwirksamen Rechtsgeschäft als Haftungsgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Haftungsausschlußgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Unvereinbarkeit der Haftung mit dem Normzweck . . bb) Nicht zu vertretende Unkenntnis des Unwirksamkeitsgrundes auf Seiten des Erklärenden? . . . . . . . . cc) Kenntnis oder verschuldete Unkenntnis des Unwirksamkeitsgrundes auf Seiten des Erklärungsempfängers c) Der Umfang der Haftung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Unwirksamkeit wegen der Schutzbedürftigkeit des Rechtsgeschäftssubjekts. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Schutz des Geschäftsunfähigen. . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Schutz des Verbrauchers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zur Abgrenzung: Beschränkungen juristischer Personen des öffentlichen Rechts im rechtsgeschäftlichen Verkehr . . . . . .

454 456 456 458 460 460 462 463 463 463 466 468

470 473 475 475 477 477 478 478 479 480 481 483 483 484 485

XXI

Inhaltsverzeichnis

§ 13 Der Schutz des negativen Interesses jenseits des Rechtsgeschäfts: Vor- und außervertragliche Selbstbindung . . . . . . . . . . . . . . . .

487

I. Grundlagen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1. Das rechtspolitische Anliegen: Sicherung effizienter außervertraglicher Vertrauensinvestitionen . . . . . . . . . . 2. Die rechtssystematische Umsetzung im Vergleich: Die Verantwortlichkeit für das Scheitern der Vertragsanbahnung im Common Law . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Zurückweisung vorvertraglicher Treuepflichten . . . b) Die deliktische Haftung wegen misrepresentation . . . . . c) Die Selbstbindungshaftung aus promissory estoppel im amerikanischen Common Law. . . . . . . . . . . . . . . . aa) »Promise« als Voraussetzung . . . . . . . . . . . . . . bb) Der Ersatz des »reliance interest« als Rechtsfolge . . .

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490 492 493

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II. Die Haftung für das Scheitern der Vertragsanbahnung . . . . . .

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1. Kritik der Rechtsprechung im Licht der Schuldrechtsreform. . a) Die zweispurige Haftungsbegründung im Rahmen der c.i.c. b) Einwände und Erklärungsansätze im Schrifttum . . . . . . c) Die Kodifikation der c.i.c. als Herausforderung an die Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Dogmatische Rekonstruktion als Haftung für vorvertragliche Selbstbindungstatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Begründung der Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Verhandlungsäußerungen als vorvertragliche Selbstbindung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Anforderungen an die Selbstbindung . . . . . . . . . . cc) Grenzen der Selbstbindung . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Sonderbehandlung des Abbruchs von Verhandlungen über formbedürftige Verträge? . . . . . . . . . . . . . . b) Der Umfang der Haftung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Ausschließlicher Schutz des negativen Interesses . . . . bb) Haftungsgrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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III. Die Haftung für nicht erwartungsgerechte Verträge oder Leistungen: Das Beispiel des Sachkaufs . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die bisherige Rechtsprechung zur Verkäuferhaftung . . . 2. Dogmatische Rekonstruktion im Rahmen des neuen Schuldrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Heteronom begründete Pflichten im vorvertraglichen Schuldverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

506 508 508 508 510 514 516 517 517 520 521

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XXII

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c) Autonom begründete Pflichten im vorvertraglichen Schuldverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Das Verhältnis der c.i.c. zur vertraglichen Haftung des Verkäufers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Einordnung der Fragestellung als Konkurrenzproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Differenzierung zwischen heteronom und autonom begründeter Haftung als Lösung . . . . . . . . . . . . . 3. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Dritthaftung: Das Beispiel des Sachverständigengutachtens . . . 1. Die bisherige Rechtsprechung zur Gutachterhaftung . . . . . 2. Dogmatische Rekonstruktion im Rahmen des neuen Schuldrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vom Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter zur außervertraglichen Selbstbindung. . . . . . . . . . . . . . aa) Dritthaftung oder Drittberechtigung? . . . . . . . . . bb) Quasi-vertragliche oder quasi-deliktische Haftung? . b) Folgefragen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Anforderungen an den Selbstbindungstatbestand . . bb) Die Bestimmung des Kreises der Anspruchsberechtigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Möglichkeiten und Grenzen der Freizeichnung . . . .

529 531 532 533 535 535

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§ 14 Ergebnisse des zweiten Teils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

551 575

§ 1 Problemaufriß I. Zum Anliegen der Untersuchung Wer sich vergeblich auf die Einhaltung eines ihm gegebenen Worts verlassen hat, kann auf zweierlei Weise schadlos gestellt werden: Einerseits mag dem Geschädigten, wie Friedrich Mommsen mit Blick auf das vertragliche Versprechen einer unmöglichen Leistung formuliert hat, dasjenige gewährt werden, »was er durch das Geschäft erworben hätte. Es ist dies das Interesse, welches der Gläubiger an der Erfüllung des Contracts hatte, wenn das der Erfüllung entgegenstehende Hinderniß nicht vorhanden gewesen wäre.« Andererseits kann der Schaden erstattet werden, »welchen der Gläubiger dadurch erlitten hat, daß von dem Geschäft überhaupt die Rede gewesen ist: das Interesse, welches der Gläubiger daran hatte, über die wahre Beschaffenheit der Leistung nicht getäuscht zu sein«1. Im Anschluß an Jhering 2 wird ersteres, das Erfüllungsinteresse, auch das positive und letzteres, das Vertrauensinteresse, auch das negative genannt. Vor die Entscheidung gestellt, welches von ihnen geschützt werden sollte, wenn ein Vertrag gebrochen wird, neigt man ohne weiteres dem positiven Interesse zu: Weil der Schuldner sein Wort zu halten hat, soll er, wenn er schon nicht gezwungen wird, die versprochene Leistung zu erbringen, zumindest dafür sorgen, daß der Gläubiger in die Vermögenslage versetzt wird, in der er sich aufgrund der Leistung befände. Den Ersatz des negativen Interesses zu gewähren, fällt dagegen schwerer: Es ist auf den ersten Blick nicht recht einzusehen, warum der Gläubiger nur aufgrund des ihm gegebenen Leistungsversprechens das Recht haben sollte, so gestellt zu werden, als ob ihm das Versprechen nicht gegeben worden wäre. Schließlich ist dem Gläubiger nur die Leistung und nicht das Ausbleiben eines Vertrauensschadens versprochen worden. Die Haftung auf das negative Interesse stellt man sich daher nicht als Haftung aufgrund des bloßen Versprechens, sondern als Haftung aufgrund eines davon zu unterscheidenden Fehlverhaltens vor, das dem Schuldner vor oder bei Abgabe seiner Erklärung unterlaufen ist. Die vorliegende Arbeit versucht zu zeigen, daß es sich gerade nicht so verhält: Die Haftung auf das negative Interesse

1 Mommsen, Unmöglichkeit, S. 107. Der Sache nach ist die Unterscheidung, wie auch Mommsen anführt, bereits bei Savigny, System III, § 138 Anm. d (S. 294 f.), anzutreffen. 2 Jhering, Jher.Jb. 4 (1861), 1, 16, der von positivem und negativem »Vertragsinteresse« spricht.

2

§ 1 Problemaufriß

wird hier als Sanktion für – vertragliche und außervertragliche – Selbstbindungstatbestände entwickelt werden.

1. Dogmatische Bruchstellen Wenn damit eine rechtsdogmatisch verfestigte Intuition in Frage gestellt wird, so geschieht dies in der Hoffnung, daß eine veränderte Sicht der Verknüpfung von Selbstbindung und Sanktion Problemlösungen besser verstehen oder überhaupt erst akzeptieren hilft, die, obwohl sie offenbar sachgerecht sind, in ein von der konventionellen Auffassung geprägtes Haftungssystem nicht ohne weiteres passen. Die Selbstverständlichkeit, mit der man zum einen die Verletzung vertraglicher Leistungspflichten (abgesehen von der Pfl icht zur Naturalerfüllung) mit der Haftung auf das positive Interesse sanktioniert und zum anderen die Haftung auf das negative Interesse auf einen im Vertrauen, im Verkehrsinteresse oder schlicht im »Gesetz«, aber nicht in der Selbstbindung wurzelnden Tatbestand stützt, kann nämlich durchaus Anstoß erregen. Der Anfangsverdacht, der mich dazu veranlaßt hat, von dieser Unterscheidung abzugehen und ein anderes Verständnis der Haftung auf das negative Interesse zu erproben, sei anhand von zwei Bruchstellen der gegenwärtigen Dogmatik des deutschen Zivilrechts substantiiert. a) Rechtsgeschäftliche Haftung und der Schutz des Erfüllungsinteresses Die erste Bruchstelle zeigt sich in der Verknüpfung der rechtsgeschäftlichen Haftung mit dem positiven Interesse. Sie ist durch die Schuldrechtsreform zwar nicht geschaffen, aber in die Kodifikation hineingetragen und damit deutlicher als je zuvor sichtbar gemacht worden: Die exklusive Ausrichtung der Schadensersatzhaftung auf das Erfüllungsinteresse ist unvereinbar mit dem Bestreben, dem Gläubiger eines Schadensatzanspruchs wegen Nichterfüllung einer Leistungspfl icht zu gestatten, statt des positiven das negative Interesse ersetzt zu verlangen. Dennoch scheint es ein nahezu unabweisbares Bedürfnis zu sein, dem Gläubiger, der keinen materiellen Nichterfüllungsschaden geltend machen kann, zumindest zum Ersatz der Aufwendungen zu verhelfen, die er im Vertrauen auf die Erfüllung gemacht hat 3. Nachdem sich die Rechtsprechung hierzu außerstande gesehen hatte4, trägt 3 Davon legen die verschiedenen Ansätze Zeugnis ab, mit denen zahlreiche Stimmen der Literatur vor der Schuldrechtsreform über die Rentabilitätsvermutung hinaus zum (zumindest teilweisen) Ersatz von fehlgeschlagenen Aufwendungen (auch) des mit ideeller Zwecksetzung handelnden Gläubigers gelangen wollten: Für einen (ungeschriebenen) Anspruch auf Ersatz des negativen Interesses neben dem Rücktritt Keuk, Vermögensschaden, S. 160; Heinrich Stoll, AcP 131 (1929), 141, 180 ff.; für die Möglichkeit, im Fall des Vertragsbruchs statt des positiven das negative Interesse ersetzt zu verlangen, MünchKomm/Emmerich, § 325 BGB a. F. Rz. 84, 86; Georg Müller, Ersatz entwerteter Aufwendungen, S. 89 ff. (für den Fall fehlender oder unverhältnismäßig schwieriger Feststellung des positiven Interesses); Müller-Laube, JZ 1995, 538, 542 f.; Staudinger/Otto, § 325 BGB a. F. Rz. 90; Schackel, ZEuP 2001, 248, 250 ff.; Eike Schmidt, in: FS Gernhuber, S. 423, 429 f.; Soergel/Wiedemann, Vor § 275 BGB a. F. Rz. 42 ff., § 325 Rz. 52 f.; Wie-

I. Zum Anliegen der Untersuchung

3

dem im deutschen Recht nunmehr § 284 BGB Rechnung. Bei unbefangener Betrachtung wird dem Gläubiger mit den fehlgeschlagenen Aufwendungen ein Teil des negativen Interesses ersetzt 5. Gewiß kann man in dem Betrag der Aufwendungen auch den Maßstab für eine Geldentschädigung des immateriellen Nichterfüllungsschadens und damit im Aufwendungsersatz eine Form des Ersatzes des positiven Interesses6 sehen7. Mit diesem Erklärungsansatz droht man indes auf eine abschüssige Bahn zu geraten, an deren Ende die subjektive Wertschätzung des Gläubigers, wie sie in seinen Aufwendungen zum Ausdruck gekommen ist, zum 4

demann/Georg Müller, JZ 1992, 467 ff.; mit Bezug auf die Verkäuferhaftung nach den §§ 463, 480 II BGB a. F. auch Derleder/Abramjuk, AcP 1990 (1990), 624, 631 ff.; für den Ausschluß der Widerlegung der Rentabilitätsvermutung bei nicht-kommerziellen Verträgen Marc Leonhard, AcP 199 (1999), 660, 679 ff. (unter Beschränkung auf vorhersehbare Aufwendungen); Hans Stoll, in: FS Duden, S. 641, 658 f. (der den Ersatz nur auf die der Vertragsabwicklung dienenden Aufwendungen erstrecken will; ders., JZ 1987, 517, 519 f.; Haftungsfolgen, S. 322 f.); für den Ersatz der Vertragskosten in analoger Anwendung von § 467 S. 2 BGB a. F. Hanau/Wackerbarth, in: FS Kim, S. 205, 224 ff.; für den Ersatz fehlgeschlagener Aufwendungen als Immaterialschaden infolge Abbedingung von § 253 BGB bei einem Vertragszweck, der auf die Befriedigung immaterieller Bedürfnisse gerichtet ist, Messer/Schmitt, in: FS Hagen, S. 425, 434 f.; für den Ersatz als »Second best solution« bei Verträgen, die ausschließlich auf Nichtvermögensinteressen gerichtet sind, Thüsing, VersR 2001, 285, 296 f.; für den Ersatz nach Maßgabe eines »beweglichen Systems« von Wertungsgesichtpunkten Schobel, ERPL 3 (2002), 459, 465 ff.; ders., Ersatz frustrierter Aufwendungen, S. 171 ff. (allgemein), 301 ff. (zu Vertragsverletzungen). 4 BGH 10. 12. 1986, BGHZ 99, 182 = JZ 1987, 512 mit (im Ergebnis zustimmender) Anm. Hans Stoll; dazu kritisch Flessner/Kadner, JuS 1989, 879 ff. 5 So Bamberger/Roth/Grüneberg, § 284 Rz. 13; Lorenz, NJW 2004, 26, 27; Oechsler, Schuldrecht BT, § 2 Rz. 256; Staudinger/Otto, § 284 Rz. 10; Hk-BGB/Schulze, § 284 Rz. 1; Schwenzer, in: FS Schlechtriem, S. 657, 665 Fn. 46; Unholtz, Ersatz »frustrierter Aufwendungen«, S. 161 ff.; v. Wilmowsky, JuS 2002, Beilage 1, S. 15; vgl. auch Canaris, DB 2001, 1815, 1816 (»das negative Interesse in der eingeschränkten Form des Aufwendungsersatzes«); ders., in: Karlsruher Forum 2002, S. 5, 50 (nach § 284 BGB sei »nicht jede Art des negativen Interesses ersatzfähig«- Hervorhebung im Original); mehr in Richtung des Ersatzes eines immateriellen positiven Interesses gehend aber ders., DB 2001, 1815, 1820 (der Schaden liege »nicht darin, dass der Gläubiger die Aufwendungen gemacht hat, sondern vielmehr darin, dass ihr Zweck durch den Vertragsbruch des Schuldners verfehlt worden ist, also in ihrer ›Frustrierung‹« – Hervorhebungen im Original). A. A. (kein Fall des Ersatzes des negativen Interesses) MünchKomm/Ernst, § 284 Rz. 6; Gsell, in: Das neue Schuldrecht in der Praxis, S. 321, 334 ff.; Schultz, in: Schuldrecht 2002, S. 17, 67 f.; Stoppel, Ersatz frustrierter Aufwendungen, S. 51; Erman/Westermann, § 284 Rz. 3. Unklar Emmerich, in: FS Otte, S. 101, 103 f., der nicht zwischen dem Ersatz des negativen Interesses und der Frustrationslehre unterscheidet (dazu auch unten, § 10 I 2 a). 6 Zur terminologischen Klarstellung: Im folgenden Text wird das ideelle Interesse oder, wie man auch sagt, das »Affektionsinteresse« in den Begriff des Interesses einbezogen. Eine Übereinstimmung mit der historischen Herkunft des Begriffs wird damit nicht behauptet: Ob »id quod interest« in der Sprache der römischen Quellen nicht bloß das Geldinteresse, sondern jedes vom Recht geschütztes Interesse bedeutet, wie Jhering, Jher.Jb. 18 (1880), 1, 78, meinte, sei hier dahingestellt; dazu aus neuerer Zeit etwa Honsell, Quod interest, S. 153 ff. 7 So MünchKomm/Ernst, § 284 Rz. 7; Grundmann, AcP 204 (2004), 569, 599 ff.; Gsell, in: Das neue Schuldrecht in der Praxis, S. 321, 336 f.; Schultz, in: Schuldrecht 2002, S. 17, 67 f.; Stoppel, Ersatz frustrierter Aufwendungen, S. 51; ders; AcP 204 (2004), 81, 87; Tröger, ZIP 2005, 2238, 2240 f.; Weitemeyer, AcP 205 (2005), 275, 282.

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§ 1 Problemaufriß

allgemeinen Maß des Schadensersatzes erhoben wird8. Es ist deshalb zumindest einen Versuch wert, die Auslegung und, soweit methodisch zulässig, auch die Fortbildung der neuen Vorschrift daran zu orientieren, daß hierin eine – wenn auch rudimentäre – Anerkennung der Haftung auf das negative Interesse als reguläre Nichterfüllungssanktion liegt. Die Verfasser der Regierungsbegründung zu dieser rechtspolitisch hochumstrittenen9 Regelung schreckten allerdings vor dieser Konsequenz zurück und erklärten, »[i]n der Sache« gehe es »bei dem Ersatz frustrierter Aufwendungen nicht eigentlich um ein Schadensersatzproblem, sondern um eine Frage des Aufwendungsersatzes«10. Doch das ist schwerlich das letzte Wort zu § 284 BGB: Dem Gläubiger im Anschluß an die Regierungsbegründung nur den Ersatz seiner Aufwendungen und nicht, wie es beim Ersatz des negativen Interesses der Fall wäre, des entgangenen Gewinns aus einem Alternativgeschäft mit einem Dritten zu gewähren, ist sachlich nicht zu rechtfertigen – beispielsweise wäre, wenn ein Verkäufer aus einem von ihm zu vertretenden Grund nicht leistet, der an dem Kaufgegenstand ideell interessierte Käufer, der mangels flüssiger Mittel zur Kaufpreisfinanzierung ein Darlehen aufgenommen hat und dafür Zinsen zahlen muß, nach § 284 BGB ersatzberechtigt, nicht aber der liquide Käufer, der zu diesem Zweck von einer Geldanlage abgesehen und deshalb Zinsen eingebüßt hat. Warum der Unterschied zwischen »Soll« und »Haben« auf dem Konto des Käufers, der allein diese Fälle voneinander trennt, wertungsmäßig relevant sein sollte, ist nicht ersichtlich11. Das Beispiel zeigt: Was zunächst als Lösung für den »hard case« fehlgeschlagener Gläubigeraufwendungen bei ideeller Zwecksetzung seinen Ausgang genommen haben mag, läßt sich nicht ohne Willkür auf diese Konstellation begrenzen, und es ist scheinbar nur noch eine Frage der Exegese und der Gewichtung der Materialien, ob der Wille des Gesetzgebers es gestattet, § 284 BGB zu Ende zu denken. Damit gelangt man zum Ausgangsproblem dieser Untersuchung: Jedenfalls dann, wenn der Gläubiger Aufwendungsersatz anstelle des Schadensersatzes statt der Leistung nach den §§ 281–283 BGB verlangt, gründet sich sein Anspruch nur auf ein rechtlich vorwerfbares Verhalten des Schuldners im Zusammenhang mit

8 Auf die – von ihm abgelehnte – Konsequenz einer Legitimierung der »Frustrationslehre« auch für das Deliktsrecht hat bereits im Vorfeld der Gesetzgebung Hans Stoll, JZ 2001, 589, 596 mit Fn. 38a, hingewiesen. Auch MünchKomm/Ernst, § 284 Rz. 23, räumt ein, daß die von ihm vertretene Einordnung von § 284 BGB als Immaterialschadensersatz die gesetzessystematische Frage aufwerfe, warum bei außervertraglicher Verantwortlichkeit kein Ersatz für den Verlust von Aufwendungen verlangt werden könne. 9 In der Reformdiskussion zu den mit § 284 BGB übereinstimmenden Regelungen in § 284 BGB-KF und § 284 BGB-RegE teilweise überaus kritisch Altmeppen, DB 2001, 1399, 1402 ff.; ders., DB 2001, 1821, 1823; Hans Stoll, JZ 2001, 589, 595 f.; befürwortend hingegen Canaris, JZ 2001, 499, 516 ff.; ders., ZRP 2001, 329, 333; ders., DB 2001, 1815, 1819 f. 10 BT-Drucks. 14/6040, S. 144. 11 Ebenso MünchKomm/Ernst, § 284 Rz. 17.

I. Zum Anliegen der Untersuchung

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der Erfüllung der Leistungspflicht und nicht mit deren Begründung12. Deshalb erscheint es manchem unerfindlich, warum der Schuldner dazu verpflichtet sein sollte, den Gläubiger so zu stellen, als hätte keine Leistungspflicht bestanden13. Diesem Einwand kann nur begegnen, wer bereit ist zu akzeptieren, daß schon das leistungspflichtbegründende Verhalten des Schuldners als solches – etwa sein vertragliches Versprechen – Grundlage einer Haftung sein kann, deren Rechtsfolge der Ersatz des negativen Interesses ist. Dafür soll hier eine Rechtfertigung geboten werden. b) Gesetzliche Haftung und der Schutz des Vertrauensinteresses Die zweite Bruchstelle betrifft die Rückführung der Pflicht zum Ersatz des Vertrauensschadens auf einen von der (rechtsgeschäftlichen) Selbstbindung kategorial verschiedenen gesetzlichen (Vertrauens-)Tatbestand. Sie ist altbekannt: Wo die Haftung auf das negative Interesse ihre angestammten Anwendungsfälle hat, nämlich bei unwirksamen Vertragsschlüssen sowie im vor- und außervertraglichen Bereich, führt ihre Einordnung als gesetzliche, nicht durch Selbstbindung begründete Haftung oft nicht weiter als zu kasuistischen Zuordnungen ohne große Erklärungskraft. Soweit man nur auf vergleichsweise eindeutige Tatbestände des geltenden Rechts blickt, ist das praktische Interesse an tieferen Einsichten gewiß nicht groß: So mag man es etwa noch für einen eher akademischen Streit halten, ob die Schadensersatzpflicht des Anfechtenden nach § 122 BGB besser als gesetzliche Haftung für eine dem Erklärenden nach dem Veranlassungs-14, dem Risiko-15 oder sogar dem Verschuldensprinzip16 zurechenbare Schädigung oder als rechtsgeschäftliche Haftung auf Grund des mit der Erklärung gegebenen Worts17 zu verstehen ist. Verläßt man jedoch den eng begrenzten Bereich kodifizierter Ein12 Bei § 311a II BGB verhält sich dies anders: Hier setzt die Haftung die (vermutete) Kenntnis oder zu vertretende Unkenntnis des Leistungshindernisses bei Vertragsschluß voraus. Daran läßt sich – wie schon bei § 307 BGB a. F. – der Ersatz des negativen Interesses als Rechtsfolge problemlos anschließen. 13 Gsell, in: Das neue Schuldrecht in der Praxis, S. 321, 335 f. Ebenso mit (kritischem) Blick auf die englische Praxis, »reliance damages« als vertraglichen Schadensersatz zu gewähren, Preuss, Vertragsbruch als Delikt, S. 233. In der US-amerikanischen Diskussion um das Vertrauensinteresse als Maßstab für die Haftung wegen promissory estoppel werden vergleichbare Überlegungen vorgetragen: So argumentiert Slawson, 76 Cornell L.Rev. 197, 208 (1990), daß die bloße Abgabe eines Versprechens nicht rechtswidrig und der dadurch verursachte Vertrauensschaden daher nicht zu ersetzen sei. »The wrong, rather, is in not performing the promise after the promisee has relied upon it to his detriment. And the only measure of damages that is designed to compensate for this wrong is the expectation measure.« Kritisch dazu Kelly, 1992 Wis.L.Rev., 1755, 1802 ff. Vgl. auch Stapleton, in: The Classification of Obligations, S. 193, 194, welche die Einordnung einer Verpfl ichtung als vertraglich davon abhängig machen will, daß sie auf den Schutz des Erfüllungsinteresses (in ihrer Begriffl ichkeit: »result measure«) zielt. 14 Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil, § 171 I, II 5 (S. 733 f.); Erman/Palm, § 122 Rz. 1. 15 Canaris, Vertrauenshaftung, S. 481. 16 Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpfl ichtung, S. 207 ff. 17 Flume, Rechtsgeschäft, § 21, 7 (S. 423); Hans Stoll, in: FS v. Caemmerer, S. 435, 439.

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§ 1 Problemaufriß

zelfälle der Haftung auf das negative Interesse, so ist ein erheblicher Bedarf nach klarerer Begründung und Konturierung der Haftung offensichtlich, der durch die Einführung der §§ 241 II, 311 II, III BGB nicht befriedigt worden ist. Exemplarisch für die Problematik ist die Rechtsprechung zum Abbruch von Vertragsverhandlungen, die den Verhandlungsparteien im Gewande aus Treu und Glauben gewonnener Pflichten eine weitreichende Verantwortung für das Zustandekommen des Vertrags auferlegt hat. Zumindest undurchdacht mutet hier die Konstruktion der Haftung an, wenn unter dem Gesichtspunkt der c.i.c. nicht nur die schuldhafte Verletzung einer vorvertraglichen Aufklärungspfl icht einer verhandelnden Partei über Abschlußhindernisse oder ihre Absicht zum Verhandlungsabbruch18 , sondern »auch der grundlose Abbruch der Vertragsverhandlungen« als solcher zum Ersatz des Vertrauensschadens verpflichten soll, »wenn derjenige, der die Verhandlungen abbricht, zuvor durch sein Verhalten das Vertrauen geweckt oder genährt hatte, der Vertrag werde mit Sicherheit zustande kommen«19 : Wenn es wirklich der grundlose Abbruch der Verhandlungen sein soll, der zum Schadensersatz verpflichtet, müßte die Wiedergutmachung des Schadens (soweit sich nicht später noch ein Grund zum Abbruch ergeben hätte) in der Herstellung der Lage bestehen, die beim erfolgreichen Abschluß der Verhandlungen durch einen Vertrag bestanden haben würde. Schadensersatz wäre also für das vertragliche Erfüllungsinteresse geschuldet – ein Ergebnis, das der Vertragsabschlußfreiheit des Haftenden zuwiderliefe. Es ist daher nachvollziehbar, aber dadurch allein noch nicht gerechtfertigt, daß in der Regel 20 nur das negative Interesse zu ersetzen sein soll. Der Gesetzgeber der Schuldrechtsreform hat sich insoweit zwar zurückhalten wollen 21, aber mit der Kodifikation der c.i.c. unabsichtlich darauf aufmerksam ge18 Beispiele hierfür sind BGH 18. 10. 1974, NJW 1975, 43 (ein Verschulden bei Vertragsverhandlungen könne darin bestehen, »daß der eine Teil schuldhaft – etwa dadurch, daß er eine in Wirklichkeit fehlende Entschlossenheit zum Vertragsabschluß zum Ausdruck bringt oder gegen Aufklärungspfl ichten verstößt – im anderen Teil das Vertrauen auf das bevorstehende Zustandekommen eines später nicht abgeschlossenen Vertrages erweckt«); 8. 6. 1978, BGHZ 71, 386, 396 (bei Vertragsverhandlungen bestehe »regelmäßig die Verpfl ichtung, den anderen Teil über Umstände aufzuklären, die den Vertragszweck gefährden und für die Entschließung der Partei von wesentlicher Bedeutung sein können«); übereinstimmend etwa Grunewald, JZ 1984, 708, 709; Küpper, Scheitern von Vertragsverhandlungen, S. 173 ff.; Soergel/Wiedemann, Vor § 275 Rz. 135. 19 BGH 12. 6. 1975, NJW 1975, 1774; ebenso etwa BGH 8. 6. 1978, BGHZ 71, 386, 395 (zu den Pfl ichten eines Verhandlungspartners gehöre »auch, daß er die Vertragsverhandlungen nicht grundlos (ohne triftigen Grund, aus sachfremden Erwägungen) abbricht, wenn er zuvor das Vertrauen des anderen Teils, der Vertrag werde mit Sicherheit zustandekommen, erweckt hat«); aus der Lit. zustimmend etwa Küpper, Scheitern von Vertragsverhandlungen, S. 202 ff.; Palandt/ Grüneberg, § 311 Rz. 30; Soergel/Wiedemann, Vor § 275 Rz. 136; ablehnend etwa Flume, Rechtsgeschäft, § 33, 8 (S. 617); Medicus, in: Gutachten Bd. 1, S. 479, 497 ff. 20 Ausnahmsweise gewährt die Rspr. den Ersatz des positiven Interesses; vgl. etwa BGH 25. 11. 1992, BGHZ 120, 281, 284; 8. 9. 1998, BGHZ 139, 259, 272; 8. 9. 1998, BGHZ 139, 273, 279. 21 Ausweislich der Regierungsbegründung, BT-Drucks. 14/6040, S. 163: »Eine Änderung der

I. Zum Anliegen der Untersuchung

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macht, wie schlecht die Abbruchshaftung möglicherweise mit den Fällen vorvertraglicher Schutzpflichtverletzung unter dem gemeinsamen Dach der c.i.c. aufgehoben ist: Die neugeschaffene Anspruchsgrundlage (§ 280 I i. V. m. §§ 241 II, 311 II BGB) setzt einen von der einen Verhandlungspartei zu vertretenden Verstoß gegen die Pflicht zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen der anderen Partei voraus. Darunter läßt sich die von der Rechtsprechung entwickelte Haftung, soweit sie über die schuldhafte Verletzung einer Aufklärungspflicht hinausgeht, nur mit großer Mühe subsumieren 22 : Erblickte man etwa im Abbruch der Verhandlungen die Pflichtverletzung des Schuldners und im Fehlen eines triftigen Grundes den Zurechnungsgrund (das Vertretenmüssen nach § 280 I 2 BGB), so gelangte man zum Ersatz des positiven Interesses als Regelsanktion – ein von den Reformern gewiß nicht beabsichtigtes Ergebnis. Dies spornt zu weiterem Nachdenken an. Eine mögliche Richtung weisen die – bereits lange vor der Schuldrechtsreform diskutierten – Versuche, der Haftung festeren Grund zu geben, indem man den Blick auf die vorvertraglichen Versprechungen lenkte, die in diesen Fällen das Vertrauen des Partners auf den Vertragsabschluß begründen 23. Geht man daran anknüpfend davon aus, daß nicht der Bruch einer Vertragsanbahnungspfl icht, sondern die Erklärung, einen Vertrag schließen zu wollen, zum Schadensersatz verpflichten kann, gelangt man zwanglos zum Ersatz des negativen Interesses, nämlich zum Ersatz der durch diese Erklärung verursachten und mit dem Scheitern der Vertragsanbahnung fehlgeschlagenen Aufwendungen sowie zum Ersatz des Gewinns aus anderen Geschäften, deren Abschluß der Geschädigte im Vertrauen auf das Wort seines Gegenübers unterlassen hat und nun nicht mehr nachholen kann. Vorausgesetzt, daß § 284 BGB Ausdruck einer auf den Ersatz des negativen Interesses gerichteten Haftung für rechtsgeschäftliche Selbstbindungen ist, könnte in der so verstandenen Haftung für vorvertragliche Erklärungen deren außerrechtsgeschäftliche Fortsetzung liegen: eine Haftung für Selbstbindungstatbisherigen Rechtsprechung, etwa zum grundlosen Abbruch der Vertragsverhandlungen, ist nicht beabsichtigt.« 22 Schwierigkeiten sehen etwa MünchKomm/Emmerich, § 311 Rz. 184 f.; Arnold, in: DaunerLieb/Arnold/Dötsch/Kitz, S. 213; Rieble, in: Das neue Schuldrecht in der Praxis, S. 137, 150, und im Vorfeld der Gesetzgebung Dauner-Lieb, in: Zivilrechtswissenschaft und Schuldrechtsreform, S. 305, 319; Köndgen, in: Die Schuldrechtsreform vor dem Hintergrund des Gemeinschaftsrechts, S. 231, 242. A. A. Lorenz/Riehm, Rz. 379, mit der gegenteiligen Behauptung, alle bisher von Wissenschaft und Rechtsprechung entwickelten Fallgruppen der c.i.c. ließen sich »mühelos unter die Kodifizierung subsumieren«. 23 Als Konzeptionen, die in diese Richtung weisen, seien genannt: die Selbstbindung ohne Vertrag bei Köndgen, Selbstbindung, S. 294 (dort zur Haftung auf das negative Interesse als »Rudiment schuldrechtlicher Erheblichkeit« in Fällen, in denen die nur ganz vorläufige Bereitschaft zum Vertragsabschluß signalisiert wird); die Versprechenshaftung bei Stoll, in: FS Flume, S. 741, 754 ff.; die Analogie zu § 122 BGB bei Larenz, in: FS Ballerstedt, S. 397, 415 ff. (vgl. auch den Hinweis in BGH 6. 2. 1969, LM Nr. 28 zu § 276 (Fa.); gegen eine Interpretation dieser Entscheidung in Larenz’ Sinne freilich Nirk, in: 2. FS Möhring, S. 71, 82); die Analogie zu den §§ 1298 f. BGB bei Canaris, Vertrauenshaftung, S. 544, und in: 2. FS Larenz, S. 27, 91.

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§ 1 Problemaufriß

bestände, die, um die Rechtsfolge der Erfüllungspflicht verkürzt, nur der Pflicht zum Ausgleich von Vertrauensschäden eine Grundlage bieten. Der Gedanke, die Haftung auf das negative Interesse in ihren anerkannten Ausprägungen auf eine außerrechtsgeschäftliche Selbstbindung und damit auf einen in der bisherigen Diskussion nicht konsensfähigen Haftungsgrund zu stützen, ist aber nicht weniger problematisch als der Versuch, sie als bisher ebensowenig konsensfähige Haftungsfolge an die rechtsgeschäftliche Selbstbindung zu knüpfen: Immer noch steht der Vorwurf im Raum, bei der außerrechtsgeschäftlichen Selbstbindung handele es sich um eine »in sich widersprüchliche Kategorie«24. Darin sollte man nicht nur einen begriffsjuristischen Einwand sehen 25 : Die Frage ist, ob mit der Vorstellung von einer Selbstbindung jenseits des Rechtsgeschäfts ebenso wie mit der These, die Selbstbindung legitimiere für sich genommen eine Pflicht zum Ersatz von Vertrauensschäden, nicht ein unverfügbarer materieller Gehalt dieses Begriffs mißachtet wird, der sich allein im Rechtsgeschäft verwirklicht und nur eine Pflicht zur Erfüllung oder zum Ersatz von Nichterfüllungsschäden rechtfertigt.

2. Privatrechtstheoretische Defizite Die angedeuteten Bedenken gegen die Sicht der Haftung auf das negative Interesse als Sanktion für Selbstbindungstatbestände zielen über die Formulierung der lex lata im gegenwärtigen BGB hinaus auf die theoretischen Grundlagen privatrechtlicher Selbstbindung. Wer einen solchen Standpunkt beziehen will, muß daher nicht nur zeigen, daß sich von dort aus ein geordnetes und zugleich detailreiches Bild des positivrechtlichen Materials bietet, sondern auch, daß sich dieser Standpunkt nicht jenseits des theoretischen Fundaments befindet, auf dem die politische Legitimität des Privatrechts beruht. Mit der Unterscheidung zwischen autonomer und heteronomer Bindung wird das Privatrecht so systematisiert, daß Unterschiede in der Legitimation der von ihm angeordneten Rechtsfolgen sichtbar werden. Die intuitive Ablehnung der Idee, daß die Haftung auf das negative Interesse auf eine autonome Bindung zu stützen sein könnte, hat hier ihren Ursprung: Diese Idee widerspricht, weil sich die Haftung nicht auf den Willen des Haftenden zurückführen läßt, der Vorstellung von der besonderen, inhaltsunabhängigen Rechtfertigung privatautonomer Pflichten allein aus dem Willen des Verpflichteten. Der Aufwand, der zu betreiben sein wird, um diese Vorstellung zu widerlegen und die eigene Idee von der Legitimität privatrechtlicher Selbstbindung zu entwickeln, wird manchem übertrieben und die theoretische Fragestellung, im Rückblick auf vergangene Debatten, ausdiskutiert erscheinen. Beides ist zu bestreiten:

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Canaris, in: 2. FS Larenz, S. 27, 93; aufgegriffen von Singer, Selbstbestimmung, S. 89 f. Vgl. aber die Zurückweisung des Einwands als »doktrinär« durch Köndgen, in: Die Schuldrechtsreform vor dem Hintergund des Gemeinschaftsrechts, S. 231, 239. 25

I. Zum Anliegen der Untersuchung

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Zunächst verlangt die Dynamik, die internationale und vor allem europäische Bestrebungen zur Rechtsangleichung entfalten, von jeder nicht auf das juristische Tagesgeschäft beschränkten Arbeit, bei der Behandlung schuldrechtlicher Fragen über die Erklärung geltenden Rechts hinauszugehen und auch Anregungen und Kritik zu formulieren. Dazu bedarf es, wenn man Probleme nicht nur pragmatisch durch Ad-hoc-Lösungen erledigen will, einer theoretisch reflektierten rechtspolitischen Basis. Was die hier behandelte Thematik betrifft, kommt aber noch ein besonderer, die lex lata betreffender Grund hinzu: Das BGB regelt die Haftung auf das negative Interesse nur ausschnittsweise und in einem anachronistischen Nebeneinander verschiedener Entwicklungsstufen der Gesetzgebung. So enthält es in Gestalt der – zum BGB in der Ursprungsfassung von 1900 gehörenden – §§ 122, 179 II BGB auf der einen und des – durch die Schuldrechtsreform 2002 eingeführten – § 284 BGB auf der anderen Seite zwei Regelungen, die äußerlich unterschiedlicher kaum sein könnten und über deren innere Zusammenhänge sich kein Gesetzgeber jemals tiefere Gedanken machte26 . Es verspricht daher wenig Erfolg, den in einem kodifizierten Recht üblichen Weg zur Systembildung zu beschreiten, indem man anhand der geregelten Konstellationen einen – manchmal noch versteckten und manchmal nur vergessenen – Plan der Kodifikation aufzudecken versucht, der den Rechtsanwendern zur Lösung nicht geregelter Fälle verhilft. Statt nur »mit Hülfe der hermeneutischen Leuchte dunkle Gesetzesstellen zu erklären«27, kommt man also nicht umhin, zur Beantwortung offener Fragen Wertungen vorzunehmen, die nicht als Ausdruck eines Gedankens des Gesetzes Autorität beanspruchen, sondern nur durch ihre Sachgerechtigkeit überzeugen können. Dies einzuräumen und die Prämissen offenzulegen, aufgrund derer man sachgerechte Lösungen sucht, ist ein Gebot wissenschaftlicher Redlichkeit. Wenn in Deutschland, anders als im anglo-amerikanischen Rechtskreis, eine privatrechts- und insbesondere vertragstheoretische Grundlagendiskussion, die diese Prämissen formulieren hilft, praktisch nicht mehr geführt wird, so hat dies gewiß nichts damit zu tun, daß hierzulande Einigkeit erzielt worden wäre: Neben die rechtsethische Fundierung der Privatautonomie »als Ausdruck eines ethischen Personalismus«, der »die Person und die Achtung ihrer Würde und Eigenständigkeit in den Mittelpunkt der Privatrechtsbeziehungen stellt«28 , sind, vor allem veranlaßt durch die ökonomische Analyse des Rechts, zunehmend Erwägungen getreten, denen eine funktionalistische Sicht zugrunde liegt, die »Privatautonomie als zweckmäßiges Organisationsprinzip wirtschaftlicher Austauschbeziehungen

26 Zu der Übereinstimmung der Neuregelung in § 284 BGB mit den in den §§ 122, 179 II BGB angeordneten Rechtsfolgen siehe unten, § 11 II, III. 27 So Jherings (Jher.Jb. 4 (1861), 1, 52) spöttische Kennzeichnung einer Auffassung vom Beruf der Jurisprudenz, die ihm den Einwand entgegenhalten möchte, der Ausdruck »culpa in contrahendo« komme im ganzen corpus iuris nicht vor. 28 So beschreibt Wolf den leitenden Gedanken des von ihm fortgeführten Werks von Larenz; Larenz/Wolf, AT, S. V.

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§ 1 Problemaufriß

im Markt«29 versteht. Daß man sich zur Begründung zahlreicher Wertungen gleichermaßen aus dem Fundus rechtsethischer und funktionalistischer Argumente bedienen kann 30 , kann nicht über die grundsätzliche Unvereinbarkeit beider Sichtweisen hinwegtäuschen. Die hier verfolgte Fragestellung macht es, wie zu zeigen sein wird, unumgänglich, insoweit Position zu beziehen: Dafür, daß sich hierzulande eine bestimmte Sicht der Haftung auf das negative Interesse durchgesetzt hat, während insbesondere in der Rechtswissenschaft der Common-Law-Jurisdiktionen eine andere Perspektive Fuß fassen konnte, sind jedenfalls auch Divergenzen in den Grundannahmen über das Wesen privatrechtlicher Selbstbindung verantwortlich.

3. Vorgehensweise: Von der Politik zum System der Haftung auf das negative Interesse Den Ausgangspunkt der nachfolgenden Überlegungen wird die rechtspolitische Frage bilden, ob und in welchen Fällen es sinnvoll sein kann, Selbstbindungstatbestände mit der Pflicht zum Ersatz des Vertrauensschadens zu sanktionieren. Im ersten Teil dieser Arbeit wird daher das außerrechtliche Fundament der Theorie der Haftung auf das negative Interesse oder, wie man auch sagen kann, deren Politik erörtert. Dabei werden Erkenntnisse der Rechtsphilosophie, der Soziologie und der Ökonomik Unterstützung bieten. Insoweit soll freilich nicht die rechtswissenschaftliche Perspektive zugunsten eines interdisziplinären Eklektizismus aufgegeben werden. Es ist vielmehr nur beabsichtigt, den Rationalitätsgewinn zu nutzen, den andere Disziplinen bieten, wenn es darum geht, eine Theorie privatrechtlicher Selbstbindung (oder, wie hier, jedenfalls einen Ausschnitt daraus) zu bilden, die den Bedingungen einer freiheitlich verfaßten Gesellschaft gerecht wird. Damit wird, wenn auch mit anderen Mitteln und Akzentsetzungen, nur das betrieben, was seit jeher genuine Aufgabe des Rechtswissenschaftlers ist: Auch ohne Savignys Ideal des »vollendete[n] Theoretiker[s]« erreichen zu können, »dessen Theorie durch die vollständige, durchgeführte Anschauung des gesamten Rechtsverkehrs belebt würde«, sollte man nach wie vor die damit verbundene Forderung ernst nehmen, »alle sittlichen, religiösen, politischen, staatswirthschaftlichen Bedingungen müßten ihm dabei vor Augen stehen«31. Nun vermittelt die Diskussion der Politik der Haftung auf das negative Interesse nur Einsichten in eine unter bestimmten gesellschaftlichen Bedingungen zu erstrebende Leistung (oder, sofern einem der Ausdruck behagt: den erwünschten Output) des zivilrechtlichen Haftungssystems. Das System als solches – die rechtlichen Regeln und ihr Zusammenspiel – wird dadurch zwar beeinflußt, aber nicht 29

So Wolf (wie vorige Fn.) zur Gegenposition. Das wird exemplarisch vorgeführt in den Arbeiten von Trebilcock, Limits, passim, und Fleischer, Informationsasymmetrie, passim. 31 Savigny, System I, S. XXI. 30

II. Zur Abgrenzung des Untersuchungsgegenstands

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vorgegeben. Dies gilt de lege lata, wo jede Konstruktion stimmig in gesetzliche Vorgaben eingepaßt werden muß, aber auch de lege ferenda: Auch dort, wo man über die Grenzen der Fortbildung geltenden Rechts hinausgeht und Gesetzesvorschläge und -kritik formuliert, darf systematische Kohärenz und begriffliche Konsistenz, kurz: Dogmatik, nicht vernachlässigt werden 32. Die Haftung auf das negative Interesse muß daher, was auch immer man rechtspolitisch postuliert, in einer für das Rechtssystem anschlußfähigen Form erarbeitet werden. Dieser Aufgabe ist der zweite Teil der Arbeit gewidmet. Deutsches Recht wird im Zentrum der hier anzustellenden Überlegungen stehen, doch werden stets auch Anregungen aus dem Common Law in seiner englischen und in seiner US-amerikanischen Ausprägung sowie aus den modernen Entwürfen 33 internationaler Rechtsvereinheitlichung (Unidroit Principles of International Contracts, Principles of European Contract Law und der Vorentwurf eines Europäischen Vertragsgesetzbuchs) berücksichtigt werden. Das hinter dieser Vorgehensweise stehende Verständnis des Verhältnisses von Rechtspolitik und Rechtssystem wird in dieser Arbeit nur beispielhaft demonstriert und nicht begründet werden. Bereits jetzt dürfte zumindest deutlich geworden sein, daß sich nach hiesiger Auffassung Rechtswissenschaft, ganz gleich, ob sie sich der lex lata oder der lex ferenda widmet, nie nur im Blick auf eines der beiden Momente betreiben läßt.

II. Zur Abgrenzung des Untersuchungsgegenstands Der Begriff des negativen Interesses, der den Gegenstand dieser Untersuchung bezeichnet und als dessen Synonym hier das Wort »Vertrauensinteresse« verwendet werden wird34, ist, wenn er auch meist mit Selbstverständlichkeit gebraucht wird, keineswegs eindeutig. Dies betrifft seine Abgrenzung vom Integritätsinteresse:

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Vgl. K. Schmidt, in: Rechtsdogmatik und Rechtspolitik, S. 9, 15 ff. Näher zum – hier nicht zu vertiefenden – rechtsquellentheoretischen Status der Unidroit Principles und der Principles of European Contract Law Canaris, in: Europäische Vertragsrechtsvereinheitlichung und deutsches Recht, S. 5 ff. 34 Anders Soergel/Wiedemann, Vor § 275 BGB a. F. Rz. 58, 62 ff., und Hanau/Wackerbarth, in: FS Kim, S. 205, 207, die Vertrauensinteresse und negatives Interesse nicht gleichsetzen wollen, weil (was hier nicht bestritten sei) das Vertrauen in die Wirksamkeit einer Willenserklärung auch positiv geschützt werden könne, indem der Vertrauende so gestellt wird, als ob die Erklärung wirksam wäre. Das zwingt aber nicht zu einem weiteren Verständnis des Begriffs »Vertrauensinteresse«, sondern heißt nur, daß die Vertrauenshaftung auch auf den Ersatz des Erfüllungsinteresses (oder auch auf Erfüllung) und nicht nur auf den Ersatz des Vertrauensinteresses gerichtet sein kann. »Vertrauenshaftung« (d. h. die dem Vertrauensschutz dienende Haftung) und »Vertrauensinteresse« (das uns hier beschäftigt) gleichzusetzen und sich dafür ein neben das Erfüllungsinteresse tretendes »positives Vertrauensinteresse« einzuhandeln, besteht keine Notwendigkeit. 33

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§ 1 Problemaufriß

Von »negativem« Interesse wird teilweise gesprochen, wenn das Interesse des Gläubigers an der Erfüllung einer Pflicht kein positives, sondern ein negatives in dem Sinne ist, daß der Gläubiger nicht an der Erfüllung selbst, sondern an der Vermeidung eines durch unterbliebene Erfüllung eingetretenen Schadens interessiert ist. Das »negative« Interesse ist danach nichts anderes als das Interesse des Gläubigers an der Integrität seiner Rechtsgüter, insbesondere auch des eigenen Vermögens in seinem Bestand35. Wenn etwa vom Ersatz des »negativen« Interesses als Rechtsfolge deliktischer Haftung die Rede ist 36 , liegt dem ein solches Verständnis zugrunde, ebenso, wenn es heißt, daß der aufgrund schuldhafter Forderungsverletzung zu ersetzende, über das Erfüllungsinteresse hinausgehende Schaden das »›negative‹ (Vertrauens- oder Ausgleichs-) Interesse« betreffe37. Zahlreiche Stimmen im Schrifttum wenden sich indes gegen die Gleichsetzung des negativen mit dem Integritäts- oder Erhaltungsinteresse und wollen die Verwendung des Begriffs auf einen engeren, wenn auch nicht immer klar defi nierten Bereich beschränkt sehen 38. Die Einschränkungen gehen dahin, daß man den Ausdruck »negatives Interesse« ausschließlich verwenden sollte, wo es um Schäden der in § 122 BGB gemeinten Art gehe39, daß die Einteilung in positives und negatives Interesse dem »Recht der Sonderverbindungen«40 (im Unterschied zum Deliktsrecht) oder »vertraglichen und vertragsähnlichen Schadensersatzansprüchen«41 vorzubehalten oder daß sie umgekehrt nicht im Deliktsrecht und bei positiven Forderungsverletzungen42 oder bei Schadensersatzpflichten »wegen der Verletzung eines bestimmten Rechts oder Rechtsgutes, oder wegen der Verletzung einer vertraglichen Sorgfalts- Obhuts- oder Schutzpflicht«43 zu verwenden sei. Sprachlich ist zwar nichts dagegen einzuwenden, das Interesse am Nichteintritt irgendeiner Beeinträchtigung vorhandener Rechtsgüter als negatives zu bezeichnen, und ebenso sollte es jedem unbenommen bleiben, sich vom Sprachgebrauch

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Jakobs, Unmöglichkeit, S. 33 mit Fn. 53; übereinstimmend Keuk, Vermögensschaden, S. 162. 36 Vgl. z. B. BGH 14. 10. 1971, BGHZ 57, 137, 139; 11. 7. 1988, WM 1988, 1315, 1318; Jauernig/ Teichmann, § 823 Rz. 62; Palandt/Sprau, vor § 823 Rz. 17. 37 BGH 13. 5. 1953, BGHZ 11, 80, 84. 38 Fikentscher, Schuldrecht, Rz. 460; U. Huber, in: FS v. Caemmerer, S. 837, 861; Keller, Das negative Interesse, S. 5; Küppers, Verdorbene Genüsse, S. 58; Lange/Schiemann, Schadensersatz, § 2 IV 4 (S. 66 f.); Larenz, Schuldrecht I, § 27 III 4 (S. 431); MünchKomm/Oetker, § 249 Rz. 124; Staudinger12 /Medicus, § 249 Rz. 22; andeutungsweise Staudinger/Schiemann, Vor § 249 Rz. 48 (dessen Hinweis auf die Ähnlichkeit des negativen mit dem Integritätsinteresse eine Unterscheidung beider Begriffe voraussetzt) und wohl auch Ernst, AcP 199 (1999), 360, 361 Fn. 5 (mit der Erwägung, im Hinblick auf Schutzpfl ichtverletzungen »die Entgegensetzung von negativem und positivem Interesse fallen [zu] lassen«). 39 U. Huber (Fn. 38). 40 Staudinger12 /Medicus (Fn. 38). 41 MünchKomm/Oetker (Fn. 38). 42 Lange/Schiemann (Fn. 38). 43 Larenz (Fn. 38).

II. Zur Abgrenzung des Untersuchungsgegenstands

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Jherings, der sich auf das »Vertragsinteresse«44 bezog, zu entfernen. Die Verwendung des Ausdrucks »negatives Interesse« als Synonym für »Integritätsinteresse« erregt jedoch Anstoß, weil »negatives« und »positives« Interesse dann keinen Gegensatz bilden. Dies betrifft zunächst die Normalfälle deliktischer oder auf Schutzpflichtverletzungen gestützter Haftung: Wer von einem Auto überfahren oder einer umstürzenden Linoleumrolle verletzt wird, hat nur das Interesse, die Folgen dieses Vorfalls ungeschehen werden zu lassen, und zwar unabhängig davon, ob das schädigende Verhalten als deliktisches oder als Verletzung einer Schutzpflicht bewertet wird. Das Interesse des Geschädigten geht hier immer nur in eine Richtung, nämlich dahin, den Schaden, vor dem ihn die verletzte Pflicht bewahren sollte, ersetzt zu bekommen. Hier von einem negativen Interesse zu sprechen, wirkt in Ermangelung eines positiven zumindest fragwürdig. Vor allem aber läßt die Gleichsetzung des negativen mit dem Integritätsinteresse dort, wo ein positives, nämlich auf Erfüllung gerichtetes Interesse besteht, die Einteilung nach den Kategorien »positiv« und »negativ« willkürlich erscheinen45 : Schädigt der Schuldner eines vertraglichen Anspruchs den Gläubiger durch eine mangelhafte Leistung (etwa weil der Gläubiger einen Produktionsausfall erleidet), so müßte auf der Grundlage des weiten Verständnisses ein neben den Erfüllungsanspruch tretender Anspruch auf Ersatz des Schadens als Anspruch auf das »negative« Interesse bezeichnet werden, während andererseits der unter den Voraussetzungen der §§ 281–283 BGB an die Stelle des Erfüllungsanspruchs tretende, gleichfalls (auch) auf Ersatz dieses Schadens gerichtete Anspruch als Anspruch auf das »positive« Interesse angesehen werden müßte. Da es dem Gläubiger, gleich ob er einen Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung oder aber den Erfüllungsanspruch nebst Ersatzanspruch wegen schuldhafter Pfl ichtverletzung aus § 280 I BGB geltend macht, stets nur um das Interesse an rechtzeitiger, fehlerfreier Erfüllung der Verbindlichkeit und damit um das positive Interesse geht, ist nicht recht einzusehen, warum im ersten Fall von »negativem« Interesse die Rede sein sollte. Vielmehr wird mit dem neben den Erfüllungsanspruch tretenden Schadensersatzanspruch ein Teil des positiven Interesses geltend gemacht46 . Anders verhält es sich bei dem Schaden, der etwa nach den §§ 122, 179 Abs. 2 BGB zu ersetzen ist. Mit »negativem« Interesse ist hier, um an Mommsens Formulierung anzuknüpfen, das Interesse des Gläubigers gemeint, nicht über die Ungültigkeit einer Willenserklärung getäuscht zu werden. Er ist demnach so zu stellen, als habe er auf die ungültige Erklärung nicht vertraut. Zwar ist die Übereinstimmung des in diesem Sinne aufgefaßten negativen Interesses mit dem Integritätsinteresse unverkennbar47: Das Vermögen des Gläubigers soll jeweils vor Nachteilen durch das Verhalten seines Gegenübers bewahrt werden, sei dies nun 44

Jhering, Jher.Jb. 4 (1861), 1, 16. Zum folgenden U. Huber, in: FS v. Caemmerer, S. 837, 860 f. 46 So bereits U. Huber, in: FS v. Caemmerer, S. 837, 861. 47 Vgl. die Hinweise auf die Ähnlichkeit von negativem und Integritätsinteresse bei Staudinger12 /Medicus, § 249 Rz. 26; Staudinger/Schiemann, Vorbem zu §§ 249 ff. Rz. 48. 45

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eine unerlaubte Handlung oder die Abgabe einer ungültigen Willenserklärung. Wie beim Integritätsinteresse wird der Schaden ermittelt, indem der gegenwärtige mit dem hypothetischen Zustand verglichen wird, der ohne das haftungsauslösende Ereignis bestünde. Jedoch ist diese Gemeinsamkeit nicht Grund genug, den Begriff des negativen mit dem des Integritätsinteresses gleichzusetzen: Die Besonderheit des durch die §§ 122, 179 Abs. 2 BGB geschützten Interesses, die bereits bei Mommsen angelegt ist und die Jhering durch die Namensgebung hervorzuheben offenkundig beabsichtigte, liegt – plakativ ausgedrückt – darin, daß sich anders als bei den Normalfällen der Haftung aufgrund Delikts oder aufgrund einer Schutzpflichtverletzung stets ein diesem Interesse entgegengesetztes denken läßt, das in diesen Fällen ungeschützt bleibt: das Interesse an der Gültigkeit der Erklärung. Dies rechtfertigt die Gegenüberstellung von »negativem« und »positivem« Interesse. Über diese Fälle hinaus kann und sollte daher immer dann, wenn das Interesse des Geschädigten in entgegengesetzte Richtungen weisen kann, zwischen negativem und positivem Interesse unterschieden werden. Den Anwendungsbereich der Unterscheidung als das »Recht der Sonderverbindungen« oder als »vertragliche oder vertragsähnliche Schadensersatzansprüche« zu beschreiben, trifft allerdings nicht zu, denn es wären hierin einerseits Ansprüche aus Schutzpflichtverletzungen eingeschlossen, bei denen die Unterscheidung nicht möglich ist, und andererseits überginge man damit deliktische Ansprüche, bei denen sie aufgrund der Eigenart des haftungsbegründenden Verhaltens jedenfalls denkbar ist: So hat die deutsche Rechtsprechung dem Opfer eines Betrugs, wenn zugleich die Voraussetzungen der §§ 463, 480 II BGB a. F. erfüllt waren, den Ersatz des positiven und nicht nur des negativen Interesses auch dann zugebilligt, wenn nur ein Schadensersatzanspruch wegen unerlaubter Handlung geltend gemacht wurde 48. Ebenso gewährt das amerikanische Recht dem durch eine Falschbehauptung Geschädigten als Folge seines deliktischen Anspruchs wegen »misrepresentation« nicht nur den Ersatz frustrierter Aufwendungen, sondern erlaubt ihm auch, den entgangenen Gewinn aus dem fälschlich angenommenen Geschäft zu verlangen49. Darin ist die Unterscheidung zwischen negativem und positivem Interesse unschwer zu erkennen50. Man sollte daher nicht an rechssystematische Unterscheidungen wie die gegenwärtig verbreitete Einteilung der Haftung nach deliktischer, vertraglicher und 48

BGH 25. 11. 1997, NJW 1998, 983, 984; zuvor schon RG 10. 11. 1921, RGZ 103, 154, 160. Vgl. § 549 Restatement (Second) of Torts und aus der Rspr. z. B. Turnbull v. LaRose, 702 P.2d 1331, 1336 (Alaska 1985); Johnson v. Naugle, 557 N. E.2d 1339, 1343 (Ind.Ct.App. 1990). – Anders allerdings die englische Rspr. zur Haftung für reine Vermögensschäden aufgrund »deceit« oder »negligent misrepresentation«: Zwar gewährte der Court of Appeal in East v. Maurer, [1991] W. L. R. 461, den Ersatz entgangenen Gewinns, dies jedoch nur mit der – das negative Interesse kennzeichnenden – Erwägung, daß der Kläger den Gewinn aus einem anderen als dem aufgrund der Täuschung abgeschlossenen Geschäft erwirtschaftet hätte. 50 Dazu näher Kelly, 38 San Diego L.Rev. 169 ff. (2001). 49

II. Zur Abgrenzung des Untersuchungsgegenstands

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»dritter Spur«51, sondern an das besondere Merkmal des Verhaltens des Haftenden anknüpfen, das die eigentümliche Alternative von positivem und negativem Interesse des Geschädigten überhaupt erst eröffnet: Das Verhalten muß dem Gegenüber die Erwartung vermitteln, daß etwas gilt. Nur dann kann das Interesse des Geschädigten ambivalent sein, da es sich auf die Herstellung entweder des seiner Erwartung entsprechenden oder aber des bei ihrer Ausblendung bestehenden Zustands richten kann, und nur dann kann eine Rechtsordnung zwischen positiver und negativer Sanktion, zwischen Bestätigung und Negierung der Erwartung wählen. Um das Spezifikum der Erwartung in diesen Fällen begrifflich zu kennzeichnen, bietet es sich an, auf die Unterscheidung von kognitiver und normativer Erwartung zurückzugreifen52 : Wird eine Erwartung enttäuscht, steht der Entäuschte vor der Alternative, seine Erwartung der Wirklichkeit anzupassen, also aus der Enttäuschung zu lernen, oder aber an ihr festzuhalten und »im Protest gegen die enttäuschende Wirklichkeit weiterzuleben«53. Diese Einstellung charakterisiert die normative Erwartung, jene die kognitive. Die Erwartungen, deren Enttäuschung hier in Rede steht, sind stets normativ, denn nur wenn im Enttäuschungsfall an der Erwartung festgehalten wird, bietet sich der Rechtsordnung überhaupt ein sinnvoller Anknüpfungspunkt für eine positive, d. h. die Erwartung bestätigende Sanktion54. So verstanden bezeichnet die Haftung auf das negative Interesse einen Teilbereich der Haftung auf das Integritätsinteresse, der durch ein haftungsbegründendes Verhalten gekennzeichnet ist, das eine normative Erwartung weckt. Dieser Bereich »normativitätsstiftenden Verhaltens« ist nicht um des Begriffs, sondern um der Sache, nämlich um des besonderen Problems der Sanktionsauswahl willen abzugrenzen, das sich bei schädigendem Verhalten ohne normative Dimension nicht stellt: Haftungsrechtlich ist hier nicht nur zu entscheiden, ob Ersatz zu leisten ist, sondern auch welches Interesse zu ersetzen ist. Die Blässe der hier getroffenen Abgrenzung ist dabei zumindest am Beginn dieser Untersuchung in Kauf zu nehmen. Es geht einstweilen nur darum, die äußersten Grenzen dessen zu bezeichnen, was für diese Untersuchung von Interesse ist. Dazu gehört ein Verhaltensspektrum, das von den (wirksamen oder unwirksamen) Willenserklärungen bis hin zu Verhaltensweisen reicht, von denen »jede für sich genommen relativ geringen Verpflichtungswert hat und die erst im mosaikartigen 51 Vgl. m.Nachw. zu den seit langem vertretenen, in diese Richtung weisenden Ansätzen Bohrer, Dispositionsgarant, S. 264 Fn. 482. 52 Dazu grundlegend (unter Rückgriff auf die zuerst von Johan Galtung geprägte Unterscheidung) Luhmann, Rechtssoziologie, S. 40 ff.; ders., Recht der Gesellschaft, S. 133 f. 53 Luhmann, Rechtssoziologie, S. 42. 54 Zur Illustration: Der Bankangestellte B beobachtet und imitiert heimlich das Anlageverhalten des stets erfolgreichen Spekulanten S, der bei der Bank sein Depot unterhält. Wendet sich das Blatt für S, wird B seine (kognitive) Erwartung über dessen Erfolgaussichten korrigieren. Ein Recht, das diese Erwartung bestätigte oder die Folgen ihrer Fehlerhaftigkeit ungeschehen machte (also den S für den Mißerfolg des B einstehen ließe), würde nur verhindern, daß B aus der Enttäuschung lernt.

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Gesamtbild konkrete normative Verhaltenserwartungen produzieren«55. Um Mißverständnissen vorzubeugen, sei die Bedeutung dieser Abgrenzung in zweierlei Hinsicht klargestellt: Zum einen ist damit noch keine rechtliche Vorentscheidung über die Reichweite und Ausgestaltung haftungsrechtlicher Sanktionen verbunden. Der Umstand, daß sich eine normative Erwartung identifizieren und damit ein positives vom negativen Interesse unterscheiden läßt, bedeutet keineswegs, daß das Interesse des Geschädigten in der einen oder der anderen Richtung von der Rechtsordnung geschützt werden müßte. Zivilrechtsdogmatisch anschlußfähige Begriffe wie »Rechtsgeschäft« oder auch »Selbstbindung« werden deshalb an dieser Stelle bewußt vermieden. Eine Gleichsetzung des Untersuchungsgegenstands mit dem Begriff des Rechtsgeschäfts verbietet sich von vornherein: Wer sich, einer Einladung zum Abendessen folgend, zur rechten Zeit am Haus seines Gastgebers eingefunden und dort vor verschlossener Tür gestanden hat, ist naturgemäß in seiner Erwartung enttäuscht. In seiner Verärgerung mag er daran denken, von dem Einladenden den Ersatz der Anfahrtskosten (das negative Interesse) oder sogar die Kosten eines Abendessens zu verlangen, das er statt dessen in einem benachbarten Lokal eingenommen hat (das positive Interesse). Dieser Umstand reicht, um den Fall in unsere Überlegungen einzubeziehen, aber er allein berechtigt, wie zu zeigen sein wird, noch nicht dazu, die Einladung, die zu der dann enttäuschten normativen Erwartung Anlaß gegeben hat, rechtsgeschäftlich oder überhaupt als Haftungsgrund zu qualifizieren56 . Aus derselben Erwägung wird es diese Untersuchung vermeiden, das gesamte Spektrum normativitätsstiftenden Verhaltens der Selbstbindung zu subsumieren: »Selbstbindung« oder »autonome Bindung« werden hier Verhaltensweisen, die zu normativen Erwartungen Anlaß geben, nur mit Bezug auf das jeweilige Normensystem genannt werden, innerhalb dessen die erzeugten normativen Erwartungen beachtlich sind. Während mit »normativitätsstiftendem Verhalten« (oder ähnlichen Wendungen) wie auch mit dem engeren Begriff des Versprechens stets der Gegenstandsbereich der Untersuchung in einem unspezifischen Sinne gemeint ist, sind »Selbstbindung« und »autonome Bindung« also nach hiesigem Sprachgebrauch Begriffe, die überhaupt nur im Zusammenhang des Systems verwendet werden können, das an die normative Erwartung anknüpft, indem es Reaktionen für den Enttäuschungsfall bereithält. Was hier besonders interessiert, ist naturgemäß die privatrechtliche Selbstbindung, also das privatrechtlich (nicht notwendig nur als »Rechtsgeschäft«) sanktionierte, normativitätsstiftende Verhalten; doch werden sich Seitenblicke auf andere Formen der Selbstbindung nicht vermeiden lassen57. 55

Köndgen, Selbstbindung, S. 187. Siehe unten, §§ 4 III 3; 7 III (jeweils zu dem umgekehrten Fall, in dem der Gast nicht erscheint). 57 Siehe unten, § 7 III. 56

III. Zur Präzisierung der Fragestellung

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Zum anderen ist dem möglicherweise aufkommenden Verdacht entgegenzutreten, daß die hier vorgestellte Definition des Untersuchungsgegenstandes nicht sinnvoll sei, da man die Veranlassung normativer Erwartungen durch ein Verhalten nicht mit Sicherheit von der Veranlassung kognitiver Erwartungen unterscheiden könne. Letzteres ist in der Tat nicht zu bestreiten 58 : Verhaltensregelmäßigkeiten, die jemand anderen gegenüber zeigt, mögen zunächst nur kognitive Erwartungen an künftiges Verhalten begründen – man ist bereit, seine Erwartung zu korrigieren, wenn sich das Verhalten ändert. Ob und wann die Erwartung normativ wird – man hält seine Erwartung gegen eine Verhaltensänderung aufrecht und rechnet die Änderung dem Handelnden als Normabweichung zu –, kann nicht mit Sicherheit gesagt werden. Wie jedes Abgrenzungsproblem bei fließenden Übergängen berechtigt auch dieses jedoch nicht dazu, die Unterscheidung als solche fallen zu lassen: Man könnte mit diesem Trugschluß noch »den klarsten Unterschied, wie zwischen Tag und Nacht, durch den Hinweis auf die Dämmerung leugnen«59.

III. Zur Präzisierung der Fragestellung Die Vorstellung, daß positives und negatives Interesse einander entgegengesetzt sind, ist hilfreich, wenn es darum geht, die Einteilung der Interessen und den Reiz der Fragestellung zu verdeutlichen: Die Entgegensetzung soll das Problem der Sanktionsauswahl im Bereich normativitätsstiftenden Verhaltens plastisch werden lassen. Bei der rechtlichen Differenzierung der auf den Ersatz des negativen und der auf den Ersatz des positiven Interesses gerichteten Haftung muß man sich jedoch vor der bildlichen Assoziation hüten, beide Formen der Haftung wiesen, Pfeilen gleich, von ein und demselben Punkt in gegensätzliche Richtungen: Es wäre nicht zu verstehen, daß die Schadensersatzhaftung mal in die eine und mal in die entgegengesetzte »Richtung« gehen soll, wo man doch nur eine »Richtung« des Schadensersatzes kennt, nämlich, mit den Worten des Gesetzes in § 249 I BGB, die Herstellung des Zustandes, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpfl ichtende Umstand nicht eingetreten wäre. Auch die nachfolgend in den §§ 249 ff. BGB getroffenen Regelungen über Art und Umfang des Schadensersatzes haben nichts mit der hier relevanten Unterscheidung zu tun. Dies gilt insbesondere für § 252 BGB: Der zu ersetzende Schaden erfaßt den entgangenen Gewinn unabhängig davon, ob die Haftung auf den Ersatz des positiven oder des negativen Interesses gerichtet ist – mit dem Unterschied, daß im ersten Fall (etwa nach §§ 280 I, III, 281 BGB) der Gewinn aus dem 58 Zum Folgenden mit Nachw. zum soziologischen Schrifttum Köndgen, Selbstbindung, S. 167 ff. 59 U. Huber, in: FS E. R. Huber, S. 253, 267, m.w.Nachw. in Fn. 48 zur Bekämpfung dieses »Grenzenlosigkeitsschlusses« durch E. R. Huber und C. Schmitt.

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mit dem Haftenden abgeschlossenen und im zweiten Fall (etwa nach § 122 BGB) der Gewinn aus einem möglichen anderen Geschäft zu ersetzen ist, das der Geschädigte im Vertrauen auf das abgeschlossene ausgeschlagen hat60. Es ginge daher fehl, das positive Interesse, wie es in der französischen Literatur 61 und leider auch in den Erläuterungen zu Art. 7.4.2 UP und zu Art. 9:502 EP62 vorkommt, mit dem lucrum cessans und das negative Interesse mit dem damnum emergens zu verwechseln. Ebensowenig bedarf es eines Rückgriffs auf Korrekturen der als »zu grob« erachteten schadensrechtlichen »Einheitsbewertung der Differenz- und der Adäquanztheorie« durch das Schutzzweckkriterium und die Funktionsschadenslehre, um die hier interessierende Unterscheidung zu erklären63. Vielmehr findet, auch wenn Darstellungen des Schadensrechts im allgemeinen Schrifttum positives und negatives Interesse oft unter den Schadensarten oder formen aufführen64 und damit bei oberflächlichem Hinsehen anderes suggerieren, die Weichenstellung zwischen dem Ersatz des positiven und dem Ersatz des negativen Interesses nicht im Schadensrecht statt, sondern ist diesem vorgelagert: Ob das positive oder das negative Interesse zu ersetzen ist, richtet sich danach, worin man den zum Ersatz verpflichtenden Umstand sieht, an den die Bestimmung des Schadensersatzes nach § 249 I BGB anknüpft65. Ist der zum Schadensersatz verpflichtende Umstand die Enttäuschung der durch das Verhalten geweckten normativen Erwartung (etwa die Nichterfüllung eines vertraglichen Leistungsversprechens), gelangt man zum Ersatz des positiven Interesses: Es ist die Vermögenslage 66 herzustellen, die bei erwartungsgerechtem Verhalten, im Falle des Leistungsversprechens also bei ordnungsgemäßer Erfüllung bestünde. Wird aber das Verhalten selbst (das Leistungsversprechen) als zum Ersatz verpfl ichtend bewertet, ist der nach den §§ 249 ff. BGB zu ersetzende Schaden das negative Interesse 67: Wiederherzustellen ist die Lage, in der sich der Geschädigte befände, wenn die normative Erwartung bei ihm nicht geweckt worden wäre. 60

Dazu mit Bezug auf § 122 BGB Flume, Rechtsgeschäft, § 21, 7 (S. 423); Jauernig/Jauernig, § 122 Rz. 3; Larenz/Wolf, AT, § 36 Rz. 131; Palandt/Heinrichs, § 122 Rz. 4; näher dazu unten, § 10 I, II 2. 61 Vgl. Planiol/Ripert/Boulanger, Droit Civil 2, Tz. 744; näher dazu unten, § 11 I 2 c bb. 62 Näher dazu unten, § 11 I 2 c bb. 63 So aber der Ansatz Rengiers, Abgrenzung, S. 18 und näher S. 41 ff. Kritisch zu Rengier auch Meincke, AcP 179 (1979), 170, 171. 64 Lange/Schiemann, Schadensersatz, § 2 IV (S. 63 ff.); Palandt/Heinrichs, Vor § 249 Rz. 16 ff.; Soergel/Mertens, Vor § 249 Rz. 69; Staudinger/Schiemann, § 249 Rz. 194 ff. 65 Zutreffend Lange/Schiemann, Schadensersatz, § 2 IV 1 (S. 64); Meincke, AcP 179 (1979), 170, 171; Mertens, Vermögensschaden, S. 121 Fn. 5; auf den »Schwerpunkt« des zum Ersatz verpfl ichtenden Verhaltens abstellend Hanau/Wackerbarth, in: FS Kim, S. 205, 207 f. 66 Zum grundsätzlichen Ausschluß der Naturalrestitution beim Ersatz des Nichterfüllungsschadens nach altem Schuldrecht U. Huber, Leistungsstörungen Bd. 2, § 36 I 2 (S. 177 ff.), mit Bezug auf § 326 I BGB a. F., und § 55 (S. 680 ff.), mit Bezug auf die §§ 280 I, 325 I 1 BGB a. F. Beim Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung nach neuem Schuldrecht (aus § 280 I, III i. V. m. § 281, § 282 oder § 283 BGB oder aus § 311a II BGB) dürften die Dinge nicht anders liegen. 67 Zutreffend daher mit Blick auf § 122 BGB Meincke, AcP 179 (1979), 170, 171: Das Gesetz

III. Zur Präzisierung der Fragestellung

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Rechtstechnisch ist das Problem der Sanktionsauswahl, was die Unterscheidung zwischen positivem und negativem Interesse betrifft68 , also ein solches des Haftungsgrundes und nicht der Haftungsfolgen: Die Entscheidung über den Ersatz des positiven oder des negativen Interesses fällt, indem, wie im amerikanischen Schrifttum zutreffend gesagt wird69, über die »baseline« für den Schadensersatzanspruch entschieden wird. Die Ausgangsfrage nach der Haftung auf das negative Interesse lautet daher für den Fall des vertraglichen Leistungsversprechens: Wann verpflichtet das Versprechen als solches (und nicht seine Nichterfüllung) zum Schadensersatz? Auf die gesamte Breite des Untersuchungsgegenstandes bezogen, ist diese Frage dahingehend zu verallgemeinern, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Verhalten, das normative Erwartungen weckt, (und nicht die Enttäuschung der durch das Verhalten ausgelösten Erwartung) als Umstand zu bewerten ist, der zum Schadensersatz verpflichtet. Von der Beantwortung dieser Frage darf man sich Aufschlüsse für die Klärung weiterer Fragen erhoffen, zu denen vor allem die folgenden zählen: Welchen Umfang hat der ggf. aufgrund des normativitätsstiftenden Verhaltens zu ersetzende Schaden? Ist der durch ein solches Verhalten verursachte Schaden (das negative Interesse) nicht zu ersetzen, soweit er den durch die Enttäuschung der Erwartung verursachten Schaden (das positive Interesse) übersteigt? Kann es schließlich einer Partei, sei es dem Anspruchsteller oder dem Anspruchsgegner, überlassen bleiben, den zum Schadensersatz verpflichtenden Umstand und damit das zu ersetzende Interesse nach ihrer Wahl zu bestimmen?

wolle »als den zum Ersatz verpfl ichtenden Umstand das vor der Anfechtungserklärung liegende Erwecken des Vertrauens auf die Gültigkeit des Vertrages gewertet wissen«. Unrichtig dagegen Brehmer, Wille und Erklärung, S. 88, mit der Behauptung, es handele sich bei § 122 BGB um eine Haftung auf Schadensersatz »wegen Anfechtung«. 68 Der Klarstellung halber sei betont, daß dies nicht für alle Fragen der Sanktionsauswahl gilt. Insbesondere die Unterscheidung zwischen dem Erfüllungszwang und der Haftung auf das positive Interesse ist eine Frage der Haftungsfolgen. Die Entscheidung zwischen diesen beiden Sanktionen (dazu zuletzt eingehend Neufang, Erfüllungszwang, passim; vgl. ferner MüllerChen, in: Jb. junger Zivilrechtswissenschaftler 1996, S. 23 ff.; sowie aus historischer Sicht Nehlsen-v. Stryk, AcP 193 (1993), 529 ff.; Repgen, Vertragstreue und Erfüllungszwang in der mittelalterlichen Rechtswissenschaft, 1994; Rütten, in: FS Gernhuber, S. 939 ff.) setzt also die hier allein zu untersuchende Entscheidung zwischen dem Versprechen und seiner Nichterfüllung als Haftungsgrund bereits voraus. 69 Craswell, 67 U.Chi.L.Rev. 99, 125 u. ö. (2000); treffend auch Kelly, 1992 Wis.L.Rev. 1755, 1775 Fn. 60: »the reliance interest fi xes the wrong as making the promise, not breaking it«.

Erster Teil

Rechtspolitische Grundlagen

§ 2 Überblick Als Muster zivilrechtlicher Selbstbindung ist jedem das im Rahmen des Schuldvertrags mit rechtlicher Verbindlichkeit ausgestattete Leistungsversprechen geläufig. Die sich um die Reichweite des Begriffs »Versprechen« rankenden sprachphilosophischen Streitigkeiten – etwa darum, ob auch die bloße Behauptung der Wahrheit einer Tatsache als Versprechen bezeichnet werden kann1 – bedürfen hier keiner Erörterung: Um die in diesem Teil der Untersuchung behandelten rechtspolitischen Grundfragen der Sanktionsauswahl vor Augen zu haben, reicht es zunächst aus, sich stellvertretend für die Gesamtheit normativitätsstiftenden Verhaltens den einfachen Fall vorzustellen, daß jemand einem anderen die Erbringung einer eigenen Leistung bewußt und explizit verspricht. Die erste Grundfrage lautet dann: Ist es sinnvoll, in dem Versprechen als solchem einen zum Schadensersatz verpflichtenden Umstand zu erblicken? Dies ist die Frage nach der Eignung der Pflicht zum Ersatz des negativen Interesses als Sanktion für zivilrechtliche Selbstbindungstatbestände. Ihre Bejahung vorausgesetzt, gelangt man zur zweiten Grundfrage: Wann ist es angebracht, anders vorzugehen, nämlich anstelle des Versprechens seine Nichterfüllung zum Anknüpfungspunkt privatrechtlicher Sanktionen zu machen oder aber umgekehrt ganz darauf zu verzichten, Versprechen als (vertragliche oder außervertragliche) 2 Selbstbindungen von Privatrechtssubjekten zu qualifizieren? Dies ist die Frage nach dem Verhältnis der Haftung auf das negative Interesse zu den auf die Wahrung des Erfüllungsinteresses gerichteten rechtlichen Sanktionen auf der einen und zu den außerrechtlichen Mechanismen der Produktion und Stabilisierung normativer Erwartungen auf der anderen Seite. Um diese Fragen beantworten zu können, bedarf es nicht unbeträchtlicher Vorarbeiten. In der deutschen Rechtswissenschaft sind die dogmatischen Weichen so gestellt, daß die Möglichkeit, die Haftung auf das negative Interesse als Selbstbindungssanktion zu verstehen, meist gar nicht erst in den Blick gerät oder nur unbefriedigend behandelt wird. Die amerikanische Doktrin hat insoweit, wiewohl ursprünglich von deutscher Literatur inspiriert, zumindest in gewichtigen Strö1 Dazu einerseits (befürwortend) Atiyah, Promises, S. 161 ff.; andererseits (ablehnend) Stoljar, [1988] C. L. J. 193, 197. 2 An dieser Stelle sei an das hiesige, in § 1 II erläuterte Verständnis von Selbstbindung erinnert: Mit zivilrechtlicher »Selbstbindung« oder »autonomer Bindung« ist in dieser Arbeit jedes normativitätsstiftende Verhalten eines Privatrechtssubjekts gemeint, das im Enttäuschungsfall privatrechtlich sanktioniert ist, also nicht notwendig nur normativitätsstiftendes Verhalten, das als Begründung einer rechtsgeschäftlichen Verpfl ichtung bewertet wird.

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§ 2 Überblick

mungen einen anderen Ausgangspunkt. In § 3 wird die historisch gewachsene Verschiedenheit der rechtswissenschaftlichen Blickwinkel aufgezeigt und dargelegt werden, daß diese mit unterschiedlichen Vorstellungen über das Wesen privatrechtlicher Selbstbindung im Zusammenhang stehen. Nun berechtigt allein der Umstand, daß in einem anderen Rechtskreis anders als in Deutschland über die Haftung auf das negative Interesse nachgedacht wird, noch nicht dazu, einen Wechsel der Perspektive einzufordern. Unabhängig von seiner Vereinbarkeit mit dem geltenden Recht weckt der Versuch, Selbstbindungstatbestände mit einer anderen Sanktion als dem Erfüllungszwang oder der Pflicht zum Ersatz des positiven Interesses zu verbinden, bereits Argwohn, was seine außerrechtlichen Voraussetzungen betrifft: Wird damit nicht einer der Verbindlichkeit des Versprechens widersprechenden und damit schon im Ansatz rechtsethisch verfehlten Vorstellung von Selbstbindung das Wort geredet? Die Antwort darauf wird in § 4 erarbeitet: Was das Zivilrecht im Hinblick auf Versprechen und sonstiges normativitätsstiftendes Verhalten zu leisten vermag, ist nur die Stabilisierung der freien Koordinierung zwischen Rechtssubjekten durch Haftungsregeln. Dies ist der Ausgangspunkt der hier entwickelten marktfunktionalen Selbstbindungskonzeption. Auf dieser Grundlage wird in den §§ 5–7 der Versuch unternommen werden, rechtspolitische Kriterien für die Beantwortung der eingangs gestellten Fragen, also für die Entscheidung zugunsten des Schutzes des negativen Interesses (§ 5) in Abgrenzung zum Schutz des positiven Interesses auf der einen (§ 6) und zum Verzicht auf rechtliche Sanktionen auf der anderen Seite (§ 7) zu gewinnen, an denen sich die Erarbeitung des Systems der Haftung auf das negative Interesse im zweiten Teil dieser Untersuchung orientieren kann.

§ 3 Die Theorie der Haftung auf das negative Interesse in den Traditionen Jherings und Fullers Die grundlegende Bedeutung, die Jherings unter dem Titel »Culpa in contrahendo oder Schadensersatz bei nichtigen oder nicht zur Perfection gelangten Verträgen« 1860 erschienener Aufsatz1 im deutschsprachigen Raum erlangt hat 2 , wird im anglo-amerikanischen Rechtskreis Fullers und Perdues 1936 veröffentlichtem Artikel »The Reliance Interest in Contract Damages«3 beigemessen4. Ob diese Untersuchungen ihren festen Platz im kollektiven Gedächtnis der jeweiligen Rechtskultur zu Recht oder zu Unrecht einnehmen, sei hier dahingestellt – jedenfalls unbestreitbar ist, daß ihre Thesen als juristische »Entdeckungen« wahrgenommen wurden5 und mit ihnen eine intensive wissenschaftliche Diskussion der Haftung auf das negative Interesse in dem jeweiligen Rechtssystem überhaupt erst begann. Dies gilt ungeachtet der Tatsache, daß Jhering wie Fuller, von dem im folgenden als Urheber der hier maßgeblichen Gedanken allein die Rede sein wird6 , auf Vorläufer zurückblicken konnten, die Wesentliches von dem, was sich später fast ausschließlich mit ihren Namen verband, vorwegnahmen7. 1 Auch wenn Jherings Beitrag in Jher.Jb. 4 unter dem Datum 1861 publiziert ist, dürfte das tatsächliche Erscheinungsdatum (wie beim Wiederabdruck in den Gesammelten Aufsätzen Bd. 1, S. 327, angegeben) 1860 sein; näher dazu Schanze, Ius Commune VII (1978), 326, 333 f. Fn. 18. 2 Vgl. etwa die Würdigung durch Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 241 ff.; für Österreich z. B. Welser, ÖJZ 1973, 281 (»großer Wurf«); für die Schweiz z. B. Piotet, Culpa in contrahendo, S. 13 ff., 121 ff. 3 46 Yale L. J. 52 (1. Teil), 373 (2. Teil) (1936). 4 Vgl. etwa Atiyah, Essays, S. 73: »the most influential single article in the entire history of modern contract scholarship, at any rate in the common law world«; Barnes, 48 Emory L. J. 1137 (1999): »one of the most influential of all articles on contract law«; Barnett, Contract Law, S. 3: »by consensus [. . .] the most famous and oft-cited article on contract law ever written«; Birmingham, 60 Wash.L.Rev. 217 (1985): »our most significant article on contract law«. 5 Vgl. einerseits im Hinblick auf Jhering Dölle, in: Verhandlungen des 42. DJT, Bd. II, S. B1, 7 ff.; Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 243; andererseits im Hinblick auf Fuller und Perdue Rakoff, 1991 Wis.L.Rev. 203, 206 (1991). 6 Der Anteil Perdues, der als studentische Hilfskraft für Fuller tätig war, beschränkte sich nach eigenem Bekunden (100 Yale L. J. 1449, 1487 Fn. 118 (1991)) auf die Recherche amerikanischer und britischer Entscheidungen, die Vorbereitung der Fußnoten und den Entwurf des hier weniger interessierenden zweiten Teils des Artikels, in dem das Fallmaterial aufbereitet ist. 7 Mit Bezug auf Jhering ist vor allem zu nennen Richelmann, Der Einfluß des Irrthums auf Verträge, S. 129 ff., und mit Bezug auf Fuller sind dies Cohen, 46 Harv.L.Rev. 553, 578 ff. (1933); und Gardner, 46 Harv.L.Rev.1, 22 f. (1932).

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§ 3 Die Theorie der Haftung

Der folgende theoriegeschichtliche Rückblick, der außer den Lehren Jherings und Fullers nur einige wichtige Marksteine ihrer wissenschaftlichen Weiterentwicklung umfaßt, hat das Ziel, Konstanten aufzuzeigen, welche die Vorstellungen von der Haftung auf das negative Interesse in den Traditionen beider Lehren prägen. Dabei wird sich erweisen, daß Fuller bereits die Ausgangsfrage der angloamerikanischen Debatte um das negative Interesse anders formuliert hat, als Jhering dies für die Diskussion im deutschsprachigen Raum getan hat und als sie hier – von Ausnahmen abgesehen – immer noch gestellt wird. Jhering gelang es, nachfolgenden Generationen auf der Grundlage eines willenstheoretischen Verständnisses vertraglicher Selbstbindung den Eindruck zu vermitteln, daß zwischen deliktischer und vertraglicher Haftung eine Lücke klaffe. Die Lösung des Problems konnte letztlich nur eine außervertragliche Konzeption der Haftung auf das negative Interesse bieten (dazu I.). Fuller versuchte keine Lücke zu füllen, sondern stellte, begünstigt durch ein weniger prinzipiengebundenes Vertragsrecht, die Frage nach der richtigen Vertragsbruchsanktion, ohne sich am Willensdogma zu orientieren. Seine auf einem instrumentalistischen Verständnis des Vertragsrechts beruhende Antwort sollte den Anstoß zur Beschäftigung mit der Haftung auf das negative Interesse als Form vertraglicher Haftung geben (dazu II.). Die Gegenüberstellung der grundsätzlich verschiedenen Traditionen wissenschaftlicher Theoriebildung im Rahmen eines »Theorievergleichs« (und, dies sei betont, keines Rechtsvergleichs, welcher auf Rechtsprechung und Gesetzgebung eingehen müßte) liefert noch keine Antworten auf die eingangs aufgeworfenen Grundfragen der Sanktionsauswahl; sie lehrt jedoch, wie tief eine Theorie der Haftung auf das negative Interesse zu gründen ist: Den Haftungskonzeptionen liegen jenseits der divergierenden Regeln der positiven Rechte, die sie zu erklären versuchen, unterschiedliche Grundannahmen über die Natur zivilrechtlicher Selbstbindung zugrunde, über die man nicht hinwegsehen darf (dazu III.).

I. Jherings Lehre und ihre wissenschaftliche Weiterentwicklung: Die außervertragliche Konzeption der Haftung auf das negative Interesse 1. Jherings culpa in contrahendo Wenn hier die außervertragliche Konzeption der Haftung auf das negative Interesse als Charakteristikum der auf Jhering zurückgehenden theoriegeschichtlichen Tradition bezeichnet wird, mag dies zunächst verwundern: Jhering selbst hat doch, so der naheliegende Einwand, die von ihm postulierte Haftung ausdrücklich auf vertragliches und nicht auf deliktisches Verschulden gestützt. Bei näherem Hinsehen erweist sich aber, daß Jherings Konstruktion einer Haftung für vertrag-

I. Jherings Lehre und ihre wissenschaftliche Weiterentwicklung

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liche culpa letztlich nur eine – von ihm selbst später aufgegebene8 – Verlegenheitslösung war. In der Sache steht hinter Jherings Beitrag aus dem Jahre 1860 das Anliegen, die vertragliche Haftung durch die strikte Orientierung am Willensdogma zu begrenzen und sie durch eine Haftung auf das negative Interesse zu ergänzen (dazu a)), deren Rechtfertigung und dogmatische Einbindung ihm freilich noch nicht recht gelungen ist (dazu b)). a) Die »empfi ndliche Lücke« im Haftungsrecht und das Willensdogma Jherings Darstellung gilt nicht zuletzt wegen ihres suggestiven Problemaufrisses als beispielhaft für das Bewußtwerden eines rechtsethischen Prinzips9 : Jhering führt seinen Lesern eine nach seinem Bekunden »empfindliche Lücke«10 im Haftungsrecht vor, die er durch die Konstruktion der c.i.c. auszufüllen trachtet. Diese Lücke demonstriert er zunächst anhand eines Lehrbuchfalls: Jemand verschreibe sich bei der Bestellung einer Ware und verwechsle etwa das Pfund- mit dem Zentnerzeichen. Da einerseits der Vertrag unzweifelhaft nichtig sei und andererseits die Grundsätze der außervertraglichen Haftung, der actio legis Aquiliae, nicht anwendbar seien, ergebe sich keine Grundlage für die Haftung des culposen Teils auf Ersatz der dem Gegner aufgrund der Bestellung entstandenen Verpackungsund Versendungskosten. Die »Unbilligkeit und praktische Trostlosigkeit eines solchen Resultats«11 liege jedoch auf der Hand. Weitere Beispiele sollen das Judiz in gleicher Weise herausfordern: Ein Bote habe eine Bestellung unrichtig, nämlich auf »4 Kisten« statt auf »1/4 Kiste Cigarren« ausgerichtet, oder eine als telegraphische Depesche abgesandte Verkaufsorder sei fälschlich als Kauforder übermittelt worden. Hier widerspreche es jeder »Regung des gesunden Rechtsgefühls«, wenn man dem jeweiligen Empfänger den Ersatz von Schäden versage, die er im Hinblick auf die ungültigen Erklärungen erlitten habe12. Das Eigentümliche dieser Fälle, welches ihn dazu veranlaßt, die Haftung wegen c.i.c. zu postulieren, macht Jhering denn auch, den Kern seiner These 8 Jhering, in: Vermischte Schriften, S. 155, 197 Fn. 73. Dazu Brock, Vertragsinteresse, S. 54; Choe, Culpa in contrahendo, S. 122; Keller, Das negative Interesse, S. 36; Schanze, Ius Commune VII (1978), 326, 356. 9 So die Interpretation von Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 242: »Jherings dankenswerter Entstehungsbericht läßt keinen Zweifel daran, auf welchem Wege ihm das Prinzip einer Haftung speziell für eine ›culpa in contrahendo‹ bewußt geworden ist. Am Anfang stand seine rechtsethische Wertung, ihr folgte eine Analyse der Fälle, auf die sie sich bezog, und deren Vergleich mit anderen Fällen; darauf formulierte er das Prinzip.« Die im Text nachfolgenden Darlegungen sollen dies widerlegen: Der erste Teil von Jherings Beitrag kann schwerlich als »Entstehungsbericht« gelten; es handelt sich vielmehr um einen darstellungstechnischen Kunstgriff, mit dem der Leser für eine – bereits bekannte, aber von Savigny verworfene – Lösung der Irrtumsfälle gewonnen werden soll. 10 Jher.Jb. 4 (1861), 1, 3. 11 Jher.Jb. 4 (1861), 1, 2. 12 Jher.Jb. 4 (1861), 1, 4 ff. Während es sich bei der Bestellung der Zigarren wiederum um ein Schulbeispiel handelt, wurde der von Jhering referierte Fall der falsch übermittelten Order 1856 vom LG Köln nach französischem Recht unter Anwendung der deliktischen Generalklausel in

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damit bereits vorwegnehmend, sogleich deutlich: Es werde hier »die culpa begangen bei Gelegenheit eines intendirten Contractverhältnisses, der eine Theil ist dadurch in Schaden gerathen, daß er einen ihn von einem andern proponirten und dem äußern Hergang nach zu Stande gekommenen Vertrag ausführte.«13 Im Grunde hat Jhering damit den wesentlichen Teil seiner Überzeugungsarbeit bereits geleistet – die unmittelbar an das Billigkeitsgefühl appellierende Behauptung14, daß man sich in diesen Fällen nicht damit abfinden könne, das Auseinanderfallen von Wille und Erklärung zu Lasten des daran ganz unschuldigen Erklärungsempfängers gehen zu lassen, wirkt so evident richtig, daß man sich nur über die bis dahin anscheinend herrschende Vernachlässigung des Problems wundern kann. Jhering selbst bestärkt diesen Eindruck, indem er, was die Irrtumsproblematik betrifft, nur recht knapp auf vereinzelte pandektenwissenschaftliche Ansätze15 verweist, die eine Culpa-Haftung des Irrenden befürworten. Indes trifft dies, blickt man auf die Vorgeschichte, nicht ganz zu. Unerwähnt läßt Jhering zunächst, daß seine Überlegungen naturrechtlichen Ursprungs sind. Bereits Grotius hatte – wohl unter Rückgriff auf die Lehre des gegenreformatorischen Jesuiten Lessius 16 – die Verpflichtung des schuldhaft bei der Abgabe einer Erklärung Irrenden zum Schadensersatz »ex damno per culpam dato« befürwortet17. Allerdings mochte es unter der Herrschaft der Historischen Schule eher kontraproduktiv gewesen sein, sich auf Grotius oder andere Vertreter Art. 1382 Code civil entschieden; vgl. zu dem seinerzeit stark beachteten Fall mit zahlreichen Nachw. Windscheid/Kipp, Pandektenrecht II, § 268 Anm. 5 (S. 268). 13 Jhering, Jher.Jb. 4 (1861), 1, 7. 14 Wenn Schanze, Ius Commune VII (1978), 326, 336, vor dem Hintergrund von Jherings »naturhistorischer Methode« von einem »ästhetischen Mangel am System« spricht, den Jhering diagnostiziert habe, so veranschlagt er diesen Aspekt wohl zu gering; gegen Schanze auch Choe, Culpa in contrahendo, S. 11 u. ö. 15 Richelmann, Der Einfluß des Irrthums auf Verträge, S. 129 ff.; Schweppe, Das römische Privatrecht III, § 418 (S. 109 f.); vgl. zu beiden Brock, Das negative Vertragsinteresse, S. 42. Jhering, Jher.Jb. 4 (1861), 1, 3 Fn. 3, nennt außerdem – im Anschluß an Richelmann – Cujaz und Donellus, fügt jedoch hinzu, daß diese »über die unmittelbaren Anhaltspunkte der Quellen wenig hinausgehen«. 16 Dazu Diesselhorst, Grotius, S. 97; eingehend zu den Lehren der spanischen Jesuiten Lessius, Molina und Suarez, auf die Grotius zurückgriff, Gordley, The Philosophical Origins of Modern Contract Doctrine, S. 69 ff. 17 Grotius, De iure belli ac pacis, 2.11.6.3 (S. 332): »Quod si promissor negligens fuit in re exploranda, aut in sensu suo exprimendo, et damnum inde alter passus sit, tenebitur id resarcire promissor, non ex vi promissionis, sed ex damno per culpam dato [. . .].« Dazu Choe, Culpa in contrahendo, S. 219; Coing, Europäisches Privatrecht Bd. 1, S. 418 f.; Diesselhorst, Grotius, S. 91 ff.; Luig, ZNR 12 (1990), 68, 69. Vgl. außerdem im Anschluß an Grotius Pufendorf, De iure naturae et gentium, 3.6.6.: »Caeterum si promissor fuit negligens in re exploranda, in qua consensum suum fundavit, tenetur resarcire, si quod damnum ex inani isto promisso alter accepit.« Dazu Choe, Culpa in contrahendo, S. 220; Coing, Europäisches Privatrecht Bd. 1, S. 419; Luig, ZNR 12 (1990), 68, 69. – Jhering (a.a.O., 45 ff.) geht freilich auf die naturrechtlichen Kodifi kationen des ALR und des ABGB ein. Sein prominentester Beleg (§ 284 I 5 ALR; dazu Jhering, a.a.O., 51) ist jedoch dem eigenen Problembewußtsein »interpoliert« (Schanze, Ius Commune VII (1978), 326, 330); siehe dazu auch unten Fn. 42.

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des Naturrechts zu berufen. Darüber hinaus spricht aber auch vieles dafür, daß Jhering den Stand der zeitgenössischen Rechtswissenschaft und hier vor allem die Lehre Savignys verzeichnet hat: In einer 1837 erschienenen Monographie hatte Richelmann bereits »eine fühlbare Lücke des Römischen Rechts«18 diagnostiziert, was die Behandlung der Irrtumsfälle betrifft, und – wie später Jhering – die Lösung in der Vertragsklage gesehen, welche sich hier freilich nicht aus dem die Hauptverbindlichkeit begründenden Versprechen ergebe, sondern daraus, daß die culpa als ein »neues Fundament« hinzukomme19. Nur war dieser Ansatz nicht auf den Beifall Savignys gestoßen, der die culpa »gar nicht allgemein [für] eine causa obligationis« hielt 20. Die von Jhering kritisierte Ablehnung der allgemeinen Culpa-Haftung durch Savigny geht nun aber nicht notwendig mit den in der Tat trostlosen Resultaten einher, die den Anstoß zur Formulierung der c.i.c. geben. Wenn man Savignys Lehre recht versteht, wird darin der Beachtlichkeit des Irrtums des Erklärenden nämlich nicht so großes Gewicht eingeräumt, daß von einer wirklich »empfindlichen Lücke« die Rede sein müßte, die durch den Schutz des negativen Interesses des Erklärungsgegners zu schließen wäre. Vielmehr kommt dem Erklärungsgegner bei Savigny eine vergleichsweise enge Begrenzung des Kreises der Irrtümer zugute, auf die sich der Erklärende berufen kann. Damit kann im Ergebnis auch in solchen Fällen das positive Interesse des Gegners geschützt sein, in denen Jhering nur an eine auf den Ersatz des negativen Interesses gerichtete Haftung denkt: Zunächst ist bei Savigny scharf der grundsätzlich unbeachtliche Motivirrtum, der »das Wollen [als] selbständige Thatsache« nicht ausschließt 21, von den Konstellationen »unächten« Irrtums zu scheiden, in denen die Abwesenheit eines mit der Erklärung übereinstimmenden Willens die Eingehung eines gültigen Rechtsgeschäfts hindert 22. Aber auch in den zuletzt genannten Fällen, zu denen Jherings Beispiele gehören, hält Savigny den Willensmangel nicht für durchweg beachtlich. Schon in seinen einleitenden Bemerkungen zur rechtlichen Behandlung der Erklärung ohne Willen setzt er einer maßgeblich auf den Willen des Erklärenden abstellenden Konzeption der Willenserklärung eine Schranke: Auf die Formulierung, daß »eigentlich . . . der Wille an sich als das einzig Wichtige und Wirksame gedacht werden [muß]« und wir eines Zeichens, nämlich der Erklärung, nur bedürfen, »weil er ein inneres, unsichtbares Ereigniß ist«23, läßt er eine Feststellung folgen, welche die willenstheoretische Basis relativiert, ja nach teilweise vertretener An18

Richelmann, Der Einfluß des Irrthums auf Verträge, S. 130. Richelmann, Der Einfluß des Irrthums auf Verträge, S. 131 f. Daß Jherings Anlehnung an Richelmann enger war, als seine Darstellung zu erkennen gab, stellen auch Choe, Culpa in contrahendo, S. 207, und Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpfl ichtung, S. 22, fest. 20 Savigny, System III, § 138 Anm. d (S. 295) mit Bezug auf die Haftung des Verkäufers, der ein Gefäß irrig als golden ausgibt. 21 Savigny, System III, § 115 (S. 113). 22 System III, § 135 (S. 263 f.). 23 System III, § 134 (S. 258). 19

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sicht sogar der entscheidende Beleg für eine grundsätzlich von der Unbeachtlichkeit des Irrtums ausgehende Sicht Savignys sein soll 24 : »Nun beruht aber alle Rechtsordnung gerade auf der Zuverlässigkeit jener Zeichen, wodurch allein Menschen mit Menschen in eine lebendige Wechselwirkung treten können.«25 Selbst wenn man das Willensdogma gleichwohl als Grundlage der Irrtumslehre Savignys ansieht, ist es für ihn doch nur leitendes Prinzip und nicht in jedem Einzelfall anzuwendende Entscheidungsregel 26 . Es bleibt in seiner Lehre im wesentlichen 27 bei der Beachtlichkeit des Irrtums (nur) in den Fällen, welche die römischen Quellen überliefern und die den Kategorien des error in negotio, error in persona, error in corpore und error in substantia zugeordnet werden. Insbesondere aber ergibt sich, was den obligatorischen Vertrag betrifft, eine bedeutsame Begrenzung der Relevanz des Irrtums aus Savignys Auslegungslehre28 : Bei mehrdeutig formulierten Verträgen legt er der Partei, »die sich der Fassung des Vertrages unterzieht«, »gleichsam die Verantwortung für die Uebereinstimmung« auf29 und verweigert ihr damit die Möglichkeit, sich auf einen Irrtum zu berufen. Zudem hält er in dem Fall, daß die Parteien geschuldete Münzen mit einem mehrdeutigen Namen bezeichnen, der Sprachgebrauch am Vertragsort aber für eine bestimmte Münzsorte entscheidet, den Vertrag nicht infolge Irrtums für nichtig, sondern läßt ihn zu dieser Münzsorte gelten 30. Jhering dagegen lehnt hier jedenfalls dann, wenn die irrende Partei den örtlichen Sprachgebrauch weder kannte noch kennen mußte, einen wirksamen Vertragsschluß ab und will dem Gegner nur den Ersatz des negativen Interesses gewähren 31. Nimmt man dies in den Blick, so erscheint die von Jhering unterstellte Haftungslücke in einem anderem Licht: Man wird mit Savigny wohl auch in den von Jhering einleitend angeführten Fällen des Erklärungsirrtums und der Falschübermittlung ungeachtet des Willensmangels zur Geltung des unzweideutig Erklärten und damit zur Haftung des Irrenden auf Erfüllung oder, was für die hier ver24

So Luig, Ius Commune VIII (1979), 36, 46, in Abgrenzung zu Zitelmann, Jher.Jb. 16 (1878), 357, 359 (der das folgende Savigny-Zitat unter die »Konzessionen an die gegnerische Theorie« einordnet), und Flume, Rechtsgeschäft, § 22, 2 (S. 442). 25 System III, § 134 (S. 258). 26 So bereits Flume, Rechtsgeschäft, § 22, 2 (S. 445). 27 Vgl. aber auch den von Savigny, System III, § 135 (S. 267), behandelten besonderen Fall des auf den Inhalt des Willens im Ganzen bezogenen Irrtums wie beim Unterschreiben einer untergeschobenen oder unrichtig vorgelesenen Urkunde. 28 Darauf weisen zu Recht hin Flume, Rechtsgeschäft, § 22, 2 (S. 443), und Luig, Ius Commune VIII (1979), 36, 52 f. 29 Obligationenrecht II, § 71 (S. 193). 30 Obligationenrecht II, § 71 Anm. r (S. 192). Nach geltendem Recht liegt dagegen ein Anfechtungsgrund nach § 119 I 1. Alt. BGB vor. 31 Jher.Jb. 4 (1861), 1, 76 ff. Nicht recht deutlich wird dabei, welchen Raum die c.i.c. einnehmen kann, wenn einerseits (a.a.O., 78) die haftungsbegründende culpa im Unterlassen einer Vergewisserung über die Bedeutung der Münzbezeichnung am Vertragsort liegen und andererseits (a.a.O., 77) ein wirksamer Vertrag schon bei bloßem Kennenmüssen der Münzbezeichnung zustandekommen soll.

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folgten Zwecke gleichbedeutend ist, auf das positive Interesse gelangen können. Zumindest wäre eine solche Lösung als Fortentwicklung seiner Lehre diskutabel gewesen. »Jhering hat sich also«, so formuliert Luig 32 pointiert, »sein Problem erst dadurch selbst geschaffen, daß er die Willenstheorie bei der Behandlung des Irrtums über das von Savigny gewollte Ausmaß hinaus erweitert hat.« Seine eigentliche Leistung ist daher nicht so sehr durch die »Entdeckung« einer Haftungslücke und des Mittels zu ihrer Schließung, sondern dadurch zu charakterisieren, daß er durch die Einführung des negativen Interesses anstelle einer schneidigen, nur zwischen der Gewährung des positiven Interesses und der Verweigerung jeglichen Schutzes unterscheidenden Regelung einer Differenzierung der Sanktionen den Weg bereitete. Gleiches läßt sich jenseits der Irrtumsfälle zumindest für einen Teil der weiteren Kasuistik feststellen, die Jhering der c.i.c. in den Fallgruppen der Vertragsnichtigkeit wegen »Unfähigkeit des Subjects«, »Unfähigkeit des Objects« oder »Unzuverlässigkeit des contractlichen Willens« zuordnet 33 : Auch insoweit füllt die von ihm vertretene Haftung auf das negative Interesse nicht eine bislang übersehene Lücke im Schutz des auf die Gültigkeit einer Erklärung Vertrauenden, sondern konkurriert mit anderen, den Ersatz des positiven Interesses gewährenden Lösungen. So führt Jhering unter dem Stichwort »Unfähigkeit des Subjects« als Anwendungsbeispiel für die c.i.c. den Fall an, daß ein »Minderjähriger von nahezu 25 Jahren« ein Land aufsucht, in dem die Volljährigkeit früher eintritt und in dem er vertragliche Verbindlichkeiten eingeht 34. Das Interesse des gutgläubigen Vertragspartners in dieser besonderen kollisionsrechtlichen Situation wird indes bereits von Savigny nicht übersehen, der freilich nicht die Haftung auf das negative Interesse in Betracht zieht, sondern auf die positivrechtliche Anordnung der Vertragsgültigkeit nach preußischem Recht verweist 35. Des weiteren lehnt Savigny für die von Jhering im Rahmen der »Unfähigkeit des Objects« behandelte anfängliche Unmöglichkeit 36 nicht jegliche Haftung ab, sondern nimmt im Gegenteil bei Kauf-, Tausch- oder vergleichbaren Verträgen, »wenn der Glaubiger unbekannt ist mit der Unmöglichkeit«, Vertragsgültigkeit an, »so daß der Käufer Entschädigung fordern darf für das Recht, welches ihm nicht unmittelbar verschafft werden kann«37. Was schließlich die Konstellationen der »Unzuverlässigkeit des contractlichen Willens« betrifft, so ist neben den Irrtumsfällen das Problem des Widerrufs des – nach gemeinem Recht grundsätzlich nicht bindenden – Angebots vor Zugang 32

ZNR 12 (1990), 68, 70 f. Vgl. auch Bürge, SZ (Rom.) 108 (1991), 571, 575. Dazu Jher.Jb. 4 (1861), 1, 56 ff. 34 Jher.Jb. 4 (1861), 1, 59. 35 Savigny, System VIII, § 362 (S. 140 f.), § 363 (S. 143 f.), unter Hinweis auf § 35 Einl. ALR. Nach geltendem Recht (Art. 12 S. 1 EGBGB) wäre ein in solcher Fallgestaltung abgeschlossener Vertrag gleichfalls wirksam. Näher zur kollisionsrechtlichen Fragestellung Schanze, Ius Commune VII (1978), 326, 341 f. mit Fn. 67. 36 Jhering, Jher.Jb. 4 (1861), 1, 66 ff. 37 Savigny, Obligationenrecht II, § 81 (S. 290); vgl. dazu Arp, Anfängliche Unmöglichkeit, S. 139; Luig, ZNR 12 (1990), 68, 70 f. 33

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der Annahmeerklärung beim Vertragsschluß unter Abwesenden zu nennen: Hier räumt Jhering ein, daß die in Art. 298 des Entwurfs des ADHGB vorgeschlagene Beschränkung des Widerrufs auf die Zeit bis zum Zugang des Angebots »von dem legislativ-politischen [Standpunkt] aus für den kaufmännischen Verkehr entschieden den Vorzug« verdiene38 ; nur die lex lata scheint ihm insoweit nicht mehr als die auf c.i.c. gegründete Haftung des Widerrufenden zu erlauben 39. Dies alles diskreditiert nun keineswegs die von Jhering geforderte Haftung auf das negative Interesse, die einer Verpfl ichtung des Irrenden, Minderjährigen, seine Erklärung Widerrufenden oder eine unmögliche Leistung Versprechenden zur Erfüllung oder zum Ersatz des positiven Interesses durchaus überlegen sein mag. Es gilt nur zu erkennen, daß die Suggestion einer Haftungslücke irreführend ist. Jhering »entdeckt« weder die Probleme (wenn sie bei ihm auch zum ersten Mal systematisch aufgearbeitet werden) noch die Culpa-Haftung als Lösung. Vielmehr will er gegen den die damalige Wissenschaft dominierenden Savigny eine bestimmte, naturrechtlich inspirierte Lösung des Sanktionsproblems durchsetzen: Die Erfüllungshaftung soll allein dem »intakten« und das heißt vor allem: willensgetragenen vertraglichen Leistungsversprechen vorbehalten sein, und neben sie soll die Haftung auf das negative Interesse in den »pathologischen« Fällen treten. b) Jherings Verständnis der Haftung auf das negative Interesse Nach dem zuvor Gesagten läge nichts näher als eine außervertragliche Konzeption der Haftung auf das negative Interesse. Da Jhering es jedoch ablehnt, dem von ihm erkannten Bedürfnis, in den geschilderten Fällen zu einer Schadloshaltung des Erklärungsgegners zu gelangen, durch eine Ausdehnung der deliktischen Haftung aufgrund der actio legis Aquiliae oder der actio de dolo Rechnung zu tragen, welche ins Uferlose führen könnte40 , bleibt ihm seiner Ansicht nach nichts übrig, als den Anspruch auf Ersatz des negativen Interesses »entweder als völlig unconstruirbar anzuerkennen oder aber zu versuchen, ob er sich nicht trotz der Nichtigkeit des Contracts auf den Gesichtspunkt vertraglicher Verschuldung zurückführen lasse«41. Es ist, da eine Kapitulation vor der konstruktiven Schwierigkeit selbstverständlich nicht ernsthaft in Betracht kommt, der – wie gesagt bereits mehr als zwanzig Jahre zuvor von Richelmann vorgetragene – Gedanke einer Haftung für vertragliches Verschulden, der ihn schließlich zur allgemeinen Formulierung seiner Theorie der c.i.c. führt: »Das Gebot der contractlichen diligentia gilt wie für gewordene, so auch für werdende Contractsverhältnisse, eine Verletzung

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Jher.Jb. 4 (1861), 1, 86 f. Die Widerrufl ichkeit des Angebots war gemeinrechtlich allerdings nicht unbestritten; vgl. dazu die Nachw. bei Windscheid/Kipp, Pandektenrecht II, § 307 Anm. 7a (Windscheid selbst sprach sich für die Widerrufl ichkeit aus und vertrat wie Jhering für den Fall des Widerrufs die Haftung auf das negative Interesse). 40 Dazu Jher.Jb. 4 (1861), 1, 23 ff. 41 Jher.Jb. 4 (1861), 1,26. 39

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desselben begründet hier, wie dort die Contractsklage auf Schadensersatz.«42 Diese These bedarf, damit man sie zur nachfolgenden wissenschaftlichen Entwicklung in Beziehung setzen kann, der Erläuterung, sowohl was die »vertragliche« Natur der Haftung als auch was die Bedeutung des Moments der »Verschuldung« betrifft43. Zunächst hat man sich vor dem Mißverständnis zu hüten, daß Jhering, wenn er von »werdenden Contractsverhältnissen« spricht, die Haftung für c.i.c. bereits mit der Aufnahme von Vertragsverhandlungen beginnen lassen will. Ein solches Verhältnis ist für ihn nur gegeben, wo »der intendirte und äußerlich oder scheinbar vollzogene Abschluß eines Contracts«44 vorliegt. Der – wenn auch mit einem Mangel behaftete – Vertragsabschluß ist notwendige Bedingung seiner Konstruktion einer Schadensersatzhaftung; er verhilft Jhering zu dem Nachweis, daß diese »keine isolirt dastehende, noch eine unerklärliche Erscheinung« ist, sondern sich, wie es seiner Prämisse entspricht, in der Zweiteilung zwischen Vertrag und Delikt der Seite der vertraglichen Haftung zuordnen läßt: »[D]er Abschluß eines Contracts erzeugt nicht bloß eine Verpfl ichtung auf Erfüllung, sondern, wenn diese Wirkung wegen irgend eines rechtlichen Hindernisses ausgeschlossen ist, unter Umständen eine Verpflichtung zum Schadensersatz; der Ausdruck ›Nichtigkeit‹ des Contracts bezeichnet nach römischer und heutiger Sprachweise nur die Abwesenheit jener Wirkung, nicht die aller Wirkungen überhaupt.«45 Die Rede von der Schadensersatzpflicht als »Erzeugnis« und »Wirkung« des Vertragsschlusses soll nur »die juristische Möglichkeit der contractlichen Schadensersatzklage«46 , m.a.W. also nur die Konstruierbarkeit der Haftung im Rahmen des zwischen Delikt und Vertrag unterscheidenden dogmatischen Systems und nicht den Haftungsgrund verdeutlichen47 – »der Grund oder das legislative Motiv unserer Klage«48 ist für Jhering an dieser Stelle noch offen. Diesen erblickt Jhering, nachdem er den Schutz der bona fides des Klägers als Haftungsgrund – wie man ihm rückblickend vorhalten könnte: vorschnell – verworfen hat, in der dem Beklagten anzulastenden »Verschuldung«: »Gelingt es uns, bei unserer Klage letztere nachzuweisen, so ist damit die Frage nach dem Grunde 42 Jher.Jb. 4 (1861), 1, 52. Die zuvor (a.a.O., 51) von Jhering zitierte, ihrem Wortlaut nach sehr ähnliche Vorschrift des § 284 I 5 ALR hat freilich nicht die ihr von Jhering beigelegte Bedeutung. Nach RG 30. 12. 1888, RGZ 8, 248, 253, bezieht sich die Regelung nur auf Fälle, in denen ein Vertrag gültig abgeschlossen ist, aber ein schuldhaftes Verhalten eines Kontrahenten beim Vertragsschluß ursächlich ist für eine spätere Unmöglichkeit oder eine den Gegner schädigende Mangelhaftigkeit der Erfüllung. Gegen Jhering insoweit auch Mommsen, Haftung, S. 5 Fn. 6. 43 Zur Interpretation der von Jhering angeführten Stellen aus den römischen Quellen, auf die im Folgenden nicht näher eingegangen wird, vgl. m.w.Nachw. zum neueren romanistischen Schrifttum Choe, Culpa in contrahendo, S. 13 ff.; Medicus, in: FG Kaser, S. 169, 170 ff. 44 Jher.Jb. 4 (1861), 1, 26. 45 Jher.Jb. 4 (1861), 1, 32. 46 Wie vorige Fn. 47 Übereinstimmend Choe, Culpa in contrahendo, S. 197; Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpfl ichtung, S. 23. 48 Jher.Jb. 4 (1861), 1, 33.

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unserer Klage gelöst.«49 Dieser Aufgabe entledigt er sich nur mit größter Mühe: Daß etwa ein Verschulden des Verkäufers einer aufgrund anfänglicher Unmöglichkeit nicht zu leistenden Sache selbst dann in dessen Unkenntnis von dem Leistungshindernis liegen soll, wenn diese »vollkommen entschuldigt«50 ist, oder daß die irrige Abgabe einer Erklärung, der Widerruf eines Antrags und sogar gar der – nach gemeinem Recht den Vertragsschluß hindernde – Tod des Offerenten vor Zugang der Annahme dem Erklärenden schlechterdings als Verschulden vorzuwerfen sein sollen, ist ein »Stein des Anstoßes«, über den Jhering seine Theorie »ohne die gewaltsamste Anstrengung nicht hinwegbringen kann«, wie er selbst mit Blick auf den Fall des Todes des Offerenten einräumt 51. Verzichtet man auf diese Anstrengung, so wird man ohne weiteres sagen können, daß seine Lösungen in der Sache auf eine Garantie- oder Risikohaftung, jedenfalls aber auf eine verschuldensunabhängige Haftung hinauslaufen52. Die Frage, warum er sich dennoch dazu genötigt sieht, am Verschuldenskriterium bis hin zu dessen Fiktion festzuhalten, beantwortet Jhering mit zwei Überlegungen53 : Zum einen scheint es ihm unentbehrlich, um die Haftung dem »allgemeinen Gesetz der Contractstheorie« unterzuordnen, »daß jeder Theil dem andern für den ihm durch seine culpa zugefügten Schaden aufkommen muß«. Zum anderen glaubt er auf das Erfordernis nicht verzichten zu können, um die Haftung auf das negative Interesse, die er zunächst nur in Einzelfällen finden konnte, der »principiellen Verallgemeinerung« zugänglich zu machen. Dadurch wird aber nur deutlich, daß sich bei Jhering mit dem Begriff »culpa« Erwartungen verbinden, die dieser nicht einzulösen vermag54 : In dem Bestreben, die postulierte Haftung auf einen anerkannten Haftungsgrund zurückzuführen, gelangt er zu einem Zurechnungsprinzip. Die Zurechnung nach dem Verschuldensprinzip setzt eine Rechtspflicht voraus, deren Verletzung dem Haftenden nach diesem Prinzip zuzurechnen ist; es ergibt sich aber nicht umgekehrt die Pflicht aus dem Verschuldensprinzip. Das Problem, die Pflicht herzuleiten und damit die Haftung zu begründen, wird daher mit der Berufung auf die culpa nicht gelöst. Um Jherings allgemeine Formel über die c.i.c. wiederaufzunehmen: Die Erstreckung des »Gebots contractlicher diligentia« auf den »werdenden« Vertrag ist inhaltsleer, wenn nicht gesagt wird, worauf der Schuldner seine Sorgfaltsanstrengung zu richten hat. Jherings Ausführungen implizieren zwar, daß die Pflicht, um deren Erfüllung der Vertragschließende sich zu bemühen hat, dahin gehen soll, den unrichtigen An49

Jher.Jb. 4 (1861), 1, 34. Jher.Jb. 4 (1861), 1, 36. 51 Jher.Jb. 4 (1861), 1, 93; vgl. auch a.a.O., 35 (»Ich zweifle nicht daran, daß ich mich . . . auf Widerspruch gefaßt machen muß«) und 36 (»Man wird mir einwenden: eine solche culpa ist nichts als eine fingirte culpa«). 52 Übereinstimmend Choe, Culpa in contrahendo, S. 205; Medicus, in: FG Kaser, S. 169, 172 f.; Hans Stoll, in: FS von Caemmerer, S. 435, 442. 53 Jher.Jb. 4 (1861), 1, 40 f. 54 Vgl. zum Folgenden Medicus, in: FG Kaser, S. 169, 174 f.; ferner Choe, Culpa in contrahendo, S. 121 ff. 50

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schein eines wirksamen Vertrags zu vermeiden 55, doch bleiben sie die Antwort schuldig, warum dies so sein soll.

2. Zur Rezeption Jherings a) Die gemeinrechtliche Diskussion In der gemeinrechtlichen Literatur haben Jherings Überlegungen ein großes Echo gefunden56 . Zwei in der damaligen Diskussion vertretene Positionen sind hier von besonderem Interesse. Zum einen verdient die Erklärungstheorie wegen ihres Widerstandes gegen die willenstheoretische Begrenzung vertraglicher Haftung Aufmerksamkeit – ihr Erfolg hätte eine Entwicklung, wie sie in den USA durch Fuller in Gang gesetzt wurde, auch in Deutschland wahrscheinlicher gemacht 57. Zum anderen ist auf die Neukonstruktion der vertraglichen Culpa-Haftung Jherings als gesetzliche, auf den Gedanken der bona fides gegründete Haftung einzugehen, weil es letztlich diese dogmatische Einkleidung war, in der sich Jherings Anliegen in Deutschland durchsetzen sollte. aa) Die Erklärungstheorie Bährs Zwischen den Vertretern der »Willens-« und der »Erklärungstheorie« wurde ein grundsätzlicher, nämlich die Rechtfertigung einer auf das negative Interesse gerichteten Haftung überhaupt und nicht nur deren Konstruktion betreffender Streit ausgetragen. Wie gezeigt, hat erst Jherings konsequent willenstheoretische Auffassung von der rechtsgeschäftlichen Bindung das Problem geschaffen, dessen Lösung die c.i.c. bieten sollte. Ist man dagegen bereit, der Erklärung allein aufgrund ihres objektiven Gehalts verbindliche Kraft zu verleihen, erledigt sich das Problem, jedenfalls was die Irrtumsfälle betrifft, von selbst: Der Versprechende ist zur Erfüllung oder zum Ersatz des positiven Interesses verpflichtet; sein Gegner bedarf daher nicht des negativen Vertrauensschutzes. Diese These hat insbesondere Jherings Schüler Bähr 58 in Erwiderung auf den Aufsatz seines Lehrers verfochten: Wer beim Vertragsschluß in zurechenbarer Weise bei einem Gutgläubigen die äußere Erscheinung seines Willens hervorrufe, werde mit der Behauptung eines Willensmangels nicht gehört 59. Aber auch über 55

So zutreffend Medicus, in: FG Kaser, S. 169, 174. Vgl. die zahlreichen Nachw. bei Windscheid/Kipp, Pandektenrecht II, § 307 Anm. 5 (S. 250 f.). 57 Zur Vergleichbarkeit der Erklärungstheorie mit der »objective will theory« des klassischen amerikanischen Vertragsrechts und deren Zusammenhang mit Fullers Gedanken siehe unten, § 3 II 1 a. 58 Näher zur Person des Praktikers Bähr, der später Reichsgerichtsrat war, Falk, Ein Gelehrter wie Windscheid, S. 32 mit Fn. 166. 59 Bähr, Jher.Jb. 14 (1875), 393, 401; kritisch zum negativen Interesse auch schon ders., Jher.Jb. 6 (1863), 286, 305 f.; vgl. auch Bekker, Krit.VJS. 22 (1880), 33, 56 f.; Kohler, Jher.Jb. 28 (1889), 166, 226 ff. Zur Erklärungstheorie vgl. aus der Rspr. Oberappellationsgericht Berlin 30. 10. 1873, 56

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die Fälle der »Unzuverlässigkeit des Willens« hinaus lehnte Bähr die c.i.c. ab. Soweit es um Vertragsschlüsse Geschäftsunfähiger oder – in der Terminologie Jherings – sonstige infolge »Unfähigkeit des Subjects« nichtige Verträge ging, sprach er sich grundsätzlich gegen jegliche Haftung aus, damit nicht der Schutz des betroffenen Personenkreises illusorisch gemacht werde 60. Wo dagegen nach Jhering die Nichtigkeit des Vertrags auf der »Unfähigkeit des Objects« beruhte (wie beim Verkauf einer nicht existenten Erbschaft oder einer untergegangenen oder dem Verkehr entzogenen Sache), wollte Bähr an der Pflicht zum Ersatz des positiven Interesses festhalten und nur, soweit eine Berechnung dieses Interesses wegen der Nichtexistenz des Leistungsgegenstands unmöglich sei, ersatzweise die Aufwendungen des Gegners und damit im Ergebnis dessen negatives Interesse erstatten61. Mit der Beseitigung des negativen Interesses und der Wiederherstellung der trennscharfen Unterscheidung zwischen Gewährung und Verweigerung eines prinzipiell nur auf das positive Interesse gerichteten Ersatzanspruchs verfolgte Bähr den Zweck, einen für die Rechtsanwendung »zu wenig praktikablen Begriff« zu eliminieren62. Seine Befürchtung ging dahin, daß man bei der Bestimmung der Entschädigung in allergrößte, durch die Rechtsprechung nicht zu bewältigende Schwierigkeiten gerate – eine Überlegung, die bei Fuller wiederkehren wird: Ließen sich noch die Kosten für Verpackung und Versand irrtümlich bestellter Ware leicht berechnen, so sei etwa der Nachweis von vergeblichen Aufwendungen für im Hinblick auf die Bestellung getroffene »Geschäftseinrichtungen« und vollends für den entgangenen Gewinn aus anderen, wegen des vermeintlich wirksamen Vertrags nicht zustande gekommenen Geschäften oft kaum zu führen. »Der wahre Schadensersatz dafür, daß Jemand einem Andern für die Existenz eines Rechtsgeschäfts einzustehen hat,« schloß Bähr deshalb, »wird stets darin bestehen, daß er das Rechtsgeschäft selbst gegen sich gelten läßt.« 63 Abgesehen davon, daß sich Erschwerungen auch beim Beweis des positiven Interesses – vor allem beim Nachweis entgangenen Gewinns – ergeben können, ohne daß man allein aus diesem Grund an der Legitimität der Haftung auf das positive Interesse zweifeln würde, mußten allerdings reine Praktikabilitätserwägungen doch etwas leichtgewichtig wirken: Bähr versäumte es, einen materiellen Grund für die mit der Besserstellung des Geschädigten verbundene Belastung des Schuldners mit einer wirksamen rechtsgeschäftlichen Verpfl ichtung anzugeben, der mit dem Willensprinzip konkurrieren oder es gar ablösen könnte. Es verwundert daSeuffA 29, Nr. 215; OLG Braunschweig 21. 2. 1885, SeuffA 40, Nr. 274 I; OLG Hamburg 3. 2. 1888, SeuffA 43, Nr. 259; OLG Braunschweig 27. 4. 1894 und 18. 1. 1895, SeuffA 52, Nr. 221 I, II. 60 Jher.Jb. 14 (1875), 393, 408 ff. (Ausnahme: volle Haftung des Minderjährigen aus dem Vertrag, wenn er sich für volljährig ausgegeben und den Vertragspartner damit betrogen hat). 61 Jher.Jb. 14 (1875), 393, 410 f. 62 Jher.Jb. 14 (1875), 393, 422 ff.; ähnlich Kohler, Jher.Jb. 28 (1889), 166, 226 ff. 63 Jher.Jb. 14 (1875), 393, 424.

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her nicht, daß das Schrifttum überwiegend zu einer willenstheoretisch fundierten Rechtsgeschäftslehre neigte 64. Jedenfalls bei mit Willensmängeln behafteten Vertragsschlüssen kam aus dieser Sicht nicht die Geltung des Vertrags, sondern allenfalls die Haftung auf das negative Interesse in Betracht. Jherings These, daß ohne eine solche Haftung nicht auszukommen sei, fand hier gewichtige Anhängerschaft65. Als weniger erfolgreich erwies sich indes die Konstruktion der c.i.c. 66 : Nur zu leicht fiel die Kritik, daß Jhering eine »contractliche Verpflichtung ohne Contract« postuliere und den Schadensersatzanspruch auf culpa gründe, »ohne daß eine culpa gefordert wird« 67. Jhering selbst gab die Schwäche seiner Lehre einige Jahre nach der Veröffentlichung seines Beitrags bemerkenswert unumwunden zu: »Die von mir aufgestellte Theorie der culpa in contrahendo wird, indem sie den beschränkten Gedanken des subjektiven Unrechts zu Grunde legt, der Idee der Verhältnisse selber nicht gerecht, und meine Formulirung wird gewiß durch eine weitere, objektivere ersetzt werden.« 68 Bereits 1873 sah sich deshalb ein Doktorand zu der Behauptung imstande, der Gedanke der c.i.c. könne »nicht festgehalten werden und wird auch meines Wissens nicht vertheidigt« 69. bb) Windscheids Rekurs auf die bona fides Um die von Jhering prophezeite objektivere Formulierung der Haftung auf das negative Interesse sollte sich vor allem Windscheid verdient machen. In der Sache durchaus im wesentlichen mit Jhering einig, aber unter Verzicht auf das Verschuldenserfordernis stellte er den »allgemeinen Satz« auf, »daß jeder Vertragschließende einstehen muß für die nachteiligen Folgen des durch seine Erklärung in dem Gegner erregten Vertrauens auf den Erwerb eines Forderungsrechts aus dem Vertrag, insofern dieser Erwerb durch einen Grund ausgeschlossen wird, welchen der Gegner nicht kennt und nicht zu kennen verpflichtet ist«70. Windscheid beschränk64

Zur Verteidigung der Willenstheorie gegen die Erklärungstheorie Bährs vgl. namentlich Windscheid, in: Gesammelte Reden und Abhandlungen, S. 337 ff. 65 Zum gemeinrechtlichen Meinungsstand in den Irrtumsfällen vgl. mit weiteren Nachw. Windscheid/Kipp, Pandektenrecht II, § 309 Anm. 6 (S. 268 f.). 66 Uneingeschränkte Gefolgschaft fand Jhering freilich bei Vangerow, Pandekten I, § 109 (S. 165 f.). 67 So Mommsen, Haftung, S. 5, 12. 68 Jhering, in: Vermischte Schriften, S. 155, 197 Fn. 73. Dazu Brock, Vertragsinteresse, S. 54; Choe, Culpa in contrahendo, S. 122; Keller, Das negative Interesse, S. 36; Schanze, Ius Commune VII (1978), 326, 356. 69 F. Drechsler, Ueber den Schadensersatz bei nichtigen Verträgen, Diss. Würzburg 1873, S. 23; zitiert nach Schanze, Ius Commune VII (1978), 326, 356. 70 Windscheid/Kipp, Pandektenrecht II, § 307 Anm. 5 (S. 250). Der Satz und seine Begründung fi nden sich im Zusammenhang mit der Behandlung des Widerrufs des Antrags. Windscheid verweist auf diese Ausführungen bei der Erörterung des Todes (bzw. des Verlusts der Handlungsfähigkeit) des Antragenden (§ 307 Anm. 10, S. 255), des Rücktritts von der Auslobung (§ 308 Anm. 7, S. 260; dem gleichgestellt sind Tod und Verlust der Handlungsfähigkeit des Auslobenden), der unrichtigen Mitteilung des Willens durch das von dem Erklärenden gewählte Mittel

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te sich nun freilich nicht darauf, offen auszusprechen, was Jhering in dem Bemühen um eine systemgerechte Einkleidung der Haftung auf das negative Interesse zunächst nicht gewagt hatte. Er unterschied sich von Jhering auch durch die Begründung, die er in seinen späteren Jahren der kühnen Verallgemeinerung des von ihm aus wenigen römischen Quellen nur für den Fall des Versprechens einer unmöglichen Leistung gewonnenen Befundes gab71: Bis zur 5. Auflage seines Lehrbuchs hatte er den »allgemeinen Satz« auf eine stillschweigende Garantieübernahme zurückgeführt72 , damit aber, wie etwa auch Mommsen, der dem im Vertrauen auf die Vertragswirksamkeit zu Schaden Gekommenen mit der Mandatsklage helfen wollte73, die Verschuldensfiktion nur gegen eine Willensfiktion eingetauscht74. Mit der 6. Auflage gab er diese Rechtfertigung auf und bekannte sich dezidiert zur Willensunabhängigkeit der Haftung: »[I]ch möchte jetzt für diese Construction nicht mehr eintreten [. . .]. Die Entschädigungspflicht des Urhebers der Willenserklärung beruht nicht auf seinem Willen, sondern das Recht legt sie ihm ohne seinen Willen auf. Das Recht ist es, welches will, daß der Empfänger einer Willenserklärung sich darauf muß verlassen können, daß durch sie ein Vertrag durch Annahme entstehen könne bez. daß durch sie ein Vertrag zu Stande gekommen sei. In diesem Sinne stellen auch Thöl und Goldschmidt [. . .] einfach auf die bona fides ab [. . .].«75 Das die verschiedenen Anwendungsfälle verbindende Grundmotiv dieser vom Recht und nicht vom Willen des Erklärenden diktierten Haftung brachte Windscheid bei der Erörterung der Haftung beim – nach gemeinem Recht nicht wie nach § 658 I 2 BGB in seiner Wirksamkeit beschränkten – Widerruf einer Auslobung zum Ausdruck: »Auch hier [d. h. wie beim zuvor behandelten Widerruf des Angebots, für den Jhering gleichfalls die Haftung auf das negative Interesse befürwortete, T. A.] bestimmt die Erklärung den Gegner zu einem der Wirklichkeit nicht entsprechenden Vertrauen und bringt ihn dadurch in Nachteil.«76 der Erklärung (§ 309 Anm. 6, S. 268 f.), des wesentlichen Irrtums (§ 311 Anm. 1, S. 277) und des Vertrags über eine (objektiv) unmögliche Leistung (§ 315 Anm. 7, S. 291 f.). 71 Zur Bedeutung der von Windscheid vertretenen Konzeption der Haftung auf das negative Interesse für eine kritische Überprüfung der herkömmlichen Einschätzung Windscheids als quellengetreuen, wenig innovativen Juristen vgl. Falk, Ein Gelehrter wie Windscheid, S. 41 ff. 72 Bei Windscheid, Pandektenrecht II 5 , § 307 Anm. 5 (S. 175), heißt es, der Vertragschließende müsse für die Folgen des in dem Gegner erregten Vertrauens einstehen, »eben weil er dasselbe in dem Gegner erregt, weil er ihn dazu bestimmt hat; durch diese Bestimmung übernimmt er die Garantie für die Folgen desselben.« 73 Mommsen, Haftung, S. 80; vgl. im übrigen seine ausführliche Durchmusterung der Jheringschen Kasuistik a.a.O., S. 81 ff. Ebenso Scheurl, Jher.Jb. 2 (1858), 248, 274 (für den Fall des widerrufenen Angebots). 74 So zutreffend Falk, Ein Gelehrter wie Windscheid, S. 44. 75 Windscheid, Pandektenrecht II6 , § 307 Anm. 5 (S. 184); bei dieser Ansicht blieb es bis zu der von Kipp besorgten 9.Aufl. – Windscheid bezieht sich auf Thöl, Handelsrecht I, § 237 Anm. 2 (S. 734); Goldschmidt, ZHR 13 (1869), 333, 335. 76 Windscheid/Kipp, Pandektenrecht II, § 308 Anm. 7 (S. 260); zum Widerruf des Angebots § 307 Anm. 7a (S. 252 f.)

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Mag hier auch weniger der Wille des »Rechts« am Werke gewesen sein als der eines gestaltungsfreudigen Pandektisten, der die Grundlagen für einen Rechtssatz im Sinne des späteren § 122 BGB zu schaffen gedachte77, so ist doch anzuerkennen, daß Windscheid mit seiner Formulierung der Haftung auf das negative Interesse bei der Umsetzung von Jherings Anliegen einen Fortschritt erzielte: Indem er Jherings c.i.c. als gesetzliche Haftung für das durch eine ungültige Willenserklärung beim Gegner geweckte Vertrauen rekonstruierte, konnte er auf die »gewaltsamste Anstrengung«, der Jhering sich noch unterziehen zu müssen glaubte, verzichten. Desungeachtet blieb die mit Jhering einsetzende gemeinrechtliche Diskussion unabgeschlossen: Windscheids schlichter Rekurs auf das Vertrauen mußte demjenigen, der eine Lösung nur in den etablierten Formen vertraglicher und deliktischer Haftung suchte, als Kapitulation des positiven Rechts vor der bona fides und als ein »Verzicht auf die juristische Konstruktion« überhaupt erscheinen78. Erst die – sogleich anzusprechende – spätere Systematisierung der Vertrauenshaftung sollte diesem Vorwurf begegnen. Auch vermochte Windscheid die Frage nicht befriedigend zu beantworten, warum es stets nur das negative und nicht, wie es der Erklärungstheorie entsprach, das positive Interesse des Gegners zu schützen gelte. Seine Argumente gegen die Erklärungstheorie, daß man sich »mit der einseitigen Betonung des Interesses des Empfängers einer Willenserklärung auf eine abschüssige Ebene« begebe79 und daß selbst ein unabweisbares Bedürfnis des Verkehrs nach der Zuverlässigkeit einer Willenserklärung keine Rechtsquelle sei80 , waren zum einen nicht sonderlich aussagekräftig und zum anderen in Anbetracht der durch die römischen Quellen wenig gesicherten eigenen Lehre Windscheids auch gegen ihn selbst zu wenden81. In den von Jhering erörterten Fällen der »Unzuverlässigkeit des Willens«, der »Unfähigkeit des Subjects« und der »Unfähigkeit des Objects« boten sich also bei der Erarbeitung des BGB neben Jherings eigener, hinsichtlich des Verschuldenserfordernisses bereits überholten Lehre von der c.i.c. als avancierte Theorien vor allem die Neubegründung der Haftung auf das negative Interesse als verschuldensunabhängige gesetzliche Haftung und die Aufgabe dieser Sanktion zugunsten der 77

So Falk, Ein Gelehrter wie Windscheid, S. 45. So der Vorwurf Melligers, Culpa in contrahendo, S. 119; im Anschluß daran auch Hildebrandt, Erklärungshaftung, S. 43. 79 Windscheid, in: Gesammelte Reden und Abhandlungen, S. 337, 344. 80 Windscheid, in: Gesammelte Reden und Abhandlungen, S. 337, 345. 81 So verteidigte sich denn auch Bähr, Urteile des Reichsgerichts mit Besprechungen, München, Leipzig 1883, S. 13: »Reden wir doch einmal ganz offen unter einander. Die Lehre Jherings ist ja nicht den römischen Quellen entnommen. Sie ist von Jhering aufgestellt, um einem praktischen Bedürfnisse zu genügen . . . Wer nun aber der Jheringschen Lehre sich anschließt [gemeint ist Windscheid, T. A.], der hat wahrlich keinen Grund, als ein quellengetreuer Mann mit Stolz zu sagen: ›Ich fürchte, Rechtsgefühl und das Gefühl praktischer Gerechtigkeit sind für die positive Geltung eines Rechtssatzes sehr ungenügende Grundlagen.‹« Zitiert nach Falk, Ein Gelehrter wie Windscheid, S. 46, der in Fn. 227 darauf aufmerksam macht, daß es in dem angeführten Satz Windscheids (in: Gesammelte Reden und Abhandlungen, S. 337, 372) »Bedürfnis« und nicht, wie von Bähr zitiert, »Gefühl praktischer Gerechtigkeit« heißt. 78

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schneidigeren Bindung an die mängelbehaftete Erklärung an. Es ist unschwer zu erkennen, daß in dem letztlich verabschiedeten Gesetz keiner der Ansätze den vollständigen Sieg davontragen konnte: Windscheids Ansicht verschaffte sich zwar in § 122 BGB Geltung. Jedoch setzte sich statt seiner Konzeption der Haftung auf das negative Interesse beim Widerruf des Angebots die von ihm bekämpfte82 Bindung des Erklärenden in § 145 BGB durch, und umgekehrt führte der Gesetzgeber in § 179 II BGB eine Pflicht zum Ersatz des Vertrauensschadens ein, wo Windscheid den Ersatz des Erfüllungsinteresses bevorzugte83. Jherings c.i.c. hinterließ schließlich ihre Spuren in den §§ 307, 309 BGB a. F.84. Ob die am Ende Gesetz gewordenen Lösungen sachlich gerechtfertigt und zu einem stimmigen Ganzen zusammenzufügen oder aber das Ergebnis eines nur historisch nachvollziehbaren Kompromisses sind, braucht an dieser Stelle nicht zu interessieren85. Hier gilt es nur, die Zäsur zu vermerken, welche die Gesetzgebung für die wissenschaftliche Theoriebildung bedeutete: Mit der Regelung wesentlicher Fälle aus dem Anschauungsmaterial der bisherigen Diskussion der Haftung auf das negative Interesse verlor dieses Material für die Wissenschaft, wollte man sich nicht auf die undankbare Aufgabe der Gesetzeskritik verlegen, an Interesse. b) Die Entwicklung unter dem BGB Unter der Herrschaft des BGB stellten sich der theoretischen Bewältigung der Haftung auf das negative Interesse neue Herausforderungen. Die Umwidmung der c.i.c. für die vorvertragliche Haftung ist oft konstatiert worden86 und sei hier nur resümiert: Die einzelnen Schritte dazu führten, was die Entwicklung im Schrifttum betrifft, von Leonhard 87, welcher die vorvertragliche Haftung aus einem späteren gültigen Vertragsabschluß herleitete, über Siber 88 , der Aufklärungsund Erhaltungspflichten auch ohne einen wirksamen Vertrag, nämlich aufgrund

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Vgl. Windscheid/Kipp, Pandektenrecht II, § 307 Anm. 7a (S. 252 f.). Windscheid sah den Vertreter ohne Vertretungsmacht aufgrund stillschweigender Garantieübernahme beim Kontrahieren im fremden Namen als verpfl ichtet an, das Erfüllungsinteresse zu ersetzen, sofern der Vertreter nicht annehmen durfte, der Mangel der Vertretungsmacht sei dem Gegner bekannt; Windscheid/Kipp, Pandektenrecht I, § 74 Anm. 7a, 8 (S. 369 f.). 84 Dies gilt freilich nur für die Haftung des Schuldners der unmöglichen Leistung und nicht für die in den §§ 307, 309 BGB a. F. auch geregelte Haftung des Gläubigers. 85 Näher dazu unten, § 12 I 2 a. 86 Vgl. etwa Bohrer, Dispositionsgarant, S. 104 ff. (zur Rspr.), 117 ff. (zur Lit.); Choe, Culpa in contrahendo, S. 183 ff.; Giaro, in: Das Bürgerliche Gesetzbuch und seine Richter, S. 113, 134 ff.; Medicus, in: FG Kaser, S. 169, 178; Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 242 f.; Schanze, Ius Commune VII (1978), S. 326, 356 f. 87 Haftung des Verkäufers, inbes. S. 5: Es ging Leonhard um die »viel häufiger vorkommenden Fälle, wo der Vertrag wirksam bleibt und eben hierdurch der Vertragsgegner geschädigt wird«. Folgerichtig daher seine Kritik an der in § 463 BGB a. F. geregelten Arglisthaftung (a.a.O., S. 94 Fn. 2). 88 Planck4 /Siber, Vor §§ 275 ff., Anm. I 4 b (S. 190 ff., zum Verzicht auf das bei Leonhard anzutreffende Erfordernis eine gültigen Vertrags S. 192). 83

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Gesetzes bejahte, und von Tuhr 89, der die Pflichtbegründung mit dem Rechtsverhältnis der Vertragsverhandlungen in Verbindung brachte (freilich ohne von einem nachfolgenden Vertragsschluß abzusehen), zu Heinrich Stoll90 , für den sich der »Ersatzanspruch auf das sogenannte Vertrauensinteresse allein aus der Tatsache des Eintritts in die Vertragsverhandlungen« ergab. Entscheidendes Ergebnis dieses Prozesses war der Verzicht auf die Zäsur des Vertragsschlusses, die für Jhering noch maßgeblich war. Es kam demnach nicht mehr darauf an, ob das schädigende Verhalten ein (wenn auch »pathologischer«) Fall rechtsgeschäftlichen Handelns war. Die damit eingeleitete Expansion der c.i.c. konnte Heck bereits 1929 in dem allgemeinen Satz zusammenfassen: »Der Schaden, der durch Verschulden bei geschäftlichen Verhandlungen entsteht, ist von dem Schuldigen zu tragen und nicht von dem Unschuldigen.«91 Auf diese Weise entwickelte sich die c.i.c. über das hinaus, was nach hiesigem Verständnis noch als Haftung auf das negative Interesse gelten kann. So fand der berühmte, vom Reichsgericht im Jahre 1911 entschiedene Teppichrollenfall nachträglich seine Erklärung in der c.i.c. Stollscher Prägung: Die vom »allgemeinen Rechtsempfinden« geforderte, auf § 278 gestützte Einstandspflicht der Geschäftsinhaberin für ihren Bediensteten, durch dessen Versehen zwei Rollen Linoleumteppich umgestürzt waren und eine kaufinteressierte Kundin zu Boden gerissen hatten, begründete der VI. Zivilsenat des Reichsgerichts in seinem Urteil mit einem vertragsähnlichen, Sorgfaltspflichten erzeugenden Rechtsverhältnis, das durch den »Antrag auf Vorlegung des Teppichs und Annahme des Antrags« entstanden sei92. Daß in diesem Fall schlicht die Vorverhandlungen über den Teppichkauf den Entstehungsgrund für die verletzte Pflicht abgaben (es also der Rede von »Antrag« und »Annahme« nicht bedurfte), erklärte derselbe Senat 15 Jahre später93. In diesem Fall wird der Wandel der Schutzrichtung der c.i.c. exemplarisch deutlich: Es geht um einen gegenüber dem Deliktsrecht gesteigerten Schutz des Integritätsinteresses der verhandelnden Parteien. Ein negatives Interesse im Sinne Mommsens, Jherings und auch der hier zugrunde gelegten Terminologie läßt sich hier dagegen nicht ausmachen – der Kundin wurde nichts versprochen, und auch sonst weckte der Bedienstete durch sein Verhalten keine normative Erwartung bei ihr, deren nachteilige Folgen zu beseitigen sein könnten94. Auch wenn die Figur der c.i.c. sich damit in ihren Anwendungsfällen nahezu vollkommen von dem Anwendungsbereich gelöst hat, den Jhering ihr zugedacht hatte, ist es wichtig, die konzeptionelle Kontinuität zu erkennen, die dies überhaupt ermöglichte: Die Ausweitung der Haftung aus c.i.c. zum Instrument des 89 AT II/1, § 62 VI (S. 486 f.): Während der Vertragsverhandlungen bestehe »ein Rechtsverhältnis mit eigenartigen Wirkungen«. 90 LZ 1923, Sp. 532 (das folgende Zitat fi ndet sich in Sp. 547). 91 Heck, Schuldrecht, § 41, 4 (S. 124). 92 RG 7. 12. 1911, RGZ 78, 239, 240. 93 RG 16. 11. 1926, JW 1927, 262 Nr. 14. 94 Siehe oben, § 1 II 1.

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Integritätsschutzes läßt sich mit einer außervertraglichen Konzeption der Haftung leicht in Einklang bringen. Denn gründet man die Haftung auf die Verletzung gesetzlicher Schutzpflichten, kommt es nicht unbedingt darauf an, ob das haftungsbegründende Verhalten ein (ungültiges) vertragliches Versprechen oder überhaupt ein Verhalten ist, das normative Erwartungen weckt. Gewiß hat man in der pandektistischen Wissenschaft in aller Regel Fälle vorvertraglichen Verhaltens nicht als haftungsbegründend angesehen95. Die von Jhering begründete und von Windscheid auf den Begriff gebrachte theoriegeschichtliche Tradition einer besonderen, auf den Gedanken der bona fides gegründeten außervertraglichen Haftung lud aber, da sie konstruktiv nicht vom Vorliegen eines (unwirksamen) rechtsgeschäftlichen Tatbestands abhing, zu dieser »Zweckentfremdung« ein und eignete sich daher durchaus zur dogmatischen Bewältigung der seit Inkrafttreten des BGB neu hinzugekommenen Konstellationen. Man weiß natürlich nicht, ob Jhering über diese Entwicklung »begeistert« gewesen wäre96 ; aber im Bewußtsein der »Gewaltsamkeit«97, mit der er selbst der c.i.c. zum Leben verholfen hatte, hätte er sich über den kreativen Umgang nachfolgender Generationen mit dieser Figur schwerlich beklagen können98. So darf man denn auch sagen, daß die Tradition Jherings und Windscheids eine erfolgreiche Fortsetzung in der modernen Lehre von der Vertrauenshaftung gefunden hat99 : Diese Lehre behält die Fundierung der rechtsgeschäftlichen Haftung im Willen des Erklärenden bei (und zwar in der Reformulierung des Willensdogmas durch die – insoweit zur Willenstheorie nicht in einem Gegensatz stehende – Geltungstheorie100 ), während sie der Haftung auf das negative Interesse im zivilrechtlichen Haftungssystem einen davon zu unterscheidenden Ort als gesetzliche, auf das Vertrauen des Geschädigten als Leitmotiv der Haftungsbegründung re95 Deutlich etwa die Ablehnung bei Dernburg/Sokolowski, Pandekten II, S. 557 Anm. 8 (keine c.i.c., »wenn man Vertragsverhandlungen anspinnt und nachher willkürlich abbricht«); Arndts v. Arnesberg/Pfaff/Hofmann, Pandekten, § 231 (S. 456) (Unverbindlich seien »beiderseitige vorbereitende Verhandlungen über einen einzugehenden Vertrag (Tractate), so lange nicht die Einigung des Willens wirklich zu Stande gekommen und erklärt ist«); vgl. auch Jhering, Jher.Jb. 4 (1861), 1, 96. – Hingewiesen sei an dieser Stelle auch auf die von Jhering (Jher.Jb. 4 (1861), 1, 13) mit Bezug auf die Ansicht, die actio de dolo sei auf culpa lata zu erstrecken, ausgesprochene Warnung, eine Ausdehnung der außervertraglichen Haftung würde diese »zu einer wahren Geißel des Umgangs und Verkehrs werden [lassen], alle Unbefangenheit der Conversation wäre dahin, das harmloseste Wort würde zum Strick!« Dazu Choe, Culpa in contrahendo, S. 72 f.; Schanze, Ius Commune VII (1978), 326, 354 f. 96 So K. Schmidt, in: Rechtsdogmatik und Rechtspolitik, S. 9, 24. 97 Vgl. Jhering, Jher.Jb. 4 (1861), 1, 93. 98 Ob Aufrufe zur Rückbesinnung auf Jherings c.i.c. wie bei Bohrer, Dispositionsgarant, S. 221; Choe, Culpa in contrahendo, S. 235, dem Geist Jherings entsprechen, kann deshalb mit Fug bezweifelt werden. Dagegen auch Giaro, in: Das Bürgerliche Gesetzbuch und seine Richter, S. 113, 154. 99 Auf die Verbindungslinie, die von Windscheid zu der insbesondere von Canaris systematisierten Lehre von der Vertrauenshaftung führt, weist auch Bürge, SZ (Rom.) 108 (1991), 571, 575, hin. 100 Zur Geltungstheorie s. u. § 4 II 1 a.

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kurrierende Haftung zuweist. Insoweit ist die umfassende Systematisierung der Vertrauenshaftung als selbständige, von Vertrag und Delikt zu unterscheidende Form gesetzlicher Haftung durch Canaris101 unübertroffen. Man kann in der Ergänzung des zivilrechtlichen Haftungssystems um diese »dritte Spur«, die neben den »negativen« Erscheinungsformen des Vertrauensschutzes (nämlich der Erklärungshaftung kraft Risikozurechnung und der Vertrauenshaftung wegen Schutzpflichtverletzung) die Fälle »positiven« Vertrauensschutzes (in Gestalt der Rechtsscheinhaftung und der Erfüllungshaftung kraft rechtsmißbräuchlichen Verhaltens) mitumfaßt102 , eine – wenn auch von Canaris wohl nicht beabsichtigte – späte Replik auf die soeben referierte zeitgenössische Kritik an Windscheids Ansatz sehen: Das von der zeitgenössischen Literatur bei Windscheid bemängelte Fehlen juristischer Konstruktion ist, wenn man die Eigenständigkeit der Vertrauenshaftung akzeptiert, nicht dessen These, sondern der Unzulänglichkeit der von den Kritikern unterstellten Zweispurigkeit vertraglicher und deliktischer Haftung zuzuschreiben. Andere Lehren erblicken zwar die materielle Rechtfertigung der Haftung nicht ausschließlich oder sogar überhaupt nicht im Vertrauensgedanken. Statt dessen oder ergänzend werden zur Begründung der gegenüber der deliktischen Haftung gesteigerten Verantwortlichkeit des Schädigers in der »Sonderverbindung« mit dem Geschädigten Gesichtspunkte wie die Intensität des sozialen Kontakts und die damit verbundenen besonderen Einwirkungsmöglichkeiten auf Rechtsgüter und Vermögen des Partners103, Erfordernisse der Verkehrserleichterung nach Maßgaben wirtschaftlicher Effizienz104 oder die – anders als im Deliktsrecht – hier ohne Einschränkung zur Geltung kommende neminem-laedere-Formel105 angeführt106 . Doch auch diese Ansätze behalten das konstruktive Grundprinzip einer Haftung für die Verletzung »gesetzlicher«, also heteronom begründeter Pfl ichten bei. Ohne daß auf die im einzelnen bestehenden Unterschiede einzugehen wäre, läßt sich an dieser Stelle bereits konstatieren, wie sich die diesen Ansichten zugrunde 101 Canaris, Vertrauenshaftung, passim; ders., in: FS 50 Jahre BGH Bd. 1, S. 129 ff.; den gegenwärtigen Stand vertrauensschutzbezogener Konzepte faßt Krebs, Sonderverbindung, S. 183 ff., zusammen (mit Nachw. in Fn. 72, 73). 102 Canaris, Vertrauenshaftung, S. 532, spricht vom »Grundsatz der ›Zweispurigkeit‹, wonach als Rechtsfolge außer dem Anspruch auf Vertrauensentsprechung auch ein Anspruch auf Ersatz des Vertrauensschadens in Betracht kommt«; ebenso ders., in: FS 50 Jahre BGH Bd. 1, S. 129, 132. Zu den beiden Erscheinungsformen der »positiven« Spur vgl. zusammenfassend Canaris, in: FS 50 Jahre BGH Bd. 1, S. 129, 132 ff., zu den beiden Erscheinungsformen der »negativen« Spur ders., in: FS 50 Jahre BGH Bd. 1, S. 129, 171 ff. 103 Dazu Picker, AcP 183 (1983), 369, 412 m.w.Nachw. in Fn. 131; Krebs, Sonderverbindung, S. 190 ff. 104 Leenen, in: Symposion Wieacker, S. 108, 115 ff. 105 Picker, AcP 183 (1983), 369, 460 ff.; ders., JZ 1987, 1041, 1047 ff.; dazu auch (ablehnend) Krebs, Sonderverbindung, S. 34 f. 106 Vgl. i.ü. umfassend zum – hier nur stichwortartig referierten – Meinungsstand Krebs, Sonderverbindung, S. 170 ff.

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§ 3 Die Theorie der Haftung

liegende außervertragliche Haftungskonstruktion auf die Behandlung des Problems der Auswahl zwischen positiver und negativer Sanktion bei zivilrechtlichen Selbstbindungstatbeständen auswirkt: Das Problem stellt sich mangels Alternative gar nicht erst. Die Haftung auf das negative Interesse gerät als Selbstbindungssanktion nicht in den Blick; sie ist vielmehr stets in das Gewand einer Haftung für die zurechenbare Verletzung einer gesetzlichen, also heteronom begründeten Pflicht im Rahmen einer Sonderverbindung zwischen Schädiger und Geschädigtem gekleidet. Diese dogmatische Zuordnung läßt die Unterscheidung zwischen dem Schutz des negativen und dem Schutz des Integritätsinteresses verschwimmen: Ob dem Schädiger die Pflichtverletzung im Zusammenhang mit der Abgabe einer Willenserklärung (etwa weil er sich verschreibt oder sich nicht über die Existenz des Leistungsgegenstands vergewissert) oder beim Umgang mit ihm »anvertrauten« Rechtsgütern seines Gegenübers unterläuft (etwa weil er das Gemüseblatt, auf dem der Kunde ausrutschen wird, nicht vom Boden seines Geschäfts aufhebt), ist, was den Haftungsgrund betrifft, unerheblich107. Eine Haftung auf das negative Interesse, die an ein Versprechen oder sonstiges normativitätsstiftendes Verhalten in seiner spezifischen rechtlichen Qualität als Selbstbindungsakt anknüpft, kommt dagegen auf dieser Basis nicht in Betracht, weil Selbstbindung von vornherein nur als (wirksames) Rechtsgeschäft gedacht wird. Niemand hat dies deutlicher als Canaris in seiner Kritik an Köndgens Konzept der »Selbstbindung ohne Vertrag« zum Ausdruck gebracht: Bei der Dichotomie von rechtgeschäftlicher und gesetzlicher Haftung handele es sich um einen »rechtsquellentheoretischen Befund«, mit dem die soziologisch fundierte Kategorie »Selbstbindung ohne Vertrag« unvereinbar sei.108 Die weiteren Ausführungen werden freilich zeigen, daß es sich lohnen kann, diesen Befund zu überdenken.

II. Fullers Lehre und ihre wissenschaftliche Weiterentwicklung: Die vertragsimmanente Konzeption der Haftung auf das negative Interesse 1. Fullers »reliance interest« als Maßstab für den vertraglichen Schadensersatz Die dogmatische Ausgangslage im klassischen amerikanischen Vertragsrecht, der Fuller sich gegenübersah, war durch die nahezu ausschließliche Ausrichtung der Haftung des Vertragsbrüchigen auf den Ersatz des positiven Interesses geprägt 107 In der Systematisierung von Canaris ergeben sich allerdings Unterschiede bei der Zurechnung: Die im Text zuerst genannte Konstellation fällt danach unter die Erklärungshaftung kraft Risikozurechnung (dazu Canaris, in: FS 50 Jahre BGH Bd. 1, S. 129, 171 ff.), die zuletzt genannte unter die verschuldensabhängige Vertrauenshaftung wegen Schutzpfl ichtverletzung (dazu Canaris, in: FS 50 Jahre BGH Bd. 1, S. 129, 173 ff.). 108 Canaris, in: 2. FS Larenz, S. 27, 93 f. Näher dazu § 3 II 2 b.

II. Fullers Lehre und ihre wissenschaftliche Weiterentwicklung

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und, was die strenge Scheidung von Vertrag und Delikt betrifft, der Situation, die Jhering vorfand109, nicht unähnlich. Fuller durchbrach die Fixierung der vertraglichen Haftung auf das positive Interesse: Anders als Jhering, dessen – recht verstandenes – Konzept der c.i.c. auf die Ergänzung einer durch das Willensdogma begrenzten vertraglichen Haftung um eine außervertragliche Haftung auf das negative Interesse hinauslief, suchte Fuller die Haftung auf das negative Interesse als Sanktion für Vertragsbruch zu etablieren (dazu b)). Dabei begünstigte ihn ein vom gemeinen Recht deutlich verschiedenes Grundverständnis vertraglicher Bindung in der amerikanischen Lehre des späten 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts (dazu a)). a) Das klassische amerikanische Vertragsrecht bei Holmes und Williston Um Fullers Ansatz verstehen zu können, muß man sich zunächst die von Holmes dominierte und von Williston zum Abschluß gebrachte110 , gemeinhin »klassisch« genannte Periode des amerikanischen Vertragsrechts vergegenwärtigen, von der Fuller sich (darin Jhering im Verhältnis zu Savigny vergleichbar) auch um den Preis einer nicht immer korrekten Darstellung des erreichten Stands der Diskussion111 distanzieren wollte. Zwei Besonderheiten waren es, die der damals herrschenden Lehre eine gewisse Rigidität verliehen, so daß Fullers Kritik auf fruchtbaren Boden fallen konnte: der Verzicht auf eine konsequente Durchsetzung des Willensprinzips zugunsten einer »objektiven Willenstheorie« und die sog. Bargain-Theorie des Vertrages112. aa) Die »objektive Willenstheorie« Was das objektive Verständnis des Vertragsschlusses betrifft, so erkennt man darin unschwer ein Pendant zur Erklärungstheorie, wie sie vor allem Bähr im gemeinen Recht zu etablieren versuchte. Anders als Bähr formulierte Holmes jedoch einen in der Welt des Common Law durchaus konsensfähigen Gedanken, als er schrieb: »The law has nothing to do with the actual state of the parties’ minds. In contract, as elsewhere, it must go by externals, and judge parties by their conduct.«113 Daß Holmes’ Lehre in den USA als »objective will theory« klassifiziert wurde und immer noch wird114, zeigt nur, wie wenig die »will theory« der klassi109

S. o. § 2 I 1 a. Näher zu den Personen Holmes und Williston Reimann, Historische Schule, S. 296 f., 307. 111 Vgl. insoweit Rakoff, 1991 Wis.L.Rev. 203, 208, der nachweist, daß etwa eine Reihe von Fällen zur Verpfl ichtung der Verkäufer fehlerhaften Saatguts zum Ersatz des Vertrauensschadens der Käufer, deren fehlende Zitierung im Restatement Fuller/Perdue, 46 Yale L. J. 52, 92 Fn. 64 (1936), bemängelten, durchaus nicht von Williston übersehen, sondern als falsch entschieden abgelehnt wurden. 112 Vgl. zu dem hier skizzierten Zusammenhang auch Kennedy, 100 Colum.L.Rev. 94, 142 ff. (2000). 113 Holmes, Common Law, S. 242. 114 Kennedy, 100 Colum.L.Rev. 94, 128 (2000). 110

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schen amerikanischen Vertragsrechtslehre mit der gemeinrechtlichen Willenstheorie gemeinsam hatte: Die Idee, daß die Rechtssubjekte ihre Beziehungen untereinander frei und allein von ihrem Willen bestimmt regeln sollen, wurde in den USA während der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zwar noch ohne weiteres als Leitmotiv des Vertragsrechts akzeptiert115 ; daraus aber Konsequenzen nach dem Beispiel der gemeinrechtlichen Willenstheorie für das positive Recht zu ziehen, lag Holmes (und später auch Williston116) fern. Vor dem Hintergund des amerikanischen Jury-Systems wird dies verständlich: Zwingt ein subjektiver Maßstab dazu, die Erforschung des wirklichen Willens dem nicht immer sicheren Urteil der Geschworenen uneingeschränkt anheimzugeben, so mögen objektive Regeln, die den Willen der Parteien nur durch die Interpretation ihrer Erklärungen aus der Sicht eines vernünftigen Dritten zur Geltung kommen lassen, die praktisch bestmögliche, da zumindest kontrollierbare Annäherung an den Willen der Parteien sein117. Wie bei der Begründung vertraglicher Haftung kam das Willensprinzip in Holmes’ Lehre auch bei den Rechtsfolgen des Vertragsbruchs allenfalls mittelbar zur Geltung. Holmes war generell nicht an rechtsethischen Prinzipien, sondern – als Rechtsrealist avant la lettre – an der Praxis des Common Law interessiert118. So auch hier: Ausgangspunkt seiner Überlegungen war der Umstand, daß das nach Common Law gewährte »remedy« für Vertragsbruch grundsätzlich der Schadensersatz- und nicht der Erfüllungsanspruch ist. Diese Sanktion interpolierte er kurzerhand dem Willen der Vertragschließenden, indem er jeglichem Leistungsversprechen nur ein Versprechen zur Schadloshaltung entnahm119. Die im deutschen Privatrecht so wirkmächtige Vorstellung von einem auf Erfüllung gerichteten vertraglichen Versprechen, durch das dem Berechtigten der »Besitz der Willkür«120 eines anderen eingeräumt wird, war Holmes ebenso bekannt wie die Formulierung ihrer philosophischen Basis durch Kant 121. Jedoch erschien diese Vorstellung ihm, da zur Erklärung des Common Law nicht nötig, als »the superfluous theory

115 Nach Horwitz, Transformation (1870–1960), S. 33 ff., setzten in den USA die wissenschaftlichen Angriffe auf das Konzept der liberalen Vertragsfreiheit erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts, nämlich (ironischerweise) nach deren Konstitutionalisierung durch den Supreme Court im Falle Lochner v. New York, 198 U. S. 45 (1905), ein. 116 Zu Williston vgl. Kennedy, 100 Colum.L.Rev. 94, 129 (2000). 117 Darauf weist Horwitz, Transformation (1870–1960), S. 35, hin. Bei Holmes fügte sich die Objektivierung der Willenstheorie freilich auch in einen größeren Zusammenhang ein, denn nach seinem Verständnis entwickelte sich das Recht allgemein zu objektiven Standards: »(T)he tendency of the law everywhere is to transcend moral and reach external standards« (Common Law, S. 107 f.). 118 Hierzu Holmes’ berühmt gewordenes Diktum in Common Law, S. 5: »The life of the law has not been logic: it has been experience.« Zur Einordnung Holmes’ unter die Vorläufer des »legal realism« vgl. Fisher/Horwitz/Reed, American Legal Realism, S. 3 ff. 119 Common Law, S. 234 f. 120 Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, A 96 (Werke Bd. 7, S. 382). 121 Vgl. Common Law, S. 163 ff.

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that contract is a qualified subjection of one will to another, a kind of limited slavery«122. Die Vorstellung von der willensgetragenen Selbstgesetzgebung des einzelnen im Vertrag erreichte die amerikanische Rechtswissenschaft daher selbst in ihrer klassischen Phase nur mit pragmatisch reduzierter Wirkung. Dies sollte es, wie im nächsten Abschnitt zu zeigen sein wird, Fuller erleichtern, seine Ansicht vom negativen Interesse als Gegenstand vertraglicher Haftung zu begründen. bb) Die Bargain-Theorie Der zweite hier anzusprechende Aspekt der klassischen Lehre, die von Holmes begründete Bargain-Theorie des Vertrages, begünstigte indirekt Fullers These123 : Nach tradiertem Verständnis erforderte die Verbindlichkeit eines vertraglichen Versprechens eine consideration, welche entweder in einem dem Versprechenden erwachsenden Vorteil (»benefit to the promisor«) oder in einem vom Versprechensempfänger im Hinblick auf das Versprechen erlittenen Nachteil (»detriment to the promisee«) bestehen konnte. Holmes dagegen sah den Inhalt der consideration darin, ein Gegenseitigkeitsverhältnis zwischen Versprechendem und Versprechensempfänger herzustellen124 ; als consideration galten ihm daher nur Leistungen oder Gegenversprechen des Versprechensempfängers, die – in den Worten des von Holmes inspirierten § 75 des ersten Restatement of Contract von 1932 – »bargained for and given in exchange for the promise« waren. Diese von den meisten amerikanischen Gerichten aufgegriffene125 Neudefinition der consideration führte dazu, daß abweichend vom bisherigen Verständnis, welches insoweit eine »detriment«-consideration annehmen konnte, einem einseitigen Leistungsversprechen auch dann keine Verbindlichkeit zukam, wenn der Versprechensempfänger im Vertrauen auf die Einhaltung des Versprechens einen Schaden erlitten hatte. Dies betraf zunächst insbesondere nicht-kommerzielle Vereinbarungen zu karitativen Zwecken und im familiären Kontext. Beispielhaft dafür ist der Fall Devecmon v. Shaw, in dem der Kläger Kostenersatz für eine Bildungsreise aus dem Nachlaß seines Onkels mit der Begründung forderte, der Onkel habe ihn zu der Reise aufgefordert und ihm die Finanzierung verspro-

122

Common Law, S. 235. Vgl. zu den im folgenden gerafft vorgetragenen Grundgedanken der klassischen Periode auch die ihrerseits in den Rang der Klassizität erhobene, freilich zur Stilisierung neigende Darstellung bei Gilmore, Death of Contract, S. 61 ff. (vgl. zur Rezeption dieses Buchs die Beiträge eines Symposiums der Northwestern University von Hillman, Rubin und Speidel, 90 Nw.U. L. Rev. 32 ff., 107 ff., 254 ff. (1995)), sowie aus dem deutschen Schrifttum Köndgen, Selbstbindung, S. 65 ff. 124 Vgl. Holmes, Common Law, S. 230: »The root of the whole matter is the relation of reciprocal conventional inducement, each for the other, between consideration and promise.« 125 Einen Sonderweg beschritt allein die New Yorker Gerichtsbarkeit, namentlich der Richter Cardozo, der entgegen Holmes einer weiten Vertragskonzeption anhing, vgl.dazu m.w.Nachw. Gilmore, Death of Contract, S. 69. 123

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chen126 . In derartigen Fällen halfen die Gerichte nach einigem Schwanken127, indem sie die bis dahin nur als Einwendung gegen widersprüchliches Verhalten verwendete Figur des promissory estoppel zur Grundlage einer vertraglichen Vertrauenshaftung umfunktionierten128. Da sich diese Praxis in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts gefestigt hatte, mußte es Williston, Berichterstatter für das erste Restatement und Bewahrer der zur Orthodoxie gewordenen Lehre Holmes’, hinnehmen, daß neben dem Bargain-Prinzip auch dessen Umgehung durch den neuen Selbstbindungstatbestand »promissory estoppel« Eingang in das Restatement fand129. Dessen § 90 lautete: »A promise which the promisor should reasonably expect to induce action or forbearance of a definite and substantial character on the part of the promisee and which does induce such action or forbearance is binding if injustice can be avoided only by enforcement.«

In Anbetracht des Umstandes, daß § 90 zwar keine konkrete Sanktion, aber die Verbindlichkeit des Versprechens infolge promissory estoppel und seine Durchsetzung (»enforcement«) anordnete, hielt Williston hier für den Fall der Nichterfüllung keine andere Sanktion für angebracht als die nach seinem Verständnis auch bei regulären vertraglichen Versprechen im Sinne der Bargain-Doktrin einzig angemessene: die Verpfl ichtung zum Ersatz des positiven Interesses130. In einem berühmt gewordenen Disput während der Beratung des Restatement im American Law Institute verdeutlichte er diese Position anhand eines ihm von dem Rechtsanwalt Coudert vorgehaltenen, an Devecmon v. Shaw erinnernden Fallbeispiels: Wenn der Onkel seinem Neffen Johnny 1000,– $ für die Anschaffung eines Autos versprochen und Johnny sich daraufhin ein Auto für nur 500,– $ gekauft habe, schulde der Onkel ihm gleichwohl 1000,– $. Entweder, so Williston, sei das Versprechen verbindlich oder es sei nicht verbindlich. Wenn aber die Entscheidung für die Verbindlichkeit gefallen sei, müsse es so durchgesetzt werden, wie es gegeben worden sei131. 126

69 Md. 199, 14 A. 464 (1888). In Devecmon v. Shaw wurde dem Kläger dadurch zum Erfolg verholfen, daß man eine consideration annahm. 128 Wohl erstmals in Ricketts v. Scothorn, 57 Neb. 51, 77 N. W. 365 (1898) (Berufung auf estoppel in pais); aus neuerer Zeit etwa In re Estate of Bucci, 488 P.2d 216 (Colo.App. 1971). Näher zur historischen Entwicklung Calamari/Perillo, Contracts, S. 251 ff., und aus dem deutschen Schrifttum Köndgen, Selbstbindung, S. 68 f. 129 Nach Gilmores Darstellung (Death of Contract, S. 68 ff.) kam die Aufnahme von § 90 auf Betreiben Corbins zustande. Näher zur Einordnung des »promissory estoppel« als im Kern quasi-vertragliche Selbstbindung (in Abgrenzung zur quasi-deliktischen c.i.c.) Köndgen, Selbstbindung, S. 82 ff. 130 Zum positiven Interesse als generellem Maßstab für den vertraglichen Schadensersatz vgl. Williston, Contracts1, Bd. 3, § 1338. 131 Vgl. American Law Institute, Proceedings, Bd. IV, Appendix (1926), S. 98 f.; 103 f., zit. nach Fuller/Perdue, 46 Yale L. J. 52, 64 Fn. 14 (1936). Hieraus ergibt sich auch, daß Williston eine auf 500 $ beschränkte gesetzliche Haftung nicht unbedingt ausschloß. Es ging ihm allein darum, daß die in § 90 vorgesehene, auf ein verbindliches Versprechen gegründete Haftung – so sie denn vorliege – nur auf den Ersatz des positiven Interesses gerichtet sei. 127

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Der Versuch, die Haftung aus promissory estoppel der vertraglichen Haftung gleichzustellen und damit die von der Rechtsprechung entwickelten Verlegenheitslösungen in die geordneten Bahnen des Vertragsrechts zu lenken, erwies sich jedoch als kontraproduktiv für die klassische Lehre. Bereits Coudert vermochte nicht einzusehen, warum die Gerechtigkeit mehr verlange, als dem Neffen die Aufwendungen für das Auto zu erstatten132. Das darin zum Ausdruck kommende Unbehagen an der formalistischen Behandlung der Estoppel-Fälle griff bald auf das Vertragsrecht im ganzen über: Im Schrifttum begann man, kaum daß das Restatement fertiggestellt war, grundsätzlichere Erwägungen anzustellen und die hinter Willistons Lösung stehende Auffassung insgesamt in Zweifel zu ziehen, wonach die Haftung aus rechtsverbindlichen Versprechen – beruhe die Verbindlichkeit nun auf estoppel oder auf consideration – stets und ausschließlich auf die Herbeiführung der bei Einhaltung des Versprechens bestehenden Vermögenslage und die deliktische Haftung nur auf die vermögensmäßige Wiederherstellung des Status quo gerichtet sein sollte133. In diese Periode der ersten Zeichen des Niedergangs der klassischen amerikanischen Vertragsrechtslehre fällt Fullers Aufsatz. b) Fullers Gegenentwurf Fuller greift in seinem Beitrag aus dem Jahre 1936 die aufkommende Kritik an der durchgängigen Ausrichtung der Haftung aus Vertrag und promissory estoppel auf den Ersatz des positiven Interesses auf und führt den Begriff des »reliance interest« mit der erklärten Absicht in die Diskussion ein, die Unterscheidung zwischen vertraglicher und deliktischer Haftung zu durchbrechen: »I consider the contribution made in my article on the reliance interest to lie [. . .] in an analysis which breaks down the Contract-No-Contract dichotomy and substitutes an ascending scale of enforceability.«134 Anders als Jhering mit seinem Rekurs auf die vertragliche culpa versucht er also nicht, die von ihm erkannten Probleme zumindest der äußeren Form nach innerhalb des vorgefundenen dogmatischen Systems oder jedenfalls im möglichst schonenden Umgang damit (also etwa unter Beschränkung auf promissory estoppel) zu lösen, sondern er verwendet sie zum Angriff auf das System selbst. Um die Selbstverständlichkeit zu erschüttern, mit der man bis dahin die Pflicht zum Ersatz des positiven Interesses als »normale« Regel vertraglichen Schadensersatzes betrachtete, provoziert Fuller die Anhänger der klassischen Doktrin mit der 132

Damit wurde also der Entwicklung der Theorie der Haftung auf das negative Interesse im amerikanischen Recht ein erster Impuls gegeben, der Jherings Anlaß zur Einführuung der c.i.c. in die gemeinrechtliche Diskussion entgegengesetzt war: War es in den von Jhering angeführten Irrtumsfällen das (angebliche) Fehlen jeglicher Sanktion, die dem Gerechtigkeitsempfi nden widersprach, so erregte hier umgekehrt die Schärfe der durch den Wortlaut des § 90 indizierten Haftung Anstoß. 133 Vgl. Cohen, 46 Harv.L.Rev. 553, 578 ff. (1933); Gardner, 46 Harv.L.Rev.1, 22 f. (1932). 134 Fuller in einem Brief an Lewellyn vom 8. 12. 1938, zit. nach Rakoff, 1991 Wis.L.Rev. 203, 211.

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Behauptung, man »entschädige« hier den Kläger, indem man ihm etwas gebe, was er nie hatte – dies erscheine doch auf den ersten Blick als eine seltsame Art der Kompensation135. Mit der vertraglichen Schadensersatzhaftung könnten vielmehr grundsätzlich drei Zwecke verfolgt werden: die Verhinderung ungerechtfertigter Bereicherung auf Seiten des Versprechenden, die Wiederherstellung der Vermögenslage des Versprechensempfängers, bevor ihm das Versprechen gegeben wurde, und schließlich die Herstellung der Vermögenslage, in der er sich befände, wenn das Versprechen eingehalten worden wäre136 . Während die erste Zielsetzung, in Fullers Terminologie der Schutz des »restitution interest«, nach deutschem Verständnis nicht als schadensersatz-, sondern nur als bereicherungs- oder auch als rücktrittsrechtlich bezeichnet werden kann und auch in Fullers weiterer Untersuchung keine wesentliche Rolle mehr spielt, findet sich in der zweiten und dritten Zielsetzung, dem Schutz des »reliance interest« und des »expectation interest«, die Unterscheidung von Vertrauens- und Erfüllungsinteresse wieder, die Fuller aus dem deutschen Schrifttum und insbesondere auch aus der Rezeption von Jherings Aufsatz bekannt ist137. Auch wenn Fuller diesen als »pioneering article«138 lobend erwähnt, hat doch alles Weitere wenig mit den Gedanken Jherings gemein: Seine Hauptthese ist nicht, daß die reguläre vertragliche Haftung auf Erfüllung oder auf das positive Interesse um die Haftung auf das negative Interesse zu ergänzen sei, sondern daß die Pflicht zum Ersatz des negativen Interesses die Grundregel vertraglichen Schadensersatzes und der Ersatz des positiven Interesses die begründungsbedürftige Ausnahme sei. Die Begründung dieser These fällt freilich, wie schon des öfteren kritisch vermerkt worden ist139, so unbefriedigend aus, daß nicht näher darauf einzugehen wäre, wenn sie nicht Aufschlüsse über die große Distanz Fullers von den Prämissen der auf Jhering zurückgehenden theoriegeschichtlichen Tradition und über das sich in den USA anbahnende neue Verständnis autonomer Bindung zuließe. Fuller ordnet die von ihm identifizierten Interessen in einem ersten Schritt in einer von »restitution« über »reliance« zu »expectation« absteigenden Rangfolge der Schutzbedürftigkeit an. Unter gewagtem Rückgriff auf aristotelische Gerech135

46 Yale L. J. 52 f. (1936). 46 Yale L. J. 52, 54 (1936). 137 Vgl. die – mit inhaltlichen Erörterungen verbundenen – Verweise auf Jhering in 46 Yale L. J. 86 mit Fn. 54, Fn. 55, 380 Fn. 101, 411 Fn. 208, 416 Fn. 219, 420 (1936). Zur Rezeption der Werke Jherings in den USA zwischen 1880 und 1918 vgl. Herget, in: Reception, S. 203, 205 ff. Friedmann, (1995) 111 L. Q. R. 628, 632 ff., meint, Fuller habe den Begriff »interest« unter dem Einfluß der deutschen Terminologie gewählt. 138 46 Yale L. J. 52, 86 (1936). 139 Kritisch zu der von Fuller entwickelten Konzeption Barnes, 48 Emory L. J. 1137 ff. (1999); Birmingham, 60 Wash.L.Rev. 217, 220 ff. (1985); ders., in: New Palgrave Bd. 3, S. 294 ff.; Craswell, 67 U.Chi.L.Rev. 99 ff. (2000); Friedmann, (1995) 111 L. Q. R. 628, 629 ff.; Hudec, 67 Cornell L.Rev. 704, 707 ff. (1982); Kelly, 1992 Wis.L.Rev. 1755 ff. (1992); Macaulay, 1991 Wis.L.Rev. 247, 249 ff.; Wonnell, 2001 San Diego L.Rev. 53, 98 ff. 136

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tigkeitskategorien sieht er im Schutz des positiven Interesses nur ein Anliegen distributiver Gerechtigkeit, während das Recht durch den Schutz der anderen Interessen dringenderen Bedürfnissen ausgleichender Gerechtigkeit (»corrective justice«140 ) nachkomme141. Die Frage nach der am besten geeigneten Sanktion für die Nichteinhaltung von Versprechen ist damit bereits prinzipiell gegen die Haftung auf das positive Interesse vorentschieden – zu klären bleibt aus Fullers Sicht nur noch, in welchen besonderen Fällen und mit welcher besonderen Rechtfertigung das positive Interesse zu schützen sein mag142. Insoweit zieht er drei Ansätze in Betracht143 : erstens eine von ihm nach kurzer Prüfung mißbilligte und gewiß indiskutable »psychologische« Erklärung, die an das Gefühl der Verletzung anknüpft, das der Bruch eines Versprechens bei seinem enttäuschten Empfänger weckt, zweitens eine von ihm gleichfalls abgelehnte Erklärung, welche die Haftung auf das positive Interesse als notwendige Folge des rechtlich als Selbstgesetzgebung anerkannten vertraglichen Versprechens legitimiert, und drittens eine Kombination aus (in der Ausdrucksweise Fullers) »ökonomischen« oder »institutionellen«« und »juristischen« Aspekten, welcher er den Vorzug gibt. Die zweite Überlegung ist bezeichnend für Fullers Verhältnis zur hergebrachten willenstheoretischen Begründung autonomer Bindung, die dritte für das Aufkommen instrumentalistischer Erklärungen vertragsrechtlicher Regelungen. aa) Implikationen des Willensprinzips für das Sanktionsproblem Mit dem zweiten Ansatz verwirft Fuller einen Eckstein der außervertraglichen Konzeption der Haftung auf das negative Interesse: Diese baut darauf auf, daß die vertragliche Selbstbindung ihre einzige Rechtfertigung in der selbstbestimmten Ingeltungsetzung von Regelungen findet und daß die rechtliche Anerkennung der vertraglichen Regelungen die positive Sanktion in Gestalt des Erfüllungsanspruchs impliziert. Jherings c.i.c., Windscheids »allgemeiner Satz« über die Einstandspflicht des Vertragschließenden und Canaris’ Vertrauenshaftung sind durch ihre Komplementarität zu einer solchen vom Willensprinzip beherrschten Rechtsgeschäftslehre gekennzeichnet, der gegenüber sie eine Ergänzungsfunktion144 wahrnehmen und die das Vertrauensinteresse gerade nicht schützt. Fuller hingegen meint, zwischen einer auf den Willen abstellenden Begründung der Vertragsgeltung und einer Begrenzung der rechtlichen Sanktion für Vertragsbruch auf das negative Interesse bestehe nicht notwendig ein Widerspruch. Selbst wenn man –

140 Es ist jedenfalls hierzulande wohl üblicher, die »korrektive« Gerechtigkeit als iustitia commutativa zu bezeichnen. 141 46 Yale L. J. 52, 56 (1936). 142 Bereits die Überschrift des entsprechenden Abschnitts (46 Yale L. J. 52, 57) zeigt dies an: »Why Should the Law ever Protect the Expectation Interest?« 143 Zum folgenden 46 Yale L. J. 52, 57 ff. (1936). 144 So ausdrücklich (mit Bezug auf sein Konzept der Vertrauenshaftung) Canaris, Vertrauenshaftung, S. 440.

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etwa im Anschluß an Windscheid, den Fuller hier zitiert145 und der Holmes zufolge unter den amerikanischen Vertragsrechtlern der klassischen Phase »a writer now in vogue«146 war – den Vertrag als eine Art privates Gesetz ansehe, sei er gewöhnlich doch nur ein Gesetz, das keine Sanktionen für den Fall seiner Nichteinhaltung anordne und den Gerichten insoweit freie Hand lasse147. Dagegen ist jedoch folgendes einzuwenden: Zwar treffen die Parteien regelmäßig keine ausdrückliche Vereinbarung über Sanktionen für etwaige Vertragsbrüche. Aber bereits durch die Prämisse, daß der im Vertrag vereinigte Wille der Parteien als geltendes Recht anzuerkennen ist, wird die Sanktion präjudiziert. Nach dem spätestens bei der Gesetzgebung des BGB gefestigten, in Deutschland bis heute geteilten Verständnis des Satzes »pacta sunt servanda« ist es geradezu selbstverständlich, daß Verträge, soweit sie als gültig behandelt werden, zur Haftung auf Erfüllung führen148. Allenfalls kann man sich mit willenstheoretisch orientierten Vertragsrechtlern des Common Law149 auf der Basis des Willensdogmas eine Abschwächung des Erfüllungszwangs zur Pflicht zum Ersatz des Nichterfüllungsschadens vorstellen: Wenn das Privatrecht schon nicht die Naturalerfüllung anordnet, muß es den vertragsbrüchigen Schuldner jedenfalls dazu verpfl ichten, dem Gläubiger den Wert der nicht erbrachten Leistung zu ersetzen. Nur dann hat es überhaupt einen Sinn zu sagen, daß das von den Parteien Gewollte nach der Rechtsordnung »gilt«, nämlich den Schuldner verpfl ichtet und den Gläubiger berechtigt. Stellt man sich anstatt einer vertraglichen eine gesetzliche Regelung vor, wird dies unmittelbar deutlich: Verletzt jemand eine gesetzlichen Rechtsposition eines anderen (etwa dessen Eigentum), wird man von der »Geltung« der das subjektive Recht statuierenden gesetzlichen Regelung nur sprechen wollen, wenn die Verletzung des dem Rechtsinhaber zugewiesenen Rechts entweder durch eine Pflicht zur Naturalrestitution oder durch eine Pflicht zum Ersatz des verlorenen Wertes sanktioniert ist. Denn das subjektive Recht wäre ohne zumindest eine dieser Sanktionen, die ihm im Verletzungsfall Wirkung verleihen, eine leere Hülse. Keine andere Bedeutung hat der Geltungsbegriff, wenn man ihn auf den Vertrag als die

145 46 Yale L. J. 52, 58 Fn. 9. Bei der Angabe der Fundstelle des – auf englisch übersetzten – Zitats ist freilich ein Fehler unterlaufen; sie lautet richtig: Windscheid/Kipp, Pandektenrecht I, § 69 Anm. 1a (S. 311), wo es heißt: »Das Rechtsgeschäft ist die Betätigung der dem Privatwillen auf dem Rechtsgebiete zustehenden schöpferischen Kraft.« 146 Holmes, Common Law, S. 164. 147 46 Yale L. J. 52, 58. 148 Repräsentativ für diese Sicht ist die neuerdings wieder von Canaris, in: FS 50 Jahre BGH Bd. 1, S. 129, 149 Fn. 84, zustimmend zitierte Feststellung von Kübels, in: Vorlagen Bd. 2, S. 379: »Aus dem Wesen des Vertrags ergiebt sich von selbst, daß Derjenige, welcher in demselben und durch denselben seinen Willen zur Herbeiführung eines bestimmten rechtlichen äußeren Erfolges einer anderen Person (dem Gläubiger) unterworfen hat, seinen Willen auch dementsprechend bethätigen muß [. . .].« Zur Geschichte des Erfüllungszwangs im 19. Jahrhundert vgl. Rütten, in: FS Gernhuber, S. 939, 946 ff. 149 Fried, Contract as Promise, S. 17; Friedmann, (1995) 111 L. Q. R. 628, 636 ff.

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durch die Willenseinigung inter partes gesetzte rechtliche Regelung anwendet: Die im Vertrag getroffene rechtliche Regelung gilt nur, soweit sich das durch den Vertrag begründete Recht des Gläubigers auf die vertragliche Leistung im Fall der Nichterfüllung verwirklicht. Dies geschieht nur, wenn dem Gläubiger ein Anspruch auf Erfüllung in Natur oder zumindest auf Ersatz des Wertes seines Rechts, des positiven Interesses, gewährt wird. Der Anspruch auf Ersatz des negativen Interesse negiert dagegen, indem er auf die Herstellung des ohne den Vertragsschluß bestehenden Zustandes zielt, das Recht des Gläubigers und damit die Geltung des Vertrags, aus dem es sich ergibt. Bereits Friedrich Mommsen beschrieb diesen Zusammenhang knapp und treffend: »So nothwendig, wie die erste Berechnung des Interesse [des positiven Interesses, T. A.] die Gültigkeit des Contracts, setzt diese letztere [die Berechnung des negativen Interesses, T. A.] die Ungültigkeit desselben voraus.«150 Fullers Ansicht, die Frage nach der geeigneten Sanktion könne unabhängig von einer willenstheoretischen Begründung der Vertragsgeltung beantwortet werden, ist daher als Fehleinschätzung zu bewerten, wenn man getreu der deutschen Tradition, in der Jhering und Windscheid standen, den privatrechtlichen Vertrag als positivrechtliches Abbild des Postulats der durch den vereinigten Willen der Parteien generierten Verbindlichkeit der einander gegebenen Versprechen formuliert. Die »will theory« Holmes’ und Willistons blieb allerdings, wie gezeigt, in der konsequenten Verwirklichung dieses Gedankens dahinter deutlich zurück. Ein Vertragsverständnis, bei dem der Zusammenhang zwischen dem Willen der Vertragsparteien und der Sanktion für Vertragsbruch gleich zweifach gebrochen ist – es zählt nur die nach objektiven Maßgaben interpretierte Erklärung und auch diese nur als Versprechen der Übernahme des Risikos der Nichterfüllung –, ist in der Tat für die Frage der Sanktionsauswahl nicht sonderlich aussagekräftig und läßt sich ebensogut mit der These in Einklang bringen, »versprochen« sei nur die Übernahme des Vertrauensschadens. Fuller mag daher, auch wenn er sich auf Windscheid bezieht, eher die eigene Rechtstradition als die des gemeinen Rechts vor Augen gehabt haben. So ist seine Leugnung willenstheoretischer Implikationen für das Sanktionsproblem vor dem Hintergrund der klassischen amerikanischen Lehre jedenfalls nachvollziehbar. bb) Der Versuch einer »ökonomisch-juristischen« Lösung des Sanktionsproblems Fullers eigene Antwort auf die von ihm aufgeworfene Frage nach der Rechtfertigung der Pflicht des Vertragsbrüchigen zum Ersatz des positiven Interesses knüpft an die Bedürfnisse des (von ihm so genannten) »Kreditsystems« an. In einer Kreditwirtschaft werde die Unterscheidung zwischen gegenwärtig und künftig innegehabten (d. h. versprochenen) Gütern tendenziell eliminiert; aus ökonomischer Sicht sei es daher unvermeidlich, daß die durch ein Versprechen geweckte Erwartung eines künftigen Werts bereits als gegenwärtiger Wert und mithin als eine Art 150

Mommsen, Unmöglichkeit, S. 107.

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Eigentum (»property«) behandelt werde151. Der Vertragsbruch als Verletzung der dem Empfänger des Leistungsversprechens eigentumsähnlich zugewiesenen Erwartung zieht, akzeptiert man diese Prämisse, die Verpflichtung zum Ersatz des »expectation interest« notwendig nach sich. Um dem Vorwurf zu entgehen, er argumentiere zirkulär und gebe die Folge des rechtlichen Schutzes des positiven Interesses (nämlich den Umstand, daß der gegenwärtige Wert eines Versprechens sich nach dem Wert einer künftigen Leistung bemißt) als dessen Begründung aus, ergänzt Fuller diese »ökonomische« Sicht um eine »juristische«: Indem man dem Gläubiger erlaube, statt des negativen Interesses in Gestalt des entgangenen Gewinns aus einem Alternativgeschäft das positive in Gestalt des aus dem tatsächlich abgeschlossenen Vertrag erwarteten Ertrags geltendzumachen, enthebe man ihn der (bereits von Bähr zum Anlaß für die Formulierung der gemeinrechtlichen Erklärungstheorie genommenen) Schwierigkeit, seinen Vertrauensschaden zu beweisen152. Das positive Interesse wird danach als Surrogat des negativen geschützt. Ökonomisch hält Fuller diese These für um so plausibler, je stärker das wirtschaftliche Umfeld der Parteien durch Wettbewerb geprägt, der Vertrag also auf das »Kreditsystem« bezogen sei – bei perfektem Wettbewerb bestehe schließlich, da dem Geschädigten stets ein anderer, gleich günstiger Vertragsschluß mit einem Konkurrenten des Vertragsbrüchigen möglich gewesen wäre, überhaupt kein Unterschied zwischen positivem und negativem Interesse153. Je weiter aber ein Vertrag vom »Kreditsystem« entfernt sei, um so mehr spreche dafür, es bei der eigentlichen Grundregel, der Haftung auf das negative Interesse, zu belassen – eine Einsicht, der, so meint Fuller in Entgegnung auf Willistons These vom Schutz des positiven Interesses auch bei fehlendem »bargain«, die Rechtspraxis durchaus folge154. Dieser Begründungsversuch vermag gleich in mehrfacher Hinsicht nicht zu befriedigen: Fuller beginnt seine »juristisch-ökonomischen« Überlegungen zur Lösung des Sanktionsproblems erst, nachdem er den von ihm in Betracht gezogenen Sanktionen ungleiche Ausgangspositionen zugewiesen hat – seine mit aristotelischen Gerechtigkeitskategorien verbrämte Intuition hat dem negativen Interesse noch vor dem Einstieg in die eigentliche Diskussion den Vorrang gegenüber dem positiven eingeräumt. Durchaus zutreffend erkennt er zwar, daß die Vertragsbruchsanktion so beschaffen sein muß, daß sie es dem Gläubiger erlaubt, auf die Leistungserbringung zu vertrauen und seine Investitionen entsprechend einzurichten. Dies jedoch als Anliegen, oder genauer: als eines der Anliegen der Sanktionsauswahl zu identifizieren, heißt nicht, daß der Schutz des Vertrauensinteresses die gleichsam naturgegebene Grundregel vertraglichen Schadensersatzes wäre. Die Ermöglichung von »reliance« des Gläubigers als Zweck der Haftung und der 151

46 Yale L. J. 52, 59 (1936). 46 Yale L. J. 52, 60 f. (1936). 153 46 Yale L. J. 52, 62 (1936). 154 Man müsse freilich störende »cross-currents« in Rechnung stellen, dazu Fuller/Perdue, 46 Yale L. J. 52, 66 ff. (1936). 152

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Ersatz des »reliance interest« als rechtliches Mittel werden hier kurzschlüssig gleichgesetzt. Deshalb bleibt die Möglichkeit außer Betracht, daß die Haftung auf das positive Interesse den negativen Vertrauensschutz nicht nur aus Praktikabilitätsgründen ersetzen, sondern das grundsätzlich geeignetere Instrument zum Schutz des berechtigten Vertrauens des Gläubigers auf den Erhalt der vertraglich versprochenen Leistung und erst recht zur Steuerung der (von Fuller überhaupt nicht erörterten) Leistungsanstrengungen des Schuldners sein könnte155. Ist aber die These vom nur subsidiären Schutz des positiven Interesses mindestens unabgesichert, so gilt dies auch für den Bezug zum – in seiner Bedeutung ohnehin nicht recht greifbaren – »Kreditsystem«: Soweit sich die Haftung auf das positive Interesse dem negativen Vertrauensschutz im Hinblick auf die für Gläubiger und Schuldner gesetzten Anreize als überlegen erweist, kommt es für ihre Rechtfertigung nicht auf das Vorliegen einer Wettbewerbssituation an, in der sich Vertrauens- und Nichterfüllungsschaden der Höhe nach gleichen, so daß statt des ersteren zur Vermeidung von Kompensationsdefiziten letzterer Gegenstand des Ersatzanspruchs sein kann. Allen Unzulänglichkeiten zum Trotz liegt in Fullers Beitrag gleichwohl ein wichtiger Anstoß zu einer Neuorientierung vertragsrechtlicher Theoriebildung. Denn es kündigt sich hier der Abschied von einer allein auf den Willen der Parteien als Geltungsgrund des Vertrags gestützten Lehre und die Hinwendung zu einer Auffassung an, die das Vertragsrecht als Instrument zur Verwirklichung verschiedener, u. U. divergierender »policies« begreift156 . Die Verknüpfung zwischen der Wahl der Vertragsbruchsanktion und den Erfordernissen des »Kreditsystems« eröffnet, so ungelenk sie sein mag, bereits Ausblicke auf Konzeptionen, die erst in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts voll entfaltet werden und Fullers »reliance interest« zu spätem Ruhm verhelfen würden157: Zum einen stellt sie die Haftung für Vertragsbruch in einen gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang. Nicht zeitlose ethische Gebote und logische Deduktionen, sondern die Erfordernisse einer wirtschaftsliberalen Gesellschaft diktieren danach die Regeln des Vertragsrechts. Fullers Vorstellung von der Haftung auf das positive Interesse als allgemeines Stimulans wirtschaftlicher Aktivität158 fügt sich hier ein. Was bei Fuller noch zustimmend gemeint ist, wird in der späteren antiliberalen Fundamentalkritik des Vertragsrechts freilich gegen die Ersatzfähigkeit des positiven Interesses ins Feld geführt werden159. 155 Näher zur vergleichenden Bewertung der Anreize beider Sanktionen für Gläubiger und Schuldner unten, § 6 II, III. 156 Zu diesem Paradigmawechsel in der amerikanischen Rechtswissenschaft Kennedy, 100 Colum.L.Rev. 94 ff. (2000), der statt von »policies« freilich von »considerations« sprechen will (a.a.O. 95 f.). 157 Insoweit bemerkenswert ist das Eingeständnis Macaulays, 1991 Wis.L.Rev. 246, daß er erst zu Beginn seiner Zeit als akademischer Lehrer 1958 auf die »mysteries of the expectation, reliance and restitution interests« stieß. Vgl. auch Atiyah, in: Contract Law Today, S. 21, 26. 158 46 Yale L. J. 52, 61 (1936). 159 Siehe unten, § 3 II 2 a.

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§ 3 Die Theorie der Haftung

Zum anderen bietet Fuller, indem er die Auswirkungen der Haftung auf die Vertrauensinvestitionen des Gläubigers bedenkt, erste Ansätze für eine mikroökonomische Perspektive, welche vertragsrechtliche Sanktionen anhand der von ihnen ausgehenden Anreize für das Verhalten der Beteiligten bewertet. Dies auszuarbeiten wird der ökonomischen Analyse des Rechts vorbehalten sein160.

2. Zur Rezeption Fullers Fullers Unterscheidung zwischen »expectation«, »reliance« und »restitution interest« gehört mittlerweile zum – wenn auch in der Sache nicht unangefochtenen161 – Standardrepertoire der amerikanischen Vertragsrechtslehre162 und hat über die Grenzen der Vereinigten Staaten hinaus insbesondere auch im englischen Recht163 Anklang gefunden. § 344 des zweiten Restatement of Contract von 1979 erkennt nunmehr ausdrücklich an, daß die »remedies« für Vertragsbruch den Schutz eines oder mehrerer der drei Interessen bezwecken können, und § 349 sieht den Ersatz des Vertrauensschadens (»reliance interest«) nach Wahl des Gläubigers als Alternative zum Ersatz des Nichterfüllungsschadens (»expectation interest«) vor. Auch die Kritik an Willistons starrer Ausrichtung der Haftung für promissory estoppel auf den Ersatz des positiven Interesses hat sich zumindest in der Formulierung des Restatement164 durchgesetzt: »The remedy granted for breach«, heißt es in § 90 (1) des zweiten Restatement, »may be limited as justice requires.« An dieser Stelle soll jedoch weniger der praktische Erfolg von Fullers Differenzierung der Sanktionen und der von ihm eingeführten Begriffe als das wissenschaftliche Schicksal seines wesentlichen Anliegens, nämlich der Begründung der Vertragsbruchsanktionen aus sozio-ökonomischen Erwägungen, interessieren. Sein Erbe traten insoweit, mit der hier gebotenen Vereinfachung dargestellt, die das Vertragsrecht als Regu-

160

Siehe unten, § 3 II 2 b. Vgl. nur die oben, Fn. 139, nachgewiesenen kritischen Stimmen aus der Lit. 162 Vgl. außer den im anschließenden Text zitierten Regeln des zweiten Restatement Lehrbücher, Textsammlungen und »casebooks« wie etwa Barnett, Contract Law, S. 3 ff.; Calamari/Perillo, Contracts, § 14.4 (S. 545); Dawson/Harvey/Henderson, Contracts, S. 1 f.; Farnsworth, Contracts Bd. 1, § 2.1 (S. 60), Bd. 3, § 12.1 (S. 146 ff.); Knapp/Crystal, Contract Law, S. 960 f. 163 Vgl. etwa Beale, Remedies, S. 154; Bridge, in: Good Faith and Fault in Contract Law, S. 427, 459 ff.; Burrows, Remedies, S. 248 ff.; Furmston, Contract, Kap. 8.4 (S. 1219 ff.); Treitel, Contract, S. 936 ff.; einen rechtsvergleichenden Überblick bietet Treitel, Remedies, S. 82 ff. – Die Terminologie im englischen Recht ist allerdings immer noch uneinheitlich, so etwa wenn es statt »expectation interest« »benefit of the bargain« oder »loss of the bargain« heißt; dazu Friedmann, (1995) 111 L. Q. R. 633 f. 164 Streitig ist die Bewertung der gerichtlichen Praxis: Während Yorio/Thel, 101 Yale L. J. 111, 151, 166 (1991), behaupten, daß die Gerichte beim Erfolg einer auf promissory estoppel gestützten Klage stets das Erfüllungsinteresse zusprechen, will Hillman, 98 Colum.L.Rev. 580, 601 f. (1998), die Relevanz des Vertrauensinteresses anhand einer statistischen Untersuchung nachweisen, derzufolge in sieben von 29 erfolgreichen Klagen das Vertrauensinteresse zugesprochen wurde. – Näher dazu unten, § 13 I 1 c bb. 161

II. Fullers Lehre und ihre wissenschaftliche Weiterentwicklung

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lierungsinstrument auffassenden »socio-legal studies« und die ökonomische Analyse des Rechts an. a) »Socio-legal studies«: Vertragsbruchsanktionen als Instrumente zur Verwirklichung gesamtgesellschaftlicher Ziele Während Fuller noch den direkten Angriff auf das Zentrum des klassischen Vertragsrechts, das Willensprinzip, vermieden hatte, sollte mehr als zwei Jahrzehnte später Gilmore den bereits zuvor behaupteten Bedeutungsverlust des klassischen Vertragsmodells165 zu der pathetischen Formel vom »Tod des Vertrags« zuspitzen166 . Dieses Schlagwort bringt zum Ausdruck, was die hier unter dem Oberbegriff »socio-legal studies«167 zusammengefaßten, aus verschiedenen Quellen gespeisten Lehren eint: die Absage an ein Vertragsrecht, das sich durch die Abgrenzung der autonomen von der heteronomen Verpflichtung des Rechtssubjekts als eigenständiges Rechtsgebiet definiert. Die Konzeption, die nach dem Willen ihrer Befürworter in Konkurrenz zur klassischen Auffassung treten und diese ablösen soll, ist dagegen weniger leicht auf den Punkt zu bringen. Am ehesten noch eignet sich hierzu der Begriff der Regulierung, wenn man ihn nur weit genug versteht, nämlich als Regelsystem, das zur Verwirklichung gesamtgesellschaftlicher Ziele (etwa zur Herstellung von Verteilungsgerechtigkeit, zur Behebung von Marktversagen oder zur Begrenzung privater Machtausübung) steuernd auf individuelles Verhalten einwirkt168. Wer Vertragsrecht im Kern als Verwirklichung von Privatautonomie begreift, wird dazu neigen, Regulierungsmechanismen wie Preiskontrollen oder zwingende Regelungen zum Schutz Schwächerer als Anomalien aufzufassen, oder versuchen, sie in ein »materialisiertes« Verständnis der Privatautonomie einzuordnen. Mit der These vom Vertragsrecht als Regulierung wird ein schon im Ansatz anderer Standpunkt bezogen: Vertragsrecht beruht letztlich nicht auf dem Selbstbestimmungs-, sondern auf dem Regulierungsgedanken (oder sollte dies zumindest). Aus dieser Sicht ist »private governance« durch Vertrag nur eines unter verschiedenen, rechtlichen oder außerrechtlichen Steuerungsinstrumenten zur Verwirklichung gesamtwirtschaftlicher oder sozialer Regulierungsziele. Diese Instrumentalisierung relativiert zum einen die Bedeutung des Vertrags im Vergleich zu anderen Regulierungsmechanismen, zum anderen wirkt sie sich auf die Formulierung vertragsrechtlicher Regeln und insbesondere auch auf die Auswahl vertragsrechtlicher Sanktionen aus.

165 Vgl. aus dem amerikanischen Schrifttum insbesondere Macaulay, 28 Am.Soc.Rev. 55 ff. (1963). Einen Überblick über entsprechende Tendenzen im britischen Schrifttum bietet Campbell, (2000) 20 Oxford J.Leg.St. 477, 478 ff. 166 Fullers Artikel wird dabei als Wegbereiter dieser Einsicht gewürdigt, vgl. Gilmore, Death of Contract, S. 62. 167 Vgl. Campbell, (2000) 20 Oxford J.Leg.St. 477 ff. 168 Vgl. Collins, Regulating Contracts, S. 7 f.

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§ 3 Die Theorie der Haftung

Eine exemplarische Umsetzung dieses Ansatzes fi ndet sich bei Atiyah, der Fullers Gedanken aufgegriffen hat169. Nach Atiyahs freier Interpretation170 entsprechen den von Fuller identifizierten Interessen des Gläubigers unterschiedliche Gründe vertraglicher Haftung, und zwar dem »restitution interest« die Verantwortlichkeit wegen der Inanspruchnahme eines vom Gläubiger gewährten Vorteils (»benefit-based liability«), dem »reliance interest« die Verantwortlichkeit wegen der Veranlassung einer Vertrauensinvestition des Gläubigers (»reliance-based liability«), und dem »expectation interest« die Verantwortlichkeit für ein gegebenes Versprechen (»promise-based liability«)171. Von dieser Differenzierung ausgehend, kehrt Atiyah die klassische Auffassung vom Vertrag um: Während diese den Grund vertraglicher Haftung im rechtsgeschäftlichen Versprechen und damit in der dritten Erwägung erblickt, will jener die Haftung allein auf die beiden anderen Gesichtspunkte, nämlich »benefit« und »reliance«, stützen. Diese These entspricht der von Fuller aufgestellten Rangfolge der Interessen; doch will Atiyah damit nicht aristotelisch inspirierte Gerechtigkeitserwägungen umsetzen, sondern die Konsequenz aus dem historischen Wettstreit freiheits- und gleichheitsorientierter Werte ziehen, den er zugunsten letzterer und damit zugunsten einer paternalistischen Sozialphilosophie und eines auf Umverteilung setzenden Wirtschaftssystems entschieden sieht. Mit diesen Werten vertrage sich insbesondere die Haftung aufgrund des Vertrauensprinzips, da sie es erlaube, dem Vertrauenden die Verantwortung für die Folgen seines Handelns abzunehmen und sie seinem Gegenüber unabhängig von dessen freier Entscheidung aufzubürden172. Sei dagegen die rechtliche Verantwortlichkeit an das bloße vertragliche Versprechen geknüpft, werde Ungleichheit perpetuiert – durch die Bindung an eine vertragliche Risikoverteilung werde z. B. diejenige Partei bevorzugt, die nach Ausbildung und Kenntnisstand besser dazu imstande sei, das Risiko zu überblicken173. Auf den ersten Blick besagt dies nur etwas über Haftungsgründe und nichts über Haftungsfolgen. Wer aber dem Vertragsrecht im Namen sozialer Gleichheit die Eigenständigkeit als Recht privatautonomer Selbstbindung abspricht und es auf Varianten der Vertrauenshaftung (»reliance-based liability«) und des Bereicherungsausgleichs (»benefit-based liability«) zurückführt, schließt nicht nur Verein169 In eine ähnliche Richtung wie die nachfolgend referierten Überlegungen Atiyahs geht die Fortführung von Fullers Thesen bei Pettit, 38 Hastings L. J. 417 ff. (1987). 170 Atiyah, in: Contract Law Today, S. 21, 24, fragt sich selbst, »how far I read things into the article that were not originally there«. 171 Vgl. Atiyah, Rise and Fall, S. 1 ff., sowie in: Contract Law Today, S. 21, 24. 172 Atiyah, Rise and Fall, S. 6 f. 173 Ähnlich Pettit, 38 Hastings L. J. 417, 427 (1987): Durch den Schutz des Erfüllungsinteresses verschaffe der Staat der nicht vertragsbrüchigen Partei einen »Extra-Vorteil« gegenüber dem Schutz des Vertrauensinteresses, nämlich eben jenen Vorteil, den sie nur durch den abgeschlossenen Vertrag und nicht durch ein anderes Geschäft erlangen konnte. Das sei jedoch kein legitimes Ziel staatlicher Durchsetzung, denn »more often than not, it is the stronger actors in our society who seek to employ state power to enforce this privately negotiated ›extra‹ advantage«.

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barungen, die noch keine Vertrauensinvestitionen und keine Zuwendungen zur Folge hatten, vom Anwendungsbereich vertraglicher Haftung aus174, sondern nimmt auch den positiven Sanktionen in Gestalt des Erfüllungsanspruchs und des Anspruchs auf Ersatz des Nichterfüllungsschadens ihre Rechtfertigung, soweit diese auf der rechtlichen Anerkennung des Versprechens als Selbstbindung basiert175. Diese Sanktionen sind nur, so wie Fuller dies vorgezeichnet hat, als Subsidiärsanktion im Rahmen des Vertrauensschutzes zu legitimieren; primär ist der Ersatz des Vertrauensschadens in Betracht zu ziehen. Sicherlich möchte man Atiyahs Ansatz schon im Hinblick auf die ihm zugrunde liegende historische Darstellung nicht ohne weiteres zustimmen: Die Verbindungen, die er zwischen dem »Aufstieg« des Vertrags als Rechtsfigur und dem Erfolg des Liberalismus auf der einen sowie zwischen dem »Fall« des Vertrags und dem Aufkommen egalitären Ideenguts auf der anderen Seite zieht, sind wohl nicht so fest gefügt, daß sich daraus das Ende des klassischen Vertragsrechts als Ergebnis eines historischen Prozesses ableiten ließe. Immerhin hat das Vertragsrecht, insbesondere wenn man über das Common Law hinausblickt, eine weit über das späte 18. Jahrhundert hinausreichende Geschichte, in der es sich auch unter Bedingungen behaupten und dogmatisch weiterentwickeln konnte, die der Vertragsfreiheit mit Sicherheit keinen größeren Spielraum ließen als der moderne, paternalistisch gesinnte Sozialstaat. Doch sei die historische Dimension hier nicht weiterverfolgt – entscheidend ist vielmehr die Bewertung der gegenwärtigen Situation, zu der seine Interpretation der historischen Entwicklung hinführt und die unabhängig von deren Richtigkeit zu würdigen ist: Der Niedergang des Vertrags als Form rechtlicher Selbstbindung wird konstatiert und seine Neukonzeption als Regulierungsmechanismus zur Herstellung von Verteilungsgerechtigkeit gefordert, weil die Idee des sich selbst bindenden Rechtssubjekts als Ausdruck einer Ideologie des Laissez-faire-Liberalismus angesehen wird, die den Verhältnissen der modernen, sozialstaatlich geprägten Gesellschaft nicht mehr gerecht wird176 . b) Ökonomische Analyse des Rechts: Vertragsbruchsanktionen als Anreize zu effizientem Verhalten Während Fullers Beitrag sich bei Atiyah als Vorläufer der Ideologiekritik des Vertragsrechts wiederfindet, sind seine – überaus bescheidenen – Ansätze zur Bewer174 Atiyah, Rise and Fall., S. 2 u. ö., spricht hier von »wholly executory contracts«. Hier kann die Haftungsbegründung weder »reliance-based« noch »benefit-based«, sondern nur »promisebased« sein. Näher zum (angeblichen) Niedergang des »executory contract« Atiyah, Rise and Fall, S. 762 ff. 175 Auf die Konsequenz der Sicht Atiyahs für den Schutz des Erfüllungsinteresses weist auch Craswell, 67 U.Chi.L.Rev. 99, 134 (2000), hin. – Eine solche Position wurde übrigens, wie Gordley, 52 Am.J.Comp.L. 433, 459 f. (2004), berichtet, bereits von Lessius, Grotius und Pufendorf bekämpft. 176 Atiyah, Rise and Fall, S. 6, betont nachdrücklich, ihm gehe es nur um die Anerkennung von Tatsachen, ohne daß daraus folge, daß er diese Tatsachen billige oder mißbillige.

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§ 3 Die Theorie der Haftung

tung der Vertragsbruchsanktionen im Hinblick auf ihre verhaltenssteuernden Wirkungen in der ökonomischen Analyse des Rechts ausgearbeitet worden. Anders als die »socio-legal studies« teilt die ökonomische Analyse des Rechts die Prämisse der klassischen Lehre, daß das Vertragsrecht der Privatautonomie Geltung verschafft. Das normative Programm der ökonomischen Analyse beruht auf dem Grundsatz, daß Individuen sich bei der Gestaltung ihres Lebens von selbstgesetzten Präferenzen leiten lassen dürfen177. Die Privatautonomie, nämlich das »Prinzip der Selbstgestaltung der Rechtsverhältnisse durch den einzelnen nach seinem Willen«178 , ist nur ein Ausschnitt dieses Grundsatzes179. Im Ansatz unterschiedlich ist jedoch das Verständnis der gesetzlichen Vertragsbruchsanktionen. Ebensowenig wie Fuller sind die Vertreter der ökonomischen Analyse bereit, die in Ermangelung einer Parteivereinbarung geltende gesetzliche Anordnung bestimmter Regelsanktionen – sei es die Haftung auf das positive Interesse oder der Erfüllungszwang – als gleichsam naturgegebene Konsequenz privatautonomer Bindung zu akzeptieren. Nicht anders als deliktische Haftungsregeln, deren ökonomische Analyse mittlerweile auch im deutschen Sprachraum einen vergleichsweise hohen Bekanntheitsgrad gewonnen hat, werden auch diese Normen auf ihre Effizienz befragt: Vertragliche Sanktionsregeln sollen den Parteien Anreize dazu geben, sich so zu verhalten, daß die Summe des beiderseitigen Nutzens maximiert wird180. Da außerhalb der transaktionskostenfreien Idealwelt des Coase-Theorems181 nicht zu erwarten ist, daß ein allen Eventualitäten Rechnung tragender, sogenannter vollständiger Vertrag ausgehandelt wird, bedarf es dispositiver vertragsrechtlicher Regeln, die solche Anreize vermitteln. Das rechtsökonomische Schrifttum greift dabei im Ausgangspunkt auf Fuller zurück: Die Trias der von ihm unterschiedenen Interessen – »expectation«, »reliance« und »restitution interest« – bildet, ergänzt um den Erfüllungszwang, das Spektrum möglicher Sanktionen, die einem ökonomischen Leistungsvergleich mit dem Ziel unterzogen werden, den Parteien, die nicht selbst für den Fall des Vertragsbruchs (etwa durch die Vereinbarung einer Vertragsstrafe) Vorsorge getroffen haben, eine effiziente »default rule« zu bieten. In der Sache hat sich die ökonomische Analyse allerdings weit von Fullers Behauptung der Priorität des Vertrau177 Was selbstverständlich die positive Annahme voraussetzt, daß sich Individuen jedenfalls im großen und ganzen von selbstgesetzten Präferenzen leiten lassen können; dazu siehe unten, § 4 III 2 b. 178 Flume, Rechtsgeschäft, S. 1. 179 Eidenmüller, Effi zienz, S. 332. 180 Vgl. statt vieler Köndgen/v. Randow, in: Allokationseffi zienz, S. 122, 123 ff. 181 Das Theorem geht zurück auf Coase, 3 J.Law & Econ. 1 ff. (1960), und läßt sich mit dessen Worten (a.a.O., S. 15) wie folgt beschreiben: »It is always possible to modify by transactions on the market the initial legal delimitations of rights. And, of course, if such market transactions are costless, such a rearrangement of rights will always take place if it would lead to an increase in the value of production.« Näher zum (nicht von Coase selbst, sondern von Stigler so bezeichneten) Coase-Theorem De Meza, in: New Palgrave Bd. 1, S. 270 ff.; R. Posner, Economic Analysis, S. 7 ff.; Richter/Furubotn, Institutionenökonomik, S. 113 ff.

III. Folgerungen für das weitere Vorgehen

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ensschadensersatzes gegenüber dem Schutz des positiven Interesses entfernt: Eine annähernde ökonomische Rekonstruktion dieser These haben allein Goetz und Scott versucht182. Im übrigen herrscht die Ansicht vor, der Schutz des Erfüllungsinteresses sei, was die Effizienzbewertung betrifft, dem Schutz des Vertrauensinteresses überlegen183. Die detaillierte Erörterung der für die ökonomischen Analyse relevanten Gesichtspunkte der Sanktionsauswahl und damit auch eine Stellungnahme zu den insoweit vertretenen Positionen sei hier noch zurückgestellt184 ; es geht zunächst nur darum, die theoretischen Weichenstellungen zu verdeutlichen, die es überhaupt erst ermöglichen, in ökonomischen Kategorien über die Rechtsfolgen nachzudenken, die sinnvollerweise an privatrechtliche Selbstbindungstatbestände zu knüpfen sind: Man muß sich zum einen auf den Standpunkt stellen, daß die hierfür relevanten rechtlichen Regeln nicht durch ein ontologisch vorgegebenes Muster der Selbstbindung determiniert sind, wie es das Versprechen darstellt, sondern daß diese Regeln instrumenteller Natur, nämlich Mittel zur Verhaltenssteuerung sind. Zum anderen muß man bereit sein zu akzeptieren, daß legitimer Zweck der Formulierung und des Einsatzes dieses privatrechtlichen Instrumentariums die Verwirklichung von Effizienz ist, und das heißt: die Maximierung individuellen Nutzens unabhängig von sozialethischen Anliegen wie der Wahrung von Fairness, einer angemessenen Mindestversorgung aller Mitglieder einer Gesellschaft oder der Herstellung von Verteilungsgerechtigkeit.

III. Folgerungen für das weitere Vorgehen Fullers These von der Subsidiarität des positiven gegenüber dem negativen Interesse oder zumindest ihre Auswirkungen auf das amerikanische Vertragsrecht sind in der deutschen Wissenschaft185 wiederholt bei Überlegungen zu der – in § 284 BGB im Ergebnis positiv beantworteten – Frage zur Kenntnis genommen worden, ob dem Gläubiger, der keinen materiellen Nichterfüllungsschaden geltend machen kann, zumindest der Ersatz seiner im Vertrauen auf die Erfüllung getätig182

Goetz/Scott, 89 Yale L. J. 1261 ff. (1980). So Cooter/Eisenberg, 73 Cal.L.Rev. 1432, 1468 (1985); Cooter/Ulen, Law and Economics, S. 254 ff.; Edlin, in: New Palgrave Bd. 1, S. 174, 175; Mahoney, in: Encyclopedia Bd. 3, S. 117, 123; Posner, Economic Analysis, S. 122; Schäfer/Ott, Ökonomische Analyse, S. 463 f.; Shavell, in: New Palgrave Bd. 1, S. 436, 442; ders., 10 Bell J.Econ. 466, 472. 184 Näher unten, §§ 5–7. 185 Rechtsvergleichende Bezüge fi nden sich etwa bei U. Huber, Leistungsstörungen II, § 39 II 1 (S. 269 – Huber nennt allerdings im Anschluß an die insoweit mindestens mißverständlichen Ausführungen von Elsing/van Alstine, US-amerikanisches Handels- und Wirtschaftsrecht, Rz. 222, fälschlich den Ersatz des Erfüllungsinteresses »contract damages« und den Ersatz des Vertrauensinteresses »restitution damages«); Leonhard, AcP 199 (1999), 660 ff.; Müller, Ersatz entwerteter Aufwendungen, S. 28 ff.; Hans Stoll, Haftungsfolgen, Tz. 256 (S. 321 ff.); Wiedemann/Georg Müller, JZ 1992, 467 ff. 183

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§ 3 Die Theorie der Haftung

ten und nun durch die Nichterfüllung »frustrierten« Aufwendungen zuzugestehen ist. Die Gegenüberstellung der auf Fuller und Jhering zurückgehenden Theorien zeigt indes, daß es sich hierbei nur um eine Folgerung aus einem wesentlich weiterreichenden, nämlich das Verhältnis von Selbstbindung und Sanktion insgesamt neu bewertenden Entwurf handelt. Damit wirft die Rezeption der auf Fuller zurückgehenden Gedanken eine grundsätzliche Schwierigkeit auf: Die Konzeption der Haftung auf das negative Interesse als Haftung für Selbstbindungstatbestände – seien dies reguläre Verträge mit einer consideration im Sinne der Bargain-Theorie oder Fälle des promissory estoppel – fußt auf einem Verständnis zivilrechtlicher Selbstbindung, das unvereinbar ist mit der in Deutschland dominierenden, von Jherings c.i.c. bis zu Canaris’ Vertrauenshaftung reichenden Tradition einer außerrechtsgeschäftlichen Konstruktion der Haftung auf das negative Interesse. Diese Tradition ist dadurch gekennzeichnet, daß sie die rechtliche Anerkennung normativitätsstiftenden Verhaltens als Selbstbindung im Kern auf das Willensprinzip gründet. Die Vorstellung, daß das von den Parteien eines Schuldvertrags Gewollte nach der Rechtsordnung gilt, impliziert eine »positive« Nichterfüllungssanktion, den Erfüllungszwang oder jedenfalls die Pflicht zum Ersatz des positiven Interesses. Der Ersatz des negativen Interesses kommt daher nur als Folge der Haftung für die Verletzung einer gesetzlichen Pflicht in Betracht, die man auf das Vertrauensprinzip, Verkehrserfordernisse u. a. m., aber jedenfalls nicht auf eine autonome Bindung des Haftenden stützen kann. Die von Fuller angeregten, in den »socio-legal studies« und der ökonomischen Analyse des Rechts auf ganz unterschiedlichen Bahnen fortgeführten Überlegungen weisen in eine andere Richtung. Die privatrechtliche Selbstbindung ist danach nicht die rechtliche Anerkennung eines privaten Willensakts, sondern ein Konstrukt, mit dessen Hilfe verschiedenste Koordinierungsmechanismen von der marktförmigen Transaktion bis zur familiären Hilfestellung organisiert und gesteuert werden. Hier fehlt die Selbstverständlichkeit, mit der sich Selbstbindung und (positive) Sanktion in einer auf dem Willensprinzip basierenden Lehre miteinander verbinden. Zu der Frage, ob ein Verhalten, das normative Erwartungen weckt, als Selbstbindung zu bewerten, also im Enttäuschungsfall rechtlich zu sanktionieren ist, tritt die weitere, welche Sanktion angebracht ist. Noch grundsätzlicher ist aus dieser Sicht schließlich zu fragen, ob sich die zivilrechtliche Unterscheidung zwischen autonomer und heteronomer Bindung, zwischen rechtsgeschäftlicher und gesetzlicher Haftung überhaupt legitimieren läßt. Eine Theorie der Haftung auf das negative Interesse kann sich in Anbetracht dieser Herausforderungen an eine auf Jherings Prämissen beruhende Haftungskonzeption nicht darauf beschränken, diese einfach fortzuschreiben und ggf. um beifallswerte Erkenntnisse aus anderen Rechtsordnungen zu ergänzen. Vielmehr sollte, wer eine solche Theorie formulieren will, zunächst das ihr zugrunde liegende Verständnis zivilrechtlicher Selbstbindung klären und dabei die divergierenden Entwicklungen der anglo-amerikanischen Wissenschaft bedenken.

III. Folgerungen für das weitere Vorgehen

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Teilweise wird dies immer noch für überflüssig gehalten: Das Gebot »pacta sunt servanda« – verstanden als die Verbindung von Vertrag und Erfüllungshaftung – sei dem Vertrag »in einer Rechtsordnung, in der das Prinzip der Privatautonomie zu hinreichender Reife entwickelt ist, von vornherein immanent«; daß es noch Rechtsordnungen gebe, in denen dieser Grundsatz nicht voll verwirklicht sei, besage »nur etwas über den jeweiligen Entwicklungsstand der Lehre von der Privatautonomie und vom Rechtsgeschäft«186 . Damit wird der Vertragsrechtslehre in Common-Law-Systemen implizit Unreife und Rückständigkeit bescheinigt. Der theoriegeschichtliche Rückblick läßt uns jedoch zögern, diesem Urteil beizupflichten: Daß sich die uns geläufige Vorstellung von privatrechtlicher Selbstbindung mit ihren Implikationen für das Sanktionsproblem dort nicht durchsetzen konnte, ist nicht nur unreflektiertem Beharren auf überholten Regeln zu verdanken, sondern hat einen ernstzunehmenden theoretischen Hintergrund. Umgekehrt ist die deutsche Tradition der Haftung auf das negative Interesse mit einem »Geburtsfehler« behaftet, der die Diskussion unnötig verengt hat: Jhering stellte das strikt willensdogmatische Verständnis zivilrechtlicher Selbstbindung, mit dem er der Haftung aus c.i.c. ihren Anwendungsbereich als Mittel zur Lückenfüllung verschaffte, als selbstverständlich hin, ohne der zeitgenössischen Wissenschaft und insbesondere Savigny hinreichend Rechnung zu tragen. Den Gedanken, daß sich die Pflicht zum Ersatz des negativen Interesses als Alternativsanktion an das Rechtsgeschäft knüpfen und also sein eigentliches Thema nicht die Füllung einer Haftungslücke, sondern die Ausdifferenzierung der Haftung für vertragliche und ggf. auch andere Selbstbindungstatbestände sein könnte, ließ Jherings Darstellung nicht aufkommen. Es verwundert daher nicht, wenn hiervon abweichende Ansätze im deutschen Schrifttum – vor allem Köndgens »Selbstbindung ohne Vertrag«187 und Hans Stolls Haftung für »einseitige Leistungsversprechen«188 – nicht zuletzt auch Anregungen aus der Rechtsvergleichung zu verdanken sind. Im folgenden (§ 4) soll zunächst der Nachweis geführt werden, daß das nach wie vor bestehende Übergewicht der in der Tradition Jherings stehenden Doktrin im Vergleich zu diesen Ansätzen – unabhängig von ihrer Tauglichkeit zur Systematisierung geltenden Rechts – jedenfalls nicht auf die Überlegenheit der ihr zugrunde liegenden Idee privatautonomer Bindung zurückzuführen ist.

186 187 188

Canaris, in: FS 50 Jahre BGH Bd. 1, S. 129, 149 mit Fn. 83. Vgl. die gleichnamige Monographie. Vgl. Hans Stoll, in: FS Flume, S. 741 ff.

§ 4 Die Legitimation privatrechtlicher Selbstbindung: Vom Abbild des Versprechens zum Instrument der Freiheitssicherung Die Gegenüberstellung in § 3 hat gezeigt, daß den Lehren von der Haftung auf das negative Interesse in den Traditionen Jherings und Fullers ein fundamentaler Dissens über die Frage zugrunde liegt, was die Selbstbindung des Privatrechtssubjekts in ihren theoretischen Grundannahmen kennzeichnet: Soll, um die entgegengesetzten Positionen nochmals zusammenzufassen, von privatrechtlicher Selbstbindung nur im Hinblick auf Willensakte die Rede sein, mit denen Privatrechtssubjekte Rechtsfolgen in Geltung setzen, oder darf privatrechtliche Selbstbindung als Steuerungsinstrument verstanden werden, das der Verwirklichung von Effi zienzzielen oder sonstigen »policies« bei vertraglichen und anderen Koordinierungsformen dient? Bezieht man diese Position, bleibt die Frage nach der Sanktionierung von Selbstbindungstatbeständen mit der Haftung auf das negative Interesse zumindest vorläufig offen; bezieht man jene, ist sie obsolet1. Für den Fortgang dieser Untersuchung ist eine Stellungnahme also unabdingbar. Vorweg sei klargestellt, was der Anspruch des hier zu bildenden Begriffs privatrechtlicher Selbstbindung ist: Die Theorie privatrechtlicher Selbstbindung, um die es hier geht, zielt nicht auf die Systematisierung positiven Rechts, sondern auf das Verständnis davon, worauf in unserer Gesellschaft die Legitimität 2 privatrechtlicher Regelungen von Selbstbindungstatbeständen in Gestalt von Vertrag, contract, promissory estoppel o.ä. gründet. Knapper formuliert 3 : Welches Vertragsrecht bekommt unserer Gesellschaft? Die hier zu dieser Fundamentalfrage bezogene Position soll – ohne Anspruch auf eine auch nur annähernd umfassende Diskussion – zumindest offengelegt und nachvollziehbar begründet werden. Ausgangspunkt der Stellungnahme ist – nach einer einführenden Erläuterung des formalen Musters autonomer Bindung (unter I.) – die Erörtung der soeben skizzierten gegensätzlichen Sichtweisen privatrechtlicher Selbstbindung, die sich in schlagwortartiger Verkürzung als die »versprechensethische« und die »funktio1

Siehe oben, § 3 II 1 b aa. Zur Legitimität als Bedingung von Herrschaft (verstanden als die Chance, für Befehle Gehorsam zu finden) grundlegend Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 122 ff. Auch durch Privatrecht wird Herrschaft ausgeübt, und dementsprechend bedarf Privatrecht zu seiner Stabilität des Legitimitätsglaubens auf Seiten der Herrschaftsunterworfenen. 3 In Abwandlung des Titels der Studie Bubners: »Welche Rationalität bekommt der Gesellschaft?« 2

I. Vorüberlegung: Das formale Muster autonomer Bindung

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nalistische« Sicht kennzeichnen lassen (dazu II.). Auf der Basis der durch diese Diskussion begründeten Parteinahme zugunsten des Funktionalismus eröffnet sich ein Begriff privatrechtlicher Selbstbindung, der einer freiheitlichen Gesellschaft angemessen und zugleich rechtspolitisch gehaltvoll ist: die privatrechtliche Selbstbindung als Teil der rechtlichen Rahmenbedingungen des Marktes, der seinerseits als freiheitsermöglichende soziale Institution legitimiert ist (dazu III.). Die damit gewonnene privatrechtstheoretische Ausgangsposition läßt die Frage der Sanktionsauswahl, so wie Fuller sie gestellt hat, zu und determiniert die zu ihrer Beantwortung anwendbare Methode.

I. Vorüberlegung: Das formale Muster autonomer Bindung Nach der am Beginn dieser Untersuchung getroffenen Begriffsbestimmung soll unter »Selbstbindung« oder »autonomer Bindung« ein normativitätsstiftendes Verhalten mit Bezug auf das jeweilige Normensystem verstanden werden, in dessen Kontext die durch das Verhalten erzeugte normative Erwartung beachtlich ist4. Es wurde dort bereits angedeutet, daß der Begriff der Selbstbindung je nach dem Zusammenhang, in dem er verwendet wird, unterschiedlichen Inhalt haben kann: Moralische und privatrechtliche Selbstbindung etwa sind nicht notwendig ein und dasselbe. Bevor jedoch die Spezifika der Selbstbindung im Privatrecht entwickelt werden, ist die Gemeinsamkeit der verschiedenen Verwendungen dieses Begriffs zu erklären: die allgemeine Rechtfertigung dafür, die Selbst- von der Fremdbindung begriffl ich zu scheiden und diese Unterscheidung in diversen inhaltlichen Zusammenhängen anzuwenden. Es ist m.a.W. das den Begriff der Selbstbindung – im Unterschied zur Fremdbindung – kennzeichnende formale Muster zu beschreiben. Zunächst scheint es manchem überhaupt ausgeschlossen, von »Selbstbindung« in Abgrenzung zur »Fremdbindung« zu sprechen. »Bindung« oder auch »Verpflichtung« seien überhaupt nur vorstellbar, wenn sich zwei Parteien – die gebundene oder verpflichtete und die bindende oder verpfl ichtende – gegenüberstehen5. Danach ist jede Bindung Fremdbindung, und »Selbstbindung« ist ein Widerspruch in sich. In der Tat setzt eine Bindung voraus, daß sich ein Gebundener und ein Bindender voneinander unterscheiden lassen, denn wären bindendes und gebundenes Ich identisch, könnte sich das gebundene Ich jederzeit von der »Bindung« befreien, die mithin jeder Verbindlichkeit entbehrte. Allerdings wäre es ein Fehlschluß, aus diesem Grund annehmen zu wollen, daß stets zwei verschiedene Personen Urheber der Bindung und ihr Adressat sein müßten. Vielmehr reicht es aus, 4

Siehe oben, § 1 II. So bereits Seneca, De Beneficiis, V. Buch, VII – IX: »Hoc verbum ›debere‹ non habet nisi inter duos locum; quomodo ergo in uno consistet, qui se obligando liberat?« Zitiert nach Kersting, Gesellschaftsvertrag, S. 24 Fn. 6 (dort auch weitere Nachw.). 5

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§ 4 Die Legitimation privatrechtlicher Selbstbindung

»sich, in dem Bewußtsein einer Pflicht gegen sich selbst, als Subjekt derselben, in zwiefacher Qualität« zu betrachten, m.a.W. also innerhalb desselben Subjekts eine qualitative Differenzierung zwischen bindendem und gebundenem Ich einzuführen, wie dies Kant für die moralische Selbstbindung mit der Unterscheidung zwischen dem Mensch als (obligiertem) »Sinnenwesen« und als (sich selbst verpfl ichtendem) »Vernunftwesen« aufgezeigt hat6 . Die subjektinterne »Ich-Verdoppelung«7 erlaubt es, die Behauptung aufrechtzuhalten, daß Urheber und Adressat einer Bindung ein und dieselbe Person sein kann und daher die Rede von der »Selbstbindung« sinnvoll ist. Notwendige Bedingung der Selbstbindung ist also stets eine innerhalb desselben Subjekts zu treffende Unterscheidung zwischen Bindendem und Gebundenen. Letzteres ist das Subjekt in seiner Eigenschaft als willkürlich, nach Lust oder Unlust (eben als »Sinnenwesen«) handelndes Individuum; ersteres ist das Subjekt in seiner Eigenschaft als Urheber oder »Produzent« der an sie selbst (in ihrer Eigenschaft als »Sinnenwesen«) gerichteten normativen Erwartungen. Sich selbst binden kann, anders gewendet, nur ein Individuum, dem über die Fähigkeit, Lust und Unlust zu empfinden, hinaus eine weitere Qualität zukommt, die es erlaubt, die an sie adressierten normativen Erwartungen zugleich als ihr zuzurechnende Erwartungen anzusehen: die Qualität, aufgrund derer das Individuum überhaupt erst zur Person wird, nämlich zum »Subjekt, dessen Handlungen einer Zurechnung fähig sind«8. Die Grenzziehung zwischen Selbst- und Fremdbindung hängt demnach davon ab, welche die Zurechnungsfähigkeit begründenden Eigenschaften insoweit dem sich Bindenden zugeschrieben werden. Mehr bedarf es nicht, um von Selbstbindung sprechen zu können: Welche Eigenschaften die Zurechnungsfähigkeit und damit das Personsein begründen und welche Kriterien weiter für die Zurechnung einer bestimmten Erwartung entscheidend sind, liegt nicht in der Natur der Sache, sondern ist nur in dem inhaltlichen Zusammenhang zu beurteilen, in dem die Unterscheidung von autonomer und heteronomer Bindung gebraucht wird. Dies ist für das Verständnis der nachfolgenden Überlegungen entscheidend, denn allzuleicht neigt man dazu, den Willen als naturgegebenes Zurechnungskriterium anzusehen und deshalb die Unterscheidung zwischen Selbst- und Fremdbindung darauf zu gründen, ob sich die an eine Person gerichtete normative Erwartung auf ihren Willen zurückführen läßt oder nicht9. Dieses Mißverständnis wird insbesondere durch die Gegenüberstellung von autonomer und heteronomer Bindung als »freiwillig« und »unfreiwillig« nahegelegt10. Beides kann man gewiß so nennen. Die Diskussion der Selbstbin6

Kant, Metaphysik der Sitten, Tugendlehre, A 65 (Werke Bd. 7, S. 550). Kersting, Gesellschaftsvertrag, S. 28. 8 Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, A 22 (Werke Bd. 7, S. 329). 9 Diesem verengten Verständnis von Selbstbindung oder autonomer Bindung hängen etwa Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpfl ichtung, S. 1, und Singer, Selbstbestimmung, S. 89, an, wenn sie diese Begriffe allein der willensgetragenen Bindung vorbehalten wollen. 10 So z. B. Kersting, Gesellschaftsvertrag, S. 22. 7

I. Vorüberlegung: Das formale Muster autonomer Bindung

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dung würde jedoch unzulässig verkürzt, wollte man aus diesem Sprachgebrauch schließen, der Wille gebe den Ausschlag. Dem Willen als psychologischem Faktum wohnt für sich genommen vielmehr gar keine verpfl ichtende Kraft inne11 – das mit einem Willen ausgestattete »Sinnenwesen« Mensch ist unfähig zur Bindung, denn es gibt nichts, was seine Willensrichtung im Sinne einer Bindung fi xieren könnte. Fähig zur Bindung ist nur die Person. Als Zurechnungskriterium gerät der Wille daher nur dann in den Blick, wenn man eine Vorstellung von der Person hat, der anhand dieses Kriteriums zugerechnet werden kann. Personalität ist nun aber nichts empirisch Vorfindliches, sondern begründungsbedürftig. Wer nicht sprachliche Assoziationen an die Stelle sachlicher Begründungen treten lassen will, kann demnach vorläufig nur dies feststellen: Für die Begründung normativer Erwartungen wird bei der Selbstbindung die (mehr als nur ein »Sinnenwesen« darstellende) Person und nicht ihre Umwelt als zuständig erachtet 12. Aus eben dieser Erwägung impliziert der Begriff »Selbstbindung« auch nicht schon die privatrechtliche Sanktion, die im Falle der Nichterfüllung einer selbst eingegangenen Verpflichtung zu verhängen ist. Zwar besteht bei einer willenstheoretischen Auffassung von privatrechtlicher Selbstbindung durch Vertrag ein notwendiger Zusammenhang zwischen Selbstbindung und Sanktion: Mit der Vorstellung, daß das von den Parteien Gewollte als Recht gilt, ist, wie bereits dargelegt wurde13, in erster Linie die Erfüllungshaftung und allenfalls noch die Pfl icht zum Ersatz des positiven Interesses, nicht aber jede beliebige Sanktion vereinbar. Diese Behauptung einer festen Beziehung zwischen privatautonomer Bindung und rechtlicher Sanktion sollen die nachfolgenden Ausführungen inhaltlich widerlegen; hier sei nur betont, daß begriffl ich nichts entgegensteht, von Selbstbindung und insbesondere von privatrechtlicher Selbstbindung zu sprechen, wenn die Sanktion, die auf die Verletzung der selbstauferlegten Pflicht folgt, eine andere ist als der Zwang zur Erfüllung oder zur Wiedergutmachung des Nichterfüllungsschadens. Denn wenn man – vorerst nur für Zwecke der Begriffsbildung – bereit ist, von der Identifikation der Selbstbindung mit dem Willen des sich bindenden Subjekts Abstand zu nehmen, heißt privatrechtliche Selbstbindung nur, daß die 11 Darauf ist wiederholt hingewiesen worden, vgl. etwa Bydlinski, Privatautonomie, S. 69 m. w. N. 12 Umgekehrt wird bei der Fremdbindung – wie etwa im Deliktsrecht – die Legitimation normativer Erwartungen auf außerhalb der Person liegende Gründe gestützt. – Ebenso wie die inhaltliche Ausfüllung der Begriffe »Selbstbindung« und »Fremdbindung« ist ihre Abgrenzung nur im Hinblick auf den systematischen Zusammenhang möglich, in dem sie gebraucht werden. So ist es ohne weiteres denkbar, die Pflicht zur Einhaltung eines Versprechens, das als paradigmatischer Fall der Selbstbindung gilt, formal als Fremdbindung zu rekonstruieren (nämlich in der Tradition Humes als eine Pfl icht, die an den vorsätzlichen Gebrauch von Wörtern oder Zeichen anknüpft, die nach einer sozialen Konvention mit der Bedeutung eines Versprechens versehen sind). Auf die von Raz, 95 Harv.L.Rev. 916, 929 f. (1982), diskutierte Frage, wie sich die Selbstbindung (»voluntary obligation«) von einer durch vermeidbares Verhalten begründeten Fremdbindung (»duty incurred by avoidable behavior«) abgrenzen läßt, ist vor diesem Hintergrund nur die klassische Antwort der Juristen zu geben: Es kommt darauf an. 13 Siehe oben, § 3 II 1 b aa.

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§ 4 Die Legitimation privatrechtlicher Selbstbindung

Produktion normativer Erwartungen durch das als Person behandelte Individuum, metaphorisch gesprochen, überhaupt auf dem Bildschirm des Privatrechts erscheint, ganz gleich, welche Reaktion dies hervorruft. Die Rückführung der Selbstbindung auf diese – zugegebenermaßen hochabstrakte – Festlegung provoziert weitere Fragen: Warum und wie soll die Unterscheidung zwischen autonomer und heteronomer Bindung im Privatrecht überhaupt getroffen werden? Wenn man eine Unterscheidung (etwa nach dem Willen) für naturgegeben hält, ist es geradezu selbstverständlich, daß das Privatrecht sie einfach nur nachzuvollziehen hat. Nimmt man von dieser Vorstellung Abschied, fällt die Antwort schwerer. Der Sinn der Unterscheidung und das dafür maßgebliche Kriterium stehen dann nicht ein für allemal fest, sondern ergeben sich erst in dem Kontext des Regelsystems, in dem die Unterscheidung gebraucht wird. Dies auszuführen und die nach dieser Vorüberlegung leere begriffliche Hülse der Selbstbindung für das Privatrecht (wieder) mit Inhalt zu füllen, ist Gegenstand der folgenden Abschnitte dieses Kapitels.

II. Von der versprechensethischen zur funktionalistischen Sicht privatrechtlicher Selbstbindung Die Besinnung auf das formale Muster autonomer Bindung erlaubt es, die bisher anhand der Willenstheorie auf der einen und neuerer anglo-amerikanischer Ansätze auf der anderen Seite nur angedeutete Unterscheidung zwischen versprechensethischer und funktionalistischer Sicht privatrechtlicher Selbstbindung auf den Begriff zu bringen. An die Frage, wie privatrechtliche Selbstbindung zu bestimmen ist, läßt sich auf zweierlei Weise herangehen14. Entweder man nimmt – aufgrund philosophischer, religiöser oder welcher Anschauungen auch immer – zum Ausgangspunkt, was ein Individuum als Person, d. h. als Zurechnungssubjekt, auszeichnet, und gewinnt einen seiner Natur nach universellen Begriff autonomer Bindung, der auch im Privatrecht anwendbar ist. Das ist die versprechensethische Perspektive. Oder man erblickt den Fixpunkt in der Funktion privatrechtlicher Selbstbindung, d. h. in ihrer Ausrichtung auf ein spezifisches gesellschaftliches Problem15, und entwickelt einen zu dieser Funktion passenden Selbstbindungsbegriff, so daß die Konstitution des zur privatrechtlichen Selbstbindung befähigten Subjekts erst am Ende und nicht am Anfang der Überlegung steht. Das ist die funktionalistische Perspektive. Beide Sichtweisen setzen die privatrechtliche Selbstbindung zu einer Legitimationsbasis in Beziehung – die eine über die

14 Der folgenden Einteilung ähnlich ist die Systematisierung von Mehrens, in: IECL Bd. VII, Chapter 1 Tz. 21: »Contract involves individual choice and is, as well, a vehicle for achieving coordination and cooperation in society; accordingly, the institution can be justified in terms of the individual as a moral and spritual entity and in terms of social and economic life.« 15 Zum Funktionsbegriff vgl. etwa Luhmann, Recht der Gesellschaft, S. 32, 60, 124.

II. Von der versprechensethischen zur funktionalistischen Sicht

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Bestimmung der personalen Qualität des Subjekts der Selbstbindung, die andere über die Bestimmung ihrer Funktion; keine von ihnen ist deshalb von vornherein ungeeignet zur Ermittlung der hier gesuchten rechtspolitisch gehaltvollen Theorie. Was jedoch näherer Erörterung bedarf (und den bereits angedeuteten Ausschlag zugunsten einer funktionalistischen Konzeption geben wird), ist die Frage, welche der beiden Perspektiven unserer Gesellschaft angemessen ist: einer pluralistischen Gesellschaft, die ihre Institutionen einschließlich des Privatrechts so einrichtet, daß ihre Mitglieder jedenfalls nicht auf die Verfolgung einer bestimmten Konzeption des Guten16 festgelegt sind (dazu 2.). Da allerdings die hier getroffene Unterscheidung unüblich ist, seien der Beantwortung dieser Frage Ausführungen vorgeschaltet, die den Niederschlag versprechensethischen und funktionalistischen Denkens in einigen prägnanten, in der jüngeren deutschsprachigen Zivilrechtswissenschaft vertretenen Rechtsgeschäftskonzepten aufzeigen (dazu 1.).

1. Die Dominanz versprechensethischer Tendenzen in den Rechtsgeschäftskonzepten der jüngeren deutschsprachigen Zivilrechtswissenschaft Mit der Unterscheidung versprechensethischer und funktionalistischer Ansätze werden einige neuere Rechtsgeschäftslehren im deutschen Zivilrecht mit Kennzeichnungen in Verbindung gebracht, die ihnen keineswegs auf die Stirn geschrieben sind: Man ist gewohnt, über das Rechtsgeschäft als wesentlichen oder nach verbreiteter Auffassung gar einzigen Typus zivilrechtlicher Selbstbindung in Kategorien wie »Wille« und »Vertrauen«, »Selbstbestimmung« und »Selbstverantwortung« nachzudenken. Nun handelt es sich hierbei oft um Versuche einer Systematisierung geltenden Rechts und damit nicht um Theorien, die primär rechtspolitisch Orientierung bieten wollen. Gerade darauf aber zielt die hier verfolgte Fragestellung, und so quer sie zur herkömmlichen dogmatischen Theoriebildung liegt, so quer liegen auch die Bezeichnungen »Versprechensethik« und »Funktionalismus« zu ihr. Dennoch ist es angebracht, auch solche Lehren, die nur oder in erster Linie beanspruchen, geltendes Recht dogmatisch zu durchdringen, daraufhin zu befragen, ob in ihnen versprechensethische oder funktionalistische Vorstellungen über die Legitimation privatrechtlicher Selbstbindung zum Ausdruck kommen: Man unterschätzte den Einfluß eines jenseits positivrechtlicher Argumente bestehenden Vorverständnisses von Selbstbindung, wollte man annehmen, die Lehre vom Rechtsgeschäft lasse sich ganz unabhängig von Überzeugungen über dessen Legitimität aus den §§ 104 ff. BGB entwickeln.

16 Damit ist mit Rawls (Die Idee des politischen Liberalismus, S. 172 u. ö.) eine – religiös, philosophisch oder moralisch geprägte – Konzeption dessen gemeint, was wir für uns als ein wertvolles menschliches Leben betrachten.

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§ 4 Die Legitimation privatrechtlicher Selbstbindung

a) Varianten subjektivierender Rechtsgeschäftslehren Versprechensethische Tendenzen lassen sich zunächst bei subjektivierenden Lehren nachweisen, deren Auffassung vom Rechtsgeschäft (welches bei ihnen, soweit es eine Verpflichtung zum Gegenstand hat, mit privatrechtlicher Selbstbindung in eins fällt) cum grano salis am Willensprinzip orientiert ist. Zwar wäre es durchaus denkbar, aufgrund funktionalistischer Erwägungen zur Beachtlichkeit des psychologischen Willens des Gebundenen zu gelangen. Darauf aber beruhen die hier zu behandelnden Ansichten nicht: Der Wille des sich bindenden Privatrechtssubjekts (und sei es nur in der reduzierten Form eines von jedem Inhalt gelösten Geltungswillens) ist hier konstitutiv für das Rechtsgeschäft, weil man das Zurechnungskriterium privatrechtlicher Selbstbindung mit dem Willen als Zurechnungskriterium moralischer Selbstbindung identifiziert. Dies setzt voraus, daß privatrechtliche Selbstbindung als Sonderfall eines universellen Selbstbindungstypus, eben des Versprechens, verstanden werden kann. Die Spur dieses Denkens, das dem Begriff des Rechtsgeschäfts ein ethisches Fundament verschafft, sei im Folgenden nachgezeichnet. aa) Zur Aktualität des Willensprinzips in der deutschen Dogmatik Nicht nur die gemeinrechtliche Willenstheorie, sondern auch ein nach wie vor gewichtiger Teil der modernen Lehre in Deutschland erblickt den alleinigen Geltungsgrund des Rechtsgeschäfts in der Selbstbestimmung der gebundenen Person und lehnt dessen Instrumentalisierung zu Zwecken des Verkehrs- oder Vertrauensschutzes ab17. Selbstbestimmung wird in diesem Zusammenhang als willensgetragene Ingeltungsetzung einer rechtlichen Regelung und damit durchaus noch im Sinne des tradierten Willensdogmas verstanden, nach dem der »Wille an sich als das einzig Wichtige und Wirksame gedacht werden« muß18. Die nach wie vor ungebrochene wissenschaftliche Attraktivität der auf die Verwirklichung des individuellen Willens konzentrierten Vorstellung von der Selbstbindung schlägt sich in beträchtlichen Anstrengungen nieder, diese in Anbetracht der Problemfälle positivrechtlich angeordneter, nicht gewollter Bindungen dogmatisch durchzuhalten. Exemplarisch für diese Bemühungen seien die maßgeblich von Larenz begründete19 und insbesondere von Canaris fortgeführte Geltungstheorie, die Lehre Flumes sowie zwei neuere Varianten willenstheoretischer Ansätze angeführt 20 : 17 Dies schließt selbstverständlich nicht aus, daß außerhalb der Rechtsgeschäftslehre Gesichtspunkte des Verkehrs- oder Vertrauensschutzes haftungsbegründend zum Tragen kommen. 18 Savigny, System III, S. 258. Dazu, daß Savignys eigene Lehre durch dieses isolierte Zitat wohl nicht adäquat erfaßt wird, siehe oben, § 3 I 1 a. 19 Larenz, Methode der Auslegung, S. 65 ff., beruft sich seinerseits auf Bülow, Geständnisrecht, 1899. 20 Nicht mehr auf der Grundlage des Willensdogmas (das nach hier zugrunde gelegtem Verständnis für die rechtsgeschäftliche Bindung den individuellen Willen des Subjekts verlangt) bewegen sich die – unten in Abschnitt b) behandelten – den Willen normativierenden bzw. als

II. Von der versprechensethischen zur funktionalistischen Sicht

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(1) Die Geltungstheorie. Nach der Geltungstheorie liegt das Wesen der Willenserklärung nicht in der Verlautbarung eines Rechtsfolgewillens21, sondern in der Erklärung, daß die zum Ausdruck gebrachte Rechtsfolge gelten solle22. Das Willenserfordernis ist damit nicht aufgegeben, aber auf den Geltungsbefehl zurückgeführt und demnach schon dann erfüllt, wenn der Erklärende das bloße Bewußtsein einer rechtlich erheblichen Erklärung hat. Von der Finalität der Selbstbestimmung bleibt damit nur noch ein abstraktes In-Geltung-Setzen übrig. Auf diese Weise gelingt es der Geltungstheorie, die Idee willensgetragener Selbstbestimmung in der Rechtsgeschäftslehre auch in problematischen Konstellationen verwirklicht zu sehen: Die Bindung des Erklärenden im Falle der Mentalreservation nach § 116 S. 1 BGB23 und die vorläufige und nach Präklusion der Anfechtung endgültige Bindung des Irrenden, Getäuschten oder Bedrohten 24 lassen sich als Ausdruck privatautonomer Bestimmung deuten – weil der Erklärende die Erklärung jeweils bewußt in Geltung setzt, handelt er nach der Geltungstheorie in diesen Fällen stets selbstbestimmt. Der Preis für die dogmatische Konsequenz, mit der hier Selbstbestimmung und Rechtsgeschäft zur Übereinstimmung gebracht werden, ist allerdings eine weitgehende Abkoppelung des Selbstbestimmungsbegriffs vom Freiheitsgedanken 25 : Man fragt sich, wie der Selbstbestimmung die für sie beanspruchte rechtsethische Dignität 26 zukommen kann, ja was sie überhaupt noch bedeutet, wenn »selbstbeGeltungsgrund, aber nicht als Tatbestandsmerkmal der Willenserklärung bewertenden Lehren Pawlowskis und Brehmers. 21 Dies unterscheidet die Geltungstheorie von der Willenstheorie, die auf den Rechtsfolgewillen abstellt, während die Erklärung nur Beweisanzeichen sein soll. Plastisch v. Tuhr, AT II/1, § 61 I 1 (S. 400): Die Willenserklärung sei »eine Handlung, welche zu dem Zweck vorgenommen wird, einen Vorgang des Seelenlebens zur Kenntnis der Mitwelt zu bringen« (Nachweise im Original weggelassen). 22 Vgl. insbes. Larenz, Methode der Auslegung, S. 45; Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, § 24 Rz. 26 ff. m. w. N. in Fn. 14. Ob hierin ein Gegensatz zur Willenstheorie (so Larenz, a.a.O., S. 59 ff.) oder nichts anderes als die recht verstandene Willenstheorie liegt (so Flume, Rechtsgeschäft, § 4, 7 (S. 58)), sei hier dahingestellt. 23 Hierzu Canaris, Vertrauenshaftung, S. 420: »[D]er Erklärende weiß (und will sogar), daß er eine Geltungsanordnung trifft; er schafft daher in fehlerfreier (!) Selbstbestimmung eine rechtliche Regelung, und es bedarf somit nicht einmal des Rückgriffs auf das Korrelat der Selbstverantwortung, um die Bindung zu begründen.« (Hervorhebungen im Original) 24 Hierzu Canaris, Vertrauenshaftung, S. 422: »Auch wer eine Erklärung unter dem Einfluß eines Irrtums, einer arglistigen Täuschung oder einer Drohung abgibt, setzt [. . .] noch in Selbstbestimmung eine Regelung in Geltung; seine Selbstbestimmung ist dann zwar fehlerhaft, doch hört sie darum noch nicht auf, Selbstbestimmung zu sein.« (Hervorhebungen im Original) – Ebenso bereits Larenz, Methode der Auslegung, S. 68 f.: »[A]uch die irrige [. . .] Erklärung bleibt ihrem Sinne nach eine Geltungserklärung.« Anders aber später ders., Allgemeiner Teil7, § 20 II (S. 370): In den Fällen des Erklärungs- oder Inhaltsirrtums des Erklärenden »entspricht der Eintritt der Rechtsfolge seinem Geltungswillen nicht, beruht diese nicht auf seinem Geltungswillen.« 25 Vgl. zur Kritik an der Geltungstheorie auch Singer, Selbstbestimmung, S. 75; Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpfl ichtung, S. 116 f. 26 Dazu sogleich unter bb).

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§ 4 Die Legitimation privatrechtlicher Selbstbindung

stimmt« derjenige gehandelt haben soll, der unter vorgehaltener Waffe einen Vertrag unterzeichnete27. Schließlich wundert man sich auch über diese Wertung, wenn man den Fall dagegen hält, daß der Unterzeichnende einfach nur Besseres zu tun hatte, als von dem Schriftstück Kenntnis zu nehmen, und es deshalb für ein Glückwunschschreiben hielt – obwohl dieser doch anders als das Opfer der Drohung tat und auch ließ, was er wollte, sein Verhalten also (wenn auch nicht dessen rechtliche Folge) durchaus selbst bestimmte, soll es ihm in Ermangelung des »Erklärungsbewußtseins« an der Selbstbestimmung fehlen 28. (2) Die Lehre Flumes. Flume erspart sich die Notwendigkeit solcher Distinktionen und beschreitet, auch wenn er die Charakterisierung der Willenserklärung als Geltungserklärung in der Sache teilt 29, einen anderen Weg. Die zentrale Rolle des Willensprinzips in seiner Lehre erweist auf den ersten Blick die an den Anfang seines Lehrbuchs zur Rechtsgeschäftslehre gestellte Definition der Privatautonomie als »das Prinzip der Selbstgestaltung der Rechtsverhältnisse durch den einzelnen nach seinem Willen«30. Die prominente Stellung dieser Aussage darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß Flume das Vorliegen eines Rechtsgeschäfts nicht strikt von einem Handeln in (zumindest fehlerhafter) Selbstbestimmung abhängig macht: Der von ihm betonte Rang der Privatautonomie hindert ihn etwa nicht, von rechtsgeschäftlicher Haftung auch dann zu sprechen, wenn es an jeglicher willentlichen Selbstgestaltung im Hinblick auf die positivrechtlich angeordneten Rechtsfolgen fehlt, wie in den Fällen der von ihm für anfechtbar, aber nicht für nichtig gehaltenen (ausdrücklichen) Erklärung ohne Erklärungsbewußtsein 31 oder der Haftung aus § 122 BGB32. Anders als wenig später Canaris 33 sieht Flume die »Selbstverantwortung als Korrelat der Selbstbestimmung«34 nämlich nicht darauf beschränkt, der rechtsgeschäftlichen Haftung in Fällen fehlerhafter, aber noch vorhandener Selbstbestimmung eine ergänzende Rechtfertigung zu bieten, sondern hält die Abwägung beider Elemente bei der Formulierung von rechtsgeschäftlichen Tatbeständen für offen und die dazu getroffenen positivrechtlichen Entscheidungen dementsprechend für nicht weiter hinterfragbar35.

27 Zu diesem Ergebnis muß man mit Canaris, Vertrauenshaftung, S. 422, gelangen, der auch bei Vorliegen einer Drohung von (wenn auch fehlerhafter) Selbstbestimmung ausgeht. 28 Vgl. Canaris, Vertrauenshaftung, S. 427 f.; NJW 1984, 2281 f.; außerdem in: FS 50 Jahre BGH Bd. 1, S. 129, 141 ff. 29 Rechtsgeschäft, § 4, 7 (S. 58), freilich ohne die Geltungstheorie in einen Gegensatz zur Willenstheorie bringen zu wollen. 30 Rechtsgeschäft, § 1, 1 (S. 1). 31 Rechtsgeschäft, § 23, 1 (S. 449 f.). 32 Rechtsgeschäft, § 21, 7 (S. 423). 33 Vertrauenshaftung, S. 428. 34 Rechtsgeschäft, § 4, 8 (S. 61). 35 Rechtsgeschäft, § 4, 8 (S. 62): Über das Rangverhältnis zwischen Selbstbestimmung und Selbstverantwortung könne man »keine apriorisch richtige Norm aufstellen«.

II. Von der versprechensethischen zur funktionalistischen Sicht

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Dadurch erübrigt es sich für Flume, bei der Behandlung problematischer Fälle rechtsgeschäftlicher Bindung prinzipiengeleitet zu argumentieren und stets ein noch so schwaches und möglicherweise fragwürdiges Moment privatautonomer Bestimmung des Gebundenen zu suchen, um ein »Rechtsgeschäft« identifizieren zu können. Doch enttäuscht er damit in gleichem Maße die Verfechter willensdogmatischer Prinzipientreue36 , die bei Flume die Verwirklichung des Willensprinzips erwarten, wie er deren Gegner erfreut 37: In einer Lehre, die willensunabhängige rechtliche Bindungen als Ausdruck der Selbstverantwortung unter den Begriff des Rechtsgeschäfts einordnet, ohne Maßgaben für das Verhältnis der Selbstverantwortung zur Selbstbestimmung zu formulieren, bleibt das Bekenntnis zur »Selbstgestaltung der Rechtsverhältnisse durch den einzelnen nach seinem Willen« als einem »der Rechtsordnung vorgegebene[n] . . . Wert«38 ein Programmsatz mit unbestimmbaren rechtlichen Konsequenzen, da der Rechtsordnung die Verwirklichung des ihr vorgegebenen Werts in der praktisch maßstablosen Gewichtung von Selbstbestimmung und Selbstverantwortung überlassen ist. Die Selbstverantwortung wird so zum Passepartout für alle Fälle rechtsgeschäftlicher Selbstbindung, in denen die Selbstbestimmung den Schlüssel zum Verständnis nicht bietet. (3) Neuere Varianten willenstheoretisch orientierter Lehren. Die Reduktion des Willensdogmas durch die Geltungstheorie und die Inanspruchnahme der Selbstverantwortung als Korrelat der Selbstbestimmung sind nach alledem Versuche, eine auf die willensbestimmte Selbstgestaltung von Rechtsverhältnissen zugeschnittene Lehre vom Rechtsgeschäft mit der Regelung »pathologischer« Fälle der Willenserklärung in Einklang zu bringen, die auf denjenigen, der die exklusive Verwirklichung des Selbstbestimmungsgedankens erstrebt, kompromißhaft wirken müssen. Es verwundert daher nicht, daß zwei neuere Entwürfe zur Rechtsgeschäftslehre nahezu wieder die Strenge der gemeinrechtlichen Willenstheorie walten lassen und sich der Annahme ungewollter rechtsgeschäftlicher Bindungen verweigern. Allerdings verlangt solche Prinzipientreue erheblichen dogmatischen Aufwand, um vor den Regeln des positiven Rechts bestehen zu können: So wird dem einen Ansatz zufolge die Bindung des Erklärenden an eine ohne Rechtsfolgewillen abgegebene Erklärung (etwa nach § 116 S. 1 BGB oder bei Unanfechtbarkeit infolge Fristversäumnis) konsequent nicht als rechtsgeschäftliche, sondern als gesetzliche Haftung mit Rechtsgeschäftsfolgen verstanden 39. Der dog36 Vgl. die gegen die »Verantwortungslehren« (einschließlich der Lehre Flumes) gerichtete Kritik Lobingers, Rechtsgeschäftliche Verpfl ichtung, S. 76 ff.; ferner die Kritik Pickers, AcP 183 (1983), 369, 396 f., an Flumes Einordnung des § 122 BGB und des § 307 BGB a. F. als Haftung rechtsgeschäftlicher Art. 37 Vgl. Bydlinski, Privatautonomie, S. 54. 38 Flume, Rechtsgeschäft, § 1, 1 (S. 1). 39 Vgl. Singer, Selbstbestimmung, S. 203 ff. (zur Mentalreservation), S. 115 ff. (zur endgültigen Wirksamkeit der irrtumsbehafteten Willenserklärung nach Ablauf der Anfechtungsfrist).

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matisch zweifelhafte Ertrag dieser Auslagerung nicht gewollter Bindungen in die gesetzliche Haftung ist die Zweiteilung dessen, was das BGB in den §§ 116 ff. BGB als »Willenserklärung« regelt, in Willenserklärungen, die kraft Selbstbestimmung gelten, und solche, die kraft Gesetzes gelten. Der andere Ansatz beläßt es dagegen bei der rechtsgeschäftlichen Qualifikation der gesetzlich geregelten Fälle ungewollter Bindung, muß dafür aber das selbstgewählte willenstheoretische Fundament mit komplexen Konstruktionen auf das Äußerste belasten: So wird etwa der verklausulierte Rückzug auf das zum Erklärungsbewußtsein geschrumpfte Willenserfordernis der Geltungstheorie angetreten, wenn gesagt wird, daß der Gebundene bei der präklusionsbedingten, endgültigen Geltung einer irrtumsbehafteten Willenserklärung »immerhin insoweit noch auf seinen Willen verwiesen werden [kann], als das versäumte Erfordernis eines alsbaldigen aktiven Vorgehens gegen seine Erklärung gerade auch in der Konsequenz seiner eigenen Absicht liegt, mit einer rechtsgeschäftlichen Erklärung beim Wort genommen zu werden«40. Diese kritischen Schlaglichter auf einige Bruchstellen neuerer Rechtsgeschäftslehren können und sollen nicht zur Bewertung ihrer dogmatischen Leistungsfähigkeit hinreichen – hierzu wäre eine umfassendere Würdigung erforderlich. Sie belegen indes, welch großer Aufwand betrieben werden muß, um die positivrechtliche Gestalt des Rechtsgeschäfts mit dem Prinzip willensgetragener Selbstbestimmung zu versöhnen: Ohne Kunstgriffe bei der Regelauslegung (die Lösung von Problemfällen durch Ausgliederung in eine rechtsgeschäftsgleiche, gesetzliche Haftung oder unter verdeckter Modifikation des Willensprinzips) oder bei der Formulierung der Prinzipien (die Reduktion des Selbstbestimmungsprinzips oder seine Ergänzung um die Selbstverantwortung) kommt man nicht zum Ziel. bb) Die versprechensethische Legitimitation der Rechtsgeschäftslehre als Hintergrund Die Entschlossenheit der hier referierten Lehren, das Band zwischen der rechtsgeschäftlichen Selbstbindung und dem Willen der sich bindenden Person nicht zerreißen zu lassen, hat ihren Grund nicht allein in einem Mangel an Alternativen zur Auslegung und Systematisierung der §§ 116 ff. BGB – mit einem Rechtsgeschäftsbegriff, der Elemente der Willensverwirklichung und des Vertrauensschutzes kombiniert, hätte man es insoweit leichter41. Wenn gegen solche kombinatorischen Ansätze die Unabdingbarkeit der Rückführung der Geltung des Rechtsgeschäfts auf den Willen verfochten wird, dessen Fehlen sich nicht durch andere Elemente kompensieren lasse42 , so hat dies jedenfalls auch damit zu tun, daß man andern-

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Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpfl ichtung, S. 161. Zu den Kombinationslehren siehe unten, Abschnitt b) aa). 42 Mit der Ausnahme der Lehre Flumes, der – wie soeben gezeigt – der Selbstverantwortung eine kompensatorische Rolle zumißt und deshalb faktisch eine Kombinationslehre vertritt. 41

II. Von der versprechensethischen zur funktionalistischen Sicht

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falls die ethische Rechtfertigung für die rechtsgeschäftliche Selbstbindung zu verlieren meint. Diese Überzeugung scheint bei allen angeführten Autoren – mit der Ausnahme Flumes – immer wieder auf: So warnt Canaris vor der »unvertretbare[n] rechtsethische[n] Entleerung der Rechtsgeschäftslehre«, die es bedeutete, wenn man die Gültigkeit der mit einem Willensmangel behafteten Willenserklärung mit dem Vertrauensgedanken zu legitimieren versuchte43. Auch seine Einschätzung, in der Durchsetzung des in der Konsequenz des Konzepts der Geltungserklärung liegenden Grundsatzes »pacta sunt servanda« äußerten sich Reife und Entwicklungsstand einer Rechtsordnung im Hinblick auf die Lehre von der Privatautonomie und vom Rechtsgeschäft44, und die Andeutung, dieser Grundsatz lasse sich möglicherweise aus dem kategorischen Imperativ ableiten45, legen Zeugnis davon ab, daß die allein auf der Selbstbestimmung fußende Konzeption des Rechtsgeschäfts nach seiner Auffassung nicht nur positivrechtlicher Natur, sondern ethisch gefordert ist. Ebensowenig kommen die beiden soeben erwähnten Versuche einer Neubegründung willenstheoretisch inspirierter Ansätze ohne den Rekurs auf rechtsethische Erwägungen aus: So wird dem negativen Vertrauensschutz »rechtsethische Überlegenheit« gegenüber dem positiven, auf rechtsgeschäftsgleiche Rechtsfolgen gerichteten Vertrauensschutz attestiert46 ; dem Vertrauensprinzip wird damit in der Konsequenz eine geringere ethische Legitimationswirkung als dem Willensprinzip zuerkannt, welches »positive« Sanktionen ja (aus willenstheoretischer Sicht) zweifelsohne rechtfertigt. Oder man sieht in der Dichotomie gesetzlicher und rechtsgeschäftlicher Verpflichtung mehr als nur eine positivistische Unterscheidung, nämlich »den vorgegebenen ontologischen Gegensatz von autonomer und heteronomer Bindung«47 verwirklicht, wobei als »autonom« nur die willensgetragene Bindung gelten soll. Es versteht sich vor diesem Hintergrund fast von selbst, daß jede rechtliche Konstruktion, die sich nicht in das (vermeintlich) ontologisch Vorgegebene fügt, als wenig überzeugend erscheinen muß. Warum aber soll es ein Zeichen der Reife eines Privatrechts sein, wenn sich im Rechtsgeschäft das Konzept der Geltungserklärung verwirklicht? Aus welchem Grund legitimiert das Willensprinzip ohne weiteres Rechtsfolgen, die aufgrund des Vertrauensprinzips anzuordnen man Bedenken trägt? Wie kommt man schließlich dazu, in die Systematik des Privatrechts einen »ontologisch vorgegebenen« Gegensatz zwischen autonomer (hier verstanden als: dem Willensprinzip entsprechender) und heteronomer (vom Gesetz auferlegter) Bindung einzuzeichnen? Die Antwort auf diese Fragen ist stets dieselbe: Die rechtliche Form der Selbstbindung soll die moralische Form der Selbstbindung abbilden. Was das Ver43 44 45 46 47

Vertrauenshaftung, S. 422. Vgl. Canaris, in: FS 50 Jahre BGH Bd. 1, S. 129, 149 mit Fn. 83. Canaris, in: FS 50 Jahre BGH Bd. 1, S. 129, 148 mit Fn. 79. Singer, Selbstbestimmung, S. 91. Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpfl ichtung, S. 1.

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§ 4 Die Legitimation privatrechtlicher Selbstbindung

sprechen als moralische Selbstbindung auszeichnet, überträgt man daher auf das Rechtsgeschäft; was hingegen zur moralischen Selbstbindung nicht taugt, will man auch nicht als Rechtsgeschäft verstanden wissen. Charakteristisch für die Identifikation der rechtlichen mit der moralischen Bindung ist Larenz’ Auffassung von der Verbindlichkeit des Vertrages: »Daß Verträge gehalten werden sollen (›pacta sunt servanda‹), folgt nicht erst aus einem Gebot der jeweiligen Rechtsordnung, sondern aus der bindenden Kraft des Versprechens als eines moralischen Akts der Person.«48 Für die jüngeren in dieser Tradition stehenden Autoren ist die rechtliche Geltung des Rechtsgeschäfts nach wie vor in durchaus vergleichbarer Weise auf das engste mit der moralischen Bindung des Versprechenden verwoben, ja mit ihr teilidentisch: Mag auch betont werden, daß die rechtliche Bindung mit dem Wesen des Versprechens allein nicht zu erklären ist und es auch auf die Anerkennung der Verbindlichkeit durch die Rechtsordnung ankommt, so bleibt es doch bei der Sicht des Rechtsgeschäfts als einer (durch rechtliche Anerkennung qualifizierten) Form des Versprechens, das dessen Wesen teilt49. Die Voraussetzungen, die sich für die moralische Bindung des Versprechenden angeben lassen, sind danach zwar nicht hinreichende, aber notwendige Bedingungen rechtsgeschäftlicher Bindung. Die versprechensethische Sicht des Rechtsgeschäfts prägt schließlich auch einen neueren Ansatz, der unverkennbar der Versprechenslehre Hugo Grotius’ verpflichtet ist 50. Sein Kern ist die auf den ersten Blick privatrechtsimmanente und philosophisch unverfängliche These, das rechtsgeschäftliche Willensprinzip ergebe sich zwingend aus der Konstitution des Bürgerlichen Rechts als »Rechtszuweisungsordnung«, einer Ordnung des »Mein und Dein«, welche die Gegenstände der Lebenswelt grundsätzlich den einzelnen als Objekt individueller Befugnis zuweist. Rechtsgeschäftliche Leistungspflichten verändern – ungeachtet der dogma-

48 Larenz, Allgemeiner Teil 7, S. 41; ebenso Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, § 2 Rz. 32 (S. 32). Aus der US-amerikanischen Lehre vgl. in nahezu vollständiger, wenn auch unbewußter Übereinstimmung mit Larenz Fried, Contract as Promise, S. 17. »The moralist of duty . . . posits a general obligation to keep promises, of which the obligation of contract will be only a special case – that special case in which certain promises have attained legal as well as moral force. But since a contract is first of all a promise, the contract must be kept because a promise must be kept.« Gegen Frieds These eingehend Kimel, From Promise to Contract, passim, insbes. S. 79 (»contract emerges not as promise, but as a substitute for promise« – Hervorhebungen im Original); vgl. außerdem Unberath, in: FS Hruschka, S. 719, 732 ff. (zu Fried), 742 ff. (zu Kimel). 49 Vgl. Canaris, Vertrauenshaftung, S. 417 Fn. 25 (daß das Rechtsgeschäft gelte, weil es in Geltung gesetzt wurde, und nicht, weil irgend jemand darauf vertraut hat, »trifft sogar über den Bereich des Rechtsgeschäfts hinausgehend für das Versprechen schlechthin zu, weil die Treue zum gegebenen Wort um ihrer selbst willen und nicht nur im Hinblick auf den anderen Teil ethisch geboten ist« (Hervorhebungen im Original)); Singer, Selbstbestimmung, S. 7 (die Wesenstheorie, welche die Verbindlichkeit des Versprechens aus dem Wesen des Versprechensaktes herleitet, werde der Seinsform der Willenserklärung gerecht; dies versieht Singer indes mit der im Text wiedergegebenen Einschränkung im Hinblick auf die rechtliche Bindung). 50 Zum Folgenden Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpfl ichtung, S. 89 ff. Zur grotianischen Lehre siehe unten, Abschnitt II 2 b.

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tischen Differenzierung zwischen Verpflichtung und Verfügung – diese Zuweisung, indem sie dem Gläubiger den privatnützigen Zugriff auf das Schuldnervermögen eröffnen. Diese »Enteignungswirkung« des Rechtsgeschäfts sei, da eine Begründung durch den Schutz des Gläubigervermögens (wie beim schadensersatzrechtlichen Zugriff auf das Schuldnervermögen) ausscheide, nur dadurch zu rechtfertigen, daß sie dem Willen des Schuldners entspreche. Damit ist indes nur scheinbar eine Legitimation des Willensprinzips gewonnen, die auf außerrechtliche Fundierung verzichten kann: Ist für die (gesetzlicher und rechtsgeschäftlicher Haftung vorausliegende) Zuweisungsordnung nicht ausgeschlossen, daß einer Person ein subjektives Recht auf die Bestimmung des Willensinhalts einer anderen Person zugewiesen ist51, so läßt sich das rechtsgeschäftliche Willensprinzip ad absurdum führen – eine dem Schuldner gegen seinen Willen auferlegte vertragliche Haftung kann stets als haftungsrechtliche Verwirklichung eines solchen Rechts ausgegeben werden52. Um das Konzept nicht der Beliebigkeit preiszugeben, bedarf es daher vorpositiver Festlegungen für die Zuweisung subjektiver Rechte und – entgegen der Selbsteinschätzung dieser Lehre53 – nicht nur des beiläufigen Rückgriffs auf naturrechtliche Begrifflichkeit: Festen Boden unter den Füßen hat man erst dann, wenn man wesentliche Prämissen der grotianischen Lehre auch inhaltlich teilt und mit ihr (ohne insoweit zwischen Recht und Moral zu differenzieren) den Menschen als »Herrn seiner selbst, seiner gegenwärtigen und zukünftigen Handlungen«54 ansieht, der einem anderen einen Teil dieser 51 Auf ein solches Recht läuft in der Tat die Lösung heraus, die Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpfl ichtung, S. 319 ff., für die Fälle sog. Massengeschäfte der Daseinsvorsorge empfiehlt, in denen Leistungen ohne den Ausdruck des Willens zum Vertragsschluß oder sogar unter Verwahrung gegen einen Vertragsschluß in Anspruch genommen werden: Mit der subjektivrechtlichen Zuordnung eines Guts sei die Zuständigkeit des Berechtigten verbunden, über die Bedingungen zu entscheiden, unter denen er den Zugriff auf das Gut gestatte. Daraus resultiere für den Zugriffswilligen eine Kontrahierungspfl icht, nämlich das Gebot, sich den vom Berechtigten aufgestellten Bedingungen zu unterwerfen, und u. U. für den Berechtigten im Verletzungsfall – etwa der unbefugten Nutzung eines Beförderungsmittels – ein Anspruch auf das Entgelt. Wer dem Willensdogma folgt, muß diese Herleitung für unvollständig halten: Da der Vertrag und mit ihm der Anspruch auf das vertragliche Entgelt aus willenstheoretischer Sicht stets das Erzeugnis des Willens beider Seiten sein muß, setzt eine gesetzliche Kontrahierungspfl icht (außer dem Recht des Leistungserbringers, z. B. über das Beförderungsentgelt zu entscheiden) zusätzlich voraus, daß das Recht des die Leistung in Anspruch Nehmenden, über die Bedingungen des Zugriffs auf sein Vermögen nach seinem Willen zu entscheiden (also etwa ein verlangtes Beförderungsentgelt zu zahlen), diesem genommen und dem Leistungserbringer gegeben wird. Der Leistungserbringer muß also, damit die Kontrahierungspfl icht (mit dem daran anschließenden Anspruch auf das Entgelt) vollständig willenstheoretisch begründet ist, über seine Berechtigung an dem Gegenstand (z. B. das Eigentum an dem Beförderungsmittel) hinaus ein Recht auf die Bestimmung des Willensinhalts des Nutzers erhalten. – Um Mißverständnisse zu vermeiden: Es sei nicht behauptet, daß die Ergebnisse, die Lobinger hier erzielt, abzulehnen seien. Es geht allein um die Problematik der Vereinbarkeit der Lösung mit dem willenstheoretischen Ausgangspunkt. 52 Es mag sich dann um eine gesetzliche, rechtsgeschäftsgleiche und nicht um eine rechtsgeschäftliche Haftung handeln; aber diese Unterscheidung wäre kaum sinnvoll. 53 Vgl. Lobinger, Rechtsgeschäftlicher Verpfl ichtung, S. 91. 54 Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 297, mit Bezug auf Grotius.

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§ 4 Die Legitimation privatrechtlicher Selbstbindung

Herrschaftsmacht, das Recht auf eigenes zukünftiges Handeln, durch den Willensakt des Versprechens (und dessen Annahme durch den anderen) mit gleichsam dinglicher Wirkung übertragen kann. Man kann also festhalten: Indem die hier besprochenen Lehren das Rechtsgeschäft – auf je unterschiedliche Weise – an den Willen des Erklärenden knüpfen, vollziehen sie teils ausdrücklich, teils implizit ethische Vorstellungen von der Verbindlichkeit des Versprechens nach. Dadurch wird der privatrechtlichen Selbstbindung eine ethische Legitimation verschafft. Diese Legitimation setzt voraus, daß moralische und privatrechtliche Selbstbindung von ein und derselben Konzeption des Zurechnungssubjekts, der sich selbst bindenden Person, auszugehen haben. Ohne diesen gemeinsamen Ausgangspunkt wären ethische Aussagen über die Selbstbindung der Person auf das Privatrecht nicht übertragbar. Man ist versucht, diese Prämisse für selbstverständlich gegeben zu halten, scheint es doch grundsätzlich um den »Menschen« zu gehen, der sich bindet, mag sich ihm auch im Privatrecht die juristische Person hinzugesellen. In Wahrheit handelt es sich jedoch um eine begründungsbedürftige Aussage, weil das Zurechnungssubjekt der Selbstbindung, wie gezeigt55, nichts Naturgegebenes, sondern das Ergebnis der Zuschreibung einer zurechnungsbegründenden Eigenschaft ist, die bei Recht und Moral durchaus unterschiedlich ausfallen kann, wenn auch nicht muß. Die ethische Rechtfertigung privatrechtlicher Selbstbindung kann daher nur überzeugen, wenn es gelingt, insoweit ein einheitliches, Recht und Moral überwölbendes Kriterium anzugeben. Bevor diese Problematik angegangen wird, sei jedoch noch ein Blick darauf geworfen, welche Legitimitätsvorstellungen sich in objektivierenden Rechtsgeschäftslehren niederschlagen. b) Varianten objektivierender Rechtsgeschäftslehren Nach dem zuvor Gesagten möchte man vermuten, daß Lehren, welche die Geltung von Rechtsgeschäften unabhängig von der Feststellung eines auf die Rechtsfolge oder zumindest auf die In-Geltung-Setzung bezogenen Willens des Erklärenden auch aufgrund objektiver Gesichtspunkte zulassen, ihrer Konzeption privatrechtlicher Selbstbindung statt einer versprechensethischen eine funktionalistische Legitimation ihres Selbstbindungsbegriffs zugrunde legen. Doch liegen die Dinge anders: Auch die Mehrheit der hier anzusprechenden Lehren verzichtet nicht darauf, die Rechtsgeschäftslehre ethisch zu rechtfertigen, indem sie an dem Leitbild der sich selbst kraft ihres autonomen Willens bindenden Person festhalten (dazu aa). Eine Ausnahme davon macht insbesondere die von Köndgen entwickelte, hier Lehre von der sozialen Selbstbindung genannte Konzeption (dazu bb).

55

Siehe oben, § 4 I.

II. Von der versprechensethischen zur funktionalistischen Sicht

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aa) Versprechensethisch vermittelte Legitimität: Normativierung oder Ergänzung des Selbstbestimmungsgedankens Mit der neben der Selbstbestimmung auf das (selbständige) Moment der Selbstverantwortung abstellenden Lehre Flumes ist bereits eine Konzeption angesprochen worden, in der die Geltung des Rechtsgeschäfts nicht mehr uneingeschränkt auf den Willen der sich bindenden Person zurückgeführt wird, allerdings ohne daß erhellt würde, wie sich die – eine ungewollte Bindung rechtfertigende – Selbstverantwortung zur Selbstbestimmung verhält. Andere Konzeptionen halten hierfür eine theoretische Einkleidung bereit: (1) Normativierung der Selbstbestimmung. Am anspruchsvollsten und am prekärsten zugleich ist in dieser Hinsicht der von neuhegelianischer Philosophie beeinflußte Versuch Pawlowskis, subjektive und objektive Elemente des Rechtsgeschäfts im »(freien) vernünftigen Willen« aufzuheben 56 . Nicht mehr der psychologische Wille, sondern der »Wille, der sich die Rechtlichkeit zum Gesetz macht«57, ist danach konstitutiv für die Willenserklärung. Die Bindung an das Erklärte bezieht sich daher unabhängig vom psychologischen Willen auf den »Willen«, den man als rechtlich zulässigen Sinn der Erklärung erkennt. Aus dieser Sicht sind nicht die Fälle positivrechtlich angeordneter Verbindlichkeit eines von dem Erklärenden ungewollten Erklärungsinhalts problematisch, sondern es ist dies umgekehrt die in Gestalt der Anfechtung nach den §§ 119 ff. BGB gewährte Möglichkeit, sich von der Bindung (gegen Ersatz des Vertrauensschadens) zu lösen. Es kann sich hierbei, akzeptiert man die Normativierung des Willens, nur um einen Akt des Mitleids handeln, mit dem das Recht menschliche Schwäche, »die ›empirische‹ (bedingte, mangelhafte) Seite des Menschen gegenüber seiner ›Vernunftnatur‹ berücksichtigt«58. Mit der Umstellung vom empirischen auf den normativen Willen als maßgeblichen Grund privatrechtlicher Selbstbindung59 wird die für die willensdogmatischen Ansätze kennzeichnende ethische Legitimation nicht aufgegeben, sondern ins Objektive gewendet. Ausschlaggebend ist nicht die Innensicht der eine Wil56 Rechtsgeschäftliche Folgen, S. 232 ff. Vgl. bereits Binder, System der Rechtsphilosophie, S. 86: »Indem er [der Erklärende, T. A.] das ›gelten lassen‹ muß, was dem objektiven Geist oder, was dasselbe ist, dem allgemeinen Willen entspricht, wird er von der Rechtsordnung als vernünftiges Wesen anerkannt und geehrt.« 57 Rechtsgeschäftliche Folgen, S. 251, in Anknüpfung an Ballerstedt. 58 Rechtsgeschäftliche Folgen, S. 305. Vgl. auch a.a.O., S. 307, wo der Begriff »Mitleidstheorie« zustimmend aufgegriffen wird. 59 Eine »normative Willensprämisse«, mit der die Annahme eines mit der Erklärung übereinstimmenden Willens gemeint ist, führt auch Brehmer, Wille und Erklärung, S. 228, ein, um erklären zu können, daß eine Willenserklärung trotz fehlenden rechtsgeschäftlichen Willens gilt. Weil Brehmer es nicht schafft, seine These, der (empirische) Wille sei Geltungsgrund der Willenserklärung, aber nicht deren Tatbestandsmerkmal, in Anbetracht der Anfechtungsregelung widerspruchsfrei durchzuhalten (dazu zutreffend Singer, Selbstbestimmung, S. 78 f.), bleibt sein Ansatz hinter dem Pawlowskis zurück.

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lenserklärung abgebenden Person, die sich selbst als moralisch gebunden an das von ihr gegebene Versprechen begreift und der gegenüber man mithin die daran anknüpfende rechtliche Bindung moralisch rechtfertigen kann, sondern die Außensicht auf den Erklärenden. Entscheidend für die Geltung des Erklärten ist für diesen Ansatz daher der Blick auf die Freiheit des Erklärenden als »Freiheit des anderen« und auf seinen Willen als »Wille[n] des anderen« 60. Den anderen könne man, wenn man Freiheit als Unabhängigkeit von sinnlichen Antrieben verstehe, nur dann als frei, d. h. als nicht seinen Trieben ausgeliefert, erfahren und anerkennen, wenn man darauf verzichte, nach den sinnlichen Antrieben (Motiven) seiner Erklärungen zu forschen. Als freier Wille des anderen stelle sich daher nur dessen vernünftiger, allein auf die rechtliche Regelung gegenseitiger Beziehungen gerichteter Wille dar; auszublenden seien dagegen alle subjektiven Zwecke und individuellen Motive. Die Problematik dieser Meinung liegt auf der Hand: Der als »vernünftig« verstandene Wille wird leicht zur Projektionsfläche des objektiven Rechts und damit zum Vehikel einer die postulierte Autonomie ad absurdum führenden Unterwerfung des »besonderen Willens« des einzelnen unter einen dem positiven Recht entnommenen »allgemeinen Willen«61. Wenn man sich gegen diesen Einwand damit zu verteidigen sucht, daß weder das Recht als »allgemeiner Wille« mit dem Inhalt der Gesetze noch der »besondere Wille« des einzelnen mit der Erklärung völlig bestimmt sei62 , so ist dadurch die Gefahr nicht ausgeräumt, daß es richterlichem Ermessen anheimgestellt wird, über die vernünftige Gestaltung des durch das Rechtsgeschäft begründeten Rechtsverhältnisses zu entscheiden63. Nun ist allein die Möglichkeit des Fehlgebrauchs der Lehre vom normativen Willen noch kein entscheidendes Argument gegen sie. Doch hat diese Möglichkeit ihren Ursprung in einer prinzipiellen Schwäche dieser Lehre, denn die ihr zugrunde liegende hegelianische Vorstellung vom Recht als Dasein des freien Willens ist eine Vorstellung vom Recht überhaupt64 – Hegel entfaltet darauf aufbauend das gesamte, herkömmliche Vorstellungen von »Recht« sprengende System seiner Rechtsphilosophie vom Privatrecht und Strafrecht umfassenden »abstrakten Recht« bis hin zur Konstitution von Gesellschaft und Staat. Ist aber das gesamte Recht, ja die Gesamtheit sozialer Strukturen als Ausdruck des freien, vernünftigen Willens zu verstehen, so ist er als Kriterium für die innerhalb des Privatrechts vorzunehmende Unterscheidung zwischen autonomer und heteronomer Bindung 60

Hierzu und zum Folgenden Pawlowski, Rechtsgeschäftliche Folgen, S. 247 ff. Vgl. etwa die dahingehenden frühen Äußerungen Larenz’, DR 1935, 488, 490 f. (die eigene Willensbestimmung sei nur der zweite Faktor »neben der in erster Linie maßgebenden Bestimmung durch den Gemeinschaftswillen«); außerdem in: Vertrag und Unrecht I, S. 23 f., 31 ff., 75 ff. 62 Pawlowski, Rechtsgeschäftliche Folgen, S. 258. 63 Vgl. auch die Kritik von Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpfl ichtung, S. 73 f. Fn. 85; Singer, Selbstbestimmung, S. 78. 64 Hegel, Grundlinien, § 29 (S. 45). 61

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nicht sinnvoll zu verwenden: Es ließe sich etwa auch die deliktsrechtliche Verwantwortlichkeit des Schädigers auf dessen Anerkennung als Inhaber eines freien Willens zurückführen, ohne daß man die unerlaubte Handlung deshalb »Willenserklärung« nennen dürfte. Die Lehre vom normativen Willen verharrt also bei der Fundierung des Rechtsgeschäfts auf einer Abstraktionsstufe, die schlicht zu hoch ist, um einen privatrechtlichen Begriff mit Inhalt zu füllen. (2) Ergänzung der Selbstbestimmung. Möglicherweise auch wegen der mangelnden Anschaulichkeit der Lehre Pawlowskis haben »kombinatorische« Rechtsgeschäftslehren, die von einer Normativierung des Selbstbestimmungsprinzips absehen und es statt dessen um das Vertrauens- oder das Verkehrsschutzprinzip als weiteren tragenden Grund rechtsgeschäftlicher Bindung ergänzen, deutlich mehr Akzeptanz gewonnen65. Einen systematischen Rahmen hierfür bietet nach der insoweit vorbildgebenden Lehre Bydlinskis die Zusammenführung verschiedener, in ihrer Wirkung abstufbarer »Grundelemente« des Rechtsgeschäfts – der Privatautonomie, der Verkehrssicherheit, der Äquivalenz und der (mit der Privatautonomie gleichlaufenden) Vertragstreue – in einem beweglichen System66 . Das bewegliche System gestattet es, objektive und subjektive »Gestaltungskräfte«, die sich im Rechtsgeschäft vereinigen, aus einem variablen Zusammenwirken der Grundelemente zu erklären. Auch das Element der Privatautonomie ist dabei einer Relativierung zugänglich und nicht auf die willentliche Setzung bestimmter Rechtsfolgen beschränkt; allerdings ist »[d]as Mindeste [. . .], was eine Rechtsordnung tun muß, um den von ihr anerkannten Grundwert der Selbstbestimmung nicht zu verleugnen, [. . .] die Einräumung der Möglichkeit, durch selbstbestimmte Willensakte Rechtsfolgen zu begründen oder zu verhindern« 67. Die Zwanglosigkeit, mit der sich von Land zu Land und von Epoche zu Epoche unterschiedliche positivrechtliche Gestaltungen privatrechtlicher Selbstbindung aus verschiedenen Gewichtungen der maßgebenden Prinzipien erklären lassen, nimmt denjenigen, der die Regelungen des BGB insbesondere zu den Willensmängeln nicht für unüberbietbar, sondern nur für eine unter mehreren möglichen, notwendig kompromißhaften Lösungen hält68 , zunächst für den kombinatorischen Ansatz ein. Seine »Beweglichkeit« rechtfertigt im übrigen nicht den Vorwurf, richterlichem Dezisionismus werde hier Tür und Tor geöffnet69 : Bei der Anwendung eines kodifizierten Privatrechts bleibt es dabei, daß der Richter an die in den 65

Als Beiträge zur Begründung kombinatorischer Lehren sind insbesondere zu nennen Bydlinski, Privatautonomie, S. 122 ff.; ders., System, S. 147 ff.; Brox, Irrtumsanfechtung, S. 53 f., 111 ff.; MünchKomm/Kramer, Vor § 116 Rz. 39; ders., Grundfragen, S. 121 f., 164; Soergel/Hefermehl, Vor § 116 Rz. 7, 13 f., 16; Wieacker, in: Göttinger Festschrift für das OLG Celle 1961, S. 263, 278 f. 66 Privatautonomie, S. 173 f.; System, S. 156 f. 67 Privatautonomie, S. 127 (Hervorhebung vom Verf.); vgl. auch System, S. 157 f. 68 Vgl. insoweit insbes. Flume, Rechtsgeschäft, § 21, 1 (S. 417). 69 So die Kritik Lobingers, Rechtsgeschäftliche Verpfl ichtung, S. 86 f.

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gesetzlich geregelten Fällen zum Ausdruck kommende Abwägung der Prinzipien gebunden ist und diese bei der Beurteilung nicht geregelter Fälle zugrundezulegen hat. Wenn der Nachvollzug der gesetzlichen Wertung Probleme bereitet, spricht dies nicht notwendig gegen das (auf der Ebene der Prinzipien und nicht der Regeln angesiedelte) bewegliche System, sondern wohl eher gegen die Kodifikation, welche die Gewichtung der Prinzipien in den Regeln nicht deutlich genug zum Ausdruck gebracht hat. Zweifelhaft ist indes, ob der kombinatorische Ansatz der rechtsgeschäftlichen Selbstbindung Legitimität verleihen kann. Lehren, die allein auf das Prinzip willensgetragener Selbstbestimmung rekurrieren, stehen auf einem versprechensethischen Fundament – der Person wird als rechtliche Selbstbindung nur das zugemutet, was sie moralisch bindet. Das ist eine schlüssige, wenn auch, wie noch zu zeigen sein wird, unserer Gesellschaft nicht angemessene Rechtfertigung. Die Kombinationslehren lassen diese Legitimation in Gestalt der weit verstandenen, auf die bloße Möglichkeit der Steuerung rechtsgeschäftlicher Folgen bezogenen »Privatautonomie« nur dem Worte nach, nicht aber in der Sache bestehen. Bydlinski selbst konzediert, daß die moralische Verpflichtung aus dem gegebenen Wort nur an den wirklichen Willen geknüpft werden könne und sich für eine Bindung kraft des Vertrauensprinzips »keine ethische Rechtfertigung aus dem Gesichtspunkt des Worthaltens, sondern höchstens eine andere, viel schwächere aus der Vertrauensverursachung aufweisen« lasse70. Bedenkt man, daß sich dem Gebundenen im Falle des von der Kombinationslehre verteidigten Minimaltatbestands möglicher Selbstbestimmung nur vorhalten läßt, er habe die Vertrauenserweckung vermeiden können, kann man in der Tat nicht von ethischer Rechtfertigung sprechen, insbesondere wenn man an diesen Vorwurf einen Erfüllungsanspruch als Rechtsfolge knüpfen will. Die Legitimationslast liegt, soweit man auf den Willen als Geltungsbedingung verzichtet, mithin ganz auf dem Prinzip der Verkehrssicherheit71. Hier werden Ansätze einer funktionalistischen Sicht erkennbar, die versucht, das Rechtsgeschäft an den Erfordernissen des Marktes auszurichten: »Die spezifische Funktion des rechtsgeschäftlichen Verkehrs ist der Güterumsatz.«72 Wer zum Funktionieren des Güterumsatzes beitrage, verdiene an sich den Schutz der Rechtsordnung; wer dagegen einen Fehler begehe und dadurch den reibungslosen Ablauf störe, habe die nachteiligen Folgen zu tragen. Obwohl diese Rechtfertigung privatrechtlicher Selbstbindung in die richtige Richtung weist73, greift sie doch zu kurz: Es fällt bereits schwer zu sehen, wie der Vorwurf einer Störung des Güterumsatzes

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Privatautonomie, S. 110. Der auch zum beweglichen System zählende Gedanke der Äquivalenz darf nach Bydlinski, Privatautonomie, S. 151, »nur mit aller Vorsicht, sozusagen als subsidiärer Gesichtspunkt verwertet werden«. 72 Privatautonomie, S. 138. Die folgenden Ausführungen fi nden sich a.a.O., S. 139. 73 Siehe unten, § 4 III. 71

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mehr als nur eine Haftung auf das negative Interesse rechtfertigen könnte74. Vor allem aber fehlt eine Begründung dafür, warum den Teilnehmern am rechtsgeschäftlichen Verkehr im Interesse funktionierenden Güterumsatzes rechtliche Bindungen ohne und ggf. auch gegen ihren Willen aufzuerlegen sein sollen. Mit dem Güterumsatz werde doch, so lautet die Kritik, nur erstrebt, daß Güter dorthin gelangen, wo sie den meisten Nutzen stiften. Ungewollte rechtsgeschäftliche Bindungen trügen aber zur Optimierung der Güterallokation nichts bei, sondern seien im Gegenteil ökonomisch geradezu unsinnig75. Um diesen Einwand zu widerlegen, bedarf es tieferer Einsichten in die Bedeutung des Marktes als freiheitsgewährleistende soziale Institution und die diesbezügliche Funktion des Privatrechts, als sie der schlichte Hinweis auf die Erwünschtheit des Güterumsatzes zu bieten vermag. So bleibt die Kombinationslehre auf dem Weg von der versprechensethischen zur funktionalistischen Rechtfertigung privatrechtlicher Selbstbindung auf halbem Wege stecken. bb) Funktionalistisch vermittelte Legitimität: Die Lehre von der sozialen Selbstbindung (1) Darstellung. Eine auch den versprechensethischen Restbestand der Kombinationslehren abstreifende Konzeption hat die privatrechtliche Selbstbindung allein in ihrer sozialen Funktion in den Blick zu nehmen. Nichts liegt näher, als hierzu Erkenntnisse der Soziologie zu Rate zu ziehen. Das Wissen um die Bildung und Stabilisierung normativer Erwartungen zwischen Individuen müßte, so laute die Hypothese, uns zu einem adäquaten Verständnis zivilrechtlicher Selbstbindung verhelfen, welche ja nichts anderes als ein Mechanismus zur Unterstützung der Erwartungsbildung und -stabilisierung ist. Dies ist, in grobem Umriß, das Leitmotiv von Köndgens Untersuchung »Selbstbindung ohne Vertrag«, in der die Theorie der sozialen Selbstbindung76 als Gegenentwurf zur ethisch inspirierten Lehre von der Selbstbindung entwickelt wird. Die Theorie ist, wie in Anbetracht des Aperçus im Titel der Arbeit klargestellt werden muß, in ihren Grundlagen durchaus auch auf die vertragliche und nicht nur auf die außervertragliche Selbstbindung zu beziehen und verdient deshalb einen Platz (auch) unter den Rechtsgeschäftslehren. Vier Begriffe kennzeichnen den »von der Willensverwirklichung zum Schutz legitimer Erwartungen«77 übergehenden Ansatz: Selbstbindung und Reziprozität sind die Eckpfeiler, zu denen die Konzepte der sozialen Rolle und der Systemreferenz (verstanden als die Einbettung des Vertrags in größere soziale Handlungszu74 Vgl. auch die von Bydlinski, Privatautonomie, S. 139 f., selbst gemachte Einschränkung der Tragfähigkeit dieses Gedankens, der nicht das »Ei des Kolumbus« sei. 75 Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpfl ichtung, S. 62 f. 76 »Theorie der sozialen Selbstbindung« ist kein von Köndgen selbst geprägter Begriff. Er wird hier verwendet, um die Orientierung dieser Lehre schlagwortartig zum Ausdruck zu bringen. 77 So Köndgen, Selbstbindung, S. 132 (Überschrift zu 5.3.), in einer mit Bezug auf den Funktionswandel des Vertrages geprägten Formulierung.

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sammenhänge wie Markt oder Familie) hinzutreten78. Während Selbstbindung und Reziprozität die Elemente quasi-vertraglicher wie auch vertraglicher Verpflichtung bilden, werden mit der sozialen Rolle und der Systemreferenz – nicht abschließend – Prinzipien formuliert, die differenzierend auf die Verpflichtungselemente (z. B. als Auslegungsgesichtspunkt bei Selbstbindungen) einwirken, aber an der Grundstruktur der Theorie nichts ändern. Selbstbindung steht in dieser Theorie anders als in der vorliegenden Untersuchung, die den Begriff enger faßt79, für den »Inbegriff allen kommunikativen Handelns, mit dem ein Akteur bei anderen (unterschiedlich stabile) Erwartungen an sein künftiges Verhalten hervorruft«80 , also für das, was hier unter normativitätsstiftendem Verhalten verstanden wird. Dem gesellt sich die Reziprozität als Stabilisierungsfaktor von Selbstbindungen hinzu81. Hierdurch wird der in allen Rechtsordnungen (etwa in der consideration, dem Synallagma oder der geringeren Stabilität unentgeltlicher Geschäfte) zum Ausdruck kommenden Einsicht Rechnung getragen, daß ein als (weit verstandene) Selbstbindung zu interpretierendes Verhalten für sich genommen keine hinreichende Bedingung für die Anordnung zivilrechtlicher Sanktionen bietet. Die Legitimität rechtlicher Sanktionierung der Selbstbindung hängt vielmehr von der durch Reziprozität gewährleisteten »Angemessenheitskontrolle« ab. Allerdings erschöpft sich Reziprozität ebensowenig in schuldvertraglicher Entgeltlichkeit wie die Selbstbindung im vertraglichen Leistungsversprechen: Sie bezeichnet auch eine nur indirekte oder generalisierte Hintergrunderwartung, die weder durch Selbstbindung geschaffen noch inhaltlich bestimmt sein muß, ja sogar hinsichtlich des Partners, von dem man sich die Erwiderung einer Vorleistung erwartet, unspezifiziert sein kann82. Liegt – im Lichte der sozialen Rolle der Parteien und der Systemreferenz ihres Verhaltens betrachtet – eine durch Reziprozität im so verstandenen Sinne stabilisierte Selbstbindung vor, ist der zivilrechtlichen Haftung ein Anknüpfungspunkt gegeben. Die kurze Skizze dürfte das spezifisch »Soziale« der hier diskutierten Theorie, nämlich die Orientierung des (Quasi-)Vertragsrechts an der Analyse der sozialen Prozesse intersubjektiver Erwartungsbildung und -stabilisierung verdeutlicht ha78

Hierzu zusammenfassend Köndgen, Selbstbindung, S. 280 ff. Siehe oben, § 1 II. »Selbstbindung« oder »autonome Bindung« wird hier, um dies in Erinnerung zu rufen, normativitätsstiftendes Verhalten nur mit Bezug auf das jeweilige Normensystem genannt, innerhalb dessen die von einer Person erzeugten normativen Erwartungen beachtlich sind, so daß im Falle der Erwartungsenttäuschung systemspezifische Reaktionen (z. B. soziale Ächtung oder zivilrechtliche Ansprüche) eintreten. 80 Selbstbindung. S. 280; zum Folgenden S. 164 ff. Köndgens Darstellung des Konzepts der Selbstdarstellung beruht auf der Mikrosoziologie Erving Goffmans, vgl. Köndgen, a.a.O., S. 165 Fn. 46. 81 Hierzu und zum Folgenden Köndgen, Selbstbindung, S. 233 f. sowie zusammenfassend S. 280. Daß Reziprozität nach Köndgen, a.a.O., S. 245, als Instrument der Fremdbindung auch unmittelbar pfl ichtbegründend und nicht nur -stabilisierend zu wirken vermag, sei hier nur erwähnt. 82 Selbstbindung, S. 246 ff. Ein von Köndgen, a.a.O. S. 249, angeführtes Beispiel für die vom Vertraglichen ganz losgelöste Reziprozität ist die sog. goldene Regel (»was Du nicht willst, das man Dir tu . . .«). 79

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ben. Läßt sich hier aber überhaupt noch von »Selbst«bindung sprechen? Wenn die vertragliche Bindung vom Willen gelöst und in den Dienst des Schutzes legitimer Erwartungen gestellt wird, scheint sie mit jeder anderen rechtlichen Bindung bis zur Unkenntlichkeit zu verschmelzen – auch delikts- oder strafrechtliche Regelungen schützen (und formen) legitime Erwartungen der Rechtsunterworfenen aneinander. Dieser Schein trügt jedoch: Ein Vertragsrecht, dessen Leitmotiv – wie im Common Law – Erwartungsschutz und nicht Willensverwirklichung ist83, bleibt Recht der Selbstbindung (in dem oben erläuterten formalen Sinne) 84 insoweit, als es um Erwartungen geht, deren Veranlassung ihrem Adressaten zurechenbar ist, so daß Adressat und Urheber der Erwartung, Gebundener und sich Bindender in einer Person zusammenfallen. Die Zurechnung als solche will auch die Theorie der sozialen Selbstbindung nicht aufgeben. Was indes aufgegeben werden soll, ist die Fixierung juristischer Zurechnung auf den Freiheitsgedanken. Als »Zurechnungsgrund oder Zurechnungsprinzip im juristischen Sinne« gilt dieser Lehre vielmehr »jede[r] Sachgesichtspunkt, der eine Zurechnung mit Anspruch auf Konsensfähigkeit rechtfertigen soll«, ohne daß den Gesichtspunkten der Selbstbestimmung und Selbstverantwortung ein rechtsethisch begründbarer Vorrang zuzuerkennen wäre85. Allerdings wird erkennbar willensgetragenem Verhalten dadurch eine »Sonderstellung unter den Selbstbindungstatbeständen«86 verschafft, daß derjenige, dessen Erwartung geweckt wird, annehmen darf, der Handelnde habe einen vernünftigen Grund dafür, diese offenbar erwünschte Reaktion bei ihm hervorzurufen – dies trägt zur Stabilisierung der Selbstbindung bei. (2) Kritik. Aufgrund der dezidierten Abwendung dieser Lehre von einer versprechensethischen Legitimation verfängt der Einwand nicht ohne weiteres, das Rechtsgeschäft bzw. der Vertrag sei das einzige Instrument rechtlicher Selbstbindung und »Selbstbindung ohne Vertrag« infolgedessen eine in sich widersprüchliche Kategorie87. Daß die Rechtsordnung für die Selbstbindung ausschließlich das Rechtsgeschäft zur Verfügung stelle, kann nur denjenigen als selbstverständlich gelten, die dem Begriff der Selbstbindung einen Inhalt zuschreiben, der sich (wenn überhaupt88) nur im Rechtsgeschäft verwirklicht – die Vorstellung von der willensgesteuerten Selbstgesetzgebung der Person. Gerade diese Vorstellung aber verwirft die Lehre von der sozialen Selbstbindung zugunsten einer den Prozeß der 83 Vgl. Steyn J. in First Energy (UK) Ltd v. Hungarian International Bank, [1993] 2 Lloyd’s Rep. 194, 196: »A theme that runs through our law of contract is that the reasonable expectations of honest men must be protected. It is not a rule or a principle of law. It is the objective which has become and still is the principal moulding force of our law of contract.« 84 Siehe oben, § 4 I. 85 Köndgen, Selbstbindung, S. 110. 86 Köndgen, Selbstbindung, S. 175. 87 Canaris, in: 2. FS Larenz, S. 27, 93 f. 88 Wie der zweite Teil dieser Arbeit ergeben wird, wird dieser Begriff der Selbstbindung auch dem Rechtsgeschäft nicht gerecht.

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intersubjektiven Erwartungsbildung und -stabilisierung in den Mittelpunkt stellenden Sichtweise. Diese Perspektive ist funktionalistisch: Sie geht nicht von einer dem Privatrecht vorgegebenen Vorstellung der Person aus, von der her das Wesen dessen, was Selbstbindung ausmacht, zu bestimmen ist, sondern von einer dem Privatrecht gestellten sozialen Aufgabe, die es durch die Formulierung von Selbstbindungstatbeständen zu lösen gilt. Dabei umfaßt »Selbstbindung« auch das, was andere etwa als Vertrauenshaftung einordnen. Wer hiergegen aus einer versprechensethischen Sicht der Selbstbindung argumentiert, bedient sich gleichsam einer anderen Sprache und muß, will er nicht an seinem Gegenüber vorbeireden, entweder auch den funktionalistischen Standpunkt beziehen oder aber dessen Untauglichkeit für das Verständnis des Privatrechts dartun. Noch ohne zu dieser Grundfrage Stellung zu beziehen, wird man aber auf zwei Defizite der Theorie der sozialen Selbstbindung aus funktionalistischer Sicht hinweisen können: Zum einen vernachlässigt sie das Problem der Entscheidung zwischen »positiver« und »negativer« Sanktion. Anders als eine willenstheoretische Konzeption der Selbstbindung läuft die Theorie der sozialen Selbstbindung nicht zwingend auf die Gewährung eines Erfüllungsanspruchs bzw. eines Anspruchs auf Ersatz des positiven Interesses gegen den Gebundenen hinaus89. Das vertragliche Versprechen ist in diesem Zusammenhang »nur ein durch Unmittelbarkeit des Erfüllungsgebots qualifizierter Sonderfall der Selbstbindungskategorie«90. Doch wird die Haftung auf das negative Interesse als Alternativsanktion nur dort eingeführt, wo ein Erfüllungsanspruch mangels Bestimmtheit des Versprechensinhalts nicht in Betracht kommt91, obwohl ihre Berücksichtigung bei der Beurteilung anderer Konstellationen – etwa bei der rechtlichen Beurteilung von preisausgezeichneten Schaufensterauslagen, die Köndgen als Angebote qualifiziert92 – möglicherweise dazu geführt hätte, daß jedenfalls teilweise einer auf das negative Interesse begrenzten Haftung der Vorzug zu geben ist93. Zum anderen ist zu bemängeln, daß der Theorie der sozialen Selbstbindung ein wesentliches Stück der Legitimation privatrechtlicher Selbstbindung fehlt: Zwar widmet sie sich ausgiebig der Analyse der sozialen Prozesse der Generierung und Stabilisierung von Erwartungen. Doch kommt die Frage zu kurz, wozu es gerade vertragsrechtlicher Sanktionen im Hinblick auf diese Prozesse bedarf. Erwartungssicherung kann und muß nicht nur mit den Mitteln des (Quasi-)Vertragsrechts betrieben werden. Köndgen selbst erkennt dies und die daraus folgende Einseitigkeit eines primär auf das Vertragsrecht fixierten Arbeitsansatzes durchaus 89 Mißverständlich allerdings Köndgen, Selbstbindung, S. 280, wo er von der »Erzwingung der Selbstbindung . . . als Rechtspfl icht« spricht. 90 So zutreffend Köndgen, Selbstbindung, S. 189. 91 Als Beispiele nennt Köndgen, Selbstbindung, S. 189 f., Interzessionsversprechen von der Art wie: »Sie bekommen ihr Geld schon« oder Verhandlungszusagen wie: man werde wegen entstandener Aufwendungen »nicht kleinlich sein«. 92 Selbstbindung, S. 292. 93 Zur Haftung in Fällen der invitatio ad offerendum siehe unten, § 13 II.

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und problematisiert am Beispiel des Schutzes von Verbrauchererwartungen aus irreführenden Werbeaussagen das Verhältnis (quasi-)vertragsrechtlichen Schutzes zu Instrumenten wirtschaftsrechtlicher und deliktsrechtlicher Erwartungssicherung94. Aber darin erschöpfen sich die Alternativen nicht: Mechanismen der Erwartungssicherung können auch außerrechtlicher Natur sein. Insoweit ist nicht nur an Möglichkeiten wie die freiwillige Selbstkontrolle einer Branche zu denken95, sondern allgemein an die durch kein rechtliches Regime abgestützten Mechanismen sich selbst durchsetzender Kooperation, bei denen Erwartungsenttäuschungen schlicht durch den Entzug künftiger Kooperationschancen sanktioniert werden. Diese sozialen Mechanismen bedürfen nicht nur keiner Ergänzung durch das Recht; Verrechtlichung droht sogar, sie zu zerstören96 . Vor diesem Hintergrund besteht Anlaß zur Zurückhaltung bei der Annahme (quasi-)vertraglicher Pflichten zum Schutz legitimer Erwartungen. Es mag, wie noch zu erörtern sein wird, gerade diese Zurückhaltung sein, welche das »altliberale«97, auf das Paradigma der marktmäßigen Tauschbeziehung bezogene Vertragsmodell gegenüber Vorstellungen auszeichnet, die eine Expansion solcher Pflichten in der Überzeugung billigen, daß wir »heute [d. h. zu Beginn der 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts, T. A.] . . . nicht mehr im dualistischen Schema positiver und negatorischer Gehalte von Freiheitsrechten« denken und »Schuldnerpflichten weniger als lästige Beschränkung der Freiheit denn als solidarische Verantwortung für den anvisierten Geschäftserfolg« begreifen98. c) Fazit Der Durchgang durch einige für den gegenwärtigen Stand deutscher Dogmatik prägende Rechtsgeschäftslehren zeigt die ungebrochene Attraktivität der versprechensethischen Legitimation privatrechtlicher Selbstbindung: Die Idee der Selbstgesetzgebung der Person ist so wirkmächtig, daß die meisten Lehren, mögen sie zu einer subjektiven oder zu einer objektiven Ausrichtung neigen, keine Anstrengung scheuen, sie in dem wiederzufinden, was nach positivem Recht der rechtsgeschäftlichen Haftung unterfällt. Eine Ausnahme hiervon macht namentlich die im Ansatz funktionalistische, auf den Schutz legitimer intersubjektiver Erwartungen abstellende Theorie der sozialen Selbstbindung. Die insgesamt zu konstatierende Neigung zum Paradigma der willensgetragenen Selbstgesetzgebung ist verständlich: Sie verschafft einem Kernstück des Privatrechts ethische Legitimität, was nicht nur »der an einer höheren Aufgabe seines Gegenstands offenkundig interessierte Jurist«99, sondern zunächst einmal jeder schätzen wird, der eine allgemein 94 95 96 97 98 99

Selbstbindung, S. 151 ff. Diese erwähnt auch Köndgen, Selbstbindung, S. 151. Dazu noch ausführlich unten, § 7 III. Köndgen, Selbstbindung, S. 137. Köndgen, Selbstbindung, S. 133; zurückhaltender allerdings a.a.O., S. 125. So – mit nicht zu überhörendem spöttischen Unterton – Kersting, Wohlgeordnete Freiheit,

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vermittelbare Rechtfertigung rechtsgeschäftlicher Haftung sucht. Ob aber die versprechensethische Rechtfertigung tragfähig ist, wird im Folgenden zu untersuchen sein.

2. Die Überwindung der versprechensethischen Legitimation privatrechtlicher Selbstbindung in der neuzeitlichen Rechtsphilosophie a) Das Grundproblem: Legitimation privatrechtlicher Selbstbindung in einer pluralistischen Gesellschaft Selbstbindung – daran sei erinnert100 – liegt vor, wenn für die Begründung normativer Erwartungen die Person und nicht ihre Umwelt als zuständig erachtet wird. Die versprechensethische Legitimation privatrechtlicher Selbstbindung geht davon aus, daß die Formulierung von Selbstbindungstatbeständen bei der Person anzusetzen hat: Das, was sie zur Selbstbindung begabt, ihre »Autonomie«, wird als ein dem Recht vorgegebener Wert angesehen, und es ergibt sich hieraus eine dem Recht gleichfalls vorgegebene Vorstellung von Selbstbindung, nämlich die Vorstellung vom »Versprechen«. Privatrechtliche Formen der Selbstbindung sind danach legitimitiert, wenn und soweit sie an dieses vorgegebene Verständnis der Selbstbindung anschließen. Das ist der Kern der im vorigen Abschnitt aufgezeigten, in der deutschen Rechtswissenschaft verbreiteten rechtsethischen Fundierung des Rechtsgeschäfts. Diese Rechtfertigung steht und fällt mit der Idee einer unabhängig vom Recht konstituierten Person, die sich kraft der ihr zukommenden Autonomie selbst bindet und dem Privatrecht Modell stehen kann. Für den Fortgang dieser Untersuchung kommt es nicht auf die zeitlose Gültigkeit einer solchen Idee an, sondern allein auf die bescheidenere Frage, ob sie der Gesellschaft in ihrer gegenwärtigen Gestalt angemessen ist. Was aber darf man als kennzeichnend für unsere Gesellschaft ansehen? Mit einiger Aussicht auf Zustimmung wird man sie als eine Gesellschaft beschreiben können, die ihre Institutionen so einrichtet, daß ihre Mitglieder jedenfalls nicht auf die Verfolgung einer bestimmten Konzeption des Guten festgelegt sind, mögen sie sich auch innerhalb eines gewissen Spektrums von Weltanschauungen bewegen müssen, um die Funktionsfähigkeit der Institutionen nicht zu gefährden. Mit Rawls ist in der »Vielfalt vernünftiger umfassender religiöser, philosophischer und moralischer Lehren«, dem »Faktum eines vernünftigen Pluralismus«, ein dauerhaftes Merkmal der öffentlichen Kultur einer Demokratie zu sehen101. Diesem Faktum trägt die seit dem 18. Jahrhundert geläufige Trennung von Recht und Moral Rechnung. Rechtliche und moralische Normen sind dadurch voneinander unterschieden, daß der zur Normbefolgung nötigende Zwang beim Recht ein äußeS. 147, mit Bezug auf philosophisch ausgewiesene Juristen (Dulckeit, Larenz, Radbruch u. a.), die einer moralteleologischen Rechtsauffassung anhängen. 100 Siehe oben, § 4 I. 101 Politischer Liberalismus, S. 106.

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rer und bei der Moral ein innerer ist102. In Anbetracht des Umstandes, daß in einer pluralistischen Gesellschaft die Kriterien der moralischen Unterscheidung von gut und schlecht bzw. gut und böse nicht mehr konsensfähig sind, darf Rechtsgeltung nicht unmittelbar von moralischen Bewertungen abhängig gemacht werden; moralische Urteile können sich lediglich in Rechtskritik äußern und insoweit auf das Rechtssystem einwirken103. Hier liegt das Grundproblem versprechensethischer Legitimationsversuche: Wie kann es angesichts des moralischen Pluralismus gelingen, die These zu begründen, die rechtliche Verbindlichkeit des Vertrags folge »aus der bindenden Kraft des Versprechens als eines moralischen Akts der Person«104? Es bedarf hierzu einer Vorstellung von der Person, die einerseits nur einen Minimaltatbestand umfaßt, der über alle (sozial tolerierten) weltanschaulichen Divergenzen in einer pluralistischen Gesellschaft hinweg Akzeptanz beanspruchen kann, und andererseits aussagekräftig genug ist, um daran eine Konzeption privatrechtlicher Selbstbindung zu knüpfen. Der Frage, ob dieses Dilemma zu überwinden ist, sei hier anhand der mit den Namen Grotius, Kant und Hegel verbundenen Versuche einer philosophischen Begründung des Vertragsrechts nachgegangen. Die Lehren Grotius’, Kants und Hegels markieren eine Entwicklung der philosophischen Theorie des Vertrags, deren Ergebnis für den Fortgang der hiesigen Überlegungen grundlegend ist: Während Grotius’ Lehre für die versprechensethische Legitimation des Vertrags in einem christlich-naturrechtlichen Kontext steht, ist an Kant und Hegel die Transformation zu studieren, die diese Legitimation erfährt, wenn man von einem den Bedingungen der modernen Gesellschaft Rechnung tragenden Begriff der Person ausgeht. b) Vertragliche Bindung kraft Teilhabe an göttlicher Vernunft (Grotius) Der Ursprung des aus dem Faktum des Pluralismus folgenden Begründungsproblems versprechensethischer Lehren ist am besten zu verstehen, wenn man zunächst auf eine Konzeption schaut, der dieses Problem noch unbekannt war: die Vertragslehre Hugo Grotius’. Ihr Grundgedanke ist die Erklärung (schuld-)vertraglicher Bindung aus dem Akt der – in Analogie zur Eigentumsübertragung entwickelten – Versprechensübertragung. Inspiriert von spätscholastischen Lehren105 unterscheidet Grotius drei Grade des Versprechens: die bloße Mitteilung des gegenwärtigen, auf etwas Künftiges gerichteten Willens106 , das Gelübde (pollicita-

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Grundlegend Kant, Metaphysik der Sitten, Tugendlehre, A 1 (Werke Bd. 7, S. 508). Luhmann, Recht der Gesellschaft, S. 78. 104 Larenz, Allgemeiner Teil 7, S. 41; ebenso Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, § 2 Rz. 32 (S. 32). 105 Zu den Vorbildern Grotius’ – insbesondere den gegenreformatorischen Jesuiten Molina und Lessius – Diesselhorst, Grotius, S. 4 ff.; Gordley, The Philosophical Origins of Modern Contract Doctrine, S. 69 ff.; Lipp, Bedeutung des Naturrechts, S. 126 ff. 106 De iure belli ac pacis 2.11.1 (S. 328): »Primus gradus est assertio explicans de futuro animum qui nunc est : [. . .]« 103

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tio), mit dem der Wille sich selbst für die Zukunft festlegt107, und schließlich das in der Wirkung der Eigentumsübertragung vergleichbare vollkommene Versprechen (promissio), bei dem zur Willensfestlegung in der pollicitatio ein Zeichen des Willens tritt, dem anderen ein eigenes Recht zu übertragen108. Nicht anders als die Eigentumsübertragung bedarf auch die Versprechensübertragung zu ihrer Wirksamkeit neben der Abgabe des Versprechens (alienatio) der Annahme (acceptatio) durch den Empfänger109 ; erst dadurch erwirbt dieser ein Recht an der durch die pollicitatio gebundene Freiheit des Versprechenden. Die Kodifikationen des Code civil und des ABGB haben dieses in der späteren Naturrechtslehre weiterentwickelte Modell vom Vertrag als Versprechensübertragung aufgenommen110 , und wie sich bei der Erörterung neuerer deutscher Rechtsgeschäftslehren gezeigt hat, verfehlt sie auch in jüngster Zeit ihre Wirkung nicht: Zwar ist die grotianische Vertragskonstruktion selbst dort, wo sie Gesetz geworden ist, nicht mehr konsensfähig111 und im übrigen als Erklärungsmodell für das deutsche Recht seit jeher indiskutabel (man denke nur daran, daß die Übertragung des Versprechens nicht anders als die Übereignung, der sie nachgebildet ist, einer causa bedarf, was dem deutschen Recht fremd ist). Doch findet Grotius’ »eigentümliche vergegenständlichende Auffassung von der Freiheit der Person«112 als parzellierbare Herrschaftssphäre, deren »Partikel«113 sich wie Eigentum übertragen lassen, nach wie vor ihren Nachhall in der Vorstellung von der nur durch den Willen des Schuldners zu rechtfertigenden »Enteignungswirkung« rechtsgeschäftlicher Leistungspflichten114. Die Vergegenständlichung des Freiheitsgedankens macht die Idee vertraglicher bzw. rechtsgeschäftlicher Verpflichtung in der Tat plastisch – sie wird als Einschränkung der dem Schuldner zustehenden Handlungsfreiheit zugunsten des 107 De iure belli ac pacis 2.11.3 (S. 329): »Secundus gradus est, cum voluntas se ipsam pro futuro tempore determinat, cum signo sufficiente ad indicandam perseverandi necessitatem. Et haec pollicitatio dici potest [. . .]« 108 De iure belli ac pacis 2.11.4.1 (S. 329): »Tertius gradus est ubi ad determinationem talem accedit signum volendi ius proprium alteri conferre: quae perfecta promissio est, similem habens effectum qualem alienatio dominii.« 109 De iure belli ac pacis 2.11.14 (S. 335; Fußnoten weggelassen): »Ut autem promissio ius transferat, acceptatio hic non minus quam in dominii translatione requiritur.« 110 Näher zur Rezeption in Code civil und AGBGB Schmidlin, in: Rechtsgeschichte und Privatrechtsdogmatik, S. 187, 195 ff. Zur Weiterentwicklung der Lehre vom Versprechensvertrag durch Pufendorf vgl. Lipp, Bedeutung des Naturrechts, S. 141 ff.; zur Forsetzung der spätscholastischen Debatte über die Durchsetzbarkeit von Versprechen durch Grotius und Pufendorf vgl. Gordley, The Philosophical Origins of Modern Contract Doctrine, S. 73 ff. 111 Vgl. zur Überwindung der naturrechtlichen Sicht in Österreich m.w.Nachw. Schmidlin, in: Rechtsgeschichte und Privatrechtsdogmatik, S. 187, 198. 112 Diesselhorst, Grotius, S. 51. 113 Grotius, De iure belli ac pacis 2.11.4 (S. 329), spricht wörtlich von der »alienatio particulae [. . .] libertatis«. 114 Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpfl ichtung, S. 90 f. Dazu, daß Lobinger – entgegen eigenem Bekunden – mehr als nur terminologische Anleihen bei Grotius nimmt, siehe oben, § 4 II 1 a bb.

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Gläubigers anschaulich. Aber das erklärt nicht, wie es dem Schuldner gelingen kann, sich selbst kraft seines eigenen Willens zu binden und dadurch die Begrenzung der eigenen Freiheit herbeizuführen. Hier, bei der Begründung des der Übertragung vorausliegenden Versprechensakts, wird das religiöse Fundament der Lehre von der Versprechensübertragung erkennbar: Grotius beruft sich auf göttliche Zeichen, die lehrten, daß Gott selbst, der durch kein positives Gesetz gebunden werden könne, gegen seine Natur verstieße, wenn er seine Versprechen nicht hielte. Hieraus folge, daß die Pflicht, Versprechen zu halten, der Natur der unveränderlichen Gerechtigkeit entstamme, die Gott und allen vernunftbegabten Wesen auf ihre Art gemeinsam sei115. Was die zur Selbstbindung befähigende Personalität des Individuums ausmacht, ist für Grotius also nichts anderes als seine Gotteskindschaft, die es an der göttlichen Vernunft teilhaben läßt. Ohne diese Vorstellung von der Person fehlte dem Selbstbindungsakt die Basis, und ohne den Selbstbindungsakt bliebe vertragliche Bindung für Grotius unerklärbar. So unentbehrlich das christliche Personenbild daher für Grotius’ Versprechenslehre ist116 , so unvereinbar ist es indes mit dem Pluralismus der heutigen Gesellschaft, deren Privatrecht gerade auf eine solche Festlegung zu verzichten hat. Der Wegfall religiöser Gewißheiten in der säkularisierten Gesellschaft hat damit einen Begründungsnotstand für die versprechensethische Rechtfertigung privatrechtlicher Selbstbindung herbeigeführt: Seines christlichen Fundaments beraubt117, mußte die Legitimität des Satzes »pacta sunt servanda« neu begründet werden. Dieser Aufgabe hat sich, Grotius’ Lehre unter neuen Prämissen aufgreifend und weiterentwickelnd, Kant angenommen. c) Vertragliche Bindung als Konsequenz des Postulats der praktischen Vernunft (Kant) Kants Vertragskonzeption ist grotianischem Gedankengut eng verbunden: »Durch den Vertrag [. . .] erwerbe ich«, heißt es in den Metaphysischen Anfangsgründen der Rechtslehre, »das Versprechen eines anderen [. . .]; ich bin vermögender (locupletior) geworden, durch Erwerbung einer aktiven Obligation auf die Freiheit und 115 De iure belli ac pacis 2.11.4 (S. 329; Zitate weggelassen): »Eius quod dicimus insigne nobis argumentum praebent divina oracula, quae nos docent Deum ipsum, qui nulla constituta lege obstringi potest, contra naturam suam facturum nisi promissa praestaret. Unde sequitur ut promissa praestentur venire ex natura immutabilis iustitiae, quae Deo et omnibus his qui ratione utuntur suo modo communis est.« 116 Die zentrale Bedeutung dieser Erwägung für Grotius’ Lehre betonen auch Diesselhorst, Grotius, S. 40, 50 f.; Lipp, Bedeutung des Naturrechts, S. 138; Schmidlin, in: Rechtsgeschichte und Privatrechtsdogmatik, S. 187, 191. Ohne Bezug auf das theologische Fundament der grotianischen Vertragslehre dagegen Hillgruber, ARSP 85 (1999), 348, 354, der annimmt, die Pfl icht zur Treue und damit zum Worthalten erscheine Grotius »als selbstverständliches, nicht weiter begründungsbedürftiges Gebot der Gerechtigkeit«. 117 Zur Herkunft der Idee der Verbindlichkeit des bloßen pactum aus dem kanonischen Recht Nanz, Die Entstehung des allgemeinen Vertragsbegriffs im 16. bis 18. Jahrhundert, S. 52 ff.; Zimmermann, Law of Obligations, S. 542 ff.

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das Vermögen des anderen.«118 Was sich jedoch gegenüber Grotius geändert hat, ist der Kontext, in den sich diese Aussage einfügt: Der Person, die einem bei Kant gegenübertritt, ist ihre Personalität nicht von Gott verliehen, sondern Persönlichkeit kommt dem Menschen kraft seiner Begabung mit innerer Freiheit zu, d. h. aufgrund seiner Fähigkeit, nicht sinnliche Neigungen, Bedürfnisse oder Interessen und damit äußere Gegebenheiten, sondern allein seinen vernünftigen Willen zur Triebfeder seines Handelns zu machen119. Die Einsicht, daß »vernünftige Wesen Personen genannt werden, weil ihre Natur sie schon als Zwecke an sich selbst, d. i. als etwas, das nicht als Mittel gebraucht werden darf, auszeichnet«120 , verschafft der kantischen Rechtsphilosophie einen von materiellen Festlegungen der Person unabhängigen Ausgangspunkt, der sie als überaus geeignet erscheinen läßt, das hier aufgeworfene Problem der Begründung privatrechtlicher Selbstbindung in einer pluralistischen Gesellschaft zu lösen. Dazu bedarf es indes einer Begründung, die bruchlos von der Konstitution der Person als Vernunftwesen zur privatrechtlichen Verbindlichkeit des vertraglichen Versprechens führt. Die Rekonstruktion der kantischen Argumentation (unter aa) und bb)) wird zur Bewertung der Möglichkeit einer versprechensethischen Legitimation beitragen (dazu cc)). aa) Die Unzulänglichkeit des kategorischen Imperativs zur Begründung der Verbindlichkeit von Verträgen (1) Das Sittengesetz. Seine Personalität in dem soeben erläuterten Sinne befähigt das Individuum, sich nach selbstgesetzten Normen zu richten und das heißt: moralisch zu handeln. Die der Autonomie des Willens verdankte Möglichkeit zu moralischem Handeln impliziert zugleich das Sittengesetz des kategorischen Imperativs als dessen Maßstab: Sieht man, wie es der Prämisse entspricht, von allen materiellen Zwecksetzungen ab, bleibt dem innerlich freien Subjekt zur Bewertung seiner handlungsleitenden Regeln (der Maximen) nur ein prozedurales Prinzip, nämlich »nichts mehr, als die Form der Tauglichkeit der Maxime der Willkür zum allgemeinen Gesetz selbst zum obersten Gesetze und Bestimmungsgrunde der Willkür [zu] machen, und, da die Maximen des Menschen aus subjektiven Ursachen mit jenen objektiven nicht von selbst übereinstimmen, dieses Gesetz nur schlechthin, als Imperativ des Verbots oder Gebots, vor[zu]schreiben.«121 Damit ist der inneren Freiheit der Person, ihrer Unabhängigkeit von sinnlichen Antrieben, ein Gesetz gegeben. Auf dieser Ebene, der Ebene ethischer Gesetzgebung, ist das Verbot eines falschen (gemeint ist: unehrlichen) Versprechens angesiedelt. »[D]ie Allgemeinheit eines Gesetzes, daß jeder, nachdem er in Not zu sein glaubt, versprechen könne, was ihm einfällt, mit dem Vorsatz, es nicht zu halten, würde das Versprechen 118 119 120 121

Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, A 101 (Werke Bd. 7, S. 386). Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, A 6 f. (Werke Bd. 7, S. 318). Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, A 65 (Werke Bd. 6, S. 60). Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, A 7 (Werke Bd. 7, S. 318).

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[. . .] selbst unmöglich machen«122. Man könne »zwar die Lüge, aber ein allgemeines Gesetz zu lügen gar nicht wollen«123. Die damit behauptete Untauglichkeit einer auf das falsche Versprechen gerichteten Maxime zum allgemeinen Gesetz macht es der Person zur Pflicht, keine falschen Versprechen abzugeben. Man könnte annehmen, daß hierin bereits der Grund vertraglicher Verbindlichkeit liegt124. Aber diese aus dem kategorischen Imperativ abgeleitete Forderung betrifft zunächst nur die innere Freiheit, den vernünftigen Willen, der allein die Pflicht zum Handlungsmotiv hat. Von der Rechtsverbindlichkeit des Vertrags ist man damit noch weit entfernt: Abgesehen von dem Problem, daß die von Kant formulierte sittliche Pflicht nur das vornherein mit dem Vorsatz der Nichteinhaltung abgegebene Versprechen ausschließt und damit bei weitem nicht das umfaßt, was den Satz »pacta sunt servanda« ausmacht125, fehlt hier vor allem noch jegliche Rechtfertigung der rechtlichen Erzwingbarkeit der Einhaltung der vertraglichen Pflicht durch den anderen Teil oder, um mit Kant zu sprechen, der »Erwerbung eines persönlichen Rechts durch Vertrag«126 . Diese kann allein Gegenstand »juridischer Gesetzgebung« sein, die sich nicht auf die innere Freiheit, sondern nur auf die »Freiheit im äußeren Gebrauche« bezieht127 – anders als die ethische Gesetzgebung normiert die juridische nicht die innere Triebfeder des Handelns, sondern ersetzt sie durch die äußere Triebfeder des Zwangs128. 122

Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, A 55 (Werke Bd. 6, S. 53). Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, A 19 (Werke Bd. 6, S. 30). Vgl, auch a.a.O., A 54 f. (Werke Bd. 6, S. 53): Die Maxime könne »niemals als allgemeines Naturgesetz gelten und mit sich selbst zusammenstimmen«; sie müsse »sich notwendig widersprechen«. 124 Vgl. die Andeutung bei Canaris, in: FS 50 Jahre BGH Bd. 1, S. 129, 148. 125 So auch Byrd/Hruschka, 81 Chicago-Kent L.Rev. 47, 50 ff. (2006); Hruschka, 23 L. & Phil 45, 64 (2004); Unberath, in: FS Hruschka, S. 719, 729. – Canaris, in: FS 50 Jahre BGH Bd. 1, S. 129, 148 f. Fn. 79, erwägt dagegen, die Pfl icht, keine falschen Versprechen abzugeben, unter Anwendung des kategorischen Imperativs zu einer Pfl icht, Verträge nicht zu brechen, auszubauen: »Wer einen Vertrag schließt, kann nicht als allgemeine Maxime wollen, daß Verträge grundsätzlich nicht gehalten werden müssen.« Er konzediert jedoch (a.a.O, 148), daß sich diese Argumentation so nicht bei Kant findet. Das ist aus dem im Text genannten Grund verständlich: Das Problem der Erwerbung eines persönlichen Rechts des Versprechensempfängers durch den Vertrag bleibt so ungelöst. Im übrigen ist fraglich, ob Canaris das Verallgemeinerungsverfahren des kategorischen Imperativs im Sinne Kants anwendet. Canaris scheint die Verallgemeinerung sprachlogisch zu verstehen: In der Tat wäre es kein konsistenter Sprachgebrauch, wenn ich den Vertrag als Institut der Selbstbindung verstehen und mich gleichzeitig durch einen von mir geschlossenen Vertrag nicht binden wollte. Wie Höffe (in: Kooperativer Kommentar, S. 206, 223) zutreffend bemerkt, kann die sprachlogische Universalisierung jedoch lediglich die Kohärenz einer moralischen Sprache prüfen, was angesichts alternativer Moralsprachen die Frage offen läßt, welche von ihnen moralisch angemessen ist. Näher zur Begründung der Vertragsverbindlichkeit sogleich in Abschnitt bb). 126 Dazu treffend Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 306: »Versprechen wohnt eine sittliche Verpfl ichtung inne [. . .]. Aber diese sittliche Verpfl ichtung ist es nicht, auf die die Frage nach der Gültigkeit eines Vertrags rekurrieren kann; nicht die moralische Pfl icht, sondern die rechtliche, die im vertraglich erworbenen Recht des anderen begründete Pfl icht gibt die Antwort.« Ebenso Scheffel, in: Rechtsphilosophie der Aufklärung, S. 311, 315. 127 Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, A 6 f. (Werke Bd. 7, S. 318). 128 Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 179. 123

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(2) Das Rechtsgesetz. Auf eben diese zwangsbewehrten Regeln bezieht sich die Rechtsdefinition Kants: »Das Recht ist also der Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des andern nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann.«129 Hieraus ergibt sich das allgemeine Rechtsgesetz: »[H]andle äußerlich so, daß der freie Gebrauch deiner Willkür mit der Freiheit von jedermann nach einem allgemeinen Gesetz zusammen bestehen könne«130. In welchem Verhältnis aber steht das Rechtsgesetz als »Grundgesetz der äußeren Freiheit« zum kategorischen Imperativ, dem »Grundgesetz der inneren Freiheit«131? Wohl am überzeugendsten ist es, im Rechtsgesetz eine auf zwangsbewehrte Pflichten »spezialisierte Version des kategorischen Imperativs«132 zu erblicken. Die Rechtslehre Kants führt danach, auch wenn es Recht und Moral zu trennen gilt, kein von der Ethik unabhängiges Eigenleben133 : Die das Recht kennzeichnende »Befugnis zu zwingen«134 bedarf vielmehr moralischer Rechtfertigung. »Das heißt einmal: nur dann ist eine Zwangshandlung legitim, wenn sie auf eine Handlung gerichtet ist, deren Ausführung bzw. Unterlassung moralisch notwendig ist; und das heißt zum anderen: diejenigen moralischen Pflichten, die eine Handlung zum Gegenstand haben, deren Gegenteil mit der Freiheit von jedermann nicht übereinstimmend ist, können als zwangsermöglichende Pflichten [. . .] betrachtet werden.«135 Das von Kant als Anwendungsfall des kategorischen Imperativs formulierte Verbot falscher Versprechen läßt sich durchaus als eine solche Pflicht begreifen. Das Verbot läßt zum einen, anders als etwa das Verbot der Gleichgültigkeit gegen fremde Not, keinen Verhaltensspielraum; es ist in der Terminologie Kants eine vollkommene Pflicht. Zum anderen ist es, im Unterschied etwa zum Selbstmordverbot, eine Pflicht der Person gegen andere und nicht gegen sich selbst136 . Als vollkommener Pflicht gegen andere kann man dem Verbot nicht nur tugendethische, sondern auch eine gewisse rechtsethische Bedeutung zumessen137: Die Koexistenz von Handlungsfreiheit nach einem allgemeinen Gesetz ließe sich, überträgt man Kants Argumentation zum kategorischen Imperativ auf das Rechtsgesetz, nicht widerspruchsfrei denken, wäre die Abgabe falscher Versprechen erlaubt. Gleichwohl bedient sich Kant dieser Überlegung weder bei der Entwicklung seines Vertragsverständnisses noch überhaupt in der Rechtslehre138 , und zwar 129

Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, A 33 (Werke Bd. 7, S. 337). Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, A 34 (Werke Bd. 7, S. 338). 131 Beide zitierten Begriffe bei Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 26. 132 Kersting, wie vorige Fn. 133 So aber Ebbinghaus, in: Gesammelte Aufsätze, S. 97, 111 ff. 134 Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, A 35 (Werke Bd. 7, S. 338). 135 Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 128. 136 Vgl. zur Einteilung der moralischen Pfl ichten bei Kant Höffe, Kant, S. 191. 137 Höffe, in: Kooperativer Kommentar, S. 206, 208. 138 Dies stellt auch Höffe (wie vorige Fn.) fest, der deshalb zu Recht davor warnt, das rechtsphilosophische Gewicht des Verbots zu überschätzen. 130

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wohl mit Bedacht: Bereits bevor Kant seine Rechtslehre veröffentlichte, hatte der frühe Kantianer Schmalz versucht, die Vertragsverbindlichkeit auf die äußere vollkommene Pflicht des Versprechenden zu gründen, war dabei jedoch auf die Schwierigkeit gestoßen, daß die Verbindlichkeit des Vertrags, sofern noch keine Leistung erbracht war, vom individuellen Willen der Parteien abhing – »so bleibet an sich beyden Theilen frey, ihren Willen auch wider Willen des anderen zu ändern.«139 In der Tat dürfte es schwerfallen, allein auf der Basis des Rechtsgesetzes den Satz »pacta sunt servanda« zu begründen, denn über das Verbot, ein falsches Versprechen abzugeben, hinaus erfordert dieser Satz das an den Versprechenden gerichtete Gebot, bei seinem einmal geäußerten Willen zu bleiben. Solange aber nicht die äußere Freiheit des Versprechensempfängers durch eine Willensänderung verletzt wird (wovon man jedenfalls bei fehlender Erbringung der Gegenleistung oder sonstiger Vertrauensdispositionen auszugehen hat), bleibt der Versprechende frei, von dem Versprechen Abstand zu nehmen140. Damit fehlt der Legitimation der Vertragsverbindlichkeit ein entscheidendes Stück; der Übergang von der moralischen Bindung des Versprechenden zur korrespondierenden rechtlichen Verpflichtung und Berechtigung im Vertrag will nicht gelingen. bb) Die ergänzende Heranziehung des Vernunftpostulats Die soeben aufgezeigte Schwierigkeit, einen Erfüllungsanspruch des Vertragsgläubigers zu begründen, läßt sich in die Frage fassen, wie man dazu kommt, dem Gläubiger ein – durch Willensänderungen des Schuldners nicht mehr zu beseitigendes – Recht auf das zu gewähren, was der Schuldner zum Gegenstand eines Versprechens gemacht hat. Diese Frage spiegelt ein allgemeines Problem der Rechtslehre Kants wider: Wie gelangt man vom Rechtsgesetz, das allein auf die Formulierung von erzwingbaren Pflichten zur Gewährleistung äußerer Freiheit zielt, zum subjektiven Privatrecht, also zu einer Befugnis, andere vom Gebrauch bestimmter Gegenstände ihrer Willkür auszuschließen, ohne daß solche Gebrauchshandlungen zur Gewährleistung äußerer Freiheit nach dem Rechtsgesetz im Widerspruch stünden? Die Begründung des vertraglichen Erfüllungsanspruchs ist aus der Sicht Kants lediglich ein Sonderfall dieser Fragestellung, ist der Erfüllungsanspruch doch nichts anderes als die auf den Willen eines anderen bezogene Ausschließungsbefugnis – durch Vertrag wird »die Willkür eines anderen zu einer bestimmten Tat (praestatio)« den »äußeren Gegenständen meiner Willkür«141 zu139

Theodor Schmalz, Das reine Naturrecht, Königsberg 1795, § 117, zitiert nach Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 307 Fn. 118 (dort auch weitere Hinweise insbesondere zum Vertragsverständnis Fichtes, der den Willensmonismus auf die Spitze treiben sollte). 140 Damit soll nicht gesagt sein, daß ein solches Vertragsverständnis in der gegenwärtigen Rechtswissenschaft nicht vorkäme: So wendet sich Atiyah, Rise and Fall, S. 754 ff. u. ö. (näher zu seinem Werk oben, § 3 II 2 a) gegen die Verbindlichkeit des »executory contract«, d. h. eines Vertrags, bei dem es noch zu keiner Vertrauensreaktion zumindest einer der beteiligten Parteien gekommen ist. 141 Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, A 59 (Werke Bd. 7, S. 355).

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gehörig. Es fehlt also noch eine Begründung dafür, daß ich den anderen aufgrund des Vertrags am Gebrauch seiner Willkür hindern kann (also etwa daran, die mir versprochene Sache zu behalten), obwohl der Gebrauch der Willkür (das Behalten der Sache) für sich genommen dem Rechtsgesetz nicht widerspricht. Kant setzt gar nicht erst zur Ableitung des subjektiven Privatrechts aus dem Rechtsgesetz an, sondern konzediert, daß »wir [die das subjektive Recht kennzeichnende Ausschließungsbefugnis, T. A.] aus bloßen Begriffen vom Rechte überhaupt nicht herausbringen könnten«142. Statt dessen gründet sein Privatrechtskonzept auf der zusätzlichen Annahme, daß es möglich sei, »einen jeden äußern Gegenstand meiner Willkür als objektiv-mögliches Mein oder Dein anzusehen und zu behandeln«143. Diesen Satz nennt Kant ein Postulat, weil er einem Beweis nicht zugänglich ist144, und er nennt ihn ein Erlaubnisgesetz, weil er es mir erlaubt, einen anderen am Gebrauch eines bestimmten Gegenstandes zu hindern, obwohl mein angeborenes Recht auf äußere Freiheit (mein Leib und das, was ich physisch, d. h. unmittelbar besitze) durch die Handlung des anderen nicht verletzt wird, es mir also ohne das Erlaubnisgesetz nach dem Rechtsgesetz verboten wäre, ihn am Gebrauch seiner Freiheit zu hindern145. Erst vor diesem Hintergrund läßt sich das Privatrecht überhaupt als Ordnung des Mein und Dein entfalten und ein Recht des Vertragsgläubigers begründen, den Schuldner mit rechtlichen Mitteln zur Einhaltung seines Versprechens zu zwingen146 : Das Postulat der praktischen Vernunft zwingt den Schuldner anzuerkennen, daß seine Willkür im Hinblick auf die versprochene Leistung durch den Vertragsschluß zum äußeren Gegenstand der Willkür des Gläubigers geworden und damit in dessen rechtlichen Besitz gelangt ist147. Die Ergänzung des Rechtsgesetzes um das Erlaubnisgesetz läßt das immer wieder gegen Kant vorgebrachte Argument ins Leere laufen, das den kategorischen

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Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, A 58 (Werke Bd. 7, S. 355). Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, A 58 (Werke Bd. 7, S. 354 f.). Das Postulat fi ndet sich zwar in § 2 der Rechtslehre, gehört aber wohl, wie Ludwig, in: Rechtsphilosophie der Aufklärung, S. 218 ff., mit schlüssigen Gründen ausführt, in deren § 6. Die sich daraus ergebende textliche Verschiebung des Postulats, der eine von Ludwig edierte Neuausgabe der Metaphysischen Anfangsgründe der Rechtslehre aus dem Jahr 1986 Rechnung trägt, hat auf die hier vorgetragenen Überlegungen zum Privatrecht aber wohl keine Auswirkungen. 144 Zur fehlenden Beweisbarkeit von Postulaten vgl. Fulda, in: Metaphysische Anfangsgründe, S. 86, 94. 145 Dazu Brandt, in: Rechtsphilosophie der Aufklärung, S. 233, 256 f. In den Worten Kants verleiht uns das Erlaubnisgesetz die Befugnis, »allen anderen eine Verbindlichkeit aufzuerlegen, die sie sonst nicht hätten, sich des Gebrauchs gewisser Gegenstände unserer Willkür zu enthalten« (Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, A 58 (Werke Bd. 7, S. 355)). 146 Auf die – nicht immer erkannte – elementare Bedeutung des Vernunftpostulats weisen Brandt, in: Rechtsphilosophie der Aufklärung, S. 233, 235 ff. (dort auch zu den Gründen für die lange Zeit ungenügende Beachtung des Postulats in der Kantforschung); Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 242; Nörr, Eher Hegel als Kant, S. 48 f. Fn. 126, hin. 147 Näher zum kantischen Konzept des Besitzes mit Blick auf den Vertrag Byrd/Hruschka, 81 Chicago-Kent L.Rev. 47, 54 ff. (2006) 143

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Imperativ kennzeichnende Kriterium der Verallgemeinerbarkeit einer Maxime – entsprechend der Maßstab des allgemeinen Gesetzes der Freiheit nach dem Rechtsgesetz – liefere letztlich nur tautologische Aussagen über Moral oder Recht und lasse je nach Ausgangspunkt die Rechtfertigung unmoralischer und unrechtlicher Handlungsweisen zu. So könne widerspruchsfrei behauptet werden, es gebe kein Eigentum und dementsprechend kein Verbot des Diebstahls. Erst »[w]enn es sonst für sich fest und vorausgesetzt ist, daß Eigentum . . . sein und respektiert werden soll, dann ist es ein Widerspruch, einen Diebstahl . . . zu begehen«148. Dieser Vorwurf ließe sich gleichfalls gegen den Versuch erheben, den Satz »pacta sunt servanda« mit der Erwägung zu begründen, wer das Institut des Vertrags wolle, könne nicht gleichzeitig als allgemeine Maxime wollen, daß Verträge gebrochen werden dürfen149. Beides, Eigentum und Vertrag, leitet Kant indes nicht aus dem Rechtsgesetz allein her, sondern unter Hinzunahme des Erlaubnisgesetzes: Daß es Eigentum und Vertrag überhaupt geben soll, ist Folge des Vernunftpostulats. cc) Folgerungen für die Lösung des Legitimationsproblems Kants Vertragslehre kann, soweit man ihr rechtsdogmatische Aussagen entnehmen will, aus juristischer Sicht gewiß kritisch in den Blick genommen werden150. Doch interessiert hier nicht die rechtsdogmatische, sondern allein die rechtspolitische Verwertbarkeit der kantischen Konzeption im Hinblick auf die Frage, ob mit ihr der Versuch einer Legitimation privatrechtlicher Selbstbindung in einer pluralistischen Gesellschaft zum Erfolg geführt werden kann. Kants Entfaltung der Vertragsverbindlichkeit kommt zunächst – dies rechtfertigt die Ausführlichkeit, mit der sie hier erläutert wurde – der Verwirklichung dieses Anliegens näher als spätere juristische Kant-Adaptionen des Musters: »the contract must be kept because a promise must be kept«151. Der gegen solche Vereinfachungen auf der Hand liegende Einwand, daß sich in einer zwischen Recht und Moral unterscheidenden Gesellschaft von der moralischen Selbstbindung des Versprechenden nicht auf die rechtliche Selbstbindung der Vertragspartei schließen läßt152 , kann gegen Kants Herleitung der Vertragsverbindlichkeit nicht erho-

148 Hegel, Grundlinien, § 135 (S. 121). Näher zu diesem klassischen Argument der Kant-Kritik Brandt, in: Rechtsphilosophie der Aufklärung, S. 233, 272 ff. 149 So aber Canaris, in: FS 50 Jahre BGH Bd. 1, S. 129, 149 Fn. 79. 150 So entspricht es z. B. weder heute noch damals geltendem Recht, für den Vertragsschluß vier Willenserklärungen zu verlangen – neben dem Versprechen und seiner »Annehmung« als konstitutive Erklärungen zwei vorbereitende Erklärungen in Gestalt von »Angebot« und »Billigung« (so Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, A 98 (Werke Bd. 7, S. 38); dazu LübbeWolff, in: Rechtsphilosophie der Aufklärung, S. 286, 291 f.). Ebenso mag man bezweifeln, ob mit dem Nachweis fehlender Notwendigkeit empirisch gleichzeitiger Willenserklärungen, auf den Kant so großen Wert legt, für die Lösung der rechtlichen Probleme des zeitlichen Auseinanderfallens von Angebot und Anahme etwas zu gewinnen ist (vgl. Lübbe-Wolff, in: Rechtsphilosophie der Aufklärung, S. 286, 302). 151 Fried, Contract as Promise, S. 17. 152 Kritisch zu Fried insoweit auch Unberath, in: FS Hruschka, S. 719, 737.

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ben werden, da diese einen solchen Schluß gerade vermeidet: Der Vertragsgläubiger erhält das Recht, den Schuldner zur Einhaltung des von ihm gegebenen Versprechens zu zwingen, nicht etwa als rechtsethisches Vollstreckungsorgan zur Durchsetzung einer aus dem kategorischen Imperativ abzuleitenden Verpflichtung des Schuldners. Als Gläubiger erhalte ich dieses Recht vielmehr kraft der Erlaubnis, »einen jeden äußeren Gegenstand meiner Willkür als das Meine zu haben«153. In der Einführung des Erlaubnisgesetzes als ergänzendem Rechtfertigungselement liegt zugleich eine Abweichung von der versprechensethischen Legitimation privatrechtlicher Selbstbindung, wie sie bei Grotius anzutreffen ist: Die Begründungen der moralischen Verbindlichkeit des Versprechens und der rechtlichen Verbindlichkeit des Vertrags treten – anders als bei Grotius – deutlich auseinander. Dies hat jedoch noch keine unmittelbaren praktischen Konsequenzen. Mag man bei Kant auch eine Verschiebung des Vertragsmodells von der Versprechensübertragung zur Willenseinigung konstatieren154, so bleibt es doch bei der Grundaussage, daß vertragliche Bindung durch die (einverständliche) Inbesitznahme der Willkür eines anderen »als das Meine« konstituiert wird. Es ist allerdings zu bezweifeln, daß mit der Einführung des Vernunftpostulats das Problem der Bewahrung des Satzes »pacta sunt servanda« in einer auf christliches Gedankengut nicht mehr festgelegten Welt wirklich zu lösen ist. Die Behauptung, es müsse erlaubt sein, »einen jeden äußeren Gegenstand meiner Willkür als das Meine zu haben«, ist nämlich, was den Vertrag betrifft, nicht ohne weiteres einsichtig. Was sollte uns zu der Annahme zwingen, daß es möglich sein muß, die Willkür einer Person gleich einer Sache zu den Gegenständen der privatrechtlichen Ordnung des Mein und Dein zu machen? Die überaus knappe und erst in der neueren Kant-Forschung155 stärker beachtete Begründung, mit der Kant den Leser von dem (einem Beweis im eigentlichen Sinne nicht zugänglichen) Vernunftpostulat zu überzeugen sucht, beruht auf der Rechtswidrigkeit einer dem Postulat entgegengesetzten Maxime156 : Stünde es rechtlich nicht in meiner Macht, einen Gegenstand meiner Willkür zu gebrauchen, so würde der an sich brauchbare Gegenstand dem Gebrauch entzogen und damit zur res nullius. Ein solches Prinzip der Herrenlosigkeit führte in einen Widerspruch der äußeren Freiheit mit sich selbst, da es die nach dem Rechtsgesetz zulässige Betätigung der Freiheit ausschlösse.

153

Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, A 56 (Werke Bd. 7, S. 354). So Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 297 f. 155 Vgl. die dem Vernunftpostulat gewidmeten Beiträge von Brandt, in: Rechtsphilosophie der Aufklärung, S. 233 ff.; Fulda, in: Metaphysische Anfangsgründe, S. 87 ff.; Hruschka, 23 L. & Phil. 45 ff. (2004); Kaufmann, in: FS Hruschka, S. 195 ff.; Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 241 ff.; Ludwig, in: Rechtsphilosophie der Aufklärung, S. 218 ff. 156 Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, A 57 (Werke Bd. 7, S. 354). Zur »apagogischen«, d. h. den Opponenten von seiner Gegenthese »wegführenden« Argumentation, die hier an die Stelle des direkten Beweises tritt, Fulda, in: Metaphysische Anfangsgründe, S. 87, 94. 154

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Diese Erwägung kann auf Sachen Anwendung finden; die Willkür einer Person gehört jedoch zu deren angeborenem oder innerem Mein und ist daher niemals herrenlos157. Anders als ein herumliegender Stein, der rechtmäßigem Gebrauch entzogen ist, wenn kein Recht an ihm erworben werden kann, hat die Willkür stets einen originären Inhaber. Es ist deshalb denkbar, den Erwerb eines Rechts an fremder Willkür durch Vertrag nicht zuzulassen, ohne sich in den von Kant behaupteten Widerspruch zu verwickeln158. Dies ist nicht einmal so wirklichkeitsfern, wie es auf den ersten Blick scheinen mag: Folgt man Holmes’ (in der Sache nicht notwendig zutreffender) Interpretation des klassischen Vertragsrechts des Common Law, so reduziert sich hier vertragliche Bindung auf die Übernahme des Risikos des Nichteintritts des versprochenen Erfolgs; dem Vertragsgläubiger Rechtsmacht über die Willensfreiheit des Schuldners zuzugestehen, wie es das kantische Vernunftpostulat verlangt, ist aus dieser Sicht überflüssig, ja geradezu verwerflich159. Kants Rechtslehre läßt nach alledem zwar deutlich werden, daß in einer nicht mehr durch den Glauben an die Unverbrüchlichkeit göttlicher Verheißungen geeinten Gesellschaft der Vertrag als Akt privatrechtlicher Selbstbindung anders zu rechtfertigen ist als die moralische Selbstbindung im Versprechen. Sein Versuch, die grotianische Vorstellung vom rechtlichen Erwerb des Versprechens im Vertrag mit Hilfe des Vernunftpostulats in die Rechtslehre zu integrieren, bleibt dagegen ohne hinreichend klare Begründung. Doch sind die »Brüche und Unebenheiten«160 im Übergang vom Rechtsbegriff zum Privatrecht auch lehrreich: Kant hat, anders als manch anderer, erkannt, daß Eigentum und Vertrag nicht aus einem prozeduralen Prinzip (nämlich dem Rechtsgesetz) abzuleiten sind. Man benötigt darüber hinaus materielle Annahmen über die rechtliche Ausstattung, derer die Person jenseits ihres angeborenen Rechts der persönlichen Freiheit zur Verwirklichung ihrer Freiheit bedarf. Im Vernunftpostulat findet diese Einsicht ihren Ausdruck. Doch wirkt das Postulat in einer Lehre, die das Recht aus dem Blickwinkel der Beschränkung und nicht der Entfaltung der Freiheit betrachtet, wie ein Fremdkörper.

157 So auch Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, A 45 (Werke Bd. 7, S. 345): »Das angeborne Mein und Dein kann auch das innere (meum vel teum internum) genannt werden; denn das äußere muß jederzeit erworben werden. [. . .] Freiheit (Unabhängigkeit von eines anderen nötigender Willkür), sofern sie mit jedes anderen Freiheit nach einem allgemeinen Gesetz zusammen bestehen kann, ist dieses einzige, ursprüngliche, jedem Menschen, kraft seiner Menschheit, zustehende Recht.« 158 Die Rekonstruktion der kantischen Begründung der Möglichkeit eines vertraglichen Anspruchs bei Byrd/Hruschka, 81 Chicago-Kent L.Rev. 47, 57 ff. (2006), und bei Unberath, in: FS Hruschka, S. 719, 724 ff., geht auf diesen Einwand nicht ein. 159 Vgl. Holmes, Common Law, S. 235, mit dem Vergleich zur Sklaverei. 160 Nörr, Eher Hegel als Kant, S. 49 Fn. 126.

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d) Vertragliche Bindung als wechselseitige Anerkennung von Eigentümern (Hegel) Die Auffassung vom Recht als »Dasein des freien Willens«161 und damit die Verwirklichung von Freiheit im Recht leitet Hegels Rechtsdenken, das mithin gerade im Hinblick auf das soeben festgestellte Begründungsdefizit der kantischen Vertragskonstruktion Aufmerksamkeit verdient. Während sich Hegel mit Kant darin einig weiß, daß Freiheit nicht als Abwesenheit von Hindernissen für die Betätigung menschlicher Willkür zu verstehen, sondern daß frei, nämlich selbst- (und nicht: natur-)bestimmt nur der vernünftige Wille ist, distanziert er sich von Kants Versuch einer transzendentalen, voraussetzungslosen Rechtsbegründung. Die in der Dialektik der Anerkennung zu Tage geförderte Erkenntnis, daß das freie Selbst nicht allein in der Negation des Anderen bestehen kann, sondern die Einsicht in die Identität mit dem Anderen als freiem Subjekt erfordert, impliziert, daß das freie Subjekt nicht als isolierte, der sozialen Wirklichkeit enthobene Einheit gedacht werden kann. Dies ist die Basis dafür, soziale Institutionen als »Bedingung für die Bildung eines vernünftigen Selbstverständnisses«162 zu analysieren. Aus dieser Perspektive findet der freie Wille im Recht nicht seine Begrenzung, sondern sein »Dasein« und ist das Rechtssystem das »Reich der verwirklichten Freiheit«163. In diesen Zusammenhang fügt sich Hegels Vertragslehre ein. Wiederum ist die Frage, zu deren Beantwortung die Auseinandersetzung mit dieser Lehre beitragen soll, nur die nach der Möglichkeit der Legitimation vertraglicher Selbstbindung in der pluralistischen Gesellschaft. Für das Folgende unerheblich ist es daher, daß Hegels privat- und das heißt vor allem: römisch-rechtliche Kenntnisse wohl weder auf der Höhe der Zeit waren164 noch seine konkreten rechtlichen Vorstellungen in der Zivilrechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts Anklang fanden, deren dominierende Strömung in Gestalt der historischen Rechtsschule Hegel – trotz der übereinstimmenden Zurückweisung eines ahistorischen Naturrechts – scharf ablehnte165. Von Interesse – und in neuerer Zeit auch von deutschen und amerikanischen Rechtswissenschaftlern (wieder) beachtet166 – ist vielmehr Hegels grundlegende Weichenstellung: die Begründung des Vertrags als dem »abstrakten Recht« und 161

Hegel, Grundlinien, § 29 (S. 45). Siep, Praktische Philosophie, S. 181. Ausführlich zu Hegels Theorie der Anerkennung (in Abgrenzung zu Fichte) a.a.O., S. 172 ff.; ferner Schnädelbach, Hegels praktische Philosophie, S. 150 ff. 163 Näher zur Entwicklung dieses Gedankens bei Hegel Schnädelbach, Hegels praktische Philosophie, S. 178 ff. 164 Vgl. Villey, in: Materialien Bd. 2, S. 131, 132 ff., sowie die heftige zeitgenössische Kritik von Hugo, Göttingische Gelehrte Anzeigen 1821, 601 ff. (auszugsweise abgedruckt in: Materialien Bd. 1, S. 67 ff.) 165 Vgl. Hegels gegen Hugo gerichtete Polemik, Grundlinien, Anm. zu § 3 (S. 26 ff.). 166 Vgl. Benson, 10 Cardozo L.Rev. 1077 ff. (1989); Feinman, 10 Cardozo L.Rev. 1271 ff. (1989); Landau, in: Materialien Bd. 2, S. 176 ff.; Radin, 100 Harv.L.Rev. 1849, 1892 ff. (1987); Rosenfeld, 10 Cardozo L.Rev. 1199 ff. (1989); Stick, 10 Cardozo L.Rev. 1275 ff. (1989). 162

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damit der ersten Sphäre des Stufenbaus der Hegelschen Rechtsphilosophie zugehörig, auf die die höheren Entwicklungsstufen der Moralität und schließlich der Sittlichkeit mit den Bereichen von Familie, bürgerlicher Gesellschaft und Staat folgen. aa) Der Vertrag als Teil des abstrakten Rechts (1) Die Person. Das abstrakte Recht, dem Hegel die Materien des Privatrechts und des Strafrechts zuordnet, findet seine Grundlage in der Persönlichkeit. Im Konzept der Person formuliert Hegel das, was eingangs dieses Abschnitts als anzustrebende Lösung des Legitimitationsproblems privatrechtlicher Selbstbindung unter den Bedingungen unserer Gesellschaft bezeichnet wurde: einen Minimaltatbestand, der über alle weltanschaulichen Divergenzen in einer pluralistischen Gesellschaft hinweg Akzeptanz beanspruchen kann. Als Merkmal, welches das Individuum als Person qualifiziert, betrachtet Hegel allein das Moment der Allgemeinheit des an und für sich freien Willens167. »Allgemein« ist der Wille als das Vermögen, von jedem bestimmten Willensinhalt zu abstrahieren. Hegel beschreibt damit, was den Willen vom Trieb unterscheidet, der stets auf etwas Bestimmtes gerichtet ist. Zwar ist ein Wille ohne Inhalt nicht denkbar, aber er ist nicht auf einen bestimmten Inhalt beschränkt: »Ich kann alles Mögliche wollen; nichts Bestimmtes muß ich wollen.«168 Ein Individuum, das ein Selbstbewußtsein in dieser Form hat, ist für Hegel Person und damit rechtsfähig169. Damit wird deutlich, worin die Abstraktheit des abstrakten Rechts liegt: Das Individuum kommt darin nicht als Mensch, als moralisches Subjekt, als Familienmitglied oder Bürger, sondern als die bloße Abstraktion »Person« vor, und unbeachtet bleiben jegliche konkreten Inhalte, Motive und Bedingungen seiner Willensentschlüsse170. Diese Reduktion des Menschen auf den Status der Person hat durchaus etwas Anstößiges, ja Abfälliges, wie es umgangssprachlich in dem Ausruf »Diese Person!« zum Ausdruck kommt171. Aber sie liefert zugleich eine adäquate Beschreibung von Prämissen der modernen Gesellschaft: Zum einen läßt es die Abstraktheit der Person nicht zu, Menschen wegen bestimmter Eigenschaften (etwa wegen ihres familiären Status als Kind oder ihrer Nichtzugehörigkeit zum eigenen Volk) die Rechtsfähigkeit ganz oder teilweise vorzuenthalten. Zum anderen bringt die in der Abstraktheit liegende Beschränkung den Verzicht der neuzeitlichen Gesellschaft zum Ausdruck, rechtliche Institutionen auf die Verfolgung einer bestimmten Konzeption des Guten durch die Rechtsunterworfenen zu stützen und sie dadurch totalitär zu vereinnahmen172. Gerade dies macht 167

Grundlinien, § 35 (S. 41). Schnädelbach, Hegels praktische Philosophie, S. 182. 169 Grundlinien, § 36 (S. 52). 170 Grundlinien, § 37 (S. 52). 171 Schnädelbach, Hegels praktische Philosophie, S. 204 172 Treffend Ritter, in: Metaphysik und Politik, S. 256, 277: »Indem sich die Gesellschaft auf das sachliche . . . Verhältnis von Personen zueinander beschränkt, gibt sie dem Einzelnen als Per168

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Hegels Ansatz zum möglichen Anknüpfungspunkt für die Lösung des hier behandelten Problems. Ist damit der eingangs geforderte Minimaltatbestand der Person formuliert, so bleibt die Frage, ob und ggf. welche Konzeption privatrechtlicher Selbstbindung sich auf diesem Fundament errichten läßt. Der Begründungsweg führt dabei von der Person über das Eigentum zum Vertrag. (2) Das Eigentum. »Die Person muß sich eine äußere Sphäre ihrer Freiheit geben, um als Idee zu sein«, leitet Hegel seine Eigentumslehre ein, und man erkennt darin den Widerhall des bei Kant im Vernunftpostulat formulierten Gedankens, daß es möglich sei, »einen jeden äußern Gegenstand meiner Willkür als objektiv-mögliches Mein oder Dein anzusehen und zu behandeln«173. Was bei Kant jedoch theoretisch nicht recht eingebunden ist, wird hier zum notwendigen Bestandteil des Theorieaufbaus: Als »Idee«, d. h. als die Einheit von Vernünftigkeit und Wirklichkeit, deren Darstellung Ziel der Hegelschen Lehre ist, kann das Recht nur sein, wenn es der Person möglich ist, sich Wirklichkeit, also »eine äußere Sphäre ihrer Freiheit« zu geben, in die sie ihren Willen hineinlegen kann. Diese äußere Sphäre nennt Hegel in seiner (nicht juristischen) Terminologie das »Eigentum«174, und die Gegenstände, die ihr aufgrund menschlicher Formierung der Natur angehören175, (wiederum nicht in Befolgung juristischer Terminologie) »Sachen«. Weil Hegels Vertragsbegriff – in sogleich zu erläuternder Weise – auf das Eigentum verweist, ergeben bereits diese Festlegungen eine erste wichtige Folgerung für das Vertragsverständnis: die Beschränkung der Reichweite des Vertrags als Instrument gesellschaftlicher Selbstorganisation. Die Welt der Sachen und damit der Gegenstände, die als Eigentum besessen und veräußert werden können, ist dadurch begrenzt, daß sie nicht die Person als solche umfassen dürfen. Die Person ist unveräußerlich und der »Versachlichung« nicht zugänglich. Dies schließt es aus, mich dessen zu begeben, was »meine Persönlichkeit überhaupt, meine allgemeine Willensfreiheit, Sittlichkeit, Religion«176 , ausmacht; Sachen im Sinne Hegels, nämlich Gegenstände von Eigentum und Vertrag, können nur Anwendungen und Resultate der eigenen Fähigkeiten sein, die von der Person trennbar sind177, so daß Verträge über Dienstleistungen, Erfindungen, »selbst Religiöses (Predigten, Messen, Gebete, Segen in geweihten Dingen)« von der Hegelschen Konzeption zwar durchaus erfaßt werden. Außerhalb der Reichsönlichkeit frei, zum Subjekt in allem zu werden, was den Reichtum wie die Tiefe des nun von keiner Versachlichung berührten persönlichen, sittlich geistigen Seins ausmacht.« 173 Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, A 58 (Werke Bd. 7, S. 354 f.). Auf die Parallele weist auch Radin, 100 Harv.L.Rev. 1849, 1893 Fn. 160 (1987) hin. 174 Vgl. zur Problematik der Rede vom »Eigentum« Landau, in: Materialien Bd. 2, S. 179 f. 175 Zum Zusammenhang zwischen der Freiheit der Person und der Versachlichung der Natur näher Ritter, in: Metaphysik und Politik, S. 256, 268 ff. 176 Grundlinien, § 66 (S. 72). 177 Vgl. Grundlinien, § 43 (S. 56 f.), § 57 (S. 65), § 67 (S. 73), und dazu Schnädelbach, Hegels praktische Philosophie, S. 209.

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weite des Vertragsbegriffs, da nicht der Sphäre des Privateigentums zugehörig, liegt aber die Begründung familien- und staatsrechtlicher Institutionen. Hegel verurteilt daher gleichermaßen die noch von Kant 178 vertretene Subsumtion der Ehe unter den Begriff des Vertrags, wie er – und dies ist gewiß folgenreicher – allen neuzeitlichen Versuchen einer vertragstheoretischen Begründung des Staats eine Absage erteilt179. Das auf Eigentum und Vertrag gegründete Privatrecht bestimmt also nicht den Staatsbegriff, sondern es steht umgekehrt das Privatrecht unter dem Vorbehalt des – auf der Stufe der Sittlichkeit entwickelten – Staats, dessen notwendiges Fundament es gleichwohl bleibt. Wie auch immer das Verhältnis Privatrecht – Staat bei Hegel zu bewerten ist180 , bleibt festzuhalten: Eigentum und Vertrag sind als Figuren des abstrakten Rechts nach der Hegelschen Konzeption nur die Verwirklichung einer Dimension und nicht des gesamten Rechtsbegriffs; in ihnen drücken sich lediglich die versachlichten und veräußerlichten Beziehungen zwischen Personen aus, welche die Grundlage individueller Freiheit, aber auch – wie Hegel durchaus erkennt181 – der Probleme der bürgerlichen Gesellschaft bilden. (3) Der Vertrag. Die »Sphäre des Vertrags« ist für Hegel durch die »Vermittelung« gekennzeichnet, »Eigentum nicht mehr nur vermittelst einer Sache und meines subjektiven Willens zu haben, sondern eben vermittelst eines anderen Willens«182. Dieser Übergang vom Eigentum zum Vertrag wird vor dem Hintergrund der Lehre von der Anerkennung verständlich: »Der Vertrag setzt voraus, daß die darein Tretenden sich als Personen und Eigentümer anerkennen.«183 Hierzu muß man sich zunächst die intersubjektive Beziehung vor Augen führen, die dem abstrakten Recht insgesamt zugrunde liegt: »Im abstrakten Recht habe Ich das Recht, und ein anderer die Pflicht gegen dasselbe.«184 Stets ist, wenn mein im Eigentum liegendes Recht angesprochen ist, auch die damit korrespondierende Pfl icht eines anderen, gleichfalls mit Personalität ausgestatteten Individuums mitgedacht. Es geht, anders gewendet, im abstrakten Recht nicht nur darum, (eigentumsfähige) Person zu 178

Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, A 106 ff. (Werke Bd. 7, S. 389 ff.). Grundlinien, § 75 (S. 80). 180 Vgl. zur ambivalenten Bestimmung des Verhältnisses Privatrecht – Staat bei Hegel Landau, in: Materialien Bd. 2, S. 176; 189 f.; Nörr, Eher Hegel als Kant, S. 52; Schnädelbach, Hegels praktische Philosophie, S. 212 181 Vgl. Grundlinien, § 185 (S. 166): »Die bürgerliche Gesellschaft bietet [. . .] das Schauspiel ebenso der Ausschweifung, des Elends und des beiden gemeinschaftlichen physischen und sittlichen Verderbens dar.« Dazu Ritter, in: Metaphysik und Politik, S. 256, 275. 182 Grundlinien, § 71 (S. 78). 183 Grundlinien, Anm. zu § 71 (S. 78 f.). – Die Bedeutung der gegenseitigen Anerkennung der vertragschließenden Subjekte als gleich(berechtigt) für die Vertragsverbindlichkeit ist – wenn sie dort auch nicht mit dem Namen Hegels verbunden wird – insbesondere auch in der völkerrechtlichen Lehre präsent; vgl. Hillgruber, ARSP 85 (1999), 348, 360. 184 Grundlinien, § 155 (S. 148). Vgl. dazu auch Benson, 10 Cardozo L.Rev. 1077, 1175 f. (1989). 179

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sein, sondern auch darum, den anderen als (eigentumsfähige) Person zu respektieren185. Hier wird der eingangs angeführte Anerkennungsgedanke nachvollzogen: die Erkenntnis, daß das freie Selbst nicht allein in der Negation des Anderen bestehen kann, sondern die Einsicht in die Identität mit dem Anderen als freiem Subjekt erfordert. Im Vertrag wird nichts anderes als eine intersubjektive Beziehung zwischen Eigentümern erfaßt. Ihr Charakteristikum liegt darin, daß sich hier der Wille beider Seiten nicht einfach auf die den Eigentumsgegenstand bildende Sache186 , sondern jeweils auf den Willen des anderen bezieht: Der Wille des Veräußerers ist darauf gerichtet, daß der Erwerber seinen Willen in die ihm, dem Veräußerer, gehörende Sache hineinlegt und dadurch ihr Eigentümer wird; und der Wille des Erwerbers ist darauf gerichtet, die Sache als eine im Eigentum des Veräußerers stehende, also seinem Willen unterworfene zu erwerben. Dies macht die dem Vertrag eigentümliche »Beziehung von Willen auf Willen«187 aus und unterscheidet ihn von einer bloßen Kombination aus Dereliktion und Aneignung. Vollständig verwirklicht findet Hegel diese Beziehung im Tauschvertrag, den er – in Gegenüberstellung zum bloß »formellen« Schenkungsvertrag – »reell« nennt, insofern im Willen jeder der beiden Vertragsparteien die den gemeinsamen Willen ausmachenden Momente der Entäußerung und der Annahme einer Sache repräsentiert sind188. Die Rede von der Beziehung von Willen auf Willen im Vertrag darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß in Hegels Konzeption die Willenseinigung der Parteien allein den Vertrag nicht erklärt. Anders als bei Grotius und auch noch bei Kant entäußert sich der Versprechende im Vertrag nach Hegels Verständnis nicht eines Teils seiner Freiheit, den der Empfänger durch die Annahme erwirbt. Der Vertrag ist vielmehr durch seinen Bezug auf das Eigentum charakterisiert, also auf die äußere Sphäre, die sich die Person gibt; er ist nur ein Instrument »zur Erhaltung und allgemeinen Anerkennung von Eigentum«189. Eine Konsequenz dieser Sicht für die Bedeutung des Vertrags wurde bereits angeführt: Der Vertrag kann, wenn er so verstanden wird, nicht mehr als universeller Legitimationsmechanismus eingesetzt werden. Eine andere Konsequenz betrifft die Vorausetzungen, unter denen ein Vertrag Geltung beanspruchen kann: Die wechselseitige Anerkennung von Eigentümern, wie sie sich im Tauschvertrag vollzieht, impliziert, daß »jeder mit seinem und des anderen Willen aufhört, Eigentümer zu sein, es bleibt und es wird«190. Anders als die äußerlichen Sachen, welche ihren Eigentümer im Tausch wechseln, bleibt das »an sich seiende Eigentum« im Tauschvertrag identisch. Hieraus leitet 185 Grundlinien, § 36 (S. 52). Kritisch zur unbefriedigenden Herleitung des intersubjektiven Bezugs Schnädelbach, Hegels praktische Philosphie, S. 205. 186 Von »Eigentum« und »Sache« ist hier, daran sei erinnert, nur in der soeben erläuterten Hegelschen Terminologie und nicht im juristischen Sinne die Rede. 187 Grundlinien, § 71 (S. 78). 188 Grundlinien, § 76 (S. 81). 189 Landau, in: Materialien Bd. 2, S. 176; 185. 190 Grundlinien, § 74 (S. 79; Hervorhebungen im Original).

II. Von der versprechensethischen zur funktionalistischen Sicht

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Hegel das Erfordernis der Wertgleichheit der ausgetauschten Gegenstände als Voraussetzung der Vertragsgültigkeit ab, die er im gemeinrechtlichen Institut der laesio enormis wiederfindet191. Die im Satz »stat pro ratione voluntas« zum Ausdruck kommende formelle Privatautonomie der Parteien legitimiert die vertragliche Bindung danach nicht; entscheidend ist die Verwirklichung von Äquivalenz im Austauschverhältnis192. bb) Folgerungen für die Lösung des Legitimationsproblems Schon lange bevor man in der Rechtswissenschaft überhaupt daran dachte, von einer Krise des liberalen Vertragsdenkens, vom Niedergang oder gar Tod des Vertrags zu sprechen, war in der Rechtsphilosophie die klassische, auf die Verbindlichkeit des Versprechens gestützte Legitimation privatrechtlicher Selbstbindung im Vertrag in Frage gestellt. Dies belegt Hegels Vertragslehre: Sie gibt den Versuch auf, ein dem Privatrecht vorausliegendes, universelles Selbstbindungskonzept zu formulieren, das (auch) für den privatrechtlichen Vertragsbegriff prägend werden kann. An seine Stelle tritt ein privatrechtsspezifischer Vertragsbegriff, der sich auf die wechselseitige Anerkennung von »Eigentümern« (verstanden als die Inhaber einer äußeren und veräußerbaren Rechtssphäre) beschränkt. Diese Abkehr von der vertragstheoretischen Tradition des Naturrechts trägt der Einsicht Rechnung, daß es, wie die Auseinandersetzung mit Kant gezeigt hat, nicht gelingt, Recht im allgemeinen und Vertragsrecht im besonderen aus einer vorrechtlichen, außerhalb sozialer Wirklichkeit stehende Konzeption der Person zu entwickeln. Die sich im Vertrag bindende Person wird bei Hegel vielmehr im abstrakten Recht konstituiert, und das abstrakte Recht wiederum ist die erste Stufe der Entfaltung der sozialen Bedingungen, die Freiheit überhaupt erst ermöglichen. Die Legitimität des Vertrags ergibt sich daraus, daß der Vertrag, wie man in Anknüpfung an einen Versuch der Reaktualisierung der Hegelschen Rechtstheorie sagen kann, zu »denjenigen sozialen Daseinsformen« zählt, »die sich im Interesse an der Verwirklichung des ›freien Willens‹ als soziale Grundgüter erweisen lassen«193. Die darin liegende fundamentale Abweichung von der versprechensethischen Tradition läßt sich wie folgt verdeutlichen: Die versprechensethische Konzeption begreift die rechtliche Bindung im Vertrag als Zwang, der dem Gebundenen durch den Verweis auf das moralische Gebot vertragskonformen Verhaltens einsichtig gemacht wird – dem nach dem Sinn der Bindung Fragenden würde man erklären: »Du wirst äußerlich nur an dem festgehalten, was du selbst aufgrund deines Versprechens als innere Beschränkung deiner Freiheit begreifen mußt.« Mit der Hegelschen Konzeption würde man anders antworten: »Nur durch deine Bindung 191

Grundlinien, § 77 (S. 81). Hegels Rechtfertigung der laesio enormis impliziert freilich keine allgemeine »Forderung der Gleichheit in Austeilung des Erdbodens oder gar des weiter vorhandenen Vermögens«, gegen die Hegel sich nachdrücklich wendet (Grundlinien, § 49 Anm. (S. 61); Hervorhebung im Original). Näher zu Hegels Äquivalenzvorstellung Landau, in: Materialien Bd. 2, S. 176, 182 ff. 193 Honneth, Leiden an Unbestimmtheit, S. 32 f. 192

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funktioniert ein sozialer Mechanismus, dessen du selbst bedarfst, um frei und das heißt: Person sein zu können.« Diese Antwort hat gegenüber jener den Vorteil, daß sie ohne den Bezug auf die Innerlichkeit des Subjekts auskommt, und eben dieser Vorteil ist entscheidend, wenn es – wie hier – nicht um die Erkenntnis ontologischer Gegebenheiten, sondern darum geht, einen mit den Bedingungen der modernen Gesellschaft vereinbaren Begriff privatrechtlicher Selbstbindung zu bilden. Man darf, um dies zu erreichen, die sich selbst rechtlich bindende Person nicht als allen kommunikativen Zusammenhängen vorgegebenes Datum verstehen, sondern muß die privatrechtliche Selbstbindung aus diesen – als freiheitsermöglichend interpretierten – Zusammenhängen ableiten, die mithin den Ausgangspunkt der Begründung bilden. Das eingangs dieses Abschnitts beschriebene Dilemma erfährt dadurch eine Auflösung, die zugleich das Ende der versprechensethischen Legitimation bedeutet. Die Umstellung der Vertragslegitimation führt freilich zu dem neuen Problem der Rekonstruktion des Vertragsrechts als freiheitsermöglichende gesellschaftliche Institution. Insoweit ist fraglich, ob der Vertrag als Figur des abstrakten Rechts ausreichend bestimmt ist, um der Gestaltung des Vertragsrechts rechtspolitische Orientierung zu bieten. Hegels Versuch, sein Konzept zur Stützung einer konkreten vertragsrechtlichen Regelung, nämlich der über die laesio enormis, anzuwenden, weckt insoweit Zweifel: Die These, daß der Wert der Leistung und der Wert der Gegenleistung im »reellen« Vertrag nicht in einem Mißverhältnis zueinander stehen dürfen, ist nur dann haltbar, wenn sich eine Methode zur Wertbestimmung angeben läßt. Für Hegel bemißt sich der Wert der Sache nach dem Bedürfnis; sein Wert soll, die Vergleichbarkeit aller Bedürfnisse miteinander vorausgesetzt, abstrahierend in Geld ausgedrückt werden können194. Indes ist in der Persönlichkeit, wie sie uns im abstrakten Recht gegenübertritt, nur die Allgemeinheit des für sich freien Willens enthalten195. Bedürfnisse aber werden erst erkennbar, wenn man die Person mit einem bestimmten Willen ausstattet. Daher ist es nicht ohne weiteres nachvollziehbar, wie ein auf die Herstellung eines Äquivalenzverhältnisses zwischen den Parteien gerichtetes Vertragsverständnis als Figur des abstrakten Rechts zu entwickeln ist. Da Hegels Vertragslehre auch sonst eine Rückbindung vertragsrechtlicher Regeln an seine allgemeine Konzeption vermissen läßt, bleibt für den nach rechtspolitischer Orientierung suchenden Juristen als Ertrag im wesentlichen die Grundaussage festzuhalten: Unter den Bedingungen der modernen Gesellschaft ergibt sich die Legitimation der rechtlichen Bindung im Vertrag nicht »aus der bindenden Kraft des Versprechens als eines moralischen Akts der Person«196 , sondern aus der Zugehörigkeit des privatrechtlichen Vertrags zu den Grundstrukturen einer Gesellschaft, die jedem ihrer Mitglieder Autonomie ermöglicht. 194 195 196

Dazu Landau, in: Materialien Bd. 2, S. 176, 182. Hegel, Grundlinien, § 35 (S. 51); siehe oben, Abschnitt aa) (1). Larenz, Allgemeiner Teil7, S. 41; ebenso Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, § 2 Rz. 32 (S. 32).

II. Von der versprechensethischen zur funktionalistischen Sicht

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e) Die Politik privatrechtlicher Selbstbindung nach dem Ende der versprechensethischen Legitimation Die Rekonstruktion der Entwicklung der Vertragslegitimation von Grotius über Kant zu Hegel ist kein sich selbst genügender philosophiegeschichtlicher Exkurs, sondern hat konkrete Folgen für die Politik des Vertragsrechts und, um zu der hier eingeführten Begrifflichkeit zurückzukehren, der privatrechtlichen Selbstbindung überhaupt: Es läßt sich hieraus lernen, mit welchen Argumenten die rechtspolitische Diskussion über Regeln für private Selbstbindungen im allgemeinen und die Sanktionsproblematik im besonderen in unserer Gesellschaft sinnvoll geführt werden kann und welche Argumente sich nicht dazu eignen. aa) Abschied vom privatrechtlichen Moralismus Um mit letzterem zu beginnen: Wenn, wie es der hiesigen Auffassung entspricht, rechtliche Sanktionen für Selbstbindungstatbestände dem Rechtsunterworfenen gegenüber nicht durch den Rekurs auf dessen moralische Bindung im Versprechen gerechtfertigt werden können, verlieren jegliche Versuche ihr Fundament, bestimmte Voraussetzungen oder Folgen privatrechtlicher Selbstbindung in der Tradition dessen, was man privatrechtlichen »Moralismus« nennen kann, als ethisch geboten oder ontologisch vorgegeben darzustellen. Es ist, da man sich auf einen universellen Selbstbindungstypus nicht berufen kann, eben nicht ausgemacht, daß die »wahre« privatrechtliche Selbstbindung auf dem Willensprinzip beruht und alle anderen Ansätze kompromißhaft oder gar rückständig und jedenfalls von geringerer ethischer Dignität sind. Ebensowenig wie der Tatbestand der privatautonomen Bindung sind ihre Rechtsfolgen notwendig mit dem Gedanken der Willensverwirklichung verknüpft: Der Erfüllungsanspruch ist zumindest nicht schon deshalb die Regelgestalt vertraglicher Haftung, weil die Rechtsordnung insoweit nur eine qua eigenem Willen selbst auferlegte Pflicht nachvollziehen muß – eine solche Ineinssetzung innerer und äußerer Verpfl ichtung wäre einem freiheitlichen Gemeinwesen schwerlich angemessen. Dies bedeutet nicht, daß man nicht doch zu dem Ergebnis kommen könnte, daß privatautonom gebunden nur sein sollte, wer zumindest das Bewußtsein rechtserheblichen Handelns hat, und ebenso, daß Selbstbindungstatbestände regelmäßig eine rechtlich durchsetzbare Erfüllungspflicht zur Folge haben sollten. Nur dürfen solche Ergebnisse nicht auf versprechensethische Postulate gegründet werden. bb) Hinwendung zum privatrechtlichen Funktionalismus Die rechtspolitische Diskussion hat vielmehr bei dem anzusetzen, was die Regelung privatrechtlicher Selbstbindung in einer pluralistischen Gesellschaft nach dem zuvor Gesagten überhaupt nur zu leisten vermag: eine rechtliche Struktur herzustellen, die dem einzelnen die Entfaltung seiner Freiheit in der Gesellschaft ermöglicht. Dies ist allerdings eine Aufgabe, die das Recht schlechterdings und nicht nur das Recht privater Selbstbindungen erfüllen sollte. Rechtliche Regelun-

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§ 4 Die Legitimation privatrechtlicher Selbstbindung

gen des Vertrags und anderer Selbstbindungstatbestände können und sollen dieses Anliegen nur im Hinblick auf einen bestimmten Bereich gesellschaftlicher Kommunikation verwirklichen – eben den Bereich, innerhalb dessen sich die Leitfrage dieser Untersuchung stellt: kommunikatives Verhalten, mit dem einzelne Mitglieder der Gesellschaft normative Erwartungen anderer wecken. Damit tritt an die Stelle des Bestrebens, eine im subjektiven Willen wurzelnde Vorstellung von Selbstbindung rechtlich umzusetzen, als Dreh- und Angelpunkt der rechtspolitischen Überlegungen das Ziel, normativitätsstiftendes Verhalten durch rechtliche Mechanismen so zu steuern, daß es den einzelnen erlaubt ist, ihre Freiheit zu entfalten. Tatbestandsvoraussetzungen und Rechtsfolgen des Vertrags oder anderer Formen privatrechtlicher Selbstbindung sind, wenn man von dieser Fragestellung ausgeht, nichts Naturgegebenes, sondern Annäherungen an die Lösung eines komplexen Problems: Wollte man die Haftung auf dieser Basis ohne weiteres an den Willen desjenigen anknüpfen, der durch sein Versprechen oder eine andere Verhaltensweise eine normative Erwartung weckt, so übersähe man, daß es darum geht, durch die Anordnung privatrechtlicher Sanktionen die Freiheit aller in solchen kommunikativen Beziehungen Stehenden optimal zu wahren und zu fördern. Diese sind sämtlich nur dann dazu in der Lage, Versprechen abzugeben oder sich darauf zu verlassen, wenn sie abschätzen können, was ein Versprechen im kommunikativen Verkehr überhaupt zählt. Freiheit im Bereich normativitätsstiftenden Verhaltens zu ermöglichen, heißt deshalb, eine rechtliche »Infrastruktur« bereitzustellen, welche die sozialen Mechanismen der Bildung normativer Erwartungen zwischen allen sich dieser Mechanismen bedienenden Individuen freiheitstheoretisch optimiert. Das im historischen und im internationalen Vergleich immer wieder konstatierte Schwanken der Privatrechts zwischen der Betonung subjektiver und objektiver Erfordernisse für Selbstbindungstatbestände ist vor diesem Hintergrund als Ausdruck der Schwierigkeit zu verstehen, hier zu einer angemessenen Lösung zu kommen. Auch die Suche nach passenden Rechtsfolgen für Selbstbindungstatbestände gestaltet sich schwieriger, als es nach der versprechensethischen Sicht scheinen mag. Mit der überholten Vorstellung, im Vertrag übertrage der Versprechende dem Empfänger einen Teil seiner Willensfreiheit, geht zumindest auch der scheinbar naturgegebene Vorrang verloren, den – außerhalb der Welt des Common Law – der Erfüllungszwang bei der Sanktionsauswahl genießt. Welche Sanktion geeignet ist, bemißt sich vielmehr wiederum nur danach, was der Freiheitsentfaltung aller Beteiligten am besten dienlich ist. Nun ist es allerdings ein aussichtsloses Unterfangen, die Regelungen privatrechtlicher Selbstbindung in unmittelbarem Durchgriff auf das Grundanliegen der Freiheitsentfaltung zu formulieren – wer bei der Beantwortung konkreter Fragen wie der nach der sinnvollen Ausgestaltung der Haftung für anfängliche Unmöglichkeit die »Freiheit« im Munde führt, muß sich den gleichen Vorwurf gefal-

II. Von der versprechensethischen zur funktionalistischen Sicht

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len lassen wie ein Jurastudent, der meint, bei der Lösung einer Privatrechtsklausur auf die »Gerechtigkeit« rekurrieren zu müssen: Die pathetische Rede von Freiheit oder Gerechtigkeit bemäntelt hier nur die Dürftigkeit der eigenen Argumentation und fördert die Problemlösung ungefähr ebensoviel, wie etwa Einsichten über den Sinn des Reisens bei der Konstruktion eines Flugzeugs weiterhelfen. In dem hier zu entwickelnden Konzept geht es bei der Bezugnahme auf den Freiheitsgedanken jedoch nicht um ein rechtspolitisch oder rechtsdogmatisch operationalisierbares Kriterium – in den »operativen« Teilen der Untersuchung (bei der rechtspolitischen Ausführungen in den §§ 5–7 und bei den rechtsdogmatischen im zweiten Teil) wird davon kein Gebrauch gemacht werden. Vielmehr soll damit nur die Rechtfertigung sozialer Institutionen offengelegt werden, zu deren Funktionieren die Regeln der privatrechtlichen Selbstbindung beitragen sollen. Die funktionalistischen Überlegungen, mit denen dieser Ansatz ausgeführt wird, erhalten so das legitimatorische Fundament, dessen sie bedürfen, um nicht der Beliebigkeit preisgegeben zu sein. Das sei kurz erläutert: Aus funktionalistischer Sicht werden die diversen Regelungen privatrechtlicher Selbstbindung als Lösungen des allgemeinen gesellschaftlichen Problems der Stabilisierung normativer Erwartungen wahrgenommen. Ihre Besonderheit besteht darin, daß sie solche Erwartungen nicht – wie die heteronome Inpflichtnahme des einzelnen durch das öffentliche Recht einschließlich des Strafrechts, aber auch durch das Deliktsrecht – abhängig von ihrem Inhalt, sondern abhängig von der Zuständigkeit des Adressaten für ihre Begründung stabilisieren197: Die Erwartung des Verkäufers, daß der Käufer den geschuldeten Preis Zug um Zug gegen die versprochene Ware zahlt, wird von der Rechtsordnung geschützt, weil der Käufer diese Erwartung durch die Abgabe einer Willenserklärung in zurechenbarer Weise geweckt hat, und nicht, weil der von dem Verkäufer erwartete Leistungsaustausch als bedürfnisgerecht zu bewerten ist und deshalb von einer externen Instanz sanktioniert wird. Heteronom und autonom begründete rechtliche Bindungen sind aber, wenn man allein auf die Erfordernisse der Selbsterhaltung eines sozialen Systems abstellt, austauschbar, solange sie nur die gewünschte Stabilisierungsleistung erbringen. Es bestünde aus dieser Perspektive daher kein grundsätzlicher Einwand dagegen, die dezentrale Koordinierung der Individuen im Vertrag durch ein zentral gelenktes Zuteilungsverfahren zu ersetzen, das die Aufgabe einer bedürfnisgerechten Versorgung übernimmt. An die Stelle der Selbstbindung tritt dann die Fremdbindung als rechtliches Instrument: Die Erwartung, von einer anderen Person einen bestimmten Geldbetrag für eine bestimmte Leistung zu erhalten, wird rechtlich geschützt, wenn ein solcher Leistungsaustausch seinem Inhalt nach die von der Rechtsordnung aufgestellten Kriterien für die Bedürfnisgerechtigkeit erfüllt, und nicht, weil diese Erwartung von dem Partner des Leistungsaustauschs zurechenbar veranlaßt wurde.

197

Siehe oben, § 4 I.

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§ 4 Die Legitimation privatrechtlicher Selbstbindung

Bliebe man hierbei stehen, erlaubte ein funktionalistischer Ansatz keine Antworten auf die Fragen, ob, in welcher Form und in welchem Umfang rechtliche Selbstbindungsmechanismen in einer Gesellschaft zur Verfügung gestellt werden sollen – es wäre alles beliebig. Festen Boden unter den Füßen hat man erst, wenn man zusätzlich in den Blick nimmt, daß in unserer Gesellschaft ein bestimmtes Legitimationsparadigma wirksam ist: die normative Vorstellung von der Ermöglichung individueller Freiheit durch (Privat-)Recht. Ausgehend von dieser Vorstellung ist es möglich, soziale Strukturen als freiheitssichernde Institutionen wertend zu betrachten und, konkreter, die Bedingungen anzugeben, unter denen solche Institutionen funktionieren. Soweit sich die Figur der privatrechtlichen Selbstbindung als diesen Bedingungen zugehörig erweisen läßt, ist der Anschluß an das Legitimationsparadigma geglückt. Diese Verbindung gilt es im folgenden Abschnitt herzustellen.

III. Die privatrechtliche Selbstbindung als Instrument der Freiheitssicherung 1. Stabilisierungsleistung und Freiheitsgedanke Für die Begründung normativer Erwartungen wird bei der Selbstbindung die gebundene Person und nicht – wie bei der Fremdbindung – ihre Umwelt als zuständig erachtet198. Die formale Unterscheidung zwischen autonomer und heteronomer Bindung läßt sich nunmehr für das Privatrecht mit Inhalt füllen: Sie im Privatrecht aufzugreifen, ist sinnvoll und erforderlich, wenn dies zur Stabilisierung der zur Bildung normativer Erwartungen führenden kommunikativen Prozesse zwischen den Mitgliedern der Gesellschaft beiträgt. In dieser Hinsicht schließt sich der hiesige Ansatz dem Konzept der sozialen Selbstbindung199 an. Aber diese Stabilisierungsleistung allein reicht als Leitschnur für die Formulierung von Selbstbindungstatbeständen nicht aus: Der vorige Abschnitt hat zu dem Ergebnis geführt, daß in der gegenwärtigen Gesellschaft die mit privatrechtlicher Selbstbindung verbundene rechtliche Sanktion dem Rechtsunterworfenen gegenüber nur damit gerechtfertigt werden kann, daß sie Teil einer seine Freiheit sichernden, ja überhaupt erst ermöglichenden sozialen Infrastruktur ist. Hierin liegt ein Unterschied zur Theorie der sozialen Selbstbindung, welche den nach der hier vertretenen Auffassung notwendigen Bezug der Selbstbindung auf den Freiheitsgedanken nicht recht deutlich werden läßt 200. 198

Siehe oben, § 4 I. Dazu oben § 4 II 1 b bb. 200 Vgl. einerseits Köndgen, Selbstbindung, S. 133, mit der Aussage, festzuhalten sei »der Kernbestand der Vertragsfreiheit«, und S. 420, wo darauf hingewiesen wird, daß das Beispiel der Haftung für Werbung zeige, »was hier, unter voller Wahrung des Freiheitsgedankens, an zusätzlicher privatrechtlicher Erwartungssicherheit möglich ist«; andererseits S. 110 mit einer kri199

III. Die privatrechtliche Selbstbindung als Instrument der Freiheitssicherung

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Dies bleibt nicht ohne Auswirkungen auf die Theoriearchitektur: Die sozialen Handlungszusammenhänge, in die vertragliche Beziehungen eingebettet sind, bleiben in der Theorie der sozialen Selbstbindung unbewertet und gehen somit in Gestalt der vertragsrechtlichen Differenzierungsprinzipien »soziale Rolle« und »Systemreferenz« ohne hinreichend erkennbare Filterung in das Recht ein. (Quasi-)Vertragsrecht stabilisiert danach normative Erwartungen stets so, wie es im jeweiligen sozialen Kontext angezeigt erscheint. Die marktmäßige Tauschbeziehung verliert vor diesem Hintergrund ihren paradigmatischen Charakter für das Vertragsrecht: Obwohl dem Markt als Systemreferenz noch prominente Bedeutung zukommt, wird doch, wie bereits erwähnt 201, dem »altliberalen«202 Vertragsmodell die Leitfunktion, die es Ende des 19. Jahrhunderts gehabt haben soll, abgesprochen und der Glaube an das seine Rechts- und Tauschbeziehungen zum eigenen Nutzen schöpferisch gestaltende Individuum als »wahrhaft großbürgerliches Privatrechtsverständnis, gesalbt mit dem Pathos der Gründerjahre«203, zum Anachronismus gestempelt. In der Tat sind in der v. a. in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts blühenden, soziologisch ausgerichteten Rechtswissenschaft mannigfache Belege für den Niedergang dieses Modells zusammengetragen worden 204. Diese fügen sich, wie man nur wenig vergröbernd sagen kann, zu dem Bild einer wohlfahrtsstaatlich geprägten Gesellschaft zusammen, in welcher der Markttausch zwischen Personen, die ihren Präferenzen ungestört nachzugehen in der Lage sind, beinahe schon zur marginalen Erscheinung geraten ist. Anders der hier verfolgte Ansatz: Ihm gilt der Markt als primäres Bezugssystem für die Formulierung privatrechtlicher Selbstbindungstatbestände. Diese grundsätzliche Abweichung vom Konzept der sozialen Selbstbindung hat ihren Grund nicht darin, daß der geschilderte empirische Befund unzutreffend oder überholt wäre. Eine Auseinandersetzung darüber, ob die Bedingungen des liberalen Vertragsmodells den sozialen Kontext realer vertraglicher Beziehungen angemessen beschreiben, soll hier nicht aufgenommen werden. Der Markt wird hier vielmehr aus normativen Erwägungen in den Mittelpunkt gestellt: Eine ihrem Selbstverständnis nach pluralistische Gesellschaft benötigt, soweit sie darauf verzichtet, ihre Mitglieder als Träger bestimmter Anschauungen in Anspruch zu nehmen, den Markt, damit ein stabiles Zusammenleben gewährleistet werden kann. Märkte wiederum funktionieren nicht voraussetzungslos. Wie jede soziale Institischen Bemerkung über die Einstufung von Zurechnungsprinzipien, »die sich nicht auf den Freiheitsgedanken reduzieren lassen, als solche minderer Dignität«. 201 Siehe oben, § 4 II 1 b bb. 202 Köndgen, Selbstbindung, S. 137. 203 Köndgen, Selbstbindung, S. 138. – Köndgens spätere Rezeption der ökonomischen Analyse des Rechts mag allerdings bedeuten, daß er an dieser Kritik, die mit dem nutzenmaximierenden Individuum ja auch die Vorstellung vom homo oeconomicus zum Angriffspunkt hat, nicht notwendig festhalten will. 204 Vgl. außer der Darstellung Köndgens, Selbstbindung, S. 118 ff., insbesondere Atiyah, Rise and Fall, passim; näher zu den »socio-legal studies« anglo-amerikanischer Provenienz oben, § 3 II 2 a.

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§ 4 Die Legitimation privatrechtlicher Selbstbindung

tution und anders als die Anarchie des Hobbesschen Naturzustandes sind sie nicht einfach »da«205, sondern bedürfen eines institutionellen Rahmens. Hierzu gehören auch Formen privatrechtlicher Selbstbindung. Das unserer Gesellschaft angemessene Konzept privatrechtlicher Selbstbindung ist also im Ausgangspunkt marktfunktional 206 : Vorrangiges Bezugssystem für die Formulierung privatrechtlicher Selbstbindungstatbestände ist der Markt (dazu 2 a)). Dem entspricht es, die Person, die Adressat der privatrechtlichen Selbstbindung ist, als homo oeconomicus aufzufassen (dazu 2 b)). Die privatrechtliche Selbstbindung hat vor diesem Hintergrund eine ganz bestimmte Aufgabe: Sie unterstützt die sonst meist zum Scheitern verurteilte Kooperation zwischen homines oeconomici (dazu 2 c)). Der »Export« von Instrumenten rechtlicher Selbstbindung in Bereiche, in denen eine Gesellschaft nicht marktförmig verfaßt ist (dazu 3)), ändert nichts an der primären Ausrichtung privatrechtlicher Selbstbindung auf den Markt.

2. Markt und privatrechtliche Selbstbindung a) Freiheitssicherung durch die soziale Institution »Markt« Was den Markt in der hier interessierenden Hinsicht vor allem auszeichnet, hat bereits Max Weber treffend formuliert: »Die Marktgemeinschaft als solche ist die unpersönlichste praktische Lebensbeziehung, in welche Menschen miteinander treten können. [. . .] Wo der Markt seiner Eigengesetzlichkeit überlassen ist, kennt er nur Ansehen der Sache, kein Ansehen der Person, keine Brüderlichkeits- und Pietätspflichten, keine der urwüchsigen, von den persönlichen Gemeinschaften getragenen menschlichen Beziehungen.«207 Dies stimmt mit Durkheims Sicht der Beziehung zwischen den Partnern des Markttausches überein: »Im Vollzug des Tausches bleiben die verschiedenen Tauschpartner einander äußerlich, und sobald das Geschäft beendet ist, ist jeder auf sich selbst verwiesen und zieht sich gänzlich auf sich selbst zurück. Ihr jeweiliges Bewußtsein berührt sich nur oberflächlich, durchdringt einander nicht, noch verbindet es sich mit Nachdruck.«208 Die in diesen Beschreibungen zum Ausdruck kommende Reduktion zwischenmenschlicher Beziehungen auf Märkten mag – nicht anders als Hegels Darstellung des abstrakten Rechts – zunächst wenig einnehmend wirken. Doch liegt eben darin die Attraktivität des Marktes für eine pluralistische Gesellschaft, deren Cha205

Richter/Furubotn, Institutionenökonomik, S. 322; ebenso Homann/Suchanek, Ökonomik, S. 273 ff. 206 Treffend bereits Coleman, Risks and Wrongs, S. 105: »[I]n liberal legal cultures, the best interpretation of contract law sees contractual norms in terms of the role they can play in guarding against market failure and, thereby, in creating and sustaining markets. Markets in turn are attractive to the liberal because of the contribution they can make to social stability.« 207 Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 382 f. Ebenso Simmel, Philosophie des Geldes, S. 393. Vgl. aus neuerer Zeit m.w.Nachw. Kraemer, Markt der Gesellschaft, S. 20 ff. 208 Durkheim, Über soziale Arbeitsteilung, S. 259 f.

III. Die privatrechtliche Selbstbindung als Instrument der Freiheitssicherung

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rakteristikum es gerade ist, ihre Mitglieder in möglichst geringem Umfang auf all die weltanschaulichen Prämissen zu verpflichten, denen »Brüderlichkeits- und Pietätspflichten« entspringen. Im Markt fi ndet die Gesellschaft die Form der Organisation sozialer Beziehungen, die der negativen Freiheit bestmöglich Rechnung trägt, da sie unabhängig von Festlegungen der in der Gesellschaft vereinigten Individuen auf übereinstimmende Vorstellungen über Wahres oder Gutes funktioniert. Wenn sich Tauschinteressenten auf einem Markt begegnen, kommt es allein darauf an, ob sie sich in der Sache, nämlich in der Bestimmung der Tauschbedingungen, einig sind. Aufgrund dieser Eigenschaft – und nicht etwa nur wegen seines Potentials zur Steigerung gesamtwirtschaftlichen Wachstums oder individuellen Wohlstands – hat der Markt, wie schon oft betont worden ist 209, fundamentale Bedeutung für die pluralistische Gesellschaft. Nun ist die negative Freiheit, wie sie der Markt gewährleistet, seit jeher heftigen Angriffen ausgesetzt. Sie sei, um nur wenige neuere Beispiele210 zu nennen, »eine substanzlose Freiheit, eine Karikatur«211, ein Anachronismus aus der Zeit, »da in einer autoritären und hierarchisch gegliederten Gesellschaft das bürgerliche Subjekt sich zu emanzipieren begann«212. Angesichts wirtschaftlicher Abhängigkeiten und sozialer Ungleichheiten, welche die Gestaltungsspielräume vieler Gesellschaftsmitglieder einschränken, wenn nicht sogar vollständig beseitigen, könnte man es in der Tat auf den ersten Blick für naiv oder sogar zynisch halten, den Markt als freiheitssichernde Institution zu sehen. Diese Kritik läßt sich auf zweierlei Weise begründen – und wiederum zurückweisen: Zum einen fällt es nicht schwer, die Vorstellung negativer Freiheit als theoretisch unzureichend zu entlarven. Wer Freiheit negativ und damit als die Abwesenheit von äußeren Hindernissen für die Willkürbetätigung definiert, scheint unmittelbar in ein spätestens mit Kant überwundenes Freiheitsverständnis zurückzufallen – das im Hobbesschen Naturzustand verharrende, triebgebundene Individuum ist schwerlich als frei, verstanden als: »selbstbestimmt«, zu bezeichnen. Diese Überlegung ist hier jedoch nicht weiter zu verfolgen 213, denn sie betrifft diejenigen, die soziale Institutionen, insbesondere den Staat, ausschließlich aus der Perspektive der Gewährleistung negativer Freiheit betrachten und dementsprechend zu legitimieren bereit sind. So weit geht aber nicht, wer nur behauptet, daß Freiheit auch die Möglichkeit voraussetzt, divergierende Anschauungen zu bilden und sich danach zu richten, und daß der Markt diesen Aspekt der Freiheitssicherung (und 209

Vgl. insbesondere den von den Vertretern ordoliberalen Denkens thematisierten Zusammenhang von Vertrag, Markt und Freiheit; etwa Böhm, Ordo 22 (1971), 11 ff.; Mestmäcker, JZ 1964, 441 ff. 210 Vgl. aber auch schon Hegel, Grundlinien, § 185 (S. 166), und dazu Ritter, in: Metaphysik und Politik, S. 256, 275. 211 Kraemer, Markt der Gesellschaft, S. 20 f. Fn. 1. 212 Köndgen, Selbstbindung, S. 133. 213 Näher die kommunitaristische Kritik der negativen Freiheitsidee, etwa Taylor, Negative Freiheit?, passim.

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§ 4 Die Legitimation privatrechtlicher Selbstbindung

nicht den Freiheitsgedanken schlechthin) verwirklicht. Nur dies setzt der hiesige Standpunkt voraus: Eine pluralistische Gesellschaft muß ein Mindestmaß an negativer Freiheit gewährleisten, und soweit sie dies tut, ist eine marktförmige Organisation sozialer Beziehungen angemessen. Damit ist nicht gesagt, daß die Gesamtheit sozialer Beziehungen ihre bestmögliche Organisationsform im Markt findet. Infolgedessen braucht an dieser Stelle auch nicht die Frage beantwortet zu werden, in welchen Bereichen unser Zusammenleben dem Markt überlassen sein und in welchen es hoheitlich reguliert sein sollte. Zum anderen kann der Wert des Marktes als freiheitssichernde Institution aufgrund tatsächlicher Erfahrungen in Zweifel gezogen werden. Zahlreiche Faktoren erschweren oder verhindern sogar gänzlich das Funktionieren von Märkten. Jedem sind die allgegenwärtigen Friktionen geläufig – hier seien nur die Stichworte Transaktionskosten und Wettbewerbsbeschränkungen genannt –, die verhindern, daß Güter auf Märkten ihren Weg dorthin finden, wo sie den größten Nutzen stiften. Diese Defizite allein berechtigen aber nicht dazu, die Idee des Marktes als solche zu verwerfen. Sie sind vielmehr Beleg für die Einsicht, daß Märkte eines institutionellen Rahmens bedürfen, zu dem auch rechtliche Regeln gehören, die den Unvollkommenheiten realen Tauschgeschehens Rechnung tragen und sie, soweit dies eben möglich ist, ausgleichen helfen 214. Davon zu unterscheiden ist das Unbehagen an Phänomenen wie der sozialen Ungleichheit, die nicht auf Funktionsmängel von Märkten zurückzuführen, sondern unausweichliche Folgen des sich auf ihnen abspielenden Wettbewerbs sind: Hierin spiegelt sich die Einsicht, daß der Markt nicht alles zu leisten vermag, was – auch unter freiheitstheoretischen Gesichtspunkten – als legitime Forderung an soziale Institutionen gelten darf215. b) Die auf Märkten agierende Person als homo oeconomicus Das Bild der Person, also des Zurechnungssubjekts privatrechtlicher Selbstbindung216 , wird durch die reduktionistische Sicht des Marktes geprägt. Soweit Beziehungen marktförmig organisiert sind, geraten Individuen nicht in der Vielfalt ihrer sozialen Rollen – als Mutter, als Ehrenmann, als Vorgesetzte, als Freund usw. – und erst recht nicht in ihrer moralischen Innerlichkeit in den Blick, und infolgedessen darf eine Selbstbindungskonzeption, die für Märkte tauglich sein soll, sich nicht auf solche individuellen Eigenschaften stützen. Die personale Qualität des Marktakteurs, an die eine Zurechnung normativitätsstiftenden Verhaltens anknüpfen kann, ist vielmehr allein die des homo oeconomicus: Vom Marktakteur darf man nur annehmen, daß er rational handelt, d. h. eine vollständige und tran214 Dahingehend z. B. schon Behrens, Ökonomische Grundlagen, S. 130 ff. und insbes. S. 131 (Behebung von Defiziten wie der Existenz von Transaktionskosten oder Wettbewerbsbeschränkungen »durch kompensatorische Rechtsnormen im Rahmen des Marktmechanismus«). 215 Vgl. dazu wiederum Behrens, Ökonomische Grundlagen, S. 131, 187 ff. 216 Siehe oben, § 4 I.

III. Die privatrechtliche Selbstbindung als Instrument der Freiheitssicherung

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sitive Präferenzordnung besitzt, und daß er seinen Nutzen maximiert, d. h. sich unter gegebenen Handlungsrestriktionen für die Handlungsalternative entscheidet, die seinen Präferenzen am besten entspricht 217. Diese Aussage hat in dem Kontext, in dem sie hier verwendet wird 218 , eine normative und eine positive Dimension: Sie ist normativ insoweit, als sie auf die Wertentscheidung für den Markt als Form sozialer Organisation zurückgeht, welche ihrerseits auf dem Gewicht beruht, den eine Gesellschaft der Gewährleistung negativer Freiheit beimißt. Daß Personsein hier nicht mit der grotianischen Vorstellung der Teilhabe an göttlicher Vernunft oder dem kantischen Gedanken der Begabung mit innerer Freiheit, sondern nur mit der Fähigkeit zu rationaler Verfolgung eigener Präferenzen identifiziert wird, ist, wie die vorangehenden Ausführungen bereits deutlich gemacht haben, nur die Folge dieser Entscheidung und keine Feststellung über die Bestimmung des Menschen an sich. Soweit die Kritik an der Figur des homo oeconomicus auf diese normative Dimension zielt, nämlich darauf, daß Menschen sich nicht nur rational und eigennützig verhalten sollten 219, ist ihr daher zu entgegnen, daß diese Forderung, wie berechtigt sie in anderen Zusammenhängen auch sein mag, jedenfalls nicht in das reduktionistische Verhaltensmodell des Marktakteurs eingehen darf. Hier geht es vielmehr um die übergeordnete Problematik von Rang und Reichweite der negativen Freiheit, die eine solche Reduktion impliziert: Hinter dem Einwand, daß vom Einzelnen mehr zu verlangen sei als rationaler Eigennutz, steht wiederum der Gedanke, daß auf die Gewährleistung negativer Freiheit und damit auf den Markt allein ein Gemeinwesen nicht gegründet werden kann. Positiv ist das ökonomische Verhaltensmodell insoweit, als mit seiner Verwendung der Anspruch erhoben wird, empirisch überprüfbare Aussagen formulieren zu können. Hiergegen scheinen auf den ersten Blick zwei Phänomene zu sprechen: Zunächst ist menschliches Verhalten angesichts der Komplexität realer Entscheidungslagen meist nicht vollkommen rational – der Einzelne beabsichtigt zwar, 217 Zu beidem näher Eidenmüller, Effi zienz, S. 29; vgl. außerdem ausführlich Kirchgässner, Homo Oeconomicus, S. 12 ff., und zusammenfassend Homann/Suchanek, Ökonomik, S. 29 ff.; Richter/Furubotn, Institutionenökonomik, S. 3 f. 218 Darin unterscheidet sich der hiesige Standpunkt von der ökonomischen Literatur, welche das ökonomische Verhaltensmodell und seine wissenschaftliche Verwendung jedenfalls im Ausgangspunkt als positiv und nicht als normativ versteht; siehe etwa Kirchgässner, Homo Oeconomicus, S. 3, 50, 234 f. (dort Übergang zu einigen »normativen« Überlegungen). Homann/Suchanek, Ökonomik, S. 27 ff., sprechen von »Erklärung zwecks Gestaltung«. Anders aber Harsanyi, Rational Behavior, S. 16, der seine Theorie explizit als normativ bezeichnet. In der ökonomischen Analyse des Rechts werden die normative und die positive Dimension betont; so etwa in den Standardlehrbüchern von Cooter/Ulen, Law and Economics, S. 3 f.; R. Posner, Economic Analysis, S. 24 ff.; Schäfer/Ott, Ökonomische Analyse, S. 3. 219 Eine normative Interpretation (neben einer positiven; vgl. dazu Eidenmüller, Effi zienz, S. 36 f.) liegt etwa bei Fezers Kritik (JZ 1986, 817, 822) nahe, der homo oeconomicus sei nicht »der Mensch eines verfassungsgestaltenden Privatrechts in einer offenen Gesellschaft der Grundrechtsdemokratie«.

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§ 4 Die Legitimation privatrechtlicher Selbstbindung

sich rational zu verhalten, aber seine Erkenntnisfähigkeiten reichen dazu nicht aus. Hier handelt es sich um eingeschränkt rationales Verhalten 220 oder, wie auch gesagt wird, irrationales Verhalten mit Bedauern 221. Das ökonomische Modell wird dadurch nicht widerlegt: Es beschreibt nicht den »Menschen, wie er wirklich ist«222 , und ist deshalb durch den Nachweis individuellen Verhaltens, das sich nicht vollkommen mit seinen Annahmen deckt, nicht erschüttert. Sein Zweck ist allein, die Resultate zu prognostizieren, die sich bei sozialer Interaktion unter bestimmten Anreizbedingungen systematisch einstellen, und es sind diese Aussagen (und nicht das Modell als solches), die an der Realität zu messen sind 223. Fraglich ist allerdings, wie weit die Abstraktion des ökonomischen Modells von der Wirklichkeit menschlichen Verhaltens gehen darf, damit diese Aufgabe erfüllt werden kann 224. Mit dem Bild eines jederzeit bestmöglich informierten und seine Entscheidungen permanent in Echtzeit optimierenden Individuums ist, was die politische Orientierung des Rechts der privaten Selbstbindung betrifft, sicher nicht auszukommen; der im Grundsatz unbezweifelbare Bedarf nach »paternalistischen«225 Regelungen zur Kompensation von Defiziten individueller Verhaltensrationalität, wie sie jedes Privatrecht in unterschiedlicher Intensität kennt, wäre der ökonomischen Analyse sonst nicht zugänglich. Dies anzuerkennen heißt jedoch nicht, das ökonomische Verhaltensmodell aufzugeben, sondern mündet nur in die Forderung, es im Sinne der Ansätze eingeschränkter Rationalität (»bounded rationality«) anzureichern 226 . Jenseits der Fälle beabsichtigter, aber unvollkommener Rationalität lassen sich Situationen finden, in denen der einzelne Akteur rationales Verhalten im Sinne des ökonomischen Modells nicht einmal intendiert – die Teilnahme an Wahlen 227 oder das Geben von Trinkgeld in einem später nicht wieder besuchten Lokal 228 sind immer wiederkehrende Beispiele für das, was man in Abgrenzung zu den voran220 Dazu (in Anknüpfung an Herbert Simon) Williamson, Institutionen, S. 51 f.; ferner Eidenmüller, Effizienz, S. 38 f.; Kreps, in: New Palgrave Bd. 1, S. 168 ff. 221 Beckert, Grenzen des Marktes, S. 26 (in Anknüpfung an Robert A. Frank). 222 Homann/Suchanek, Ökonomik, S. 422. 223 Homann/Suchanek, Ökonomik, S. 423; ähnlich Eidenmüller, Effi zienz, S. 40. 224 Zuzustimmen ist daher Kirchgässner, Homo Oeconomicus, S. 28: »Nun ist offensichtlich, dass wissenschaftliche Anahmen von der Wirklichkeit abstrahieren müssen und daher ›unrealistisch‹ und im Einzelfall widerlegbar sind. Es kommt nur darauf an, dass beim Abstraktionsprozess die wesentlichen Aspekte nicht verloren gehen.« 225 Zum Begriff des Paternalismus und seinem Niederschlag im Vertragsrecht umfassend Enderlein, Rechtspaternalismus, passim. 226 Daß eingeschränkt rationales Verhalten eben auch rationales und nicht irrationales Verhalten ist, betont auch Kirchgässner, Homo Oeconomicus, S. 33. 227 Dazu die (kritische) Darstellung der Ansätze, die Teilnahme an Wahlen als rationale Handlung zu erklären, bei Kirchgässner, Homo Oeconomicus, S. 160 ff. Einen möglicherweise weiterführenden Versuch, das »voting paradox« aufzulösen, unternimmt E. Posner, Law and Social Norms, S, 122 ff., indem er die Teilnahme an Wahlen als »signaling« im Sinne der Spieltheorie interpretiert: Gerade weil die Wahlteilnahme den einzelnen mehr kostet, als sie ihm nützt, eignet sie sich zum »signaling«. 228 Dazu zuletzt Chen, 16 J.Law Econ.& Organ. 209 ff. (2001).

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gehenden Konstellationen irrationales Verhalten ohne Bedauern 229 nennen kann. Man könnte versuchen, auch solche Verhaltensweisen als Maximierungshandeln zu interpretieren, indem man beliebigen Handlungsmotivationen (etwa Vorstellungen von staatsbürgerlicher Pflicht oder höflichem Umgang) einen Nutzen zuschreibt. Durch die Vereinnahmung selbst explizit altruistischen Verhaltens würde ökonomische Rationalität indes tautologisiert und das Problem nur wegdefiniert 230. Anders als in der eingeschränkten Rationalität liegt hier also eine wirkliche Grenze des ökonomischen Modells. Soweit allerdings kein systematisch irrationales Verhalten festzustellen ist, wird dadurch der Wert des Modells nicht geschmälert. Jedenfalls für den Bereich wirtschaftlichen Handelns auf Märkten, um den es hier zunächst geht, wird man dies ohne weiteres annehmen können: »So sicher es ist, daß rein ideologisch an fremden Interessen orientiertes wirtschaftliches Handeln vorkommt, so sicher ist auch: daß die Masse der Menschen nicht so handelt und nach aller Erfahrung nicht so handeln kann und also: wird.«231 c) Die privatrechtliche Selbstbindung als Lösung des Kooperationsproblems aa) Die Anreizfunktion privatrechtlicher Selbstbindung Vor dem Hintergrund der durch die Erfordernisse des Marktes bedingten reduktionistischen Sicht der Person ergibt sich ein Kooperationsproblem, dessen Lösung in der Einführung von Instrumenten privatrechtlicher Selbstbindung liegt: Die Grundform wirtschaftlichen Handelns auf Märkten ist der zwischen zwei Akteuren stattfindende Tausch von Leistung und Gegenleistung. Beide Akteure haben ein Interesse daran, auf diese Weise miteinander zu kooperieren 232 , wenn sie der Leistung ihres Gegenübers einen jeweils höheren Nutzen beimessen. Gleichwohl wird es, sobald sich die Möglichkeit ergibt, die Leistung des anderen in Anspruch zu nehmen, ohne die eigene Leistung vollständig und mangelfrei zu erbringen, unter rational handelnden Personen zu einer solchen wechselseitig nutzbringenden Kooperation oft nicht kommen, wenn beide Seiten erkennen, daß ihr jeweiliges Gegenüber davon profitieren kann, sich opportunistisch zu verhalten, d. h. ihr Eigeninteresse unter Zuhilfenahme von List zu verfolgen 233. »For he that 229

So (wiederum in Anknüpfung an Robert H. Frank) Beckert, Grenzen des Marktes, S. 26. So zutreffend Beckert, Grenzen des Marktes, S. 31. 231 Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 119. 232 Zur Vermeidung von Mißverständnissen: Wenn hier und im folgenden Text von »Kooperation« die Rede ist, so ist damit also nicht nur ein Zusammenwirken von gewisser Dauer und Intensität, sondern auch die punktuelle Begegnung zweier Marktteilnehmer im einmaligen Leistungsaustausch gemeint. 233 So die Kurzdefi nition von Opportunismus bei Williamson, Institutionen, S. 54. Ausführlicher heißt es dort: »Unter Opportunismus verstehe ich die Verfolgung des Eigeninteresses unter Zuhilfenahme von List. Das schließt krassere Formen ein, wie Lügen, Stehlen und Betrügen, beschränkt sich aber keineswegs auf diese. [. . .] Allgemeiner gesagt, bezieht sich Opportunismus auf die unvollständige oder verzerrte Weitergabe von Information, insbesondere auf vorsätzliche Versuche irrezuführen, zu verzerren, verbergen, verschleiern oder sonstwie zu verwirren.« 230

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performeth first«, heißt es bereits bei Hobbes, »has no assurance the other will performe after; because the bonds of words are too weak to bridle mens ambition, avarice, anger, and other Passions, without the feare of some coercive Power; which in the condition of meer Nature, where all men are equall, and judges of the justnesse of their own fears, cannot possibly be supposed.«234 Was in Hobbes’ Naturzustand ausgeschlossen ist, läßt sich in den durch staatliche Gewalt garantierten Rahmenbedingungen des Marktes allerdings verwirklichen 235 : die Veränderung der Anreizsituation der Akteure durch den rechtlichen Sanktionsmechanismus des Vertrags, so daß beide Seiten zur Kooperation bereit sind. Ein einfaches Beispiel verdeutlicht das236 : G möchte für die Produktion eines Konsumguts eine Maschine einsetzen, die S eigens für ihn anzufertigen bereit ist. Wenn G die Maschine aufgrund der durch sie ermöglichten Produktivitätssteigerung mit 100.000,– A bewertet und S sie für 80.000,– A herstellen kann, erwüchse jedem von ihnen bei einem vereinbarten Preis von 90.000,– A ein Nutzen von 10.000,– A aus der Durchführung des Geschäfts. Unterstellt, daß jegliche Sanktionsmechanismen für den Fall opportunistischen Verhaltens fehlten, käme es gleichwohl nicht zur Kooperation. Denn einerseits weiß S: Stellt er die Maschine her und liefert sie dem G, ohne spätestens zu diesem Zeitpunkt die Gegenleistung zu erhalten, so ist es die rationale, da nutzenmaximierende Entscheidung des G, ihm den Preis vorzuenthalten. Und andererseits weiß G: Bezahlt er die Maschine schon zum Lieferzeitpunkt, so ist es die rationale Entscheidung des S, Kosten zu sparen und ihm eine Pfuscharbeit zu liefern, deren Mängel erst nach Inbetriebnahme erkennbar werden. Weil beide Seiten also, ihre Rationalität unterstellt, Grund zu der Annahme haben, im Falle der Kooperation von der anderen Seite übervorteilt zu werden, werden sie die Nichtkooperation der Kooperation vorziehen und damit insgesamt zu einem suboptimalen, weil unter dem erzielbaren kollektiven Nutzen liegenden Ergebnis gelangen. Aus dieser Rationalitätsfalle, die spieltheoretisch als Gefangenendilemma zu kennzeichnen ist 237, hilft die Rechtsordnung S und G heraus, indem sie ihre gegenseitigen Leistungsversprechen mit der rechtlichen Verbindlichkeit eines Vertrags 234 Hobbes, Leviathan, Chap. 14 (S. 68 der englischsprachigen Erstausgabe 1651; S. 105 der Neuausgabe 1909). 235 Dies sieht auch Hobbes, a.a.O., bei dem es weiter heißt: »[. . .] But in a civille estate, where there is a Power set up to constrain those that would otherwise violate their faith, that feare is no more reasonable; and for that cause, he which by the Covenant is to perform fi rst, is obliged so to do.« 236 Baird/Gertner/Picker, Game Theory, S. 53 ff., liefern eine spieltheoretische Fundierung der folgenden Ausführungen. Zur Bedeutung spieltheoretischer Modelle siehe unten, § 6 II 2 a aa. 237 Das Gefangenendilemma ist ein Zweipersonenspiel, bei dem jeder Spieler zwar über die möglichen Strategien und Auszahlungen für beide Seiten, aber bei seinem anstehenden Spielzug nicht über den Zug der anderen Seite informiert ist. Das Dilemma ist dadurch charakterisiert, daß die im Interesse beider Parteien liegende Strategiekombination (in unserem Beispiel: Kooperation) nicht gespielt wird, weil diese Strategie von einer anderen (in unserem Beispiel: Nichtkooperation) strikt dominiert wird; d. h. letztere ist die bestmögliche Antwort auf jeden möglichen

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ausstattet, dessen Erfüllung (um die aus deutscher Sicht geläufigste Sanktion zu nennen) gerichtlich erzwungen werden kann: Beide Parteien wissen nun, daß ihr Gegenüber von der Nichterfüllung seines Leistungsversprechens keinen Nutzen, sondern im Gegenteil eine Vermögenseinbuße (in Gestalt von Prozeßkosten) davontrüge und deshalb für die Erfüllung optieren wird. Dies wiederum beeinflußt die vorgelagerte Entscheidung über den Eintritt in die geschäftliche Beziehung: Da nun das Risiko opportunistischen Verhaltens ausgeschlossen ist 238 , werden S und G die Kooperation als nutzbringend bewerten und sie der Nichtkooperation vorziehen. Mit der Einführung der an die Rechtsfigur des Vertrags geknüpften Sanktionen werden also, so zeigt das Beispiel, Anreize zur Verfügung gestellt, die den vor die Wahl zwischen Kooperation und Nichtkooperation gestellten Akteuren dazu verhelfen, eine den beiderseitigen Nutzen maximierende Entscheidung zu treffen. Ohne solche Anreize wäre die Kooperation zwischen S und G zwar nicht undenkbar; doch ließe sie sich, weil ein Selbstschutz gegen opportunistisches Verhalten kostspielig und nicht immer erfolgversprechend wäre239, mit einiger Verläßlichkeit nur in der primitivsten Form des Tausches betreiben: Dem aufgezeigten Gefangenendilemma entgeht nur, wer an einem sofort abgewickelten, simultanen Austausch von Leistungen teilnimmt, deren Vollständigkeit und Mangelfreiheit bereits im Zeitpunkt des Austauschs für den jeweiligen Empfänger zu erkennen ist. Damit ist zunächst nur in ganz schlichter Form umrissen, was das Instrumentarium privatrechtlicher Selbstbindung zum Funktionieren eines Marktes beitragen kann. Aber bereits diese eher trivial erscheinende Feststellung erlaubt es, ein Mißverständnis auszuräumen, das gelegentlich bei der Rezeption ökonomischer Überlegungen mit Bezug auf das Vertragsrecht unterläuft: Teilweise wird unterstellt, die Bewertung des Leistungsaustauschs nach Effizienzgesichtspunkten sei Richtschnur der ökonomischen Analyse des Vertragsrechts240. Gegenstand der Bewertung ist jedoch nicht der Leistungsaustausch als solcher, sondern es sind dies die durch den Vertrag gesetzten Anreize für die Kooperation der Beteiligten 241. Man muß das Beispiel nur geringfügig variieren, um den Unterschied zu erkennen: Nachdem S und G sich auf die Lieferung der Maschine zu 90.000,– A geeinigt haben, steigen die Herstellungkosten des S wegen einer Erhöhung der Preise für ein notwendiges Vorprodukt auf 110.000,– A an. Der Leistungsaustausch wird daZug der anderen Seite. Näher zum Gefangenendilemma Baird/Gertner/Picker, Game Theory, S. 33 f.; Trebilcock, Limits, S. 10 ff. 238 Das Insolvenzrisiko, das zu weiterem Sicherungsbedarf führen kann, bleibt hier unberücksichtigt. 239 Dazu R. Posner, Economic Analysis, S. 94. 240 Charakteristisch etwa Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpfl ichtung, S. 62 f., mit der Behauptung, ungewollte rechtsgeschäftliche Bindungen trügen zur Optimierung der Güterallokation nichts bei und seien ökonomisch geradezu unsinnig. 241 Dazu eingehend Craswell, in: The Theory of Contract Law, S. 19 ff.

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durch, da per saldo eine Einbuße von 10.000,– A entsteht 242 , ineffizient. Gleichwohl ist allein aus diesem Grund die Verhängung vertragsrechtlicher Sanktionen noch längst nicht ineffizient. So ist es, um nur einen Aspekt zu nennen 243, gewiß einfacher für S als für G, Vorsorge für das Risiko von Preiserhöhungen auf Seiten seiner Zulieferer zu treffen. Wer den S im Falle der Realisierung des Risikos aus der vertraglichen Haftung entlassen will, beseitigt den Anreiz zu möglichst kostengünstiger Risikovorsorge. Daher bietet eine auch diesen Fall erfassende vertragsrechtliche Nichterfüllungssanktion eine effizientere Anreizstruktur. Es gilt daher die Mahnung Trebilcocks zu beherzigen: »[O]ne must be careful to distinguish exchanges of the promised performance from exchanges of the contractual rights (including remedies for breach) [. . .] an exchange of contractual rights may be Pareto superior (including agreed risk allocations) even if the subsequent exchange of the promised performance is not.«244 Zwischen dieser ersten Festlegung und der Formulierung rechtspolitischer Anforderungen an einzelne Regeln privater Selbstbindung, die als Infrastruktur für Märkte tauglich sind, klafft allerdings noch eine große Lücke. Die Fragen nach dem »Ob« und dem »Wie« privatrechtlicher Sanktionen für Selbstbindungstatbestände sind noch längst nicht zu beantworten. Die Komplexität der Problematik ergibt sich daraus, daß zum einen privatrechtliche Selbstbindungsmechanismen nicht die einzige Lösung des Kooperationsproblems und zum anderen die mit einem Selbstbindungstatbestand wie dem Vertrag sinnvollerweise zu verbindenden Sanktionen nicht ohne weiteres zu ermitteln sind. bb) Alternative Sanktionen für Selbstbindungstatbestände Mit dem zweiten Problem sei begonnen: Um die Setzung kooperationsbegünstigender Anreize zu ermöglichen, reicht es im Grunde aus, überhaupt nur die gerichtliche Durchsetzung von Sanktionen zu statuieren, die von den Parteien vereinbart werden. Rechtlich zu regeln wäre m.a.W. nur das Prinzip der Privatautonomie – die Anerkennung der Selbstgestaltung der Rechtsverhältnisse. Die Aufgabe des Rechts als Teil der Infrastruktur des Marktes geht jedoch darüber hinaus: Es gilt nicht nur, die Akteure bei wohlfahrtsmehrender Kooperation zu unterstützen, sondern auch, dies auf transaktionskostensparende Weise zu tun 245. Dazu bedarf es dispositiven Rechts, das den Beteiligten effiziente Regelungen zur Verfügung stellt, ohne daß sie diese kostspielig aushandeln und vereinbaren müßten. 242 Dem Gewinn des G in Höhe von 10.000,– A steht ein Verlust des S in Höhe von 20.000,– A gegenüber. 243 Näher zur Berücksichtigung veränderter Umstände Craswell, in: The Theory of Contract Law, S. 19, 35 ff. Siehe etwa auch Cooter/Ulen, Law and Economics, S. 267 ff.; R. Posner, Economic Analysis, S. 104 ff.; Trebilcock, Limits, S. 127 ff. 244 Trebilcock, Limits, S. 127. 245 Dazu bereits oben, § 3 II 2 b; ferner R. Posner, Economic Analysis, S. 96 ff.; Trebilcock, Limits, S. 16.

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So wurden S und G im obigen Beispiel durch die Einführung einer gerichtlich durchsetzbaren Erfüllungspflicht aus ihrem Gefangenendilemma befreit. Damit sollte indes keineswegs behauptet werden, daß es sich hierbei um die ohne weiteres zugrunde zu legende Standardsanktion für den Fall des Vertragsbruchs handeln sollte. Bereits an anderer Stelle wurde eine in der ökonomischen Analyse des Rechts propagierte Position erwähnt, die eine der Haftung auf das negative Interesse im Ansatz verwandte Sanktion als Basis für das vertragsrechtliche Haftungsregime empfiehlt 246 . Hier sei dazu noch nicht in der Sache Stellung genommen, sondern nur darauf hingewiesen, daß sich bei der Frage des »Wie« der Sanktionierung privatrechtlicher Selbstbindungstatbestände eigentlich eine unüberschaubare Vielfalt möglicher Antworten vom Erfüllungszwang (einschließlich seiner zwangsvollstreckungsrechtlichen Durchsetzung) über (Straf-)Schadensersatzansprüche und Gewinnabschöpfungsrechte bis hin zu Rückabwicklungsmechanismen in jeweils zahlreichen Varianten und Kombinationen eröffnet. Dies nötigt zur Beschränkung: Die Weichenstellung, um die es nachfolgend (in § 6) bei der Beantwortung der hier aufgeworfenen Frage der Sanktionsauswahl gehen soll, ist allein die zwischen »negativer« und »positiver« Sanktionierung, zwischen dem Schutz des Vertrauensinteresses auf der einen und dem Schutz des Erfüllungsinteresses (sei es durch Geldersatz oder Naturalerfüllung) auf der anderen Seite. cc) Alternative Lösungen des Kooperationsproblems Was die weitergehende Frage betrifft, ob es überhaupt der privatrechtlichen Selbstbindung bedarf, so darf die Feststellung, daß solche Instrumente dazu beitragen, das Problem der Kooperation rationaler Akteure zu lösen, nicht mit der Behauptung verwechselt werden, hierbei handele es sich stets um die einzig mögliche Lösung. Letzteres trifft nicht zu: Um das Dilemma in unserem Beispiel zu beseitigen, bedarf es nur irgendeiner Veränderung der Anreize, die dazu führt, daß S die Erfüllung seines Zahlungsversprechens höher als die Nichterfüllung bewertet. Anstelle der gerichtlichen Durchsetzbarkeit des Zahlungsversprechens als Vertragspflicht könnte etwa auch eine straf- oder ordnungsrechtliche Sanktion die Kooperation zwischen S und G induzieren; ja selbst archaische Methoden der Streiterledigung wie die Konfliktaustragung im Duell sind hierzu nicht völlig ungeeignet 247. Außerdem ist es denkbar, daß die Akteure auch ohne den Einsatz staatlicher Sanktionen zu einer autonomen Lösung des Kooperationsproblems finden: So mögen S und G erwarten, einander als Tauschinteressenten auch künftig zu begegnen. Es leuchtet unmittelbar ein, daß die Aussicht, mit dem anderen nicht mehr 246

Siehe oben, § 3 II 2 b. Mit einer allerdings übertrieben pessimistischen Sicht des Fortschritts modernen Vertragsrechts gegenüber solchen Praktiken wartet E. Posner, Law and Social Norms, S. 165, auf: »Contract law is best understood as a modern version of dueling. It is an incrimental advance on dueling that preserves the essential character of that institution while eliminating violence and physical harm, and reducing the variance of outcomes.« 247

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ins Geschäft zu kommen und dadurch künftig mögliche Kooperationsgewinne zu verlieren, wenn man das aktuelle Leistungsversprechen bricht, unabhängig von irgendwelchen justiziablen Folgen schwer genug wiegen kann, um die Erfüllung des Versprechens zu bewirken. Ohne dieser Intuition hier auf den Grund zu gehen 248 , kann man bereits erkennen: Sollte eine Kooperationsstrategie sich auf diese Weise selbst durchsetzen, löste sich das Problem auf denkbar elegante, da kostenfreie Weise auf. Die Androhung von Sanktionen durch eine außenstehende Gewalt – und sei es auch nur aufgrund der vergleichsweise feingewobenen Regeln des Privatrechts – ist dann nicht nur überflüssig; sie mag sogar die sozialen Mechanismen der Selbststeuerung, die sich unter den Beteiligten ausgebildet haben, stören. Die Frage, ob überhaupt und ggf. unter welchen Voraussetzungen Versprechen und andere Verhaltensweisen, die normative Erwartungen wecken, als privatrechtliche Selbstbindungen qualifiziert werden sollten, ist deshalb durch den Verweis auf das Kooperationsproblem beileibe nicht geklärt. Nur im Vergleich mit anderen Lösungsmöglichkeiten erweist sich, ob es solcher rechtlichen Mechanismen zur Stabilisierung normativer Erwartungen bedarf, um die soziale Institution »Markt« funktionsfähig zu erhalten. Damit ist ein wesentlicher Aspekt der Untersuchung der Frage nach dem »Ob« privatrechtlicher Selbstbindung angesprochen, welcher in § 7 III zu behandeln sein wird. Bereits an dieser Stelle bedarf es indes einer Klarstellung, was den methodischen Ausgangspunkt betrifft, von dem aus diese Frage zu beantworten ist: Den Erscheinungsformen außerrechtlicher Kooperationssicherung widmet sich insbesondere die Theorie vom »relational contract«, welche – den Vorstellungen Otto von Gierkes über eine personale Ausgestaltung der Pfl ichten im Dienstverhältnis nicht unähnlich 249 – die soziale Einbettung jeder, insbesondere langfristiger Austauschbeziehungen als »relationales« Element ins Zentrum ihrer wissenschaftlichen Aufmerksamkeit rückt 250. Damit verbindet sich eine scharfe Zurückweisung der hier gewählten Vorgehensweise: Der einfache Güteraustausch (»discrete transaction«) als ökonomisches Paradigma, wie er auch hier zur Illustration des Kooperationsproblems angeführt wurde, sei ein wirklichkeitsfernes Konstrukt, das den wesentlichen Beitrag sozialer Normen 251 zum Gelingen von Kooperation ignoriere. Die Vorstellung eines Vertrags zwischen völlig isolierten, nutzenmaximierenden Individuen habe denn auch nichts mit einem wirklichen Vertrag, son-

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Näher dazu unten, § 7 III. Vgl. etwa von Gierke, Die soziale Aufgabe des Privatrechts, S. 32. Der Hinweis auf diesen Zusammenhang ist Oechsler, RabelsZ 60 (1996), 91, 116, zu verdanken. 250 Vgl. die Darstellungen bei Oechsler, RabelsZ 60 (1996), 91, 93 ff.; Richter/Furubotn, Institutionenökonomik, S. 185 ff. Der Begriff »relational« geht allerdings wesentlich weiter zurück als die für diese Richtung prägenden Beiträge Macaulays, Macneils und Williamsons; dazu (mit Nachw. aus den Schriften Roscoe Pounds) Oechsler, RabelsZ 60 (1996), 91, 114. 251 Macaulay, in: Franchising, S. 179, 182, spricht von »overarching obligations of good faith, solidarity, role integrity, and morality«. 249

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dern mit einem Krieg (treffender wäre wohl: mit einem staatlich garantierten Waffenstillstand) zu tun 252. Der empirische Gehalt der Behauptung, daß sich das Funktionieren realer Geschäftsbeziehungen eher relationalen Momenten als vertragsrechtlicher Steuerung verdankt, sei späterer Erörterung vorbehalten 253. Hier sei nur betont, daß dieser Befund, mag er zutreffen oder nicht, ebensowenig dazu taugt, die bisher entwickelte Idee marktfunktionaler Selbstbindung in Frage zu stellen, wie sich die ihr zugrunde liegende Vorstellung vom homo oeconomicus mit dem Argument bestreiten läßt, daß sie dem Wesen des Menschen nicht voll gerecht werde: Die vor dem Hintergrund der Farbigkeit und Fülle echten Wirtschaftslebens blaß wirkende Schilderung des Kooperationsproblems und seiner Lösung durch privatrechtlich sanktionierte Selbstbindungsmechanismen ist wie das reduktionistische Bild des Marktakteurs eine Konsequenz der normativen Entscheidung einer Gesellschaft, negative Freiheit zu gewährleisten und mit dem Markt eine institutionelle Form zur Verfügung zu stellen, in der sie sich bestmöglich verwirklichen kann. Von der positiven Ebene tatsächlich vorzufindender außer(vertrags-)rechtlicher Lösungen des Kooperationsproblems kann der Sprung auf diese normative Ebene nicht gelingen 254. Vielmehr ist umgekehrt zu fragen, inwieweit es mit der normativen Festlegung auf den Markt vereinbar ist, auf solche Mechanismen Rücksicht zu nehmen 255. Dabei dürfte eines bereits klar geworden sein: Wer das Funktionieren von Märkten etwa auf traditionelles Ehrempfinden oder die neuere Tugend der Solidarität gründen und den Akteuren damit mehr als den Einsatz ökonomischer Rationalität abverlangen will, führt den Grundgedanken des Marktes ad absurdum.

3. Selbstbindung jenseits des Marktes a) Erscheinungsformen Auch außerhalb des Marktkontextes werden Versprechen gegeben und wecken höchst verschiedene Verhaltensweisen normative Erwartungen – das Spektrum reicht vom feierlichen Eheversprechen bis hin zu alltäglichen Verhaltensmustern wie der gewohnheitsmäßigen Entsorgung von Werbezusendungen, die jemand freiwillig für eine Hausgemeinschaft übernommen hat. Und genauso wie auf Märkten werden auch in anderen sozialen Zusammenhängen Versprechen gebrochen und Erwartungen enttäuscht. Probleme kooperativen Handelns, wie sie soeben am Beispiel des Markttausches aufgezeigt wurden, sind daher allgegenwärtig.

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Macneil, New Social Contract, S. 1, 10. Siehe unten, § 7 III 1 b bb. 254 Zu Recht bemängelt daher Oechsler, RabelsZ 60 (1996), 91, 107 ff. (1996), bei Macneil und Williamson die unreflektierte Transformation deskriptiver Aussagen in normative Postulate. Oechslers generelles Verdikt gegen die Effizienz als normativen Maßstab (a.a.O., S. 109), verdient nach dem hier entwickelten Ansatz dagegen keine Gefolgschaft. 255 Dazu unten, § 7 III 2. 253

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Dies legt es nahe, die ihrer Lösung dienenden Regeln privatrechtlicher Selbstbindung nicht nur auf Beziehungen zwischen Marktakteuren anzuwenden, sondern zu verallgemeinern, sei es dadurch, daß man diese Regeln den Akteuren in anderen sozialen Handlungszusammenhängen zugänglich macht, sei es in der Weise, daß man eigenständige (ggf. öffentlich-rechtlich zu qualifizierende) Regelungsregime schafft, die sich an ihnen orientieren. Bevor der theoretische Anschluß der Ausweitung des Selbstbindungskonzepts über den Markt hinaus hergestellt wird, sei ein erster Blick auf Erscheinungsformen der Selbstbindung des Individuums jenseits des Marktes geworfen. Hierbei handelt es sich zum einen um Selbstbindungen im »horizontalen« Verhältnis der Individuen zueinander, die nicht im sozialen Kontext des Marktes angesiedelt sind, und zum anderen um Selbstbindungen in der »vertikalen« Beziehung des Individuums zum Staat als Hoheitsträger256 . aa) Selbstbindung im Kontext familiärer, affektiver oder geselliger Beziehungen Ein exklusiv auf marktförmige Beziehungen zugeschnittenes vertragsrechtliches Regime befriedigt den sozialen Bedarf nach rechtlicher Stabilisierung normativer Erwartungen durch Selbstbindungstatbestände in den Bereichen nicht, in denen sich Menschen nicht als Marktakteure begegnen, sondern einander durch familiäre Beziehungen, durch Liebe oder Freundschaft oder im geselligen Umgang verbunden sind. Ein Indiz dafür, daß das Privatrecht insoweit – jenseits besonderer Selbstbindungsformen im Familien- und Erbrecht – nicht auf die Anwendung des allgemeinen Instrumentariums privatautonomer Bindung verzichten sollte, sind die Schwierigkeiten, in die das amerikanische Vertragsrecht aufgrund der BargainTheorie des Vertrages geraten ist: Die mangels (der im US-Recht eng verstandenen) consideration fehlende vertragliche Durchsetzbarkeit insbesondere257 von Vereinbarungen zu karitativen Zwecken und im familiären Zusammenhang mußte durch die Aufwertung der Figur des promissory estoppel zum Selbstbindungsmechanismus kompensiert werden 258. Unabhängig von diesem Spezifikum läßt sich für das amerikanische, englische und deutsche Recht gleichermaßen konstatieren: Die im Marktzusammenhang eröffneten privatrechtlichen Selbstbindungsinstrumente, seien es nun Vertrag oder promissory estoppel, werden von jeder der hier angesprochenen Rechtsordnungen grundsätzlich auch jenseits dieses Zusammenhangs in den Bereichen von Familie, Liebe, Freundschaft und geselligem Umgang zur Verfügung gestellt, jedenfalls soweit es um Vermögensinteressen geht 259. Diese Aussage steht allerdings unter zwei Vorbehalten: 256 Ausgeklammert seien Selbstbindungsmechanismen in zwischenstaatlichen Beziehungen, also insbesondere der völkerrechtliche Vertrag. 257 Damit sei die spätere Bedeutung von promissory estoppel im kommerziellen Kontext nicht geleugnet; vgl. nur die cause célèbre Hoffman v. Red Owl Stores, 26 Wis.2d 683, 133 N. W.2d 267 (1965). 258 Siehe oben, § 3 II 1 a. 259 Zum deutschen Recht Flume, Rechtsgeschäft, § 7, 3 (S. 83 f.); zum englischen Recht Treitel, Contract, S. 164 ff.; zum US-Recht Calamari/Perillo, Contracts, S. 29 f.

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Anders als im Marktkontext problematisieren Rechtsprechung und Lehre hier das Vorliegen einer rechtlichen Bindung regelmäßig anhand des Rechtsbindungswillens und lehnen diese nicht selten ab. Rechtsordnungsübergreifend angeführtes Schulbeispiel für das Fehlen einer rechtsgeschäftlichen Bindung im geselligen Umgang ist die Annahme einer Einladung zum Abendessen – wenn der Gast sein Versprechen nicht hält und beim Essen fehlt, hat er keine rechtlichen Sanktionen zu gewärtigen 260. Die Strenge der Anforderungen an den Rechtsbindungswillen bei Vereinbarungen im familiären Zusammenhang verdeutlicht exemplarisch das englische (auch in den USA 261 und in Deutschland 262 rezipierte) Urteil Balfour v. Balfour: Eine Vereinbarung, in welcher der in Ceylon lebende Ehemann seiner aus gesundheitlichen Gründen in England wohnenden Frau monatlichen Unterhalt in bestimmter Höhe zugesagt hatte, wurde mangels Rechtsbindungswillens nicht als Vertrag gewertet 263. Die grundsätzlich bestehende Möglichkeit, sich außerhalb des Marktes der Formen privatrechtlicher Selbstbindung zu bedienen, darf also nicht darüber hinwegtäuschen, daß vom Vorliegen einer solchen Bindung nur unter besonderen Bedingungen auszugehen ist: Während bei Vereinbarungen, die auf Märkten geschlossen werden, die Abwesenheit einer rechtlichen Bindung (etwa im Rahmen eines gentlemen’s agreement 264) begründungsbedürftig ist, verhält es sich bei familiären, freundschaftlichen und vergleichbaren Abreden umgekehrt. Zu beachten ist weiterhin, daß nicht jede auch nur indirekt vermögensrelevante Angelegenheit im Bereich von Familie, Liebe und Freundschaft einer rechtsgeschäftlichen Regelung zugänglich ist: So verneint der BGH jegliche Bindungswirkung von Abreden über die Familienplanung – die Entscheidung für oder gegen Nachkommenschaft gehöre zum nicht justiziablen engsten persönlichen Intimbereich und unterliege weder einer rechtsgeschäftlichen Regelung noch dem Deliktsrecht 265 ; der Bruch einer diesbezüglichen Absprache wird wohl nicht einmal mittelbar durch die Versagung des Unterhaltsanspruchs des absprachewidrig han260

Bei Gordley, Enforceability of Promises, S. 105 ff., fi ndet sich dieses Schulbeispiel in der abgewandelten Form, daß ein berühmter Musiker bei einem ihm zu Ehren von einem privaten Konservatorium gegebenen Abendessen zu einem Zeitpunkt absagt, an dem das Konservatorium bereits erhebliche Aufwendungen gemacht hat. Die von Gordley zusammengestellten Lösungen nach insgesamt elf verschiedenen Rechtsordnungen lehnen ganz überwiegend eine vertragliche oder deliktische Verantwortlichkeit des Musikers ab. Die teilweise geäußerten Zweifel am Fehlen eines Rechtsbindungswillens kann man – im Unterschied zum Fall eines rein privaten Abendessens – hier mit dem (auch) geschäftlichen Bezug des Essens (Einladung des Musikers zu Werbezwecken) rechtfertigen. 261 Calamari/Perillo, Contracts, S. 29 Fn. 13. 262 Flume, Rechtsgeschäft, § 7, 3 (S. 83). 263 [1919] 2 K. B. 571. 264 Dazu für das deutsche Recht Flume, Rechtsgeschäft, § 7, 8 (S. 92 ff.); für das englische Recht Treitel, Contract, S. 163 f.; für das amerikanische Recht Calamari/Perillo, Contracts, S. 28; rechtsvergleichend Beale/Hartkamp/Kötz/Tallon, Contract Law, S. 97 ff. 265 BGH 21. 2. 2001, BGHZ 146, 391, 399; vgl. außerdem BGH 7. 4. 1983, BGHZ 87, 169, 174; 17. 4. 1986, BGHZ 97, 372, 379; 12. 7. 1995, FamRZ 1995, 1272, 1273; 3. 5. 1997, BGHZ 129, 297, 307 ff.

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delnden Partners sanktioniert 266 . Hier wie auch in den Fällen bestimmter Absprachen über (Nicht-)Verheiratung oder Ehescheidung, denen (auch) das Common Law aus Gründen der public policy die rechtliche Anerkennung verweigert 267, kommt es auf das Vorliegen oder Nichtvorliegen eines Rechtsbindungswillens der Beteiligten nicht an. Vielmehr können nach der jeweiligen Rechtsordnung privatautonome Regelungen dieses Inhalts überhaupt nicht getroffen werden. Die Ausdehnung der Formen privatrechtlicher Selbstbindung auf familiäre, affektive oder gesellige Beziehungen findet hier ihre Grenze – soweit der einzelne, etwa indem er die Ehelosigkeit oder die Verhütung einer Schwangerschaft verspricht, normative Erwartungen weckt, die er später enttäuscht, bleibt sein Gegenüber auf außerrechtliche Sanktionen verwiesen. bb) Selbstbindung im Kontext staatlicher Steuerung Anders als in den im vorangehenden Abschnitt behandelten Fällen steht die Möglichkeit der Verrechtlichung normativer Erwartungen an den Einzelnen im Bereich staatlicher Steuerung nicht in Frage: Der Staat gießt das, was von dem seiner Hoheitsgewalt unterworfenen Individuum normativ zu erwarten ist, charakteristischerweise in rechtliche Formen, sei es in die abstrakt-generelle Form der Rechtsnorm, sei es in die auf den Einzelfall bezogene des Verwaltungsakts. Dabei handelt es sich jedoch um heteronome Bindungen des Einzelnen. In der Beziehung zwischen Individuum und Staat ist, soweit der Staat nicht in die Rolle des Marktteilnehmers schlüpft und so Berechtigter und Verpflichteter »gewöhnlicher« vertraglicher Bindungen werden kann, die Anwendung rechtlicher Selbstbindungsmechanismen daher atypisch. In Deutschland steht hierfür der – in den §§ 54 ff. VwVfG teilweise geregelte – öffentlich-rechtliche Vertrag zur Verfügung, der als verwaltungsrechtliche Handlungsform v. a. auf den Gebieten des Bau-, Umwelt- und Sozialrechts und bei der Gewährung von Subventionen eine nicht unerhebliche, wenn auch insgesamt an den Verwaltungsakt nicht heranreichende rechtstatsächliche Bedeutung hat 268. Die Gestaltung des Staat-Bürger-Verhältnisses durch die Rechtsform des Vertrags ist ebenso im englischen und im amerikanischen Rechtsraum geläufig269. Hiervon zu unterscheiden sind informelle Absprachen und Selbstverpfl ichtungen privater Akteure und ihrer Verbände, insbesondere der Wirtschaft, die als einzelakts- oder normersetzendes Steuerungsinstrument des Staates in Deutschland, aber auch in den anderen europäischen Staaten und in den USA zunehmend 266 In seinem Urteil vom 21. 2. 2001 (wie vorige Fn.) neigte der BGH diesem Standpunkt zu (a.a.O., 399), konnte die Frage aber wegen fehlender Entscheidungserheblichkeit offenlassen. 267 Dazu Treitel, Contract, S. 439 ff. 268 Vgl. die rechtstatsächliche Untersuchung von Schlette, Die Verwaltung als Vertragspartner, S. 235 ff., und insbesondere die Tabelle a.a.O., S. 264. 269 Zum englischen Recht Bullinger, Vertrag und Verwaltungsakt, S. 114 ff.; Spannowsky, Verträge und Absprachen, S. 485 ff.; zum amerikanischen Recht Gurlit, Verwaltungsvertrag und Gesetz, S. 476 ff.

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Anklang finden – das Anschauungsmaterial reicht insoweit von der sog. »tatsächlichen Verständigung« im Steuerrecht 270 über Absprachen zu Belangen des Umweltschutzes und Selbstbeschränkungen bei der Produktwerbung271 bis hin zu Corporate Governance-Kodizes272. Auf den ersten Blick handelt es sich hierbei nicht um Fälle rechtlicher Selbstbindung, denn rechtliche Verbindlichkeit ist mit Absprachen und Selbstverpflichtungen, auch wenn der zuletzt genannte Terminus anderes suggeriert, gerade nicht intendiert. Doch bedeutet das Fehlen einklagbarer Primäransprüche nicht, daß solchen Praktiken jegliche Rechtswirkungen abzusprechen sind. Dies gilt zunächst für die »vertikale« Beziehung zwischen Bürger und Staat: Einerseits mag der durch eine Selbstverpflichtung veranlaßte oder abredeweise zugesicherte Verzicht des Staates auf Normierung einen Vertrauenstatbestand begründen, auf den sekundärrechtliche Entschädigungsansprüche gestützt werden könnten – so etwa dann, wenn der Staat, kaum daß er den Unternehmen eines Wirtschaftszweigs gegen die Zusage eines Verordnungsverzichts eine für diese kostspielige Selbstbeschränkung im Hinblick auf eine bestimmte Produktqualität abgerungen hat, ohne sachlichen Grund seine Meinung ändert und eine andere Qualitätsregelung hoheitlich vorgibt 273. Andererseits mag der Bruch einer informellen Selbstverpflichtung durch die privaten Akteure, die sich ihr unterworfen haben, dem Staat größeren Rechtfertigungsspielraum für einschneidende ordnungsrechtliche Maßnahmen verschaffen 274. Darüberhinaus sind auch mittelbare »horizontale« Rechtswirkungen im Verhältnis zwischen Privaten denkbar: So ist es jedenfalls nicht ausgeschlossen, daß Standards, die in rechtlich unverbindlichen Kodizes niedergelegt sind, über Generalklauseln des Privatrechts indirekt rechtliche Wirksamkeit erlangen 275. In Anbetracht dessen ist, entgegen dem ersten Anschein, die Einordnung informeller Abreden und Selbstverpflichtungen Privater dem Staat gegenüber als Erscheinungsform (außervertraglicher) rechtlicher Selbstbindung im Sinne dieser Untersuchung276 gerechtfertigt. Es liegt gewiß nahe, in den Formen vertraglicher und außervertraglicher Selbstbindung in der Kooperationsbeziehung zwischen Individuum und Staat grundsätzlich die gleichen Mechanismen am Werk zu sehen, die auch die marktförmige 270

Hierzu Schlette, Verwaltung als Vertragspartner, S. 323 f. Beispiele bei Köpp, Normvermeidende Absprachen, S. 21 ff. 272 Vgl. den Deutschen Corporate Governance Kodex (im Internet unter www.corporate-governance-cook.de). 273 So Di Fabio, JZ 1997, 969, 971. 274 Di Fabio, JZ 1997, 969, 971. 275 Vgl. Hopt, in: Corporate Governance, S. 27, 52, der es nicht für ausgeschlossen hält, daß rechtlich unverbindliche Kodizes zum Handelsbrauch werden (§ 346 HGB), den Sorgfaltsmaßstab nach § 276 BGB bzw. § 347 HGB prägen, bei der Bewertung der Wettbewerbswidrigkeit nach § 1 UWG eine Rolle spielen oder sogar als Schutzgesetze nach § 823 II BGB zu behandeln sind. 276 Zum hier zugrunde gelegten Begriff der Selbstbindung oben, § 1 II. 271

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Kooperation zwischen Individuen regeln. So wird von öffentlich-rechtlicher Seite die Universalität des Vertrags als »elementares und primäres Phänomen« menschlichen Zusammenlebens277, ja als apriorische, von der Rechtsordnung vorgefundene und nicht erst erzeugte Kategorie278 betont. Universalität ließe sich auch für einen die Rechtswirkungen informeller Selbstverpflichtungen unterfütternden Vertrauensgedanken reklamieren. Aber die Feststellung von Übereinstimmungen darf den Blick auf wesentliche Unterschiede nicht verstellen. Mehr noch als im Kontext familiärer, affektiver und geselliger Beziehungen ist die Selbstbindung Privater im Kontext staatlicher Steuerung von der marktbezogenen Selbstbindung abgehoben, weil die Rahmenbedingungen der Kooperation von denen des Marktes wesentlich verschieden sind: Mit dem Staat tritt dem Einzelnen kein gewöhnlicher Kooperationspartner, sondern eine Institution gegenüber, die ihm zum einen – dank ihrer Befugnis zu hoheitlichem Handeln – per se überlegen ist und die zum anderen – wegen ihrer Gesetzes- und Gemeinwohlbindung – nicht wie ein Marktteilnehmer als an den Kriterien ökonomischer Rationalität orientierter Akteur betrachtet werden darf. Man muß aufgrund dieser Feststellung nicht, wie es noch Otto Mayer tat, behaupten, daß »wahre Verträge des Staates auf dem Gebiete des öffentlichen Rechtes überhaupt nicht denkbar« seien 279. Doch ergeben sich daraus jedenfalls – in dieser Arbeit nicht im einzelnen nachzuzueichnende – Schranken für die Zugänglichkeit und den Inhalt formeller und informeller Selbstbindungstypen im Verhältnis zwischen Staat und Privaten. Was den Vertrag betrifft, so sei nur auf das Spektrum öffentlich-rechtlicher Vertragsformverbote280 und das Koppelungs- und Übermaßverbot verwiesen, das der freiwilligen Pflichtenübernahme Privater dem Staat gegenüber indisponible Grenzen zieht 281. Die Substitution hoheitlichen Handelns durch informelle Absprachen ist darüber hinaus im Hinblick auf die Wahrung der Grundrechte und des Rechtsstaatsgebots erörterungsbedürftig: Zu klären ist, ob und unter welchen Voraussetzungen hoheitlich induzierte informelle Selbstbindungen Privater (deren faktisch verhaltenslenkende Wirkung sich im Einzelfall durchaus mit der einer heteronomen Bindung durch Rechtsnormen messen kann) als gerichtlich überprüfbare Eingriffe in die Grundrechte der Verpfl ichteten, aber auch betroffener Dritter zu erfassen sind 282 ; in Frage steht außerdem die Geltung

277

Schlette, Verwaltung als Vertragspartner, S. 14. Stern, VerwArch 49 (1958), 106, 123; Spannowsky, Verträge und Absprachen, S. 279. 279 Mayer, AöR 3 (1888), 3, 42. Aus der neueren Lit. vgl. zustimmend Burmeister, in: VVDStRL 52 (1993), S. 190, 227; ablehnend Schlette, Verwaltung als Vertragspartner, S. 36 ff. 280 Zu den Fällen der Vertragsformverbote Gurlit, Verwaltungsvertrag und Gesetz, S. 251 ff.; Schlette, Verwaltung als Vertragspartner, S. 559 ff. 281 Zum Verhältnis der Mißbrauchsschranken des Verwaltungsvertragsrechts zum Prinzip der Freiwilligkeit der vertraglichen Pfl ichtenübernahme ausführlich Spannowsky, Grenzen des Verwaltungshandelns, S. 393 ff. 282 Herzu Köpp, Normvermeidende Absprachen, S. 204 ff. (Grundrechte der Beteiligten), 218 ff. (Grundrechte Dritter). 278

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des Gesetzesvorbehalts und die Einhaltung der Zuständigkeits- und Kompetenzordnung durch die staatlichen Stellen, die sich dieses Instruments bedienen 283. b) Theoretische Einbindung aa) Übertragbarkeit einer marktfunktionalen Selbstbindungskonzeption Mit einer versprechensethischen Konzeption der Selbstbindung fällt es leicht, die soeben skizzierten Erscheinungsformen rechtlicher Selbstbindung jenseits des Marktkontexts zu erklären: Die dieser Sicht zugrunde liegende Vorstellung von der Person und damit auch von der ihr zuzurechnenden Selbstbindung liegt allen sozialen Zusammenhängen voraus und ist grundsätzlich allgemeingültig 284 – die Forderung, daß man sich an sein Versprechen zu halten habe, ist unabhängig davon zu erheben, ob ein Händler seinem Kunden, eine Ehefrau ihrem Mann oder ein Unternehmen einer Behörde ein Versprechen gegeben hat. Fraglich und schwer zu beantworten ist aus dieser Perspektive jedoch, welche Erwägungen dazu führen, die rechtliche Anerkennung einer autonom eingegangenen Bindung an erhöhte Anforderungen (etwa in Gestalt eines positiv festzustellenden Rechtsbindungswillens) zu knüpfen, sie zu beschränken oder sogar ganz zu verweigern. Die hier bezogene Position kennt dagegen keine universelle Idee der Selbstbindung, an die sie anknüpfen könnte, und damit auch nicht die Selbstverständlichkeit, mit der man bei versprechensethischer Orientierung in der Selbstbindung auf Märkten wie in den Bereichen von Familie und Freundschaft, in der »horizontalen« Beziehung zwischen Privaten wie in der »vertikalen« Beziehung Privater zu einem Hoheitsträger jeweils dieselben Grundgedanken verwirklicht sehen kann. Doch schließt dies nicht aus, daß Selbstbindungsregeln, die zunächst im Hinblick auf Märkte formuliert wurden, sich auch in anderen Zusammenhängen als tauglich zur Lösung von Kooperationsproblemen erweisen. Es kommt allein auf die Vergleichbarkeit der Problemstellung, nämlich auf die Notwendigkeit rechtlicher Sanktionen als Verhaltensanreize zur Absicherung von Kooperationsmechanismen an. Vergleichbar mit der Marktsituation ist die Interaktion in anderen Kontexten dann, wenn die agierenden Personen als homines oeconomici verstanden werden können und dürfen. Unter abweichenden Prämissen bestünde die sich unter Marktbedingungen ergebende Problematik nicht oder versagte der privatrechtliche Sanktionsmechanismus als dessen Lösung – es wären, sähe man vom ökonomischen Verhaltensmodell ab, weder ein opportunistisches Verhalten der Akteure noch deren Reaktionen auf rechtliche Anreize prognostizierbar. Daher ist bei der Übertragung rechtspolitischer Überlegungen zur marktbezogenen Funktion und Gestaltung privatrechtlicher Selbstbindung auf andere Zusammenhänge stets zu überprüfen, ob und inwieweit die positiven und die normativen Voraussetzungen 283 Zum Gesetzesvorbehalt Köpp, Normvermeidende Absprachen, S. 229 ff.; zu kompetenziellen Fragen ders., S. 172 ff. 284 Siehe oben, § 4 II (am Anfang).

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vorliegen, die es erlauben, das ökonomische Modell anzuwenden. Die Besonderheiten rechtlicher Selbstbindung jenseits des Marktes sind auf dieser Basis als Ausdruck positiver und normativer Grenzen des ökonomischen Modells zu verstehen. bb) Positive Grenzen An positive Grenzen stößt die Übertragbarkeit eines am Markt orientierten Selbstbindungskonzepts auf andere Zusammenhänge dort, wo die Annahme (eingeschränkt) rationalen Verhaltens der Akteure nicht plausibel und demzufolge der ökonomische Ansatz nicht fruchtbar ist. Verhalten, das nicht einmal der Intention nach ökonomisch rational, sondern irrational »ohne Bedauern« ist, kann zwar im Marktkontext als marginale Erscheinung vernachlässigt werden 285 ; dies gilt jedoch nicht für jeglichen sozialen Handlungszusammenhang: Die das ökonomische Modell kennzeichnende Zweckrationalität ist nur eine mögliche, aber nicht die einzige Orientierung sozialen Handelns. Bereits Max Weber stellte – ohne Anspruch auf Vollständigkeit und eindeutige Zuordnungen – der Zweckrationalität die wertrationale (durch den Glauben an den Eigenwert eines Verhaltens bestimmte), die affektuelle (durch Gefühle und Gemütslagen bestimmte) und die traditionale (durch eingelebte Gewohnheit bestimmte) Verhaltensorientierung zur Seite286 . Man muß das Modell des homo oeconomicus nicht gleich zugunsten der Vorstellung eines nicht durch (Zweck-)Rationalität, sondern durch Normbefolgung gekennzeichneten homo sociologicus287 über Bord werfen, um anzuerkennen, daß ökonomische Rationalität außerhalb von Märkten als handlungsleitendes Motiv neben anderen verblassen kann. Dies erklärt etwa die Zurückhaltung des deutschen, englischen und amerikanischen Rechts bei der Annahme vertraglicher Bindungen im Bereich familiärer, affektiver und geselliger Beziehungen: Die – im Vergleich zu Vereinbarungen auf Märkten – erhöhten Anforderungen an den Nachweis des Rechtsbindungswillens spiegeln die Einsicht wider, daß sich die Akteure in diesen Beziehungen im Normalfall nicht als homines oeconomici verhalten und auch nicht so behandelt werden wollen. Daher bedarf es auch nur aus besonderem Anlaß der auf ökonomisches Verhalten zugeschnittenen Anreizmechanismen privatrechtlicher Selbstbindung. cc) Normative Grenzen Hinzu kommen die normativen Grenzen der Anwendung des ökonomischen Verhaltensmodells. Nach dem hier entwickelten Ansatz ist das Verständnis der Person, soweit sie Zurechnungssubjekt privatrechtlicher Selbstbindungen ist, als homo oeconomicus keiner Erkenntnis über die menschliche Natur zu verdanken, 285

Siehe oben, § 4 III 2 b. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 12 f. 287 Diesen Terminus prägte Dahrendorf in dem 1958 erstmals veröffentlichten Beitrag »Homo Sociologicus: Versuch zur Geschichte, Bedeutung und Kritik der Kategorie der sozialen Rolle«, abgedruckt in: Pfade aus Utopia, S. 128 ff. 286

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sondern einzig und allein dem Umstand, daß der Markt als Institutionalisierung negativer Freiheit diese Sicht der Person fordert 288. Die Rechtfertigung für diese Auffassung von der Person reicht daher nicht weiter als die Entscheidung einer Gesellschaft, die marktförmige Organisation sozialer Beziehungen zuzulassen. Hingegen mag es mit dem Auftreten des Individuums als Familienmitglied, als Freund, als Staatsbürger oder als Träger eines öffentlichen Amts unvereinbar sein, vom Bild des homo oeconomicus auszugehen, und zwar nicht deshalb, weil Individuen dann nicht rational und eigennützig sind, sondern weil sie es in diesen sozialen Zusammenhängen, anders als im Marktkontext, nicht sein sollen. Denn anders als der Markt sind Familie, Freundschaft und Staat in unserer Gesellschaft nicht so eingerichtet, daß sie mit Regeln auskämen, die das Individuum nur als Träger ökonomischer Rationalität in Anspruch nehmen. Die rechtlich oder sozial gestützten normativen Erwartungen an das Individuum sind in diesen Zusammenhängen auch und gerade auf ökonomisch irrationales Verhalten gerichtet, etwa darauf, daß die vermögende Tochter ihren bedürftigen Eltern unabhängig von künftigen oder zurückliegenden Gegenleistungen Unterhalt gewährt, daß mein Freund mich selbst dann nicht zu übervorteilen sucht, wenn er damit rechnen kann, daß dies von mir unbemerkt bleibt, oder daß der Staatsbürger an Wahlen teilnimmt und ggf. sein Leben als Soldat aufs Spiel setzt. Die hier bezogene Position stellt die Legitimität dieser nicht auf das Ökonomische reduzierbaren Formen der Organisation sozialer Beziehungen nicht in Frage: Im Unterschied zu einer mit universellem Anspruch auftretenden Ökonomik, die z. B. die Begründung des Staats in der auf Hobbes zurückgehenden vertragstheoretischen Tradition aus der Vorstellung eines freiwilligen, für alle Beteiligten nutzensteigernden Austauschs zu entwickeln sucht 289, wird hier anerkannt, daß der ökonomischen Perspektive in dieser Hinsicht Grenzen gezogen sind. Die verpflichtungstheoretisch verfehlte290 Ansicht, es sei eine notwendige und zugleich hinreichende Bedingung der Rechtfertigung sozialer Institutionen, daß sie sich als Resultate freiwilliger Übereinkünfte zwischen homines oeconomici darstellen lassen, macht sich diese Untersuchung gerade nicht zu eigen – die Anwendung des ökonomischen Verhaltensmodells setzt nach hiesigem Verständnis die

288

Siehe oben, § 4 III 2 b. So der Ansatz James M. Buchanans in seinem Werk The Limits of Liberty (1975). 290 Einer gründlichen Analyse und Kritik wird Buchanans kontraktualistische Staatsbegründung von Kersting, Gesellschaftsvertrag, S. 321 ff., unterzogen. – Der Hauptfehler dieser Ansicht (dazu eindringlich Kersting; a.a.O, S. 346 ff.) besteht darin, daß die vertragstheoretische Begründung sozialer Institutionen überhaupt nur gelingen kann, wenn die der Legitimation dienende (gedachte) Übereinkunft der Beteiligten unter bestimmten, in die Konzeption eines (gleichfalls gedachten) Naturzustands eingehenden Bedingungen geschlossen wurde, welche die Gleichheit der Beteiligten sicherstellen. Wer meint, es komme allein auf die faktische Übereinkunft an, egal unter welchen Bedingungen (insbesondere ungleichen Kräfteverhältnissen) sie geschlossen wurde, verleiht letztlich nur tatsächlichen Machtverteilungen (bis hin zur Sklaverei) den rechtlichen Segen. 289

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Entscheidung für eine marktförmige Organisation sozialer Beziehungen voraus und begründet sie nicht. Soweit soziale Beziehungen daher im Interesse der Aufrechterhaltung von Institutionen jenseits des Marktes legitimerweise einer »Ökonomisierung« entzogen sind, kann sich eine Übertragung der auf ökonomisches Verhalten zugeschnittenen Instrumente privatrechtlicher Selbstbindung einschließlich des Vertrags verbieten. Dies erklärt die unüberschreitbaren Grenzen der Selbstbindung im positiven Recht: Die für die Familie konstitutive Entscheidung des Einzelnen für oder gegen Nachkommenschaft etwa steht ebensowenig zur privatautonomen Disposition, wie die freiwillige Pflichtenübernahme des Privaten dem Staat gegenüber rechtsstaatliche Bindungen und kompetenzielle Schranken zu beseitigen vermag – Vertragsfreiheit wird insoweit nun einmal nicht gewährt, und es ist nicht Anliegen dieser Arbeit, das zu kritisieren. c) Die marktbezogene Selbstbindung als Leitbild für das Privatrecht Obwohl Instrumente rechtlicher Selbstbindung, wie gesehen, auch in Bereichen gebraucht werden, in denen eine Gesellschaft nicht marktförmig verfaßt ist, erweist es sich doch als sinnvoll, die rechtspolitischen Anforderungen an die allgemeinen (d. h. nicht spezifisch auf familien- oder erbrechtliche Zusammenhänge ausgerichteten) Regeln privatautonomer Bindung primär an den Erfordernissen des Marktes zu orientieren. Dem im deutschen Recht verwurzelten Juristen fällt es zunächst leicht, das »Vertikalverhältnis« zwischen Individuum und Staat aus der Betrachtung auszuklammern. Den Besonderheiten der Selbstbindung in dieser Beziehung läßt sich in einem System, das zwischen Privatrecht und öffentlichem Recht unterscheidet, durch ein besonderes öffentlich-rechtliches Regime für Verträge und außervertragliche Absprachen im Bereicht staatlicher Steuerung Rechnung tragen. Selbst im Common Law, dem diese Differenzierung ursprünglich fremd ist, beginnt sich die Einsicht duchzusetzen, daß vertragliche Beziehungen zwischen Privaten und der öffentlichen Hand einer gesonderten Betrachtung bedürfen 291. Das Privatrecht wird dadurch von der Notwendigkeit entlastet, Regeln für vertragliche und außervertragliche Selbstbindungstatbestände zu formulieren, die stets auch der StaatBürger-Beziehung gerecht werden. In der »horizontalen« Beziehung der Individuen zueinander liegen die Dinge anders. Selbstbindungen, die nicht im sozialen Kontext des Marktes angesiedelt sind, gehören genauso wie die marktbezogene Selbstbindung zur Regelungsmaterie des Privatrechts. Dennoch ist es angemessen, bei der Formulierung der Regeln privatrechtlicher Selbstbindung in erster Linie die Probleme der Kooperation von Individuen auf Märkten in den Blick zu nehmen: Die Anwendung von Mechanismen privatrechtlicher Selbstbindung in familiären, affektiven oder geselligen Be291

Vgl. Spannowsky, Grenzen des Verwaltungshandelns, S. 490.

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ziehungen setzt nach den vorangehenden Ausführungen voraus, daß Individuen, die einander als Eheleute, Geliebte, Freunde usw. verbunden sind, sich wie Marktakteure begegnen. Dies erlaubt es, von einem »Export«292 der marktfunktionalen Selbstbindungskonzeption zu sprechen – die rechtspolitischen Anforderungen an die Gestaltung der Regeln privatautonomer Bindung haben ihren gedanklichen Ursprung in den Problemen der Kooperation im Marktkontext; die hierzu entwickelten Lösungen können auf vergleichbare Problemlagen übertragen werden.

4. Zur Vereinbarkeit des hiesigen Ansatzes mit den Vorgaben des Grundgesetzes a) Das Menschenbild des Grundgesetzes Die hier vorgestellte Begründung der Legitimität der privatrechtlichen Selbstbindung in der gegenwärtigen Gesellschaft soll keine leere Abstraktion sein, sondern auch und vor allem die Legitimationsbasis der entsprechenden Regelungen im deutschen Privatrecht offenlegen. Zu fragen bleibt allerdings, ob sich diese Überlegungen mit den Vorgaben des Grundgesetzes vertragen. Zweifel hieran könnten insbesondere deshalb laut werden, weil der Vorstellung vom homo oeconomicus mangelnde Verfassungskonformität vorgeworfen wird: »REMM [der resourceful, evaluative, maximizing man, T. A.] ist nicht der Mensch eines verfassungsgestalteten Privatrechts in einer offenen Gesellschaft der Grundrechtsdemokratie.«293 Damit scheint eine Konzeption zu kollidieren, die das Subjekt privatautonomer Bindungen als homo oeconomicus versteht. Indes läßt sich der vermeintliche Widerspruch auflösen: Mit dem Begriff des homo oeconomicus, wie er hier verwendet wird, soll das Menschenbild des Grundgesetzes nicht abschließend defi niert werden; dieses Bild mag mehr und anderes umfassen als die Idee eines rational zum eigenen Nutzen handelnden Individuums. Vielmehr geht es, wenn vom homo oeconomicus die Rede ist, nur um einen Ausschnitt dessen, was das Grundgesetz über den Einzelnen aussagt: um das Individuum als Träger negativer Freiheit, die in verschiedenen, thematisch begrenzten Hinsichten durch die einzelnen Grundrechte in ihrer abwehrrechtlichen Dimension und subsidiär durch Art. 2 I GG geschützt ist. Die vorangehenden Ausführungen sollten vor allem zeigen, daß es zur Legitimation rechtlicher Sanktionen, die sich an das Vorliegen einer privatautonomen Bindung knüpfen, nicht mehr bedarf als dieser – vergleichsweise voraussetzungsarmen – Vorstellung von der sich selbst bindenden Person.

292 293

Siehe oben, § 4 III 1. Fezer, JZ 1986, 817, 822.

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b) Die verfassungsrechtliche Gewährleistung der Privatautonomie Klärungsbedürftig ist weiterhin, ob sich die marktfunktionale Konzeption in Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Einwirkung der Grundrechte auf das Vertragsrecht befindet. Im Zentrum der Judikatur steht – begreiflicherweise – nicht die Rechtfertigung vertraglicher Selbstbindung überhaupt, sondern die praktisch drängendere Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen es verfassungsrechtlich geboten ist, Ausnahmen von der Verbindlichkeit vertraglicher Pflichten zu machen. Insoweit hat das Bundesverfassungsgericht die Zivilrechtsordnung verpflichtet, »darauf zu achten, daß Verträge nicht als Mittel der Fremdbestimmung dienen«294, und dies mit der Forderung nach Korrekturen verknüpft, wenn es sich »um eine typisierbare Fallgestaltung [handelt], die eine strukturelle Unterlegenheit des einen Vertragsteils erkennen läßt, und [. . .] die Folgen des Vertrages für den unterlegenen Vertragsteil ungewöhnlich belastend [sind]«295. Diese Pflicht zum Schutz vor fremdbestimmter Bindung296 basiert auf der Prämisse, daß die rechtliche Durchsetzung der selbstbestimmten Bindung als notwendige gesetzliche Ausgestaltung der Privatautonomie keiner weiteren Rechtfertigung bedarf. Hierzu stellte das Bundesverfassungsgericht fest, daß die Gewährleistung der Privatautonomie »die justitielle Realisierung gleichsam mitdenkt und daher die Pflicht des Gesetzgebers begründet, rechtsgeschäftliche Gestaltungsmittel zur Verfügung zu stellen, die als rechtsverbindlich zu behandeln sind und auch im Streitfall durchsetzbare Positionen begründen«297. Weil das Bundesverfassungsgericht in dieser Aussage eine Verknüpfung der vom Gesetzgeber zur Verfügung zu stellenden rechtsgeschäftlichen Gestaltungsmittel mit deren Rechtsverbindlichkeit und Durchsetzbarkeit herstellt, könnte man annehmen, das Gericht mache sich die versprechensethische Sicht des Rechtsgeschäfts zu eigen, der die Erzwingbarkeit der vertraglich versprochenen Leistung im Wege des Erfüllungsanspruchs eine Selbstverständlichkeit ist. Damit wäre das hiesige Verständnis privatrechtlicher Selbstbindung unvereinbar. In Anbetracht des Kontextes der zitierten Äußerung, die ja nur auf das eigentlich entscheidungserhebliche Problem der Befreiung von einer fremdbestimmten vertraglichen Bindung hinführt, ist es jedoch schwer vorstellbar, daß das Bundesverfassungsgericht dem Zivilrechtsgesetzgeber nicht nur die Zurverfügungstellung, sondern auch die Aus294

BVerfG 19. 10. 1993, BVerfGE 89, 214, 234. BVerfG (wie vorige Fn.), 232. Der Paritätsgedanke fi ndet sich schon im Handelsvertreterbeschluß BVerfG 7. 2. 1990, BVerfGE 81, 242, 255, und wurde nachfolgend bestätigt durch BVerfG 5. 8. 1994, NJW 1994, 2749, 2750; 2. 5. 1996, NJW 1996, 2021; 6. 2. 2001, NJW 2001, 957, 958. 296 Dazu, daß die vom BVerfG geforderten Korrekturen bei Ungleichgewichtslagen als Ausdruck einer solchen Schutzpfl icht eingeordnet werden sollten, mit Bezug auf die (insoweit ambivalente) Bürgschaftsentscheidung BVerfGE 89, 214, Verf., in: Verfassungsrechtsprechung, S. 524, 526. Eindeutig ist der Bezug zur Schutzpfl ichtdimension der Grundrechte nunmehr in BVerfG 6. 2. 2001, NJW 2001, 957, 958. 297 BVerfG 19. 10. 1993, BVerfGE 89, 214, 231 f. 295

III. Die privatrechtliche Selbstbindung als Instrument der Freiheitssicherung

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gestaltung rechtsgeschäftlicher Sanktionsmechanismen für den »Normalfall« der selbstbestimmten Bindung vorschreiben wollte. Im übrigen impliziert die Rede von der Verbindlichkeit und Durchsetzbarkeit nicht notwendig den Erfüllungszwang als rechtliche Sanktion; die Durchsetzung vertraglicher Pfl ichten kann, wie das Beispiel des Common Law und die Geschichte unseres eigenen Rechts lehren 298 , durchaus mit den Mitteln des Schadensersatzes betrieben werden. Schließlich wäre einer verfassungsrechtlichen Festlegung des Zivilrechtsgesetzgebers auf die gerichtliche Durchsetzbarkeit der Naturalerfüllung auch in der Sache zu widersprechen: Unbestritten sei, daß die Privatautonomie im allgemeinen und die Vertragsfreiheit im besonderen den Gegenstand einer ungeschriebenen Institutsgarantie bilden 299 und daß Art. 2 I GG in seiner Funktion als Eingriffsabwehrrecht, aber auch die Art. 14 I, 12 I GG sowie andere Grundrechte, in deren Schutzbereich privatautonomes Handeln fällt 300 , die Privatautonomie subjektivrechtlich absichern301. Die Rechtsordnungsabhängigkeit dieses Instituts darf nicht zu dem Schluß verführen, es handele sich hierbei um eine vom Staat nach freiem Ermessen gewährte und auch wieder zurücknehmbare Leistung302. Dies zeigt gerade der hier entwickelte Ansatz: Rechtliche Mechanismen der Selbstbindung sind danach notwendige Bedingung für die Betätigung negativer Freiheit in der Kooperation zwischen Individuen 303. Soweit das Grundgesetz dem einzelnen diese Freiheit grundrechtlich garantiert, ist daher die Bereitstellung solcher Mechanismen notwendiger Bestandteil der Freiheitsverbürgung, soll diese nicht gegenstandslos sein. Wenn der Staat dieser Forderung nicht oder – man denke z. B. an zwingendes Vertragsrecht oder Kontrahierungszwänge – nur in beschränktem Maße nachkommt, liegt dem298 Zur historischen Entwicklung von der Geldverurteilung zur Verurteilung zur Naturalerfüllung näher Nehlsen-v. Stryk, AcP 193 (1993), 529 ff.; Repgen, Vertragstreue und Erfüllungszwang in der mittelalterlichen Rechtswissenschaft, 1994; Rütten, in: FS Gernhuber, S. 939 ff. 299 Hierfür etwa Drexl, Selbstbestimmung, S. 234; Enderlein, Rechtspaternalismus, S. 130; Isensee, in: FS Großfeld, S. 485, 494; S. Lorenz, Unerwünschter Vertrag, S. 18 ff.; Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 304 ff. 300 Insoweit sind neben Art. 6 I GG, der Abschluß- und Inhaltsfreiheit im Hinblick auf Eheverträge gewährleistet (BVerfG 6. 2. 2001, NJW 2001, 957, wo allerdings zusätzlich Art. 2 I GG herangezogen wird), und Art. 9 I GG, der die rechtsgeschäftliche Gestaltung gesellschaftsrechtlicher Verhältnisse schützt, auch die »privatrechtsfremden« Grundrechte mitzubedenken: So kann die entgeltliche Veräußerung eines Kunstwerks in den Schutzbereich von Art. 5 III GG fallen oder der Kauf eines Grundstücks für eine Moschee Art. 4 I und II GG zuzuordnen sein (näher Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 299 ff.). 301 Vgl. (mit Bezug auf Art. 2 I GG) BVerfG 23. 6. 1993, BVerfGE 89, 48, 61; 8. 4. 1997, BVerfGE 95, 267, 303 f. 302 Ebenso im Ergebnis Canaris, JZ 1987, 993, 995; Enderlein, Rechtspaternalismus, S. 131 ff.; Manssen, Privatrechtsgestaltung durch Hoheitsakt, S. 170 ff.; Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, S. 224; Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 313. A. A. insbesondere Flume, in: FS DJT I, S. 135, 136 ff., der zwar die Privatautonomie als Institut garantiert sieht, es aber ablehnt, daraus weitere Folgen herzuleiten, weil der Einzelne die Privatautonomie nur aus der Hand des Gesetzgebers erhalte, sowie vor ihm schon Rittner, Ausschließlichkeitsbindungen, S. 64. 303 Siehe oben, § 4 III 2 c.

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§ 4 Die Legitimation privatrechtlicher Selbstbindung

nach ein ebenso rechtfertigungsbedürftiger Eingriff vor, wie er anzunehmen wäre, wenn der Staat die auf privatrechtliche Stabilisierung angewiesene Freiheitsbetätigung geradewegs verböte. Keinen Eingriffscharakter haben dagegen die rechtlichen Regeln, welche die Forderung nach einer privatrechtlichen »Infrastruktur« für grundrechtlich geschützte Freiheitsbetätigung umsetzen. Hierzu gehört auch das feine Geflecht (dispositiver) Sanktionen, die das Schuldrecht an das Vorliegen einer (nicht erfüllten) rechtsgeschäftlichen Verpflichtung knüpft: Sie schaffen die zur kooperativen Freiheitsbetätigung erforderlichen Anreize. Deshalb ist die Gewährung primärer und sekundärer rechtsgeschäftlicher Ansprüche gegen den rechtsgeschäftlich Gebundenen kein Eingriff in dessen Freiheit, sondern gesetzliche Ausgestaltung der Privatautonomie304. Dem Gesetzgeber ist in dieser Hinsicht, wie stets bei der Ausgestaltung einer normgeprägten Grundrechtsgewährleistung, ein weiter Beurteilungsspielraum zuzugestehen305. Auch ohne dessen Reichweite genau ausmessen zu müssen, wird man jedenfalls sagen können, daß der Spielraum sich hier nicht auf die Statuierung des Erfüllungsanspruchs als primärer Form rechtsgeschäftlicher Haftung beschränkt: Die Gewißheit, daß die Erfüllungspfl icht die einzig legitime, »reife« Gestalt des Vertragsrechts kennzeichnet, kann nur haben, wer in der versprechensethischen Tradition eine vorpositive Vertragsidee vor Augen hat, die es allein rechtlich nachzuformen gilt. Daß es sich hierbei um eine unserer Gesellschaft nicht angemessene Vorstellung handelt, hat dieses Kapitel der Untersuchung zu zeigen versucht.

IV. Fazit Die Regeln privatrechtlicher Selbstbindung beziehen ihre Legitimität nicht aus ethischen Erwägungen über die Verbindlichkeit des Versprechens, sondern aus ihrer freiheitssichernden Funktion: Sie sind notwendig zur Konstitutierung und Aufrechterhaltung des Marktes als einer sozialen Institution, in der sich negative Freiheit verwirklicht. Zur Erfüllung dieser Aufgabe tragen sie bei, indem sie Anreize in Gestalt privatrechtlicher Sanktionen zur Verfügung stellen, die den Marktakteuren die – bei Annahme rationalen Verhaltens unter Einbeziehung von Opportunismus sonst ganz erheblich geschmälerte – Chance verschaffen, miteinander zum beiderseitigen Vorteil zu kooperieren. Diese Anreizmechanismen lassen sich auch außerhalb des Marktkontexts einsetzen, allerdings nur dann, wenn es sich nicht aus positiven oder normativen Gründen verbietet, den kooperierenden Akteuren ein – zumindest der Intention nach – ökonomisch rationales Verhalten zu unterstellen. 304 So bereits Verf., in: Verfassungsrechtsprechung, S. 524, 526; Wiedemann, JZ 1994, 411, 412. A. A. Looschelders/W. Roth, JZ 1995, 1034, 1041 Fn. 68. 305 Eingehend dazu Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 104 ff.

IV. Fazit

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Unsere Ausgangsfrage, ob von privatrechtlicher Selbstbindung nur im Hinblick auf Willensakte die Rede sein darf, mit denen Privatrechtssubjekte Rechtsfolgen in Geltung setzen, oder ob die privatrechtliche Selbstbindung als Steuerungsinstrument verstanden werden muß, ist damit entschieden: (Quasi-)Vertragsrecht ist ein Instrument der Verhaltenssteuerung, ein Instrument freilich, das nicht zu beliebigen Zwecken, sondern mit dem Ziel einzusetzen ist, dem einzelnen zur Verwirklichung seiner negativen Freiheit zu verhelfen.

§ 5 Die Schutzwürdigkeit des negativen Interesses Mit der Befreiung von der versprechensethischen Sicht auf die Regeln privatrechtlicher Selbstbindung und der Hinwendung zu einer funktionalen, auf die Erfordernisse der marktförmigen Kooperation rationaler Akteure ausgerichteten Perspektive ist der privatrechtstheoretische Grund für die Beantwortung der zu Beginn dieses Teils der Untersuchung gestellten rechtspolitischen Grundfragen gelegt worden. Zunächst sei die Frage nach der Eignung der Haftung auf das negative Interesse als Sanktion für zivilrechtliche Selbstbindungstatbestände aufgeworfen. Was kann, so läßt sich die Frage aufgrund der hier getroffenen theoretischen Weichenstellung umformulieren, die Pflicht zum Ersatz des negativen Interesses zum Gelingen marktförmiger Kooperation beitragen? Diese Frage zielt auf die Funktion der Haftung auf das negative Interesse.

I. Die Steuerung der Produktion normativer Erwartungen als Aufgabe des Haftungsrechts Das Problem opportunistischen Verhaltens nach Vertragsschluß, dessen Lösung zwar nicht die einzige, aber die vordringlichste Aufgabe des Vertragsrechts ist, ergibt sich aus der zeitlichen Ausdehnung jeder nicht gänzlich auf simultanes Geben und Nehmen schlichtester Güter beschränkten Kooperation. Selbst wenn – wie bei Bargeschäften des täglichen Lebens – Leistung und Gegenleistung gleichzeitig und ohne zeitlich vorausgehende Verpflichtung ausgetauscht werden, ist die Vollständigkeit und Mangelfreiheit der Leistungen durch den jeweiligen Empfänger oft erst in der Folgezeit zu beurteilen, und bereits damit eröffnet sich das Risiko opportunistischen Verhaltens des Leistenden1. Wenn Fuller die ökonomische Funktion des Schutzes des Erfüllungsinteresses darin erblickte, daß damit, »for purposes of trade«, die Erwartung künftiger Werte in gegenwärtige Werte, nämlich in Eigentumsrechte2 , verwandelt werde3, hatte er also nicht ganz unrecht: Weil die Gefahr opportunistischen Verhaltens aus der zeitlichen Dimension einer Trans-

1

Näher dazu oben, § 4 III 2 c aa. Hier zu verstehen als Übersetzung von »property rights« und nicht als Eigentum i. S. v. § 903 BGB. 3 Fuller/Perdue, 46 Yale L. J. 52, 59 (1936). 2

I. Die Steuerungsaufgabe des Haftungsrechts

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aktion folgt4, kann man die Beseitigung dieser Gefahr durch den Schutz des Erfüllungsinteresses in Gestalt von Naturalerfüllung oder Schadensersatz metaphorisch als Aufhebung der zeitlichen Ausdehnung der Transaktion beschreiben, allerdings ohne dadurch viel klüger zu werden. Vor allem aber bleibt die von Fuller aus aristotelisch inspirierten Gerechtigkeitserwägungen 5 als vertragsrechtliche Regelsanktion postulierte Haftung auf das negative Interesse ökonomisch unerklärlich, da sie diese Aufgabe offenkundig schlechter erfüllt als eine auf die Herstellung der bei ordnungsgemäßer Erfüllung bestehenden Lage zielende Sanktion6 . Unter Heranziehung des Instrumentariums der ökonomischen Analyse des Rechts und der Informationsökonomik läßt sich dieses Defizit beheben: Die Haftung auf das negative Interesse dient in der Tat nicht dem Zweck, opportunistisches Verhalten nach Vertragsschluß zu verhindern. Sie soll vielmehr nur dafür sorgen, daß es beim Zustandekommen von Verträgen nicht zu einer Negativauslese (sogennante »adverse Selektion«7) unter den potentiellen Partnern kommt, die Folge einer asymmetrischen Informationsverteilung zwischen beiden Seiten über das ex ante erkennbare Nichterfüllungsrisiko ist. Dementsprechend steuert sie den Kooperationsprozeß in einer zeitlichen früheren Phase: Nicht das Verhalten im Zusammenhang mit der Erfüllung einer bereits bestehenden normativen Erwartung, sondern das normativitätsstiftende Verhalten selbst ist Anknüpfungspunkt der Haftung auf das negative Interesse. Ihre Aufgabe ist die – wegen der Informationsasymmetrie durch den Preismechanismus nicht zu erreichende – Minimierung der sozialen Kosten solchen Verhaltens8. Kurz: Während Ansprüche auf Erfüllung oder Ersatz des Erfüllungsinteresses die Sicherung bereits bestehender normativer Erwartungen bezwecken, gewährleistet die Haftung auf das negative Interesse, daß deren Produktion das sozial erwünschte Niveau nicht überschreitet. Die sogleich näher zu begründende Wirkung der Haftung auf das negative Interesse läßt sich am einfachsten durch eine Analogie zum Produkthaftungsrecht veranschaulichen9 : Wer einem anderen etwas verspricht, erbringt, nicht anders als 4 Vgl. auch Macneil, New Social Contract, S. 4 ff. (»projecting exchange into the future« als wesentliches Moment des Vertragsbegriffs). 5 Dazu oben, § 3 II 1 b. 6 Dies klingt bei Fuller/Perdue zumindest an, wenn es zur Beschränkung der vertraglichen Haftung auf das negative Interesse heißt (46 Yale L. J. 52, 62 (1936)): »Such a rule would in practice tend to discourage reliance.« 7 Zur näheren Erläuterung siehe unten, Abschnitt III 1 b. 8 Goetz/Scott, 89 Yale L. J. 1261, 1264 (1980), auf deren Analyse die nachfolgende Darstellung der Ökonomik des Versprechens beruht, wollen nicht nach einer kostenminimierenden, sondern nach einer nutzenmaximierenden Sanktion suchen: »Which system of promissory enforcement yields the maximum net social benefits from promise making?« Wie Birmingham, 60 Wash. L.Rev. 217, 248 (1985), zu Recht bemerkt, ist diese Formulierung unglücklich gewählt, denn Sanktionen zielen auf Kostenminimierung. In der Sache geht es Goetz/Scott aber um das hier beschriebene Anliegen. 9 So auch schon Goetz/Scott, 89 Yale L. J. 1261, 1275 (1980), die »strong theoretical parallels between the production of dangerous, but useful products and the making of promises« sehen.

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§ 5 Die Schutzwürdigkeit des negativen Interesses

etwa der Betreiber einer Eisenbahn oder der Hersteller eines Arzneimittels, bereits mit dem Versprechen als solchem eine Leistung, die bei ihrem Empfänger sowohl Nutzen als auch Schaden stiften kann. Sie nützt, wenn die Erwartung, die das Versprechen hervorruft, erfüllt wird, und sie schadet, wenn sie enttäuscht wird. Man kann anstreben, den Nutzen des Versprechens mit rechtlichen Mitteln sicherzustellen, so wie man oft versucht, den Nutzen eines Produkts durch eine Qualitätsregelung zu gewährleisten. Dies ist, in grobem Umriß10 , das Anliegen der auf die Verwirklichung des Erfüllungsinteresses zielenden Sanktionen. Man kann aber auch nur bestrebt sein, Schäden zu verhüten, so wie es, wenn auch nicht um jeden Preis, wesentliches Ziel der Haftung für Produktschäden ist. Dies ist die ratio der Haftung auf das negative Interesse: Schäden, die aus der Erteilung von Versprechen entstehen, zu vermeiden, soweit die dafür aufzuwendenden Kosten die zu erwartende Schadensverringerung nicht übersteigen11. Auf diese Weise werden die sozialen Kosten des Versprechens12 , von dem in den Abschnitten II. und III. stellvertretend für die Gesamtheit normativitätsstiftenden Verhaltens die Rede sein wird, minimiert. Zwei Schritte werden im folgenden zur Begründung dieser These hinführen: Zunächst (unter II.) gilt es, die Ökonomik des Versprechens zu erklären, wie sie in der hier behaupteten Parallele zur Herstellung eines gefährlichen Produkts angeklungen ist. Daran anschließend (unter III.) wird die Legitimation der Haftung auf das negative Interesse aus dem Problem informationsbedingten Marktversagens (»adverse Selektion«) entwickelt. Schließlich (unter IV.) ist die Relevanz der hier im Hinblick auf das Versprechen begründeten These für das normativitätsstiftende Verhalten insgesamt zu erläutern. Damit der hier zu entwickelnde Begründungszusammenhang nicht gleich durch zusätzliche, die Eignung der Haftung auf das negative Interesse als Selbstbindungssanktion relativierende Betrachtungen überlagert, sondern in seiner Reinform sichtbar wird, seien zunächst zwei Gesichtspunkte ausgeblendet, deren Untersuchung den folgenden Kapiteln (§§ 6 und 7) vorbehalten bleibt: die unmittelbar auf die Lösung des Opportunismusproblems zielenden privatrechtlichen Sanktionen auf der einen und die außerprivatrechtlichen Mechanismen der Kooperationssicherung auf der anderen Seite. Unterstellt sei also, um diese Einschränkungen ins Positive zu wenden, vorerst ein gleichsam naturzustandshaftes Versprechen, gegen dessen Einhaltung sich der Versprechende entscheiden kann, ohne daß er den rechtlichen Zwang eines Vertrags oder den sozialen Druck einer gesellschaftlichen Konvention gewärtigen muß. Auf manchen mag der nachfolgende Gedankengang deshalb gekünstelt wirken. Daß es sich hierbei aber nicht nur um ein 10 Näher zur ökonomischen Begründung der auf den Schutz des Erfüllungsinteresses gerichteten Sanktionen unten, § 6 II. 11 Wobei es jeweils um marginale Effekte geht, dazu unten, Abschnitt II 3. 12 Unterstellt sei dabei der zu Beginn dieses Teil der Untersuchung (siehe oben, § 2) angesprochene, semantisch eindeutige Fall eines Versprechens: A verspricht dem B bewußt und explizit die Erbringung einer eigenen Leistung.

II. Zur Ökonomik des Versprechens: Schadensrisiko und Schadensvermeidung

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wirklichkeitsfremdes Konstrukt, sondern um einen rechtspolitisch relevanten Sachverhalt handelt, wird sich dann zeigen, wenn die Lückenhaftigkeit der hier noch unberücksichtigt bleibenden Mechanismen rechtlicher und sozialer Kooperationssicherung jenseits der Haftung auf das negative Interesse erwiesen ist.

II. Zur Ökonomik des Versprechens: Schadensrisiko und Schadensvermeidung Die Aufgabe der Haftung auf das negative Interesse und die Form, in der sie dieser Aufgabe am besten nachkommen kann, erschließt sich nur vor dem Hintergrund der Ökonomik des Versprechens13 : Unerläßliche Voraussetzung für das Verständnis der mit den Haftungsregeln bezweckten Schadensvermeidung sind Einsichten über Kosten und Nutzen des Versprechens (dazu 1.), und die Möglichkeiten des Versprechenden sowie des Versprechensempfängers, etwaige Schäden durch ihr Verhalten in effizienter Weise zu minimieren (dazu 2. und 3.).

1. Kosten und Nutzen des Versprechens für den Versprechensempfänger Über den Wert eines Versprechens scheint man bei oberflächlicher Betrachtung nur so viel sagen zu können: Wenn es gehalten wird, ist es so viel wert wie das Versprochene, und es ist nichts wert, wenn es gebrochen wird. Aber so einleuchtend beide Aussagen auf den ersten Blick wirken mögen, so unrichtig sind sie: Das Versprechen und sein Gegenstand werden darin gleichgesetzt. Damit vernachlässigt man, daß das Versprechen selbst Wert oder Unwert sein kann. Es ermöglicht seinem Empfänger, indem es ihm eine Information über eine ihm künftig zukommende Leistung vermittelt, Verhaltensanspassungen im Hinblick auf diese Information und kann damit, je nachdem ob es erfüllt wird oder nicht, als solches Nutzen stiften oder Kosten verursachen. Insoweit sei von Vertrauensnutzen und Vertrauenskosten die Rede. In Anknüpfung an ein in der rechtsökonomischen Literatur diskutiertes Beispiel lassen sich die spezifischen Effekte des Versprechens – unter Verzicht auf eine formale Darstellung – wie folgt beschreiben14 : 13 Am entgegengesetzten Ausgangspunkt setzt Ripperger, Ökonomik des Vertrauens (vgl. dazu auch die Rezensionsabhandlung von Engel, Vertrauen), an, welche die Vertrauensbeziehung als Principal-Agent-Beziehung analysiert. Die ökonomische Fruchtbarkeit dieser Perspektive sei hier nicht in Frage gestellt. Sie ist indes für die Zwecke dieser Untersuchung weniger geeignet, weil die Vertrauensbeziehung, die Ripperger untersucht, eine solche ist, in der es an einer expliziten vertraglichen Regelung fehlt (a.a.O., S. 48 ff.). »Vertrauen« versteht sie daher (a.a.O., S. 60) als »die freiwillige Erbringung einer riskanten Vorleistung unter Verzicht auf explizite vertragliche Sicherungs- und Kontrollmaßnahmen«. Hier geht es indes gerade auch um das »Vertrauen« auf die Einhaltung eines expliziten, durch rechtliche Sanktionsmechanismen abgesicherten Versprechens. 14 Zum folgenden Goetz/Scott, 89 Yale L. J. 1261, 1266 ff. (1980). Das Beispiel und/oder die Terminologie (»beneficial reliance« und »detrimental reliance«, hier übersetzt als »Vertrauens-

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§ 5 Die Schutzwürdigkeit des negativen Interesses

Man stelle sich vor, daß A, der potentielle Adressat eines Versprechens, über einen Betrag von 1.000,– A verfügt. A kann frei entscheiden, wie er sich den Betrag zwischen zwei Verbrauchszeitpunkten, nämlich zwischen jetzigem Verbrauch und dem Verbrauch zu einem bestimmten künftigen Zeitpunkt, einteilt. Er wird eine Einteilung wählen, mit der er seinen Nutzen maximiert, etwa 500,– A zum gegenwärtigen und 500,– A zum künftigen Zeitpunkt ausgeben. Sollte A zu dem späteren Zeitpunkt überraschend 500,– A von B erhalten, kann er seine Entscheidung für den gegenwärtigen Zeitpunkt nicht mehr revidieren; A hat dann zu dem späteren Zeitpunkt schlicht 1000,– A statt, wie ursprünglich von ihm erwartet, nur 500,– A zur Verfügung. Verspricht B dem A dagegen bereits zum gegenwärtigen Zeitpunkt denselben Betrag für den künftigen Zeitpunkt, kann A seine Entscheidung über die Einteilung des Gesamtbetrags (einschließlich der schon vorhandenen 1.000,– A) darauf einrichten und damit seinen Gesamtnutzen aus den beiden Ausgabezeitpunkten anhand dieser Information maximieren, also etwa 750,– A jetzt und 750,– A zu dem künftigen Zeitpunkt ausgeben15. Den durch diese Entscheidung erzielten Zuwachs an Nutzen gegenüber der suboptimalen Mitteleinteilung bei unerwartetem Vermögenszuwachs beschert dem A allein das Versprechen des B. Der Vertrauensnutzen (»beneficial reliance«) ist also die Differenz zwischen dem Nutzen, der für den Empfänger einer Leistung aufgrund eines vorherigen Versprechens dieser Leistung realisierbar ist, und dem Nutzen, den der Leistungsempfänger bei Erhalt derselben Leistung ohne vorangehendes Versprechen erzielen kann. Dies, und nicht der Wert der Leistung als solcher, ist der Wert des Versprechens, wenn es gehalten wird. Nun zur Kehrseite der Medaille: Wenn das Versprechen gebrochen wird, A also zu dem künftigen Zeitpunkt die versprochenen 500,– A von B nicht erhält, wird A, sofern er auf die Erfüllung vertraut hat, bereits 750,– A ausgegeben und nur noch 250,– A zur Verfügung haben. Dadurch verschlechtert sich sein Gesamtnutzen im Vergleich zu der Lage, in der er sich befände, wenn von der Zuwendung nie die Rede gewesen wäre. Statt der optimalen Allokation seiner Mittel, nämlich der hälftigen Aufteilung zwischen gegenwärtiger und künftiger Verwendung, wählt A in irriger Antizipation der Leistung des B eine für ihn weniger günstige: Er investiert zum gegenwärtigen Zeitpunkt einen Mehrbetrag von 250,– A, den er zum künftigen Zeitpunkt mit mehr Nutzen würde einsetzen können. Diese Nutzeneinbuße (die nicht mit dem Betrag von 250,– A gleichgesetzt werden darf16) im Vergleich zur optimalen Aufteilung der vorhandenen Mittel ist, nicht anders als nutzen« und »Vertrauenskosten«) werden in der rechtsökonomischen Literatur immer wieder aufgegriffen, so etwa von Birmingham, 60 Wash.L.Rev. 217, 246 f. (1985), und in: New Palgrave Bd. 3, S. 294, 295; Craswell, 48 Stan.L.Rev. 481, 489 f. (1996); Katz, 105 Yale L. J. 1249, 1267 f. (1996); ähnlich auch das Beispiel bei Mather, Contract Law and Morality, S. 5. 15 Unterstellt sei, daß es keinen Dritten gibt, der dem A bereits zum gegenwärtigen Zeitpunkt einen Kredit im Hinblick auf dessen zu erwartenden Vermögenszuwachs gibt. 16 Dieser Betrag ist ja nicht vollständig verschwendet, sondern nur suboptimal verwendet worden; näher Goetz/Scott, 89 Yale L. J. 1261, 1269 (1980).

II. Zur Ökonomik des Versprechens: Schadensrisiko und Schadensvermeidung

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der Vertrauensnutzen, allein auf das Versprechen des B zurückzuführen. Die Vertrauenskosten (»detrimental reliance«) sind demnach die Differenz zwischen dem Nutzen, den der Adressat eines Versprechens bei irriger Annahme der Erfüllung mit seinen vorhandenen Mitteln zu erzielen imstande ist, und dem Nutzen, den er aus seinen vorhandenen Mitteln ohne das Versprechen ziehen kann. Damit läßt sich auch die zweite der eingangs aufgestellten Behauptungen richtigstellen: Der Wert eines Versprechens, das nicht gehalten wird, ist nicht gleich Null, sondern negativ; das nicht eingehaltene Versprechen verursacht Kosten, nämlich Vertrauenskosten. Eine Kosten-Nutzen-Bilanz im Zeitpunkt der Versprechensabgabe darf nun nicht beide Effekte undiskontiert einander gegenüberstellen. In diesem Zeitpunkt sind nicht bereits eingetretene, sondern zu erwartende Wirkungen des Versprechens zu veranschlagen. Es gilt daher Kosten und Nutzen nicht einfach betragsmäßig zu ermitteln, sondern es kommt auf ihre Erwartungswerte an17: auf das Produkt aus den Beträgen des Vertrauensnutzens bzw. der Vertrauenskosten und ihrer jeweiligen Eintrittswahrscheinlichkeit aus der Ex-ante-Perspektive. Damit ist im Hinblick auf die Vertrauenskosten die Ex-ante-Wahrscheinlichkeit der Nichteinhaltung des Versprechens und im Hinblick auf den Vertrauensnutzen ihr Gegenteil, die Ex-ante-Wahrscheinlichkeit seiner Einhaltung, gemeint18. Ein wohlinformierter Versprechensempfänger wird seine Vertrauensreaktion – die in Erwartung der versprochenen Leistung getroffene Investitionsentscheidung – an diesen Werten ausrichten: Vorausgesetzt, er ist risikoneutral19, wird er seine Entscheidung so treffen, daß der zu erwartende Nettonutzen, nämlich der zu erwartende Vertrauensnutzen abzüglich der zu erwartenden Vertrauenskosten, maximiert wird. Keine Investition wird er nur dann vornehmen, wenn die KostenNutzen-Bilanz bei jedem noch so kleinen Betrag negativ ausfällt. Vollständiger oder auch nur annähernder Sicherheit, daß das Versprechen eingehalten wird, bedarf es dagegen nicht unbedingt, um einen rationalen Versprechensempfänger zu einer Vertrauensinvestition zu bewegen: Versprechen, deren Erfüllung erkennbar riskant ist, sind, wenn der mögliche Vertrauensnutzen hoch und die möglichen

17 Zum Ansatz der Erwartungswerte vgl. statt vieler Landes/R. Posner, Economic Structure of Tort Law, S. 54 f. 18 Beispielhaft: B verspricht dem A eine Leistung. Die Erfüllungswahrscheinlichkeit beträgt 80%, die Nichterfüllungswahrscheinlichkeit 20%. Erzielt A im Erfüllungsfall einen Nutzen von 20 A, so beträgt der Erwartungswert des Vertrauensnutzens also 16 A, und erleidet er im Nichterfüllungsfall Kosten in Höhe von 10 A, so beträgt der Erwartungswert der Vertrauenskosten 2 A. 19 Zu den Gründen dafür, im Rahmen der ökonomischen Analyse des Deliktsrechts, deren Instrumente hier angewendet werden, Risikoneutralität (d. h. eine linear ansteigende Nutzenfunktion) zu unterstellen, obwohl risikoaverses Verhalten (d. h. eine Nutzenfunktion, bei der der Nutzen mit steigendem Einkommen nur unterproportional zunimmt) tatsächlich verbreiteter zu sein scheint, vgl. Landes/R. Posner, Economic Structure of Tort Law, S. 57.

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§ 5 Die Schutzwürdigkeit des negativen Interesses

Vertrauenskosten niedrig genug sind, um eine positive Kosten-Nutzen-Bilanz zu ergeben, für den Adressaten eine »gute Wette«20 , auf die zu setzen sich lohnt.

2. Schadensvermeidung durch den Versprechenden und durch den Versprechensempfänger Der Versprechende kann durch sein Verhalten Einfluß auf die Kosten-NutzenBilanz eines Versprechens nehmen, ohne an der versprochenen Leistung selbst etwas zu ändern: Ein Mittel, den Erwartungswert des Vertrauensnutzens zu steigern und den Erwartungswert der Vertrauenskosten zu senken, ist die Erhöhung der Erfüllungswahrscheinlichkeit (und, damit einhergehend, die Senkung des Nichterfüllungsrisikos) 21. Ein Versprechen, das mit absoluter Gewißheit eingehalten werden wird, ist, mag der Nutzen, den es seinem Empfänger beschert, auch noch so klein sein 22 , in jedem Fall für den Empfänger nutzensteigernd, da Vertrauenskosten dann nicht zu erwarten sind. Selbst wenn dies ein kaum je erreichbares Ziel ist, kann der Versprechende versuchen, sich diesem Ziel durch Erfüllungsanstrengungen anzunähern. Soweit bereits im Zeitpunkt der Versprechenserteilung mit Erfüllungsanstrengungen zu rechnen ist, erhöht sich die Erfüllungswahrscheinlichkeit und damit der Wert des Versprechens. Und soweit ein Restrisiko verbleibt, kann der Versprechende den Versprechensempfänger gegen den Fall der Nichterfüllung versichern, indem er ihm den bei Nichterfüllung entgangenen Nutzen durch die Zahlung von Schadensersatz vergütet. Was in der Kosten-Nutzen-Bilanz zählt, ist dann nur noch der Nutzen 23. Eben diesen Effekt haben in der Regel die rechtlichen Sanktionen, die dem Schutz des Erfüllungsinteresses dienen. Aus Gründen, die in § 6 ausgeführt werden, mag dieser Weg aber nicht zielführend oder verstellt sein. Das Versprechen bleibt dann mangels rechtlicher »Qualitätssicherung« das »gefährliche Produkt«, als das es die Gegenüberstellung von Kosten und Nutzen ausgewiesen hat. Insoweit stellt sich die Frage, was (potentiell) Versprechende und Versprechensempfänger unternehmen können, um etwa eintretende Schäden zu verhüten. Als Möglichkeiten der Schadensreduzierung und damit als Ansatzpunkte haftungsrechtlicher Verhaltenssteuerung kommen, wie die ökonomische Analyse des Deliktsrechts lehrt, generell zweierlei Arten von 20

So die Charakterisieung durch Goetz/Scott, 89 Yale L. J. 1261, 1283 (1980). Dies übersehen Goetz/Scott, 89 Yale L. J. 1261, 1281 ff. (1980) bei der Modellierung ihrer »optimal damage formula«. 22 Wäre die in Aussicht gestellte »Leistung« dem Empfänger überhaupt nicht nützlich, sondern schädlich, läge eine – in jedem Fall wohlfahrtssenkende – Drohung und kein Versprechen vor (vgl. R. Posner, Economic Analysis, S. 115), wenn es auch vorkommt, daß ein zynischer Täter dem Opfer die Zufügung eines Übels »verspricht«. 23 Beispielhaft: Beträgt die Erfüllungswahrscheinlichkeit tatsächlich nur 80%, kann der Versprechensempfänger sich so verhalten, als ob sie 100% betrüge, wenn ihn die Zahlung von Schadensersatz gegenüber der Nichterfüllung indifferent macht. Auf der anderen Seite kann er die Eintrittswahrscheinlichkeit von Vertrauenskosten mit 0 ansetzen und sie damit ignorieren. 21

II. Zur Ökonomik des Versprechens: Schadensrisiko und Schadensvermeidung

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Maßnahmen in Betracht: Sorgfaltsanstrengungen und die Anpassung des Aktivitätsniveaus24. Beide Maßnahmen können vom Versprechenden und vom Versprechensempfänger mit dem Ziel getroffen werden, Schäden zu minimieren: Sorgfaltsanstrengungen kann zunächst der Versprechende unternehmen, indem er sich bemüht, ein Versprechen abzugeben, das auf das ex ante feststellbare Nichterfüllungsrisiko zugeschnitten ist 25. Diese Aufklärungsbemühungen sind nicht mit Erfüllungsanstrengungen zu verwechseln. Erfüllungsanstrengungen sollen dafür sorgen, daß die Wirklichkeit dem Versprechen entspricht: Eine Leistung wird ungeachtet möglicherweise auftretender Leistungshindernisse einschränkungslos versprochen; doch versucht der Versprechende, die Hindernisse, sollten sie sich einstellen, zu überwinden. Aufklärungsanstrengungen sollen dagegen das Versprechen der Wirklichkeit anpassen: Der Versprechende will, kann oder soll sich nicht bemühen, Leistungshindernisse zu überwinden; doch versucht er, die Hindernisse zu ermitteln und sein Versprechen mit entsprechenden Qualifikationen zu versehen. Das Nichterfüllungsrisiko wird dadurch nicht kleiner, aber transparent. Den Versprechensempfänger versetzt dies in die Lage, seine Vertrauensinvestition – in dem oben gebildeten Beispiel die Umschichtung des vorhandenen Geldbetrags – dem Risiko gemäß zu begrenzen oder, wenn sich keine positive Kosten-Nutzen-Bilanz ergibt, ganz davon abzusehen. Zum gleichen Ergebnis gelangt, wer Sorgfaltsanstrengungen des Versprechensempfängers in den Blick nimmt: Wie der Versprechende kann sich der Versprechensempfänger bemühen, das Nichterfüllungsrisiko aufzuklären, bevor er über seine Vertrauensreaktion entscheidet. Gelingt ihm das, ist er dazu imstande, seine Vertrauensinvestition selbst dann zu optimieren (und dadurch Vertrauenskosten zu minimieren), wenn das ihm gegebene Versprechen keinerlei Vorbehalte enthält. Schließlich können Versprechender und Versprechensempfänger Schäden durch Anpassung ihres Aktivitätsniveaus vermeiden. Wer zu entscheiden hat, ob er ein Versprechen abgibt, kann, statt das Nichterfüllungsrisiko aufzuklären und das ins Auge gefaßte Versprechen darauf zuzuschneiden, überhaupt von der Abgabe des Versprechens absehen. Auf der anderen Seite kann der Versprechensempfänger, ohne sich um das Nichterfüllungsrisiko zu kümmern, einem ihm gegebenen Versprechen einfach mißtrauen und auf eine Vertrauensinvestition verzichten. Dadurch sparen sich Versprechender und Versprechensempfänger Anstrengungen 24

Die Unterscheidung fi ndet sich durchgängig in den Standarddarstellungen der ökonomischen Analyse des Deliktsrechts; vgl. Cooter/Ulen, Law and Economics, S. 323 ff. (zu Sorgfaltsanstrengungen); 332 f. (zum Aktivitätsniveau); Edlin, in: New Palgrave Bd. 1, S. 653, 654; Landes/R.Posner, Economic Structure of Tort Law, S. 58 ff. (zu Sorgfaltsanstrengungen), 66 ff. (zum Aktivitätsniveau); Miceli, Economics of the Law, S. 16 ff. (zu Sorgfaltsanstrengungen), 27 ff. (zum Aktivitätsniveau); Schäfer/Ott, Ökonomische Analyse, S. 129 ff. (zu Sorgfaltsanstrengungen), 131 ff. (zum Aktivitätsniveau); Schäfer/Schönenberger, in: Encyclopedia Bd. 2, S. 597, 598. 25 Goetz/Scott, 89 Yale L. J. 1261, 1273 f. (1980).

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§ 5 Die Schutzwürdigkeit des negativen Interesses

zur Aufklärung des Nichterfüllungsrisikos; verloren geht jedoch der zu erwartende Nutzen aus dem – nicht abgegebenen oder nicht für glaubhaft gehaltenen – Versprechen.

3. Effizienz der Schadensvermeidung Die Reduzierung von Vertrauenskosten ist, ebenso wie die Vermeidung von Unfallschäden, kein Ziel, dessen Erreichung beliebig große Anstrengungen rechtfertigen könnte. Die Frage, wie weit man gehen sollte, um Schäden zu vermeiden, läßt sich (etwa wenn es um die Kosten geht, die eine Gesellschaft zur Rettung menschlichen Lebens aufzuwenden bereit ist) sicherlich nicht nur anhand des Maßstabs ökonomischer Effizienz beantworten 26 . Indes dürfte die Anwendung dieses Maßstabs kaum Anstoß erregen, wenn, wie hier, reine Vermögensschäden, nämlich Vertrauenskosten, in Rede stehen. Wo also liegt die aus der Perspektive ökonomischer Effizienz zu ziehende Grenze für Maßnahmen zur Reduzierung von Vertrauenskosten? Die Antwort auf diese Frage kann von Erkenntnissen ausgehen, die zum Kernbestand der ökonomischen Analyse des Deliktsrechts gehören 27: Um einen Bewertungsmaßstab zu erhalten, hat man die sozialen Kosten eines schadenstiftenden Ereignisses in den Blick zu nehmen. Dazu gehören neben dem – mit seinem Erwartungswert anzusetzenden – drohenden Schaden auch die Kosten, die zur Vermeidung des Schadens aufgewendet werden. Schadensvermeidung ist nur effizient, wenn dadurch die sozialen Kosten insgesamt verringert werden. Betrachtet man zunächst nur Sorgfaltsanstrengungen des Schädigers, so ergibt sich: Jeder zusätzliche Betrag, den der Schädiger für diese Anstrengungen aufwendet, vemindert die sozialen Kosten, wenn er den Erwartungswert des Schadens um einen darüber liegenden Betrag senkt. Soweit also der Betrag des zu erwartenden Schadens stärker sinkt, als die Schadensvermeidungskosten steigen, ist die Investition des Mehrbetrags effizient. Die Grenze effizienter Sorgfaltsanstrengungen ist genau dann erreicht, wenn eine weitere Steigerung der Schadensvermeidungskosten um eine einzige Einheit gerade noch zu einer betragsmäßig gleich hohen Senkung des zu erwartenden Schadens führt. Jenseits dieses Punktes beginnen die sozialen Kosten zu steigen, weil die Steigerung der Schadensvermeidungskosten nicht mehr durch die dadurch bewirkte zusätzliche Senkung der zu erwartenden Schadenssumme aufgefangen wird. Die weitergehende Schadensvermeidung lohnt sich m.a.W. nicht mehr. In dieser sogenannten Marginalbedingung

26 Zur insoweit gebotenen Relativierung der ökonomischen Sichtweise Calabresi, Costs of Accidents, S. 18 ff. 27 Vgl. nur die einschlägigen Darstellungen bei Cooter/Ulen, Law and Economics, S. 323 ff.; Edlin, in: New Palgrave Bd. 1, S. 653 ff.; Miceli, Economics of the Law, S. 16 ff.; R. Posner, Economic Analysis, S. 179 ff.; Schäfer/Ott, Ökonomische Analyse, S. 129 ff.; Schäfer/Schönenberger, in: Encyclopedia Bd. 2, S. 597, 599 ff.

II. Zur Ökonomik des Versprechens: Schadensrisiko und Schadensvermeidung

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optimaler Sorgfalt 28 ist unschwer der Gedanke der berühmten Formel des amerikanischen Richters Learned Hand zur Bestimmung des deliktischen Fahrlässigkeitsmaßstabs zu erkennen 29. Optimale Prävention hat allerdings nicht nur auf das Verhalten des Schädigers, sondern auch auf das Verhalten des Geschädigten und nicht nur auf Sorgfaltsanstrengungen, sondern auch auf die Steuerung des Aktivitätsniveaus Bedacht zu nehmen 30. Was auch immer sich im jeweiligen Fall als kostengünstigstes Mittel der Schadensverhütung erweist, ist aus ökonomischer Perspektive vorzugswürdig. Die (auf die Betrachtung marginaler Werte bezogene) Hand-Formel ist vor diesem Hintergrund zu verallgemeinern: Schädiger und Geschädigter sollten die jeweils in Betracht gezogene schadensvermeidende Maßnahme – sei es die Anstrengung der Sorgfalt oder die Senkung des Aktivitätsniveaus – so weit treiben, bis deren marginale Kosten gleich dem marginalen Nutzen, nämlich dem Betrag der zu erwartenden zusätzlichen Senkung des Schadens sind31. Auch der Einsatz von Möglichkeiten zur Reduzierung von Vertrauenskosten läßt sich anhand dieses Kriteriums auf seine Effizienz überprüfen. Eine Besonderheit der hier vorzunehmenden Abwägung von Kosten und Nutzen der Schadensverhütung liegt allein darin, daß dabei auch der Verlust des zu erwartenden Vertrauensnutzens in die Waagschale der Kosten zu legen ist: Gibt etwa der Versprechende ein »maßgeschneidertes« Versprechen ab, das dem von ihm erkannten Nichterfüllungsrisiko Rechnung trägt, so wird die dadurch erzielte Senkung der zu erwartenden Vertrauenskosten nicht nur (vom Versprechenden) mit den Kosten der Risikoermittlung, sondern auch (vom Versprechensempfänger) mit einer Verringerung des zu erwartenden Vertrauensnutzens im Vergleich zum uneingeschränkten Versprechen »bezahlt«. Der Versprechende, der seine Sorgfaltsanstrengungen nach der Hand-Formel kalkuliert, wird daher nicht auf die dadurch erzielte Senkung der »Brutto«-, sondern der »Netto«-Vertrauenskosten abstellen: Effizient ist jede Erhöhung der dafür aufgewendeten Kosten nur dann, wenn sie zu einer mindestens gleich hohen zusätzlichen Verminderung der zu erwartenden Vertrauenskosten unter Abzug der zu erwartenden Nutzeneinbuße führt.

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So die Bezeichnung bei Schäfer/Ott, Ökonomische Analyse, S. 130. Nach der im Fall United States v. Carroll Towing Co., 159 F.2d 169 (2d Cir. 1947), von Learned Hand J. aufgestellten Formel handelt fahrlässig, wer Vorsorgemaßnahmen trifft, deren Betrag kleiner ist als der Betrag des Schadens multipliziert mit der Schadenswahrscheinlichkeit (also der Erwartungswert des Schadens). Man ist sich unter Rechtsökonomen heute einig, daß diese Formel richtigerweise auf marginale Werte, also auf zusätzliche Aufwendungen und zusätzliche Schäden (und nicht auf die jeweiligen Gesamtbeträge) zu beziehen ist (statt vieler Landes/R. Posner, Economic Structure of Tort Law, S. 85 ff.). Grundsätzlich gegen den angeblichen »Mythos« der Hand-Formel und den ihr entnommenen Effizienztest Wright, 4 Theoretical Inquiries in Law 145 ff. (2003). 30 Vgl. dazu die oben, Fn. 14, nachgewiesene Lit. 31 Dabei ist jeweils ein optimales Niveau der anderen Mittel der Schadensverhütung zu unterstellen. 29

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Die Effizienz schadensverhütender Maßnahmen läßt sich demnach für das Versprechen in grundsätzlich der gleichen Weise bestimmen wie für jede andere Tätigkeit, die sowohl Nutzen als auch Schaden stiften kann 32 – nämlich anhand der Marginalanalyse, wie sie in der (richtig verstandenen) Hand-Formel für die Sorgfaltsanstrengung des Schädigers und den analogen Formulierungen für die anderen Möglichkeiten der Schadensvermeidung ihren Ausdruck fi ndet. Man muß sich indes davor hüten, aus dieser Einsicht vorschnelle Folgerungen für die Gestaltung des Haftungsrechts zu ziehen: Es ist etwa verfehlt anzunehmen, die zu erwartenden »Netto«-Vertrauenskosten ließen sich in das rechtspolitische Postulat einer »optimal damage formula« übersetzen, derzufolge der Versprechende dem Versprechensempfänger idealerweise die Vertrauenskosten abzüglich eines Anteils des Vertrauensnutzens ersetzen sollte33. Denn hierbei handelt es sich nicht um das Maß des ggf. zu ersetzenden Schadens, sondern um eine Größe, an deren Veränderung die Effizienz schadensvermeidenden Verhaltens zu messen ist – so ist die Hand-Formel als Fahrlässigkeitsmaßstab zu verstehen und nicht als Forderung, die deliktische Haftung sei immer nur auf den Ersatz eines dem Erwartungswert entsprechenden Schadensanteils zu richten34. Die hier auf das Versprechen angewandten Basislektionen ökonomischer Marginalanalyse lassen sich vielmehr nicht ohne weiteres in rechtspolitische Forderungen nach einer Haftung des Versprechenden ummünzen. Eine vertragliche Lösung scheint auf den ersten Blick näherzuliegen: Versprechender und Versprechensempfänger könnten selbst eine Regelung treffen, die Anreize zur effizienten Schadensvermeidung vermittelt. Auch ohne daß der Versprechende von einer gesetzlich statuierten Haftung bedroht ist, wird er Anstrengungen zur Schadensvermeidung unternehmen, wenn er vom Versprechensempfänger ein Entgelt dafür erhält, daß er das ex ante erkennbare (und nicht durch Haftung auf das Erfüllungsinteresse versicherte) Nichterfüllungsrisiko in seinem Versprechen korrekt ausweist. Rationale Parteien würden das Entgelt so bemessen, daß es der Marginalbedingung der Hand-Formel entspricht. Erst die Unzugänglichkeit einer solchen Lösung über den Preismechanismus verschafft, wie nun zu zeigen ist, der Haftung auf das negative Interesse ihre Legitimation.

32 Vgl. etwa Birmingham, 60 Wash.L.Rev. 217, 256 (1985), mit dem Beispiel der ärztlichen Verschreibung eines gefährlichen Medikaments. 33 So aber Goetz/Scott, 89 Yale L. J. 1261, 1282 (1980) in ihrer »optimal damage rule«. 34 Zutreffend daher Birmingham, 60 Wash.L.Rev. 217, 256 (1985): »Mostly, we use the Hand test to fi nd if a defendant is liable, not how much he has to pay. The Hand test is about motive, not measure [. . .].« (Hervorhebungen im Original)

III. Die Legitimation der Haftung auf das negative Interesse

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III. Die Legitimation der Haftung auf das negative Interesse 1. Das Problem adverser Selektion Deliktische Haftungsregeln schaffen, dies ist eine Grundannahme der auf das Coase-Theorem 35 gründenden ökonomischen Analyse des Rechts, Anreize zu effizientem Verhalten, wo Transaktionskosten prohibitiv hoch sind36 . Stehen Schädiger und Geschädigter vor dem schädigenden Ereignis in keinerlei Kontakt miteinander, kann man sich mit einer oberflächlichen Betrachtung bescheiden – so leuchtet es unmittelbar ein, daß potentielle Opfer und Verursacher von Verkehrsunfällen nicht zu einer vertraglichen Verteilung ihrer jeweiligen Rechtspositionen gelangen werden. Anders ist es aber, wenn zwischen Schädiger und Geschädigtem eine Marktbeziehung besteht. Warum, so ist hier zu fragen, sollte man es nicht den Parteien überlassen, das optimale Niveau der Schadensvorsorge vertraglich festzulegen? Dies ist eine Kernfrage der ökonomischen Theorie der Produkthaftung37 und ebenso das für die Rechtfertigung der Haftung auf das negative Interesse entscheidende Problem: Unser Ausgangspunkt ist, daran sei erinnert, die Vorstellung von einem »naturzustandshaften« Versprechen, dessen Erfüllung rechtlich nicht erzwungen werden kann 38. Für die Zwecke der nachfolgenden Überlegungen hat also die Möglichkeit außer Betracht zu bleiben, daß Versprechender und Versprechensempfänger einen Vertrag schließen, der einen Anspruch auf die versprochene Leistung oder deren finanzielles Äquivalent begründet. Nicht per se von der Betrachtung ausgeschlossen ist damit aber die Möglichkeit, eine Vereinbarung über die effiziente Vermeidung von Vertrauenskosten treffen, wie soeben bereits angesprochen wurde: Der Versprechensempfänger mag, wenn er mit dem Versprechenden schon nicht über die Erfüllung als solche kontrahieren kann, zumindest versuchen, den Versprechenden durch ein Entgelt zur korrekten Ausweisung des Nichterfül35

Zum Coase-Theorem oben, § 3 II 2 b. So betrifft das klassische, von Pigou gebildete und von Coase, 3 J.Law & Econ. 1, 29 ff. (1960), aufgegriffene »Funkenflugbeispiel« das Verhältnis zwischen dem Betreiber einer Eisenbahn zu den Eigentümern des an die Bahntrasse grenzenden Landes: Über die Frage, wem die durch Funkenflug verursachten Schäden deliktsrechtlich zur Last fallen sollten, hat man sich nur vor dem Hintergrund hoher Transaktionskosten Gedanken zu machen. Wären die Transaktionskosten so niedrig, daß der Eisenbahnbetreiber mit allen Landeigentümern zu einer vertraglichen Regelung über die durch Funkenflug verursachten Schäden kommen könnte, spielte es, worauf Coase, a.a.O., 31, hinweist, keine Rolle, ob der Betreiber für die Schäden haftungsrechtlich verantwortlich ist oder nicht. 37 Landes/R. Posner, Economic Structure of Tort Law, S 280, nennen die Frage, warum nicht eine vertragliche Optimierung des Sorgfaltsniveaus möglich und auf eine gesetzliche Haftung des Herstellers verzichtet werden sollte, »the fundamental economic puzzle of products liability law«. Grundlegend zur ökonomischen Theorie der Produkthaftung Spence, 44 Rev.Econ.Stud. 561 ff. (1977); Landes/R. Posner, 14 J.Legal Stud. 535 ff. (1985); ferner Cooter/Ulen, Law and Economics, S. 379 ff.; Landes/R. Posner, Economic Structure of Tort Law, S. 273 ff.; Miceli, Economics of the Law, S. 29 ff.; Schäfer/Ott, Ökonomische Analyse, S. 329 ff. 38 Siehe oben, Abschnitt I. 36

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lungsrisikos zu bewegen. Nur dann, wenn Grund zu der Annahme besteht, daß Versprechender und Versprechensempfänger als Anbieter und Nachfrager des Produkts »Versprechen« nicht selbst dazu in der Lage sind, eine solche Regelung zu treffen, ist das Haftungsrecht zur Lösung des Anreizproblems berufen. Darum wird es nachfolgend gehen: In der Tat gibt es Friktionen, die eine vertragliche Bewältigung des Problems der Schadensträchtigkeit von Versprechen behindern, und zwar aufgrund einer asymmetrischen Informationsverteilung zwischen Versprechendem und Versprechensempfänger39. Die Informationsasymmetrie beschwört, wenn Gegenmaßnahmen nicht ergriffen werden, ein Marktversagen herauf, das in der Sprache der Informationsökonomik als adverse Selektion oder, in Anknüpfung an einen grundlegenden Beitrag Akerlofs 40 , als »lemons«Problem bezeichnet wird. a) Informationsasymmetrie als Ursache Zunächst sei die informationelle Ausgangslage beleuchtet, die das Problem adverser Selektion schafft: Um den wirtschaftlichen Wert eines Versprechens ermessen und über eine Vertrauensinvestition entscheiden zu können, hat sich der Versprechensempfänger sowohl von den Kosten- und Nutzeneffekten des Versprechens als auch von deren jeweiliger Eintrittswahrscheinlichkeit ein Bild zu machen. Nutzen und Kosten, die ihm das Versprechen ggf. bescheren, kann der Versprechensempfänger selbst am besten beurteilen. Anders aber verhält es sich bei der ex ante erkennbaren Wahrscheinlichkeit der Erfüllung bzw. Nichterfüllung: Die Entscheidung über Erfüllung oder Nichterfüllung trifft der Versprechende, und die im Zeitpunkt der Versprechensabgabe anzustellende Prognose, wie diese Entscheidung ausfallen wird, kann er mit ungleich größerer Treffsicherheit abgeben als der Versprechensempfänger. Dies bedarf keiner Erläuterung, wenn der Versprechende von vornherein nicht die Absicht hat, sein Versprechen zu halten. Aber auch derjenige, der ein Versprechen nicht in Täuschungsabsicht, sondern mit Erfüllungsintention abzugeben plant, ist grundsätzlich besser als der Versprechensempfänger zur Bestimmung des Nichterfüllungsrisikos imstande. Das wird deutlich, wenn man die Prognose über die (Nicht-)Erbringung der versprochenen Leistung durch den (redlichen) Versprechenden näher betrachtet: Hält man den Versprechenden – gemäß der hier zunächst bezogenen eingeschränkten Perspektive – nicht durch rechtliche oder soziale Sanktionen zur Erfüllung des Versprechens an, so wird er als rational handelnde Person, ohne exter-

39 Damit verhält es sich bei der hier zu begründenden »Versprechenshaftung« so wie bei der Produkthaftung: Auch dort behindern Informationsprobleme eine effiziente vertragliche Regelung der Schadensvermeidung; siehe dazu nur Landes/R. Posner, Economic Structure of Tort Law, S. 280 ff.; Schäfer/Ott, Ökonomische Analyse, S. 339 (»informationeller Fehlerbegriff«). 40 84 Qu.J.Econ. 488 ff. (1970). Akerlof wählte als ein Beispiel für seine These den Gebrauchtwagenmarkt; die auf diesem Markt angebotenen »Nieten« werden im Amerikanischen »lemons« genannt.

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nen Effekten seiner Entscheidung Rechnung zu tragen, das Versprechen immer dann brechen, wenn die ihm entstehenden Kosten der Erfüllung den Nutzen, den er davon hat (in Gestalt einer Gegenleistung des Versprechensempfängers oder sonstiger Vorteile), übersteigen. Das Kosten-Nutzen-Kalkül im avisierten Erfüllungszeitpunkt gilt es im Zeitpunkt der Versprechensabgabe zu prognostizieren. Dieser Prognose liegen zunächst äußere erfüllungsrelevante Tatsachen zugrunde, die bereits im Zeitpunkt der Versprechensabgabe vorliegen oder noch mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit bis zum Erfüllungszeitpunkt eintreten werden, bei einer Werkleistung beispielsweise die Verfügbarkeit eines zur Herstellung benötigten Rohstoffs auf dem Markt, die technischen Fertigkeiten des Herstellers oder die Opportunitätskosten in Gestalt anderer Verwendungsmöglichkeiten seiner Arbeitskraft. Über einzelne erfüllungsrelevante Tatsachen mag sich der Versprechensempfänger genauso gut (etwa hinsichtlich der Rohstoffpreise) oder sogar besser informieren können als der Versprechende – letzteres wäre etwa der Fall, wenn er als Werkbesteller einen Stoff zur Verfügung stellt, dessen Eigenschaften er besser kennt als der Werkunternehmer. Aber abgesehen davon, daß dies wohl kaum der Regelfall sein dürfte, handelt es sich hierbei nur um das »Material«, das in die Prognose der Erfüllungsentscheidung eingeht. Wie sich der Versprechende in Anbetracht dieser Tatsachen entscheiden wird, kann nur beurteilen, wer die Präferenzen kennt, auf deren Basis der Versprechende Kosten und Nutzen bewertet: Wenn mir jemand z. B. seine Hilfe bei der Ernte der Äpfel in meinem Garten gegen mein Angebot, einen Teil davon zu behalten, zugesagt hat, mag ich herausfinden können, daß es zu dem verabredeten Zeitpunkt mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit regnen wird. Ob aber der Regen den Versprechenden von der in Aussicht gestellten Unterstützung abhalten wird, entzieht sich meiner Kenntnis, denn hierüber entscheidet die innere Tatsache, wie der Versprechende die Kosten der Gartenarbeit bei Regen im Vergleich zu ihrem Nutzen – der Beteiligung an der Ernte – bewertet. Das Wissen über diese innere Tatsache hat der Versprechende dem Versprechensempfänger gegenüber voraus. Die Beurteilung des Nichterfüllungsrisikos ist daher eine »verborgene Information«41, über die regelmäßig42 nur der Versprechende und nicht der Empfänger verfügt.

41 Zum Begriff der (einseitig) »verborgenen« oder »versteckten« Information (»hidden information«) Schweizer, Vertragstheorie, S. 16 f., 33 ff. Teilweise wird der Begriff enger als hier verstanden, nämlich nur auf die Lage nach Vertragsschluß bezogen; so etwa bei Richter/Furubotn, Institutionenökonomik, S. 174 (versteckte Information als Unterform des moralischen Risikos). 42 Zu den besonderen Konstellationen, in denen der Versprechensempfänger besser als der Versprechende über das Nichterfüllungsrisiko informiert ist, siehe unten, Abschnitt 2 b aa.

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b) Marktversagen als Folge Von dieser Erkenntnis ausgehend, läßt sich die Brücke zum Problem adverser Selektion schlagen43. Auf Produktmärkte – etwa den für das »lemons«-Problem namengebenden Gebrauchtwagenmarkt – bezogen, ist die adverse Selektion mögliche Folge einer asymmetrischen Informationsverteilung zwischen Anbietern und Nachfragern: Während erstere die Qualität der jeweils von ihnen angebotenen Exemplare beurteilen können, mögen letztere zwar eine Vorstellung von der Durchschnittsqualität, aber keine Möglichkeit zur Beobachtung der Qualität eines einzelnen Stücks haben. Vorausgesetzt, daß sich die Nachfrager die Information weder beschaffen noch die Anbieter sie ihnen übertragen können, werden sich die Nachfrager notgedrungen an der Durchschnittsqualität orientieren und diese mit einem Durchschnittspreis honorieren. Damit werden Produkte guter Qualität zu niedrig und Produkte schlechter Qualität zu hoch bezahlt – mit der Folge, daß gute von schlechter Qualität verdrängt wird44 ; im Extremfall kommt der Markt vollständig zum Erliegen45. Über die »Qualität« von Versprechen, wie sie in dem Maß der ex ante erkennbaren Erfüllungswahrscheinlichkeit ihren Ausdruck fi ndet, sind Versprechender und Versprechensempfänger, wie gezeigt, gleichfalls asymmetrisch infomiert. Der Versprechensempfänger kann sich, ohne zu wissen, ob er in der Person des Versprechenden einen »guten« oder einen »schlechten« Schuldner erhält, nur auf sein Erfahrungswissen über die Redlichkeit, Leistungsbereitschaft und -fähigkeit von Schuldnern verlassen. Sein ex ante gefälltes Urteil über die Erfüllungswahrscheinlichkeit bezieht sich daher auf einen Durchschnittswert, und lediglich nach diesem Durchschnittswert kann sich seine Zahlungsbereitschaft richten, welche demnach bei »guten« Versprechen zu niedrig und bei »schlechten« Versprechen zu hoch ausfallen wird. Gewiß gibt es Mechanismen, die dem entgegenwirken. Wo die »Qualität« des Versprechens durch die Sanktionen des Erfüllungszwangs oder der Haftung auf das Erfüllungsinteresse abgesichert ist, stellt sich das Problem adverser Selektion nicht, was die Erfüllungswahrscheinlichkeit betrifft – der Gläubiger ist aufgrund der ihm zustehenden Ansprüche gegen das Nichterfüllungsrisiko (allerdings nicht gegen die Insolvenz des Schuldners) versichert: Habe ich für meine Apfelernte einen Helfer vertraglich verpflichtet, der bei Regen seine Leistung verweigert, so engagiere ich einen anderen und verlange die Mehrkosten als Schadensersatz. Aber auch ohne rechtliche durchsetzbare Erfüllung ist das Problem adverser Selektion 43 Vgl. zur folgenden Beschreibung des »lemons«-Problems auch die zusammenfassenden Darstellungen von Fleischer, Informationsasymmetrie, S. 121 ff., Richter/Furubotn, Institutionenökonomik, S. 258 ff.; Schäfer/Ott, Ökonomische Analyse, S. 341 ff. 44 Akerlof, 84 Qu.J.Econ. 488, 489 f. (1970). 45 Bei Akerlof, 84 Qu.J.Econ. 488, 492 ff. (1970) fi ndet sich das Beispiel von Krankenversicherungen für Menschen über 65: Hier könne das »lemons«-Problem (im Hinblick auf den Gesundheitszustand der Versicherungsbewerber) dazu führen, daß zu keinem Preis Versicherungen abgeschlossen werden können.

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zu überwinden, wo außerrechtliche Mechanismen der Informationsbeschaffung (sogenanntes »screening«) 46 oder Informationsübertragung (sogenanntes »signaling«) 47 zur Verfügung stehen, die den Versprechensempfänger mit dem zur Abschätzung des Nichterfüllungsrisikos erforderlichen Wissen ausstatten: Handelt es sich bei dem Helfer um meinen Nachbarn und unterstützen er und ich uns immer wieder gegenseitig bei der Gartenarbeit, kann ich damit rechnen, auf eine Nachfrage, ob er sich auch bei Regen zur Ernte einfinden werde, eine glaubhafte Antwort zu erhalten. Rechtliche und außerrechtliche Mechanismen dieser Art werden in den folgenden Kapiteln dieser Untersuchung zu erörtern sein. Vorerst geht es nur um dem Fall des »naturzustandshaften« Versprechens, bei dem solche Auswege fehlen: Mein Erntehelfer sagt, um das Beispiel ein letztes Mal zu variieren, seine Unterstützung nur aus Gefälligkeit zu, und da es sich bei ihm nur um eine Gelegenheitsbekanntschaft handelt, ist ganz ungewiß, ob ich einer etwaigen Zusage, er werde auch bei Regen kommen, Glauben schenken kann. In solchen Fällen mündet das informationelle Ungleichgewicht zwischen Versprechendem und Versprechensempfänger unweigerlich in ein Problem adverser Selektion: Hohe Qualität lohnt sich schlicht nicht, weil sie nur mit dem Durchschnittspreis bezahlt wird. Es ist also zu erwarten, daß der redliche, um die Aufklärung des Nichterfüllungsrisikos bemühte Versprechende kein angemessenes Entgelt für seine Mühe erhält. Wer unehrlich oder unbedacht ein Versprechen abgibt, wird dagegen einen Vorteil davontragen. Man muß, um sich damit nicht abfi nden zu wollen, keinen moralisierenden Standpunkt beziehen: Wenn Versprechen von geringer Verläßlichkeit sich aufgrund von Informationsdefiziten der Empfänger im Wettbewerb gegen Versprechen mit hoher Erfüllungswahrscheinlichkeit durchsetzen, werden Ressourcen verschwendet. Es ist die Aufgabe des Haftungsrechts, Regeln bereitzustellen, die diesem Marktversagen entgegenwirken.

2. Haftungsrechtliche Anreize als Lösung Aufgrund des informationellen Ungleichgewichts zwischen Versprechendem und Versprechensempfänger wird den zu erwartenden Vertrauenskosten eines Versprechens nicht durch marktmäßige Entscheidungen, welche etwaige Risiken »einpreisen«, Rechnung getragen. Das heißt: Vertrauenskosten, die auf ein Informationsdefizit des Versprechensempfängers im Hinblick auf das Nichterfüllungsrisiko zurückgehen, sind echte und nicht bloß pekuniäre externe Effekte 48 von 46 Zum Begriff des »screening« statt vieler Baird/Gertner/Picker, Game Theory, S. 123: »Screening takes place when the uninformed players can choose actions that lead informed players to act in a way that reveals information.« 47 Zum Begriff des »signaling« statt vieler Baird/Gertner/Picker, Game Theory, S. 123: »Signaling takes place when those who possess nonverifiable information can convey that information in the way they choose their actions.« 48 Zur Begriffl ichkeit und Problematik von Externalitäten prägnant Richter/Furubotn, Insti-

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Versprechen. Das Grundanliegen haftungsrechtlicher Steuerung ist damit klar: Es geht um die Internalisierung der Kosten fehlerhafter, da das Nichterfüllungsrisiko nicht zutreffend widerspiegelnder Versprechen durch den Versprechenden. Doch gleicht die Aufgabe, privatrechtliche Haftungsregeln zu formulieren, die Anreize zu effizienter Schadensvermeidung geben, also das Gleichgewicht von Kosten und Nutzen bei marginaler Betrachtungsweise wahren, der Quadratur des Kreises: Die Anreize für beide Seiten – Schädiger und Geschädigten – und beide Arten schadensvermeidender Maßnahmen – Sorgfaltsanstrengungen und die Anpassung des jeweiligen Aktivitätsniveaus – lassen sich nicht gleichzeitig optimieren49. Oft sprechen jedoch gute Gründe für eine zweitbeste Lösung, weil nicht alle Aspekte der Schadensvermeidung gleichwertig sind. Dies wird sich auch hier erweisen: Eine verschuldensunabhängige Haftung für die Abgabe von Versprechen ergibt eine angemessene Anreizstruktur, wenn sie ergänzt wird durch Einschränkungen, die sowohl einer übertriebenen Abschreckung des Versprechenden als auch einer übermäßigen Vertrauensreaktion des Versprechensempfängers entgegenwirken. a) Haftungsbegründung Der theoriegeschichtliche Rückblick auf die deutsche Diskussion vor Inkrafttreten des BGB50 hat die denkbaren Modelle der Haftung für Versprechen, die nicht mit einer rechtlichen »Qualitätssicherung« in Gestalt einer Sanktion zum Schutz des Erfüllungsinteresses versehen sind, bereits gestreift: Ausgangspunkt ist die von Jhering als unzureichend kritisierte deliktische Arglisthaftung, wie sie im deutschen Recht heute noch ihre Grundlage in § 826 BGB findet. Ihr setzte Jhering mit der culpa in contrahendo ein Modell der Verschuldenshaftung »bei nichtigen oder nicht zur Perfection gelangten Verträgen« entgegen, das die von ihm angenommenen Haftungslücken schließen sollte51. Mit Windscheid schließlich fand der Gedanke der Garantiehaftung einen prominenten Befürworter, der ihn tutionenökonomik, S. 109 f.: »Vom Auftreten einer Externalität spricht man dann, wenn die wirtschaftliche Situation einer Person durch Konsum- oder Produktionstätigkeit anderer Personen berührt wird. Soweit externe Effekte über das Preissystem vermittelt werden (ausgedrückt durch finanzielle Gewinne oder Verluste) spricht man von ›pekuniären‹ Externalitäten. Derlei Effekte können zwar bedeutend sein, werfen aber keine besonderen Probleme auf, weil sie auf Märkten entstehen und im üblichen Wege durch Marktentscheidungen zu verarbeiten sind. Erhebliche Schwierigkeiten hingegen entstehen für eine am Preissystem orientierte Wirtschaft, wenn die externen Gewinne und Verluste den Markt ›umgehen‹ und sich unmittelbar auf die Produktions- und Konsumtätigkeiten bestimmter Personen auswirken. Kurz gesagt: Das Fehlen von Märkten für Externalitäten rückt ein System von einer Pareto-effizienten Allokation ab.« 49 Dazu (mit näherer Begründung) Cooter/Ulen, Law and Economics, S. 325 (Tabelle 8.2), 332 f.; Edlin, in: New Palgrave Bd. 1, S. 653, 654; Landes/R. Posner, Economic Structure of Tort Law, S. 67 ff.; Miceli, Economics of the Law, S. 28 f.; Schäfer/Ott, Ökonomische Analyse, S. 243; Shavell, Economic Analysis of Accident Law, S. 29; sowie sogleich in Abschnitt a bb. 50 Siehe oben, § 3 I 1 (zu Jhering), § 3 I 2 a (zu Bähr und Windscheid). 51 Dazu, daß Jhering diese Lücken als größer ausgegeben hatte, als sie nach dem damaligen Stand der Rechtsentwicklung tatsächlich waren, oben, § 3 I 1 a.

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in den »allgemeinen Satz« faßte, »daß jeder Vertragschließende einstehen muß für die nachteiligen Folgen des durch seine Erklärung in dem Gegner erregten Vertrauens auf den Erwerb eines Forderungsrechts aus dem Vertrag, insofern dieser Erwerb durch einen Grund ausgeschlossen wird, welchen der Gegner nicht kennt und nicht zu kennen verpflichtet ist«52. Vor dem Hintergrund der soeben gewonnenen Einsichten über die Ökonomik des Versprechens und die asymmetrische Informationsverteilung zwischen Versprechendem und Versprechensempfänger läßt sich eine begründete Wahl zwischen diesen Möglichkeiten treffen. aa) Arglisthaftung? Die Arglisthaftung als zurückhaltendster Ansatz findet, wie die Haftung für vorsätzliche Eingriffe in fremde Rechtspositionen überhaupt, ohne weiteres eine ökonomische Rechtfertigung. Wer einen anderen durch ein vorsätzlich unwahres Versprechen zu einer Vertrauensdisposition bewegt, handelt nicht nur dem kantischen Sittengesetz zuwider53, sondern auch sozial ineffizient. Denn unabhängig davon, ob der Versprechende sich durch den Betrug einen Gegenstand verschafft, den er so hoch bewertet wie sein Gegenüber (oder sogar höher), provoziert diese Art des Vermögenstransfers die Verschwendung von Ressourcen – der Schutz vor einem drohenden Betrug bindet ebenso wie seine Ausführung Mittel auf Seiten des Betrogenen wie des Betrügers, die sich sonst produktiv einsetzen ließen. Diese Kosten werden vermieden, wenn der Versprechende sein Gegenüber nicht mit Hilfe einer Täuschung, sondern durch das Angebot eines ausreichenden Preises zur Überlassung des Gegenstands bewegt. Deshalb gilt für den durch Arglist herbeigeführten Vermögenstransfer dasselbe wie für einen Diebstahl: »Such conduct is inefficient because it violates the principle that when market transaction costs are low, people should be required to use the market if they can and to desist from the conduct if they can’t.«54 Deliktsrechtliche Sanktionen, die Anreize dazu geben, den Preismechanismus (und nicht sozial kostspieligere Mittel wie Gewalt, Drohungen oder Täuschungen) einzusetzen, um ein erstrebtes Gut zu erhalten, sind indes nicht darauf abgestimmt, Probleme zu lösen, die, wie hier, darin bestehen, daß dieser Mechanismus aufgrund adverser Selektion nicht funktioniert: Die Informationsasymmetrie als Ursache dieses Versagens ist nicht auf Fälle der Arglist beschränkt und daher durch die Arglisthaftung nicht wirksam zu bekämpfen. Jherings beredte Klage

52 Windscheid/Kipp, Pandektenrecht II, § 307 Anm. 5 (S. 250), im Zusammenhang mit der Behandlung des Widerrufs des Antrags. Vgl. außerdem die Verweise in §§ 307 Anm. 10 (S. 255), 308 Anm. 7 (S. 260), 309 Anm. 6 (S. 268 f.), 311 Anm. 1 (S. 277) und § 315 Anm. 7 (S. 291 f.). Näher zu Windscheids Lehre § 3 I 2 a bb. 53 Vgl. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, A 19, 54 f. (Werke Bd. 6, S. 30, 53). Näher dazu oben, § 4 II 2 c aa (1). 54 R. Posner, Economic Analysis, S. 205.

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über eine »empfindliche Lücke«55, die nach Gemeinem Recht angeblich56 zwischen der auf dolus (und allenfalls noch culpa lata) beschränkten deliktischen und der vertraglichen Haftung klaffe, läßt sich auf diese Weise ohne jede Beanspruchung des rechtsethischen Sensoriums erklären: Wie so oft im Zivilrecht, äußert sich in der Regung des »Gerechtigkeitsempfindens«, das für die Abgabe nichtiger Willenserklärungen eine Haftung verlangt, kein moralisches Urteil (wer wollte schon dem Erklärenden, der das – nach Gemeinem Recht wirksamkeitshindernde – Herannahen seines plötzlichen Todes vor Zugang seiner Erklärung nicht voraussah, einen Vorwurf machen? 57), sondern die unreflektierte Einsicht in ökonomische Zusammenhänge. bb) Verschuldens- oder Garantiehaftung? Das Bewußtwerden ökonomischer Zusammenhänge – und nicht eines rechtsethischen Prinzips58 – erlaubt es auch, die von Jherings Verschuldens- zu Windscheids Garantiehaftung führende weitere Entwicklung nachzuvollziehen und in Windscheids apodiktischer Berufung auf das »Recht«, das eben diese Haftung wolle59, eine zumindest rechtspolitisch wohlbegründete Aussage zu erkennen. Eine Grundlage hierfür vermittelt die Gegenüberstellung der unterschiedlichen Anreizstrukturen, wie sie die ökonomische Analyse des Deliktsrechts für die Verschuldens- und die (im Hinblick auf ihre Verschuldensunabhängigkeit der Garantiehaftung entsprechende) Gefährdungshaftung herausgearbeitet hat. In geraffter Form sehen die Ergebnisse wie folgt aus60 : Haftet der Schädiger außer für Vorsatz nur für Fahrlässigkeit, also nur dann, wenn seine Sorgfaltsaufwendungen hinter dem nach der (marginalen) Hand-Formel zu bestimmenden Betrag zurückbleiben, wird ihm zwar ein Anreiz zu effi zienter Sorgfaltsanstrengung gegeben, nicht jedoch zur effizienten Steuerung des Aktivitätsniveaus – wer den Sorgfaltsanforderungen genügt, kann sein Aktivitätsniveau nutzenmaximierend ausweiten, ohne die Schäden tragen zu müssen, die sein Verhalten bei anderen trotz ausreichender Sorgfalt immer noch verursacht, aber durch Absenkung des Aktivitätsniveaus in effizienter Weise zu vermeiden gewesen wären. Haftet der Schädiger dagegen verschuldensunabhängig, so wird er nicht nur seine Sorgfaltsanstrengungen, sondern auch sein Aktivitätsniveau so

55 Jhering, Jher.Jb. 4 (1861), 1, 3. Ganz ähnlich zuvor schon Richelmann, Der Einfluß des Irrthums auf Verträge, S. 130: »eine fühlbare Lücke des Römischen Rechts«. 56 Dazu oben, § 3 I 1 a 57 In Bezug auf diesen Fall konzedierte Jhering, Jher.Jb. 4 (1861), 1, 93, selbst ein Hindernis, über das er seine Theorie »nicht ohne die gewaltsamste Anstrengung hinwegbringen« könne; näher dazu oben, § 3 I 1 b. 58 So aber – allerdings mit Bezug auf Jherings c.i.c. – Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 242. 59 Vgl. Windscheid/Kipp, Pandektenrecht II, § 307 Anm. 5 (S. 251). Dazu bereits oben, § 3 I 2 b. 60 Zum folgenden etwa Cooter/Ulen, Law and Economics, S. 325 (Tabelle 8.2), 332 f.; Landes/ R. Posner, Economic Structure of Tort Law, S. 64 ff.

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einrichten, daß es an effizienter Schadensvermeidung orientiert ist61. Dieser Vorteil der Gefährdungshaftung wird jedoch mit einer im Vergleich zur Verschuldenshaftung geringeren Leistungsfähigkeit erkauft, was die Steuerung der Schadensvermeidung durch den Geschädigten betrifft: Weil der Geschädigte aufgrund der Gefährdungshaftung gegen jeden Schadensfall versichert ist, fehlt ihm jeglicher Anreiz, seinerseits Vorsorge gegen Schäden zu treffen62. Eine (sogleich näher anzusprechende) haftungsmindernde oder gar -ausschließende Berücksichtigung des Verhaltens des Geschädigten hält diesen zwar zu effizienten Sorgfaltsanstrengungen an; sie sorgt aber nicht für eine effiziente Steuerung seines Aktivitätsniveaus63. Die rechtspolitische Entscheidung zwischen einer Verschuldens- und einer Garantiehaftung für fehlerhafte Versprechen läuft daher auf die Frage hinaus, ob das Augenmerk des Haftungsrechts eher dem Aktivitätsniveau des Versprechenden – der Steuerung der Versprechensabgabe – oder dem Aktivitätsniveau des Versprechensempfängers – der Steuerung der Vertrauensreaktion – gelten sollte. Aufgrund der asymmetrischen Informationsverteilung zwischen Versprechendem und Versprechensempfänger ist ersteres vorzuziehen64 : Infolge seines Informationsdefizits wird der Versprechensempfänger seine Reaktion auf das Versprechen nur zufällig optimieren. Überschätzt er das Nichterfüllungsrisiko, wird seine Vertrauensinvestition hinter dem effizienten Maß zurückbleiben; unterschätzt er es, wird sie dieses Maß überschreiten. Der informationell überlegene Versprechende hingegen wird, wenn er einer strikten Haftung für fehlerhafte Versprechen ausgesetzt ist, die zu erwartenden Kosten der Haftung in sein Kosten-Nutzen-Kalkül bei der Entscheidung über die Abgabe von Versprechen einbeziehen, also etwa den Preis, den er von dem Versprechensempfänger erhält, um einen entsprechenden Betrag erhöhen. Dementsprechend wird die Nachfrage sinken und sich die Zahl der abge-

61 Es wäre hingegen ein Mißverständnis anzunehmen, daß die Gefährdungshaftung einen Anreiz zu Sorgfaltsanstrengungen gebe, die über das bereits durch die Verschuldenshaftung gewährleistete (effiziente) Maß hinausgehe: Auch wenn er einer strikten Haftung unterliegt, wird der Geschädigte das nach der Hand-Formel ermittelte Niveau effizienter Schadensvermeidung nicht überschreiten, weil jenseits dieses Punktes die marginalen Kosten per definitionem höher sind als der marginale Nutzen der Sorgfaltsinvestition; so bereits Landes/R. Posner, Economic Structure of Tort Law, S. 64. 62 Dies gilt strenggenommen natürlich nur, wenn der Geschädigte annehmen darf, daß der Schaden aufgrund der Haftung stets vollkommen wiedergutgemacht wird. Das mag keine realistische Annahme sein; doch sind bloße Defizite in der Realisierung des Schadensersatzes (etwa weil ein Schaden nicht zu beweisen oder der Schuldner insolvent ist) nicht Grund genug zu der Vermutung, diese könnten dem Geschädigten hinreichende Anreize zur Schadensvermeidung vermitteln. 63 Anders dagegen die Verschuldenshaftung: Hier bleibt dem Geschädigten, unabhängig von der Berücksichtigung eines Mitverschuldens, jedenfalls der Anreiz zur Schadensvermeidung durch Steuerung seines Aktivitätsniveaus; vgl. etwa Cooter/Ulen, Law and Economics, S. 325 (Tabelle 8.2), 332 f. 64 Vgl., was die folgenden Argumentation betrifft, ähnliche Überlegungen zur Produkthaftung bei Landes/R. Posner, Economic Structure of Tort Law, S. 286 f.

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gebenen Versprechen wiederum auf das effiziente, den wahren Kosten des Versprechens entsprechende Niveau verringern. Auf diesem Wege erreicht man, daß das Nichterfüllungsrisiko durch den Preis signalisiert wird – das Problem adverser Selektion ist beseitigt. Dies gibt den Ausschlag zugunsten einer verschuldensunabhängigen Haftung des Versprechenden, wie sie Windscheid gefordert hat65. b) Haftungsbegrenzung Die hier postulierte Haftung verpflichtet den Versprechenden zum Ersatz jeglicher Vertrauenskosten, wenn sich ein Nichterfüllungsrisiko verwirklicht, dem er bei der Versprechensabgabe nicht Rechnung getragen hat. Damit tut sie, wie bereits angedeutet wurde, des Guten zuviel: Den Versprechenden ausnahmslos und uneingeschränkt mit den Vertrauenskosten zu belasten, hätte eine unter Effizienzgesichtspunkten nicht zu rechtfertigende Absenkung der Versprechensaktivität und eine ökonomisch ebensowenig zu vertretende Zunahme der Vertrauensinvestitionen zur Folge. Unter welchen Bedingungen es zu einer solchen Fehlsteuerung kommt und wie diese vermieden werden kann, gilt es nun noch zu klären. Eine genauere Würdigung der rechtlichen Instrumente, die dazu beitragen und hier deshalb Erwähnung finden werden, bleibt allerdings dem systematischen Teil dieser Untersuchung vorbehalten; hier steht das Bemühen im Vordergrund, die ökonomische Basis für ihr Verständnis zu schaffen. aa) Kenntnis oder Erkennbarkeit des Nichterfüllungsrisikos für den Versprechensempfänger Besonderer Bewertung bedürfen zunächst die Konstellationen, in denen die Annahme asymmetrischer Informationsverteilung zugunsten des Versprechenden, was das Nichterfüllungsrisiko betrifft, widerlegt ist. Das ist der Fall, wenn der Versprechensempfänger weiß, daß der Versprechende die versprochene Leistung nicht erbringen wird, auch ohne von dem Versprechenden darüber informiert zu werden. Ein – dem Kenntnisstand des Versprechenden u. U. überlegenes – Wissen des Versprechensempfängers, was den Eintritt der Nichterfüllung betrifft, liegt beispielsweise vor, wenn er sich eine Leistung versprechen läßt, deren Unmöglichkeit ihm bereits bekannt ist, oder wenn er erkennt, daß es sich bei dem Versprechen nur um einen Scherz handelt, das zu erfüllen der Versprechende von vornherein nicht die Absicht hat. Mangels Informationsproblems gibt es hier keinen Grund, den Versprechensempfänger zu schützen. Es ist daher geboten, die Haftung des Versprechenden von der fehlenden Kenntnis des Empfängers über die künftige Nichterfüllung abhängig zu machen. Dem entspricht Windscheids Forderung, die Haftung für nichtige Erklärungen bei Kenntnis des Empfängers vom 65 Ein weiteres, aber schwächeres Argument zugunsten einer verschuldensunabhängigen Haftung ist die im Vergleich zur Verschuldenshaftung wegen der geringeren tatbestandlichen Anforderungen einfachere Handhabung im Prozeß, vgl. Landes/R. Posner, Economic Structure of Tort Law, S. 287 f.

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Grund der Nichtigkeit auszuschließen66 , und dem entsprechen auch die Einschränkungen der Haftung auf das negative Interesse in den §§ 122 II, 179 III 1 BGB sowie ehemals in § 307 I 2 BGB a. F.67 An einer Informationsasymmetrie, die zur adversen Selektion führen könnte, fehlt es aber auch dann, wenn der Versprechensempfänger das Nichterfüllungsrisiko zwar nicht kennt, es aber mit einem Aufwand aufklären könnte, der gering genug ist, um das Effizienzkriterium der Hand-Formel zu erfüllen: Ist etwa unsicher, ob eine bestimmte Sache, deren Übereignung mir versprochen werden soll, noch existiert, so ist es mir (und nicht dem Eigentümer) ein Leichtes, mich darüber zu vergewissen, wenn ich sie bereits zuvor als Entleiher in meinen Besitz genommen habe. Ein Haftungsrecht, das dem Versprechensempfänger den Anreiz nähme, solche Selbstschutzmaßnahmen zu ergreifen, und ihm statt dessen ermöglichte, Investitionen in blindem Vertrauen auf die Einhaltung des Versprechens zu tätigen, wäre ineffizient. Eben diese Wirkung hätte aber der bereits angesprochene »Versicherungseffekt« der verschuldensunabhängigen Haftung. Vor diesem Hintergrund erscheint es konsequent, den Haftungsausschluß mit Windscheid 68 und den §§ 122 II, 179 III 1 BGB sowie § 307 I 2 BGB a. F. außer auf die Kenntnis auch auf das Kennenmüssen vom Nichtigkeitsgrund zu erstrecken, soweit man das Kennenmüssen im Sinne der Marginalbedingung interpretiert: Ist es (ausnahmsweise) der Versprechensempfänger selbst, der sich die Information über das Nichterfüllungsrisiko effizient erschließen kann, so besteht kein Anlaß zur haftungsrechtlichen Korrektur der Informationslage. bb) Fehlende Erkennbarkeit der Vertrauenskosten für den Versprechenden Ein weiteres Problem ergibt sich, wenn man die Vertrauenskosten in den Blick nimmt. Anders als das Nichterfüllungsrisiko sind die Vertrauenskosten, die im Falle der Nichterfüllung entstehen, für den Versprechenden weniger leicht erkennbar als für den Versprechensempfänger: Wer etwa versprochen hat, eine maßgefertigte Schraube zu liefern, kann sich, um zwei Extremfälle zu bilden, ohne weitere Auskünfte des Versprechensempfängers nicht darüber im klaren sein, ob im Falle der Nichtlieferung die Anschaffung eines ganzen Maschinenparks oder nur der Kauf einer zu der Schraube passenden Mutter nutzlos würde. Der Versprechensempfänger weiß dagegen sehr wohl um seine im Vertrauen auf die Erfüllung getätigten Investitionen und damit auch um die im Fall der Nichterfüllung entstehenden Vertrauenskosten. Diese – im Vergleich zum Nichterfüllungsrisiko umgekehrte – Informationsasymmetrie führt in zweierlei Hinsicht zu ineffizienten Ergebnissen69 : Der Versprechende wird zum einen, wenn ihm Kenntnisse über die zu erwartenden Vertrauenskosten seines Gegenübers fehlen, seine Aufwendungen 66

Pandektenrecht II, § 307 Anm. 5 (S. 250). Näher dazu unten, § 10 III 2. 68 Pandektenrecht II, § 307 Anm. 5 (S. 250). 69 Vgl. (allerdings mit Bezug auf das Erfüllungsinteresse) E. Posner, in: Encyclopedia Bd. 3, S. 162, 165. 67

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zur Schadensvermeidung an einem Durchschnittswert ausrichten und damit, was Versprechensempfänger mit hohem Schadenspotential betrifft, unter dem effizienten Niveau bleiben (und es umgekehrt bei Versprechensempfängern mit niedrigem Schadenspotential überschreiten). Zum anderen wird er gegenüber Versprechensempfängern mit niedrigem Schadenspotential aufgrund einer unwissenheitsbedingt überhöhten Schadenserwartung nur gegen eine entsprechend überhöhte Vergütung zur Versprechensabgabe bereit sein (und umgekehrt Versprechensempfänger mit hohem Schadenspotential begünstigen). Zivilrechtliche Beschränkungen des Umfangs des zu ersetzenden Schadens wie etwa das auf die Entscheidung Hadley v. Baxendale70 zurückgehende Vorhersehbarkeitskriterium im Common Law und der Mitverschuldenseinwand wegen unterlassenen Hinweises auf die Gefahr eines ungewöhnlich hohen Schadens nach § 254 II 1 1. Alt. BGB lassen sich als Instrumente zur Korrektur dieser Fehlsteuerungen verstehen71. Die Einsicht, daß es ein Problem asymmetrischer Information zu lösen gilt, ermöglicht es, die ökonomische Rationalität solcher Regelungen nachzuvollziehen: Wenn es aus der Sicht des Versprechenden unwirtschaftlich ist, sich die notwendigen Informationen über das Schadenspotential seines Gegenübers selbst zu verschaffen, d. h. die marginalen Kosten der Informationsbeschaffung über ihrem marginalen Nutzen liegen72 , läßt sich das Informationsdefizit des Versprechenden mit seinen marktwidrigen Konsequenzen nur dadurch beheben, daß der Versprechensempfänger ihm sein Schadenspotential signalisiert. Die Verweigerung des Ersatzes von Schäden, deren möglicher Eintritt von dem Versprechendem mit effizientem Aufwand im Zeitpunkt der Versprechensabgabe nicht zu ermitteln sind, schafft einen Anreiz für den Versprechensempfänger, ein jenseits der Informationsbeschaffungslast des Versprechenden liegendes Schadenspotential zu offenbaren, so daß es in die Preisfi ndung einbezogen werden kann73. cc) Ineffiziente Vertrauensinvestitionen Schließlich ist eine uneingeschränkte Verantwortlichkeit des Versprechenden für die Vertrauenskosten eines irregeleiteten Versprechensempfängers insoweit dysfunktional, als sie diesen auch dann schützt, wenn er eine Vertrauensinvestition vorgenommen hat, die bei unterstellter Erfüllung des Versprechens ineffizient gewesen wäre. Hat z. B. ein Investor eine Geldanlage aufgelöst, die ihm nach Ablauf eines Jahres einen sicheren Zinsertrag gebracht hätte, um das freigewordene Kapital in eine Unternehmensbeteiligung zu investieren, von der sich später erweisen sollte, daß sie ihm in dem gleichen Zeitraum keinen Gewinn beschert hätte, so erwiese sich die Nichterfüllung des Versprechens, ihm diese Beteiligung zu be70

(1854) 9 Ex. 341, 156 Eng.Rep. 145. So zur Vorhersehbarkeit R. Posner, Economic Analysis, S. 127 f., und zu § 254 II 1 BGB Schäfer/Ott, Ökonomische Analyse, S. 469 f. 72 Zur Marginalbetrachtung oben, § 5 II 3. 73 Zum – hier nicht näher zu behandelnden – Streit um die Vorhersehbarkeitsregel als »penalty default rule« (dieser Begriff wird unten, § 7 II 1 b, erklärt) Trebilcock, Limits, S. 122 ff. 71

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schaffen, als glücklicher Zufall, wenn man ihm gestattete, seine Opportunitätskosten – den entgangenen Gewinn aus der aufgelösten Geldanlage – als Ersatz seiner Vertrauenskosten zu verlangen. Was an diesem Ergebnis stört, ist allerdings nicht das Glück als solches, sondern die ökonomische Unvernunft, der mit einer solchen Haftungsregel Vorschub geleistet würde: Ließe man dem Versprechensempfänger einen »windfall profit« in dem Fall der Realisierung des Nichterfülllungsrisikos zukommen, so verzerrte man die Anreizstruktur für die Entscheidung des Versprechensempfängers über seine Vertrauensinvestition, weil die Haftung ihn dann nicht nur vor einem verborgenen Nichterfüllungsrisiko, sondern auch vor einem offenliegenden Renditerisiko der Investition schützte, wenn sich das Nichterfüllungsrisiko verwirklichte. Der damit gegebene Anreiz, auf die Nichterfüllung zu spekulieren, drohte den Versprechensempfänger zu einer Investition zu verleiten, die höher wäre als der nach dem Kosten-Nutzen-Kalkül eines rationalen Versprechensempfängers74 angemessene Betrag75. »Windfall profits« aus der Nichterfüllung von Versprechen zu vermeiden, ist daher ein wirtschaftlich berechtigtes Anliegen, das seinen allgemeinen Ausdruck in der Begrenzung der Haftung nach dem Schutzzweck der Norm76 findet und als deren besondere Ausprägungen die Regelung über die Verfehlung des Aufwendungszwecks in § 284 BGB77 und die Begrenzung der Ersatzfähigkeit von Vertrau-

74

Dazu oben, Abschnitt II 1. Dieser Effekt wird deutlich, wenn man das soeben gebildete Beispiel mit Zahlen versieht: Unterstellt sei, daß dem – als risikoneutral gedachten – Investor eine Unternehmensbeteiligung versprochen wird, die eine Rendite von 20% erbringen soll, allerdings nur mit einer (offen ausgewiesenen oder aufgrund der mitgeteilten Informationen berechenbaren) Wahrscheinlichkeit von 30%, während mit der Restwahrscheinlichkeit von 70% das eingezahlte Kapital nur zurückgewährt wird. Zudem betrage das (verdeckte) Risiko, daß der Versprechende – ein leichtfertiger, wenn auch nicht betrügerischer Anlagevermittler – dem Investor die versprochene Beteiligung überhaupt nicht beschaffen wird, 80%. Den Investor vor den abträglichen Folgen asymmetrischer Information zu schützen, heißt nur, ihm eine Investitionsentscheidung zu ermöglichen, die auf das Nichterfüllungsrisiko keine Rücksicht nehmen muß, ohne ihn von dem Renditerisiko zu entlasten. Ein vom Nichterfüllungsrisiko befreiter Investor würde hier den Erwartungswert des Nutzens der Unternehmensbeteiligung mit 6% (20% x 0,3) bewerten und dies als Maximalbetrag seiner Opportunitätskosten, nämlich des entgangenen (absolut sicheren) Zinsertrags aus der aufzulösenden Geldanlage, ansehen. Die Gewißheit, im Fall der Nichterfüllung seine gesamten Kosten ersetzt zu bekommen, eröffnete dem Investor dagegen die Möglichkeit, auf die Nichterfüllung zu spekulieren und dementsprechend höhere Kosten zu riskieren: Der Erwartungswert des bei Nichterfüllung zu erzielenden Nutzens der haftungsrechtlich voll versicherten Investition betrüge 16% (20% x 0,8), also 10 Prozentpunkte mehr als im Erfüllungsfall. Auch ohne sich das volle Ausmaß des Nichterfüllungsrisikos und des dadurch bedingten Zugewinns erschließen zu können, wäre der Investor schon allein dann, wenn er bemerkte, daß das Nichterfüllungsrisiko hier größer ist als die Renditechance, dazu geneigt, auf ersteres statt auf letztere zu setzen und sich dementsprechend ineffizient zu verhalten, nämlich höhere Opportunitätskosten als den Verlust eines Zinsertrags von 6% in Kauf zu nehmen. 76 Dazu unten, § 10 I 2 b. 77 Dazu unten, § 11 III 3. 75

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enskosten auf den Betrag des positiven Interesses78 zu interpretieren sind. Das hat bereits das Reichsgericht zutreffend erkannt: »[E]s wäre ungerechtfertigt, ihm [dem auf die Gültigkeit des Vertrags Vertrauenden] das Wagnis abzunehmen, das er mit Eingehung des Vertrags übernommen hat, und ihm Ersatz auch für solche Verluste zuzusprechen, die in den aus der Vertragserfüllung fließenden Gewinnen zwar ihren Ausgleich hatten finden sollen, aber in Wirklichkeit, weil er in seinen Berechnungen fehlgeschlagen ist, nicht gefunden haben würden. Er soll also [den] Schaden, der ihn auch bei Gültigkeit des Vertrags getroffen hätte, selbst tragen.«79 Die betragsmäßige Haftungsbegrenzung auf das positive Interesse (soweit das positive Interesse ein materielles und damit quantifizierbar ist80 ) und der Einwand der Zweckverfehlung halten also den Anreiz für den Versprechensempfänger aufrecht, seine Mittel nutzenmaximierend und nicht unproduktiv in eine »Wette« auf die Nichterfüllung zu investieren. Sie führt allerdings nicht dazu, daß der Versprechensempfänger bei der Bemessung seiner Vertrauensinvestition die Möglichkeit eines effizienten Vertragsbruchs81 des Versprechenden in sein Kosten-Nutzen-Kalkül einstellt und die Investition dementsprechend begrenzt: Er wird vielmehr, da die Garantiehaftung ihn insoweit gegen einen Verlust im Fall der Nichterfüllung versichert, den Umfang seiner Vertrauensinvestition ausschließlich an dem Eintritt der Erfüllung ausrichten. Das heißt: Seine Investition wird höher ausfallen als der Maximalbetrag, der sich bei Saldierung der Erwartungswerte des Vertrauensnutzens und der Vertrauenskosten82 ergibt, weil er aufgrund der Versicherung, die ihm das Haftungsrecht gewährt, für die Vertrauenskosten eine Eintrittswahrscheinlichkeit von Null und für den Vertrauensnutzen eine 100%ige Eintrittswahrscheinlichkeit unterstellen kann. Im rechtsökonomischen Schrifttum ist dieser – auch durch eine Garantiehaftung auf das positive Interesse herbeigeführte83 – Effekt immer wieder als ineffiziente »overreliance« oder »breach subsidy« für den Gläubiger kritisiert worden84. 78

Dazu unten, § 10 III 1. RG 22. 6. 1936, RGZ 151, 357, 358 f. 80 Ist das Interesse an der Erfüllung ein immaterielles, ist eine betragsmäßige Begrenzung der Haftung nicht möglich; siehe unten § 10 III 1 b. 81 Näher dazu unten, § 6 II 1 a. 82 Also dem Betrag des Nutzens bzw. der Kosten multipliziert mit der (in aller Regel unter 100% liegenden) Erfüllungswahrscheinlichkeit; dazu oben, Abschnitt II 1.. 83 Siehe unten, § 6 II 1 c. 84 Den Anstoß zu dieser Kritik gab wohl Shavell, 11 Bell J.Econ. 466, 472 (1980) mit der folgenden Feststellung: »The receipt of damages by the victim of a breach often results in his choosing a level of reliance that exceeds the Pareto efficient level. The reason is that the receipt of damages serves to insure him against losing the benefits of reliance; thus, in deciding on his level of reliance, he does not properly recognize that reliance is in fact like an investment which does not pay off in the event of breach.« Übereinstimmend etwa Mahoney, in: Encyclopedia Bd. 3, S. 117, 123; Rogerson, 15 Rand J.Econ. 39 ff. (1984). Nach Edlin, in: New Palgrave Bd. 1, S. 174, 176 f., ist dieser ökonomische Befund (unabhängig von rechtlichen Mechanismen, die »overreliance« verhindern) jedoch erheblich zu relativieren: Bei vertraglichen Versprechen teilbarer Leistungen 79

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Doch läßt sich der Anreiz zu überhöhten Vertrauensinvestitionen vermeiden85. Der Versicherungseffekt, der zur »overreliance« führt, besteht nämlich nicht, wenn die Haftung in den Fällen ausgeschlossen ist, in denen zur Erfüllung Anstrengungen erforderlich gewesen wären, die das effiziente Maß überschreiten: Der Versprechensempfänger, der aufgrund dieser Einschränkung der Haftung nicht vollständig abgesichert ist, wird so zur Begrenzung seiner Vertrauensinvestition auf das effiziente Maß angehalten. Im deutschen Recht läßt sich dem durch die Interpretation des Verschuldens im Sinne von § 276 BGB nach Maßgabe der Hand-Formel Rechnung tragen: Ein Verschulden und damit die Haftung wegen einer Verletzung der Leistungspflicht ist ausgeschlossen, wenn die marginalen Kosten der Erfüllungsanstrengungen deren marginalen Nutzen übersteigen86 . Wie verträgt sich dies aber mit der hier postulierten Garantiehaftung des Versprechenden? Der scheinbare Widerspruch löst sich auf, wenn man sich der Unterscheidung zwischen Aufklärungsanstrengungen und Erfüllungsanstrengungen erinnert87: Mit ersteren sind die Anstrengungen des Versprechenden gemeint, das Nichterfüllungsrisiko transparent zu machen, also ein Versprechen abzugeben, dessen Inhalt der prognostizierbaren Wirklichkeit im Erfüllungszeitpunkt entspricht; mit letzteren sind seine Bemühungen gemeint, das Nichterfüllungsrisiko zu reduzieren, also umgekehrt dafür zu sorgen, daß die Wirklichkeit im Erfüllungszeitpunkt dem Inhalt des Versprechens entspricht. Nach dem hier vertretenen Ansatz soll der Versprechende verschuldensunabhängig nur für die Fehlinformation über das Nichterfüllungsrisiko haften, nicht jedoch für das Unterlassen von Erfüllungsanstrengungen. Deshalb steht das Postulat einer Garantiehaftung, was die Information über das Nichterfüllungsrisiko betrifft, der Forderung nicht entgegen, die Verantwortlichkeit für die Nichtüberwindung von Erfüllungshindernissen und damit den Schutz des Erfüllungsinteresses grundsätzlich verschuldensabhängig auszugestalten.

müsse der Gläubiger je nach der anschließenden tatsächlichen Entwicklung ggf. auch einen Nachteil in Gestalt einer an den Schuldner für eine nachträgliche Erhöhung des Leistungsumfangs zu zahlenden »holdup tax« in Kauf zu nehmen – die Überkompensation (»breach subsidy«), die er im Fall des Zurückbleibens des effizienten hinter dem vereinbarten Leistungsumfang (also in der Konstellation effizienten Vertragsbruchs) erhält, läßt sich vor diesem Hintergrund als bloßer Ausgleich dieses Nachteils interpretieren. 85 Hinweise auf Lösungen, die das positive Recht bereithält, fi nden sich im Hinblick auf das US-Recht etwa bei Cooter/Ulen, Law and Economics, S. 264 ff. (Vorhersehbarkeit als Grenze des Schadensersatzes); Wagner, 27 Loy.U.Chi.L. J. 55, 72 ff. (1995) (Unmöglichkeitseinwand); im Hinblick auf das deutsche Recht bei Schäfer/Ott, Ökonomische Analyse, S. 469 f. (Mitverschuldenseinwand). Schäfer/Ott, a.a.O., gehen allerdings nicht darauf ein, daß die grundsätzliche Verschuldensabhängigkeit der Nichterfüllungshaftung nach deutschem Recht bereits dafür sorgt, daß es nicht zur »overreliance« kommt; dazu der nachfolgende Text. 86 In die gleiche Richtung wie hier geht der bei Cooter/Porat, 30 J. Legal Stud. 401, 411 Fn. 11 (2001), zu findende Hinweis auf das israelische Recht, das mit einem »comparative negligence«Standard im Vertragsrecht den Versicherungseffekt vermeide. 87 Dazu oben, Abschnitt II 2.

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Während also unsere rechtspolitische Empfehlung, die Verantwortlichkeit für Vertrauenskosten dem Grunde nach als Garantiehaftung auszugestalten, unberührt bleibt, ergeben sich aus der Einsicht, daß sich das Problem der »overreliance« durch eine verschuldensabhängige Erfüllungshaftung in den Griff bekommen läßt, allerdings Konsequenzen für die Begrenzung ihrer Folgen: Um zu vermeiden, daß die Haftung dem Versprechensempfänger einen Anreiz zu Vertrauensinvestitionen in einer das effiziente Maß überschreitenden Höhe gibt, sollte sie in den Fällen ausgeschlossen sein, in denen sich der versprochene Erfolg nicht mit einer effizienten Erfüllungsanstrengung herbeiführen läßt und demnach der Versprechende die Nichterfüllung nicht zu vertreten hat. Seine rechtstechnische Umsetzung findet dieses Anliegen in der Abhängigkeit der Haftung aus § 284 BGB vom Vertretenmüssen der Leistungspflichtverletzung88 , aber auch in der – in den §§ 122, 179 II BGB zu findenden – Haftungsbegrenzung auf das positive Interesse, wenn man sie nur recht versteht89 : Diese Begrenzung limitiert die Haftung nicht nur auf den Betrag des positiven Interesses, sondern auch auf dessen Schutzwürdigkeit. Das heißt: Soweit der Schuldner die Nichterfüllung des (als wirksam gedachten) Leistungsversprechens nicht zu vertreten hätte und das positive Interesse des Gläubigers aus diesem Grund nicht schutzwürdig ist, scheidet auch der Schadensersatz nach den §§ 122, 179 II BGB aus.

3. Vertrauenskosten und negatives Interesse Die bisherigen Ausführungen zur Legitimation der Haftung auf das negative Interesse haben den Begriff vermieden, um den es eigentlich gehen soll: das negative Interesse. Ebensowenig verwendet wurden bisher die Begriffe »Vertrauensschaden« oder »Vertrauensinteresse«. Statt dessen war stets von Vertrauenskosten die Rede: Es sind die Vertrauenskosten, deren Internalisierung durch den Versprechenden aus ökonomischer Sicht erforderlich ist, um das Problem adverser Selektion zu beheben, das sich bei der Versprechensabgabe aus dem Informationsvorsprung des Versprechenden ergibt. Weil jedoch die Vertrauenskosten defi niert sind als die Differenz zwischen dem Nutzen, den der Adressat eines Versprechens bei irriger Annahme der Erfüllung mit seinen vorhandenen Mitteln zu erzielen imstande ist, und dem Nutzen, den er aus seinem vorhandenen Mitteln ohne das Versprechen ziehen kann90 , läßt sich der Schritt zum negativen oder Vertrauensinteresse auf den ersten Blick ohne Probleme tun: Grundsätzlich stimmen die so verstandenen Vertrauenskosten mit dem negativen Interesse überein – das rechtlich geschützte »Interesse, welches der Gläubiger daran hatte, über die wahre Beschaffenheit der Leistung nicht getäuscht zu sein«91, oder allgemein: das Interesse 88 89 90 91

Dazu unten, § 11 III 1. Dazu unten, § 10 III 1 c. Siehe oben, Abschnitt II 1. Mommsen, Unmöglichkeit, S. 107.

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des Gläubigers, über die Einlösung einer bei ihm geweckten normativen Erwartung nicht getäuscht zu sein, findet seine ökonomische Entsprechung in der Nutzendifferenz, die den Begriff der Vertrauenskosten bestimmt. Dabei darf indes nicht übersehen werden, daß es sich beim negativen Interesse nicht um ein mit den Vertrauenskosten identisches Konzept, sondern um dessen juristische Übersetzung handelt. Diese Übersetzung im Detail auszuführen, bleibt dem systematischen Teil der Untersuchung vorbehalten92 ; hinzuweisen ist an dieser Stelle jedoch schon auf Schwierigkeiten, die sich aus der Natur der Vertrauenskosten ergeben und dazu nötigen, bei der rechtlichen Bestimmung des Vertrauensschadens von der ökonomischen Konzeption der Vertrauenskosten abzuweichen: Vertrauenskosten sind Opportunitätskosten; sie sind gleich dem entgangenen Nutzen der in die Vertrauensinvestition eingegangenen Güter des Versprechensempfängers in ihrer bestmöglichen alternativen Verwendung 93. Gelegentlich, wie in dem soeben gebildeten Fall des Investors, der fälschlich auf eine gewinnbringende Unternehmensbeteiligung hoffte, sind Opportunitätskosten eine leicht verifizierbare und zu beziffernde Größe – es handelt sich schlicht um den entgangenen Gewinn aus der zum Zweck der Mittelumschichtung aufgelösen Geldanlage. Oft verhält es sich aber anders: Opportunitätskosten mögen nicht verifizierbar sein, weil sich die alternative Verwendung der in die Vertrauensinvestition geflossenen Mittel nicht nachweisen läßt, oder sie mögen, selbst wenn dies möglich ist, nicht bezifferbar sein, weil der entgangene Nutzen ein immaterieller ist. Ein Haftungsrecht, das den Versprechensempfänger in diesen Konstellationen leer ausgehen ließe, beraubte sich, da es zu einer Internalisierung der Vertrauenskosten durch den Versprechenden nicht käme, über weite Strecken seiner verhaltenssteuernden Wirkung. Deshalb kommt man nicht umhin, dem Geschädigten Erleichterungen zuzugestehen, welche die haftungsrechtlich angestrebte Anreizstruktur auch unter solchermaßen erschwerten Bedingungen zumindest annähernd herstellen. Abgesehen von allgemeinen Instrumenten wie der Beweiserleichterung nach § 252 S. 2 BGB trägt hierzu vor allem die sowohl im deutschen als auch im anglo-amerikanischen Recht getroffene Entscheidung bei, fehlgeschlagene Aufwendungen (»out-of-pocket costs«), die der Versprechensempfänger im Vertrauen auf die Einhaltung des Versprechen getätigt hat, als Teil des Vertrauensschadens anzuerkennen94.

92

Näher dazu unten, § 10. Allgemein zum Begriff der Opportunitätskosten Buchanan, in: New Palgrave Bd. 2, S. 710 ff.; Schäfer/Ott, Ökonomische Analyse, S. 81. 94 Näher dazu unten, § 10 II 1. – Cooter/Ulen, Law and Economics, S. 241 f., fassen unter »reliance damages« (Vertrauensschadensersatz) sogar nur die »out-of-pocket-costs«, während sie im Ersatz der Opportunitätskosten eine eigenständige Sanktion sehen. Doch gibt es keinen Grund, die Opportunitätskosten nicht als vom negativen Interesse erfaßt anzusehen; näher dazu unten, § 10 II 2. 93

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Ökonomisch wirkt dies zunächst wie ein illegitimer Kunstgriff95 : Die »Kosten« des Versprechensempfängers im Sinne von Ausgaben, die er in irriger Antizipation der versprochenen Leistung getätigt hat, sind nicht dasselbe wie die Vertrauenskosten, nämlich die Opportunitätskosten des Versprechens96 – um diese zu bestimmen, müßte man die nächstbeste alternative Verwendung der eingesetzten Mittel ermitteln und bewerten. Trotzdem ist eine Vorgehensweise, die Parteien und Gerichten eine solche Würdigung zur Vermeidung eines Haftungsvakuums erspart, auch wirtschaftlich zu rechtfertigen, denn der Ersatz frustrierter Aufwendungen ist als Alternative zum Ersatz »echter« Vertrauenskosten keineswegs ungeeignet: Statt die entgangenen Nutzungsmöglichkeiten der investierten Mittel zu rekonstruieren und zu bewerten, verschafft man dem in seinem Vertrauen enttäuschten Versprechensempfänger durch die Rückgewähr der investierten Mittel eine neue Nutzungsmöglichkeit. Die Gelegenheiten, die sich dem Versprechensempfänger im Zeitpunkt der ursprünglichen Investitionsentscheidung boten, werden dadurch selbstverständlich nicht wiederhergestellt; doch ist die – zugegebenermaßen grobe – Annäherung an die unmögliche Naturalrestitution entgangener Investitionschancen, die in der Verschaffung einer neuen Investitionschance liegt, einer Lösung allemal vorzuziehen, die, weil sie auf den Wertersatz der bestmöglichen entgangenen Investitionschance fixiert ist, wegen unüberwindlicher Beweis- und Bezifferungsprobleme zu chronischer Unterkompensation des Geschädigten führte. Daß die frustrierten Aufwendungen des Geschädigten gleichwohl nur ein Surrogat »echter« Vertrauenskosten sind, darf bei ihrer Einbeziehung in den Ersatz des negativen Interesses nie übersehen werden97.

IV. Vom Versprechen zur Produktion zurechenbarer normativer Erwartungen Die Begründung der Haftung auf das negative Interesse ist bisher nur für den Fall des Versprechens aufgezeigt worden, oder genauer: für den semantisch eindeutig als Versprechen zu identifizierenden, schlichten Fall, in dem A dem B die Erbringung einer eigenen Leistung bewußt und explizit verspricht 98. Vorausgesetzt, daß A keinen rechtlichen oder sozialen Sanktionen ausgesetzt ist, die ihm Anreize zur Einhaltung des Versprechens bieten (dazu § 6 und § 7 III), hat sich die Internalisierung etwaiger Vertrauenskosten des B durch die Haftung auf das negative Interes95 Vgl. die Kritik am Ersatz der vergeblichen Aufwendungen als Teil des negativen Interesses bei Birmingham, 60 Wash.L.Rev. 217, 228 f. (1985) (mit Bezug auf die amerikanische Leitentscheidung Security Stove & Manufacturing Co. v. American Railway Express Co., 227 Mo. App. 175, 51 S. W.2d 572 (1932)); Kelly, 1992 Wis.L.Rev. 1753, 1773 ff. 96 Zum Begriff der Vertrauenskosten oben, Abschnitt II 1. 97 Näher zum Ersatz vergeblicher Aufwendungen als Teil des negativen Interesses unten, § 10 II 1. 98 Siehe oben, § 2.

IV. Vom Versprechen zur Produktion zurechenbarer normativer Erwartungen

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se als geeignetes Mittel erwiesen, die Versprechensabgabe durch A zu optimieren. Zu klären bleibt, inwieweit sich diese Aussage auf das gesamte Spektrum von Verhaltensweisen, die in zurechenbarer Weise normative Erwartungen wecken, und damit auf die ganze Breite des Gegenstandsbereichs dieser Untersuchung übertragen läßt. Der Ansatzpunkt für die Verallgemeinerungsfähigkeit der zunächst nur für den Fall des Versprechens postulierten Haftung wird deutlich, wenn man sich darauf besinnt, in welcher Weise das Versprechen hier als Haftungsgrund in den Blick gerät: Die mit der Nichteinhaltung des Versprechens entstehenden Vertrauenskosten werden dem Versprechenden auferlegt, um ihm einen Anreiz dazu zu geben, die dem Empfänger verborgene Information über das Nichterfüllungsrisiko offenzulegen. Es wird also keineswegs behauptet, daß der Versprechende die Übernahme der Vertrauenskosten zum Gegenstand seines Versprechens gemacht hätte – das wäre reine Fiktion –, sondern nur, daß er dem Empfänger gegenüber für die Falschinformation über das Nichterfüllungsrisiko einstehen muß, die einem später gebrochenen Versprechen innewohnt und den Versprechensempfänger zu einer fehlgehenden Vertrauensinvestition veranlaßt. Hiervon ausgehend läßt sich der Anwendungbereich der in den vorangehenden Abschnitten entwickelten Überlegungen über das bewußte und explizite Leistungsversprechen hinaus auf alle Fälle der Produktion zurechenbarer normativer Erwartungen erweitern.

1. Normativitätsstiftendes Verhalten Begonnen sei mit der Charakterisierung des haftungsbegründenden Verhaltens als »normativitätsstiftend«, d. h. als ein Verhalten, das normative Erwartungen anderer weckt. Vordergründig betrachtet scheint es für die hier verfochtene Legitimation der Haftung auf das negative Interesse überhaupt nicht auf das Vorliegen einer normativen Erwartung des Versprechensempfängers anzukommen. Mit der Anknüpfung an die Falschinformation über das Nichterfüllungsrisiko wird das Versprechen, so könnte man meinen, auf eine empirische Aussage über das künftige Verhalten des Versprechenden verkürzt – die Erklärung »ich verspreche, die Leistung x zu erbringen« gerät anscheinend zur bloß als wahr oder falsch erweislichen Prognose »ich werde die Leistung x erbringen«, deren Nichtzutreffen mit der Haftung sanktioniert wird. Der empirische Gehalt des Versprechens allein reicht indes zur Haftungsbegründung nicht aus. Das in der Erfüllungsprognose liegende empirische Moment begründet für sich genommen nur kognitive Erwartungen, Erwartungen also, aus deren Enttäuschung der Betroffene in der Weise lernt, daß er sie der Wirklichkeit anpaßt99. Wollte man die Enttäuschung kognitiver Erwartungen mit der Haftung auf das negative Interesse sanktionieren, so wäre dem Betroffenen nur der Anreiz 99

So das hiesige Verständnis im Anschluß an Luhmann, Rechtssoziologie, S. 42. Siehe auch oben, § 1 II.

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§ 5 Die Schutzwürdigkeit des negativen Interesses

genommen, aus der Enttäuschung zu lernen, oder, wie auch gesagt wird, die Gelegenheit, aus Schaden klug zu werden100. Wie unangebracht das wäre, wird leicht deutlich, wenn man dem Versprechen Äußerungen über künftiges Verhalten gegenüberstellt, die nahezu101 ausschließlich den Charakter einer empirisch falsifizierbaren Prognose haben, etwa die einem Freund gegenüber beiläufig gemachte Mitteilung: »Ich werde am nächsten Berlin-Marathon teilnehmen.« Wenn ich mangels ausreichender Vorbereitung zum Marathonlauf nicht antrete, wird mein Freund, so er meiner Ankündigung geglaubt hat und nun von meiner Nichtteilnahme erfährt, seine Erwartung korrigieren und daraus möglicherweise Konsequenzen für seine Sicht meiner Selbsteinschätzungsfähigkeit ziehen. Ist er – ohne mein Wissen und meine Veranlassung – vergeblich nach Berlin gefahren, um mich dort anzufeuern, wird er sich um so nachdrücklicher zur Korrektur seiner Meinung veranlaßt sehen. Ein sozialer Mechanismus, der ihn gegenüber der Enttäuschung gleichgültig machte, wäre dem Erwerb dieser neuen Einsicht nur hinderlich. Eben diesen Effekt hätte (selbstverständlich nur in vermögensmäßiger Hinsicht) die Haftung auf das negative Interesse. Diese haftungsrechtliche Sanktion einzusetzen, ist daher nur dann sinnvoll, wenn mit der Äußerung eine Erwartung vermittelt wird, deren Enttäuschung nicht Anpassung, sondern Protest hervorruft: eben eine normative Erwartung102. Dies geschieht durch den mit der Abgabe des Versprechens erhobenen Geltungsanspruch: Der Versprechende vermittelt dem Adressaten nicht nur die Information, daß er die Leistung x erbringen wird, sondern auch, daß er es dem Adressaten gegenüber soll. Auch wenn die Haftung auf das negative Interesse die dadurch geweckte normative Erwartung im Enttäuschungsfall nicht bestätigt, sondern sie nur hinsichtlich ihrer vermögensmäßigen Folgen ungeschehen macht, hängt ihre Anwendbarkeit also doch davon ab, daß mit der zum Schadensersatz verpflichtenden Äußerung eine solche Erwartung überhaupt geweckt und nicht nur eine sich als falsch herausstellende Information übermittelt wurde. Was aber kommt außer dem Musterfall des expliziten Versprechens überhaupt als normativitätsstiftendes und damit ggf. haftungsbegründendes Verhalten in Betracht? Keinen in der Rechtsgeschäftslehre geschulten Juristen wird es zunächst überraschen, daß es auf den Gebrauch eindeutiger Wendungen wie »ich verspreche« oder »ich verpflichte mich« nicht ankommen, sondern eine normative Erwartung auch konkludent durch Worte oder sogar durch nonverbales Verhalten hervorgerufen werden kann. Weniger selbstverständlich ist allerdings, wie es sich mit der Erheblichkeit der Unterscheidung zwischen deklaratorischen und konstitutiven Erklärungen verhält, die in der analytischen Sprachphilosophie ihre Entsprechung in der Differenzierung zwischen konstatierenden und performativen Äuße100

Vgl. dazu das oben, § 1 II Fn. 54, gebildete Beispiel. Zu dem Geltungsanspruch, der sich – in allerdings ganz unterschiedlichem Ausmaße – auch mit solchen deklaratorischen Aussagen verbinden kann, sogleich die folgenden Ausführungen. 102 Wiederum im Anschluß an Luhmann, Rechtssoziologie, S. 42. 101

IV. Vom Versprechen zur Produktion zurechenbarer normativer Erwartungen

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rungen findet und in der deutschen Dogmatik teilweise zur Markierung der Grenzlinie zwischen Rechtsgeschäft und Vertrauenshaftung herangezogen wird103 : Das Versprechen, mag es ausdrücklich oder konkludent gegeben sein, ist eine konstitutive oder performative Äußerung par excellence; indem es ausgesprochen wird, bewirkt es genau das, wovon darin die Rede ist: das Sich-Verpfl ichten des Sprechers. Deklaratorische Äußerungen verweisen hingegen nur darauf, was der Fall ist, war oder sein wird. Dies schließt es auf den ersten Blick aus, von einem normativitätsstiftenden Verhalten zu sprechen. Damit vernachlässigt man jedoch, daß auch deklaratorische Äußerungen mit einem Geltungsanspruch einhergehen. Dies gilt nicht nur für Erklärungen, die ein Versprechen in das Gewand einer deklaratorischen Mitteilung kleiden (z. B. »für 499,– A werden Sie Eigentümer dieser Schrankwand«), sondern etwa auch für schlichte Tatsachenbehauptungen: Mit der Mitteilung darüber, was der Fall sei, wird gleichzeitig, wenn auch je nach der Rolle der Beteiligten und dem Kontext der Äußerung mit stark variierender Intensität, behauptet, daß das Gesagte zutreffe. Dieser mit der Äußerung implizierte (und gelegentlich in Bekräftigungen bis hin zur Eidesleistung sichtbar gemachte) Geltungsanspruch weckt beim Adressaten der Äußerung eine damit korrespondierende normative Erwartung104. Somit handelt es sich auch bei deklaratorischen Äußerungen um mögliche Anknüpfungspunkte der Haftung auf das negative Interesse – allerdings nur, wenn der erhobene Geltungsanspruch so weit reicht, daß er zu Vertrauensinvestitionen Anlaß geben kann: Die »Inanspruchnahme von Vertrauen«105, mit der sich der Geltungsanspruch in der Sprache der Vertrauenshaftung beschreiben läßt106 , beschränkt sich etwa bei meiner bloßen Ankündigung, am Berlin-Marathon teilzunehmen, allenfalls auf die ehrliche Darstellung meiner gegenwärtigen Motivationslage. Dagegen erreicht er in Fällen professioneller Auskunft – beispielhaft seien das Testat eines Wirtschaftsprüfers und die Kreditauskunft einer Bank genannt – eine Intensität, die nicht weit von der Richtigkeitsgewähr eines Einstandsversprechens entfernt ist107. Anders als beim Leistungsversprechen erwartet der Empfänger einer deklaratorischen Erklärung allerdings keine künftige Leistung. Seine Erwartung ist viel103

Namentlich von Canaris, in: FS 50 Jahre BGH Bd. 1, S. 129, 136 ff. So bereits, in Anküpfung an Charles S. Peirce, Köndgen, Selbstbindung, S. 356 f. 105 So die eine der beiden Seiten der berühmten, von Ballerstedt, AcP 151 (1950/51), 501, 507, geprägten Formel von der »Verpfl ichtung durch Gewährung in Anspruch genommenen Vertrauens«. Ballerstedt, a.a.O., Fn. 17, versteht darunter »ein[en] zweiseitige[n] Tatbestand [. . .]: auf der Seite des einen Partners ein Verhalten, das nach den Grunsätzen der Redlichkeit und nach seiner sozialen Erscheinungsform geeignet ist, Vertrauen zu erwecken und auf der anderen Seite Gewährung von Vertrauen in eben dieses Verhalten«. 106 Die Kritik Köndgens, Selbstbindung, S. 356, an der Formulierung »Inanspruchnahme eines besonderen persönlichen Vertrauens«, die »an dogmatischer Operationalität so gut wie alle Wünsche offen« lasse, mag sich auf diese Weise ausräumen lassen. 107 Näher zur Ausdifferenzierung Köndgen, Selbstbindung, S. 359 ff.; dazu auch unten, § 13 IV. 104

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§ 5 Die Schutzwürdigkeit des negativen Interesses

mehr auf die Übereinstimmung der behaupteten mit der wirklichen Tatsachenlage gerichtet. Dies könnte Anlaß zu dem Mißverständnis geben, die für das Leistungsversprechen entwickelten Überlegungen in der Weise auf deklaratorische Äußerungen zu übertragen, daß man in jeglicher Abweichung der wirklichen von der behaupteten Lage das Pendant zur Nichterfüllung sähe. Der Erklärende hätte dann allein aufgrund des Nichtzutreffens seiner Äußerung die Vertrauenskosten des Empfängers zu tragen, so wie dem Versprechenden die Vertrauenskosten seines Gegenübers verschuldensunabhängig aufgebürdet werden sollten108. Das ginge jedoch nicht an: Eine normative (und nicht nur kognitive) Erwartung, daß Erklärung und Wirklichkeit in jedem Fall übereinstimmen, wird nur vermittelt, wo mit der Erklärung ausnahmsweise der absolute Geltungsanspruch einer Garantie erhoben wird. Wo der Geltungsanspruch relativ ist – der Erklärende beansprucht Vertrauen nur dafür, daß er sich der Wahrheit der Behauptung im Rahmen bestimmter Erkenntnismöglichkeiten vergewissert hat –, ist dies auch die normative Erwartung. Nicht weiter reicht dann auch die Legitimation der Haftung auf das negative Interesse als Instrument zur effizienten Steuerung der Produktion normativer Erwartungen: So wie sie dem Versprechenden lediglich einen Anreiz zur Offenlegung des Nichterfüllungsrisikos und nicht zur Erfüllung selbst geben soll, soll sie den (deklaratorisch) »Behauptenden« nur zur Offenbarung der Grenzen seines Wahrheitsanspruchs, soweit diese nicht bereits offenkundig sind109, und nicht zur Wahrheit selbst veranlassen. Der Fehlinformation über das Nichterfüllungsrisiko, welche die Haftung auf das negative Interesse im Fall des Versprechens legitimiert, entspricht daher im Fall der deklaratorischen Erklärung die Fehlinformation über das Falsifikationsrisiko: Der Erklärende soll, wenn sich seine Behauptung als falsch erweist, für etwaige Vertrauenskosten einstehen müssen, soweit er in dem Bereich, für den er mit seiner Erklärung implizit oder – ausnahmsweise – explizit einen Wahrheitsanspruch geltend machte, die Möglichkeit einer Falsifikation nicht offengelegt hat.

2. Die Zurechnung normativer Erwartungen Eine weitere Beschränkung der bisherigen Erörterung bezieht sich auf die subjektiven Gegebenheiten bei Versprechendem und Versprechensempfänger: Unterstellt wurde bisher, daß der Empfänger aufgrund des Versprechens eine normative Erwartung hegt, die der Versprechende bewußt bei ihm geweckt hat. Das heißt: Das tatsächliche Verständnis des Empfängers, was den Sinn der Erklärung betrifft, stimmt mit dem Verständnis des Erklärenden überein. Kehrt man an den gemeinrechtlichen Ausgangspunkt der Diskussion um die Haftung auf das negative Interesse zurück, so scheint mit der hier vorgestellten Haftungsbegründung ein we108

Zur Verschuldensunabhängigkeit oben, Abschnitt III 2 a bb. Das wird man in dem Fall meiner Ankündigung, an einem Marathonlauf teilnehmen zu wollen, sagen können. 109

IV. Vom Versprechen zur Produktion zurechenbarer normativer Erwartungen

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sentliches Anliegen verfehlt worden zu sein: Stein des Anstoßes waren für Jhering Irrtumsfälle, wie sie heute in den §§ 119 I, 120 BGB geregelt sind110 – Fälle also, in denen der Wille des Erklärenden gerade nicht darauf gerichtet war, die dem Sinn der Erklärung entsprechende normative Erwartung beim Empfänger hervorzurufen. Jherings c.i.c. wie auch ihre Weiterentwicklung zur Garantiehaftung, die nun etwa in § 122 BGB zu finden ist, dienten dazu, den Erklärungsempfänger gerade in solchen Konstellationen zu schützen, in denen ihm ein Erfüllungsanspruch wegen eines Willensmangels des Erklärenden (nach Gemeinem Recht ex lege und nach dem BGB infolge Anfechtung) nicht zustand. Wer die Haftung auf das negative Interesse als Haftung für die Falschinformation über das Nichterfüllungsrisiko versteht, die einem nicht eingehaltenen Versprechen innewohnt111, ist allerdings für ihre Rechtfertigung auf das Vorliegen bewußt normativitätsstiftenden Verhaltens nicht angewiesen, denn jede Erklärung, die bei ihrem Empfänger eine – später enttäuschte – normative Erwartung weckt, ist durch die haftungsbegründende Fehldarstellung des Nichterfüllungsrisikos gekennzeichnet. Die Begründung der Haftung auf das negative Interesse hätte deshalb ebensogut, dem historischen Vorbild Jherings folgend, mit der irrtumsbehafteten und nicht mit der willensgetragenen Erklärung beginnen können. Wenn hier anders verfahren wurde, so allein deshalb, weil es den Eindruck zu vermeiden galt, daß die Rechtfertigung der Haftung in dem Willensmangel und nicht in der Erklärung als solcher zu suchen sei. Diese Vorgehensweise bereitet den rechtspolitischen Boden für die dogmatische Einordnung des Schadensersatzes »bei nichtigen oder nicht zur Perfection gelangten Verträgen«112 : Weil die Haftung auf das negative Interesse sich für die »gesunde«, nämlich willensgetragene Erklärung genauso wie für die »pathologischen« Fälle legitimieren läßt, erübrigt es sich, aus dem zur Nichtigkeit führenden Mangel der Erklärung einen – dem Erklärenden nach dem Verschuldens- oder dem Veranlassungsprinzip zuzurechenenden – Haftungsgrund zu konstruieren. Als Haftungsgrund genügt, ganz gleich ob sie irrtumsbehaftet ist oder nicht, vielmehr die Erklärung selbst113.

110

Vgl. die einleitenden Beispiele bei Jhering, Jher.Jb. 4 (1861), 1 ff.; dazu oben, § 3 I 1 a. Wenn im folgenden wieder nur vom Versprechen die Rede ist, geschieht dies nur aus Gründen sprachlicher Vereinfachung: Die im vorigen Abschnitt aufgezeigte Verallgemeinerbarkeit der auf das Versprechen bezogenen Überlegungen auf die Gesamtheit normativitätsstiftenden Verhaltens gilt auch für die sich anschließenden Darlegungen. 112 So der Titel des Beitrags von Jhering, Jher.Jb. 4 (1861), 1. 113 Dieser – unten im Hinblick auf die Irrtumsfälle in § 12 II 1 näher ausgeführte – Gedanke fi ndet sich zu § 122 BGB bereits bei Flume, Rechtsgeschäft, § 21, 7 (S. 423), ausgedrückt: »Der Anfechtende haftet nicht nur, weil er den Schaden ›veranlaßt‹ hat. Entscheidend ist, daß er mit seiner Erklärung ›dem anderen‹ sein Wort gegeben hat. Wenn er nun schon nicht zu seinem Wort stehen muß. soll er wenigstens dafür einstehen, daß ›dem anderen‹ aus der Hingabe des Worts kein Schaden entsteht. Die Haftung nach § 122 ist somit, auch wenn sie durch das Gesetz bestimmt wird, eine rechtsgeschäftliche Haftung, nämlich eine solche auf Grund der rechtsgeschäftlichen Erklärung.« 111

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§ 5 Die Schutzwürdigkeit des negativen Interesses

Die Feststellung, daß der Versprechende die beim Empfänger geweckte normative Erwartung nicht willentlich herbeigeführt haben muß, damit sich der hiesigen Haftungslegitimation eine Grundlage bietet, bedeutet andererseits jedoch nicht, daß jegliches kommunikative Verhalten dafür ausreicht, an das jemand eine – für den Akteur möglicherweise ganz unvorhersehbare – normative Erwartung knüpft, die ihm Anlaß zu Vertrauensinvestitionen gibt. Alle vorangehenden Überlegungen zielen auf eine Konzeption des Haftungsrechts als Anreizsystem zur effizienten Verhaltenssteuerung. Haftungsrechtliche Anreize sind wirkungs- und daher sinnlos, wo Steuerungsmöglichkeiten fehlen. Das gilt auch für die Steuerung der Produktion normativer Erwartungen durch die Haftung auf das negative Interesse: Ihre Anreizwirkung kann sich nur entfalten, wo damit gerechnet werden darf, daß der Akteur die normative Erwartung, die ein anderer ihm gegenüber aufgrund seines Verhaltens bildet, steuern kann. Die Grenzen dessen, was ihm insoweit abzuverlangen ist, sind durch die Formulierung von Zurechnungskriterien abzustecken. Vorausgesetzt, daß der Akteur überhaupt zurechnungsfähig, d. h. für haftungsrechtliche Anreize empfänglich ist114, muß dem Akteur daher die normative Erwartung, zu der ein anderer sich durch das Verhalten veranlaßt sah, ohne daß es der Akteur intendierte, als Sinn seines Versprechens oder sonstigen Verhaltens zuzurechnen sein. Man erkennt darin unschwer das Grundanliegen normativer Auslegung115. Nun ist im Rahmen der normativen Auslegung bekanntlich auf den (objektiven) Empfängerhorizont abzustellen. Der (objektive) Horizont des Erklärenden spielt dabei aber, was nicht immer hinreichend betont wird und gewiß nur in Ausnahmefällen relevant wird, ebenso eine Rolle116 . Aus den Umständen, die nach dem Empfängerhorizont für den Sinn einer Erklärung von Bedeutung sind, hat man daher diejenigen herauszufiltern, die nicht zu den Umständen gehören, unter denen die Erklärung aus der objektiven Sicht des Erklärenden verstanden werden durfte und mußte. Dieses – im systematischen Teil der Arbeit weiterzuverfolgende117 – Verständnis der normativen Auslegung setzt unsere rechtspolitische Forderung um, die Verantwortlichkeit des Erklärenden für die normativen Erwartungen, die er bei anderen durch sein Verhalten hervorruft, auf das zu beschränken, was nach den Umständen der Erklärung überhaupt steuerbar war. Denn nicht steuerbar ist für den Erklärenden eine Erwartung, die der Erklärungsempfänger aufgrund von Vorstellungen bildet, die in den objektiven Umständen der Erklärung (nicht: des Erklärungsempfängers) keinen Anhalt finden.

114

Dazu unten, § 12 IV. Dazu prägnant Flume, Rechtsgeschäft, § 16, 1 a (S. 292): Entscheidend für die juristische Auslegung sei die »Zurechnung des Grundes des andersartigen Verstehens«. 116 Zutreffend Flume, Rechtsgeschäft, § 16, 3 c (S. 311). 117 Dazu unten, § 12 II 1. 115

V. Fazit

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V. Fazit Die Haftung auf das negative Interesse trägt, so läßt sich die zu Beginn dieses Kapitels aufgeworfene Frage beantworten, zum Gelingen marktförmiger Kooperation bei, indem sie die sozialen Kosten von Versprechen und anderen normativitätsstiftenden Verhaltensweisen minimiert. Mit den Mitteln der ökonomischen Analyse des Rechts ist es gelungen, das Problem und seine Lösung genauer zu erfassen: Normative Erwartungen, die Versprechen, aber auch andere kommunikative Verhaltensweisen vermitteln, haben einen Informationsgehalt, der – je nachdem, ob die Erwartung bestätigt oder enttäuscht wird – dem Empfänger Nutzen oder Kosten zu bescheren vermag. Eine zu seinen Lasten gehende Informationsasymmetrie, was das Nichterfüllungsrisiko (bzw. das Falsifikationsrisiko bei einer deklaratorischen Erklärung) betrifft, hindert den Empfänger grundsätzlich daran, mit dem Erklärenden zu einer effizienten Regelung über die Aufklärung dieses Risikos zu kommen. Dieses Defizit behebt die Pflicht des Erklärenden zum Ersatz des negativen Interesses. Rechtspolitische Maßgaben für deren Voraussetzungen und Umfang kann man, wie dieses Kapitel zeigen sollte, mit Hilfe des rechtsökonomischen Instrumentariums formulieren. Abschließend ist noch ein Wort zur systematischen Verortung der hier postulierten Haftung als Selbstbindungssanktion geboten: Daß der Verpflichtete die Haftung nicht »gewollt« hat, ist, wie sehr man den Begriff des »Willens« auch bis an die Grenze der Fiktion ausdehnen mag, selbstverständlich richtig, aber nötigt nach allem, was dazu in § 4 der Untersuchung gesagt wurde, die Annahme einer heteronomen Verpflichtung keineswegs auf – von privatrechtlicher Selbstbindung kann vielmehr dann (und immer dann) die Rede sein, wenn privatrechtliche Sanktionen auf die dem Verpflichteten zurechenbare Produktion normativer Erwartungen gestützt werden. Nur dies, und nichts anderes, sollte nach der in diesem Kapitel erarbeiteten rechtspolitischen Empfehlung die Haftung auf das negative Interesse voraussetzen.

§ 6 Der Schutz des negativen Interesses in Abgrenzung zum Schutz des positiven Interesses Die noch schmale, unter Ausblendung jeglicher Alternativsanktionen gewonnene Basis für die Legitimation der Haftung auf das negative Interesse gilt es nun zu erweitern: Die Haftung auf das negative Interesse bezieht sich, so lautete die bündigste Formulierung des Anknüpfungspunkts der vorangehenden Überlegungen1, nur auf die Produktion und nicht auf die Sicherung normativer Erwartungen. Für die Stabilisierung der normativen Erwartung, die der Versprechende beim Versprechensempfänger geweckt hat, oder, anschaulicher formuliert, für die »Qualitätssicherung« des Versprechens sorgen hingegen die auf den Schutz des positiven Interesses zielenden Sanktionen des Vertragsrechts. Wie verhält sich die soeben postulierte Haftung zu diesen Sanktionen? Bedarf es ihrer überhaupt in einer Rechtsordnung, die Versprechenden und Versprechensempfängern das Rechtsinstitut des Vertrags zur Verfügung stellt, mit dessen Hilfe aus dem Versprechenden der Schuldner und aus dem Versprechensempfänger der Gläubiger eines vertraglichen Anspruchs werden kann, der eben jene »Qualitätssicherung« bewirkt?

I. Die Relevanz der Unterscheidung zwischen negativem und positivem Interesse Die rechtspolitische Relevanz der Fragen nach dem »Wie« zivilrechtlicher Sanktionierung von Selbstbindungstatbeständen erschließt sich nicht so ohne weiteres wie die Bedeutung der Frage, ob überhaupt eine Sanktion angebracht ist. Zwischen positivem und negativem Interesse wird zwar seit Beginn dieser Untersuchung dogmatisch scharf unterschieden 2. Das heißt aber nicht, daß mit der Entscheidung zwischen dem Schutz des einen oder des anderen Interesses eine Wahl zwischen Alternativen zu treffen wäre, die in jedem Fall zu wirtschaftlich unterschiedlichen Ergebnissen führten. Entspräche die Wirklichkeit der Märkte der Modellwelt vollkommenen Wettbewerbs mit atomistischer Marktstruktur und homogenen Gütern, bestünde aus ökonomischer Sicht kein Anlaß, sich über diesen Aspekt der Sanktionsauswahl Gedanken zu machen 3 : Jeder Marktteilnehmer 1 2 3

Siehe oben, § 5 I. Siehe oben, § 1 III. Die Übereinstimmung zwischen positivem und negativem Interesse bei vollkommenem

I. Die Relevanz der Unterscheidung zwischen negativem und positivem Interesse

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kann bei vollkommener Konkurrenz mit beliebigen Partnern der Marktgegenseite über die gleiche Leistung zu gleichen Bedingungen kontrahieren. Wird ein Vertrag gebrochen, sind für den Gläubiger die Opportunitätskosten jeder nicht wahrgenommenen Möglichkeit zum Vertragsabschluß deshalb genauso hoch wie der Wert des tatsächlich abgeschlossenen Geschäfts. Negatives und positives Interesse stimmen hier also überein. Rechtliche Mechanismen wie die Irrtumsregelung des BGB sind dann folgenlos: Unter den Bedingungen vollkommenen Wettbewerbs ist die rückwirkende Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts, die § 142 I BGB dem anfechtenden Schuldner zugute kommen läßt, eine leere Geste des Gesetzes, weil es den Schuldner dafür nach § 122 BGB einen Preis bezahlen läßt, der um keinen Cent hinter dem Erfüllungsinteresse des Gläubigers zurückbleibt. Erst die Unvollkommenheiten tatsächlichen Marktgeschehens lenken das rechtspolitische Augenmerk auf die Differenzierung zwischen positivem und negativem Interesse: Wettbewerbsverzerrungen, seien sie durch private Marktmacht oder staatliche Regulierung bedingt, und Transaktionskosten, insbesondere Schwierigkeiten effizienter Informationsbeschaffung und -verarbeitung, sind allgegenwärtig und hindern den einzelnen Marktteilnehmer oft daran, sich völlig gleichwertige Möglichkeiten der Bedarfsdeckung zu erschließen. Unter den Gelegenheiten, die sich ihm bei effizientem Informationsaufwand bieten, ist vielmehr nur eine die günstigste, und alle anderen sind nachrangig. Wählt er den günstigsten Geschäftsabschluß, bleibt sein Vertrauensinteresse – der Wert des zweitbesten Geschäfts – hinter dem Erfüllungsinteresse – dem Wert des besten Geschäfts – zurück. Im Extremfall klaffen die Beträge so weit auseinander, daß die Gewährung des einen oder des anderen Interesses für den Gläubiger eine Entscheidung über Alles oder Nichts ist: Das Erfüllungsinteresse des Unternehmens, dem ein monopolistischer Anbieter die billige, aber unersetzliche Reparatur einer Maschine versprochen hat, mag, wenn ohne die Reparatur die Produktion zum Erliegen kommt, immens sein; das Vertrauensinteresse ist dagegen zu vernachlässigen. Dies ist Grund genug, die Entscheidung zwischen positivem und negativem Interesse als rechtpolitisches Problem der Sanktionsauswahl ernstzunehmen. Für diese Auswahl ist es von nachrangiger Bedeutung, ob das positive, auf die Einlösung der durch das Versprechen geweckten Erwartung gerichtete Interesse des Versprechensempfängers vertragsrechtlich durch ein Recht auf Naturalerfüllung oder durch einen Anspruch auf Ersatz des Nichterfüllungsschadens gewahrt wird. Gewiß ist nicht nur eine dogmatische, sondern auch eine ökonomische Unterscheidung zwischen der Schadensersatz- und der Erfüllungspflicht möglich und geboten – der mit dem Reizwort »efficient breach« verbundene Streit um die Vorzugswürdigkeit der einen oder der anderen Sanktion gehört zu den ältesten

Wettbewerb konstatieren schon Fuller/Perdue, 46 Yale L. J. 52, 60 (1936), und später etwa Cooter/Eisenberg, 73 Cal.L.Rev. 1432, 1434 ff. (1985); Goetz/Scott, 89 Yale L. J. 1261, 1284 (1980); Katz, 105 Yale L. J. 1249, 1266 (1996).

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§ 6 Abgrenzung zum Schutz des positiven Interesses

und bekanntesten Kontroversen in der ökonomischen Analyse des Rechts4. Doch stimmen die Pflicht zur Erfüllung und die Pfl icht zum Ersatz des Nichterfüllungsschadens aus rechtsökonomischer Sicht insoweit überein, als sie beide eine – auf die Sicherung der durch Versprechen geweckten Erwartungen zielende – Anreizstruktur schaffen, die der Haftung auf das negative Interesse grundsätzlich vorzuziehen ist. Dies läßt sich anhand einer einfachen, hier als »Grundfall« bezeichneten Konstellation vertraglichen Leistungsaustauschs aufzeigen (dazu II.). Die für diesen Fall begründete rechtspolitische Überlegenheit der auf die Wahrung des positiven Interesses bezogenen Sanktionen im Vergleich zur Haftung auf das negative Interesse erfährt allerdings eine erhebliche Relativierung, wenn man sich den Konstellationen normativitätsstiftenden Verhaltens zuwendet, in denen die durch den Erfüllungszwang oder die Haftung auf das positive Interesse gesetzten Anreize ihre Wirkung verfehlen oder unangebracht sind: Hier bleibt Raum für die im vorangehenden Abschnitt für das »naturzustandshafte«, d. h. im vertraglosen Kontext gegebene Versprechen erarbeiteten rechtspolitischen Empfehlung einer Garantiehaftung des Versprechenden auf den Ersatz des Vertrauensschadens (dazu III.).

II. Die Überlegenheit der Sanktionen zum Schutz des positiven Interesses im »Grundfall« vertraglicher Leistungsbeziehungen Im rechtsökonomischen Vergleich der Vertragsbruchsanktionen schneidet die Haftung auf das negative Interesse, was die Effizienz der von ihr gesetzten Anreize betrifft, regelmäßig schlechter ab als die dem Schutz des positiven Interesses dienenden Sanktionen5. Dabei hat das Schrifttum vorwiegend die Bewertung der Anreize von Vertragsbruchsanktionen für die Parteien im Stadium der Vertragserfüllung vor Augen, während die (Rück-)Wirkung dieser Sanktionen auf die An-

4 Dazu wohl erstmals Birmingham, 1969 Duke L. J. 49, 70; vgl. außerdem aus dem englischsprachigen Schrifttum etwa Bishop, 14 J. Legal Stud. 299 ff. (1985); Cooter/Ulen, Law and Economics, S. 254 ff.; Eisenberg, 93 Calif.L.Rev. 975, 997 ff. (2005); Friedmann, 18 J. Legal Stud. 1 ff. (1989); MacNeil, 68 Va.L.Rev. 947, 950 ff. (1982); Miceli, Economics of the Law, S. 87 ff.; Posner, Economic Analysis, S. 131 f.; Schwartz, 89 Yale L. J. 271 ff. (1979): aus dem deutschsprachigen Schrifttum etwa Engel, in: Homo oeconomicus Bd. XI (1), S. 143 ff.; Köndgen/v. Randow, in: Allokationseffizienz, S. 122, 127 ff.; Neufang, Erfüllungszwang, S. 368 ff.; Schäfer/Ott, Ökonomische Analyse, S. 464 ff.; Thüsing, VersR 2001, 285, 293. 5 Zu diesem Ergebnis gelangen etwa Cooter/Eisenberg, 73 Cal.L.Rev. 1432, 1468 (1985); Cooter/Ulen, Law and Economics, S. 261 ff.; Edlin, in: New Palgrave Bd. 1, S. 174, 175; Mahoney, in: Encyclopedia Bd. 3, S. 117, 123; Posner, Economic Analysis, S. 122; Schäfer/Ott, Ökonomische Analyse, S. 463 f.; Shavell, in: New Palgrave Bd. 1, S. 436, 442; ders., 10 Bell J.Econ. 466, 472, 482 (1980); Thüsing, VersR 2001, 285, 293 f. A. A. Goetz/Scott, 89 Yale L. J. 1261, 1282 (1980), deren »optimal damage rule« ein ökonomisch optimierter Vertrauensschadensersatz ist; zur Kritik dieses Ansatzes oben, § 5 II 3. Kritisch zum ökonomischen Sinngehalt der Kategorisierung »expectation«/«reliance interest« Craswell, 67 U.Chi.L.Rev. 99, 107 ff. (2000).

II. Die Überlegenheit der Sanktionen zum Schutz des positiven Interesses

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reizsituation zur Zeit des Vertragsschlusses seltener in das Blickfeld gelangt6 . Beide Phasen der vertraglichen Beziehung seien im folgenden, beginnend mit der zeitlich späteren, daraufhin untersucht, wie sich »positive« und »negative« Sanktionen auf das Verhalten rationaler Parteien auswirken. Ausgangspunkt der Erörterung ist eine Konstellation, die hier weniger ihres häufigen Auftretens als ihrer Schlichtheit wegen als »Grundfall« vertraglicher Leistungsbeziehungen bezeichnet wird: Gegenstand des Vertrags sei der einmalige Austausch klar definierter Leistungen – etwa die Herstellung oder Lieferung einer bestimmten Sache gegen die Zahlung eines bestimmten Geldbetrags. Die Parteien seien rational, risikoneutral7, symmetrisch informiert und handelten freiwillig. Dritte seien durch die Vereinbarung weder positiv noch negativ betroffen. Schließlich sei unterstellt, daß die gerichtliche Durchsetzung der hier zu vergleichenden Sanktionen möglich ist; der Gläubiger sei also insbesondere in der Lage, sowohl sein Erfüllungsinteresse als auch sein Vertrauensinteresse zu beweisen und zu beziffern. In einer transaktionskostenfreien Welt wäre die gerichtliche Durchsetzung überflüssig. Man dürfte vielmehr annehmen, daß die Parteien zu einem vollständigen, Pareto-effizienten Vertrag kämen: Der Vertrag wäre vollständig in dem Sinne, daß er für jede denkbare Tatsachenlage die Leistungs- und Zahlungspflichten der Parteien spezifizierte8 , und er wäre Pareto-effizient, da er wegen seines optimalen Zuschnitts auf die Bedürfnisse und Möglichkeiten der Parteien einer für beide Seiten nutzensteigernden Veränderung per definitionem nicht mehr zugänglich wäre. Ein solcher Vertrag träfe auch für Leistungsstörungen mit einer für beide Seiten nutzenmaximierenden, Leistungs- und Zahlungspflichten ggf. aufhebenden Regelung Vorsorge, so daß Vertragsbrüche von vornherein ausgeschlossen wären9.

6 Dazu allerdings Mahoney, Encyclopedia Bd. 3, S. 117, 124 f.; vgl. auch Craswell, in: Theory of Contract Law, S. 19, 31 f.; Ulen, in: New Palgrave Bd. 3, S. 481. 7 Risikoneutralität (d. h. eine linear ansteigende Nutzenfunktion) wird hier zugunsten analytischer Klarheit unterstellt, obwohl risikoaverses Verhalten (d. h. eine Nutzenfunktion, bei der der Nutzen mit steigendem Einkommen nur unterproportional zunimmt) wohl tatsächlich verbreiteter ist: Über die Unterstellung bestimmter Risikoneigungen der Parteien ließe sich das Ergebnis nahezu beliebig manipulieren. Einen – wegen der hier unterstellten Risikoneutralität nicht weiter zu verfolgenden – Versuch, Vertragsbruchsanktionen nach der durch sie bewirkten Risikoverteilung zu bewerten, hat Polinsky, 12 J. Legal Stud. 427 ff. (1983) unternommen mit dem Resultat einer allerdings sehr zurückhaltenden Unterstützung der Haftung auf das positive Interesse (a.a.O., 444); außerdem Miceli, Economics of the Law, S. 76 ff., mit dem desillusionierenden Ergebnis, daß »none of the court-imposed damage remedies will generally result in optimal risk sharing between the parties to a contract« (a.a.O., S. 78). 8 Zum Begriff des vollständigen Vertrags statt vieler Schwartz, in: New Palgrave Bd. 2, S. 277: »A complete contract describes payoff-relevant actions for every possible state of the world and the payoffs for these actions.« 9 Mit Ausnahme des Falls, in dem die eine Partei aufgrund von Investitionen »sunk costs« hat und so von der anderen in Nachverhandlungen ausgebeutet werden kann; Schwartz, in: New Palgrave Bd. 2, S. 277.

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§ 6 Abgrenzung zum Schutz des positiven Interesses

Die unverhältnismäßigen Kosten der Ermittlung auch entfernter Risiken und der Aushandlung einer diesen Rechnung tragenden Vereinbarung sowie fehlende Verifikationsmöglichkeiten, was die Vertragseinhaltung betrifft, verhindern freilich das Zustandekommen vollständiger Verträge; über die beiderseitigen Leistungspflichten und die Modalitäten ihrer Erfüllung hinaus enthalten Verträge deshalb oft keine oder nur naheliegende Risiken berücksichtigende Regelungen, deren Einhaltung leicht zu überprüfen ist. Die damit zwischen realen Verträgen und dem Ideal des vollständigen Vertrags klaffende Lücke wird von Vertragsbruchsanktionen überbrückt: Sie sollen Anreize dafür vermitteln, daß sich die Parteien in jeder Lage möglichst so verhalten, wie sie selbst es in einem vollständigen Vertrag vorgesehen hätten10. Dieser Maßstab ist das Bewertungskriterium für den ökonomischen »Leistungsvergleich« der Vertragsbruchsanktionen11.

1. Anreize im Stadium der Vertragserfüllung Die von den Parteien nach Vertragsschluß zu treffenden Entscheidungen kreisen im wesentlichen12 um die Vertragserfüllung. Die in die Frage nach der hypothetischen Regel im vollständigen Vertrag gekleidete Suche nach effizienten Vertragsbruchsanktionen nimmt ihren traditionellen Ausgang beim »efficient breach«: Jede Partei hat nach Vertragsschluß im Lichte der dann erkennbaren Tatsachenlage zu entscheiden, ob sie die von ihr eingegangene Leistungsverpfl ichtung überhaupt noch erfüllen oder aber brechen will. Vertragliche Haftungsregeln sind vor diesem Hintergrund so zu modellieren, daß sie den Parteien einen Anreiz dafür bieten, die Entscheidung über »breach or perform« mit einem den beiderseitigen Nutzen maximierenden Ergebnis zu treffen. Damit aber nicht genug: Im Hinblick auf die Vertragserfüllung haben die Parteien nicht nur über einen vorsätzlichen Vertragsbruch, sondern auch über Investitionen zu entscheiden, die sie einerseits als Schuldner zur Sicherung der eigenen Leistungserbringung und andererseits als 10 Wegweisend hierfür Shavell, 10 Bell J.Econ. 466 f. (1980). Eine im Ansatz ähnliche formale Betrachtung der Vertragsbruchsanktionen fi ndet sich auch schon bei Barton, 1 J. Legal Stud. 277 ff. (1972), der Vertragsbruchsanktionen danach bewertet, ob sie die Parteien zu den gleichen Entscheidungen veranlassen, wie sie sie als Angehörige eines einzigen Unternehmens mit dem Ziel der Maximierung des Unternehmenswerts treffen würden. 11 Eine alternative ökonomische Bewertung von Vertragsbruchsanktionen auf der Grundlage der Optionstheorie bieten etwa Ayres/Talley, 104 Yale L. J. 1027 ff. (1995); Mahoney, 24 J.Legal Stud. 139 ff. (1995); ders., in: New Palgrave Bd. 2, S. 715 ff.; Scott/Triantis, 104 Colum.L.Rev. 1428 ff. (2004): Auf Geldersatz gerichtete Vertragsbruchsanktionen werden danach als Optionen interpretiert, die es dem Schuldner erlauben, die versprochene Leistung zum Erfüllungstermin zu dem Betrag des Schadensersatzes als »strike price« vom Gläubiger zurückzukaufen. Diese Sicht mag neue Einsichten über die Bestimmung von Vertragsbruchsanktionen eröffnen, hat aber bisher noch nicht zu der hier interessierenden Frage des Verhältnisses zwischen dem Ersatz des positiven und des negativen Interesses beigetragen. 12 Andere Entscheidungen, die hier außer Betracht bleiben, mögen etwa Anstrengungen zur Schadenminderung nach Eintritt eines Vertragsbruchs oder zur Schlichtung etwaiger Streitigkeiten betreffen; vgl. Cooter/Ulen, Law and Economics, S. 254 Fn. 18.

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Gläubiger in Antizipation der Gegenleistung zur Ermöglichung oder Optimierung ihrer Verwendung treffen wollen. In beiderlei Hinsicht hat die Vertragshaftung für ein effizientes Investitionsniveau zu sorgen. a) Effiziente Erfüllungsentscheidung des Schuldners Was zunächst die Effizienz der Entscheidung über Vertragsbruch oder -erfüllung betrifft, so erweist sich die Haftung auf das negative Interesse der Verpflichtung zum Ersatz des positiven Interesses jedenfalls dann als eindeutig unterlegen, wenn man den soeben gebildeten »Grundfall« als Referenz heranzieht: Während der Schuldner durch die Internalisierung des Nichterfüllungsschadens des Gläubigers dazu gebracht wird, seine Entscheidung wirtschaftlich zu optimieren, nämlich den Vertrag zu erfüllen, solange die ihm entstehenden Kosten der Leistung geringer sind als der (vom positiven Interesse erfaßten) Nutzen der Leistung für den Gläubiger, und ihn zu brechen, wenn seine Kosten den Nutzen des Gläubigers übersteigen, liefert die Haftung auf das negative Interesse nur suboptimale Anreize: Der Vertrauensschaden des Gläubigers spiegelt den Nutzen, den er von der Leistung hat, nicht wider, so daß durch seine Internalisierung das Kosten-Nutzen-Kalkül des Schuldners im Hinblick auf die Erfüllung fehlgeleitet wird. Dieser im rechtsökonomischen Schrifttum wiederholt begründete Befund13 läßt sich anhand einer Konkretisierung unseres Referenzfalls14 exemplarisch verdeutlichen: Vereinbart sei die Anfertigung einer Maschine, deren Herstellung den Unternehmer 6.000,– A kostet, gegen ein Entgelt von 10.000,– A. Zu einem Zeitpunkt, in dem der Unternehmer mit der Herstellung noch nicht begonnen hat, wird dem Besteller von dritter Seite eine leistungsfähigere Maschine zum gleichen Preis angeboten, und er muß nun entscheiden, ob er diese kaufen und die Erfüllung des Vertrags mit dem Unternehmer verweigern soll. Effizient ist ein Vertragsbruch in dieser Situation dann, wenn die bei Erfüllung aufgrund der entgangenen Kaufgelegenheit entstehenden Opportunitätskosten des Bestellers den Nutzen übersteigen, den der Unternehmer von der Erfüllung hat. Um den Besteller zu einer solchen Entscheidung zu bewegen, bedarf es eines Preises für die Vertragsaufsage, der den Nutzen des Unternehmers reflektiert, hier also 4.000,– A. Eben dies ist der Betrag des positiven Interesses und, kaum verwunderlich, die nach deutschem15 wie nach amerikanischem Recht16 für den Fall der Kündigung des Bestellers verhängte Sanktion. 13

Dazu mit formaler Darstellung Shavell, 10 Bell J.Econ. 466, 478 (zum Erfüllungsinteresse), 479 (zum Vertrauensinteresse) (1980); außerdem Cooter/Eisenberg, 73 Cal.L.Rev. 1432, 1462 ff. (1985); Cooter/Ulen, Law and Economics, S. 254 ff.; Edlin, in: New Palgrave Bd. 1, S. 174; Mahoney, in: Encyclopedia, S. 117, 122; Miceli, Economics of the Law, S. 73 (zum Erfüllungsinteresse), 74 (zum Vertrauensinteresse). 14 In Anlehnung an ein Beispiel von Edlin, in: New Palgrave Bd. 1, S. 174. 15 Nach § 649 BGB hat der Unternehmer, wenn der Besteller von seinem Kündigungsrecht Gebrauch macht, einen Anspruch auf die vereinbarte Vergütung (10.000,– A) abzüglich der ersparten Aufwendungen (6.000,– A), im Ergebnis also 4.000,– A.

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Die Haftung auf das negative Interesse verfehlte, da dem Unternehmer ein Vertrauensschaden nicht entstanden ist, das Effizienzziel dagegen völlig: Der Besteller würde jede noch so geringfügige Verbesserung seines Nutzens ungeachtet der damit einhergehenden Nutzeneinbuße beim Unternehmer zum Anlaß für einen Vertragsbruch nehmen17. Dies wiederum führte zu einer Pervertierung der Anreizsituation für den Unternehmer18 : Um einem ineffizienten Vertragsbruch des Bestellers vorzubeugen, müßte er Vertrauensinvestitionen allein zu dem Zweck vornehmen, die von dem Besteller im Fall der Nichterfüllung zu tragenden Kosten (in Gestalt des Vertrauensschadens) möglichst so hoch zu treiben, daß sich ein Vertragsbruch für den Besteller nicht mehr lohnt. Die Unterlegenheit der Haftung auf das negative Interesse gegenüber den Sanktionen zum Schutz des Erfüllungsinteresses, was die Vertragsbruchentscheidung betrifft, bestätigt sich, wenn man den Anspruch auf Ersatz des Vertrauensschadens mit dem Erfüllungsanspruch des Gläubigers vergleicht. Der Erfüllungsanspruch führt wie der Anspruch auf Ersatz des positiven Interesses und im Unterschied zur Haftung auf das negative Interesse zur Internalisierung des Leistungsinteresses des Gläubigers durch den Schuldner; er verhindert m.a.W., daß der Schuldner die Erfüllung verweigert, wenn dies den Gläubiger mehr kostet, als es ihm, dem Schuldner, einbringt. Darin, daß eine Verurteilung zur Naturalerfüllung – im hier diskutierten »Grundfall« freilich zu vernachlässigende – Probleme bei der Bezifferung des Nichterfüllungsschadens und das damit einhergehende Risiko der Unterkompensation des Geschädigten vermeidet, liegt, was den Anreiz zur effizienten Erfüllung betrifft, zudem ein besonderer Vorzug des Erfüllungszwangs19. Umgekehrt droht allerdings der Erfüllunganspruch einer effizienten Nichterfüllung des Vertrags entgegenzustehen, soweit er es dem Gläubiger ermöglicht, den Schuldner zu übermäßigen, da sein Erfüllungsinteresse übersteigenden Leistungsanstrengungen zu zwingen 20. Die Größe dieser Gefahr hängt indes von der Höhe der Transaktionskosten ab, die bei Nachverhandlungen zwischen Gläubiger und Schuldner anfallen 21. Sind Nachverhandlungen nicht kostspielig, kann man 16

16 Nach Farnsworth, Contracts Bd. 3, § 12.10 (S. 204), bemißt sich der Schadenersatzanspruch des »supplier« gegen den »recipient« (wenn nicht weitere Positionen hinzutreten) nach der Differenz zwischen »loss in value« (hier 10.000,– A) und »cost avoided« (hier 6.000,– A), so daß sich ein Betrag von 4.000,– A ergibt. 17 Auf die ineffi zient hohe Vertragsbruchrate beim Schutz des »reliance interest« verweisen etwa Cooter/Eisenberg, 73 Cal.L.Rev. 1432, 1463 (1985); Edlin, in: New Palgrave Bd. 1, S. 174, 175; Miceli, Economics of the Law, S. 74; Shavell, 10 Bell J.Econ. 466, 479 (1980). 18 Mahoney, in: Encyclopedia Bd. 3, S. 117, 123. 19 Dazu statt vieler Neufang, Erfüllungszwang, S. 370 f.; Ulen, in: New Palgrave Bd. 3, S. 481, 482. 20 Vgl. etwa Mahoney, in: Encyclopedia Bd. 3, S. 117, 125; Schäfer/Ott, Ökonomische Analyse, S. 459. 21 So auch Mahoney, in: Encyclopedia Bd. 3, S. 117, 125; Schäfer/Ott, Ökonomische Analyse, S. 460 f.

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die Beseitigung der Gefahr den Parteien überlassen: Der Schuldner wird für die Nichterfüllung optieren, wenn er dem Gläubiger den Erfüllungsanspruch zu einem Preis abkaufen kann, der geringer ist als der Gewinn, den er aus der Nichterfüllung hat. Der Gläubiger wird einen Preis akzeptieren, der höher ist als der Wert der Erfüllung für ihn. Wenn der Maximalpreis des Schuldners (der Nutzen der Nichterfüllung) über dem Minimalpreis des Gläubigers (dem Nutzen der Erfüllung) liegt, werden sich beide auf die Nichterfüllung einigen und damit zugleich eine nutzenmaximierende Lösung wählen 22. Der Unterschied zum Ersatz des positiven Interesses23 besteht in diesem Fall allein darin, daß der durch die Nichterfüllung entstehende Gewinn nicht allein dem vertragsbrüchigen Schuldner zusteht, sondern daß der Gläubiger daran – je nach Verhandlungsergebnis in unterschiedlichem Umfang – partizipiert. Die in der Beteiligung am Nichterfüllungsgewinn liegende Besserstellung des Gläubigers im Vergleich zum Schadensersatzanspruch ist der Effizienz nicht abträglich; sie erhöht schlicht den Wert der vertraglichen Leistungsverpflichtung für den Gläubiger, so daß der Schuldner für die Eingehung einer mit dem Erfüllungszwang sanktionierten Pflicht einen höheren Preis verlangen kann als für ein nur schadensersatzbewehrtes Leistungsversprechen 24. b) Effiziente Investitionsentscheidung des Schuldners Die bisherigen Überlegungen haben einen vorsätzlichen Vertragsbruch unterstellt. Zur Nichterfüllung einer vertraglichen Leistungspfl icht kommt es aber oft aus Gründen, die nur nach Fahrlässigkeitsgesichtspunkten zu beurteilen sind: Der Schuldner entscheidet nicht, daß er den Vertrag nicht erfüllen werde, sondern nur, daß er bestimmte Investitionen treffen werde, um eine bestimmte Erfüllungswahrscheinlichkeit zu erreichen. Über die spätere Realisierung des verbleibenden Nichterfüllungsrisikos entscheidet er dann nicht mehr, sie bleibt dem Zufall überlassen. Diese Investitionen sind die »Erfüllungsanstrengungen«, von denen bereits in Abgrenzung zu den Aufklärungsanstrengungen hinsichtlich der Versprechensabgabe die Rede war25 und deren Effizienz durch die Wahl der Vertragsbruchsanktion gewährleistet sein sollte. Beispielhaft: Der Verkäufer von Ware, die im Rahmen eines Versendungskaufs im Sinne von § 447 BGB an den Sitz des Käufers zu schicken ist, hat nicht nur über Absendung oder Nichtabsendung zu entscheiden, sondern etwa auch die Höhe der Aufwendungen für die Verpackung festzulegen, welche ihrerseits die Wahrscheinlichkeit beeinflussen, mit der die Ware den Käu-

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Ebenso Ulen, in: New Palgrave Bd. 3, S. 481 f. Soweit der Schadensersatzanspruch um den Anspruch auf Herausgabe des stellvertretenden commodum ergänzt wird, gleicht seine Anreizwirkung allerdings dem Erfüllungsanspruch; so zutreffend Schäfer/Ott, Ökonomische Analyse, S. 459. 24 Daß gleichwohl Anlaß zur Abbedingung des Erfüllungsanspruchs bestehen kann (Beispiele dazu bei Ulen, in: New Palgrave Bd. 3, S. 481, 482), sei damit nicht geleugnet. 25 Siehe oben, § 5 II 2. 23

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fer unbeschädigt erreicht. Ob die Ware anschließend beim Transport zu Schaden kommt oder nicht, bestimmt dann nicht mehr er, sondern die Laune der Natur oder der Transportperson 26 . Effiziente Vorsorge zu treffen, heißt hier für den Verkäufer, die Verpackung gerade so aufwendig zu gestalten, daß die ihm dadurch zusätzlich entstehenden Kosten durch den (infolge der erhöhten Erfüllungswahrscheinlichkeit) gesteigerten Erwartungswert des Käufernutzens aufgewogen werden. Ohne einen rechtlichen Anreiz würde es dazu nicht kommen, denn die Erfüllungsvorsorge des Verkäufers nützte nur dem Käufer. Haftungsrechtliche Sanktionen zum Schutz des positiven Interesses sorgen in dieser Hinsicht für Abhilfe, indem sie dem Verkäufer zur Internalisierung der Vorteile seiner Vorsorgeaufwendungen verhelfen 27: Jede Steigerung des zu erwartenden Nutzens, die seine Investition beim Käufer bewirkt, schlägt sich beim Verkäufer in einer entsprechenden Reduzierung des Erwartungswertes des Schadensersatzes nieder, den er bei Nichterfüllung zu leisten hat. Wird das Käuferinteresse an der Leistung nicht durch Geldersatz, sondern durch die Gewährung eines Erfüllungsanspruchs geschützt, steht dies einer effizienten Gestaltung der Erfüllungsvorsorge durch den Schuldner zumindest dann nicht entgegen, wenn die Anspruchsvoraussetzungen wirtschaftlichen Gesichtspunkten Rechnung tragen. Das bereits bei der Diskussion des effizienten Vertragsbruchs angesprochene Problem einer Überabschreckung des Schuldners hinsichtlich der Nichterfüllung läßt sich hier zwar nicht durch den Verweis auf Nachverhandlungen lösen, weil im Zeitpunkt der Investitionsentscheidung des Schuldners anders als bei der Vertragsbruchentscheidung noch kein erfüllungsrelevantes Ereignis eingetreten ist. Doch ist es grundsätzlich möglich, vom Erfüllungszwang solche Fälle auszunehmen, in denen der Schuldner sich mit effi zientem Mitteleinsatz darum bemüht hat, ein im weiteren Verlauf eingetretenes Leistungshindernis zu verhindern. Der Schuldner hätte unter dieser Voraussetzung, um die Terminologie des deutschen Schuldrechts aufzugreifen, das Leistungshindernis nach Maßgabe der Hand-Formel »nicht zu vertreten« und wäre von der Erfüllungspfl icht befreit. Auf diese Weise wäre – was freilich der überwiegenden Interpretation sowohl der neuen lex lata in § 275 II BGB als auch der Vorgängerregelung widerspricht 28 – sichergestellt, daß sich der vom Erfüllungszwang bedrohte Schuldner nicht veranlaßt sähe, über das effiziente Maß der Erfüllungsvorsorge hinauszugehen. Die Anreizwirkung der Haftung auf das negative Interesse hingegen ist, nicht anders als bei der Erfüllungsentscheidung, dysfunktional, was das Investitionsniveau des Schuldners betrifft. Ein Schuldner, der nur diese Sanktion zu gewärtigen hat, wird sich bei der Sicherstellung der Erfüllung, also etwa bei der Verpackung 26

Beispiel in Anlehnung an Shavell, in: New Palgrave Bd. 1, S. 436, 443. Cooter/Ulen, Law and Economics, S. 262. 28 Näher zur hiesigen Auffassung von der Bedeutung des Vertretenmüssens in § 275 II BGB (mit Nachw. zur im Schrifttum überwiegenden und in der Regierungbegründung zu § 275 II BGB zum Ausdruck kommenden Gegenmeinung) Verf., JZ 2002, 378, 382 ff. 27

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der zu versendenden Ware, allein nach der Höhe der Vertrauensinvestitionen des Gläubigers richten, da er nur diese im Nichterfüllungsfall zu ersetzen hätte. Selbst wenn man vom Problem der Erkennbarkeit der Vertrauensinvestitionen für den Schuldner absieht, kann dies ökonomisch nicht befriedigen: Den Erwartungswert des Gläubigernutzens, an dem sich effiziente Vorsorge durch den Schuldner orientiert, würde dieser Betrag allenfalls ausnahmsweise erreichen (in unserem Beispiel etwa dann, wenn der Käufer schon vorab den Preis gezahlt und auch alle sonst in Betracht kommenden Vertrauensinvestitionen bis zur Erreichung des Grenznutzens getätigt hätte). Im übrigen aber bliebe er dahinter zurück und böte dem Schuldner daher nur einen suboptimalen Anreiz zu Erfüllungsanstrengungen. c) Effiziente Investitionsentscheidung des Gläubigers Ebenfalls vor dem Zeitpunkt, an dem sich erweist, ob der Vertrag erfüllt wird oder nicht, hat der Gläubiger über etwaige Vertrauensinvestitionen zu entscheiden, die ihm dazu verhelfen sollen, den größtmöglichen Nutzen aus der Leistung des Schuldners zu ziehen. So mag der Käufer in unserem Beispiel ein Wiederverkäufer sein und schon vor der Lieferung die Konzeption einer Werbekampagne in Auftrag geben wollen, um den Absatz der Ware an die Endverbraucher zu fördern. Auch zur Optimierung dieser Investitionen sollte eine Vertragsbruchsanktion beitragen. Eine Schwierigkeit, die sich dabei ergibt, ist bereits bei der Erörterung der Grundlagen der Haftung auf das negative Interesse angesprochen worden 29 : Wenn dem Gläubiger der Ersatz des negativen in den Grenzen des positiven Interesses oder, was in dieser Hinsicht keinen Unterschied macht, das positive Interesse in Gestalt der Naturalerfüllung oder des Geldersatzes rechtlich garantiert ist, wird er bei der Bemessung seiner Vertrauensinvestition eine 100%ige Erfüllungswahrscheinlichkeit zugrunde legen und damit mehr investieren, als dem Erwartungswert des Vertrauensnutzens30 entspricht. Diese Wirkung ist allerdings, wie wir schon gesehen haben, nicht durch die Wahl der Haftungsfolge bedingt, sondern durch die Gestaltung ihrer Voraussetzungen: Haftet der Schuldner nicht für Leistungshindernisse, deren Eintritt er (nach Maßgabe des Effizienzkriteriums der Hand-Formel) nicht verschuldet hat, so besteht der Versicherungseffekt der Haftung nicht. Dies wiederum veranlaßt den Gläubiger, mit dem Fall effizienter Nichterfüllung zu rechnen und seine Vertrauensinvestition dementsprechend anzupassen. In einem Recht, das wie das Common Law von der Garantiehaftung des Schuldners einer vertraglichen Leistung ausgeht, läßt sich Gleiches etwa durch eine Einschränkung des Haftungsumfangs anhand des Vorhersehbarkeitskriteriums erreichen 31. Solche Überlegungen bedürfen hier jedoch keiner Vertiefung: 29

Siehe oben, § 5 III 2 b cc. Also dem Betrag des Nutzens multipliziert mit der (in aller Regel unter 100% liegenden) Erfüllungswahrscheinlichkeit; siehe oben, § 5 II 1. 31 Dafür sprechen sich Cooter/Ulen, Law and Economics, S. 265, aus (Vorhersehbarkeit als 30

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Unabhängig von der Frage, ob es wirklich darauf ankommt, jegliche »overreliance« des Gläubigers zu vermeiden32 , ergibt sich aus der Betrachtung der Anreize für Vertrauensinvestitionen kein Argument, das den Ausschlag zugunsten des Schutzes des positiven oder des negativen Interesses geben könnte, weil sich das Problem für beide Alternativen jeweils gleich stellt. Dies führt uns zu einem Zwischenergebnis, das einer verbreiteten Einschätzung des rechtsökonomischen Leistungsvergleichs der Vertragsbruchsanktionen entspricht: »There is no measure of damages that results both in efficient decisions to perform or breach and efficient decisions to make or not make reliance expenditures. However, expectation damages do better than reliance damages at inducing efficient breach decisions, and do no worse than reliance damages at inducing efficient reliance decisions.«33 Dasselbe läßt sich, mit gewissen Vorbehalten hinsichtlich der Nachverhandlungssituation, über das Verhältnis des Erfüllungsanspruchs zur Haftung auf das negative Interesse sagen.

2. Anreize im Stadium des Vertragsabschlusses Vergleichsweise selten widmen sich Untersuchungen zur Ökonomik der Vertragsbruchsanktionen deren vorvertraglicher Anreizwirkung. Doch je nachdem, welche gesetzliche Sanktion an die Eingehung vertraglicher Pfl ichten geknüpft ist, verändert sich das Verhalten der Parteien bei der Aushandlung und beim Abschluß von Verträgen 34. Diese Rückwirkung der auf das Verhalten nach Vertragsschluß zugeschnittenen Sanktionen ist in die Bewertung ihrer Effizienz einzubeziehen. Eine direkte Konsequenz der Sanktionsauswahl für den Vertragsinhalt läßt sich unschwer beschreiben: Je schärfer die dem (potentiellen) Schuldner einer Leistung drohende Vertragsbruchsanktion ist, um so wertvoller muß die Gegenleistung sein, zu der sich der (potentielle) Gläubiger zu verpflichten hat, um den Schuldner zur Abgabe des Leistungsversprechens zu veranlassen. Weil die Pflicht zum Ersatz von Vertrauensschäden in ihrem Umfang regelmäßig hinter den Sanktionen zum Schutz des Erfüllungsinteresses zurückbleibt, müssen vertragliche Leistungsversprechen, deren Erfüllung erzwungen werden kann oder deren Nichterfüllung zumindest durch den Schadensersatz statt der Leistung kompensiert wird, höher entgolten werden als solche, an deren Bruch sich nur die Haftung auf das negative Interesse anschließt. So läßt sich beispielsweise prognostizieren, daß sich die durch die Schuldrechtsreform eingeführte (Nach-)Erfüllungspflicht des Stück-

Grenze des Schadensersatzes). Auf die Steuerungswirkung der »impossibility defence« weist Wagner, 27 Loy.U.Chi.L. J. 55, 72 ff. (1995) hin. 32 Dies zieht Edlin, in: New Palgrave Bd. 1, S. 174, 176 f., mit seinen Ausführungen über »breach remedy« und »holdup tax« in Zweifel. Weitere Überlegungen zur Entkräftung der Theorie der »overreliance« fi nden sich bei Eisenberg/McDonnell, 54 Hastings L. J. 1335 ff. (2003). 33 Mahoney, in: Encyclopedia Bd. 3, S. 117, 123. 34 Dazu Mahoney, in: Encyclopedia Bd. 3, S. 117, 124 f.

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verkäufers hinsichtlich der Sachmängelfreiheit 35 in einem Preisniveau niederschlägt, das tendenziell 36 höher ist als bei gleichartigen Verträgen nach altem BGB-Kaufrecht, welches dem Käufer bei Sachmängeln außer in den Fällen der Arglist und der Zusicherung nur Minderung oder Wandlung eröffnete37. Die Verteuerung der vertraglich ausbedungenen Leistung, die eine auf den Schutz des positiven Interesses gerichtete Sanktion im Vergleich zur Haftung auf das negative Interesse mit sich bringt, ist allerdings nicht notwendig mit einer Effizienzeinbuße verbunden. Dazu kann es nur dann kommen, wenn die Zahlungsbereitschaft des potentiellen Gläubigers hinter der Mindesterwartung des potentiellen Schuldners zurückbleibt und zudem die Transaktionskosten für den Ausschluß einer übermäßig strengen gesetzlichen Sanktion oder ihre Ersetzung durch eine vertraglich vereinbarte mildere so hoch sind, daß eine an sich nutzensteigerende Vereinbarung nicht zustandekommt. Gerade letzteres wird man zumindest nicht pauschal behaupten können: Der private Anbieter eines Gebrauchtwagens mag etwa, wenn sich seine gesetzliche Erfüllungspflicht auch auf die Mangelfreiheit des Wagens erstreckt, wegen des dadurch begründeten Kostenrisikos einen Preis erwarten, der über der Zahlungsbereitschaft des Interessenten liegt, während sich beide Parteien bei einer milderen Sanktion – etwa bei einer Beschränkung auf Rücktritt oder Minderung nach dem Vorbild der §§ 459 ff. BGB a. F., aber auch bei einer nur auf den Ersatz von Vertrauensschäden gerichteten Haftung – auf einen niedrigeren Preis einigen könnten 38. Dieses effiziente, da für beide Seiten nutzensteigernde Ergebnis zu erreichen sind die Parteien aber jedenfalls dann nicht gehindert, wenn – wie im BGB-Kaufrecht außerhalb des Verbrauchsgüterkaufs39 – die gesetzliche Sanktion dispositiv ist. Die hierzu erforderliche Abbedingung des Erfüllungszwangs verursacht gewiß Transaktionskosten; zu einer unüberwindlichen Hürde für den Vertragsschluß werden diese aber nur dann, wenn sie den Nutzen, den der Vertrag ggf. stiftet, vollständig aufzehren. Für den »Grundfall« vertraglicher Leistungsbeziehungen, nämlich den einmaligen, keine Externalitäten verursachenden Austausch klar definierter Leistungen zwischen risikoneutralen und symmetrisch informierten Parteien, ergeben sich aus der Betrachtung der Anreizsituation im Stadium des Vertragsabschlusses also keine Aufschlüsse, die den Ausschlag zugunsten einer der hier diskutierten Ver35 Die (Nach)-Erfüllungspfl icht beruht auf den §§ 433 I 2, 437 Nr. 1, 439 BGB. Näher dazu Verf., JZ 2002, 378 ff. 36 Daß sich tatsächlich meßbare Preiserhöhungen ergeben, sei damit nicht behauptet – so mag der Verkäufer die zusätzlichen Kosten der Erfüllungspfl icht durch eine billigere Produktqualität auffangen oder an seine Zulieferer weitergeben können. 37 Nach den §§ 459, 462 BGB a. F. 38 Zutreffend daher die Schlußfolgerung Mahoneys, in: Encyclopedia Bd. 3, S. 117, 124: »That is, the reliance measure will create a greater bargaining range, which might increase the number of contracts entered into.« 39 Beim Verbrauchsgüterkauf sind die §§ 433–435, 437, 439–443 BGB gemäß § 475 I 1 BGB zwingend zugunsten des Verbrauchers ausgestaltet.

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tragsbruchsanktionen geben könnten. Es bleibt daher bei dem Befund, zu dem die Analyse des Verhaltens im Stadium der Vertragserfüllung geführt hat: Vertragsrechtliche Sanktionen, die der Wahrung des positiven Interesse dienen, sind, was diese Grundkonstellation betrifft, der Haftung auf das negative Interesse rechtsökonomisch überlegen.

III. Die Erforderlichkeit der Haftung auf das negative Interesse als Sanktion für Selbstbindungstatbestände Der »Grundfall« vertraglicher Leistungsbeziehungen deckt das Spektrum normativitätsstiftenden Verhaltens, für das die Haftung auf das negative Interesse Legitimität beanspruchen kann, bei weitem nicht ab. Bereits ein kurzer Blick auf die Voraussetzungen, unter denen die Überlegenheit der »positiven« gegenüber der »negativen« Sanktion nachgewiesen wurde, erweist die Lückenhaftigkeit des bisherigen Vergleichs: Zunächst wurde die gerichtliche Durchsetzung der Sanktionen als unproblematisch unterstellt. Wie aber verhält es sich unter der realitätsnäheren Annahme, daß die Verifikation der für die Sanktionsbemessung relevanten Daten schwierig oder unmöglich ist? Sodann wurden die Parteien als risikoneutral, wohlinformiert und uneingeschränkt rational betrachtet. Reale Akteure verhalten sich jedoch oft – in unterschiedlichem Maße – risikoavers, manchmal auch risikogeneigt40 , oder sie leiden unter Informationsdefiziten41 oder unter Rationalitätsmängeln42 , die – man denke etwa an den sogenannten Besitzeffekt43 – sogar allgegenwärtig sein mögen. Welchen Einfluß hat es auf die Bewertung der Sanktionen, wenn man diesen Umständen Rechnung trägt? Schließlich galt unsere Aufmerksamkeit bisher nur dem wechselseitigen Versprechen eines einmaligen, keine Externalitäten verursachenden Austauschs klar definierter Leistungen, wie es dem Paradigma des gegenseitigen Vertrags entspricht. Kooperationsbeziehun40

Näher zu Risikoeinstellungen Karni, in: New Palgrave Bd. 1, S. 114 ff. Näher zu symmetrischen Informationsdefiziten Trebilcock, Limits, S. 127 ff.; zu asymmetrischen Informationdefiziten ders., Limits, S. 102 ff.; Fleischer, Informationsasymmetrie, passim. 42 Zur Notwendigkeit, die Leistungsfähigkeit der ökonomischen Analyse des Rechts durch Einbeziehung von Ansätzen zur eingeschränkten Rationalität (»bounded rationality«) anzureichern, siehe schon oben, § 4 III 2 b. 43 Der Besitzeffekt (»endowment effect« oder«status quo bias«) ist Ausdruck der Verlustaversion, wonach Individuen Verluste generell höher bewerten als gleich hohe Gewinne. Eine Implikation ist, daß eine Person als Verkäufer für ein und dasselbe Gut einen höheren Preis verlangt, als sie, nunmehr auf der Käuferseite stehend, zu zahlen bereit wäre; dazu mit dies bestätigenden experimentellen Tests Kahnemann/Knetsch/Thaler, in: Behavioral Law and Economics, S. 211 ff. Korobkin, in: Behavioral Law and Economics, S. 116 ff., weist nach, daß ein solches Beharrungsvermögen auch im Hinblick auf die Gestaltung der vertraglichen Rechte der Parteien durch dispositives Recht besteht – die Parteien neigen dazu, die durch dispositives Recht geschaffene Lage beizubehalten. Zur Bedeutung des Besitzeffekts für die Invarianzthese des Coase-Theorems Eidenmüller, Effizienz, S. 125 ff. 41

III. Die Erforderlichkeit der Haftung auf das negative Interesse

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gen, in denen die eine Seite durch ihr Verhalten bei der anderen normative Erwartungen weckt, sind aber wesentlich vielfältiger. Sollen die Schlußfolgerungen aus der Untersuchung des »Grundfalls« etwa auch dann gelten, wenn das Versprechen oder sonstige normativitätsstiftende Verhalten z. B. in eine auf Dauer angelegte Beziehung eingegliedert oder nicht von einer im Gegenseitigkeitsverhältnis stehenden Gegenleistung abhängig ist? Diese Fragen umfassend zu beantworten und den rechtsökonomischen Vergleich der Sanktionen, wie wir ihn im vorigen Abschnitt begonnen haben, für alle denkbaren Fälle normativitätsstiftenden Verhaltens anhand von Abwandlungen des »Grundfalls« systematisch fortzusetzen, wäre ein aussichtsloses Unterfangen – die Zahl der Möglichkeiten ist schlicht unüberschaubar. Um rechtspolitische Orientierung zu gewinnen, genügt allerdings auch ein weniger anspruchsvolles Vorgehen: Die folgenden Ausführungen beschränken sich darauf, einige Umstände – bereits mit Blick auf ihre Bedeutung für den systematischen Teil dieser Untersuchung – aufzuzeigen, unter denen einerseits die Anreizwirkung der Sanktionen zum Schutz des Erfüllungsinteresses ausbleibt oder unerwünscht ist, während andererseits der Schutz des Vertrauensinteresses sinvoll und geboten bleibt. Gerade dies sind die Konstellationen, in denen die Haftung auf das negative Interesse auch in einer Rechtsordnung, die Versprechenden und Versprechensempfängern das Rechtsinstitut des Vertrags als Instrument der Kooperationssicherung zur Verfügung stellt, ihre Relevanz behält. Die nachfolgenden Ausführungen bringen also, bildlich gesprochen, die Haftung auf das negative Interesse wieder zurück auf die rechtspolitische Bühne, und zwar in einer doppelten Rolle: Zum einen vermag sie neben die Haftung auf das positive Interesse zu treten, wo die exklusive Ausrichtung auf das Erfüllungsinteresse in ein ineffizientes Untermaß rechtlicher Sanktionierung mündete (dazu 1.); zum anderen ist sie, wo die Haftung auf das positive Interesse ökonomisch übermäßig wäre, als alleinige Sanktion in Betracht zu ziehen (dazu 2.).

1. Unterkompensation des Gläubigers durch den Ersatz des positiven Interesses Der ausschließliche Schutz des Erfüllungsinteresses genügt dann nicht den Anforderungen ökonomischer Effizienz, wenn sich das damit angepeilte ökonomische Idealmaß des Schadensersatzes praktisch nicht realisieren läßt. Probleme gerichtlicher Durchsetzung von Sanktionen für Selbstbindungstatbestände sind bereits kurz zur Sprache gekommen: Eine Verurteilung zur Naturalerfüllung erspart den Gerichten im Erkenntnisverfahren Schwierigkeiten der Schadensbezifferung, die sich ergeben, wenn sie auf Schadensersatz statt der Leistung zu erkennen haben44. Für den Vergleich zwischen dem Schutz des positiven Interesses auf der einen und des negativen Interesses auf der anderen Seite sind Aspekte gerichtlicher Durch44

Siehe oben, Abschnitt II 1 a.

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§ 6 Abgrenzung zum Schutz des positiven Interesses

setzung jedoch bisher nicht fruchtbar gemacht worden. Vielmehr wurde im »Grundfall« schlicht unterstellt, daß der Gläubiger zum Beweis und zur Bezifferung sowohl des Erfüllungs- als auch des Vertrauensinteresses im Zivilprozeß imstande ist. Hierbei handelt es sich um eine in zahlreichen Fällen widerlegte Annahme: Was in der Judikatur als Ersatz des Nichterfüllungs- oder des Vertrauensschadens gewährt wird, entspricht wegen allfälliger Beweis- oder Bezifferungsprobleme oft nicht der ökonomischen Modellvorstellung von diesen Sanktionen. So unterscheidet sich die rechtliche Definition des Vertrauensschadens vom ökonomischen Konzept der Vertrauenskosten – statt Opportunitätskosten zu ermitteln, wie es an sich ökonomisch angezeigt wäre, behelfen sich die Gerichte mit dem leichter zu bewerkstelligenden Ersatz fehlgeschlagener Aufwendungen45. Nicht anders verhält es sich beim Erfüllungsinteresse: Als Nichterfüllungsschaden hat der Schuldner den (Netto-)Wert zu ersetzen, den die versprochene Leistung im Erfüllungsfall für den Gläubiger gehabt hätte 46 . Auf diese Weise erhält der Schuldner die im »Grundfall« dargestellten Anreize zu effizienter Erfüllungsvorsorge und zu einer effizienten Nichterfüllungsentscheidung. Dies trifft beispielsweise zu, wenn dem durch Nichterfüllung geschädigten Käufer einer Ware der entgangene Gewinn aus einem aufgrund der Nichterfüllung fehlgeschlagenen Weiterverkauf zugesprochen wird47: Hierdurch realisiert der Käufer den Wert, den die Leistung des Verkäufers für ihn gehabt hätte. Jede Rechtsordnung kennt indes andere, praktisch wichtigere und teilweise auch rechtlich vorrangige 48 Berechnungsmethoden, mit denen das ökonomische Idealmaß des Erfüllungsinteresses, nämlich der konkrete Wert der Leistung für den Gläubiger, nur näherungsweise verwirklicht wird. Das ist etwa dann der Fall, wenn, um bei dem Beispiel des Käuferschadens zu bleiben, die Berechnung des Wertes abstrakt anhand eines hypothetischen Weiterverkaufs vorgenommen wird49 oder wenn anstelle des (konkret oder abstrakt bestimmten) Wertes der versprochenen Leistung als solche für die Schadensberechnung die Kosten einer Ersatzleistung angesetzt werden, und zwar 45 Zur rechtspolitischen Legitimität solchen Vorgehens oben, § 5 III 3; zur gerichtlichen Praxis unten, § 10 II 1. 46 Dies ist der Ausgangspunkt der einschlägigen rechtsökonomischen Darstellungen; vgl. statt vieler Mahoney, in: Encyclopedia Bd. 3, S. 117, 122. 47 Vgl. insoweit aus dem US-Recht Murarka v. Bachrack Bros., 215 F.2d 547, 554 (2d Cir. 1954); aus dem deutschen Recht BGH 20. 12. 1978, NJW 1979, 811, 812; aus dem englischen Recht Re R. and H. Hall Ltd. and W. H. Pim (Junior) & Co.’s Arbitration, [1928] All E. R.Rep. 763. 48 Nach englischem Recht etwa ist grundsätzlich der Marktpreis vorrangig (dazu sogleich) und hat die in der vorigen Fn. zitierte Entscheidung Hall v. Pim einen teilweise kritisch gesehenen Ausnahmecharakter; dazu Atiyah/Adams/MacQueen, Sale of Goods, S. 537 f.; Goode, Commercial Law, S. 385 f.; Harris, in: Benjamin’s Sale of Goods, Rz. 17–026. Nach US-Recht verhält es sich nicht anders: Der Ersatz des entgangenen Weiterverkaufsgewinns wurde in Murarka v. Bachrack Bros., 215 F.2d 547, 554 (2d Cir. 1954), nur gewährt, weil es für die Kaufgegenstände (Fallschirme) keinen Markt gab. 49 Nach U. Huber, Leistungsstörungen Bd. 2, § 38 III 2 b (S. 245) mit zahlreichen Nachw. in Fn. 53, handelt es sich hierbei um den traditionellen Ansatz der deutschen Rspr.

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wiederum konkret (beim Käufer also anhand eines tatsächlichen Deckungskaufs) oder abstrakt (anhand eines hypothetischen Deckungskaufs) bestimmt 50. Schließlich hat die Rechtsprechung jedenfalls zum alten deutschen Schuldrecht im Rahmen der Rentabilitätsvermutung auch die frustrierten Aufwendungen des Gläubigers als Grundlage für die Bemessung des Erfüllungsinteresses anerkannt51. Diese Methoden, den Wert, den die Leistung für den Gläubiger hat, indirekt zu ermitteln, sind grundsätzlich mit der gleichen Erwägung zu rechtfertigen wie die Einbeziehung der frustrierten Gläubigeraufwendungen in den Ersatz des Vertrauensschadens52 : Das ökonomische Idealmaß des Schadensersatzes um ein Geringes zu verfehlen, ist eher hinnehmbar, als die Anwendung der Sanktion an unüberwindlichen Problemen des Beweises oder der Bezifferung des konkreten Wertes der Leistung gänzlich scheitern zu lassen. Allerdings erreichen die Versuche, das positive Interesse des Gläubigers unter Heranziehung von Hilfskriterien zu beziffern, eine schwer zu überwindende Grenze, wo der Gläubiger an der Leistung kein wirtschaftliches Interesse hat und die Ausweisung eines bestimmten Geldbetrags als Wert der Leistung nur willkürlich sein könnte. Diese Grenze wird in der Weigerung der deutschen Rechtsprechung kenntlich, den Nichterfüllungsschaden jenseits der Rentabilitätsvermutung in Fällen eines immateriellen Erfüllungsinteresses des Gläubigers nach der Höhe seiner Aufwendungen zu bemessen53. Das heißt aber auch: Die Anreize zu effizientem Verhalten des Schuldners und des Gläubigers, aus denen die Haftung auf das positive Interesse ihre ökonomische Legitimation bezieht, fallen in solchen Fällen aus. Den Schuldner, den das gesetzliche Leistungsstörungsrecht hier im Stich läßt, kann man nur auf die transaktionskostenträchtige und u. U. nicht zu verwirklichende54 Vereinbarung einer Vertragsstrafe verweisen. Wer dies vermeiden will, ohne an der Fixierung der gesetzlichen Sanktion auf das Leistungsinteresse zu rütteln, muß, wie es nunmehr als Interpretation der Neuregelung in § 284 BGB vertreten wird55, den Geldersatz für Nichtvermögensschäden zulassen und bereit sein, diesen anhand der Gläubigeraufwendungen zu bemessen. 50 Dies ist der Ansatz des US-Kaufrechts: S. 2–712 UCC erlaubt die Schadensberechnung nach Maßgabe eines tatsächlichen Deckungskaufs, s. 2–713 UCC nach Maßgabe des Marktpreises, d. h. gemäß Comment 1 nach Maßgabe des Preises auf dem Markt, auf dem ein hypothetischer Deckungskauf stattgefunden hätte; näher zur Schadensberechnung White/Summers, UCC, S. 203 ff. – Das englische Recht geht in s. 51 (3) Sale of Goods Act von der Marktpreisregel aus, wobei auch hier nicht der (hypothetische) Weiterverkaufspreis, sondern der Preis für einen (hypothetischen) Deckungskauf gemeint ist; Atiyah/Adams/MacQueen, Sale of Goods, S. 534. – Im deutschen Recht spricht sich die h.L. ebenfalls für die Berechnung nach dem hypothetischen Deckungskauf als Grundregel aus; dazu mit zahlreichen Nachw. (auch zu der sich darauf offenbar zubewegenden Rspr.) U. Huber, Leistungsstörungen Bd. 2, S. 244, 246 ff. 51 Näher dazu unten, § 11 I 2 a. 52 Siehe oben, § 5 III 3. 53 BGH 10. 12. 1986, BGHZ 99, 182. 54 Dazu Köndgen/von Randow, in: Allokationseffi zienz, S. 122, 137. 55 Namentlich von MünchKomm/Ernst, § 284 Rz. 7; Gsell, in: Das neue Schuldrecht in der Praxis, S. 321, 336 f.; Schultz, in: Schuldrecht 2002, S. 17, 67 f.

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Vor diesem Hintergrund erscheint der Vorrang des Schutzes des positiven Interesses gegenüber dem Schutz des negativen Interesses in einem anderen Licht: Der tatsächlich praktizierte Schutz des Erfüllungsinteresses (jenseits des Zwangs zur Naturalerfüllung) verwirklicht oft nicht exakt und verfehlt gelegentlich sogar völlig die optimale Anreizstruktur der ökonomisch idealen, auf den Ersatz des Wertes der Leistung gerichteteten Sanktion. Da auch der tatsächlich praktizierte Schutz des Vertrauensinteresses hinter dem ökonomischen Ideal zurückbleibt, müßte ein realitätsnaher ökonomischer Vergleich der Anreizstruktur beider Sanktionen also Umfang und Häufigkeit der Abweichungen gerichtlich ermittelter Schadensbezifferungen vom ökonomischen Idealmaß empirisch untersuchen und in die Bewertung einbeziehen – eine Aufgabe, die nicht nur wegen des damit verbundenen Aufwands kaum zu bewältigen, sondern auch aus der grundsätzlichen Erwägung nicht weiterzuverfolgen ist, daß sich Differenzen zwischen tatsächlich ausgeurteilter und ökonomisch »richtiger« Schadenshöhe in Einzelfällen nur mit – schwerlich verfügbaren – Methoden der Sachverhaltsfeststellung ermitteln ließen, die denen des jeweils erkennenden Gerichts an Zuverlässigkeit überlegen sind56 . Immerhin aber ist eine überschlägige Einschätzung möglich: Jedenfalls dann, wenn der Gläubiger ein ideelles Interesse an der geschuldeten Leistung hat, führt die Ausrichtung der Haftung auf den Ersatz des durch die Nichtleistung herbeigeführten Vermögensschadens eindeutig zu einer ineffizienten Unterkompensation. Macht der Gläubiger ein materielles, aber im Prozeß nicht beweisbares Interesse an der Leistung geltend, ist dies zumindest nicht unwahrscheinlich, wenn es um naturgemäß schwer beweisbare Schadenspositionen – insbesondere entgangene Vermögensvorteile aus der Verwendung des Leistungsgegenstands – geht. Die Rentabilitätsvermutung mag in den zuletzt genannten und die Zulassung des Geldersatzes für Nichtvermögensschäden in den zuerst genannten Fällen für Abhilfe sorgen. Dem Gläubiger zu gestatten, anstelle des positiven das negative Interesse geltend zu machen, wie es durch das Common Law eröffnet wird57, ist indes ein nicht minder probates Mittel zum Ausgleich des Kompensationsdefizits: Durch den Anspruch auf Ersatz des Vertrauensschadens (in den oben erläuterten, ineffizientes Verhalten des Gläubigers ausschließenden Grenzen) 58 wird der Gläubiger in die Lage versetzt, effiziente Vertrauensinvestitionen vorzunehmen, und der Schuldner zumindest davon abgehalten, jegliche Bemühungen um die Vertragserfüllung zu unterlassen. Dafür, daß dies nicht mit einer Überkompensation 56 Nicht zu teilen sind daher pauschale Unterstellungen über die Willkür gerichtlicher Entscheidungen in vertragsrechtlichen Streitigkeiten, wie sie etwa bei E. Posner, Law and Social Norms, S. 152 f., anklingen. 57 Vgl. für die USA § 349 Restatement (2d) of Contract; für England Beale, Remedies, S. 154; Bridge, in: Good Faith and Fault in Contract Law, S. 427, 459 ff.; Burrows, Remedies, S. 248 ff.; Furmston, Contract, Kap. 8.4 (S. 1219 ff.); Treitel, Contract, S. 936 ff.; einen rechtsvergleichenden Überblick bietet Treitel, Remedies, S. 82 ff. Näher dazu unten, § 11 I 2 b. 58 Siehe oben, § 5 III 2 b cc.

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des Gläubigers in den Fällen einhergeht, in denen er ein Vermögensinteresse an der Leistung hat, sorgt die dem Schuldner einzuräumende Möglichkeit, ein etwaiges Zurückbleiben des positiven (Vermögens)Interesses hinter dem negativen als Grenze des Ersatzanspruchs geltend zu machen 59. Der Vorzug, der aus ökonomischer Sicht dem Ersatz des positiven gegenüber dem Ersatz des negativen Interesses einzuräumen ist, weicht demnach, wenn man sich von dem stilisierten Vergleich anhand des »Grundfalls« löst, einer differenzierteren Betrachtung: Die Zulassung eines vom Gläubiger wahlweise geltend zu machenden Anspruchs auf Ersatz des negativen Interesses ist dem durch Rentabilitätsvermutung und Immaterialschadensersatz »nachgebesserten« Anspruch auf Ersatz des positiven Interesses als Lösung für das Problem der Unterkompensation ebenbürtig. Für welche der beiden Möglichkeiten man sich entscheiden sollte, ist dementspreched nicht mehr eine Frage der ökonomischen Effizienz, sondern der Systemgerechtigkeit, wie sie im zweiten Teil dieser Untersuchung zu erörtern sein wird60.

2. Übermäßige Belastung des Schuldners durch den Ersatz des positiven Interesses Die Haftung auf das positive Interesse verfehlt das Effizienzziel nicht nur in Fällen der Unterkompensation des Gläubigers, sondern auch dann, wenn sie den Schuldner übermäßig belastet. Denkbar ist dies sowohl im Hinblick auf die Versprechensabgabe als auch im Hinblick auf die Versprechenserfüllung: Zum einen ist es möglich, daß die Aussicht, das Erfüllungsinteresse des Adressaten ersetzen zu müssen, die Abgabe sozial nützlicher Versprechen unterdrückt oder, allgemein formuliert, normativitätsstiftendes Verhalten auf ein ineffizientes Maß drosselt (dazu a)). Zum anderen mag es Gründe geben, dem Schuldner keinen oder jedenfalls einen verminderten Anreiz dazu zu geben, sein Versprechen zu erfüllen oder, wiederum auf eine allgemeine Formel gebracht, die von ihm geweckte normative Erwartung einzulösen (dazu b)). Weil der ersatzfähige Betrag des negativen Interesses im Regelfall niedriger und aufgrund der hier eingeführten Begrenzung 61 allenfalls genauso hoch ausfällt wie der Betrag des positiven Interesses (soweit es sich hierbei um ein Vermögensinteresse handelt), ist in solchen Konstellationen stets zu überlegen, ob sich die Anwendung der insoweit milderen Sanktion empfiehlt. a) Drosselung normativitätsstiftenden Verhaltens Um die Anreizeffizienz der Haftung auf das positive Interesse mit Blick auf die Abgabe eines Versprechens (oder, was nicht immer eigens zu erwähnen ist, die 59 60 61

Näher dazu unten, § 10 III 1. Dazu unten, § 11. Siehe oben, § 5 III 2 b cc.

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sonstige Vornahme eines normativitätsstiftenden Verhaltens) würdigen zu können, hat man sich zunächst die zur Ökonomik des Versprechens erarbeitete Einsicht in Erinnerung zu rufen, daß die Abgabe des Versprechens nicht nur dann wirtschaftlich positiv zu bewerten sein kann, wenn seine Einhaltung gesichert ist62 : Ist dem Versprechensempfänger ein etwaiges Nichterfüllungsrisiko ex ante erkennbar, so ist er in der Lage, den Erwartungswert des Vertrauensnutzens und den Erwartungswert der Vertrauenskosten bei gegebener Vertrauensinvestition zu ermitteln, sie einander gegenüberzustellen und die Investition, falls die Bilanz positiv ausfällt, vorzunehmen. Auch Versprechen, deren Erfüllung erkennbar riskant sind, haben daher, wenn sich nur ein positiver Kosten-Nutzen-Saldo ergibt, einen wirtschaftlichen Wert; sie sind m.a.W. »gute Wetten«, auf die zu setzen sich lohnt. Die Haftung auf das negative Interesse, wie sie hier konzipiert wurde, ändert daran nichts: Sie ist allein darauf gerichtet, dem Versprechenden einen Anreiz zu vermitteln, dem Versprechensempfänger ein diesem verborgenes, aber dem Versprechenden erkennbares Nichterfüllungsrisiko zu eröffnen63. Damit wird eine »gute Wette« nur als solche kenntlich gemacht und von einer »schlechten« unterschieden. Die Haftung auf das positive Interesse reduziert dagegen das Nichterfüllungsrisiko, soweit sie den Versprechenden zu Erfüllungsanstrengungen anhält und, wo diese nichts fruchten, den Empfänger gegen den Eintritt des Risikos versichert. Aus einer »guten Wette« für den Empfänger wird so eine bessere oder, wenn der Versprechende einer Garantiehaftung unterworfen wird, sogar eine vollkommen sichere 64. Dieser »Qualitätssteigerung« stehen höhere Kosten für den Versprechenden gegenüber. Dies allein schreckt allerdings, wie bei der Erörterung des »Grundfalls« festgestellt wurde 65, noch nicht notwendig von der Versprechensabgabe ab: Es kann dem Versprechenden entweder gelingen, für das höherwertige Versprechen eine entsprechend höhere Gegenleistung zu erzielen oder aber, wenn die Haftung nicht zwingend angeordnet ist, einen Haftungsausschluß zu vereinbaren. Beide Möglichkeiten stehen dem Versprechenden gewiß offen, wenn sein Versprechen, wie im »Grundfall«, in den Abschluß eines gegenseitigen Vertrages eingebettet ist. Nimmt man jedoch von dieser Konstellation Abstand, so wird deutlich, daß dies nicht durchweg der Fall ist: Versprechen und andere Verhaltensweisen, die normative Erwartungen wecken, sind allgegenwärtige Phänomene. Je nach dem Kontext des normativitätstiftenden Verhaltens mag ein Ausgleich der Mehrkosten einer Haftung auf das Erfüllungsinteresse wegen fehlender Entgeltlichkeit der in Aussicht gestellten Leistung und eine vertragliche Abbedingung der Haf62

Siehe oben, § 5 II 1. Siehe oben, § 5 III 1, 2 a. 64 Das gilt selbstverständlich nur insoweit, als es um den Ausschluß des Nichterfüllungsrisikos geht; das Insolvenzrisiko des Versprechenden wird dem Empfänger damit nicht abgenommen. 65 Siehe oben, Abschnitt II 2. 63

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tung wegen der Höhe der Transaktionskosten nicht in Betracht kommen. Wollte man hier eine gesetzliche Pflicht zum Ausgleich des positiven Interesses postulieren, drohte normativitätsstiftendes Verhalten, das an sich Nutzen stiftet, in der Tat unterdrückt zu werden. So ordnet denn auch keine Rechtsordnung die – für einen Verfechter konsequenter Orientierung des Vertragsrechts an der moralischen Bindung des Versprechenden durchaus denkbare – Durchsetzung jedes vermögensrelevanten Versprechens mit den Mitteln des Erfüllungszwangs oder der Pfl icht zum Ersatz des Erfüllungsinteresses an. Während die Frage, wann in Anbetracht dessen von einer Qualifikation normativitätsstiftenden Verhaltens als privatrechtliche Selbstbindung und damit überhaupt von privatrechtlichen Sanktionen abgesehen werden sollte, im folgenden Kapitel (§ 7) zu beantworten sein wird, ist an dieser Stelle nur darauf aufmerksam zu machen, daß die Vermeidung eines ineffizienten Übermaßes rechtlicher Sanktionierung auch Beschränkungen der Selbstbindungssanktion ökonomisch rechtferigt. Eine solche Beschränkung im Vergleich zum Schutz des Erfüllungsinteresses bietet, entgegen teilweise geäußerter Bedenken66 , die Haftung auf das negative Interesse: Zwar kann der Betrag des zu ersetzenden Vertrauensinteresses den des Erfüllungsinteresses unter den Bedingungen vollkommenen Wettbewerbs erreichen. Aber abgesehen davon, daß diese Bedingungen oft nicht gegeben sein werden, so daß das negative Interesse geringer ausfällt67, verwirklicht sich das Haftungsrisiko des Versprechenden aufgrund der Begrenzung auf das negative Interesse nur in dem Umfang, wie es tatsächlich zu einer Vertrauensinvestition des Gegenübers gekommen ist – wer im Vertrauen auf die Einhaltung eines Versprechens weder Aufwendungen getätigt noch auf anderweitige Geschäfte verzichtet hat, kann, ganz gleich in welchem wettbewerblichen Umfeld er sich befindet, keinen Vertrauensschaden geltend machen. Auch wenn es selbstverständlich möglich ist, den Ersatz des positiven Interesses von der Vornahme einer Vertrauensinvestition abhängig zu machen, wie es insbesondere die amerikanische Handhabung der Selbstbindung aus promissory estoppel eindrucksvoll belegt68 , geht die Rechtsfolge der Haftung durch die Einbeziehung des entgangenen Vorteils aus dem Geschäft doch stets über den begrenzten Schutz des Gläubigers vor dem Verlust der tatsächlich getätigten Vertrauensinvestition hinaus, den die Haftung auf das negative Interesse gewährt. Das Gefälle, das sich hier zwischen positivem und negativem Interesse auftut, kann sich eine Rechtsordnung zunutze machen, um einerseits zu vermeiden, daß Versprechen oder sonstige normativitätsstiftende Verhaltensweisen, die außerhalb 66

Craswell, 48 Stan.L.Rev. 481, 499 ff. (1996), Siehe oben, Abschnitt I. 68 § 90 (1) Restatement (2d) of Contracts faßt dieses Erfordernis in die folgende Formulierung: »A promise which the promisor should reasonably expect to induce action or forbearance on the part of the promisee or a third person and which does induce such action or forbearance is binding if injustice can be avoided only by enforcement of the promise.« 67

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einer synallagmatischen Vertragsbeziehung stehen, wegen der Härte einer etwaigen Nichterfüllungssanktion unterdrückt werden, und andererseits zu gewährleisten, daß effiziente Vertrauensinvestitionen möglich bleiben. Hat etwa, um das im Vorfeld des ersten Restatement of Contract zwischen Coudert und Williston streitige Fallbeispiel69 zu variieren, der Onkel seinem Neffen Johnny 1000,– $ für eine Reise in die Tropen versprochen und Johnny sich daraufhin einen maßgefertigten Tropenanzug für 500,– $ gekauft, so tut man daher aus rechtsökonomischer Sicht gut daran, der Intuition Couderts zu folgen und die Haftung des Onkels, wenn er sein Versprechen später nicht halten will, auf den Vertrauensschaden des Neffen, nämlich die vergeblichen Aufwendungen in Höhe von 500 $, zu begrenzen, um die Neigung des Onkels (und aller anderen Altruisten), solche Versprechen überhaupt abzugeben, nicht über Gebühr zu strapazieren. Diese Erwägung gilt nicht nur für altruistische Versprechen, sondern auch für normativitätsstiftendes Verhalten im Marktkontext, wie sich in Anlehnung an eine auf das Urteil Goodman v. Dicker70 zurückgehende Illustration der Haftung aus promissory estoppel nach § 90 (1) des zweiten Restatement71 (aber auch an vergleichbare Konstellationen der Dritthaftung nach deutschem Recht72) aufzeigen läßt: Unterstellt sei, daß Einzelhändler A sich bei B, einem Vertriebsmittler des ausländischen Elektrogeräteherstellers C, der für C innerhalb eines bestimmten Gebiets alleinverantwortlich die Administration des Vertriebssystems einschließlich der Vertragsverhandlungen mit Einzelhändlern, ihrer Überwachung und Belieferung wahrnimmt73, um den Abschluß einer Vertriebsfranchisevereinbarung mit C beworben und B dem A daraufhin aufgrund eines Versehens mitgeteilt hat, C sei zum Abschluß der Vereinbarung bereit und werde A demnächst in sein Vertriebsnetz aufnehmen; A könne schon einmal Personal einstellen und Bestellungen aufgeben, die erste Lieferung einer bestimmten Anzahl von Geräten werde folgen. Wenn A, nachdem er Aufwendungen zur Vorbereitung der Geschäftsaufnahme gemacht hat, weder in das Vertriebssystem aufgenommen wird noch die in Aussicht gestellte Lieferung erhält, sind für die haftungsrechtliche Verantwortlichkeit des B die folgenden rechtspolitischen Eckpunkte zu bedenken: Verzichtete man darauf, den Geltungsanspruch, der sich mit der Behauptung des B verbindet und eine normative Erwartung des A begründet74, mit einer haftungsrechtlichen Sanktion für den Fall ihrer Unrichtigkeit zu unterstützen, so 69 Vgl. American Law Institute, Proceedings, Bd. IV, Appendix (1926), S. 98 f.; 103 f., zit. nach Fuller/Perdue, 46 Yale L. J. 52, 64 Fn. 14 (1936). Das Beispiel ist wiederum angelehnt an Devecmon v. Shaw, 69 Md. 199, 14 A. 464 (1888). Dazu schon oben, § 3 II 1 a bb. 70 169 F.2d 684 (D. C. Cir. 1948). 71 § 90 Restatement (2d), Illustration 8. 72 Näher dazu unten, § 13 IV. 73 Insoweit wird der recht knappe Sachverhalt von Goodman v. Dicker, der nur besagt, daß es sich bei dem Beklagten um einen »distributor« handelte, ergänzt. Abweichend von unserem Fallbeispiel handelte es sich in Goodman v. Dicker im übrigen um einen inländischen Hersteller. 74 Zum Geltungsanspruch deklaratorischer Erklärungen oben, § 5 IV 1.

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handelte man sich ein Problem adverser Selektion ein, denn potentielle Vertriebspartner des C wären außerstande, unter den von ihm eingeschalteten Mittlern zuverlässige und unzuverlässige oder, um mit Akerlof zu sprechen, »peaches« und »lemons« zu unterscheiden. Dies wiederum würde B daran hindern, seine Aufgabe als Mittler in einem dreistufigen Distributionssystem wahrzunehmen; der Markt für solche Dienstleistungen könnte aufgrund dieses Versagens im Extremfall zusammenbrechen75. Diese Gefahr auszuschließen und B die Möglichkeit zu geben, Verläßlichkeit zu signalisieren, ergibt die funktionale Legitimation dafür, B auf das negative Interesse haften zu lassen. Doch warum sollte B nicht auch für die enttäuschte Gewinnerwartung des A und damit für dessen positives Interesse geradestehen müssen? Anders als in sonstigen Fällen gescheiterter Franchiseanbahnung76 mag A hier jedenfalls einen Gewinn aus dem Weiterverkauf der avisierten ersten Lieferung darlegen und beweisen können77; Bezifferungs- oder Verifikationsprobleme würden ein Gericht also nicht daran hindern, das Erfüllungsinteresse zuzusprechen78. Dennoch sollte es nach dem hiesigen Ansatz beim Ersatz des Vertrauensschadens bleiben: B kann sich mangels vertraglicher Beziehung zu A die zusätzliche Belastung, welche die Einstandspflicht für dessen Gewinnausfall bedeuten würde, nicht, wie es den Parteien gegenseitiger Verträge möglich ist, durch die Gegenleistung des A entgelten lassen; ihm zuzumuten, zu diesem Zweck oder aber mit dem Ziel der Abbedingung der Haftung eigens eine Vereinbarung mit A auszuhandeln, erhöhte die Transaktionskosten im Dreiecksverhältnis zwischen A, B und C erheblich und drohte dadurch den Effizienzvorteil, den die Einschaltung des B in die Anbahnung der Franchisebeziehung zwischen A und C bedeuten kann, mehr als aufzuzehren. Wer den B auf das positive Interesse haften lassen wollte, würde also, statt die Verläßlichkeit seiner Behauptungen bei der Vertragsanbahnung zu steigern, wohl eher dafür sorgen, ihn als Vertriebsmittler des C aus diesem Prozeß auszuschalten. Was hier an einem Beispiel aufgezeigt wurde, läßt sich für ein weites Spektrum normativitätsstiftenden Verhaltens jenseits synallagmatisch verknüpfter Leistungsversprechen fruchtbar machen79 : Während mit der Haftung auf das positive Interesse oft des Guten zu viel getan wäre, gelingt es mit der Haftung auf das negative Interesse, hinreichende Anreize zur Vermeidung adverser Selektion zu setzen, ohne die Abgabe von Versprechen oder die sonstige Produktion normativer 75

Nämlich dann, wenn potentielle Abnehmer aufgrund der Unsicherheit über die Verläßlichkeit der Mittler letztlich nur noch zu Verhandlungen mit dem Hersteller selbst bereit wären. 76 Vgl. etwa Hoffman v. Red Owl Stores, 26 Wis.2d 683, 133 N. W.2d 267 (1965). 77 So war es in Goodman v. Dicker, 169 F.2d 684, 685 (D. C. Cir. 1948): Ein entgangener Gewinn aus dem Weiterverkauf der ersten Lieferung in Höhe von 350 $ wurde für bewiesen gehalten. 78 Auf solche Schwierigkeiten beruft sich Köndgen, Selbstbindung, S. 81, um die Verurteilung auf das negative Interesse in Hoffman v. Red Owl zu erklären. 79 Näher dazu unten, § 13.

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Erwartungen mit übermäßigen Kosten zu belasten. Ob sich dieser Gedanke in einer fakultativen Milderung (quasi-)vertraglicher Haftung wie in § 90 (1) des zweiten Restatement oder in einer von der vertraglichen Haftung zu trennenden, eigenständigen »Spur« der Vertrauenshaftung Ausdruck verschafft, ist eine rechtssystematische Frage; es sollte nur klar sein, daß es sich jeweils um ein und dieselbe politische Forderung handelt, die das Rechtssystem damit umsetzt. b) Unangebrachter Erfüllungsanreiz Während im vorigen Abschnitt die Rückwirkung der Nichterfüllungssanktion auf die Versprechensabgabe problematisiert wurde, sei nun noch einmal die Anreizsituation im Erfüllungsstadium in den Blick genommen. Der entscheidende Vorteil einer auf den Schutz des Erfüllungsinteresses gerichteten Sanktion gegenüber der Pflicht zum Ersatz des Vertrauensschadens liegt, so hat die Betrachtung des »Grundfalls« ergeben, darin, daß sie den Schuldner zu einer den Gläubigernutzen in Rechnung stellenden Entscheidung anhält, was die Vorbereitung der Erfüllung und schließlich deren Vornahme selbst betrifft80. Dieser Effekt gerät jedoch zum Nachteil, wenn die Erfüllungsanstrengung des Schuldners, auf die die Sanktion hinwirkt, unangebracht ist. Die Gründe dafür können etwa in einer fehlgesteuerten Entscheidung einer oder beider Parteien über die Eingehung ihrer jeweiligen Verpflichtungen oder in beeinträchtigenden Auswirkungen der Transaktion auf Dritte liegen. Soll in solchen Konstellationen dem Gläubiger der Anreiz zu Vertrauensinvestitionen erhalten bleiben, könnte sich die Haftung auf das negative Interesse als Residualsanktion empfehlen. In diesen Zusammenhang gehört Jherings Lehre von der c.i.c.: Wo die »Unfähigkeit des Subjects«, die »Unfähigkeit des Objects« oder die »Unzuverlässigkeit des contractlichen Willens«81 des Schuldners Anlaß dazu gibt, auf die Durchsetzung des Erfüllungsinteresses des Gläubigers zu verzichten, postulierte Jhering den Schutz des negativen Interesses. Im theoriegeschichtlichen Kapitel dieser Untersuchung wurde die dadurch begründete Differenzierung der Selbstbindungssanktionen – einerseits die Haftung auf das positive Interesse für den Normalfall des vertraglichen Leistungsversprechens, andererseits die Haftung auf das negative Interesse für den »pathologischen« Fall – als Jherings eigentliche Leistung gewürdigt, die durch seine Rede von der »empfindlichen Lücke«82 im Haftungsrecht und seine Fixierung auf die Konstruktion einer außervertraglichen Culpa-Haftung allerdings verschleiert wurde83. Die sachliche Begründung dafür, daß in einer solchen Differenzierung in der Tat ein Fortschritt gegenüber einer schneidigen, nur zwischen der Gewährung des positiven Interesses und der Verweigerung jeglichen Schutzes unterscheidenden Lösung liegt, wie sie gegen Jhering die zeitge80 81 82 83

Siehe oben, Abschnitt II 1 a und b. So die Systematisierung durch Jhering, Jher.Jb. 4 (1861), 1, 56 ff. Jher.Jb. 4 (1861), 1, 3. Dazu oben, § 3 I 1.

III. Die Erforderlichkeit der Haftung auf das negative Interesse

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nössische Erklärungstheorie verfocht84, gilt es nun, ausgehend von den mittlerweile gewonnenen Einsichten über eine marktfunktionale Selbstbindungskonzeption, nachzuliefern. Ansatzpunkt sind Unterschiede in der Bewertung der Effizienz der beiden Sanktionsmechanismen: Wo der Schutz des Erfüllungsinteresses ineffizient wäre, mag der Schutz des Vertrauensinteresses immer noch ökonomisch sinnvoll sein. Dies sei im folgenden für die Fälle verdeutlicht, in denen die Durchsetzung der Vertragserfüllung externe Kosten verursachen oder eine inter partes ineffiziente, da auf Entscheidungsdefiziten beruhende Regelung festschreiben würde. aa) Ineffizienz wegen externer Kosten Unter den rechtsökonomischen Gründen, denjenigen, der ein vertragliches Leistungsversprechen abgegeben hat, nicht mit einer Pflicht zur Erfüllung oder zum Ersatz des Erfüllungsinteresses zu belasten, lassen sich zunächst Beeinträchtigungen der Belange Dritter oder der Allgemeinheit durch die Erfüllung ausmachen. Während im »Grundfall« unterstellt wurde, daß durch die Vereinbarung Dritte nicht betroffen sind, produzieren reale Transaktionen immer wieder negative Externalitäten – begonnen mit klaren Fällen wie etwa der Absprache über die Begehung eines Auftragsmords bis hin zu schwer zu bewertenden Konstellationen wie dem Vertrag über eine werkvertragliche Leistung, deren Herstellung die Umwelt beeinträchtigt. Bei einer strengen Bewertung der Effizienz nach dem (jegliche Schlechterstellung Dritter als ineffizient ausschließenden) Pareto-Kriterium85 müssen solche Verträge stets Anstoß erregen, und sie müssen dies nach dem insoweit großzügigeren (nämlich die Schlechterstellung einzelner bei Eintritt eines Nettowohlfahrtsgewinns erlaubenden) Kaldor-Hicks-Kriterium86 jedenfalls dann, wenn die durch sie verursachten Kosten Dritter den von den Parteien erzielten Nutzen übersteigen87. Als ultima ratio – das Versagen von Mechanismen zur Internalisierung der Drittbeeinträchtigungen durch Entschädigungsleistungen o.ä. vorausgesetzt – ist hier die völlige Unterbindung der vertragsgegenständlichen Aktivität in Betracht zu ziehen, damit Wohlfahrtsverluste vermieden werden. Zivilrechtlich kommt die Wertung, daß allein der Verzicht auf die Vertragserfüllung und damit auch das Absehen von Erfüllungsanreizen Wohlfahrtsverluste aufgrund externer Kosten vermeidet, in der Anordnung der Nichtigkeit des Vertrags zum Ausdruck. 84

Dazu oben, § 3 I 2 a aa. Zu diesem Begriff statt vieler Schäfer/Ott, Ökonomische Analyse, S. 26: »Als Pareto-Effizienz wird ein sozialer Zustand bezeichnet, von dem aus die Besserstellung einer Person nur gelingt, wenn mindestens eine andere Person dadurch einen Nachteil erleidet.« 86 Zu diesem Begriff statt vieler Schäfer/Ott, Ökonomische Analyse, S. 32: Nach dem KaldorHicks-Kriterium sollte eine Kollektiventscheidung »dann durchgeführt werden, wenn es möglich ist, aus dem Gewinn der Begünstigten die Benachteiligten voll zu entschädigen und die Begünstigten trotzdem einen Nettovorteil übrig behielten.« 87 Näher Trebilcock, Limits, S. 75. 85

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§ 6 Abgrenzung zum Schutz des positiven Interesses

Der Umstand, daß eine vertraglich versprochene Leistung negative externe Effekte produziert, hindert dagegen selbst dann, wenn ihr Verbot die sozial optimale Lösung ist, nicht notwendig den Schutz des Vertrauensinteresses des Gläubigers. Mit der Haftung auf das negative Interesse sollen die sozialen Kosten normativitätsstiftenden Verhaltens, die ohne eine Sanktion aufgrund adverser Selektion entstünden, minimiert werden. Dementsprechend ist nicht das Verhalten im Zusammenhang mit der Erfüllung einer bereits bestehenden normativen Erwartung, sondern das normativitätsstiftende Verhalten selbst – beim Schuldvertrag also das Leistungsversprechen – Anknüpfungspunkt der Haftung88. Ob die durch das Versprechen in Aussicht gestellte Leistung externe Kosten verursacht, spielt insoweit grundsätzlich keine Rolle, wie überhaupt alles, was zur ökonomischen Begründung der Haftung auf das negative Interesse vorgetragen wurde, unabhängig vom Inhalt der beim Empfänger des Versprechens geweckten Erwartung gilt. Allerdings wird der Ersatz des Vertrauensschadens, wenn externe Effekte zur Nichtigkeit einer rechtsgeschäftlichen Bindung führen, oft an einer allgemeinen Grenze der Haftungslegitimation scheitern: Es bedarf keines haftungsrechtlichen Vertrauensschutzes, wenn dem Empfänger eines vertraglichen Versprechens dessen Nichtigkeit bekannt war oder wenn er sich diese Kenntnis mit effizientem Aufwand erschließen konnte89. Ist dies jedoch nicht der Fall, bleibt Raum für die Haftung auf das negative Interesse: So mag, um ein Beispiel Kipps anzuführen90 , der Verlagsvertrag über einen Dritte kompromittierenden Schlüsselroman nichtig und dem Verleger kein Erfüllungsanspruch gegen den Verfasser zuzusprechen sein. Hat der Verleger jedoch geglaubt, Handlung und Personen seien frei erfunden, und auch keinen Anlaß, daran zu zweifeln, ist Kipp – jedenfalls rechtspolitisch – darin beizupflichten, daß der Verleger von dem Verfasser das negative Interesse verlangen können sollte. bb) Ineffizienz wegen Fehlsteuerung der Parteien Auch bei isolierter Betrachtung der Parteien unter Ausblendung etwaiger Außenwirkungen ist eine Vielzahl von Erwägungen dazu geeignet, die Verknüpfung eines vertraglichen Leistungsversprechens mit der Pfl icht zur Naturalerfüllung oder zum finanziellen Ausgleich des Erfüllungsinteresses in Frage zu stellen: Ist beispielsweise, abweichend von den Prämissen des »Grundfalls«, der Schuldner der Leistung risikoavers, der Gläubiger dagegen risikogeneigt, so führt nur eine im Betrag unterhalb des Erfüllungsinteresses liegende Sanktion zu einer optimalen Risikoallokation zwischen Gläubiger und Schuldner 91. Vor allem jedoch können Informationsdefizite, Zwangslagen oder kognitive Mängel einer oder beider Parteien dazu führen, daß die Grundvoraussetzung nutzensteigernder Kooperation 88 89 90 91

So bereits oben, § 5 I. Dazu oben, § 5 III 2 b aa. Windscheid/Kipp, Pandektenrecht II, § 315 (S. 295). Dies wird aufgezeigt von Polinsky, 12 J.Legal Stud. 427, 439 (1983).

III. Die Erforderlichkeit der Haftung auf das negative Interesse

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entfällt: »The possibility of coordination through voluntary cooperation rests on the elementary – yet frequently denied – proposition that both parties to an economic transaction benefit from it, provided the transaction is bilaterally voluntary and informed.«92 Nicht anders als die Verursachung externer Kosten sollte gewiß nicht jeder dieser – allgegenwärtigen – Defekte Anlaß zu der Forderung geben, daß der betroffenen Partei die Erfüllung des von ihr abgegebenen Versprechens oder der Ersatz des Erfüllungsinteresses ihres Partners immer zu ersparen sei: Aus der Perspektive des Kaldor-Hicks-Kriteriums hängt die Effizienz der rechtlichen Durchsetzung eines konkreten Vertrags ohnehin nicht davon ab, daß keine Vertragspartei dadurch einen Verlust erleidet, sondern nur davon, ob ein Nettowohlfahrtsgewinn zu erwarten ist, wenn Verträge dieser Art durchgesetzt werden93. Auch auf der Grundlage des Pareto-Kriteriums zieht die Durchsetzung einer vertraglichen Bindung, die unter suboptimalen Bedingungen eingegangen wurde, nicht per se das Verdikt der Ineffizienz nach sich: Bei der Bewertung der Pareto-Effizienz ist nicht darauf abzustellen, ob die Vertragsdurchführung jeder Partei im Erfüllungszeitpunkt einen Nutzen und keinen Nachteil beschert (was bei einer Partei, die die Erfüllung verweigert, nie der Fall sein wird), denn Gegenstand der Bewertung ist nicht der Austausch der vereinbarten Leistungen, sondern die gegenseitige Einräumung von Rechten durch den Vertragsschluß94. So schließt z. B. die bloße Fehlvorstellung der Parteien über den Marktwert eines verkauften Gebrauchtwagens die Effizienz der Vertragsdurchsetzung durch Sanktionen, die das Erfüllungsinteresse verwirklichen, nicht aus: Zwar wird durch die Erfüllung als solche eine der Parteien schlechter gestellt als ohne den Leistungsaustausch95. Davon unabhängig ist aber die Effizienz der Gewährung wechselseitiger Erfüllungsansprüche: Nur die Durchsetzbarkeit des Vertrags sorgt dafür, daß es bei einer für beide Parteien vorteilhaften Erhaltung des Anreizes bleibt, die jeweils bestmögliche Vertragsschlußmöglichkeit ausfindig zu machen. Aber ungeachtet der damit nur angedeuteten Schwierigkeiten, die Grenze der rechtlichen Sicherung des Erfüllungsinteresses in Fällen gestörter Selbstbestimmung anhand ökonomisch sinnvoller Kriterien zu markieren, ist festzuhalten, daß, wie auch immer diese Grenze verlaufen mag, dadurch nicht zugleich die Sicherung des Vertrauensinteresses limitiert wird. Wenn man es z. B. für ineffi zient hält, die Erfüllung einer vertraglichen Verpfl ichtung zu erzwingen, deren Zustandekommen sich einem Erklärungsirrtum verdankt, ist damit noch nichts über die Effizienz einer Verpflichtung der irrenden Vertragspartei zum Ersatz des negativen Interesses gesagt, wie sie § 122 BGB vorsieht: Die Haftung auf das negative 92

Friedman, Capitalism and Freedom, S. 13. Trebilcock, Limits, S. 17. 94 Trebilcock, Limits, S. 127. Siehe auch oben, § 4 III 2 c aa. 95 Wenn der Marktwert über dem Kaufpreis liegt, ist dies der Verkäufer, der den Wagen zu einem höheren Preis hätte verkaufen können; wenn der Marktwert unter dem Kaufpreis liegt, der Käufer, der den Wagen zu einem niedrigeren Preis hätte kaufen können. 93

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§ 6 Abgrenzung zum Schutz des positiven Interesses

Interesse empfiehlt sich generell als Steuerungsinstrument für die Produktion normativer Erwartungen, soweit diese dem (zurechnungsfähigen) Erklärenden in inhaltlicher und in persönlicher Hinsicht zurechenbar sind; auf die willentliche Herbeiführung der Erwartung kommt es nicht an96 . Daher ist die Haftung desjenigen, der eine Willenserklärung im Irrtum oder auch ohne Erklärungsbewußtsein abgegeben hat, ohne weiteres ökonomisch gerechtfertigt, wenn ihm nur der Sinn seiner Erklärung zuzurechnen ist. Vorausgesetzt, daß eine Rechtsordnung den Erklärenden im Falle des Erklärungsirrtums von der Erfüllungspflicht befreit (was freilich keine Selbstverständlichkeit ist97), eröffnet sich der Haftung auf das negative Interesse hier also ein Anwendungsbereich als rechtsgeschäftliche Residualhaftung.

IV. Fazit In einer Rechtsordnung, die den einzelnen das Rechtsinstitut des Vertrags und, daran anknüpfend, Sanktionen zur naturalen oder vermögensmäßigen Verwirklichung des Erfüllungsinteresses zur Verfügung stellt, ist die Haftung auf das negative Interesse keineswegs überflüssig. Zwar ist nicht zu bestreiten, daß bei einer unter Idealbedingungen stattfindenden vertraglichen Kooperation zwischen Marktteilnehmern der Schutz des positiven Interesses beiden Parteien effiziente Verhaltensanreize bietet, während davon beim negativen Interesse keine Rede sein kann. Doch wendet man sich den vielfältigen Abweichungen realer Kooperation von dieser hier zum »Grundfall« stilisierten Konstellation zu, so wird deutlich, daß die Haftung auf das negative Interesse neben den auf die Erfüllungslage bezogenen Sanktionen durchaus eine ökonomische Daseinsberechtigung hat: Sie vermag ergänzend neben die Haftung auf das positive Interesse zu treten, um ein durch Beweis- und Bezifferungsprobleme veranlaßtes, ineffizientes Untermaß rechtlicher Sanktionierung zu vermeiden, und sie ist als alleinige Sanktion sinnvoll, wo die Haftung auf das positive Interesse ein gleichfalls ineffizientes Übermaß an Belastung für den Schuldner mit sich brächte.

96

Dazu oben, § 5 IV 2 Vgl. nur die – im Vergleich zu § 119 I BGB – restriktiveren Regeln in Art. 4:103 EP und in Art. 3.6 i. V. m. Art. 3.5 UP. 97

§ 7 Der Schutz des negativen Interesses in Abgrenzung zum Verzicht auf privatrechtlichen Erwartungsschutz Die zweite der zu Beginn dieses Teils der Untersuchung (in § 2) aufgeworfenen Grundfragen der Sanktionsauswahl ist noch unvollständig beantwortet: Offen blieb bisher, wann es rechtspolitisch angebracht ist, darauf zu verzichten, Versprechen oder sonstige normativitätsstiftende Verhaltensweisen überhaupt als privatrechtliche Selbstbindungen zu qualifi zieren, also nicht nur vom Schutz des positiven Interesses, sondern auch vom Schutz des negativen Interesses abzusehen. Diese Lücke gilt es nun zu schließen.

I. Die Unterscheidung zwischen marktförmiger und nicht marktförmiger Kooperation Die Legitimation der Haftung auf das negative Interesse, wie sie in § 5 entwickelt worden ist, hat der Haftung einen denkbar weiten potentiellen Anwendungsbereich eröffnet. Die zurechenbare Erzeugung einer normativen Erwartung durch ein Versprechen oder ein sonstiges Verhalten scheint danach, wenn die Erwartung später enttäuscht worden sein sollte, stets Anlaß dazu zu geben, die hier postulierte Pflicht zum Ersatz des Vertrauensschadens als Sanktion einzusetzen. Eine solche Behauptung fände in der Rechtswirklichkeit wenig Anhalt – daß man Erwartungen enttäuschen kann, die man selbst geweckt hat, und sogar Versprechen brechen kann, die man feierlich gegeben hat, ohne für dadurch entstandene Schäden rechtlich geradestehen zu müssen, ist eine alltägliche Erfahrung: Niemand würde etwa den unzuverlässigen Gast, der zu einem privaten Abendessen nicht erschien, obwohl er sein Kommen zugesagt hatte, für die Kosten des enttäuschten Gastgebers aufkommen lassen, dem ein ganzes Menü verdarb1. Daran soll sich auch nach der hier verfochtenen Position nichts ändern: Nicht immer, wenn die hier formulierten notwendigen Bedingungen für die Haftung auf das negative Interesse gegeben sind, wird sich deren Anwendung rechtspolitisch empfehlen. Die in § 5 entwickelten Grundlagen sollen nur den Beitrag der Haftung auf das negative Interesse zum Gelingen marktförmiger Kooperation verdeutli1 Dazu schon oben, § 4 III 3 a aa; vgl. außerdem den rechtsvergleichend erörterten Fall einer – allerdings nicht rein privaten – Einladung zum Abendessen bei Gordley, Enforceability of Promises, S. 105 ff.

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§ 7 Abgrenzung zum Verzicht auf Erwartungsschutz

chen 2. Außerhalb des Marktkontextes – also auch im Bereich geselligen Umgangs, dem das Beispiel entstammt – stehen alle hierzu gemachten Ausführungen unter den generell für die marktfunktionale Selbstbindungkonzeption geltenden Vorbehalten: Die Übertragbarkeit dieser Konzeption auf Kooperationsbeziehungen außerhalb von Märkten stößt, wie bei ihrer Grundlegung erläutert wurde, an positive Grenzen, wo selbst eingeschränkte ökonomische Verhaltensrationalität der Akteure nicht ohne weiteres unterstellt werden kann 3 ; und sie stößt an normative Grenzen, wo soziale Beziehungen so organisiert sind, daß sich die reduktive Sicht der beteiligten Personen als homines oeconomici verbietet4. Die auf Märkte zugeschnittenen privatrechtlichen Selbstbindungsmechanismen sind insoweit nur mit besonderer Zurückhaltung oder überhaupt nicht zu verwenden. Diese Restriktionen sind auch bei der Formulierung der Haftung auf das negative Interesse als Selbstbindungssanktion zu beachten: Wo außerhalb des Marktkontexts agierende Personen die Regelung ihrer Beziehung nicht erkennbar dem Privatrecht unterstellen (wie im Fall der akzeptierten, aber versäumten Einladung) oder wo ihnen die privatrechtliche Selbstbindung, selbst wenn sie gewollt sein sollte, als Form der Kooperationssicherung von der Rechtsordnung nicht zugänglich gemacht wird (wie im Fall der Vereinbarung über die Verhütung einer Schwangerschaft) 5, muß derjenige, der ein Versprechen bricht oder eine in sonstiger Weise geweckte normative Erwartung enttäuscht, für den dadurch entstandenen Vertrauensschaden ebensowenig einstehen, wie man ihn privatrechtlich zur Erfüllung zwingen oder auf Ersatz des Erfüllungsinteresses in Anspruch nehmen kann. Aber auch normativitätsstiftendes Verhalten im Marktkontext, dem hier unser Augenmerk gilt, sollte nicht ohne weiteres als privatrechtliche Selbstbindung qualifiziert und mit der Androhung einer haftungsrechtlichen Sanktion für den Enttäuschungsfall verknüpft werden. In diesem Zusammenhang ist eine Überlegung wiederaufzunehmen, die bereits Anlaß dazu gegeben hat, in bestimmten Konstellationen dem Schutz des negativen Interesses den Vorzug gegenüber der (naturalen oder vermögensmäßigen) Verwirklichung des positiven Interesses zu geben6 : Wenn eine haftungsrechtliche Sanktion normativitätsstiftendes Verhalten mit einem Preis belegt, der so hoch ist, daß es, obwohl sozial nützlich, unterdrückt zu werden droht, sollte auf die Sanktion verzichtet werden. Die Milderung, welche die Haftung auf das negative Interesse im Vergleich zur Haftung auf das positive Interesse bedeutet, mag im Einzelfall nicht ausreichen, um diesen übermäßig abschreckenden Effekt zu vermeiden – man erinnere sich der Warnung Jherings, eine Ausdehnung der dolus-Haftung für außervertragliche Äußerungen auf culpa lata 2

Siehe oben, Einleitung zu § 5. Siehe oben, § 4 III 3 b bb. 4 Siehe oben, § 4 III 3 b cc. 5 Dazu BGH 21. 2. 2001, BGHZ 146, 391, 399; vgl zu Abreden im Bereicht der Familienplanung außerdem BGH 7. 4. 1983, BGHZ 87, 169, 174; 17. 4. 1986, BGHZ 97, 372, 379; 12. 7. 1995, FamRZ 1995, 1272, 1273; 3. 5. 1997, BGHZ 129, 297, 307 ff. 6 Siehe oben, § 6 III 2 a. 3

I. Die Unterscheidung zwischen marktförmiger und nicht marktförmiger Kooperation

203

lasse diese »zu einer wahren Geißel des Umgangs und Verkehrs werden, alle Unbefangenheit der Conversation wäre dahin, das harmloseste Wort würde zum Strick!«7 Auch wer nicht als getreuer Adept Jherings gelten will, muß prüfen, ob dies nicht auch gegen die hier postulierte Haftung angeführt werden kann. Zwei Überlegungen verleihen diesem Einwand genügend Plausibilität, um ihn ernstzunehmen: Die erste beruht darauf, daß die Rechtsordnung kooperationsbereiten Marktteilnehmern mit dem Vertrag ein – in den Grenzen schuldvertraglicher Inhaltsfreiheit – universell einsetzbares Instrument der Erwartungssicherung zur Verfügung stellt. Wer im Vertrauen auf den Erhalt einer Leistung eine Investition vornehmen will, kann sich also durch den Abschluß eines Vertrags gegen opportunistisches Verhalten seines Partners absichern. Demjenigen, der diese Möglichkeit nicht wahrnimmt und sich statt dessen auf Versprechen oder sonstige Äußerungen verläßt, denen – unter Zugrundelegung seines »Horizonts«8 – nicht der Charakter einer rechtsverbindlichen Erklärung beigelegt werden kann, braucht das Privatrecht daher, wie man meinen könnte, nicht durch die Einführung weiterer Haftungstatbestände zu helfen. Unter dieser Prämisse wäre die Haftung auf das negative Interesse, so wie es der Sache nach Jherings Anliegen war9 und im vorigen Abschnitt unter neuen Vorzeichen entwickelt wurde, nur als Subsidiärsanktion für rechtsgeschäftliche Selbstbindungstatbestände einzusetzen. Normativitätsstiftendes Verhalten »unterhalb« der Willenserklärung käme dagegen nicht als privatrechtliche Selbstbindung in Betracht; die Enttäuschung der dadurch erzeugten Erwartungen sollte aus dieser Perspektive sanktionslos bleiben. Die Betrachtung normativitätsstiftenden Verhaltens im zeitlichen Kontext der Vertragsanbahnung wird erweisen, ob diese Sicht einer ökonomischen Bewertung standhält (dazu II.). Die zweite Überlegung geht nicht von privatrechtlichen, sondern von außerrechtlichen Mechanismen der Erwartungssicherung aus: Auch im Marktkontext werden Versprechen eingehalten, ohne daß es der Androhung rechtlicher Sanktionen für den Nichterfüllungsfall bedarf – die Furcht vor einer Reputationseinbuße, aber auch moralische Skrupel mögen Grund genug sein, ein gegebenes Wort einzulösen. Allein dadurch mag die Kooperation zwischen Marktteilnehmern in einer Weise stabilisiert werden, welche die Anwendung privatrechtlicher Sanktionen überflüssig, ja sogar störend erscheinen lassen könnte10. Eine Beschränkung privatrechtlicher Selbstbindung auf Fälle, in denen die Parteien die Regelung ihrer Beziehung eindeutig dem Privatrecht unterstellen, könnte vor diesem Hintergrund als ökonomisch sinnvolle Rücksichtnahme staatlich gesetzten Privatrechts auf funktionierende soziale Selbststeuerung zu interpretieren sein. Ob und wie 7

Jhering, Jher.Jb. 4 (1861), 1, 13. Zur Relevanz des Empfängerhorizonts für die Auslegung empfangsbedürftiger Willenserklärungen statt vieler Palandt/Heinrichs, § 133 Rz. 9. 9 Siehe oben, § 3 I 1. 10 Dies wurde oben, § 4 III 2 c cc, bereits kurz angesprochen. 8

204

§ 7 Abgrenzung zum Verzicht auf Erwartungsschutz

weit diese These trägt, läßt sich nur durch eine nähere Untersuchung normativitätsstiftenden Verhaltens im sozialen Kontext außerrechtlicher Sanktionsmechanismen ermitteln (dazu III.).

II. Normativitätsstiftendes Verhalten im zeitlichen Kontext der Vertragsanbahnung Anders als die Pflicht zur Naturalerfüllung oder zum Ersatz des daran bestehenden Vermögensinteresses senkt die Pflicht zum Ersatz des Vertrauensinteresses nicht das Risiko, daß der Versprechende sein Versprechen bricht, sondern sorgt nur dafür, daß dieses Risiko transparent und damit das nutzensteigernde, weil eine effiziente Vertrauensinvestition ermöglichende Versprechen kenntlich wird. Dahinter zurückzugehen und dem Versprechenden die Internalisierung der durch ein gebrochens Versprechen verursachten Vertrauenskosten zu ersparen, erscheint zunächst wenig sinnvoll: Es ist nicht einzusehen, warum man dem Versprechenden die Möglichkeit verschaffen sollte, durch die Abgabe von unerkennbar schädlichen Versprechen externe Kosten zu produzieren. An dieser Erkenntnis wollen auch die nachfolgenden Überlegungen nicht rütteln. Vielmehr geht es um die Frage, mit welchem Zeitpunkt die Haftung einsetzen sollte, wenn sich die Produktion normativer Erwartungen nicht in einem einzigen Akt, sondern in mehreren, die Erwartungssicherheit bisweilen sogar unmerklich bis hin zum regulären vertraglichen Leistungsversprechen verdichtenden Schritten vollzieht. Der tatsächliche Hintergrund ist geläufig: Den Ausgangspunkt der Überlegungen zur Rechtfertigung der Haftung auf das negative Interesse bildete ein unvermittelt abgegebenes und unerwartet empfangenes, gleichsam »nacktes« Versprechen11. Die Ökonomik des Versprechens läßt sich an diesem Fall besonders leicht aufzeigen. Aber reale Vertragspartner pflegen einander nicht mit Leistungsversprechen zu überfallen. Am Beginn von Kooperationsbeziehungen zwischen Marktteilnehmern steht vielmehr in der Regel ein – mehr oder weniger ausgeprägtes – Stadium der Vertragsanbahnung, in dem beide Seiten Verhaltensweisen an den Tag legen und Erklärungen abgeben, die bereits geeignet sind und auch darauf abzielen, beim jeweiligen Gegenüber normative Erwartungen zu wecken. Diese reichen von der Anzeige der generellen Bereitschaft, über einen Leistungsaustausch miteinander ins Gespräch zu kommen, über spezifizierte Aussagen zu einzelnen Konditionen, unter denen man einen Vertrag schließen will, bis hin zu der Zusicherung, daß ein Vertrag bestimmten Inhalts zustande kommen werde. Der anderen Seite kann solches Verhalten Anlaß zu Vertrauensinvestionen unterschiedlichen Umfangs geben. Zunächst mag Zeit und Geld in die Vertragsanbahnung als solche fließen, weil man sich durch das Verhalten des Verhandlungspartners zu deren Fortsetzung ermutigt fühlt – man schreibt Briefe, telefoniert 11

Siehe oben, § 5 II 1.

II. Normativitätsstiftendes Verhalten im zeitlichen Kontext der Vertragsanbahnung 205

miteinander, reist zu Verhandlungen, holt Informationen über den potentiellen Vertragspartner und -gegenstand ein oder läßt einen Vertragsentwurf fertigen. Wer meint, aufgrund der Äußerungen seines Partners vom Zustandekommen eines Vertrages ausgehen zu dürfen, trifft aber möglicherweise auch schon Investitionen in Antizipation der erwarteten Vertragserfüllung. Die Fälle sind Legion: Der potentielle Grundstückserwerber beginnt schon vor Kaufvertragsschluß mit Baumaßnahmen12 ; der seiner Einstellung bei einem neuen Arbeitgeber sichere Bewerber kündigt seine Stelle, lehnt andere Angebote ab und bereitet sich auf seine (vermeintlichen) künftigen Aufgaben vor13 ; der Aspirant für eine Vertriebsfranchise gibt auf Anraten des Franchisegebers sein bisheriges Geschäft auf und borgt sich Geld, um den Einstieg in das Franchisesystem zu fi nanzieren14. Kommt der erhoffte Vertrag nicht zustande, lassen sich die ausgeschlagenen oder aufgekündigten Alternativen oft nicht mehr verwirklichen und werden die vorvertraglichen Aufwendungen mindestens teilweise, nicht selten sogar vollständig wertlos. Die rechtsökonomische Aufarbeitung des daraus resultierenden vorvertraglichen Anreizproblems ist, anders als die Diskussion um effiziente Vertragsbruchsanktionen, erst jüngeren Datums15. Anlaß dazu gibt das offenkundige Investitionshemmnis, das in der Möglichkeit eines sanktionslosen Verhandlungsabbruchs liegt: Niemand wird sich zu Vertrauensinvestitionen bereit finden, wenn Opportunitätskosten und die Frustration von Aufwendungen drohen. Trotzdem wird man zögern, der Gegenseite den darin liegenden Vertrauensschaden ohne weiteres aufzubürden und nicht einfach alle vorvertraglichen Versprechungen als sanktionslosen »cheap talk«16 zu qualifizieren. Denn auch wenn wegen der damit verbundenen Effizeinzeinbuße nicht am Vertragsschluß als allein maßgeblicher Zäsur für den privatrechtlichen Schutz normativer Erwartungen festzuhalten ist (dazu 1.), bleibt doch die schwer zu beantwortende Frage nach Möglichkeiten einer Vorverlagerung des Erwartungsschutzes, die nicht nur wirtschaftlich sinnvoll, sondern auch praktisch handhabbar sind (dazu 2.). Diese Möglichkeiten werden hier im Hinblick auf den ergebnislosen Abbruch der Vertragsanbahnung erörtert; die Einsichten, die sich insoweit ergeben, lassen sich aber auch auf den Fall beziehen, in dem die Vertraganbahnung in den Abschluß eines Vertrags mündet, der den vorvertraglich geweckten Erwartungen jedenfalls einer Partei nicht entspricht (dazu 3.).

12

Vgl. BGH 29. 3. 1996, NJW 1996, 1884. Vgl. Grouse v. Group Health Plan, Inc., 306 N. W.2d 114 (Minn. 1981); Hunter v. Hayes, 533 P.2d 952 (Colo.App. 1975). 14 Vgl. Hoffman v. Red Owl Stores, 26 Wis.2d 683, 133 N. W.2d 267 (1965). 15 Vgl. zum gegenwärtigen rechtsökonomischen Diskussionsstand Bebchuk/Ben Shahar, 30 J.Legal Stud. 423 (2001); Craswell, 48 Stan.L.Rev. 481 (1996); Johnston, 85 Va.L.Rev. 385 (1999); Katz, 105 Yale L. J. 1249 (1996); Kostritsky, 44 Hastings L. J. 621 (1993); dies., 58 U.Pitt.L.Rev. 325 (1996); Wils, Journal des Economistes et des Etudes Humaines 4 (1993), 93. 16 Diesen Terminus verwendet Johnston, 85 Va.L.Rev. 381 (1999), passim, der ihn spieltheoretischen Arbeiten (Nachw. a.a.O., 389 Fn. 4) entlehnt hat. 13

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§ 7 Abgrenzung zum Verzicht auf Erwartungsschutz

1. Die Erforderlichkeit vorvertraglichen Erwartungsschutzes Für den besonderen Fall von Versprechungen eines in die Vertragsverhandlungen eingeschalteten Dritten17 ist der Bedarf nach haftungsrechtlicher Steuerung bereits aufgezeigt worden: Haftungsrechtliche Anreize sind hier angebracht, wenn und soweit es einem Marktversagen hinsichtlich der von dem Dritten erbrachten Dienstleistung vorzubeugen gilt. Wo lediglich die Verantwortlichkeit der Verhandlungspartner in Rede steht, scheidet diese Erwägung aus. Auf den ersten Blick liegt nichts näher, als die Parteien in dieser Konstellation selbst die Verantwortung für ihre Investitionen tragen zu lassen. Wer Vertrauensinvestitionen vornehmen, aber Risiken vermeiden will, muß sich, so lautet dann die klare Botschaft des Privatrechts an die Parteien, entweder bis zum Vertragsschluß gedulden oder aber die Übernahme der Kosten für den Fall des Scheiterns mit seinem Verhandlungspartner vereinbaren. Jedenfalls darf er sich auch auf noch so nachdrücklich vorgetragene Beteuerungen der Abschlußbereitschaft der anderen Seite nicht verlassen. So eindeutig diese Regel sein mag, so wenig sorgt sie indes für ein effi zientes Investitionsniveau. a) Zur Effizienz vorvertraglicher Vertrauensinvestitionen Vertrauensinvestitionen werden nach dem Kalkül optimiert, das anhand der Entscheidungslage des Empfängers eines schlichten Leistungsversprechens verdeutlicht wurde18 : Der rationale Versprechensempfänger wird seine Investitionsentscheidung so treffen, daß der Erwartungswert des Nettonutzens der in Aussicht gestellten Leistung maximiert wird. Der Erwartungswert des Nettonutzens wiederum ist die Differenz zwischen dem Erwartungswert des (bei Erfüllung entstehenden) Vertrauensnutzens und dem Erwartungswert der (bei Nichterfüllung anfallenden) Vertrauenskosten. Auf diese Weise zu optimieren ist nicht nur die Entscheidung über die Höhe, sondern auch die Entscheidung über den Zeitpunkt der Vertrauensinvestition19 : Wer seine Vertrauensentscheidung früh trifft, mag, falls er die für einen späteren Zeitpunkt erwartete Leistung erhält, einen höheren Nutzen erzielen als derjenige, der bis zum letzten Augenblick zuwartet. Der Händler etwa, der sich schon deutlich vor der von ihm erwarteten Belieferung mit weiterzuveräußernder Ware mit Werbemaßnahmen um deren Absatz bemüht, kann dadurch nicht selten höhere Gewinnspannen erzielen als derjenige, der mit der Vermarktung erst beginnt, wenn er die Ware auf Lager hat. Umgekehrt mag zu einem späteren Zeitpunkt das Nichterfüllungsrisiko wesentlich geringer sein als zu jedem früheren Zeitpunkt – 17

Vgl. die Ausführungen zu Goodman v. Dicker, 169 F.2d 684 (D. C. Cir. 1948) oben, § 6 III

2 a. 18

Siehe oben, § 5 II 1. Die folgende Darstellung beruht auf Katz, 105 Yale L. J. 1249, 1267 ff. (1996), welche wiederum Goetz/Scott, 89 Yale L. J. 1261, 1267 ff. (1980) zur Grundlage hat. Vgl. auch Craswell, 48 Stan. L.Rev. 481, 490 f. (1996). 19

II. Normativitätsstiftendes Verhalten im zeitlichen Kontext der Vertragsanbahnung 207

z. B. sinkt das von dem früh investierenden Händler möglicherweise zu gewärtigende Risiko, daß die Produktion der von ihm vertriebenen Ware wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten des Produzenten zum Erliegen kommt und er deshalb keine Lieferung mehr erhält, mit fortschreitender Zeit und ist bei Eintreffen der Ware schließlich gleich Null. Der Zeitpunkt der Vertrauensinvestition wird von einer rational handelnden Person vor diesem Hintergrund so wie die Höhe der Investition durch eine Vergleich zwischen marginalen Vertrauenskosten und marginalem Vertrauensnutzen bestimmt werden: Der Moment, in dem die marginalen Kosten einer weiteren Verzögerung der Investition beginnen, den marginalen Nutzen des Abwartens zu übersteigen, ist der optimale Investitionszeitpunkt 20. Wenn spätestens zu diesem Zeitpunkt ein Vertrag zustande gekommen ist, sollte das Instrumentarium der Nichterfüllungssanktionen so eingerichtet sein, daß dem Gläubiger ein Anreiz zu einer effizienten Investitionsentscheidung geboten wird. Hier stellt sich das bereits angesprochene Problem, daß die Optimierung der Anreizsituation für den Schuldner einer überhöhten Investitionsneigung des Gläubigers Vorschub zu leisten droht, wenn es an der nötigen Feinabstimmung der Folgen und Voraussetzungen der Haftung fehlt 21. Nun ist es aber gerade bei komplexeren Transaktionen keineswegs ausgemacht, daß es beiden Seiten gelingt, die Vertragsverhandlungen erfolgreich abzuschließen, ehe der Zeitpunkt für effiziente Vertrauensinvestitionen gekommen ist. So mögen die Parteien noch nicht über alle Punkte Einigkeit erzielt haben; einzelne Voraussetzungen der Transaktion – etwa die Kaufpreisfinanzierung – mögen noch zu klären sein, oder es mag sich der Vertragsschluß aufgrund von Technizitäten – z. B. wegen einer noch ausstehenden notariellen Beurkundung – verzögern. Kehrt sich aus diesen oder anderen Gründen die Abfolge von Vertragsschluß und optimalem Investitionszeitpunkt um, stellt sich die Frage, welche Regeln ein Privatrecht bereithalten sollte, um auch in dieser Situation ein effizientes Investitionsniveau zu ermöglichen. Dabei sollte eines klar sein: Das Interesse der Parteien an effizienten Vertrauensinvestitionen, und zwar sowohl an eigenen Investitionen als auch an solchen der anderen Seite, ist unabhängig davon, ob deren Zeitpunkt vor oder nach dem Vertragsschluß liegt. Es kommt allein darauf an, daß durch die Steigerung des Nutzens der Transaktion, den die Investition bewirkt, der »Kuchen« größer wird, der – nach Maßgabe der Verteilung der Verhandlungsmacht – durch den Vertrag zwischen den Parteien aufgeteilt werden kann. b) Fehlende Haftung als »penalty default rule« Lehnt man jegliche haftungsrechtliche Verantwortung für das Scheitern von Vertragsverhandlungen ab, so gerät derjenige, der eine Vertrauensinvestition noch vor

20 21

Zur Bedeutung des Bezugs auf marginale Werte oben, § 5 II 3. Siehe oben, § 5 III 2 b cc; § 6 II 1 c.

208

§ 7 Abgrenzung zum Verzicht auf Erwartungsschutz

Vertragsschluß tätigt, in eine Situation, die als Holdup (»Raubüberfall«22) bezeichnet wird und typischerweise bei ungleichen transaktionsspezifischen Investitionen auftritt: Wer investiert hat, ist, um Vertrauenskosten aufgrund des – gänzlichen oder teilweisen – Nutzloswerdens der Investition zu vermeiden, darauf angewiesen, daß der Vertrag zustande kommt. Diese Zwangslage lädt den Verhandlungspartner dazu ein, seine Bereitschaft zum Vertragsschluß von der Zahlung eines höheren Entgelts abhängig zu machen, als er ohne die Vertrauensinvestition verlangen würde. Dies wiederum würde dazu führen, daß der Investierende – je nachdem, wie groß seine Verhandlungsmacht ist – nur teilweise und im Extremfall überhaupt nicht in den Genuß des Nutzens seiner Aufwendungen käme. Dadurch verzerrt sich die Anreizsituation im Investitionszeitpunkt: Die Investition der vom Holdup bedrohten Partei wird unter der effizienten Höhe bleiben, wenn nicht sogar ganz ausfallen, weil sie zwar beim Abbruch der Verhandlungen die Kosten der Investition vollständig zu tragen hat, aber bei ihrem erfolgreichen Abschluß nur damit rechnen kann, einen Teil des durch die Investition generierten Nutzens zu erhalten 23. Eine Rechtsordnung, die den sanktionslosen Abbruch der Vertragsanbahnung bis zur vertraglichen Einigung als letztmöglichen Zeitpunkt ermöglicht (also – wie das Common Law24 und das gemeine Recht 25 – von Gesetzes wegen auch keine Bindung an ein bereits zugegangenes, aber noch nicht angenommenes Angebot anordnet), stellt den Parteien demnach kein effizientes Regime vorvertraglicher Beziehungen zur Verfügung. Gleichwohl ist eine solche Regel als Teil des dispositiven Rechts nicht von vornherein ökonomisch zu verwerfen: Den Parteien steht es frei, an ihrer Stelle eine Verteilung der bei Verhandlungsabbruch entstehenden Kosten zu vereinbaren, die nutzenmaximierende Investitionen vor Vertragsschluß zuläßt, ohne daß eine Holdup-Situation entsteht. Die Abstinenz des Privatrechts bei der Suche nach effizienten Investitionsanreizen im Stadium der Vertragsanbahnung könnte vor diesem Hintergrund als eine List der (ökonomischen) Vernunft interpretiert werden: Eben dadurch, daß das dispositive Recht nur eine zwar einfach anzuwendende, aber in vielen Fällen manifest ineffiziente Regelung zur

22 Richter/Furubotn, Institutionenökonomik, S. 101; näher zur Herkunft des Begriffs Fleischer, Informationsasymmetrie, S. 141. 23 Bebchuk/Ben-Shahar, 30 J.Legal Stud. 423, 431 f. (2001); Craswell, 48 Stan.L.Rev. 481, 492 (1996). 24 Dazu mit Nachw. aus der Rspr. für das englische Recht Treitel, Contract, S. 41; für das amerikanische Recht § 42 Restatement (2d) of Contract (»An offeree’s power of acceptance is terminated when the offeree receives from the offeror a manifestation of an intention not to enter into the proposed contract.«) 25 Dazu Windscheid/Kipp, Pandektenrecht II, § 307 (S. 249). Die Widerrufl ichkeit des Angebots war gemeinrechtlich allerdings nicht unbestritten; vgl. dazu die Nachw. bei Windscheid/ Kipp, Pandektenrecht II, § 307 Anm. 7a (S. 252 f.). Windscheid, a.a.O., § 307 Anm. 5 (S. 250), befürwortete in Übereinstimmung mit Jhering, Jher.Jb. 4 (1861), 1, 86 f., für den Fall des Widerrufs die Haftung auf das negative Interesse; näher zu Jhering oben, § 3 I 1, und zu Windscheid oben, § 3 I 2 a bb.

II. Normativitätsstiftendes Verhalten im zeitlichen Kontext der Vertragsanbahnung 209

Verfügung stellt, werden die Parteien dazu motiviert, zu einer privatautonomen Lösung des Investitionsproblems zu finden. Im rechtsökonomischen Schrifttum wird diese Regelungsstrategie unter der (nicht ganz glücklichen 26) Bezeichnung »penalty default rule« diskutiert 27: Im Gegensatz zu »majoritarian default rules« ist nicht die Annäherung an den hypothetischen Konsens rationaler Parteien das Anliegen solcher Regeln. Vielmehr soll bei asymmetrischer Informationslage der informationell überlegenen Partei ein Anreiz geboten werden, der anderen Seite ihr Wissen (etwa über ein bei ihr vorhandenes Schadenspotential) zu offenbaren und mit ihr eine vertraglichen Regelung auszuhandeln, welche die ineffiziente »penalty default rule« ersetzt. So veranlaßt mangelnder haftungsrechtlicher Schutz den investitionswilligen Verhandlungspartner dazu, sein Gegenüber von der geplanten Investition zu unterrichten und mit ihm eine Einigung über die im Fall des Verhandlungsabbruchs entstehenden Kosten zu suchen. Allerdings ist die wohlfahrtssteigernde Wirkung von »penalty default rules« überaus schwer zu prognostizieren: Die Beseitigung der Informationsasymmetrie durch »signaling«28 führt zunächst nicht notwendig zu Effizienzgewinnen. Ist ein anzubahnender Kauf etwa für den Verkäufer ein Massengeschäft, dürfte es für ihn schlicht irrelevant sein, von dem potentiellen Käufer irgendetwas über von diesem geplante nutzensteigernde Investitionen vor Vertragsschluß zu erfahren, denn eine diesbezügliche Regelung auszuhandeln käme ihn regelmäßig teurer als der Verzicht auf den dadurch erzielbaren Zugewinn 29. Und selbst dann, wenn Effizienzgewinne möglich wären, mag die investitionsbereite Partei davor zurückschrecken, die geplante Investition und damit die potentielle Steigerung des Vertrauensnutzens der anderen Partei mitzuteilen: Sieht sich der Kaufinteressent beispielsweise einem monopolistischen, preisdiskriminierenden Verkäufer gegenüber, muß er befürchten, daß dieser jeglichen zusätzlichen Nutzen, den eine Vertrauensinvestition ihm bescheren könnte, durch eine Preiserhöhung abschöpft, und tut deshalb – aus seiner Sicht – gut daran, etwaige Investitionspläne für sich zu behalten 30. 26

Kritisch zur Terminologie Craswell, 48 Stan.L.Rev. 481, 545 f. (1996). Der Begriff wurde eingeführt in dem grundlegenden Beitrag von Ayres/Gertner, 99 Yale L. J. 87, 91 (1989). Vgl. dazu auch Trebilcock, Limits, S. 122; Craswell, in: Encyclopedia Bd. 3, S. 1, 5 ff. 28 Zum Begriff siehe oben, S. 153 Fn. 47. 29 Vgl. (mit Bezug auf die durch das Vorhersehbarkeitskriterium nach Hadley v. Baxendale beschränkte vertragliche Schadensersatzhaftung) Craswell, in: Encyclopedia Bd. 3, S. 1, 8; Eisenberg, 80 Cal.L.Rev. 563, 591 (1992). 30 Dazu (wiederum mit Bezug auf die Regel aus Hadley v. Baxendale) Ayres/Gertner, 101 Yale L. J. 729, 736 (1992); Craswell, in: Encyclopedia Bd. 3, S. 1, 9; Johnston, 100 Yale L. J. 615, 627 ff. (1990); Trebilcock, Limits, S. 123 f. – Ein weiteres Argument gegen »penalty default rules« ergibt sich, wenn man die im Text zugrunde gelegte Rationalitätsannahme lockert und den Besitzeffekt (dazu schon oben, S. 186 Fn. 43) berücksichtigt, demzufolge Personen dazu neigen, ein Gut höher zu bewerten, wenn es in ihrem Eigentum steht, als wenn es nicht in ihrem Eigentum steht. Die Abbedingung einer »penalty default rule« durch eine effizientere Vereinbarung wird durch den – sich auch auf die Innehabung schuldvertraglicher Rechtspositionen beziehenden – Besitzeffekt, 27

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§ 7 Abgrenzung zum Verzicht auf Erwartungsschutz

Diese Unwägbarkeiten der »penalty default rule« in Kauf zu nehmen empfiehlt sich wohl nur dann, wenn es sich als unmöglich erweisen sollte, eine andere Regel zu formulieren, die zumindest im Durchschnitt ein effizientes Niveau vorvertraglicher Investitionen ermöglicht und deren gerichtliche Durchsetzung nicht so aufwendig ist, daß es günstiger ist, bei der zwar ineffizienten, aber immerhin einfach zu handhabenden Ablehnung jeglicher Haftung für das Nichtzustandekommen eines Vertrags zu bleiben.

2. Möglichkeiten vorvertraglichen Erwartungsschutzes Haftungsrechtliche Anreize für ein effizientes vorvertragliches Investitonsniveau sind in vielfältigen Formen denkbar. Zunächst läßt sich die Investitionsfreude der Parteien bereits durch die rechtliche Gestaltung der Vertragsschlußmechanismen beeinflussen: Soweit rechtsgeschäftliche Bindungswirkungen schon einsetzen, bevor sich der Konsens beider Parteien in wechselseitig zugegangenen Erklärungen ausgedrückt hat, wird Investitionssicherheit durch den Schutz des Erfüllungsinteresses geschaffen (dazu a)). Darüber hinaus vermögen verschiedene Varianten außervertraglicher Haftung für das Scheitern von Vertragsverhandlungen das Vertrauensinteresse der investierenden Partei zu schützen (dazu b)). Ob solche privatrechtlichen Instrumente dem schlichten Verzicht auf gesetzliche angeordnete Sanktionen für das Verhalten während der Vertragsanbahnung ökonomisch vorzuziehen sind, ist zunächst eine Frage der Praktikabilität: Die Mehrkosten gerichtlicher Durchsetzung einer feiner gesponnenen Regel dürfen den möglichen Effizienzgewinn nicht übersteigen. Darüber hinaus ist die Warnung Jherings vor verkehrsbeeinträchtigenden Wirkungen des Haftungsrechts31 zu beherzigen: So wie zu fragen ist, ob sich die Schärfe der Vertragsbruchsanktionen abträglich auf die Vertragsschlußbereitschaft auswirkt 32 , hat man zu bedenken, ob nicht die Kosten etwaiger Sanktionen im Stadium der Vertragsanbahnung die Parteien bereits vom Eintritt in Verhandlungen abhalten könnten 33.

wie Korobkin, in: Behavioral Law and Economics, S. 116, 139, zutreffend bemerkt, noch unwahrscheinlicher, als dies unter der Annahme vollkommener Rationalität ohnehin schon der Fall ist. 31 Jhering, Jher.Jb. 4 (1861), 1, 13. 32 Siehe oben, § 6 III 2 a. 33 Diese Besorgnis artikulieren etwa Farnsworth, 87 Colum.L.Rev. 217, 221 (1987) (»limiting the freedom of negotiation might discourage parties from entering negotiations«); Johnston, 85 Va.L.Rev. 385, 417 (1999) (»the imposition of legal liability destroys the incentive to send an informative message and thereby causes the market to shrink«); Wils, 4 J. des Economistes et des Etudes Humaines 93, 103 (1993) (vorvertragliche Haftungsformen »tend to lower inefficiently the incentives of parties to enter contract negotiations at the outset«).

II. Normativitätsstiftendes Verhalten im zeitlichen Kontext der Vertragsanbahnung 211

a) Der Schutz des positiven Interesses durch vorkonsensuale rechtsgeschäftliche Bindung Eine verhandelnde Partei kann schon vor dem Zeitpunkt einer vertraglichen Einigung spätestens dann unbesorgt um eine Holdup-Situation Vertrauensinvestitionen vornehmen, wenn ihr von der anderen Seite ein wirksames, jedenfalls für die Dauer einer bestimmten Frist unwiderrufliches Angebot gemacht wurde. Nimmt die Partei das ihr zugewandte Angebot innerhalb der Frist an, genießt ihr durch die Vertrauensinvestition vergrößertes und ggf. maximiertes Erfüllungsinteresse rechtlichen Schutz; der Nutzen der Investition ist damit garantiert. Ob in einer Erklärung ein Angebot zu erblicken und unter welchen Voraussetzungen sowie für welche Dauer dessen Widerruf ggf. ausgeschlossen ist, kann demnach ökonomisch unter dem Gesichtspunkt der Optimierung des Investitionsniveaus beurteilt werden 34. Entsprechendes gilt für die Anforderungen, die an eine den Vertragsschluß herbeiführende Annahmeerklärung (etwa die Möglichkeit der »Annahme« durch Schweigen oder durch Verhaltensweisen des Empfängers, die als Beginn der Leistungserbringung verstanden werden können) gestellt werden 35. Gelingt es auf diese Weise, spätestens zu dem Zeitpunkt, an dem eine Partei unter Effizienzgesichtspunkten zu investieren beginnen sollte, eine rechtsgeschäftliche Bindung der anderen Partei zu begründen, ist, da nunmehr die vertraglichen Sanktionen Anwendung finden, das Investitionsproblem entschärft. Indes läßt sich der Zeitpunkt, von dem an eine rechtsgeschäftliche Bindung ihre investitionsschützende Wirkung entfaltet, nicht beliebig verschieben. Um dies zu ermöglichen, müßte die rechtstechnische conditio sine qua non, nämlich das Vorliegen eines (bindenden) Angebots des Partners der investitionswilligen Partei, allein in den Dienst der Optimierung der Vertrauensinvestition gestellt werden dürfen – ein normativitätsstiftendes Verhalten der einen Partei müßte also nur aus dem Grund, daß sich hieran eine effiziente Vertrauensinvestition der anderen Partei anschließen kann (und möglicherweise angeschlossen hat), als Angebot zu interpretieren sein. Dies würde auch ein konsequenter Verfechter der ökonomischen Instrumentalisierung des Vertragsrechts nicht behaupten wollen: Die Effizienz einer Vertrauensinvestition ist aus rechtsökonomischer Sicht gewiß ein sinnvoller, aber nicht der einzige Aspekt, der bei der Beantwortung der Frage eine Rolle spielt, ob die Äußerung, die zu der Investition Anlaß gibt, als Angebot zu interpretieren ist 36 . Mindestens ebenso wichtig ist es, das Interesse des Erklärenden an der Vermeidung einer verfrühten Bindung zu bewahren. Wo rechtliche Formerfordernisse

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Dazu Craswell, 48 Stan.L.Rev. 481, 508 ff. (1996); Katz, 105 Yale L. J. 1256, 1267 ff. (1996). Dazu Craswell, 48 Stan.L.Rev. 481, 518 ff. (1996). 36 Diese Einschränkung schickt auch Craswell, 48 Stanford L.Rev. 481, 507 (1996), seiner Untersuchung des amerikanischen Fallmaterials voraus. 35

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§ 7 Abgrenzung zum Verzicht auf Erwartungsschutz

einen Übereilungsschutz bieten, ist dies evident 37; aber auch ein formfreies Angebot sollte in eine Erklärung nicht hineininterpretiert werden, ohne daß sich ihr eine Entscheidung des Erklärenden für die vertragliche Bindung entnehmen läßt. Der darin zum Ausdruck kommende Gedanke der negativen Vertragsfreiheit würde verwässert, wollte man eine vertragliche Selbstbindung schon dann bejahen, wenn eine Partei der anderen den Eindruck vermittelt, sie dürfe auf den Abschluß eines Vertrags mit den sich in den Verhandlungen mehr oder weniger deutlich abzeichnenden Konturen vertrauen. Ökonomisch hat solche Zurückhaltung einen guten Sinn: Soweit es nur darum geht, das Holdup-Problem zu lösen, das sich aus dem Risiko der Entwertung von Vertrauensinvestitionen bei Scheitern der Vertragsanbahnung ergibt, genügt der Einsatz von Sanktionen, die dem Schutz des Vertrauensinteresses dienen, und bedart es nicht der weiterreichenden Verwirklichung des Erfüllungsinteresses des Investierenden 38. Eine Norm, die jede zu effizienten Investitionen Anlaß gebende, normativitätsstiftende Äußerung als bindendes Angebot behandelte und dadurch dem Adressaten die Möglichkeit verschaffte, einen Anspruch auf Erfüllung oder auf Ersatz des Nichterfüllungsschadens zu erwerben, würde die Vertragsanbahnung daher mit einem unnötig hohen Kostenrisiko belasten, das potentielle Vertragspartner bereits vom Eintritt in Verhandlungen abzuschrecken drohte. b) Der Schutz des negativen Interesses durch außerrechtsgeschäftliche Abbruchshaftung Es bleibt die Frage, inwieweit eine Vertrauensinvestition, die eine Partei tätigt, noch bevor sie in den Genuß eines bindenden Angebots gekommen ist, durch die Haftung auf das negative Interesse ökonomisch sinnvoll und zugleich praktikabel geschützt werden kann. aa) Erwartungsschutz aufgrund heterenomer Bindung des anderen Teils: Haftungsrechtliche Verlagerung des Investitionsrisikos Nichts liegt näher, als die Antwort unmittelbar dort zu suchen, wo das Problem liegt: Wenn verhandelnde Parteien von effizienten Investitionen abgeschreckt werden, weil sie das Risiko eines Mißerfolgs der Vertragsanbahnung allein tragen, aber den Nutzen der Investition im Erfolgsfall teilen müssen, muß man ihnen das Risiko ganz oder teilweise abnehmen und denjenigen auferlegen, die sonst nur vom Erfolg profitieren, ohne am Mißerfolg beteiligt zu sein: ihrem jeweiligen Gegenüber. Vorvertraglicher Erwartungsschutz wäre auf dieser Grundlage im Wege der heterenomen Bindung des anderen Teils zu betreiben: Die Erwartung eines 37 Vgl. den Fall des nicht zustande gekommenen Grundstückskaufs, BGH 29. 3. 1996, NJW 1996, 1884. 38 Craswell, 48 Stan.L.Rev. 481, 499 ff. (1996), leugnet die Relevanz der Unterscheidung von negativem und positivem Interesse. Dagegen wenden sich bereits die Ausführungen oben, § 6 I, III 2 a.

II. Normativitätsstiftendes Verhalten im zeitlichen Kontext der Vertragsanbahnung 213

künftigen Vertragsschlusses, die eine Partei gegenüber der anderen hegt, wird unabhängig davon, ob die andere Partei diese Erwartung in zurechenbarer Weise hervorgerufen hat, allein aus dem Grund geschützt, daß eine effiziente Investition ermöglicht werden soll. Dieser Gedanke ist jedoch schwerer in die Form eines haftungsrechtlichen Regelungsmodells zu gießen, als es den Anschein haben mag. Keine Effizienzsteigerung verheißt zunächst der schlichte Ansatz, jede Partei für die während der Verhandlungen getätigten und durch deren Scheitern entwerteten Vertrauensinvestitionen der jeweils anderen Seite geradestehen zu lassen, also das Investitionsrisiko komplett zu verlagern – die dadurch bewirkte Anhebung des aufgrund Holdups zu niedrigen Investitionsniveaus würde nur mit dem ebenso schwer wiegenden Nachteil eines Anreizes zu übermäßigen Investitionen bezahlt 39. Die Aussicht, für den Fehlschlag der Investitionen des Partners umfassend aufkommen zu müssen, ohne in gleichem Umfang an deren Nutzen partizipieren zu können, wäre wiederum der Verhandlungsbereitschaft potentieller Vertragspartner nicht gerade zuträglich. Haftungsmodelle, die den Parteien umfassende vorvertragliche Loyalitätspflichten aufbürden40 , wären deshalb in der Tat die von Jhering perhorreszierte »Geißel des Umgangs und Verkehrs«41. Im rechtsökonomischen Schrifttum hat man, um diesen Effekt zu vermeiden, Lösungsvorschläge formuliert, die einen Mittelweg zwischen vorvertraglichem Haftungsvakuum und strikter Verantwortlichkeit für Vertrauensinvestitionen der anderen Seite weisen sollen42 : So ist es denkbar, die Haftung nur derjenigen Partei aufzuerlegen, die aufgrund opportunistischen Verhaltens für das Scheitern der Verhandlungen verantwortlich ist. Eine zweite Möglichkeit besteht darin, den bei Nichtabschluß des Vertrags entstehenden Vertrauensschaden nach Maßgabe der Verhandlungsmacht aufzuteilen: Soweit die nicht investierende Partei im Falle eines Vertragsschlusses aufgrund ihrer Verhandlungsmacht am Nutzen einer Vertrauensinvestition der anderen Seite teilhaben kann, soll sie auch deren Kosten im Falle eines Fehlschlags mittragen müssen43. Schließlich könnte, unter Beibehaltung einer strikten Verantwortlichkeit dem Verhandlungspartner gegenüber, eine daraus resultierende Haftung auf das optimale Investitionsniveau beschränkt werden, während der Investierende das Frustrationsrisiko für jeden darüber hinausgehenden Betrag selbst tragen müßte. 39

Bebchuk/Ben-Shahar, 30 J.Legal Stud. 423, 433 f. (2001). Einen solchen Ansatz hat Kostritsky, 44 Hastings L. J. 621, 672 f. (1993), formuliert. 41 Jhering, Jher.Jb. 4 (1861), 1, 13. Vgl. die Kritik der Ansicht Kostritskys bei Craswell, 48 Stan. L.Rev. 481, 506 mit Fn. 75 (1996); Katz, 105 Yale L. J. 1249, 1277 mit Fn. 77 (1996). 42 Bei den drei folgenden Alternativen handelt es sich um die von Bebchuk/Ben-Shahar, 30 J.Legal Stud. 423, 435 ff. (2001), erörterten »intermediate regimes of precontractual liability«. 43 Auf das Kriterium der Verhandlungsmacht, allerdings im Sinne einer Alles-oder-NichtsEntscheidung, stellt auch Katz, 105 Yale L. J. 1249, 1257 (1996), bei der Beantwortung der Frage ab, wann ein Angebot als verbindlich angesehen werden sollte (Hervorhebungen im Original): »Since in preliminary negotiations both parties control the reliance and the party with the ex post bargaining power gets the gains, it is that party who should also bear the costs.« 40

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§ 7 Abgrenzung zum Verzicht auf Erwartungsschutz

All diese Vorschläge mögen, im Unterschied zu den Extremen gänzlich fehlender oder aber vollständiger Risikoverlagerung auf den anderen Teil, Anreize zu effizienten vorvertraglichen Vertrauensinvestitionen geben. Auch ihre Rückwirkungen auf die Bereitschaft der Parteien, überhaupt Verhandlungen miteinander aufzunehmen, mögen, jedenfalls im Vergleich zu einem Regime, das den Verhandlungsabbruch für die nicht investierende Partei kostenfrei stellt, aus ökonomischer Perspektive positiv zu bewerten sein44. Problematisch ist jedoch ihre Praktikabilität. Anders als die einfachen »bright line rules« erfordert die Durchsetzung der vorgestellten vermittelnden Ansätze nämlich Informationen, über die ein erkennendes Gericht nicht ohne weiteres verfügen wird: Um feststellen zu können, ob Vertragsverhandlungen am opportunistischen Verhalten einer Partei gescheitert sind, muß ein Gericht den Verhandlungsspielraum ausloten, den dieser Partei hat, ohne daß sie die andere Seite um den Wert ihrer schon getätigten Investition bringt, also deren Holdup-Situation ausbeutet. Das heißt etwa bei einem Kaufvertrag: Während die Preisspanne ohne regulierende Eingriffe jeweils ungeachtet bereits entstandener Kosten nach oben nur durch den Wert des Käufernutzens bei Abschluß und Erfüllung eines Vertrags und nach unten nur durch die dem Verkäufer bei Erfüllung entstehenden Kosten beschränkt ist, muß bei einem Verbot opportunistischen Verhaltens ihre obere Grenze um die »sunk costs« des Käufers gesenkt und ihre untere Grenze um die »sunk costs« des Verkäufers erhöht werden45. Möglich ist diese Grenzziehung nur dann, wenn Kosten und Nutzen des hypothetischen, wegen des Verhandlungsabbruchs nicht zustande gekommenen Vertrags bekannt sind. Die Schwierigkeiten, die es schon bereitet, entsprechende Daten für tatsächlich abgeschlossene Verträge zu ermitteln46 , deuten darauf hin, daß sowohl die Parteien mit der ihnen durch eine solche Regel aufgebürdeten Darlegungs- und Beweislast als auch die Gerichte mit dem ihnen zugemuteten kontrafaktischen Urteil überfordert wären. Sind bis zum Verhandlungsabbruch wesentliche Punkte offengeblieben, wird sich außerdem wohl nicht einmal ein vom hypothetischen Parteiwillen gedeckter Vertragsinhalt ermitteln lassen, der die Basis für die Beurteilung des beiderseitigen Nutzens bilden könnte. Ein Gericht könnte hierüber allenfalls nach billigem Ermessen und damit nicht vorhersagbarer entscheiden als ein zur Leistungsbestimmung nach dem Maßstab des § 317 BGB berufener Dritter. Zu ähnlich unsicheren Spekulationen müßten in ihrer praktischen Umsetzung die beiden anderen Kriterien Anlaß geben, die für eine wirtschaftlich sinnvolle Einhegung der haftungsrechtlichen Verlagerung des Investitionsrisikos sorgen sollen: Die Verteilung der Verhandlungsmacht zwischen den Parteien ist, wie die Probleme der Fixierung von »undue bargaining power« als Nichtigkeitsgrund zei44

Näher Bebchuk/Ben-Shahar, 30 J.Legal Stud. 423, 455 ff. (2001). Bebchuk/Ben-Shahar, 30 J.Legal Stud. 423, 435 (2001). 46 Vgl. insoweit nur die Methoden, mit denen man sich zur Bestimmung des Nichterfüllungsschaden behilft; siehe oben § 6 III 1. 45

II. Normativitätsstiftendes Verhalten im zeitlichen Kontext der Vertragsanbahnung 215

gen47, selbst dann schwer zu ermitteln, wenn man nur extreme Ungleichgewichte feststellen will und dafür als Anhaltspunkt immerhin eine reale, eine der Parteien ungewöhnlich belastende Vereinbarung vorweisen kann, während beim Scheitern der Vertragsanbahnung nicht einmal das der Fall ist48. Nur durch »second-guessing« ist schließlich auch die optimale Vertrauensinvestition zu bestimmen, deren Betrag nach dem zuletzt genannten Modell die Höchstgrenze des zu ersetzenden Schadens sein soll: Dazu ist wiederum die Kenntnis der hypothetischen Vereinbarung zwischen den Parteien erforderlich, außerdem noch das Wissen über die Entwicklung des daraus für jede Partei entstehenden Nutzens in Abhängigkeit vom Niveau der Vertrauensinvestitionen49. bb) Erwartungsschutz aufgrund autonomer Bindung des anderen Teils: Normativitätsstiftende Verhandlungsäußerungen als Haftungsgrund Die hohen Anforderungen, die eine effiziente Verteilung des vorvertraglichen Investitionsrisikos an die Erkenntnismöglichkeiten im gerichtlichen Verfahren stellt, lassen sich vermeiden, wenn man einen anderen Weg beschreitet und nicht erst die den Vertrag konstituierenden Erklärungen der Parteien, sondern bereits deren vorangehendes normativitätsstiftendes Verhalten als privatrechtliche Selbstbindungen gelten läßt – freilich nur als Selbstbindungstatbestände, die Sanktionen zum Schutz des negativen und nicht des positiven Interesses auslösen. Anders als die soeben erörterten Ansätze sieht dieses Konzept davon ab, das Vertragsanbahnungsverhältnis mit Pflichten auszustatten, deren schlüssige Begründung nur einem allwissenden Beobachter gelingen kann. Vielmehr verlangt es von einem Gericht allein die Feststellung eines Verhaltens, mit dem eine Partei während der Vertragsanbahnung normative Erwartungen ihres Partners weckte, die sie später enttäuscht hat. Ein dem Partner dadurch entstandener Vertrauensschaden wäre dann aus den gleichen Erwägungen zu ersetzen, wie sie zur Begründung der hier vertretenen Grundkonzeption der Haftung auf das negative Interesse entwickelt wurden50. Hat also beispielsweise der Anbieter eines Grundstücks einem Interessenten erklärt, er sei bereit, zu einem bestimmten Preis zu verkaufen, so unterläge er danach zwar (schon mangels formwirksamen Angebots) keiner rechtsgeschäftlichen, aber einer vorvertraglichen Selbstbindung hinsichtlich des Preises und müßte, falls er nachträglich einen höheren Preis verlangt, dem Interessenten, der nur zu dem ursprünglich genannten Preis abschließen wollte und im Vertrauen darauf investiert hat, dessen negatives Interesse ersetzen. Eine solche Regel gewährleistet, wie eine neuere Untersuchung gezeigt hat 51, ein effizientes vorvertragliches Investitionsniveau vom Zeitpunkt der haftungsauslösenden Äußerung an: Die drohende Verpflichtung zum Ersatz des negativen Inter47 48 49 50 51

Dazu mit weiteren Nachw. Verf., in: Verfassungsrechtsprechung, S. 524 f. Dies räumen auch Bebchuk/Ben-Shahar, 30 J.Legal Stud. 423, 439 (2001), ein. Bebchuk/Ben-Shahar, 30 J.Legal Stud. 423, 441 f. (2001). Siehe oben, § 5 III. Bebchuk/Ben-Shahar, 30 J.Legal Stud. 423, 445 ff. (2001).

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§ 7 Abgrenzung zum Verzicht auf Erwartungsschutz

esses veranlaßt eine Partei, die durch ihr Verhandlungsverhalten normative Erwartungen hinsichtlich des abzuschließenden Vertrags geweckt hat, dazu, bei der Fortsetzung der Verhandlungen ihren Spielraum nicht in der Weise auszunutzen, daß ihr Gegenüber um den Ertrag aus seiner mittlerweile getätigten Investition gebracht wird. Damit hat sie die gleiche disziplinierende Wirkung wie das bereits erörterte Verbot opportunistischen Verhaltens, ohne den gleichen Informationsaufwand zu erfordern. Zudem verfängt der immer wieder und teilweise zu Recht geltend gemachten Einwand, die vorvertragliche Haftung drohe die Anbahnung von Verträgen zu behindern 52 , hier nicht: Zwar müssen die Parteien damit rechnen, daß nicht alles, was sie vor Vertragsschluß sagen, als »cheap talk« gelten darf; doch erhalten sie für den von ihnen entrichteten Preis einer (begrenzten) vorvertraglichen Verantwortung einen Gegenwert in Gestalt der Steigerung des Nutzens der Transaktion, den optimale, nicht vom Holdup bedrohte Investitionen bewirken. Dieser Vorteil erhöht die Attraktivität des Eintritts in Vertragsverhandlungen im Vergleich zu der Lage, die bestünde, wenn jeglicher Verhandlungsabbruch sanktionslos wäre, und fördert dadurch in effizienter Weise die Verhandlungsbereitschaft53. Doch auch diese Lösung des Holdup-Problems ist nicht frei von Einwänden. Zwar mögen die Schwierigkeiten bei der Identifizierung einer dem Vertragsschluß vorgelagerten Selbstbindung durch normativitätsstiftende Verhandlungsäußerungen beherrschbar sein – letztlich geht es um Auslegungsfragen, die nicht leichter oder schwerer zu beantworten sind als bei der vertraglichen Selbstbindung auch. Indes ergeben sich Folgeprobleme, was die Bewertung eines auf den Selbstbindungstatbestand folgenden Scheiterns der Vertragsanbahnung betrifft. Diese Probleme werden deutlich, wenn man sich vor Augen hält, daß zwischen der Abgabe eines vorvertraglichen Versprechens und dem avisierten Vertragsschluß Umstände eintreten oder erkennbar werden können, in deren Licht es wirtschaftlich nicht sinnvoll wäre, noch einen Vertrag mit dem urspünglich geplanten Inhalt abzuschließen. So mag in dem Fall der Ankündigung, ein – zu diesem Zeitpunkt – mangelfreies Grundstück zu einem bestimmten Preis verkaufen zu wollen, noch vor Vertragsschluß ein Dritter das Grundstück mit Giftstoffen kontaminieren. Hier wäre es, wenn die Kosten der Dekontaminierung den Käufernutzen übersteigen, ineffizient, den potentiellen Verkäufer dazu anhalten zu wollen, diese Maßnahme durchzuführen, nur damit es der potentielle Käufer zu den ursprünglichen Konditionen erwerben kann – dem Schuldner Anstrengungen abzuverlangen, die ihn mehr kosten, als sie dem Gläubiger nützen, empfiehlt sich aus ökonomischer Sicht weder vor noch nach Vertragsschluß54. Wer sich durch seine Äußerungen einer vorvertraglichen Selbstbindung unterworfen hat, sollte daher in

52 53 54

Dazu die Nachw. S. 210 Fn. 33. Bebchuk/Ben-Shahar, 30 J.Legal Stud. 423, 456 f. (2001). Zur entsprechenden Entlastung des Schuldners nach Vertragsschluß siehe oben, § 6 II 1 b.

II. Normativitätsstiftendes Verhalten im zeitlichen Kontext der Vertragsanbahnung 217

Fällen wie diesem von der Haftung entlastet werden, wenn er sich in Anbetracht der veränderten Situation weigert, sein Wort einzulösen. Die Anerkennung eines haftungsbefreienden »triftigen Grundes«55 zum Verhandlungsabbruch verfolgt vor diesem Hintergrund, nicht anders als der Befreiungsgrund fehlenden Vertretenmüssens bei der vertraglichen Haftung, ein ökonomisch überaus vernünftiges Anliegen. Dessen Umsetzung fällt jedoch bei der vorvertraglichen Selbstbindung, wenn es sich nicht um einen so einfachen Fall handelt wie das soeben gebildete Beispiel, wesentlich schwerer als bei der vertraglichen: Die normativen Erwartungen, mit denen man es hier zu tun hat, umfassen oft weit weniger als das von den Parteien intendierte vertragliche Leistungsprogramm und sind, wenn ihre Einlösung erkennbar an noch klärungsbedürftige Bedingungen geknüpft ist, nur von vorläufiger Natur. Mit der daraus folgenden Unklarheit über den Vertrag, dessen Zustandekommen eine Partei durch ihr Abrücken von der ursprüngliche bezogenen Verhandlungsposition vereitelt hat, wächst zugleich die Unsicherheit über die Legitimität des Verhandlungsabbruchs, denn die Kosten des Abbruchs der Verhandlungen lassen sich nicht mit dem wirtschaftlichen Effekt ihrer Fortführung vergleichen, wenn man letzteren nicht kennt. Die Bruchstückhaftigkeit vorvertraglicher Selbstbindungen schafft noch ein weiteres Folgeproblem: die Gefahr der Haftungsumgehung durch die Provokation eines Verhandlungsabbruchs der anderen Partei. Hat eine Partei sich vorvertraglich auf eine bestimmte Vertragsbedingung – etwa den Stückpreis der von ihr zu liefernden Waren – festgelegt und bereut sie diese Festlegung nun, könnte sie, ohne ihre Festlegung aufzugeben, die Verhandlungen ohne weiteres dadurch zum Scheitern bringen, daß sie in einem anderen, noch ungeklärten Punkt – etwa hinsichtlich der Mindestabnahmemenge – eine Position bezieht, die für die Gegenseite schlechterdings unannehmbar ist. Weist die Gegenseite ein solches Ansinnen erwartungsgemäß zurück, scheint sie sich das Scheitern der Verhandlungen selbst zuzuschreiben haben; ihr Partner ist dagegen äußerlich immer bei dem geblieben, was er gesagt hat. Ein Gericht kann diesen Ausweg nur verbauen, indem es eine hypothetische angemessene Regelung des ungeklärten Verhandlungspunktes rekonstruiert, die ein redlicher Partner in Aussicht gestellt hätte, und eine tatsächliche Abweichung davon als zurechenbaren Verhandlungsabbruch interpretiert 56 . Damit aber befindet sich das Gericht wiederum in der unkomfortablen Lage, die abgebrochenen Verhandlungen im Geiste der Parteien (wenigstens partiell) zu einem gedachten erfolgreichen Ende führen zu müssen. Die Frage, ob man in Anbetracht der Implementierungsprobleme jedes denkbaren Haftungsregimes nicht auf einen effizienten Schutz vorvertraglicher Investitionen verzichten und es bei der »penalty default rule« eines stets sanktionslosen Verhandlungsabbruchs belassen sollte, dürfte gleichwohl mit einem vorsichtigen 55 So die deutsche Rspr. zum Abbruch von Vertragsverhandlungen; beispielsweise BGH 8. 6. 1978, BGHZ 71, 386, 395; näher dazu unten, § 13 II. 56 Dafür Bebchuk/Ben-Shahar, 30 J.Legal Stud. 423, 448 (2001).

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§ 7 Abgrenzung zum Verzicht auf Erwartungsschutz

»Nein« zu beantworten sein: Jedenfalls die Hindernisse, die sich einer rechtssicheren Handhabung einer auf vorvertragliche Selbstbindungstatbestände gestützten Pflicht zum Ersatz des negativen Interesses entgegenstellen, lassen sich auf ein überwindliches Maß reduzieren, wenn man sich nur davor hütet, jegliches, auch noch so vage normative Erwartungen weckende Verhalten (etwa die in einem frühen Verhandlungsstadium gegebene Versicherung, man komme ganz sicher miteinander ins Geschäft) im Enttäuschungfall zu sanktionieren. Zumindest dann, wenn der abzuschließende Vertrag in den Äußerungen einer oder beider Parteien bereits mit Deutlichkeit zu erkennen ist, scheint der Aufwand vorvertraglichen Investitionsschutzes nicht so groß zu sein, daß er den dadurch ermöglichten Effizienzgewinn übersteigt.

3. Vom nicht abgeschlossenen zum nicht erwartungsgerechten Vertrag Alle bisherigen Überlegungen hatten den Fall eines ergebnislosen Abbruchs der Vertragsanbahnung zum Gegenstand. Kommt ein Vertrag zustande, ist es auf den ersten Blick nicht notwendig, über Möglichkeiten vorvertraglicher Haftung zum Schutz von Vertrauensinvestitionen nachzudenken: Die Vertragsbruchsanktionen sollten so eingerichtet sein (und sind es im großen und ganzen auch), daß sie beiden Seiten angemessenen Investitionsschutz bieten 57. Haben also beide Seiten das riskante Stadium der Vertragsverhandlungen hinter sich gelassen und ihre wechselseitigen Erwartungen an die Transaktion in die Gestalt eines Vertrags gebracht, scheint sich der Rückgriff auf jede Form außervertraglicher Haftung zu erübrigen. Daran ist für den Normalfall nicht zu zweifeln: Normative Erwartungen, die vorvertragliches Verhalten der einen Partei bei der anderen geweckt hat und die dieser Partei zu Vertrauensinvestitionen Anlaß geben, gehen regelmäßig in das vertragliche Pflichtenprogramm ein und haben damit am vertragsrechtlichen Schutz teil. So liegt es etwa, wenn auf die oben als Beispiel angeführte Versicherung, ein Grundstück zu einem bestimmten Preis verkaufen zu wollen, der Abschluß eines formwirksamen Kaufvertrags dieses Inhalts folgt – der Käufer, der nun die Erfüllung erzwingen kann58 , muß nicht mehr darum fürchten, daß seine vor der Übereignung getätigten Investitionen durch fehlende Kooperationsbereitschaft des Verkäufers entwertet werden. Das rechtspolitische Anliegen, effiziente Vertrauensinvestitionen zu ermöglichen, ist damit befriedigt 59. Nicht immer jedoch bildet der am Ende der Vertragsanbahnung stehende Vertrag die während der Verhandlungen gebildeten Erwartungen der Parteien voll57

Siehe oben, § 6 II. Beim Grundstückskauf gewährt auch das Common Law »specific performance«; dazu statt vieler für das englische Recht Treitel, Contract, S. 1020 f.; für das amerikanische Recht Calamari/Perillo, Contracts, S. 614. 59 Unabhängig von den rechtspolitischen Vorgaben mag man allerdings aus systemspezifischen Erwägungen (etwa zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen) dazu kommen, die Koexistenz vertraglicher und vorvertraglicher Haftung zuzulassen. 58

II. Normativitätsstiftendes Verhalten im zeitlichen Kontext der Vertragsanbahnung 219

ständig ab. Teilweise ist dies auf die Schwierigkeit zurückzuführen, die Spezifika einer individuellen Transaktion mit regelhaft anwendbaren rechtlichen Begriffen zu erfassen, sie also etwa einem bestimmten Vertragstyp mit einem standardisierten Pflichtenprogramm zuzuordnen, ohne den Parteien ein unpassendes Regelungsregime aufzuoktroyieren. Diese Schwierigkeit ist überwindbar: Instrumente wie der subjektive Fehlerbegriff verschaffen dem dispositiven Recht die Beweglichkeit, die erforderlich ist, um marktförmige Kooperation funktional angemessen, d. h. möglichst unabhängig von externen Vorgaben über die »Richtigkeit« der Transaktion, zu unterstützen. Teilweise ist eine Diskrepanz zwischen dem Vertragsinhalt und den normativen Erwartungen einer Partei (und zwar auch solchen, die von der anderen Seite zurechenbar veranlaßt wurden) aber unvermeidlich, nämlich dann, wenn diese Erwartungen über das hinausgehen, was sinnvollerweise als vertragliche Leistungserwartung identifiziert und damit in den Schutzbereich der auf die Verwirklichung des Erfüllungsinteresses gerichteten Sanktionen des Vertragsrechts einbezogen werden kann. Unter dieser Voraussetzung stellt sich, nicht anders als beim Scheitern der Vertragsanbahnung, die Frage, ob eine normative Erwartung einer Partei, die nicht Vertragsgegenstand geworden ist, rechtlich unbeachtlich bleiben oder ob eine außervertragliche Haftung der anderen Seite für ihre normativitätsstiftenden Äußerungen und Verhaltensweisen ergänzenden Schutz bieten sollte. Im deutschen Recht wie auch im Common Law ist diese Abstufung geläufig: So ist, um an ein Beispiel aus dem deutschen Kaufrecht anzuknüpfen60 , die durch eine entsprechende Versicherung des gewerblichen Verkäufers einer Eigentumswohnung geweckte Erwartung des Käufers, Zinsen und Tilgung für das zur Kaufpreisfinanzierung aufgenommene Darlehen seien aus den Mieteinnahmen und Steuervergünstigungen zu finanzieren, weder durch den Kaufvertrag noch durch einen Beratungsvertrag geschützt. Sie ist indes nicht unerheblich, sondern fi ndet im Rahmen vorvertraglicher Informationshaftung Beachtung, welche das Vertrauensinteresse des Käufers (einschließlich seines Interesses an der Befreiung von der nicht erwartungsgerechten vertraglichen Bindung 61) schützt. Das Pendant im englischen Recht für diese zwischen unbeachtlichen Anpreisungen (»puffs«) und vertraglichen Bestimmungen (»terms«) stehende Kategorie nomativitätsstiftenden Verhaltens ist die »representation«62 : Wer im Vorfeld eines Vertragsabschlusses Erklärungen über Tatsachen abgibt, die darauf gerichtet sind und auch bewirken, daß der Empfänger einen Vertrag abschließt, ohne daß die Erklärung selbst (zunächst63) Vertragsbestandteil wird, haftet, wenn sich die Erklärung als falsch er60

BGH 26. 9. 1997, NJW 1998, 302. So jedenfalls die – nicht unumstrittene – Rspr. des BGH (wie vorige Fn.); näher dazu unten, § 10 II 3. 62 Dazu etwa Goode, Commercial Law, S. 81 f.; aus dem deutschen rechtsvergleichenden Schrifttum Kircher, Sachmängelhaftung, S. 76. 63 Von »representation« kann also auch dann die Rede sein, wenn die so bezeichnete Äußerung später Vertragsbestandteil wird; Goode, Commercial Law, S. 107. Wohl nur ungenau ist die 61

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§ 7 Abgrenzung zum Verzicht auf Erwartungsschutz

weist, zwar nicht wegen »breach of contract«. Doch kann sein Gegenüber die Aufhebung des Vertrags64 und, bei Hinzutreten weiterer Voraussetzungen, deliktischen Schadensersatz verlangen65. Ungeachtet etwaiger Probleme einer mit dem jeweiligen Rechtssystem konformen Formulierung und Einordnung dieser Haftung »unterhalb« des Vertrags66 dürfte ihre rechtspolitische Legitimation im Rahmen einer marktfunktionalen Selbstbindungskonzeption durch die gleichen Erwägungen abzusichern sein, wie sie zur Haftung beim Scheitern der Vertragsanbahnung vorgetragen wurden: Einerseits werden effiziente Vertrauensinvestitionen vereitelt, wenn durch vorvertragliches Verhalten zurechenbar geweckte normative Erwartungen sanktionslos enttäuscht werden können. Andererseits drohte solches Verhalten infolge übermäßiger Sanktionierung (durch den Schutz des Erfüllungsinteresses) auf ein ineffizientes Niveau gedrosselt zu werden, wenn man es bedenkenlos in den Rang eines vertraglichen Versprechens erhöbe. Man wird daher normativitätsstiftenden Verhaltensweisen im Vorfeld des Vertragsschlusses, auf die vertragsrechtliche Sanktionen keine Anwendung finden sollten, am ehesten gerecht, wenn man sie – unter der Voraussetzung, daß die geweckten Erwartungen hinreichend bestimmt und für ein Gericht feststellbar sind – als Selbstbindungstatbestände ansieht, die im Enttäuschungsfall Sanktionen zum Schutz des negativen Interesses auslösen. Das gilt unabhängig davon, ob am Ende der Vertragsanbahnung überhaupt kein oder nur ein unvollständiger vertraglicher Schutz der vorvertraglich gebildeten Erwartungen steht. Die Haftung für vorvertragliche Selbstbindungen beim Abschluß eines für die andere Seite nicht erwartungsgerechten Vertrags kann daher ihrer Funktion nach als eine Verantwortlichkeit für das partielle Scheitern der Vertragsanbahnung beschrieben werden. Anders als in den Fällen, in denen kein Vertrag zustande gekommen ist, mag allerdings beim Abschluß eines nicht erwartungsgerechten Vertrags ein gangbarer Weg zum Erwartungsschutz auch in der Konstruktion einer heteronom begründeten Haftung liegen: Während bei völligem Fehlen eines Vertrags die dazu erforderliche Rekonstruktion des hypothetischen Vertrags, den die Parteien bei loyalem Verhandlungsverhalten abgeschlossen hätten, mit hoher Wahrscheinlichkeit in haltloser Spekulation endet67, bietet hier der tatsächlich von abweichende Formulierung (»not part of the contract«) bei Atiyah/Adams/MacQueen, Sale of Goods, S. 86. 64 Sogenannte »rescission«; näher zu den im Misrepresentation Act 1967 geregelten Modalitäten Atiyah/Adams/MacQueen, Sale of Goods, S. 529 ff.; Goode, Commercial Law, S. 108 f.; Kircher, Sachmängelhaftung, S. 78 ff. 65 Außer in Fällen der »fraudulent misrepresentation« (d. h. bei Arglist und grober Fahrlässigkeit), in denen die »action of deceit« eröffnet ist, kann Schadensersatz auch bei fahrlässigen Falschbehauptungen wegen Verletzung einer »duty of care« (dazu grundlegend Hedley Byrne Co Ltd v. Heller & Partners Ltd, [1964] AC 465) oder nach s. 2(1) Misrepresentation Act 1967 verlangt werden; näher dazu Kircher, Sachmängelhaftung, S. 80 ff. 66 Dazu unten, § 13 III. 67 Dazu oben, Abschnitt II 2 b aa.

III. Normativitätsstiftendes Verhalten im sozialen Kontext

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den Parteien geschlossene Vertrag eine Grundlage, an die ein Gericht Folgerungen über den hypothetischen, erwartungsgerechten Vertrag anschließen kann. Das heißt: Autonome und heterenome Mechanismen zum Schutz der im Vertrag nicht verwirklichten Erwartung einer Partei sind in dieser Hinsicht austauschbar – ist ein Vertrag für eine Partei nicht erwartungsgerecht ausgefallen, läßt sich der Schutz der enttäuschten Partei sowohl darauf gründen, daß die andere Partei die enttäuschte Erwartung in zurechenbarer Weise hervorgerufen hat (autonome Bindung), als auch darauf, daß ein hypothetischer, insgesamt nutzenmaximierender Vertrag dieser Erwartung Rechnung getragen hätte (heteronome Bindung).

III. Normativitätsstiftendes Verhalten im sozialen Kontext außerrechtlicher Sanktionsmechanismen Die Einsicht, daß das Gelingen zwischenmenschlicher Kooperation nicht allein vom Einsatz rechtlicher Sanktionen abhängt, hat erst vergleichsweise spät, dafür aber um so stärker die Aufmerksamkeit derjenigen gefunden, die das Recht als ökonomisches Steuerungsinstrument verstehen: Hatte die ökonomische Analyse des Rechts in ihrer Frühphase noch den Eindruck erweckt, als ob Kooperation ohne rechtliche Steuerung stets zum Scheitern verurteilt sei, so ordnen manche die nunmehr stattfindende Einbeziehung verhaltenslenkender, außerrechtlicher »social norms«, die in der soziologisch informierten Rechtswissenschaft stets eine Rolle gespielt haben68 , in das rechtsökonomische Forschungsprogramm bereits als einen Paradigmenwechsel ein69. Dabei hat die Frage des Zusammenspiels außerrechtlicher Sanktionen mit den Instrumenten privatrechtlicher Selbstbindung bisher keine überragende, aber immerhin eine gewisse Rolle gespielt70. Die folgenden Ausführungen nähern sich der Beantwortung dieser Frage in zwei Schritten: Den ersten Schritt bildet die Analyse von Mechanismen, die jenseits des Privatrechts dafür sorgen, daß Kooperation funktioniert (dazu a), den zweiten die Bewertung ihres Verhältnisses zum Einsatz der Sanktionen, die an das Vorliegen privatrechtlicher Selbstbindungstatbestände geknüpft sind (dazu b).

68 Vgl. nur die Beiträge zur Theorie der »relational contracts«; dazu näher oben, § 4 III 2 c ccc, sowie unten, Abschnitt 1 b bb. Einen Überblick über acht verschiedene, teilweise nur von einzelnen Wissenschaftlern, teilweise von »scholarly clusters« geprägten Ansätze zum Verhältnis zwischen Recht und informeller sozialer Kontrolle bietet Ellickson, 27 J.Legal Stud. 537, 546 ff. (1998). 69 Eine »schwache Form« des Paradigmenwechsel im Sinne Kuhns sieht jedenfalls Ellickson, 27 J.Legal Stud. 537, 538 (1998), in einem Beitrag zu einer Tagung der Chicago Law School über »Social Norms, Social Meaning, and the Economic Analysis of Law«; dagegen allerdings R. Posner, 27 J.Legal Stud. 553, 564 f. (1998) in einem Beitrag zu der selben Tagung. 70 Weiterführend sind insbesondere die Beiträge von Bernstein, 99 Mich.L.Rev. 1724 ff. (2001); Charny, 104 Harv.L.Rev. 373 ff. (1990); Cooter/Porat, 30 J.Legal Stud. 401 ff. (2001); E. Posner, Law and Social Norms, S. 148 ff.

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§ 7 Abgrenzung zum Verzicht auf Erwartungsschutz

1. Erscheinungsformen außerrechtlicher Kooperationssicherung Die vorangehenden Ausführungen zur Sanktionsauswahl haben stets ein und dasselbe Thema variiert: Die Bewertung normativitätsstiftenden Verhaltens als privatrechtliche Selbstbindung, deren Nichteinhaltung haftungsrechtliche Sanktionen nach sich zieht, soll dem Zweck dienlich gemacht werden, die Anreizsituation für rationale Akteure so zu gestalten, daß sie zu beiderseitig nutzensteigernder Kooperation bereit sind. Wie bereits bei der Grundlegung der marktfunktionalen Selbstbindungskonzeption aufgezeigt wurde71, sind alternative Lösungen des Kooperationsproblems allerdings ohne weiteres denkbar: Es bedarf nur irgendeiner Gestaltung der Anreize, die vermeidet, daß die Akteure die Nichtkooperation der Kooperation nur deshalb vorziehen, weil sie opportunistisches Verhalten der anderen Seite fürchten. Hierzu mögen primitivste Mittel – die Konfliktaustragung im Duell, die Verhängung körperlicher Strafen und überhaupt jede denkbare Androhung hinreichend abschreckender Übel für den Streitfall72 – genügen. Von Interesse für die hier verfolgte Fragestellung sind indes nur solche Lösungen, die das Kooperationsproblem potentiell effizienter, und das heißt: mit geringeren sozialen Kosten bewältigen als das Privatrecht. Anwärter hierfür sind solche Mechanismen, die kooperationsbereiten Akteuren zum Erfolg verhelfen, ohne dafür auf den – für die Parteien und die Allgemeinheit kostspieligen – Einsatz des Staates in justizförmigen Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren angewiesen zu sein, dessen das Privatrecht bedarf. Damit ist nicht die vor dem Hintergrund staatlicher Anerkennungs- und Vollstreckungsmöglichkeiten erfolgende schiedsgerichtliche Streitbeilegung gemeint, sondern die im eigentlichen Sinne autonome, nämlich von der Existenz staatlicher Sanktionsgewalt gänzlich unabhängige Selbststeuerung von Kooperationsbeziehungen durch die Marktteilnehmer. a) Das Gewissen als moralischer Steuerungsmechanismus »Ordnung ohne Recht«73 wird zweifellos begünstigt, wenn Akteure sich moralische Maßstäbe zueigen gemacht haben, die ihnen gebieten, ein gegebenes Wort zu halten, ganz gleich welchen Nutzen ein Wortbruch ihnen bescheren würde. Ein Markt, dessen Teilnehmer sich nur aus guten Christen oder Kantianern zusammensetzte, bedürfte keines Vertragsrechts, um die Neigung zu opportunistischem Verhalten zu unterdrücken: Die intrinsischen Kosten, die den Marktteilnehmern ihr Gewissen aufbürdete, wenn sie sich nicht an eine Vereinbarung hielten, überwögen jeden Gewinn, den sie aus solchem Verhalten ziehen könnten. Eine einfa-

71

Siehe oben, § 4 III 2 c cc. Der Phantasie E. Posners entstammt das folgende Beispiel (Law and Social Norms, S. 160): Die Parteien vereinbaren, daß ein Regierungsbeamter im Streitfall jeder von ihnen einen Finger abhacken soll. »Neither party cheats, because he believes that the other would retaliate by invoking his right to have the mutual sanction imposed.« 73 So der (ins Deutsche übersetzte) Titel der bekannten Monographie von Ellickson. 72

III. Normativitätsstiftendes Verhalten im sozialen Kontext

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chere Technik außerrechtlicher Kooperationssicherung läßt sich kaum denken74, gleichzeitig aber auch keine, die in schärferem Widerspruch zu der hier verfochtenen Konzeption des Marktes als freiheitssichernder Institution stünde: Der Markt bietet einer pluralistischen Gesellschaft eine Form der Organisation sozialer Beziehungen, in der sich die negative Freiheit ihrer Mitglieder verwirklichen kann75. Damit sind Festlegungen der sich auf dem Markt betätigenden Individuen auf bestimmte moralische Anschauungen auch dann unvereinbar, wenn diese dem Gelingen der Kooperation förderlich sind. Unabhängig davon, wie groß die verhaltenslenkende Wirkung moralischer Selbstbindung auf Märkten tatsächlich ist, verbietet es sich aufgrund dieser normativen Vorgabe von vornherein, die interne Steuerung des Einzelnen durch sein Gewissen für die Infrastruktur von Märkten in Anspruch zu nehmen – weder dürfen Märkte darauf angewiesen sein, daß die darauf agierenden Personen über eine kooperationsfreundliche Gesinnung verfügen, noch sollte man bei der Bemessung privatrechtlicher Sanktionen (buchstäblich) mit der generellen Neigung der Beteiligten rechnen, Verträge zu erfüllen, weil sie ihr Gewissen dazu drängt76 . b) Die sich selbst durchsetzende Kooperation als sozialer Steuerungsmechanismus Es bleibt die Frage, unter welchen Voraussetzungen sich Kooperation als rationale Strategie erweist, ohne daß staatlich gesetzte Anreize auf die Akteure einzuwirken brauchen. Wann ist die Verläßlichkeit des Versprechenden allein aus seinem Gewinnstreben und nicht aus internalisierten moralischen Standards zu erklären? Jedem ist die Sorge um den eigenen Ruf als Antwort vertraut: Wer die normativen Erwartungen, die er im Rahmen eines Geschäfts bei seinem Gegenüber geweckt hat, nicht einlöst, muß u. U. fürchten, bei späteren Geschäftsabschlüssen weder bei diesem noch bei anderen Marktteilnehmern wieder zum Zuge zu kommen. Wenn die (auf die Gegenwart diskontierten) Gewinne aus künftigen Geschäften, die dem Versprechenden wegen seines Reputationsverlusts entgehen, den Nutzen übersteigen, den er aus opportunistischem Verhalten unmittelbar erzielen kann, wird er sich als rationaler Akteur für die Kooperation entscheiden und die in ihn gesetzten Erwartungen erfüllen – er ist, einfacher ausgedrückt, ehrlich, weil es sich lohnt, und nicht, weil es sich so gehört. Unter dieser Voraussetzung werden sich Vereinbarungen, auch ohne daß sie die Parteien als verbindliche Verträge abschließen und damit einer privatrechtlichen Sanktionsandrohung unterstellen, selbst durchsetzen.

74 So fi nden denn auch »feelings of guilt« als Form außerrechtlicher Sanktionierung bei Charny, 104 Harv.L.Rev. 373, 393 (1990), Beachtung. 75 Siehe oben, § 4 III 2 a. 76 In dieser Richtung aber Chen, 16 J.Law Econ.& Organ. 209 (2000), der für seine Vertragsmodellierung »a certain tendency to keep promises« (a.a.O., 210) unterstellt und darunter auch die Orientierung an moralischen Regeln faßt.

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§ 7 Abgrenzung zum Verzicht auf Erwartungsschutz

Die »sich selbst durchsetzende Vereinbarung«77 ist allerdings nicht der Schlüssel zur Lösung jedes Kooperationsproblems. Ob sich rationale Parteien allein deshalb kooperativ verhalten, weil ihnen opportunistisches Verhalten in Anbetracht drohender Einbußen künftiger Gewinne keinen Nutzen bringt, ist, wie sowohl die Theorie als auch die Praxis außerrechtlicher Kooperationssicherung zeigt, an Voraussetzungen geknüpft, deren Vorliegen keine Selbstverständlichkeit ist – bereits Max Weber erkannte, daß »der Satz: ›honesty is the best policy‹ [. . .] natürlich keineswegs universale rationale Richtigkeit und daher auch schwankende empirische Geltung besitzt«78. aa) Theoretische Grundlagen Unter welchen Voraussetzungen Verläßlichkeit, um mit Weber zu sprechen, »rational richtig« ist, läßt sich am besten in Anknüpfung an Untersuchungen aufzeigen, die spieltheoretische Einsichten verarbeiten79. Das Instrumentarium der Spieltheorie erweitert unser Verständnis rationaler Akteure im Hinblick auf strategisches Verhalten, d. h. Verhalten, über das der Akteur mit Rücksicht auf die zu erwartenden Reaktionen anderer Personen entscheidet80. Mit strategischem Verhalten hat man es auch bei sich selbst durchsetzenden Vereinbarungen zu tun (die Parteien kooperieren aufgrund entsprechender Erwartungen an das Verhalten der anderen Seite), und so darf man sich von der Spieltheorie Aufschlüsse über die Funktionsbedingungen sich selbst durchsetzender Vereinbarungen erhoffen. Das ökonomische Verhaltensmodell als Prämisse bleibt dabei unangetastet: Die spieltheoretische Untersuchung strategischen Verhaltens unterstellt Rationalität sowohl auf Seiten der agierenden wie auch auf Seiten der reagierenden Personen. In Abgrenzung zur »einfachen« Rationalität des Handelnden, von der die traditionelle, strategisches Verhalten ausblendende ökonomische Analyse des Rechts ausgeht, mag man diese Annahme als »Hyperrationalität«81 kennzeichnen; doch liegt darin kein Widerspruch zur traditionellen Analyse, sondern nur die konsequente Handhabung des Rationalmodells, wenn man von der Betrachtung isoliert entscheidender Individuen zur deren Interaktion übergeht. Als Ausgangspunkt vergegenwärtige man sich das Kooperationsproblem in dem bereits angesprochenen einfachen Fall eines einmaliges Aufeinandertreffens zwei77 Zur uneinheitlichen Terminologie Richter/Furubotn, Institutionenökonomik, S. 277. Wichtig ist, daß man beim Gebrauch der ökonomischen Terminologie nicht übersieht, daß es nicht um Verträge im Rechtssinne geht. 78 Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 383. 79 Weitere theoretische Ansätze, die das hier behandelte Problem sich selbst durchsetzender Kooperation beleuchten, fi nden sich etwa bei Klein/Leffl er, 89 J.Pol.Econ. 615 ff. (1981); Richter/Furubotn, Institutionenökonomik, S. 276 ff.; Telser, 53 J.Bus. 27 ff. (1980); Williamson, Institutionen, S. 186 ff. Die nachfolgend gewählte Erklärung unter Zuhilfenahme der Spieltheorie hat für die hiesige Untersuchung den Vorteil des ohne weiteres nachvollziehbaren Anschlusses an die allgemeine Darstellung des Kooperationsproblems in § 4 III 2 c aa. 80 Zum Begriff des strategischen Verhaltens Baird/Gertner/Picker, Game Theory, S. 1. 81 R. Posner, Economic Analysis, S. 20.

III. Normativitätsstiftendes Verhalten im sozialen Kontext

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er Marktteilnehmer S und G, die an einem einfachen Leistungsaustausch (Geld gegen Maschine) interessiert sind82. Durch dieses Aufeinandertreffen wird ein Spiel zwischen S und G gestiftet, in dem beide strategisch über ihren jeweiligen »Zug« entscheiden: Vorausgesetzt, daß eine Kooperation für beide Parteien zwar vorteilhaft im Vergleich zur Nichtkooperation wäre, jede Partei aber für sich allein noch größeren Nutzen auf Kosten der anderen Partei erzielen könnte, wenn sie auf deren kooperatives Verhalten mit Nichtkooperation antwortete (also etwa G nach Entgegennahme der Maschine die Zahlung verweigerte oder S sich die Zahlung mit der Lieferung einer unerkennbar mangelhaften Maschine erschliche), entscheiden sich beide Parteien, soweit sie die eigenen Verdienstmöglichkeiten und die der anderen Seite kennen, gegen die Kooperation und damit für eine suboptimale Lösung. Nicht zu kooperieren ist hier die bestmögliche Antwort auf jede Strategie der anderen Seite, sei diese nun auf Kooperation oder auf Nichtkooperation gerichtet. Ein solcher Zustand, in dem keiner der beteiligten Spieler durch eine veränderte Strategie einen höheren Gewinn erwirtschaften kann, kennzeichnet das Nash-Gleichgewicht83. Allein durch die Wiederholung des Vorgangs ändert sich an diesem Ergebnis zunächst einmal nichts. Nur die Aussicht, daß sie außer dem einen noch eine bestimmte Anzahl weiterer Geschäfte miteinander abschließen könnten, wird die Parteien beim ersten Zusammentreffen nicht zur Kooperation bestimmen können: Unabhängig davon, wie groß die Zahl der Gelegenheiten ist, die noch winken, weiß jede Partei, daß es für die andere rational ist, sich bei der letzten Transaktion opportunistisch zu verhalten. Dies wiederum wird sie dazu veranlassen, der anderen Seite zuvorzukommen und bereits beim vorletzten Mal die Kooperation aufzusagen. Diese Rückwärtsinduktion84 wird sich bis zur ersten Tauschgelegenheit fortsetzen, und so bleibt es dabei, daß schon zu diesem Zeitpunkt nur die Verweigerung der Kooperation ein Gleichgewicht herstellt. Daraus läßt sich eine erste Lehre ziehen: Wenn die Parteien wissen, daß es nur zu einer bestimmten Zahl weiterer Geschäfte kommen kann, über deren jeweiligen Ertrag für beide Seiten sie informiert sind, wird sich die Kooperation nicht selbst durchsetzen, und zwar auch dann nicht, wenn die Zahl noch möglicher künftiger Geschäfte sehr hoch sein sollte. Damit die Logik der Rückwärtsinduktion nicht einsetzt, müssen die Parteien – ihr Wissen um die Gewinne aus künftigen Geschäften vorausgesetzt – entweder von einer unbegrenzten Fortsetzung ihres geschäftlichen Kontakts ausgehen oder aber zumindest über dessen Dauer unsicher sein85. Beide Konstellationen, die Wiederholung eines Spiels ohne Ende oder mit ungewissem Ende, werden spieltheoretisch als ein weiteres, aus infiniten Wiederho82

Dazu schon oben, § 4 III 2 c aa. Baird/Gertner/Picker, Game Theory, S. 21. 84 Dazu Baird/Gertner/Picker, Game Theory, S. 158 ff.; Schweizer, Vertragstheorie, S. 169 f. 85 Zur Ausschaltung der Rückwärtsinduktion Baird/Gertner/Picker, Game Theory, S. 165 ff.; Beckert, Grenzen des Marktes, S. 42 f.; Schweizer, Vertragstheorie, S. 170 ff. (mit formaler Darstellung). 83

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lungen des ursprünglichen Spiels bestehendes Spiel modelliert, das Superspiel genannt wird86 . In einer geschäftlichen Beziehung von unbegrenzter Dauer, die als ein solches Spiel beschrieben werden kann, berücksichtigen beide Parteien bei ihrer Verhaltensentscheidung wiederum nicht nur den Gewinn aus der gegenwärtigen, sondern auch aus künftig noch möglichen Transaktionen, und zwar nach Maßgabe eines Diskontfaktors, der dem Umstand Rechnung trägt, daß die Gewinne von morgen (und erst recht die von übermorgen) heute weniger wert sind als gleich hohe Gewinne in der Gegenwart. Außerdem sind die künftigen Gewinne, soweit Unsicherheit über die Fortsetzung der Beziehung (etwa weil der Partner insolvent werden oder zu einem Konkurrenten abwandern könnte) besteht, zusätzlich um einen Wahrscheinlichkeitsfaktor zu diskontieren, damit man den Erwartungswert des künftigen Gewinns erhält87. Kooperation ist unter diesen Bedingungen jedenfalls ein mögliches Ergebnis: Mangels feststehenden Endpunktes ist hier die Rückwärtsinduktion ausgeschlossen, welche stets zur Nichtkooperation als Nash-Gleichgewicht führt. Statt dessen gibt es – dies besagt ein sogenanntes Folk-Theorem88 – viele Gleichgewichte mit ganz unterschiedlichen Ergebnissen. Hierzu gehören auch Strategien bedingter Kooperation. Vielfach behandelte und experimentell erprobte Beispiele sind die Tit-for-tat-Strategie, bei der eine Seite zunächst mit kooperativem Verhalten beginnt und dann bei allen Wiederholungen stets das zuvor von der anderen Seite gezeigte Verhalten wählt, und die Trigger-Strategie, bei der einmalige Nichtkooperation mit dauerhafter Kooperationsverweigerung beantwortet wird89. Beiden ist gemeinsam, daß sie gegenwärtige Kooperation durch die Androhung künftiger Nichtkooperation unterstützen. Ob auf diese Weise Kooperation erreicht wird, hängt maßgeblich davon ab, wie die Parteien die Wahrscheinlichkeit einer Fortsetzung der Beziehung und die daraus u. U. resultierenden künftigen Kooperationserträge bewerten – je höher deren Erwartungswert ist, um so mehr verdienen die Beteiligten an der Kooperation und wird eine entsprechende Strategie wahrscheinlicher90. Umgekehrt gilt: Wer weitere Kooperation für nicht sehr wahrscheinlich und, wenn überhaupt, erst in fernerer Zukunft für möglich hält, wird sich dadurch allein nicht von opportunistischem Verhalten bei der Durchführung der gegenwärtigen Transaktion abhalten lassen; der damit zu erzielende Gewinn wird durch die schädlichen Folgen eines Verlusts künftiger Geschäftschancen nicht aufgezehrt. 86

Baird/Gertner/Picker, Game Theory, S. 167; Beckert, Grenzen des Marktes, S. 41. Baird/Gertner/Picker, Game Theory, S. 168, die den Wahrscheinlichkeitsfaktor bei ihren nachfolgenden Ausführungen in den Diskontfaktor einberechnen. 88 Die Bezeichnung rührt daher, daß niemand als Entdecker des Theorems namentlich benannt werden kann; Baird/Gertner/Picker, Game Theory, S. 307; Beckert, Grenzen des Marktes, S. 41 Fn. 28. 89 Zur Erprobung dieser und anderer Strategien in einem Experiment, das Computerprogramme gegeinander antreten ließ, und den daraus zu ziehenden Schlußfolgerungen Axelrod, Kooperation, passim. 90 Baird/Gertner/Picker, Game Theory, S. 174. 87

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Die Unbegrenztheit oder zumindest Offenheit der Beziehungsdauer und ein hinreichend hoher Erwartungswert künftiger durch Kooperation zu erzielender Gewinne sind indes nicht die einzigen Bedingungen sich selbst durchsetzender Kooperation. Die spieltheoretische Modellierung setzt auch einen bestimmten Informationsstand der Beteiligten voraus: Sie kennen sowohl die bei jeder Begegnung möglichen eigenen Erträge als auch die der jeweils anderen Partei; darüber hinaus sind sie sich des Umstandes bewußt, daß auch diese über den gleichen Kenntnisstand, d. h. das Wissen um die Erträge und das Wissen um den Kenntnisstand der anderen Partei, verfügt91. Besteht insoweit auch nur eine gewisse Unsicherheit, können sich die Aussichten für das Zustandekommen der Kooperation gänzlich verändern. Einerseits mag dadurch Kooperation begünstigt werden. Das eingangs erwähnte Phänomen der Kooperation aus Sorge um die Aufrechterhaltung der eigenen Reputation erlaubt etwa eine Interpretation, die sich solche Unklarheiten zunutze macht92 : Auf einem Markt mag es einige wenige Akteure geben, die in ihre geschäftliche Zukunft viel investiert haben. Aufgrund ihrer Investitionen bewerten sie die Gewinne aus künftiger Kooperation so hoch, daß sie dazu neigen, sich in einer gegenwärtigen Austauschbeziehung loyal zu verhalten, auch ohne daß sie durch die Androhung rechtlicher Sanktionen dazu angehalten werden. Dadurch werden sie für die Marktgegenseite begehrte Partner. Für die große Mehrheit der Akteure mag dies nicht gelten. Dennoch kann es, wenn die Teilnehmer auf der Marktgegenseite zunächst nicht erkennen können, welcher der beiden Gruppen ihr Partner zuzuordnen ist, im Interesse der Mehrheit sein, die Minderheit zu imitieren: Solange die Unklarheit anhält, können sich demjenigen, der dem kooperationsfeindlichen Mehrheitstyp angehört, die Gelegenheiten der kooperationsfreundlichen Minderheit eröffnen, obwohl er deren Investitionen nicht vorgenommen hat. Damit ist es aber von dem Zeitpunkt an vorbei, an dem er erstmals die Kooperation aufsagt – durch diese Handlung wird seine kooperationsfeindliche Haltung entlarvt, und er verliert die Gunst der nun über seine wahre Natur aufgeklärten Marktgegenseite. Andererseits können Informationsdefizite verhindern, daß eine Kooperationsstrategie sich selbst durchsetzt. Verfügt eine Partei nicht einmal über ausreichende Erkenntnismittel, um beurteilen zu können, ob sich ihr Gegenüber bei einer abgeschlossenen Transaktion opportunistisch verhalten hat, ist sie nicht imstande, eine Strategie bedingter Kooperation durchzuhalten, welche voraussetzt, daß man die Reaktion der anderen Seite identifzieren kann93. Bereits in einer stabilen Zweipersonenbeziehung (z. B. im Fall versteckt mangelhafter Warenlieferungen im Rahmen einer langfristigen Bezugsvereinbarung) ist dies denkbar. Regelmäßig (d. h. 91 Diese Annahme wechselseitigen Wissen um das Wissen der anderen Seite wird »common knowledge« genannt; Baird/Gertner/Picker, Game Theory, S. 304. 92 Zu der folgenden Überlegung Baird/Gertner/Picker, Game Theory, S. 178 ff. 93 Beckert, Grenzen des Marktes, S. 44.

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§ 7 Abgrenzung zum Verzicht auf Erwartungsschutz

wenn man sich nicht gerade einem Monopolisten gegenübersieht) können marktmäßige Transaktionen aber nicht nur mit ein und demselben Partner, sondern mit einer mehr oder weniger großen Vielzahl von Personen zustandekommen. Die wechselseitige Überwachung und damit auch die Ahndung unkooperativen Verhaltens ist hier weitaus schwieriger als in der Zweipersonenbeziehung: Hat etwa ein Marktteilnehmer bei der Durchführung eines Geschäfts einen Kunden betrogen, so wird der nächste Kunde, mit dem er in Kontakt tritt, darauf nicht reagieren können, wenn er von dem Vorfall nichts erfährt. Atomistisch strukturierte Märkte, auf denen die Tauschpartner der Anbieter- und Nachfragerseite ständig wechseln und Vorkommnisse opportunistischen Verhaltens den nicht betroffenen Marktteilnehmern unbekannt bleiben, bieten sich selbst durchsetzender Kooperation daher keine Chance. Doch je kleiner die Zahl der Marktteilnehmer ist, je kontinuierlicher sich ihre geschäftlichen Kontakte gestalten und/oder je funktionsfähiger die Mechanismen der Informationsbeschaffung und -übertragung sind94, desto wahrscheinlicher ist es, daß sich Einsichten aus der Betrachtung des infinit wiederholten Spiels in der Wirklichkeit der Märkte wiederfinden lassen. bb) Tatsächliche Verbreitung Die letzte Bemerkung leitet über zur Empirie: Inwieweit läßt sich anhand tatsächlichen Marktgeschehens nachweisen, daß Kooperation unabhängig von der Verhängung rechtlicher Sanktionen gegen »Abtrünnige« allein aus rationalem Eigeninteresse stattfindet? Anschauungsmaterial findet man zunächst dort, wo es das Anliegen rechtlicher Regulierung ist, Kooperation zu unterbinden und nicht zu unterstützen: im Bereich der Kartelle. Straf- oder bußgeldbewehrte kartellrechtliche Verbote wie Art. 81 EGV, § 1 GWB oder sec. 1 Sherman Act nehmen nicht nur verbotswidrigen Verträgen ihre rechtliche Wirksamkeit, sondern richten sich auch gegen außervertragliche Verhaltensabstimmungen, die den Wettbewerb beschränken. Kooperation, die sich in solch feindlichem rechtlichen Kontext zu entwickeln und zu behaupten weiß, muß sich robusten außerrechtlichen Anreizen verdanken. Während aus Sicht des Kartellrechts spieltheoretische Ansätze von Interesse sein können, um Kriterien für den indirekten Nachweis von wettbewerbswidrigen Verhaltensabstimmungen über Indizien zu formulieren95, kann also auch umgekehrt die – trotz langjähriger kartellrechtlicher Bekämpfung – immer noch nicht geringe Zahl direkt bewiesener Kartellsachverhalte als Bestätigung für die spieltheoretisch postulierte Möglichkeit außerrechtlich gewährleisteter Kooperation angeführt werden. Eine genauere Analyse, die jedoch den Rahmen dieser Untersuchung sprengte, würde möglicherweise auch eine Bestätigung der These liefern, daß die Beja94 Zu »signaling« und »screening« als Mechanismen der Übertragung bzw. Beschaffung privater, nicht verifizierbarer Informationen ausführlich Baird/Gertner/Picker, Game Theory, S. 122 ff.; zur Defi nition siehe oben, § 5 III 1 b. 95 Dazu etwa Yao/DeSanti, 38 Antitrust Bull. 113 ff. (1993); Zimmer, ZHR 154 (1990), 470 ff.

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hung der Frage, ob Kooperation sich selbst durchsetzt (also einigermaßen stabile Kartelle zustande kommen), von Faktoren abhängt wie der Zahl der Teilnehmer (oligopolistische Marktstruktur), der Kontinuität ihrer Zusammensetzung (hohe Marktzutrittsschranken), der Höhe des Diskontfaktors (mit gewisser Wahrscheinlichkeit zu erwartende Monopolrenten in signifikanter Höhe) und vor allem auch der Zugänglichkeit von Informationen über das zurückliegende Verhalten der anderen Teilnehmer (Markttransparenz) 96 . Für die nachfolgende Bewertung des Verhältnisses zwischen außerrechtlicher und vertragsrechtlicher Kooperationssicherung sind allerdings die Fälle von größerem Interesse, in denen die Beteiligten von der Möglichkeit, einen rechtlich durchsetzbaren Vertrag zu schließen, keinen Gebrauch machen und es vorziehen, sich statt dessen auf die Wirkung sozialer Steuerung zu verlassen – eine solche Entscheidung der Beteiligten deutet, sofern sie nicht unter Defekten (wie z. B. Informationsmängeln) leidet, auf einen Effizienzvorteil der außerrechtlichen Sicherung hin. Eine marktübergreifende Pionierstudie Macaulays kam insoweit zu einem in der Lehre von den »relational contracts«97 nachhallenden Ergebnis: Bei der Gestaltung geschäftlicher Beziehungen sei der Vertrag in Anbetracht effektiver außerrechtlicher Sanktionen in den meisten Fällen unnötig 98. Die dafür zusammengetragenen Belege sprechen indes eine weitaus weniger eindeutige Sprache: Zum einen stellte Macaulay fest, daß die Parteien bei der Begründung einer Austauschbeziehung oft viele Fragen ungeregelt lassen, sich also etwa nur auf bestimmte Merkmale des Leistungsgegenstands einigen, ohne Fragen wie das Auftreten von Leistungshindernissen, die Folgen einer Schlechtleistung und die ggf. zu verhängenden rechtlichen Sanktionen ausdrücklich zu regeln99. Das ist aber nichts anderes als der Befund, daß in einer transaktionskostenbehafteten Welt vollständige Verträge praktisch nicht vorkommen. Daran läßt sich ebensogut die Folgerung knüpfen, daß es einer interessengerechten Vervollständigung rudimentärer Vereinbarungen durch dispositives Recht und (ergänzende) Auslegung bedarf100 und daß das amerikanische Vertragsrecht in Anbetracht gewisser Förmlichkeiten (man denke nur an das Erfordernis der consideration und das Schriftformerfordernis in der Tradition des Statute of Frauds101) diesem Bedarf offensichtlich nicht voll

96 Ansatzpunkt könnte etwa eine auf einen bestimmten Zeitaum bezogene Querschnittsuntersuchung der von der Kommission aufgedeckten, gegen Art. 81 EGV verstoßenden Kartellsachverhalte sein. 97 Dazu schon oben, § 4 III 2 c cc. 98 Macaulay, 28 Am.Soc.Rev. 55, 63 (1963). Daran knüpft außer Macaulay selbst in seinen späteren Arbeiten (dazu sein Rückblick in: Franchising and the Law, S. 179, 188 ff.) v. a. Macneil an, so etwa in New Social Contract, S. 93. 99 Macaulay, 28 Am.Soc.Rev. 55, 56 ff. (1963). 100 Siehe oben, § 4 III 2 c bb. 101 Zum Statute of Fraud siehe unten, § 12 I 2 b bb.

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gerecht wird102. – Zum anderen verwies Macaulay auf den Umstand, daß die Erledigung von Streitigkeiten und etwa erforderliche Anpassungen einer bestehenden Geschäftsbeziehung von den Partnern angeblich103 regelmäßig ohne rechtlichen Beistand und ohne die Einschaltung eines Gerichts zuwege gebracht werden104. Doch daraus auf die geringe Relevanz der Möglichkeit justizieller Konfliktbewältigung für das Verhalten von Geschäftspartnern zu schließen, ist ebensowenig zulässig, wie aus dem seltenen Schußwaffengebrauch der Polizei die Überflüssigkeit der Bewaffnung herzuleiten – die ultima ratio einer gerichtlich durchsetzbaren, vertragsrechtlichen Sanktion wirkt disziplinierend, auch ohne daß man sie anwendet. Märkte, auf denen Transaktionen tatsächlich weitestgehend ohne Inanspruchnahme vertragsrechtlicher Mechanismen durchgeführt werden, sind vielmehr nur in besonders gelagerten Fällen nachgewiesen worden. Dokumentierte Beispiele sind – wenn man einmal von historischen Praktiken organisierter Kaufmannschaften absieht105 – der Diamanten- und der Baumwollhandel106 oder der Handel innerhalb ethnisch homogener Einwanderergruppen in den USA107. Daß es sich bei Märkten, deren Teilnehmer bereit sind, sich bei ihren Geschäften auf das außervertragliche Ehrenwort ihres Gegenübers zu verlassen, um solche mit den selben Strukturen handelt, welche die Anfälligkeit für die Bildung von Kartellen begründen, liegt nach dem zuvor Gesagten auf der Hand – es geht jeweils um Ausprägungen einer sich unter bestimmten, im infinit wiederholten Spiel erkennbaren Marktbedingungen selbst durchsetzenden Kooperationsstrategie, mit dem einzigen, allerdings für die rechtspolitische Bewertung entscheidenden Unterschied, daß diese in dem einen Fall zur Erzielung von Monopolrenten und in dem anderen zur transaktionskostensparenden Allokation der gehandelten Güter eingesetzt wird. Von größerer praktischer Relevanz als die Extremfälle, in denen Marktteilnehmer nahezu völlig unabhängig von vertragsrechtlicher Steuerung agieren, sind außerrechtliche Kooperationsmechanismen, die sich »im Schatten des Rechts«108 bewegen, also ergänzend oder ersetzend neben den vertragsrechtlichen Schutz normativer Erwartungen treten. Ein plastischer Anwendungsfall für sich selbst durchsetzende Kooperation auf Märkten, die grundsätzlich durch rechtsförmige 102 Zur Kompensation dieses Defi zits durch die Figur des promissory estoppel siehe oben, §§ 3 II 1 a bb; 4 III 3 a aa. 103 Macaulay beruft sich zur Begründung dieses Befunds vor allem auf Selbstzeugnisse der befragten Personen. 104 Macaulay, 28 Am.Soc.Rev. 55, 60 ff. (1963). 105 E. Posner, Law and Social Norms, S. 149, verweist etwa auf genuesische und venezianische Kaufleute sowie lombardische Bankiers in der frühen Neuzeit. 106 Zum Diamantenhandel Bernstein, 21 J.Legal Stud. 115 ff. (1992); zum Baumwollhandel dies., 99 Mich.L.Rev. 1724 ff. (2001). 107 E. Posner, Law and Social Norms, S. 149 mit weiteren Nachw. 108 Williamson, Institutionen, S. 191, in Anknüpfung an den Titel eines (der Ehescheidung gewidmeten) Aufsatzes von Mnookin/Kornhauser, 88 Yale L. J. 950 (1979).

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Transaktionen geprägt sind, ist die Reputation als Durchsetzungsmechanismus für Qualitätserwartungen, die Verbraucher im Hinblick auf Markenprodukte hegen109 : Unabhängig von einer vertraglichen Beziehung zum Hersteller oder – so der Regelfall – zu zwischengeschalteten Vertriebsmittlern, die solchen Erwartungen rechtlichen Schutz in Gestalt von Mängelgewährleistungsrechten vermittelt, kann sich dem Hersteller des Produkts u. U. schon aufgrund von Investitionen, die er in die Schaffung eines guten Rufs fließen ließ, der Anreiz bieten, hohe Qualitätserwartungen der Verbraucher einzulösen. Wenn der Hersteller die Verbraucher zwar kurzfristig sanktionslos mit einer schlechteren als der erwarteten Qualität überraschen kann (weil diese den Qualitätsmangel erst nach dem Kauf feststellen), aber eine genügend große Zahl von Personen den beim Verbrauch offenbar werdenden Mangel (entweder selbst oder vermittelt durch die Aufklärungsarbeit von Massenmedien, Verbraucherschutzorganisatonen oder Behörden) zu erkennen vermag, wird sich der Hersteller für die Aufrechterhaltung der hohen Qualität entscheiden, soweit die Reputationsrente (der Gegenwartswert der bei Wahrung der Reputation erzielbaren Gewinne), die er durch eine Qualitätssenkung infolge der Abwanderung von Kunden zu verlieren droht, die dadurch bewirkte Einsparung von Produktionskosten übersteigt. Dieser Befund läßt sich verallgemeinern: Das »reputational monitoring« als sozialer Mechanismus zur Durchsetzung normativer Erwartungen kann generell auf Märkten zum Tragen kommen, auf denen sich die Information über nichtkooperatives Verhalten eines Teilnehmers hinreichend gut verbreitet und solches Verhalten von der Marktgegenseite mit Kooperationsentzug (nach dem Muster der Trigger- oder der Tit-for-Tat-Strategie im infinit wiederholten Spiel) geahndet wird. Was für die Beziehung zwischen Markenherstellern und Verbrauchern gilt, läßt sich beispielweise ebensogut anhand der Beziehung zwischen Gläubigern und Schuldnern auf Kapitalmärkten aufzeigen110 : Wer zur Unternehmensfinanzierung Fremdkapital – etwa durch die Emission einer Anleihe – in Anspruch nimmt, wird, wenn er sich nicht durch drohende Sanktionen daran gehindert sieht, dazu neigen, Risiken über das den Unternehmenswert maximierende und damit auch für den Gläubiger akzeptable Maß hinaus einzugehen111. Nicht anders als die vom Verbraucher erwartete Produktqualität kann auch der vom Gläubiger erwartete Umgang des Schuldners mit dem ihm zur Verfügung gestellten Kapital vertraglich geregelt werden, um solch opportunistisches Verhalten zu verhindern112. Aber unabhängig davon spricht der Kapitalmarkt sein Urteil über den Schuldner: Die dort tätigen Investoren werden, solange nur dafür gesorgt ist, daß ihnen (direkt oder über Intermediäre) ausreichende Informationen zugänglich sind113, auf opportu109

Zum folgenden Richter/Furubotn, Institutionenökonomik, S. 276 ff. Zum folgenden Charny, 104 Harv.L.Rev. 375, 414 ff. (1990). 111 Dazu Jackson/Kronman, 88 Yale L. J. 1143, 1149 f. (1979); Levmore, 92 Yale L. J. 49, 52 f. (1982). 112 Beispiele bei Smith/Warner, 7 J.Fin.Econ. 117 ff. (1979). 113 Vgl. zu den dies absichernden rechtlichen Mechanismen und ihren ökonomischen Hinter110

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nistisches Schuldnerverhalten, das die Rückgewähr des Fremdkapitals gefährdet, mit einer verringerten Bereitschaft zur Überlassung weiterer Mittel reagieren – jenseits rechtlicher Sanktionen bezahlt der Schuldner also die Entäuschung der Gläubigererwartung mit einer Erhöhung seiner Kapitalkosten, wenn nicht sogar mit dem völligen Versiegen des Fremdmittelzuflusses. Ist dieser Preis höher als der Gewinn, den der Schuldner dadurch erzielen kann, daß er das ihm zur Verfügung stehende Fremdkapital unter Vernachlässigung des Gläubigerinteresses aufs Spiel setzt, wird er auf die Effizienz des Kapitaleinsatzes achten, auch ohne dazu vertraglich verpflichtet zu sein.

2. Das Verhältnis der privatrechtlichen zur außerrechtlichen Kooperationssicherung Die Feststellung, daß rationale Akteure unter bestimmten Bedingungen auch unabhängig von rechtlichen Sanktionen zur Kooperation bereit sind und Markttransaktionen daher auch dann gelingen können, wenn sie nicht oder nicht vollständig vertragsrechtlich abgesichert sind, scheint zunächst ohne größere Bedeutung für die rechtspolitische Fundierung privatrechtlicher Selbstbindungstatbestände zu sein. Soweit es der Wahl der Parteien überlassen ist, ob und in welchem Umfang sie ihre Beziehung dem Privatrecht unterstellen, kann es nämlich auf den ersten Blick nicht zu Abstimmungsproblemen zwischen den Anreizeffekten rechtlicher und außerrechtlicher Sanktionen kommen: Wenn die Parteien eine informierte und für Dritte (also insbesondere im Streitfall angerufene Gerichte) klar erkennbare Entscheidung darüber getroffen haben, ob das, was sie vereinbart haben, privatrechtlich bindend sein soll oder nicht, erübrigt sich jede Spekulation darüber, welche Form der Kooperationssicherung im jeweiligen Fall für optimale Ergebnisse sorgt. So würde z. B. niemand die rechtliche Verbindlichkeit der expliziten vertraglichen Garantie bestimmter Qualitätsmerkmale eines Kaufgegenstands mit der Begründung ablehnen wollen, daß bereits die Sorge des Verkäufers um seinen guten Ruf die Einhaltung der vereinbarten Standards garantiere. Und umgekehrt sollte die Durchsetzung eines »Edelmannswortes«, über das einen formgültigen Vertrag zu schließen beide Parteien bewußt unterlassen haben, grundsätzlich allein dem Reputationsmechanismus überlassen bleiben114. Doch nicht selten lassen die Parteien einer Vereinbarung offen, ob ihre Selbstverpflichtung überhaupt privatrechtlich oder nur sozial sanktioniert sein soll. Hier gewinnt die rechtspolitische Aufgabe der Sanktionsauswahl zusätzliche Komplexität: Während im vorangehenden Abschnitt der Untersuchung die Erforderlichgründen die Beiträge von Merkt, Hopt und Grundmann/Kerber, in: Party Autonomy, S. 230 ff., 246 ff., 264 ff. 114 So auch RG 21. 5. 1927, RGZ 117, 121, in dem berühmten Fall, in dem die nach § 313 BGB a. F. (§ 311b I BGB) erforderliche Beurkundung eines Grundstücksgeschäfts unterblieben war, weil der Grundstückseigentümer sein »Edelmannswort« für genügend erklärte. Näher zu den haftungsrechtlichen Folgen von Formverstößen unten, § 12 II 4.

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keit einer privatrechtlichen Sanktion unterstellt und allein diskutiert wurde, ob der Schutz des positiven oder der Schutz des negativen Interesses den Interessen rationaler Parteien eher gerecht wird, ist nun zu fragen, ob nicht im Einzelfall – nämlich dann, wenn die sozialen Voraussetzungen sich selbst durchsetzender Kooperation gegeben sind – auf die Vervollständigung der Vereinbarung um rechtliche Sanktionen für den Fall der Nichterfüllung verzichtet115 oder bei ihrer Bemessung zumindest auf die Existenz sozialer Sanktionen Rücksicht genommen werden sollte116 , um eine effiziente Anreizstruktur zu gewährleisten. Die sich insoweit ergebenden Abstimmungsprobleme seien zunächst (unter a)) anhand einer idealtypischen Konstellation funktionsfähiger Reputationseffekte aufgezeigt und gelöst. Sodann (unter b)) wird der Versuch unternommen, hieraus einige praxistaugliche rechtspolitische Empfehlungen zu gewinnen. a) Sanktionsauswahl bei sich selbst durchsetzender Kooperation im »Grundfall« vertraglicher Leistungsbeziehungen Die Wechselwirkung zwischen privatrechtlicher und sozialer Kooperationssicherung erschließt sich in ihren Grundzügen, wenn man den »Grundfall«, der zur Illustration der grundsätzlichen ökonomischen Überlegenheit der Haftung auf das positive Interesse gegenüber der Haftung auf das negative Interesse gebildet wurde117, gedanklich in einen Kontext versetzt, in dem sich Kooperation selbst durchsetzt: Man stelle sich also vor, daß zwei rationale, risikoneutrale, symmetrisch informierte und freiwillig handelnde Marktteilnehmer einander den Austausch zweier Leistungen – etwa die Lieferung bestimmter Ware gegen Zahlung eines bestimmten Geldbetrags – versprechen. Der Markt, auf dem diese Transaktion stattfindet, sei so strukturiert und so transparent, daß die Parteien bereits durch die Sorge um ihren guten Ruf einen Anreiz zur Leistungserbringung erhalten: Wenn eine der beiden Parteien ihr Leistungsversprechen bricht, mag sie dadurch zwar mit dem größtmöglichen Gewinn aus dieser Transaktion hervorgehen. Zugleich aber erleidet sie damit, weil ihre Unzuverlässigkeit allen Marktteilnehmern bekannt wird, einen Verlust künftiger Gewinne, deren – auf die Gegenwart bezogener – Wert höher ist als der durch das opportunistische Verhalten erzielbare Profit. Ist diese außerrechtliche Sanktion bei der Bemessung der privatrechtlichen Sanktion zu veranschlagen? Wer privatrechtliche Sanktionen auf den Kompensationsgedanken stützt, wird diese Frage selbstverständlich verneinen: Wenn es das Ziel ist, den Geschädigten schadlos zu stellen, ist es für die Bemessung des Schadensersatzes grundsätzlich ohne Belang, ob sich für den Schädiger über die Ersatzpfl icht hinaus weitere Nach115 So im Ergebnis für den Fall einer rationalen Entscheidung der Beteiligten Charny, 104 Harv.L.Rev. 375, 466 (1990). 116 Für eine Herabsetzung rechtlicher Sanktionen sprechen sich Cooter/Porat, 30 J.Legal Stud. 401, 420 f. (2001), aus. 117 Siehe oben, § 6 II.

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teile aus seinem Verhalten ergeben. Für denjenigen, der – wie hier – Sanktionen als Mittel, sieht, um Gläubiger und Schuldner Anreize zu effizientem Verhalten zu geben, ist Kompensation dagegen kein Selbstzweck. Sollte eine außerrechtliche Sanktion allein dafür sorgen, daß das Erfüllungsverhalten des Schuldners (seine Entscheidungen über die Erfüllung als solche und über Erfüllungsanstrengungen118 ) und die Reaktion des Gläubigers auf das Leistungsversprechen (seine Entscheidung über Vertrauensinvestitionen119) optimiert werden, wäre ein privatrechtlicher Schutz des Gläubigers, sei er auf das negative oder auf das positive Interesse gerichtet, fehl am Platze. aa) Anreize für den Schuldner Zunächst sei die Anreizsituation des Schuldners betrachtet: Ohne das Hinzutreten einer Nichterfüllungssanktion ruft sein Verhalten externe Effekte beim Gläubiger hervor – er wird den Vertrag brechen, ohne dem dadurch verursachten Schaden des Gläubigers Rechnung zu tragen, und er wird seine Erfüllungsanstrengungen auf ein Maß beschränken, das den Nutzen, den diese Anstrengungen dem Gläubiger bringen können, unbeachtet läßt. Das sozial optimale, nämlich den Nutzen beider Seiten maximierende Ergebnis wird so verfehlt. Diese Folge vermeidet das Privatrecht, indem es den Schuldner für das Erfüllungsinteresse des Gläubigers verantwortlich macht, ihn also entweder zur naturalen Erfüllung oder zum vermögensmäßigen Ausgleich des daran bestehenden Gläubigerinteresses verpflichtet120. Auf diese Weise wird einerseits gewährleistet, daß der Schuldner nicht nur den Nutzen eines etwaigen Vertragsbruchs genießt, sondern auch dessen Kosten zu gewärtigen hat, und andererseits, daß er außer den Kosten seiner Erfüllungsanstrengungen auch deren Nutzen (in Gestalt des vermiedenen Haftungsrisikos) internalisiert. Ein Reputationsverlust, der im Fall der Nichterfüllung als weitere Sanktion neben die so begründete privatrechtliche Haftung trifft, scheint auf diese Überlegung jedenfalls bei erstem Hinsehen keinen Einfluß zu haben: Soweit sich die Wirkung der außerrechtlichen Sanktion darin erschöpft, daß dem vertragsbrüchigen Schuldner Kosten entstehen, trägt dies zur Effizienz nichts bei; es handelt sich bloß um einen »deadweight loss«, durch den kein Wert geschaffen oder transferiert, sondern nur zerstört wird121. Der denkbare Einwand, daß der Schuldner durch den Reputationsverlust schon genug »gestraft« und deshalb von privatrechtlichen Sanktionen zu verschonen sei, übersieht den funktionalen Zusammenhang,

118

Dazu oben, § 6 II 1 a und b. Dazu oben, § 6 II 1 c. 120 So jedenfalls das Ergebnis im »Grundfall«. Auf die oben in § 6 III erörterten Konstellationen, in denen der Schutz des negativen Interesses den Vorzug gegenüber dem Schutz des positiven Interesses genießt, sei hier nicht noch einmal eingegangen. 121 So zutreffend Cooter/Porat, 30 J.Legal Stud. 401, 405 (2001). 119

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in dem letztere stehen: Die außerrechtlich veranlaßten Kosten des Schuldners122 beeinflussen zwar dessen Verhalten bei der Vertragserfüllung; sie sorgen aber nicht für die Internalisierung des Schadens, der dem Gläubiger im Fall der Nichterfüllung entsteht. Wer die Kosten des Reputationsverlusts mit dem an den Gläubiger bei Nichterfüllung zu zahlenden Schadensersatz verrechnen wollte, um damit einer »Doppelbestrafung« des Schuldners zuvorzukommen, würde also die effiziente Verhaltenssteuerung durch das Privatrecht preisgeben. Ein anderweitiger Effizienzgewinn, der dies rechtfertigen könnte, ist nicht ersichtlich, denn durch die Minderung des Schadensersatzes um die Kosten des Reputationsverlusts werden diese ja nicht gesenkt oder gar vermieden, sondern nur vom Schuldner auf den Gläubiger verlagert. Die bloße Verlagerung des (Reputations-)Schadens des Schuldners auf den Gläubiger aber ist aus ökonomischer Sicht ebensowenig Selbstzweck, wie es – in umgekehrter Richtung – die Belastung des Schuldners mit dem (Nichterfüllungs-)Schaden des Gläubigers ist. Die Wirkung außerrechtlicher Sanktionen erschöpft sich indes nicht in den Kosten, die dem Schuldner aufgrund einer Reputationseinbuße entstehen. Regelmäßig profitieren Dritte davon, wenn der Markt die Vertragsuntreue eines Teilnehmers mit dessen zeitweiligem oder endgültigem Ausschluß von weiteren Transaktionen ahndet123 : Unmittelbare Nutznießer dieser Strategie können zunächst die Konkurrenten der vertragsbrüchigen Partei sein, zu denen die Teilnehmer der Marktgegenseite abwandern und die dadurch u. U. in die Lage versetzt werden, höhere Gewinne zu erzielen124. Darüber hinaus kann die Information über den Vertragsbruch für die Marktgegenseite einen Wert darstellen: Ist es aufgrund dieser Information möglich, den betroffenen Marktteilnehmer als tendenziell unverläßlich zu entlarven125, werden dessen potentielle künftige Vertragspartner vor Schäden bewahrt. Schließlich können die Konkurrenten des reputationsgeschädigten Marktteilnehmers aus dessen (abschreckendem) Beispiel nützliche Lehren für ihr eigenes Verhalten ziehen, was die durch eine außerrechtliche Sanktion verursachten Kosten eines Vertragsbruchs betrifft. Auf dieser Grundlage verändert sich die Effizienzbewertung: Dem Verlust des Schuldners aufgrund der von ihm erlittenen Reputationseinbuße stehen Gewinne Dritter gegenüber, die freilich keinesweges mit den Kosten des Schuldners übereinstimmen müssen, sondern niedriger oder auch höher als diese ausfallen können. Diese Gewinne dürfen bei der Bemessung einer auf Nutzenmaximierung abzielenden privatrechtlichen Sanktion nicht außer Betracht bleiben: Eine Sanktion, die 122 Nur auf die Kosten stellt bei seiner Analyse des »reputational monitoring« Charny, 104 Harv.L.Rev. 375, 413 f. (1990), ab. 123 Die folgenden drei Gesichtspunkte fi nden sich auch bei Cooter/Porat, 30 J.Legal Stud. 401, 405 f. (2001). 124 Diese Möglichkeit hängt selbstverständlich von der Wettbewerbslage ab: Keinen Gewinn erzielen die Konkurrenten, wenn vor wie nach Ausscheiden eines vertragsbrüchigen Anbieters vollkommener Wettbewerb besteht. 125 Zum theoretischen Hintergrund siehe oben, Abschnitt 1 b aa.

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dazu führt, daß der Schuldner den durch die Nichterfüllung verursachten Verlust des Gläubigers internalisiert, ohne daß er in den Genuß der durch dasselbe Verhalten veranlaßten Gewinne Dritter kommt, wäre nicht effizient, sondern übermäßg abschreckend. Ein effizienzwahrendes Privatrecht sollte dem Schuldner vielmehr nur die Nettokosten seines Verhaltens aufbürden – mit den Worten Posners: »in analyzing any legal claim from the standpoint of economics you must always consider both the gains by whomever received, and the losses by whomever suffered, caused by an allegedly wrongful act.«126 Unabhängig von Fragen der Bezifferbarkeit von Drittwirkungen ist dieses Ergebnis auf zwei Wegen zu erreichen: Entweder billigt man dem vertragsbrüchigen Schuldner das Recht zu, »windfall profits« bei Dritten abzuschöpfen, oder man beschränkt den Schadensersatz, den er dem Gläubiger zu leisten hat, auf den durch den Vertragsbruch verursachten Nettoschaden, also den Schaden des Gläubigers abzüglich der Gewinne Dritter127. Nimmt man allein den Schuldner in den Blick, so ist letztere Alternative theoretisch vorzugswürdig – sie erspart dem Schuldner die Kosten und Risiken der Ermittlung und Geltendmachung einer unüberschaubaren Vielzahl von Ansprüchen. Den Preis dafür zahlt indes der Gläubiger, der nur einen Teil seines Schadens, im Extremfall gar nichts ersetzt bekommt. Ob sich dies mit der Forderung verträgt, auch ihm einen Anreiz zu effizientem Verhalten zu bieten, gilt es nun noch zu klären. bb) Anreize für den Gläubiger Privatrechtliche Vertragsbruchsanktionen sollen dem Gläubiger einen Anreiz zu effizienten Vertrauensinvestitionen geben. Eine Garantiehaftung des Schuldners für jede Verletzung seiner vertraglichen Leistungspflicht tut insoweit, wie anhand des »Grundfalls« aufgezeigt wurde128 , des Guten zu viel: Der durch die Gewährung des Anspruchs auf Schadensersatz oder auf Naturalerfüllung gegen den Verlust seiner Investition versicherte Gläubiger wird dazu neigen, diese über das effiziente Maß hinaus auszudehnen. Ein neuerer rechtsökonomischer Beitrag hat versucht, diese Schwäche einer Garantiehaftung des Schuldners in ein Argument für die Reduzierung des Ersatzanspruchs auf den soeben skizzierten Nettoschaden umzumünzen129 : Ideale Anreize zur Schadensminimierung erhalte der Gläubiger nur, wenn ihm jeglicher Schadensersatz verweigert werde. Vor diesem Hintergrund muß bereits die Beschränkung des Ersatzanspruchs kompromißhaft, jedenfalls aber als Fortschritt im Vergleich zur Gewährung vollen Schadensersatzes erscheinen. Doch überzeugt dies keineswegs: Der ineffiziente Versicherungseffekt läßt sich schlicht dadurch beseitigen, daß man von einer Garantie- zur Verschuldenshaf126

R. Posner, Economic Analysis, S. 185 (mit Bezug auf deliktische Ansprüche). Für die zweite Möglichkeit sprechen sich Cooter/Porat, 30 J.Legal Stud. 401, 409 (2001), aus, allerdings ohne die erste in Betracht zu ziehen. 128 Siehe oben, § 6 II 1 c. 129 Cooter/Porat, 30 J.Legal Stud. 401, 410 ff. (2001). 127

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tung des Schuldners übergeht130. Dem von der Nichterfüllung betroffenen Gläubiger auch dann den vollen Schadensersatz zu verweigern, wenn die Erfüllungsanstrengungen des Schuldners das effiziente Maß unterschritten haben (und er die Nichterfüllung also zu vertreten hat), ist daher ökonomisch nicht angezeigt, ja sogar kontraproduktiv, weil dem Gläubiger dadurch der rechtliche Anreiz zur Optimierung seiner Vertrauensinvestition vorenthalten würde. Damit befindet man sich bei oberflächlicher Betrachtung in einem rechtspolitischen Dilemma: Eine privatrechtliche Vertragsbruchsanktion, die – abgestimmt auf die Wirkung einer außerrechtlichen Sanktion – dem Schuldner optimale Anreize bietet, scheint stets suboptimale Anreize für den Gläubiger bereitzuhalten, und umgekehrt scheint dasselbe zu gelten. Das Dilemma löst sich allerdings auf, wenn man berücksichtigt, daß der im Einzelfall durch einen Vertragsbruch geschädigte Gläubiger in einer ungleich größeren Zahl weiterer Fälle Nutznießer sich selbst durchsetzender Kooperation ist. Zur Erinnerung: Kooperation kann sich nur dann selbst durchsetzen, wenn die Marktteilnehmer in einer unendlichen oder zumindest ex ante nicht feststehenden Zahl von Transaktionen zusammentreffen und über kooperatives und nichtkooperatives Verhalten ihrer potentiellen Partner bei deren zurückliegenden Transaktionen mit anderen Marktteilnehmern im wesentlichen informiert sind. Aus der Perspektive eines einzelnen Teilnehmers ergibt sich daher folgendes Bild: Auf jede Transaktion, bei der er Opfer nichtkooperativen Verhaltens wird, kommt statistisch gesehen eine (von der Zahl der Marktteilnehmer und der Häufigkeit ihrer Kontakte abhängige) bestimmte Zahl anderer Transaktionen mit gleichermaßen ungünstigem Ausgang, bei denen er sich nicht in der Rolle des Opfers, sondern des profitierenden Dritten befindet. Wenn ein von diesem Teilnehmer wegen fehlender Verläßlichkeit seines Partners erlittener Schaden nicht voll kompensiert, sondern sein Ersatzanspruch um die (durch die Verbreitung der Information über diesen Vorfall bedingten) Gewinne Dritter geschmälert wird, gleicht dies also nur den kumulierten Zugewinn aus, den er seinerseits aus den ihm zugute kommenden Informationen über andere Fälle fehlender Verläßlichkeit bezieht. Die Unterkompensation im Schadensfall ist so gesehen der Beitrag, den jeder Marktteilnehmer erbringen muß, damit das ihm insgesamt nutzbringende System sich selbst durchsetzender Kooperation funktioniert: Wer im Rahmen eines solchen Systems in eine geschäftliche Beziehung eintritt, überprüft stellvertretend für alle anderen Marktteilnehmer die Verläßlichkeit seines Partners, so wie dies im Gegenzug alle anderen Marktteilnehmer bei ihren Partnern auch stellvertretend für ihn tun. Damit die Probanden nicht übermäßig abgeschreckt werden, müssen die mit ihnen kooperierenden Marktteilnehmer das mit ihrer Kooperationsbereitschaft verbundene Risiko auf sich nehmen, einen nicht voll kompensationsfähigen Schaden zu erleiden.

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Zur Begründung siehe oben, §§ 5 III 2 b cc, 6 II 1 c.

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Im Ergebnis ist daher festzuhalten: Versetzt man den »Grundfall« einer vertraglichen Austauschbeziehung gedanklich in einen Kontext, in dem Kooperation sich selbst durchsetzt, weil die Sorge um die Erhaltung der eigenen Reputation dem Schuldner einen hinreichenden außerrechtlichen Erfüllungsanreiz bietet, verändern sich die ökonomischen Bezugspunkte der privatrechtlichen Sanktionsauswahl. Der (vom Vertretenmüssen des Schuldners abhängige) volle Ausgleich des Gläubigerinteresses an der Erfüllung, der bei isolierter Betrachtung einer einzelnen Transaktion den Vorzug verdient, sorgt in diesem Kontext nicht für eine effiziente Anreizstruktur. Hier ergeben sich optimale Anreize für Schuldner und Gläubiger vielmehr nur, wenn man den Umfang des bei Vertragsbruch zu ersetzenden Schadens um den Betrag reduziert, mit dem die durch dieses Ereignis veranlaßten Gewinne Dritter zu beziffern sind131. Der Weg von dieser ökonomischen Idealvorstellung zu praktikablen rechtspolitischen Empfehlungen ist freilich weit. b) Folgerungen für die Formulierung privatrechtlicher Selbstbindungstatbestände Einer praktischen Umsetzung der hier gewonnenen Einsichten über das effiziente Zusammenspiel privatrechtlicher und außerrechtlicher Sanktionen stellen sich zwei Hindernisse in den Weg: zum einen die Schwierigkeit, das Vorliegen der Voraussetzungen sich selbst durchsetzender Kooperation überhaupt festzustellen, zum anderen das Problem der Bezifferung drittbegünstigender Effekte einer außerrechtlichen Sanktion, die bei der Bemessung einer privatrechtlichen Sanktion zumindest der Theorie nach in Abzug zu bringen sind. aa) Probleme der Bezifferung außerrechtlicher Sanktionen Um mit letzterem zu beginnen: In welchem Umfang Konkurrenten eines vertragsbrüchigen Schuldners von dessen abwandernden Kunden profitieren, wie die Lerneffekte der Marktgegenseite zu bewerten sind und welche wirtschaftliche Bedeutung schließlich die präventive Wirkung des Reputationsverlusts hat, den der Schuldner erleidet, wird sich praktisch kaum je ermitteln lassen. Eine Regel, die einem erkennenden Gericht aufgäbe, diese Effekte anspruchsmindernd zu berücksichtigen, wäre daher nicht justiziabel. Es ist deshalb vorgeschlagen worden, an ihrer Statt auf die Kosten der außerrechtlichen Sanktion für den Schuldner abzustellen. So lasse sich etwa der Verlust, den ein vertragsuntreues Unternehmen aufgrund eines Boykotts der Marktgegenseite erleide, leichter beziffern als der Nutzen, den Dritte (die Konkurrenten und die Kunden des Unternehmens) davon haben132. Ökonomisch gerechtfertigt ist diese Vorgehensweise, wenn die drittbegünstigenden Wirkungen zwar nicht genau zu bestimmen, aber mindestens so 131 So auch das theoretische Postulat der idealen »net damages« bei Cooter/Porat, 30 J.Legal Stud. 401, 409 (2001). 132 So Cooter/Porat, 30 J.Legal Stud. 401, 415 (2001), die das Beispiel des wegen seiner Behandlungsfehler von den Patienten boykottierten Arztes anführen.

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hoch zu veranschlagen sind wie die (verifizierbaren) Verluste des Schuldners – letztere können dann mangels weiterer Anhaltspunkte als »maximum justifiable deduction«133 herangezogen werden. Die Praktikabilität dieses Vorschlags ist jedoch zu bezweifeln. Die Verifikation der durch eine außerrechtliche Sanktion veranlaßten Verluste des Schuldners mag zwar leichter fallen als die Ermittlung von Vorteilen Dritter, die über den ganzen Markt verstreut auftreten können. Doch dürften die Gerichte mit der Beurteilung und die Parteien mit dem Beweis der hierfür relevanten Tatsachen immer noch oft überfordert sein: Man muß dazu die Kosten, die einem vertragsbrüchigen Schuldner von der Marktgegenseite als außerrechtliche Sanktion für sein unkooperatives Verhalten auferlegt werden, von Gewinneinbußen unterscheiden, die normalem Wettbewerbsgeschehen zuzuschreiben sind und deshalb in die Berechnung nicht eingehen dürfen. So mag die Abwanderung von Kunden des vertragsbrüchigen Schuldners nicht auf den Vertragsbruch selbst, sondern z. B. auf den Erfolg einer Produktinnovation eines Konkurrenten oder auf eine konjunkturbedingte Schwäche der Nachfrage zurückzuführen und daher nicht als außerrechtliche Sanktion zu erklären sein. Gewiß ist ein Gericht gelegentlich gezwungen, solche Unterscheidungen zu treffen, etwa wenn ein Unternehmen Opfer eines rechtswidrigen Boykotts geworden ist und nun Schadensersatz wegen des ihm entgangenen Gewinns verlangt134. Aber hierbei handelt es sich um vergleichsweise seltene Fälle. Die »Abzugsfähigkeit« der Kosten außerrechtlicher Sanktionen trüge dagegen komplexe Abgrenzungsprobleme in den forensischen Alltag hinein: Ein Schuldner, von dem Schadensersatz wegen der Verletzung einer Vertragspflicht verlangt wird, wäre stets geneigt, die Höhe des Anspruchs mit der Behauptung zu bestreiten, er habe aufgrund der Pfl ichtverletzung bereits außerrechtlich veranlaßte Einbußen erlitten, und dies mit anderweitigen Verlusten zu substantiieren. Solche Schwierigkeiten vermag nur eine anspruchslosere Annäherung an die ökonomisch postulierte Berücksichtigung begünstigender Drittwirkungen zu vermeiden: Eine Bezifferung dieser Wirkungen ist jedenfalls dann nicht erforderlich, wenn davon auszugehen ist, daß sie den Betrag des dem Gläubiger im Einzelfall drohenden Schadens übersteigen – hier reduziert der vorzunehmende Abzug die Höhe des ersatzfähigen Schadens auf Null. Ein Gericht kann in diesem Fall der außerrechtlichen Sanktion also dadurch Rechnung tragen, daß es dem Gläubiger keinen Schadensersatz zuerkennt, sondern ihn auf den außerrechtlichen Schutz seiner Erwartung verweist. Aus der schwierigen Suche nach einer angemessenen Reduzierung der Sanktion wird so eine wesentlich schlichtere Entscheidung über Alles oder Nichts. Dieser Ansatz liefert zunächst die rechtspolitische Basis dafür, bei der Vervollständigung eines von den Parteien lückenhaft geregelten vertraglichen Schutzes normativer Erwartungen durch dispositives Recht und (ergänzende) Vertragsaus133 134

Cooter/Porat, 30 J.Legal Stud. 401, 415 (2001). Dazu mit Nachw. Jauernig/Teichmann, § 823 Rz. 102.

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legung Zurückhaltung walten zu lassen, wenn außerrechtliche Sanktionen die Kooperation sichern: Soweit sich dem Verzicht auf vertragliche Vorsorge eine informierte Entscheidung der Parteien zugunsten der außerrechtlichen Kooperationssicherung zugrunde liegt, darf ein Gericht annehmen, daß der Nutzen dieser Form der Kooperationssicherung höher ist als die zu erwartenden Kosten im Schadensfall. Beispielhaft sei die vertragliche Beziehung zwischen Gläubigern und Schuldnern bei der Unternehmensfinanzierung durch Fremdkapital genannt: Das bereits angesprochene135 Risiko opportunistischen Schuldnerverhaltens können die Parteien selbstverständlich durch vertragliche Regelungen einzudämmen versuchen, sei es durch ein generalklauselartiges Verbot nicht wertmaximierender Verhaltensweisen, sei es durch spezifische Klauseln, die dem Schuldner bestimmte Maßnahmen, die den Gläubiger gefährden könnten (etwa die Aufnahme neuer Kredite oder Dividendenzahlungen), untersagen oder von dessen Zustimmung abhängig machen. Sowohl die Konkretisierung der Generalklausel als auch die Perfektionierung eines Katalogs gläubigergefährdender Verhaltensweisen sind indes kostspielig. Soweit die Parteien entsprechende Regelungen nicht selbst getroffen haben, wäre es aus ökonomischer Sicht typischerweise Aufgabe des Privatrechts, durch die Schaffung dispositiven Rechts und ggf. durch ergänzende Vertragsauslegung in transkationskostensparender Weise für Abhilfe zu sorgen136 . Wird das Schuldnerverhalten aber bereits durch außerrechtliche Sanktionen gesteuert, weil Schuldner und Gläubiger auf einem transparenten Kapitalmarkt agieren, der opportunistisches Verhalten mit erhöhten Kapitalkosten ahndet, kann und sollte sich rechtliche Sanktionierung regelmäßig auf die Durchsetzung dessen beschränken, was die Parteien ausdrücklich vertraglich geregelt haben137: Jedenfalls bei Kapitalanlegern, die nicht unter Rationalitätsdefiziten leiden (man stelle sich institutionelle Investoren vor), darf man unterstellen, daß sie in der Lage sind, besser als ein Gesetzgeber oder Gericht abzuwägen, ob es sich für sie lohnt, auf die disziplinierende Wirkung des Marktes zu setzen und dafür ein gewisses, durch die Diversifizierung ihres Portfolios steuerbares Schadensrisiko in Kauf zu nehmen, oder ob eine vertragliche Regelung mehr Nutzen verspricht. Das Fehlen expliziter vertraglicher Bestimmungen über die Unzulässigkeit bestimmter, möglicherweise schadensträchtiger Verhaltensweisen des Schuldners ist vor diesem Hintergrund nicht notwendig der Höhe der Transaktionskosten zu verdanken, sondern kann ebensogut als Ausdruck des Vertrauens in die Wirksamkeit außerrechtlicher Sanktionen zu verstehen sein. Um eine solche Entscheidung der Parteien nicht zu konterkarieren, sollte man ihnen den Schutz durch vertragsrechtliche Sanktionen nicht ohne weiteres aufdrängen, sondern eine rechtliche Vervollständigung des Vertrags nur dann vornehmen, wenn man sich vergewissert hat, daß prohibitiv 135 136 137

Siehe oben, Abschnitt 1 b bb. So bereits oben, §§ 3 II 2 b. So auch Charny, 104 Harv.L.Rev. 373, 414 ff. (1990).

III. Normativitätsstiftendes Verhalten im sozialen Kontext

241

hohe Transaktionskosten und nicht effiziente außerrechtliche Durchsetzungsmechanismen der Aufnahme einer vertraglichen Regelung für den eingetretenen Störungsfall entgegenstanden. Entsprechendes gilt für den Schutz normativer Erwartungen durch außervertragliche Selbstbindungstatbestände. Auch hier sollte, wenn die Beziehung zwischen den Beteiligten in einen Kontext eingebettet ist, in dem sich Kooperation selbst durchsetzt, die Androhung privatrechtlicher Sanktionen für den Enttäuschungsfall zurückgenomen werden. Auf dieser Grundlage ist etwa die Empfehlung, normativitätsstiftendes Verhalten im Vorfeld eines Vertragsschlusses als privatrechtliche Selbstbindung anzusehen und mit der Haftung auf das negative Interesse zu sanktionieren138 , mit einer Modifikation zu versehen: Die Funktion der Haftung, ein effizientes vorvertragliches Investitionsniveau zu sichern, erübrigt sich, wo bereits soziale Mechanismen verhindern, daß die Holdup-Situation, in der sich die investierende Partei befindet139, von der anderen Seite ausgebeutet wird. Soweit es sich bei den Parteien um informierte Marktteilnehmer handelt, ist ihnen zuzutrauen, daß sie dem Rechnung tragen und, falls ihnen die Sorge ihres Partners um seine Reputation als Basis für künftige Kooperation nicht tragfähig genug erscheint, die Kostentragung bei Scheitern der Vertragsanbahnung im Wege der Vereinbarung regeln. Verzichten sie darauf, eine solche Vereinbarung zu treffen, sollte (in dieser besonderen Konstellation) der oben abgelehnten »penalty default rule« der Vorzug gegeben werden und eine Enttäuschung der durch vorvertragliches Verhalten geweckten normativen Erwartungen sanktionslos bleiben. bb) Probleme der Wirksamkeit außerrechtlicher Sanktionen Selbst wenn einem Gericht die Bezifferung der wirtschaftlichen Auswirkungen außerrechtlicher Sanktionen erspart bleibt, ist es damit noch nicht von der Beantwortung der schwierigen Frage entlastet, ob überhaupt die Voraussetzungen vorliegen, unter denen außerrechtliche Mechanismen eine kooperationssichernde Wirkung entfalten. Dazu bedarf es, um die wesentlichen Anforderungen zu wiederholen140 , eines transparenten Marktes mit Teilnehmern, die zumindest mit der Möglichkeit einer unbestimmten Zahl künftiger geschäftlicher Kontakte rechnen, welche insgesamt einen höheren Gewinn erwarten lassen, als ihnen opportunistisches Verhalten in ihrer gegenwärtigen geschäftlichen Beziehung einbringen würde. Insbesondere über die bei Fortsetzung kooperativen Verhaltens von den Marktteilnehmern gehegte Gewinnerwartung werden Außenstehende – und damit auch Gerichte – in aller Regel nur spekulieren können. Auch insoweit wird man sich mit einer praxisgerechten Annäherung an die ideale Berücksichtigung außerrechtlicher Sanktionen begnügen müssen: Was ein Gericht jedenfalls festzustellen vermag, ist zum einen, ob die Parteien auf einem 138 139 140

Dazu oben, Abschnitt II 2 b bb. Dazu oben, Abschnitt II 1 b. Siehe schon oben, Abschnitt 1 b aa.

242

§ 7 Abgrenzung zum Verzicht auf Erwartungsschutz

transparenten Markt agieren, auf dem opportunistisches Verhalten eines Teilnehmers den anderen Teilnehmern bekannt wird und von ihnen mit Vertrauensentzug geahndet wird. Zwar ist damit, wie die Auseinandersetzung mit den Erkenntnissen der Spieltheorie gelehrt hat, noch nicht gesichert, daß Kooperation sich selbst durchsetzt; doch ist unter dieser Bedingung zumindest eine Chance dafür gegeben. Zum anderen kann ein Gericht feststellen, ob es sich bei den Marktteilnehmern um rationale, wohlinformierte Akteure handelt, die in der Lage sind, mit solchen selbstregulierenden Mechanismen des Marktes umzugehen141. Ist auch diese zweite Voraussetzung erfüllt, darf man davon ausgehen, daß die Beteiligten einer Kooperationsbeziehung selbst darüber entscheiden können, ob und in welchem Umfang sie einer Absicherung durch Vertragsrecht bedürfen, und daß, soweit sie eine solche Absicherung nicht vereinbart haben, dies auf funktionsfähige außerrechtliche Instrumente der Kooperationssicherung schließen läßt. Nur wenn – wie etwa in der Beziehung zwischen Unternehmen und institutionellen Investoren auf Kapitalmärkten oder zwischen Händlern auf Rohstoffmärkten – beide Bedingungen gegeben sind, besteht Anlaß dazu, auf außerrechtliche Sanktionsmechanismen in der soeben beschriebenen Weise Rücksicht zu nehmen, um eine Bevormundung der Parteien zu vermeiden. Die dem Privatrecht insoweit anzuratende formalistische Strenge, nämlich die Beschränkung auf buchstabengetreue Vertragsdurchsetzung und der Verzicht auf privatrechtliche Sanktionierung vor- und außervertraglichen Verhaltens, das normative Erwartungen weckt, taugt dagegen nicht für Fälle, in denen eines der beiden Momente nicht zutrifft. Illustrieren läßt sich dies an der Beziehung zwischen Markenherstellern und Verbrauchern142 : Zwar spricht vieles dafür, daß sich die Aufrechterhaltung der von den Verbrauchern erwarteten Qualitätsstandards bei Markenprodukten oft mindestens ebensosehr der Sorge der Hersteller um die eigene Reputation wie der Furcht vor rechtlichen Sanktionen verdankt. Regelungen, die – wie § 434 I 3 BGB – Qualitätserwartungen, die auf öffentliche Äußerungen des Herstellers oder seiner Vertriebsmittler zurückgehen, recht pauschal in das vertragliche Leistungsprogramm einbeziehen, scheinen diesen mit dem Privatrecht konkurrierenden sozialen Sanktionsmechanismus auf den ersten Blick zu Unrecht zu ignorieren. Doch ist, jedenfalls soweit Verbraucher Adressaten solcher Äußerungen sind143, dieses Vorgehen rechtspolitisch begründet: Schon wenn ein Teil der angesprochenen Marktteilnehmer nicht dazu imstande ist, sich der auf dem Markt zugänglichen Informationen zu bedienen und auf dieser Basis eine kooperationserzwingende Strategie zu verfolgen, ist es nicht gerechtfertigt zu unterstellen, daß das Fehlen einer ausdrückli141 Insoweit ähnlich Charny, 104 Harv.L.Rev. 373, 429 ff. (1990), der rechtliche Regulierung für wohlfahrtssteigernd hält, wenn die Beteiligten entweder nur über begrenzte Informationen oder nur über eine geringe Urteilsfähigkeit verfügen. 142 Dazu schon oben, Abschnitt 1 b bb. 143 Dies hätte freilich dafür gesprochen, die in § 434 I 3 BGB getroffene Regelung nicht in das allgemeine Kaufrecht, sondern in die besonderen Bestimmungen über den Verbrauchsgüterkauf aufzunehmen.

IV. Fazit

243

chen vertraglichen Festschreibung der durch Werbeaussagen geweckten Erwartungen an die Produktqualität Ausdruck des Käufervertrauens in die Funktionsfähigkeit und Effizienz der Mechanismen sozialer Selbststeuerung ist.

IV. Fazit Die Frage, ob normativitätsstiftende Verhaltensweisen jenseits expliziter vertraglicher Bindungen Anknüpfungspunkt privatrechtlicher Sanktionen sein sollten, verlangt aus rechtsökonomischer Sicht eine differenzierte Antwort: Grundsätzlich ist es im Interesse eines effizienten Investitionsniveaus gerechtfertigt, auch vorvertraglichen Äußerungen einer Partei als privatrechtliche Selbstbindungstatbestände zu bewerten und im Enttäuschungsfall mit der Haftung auf das negative Interesse zu sanktionieren, wenn sie bei der anderen Partei normative Erwartungen wecken, die nicht durch einen späteren Vertragsschluß abgesichert werden (sei es, daß ein Vertrag überhaupt nicht abgeschlossen wird, sei es, daß er den geweckten Erwartungen nicht entspricht). Zwei Erwägungen relativieren indes dieses Ergebnis: Zum einen nötigen Folgeprobleme bei der Bewertung nachträglicher Abweichungen einer Partei von den durch ihr Verhalten hervorgerufenen Erwartungen der anderen Seite dazu, bei der Annahme vorvertraglicher Selbstbindungen Vorsicht walten zu lassen. Zum anderen sollte sich das Privatrecht in den Fällen Zurückhaltung auferlegen, in denen Märkte so strukturiert sind, daß Kooperation sich aufgrund außerrechtlicher Mechanismen selbst durchsetzt, und in denen die Marktteilnehmer über die Fähigkeit verfügen, mit diesen Mechanismen umzugehen. Damit außerrechtliche, effiziente Anreize für die Partner einer Transaktion nicht verzerrt werden, sollten privatrechtliche Sanktionen in diesen besonderen Konstellationen auf die Durchsetzung dessen beschränkt sein, was die Parteien als vertragliches Leistungsprogramm vereinbart haben.

§ 8 Ergebnisse des ersten Teils 1. Das Verständnis der Haftung auf das negative Interesse als Selbstbindungssanktion ist der deutschen Theorietradition ebenso fremd, wie es in der amerikanischen verwurzelt ist: a) In der auf Jhering zurückgehenden deutschen theoriegeschichtlichen Tradition1 wird die Haftung auf das negative Interesse als Haftung für die Verletzung einer gesetzlichen, also heteronom begründeten Pflicht im Rahmen einer Sonderverbindung zwischen Schädiger und Geschädigtem verstanden. In seinem Bemühen, gegen Savignys Lehre eine naturrechtlich inspirierte Haftung für Verträge zu etablieren, die bei streng willenstheoretischer Betrachtung nichtig oder »nicht zur Perfection« gelangt waren, hat Jhering die Haftung auf das negative Interesse zwar zunächst als Haftung für vertragliches Verschulden konstruiert. Doch wich diese Verlegenheitslösung bereits bei Windscheid einer Begründung als gesetzliche, auf dem Vertrauensgedanken beruhende Haftung. In dieser Gestalt ging die Haftung auf das negative Interesse in der neben Vertrag und Delikt tretenden, weit mehr als nur die Haftung für nichtige Erklärungen umfassenden »dritten Spur« des Haftungsrechts auf. b) In der auf Fuller zurückgehenden amerikanischen theoriegeschichtlichen Tradition 2 wird die Haftung auf das negative Interesse dagegen als Haftung für Selbstbindungen aufgrund Vertrags (mit consideration) oder promissory estoppel verstanden. Während Fullers These vom Vorrang des Schutzes des negativen Interesses gegenüber dem Schutz des positiven Interesses allerdings wenig Gefolgschaft fand, erwies sich die damit verbundene Durchbrechung der exklusiven Ausrichtung der Sanktionierung von Selbstbindungstatbeständen auf das Erfüllungsinteresse als prägend für die spätere vertragstheoretische Diskussion: Sie erlaubt es, über vertragsrechtliche Sanktionen als Mittel zur Verwirklichung von Effi zienz (so die ökonomische Analyse des Rechts) oder auch zur Erreichung makroökonomischer Ziele (so die socio-legal studies) nachzudenken. c) Den unterschiedlichen theoriegeschichtlichen Traditionen liegen fundamental verschiedene Vorstellungen von der Legitimität privatrechtlicher Selbstbindung zugrunde: Die amerikanische Theorietradition konnte sich nur auf der Grundlage einer funktionalistischen Auffassung der Regeln privatrechtlicher Selbstbindung entfalten. Im Gegensatz dazu geht die deutschsprachige Rechtsge1 2

Dazu § 3 I. Dazu § 3 II.

§ 8 Ergebnisse des ersten Teils

245

schäftslehre bis in die Gegenwart ganz überwiegend von einer versprechensethischen Rechtfertigung aus, die in der privatautonomen Bindung im Kern das rechtliche Abbild der moralischen Bindung des Versprechenden erblickt 3. 2. In Auseinandersetzung mit dem versprechensethischen Ansatz nimmt diese Untersuchung zugunsten einer marktfunktionalen Konzeption der privatrechtlichen Selbstbindung Stellung: a) In einer pluralistischen Gesellschaft führt kein Weg mehr von der moralischen Bindung im Versprechen zur rechtlichen Bindung im Vertrag. Die Regeln privatrechtlicher Selbstbindung beziehen ihre Rechtfertigung vielmehr nur aus ihrer Zugehörigkeit zur notwendigen rechtlichen »Infrastruktur« der sozialen Institutionen, welche die Entfaltung der Freiheit des einzelnen ermöglichen und sichern4. b) Die soziale Institution, deren Funktionsfähigkeit die Regeln privatauonomer Bindung in erster Linie gewährleisten sollen, ist der Markt5 : Soweit eine Gesellschaft ihren Mitgliedern negative Freiheit gewährt, also darauf verzichtet, sie auf übereinstimmende Vorstellungen über Wahres oder Gutes festzulegen, bietet der Markt die bestmögliche Form für die Organisation sozialer Beziehungen. Bedingt durch die weltanschauliche Abstinenz des Marktes dürfen die Marktteilnehmer nur als Träger (ggf. eingeschränkter) ökonomischer Rationalität angesehen werden. Rationale Akteure sind indes ohne eine äußere Veränderung ihrer Verhaltensansreize zu erfolgreicher Kooperation regelmäßig außerstande. Durch Sanktionen, die an privatrechtliche Selbstbindungstatbestände anknüpfen, wird ihnen die Chance zur Kooperation verschafft. Diese Anreizmechanismen lassen sich auch für Kooperationsprobleme außerhalb des Marktes fruchtbar machen, allerdings nur, soweit die Prämisse rationalen Verhaltens trägt. 3. Die Haftung auf das negative Interesse trägt zum Gelingen von Kooperation auf Märkten bei, indem sie den Beteiligten Anreize gibt, die sozialen Kosten von Versprechen und sonstigen normativitätsstiftenden Verhaltensweisen zu minimieren: a) Versprechen vermitteln Informationen, die ihren Empfängern – unabhängig vom Wert der versprochenen Leistung als solche – im Erfüllungsfall einen Vertrauensnutzen und im Nichterfüllungsfall Vertrauenskosten bescheren. Die ökonomische Struktur eines Versprechens ist damit der eines gefährlichen Produkts vergleichbar; die hierzu bekannten ökonomischen Einsichten über effi ziente Schadensvermeidung lassen sich daher auf die Beziehung zwischen Versprechendem und Versprechensempfänger übertragen6 . 3 4 5 6

Dazu § 4 II 1. Dazu § 4 II 2. Dazu § 4 III. Dazu § 5 II.

246

§ 8 Ergebnisse des ersten Teils

b) Zwischen Versprechendem und Versprechensempfänger besteht regelmäßig ein Informationsgefälle im Hinblick auf das ex ante erkennbare Nichterfüllungsrisiko. Dies steht einer vertraglichen Einigung über die Festlegung von effi zienten Maßnahmen zur Vermeidung von Vertrauenskosten durch Aufklärung des Nichterfüllungsrisikos entgegen. Angemessene Anreize zur Beseitigung dieses Defi zits bietet die Internalisierung der Vertrauenskosten durch den Versprechenden. Rechtlich ist dies durch eine – mit gewissen Restriktionen verbundene – verschuldensunabhängige Haftung auf das negative Interesse umzusetzen7. c) Was am Beispiel des Versprechens entwickelt wurde, kann auf beliebige normativitätsstiftende Verhaltensweisen übertragen werden: Entscheidend für die Haftungsbegründung ist allein, daß jemand durch sein Verhalten eine ihm zurechenbare normative Erwartung bei einem anderen weckt, die er später enttäuscht8. 4. Sanktionen zum Schutz des Erfüllungsinteresses (womit hier außer der Schadensersatzpflicht auch der Erfüllungszwang gemeint ist) sind, was die Effi zienz der durch sie gesetzten Anreize betrifft, der Haftung auf das negative Interesse im »Grundfall« einer vertraglichen Austauschbeziehung gewiß überlegen9. Doch behält die Haftung auf das negative Interesse ihre verhaltenssteuernde Funktion einerseits, wo eine ausschließliche Orientierung am positiven Interesse die Sanktionierung aufgrund von Beweis- oder Bezifferungsproblemen unter das effiziente Maß drückte, und andererseits, wo die Haftung auf das positive Interesse dem Schuldner Kosten auferlegte, die über das effiziente Maß hinausgingen10. 5. Als privatrechtliche Selbstbindungstatbestände, die der Haftung auf das negative Interesse eine Grundlage bieten, kommen auch vor- und außervertragliche Versprechen und sonstige normativitätsstiftende Verhaltensweisen in Betracht. Die rechtliche Sanktionierung vorvertraglicher Äußerungen, die normative Erwartungen geweckt haben, die nicht durch einen nachfolgenden Vertragsschluß bestätigt wurden, ist – auch unter Berücksichtigung von Schwierigkeit bei der Umsetzung in justiziable Regeln – grundsätzlich besser zur Gewährleistung effizienter Vertrauensinvestitionen geeignet als eine »penalty default rule«, welche investitionswillige Parteien auf den vertraglichen Selbstschutz verweist11. Allerdings empfiehlt sich unter bestimmten Voraussetzungen ein Verzicht auf privatrechtliche Sanktionierung: Sind auf einem Markt die Bedingungen sich selbst durchsetzender Kooperation gegeben und die Marktteilnehmer zudem in der Lage, die Möglichkeiten und Grenzen außerrechtlicher Kooperationssicherung richtig einzuschätzen, sollte, damit die außerrechtlichen Anreize zur Kooperation 7

Dazu § 5 III. Dazu § 5 IV. 9 Dazu § 6 II. 10 Dazu § 6 III. 11 Dazu § 7 II. 8

§ 8 Ergebnisse des ersten Teils

247

nicht durch privatrechtliche Sanktionen überlagert werden, nur eine buchstabengetreue Vertragsdurchsetzung und kein weitergehender privatrechtlicher Erwartungsschutz stattfinden12.

12

Dazu § 7 III.

Zweiter Teil

Rechtssystematische Umsetzung

§ 9 Überblick Wie sich die bisher entwickelten Gedanken im positiven Recht verwirklichen, ist keineswegs mühelos zu erkennen: Nirgendwo etwa findet sich im BGB der Grundsatz geregelt, daß zum Ersatz des negativen Interesses verpflichtet ist, wer durch sein – rechtsgeschäftliches oder außerrechtsgeschäftliches – Verhalten eine ihm zurechenbare normative Erwartung geweckt und später enttäuscht hat. Nicht einmal das weniger weitreichende historische Vorbild dieses Grundsatzes, nämlich Windscheids nur auf ungültige Willenserklärungen bezogener, »allgemeine[r] Satz«, »daß jeder Vertragschließende einstehen muß für die nachteiligen Folgen des durch seine Erklärung in dem Gegner erregten Vertrauens«1, hat Aufnahme in die Kodifikation gefunden 2. Während der Gesetzgeber allerdings gut beraten sein mag, auf diese hochabstrakten Festlegungen, die oft Anlaß zu Mißverständnissen geben, zu verzichten, darf und muß die systematisch arbeitende Rechtswissenschaft versuchen, solche Aussagen mit dem Ziel zu bilden, die Gemeinsamkeit, die eine Vielzahl scheinbar disparater Regeln vereint, auf den Begriff zu bringen. Daß sich die Ergebnisse des ersten Teils dieser Untersuchung hierzu eignen, sollen die nachfolgenden Ausführungen zeigen. Die Darstellung geht dabei, dem Gedankengang bei der Suche nach einer Anspruchsgrundlage im Fallgutachten vergleichbar, von der Rechtsfolge zu den Voraussetzungen: Wer die Fälle der Haftung auf das negative Interesse gerade auch in ihren verdeckten Ausprägungen finden will, muß wissen, was mit der Pflicht zum Ersatz des negativen Interesses überhaupt gemeint ist. Deshalb werden Umfang und Grenzen der Ersatzfähigkeit des negativen Interesses zunächst in § 10 erläutert. In den §§ 11–13 werden die Voraussetzungen, unter denen das negative Interesse Ersatz findet, dann Schritt für Schritt entfaltet: Am Beginn (in § 11) steht mit dem wirksamen obligatorischen Rechtsgeschäft der Kernbereich privatrechtlicher Selbstbindung. Es folgen (in § 12) die Fälle unwirksamer rechtsgeschäftlicher Bindung, sodann (in § 13) die jenseits des Rechtsgeschäfts angesiedelten Konstellationen vor- und außervertraglicher Selbstbindung.

1 Das in § 3 I 2 a bb vollständig und hier nur verkürzt wiedergegebene Zitat fi ndet sich bei Windscheid/Kipp, Pandektenrecht II, § 307 Anm. 5 (S. 250), im Zusammenhang mit der Behandlung des Widerrufs des Antrags. Vgl. auch § 307 Anm. 10 (S. 255); § 308 Anm. 7 (S. 260); § 309 Anm. 6 (S. 268 f.); § 311 Anm. 1 (S. 277); § 315 Anm. 7 (S. 291 f.). 2 Zu Windscheids eigener Rolle bei den Vorarbeiten zu den diesbezüglichen Regeln des BGB siehe unten, § 12 I 2 a.

§ 10 Umfang und Grenzen der Ersatzfähigkeit des negativen Interesses Den Ersatz des negativen Interesses gewährt das BGB ausdrücklich in § 122 I: Danach hat der Erklärende, dessen Erklärung nach § 118 BGB oder infolge Anfechtung auf Grund der §§ 119, 120 BGB nichtig ist, den Schaden zu ersetzen, den sein Erklärungsgegner oder, im Fall einer nicht empfangsbedürftigen Erklärung, ein beliebiger Dritter »dadurch erleidet, daß er auf die Gültigkeit der Erklärung vertraut«. Dem entspricht die Rechtsfolgenanordnung in § 179 II BGB, der dem in Unkenntnis des Mangels der Vertretungsmacht handelnden falsus procurator aufgibt, den Schaden zu ersetzen, »welchen der andere Teil dadurch erleidet, daß er auf die Vertretungsmacht vertraut«. In beiden Fällen ist die Ersatzpflicht durch den Betrag des positiven Interesses, nämlich des Interesses an der Gültigkeit der Erklärung (§ 122 I BGB) bzw. an der Wirksamkeit des Vertrags (§ 179 II BGB) begrenzt. Außerdem entfällt die Ersatzpflicht in beiden Fällen ganz, wenn der Geschädigte den Nichtigkeits- oder Anfechtungsgrund (§ 122 II BGB) bzw. den Mangel der Vertretungsmacht (§ 179 III 1 BGB) kannte oder kennen mußte. Die hier – und bis zur Schuldrechtsreform auch in den §§ 307, 309 BGB a. F. – vorgesehenen Rechtsfolgen werfen Fragen auf, deren Bedeutung weit über die praktisch vergleichsweise wenig relevanten Tatbestände hinausgeht, mit denen sie in den §§ 122, 179 II BGB verknüpft sind, und die deshalb – nach der Erörterung der Grundlagen der Bestimmung des Vertrauensschadens (unter I.) – einige Aufmerksamkeit verdienen: Welche Positionen umfaßt der zu ersetzende Vertrauensschaden (dazu II.)? Wie ist es zu verstehen, daß die Haftung auf den Betrag des positiven Interesses begrenzt und bei Kenntnis oder fahrlässiger Unkenntnis des Geschädigten gänzlich ausgeschlossen ist, und in welchem Verhältnis dazu steht die Regelung des Mitverschuldens in § 254 BGB (dazu III.)? Die unter Einbeziehung der anglo-amerikanischen Praxis zur Bestimmung des »reliance interest« zu erarbeitenden Antworten auf diese Fragen ergeben positivrechtliche Konturen der Haftung auf das negative Interesse, die den rechtsökonomischen Einsichten des ersten Teils der Untersuchung entsprechen. In den anschließenden Kapiteln der Untersuchung (§§ 11–13) wird deutlich werden, daß diese Konturen nicht nur in den hier exemplarisch angeführten Konstellationen der §§ 122, 179 II BGB, sondern in einem viel weiteren Spektrum von Fällen zu erkennen sind.

I. Grundlagen der Bestimmung des Vertrauensschadens

253

I. Grundlagen der Bestimmung des Vertrauensschadens Bereits zu Beginn dieser Untersuchung wurde klargestellt, daß die Weichenstellung zwischen dem Ersatz des positiven und dem Ersatz des negativen Interesses mit der Festlegung des zum Schadensersatz verpflichtenden Umstandes getroffen wird1. Auf den Fall eines Schuldvertrags bezogen heißt das: Entscheidet die Rechtsordnung, daß die Nichterfüllung der vertraglichen Leistungsverpfl ichtung den Schuldner zum Schadensersatz verpflichtet, gelangt man zum Ersatz des positiven Interesses. Entscheidet sie dagegen, daß das vertragliche Leistungsversprechen als solches zum Schadensersatz verpfl ichtet, gelangt man zum Ersatz des negativen Interesses. Letztere Entscheidung hat das Gesetz in den §§ 122 und 179 II BGB getroffen: Nach § 122 BGB ist es die – ex lege oder infolge Anfechtung – nichtige Erklärung, die zum Schadensersatz verpflichtet, und nach § 179 II BGB ist dies der von dem Vertreter geschlossene Vertrag, der wegen fehlender Vertretungsmacht zunächst schwebend und dann wegen Verweigerung einer Genehmigung durch den Vertretenen endgültig unwirksam ist 2. Dies erklärt die in beiden Regelungen angeordnete Rechtsfolge: Der Geschädigte ist jeweils so zu stellen, wie er stehen würde, wenn er auf die Gültigkeit der (in Wahrheit mit einem Willensmangel behafteten) Erklärung bzw. auf die Wirksamkeit des (in Wahrheit ohne Vertretungsmacht) abgeschlossenen Vertrags nicht vertraut hätte3. Zu ersetzen ist also, mit einem Wort, der Vertrauensschaden. Für den Ersatz des Vertrauensschadens gilt das, was für den Schadensersatz schlechthin gilt: Nach dem § 249 I BGB zu entnehmenden Prinzip der Totalreparation ist der Vertrauensschaden grundsätzlich ohne alle Abstriche zu ersetzen, d. h. der hypothetisch schadensfreie Zustand vollständig herzustellen4. Hierzu gehört, wie § 252 S. 1 BGB klarstellt 5, neben dem Ersatz des »positiven Schadens« auch der Ersatz des entgangenen Gewinns, also der Werte, die der Geschädigte bis zum Eintritt des schädigenden Ereignisses zwar noch nicht gehabt hat, die ihm aber ohne das schädigende Ereignis zugeflossen wären. Vor diesem Hintergrund gelangt die deutsche Rechtsprechung und Literatur zu einer wohl unbestrittenen Feststellung, jedenfalls was die Rechtsfolge der Haftung aus den §§ 122, 179 II

1

Siehe oben, § 1 III. Zu den Tatbeständen der §§ 122, 179 II BGB näher unten, § 12 II 1 und 2. 3 In diesem Sinne, mit gewissen, sachlich nicht erheblichen Variationen der Formulierung, etwa BGH 21. 4. 1978, BGHZ 71, 234, 237 f.; AnwKom/Feuerborn, § 122 Rz. 9; Bamberger/ Roth/Wendtland, § 122 Rz. 7; Erman/Palm, § 122 Rz. 5; Flume, Rechtsgeschäft, § 21, 7 (S. 423); Hk-BGB/Dörner, § 122 Rz. 3; Jauernig/Jauernig, § 122 Rz. 3; MünchKomm/Kramer, § 122 Rz. 8; Palandt/Heinrichs, § 122 Rz. 4; Soergel/Hefermehl, § 122 Rz. 4, Staudinger12 /Dilcher, § 122 Rz. 6; Staudinger/Singer, § 122 Rz. 12. 4 Allgemein zum Grundsatz der Totalreparation und seiner Verankerung in § 249 BGB statt vieler Staudinger/Schiemann, § 249 Rz. 2 f. 5 Zur insoweit klarstellenden Funktion von § 252 BGB vgl. nur Staudinger/Schiemann, § 249 Rz. 2. 2

254

§ 10 Umfang und Grenzen der Ersatzfähigkeit des negativen Interesses

BGB betrifft6 : Der Vertrauensschaden erstreckt sich außer z. B. auf nutzlose Aufwendungen, die der Geschädigte im Vertrauen auf die Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts gemacht hat, auch auf den Gewinn, der ihm dadurch entgangen ist, daß er den Abschluß eines anderen Geschäfts unterlassen hat7. Über diese generelle Aussage hinaus ist es jedoch schwierig, sich ein genaueres Bild von den Schadenspositionen zu machen, die das negative Interesse umfaßt: Wie weit reicht, unabhängig von der Begrenzung durch den Betrag des positiven Interesses, die Ersatzfähigkeit vergeblicher Aufwendungen als Teil des negativen Interesses? Welche weiteren Einbußen (im Sinne von »positiven Schäden«) außer dem Verlust von Aufwendungen könnten als Vertrauensschaden zu ersetzen sein? Wie verhält es sich schließlich mit der Ersatzfähigkeit, dem Nachweis und der Berechnung der – als entgangener Gewinn aus nicht realisierten Alternativen zu dem abgeschlossenen Geschäft zu ersetzenden – Opportunitätskosten? Die Antworten auf dieser Fragen ergeben sich, wie die Ausführungen in diesem und im folgenden Abschnitt (unter II.) zeigen sollen, aus der Anwendung der allgemeinen Regeln des Schadensrechts.

1. Ziel und Mittel der Ersatzleistung a) Das Ziel der Ersatzleistung: Die Herbeiführung des gegenwärtigen hypothetischen Zustands ohne Schadensereignis Die übliche Bestimmung des Vertrauensschadens ist von einer auf den ersten Blick eigenartigen Ambivalenz geprägt: Einerseits wird regelmäßig die auch hier schon angeführte Formel verwendet, der Geschädigte sei so zu stellen, wie er stehen würde, wenn er auf die Gültigkeit der Erklärung nicht vertraut hätte8. Es heißt also nicht, er sei so zu stellen, wie er tatsächlich gestanden hat, bevor er auf die Gültigkeit der Erklärung vertraute. Andererseits gewährt man dem Geschädigten als negatives Interesse ohne Bedenken den Ersatz nutzloser Aufwendungen, die er im Vertrauen auf die Gültigkeit der Erklärung gemacht hat9, und zielt damit scheinbar doch auf die Herstellung der Lage, wie sie vor der Abgabe der Erklärung 6 Näher zu den in anderem Zusammenhang vorgebrachten Überlegungen, den Ersatz des negativen Interesses auf den Ersatz fehlgeschlagener Aufwendungen zu beschränken unten, Abschnitt II 2 a. 7 BGH 17. 4. 1984, NJW 1984, 1950, 1951; Bamberger/Roth/Wendtland, § 122 Rz. 7; Flume, Rechtsgeschäft, § 21, 7 (S. 423); Hk-BGB/Dörner, § 122 Rz. 3; Jauernig/Jauernig, § 122 Rz. 3; MünchKomm/Kramer, § 122 Rz. 8; MünchKomm/Oetker, § 249 Rz. 124; Larenz/Wolf, AT, § 36 Rz. 131 (S. 694); Medicus, AT, Rz. 783; Palandt/Heinrichs, § 122 Rz. 4; RGRK/Krüger-Nieland, § 122 Rz. 7; Soergel/Hefermehl, § 122 Rz. 4; Soergel/Mertens, Vor § 249 Rz. 69; Staudinger12 /Dilcher, § 122 Rz. 7; Staudinger/Singer, § 122 Rz. 12; Hans Stoll, in: FS Deutsch, S. 361, 364. 8 Siehe oben Fn. 3. 9 Vgl. etwa BGH 10. 12. 1986, BGHZ 99, 182, 201: »Daß letzteres [das negative Interesse, T. A.] auch nutzlose Aufwendungen umfaßt, ist anerkannt.« Vgl. ferner BGH 21. 4. 1978, BGHZ 71, 234, 237 f.; 23. 9. 1982, NJW 1983, 442, 444; 18. 6. 1997, BGHZ 136, 102, 106; Bamberger/ Roth/Wendtland, § 122 Rz. 7; Erman/Palm, § 122 Rz. 5; Hk-BGB/Dörner, § 122 Rz. 3; Münch-

I. Grundlagen der Bestimmung des Vertrauensschadens

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bestanden hat. Namentlich Knobbe-Keuk hat diese »rückwärtsgewandte«, auf den schadensfreien status quo ante statt auf den hypothetischen schadensfreien Zustand in der Gegenwart abstellende Sicht des negativen Interesses als maßgeblichen Grund für die Ersatzfähigkeit nutzloser Aufwendungen bezeichnet: »Nur weil der Anspruch auf das negative Vertragsinteresse auf die Herstellung des Erfolges zielt, daß für den Geschädigten von einem bestimmten Geschäft nie die Rede gewesen sei, auf die Restitution in den Zustand, wie er vor dem Vertragsschluß bestanden hat, gerichtet ist, sind hier nutzlose Aufwendungen in die Schadensersatzpflicht einzubeziehen, bestimmte Vermögensdispositionen rückgängig zu machen.«10 Um die tatsächlich praktizierte Bemessung des negativen Interesses anhand der Aufwendungen des Geschädigten auf diese Weise erklären zu können, muß man allerdings die von Knobbe-Keuk verfochtene »Abkehr von dem Verständnis des Schadens als abstrakter Rechengröße«11 mitvollziehen. Danach ist die Differenz zwischen dem gegenwärtigen tatsächlichen Vermögen und dem gegenwärtigen hypothetischen Vermögen ohne das Schadensereignis, zu der Mommsen die überkommene Zweiteilung von damnum emergens und lucrum cessans in seiner Definition des Interesses12 zusammengefaßt hat, für die Feststellung eines ersatzfähigen Schadens ungeeignet. Die Schadensersatzleistung ist diesem Ansatz zufolge zwar als Leistung des Interesses anzusehen. Aber im Gegensatz zu der Tradition, aus der Mommsen die Differenzhypothese entwickelt hat, wird hier das Interesse nicht als identisch mit dem Schaden13 angesehen. Vielmehr sei dem Interesse – und hierin liegt die nicht immer erkannte Pointe des Ansatzes14 – »mit dem Schaden nichts gemein«15. Bei der Bestimmung des Interesses (und damit des Inhalts der Ersatzpflicht) sei nämlich nicht auf die Schäden zu sehen, die durch die zum Schadensersatz verpflichtende Handlung verursacht wurden. Vielmehr beziehe sich

Komm/Kramer, § 122 Rz. 8; Palandt/Heinrichs, § 122 Rz. 4; Soergel/Hefermehl, § 122 Rz. 4; Staudinger12 /Dilcher, § 122 Rz. 7; Staudinger/Singer, § 122 Rz. 12. 10 Keuk, Vermögensschaden, S. 249. – Daß der Schutz des negativen Interesses auf die Herbeiführung des status quo ante ziele, wird gelegentlich auch von anderen Autoren (etwa von Wiedemann/G. Müller, JZ 1992, 467, 468) gesagt, allerdings eher beiläufig, so daß man nicht unterstellen kann, daß sie sich damit gegen die Anwendung der Differenzhypothese wenden wollen. 11 Keuk, Vermögensschaden, S. 20. 12 Vgl. Mommsen, Interesse, S. 4: Das Interesse sei »die Differenz [. . .] zwischen dem gegenwärtigen Vermögen einer Person, wie dasselbe nach einem beschädigenden Ereignisse sich darstellt, und dem Betrage, zu welchem dieses Vermögen ohne die Dazwischenkunft dieses Ereignisses sich belaufen haben würde«. 13 Zu terminologischen Nuancierungen im Verhältnis zwischen »Interesse« und »Schaden« vgl. Staudinger/Schiemann, Vor §§ 249 ff. Rz. 36. 14 Die Kritik von Lange/Schiemann, Schadensersatz, § 1 II 8 (S. 34 f.), und Larenz, Schuldrecht I, § 29 I a (S. 482 Fn. 6) an Keuks Konzept richtet sich gegen ihre im ersten Kapitel der Arbeit entwickelte Ablehnung des Schadens als abstrakter Rechengröße. Worauf aber nicht eingegangen wird, ist die im zweiten Kapitel der Arbeit aufgestellte These, daß das ersatzfähige Interesse und der Schaden nicht dasselbe seien. 15 Keuk, Vermögensschaden, S. 52.

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§ 10 Umfang und Grenzen der Ersatzfähigkeit des negativen Interesses

das Interesse »auf einen dem Geschädigten günstigen konkreten Zustand«16 , den der Schädiger durch ein ordnungsmäßiges Verhalten hätte herbeiführen sollen. Das durch den Ersatzanspruch geschützte Interesse ist auf dieser Basis nicht der Unterschied zwischen den Beträgen des tatsächlichen und des hypothetischen Vermögens des Geschädigten, sondern der »konkrete Unterschied, der sich bei der Gegenüberstellung des ordnungsmäßigen und des ordnungswidrigen Verhaltens ergibt«17. Aus diesem Grund ist für Knobbe-Keuk bei der Bestimmung des negativen Interesses die hypothetische Lage irrelevant, in der sich der Geschädigte gegenwärtig befände, wenn er auf die Gültigkeit der Erklärung nicht vertraut hätte: Aus ihrer Sicht geht es allein um die Herstellung des für den Geschädigten günstigen Erfolgs, »daß er bestimmte Aufwendungen nicht gemacht, bestimmte Dispositionen unterlassen hat«18. Es ist jedoch nicht recht zu erkennen, wie die angestrebte Loslösung des (für den Inhalt des Ersatzanspruchs entscheidenden) Interessebegriffs von der Differenzhypothese gelingen soll. Beim Ersatz des positiven Interesses mag die behauptete Unterscheidung zwischen Interesse und (Differenz-)Schaden noch durchzuhalten sein: Hier hat der Schuldner durch sein ordnungsgemäßes Verhalten beim Gläubiger in der Tat einen diesem günstigen Erfolg herbeizuführen, indem er die geschuldete Leistung erbringt. Sieht man die Herbeiführung dieser Lage als den Gegenstand des Erfüllungsinteresses an, besteht dessen ersatzweise Verwirklichung in der Herstellung des Zustands, »daß das vorhandene Vermögen des Gläubiges in dem Erfüllungszeitpunkt um den geschuldeten Gegenstand erweitert worden ist«19. Dazu bedarf es regelmäßig nur der Vergütung des Wertes des geschuldeten Gegenstands im Erfüllungszeitpunkt 20. Stellt man dagegen mit der Differenzhypothese auf die hypothetische Vermögenslage des Gläubigers bei korrekter Erfüllung ab, so fällt unter das positive Interesse weit mehr als das Interesse an der Leistung als solcher; als Nichterfüllungsschaden zu ersetzen sind dann insbesondere auch Schäden, die der Schuldner als unmittelbare oder mittelbare Folge ausbleibender oder mangelhafter Erfüllung an seinen sonstigen Rechtsgütern erleidet 21. Anders verhält es sich aber beim negativen Interesse, wie es durch die §§ 122, 179 II BGB geschützt wird: Hier ist es nicht möglich, ein Interesse des (potentiell) Geschädigten an einem ihm günstigen konkreten Erfolg namhaft zu machen, den der (potentielle) Schädiger durch sein ordnungsgemäßes Verhalten bewirken muß. 16

Keuk, Vermögensschaden, S. 54. Keuk, Vermögensschaden, S. 55. 18 Keuk, Vermögensschaden, S. 249. 19 Keuk, Vermögensschaden, S. 190. 20 Zu Ausnahmen vgl. Keuk, Vermögensschaden, S. 161 ff. – Zur Ausgrenzung von Beeinträchtigungen des Vermögens in seinem vorhandenen Bestand aus dem positiven Interesse vgl. dies., a.a.O., S. 164 f. mit Fn. 158. 21 Zu diesem herkömmlichen Verständnis des positiven Interesses vgl. statt vieler Bamberger/ Roth/Grüneberg, § 280 Rz. 29. 17

I. Grundlagen der Bestimmung des Vertrauensschadens

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Davon, daß der Schädiger sich ordnungsgemäß verhält, also beispielsweise keine irrtumsbehaftete Erklärung abgibt oder als Vertreter keinen Vertrag ohne Vertretungsmacht schließt, hat der Geschädigte keinen konkreten Vorteil. Er hat einzig und allein das Interesse an der Vermeidung von Nachteilen, nämlich Schäden, die dadurch entstehen, daß bei ihm das Vertrauen auf die Gültigkeit einer Erklärung geweckt wird. Der angeblich von dem ordnungsgemäßen Verhalten des Schädigers abhängige »Vorteil« des Geschädigten, »daß er bestimmte Aufwendungen nicht gemacht, bestimmte Dispositionen unterlassen hat«22 , ist nur eine etwas umständliche Umschreibung des Interesses an der Vermeidung von Vertrauensschäden. Wenn sich aber das Interesse des Geschädigten an einem ordnungsgemäßen Verhalten des Schädigers in der Schadensvermeidung erschöpft, kann nicht mehr die Rede davon sein, daß dem Interesse »mit dem Schaden nichts gemein«23 sei. Interesse und Schaden fallen vielmehr in eins; die von Mommsen gebildete Differenz zwischen der tatsächlichen, schadensbehafteten und der hypothetischen, schadensfreien Vermögenslage erfaßt das eine so gut wie das andere. Der Versuch, die Differenzhypothese zugunsten einer Neubestimmung des Interessebegriffs gänzlich aufzugeben, kann daher, jedenfalls was die Haftung auf das negative Interesse betrifft, nicht überzeugen. Die Ergebnisse des ersten Teils der Untersuchung lehren, daß ein Festhalten an der Differenzhypothese als Ausgangspunkt der Schadensberechnung auch rechtspolitisch sinnvoll ist: Eine effiziente Schadensvermeidung durch den Versprechenden (als potentiellen Schädiger) und den Versprechensempfänger (als potentiell Geschädigten) ist danach durch die Androhung einer Sanktion zu erreichen, die den Versprechenden mit den »Vertrauenskosten« (»detrimental reliance«) seines Gegenübers belastet 24. Hierbei handelt es sich exakt um den Betrag, der sich unter idealen Umständen bei Anwendung der Differenzhypothese ergäbe: die Differenz zwischen dem tatsächlich erzielten Nutzen und dem hypothetischen Nutzen, den der Empfänger des Versprechens mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln erzielt hätte, wenn er nicht auf das ihm gegebene Wort vertraut hätte25. Alles, was dem Geschädigten über diesen Betrag hinaus gewährt wird, droht die Verhaltensanreize für beide Seiten zu verzerren und wäre daher ökonomisch grundsätzlich ebensowenig zu rechtfertigen wie eine dahinter zurückbleibende Unterkompensation des Geschädigten 26 . Bleibt man aus diesen Gründen bei dem von der Differenzhypothese geforderten Vergleich zwischen tatsächlicher und hypothetischer gegenwärtiger Vermögenslage als Ausgangspunkt für den Ersatz von Vermögensschäden, erweist sich auch die herkömmliche (und nicht die »rückwärtsgewandte«) Beschreibung der 22

Keuk, Vermögensschaden, S. 249. Keuk, Vermögensschaden, S. 52. 24 Siehe oben, § 5 III. 25 Siehe oben, § 5 II 1. 26 Damit sei nicht behauptet, daß überkompensatorischer Schadensersatz niemals ökonomisch begründet ist. 23

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durch den Ersatz des negativen Interesses herzustellenden Vermögenslage als zutreffend: Der Satz, der Geschädigte sei so zu stellen, wie er stünde, wenn er auf die ungültige Erklärung nicht vertraut hätte, ist ja nichts anderes als die Forderung, die gegenwärtige hypothetische Lage herzustellen, die ohne das zum Schadensersatz verpflichtende Ereignis (nämlich die ungültige Erklärung) bestünde. Diesem Ziel läuft es entgegen dem erstem Anschein nicht zuwider, dem Geschädigten die von ihm getätigten fehlgeschlagenen Aufwendungen als Teil des negativen Interesse zu ersetzen: Auch insoweit geht es, wie nun noch zu zeigen ist, um die Herstellung des gegenwärtigen hypothetischen Zustands, allerdings nicht durch die nach der Differenzhypothese zu ermittelnde Schadenskompensation, sondern durch Naturalrestitution, deren Gewährung von einer Vermögensdifferenz nicht abhängt. b) Die Art und Weise der Ersatzleistung Um den Geschädigten in die hypothetische Lage zu versetzen, in der er sich ohne das schädigende Ereignis befände, eröffnet das deutsche Recht mit der Naturalrestitution nach § 249 BGB und der Geldentschädigung nach § 251 BGB zwei unterschiedliche Wege. Für das Verständnis des Ersatzes von Vertrauensschäden und insbesondere von fehlgeschlagenen Aufwendungen ist es wichtig, diese Arten des Schadensersatzes auseinanderzuhalten. aa) Geldentschädigung Der nach der Differenzhypothese erforderliche Vergleich zwischen tatsächlicher und hypothetischer Vermögenslage ist anzustellen, wenn ein entstandener Schaden nach § 251 BGB kompensiert wird. Der dem Geschädigten als Geldentschädigung zu zahlende Betrag ist die Wertminderung, die das Vermögen des Geschädigten durch das schädigende Ereignis erlitten hat 27. Sie ist damit identisch mit der Differenz zwischen dem tatsächlichen, schadensbehafteten und dem hypothetischen, schadensfreien Vermögen. Auf den Ersatz des negativen Interesses nach den §§ 122, 179 II BGB bezogen heißt das: Der Gläubiger hat einen Anspruch auf Ersatz des Betrags, um den sich der Wert seines Vermögens dadurch vermindert hat, daß er auf die Gültigkeit der Erklärung des Schuldners bzw. auf die Wirksamkeit des von ihm geschlossenen Vertrags vertraut hat. Mit dieser Art des Schadensersatzes läßt sich nun aber gerade der im Mittelpunkt des Schutzes des negativen Interesses stehende Ersatz nutzloser Aufwendungen nicht begründen: Der Betrag der Aufwendungen kann nicht mit der Wertminderung gleichgesetzt werden, die das Vermögen des Geschädigten erfahren hat. Um die Wertminderung des Vermögens festzustellen, hat ein Gericht vielmehr Feststellungen darüber zu treffen 28 , welchen Wert der Geschädigte mit dem 27

Statt vieler Staudinger/Schiemann, § 251 Rz. 3. Zur Verteilung der Darlegungs- und Beweislast und zur Bedeutung von § 252 S. 2 BGB und § 287 ZPO siehe unten, Abschnitt I 3. 28

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Aufwendungsbetrag erwirtschaftet hätte, wenn er auf die Erklärung seines Gegenübers nicht vertraut hätte, und von diesem Betrag den tatsächlichen gegenwärtigen Wert der Aufwendungen abzuziehen (der bei gänzlicher Nutzlosigkeit der Aufwendungen allerdings gleich Null ist). In der so ermittelten Wertdifferenz liegen die Vertrauenskosten des Geschädigten, deren Abwälzung auf den Schädiger sich im ersten Teil dieser Untersuchung als Gebot ökonomischer Vernunft erwiesen hat 29. Der Betrag der nutzlosen Aufwendungen stimmt mit dieser Differenz allenfalls zufällig überein, und zwar nur dann, wenn der Geschädigte mit der hypothetischen Verwendung der verschwendeten Mittel genau diesen Betrag erzielt hätte. Das wäre beispielsweise der Fall, wenn der Geschädigte das Geld, das er im vergeblichen Vertrauen auf die Gültigkeit eines ihm gegebenen Leistungsversprechens investiert hat, ansonsten als unverzinsliches Guthaben auf seinem Girokonto oder in seinem Sparstrumpf gelassen hätte. Hätte der Geschädigte den Betrag dagegen anderweitig verwendet (etwa naheliegenderweise dafür, die gleiche Leistung von einem Konkurrenten seines Vertragspartners zu erwerben), ist ganz unabsehbar, ob der für die Geldentschädigung maßgebliche Wert, der dem Geschädigten aus dieser Verwendung seiner Mittel zugeflossen wäre, mit deren Betrag übereinstimmt. Wollte man also dem Geschädigten seine nutzlosen Aufwendungen im Rahmen der Geldentschädigung vergüten, so hinge die Höhe des Ersatzes stets davon ab, welchen Vermögenswert diese für den Geschädigten in der Verwendung gehabt hätten, die er anstelle der tatsächlichen Investition gewählt hätte. Darauf aber stellt man weder in der Praxis des deutschen Rechts noch in der des Common Law ab: Der Betrag der Aufwendungen (»expenditures« oder »out-of-pocket costs«) wird als Teil des negativen Interesses ersetzt, ohne daß man sich über die hypothetische Verwendung dieses Betrags Gedanken macht. Was das Common Law betrifft, das nur die Geldentschädigung und nicht die Naturalrestitution als Form des Schadensersatzes kennt 30 , so führt dies zu einer auch in der amerikanischen Literatur teilweise erkannten Unstimmigkeit. Das verdeutlicht beispielhaft die Entscheidung Security Stove & Manufacturing Co. v. American Railway Express Co. 31: Die Klägerin hatte die Beklagte mit dem Transport eines Ofens beauftragt, den sie auf einer Messe ausstellen wollte. Weil ein wichtiges Bauteil des Ofens nicht rechtzeitig an den Messeort gebracht worden war, mußte die Klägerin ihre Messeteilnahme, von der sie sich wichtige geschäftliche Kontakte erhofft hatte, absagen und verlangte nun von der Beklagten den Ersatz nutzloser Aufwendungen in Gestalt der Standmiete und einiger anderer Positionen. Das Gericht sprach den geltend gemachten Betrag zu, um der Unge29

Siehe oben, § 5 III. Repräsentativ McGregor, Damages, Rz. 1–001: »Damages [. . .] are the pecuniary compensation [. . .] in the form of a lump sum awarded at one time, unconditionally and in sterling.« 31 51 S. W.2d 572 (Mo. 1932). 30

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rechtigkeit abzuhelfen, die darin liege, der vom Vertragsbruch betroffenen Klägerin, die keinen entgangenen Gewinn dartun konnte, jegliche Kompensation vorzuenthalten 32. Das Urteil, das noch vor der »Entdeckung« des »reliance interest« durch Fuller gefällt wurde, wird heute zu den Leitentscheidungen gezählt, die es dem Gläubiger erlauben, statt des positiven das negative Interesse ersetzt zu verlangen 33. Der Ersatz der Aufwendungen im Fall Security Stove ist indes bei näherem Hinsehen nicht als Geldkompensation des negativen Interesses zu erklären: Wer die Klägerin vermögensmäßig so stellen will, wie sie stünde, wenn ihr die Beklagte das Leistungsversprechen nicht gegeben hätte, kann schwerlich davon ausgehen, daß sie von der Messeteilnahme abgesehen und dementsprechend keine Aufwendungen gemacht hätte. Vielmehr hätte sie ein anderes Unternehmen mit dem Transport beauftragt und – mit den gleichen Aufwendungen für den Stand, die Unterbringung von Mitarbeitern usw. – an der Messe teilgenommen. Die Geldentschädigung für ihr negatives Interesse, also die Vermögenseinbuße, die ihr dadurch entstanden ist, daß diese hypothetische Lage nicht eintrat, ist daher identisch mit der Geldentschädigung für ihr positives Interesse34 : Es handelt sich um den (allerdings nicht bezifferbaren) entgangenen Gewinn aus der Messeteilnahme und nicht um den dafür aufgewendeten Betrag. Nicht zuletzt deshalb ist das Vertrauensinteresse in einem amerikanischen Beitrag als »Phantom«35 bezeichnet worden: Der Ersatz fehlgeschlagener Aufwendungen, der unter dieser Bezeichnung gewährt wird, habe mit dem eigentlichen Vertrauensinteresse, nämlich dem Ersatz von Opportunitätskosten, nichts zu tun und sei in Wahrheit eine verkappte Form der Entschädigung des Erfüllungsinteresses36 , also im Ansatz vergleichbar mit dem, wenn auch darüber hinausgehend, was in Deutschland mit der Rentabilitätsvermutung erreicht wird 37. Dieselbe Unstimmigkeit wäre dem deutschen Recht zu attestieren, wenn es nur die Geldentschädigung vorsähe: Man stelle sich beispielweise vor, der Vertrag zwischen Security Stove und American Railway Express unterliege deutschem Recht und sei von dem Frachtunternehmen wegen Irrtums zu einem Zeitpunkt angefochten worden, als Security Stove schon nicht mehr umdisponieren konnte. Dann gäbe es aus den eben genannten Gründen keine Veranlassung dafür, den Vermögenswert des negativen Interesses nach § 122 BGB einfach mit dem Betrag der 32

51 S. W.2d 572, 577 (Mo. 1932). Vgl. etwa die Reporter’s Note zu § 349 Restatement (2d) of Contracts. 34 Birmingham, 60 Wash.L.Rev. 217, 228 f. (1985). 35 So die Überschrift des Beitrags von Kelly, 1992 Wis.L.Rev. 1755. 36 Kelly, 1992 Wis.L.Rev. 1755, 1773. 37 Zur Rentabilitätsvermutung siehe unten, Abschnitt II 1 a sowie § 11 I 2 a aa. – Daß die Rentabilitätsvermutung der deutschen Rechtsprechung nicht so weit reicht wie die amerikanische Praxis zum Ersatz von »out-of-pocket costs«, erkennt man bereits an Security Stove: Von ihr nicht erfaßt werden Aufwendungen, die nicht im notwendigen Zusammenhang mit dem Erwerb der Leistung stehen, sondern weitergehenden Zwecken dienen (dazu unten, Abschnitt II 1 a bb). Gerade um solche Aufwendungen ging es aber in Security Stove. 33

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nutzlosen Aufwendungen gleichzusetzen. Security Stove könnte den hypothetischen Wert ihres Vermögens bei anderweitiger Vergabe des Transportauftrags (ihr negatives Interesse) ebensowenig nachweisen wie den hypothetischen Wert ihres Vermögens bei Durchführung des Transports durch den tatsächlich beauftragten Unternehmer (ihr positives Interesse). Die Beweiserleichterungen nach § 252 S. 2 BGB und § 287 I 1 ZPO38 würden auch nicht für Abhilfe sorgen: Diese Vorschriften bieten keine Rechtfertigung für die generelle Vermutung, daß sich die hypothetische Investition rentiert hätte, die der Gläubiger für seine aufgrund des Schuldnerverhaltens verlorenen Mittel gewählt hätte39. Damit wäre zu fürchten, daß Security Stove leer ausginge. Nicht anders verhielte es sich in dem Fall, in dem der Gläubiger seine im Vertrauen auf die Gültigkeit des Vertrags getätigten, nunmehr nutzlosen Aufwendungen mit einer immateriellen Zielsetzung investiert hätte, wenn er auf die Gültigkeit nicht vertraut hätte: Weil er mit der hypothetischen Verwendung des Geldbetrags ebensowenig einen Vermögenswert erzielt hätte wie mit der tatsächlichen Verwendung, liegt der Wert seines hypothetischen Vermögens nicht höher als der Wert seines tatsächlichen Vermögens; eine nach § 251 BGB zu entschädigende Werteinbuße bestünde also nicht. Gleichwohl käme es bei der Anwendung von § 122 BGB nicht zu diesen Ergebnissen. Dies ist darauf zurückzuführen, daß der Gläubiger eines Anspruchs auf Ersatz des Vertrauensschadens nach deutschem Schadensrecht nicht nur eine Geldentschädigung, sondern auch (und vorrangig) die Naturalrestitution des negativen Interesses beanspruchen könnte. bb) Naturalrestitution Für den Ersatz des negativen Interesses gilt, wie für den Ersatz materieller wie immaterieller Schäden überhaupt, daß der Geschädigte von dem Schädiger nach § 249 I BGB die Naturalherstellung des schadensfreien Zustands verlangen kann. Diese Feststellung ist nicht so unproblematisch, wie man annehmen möchte: Im Hinblick auf die Haftung wegen vorvertraglicher Falschinformation wird in der Literatur bestritten, daß der Schuldner das negative Interesse des Gläubigers in Natur zu ersetzen, nämlich den aufgrund der Falschinformation zustande gekommenen Vertrag »rückgängig zu machen«40 habe. Vielmehr sei dem Gläubiger nur der von ihm erlittene Vermögensschaden zu vergüten41. Ob dafür besondere, das Verhältnis der vorvertraglichen Haftung zur Anfechtungsregelung betreffende 38 Zur Bedeutung von § 287 ZPO und von § 252 S. 2 BGB für die Bestimmung des Vertrauensschadens siehe unten, Abschnitt I 3. 39 Vgl. auch BGH 19. 4. 1991, BGHZ 114, 193, 200: »Eine allgemeine Vermutung, eine Beteiligung am Wirtschaftsverkehr werde sich rentieren, besteht nicht.« 40 Der Terminus »Rückgängigmachung« hat sich, wenngleich wenig präzise, mittlerweile eingebürgert; vgl. etwa BGH 26. 9. 1997, NJW 1998, 302, 304. 41 Hierfür insbesondere Lieb, in: FS Universität zu Köln, S. 251, 261 ff.; ders., in: FS Medicus, S. 337, 338 ff.

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Gründe sprechen, wird an anderer Stelle zu erörtern sein42. Hier ist vorerst nur festzuhalten, daß es sich dabei allenfalls um eine Ausnahme von der Regel handeln kann, daß das negative Interesse durch Naturalrestitution auszugleichen ist. Diese Regel bestätigt sich in der Gewährung des Ersatzes nutzloser Aufwendungen als geradezu klassische Folge der Haftung auf das negative Interesse, wie sie in den §§ 122, 179 II BGB geregelt ist: Weil der Schuldner hier für den Verlust eines Geldbetrags haftungsrechtlich verantwortlich ist, hat er den Schaden nach § 249 I BGB durch Zahlung eben dieses Betrags wiedergutzumachen. Daß die Naturalrestitution hier in einer Geldzahlung besteht, ist nur bei erstem Hinsehen gewöhnungsbedürftig: Wenn Schadensersatz für den Verlust von Geld zu leisten ist, kann die Naturalherstellung nur in der Zahlung von Geld bestehen43. Das bedeutet allerdings nicht, daß der Gläubiger mit der Naturalrestitution die Wiederherstellung der Lage verlangen kann, die vor dem Schadensereignis bestand44. Nicht anders als die Geldentschädigung zielt auch die Naturalrestitution auf die Herstellung des hypothetischen Zustandes, der ohne das zum Schadensersatz verpflichtende Ereignis bestünde45. Deshalb ist beim Anspruch auf Naturalrestitution wie bei der Geldentschädigung die hypothetische Weiterentwicklung des vor der Schädigung bestehenden Zustands prinzipiell zu berücksichtigen46 . Damit gelangt man, was den Ersatz für den Verlust einer Geldsumme im Wege der Naturalrestitution betrifft, scheinbar immer zu dem gleichen Ergebnis wie bei der Geldentschädigung47. Das trifft jedoch bei näherem Hinsehen nicht zu: Anders als die Geldentschädigung zielt die Naturalrestitution grundsätzlich auch auf den Ersatz immaterieller Schäden48. Die Schadensberechnung nach der Differenzhypothese, nämlich die Bildung der Differenz zwischen tatsächlicher und hypothetischer Vermögenslage, ist hierauf naturgemäß nicht anwendbar49. Der Zustand, dessen Herstellung mit der Naturalrestitution nach § 249 I BGB angestrebt wird, ist also nicht wie bei der

42

Siehe unten, Abschnitt II 3. So auch Palandt/Heinrichs, § 249 Rz. 2; Staudinger/Schiemann, § 249 Rz. 190. 44 Dies wird zutreffend zurückgewiesen durch BGH 8. 1. 1986, WM 1986, 492, 494. Zur Kritik an diesem Urteil siehe aber auch den folgenden Text. 45 Lange/Schiemann, Schadensersatz, § 5 II 1 (S. 215); Soergel/Mertens, § 249 Rz. 4. 46 BGH 5. 3. 1958, LM § 823 (F) Nr. 10; MünchKomm/Oetker, § 249 Rz. 312; Lange/Schiemann, Schadensersatz, § 5 II 1 (S. 218); Soergel/Mertens, § 249 Rz. 4 Fn. 5. A. A. Esser, Schuldrecht AT4, § 46 III (S. 320), demzufolge hypothetische Kausalverläufe bei der Naturalrestitution generell unbeachtlich seien. In den nachfolgenden, von E. Schmidt besorgten Auflagen des Lehrbuchs wird diese Ansicht allerdings nicht mehr weiterverfolgt. Gegen Esser auch Lange/Schiemann, Schadensersatz, § 4 VI (S. 187). 47 Dieser Ansicht sind Soergel/Mertens, § 249 Rz. 4, und Staudinger/Schiemann, § 249 Rz. 190. 48 Unstr., statt vieler MünchKomm/Oetker, § 249 Rz. 309. 49 So auch Staudinger/Schiemann, § 249 Rz. 5; etwas weniger deutlich Lange/Schiemann, Schadensersatz, § 6 I (S. 249): Die Differenzhypothese passe »uneingeschränkt [. . .] nur für den Kompensationsanspruch nach § 251, nicht für den Restitutionsanspruch nach § 249«. 43

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Geldentschädigung nur die »wirtschaftliche Vermögenslage«50 des Geschädigten, die ohne das Schadensereignis bestünde, sondern eine von jeglicher, auch nichtvermögensmäßiger Beeinträchtigung freier Zustand. Vor diesem Hintergrund erscheint der Ersatz nutzloser Aufwendungen als Teil des negativen Interesses in einem anderen Licht: Während es bei der Geldentschädigung allein auf den hypothetischen Vermögenswert ankommt, den die nutzlosen Aufwendungen für den Geschädigten gehabt hätten, ist bei der Naturalrestitution auch auf den immateriellen Aspekt der Schädigung, nämlich auf die Einbuße der hypothetischen Dispositionsmöglichkeit abzustellen, die der Geschädigte genossen hätte, wenn er nicht durch die Erklärung des Schädigers zu einer nutzlosen Investition veranlaßt worden wäre. Die Naturalrestitution eines in fehlgeschlagene Aufwendungen geflossenen Geldbetrags zielt demnach nicht auf die Herstellung des verlorenen Vermögenswerts, sondern auf die Herstellung der verlorenen Dispositionsmöglichkeit. Dabei ist eines zu konzedieren: Die Zahlung der im vergeblichen Vertrauen auf die Gültigkeit der Erklärung aufgewendeten Geldsumme versetzt den Geschädigten selbstverständlich nicht in genau die Lage, in der er sich ohne das schädigende Ereignis befände – verpaßte Gelegenheiten kommen nun einmal nicht wieder. Aber indem der Geschädigte eine neue Möglichkeit erhält, über seine Mittel nunmehr unbeeinflußt von der Erklärung des Schädigers zu disponieren und sie gemäß seinen Bedürfnissen zu einem von ihm bestimmten (materiellen oder immateriellen) Vorteil einzusetzen, wird zumindest die bestmögliche Annäherung an den hypothetischen Zustand erreicht, der ohne das schädigende Ereignis bestünde51. Wenn man diesen gedanklichen Schritt getan hat, läßt sich der allgemein praktizierte und in Deutschland auch wissenschaftlich unbestrittene Ersatz nutzloser Aufwendungen als Teil des negativen Interesses ohne weiteres nachvollziehen: Weil es bei der Naturalrestitution nur um die Herstellung der hypothetischen Dispositionsmöglichkeit über die fehlinvestierte Geldsumme geht, muß weder der Geschädigte beweisen, welchen hypothetischen Wert er mit dieser Summe erwirtschaftet hätte, noch ist ein Gericht gehalten, den hypothetischen Wert zu schätzen. Vielmehr ist die aufgewendete Geldsumme im Rahmen der Naturalrestitution auch dann zu ersetzen, wenn überhaupt nicht zu erkennen ist, welcher Vermögenswert dem Geschädigten daraus für sein gegenwärtiges, hypothetisches Vermögen erwachsen wäre, und sogar dann, wenn feststeht, daß er diesen Betrag zur Befriedigung eines immateriellen Bedürfnisses ausgegeben hätte. Eine Grenze findet die Herstellung der Dispositionsmöglichkeit durch Naturalrestitution nur dann, wenn nach dem weiteren hypothetischen Geschehensver50 So aber zur Naturalrestitution BGH 8. 1. 1986, WM 1986, 492, 494 m.w.Nachw. Kritisch zu dieser Formulierung des BGH auch Soergel/Mertens, § 249 Rz. 4 Fn. 5. 51 Vgl. dazu, daß es keiner vollständigen, sondern nur einer annähernden Herstellung bedarf, MünchKomm/Oetker, § 249 Rz. 313; Lange/Schiemann, Schadensersatz, § 5 II 1 (S. 215); Staudinger/Schiemann, § 249 Rz. 182.

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lauf der Geschädigte den nutzlos aufgewendeten Geldbetrag durch eine andere Fehldisposition oder durch unfreiwilligen Verlust eingebüßt hätte, denn hier hätte der Geschädigte seine Mittel auch ohne das zum Schadensersatz verpfl ichtende Verhalten des Schädigers nicht mehr bedürfnisgerecht einsetzen können 52. Hätte der Geschädigte also, wenn er auf die Gültigkeit der Erklärung des Schädigers nicht vertraut hätte, sein Geld in einem Tresor aufbewahrt, den Diebe später aufbrachen und leerten, oder hätte er das Geld in Aktien eines Unternehmens investiert, das bald darauf insolvent und liquidiert wurde, kann er für den verlorenen Betrag ebensowenig Schadensersatz im Wege der Naturalrestitution verlangen, wie er eine Geldentschädigung verlangen könnte. Die Rechtsprechung macht zwar die Berücksichtigung einer solchen »Reserverursache« davon abhängig, daß sie im Zeitpunkt des Schadensereignisses bereits als »Anlage« vorhanden war53. Doch abgesehen davon, daß man mit guten Gründen an der Berechtigung dieses Erfordernisses zweifeln kann54 und auch der BGH nicht durchweg darauf abstellt 55, wird man die Reserveursache in Gestalt des hypothetischen Verlusts wohl schon darin angelegt sehen können, daß die hypothetische Disposition des Gläubigers, die im weiteren Verlauf zu diesem Verlust geführt hätte, im Zeitpunkt des schadensursächlichen Vertragsschlusses bzw. der schadensursächlichen Erklärung des Schuldners bereits als zweitbeste, nur wegen des tatsächlich abgeschlossenen Geschäfts nicht verwirklichte Verhaltensalternative vorhanden war56 . Jenseits dieser besonderen Konstellationen, in denen der hypothetische Verlust des in die Aufwendungen geflossenen Betrags als Reserveursache berücksichtigt werden muß, gilt jedoch: Der Ersatz nutzloser Aufwendungen steht dem Geschädigten als Naturalrestitution seines negativen Interesses zu. Daß dieses Vorgehen, obwohl es von dem ökonomischen Ideal des Ersatzes der »Vertrauenskosten« abweicht, dennoch wirtschaftlich sinnvoll ist, hat sich bereits im ersten Teil dieser Untersuchung ergeben: Unüberwindliche Probleme bei der Bezifferung des hypothetischen Vermögenswerts drohten sonst zu einer chronischen Unterkompensation des Geschädigten und damit zu einem Verlust der verhaltenssteuernden Wirkung der Sanktion zu führen57.

2. Schadenszurechnung Die Differenzhypothese ist nur der Ausgangspunkt der Bestimmung des ersatzfähigen Schadens: Nicht jede Einbuße, die der Geschädigte aufgrund des Verhaltens des Schädigers erlitten hat, ist von diesem zu ersetzen. Die Einschränkungen der 52

Zur Behauptungs- und Beweislast siehe unten, Abschnitt I 3 c. Vgl. z. B. BGH 1. 2. 1994, BGHZ 125, 56, 61 f. Ausführlich zum Ganzen Staudinger/Schiemann, § 249 Rz. 97 ff.; MünchKomm/Oetker, § 249 Rz. 203. 54 Kritisch dazu Grunsky, in: FS Lange, S. 469, 477 f. 55 Vgl. etwa BGH 14. 3. 1985, NJW 1986, 1329, 1332 f.; 16. 2. 1995, NJW-RR 1995, 619, 620. 56 Ähnlich bereits Schultz, VersR 1990, 808, 812 f. 57 Siehe oben, § 7 III 3. 53

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Schadenszurechnung bei äquivalenter Kausalität durch die Normzwecklehre und die Adäquanztheorie zeigen, daß es sich bei der Bestimmung des Schadensersatzes im Falle der Naturalrestitution nicht um die mechanische Anordnung der Herstellung des schadensfreien Zustands und im Falle der Geldkompensation nicht um eine schlichte Rechenaufgabe, nämlich die Subtraktion des vorhandenen von dem hypothetischen Wert des Gläubigervermögens, handelt, sondern um ein komplexes Wertungsproblem58. Dieses Wertungsproblem hat der Rechtsanwender auch bei der Zurechnung von Vertrauensschäden zu lösen. Ob und in welcher Weise das allgemeine Instrumentarium der Schadenszurechnung dazu beiträgt, sollen die folgenden Überlegungen erweisen. a) Äquivalente Kausalität Notwendig, wenn auch nicht hinreichend für die Schadenszurechnung ist zunächst die Kausalität des zum Ersatz verpflichtenden Umstandes für den geltend gemachten Schaden. Der Begriff des Vertrauensschadens, wie er in den vorangehenden Ausführungen schon umrissen wurde, trägt diese Voraussetzung bereits in sich: Es handelt sich per definitionem um den Schaden, der durch eine kraft Gesetzes oder infolge Anfechtung nichtige Willenserklärung bzw. durch einen nichtigen Vertrag verursacht wurde. Gebhard hatte dies in dem Regelungsvorschlag seines Vorentwurfs zum Allgemeinen Teil des BGB im Hinblick auf die Haftung des Irrenden noch deutlicher zum Ausdruck gebracht, als dies in § 122 BGB der Fall ist: »Gelangt an den anderen Vertragstheil eine Erklärung, bei welcher das als gewollt Bezeichnete mit dem wirklich Gewollten nicht übereinstimmt«, heißt es in § 100 I des Vorentwurfs59, »so haftet der Urheber der Willenserklärung dem anderen Theile für den demselben hierdurch verursachten Schaden, sofern nicht der Empfänger der Erklärung den wirklichen Willen kannte oder kennen mußte.« Diese damals wie heute richtige, im Grunde triviale Erkenntnis über den Kausalzusammenhang, den der Ersatz des negativen Interesses voraussetzt, droht allenfalls dadurch verdunkelt zu werden, daß manche 60 den Ersatz vergeblicher Aufwendungen als Teil des negativen Interesses nicht deutlich genug von dem Ersatz vergeblicher Aufwendungen als »Frustrationsschaden« unterscheiden: Die Begründung der These, »frustrierte« Aufwendungen seien prinzipiell als Schaden ersatzfähig, ist das Anliegen der auf von Tuhr zurückgehenden, sogenannten Frustrationslehre, die sich hierzu auch auf den Ersatz des negativen Interesse beruft61. Diese Lehre steht, um das Mindeste zu sagen, in einem Spannungsverhältnis zum grundsätzlichen Ausschluß der Geldentschädigung für immaterielle Schäden in § 253 I BGB. Bei der Auslegung von § 284 BGB, der von manchen als partielle ge58 59 60 61

Darüber besteht Einigkeit; vgl. statt vieler MünchKomm/Oetker, § 249 Rz. 22. Abgedruckt bei Schubert, Vorentwürfe, AT Teil 1, S. 18 (Hervorhebung von mir). Etwa Emmerich, in: FS Otte, S. 101, 103 f. Vgl. v. Tuhr, Allgemeiner Teil Bd. 1, S. 320 Fn. 33a.

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setzliche Anerkennung der Frustrationslehre im Hinblick auf ein immaterielles positives Interesse interpretiert wird, ist auf diese Lehre zurückzukommen62. Hier ist vorerst nur festzuhalten: Der Ersatz nutzloser Aufwendungen als Teil des negativen Interesses hat mit dem Frustrationsgedanken nichts zu tun, wie bereits Knobbe-Keuk63 gegen von Tuhr ausgeführt hat. Er ergibt sich hier vielmehr, wie der BGH zutreffend festgestellt hat, »schon aus den überkommenen Grundsätzen der Schadensberechnung«64. Die Begründung dafür ist vor dem Hintergrund der bereits erörterten Grundlagen des Ersatzes von Vertrauensschäden leicht zu erkennen: Das mit dem Frustrationsgedanken verbundene Problem der Ersatzfähigkeit nutzloser Aufwendungen stellt sich nur, wenn das zum Schadensersatz verpflichtende Verhalten dasjenige ist, das die Nutzlosigkeit der Aufwendungen verursacht hat, denn hier ist zu fragen, ob in der Entwertung der Aufwendungen ein ersatzfähiger Schaden liegt. Ist aber der Schädiger bereits für die Entstehung der Aufwendungen haftungsrechtlich verantwortlich, stellt sich diese Frage nicht65 ; hier liegt in der Erstattung des Betrags der Aufwendungen nur die Herstellung der Lage, die ohne das zum Schadensersatz verpflichtende Verhalten bestünde. So kann es denn auch nicht verwundern, daß die §§ 122, 179 II BGB oder irgendein anderer Fall der Haftung auf das negative Interesse niemals unter den »Ausnahmen« zu § 253 I BGB aufgeführt werden66 : In all diesen Fällen verpflichtet den Schädiger sein schon für die Aufwendungen als solche (und nicht erst für deren »Frustration«) ursächliches Verhalten, nämlich die Abgabe einer unwirksamen Willenserklärung oder, wie wir noch sehen werden, ein sonstiges normativitätsstiftendes Verhalten zum Schadensersatz. b) Schutzzweckzusammenhang Zu Recht besteht Einigkeit darüber, daß es über die Feststellung der Kausalität hinaus einer wertenden Beschränkung der Haftung bedarf67: Die Uferlosigkeit ei62

Siehe unten, § 11 II 2. Keuk, Vermögensschaden, S. 249. Die von Keuk angeführte Begründung, der Ersatz des negativen Interesses ziele »auf die Restitution in den Zustand, wie er vor dem Vertragsschluß bestanden hat«, ist allerdings aus den soeben (in Abschnitt 1.) genannten Gründen nicht zu teilen. 64 BGH 21. 4. 1978, BGHZ 71, 234, 237 f. 65 So zutreffend Schobel, Ersatz frustrierter Aufwendungen, S. 7, der überhaupt nur von »frustrierten Aufwendungen« sprechen will, wenn es um Sachverhalte geht, in denen der Schädiger nicht die Aufwendungen als solche, sondern deren Nutzlosigkeit verursacht hat. Diese terminologische Beschränkung wird sich allerdings kaum durchsetzen. 66 Dies stellt auch G. Müller, Ersatz entwerteter Aufwendungen, S. 79, fest, der allerdings im vorangehenden Text nicht deutlich zwischen dem Ersatz von Frustrationsschäden und dem Ersatz des negativen Interesses unterscheidet. 67 Übereinstimmend die rechtsökonomische Lit.; so etwa Adams, Gefährdungs- und Verschuldenshaftung, S. 149 f.; R. Posner, Economic Analysis, S. 186 f f.; Schäfer/Ott, Ökonomische Analyse, S. 260. 63

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ner reinen Kausalhaftung wäre nicht nur unbillig, sondern auch ein Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Übermaßverbot68. Sie wäre im übrigen ohne jeden Sinn: Das Problem der Schadenstragung ist reziproker Natur69, denn jemandem einen Schaden abzunehmen, heißt immer auch, ihn einem (oder mehreren) anderen aufzuerlegen. Die Kausalität im Sinne der condicio sine qua non sorgt zwar für eine Verbindung des Schadens mit Personen, die für die Schadenstragung in Frage kommen. Aber diese Verbindung zum Schaden ist außer bei allen potentiell verantwortlichen Tätern immer auch beim Opfer gegeben – beispielsweise ist für eine Körperverletzung des A außer dem B, der ihn überfahren hat, auch A selbst allein durch seine Präsenz am Unfallort ursächlich geworden. Die bloße kausale Verknüpfung erlaubt deshalb keine Entscheidung, ob jemand anders als das Opfer sich den Schaden zurechnen lassen muß. Es bedarf vielmehr zusätzlicher Erwägungen, die es rechtfertigen, den Schaden vom Opfer auf einen anderen Verursacher abzuwälzen. Diese Erwägungen sind notwendig normativer Natur: Die Grenze zwischen der Verantwortung des Schädigers und der Selbstverantwortung des Geschädigten, die man hier zu ziehen hat, ist nicht empirisch vorzufinden. Deshalb führen Verfeinerungen der Kausalitätsbetrachtung, etwa Differenzierungen nach unmittelbaren und mittelbaren Ursachen oder wesentlichen und unwesentlichen Bedingungen70 , wie man heute weiß, in die Irre. Es ist das unbestreitbare Verdienst der Schutzzwecklehre, demgegenüber darauf hingewiesen zu haben, daß es bei dieser Grenzziehung »allein um Schutzzweck und Schutzumfang der die Schadenshaftung begründenden Norm« geht71. Außer der Frage der Kausalität gilt es daher bei der Schadenszurechnung stets eine zweite, davon klar zu unterscheidende Frage zu klären: »[T]he question to be answered is whether the law protects the plaintiff from the particular damage that he has suffered.«72 Die Einsicht, daß das rechtlich geschützte Interesse und damit der zu ersetzende Schaden nach dem Schutzzweck des von dem Schädiger verwirklichten gesetzlichen Haftungstatbestands bzw. der von ihm verletzten vertraglichen Pflicht bestimmt werden muß und dementsprechend Schäden nicht ersatzfähig sind, deren Eintritt durch die verletzte Norm nach deren Sinn und Zweck nicht verhindert

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So zutreffend MünchKomm/Oetker, § 249 Rz. 99. Diese Einsicht verbindet sich mit dem Beginn der ökonomischen Analyse des Rechts bei Coase, 3 J. L. & Econ. 1, 2 (1960). 70 Vgl. insoweit den kurzen Rückblick auf die älteren Theorien von Birkmeyer, Binding und Oertmann bei Lange/Schiemann, Schadensersatz, § 3 V (S. 82). 71 So die Formulierung von Caemmerers in seiner für die Schutzzwecklehre grundlegenden Freiburger Rektoratsrede, in: Gesammelte Schriften Bd. 1, S. 395, 402 (Hervorhebungen im Original). Die Anregung dazu ging von Rabel aus, der, an seine Untersuchung der Haftungsbegrenzung im Vertragsrecht anschließend, »die allgemeine These« aufstellte, »daß jede Pfl icht bestimmten Interessen dient und daß nur der Schaden, der diesen geschützten Interessen zugefügt wird, dem Schuldner zugerechnet werden soll« (Recht des Warenkaufs Bd. 1, S. 497). 72 McGregor, Damages, Rz. 4–022, der auch darauf hinweist, daß es sich bei dieser Frage und der Frage der Kausalität um »very different matters« handelt. 69

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werden sollte, hat sich mittlerweile in einem weiten Umfange durchgesetzt73. Man muß sich allerdings darüber im klaren sein, daß in der Lehre vom Schutzzweckzusammenhang nur eine Anleitung zur Lösung von Problemen der Schadenszurechnung liegt: Sie weist den Rechtsanwender an, diese Lösung anhand der Normen zu suchen, auf die die Verantwortlichkeit des Schädigers gestützt wird, und vor den – allerdings beträchtlichen – Schwierigkeiten, die sich dabei ergeben, nicht in die trügerische Sicherheit faktischer Kriterien zu entfliehen74. Auch die schutzzweckgerechte Begrenzung der Haftung auf das negative Interesse ist nicht frei von solchen Schwierigkeiten: Was etwa die §§ 122, 179 II BGB betrifft, ist mit dem Gemeinplatz, geschützt werde das Vertrauen des Geschädigten auf die Wirksamkeit der nichtigen oder später angefochtenen Erklärung bzw. des ohne Vertretungsmacht geschlossenen Vertrags, nicht weit zu kommen. Jeder Schaden, der durch die Abgabe einer nichtigen Erklärung (oder durch ein sonstiges normativitätsstiftendes Verhalten) verursacht wird, ist durch das Vertrauen des Geschädigten bedingt; wer dagegen nicht auf die Erklärung vertraut, stellt sein Verhalten auch nicht auf die Erklärung ein, so daß diese keinen Schaden bei ihm verursachen kann. Zu Recht ist deshalb darauf hingewiesen worden, daß die faktische »Gewährung von Vertrauen«75 nur die normale Haftungsvoraussetzung der Ursächlichkeit des Verhaltens des Erklärenden für den Schaden seines Gegenübers ist76 . Die Feststellung, daß Normen wie die §§ 122, 179 II BGB nur die Entstehung von Schäden verhüten sollen, die auf dem Vertrauen des Geschädigten beruhen, ist daher zwar richtig, aber, was die Haftungsbegrenzung betrifft, folgenlos. Damit kann es schwerlich sein Bewenden haben: Man stelle sich etwa vor, B habe dem A bei einem Telefongespräch einen wertvollen Ring im Scherz günstig zum Kauf angeboten und A habe das nach § 118 BGB nichtige Angebot angenommen, ohne den Nichtigkeitsgrund zu erkennen oder erkennen zu müssen. Um den Ring abzuholen, begibt sich A sogleich mit seinem Auto auf den Weg zu B, gerät jedoch vor Erreichen des Ziels auf einem eisglatten Straßenabschnitt unverschuldet ins Schleudern und kollidiert mit einer Mauer. Durch den Unfall erleidet sein Auto einen Totalschaden und er selbst eine Körperverletzung. Hätte A nicht auf die Geltung der Erklärung des B vertraut, hätte er sich nicht auf den Weg gemacht, und es wäre zu dem Unfall und damit auch zu den Schäden nicht gekommen – an der Kausalität kann also kein Zweifel sein. Soll aber B, begrenzt nur durch den u. U. sehr hohen Betrag des Erfüllungsinteresses des A, den Schaden nach § 122 BGB ersetzen müssen? Das wäre nicht zu rechtfertigen: Zu dem Schaden hat B zwar einen Kausalbeitrag geleistet, aber dies allein verbindet ihn nicht enger mit 73

Einen Überblick über die Entwicklung gibt Schlechtriem, ZEuP 1997, 232, 246 ff. Die Schutzzwecklehre wegen mangelnder Präzision abzulehnen, wäre daher nicht gerechtfertigt; vgl. im übrigen zur Problematik der Leistungsfähigkeit dieser Lehre MünchKomm/Oetker, § 249 Rz. 120; Lange/Schiemann, Schadensersatz, § 3 IX 12 (S. 127 f.). 75 Ballerstedt, AcP 151 (1950/51), 501, 507. 76 Frotz, in: GS Gschnitzer, S. 163, 169; vgl. auch Flume, Rechtsgeschäft, § 10, 5 (S. 132); Picker, AcP 183 (1983), 369, 427. 74

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dem Schaden, als etwa A selbst oder auch der Erbauer der Mauer mit dem Schaden verbunden ist. Wollte man B den Schaden gleichwohl zurechnen, erwiese sich der Willensmangel seiner Erklärung für A als glücklicher Zufall, denn bei Vorliegen eines wirksamen Kaufvertrags hätte ihm ein Anspruch auf Schadensersatz nicht zugestanden. Das Beispiel zeigt: Die Haftung auf das negative Interesse darf, wie die Schadensersatzhaftung überhaupt77, nicht dazu führen, daß der Anspruchsberechtigte sein allgemeines Lebensrisiko auf den Verpflichteten abwälzt. Dem Verpflichteten dürfen vielmehr nur die Folgen der spezifischen Gefahr aufgebürdet werden, die er durch sein haftungsrechtlich sanktioniertes Verhalten geschaffen hat. Worin diese Gefahr bei der Haftung auf das negative Interesse besteht und warum es sinnvoll ist, den Schutz des Geschädigten auf die Verwirklichung dieser Gefahr zu beschränken ist, vermögen die im ersten Teil dieser Untersuchung erarbeiteten Einsichten zu erklären. Danach liegt die durch Haftungsrecht einzudämmende Gefahr rechtsgeschäftlicher wie außerrechtsgeschäftlicher Versprechen in der Informationsasymmetrie zwischen Versprechendem und Versprechensempfänger begründet, was die Beurteilung des Nichterfüllungsrisikos im Zeitpunkt der Versprechensabgabe betrifft78. So weiß in dem Beispiel der Scherzerklärung der Versprechende von vornherein, daß er sein Versprechen nicht erfüllen will, während der gutgläubige Versprechensempfänger aufgrund des Versprechens vom Gegenteil ausgeht. Für die Folgen dieser Fehlinformation, nämlich die dadurch bedingten Fehldispositionen, soll der Versprechende dem Empfänger einstehen müssen. Dadurch erhält der Versprechende einen Anreiz, kostenträchtige Fehlinformationen (in Gestalt von Scherzerklärungen) in einem effizienten Maß zu unterdrücken. Die rechtspolitische Notwendigkeit, die Haftung auf die spezifischen Folgen dieser Gefahr zu beschränken, ergibt sich, wenn man die Anreizsituation auf der Seite des Versprechensempfängers in den Blick nimmt: Damit die Gewährung des Anspruchs auf Ersatz des Vertrauensschadens seine Anreizsituation nicht in ineffizienter Weise verzerrt, gilt es zu verhindern, daß er durch seine Anspruchsberechtigung in die Lage versetzt wird, einen »windfall profit« zu erzielen, indem er ein Risiko, das ihn unabhängig von der Fehlinformation über das Nichterfüllungsrisiko trifft (das allgemeine Lebensrisiko), auf den Versprechenden abwälzt. Wenn sich dieses Risiko in einem Schaden verwirklicht, sollte es daher dem Versprechenden nicht zugerechnet werden79. Die Zurechnungsgrenze des Schutzzweckzusammenhangs verhilft diesem Gedanken zur positivrechtlichen Anerkennung80. 77 Vgl. Lange/Schiemann, Schadensersatz, § 3 IX 1 (S. 101 ff.); Hans Stoll, Haftungsfolgen, S. 400. 78 Siehe oben, § 5 III 1. 79 Siehe oben, § 5 III 2 b cc. 80 Zu der Begrenzung auf der Haftung nach § 122 BGB auf den Betrag des positiven Interesses als besonderer Ausdruck des Schutzzwecks der Norm siehe unten, Abschnitt III 1 a.

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c) Adäquater Zusammenhang? Ein weiteres Kriterium für die Beurteilung des Zurechnungszusammenhangs sehen viele in der Adäquanztheorie81. Danach ist für die Zurechnung ein adäquater Zusammenhang zwischen dem Schaden und der zum Ersatz verpflichtenden Tatsache erforderlich. Dieser Zusammenhang liegt nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts und des BGH vor, »wenn eine Tatsache im allgemeinen und nicht nur unter besonders eigenartigen, ganz unwahrscheinlichen und nach dem regelmäßigen Verlauf der Dinge außer Betracht zu lassenden Umständen zur Herbeiführung eines Erfolges geeignet war« 82 . Dabei seien zu berücksichtigen »a) alle zur Zeit des Eintritts der Begebenheit dem optimalen Beobachter erkennbaren Umstände, b) die dem Urheber der Bedingung noch darüber hinaus bekannten Umstände« 83.

Nun ist die Rechtsprechung bei ihren Versuchen, die Grenzen der Adäquanz abzuschreiten, bekanntlich nicht immer trittsicher84, und dies nicht ohne Grund: Der Grad der Wahrscheinlichkeit, mit der eine bestimmte Tatsache einen bestimmten Erfolg herbeiführt, hängt davon ab, wie weit man die Umstände spezifiziert, auf die sich die objektive Ex-ante-Prognose stützt. Je genauer man diese Umstände beschreibt, desto wahrscheinlicher wird, da sich das Feld der Vergleichsfälle verengt, der später tatsächlich eingetretene Erfolg und desto weniger eignet sich die Adäquanz zur Begrenzung des Haftungsumfangs85. So führt, um unser Beispiel zum Schutzzweckzusammenhang noch einmal aufzugreifen, das scherzhafte Angebot, jemandem einen Ring zu verkaufen, bei isolierter Betrachtung im allgemeinen nicht zu Sachschäden und Körperverletzungen. Nimmt man aber noch all das hinzu, was sich einem »optimalen Beobachter« im Zeitpunkt der Erklärung erschließen konnte: daß mit der Erklärung dem Adressaten erfolgreich suggeriert wurde, Gläubiger einer sofort fälligen Holschuld zu sein, daß der Weg, den er zur Abholung des Rings zurückzulegen haben würde, teilweise mit Glatteis bedeckt war und das Verkehrsmittel, dessen er sich aller Voraussicht nach bedienen würde, bei Glatteis schwer zu beherrschen ist, lag ein Unfall, wie er tatsächlich stattgefunden hat, nicht außerhalb der Wahrscheinlichkeit. Zwar läßt sich die Adäquanztheorie durchaus so fassen, daß sie eine spürbare Haftungsbegrenzung ermöglicht (etwa indem man anstelle eines nahezu allwis81 So etwa Lange/Schiemann, Schadensersatz, § 3 VI 5 (S. 92); MünchKomm/Oetker, § 249 Rz. 114; Soergel/Mertens, Vor § 249 Rz. 123; Staudinger/Schiemann, § 249 Rz. 22. Zu den Ursprüngen der Adäquanztheorie eingehend Thüsing, Wertende Schadensberechnung, S. 39. 82 BGH 23. 10. 1951, BGHZ 3, 261, 267, im Anschluß an RG 22. 6. 1931, RGZ 133, 126, 127; mit geringfügigen Abweichungen im Wortlaut etwa auch BGH 14. 10. 1971, BGHZ 57, 137, 141. 83 BGH 23. 10. 1951, BGHZ 3, 261, 266 f. 84 Vgl. die Darstellung der Kasuistik bei Lange/Schiemann, Schadensersatz, § 3 VI 4 (S. 86 ff.). 85 So bereits Lange/Schiemann, Schadensersatz, § 3 VI 2 (S. 84); Larenz, Schuldrecht I, § 27 III b (S. 437).

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senden »optimalen Beobachters«, aus dessen Sicht fast kein Kausalverlauf besonders ungewöhnlich ist, einen »erfahrenen Beobachter« mit weniger weitreichenden Kenntnissen postuliert, dessen Perspektive es eher ermöglicht, besonders eigenartige Schadensfolgen auszusondern86). Auf diese Weise könnte man auch dahin gelangen, den Urheber der Scherzerkärung wegen fehlender Adäquanz von der Haftung für die Schäden des gutgläubigen Erklärungsadressaten zu verschonen. Aber es ist schwer zu erkennen, warum man sich solchen Mühen überhaupt unterziehen soll: Wenn, wie in dem Beispiel der Scherzerklärung, der eingetretene Schaden außerhalb des Schutzzweckzusammenhangs liegt, ist er schon allein aus diesem Grund und ungeachtet eines adäquaten Zusammenhangs nicht zu ersetzen. Wenn es umgekehrt dem Schutzzweck entspricht, dem Verpflichteten eine bestimmte Schadensfolge zuzurechnen, ist die Prüfung der Adäquanz ebenfalls unerheblich: Der Verpflichtete muß, wenn es der Schutzzweck gebietet, auch für ganz unwahrscheinliche Folgen seines Verhaltens aufkommen87. Es ist deshalb weitgehend unumstritten, daß das Urteil über die Adäquanz, soweit man es als Urteil über die statistische Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts versteht88 , der haftungserweiternden oder haftungsbeschränkenden Korrektur durch die Bewertung anhand des Schutzzweckzusammenhangs bedarf89. Die Adäquanztheorie kommt daher allenfalls für eine vorläufige Grobeinschätzung der Schadenszurechnung in Betracht. Sie in dieser Weise einzusetzen, hält man teilweise für sinnvoll, weil die Beurteilung der Adäquanz »für den Juristen leichter und sicherer [sei] als der mühsame Weg, von Fallgruppe zu Fallgruppe Kriterien für den maßgeblichen Normzweck zu ermitteln«90. Gerade das aber ist in Anbetracht der Probleme, konsensfähige Kriterien für die Bestimmung der Tatsachenbasis des Wahrscheinlichkeitsurteils anzugeben, zu bestreiten. Vielmehr fordert die Manipulierbarkeit der Adäquanzprüfung eine verdeckte Aufladung mit normativen Wertungen geradezu heraus, die richtigerweise als Schutzzweckgesichtspunkte offengelegt und diskutiert werden müßten. Die hierdurch begründete Ablehnung der Adäquanz als eigenständiges, der Schutzbereichsprüfung vorzuschaltendes Kriterium der Schadenszurechnung91 widerspricht nicht den in § 5 angestellten Überlegungen zur rechtsökonomisch ge86

So der Vorschlag von Larenz, Schuldrecht I, § 27 III b (S. 439 f.). Z. B. für höchst seltene Impfschäden; vgl. BGH 17. 10. 1955, BGHZ 18, 286, 287 ff. 88 Gottwald, Schadenszurechnung, S. 106, und Soergel/Mertens, Vor § 249 Rz. 121, wollen bei der Prüfung der Adäquanz allerdings nicht auf den statistischen Wahrscheinlichkeitszusammenhang, sondern auf den teleologischen Gefahrenzusammenhang abstellen. 89 So etwa auch Lange/Schiemann, Schadensersatz, § 3 VI 5 (S. 91); MünchKomm/Oetker, § 249 Rz. 11; Staudinger/Schiemann, § 249 Rz. 19, 27; Hans Stoll, Haftungsfolgen, S. 398 (mit rechtsvergleichenden Hinweisen). 90 Staudinger/Schiemann, § 249 Rz. 20. 91 Gegen die Adäquanztheorie auch Esser/E. Schmidt, Schuldrecht AT II, § 33 II (S. 233 ff.); U. Huber, JZ 1969, 677, 682; ders., JuS 1972, 439, 440; MünchKomm 3/Grunsky, Vor § 249 Rz. 42; tendenziell auch Kramer, JZ 1976, 338, 346 (Schutzzwecktheorie als plausibelste Fragestellung). 87

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forderten Begrenzung des Haftungsumfangs: Es ist gewiß richtig, daß die Erkennbarkeit der Möglichkeit eines Schadenseintritts für die haftungsrechtliche Verhaltenssteuerung von Bedeutung ist92. Das gilt gerade auch im Hinblick auf die Pflicht zum Ersatz von Vertrauensschäden, mit deren Hilfe die Abgabe von Versprechen gesteuert werden soll: Schäden, deren Eintrittsmöglichkeit von dem Versprechenden im Zeitpunkt der Versprechensabgabe mit effizientem Aufwand nicht ermittelt werden können, sollten grundsätzlich nicht ersetzt werden, damit dem Versprechensempfänger ein Anreiz zur Offenbarung seines Schadenspotentials vermittelt wird93. Um dies zu erreichen, bedarf es jedoch nicht der Beibehaltung der Adäquanztheorie. Seinen positivrechtlichen Ort hat dieser Sachgesichtspunkt vielmehr, was das deutsche Recht betrifft, in der noch zu behandelnden Regelung des § 254 II 1 BGB94. Wenn man geltend gemachte Schadenspositionen auf ihre Ersatzfähigkeit als Teil des negativen Interesses überprüft, ist daher neben der Kausalität nur der Schutzzweckzusammenhang als Grenze der Schadenszurechnung relevant.

3. Fragen der Beweislast Für die Entstehung und den Umfang des ihm zu ersetzenden Vertrauensschadens trägt, wie für jede ihm günstige, anspruchsbegründende Tatsache, grundsätzlich der Geschädigte die Behauptungs- und Beweislast95. Dies ist jedoch nur der Ausgangspunkt der Beurteilung: Besonderheiten ergeben sich, was den Beweis der Kausalität der Erklärung des Schuldners für die Vertrauensdisposition des Gläubigers (dazu a) betrifft, ferner den Beweis des Gewinns (dazu b) oder auch des Verlusts (dazu c), den der Gläubiger mit der hypothetischen Investition erwirtschaftet hätte, die er anstelle der tatsächlichen Verwendung seiner Mittel gewählt hätte. a) Die Ursächlichkeit der Erklärung des Schuldners für die Vertrauensdisposition des Gläubigers Wer gemäß § 122 BGB Schadensersatz verlangt, muß, wenn man von der Grundregel der Beweislastverteilung ausgeht, die Kausalität der nichtigen oder angefochtenen Erklärung seines Gegners für den von ihm geltend gemachten Schaden beweisen96 . Unabhängig davon, ob nur verlorene Aufwendungen oder weitere Schäden, insbesondere entgangener Gewinn aus einem nicht abgeschlossenen anderen 92 Hierauf verweisen Schäfer/Ott, Ökonomische Analyse, S. 264 f., zur ökonomischen Legitimation der Adäquanztheorie. Gegen die Adäquanztheorie aus rechtsökonomischer Sicht allerdings Adams, Gefährdungs- und Verschuldenshaftung, S. 150 ff. 93 Siehe oben, § 5 III 2 b bb. 94 Siehe unten, Abschnitt III 3 b. 95 Vgl. (mit Bezug auf die Beweislast für den Schadensumfang im allgemeinen) statt vieler Staudinger/Schiemann, Vor § 249 Rz. 88. 96 So MünchKomm/Kramer, § 122 Rz. 14; Palandt/Heinrichs, § 122 Rz. 7.

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Geschäft, ersetzt verlangt werden, schließt dies den Beweis einer Kausalbeziehung zwischen der Erklärung des Gegners und den Dispositionen des Anspruchstellers ein, die zu den behaupteten Schäden geführt haben. Danach hätte also der (angeblich) Geschädigte zu beweisen, daß er etwa einerseits bestimmte Ausgaben nicht getätigt oder andererseits bestimmte andere Geschäfte abgeschlossen hätte, wenn er auf die Gültigkeit der Erklärung des anderen Teils nicht vertraut hätte. Weil hierzu eine innere Tatsache – die Willensentscheidung des Erklärungsadressaten – ermittelt werden muß, die zudem hypothetischer Natur ist, kann indes die Gefahr bestehen, daß die Anspruchsdurchsetzung an Beweisproblemen scheitert. Bei Investitionen, die beim gegenseitigen Vertrag zum Erwerb der vertraglich versprochenen Leistung erforderlich sind oder sonst in einem notwendigen Zusammenhang mit dem Austausch der vertraglichen Leistungen stehen (»essential reliance«) 97, mag dies nicht der Fall sein, wohl aber bei Vertrauensdispositionen, die der Gläubiger zu weitergehenden Zwecken tätigt und die daher in weniger eindeutigem Zusammenhang mit der ungültigen Erklärung des anderen Teils stehen (»incidental reliance«) 98. Diese Schwierigkeit ergibt sich auch jenseits der in den §§ 122, 179 II BGB geregelten Fälle der Haftung auf das negative Interesse. Auch der arglistig Getäuschte, der sich durch die Anfechtung nach § 123 I BGB von einer rechtsgeschäftlichen Bindung zu lösen sucht, und der durch eine vorvertragliche Fehlinformation Irregeführte, der Schadensersatz wegen c.i.c. (§ 280 I BGB i. V. m. §§ 311 II, 241 II BGB) beansprucht, stehen vor dem Problem, die Kausalität zwischen dem (irreführenden) Verhalten ihres Gegenübers und ihrer eigenen Willensentscheidung nachzuweisen. Insbesondere was die Schadensersatzhaftung wegen Verletzung einer Aufklärungspflicht betrifft99, haben Rechtsprechung und Literatur verschiedene, teilweise miteinander unvereinbare Ansätze entwickelt, die dem Geschädigten die ihm auferlegte Beweislast erleichtern oder sie ihm sogar ganz abnehmen. Die hierzu gewonnenen Erkenntnisse (die in aller Ausführlichkeit herzuleiten den Rahmen dieser Untersuchung sprengen würde) lassen sich auch für das Problem des Kausalitätsnachweises bei der Haftung auf das negative Interesse fruchtbar machen, wie sie in den §§ 122, 179 II BGB geregelt ist. aa) Beweismaßreduzierung nach § 287 ZPO § 287 I 1 ZPO reduziert das Beweismaß gegenüber § 286 I 1 ZPO: Statt des Vollbeweises reicht zum Beweis der behaupteten Tatsache eine »deutlich überwiegende, auf gesicherter Grundlage beruhende Wahrscheinlichkeit [. . .] aus. Zugleich erleichtert § 287 ZPO dem Geschädigten auch die Darlegung«100. § 287 I 1 ZPO wird im allgemeinen auf die haftungsausfüllende, nicht aber auf die haftungsbegrün97

Näher dazu unten, Abschnitt II 1 a aa. Näher dazu unten, Abschnitt II 1 a bb. 99 In neuerer Zeit werden diese Ansätze vom Schrifttum zu Recht auch auf § 123 BGB übertragen; dazu ausführlich Grigoleit, Informationshaftung, S. 163 ff. 100 BGH 5. 11. 1992, NJW 1993, 734 (Nachweise im Original weggelassen). 98

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dende Kausalität bezogen101. Diese Abgrenzung läßt sich etwa bei der Haftung für reine Vermögensschäden, die aus Aufklärungspfl ichtverletzungen entstanden sind, naturgemäß wesentlich schwerer treffen als bei Anspruchsgrundlagen wie § 823 I BGB, bei denen Rechtsgutsverletzung und Schaden klar auseinandertreten. Die Rechtsprechung behilft sich insoweit mit dem Merkmal der Betroffenheit: Nur wenn der Geschädigte den Vollbeweis nach § 286 ZPO dafür führt, daß er durch das schädigende Ereignis »betroffen« ist, soll § 287 ZPO anwendbar sein102. Vor diesem Hintergrund hat die Judikatur auch den Beweis der Kausalität zwischen der Verletzung von vertraglichen, vorvertraglichen oder auch Amtspfl ichten und einem geltend gemachten Schaden dem Anwendungsbereich des § 287 ZPO zugeordnet103. Im Schrifttum neigt man eher dazu, dieses Ergebnis darauf zu stützen, daß die Verletzung der Willensfreiheit als erste Rechtsgutsverletzung dem Vollbeweis unterliege, während im übrigen für die Kausalbeziehung zum (sonstigen) Schaden das reduzierte Beweismaß gelte104. Der Beweis der Kausalität zwischen der zum Schadensersatz verpflichtenden Erklärung der einen und den schädigenden Dispositionen der anderen Seite bei der in den §§ 122, 179 II BGB exemplarisch geregelten Haftung auf das negative Interesse dürfte aus denselben Erwägungen nur dem reduzierten Beweismaß des § 287 ZPO unterliegen. Dies gilt zunächst für das von der Rechtsprechung favorisierte Kriterium der Betroffenheit: Bei Verträgen begründet bereits die ex lege oder infolge Anfechtung unwirksame vertragliche Beziehung, in der Schädiger und Geschädigter zueinander stehen, das »Betroffensein« des letzteren. Bei sonstigen empfangsbedürftigen Willenserklärungen ist der Geschädigte als Adressat der Erklärung betroffen. Allein bei nicht empfangsbedürftigen Erklärungen – man stelle sich eine nach § 118 BGB nichtige Auslobung vor – verliert sich die Abgrenzung nach diesem Kriterium im Ungefähren; doch liegt es in der Natur einer solchen Erklärung, daß sich jeder, der sie zur Kenntnis nimmt, von ihr angesprochen und damit »betroffen« fühlen darf. Ebenso verhält es sich, wenn man, was nicht zuletzt wegen der Undeutlichkeit des Merkmals der Betroffenheit naheliegt105, auf das Vorliegen einer Rechtsgutsverletzung abstellt: Nicht anders als eine Aufklärungspflichtverletzung beeinträchtigt eine nichtige oder angefochtene Erklärung die Dispositionsfreiheit desjenigen, der auf ihre Gültigkeit vertraut. Die Beeinträchtigung liegt, in der hier verwendeten Begrifflichkeit, darin, daß die unwirksame Erklärung eine – dann enttäuschte und von der Rechtsordnung nicht durch die Gewährung eines Erfül101 BGH 13. 12. 1951, BGHZ 4, 192, 196 f.; aus der Lit. statt vieler MünchKommZPO/Prütting, § 287 ZPO Rz. 9 ff. 102 Vgl. BGH 13. 12. 1951, BGHZ 4, 192, 196 f. 103 Vgl. z. B. BGH 28. 4. 1982, WM 1982, 718, 720. 104 In diesem Sinne etwa Geibel, Kapitalanlegerschaden, S. 164; Grigoleit, Informationshaftung, S. 167; Hans Stoll, AcP 176 (1976), 145, 173 und 188 f. 105 Dazu kritsch Arens, ZZP 88 (1975), 1, 8 ff., 27 ff.; Geibel, Kapitalanlegerschaden, S. 163; Hans Stoll, AcP 176 (1976), 145, 185 ff.

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lungsanspruchs bestätigte – normative Erwartung beim Betroffenen weckt. Bei der Beziehung zwischen der Erklärung und der durch sie produzierten normativen Erwartung handelt es sich um den § 286 ZPO unterfallenden, »haftungsbegründenden« Kausalzusammenhang. Dieser Zusammenhang dürfte in der Regel, nämlich dann, wenn die tatsächliche Erwartung der Erklärungsempfängers mit dem Ergebnis der normativen Auslegung der Erklärung nach dem Empfängerhorizont gemäß den §§ 133, 157 BGB übereinstimmt, leicht festzustellen sein106 . Der daran anschließende Kausalzusammenhang zwischen der durch die Erklärung gestifteten, trügerischen Erwartung des Rezipienten der Erklärung107 und seinen fehlgeleiteten Vertrauensdispositionen ist dagegen »haftungsausfüllender« Natur: Hier geht es um die Feststellung des Schadens und damit um ein Thema, das § 287 ZPO unterfällt. Dafür, daß der Rezipient aufgrund der durch die Erklärung seines Gegenübers bedingten Fehlsteuerung seiner Willensfreiheit Dispositionen getroffen hat, mit denen er sich selbst geschädigt hat, muß er also nicht den vollen Beweis, sondern nur den Beweis einer deutlich überwiegenden Wahrscheinlichkeit erbringen. bb) Anscheinsbeweis Die Regeln über den Anscheinsbeweis oder die »tatsächliche Vermutung« gestatten dem Richter, anhand von Erfahrungsgrundsätzen, die nach der Lebenserfahrung gesichert sind, aus typischen Geschehensabläufen auf die zu beweisende Tatsache zu schließen. Daraus ergibt sich keine Beweislastumkehr, doch immerhin eine Erleichterung der Beweisführung, weil die Gegenseite, um die Anwendung des Erfahrungsgrundsatzes zu Fall zu bringen, die konkrete, ernsthafte Möglichkeit eines anderen Geschehensablaufs beweisen muß108. Was individuelle Willensentscheidungen betrifft, wie sie auch hier zu prognostizieren sind, wird die Formulierung solcher Erfahrungsgrundsätze teilweise generell für unmöglich gehalten109. Gleichwohl hat die Rechtsprechung bei der Feststellung der Ursächlichkeit eines haftungsbegründenden Fehlverhaltens – insbesondere einer fehlerhaften rechtlichen Beratung – in einer Reihe von Urteilen für schädliche Dispositionen des Betroffenen auf den Anscheinsbeweis zurückgegriffen110. 106 Schwierig ist die Beweislage allerdings, wenn sich der Erklärungsadressat auf einen Anwendungsfall der Regel »falsa demonstratio non nocet« beruft, also geltend macht, der Erklärende habe bei ihm wissentlich eine normative Erwartung geweckt, die sich der Erklärung gerade nicht durch Auslegung aus Sicht eines objektiven Empfängers entnehmen läßt. 107 Sei er nun der Adressat einer empfangsbedürftigen Erklärung oder eine beliebige Person, die eine nicht empfangsbedürftige Erklärung zur Kenntnis nimmt. 108 Vgl. statt vieler Staudinger/Schiemann, Vor § 249 ff. Rz. 100. 109 In diesem Sinne etwa m.w.Nachw. BGH 26. 1. 1983, NJW 1983, 1548, 1551: Die »Feststellung einer auf einem Willensentschluß beruhenden individuellen Verhaltensweise in einer bestimmten Lebenslage« könne »keiner generalisierenden Beurteilung aufgrund allgemeiner Erfahrungsgrundsätze unterworfen werden«. 110 Vgl. dazu eine Reihe von Urteilen des IX. Zivilsenats des BGH, insbesondere die Leitentscheidung vom 30. 9. 1993, BGHZ 123, 311, 314 ff., sowie die Urteile vom 19. 12. 1991, NJW-RR

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Den Anscheinsbeweis bei der Würdigung der Kausalität überhaupt auszuschließen, ginge wohl nicht an: Jedenfalls dann, wenn sich die tatsächliche Entscheidung des Geschädigten (seine Vertrauensdisposition) bei Hinwegdenken des haftungsbegründenden Verhaltens (der Erklärung seines Gegenübers) als offensichtlich unvernünftig darstellt, entspricht es der Lebenserfahrung, daß eine Kausalbeziehung zwischen der Erklärung und der Vertrauensdisposition besteht111. Auf dieser Grundlage lassen sich auch im Anwendungsbereich der in den §§ 122, 179 II BGB geregelten Konstellationen der Haftung auf das negative Interesse Erfahrungsgrundsätze zum Tragen bringen. Doch erübrigt es sich, diesen Gedanken hier weiterzuverfolgen, denn im Vergleich zur Anwendung von § 287 I ZPO bietet der Anscheinsbeweis dem Geschädigten keine weitergehende Beweiserleichterung: Um den nach § 287 I ZPO (nur) erforderlichen Beweis eines überwiegend wahrscheinlichen Kausalzusammenhangs zwischen dem haftungsbegründenden Tatbestand und der nachteiligen Disposition des Geschädigten zu entkräften, müßte der Schädiger darlegen, daß es zumindest annähernd so wahrscheinlich ist, daß der Geschädigte die nachteilige Disposition auch ohne das Zutun des Schädigers getroffen hätte. Zur Erschütterung des Anscheinsbeweises genügt dagegen die Darlegung der ernsthaften Möglichkeit eines solchen Geschehensverlaufs durch den Schädiger. Daher verschafft die Annahme eines Anscheinsbeweises dem Geschädigten keinen Vorteil112. cc) Beweislastumkehr In der BGH-Rechtsprechung zum Kausalzusammenhang zwischen einer Aufklärungspflichtverletzung und einem geltend gemachten Schaden wird dem Gläubiger oft nicht nur eine Beweiserleichterung gewährt, sondern er kommt sogar in den Genuß einer Beweislastumkehr zu Lasten des Aufklärungspfl ichtigen113. Ebenso wie die Anwendung des Anscheinsbeweises hat allerdings auch diese Praxis keine ungeteilte Gefolgschaft gefunden114. Der für die Rechtsprechung wohl entscheidende Grund für die Annahme der Beweislastumkehr ist in der Tat nicht überzeugend und im übrigen jedenfalls auf 1992, 393, 394; 7. 5. 1992, NJW-RR 1992, 1110, 1115; 5. 11. 1992, NJW 1993, 1320, 1322; 27. 10. 1994, NJW 1995, 330, 332; 4. 5. 2000, NJW-RR 2001, 201, 204. 111 Ebenso Grigoleit, Informationshaftung, S. 170. 112 So bereits Geibel, Kapitalanlegerschaden, S. 178 f. (dort auch zur – hier nicht näher zu behandelnden – Bedeutung der Erfahrungsgrundsätze als »erster Denkschritt« für den nach § 287 ZPO erleichterten Kausalitätsbeweis); Grigoleit, Informationshaftung, S. 178 f. 113 Grundlegend BGH 5. 7. 1973, BGHZ 61, 118, 121 ff.; vgl. ferner z. B. BGH 19. 2. 1975, BGHZ 64, 46, 51; 16. 1. 1985, NJW 1985, 1769, 1771; 28. 3. 1990, NJW 1990, 1659; 22. 2. 1991, NJW 1991, 1673, 1675. 114 Kritisch etwa Geibel, Kapitalanlegerschaden, S. 183 ff.; Grunewald, ZIP 1994, 1162, 1163 ff. (außer bei vorsätzlicher Irreführung); Stodolkowitz, VersR 1994, 11, 12 ff.; Vollkommer, in: FS Baumgärtel, S. 585, 590 ff. Zustimmend dagegen Grigoleit, Informationshaftung, S. 176; Messer, in: FS Steindorff, S. 743, 753 f.; für eine generelle Beweislastumkehr, was das Kausalverhältnis zwischen Vertrauenstatbestand und Vertrauensdisposition betrifft, Canaris, Vertrauenshaftung, S. 516.

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Fälle jenseits der Aufklärungspflichtverletzung nicht übertragbar115 : Basis der Beweislastumkehr ist danach der Schutzzweck der Aufklärungspflicht, der auch darin bestehe, die Beweisnot des Gegners bei Eintritt eines Schadens zu beseitigen116 . Daß der Geschädigte als Folge einer Pflichtverletzung in Beweisnot geraten kann, ist indes ein ubiquitäres Phänomen und kein Grund dafür, die Verhinderung der Beweisnot zum Schutzzweck einer Haftungsnorm zu erklären117. Um diesem Einwand zu begegnen und die beweisrechtlich relevante Besonderheit zumindest der Haftung wegen vorvertraglicher Aufklärungspflichtverletzungen zu unterstreichen, hat man auf die Anreizsituation des Aufklärungspflichtigen hingewiesen: Anders als ein gewöhnlicher Schädiger beziehe dieser einen Vorteil aus seinem pflichtwidrigen Verhalten, indem nämlich der Geschädigte als Folge der vorvertraglichen Pflichtverletzung eine für ihn nachteilige, aber für den Schädiger günstige vertragliche Bindung eingehe. Dadurch werde dem Pfl ichtigen ein der Schutzrichtung der Aufklärungspfl icht zuwiderlaufender Verhaltensanreiz gesetzt. Dies verstärke die Schutzwürdigkeit des Berechtigten und legitimiere eine Beweislastumkehr zu seinen Gunsten118. Jedoch ist, abgesehen davon, daß es sich hierbei nicht um eine auf die Haftung nach den §§ 122, 179 II BGB übertragbare Überlegung handelt, ein solcher Zusammenhang zwischen den Vorteilen, die sich für den Schuldner aus pflichtwidrigem Handeln ergeben können, und einer Beweislastumkehr zu seinen Lasten nicht überzeugend herzustellen119 : Die Aussicht, mit einem für ihn vorteiligen Vertrag belohnt zu werden, stellt zweifellos einen Anreiz für den Schuldner dar, den Gläubiger in pflichtwidriger Weise zum Vertragsschluß zu bewegen. Aber sie schafft keinen spezifischen Anreiz dafür, den Gläubiger in Beweisnot zu bringen, und ist deshalb auch nicht rechtsökonomisch sinnvoll mit der »Sanktion« der Beweislastumkehr zu bekämpfen. Dem Geschädigten kommt beim Beweis des Kausalverlaufs damit im Ergebnis richtigerweise nur die Erleichterung nach § 287 ZPO zugute; das Risiko einer non-liquet-Situation kann er dagegen nicht auf den Schädiger abwälzen. b) Hypothetischer Gewinn Wenn der Gläubiger eines Anspruchs auf das negative Interesse den entgangenen Gewinn aus einem Geschäft geltend macht, das er anstelle des tatsächlich abgeschlossenen, sich nun als unwirksam erweisenden Geschäfts abgeschlossen hätte, trägt er dafür die Darlegungs- und Beweislast. Was den Beweis des entgangenen Gewinns betrifft, kommt eine Beweislastumkehr ebensowenig in Betracht wie

115 Eine umfassende Erörterung auch der sonstigen in Rspr. und Lit. vorgetragenen Erwägungen zur Beweislastumkehr bietet, mit dem gleichen Ergebnis wie dem hier vertretenen, Geibel, Kapitalanlegerschaden, S. 183 ff. 116 BGH 5. 7. 1973, BGHZ 61, 118, 121 f. 117 Ähnlich schon Geibel, Kapitalanlegerschaden, S. 186; Grunewald, ZIP 1994, 1162, 1163. 118 So Grigoleit, Informationshaftung, S. 176. 119 Übereinstimmend Geibel, Kapitalanlegerschaden, S. 191 Fn. 181.

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§ 10 Umfang und Grenzen der Ersatzfähigkeit des negativen Interesses

beim Beweis der Kausalität zwischen der (nichtigen) Erklärung des Schuldners und der fehlgeleiteten Disposition des Gläubigers (welche hier in der Nichtwahrnehmung einer anderen Abschlußmöglichkeit besteht). Allerdings wird der Gläubiger auch dann, wenn er entgangenen Gewinn geltend macht, durch Beweiserleichterungen begünstigt: § 287 I ZPO ist zunächst aus denselben Gründen anwendbar, die bereits für den Kausalitätsbeweis hinsichtlich der Fehldisposition des Gläubigers angeführt wurden. Unabhängig davon, ob man für die Grenzziehung zwischen Vollbeweis und herabgesetztem Beweismaß auf das Kriterium der Betroffenheit oder auf das Vorliegen einer Verletzung der Dispositionsfreiheit abstellt, handelt es sich bei dem Beweis des entgangenen Gewinns um eine Frage der Schadenshöhe120. Der Gläubiger hat daher nur zu beweisen, daß er, wenn er nicht auf die Gültigkeit der ihm gegebenen Erklärung vertraut hätte, mit deutlich überwiegender Wahrscheinlichkeit ein anderes Geschäft geschlossen und hieraus den von ihm geltend gemachten Gewinn erzielt hätte. Neben § 287 I ZPO ist auf den entgangenen Gewinn die Vorschrift des § 252 S. 2 BGB anzuwenden. Entgegen der durch den Wortlaut der Regelung nahegelegten und teilweise vertretenen Ansicht, daß damit der entgangene Gewinn materiellrechtlich definiert werde als der im Zeitpunkt des Schadensereignisses mit Wahrscheinlichkeit zu erwartende Gewinn121, wird § 252 S. 2 BGB heute ganz überwiegend als Beweiserleichterung angesehen122. Danach »gilt« (im Sinne einer widerleglichen Vermutung) der Gewinn als entgangen, der im Zeitpunkt des Schadensereignisses mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte, ohne daß dadurch der Ersatz des im Zeitpunkt der Schadensentstehung unwahrscheinlichen, aber im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (unter Berücksichtigung von § 287 I 1 ZPO) bewiesenen entgangenen Gewinns ausgeschlossen wird. Weil aber auch umgekehrt der im Zeitpunkt des Schadensereignisses noch mit Wahrscheinlichkeit zu erwartende Gewinn infolge Widerlegung der Vermutung des § 252 S. 2 BGB nicht ersatzfähig ist, wenn es sich im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung als unwahrscheinlich erweist, daß der Gewinn ohne das Schadensereignis tatsächlich erzielt worden wäre, kommt § 252 S. 2 BGB neben § 287 ZPO wohl kaum eigenständige Bedeutung zu123.

120 Beispiele aus der Rspr. zur Anwendung von § 287 ZPO auf den Beweis entgangenen Gewinns sind BGH 9. 12. 1987, WM 1988, 220, 221; 5. 7. 1991, NJW 1991, 3277, 3278 (das zuletzt zitierte Urteil betraf den Ersatz entgangenen Gewinns im Rahmen des Nichterfüllungsschadens). 121 Für eine Interpretation der Vorschrift als materiellrechtliche Begrenzung des Schadensersatzes Steindorff, AcP 158 (1958/59), 431, 462; dazu neigend auch Giesen, VersR 1979, 389, 392. 122 Vgl. statt vieler MünchKomm/Oetker, § 252 Rz. 30; Soergel/Mertens, § 252 Rz. 1; Staudinger/Schiemann, § 252 Rz. 5; aus der Rspr. zuletzt BGH 26. 7. 2005, NJW 2005, 3348. 123 Geibel, Kapitalanlegerschaden, S. 219 f., hält es immerhin für möglich, daß § 252 S. 2 BGB eine gewisse eigenständige Rolle spielen könnte, würde man »Wahrscheinlichkeit« im Sinne von § 252 S. 2 BGB als »einfache Wahrscheinlichkeit« interpretieren und nicht als »überwiegende Wahrscheinlichkeit«.

II. Einzelne Schadenspositionen

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c) Hypothetischer Verlust Gleichsam das Gegenstück zu dem im vorigen Abschnitt erörterten Thema bildet die Frage, welche Beweislastverteilung und welches Beweismaß hinsichtlich etwaiger Verluste gilt, die dem Schuldner aus der hypothetischen Investition entstanden wären, die er anstelle seiner tatsächlichen, durch das unwirksame Rechtsgeschäft mit dem Schuldner veranlaßten Investition getätigt hätte. Schadensrechtlich handelt es sich dabei, wie bereits dargelegt wurde124, um eine Reserveursache, die nicht nur bei der Geldkompensation, sondern auch bei der Naturalrestitution verlorener Aufwendungen zu berücksichtigen ist, soweit es sich dabei um einen Umstand handelt, der den Gläubiger auch bei Vornahme der hypothetischen Investition der Möglichkeit beraubt hätte, seine Mittel bedarfsgerecht zu verwenden. Diese ihm günstige, nämlich den Ersatzanspruch verringernde oder sogar ganz ausschließende Tatsache hat der Schuldner zu beweisen125. Allerdings ginge es nicht an, ihm für diese die Schadenshöhe betreffende Frage – anders als dem Gläubiger – den Vollbeweis abzuverlangen. Vielmehr kommt auch dem Schuldner, soweit er die Beweislast trägt, die schon von der Formulierung her auf beide Seiten anwendbare Beweiserleichterung nach § 287 I 1 ZPO zugute126 . Das heißt: Kann er beweisen, daß der Gläubiger den Geldbetrag, den er im Vertrauen auf die Wirksamkeit des Geschäfts vergeblich aufgewendet hat, mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ohnehin unfreiwillig eingebüßt oder aufgrund einer Fehlinvestition verloren hätte, hat er hierfür keinen Ersatz zu leisten.

II. Einzelne Schadenspositionen Die Schadenspositionen, deren Ersatz der hinsichtlich seines negativen Interesses geschützte Gläubiger verlangen kann, sind schwerlich abschließend zu beschreiben. Angesichts ihrer wissenschaftlich und praktisch hervorgehobenen Bedeutung verdienen allerdings einzelne, an die Geltendmachung bestimmter Schäden geknüpfte Probleme besondere Beachtung. Dies betrifft zunächst die Ersatzfähigkeit fehlgeschlagener Aufwendungen des Gläubigers, die er nach, bei oder auch vor einem sich später als unwirksam erweisenden Vertragsschluß getätigt hat (unter 1.). Das Anschauungsmaterial, das amerikanische und englische Urteile zum Ersatz des »reliance interest« bieten, wird hier zur Präzisierung beitragen. Ebenfalls mit Blick auf die Rechtsvergleichung erörtert werden Fragen des Ersatzes des entgangenen Gewinns aus einem Geschäft, das der Gläubiger im Vertrauen auf die Wirksamkeit des tätsächlich geschlossenen Vertrags abzuschließen unterlassen hat 124

Siehe oben, Abschnitt I 1 b bb. Vgl. BGH 7. 10. 1980, BGHZ 78, 209, 214, und aus der Lit. statt vieler Jauernig/Teichmann, Vor §§ 249–253 Rz. 46. 126 So auch Staudinger/Schiemann, Vor §§ 249 ff. Rz. 91, 93; Geibel, Kapitalanlegerschaden, S. 171 Fn. 113; a. A. ohne Begründung Grigoleit, Informationshaftung, S. 173. 125

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§ 10 Umfang und Grenzen der Ersatzfähigkeit des negativen Interesses

(unter 2.). Schließlich ist die besondere, mit der Systematik des deutschen Rechts verknüpfte Problematik des Schutzes vor »unerwünschten« Verträgen anzusprechen: die Frage nämlich, ob der Inhaber eines Anspruchs auf das negative Interesse verlangen kann, daß ein von ihm aufgrund der zum Schadensersatz verpflichtenden Erklärung seine Gegenübers abgeschlossener Vertrag aufzuheben und rückabzuwickeln (dazu 3.) oder gemäß dem eigentlich gewünschten Inhalt anzupassen ist (dazu 4.).

1. Nutzlose Aufwendungen In der Diskussion um die Haftung auf das negative Interesse geht es seit jeher in erster Linie um den Ersatz nutzloser Aufwendungen. Hierunter sind nicht – wie etwa in den §§ 256, 257, 670, 683 BGB127 – fremdnützige, sondern eigennützige freiwillige Vermögensopfer zu verstehen, die der Gläubiger im Vertrauen auf die Wirksamkeit einer ihm gegenüber bestehenden rechtsgeschäftlichen Verpfl ichtung vergeblich erbracht hat. Im amerikanischen Schrifttum ist plastisch von »out-of-pocket costs« die Rede128. Diese Schäden waren es, an deren Ersatz den »Entdeckern« des negativen Interesses vor allem gelegen war: Jhering lenkte mit Fällen, in denen solche Verluste entstanden waren, die Aufmerksamkeit des Lesers auf die Frage, die er mit der Begründung der Haftung aus c.i.c. für nichtige oder »nicht zur Perfection gelangte« Verträge zu lösen gedachte129. Fuller, der das negative Interesse als »reliance interest« in die Welt des Common Law importierte, erkannte zwar in Anknüpfung an deutsches Schrifttum an, daß es durchaus begriffl ich möglich sei, außer den Verlusten in Gestalt von »expenditures of labor and money« auch »gains prevented« in das »reliance interest« miteinzubeziehen, bezog dazu aber in der Sache nicht eindeutig Stellung130. In den Erläuterungen der von Fuller inspirierten Regeln des zweiten Restatement of Contracts gelangt sogar nur der Aufwendungsersatz als Folge der Pflicht zum Ersatz des »reliance interest« in den Blick. Mag dieser Sicht auch eine zu enge Vorstellung vom negativen Interesse zugrunde liegen, so legt sie doch jedenfalls Zeugnis davon ab, daß nutzlose Aufwendungen rechtsordnungsübergreifend als praktisch wichtigster Teil des zu ersetzenden Vertrauensschadens angesehen werden.

127 Vgl. zu dem bei der Anwendung dieser Normen zugrunde zu legenden Aufwendungsbegriff mit Nachw. aus der Rspr. Jauernig/Mansel, § 670 Rz. 2; Jauernig/Stadler, §§ 256, 257 Rz. 2; MünchKomm/Krüger, § 256 Rz. 3; Soergel/Wolf, § 256 Rz. 3. Auf das Fremdinteresse verzichten wollen allerdings Beuthien, JuS 1987, 841, 842 f., und Gernhuber, Schuldverhältnis, § 25 I 1 (S. 594 f.). 128 Z. B. bei Cooter/Eisenberg, 73 Cal.L.Rev. 1432, 1442 (1985). 129 Vgl. die drei in § 3 I 1 a angesprochenen Beispiele, anhand derer Jhering, Jher.Jb. 4 (1861), 1 ff., die von ihm behandelte Problematik demonstriert. 130 Vgl. Fuller/Perdue, 46 Yale L. J. 52, 55 (1936) mit Fn. 4; ferner 46 Yale L. J. 373, 417 f. (1936).

II. Einzelne Schadenspositionen

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Die Prominenz der nutzlosen Aufwendungen unter den Positionen des Vertrauensschadens hat indes nicht verhindert, daß nach wie vor Unklarheiten über die Grenzen ihrer Ersatzfähigkeit bestehen. Ein allgemeines Problem ist bereits geklärt worden: Weil es sich bei dem Ersatz des Geldbetrags, der in nutzlose Aufwendungen geflossen ist, um eine Form der Naturalrestitution des negativen Interesses handelt, kommt es nicht darauf an, ob es dem Geschädigten gelungen wäre, einen (mindestens) gleich hohen hypothetischen Vermögenswert zu erwirtschaften, wenn er auf die Gültigkeit der Erklärung des Schädigers nicht vertraut und den in die Aufwendungen geflossenen Betrag anderweitig eingesetzt hätte131. Darüber hinaus stellt sich aber noch eine Reihe von Einzelfragen. Die anschließende Beantwortung dieser Fragen ist nach der chronologischen Abfolge der Aufwendungen aufgebaut, allerdings (weil mit den einfachsten Fällen begonnen werden soll) in umgekehrter Reihenfolge, nämlich beginnend mit den Aufwendungen nach Vertragsschluß (unter a) über die Aufwendungen anläßlich des Vertragsschlusses (unter b) bis hin zu den Aufwendungen vor Vertragsschluß (unter c). Über die Zuordnung entscheidet dabei der Zeitpunkt, an dem die Verpfl ichtung zur Zahlung des Aufwendungsbetrags entstanden ist, und nicht der rein zufällige Moment der tatsächlichen Zahlung. Um einen konkreten Ausgangspunkt vor Augen zu haben, kann man sich als Haftungsgrund bei den nachfolgenden Ausführungen, soweit nichts anderes gesagt ist, einen wegen Irrtums angefochtenen oder infolge fehlender Vertretungsmacht unwirksamen Vertrag vorstellen, bei dem die eine Seite der anderen nach § 122 oder § 179 II BGB zum Ersatz des negativen Interesses verpflichtet ist. Die Frage nach dem Umfang des negativen Interesses ist aber, was den Ersatz von vor, bei oder nach Vertragsschluß getätigten Aufwendungen der auf die Vertragsgültigkeit vertrauenden Partei betrifft, für alle auf den Ersatz dieses Interesses gerichteten Ansprüche gleich zu beantworten. Damit die systematische Einheit der Haftung auf das negative Interesse deutlich wird, sind die Fälle aus dem hier verwendeten Anschauungsmaterial zum großen Teil an deutsche, amerikanische und englische Judikatur angelehnt, die sich auf den Ersatz fehlgeschlagener Aufwendungen aufgrund vertraglicher oder vorvertraglicher Haftungstatbestände bezieht, von denen erst die nachfolgenden Kapitel zeigen werden, daß sie auf den Ersatz des negativen Interesses gerichtet sind. Was hier als Rechtsfolge der Haftung aus den §§ 122, 179 II BGB entwickelt wird, ist also bereits auf die »Anschlußfähigkeit« für die anderen Tatbestände der Haftung auf das negative Interesse angelegt. a) Aufwendungen nach Vertragsschluß Die Aufwendungen, die eine Vertragspartei nach Abschluß eines sich später als nichtig herausstellenden Vertrags tätigte und die dann durch die Nichtdurchfüh131

Siehe oben, Abschnitt I 1 b bb.

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§ 10 Umfang und Grenzen der Ersatzfähigkeit des negativen Interesses

rung des Vertrags entwertet wurden, sind immer nur dann ersatzfähig, wenn sie im Vertrauen auf die Wirksamkeit des Vertrags gemacht wurden. Darin kommt, wie wir gesehen haben132 , nichts anderes zum Ausdruck als das Erfordernis der Kausalität des haftungsbegründenden Ereignisses (nämlich der Willenserklärung der anderen Partei) für den geltend gemachten Schaden (nämlich die fehlgeschlagene Aufwendung). Durchaus nicht alle zeitlich auf den Vertragsschluß folgenden Aufwendungen erfüllen diese Voraussetzung: An der Kausalität der zum Schadensersatz verpflichtenden Erklärung des Schuldners fehlt es etwa, wenn der Gläubiger, nachdem sich der Vertrag als unwirksam erwiesen hat, Aufwendungen erbringt, um doch noch die Erfüllungslage herzustellen – diese Aufwendungen sind durch die Nichterfüllung veranlaßt und daher nur zu ersetzen, wenn das Recht den Schutz des positiven Interesses gewährt, indem es den Schuldner für die Nichterfüllung seines Versprechens haften läßt133. Ebensowenig zu den Aufwendungen, die im Vertrauen auf die Wirksamkeit des Vertrags gemacht wurden, sondern zu den durch die (qualitative) Nichterfüllung verursachten Schäden gehört der Betrag, den der Gläubiger zur Feststellung der Mangelhaftigkeit der Leistung investiert hat134. Im übrigen aber eröffnet sich ein weites Spektrum von Fällen, in denen nachvertragliche Aufwendungen des Gläubigers als dessen negatives Interesse zu ersetzen sind: aa) Aufwendungen im notwendigen Zusammenhang mit einem vertraglichen Leistungsaustausch Zum Kernbestand des negativen Interesses gehören die Aufwendungen, die beim gegenseitigen Vertrag zum Erwerb der vertraglich versprochenen Leistung erforderlich sind oder sonst in einem notwendigen Zusammenhang mit dem Austausch der vertraglichen Leistungen stehen. Es handelt sich hierbei um Aufwendungen, welche die bisherige135 deutsche Rechtsprechung im Rahmen der Rentabilitätsvermutung zugleich als Bemessungsgrundlage für das positive Interesse anerkannt hat, weil sie vorbehaltlich eines Gegenbeweises davon ausgeht, daß der Gläubiger durch die Leistung einen Gegenwert erlangt hätte, der die erwerbsbedingten Ko-

132

Siehe oben, Abschnitt I 2 a. Vgl. BGH 12. 12. 1980, NJW 1981, 1035, 1036: Der Verkäufer eines Grundstücks haftete dem Käufer wegen einer unrichtigen Angabe über die Bodenfestigkeit aus c.i.c. auf das negative Interesse. Der BGH sprach die vom Käufer geltend gemachten Aufwendungen für eine Tiefergründung des auf dem Grundstück errichteten Gebäudes mit der zutreffenden Begründung nicht zu, daß es sich dabei nicht um einen Vertrauensschaden handele. 134 So auch (mit Bezug auf § 284 BGB) Bamberger/Roth/Faust, § 437 Rz. 146; a. A. (mit Bezug auf § 284 BGB) Oechsler, Schuldrecht BT, Rz. 263. Vgl. auch LG Bonn 30. 10. 2003, NJW 2004, 74 (dazu S. Lorenz, NJW 2004, 26 ff.): Dem Urteil ist jedenfalls insoweit beizupfl ichten, als es Gutachterkosten, die zur Feststellung der Mangelhaftigkeit einer verkauften Immobilie entstanden sind, nicht als vergebliche Aufwendungen i. S. v. § 284 BGB behandelt; siehe aber zur Kritik des Urteils auch unten, Abschnitt III 1 b. 135 Zur Fortgeltung der Rentabilitätsvermutung unter dem seit dem 1. 1. 2002 geltenden Schuldrecht siehe unten, § 11 III 1 b. 133

II. Einzelne Schadenspositionen

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sten mindestens gedeckt hätte136 . Aus einer damit im wesentlichen übereinstimmenden Erwägung werden im amerikanischen Recht bestimmte Kosten als »essential reliance« eingeordnet: Hierunter zu verstehen sind nach der Begriffsbestimmung Fullers137 Aufwendungen, die in einem weit verstandenen Sinne den »Preis« darstellen, den der Gläubiger für die ausbedungene Leistung zahlt. Ob es sinnvoll ist, im Rahmen des negativen Interesses eine solche begriffliche Kategorie zu bilden und sie der sogleich (unter bb) zu behandelnden »incidental reliance« gegenüberzustellen, sei hier dahingestellt; es soll nur aufgezeigt werden, daß die Arten nutzloser Aufwendungen, die von der deutschen Rechtsprechung zur Bemessung des positiven Interesses herangezogen werden, ebenso dem negativen Interesse zugeordnet werden und daher auch dann ersatzfähig sein können, wenn der Schuldner (nur) auf das negative Interesse haftet. Dies gilt zunächst für die Rückgewähr eines bereits ganz oder teilweise gezahlten Preises, der beim Ersatz des positiven Interesses »als der erste handgreifl iche Schaden mit in Betracht kommen«138 soll: Ist eine Vertragspartei bereits wegen ihrer zum Vertragsschluß führenden Erklärung zum Schadensersatz verpfl ichtet, ist die Rückzahlung des aufgrund des Vertrags von der anderen Partei entrichteten Preises Teil des nach § 249 I BGB zu leistenden Ersatzes des negativen Interesses. Die Partei, welche den von ihr vermeintlich geschuldeten Preis im Vertrauen auf die Wirksamkeit des Vertrags bereits ganz oder teilweise erbracht hat, kann diese Gegenleistung also, wenn sich der Vertrag z. B. infolge Irrtumsanfechtung oder nach § 118 BGB als nichtig erweist, im Rahmen eines Anspruchs aus § 122 BGB ersetzt verlangen und muß sich nicht auf den Bereicherungsanspruch verweisen lassen139. Damit deckt sich die Sicht des amerikanischen Rechts: So besagt § 349 136 Vgl. RG 19. 2. 1930, RGZ 127, 245, 248; BGH 21. 4. 1978, BGHZ 71, 234, 238; 23. 9. 1982, NJW 1983, 442, 443; 10. 12. 1986, BGHZ 99, 182, 197; 19. 4. 1991, BGHZ 114, 193, 197; 30. 6. 1993, BGHZ 123, 96, 99; 28. 11. 1997, NJW 1998, 1079, 1081; 26. 3. 1999, JZ 2000, 100 (m.Anm. Timme); 24. 9. 1999, NJW 1999, 3625, 3626; 22. 10. 1999, BGHZ 143, 41, 48; 15. 3. 2000, NJW 2000, 2342, 2343. 137 Grundlegend Fuller/Perdue, 46 Yale L. J. 52, 78 (1936); ebenso etwa Farnsworth, Contracts Bd. 3, § 12.1 (S. 149 f.). 138 RG 19. 2. 1930, RGZ 127, 245, 248. Vgl. auch ROHG 18. 6. 1878, ROHG 24, 106 f. (zu § 355 ADHGB); RG 8. 2. 1902, RGZ 50, 188, 190; 2. 2. 1904, JW 1904, 140 (Nr. 5); 13. 3. 1913, JW 1913, 595, 596 (Nr. 8); 22. 10. 1931, RGZ 134, 83, 90; BGH 8. 2. 1974, BGHZ 62, 119, 120; 25. 9. 1975, BGHZ 65, 107, 113 f.; 10. 2. 1982, NJW 1982, 1279, 1280; 7. 12. 1987, NJW-RR 1988, 420, 421. Unklar ist allerdings, ob insoweit nur die (widerlegliche) Rentabilitätsvermutung gilt (so RG 19. 2. 1930, RGZ 127, 245, 249; BGH 23. 4. 1991, NJW 1991, 2707, 2708) oder ob dem Schuldner aufgrund der vertraglich festgelegten Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung der Einwand abgeschnitten ist, der Gläubiger habe in Wahrheit ein Verlustgeschäft gemacht (so RG 13. 3. 1913, JW 1913, 595, 596 (Nr. 8)); aus der Lit. für letzteres U. Huber, Leistungsstörungen Bd. 1, § 37 II (S. 201 ff.); MünchKomm/Emmerich, § 325 a. F. Rz. 69; für ersteres Messer/R. Schmitt, in: FS Hagen, S. 425, 432 f. Was die Erstattung des bereits gezahlten Preises im Rahmen des Ersatzes des negativen Interesses betrifft, ist der Verlusteinwand jedenfalls erheblich. Zu der Möglichkeit, den Kaufpreis nach neuem Schuldrecht nach § 346 BGB zurückzuverlangen (was nach § 325 BGB nicht den Schadensersatzsanspruch ausschließt), siehe unten § 11 III 2 b. 139 So auch Flume, Rechtsgeschäft, § 21, 7 (S. 423); Larenz/Wolf, AT, § 36 Rz. 132 (S. 694);

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§ 10 Umfang und Grenzen der Ersatzfähigkeit des negativen Interesses

des zweiten Restatement of Contracts, daß der Ersatz des »reliance interest« die »expenditures made [. . .] in performance« einschließe; die Rückgewähr der Gegenleistung ist danach also nicht auf die Geltendmachung des – auf Bereicherungsausgleich zielenden – »restitution interest« beschränkt. Nicht anders verhält es sich bei weiteren Aufwendungen, die der Gläubiger aufgrund des Vertrags getätigt hat, um die ihm versprochene Leistung erlangen und behalten zu können, und von denen die deutsche Rechtsprechung vermutet, sie seien durch den Erwerb der vertraglichen Leistung ebenso wie der Preis wertmäßig ausgeglichen worden. Hierzu gehören etwa im Fall eines Grundstückskaufs auf Seiten des Käufers die Kosten der Kaufpreisfinanzierung (einschließlich einer zur Finanzierung erforderlichen Grundpfandrechtsbestellung)140 , der Auflassungsvormerkung, der Vermessung, der Erschließung, der Brandversicherung und der Grundsteuer141: Diese Kosten hat der Käufer im Vertrauen auf die Wirksamkeit des Vertrags auf sich genommen. Sie kommen daher, wenn sich der Vertrag etwa infolge Irrtumsanfechtung des Verkäufers oder wegen fehlender Vertretungsmacht als unwirksam erweist, für den Ersatz des negativen Interesses nach den §§ 122, 179 II BGB in Betracht. Genauso lassen sich die Fälle, in denen die Rentabilitätsvermutung nicht dem Käufer, sondern dem Verkäufer bei der Bemessung eines ihm zustehenden Anspruchs auf Ersatz des Nichterfüllungsschadens zugute kommt, als Konstellationen der Haftung auf das negative Interesse rekonstruieren: Vorausgesetzt, daß das negative Interesse des Verkäufers rechtlich geschützt ist, können etwa die aufgrund der Rentabilitätsvermutung vom BGH als Nichterfüllungsschaden für ersatzfähig gehaltenen Kosten, die ein Grundstücksverkäufer zum Abriß eines Stallgebäudes auf einem als bebaubar verkauften Grundstück auf sich genommen hat142 , als Vertrauensschaden zu ersetzen sein, denn auch hierbei handelt es sich um nutzlose Aufwendungen, die von der anderen Vertragspartei durch deren zum Vertragsschluß führende Erklärung in zurechenbarer Weise verursacht wurden. Die amerikanische Rechtsprechung kennt zahlreiche von der heutigen Doktrin dem Ersatz des »reliance interest« zugeordnete Beispiele, die den deutschen Anwendungsfällen der Rentabilitätsvermutung in der Sache entsprechen: So werden MünchKomm/Kramer, § 122 Rz. 8; Soergel/Hefermehl, § 122 Rz. 4; offenbar a. A. (nur § 812 I 1 1. Alt. BGB) Hk-BGB/Dörner, § 122 Rz. 3. 140 Zur Anwendung der Rentabilitätsvermutung auf die Kosten einer der Kaufpreisfi nanzierung dienenden Grundschuldbestellung BGH 26. 3. 1999, JZ 2000, 100 (m.Anm. Timme); 22. 10. 1999, BGHZ 143, 41, 48. Ohne Bezug auf die Rentabilitätsvermutung (zumindest in den veröffentlichen Urteilsgründen) wurden die Finanzierungskosten als Teil des Nichterfüllungsschadens in BGH 21. 1. 2000, JZ 2000, 623, 624, zugesprochen; dies kritisiert zu Recht Ernst, JZ 2000, 626; dazu auch unten, § 11 I 2 a. 141 Zur Anwendung der Rentabilitätsvermutung auf die Kosten der Auflassungsvormerkung BGH 19. 4. 1991, BGHZ 114, 193, 197; zu ihrer Anwendung auf Vermessungs-, Erschließungsund Brandversicherungskosten sowie auf die Grundsteuer BGH a.a.O., 199. Diese Rspr. wird bestätigt in BGH 22. 10. 1999, BGHZ 143, 41, 48. 142 BGH 28. 11. 1997, NJW 1998, 1079, 1081.

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hierzu Entscheidungen gezählt, in denen einem Werkunternehmer, der bereits mit der Werkherstellung begonnen hatte, als der Besteller den Vertrag aufsagte, mangels Beweisbarkeit des mit dem Geschäft erzielbaren Gewinns die Erstattung seine Auslagen für Arbeitslöhne und nicht anderweitig einsetzbare Materialien zugesprochen wurde, die er zur Herstellung des Werks und damit zur Vorbereitung der von ihm geschuldeten Leistung benötigte143. Ebenso konnte ein neu eingestellter Arbeitnehmer, dessen Arbeitgeber die Vertragserfüllung verweigerte, die von ihm bereits aufgewendeten Kosten für den Umzug zum Arbeitsort sowie die umzugsbedingt erhöhten Lebenshaltungskosten als Ersatz des negativen Interesses beanspruchen144. Schließlich ist es althergebrachte, noch in ungefähr der Hälfte der US-Bundesstaaten geltende Praxis, daß der Käufer eines Grundstücks, wenn der (gutgläubige) Verkäufer ihm das Eigentum nicht verschaffen kann, von diesem nur das »reliance interest« und damit etwa die Rückgewähr einer bereits erbrachten Anzahlung und die Erstattung von ihm übernommener Aufwendungen zur Klärung der Berechtigung an dem Grundstück verlangen kann145. So wie sich das in Deutschland nach der Rentabilitätsvermutung bemessene positive Interesse in das negative Interesse übersetzen läßt, ist hier eine »Rückübersetzung« möglich: Weil es sich bei den geltend gemachten Beträgen jeweils um Aufwendungen des Gläubigers handelt, die in dem Wert der Leistung des Schuldners einen Ausgleich hätten finden sollen, käme man aufgrund der Rentabilitätsvermutung zu einem gleich hohen Betrag des Erfüllungsinteresses. bb) Sonstige im Vertrauen auf den Erhalt der Leistung getätigte Aufwendungen Während in den Konstellationen der »essential reliance« der Ersatz des (nach der Rentabilitätsvermutung bemessenen) positiven Interesses und der Ersatz des negativen Interesses dem Betrag nach austauschbar sind, erfaßt das negative Interesse mit der »incidental reliance«146 oder, wie es im neueren rechtsökonomischen Schrifttum plastischer heißt147, der »surplus-enhancing reliance« Aufwendungen, auf die sich die Rentabilitätsvermutung nicht bezieht. Hiermit sind Investitionen gemeint, die der Gläubiger zwar in dem Vertrauen, aber nicht mit dem Zweck tätigt, die vertraglich geschuldete Leistung zu erhalten. Die Aufwendungen sind also nicht nötig, damit sich der Gläubiger die Leistung überhaupt verschaffen kann; vielmehr setzen sie den Erhalt der Leistung voraus und machen diese weitergehenden Zwecke nutzbar. 143 Vgl. die Illustration 3 zu § 349 Restatement (2d) of Contracts sowie die Entscheidungen United States v. Behan, 110 U. S. 338 (1884); Dade County v. Palmer & Baker Engineers, 339 F.2d 208 (5th Cir. 1964); Gruber v. S-M News Co., 126 F.Supp. 442 (D. C. N. Y. 1954). 144 Rogbie v. Ofgant, 306 F.2d 656 (Ca.1st, 1962) unter Berufung auf § 333 des ersten Restatement of Contracts, der Vorgängervorschrift zu § 349 des zweiten Restatement, die heute den Ersatz des »reliance interest« eröffnet. 145 Zu dieser sogenannten »English rule« siehe unten, § 12 I 2 b bb. 146 Die Unterscheidung zwischen »essential« und »incidental reliance« geht zurück auf Fuller/Perdue, 46 Yale L. J. 52, 78 (1936). 147 Bei Cooter/Eisenberg, 73 Cal.L.Rev. 1432, 1465 (1985).

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Daß die Rentabilitätsvermutung auf solche Aufwendungen nicht anwendbar ist, hat der BGH in einer Leitentscheidung zur Bemessung des Nichterfüllungsschadens eines Grundstückskäufers148 angenommen: Der Käufer wollte für die Berechnung des ihm nach § 463 S. 1 BGB a. F. zustehenden Schadensersatzes wegen Nichterfüllung nicht nur die nutzlosen Aufwendungen zum Erwerb des (entgegen der Zusicherung des Verkäufers nicht zum Betrieb einer Diskothek geeigneten) Grundstücks, sondern auch die gleichfalls fehlinvestierten Kosten für den Erwerb einer darauf bisher von einem Pächter betriebenen Diskothek ansetzen149. Weil das Äquivalent dieser Investitionen nicht das Grundstück, sondern das gekaufte Unternehmen (die Diskothek) war, lehnte es der BGH ab, sie aufgrund der Rentabilitätsvermutung als Bemessungsgrundlage für den Nichterfüllungsschaden zugrunde zu legen150 ; der Käufer mußte vielmehr – wenn auch begünstigt durch die Erleichterungen des § 252 S. 2 BGB151 – den hypothetischen Unternehmenswert beweisen, der den nutzlos gewordenen Aufwendungen für die Diskothek gegenübergestanden hätte. Nicht anders wäre es der Klägerin in dem berühmten Stadthallenfall ergangen, wenn sie statt eines ideellen Ziels einen kommerziellen Zweck verfolgt hätte: In dem vom BGH entschiedenen Fall152 war die Klägerin eine politische Partei, die von der beklagten Stadt eine Halle gemietet hatte, um darin eine Vortragsveranstaltung abzuhalten. Weil ihr die Nutzung der Halle unberechtigt verweigert worden war, verlangte sie von der Vermieterin den Ersatz der von ihr nutzlos für die Veranstaltung aufgewendeten Kosten in Gestalt des Werbungsaufwands sowie von Honoraren und Reisespesen. Der BGH sah hier für die Anwendung der Rentabilitätsvermutung keinen Raum, »weil die Klägerin mit der Nutzung der Stadthalle bzw. mit der geplanten Veranstaltung einen ideellen Zweck verfolgte und sie die dafür aufgewendeten Kosten auch bei Durchführung des Mietvertrages nicht wieder hereinbekommen hätte«153. Aber auch die Verfolgung eines wirtschaftlichen Zwecks hätte an diesem Ergebnis nichts geändert: Wäre die Klägerin etwa darauf aus gewesen, durch den Verkauf von Eintrittskarten einen Gewinn zu erzielen, könnte noch immer keine Rede davon sein, daß die Überlassung der Halle als solche einen Gegenwert gebildet hätte, der die Aufwendungen für Werbung, Honorare und Spesen gedeckt hätte. Diese Aufwendungen hätten ihren Ausgleich vielmehr durch die Veranstaltung und damit nicht, wie es die Rentabilitätsvermu148

BGH 19. 4. 1991, BGHZ 114, 193. Im einzelnen handelte es sich um Anschaffungskosten für die Diskothek, Umbaukosten, Verzinsung und Tilgung eines Brauereidarlehens als weiteres Entgelt für den Ankauf der Diskothek sowie den vom Käufer gezahlten Maklerlohn, soweit er für den Kauf der Diskothek aufgebracht wurde. 150 A.a.O., 200. 151 Dazu BGH, a.a.O., 202. Ebenso BGH 22. 10. 1999, BGHZ 143, 41, 49. Dazu, daß § 252 S. 2 BGB allerdings neben der gleichfalls gegebenen Beweiserleichterung nach § 287 I 1 ZPO keine spürbare praktische Bedeutung hat, siehe oben, Abschnitt I 3 b. 152 BGH 10. 12. 1986, BGHZ 99, 182. 153 A.a.O, 198. 149

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tung nach dem Verständnis des BGH verlangt, durch die von der Vermieterin geschuldete Leistung finden sollen. Abgesehen von dem Erfordernis einer wirtschaftlichen Zwecksetzung stand einer Bemessung des positiven Interesses nach dem Betrag der nutzlosen Aufwendungen im Stadthallenfall also auch die Beschränkung der Rentabilitätsvermutung auf Fälle der »essential reliance« entgegen. Das – auch vom Gesetzgeber der Schuldrechtsreform bei der Einführung von § 284 BGB154 verfolgte – Anliegen, Opfern von Pflichtverletzungen wie der Klägerin im Stadthallenfall zu einem finanziellen Ausgleich zu verhelfen, wäre daher nach dem bis zur Schuldrechtsreform geltenden Recht durch die Gleichbehandlung ideeller und wirtschaftlicher Zwecksetzungen allein nicht verwirklicht worden, sondern hätte darüber hinaus mit der Einbeziehung der »incidental reliance« in die Bemessungsgrundlage für das positive Interesse einen weiteren Bruch mit der Rentabilitätsvermutung erfordert. Wäre den Klägern im Diskotheken- und im Stadthallenfall dagegen ein Anspruch auf Ersatz des negativen Interesses nach dem Vorbild der §§ 122, 179 II BGB zugestanden worden155, hätte sich die Lage anders dargestellt: Sieht man den Haftungsgrund im Vertragsschluß bzw. in der zum Vertragsschluß führenden Willenserklärung der anderen Partei, besteht an der Ursächlichkeit des haftungsbegründenden Verhaltens für die Schäden in Gestalt der später nutzlos gewordenen Aufwendungen kein Zweifel. Auch der Schutzzweckzusammenhang als Grenze der Schadenszurechnung156 ist gewahrt: In den Fehldispositionen der in ihrem Vertrauen enttäuschten Gläubiger verwirklicht sich nicht das allgemeine Lebensrisiko, sondern die spezifische Gefahr der ihnen gegebenen Leistungsversprechen, nämlich die Gefahr, als Empfänger eines solchen Versprechens das Nichterfüllungsrisiko falsch einzuschätzen. Gewiß ergeben sich Fragen der Haftungsbegrenzung – so scheint im Stadthallenfall in Anbetracht des immateriellen positiven Interesses der Klägerin die Begrenzung die Haftung durch den Betrag des positiven Interesses, wie sie in den §§ 122 II, 179 II BGB vorgesehen ist, einem Ersatzanspruch auf den ersten Blick entgegenzustehen157. Doch läßt man diese Fragen vorerst beiseite158 , kann man festhalten: Als ersatzfähige Schäden kommen bei der Haftung auf das negative Interesse nicht nur nutzlose Aufwendungen in Betracht, die notwendig zum Erwerb der vertraglich zugesagten Leistung waren, sondern auch die Aufwendungen, mit denen der Gläubiger – im Vertrauen auf die Leistungserbringung durch den Schuldner – weitergehende Ziele verfolgte.

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Zur entstehungsgeschichtlichen Interpretation der Vorschrift näher unten, § 11 II. Ablehnend dazu BGH 10. 12. 1986, BGHZ 99, 182, 200 ff. 156 Dazu oben, Abschnitt I 2 b. 157 Darauf wird auch in BGH 10. 12. 1986, BGHZ 99, 182, 201, hingewiesen. 158 Zur Bedeutung der Haftungsbeschränkung auf den Betrag des positiven Interesses siehe unten, Abschnitt III 1. 155

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Die Einbeziehung der »incidental reliance« in den Schutzbereich der Haftung auf das negative Interesse läßt sich auch anhand eines breiten Spektrums amerikanischer und englischer Fälle aufzeigen, die prägend für die Anerkennung des »reliance interest« als Form vertraglichen Schadensersatzes geworden sind. Bereits das englische Urteil Nurse v. Barns159 aus dem Jahr 1664, die älteste Entscheidung, auf deren Autorität sich die Aussagen zum »reliance interest« in § 349 des Restatement (2nd) of Contracts stützen160 , hatte wohl eine solche Konstellation zum Gegenstand: Die – allerdings spärlich dokumentierten – Urteilsgründe lassen erkennen, daß dem Pächter einer Eisenhütte wegen der Nichterfüllung des Pachtvertrags Schadensersatz für offenbar nutzlos gewordene Aufwendungen für eingebrachtes Material gewährt wurde, deren Höhe (500 Pfund) den Wert der Pacht (10 Pfund für sechs Monate) um ein Vielfaches überstieg161. Auch das schon erörterte Urteil Security Stove & Manufacturing Co. v. American Railway Express Co.162 betraf den Ersatz infolge Nichterfüllung nutzloser Aufwendungen, die nicht dazu dienten, die stipulierte Leistung (den Transport eines Ofens) zu erlangen: Es ging um die Kosten einer Messeteilnahme des Ofenherstellers, die durch die Nichterfüllung des Transportvertrags vereitelt wurde, und damit um »incidental reliance«. Ebenso verhält es sich in den Fällen, in denen nach Scheitern einer Vertriebsvereinbarung ein in seinem Vertrauen enttäuschter Händler von dem vertragsbrüchigen Hersteller mangels beweisbaren Gewinns aus dem hypothetischen Weiterverkauf der nicht gelieferten Vertragswaren den Ersatz der Beträge verlangen konnte, die er (ohne dazu vertraglich verpflichtet zu sein) etwa in Werbemaßnahmen, die Anmietung eines Geschäftslokals und die Einstellung von Personal gesteckt hatte163, und des weiteren in Entscheidungen, die dem Käufer von Maschinen einen Anspruch auf Ersatz vergeblicher Aufwendungen für die Installationsvorbereitung gegen den vertragsuntreuen Verkäufer164 zusprachen oder die einen nicht erfüllungsbereiten Gasversorger verpflichteten, einem Unternehmer, dessen neu errichtete Fabrik wegen ausbleibender Gaslieferungen 159

Haym. Sir T. 77, 83 Eng.Rep. 43 (K. B. 1664). Vgl. die Reporter’s Note zu § 349. 161 Neuere Versionen der in Nurse v. Barns entschiedenen Konstellation sind die amerikanischen Fälle Rogers v. Davidson, 21 A. 1083 (Pa. 1891), in dem aufgrund der Weigerung des Verpächters, einen mit der Erlaubnis zum Holzeinschlag verbundenen Pachtvertrag über ein Waldgrundstück zu erfüllen, dem klagenden Pächter u. a. die Erstattung der Kosten für den Bau eines Sägewerks zugesprochen wurde, und Douglass v. Guardian Holding Corp., 23 P.2d 80, 132 Cal.App. 585 (1933), in dem der Pächter einer Autowerkstatt wegen Nichterfüllung des Pachtvertrags mit Erfolg Schadensersatz für nutzlose Aufwendungen, nämlich vergeblich aufgewandte Arbeitszeit und bereits angeschafftes, nur noch mit Verlust wieder zu verkaufendes Inventar, verlangte. Vgl. auch die weiteren Nachweise bei Corbin, Contracts Bd. 11, § 1035 Fn. 48 (S. 181 f.). 162 51 S. W.2d 572 (Mo. 1932). 163 Vgl. Wells v. National Life Association, 99 F.222 (5th Cir. 1900); General Tire & Rubber Co. v. Distributors, Inc., 253 N. C. 459, 117 S. E.2d 479 (1960). 164 L. Albert & Son v. Armstrong Rubber Co., 178 F.2d 182 (2d Cir. 1949) (es ging um die Kosten für die Errichtung eines Fundaments). 160

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stillstand, den Betrag der dadurch »frustrierten« Aufwendungen für den Betrieb der Fabrik zu ersetzen165. Genauso, nämlich unter Einbeziehung der Aufwendungen des Gläubigers, die nicht auf den bloßen Erhalt der vertraglichen Leistung bezogen waren, wurden schließlich auch Fälle entschieden, die das kommerzielle Pendant zum deutschen Stadthallenfall darstellen: In Bernstein v. Meech166 erhielt der Manager einer Schauspieltruppe von dem Vermieter eines Theaters, dessen Nutzung der Truppe vertragswidrig nicht gewährt wurde, Ersatz für die Kosten, die durch die Vorbereitung der Aufführungen entstanden waren, und in Chicago Coliseum Club v. Dempsey167 wurde in gleicher Weise zugunsten eines Boxveranstalters entschieden, nachdem der damalige Boxweltmeister den Antritt zu einem vertraglich vereinbarten Kampf verweigert hatte. b) Aufwendungen anläßlich des Vertragsschlusses Der Vertrauensschaden, wie er nach den §§ 122, 179 II BGB zu ersetzen ist, umfaßt nach wohl unbestrittener Ansicht nicht nur die nach Vertragsschluß, sondern auch die anläßlich des Vertragsschlusses anfallenden Aufwendungen der ersatzberechtigten Partei168. Hierbei handelt es sich um die Kosten, die mit der Ingeltungsetzung der zum Vertragsschluß führenden Willenserklärungen verbunden sind, also etwa um Portokosten, die Gebühren einer notariellen Beurkundung, Stempelgebühren oder Verkehrssteuern. Zugleich behandelt die Rechtsprechung diese Aufwendungen als Positionen, die unter Zugrundelegung der Rentabilitätsvermutung in die Bemessungsgrundlage für das positive Interesse eingehen169. Die Berücksichtigung der Vertragsabschlußkosten im Rahmen der Rentabilitätsvermutung erfolgt, wenn man die Prämissen der Rechtsprechung akzeptiert, zu Recht, weil diese Kosten nicht anders als der vom Gläubiger zu zahlende Preis oder die sonst von ihm zu erbringende Gegenleistung nach dem Kalkül einer wirtschaftlich handelnden Vertragspartei durch den Wert der Leistung des Schuldners wieder »hereingeholt« werden sollen. Was allerdings ihre gemeinhin unterstellte Einbeziehung in das negative Interesse betrifft, bestehen gewisse Schwierigkeiten: Die Aufwendungen, deren Ersatz der Gläubiger des Anspruchs auf das negative Interesse verlangt, müssen durch das zum Schadensersatz verpfl ichtende Verhalten des Schuldners verursacht worden sein170. Nicht bei allen im Zusammenhang 165

Paola Gas Co. v. Paola Glass Co., 56 Kan. 614, 44 P. 621 (1896). 130 N. Y. 354, 19 N. E. 255 (1891). 167 265 Ill.App. 542 (1932). Zu der in diesem Urteil auch behandelten (und verneinten) Frage der Ersatzfähigkeit vorvertraglicher Aufwendungen siehe unten, Abschnitt c. 168 So auch Hk-BGB/Dörner, § 122 Rz. 3; Jauernig/Jauernig, § 122 Rz. 3; Medicus, AT, Rz. 783; MünchKomm/Kramer, § 122 Rz. 8; Soergel/Hefermehl, § 122 Rz. 4; Staudinger/Singer, § 122 Rz. 12. 169 Vgl. die Einbeziehung der Beurkundungskosten für einen Grundstückskauf in den Nichterfüllungsschaden durch BGH 19. 4. 1991, BGHZ 114, 193, 197; 22. 10. 1999, BGHZ 143, 41, 48. 170 Siehe oben, Abschnitt I 2 a. 166

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mit dem tatsächlichen Vorgang des Vertragsabschlusses entstehenden Aufwendungen ist dieser Kausalzusammenhang gegeben, wenn man dabei stets auf die Erklärung des Schuldners als haftungsbegründenden Umstand blickt: Erfüllt ist das Kausalitätserfordernis zunächst in den Fällen, in denen die Aufwendungen durch die vertragliche Einigung als solche verursacht worden sind. Das ist etwa bei Notarkosten der Fall, die dafür zu entrichten sind, daß die Einigung in einer notariellen Urkunde festgehalten wird – diese Kosten sind zwar nicht allein durch die (ex lege oder infolge Anfechtung nichtige) Erklärung des Schuldners, aber im Zusammenwirken mit der Erklärung des Gläubigers entstanden, mit der sie sich zum Vertragsschlußtatbestand vereinigt hat, so daß kumulative Kausalität vorliegt171. Fallen die zum Vertragsschluß führenden Erklärungen der Parteien dagegen zeitlich auseinander, so daß sich Angebot und Annahme unterscheiden lassen, scheinen Aufwendungen, die ausschließlich an eine der beiden Erklärungen geknüpft sind, nur dann ersatzfähig zu sein, wenn es sich um die Kosten der Annahme handelt, denn nur diese Kosten stehen in einem Kausalzusammenhang mit der Willenserklärung der anderen Seite. So könnte, wenn ein Vertrag durch Briefwechsel oder durch sukzessive Beurkundung der Erklärungen geschlossen und eine der beiden Erklärungen wegen Irrtums angefochten worden ist, der Anfechtungsgegner den Ersatz der ihm entstandenen Porto- bzw. Notarkosten nach § 122 BGB allein verlangen, wenn er auf das irrtumsbehaftete Angebot hin die Annahme erklärt hat, nicht aber dann, wenn er ein Angebot abgegeben hat, auf das die irrtumsbehaftete Annahmeerklärung folgte: Weil die Angebotskosten auch dann angefallen wären, wenn der Adressat das Angebot nicht angenommen hätte, kann die Annahmeerklärung nicht als condicio sine qua non für die Entstehung dieser Kosten gelten. Danach hätte also der Anbietende, anders als der Annehmende, das Risiko des Verlusts der von ihm aufgewendeten Erklärungskosten zu tragen, es sei denn, der Erklärungsempfänger hätte ihm dafür einzustehen, daß er durch sein vorvertragliches Verhalten das Vertrauen auf das Zustandekommen eines Vertrags geweckt hat172. Diese Differenzierung nach der Abfolge der zum Vertragsschluß führenden Willenserklärungen hätte indes zur Folge, daß der Vertragsschluß durch Angebot und Annahme anders zu behandeln wäre als der Vertragsschluß durch beiderseitige Zustimmung zu einem Vertragstext173 : Während sich im zuletzt genannten Fall jede Partei aufgrund des gemeinsamen Akts der Ingeltungsetzung des Vertrags die Erklärungskosten der anderen Seite zurechnen lassen muß, wenn sie ihre 171 Zum Terminus »kumulative Kausalität«, der nicht immer in dem gleichen Sinn gebraucht wird, vgl. Lange/Schiemann, Schadensersatz, § 3 XII 2 (S. 157 f.). 172 Siehe dazu unten, § 13 II. 173 Zwischen dem Vertragsschluß durch zeitlich auseinanderfallende Willenserklärungen (Angebot und Annahme) und dem Vertragsschluß durch gemeinsame Zustimmung zu einem ausgehandelten Text (bei dem sich Angebot und Annahme nicht unterscheiden lassen) wird oft nicht unterschieden; zutreffend aber Flume, Rechtsgeschäft, § 34, 2 und 3 (S. 619 ff.).

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Erklärung beispielsweise wegen Irrtums anficht, haftete im zuerst genannten Fall nur der Anbietende für die Erklärungskosten seines Gegners. Dadurch würde abschlußwilligen Parteien ein unnötiges Hindernis bei der Vornahme des Vertragsschlusses in den Weg gelegt: Weil immer nur derjenige den Vorteil einer »Versicherung« gegen die nach den §§ 122, 179 II BGB relevanten Wirksamkeitsmängel hätte, der seine Willenserklärung zuletzt abgibt, bestünde ein Anreiz, mit der Abgabe der eigenen Erklärung zuzuwarten, bis man selbst ein Angebot erhalten hat. Um sich beim Abschluß eines Vertrags nicht aufgrund einer solchen Strategie wechselseitig zu blockieren (was zwar ein Extremfall, aber bei hohen Vertragsschlußkosten immerhin denkbar sein mag), bliebe den Parteien nur der Ausweg, den Vertrag nicht durch aufeinanderfolgende Erklärungen, sondern im Wege der beiderseitigen Zustimmung zu dem ausgehandelten Text zu schließen. Dadurch aber würden unnötigerweise Transaktionskosten verursacht: Statt beispielsweise einen schriftlichen Vertrag durch einen Briefwechsel zu schließen, müßten sich die in verschiedenen Städten ansässigen Parteien zu einem gemeinsamen Unterschriftstermin an ein und demselben Ort einfinden oder zu diesem Zweck Stellvertreter einsetzen. Dieser Effekt wird vermieden, wenn man beim Vertragsschluß durch Angebot und Annahme so verfährt wie beim Vertragsschluß durch beiderseitige Zustimmung und die Erklärungskosten beider Parteien einander wechselseitig zurechnet, d. h. auch den Annehmenden für die Erklärungskosten des Anbietenden einstehen läßt, wenn er diesem wegen der Fehlerhaftigkeit seiner Erklärung zum Ersatz des negativen Interesses verpflichtet ist. Man kann insoweit von einer normativen Korrektur des Ausgangspunkts der Kausalitätsbetrachtung sprechen: Die zeitliche Streckung des Vertragsschlusses, die in der Regelung von Angebot und Annahme in den §§ 145 ff. BGB ihren Ausdruck findet, ist für die Zwecke der Zurechnung von Vertrauensschäden unbeachtlich. Dies hat zur Folge, daß der Annehmende genauso haftet, wie wenn er mit dem Anbietenden gleichzeitig die Zustimmung zu einem ausgehandelten Vertragstext erklärt hätte. Diese Korrektur ist freilich von begrenzter Bedeutung: Selbst wenn man im Wege der Fiktion die gleichzeitige Zustimmung beider Parteien zum Vertragsschluß in dem Moment unterstellt, in dem tatsächlich allein das Angebot abgegeben wird, führt dies nur dazu, daß der Anbietende allein die Kosten des Ingeltungsetzens seiner Erklärung nach § 122 BGB (also etwa die Kosten notarieller Beurkundung) auf den Annehmenden abwälzen kann, nicht aber die Kosten ihrer Vorbereitung (also etwa das Honorar für einen bei der Formulierung des Angebots hinzugezogenen Anwalt) 174. Denn für die Vorbereitungskosten wäre die Willenserklärung der anderen Partei auch dann nicht (mit-)ursächlich geworden, wenn der Geschädigte den 174 Ebenso im Anschluß an Rabel (ZSR 27 (1908), 291, 293 f. = Gesammelte Aufsätze, S. 147, 149) Staudinger11/Coing, § 122 Rz. 9: Der Grundsatz, daß das Vertrauensinteresse Aufwendungen, die zeitlich vor der Willenserklärung liegen, nicht umfasse, »bedarf aber offensichtlich einer Einschränkung für die Kosten des Vertragsschlusses selbst, wie Notariatsgebühren, Stempelgebühren, Verkehrssteuern, aber auch Kosten von Beurkundungen, die nur dem Beweise die-

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Vertrag mit ihr durch einen gemeinsamen Akt in Geltung gesetzt hätte. Hierbei handelt es sich vielmehr um vorvertragliche Aufwendungen, deren Ersatzfähigkeit im folgenden Abschnitt zu erörtern ist. c) Aufwendungen vor Vertragsschluß aa) Divergenzen im Common Law Die Frage, ob Aufwendungen, die einer der späteren Vertragspartner bereits vor Vertragsschluß getätigt hat175 und die infolge Nichterfüllung nutzlos geworden sind, als Vertrauensschaden zu ersetzen sind, hat im deutschen Recht bis zur Einführung von § 284 BGB keine erkennbare Rolle gespielt. In der Welt des Common Law wird ihr aber angesichts divergierender Entscheidungen amerikanischer und englischer Gerichte bereits seit längerem einige Aufmerksamkeit geschenkt176 : In Chicago Coliseum Club v. Dempsey177, einer der amerikanischen Leitentscheidungen zum Ersatz des (erst später von Fuller so genannten) »reliance interest«, unterlag der klagende Boxveranstalter gegen den vertragsbrüchigen Boxer Jack Dempsey insoweit, als er Schadensersatz für Aufwendungen, nämlich Reisekosten und eine angebliche Zahlung an Dempseys potentiellen Gegner, verlangte, die schon vor dem Vertragsschluß mit Dempsey angefallen waren. Kosten, die im Zuge der Vertragsverhandlungen entstanden, seien, wie es in einem anderen Urteil heißt, »not referable to the contract or its breach«178. Auch englische Urteile deuteten zunächst in diese Richtung179, bis der Court of Appeal in Anglia Television Ltd. v. Reed180 gegenteilig entschied: Der Kläger nen sollen. Diese Kosten sind zu ersetzen ohne Rücksicht darauf, ob sie vor oder nach der Vertragsvollendung erwachsen sind.« Dem stimmt Flume, Rechtsgeschäft, § 21, 7 (S. 423), zu. 175 Zur Klarstellung: Hierzu gehören nach der zu Beginn des Abschnitts 3 getroffenen Einteilung auch die Aufwendungen, bei denen eine Zahlung erst nach Vertragsschluß stattgefunden hat, die Zahlungsverpfl ichtung aber schon vor Vertragsschluß entstanden ist. 176 Vgl. aus der englischsprachigen Lit. insbesondere Bridge, in: Good Faith and Fault in Contract Law, S. 427, 460 ff.; Corbin, Contracts Bd. 11, § 1034 (S. 177 f.), McLaughlan, (1985) 11 N. Z. U. L.Rev. 346 ff.; Ogus, (1972) 35 M. L. R. 423 ff. 177 265 Ill.App. 542 (1932). 178 Hough v. Jay-Dee Reality and Investment Inc., 401 S. W.2d 545, 551 (1966). Weitere amerikanische Urteile, in denen der Ersatz vorvertraglicher Aufwendungen abgelehnt wurde, sind Curran v. Smith, 149 F. 845 (1906); Gruber v. S. M. News Co., 126 F.Supp. 442 (1954); Linde v. Ellis, 6 S. W.2d 1089 (1928); Manning v. Pounds 199 A.2d 188 (1963); Cacavas v. Zack, 203 N. W.2d 913 (1972). Ein Sonderfall ist Security Stove & Manufacturing Co. v. American Railway Express Co., 51 S. W.2d 572 (1932): Die zugesprochenen Aufwendungen für die durch den Verzug des beklagten Transportunternehmens vereitelte Messeteilnahme des klagenden Ofenherstellers waren bereits vor Abschluß des Transportvertrags angefallen. Sie wurden jedoch zugesprochen, weil die Beklagte als »common carrier« nach Common Law einem Kontrahierungszwang unterlag und die Klägerin deshalb vom Zustandekommen eines Vertrags ausgehen durfte (a.a.O., 577). 179 Vgl. dazu die Rechtsprechungsübersicht bei McLaughlan, 11 N. Z. U. L.Rev. 346, 348 ff. (1985). 180 [1972] 1 Q. B. 60. Vgl. dazu Bridge, in: Good Faith and Fault in Contract Law, S. 427, 460 ff.; Clarke, [1972A] C. L. J. 22 ff.; Ogus, (1972) 35 M. L. R. 423 ff.

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plante die Produktion eines Fernsehfilms, in dem der Beklagte die Hauptrolle übernehmen sollte. Noch bevor hierüber ein Vertrag geschlossen worden war, hatte der Kläger verschiedene kostspielige Arrangements zur Vorbereitung des Films getroffen181. Als der Beklagte wenige Tage nach Vertragsschluß wegen Terminüberschneidungen die Erfüllung verweigerte, erwiesen sich diese Aufwendungen als nutzlos, weil ein Ersatz für die Hauptrolle nicht mehr gefunden werden konnte. Lord Denning M. R. sprach dem Kläger den Ersatz sämtlicher Kosten zu: »If the plaintiff claims the wasted expenditure, he is not limited to the expenditure incurred after the contract was concluded. He can claim also the expenditure incurred before the contract, provided that it was such as would reasonably be in the contemplation of the parties as likely to be wasted if the contract was broken.«182 Beide Fälle sind geeignet, die Fragestellung auch für das deutsche Recht zu veranschaulichen: Könnten Filmproduzent und Boxveranstalter Ersatz für ihre fehlgeschlagenen Aufwendungen verlangen, wenn ihnen die Gegenseite zum Ersatz des Vertrauensschadens (etwa nach den §§ 122, 179 II BGB) verpflichtet wäre? Oder findet der Erfolg des Klägers in Anglia Television eine andere, auf den Ersatz des positiven Interesses gestützte Erklärung? bb) Nutzlose vorvertragliche Aufwendungen als Teil des negativen Interesses Wenn man sich die Kausalbeziehung vergegenwärtigt, die bei dem Ersatz des negativen Interesses im allgemeinen und insbesondere bei den §§ 122, 179 II BGB vorausgesetzt ist, wird deutlich, daß vorvertragliche, nutzlos gewordene Aufwendungen in der Regel nicht als Bestandteil des Vertrauensschadens angesehen werden können: Danach ist der (nichtige) Vertrag bzw. die (nichtige) Erklärung das zum Schadensersatz verpflichtende Ereignis, und nur was durch dieses Ereignis verursacht worden ist, kommt als ersatzfähiger Schaden in Betracht183. Daran fehlt es grundsätzlich (zu den Ausnahmen sogleich) bei vorvertraglichen Aufwendungen184. Gerade was vorvertragliche Aufwendungen betrifft, muß man sich allerdings vor einem durch den Wortlaut der §§ 122, 179 II BGB wenn nicht nahegelegten, so doch zumindest ermöglichten Mißverständnis hüten, das zu einem gegenteiligen Schluß führt: Weil in diesen Vorschriften von dem Schaden die Rede ist, den jemand dadurch erleidet, »daß er auf die Gültigkeit der Erklärung vertraut« (§ 122 I BGB) bzw. »daß er auf die Vertretungsmacht vertraut« (§ 179 II BGB), könnte 181 Das Urteil schlüsselt nicht auf, welche der geltend gemachten Aufwendungen, zu denen etwa Honorare für den Regisseur und den Bühnenbildner gehörten, vor und welche nach Vertragsschluß gemacht wurden. 182 A.a.O., 64 (Hervorhebungen im Original). 183 Siehe oben, Abschnitt I 2 a. 184 So auch Ogus, (1972) 35 M. L. R. 423, 425, in einer kritischen Würdigung von Anglia Television Ltd. v. Reed: »The expenses were incurred not in reliance on the defendant’s promise to perform – they were incurred merely in the hope that agreement with the defendant would be secured. There was indeed no causal connection between the loss (the wasted expenses) and either the making of the contract or its breach.«

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man auf den Gedanken kommen, daß auch demjenigen, der zwar noch keinen Vertrag geschlossen hat, aber darauf vertraut, daß sein Gegenüber demnächst eine diesbezügliche gültige Erklärung abgeben wird bzw. über die Vertretungsmacht verfügt, um in Zukunft einen Vertrag mit ihm abzuschließen, seine zu diesem Zeitpunkt gemachten und später nutzlos gewordenen Aufwendungen zu ersetzen sind. Dafür, dieses – womöglich blinde – Vertrauen auf einen künftigen Vertragsschluß im Enttäuschungsfall durch einen Schadensersatzanspruch zu honorieren, gibt es jedoch nicht den geringsten Grund: Soweit nicht bereits eine vorvertragliche Selbstbindung der anderen Seite vorliegt, die der Haftung für den Abbruch der Vertragsanbahnung eine Grundlage bietet185 oder die andere Seite einem Kontrahierungszwang unterliegt186 , trägt jede Seite das Risiko von Fehlinvestitionen bis zum Vertragsschluß selbst, und der bloße Umstand, daß es zu einem nichtigen oder anfechtbaren Vertragsschluß gekommen ist, berechtigt nicht dazu, diese Risikoverteilung rückwirkend zu ändern. Was nach den §§ 122, 179 II BGB geschützt wird, ist also nicht das Vertrauen schlechthin, sondern nur das schutzwürdige, weil auf einen vermeintlich wirksamen Vertragsschluß gestützte Vertrauen187. Der Grundsatz, daß vorvertragliche Aufwendungen nicht als Vertrauensschaden ersatzfähig sind, gilt indes nicht uneingeschränkt. Zwar fehlt es in solchen Fällen an der Kausalität des Vertragsschlusses für die noch vor dem Vertragsschluß getroffene Entscheidung des Gläubigers, die jeweiligen Aufwendungen überhaupt zu machen. Doch schließt dies nicht aus, daß der Vertragsschluß kausal geworden ist für die weitere Entscheidung des Gläubigers, die Leistungen, die er aufgrund seiner Aufwendungen erhält, einer bestimmten Verwendung zu widmen oder die Aufwendungen trotz vorhandener Stornierbarkeit nicht rückgängig zu machen. Erst durch diese weitere, vom Schuldnerverhalten verursachte Entscheidung kommt es dazu, daß die Aufwendungen später aufgrund der Nichterfüllung des (wegen Anfechtung oder kraft Gesetzes) nichtigen Vertrags nutzlos werden. Hat daher der Schuldner durch seine unwirksame Beteiligung am Vertragsschluß eine solche Entscheidung veranlaßt, ist er für diese Fehldisposition des Gläubigers haftungsrechtlich verantwortlich und hat dafür in der gleichen Weise Ersatz zu leisten wie für eine nach Vertragsschluß getätigte und dann nutzlos gewordenen Investition seines Vertragspartners: durch Zahlung des in die Aufwendungen geflossenen und nun verlorenen Geldbetrags188.

185

Siehe unten, § 13 II. So verhielt es sich in Security Stove & Manufacturing Co. v. American Railway Express Co., 51 S. W.2d 572 (1932); siehe oben, Fn. 178. 187 In diesem Sinne zu den §§ 122, 179 BGB und zu § 307 BGB a. F. bereits Rabel, ZSR 27 (1908), 291, 294 = Gesammelte Aufsätze, S. 147, 149: »Im allgemeinen möchte ich [. . .] meinen, daß das rechtlich erhebliche Vertrauen auf das Vorliegen eines einzelnen Erfodernisses des Vertrages doch erst vom Vertragsschluß ab wirkt, so wie sein Wirken durch den Vertragsschluß bedingt ist.« 188 Dazu, daß es bei dem Ersatz des fehlinvestierten Geldbetrags um eine Form der Naturalrestitution für die verlorene Dispositionsmöglichkeit geht, siehe oben, Abschnitt I 1 b bb. 186

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Anhand des bereits erörterten Stadthallenfalls189 läßt sich die Bedeutung dieser Einschränkung der Regel, daß vorvertragliche Aufwendungen nicht ersatzfähig sind, illustrieren: Die Mieterin der Stadthalle verlangte von der Vermieterin, die ihr die Nutzung verweigert hatte, u. a. den Ersatz des Honorars, das sie dem Vortragsredner schuldete, der in der Halle hätte auftreten sollen. Unterstellt, daß die Mieterin den Honorarvertrag mit dem Redner bereits vor dem Mietvertrag abgeschlossen hatte190 , handelte es sich nach der hier zugrunde gelegten Einteilung nach dem rechtlichen Entstehungsgrund um vorvertragliche Aufwendungen. Für die Entscheidung der Mieterin, den Honorarvertrag abzuschließen, ist die Vermieterin nicht kausal geworden. Dennoch umfaßt der von der Mieterin erlittene (und vom BGH nach altem Schuldrecht mangels Anspruchsgrundlage nicht zugesprochene191) Vertrauensschaden die verschwendeten Honorarkosten: Erst der Vertragsschluß mit der Vermieterin hat die Mieterin zu der Entscheidung veranlaßt, die durch den Honorarvertrag ausbedungene Leistung einer bestimmten Verwendung zu widmen, nämlich den Vortrag in der gemieteten und dann nicht zur Verfügung gestellten Halle stattfinden zu lassen. Hätte die Vermieterin den Vertrag nicht geschlossen, wäre es zu dieser Fehldisposition und damit auch zu der Nutzlosigkeit der Aufwendungen für das Honorar nicht gekommen (vorausgesetzt, es hätte sich eine andere Räumlichkeit für den Vortrag finden lassen). Verallgemeinernd kann man sagen: Vorvertragliche, durch Nichterfüllung nutzlos gewordene Aufwendungen des Gläubigers, deren (materiellen oder ideellen) Nutzen er noch auf andere Weise hätte realisieren können, wenn er den Vertrag mit dem Schuldner nicht geschlossen hätte, oder die er zumindest noch hätte »stornieren« können, sind als Vertrauensschaden zu ersetzen192. Hierzu gehören insbesondere auch die Fixkosten des Gläubigers193 : Ist der Geschädigte etwa ein Werkunternehmer, der zur Erbringung der ihm obliegenden Gegenleistung nicht eigens Arbeitskräfte anheuerte und Maschinen anschaffte, sondern permanent beschäftigtes Personal und langfristig geleaste Gerätschaften einsetzte, sind seine Aufwendungen vorvertraglicher Natur, da sie auf vor dem Vertragsschluß begründete Schuldverhältnisse zurückgehen. Doch kann der Unternehmer, wenn ihm beispielsweise ein Anspruch aus § 122 BGB gegen den Besteller zusteht, Ersatz für den Anteil der Arbeitslöhne und Leasingzahlungen194 verlangen, der auf den Ein189

BGH 10. 12. 1986, BGHZ 99, 182; dazu oben, Abschnitt II 1 a bb. Dem BGH-Urteil lassen sich keine Angaben darüber entnehmen. 191 BGH 10. 12. 1986, BGHZ 99, 182, 200 ff. 192 Ebenso zu § 284 BGB MünchKomm/Ernst, § 284 Rz. 19; Gsell, in: Das neue Schuldrecht in der Praxis, S. 321, 331 f. – Ernst und Gsell kommen zu diesem Ergebnis freilich nicht auf der Grundlage einer Einordnung des § 284 BGB als Ausdruck der Haftung auf das negative Interesse, sondern sehen darin eine Form der Entschädigung für das positive Interesse (vgl. MünchKomm/Ernst, § 284 Rz. 7; Gsell, in: Das neue Schuldrecht in der Praxis, S. 321, 336 f.). Zu der Frage der Einordnung von § 284 BGB siehe unten, § 11 II. 193 So auch MünchKomm/Ernst, § 284 Rz. 7. 194 Auf die Bestimmung des Anteil wäre, worauf Ernst, a.a.O., hinweist (für den allerdings nur eine entprechende Anwendung in Betracht kommt), § 287 ZPO anwendbar. 190

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satz der Arbeiter und der Geräte für die bereits begonnene Erfüllung des sich dann als nichtig erweisenden Vertrags entfällt, denn er hätte, wenn er diesen Vertrag nicht geschlossen hätte, die bereits vorhandenen Arbeiter und Gerätschaften zur Ausführung anderer Aufträge einsetzen können. Sind die vorvertraglichen Aufwendungen dagegen so beschaffen, daß ihr Nutzen mit dem Abschluß des später gescheiterten Vertrags steht und fällt (man stelle sich etwa vor, der Werkunternehmer habe bereits vor Vertragsschluß maßgefertigte Bauteile anfertigen lassen, die sich nur für das projektierte Werk verwenden ließen), bleibt es bei der Grundregel, daß vorvertragliche Aufwendungen nicht zu ersetzen sind und der Gläubiger das Investitionsrisiko selbst zu tragen hat. Vor diesem Hintergrund sind auch die in Chicago Coliseum Club v. Dempsey und in Anglia Television Ltd. v. Reed entschiedenen Konstellationen zu beurteilen: Wenn die Leistungen des Boxweltmeisters und des Schauspielers austauschbar waren und die Kläger dementsprechend die – im Vertrauen auf die Einhaltung des tatsächlich geschlossenen Vertrags nicht wahrgenommene – Möglichkeit gehabt hätten, mit Hilfe anderer Vertragspartner den Nutzen ihrer Investitionen zu realisieren, umfaßt das negative Interesse den Ersatz der vorvertraglichen Aufwendungen. Waren die vertragsvorbereitenden Maßnahmen dagegen ausschließlich auf den Boxer Dempsey und den Schauspieler Reed ausgerichtet, ist ihr Verlust als Verwirklichung des Risikos anzusehen, das die Kläger auch bei Scheitern der Vertragsanbahnung getroffen hätte und das ihnen durch die Haftung auf das negative Interesse nicht abgenommen werden darf. Letzteres war in Chicago Coliseum Club mit Sicherheit und in Anglia Television möglicherweise der Fall. cc) Zur Abgrenzung: Nutzlose vorvertragliche Aufwendungen als Bemessungsgrundlage für das positive Interesse Als Entscheidung zum Schutzumfang des negativen Interesses wäre Anglia Television nach dem zuvor Gesagten womöglich falsch entschieden195. Doch würde man dem Urteil mit dieser Lesart nicht gerecht196 : Die Begründung von Lord Denning M. R. erwähnt mit keinem Wort Erwägungen, wie sie hier zum negativen Interesse angestellt wurden, sondern beschränkt sich darauf, daß die Nutzlosigkeit der Aufwendungen des Gläubigers als Folge des Vertragsbruchs für den Schuldner vorhersehbar war. Den zum Schadensersatz verpfl ichtenden Umstand sieht der Richter also nicht im Vertragsschluß, sondern in der Nichterfüllung des Vertrags, und folgerichtig sieht er den zu ersetzenden Schaden nicht in der Entstehung der Aufwendungen, sondern in ihrer Entwertung. Die ratio des Urteils ist daher nicht der Lehre vom »reliance interest« zuzuordnen, mit dem es das englischsprachige Schrifttum in Verbindung bringt. Vielmehr führt Lord Denning, 195

Dies ist die von Ogus, (1972) 35 M. L. R. 423, 425, gegen das Urteil vorgebrachte Kritik. Gegen die Einordnung des Urteils als Anwendungfall des »reliance interest« (allerdings ohne die nachfolgenden Erwägungen zum Frustrationsgedanken) auch Bridge, in: Good Faith and Fault in Contract Law, S. 427, 461. 196

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indem er dem Gläubiger gestattet, seinen Nichterfüllungsschaden nach dem Betrag der (vorhersehbar) »frustrierten« Aufwendungen zu berechnen, den Frustrationsgedanken in das englische Vertragsrecht ein, wie man ihn in Deutschland in der Nachfolge von Tuhrs zu etablieren suchte197. Das Für und Wider der Frustrationslehre mag hier dahinstehen198 ; festzuhalten ist indes die in Anglia Television deutlich werdende Konsequenz, die ihre Anwendung bei der Bestimmung des Nichterfüllungsschadens hat: Zieht man die Höhe der entwerteten Aufwendungen zur Bemessung des positiven Interesses heran, ist es anders als bei der Bestimmung des negativen Interesses weder erforderlich noch sinnvoll, im Vertragsschluß eine Zäsur zu sehen und grundsätzlich nur die Aufwendungen in die Schadensbemessung einzubeziehen, die im Vertrauen auf den bereits geschlossenen Vertrag gemacht, in der im vorigen Abschnitt erläuterten Weise »gewidmet« oder jedenfalls nicht storniert wurden: Als Maßstab für den Wert, den die nicht erbrachte vertragliche Leistung für den Gläubiger hatte, taugen, wenn man die Prämisse einmal akzeptiert hat, vor- wie nachvertragliche Aufwendungen gleichermaßen, die der Gläubiger in Erwartung der Leistung getätigt hat. Vor diesem Hintergrund ist es nicht recht schlüssig, wenn manche den Ersatz nutzloser Aufwendungen, wie er in § 284 BGB gewährt wird, einerseits als Ausdruck des Schutzes des positiven Interesses interpretieren und andererseits dennoch vom Vertragsschluß als maßgeblichem Zeitpunkt abhängig machen wollen199.

2. Entgangener Gewinn a) Die Vereinbarkeit des Gewinnersatzes mit dem Schutzzweck der Haftung Ausgehend von der Prämisse, daß der Ersatz des negativen Interesses darauf zielt, den Gläubiger in die Lage zu versetzen, in der er sich gegenwärtig befände, wenn er auf die Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts mit dem Schuldner nicht vertraut hätte200 , erscheint es zunächst zwingend, den Schadensersatz nicht auf den Ersatz fehlgeschlagener Aufwendungen zu beschränken, sondern auch einen etwaigen Mehrbetrag einzubeziehen, um den der Wert des gegenwärtigen tatsächlichen Gläubigervermögens hinter dem Wert des gegenwärtigen hypothetischen Gläubigervermögens zurückbleibt. Ein solcher Mehrbetrag und damit ein entgangener Gewinn ergibt sich, wenn der Gläubiger die Mittel, die er im vergeblichen Vertrauen auf die Wirksamkeit des tatsächlich abgeschlossenen Geschäfts eingesetzt hat,

197 In dieser Richtung (wenn auch naturgemäß ohne den Bezug zum Frustrationsgedanken von Tuhrs) auch Kelly, 1992 Wis.L.Rev. 1755, 1816 f., mit der Überlegung, daß es in Anglia Television nicht um den Ersatz des »reliance interest«, sondern des anhand der Aufwendungen aufgrund einer »zero profit assumption« berechneten »expectation interest« gehe. 198 Dazu noch unten, § 11 II 2 b. 199 Näher dazu unten, § 11 II 2 a bb. 200 Dazu oben, Abschnitt I 1 a.

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ohne dieses Geschäft einer alternativen Verwendung zugeführt hätte, mit der er mehr als den Aufwendungsbetrag erwirtschaftet hätte. Die Alternative, die wahrzunehmen der Gläubiger unterließ und die ihm diesen Gewinn beschert hätte, mag in dem Abschluß eines Geschäfts auf demselben Markt bestanden haben, auf dem auch das tatsächliche Geschäft abgeschlossen wurde. Auf das Beispiel des Kaufs bezogen heißt das: Der Verkäufer hat eine andere günstige Verkaufsgelegenheit für die von ihm angebotene oder der Käufer eine andere günstige Kaufgelegenheit für die von ihm nachgefragte Ware verstreichen lassen. Sie mag aber auch in einem von dem tatsächlich abgeschlossenen Geschäft gänzlich verschiedenen Mitteleinsatz bestanden haben. Wiederum auf den Fall des Kaufs bezogen könnten dies etwa die folgenden Einsatzmöglichkeiten sein: Der Verkäufer hätte die Ware, statt sie zum Verkauf anzubieten, weiterverarbeiten und das Endprodukt mit Gewinn auf einem anderen Markt absetzen können; der Käufer hätte das Geld, das er zur Zahlung des Kaufpreises bereithielt, in ein zur Zeit des Vertragsschlusses noch niedrig und später höher notierendes Wertpapier investieren können. Gelingt es dem Gläubiger, unter Berücksichtigung der §§ 287 I 1 ZPO, 252 S. 2 BGB201 zu beweisen, daß er mit überwiegender Wahrscheinlichkeit eine dieser Alternativen gewählt und damit einen Gewinn erzielt hätte, wenn er auf die Gültigkeit des abgeschlossenen Geschäfts nicht vertraut hätte, steht ihm der Ersatz des entgangenen Gewinns zu 202. Bei dem Ersatz des negativen Interesses nach den §§ 122, 179 II BGB ist all dies unbestritten 203. In der amerikanischen Lehre und Praxis ist man indes weit weniger geneigt, den entgangenen Gewinn des Gläubigers aus einem nicht getätigten Alternativgeschäft in den Ersatz des »reliance interest« einzubeziehen: Bereits Fuller vermochte sich in seiner für das Common Law bahnbrechenden Untersuchung der Thematik nicht zu einer klaren Aussage darüber durchzuringen, ob der Schutz des »reliance interest« auch auf »gains prevented« zu erstrecken ist204. Das

201

Dazu oben, Abschnitt I 3 b. Anders Harke, JR 2003, 1, 3 ff., der bei der Bestimmung des negativen Interesses als »wertungsgebundene Beweiserleichterung« (a.a.O., S. 5) eine Vermutung zur Anwendung bringen will, dass dem Gläubiger durch das Vertrauen auf den Bestand des Rechtsgeschäfts mindestens ein gleichartiges anderes Geschäft und der daraus erzielte Gewinn entgangen ist. Die hierfür vorgetragene, eher formale Begründung (es handele sich um die Umkehrung der beim Ersatz des positiven Interesses anerkannten Vermutung der Unabhängigkeit des gescheiterten Geschäfts von den übrigen Geschäften des Gläubigers) ist jedoch wohl nicht hinreichend tragfähig. 203 Vgl. BGH 17. 4. 1984, NJW 1984, 1950, 1951; Bamberger/Roth/Wendtland, § 122 Rz. 7; Flume, Rechtsgeschäft, § 21, 7 (S. 423); Hk-BGB/Dörner, § 122 Rz. 3; Jauernig/Jauernig, § 122 Rz. 3; MünchKomm/Kramer, § 122 Rz. 8; MünchKomm/Oetker, § 249 Rz. 124; Larenz/Wolf, AT, § 36 Rz. 131 (S. 694); Medicus, AT, Rz. 783; Palandt/Heinrichs, § 122 Rz. 4; RGRK/KrügerNieland, § 122 Rz. 7; Soergel/Hefermehl, § 122 Rz. 4; Soergel/Mertens, Vor § 249 Rz. 69; Staudinger12 /Dilcher, § 122 Rz. 7; Hans Stoll, in: FS Deutsch, S. 361, 364. 204 Vgl. Fuller/Perdue, 46 Yale L. J. 52, 55 (1936) mit Fn. 4, in der auf die Rechtslage nach § 122 BGB hingewiesen wird; ferner 46 Yale L. J. 373, 417 f. (1936); dazu auch schon oben, Abschnitt II 1. 202

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zweite Restatement of Contracts schweigt zu dieser Frage205. Die Rechtsprechung hat den Ersatz von »lost opportunities« bisher nur in wenigen Fällen gewährt 206 ; soweit der Ersatz entgangenen Gewinns nicht schon an Beweisproblemen scheiterte207, sah man sich vereinzelt auch aus Sachgründen daran gehindert, einen solchen Anspruch zuzusprechen 208. Die Begründung dafür findet sich schon bei Fuller: Hält man im Rahmen des »reliance interest« den entgangenen Gewinn für ersatzfähig, nähert sich der Betrag des »reliance interest« dem Betrag des »expectation interest« (des positiven Interesses) an; bei vollkommenem Wettbewerb sind »reliance« und »expectation interest« sogar identisch, denn weil unter diesen Bedingungen jeder Marktteilnehmer mit beliebigen Partnern der Marktgegenseite zu gleichen Bedingungen kontrahieren kann, ist der entgangene Gewinn aus jeder nicht wahrgenommenen Gelegenheit zum Geschäftsabschluß genauso hoch wie der entgangene Gewinn aus dem tatsächlich abgeschlossenen Geschäft 209. Den entgangenen Gewinn beim »reliance interest« in dieser Höhe zuzusprechen, widerspreche dem Sinn des Übergangs vom »expectation« zum »reliance interest«, soweit dieser darin bestehe, die dem Schuldner auferlegte Haftung durch den Ausschluß des »expectation interest« abzumildern 210. Dieser Einwand ließe sich auch gegen die Einbeziehung des entgangenen Gewinns in den Ersatz des negativen Interesses nach den §§ 122, 179 II BGB erheben, die doch, wie man annehmen sollte, die Haftung auf das positive Interesse, wie sie bei einer wirksamen rechtsgeschäftlichen Verpfl ichtung oder nach § 179 I BGB bestünde, durch eine schwächere Sanktion ersetzen sollen. Man könnte daher auf den Gedanken kommen, eine Beschränkung der Ersatzpfl icht auf den »positiven« Schaden als schutzzweckgerechte Reduktion der von den §§ 122, 179 II BGB angeordneten Rechtsfolge einzufordern, welche neben die explizit geregelte Begrenzung auf den Betrag des positiven Interesses zu treten habe, damit dieser Grenzbetrag in den Fällen vollkommenen Wettbewerbs nicht zum Regelbetrag des Schadensersatzes wird. Jenseits der §§ 122, 179 II BGB sind der deutschen rechtswissenschaftlichen Diskussion solche Versuche einer Rücknahme der Haftung auf das negative Interesse gegenüber den allgemeinen, von der Differenzhypothese ausgehenden Regeln 205

Vgl. die §§ 344, 349 Restatement Second mit den zugehörigen Kommentaren. Z. B. in Hunter v. Hayes, 533 P.2d 952 (Colo.App. 1975); Grouse v. Group Health Plan, 306 N. W.2d 114 (Minn. 1981); Ravelo v. County of Haw., 66 Haw. 194, 658 P.2d 883 (1983). 207 So etwa in Security Stove & Manufacturing Co. v. American Railways Express, 227 Mo. App. 175, 51 S. W.2d 572 (1932) (siehe zu dieser Entscheidung bereits oben, Abschnitt I 1 b). 208 So etwa in Sullivan v. O’Connor, 363 Mass. 579, 584 f.; 296 N. E.2d 179, 187 (1973) (Begrenzung der vertraglichen Haftung wegen eines ärztlichen Kunstfehlers auf das »reliance interest« als »more lenient measure of damages«). 209 Fuller/Perdue, 46 Yale L. J. 52, 60 (1936). Vgl. auch Cooter/Eisenberg, 73 Cal.L.Rev. 1432, 1434 ff. (1985); Goetz/Scott, 89 Yale L. J. 1261, 1284 (1980); Katz, 105 Yale L. J. 1249, 1266 (1996), sowie oben, § 6 I. 210 Fuller/Perdue, 46 Yale L. J. 373, 417 (1936). 206

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des Schadensersatzes immerhin nicht fremd: Heinrich Stoll, der in den Fällen des gesetzlichen Rücktrittsrechts einen ungeschriebenen Anspruch des Rücktrittsberechtigten auf Ersatz des negativen Interesses als Teil der damaligen lex lata betrachtete211, sah diesen Anspruch auf den Ersatz von Aufwendungen und akzessorischen Schäden unter Ausklammerung entgangenen Gewinns beschränkt: Der Rücktrittsberechtigte sei »froh, von dem Geschäft ohne wirklichen Schaden, damnum emergens, losgekommen zu sein, auch wenn er inzwischen andere Gewinnmöglichkeiten nicht ausnützen konnte und insofern eine Einbuße erleidet«212. Eine Beschränkung der Haftung auf den Ersatz des »damnum emergens« läßt sich indes schwerlich damit begründen, daß es sich allein hierbei um einen »wirklichen Schaden« handele: Dies widerspräche dem durch § 252 S. 1 BGB bestätigten, die Kodifikation des Schadensrechts leitenden Prinzip, »daß die positive Vermögenseinbuße und der entgangene Gewinn zu ersetzen sind, daß also unter der Schadensersatzpflicht durchgehends die Verpfl ichtung zur Leistung des ganzen Interesses zu verstehen ist«213. Auch die Sorge, mit dem Ersatz des entgangenen Gewinns verschwinde der eigentlich intendierte Abstand zwischen der Haftung auf das negative Interesse und der Haftung auf das positive Interesse, vermag es nicht zu rechtfertigen, von diesem Grundprinzip des Schadensersatzrechts abzuweichen: Tatsächliches Marktgeschehen entspricht oft, vielleicht sogar in der Regel nicht dem Modell vollkommenen Wettbewerbs, sondern ist von Transaktionskosten und Wettbewerbsverzerrungen geprägt, die verhindern, daß dem einzelnen Marktteilnehmer gleichwertige Abschlußmöglichkeiten offenstehen. Der Schutz des negativen Interesses stellt in diesen gewiß alltäglichen Fällen für den Gläubiger ein spürbares Minus und für den Schuldner eine spürbare Erleichterung im Vergleich zum Schutz des positiven Interesses dar214. Daß es in einzelnen Fällen anders, nämlich zu einer Entsprechung zwischen negativem und positivem Interesse kommen mag, ist nicht Grund genug dafür, den haftungsrechtlichen Schutz generell um den entgangenen Gewinn zu verkürzen, zumal dieser Effekt auch dann eintreten könnte, wenn man nur den Ersatz fehlgeschlagener Aufwendungen gewährte. Die rechtspolitische Legitimation der Haftung auf das negative Interesse, wie sie im ersten Teil dieser Untersuchung entwickelt wurde, zeigt schließlich, daß hinter der Einbeziehung des entgangenen Gewinns in das negative Interesse eine einleuchtende ökonomische ratio steht, ja daß der Ersatz entgangenen Gewinns ökonomisch sogar leichter zu erklären ist als der Ersatz vergeblicher Aufwendungen 215 : Danach sind dem Versprechenden, um sein Verhalten bei der Versprechensabgabe in effiziente Bahnen zu steuern, idealerweise die Vertrauenskosten des Versprechensempfängers aufzuerlegen, nämlich die Differenz zwischen dem 211 212 213 214 215

Ebenso Keuk, Vermögensschaden, S. 160. Heinrich Stoll, AcP 131 (1929), 141, 182. Mot. II, S. 17 = Mugdan II, S. 10. Siehe auch oben, § 6 I. Siehe oben, § 5 III 3.

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Nutzen, den dieser bei irriger Annahme der Erfüllung mit seinen vorhandenen Mitteln zu erzielen imstande ist, und dem Nutzen, den er aus seinen vorhandenen Mitteln ohne das Versprechen hätte ziehen können. Diese Kosten sind die Opportunitätskosten des Empfängers. Nur der Schadensersatz unter Einbeziehung des entgangenen Gewinns vermag dieses Postulat rechtlich umzusetzen. b) Das Verhältnis des Gewinnersatzes zum Aufwendungsersatz Mit der von der deutschen Rechtsprechung und Literatur zu den §§ 122, 179 II BGB geteilten Feststellung, daß der Vertrauensschaden sich außer auf nutzlos gewordene Aufwendungen auch auf den Gewinn erstreckt, der dem Gläubiger dadurch entgangen ist, daß er den Abschluß eines anderen Geschäfts unterlassen hat 216 , ist das Urteil über das Verhältnis des Gewinnersatzes zum Aufwendungsersatz auf den ersten Blick bereits vorweggenomen: Beide Schadenspositionen können, so sollte man meinen, stets nebeneinander ersetzt verlangt werden; der Gläubiger müßte danach also nicht auf den Ersatz der verlorenen Aufwendungen verzichten, wenn er den entgangenen Gewinn aus einem im Vertrauen auf die Wirksamkeit der Erklärung des Schuldners nicht abgeschlossenen Geschäft liquidiert. Bei näherem Hinsehen ist jedoch eine differenzierende Betrachtung geboten, die bei der Erkenntnis anzusetzen hat, daß das Vertrauensinteresse des Gläubigers nicht doppelt befriedigt werden darf. Keine Schwierigkeiten ergeben sich zunächst aus der Kumulierung des Ersatzes entgangenen Gewinns und fehlgeschlagener Aufwendungen, wenn es sich bei den geltend gemachten Aufwendungen ausschließlich um variable Kosten handelt, d. h. um Kosten, die durch das tatsächlich abgeschlossene, vom Gläubiger irrig für wirksam gehaltene Geschäft bedingt sind und daher ohne den Abschluß des Geschäfts nicht entstanden wären. Der Ersatz des entgangenen Gewinns aus einem nicht abgeschlossenen Alternativgeschäft hat mit dem Ausgleich dieser Kosten nichts zu tun: Er umfaßt den hypothetischen Ertrag aus diesem Geschäft abzüglich der hypothetischen Aufwendungen für dieses Geschäft 217, genauer ausgedrückt: abzüglich der hypothetischen variablen Kosten 218. Die tatsächlichen Aufwendungen sind davon nicht erfaßt. Soweit die in diese Aufwendungen geflossenen Mittel auch für das hypothetische Geschäft eingesetzt worden wären, sind sie als hypothetische Aufwendungen vom entgangenen Gewinn abzuziehen. Damit steht 216

Vgl. dazu die Nachw. in Fn. 203. Zum Abzug der hypothetischen Aufwendungen vgl. etwa Geibel, Kapitanlegerschaden, S. 413. 218 Vgl. dazu, daß bei der Berechnung des entgangenen Gewinns von dem Reinertrag nur die variablen und nicht die Fixkosten abzuziehen sind, BGH 22. 2. 1989, BGHZ 107, 67, 69 (mit Bezug auf die Berechnung des Nichterfüllungsschadens). Vgl. zur Abregnzung vom wirtschaftlichen (Rein-)Gewinn R. Posner, Economic Analysis, S. 125: »The ›lost profits‹, or expectation measure of damages does not focus on profit as such, but on the difference between contract price and the costs directly allocable to the contract (the reliance loss); that difference will usually consist mainly of costs rather than of monopoly rents.« 217

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der Gläubiger im Ergebnis aufgrund des kumulierten Ersatzes der Aufwendungen und des entgangenen Gewinns nicht besser, als er gegenwärtig stehen würde, wenn er das unwirksame Geschäft nicht abgeschlossen und das hypothetische Geschäft getätigt hätte219. Anders aber verhält es sich, wenn man, wie es hier befürwortet wird, dem Gläubiger als vergebliche Aufwendungen auch den Anteil seiner Fixkosten ersetzt, der auf die Erfüllung des sich später als nichtig erweisenden Geschäfts entfällt: Weil bei der Berechnung des entgangenen Gewinns die Fixkosten anders als die variablen Kosten nicht abgezogen werden dürfen 220 und sie demnach in dem Betrag des entgangenen Gewinns enthalten sind, erhielte der Gläubiger einen doppelten Schadensausgleich, wenn man ihm dieselben Kosten als Teil des Aufwendungsersatzes erstattete221. Dies wäre im übrigen widersprüchlich: Man kann die anteiligen Fixkosten, wenn der entgangene Gewinn aus einem anderen Geschäft ersetzt wird, nicht zugleich als nutzlose und als nützliche (nämlich für das hypothetische Geschäft produktive) Aufwendungen ansetzen. Damit der Gläubiger nicht mehr erhält als den Betrag seines negativen Interesses, ist daher neben dem Ersatz des entgangenen Gewinns aus einem im Vertrauen auf die Wirksamkeit des Vertrags nicht abgeschlossenen anderen Geschäft ein Ersatz fehlgeschlagener Aufwendungen nur insoweit zu gewähren, als es sich dabei um variable Kosten und nicht um anteilige Fixkosten handelt, die auf das tatsächlich abgeschlossene Geschäft entfallen.

219

Zur Verdeutlichung ein Beispiel: Der Gläubiger des Anspruchs auf das negative Interesse sei ein Werkunternehmer, der, gegen einen Lohn von 100 A, eine Leistung versprochen hat, für deren Erbringung er 70 A (nur variable Kosten) investieren muß und auch bereits investiert hat, als der Vertrag vom Schuldner wegen Irrtums angefochten wird. Wenn er, bevor ihm die Anfechtung erklärt wurde, im Vertrauen auf die Wirksamkeit des Vertrags bereits einen anderen Auftrag abgelehnt hat, der ihm einen Lohn von 90 A bei einem Aufwand von 65 A (wiederum variable Kosten) beschert hätte, steht ihm aus § 122 BGB ein Anspruch auf 95 A zu. Dies ist die Summe der vergeblichen Aufwendungen (70 A) und des entgangenen Gewinns (90 A – 65 A = 25 A). Damit ergibt sich genau der Betrag, um den das gegenwärtige tatsächliche Vermögen des Unternehmers hinter seinem gegenwärtigen hypothetischen Vermögen bei Nichtabschluß des unwirksamen Vertrags zurückbleibt. – Der Betrag des positiven Interesses als Grenze des Ersatzanspruchs wird hier nicht erreicht: Er beträgt 100 A. 220 Vgl. wiederum BGH 22. 2. 1989, BGHZ 107, 67, 69. 221 Auch dies sei anhand eines Beispiels verdeutlicht: Wiederum sei der Gläubiger des Anspruchs auf das negative Interesse ein Werkunternehmer, den die Erbringung der mit 100 A entlohnten Leistung 70 A kostet, von denen 50 A variable Kosten sind (z. B. Materialkosten) und 20 A anteilige Fixkosten (z. B. Lohnkosten für einen dauerhaft beschäftigten Arbeitnehmer). Wenn der Unternehmer zu dem Zeitpunkt, als der Besteller ihm die Anfechtung erklärt, im Vertrauen auf die Vertragswirksamkeit bereits einen anderen Auftrag abgelehnt hat, der ihm 90 A Werklohn bei 45 A variablen Kosten und 20 A anteiligen Fixkosten eingebracht hätte, steht ihm wegen des entgangenen Gewinns ein Anspruch in Höhe von 45 A ( 90 A – 45 A) zu und wegen der verlorenen Aufwendungen ein Anspruch auf 50 A (variable Kosten) zu. Der Gesamtbetrag von 95 A versetzt den Unternehmer in die Vermögenslage, in der er sich gegenwärtig ohne den Abschluß des von der anderen Seite angefochtenen Vertrags befände. Gewährte man ihm zusätzlich 20 A Ersatz für die anteiligen Fixkosten, wäre dieser Betrag überschritten.

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3. Aufhebung und Rückabwicklung nicht erwartungsgerechter Verträge Beim Ersatz des Vertrauensschadens aufgrund vorvertraglicher Fehlinformation wird mit Rücksicht auf die Anfechtungsregelung in den §§ 119 ff. BGB eine Frage diskutiert, die genauso gestellt werden kann, wenn sich die Ersatzpflicht aus den §§ 122, 179 II BGB ergibt: Kann der Geschädigte, wenn er aufgrund des Haftungstatbestands eine nicht erwartungsgerechte222 oder, wie es auch heißt, unerwünschte223 vertragliche Bindung mit dem Schädiger eingegangen ist, verlangen, daß der Vertrag aufgehoben und rückabgewickelt wird, und damit zu einem Ergebnis gelangen, das er sonst nur bei Vorliegen eines Anfechtungsgrundes und in den Grenzen der Anfechtungsfrist erreichen könnte? In den Fällen vorvertraglicher Informationshaftung224 handelt es sich bei dem nicht erwartungsgerechten Vertrag um den Vertrag, den der Geschädigte aufgrund seiner durch die Informationspflichtverletzung bedingten Fehlvorstellung abgeschlossen hat und den er bei Kenntnis der wahren Sachlage nicht oder nicht so abgeschlossen hätte. Man kann insoweit von dem »Hauptvertrag«225 sprechen, dessen Abschluß durch das haftungsbegründende vorvertragliche Verhalten des Schädigers veranlaßt wurde. Das Äquivalent in den Fällen der §§ 122, 179 II BGB wäre ein unerwünschter »Folgevertrag«, dessen Abschluß durch das vorausgehende unwirksame Rechtsgeschäft verursacht wurde, für das die andere Seite nach den §§ 122, 179 II BGB haftungsrechtlich verantwortlich ist: Man stelle sich etwa – in Anknüpfung an ein BGH-Urteil zur vorvertraglichen Informationshaftung226 – einen Kaufvertrag über eine Eigentumswohnung vor, zu dessen Abschluß der Käufer durch eine dem Verkäufer zuzurechnende Fehlinformation über die Finanzierbarkeit des Kaufpreises aus Mieterträgen und Steuervorteilen bewogen wurde. Die Pflicht zum Ersatz des Vertrauensschadens stützte der BGH in dem von ihm entschiedenen Fall auf das Vorliegen einer c.i.c. Dieselbe Pfl icht hätte sich indes aus § 122 BGB ergeben, wenn der Sachverhalt anders gelegen, nämlich der Verkäufer die Richtigkeit der Information mit einer nicht ernstlich gemeinten und daher nach § 118 BGB nichtigen vertraglichen Garantie untermauert hätte. Nicht anders als beim Anspruch aus c.i.c. hätte sich dann auch beim Anspruch aus § 122 BGB die Frage gestellt, ob der Käufer damit über ein Recht verfügt, nach § 249 I BGB die Aufhebung des Kaufvertrags und die Rückabwicklung bereits erbrachter Leistungen zu verlangen 227, oder ob einem solchen Anspruchsinhalt entgegensteht, 222 Vom »nicht erwartungsgerechten« Vertrag ist etwa bei Soergel/Wiedemann, Vor § 275 a. F. Rz. 153 ff., die Rede. 223 Die Rede vom »unerwünschten Vertrag« geht wohl zurück auf Medicus, in: Gutachten Bd. 1, S. 479, 519 ff.; hieran knüpft der Titel der Habilitationsschrift von S. Lorenz (»Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag«) an. 224 Siehe dazu auch unten, § 13 III. 225 So die Begriffl ichkeit bei Geibel, Kapitalanlegerschaden, S. 14 f. 226 BGH 26. 9. 1997, NJW 1998, 302. 227 Vgl. dazu, daß der Schadensersatzanspruch, wenn man ihn denn gewährt, nicht nur auf die Aufhebung, sondern auch auf die Rückabwicklung des Vertrags gerichtet ist, Geibel, Kapitalan-

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daß damit dem vertraglichen Gebundenen die Gelegenheit eröffnet würde, mit Hilfe einer »Seitenpforte durch die Mauer der Vertragstreue zu schlüpfen«228. a) Die bisherige Diskussion im Licht der Schuldrechtsreform Was die Haftung aus c.i.c. betrifft, waren Rechtsprechung und Literatur bis zur Schuldrechtsreform gespalten: Die Rechtsprechung bejahte grundsätzlich das Recht des fehlinformierten Vertragspartners, sich im Wege des Schadensersatzes von dem ungewollten Vertrag zu lösen 229, so wie sie die Vertragsaufhebung bzw. -rückabwicklung seit jeher auch als Folge deliktischer Haftung anerkannt hat 230. Zumindest der V. Zivilsenat des BGH 231 hat – mittlerweile mit der Billigung des VIII. und des X. Zivilsenats232 – diese Position allerdings relativiert und sich einer bereits zuvor im Schrifttum 233 verfochtenen Einschränkung der schadensrechtlichen Vertragsaufhebung angeschlossen: Mit Rücksicht darauf, daß die Anfechtung nach § 123 BGB die »freie Selbstbestimmung auf rechtsgeschäftlichem Gebiet gegen unerlaubte Mittel der Willensbeeinflussung« schütze, müsse man an der Voraussetzung festhalten, »daß die Rückgängigmachung des Vertrages von einem durch die im Verhandlungsstadium begangene schuldhafte Sorgfaltspfl ichtverletzung entstandenen Vermögensschaden abhängt«234.

legerschäden, S. 77 ff.; Grigoleit, Informationshaftung, S. 111 f., sowie aus der Rspr. z. B. BGH 27. 2. 1974, NJW 1974, 849, 852; 16. 1. 1985, NJW 1985, 1769, 1771. 228 U. Huber, in: Gutachten Bd. 1, S. 647, 743. 229 Vgl. z. B. BGH 31. 1. 1962, NJW 1962, 1196, 1198 f.; 27. 2. 1974, NJW 1974, 849, 852; 11. 5. 1979, NJW 1979, 1983 f.; 16. 1. 1985, NJW 1985, 1769, 1771; 8. 12. 1988, NJW 1989, 1793, 1794; 2. 3. 1994, NJW 1994, 1864, 1866. 230 Vgl. RG 29. 3. 1912, RGZ 79, 194, 197; 6. 2. 1914, RGZ 84, 131, 133 ff. 231 Der VII. Zivilsenat hat sich von der im folgenden Text referierten Ansicht des V. Zivilsenats in einem Urteil vom 7. 9. 2000, BGHZ 145, 121, 131, distanziert, in dem die Frage freilich nicht entscheidungserheblich war. 232 Vgl. das Urteil des VIII. Zivilsenats vom 22. 12. 1999, NJW 2000, 1254, 1256, und das Urteil des X. Zivilsenats vom 18. 9. 2001, NJW-RR 2002, 308, 310. 233 Vgl. Schubert, AcP 168 (1968), 470, 504 ff.; ebenso Staudinger12 /Dilcher, § 123 Rz. 47, sowie aus der Zeit nach den Urteilen des V. Senats Paefgen, Haftung für mangelhafte Aufklärung, S. 19 ff.; Geibel, Kapitalanlegerschaden, S. 86 f., 92 ff.; Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 194 f. – Diejenigen, die das Erfordernis eines Vermögensschadens grundsätzlich begrüßen, stehen indes dem vom BGH a.a.O. (in Anlehnung an den strafrechtlichen Vermögensschaden beim Betrug) favorisierten »subjektiven Einschlag« des zivilrechtlichen Begriffs des Vermögensschadens teilweise kritisch gegenüber; so etwa Geibel, Kapitalanlegerschaden, S. 98 f.; Lieb, in: FS Medicus, S. 337, 338 ff. (der zudem nur die Geldkompensation von Vermögensschäden zulassen will; dazu ders., in: FS Universität zu Köln, S. 251, 261 ff.); Paefgen, Haftung für mangelhafte Aufklärung, S. 22 f. 234 BGH 26. 9. 1997, NJW 1998, 302, 304 = MDR 1998, 25 m.Anm. Imping = LM § 249 (A) BGB Nr. 113 m.Anm. Medicus = JZ 1998, 1173 m.Anm. Wiedemann = DNotZ 1998, 349 m.Anm. Tiedtke; bestätigt durch Senatsurteil vom 19. 12. 1997, NJW 1998, 898 = LM § 249 (Fa) BGB Nr. 24 m.Anm. Medicus. Erwägungen, die auf das Erfordernis eines Vermögensschadens zielen, fi nden sich, wenngleich nicht durchgehend, auch schon in früheren BGH-Entscheidungen; vgl. dazu die Nachw. in BGH 26. 9. 1997, NJW 1998, 302, 304.

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Hiervon abweichende Stellungnahmen in der Literatur wiesen in gegensätzliche Richtungen: Teilweise wurde bestritten, daß der Schutz der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit der Anfechtung vorbehalten sei und die schadensrechtliche Vertragsaufhebung und -rückabwicklung einen Vermögensschaden voraussetze235. Der Gefahr einer Aushöhlung der Anfechtungsregelung wollten dabei einige Stimmen durch erhöhte Anforderungen an die haftungsbegründende Aufklärungspflichtverletzung236 oder durch die Ausdehnung der zeitlichen Grenze des § 124 BGB auf den Ersatzanspruch 237 begegnen. Demgegenüber lehnten andere die »Rückgängigmachung« eines Vertrags im Wege des Schadensersatzes gänzlich ab, weil sie in den §§ 119 ff. BGB die alleinige Grundlage für die Vertragsaufhebung bei Beeinträchtigungen der Willensfreiheit sehen 238. Vermögensschäden, die sich aus der Eingehung einer unerwünschten Verbindlichkeit ergeben, sollten danach durch eine Geldentschädigung zu beheben sein 239. aa) Die Kodifikation der c.i.c. Die Kodifikation der c.i.c. durch den Gesetzgeber der Schuldrechtsreform scheint den Streit auf den ersten Blick gegen die neuere Rechtsprechung des V. Zivilsenats und zugunsten derjenigen entschieden zu haben, die den durch die Vertragsaufhebung zu beseitigenden Schaden in der bloßen Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit des Gläubigers durch den unerwünschten Vertrag sehen: Nach den §§ 311 II, 241 II BGB gehören zum Schutzgegenstand der Pflichten aus einem vorvertraglichen Schuldverhältnis neben den Rechten und Rechtsgütern des anderen Teils auch dessen »Interessen«. Nach der Regierungsbegründung sollte mit dieser Formulierung deutlich gemacht werden, daß neben Vermögensinteressen auch »andere Interessen wie zum Beispiel die Entscheidungsfreiheit zu schützen sein können«240. 235 Gegen das Erfordernis des Vermögensschadens sprechen sich aus Fleischer, AcP 200 (2000), 91, 111 ff.; ders., Informationsasymmetrie, S. 441 ff.; Grigoleit, Informationshaftung, S. 147 ff.; Kaiser, Rückabwicklung, S. 210 ff.; S. Lorenz, Unerwünschter Vertrag, S. 67 f., 69 ff.; ders., ZIP 1998, 1053, 1055; Medicus, Bürgerliches Recht, Rz. 150; ders., Anm. zu BGH 26. 9. 1997, LM § 249 (A) BGB Nr. 113; Palandt/Grüneberg, § 311 Rz. 13; Schur, Leistung und Sorgfalt, S. 328 ff.; Schwarze, Vorvertragliche Verständigungspfl ichten, S. 328; Singer, in: FS 50 Jahre BGH, S. 381, 403; Wiedemann, JZ 1998, 1176 f.; jetzt auch Canaris, AcP 200 (2000), 273, 314; Hans Stoll, in: FS Deutsch, S. 361, 366 ff. 236 Näher dazu Breidenbach, Informationspfl ichten, S. 93 f.; Hartwieg, JuS 1973, 733, 735 ff., 740; Medicus, Bürgerliches Recht, Rz. 150; Schumacher, Vertragsaufhebung, S. 118 ff. 237 So etwa Fleischer, AcP 200 (2000), 91, 119; ders., Informationsasymmetrie, S. 448 f.; Reinicke, JA 1982, 1, 6; Schwarze, Vorvertragliche Verständigungspfl ichten, S. 310 ff.; Soergel/Wiedemann, Vor § 275 a. F. Rz. 199. Grigoleit, Informationshaftung, S. 126 ff., will – nach der von ihm vertretenen Überwindung des »Vorsatzdogmas« in § 123 BGB – die Aufhebung und Rückabwicklung von Verträgen überhaupt an den §§ 123, 124 BGB ausrichten. 238 So etwa Lieb, JZ 1972, 442, 443; ders., in: FS Universität zu Köln, S. 251, 261 ff.; Liebs, AcP 174 (1974), 26 f.; Willemsen, AcP 182 (1982), 515, 539 f.; zunächst auch Canaris, ZGR 1982, 395, 417 f.; Medicus, JuS 1965, 209, 213 f.; Hans Stoll, in: FS Riesenfeld, S. 275, 283. 239 Vgl. insbesondere Lieb, in: FS Universität zu Köln, S. 251, 261 ff. 240 BT-Drucks. 14/6040, S. 126 (li.Sp.).

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Es ist indes zu bezweifeln, daß damit eine Abkehr vom Erfordernis des Vermögensschadens normiert werden sollte241: Canaris, auf dessen Initiative nach eigenem Bekunden das Wort »Interessen« von der »Kommission Leistungsstörungsrecht« in den später Gesetz gewordenen Entwurf eingefügt wurde242 , berichtet, es sei in der Kommission, deren Mitglied er war, unkontrovers gewesen, daß »die Formulierung auch für den Schutz der Entscheidungsfreiheit geöffnet werden [müsse], um den Anschein zu vermeiden, es solle die Rechtsprechung des BGH zur Anwendung der culpa in contrahendo auf einen unerwünschten Vertrag schon im Ansatz in Frage gestellt oder auch nur in ihrem derzeitigen höchst umstrittenen Stand [. . .] festgeschrieben werden«243. Dafür, daß der Streit um die schadensrechtliche Vertragsaufhebung nicht gegen die Rechtsprechung durch einen Federstrich des Gesetzgebers beendet werden sollte, spricht zudem das generelle Anliegen der Gesetzesverfasser, das richterrechtlich gewachsene Institut nicht zu verändern, sondern insoweit nur »über den wirklichen Bestand des deutschen allgemeinen Schuldrechts Auskunft [zu] geben«244. Wer – wie es auch hier der Fall sein wird – gegen die Rechtsprechung des V. Zivilsenats und Teile der Literatur Stellung bezieht, sollte dies daher aus Sachgründen tun und darauf verzichten, für seine Ansicht den »historischen Gesetzgeber« in Anspruch zu nehmen, dessen Wille sich hier selbst dann nicht mit hinreichender Sicherheit ermitteln läßt, wenn man unterstellt, daß er mit dem Willen der ministerialen Entwurfsverfasser und der sie unterstützenden Gutachter und Kommissionen übereinstimmt 245.

241 So aber AnwKom Schuldrechtsreform/Krebs, § 311 Rz. 27; S. Lorenz/Riehm, Neues Schuldrecht, Rz. 372; MünchKomm/Emmerich, § 311 Rz. 120. Wie hier Geibel, Kapitalanlegerschaden, S. 90; Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 195 ff.; Rieble, in: Das neue Schuldrecht in der Praxis, S. 137, 145 ff.; Schultz, in: Schuldrecht 2002, S. 17, 88 Fn. 284; Lieb, in: Dauner-Lieb u. a.: Das neue Schuldrecht, § 3 Rz. 39, 41. Vgl. zur (begrenzten) Bedeutung der Hereinnahme des Begriffs »Interesse« in das Gesetz auch Ehmann/Sutschet, Modernisiertes Schuldrecht, S. 154 f. 242 § 241 II KonDiskE-BGB; abgedruckt bei Canaris, Schuldrechtsmodernisierung 2002, S. 356. – In § 241 II DiskE-BGB war nur von »Rechte[n] und Rechtsgüter[n] des anderen Teils« die Rede. Die Verfasser der Begründung dieses Vorschlags des Diskussionsentwurfs (abgedruckt bei Canaris, Schuldrechtsmodernisierung 2002, S. 152) waren seltsamerweise der Ansicht, mit der Erwähnung der Rechtgüter werde »angedeutet, dass [. . .] auch das bloße Vermögen geschützt sein kann«. Wie Canaris, JZ 2001, 499, 519 Fn. 182, berichtet, lag der »Kommission Leistungsstörungsrecht« dann ein (unveröffentlichter) Vorschlag vor, in dem von »Vermögensinteressen« die Rede war. 243 Canaris, JZ 2001, 499, 519 Fn. 182. Gleichsinnig Canaris, a.a.O., 519: Die c.i.c. bleibe »als Mittel zum Schutz vor unerwünschten Verträgen geeignet – und zwar ohne daß die Frage gesetzlich präjudiziert wird, ob es dafür auf einen Vermögensschaden ankommt oder nicht«. 244 BT-Drucks. 14/6040, S. 162 (li.Sp.). 245 Zu den Grenzen der Verwendung von Materialien, die im Vorfeld des parlamentarischen Verfahrens entstanden sind, zum Nachweis der gesetzgeberischen Intention siehe unten, § 11 II 3 b aa.

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bb) Zur Bedeutung der §§ 282, 324 BGB Während die Kodifikation der c.i.c. dem wissenschaftlichen Diskurs über die schadensrechtliche Vertragsaufhebung nicht im Wege steht, scheint eine andere durch die Schuldrechtsreform ins Gesetz gelangte Regelung der Diskussion zumindest bei oberflächlichem Hinsehen eine überraschende Wendung zu geben: Nach § 324 BGB steht bei Vorliegen eines gegenseitigen Vertrags dem Gläubiger aufgrund der Verletzung einer Schutzpflicht aus § 241 II BGB ein Rücktrittsrecht zu, wenn ihm das Festhalten am Vertrag unzumutbar geworden ist. Gleichfalls unter der Voraussetzung der Unzumutbarkeit eröffnet die Schutzpflichtverletzung, soweit sie vom Schuldner zu vertreten ist, dem Gläubiger nach § 282 BGB die Möglichkeit, Schadensersatz statt der Leistung zu verlangen. Weil es sich bei den vorvertraglichen Aufklärungspflichten, deren Verletzung im Rahmen der c. i.c. sanktioniert wird, um Pflichten im Sinne von § 241 II BGB handelt, will man § 282 BGB – wenn auch vorläufig nur vereinzelt – auf die Vertragsaufhebung wegen »fahrlässiger Täuschung« anwenden: Da der Vertragspartner in diesen Fällen den Vertrag nicht mehr gelten lassen wolle, verlange er »Schadensersatz (in der Form der Vertragsauflösung) statt der Leistung (statt der Erfüllung des Vertrags)«246 , und dementsprechend müsse zu der schuldhaften Pflichtverletzung die Unzumutbarkeit hinzutreten. Dieser Lesart des § 282 BGB ist schon allein deshalb zu widersprechen, weil »Schadensersatz statt der Leistung«, ebenso wie der ältere, nach wie vor im Gesetz mehrfach zu findende Terminus »Schadensersatz wegen Nichterfüllung«247 nichts anderes als das positive Interesse (nämlich die an die Stelle der Naturalleistung tretende Kompensation derselben) meint – die auf das negative Interesse zielende Vertragsaufhebung hat damit nichts zu tun. Allenfalls könnte man daran denken, die Regelung über das Rücktrittsrecht enthalte eine die schadensrechtliche Vertragsaufhebung ausschließende Sonderregel 248. Aber auch das trifft nicht zu 249 : § 324 BGB erweitert das nach § 323 BGB nur bei Leistungspflichtverletzungen gewährte Rücktrittsrecht auf besonders schwerwiegende Schutzpfl ichtverletzungen. Dieser Regelung bedurfte es überhaupt nur im Hinblick auf Schutzpfl ichtverletzungen, die nicht für den Vertragsschluß kausal geworden sind, also Verletzungen solcher Pflichten aus § 241 II BGB, die den deliktischen Integritätsschutz verstärken 250. § 324 BGB zusätzlich auf die für den Vertragsschluß kausale (Aufklärungs246

So Grunewald, in: FS Wiedemann, S. 74, 80. Siehe unten, § 11 III 1 a aa. 248 So hat Mankowski, ZGS 2003, 91, Grunewalds Beitrag verstanden. 249 So im Ergebnis auch Grigoleit, NJW 2002, 1151, 1155 Fn. 62; Mankowski, ZGS 2003, 91 ff.; B. Mertens, ZGS 2004, 67, 69. 250 Mankowski, ZGS 2003, 91, 93, stellt gleichfalls auf die (fehlende) kausale Einwirkung auf den Vertragsschluß ab, meint aber, § 324 BGB erfasse deshalb nur nach Vertragsschluß begangene Schutzpfl ichtverletzungen. Dem ist nicht zu folgen: Es wäre immerhin denkbar, daß das Unzumutbarkeitsurteil sich auf eine Schutzpfl ichtverletzung in Gestalt eines bereits vor dem Vertragsschluß liegenden, besonder rücksichtlosen Umgangs des Schuldners mit dem Rechtsgü247

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)Pflichtverletzung zu beziehen, bei der die Vertragsaufhebung schadens- und nicht rücktrittsrechtlicher Natur ist, verschlechterte die Rechtsposition des Gläubigers dagegen dramatisch und verkehrte den Sinn der Regelung geradezu in ihr Gegenteil. Man wird nach alledem, was nicht das geringste Verdienst des Gesetzgebers ist, auch nach der Schuldrechtsreform die wissenschaftliche Auseinandersetzung auf dem bis dahin erreichten Stand fortführen können, ohne an ein Machtwort der Legislative gebunden zu sein. b) Das Verhältnis der schadensrechtlichen Vertragsaufhebung und -rückabwicklung zur Anfechtungsregelung Unabhängig davon, ob die schadensrechtliche »Rückgängigmachung« eines Vertrags auf § 280 I BGB i. V. m. §§ 311 II, 241 II BGB, auf § 122 BGB oder auf eine deliktische Grundlage (insbesondere § 826 BGB) gestützt wird, ist die Anfechtungsregelung Stein des Anstoßes: Das sorgfältig austarierte, auf bestimmte Anfechtungsgründe und -fristen begrenzte Regime zum Schutz rechtsgeschäftlicher Entscheidungsfreiheit in den §§ 119 ff. BGB scheint unterlaufen zu werden, wenn jenseits dieser Grenzen Schadensersatzansprüche zur Befreiung von bloß unerwünschten, aber nicht vermögensbeeinträchtigenden vertraglichen Bindungen führen können. Die hergebrachte und nunmehr vom BGH verworfene Zurückweisung dieses Einwands gegen das Nebeneinander von Anfechtung und Schadenshaftung stellt auf die Besonderheit der anfechtungsrechtlichen Rechtsfolge ab: Diese unterscheide sich durch ihre »dingliche«, d. h. auch Dritten gegenüber eintretende Wirkung vom nur (schuldrechtlich) zur Vertragsaufhebung verpfl ichtenden Schadensersatzanspruch 251. Der V. Zivilsenat hat sich von diesem Argument mit der Bemerkung distanziert, die Unterschiede in den Rechtsfolgen seien »eher konstruktiver Natur«252. In diesem Punkt kann dem BGH schwerlich widersprochen werden. Die schadensrechtliche Aufhebbarkeit hat einen von der Wirkung der Anfechtung nicht wesentlich verschiedenen Effekt 253 : Wird die unter rechtswidrigem Einfluß entstandene Forderung abgetreten, kann die Einrede der schadensrechtlichen Aufhebbarkeit des Vertrags gemäß § 404 BGB dem Zessionar entgetern des Gläubigers stützt. Entscheidend ist allein, daß es sich nicht um die Verletzung einer Pfl icht handelt, die für den Vertragsschluß kausal geworden ist. 251 Darauf stellen im Hinblick auf das Verhältnis zwischen § 826 BGB und § 123 BGB bereits die Motive (Mot. II, S. 757) ab. Ebenso RG 29. 3. 1912, RGZ 79, 194, 197; 6. 2. 1914, RGZ 84, 131, 134; BGH 31. 1. 1962, NJW 1962, 1196, 1198 f. 252 BGH 26. 9. 1997, NJW 1998, 302, 304. Vgl. auch schon BGH 11. 5. 1979, NJW 1979, 1983, 1984 (der Schadensersatz laufe im Ergebnis auf eine Anfechtung hinaus), sowie aus der Lit. Lieb, in: FS Universität zu Köln, S. 251, 263; Medicus, JuS 1965, 209, 212; Reinicke, JA 1982, 1, 3 f.; Schubert, AcP 168 (1968), 470, 505 Fn. 110; Schumacher, Vertragsaufhebung, S. 28. 253 Zum folgenden und zu weiteren Vergleichspunkten hinsichtlich der Folgen im Verhältnis zu Dritten umfassend Grigoleit, Informationshaftung, S. 96 ff.

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gengehalten werden. Dies gilt in entsprechender Anwendung von § 404 BGB auch gegenüber Dritten, zu deren Gunsten ein Recht (z. B. Nießbrauch, § 1070 I BGB; Pfandrecht, § 1275 BGB) an der aufhebbaren Forderung besteht. Ein neuerer Versuch, die parallele Anwendbarkeit der Anfechtung nach § 123 BGB und der schadensrechtlichen Vertragsaufhebung durch Unterschiede in den Kausalitätsanforderungen zu erklären, vermag gleichfalls nicht zu überzeugen. Danach soll die gemeinrechtliche Unterscheidung zwischen dolus causam dans und dolus incidens beim Schadensersatz, nicht aber bei der Anfechtung erheblich sein 254. Das soll heißen 255 : Während der Schadensersatzanspruch nur dann zur Vertragsaufhebung führe, wenn der Vertrag ohne die Täuschung überhaupt nicht geschlossen worden wäre, sei es für die Anfechtung ausreichend, daß die Willenserklärung des Getäuschten ohne die Täuschung nicht, nicht so oder nicht zu dieser Zeit abgegeben worden wäre. Während ersterem zuzustimmen sein dürfte256 , ist letzteres allerdings zu bestreiten 257: Zwar bringt der Wortlaut von § 123 BGB – anders als § 2078 II BGB (»soweit«) – die Unterscheidung, die noch den Gesetzesverfassern vor Augen stand und die sie offenbar nicht beseitigen wollten 258 , nicht hinreichend zum Ausdruck. Doch ist dies nicht Grund genug, darüber hinwegzugehen. Denn die anfechtungsrechtliche Vertragsaufhebung bei dolus incidens würde dazu führen, daß man dem Getäuschten ein Reurecht für den Fall gewährte, in dem er den Vertrag auch ohne die Täuschung – wenn auch zu anderen Bedingungen – abgeschlossen hätte. Es ist aber nicht einzusehen, warum der im Grundsatz anerkannte259 Reurechtsausschluß für die arglistige Täuschung (und im übrigen für die widerrechtliche Drohung) nicht ebenso wie in Fällen der Irrtumsanfechtung gelten sollte260 : Der Anfechtung nach § 123 BGB Sanktionscharakter zu 254 So S. Lorenz, Unerwünschter Vertrag, S. 335; ders., ZIP 1998, 1053, 1056. Vgl. auch schon Flume, Rechtsgeschäft, § 27, 4 (S. 532), § 29, 2 (S. 542 f.), sowie aus der Rspr. RG 6. 7. 1910, JW 1910, 799. 255 Nach Geibel, Kapitalanlegerschaden, S. 105 ff., war allerdings das Verständnis der Unterscheidung nach gemeinem Recht und nach den Territorialrechten vor Inkrafttreten des BGB nicht einheitlich. 256 A. A. Geibel, Kapitalanlegerschaden, S. 107 ff. Geibel wendet sich mit seiner Ablehnung der Unterscheidung zwischen dolus incidens und dolus culpam dans allerdings gegen die Möglichkeit, dem Geschädigten den Nachweis abzuschneiden, daß er, wenn die Täuschung eine untergeordnete Vertragsmodalität betrifft, den Vertrag überhaupt nicht abgeschlossen hätte. Das wird hier nicht bestritten. Es geht hier nur darum, daß der Geschädigte sich auf eine Vertragsanpassung einlassen muß, wenn feststeht, daß er den Vertrag ohne die Täuschung zu anderen Konditionen (etwa zu einem geringeren Preis) abgeschlossen hätte. Dies nachzuweisen, muß nach der hiesigen, zur Berücksichtigung hypothetischer Kausalverläufe vertretenen Auffassung (siehe oben, Abschnitt I 1 b bb) dem Schädiger gestattet sein; zweifelnd allerdings Grigoleit, in: Die Schuldrechtsreform vor dem Hintergrund des Gemeinschaftsrechts, S. 269, 273 Fn. 19. 257 Für die Erheblichkeit der Unterscheidung im Rahmen des § 123 BGB auch Wacke, SZ (Rom.) 94 (1977), 184, 244 f., und ihm folgend Zimmermann, Law of Obligations, S. 673 f. 258 Vgl. Mot. I, S. 207. 259 Dazu statt vieler Lobinger, AcP 195 (1995), 274 ff. Im neueren Schrifttum wird der Reurechtsausschluß nur noch von Spieß, JZ 1985, 593, abgelehnt. 260 A. A. S. Lorenz, Unerwünschter Vertrag, S. 335 Fn. 723.

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unterstellen, wäre für die Fälle der Täuschung oder Drohung durch Dritte unpassend. Die Erwägung, dem Getäuschten oder Bedrohten sei nicht zuzumuten, in der rechtsgeschäftlichen Bindung an einen ihm übelwollenden Partner festgehalten zu werden, wäre außerdem, da auf die Gesinnung abstellend, der Rechtsgeschäftslehre fremd 261. Weder der bloß »obligatorische« Charakter des Anspruchs auf Vertragsaufhebung noch die vermeintlich nur für den Schadensersatz erhebliche Unterscheidung zwischen dolus incidens und dolus causam dans sind also Abgrenzungsmerkmale, die eine Koexistenz der anfechtungsrechtlichen und der schadensrechtlichen Vertragsaufhebung rechtfertigen könnten. Dafür, daß die Anfechtung als ein aliud im Vergleich zur »Rückgängigmachung« von Verträgen im Wege des Schadensersatzes zu verstehen ist, dürfte vielmehr ein anderer Grund maßgeblich sein: Im Gegensatz zum Haftungsrecht macht die Regelung der Anfechtungsgründe in den §§ 119, 120 und 123 BGB die Möglichkeit, sich von einer unerwünschten rechtsgeschäftlichen Bindung zu befreien, nicht davon abhängig, daß die Entstehung des Anfechtungsgrundes dem Anfechtungsgegner zuzurechnen ist. Es kommt nur auf das Vorliegen eines Anfechtungsgrundes an: Hat der Erklärende sich also etwa unter dem Einfluß einer widerrechtlichen Drohung oder eines Eigenschaftsirrtums vertraglich gebunden, kann er sich von der vertraglichen Bindung auch dann lösen, wenn der Vertragspartner mit der Drohung oder der Veranlassung des Eigenschaftsirrtums nichts zu tun hat 262. 261 Zweigert/Kötz, Rechtsvergleichung, S. 421, berufen sich gegen die hier vertretene Ansicht darauf, daß, da man im Fall der Mangelhaftigkeit zwischen Vertragsaufhebung und Minderung die Wahl habe, die Vertragsaufhebung erst recht bei der arglistigen Täuschung (bei Vorliegen eines dolus incidens) gegeben sein müsse. Nach dem neuen Schuldrecht sind die Vertragsaufhebung im Wege des Rücktritts und die Vertragsanpassung im Wege der Minderung (welche beide wiederum subsidiär zur Nacherfüllung sind) aber nicht gleichgestellt (ebenso schon das alte Werkvertragsrecht in § 634 III BGB a. F.): Der Rücktritt im Fall einer mangelhaften Leistung setzt nach § 323 V 2 BGB voraus, daß die Pfl ichtverletzung nicht unerheblich ist; die Minderung ist dagegen nach den §§ 441 I 2, 638 I 2 BGB von dieser Voraussetzung nicht abhängig. Abgesehen davon hinkt der Vergleich zwischen der Mängelgewährleistung und der Täuschungsanfechtung: Die Nichterfüllung einer Vertragspfl icht ist nicht dasselbe wie die täuschungbedingte Eingehung einer ungewollten Vertragspfl icht. Die Folgen, die das Zivilrecht im ersten Fall anordnet, müssen deshalb nicht »erst recht« im zweiten Fall gelten. Eher schon bietet sich ein Vergleich zum Wegfall der Geschäftsgrundlage an. Deren Kodifikation in § 313 BGB zeigt, daß außervertraglichen Störungen im Regelfall durch Vertragsanpassung Rechnung zu tragen ist, während die Vertragsaufhebung schweren Störungen vorbehalten bleibt. Damit befi ndet sich die Differenzierung zwischen dolus incidens und dolus causam dans im Einklang. 262 MünchKomm/Kramer, § 119 Rz. 111 ff., will demgegenüber im Rahmen des § 119 II BGB den Gedanken der Risikotragung fruchtbar machen und die Regelung auf alle vom anderen Kontrahenten veranlaßten Sachverhaltsirrtümer anwenden. De lege ferenda mag dieser Ansatz erwägenswert sein; de lege lata ist ihm jedoch nicht zu folgen, weil damit die Konzeption der Irrtumsanfechtung in zwei fundamentalen Punkten (Unabhängigkeit von einem Kausalbeitrag des anderen Teils, Begrenzung des Kreises der zur Anfechtung berechtigenden Irrtümer) in ihr Gegenteil verkehrt wird. Eine so weitreichende Ermächtigung zur Rechtsfortbildung läßt sich auch der von Kramer angeführten Stelle aus den Protokollen (Prot. I, S. 238) nicht entnehmen, wie bereits Flume, JZ 1985, 470, 474, bemerkt hat.

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Allein bei der Anfechtung empfangsbedürftiger Willenserklärungen 263 wegen arglistiger Täuschung verhält es sich auf den ersten Blick anders, ist diese doch, wenn die Täuschung von einem »Dritten« im Sinne von § 123 II 1 BGB verübt worden ist, davon abhängig, daß der Gegner die Täuschung kannte oder kennen mußte. Doch wäre es unrichtig, daraus auf die Abhängigkeit der Täuschungsanfechtung von einer Zurechnung nach dem Verschuldensprinzip zu schließen: Bereits im »Grundfall« des § 123 I BGB, der vom Vertragspartner verübten arglistigen Täuschung, kommt es nur auf Vorsatz »im natürlichen Sinne«, aber nicht auf eine Zurechnung nach § 276 BGB und damit auf die Verschuldensfähigkeit des Täuschenden an 264. Auch § 123 II 1 BGB macht ein Verschulden im technischen Sinne265 nicht zur Anfechtungsvoraussetzung, sondern schafft nur eine – für den Fall der Drohung nicht gewährte – Härteregelung zugunsten des gutgläubigen Anfechtungsgegners: Zwar mache es, wie es in den Motiven heißt, »an sich keinen Unterschied [. . .], ob die rechtswidrige Beeinflussung von einem bei dem Rechtsgeschäfte Betheiligten oder Unbetheiligten ausgeübt worden ist. Die strenge Durchführung dieses Grundsatzes führt indessen zu Härten, wenn [. . .] die Beeinflussung von einem Dritten ausging, während der Empfänger der Erklärung bei der Beeinflussung nicht betheiligt war, sie auch weder kannte noch kennen mußte«266 . Der Schutz rechtsgeschäftlicher Entscheidungsfreiheit durch die Anfechtungsregeln ist demnach vom Schutz rechtsgeschäftlicher Entscheidungsfreiheit durch das Haftungsrecht grundsätzlich verschieden: Die Gewährung der Anfechtungsmöglichkeit (und zwar auch nach § 123 BGB267) ist zurechnungsunabhängig, aber 263 Bei nicht empfangsbedürftigen Willenserklärungen kann jedermann Täuschender sein; vgl. Mot. I, S. 267; Flume, Rechtsgeschäft, § 29, 3 (S. 543); Jauernig/Jauernig, § 123 Rz. 8; MünchKomm/Kramer, § 123 Rz. 21; Palandt/Heinrichs, § 123 Rz. 12; RGRK/Krüger-Nieland, § 123 Rz. 55; Soergel/Hefermehl, § 123 Rz. 30; Staudinger12 /Dilcher, § 123 Rz. 30. 264 So bereits Grigoleit, Informationshaftung, S. 18; Larenz/Wolf, AT, § 37 Rz. 11 (S. 698); Reinicke, JA 1982, 1, 3. – Zur Erläuterung: Einem nach § 106 BGB beschränkt Geschäftsfähigen, der mit der Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters einen Vertrag schließt, ist eine arglistige Täuschung, mit der er seinen Partner zum Vertragsschluß veranlaßt hat, zwar nicht nach den §§ 276 I 2, 828 II 1 BGB zurechenbar, wenn er die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht nicht hat. Doch wäre es nicht gerechtfertigt, die Anfechtung auszuschließen: Es gibt keinen Grund, diesen Fall anders zu behandeln als den einer widerrechtlichen Drohung durch den Minderjährigen, in dem die Anfechtung ohne weiteres möglich ist. 265 Vgl. zu der Unterscheidung zwischen einem Verschulden im technischen Sinne und dem Erfordernis (grob) fahrlässiger Unkenntnis, wie es auch in den §§ 122 II, 932 II BGB gebraucht wird, Staudinger/Wiegand, § 932 Rz. 43. 266 Mot. I, S. 206. 267 Insoweit dezidiert a. A. S. Lorenz, Unerwünschter Vertrag, S. 361 f.: Das Gesetz stelle bei § 123 BGB »entscheidend [. . .] auf das Verhalten des Erklärungsempfängers [ab]. [. . .] Die Zurechnung erfolgt dabei individuell und nicht typisierend über das Verschuldensprinzip, d. h. über Vorsatz bzw. Fahrlässigkeit (§ 123 II 1 BGB.« Bei der Regelung der Drohung handele es sich lediglich um eine de lege lata hinzunehmende Ausnahme vom Zurechnungserfordernis. Damit stellt Lorenz die entstehungsgeschichtliche Konzeption des § 123 BGB auf den Kopf. Außerdem verkennt er, daß weder das Arglisterfordernis in § 123 I BGB noch das Erfordernis der Kenntnis

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auf bestimmte Defizite der rechtsgeschäftlichen Entscheidung beschränkt. Im Gegensatz dazu ist der Anspruch auf Vertragsaufhebung nicht auf bestimmte Defizite beschränkt, aber davon abhängig, daß das Defizit, das die rechtsgeschäftliche Bindung zu einer unerwünschten werden läßt, dem Vertragspartner zuzurechnen ist. Dieser fundamentale Unterschied zwischen der Anfechtbarkeit und der Möglichkeit, die Aufhebung eines Vertrags als Schadensersatz zu verlangen, rechtfertigt es, beide Mechanismen kumulativ zum Schutz der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit anzuwenden. Daß sie in ihrem Schutzgegenstand übereinstimmen, ist nicht Grund genug, dies in Frage zu stellen: Verschiedene Regelungen (z. B. die §§ 823 I und 1004 BGB) können ohne weiteres unabhängig voneinander und in ihrem tatbestandlichen Überschneidungsbereich kumulativ zum Schutz ein und desselben Rechtsguts (z. B. des Eigentums) angewendet werden. Schwierigkeiten ergeben sich erst, wenn verschiedene Normkomplexe funktional gleichsinnigen Schutz gewähren, wie insbesondere bei der klassischen Konkurrenzproblematik vertraglicher und deliktischer Schadenshaftung. Daran fehlt es im Verhältnis des Haftungsrechts zu den Anfechtungsregeln und insbesondere zu § 123 BGB: Bei der Anfechtung wegen arglistiger Täuschung oder widerrechtlicher Drohung geht es nicht um den Ausgleich von »Vertragsabschlußschäden«, die von einem haftpflichtigen Gegenüber verursacht wurden, und damit nicht um eine Sonderregelung der Haftung für c.i.c. 268 , sondern um die Gewährleistung eines Schutzes gegen besondere Beeinträchtigungen der Entscheidungsfreiheit, die so schwer wiegen, daß man dem Betroffenen die Lösung vom Vertrag grundsätzlich auch zu Lasten eines daran unschuldigen Vertragspartners gestattet.

4. Anpassung nicht erwartungsgerechter Verträge Hat eine Partei als Folge eines zum Ersatz des negativen Interesses verpflichtenden Verhaltens ihres Gegenübers mit diesem einen nicht erwartungsgerechten Vertrag geschlossen, kommt statt der Aufhebung und Rückabwicklung des Vertrags auch dessen Anpassung in Betracht 269 : Zu einer Vertragsanpassung kann man zunächst dadurch gelangen, daß man dem Geschädigten gestattet, an dem nicht erwartungsgerechten Vertrag festzuhalten und den Ersatz eines aus der Durchführung dieses Vertrags entstehenden Vermögensschadens in Gestalt der Wertdifferenz zwischen Leistung und Gegenleistung zu verlangen (dazu b)). Hätte der Geschädigte zu-

oder des Kennenmüssens in § 123 II 1 BGB mit einem Verschulden im technischen Sinne (nach § 276 BGB) gleichzusetzen sind. 268 So aber Schubert, AcP 168 (1968), 470, 481, und in der Folgezeit auch BGH 8. 12. 1989, NJW 1990, 1661, 1662; 19. 12. 1997, NJW 1998, 898; S. Lorenz, Unerwünschter Vertrag, S. 323. 269 Wie auch die im vorigen Abschnitt erörterte Vertragsaufhebung wird die Vertragsanpassung als Rechtsfolge der Haftung auf das negative Interesse in der Regel nur mit Blick auf die Anspruchsgrundlage der c.i.c. diskutiert. Die Frage stellt sich aber für jeden Fall der Haftung auf das negative Interesse, also auch für die Haftung aus den §§ 122, 179 II BGB; siehe oben, § 10 II 3 (am Anfang).

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dem, wenn er auf die haftungsbegründende Erklärung (oder die pflichtwidrig unterlassene Aufklärung) des anderen Teils nicht vertraut hätte, einen anderen, für ihn günstigeren Vertrag mit dem Schädiger geschlossen, ergibt sich die weitere Möglichkeit, daran einen Anspruch auf Abschluß eines Vertrags zu diesen günstigen Bedingungen als Naturalrestitution oder auf Zahlung der Wertdifferenz zwischen der tatsächlichen und der bei Abschluß des hypothetischen Vertrags bestehenden Vermögenslage als Kompensation seines Vertrauensschadens anzuknüpfen (dazu c)). Bereits dem Reichsgericht war geläufig, daß die Haftung aus c.i.c. sich auf das Interesse an einem hypothetischen Vertrag mit dem Schuldner richten kann: In einem Fall, in dem das »Verschulden bei den Vertragsverhandlungen [. . .] das Zustandekommen des Vertrags hindert«, sei der Gläubiger »[n]ach den Grundsätzen über die Schadenswiederherstellung [. . .] so zu stellen, als ob er einen vertraglichen Ersatzanspruch hätte; mit anderen Worten: der Schaden ist gleich dem positiven Erfüllungsinteresse [. . .]«270. Hat das vorvertragliche Verschulden zwar nicht das Zustandekommen irgendeines Vertrags, aber doch des hypothetischen Vertrags gehindert, den die Parteien ohne das Verschulden geschlossen hätten, kann nichts anderes gelten: Auch hier ist der Schaden gleich dem Interesse an der Erfüllung des hypothetischen Vertrags, allerdings vermindert um den Betrag des Interesses an der Erfüllung des tatsächlich geschlossenen Vertrags. Erst die Rechtsprechung des BGH hat indes das Potential der schadensrechtlichen Vertragsanpassung als quasi-gewährleistungsrechtlichen Mechanismus entfaltet: Anlaß zur vertieften wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Problematik 271 haben vor allem Entscheidungen zum Unternehmenskauf gegeben, in denen dem Käufer, der auf tatsächlich falsche Bilanzangaben des Verkäufers vertraut hatte, jedenfalls vor Inkrafttreten der Schuldrechtsreform 272 ein Anspruch aus c.i.c. auf Rückgewähr des Betrags gewährt wurde, um den er das Unternehmern überhöht gekauft hat 273. Zu einer schadensrechtlichen Vertragsanpassung, sei es durch Herabsetzung der Gegenleistung, sei es durch Veränderung oder Ergänzung der Leistung oder sonstiger Vertragsbestandteile, gelangte der BGH aber auch in zahlreichen anderen Fällen: Korrigiert wurden auf diesem Wege beispiels270 RG 3. 1. 1920, RGZ 97, 336, 339. Vgl. z. B. auch RG 5. 3. 1931, RGZ 132, 76. 79 f.; 29. 10. 1938, RGZ 159, 33, 57. 271 Vgl. die der Fragestellung im Kontext des Unternehmenskaufs nachgehenden Beiträge von Canaris, ZGR 1982, 395, 415 ff.; Hiddemann, ZGR 1982, 435, 447 ff.; Westermann, ZGR 1982, 45, 57 ff.; Willemsen, AcP 182 (1982), 551 ff. 272 Zu der hoch umstrittenen Frage, ob sich diese Rspr. nach der Schuldrechtsreform aufrechterhalten läßt oder ob nicht der Sachmangeltatbestand des § 434 BGB vorliegt, vgl. aus den mittleriweile zahlreichen Stellungnahmen in der Lit. einerseits befürwortend U.Huber, AcP 202 (2002), 179, 223 ff.; Wertenbruch, in: Das neue Schuldrecht in der Praxis, S. 493, 504, andererseits ablehnend v. Gierke/Paschen, GmbHR 2002, 457, 462 f.; Gaul, ZHR 166 (2002), 35, 45 ff.; Weitnauer, NJW 2002, 2511, 2513 f. 273 Grundlegend BGH 25. 5. 1977, BGHZ 69, 53, 58. Vgl. außerdem etwa BGH 18. 3. 1977, NJW 1977, 1538, 1539; 6. 12. 1995, NJW-RR 1996, 429.

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weise auch Versicherungsverträge, die nicht den durch vorvertragliches Verhalten des Versicherers oder seiner Erfüllungsgehilfen geweckten Erwartungen des Versicherungsnehmers entsprachen 274, Kaufverträge über bewegliche oder unbewegliche Sachen, soweit das Gewährleistungsrecht dem Käufer hinsichtlich seiner vom Verkäufer veranlaßten Fehlvorstellungen keinen Schutz bot 275, und nicht erwartungsgerechte Werkverträge276 . Im Schrifttum hat diese Rechtsprechung eine gemischte Aufnahme gefunden 277. In der Tat zeigen gerade neuere Urteile, daß bei der Entwicklung der schadensrechtlichen Vertragsanpassung in der Judikatur die Einsicht verloren gegangen zu sein scheint, daß es sich dabei stets um eine Form des Ersatzes des negativen Interesse handelt, auch wenn dieses Interesse mit dem positiven Interesse an dem hypothetischen Vertrag zusammenfällt, der aufgrund der zum Schadensersatz verpflichtenden Erklärung des Schädigers (oder seines sonstigen haftungsbegründenden Verhaltens) nicht zustandegekommen ist (dazu a)). Besinnt man sich auf diesen Ausgangspunkt, lassen sich die in der Rechtsprechung angelegten Differenzierungen anhand der bereits angedeuteten unterschiedlichen Möglichkeiten erklären, die Vertragsanpassung durch Kompensation des »positiven Schadens« (nämlich des durch den tatsächlichen Vertrag erlittenen Vermögensverlusts) oder des entgangenen Gewinns (nämlich der ausgebliebenen Vermögensmehrung durch den hypothetischen Vertrag) herbeizuführen. a) Die Vertragsanpassung als Ersatz des negativen Interesses Der begriffliche Widerspruch, in den sich die Rechtsprechung zur schadensrechtlichen »Minderung« oder sonstigen Vertragsanpassung mittlerweile verstrickt hat, indem sie bei der Vertragsanpassung zwischen dem Ersatz des negativen und des positiven Interesses zu unterscheiden versucht, läßt sich anhand zweier BGH-Urteile aus jüngerer Zeit aufzeigen: In dem ersten, vom XII. Zivilsenat entschiedenen Fall 278 ging es um einen Mietvertrag über zwei Grundstücke, auf denen sich je eine Mineralwasserquelle befand. Der von den Parteien unterzeichnete Vertrag sah nur Zahlungen an die Vermieter für die Abfüllung des Wassers aus einer der beiden Quellen vor. Nach dem der klagenden Vermieterin vorgelegten Vertragsentwurf wären die Vermieter indes an den Erträgen aus beiden Quellen beteiligt worden. Das Berufungsgericht 274 Vgl. z. B. BGH 20. 6. 1963, BGHZ 40, 22, 27 f.; 28. 10. 1963, NJW 1964, 244, 246; 1. 3. 1972, NJW 1972, 822, 824; 4. 7. 1989, BGHZ 108, 200, 207 f. 275 Vgl. z. B. BGH 1. 4. 1981, NJW 1981, 2050 f.; 10. 7. 2987, NJW-RR 1988, 10, 11; 28. 3. 1990, BGHZ 111, 75, 82; 12. 10. 1993, NJW 1994, 663, 664. 276 Vgl. z. B. BGH 14. 3. 1991, BGHZ 114, 87, 94. 277 Eine Zusammenstellung der von »überzeugend« bis »vollends unzutreffend« reichenden Stellungnahmen bietet Gebhardt, Herabsetzung der Gegenleistung, S. 20 Fn. 40. 278 BGH 24. 6. 1998, NJW 1998, 2900; vgl. dazu S. Lorenz, NJW 1999, 1001 f.; Hans Stoll, JZ 1999, 95 ff. – Eine Parallele zu dem hier diskutierten Fall bietet BGH 19. 5. 2006, NJW 2006, 3139.

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hatte sich außerstande gesehen, den Vertrag in diesem Sinne auszulegen. Außerdem hatte es eine Vertragsanpassung aufgrund einer c.i.c. der Mieterin abgelehnt, weil diese nur in Betracht komme, wenn aufgrund des zum Schadensersatz verpflichtenden Verhaltens des Schädigers das Gleichgewicht von Leistung und Gegenleistung gestört sei oder dem Geschädigten Mehraufwendungen entstanden seien. Der XII. Zivilsenat erkannte an, daß die Ausführungen des Berufungsgerichts insoweit mit der ständigen Rechtsprechung des BGH übereinstimmen 279. Das Gericht habe jedoch übersehen, daß nach den Grundsätzen über das Verschulden bei Vertragsverhandlungen ausnahmsweise »das Interesse an der Erfüllung eines nicht zustande gekommenen Vertrags zu ersetzen ist. Das gilt dann, wenn ohne das schuldhafte Verhalten ein anderer, für den Geschädigten günstigerer Vertrag zustande gekommen wäre.«280 Zwar sei der Schädiger keinem Kontrahierungszwang ausgesetzt. Es gebe aber »Fälle, in denen aufgrund besonderer Umstände zuverlässig festgestellt werden kann, daß der Vertrag ohne die Täuschung unter denselben Vertragspartnern zu anderen, für den Getäuschten günstigeren Bedingungen zustande gekommen wäre«281. Daß der ihm vorliegende Fall hierzu zähle, hielt der BGH für sehr wahrscheinlich. In dem zweiten, vom V. Zivilsenat entschiedenen Fall 282 gereichte dem Berufungsgericht genau diese Vorgehensweise zum Vorwurf: Die Käufer zweier zur Bebauung mit einem »Boardinghouse« vorgesehenen Grundstücke waren von dem Verkäufer nicht darüber informiert worden, daß er der Mieterin einer Teilfläche eine Verlängerungsoption eingeräumt hatte. Die Käufer gelangten zu einer kostspieligen Einigung mit der Mieterin über eine teilweise »Entmietung« und verlangten nun Schadensersatz vom Verkäufer. Im Anschluß an die Mineralwasserquellen-Entscheidung des BGH hatte das Berufungsgericht einen Anspruch aus c.i.c. abgelehnt 283, da nichts dafür spreche, daß die Käufer bei Offenlegung der Verlängerungsoption zu einem günstigeren Vertragsschluß mit dem Verkäufer gekommen wären. Es mußte sich jedoch vom V. Zivilsenat darüber belehren lassen, daß dieses Urteil den Ersatz des Erfüllungsinteresses und damit nicht die bisherige Rechtsprechung zum Ersatz des Vertrauensinteresses durch Vertragsanpassung betreffe. Beim Ersatz des Vertrauensinteresses sei der Geschädigte so zu behandeln, als wäre es ihm bei Kenntnis der wahren Sachlage gelungen, den Kaufvertrag zu einem günstigeren Preis abzuschließen. Schaden sei danach »der Betrag, um den die Kl. im Streitfall wegen der fehlenden Mitteilung über das weitere Optionsrecht der Mieterin das Grundstück zu teuer erworben haben. Dies erfordert – im Unterschied zur Geltendmachung des Erfüllungsinteresses – nicht den Nach279

In dem Urteil sind zitiert BGH 25. 5. 1977, BGHZ 69, 53, 58; 28. 3. 1990, BGHZ 111, 75,

82. 280

BGH 24. 6. 1998, NJW 1998, 2900, 2901. Wie vorige Fn. 282 BGH 6. 4. 2001, NJW 2001, 2875; vgl. dazu Gsell, EWiR 2001, 803 f. 283 Da eine Frist zur Beseitigung des Rechtsmangels weder gesetzt worden noch entbehrlich war, kam kein Schadensersatzanspruch aus §§ 440 I, 326 BGB a. F. in Betracht. 281

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weis, dass sich der Vertragsgegner auf einen Vertragsschluss zu einem niedrigeren Preis eingelassen hätte. Entscheidend ist allein, wie sich der Getäuschte bei Kenntnis der ihm verheimlichten Umstände verhalten hätte; verbleibende Unklarheiten gehen zu Lasten des aufklärungspfl ichtigen Verkäufers.«284 Es soll demnach, so läßt sich in der Zusammenschau beider Urteile sagen, bei den Rechtsfolgen der vorvertraglichen Haftung zwischen dem Ersatz des »negativen Interesses« durch Ausgleich des Mißverhältnisses von Leistung und Gegenleistung und dem Ersatz des »positiven Interesses« durch Ausgleich des Interesses an dem wegen des Verhaltens des Schuldners nicht zustande gekommenen Vertrag zu differenzieren sein. Ersteres soll die reguläre, letzteres die besondere, vom Nachweis eines günstigeren hypothetischen Vertrags mit dem Schuldner abhängige Form des Schadensersatzes sein 285. Diese Differenzierung ist indes nicht haltbar, denn der vermeintliche Ersatz des positiven Interesses zielt in Wahrheit doch nur auf den Ersatz des negativen Interesses: Wer dem Gläubiger den Schaden ersetzt, der ihm aus dem Nichtabschluß eines anderen, für den Gläubiger günstigeren Vertrags entstanden ist, stellt ihn so, wie er stehen würde, wenn der Schuldner die zum Schadensersatz verpfl ichtende Erklärung nicht abgegeben oder die pflichtwidrig unterlassene Aufklärung vorgenommen hätte. Hierbei handelt es sich demnach um den Ersatz eines Vertrauensschadens. Dies wird nicht bestritten, wenn der hypothetische Vertrag, den abzuschließen der Gläubiger unterlassen hat, ein Vertrag mit einem Dritten ist: Der entgangene Gewinn aus diesem hypothetischen Geschäft wird einhellig als Teil des negativen Interesses angesehen 286 , und es würde auch niemandem einfallen, bloß deshalb vom positiven Interesse zu sprechen, weil damit im Ergebnis das Interesse an der Erfüllung des hypothetischen Geschäfts ersetzt wird. Wäre das günstigere hypothetische Geschäft nun nicht mit einem Dritten, sondern mit dem Schädiger selbst geschlossen worden, ändert sich an dieser Beurteilung nichts: Das Interesse an der Erfüllung des hypothetischen Geschäfts ist nichts anderes als das Interesse des Gläubigers, so zu stehen, wie er stehen würde, wenn er auf die Richtigkeit der Auskunft des Schuldners (in den Fällen der c.i.c.) oder auf die Wirksamkeit seiner Willenserklärung (in den Fällen der §§ 122, 179 II BGB) nicht vertraut hätte, kurz: das negative Interesse. Damit aber sind die Versuche des V. und des XII. Zivilsenats, das Nebeneinander zweier unterschiedlicher Möglichkeiten der Bestimmung der Rechtsfolge der Haftung aus c.i.c. aus der Entgegensetzung von positivem und negativem Interesse zu erklären, hinfällig und ist die offenkundige Verwirrung der Instanzgerichte nur zu verständlich: In Wahrheit geht es allein um den Ersatz des negativen Interesses287. Allerdings heißt das nicht, daß damit eine Differenzierung, wie sie die 284

BGH 6. 4. 2001, NJW 2001, 2875, 2877. Diese Unterscheidung von »Vertrauens-« und »Erfüllungsinteresse« wird bestätigt in BGH 19. 5. 2006, NJW 2006, 3139, 3141. 286 Vgl. die Nachw. in Fn. 203. 287 So bereits zutreffend Grigoleit, Informationshaftung, S. 197; Gsell, EWiR 2001, 803, 804. 285

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beiden Senate anstreben, auch in der Sache zu verwerfen wäre: Das negative Interesse liegt, wie nun zu zeigen ist, in den Fällen der Vertragsanpassung einmal in einem positiven Schaden, der nicht den Beweis eines hypothetischen günstigeren Vertragsschlusses erfordert, und einmal in einem entgangenen Gewinn, bei dessen Geltendmachung dem Schuldner der Beweis des hypothetischen Vertrags, mit dem er diesen Gewinn erwirtschaftet hätte, nicht erspart, wenn auch nach den §§ 287 ZPO, 252 S. 2 BGB erleichtert wird. b) Der Ersatz des »positiven Schadens« in Gestalt der Wertdifferenz zwischen Leistung und Gegenleistung Hat der Gläubiger aufgrund des zum Schadensersatz verpflichtenden Verhaltens des Schuldners mit diesem einen Vertrag geschlossen, bei dem der Wert der durch den Gläubiger erworbenen Leistung geringer ist als der Wert der von ihm zu erbringenden Gegenleistung, liegt in der Wertdifferenz ein Vermögensschaden, denn das tatsächliche Vermögen des Gläubigers bleibt um diesen Betrag hinter dem hypothetischen Vermögen zurück, das er ohne den Abschluß des nachteiligen Vertrags hätte. Es handelt sich hierbei um einen »positiven Schaden«, nämlich um einen Wertverlust im Vermögen des Gläubigers. Dieser Verlust läßt sich feststellen, ohne daß es darauf ankäme, ob der Schuldner tatsächlich dazu bereit gewesen wäre, mit dem Gläubiger einen Vertrag zu schließen, in dem Leistung und Gegenleistung objektiv gleichwertig sind: Ausgangspunkt der Schadensberechnung nach der Differenzhypothese ist hier einfach nur die hypothetische Lage ohne das nachteilige tatsächliche Geschäft, dessen Abschluß durch das haftungsbegründende Verhalten des Schuldners verursacht wurde; ein günstigeres hypothetisches Geschäft hinzuzudenken, ist hingegen nicht erforderlich. Nicht verzichtet werden kann jedoch auf die (unter Anwendung von § 287 ZPO zu treffende) Feststellung eines Mißverhältnisses zwischen dem Wert der Leistung und dem Wert der Gegenleistung, weil gerade darin die Vermögenseinbuße liegt – eben daran scheiterte im Mineralwasserquellenfall die vom Berufungsgericht allein ins Auge gefaßte Bestimmung des negativen Interesses anhand des »positiven Schadens«288. Nun steht dieser Methode der Vertragsanpassung durch Ausgleich der Wertdifferenz zwischen Leistung und Gegenleistung auf den ersten Blick ein schadensrechtliches Hindernis entgegen: Der Gläubiger eines Anspruchs auf das negative Interesse kann, wenn er infolge des Verhaltens des Schuldners einen nachteiligen oder sonst unerwünschten Vertrag abgeschlossen hat, nach bestrittener, aber zutreffender Ansicht 289 grundsätzlich die Aufhebung und Rückabwicklung des Vertrags als Naturalrestitution nach § 249 I BGB verlangen. Will er statt dessen an dem Vertrag festhalten und allein die Kompensation der durch den Vertrag be288 Das vorinstanzlich urteilende OLG Celle hatte nach der Darstellung des BGH (NJW 1998, 2900) festgestellt, daß die Klägerin nur eine verhältnismäßig geringwertige Leistung habe erbringen müssen, der keine unangemessene Gegenleistung gegenüberstand. 289 Siehe oben, Abschnitt II 3.

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dingten Vermögenseinbuße erreichen, scheint dies nur unter den Voraussetzungen möglich zu sein, an die nach den §§ 250, 251 I BGB der Übergang des Gläubigers290 von der Naturalrestitution zur Geldentschädigung geknüpft ist. Da eine Fristsetzung mit Ablehnungsandrohung nach § 250 BGB291 für den Gläubiger, der von vornherein nicht an der Naturalrestitution durch »Rückgängigmachung« des Vertrags interessiert ist, ausscheidet, käme es also nach § 251 I BGB darauf an, ob die Vertragsaufhebung und -rückabwicklung nicht möglich oder zur Entschädigung des Gläubigers nicht genügend ist. Beides wird nur selten der Fall sein 292 : Regelmäßig wird es möglich sein, den Vertrag aufzuheben und rückabzuwickeln, und dies wird auch zur Befriedigung des Interesses an der Beseitigung des durch den Vertragsabschluß bedingten Nachteils »genügend« sein, jedenfalls soweit man § 251 I 2. Alt. BGB so interpretiert, daß damit nur ein »Nichtgenügen« der Naturalrestitution zur Wiedergutmachung des Schadens als Unterfall der in § 251 I 1. Alt. BGB geregelten Unmöglichkeit, nämlich als ein Zurückbleiben der Naturalrestitution hinter dem geschuldeten Wiedergutmachungserfolg gemeint ist 293. Während das Reichsgericht, wenn auch nicht durchgehend, zumindest in einigen Urteilen die Kompensation der Wertdifferenz bei gleichzeitigem Festhalten des Geschädigten am Vertrag nur bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 251 I BGB zusprechen wollte294, hat der BGH sich, soweit ersichtlich, nicht mit dieser Frage auseinandergesetzt (und mußte es allerdings auch nicht, soweit er von einer »Minderung« nach den unter c) darzustellenden Grundsätzen und nicht von der hier zu behandelnden Berechnung des negativen Interesses anhand der Wertdifferenz zwischen Leistung und Gegenleistung ausging). Im Schrifttum sind die Meinungen darüber geteilt, ob und in welcher Weise sich die durch § 251 I BGB aufgestellte Hürde auf dem Weg zur Geldentschädigung für den vom Gläubiger erlittenen Wertverlust überwinden läßt 295. 290 Die nach § 251 II BGB bestehende Möglichkeit des Schuldners, seinerseits von der Naturalrestitution zur Geldentschädigung überzugehen, ist hier nicht von Interesse. Im übrigen dürfte das danach erforderliche Mißverhältnis zwischen dem Aufwand zur Aufhebung und Rückabwicklung des Vertrags und dem Gläubigerinteresse daran regelmäßig nicht gegeben sein. 291 Es handelt sich bei dieser Regelung, nebenbei gesagt, um ein Relikt des alten Schuldrechts, das nicht recht zu der Neuregelung des Übergangs vom Erfüllungsanspruch zum Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung in § 281 BGB paßt: Danach kann der Gläubiger nach Ablauf einer (angemessenen) Frist (ohne Ablehnungsandrohung) entscheiden, ob er von der Naturalerfüllung auf einen Geldanspruch übergeht. Ein Grund dafür, den Übergang von der Naturalrestitution zur Geldentschädigung anders zu regeln, ist nicht ersichtlich. De lege lata läßt sich dieser Diskrepanz aber wohl nicht abhelfen. 292 Vgl. Grigoleit, Informationshaftung, S. 206. 293 Deutlich bei Staudinger/Schiemann, § 251 Rz. 12 (dem aber von Lange/Schiemann, Schadensersatz, § 5 VI 2 [S. 236] widersprochen wird). Vgl. auch MünchKomm/Oetker, § 251 Rz. 13; Palandt/Heinrichs, § 251 Rz. 4. Zur Neuinterpretation durch Gebhardt, Herabsetzung der Gegenleistung, S. 102 ff., siehe sogleich den folgenden Text. 294 Vgl. z. B. RG 1. 10. 1910, JW 1910, 934 (Nr. 4); 4. 1. 1911, JW 1911, 213 (Nr. 8). Näher dazu (auch mit weiteren Nachw.) Krauße, JW 1929, 557 ff.; Geibel, Kapitalanlegerschaden, S. 131 f. 295 Vgl. einerseits grundsätzlich für die Anwendbarkeit von § 251 I BGB Grigoleit, Informationshaftung, S. 206 ff.; ders., in: Die Schuldrechtsreform vor dem Hintergrund des Gemein-

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Der Widerstand, welcher der sich nach dem Gesetzeswortlaut aufdrängenden Anwendung von § 251 I BGB entgegengebracht wird, erklärt sich daraus, daß man den Gläubiger nicht dazu zwingen will, sich für eine (mögliche) Rückabwicklung zu entscheiden, um Schadensersatz verlangen zu können. Der Gläubiger, der durch den Abschluß eines für ihn nachteiligen Vertrags geschädigt worden ist, soll vielmehr seine Dispositionsfreiheit behalten und sich dafür entscheiden können, bei der vertraglichen Bindung zu bleiben (etwa weil er nach wie vor ein Interesse an dem Leistungsgegenstand hat), ohne auf den Ersatz erlittener Schäden verzichten zu müssen 296 . Diesem Interesse des Gläubigers könnte zum einen im Rahmen der Auslegung von § 251 I 2. Alt. BGB Rechnung getragen werden: Die Naturalrestitution durch Aufhebung und Rückabwicklung des Vertrags sei, so wird vorgeschlagen, für den Gläubiger »nicht genügend«, weil sie das rechtlich geschützte Interesse des Gläubigers vernachlässigt, den Schuldner an dem Vertrag festzuhalten 297. Zum anderen ist an eine teleologische Reduktion des § 251 I BGB zu denken: Die Dispositionsfreiheit des Geschädigten im Hinblick auf den von ihm wirksam abgeschlossenen Vertrag einzuschränken, könne nicht Sinn und Zweck des § 251 I BGB sein, der nur den Übergang von der Naturalrestitution zur Kompensation im Gläubigerinteresse eröffnen soll. Vor diesem Hintergrund müsse § 251 I BGB unangewendet bleiben, wenn sich der Gläubiger auf die Geltendmachung des reinen Vermögensschadens beschränkt und den Vertrag unangetastet lassen will 298. Dem unbestreitbar berechtigten 299 Anliegen, die Dispositionsfreiheit des Gläubigers zu erhalten und den Ersatz der Wertdifferenz nicht vom Vorliegen einer der in den §§ 250, 251 BGB geregelten Konstellationen abhängig zu machen, läßt sich indes auch mit einer anderen Erwägung Rechung tragen: Die §§ 250, 251 BGB beziehen sich auf Verletzungen des Integritätsinteresses, bei denen sowohl die schaftsrechts, S. 269, 286 f.; Gebhardt, Herabsetzung der Gegenleistung, S. 117 ff.; Theisen, NJW 2006, 3102, 3104; andererseits dagegen Geibel, Kapitalanlegerschaden, S. 134 f.; Tiedtke, JZ 1989, 569, 570. 296 Vgl. Tiedtke, JZ 1989, 569, 570. 297 So im Ergebnis, mit ausführlicher Begründung, Gebhardt, Herabsetzung der Gegenleistung, S. 117 ff. 298 Vgl. Geibel, Kapitalanlegerschaden, S. 134 f. (der allerdings nicht von einer teleologischen Reduktion spricht). 299 A. A. allerdings Grigoleit, Informationshaftung, S. 207: Der Ausgleich dürfe der Höhe nach denjenigen Schadensersatzanspruch nicht überschreiten, der sich bei Gelingen des Nachweises eines hypothetischen Vertragsschlusses (der dem Gläubiger ja auch einen Vermögensnachteil hätte bescheren können) ergeben könnte. § 251 BGB verhindere, daß der Irregeleitete bei Festhalten am Vertrag einen Ersatz für Vermögensnachteile erhalte, die unabhängig von seiner Fehlvorstellung eingetreten sind. Dem ist zuzugeben, daß es gewiß nicht zu rechtfertigen wäre, den Gläubiger durch den Ersatz der Wertdifferenz besser zu stellen, als er bei ordnungsgemäßem Verhalten des Schuldners stünde. Doch legitimiert dies nicht die Anwendung von § 251 BGB: Dem Schuldner steht stets der Nachweis offen, daß der Gläubiger auch ohne das haftungsbegründende Verhalten des Schuldners einen nachteiligen (hypothetischen) Vertrag geschlossen hätte (zur Beweislast siehe oben, Abschnitt I 3 c) und die Haftung daher reduziert oder ganz ausgeschlossen ist.

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Geldentschädigung als auch die Naturalherstellung als Mittel der Schadenswiedergutmachung jedenfalls denkbar sind (mag auch die Naturalherstellung im Einzelfall nicht möglich, nicht genügend oder unverhältnismäßig sein). In diesen Fällen gilt es, die beiden auf ein und dasselbe Ziel gerichteten und daher austauschbaren Mittel in ein Verhältnis zu setzen, das der Gesetzgeber zugunsten des Vorrangs der Naturalrestitution entschieden hat. Das Verhältnis der schadensrechtlichen Vertragsaufhebung zum Ausgleich der Wertdifferenz ist aber ein anderes: Sie sind nicht verschiedene Mittel zur Verwirklichung ein und desselben Ziels, denn mit der Vertragsaufhebung macht der Geschädigte (auch) sein immaterielles Interesse an einer von Fehlsteuerungen freien Betätigung seines Entscheidungsfreiheit geltend300 , während er mit der Wertdifferenz den Ersatz eines reinen Vermögensinteresses (und nicht etwa die Kompensation seines immateriellen Interesses) begehrt. Damit aber fehlt die Basis für die Anwendung der §§ 250, 251 BGB: Der Gläubiger, der Ersatz der durch einen nachteiligen Vertrag erlittenen Vermögensnachteile in Gestalt der objektiven Wertdifferenz zwischen Leistung und Gegenleistung beansprucht, verlangt eben nicht das finanzielle Äquivalent der nach § 249 I BGB eröffneten Vertragsaufhebung, sondern ein aliud. c) Der Ersatz des entgangenen Gewinns in Gestalt der Differenz zwischen tatsächlichem und hypothetischem Ertrag Das praktische Bedürfnis, auf das Interesse des Gläubigers an der Erfüllung eines günstigeren hypothetischen Vertrags mit dem Schuldner abzustellen und ihm eine am Maßstab des hypothetischen Vertrags ausgerichtete schadensrechtliche »Minderung« seiner Gegenleistung zu gewähren, reduziert sich nach dem soeben Gesagten nicht unerheblich: Soweit sich objektive (Markt- oder Verkehrs-)Werte für Leistung und Gegenleistung feststellen lassen, die auseinanderklaffen, erhält der durch des Verhalten des Schuldners zum Vertragsschluß veranlaßte Gläubiger die Wertdifferenz ersetzt, ohne daß es auf den Nachweis eines hypothetischen Vertrags mit dem Schuldner ankäme. Nur dann, wenn der Gläubiger behauptet, er hätte die Leistung des Schuldners ohne dessen haftungsbegründendes Verhalten günstiger als zum objektiven Wert von diesem erwerben können, oder wenn sich eine durch das Schuldnerverhalten veranlaßte objektive Wertdifferenz nicht feststellen läßt 301, kommt es für die schadensrechtliche Herabsetzung der Gegenleistung darauf an, ob und mit welchem Inhalt der Schuldner mit dem Gläubiger kontrahiert hätte, wenn der Gläubiger nicht durch das vorvertragliche Verhalten des Schuldners in die Irre geführt worden wäre302. Dabei wird die Frage, ob der 300

Siehe oben, Abschnitt I 1 b bb. So im Mineralwasserquellenfall BGH 24. 6. 1998, NJW 1998, 2900. 302 Vgl. auch Geibel, Kapitalanlegerschaden, S. 242 ff. – Im übrigen bleibt es auch bei der Relevanz des hypothetischen Vertrags, wenn der Gläubiger keine Herabsetzung seiner Gegenleistung, sondern eine »Nachbesserung« der Leistung des Schuldners auf das Niveau des Vertrags verlangt, der ohne das zum Schadensersatz verpfl ichtende Verhalten zustande gekommen wäre. 301

II. Einzelne Schadenspositionen

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Gläubiger zu beweisen hat, daß der Schuldner zum Abschluß des hypothetischen Vertrags bereit gewesen wäre, von der Rechtsprechung in den Fällen schadensersatzrechtlicher »Minderung« überwiegend verneint 303. Das Schrifttum steht dieser Judikatur größtenteils ablehnend gegenüber304. Die Erkenntnis, daß dem Gläubiger mit dem Interesse an der Erfüllung eines hypothetischen Geschäfts mit dem Schuldner das negative Interesse ersetzt wird305, legt den Grund zur Beantwortung dieser Frage: Macht der Gläubiger eines Anspruchs auf das negative Interesse den entgangenen Gewinn aus einem aufgrund des haftungsbegründenden Schuldnerverhaltens nicht zustande gekommenen Vertrag mit einem Dritten geltend, trägt er für das Zustandekommen des hypothetischen Vertrags die Beweislast. Allerdings kommt dem Gläubiger eine Beweiserleichterung nach den §§ 252 S. 2 BGB, 287 I ZPO zugute306 . Behauptet der Gläubiger, er hätte den günstigen hypothetischen Vertrag nicht mit einem Dritten, sondern mit dem Schuldner selbst geschlossen, wenn er nicht durch das vorangehende Verhalten des Schuldners zum Abschluß des ungünstigen Vertrags veranlaßt worden wäre, liegen die Dinge auf den ersten Blick nicht anders: Jedenfalls soweit es keine besondere Gründe dafür gibt, den Schuldner schlechter zu stellen als jeden beliebigen Dritten, hat man auch hier dem Gläubiger den Beweis abzuverlangen, daß mit überwiegender Wahrscheinlichkeit (§§ 252 S. 2 BGB, 287 I ZPO) der hypothetische Vertrag mit dem Schuldner zustande gekommen wäre307. Eine Rechtfertigung dafür, dem Gläubiger den Beweis des hypothetischen Vertrags mit dem Schuldner zu ersparen, kann vor diesem Hintergrund nicht darin gesehen werden, daß es sich dabei um einen hypothetischen und ohnehin kaum zu führenden Nachweis handele308. Zum einen wird damit die dem Gläubiger zukommende Beweiserleichterung nach den §§ 252 S. 2 BGB, 287 I ZPO außer Betracht gelassen; zum anderen müßte sich dieses Argument auch gegen die Anforderungen an den Beweis des entgangenen Gewinns aus einem hypothetischen Geschäft mit einem Dritten richten, die aber offensichtlich (und der lex lata entsprechend) hingenommen werden. Allenfalls könnte man versuchen, den Verzicht auf den Beweis des hypothetischen Vertrags mit dem Schuldner auf dessen fehlende Schutzwürdigkeit zu stüt303 Grundlegend BGH 25. 5. 1977, BGHZ 69, 53, 58; vgl. außerdem etwa BGH 2. 6. 1980. NJW 1980, 2408, 2409 f.; 1. 4. 1981, NJW 1981, 2050, 2051; 12. 10. 1993, NJW 1994, 663, 664; 6. 4. 2001, NJW 2001, 2875, 2877. Für die Erforderlichkeit des Beweises noch BGH 18. 3. 1977, NJW 1977, 1538, 1539; 18. 10. 1976, WM 1976, 1307, 1310. 304 Vgl. die umfassende Darstellung der Literatur bei Geibel, Kapitalanlegerschaden, S. 229 ff., sowie dessen eigene (die Rspr. ablehnende) Stellungnahme, a.a.O., S. 247 ff. 305 Siehe oben, Abschnitt II 4 a. 306 Siehe oben, Abschnitt I 3 b. 307 So auch Geibel, Kapitalanlegerschaden, S. 216 ff., 254. In der Rspr. wird verschiedentlich auch auf § 252 S. 2 BGB und/oder § 287 I ZPO rekurriert; vgl. BGH 1. 10. 1987, NJW 1988, 200, 203 f.; 27. 5. 1993, NJW 1993, 2744, 2746; 3. 12. 1999, NJW 2000, 509. 308 So aber BGH 8. 12. 1988, NJW 1989, 1793, 1794; 14. 3. 1991, BGHZ 114, 87, 94.

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zen 309 : Immerhin ist der Schuldner – anders als ein außenstehender Dritter – aufgrund seiner vorvertraglichen Äußerungen haftungsrechtlich verantwortlich für den Abschluß des aus Sicht des Gläubigers nicht erwartungsgerechten Vertrags. Sich so wie ein Dritter darauf zu berufen, daß er einen der Gläubigererwartung gerechten Vertrag nicht abgeschlossen hätte, könnte ihm daher aus der Erwägung verwehrt sein, daß er sich mit seinem eigenen früheren Verhalten in Widerspruch setze: So entspreche es in den Fällen des Unternehmenskaufs, in denen der Kaufpreis auf der Grundlage falscher Verkäuferangaben über die Unternehmenskennzahlen festgesetzt wurde, dem Gebot von Treu und Glauben, daß der Verkäufer sich an dem einverständlich zugrundegelegten Berechnungsmodus festhalten lassen müsse310. Indes setzt die Anwendung des Verbots widersprüchlichen Verhaltens voraus, daß der vorvertraglichen, zum Schadensersatz verpflichtenden Äußerung des Schuldners tatsächlich ein Erklärungsgehalt zukommt, dem es widerspräche, wenn sich der Schuldner später der Anpassung des Vertrags auf ein erwartungsgerechtes Maß verweigerte. Gerade dies aber dürfte in der Regel nicht der Fall sein: In den Konstellationen falscher Angaben über Unternehmenskennzahlen wird man beispielsweise nicht unterstellen dürfen, daß der Verkäufer sich durch sein vorvertragliches Verhalten auf ein bestimmtes rechnerisches Verhältnis zwischen diesen Zahlen und dem Kaufpreis für das Unternehmen festlegen wollte. Eine solche Unterstellung nähme die vertragliche Einigung über das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung als Ergebnis der Verhandlungen vorweg. Die Haftung auf das negative Interesse geriete so zu einem Instrument des Kontrahierungszwangs, indem sie dem Schuldner den Ersatz des Interesses an der Erfüllung eines Vertrags aufnötigt, der den Erwartungen des Gläubigers zwar entspricht, aber zu dessen Abschluß es nun einmal nicht gekommen ist. Daher dürfte man mit dem Rekurs auf Treu und Glauben allenfalls Randkorrekturen der Grundregel erreichen können, daß der Gläubiger eines Anspruchs auf das negative Interesse den hypothetischen Abschluß eines günstigeren Vertrags mit dem Schuldner nach Maßgabe der §§ 252 S. 2 BGB, 287 I ZPO zu beweisen hat.

III. Grenzen der Schadensersatzpflicht Der Versuch, an den §§ 122, 179 II BGB die Rechtsfolgen der Haftung auf das negative Interesse exemplarisch zu studieren und in einer verallgemeinerungsfähigen Form darzustellen, ist bei den in diesen Regelungen positivierten Grenzen der Schadensersatzpflicht auf den ersten Blick zum Scheitern verurteilt: Die Begren309

Vgl. BGH 5. 10. 1988, NJW-RR 1989, 306, 307. Soergel/Huber, § 459 Rz. 267. Zu der (hier nicht zu diskutierenden) Frage, ob nach neuem Schuldrecht insoweit die Anwendung der c.i.c. noch in Betracht kommt, vgl. die in Fn. 272 nachgewiesene Lit. 310

III. Grenzen der Schadensersatzpfl icht

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zung der Haftung auf den Betrag des Erfüllungsinteresses des Geschädigten (§ 122 I BGB; § 179 II BGB) sowie der Ausschluß der Schadensersatzpflicht, wenn der Geschädigte den Grund der Nichtigkeit oder der Anfechtbarkeit (§ 122 II BGB) bzw. den Mangel der Vertretungsmacht (§ 179 III 1 BGB) kannte oder kennen mußte, scheinen Ausdruck möglicherweise rechtspolitisch überholter, jedenfalls aber nicht generalisierbarer Entscheidungen des Gesetzgebers zu sein. Die rechtsökonomischen Vorarbeiten im ersten Teil dieser Untersuchung311 haben indes gezeigt, daß diese Haftungsgrenzen ebenso wie die bei den §§ 122, 179 II BGB statthafte Berücksichtigung des Mitverschuldens in Gestalt einer Verletzung der Schadensminderungspflicht nach § 254 II 1 BGB Ausdruck von Wertungen sind, die durchaus über den engen Bereich der in diesen Normen geregelten Haftungstatbestände hinaus Geltung beanspruchen können. Daran knüpfen die nachfolgenden Ausführungen an.

1. Die Begrenzung auf den Betrag des positiven Interesses a) Die Begrenzung als Ausdruck des Schutzzwecks der Norm Die Haftung auf das negative Interesse soll, so lautete ein wesentliches Ergebnis unserer rechtspolitischen Standortbestimmung, den Empfänger eines Versprechens vor den Folgen der asymmetrischen Informationslage schützen, in der sich Versprechender und Versprechensempfänger im Zeitpunkt der Versprechensabgabe befinden: Der Versprechensempfänger soll seine Entscheidung über eine Vertrauensinvestition ungeachtet der Möglichkeit treffen können, daß ihm das wahre Ausmaß des Nichterfüllungsrisikos verborgen bleibt 312. Den Versprechensempfänger auch dann zu schützen, wenn er eine Vertrauensinvestition vorgenommen hat, die bei unterstellter Erfüllung des Versprechens ineffizient gewesen wäre, ist dagegen nicht zu rechtfertigen. Das darauf fußende rechtspolitische Postulat, die Haftung so auszugestalten, daß »windfall profits« des Gläubigers vermieden werden 313, wird positivrechtlich durch das Erfordernis des Schutzzweckzusammenhangs umgesetzt. Die Haftung auf das negative Interesse wird durch dieses Kriterium zunächst in derselben Weise begrenzt wie die Schadensersatzhaftung überhaupt: Soweit Schäden, die dem Gläubiger aufgrund seiner Vertrauensdispositionen entstanden, Ausdruck des allgemeinen Lebensrisikos sind, hat der Schuldner sie nicht zu ersetzen 314. Die Bedeutung des Schutzzweckzusammenhangs für die Haftung auf das negative Interesse erschöpft sich darin jedoch nicht. Wenn »windfall profits« vermieden werden sollen, darf dem Gläubiger außer dem allgemeinen Lebensrisiko auch das Risiko einer Fehlspekulation über die Verwirklichung des Leistungszwecks 311 312 313 314

Siehe oben, § 5 III 2.b. Siehe oben, § 5 III 1, 2 a. Siehe oben, § 5 III 2 b cc. Siehe oben, Abschnitt I 2 b.

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§ 10 Umfang und Grenzen der Ersatzfähigkeit des negativen Interesses

nicht abgenommen werden. Das heißt bei einer vom Gläubiger mit Gewinnerzielungsabsicht vorgenommenen Vertrauensinvestition: Die Haftung auf das negative Interesse darf nicht dazu führen, daß der Gläubiger die (unabhängig vom verborgenen Nichterfüllungsrisiko bestehende) Gefahr, daß sich seine Investition nicht rentiert, auf den Schuldner abwälzt. Ebensowenig darf der Gläubiger, der einen immateriellen Zweck verfolgt, vor der Gefahr geschützt werden, daß seine Investition ihren Zweck aus einem Grund verfehlt, der nichts damit zu tun hat, daß ihm das Risiko der Nichterfüllung des ihm gegebenen Leistungsversprechens unbekannt war. Man kann das Fehlen des Schutzzweckzusammenhangs bei Schäden, in denen sich das von dem Gläubiger zu tragende Spekulationsrisiko verwirklicht, auch in Anknüpfung an die Figur des rechtmäßigen Alternativverhaltens beschreiben 315 : Das Pendant 316 zum rechtmäßigen Alternativverhalten, dessen hypothetische Kausalität für den Schaden die Haftung ausschließt, ist die Erfüllung der Verbindlichkeit aus dem als wirksam gedachten Rechtsgeschäft 317: Hätte der Gläubiger auch bei ordnungsgemäßer Erfüllung der wirksamen Verbindlichkeit nicht besser gestanden, als er tatsächlich aufgrund seines enttäuschten Vertrauens steht, handelt es sich bei dem Vertrauensschaden nicht um eine Folge der spezifischen Gefahr, die von dem Leistungsversprechen des Schuldners in Anbetracht der Informationsasymmetrie zwischen den Parteien ausgeht, sondern um die Manifestation des von dem Gläubiger eingegangenen Risikos, sich bei dem abgeschlossenen Geschäft zu verspekulieren. Diese bereits vom Reichsgericht 318 erkannte ökonomische ratio der Begrenzung der Ersatzfähigkeit von Vertrauensschäden auf den Betrag des positiven Interesses, die dem Common Law genauso bekannt ist wie dem deutschen Recht319, stellt zum einen die Verbindung der in den §§ 122 I, 179 II BGB getroffenen Regelung zu den übrigen Fällen der Haftung auf das negative Interesse her: Sie kommt, wie in den nachfolgenden Kapiteln zu zeigen sein wird, auch bei der auf § 284 BGB gegründeten Pflicht zum Ersatz des negativen Interesses bei wirksamer rechtsge315 Zur Entsprechung der Begriffe des Schutzzweck- bzw. Rechtswidrigkeitszusammenhangs und des rechtmäßigen Alternativverhalten vgl. Lange/Schiemann, Schadensersatz, § 4 XII 1 (S. 199 f.); Deutsch, Haftungsrecht, Rz. 186 (S. 122). 316 Von einem Pendant kann hier nur deshalb die Rede sein, weil von einem »rechtmäßigen« Alternativverhalten zu sprechen nicht passend ist, wenn das tatsächliche Verhalten nicht rechtswidrig ist. 317 Bei dem Einwand der Zweckverfehlung aus anderem Grund in § 284 BGB, der, wie in § 11 II 3 b aa, III 3, näher dargelegt wird, den Gedanken der Haftungsbegrenzung auf das positive Interesse in ein anderes Gewand kleidet, ist dies erkannt worden von Canaris, DB 2001, 1815, 1820; im Anschluß daran auch Dauner-Lieb, in: Dauner-Lieb u. a., Das neue Schuldrecht, § 2 Rz. 57 (S. 100); S. Lorenz/Riehm, Rz. 229 (S. 116); a. A. Gsell, in: Das neue Schuldrecht in der Praxis, S. 321, 323 Fn. 8. 318 RG 22. 6. 1936, RGZ 151, 357, 358 f. – Die Stelle wird oben in § 5 III 2 b cc wörtlich zitiert. 319 Bereits bei Fuller/Perdue, 46 Yale L. J. 52, 79 (1936) heißt es: »We will not [. . .] knowingly put the plaintiff in a better position than he would have occupied had the contract been fully performed.«

III. Grenzen der Schadensersatzpfl icht

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schäftlicher Selbstbindung wie auch bei der von der Rechtsprechung im Rahmen der c.i.c. entwickelten Haftung für unwirksame rechtsgeschäftliche oder außerrechtsgeschäftliche Selbstbindungstatbestände zum Tragen – mit dem einzigen Unterschied, daß sie dort einmal (bei § 284 BGB) in das Gewand eines kodifizierten Haftungssausschlusses gekleidet ist und einmal (in den sonstigen Fällen) in der ungeschriebenen Limitierung der Haftung durch den Schutzzweck der Norm zum Ausdruck kommt. Zum anderen erlaubt es die hier identifizierte ratio, Fragen zu beantworten, vor denen der Rechtsanwender bei der Konkretisierung der Haftungsbegrenzung steht: Was genau bedeutet es insbesondere mit Blick auf ein nichtwirtschaftliches Interesse des Gläubigers, wenn der Schadensersatz den »Betrag« des positiven Interesses nicht überschreiten darf (dazu b)? Wie verhält es sich, wenn der tatsächlich erlittene Vertrauensschaden zwar hinter dem Betrag des Erfüllungsinteresses zurückbleibt, aber dieses Interesse bei Vorliegen einer wirksamen rechtsgeschäftlichen Verpflichtung – etwa infolge einer Entlastung des Schuldners wegen nicht zu vertretender Unmöglichkeit der Leistung – schutzlos geblieben wäre (dazu c)? b) Der Betrag des positiven Interesses Hat der Gläubiger an der ihm vorenthaltenen Leistung ein wirtschaftliches Interesse, ist der Betrag seines positiven Interesses als Maßstab der Haftungsbegrenzung ohne weiteres sachgerecht: Spekulierte der Gläubiger auf eine Vermögensmehrung, ist es als Verwirklichung des von ihm zu tragenden Spekulationsrisikos anzusehen, wenn sich erweist, daß er seine Aufwendungen nicht erwirtschaftet hätte oder daß er ein wirtschaftlich günstigeres als das von ihm abgeschlossene Geschäft hätte tätigen können. Der Schuldner, der ihm aus § 122 I oder § 179 II BGB zum Ersatz des negativen Interesses verpflichtet ist, hat daher Vertrauensschäden wie fehlgeschlagene Aufwendungen des Gläubigers oder den Gewinn, den ihm ein im Vertrauen auf die Wirksamkeit der Erklärung nicht abgeschlossenes Alternativgeschäfts beschert hätte, nicht zu ersetzen, soweit ihr Betrag das positive Interesse (nämlich den Betrag, um den sich sein Vermögen im Fall der Erfüllung vermehrt hätte) übersteigt. Dafür trägt der Schuldner, wie schon die Formulierung der §§ 122 I, 179 II BGB erkennen läßt, die Beweislast 320. Da es sich um eine Frage der Anspruchshöhe handelt, kommt dem Schuldner allerdings die Reduzierung des Beweismaßes nach § 287 I ZPO zugute321. Schwieriger liegen die Dinge aber, wenn der Gläubiger mit der Leistung einen nichtkommerziellen Zweck verfolgte. Man ist in Anbetracht des undifferenzierten Gesetzeswortlauts zunächst geneigt, den Betrag des positiven Interesses ungeachtet der Tatsache, daß das Interesse des Gläubigers nicht auf eine Vermögensmehrung gerichtet war, auch hier als die Grenze des Haftungsumfangs anzusehen. 320

So auch MünchKomm/Kramer, § 122 Rz. 14; RGRK/Krüger-Nieland, § 122 Rz. 10. Dazu, daß § 287 I ZPO nicht nur zugunsten des Gläubigers, sondern auch zugunsten des Schuldners wirkt, wenn dieser beweisbelastet ist, siehe oben, Abschnitt I 3 c. 321

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§ 10 Umfang und Grenzen der Ersatzfähigkeit des negativen Interesses

Gewisse Zweifel an einer solchen Sicht der Haftungsbegrenzung ließen indes die Ausführungen des BGH im Stadthallenfall322 immerhin aufscheinen: Der BGH lehnte es zunächst grundsätzlich ab, den vertraglichen Schadensersatz, den die an der Nutzung der Stadthalle nur ideell interessierte Mieterin dem Grunde nach verlangen konnte, nach Maßgabe des Vertrauensinteresses zu berechnen. »Selbst wenn man demgegenüber bei positiver Vertragsverletzung eine Haftung auf das negative Interesse bejahen würde«, heißt es dann aber weiter in dem Urteil, »so wäre dieser jedenfalls entsprechend §§ 122, 307 BGB auf das Erfüllungsinteresse zu begrenzen; denn das enttäuschte Vertrauen kann sich nicht als ›profitabler‹ darstellen als das erfüllte. Im vorliegenden Fall ist noch nicht einmal sicher, ob sich die hohen Werbeaufwendungen der Beklagten [richtig muß es heißen: der Klägerin, nämlich der Mieterin der Halle, T.A,] auch nur in ideeller Hinsicht durch eine entsprechend hohe Zahl von Besuchern der Veranstaltung ›rentiert‹ hätten.«323 Ginge man davon aus, daß ein ideelles Erfüllungsinteresse aufgrund des fehlenden Vermögenswerts für die Begrenzung der Pflicht zum Ersatz des negativen Interesses irrelevant wäre, käme es auf die Erwägung zur ideellen »Rentabilität« der Aufwendungen nicht an: Auch wenn die Mieterin mit ihren Aufwendungen einen vollen Erfolg erzielt hätte und die Halle bis auf den letzten Platz gefüllt gewesen wäre, hätte sie damit keinen Vermögenszuwachs erzielt; sie hätte demnach auch nicht Ersatz ihres negativen Interesses in Gestalt der fehlgeschlagenen Aufwendungen verlangen können. Relevant ist die ideelle »Rentabilität« der Aufwendungen nur dann, wenn man für ihre Ersatzfähigkeit nicht auf den Vermögenswert des Interesses, sondern darauf abstellt, ob sie ihren Zweck erreicht hätten. In der Tat kommt es, wenn der Gläubiger mit der Leistung einen nichtwirtschaftlichen Zweck verfolgt hat, nicht auf die Erwirtschaftung eines Vermögenswertes an. Die Rechtfertigung hierfür liefert die Erkenntnis, daß es sich bei der in den §§ 122 I, 179 II BGB angeordneten Haftungsgrenze um einen positivierten Ausdruck der Haftungsbegrenzung nach dem Schutzzweck der Norm handelt: Die Gewährung des Schadensersatzanspruchs soll den Gläubiger nur in die Lage versetzen, seine Investitionsentscheidung unbehelligt von Zweifeln über die Erfüllung der vom Schuldner geweckten Leistungserwartung treffen zu können; sie soll jedoch nicht dazu führen, daß Fehleinschätzungen des Gläubigers über den Erfolg seiner Vertrauensdisposition bei erwartungsgerechtem Verhalten des Schuldners honoriert werden. Es darf dem Gläubiger, mit den Worten des Reichsgerichts, daher nicht das »Wagnis« abgenommen werden, »das er mit Eingehung

322 BGH 10. 12. 1986, BGHZ 99, 182; zu diesem Urteil siehe schon oben, Abschnitte II 1 a bb, II 1 c bb. 323 BGH (wie vorige Fn.), 201 f. (unter Weglassung von Zitaten). Das an dieser Stelle vom BGH angeführte, die Übertragbarkeit der Haftungsbegrenzung aus §§ 122 I, 179 II BGB auf andere Fälle der Haftung auf das negative Interesse betreffende Urteilszitat lautet übrigens richtig BGH 23. 9. 1982, NJW 1983, 442, 444. – Diese Erwägung des BGH wird aufgegriffen in LG Lüneburg 11. 8. 2000, NJW 2002, 614.

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des Vertrags übernommen hat«324. Das Wagnis, das der Gläubiger einer Leistung übernommen hat, an deren Erfüllung er ein immaterielles Interesse hat, besteht allein darin, daß er, auch wenn er die Leistung erhält, den Zweck, den er damit verfolgt, am Ende nicht erreicht, oder daß er den Zweck zwar erreicht, ihn aber auch mit geringerem Mitteleinsatz hätte erreichen können. Kein Wagnis geht er dagegen ein, was den Vermögensverlust aufgrund der Vertrauensinvestition betrifft: Daß er die Kosten auch im Erfüllungsfall nicht wieder einbringen wird, ist von vornherein sicher. Aus diesem Grund bedarf die Begrenzung der Haftung aus den §§ 122 I, 179 II BGB auf den Betrag des positiven Interesses einer teleologischen Korrektur: Als Konkretisierung des Schutzzweckzusammenhangs taugt dieses Kriterium nur, wenn der Gläubiger mit der Leistung einen wirtschaftlichen Zweck verfolgt hat. Ist der Zweck dagegen nichtwirtschaftlicher Natur, führte die Beschränkung des Haftungsumfangs auf das positive Interesse zu einer Schutzlosstellung des Gläubigers, die durch den Zweck der Haftungsbegrenzung nicht zu rechtfertigen ist. Deshalb ist in solchen Konstellationen nicht zu fragen, ob der Gläubiger im Erfüllungsfall einen geringeren Vermögenswert erwirtschaftet hätte als den Betrag, den er nun als Schaden geltend macht. Vielmehr ist für die Haftungsbegrenzung ausschlaggebend, ob die Vertrauensdisposition des Gläubigers zweckgerecht oder, salopp ausgedrückt, ideell »rentabel« war. Hierfür trägt, nicht anders als für die Bestimmung des Betrags des (materiellen) Erfüllungsinteresses, der Schuldner die Beweislast 325. Fehlgeschlagene Aufwendungen sind dem Gläubiger daher nicht zu ersetzen, soweit der Gläubiger den damit verfolgten Zweck auch im Fall der Erfüllung nicht erreicht hätte. Hätte die Mieterin der Stadthalle also mit ihren Werbeanstrengungen keine Besucher für die geplante Veranstaltung gewinnen können, wären ihre Aufwendungen auch im Rahmen eines Anspruchs auf Ersatz des negativen Interesses nicht zu ersetzen gewesen. Und wären ihre Bemühungen nur teilweise von Erfolg gekrönt gewesen, so hätte sich auch nur einen entsprechenden Anteil ihrer Aufwendungen verlangen können 326 .

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RG 22. 6. 1936, RGZ 151, 357, 358 f. Im Stadthallenfall BGHZ 99, 182, wäre also, wenn der BGH der Klägerin einen Anspruch auf das negative Interesse gewährt hätte, nicht, wie der BGH a.a.O. (S. 201), formulierte, darauf abzustellen gewesen, ob es die ideelle »Rentabilität« der Aufwendungen »sicher« gewesen wäre. Vielmehr hätte umgekehrt geprüft werden müssen, ob sich die Aufwendungen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit (§ 287 I ZPO) in ideeller Hinsicht nicht »rentiert« hätten. 326 Wie groß dieser Anteil ist, ist wiederum eine Frage richterlicher Schadensschätzung. Bei der Hallenmiete wird man in Ermangelung weiterer Anhaltspunkte davon ausgehen können, daß die volle Auslastung der Halle einen 100%igen Erfolg darstellt, und den Ersatzanspruch des Mieters dementsprechend kürzen, wenn der Vermieter beweist, daß mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nur ein bestimmter Bruchteil der Halle besetzt gewesen wäre. Vgl. i.ü. die Ausführungen zur Zweckverfehlung bei § 284 BGB unten, § 11 III 3. 325

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§ 10 Umfang und Grenzen der Ersatzfähigkeit des negativen Interesses

c) Der hypothetische Schutz des positiven Interesses In einer weiteren Hinsicht bedarf die Haftungsbegrenzung zwar keiner Korrektur, aber einer Präzisierung: Die §§ 122 I, 179 II BGB beziehen sich auf den Betrag des Interesses an der Gültigkeit der Erklärung (§ 122 I BGB) bzw. an der Wirksamkeit des Vertrags (§ 179 II BGB), ohne darüber Auskunft zu geben, ob dieser Betrag auch dann zugrunde zu legen ist, wenn das Erfüllungsinteresse bei unterstellter Gültigkeit der Erklärung bzw. Wirksamkeit des Vertrags schutzlos geblieben wäre: Kann der Gläubiger eines Anspruchs aus § 122 BGB den Ersatz des negativen Interesses beispielsweise auch dann verlangen, wenn der Schuldner bei Vorliegen eines wirksamen Vertrags wegen des von ihm nicht zu vertretenden, nachträglichen Eintritts der Unmöglichkeit der Leistung weder zur Erfüllung noch zum Schadensersatz statt der Leistung nach den §§ 280 I, III, 283 BGB verpflichtet wäre? Aus einem Urteil des BGH zur Reichweite der Rentabilitätsvermutung327 lassen sich Aufschlüsse für die Beantwortung dieser Frage gewinnen: Die Mieterin gewerblich nutzbarer Räume in einem noch zu errichtenden Gebäude verlangte von den Vermietern als Schadensersatz wegen Nichterfüllung des nie zur Durchführung gelangten Vertrags den Ersatz von Vertragsschlußkosten (in Gestalt der Maklerprovision, die sie für die Vermittlung des Vertragsschlusses bezahlt hatte) und berief sich hierzu auf die Rentabilitätsvermutung. Die Vermieter hätten indes nach der Vereinbarung der Parteien aufgrund einer zwischenzeitlich eingetretenen Störung »unter Ausschluß gegenseitiger Schadensersatzansprüche« vom Vertrag zurücktreten können. Aufgrund der Rücktrittsmöglichkeit hielt der BGH die Rentabilitätsvermutung für widerlegt: »Solange es im Belieben der Vermieter steht, schon vor der Überlassung der Mietsache an die Mieterin von dem Vertrag zurückzutreten, hat die Mieterin keine hinreichend gesicherte Aussicht, daß Aufwendungen, die sie im Zusammenhang mit dem Zustandekommen des Mietvertrags gemacht hat, durch Vorteile ausgeglichen werden, die sie durch die Überlassung der Mietsache hätte. Die Mieterin muß damit rechnen, daß sie, wenn die Vermieter von ihrem Rücktrittsrecht Gebrauch machen, die Aufwendungen selbst tragen muß, ohne in irgendeiner Form eine Gegenleistung zu erhalten.«328 Die hier vom BGH im Zusammenhang mit der Rentabilitätsvermutung angestellte Überlegung hätte ebenso Geltung beanspruchen können, wenn die Mieterin den Ersatz ihrer Vertragsschlußkosten im Rahmen eines Anspruchs auf Ersatz des negativen Interesses etwa aus § 122 BGB verfolgt hätte: Die anläßlich des Vertragsschlusses anfallenden Aufwendungen der auf die Gültigkeit des Vertrags vertrauenden Partei sind Teil des ersatzfähigen Vertrauensschadens329. Doch die 327

BGH 30. 6. 1993, BGHZ 123, 96. BGH (wie vorige Fn.), 101. 329 Siehe oben, Abschnitt II 1 b. – Als Vertragsschlußkosten wären in einem solchen Fall allerdings nicht die in casu geltend gemachten Maklerkosten in Betracht gekommen, denn die Pfl icht zur Zahlung der Maklerprovision nach § 652 BGB hängt von der Wirksamkeit des Hauptver328

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rechtliche Möglichkeit der Vermieter, den Nutzen dieser Aufwendungen durch den Rücktritt vom Vertrag zunichte zu machen, ließ die Nutzlosigkeit der Aufwendungen zu einem Risiko werden, das die Mieterin auch bei Wirksamkeit des Vertrags getroffen hätte. Das heißt: Selbst wenn der Betrag des Erfüllungsinteresses der Mieterin höher gewesen sein sollte als der Betrag ihres Vertrauensschadens, hätte das Erfüllungsinteresse in dem hypothetischen Fall der Wirksamkeit des Vertrags wegen des vertraglichen Rücktrittsrechts der Vermieter keinen rechtlichen Schutz genossen. Damit aber handelt es sich bei dem Verlust der Aufwendungen, jedenfalls solange das Rücktrittsrecht bei (gedachter) Vertragswirksamkeit besteht 330 , um ein »Wagnis«, das die Mieterin »mit Eingehung des Vertrags übernommen hat«331. Der Mieterin die Folgen der Verwirklichung des von ihr übernommenen Risikos abzunehmen, kann nicht Zweck der Haftung auf das negative Interesse sein: Genauso wie in dem Fall des Abschlusses eines verlustbringenden Geschäfts gilt es auch hier zu vermeiden, daß der Gläubiger aus dem Schutz seines Vertrauensinteresses einen »windfall profit« in Gestalt eines Vorteils bezieht, der ihm bei Abschluß eines wirksamen Geschäfts nicht zuteil geworden wäre. Dieser Gedanke ist verallgemeinerungsfähig: Dem Gläubiger eines Anspruchs auf das negative Interesses sind solche Schäden nicht zu ersetzen, die er auch bei einer intakten rechtsgeschäftlichen Bindung seines Gegenübers kompensationslos hätte hinnehmen müssen. Außer durch den Betrag des positiven Interesses ist die Haftung auf das negative Interesse also auch durch den hypothetischen Schutz begrenzt, den die Rechtsordnung dem positiven Interesse durch die Gewährung von Erfüllungs- und/oder Schadensersatzansprüchen zukommen ließe, wenn die Erklärung des Schuldners wirksam wäre. Die Haftung auf das negative Interesse steht damit zur Haftung auf das positive Interesse im Verhältnis der Komplemen-

trags ab, welche in den Fällen des § 122 BGB fehlt. Man kann sich aber, ohne daß sich in der Sache etwas ändert, an deren Stelle eine andere Schadensposition, etwa Beurkundungskosten, denken. – Zur Ersatzfähigkeit von Maklerkosten als Teil des nach § 284 BGB zu ersetzenden negativen Interesses vgl. Althammer, NZM 2003, 129 ff. 330 Ist (etwa infolge Wegfalls der Voraussetzungen des Rücktrittsrechts) der Schwebezustand beendet und der Vertrag nicht mehr aufhebbar, verliert die Aufwendung ihren Wagnischarakter und ist dementsprechend im Falle eines dann eintretenden Fehlschlags zu ersetzen. Eine solche Konstellation lag dem Urteil des BGH vom 26. 3. 1999, ZIP 1999, 845 = JZ 2000, 100 (m.Anm. Timme; zu dem Urteil außerdem de Verda y Beamonte/Schobel, 3 ERPL 453 ff. (2002)) zugrunde: Der Käufer eines Grundstücks hatte Aufwendungen zu einem Zeitpunkt getätigt, in dem der durch einen vollmachtlosen Vertreter geschlossene Vertrag noch schwebend unwirksam war. Die Genehmigung wurde später erteilt, und erst dann verweigerte die Verkäuferin die Erfüllung und löste dadurch den Schadensersatzanspruch des Käufers aus. Der BGH gewährte den Ersatz der Aufwendungen unter Rückgriff auf die Rentabilitätsvermutung und berief sich zur Abgrenzung von dem Urteil BGH 30. 6. 1993, BGHZ 123, 96, darauf, daß hier, anders als in jenem Fall, der Schwebezustand vor dem Eintritt des den Ersatzanspruch auslösenden Umstands beendet worden sei. Auch dieser Fall wäre, wenn man einen Anspruch auf Ersatz des negativen Interesses gewährte, nicht anders zu entscheiden. 331 RG 22. 6. 1936, RGZ 151, 357, 358 f.

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tarität: Wenn dem Gläubiger bei gedachter Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts nicht dem Grunde nach ein Anspruch auf Ersatz des positiven Interesses zustünde, hat er aufgrund des unwirksamen Rechtsgeschäfts auch keinen Anspruch auf Ersatz des negativen Interesses. An diese Feststellung sind zwei wichtige Folgerungen zu knüpfen: Zum einen ist dem Gläubiger der Ersatz von Vertrauensschäden nicht nur dann zu versagen, wenn der Schuldner seiner hypothetischen Pflicht zur Erfüllung oder zum Ersatz des Erfüllungsinteresses durch Rücktritt hätte entgehen können, sondern auch dann, wenn er aufgrund eines Leistungshindernisses kraft Gesetzes von dieser hypothetischen Pflicht befreit worden wäre. Wäre der Vermieter in unserem der BGH-Rechtsprechung entlehnten Beispiel also durch die Unmöglichkeit seiner Leistung nach § 275 I BGB von der Leistungspflicht frei geworden und hätte ihn auch keine Pfl icht zum Schadensersatz statt der Leistung getroffen, weil er den (nachträglichen) Eintritt der Unmöglichkeit nicht zu vertreten hatte332 oder deren (anfängliches) Vorliegen weder kannte noch seine Unkenntnis zu vertreten hatte333, so schuldete er dem Mieter auch nicht den Ersatz des negativen Interesses nach § 122 BGB. Entsprechendes gilt für die Haftung aus § 179 II BGB334. Diese Konsequenz der Begrenzung der Haftung auf das negative Interesse auf die Fälle, in denen das positive Interesse hypothetisch geschützt wäre, wird von denjenigen übersehen, die eine Haftung aus § 122 BGB postulieren, wenn sich der Schuldner einer anfänglich unmöglichen Leistung nach § 311 a II 2 BGB entlasten kann 335 : Die in § 311a II BGB zum Ausdruck kommende Entscheidung des Gesetzes, das positive Interesse ungeschützt zu lassen, wenn der Schuldner sich in einem unverschuldeten Irrtum über das Vorliegen eines Leistungshindernisses befindet, bestimmt zugleich die Grenzen des Schutzes des negativen Interesses nach § 122 BGB. Eine auf § 122 BGB gestützte Haftung auf das negative Interesse jenseits der Haftung aus § 311a II BGB kommt deshalb nicht in Betracht 336 .

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Nach § 280 I 2 BGB. Nach § 311a II 2 BGB. 334 Die Haftung des Vertreters ohne Vertretungsmacht scheidet also nicht nur dann aus, wenn der von dem falsus procurator geschlossene Vertrag aus anderen Gründen als dem Fehlen der Vertretungsmacht unwirksam ist (dazu m.w.Nachw. Staudinger/Schilken, § 179 Rz. 9), sondern auch dann, wenn der Vertragspartner gegen den Vertretenen auch bei Vorliegen eines wirksamen Vertrags infolge eines nicht zu vertretenden, leistungsbefreienden Hindernisses weder einen Erfüllungsanspruch noch einen Anspruch auf Schadensersatz erworben hätte. 335 Dafür die Regierungsbegründung, BT-Drucks. 14/6040, S. 166 (»gangbarer Lösungsansatz«); Canaris, in: Die Schuldrechtsreform vor dem Hintergrund des Gemeinschaftsrechts, S. 43, 64; ders., JZ 2001, 499, 507 f.; Hk-BGB/Schulze, § 311a Rz. 9; dagegen AnwKom Schuldrechtsreform/Dauner-Lieb, § 311a Rz. 18; dies./Dötsch, DB 2001, 2535, 2539; Bamberger/Roth/ Gehrlein, § 311a Rz. 12; Faust, in: P. Huber/Faust, Schuldrechtsmodernisierung, Rz. 7/36 ff. (S. 220 f.); Jauernig/Stadler, § 311a Rz. 12; MünchKomm/Ernst, § 311a Rz. 41; Palandt/Grüneberg, § 311a Rz. 15; Schulte-Nölke/Behren, ZGS 2002, 256, 259; wohl auch Ehmann/Sutschet, Modernisiertes Schuldrecht, S. 126. 336 Näher dazu unten, § 11 III 1 c bb. 333

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Zum anderen gebührt dem Gläubiger kein Ersatz von Vertrauensschäden, deren Ersatz ihm bei Wirksamkeit des Vertrags wegen ordnungsgemäßer Erfüllung seines hypothetischen Leistungsanspruchs nicht zugestanden hätte. Man stelle sich etwa, in Abwandlung einer im Schrifttum kritisch aufgenommenen Entscheidung des BGH337 zum Schutzbereich der deliktischen Haftung, vor, jemand habe sich bei dem Verkauf eines Gebrauchtwagens in einem Erklärungsirrtum befunden, also etwa den Kaufpreis infolge eines Schreibfehlers mit »10.000 A« statt mit »11.000 A« beziffert. Als die – nach Aufdeckung des Irrtums unverzüglich erfolgte – Anfechtungserklärung des Verkäufers dem Käufer zugeht, hat dieser bereits mit dem Wagen einen Totalschaden erlitten. Soll der Käufer im Rahmen seines Anspruchs aus § 122 BGB vom Verkäufer den Ersatz des bereits gezahlten Kaufpreises verlangen können? Ohne den wegen Anfechtung nichtigen Kaufabschluß hätte der Käufer das Auto nicht erhalten und den Kaufpreis nicht entrichtet. Wer den Käufer so stellen will, wie er ohne den Vertragsabschluß stünde, müßte ihm also auf der Grundlage von § 122 BGB den Ersatz des Kaufpreises zusprechen. Aber auch hier gilt: Der Käufer darf von dem Umstand, daß der Vertrag als von Anfang unwirksam zu behandeln ist, nicht profitieren und besser gestellt werden, als er bei einer wirksamen, pflichtgemäß erfüllten vertraglichen Bindung des Verkäufers stünde. Wäre der Vertrag unangefochten und damit wirksam geblieben, hätten dem Käufer, dessen Leistungsanspruch bereits durch Erfüllung erloschen war und der keinen Nichterfüllungsschaden zu beklagen hatte, keinerlei Rechte gegen den Verkäufer zugestanden. Genauso (und nicht besser) muß er dann aber auch bei der infolge Anfechtung eingetretenen Unwirksamkeit stehen 338.

2. Der Ausschluß bei Kenntnis oder Kennenmüssen Nach § 122 II BGB tritt die Pflicht zum Ersatz von Vertrauensschäden nicht ein, wenn der Geschädigte den Grund der Nichtigkeit kannte oder kennen mußte, d. h. 337 BGH 14. 10. 1971, BGHZ 57, 137 = JZ 1972, 438 m.abl.Anm. Lieb; kritisch zur Entscheidung des BGH auch v. Caemmerer, in: 1. FS Larenz, S. 621, 641; Flessner, NJW 1972, 1777 ff.; Honsell, NJW 1973, 350 ff.; U. Huber, JuS 1972, 439 ff.; Lange/Schiemann, Schadensersatz, § 3 IX 7 Fn. 212 (S. 116). 338 In dem Fall BGHZ 57, 137, stützte der Käufer, der mit dem Auto einen Totalschaden erlitten hatte, seinen Anspruch auf Kaufpreisrückzahlung Zug um Zug gegen Herausgabe des Autowracks gegen einen Angestellten der Verkäuferin, der ihn über die Unfallfreiheit getäuscht hatte, auf § 823 II BGB i. V. m. § 263 StGB und gegen die Verkäuferin selbst auf § 831 BGB und auf § 812 BGB. Der BGH hielt die Ansprüche dem Grunde nach für gegeben, rechnete dem Käufer aber sein Verschulden an der Zerstörung des Autos nach § 254 BGB (bei den Deliktsansprüchen) bzw. § 242 BGB (bei dem Bereicherungsanspruch) anspruchsmindernd an. Dieser Entscheidung ist aus der Erwägung zu widersprechen, die im Text zu § 122 BGB vorgetragen wurde: Es gibt keinen Grund dafür, den getäuschten Käufer des Unfallautos besser zu stellen als den Käufer eines mangelfreien Autos. Dem Käufer war daher nur der Minderwert des Unfallautos zu ersetzen, während der Unfallschaden als solcher, was die deliktische Haftung betrifft, außerhalb des Schutzbereichs der Norm lag. Zum Bereicherungsanspruch vgl. Flessner, NJW 1972, 1777, 1779 ff.; Honsell, NJW 1973, 350 ff.; U. Huber, JuS 1972, 439, 442 ff.; Lieb, JZ 1972, 442, 444.

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infolge von Fahrlässigkeit nicht kannte. Gleiches gilt nach § 179 III 1 BGB, wenn der Vertragspartner den Mangel der Vertretungsmacht kannte oder kennen mußte. Damit ist hinsichtlich der Entstehung des Schadensersatzanspruchs die Anwendung von § 254 BGB ausgeschlossen 339. Vereinzelt erblickt man darin einen Ausdruck des Gedankens der Culpakompensation 340. Dann allerdings muß der Haftungsausschluß als schwer erklärliche Anomalie im Vergleich zu der Grundregel des § 254 BGB erscheinen. Dies wird vermieden, wenn man den Ausschluß aus der besonderen Begründung der Haftung nach den §§ 122, 179 II BGB erklärt: Danach weisen diese Regelungen dem Verpflichteten keine Verantwortlichkeit für vorvertragliches Verschulden 341, sondern für seine Willenserklärung zu, mit der er (im Fall des § 122 BGB) bei seinem Gegenüber das Vertrauen auf eine eigene rechtsgeschäftliche Bindung oder (im Fall des § 179 II BGB) auf das Vorliegen von Vertretungsmacht und damit auf eine Bindung des Vertretenen geweckt hat 342. Der Empfänger ist, was die Erklärung betrifft, entweder schutzwürdig oder nicht. Auf diese Weise gelangt man zwangsläufig zu einem Alles-oder-Nichts-Prinzip343. Die ökonomischen Überlegungen im ersten Teil dieser Untersuchung liefern hierfür das rechtspolitische Fundament 344 : Die politische Legitimation der Haftung auf das negative Interesse steht und fällt mit dem Bedürfnis, die Folgen asymmetrischer Informationsverteilung zwischen Versprechenden und Versprechensempfänger im Hinblick auf das Risiko der Nichterfüllung des Versprechens (oder, bei Behauptungen mit Geltungsanspruch: das Risiko der Falsifikation) haftungsrechtlich zu korrigieren. Mangels asymmetrischer Informationslage besteht dieses Bedürfnis nicht, wenn der Empfänger des Versprechens von dem Nichterfüllungsrisiko Kenntnis hat. Ebensowenig besteht es, wenn der Empfänger das Risiko mit geringerem Aufwand ermitteln kann als der Versprechende selbst. Dem trägt das positive Recht durch den Ausschluß der Haftung bei Kenntnis oder Kennenmüssen des Nichtigkeits- oder Anfechtungsgrundes bzw. des Fehlens der Vertretungsmacht Rechnung: Wer weiß oder zumindest mit effizientem Aufwand herausfinden kann, daß die ihm gegenüber äußerlich begründete rechtsgeschäftliche Bindung unter einem Defekt leidet, aufgrund dessen er sich auf ihre Einhaltung nicht verlassen kann, bedarf nicht des rechtlichen Schutzes. Diese Erwägung kommt nicht nur bei der Haftung aus den §§ 122, 179 II BGB zum Tragen, sondern läßt sich immer dann zur Geltung bringen, wenn die Pflicht zum Ersatz des negativen Interesses an den Tatbestand einer unwirksamen rechtsgeschäftlichen oder außer-

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Grundlegend RG 19. 2. 1904, RGZ 57, 87, 89 f., mit Bezug auf § 122 BGB. So Esser/E. Schmidt, Schuldrecht AT II, § 35 IV mit Fn. 118 (S. 287). 341 Etwa in dem Fall eines Inhaltsirrtums dafür, daß er sich vor Abgabe der Erklärung nicht hinreichend um die Aufklärung des Sinns seiner Worte bemüht hat. 342 Näher zur Einordnung der Tatbestände der §§ 122, 179 II BGB unten, § 12 II 1, 2. 343 So bereits Looschelders, Mitverantwortlichkeit, S. 49. 344 Dazu oben, § 5 III 2 b aa. 340

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rechtsgeschäftlichen Selbstbindung angeknüpft wird 345. Zugleich erlaubt sie die Beantwortung von Zweifelsfragen, die sich um die Bedeutung und die Reichweite des Haftungsausschlusses ranken. a) Haftungsausschluß bei Verschulden des Erklärenden? Die erste dieser Fragen betrifft die Behandlung der Fälle, in denen den Erklärenden ein Verschulden an dem Grund der Unwirksamkeit trifft. Hier erscheint es unangemessen, dem Erklärungsempfänger, der sich in lediglich fahrlässiger Unkenntnis des Mangels befindet, aufgrund der Regelung in den §§ 122 II, 179 III 1 BGB jeglichen Vertrauensschutz zu verweigern. Teile der Literatur vermeiden dieses Ergebnis, indem sie Ersatzansprüche des Erklärungsempfängers auf die Grundlage der c.i.c. stützen, bei der ein Mitverschulden nach § 254 BGB nur anspruchsmindernd und nicht -ausschließend wirkt 346 . Seit der Kodifikation der c.i.c. in den §§ 280 I, 241 II, 311 II BGB kann man dagegen zwar nicht mehr den Einwand erheben, daß es insoweit an der Regelungslücke fehle, die erforderlich sei, um auf ein im Wege der Rechtsfortbildung entwickeltes Rechtsinstitut zurückgreifen zu können 347. Es bleibt aber dabei, daß die Konstruktion einer schuldhaften Schutzpflichtverletzung (mit Bezug auf den Mangel der Erklärung oder der Vertretungsmacht 348) der in den §§ 122, 179 BGB getroffenen Wertung zuwiderliefe, daß bei Kenntnis oder fahrlässiger Unkenntnis des Erklärungsempfängers die Haftung ausgeschlossen und nicht nur reduziert sein soll349 – die Frage, ob der Erklärungsempfänger auf die Wirksamkeit der Erklärung oder auf das Vorliegen der Vertretungsmacht des Erklärenden vertrauen darf, kann und soll danach nur mit »Ja« oder »Nein« beantwortet werden. Wer aus diesem Grund eine mit den §§ 122, 179 BGB konkurrierende Verschuldenshaftung des Erklärenden ablehnt, welche die von den §§ 122 II, 179 III 1 BGB scheinbar geöffnete Haftungslücke schließen könnte, muß sich gleichwohl nicht damit abfinden, daß der geschädigte Erklärungsempfänger, der den Mangel ohne große Anstrengung hätte erkennen können, auch dann leer ausgeht, wenn der Erklärende seinerseits den Mangel ebenso leicht oder sogar noch leichter hätte erkennen können. Die Lösung liegt indes nicht in der Anwendung der c.i.c., sondern in der Interpretation des »Kennenmüssens« als Ausschlußgrund für die Haftung aus 345

Dazu unten, §§ 12, 13. Dafür (mit Bezug auf § 122 BGB) Hk-BGB/Dörner, § 122 Rz. 5; Jauernig/Jauernig, § 122 Rz. 5; Palandt/Heinrichs, § 122 Rz. 6; Staudinger12 /Dilcher, § 122 Rz. 13; (im Hinblick auf § 179 BGB) Prölss, JuS 1986, 169, 172 f.; Staudinger/Schilken, § 179 Rz. 20. Dagegen (allgemein) Looschelders, Mitverantwortlichkeit, S. 51; (mit Blick auf schuldhafte Schädigungen infolge Fehlens der Vertretungsmacht) MünchKomm/Schramm, § 177 Rz. 58; RGRK/Steffen, § 179 Rz. 18; Soergel/Leptien, § 179 Rz. 23. 347 So noch Looschelders, Mitverantwortlichkeit, S. 51. 348 Daß der Anfechtende oder der Vertreter ohne Vertretungsmacht in anderer Hinsicht wegen der schuldhaften Verletzung einer ihn treffenden vorvertraglichen Schutzpfl icht haften kann, wird damit also nicht bestritten. 349 Insoweit ist Looschelders, Mitverantwortlichkeit, S. 51 f., beizupfl ichten. 346

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den §§ 122, 179 BGB: Der Maßstab, anhand dessen die Fahrlässigkeit des Erklärungsempfängers zu bestimmen ist, sollte nicht absolut, sondern relativ, nämlich im Vergleich zu der Position des Erklärenden bestimmt werden 350. Der nach den §§ 122 I, 179 II BGB Anspruchsberechtigte befindet sich daher nur dann in fahrlässiger Unkenntnis des Mangels, wenn seine Möglichkeit, von dem Mangel Kenntnis zu erlangen, der des Erklärenden überlegen ist. Hat ein Vertreter ohne Vertretungsmacht es also beispielsweise unterlassen, einem sich aufgrund bestimmter Umstände aufdrängenden Zweifel an der Wirksamkeit der ihm erteilten Vollmacht nachzugehen, wird er sich nicht dadurch von der Haftung aus § 179 II BGB entlasten können, daß der Geschäftsgegner diese auch ihm bekannten Umstände ebenfalls nicht zum Anlaß genommen hat, die Vertretungsmacht zu überprüfen. Nur dann, wenn der Geschäftsgegner über weitere, dem Vertreter unbekannte Informationen verfügte, die auf den Mangel der Vertretungsmacht hinwiesen, kann man sagen, daß er (und nicht der Vertreter) davon Kenntnis haben mußte und sein Anspruch daher nach § 179 III 1 BGB ausgeschlossen ist. Das hier vorgeschlagene Verständnis des »Kennenmüssens« als Grund des Haftungsausschlusses351 ist nicht allein der Billigkeit geschuldet. Das Bedürfnis, den Erklärungsempfänger nicht schutzlos zu stellen, wenn ihn eine geringere Verantwortlichkeit für die Entstehung des Vertrauensschadens trifft als den Erklärenden, verdankt sich ebensosehr der Einsicht in die Erfordernisse ökonomischer Effizienz: Den durch die Erklärung verursachten Vertrauensschaden beim Erklärungsempfänger zu belassen, ist nur dann wirtschaftlich sinnvoll, wenn er den Schaden mit einem geringeren Aufwand vermeiden konnte als der Erklärende selbst 352. Die relative Bestimmung des »Kennenmüssens« trägt dieser Einsicht Rechnung. b) Haftungssausschluß bei Veranlassung des Mangels durch den Erklärungsempfänger? Mit Blick auf die Haftung aus § 122 BGB stellt sich die weitere Frage, ob die Haftung auch dann ausgeschlossen ist, wenn der Erklärungsadressat den Grund der Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit zwar weder kannte noch kennen mußte, er ihn aber – schuldhaft oder unverschuldet – veranlaßt hat 353. Hierzu entschied das 350

Ebenso im Ergebnis HKK/Schermaier, §§ 116–124 Rz. 97. Anzumerken ist, daß dieser Ansatz bei § 179 I BGB an eine positivrechtliche Grenze stößt: Gegenüber einem wissentlich ohne Vertretungsmacht handelnden Vertreter dürfte der andere Teil nach dem hier vertretenen Ansatz nur dann schutzlos bleiben, wenn er seinerseits ebenfalls von dem Fehlen der Vertretungsmacht wußte. § 179 III 1 BGB macht insoweit allerdings keine Einschränkung und läßt auch die Haftung aus § 179 I BGB schon bei fahrlässiger Unkenntnis und nicht nur bei Kenntnis entfallen (so auch Staudinger/Schilken, § 179 Rz. 19). Das ist de lege lata hinzuehmen, aber rechtspolitisch zu kritisieren. 352 Siehe oben, § 5 III 2 b aa. 353 Bei § 179 BGB wird die Frage kaum je praktisch relevant werden: Es müßte sich um einen Fall handeln, in dem der Vertragspartner das Fehlen der Vertretungsmacht veranlaßt hat. 351

III. Grenzen der Schadensersatzpfl icht

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Reichsgericht unter Berufung auf die exceptio doli generalis, daß der Geschädigte, der den Irrtum selbst verursacht hat, dem Anfechtenden dafür aufzukommen habe, »daß er den Irrtum hervorgerufen hat, und dieses Aufkommen besteht darin, daß er den Anspruch nicht geltend macht.«354 Auf ein Verschulden des Gegners komme es nicht an: »Die in § 122 BGB anerkannte Schadensersatzpflicht ist unabhängig von einem Verschulden des Erklärenden und beruht [. . .] auf dem reinen Veranlassungsprinzip. Es ist deshalb anderseits durchaus gerechtfertigt, auch den Ausschluß der Haftbarkeit ohne Rücksicht auf eine Fahrlässigkeit bei Verursachung des Irrtums eintreten zu lassen.«355 Der BGH griff in einer späteren Entscheidung die Erwägung über die Erheblichkeit auch der schuldlosen Veranlassung des Irrtums durch den Geschädigten zwar auf, hielt aber jedenfalls für den Fall fehlenden Verschuldens einen Haftungsausschluß für unangemessen und statt dessen eine Abwägung nach § 254 I BGB für geboten 356 . In der Literatur hat diese Rechtsprechung überwiegend Zustimmung, aber auch Widerspruch gefunden 357. Man kommt zunächst nicht umhin festzustellen, daß sich die Bedeutung der Problematik auf ein vergleichsweise schmales Segment von Sachverhalten beschränkt: Wer – beispielsweise durch falsche Angaben über verkehrswesentliche Eigenschaften des Vertragsgegenstands358 – einen zur Anfechtung berechtigenden Irrtum seines Gegenübers erregt hat, wird sich oft zumindest vorhalten lassen müssen, daß er den Irrtum erkennen mußte, und kann daher schon nach § 122 II BGB (in unmittelbarer Anwendung) keinen Schadensersatz beanspruchen 359. Was die verbleibenden Fälle betrifft, kann der Rechtsprechung zumindest in der von ihr gewählten Begründung nicht gefolgt werden: Wie bei der Einordnung des Tatbestands des § 122 BGB noch zu erläutern sein wird360 , statuiert diese Norm keine Haftung für Willensmängel nach dem Veranlassungsprinzip, sondern eine Verantwortlichkeit für einen dem Erklärenden zurechenbaren Erklärungstatbestand.

354

RG 25. 2. 1913, RGZ 81, 394, 399. Wie vorige Fn. 356 BGH 14. 3. 1969, NJW 1969, 1380. 357 Zustimmend Bamberger/Roth/Wendtland, § 122 Rz. 6; Jauernig/Jauernig, § 122 Rz. 4; Larenz/Wolf, AT, § 36 Rz. 128 (S. 693); Looschelders, Mitverantwortlichkeit, S. 426; Palandt/Heinrichs, § 122 Rz. 5; Lange/Schiemann, Schadensersatz, § 10 VII 2 (S. 560); RGRK/Krüger-Nieland, § 122 Rz. 6; Soergel/Hefermehl, § 122 Rz. 6; Staudinger12 /Dilcher, § 122 Rz. 13; kritisch Medicus, AT, Rz. 786; MünchKomm/Kramer, § 122 Rz. 12; Staudinger/Schiemann, § 254 Rz. 13. 358 Dieser Sachverhalt lag dem Urteil des Reichsgerichts vom 25. 2. 1913, RGZ 81, 394, zugrunde. 359 In dem vom RG (vorige Fn.) entschiedenen Fall lag es nahe, daß der sich auf § 122 BGB stützenden Klägerin zumindest der Vorwurf fahrlässiger Unkenntnis zu machen war: Es handelte sich um ein Zucker herstellendes Unternehmen, das auf dem von ihr gepachteten Grundstück des beklagten Gutsbesitzers eine Fabrikanlage errichten wollte und dessen Genehmigung durch eine falsche Darstellung der von der Anlage ausgehenden Störungen erhalten hatte. Das RG (a.a.O., 398) hob das Berufungsurteil auch deshalb auf, weil es eine fahrlässige Unkenntnis der Klägerin (unter Übergehung eines Beweisantritts des Beklagten) für nicht nachgewiesen hielt. – Zu dem Urteil BGH 14. 3. 1969, NJW 1969, 1380, ist der Sachverhalt nicht mitgeteilt worden. 360 Siehe unten, § 12 II 1. 355

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§ 10 Umfang und Grenzen der Ersatzfähigkeit des negativen Interesses

Die Verantwortung für die eigene Erklärung wird nun aber nicht allein dadurch aufgehoben oder geschmälert, daß ein anderer, der auf deren Geltung vertraut, eine Ursache für den Willensmangel gesetzt hat, der die Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit der Erklärung begründet 361. So darf man in dem Fall einer Anfechtung wegen eines für den Empfänger unerkennbaren Inhaltsirrtums die Haftung des Erklärenden nach § 122 BGB nicht schon deshalb für ausgeschlossen halten, weil der Erklärungsempfänger das von dem Erklärenden mißverstandene Wort in den von beiden Seiten unterschriebenen Vertragstext eingebracht und den Irrtum dadurch veranlaßt hat. Anders verhält es sich selbstverständlich dann, wenn der Erklärungsempfänger den zur Anfechtung berechtigenden Irrtum durch ein Verhalten (etwa in dem soeben gebildeten Beispiel: durch eine vorvertragliche Fehlinformation über die Bedeutung des in dem Vertragstext verwendeten Worts) verursacht hat, das dem Erklärenden die Möglichkeit eröffnet, die Vertragsaufhebung auf der Grundlage der c.i.c. 362 zu verlangen: Nimmt der Erklärende den Empfänger nicht auf die »Rückgängigmachung« des Vertrags in Anspruch, sondern wählt er statt dessen die Anfechtung nach § 119 BGB, kann er dem Anspruch aus § 122 BGB den Einwand »dolo agit, qui petit, quod statim redditurus est« entgegensetzen, weil nicht er, sondern der Empfänger letztlich für den entstandenen Vertrauensschaden einzustehen hat.

3. Die Berücksichtigung des Mitverschuldens nach § 254 II 1 BGB Zurückgehend auf eine Entscheidung des Reichsgerichts aus dem Jahre 1927363 zu § 122 BGB ist in der Literatur einhellig anerkannt, daß der Anspruch auf Ersatz des negativen Interesse nach § 254 II 1 2. Alt. BGB herabzusetzen ist, wenn der Geschädigte es unterlassen hat, den Schaden abzuwenden oder zu mindern (dazu a) 364. Daß dies nach § 254 II 1 1. Alt. BGB auch dann gilt, wenn der Geschädigte es unterlassen hat, auf die Gefahr eines außergewöhnlich hohen Schadens aufmerksam zu machen, ist dagegen eine im Hinblick auf die Haftung auf das negative Interesse bisher unbeachtete und auch sonst meist nicht hinreichend gewürdigte Grenze des Ersatzanspruchs (dazu b).

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Ebenso Medicus, AT, Rz. 786. Zur Zulässigkeit der schadensrechtlichen Vertragsaufhebung neben § 123 BGB siehe oben, Abschnitt II 3 b. 363 RG 22. 1. 1927, RGZ 116, 15, 19 f. 364 In diesem Sinne Flume, Rechtsgeschäft, § 21, 7 (S. 424); MünchKomm/Kramer, § 122 Rz. 8; Palandt/Heinrichs, § 122 Rz. 5; Soergel/Hefermehl, § 122 Rz. 6; Staudinger12 /Dilcher, § 122 Rz. 10. 362

III. Grenzen der Schadensersatzpfl icht

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a) Die Obliegenheit zur Schadensabwendung oder -minderung Der Haftungsausschluß bei Kenntnis oder fahrlässiger Unkenntnis des Geschädigten nach den §§ 122 II, 179 III 1 BGB markiert die Grenzen der Schutzwürdigkeit des Vertrauens auf die Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts. Er betrifft damit die Haftungsbegründung und nicht die Haftungsausfüllung365. Soweit den Geschädigten dagegen eine Mitverantwortung für den Schaden im Rahmen der haftungsausfüllenden Kausalität trifft, bleibt Raum für die Anwendung von § 254 BGB366 . Das heißt: Ist der Geschädigte für die Schadensentwicklung, die sich an die Begründung schutzwürdigen Vertrauens durch den Erklärenden anschließt, mitverantwortlich, ist sein Ersatzanspruch nach Maßgabe des Mitverschuldens herabzusetzen. Exemplarisch verdeutlicht dies die bereits angeführte Leitentscheidung des Reichsgerichts: Nachdem der Auftrag zum Ankauf von Wertpapieren von dem Inhaber eines Wertpapierdepots der ausführenden Bank gegenüber wegen Irrtums angefochten worden war, kam als anspruchsmindernd der Umstand in Betracht, daß die Bank den Schaden nach einem zwischenzeitlichen Kursanstieg nicht durch eine Veräußerung der Papiere reduziert hatte367. Dieses de lege lata nicht angreifbare Ergebnis mag man rechtspolitisch in Zweifel ziehen: Unter Rechtsökonomen ist man geteilter Meinung darüber368 , ob der Einfluß des Geschädigten auf die Schadensreduzierung oder -vermeidung besser durch das Quotenteilungsprinzip oder durch das Ausschlußprinzip gesteuert wird, das in Deutschland bis zum Inkrafttreten des BGB als gemeinrechtliche Regel galt 369 und als tradierte Regel des Common Law (»contributory negligence«) in einer Anzahl US-amerikanischer Bundesstaaten nach wie vor Anwendung findet 370. Beide Regelungsmodelle bieten gewiß effiziente Verhaltensanreize. Ob die erhöhten Kosten der – im Vergleich zur Culpakompensation schwierigeren – gerichtlichen Anwendung einer Teilungsregel durch Vorteile bei der Risikoverteilung aufgewogen werden, sei hier dahingestellt; immerhin kann man das anhaltende Vordringen dieser Regel371 als empirischen Anhaltspunkt dafür werten, daß es

365 Zur Möglichkeit der Abgrenzung zwischen Haftungsbegründung und Haftungsausfüllung bei der Haftung auf das negative Interesse vgl. bereits die Ausführungen zur Beweislastverteilung in Abschnitt I 3 a aa. 366 Allgemein zu der Möglichkeit, bei der Anwendung von § 254 BGB zwischen dem haftungsbegründenden und dem haftungsausfüllenden Kausalverlauf zu unterscheiden, Looschelders, Mitverantwortlichkeit, S. 168 f. 367 RG 22. 1. 1927, RGZ 116, 15, 19 f. 368 Vgl. z. B. einerseits die kritische Sicht der Quotenteilung (»comparative negligence«) bei Chung, in: New Palgrave Bd. 1, S. 352 ff.; R. Posner, Economic Analysis, S. 172 ff., andererseits Adams, Gefährdungs- und Verschuldenshaftung, S. 65 ff. 369 Dazu Looschelders, Mitverantwortlichkeit, S. 20 ff. 370 Dazu Looschelders, Mitverantwortlichkeit, S. 92 ff. 371 R. Posner, Economic Analysis, S. 175, erblickt in diesem Phänomen »a mystery to the positive economic theorist of the common law«.

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§ 10 Umfang und Grenzen der Ersatzfähigkeit des negativen Interesses

um ihre Wirtschaftlichkeit (und nicht nur um ihre Einträglichkeit für die mit ihrer Anwendung befaßten Juristen 372) nicht allzu schlecht bestellt sein kann. Die Schadensminderungsobliegenheit bietet freilich eine gewisse Anwendungsschwierigkeit, was den Ersatz fehlgeschlagener Aufwendungen betrifft: Im Schrifttum wird teilweise formuliert, der Gläubiger sei nach § 254 II 1 2. Alt. BGB gehalten, aus seinen Aufwendungen »das Beste zu machen«373. Soweit der Gläubiger mit seinen Aufwendungen einen Gewinnerzielungszweck verfolgte, ist gegen diese Umschreibung der Schadensminderungsobliegenheit nichts einzuwenden – wer nur auf einen Gewinn aus ist, macht, ohne daß er diese Zwecksetzung preisgibt, aus seinen Mitteln das Beste, indem er in jeder gegebenen Situation die gewinnträchtigste Einsatzmöglichkeit für sie wählt. Deshalb wäre es nicht einzusehen, daß derjenige, der vergeblich auf einen Gewinn aus einem bestimmten Geschäft hoffte, die für dieses Geschäft gemachten Aufwendungen nicht mehr im Rahmen des Möglichen »umwidmen« sollte, um doch noch einen Gewinn zu erwirtschaften oder jedenfalls Verluste zu minimieren. Verfolgt der Gläubiger mit der Aufwendung dagegen keine Gewinnerzielungsabsicht, sondern einen konsumtiven oder ideellen Zweck, darf die Schadensminderungsobliegenheit nicht dazu führen, daß der Gläubiger den von ihm gewählten Aufwendungszweck zugunsten eines anderen, wenn auch verwandten Zwecks aufgeben muß374, denn das Schadensrecht hat die Präferenzen des einzelnen zu respektieren und nicht zu steuern. Festhalten darf man den Gläubiger allein an der Präferenz, die er in der (vermeintlich wirksamen) rechtsgeschäftlichen Bindung zum Ausdruck brachte, die er zum Anlaß für seine Aufwendungen genommen hat. Deshalb bleibt hier für die Forderung, der Gläubiger habe das Beste aus seinen Aufwendungen zu machen, nur Raum, wenn die Leistung, die er mit Hilfe dieser Aufwendungen erwerben und nutzen wollte, nach ihrer vertraglich vereinbarten Beschaffenheit austauschbar war und ein Surrogat für die ausgefallene Leistung zur Verfügung stand. Wer beispielsweise im Vertrauen darauf, bei einem Reisebüro vorbestellte Karten für die »Oscar«-Preisverleihung in Los Angeles zu erhalten, einen Flug gebucht hat 375, kann also, wenn das Reisebüro den Vertrag wegen Irrtums zu einem Zeitpunkt anficht, in dem die »Oscar«-Verleihung ausgebucht ist, den Ersatz der Stornierungskosten für den Flug verlangen, ohne sich von dem Schuldner auf andere Alternativen luxuriösen Zeitvertreibs in Kalifornien verweisen zu lassen. Bestand die stipulierte Leistung des Reisebüros dagegen in einer Tour entlang der kalifornischen Küste, für die es nur Zimmer in landestypischen 372

Diesen Aspekt hält Chung, New Palgrave Bd. 1, S. 352, 354, für relevant. So Faust, in: P. Huber/Faust, Schuldrechtsmodernisierung, Rz. 4/34 (S. 170), mit Bezug auf die (aus seiner Sicht: analoge) Anwendung von § 254 II 1 BGB auf den Anspruch aus § 284 BGB. Zustimmend Reim, NJW 2003, 3662, 3666 f.; kritisch zur Formulierung Gsell, in: Das neue Schuldrecht in der Praxis, S. 321, 329, Fn. 31, 330 Fn. 32; MünchKomm/Ernst, § 284 Rz. 33. 374 Ähnlich Faust, in: P. Huber/Faust, Schuldrechtsmodernisierung, Rz. 4/35 (S. 170); Gsell, in: Das neue Schuldrecht in der Praxis, S. 321, 329. 375 Das Beispiel ist angelehnt an OLG Köln 16. 9. 1993, NJW-RR 1994, 687. 373

III. Grenzen der Schadensersatzpfl icht

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Motels und einen Mietwagen zu reservieren gilt, wird man von dem Gläubiger als Beitrag zur Schadensabwendung verlangen können, das Flugticket nicht einfach verfallen zu lassen, sondern andere Möglichkeiten wahrzunehmen, die Tour noch durchzuführen 376 . b) Die Obliegenheit zur Warnung Die in § 254 II 1 1.Alt. BGB geregelte Obliegenheit des Geschädigten, den Schuldner vor der von ihm nicht zu erkennenden Gefahr eines ungewöhnlich hohen Schadens (und, a maiore ad minus, vor der vom Schuldner nicht zu erkennenden Gefahr überhaupt eines Schadens377) zu warnen, führt in der Rechtspraxis eher ein Schattendasein 378. Die ökonomische Analyse im ersten Teil dieser Untersuchung hat ihr indes eine nicht unwichtige Funktion zugeschrieben 379 : Nicht anders als die Begrenzung des vertraglichen Schadensersatzes nach der auf Hadley v. Baxendale380 zurückgehenden Vorhersehbarkeitsregel des Common Law, ihrem französischen Vorbild in Art. 1150 C.civ. 381 und den vergleichbaren Regeln in Art. 74 CISG, Art. 7.4.4 UP und Art. 9:503 EP382 ist die Warnobliegenheit nach § 254 II 1 1.Alt. BGB dazu geeignet, ein Problem asymmetrischer Information durch die Begrenzung der Haftung auf das negative Interesse zu beheben. Ist nämlich dem 376 Entscheidet sich der Gläubiger dafür, den Flug »umzuwidmen«, also in dem ersten Fall etwa einen von Hollywood-Prominenz frequentierten Ball zu besuchen oder in dem zweiten Fall die Tour selbst zu organisieren, kann er den Ersatz der Flugkosten nicht schon deshalb verlangen, weil sich der Ball oder die Tour für ihn als »völliger Reinfall« erweisen (so aber – in einem anderen Beispiel zu § 284 BGB – Faust, in: P. Huber/Faust, Schuldrechtsmodernisierung, Rz. 4/36 (S. 170 f.); gegen ihn bereits Gsell, in: Das neue Schuldrecht in der Praxis, S. 321, 330 Fn. 32). Denn vor dem »Fehlschlag« seiner Aufwendungen in Gestalt ausbleibender subjektiver Zufriedenheit wäre der Gläubiger auch durch die Erfüllung des ursprünglichen Vertrags nicht geschützt worden. – Gewissermaßen entgegengesetzt liegt der Fall, wenn der Gläubiger, wie in dem der Entscheidung des OLG Köln vom 16. 9. 1993, NJW-RR 1994, 687, zugrunde liegenden Sachverhalt, bereits nach Los Angeles geflogen ist, um dort vergeblich auf die angekündigte Aushändigung der Karten für die »Oscar«-Verleihung zu warten. Hier kann den Gläubiger den Ersatz der Flugkosten als Ersatz seines negativen Interesse (und damit auch nach § 284 BGB; dazu unten, § 11 II) auch dann verlangen, wenn ihm die Notwendigkeit, die Zeit bis zum Rückflug »herumzubringen«, wider Erwarten einen überaus angenehmen Abend in einem Restaurant bescherte: Die subjektive Befriedigung, die der Gläubiger auch nach dem bereits feststehenden Fehlschlag seiner Aufwendung empfunden haben mag, läßt den Schaden ebensowenig entfallen, wie ihn die subjektive Unzufriedenheit in den Fällen der »Umwidmung« der Aufwendung begründet. 377 Ebenso MünchKomm/Oetker, § 254 Rz. 70; Staudinger/Schiemann, § 254 Rz. 75; a. A. Soergel/Mertens, § 254 Rz. 63. 378 Vgl. allerdings die (wenn auch nicht zahlreichen) Beispiele aus der älteren Rspr. bei König, in: Kolloquium v. Caemmerer, S. 75, 96, sowie aus der neueren Rspr. bei Lange/Schiemann, Schadensersatz, § 10 IX 2 (S. 576). 379 Siehe oben, § 5 III 2 b cc. 380 (1854) 9 Ex. 341, 156 Eng.Rep. 145. 381 Zur Rezeption der französischen Lehre von der Vorhersehbarkeit im Common Law, die auf den Erfolg von Pothiers Traité des obligations zurückgeht (auf dessen Einfluß auch Art. 1150 C.civ. beruht), vgl. König, in: Kolloquium v. Caemmerer, S. 75, 76 ff. 382 Zu weiteren Vorhersehbarkeitsregelungen vgl. die »Notes« zu Art. 9:503 EP.

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(potentiellen) Schuldner das Schadenspotential seines Gegenübers unbekannt und liegen die ihm entstehenden Kosten der Informationsbeschaffung über dem Nutzen der Information, wäre es ineffizient, dem Schuldner durch die Androhung der Ersatzpflicht einen Anreiz zur Informationsbeschaffung zu geben. Vielmehr bedarf umgekehrt der (potentiell) Geschädigte eines Anreizes zur Offenlegung von Schadensrisiken, die er kennt oder mit effizientem Aufwand ermitteln kann. Nur so wird zum einen vermieden, daß der Schuldner seine Anstrengungen zur Schadensvermeidung an einem bei niedrigen wie hohen Schadensrisiken ineffizienten Durchschnittswert orientiert, und zum anderen gewährleistet, daß die Höhe des Schadensrisikos bei der Preisfindung berücksichtigt wird und nicht Gläubiger mit hohem Schadenspotential den gleichen (Durchschnitts-)Preis bezahlen wie Gläubiger mit niedrigem Schadenspotential. In welchem Umfang das deutsche Recht dieses Anliegen verwirklicht, indem es dem Geschädigten den fehlenden Hinweis auf ein besonders hohes Schadensrisiko als Mitverschulden anrechnet, gilt es nun noch zu erläutern. aa) Schadenstragung bei beidseitig fehlender Vorhersehbarkeit Zunächst gilt es auf einen Unterschied zwischen der Vorhersehbarkeitsregel des Common Law und der Warnobliegenheit des deutschen Rechts aufmerksam zu machen, was die Verantwortlichkeit für Schäden betrifft, die von keiner Partei vorhergesehen werden konnten: Nach der Vorhersehbarkeitsregel in ihrer klassischen Formulierung durch Hadley v. Baxendale muß ein Schaden, damit er ersatzfähig ist, »in the contemplation of both parties«383 gewesen sein. Damit fallen Schäden, die weder für den Schuldner noch für den Gläubiger vorhersehbar waren, dem Gläubiger zur Last. Im Gegensatz dazu setzt § 254 II 1 BGB als Regelung des Mitverschuldens voraus, daß die Unterlassung der Warnung auf Vorsatz oder Fahrlässigkeit des Gläubigers beruht 384. Konnte der Gläubiger also das Schadensrisiko ebensowenig erkennen wie der Schuldner, findet § 254 II BGB keine Anwendung; das Schadensrisiko wird dem Schuldner aufgebürdet. Diese Abweichung des deutschen Rechts von der »contemplation rule« ist das Ergebnis einer wechselvoll verlaufenen Diskussion über die Vorhersehbarkeitsregel in der Entstehungsphase des BGB, an deren Ende sich der Gesetzgeber für eine Ausgestaltung des Mitverschuldenseinwands entschied, welche die unterlassene Warnung vor der Gefahr eines besonders hohen Schadens als besondere Konstellation einbezieht 385 : Die gegen Mommsens Verdikt 386 , dem noch der Erste Entwurf folgte387, in den Zweiten Entwurf aufgenommene Vorschrift über eine Begren383

(1854) 9 Ex. 341, 354; 156 Eng.Rep. 145. MünchKomm/Oetker, § 254 Rz. 70; RGRK/Alff, § 254 Rz. 59; Soergel/Mertens, § 254 Rz. 64; Staudinger/Schiemann, § 254 Rz. 76. 385 Ausführlichere Darstellungen der Entstehungsgeschichte fi nden sich bei König, in: Kolloquium v. Caemmerer, S. 75, 89 ff.; Faust, Vorhersehbarkeit, S. 340 ff. 386 Vgl. Mommsen, Interesse, S. 165 ff., gegen die Vorhersehbarkeitslehre Dumoulins. 387 Nach § 218 E I sollte der Schadensersatz »sowohl die erlittene Vermögenseinbuße als auch 384

III. Grenzen der Schadensersatzpfl icht

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zung der Nichterfüllungshaftung auf die für den Schuldner nicht außerhalb der Wahrscheinlichkeit liegenden Schäden 388 wurde zunächst im Bundesrat wegen seiner (angeblichen) Unannehmbarkeit für das Handelsrecht gestrichen 389, dann von einer Reichstagskommission in modifizierter Form wieder eingeführt 390 , um schließlich in zweiter Lesung zugunsten der heute in § 254 II BGB enthaltenen Regelung aufgegeben zu werden 391. Damit war nach dem von Enneccerus erstatteten Kommissionsbericht die hier skizzierte Risikoverteilung zu Lasten des Schuldners beabsichtigt: »Wenn beide Parteien, Gläubiger und Schuldner, die Entstehung des Schadens nicht voraussehen konnten, so müsse unzweifelhaft nicht der Gläubiger, der sich keinerlei Fahrlässigkeit habe zu Schulden kommen lassen, sondern der Schuldner, durch dessen Fahrlässigkeit der Schaden verursacht sei, für den Schaden verantwortlich sein.«392 Zwar kann die auf die Fahrlässigkeit des Schuldners gestützte Erwägung keine Geltung beanspruchen, wenn die Haftung, wie in den Fällen der §§ 122, 179 II BGB, verschuldensunabhängig ist. Aber auch hier ließe sich argumentieren, daß ein für beide Seiten nicht vorhersehbarer Schaden eher dem Schuldner aufzuerlegen ist, weil nur er eine von der Rechtsordnung als Haftungsgrund bewertete Ursache für die Schadensentstehung gesetzt hat. Die ökonomische Tauglichkeit der Warnobliegenheit als Instrument zur Korrektur asymmetrischer Informationslagen zwischen Gläubiger und Schuldner wird dadurch jedenfalls weder gefördert noch beeinträchtigt: Läßt sich ein Schadensrisiko vom Gläubiger ebensowenig wie vom Schuldner mit effizientem Aufwand ermitteln, kommt es auf die Steuerung

den entgangenen Gewinn« ohne Einschränkung erfassen; dazu Mot. II, S. 17 = Mugdan II, S. 10. 388 § 215 E II lautete: »Die Ersatzpfl icht wegen Nichterfüllung einer Verbindlichkeit erstreckt sich nicht auf den Schaden, dessen Entstehung nach den Umständen, welche der Schuldner kannte oder kennen musste, ausserhalb des Bereiches der Wahrscheinlichkeit lag.« 389 Nach den bei Jakobs/Schubert, Beratung, §§ 241–432, S. 104 ff. nachzulesenden Berichten aus dem Bundesrat kam es dazu wie folgt: Der Antrag auf Streichung wurde zunächst von Bremen gestellt und mit der Abweichung des Vorschlags von der h.M. des gemeinen Rechts und von Art. 383 HGB sowie damit begründet, daß die Regelung voraussichtlich zu zahlreichen Prozessen führe. Der Antrag wurde in der Sitzung vom 9. 10. 1895 zunächst abgelehnt, wobei der Vertreter Bayerns u. a. auch auf den Einklang von § 215 E II mit dem englischen Recht und der Vertreter Hessen auf die Übereinstimmung mit dem Code Civil hinwies. Nachdem jedoch die Mitglieder der Kommission zur Revision des HGB einhellig (mit Ausnahme von Gierkes) erklärt hatten, daß die Regelung für das Handelsrecht unannehmbar und eine Differenz zwischen gemeinem und Handelsrecht mißlich sei, fand ein erneuter Streichungsantrag Preußens und Mecklenburgs eine Mehrheit. 390 In der XII. Kommission des Reichstages wurde nach dem von Enneccerus erstatteten Bericht vom 12. 6. 1896, S. 60 = Mugdan II, S. 1273, in erster Lesung ein § 246a eingefügt, der § 215 E II mit zwei Modifi kationen wiederherstellte: Die Beschränkung sollte nunmehr für den Schadensersatz allgemein und nicht nur für den Schadensersatz wegen Nichterfüllung gelten, jedoch dann nicht, wenn dem Ersatzpfl ichtigen Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit zur Last fällt. 391 Vgl. den Bericht der XII. Kommission des Reichstages v. 12. 6. 1896, S. 60 = Mugdan II, S. 1273 f. 392 Bericht der XII. Kommission des Reichstages v. 12. 6. 1896, S. 60 = Mugdan II, S. 1274.

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des Informationsverhaltens nicht an, so daß Spielraum für Billigkeitsgesichtspunkte bei der Schadenstragung besteht. Allenfalls kann man Anstoß daran nehmen, daß eine Regel, die den für niemanden vorhersehbaren Schaden auf den Schuldner verlagert, aufwendiger in ihrer Durchsetzung ist als eine Regel, die ihn dort beläßt, wo er entstanden ist. bb) Der für die Beurteilung der Warnobliegenheit relevante Zeitpunkt Ein weiteres Merkmal der »contemplation rule« läßt sich im Wortlaut von § 254 II 1 BGB ebenfalls nicht wiederfinden: Nach der Regel des Common Law bezieht sich, um wiederum die Formulierung in Hadley v. Baxendale aufzugreifen, der Ersatzanspruch wegen Vertragsbruchs nur auf Schäden »as may reasonably be supposed to have been in the contemplation of both parties, at the time they made the contract, as the probable result of the breach of it.«393 Der Gläubiger hat den Schuldner daher vor Vertragsschluß über ungewöhnliche Schadensrisiken zu informieren; nur dann ist der Schaden »in the contemplation of both parties« und im Fall des Vertragsbruchs zu ersetzen. § 254 II 1 BGB ist dagegen nicht zu entnehmen, daß der Gläubiger, um sich einen Anspruch auf Ersatz von Nichterfüllungsschäden ungeschmälert zu erhalten, seiner Warnobliegenheit wegen der Gefahr eines besonderes hohen Schadens bereits im Zeitpunkt des Vertragsschlusses genügt haben muß394. Die ökonomische Leistungsfähigkeit der Warnobliegenheit wird dadurch geschmälert: Signalisiert der Gläubiger dem Schuldner das Risiko eines ungewöhnlich hohen Nichterfüllungsschadens erst nach Vertragsschluß, kann dieser zwar noch seine Erfüllungsanstrengungen darauf einrichten; es besteht dann aber für den vertraglich bereits gebundenen Schuldner (jenseits der Vertragsanpassung wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage nach § 313 I, II BGB) keine Möglichkeit mehr, einen dem Risiko angemessenen Preis zu erzielen. Anders als die »contemplation rule« verhindert § 254 II 1 BGB also nur, daß sich der Schuldner im Erfüllungsstadium an dem Durchschnittswert des zu erwartenden Schadens orientiert und damit bei Gläubigern mit hohem Schadenspotential unter und bei Gläubigern mit niedrigem Schadenspotential über dem effizienten Niveau der Leistungsanstrengungen bleibt. Keinen Einfluß hat die Mitverschuldensregelung jedoch auf das Schuldnerverhalten im Stadium des Vertragsschlusses; insoweit bleibt es dabei, daß der Schuldner mangels genauerer Kenntnisse dazu neigen wird, die von ihm geforderte Vergütung an der durchschnittlichen Schadenserwartung auszurichten und somit je nach realem Schadenspotential zu hoch oder zu niedrig anzusetzen 395. 393

(1854) 9 Ex. 341, 354; 156 Eng.Rep. 145. So bereits Faust, Vorhersehbarkeit, S. 343. A. A. wohl Schack, JZ 1986, 305, 308 bei Fn. 60. 395 Vgl. schon Faust, Vorhersehbarkeit, S. 343 f., der insoweit von »Nachfrageverzerrungen durch Quer-Subventionierung« spricht, denen jedoch der Vorteil gegenüberstehe, daß der Schuldner alle nach seinem jeweiligen Wissen sinnvollen Schadensabwehrmaßnahmen ergreife und der Gläubiger auch noch nach Vertragsschluß zu Hinweisen veranlaßt werde. – Zweifelhaft 394

III. Grenzen der Schadensersatzpfl icht

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Daß der Gläubiger den Schuldner nicht bereits vor dem Vertragsschluß vor ungewöhnlichen Schadensrisiken zu warnen hat, gilt indes nur für die Beurteilung eines Mitverschuldens, das den Gläubiger am Eintritt eines Nichterfüllungsschadens trifft: Hier ist die Nichterfüllung der Leistungspflicht (die Pflichtverletzung im Sinne von § 280 I BGB) das zum Schadensersatz verpflichtende Verhalten des Schuldners, und es reicht aus, wenn der Gläubiger ihn vor diesem Zeitpunkt vor den Folgen seines Verhaltens warnt, damit er Gelegenheit zu Gegenmaßnahmen in Gestalt erhöhter Erfüllungsanstrengungen erhält 396 . Gelegenheit zu Gegenmaßnahmen, die den Eintritt von ungewöhnlich hohen Vertrauensschäden verhindern, erhält der Schuldner hingegen allein dann, wenn er die Warnung bereits erhalten hat, bevor er die (etwa nach den §§ 122, 179 II BGB) haftungsbegründende Erklärung abgibt, die zu der schadensträchtigen Vertrauensreaktion des Gläubigers führt. Nur dann kann sich der Schuldner noch überlegen, ob er das Schadensrisiko hinnimmt oder versucht, es durch erhöhte Erklärungssorgfalt zu reduzieren oder durch die Nichtabgabe der ins Auge gefaßten Erklärung zu vermeiden. Deshalb ist § 254 II 1 1. Alt. BGB im Hinblick auf die Pflicht zum Ersatz des negativen Interesses, wie sie in den §§ 122, 179 II BGB geregelt ist, anders aufzufassen als im Hinblick auf die Pflicht zum Ersatz des positiven Interesses: Die Obliegenheit des Schuldners, den Gläubiger vor der Gefahr eines ungewöhnlich hohen Vertrauensschadens zu warnen, die dieser weder kennt noch kennen muß, bezieht sich auf den Zeitraum vor der Schaffung des Vertrauenstatbestands, in den Fällen der §§ 122, 179 II BGB also auf den Zeitraum vor Abgabe der später nach den §§ 119, 120 BGB angefochtenen oder nach § 118 BGB nichtigen Erklärung oder (bei Fehlen der Vertretungsmacht) dem vom Vertretenen nicht genehmigten Vertragsschluß.

ist, ob das Fehlen einer »contemplation rule« im deutschen Recht zu verschmerzen ist, weil der Schuldner hierzulande jedenfalls im Grundsatz nicht als Garant für die Verwirklichung des Erfüllungsinteresses des Gläubigers behandelt wird, sondern dafür nur verschuldensabhängig haftet. Richtig ist zwar, daß der deutschem Vertragsrecht unterliegende, rationale Schuldner für die Kalkulation der Vergütung, gegen die er zur Abgabe des Leistungsversprechens bereit ist, die Kosten des ihn vor der Haftung bewahrenden, sorgfaltsgemäßen Verhaltens und nicht den Wert des Erfüllungsinteresses als solches ansetzt. Diese Kosten sind aber, wenn man den Sorgfaltsmaßstab nach der Hand-Formel bestimmt, ihrerseits von der Höhe des zu vermeidenden Nichterfüllungsschadens abhängig und deshalb ohne eine Informationsobliegenheit des Gläubigers im Zeitpunkt des Vertragsschlusses für den Schuldner ebensowenig sicher zu beziffern wie der potentielle Nichterfüllungsschaden selbst. Es bleibt also dabei, daß der Schuldner ohne die Haftungsbeschränkung auf vorhersehbare Schäden nicht sicher einschätzen kann, was ihn sein Leistungsversprechen kosten wird. Dies mag man allerdings für nicht besonders wichtig halten (vgl. etwa U. Huber, Leistungsstörungen Bd. 2, § 39 I 2 (S. 267): »Darauf, daß der Schuldner die Folgen seines Vertragsbruchs kalkulieren kann, legen wir wenig Wert.«) 396 Allgemein zu dem Zweck der Warnung, dem Schuldner Gelegenheit zu Gegenmaßnahmen zu geben, BGH 26. 5. 1988, NJW 1989, 290, 292; MünchKomm/Oetker, § 254 Rz. 73; Palandt/ Heinrichs, § 254 Rz. 38; Soergel/Mertens, § 254 Rz. 65.

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§ 10 Umfang und Grenzen der Ersatzfähigkeit des negativen Interesses

cc) Zur Konkretisierung der Warnobliegenheit Mit der Einführung von § 254 II 1 1. Alt. BGB wollte der Gesetzgeber ausweislich des Berichts der Reichstagskommission, welche die Einfügung der Regelung in das Gesetz veranlaßt hat, insbesondere den Schulfall des Droschkenkutschers lösen, dessen Verspätung zu einem außerordentlich hohen, für den Kutscher nicht vorhersehbaren Schaden führt 397: Habe der Fahrgast die Gefahr vorausgesehen oder hätte er sie nach seiner Kenntnis der Verhältnisse voraussehen müssen, und habe er gleichwohl den Kutscher nicht auf diese drohende Gefahr aufmerksam gemacht, sei eine Haftung nicht begründet. In einigen (wenigen) realen Fällen hat die Rechtsprechung diesem Exempel folgend eine Haftung des Schuldners einer vertraglichen Leistung für exorbitante Nichterfüllungsschäden des Gläubigers verneint 398. Nicht anders hat man zu entscheiden, wenn es um den Ersatz des negativen Interesses geht: Weiß der Gläubiger oder muß er im Zeitpunkt des Vertragsschlusses zumindest wissen, daß er etwa Vertrauensaufwendungen in ungewöhnlich großem Umfang tätigen wird, welche bei Scheitern des Vertrags verloren sein werden, so hat er den Schuldner, der davon weder Kenntnis hat noch haben muß, darüber vor dem Vertragsschluß zu informieren. Das Unterlassen eines solchen Hinweises führt nur dann nicht zu einer Verminderung des Ersatzanspruchs, wenn der Gläubiger beweisen kann, daß auch ein rechtzeitiger Hinweis den Schaden nicht verhindert hätte399. Die Konkretisierung der Warnobliegenheit fällt allerdings schwer: Aus ökonomischer Perspektive wären bei Schadensrisiken, die beiden Seiten unbekannt sind, jeweils Kosten-Nutzen-Rechnungen der Informationsermittlung für Gläubiger und Schuldner anzustellen. Schadensrisiken, die der Gläubiger mit wirtschaftlichem Aufwand aufklären kann, der Schuldner aber nicht, unterfielen danach der 397 Vgl. den Bericht der XII. Kommission des Reichstages v. 12. 6. 1896, S. 60 = Mugdan II, S. 1274. Daneben erwähnt der Bericht den Fall der Verzögerung einer Geldzahlung, die zu einem ungewöhnlich hohen Schaden zu führen droht. 398 Beispielhaft seien genannt RG 12. 10. 1906, LZ 1 (1907), Sp. 54, 55 f. (Nr. 3) (der Verzug des Schuldners mit der Lieferung von 70 Rollen Rotationsrollenpapier führte dazu, daß ein Abnehmer des Gläubigers, an den das Papier weitergeliefert werden sollte, von einer wesentlich umfänglicheren Bezugsverpfl ichtung aufgrund eines vertraglichen Vorbehalts zurücktrat; das RG lehnte den Ersatz des entgangenen Weiterverkaufsgewinns unter Berufung auf § 254 II 1 BGB ab); BGH 25. 1. 2000, NJW 2000, 1718 = NZBau 2000, 195 (Warnobliegenheit des Hauptunternehmers gegenüber einem Subunternehmer im Hinblick auf eine dem Hauptunternehmer drohende, hohe Vertragsstrafe); OLG Hamm 28. 2. 1989, NJW 1989, 2066 (Warnobliegenheit des Verlegers gegenüber der Übersetzerin eines Textes, wenn aufgrund fehlender Prüfung der Übersetzung durch die ausländischen Kunden des Verlegers auf Fehler ein Schaden droht, der das Honorar um das Vierzigfache übersteigt); OLG Hamm 17. 6. 1996, NJW-RR 1998, 380 (Warnobliegenheit eines Unternehmens gegenüber dem wartungspfl ichtigen Lieferanten eines Druckers im Hinblick auf einen bei Ausfall des Druckers drohenden Betriebsausfallschaden von mehr als 22.000,– DM pro Tag). 399 Vgl. dazu, daß der Gläubiger die Beweislast hinsichtlich der Kausalität der Unterlassung des Hinweises für den Schaden trägt, BGH 20. 10. 1955, DB 1956, 110; König, in: Kolloquium v. Caemmerer, S. 75, 121; Jauernig/Teichmann, § 254 Rz. 9; Lange/Schiemann, Schadensersatz, § 10 IX 2 (S. 577); MünchKomm/Oetker, § 254 Rz. 73; Soergel/Mertens, § 254 Rz. 65.

III. Grenzen der Schadensersatzpfl icht

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Warnobliegenheit. Zwar wird einem Gericht praktisch nie das Datenmaterial zur Verfügung stehen, das erforderlich wäre, um eine solche Rechnung anzustellen. Aber immerhin weisen die wirtschaftlichen Kriterien die Richtung, die bei der Prüfung des deutschen Pendants zur Vorhersehbarkeitsregel einzuschlagen ist. Für den Ersatz vergeblicher Aufwendungen als wichtigste Position des Vertrauensinteresses lassen sich, in Anlehnung an das bereits vorgestellte Fallmaterial, in erster Annäherung die folgenden Maßgaben formulieren400 : Aufwendungen des Gläubigers, die beim gegenseitigen Vertrag zum Erwerb der vertraglich versprochenen Leistung erforderlich sind oder sonst in einem notwendigen Zusammenhang mit dem Leistungsaustausch stehen (»essential reliance«) 401, bereiten zunächst keine Probleme, denn sie sind entweder bereits durch den Vertrag selbst vorgegeben (z. B. die Zahlung des Preises) oder unmittelbar damit verknüpft (z. B. die Kosten der Kaufpreisfinanzierung), so daß sich der Schuldner, wenn er nicht ohnehin schon davon weiß, im Zeitpunkt des Vertragsschlusses jedenfalls ohne weiteres die Möglichkeit erschließen kann, daß der Gläubiger diese Aufwendungen tätigen wird. Für die Anwendung von § 254 II 1 1. Alt. BGB ist hier kein Raum. Schwieriger verhält es sich mit Aufwendungen, die der Gläubiger nicht zum Leistungserwerb, sondern im Vertrauen auf den Leistungserwerb zu weitergehenden Zwecken tätigt (»incidental reliance«) 402. Man könnte zunächst dazu neigen, den Bereich des von dem Schuldner zu tragenden Risikos der »Frustration« von Gläubigeraufwendungen danach abzugrenzen, ob die Aufbürdung des Risikos durch eine angemessene Gegenleistung kompensiert wird oder jedenfalls – in den Fällen der Vertragsunwirksamkeit – kompensiert worden wäre, wenn das abgeschlossene Geschäft wirksam gewesen wäre. So hat etwa das OLG Hamm403 bei der Anwendung von § 254 II 1 1. Alt. BGB u. a. darauf abgestellt, daß der entstandene Schaden (der hier allerdings ein Nichterfüllungsschaden war) die vereinbarte Gegenleistung um das Vierzigfache überstieg. Solche Vergleiche sind indes mit größter Zurückhaltung zu behandeln: Zum einen hat man, um festzustellen, ob das Schadensrisiko in den Vertrag »eingepreist« wurde, dem Entgelt nicht die absolute Schadenshöhe, sondern den Erwartungswert des Schadens (d. h. die Höhe des Schadens multipliziert mit seiner Eintrittswahrscheinlichkeit404) gegenüberzustellen – so ist z. B. bei risikoneutralen Parteien die Übernahme eines Schadens, dessen Eintrittswahrscheinlichkeit 2% beträgt, mit einer Gegenleistung, die 2% der Schadenshöhe beträgt, angemessen abgegolten. Zum anderen läßt ein etwaiges auf diesem Weg ermitteltes Mißverhältnis zwischen Schadensrisiko und Entgelt nicht notwendig auf eine Informationsasymmetrie zwischen Gläubiger und 400 Vgl. auch schon Leonhard, AcP 199 (1999), 660, 675 ff., dessen Ausführungen zur Voraussehbarkeit freilich nicht recht erkennen lassen, ob sie auch für die deutsche lex lata gelten sollen. 401 Dazu oben Abschnitt II 1 a aa. 402 Dazu oben, Abschnitt II 1 a bb. 403 OLG Hamm 28. 2. 1989, NJW 1989, 2066. 404 Zur Bedeutung des Erwartungswerts siehe oben, § 5 II 1.

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§ 10 Umfang und Grenzen der Ersatzfähigkeit des negativen Interesses

Schuldner schließen, der durch die Anwendung von § 254 II BGB entgegenzuwirken ist, sondern kann auf Unterschiede in der Verhandlungsmacht, im Verhandlungsgeschick und in der Risikogeneigtheit sowie schließlich auch darauf zurückzuführen sein, daß die Risikotragung durch den Schuldner ihren Ausgleich in (materiellen oder immateriellen) Vorteilen jenseits eines vertraglich vereinbarten Entgelts findet. Beim Ersatz vergeblicher Aufwendungen, die über den Zweck des Leistungserwerbs hinausgehen, kommt man deshalb nicht umhin, im Einzelfall nach weiteren Gesichtspunkten zu suchen, welche die Anwendung von § 254 II BGB stützen könnten. Das Vorliegen einer Warnobliegenheit, deren schuldhafte Verletzung zu einer Minderung des Ersatzanspruchs führt, dürfte hier vor allem dann in Betracht kommen, wenn der Gläubiger Vertrauensaufwendungen zu einem Zweck plant, der jenseits des Spektrums sozialtypischer Verwendungszusammenhänge für die vom Schuldner versprochene Leistung und auch jenseits dessen liegt, was nach den beim Vertragsschluß nach außen hervorgetretenen Interessen des Gläubigers als Verwendung der Leistung erkennbar war. Um das in Deutschland wie in den USA gerichtsnotorische Beispiel der Saalmiete aufzugreifen: Daß eine Schauspieltruppe die Anmietung eines Theaters405 und eine politische Partei die Anmietung einer Stadthalle 406 zum Anlaß nehmen wird, die ihrem jeweiligen Daseinszweck entsprechende Veranstaltung in diesen Räumen vorzubereiten und dafür entsprechende Aufwendungen zu machen, darf den Vermieter nicht überraschen. Mietet aber etwa ein Bekleidungshersteller eine abbruchreife Fabrikhalle, um sie als exzentrische »location« für eine kostspielige Modenschau zu nutzen, wird man verlangen können, daß der ahnungslose Vermieter auf diese Verwendung hingewiesen wird. Ist der Vermieter also z. B. dem Grunde nach gemäß § 122 BGB zum Ersatz des negativen Interesses in Gestalt fehlgeschlagener Aufwendungen für die Vorbereitung der Modenschau verpfl ichtet, wird man, wenn ein solcher Hinweis ausgeblieben ist, den Schadensersatz nach § 254 II BGB reduzieren müssen.

4. Die Begrenzung nach Maßgabe der Angemessenheit in § 1298 II BGB Die §§ 122, 179 II BGB sehen eine Begrenzung des Schadensersatzes nach Maßgabe der Angemessenheit nicht vor. Dem BGB ist eine Angemessenheitskontrolle beim Ersatz von Vertrauensschäden indes nicht unbekannt: Die bei Rücktritt vom Verlöbnis entstehende Ersatzpflicht des Verlobten seinem Partner, dessen Eltern und an deren Stelle handelnden Dritten gegenüber reicht nach § 1298 II BGB nur so weit, wie die in Erwartung der Ehe gemachten Aufwendungen oder sonstigen im Hinblick darauf getroffenen Maßnahmen den Umständen nach angemessen waren. In der Literatur ist vereinzelt vertreten worden, diese Regelung sei einer 405 406

Vgl. Bernstein v. Meech, 130 N. Y. 354, 19 N. E. 255 (1891). Vgl. BGH 10. 12. 1986, BGHZ 99, 182.

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Verallgemeinerung zugänglich und dementsprechend etwa auf § 122 BGB analog anzuwenden407: Reine Luxusaufwendungen oder Aufwendungen, die einer unvernünftigen Laune entspringen, sollen danach nicht unter das zu ersetzende Vertrauensinteresse fallen. Diese Ansicht hat im neueren Schrifttum zu Recht keinen Anklang gefunden408 , denn die Begrenzung des von § 1298 BGB gewährten Ersatzanspruchs erklärt sich aus dem besonderen Kontext, in dem das Verlöbnis angesiedelt ist. Mit Rücksicht auf die Eheschließungsfreiheit ist das Versprechen, eine Ehe einzugehen, nach § 1297 BGB nicht mit rechtlicher Verbindlichkeit ausgestattet. Die normative Erwartung, die jemand durch ein Verlöbnis weckt, wird allerdings dadurch stabilisiert, daß der Partner und dessen Angehörige Aufwendungen im Vertrauen auf die künftige Eheschließung machen: Diese lassen die Eheschließung von der bloßen Herzensangelegenheit, als die sie seit dem 19. Jahrhundert zumindest in der westlichen Welt gilt, zur symbolischen »Rückzahlung« des erwiesenen »Vertrauensvorschusses« werden und verleihen dem Vorhaben der Verlobten dadurch eine über die Sphäre persönlicher Intimität hinausgehende soziale Bedeutung. Im allgemeinen hält sich das Privatrecht bei der Unterstützung solcher Versuche, Gegenseitigkeitserwartungen als Instrument der Fremdbindung einzusetzen, zurück409 – für die auch unter Marktteilnehmern zu beobachtenden, durchaus kostspieligen Rituale der Vertragsanbahnung wie wechselseitige Einladungen und Geschenke410 trägt jeder grundsätzlich selbst das Risiko des Scheiterns. Weil aber der Weg zur Ehe, anders als der Weg zur schuldvertraglichen Bindung, nicht durch rechtliche Selbstbindungsakte, sondern nur durch dieses Instrument (rudimentär) abgesichert werden kann, ist es nicht unangemessen, wenn das Privatrecht denjenigen, die bei seinem Einsatz einen Fehlschlag erleiden, ausnahmsweise zur Hilfe kommt und ihnen zumindest zum Ausgleich ihrer Vermögensopfer verhilft. Doch hat auch diese Ausnahme ihre Schranken: Der vergebliche Versuch des Verlobten und seiner Eltern, sich auf diese Weise die andere Seite verpflichtet zu machen, wird nur in den Grenzen des Sozialadäquaten honoriert. Dies bringt § 1298 II BGB zum Ausdruck. Daß die Haftung aus § 1298 BGB als besondere rechtliche Reaktion auf den Fehlschlag einer als sozialadäquat erachteten Fremdbindung411 und nicht, wie § 122 BGB, als Restwirkung einer im übrigen von der Rechtsordnung nicht anerkannten Selbstbindung (nämlich des Heiratsversprechens) zu interpretieren ist, ergibt sich schließlich auch aus der Bestimmung des Kreises der Anspruchsberechtigten: Mit den Eltern des anderen Verlobten sowie Dritten, die an deren Stelle handeln, gehören hierzu Personen, denen gegenüber sich der später heiratsun407

Dahingehend Riezler, DJZ 1912, Sp. 1176, 177 f.; Staudinger11/Coing, § 122 Rz. 9. Ablehnend Flume, Rechtsgeschäft, § 21, 7 (S. 423); MünchKomm/Kramer, § 122 Rz. 8; Soergel/Hefermehl, § 122 Rz. 4; Staudinger12 /Dilcher, § 122 Rz. 9. 409 So bereits Köndgen, Selbstbindung, S. 256. 410 Dazu etwa E. Posner, Law and Social Norms, S. 148 ff. 411 Ebenso Köndgen, Selbstbindung, S. 257. 408

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§ 10 Umfang und Grenzen der Ersatzfähigkeit des negativen Interesses

willige Verlobte durch sein Versprechen nicht zur Eingehung der Ehe verpflichtet hat und die deshalb aus dem späteren Bruch des Versprechens keine Rechte herleiten können. Daß § 1298 I BGB ihnen einen Ersatzanspruch gewährt, ist vielmehr damit zu erklären, daß das Gesetz hier die persönlichen Grenzen sozialadäquater Fremdbindung nachzeichnet: Jemanden durch Aufwendungen geneigt zu machen, sein Heiratsversprechen zu erfüllen, wird nur als legitimes Anliegen des Partners und der dessen Wohl in besonderer Weise verpflichteten Personen anerkannt.

§ 11 Der Schutz des negativen Interesses bei wirksamen obligatorischen Rechtsgeschäften Die Pflicht zum Ersatz des negativen Interesses, deren Inhalt Gegenstand des vorigen Kapitels war, ist in der deutschen Theorietradition nicht an den wirksamen, sondern allein an den unwirksamen Vertrag oder, wie mit Rücksicht auf andere Formen privatautonomer schuldrechtlicher Bindung zu sagen ist, an das unwirksame obligatorische Rechtsgeschäft geknüpft. »So nothwendig, wie die erste Berechnung des Interesse [des positiven Interesses, T. A.] die Gültigkeit des Contracts, setzt diese letztere [die Berechnung des negativen Interesses, T. A.] die Ungültigkeit desselben voraus,« schrieb bereits Mommsen1, und auch in der nachfolgenden Entwicklung der Haftung auf das negative Interesse durch Jhering und Windscheid geriet stets nur das unwirksame und nie das wirksame vertragliche Versprechen als Haftungsgrund in den Blick 2. Diese Beschränkung der Haftung auf das negative Interesse auf Tatbestände unwirksamer rechtsgeschäftlicher Bindungen, denen sich unter der Herrschaft des BGB die vor- und außervertraglichen Fälle »negativen Vertrauensschutzes« hinzugesellen sollten 3, war der erste Stein des Anstoßes für diese Untersuchung4 : Sollte es dem Gläubiger im Rahmen eines wirksamen rechtsgeschäftlichen Schuldverhältnisses nicht genauso wie im Fall der Unwirksamkeit erlaubt sein, anstelle des positiven das negative Interesse in den Grenzen ersetzt zu verlangen, die im vorigen Kapitel umrissen wurden? Die im ersten Teil dieser Untersuchung entfalteten rechtspolitischen Überlegungen, die dafür sprechen, die Pflicht zum Ersatz des negativen Interesses bei wirksamen Bindungen als Komplementärsanktion zur Haftung auf das positive Interesse zuzulassen, werden im folgenden zunächst durch die vergleichende Einbeziehung des früheren BGB-Schuldrechts, des Common Law und der neueren Entwürfe zur Vertragsrechtsvereinheitlichung ergänzt (unter I.). Sodann gilt es zu zeigen, daß und wie sich dieser Gedanke im gegenwärtigen deutschen Schuldrecht Geltung verschafft. Ausgangspunkt ist die systematische Verortung von § 284 BGB als Ausdruck der Haftung auf das negative Interesse: Anders als dem ursprünglichen Entwurf der Schuldrechtskommission steht der mit der Schuldrechtsreform schließlich in Kraft getretenen Regelung keineswegs 1 2 3 4

Unmöglichkeit, S. 107. Zu Jhering siehe oben, § 3 I 1; zu Windscheid siehe oben, § 3 I 2 a bb. Siehe dazu oben, § 3 I 2 b. Siehe oben, § 1 I a.

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§ 11 Der Schutz des negativen Interesses bei wirksamen Rechtsgeschäften

auf die Stirn geschrieben, daß sich der Gläubiger, statt auf die Nichterfüllung der Leistungspflicht, wahlweise auf das rechtsgeschäftliche Leistungsversprechen als Haftungsgrund berufen und so seinen Vertrauensschaden liquidieren kann. Es erfordert daher nicht unerhebliche Anstrengungen zu belegen, daß diese Idee dennoch, wenn auch in unvollkommener Form, ihren Ausdruck im Gesetz gefunden hat (dazu II.). Hat man auf diese Weise zu einer Einordnung der Norm gefunden, die den Rechtsanwender sachgerechte, konsistente Ergebnisse finden läßt, lassen sich die weiteren Fragen, die sich um die Anwendung von § 284 BGB ranken, beantworten (dazu III.).

I. Grundlagen 1. Das rechtspolitische Anliegen: Vermeidung ineffizienter Unterkompensation Die Überlegungen im ersten Teil dieser Untersuchung haben ergeben, daß bei intakten Leistungsversprechen rechtliche Sanktionen zum Schutz des Erfüllungsinteresses – seien diese nun auf Naturalerfüllung oder auf Geldersatz gerichtet – der Verpflichtung des Schuldners zum Ersatz des Vertrauensinteresses grundsätzlich vorzuziehen sind. Ausschlaggebend hierfür sind allerdings nicht ethische Erwägungen über die moralische Verbindlichkeit des Versprechens5, sondern Gesichtspunkte ökonomischer Effizienz: Die Sanktionen zum Schutz des positiven Interesses sind der Haftung auf das negative Interesse zwar nicht in jeder Hinsicht, aber doch in der Gesamtbewertung überlegen, was die von ihnen gesetzten Verhaltensanreize für den Gläubiger und den Schuldner im Stadium der Vertragserfüllung und im Stadium der Vertragsanbahnung betrifft6 . Das gilt freilich nur solange uneingeschränkt, wie man in der stilisierten Welt ökonomischer Modelle verharrt und von den realen Schwierigkeiten des Beweises und der Bezifferung des positiven Interesses absieht. Stellt man diese Schwierigkeiten in Rechnung, verändert sich das Bild7: Gelingt es dem Gläubiger nicht, den Wert, den die Leistung des Schuldners für ihn hat, mit den Mitteln zu beweisen, die ihm das gerichtliche Erkenntnisverfahren zur Verfügung stellt, oder ist sein Interesse an der Leistung ein immaterielles, führt eine strikte Ausrichtung des Vertragsrechts auf den Vermögenswert des positiven Interesses zur ineffizienten Unterkompensation des Gläubigers8. Dieses Defizit läßt sich dadurch ausgleichen, daß man dem Gläubiger erlaubt, anstelle des positiven das negative Interesse (in

5 Zur Überwindung der versprechensethischen Legitimation privatrechtlicher Selbstbindung siehe oben, § 4 II 2. 6 Siehe oben, § 6 II. 7 Siehe oben, § 6 III 1. 8 So mit Blick auf § 284 BGB auch Tröger, ZIP 2005, 2238, 2239 f.

I. Grundlagen

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den bereits dargelegten, eine Überkompensation vermeidenden Grenzen) 9 geltend zu machen. Wegen des Versagens der Haftung auf das positive Interesse kommt hier, wie man zur Verdeutlichung sagen kann, die grundsätzlich für jedes Versprechen (und andere normativitätsstiftende Verhaltensweisen) gerechtfertigte Haftung auf das negative Interesse10 als »Basissanktion« wieder zum Vorschein. Zwingend ist die Wahl dieses Mittels allerdings nicht: Die Unterkompensation des Gläubigers läßt sich auch dadurch vermeiden, daß man ihm bei der Geltendmachung des positiven Interesses Erleichterungen verschafft, etwa indem man eine Geldentschädigung für Nichtvermögensschäden zuläßt oder ihm gestattet, seine zum Erwerb der nicht erbrachten Leistung getätigten Aufwendungen im Rahmen einer »Rentabilitätsvermutung« als Maß seines Interesses anzusetzen. Hierin erschöpfen sich die rechtspolitischen Eckdaten, wie sie bisher entwickelt wurden: Politisch gefordert ist nur, daß das Zivilrecht drohenden Kompensationsdefiziten begegnet, aber nicht wie dies zu geschehen hat11. Die Wahl des Mittels hängt vielmehr davon ab, worin am ehesten eine mit dem Gesamtsystem der vertraglichen Haftung konforme Umsetzung des hier formulierten Regelungsanliegens liegt. Zu welch unterschiedlichen Ergebnissen man insoweit gelangen kann, zeigt sich im Blick auf das frühere deutsche Schuldrecht, das englische und das amerikanische Common Law sowie auf die internationale Vertragsrechtsvereinheitlichung.

2. Die rechtssystematische Umsetzung im Vergleich a) Früheres deutschen Schuldrecht aa) Das Fehlen einer gesetzlichen Grundlage für den Ausgleich des negativen Interesses Das bis zum 31. 12. 2001 geltende allgemeine Schuldrecht des BGB sah mit dem Anspruch auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung nach den §§ 280, 283, 286 II, 325, 326 BGB a. F. nach noch herrschender, wenn auch zunehmend bestrittener Ansicht nur den Schutz des positiven, nicht aber des negativen Interesses vor12. 9

Siehe oben, § 10 III. Zu dem rechtsökonomischen Fundament, auf dem die Legitimation der Haftung für Versprechen und andere normativitätsstiftende Verhaltensweisen ruht, siehe oben, § 5. 11 A. A. Tröger, ZIP 2005, 2238, 2240; ders., ZGS 2005, 462, 463, der meint, der rechtsökonomische Befund lege eine dogmatische Einordnung von § 284 BGB als Anspruch auf Ersatz des durch die Aufwendungen repräsentierten Teils des materiellen bzw. immateriellen positiven Interesses nahe. 12 Vgl. zu der dahingehenden Rspr. die Nachw. in Fn. 16; a. A. (mit teilweise unterschiedlichen Nuancierungen) Derleder/Abramjuk, AcP 190 (1990), 624, 631 ff. (mit Bezug auf die §§ 463, 480 II BGB a. F.); MünchKomm/Emmerich, § 325 a. F. Rz. 84, 86; Georg Müller, Ersatz entwerteter Aufwendungen, S. 89 ff.; Müller-Laube, JZ 1995, 538, 542 f.; Staudinger13/Otto, § 325 a. F. Rz. 90; Schackel, ZEuP 2001, 248, 250 ff.; Eike Schmidt, in: FS Gernhuber, S. 423, 429 f.; Thüsing, VersR 2001, 285, 296 f.; Soergel/Wiedemann, Vor § 275 a. F. Rz. 42 ff., § 325 a. F. Rz. 52; Wiedemann/G. Müller, JZ 1992, 467 ff. 10

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§ 11 Der Schutz des negativen Interesses bei wirksamen Rechtsgeschäften

Die Haftung auf das negative Interesse blieb im Leistungsstörungsrecht nach § 307 BGB a. F. dem Fall anfänglicher objektiver Unmöglichkeit vorbehalten, in dem § 306 BGB a. F. bekanntlich die Vertragsunwirksamkeit anordnete. Soweit der Schuldner jedoch eine ihm aus einem wirksamen Vertrag erwachsende Leistungspflicht nicht erfüllte, war es dem Gläubiger verwehrt, den Ersatz des negativen Interesse zu verlangen, und zwar mangels gesetzlicher Grundlage auch dann, wenn er vom Vertrag zurücktrat13. Die §§ 467 S. 2, 634 III BGB a. F., die nur für eine besondere Konstellation (die Wandlung bei Sachmängeln im Kauf- und Werkvertragsrecht) und nur für einen eng begrenzten Kreis »frustrierter« Aufwendungen (die Vertragskosten) eine ansatzweise in die Richtung der Haftung auf das negative Interesse gehende Erstattungspflicht des Schuldners vorsahen, waren schwerlich ein taugliches Instrument dafür, an dieser Fixierung der allgemeinen Regeln auf das positive Interesse etwas zu ändern14. Vor dem Hintergrund dieser gesetzgeberischen Weichenstellung war es nur zu verständlich, daß die Rechtsprechung den immer wieder laut gewordenen Forderungen des Schrifttums nicht nachgab, dem Gläubiger, der kein vermögenswertes positives Interesse dartun oder den Vermögenswert des Interesses (auch unter Berücksichtigung der Erleichterungen durch die §§ 287 I ZPO, 252 S. 2 BGB15) nicht beweisen konnte, den Ersatz des negativen Interesses zu gewähren16 , und es vorzog, das Problem der Unterkompensation mit anderen, technisch unauffälligeren, aber auch nur begrenzt wirksamen Mitteln zu lösen.

13 So die h.M., statt vieler Leser, Rücktritt vom Vertrag, S. 148; Rabel, Recht des Warenkaufs Bd. 1, § 56, 2 (S. 427). A. A. Keuk, Vermögensschaden, S. 160; Heinrich Stoll, AcP 131 (1929), 141, 180 ff. 14 A. A. Hanau/Wackerbarth, in: FS Kim, S. 205, 224 ff. (Ersatz der Vertragskosten in analoger Anwendung von § 467 S. 2 BGB a. F.). 15 Zur Anwendung der §§ 287 I ZPO, 252 S. 2 BGB im Rahmen des Schadensersatzes wegen Nichterfüllung als Erleichterung des Beweises für den Ertrag, der mit nicht von der Rentabilitätsvermutung erfaßten Aufwendungen erwirtschaftet worden wäre, vgl. BGH 19. 4. 1991, BGHZ 114, 193, 202; 22. 10. 1999, BGHZ 143, 41, 49. Zur Bedeutung dieser Normen für den Ersatz des negativen Interesses siehe oben, § 10 I 3. 16 Gegen den Ersatz des negativen Interesses und für den ausschließlichen Ersatz des positiven Interesses als Folge vertraglicher Schadensersatzhaftung BGH 21. 4. 1978, BGHZ 71, 234, 238 (mit Bezug auf § 286 BGB a. F.); 10. 12. 1986, BGHZ 99, 182, 201 (mit Bezug auf den auf pVV oder § 325 I BGB a. F. gegründeten Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung im Fall ernsthafter Erfüllungsverweigerung); 19. 4. 1991, BGHZ 114, 193, 196 (mit Bezug auf § 463 BGB a. F.); 18. 6. 1997, BGHZ 136, 102, 105 (mit Bezug auf § 538 BGB a. F.). – Nur scheinbar weicht davon BGH 23. 1. 1996, NJW 1996, 1745, 1747, ab, wo es heißt, der von der Klägerin auf der Grundlage von § 326 BGB a. F. geltend gemachte »große Schadensersatz« umfasse auch das negative Interesse: Die Beklagte hatte sich darauf berufen, daß der Klägerin aus bereits erbrachten Teilleistungen Vorteile verblieben seien, die auf den Schadensersatz wegen Nichterfüllung nach § 326 BGB a. F. anzurechnen seien. Der BGH hielt diesen Einwand zu Recht für begründet. Die Anführung des negativen Interesses war hier aber fehl am Platze: Es ging schlicht darum, daß die Klägerin aufgrund des Ersatzes des positiven Interesses nicht besser gestellt werden durfte, als sie bei Erfüllung gestanden hätte; so auch U. Huber, Leistungsstörungen Bd. 2, § 39 II 1 (S. 270).

I. Grundlagen

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bb) Ausgleich des Kompensationsdefizits durch die Rechtsprechung Unter den Mechanismen, die trotz der exklusiven Ausrichtung der Vertragshaftung auf das positive Interesse Sanktionslücken vermeiden halfen, ist selbstverständlich an erster, aber nicht an einziger Stelle die Rentabilitätsvermutung zu nennen, die es dem Gläubiger gestattete17, den als solchen nicht beweisbaren Wert seines Erfüllungsinteresses anhand der durch den Erwerb der Leistung veranlaßten Kosten zu beziffern, und zwar aufgrund der Annahme, daß er, wenn der Vertrag erfüllt worden wäre, aus diesen Kosten einen mindestens genauso hohen Vorteil gezogen hätte18. Im Rahmen ihres Anwendungsbereichs war die Rentabilitätsvermutung durchaus dazu geeignet, eine Unterkompensation des Gläubigers zu vermeiden. Doch reichte sie nicht aus, um die Kompensationslücke vollständig zu schließen: Erstens fand sie nur Anwendung auf die Nichterfüllung von Leistungspflichten, die in synallagmatischem Zusammenhang mit einer Gegenleistungspflicht des Gläubigers standen19 ; zweitens erstreckte sie sich ausschließlich auf erwerbsbezogene Aufwendungen (entsprechend der »essential reliance« im Common Law) und nicht auf einsatzbezogene Aufwendungen (»incidental reliance«) 20 , und drittens half sie nicht dem Gläubiger, der seine Vertrauensaufwendungen zu ideellen Zwecken und damit ohne jede Renditeerwartung gemacht hatte21. Es gelang der Rechtsprechung indes in einzelnen Fällen, auch unabhängig von der Rentabilitätsvermutung dafür zu sorgen, daß ein Vertragsbruch nicht mangels quantifizierbaren Nichterfüllungsschadens sanktionslos blieb. Als probates Mittel erwies sich insbesondere die Haftung wegen c.i.c.: Wenn es gelang, eine vom Schuldner zu vertretende vorvertragliche (Aufklärungs-)Pflichtverletzung zu begründen, die ursächlich für die später aufgrund der Nichterfüllung fehlgeschlagenen Aufwendungen des Gläubigers war, konnte dem Gläubiger der Ersatz dieser Aufwendungen als Rechtsfolge des Anspruchs aus c.i.c. zugesprochen werden, ohne daß es auf die Anwendbarkeit der Rentabilitätsvermutung ankam. Exemplarisch wird dies in einer bekannten Entscheidung des Reichsgerichts aus der Frühzeit der c.i.c. deutlich 22 : Gegenstand des Verfahrens war ein langfristiger 17 Zu der Frage, ob die Rentabilitätsvermutung auch noch im gegenwärtigen Schuldrecht anwendbar ist, siehe unten, Abschnitt III 1 b. 18 Vgl. RG 19. 2. 1930, RGZ 127, 245, 248; BGH 21. 4. 1978, BGHZ 71, 234, 238; 23. 9. 1982, NJW 1983, 442, 443; 10. 12. 1986, BGHZ 99, 182, 197; 19. 4. 1991, BGHZ 114, 193, 197; 30. 6. 1993, BGHZ 123, 96, 99; 28. 11. 1997, NJW 1998, 1079, 1081; 26. 3. 1999, JZ 2000, 100 (m.Anm. Timme); 24. 9. 1999, NJW 1999, 3625, 3626; 22. 10. 1999, BGHZ 143, 41, 48; 15. 3. 2000, NJW 2000, 2342, 2343. 19 Vgl. BGH 21. 4. 1978, BGHZ 71, 234, 238 (m.Nachw. zur älteren Rspr.); 19. 4. 1991, BGHZ 114, 193, 197. 20 Vgl. BGH 19. 4. 1991, BGHZ 114, 193, 198; näher dazu oben, § 10 II 1 a bb. 21 Vgl. BGH 10. 12. 1986, BGHZ 99, 182, 198; zuletzt LG Lüneburg 11. 8. 2000, NJW 2002, 614; a. A. OLG Köln 16. 9. 1993, NJW-RR 1994, 687, 688, für den Fall, daß § 253 BGB a. F. durch die Vereinbarung der Parteien abbedungen sei. Zu dem zugrunde liegenden Sachverhalt siehe oben, § 10 III 3 a. 22 RG 26. 4. 1912, JW 1912, 743; vgl. dazu im Hinblick auf den hier interessierenden Gesichtspunkt bereits Hans Stoll, in: FS v. Caemmerer, S. 434, 457 f.

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Vertriebsvertrag, der neben anderen Produkten vor allem den Verkauf eines »Luisinlichts« zum Gegenstand hatte, den der Vertriebspartner des Produzenten durch die Einrichtung von Verkaufsbüros in größeren deutschen Städten fördern sollte. Die Durchführung des Vertrags war daran gescheitert, daß ein Konkurrent des Produzenten den Vertrieb aufgrund eines entgegenstehenden Patents lahmgelegt hatte. Weil der Produzent schon vor dem Vertragsschluß mit entsprechenden Verwarnungen und Ansprüchen konfrontiert worden war, sah ihn das Reichsgericht nach Treu und Glauben als verpflichtet an, den Vertriebsunternehmer bereits bei den Vertragsverhandlungen über die Behauptungen der Konkurrenz zu informieren. Wegen der fahrlässigen Verletzung dieser Pflicht schulde der Produzent seinem Vertragspartner Schadensersatz23. Das Reichsgericht teilt in dem veröffentlichten Auszug des Urteils zwar nicht mit, worin der geltend gemachte Schaden bestand, aber es läßt sich unschwer erschließen, daß es sich um die fehlinvestierten Aufwendungen des Vertriebsunternehmers für die Vorbereitung des Vertriebs handelte, denn von dem entgangenen Gewinn des Unternehmers aus dem Vertrieb ist in dem Urteil weder die Rede, noch erscheint es nach dem geschilderten Sachverhalt denkbar, daß er einen solchen Gewinn beziffern konnte. Eine strikte Beschränkung des Unternehmers auf den Ersatz des Erfüllungsinteresses hätte ihn also im Ergebnis leer ausgehen und die vom Produzenten zu vertretende Nichterfüllung des Vertrags sanktionslos gelassen. Die – zum damaligen Zeitpunkt – innovative Konstruktion der vorvertraglichen Informationspflichtverletzung durch das Reichsgericht verhinderte dieses nicht sachgerechte Ergebnis24. Der BGH hat dieses Instrument bis in die neueste Zeit eingesetzt, um den Ersatz fehlgeschlagener Aufwendungen jenseits der Rentabilitätsvermutung zu legitimieren 25. Nicht immer haben sich deutsche Gerichte allerdings so große Mühe gegeben, Sanktionslücken bei aufgetretenen Leistungsstörungen unter Respektierung der gesetzgeberischen Entscheidung für den ausschließlichen Ersatz des positiven Interesses zu schließen. Bei der Zuerkennung einzelner Schadenspositionen wurde von der Rechtsprechung gelegentlich schlicht verkannt oder vielleicht auch ignoriert, daß es sich hierbei nicht um Nichterfüllungsschäden handelte. Solche (bewußt) fahrlässigen »Korrekturen« der Fixierung der vertraglichen Haftung auf das positive Interesse sind selbst höchstrichterlichen Entscheidungen nicht fremd.

23 Das Reichsgericht lehnte es allerdings noch ab, den von ihm gewährten Anspruch als Fall der c.i.c. einzuordnen, weil es diesen Begriff – getreu der Prägung Jherings – den Fällen ungültiger Vertragsschlüsse vorbehalten wollte. 24 Hans Stoll, in: FS v. Caemmerer, S. 434, 457 f., wendet gegen den vom Reichsgericht verwendeten Lösungsansatz ein, daß er »von dem eigentlichen Problem – nämlich der Rechtfertigung einer bestimmten Form der Schadensberechnung – ablenkt.« Dem ist zu widersprechen: Es ist nicht zu kritisieren, sondern Ausdruck richterlicher Klugheit, wenn Gerichte es schaffen, Begründungswege wählen, die das aus wissenschaftlicher Sicht »eigentliche« Problem unentschieden lassen. 25 Vgl. BGH 18. 6. 1997, BGHZ 136, 102, 105 f. (Ersatz vergeblicher Aufwendungen des Mieters zwar nicht aus § 538 BGB a. F., aber aufgrund eines konkurrierenden Anspruchs aus c.i.c.).

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Ein neueres Urteil des V. Zivilsenats des BGH 26 legt hiervon Zeugnis ab: Die Käuferin einer Wohnung, die – was sie nicht wußte – der Sozialbindung unterlag, verlangte von dem Verkäufer im Wege der Leistungsklage »Rückgängigmachung« des Kaufs durch Freistellung von den zur Finanzierung übernommenen Darlehen, Zug um Zug gegen Rückübereignung der Wohnung, sowie im Wege der Feststellungsklage den Ersatz des weitergehenden Schadens, darunter die noch nicht bezifferte Differenz zwischen den erzielbaren Mieten mit und ohne Sozialbindung. Der BGH, der einen Anspruch auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung nach den §§ 434, 440 I, 326, 325 BGB a. F. annahm 27, gründete darauf sowohl die Verurteilung des Verkäufers zur Freistellung von den Darlehen als auch die Feststellung, daß der Verkäufer die weitergehenden Schäden, also insbesondere auch den Mietausfallschaden, zu tragen habe. Die Finanzierungskosten waren als Nichterfüllungsschaden jedoch nur insoweit ersatzfähig, als es sich bei ihnen – gemäß der Rentabilitätsvermutung – um Aufwendungen zum Erwerb der Wohnung (und nicht zu weitergehenden Zwecken wie etwa zur Renovierung) handelte, bei denen davon auszugehen war, daß sie in den Vermögensvorteilen der (rechtsmangelfreien) Wohnung einen Ausgleich gefunden hätten. Der BGH mißachtete dies in zweierlei Hinsicht 28 : Weder befaßte er sich damit, ob die geltend gemachten Kosten überhaupt unter die – in dem Urteil nicht einmal erwähnte – Rentabilitätsvermutung fielen, noch schien er erkannt zu haben, daß die dadurch ermöglichte Bewertung des Leistungsinteresses anhand der fehlgeschlagenen Aufwendungen des Gläubigers zu einer doppelten Entschädigung führt, wenn diesem zugleich die Vorteile, die mit den Aufwendungen erwirtschaftet werden sollten (etwa in Gestalt entgangener Mieterträge), erstattet werden. Das Bedürfnis, der Käuferin unabhängig vom Ausgang des Streits über die Bezifferung der mit der Feststellungsklage verfolgten Schäden jedenfalls zu einem Mindestschadensersatz zu verhelfen, ließ den Senat offenbar die Grenzen übersehen, die sich in langjähriger Praxis zur Bestimmung des Schadensersatzes wegen Nichterfüllung herausgebildet hatten. Der Erfindungsreichtum der Gerichte und ihre Bereitschaft, es mit der Ausrichtung des vertraglichen Schadensersatzes auf das positive Interesse nicht so genau zu nehmen, reichten indes nicht immer aus, um die Probleme fehlender Quantifizierbarkeit des Nichterfüllungsschadens zu bewältigen. Der »Härtefall«29, in dem der BGH das Versagen der gesetzlichen Vertragsbruchsanktion weder durch eine kühne Konstruktion noch durch rechtstechnische Bedenkenlosigkeit ausgleichen konnte (oder vielleicht auch: wollte), ergab sich, als eine rechtsradikale Partei, die für eine Vortragsveranstaltung eine Stadthalle gemietet hatte, Opfer einer Erfüllungsverweigerung der Vermieterin geworden war30. Die von der Partei als Schadensersatz geltend gemachten Aufwendungen zur Vorbereitung der Veranstaltung 26 27 28 29 30

BGH 21. 1. 2000, JZ 2000, 623 m.Anm. Ernst. Kritisch zur Einordnung der Sozialbindung als Rechtsmangel Ernst, JZ 2000, 624 f. Vgl. schon die Kritik von Ernst, JZ 2003, 624, 626. U. Huber, Leistungsstörungen Bd. 2, § 39 II 5 (S. 279). BGH 10. 12. 1986, BGHZ 99, 182.

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ließen sich, wie wir bereits gesehen haben31, ohne weiteres dem negativen Interesse zuordnen; sie konnten aber, mangels Anwendbarkeit der Rentabilitätsvermutung32 , nicht als Bestandteil des nach den Prämissen des früheren Schuldrechts allein ersatzfähigen positiven Interesses ersetzt werden 33. Der BGH blieb bei diesem Befund stehen und ließ die Klägerin leer ausgehen. Nun ist nicht auszuschließen, daß mit mehr juristischer Phantasie auch hier Abhilfe hätte geschaffen werden können 34. Fest steht aber jedenfalls: Überläßt man, wie das frühere deutsche Schuldrecht, die Vermeidung ineffizienter Unterkompensation aufgrund von Beweis- oder Bewertungsproblemen richterlicher Improvisationskunst, ist dafür ein Preis in Gestalt eines Verlusts an Rechtssicherheit zu zahlen – man kann nie wissen, ob sich im nächsten zur Entscheidung anstehenden Fall noch ein Kunstgriff finden läßt, um zu einer sachgerechten Lösung zu gelangen. b) Common Law Das Problem der Unterkompensation bei fehlender Quantifizierbarkeit des positiven Interesses wurde im US-amerikanischen Common Law anders als im früheren deutschen Schuldrecht mit der Weichenstellung bewältigt, die sich heute § 349 des zweiten Restatement of Contract entnehmen läßt: Danach hat der Gläubiger nach seiner Wahl alternativ zum Anspruch auf Ersatz des positiven Interesses »a right to damages based on his reliance interest, including expenditures made in preparation for performance or in performance, less any loss that the party in breach can prove with reasonable certainty the injured party would have suffered had the contract been performed.« Das englische Recht hat diesen Ansatz der Sache nach übernommen, auch wenn sich die von Fuller geprägten Termini35 (»reliance interest« für das negative, »expectation interest« für das positive und »restitution interest« für das bereicherungsrechtliche Rückgewährinteresse) dort noch nicht vollkommen durchgesetzt haben 36 . Eine Reihe von Fällen, die in diesem Zusammenhang in den USA und in England entschieden oder nach der »Entdek31

Siehe oben, § 10 II 1 a bb. Wie schon in § 10 II 1 a bb ausgeführt wurde, wären die Rentabilitätsvermutung auch unabhängig von der ideellen Zwecksetzung der Klägerin nicht anwendbar gewesen, weil die geltend gemachten Aufwendungen nicht der Erlangung der Gegenleistung dienten. 33 A. A. Altmeppen, DB 2001, 1399, 1404, mit der Begründung, das Erfüllungsinteresse habe in dem Wert der mit dem Kostenaufwand beworbenen Stadthalle für die Klägerin bestanden. Dieser Wert war jedoch nicht vermögensmäßiger Natur und daher nach altem Schuldrecht nicht zu ersetzen. 34 U. Huber, Leistungsstörungen Bd. 2, § 39 II 5 (S. 280 f.), meint, im »Stadthallenfall« habe der Klägerin ein Anspruch wegen arglistiger Schädigung zugestanden, weil sich die Organe der beklagten Betreibergesellschaft der Stadthalle darüber im Klaren gewesen sein müßten, daß es keinen Grund zur Vertragsaufsage gab und daß der Klägerin bereits Kosten entstanden waren. 35 Dazu oben, § 3 II 1 b. 36 Vgl. zum englischen Recht Beale, Remedies, S. 154; Bridge, in: Good Faith and Fault in Contract Law, S. 427, 459 ff.; Burrows, Remedies, S. 248 ff.; Furmston, Contract, Kap. 8.4 (S. 1219 ff.); Treitel, Contract, S. 936 ff. 32

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kung« des »reliance interest« ex post in diesen Zusammenhang eingeordnet worden sind, wurden bereits bei der Erörterung des Umfangs der Haftung auf das negative Interesse angesprochen 37. Hier gilt es noch einige Aspekte nachzutragen, was die Gründe für die Etablierung der Haftung als reguläre Vertragsbruchsanktion und die sich daraus ergebenden Folgeprobleme betrifft. aa) Der Erfolg des »reliance interest«: Praktische Notwendigkeit oder theoretische Überzeugungskraft? Eine Frage, die sich in Anbetracht des Kontrasts zum früheren deutschen Schuldrecht aufdrängt, ist, warum es im Common Law zu dieser recht unorthodoxen Rezeption des »negativen Vertragsinteresses« Jheringscher Prägung38 kam. Daß es sich hierbei theoriegeschichtlich nicht um einen Zufall handelte, hat bereits der erste Teil dieser Untersuchung gezeigt: Wie mit Blick auf die von Holmes geprägte, »klassische« Phase des amerikanischen Vertragsrechts dargelegt wurde, war das Common Law in seinen theoretischen Grundlagen, die nicht auf ein bestimmtes Verhältnis von Selbstbindung und Sanktion festgelegt waren, besser anschlußfähig für eine variantenreichere Sicht der Vertragsbruchsanktionen als das deutsche Recht 39 und im übrigen selbstverständlich nicht durch eine Kodifikation in seiner wissenschaftlichen Weiterentwicklung gehemmt. Ob darüber hinaus auch das praktische Bedürfnis, den vertraglichen Schadensersatz nicht allein auf das positive Interesse auszurichten, in den USA größer gewesen ist als in Deutschland, ist zweifelhaft: Es fällt zunächst auf, daß Sachverhalte wie der deutsche »Stadthallenfall«, in denen die Bezifferung des positiven Interesses an dessen immaterieller Natur und nicht nur an Beweisproblemen scheiterte, bei der Begründung der Ersatzfähigkeit des »reliance interest« keine erkennbare Rolle spielten40. Auch bei der Formulierung von § 349 des zweiten Restatement hat man wohl nur an Konstellationen gedacht, in denen der zum Opfer eines Vertragsbruchs gewordene Gläubiger ein wirtschaftliches Interesse an der vertraglichen Leistung hat41. 37

Siehe insbesondere oben, § 10 II 1. Vgl. dazu, daß es sich beim »reliance interest« um einen »Import« des von Jhering geprägten Begriffs handelte, oben § 3 II 1 b. 39 Siehe oben, § 3 II 2. 40 Fuller/Perdue, 46 Yale L. J. 373, 396 ff. (1936), diskutieren unter der Überschrift »Bargains Relating To a Subject Matter Non-Commercial in Nature« Fälle von »social« oder »moral agreements« außerhalb des Marktkontexts, aber nicht die Frage der Bemessung des Schadensersatzes in Fällen von Markttransaktionen, bei denen die nachgefragte Leistung zu keinem vermögensmäßigen Zweck eingesetzt wurde. Dies verkennt Leonhard, AcP 199 (1999), 660, 684, der dieser Stelle (und 17 A. L. R. 2d 1300, 1350 ff. (1951)) angeblich »umfangreiche Nachweise« für die Behauptung entnommen hat, daß der Verlusteinwand, den der Schuldner dem Anspruch auf das »reliance interest« entgegenhalten kann (dazu auch die folgende Fn.), bei Verträgen, aus denen kein Gewinn gezogen werden soll, nicht gelte. 41 Die Regel, daß von dem zu ersetzenden Schaden abzuziehen sei, »any loss that the party in breach can prove with reasonable certainty the injured party would have suffered had the contract been performed«, ist offenkundig nur im Hinblick auf Fälle formuliert, in denen die ver38

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Des weiteren ist auch nicht ersichtlich, daß besondere Schwierigkeiten der Beweisbarkeit des (materiellen) positiven Interesses im Zivilprozeß der Akzeptanz des negativen Interesses als alternativer Vertragsbruchsanktion den Boden bereiteten. Im rechtsvergleichenden Schrifttum42 werden die Anforderungen, die das amerikanische Recht an den Nachweis des zu ersetzenden Schadens stellt, zwar teilweise mit der Situation verglichen, die in Deutschland vor der Einführung der Schadensschätzung nach § 260 CPO (dem heutigen § 287 ZPO) herrschte: Die Rigidität des damals noch geltenden vollen Beweismaßes schmälerte die Erfolgsaussichten von Schadensersatzklagen so sehr, daß geradezu ein Notstand gegeben war43. Es ist leicht auszumalen, daß aus solcher Not ein erheblicher Veränderungsdruck entsteht, der die Praxis, wenn es nicht, wie in Deutschland, zu einer Absenkung des Beweismaßes kommt, für materiellrechtliche Konstruktionen zur Umgehung des Beweisproblems empfänglich macht. Eine solche Lage ist indes im amerikanischen Recht schon seit der Zeit, in der Fuller das »reliance interest« postulierte44, nicht mehr gegeben. Auch wenn für die Bestimmung des vertraglichen Schadensersatzes nicht das (niedrige) allgemeine zivilrechtliche Beweismaß der überwiegenden Wahrscheinlichkeit (»preponderance of evidence«) 45 gilt, sondern das (höhere) Beweismaß der »reasonable certainty«46 , liegt darin im Vergleich zu der Rechtslage nach § 287 ZPO wohl keine wesentliche Erschwerung für den beweisbelasteten Gläubiger. So kann der Beweis des als »expectation interest« zu ersetzenden, entgangenen Gewinns bei zeitweiligem Betriebsausfall anhand des vor und nach dem Ausfall erwirtschafteten Profits erbracht werden47; oder es kann, wenn der Gläubiger etwa ein »Newcomer« war und der Vertragsbruch seinen Marktzutritt verzögert hat, die »reasonable cerletzte Partei die Leistung zum (fehlgeschlagenen) Zweck der Gewinnerzielung erhalten wollte. Dies bestätigt der Kommentar zu § 349, in dem zwischen dem »reliance interest where profits are uncertain« als Fall des § 349 (Comment a.) und anderen Fällen des Ersatzes des »reliance interest« (Comment b.) unterschieden wird. Zu den anderen Fällen gehören allerdings wiederum nicht Konstellationen wie der Stadthallenfall, sondern die Haftung aus »promissory estoppel« und vergleichbare Fälle, in denen es nach amerikanischem Verständnis an einem durchsetzbaren Vertrag fehlt, sowie die Haftung für »emotional disturbance«. 42 König, in: Kolloquium v. Caemmerer, S. 75, 93. 43 Dazu näher König, a.a.O. 44 Anders, nämlich nach dem Maß der (uneingeschränkten) »certainty« und nicht nach der im folgenden Text angegebenen »reasonable certainty«, beurteilte freilich noch die amerikanische Rspr. des 19. Jahrhunderts den vertraglichen Schadensersatz, vgl. z. B. Griffi n v. Colver, 16 N. Y. 489, 491 (1858) (zit. nach Farnsworth, Contracts Bd. 3, § 12.15 (S. 252)). 45 Dazu etwa Ladd/Carlson, Evidence, S. 1189; Schack, US-amerikanisches Zivilprozeßrecht, S. 67. 46 Vgl. (mit Nachw. zu Rspr. und Lit. in der Reporter’s Note) § 352 des zweiten Restatement: »Damages are not recoverable for loss beyond an amount that the evidence permits to be established with reasonable certainty.« Vgl. ferner zur bis in die zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts zurückreichenden Rspr., auf die diese Lockerung der »certainty rule« zurückgeht, sowie zur gleichlaufenden Interpretation des UCC Farnsworth, Contracts Bd. 3, § 12.15 (S. 253 f.). 47 Vgl. Illustration 5 zu § 352 sowie Rombola v. Cosindas, 351 Mass. 382, 220 N. E.2d 919 (1966).

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tainty« des geltend gemachten Betrags auch mit anderen Mitteln wie Marktstudien über die Ertragskraft vergleichbarer Unternehmen und Sachverständigengutachten bewiesen werden48. Man darf daher – vorbehaltlich eines näheren Vergleichs gleichgelagerter Konstellationen – jedenfalls aus dem Fehlen einer dem § 287 ZPO entsprechenden Regel nicht schließen, daß Fälle, in denen die Zuerkennung von Schadensersatz wegen Nichterfüllung an der Beweisfälligkeit des Gläubigers scheiterte, in den USA öfter vorkommen als hierzulande. Vor diesem Hintergrund ist das Problem beweisnotbedingter Unterkompensation beim vertraglichen Schadensersatz in den USA zur Zeit der Etablierung des »reliance interest« als alternative Vertragsbruchsanktion zumindest nicht wesentlich drängender gewesen, als es in Deutschland seit Einführung der ZPO ist. Selbst wenn dies der Fall gewesen sein sollte, wäre damit zudem nicht zu erklären, warum sich die Idee vom Schutz des »reliance interest« und nicht eine der Rentabilitätsvermutung vergleichbare Lösung durchgesetzt hat. Der Erfolg einer bestimmten Rechtsfigur hat manchmal offenbar weniger mit ihrer praktischen Notwendigkeit zu tun als mit der theoretischen Überzeugungskraft, mit der ihr »Entdecker« seinen Gedanken vorzutragen vermochte. Das gilt für Fullers »reliance interest« genauso wie für Jherings c.i.c.49 bb) Folgeprobleme Wer aus der Perspektive des deutschen Rechts auf das Common Law blickt, wird vor dem Hintergrund der hiesigen Problemlage zunächst die Vorzüge des dort beschrittenen Weges wahrnehmen: Die fehlende Fixierung des vertraglichen Schadensersatzes auf das positive Interesse erspart amerikanischen und englischen Richtern die Anstrengungen, die deutsche Gerichte unter der Geltung des alten Schuldrechts unternehmen mußten, um eine Unterkompensation des vom Vertragsbruch betroffenen Gläubigers zu vermeiden. Auch Fälle wie der Stadthallenfall sind, wenn man den Ersatz des negativen Interesses als alternative Vertragsbruchsanktion zuläßt, ohne weiteres zu meistern. Die Eröffnung dieser Möglichkeit ist allerdings ihrerseits nicht frei von Problemen. Die praktische Handhabung der Trias der »remedies« (unter Mitberücksichtigung des »restitution interest«) fordert von Gerichten wie Parteien größere Umsicht als ein Sanktionssystem, das – wie das frühere deutsche Recht mit dem Schadensersatz wegen Nichterfüllung – auf ein einheitliches Ziel ausgerichtet ist. Das Risiko von Fehleinschätzungen wird dabei im amerikanischen Schrifttum zumindest vereinzelt für so groß gehalten, daß man die Hinwendung zu einem (unwissentlich) dem früheren deutschen Recht nachempfundenen Ansatz empfiehlt, der 48 Vgl. Illustration 6 zu § 352 sowie Evergreen Amusement Co. v. Milstead, 206 Md. 610, 112 A.2d 901 (1955); Ferrell v. Elrod, 63 Tenn.App. 129, 469 S. W.2d 678 (1971); El Fredo Pizza v. Roto-Flex Oven Co., 199 Neb. 697, 261 N. W.2d 358 (1978). 49 Dazu, daß Jhering das praktische Bedürfnis für die von ihm postulierte c.i.c. durch die Behauptung einer »empfi ndlichen Lücke« im Haftungsrecht wohl übertrieb, siehe oben, § 3 I 1 a.

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ausschließlich den Ersatz des positiven Interesses unter Einbeziehung einer Rentabilitätsvermutung (»zero profit assumption«) erlaubt: »The unified structure maintains a single, familiar approach. It avoids issues of election of remedies. It avoids confusion regarding overlapping remedies. It minimizes concern for strategic choices among remedial alternatives. And it helps judges focus on a single objective.«50 Nun ist es nicht Anliegen dieser Arbeit, Verbesserungen des Common Law anzuregen. Die Schwierigkeiten, welche die Anwendung alternativer Formen vertraglichen Schadensersatzes amerikanischen wie englischen Gerichten bereitet, verdienen jedoch im Hinblick auf das neue deutsche Schuldrecht Aufmerksamkeit, das dem Vorbild des Common Law mit der Neuregelung in § 284 BGB nacheifert. Im wesentlichen geht es dabei um zwei Aspekte: Zum einen fällt es schwer, den Ersatz des negativen Interesses zum Ersatz des positiven Interesses in das rechte Verhältnis zu setzen. Die etwa bei Mommsen51 anklingende, formalistische Sicht, daß beide Formen des Schadensersatzes aufgrund wechselseitiger logischer Ausschließlichkeit nicht miteinander kombinierbar seien, hat sowohl im englischen wie auch im amerikanischen Recht keine Zustimmung gefunden52. Statt dessen will man eine Kombination des Ersatzes entgangenen Gewinns und vergeblicher Aufwendungen zulassen, soweit diese nicht dazu führt, daß dem Gläubiger ein und derselbe Schaden doppelt ersetzt wird53. Die Abgrenzungsprobleme, die diese Vorgehensweise mit sich bringt, lassen sich anhand zweier englischer Urteile illustrieren: In dem einen Fall54 begehrte der Kläger, dem Verpackungen für eine Saisonware (»summer cream«) nicht geliefert worden waren, Ersatz vergeblicher Aufwendungen für eine Werbekampagne, darüber hinaus aber auch den entgangenen Gewinn aus dem durch die Nichtlieferung vereitelten Weiterverkauf der Waren. Beides wurde ihm mit der Begründung zugesprochen, daß die Werbeaufwendungen nicht nur dem unmittelbar anstehenden Verkauf der zu verpackenden Ware zugute kommen, sondern auch den späteren Absatz fördern sollten, für den kein entgangener Gewinn geltend gemacht wurde55. In dem anderen Fall56 verlangte der Kläger, der eine Maschine gekauft hatte, die ihre zugesicherte Kapazität nicht erreichte, sowohl den Ersatz der Kapitalkosten für die Anschaffung und Installation der Maschine als auch den Ersatz des entgangenen Gewinns, den er – bei einer zehnjährigen Gesamtlebensdauer der Maschine – innerhalb von drei Jahren mit ihr erwirtschaftet hätte. Hier wurde der Kläger darauf verwiesen, daß er nicht beide Positionen gleichzeitig einklagen dürfe, weil der Anspruch auf den entgangenen Gewinn nur auf der Grundlage zu 50

Kelly, 1992 Wis.L.Rev. 1755, 1838. Unmöglichkeit, S. 107. 52 Vgl. die ablehnenden Stellungnahmen bei Farnsworth, Contracts Bd. 3, § 12.16 (S. 265) (zum amerikanischen Recht) und bei Treitel, Contract, S. 942 (zum englischen Recht). 53 Vgl. Treitel und Farnsworth (wie vorige Fn.). 54 Foaminol Laboratories v. British Artid Plastics, [1941] 2 All E. R. 393. 55 A.a.O. (wie vorige Fn.), 395. 56 Cullinane v. British »Rema« Manufacturing Co., [1954] 1 Q. B. 292 (C. A.). 51

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rechtfertigen sei, daß die Aufwendungen zuvor getätigt worden waren57. Diese Urteile lassen sich nur schwer miteinander versöhnen 58. Entweder beschränkt man sich auf ein Verbot der »double recovery«: Dann wären in dem Fall des Maschinenkaufs neben dem entgangenen (Brutto-)Gewinn für die ersten drei Jahre der Betriebsdauer (der die Kapitalkosten zuzüglich des Nettogewinns erfaßt) auch die auf die restlichen sieben Jahre entfallenden Kapitalkosten zu ersetzen gewesen, weil diese nicht durch die Gewährung des positiven Interesses für den Anfangszeitraum abgegolten werden. Oder man läßt in Anbetracht der Schwierigkeit, (Teil-) Aufwendungen und (Teil-)Erträge einander zuzuordnen, eine solche Aufspaltung (»split claims«) nicht zu: Dann hätte sich der Käufer der Verpackungen entscheiden müssen, ob er den entgangenen Gewinn oder die Werbeaufwendungen ersetzt verlangt. Zum anderen ergibt sich eine in der Praxis zumindest des amerikanischen Common Law noch nicht vollständig geklärte Frage bei der Bemessung des negativen Interesses: Mit Selbstverständlichkeit werden hierzu die Aufwendungen gerechnet, die der Gläubiger im Vertrauen auf die Leistungserbringung vergeblich gemacht hat (auch wenn die Gerichte nicht immer dazu imstande sind, diese Komponente des negativen Interesses einwandfrei zu bestimmen 59). Unsicherheit besteht jedoch, was die Einbeziehung der Opportunitätskosten, nämlich des entgangenen Gewinns aus einem nicht getätigten Alternativgeschäft, betrifft: Bereits bei der Erörterung des Umfangs der Haftung auf das negative Interesse wurde darauf hingewiesen, daß sich weder Fuller noch das zweite Restatement noch schließlich die amerikanische Rechtsprechung bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt eindeutig zur Ersatzfähigkeit von Opportunitätskosten als Teil des negativen In57

A.a.O (wie vorige Fn.), 302. So auch McGregor, Damages, Rz. 2–039. 59 Ein Beispiel, in dem sowohl die Parteien als auch das Gericht, mit der Anwendung der verschiedenen Möglichkeiten der Schadensbemessung überfordert waren, stellt Kelly, 1992 Wis. L.Rev. 1755, 1838 ff., vor: In Nance v. Resolution Trust Corp., 803 S. W.2d 323 (Tex.App. 1990), hatte der Kläger dem Beklagten ein Darlehen zugesagt, mit dem dieser ein Grundstück kaufen und darauf Eigenheime errichten lassen wollte. Vor Fertigstellung des Bauprojekts brach der Kläger seine Darlehenszusage und verweigerte die Auszahlung des noch ausstehenden Darlehensbetrags. Der Beklagte gab daraufhin in dem Bestreben, die Arbeiten fortzuführen, noch eigene Mittel zur Bezahlung seiner Subunternehmer aus. Weil diese sich jedoch als unzureichend erwiesen, brach das Projekt zusammen. Gegen den Rückzahlungsanspruch des Klägers wegen des bereits ausgezahlten Teils des Darlehens machte der Beklagte daraufhin einen Schadensersatzanspruch wegen des vertragsbrüchigen Verhaltens des Klägers geltend. Der Beklagte berief sich insoweit auf das positive Interesse, nämlich darauf, daß sich bei Fertigstellung des Projekts die Investition rentiert, er also einen (mindestens) gleich hohen Betrag durch den Verkauf der Häuser erwirtschaftet hätte. Dies sah das Gericht als nicht erwiesen an; auch die Anwendung einer Rentabilitätsvermutung lehnte es ab. Darüber hinaus nahm das Gericht aber auch fälschlich an, das alternativ zu ersetzende (vom Beklagten übersehene) negative Interesse umfasse nur die Eigenmittel, die der Beklagte in das Projekt investiert habe. Dabei übersah es, daß auch der von dem Kläger ausgezahlte Darlehensbetrag als Aufwendung in das Projekt geflossen war. Demnach stand dem Rückzahlungsanspruch des Klägers in voller Höhe ein auf das negative Interesse gerichteter Schadensersatzanspruch des Beklagten gegenüber. 58

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teresses bekannt haben60. Die hinter dieser Zurückhaltung stehende Vorstellung, daß mit dem Übergang vom »expectation interest« zum »reliance interest« eine Haftungsmilderung bezweckt sei, die durch den Ersatz von Opportunitätskosten konterkariert zu werden drohe, geht indes, wie an dieser Stelle gleichfalls gezeigt wurde 61, auf ein ökonomisch wie juristisch kritikwürdiges Verständnis der Pflicht zum Ersatz des negativen Interesses zurück. Die Vorbildfunktion, die das Common Law bei der Etablierung der Haftung auf das negative Interesse als (alternative) Vertragsbruchsanktion hat, kann es daher in dieser Frage nicht beanspruchen. c) Internationale Vertragsrechtsvereinheitlichung Vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Wege, die das frühere deutsche (Richter-)Recht und das Common Law beschritten haben, um eine Unterkompensation des Geschädigten in Fällen des Vertragsbruchs zu vermeiden, sind die bereits in Kraft getretenen oder projektierten Instrumente internationaler Vertragsrechtsvereinheitlichung von besonderem Interesse: Inwieweit eröffnen diese dem Gläubiger die Möglichkeit, den ihm zu leistenden Schadensersatz auch nach dem Ziel zu berechnen, so gestellt zu werden, wie er stehen würde, wenn er nicht auf die Erfüllung des Vertrags vertraut hätte? aa) UN-Kaufrecht Das UN-Kaufrecht hält hierfür keine gesetzliche Grundlage bereit: Nach Art 74 S. 1 CISG ist dem Gläubiger der ihm infolge der Vertragsverletzung (»as a consequence of the breach«; »par la suite de la contravention«) entstandene Verlust, einschließlich des entgangenen Gewinns, zu ersetzen. Dieser Verlust ist der Nichterfüllungsschaden und nicht der – infolge des Vertragsschlusses und nicht der Vertragsverletzung entstandene 62 – Vertrauensschaden. Eine Pflicht zum Ersatz des negativen Interesses ergibt sich nur in dem besonderen Fall des Art. 79 IV CISG: Hat eine Partei aufgrund eines außerhalb ihres Einflußbereichs liegenden Hinderungsgrundes für die Nichterfüllung einer ihrer Pflichten nicht einzustehen und dies der anderen Partei nicht innerhalb einer angemessenen Frist mitgeteilt, so haftet sie für den aus dem Nichterhalt der Mitteilung entstehenden (Vertrauens-) Schaden. Auch wenn der Text des CISG daher einem Wahlrecht des Gläubigers, statt des positiven das negative Interesse ersetzt zu verlangen, alles andere als eine Stütze bietet63, spricht sich die Mehrheit des Schrifttums gleichwohl dafür aus, und zwar

60

Siehe oben, § 10 II 2 a. Wie vorige Fn. 62 Zu den unterschiedlichen Anknüpfungspunkten der Haftungsbegründung, die zu der Unterscheidung zwischen positivem und negativem Interesse führen, siehe oben, § 1 III. 63 In Anbetracht dessen befremdet die Behauptung Zieglers, Leistungsstörungsrecht, S. 207, 61

I. Grundlagen

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überwiegend für den Fall der Vertragsaufhebung64. Ob sich eine solche Auslegung des UN-Kaufrechts angesichts der klaren Ausrichtung der Schadensersatzpflicht auf das positive Interesse besser begründen läßt, als dies etwa im früheren deutschen Schuldrecht der Fall war, kann man bezweifeln. Die Entscheidung der Diskussion über die lex lata des Einheitskaufrechts mag hier jedoch dahinstehen: Das Problem der Unterkompensation des Gläubigers, der seinen Nichterfüllungsschaden – aus Beweisnot oder weil es sich um einen immateriellen Schaden handelt – nicht liquidieren kann, bleibt jedenfalls auf der Ebene des Konventionstextes ungelöst65. Ob und welche Auswege sich praeter oder extra legem bieten, interessiert weniger, denn hierzu lassen sich letztlich nur die bereits in den nationalen Rechten erprobten Figuren und Argumentationsmuster im Rahmen der autonomen Auslegung auf die Ebene des Einheitsrechts heben66 , ohne daß man daraus wiederum Anregungen für das nationale Recht beziehen könnte. Aufschlußreich ist das Meinungsbild zur Ersatzfähigkeit des negativen Interesses nach dem UN-Kaufrecht allenfalls deshalb, weil es zeigt, daß das rechtsvergleichend informierte Schrifttum anders als die Literatur zum früheren deutschen Recht deutlich dahin tendiert, dem Gläubiger zu gestatten, nach seiner Wahl den Ersatz des negativen Interesses zu verlangen, und sich davon auch nicht durch einen widerspenstigen Gesetzestext abhalten läßt. Dies spricht zumindest für eine hohe wissenschaftliche Attraktivität, wenn auch nicht notwendig für die überlegene Praxistauglichkeit der Haftung auf das negative Interesse als alternative Vertragsbruchsanktion.

es sei kein Grund ersichtlich, der gegen einen wahlweisen Ersatz des Vertrauensschadens spreche. 64 Honsell/Schönle, Art. 74 Rz. 15, 17; Neumayer/Ming, Commentaire, S. 487 f.; Schackel, ZEuP 2001, 248, 271; Schlechtriem/Schwenzer/Stoll/Gruber, Art. 74 Rz. 2 (dort auch weitere Nachw.); Staudinger/Magnus, Art. 74 CISG Rz. 21, 53; für ein von der Vertragsaufhebung unabhängiges Wahlrecht Ziegler (wie vorige Fn.). A. A. (mit weiteren Nachw.) Fischer, Unmöglichkeit, S. 49 f. 65 Schackel, ZEuP 2001, 248, 271, will allerdings der französischen Sprachfassung von Art. 74 S. 1 CISG einen gewissen Hinweis auf die Ersatzfähigkeit des negativen Interesses entnehmen. Danach ist nicht der entstandene Verlust »einschließlich« (»including«) des entgangenen Gewinns zu ersetzen, sondern der entstandene Verlust »und« (»et«) der entgangene Gewinn. Darin sieht er womöglich zu Recht einen Ausdruck des romanischen Schadensverständnisses, das den Ersatz der fehlgeschlagenen Aufwendungen unter den Begriff des damnum emergens (»perte subie«) faßt und dieses vom lucrum cessans (»gain manqué«; verstanden als den Nettogewinn) trennt. Indes sollte dieses sachlich verfehlte nationale Vorverständnis (dazu bereits § 1 III sowie der folgende Abschnitt bb) nicht prägend für die autonome Auslegung des CISG werden. 66 Zu beachten ist freilich, daß verfahrensrechtliche Fragen nicht zum Regelungsbereich des CISG gehören, sondern der lex fori vorbehalten sind. Daher unterliegen auch Regelungen über das Beweismaß wie § 287 ZPO dem Prozeßrecht der lex fori (Schlechtriem/Stoll, Art. 74 Rz. 49). Teilweise will man hierzu auch die von der deutschen Rspr. entwickelte Rentabilitätsvermutung rechnen (so Schlechtriem, UN-Kaufrecht, Rz. 308; Fischer, Unmöglichkeit, S. 50 Fn. 109). Richtigerweise handelt es sich bei der Rentabilitätsvermutung aber nicht um eine Ausprägung von § 287 ZPO (dazu bereits oben § 10 II 1 a aa), sondern um einen materiellrechtlichen Satz, dessen Geltung nach dem CISG zu beurteilen ist (so auch Schlechtriem/Schwenzer/Stoll/Gruber, Art. 74 Rz. 52).

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bb) Einheitsvertragsrechte Blickt man auf die Unidroit Principles of International Contracts (UP), die Principles of European Contract Law (EP) und den unter der Leitung von Gandolfi erstellten Vorentwurf eines Code Européen des Contrats (CEC), so ergibt sich, was zunächst die Ausrichtung des vertraglichen Schadensersatzes betrifft, kein inhaltlich vom UN-Kaufrecht abweichender Befund: Art. 7.4.2 I UP sieht den Ersatz des Schadens vor, der dem Gläubiger als Folge der Nichterfüllung (»as a result of the non-performance«) entstanden ist, und fügt dem klarstellend hinzu, daß der zu ersetzende Schaden sowohl den erlittenen Verlust als auch den entgangenen Gewinn umfaßt. Art. 9:502 EP enthält eine damit sachlich übereinstimmende Regel, die sich allein dadurch von Art. 7.4.2 I UP unterscheidet, daß sie den Schadensersatz nicht von der Ursache (der Nichterfüllung), sondern von der Zielgröße her bestimmt, wie dies auch hierzulande bei der Definition des positiven Interesses üblich ist: Die geschädigte Partei sei zu versetzen »into the position in which it would have been if the contract had been duly performed«. Art. 162 I 1 CEC schließlich stellt, wie Art. 7.4.2 I UP, auf die als Folge der Nichterfüllung, Schlechterfüllung oder des Verzugs anzusehenden Schäden (»les dommages qui, raisonnablement, doivent être considérés comme en constituant la conséquence«) ab; daß hierzu sowohl der erlittene Verlust als auch der entgangene Gewinn gehören, besagt Art. 163 I CEC. Anders als das UN-Kaufrecht tragen diese Regelwerke indes dem Problem der Unterkompensation von Gläubigern, deren Nichterfüllungsschaden immaterieller Natur oder mit den im Zivilprozeß zur Verfügung stehenden Mitteln nicht voll zu beweisen ist, in verschiedenen Regelungen Rechnung: Art. 7.4.2 II UP bezieht immaterielle Schäden in den Haftungsumfang ein. Art. 7.4.3 UP läßt ferner in Abs. 1 für das Beweismaß – wie in den USA § 352 des zweiten Restatement – ein vernünftiges Maß an Sicherheit (»a reasonable degree of certainty«) genügen; Abs. 2 sieht zudem die Ersatzfähigkeit verlorener Chancen nach dem Grad ihrer Eintrittswahrscheinlichkeit voraus, und Abs. 3 gestattet schließlich in den Fällen, in denen der Betrag des Schadens nicht mit hinreichender Sicherheit festgestellt werden kann, die Schadensschätzung nach dem Ermessen des Gerichts. Die European Principles erklären in Art. 9:501 II lit. a gleichfalls immaterielle Schäden wie beispielsweise entgangene Urlaubsfreude 67 ausdrücklich für ersatzfähig und ordnen verlorene Chancen als »future loss« ein, der nach Art. 9:501 II lit. b ersatzfähig ist68 ; sie halten sich freilich bei der Gewährung richterlichen Ermessens im Vergleich zu den Unidroit Principles zurück. Der Code Européen des Contrats erlaubt wie die beiden anderen Vertragsrechtsmodelle den Ersatz immaterieller Schäden (Art. 164 CEC); des weiteren läßt er eine »certitude raisonnable« (Art. 165 I CEC) als Beweismaß ausreichen, und er eröffnet bei Unmöglichkeit präziser

67 68

Vgl. Illustration 7 zu Art. 9:501 EP. Dazu Comment F zu Art. 9:502 EP.

I. Grundlagen

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Schadensbezifferung zuletzt auch die – durch verschiedene Kriterien präzisierte – Möglichkeit richterlicher Schätzung der Schadenshöhe (Art. 168 I CEC). Unter den Mechanismen zur Verhinderung von Kompensationsdefiziten findet sich jedoch auf den ersten Blick nicht die dem Gläubiger gewährte Option, statt des positiven das negative Interesse ersetzt zu verlangen69. Doch verbirgt sich jedenfalls bei den Unidroit Principles und bei den European Principles die Anerkennung der Ersatzfähigkeit fehlgeschlagener Aufwendungen hinter der in Art. 7.4.2 I UP und in Art. 9:502 EP getroffenen Unterscheidung zwischen damnum emergens und lucrum cessans. Dies zeigt hinsichtlich der Unidroit Principles ein zur Illustration des Schadensersatzes vorgestelltes Schulbeispiel70 : Ein Sänger, der einem Konzertveranstalter ein Engagement aufgekündigt habe, müsse diesem nicht nur die Aufwendungen zur Vorbereitung des Konzerts, sondern auch den entgangenen Gewinn ersetzen. Hier wird mit Selbstverständlichkeit vorausgesetzt, daß es sich bei den fehlgeschlagenen Aufwendungen um eine als damnum emergens zu ersetzende Position des vertraglichen Schadensersatzes handelt, der mit dem Nettogewinn als lucrum cessans zum Schaden zu addieren ist. Die gleiche Sichtweise begegnet in den Erläuterungen zu Art. 9:502 EP, in denen es heißt: »The sums recoverable as general damages embrace both expenditure incurred and gains not made.«71 Vor dem Hintergrund des deutschen wie auch des anglo-amerikanischen Rechtskreises ist die Unbefangenheit, mit der hier fehlgeschlagene Aufwendungen als Teil des Nichterfüllungsschadens ausgewiesen werden, nicht zu verstehen. Die Quelle der in den Unidroit Principles und den European Principles anzutreffenden Gleichsetzung des damnum emergens mit den fehlgeschlagenen Aufwendungen ist vielmehr das französische Recht: Das Beispiel des vertragsbrüchigen Sängers findet sich bereits in einem führenden französischen Lehrbuch, in dem es zur Erläuterung der gleichfalls positiven Schaden und entgangenen Gewinn umfassenden Regelung des Art. 1149 Code civil verwendet wird72. Daß es seinen Weg in die Erläuterungen der Unidroit Principles gefunden hat und die damit vermittelte Lehre auch in den kurze Zeit danach veröffentlichten, damit in engem Zusammenhang stehenden European Principles ihren Niederschlag fand, ist entstehungsge-

69 Vgl. auch Koziol, in: Europäische Vertragsrechtsvereinheitlichung und deutsches Recht, S. 195, 196: Art. 9:502 EP »sagt wohl nichts anderes aus, als daß der durch die Nichterfüllung verursachte Schaden zu ersetzen ist«. 70 Illustration 4 zu Art. 7.4.2 UP. 71 Comment A zu Art. 9:502 EP. 72 Planiol/Ripert/Boulanger, Droit Civil 2, Tz. 744: »Par exemple, si un chanteur engagé dans un concert manque à sa parole de telle sorte que le concert ne peut avoir lieu, l’artiste devra indemniser l’entrepreneur de spectacles avec laquel il avait traité: 10 des déboursés déja fait pour les préparatifs du concert (location d’une salle, affiches et insertions dans les journaux, etc.); 20 du bénéfice net qui serait resté à l’›impresario‹ après le concert, tel que ce bénéfice pourra être estimé.« – Ob das Beispiel noch älteren Ursprungs ist, sei hier dahingestellt.

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schichtlich wohl mit der Herkunft des für den Art. 7.4 UP zuständigen Berichterstatters Tallon zu erklären73. Sachlich kann die Gleichsetzung der Aufwendungen des Gläubigers mit dem positiven Schaden jedoch nicht befriedigen: Das Erfüllungsinteresse, auf dessen Ersatz Art. 7.4.2 I UP und Art. 9:502 EP gerichtet sind, umfaßt den Betrag der Aufwendungen nur insoweit, als sich die Aufwendungen bei Erfüllung des Vertrags in einem Ertrag für den Gläubiger niedergeschlagen hätten (was im deutschen Recht hinsichtlich der erwerbsbezogenen Aufwendungen vermutet wird74, aber nicht hinsichtlich aller Aufwendungen unwiderleglich unterstellt werden darf). Die Aufwendungen selbst sind dagegen weder eine Folge der Nichterfüllung (im Sinne von Art. 7.4.2 I UP), noch sind sie (nach Art. 9:502 EP) zu ersetzen, wenn man den Gläubiger in die Lage versetzen will, in der er sich befände, wenn der Vertrag ordnungsgemäß erfüllt worden wäre. Daher trifft es nicht zu, sie als damnum emergens dem Erfüllungsinteresse zuzuordnen. Allenfalls kann man den durch die Nichterfüllung bedingten Fehlschlag der Aufwendungen als einen immateriellen Nichterfüllungsschaden begreifen, der allerdings nur zu ersetzen ist, wenn man sich der Frustrationslehre anschließt. Dafür bieten beide Vertragsrechte aber keine Anhaltspunkte75. In ihrer begrifflich-logischen Durchdringung der Problematik des vertraglichen Schadensersatzes fallen die Einheitsrechtskonzeptionen daher hinter das Niveau zurück, das vom deutschen, amerikanischen und englischen Recht mit der Einsicht in den Unterschied zwischen positivem und negativem Interesse erreicht wurde76 . Das verwundert vor allem bei den European Principles, in deren Erläuterungen der vertragliche Schadensersatz nach Art. 9:502 ausdrücklich als »expectation interest« charakterisiert77 und der Schutz des »reliance interest« als Alternative durchaus zur Kenntnis genommen wird78. Allerdings bedarf es einer solchen gedanklichen Strenge nicht, wenn die Schadensbemessung einer richterlichen Ermessensentscheidung unterstellt ist, wie dies Art. 7.4.3 III UP und Art. 168 I CEC vorsehen. Bezeichnenderweise hat die Unter73 Tallon war auch Mitglied und Berichterstatter der Kommission, die mit der Erarbeitung der Regeln der European Principles über die Erfüllung und die Nichterfüllungssanktionen befaßt war. 74 Siehe oben, § 10 II 1 a aa. 75 Die in Art. 9:502 II lit. a EP und in Art. 7.4.2 II UP vorgesehene Ersatzfähigkeit immaterieller Schäden bezieht sich nur auf die Entschädigung immaterieller Einbußen (vgl. dazu den Comment E), nicht aber auf die Anerkennung der Frustrationslehre. 76 Vgl. auch Treitel, Remedies, Tz. 84, der (mit Blick auf das französische Recht) den hier skizierten Gebrauch des Begriffspaars damnum emergens – lucrum cessans als unglücklich bezeichnet. 77 Comment A zu Art. 9:502 EP. 78 Die Entgegensetzung von »expectation« und »reliance interest« wird in Note 1 zu Art. 9:502 EP erklärt, und das von einigen Rechten anerkannte Recht des Gläubigers, statt des positiven das negative Interesse ersetzt zu verlangen, fi ndet in Note 5 zu Art. 9:502 EP Berücksichtigung (zu diesen Rechten wird allerdings irrig auch das frühere deutsche Schuldrecht gezählt, das angeblich im Fall des Rücktritts den Ersatz des negativen Interesses gewährt habe; das dazu angeführte Zitat Palandt/Heinrichs, § 325 a. F. Rz. 25, enthält auch nicht diese Aussage).

II. Die systematische Einordnung von § 284 BGB

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scheidung von positivem und negativem Interesse gerade in den Rechtsordnungen keine Verbreitung gefunden, die dem erkennenden Gericht in dieser Hinsicht Spielräume zu einer an Billigkeitsgesichtspunkten orientierten Entscheidung lassen79, denn wenn die Schadensbemessung keine revisiblen Rechtsfragen aufwirft, besteht weder die Notwendigkeit noch überhaupt die Gelegenheit zu einer genaueren rechtlichen Analyse des vertraglichen Schadensersatzes80. Die Sachgerechtigkeit der von den Gerichten erzielten Ergebnisse muß unter dem Fehlen subtiler rechtlicher Differenzierungen nicht unbedingt leiden, und der Verlust an Rechtssicherheit, den eine Billigkeitsrechtsprechung mit sich bringt, ist jedenfalls dann zu verschmerzen, wenn eine technisch anspruchsvollere Regelung den Richter nur überfordern würde. »Nichtentwicklung der Rechtsbegriffe kann auch einmal wohltätig auf die Rechtsprechung wirken, obschon freilich nicht dem letzten Erfolge nach,« stellte Rabel in einem 1908 veröffentlichten Vortrag zu der seinerzeit von ihm beobachteten Verkennung des negativen Interesses durch schweizerische, österreichische und französische Richter fest81. Doch wußte Rabel auch: »Haben wir aber das Wissen, so ist das Paradies nicht mehr zu halten.«

II. Die systematische Einordnung von § 284 BGB Mit der Einführung von § 284 BGB haben die Verfasser des Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts das erklärte Ziel verfolgt, die vor allem im Stadthallenfall82 deutlich gewordene Sanktionslücke zu schließen, die sich im bisherigen Schuldrecht ergab, wenn man sich mit der Rechtsprechung des BGH darauf beschränkte, vergebliche Aufwendungen des Gläubigers im Rahmen der Rentabilitätsvermutung nur insoweit zu ersetzen, als sie durch den Ertrag aus der geschuldeten Leistung gedeckt worden wären: »Der Entwurf geht davon aus«, heißt es in der Regierungsbegründung unter Übernahme einer (nur redaktionell angepaßten) Erwägung der Kommission zur Überarbeitung des Schuldrechts83, »dass – über die Ergebnisse der Rechtsprechung hinausgehend – dem betroffenen Gläubiger

79 Vgl. Viney/Jourdain, Traité de de droit civil – Les conditions de la responsabilité, S. 9, mit der folgenden (hier unter Weglassung der Fußnoten zitierten) Charakterisierung der französischen Rechtsprechung: »Le libéralisme de la jurisprudence relativement à la constatation du dommage est remarquable. Sans doute, exige-t-elle, en principe, que la victime apporte la preuve du préjudice dont elle se plaint. Mais cette preuve est en principe administrée librement et, en cas de litige, la Cour de cassation décide que les éléments fournis par les parties sont soumis à l’appéciation souveraine des juges du fond, sous la seule réserve du contrôle de l’exactitude, de la suffisance et du caractère non contradictoire des motifs invoqués.« – Im italienischen Recht eröffnet § 1226 Codice Civile dem Richter ebenfalls einen Spielraum bei der Schadensbemessung. 80 So auch mit Bezug auf das französische Recht Treitel, Remedies, Tz. 89; Schackel, ZEuP 2001, 248, 268. 81 Rabel, ZSR 27 (1908), 291, 295 = Gesammelte Aufsätze, S. 147, 151. 82 BGH 10. 12. 1986, BGHZ 99, 182. 83 Abschlußbericht der Kommission zur Überarbeitung des Schuldrechts, S. 174.

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stets die Möglichkeit zustehen soll, Ersatz seiner Aufwendungen unabhängig davon zu erlangen, ob sie auf Grund einer – vermuteten – ›Rentabilität‹ des Vertrags jedenfalls als der kostendeckende Teil des entgangenen materiellen Ertrags aus dem Geschäft qualifiziert werden können oder nicht. Unsicherheiten und Zufälligkeiten in der Rentabilitätsberechnung und der Bewertung von Vorteilen aus dem Geschäft als materiell oder immateriell werden so vermieden. Auch erscheint es gerecht, dass diese Kosten von dem Teil zu tragen sind, der das Scheitern des Vertrags zu vertreten hat.«84 Das rechtspolitische Anliegen der Regelung über den Ersatz vergeblicher Aufwendungen entspricht daher unserem ökonomischen Postulat, die Sanktionen für Selbstbindungstatbestände so auszugestalten, daß eine ineffiziente Unterkompensation des Gläubigers vermieden wird85. Rechtssystematisch bereitet die Einordnung dieser »eigentümliche[n] Neuschöpfung«86 des Reformgesetzgebers jedoch Probleme: Handelt es sich dabei um den rudimentären Ausdruck eines Anspruchs auf Ersatz des negativen Interesses, der vom Gläubiger wahlweise anstelle eines Anspruchs auf Ersatz des positiven Interesses geltend gemacht werden darf? Oder gelangt in § 284 BGB die Frustrationslehre in der Weise zum (Teil-)Durchbruch, daß dem Gläubiger eines Anspruchs auf Schadensersatz statt der Leistung gestattet wird, sein positives Interesse anhand der Aufwendungen zu berechnen, die er im Vertrauen auf den Erhalt der Leistung getätigt hat? Oder hat man schließlich in der neuen Vorschrift nur eine punktuelle gesetzgeberische Ergänzung der im Stadthallenfall an das Ende ihrer Entwicklungsmöglichkeiten gelangten Rentabilitätsvermutung zu sehen? Das Schrifttum zum reformierten Schuldrecht hat insoweit noch zu keiner einheitlichen Linie gefunden87, und die Rechtsprechung – insbesondere der BGH in 84 BT-Drucks. 14/6040, S. 143 (die hier und nachfolgend angegebenen Fundstellen zu Zitaten aus der Regierungsbegründung beziehen sich auf den damit identischen Fraktionsentwurf). 85 Siehe oben, Abschnitt I 1 (mit den zugehörigen Weiterverweisen auf den ersten Teil dieser Untersuchung, in dem dieses Postulat hergeleitet wird). 86 MünchKomm/Ernst, § 284 Rz. 2. 87 Vgl. etwa die unterschiedlichen Einordnungen bzw. Charakterisierungen bei Bamberger/ Roth/Grüneberg, § 284 Rz. 13 (Ersatz des negativen Interesses); Canaris, in: FS Wiedemann, S. 3, 27 (Schutz des Vertrauens auf die Erbringung der Leistung); dems., DB 2001, 1815, 1816 (»das negative Interesse in der eingeschränkten Form des Aufwendungsersatzes«; abweichend davon aber a.a.O., 1820: der nach § 284 ersatzfähige Schaden liege in der »Frustrierung« der Aufwendungen); dems., in: Karlsruher Forum 2002, S. 5, 50 (nach § 284 BGB sei »nicht jede Art des negativen Interesses ersatzfähig«); MünchKomm/Ernst, § 284 Rz. 7 (Ersatz immateriellen Nichterfüllungsschadens); Gsell, in: Das neue Schuldrecht in der Praxis, S. 321, 336 f. (Ersatz immateriellen Nichterfüllungsschadens); Oechsler, Schuldrecht BT, Rz. 256 (Ersatz des negativen Interesses); Reim, NJW 2003, 3662, 3663 (»eigene Anspruchsgrundlage«); Staudinger/Otto, § 284 Rz. 10 (»wirtschaftlich« betrachtet Ersatz des negativen Interesses, jedoch nicht mit diesem identisch, a.a.O., Rz. 24); Schwenzer, in: FS Schlechtriem, S. 657, 665 Fn. 46 (Ersatz des negativen Interesses); Hk-BGB/Schulze, § 284 Rz. 1 (Ersatz des negativen Interesses); Schultz, in: Schuldrecht 2002, S. 17, 67 f. (Ersatz immateriellen Nichterfüllungsschadens); Stoppel, Ersatz frustrierter Aufwendungen, S. 51 (Ersatz des immateriellen Frustrationsinteresses); Tröger, ZIP 2005, 2238, 2240 f.; dems., ZGS 2005, 462, 463 (Ersatz des durch die Aufwendungen repräsentierten

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seiner ersten Leitentscheidung88 – musste hierzu noch nicht Stellung beziehen. Die Frage der systematischen Verortung von § 284 BGB wird indes auf Dauer nicht auf sich beruhen können: Je nachdem, worin man den Rechtsgedanken der Norm erblickt, wird man zu einer Ausdehnung oder aber zu einer restriktiven Handhabung der neuen Vorschrift neigen: Hiervon hängt etwa ab, ob der an der Leistung materiell interessierte Gläubiger über die Rentabilitätsvermutung hinaus Ersatz seiner Aufwendungen verlangen kann, ohne den Entgang eines damit erwirtschafteten Gewinns zu beweisen89, ob des weiteren außer den Aufwendungen des Gläubigers auch dessen Opportunitätskosten als Gegenstand des Ersatzes in Betracht kommen90 oder ob, um ein letztes Beispiel zu nennen, der Ersatz vergeblicher Aufwendungen nicht nur anstelle des Schadensersatzes statt der Leistung (§ 280 III BGB), sondern auch als Alternative zum Ersatz von »einfachen« (§ 280 I BGB) und Verzögerungsschäden (§ 280 II BGB) zu gewähren ist91. Daher ist es nicht nur dem Drang zur wissenschaftlichen Systematisierung, sondern auch einem wichtigen praktischen Bedürfnis geschuldet, der Interpretation von § 284 BGB durch die Formulierung des ihr zugrunde liegenden Gedankens eine Richtung zu geben, welche die mit der Einführung der Vorschrift verbundenen Erwartungen verwirklicht und zugleich ihre von Wertungswidersprüchen freie Einbettung in das System des Leistungsstörungsrechts erlaubt. Welche der drei soeben in Frageform angesprochenen Möglichkeiten diesem Anliegen am ehesten gerecht wird (eine perfekte Lösung darf angesichts des krummen Holzes, aus dem die Norm geschnitzt ist, niemand erwarten), sei im Folgenden überprüft.

1. Ergänzung der Rentabilitätsvermutung bei immateriellem Leistungsinteresse? § 284 BGB als das nichtkommerzielle Pendant zur Rentabilitätsvermutung zu erklären, drängt sich geradezu auf. Danach soll die Neuregelung nur die im Stadthallenfall deutlich gewordene Benachteiligung der zu ideellen oder sonstigen Teils des positiven Interesses); Unholtz, Ersatz »frustrierter Aufwendungen«, S. 178 (teilweiser Ersatz des negativen Interesses); Weitemeyer, AcP 205 (2005), 275, 283 (Teilersatz des negativen Interesses); Wiedemann, in: FS Ulmer, S. 1273, 1281 (§ 284 BGB als »Stadthallenparagraph«, dessen Bedeutung auf den vom Gesetzgeber vorgestellten Fall eines zu idellen Zwecken abgeschlossenen Vertrags einzuengen sei); Kompaktkomm/Willingmann/Hirse, § 284 Rz. 2 (schadensersatzrechtliche Einordnung; keine eigene Anspruchsgrundlage); v. Wilmowsky, JuS 2002, Beil.1, S. 15 (Ersatz des negativen Interesses). 88 BGH 20. 7. 2005, NJW 2005, 2848; Vorinstanz OLG Stuttgart 25. 8. 2004, ZGS 2004, 434. Aus der instanzgerichtlichen Rspr. vgl. außerdem LG Bonn 30. 10. 2003, NJW 2004, 74 (dazu unten, Abschnitt III 1 b); LG Bremen 7. 4. 2004, Az. 6 O 2105/03 (veröffentlicht in der Datenbank juris). 89 Siehe dazu sogleich unter 1. 90 Siehe dazu unten, Abschnitt II 3 b aa sowie Abschnitt III 2 c. 91 Siehe dazu unten, Abschnitt II 2 a cc sowie Abschnitt III 1 b.

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nichtkommerziellen Zwecken handelnden Gläubiger gegenüber Gläubigern mit wirtschaftlicher Zielsetzung beseitigen, indem sie ersteren zu dem Genuß des Ersatzes vergeblicher Aufwendungen verhilft, der letzteren schon nach früherem Schuldrecht aufgrund der Rentabilitätsvermutung zugute kam. Der Reiz dieses Ansatzes liegt unverkennbar in der schonenden Behandlung, die er der Rechtslage bis zum Inkrafttreten der Schuldrechtsreform angedeihen läßt: Die nach der Rentabilitätsvermutung entschiedenen Fälle blieben davon unberührt; § 284 BGB könnte darauf unangewendet bleiben92 oder wäre allenfalls als gesetzliche Festschreibung dieser Methode zur Bestimmung des materiellen Nichterfüllungsschadens auszulegen. Die Neuregelung käme der Rechtsprechung nur bei der Überwindung des Hindernisses zur Hilfe, das § 253 BGB für die Anerkennung einer gleichsinnigen Bewertung immaterieller Nichterfüllungsschäden darstellt93. Auf den ersten Blick scheint dies auch die Position der Regierungsbegründung zu sein: Nach der Aufzählung einer Reihe von Konstellationen, in der die Rentabilitätsvermutung in Ermangelung eines Vermögenswerts, der mit den Aufwendungen erwirtschaftet worden wäre, nach Einschätzung der Begründungsverfasser versagt oder jedenfalls zu versagen droht, kommt die Begründung zu dem Schluß, daß eine »sachgerechte gesetzliche Lösung geboten [erscheint], zumal der Gesetzgeber freier ist als die Rechtsprechung, die insbesondere die Grenzen des § 253 zu beachten hat«94. Doch erweist sich diese restriktive Sicht der Bedeutung von § 284 BGB als letztlich nicht überzeugend95. Man kann es noch grundsätzlich hinnehmen, daß die Neuregelung, sollte sie tatsächlich nur auf eine Gleichstellung nichtkommerzieller mit kommerziellen Fallgestaltungen hinwirken, einer teleologischen Reduktion bedürfte, denn ihrem Wortlaut läßt sich – anders als nach der Rentabilitätsvermutung96 – keine Beschränkung auf den Ersatz von Aufwendungen entnehmen, die sich auf den Erwerb (und nicht auf die weitere Verwendung) der versprochenen Leistung beziehen. Aber auch unabhängig vom Wortlaut der Vorschrift, der ja durchaus nicht vollkommen geglückt sein mag97, ist der Versuch, § 284 BGB nicht 92 So in der Tat zunächst Palandt 63 /Heinrichs, § 284 Rz. 4, der diese Ansicht in den Folgauflagen freilich aufgegeben hat, siehe nun Palandt/Heinrichs, § 284 Rz. 3; wohl auch Wiedemann, in: FS Ulmer, S. 1273, 1281. 93 So wohl Grundmann, AcP 204 (2004), 569, 599 (durch die Einführung von § 284 BGB wurde »im wesentlichen nur die BGH-Entscheidung im Stadthallenfall korrigiert«). 94 BT-Drucks. 14/6040, S. 143. 95 Wie hier gegen eine Beschränkung der Normanwendung auf ideelle Zwecksetzungen BGH 20. 7. 2005, NJW 2005, 2848, 2850, sowie Althammer, NZM 2003, 129, 132; Dedek, ZGS 2005, 409, 410; Emmerich, Leistungsstörungen, S. 210 f.; ders., in: FS Otte, S. 101, 108; Bamberger/ Roth/Grüneberg, § 284 Rz. 3; Grigoleit, ZGS 2002, 122, 123; Gsell, in: Das neue Schuldrecht in der Praxis, S. 321, 324; dies., NJW 2006, 125; MünchKomm/Ernst, § 284 Rz. 5, 10; Staudinger/ Otto, § 284 Rz. 13; Reim, NJW 2003, 3662, 3664; Tröger, ZIP 2005, 2238, 2242; Weitemeyer, AcP 205 (2005), 275, 278 f.; Erman/Westermann, § 284 Rz. 6. 96 Vgl. etwa BGH 19. 4. 1991, BGHZ 114, 193, 198; näher dazu oben, § 10 II 1 a bb. 97 Auch die hiesige Lösung geht über den Wortlaut der Norm hinaus; siehe unten, Abschnitt II 3 b aa.

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mehr als eine Vermutung der ideellen »Rentabilität« (d. h. der Zweckerreichung) erwerbsbezogener Aufwendungen des Gläubigers zu entnehmen und sie nur in diesem Umfang zu ersetzten, aus zwei Gründen abzulehnen: Zum einen würde ein solcher Ansatz das gesetzgeberische Anliegen durchkreuzen, dem Gläubiger in Konstellationen wie dem Stadthallenfall98 zu einer Entschädigung für seine Aufwendungen zu verhelfen. Zur Erinnerung99 : Bei den Aufwendungen, deren Ersatz die Mieterin der Stadthalle von der vertragsbrüchigen Vermieterin verlangte, handelte es sich nicht etwa um die Miete für die Halle, sondern um die Kosten der Veranstaltung, die in der Halle hätte durchgeführt werden sollen100. Es ging daher nicht um Aufwendungen, die erforderlich waren, um die Mieterin in den Genuß der Gegenleistung, nämlich der Gebrauchsüberlassung der Halle, zu bringen, und die, wenn die Mieterin ein kommerzielles Interesse verfolgt hätte, in der Überlassung der Halle einen Gegenwert in gleicher Höhe gefunden hätten. Eine zu kommerziellen Zwecken handelnde Mieterin hätte sich also nicht auf die Rentabilitätsvermutung berufen können. Wer § 284 BGB auf die Gleichbehandlung kommerzieller und nichtkommerzieller Zwecksetzungen beschränken will, dürfte demnach auch der an der Leistung ideell interessierten Mieterin keinen Ersatz zusprechen. Damit der Stein des Anstoßes, der den Gesetzgeber zum Handeln bewog, wirklich aus dem Weg geräumt wird, muß man folglich nicht nur die der Rentabilitätsvermutung innewohnende Privilegierung wirtschaftlicher Zwecksetzungen beseitigen, sondern sich auch von der vermeintlichen Beschränkung des nach § 284 BGB zu leistenden Ersatzes auf erwerbsbezogene Aufwendungen (»essential reliance«) verabschieden und ihn zusätzlich auf einsatzbezogene Aufwendungen (»incidental reliance«) beziehen101. Und damit dies wiederum nicht zu einer Schlechterstellung von Gläubigern führt, die in kommerziellem Kontext handeln, kommt man schließlich nicht umhin, § 284 BGB unabhängig davon anzuwenden, ob die Zielsetzung, die der Gläubiger mit seinen Aufwendungen verfolgt, wirtschaftlicher oder nichtwirtschaftlicher Art ist102. Ist dieser gedankliche Schritt getan, bleibt von der These, in § 284 BGB finde die Rentabilitätsvermutung ihr nichtkommerzielles Gegenstück, nichts mehr übrig.

98

BGH 10. 12. 1986, BGHZ 99, 182. Siehe oben, § 10 II 1 a bb. 100 Nämlich um Honorare und Reisespesen sowie den Aufwand für die Werbung. 101 A. A. Faust, in: P. Huber/Faust, Schuldrechtsmodernisierung, Rz. 4/24 (S. 166 f.); Emmerich, Leistungsstörungen, S. 212, die sich für eine differenzierende Lösung aussprechen (näher dazu unten Abschnitt III 2 a). Vgl. dagegen bereits Canaris, in: FS Wiedemann, S. 3, 32 f.; Gsell, in: Das neue Schuldrecht in der Praxis, S. 321, 324 f.; MünchKomm/Ernst, § 284 Rz. 22. 102 So auch schon Gsell, in: Das neue Schuldrecht in der Praxis, S. 321, 324. – Die Relevanz von § 284 BGB für den Ersatz nicht einsatzbezogener Aufwendungen, die nicht von der Rentabilitätsvermutung erfaßt werden, verkennt Grigoleit, ZGS 2002, 122, 123, wenn er meint, § 284 BGB habe bei wirtschaftlicher Zwecksetzung allenfalls dann eine eigenständige Bedeutung, wenn der Gläubiger aus marktstrategischen oder spekulativen Gründen einen »überhöhten« Preis in Kauf genommen habe. 99

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§ 11 Der Schutz des negativen Interesses bei wirksamen Rechtsgeschäften

Zum anderen steht diesem Ansatz die – von den Gesetzesverfassern bewußt gewählte – systematische Stellung des § 284 BGB entgegen: Nach dem Entwurf der Kommission zur Überarbeitung des Schuldrechts und dem damit übereinstimmenden Diskussionsentwurf des Bundesjustizministeriums (§ 327 I 2 BGBKE103, § 325 I 2 BGB-DiskE104) sollte der Anspruch auf Ersatz fehlgeschlagener Aufwendungen (der damals noch als ein Anspruch auf Ersatz des Vertrauensschadens ausgestaltet war105) in den Titel über die gegenseitigen Verträge aufgenommen werden. Auf Betreiben der mit der Überarbeitung des Entwurfs betrauten Kommission Leistungsstörungsrecht erhielt die (abgeänderte) Regelung dann ihren Platz unter den allgemeinen Regeln der §§ 280 ff. BGB106 . Damit sollte deutlich gemacht werden, daß der Gläubiger auch bei einseitigen Schuldverhältnissen wie z. B. einem Vermächtnis berechtigt sein soll, anstelle des Schadensersatzes statt der Leistung den Ersatz fehlgeschlagener Aufwendungen zu verlangen107. Auch mit dieser Entscheidung hat der Gesetzgeber den Rahmen einer behutsamen Ergänzung der Rentabilitätsvermutung verlassen: Deren Begründung ruht bekanntlich auf der synallagmatischen Struktur des Schuldverhältnisses, auf das der Gläubiger seinen Ersatzanspruch stützt108 – die Aufwendungen, deren Ersatz durch die Vermutung legitimiert wird, sind in einem weit verstandenen Sinne dem »Preis« zuzurechnen, den der Gläubiger für die ausbedungene Leistung zahlt109. Auf einseitige Schuldverhältnisse kann die Vermutung daher naturgemäß keine Anwendung finden. Weil § 284 BGB den Ersatz fehlgeschlagener Aufwendungen aber, wie systematisch und entstehungsgeschichtlich belegt ist, eindeutig auf Verletzungen nicht-synallagmatischer Pflichten ausdehnen will, muß man also, um den Gedanken der Vorschrift zu verstehen, die eingefahrenen Gleise der Rentabilitätsvermutung verlassen110.

2. Ersatz des positiven Interesses nach Maßgabe der Frustrationslehre? Den Veränderungen, die § 284 BGB dem Leistungsstörungsrecht aufprägt, wird womöglich besser gerecht, wer den Aufwendungsersatz als eine neuartige Form des Ersatzes des positiven Interesses einordnet. Danach läßt sich »nicht nur der mit einer Aufwendung erstrebte, aber ausgebliebene Gewinn, sondern auch die Zweckverfehlung von Aufwendungen, die ideellen oder konsumtiven Zwecken

103

Abschlußbericht, S. 172. Abgedruckt bei Canaris, Schuldrechtsmodernisierung 2002, S. 22. 105 Zu den Gründen, von diesem Vorschlag der Schuldrechtskommission abzugehen, siehe unten, Abschnitt II 3 b aa. 106 Vgl. § 284 KonDiskE; abgedruckt bei Canaris, Schuldrechtsmodernisierung, S. 359 f. 107 Vgl. BT-Drucks. 14/6040, S. 143. 108 Siehe oben, Abschnitt I 2 a bb. 109 Siehe oben, § 10 II 1 a aa, sowie die entsprechenden Überlegungen zur »essential reliance« bei Fuller/Perdue, 46 Yale L. J. 52, 78 (1936); Farnsworth, Contracts Bd. 3, § 12.1 (S. 149 f.). 110 Ähnlich Canaris, in: FS Wiedemann, S. 3, 26 f. 104

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dienten, [. . .] als Nichterfüllungsschaden einordnen«111. § 284 BGB wächst damit eine doppelte Funktion zu112 : Einerseits gewährt die Neuregelung aus dieser Perspektive dem Gläubiger, dessen durch die Nichterfüllung eingetretener Verlust in der Zweckverfehlung nicht zur Gewinnerzielung bestimmter Aufwendungen besteht und daher immaterieller Natur ist, abweichend von § 253 I BGB eine Entschädigung, deren Betrag sich – in den Grenzen der Billigkeit und vorbehaltlich einer Zweckvereitelung aus anderem Grund – nach den Aufwendungen bemißt, die der Gläubiger für den später verfehlten Zweck aufgeopfert hat. Insoweit wird § 284 BGB also anspruchsbegründende Bedeutung zugesprochen. Andererseits wird dieser Ansicht zufolge dem Gläubiger, der die Leistung zur Gewinnerzielung einsetzen wollte, die Möglichkeit eröffnet, seinen dem Grunde nach bisher schon ersatzfähigen materiellen Nichterfüllungsschaden jenseits der Rentabilitätsvermutung – wiederum in den Grenzen der Billigkeit und vorbehaltlich anderweitiger Zweckvereitelung – nach Maßgabe aller Aufwendungen zu berechnen, die er im Vertrauen auf den Erhalt der Leistung gemacht hat. Insoweit erhält § 284 BGB demnach einen anspruchsmodifizierenden Gehalt. Anders als der Versuch, § 284 BGB als bloße Ergänzung der Rentabilitätsvermutung zugunsten des nicht gewinnorientierten Gläubigers zu deuten, führt dieser Interpretationsansatz nicht zu den sinn- und systemwidrigen Verkürzungen des Norminhalts, die soeben kritisiert wurden: Weder zwingt er dazu, nur erwerbsbezogene Aufwendungen als ersatzfähig anzuerkennen und damit das rechtspolitische Anliegen einer wirksamen Sanktionierung von Vertragsbrüchen auch in Konstellationen wie dem Stadthallenfall zu konterkarieren, noch beschneidet er den weiten, kommerzielle ebenso wie nicht-kommerzielle Aufwendungszwecke und synallagmatische ebenso wie nicht-synallagmatische Pflichten einschließenden Anwendungsbereich der Norm. Die Argumente, die gegen ihn geltend zu machen sind, ergeben sich vielmehr aus gegenläufigen Erwägungen: Die ratio, mit der § 284 BGB hier in Fällen nichtkommerzieller Zwecksetzungen unterlegt wird, läuft auf deutlich weiterreichende Konsequenzen hinaus, als die tatbestandlichen Grenzen der Vorschrift je erlauben würden (dazu a). Im übrigen ist die Auslegung von § 284 BGB als Ausprägung des Frustrationsgedanken jedenfalls teilweise der Kritik ausgesetzt, die sich gegen diese Lehre insgesamt richtet (dazu b).

111 Gsell, in: Das neue Schuldrecht in der Praxis, S. 321, 336. Ebenso MünchKomm/Ernst, § 284 Rz. 6; Grundmann, AcP 204 (2004), 569, 599 ff.; Schultz, in: Schuldrecht 2002, S. 17, 67; Stoppel, Ersatz frustrierter Aufwendungen, S. 51. 112 Dies betont MünchKomm/Ernst, § 284 Rz. 5.

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§ 11 Der Schutz des negativen Interesses bei wirksamen Rechtsgeschäften

a) Einwände im Hinblick auf § 284 BGB aa) Nichtanwendbarkeit auf deliktische Ansprüche Mit Hilfe der These von der Teilanerkennung der Frustrationslehre läßt sich zunächst nicht erklären, warum nicht auch dem Gläubiger eines deliktischen Anspruchs der Ersatz fehlgeschlagener Aufwendungen für nichtkommerzielle Zwekke zusteht113 : § 284 BGB setzt voraus, daß der Gläubiger zum Schadensersatz statt der Leistung berechtigt ist, und erfordert daher, nicht anders als die §§ 280 I, III, 281–283 BGB, die Verletzung einer Pflicht aus einem zwischen Gläubiger und Schuldner bestehenden Schuldverhältnis. Ist der Schuldner dagegen für das Ereignis, das zum Fehlschlag der Aufwendungen des Gläubigers geführt hat, nur deliktisch verantwortlich, findet die Vorschrift unstreitig keine Anwendung114. Die Neuregelung soll also nichts daran ändern, daß etwa ein Jagdpächter115 oder ein Hobby-Rennfahrer116 , der durch einen Verkehrsunfall verletzt und deshalb an der Ausübung seiner Freizeitaktivität gehindert wurde, von dem deliktisch haftenden Unfallverursacher keinen Ersatz für die nutzlos gewordenen Aufwendungen für die Jagdpacht bzw. die Herrichtung seines Rennwagens verlangen kann. Aus der Sicht derjenigen, die § 284 BGB das Gläubigerprivileg entnehmen wollen, Entschädigung für die immaterielle Einbuße verlangen zu dürfen, die in der Vereitelung des Aufwendungszwecks liegt, muß die Ausgrenzung deliktischer Ansprüche willkürlich erscheinen: Was für einen Unterschied macht es, ob die Zweckvereitelung auf einen deliktischen oder einen vertraglichen Haftungsgrund zurückzuführen ist? Eine mögliche Antwort darauf ist durch die Schuldrechtsreform verstellt: Man könnte daran denken, daß es jedenfalls dann einen besonderen Grund für die Vergütung eines aufgrund Vertragsbruchs erlittenen »Frustrationsschadens« gibt, wenn der ideelle Zweck, dessen Verwirklichung durch das Schuldnerverhalten vereitelt wurde, mit dem Gegenstand der zwischen Gläubiger und Schuldner geschlossenen Vereinbarung zusammenfällt. So hat das OLG Köln vor der Reform in einem Fall, in dem der Schuldner dem Gläubiger vertraglich zugesagte Eintrittskarten für eine Filmpreisverleihung nicht geliefert hatte, den Ersatz der mit dem Besuch der Preisverleihung im Zusammenhang stehenden Aufwendungen (Flug-, Hotel- und Mietwagenkosten) mit der Begründung zugesprochen, daß § 253 BGB von den Parteien abbedungen worden sei, denn der Parteiwille sei hier darauf gerichtet, daß ein ideeller Vorteil (der Genuß der Veranstaltung) »das vermögenswerte Äquivalent der im Vertrauen auf die Vertragserfüllung getätigten Aufwendungen bilden soll«117. 113 Diesen Gesichtspunkt hat im Vorfeld der Gesetzgebung Hans Stoll, JZ 2001, 589, 596 mit Fn. 38a, als Kritik an dem damaligen Gesetzesvorschlag vorgetragen. 114 Vgl. nur MünchKomm/Ernst, § 284 Rz. 10. 115 Vgl. BGH 15. 12. 1970, BGHZ 55, 146, 147 ff. 116 Vgl. OLG Hamm 5. 2. 1998, NJW 1998, 2292. 117 OLG Köln 16. 9. 1993, NJW-RR 1994, 687. In der Literatur zum früheren Schuldrecht stimmt damit der Ansatz von Messer/R. Schmitt, in: FS Hagen, S. 425, 434 f., überein.

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§ 284 BGB knüpft jedoch nicht an diese Überlegung an118 : Weder läßt sich dem Wortlaut der Regelung entnehmen, daß die Erreichung des Zwecks, die durch die Pflichtverletzung vereitelt wurde, Gegenstand der verletzten Pfl icht gewesen sein muß, noch läßt das gesetzgeberische Anliegen, gerade in Fällen, in denen der Aufwendungszweck jenseits des vertraglichen Leistungsprogramms lag, für eine Ersatzberechtigung des Schuldners zu sorgen119, eine dahingehende teleologische Reduktion zu. Schließlich spricht die Schwierigkeit, zwischen einem mittelbaren und einem unmittelbaren Zusammenhang der geschuldeten Leistung mit dem Aufwendungszweck zu unterscheiden, gegen die Praktikabilität eines solchen Vorschlags. Man kommt daher nicht umhin, § 284 BGB auch dann anzuwenden, wenn die »frustrierten« Aufwendungen zu einem Zweck gemacht wurden, der mit der nicht oder nicht pflichtgemäß erbrachten Leistung nur in einem mittelbaren Zusammenhang steht120. Mit der Erstreckung der Ersatzberechtigung auch auf mittelbar nutzlos gewordene Aufwendungen entfällt aber, wenn man hierin eine Form der Kompensation immaterieller Schäden sehen will, jegliche Rechtfertigung für die dem Gesetz zu entnehmende Schlechterstellung von Gläubigern, die ihre Anspruchsberechtigung nur auf eine unerlaubte Handlung des Schuldners und nicht auf die Verletzung einer Pflicht aus einem bereits bestehenden Schuldverhältnis stützen können. Ob die Ursache, die mittelbar zu der Vereitelung des Aufwendungszwecks geführt hat, etwa die Voraussetzungen eines deliktischen oder eines vertraglichen Haftungsgrunds erfüllt, kann für die Anerkennung eines ersatzfähigen »Frustrationsschadens« nicht erheblich sein. Weil aber das Gesetz durch die Beschränkung der Ersatzfähigkeit fehlgeschlagener Aufwendungen auf die Verletzung von Schuldverhältnissen eine solche Unterscheidung unzweifelhaft verlangt, erweist sich dieser Ansatz als unzureichend zur Erklärung des positiven Rechts. Zwei Abwandlungen des vom OLG Köln entschiedenen Falls verdeutlichen diesen Einwand. Man stelle sich vor, der Besuch der Filmpreisverleihung sei dadurch vereitelt worden, daß der Karteninhaber den Ort der Veranstaltung nicht rechtzeitig erreichen konnte und deshalb nicht mehr eingelassen wurde. Liegt der Grund für seine Verspätung darin, daß der von ihm für eine bestimmte Zeit bestellte Mietwagen nicht fahrtüchtig war, kann er die Kosten für die Eintrittskarten als mittelbar »frustrierte« Aufwendungen nach § 284 i. V. m. § 280 I, III, 283 BGB121 118 Vgl. aber die Forderung Fausts, in: P. Huber/Faust, Rz. 4/24 (S. 166 f.) (der sich Emmerich, Leistungsstörungen, S. 212, anschließt), Ersatz für verwendungsbezogene Aufwendungen nur dann zu gewähren, wenn eine bestimmte Verwendung der Leistung des Schuldners im Vertrag vereinbart oder als selbstverständlich vorausgesetzt ist (siehe dazu auch unten, Abschnitt III 2 a). 119 Etwa in dem »Diskothekenfall« BGH 19. 4. 1991, BGHZ 114, 193. 120 So bereits Canaris, in: FS Wiedemann, S. 3, 33; Gsell, in: Das neue Schuldrecht in der Praxis, S. 321, 332 f.; MünchKomm/Ernst, § 284 Rz. 23; Tröger, ZIP 2005, 2238, 2244. 121 In dieser Fallgestaltung hat die Miete den Charakter einer absoluten Fixschuld, deren Erfüllung durch Zeitablauf nach § 275 I BGB unmöglich geworden ist. Daher ist § 283 BGB und nicht § 281 BGB anzuwenden.

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von dem Vermieter ersetzt verlangen122. Ist dagegen Ursache der Verspätung ein von einem Dritten verschuldeter Verkehrsunfall, wäre ihm die Inanspruchnahme des Dritten mit dem gleichen Ziel verwehrt. Diese Ungleichbehandlung ist von der Warte der »Frustrationslehre« nicht zu erklären: In beiden Fällen hat der Schuldner durch sein schuldhaftes Verhalten das Nutzloswerden der Aufwendungen verursacht, und es liegt diese Folge seines Verhaltens weder außerhalb der Wahrscheinlichkeit, noch verwirklicht sich darin nur das allgemeine Lebensrisiko des Gläubigers. Daher ist der Schuldner für den »Frustrationsschaden« in beiden Fällen haftungsrechtlich verantwortlich. Zwar hat der Schuldner im ersten Fall eine vertragsrechtlich sanktionierte Pflicht gegenüber dem Gläubiger und im zweiten Fall »nur« eine deliktsrechtlich sanktionierte Pflicht gegenüber jedermann verletzt. Weil aber die vertragliche Pflicht des Autovermieters ebensowenig die Gewährleistung des Veranstaltungsbesuchs als Aufwendungszweck zum Gegenstand hat wie die Jedermannspflicht des Verkehrsteilnehmers, kann von einer gesteigerten Verantwortlichkeit des Vertragsschuldners für den Aufwendungserfolg keine Rede sein. Deshalb müßte man, wenn der immaterielle Verlust in Gestalt der »Frustration« von Aufwendungen überhaupt als kompensationsfähiger Schaden gelten soll, in beiden Fällen eine Ersatzberechtigung des Gläubigers annehmen. Daß das BGB auch nach der Schuldrechtsreform gerade dies nicht tut, gibt Anlaß dazu, sich um eine andere Formulierung des Grundgedankens der Neuregelung zu bemühen123. bb) Beschränkung auf den Ersatz von Aufwendungen, die im Vertrauen auf den Leistungserhalt getätigt wurden Die Annahme, daß § 284 BGB die »Übersetzbarkeit« eines immateriellen Nichterfüllungsschadens in Euro und Cent124 nach Maßgabe der vergeblichen Aufwendungen des Gläubigers eröffnet, läßt sich außerdem nicht mit der Begrenzung des Ersatzes auf solche Aufwendungen vereinbaren, die der Gläubiger im Vertrauen auf den Erhalt der Leistung gemacht hat. Im Schrifttum ist man sich darüber einig, daß das Vertrauen auf den Erhalt der Leistung, das für die Aufwendung kausal geworden ist, berechtigt gewesen sein muß und daher Aufwendungen, die in der bloßen Hoffnung auf einen künftigen Vertragsschluß gemacht wurden, grundsätzlich nicht unter den Tatbestand der Vorschrift fallen125, es sei denn, daß sie der

122

Ebenso MünchKomm/Ernst, § 284 Rz. 23. MünchKomm/Ernst, § 284 Rz. 23, erkennt diesen Einwand andeutungsweise an, indem er einräumt, »dass eine Ersatzberechtigung auch hinsichtlich der mittelbar vereitelten Aufwendungen die gesetzessystematische Frage aufwirft, warum der durch den Verlust der Aufwendungen Betroffene keinen Ersatz verlangen kann, wenn die Verantwortlichkeit des Täters eine außervertragliche ist«. Wer, wie Ernst, in § 284 BGB die Anordnung einer Entschädigung für einen Nichtvermögensschaden erblickt, wird diese Frage nicht beantworten können. 124 So plastisch Gsell, in: Das neue Schuldrecht in der Praxis, S. 321, 337. 125 Statt vieler Gsell, in: Das neue Schuldrecht in der Praxis, S. 321, 331; MünchKomm/Ernst, § 284 Rz. 18. 123

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Gläubiger, wie teilweise differenzierend hinzugefügt wird126 , nach dem Vertragsschluß »storniert« oder noch durch Abschluß eines anderen Vertrags rentabel gemacht hätte, wenn er die Pflichtverletzung vorausgesehen hätte. Diese Grenzziehung deckt sich mit der Limitierung der Ersatzfähigkeit fehlgeschlagener Aufwendungen als Teil des negativen Interesses127. Sie ist jedoch, wie bereits anhand der englischen Entscheidung Anglia Television Ltd. v. Reed128 aufgezeigt wurde129, nicht zu begründen, wenn man der Vorstellung anhängt, in § 284 BGB gehe es um die Kompensation eines immateriellen positiven Interesses: Wäre der Fehlschlag von Aufwendungen als ersatzfähiger Nichterfüllungsschaden zu betrachten, käme es für die Haftungsbegründung allein auf die Kausalität der Pflichtverletzung für den Fehlschlag an. Die Kausalität des Vertragsschlusses für die Entstehung oder Aufrechterhaltung der Aufwendungen wäre dagegen ohne Belang. Eine Einteilung zwischen (ersatzfähigen) nachvertraglichen und (prinzipiell nicht ersatzfähigen) vorvertraglichen Aufwendungen käme demnach nicht in Betracht. Beispielhaft: Ist durch die schuldhafte Nichterfüllung der Verkäuferpflicht zur Lieferung eines Gemäldes die Anschaffung eines maßgefertigten Rahmens hinfällig geworden, müßten die fehlgeschlagene Aufwendung für den Rahmen unabhängig davon zu ersetzen sein, ob der Käufer die Anfertigung des Rahmens vor oder nach dem Abschluß des Kaufvertrags über das Bild in Auftrag gegeben hat. Denn ungeachtet des Entstehungszeitpunkts gilt: Anhand der Aufwendungen läßt sich beziffern, »wie viel die Zweckerreichung dem Geschädigten mindestens wert war«130 und mit welchem Betrag dementsprechend (aus der Sicht der Frustrationslehre) der infolge Zweckverfehlung eingetretene Nichtvermögensschaden zu veranschlagen ist. Eben dies ist die Position, die Lord Denning M. R. für das englische Recht in Anglia Television Ltd. v. Reed bezogen hat131. Zur Auslegung von § 284 BGB wird diese Ansicht jedoch, soweit ersichtlich, nirgends vertreten, und zwar zu Recht: Sie zwänge dazu, die Tatbestandsvoraussetzung, daß der Gläubiger die später nutzlos gewordenen Aufwendungen »im Vertrauen auf den Erhalt der Leistung« gemacht haben muß, der Bedeutungslosigkeit preiszugeben, nämlich so zu verstehen, als ob dort nur »im Hinblick auf den Erhalt der Leistung« stünde. Durch eine solche Auslegung würde dem Gläubiger die Möglichkeit eröffnet, das Risiko eines Fehlschlags vorvertraglicher Aufwendungen nachträglich auf den Schuldner abzuwälzen, ohne daß dazu eine Veranlassung besteht132. Die Beschränkung auf die 126

Gsell, in: Das neue Schuldrecht in der Praxis, S. 321, 331 f.; MünchKomm/Ernst, § 284 Rz. 19. 127 Siehe oben, § 10 II 1 c bb. 128 [1972] 1 Q. B. 60. 129 Siehe oben, § 10 II 1 c cc. 130 Gsell, in: Das neue Schuldrecht in der Praxis, S. 321, 337. 131 [1972] 1 Q. B. 60, 64. 132 Daß es rechtspolitisch nicht sinnvoll ist, der einen Partei die vorvertraglichen Aufwendungen der anderen Seite grundsätzlich aufzuerlegen, wurde für den Fall des Scheiterns der Ver-

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Ursächlichkeit berechtigten Vertrauens für die Entstehung (oder Aufrechterhaltung) der fehlgeschlagenen Aufwendungen, die dieses Merkmal daher unstreitig verlangt, läßt sich nun aber nicht in einen sinnvollen systematischen Zusammenhang stellen, wenn man den Aufwendungsersatz als Form der Gewährung des positiven Interesses versteht. cc) Anknüpfung an die Voraussetzungen des Schadensersatzes statt der Leistung Dasselbe gilt schließlich für die Begrenzung des Anwendungsbereichs von § 284 BGB im Hinblick auf die Ersatzberechtigung des Gläubigers: Danach kann der Gläubiger den Ersatz nutzlos gewordener Aufwendungen nur anstelle des Schadensersatzes statt der Leistung verlangen. Jedenfalls nach dem Wortlaut der Vorschrift kann der Aufwendungsersatz daher nicht anstelle des neben die Leistung tretenden (im folgenden: »leistungsergänzenden«) Schadensersatzes verlangt werden, sei dies nun der Ersatz von Verzögerungsschäden nach den §§ 280 I, II, 286 BGB oder der »einfache« Schadensersatz nach § 280 I BGB. Dies muß vor dem Hintergrund der These, daß der Gesetzgeber in § 284 BGB die Kompensation eines durch die Pflichtverletzung verursachten, immateriellen Schadens angeordnet hat, Anstoß erregen, denn es ist aus dieser Perspektive nicht zu erkennen, warum diese Kompensationsmöglichkeit dem Gläubiger nur dann offenstehen sollte, wenn eine ausgebliebene Leistung nicht nachgeholt oder ein Mangel der Leistung nicht behoben wird. Der praktische Bedarf, auch in Fällen bloßer Leistungsverzögerung oder Schlechtleistung Ersatz für Aufwendungen zu erhalten, die infolge der Pfl ichtverletzung des Schuldners nutzlos geworden sind, mag zunächst nicht besonders groß sein133 : Hat der Gläubiger, wenn die Leistung nachgeholt oder mangelfrei nacherfüllt wird, entsprechende Aufwendungen ein zweites Mal zu machen134, kann er die Zweitaufwendungen, je nachdem ob sie durch die Schlechtleistung oder durch die Leistungsverzögerung veranlaßt wurden, entweder nach § 280 I BGB oder nach §§ 280 I, II, 286 BGB ersetzt verlangen. Hierbei handelt es sich um einen materiellen Nichterfüllungsschaden, der als Teil des positiven Interesses unproblematisch zu ersetzen ist. Schwierigkeiten können sich allein bei der Abgrenzung zwischen den beiden »Spuren« des leistungsergänzenden Schadensersatzes – § 280 I BGB auf der einen und §§ 280 II, 286 BGB auf der anderen Seite – ergeben135.

tragsanbahnung oben in § 7 II 2 b aa dargelegt. Dies gilt auch für den Fall, daß der Vertrag zustande kommt, aber dann nicht erfüllt wird. 133 Darauf weist MünchKomm/Ernst, § 284 Rz. 14, hin. 134 Das ist beispielsweise der Fall, wenn der Gläubiger, um die gekaufte Sache an dem vereinbarten Zeitpunkt beim Schuldner abzuholen, einen Lkw gemietet hat: Muß er, weil der Schuldner beim ersten Abholversuch nicht lieferbereit war, den Lkw für die Abholung zu einem späteren Termin ein zweites Mal mieten, sind ihm diese Kosten als Verzögerungsschaden zu ersetzen. 135 Näher dazu Arnold/Dötsch, BB 2003, 2250, 2251 f.

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Es bleiben aber Fälle, in denen Aufwendungen zu einem ideellen Zweck durch eine Schlechtleistung oder Leistungsverzögerung entwertet wurden, ohne daß sie bei der Nacherfüllung oder bei der Nachholung der Leistung erneut anfallen. Hier kommt es in der Tat auf die Ersatzfähigkeit der fehlgeschlagenen Aufwendungen an. Hat etwa der Käufer eines Hausgrundstücks in freudiger Erwartung des neuen Heims bereits einen großen Weihnachtsbaum angeschafft und wird ihm das Grundstück erst nach Weihnachten mit Verspätung übergeben136 , ergibt sich die Möglichkeit, den Ersatz des fehlinvestierten Betrags für den Baum zu verlangen, zumindest nicht unmittelbar aus § 284 BGB, weil nur die Voraussetzungen eines Anspruch auf Ersatz des Verzögerungsschadens nach §§ 280 I, II, 286 BGB gegeben sind, aber kein Fall der §§ 281, 282, 283 oder 311a II BGB und damit eines Anspruchs auf Schadensersatz statt der Leistung vorliegt. Wäre dem Käufer das Grundstück dagegen auch nach Ablauf einer angemessenen Nachfrist nicht übergeben worden, hätte er anstelle des ihm dann zustehenden Anspruchs aus §§ 280 I, III, 281 BGB den Ersatz der Aufwendung für den Baum nach § 284 BGB geltend machen können. Weil ihnen diese Differenzierung nicht einzuleuchten vermag, fordern einige Stimmen in der Literatur eine erweiternde oder analoge Anwendung von § 284 BGB auf den Ersatz von vergeblichen Aufwendungen, wenn nur die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Ersatz von »einfachen« oder Verzögerungsschäden erfüllt sind137. Dies wäre in der Tat folgerichtig, wenn es der Grundgedanke der Neuregelung sein sollte, durch Nichterfüllung bedingte »Frustrationsschäden« auszugleichen: Solche Schäden stellen sich eben nicht nur bei endgültigem Ausbleiben der (vollständigen und mangelfreien) Leistung, sondern gelegentlich auch dann ein, wenn die zunächst ausgebliebene (Teil-)Leistung noch nachgeholt und etwaige Mängel beseitigt werden. Bevor man sich jedoch daran begibt, die Formulierung »[a]nstelle des Schadensersatzes statt der Leistung« im Wege der Rechtsfortbildung aus § 284 BGB zu streichen und den Aufwendungsersatz auf jeden Fall der Haftung wegen der Verletzung einer Leistungspflicht aus einem Schuldverhältnis zu beziehen, ist zu überprüfen, ob sich dem Gesetzeswortlaut nicht eventuell doch durch ein verändertes Vorverständnis ein vernünftiger Sinn abgewinnen läßt.

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Das Beispiel stammt von Gsell, in: Das neue Schuldrecht in der Praxis, S. 321, 341. So Bamberger/Roth/Faust, § 437 Rz. 145; Gsell, in: Das neue Schuldrecht in der Praxis, S. 321, 342; in dieser Richtung auch AnwKom Schuldrechtsreform/Dauner-Lieb, § 284 Rz. 7; für den Verzögerungsschaden wohl auch Canaris, in: FS Wiedemann, S. 1, 31. Gegen eine Ausdehnung von § 284 BGB MünchKomm/Ernst, § 284 Rz. 14 f.; Arnold/Dötsch, BB 2003, 2250, 2251; Staudinger/Otto, § 284 Rz. 17; Stoppel, Ersatz frustrierter Aufwendungen, S. 58 f.; ders., AcP 204 (2004), 81, 89; Erman/Westermann, § 284 Rz. 5. 137

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b) Allgemeine Einwände gegen die Frustrationslehre Nicht zuletzt wird mit der Behauptung, § 284 BGB lasse den Ersatz vergeblicher Aufwendungen als Kompensation für immaterielle Nichterfüllungsschäden zu, zumindest für den Bereich der außerdeliktischen Haftung eine Lehre aufgegriffen, die sich als allgemeine Maßgabe für den Ersatz von Nichtvermögensschäden nie durchzusetzen vermochte. Die Idee, »frustrierte« Aufwendungen könnten als erstattungsfähiger Schaden gelten, geht, wie wir gesehen haben, auf eine fehlgeleitete Analogie zum negativen Interesse bei von Tuhr zurück138 , und hat nach einer gewissen Blüte ihre Anhängerschaft in der Rechtslehre überwiegend wieder eingebüßt139, während sie in der Rechtsprechung nie mehr als vereinzelte Zustimmung gefunden hat140. Die Gründe für den mangelnden Erfolg dieser Lehre mögen teilweise positivistischer Natur und dementsprechend einer gesetzlichen Anerkennung des Frustrierungsgedankens in § 284 BGB nicht entgegenzuhalten sein: So kann man dem Gesetzgeber selbstverständlich keinen Verstoß gegen § 253 I BGB vorwerfen, wenn er in Anknüpfung an diesen Gedanken eine Entschädigung für immaterielle Einbußen anordnet141. Es bleiben aber grundsätzliche Bedenken gegen die Frustrationslehre, die dem Gesetzesanwender Anlaß dazu geben sollten, die Auslegung von § 284 BGB nur dann vom Standpunkt dieser Lehre aus zu betreiben, wenn die Einnahme eines solchen Standpunktes unausweichlich ist. Hier ist zunächst die Gefahr einer »uferlosen Materialisierung des Immateriellen«142 zu nennen: Mit der Bezifferung des Schadens nach dem Betrag der »frustrierten« Aufwendungen wird das Affektionsinteresse des Gläubigers in den Rang einer ersatzfähigen Schadensposition gehoben, ohne daß dafür eine intersubjektiv überprüfbare Bewertungsgrundlage geboten wird. Sogar die Befürworter der Frustrationslehre erkennen diesen Einwand implizit an, indem sie versuchen, ihm durch präzise Grenzziehungen für den Anwendungsbereich dieser Lehre die Spitze zu nehmen143. Als Kompensation für die »Frustration« beliebiger Zwecke nach Maßgabe beliebiger Aufwendungen verstanden, welche nur durch ein unkonturiertes Billigkeitskriterium eingehegt wird, böte § 284 BGB aber wenig Handhabe für solche »Rettungsversuche«. Nun mag die Frustrationslehre immerhin dazu beitragen, ein haftungsrechtliches Defizit, nämlich die (bei Versagen der Naturalrestitution) jenseits des § 253 BGB sanktionslose Hinnahme von Nichtvermögensschäden, zu beseitigen. Ein 138

Siehe oben, § 10 I 2 a. Gegen die Frustrationslehre mit ausführlicher Begründung Tolk, Frustrierungsgedanke, S. 71 ff.; außerdem etwa Küppers, Verdorbene Genüsse, S. 69 ff.; Lange/Schiemann, Schadensersatz, § 6 IV (S. 257); MünchKomm/Oetker, § 249 Rz. 46; einschränkend Soergel/Mertens, Vor § 249 Rz. 99 ff.; für die Entwicklung eines »beweglichen Systems« Schobel, Ersatz frustrierter Aufwendungen, passim. 140 Anklänge etwa in BGH 7. 5. 1956, NJW 1956, 1234; 22. 2. 1973, BGHZ 60, 214, 216. 141 So zu Recht Canaris, JZ 2001, 499, 516; MünchKomm/Ernst, § 284 Rz. 7. 142 So Lange/Schiemann, Schadensersatz, § 6 IV (S. 256). 143 Vgl. insbesondere Soergel/Mertens, Vor § 249 Rz. 99 ff. 139

II. Die systematische Einordnung von § 284 BGB

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weiterer Kritikpunkt kommt jedoch hinzu: Selbst wenn es gute Gründe gibt, das Affektionsinteresse grundsätzlich für kompensationsfähig zu halten, wäre dessen Bewertung anhand der Aufwendungen, die der Gläubiger in Verfolgung dieses Interesses getätigt hat, willkürlich. Niemand würde etwa eine Sache, die der Schuldner durch eine unerlaubte Handlung zerstört hat, als »Aufwendungsäquivalent« behandeln und dem Eigentümer nach § 251 I BGB nicht den Markt- oder Schätzwert, sondern den (ggf. darüber oder darunter liegenden) Preis zusprechen, den er für den Erwerb der Sache bezahlt hat144. Schon gar nicht würde man demjenigem, dem der Gegenstand unentgeltlich (durch Schenkung, im Erbgang usw.) zugefallen ist, jeglichen Ersatz verweigern. Hat sich die vom Schuldner durchkreuzte Präferenz des Gläubigers nicht in einer Sache materialisiert, sondern war sie auf die Verwirklichung eines immateriellen Interesses gerichtet, wäre es ebensowenig sachgerecht, in dem Interesse des Gläubigers ein Aufwendungsäquivalent zu erblicken und es dementsprechend zu entschädigen. Um nochmals zu dem Fall der Filmpreisverleihung zurückzukehren145 : Ob der Gläubiger für die Eintrittskarte zu der Preisverleihung, deren Besuch der Schuldner durch sein pflichtwidriges Verhalten vereitelt hat, den regulären Preis, einen viel höheren Schwarzmarktpreis oder aber gar nichts bezahlt hatte (weil ihm nämlich die Karte geschenkt worden war), hat nicht notwendig etwas mit der Wertschätzung zu tun, die er für den Veranstaltungsbesuch hegte, als er von dem Schuldner um sein Erlebnis gebracht wurde: Der Gläubiger, der nichts dafür bezahlt hat, mag es als seinen sehnlichsten Wunsch empfunden haben, einige Filmstars leibhaftig zu sehen, und dementsprechend bereit gewesen sein, auch den Schwarzmarktpreis zu zahlen, wäre ihm nicht das Geschenk zuvorgekommen. Umgekehrt mag der Gläubiger, der zunächst den Schwarzmarktpreis bezahlt hatte, erkannt haben, daß er sich in Anbetracht seines doch eher moderaten Interesses an gesellschaftlichen Ereignissen dieser Art im Eifer eines »Bietgefechts« zu einer überhöhten Ausgabe hatte hinreißen lassen. Kurz: Die Bewertung des Affektionsinteresses durch den Gläubiger und die Aufwendungen, die er zu dessen Befriedigung gemacht hat, können aus vielfältigen Gründen auseinanderklaffen. Die Beispiele lehren: Wer bei der Verletzung eines immateriellen Interesses die Wertschätzung des Gläubigers zum Maßstab der Kompensation nehmen will, müßte anstelle tatsächlicher Aufwendungen des Gläubigers dessen Bereitschaft zu Aufwendungen (seine »willingness to pay«) in dem für die Schadensberechnung relevanten Zeitpunkt erkunden, und er müßte diese Bereitschaft nicht aus der tatsächlichen Gläubigersicht, sondern von einem normativierten Gläubigerstandpunkt aus feststellen, nämlich unter (gedachten) Bedingungen, die frei von den Rationalitätsdefiziten sind, unter denen reale Personen bei der Verfolgung ihrer Präferenzen leiden146 . Daß die »normative Zahlungsbereitschaft« des Gläubigers 144 145 146

Vgl. MünchKomm/Oetker, § 249 Rz. 47. OLG Köln 16. 9. 1993, NJW-RR 1994, 687; dazu bereits oben, § 10 III 3 a. Dazu oben, § 3 III 2 b.

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als solche kein praktikabler Maßstab ist, dürfte unmittelbar einleuchten. Es bedarf vielmehr anderer, leichter greifbarer Kriterien. In den Fällen, in denen für die Befriedigung eines immateriellen Interesses marktgängige Dienstleistungen in Anspruch genommen werden, mag etwa – wie bei der Kompensation verlorenen Sacheigentums – deren Marktwert herangezogen werden. Der tatsächliche Betrag fehlgeschlagener Aufwendungen ist indes eine so fehleranfällige Annäherung an die vermeintlich damit übereinstimmende Bewertung des immateriellen Interesses, daß es angeraten erscheint, ganz darauf zu verzichten. Daß das BGB sich in § 284 diese Bewertungsmethode zu eigen gemacht hat, sollte man daher nicht ohne Not annehmen.

3. Partieller Ersatz des negativen Interesses Es bleibt ein dritter Ansatz zur systematischen Verortung von § 284 BGB: die Interpretation der Vorschrift als Anerkennung eines Wahlrechts des Gläubigers, statt des positiven das negative Interesse ersetzt zu verlangen, mag es sich bei den vergeblichen Aufwendungen, auf die sich der Gesetzeswortlaut bezieht, auch nur um einen Teil des negativen Interesses handeln. Mehrere Stimmen in der Literatur ordnen die Neuregelung in diesem Sinne ein147. Dabei wird allerdings nicht durchweg deutlich, ob hiermit wirklich eine systematische Weichenstellung zum Ausdruck gebracht werden soll oder ob die Formulierung, nach § 284 BGB werde dem Gläubiger ein Teil des negativen Interesses ersetzt, nur als ein Synonym für den Ersatz fehlgeschlagener Aufwendungen gebraucht wird. Letzterem wäre zu widersprechen: Eine Schadensposition ist nicht per se dem negativen oder dem positivem Interesse zuzuordnen148. Gewiß sind vergebliche Aufwendungen, die der Gläubiger im Vertrauen auf die Wirksamkeit einer Willenserklärung des Schuldners gemacht hat, Teil des negativen Interesses149. Bei Anwendung der Rentabilitätsvermutung oder auch der Frustrationslehre werden vergebliche Aufwendungen jedoch im Rahmen des positiven Interesses ersetzt: Sie geben Maß für den Ersatz des durch die Nichterfüllung verursachten (materiellen oder immateriellen) Schadens. Wenn nachfolgend die These, § 284 BGB statuiere den teilweisen Ersatz des negativen Interesses, zur Diskussion gestellt wird, ist damit also nicht die unzutreffende Unterstellung der Teilidentität nutzlos gewordener Aufwendungen mit dem negativen Interesse gemeint, sondern der Gedanke, daß diese Vorschrift nach dem Vorbild von § 349 des US-amerikanischen Restatement of 147 So Bamberger/Roth/Grüneberg, § 284 Rz. 13; Canaris, in: FS Wiedemann, S. 3, 27; ders., DB 2001, 1815, 1816 (abweichend davon aber a.a.O., 1820: der nach § 284 BGB ersatzfähige Schaden liege in der »Frustrierung« der Aufwendungen); ders., in: Karlsruher Forum 2002, S. 5, 50; Oechsler, Schuldrecht BT, Rz. 256; Schwenzer, in: FS Schlechtriem, S. 657, 665 Fn. 46; Hk-BGB/ Schulze, § 284 Rz. 1; Weitemeyer, AcP 205 (2005), 275, 283; v. Wilmowsky, JuS 2002, Beil.1, S. 15. 148 Ebenso MünchKomm/Ernst, § 284 Rz. 6. 149 Siehe oben, § 10 II 1.

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Contract (2d) dem Gläubiger gestattet, anstelle des durch die Pflichtverletzung verursachten (Nichterfüllungs-)Schadens wenigstens partiell den durch die pflichtbegründende Willenserklärung des Schuldners verursachten (Vertrauens-)Schaden geltend zu machen. a) Vorzüge im Vergleich zur Frustrationslehre Ein solcher Ansatz vermeidet die Friktionen, zu denen es bei einer Interpretation von § 284 BGB im Lichte des Frustrationsgedankens kommt. So ist es, wenn die Regelung den Ersatz des Vertrauensschadens eröffnet, anders als bei Zugrundelegung der Frustrationslehre150 , leicht erklärlich, warum sich der Ersatz nutzlos gewordener Aufwendungen nicht als allgemeines, auch die deliktische Haftung einschließendes Maß des Schadensersatzes im Gesetz wiederfindet: Die Aufwendungen sind als Teil des negativen Interesses nur zu ersetzen, wenn sie durch ein Verhalten des Schuldners verursacht wurden, das bei dem Gläubiger eine dem Schuldner zurechenbare normative Erwartung geweckt hat151 – nur ein solcher »Vertrauenstatbestand« (der, abweichend von der Begrifflichkeit der Lehre von der Vertrauenshaftung, auch in einer wirksamen rechtsgeschäftlichen Bindung liegen mag) kann die Haftung auf das negative Interesse rechtfertigen. Hat dagegen die Verletzung einer gesetzlichen Pfl icht dazu geführt, daß Aufwendungen des Gläubigers, die der Schuldner nicht durch ein vorangehendes pflichtbegründendes Verhalten veranlaßt hat, nutzlos wurden, bietet sich der Haftung auf das negative Interesse kein Ansatzpunkt. Unabhängig von dem Problem, ob dies nicht zu einer restriktiven Sicht des Anwendungsbereichs von § 284 BGB zwingt152 , kann man daher jedenfalls festhalten: Die von den Verfechtern der Frustrationsthese nicht recht zu beantwortende »Frage [. . .], warum der durch den Verlust der Aufwendungen Betroffene hierfür keinen Ersatz verlangen kann, wenn die Verantwortlichkeit des Täters eine außervertragliche ist«153, erledigt sich von selbst, wenn man die Neuschöpfung des Gesetzgebers als Grundlage eines Anspruchs auf Ersatz des negativen Interesses versteht. Im Unterschied zur Frustrationslehre154 bereitet es außerdem keine Schwierigkeit zu verstehen, daß sich § 284 BGB nur auf Aufwendungen bezieht, die der Gläubiger im berechtigten Vertrauen auf den Erhalt der Leistung des Schuldners und damit grundsätzlich nach der Entstehung der Leistungspfl icht gemacht hat: Dies ist selbstverständlicher Ausdruck der im Rahmen der Haftung auf das negative Interesse vorausgesetzten Kausalbeziehung zwischen dem haftungsbegründenden Verhalten des Schuldners (beispielsweise der Abgabe einer zum Vertrags-

150 151 152 153 154

Siehe oben, Abschnitt II 2 a aa. Siehe oben, § 5 IV 1. Dazu sogleich, Abschnitt II 3 b cc. MünchKomm/Ernst, § 284 Rz. 23. Siehe oben, Abschnitt II 2 a bb.

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schluß führenden Willenserklärung) und der Vornahme von Aufwendungen (oder ihrer Aufrechterhaltung bzw. fehlenden Umwidmung) durch den Gläubiger155. Gibt man die Frustrationsthese als Erklärungsansatz zugunsten der These vom Schutz des Vertrauensinteresses auf, ist schließlich auch die Abhängigkeit des Aufwendungsersatzes von den Voraussetzungen des Schadensersatzes statt der Leistung kein der widerspruchsfreien Entscheidungsfindung im Wege stehendes Hindernis mehr, das es durch eine analoge Anwendung von § 284 BGB auf Fälle des leistungsergänzenden Schadensersatzes zu beseitigen gilt156 : Wird die zunächst ausgebliebene Leistung nachgeholt oder die mangelhafte Leistung nachgebessert oder durch eine mangelfreie ersetzt, ist das positive Interesse des Gläubigers, was die Leistung als solche betrifft, in Natur befriedigt. Schäden, die der Gläubiger infolge der Verspätung oder der Mangelhaftigkeit der Leistung erlitten hat und durch die Erfüllung nicht mehr ungeschehen zu machen sind, hat der Schuldner im Hinblick darauf, daß sie bei rechtzeitiger und mangelfreier Leistung nicht entstanden wären, nach § 280 I BGB oder nach den §§ 280 I, II, 286 BGB als weitere Bestandteile des positiven Interesses auszugleichen. § 284 BGB auf den leistungsergänzenden Schadensersatz anzuwenden, hieße, wenn man die Norm als Ausdruck der Haftung auf das negative Interesse versteht, daß der Gläubiger einerseits die vollständige und mangelfreie Leistung behalten und andererseits mit Blick auf seine im Vertrauen auf den Leistungserhalt getätigten Aufwendungen verlangen darf, so gestellt zu werden, als ob er nicht auf die Wirksamkeit der Leistungsverpflichtung vertraut hätte. Dies wäre offensichtlich widersprüchlich: Anders als in den noch zu erörternden Fällen, in denen der Gläubiger seinen Anspruch zulässigerweise »aufspaltet«157, nämlich anstelle eines weder in Natur erbrachten noch durch die Kompensation des positiven Interesses vergüteten Leistungsteils den Ersatz des hierauf entfallenden Vertrauensschadens verlangt, während es im übrigen bei der Naturalerfüllung oder beim Schadensersatz statt der Leistung bleibt158 , müßte der Gläubiger hier die Verpflichtung des Schuldners zur Erbringung der vollständigen und mangelfreien Leistung zugleich behaupten und negieren dürfen: Er müßte sich auf das Bestehen der wirksamen Leistungspflicht als Rechtsgrund für das Behaltendürfen der (vollständigen, mangelfreien) Leistung berufen, und gleichzeitig müßte er, um den Ersatz des Vertrauensschadens in Gestalt fehlgeschlagener Aufwendungen verlangen zu können, geltend machen, daß die wirksame Leistungspflicht, auf die er seine Vertrauensinvestition gegründet hat, zur Bestimmung des negativen In155

Näher dazu oben, § 10 II 1 c. Zur Unvereinbarkeit mit der Frustrationslehre siehe oben, Abschnitt II 2 a cc. 157 Zu der entsprechenden Problematik im Common Law siehe oben, Abschnitt I 2 b bb. 158 Dazu näher Abschnitt II b ee (im Hinblick auf den Aufwendungsersatz anstelle des »kleinen« Schadensersatzes, was im Ergebnis einer Kombination von teilweiser Naturalerfüllung und teilweisem Ersatz des negativen Interesses entspricht) und Abschnitt III 1 a bb (im Hinblick auf die Möglichkeit, teilweise das positive Interesse in Gestalt des Schadensersatzes statt der Leistung und teilweise das negative Interesse in Gestalt des Aufwendungsersatzes zu verlangen). 156

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teresses »hinweggedacht« wird. Weil beides nicht miteinander zu vereinbaren ist, darf sich der Gläubiger, der letztlich in den Genuß der ungeschmälerten Leistung gekommen und dessen leistungsbezogenes positives Interesse daher voll befriedigt worden ist, für den Ersatz mittlerweile erlittener Begleit- oder Verzögerungsschäden nicht auf das negative Interesse berufen. b) Einwände im Hinblick auf § 284 BGB Niemand würde behaupten, § 284 BGB befinde sich von vornherein in völligem Einklang mit der Vorstellung, daß das Gesetz hiermit dem Gläubiger einer wirksamen rechtsgeschäftlichen Verpflichtung den Ersatz des negativen Interesses in dem gleichen Umfang eröffnet, wie dies etwa seit jeher für bestimmte Fälle unwirksamer rechtsgeschäftlicher Bindungen in § 122 BGB vorgesehen ist. Die am Beginn dieses Kapitels stehende Annahme, dem Gläubiger müßte es im Rahmen eines wirksamen rechtsgeschäftlichen Schuldverhältnisses doch genauso wie im Fall der Unwirksamkeit erlaubt sein, anstelle des positiven das negative Interesse (in den in § 10 beschriebenen Grenzen) ersetzt zu verlangen, scheint im Gegenteil auch nach der Schuldrechtsreform ihre positivrechtliche Bewährungsprobe nicht zu bestehen. Daß § 284 BGB sich nicht als Bestätigung dieser Annahme lesen läßt, liegt in der Tat auf den ersten Blick nahe: Bereits nach ihrem Wortlaut ist die Norm nur auf den Ersatz von fehlgeschlagenen Aufwendungen und nicht von Vertrauensschäden schlechthin gerichtet. Systematische Überlegungen und entstehungsgeschichtliche Gesichtspunkte scheinen des weiteren dagegen zu sprechen, die Neuregelung auch nur als rudimentäre Form der Haftung auf das negative Interesse zu deuten. Die hierauf zielenden Argumente, die größtenteils schon in vertiefenden Analysen der zur Frustrationsthese neigenden Literatur159 zur Sprache gekommen sind, verlieren indes bei näherem Hinsehen ihre Überzeugungskraft. aa) Beschränkung auf den Aufwendungsersatz Um mit dem offensichtlichsten Einwand zu beginnen160 : Der Vertrauensschaden des Gläubigers und die ihm nach § 284 BGB zu erstattenden Aufwendungen, die er im vergeblichen Vertrauen auf den Erhalt der Leistung gemacht hat, sind nicht identisch161. Jedenfalls der entgangene Gewinn aus einem Alternativgeschäft, das der Gläubiger im Vertrauen auf das pflichtgemäße Verhalten des Schuldners nicht abgeschlossen hat, liegt jenseits der Grenze des möglichen Wortsinns der Norm. Ein Anspruch auf Ersatz des negativen Interesses müßte aber auch auf die Wieder-

159 Hervorzuheben sind insoweit Gsell, Das neue Schuldrecht in der Praxis, S. 321, 334 ff.; MünchKomm/Ernst, § 284 Rz. 6; Stoppel, Ersatz frustrierter Aufwendungen, S. 35 ff. 160 Der Einwand fi ndet sich etwa bei Gsell, in: Das neue Schuldrecht in der Praxis, S. 321, 334; MünchKomm/Ernst, § 284 Rz. 6; Staudinger/Otto, § 284 Rz. 24. 161 Siehe oben, § 10 II. – Das wird auch in den literarischen Äußerungen zu § 284 BGB nicht in Frage gestellt; vgl. nur Ehmann/Sutschet, Schuldrecht, S. 121; MünchKomm/Ernst, § 284 Rz. 6; Zimmer, NJW 2002, 1, 10.

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gutmachung eines solchen Schadens gerichtet sein162. Sich damit zu begnügen, daß die neugeschaffene Anspruchsgrundlage eben nur einen Teil des negativen Interesses umfaßt, ist gewiß möglich. Weil es sich dabei aber nur um einen eher zufälligen Ausschnitt des eigentlich umfassend zu schützenden Interesses handelt, wäre durch eine solche Einschränkung der Wert des Ansatzes für die Einbindung des Anspruchs in ein schlüssiges Gesamtkonzept des Leistungsstörungsrechts nicht unerheblich geschmälert. Dieses Defizit ist jedoch nicht unüberwindlich. Zwar ist es einer bewußten gesetzgeberischen Entscheidung zu verdanken, daß § 284 BGB sich nur auf den Aufwendungsersatz bezieht. Dem Gläubiger eines Anspruchs auf Schadensersatz statt der Leistung in analoger Anwendung von § 284 BGB zu gestatten, anstelle des positiven Interesses den Ersatz von Vertrauensschäden auch jenseits fehlgeschlagener Aufwendungen zu verlangen, ist aber dennoch gerechtfertigt: Die in eine Absage an die Haftung auf das negative Interesse gekleidete Begründung für die gegenwärtige Gestalt des Gesetzes ist in der Sache auf die Erzielung von Ergebnissen gerichtet, die sich bei der – von den Gesetzesverfassern übersehenen – teleologisch korrekten Handhabung der Haftungsbegrenzung auf den Betrag des positiven Interesses ergeben, wie sie bereits in den §§ 122 I, 179 II BGB zu finden ist (dazu der folgende Abschnitt (1)). Eine Ausdehnung des Anspruchs aus § 284 BGB über den Ersatz fehlgeschlagener Aufwendungen hinaus ist zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen geboten; der Norminterpret, der insoweit das sachliche Regelungsanliegen des Gesetzgebers wahrt, ist daran nicht durch das dogmatische Mißverständnis der Haftung auf das negative Interesse gehindert, das sich in der Regierungsbegründung niedergeschlagen hat (dazu Abschnitt (2)). (1) Die Begründung der Beschränkung im Regierungsentwurf. Der Entwurf der Schuldrechtskommission (§ 327 I 2 BGB-KE163) und im Anschluß an ihn der Diskussionsentwurf des Bundesjustizministeriums für das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz (§ 325 I 2 BGB-DiskE164) sahen zunächst vor, daß der Gläubiger, nachdem er vom Vertrag zurückgetreten ist, nicht nur den aus der Nichtausführung des Vertrags entstandenen Schaden, sondern »stattdessen auch Ersatz des Schadens verlangen [kann], der ihm daraus entsteht, dass er auf die Ausführung des Vertrags vertraut hat«. Die Kommission Leistungsstörungsrecht, die den schließlich Gesetz gewordenen § 284 KonDiskE schuf, wollte § 325 I 2 DiskE jedoch nur in eingeschränkter Form aufnehmen und allein den Ersatz vergeblicher Aufwendungen gewähren165. Die Begründung hierfür ist aus dem Regierungsentwurf zu erfahren. Dort heißt es166 : 162

Siehe oben, § 10 II 2. Abschlußbericht, S. 172. 164 Abgedruckt bei Canaris, Schuldrechtsmodernisierung 2002, S. 22. – Das nachfolgende Zitat übernimmt die Rechtschreibung des Diskussionsentwurfs. 165 So die Anm. 1 zu § 284 KonDiskE, abgedruckt bei Canaris, Schuldrechtsmodernisierung 2002, S. 360. 163

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»Der schadensersatzrechtliche Ansatz in § 327 Abs. 1 Satz 2 KE erweist sich als hinderlich. Der Ersatz des Vertrauensschadens kann zu viel einschneidenderen Folgen führen als der Ersatz des Erfüllungsinteresses, auf das der Anspruch nach § 327 Abs. 1 Satz 2 KE aber nicht begrenzt werden sollte. Führt man eine solche Begrenzung indessen ein, kann das auch zu verzerrten Ergebnissen führen, da die Aufwendungen, für die dem Gläubiger Ersatz verschafft werden sollte, nicht sachgerecht anhand des Erfüllungsinteresses bemessen werden können. Andererseits würde eine solche Regelung dem Gläubiger auch die Liquidation eines entgangenen Gewinns aus einem Alternativgeschäft mit einem Dritten erlauben, das er nicht abgeschlossen hat, weil er sich bereits durch den Vertrag mit dem Schuldner gebunden wusste. Zu denken ist etwa an den Fall, dass der Gläubiger einen gleichartigen Gegenstand wie den gekauften zwischenzeitlich billiger bei einem Dritten hätte beziehen können und dies unterlassen hat, weil er an die – später gescheiterte – Erfüllung durch seinen Vertragspartner glaubte. Dass er dann diesen entgangenen Vorteil liquidieren kann, wäre nicht zu vertreten. In der Sache geht es bei dem Ersatz frustrierter Aufwendungen nicht eigentlich um ein Schadensersatzproblem, sondern um eine Frage des Aufwendungsersatzes. Mit diesem Ansatz lässt sich das anzustrebende Ergebnis genauer erreichen.« 166

Der Rückzug vom Schadens- auf den Aufwendungsersatz verdankt sich also, wie man zusammenfassend sagen kann, der Vorstellung von einem Dilemma: Die Gesetzesverfasser glaubten, man könne nicht zu einer Begrenzung des noch im Diskussionsentwurf vorgesehenen Schadensersatzes kommen, die einen »windfall profit« des Gläubigers in Gestalt des entgangenen Gewinns aus einem günstigeren Alternativgeschäft ausschließt, ohne zugleich den Ersatz fehlgeschlagener Aufwendungen unsachgemäß zu bemessen. Eine sachlich angemessene Begrenzung der Haftung auf das negative Interesse, die eben dieses Dilemma vermeidet, ist jedoch durchaus denkbar und im übrigen bereits in den §§ 122 I, 179 II BGB angelegt, wenn man die dort vorgesehene Limitierung des Schadensersatzes durch den Betrag des positiven Interesses nur recht versteht167: Zweck dieser Regelung ist es zu verhindern, daß der Gläubiger das Risiko einer Fehlspekulation über die Verwirklichung des Leistungszwecks, den er mit dem von ihm abgeschlossene Rechtsgeschäft verfolgt hat, auf den Schuldner abwälzt168. Bei kommerziellen Geschäften erfüllt die Haftungsbegrenzung auf den Betrag des positiven Interesses diese Funktion problemlos: Sind dem Gläubiger Aufwendungen entstanden oder Gewinne aus Alternativgeschäften entgangen, deren Betrag höher ist als der Vermögenswert seines Interesses an der Erfüllung des Geschäfts mit dem Schuldner, dann ist ihm bei dem Abschluß des Geschäfts insoweit eine Fehlspekulation unterlaufen – im Fall der Aufwendungen hat er den Betrag, den er bei Erfüllung des Geschäfts erwirtschaften würde, überschätzt, und im Fall des entgangenen Gewinns hat er die Möglichkeit, zu günstigeren Abschlüssen als dem tatsächlich getätigten zu kommen, unterschätzt. Die Haftungsbegrenzung sorgt hier dafür, daß der Gläubiger die Folgen solcher Fehleinschätzungen selbst zu tragen hat. 166 167 168

BT-Drucks. 14/6040, S. 144. Siehe oben, § 10 III 1 a. Vgl. RG 22. 6. 1936, RGZ 151, 357, 358 f.

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Bei Geschäften, mit denen der Gläubiger einen nichtkommerziellen Zweck verfolgt, wäre es allerdings dysfunktional, auf den Betrag des positiven Interesses abzustellen: Weil der Gläubiger von vornherein nicht darauf abzielt, diesen Betrag zu erwirtschaften, ist es auch nicht als Verwirklichung des von ihm zu tragenden Risikos einer Fehlspekulation anzusehen, wenn der Vertrauensschaden, den er erlitten hat, über diesem Betrag liegt. Das Wagnis, das der Gläubiger in diesen Fällen mit dem Abschluß des Geschäfts übernommen hat und das ihm durch die Gewährung eines Anspruchs auf Ersatz des negativen Interesses nicht abgenommen werden darf, liegt vielmehr darin, daß er entweder den mit dem Geschäft verfolgten Zweck nicht erreicht oder aber denselben Zweck durch Abschluß eines anderen Geschäfts mit geringerem Aufwand hätte erreichen können. Das funktionale Pendant zum Betrag des positiven Interesses in kommerziellen Fallgestaltungen ist daher bei nichtkommerzieller Zwecksetzung des Gläubigers die Zweckgerechtigkeit der Vertrauensdisposition oder, salopp formuliert, die immaterielle »Rentabilität«, und auf diese Weise ist auch die in den §§ 122 I, 179 II BGB statuierte Haftungsbegrenzung teleologisch zu korrigieren169. Vor diesem Hintergrund löst sich die von den Gesetzesverfassern gesehene Problematik des Ersatzes von Vertrauensschäden auf: Einerseits führt die Haftungsbegrenzung, wenn man hinter dem Buchstaben des Gesetzes deren ratio erkennt und berücksichtigt, beim Aufwendungsersatz nicht zu den in der Regierungsbegründung bemängelten »verzerrten« Ergebnissen, denn der Ersatz fehlgeschlagener Aufwendungen ist nicht durch den Betrag des positiven Interesses, sondern nur durch den Einwand der Zweckverfehlung begrenzt, wenn der Gläubiger die Aufwendungen zu einem nichtkommerziellen Zweck gemacht hat. Andererseits gewährleistet sie, daß der Gläubiger, dem ein Alternativgeschäft entgangen ist, mit dem er denselben Zweck günstiger hätte erreichen können, den insoweit entstandenen Schaden nicht liquidieren kann, weil sich hierin das von ihm zu tragende Risiko einer Fehlspekulation verwirklicht hat. Die Gesetzesverfasser hätten also, statt die Idee der Haftung auf das negative Interesse gänzlich zu verwerfen, die in den §§ 122 I, 179 II BGB geregelte Haftungsgrenze in § 327 I 2 BGB-KE schlicht übernehmen und die bei nichtkommerziellen Fallgestaltungen hier wie dort teleologisch gebotene Korrektur Wissenschaft und Rechtsprechung überlassen oder aber den anspruchsvolleren Versuch unternehmen können, diese Korrektur (dann freilich auch für die §§ 122 I, 179 II BGB) auszuformulieren. (2) Erforderlichkeit und Zulässigkeit einer Analogie. Der Hinweis auf den Anschauungsfehler, der die Gesetzesverfasser von dem Vorschlag der Schuldrechtskommission Abstand nehmen ließ, taugt für sich genommen nur zur Gesetzeskritik – der bloße Umstand, daß die Haftung auf das negative Interesse als Sanktion für (wirksame wie unwirksame) Selbstbindungstatbestände in unserer Kodifikation nicht voll anerkannt wird, wäre allenfalls ein ästhetischer Makel des Gesetzes. 169

Siehe oben, § 10 III 1 b.

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Doch hat die gänzliche Ablehnung der Ersatzfähigkeit des entgangenen Gewinns aus anderen Geschäften, die der Gläubiger im Vertrauen auf die Erfüllung der Leistungspflicht des Schuldners nicht abgeschlossen hat, einen Wertungswiderspruch zur Folge, der von den Gesetzesverfassern übersehen wurde, weil sie die möglichen Konstellationen, in denen an den Ersatz entgangenen Gewinns zu denken ist, nur bruchstückhaft wahrgenommen haben: Die Alternativgeschäfte, von denen in der Regierungsbegründung die Rede ist, sind allein solche, mit deren Abschluß der Gläubiger einen Zweck verfolgt hätte, der mit dem des tatsächlich abgeschlossenen Geschäfts übereinstimmt. Hierfür steht beispielhaft der in der Begründung angeführte Fall, daß der Gläubiger einen gleichartigen Gegenstand wie den gekauften zwischenzeitlich billiger bei einem Dritten hätte beziehen können. Was den entgangenen Gewinn aus einem solchen Geschäft betrifft, ist der Gläubiger in der Tat nicht schutzwürdig, und man kann es für gleichgültig halten, ob dieses Ergebnis – wie hier vertreten – durch die schutzzweckgerechte Begrenzung der Haftung auf das negative Interesse oder – wie von den Gesetzesverfassern intendiert – durch den Übergang vom Schadenszum Aufwendungsersatz erreicht wird. Die Bewertung ändert sich jedoch, wenn man Alternativgeschäfte in den Blick nimmt, mit deren Abschluß der Gläubiger einen anderen Zweck verfolgt hätte als mit dem tatsächlich von ihm abgeschlossenen Geschäft: War das im Vertrauen auf den Leistungserhalt ausgeschlagene Alternativgeschäft auf die Erzielung eines Gewinns gerichtet, das tatsächlich abgeschlossene aber nicht, ist dem Gläubiger nach der hier vertretenen Ansicht der entgangene Gewinn aus dem Alternativgeschäft als Vertrauensschaden zuzusprechen, denn der Gewinnentgang ist hier nicht Folge einer Fehlspekulation des Gläubigers, sondern Konsequenz seiner durch das Verhalten des Schuldners fehlgeleiteten Vertrauensdisposition. Hat etwa ein Kunstliebhaber, nachdem er sich mit einem Galeristen über den Kauf eines Gemäldes geeinigt hat, die zur Kaufpreiszahlung erforderlichen Mittel auf seinem Girokonto bereitgehalten und die nicht wiederkehrende Offerte einer hochverzinslichen Geldanlage ausgeschlagen, so ist ihm also, wenn die Leistung durch das Verschulden des Verkäufers unmöglich geworden ist, als Vertrauensschaden die Differenz zwischen dem aus dieser Anlage erzielbaren und dem jetzt noch möglichen Zinsertrag zu ersetzen. Anders muß entscheiden, wer den Gläubiger auf den Aufwendungsersatz beschränkt sieht und ihm den entgangenen Gewinn aus einem im Vertrauen auf den Leistungserhalt nicht getätigten Geschäft verweigern will: Der Käufer des Bildes ginge leer aus, weil sich sein Vermögen nicht um einen als »Aufwendung« identifizierbaren Betrag vermindert hat170. Hätte der Käufer dagegen zur Kaufpreisfinan170 Daß auch der entgangene Gewinn unter den Begriff der »Aufwendung« fällt, vertritt MünchKomm/Ernst, § 284 Rz. 17. Erman/Westermann, § 284 Rz. 6, will zwar den Einsatz eigenen Geldes, das der Gläubiger anders hätte anlegen können, unter § 284 BGB subsumieren, lehnt es aber zugleich ab, entgangenen Gewinn als ersatzfähig anzusehen.

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zierung ein Darlehen aufgenommen, für das ihm Kosten (etwa in Gestalt von Gebühren, Bereitstellungszinsen oder einer Nichtabnahmeentschädigung) entstanden sind, wären diese als Aufwendungen ersatzfähig171. Daß diese Unterscheidung nach »Soll« und »Haben« im Vermögen des Gläubigers nicht nachvollziehbar ist, wurde bereits am Beginn dieser Untersuchung angemerkt172 – es ist schlechterdings kein Grund dafür ersichtlich, warum hier, anders als im Schadensersatzrecht, wo damnum emergens und lucrum cessans gleichgestellt sind, zwischen einer eingetretenen Vermögensminderung und einer ausgebliebenen Vermögensmehrung zu differenzieren sein sollte, wenn beide jeweils Folgen der Disposition sind, die der Gläubiger im Vertrauen auf den Erhalt der Leistung getroffen hat. Es geht daher, entgegen der Ansicht der Gesetzesverfasser, beim Regelungsgegenstand des § 284 BGB letztlich doch um ein Schadensersatzproblem und nicht nur um eine Frage des Aufwendungsersatzes: Man muß, um die aufgezeigte Ungereimtheit zu vermeiden, den Anspruch des Gläubigers aus § 284 BGB auf alle Schäden beziehen, die der Gläubiger im Vertrauen auf den Erhalt der Leistung erlitten hat, soweit sie nicht Ausdruck einer Fehlspekulation sind, welcher der Gläubiger beim Abschluß des Geschäfts mit dem Schuldner unterlegen ist173. Der Widerspruch zur Regierungsbegründung, in den man sich mit dieser Position begibt, steht der Zulässigkeit einer solchen Rechtsfortbildung nicht entgegen: Auch wenn die hierzu erforderlichen Unterstellungen über den tatsächlichen Verlauf von Gesetzgebungsverfahren im allgemeinen und die Schuldrechtsreform im besonderen teilweise die Grenze der Fiktion streifen, sei hier nicht bestritten, daß man die Äußerungen der Begründungsverfasser grundsätzlich als wichtige Indizien für den mutmaßlichen Willen des parlamentarischen Gesetzgebers ansehen darf, der auf ihrer Grundlage entschieden hat, den Entwurf Gesetz werden zu lassen. Der Regierungsbegründung kommt daher gewiß ein Indizwert für die genetische Auslegung zu, was die in ihr angesprochenen konkreten Fallgestaltungen, nämlich die Konstellationen (ersatzfähiger) fehlgeschlagener Aufwendungen und (nicht ersatzfähigen) entgangenen Gewinns aus einem Alternativgeschäft mit gleicher Zwecksetzung, betrifft. Die Begründung enthält jedoch keine Aussage darüber, daß der Gläubiger, der mit der ausgebliebenen Leistung des Schuldners einen ideellen Zweck verfolgte, nicht den entgangenen Gewinn aus einem Alternativgeschäft mit wirtschaftlicher Zielsetzung verlangen könnte. Die abstrakte, in ihrer Tragweite von ihren Verfassern offensichtlich nicht ganz durchdachte und erst recht nicht vom Gesetzgeber zu durchschauende Behauptung über das Wesen der Haftung aus § 284 BGB, bei der es »nicht eigentlich um ein Schadensersatzproblem« gehe, sollte nun nicht zum Anlaß genommen werden, dem Rechtsanwender im Namen des historischen Gesetzgebers eine willkürliche Begrenzung des Haftungsumfangs in einem solchen Fall aufzuzwingen. Statt dessen sollte man 171 172 173

Unstreitig; vgl. statt vieler MünchKomm/Ernst, § 284 Rz. 16. Siehe oben, § 1 I 1 a. Näher zur Bedeutung dieser Einschränkung unten, Abschnitt III 3 c.

II. Die systematische Einordnung von § 284 BGB

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diese Behauptung als das ansehen, was sie tatsächlich ist: als einen ersten Versuch der systematischen Verortung der selbst geschaffenen Norm, der nicht durch die Autorität des virtuellen gesetzgeberischen Willens gegen wissenschaftliche Kritik immunisiert ist174. bb) Anwendbarkeit bei Vorliegen der §§ 281, 282 oder 283 BGB Wer die Haftung auf das negative Interesse als Haftung für ein Fehlverhalten versteht, das dem Schuldner vor oder bei Abgabe einer Willenserklärung unterlaufen ist, wird § 284 BGB nicht als deren Erscheinungsform einordnen können: Von einem pflichtwidrigen Verhalten beim Vertragsschluß kann allenfalls bei der Haftung für anfängliche Leistungshindernisse nach § 311a II BGB die Rede sein, denn für die hier durch § 311a II 1 i. V. m. § 284 BGB statuierte Haftung mag man sich als Erklärung zurechtlegen, daß dem Schuldner eine ungenügende Aufklärung über das bei Vertragsschluß bestehende Leistungshindernis vorzuwerfen ist, die ihre natürliche Sanktion in der Pflicht zum Ersatz des negativen Interesses findet175. Solche Erklärungsversuche versagen jedoch, wenn es um den Anspruch auf Ersatz nutzlos gewordener Aufwendungen geht, den das Gesetz dem Gläubiger anstelle eines Anspruchs auf Schadensersatz statt der Leistung in den Fällen der §§ 281, 282 und 283 BGB gewährt: In keinem dieser Fälle ist die Haftung an ein Verschulden bei der Begründung des Schuldverhältnisses geknüpft; ausschlaggebend für den Schadensersatz statt der Leistung ist vielmehr die Verletzung einer aus dem Schuldverhältnis entstandenen Leistungs- oder (bei § 282 BGB) Schutzpflicht. Wenn aber in der Begründung der Leistungspflicht kein vorwerfbares Verhalten liegt, drängt sich die Frage auf: »Warum also soll dem Gläubiger durch eine Berufung auf den hypothetischen Zustand ohne die Leistungspfl icht erlaubt werden, 174 Daß der Gesetzgeber den wissenschaftlichen Standpunkt, es handele sich bei der zu regelnden Problematik nicht um eine Frage des Schadens-, sondern des Aufwendungsersatzes, als solchen und unabhängig von seinen praktischen Konsequenzen in seinen Willen aufgenommen haben könnte, erscheint fernliegend: Es wäre eine ganz und gar seltsame Vorstellung von legislativer Tätigkeit, daß ein Gesetzgeber nicht praktische Entscheidungen, sondern dogmatische Weichenstellungen um ihrer selbst willen normieren wollte. 175 Die Kehrseite einer solchen Erklärung – und ihre entscheidende Schwäche – ist allerdings, daß damit die in § 311a II BGB vorgesehene Haftung auf das positive Interesse unverständlich erscheinen muß; vgl. die dahingehende Kritik an den Entwurfsfassungen des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes bei Altmeppen, DB 2001, 1399, 1400; Knütel, NJW 2001, 2519, 2520. Lobinger, Grenzen rechtsgeschäftlicher Leistungspfl ichten, S. 279 ff., 295 ff., 363 f., will vor diesem Hintergrund sogar de lege lata statt eines Anspruchs auf das positive Interesse nur einen Anspruch auf das negative Interesse als Regelsanktion gewähren. Doch ist nicht das Gesetz, sondern der Erklärungsansatz unzureichend: Man hat (auch) die Haftung aus § 311a II BGB als Haftung für die Nichterfüllung des vertraglichen Leistungsversprechens und nicht als Sonderfall der c.i.c. anzusehen; so bereits Canaris, DB 2001, 1815, 1818, und im Anschluß daran die Regierungsbegründung (BT-Drucks. 14/6040, S. 165) sowie in der Literatur nach Inkrafttreten der Schuldrechtsreform wiederum Canaris, in: FS Heldrich, S. 11, 23 ff.; Faust, in: P. Huber/ Faust, Schuldrechtsmodernisierung, Rz. 7/12 (S. 210); Hk-BGB/Schulze, § 311a Rz. 2; MünchKomm/Ernst, § 311a Rz. 15. Daran ist jedenfalls nichts so Ungewöhnliches, daß man die gesetzliche Anordnung ignorieren dürfte.

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sich einen Vorteil zu verschaffen gegenüber der Lage, die bei korrekter Erfüllung bestünde?«176 Die Antwort auf diese Frage ist die Grundthese dieser Arbeit: Weil bereits das rechtsgeschäftliche Versprechen, durch das der Schuldner die Leistungspfl icht begründet hat, für sich genommen als Haftungsgrund ausreicht, kann der Gläubiger die Herstellung des hypothetischen Zustands verlangen, der ohne die Leistungspflicht bestünde. Damit soll nicht behauptet werden, die Abgabe der Willenserklärung als solche sei rechts- oder pflichtwidrig. Die Teilnahme am rechtsgeschäftlichen Verkehr ist selbstverständlich erlaubtes Verhalten, aber wie bei anderem erlaubten, doch riskantem Verhalten auch ist es angebracht, die Schäden, die es verursacht, seinem Urheber aufzuerlegen. Worin diese zunächst vordergründig erscheinende Entsprechung zur Gefährdungshaftung wurzelt, haben unsere Überlegungen zur Ökonomik der Haftung auf das negative Interesse zutage gefördert177: Jedes Versprechen (und eben auch das rechtsgeschäftliche Leistungsversprechen) birgt für seinen Adressaten die für ihn regelmäßig schlechter als für den Versprechenden einzuschätzende Möglichkeit einer Fehlinformation über das Nichterfüllungsrisiko. Die abträglichen Folgen dieser Informationsasymmetrie behebt die Pflicht des Versprechenden zum Ersatz des negativen Interesses. Deshalb bedarf es zur Haftungsbegründung nicht mehr als des Versprechens. cc) Unabhängigkeit vom Vorliegen einer rechtsgeschäftlichen Leistungspfl icht Die soeben in Erinnerung gerufene Überlegung offenbart eine wichtige Beschränkung der Legitimation der Haftung auf das negative Interesse: Sie setzt voraus, daß die Pflicht, auf deren Erfüllung der Gläubiger vergeblich vertraut hat, durch ein Versprechen oder jedenfalls ein normativitätsstiftendes Verhalten des Schuldners begründet wurde. Bei Leistungspflichten aus Schuldverträgen trifft dies ohne weiteres zu, ebenso bei sonstigen obligatorischen Rechtsgeschäften wie etwa dem Vermächtnis. Nach seiner systematischen Stellung bezieht sich § 284 BGB indes nicht nur auf die Verletzung von rechtsgeschäftlichen Leistungspfl ichten, sondern, wie die §§ 280 ff. BGB überhaupt, auf die Verletzung von Leistungspflichten aus Schuldverhältnissen beliebigen Ursprungs. Dementsprechend geht die Literatur bisher davon aus, daß die Vorschrift auch auf gesetzliche Schuldverhältnisse anwendbar ist178. Dies ist mit der hier angeregten Sicht des Anspruchs auf Ersatz fehlgeschlagener Aufwendungen unvereinbar: Beruht die Entstehung der Pflicht, die dem Gläubiger Anlaß zu Vertrauensdispositionen gab, nicht auf einem Selbstbindungstatbestand, gibt es keinen Anlaß, den Gläubiger so zu stellen, als ob die Pflicht nicht bestanden hätte, und damit auch keinen Grund, ihm die im Vertrauen auf die Er176

Gsell, in: Das neue Schuldrecht in der Praxis, S. 321, 336. Siehe oben, § 5. 178 Canaris, in: FS Wiedemann, S. 3, 26 (Bereicherungsanspruch als Beispiel); MünchKomm/ Ernst, § 284 Rz. 6; Palandt/Heinrichs, § 284 Rz. 3; Staudinger/Otto, § 284 Rz. 11; Stoppel, Ersatz frustrierter Aufwendungen, S. 52; ders., AcP 204 (2004), 81, 88. 177

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füllung der Pflicht getätigten Aufwendungen zu erstatten179. Dem läßt sich, entgegen der im Schrifttum verbreiteten Ansicht, indes durch eine restriktive Auslegung von § 284 BGB Rechnung tragen. Danach muß der Leistungsanspruch, an dessen Stelle der wahlweise auf das positive Interesse (Schadensersatz statt der Leistung) oder auf das negative Interesse gerichtete Anspruch tritt, rechtsgeschäftlichen Ursprungs sein. Die Einordnung der Vorschrift über den Aufwendungsersatz unter die Regeln des – grundsätzlich für alle Schuldverhältnisse geltenden – allgemeinen Leistungsstörungsrechts wiegt nicht so schwer, daß sie eine andere Interpretation erzwingen könnte: Bereits die Entstehungsgeschichte des § 284 BGB relativiert die Bedeutung des systematischen Arguments. Die Stellung der Norm im Gesetz geht, wie bereits berichtet wurde, auf eine Entscheidung der Kommission Leistungsstörungsrecht zurück, die sich damit von dem ursprünglichen Vorschlag der Schuldrechtskommission und des Bundesjustizministeriums distanzierte, die Wahl zwischen dem Ersatz des positiven und dem Ersatz des negativen Interesses nur im Zusammenhang mit dem Rücktritt vom gegenseitigen Vertrag zu eröffnen180. Den sachlichen Hintergrund dieser Entscheidung erhellt die Regierungsbegründung. Die Einschätzung, daß die Begrenzung des Anspruchs auf gegenseitige Verträge nicht sachgerecht sei, wird darin am Beispiel des Vermächtnisses erläutert: Der Vermächtnisnehmer, der in berechtigtem Vertrauen auf die dem Erben schuldhafte unmöglich gewordene Erfüllung seines Anspruchs auf einen bestimmten Nachlaßgegenstand Aufwendungen vorgenommen hat, habe das gleiche Bedürfnis nach Ersatz wie derjenige, der einen solchen Gegenstand gekauft hat181. Die in der Neupositionierung der Vorschrift zum Ausdruck kommende Gleichstellung von Verpflichtungen aus einseitigen Rechtsgeschäften und solchen aus gegenseitigen Verträgen wird niemand bestreiten wollen. Soll Gleiches aber – vorbehaltlich vorrangiger Sonderregeln – auch für Aufwendungen gelten, die etwa im Vertrauen auf die Erfüllung eines Anspruchs aus Delikt oder ungerechtfertigter Bereicherung, aus § 985 BGB oder aus § 1004 BGB gemacht wurden? Die Regierungsbegründung enthält dazu keine Stellungnahme. Man darf daher die Anwendung von § 284 BGB auf gesetzliche Schuldverhältnisse jedenfalls für eine vom Gesetzgeber nicht abschließend entschiedene Frage halten182. Das Postulat, zu möglichst widerspruchsfreien Auslegungsergebnissen zu gelangen, läßt uns diese Frage verneinen. Hierzu hat man von einem Ergebnis auszu179

A. A. Unholtz, Ersatz »frustrierter Aufwendungen«, S. 169 f. Siehe oben, Abschnitt II 1. 181 BT-Drucks. 14/6040, S. 143. 182 Spätere Äußerungen ehemaliger Mitglieder der Kommission Leistungsstörungsrecht (Canaris, in: FS Wiedemann, S. 3, 26; MünchKomm/Ernst, § 284 Rz. 6; Palandt/Heinrichs, § 284 Rz.3), welche die Anwendung von § 284 BGB auf gesetzliche Schuldverhältnisse befürworten, haben die gesetzgeberische Entscheidung nicht mehr mitgeprägt. Sie kommen deshalb für eine genetische Interpretation (als authentischer Ausdruck des gesetzgeberischen Willens) nicht in Betracht, sondern haben sich im wissenschaftlichen Diskurs zu bewähren. 180

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gehen, das auch nach der Schuldrechtsreform als gesichert gelten darf: Unabhängig davon, ob § 284 BGB als Ausdruck der Frustrationslehre zu verstehen ist, sind jedenfalls Aufwendungen, deren »Frustration« nicht durch die Verletzung einer Leistungspflicht verursacht worden ist, nicht ersatzfähig – die bloß deliktische Verantwortlichkeit für den Fehlschlag von Aufwendungen ist kein Fall des § 284 BGB183. Das heißt: Für das Nutzloswerden von Aufwendungen, die einer deliktischen Schädigung vorausgehen, hat der Schuldner keinen Ersatz zu leisten, auch wenn sein Verhalten für den Verlust des Nutzens kausal geworden ist. Wenn nun Aufwendungen des Gläubigers einer deliktischen Schädigung nachfolgen (weil er auf den Erhalt der nach Maßgabe der §§ 249 ff. BGB geschuldeten Ersatzleistung vertraut) und infolge Nichterfüllung des deliktischen Anspruchs nutzlos werden, kann nichts anderes gelten: Das Vertrauen auf die Erfüllung eines deliktischen Anspruchs ist nicht schutzwürdiger als das Vertrauen, nicht Opfer einer deliktischen Handlung zu werden. Wenn im letzteren Fall fehlgeschlagene Vertrauensinvestitionen nicht liquidiert werden können, ist also im zuerst genannten Fall genauso zu entscheiden. Diese Einsicht läßt sich verallgemeinern: Das Vertrauen auf die Erfüllung eines gesetzlichen Anspruchs (die Wiederherstellung eines Rechtsguts bei § 823 I BGB, die Beseitigung einer Eigentumsstörung bei § 1004 BGB, die Rückgewähr des Besitzes bei § 985 BGB usw.) ist nicht schutzwürdiger als das Vertrauen auf den Fortbestand der gesetzlichen »Normallage« (die Intaktheit des Rechtsguts, die Störungsfreiheit des Eigentums, der Besitz der eigenen Sache usw.), deren Beeinträchtigung durch die Gewährung des gesetzlichen Anspruchs ungeschehen gemacht werden soll. Es ist deshalb nicht einzusehen, warum in dem einen Fall »Frustrationsschäden« nicht zu ersetzen sein sollten, in dem anderen aber schon. Dazu steht die Behauptung, § 284 BGB sei auf gesetzliche Schuldverhältnisse anwendbar, in unauflöslichem Widerspruch, denn sie nötigt zu einer unterschiedlichen Behandlung der beiden Fälle. Eine neuerliche Abwandlung des für den Aufwendungsersatz notorischen Schulbeispiels von Bild und Rahmen184 eignet sich zur Illustration der willkürlichen Unterscheidung, zu der die Anwendung von § 284 BGB führt: Man stelle sich vor, ein geringwertiges Bild, das sein Eigentümer aus Liebhaberei mit einem maßgefertigten, hochwertigen Rahmen versehen wollte, der sich nicht anderweitig verwenden läßt, befinde sich bei einem bösgläubigen, nicht zum Besitz berechtigten Besitzer. Dann steht dem Eigentümer ein Anspruch aus § 985 BGB zu, und er kann, nachdem er dem Besitzer erfolglos eine angemessene Frist zur Herausgabe gesetzt hat, nach § 281 BGB Schadensersatz statt der Leistung, also den Wert des Bildes, verlangen185. Wer dem Eigentümer gestatten 183

Siehe oben, Abschnitt II 2 a. Das ursprüngliche Beispiel (vgl. etwa Canaris, JZ 2001, 499, 517; Gsell, in: Das neue Schuldrecht in der Praxis, S. 321, 335; MünchKomm/Ernst, § 284 Rz. 30), bezieht sich auf einen vertraglichen Anspruch. 185 Zur Anwendbarkeit von § 281 BGB auf den Anspruch aus § 985 BGB (jedenfalls dann, wenn der Besitzer nach den §§ 989 f. BGB für die Nichtleistung einzustehen hat) Hk-BGB/ 184

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will, nach § 284 BGB anstelle des Schadensersatzes statt der Leistung den (höheren) Ersatz seiner nutzlos gewordenen Aufwendungen für den Rahmen zu verlangen, müßte nun darauf abstellen, ob der Eigentümer den Rahmen vor oder nach der Entstehung der Vindikationslage angeschafft hat: Hat der Eigentümer, nachdem er den Besitz an dem Bild verloren hat, den Rahmen im Vertrauen auf dessen Rückgabe angeschafft, liegen die Voraussetzungen von § 284 BGB vor; hat er dagegen die Anschaffung zu einem Zeitpunkt getätigt, als er sich noch im Besitz des Bildes befand, kann § 284 BGB keine Anwendung finden, weil die Aufwendung nicht im Vertrauen auf den Erhalt der Leistung (Herausgabe des Bildes) getätigt wurde. Dieses Ergebnis vermag schlechterdings nicht einzuleuchten: Entweder man gewährt in beiden Fällen Aufwendungsersatz, weil der Eigentümer durch die Investition für den Rahmen – gleichgültig, ob sie vor oder nach dem Besitzverlust erfolgte – zum Ausdruck gebracht hat, was ihm das Bild wert war, und verhilft so der Frustrationslehre zur vollen Anerkennung. Dies kommt jedoch aus den bereits dargelegten Gründen nicht in Betracht186 . Oder man schützt den Eigentümer, der im Vertrauen auf die Wiedererlangung des Besitzes gehandelt hat, ebensowenig wie denjenigen, der durch sein Vertrauen auf den Fortbestand seines Besitzes zu einer Aufwendung veranlaßt wurde. Dies zwingt dazu, in Übereinstimmung mit dem hier verfochtenen Ansatz die Fälle von der Anwendung des § 284 BGB auszunehmen, in denen der Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung an die Stelle eines gesetzlichen Leistungsanspruchs (hier: des Herausgabeanspruchs nach § 985 BGB) getreten ist. dd) Unabhängigkeit vom Rücktritt Die Kritik an dem Standpunkt, in § 284 BGB sei der (partielle) Ersatz des negativen Interesses angeordnet, entzündet sich des weiteren daran, daß der Gläubiger nach dieser Vorschrift Aufwendungsersatz scheinbar unabhängig davon verlangen kann, ob es durch seinen Rücktritt zur Vertragsaufhebung kommt187. Der Befund wirkt auf den ersten Blick eindeutig: Wegen seiner Anbindung an das Vorliegen eines Anspruchs auf Schadensersatz statt der Leistung ist der Anspruch auf Ersatz fehlgeschlagener Aufwendungen mittelbar von § 325 BGB betroffen, demzufolge das Recht, bei einem gegenseitigen Vertrag Schadensersatz zu verlangen, durch den Rücktritt nicht ausgeschlossen wird, also von ihm unabhängig ist. Daher muß, so die naheliegende Schlußfolgerung, auch das Recht, statt des Schadensersatzes Aufwendungsersatz zu verlangen, unabhängig vom Rücktritt sein188. Eckert, § 985 Rz. 6; Palandt/Heinrichs, § 281 Rz. 4; Palandt/Bassenge, § 985 Rz. 14; a. A. AnwKom/Schanbacher, § 985 Rz. 60. 186 Siehe oben, Abschnitt II 2. 187 Dieser Einwand fi ndet sich bei MünchKomm/Ernst, § 284 Rz. 6, § 325 Rz. 11. 188 So BGH 20. 7. 2005, NJW 2005, 2848, 2849 f. Dem BGH diente die – nachfolgend kritisierte – Feststellung, dass der Gläubiger Aufwendungsersatz nach § 284 BGB auch dann verlangen könne, wenn er vom Rücktritt absehe, allerdings nur zu Begründung des – in dieser Arbeit ge-

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Diese Sicht wirft Schwierigkeiten für die Interpretation von § 284 BGB als (unvollständigen) Ausdruck der Haftung auf das negative Interesse auf: Auch wenn der Gläubiger bei Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 323, 324 BGB nicht zurücktritt, sondern sich dafür entscheidet, seine bereits erbrachte Gegenleistung beim Schuldner zu belassen oder sie ihm noch zu erbringen, müßte er anstelle des (nach der Surrogationsmethode berechneten189) Schadensersatzes statt der Leistung, den er gemäß §§ 281, 282 BGB verlangen kann, nach § 284 BGB den Ersatz der Aufwendungen beanspruchen können, die er im Vertrauen auf den Erhalt der Leistung gemacht hat. Der Ersatz fehlgeschlagener Aufwendungen bei gleichzeitiger Erbringung oder Aufrechterhaltung der Gegenleistung ist aber mit der Vorstellung unvereinbar, der Anspruch aus § 284 BGB habe zum Ziel, den Gläubiger so zu stellen, wie er stehen würde, wenn er den Vertrag mit dem Schuldner nicht geschlossen hätte: Dieses Ziel wird nur erreicht, wenn die Gegenleistung beim Gläubiger bleibt oder ihm, soweit er sie schon erbracht hat, vom Schuldner zurückgewährt wird. Bei näherem Hinsehen besteht indes weder ein anerkennenswertes Bedürfnis, dem Gläubiger die Möglichkeit einzuräumen, seine Gegenleistung zu erbringen und zugleich Aufwendungsersatz zu verlangen, noch erscheint es zwingend, § 325 BGB in diesem Sinne auszulegen: Ist beispielsweise ein Grundstückstausch vereinbart worden und hat eine der beiden Parteien, nachdem sie in Erwartung der ihr zustehenden Leistung Aufwendungen gemacht hat, wegen des ihr gebührenden Grundstücks einen Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung erworben (etwa weil der Schuldner die Erfüllung ernsthaft und endgültig verweigert hat), so ist nicht erkennbar, warum die ersatzberechtigte Partei ein Interesse daran haben sollte, nur den Ersatz ihrer fehlgeschlagenen Aufwendungen zu verlangen und nicht auch das der vertragsbrüchigen Partei als Gegenleistung geschuldete Grundstück zu behalten190. Ein praktischer Sinn ist der Möglichkeit, dem Schuldner die Gegenleistung aufzudrängen, nur abzugewinnen, wenn man dem Gläubiger zusätzlich gestattet, den Wert der beim Schuldner belassenen oder ihm noch zu erbringenden Leistung (als nutzlos gewordene Aufwendung) auf der Grundlage von § 284 BGB zu liquidieren191 – auf diese Weise könnte sich der Gläubiger eine ihm teilten – Ergebnisses, dass § 347 II BGB den nach § 284 BGB zu ersetzenden Aufwendungen keine Grenze ziehe. 189 Daß ohne Rücktritt nur eine Schadensberechnung nach der Surrogationsmethode in Betracht kommt und das Ergebnis der Differenzmethode durch die Kombination von Rücktritt und Schadensersatz statt der Leistung erreicht wird, hat MünchKomm/Ernst, § 325 Rz. 6 ff., mit überzeugenden Gründen dargelegt; ebenso Bamberger/Roth/Grothe, § 325 Rz. 5 f.; Faust, in: P. Huber/Faust, Schuldrechtsmodernisierung, Rz. 3/189 (S. 142). Die im Schrifttum überwiegende Gegenansicht (zuletzt begründet von Arnold, ZGS 2003, 427, 429 f. mit Nachw. in Fn. 16) belastet das neue Schuldrecht mit unnötiger Komplexität. 190 A. A. MünchKomm/Ernst, § 284 Rz. 6. 191 Gerade dies aber kommt für Ernst nicht in Betracht, da nach seiner Meinung (MünchKomm/Ernst, § 284 Rz. 16) die Gegenleistung keine Aufwendung i. S. d. § 284 BGB ist, sondern nur nach § 346 BGB zurückverlangt werden kann.

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obliegende Sachleistung, für die er keine andere Verwendung hat, vom Schuldner vergüten lassen192 und außerdem Ersatz seiner (sonstigen) Aufwendungen verlangen. Anders als beim Ersatz des positiven Interesses nach Maßgabe der Surrogationsmethode, mit der sich der am Vertrag festhaltende Gläubiger seiner (Sach-)Gegenleistung entledigen und als Schadensersatz den vollen Wert der Leistung (aber nicht der Gegenleistung) verlangen kann, ist dieser Vorgehensweise beim Ersatz fehlgeschlagener Aufwendungen jedoch die Berechtigung abzusprechen. Denn wer darauf besteht, seine Gegenleistung zu erbringen, führt den »Frustrationsschaden« in Gestalt des irreparablen Verlusts der Gegenleistung, deren Ersatz er nach § 284 BGB verlangt, selbst herbei. Deshalb wäre es treuwidrig, einerseits den Rücktritt vom Vertrag zu verweigern und damit die Gegenleistungspfl icht aufrechtzuerhalten, und andererseits eine Kompensation für die in Erfüllung dieser Pflicht gemachte Aufwendung zu fordern. Dementsprechend ist dem Gläubiger beim gegenseitigen Vertrag der Ersatz fehlgeschlagener Aufwendungen nur zu gewähren, wenn er zugleich wenigstens konkludent den Rücktritt vom Vertrag erklärt193 (wovon auszugehen ist, wenn der Gläubiger nicht erkennen läßt, daß er seine Gegenleistung dem Schuldner noch erbringen bzw. ihm belassen will194). Der Einsicht, daß die Kombination einer Aufrechterhaltung der vertraglichen Gegenleistungspflicht mit dem Verlangen nach Aufwendungsersatz nicht statthaft ist, steht § 325 BGB schließlich nicht entgegen: Diese Regelung soll dem Gläubiger nur neben dem Rücktritt die auf das positive Interesse gerichteten Schadensersatzansprüche nach den §§ 280 ff. BGB erhalten195. Die Aussage, daß dem Gläubiger bei einem gegenseitigen Vertrag ohne Rücktritt und damit unter Aufrechterhaltung der Gegenleistungspflicht das Recht auf Ersatz nutzlos gewordener Aufwendungen zusteht, hat damit nichts zu tun und sollte deshalb nicht in § 325 BGB hineingelesen werden. Dies bestätigt die Entstehungsgeschichte von § 284 BGB: In den Entwürfen der Schuldrechtskommission (§ 327 I 2 BGB-KE196) und des Bundesjustizministeriums (§ 325 I 2 BGB-DiskE197) war die Verknüpfung der Möglichkeit, beim gegenseitigen Vertrag den Ersatz des negativen Interesses zu verlangen, mit dem Rücktritt noch deutlich. Daß die von der Kommission Leistungsstörungsrecht geschaffene Nachfolgeregelung über den Aufwendungsersatz ihren Platz nicht hier, sondern in § 284 BGB gefunden hat, ist, wie gezeigt198 , allein darauf zurückzuführen, daß man sich mit der Anwendung auf gegenseitige Ver192

So Stoppel, Ersatz frustrierter Aufwendungen, S. 66. Zu den sich aus dem Nebeneinander von § 346 BGB und § 284 BGB ergebenden weiteren Fragen siehe unten, Abschnitt III 2 b. 194 So zutreffend zur Auslegung des Erklärungsverhaltens des Gläubigers MünchKomm/ Ernst, § 325 Rz. 22. 195 Vgl. die Begründung in BT-Drucks. 14/6040, S. 187 f. 196 Abschlußbericht, S. 172. 197 Abgedruckt bei Canaris, Schuldrechtsmodernisierung 2002, S. 22. 198 Siehe oben, Abschnitt II 3 b cc. 193

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träge nicht zufrieden geben wollte. Daß damit zugleich das Verhältnis dieser Regelung zum Rücktritt anders bestimmt werden sollte, ist nicht zu erkennen. Die hier vertretene Koppelung zwischen dem Rücktritt und der Gewährung des Anspruchs aus § 284 BGB gilt selbstverständlich nicht nur für den Rücktritt vom ganzen Vertrag, sondern, mutatis mutandis, auch für den Teilrücktritt bei unvollständiger Leistung und die Minderung bei mangelhafter Leistung: Verlangt der Gläubiger bei teilweiser oder mangelhafter Leistung Ersatz seiner fehlgeschlagenen Aufwendungen anstelle des sogenannten »kleinen« Schadensersatzes, darf er also nicht darauf bestehen, dem Schuldner seine volle Gegenleistung anzudienen. Wie man sich allerdings die Erstattung nutzloser Aufwendungen anstelle des »kleinen« Schadensersatzes vorzustellen hat, ist ein weiterer Prüfstein für die systematische Verortung von § 284 BGB. ee) Anwendbarkeit anstelle des »kleinen« Schadensersatzes Mit dem »kleinen« Schadensersatz ist – in Anknüpfung an die hergebrachte Begrifflichkeit bei § 463 BGB a. F. – der Schadensersatz statt der Leistung gemeint, der dem Gläubiger nach § 281 I 1 BGB bei teilweiser oder mangelhafter Leistung wegen des quantitativen oder qualitativen Defizits der erbrachten im Vergleich zur geschuldeten Leistung zusteht199. Kann der Gläubiger anstelle des »kleinen« Schadensersatzes verlangen, daß der Schuldner ihm seine nutzlos gewordenen Aufwendungen erstattet? Und läßt sich, wenn das möglich ist, eine solche Vorgehensweise des Gläubigers mit der Vorstellung in Einklang bringen, hierin liege die Geltendmachung des negativen Interesses? Was die erste Frage betrifft, fällt die Antwort nicht schwer: Der in § 284 BGB ausgesprochene Verweis auf den Schadensersatz statt der Leistung schließt den »kleinen« Schadensersatz ohne weiteres ein, und – anders als bei der soeben besprochenen Kombination zwischen dem Aufwendungsersatz und der Aufrechterhaltung der Gegenleistungspflicht – ist nichts Anstößiges daran zu entdecken, wenn der Gläubiger die defizitäre Leistung behält und ihm im übrigen die Aufwendungen erstattet werden, die er im Vertrauen auf die Vollständigkeit und Mangelfreiheit der Leistung gemacht hat und die gerade deshalb ihren Zweck verfehlt haben, weil die Leistung in (mindestens) einer der beiden Hinsichten hinter dem Geschuldeten zurückbleibt 200. So hat beispielsweise bei Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 437 Nr. 3, 280 I, III, 281 I 1 BGB der Verkäufer einer Maschine, deren Verarbeitungskapazität nur 60% der vereinbarten Leistung beträgt, nach § 284 BGB dem Käufer 40% der Kosten für die zur Verarbeitung vorgesehenen Rohstoffe zu bezahlen, die der Käufer zur vollen Auslastung der Maschine bereits 199 Demgegenüber handelt es sich bei dem »großen« Schadensersatz um den Schadensersatz statt der ganzen Leistung, den der Gläubiger im Fall der Teilleistung nach § 281 I 2 BGB nur bei Interesseverlust und im Fall der mangelhaften Leistung nach § 281 I 3 BGB nicht bei unerheblichen Pfl ichtverletzungen erhält. 200 So auch AnwKom/Arnold, § 284 Rz. 37; Faust in: P. Huber/Faust, Schuldrechtsmodernisierung, Rz. 4/47 (S. 175 f.); MünchKomm/Ernst, § 281 Rz. 135.

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bezogen hat und wegen ihrer Verderblichkeit nicht aufbewahren oder weiterveräußern kann. Die zweite Frage wird im Schrifttum allerdings teilweise verneint: Nehme man an, daß der Ersatz nach § 284 BGB Ersatz des negativen Interesses sei, könne der Aufwendungsersatz anstelle des »kleinen« Schadensersatzes nicht in Frage kommen, weil der Vertrag bei Wahl des »kleinen« Schadensersatzes bestehen bleibe201. Dem ist jedoch zu widersprechen: Gewiß kann der Gläubiger nicht das negative Interesse beanspruchen, wenn er an dem ganzen Vertrag festhält und die vollständige Erfüllung seines Leistungsanspruchs begehrt. Deshalb kommt nach hiesiger Ansicht auch keine Analogie zu § 284 BGB in den Fällen des leistungsergänzenden Schadensersatzes in Betracht202. Es muß aber nicht umgekehrt der ganze Vertrag aufgehoben werden und die Leistung vollständig ausgeblieben bzw. rückabzuwickeln sein, damit auch nur der anteilige Ersatz des negativen Interesses verlangt werden kann. Vielmehr kommt es zur Vermeidung eines Widerspruchs nur darauf an, daß der Gläubiger, soweit sein Erfüllungsinteresse (durch Naturalerfüllung oder Geldersatz) verwirklicht ist oder er jedenfalls noch danach strebt, nicht zugleich das Vertrauensinteresse geltend macht. Wählt er statt des »kleinen« Schadensersatzes den Anspruch aus § 284 BGB, geschieht dies aber gerade nicht: Das negative Interesse, das ihm auf dieser Grundlage in dem soeben beschriebenen Umfang gewährt wird (in unserem Beispiel 40% der Rohstoffkosten), tritt nur an die Stelle des endgültig weder durch Naturalerfüllung noch durch Geldersatz verwirklichten Ausschnitts des positiven Interesses, nämlich des Interesses an der Vollständigkeit und Mangelfreiheit der Leistung. Mit dem Ersatz des negativen Interesses anstelle des »kleinen« Schadensersatzes wird der Gläubiger also mit anderen Worten so gestellt, als ob er den Vertrag nur über die defizitäre und nicht über die vollständige bzw. mangelfreie Leistung abgeschlossen hätte. Er wird aber nicht so gestellt, als ob er den Vertrag überhaupt nicht geschlossen hätte. Soweit sein positives Interesse durch die unvollständige oder mangelhafte Leistung (in unserem Beispiel die Maschine mit einer Kapazität von 60%) befriedigt ist, steht dem Gläubiger daher der Ersatz des negativen Interesses nicht zu. ff) Fehlende Begrenzung auf das positive Interesse Schließlich wird es vereinzelt als Schwäche der hier diskutierten Auslegung des § 284 BGB angesehen, daß der nach dieser Vorschrift zu leistende Ersatz nicht wie bei den §§ 122 I, 179 II BGB auf den Betrag des positiven Interesses beschränkt sei, während es umgekehrt gerade bei diesen wichtigen Grundlagen der Haftung auf das negative Interesse keine Rolle spiele, ob die fehlgeschlagenen Aufwendungen, die als Vertrauensschaden zu ersetzen sind, auch bei Wirksamkeit des Vertrags

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ihren Zweck verfehlt hätten. Die in § 284 BGB getroffene Regelung sei somit »eine den Vorschriften des BGB zum Vertrauensschaden fremde Konstruktion«203. Daß dies gerade nicht der Fall ist, dürfte bereits hinreichend deutlich geworden sein 204 : Die in den §§ 122 I, 179 II BGB angeordnete Begrenzung der Haftung auf den (vom Schuldner zu beweisenden) Betrag des positiven Interesses und der dem Schuldner in § 284 BGB eröffnete Einwand der Zweckverfehlung sind in Wahrheit zwei Seiten einer Medaille. Beide Regelungen setzen denselben Gedanken um, nämlich die Idee, daß dem Gläubiger durch den Ersatz des negativen Interesses nicht das Risiko abgenommen werden darf, in seiner Spekulation auf den Erfolg des von ihm abgeschlossenen Geschäfts fehlzugehen. So ergibt sich, was den Ersatz nutzlos gewordener Aufwendungen bei Geschäften betrifft, mit denen der Gläubiger einen wirtschaftlichen Zweck verfolgte, ein völliger Gleichlauf der beiden Kriterien: Soweit der Betrag der Aufwendungen den Betrag des positiven Interesses übersteigt, hätten die Aufwendungen bei ordnungsgemäßer Erfüllung ihren wirtschaftlichen Zweck verfehlt, weil sie sich nicht rentiert hätten. Bei Aufwendungen mit nichtwirtschaftlicher Zwecksetzung klaffen die Grenzziehungen zwar auf den ersten Blick auseinander: Hier bleibt der Aufwendungsbetrag wegen der gewollten Unwirtschaftlichkeit hinter dem bei gedachter Erfüllung erwirtschafteten Betrag des positiven Interesses zurück, ohne daß die Aufwendungen damit ihren Zweck verfehlt haben müßten. Die teleologisch gebotene Korrektur des in den §§ 122, 179 II BGB verwendeten Maßstabs sorgt indes auch insoweit für übereinstimmende Ergebnisse205.

4. Die systematische Einordnung in der Gesamtschau Unabhängig davon, wie man sich zu den zahlreichen Einzelaspekten der Auslegung verhält, die hier auf der Suche nach Aufschlüssen für ein systematisch richtiges Verständnis von § 284 BGB erörtert worden sind, dürfte an diesem Punkt der Untersuchung unstreitig sein: Die Neuregelung widersetzt sich, wenn man an ihrem Buchstaben haftet, jedem Versuch einer Formulierung des Rechtsgedankens, der sie trägt. Nur wenig vergröbernd kann man sagen: Um allein als Ergänzung der Rentabilitätsvermutung für die (seltenen) »hard cases« ideeller Zweckverfolgung gelten zu können, ist die Vorschrift nach Wortlaut, System und Genese zu weit angelegt; sie kann auch nicht widerspruchsfrei auf dieses Ziel reduziert werden. Der ambitioniertere Versuch, sie im Sinne der Frustrationslehre zu deuten, läßt sie dagegen als eher zufälligen Ausschnitt einer viel weiterreichenden Konzeption erscheinen; die Ausgrenzung deliktischer Ansprüche, die Beschränkung auf den Ersatz »frustrierter« Aufwendungen, die im Vertrauen auf den Erhalt der Leistung gemacht wurden, und die Anbindung der Ersatzberechtigung an die 203 204 205

Stoppel, Ersatz frustrierter Aufwendungen, S. 39. Siehe v. a. oben, Abschnitt II 3 b aa. Siehe oben, § 10 III 1 b.

II. Die systematische Einordnung von § 284 BGB

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Voraussetzungen des Schadensersatzes statt der Leistung sind willkürliche Beschränkungen der Kompensation von »Frustrationsschäden«. Schließlich gerät die dritte hier diskutierte Lesart, die in der Vorschrift den Ersatz des negativen Interesses angeordnet sieht, (wenn man einmal die weniger ernst zu nehmenden Einwände beiseite läßt) in Konflikt mit der Limitierung auf den Ersatz nutzlos gewordener Aufwendungen; sie »paßt« zudem nur, wenn die Leistungspflicht, deren Verletzung zum Fehlschlag der Aufwendungen geführt hat, rechtsgeschäftlicher Natur ist. In Anbetracht dieser Schwierigkeiten kann den Ausschlag für die Einordnung der Norm letztlich nur die Entscheidung geben, welche Ungereimtheiten durch Rechtsfortbildung zu überwinden oder aber mit den (relativ) geringsten Bedenken hinzunehmen sind. Die besseren Gründe sprechen dafür, daß dies bei der Interpretation des § 284 BGB als Ausdruck der Haftung auf das negative Interesse der Fall ist: Zum einen ist die Norm, entgegen dem ersten Eindruck, über den Aufwendungsersatz hinaus einer analogen Anwendung auf sonstige Vertrauensschäden, namentlich den entgangenen Gewinn aus einem Alternativgeschäft, zugänglich 206 ; zum anderen ist eine Reduktion ihres Anwendungsbereichs auf die Nichterfüllung rechtsgeschäftlicher Leistungspflichten angezeigt 207. Zur Vermeidung von Mißverständnissen sei betont: Bei den hier gegebenen Anregungen zur Rechtsfortbildung geht es nicht darum, das Gesetz einem theoretischen Vorverständnis gefügig zu machen. Ihr Anliegen ist vielmehr, wie hoffentlich deutlich geworden ist, die Gewährleistung widerspruchsfreier Entscheidungen, und erst die in Verfolgung dieses Anliegens erzielten Ergebnisse sind es, die sich zur Bestätigung der These zusammenfügen, daß in § 284 BGB das Recht des Gläubigers kodifiziert ist, statt des positiven das negative Interesse ersetzt zu verlangen. Die abweichende Vorstellung der Gesetzesverfasser, daß ihre Schöpfung kein Schadensersatzanspruch sei 208 , darf, wie gleichfalls gezeigt worden ist 209, nicht zum Ausdruck eines entgegenstehenden gesetzgeberischen Willens stilisiert werden. Ohnehin ist – diese methodologische Randbemerkung sei gestattet – bei der Auslegung dispositiven Schuldrechts, was Fragen der Dogmatik betrifft, im Zweifel nicht dem durch Exegese der Materialien gewonnenen »Willen«, sondern der sachgerechten, zu konsistenten Wertungen führenden Lösung der Vorzug zu geben: Nicht vermittelbare dogmatische Unterscheidungen und Abgrenzungen im dispositiven Recht werden, selbst wenn der Gesetzgeber sie »gewollt« haben sollte, in der Rechtswirklichkeit durch Abbedingung der sie verursachenden Regeln, schlimmstenfalls durch Abwahl des Rechts beseitigt. Wer meint, aus Respekt vor Äußerungen der Gesetzesverfasser eine mit Sachgründen nicht zu rechtfertigende

206 207 208 209

Siehe oben, Abschnitt II 3 b aa. Siehe oben, Abschnitt II 3 b cc. BT-Drucks. 14/6040, S. 144. Siehe oben, Abschnitt II 3 b aa.

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Auslegung einer dispositiven Norm verteidigen zu müssen, schafft daher, statt sein Ziel zu erreichen, letztlich nur Transaktionskosten.

III. Der Ersatz des negativen Interesses auf der Grundlage von § 284 BGB Im vorangehenden Abschnitt sind nur die Eckpunkte der Interpretation von § 284 BGB untersucht worden: die Fragen, deren Beantwortung Rückschlüsse auf den Grundgedanken der Vorschrift zuläßt. Auf der Grundlage der dabei gewonnenen Einsicht, daß mit der Neuregelung der Gläubiger die Möglichkeit erhält, im Rahmen eines wirksamen rechtsgeschäftlichen Schuldverhältnisses anstelle des positiven sein negatives Interesse in dem gleichen Umfang geltend zu machen, wie ihm dies bei unwirksamen Rechtsgeschäften nach den §§ 122, 179 II BGB gestattet ist, lösen sich weitere Verständnisprobleme von selbst auf; doch gilt dies nicht für alle Unklarheiten, die sich bei der Auslegung und Anwendung der neuen Vorschrift ergeben. Vornehmlich der Aufklärung dieser Unklarheiten, aber auch der zusammenfassenden Darstellung des Gesamtbildes des hier vertretenen Normverständnisses sind die nachfolgenden, am Aufbau des § 284 BGB orientierten Ausführungen gewidmet.

1. Die Komplementarität zum Ersatz des positiven Interesses a) Ersatz des negativen Interesses anstelle des Schadensersatzes statt der Leistung aa) Die Anknüpfung an die Voraussetzungen des Schadensersatzes statt der Leistung Mit der Voraussetzung, daß der Gläubiger den Ersatz nutzlos gewordener Aufwendungen nur anstelle des Schadensersatzes statt der Leistung verlangen kann, bringt § 284 BGB die Komplementarität der Haftung auf das negative Interesse gegenüber der Haftung auf das positive Interesse zur Geltung, die bereits bei der Untersuchung des Haftungsumfangs in den »klassischen« Fällen der §§ 122, 179 II BGB zur Sprache gekommen ist: Danach ist die Haftung auf das negative Interesse bei unwirksamen rechtsgeschäftlichen Bindungen durch den hypothetischen Schutz begrenzt, den die Rechtsordnung dem positiven Interesse zukommen ließe, wenn die Erklärung des Schuldners wirksam wäre210. Ist die rechtsgeschäftliche Bindung wirksam, verhält es sich nicht anders, mit dem einzigen Unterschied, daß der Schutz des positiven Interesses hier tatsächlich von der Rechtsordnung gewährt wird. Daher darf der Gläubiger nur dann zum Ersatz des negativen Interesses übergehen, wenn er dem Grunde nach 211 die Möglichkeit hat, den Ersatz des 210 211

Siehe oben, § 10 III 1 c. Das heißt: Ein bezifferbarer Nichterfüllungsschaden muß nicht vorliegen (sonst bliebe

III. Der Ersatz des negativen Interesses auf der Grundlage von § 284 BGB

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positiven Interesses zu verlangen. Dies erklärt die Anknüpfung an den Schadensersatz statt der Leistung. Wie im Schrifttum schon verschiedentlich festgestellt worden ist 212 , sind die Anspruchsgrundlagen, die dem Gläubiger diesen Schutz eröffnen, allerdings nicht einheitlich mit dem durch die Schuldrechtsreform eingeführten Terminus »Schadensersatz statt der Leistung« gekennzeichnet. Es zählen hierzu außer den §§ 281, 282, 283 und 311a II BGB (einschließlich des »kleinen Schadensersatzes« bei qualitativen oder quantitativen Leistungsdefiziten) 213 alle Fälle, in denen der Gläubiger das finanzielle Äquivalent für eine ihm geschuldete, aber nicht erbrachte Leistung (bzw. ein quantitatives oder qualitatives Leistungsdefizit) beanspruchen kann, soweit es sich dabei um eine Sanktion für die Nichterfüllung einer rechtsgeschäftlichen, aber nicht notwendig einer im Synallagma stehenden Leistungspflicht handelt 214. Dies trifft insbesondere auf die Ansprüche zu, bei denen es der Reformgesetzgeber unterlassen hat, den angestammten Begriff »Schadensersatz wegen Nichterfüllung« durch »Schadensersatz statt der Leistung« zu ersetzen (so in den §§ 523 II 1, 524 II 2, 651 f I, 2183 S. 2 BGB, beim Fixhandelskauf in § 376 I, II HGB, beim Verlagsvertrag in den §§ 31 II, 45 II VerlG und bei Wertpapierkommissionsgeschäften in den §§ 25 I 1, 26 S. 3 DepotG215), außerdem auf Ansprüche, deren Rechtsfolge schlicht auf »Schadensersatz« gerichtet ist, aber der Sache nach den aus der Nichterfüllung resultierenden Schaden erfaßt (so in den §§ 536a I, 536c II Nr. 2 BGB216). bb) Die Alternativität zum Schadensersatz statt der Leistung Im Vergleich zur Haftung auf das negative Interesse bei unwirksamen Rechtsgeschäften ergibt die auf § 284 BGB gestützte Haftung auf das negative Interesse bei wirksamen Rechtsgeschäften allerdings ein zusätzliches Problem: Weil der Schutz des positiven Interesses hier nicht nur hypothetisch ist, sondern von der Rechtsordnung tatsächlich gewährt wird, hat der Gläubiger, sofern er einen bezifferbaren Nichterfüllungsschaden erlitten hat, die Wahl, ob er sich auf das rechtsge§ 284 BGB in den Fällen ideeller Zwecksetzung unanwendbar, in denen die Pfl ichtverletzung nicht zu einem Vermögensnachteil geführt hat); ebenso Dauner-Lieb, in: Dauner-Lieb u. a., Das neue Schuldrecht, § 2 Rz. 53; MünchKomm/Ernst, § 284 Rz. 13; Ehmann/Sutschet, Modernisiertes Schuldrecht, S. 121. 212 Z. B. bei AnwKom Schuldrechtsreform/Dauner-Lieb, § 284 Rz. 4; Emmerich, Leistungsstörungen, S. 211; dems., in FS Otte, S. 101, 107; Staudinger/Otto, § 284 Rz. 15; Hk-BGB/Schulze, § 284 Rz. 4; Stoppel, Ersatz frustrierter Aufwendungen, S. 56 ff. 213 Siehe oben, Abschnitt II 3 b ee. 214 Zur Nichtanwendung auf gesetzliche Schuldverhältnisse siehe oben, Abschnitt II 3 b cc. 215 Außerhalb der genannten Anspruchsgrundlagen hat sich der Begriff »Schadensersatz wegen Nichterfüllung« auch in den §§ 338 S. 2, 340 II, 1585b II, III, 1613 I 1, 1615 I BGB sowie in § 255 I ZPO behaupten können. 216 Näher zum Hintergrund der Ersetzung von »Schadensersatz wegen Nichterfüllung« in § 538 I BGB a. F. durch »Schadensersatz« in § 536a I BGB (und nicht durch »Schadensersatz statt der Leistung«) sowie zur Anwendbarkeit von § 284 BGB Arnold, in: Das neue Schuldrecht in der Praxis, S. 589, 591 f.

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schäftliche Leistungsversprechen als Haftungsgrund beruft und dementsprechend das negative Interesse ersetzt verlangt oder ob er sich auf die Nichterfüllung beruft und damit zur Liquidation des positiven Interesses gelangt. Bei der Ausübung dieser Wahlmöglichkeit stellt sich die Frage, ob der Gläubiger stets nur das positive oder nur das negative Interesse verlangen kann oder ob er sein Interesse auch zum Teil in der einen und zum Teil in der anderen Richtung geltend machen kann, soweit er damit nicht hinsichtlich ein und derselben Position die Herstellung der bei Vertragserfüllung bestehenden Lage und zugleich die Versetzung in den ohne Vertragsschluß bestehenden Zustand verlangt. Diese Frage hat bereits die seit längerem mit dem »reliance interest« als Vertragsbruchsanktion vertrauten Juristen des Common Law beschäftigt, ohne von ihnen abschließend beantwortet worden zu sein: Der englische Court of Appeal hat zwar in seiner Entscheidung Cullinane v. British »Rema« Manufacturing Co. 217 die Zulässigkeit von »split claims« abgelehnt; doch wird diese Sicht, wie schon berichtet wurde218 , nicht durchweg geteilt. § 284 BGB scheint die Frage für das deutsche Recht zugunsten einer strikten Alternativität entschieden zu haben: Der Ersatz fehlgeschlagener Aufwendungen kann danach nur »anstelle des Schadensersatzes statt der Leistung« verlangt werden. In der Literatur wird jedoch teilweise eine teleologische Reduktion der Alternativität gefordert 219 : Die Kumulation von Schadensersatz statt der Leistung und Aufwendungsersatz auszuschließen, sei nur insoweit gerechtfertigt, wie der Gläubiger durch die Geltendmachung beider Ansprüche einen doppelten Ausgleich dafür erhalte, daß die geschuldete Leistung ausgeblieben ist. Nun vermag das Argument, es gehe bei der wechselseitigen Ausschließlichkeit von Aufwendungsersatz und Schadensersatz statt der Leistung nur darum, die doppelte Befriedigung ein und desselben Interesses zu vermeiden, nur dann zu überzeugen, wenn man von der hier abgelehnten Ansicht ausgeht, daß es jeweils um verschiedene Formen des Ausgleichs des positiven Interesses gehe. Von der Warte der hier vertretenen Einordnung der neugeschaffenen Vorschrift als Grundlage eines Anspruchs auf Ersatz des negativen Interesses scheint es dagegen auf den ersten Blick bei der strikten Alternativität bleiben zu müssen 220. Bereits bei der Erörterung der Geltendmachung des Anspruchs aus § 284 BGB anstelle des »kleinen« Schadensersatzes ist jedoch darauf hingewiesen worden, daß der Ersatz des negativen Interesses nur ausscheidet, soweit das (positive) Interesse des Gläu-

217

[1954] 1 Q. B. 292 (C. A.). Siehe oben, Abschnitt I 2 b bb. 219 Hierfür sprechen sich aus Faust, in: P. Huber/Faust, Schuldrechtsmodernisierung, Rz. 4/50 (S. 176 f.); Gsell, in: Das neue Schuldrecht in der Praxis, S. 321, 339 f. Vgl. auch Canaris, JZ 2001, 499, 517, der für Einzelfälle eine teleologische Reduktion der Alternativitätsanordnung in Betracht zieht. 220 Diese Vorstellung liegt einem Teil der gegen diesen Ansatz erhobenen Einwände bei MünchKomm/Ernst, § 284 Rz. 6, zugrunde. 218

III. Der Ersatz des negativen Interesses auf der Grundlage von § 284 BGB

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bigers an der Leistung verwirklicht ist oder der Gläubiger dies noch verlangt 221. Deshalb ist es dem Gläubiger, der eine mangelhafte oder eine Teilleistung erhalten hat, zu gestatten, anstelle des durch die defizitäre Leistung nicht befriedigten Teils seines positiven Interesses (den er als »kleinen Schadensersatz« liquidieren könnte) den entsprechenden Teil seines negativen Interesses zu verlangen, also so gestellt zu werden, als ob er den Vertrag nur über die defizitäre und nicht über die vollständige bzw. mangelfreie Leistung abgeschlossen hätte. Diese Überlegung läßt sich auf das Verhältnis des Vertrauensschadensersatzes zum Schadensersatz statt der Leistung übertragen: Es ist kein Grund ersichtlich, warum die Kombination der teilweisen Befriedigung des positiven Interesses mit dem Teilersatz des negativen Interesses, die das Gesetz im Zusammenhang mit mangelhaften oder Teilleistungen erlaubt, nicht auch im Zusammenhang mit dem teilweisen Schadensersatz statt der Leistung zulässig sein sollte – der einzige Unterschied zwischen den beiden Konstellationen besteht darin, daß in dem Fall der defizitären Leistung die Teilbefriedigung des positiven Interesses durch Naturalerfüllung erfolgt, während in dem Fall des teilweisen Schadensersatzes statt der Leistung das gleiche Ergebnis durch Geldkompensation erreicht wird. Das heißt: Soweit der vom Gläubiger geltend gemachte Schadensersatz statt der Leistung nicht dazu führt, daß das Gläubigerinteresse an der Leistung im Wege des Geldersatzes voll befriedigt wird, besteht Raum für die Haftung auf das negative Interesse. Die Alternativitätsanordnung in § 284 BGB ist daher so zu verstehen, daß sie den Ersatz des negativen Interesses nur ausschließt, soweit der Gläubiger die Befriedigung des positiven Interesses durch den Schadensersatz statt der Leistung verlangt. Die Konstellationen, in denen aufgrund dieses Normverständnisses ein kombinierter (Teil-)Ersatz von positivem und negativem Interesse in Betracht kommt, seien nachfolgend erläutert. (1) Kombination mit dem Teilersatz des leistungsbezogenen positiven Interesses. Der Teilersatz des negativen Interesses und damit die Anwendung von § 284 BGB kommt zunächst in Betracht, wenn dem Gläubiger mit dem von ihm geltend gemachten Schadensersatz statt dem Leistung nur ein Teil seines leistungsbezogenen positiven Interesses vergütet wird. An der Möglichkeit einer solchen Aufspaltung seiner Rechtsposition wird der Gläubiger insbesondere dann interessiert sein, wenn er den Gewinn, den er mit seinen Aufwendungen erwirtschaftet hätte, nur teilweise nachweisen kann. Eine Abwandlung des bereits bei der Behandlung des »kleinen« Schadensersatzes angeführten Beispiels222 verdeutlicht das223 : Es sei, neben dem Vorliegen der anderen Voraussetzungen der §§ 437 Nr. 3, 280 I, III, 281 I BGB, unterstellt, daß der Käufer einer mangelhaften Maschine nach § 281 I 2 BGB 221

Siehe oben, Abschnitt II 3 b ee. Siehe oben, Abschnitt II 3 b ee. 223 Ein weiteres Beispiel fi ndet sich bei Faust, in: P. Huber/Faust, Schuldrechtsmodernisierung, Rz. 4/50 (S. 177), und bei AnwKom/Arnold, § 284 Rz. 38.. 222

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Schadensersatz statt der ganzen Leistung verlangen kann. Als Nichterfüllungsschaden möchte er den Gewinn geltend machen, den er durch den Einsatz der Maschine zur Weiterverarbeitung der von ihm im Vertrauen auf die Leistung des Verkäufers angeschafften, verderblichen und deshalb weder lagerfähigen noch weiterveräußerlichen Rohstoffe zu einer von ihm vertriebenen Ware erzielt hätte. Auch unter Zugrundelegung des abgesenkten Beweismaßes der §§ 252 S. 2 BGB, 287 I ZPO kann er jedoch nur beweisen, daß 60% der mit der fehlerfreien Maschine produzierten Ware (für die ein gleich hoher Anteil der Rohstoffe verbraucht worden wäre) zu dem von ihm behaupteten Preis Abnehmer gefunden hätten. Die Aufwendungen für die restlichen 40% der Rohstoffe wird er daher als fehlgeschlagene Vertrauensinvestition liquidieren wollen. Aus der hier entwickelten Sicht der Alternativität von positivem und negativem Interesse steht einer solchen Vorgehensweise nichts entgegen: Indem der Käufer 40% seiner Aufwendungen als nutzlos deklariert, beansprucht er einen Teil seines negativen Interesses, der sich mit dem geltend gemachten Teil des positiven Interesses (dem entgangenen Gewinn, den er mit den restlichen 60% der Aufwendungen erwirtschaftet hätte) nicht überschneidet – er verlangt letztlich nur, so gestellt zu werden, als ob er einen Vertrag über eine Maschine mit 60% der tatsächlich vereinbarten Kapazität geschlossen hätte. Es sei allerdings hinzugefügt, daß das Endergebnis eines Rechtsstreits zwischen Käufer und Verkäufer damit noch nicht feststeht: Hinsichtlich des Anteils der Rohstoffkosten, die der Käufer als nutzlos gewordene Aufwendungen ersetzt verlangt, steht dem Verkäufer nach § 284 BGB der Gegenbeweis frei, daß sie auch ohne seine Pflichtverletzung ihren Zweck verfehlt hätten, wobei auch ihm wiederum die Erleichterung nach § 287 I ZPO zugute kommt 224. Das heißt: Kann nun umgekehrt der Verkäufer beweisen, daß der Käufer die restlichen 40% der Ware (bzw. einen Teil davon) mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht kostendeckend hätte absetzen können, entfällt (bzw. vermindert sich) der Anspruch auf das negative Interesse. Das alles hat nun freilich nichts mit einem weiteren Fall zu tun, der in der Literatur als Beispiel für die zulässige Kombination von Aufwendungs- und Schadensersatz diskutiert wird: Wiederum 225 geht es um einen Kunstliebhaber, der ein von dem Verkäufer später nicht geliefertes Bild gekauft und im Vertrauen auf die Erfüllung des Kaufvertrags einen anderweitig nicht verwendbaren, den Wert des Bildes nicht erhöhenden Rahmen hat anfertigen lassen. Überstieg der Wert des Bildes den Kaufpreis, soll der Käufer einer im Schrifttum vertretenen Ansicht zufolge sowohl die Kosten des Rahmens (als fehlgeschlagene Aufwendungen) als auch den entgangenen Mehrwert des Bildes (als Schadensersatz statt der Leistung) verlangen können 226 . Wenn man § 284 BGB als Anerkennung der Frustrationsleh224 225 226

Siehe unten, Abschnitt III 3 a. Siehe schon oben, Abschnitt II 3 b cc. So Gsell, in: Das neue Schuldrecht in der Praxis, S. 321, 339; vgl. auch das weitere Beispiel

III. Der Ersatz des negativen Interesses auf der Grundlage von § 284 BGB

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re im Rahmen des Ersatzes des positiven Interesses versteht, ist diese Sicht folgerichtig: Der Ersatz des entgangenen Mehrwerts kompensiert nicht den »Frustrationsschaden« des Kunstliebhabers. Da es aber richtigerweise um den Ersatz des negativen Interesses geht, ist der Fall anders zu entscheiden: Verlangt der Käufer den entgangenen Mehrwert, macht er sein Interesse an der Vertragserfüllung in vollem Umfang geltend. Dann kann er nicht zugleich verlangen, so gestellt zu werden, als ob er den Vertrag nicht geschlossen und damit die Aufwendungen für den Rahmen nicht gemacht hätte. Deshalb steht ihm nur entweder der Preis des Rahmens oder der Mehrwert des Bildes zu 227. (2) Kombination mit dem Ersatz des leistungsübersteigenden positiven Interesses. Die Möglichkeit, den Ersatz des negativen Interesses gemäß § 284 BGB neben dem Schadensersatz statt der Leistung geltend zu machen, ergibt sich außerdem, wenn sich der vom Gläubiger beanspruchte Schadensersatz statt der Leistung ausschließlich auf die Kompensation des leistungsübersteigenden positiven Interesses des Gläubigers bezieht, d. h. auf den Ausgleich von Folge- und Begleitschäden, die der Gläubiger im Zusammenhang mit dem Ausbleiben oder der Mangelhaftigkeit der Leistung erlitten hat, aber nicht auf den Ersatz eines Betrags, den er als Wert der Leistung erhalten oder mit ihr erwirtschaftet hätte. Hierzu kommt es etwa in dem Fall, daß der Käufer eines Hausgrundstücks, das wegen einer nicht zu beseitigenden Kontamination mit Altlasten nicht nutzbar ist, zum einen den Ausgleich bereits entstandener Kosten für den Umbau des Hauses und zum anderen den Ersatz von Gesundheitsschäden verlangt, die ihm nach dem Bezug des Hauses aufgrund der Kontamination entstanden sind. Der Käufer hat hier, wenn der Verkäufer den anfänglichen, erheblichen Mangel kannte oder seine Unkenntnis zu vertreten hatte, einen Anspruch auf »großen« Schadensersatz (Schadensersatz statt der ganzen Leistung) gemäß §§ 437 Nr. 3, 311a II, 281 I 3 BGB. Dieser auf das positive Interesse gerichtete Schadensersatzanspruch schließt neben dem Interesse an der Leistung als solcher (dem Wert des mangelfreien Grundstücks) auch die Folgeschäden ein, die der Gläubiger infolge des Mangels erlitten hat 228 , hier also die Gesundheitsschäden, nicht aber die Kosten für den Umbau, soweit sie sich nicht in einer Wertsteigerung des Grundstücks niedergeschlagen hätten.

bei ders., NJW 2006, 125, 126; übereinstimmend Tröger, ZIP 2005, 2238, 2243; Erman/Westermann, § 284 Rz. 9. 227 So im Ergebnis auch MünchKomm/Ernst, § 284 Rz. 30 (allerdings auf der Basis der Annahme, § 284 BGB gewähre eine Kompensation für immaterielle Schäden); Weitemeyer, AcP 205 (2005), 275, 295; vgl. auch AnwKomm/Arnold, § 284 Rz. 39 (»bedenklich«). 228 So auch MünchKomm/Ernst, § 311a Rz. 89, allgemein für den Ersatz von Folgeschäden im Rahmen von Ansprüchen auf Schadensersatz statt der Leistung auch Canaris, JZ 2001, 499, 512; Gsell, in: Jb.J.ZivRWiss. 2001, S. 104, 107, 129 f. A. A. (Ersatz von Folgeschäden stets aufgrund ergänzender Heranziehung von § 280 I BGB) Schultz, in: Schuldrecht 2002, S. 17, 63.

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Es ist dem Gläubiger indes zu gestatten, diese fehlgeschlagenen Aufwendungen anstelle des Schadensersatzes statt der Leistung als Teil des negativen Interesses nach § 284 BGB zu liquidieren, ohne daß er deshalb auf den Ersatz der Körperschäden auf der Grundlage von § 311a II BGB verzichten müßte: Der Ersatz des negativen Interesses scheidet nur aus, soweit der Gläubiger mit der Geltendmachung des Schadensersatzes statt der Leistung die Befriedigung seines leistungsbezogenen positives Interesses sucht, weil es miteinander unvereinbar wäre, sowohl die bei Erfüllung des Vertrags bestehende als auch die sich bei dessen Nichtabschluß ergebende Vermögenslage herstellen zu wollen. Verlangt der Gläubiger jedoch im Rahmen des Schadensersatzes statt der Leistung allein sein leistungsübersteigendes positives Interesse in Gestalt eines Mangelfolgeschadens, kommt es nicht zu einem solchen Widerspruch: Weil der Folgeschaden (in unserem Beispiel die Erkrankung des Gläubigers) nicht nur bei mangelfreier Erfüllung ausgeblieben wäre, sondern auch dann, wenn der Gläubiger den Vertrag nicht abgeschlossen hätte, sind seine Kompensation und der Ersatz des negativen Interesses nicht inkommensurabel. b) Ersatz des negativen Interesses anstelle des leistungsergänzenden Schadensersatzes? Die Einordnung von § 284 BGB als Ausdruck der Haftung auf das negative Interesse erklärt, wie wir gesehen haben 229, im Gegensatz zur Frustrationslehre zwanglos, warum der Ersatz fehlgeschlagener Aufwendungen vom Gesetz nur anstelle des Schadensersatzes statt der Leistung und entgegen einer teilweise vertretenen Ansicht 230 nicht anstelle des leistungsergänzenden Schadensersatzes (des »einfachen« Schadensersatzes nach § 280 I BGB und des Ersatzes von Verzögerungsschäden nach den §§ 280 I, II, 286 BGB) gewährt wird: Der Gläubiger, der nur Schadensersatz neben der Leistung verlangen kann, aber im übrigen an der vollständigen und mangelfreien Erfüllung der Leistungspflicht festhält (bzw. mangels Vorliegens der Voraussetzungen eines Anspruchs auf Schadensersatz statt der Leistung festhalten muß), kann, ohne sich in einen Widerspruch zu verwickeln, nicht verlangen, so gestellt zu werden, als ob er den Vertrag, auf den sich sein Leistungsanspruch gründet, nicht geschlossen hätte. Daher steht ihm der Ersatz des Vertrauensschadens in Gestalt fehlgeschlagener Aufwendungen nicht zu. Diese Aussage sei zur Vermeidung von Mißverständnissen in zweierlei Hinsicht ergänzt: Zum einen schließt die hier verfochtene Ansicht nicht aus, daß die Rentabilitätsvermutung, deren Anwendung bei der Bestimmung des Schadensersatzes statt der Leistung durch die Einführung von § 284 BGB zwar nicht rechtlich ausgeschlos229 Siehe oben, Abschnitt II 2 a cc und II 3 a, wo auch die (begrenzte) Relevanz der Fragestellung erläutert wird. 230 Bamberger/Roth/Faust, § 437 Rz. 145; Gsell, in: Das neue Schuldrecht in der Praxis, S. 321, 342; in dieser Richtung auch AnwKom Schuldrechtsreform/Dauner-Lieb, § 284 Rz. 7; für den Verzögerungsschaden wohl auch Canaris, in: FS Wiedemann, S. 1, 31.

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sen, aber – bei Zugrundelegung des hier entwickelten Verständnisses der Alternativitätsanordnung – überflüssig geworden ist 231, weiter im Rahmen des leistungsergänzenden Schadensersatzes angewendet wird. Zur Erstattung des Verzugsschadens nach altem Schuldrecht stellte der BGH fest: »[D]ie Rentabilitätsvermutung läßt sich ohne weiteres auch auf die (hypothetische) Vermögenslage erstrecken, die sich bei termingerechter Leistung des Schuldners ergeben hätte«232. Weil die Rentabilitätsvermutung auf die Bestimmung des positiven Interesses zielt, bleibt diese Feststellung von der Anerkennung des Vertrauensschadensersatzes in § 284 BGB unberührt und behält somit auch unter der Herrschaft des neuen Schuldrechts ihre Gültigkeit. Hat also eine vom Schuldner zu vertretende Verzögerung der vom Gläubiger angemahnten Leistung dazu geführt, daß Aufwendungen, die der Vermögensmehrung dienten und die der Gläubiger zur Erlangung der Leistung gemacht hat, entwertet worden sind, kann der Gläubiger aufgrund der Rentabilitätsvermutung nach den §§ 280 I, II, 286 BGB Ersatz des Verzögerungsschadens in Höhe des Aufwendungsbetrags verlangen. Zum anderen ist der Gläubiger nicht daran gehindert, neben einem Anspruch auf leistungsergänzenden Schadensersatz (und nicht an dessen Stelle) den Anspruch aus § 284 BGB zu erheben, wenn der neben den Leistungsanspruch tretende Schadensersatzanspruch auf das leistungsübersteigende positive Interesse gerichtet ist. Hierfür gilt dasselbe wie das soeben zur Kombination des Vertrauensschadensersatzes mit einem Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung Gesagte: Soweit der Gläubiger im Rahmen eines solchen Anspruchs allein den Ersatz von Folge- und Begleitschäden (das leistungsübersteigende positive Interesse) verfolgt, darf er den Ersatz des negativen Interesses fordern. Ob nun Folgeund Begleitschäden unter den Schadensersatz statt der Leistung fallen oder als Schäden »neben der Leistung« weiterhin nach § 280 I BGB zu ersetzen sind, hängt allein davon ab, ob sie vor oder nach dem Zeitpunkt des Erlöschens des Leistungsanspruchs eingetreten sind, an dessen Stelle der Schadensersatzanspruch statt der Leistung tritt: Traten sie nachher ein, sind sie Teil des (den gesamten Nichterfüllungsschaden umfassenden 233) Anspruchs aus §§ 280 I, III, 281–283 BGB oder

231 So auch MünchKomm/Ernst, § 284 Rz. 35; Gsell, in: Das neue Schuldrecht in der Praxis, S. 321, 340; vgl. des weiteren zur Zulässigkeit einer weiteren Anwendung der Rentabilitätsvermutung Canaris, JZ 2001, 499, 517; Emmerich, Leistungsstörungsrecht, S. 210; ders., in: FS Otte, S. 101, 108: S. Lorenz/Riehm, Neues Schuldrecht, Rz. 225; Staudinger/Otto, § 284 Rz. 12; Palandt/Heinrichs, § 281 Rz. 23; a. A. AnwKom Schuldrechtsreform/Dauner-Lieb, § 284 Rz. 5; v. Wilmowsky, JuS 2002, Beil. 1, S. 10. Das Urteil des LG Bonn vom 30. 10. 2003, NJW 2004, 74, das irrig auf die Rentabilitätsvermutung meint zurückgreifen zu müssen, wird sogleich im Text erörtert. – Zu der weiteren Frage, ob die nach altem Recht teilweise angenommene »unwiderlegliche Rentabilitätsvermutung« hinsichtlich einer bereits erbrachten Gegenleistung noch eine Daseinberechtigung im neuen Schuldrecht hat, siehe unten, Abschnitt III 2 b. 232 BGH 21. 4. 1978, BGHZ 71, 234, 238. In dem vom BGH entschiedenen Fall war die Rentabilitätsvermutung allerdings nicht anwendbar, weil die Aufwendungen des Klägers nicht dem Zweck der Vermögensmehrung dienten. 233 Dazu näher MünchKomm/Ernst, § 280 Rz. 68.

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§ 311a II BGB; traten sie vorher ein, bleiben sie als nicht durch Nacherfüllung zu behebende Schäden Gegenstand des Anspruchs aus § 280 I BGB, der richtigerweise nicht als Rechnungsposten in dem später hinzukommenden Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung aufgeht 234. Diese zeitabhängige Verschiebung der Anspruchsgrundlagen ist, was den Ersatz des leistungsübersteigenden positiven Interesses betrifft, ohne Bedeutung für die Ersatzfähigkeit des negativen Interesses. Dies gilt umgekehrt auch für das Verhältnis wechselseitiger Ausschließlichkeit, in dem das negative Interesse zum leistungsbezogenen positiven Interesse steht: Soweit der Gläubiger im Rahmen eines leistungsergänzenden Schadensersatzanspruchs als Schadensposition einen Ertrag geltend macht, den er mit der Leistung unter Zuhilfenahme der von ihm getätigten Aufwendungen erwirtschaftet hätte, der ihm aber infolge des Mangels oder der Verspätung der Leistung entgangen ist, steht ihm kein Ersatz des negativen Interesses (in Gestalt der vergeblichen Aufwendungen) zu 235. In diesem Zusammenhang ist ein vom LG Bonn entschiedener Fall 236 anzusprechen: Die Käufer eines im Zeitpunkt der Übergabe mangelhaften Hauses verlangten von der nach Einschätzung des Gerichts arglistigen Verkäuferin einerseits die Erstattung der Kosten eines Sachverständigengutachtens, das sie zur Feststellung der Mängel in Auftrag gegeben hatten, andererseits den Ersatz ihrer vergeblichen, da durch den mittlerweile rückabgewickelten Vertrag veranlaßten Aufwendungen. Das Gericht nahm an, daß den Käufern aufgrund der §§ 437 Nr. 3, 280 I, III, 281 I 1 BGB beides zustehe: die Gutachterkosten als Begleitschaden und die vergeblichen Aufwendungen unter Zugrundelegung der Rentabilitätsvermutung, weil es sich wegen der Alternativitätsanordnung an der Anwendung von § 284 BGB gehindert sah 237. Dem ist entgegengehalten worden, die Gutacherkosten seien den Käufern in Wahrheit nach § 280 I BGB als Schadensersatz »neben der Leistung« zuzusprechen, da sie auch dann noch bestünden, wenn die Nacherfüllung erfolgt wäre; dementsprechend sei eine Kombination mit dem an die Stelle des Schadensersatzes statt der Leistung (und nicht des leistungsergänzenden Schadensersatzes) tretenden Anspruch aus § 284 BGB problemlos möglich 238. Letzteres ist nicht zu bestreiten und wird im übrigen auch in der ersten Leitentscheidung des BGH zu § 284 BGB betont 239. Allerdings ist, wie im vorigen Abschnitt gezeigt wurde, die Kombination genauso problemlos möglich, wenn (nur) der Folge- oder Begleitschaden als Teil des Schadensersatzes statt der Leistung zu ersetzen ist und 234

Verführe man anders, ergäben sich Schwierigkeiten wegen der Erforderlichkeit einer gesonderten Behandlung von Rechtsfragen, die nur diesen »Rechnungsposten« (z. B. das Mitverschulden) betreffen; dazu bereits zutreffend und m.w. Nachw. zum Meinungsstand MünchKomm/Ernst, § 280 Rz. 69. 235 So im Ergebnis auch Gsell, NJW 2006, 125, 126; Weitemeyer, AcP 205 (2005), 275, 287 ff. 236 LG Bonn 30. 10. 2003, NJW 2004, 74. 237 LG Bonn (wie vorige Fn.), 75. 238 S. Lorenz, NJW 2004, 26, 28. 239 BGH 20. 7. 2005, NJW 2005, 2848, 2850.

III. Der Ersatz des negativen Interesses auf der Grundlage von § 284 BGB

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der Gläubiger davon absieht, das Geldäquivalent für die Leistung in den Ersatzbetrag einzubeziehen. c) Ersatz des negativen Interesses bei fehlendem Schutz des positiven Interesses? Wenn die Voraussetzungen eines auf den Ersatz des positiven Interesses gerichteten Anspruchs (abgesehen von einem bezifferbaren Nichterfüllungsschaden) nicht vorliegen, darf dem Gläubiger der Ersatz des negativen Interesses nicht gewährt werden. Dies ist die Kehrseite der Komplementarität des Schutzes des negativen zum Schutz des positiven Interesses: Wenn der Schuldner für die Nichterfüllung seiner (als wirksam gedachten 240 ) Pflicht und damit für die Enttäuschung des Vertrauens, das er durch seine rechtsgeschäftliche Erklärung bei dem Schuldner geweckt hat, nicht geradestehen muß, darf man ihn auch nicht für die Begründung des Vertrauens durch die Abgabe der pfl ichtbegründenden Erklärung haftungsrechtlich einstehen lassen. Denn rechtlich schutzwürdiges Vertrauen auf die Erfüllung der Pflicht hat der Schuldner durch seine Erklärung nur insoweit begründet, wie ihn die Rechtsordnung (bei unterstellter Wirksamkeit) für die Erfüllung einstehen läßt. Soweit die Rechtsordnung den Schuldner dagegen mit Rücksicht auf Leistungshindernisse von seiner Pflicht entlastet, das positive Interesse des Gläubigers durch Naturalerfüllung oder Schadensersatz zu befriedigen, fehlt es auch an einem schutzwürdigen negativen Interesse. Beispielhaft: Das vertragliche Versprechen des Schuldners, dem Gläubiger eine Sache aus dem Schuldnervermögen zu übereignen, begründet nach deutschem Recht kein schutzwürdiges Vertrauen darauf, die Sache oder ein Geldäquivalent unter allen Umständen zu erhalten – dies entspräche einer uneingeschränkten Garantie. Schutzwürdig ist das Vertrauen des Gläubigers auf den Erhalt der Sache vielmehr nur in dem Umfang, wie es durch Ansprüche auf die Leistung selbst oder auf Schadensersatz statt der Leistung abgesichert ist. So darf der Gläubiger bei der Vornahme von Vertrauensinvestitionen nicht erwarten, haftungsrechtlich vor dem Risiko geschützt zu werden, daß die ihm geschuldete Sache vor der Übergabe beim Schuldner aus einem Grund untergeht, den dieser nicht zu vertreten hat, denn in diesem Fall ist der Schuldner nach § 275 I BGB von der naturalen und nach § 280 I 2 BGB von der kompensatorischen Befriedigung des Erfüllungsinteresses befreit. aa) Nicht zu vertretende nachträgliche Leistungshindernisse Was nachträgliche Leistungshindernisse im Sinne von § 275 I – III BGB betrifft, deren Eintritt der Schuldner nicht zu verantworten hat, unterliegt diese Einsicht keinem Zweifel: Es ist bisher nicht gefordert worden, einen in Analogie zu § 284 BGB oder gar zu den §§ 122, 179 II BGB entwickelten Anspruch auf den Ersatz des negativen Interesses anzuerkennen, wenn der Schuldner die Verletzung der

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Dies betrifft die Fälle der auf unwirksame rechtsgeschäftliche Erklärungen gegründeten Haftung; siehe oben, § 10 III 1 c.

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§ 11 Der Schutz des negativen Interesses bei wirksamen Rechtsgeschäften

Leistungspflicht, auf deren Erfüllung der Gläubiger vertraute, nicht zu vertreten hat und deshalb nicht nach § 280 I BGB auf das positive Interesse haftet. Die zum alten Schuldrecht vereinzelt vertretene Ansicht, der in den §§ 467 S. 2, 634 III BGB a. F. vorgesehene Ersatz der Vertragskosten des Käufers bzw. Werkbestellers im Fall der (vom Vertretenmüssen des Verkäufers bzw. Unternehmers unabhängigen) Wandlung bei Sachmängeln lasse sich zum Ersatz von Vertrauensschäden ausbauen 241, hat sich durch die Abschaffung dieser Regeln erledigt. Ebensowenig läßt sich nach Inkrafttreten des reformierten Schuldrechts die – bereits vor der Reform kaum auf die lex lata zu stützende – Position aufrechterhalten, die Rücktrittsregeln seien um einen ungeschriebenen Anspruch auf das negative Interesse zu ergänzen 242 : Mit der Einführung von § 284 BGB hat das BGB eindeutig eine vom Vertretenmüssen abhängige Gestaltung des Anspruchs gewählt, die nicht durch eine rechtsfortbildende Ergänzung des – vom Vertretenmüssen unabhängigen – Rücktrittsrechts unterlaufen werden darf. bb) Schuldlos verkannte anfängliche Leistungshindernisse Weniger klar gestaltet sich das wissenschaftliche Meinungsbild, wenn man demgegenüber die vertragsrechtliche Verantwortlichkeit des Schuldners für anfängliche Leistungshindernisse betrachtet, die nach § 275 I – III BGB leistungsbefreiend wirken: Das Gesetz gewährt in § 311a II 2 BGB den Ersatz des positiven Interesses nicht, wenn der Schuldner das Leistungshindernis bei Vertragsschluß nicht kannte und seine Unkenntnis nicht zu vertreten hat. Dieselbe Beschränkung gilt für den (Teil-)Ersatz des negativen Interesses nach § 284 i. V. m. § 311a II 1 BGB. Im Schrifttum ist indes – mit regierungsamtlicher (nicht: gesetzgeberischer) Unterstützung243, doch unter Ablehnung der weit überwiegenden Lehre244 – vorgeschlagen worden, über diese Beschränkung hinwegzugehen und auch in dem Fall eines nicht zu vertretenden Irrtums des Schuldners über seine Leistungsfähigkeit eine Pflicht zum Ersatz des negativen Interesses in entsprechender Anwendung von § 122 BGB anzunehmen 245. 241

Vgl. Hanau/Wackerbarth, in: FS Kim, S. 205, 224 ff. Vgl. Keuk, Vermögensschaden, S. 160; Heinrich Stoll, AcP 131 (1929), 141, 180 ff. 243 Vgl. hierzu das Lob, das die Verfasser der Regierungsbegründung in BT-Drucks. 14/6040, S. 166, der Ansicht von Canaris, in: Die Schuldrechtsreform vor dem Hintergrund des Gemeinschaftsrechts, S. 43, 64 f., spenden: »Der Entwurf hält das für einen gangbaren Weg. Dieser soll aber nicht gesetzlich festgeschrieben werden, weil dazu auch die Regelung des § 119 Abs. 2 überprüft werden müsste, was den Rahmen dieses Gesetzgebungsvorhabens sprengen würde. Diese Frage soll deshalb der Rechtsprechung überlassen bleiben, die sie aber im Sinne von Canaris lösen könnte.« 244 Gegen die analoge Anwendung von § 122 BGB AnwKom Schuldrechtsreform/DaunerLieb, § 311a Rz. 18; Dauner-Lieb/Dötsch, DB 2001, 2535, 2539; Faust, in: P. Huber/Faust, Schuldrechtsmodernisierung, Rz. 7/38 (S. 220); Erman/Kindl, § 311a Rz. 5; Jauernig/Stadler, § 311a Rz. 12; MünchKomm/Ernst, § 311a Rz. 41; Palandt/Grüneberg, § 311a Rz. 15; Rieble, in: Das neue Schuldrecht in der Praxis, S. 137, 148 f. 245 Canaris, JZ 2001, 499, 507 f.; ders., in: Die Schuldrechtsreform vor dem Hintergrund des Gemeinschaftsrechts, S. 43, 64 f.; Hk-BGB/Schulze, § 311a Rz. 9. 242

III. Der Ersatz des negativen Interesses auf der Grundlage von § 284 BGB

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Diese Ausdehnung des negativen Vertrauensschutzes befindet sich nicht in Einklang mit der hier entwickelten These, daß das negative Interesse nur zu ersetzen ist, soweit dem Grunde nach das positive Interesse (bei unwirksamen Rechtsgeschäften: hypothetisch) geschützt wird – die Haftung für die Nichterfüllung des Leistungsversprechens, die § 311a II BGB statuiert 246 , erstreckt sich nun einmal nicht auf anfängliche Leistungshindernisse, die der Schuldner weder kannte noch kennen mußte, und deshalb verdient das Vertrauen des Gläubigers auf die Abwesenheit solcher Hindernisse ebensowenig Schutz, wie dies bei nachträglichen, nicht zu vertretenden Hindernissen der Fall ist. Gegen die Beibehaltung der durch die §§ 311a II, 284 BGB normierten Grenze der Pflicht zum Ersatz des negativen Interesses und für die Analogie zu § 122 BGB wird jedoch die fehlende Abstimmung der Neuregelung mit dem Irrtumsrecht ins Feld geführt: § 311a II BGB habe zur Folge, daß der Schuldner bei einem schuldlosen Irrtum ersatzlos von der Leistungspflicht frei werde, während er nach der Regelung über die Anfechtung wegen Eigenschaftsirrtums nach den §§ 119 II, 122 BGB nur um den Preis einer verschuldensunabhängigen Haftung auf das negative Interesse entlastet werde. Um den daraus resultierenden Wertungswiderspruch zu beseitigen, sei die Analogie geboten 247. Bei näherem Hinsehen löst sich der vermeintliche Widerspruch jedoch auf, denn die von § 311a II BGB auf der einen und von § 119 II BGB auf der anderen Seite erfaßten Sachverhaltsirrtümer sind wertungsmäßig durchaus voneinander zu unterscheiden. § 311a II BGB bezieht sich (jenseits der Fälle, in denen Kenntnis vorliegt) auf Irrtümer des Schuldners über Hindernisse, die der Erbringung der vertragsgegenständlichen Leistung entgegenstehen, § 119 II BGB hingegen auf Irrtümer des Schuldners oder des Gläubigers über verkehrswesentliche Eigenschaften des Vertragsgegenstands248. Soweit sich beide Regelungen überschneiden, also ein Irrtum des Schuldners über eine verkehrswesentliche Eigenschaft des Gegenstands vorliegt, die mit einem (partiellen) Leistungshindernis zusammenfällt (also beispielsweise das anfängliche Vorliegen eines nicht behebbaren Sach- oder Rechtsmangels bei einer vermieteten oder aufgrund Stückkaufs zu leistenden Sache), kommt die

246 Daß dies und nicht die Verletzung einer (mit der Haftung auf das positive Interesse nicht harmonierenden) vorvertraglichen Aufklärungspfl icht der Haftungsgrund ist, betonen in Erwiderung auf diesbezügliche Kritik im Gesetzgebungsverfahren (vgl. Altmeppen, DB 2001, 1399, 1400; Knütel, NJW 2001, 2519, 2520) die Regierungsbegründung (BT-Drucks. 14/6040, S. 165) sowie in der Literatur Canaris, DB 2001, 1815, 1819; ders., in: FS Heldrich, S. 11 ff.; Faust, in: P. Huber/Faust, Schuldrechtsmodernisierung, Rz. 7/12 (S. 210); Erman/Kindl, § 311 a Rz. 6; HkBGB/Schulze, § 311a Rz. 2; MünchKomm/Ernst, § 311a Rz. 15. Vor diesem Hintergrund erscheint es de lege lata nicht angängig, mit Lobinger, Die Grenzen rechtsgeschäftlicher Leistungspfl ichten, S. 279 ff., 295 ff., 363 f., den Ersatz des negativen Interesses als Regelsanktion an die Stelle des gesetzlich vorgesehenen Ersatzes des positiven Interesses zu setzen. 247 Canaris, JZ 2001, 499, 508; ebenso bereits ders., in: Die Schuldrechtsreform vor dem Hintergrund des Gemeinschaftsrechts, S. 43, 64 f. 248 Der Irrtum über eine verkehrswesentliche Eigenschaft der Person spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle.

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Anwendung der Irrtumsregeln nicht in Betracht, weil sich der Schuldner sonst der Nichterfüllungshaftung bei anfänglichen Leistungshindernissen entziehen könnte, welche das Gesetz in § 311a II BGB insbesondere auch für den Fall des (verschuldeten) Irrtums vorsieht 249. Die Anfechtung nach § 119 II BGB bleibt dem Schuldner daher nur in den Fällen eröffnet, in denen ihm die Erbringung der vertraglichen Leistung nicht wegen eines irrtümlich von ihm nicht erkannten Leistungshindernisses erspart bleibt, sondern er sich vielmehr über eine jenseits des Geschuldeten liegende verkehrswesentliche Eigenschaft des geschuldeten Gegenstands im Irrtum befand. Wenn das Gesetz ihm in § 119 II BGB das Privileg einräumt, seiner – erfüllbaren – Verpfl ichtung wegen eines solchen Irrtums zu entrinnen, erscheint es nicht unangemessen, ihn dafür den Preis in Gestalt des Vertrauensschadens seines Gegenübers bezahlen zu lassen. Das ist anders, wenn die Erfüllung an einem Hindernis scheitert, das sich der Schuldner nicht zurechnen lassen muß: Hier geht es nicht darum, auf eine defiziente Entscheidung des Schuldners bei der Eingehung der Verbindlichkeit Rücksicht zu nehmen, sondern um die Grenzen der Verbindlichkeit selbst 250. Es sei allerdings nicht geleugnet, daß dieses Ergebnis rechtspolitisch nicht befriedigt: Nach der hier entwickelten ökonomischen Fundierung der Haftung auf das negative Interesse ist es sinnvoller, den Schuldner für die mit dem vertraglichen Leistungsversprechen gegebene Information über das Nichterfüllungsrisiko verschuldensunabhängig einstehen zu lassen, denn nur so gelingt es, den Schuldner nicht nur zu effizienten Sorgfaltsanstrengungen, sondern auch zu einem effizienten Aktivitätsniveau bei der Abgabe von Versprechen anzuhalten 251. Demnach wäre es vorzuziehen gewesen, wenn der Gesetzgeber den Schuldner auch für die schädlichen Folgen beiderseits nicht zu vertretender Fehleinschätzungen über die anfängliche Erfüllbarkeit seiner vertraglichen Leistungspfl icht verantwortlich gemacht hätte. Wegen der Verschränkung des Schutzes des negativen Interesses mit dem Schutz des positiven Interesses, den wir mit dem Begriff der Komplementarität beschrieben haben, wäre diese Forderung aber nur dann systemkonform in das geltende Recht zu übersetzen, wenn das Gesetz die Haftung auf das Erfüllungsinteresse bei anfänglichen Leistungshindernissen gleichfalls als Garantiehaftung ausgestaltet hätte (wie es etwa nach früherem Schuldrecht immerhin bei anfänglichem Unvermögen und bei der Haftung für den Bestand eines verkauften 249 So aus dem nach der Schuldrechtsreform erschienenen Schrifttum auch Buck, in: Schuldrecht 2002, S. 105, 178 f.; MünchKomm/Ernst, § 311a Rz. 79; Jauernig/Jauernig, § 119 Rz. 16; Palandt/Grüneberg, § 311a Rz. 15; Erman/Kindl, § 311a Rz. 11; Bamberger/Roth/Faust, § 437 Rz. 192 (mit Bezug auf die kaufrechtliche Gewährleistung); a. A. aber im Vorfeld der Schuldrechtsreform Ernst/Gsell, ZIP 2000, 1410, 1419 f. – Die Frage ist nicht zu verwechseln mit dem Problem der Anfechtung wegen Eigenschaftsirrtums durch den Gläubiger der mangelhaften Sache, welches die Regierungsbegründung (BT-Drs. 14/6040, S. 210) in der Weise zu lösen empfiehlt, daß die Anfechtung von vornherein ausgeschlossen sein soll. Das erscheint zweifelhaft. 250 Ähnlich schon Faust, in: P. Huber/Faust, Schuldrechtsmodernisierung, Rz. 7/38 (S. 220 f.). 251 Siehe oben, § 5 III 2 a bb.

III. Der Ersatz des negativen Interesses auf der Grundlage von § 284 BGB

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Rechts nach § 437 BGB a. F. der Fall war). Weil es dazu nicht gekommen ist, bleibt es insoweit – nicht anders als schon bei § 307 BGB a. F. 252 – bei dem rechtspolitischen Desiderat einer verschuldensunabhängigen Pflicht zum Ersatz von Vertrauensschäden.

2. Der ersatzfähige Vertrauensschaden a) Aufwendungen im Vertrauen auf den Erhalt der Leistung Von den Schadenspositionen, die als Teil des negativen Interesses zu ersetzen sind, regelt § 284 BGB die wichtigste: Anstelle des Schadensersatzes statt der Leistung kann der Gläubiger danach die Aufwendungen ersetzt verlangen, die er im Vertrauen auf den Erhalt der Leistung gemacht hat, soweit diese durch die Pfl ichtverletzung des Schuldners entwertet worden sind 253. Insoweit kann auf die Ausführungen zum Umfang des ersatzfähigen Vertrauensschadens verwiesen werden, in denen die als ersatzfähig in Betracht kommenden, infolge Nichterfüllung nutzlos gewordenen Aufwendungen anhand von Fallmaterial aus deutscher, amerikanischer und englischer Rechtsprechung aufgeschlüsselt wurden 254. Abgesehen von den noch zu erörternden Schranken, welche die Neuregelung dem Ersatz solcher Aufwendungen durch den Einwand anderweitiger Zweckverfehlung (dazu 3.) und die Billigkeitsgrenze (dazu 4.) setzt, sind weitere im Schrifttum vorgeschlagene Begrenzungen des Aufwendungsersatzes abzulehnen. Dies gilt zunächst für die Ansicht, Aufwendungen zu kommerziellen Zwecken seien gänzlich von der Anwendung des § 284 BGB auszunehmen 255 : Wie schon gezeigt wurde256 , hätte eine solche Reduktion der Vorschrift die nicht zu rechtfertigende Konsequenz, daß der mit kommerzieller Zwecksetzung handelnde Schuldner sich nur auf die weniger weitreichende Rentabilitätsvermutung berufen könnte und damit schlechter gestellt wäre als nicht gewinnorientierte Gläubiger. Sodann kommt es für die Gewährung des Anspruchs aus § 284 BGB auch nicht darauf an, ob eine bestimmte Verwendung der Leistung des Schuldners im Vertrag

252 Zur Rechtslage nach § 307 BGB a. F. und zu den Gründen, die dazu geführt haben, die Haftung bei anfänglicher Unmöglichkeit verschuldensabhängig auszugestalten, siehe unten, § 12 I 2 a. 253 Zu Fragen der Berechnung des Ersatzes bei teilweiser Entwertung der Aufwendungen BGH 20. 7. 2005 NJW 2005, 2848, 2850 f.; Gsell, NJW 2006, 125, 127. 254 Siehe oben, § 10 II 1. 255 So zunächst Palandt 63 /Heinrichs, § 284 Rz. 4; Wiedemann, in: FS Ulmer, S. 1273, 1281. Dagegen bereits BGH 20. 7. 2005, NJW 2005, 2848, 2850; Althammer, NZM 2003, 129, 132; Dedek, ZGS 2005, 409, 410; Emmerich, Leistungsstörungen, S. 210 f.; ders., in: FS Otte, S. 101, 108; Bamberger/Roth/Grüneberg, § 284 Rz. 3; Grigoleit, ZGS 2002, 122, 123; Gsell, in: Das neue Schuldrecht in der Praxis, S. 321, 324; dies., NJW 2006, 125; MünchKomm/Ernst, § 284 Rz. 5, 10; Reim, NJW 2003, 3662, 3664; Staudinger/Otto, § 284 Rz. 13; Tröger, ZIP 2005, 2238, 2242; Weitemeyer, AcP 205 (2005), 275, 278 f.; Erman/Westermann, § 284 Rz. 6. 256 Siehe oben, Abschnitt II 1.

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vereinbart oder als selbstverständlich vorausgesetzt ist 257. Die Gründe, die gegen eine Anbindung der Ersatzfähigkeit von Aufwendungen an den Vertragsinhalt sprechen, nämlich die fehlende Unterscheidbarkeit von »unmittelbaren« (vertraglich vereinbarten oder als selbstverständlich vorausgesetzten) und »mittelbaren« Verwendungszwecken und die Untauglichkeit dieses Ansatzes zur Bewältigung der nach Ansicht des Gesetzgebers mit der Neuregelung zu lösenden Fälle, sind bereits zur Sprache gekommen 258. Dem sei hier noch der Hinweis hinzugefügt, daß dem durchaus legitimen Anliegen dieses Ansatzes, den Aufwendungsersatz nicht ausufern zu lassen, auf andere Weise Rechnung getragen werden kann: durch die beweisrechtlich angemessene Handhabung des Einwands anderweitiger Zweckverfehlung (dazu 3.) und die sachgerechte Bestimmung der Billigkeitsgrenze (dazu 4.) 259. b) Insbesondere: Die Gegenleistung und Verwendungen auf das Leistungsobjekt Gesonderter Erörterung bedürfen im Zusammenhang mit dem Ersatz des negativen Interesses bei wirksamen obligatorischen Rechtsgeschäften allerdings die vom Gläubiger bereits erbrachte Gegenleistung sowie Verwendungen, die der Gläubiger auf das Leistungsobjekt gemacht hat, denn insoweit ergeben sich auf den ersten Blick Abstimmungsschwierigkeiten mit dem Rücktrittsrecht. Die Diskussion der systematischen Einordnung von § 284 BGB hat, daran sei erinnert, zu der Erkenntnis geführt, daß der Gläubiger den durch die Neuregelung eröffneten Schutz seines negativen Interesses anstelle des Schadensersatzes statt der (ganzen) Leistung bei einem gegenseitigen Vertrag nur beanspruchen darf, wenn er zugleich vom Vertrag zurücktritt, d. h. wenn er zumindest konkludent zum Ausdruck bringt, daß er seine Gegenleistung dem Schuldner nicht mehr erbringen oder eine bereits erbrachte Gegenleistung nicht bei diesem belassen will 260. Aufgrund des Rücktritts steht dem Gläubiger nach § 346 BGB ein Anspruch auf Rückgewähr einer bereits erbrachten Gegenleistung zu. Außerdem kann er, wenn er nach Erhalt einer mangelhaften oder Teilleistung vom Vertrag zurückgetreten ist, Ersatz von Verwendungen auf den von ihm nach § 346 BGB an den Schuldner zurückzugewährenden Leistungsgegenstand nach Maßgabe von § 347 II BGB verlangen 261. 257 So Faust, in: P. Huber/Faust, Schuldrechtsmodernisierung, Rz. 4/24 (S. 166 f.), und im Anschluß daran Emmerich, Leistungsstörungen, S. 212. Dagegen bereits Canaris, in: FS Wiedemann, S. 3, 32 f.; Gsell, in: Das neue Schuldrecht in der Praxis, S. 321, 324 f.; MünchKomm/Ernst, § 284 Rz. 22; Weitemeyer, AcP 205 (2005), 274, 281 f. 258 Siehe oben, Abschnitt II 2 a aa. 259 Zu beidem übertrieben skeptisch Faust, in: P. Huber/Faust, Schuldrechtsmodernisierung, Rz. 4/ 22 (S. 165 f.). 260 Siehe oben, Abschnitt II 3 b dd. 261 Die Person, von der hier zur Vermeidung von Verwechslungen stets als Gläubiger (der vertraglichen Leistung) die Rede ist, ist wohlgemerkt Schuldner der Pfl icht zur Rückgewähr der bereits empfangenen Leistung und damit im Sinne von § 347 II BGB.

III. Der Ersatz des negativen Interesses auf der Grundlage von § 284 BGB

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Diesen Regeln wird von manchen Stimmen in der Literatur262 der Vorrang gegenüber § 284 BGB eingeräumt: Da einem Rücktritt neben dem Schadensersatz aufgrund der Abschaffung der Alternativität von Rücktritt und Schadensersatz nichts mehr im Wege steht (und bei dem in § 326 I 1 BGB gesetzlich angeordnetem Wegfall der Gegenleistungspflicht nach § 326 IV BGB die Rückgewähr der Gegenleistung nach Rücktrittsrecht verlangt werden kann), sieht man keinen Anlaß, § 284 BGB auf die Gegenleistung anzuwenden, sondern will es bei der Rückabwicklung nach § 346 BGB belassen. Ebenso hält man die Regelung über die Verwendungen in § 347 II BGB für abschließend und beruft sich insoweit auf ein den abschließenden Charakter von § 347 II BGB konstatierendes Zitat aus der Regierungsbegründung zur Neufassung von § 347 BGB263 sowie darauf, daß der Ausschluß des in § 347 II BGB vorgesehenen Ersatzes in dem Fall, daß die Sache beim Gläubiger trotz Wahrung der eigenüblichen Sorgfalt untergegangen ist (§§ 346 III 1 Nr. 3, 347 II 1 BGB), nicht durch den Rückgriff auf § 284 BGB unterlaufen werden dürfe. Von anderer Seite264 wird der These vom Vorrang des Rücktrittsrechts indes, was § 347 II BGB betrifft, entgegengehalten, daß diese Vorschrift einen von der Verantwortlichkeit der Parteien unabhängigen, dem Bereicherungsrecht ähnlichen Ausgleich herbeiführe, während § 284 BGB die Haftung des Schuldners bei einer von ihm zu vertretenden Pflichtverletzung regele. Außerdem lasse eine exklusive Anwendung von § 347 II BGB wegen der Anordnung der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung »anderer Aufwendungen«265 in § 347 II 2 BGB nicht einmal Raum für den – vom Gesetzgeber unzweifelhaften intendierten 266 – Ersatz der Vertragskosten nach § 284 BGB. Diese Position verdient im Ergebnis den Vorzug: 267 Während § 284 BGB, als Anspruch auf Ersatz des negativen Interesses verstanden, darauf zielt, den Gläubiger in die Lage zu versetzen, in der er sich gegenwärtig befände, wenn er den gescheiterten Vertrag nicht geschlossen hätte268 , ist die Regelung der Rücktrittsfolgen darauf gerichtet, »die vor dem Vertragsschluss bestehende Rechtslage wieder

262 Faust, in: Huber/Faust, Schuldrechtsmodernisierung, Rz. 4/17 (S. 163) mit Bezug auf die bereits erbrachte Gegenleistung, Rz. 4/18 f. (S. 164) mit Bezug auf Verwendungen; ebenso MünchKomm/Ernst, § 284 Rz. 16; Staudinger/Otto, § 284 Rz. 22; Erman/Westermann, § 284 Rz. 10. 263 BT-Drucks. 14/6040, S. 197. 264 Arnold, ZGS 2003, 427, 431; gegen eine Ausklammerung der Gegenleistung vom Anwendungsbereich des § 284 BGB auch Dedek, ZGS 2005, 409, 411; Gsell, NJW 2006, 125; Stoppel, AcP 204 (2004), 81, 91 f.; ders., ZGS 2006, 254, 255 ff.; Tröger, ZIP 2005, 2238, 2242; v. Westphalen, BB 2005, 2039. 265 Dafür, daß damit nicht nur sachbezogene Aufwendungen gemeint sind, spricht sich MünchKomm/Gaier, § 347 Rz. 20, aus. 266 Vgl. BT-Drucks. 14/6040, S. 225. 267 So auch BGH 20. 7. 2005, NJW 2005, 2848, 2849. 268 Zu diesem Ziel des Ersatzes von Vertrauensschäden siehe oben, § 10 I 1 a. Zu der Frage, wie sich die Gewährung des Ersatzes nutzloser Aufwendungen mit diesem Ziel verträgt, siehe oben, § 10 I 1 b.

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herzustellen«269. Die Gewährung des Aufwendungsersatzes auf der einen und die rücktrittsrechtlichen Ansprüche auf der anderen Seite spiegeln daher nichts anderes als die in der Welt des Common Law von Fuller 270 etablierte Unterscheidung zwischen »reliance interest« und »restitution interest« wider, und es spricht in Anbetracht ihrer unterschiedlichen Ausrichtung nichts dagegen, daß dem Gläubiger die Wahl, die er nach dortigem Verständnis271 zwischen der Verwirklichung dieser Interessen hat, auch nach deutschem Recht zusteht. Daß die Gesetzesverfasser einer anderen Vorstellung anhingen, kann man der lapidaren Feststellung, § 347 II BGB sei als abschließende Regelung zu verstehen 272 , nicht entnehmen: Diese im Zusammenhang mit der bereicherungsrechtlichen Rückgewähr anderer als notwendiger Verwendungen nach § 347 II 2 BGB gefallene Äußerung ist so zu verstehen, daß jenseits von § 347 II 1 BGB Aufwendungen, die nicht zu einer Bereicherung des anderen Teils geführt haben, für die rücktrittsrechtliche Rückabwicklung außer Betracht zu bleiben haben 273. Mit dem Ersatz des negativen Interesses hat diese Aussage nichts zu tun 274. Wenn dem Gläubiger in dem Überschneidungsbereich zwischen § 284 BGB und den §§ 346, 347 II BGB die Möglichkeit zugebilligt wird, zwischen dem Ersatz des negativen Interesses und der Verfolgung des »Rückgewährinteresses« zu wählen, bedeutet das allerdings nicht, daß die rücktrittsrechtlichen Ansprüche wegen ihres dem Gläubiger weniger günstigen Umfangs gegenüber dem konkurrierenden Anspruch auf Ersatz nutzloser Aufwendungen stets das Nachsehen haben müßten: Die Rückgewähr der Gegenleistung (im Wege der Naturalrestitution 275) kann der Gläubiger nicht nach § 284 BGB verlangen, wenn er den mit dieser Aufwendung verfolgten Zweck auch ohne die Pfl ichtverletzung des Schuldners nicht erreicht hätte. Ein Gläubiger mit Gewinnerzielungsabsicht muß sich daher, wenn er seine Gegenleistung nach § 284 BGB zurückverlangt, entgegenhalten lassen, daß ihm die Durchführung des Geschäfts einen Verlust beschert hätte. Dasselbe gilt für 269

BT-Drucks. 14/6040, S. 189. Dazu oben, § 3 II 1. 271 Vgl. §§ 344, 378 Restatement (2d). 272 BT-Drucks. 14/6040, S. 197. 273 Dafür spricht auch der an das Zitat anschließende Satz (BT-Drucks. 14/6040, S. 197): »Auch soweit der Schuldner statt der Rückgewähr nach § 346 Abs. 2 RE Wertersatz schuldet, darf er andere Aufwendungen nicht in Abzug bringen.« 274 Arnold, ZGS 2003, 427, 431 Fn. 35, will die Verwendung des Zitats aus BT-Drucks. 14/6040, S. 197, als entstehungsgeschichtliches Argument damit entkräften, daß es sich um eine Passage aus dem Abschlußbericht der Schuldrechtskommission von 1992 handele, die den erst 2001 entwickelten § 284 BGB nicht habe berücksichtigen können. Das trifft allerdings nicht zu; der Entwurf der Schuldrechtskommission enthielt in § 327 I 2 BGB-KE eine Regelung, aus der 2001 § 284 BGB hervorgehen sollte (zu den Gründen für die von der Kommission Leistungsstörungsrecht vorgenommenen Änderungen siehe oben Abschnitt II 3 b aa (1), cc). 275 Eine Geldentschädigung kommt nur unter den Voraussetzungen der §§ 250, 251 BGB in Betracht. Daß der Gläubiger nicht durch Verweigerung des Rücktritts bei gleichzeitiger Geltendmachung des Anspruchs aus § 284 BGB erreichen kann, Wertersatz für eine von ihm zu erbringende (Sach-)Gegenleistung zu erhalten, wurde in Abschnitt II 3 b dd dargelegt. 270

III. Der Ersatz des negativen Interesses auf der Grundlage von § 284 BGB

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Verwendungen des gewinnorientierten Gläubigers auf das vom Schuldner bereits gelieferte, wenn auch mangelhafte oder unvollständige Leistungsobjekt: Auch hier beschränkt sich der Umfang des Ersatzes auf rentable Aufwendungen; unwirtschaftliche Verwendungen (für deren Vorliegen der Schuldner die Beweislast trägt) gehen zu Lasten des Gläubigers. Die Ansprüche aus §§ 346, 347 II BGB verhelfen ihm dagegen auch dann zur Rückgewähr der Gegenleistung und, nach Rückgabe des Leistungsgegenstands, zum Ersatz wenigstens der notwendigen Verwendungen, wenn er ein unrentables Geschäft abgeschlossen hat 276 . Diese Lösung erübrigt schließlich auch die (umstrittene und uneinheitliche) Praxis des alten Schuldrechts, dem Gläubiger unabhängig von der Rentabilität des Geschäfts zu gestatten, seine Gegenleistung als »ersten handgreiflichen Schaden« als Teil des positiven Interesses zu liquidieren 277: Nachdem die das alte Schuldrecht prägende Alternativität von Rücktritt und Schadensersatz statt der Leistung abgeschafft worden ist, sind Konstruktionen wie die »unwiderlegliche Rentabilitätsvermutung« bei der Gegenleistung (aber auch die rücktrittsunabhängige Schadensberechnung nach der Differenztheorie278) obsolet, die damals dazu dienten, den Schadensersatz wegen Nichterfüllung mit Elementen einer an sich dem Rücktrittsrecht vorbehaltenen Rückabwicklung anzureichern 279. Man kann daher in Anknüpfung an die Interessentrias des Common Law vereinfachend sagen: Tritt der Gläubiger wegen einer zu vertretenden Pflichtverletzung des Schuldners nach § 323 I BGB vom Vertrag zurück, steht ihm der Schutz des positiven Interesses (»expectation interest«) nach den §§ 280 I, III, 281 I BGB, der Schutz des negativen Interesses (»reliance interest«) nach den §§ 284, 280 I, III, 281 BGB und der Schutz des Rückgewährinteresses (»restitution interest«) nach den §§ 346 ff. BGB zu. Wovon die Wahl abhängt, die der (gewinnorientierte) Gläubiger unter den »remedies« für die Nichterfüllung trifft, haben die Väter des zweiten Restatement of Contracts im American Law Institute auf eine Weise beschrieben, die auch für das reformierte deutsche Schuldrecht zutrifft 280 : Kann der Gläu276 Das gilt selbstverständlich auch für den nicht gewinnorientierten Gläubiger, der die Gegenleistung und Verwendungen auf die Sache nicht nach § 284 BGB verlangen kann, weil feststeht, daß sie auch ohne die Pfl ichtverletzung ihren Zweck verfehlt hätten. 277 Daß dem Schuldner aufgrund der vertraglich festgelegten Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung der Einwand abgeschnitten sei, der Gläubiger habe in Wahrheit ein Verlustgeschäft gemacht, wird vertreten in RG 13. 3. 1913, JW 1913, 595, 596 (Nr. 8); dafür auch U. Huber, Leistungsstörungen Bd. 1, § 37 II (S. 201 ff.); MünchKomm/Emmerich, § 325 a. F. Rz. 69. Für eine widerlegliche Rentabilitätsvermutung dagegen RG 19. 2. 1930, RGZ 127, 245, 249; BGH 23. 4. 1991, NJW 1991, 2707, 2708; Messer/R. Schmitt, in: FS Hagen, S. 425, 432 f. 278 Siehe oben, Abschnitt II 3 b dd Fn. 596. 279 A. A. Arnold, ZGS 2003, 427, 431, der es nach wie vor zulassen will, daß der Gläubiger einen bereits gezahlten Kaufpreis aufgrund einer unwiderleglichen Rentabilitätsvermutung als Mindestschaden im Rahmen des Schadensersatzes statt der (ganzen) Leistung zurückverlangt, damit er nicht dazu gezwungen werde, vom Vertrag zurückzutreten. Weil sich der Gläubiger durch den Rücktritt keiner Rechte auf Schadensersatz begibt, muß man ihm den Rücktritt aber nicht mehr ersparen. 280 Comment d. zu § 373 Restatement (2d).

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§ 11 Der Schutz des negativen Interesses bei wirksamen Rechtsgeschäften

biger einen entgangenen Gewinn nachweisen, wird er das positive Interesse wählen; kann er das nicht, wird er sich auf das negative Interesse berufen, und kann ihm der Schuldner schließlich nachweisen, daß er ein Verlustgeschäft abgeschlossen hat, wird er das Rückgewährinteresse wählen. c) Der entgangene Gewinn aus einem Alternativgeschäft Daß es nicht angeht, dem Gläubiger nur Aufwendungen zu ersetzen, die er im Vertrauen auf den Leistungserhalt gemacht hat, und nicht auch Erträge, auf die er in diesem Vertrauen verzichtet hat, ist ein Gedanke, die bereits am Beginn dieser Arbeit stand 281. Bei der Erörterung des Für und Wider der Interpretation des § 284 BGB als Grundlage für den Schutz des negativen Interesses hat sich gezeigt, daß sich diesem Gedanken de lege lata durch eine Ausdehnung von § 284 BGB im Wege der Analogie Rechnung tragen läßt 282 : Danach kann der Gläubiger anstelle des Schadensersatzes statt der Leistung außer fehlgeschlagenen Aufwendungen auch den Gewinn aus einem Alternativgeschäft verlangen, das er im Vertrauen auf die Leistungserbringung abzuschließen unterlassen hat. Das berechtigte Anliegen der Gesetzesverfasser, die Nichterfüllung durch den Schuldner dürfe dem Gläubiger nicht zu dem Gewinn aus einem günstigeren als dem tatsächlich abgeschlossenen Geschäft verhelfen 283, wird dabei nicht hintangestellt: Für den Ausschluß solcher »windfall profits« aus der Nichterfüllung sorgt die schutzzweckgerechte Begrenzung der Haftung, die im Hinblick auf nutzlose Aufwendungen in dem Einwand der Zweckverfehlung aus anderem Grund ihren gesetzlichen Ausdruck gefunden hat, aber ihrem Sinn nach auch für die anderen Positionen des negativen Interesses gilt 284. d) Sonstige Schäden Folge- und Begleitschäden, die er aufgrund der Pflichtverletzung des Schuldners erlitten hat, kann der Gläubiger als Teil seines leistungsübersteigenden positiven Interesses liquidieren, und zwar, je nachdem, wann sie entstanden sind, entweder als leistungsergänzenden Schadensersatz oder als Teil des Schadensersatzes statt der Leistung285. Was diese Schadenspositionen betrifft, gibt es daher keinen Anlaß, sie als Teil des negativen Interesses in analoger Anwendung von § 284 BGB zu ersetzen 286 , zumal die Geltendmachung des Anspruchs aus § 284 BGB den Gläubiger nicht daran hindert, hinsichtlich der Folge- und Begleitschäden bei dem An-

281

Siehe oben, § 1 I 1 a. Siehe oben, Abschnitt II 3 b aa. 283 Vgl. BT-Drucks. 14/6040, S. 144. 284 Dazu auch unten, Abschnitt III 3 c. 285 Siehe oben, Abschnitt III 1 b. 286 Ebenso im Ergebnis Faust, in: P. Huber/Faust, Schuldrechtsmodernisierung, Rz. 4/12 (S. 161 f.). 282

III. Der Ersatz des negativen Interesses auf der Grundlage von § 284 BGB

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spruch aus § 280 I BGB, aus §§ 280 I, III, 281–283 BGB oder auch aus § 311a II BGB zu bleiben 287. Aus der Perspektive des hier bezogenen Standpunktes versteht es sich des weiteren von selbst, daß die Eingehung von Verbindlichkeiten, soweit dies im Vertrauen auf den Leistungserhalt geschah, ebenfalls von § 284 BGB umfaßt wird, sei es im Rahmen der Auslegung des Aufwendungsbegriffs288 , sei es im Wege analoger Anwendung. Handelt es sich um eine Verbindlichkeit aus einem Folgevertrag mit dem Schuldner, den der Gläubiger im Vertrauen auf die Erfüllung des Hauptvertrags abgeschlossen hat, so gilt das, was zur Aufhebung oder Anpassung unerwünschter Verträge als Inhalt eines Anspruchs auf Ersatz des negativen Interesses gesagt wurde289. Schließlich erlaubt die Einsicht, daß es sich bei § 284 BGB um einen Anspruch auf Ersatz des negativen Interesses handelt, auch eine Antwort auf die Frage, ob der vergebliche Einsatz eigener Arbeitskraft ersatzfähig sein kann: Teilweise wird dies grundsätzlich abgelehnt 290 , teilweise unter Rückgriff auf § 1835 III BGB jedenfalls dann befürwortet, wenn die ausgeführte Tätigkeit zum Gewerbe oder Beruf des Gläubigers gehört 291. Nach der hiesigen Ansicht ist auf die schadensrechtliche Behandlung von Beeinträchtigungen der Arbeitskraft abzustellen. Ohne die wissenschaftlich kontrovers behandelte Problematik 292 zu vertiefen, wird man insoweit mit der Rechtsprechung des BGH von der folgenden Grundregel ausgehen können: »Der vergebliche Einsatz der Arbeitskraft ist [. . .] für sich allein betrachtet kein Vermögensschaden. Entscheidend für das Vorliegen eines Schadens ist vielmehr, daß durch den vergeblichen Einsatz der Arbeitskraft ein gewinnbringender anderweitiger Einsatz der Arbeitskraft unterblieben ist. Es muß also ein tatsächlicher Verdienst- oder Gewinnausfall vorliegen, wobei dem Geschädigten § 252 BGB zugute kommen kann.«293

3. Der Einwand der Zweckverfehlung aus anderem Grund Nach § 284 BGB sind fehlgeschlagene Aufwendungen des Gläubigers nicht ersatzfähig, wenn deren Zweck auch ohne die Pflichtverletzung des Schuldners nicht erreicht worden wäre. Wie § 284 BGB überhaupt, verliert auch diese Beschränkung des Ersatzanspruchs ihre Fremdheit im systematischen Gefüge des BGB, wenn man erkennt, daß sich hinter der neuen Regelung der Ersatz des negativen 287

Siehe oben, Abschnitt III 1 a bb (2). Dafür MünchKomm/Ernst, § 284 Rz. 16; Palandt/Heinrichs, § 284 Rz. 5. 289 Siehe oben, § 10 II 3, 4. 290 So MünchKomm/Ernst, § 284 Rz. 16. 291 So Faust, in: P. Huber/Faust, Schuldrechtsmodernisierung, Rz. 4/12 (S. 161). 292 Näher dazu Lange/Schiemann, Schadensersatz, § 6 XIV 1 (S. 378 ff.); Magnus, Schaden und Ersatz, S. 238 ff. (rechtsvergleichend); MünchKomm/Oetker, § 249 Rz. 78 ff.; Würthwein, JZ 2000, 337 ff. 293 BGH 29. 4. 1977, NJW 1977, 1446 (unter Weglassung von Zitaten im Original). 288

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§ 11 Der Schutz des negativen Interesses bei wirksamen Rechtsgeschäften

Interesses verbirgt. Der Einwand der Zweckverfehlung aus anderem Grund ist dann genauso wie die Haftungsbegrenzung auf den Betrag des positiven Interesses in den §§ 122 I, 179 II BGB Ausdruck des Schutzzweckzusammenhangs, den die Haftung auf das negative Interesse voraussetzt: Weil die Haftung den Gläubiger nur vor den Folgen asymmetrischer Information über das Nichterfüllungsrisiko im Zeitpunkt der Vornahme des Rechtsgeschäfts bewahren soll, liegen solche Schäden außerhalb des Schutzzweckzusammenhangs, bei denen sich das vom Gläubiger zu tragende »Wagnis« einer Fehlspekulation verwirklicht hat, »das er mit Eingehung des Vertrags übernommen hat«294. Diese These ist bereits an anderer Stelle begründet worden 295 ; hier seien nur einige Konsequenzen für die Anwendung des Einwands anderweitiger Zweckverfehlung erläutert. a) Beweislast und Beweismaß Nach der negativen Formulierung des letzten Halbsatzes von § 284 BGB trägt der Schuldner die Beweislast hinsichtlich der Frage, ob die Aufwendungen des Gläubigers bei pflichtgemäßem Verhalten des Schuldners ihren Zweck erreicht oder verfehlt hätten. Im Schrifttum ist dies teilweise als bedenkliche Abweichung von den allgemeinen Grundsätzen kritisiert worden 296 : Während sonst der Geschädigte die Kausalität der Pfl ichtverletzung für den Schaden beweisen müsse, habe hier der Schädiger zu widerlegen, daß sein pflichtwidriges Verhalten für das Nutzloswerden der Aufwendungen ursächlich war. Diese Sicht ist folgerichtig, wenn man § 284 BGB von der Warte der Frustrationslehre erklärt und dementsprechend in der Pflichtverletzung das zum Schadensersatz verpflichtende Ereignis und in der »Frustration« der Aufwendungen den dadurch verursachten Schaden sieht. Nach der hier verfochtenen Position ist dagegen, wie generell bei der Haftung auf das negative Interesse297, die vom Gläubiger – unter Zugrundelegung von § 287 I ZPO298 – zu beweisende Kausalbeziehung die Beziehung zwischen der Willenserklärung des Schuldners, die dessen rechtsgeschäftliche Verpfl ichtung begründet hat, und der Entstehung der später nutzlos gewordenen Aufwendungen. Der Beweis, daß ein anderweitiger hypothetischer Verlust des in die Aufwendungen geflossenen Betrags eingetreten wäre, obliegt dagegen dem Schuldner, der dadurch von der Haftung entlastet wird. Dementsprechend trägt nach den §§ 122 I, 179 II BGB der Schuldner die Beweislast dafür, daß der vom Gläubiger geltend gemachte Vertrauensschaden den Betrag des positiven Interesses überschreitet – der Schuldner beruft sich, indem er die Überschreitung des positiven Interesses behauptet,

294 295

RG 22. 6. 1936, RGZ 151, 357, 358 f. Siehe oben, § 10 III 1, § 11 II 3 b aa; zum ökonomischen Hintergrund siehe oben, § 5 III 2 b

cc. 296 Vgl. Gsell, in: Das neue Schuldrecht in der Praxis, S. 321, 323; MünchKomm/Ernst, § 284 Rz. 42. 297 Siehe oben, § 10 I 2 a. 298 Siehe oben, § 10 I 3 a.

III. Der Ersatz des negativen Interesses auf der Grundlage von § 284 BGB

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darauf, daß der Schaden in diesem Umfang auch in dem hypothetischen Fall ordnungsgemäßer Erfüllung einer wirksamen Verbindlichkeit eingetreten wäre. Nichts anderes tut der Schuldner, wenn er einer Inanspruchnahme aus § 284 BGB entgegenhält, daß die vom Gläubiger im Vertrauen auf den Leistungserhalt gemachten Aufwendungen auch ohne die Verletzung der Leistungspfl icht fehlgeschlagen wären. Deshalb ist im Ergebnis denjenigen Stimmen in der Literatur beizupflichten, die in der Beweislast des Schuldners keine Anomalie, sondern die reguläre Beweislastverteilung beim Einwand der hypothetischen Kausalität sehen 299. Diese Einordnung des letzten Halbsatzes von § 284 BGB schafft zugleich den Anschluß für die Anwendung des Beweismaßes, das bei der Haftung auf das negative Interesse für den Beweis einer Überschreitung des Betrags des positiven Interesses bei den §§ 122 I, 179 II BGB300 wie überhaupt für den Beweis des anderweitigen hypothetischen Verlusts301 gilt: Da es sich um eine Frage der Schadenshöhe handelt, muß der Schuldner nicht den Vollbeweis erbringen, sondern es kommt ihm – genauso wie dem Gläubiger bei dem Beweis des Vertrauensschadens302 – die Beweiserleichterung nach § 287 I 1 ZPO zugute. Kann der Schuldner also beweisen, daß die Aufwendungen des Schuldners mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auch ohne die Pflichtverletzung ihren Zweck verfehlt hätten, hat er hierfür keinen Ersatz zu leisten303. b) Zur Abgrenzung: Der Beweis des Aufwendungszwecks Von der Beweislast für den Einwand anderweitiger Zweckvereitelung ist die vorgelagerte Frage zu unterscheiden, wer die Beweislast für den Zweck der Aufwendungen des Gläubigers trägt, der durch die Pfl ichtverletzung des Schuldners durchkreuzt wurde. Diese Frage ist von nicht unwesentlicher Bedeutung: Wenn es dem Gläubiger stets freistünde, sich auf einen ideellen Aufwendungszweck zu berufen, ohne dafür den Beweis erbringen zu müssen, könnte er, da der Schuldner zum Beweis des Gegenteils meist nicht imstande sein wird, regelmäßig unrentable 299 Dafür Canaris, DB 2001, 1815, 1820; im Anschluß daran auch Dauner-Lieb, in: DaunerLieb u. a., Das neue Schuldrecht, § 2 Rz. 57 (S. 100); S. Lorenz/Riehm, Lehrbuch, Rz. 229 (S. 116). 300 Siehe oben, § 10 III 1 b. 301 Siehe oben, § 10 I 3 c. 302 Siehe azu, daß § 287 ZPO auf beide Seiten und nicht nur auf den Gläubiger anwendbar ist, oben § 10 I 3 c. 303 Dies unterscheidet sich im Ergebnis nicht von der von Gsell, in: Das neue Schuldrecht in der Praxis, S. 321, 326, und im Anschluß daran von MünchKomm/Ernst, § 284 Rz. 43, vertretenen Absenkung des Beweismaßes durch eine entsprechende Anwendung von § 252 S. 2 BGB in »umgekehrter Richtung«. – Man kann im übrigen den Umstand, daß die Systematisierung des § 284 BGB als Anspruch auf Ersatz des negativen Interesses das von Gsell und Ernst geforderte Beweismaß (und die gesetzliche Beweislastverteilung ohnehin) deutlich zwangloser begründet als der von Gsell und Ernst selbst vertretene »Frustrationsansatz«, als ein weiteres Argument für das hier vertretene Konzept werten.

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Aufwendungen mit der Begründung liquidieren, er habe in Wahrheit keinen Gewinn erzielen, sondern einem Hobby frönen, dem Allgemeinwohl einen Dienst erweisen oder sonst irgend einen ideellen Zweck verfolgen wollen. Um eine solche Flucht des Gläubigers in angebliche ideelle Zwecke zu verhindern, hat man es für notwendig erachtet, dem Gläubiger die Beweislast für den Zweck seiner Aufwendungen aufzubürden 304. Wer in § 284 BGB den Ersatz von Vertrauensschäden angeordnet sieht, kann sich dieser Ansicht problemlos anschließen, denn es ist fraglos die Sache des Gläubigers zu beweisen, daß und in welcher Höhe ihm ein Vertrauensschaden entstanden ist. Hierzu gehört, wenn der Schaden in Gestalt fehlgeschlagener Aufwendungen geltend gemacht wird, außer dem Beweis ihrer Entstehung auch der Beweis, daß sie wegen der Nichterfüllung der Verbindlichkeit nutzlos geworden sind, d. h. ihren Zweck nicht erreicht haben. Bei dem Beweis des (vereitelten) Zwecks kommt dem Gläubiger allerdings, weil es wie bei der Kausalität des Rechtsgeschäfts für die Aufwendung305 um eine Frage der Schadenshöhe geht, die Reduzierung des Beweismaßes nach § 287 I ZPO zugute306 . c) Die entsprechende Begrenzung der Ersatzfähigkeit entgangenen Gewinns aus einem Alternativgeschäft Wendet man, wie es hier vorgeschlagen wurde307, § 284 BGB analog auf die Fälle an, in denen der Vertrauensschaden des Gläubigers nicht im Verlust von Aufwendungen, sondern in der Einbuße des Gewinns aus einem Alternativgeschäft bestand, das der Gläubiger im Vertrauen auf den Leistungserhalt nicht abgeschlossen hat, ist eine entsprechende Begrenzung des Haftungsumfangs geboten, wie sie der zweite Halbsatz der Vorschrift für den Ersatz nutzlos gewordener Aufwendungen vorsieht, damit auch in diesen Fällen verhindert wird, daß der Gläubiger das Risiko einer Fehlspekulation über die Verwirklichung des Zwecks, den er mit dem tatsächlich abgeschlossenen Geschäft verfolgte, auf den Schuldner abwälzt. Allerdings »paßt« die im Gesetzestext verwendete Formulierung der Grenze des Ersatzanspruchs hier nicht: Der Gläubiger kann, indem er darauf verzichtet, ein anderes Geschäft abzuschließen, mit dem Verzicht als solchem nicht die Befriedigung eines materiellen oder immateriellen Bedürfnisses und damit keinen »Zweck« in dem Sinne erreichen, wie dies bei Aufwendungen der Fall ist. Der Verzicht hat allein den Grund, daß der Gläubiger entweder seinen Bedarf durch die künftige Leistung des Schuldners bereits gedeckt sieht oder seine Mittel durch die von ihm zu erbringende Gegenleistung für gebunden hält. Deshalb hat es kei-

304 Gsell, in: Das neue Schuldrecht in der Praxis, S. 321, 328; nach MünchKomm/Ernst, § 284 Rz. 22, muß der Gläubiger den verfolgten Zweck substantiiert darlegen. 305 Dazu oben, § 10 I 3 a. 306 Hinsichtlich der Behandlung von Abgrenzungsfragen bei Verfolgung einer Vielfalt von Zwecken kann auf Gsell, in: Das neue Schuldrecht in der Praxis, S. 321, 328 ff., verwiesen werden. 307 Siehe oben, Abschnitte II 3 b aa, III 2 c.

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nen Sinn, bei dem Verzicht auf den Abschluß eines anderen Geschäfts so wie bei Aufwendungen die Frage der Zweckvereitelung aufzuwerfen. Statt dessen muß man die Haftungsbegrenzung so auf den Gewinnentgang übertragen, daß sie der ratio entspricht, die das Gesetz beim Aufwendungsersatz mit dem Einwand anderweitiger Zweckvereitelung verfolgt. Nach der hier entwickelten Auffassung heißt das: Der Schuldner darf dann nicht für den Ersatz entgangenen Gewinns aus einem Alternativgeschäft in die Pflicht genommen werden, wenn der Verzicht auf dieses Geschäft und damit auf den Gewinn Folge einer Fehlspekulation des Gläubigers bei dem Abschluß des Geschäfts mit dem Schuldner ist 308. Das ist dann der Fall, wenn sich das nicht abgeschlossene Geschäft als effizienteres (nämlich kostengünstigeres oder wirkungsvolleres309) Mittel zur Verwirklichung des Zwecks erweist, den der Gläubiger mit dem tatsächlich abgeschlossenen Geschäft verfolgte. Hierfür trägt, nicht anders als für den Einwand anderweitiger Zweckverfehlung beim Ersatz fehlgeschlagener Aufwendungen, der Schuldner die Beweislast. Handelte der Gläubiger mit Gewinnerzielungsabsicht, ist deshalb ein Gewinn aus einem Alternativgeschäft, der höher gewesen wäre als der Profit, den er aus dem Geschäft mit dem Schuldner erwirtschaftet hätte, nicht ersatzfähig. Dieses – von den Gesetzesverfassern zu Recht für allein sachgerecht gehaltene310 – Ergebnis stimmt mit der Begrenzung der Haftung auf das negative Interesse durch den Betrag des positiven Interesses überein, wie sie dem Rechtsanwender aus den §§ 122 I, 179 II BGB vertraut ist. Deshalb wird der Gläubiger in Fällen kommerzieller Zwecksetzung immer für den Ersatz des positiven Interesses optieren, wenn er dessen Betrag beweisen kann. Nur dann, wenn ihm dies (auch unter Berücksichtigung der Beweiserleichterung nach den §§ 252 S. 2 BGB, 287 I ZPO) nicht möglich ist, wird der Ersatz des negativen Interesses in Gestalt des entgangenen Gewinns aus einem Alternativgeschäft relevant, den zu beweisen der Gläubiger immerhin in der Lage sein mag. Das gilt insbesondere für den Fall, daß der Gläubiger die Leistung des Schuldners (etwa die Gebrauchsüberlassung gewerblicher Räume) zu einem unternehmerischen Engagement (z. B. zur Neueröffnung eines Restaurants) nutzen wollte, dessen Rendite er weder beziffern noch beweisen kann, und zu dessen Finanzierung Eigenmittel bereithielt, die er sonst in eine mündelsichere, festverzinsliche Geldanlage investiert hätte: Hier kann der Gläubiger die Differenz zwischen dem Zinsgewinn aus dieser Anlage und einem nach dem Scheitern des Vertrags noch erzielbaren, geringeren Zins als negatives Interesse in analoger Anwendung von § 284 BGB liquidieren, es sei denn, der Schuldner kann seinerseits (wiederum unter Zugrundelegung des nach § 287 I BGB gesenkten Beweismaßes) nachweisen, daß die Rendite der beabsichtigten unternehmerischen

308 309 310

Siehe oben, Abschnitt II 3 b aa (2). »Effizienz« meint hier also nicht die volkswirtschaftliche Effizienz. Vgl. BT-Drucks. 14/6040, S. 144 (die Stelle ist in Abschnitt II 3 b aa (1) wörtlich zitiert).

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Betätigung hinter dem Zinsertrag der mündelsicheren Anlage zurückgeblieben wäre311. Diente die Leistung des Schuldners aus Sicht des Gläubigers einer nichtkommerziellen Bestimmung, kann dieser dagegen den entgangenen Gewinn aus einer anderweitigen, gewinnorientierten Verwendung seiner Mittel, die er im Vertrauen auf den Erhalt der Leistung abgelehnt hat, als Vertrauensschaden geltend machen, ohne sich vom Schuldner entgegenhalten lassen zu müssen, daß er einen Gewinn in dieser Höhe mit dem tatsächlich abgeschlossenen Geschäft nicht erwirtschaft hätte: Weil dem Gläubiger der Ertrag aus dem Alternativgeschäft in dieser Konstellation nicht infolge der fehlgeleiteten Spekulation entgangen ist, er habe durch den Abschluß des Geschäfts mit dem Schuldner die gewinnträchtigste Verwendung seiner Mittel gewählt, besteht kein Grund, ihm den Ersatz des negativen Interesses zu verweigern. Das gilt bei der analogen Anwendung von § 284 BGB genauso wie bei der Haftung auf der Grundlage der §§ 122, 179 II BGB, deren Begrenzung auf den Betrag des positiven Interesses, wie gezeigt 312 , insoweit teleologisch zu reduzieren ist.

4. Die Billigkeitsgrenze und der Mitverschuldenseinwand Nach § 284 BGB sind dem Gläubiger nur Aufwendungen zu ersetzen, die er im Vertrauen auf den Erhalt der Leistung billigerweise machen durfte. Über die beabsichtigte Bedeutung der Billigkeitsklausel, die, wie die gesamte Vorschrift, das Werk der Kommission Leistungsstörungsrecht ist 313, schweigen sich die veröffentlichten Gesetzesmaterialien aus; spätere, einander widersprechende Auslegungsvorschläge einzelner Kommissionsmitglieder314 deuten darauf hin, daß ihre Aufnahme in den Gesetzesvorschlag der Kommission möglicherweise weniger von klaren inhaltlichen Vorstellungen als von dem Bestreben geprägt war, in dem Streit um das Schicksal der Vorgängerregelung in § 325 I 2 DiskE-BGB zu einem Formelkompromiß zu gelangen 315. Dem Gesetzesinterpreten läßt dies eine gewisse Freiheit. Wenn man allerdings die systematische Einordnung der Neuregelung als

311 Vgl. insoweit die vom Berufungsgericht angenommene (und vom BGH nicht beanstandete) Widerlegung der Rentabilitätsvermutung in dem Fall eines thailändischen Spezialitätenrestaurants, BGH 18. 7. 1997, BGHZ 136, 103, 105. 312 Siehe oben, § 10 III 1 b. 313 Vgl. § 284 KonDiskE, abgedruckt bei Canaris, Schuldrechtsmodernisierung 2002, S. 359 f. 314 Vgl. zu der Frage der Berücksichtigung eines Mißverhältnisses zwischen Aufwendung und Wert der Leistung einerseits (ablehnend) Canaris, JZ 2001, 499, 517, andererseits (bejahend) MünchKomm/Ernst, § 284 Rz. 20; Palandt/Heinrichs, § 284 Rz. 6. 315 Canaris, JZ 2001, 499, 516 mit Fn. 165, berichtet, es habe lange Zeit so ausgesehen, als würde § 325 I 2 DiskE-BGB ersatzlos gestrichen, bis er selbst einen modifi zierten Vorschlag unterbreitet habe, der allerdings die Billigkeitsklausel noch nicht enthielt. Darüber, wie es gegen seinen Willen zur Einfügung der Klausel kam, teilt Canaris (a.a.O., 517) nur mit, daß bei der Diskussion in der Kommission kein einziges Beispiel genannt worden sei, in dem sie über § 254 BGB hinaus eine praktische Rolle spiele.

III. Der Ersatz des negativen Interesses auf der Grundlage von § 284 BGB

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Teilkodifikation der Haftung auf das negative Interesse zugrunde legt, läßt sich die Unsicherheit, die jedem Rekurs auf die Billigkeit anhaftet, zumindest reduzieren. a) Billigkeit als Angemessenheit? Es scheint sich bei erstem Hinsehen aufzudrängen, die Billigkeitsklausel – ähnlich der in § 1298 II BGB statuierten Begrenzung der Ersatzpflicht nach Scheitern eines Verlöbnisses – so zu verstehen, daß sie die Aufwendungen des Gläubigers einer Prüfung nach dem Maßstab objektiver Angemessenheit unterwirft. Danach wäre ein offensichtliches Mißverhältnis von Aufwendung und Wert der Leistung die Grenze des Ersatzanspruchs. In der Literatur hat dieser Ansatz namhafte Unterstützung gefunden 316 ; zu seiner Konkretisierung wird das Beispiel angeführt, daß der Käufer eines – von dem Verkäufer nicht gelieferten – Bildes im Wert von 1.000 A für den von ihm in Auftrag gegebenen Bilderrahmen nicht Aufwendungsersatz in Höhe von 8.000 A fordern könne317. Der Einwand, daß eine solche Prüfung gegen den Grundsatz der Entscheidungsfreiheit des Gläubigers in seinen eigenen Angelegenheiten und damit gegen das Prinzip der Privatautonomie verstoße318 , ist zunächst nicht geeignet, diesen Standpunkt zu erschüttern: Die Angemessenheitskontrolle als Mittel der Haftungsbegrenzung bedeutet ja nicht, daß dem Gläubiger die Freiheit genommen wird, luxuriöse, überflüssige oder sonst unvernünftige Aufwendungen zu machen, sondern nur, daß ihm der Schuldner für bestimmte Aufwendungen im Falle des Mißerfolgs nicht haftet 319. Aber abgesehen davon, daß man gerade bei immateriellen Interessen kaum sagen kann, welche Aufwendungen zu ihrer Verfolgung angemessen sind und welche nicht 320 , wäre eine Begrenzung der Haftung auf einen Aufwendungsbetrag, der zu dem Wert der Leistung in einem angemessenen Verhältnis steht, keineswegs schutzzweckgerecht, da sie den Anspruch des Gläubigers auch in Konstellationen verkürzte, in denen ein voller Schutz eindeutig geboten erscheint. Man denke etwa an den Stadthallenfall: Hier stand den geltend gemachten Aufwendungen der Mieterin für die in der Stadthalle geplanten Veranstaltung in Höhe von über 30.000 DM ein Wert der von der Vermieterin zu erbringenden Leistung gegenüber, den man in Anlehnung an den vereinbarten Mietzins mit gut 600 DM beziffern kann 321. Daß es unbillig gewesen wäre, im Vertrauen auf die Erfüllung des Mietvertrags einen so hohen Betrag auszugeben, wird man, obwohl die Auf-

316

MünchKomm/Ernst, § 284 Rz. 20; Palandt/Heinrichs, § 284 Rz. 6. Das Beispiel fi ndet sich bei Palandt/Heinrichs (wie vorige Fn.). 318 So Canaris, JZ 2001, 499, 517. 319 Ebenso Faust, in: P. Huber/Faust, Schuldrechtsmodernisierung, Rz. 4/30 (S. 168); im Anschluß daran auch Gsell, in: Das neue Schuldrecht in der Praxis, S. 321, 344. 320 So Faust (wie vorige Fn.). 321 BGH 10. 12. 1986, BGHZ 99, 182, 183 f. 317

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§ 11 Der Schutz des negativen Interesses bei wirksamen Rechtsgeschäften

wendungen den Wert der Leistung um mehr als das Fünfzigfache überstiegen, schon in Anbetracht des Umstandes, daß den Gesetzesverfassern daran gelegen war, dem Geschädigten gerade in diesem Fall zum Schadensersatz zu verhelfen, nicht sagen dürfen. Im übrigen hätte eine solche Sicht auch ökonomisch unzuträgliche Folgen: Wenn in Verfolgung eines (immateriellen oder materiellen) Zwecks eine Vielzahl von Leistungen unterschiedlicher Vertragspartner in Anspruch genommen wird, hat dies regelmäßig zur Folge, daß der Wert einer einzigen schuldhaft nicht erbrachten Leistung nur einen kleinen Bruchteil der Aufwendungen für alle Leistungen ausmacht, die durch den Ausfall des einen »Mosaiksteins« nutzlos werden. Wollte man die Ersatzberechtigung des Gläubigers wegen eines vermeintlichen Mißverhältnisses des Gesamtbetrags der Aufwendungen zu dem Wert der Leistung auf das (angeblich) Angemessene beschneiden, könnte dieser sich dazu veranlaßt sehen, sich gegen einen Verlust abzusichern, indem er die Leistungen nur von einem Anbieter bezieht, obwohl andere jeweils einzelne Teile des Leistungspakets günstiger erbracht hätten. An dieser unwirtschaftlichen Koppelung kann niemand ein Interesse haben322. Schließlich führt auch die soeben angedeutete Parallele zu § 1298 II BGB systematisch in die Irre: Es handelt sich bei der Ersatzpflicht des vom Verlöbnis Zurückgetretenen, wie schon ausgeführt wurde323, um eine besondere rechtliche Reaktion auf den Fehlschlag einer als sozialadäquat erachteten Fremdbindung, deren Grenzen nicht auf die Fälle der Haftung auf das negative Interesse zu übertragen sind, bei denen es sich um eine Sanktion für Selbstbindungstatbestände handelt. b) Billigkeit als Vorhersehbarkeit Weil die Billigkeitsklausel, ungeachtet ihres bei oberflächlicher Lektüre mißverständlichen Wortlauts, dem Gläubiger unbillige Aufwendungen nicht untersagt, sondern in Wahrheit nur den Schuldner vor der Belastung mit unbilligen Aufwendungen schützt, liegt es nahe, die Billigkeit nicht objektiv, sondern aus der Sicht des Schuldners und damit nach Maßgabe der Vorhersehbarkeit zu bestimmen. Als unbillig anzusehen sind danach Aufwendungen, mit denen der Schuldner im Zeitpunkt seines Leistungsversprechens nicht rechnen mußte. Bereits vor der Schuldrechtsreform waren Forderungen nach einer entsprechenden Begrenzung des geplanten Anspruchs auf Aufwendungsersatz laut geworden 324, die nach dem Inkrafttreten des Gesetzes bei der Auslegung der lex lata aufgegriffen wurden 325.

322 Darauf weisen bereits Köndgen/v. Randow, in: Allokationseffi zienz in der Rechtsordnung, S. 122, 137, hin. 323 Siehe oben, § 10 III 4. 324 Vgl. Altmeppen, DB 2001, 1399, 1405; zuvor bereits Leonhard, AcP 199 (1999), 660, 675 ff., der sich allerdings (außer auf das Common Law) auf das damals geltende deutsche Recht bezieht. 325 Vgl. Gsell, in: Das neue Schuldrecht in der Praxis, S. 321, 344.

III. Der Ersatz des negativen Interesses auf der Grundlage von § 284 BGB

429

Rechtspolitisch ist dieser Ansatz nach den Erkenntnissen, zu denen wir im ersten Teil dieser Untersuchung gelangt sind 326 , zu begrüßen: Damit die tatsächliche Höhe des Schadensrisikos (und nicht nur ein Durchschnittswert) in die Preisfindung eingeht und darüber hinaus der Schuldner seine Anstrengungen zur Schadensvermeidung an dem tatsächlichen Risiko (und wiederum nicht nur an einem Durchschnittswert) ausrichtet, muß dem Schuldner das Schadenspotential des Gläubigers bekannt sein. Die Einschränkung der (potentiellen) Ersatzpflicht des Schuldners nach dem Vorhersehbarkeitskriterium sorgt dafür, daß der Gläubiger einen Anreiz zur Offenlegung von Schadensrisiken erhält, die nur er, aber nicht der Schuldner im Zeitpunkt des Vertragsschlusses kennt oder deren Kenntnis er sich jedenfalls mit effizientem Aufwand verschaffen kann, denn für solche Risiken muß der Schuldner nur geradestehen, wenn der Gläubiger sie ihm offenbart. Die Billigkeitsklausel in § 284 BGB bietet sich als positivrechtliches Einfallstor für diesen Gedanken an: Welche Aufwendungen der Gläubiger »billigerweise machen durfte«, ist auf dieser Grundlage danach zu beurteilen, was der Schuldner über die Vertrauensinvestitionen des Gläubigers wußte oder jedenfalls mit effizientem Aufwand hätte wissen können. Rechtsystematisch ist die Rezeption der Vorhersehbarkeit indes auf Widerstand gestoßen: Diese – angeblich 327 aus dem angloamerikanischen Rechtskreis stammende – Einschränkung sei dem System des deutschen Schuldrechts fremd; Beleg dafür sei § 254 II 1 BGB, der die Berücksichtigung eines fehlenden Hinweises auf die Gefahr eines unvorhersehbar hohen Schadens lediglich im Rahmen der Abwägung der beiderseitigen Verantwortlichkeit gestatte328. Richtigerweise ergibt sich jedoch bei der Anwendung der in § 254 II 1 1. Alt. BGB geregelten Warnobliegenheit auf die Pflicht zum Ersatz des negativen Interesses eine weitgehende Übereinstimmung mit der Vorhersehbarkeitslehre: Anders als bei Nichterfüllungsschäden, bei denen die Warnobliegenheit nicht schon im Zeitpunkt des Vertragsschlusses erfüllt sein muß329, bezieht sich die Obliegenheit des Schuldners, den Gläubiger vor der Gefahr eines ungewöhnlich hohen Vertrauensschadens zu warnen, wie die Vorhersehbarkeit auf die Zeit bis zum Geschäftsabschluß, denn nur dann kann die Warnung ihren Zweck erfüllen, dem Schuldner Gelegenheit zur Verhinderung von Vertrauensschäden zu geben 330. Es bleibt als Unterschied zur 326

Siehe oben, § 5 III 2 b bb. In Wahrheit entstammt das Vorhersehbarkeitskriterium, wie König, in: Kolloquium v. Caemmerer, S. 75, 76 ff., dargelegt hat, dem französischen Recht, wo es zunächst im 16. Jahrhundert von Dumoulin entwickelt und, nachdem dessen Lehre in Vergessenheit geraten war, im 18. Jahrhundert von Pothier wiederentdeckt worden war und dann seinen Platz in Art. 1150 C.civ. gefunden hat. Die »contemplation rule« des Common Law geht nach Königs Darstellung auf die Rezeption der 1806 erschienenen englischen Übersetzung von Pothiers Traité des obligations zurück, die ihren Weg über die USA nach England nahm. 328 So Canaris, JZ 2001, 499, 517. 329 Insoweit ist Gsell, in: Das neue Schuldrecht in der Praxis, S. 321, 344 Fn. 67, zuzustimmen. 330 Siehe oben, § 10 III 3 b bb. 327

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§ 11 Der Schutz des negativen Interesses bei wirksamen Rechtsgeschäften

Vorhersehbarkeitsregel nur die Behandlung der weder für den Schuldner noch für den Gläubiger erkennbaren Schadensrisiken – während die Vorhersehbarkeitsregel diese beim Gläubiger beläßt, bürdet sie § 254 II 1 1. Alt. BGB dem Schuldner auf331. Wenn man die Billigkeitsklausel in § 284 BGB im Sinne der Vorhersehbarkeit interpretiert, ergibt sich demnach kein systematischer Bruch mit der Behandlung sonstiger Fälle der Haftung auf das negative Interesse, auf die ausschließlich § 254 II 1 1. Alt. BGB Anwendung findet, sondern nur eine marginale Differenz in der Beurteilung von Schadensrisiken, deren Unkenntnis beiden Parteien nicht zuzurechnen ist. Was die Konkretisierung der Billigkeitsklausel betrifft, kann daher grundsätzlich auf die Ausführungen zur Warnobliegenheit nach § 254 II 1 1. Alt. BGB verwiesen werden 332. Diese entkräften zugleich die denkbare Befürchtung, mit der Anerkennung der Vorhersehbarkeitsregel werde dem Gläubiger ein Anreiz zu übertriebener Mitteilungsfreude gegeben: Es geht letztlich nur um die Ausklammerung ganz ungewöhnlicher Schadensrisiken. c) Sonstige Fälle des Mitverschuldens Wer § 284 BGB als – wenn auch ungewöhnliche – Formulierung einer auf den Ersatz von Vertrauensschäden gerichteten Anspruchsgrundlage sieht, wird keine Schwierigkeiten haben, auch den Mitverschuldenseinwand in Gestalt einer Verletzung der Obliegenheit zur Schadensabwendung oder -minderung (§ 254 II 1 2. Alt. BGB) hierauf anzuwenden. Der Gläubiger darf danach dem Nutzloswerden der Aufwendungen, die er im Vertrauen auf den Erhalt der Leistung gemacht hat, nicht tatenlos zusehen, um sie anschließend vom Schuldner ersetzt zu verlangen 333. Vielmehr hat er, wenn die Aufwendungen der Gewinnerzielung dienten, andere Gelegenheiten, eine Rendite zu erwirtschaften, wahrzunehmen. Verfolgte er mit den Aufwendungen einen immateriellen Zweck, so kann man von ihm allerdings prinzipiell keine Änderung seiner Präferenzen verlangen, um aus den Aufwendungen doch noch »etwas zu machen«. Nur dann, wenn die Leistung, die er erwerben und nutzen wollte, nach ihrer vertraglich vereinbarten Beschaffenheit austauschbar und ein Surrogat erhältlich war, ist es ihm als Mitverschulden anzurechnen, wenn er das Surrogat nicht akzeptierte und seine im Vertrauen auf den Erhalt der ursprünglichen Leistung gemachten Aufwendungen einfach verfallen ließ. Von der Möglichkeit eines Mitverschuldens hinsichtlich des Nutzloswerdens von Aufwendungen ist die Frage zu trennen, ob bereits die Vornahme von Aufwendungen dem Gläubiger zur Last fallen kann, sei es als Mitverschulden, sei es als Überschreitung der Billigkeitsgrenze nach § 284 BGB. In der Literatur wird diesbezüglich – als Ausdruck einer in der Billigkeitsklausel verorteten, besonders strikten Handhabung von § 254 BGB – vertreten, der Gläubiger dürfe nicht vorei331 332 333

Siehe oben, § 10 III 3 b aa. Siehe oben, § 10 III 3 b cc. Siehe oben, § 10 III 3 a.

III. Der Ersatz des negativen Interesses auf der Grundlage von § 284 BGB

431

lig Aufwendungen machen, wenn er diese genausogut noch aufschieben könnte oder wenn ihm bereits Anzeichen für ein Scheitern des Vertrags bekannt seien 334. Das ist jedoch bedenklich: Zum einen erscheint es nicht praktikabel, die mit den Erkenntnismitteln eines Gerichts kaum nachzuvollziehende Wahl des optimalen Zeitpunkts für eine Vertrauensinvestition 335 einer rechtlichen Kontrolle anhand des Mitverschuldenseinwands zu unterwerfen. Feststellbar wäre vielleicht der letztmögliche Zeitpunkt für eine Investition; doch von dem Gläubiger im Rahmen des § 254 BGB oder auch der Billigkeitsklausel zu erwarten, die geplante Aufwendung bis zu diesem Zeitpunkt aufzuschieben (und den optimalen Investitionszeitpunkt verstreichen zu lassen), hieße, ihn zu einer unwirtschaftlichen Allokation seiner Mittel anzuhalten, und wäre daher nicht sinnvoll336 . Daß Aufwendungen des Gläubigers, die er im Vertrauen auf den Erhalt der Leistung gemacht hat, verfrüht waren und daher billigerweise nicht hätten gemacht werden dürfen, sollte man daher nur in rechtsmißbrauchsähnlichen Fällen sagen, nämlich dann, wenn ersichtlich ist, daß der Gläubiger Vertrauensinvestitionen zeitlich »vorgezogen« hat, um den Preis der Nichterfüllung (in Gestalt der Haftung aus § 284 BGB) in die Höhe zu treiben und damit Druck auf den Schuldner ausüben zu können. Zum anderen ist auch Zurückhaltung bei der Forderung geboten, der Gläubiger möge von Aufwendungen absehen, wenn sich die Nichterfüllung der Leistungspflicht abzeichnet: Das Vertrauen des Gläubigers auf die Erfüllung der Leistungspflicht, das ihm zu seinen Aufwendungen Anlaß gibt, ist auf die rechtliche Verbindlichkeit der Verpflichtung und nicht auf die faktische Erfüllungsbereitschaft oder -fähigkeit des Schuldners gegründet337. Ein Bedürfnis, bei Erwägungen über die Billigkeit der Vornahme von Aufwendungen Strenge walten zu lassen, besteht allerdings dann, wenn es der Gläubiger in der Hand hat, jederzeit vom Erfüllungsanspruch auf den Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung und damit auch auf den Anspruch aus § 284 BGB überzugehen. Das ist der Fall, wenn die Voraussetzungen des § 281 BGB vorliegen, also eine angemessene Nachfrist abgelaufen ist (§ 281 I BGB) oder der Schuldner die Leistung ernsthaft und endgültig verweigert hat (§ 281 II 1. Alt. BGB) oder besondere Umstände vorliegen, welche die sofortige Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs rechtfertigen (§ 281 II 2. Alt. BGB). Weil der Gläubiger in diesen Konstellationen regelmäßig338 damit rechnen kann, daß er sich seine Aufwendungen durch die Geltendmachung des Anspruchs aus § 284 BGB bei dem Schuldner zurückholen kann, fehlt ihm ein Anreiz, mit 334

So Canaris, JZ 2001, 499, 517. Zur Bestimmung des optimalen Investitionszeitpunktes siehe oben, § 7 II 1 a. 336 Insoweit übereinstimmend Canaris, JZ 2001, 499, 517. 337 Ähnlich Canaris, JZ 2001, 499, 517, mit dem Hinweis auf die Vertragstreue des Schuldners, von der der Gläubiger ausgehen dürfe. 338 Zu den Möglichkeiten des Schuldners, auf die Befugnis des Gläubigers einzuwirken, Schadensersatz statt der Leistung oder Aufwendungsersatz zu verlangen, vgl. MünchKomm/Ernst, § 281 Rz. 78 ff. 335

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§ 11 Der Schutz des negativen Interesses bei wirksamen Rechtsgeschäften

seinen Mitteln nicht verschwenderisch umzugehen. Um dies auszuschließen, ist von dem Zeitpunkt an, in dem die Berechtigung aus § 284 i. V. m. §§ 280 I, III, 281 BGB als »verhaltener« Anspruch339 besteht, der Gläubiger nur hinsichtlich solcher Aufwendungen zu schützen, die notwendig sind, damit er die Leistung des Schuldners (die er ja nach wie vor beanspruchen kann) in Empfang nehmen und nutzen kann 340.

339 Vgl. dazu, daß es sich bei dem Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung bis zu dem Verlangen des ersatzberechtigten Gläubigers (§ 281 IV BGB) um einen verhaltenen Anspruch handelt, MünchKomm/Ernst, § 281 Rz. 108. Dasselbe gilt für den anstelle dieses Anspruchs nach Wahl des Gläubigers eröffneten Anspruch auf das negative Interesse nach § 284 BGB. 340 Dazu oben, § 10 II 1 a aa.

§ 12 Der Schutz des negativen Interesses bei unwirksamen obligatorischen Rechtsgeschäften Mit den Fällen unwirksamer obligatorischer Rechtsgeschäfte gelangt diese Untersuchung zum historischen Ausgangspunkt des Schutzes des negativen Interesses: Diesen Fällen galt Jherings Aufmerksamkeit, als er dem negativen Interesse in seinem Aufsatz »Culpa in contrahendo oder Schadensersatz bei nichtigen oder nicht zur Perfection gelangten Verträgen« zum Durchbruch verhalf1, und ebenso galt ihnen Windscheids »allgemeine[r] Satz«, »daß jeder Vertragschließende einstehen muß für die nachteiligen Folgen des durch seine Erklärung in dem Gegner erregten Vertrauens auf den Erwerb eines Forderungsrechts aus dem Vertrag, insofern dieser Erwerb durch einen Grund ausgeschlossen wird, welchen der Gegner nicht kennt und nicht zu kennen verpflichtet ist«2. Inwieweit sich dieser Satz, der die von Jhering 3 selbst vorhergesehene Ablösung seiner Idee der Verschuldenshaftung durch eine »objektivere« Formulierung auf den Begriff brachte, in den kodifizierten oder richterrechtlich geprägten Regeln der heutigen deutschen lex lata wiederfindet, soll in diesem Kapitel überprüft werden. Anders als bei Jhering und Windscheid ist diese Fragestellung allerdings vor dem Hintergrund der in dieser Arbeit zur Diskussion gestellten, übergeordneten These zu sehen, daß die Pflicht zum Ersatz des negativen Interesses durchgängig als Sanktion für privatrechtliche Selbstbindungstatbestände in Betracht kommt: Im vorigen Kapitel wurde aufgezeigt, daß sie bei wirksamen rechtsgeschäftlichen Bindungen eine nach Wahl des Gläubigers anwendbare Alternative zur Haftung auf das positive Interesse darstellt. In diesem Kapitel geht es um den Nachweis, daß sie bei unwirksamen rechtsgeschäftlichen Bindungen, soweit nur ein dem Schuldner zurechenbarer Erklärungstatbestand vorliegt, auf dessen Wirksamkeit der Gläubiger vertraute und auch vertrauen durfte, als Residualsanktion zur Anwendung kommt – sie ist, um den hier zu belegenden Gedanken etwas eingängiger auszudrücken, die Restwirkung des obligatorischen Rechtsgeschäfts, wenn das Zivilrecht den Schutz des positiven Interesses durch die Anordnung der Unwirksamkeit ausschließt4. 1

Jher.Jb. 4 (1861), 1; dazu oben, § 3 I 1. Windscheid/Kipp, Pandektenrecht II, § 307 Anm. 5 (S. 250). Näher dazu oben, § 3 I 2 a bb. 3 Jhering, in: Vermischte Schriften, S. 155, 197 Fn. 73. Das wörtliche Zitat fi ndet sich in § 3 I 2 a aa. 4 Damit wird begriffl ich an Rabel, ZSR 27 (1908), 291, 325 = Gesammelte Aufsätze, S. 147, 175, und Hans Stoll, in: FS v. Caemmerer, S. 435, 440, angeknüpft. 2

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§ 12 Der Schutz des negativen Interesses bei unwirksamen Rechtsgeschäften

Mit diesem Erkenntnisinteresse wird – nach einem durch rechtsvergleichende und -historische Hinweise angereicherten Rückblick auf die im ersten Teil der Arbeit entwickelten rechtspolitischen Wertungen, die diese Überlegung tragen (unter I.) – Jherings systematische Aufbereitung des Materials in loser Anknüpfung wiederaufgenommen: Nach den Gründen, aus denen die Rechtsordnung die Gewährung eines Erfüllungsanspruchs versagt, sei unterschieden zwischen der Unwirksamkeit wegen Mängeln des rechtsgeschäftlichen Akts (dazu II.) 5, wegen fehlender rechtlicher Anerkennung des Rechtsgeschäftsinhalts (dazu III.) 6 und wegen der Schutzbedürftigkeit des Rechtsgeschäftssubjekts (dazu IV.) 7.

I. Grundlagen 1. Das rechtspolitische Anliegen: Beseitigung des Erfüllungsanreizes bei gleichzeitiger Steuerung der Versprechensabgabe Jherings eigentliches Verdienst war, so lautet ein wesentliches Ergebnis unseres theoriegeschichtlichen Rückblicks8 , weniger die »Entdeckung« einer durch die Figur der c.i.c. zu schließenden Haftungslücke als die Durchbrechung der nur zwischen dem Schutz des Erfüllungsinteresses und gänzlicher Schutzlosigkeit des Gläubigers unterscheidenden, herkömmlichen Lehre von der vertraglichen Haftung. Dieser Unterscheidung fügte Jhering die Haftung auf das negative Interesse für die »pathologischen« Fälle vertraglicher Bindung hinzu. Warum aber sollte es überhaupt sinnvoll sein, eine abgeschwächte Form der Verantwortlichkeit für das gegebene Wort, mag man sie nun als rechtsgeschäftlich oder gesetzlich qualifizieren, in das Zivilrecht einzuführen? Die rechtsökonomischen Überlegungen im ersten Teil dieser Untersuchung haben zwei Antworten auf diese Frage ergeben: Zum einen drohte die Pflicht zum Ersatz des positiven Interesses, wenn man sie an die Nichterfüllung jedes Versprechens knüpfen wollte, die Abgabe sozial nützlicher Versprechen außerhalb von Austauschbeziehungen zwischen Versprechendem und Versprechensempfänger zu unterdrücken, weil dem Versprechenden hier die Möglichkeit verbaut ist, sich die Kosten der Übernahme des Haftungsrisikos durch das vom Empfänger zu zahlende Entgelt ausgleichen zu lassen9. Hier bleibt die Haftung auf das negative Interesse als Instrument zur Steuerung der Versprechensabgabe grundsätzlich

5 Dies entspricht Jherings Fallgruppe der »Unzuverlässigkeit des contractlichen Willens«; dazu Jher.Jb. 4 (1861), 1, 71 ff. 6 Dies entspricht Jherings Fallgruppe der »Unfähigkeit des Objects«; dazu Jher.Jb. 4 (1861), 1, 63 ff. 7 Dies entspricht Jherings Fallgruppe der »Unfähigkeit des Subjects«; dazu Jher.Jb. 4 (1861), 1, 57 ff. 8 Siehe oben, § 3 I 1 a. 9 Siehe oben, § 6 III 2 a.

I. Grundlagen

435

sinnvoll. Zum anderen kann es unangebracht sein, den Versprechenden durch eine auf den Schutz des positiven Interesses gerichtete Sanktion zu Erfüllungsanstrengungen anzuhalten10. Das gilt namentlich dann, wenn aufgrund der Erfüllung Dritte oder die Allgemeinheit zu Schaden kommen oder wenn Informationsdefizite, Zwangslagen oder kognitive Mängel einer oder beider Parteien dazu geführt haben, daß eine Kooperation vereinbart wurde, deren Durchführung sich als in Wahrheit nicht nutzensteigernd erweist. Auch hier bietet sich die Haftung auf das negative Interesse an: Jemanden zur Abgabe nur solcher Versprechen zu veranlassen, die dem Versprechensempfänger korrekte Informationen über die avisierte Leistung liefern, ist und bleibt prinzipiell auch dann angezeigt, wenn es untunlich erscheint, ihm in jedem Fall einen Anreiz zur Einhaltung abgegebener Versprechens zu geben. Im Rahmen dieses Kapitels der Untersuchung ist allein die zweite Antwort von Belang: Nur insoweit hat das deutsche Recht das Anliegen, die Abgabe bestimmter Versprechen (und die sonstige Produktion normativer Erwartungen) haftungsrechtlich zu steuern, ohne auf deren Erfüllung hinzuwirken, mit der hier interessierenden Figur des unwirksamen Rechtsgeschäfts umgesetzt, einer Figur, die das (beim Vertrag in einen Konsens eingebettete) Leistungsversprechen des Schuldners zwar um die Erfüllungspflicht verkürzt, aber es doch bei der Einordnung als Rechtsgeschäft beläßt, das als solches Rechtsfolgen zeitigen kann. Was die in der ersten Antwort angesprochenen Aspekte betrifft, so bedient sich unser Privatrecht anderer, außerrechtsgeschäftlicher Mittel, um dem Bedürfnis nach einer abgestuften Verantwortlichkeit für Selbstbindungstatbestände gerecht zu werden. Hierauf wird bei der Darstellung der Dritthaftung zurückzukommen sein11. Die rechtspolitische Grundaussage, daß sich bei Fehlsteuerungen der Parteien und bei nachteiligen externen Effekten der Erfüllung ihrer Leistungsversprechen eine mildere Haftung empfehlen kann, läßt sich allerdings nicht unmittelbar in konkrete Ratschläge für die Gestaltung des positiven Rechts überführen: Das Problem, ob und in welchen Fällen beispielsweise ein Irrtum einer Partei Anlaß dazu geben sollte, von ihrer vollen, auf Erfüllung oder den Ersatz des Erfüllungsinteresses gerichteten rechtsgeschäftlichen Verpflichtung abzusehen, ist damit ebensowenig gelöst wie etwa die Frage, welche Erwägungen der »public policy« der rechtlichen Anerkennung eines Vertrags widerstreiten, ohne zugleich den Schutz des Vertrauensinteresses auszuschließen. Dementsprechend erlauben es die rechtspolitischen Erkenntnisse des ersten Teils der Untersuchung auch nicht zu sagen, wie groß der Anwendungsbereich ist, den das Zivilrecht der Pflicht zum Ersatz des negativen Interesses als Residuum rechtsgeschäftlicher Haftung einräumen sollte.

10 11

Siehe oben, § 6 III 2 b. Siehe unten, § 13 IV.

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§ 12 Der Schutz des negativen Interesses bei unwirksamen Rechtsgeschäften

2. Die rechtssystematische Umsetzung im Vergleich Der nachfolgende vergleichende Überblick illustriert anhand des BGB in seiner ursprünglichen Fassung, des Common Law und der internationalen Einheitsvertragsrechte die Bandbreite möglicher Lösungen des soeben skizzierten Regelungsproblems, um zu verdeutlichen, daß das in den Abschnitten II.–IV. zu analysierende geltende deutsche Recht stets vor dem Hintergrund gesehen werden muß, daß die Grenze, die es zwischen wirksamen und unwirksamen obligatorischen Rechtsgeschäften und damit zwischen »positivem« und (allenfalls) »negativem« Schutz des Vertrauens auf die Wirksamkeit der Bindung zieht, nicht a priori vorgegeben ist – die systematische Rekonstruktion des Schutzes des negativen Interesses bei unwirksamen rechtsgeschäftlichen Bindungen steht daher immer auf dem schwankenden Grund zeitlich und räumlich gebundener Wertungen über die Anerkennung und Durchsetzung privatautonomer Regelungen, deren sachliche Rechtfertigung zu hinterfragen den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde. Sie ist außerdem, wie sich in der Auseinandersetzung mit der Entstehung des BGB zeigen wird, auf das Fundament einer gesetzlichen Regelung angewiesen, in der eine rechtspolitische Fehlentscheidung des Gesetzgebers bis heute fortwirkt. a) Das BGB in seiner ursprünglichen Fassung Die Schuldrechtsreform hat mit den §§ 307 und 309 BGB a. F. zwei Zeugnisse der Haftung auf das negative Interesse beseitigt, die noch den ursprünglichen Gedanken Jherings erkennen ließen: § 307 I BGB a. F. verpflichtete bei Abschluß eines Vertrags, der auf eine unmögliche Leistung gerichtet und daher nach § 306 BGB a. F. nichtig war, diejenige Partei, welche die Unmöglichkeit kannte oder kennen mußte, zum Ersatz des von der anderen Partei erlittenen Vertrauensschadens in den Grenzen des Erfüllungsinteresses, es sei denn, die andere Partei kannte die Unmöglichkeit oder mußte sie kennen. § 309 BGB a. F. erklärte diese Vorschrift bei Gesetzesverstößen für entsprechend anwendbar. Ob sich diese Vorschriften mit den §§ 122, 179 II BGB zu einer geschlossenen Konzeption der Haftung auf das negative Interesse bei unwirksamen Rechtsgeschäften zusammenfügten, hat die Verfasser der Schuldrechtsnovelle nicht beschäftigt. Dies rechtfertigt den Blick zurück auf die ursprüngliche Gestalt des BGB: Ist durch die Schuldrechtsreform möglicherweise ein »roter Faden« verloren gegangen, der, gesponnen von der gemeinrechtlichen Wissenschaft, das BGB durchzog, als es 1900 in Kraft trat? Wie bereits angedeutet wurde12 , bestätigt sich diese Befürchtung nicht: Die Verfasser des BGB kodifizierten keine gemeinrechtliche Lehre in Reinform, sondern trafen pragmatische, fallweise Entscheidungen über den Einsatz der von Jhering postulierten Haftung als Instrument des Vertrauensschutzes (dazu aa), die sich systematisch nicht auf einen gemeinsamen Nenner bringen lassen, weil sie vor der

12

Siehe oben, § 3 2 a bb.

I. Grundlagen

437

konsequenten Umsetzung der damals am weitesten fortgeschrittenen Konzeption zurückschreckten (dazu bb). aa) Der Anwendungsbereich der Haftung auf das negative Interesse In den Vorschriften des BGB erhielt der Schutz des negativen Interesses bei unwirksamen Rechtsgeschäften einen Anwendungsbereich, der den gemeinrechtlichen Positionen seiner Befürworter, insbesondere Jherings und Windscheids, keineswegs ganz entsprach: Jhering zählte zu den Konstellationen der Haftung »bei nichtigen oder nicht zur Perfection gelangten Verträgen« außer den Irrtumsfällen und der anfänglichen objektiven Unmöglichkeit etwa auch Fälle anfänglichen Unvermögens13, bei denen nach dem späteren BGB-Schuldrecht eine auf das Erfüllungsinteresse gerichtete Garantiehaftung galt14, außerdem den Widerruf eines Angebots15, den § 145 BGB grundsätzlich ausschloß, den Tod des Offerenten vor der Annahme16 , auf den der Gesetzgeber in § 153 BGB mit der Anordnung der Fortgeltung des Angebots reagierte, und den Widerruf einer Auslobung17, bei dem § 658 I 1 BGB nunmehr für einen Schutz des Erfüllungsinteresses sorgt, wenn die Handlung, für die eine Belohnung ausgesetzt wurde, bereits vorgenommen wurde. Nicht aufgegriffen hat der Gesetzgeber auch Jherings Ansicht, der Schutz des gutgläubigen Vertragspartners vor der »Unfähigkeit des Subjects«, mit dem er kontrahiert hat, sei durch die c.i.c. zu bewerkstelligen18 – der gute Glaube an die Geschäftsfähigkeit wird im Rahmen des Sachrechts überhaupt nicht und im Rahmen des Kollisionsrechts (Art. 12 EGBGB) bei Vertragsschlüssen zwischen Personen, die sich in demselben Staat befinden, dadurch geschützt, daß sich die nach den Vorschriften dieses Staats geschäftsfähige Person auf ihre aus einem anderen Sachrecht abgeleitete Geschäftsunfähigkeit nicht berufen kann19. Windscheid verfocht, was das gemeine Recht betraf, ebenfalls die später nicht Gesetz gewordene Meinung, dem Angebotsadressaten sei, wenn der Offerent vor der Annahme gestorben sei 20 oder sein Angebot widerrufen habe21, mit der Haftung auf das negative Interesse zu helfen; dasselbe hielt er im Fall des Rücktritts von der Auslobung für angebracht 22. Umgekehrt hielt er den Vertreter ohne Ver13 Vgl. den in Jher.Jb. 4 (1861), 1, 68, dargestellten Fall des auf einer Auktion angebotenen, antiquarischen Werks, das ohne Wissen des Verkäufers bereits von seinen Leuten verkauft worden war. 14 Dazu zuletzt umfassend U. Huber, Leistungsstörungen Bd. 1, §§ 22 f. (S. 523 ff.). 15 Vgl. Jher.Jb. 4 (1861), 1, 86 ff. 16 Vgl. Jher.Jb. 4 (1861), 1, 91 ff. 17 Vgl. Jher.Jb. 4 (1861), 1, 93 ff. 18 Vgl. Jher.Jb. 4 (1861), 1, 57 ff. 19 Das war schon zu Jherings Zeit nach § 35 Einl.ALR nicht anders; dazu schon oben, § 3 I 1 a, sowie Schanze, Ius Commune VII (1978), 326, 341 f. mit Fn. 67. 20 Vgl. Pandektenrecht II, § 307 Anm. 10 (S. 255). 21 Vgl. Pandektenrecht II, § 307 Anm. 5 (S. 250). 22 Vgl. Pandektenrecht II, § 308 Anm. 7 (S. 260).

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tretungsmacht aufgrund stillschweigender Garantieübernahme für verpflichtet, dem Gegner das Erfüllungsinteresse zu ersetzen, ohne davon – wie § 179 II BGB – bei Unkenntnis des Mangels eine Ausnahme zugunsten des Vertrauensinteresses zu machen 23. Beiden Protagonisten der Lehre von der Haftung auf das negative Interesse war indes durchaus klar, daß ihre – zumindest dem Anspruch nach – auf das Fundament der römischen Quellen gegründeten Standpunkte nicht notwendig in die zu schaffende Kodifikation eingehen sollten, ja daß dies womöglich nicht einmal erstrebenswert war: Jhering etwa erkannte, wie bereits erwähnt wurde24, mit Blick auf die Vorarbeiten zum ADHGB an, daß eine Beschränkung der Widerruflichkeit des Angebots gegenüber der c.i.c. »von dem legislativ-politischen [Standpunkt] aus für den kaufmännischen Verkehr entschieden den Vorzug« verdiene25. Auch Windscheid verschloß sich nicht der Möglichkeit, bestimmte Fragen aus dem Bereich der Haftung auf das negative Interesse im Rahmen der Gesetzgebung anders zu beantworten, als er es im gemeinen Recht für geboten hielt. Dies belegen Anträge aus seiner Mitwirkung in der ersten Kommission, die deutlich von den Positionen seines »Pandektenrechts« abwichen: So beteiligte er sich an der Diskussion über die Regelung des Angebots mit Anträgen, denen die – von ihm für das gemeine Recht abgelehnte – Prämisse der Bindung an das Angebot zugrunde lag26 . Und was die Haftung bei anfänglicher objektiver Unmöglichkeit betraf, war er es, der im Streit um den Haftungsmaßstab27, der bei der Haftung für Irrtümer in der ersten Kommission bereits zugunsten der (einfachen) Fahrlässigkeit entschieden worden war28 , den in § 345 E I angenommenen Vorschlag machte, den Schuldner der unmöglichen Leistung für die fahrlässige Unkenntnis der Unmöglichkeit einstehen zu lassen 29, und damit seine im Lehrbuch vorgetragene Idee ei23

Vgl. Pandektenrecht I, § 74 Anm. 7a, 8 (S. 369 f.). Siehe oben, § 3 I 1 a. 25 Jher.Jb. 4 (1861), 1, 87. 26 Vgl. Jakobs/Schubert, Beratung, §§ 1–240 Teil 2, S. 788, 789. – Näher zu den historischen Vorbildern der Bindung an das Angebot Henrich, in: Rechtsgeschichte und Privatrechtsdogmatik, S. 207, 208 ff. 27 Einen Überblick über den Meinungsstand zu Beginn der Arbeiten am BGB gibt Gebhard in der Begründung zum Zweiten Titel seines Vorentwurfs zum Allgemeinen Teil, S. 108 ff. = Schubert, Vorlagen, AT Teil 2, S. 128 ff., ebenso v. Kübel in der Begründung seines Vorentwurfs zum Obligationenrecht (Abschn. I Tit. 2 I 1 b), S. 9 ff. = Schubert, Vorlagen, Schuldverhältnisse Teil 1, S. 239 ff. – Die Vorentwürfe divergierten in der Frage des Haftungsmaßstabs: Für die Irrtumsfälle sah Gebhard in § 100 des Vorentwurfs zum Allgemeinen Teil (= Schubert, Vorlagen, AT Teil 1, S. 18) eine verschuldensunabhängige Haftung auf das negative Interesse vor, während v. Kübel in § 3 des auf den Gegenstand der Verträge bezogenen Teilentwurfs zum Obligationenrecht (= Schubert, Vorlagen, Schuldverhältnisse Teil 1, S. 229) die Haftung bei anfänglicher Unmöglichkeit von grober Fahrlässigkeit abhängig machen wollte. 28 Diese Entscheidung fiel in der Sitzung vom 28. 11. 1881; vgl. Jakobs/Schubert, Beratung, §§ 1–240 Teil 1, S. 596. 29 Vgl. Jakobs/Schubert, Beratung, §§ 241–432, S. 373: Windscheid beantragte in der Sitzung vom 24. 3. 1882, das Wort »grober« vor »Fahrlässigkeit« in § 3 des von v. Kübel vorgelegten Teilentwurfs zum Obligationenrecht zu streichen. 24

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ner verschuldensunabhängigen Haftung zugunsten einer Kompromißlösung hintanstellte. Man hat die in das BGB aufgenommene Regelung über den »negativen« Vertrauensschutz bei unwirksamen Rechtsgeschäften daher nicht als Festschreibung eines von der Pandektenwissenschaft gesicherten Erkenntnisstands, sondern als Versuch anzusehen, ungeklärte Differenzen über Anwendungsbereich und Voraussetzungen einer vergleichsweise jungen Doktrin zu überbrücken. bb) Die Voraussetzungen der Haftung auf das negative Interesse In einem Punkt ist den Verfassern des BGB der Kompromiß zwischen den widerstreitenden Meinungen der damaligen Zivilrechtswissenschaft allerdings nicht recht gelungen: Der von Windscheid in der ersten Kommission mitinitiierte Kompromiß über die Einführung einer Fahrlässigkeitshaftung wurde in der zweiten Kommission dahingehend abgeändert, daß der Schutz des Vertrauensinteresses für die Fälle des Irrtums und des Scherzes in § 97 E II verschuldensunabhängig ausgestaltet und im übrigen bei der Vertretung ohne Vertretungsmacht in § 146 II E II neu eingeführt wurde, während er in den Fällen der anfänglichen Unmöglichkeit und der Verbotswidrigkeit gemäß §§ 259, 261 E II nach wie vor nur gewährt wurde, wenn dem Schuldner mindestens fahrlässige Unkenntnis des Unwirksamkeitsgrundes vorzuwerfen war. In Anbetracht der divergierenden Meinungen über den Haftungsmaßstab mag dieses Ergebnis für die Anhänger Windscheids als weitere Annäherung an die in seinem Lehrbuch vertretene, zu dem damaligen Zeitpunkt avantgardistische Position willkommen gewesen sein. Ob es aber auch inhaltlich gerechtfertigt war, die Haftung mal als Culpa-Haftung und mal als Garantiehaftung zu konstruieren, unterlag erheblichen Zweifeln, wie sich im Blick auf die Entstehungsgeschichte des zweiten Entwurfs zeigt. In der zweiten Kommission bestand nämlich keineswegs Einigkeit über die Beibehaltung der von der ersten Kommission vorgeschlagenen Regelung der Haftung bei anfänglicher Unmöglichkeit. Anträge der Mitglieder Jacubezky und Dittmar zielten vielmehr darauf, denjenigen, der die unmögliche Leistung versprochen hat, auch dann zum Ersatz des Vertrauensschadens zu verpflichten, wenn ihn keine Fahrlässigkeit traf30 , und somit für das Verschuldenserfordernis nur die in § 345 E I (wie auch später in § 307 BGB a. F.) mitgeregelte Haftung des Versprechensempfängers übrig zu lassen 31. Dies hätte schließlich doch noch den vollen Erfolg der Lehre Windscheids bedeutet. Die Protokolle halten die wesentlichen Gründe dieses Begehrens fest: 30 Die Anträge sind abgedruckt bei Jakobs/Schubert, Beratung, §§ 241–432, S. 379. Bei Jacubezkys Antrag 2 a, den er in ähnlicher Form bereits in der Vorkommission des Reichsjustizamtes gestellt hatte (a.a.O., S. 377) und dann zugunsten von Dittmars Antrag 3 zurückzog, ergibt sich der Garantiecharakter der Haftung daraus, daß der Versprechende auch dann haften sollte, wenn die Unmöglichkeit »nach dem Inhalt seiner Vertragserklärung als ausgeschlossen gelten mußte«. 31 Dies bringt der zweite Absatz von Dittmars Antrag 3 (wie vorige Fn.) klar zum Ausdruck.

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»Wie in den Fällen des Scherzes und des Irrthumes müsse auch hier mit Rücksicht auf die Verkehrssicherheit dem Empfänger, welcher der Erklärung des Versprechenden vertraut habe, das negative Vertragsinteresse ersetzt werden, auch wenn der Promittent trotz größter Sorgfalt die Unmöglichkeit der Leistung nicht habe ermitteln können. Es handle sich dabei hauptsächlich um einen Irrthum über thatsächliche Verhältnisse, denen der Empfänger des Versprechens meist viel ferner stehe, als der Versprechende, um einen Irrthum über das Maß seines Könnens. Es entspreche der Billigkeit, den Versprechenden dafür verantwortlich zu machen; denn der Erklärungsempfänger, welcher weniger im Stande sei, die Lage zu übersehen, sei immerhin noch unschuldiger wie der Promittent. Der Gang der modernen Rechtsentwicklung weise darauf hin, von jedem Verschulden abzusehen.«32

Die Kommissionsmehrheit lehnte die Änderungsanträge indes ab: Was die Regelung des Scherzes und des Irrtums betreffe, hätten »Rücksichten auf die Verkehrssicherheit, sowie die Erwägung, daß der Empfänger der Willenserklärung, weil sich der Willensmangel im Innern des Erklärenden vollziehe, außer Stande sei, sich Kenntniß vom wirklichen Willen des Erklärenden zu verschaffen, [. . .] die Kom. dazu bestimmt, dem Urheber der Willenserklärung [. . .] eine derartige Ersatzpfl icht aufzubürden. Solche Rücksichten seien aber bei den auf eine unmögliche Leistung gerichteten Verträgen nicht geboten, und könne auch in dieser Richtung ein Verkehrsbedürfniß nicht anerkannt werden. Beide vertragschließenden Teile seien in der Lage, über die Existenz des Gegenstandes der Leistung Ermittelungen anzustellen. Täuschten sie sich Beide, so sei es unbillig, den Versprechenden für den unglücklichen Zufall der Unmöglichkeit der Leistung einstehen zu lassen.«33

Diese Begründung erscheint zunächst nicht unplausibel, und zwar gerade auch in ökonomischer Hinsicht: Der Schuldner soll nicht für die Aufklärung der Unmöglichkeit der Leistungserbringung verantwortlich sein, wenn der Gläubiger die Unmöglichkeit mit geringerem Aufwand erkennen kann 34. Diese Einsicht ist gewiß nicht zu bestreiten, rechtfertigt aber nicht den Unterschied zwischen § 122 BGB auf der einen und § 307 BGB a. F. auf der anderen Seite, was den Haftungsmaßstab betrifft 35 : Für die rechtspolitische Entscheidung zwischen einer Verschuldensund einer Garantiehaftung kommt es nicht darauf an, ob man nur dem Schuldner, nur dem Gläubiger oder aber beiden Seiten Sorgfaltsanstrengungen abverlangen will – die Kombination einer Garantiehaftung mit dem Haftungsausschluß bei Kenntnis oder Kennenmüssen (§ 122 II BGB) sorgt dafür, daß beide Seiten zu sorgfaltsgemäßen Ermittlungen über die Existenz des Leistungsgegenstands angehalten werden. Daß beide Seiten zu solchen Ermittlungen in der Lage sind, wie die Kommissionsmehrheit betonte, ist daher unerheblich für die Wahl des Haftungsmaßstabs, sondern heißt nur, daß es einer zusätzlichen rechtlichen Vorkehrung (nach dem Muster des § 122 II BGB) bedarf, um auch das Gläubigerverhalten zu steuern. 32 33 34 35

Prot. II, S. 910 f. = Mugdan II, S. 616. Prot. II, S. 912 = Mugdan II, S. 616 f. So Wagner, JZ 1998, 482, 484 f. Zu den rechtsökonomischen Grundlagen siehe oben, § 5 III 2 a bb.

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Die Antwort auf die Frage, wer für das Risiko eines trotz pflichtgemäßer Bemühungen von beiden Parteien nicht zu ermittelnden Hindernisses einzustehen hat, hängt vielmehr davon ab, wessen Aktivitätsniveau – die Abgabe von Versprechen oder die Vertrauensreaktion des Empfängers – durch die Schadenstragung beeinflußt werden soll. Sollte in Anbetracht einer nicht aufklärbaren Ungewißheit über die Existenz des Leistungsgegenstands also eher der (potentielle) Schuldner Zurückhaltung bei der Abgabe des Versprechens walten lassen und sein Versprechen mit einem entsprechenden Vorbehalt versehen oder womöglich ganz auf dessen Abgabe verzichten, oder sollte bei nicht zu beseitigenden Zweifeln über die Möglichkeit der Leistungserbringung eher der Gläubiger dem (ohne Vorbehalt) gegebenen Wort mißtrauen und geplante Vertrauensinvestitionen reduzieren oder sogar ganz davon absehen? Im Hinblick auf die grundsätzliche informationelle Überlegenheit des Versprechenden ist, so das Ergebnis der im ersten Teil durchgeführten rechtspolitischen Diskussion, ersteres anzunehmen und daher der Garantiehaftung der Vorzug zu geben. Die unterlegenen Mitglieder der zweiten Kommission trafen daher genau den richtigen Gesichtspunkt, als sie auf das Informationsungleichgewicht zwischen dem Versprechendem und dem Erklärungsempfänger verwiesen, »welcher weniger im Stande sei, die Lage zu übersehen«. Bei der Schaffung der §§ 307, 309 BGB a. F. hätte die Väter des BGB also nicht der Mut verlassen dürfen, den sie bei der Einführung von § 122 BGB bewiesen haben. Dies alles wäre nach der Abschaffung der §§ 307, 309 BGB a. F. nur noch als historische Anekdote berichtenswert, wenn nicht der Gesetzgeber der Schuldrechtsreform bei der Neugestaltung der Haftung für die anfängliche objektive Unmöglichkeit am Verschuldensprinzip festgehalten und dieses darüber hinaus auch noch auf das anfängliche Unvermögen ausgedehnt hätte: Die Culpa-Haftung auf das negative Interesse nach § 307 BGB a. F. lebt, neben dem ebenfalls verschuldensabhängigen Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung, in dem Anspruch aus § 311a II i. V. m. § 284 BGB fort. Diese Entscheidung wird in der Regierungsbegründung mit der pauschalen Begründung verteidigt, daß sich das Verschuldensprinzip gegenüber dem Garantieprinzip »sowohl durch höhere rechtsethische Überzeugungskraft als auch durch größere Flexibilität« auszeichne36 . Wäre der 36 BT-Drucks. 14/6040, S. 165. – Darüber hinaus versuchen die Verfasser der Regierungsbegründung a.a.O., ihren Appell an das Gerechtigkeitsempfi nden mit zwei – nur auf den Ersatz des positiven Interesses bezogenen – Beispielen zu untermauern, die jedoch beide ihre Wirkung verfehlen: Zum einen sei es »nicht einzusehen, warum der Verkäufer eines abhanden gekommenen Kunstwerks dem Käufer auch dann auf das positive Interesse haften soll, wenn das Abhandenkommen für ihn schlechterdings unerkennbar war«. Darauf kann man nur entgegnen: Warum nicht, wenn das Abhandenkommen für den Käufer ebenfalls schlechterdings unerkennbar war? – Zum anderen leuchte es nicht ein, daß »der Verpächter eines Grundstücks, der als solcher [sic] im Grundbuch eingetragen ist, dem Pächter vielleicht für Jahrzehnte Schadensersatz statt der Leistung zu zahlen hat, wenn sich herausstellt, dass auf Grund eines jüngeren Testaments in Wahrheit nicht er, sondern ein anderer der Erbe und damit Eigentümer des Grundstücks ist«. Dieses Ergebnis aus gesetzgeberischer Sicht anzuprangern, ist kurios, weil es nicht nur, wie die Gesetzesverfasser sehen, der Rechtslage nach den §§ 538, 541 BGB a. F., sondern auch dem neuen

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Gesetzgeber davon überzeugt, hätte er freilich die vertragliche Garantiehaftung insgesamt eliminieren müssen, was bekanntlich nicht geschehen ist. Daß im übrigen auch Inhaber eines feinfühligen rechtsethischen Sensoriums eine komplexe rechtstechnische Frage wie die Festlegung des vertraglichen Haftungsmaßstabs nicht unter unmittelbarem Zugriff auf »Gerechtigkeitsgesichtspunkte«37 beantworten können, wurde bereits an anderer Stelle dargelegt 38. Mithin bleibt es, was den sachlichen Stand der Diskussion betrifft, bei dem, was in der zweiten Kommission zu der Abwägung zwischen Verschuldens- und Garantiehaftung gesagt und – aus der hiesigen Sicht – rechtspolitisch angreifbar entschieden wurde. Die Konsequenzen dieser de lege lata zu akzeptierenden gesetzgeberischen Wahl betreffen nicht nur den unmittelbar in § 311a II BGB geregelten Fall der vertraglichen Haftung beim Ausschluß der Leistungspfl icht wegen anfänglicher Hindernisse39, sondern auch die systematisch gleichgelagerten Konstellationen, in denen das BGB einer rechtsgeschäftlichen Leistungspfl icht wegen ihres Inhalts die Anerkennung verweigert40. b) Common Law aa) Zur Behandlung der im Vorfeld des BGB diskutierten Fälle In den Jurisdiktionen des Common Law haben die in Deutschland im Anschluß an Jhering diskutierten Anwendungsfälle der Pflicht zum Ersatz des negativen Interesses kaum eine Rolle gespielt. Das gilt zunächst für die Irrtumsfälle: Die Willenstheorie, die überhaupt erst die von Jhering mit der c.i.c. geschlossene »empfindliche Lücke«41 im Haftungsrecht geöffnet hat, konnte sich im Common Law bekanntlich nie durchsetzen. Für das amerikanische Recht sei in diesem Zusammenhang an Holmes’ Erklärung der »objective will theory« erinnert: »The law has nothing to do with the actual state of the parties’ minds. In contract, as elsewhere, it must go by externals, and judge parties by their conduct.«42. Nicht anders wird die Sicht des englischen Rechts in einem führenden Lehrbuch zusammengefaßt: »Agreement, however, is not a mental state but an act and, as an act, is a matter of inference from conduct. The parties are to be judged, not by what is in their minds, but by what they have said or writMietrecht (§§ 536, 536a BGB) entspricht, das die Garantiehaftung des Vermieters bzw. Verpächters unberührt läßt. Wenn der Gesetzgeber der Schuldrechtsreform also davon absah, den Fall trotz angeblichen »Korrekturbedarf[s]« anders zu regeln, können die Bedenken gegen die Richtigkeit der Lösung nicht überwältigend groß gewesen sein. 37 BT-Drucks. 14/6040, S. 165. 38 Siehe oben, § 4 II 2 e. 39 Dazu oben, § 11 III 1 c bb. 40 Siehe unten, Abschnitt III. 41 Jher.Jb. 4 (1861), 1, 3. 42 Holmes, Common Law, S. 242. – Dazu, daß die »objective will theory« des klassischen amerikanischen Vertragsrechts nicht mit der gemeinrechtlichen Willenstheorie verwechselt werden darf, siehe oben, § 3 II 1 a aa.

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ten or done.«43 Die Möglichkeiten einer Partei, sich wegen eines Irrtums einer vertraglichen Bindung zu entziehen, sind so begrenzt, daß der andere Teil eines Schutzes, wie ihn § 122 BGB gewährt, nicht bedarf: Die Regeln über »mistake« beziehen sich grundsätzlich auf einen beiderseitigen Irrtum der Parteien44. Ein einseitiger Irrtum kann nur dann zur Vertragsnichtigkeit führen, wenn er der anderen Seite bekannt ist45. Darüber hinaus kommt in Irrtumsfällen eine Vertragsaufhebung nur in Betracht, wenn die Fehlvorstellung des Erklärenden durch eine falsche Behauptung der anderen Partei (»misrepresentation«) veranlaßt wurde 46 . Daß ein Gläubiger aufgrund eines Irrtums des Schuldners, dessen Entstehung er nicht zu verantworten hat und dessen Existenz er nicht erkennen konnte, seiner vertraglichen Rechtsposition beraubt wird, ist daher praktisch ausgeschlossen. Man sieht: Eine Rechtsordnung, die gegenüber den am rechtsgeschäftlichen Verkehr teilnehmenden Personen eine Strenge walten läßt, wie sie vor Inkrafttreten des BGB die Vertreter der Erklärungstheorie für das deutsche Recht anstrebten, nimmt dem Problem, das Jhering zu lösen beabsichtigte, viel von seiner Dringlichkeit – allerdings um den Preis der Durchsetzung auch solcher Transaktionen, die sich infolge der Fehlvorstellung zumindest einer Partei als nicht nutzensteigernd erweisen. Ähnlich verhält es sich bei anderen Konstellationen, die der deutschen Diskussion um die Haftung bei nichtigen oder nicht zustande gekommenen Verträgen Nahrung gaben: Die Haftung des Vertreters ohne Vertretungsmacht, die § 179 BGB je nach Kenntnis des Vertreters auf das positive oder auf das negative Interesse richtet, ist im Common Law auf die Annahme einer impliziten Zusicherung der Vertretungsmacht gegründet, die der Vertreter durch sein Handeln dem Geschäftspartner gegenüber zum Ausdruck bringe, und führt daher im Ergebnis zu einer auf das positive Interesse gerichteten Ersatzpflicht, ohne daß nach dem Wissensstand des Vertreters differenziert wird47. Die Widerruflichkeit des Angebots, die im gemeinen Recht Anlaß dazu gab, dem Adressaten, der von einem Widerruf nichts wußte, einen Anspruch auf Ersatz des Vertrauensschadens zu gewähren, entspricht zwar auch den traditionellen Grundsätzen des Common Law. Der gutgläubiger Empfänger wird aber dadurch geschützt, daß der Vertrag schon dann als durch seine Annahme zustande gekommen gilt, wenn er beginnt, irgendwelche 43

Furmston, in: Cheshire/Fifoot/Furmston, Contract, S. 28. Vgl. zum englischen Recht die Leitentscheidung Bell v. Lever Brothers, [1932] A. C. 161; dazu Beale, in: Chitty, Rz. 5–026 ff.; zum amerikanischen Recht Calamari/Perillo, Contracts, § 9.26 (S. 348). Vgl. aus der deutschen Lit. etwa Rothoeft, Irrtumslehre, S. 150 ff. 45 Vgl. zum englischen Recht Beale, in: Chitty, Rz. 5–063; zum amerikanischen Recht Calamari/Perillo, Contracts, § 9.27 (S. 354). 46 Vgl. zum englischen Recht Beale, in: Chitty, Rz. 6–001 ff.; zum amerikanischen Recht Calamari/Perillo, Contracts, § 9.13 ff. (S. 325 ff.); außerdem etwa Rothoeft, Irrtumslehre, S. 168 ff. 47 Vgl. zur »implied warranty of authority« für das englische Recht McGregor, Damages, Rz. 31–001 ff.; für das amerikanische Recht Fuller/Perdue, 46 Yale L. J. 373, 407 f. (1936), die allerdings mit Blick auf eine vereinzelte Entscheidung (Tedder v. Higgin, 61 So. 244 (1913)) für die Anwendung des »reliance interest« plädieren. 44

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Handlungen in Erfüllung des Vertrags vorzunehmen48 – dies entspricht in etwa dem Mechanismus, den der deutsche Gesetzgeber in § 658 I 1 BGB gefunden hat, um dem Vertrauen auf den Fortbestand einer Auslobung Rechnung zu tragen. Auch die von Jhering als Fallgruppe der c.i.c. ausgewiesene anfängliche Unmöglichkeit ist weder in der amerikanischen noch in der englischen Rechtsprechung in der Weise behandelt worden, daß der Gläubiger der unmöglichen Leistung auf den Ersatz des »reliance interest« beschränkt wurde49. Schließlich ist diese Sanktion im Common Law soweit ersichtlich auch nicht – wie es Jhering für das gemeine Recht postuliert hatte – als Instrument zum Schutz des Vertrauens auf die Geschäftsfähigkeit eingesetzt worden50. bb) Der auf das negative Interesse reduzierte Schutz des Gläubigers Nach dem soeben Gesagten hat es den Anschein, als ob die Pfl icht zum Ersatz des negativen Interesses im Vertragsrecht des Common Law nur als – dem Gläubiger wahlweise eröffnete – Alternativsanktion zum Ersatz des positiven Interesses relevant wäre, wie sie im vorigen Kapitel erörtert wurde. Doch kennen das amerikanische und das englische Recht durchaus Konstellationen, in denen der Gläubiger rechtlich darauf beschränkt ist, das negative Interesse ersetzt zu verlangen. Diese Fälle zusammenzutragen, um die These vom Vorrang des »reliance interest« als vertragsrechtlich geschütztes Interesse zu belegen, war Anliegen des zweiten Teils der grundlegenden Studie Fullers und Perdues51 . Bei näherem Hinsehen erweist sich das von ihnen präsentierte Material jedoch aus zwei Gründen nur als teilweise verwertbar für die Beantwortung der hier interessierenden Frage, inwieweit das Common Law mit Rücksicht auf Fehlsteuerungen der Parteien oder aus Gründen der »public policy« Vertragsbrüche nur mit der Kompensation des Vertrauensinteresses sanktioniert. Zum einen gehören nicht in diesen Zusammenhang die mei-

48 Vgl. zur Annahme durch »part performance« im englischen Recht Treitel, Contract, S. 38 ff. Das amerikanische Recht nähert sich mittlerweile eine Bindung an das Angebot an; vgl. § 87 II des Restatement of Contracts (2d), wonach das Angebot bindend ist, »which the offeror should reasonably expect to induce action or forbearance of a substantial character on the part of the offeree before acceptance and which does induce such action or forbearance«. 49 Vgl. zu der Position des amerikanischen Rechts Calamari/Perillo, Contracts, § 13.11 (S. 515); zu der Position des englischen Rechts Treitel, Contract, S. 286 f., 295 ff., und die klassische Entscheidung Couturier v. Hastie, (1856) 5 H. L. C. 673. – In der vielbeachteten australischen Entscheidung McRae v. Commonwealth Disposals Commission, (1951) 84 C. L. R. 377, wurde dem Kläger, der von den Beklagten das angeblich an einer bestimmten Stelle gesunkene, aber in Wahrheit dort nicht befindliche Wrack eines Öltankers gekauft hatte, das Vertrauensinteresse in Gestalt seiner fehlgeschlagenen Aufwendungen zugesprochen. Dies ist jedoch nicht Ausdruck einer auf das negative Interesse beschränkten Haftung bei anfänglicher Unmöglichkeit, sondern der im Common Law üblichen Bemessung des vertraglichen Schadensersatzes nach dem »reliance interest«, wenn das »expectation interest« nicht dargetan werden kann. 50 Vgl. zum englischen Recht Treitel, Contract, S. 539 ff.; zum amerikanischen Recht Calamari/Perillo, Contracts, § 8 (S. 278 ff.). 51 46 Yale L. J. 373 ff. (1936). – Zum Anteil des Co-Autors Perdue an diesem Teil des Beitrags vgl. dessen eigene Darstellung in 100 Yale L. J. 1449, 1487 Fn. 118 (1991).

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sten Fälle des promissory estoppel (bis auf die sogleich anzusprechenden Konstellationen der Verstöße gegen das Statute of Frauds): Soweit das amerikanische Vertragsrecht mit diesem Institut die Restriktionen überwand, die ihm durch das eng interpretierte Erfordernis der consideration gezogen waren, und so dem regulären Vertrag eine weitere Form der Selbstbindung zur Seite stellte52 , handelt es sich um eine nicht verallgemeinerungsfähige Besonderheit dieser Rechtsordnung; soweit promissory estoppel darüber hinaus in den Bereich vor- und außervertraglicher Versprechen expandierte, geht es um Fragen, die uns erst bei der Behandlung der außervertraglichen Selbstbindung (in § 13) beschäftigen werden. – Zum anderen finden sich Fullers und Perdues rechtstatsächliche Nachweise über die faktische Anerkennung des »reliance interest« immer wieder mit Ausführungen über Fälle durchsetzt, in denen es ihrer Ansicht nach an die Stelle des »expectation interest« treten sollte, aber in der Praxis des Common Law nicht getreten ist. Immerhin bleibt auch nach Abzug dieser Bestandteile der für das »reliance interest« ins Feld geführten Kasuistik ein gewisser Anwendungsbereich für die Haftung auf das negative Interesse als vertragsrechtliche Residualsanktion, der hier anhand von zwei Fallgruppen demonstriert sei: Die erste Fallgruppe betrifft Grundstücksgeschäfte. Nach einer zunächst in Flureau v. Thornhill53 ausgesprochenen und später vom House of Lords in Bain v. Fothergill54 bestätigten Regel des englischen Common Law, die zwar 1989 in England vom Gesetzgeber beseitigt wurde55, aber in ungefähr der Hälfte der amerikanischen Bundesstaaten als »English rule« rezipiert worden ist 56 , kann der Käufer eines Grundstücks von dem Verkäufer, der mangels Berechtigung außerstande ist, ihm das Eigentum zu übertragen, nicht den Ersatz des Erfüllungsinteresses verlangen, es sei denn, der Verkäufer handelte arglistig57. Mit dieser Ausnahme von der allgemeinen Regel für die Sanktionierung von Vertragsbrüchen trägt die Rechtsprechung der (jedenfalls zur Entstehungszeit der Regel gegebenen) Schwierigkeit des Verkäufers Rechnung, sich in Anbetracht der Komplexität des Immobiliarsachenrechts und der unzuverlässigen Dokumentation der Eigentumsverhältnisse Gewißheit über seine Berechtigung an dem verkauften Grundstück zu verschaffen58. Dem Käufer, dem die Liquidation des Grundstückswertes oder eines entgangenen Weiterveräußerungsgewinns verweigert wird, steht indes seit 52

Siehe oben, § 3 II 1 bb. (1776) 2 Wm.Bl. 1078, 96 Eng.Rep. 635. 54 (1874) L. R. 7 H. L. 158. 55 Durch den Law of Property (Miscellaneous Provisions) Act 1989. 56 Vgl. Calamari/Perillo, Contracts, § 14. 30 (S. 587). – In den anderen amerikanischen Bundesstaaten gilt die »American rule«, derzufolge der nichtberechtigte Verkäufer den vollen Ersatz des positiven Interesses zu leisten hat; vgl. Calamari/Perillo, a.a.O. (S. 588 f.). 57 Die Regel fand in England ebenfalls Anwendung auf den »lease of land«; dazu McGregor, Damages, Rz. 23–001. 58 Vgl. Bain v. Fothergill, (1874) L. R. 7 H. L. 158, 210 f. Zu weiteren, weniger bedeutenden Gründen für die in Bain v. Fothergill statuierte Regel vgl. McGregor, Damages, Rz. 22–005 Fn. 21. 53

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jeher der Ersatz der Vertragskosten zu59 ; darüber hinaus spricht viel dafür, daß auch weitere durch die Nichterfüllung nutzlos gewordene Aufwendungen des Käufers ersatzfähig sind, soweit sie für den Verkäufer im Zeitpunkt des Vertragsschlusses vorhersehbar waren60. Im Ergebnis führt die Anwendung der »English rule« also zu einer Verminderung der Haftung des Immobilienverkäufers auf das negative Interesse, soweit er wegen fehlender Berechtigung zur Eigentumsverschaffung außerstande ist. Die Rechtsfolge (nicht der Tatbestand) ist der durch die Schuldrechtsreform eliminierten Sachmängelhaftung des Stückverkäufers nach den §§ 459 ff. BGB a. F. nicht unähnlich. Rechtspolitisch mag diese besondere Rücksicht auf den Verkäufer bei Grundstücksgeschäften überholt sein; als Beispiel einer auf das negative Interesse beschnittenen vertraglichen Haftung bleibt sie jedoch rechtssystematisch instruktiv. Eine zweite Fallgruppe, in der es zumindest zu einer verdeckten und teilweise auch zu einer offenen Kompensation des Vertrauensinteresses durch US-amerikanische Gerichte kommt, hat sich bei der Behandlung von Verstößen gegen das Statute of Frauds ergeben. Mit diesem 1677 verabschiedeten Gesetz führte das englische Parlament für eine Reihe von Vertragstypen Schriftformerfordernisse ein 61, welche in England mittlerweile weitgehend abgeschafft worden sind62 , aber in den USA nach wie vor gelten, ja sogar durch spätere Gesetzgebung teilweise noch ausgedehnt worden sind63. Verträge, die gegen das Statute of Frauds verstoßen, sind nicht durchsetzbar64. Hat eine der Parteien bereits (Teil-)Leistungen an die andere Partei erbracht, kann sie, soweit der Formmangel nicht durch die (Teil-)Leistung geheilt worden ist65, deren bereicherungsrechtliche Rückgewähr verlangen 66 – in der Terminologie Fullers wird also das »restitution interest« geschützt. Doch hat es damit nicht sein Bewenden: Zum einen hat eine großzügige Auslegung dessen, 59 Vgl. dazu mit Nachw. für das englische Recht McGregor, Damages, Rz. 22–003; für das amerikanische Recht, soweit es der »English rule« folgt, Fuller/Perdue, 46 Yale L. J. 373, 377 f. 60 In England ist dem Käufer einer Geflügelfarm in dem außerhalb der Regel aus Bain v. Fothergill liegenden Fall Lloyd v. Stanbury, [1971] 1 W. L. R. 535, nach dem Scheitern des Vertrags Ersatz seiner aufgrund der Nichterfüllung fehlgeschlagenen Aufwendungen für den Umzug, die Errichtung eines Hühnerstalls auf dem gekauften Grundstück u. a. m. zuerkannt worden. Nach McGregor, Damages15, Rz. 903, wäre (nach der englischen Rechtslage bis 1989) in einem im Anwendungsbereich von Bain v. Fothergill liegenden Fall genauso zu entscheiden; ältere entgegenstehende Urteile seien, da sie noch aus der Zeit vor der Formulierung der Vorhersehbarkeitsregel in Hadley v. Baxendale, (1854) 9 Ex. 341, stammen, obsolet. – Als zweifelhaft (jedenfalls zu dem damaligen Zeitpunkt) bezeichnen Fuller/Perdue, 373 Yale L. J. 373, 378 (1936), die amerikanische Rechtslage. 61 Näher dazu Rabel, (1947) 63 L. Q.Rev. 174 ff. 62 In England hat das Statute of Frauds nur noch Bedeutung für »guarantees«; vgl. dazu Treitel, Contract, S. 181 ff. 63 Vgl. zur Rechtslage in den USA Calamari/Perillo, Contracts, § 19.1 (S. 714 ff.). 64 So jedenfalls die h.M.; nach a. A. sind die Verträge nicht nur nicht durchsetzbar (»unenforceable«), sondern nichtig (»void«); vgl. dazu mit Nachw. zur Rspr. Calamari/Perillo, Contracts, § 19.35 (S. 763 ff.). 65 Vgl. zur »doctrine of part performance« Fuller/Perdue, 46 Yale L. J. 373, 390 ff. (1936) 66 Vgl. dazu § 375 Restatement (2d).

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was als »benefit« des Schuldners der bereicherungsrechtlichen Abschöpfung zugänglich ist, dazu geführt, daß der Ersatz von Vertrauensschäden zuweilen im Gewand eines Bereicherungsanspruchs gewährt wird67. Zum anderen ist die Figur des promissory estoppel in neuerer Zeit zunehmend als Instrument zur Überwindung von Mängeln der nach dem Statute of Frauds erforderlichen Form eingesetzt worden68. Das Restatement (Second) of Contracts trägt dieser – zu der Entstehungszeit von Fullers bahnbrechendem Beitrag nur vereinzelt sich andeutenden69 – Tendenz nunmehr in § 139 Rechnung. Als Folge dieser Entwicklung haben die US-amerikanischen Gerichte eine große Flexibilität im Umgang mit Formverstößen gewonnen: Sie mögen dem Empfänger des formwidrigen Leistungsversprechens, wenn er bereits im Vertrauen auf den Leistungserhalt gehandelt hat, das Erfüllungsinteresse zusprechen; sie mögen seinen Schutz aber auch (»as justice requires«, wie es in § 139 des Restatement (2d) heißt) auf das negative Interesse beschränken70. Diese Beispiele lehren: In der deutschen Diskussion ist die Haftung auf das negative Interesse zwar historisch mit der subjektivierenden Sicht des Rechtsgeschäfts in der gemeinrechtlichen Willenstheorie verknüpft, deren Schutzdefizit im Hinblick auf den Adressaten des irrtumsbehafteten Leistungsversprechens Jhering mit der Schöpfung der c.i.c. auszugleichen suchte. Der Bedarf nach »negativem« Vertrauensschutz in Fällen, in denen von Rechts wegen (und nicht nur aufgrund von Beweis- oder Bezifferungsproblemen71) der Schutz des positiven Interesses des Vertragsgläubigers ausscheidet, ist aber auch Rechtsordnungen nicht fremd, die, weil sie einer objektiven Konzeption vertraglicher Bindung folgen, dem Schuldner kaum Möglichkeiten bieten, sich unter Berufung auf einen Willensmangel der Haftung für die Nichterfüllung seines Leistungsversprechens zu entziehen. Man muß sich daher vor der Vorstellung hüten, die Bedeutung der Pflicht zum Ersatz von Vertrauensschäden als »Rest« vertraglicher Haftung erschöpfe sich in den Irrtumskonstellationen, die das BGB in den §§ 122, 179 II BGB geregelt hat.

67 Vgl. Trollope v. Koerner, 470 P.2d 91 (1970); Farash v. Sykes Dataronics, 452 N. E.2d 1245 (1983); aus der Lit. Fuller/Perdue, 46 Yale L. J. 373, 393 f. (1936); Calamari/Perillo, Contracts, § 19.44 (S. 771). 68 Den Stand der Rspr. bis 1981 gibt die Reporter’s Note zu § 139 Restatement (2d) wieder; weitere Nachw. bei Calamari/Perillo, Contracts, § 19.48 (S. 776 ff.); Barnett/Becker, 15 Hofstra L.Rev. 443, 470 ff. (1987). 69 Vgl. die Anmerkung bei Fuller/Perdue, 46 Yale L. J. 373, 392 (1936), die (von ihnen in Fn. 142 belegte) Ansicht, die Berufung auf einen Verstoß gegen das Statute of Frauds könne wegen estoppel ausgeschlossen sein, genieße »less prestige with the textwriters«. 70 Zu Parallelen der Entwicklung des englischen Rechts durch die Instrumentalisierung des proprietary estoppel vgl. Heiss, Formmängel, S. 332 ff. 71 Zu diesen Fällen siehe oben, § 11.

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c) Internationale Vertragsrechtsvereinheitlichung Die Instrumente internationaler Vertragsrechtsvereinheitlichung halten, was die Haftung auf das negative Interesse bei unwirksamen Verträgen betrifft, nicht viel bereit, was das aus dem deutschen Recht und dem Common Law zu gewinnende Anschauungsmaterial wesentlich bereichern könnte. Das UN-Kaufrecht enthält sich insoweit jeglicher expliziten Regelung: Nach Art. 4 S. 2 lit. a CISG betrifft das UN-Übereinkommen – abgesehen von der Regelung über die Formfreiheit in Art. 11 CISG – nicht die Vertragsgültigkeit und damit auch nicht die Frage, ob einer auf den Erhalt der vertraglichen Leistung vertrauenden Partei der ihr wegen der Ungültigkeit des Vertrags entstandene Schaden zu ersetzen ist. Ansprüche auf Ersatz des negativen Interesses können sich daher nur aufgrund des zur Füllung »externer« Lücken nach den Regeln des IPR anwendbaren nationalen Sachrechts ergeben. Ein besonderes, hier nicht zu vertiefendes Problem besteht dabei in der Abstimmung mit den Regeln des UN-Kaufrechts: Nicht alles, was sich aus der Sicht des nationalen Rechts als Gültigkeitsproblem darstellt, ist es zwangsläufig auch aus der Perspektive des UN-Kaufrechts, und ebensowenig ist immer dann, wenn nationales Recht bei unwirksamen oder gescheiterten Vertragsschlüssen einen Anlaß zum Schutz des negativen Interesses sieht, dieselbe Wertung nach dem UN-Kaufrecht zu treffen. Dementsprechend ist, wenn es beispielsweise um die Haftung aus § 122 BGB infolge Anfechtung wegen Eigenschaftsirrtums oder um die auf c.i.c. oder promissory estoppel gestützte Pflicht zum Ersatz von Vertrauensschäden wegen Widerrufs eines Angebots geht, stets zu prüfen, ob nicht abschließende Regelungen des UN-Kaufrechts (beim Eigenschaftsirrtum die Regelung der Haftung für nicht vertragsgemäße Beschaffenheit72 und beim Widerruf des Angebots Art. 16 II CISG73) die Anwendung der nationalen Regeln ausschließen. Im Vergleich zum UN-Kaufrecht erfassen die Unidroit Principles (UP), die Principles of European Contract Law (EP) und der Code Européen des Contrats (CEC) ein deutlich größeres Spektrum vertragsrechtlicher Fragen, darunter insbesondere auch die Vertragsgültigkeit und, abgesehen von den Unidroit Principles, die Stellvertretung. Die an den Tatbestand einer (ex lege oder infolge Anfechtung) unwirksamen Erklärung geknüpfte Haftung auf das negative Interesse ist in diesen Regelwerken allerdings ebensowenig wie im BGB systematisch aufgearbeitet, sondern kommt darin nur sporadisch zum Ausdruck: Ein Pendant zu § 122 BGB weist von den Irrtumsregelungen der Einheitsvertragsrechte allein Art. 151 III CEC auf, der bei einseitigem Irrtum einer Vertragspartei, soweit keine grobe Fahrlässigkeit vorliegt, die Anfechtung (»annulation«) eröffnet, dies aber nur um den Preis einer auf das negative Interesse gerichteten Ersatzpflicht. Die Irrtumsregeln der Art. 4:103 ff. EP und Art. 3.4 ff. UP kommen

72 73

Dazu mit weiteren Nachw. Schlechtriem/Schwenzer/Ferrari, Art. 4 Rz. 24. Dazu mit weiteren Nachw. Schlechtriem/Schwenzer/Schlechtriem, Art. 16 Rz. 13.

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demgegenüber ohne eine solche Verpflichtung des Irrenden aus, weil sie die Aufhebbarkeit des Vertrags von vornherein von weiteren Voraussetzungen abhängig machen, die – in dieser Hinsicht ansatzweise dem Common Law vergleichbar – dafür sorgen, daß im Ergebnis das Erfüllungsinteresse des gutgläubigen, für den Irrtum seines Gegners in keiner Weise verantwortlichen Vertragspartners geschützt bleibt (Art. 3.5 I UP; Art. 4:103 I EP) 74. Auch ein Gegenstück zu § 179 II BGB sucht man vergeblich: Die beiden Regelwerke, die sich dem Recht der Stellvertretung widmen, lassen den vollmachtlosen Vertreter abweichend vom BGB, aber übereinstimmend mit dem Common Law75 wie auch mit der gemeinrechtlichen Lehre Windscheids auch dann auf das positive Interesse haften, wenn er den Mangel der Vertretungsmacht nicht kannte (Art. 3:204 EP; Art. 64 CEC), wobei der Vertragspartner des Vertreters nach dem Code Européen des Contrats statt dessen wahlweise die Erfüllung oder das negative Interesse beanspruchen kann. Andererseits haben die Verfasser der European Principles überraschenderweise den §§ 309, 307 BGB a. F. ein Denkmal gesetzt: Nach Art. 15:105 I EP hat eine Vertragspartei, die von einem zur Nichtigkeit führenden Verbotsverstoß Kenntnis hatte oder haben mußte, die andere Partei in die Lage zu versetzen, in der sie sich ohne den Abschluß des Vertrags befände. In Absatz 3 der Vorschrift ist sogar der im deutschen Recht zuweilen mit Argwohn betrachtete Ausschluß der Haftung bei Kenntnis oder Kennenmüssen des Gläubigers vorgesehen. Es fehlt allein die in den §§ 307, 309 BGB a. F. angeordnete Begrenzung der Haftung auf den Betrag des positiven Interesses, die sich aber als Ausdruck allgemeiner schadensrechtlicher Schutzzweckerwägungen wohl auch auf der Ebene des Einheitsvertragsrechts rechtfertigen ließe. Daß die hierfür als Vorbild zitierten Vorschriften des BGB zu dem Zeitpunkt, als der dritte Teil der Principles fertiggestellt wurde, vom Gesetzgeber der Schuldrechtsreform bereits abgeschafft worden waren, ist eine etwas unglückliche Koinzidenz; in der Sache aber hat dieser Eingriff des Gesetzgebers, wie noch zu zeigen sein wird76 , an der deutschen Rechtslage weniger geändert, als es den Anschein haben mag. Eine der deutschen Rechtsprechung zur Haftung aus c.i.c. bei Abschluß eines nichtigen Vertrags77 entsprechende Regel enthält schließlich Art. 7 CEC: Danach trifft die Parteien während der Vertragsverhandlungen (auch) die Pfl icht zur Aufklärung über Umstände, die ihr im Hinblick auf die Wirksamkeit des abzu74

So auch Wolf, in: Europäische Vertragsrechtsvereinheitlichung und deutsches Recht, S. 85, 128: Ein Schadensersatzanspruch, wie ihn § 122 BGB vorsieht, sei entbehrlich, weil die European Principles und die Unidroit Principles ein Anfechtungsrecht grundsätzlich nur bei fehlendem Bedürfnis für Vertrauensschutz gewährten. Im Anschluß daran auch Coen, Vertragsscheitern und Rückabwicklung, S. 382. Weitere rechtsvergleichende Hinweise bei Schwenzer, in: FS Schlechtriem, S. 657, 667 ff. 75 Weitere rechtsvergleichender Hinweise bei Schwenzer, in: FS Schlechtriem, S. 657, 664 f. 76 Siehe unten, Abschnitt III. 77 Zu den verschiedenen Konstellationen siehe unten, Abschnitt II 4, III und IV 3.

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schließenden Vertrags bekannt sind oder bekannt sein müssen (Art. 7 I CEC). Die insoweit treuwidrig handelnde Partei ist der anderen ggf. zum Ersatz des entstandenen Vertrauensschadens verpflichtet (Art. 7 II i. V. m. Art. 6 IV CEC). Alles in allem kann man dem Gesamtbild, das die Modelle internationalen Einheitsvertragsrechts bieten, weniger neuartige Lösungen als eine vorsichtige Prognose abgewinnen: Der Anwendungsbereich der Haftung auf das negative Interesse als Residualsanktion für defekte vertragliche Leistungsversprechens wird sich möglicherweise in einem künftigen europäischen Vertragsrecht verengen, denn für die Irrtumsfälle, denen seit Jhering das besondere Augenmerk der deutschen Rechtswissenschaft gilt, zeichnet sich auf internationaler Ebene die Tendenz ab, dem Bedürfnis nach Vertrauensschutz dadurch zu genügen, daß bei einseitigen Irrtümern, welche die andere Partei weder veranlaßt hat noch kennen mußte, die Vertragsgültigkeit aufrechterhalten wird78. Daß sich der Schutz des »reliance interest« dadurch allerdings nicht erübrigt, hat unser Blick auf das Common Law exemplarisch gezeigt.

II. Unwirksamkeit wegen Mängeln des rechtsgeschäftlichen Akts Die in § 122 BGB geregelte Haftung desjenigen, der eine wegen eines Willensmangels angefochtene oder ex lege nichtige Willenserklärung abgegeben hat, und die in § 179 II BGB geregelte Haftung des Vertreters, der sich über das Bestehen der Vertretungsmacht irrte, haben dieser Untersuchung (in § 10) als Modell für die Bestimmung des Umfangs einer auf den Ersatz des negativen Interesses gerichteten Verpflichtung gedient. Den hierzu angestellten Überlegungen lag die Prämisse zugrunde, daß in diesen Fällen der Grund der Haftung schlicht in der Willenserklärung zu sehen ist und es dementsprechend nur darauf ankommt, ob dem Verpflichteten die Erklärung (und nicht der zur Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit führende Mangel) zuzurechnen ist. Daß diese Behauptung sich mit den gesetzlichen Tatbeständen der §§ 122, 179 II BGB verträgt, gilt es nun noch nachzuweisen. Darüber hinaus ist aber auch und vor allem zu überprüfen, ob sie verallgemeinerungsfähig ist: Scheitert die Wirksamkeit eines obligatorischen Rechtsgeschäfts an Mängeln des rechtsgeschäftlichen Akts, müßte, so der erste Teil unserer zur Diskussion gestellten These, der zurechenbare Erklärungstatbestand (der sich beim Vertrag mit der Erklärung der anderen Partei zu dem Rechtsgeschäft verbindet) als solcher hinreichend, aber auch notwendig sein, um der Haftung auf das negative Interesse eine Basis zu bieten. Der dadurch gewährleistete Vertrauensschutz darf jedoch, so der zweite Teil der These, nicht über die in den §§ 122, 179 II, III BGB gezogenen Grenzen hinausgehen; d. h. er darf nur zugunsten schutzwürdiger Personen wir-

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In dieser Richtung auch Kötz, Europäisches Vertragsrecht Bd. 1, S. 294.

II. Unwirksamkeit wegen Mängeln des rechtsgeschäftlichen Akts

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ken, die von der Unwirksamkeit nichts wußten oder wissen mußten79, und er darf nicht dazu führen, daß der Berechtigte das Risiko einer Fehlspekulation auf den Verpflichteten abwälzt, also mehr erhält als den Betrag seines Erfüllungsinteresses, es sei denn, er verfolgte ein immaterielles Interesse80.

1. Willensmängel a) Gesetzlich geregelte Fälle aa) Das Fehlen einer Schadensersatzpfl icht in den Fällen der §§ 116 S. 2, 117, 123 BGB Die Pflicht zum Ersatz von Vertrauensschäden nach § 122 BGB ist nur an die nach § 118 BGB nichtige oder auf Grund der §§ 119, 120 BGB angefochtene Willenserklärung geknüpft. Nicht zum Schadensersatz verpfl ichtet ist dagegen derjenige, dessen Erklärung nach den §§ 116 S. 2, 117 I BGB ex lege oder infolge Anfechtung nach § 123 BGB nichtig ist. Daß § 122 BGB nicht auf die §§ 116 S. 2, 117 BGB verweist, erklärt sich ohne weiteres aus der fehlenden Schutzwürdigkeit des Erklärungsadressaten in diesen Fällen: Wer den geheimen Vorbehalt, unter dem die Erklärung abgegeben worden ist, durchschaut (§ 116 S. 2 BGB) oder sein Einverständnis zu einer Scheinerklärung gegeben hat (§ 117 I BGB), bedarf keines Vertrauensschutzes. Schwieriger verhält es sich bei § 123 BGB: Was zunächst die Fälle arglistiger Täuschung betrifft, ist ausgeschlossen, daß dem Anfechtungsgegner durch die Anfechtung eine Rechtsposition entzogen wird, auf deren Bestand er vertrauen durfte, denn entweder wurde die zur Anfechtung berechtigende Täuschung von ihm selbst oder von einem Verhandlungsgehilfen verübt, dessen Verhalten er sich zurechnen lassen muß, oder er kannte sie oder mußte sie kennen (§ 123 II 1 BGB). Die Anfechtung wegen widerrechtlicher Drohung ist aber auch dann eröffnet, wenn die Drohung von einem Dritten ausgesprochen wurde und der Anfechtungsgegner davon weder etwas wußte noch wissen mußte81. Hier wird es teilweise für billig gehalten, dem gutgläubigen Anfechtungsgegner einen Schadensersatzanspruch analog § 122 BGB zuzuerkennen82. Bei den Vorarbeiten zum BGB ist indes durchaus erkannt worden, daß es »zu Härten [führe], wenn bei einer Willenserklärung, welche gegenüber einer Person abgegeben werden mußte und abgegeben worden ist, die Beeinflussung von einem Dritten ausging, während der Empfänger der Erklärung bei der Beeinflussung nicht betheiligt war, sie auch weder kannte

79 Zur Bedeutung des Haftungsausschlusses bei Kenntnis oder Kennenmüssen siehe oben, § 10 III 2. 80 Zur Bedeutung (und teleologischen Reduktion) der Begrenzung der Haftung auf den Betrag des positiven Interesses siehe oben, § 10 III 1. 81 Dazu schon oben, § 10 II 3 b. 82 So MünchKomm/Kramer, § 123 Rz. 53.

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noch kennen mußte«83. Die Verfasser des BGB haben jedoch entschieden, diese Härten bei der Drohung hinzunehmen und keine Einschränkung der Anfechtung einzuführen, wie sie § 123 II BGB für die Täuschung vorsieht. »Die Erfahrung lehrt«, heißt es dazu in den Motiven, »daß nicht selten, namentlich in aufgeregten Zeiten, einzelne Personen Drohungen im Interesse vieler mit Erfolg anwenden, und es leuchtet ein, in welcher ungünstigen Lage der durch solche Drohungen zu Leistungen Veranlaßte sich befinden würde, wenn er Jedem, der in Folge dessen etwas erlangt hat, seine Mitschuld oder auch nur sein Kennen oder Kennenmüssen nachweisen sollte.«84 Rechtspolitisch mag man hierüber geteilter Meinung sein; de lege lata ist aber die Wertung hinzunehmen, daß der Bedrohte nicht mit dem Beweis der Kenntnis oder des Kennenmüssens belastet werden soll. Gerade dies aber wäre die Folge, wenn man ihn den auf eine Analogie zu § 122 BGB gestützten Schadensersatzansprüchen all derjenigen aussetzte, mit denen er aufgrund der Drohung Verträge geschlossen hat85. bb) Die Anordnung der Schadensersatzpfl icht in den Fällen der §§ 118–120 BGB Zu erklären bleibt, warum der Erklärende in den Fällen der Nichtigkeit nach § 118 BGB und der Anfechtung nach den §§ 119, 120 BGB für Vertrauensschäden aufzukommen hat. Bereits in der Einleitung zu dieser Untersuchung86 wurde auf die verschiedenen Standpunkte hingewiesen, die das Schrifttum zu dieser Frage bezogen hat: Überwiegend wird § 122 BGB als eine Norm gesehen, die dem Erklärenden die gesetzliche Verantwortung für Fehler auferlegt, die ihm nach dem Veranlassungs-87, dem Risiko-88 oder dem Verschuldensprinzip89 zuzurechnen sind. Dem steht die Ansicht gegenüber, die Haftung nach § 122 BGB sei eine rechtsgeschäftliche Haftung, »nämlich eine solche aufgrund der rechtsgeschäftlichen Erklärung«, denn wer schon nicht zu seinem Wort stehen müsse, solle »wenigstens dafür einstehen, daß ›dem anderen‹ aus der Hingabe des Worts kein Schaden entsteht«90. Es bedarf – nach allem, was bereits über die Begründung der Haftung auf das negative Interesse gesagt worden ist – nicht mehr allzu großer Anstrengungen, um zu zeigen, daß diese Meinung Zustimmung verdient91: 83

Mot. I, S. 206 = Mugdan I, S. 466. Wie vorige Fn. 85 Beispielhaft: Ein Erpresser verlangt von seinem Opfer, unter Aufgabe seines Besitzes das Land zu verlassen. Das Opfer veräußert daraufhin seine gesamte Habe an eine Vielzahl von Personen. Erklärt es später die Anfechtung aller aufgrund der Drohung geschlossenen Verträge, soll es ihm erspart bleiben, gegenüber jedem Vertragspartner den von § 122 II BGB verlangten Nachweis der Kenntnis oder des Kennenmüssens zu erbringen, um sich der Haftung auf das negative Interesse entziehen zu können. In »aufgeregten Zeiten«, insbesondere Zeiten politischer Verfolgung, liegen solche Fälle nicht fern. 86 Siehe oben, § 1 I 1 b. 87 Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil, § 171 I, II 5 (S. 733 f.); Erman/Palm, § 122 Rz. 1. 88 Canaris, Vertrauenshaftung, S. 481. 89 Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpfl ichtung, S. 207 ff. 90 Flume, Rechtsgeschäft, § 21, 7 (S. 423); ebenso Hans Stoll, in: FS v. Caemmerer, S. 435, 439. 91 In der folgenden Argumentation wird die in den Motiven (Mot. I, S. 217 = Mugdan I, S. 472) 84

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Ausgangspunkt für diese Einordnung des Anspruchs aus § 122 BGB ist die rechtsökonomische Einsicht, daß sich die Haftung auf das negative Interesse grundsätzlich an jede Erklärung knüpfen läßt, die bei ihrem Empfänger eine – später enttäuschte – normative Erwartung weckt, die dem Erklärenden zuzurechnen ist. Voraussetzung für die Zurechnung der Erwartung ist nicht, daß der Erklärende die Erwartung des Empfängers willentlich geweckt hat, sondern nur, daß er die objektiven Umstände kannte oder kennen mußte, die sein Gegenüber zur Bildung einer bestimmten Erwartung veranlaßten92. Rechtssystematisch steht nichts entgegen, eine auf diesen Gedanken gestützte Haftung als rechtsgeschäftlich zu qualifizieren: Sie ist auf die Selbstbindung des Verpflichteten, nämlich darauf gestützt, daß die normative Erwartung, die sich an ihn richtet, von ihm selbst hervorgerufen wurde93, mag die Rechtsordnung hier auch die Bestätigung der Erwartung verweigern und nur die Wiedergutmachung ihrer schädlichen Folgen anordnen. An dieser Einordnung kann nur Anstoß nehmen, wer die rechtsgeschäftliche Haftung unter Rückgriff auf ethische Erwägungen nicht auf ihre verhaltenssteuernde Funktion reduziert, sondern der Anordnung willensgetragener Rechtsfolgen vorbehalten sehen will. Daß dies jedoch eine Vorstellung ist, die vielleicht dem christlichen Naturrecht, aber nicht den Bedürfnissen einer liberalen Gesellschaft gerecht wird, ist ausführlich begründet worden94. Hat man sich einmal von der versprechensethischen Überhöhung der Rechtsgeschäftslehre und ihrer Fixierung auf den Willen gelöst, fällt es nicht mehr schwer, aus den §§ 118–120 BGB den Tatbestand einer zurechenbaren Erklärung herauszupräparieren, der die rechtsgeschäftliche Haftung kennzeichnet. (1) § 118 BGB. In den Fällen des »guten Scherzes«, die § 118 BGB regelt, setzt der Erklärende bewußt einen Tatbestand, der – bei der empfangsbedürftigen Willenserklärung – dem Empfänger oder – bei der nicht empfangsbedürftigen Willenserklärung – jedem, den es angeht, die Möglichkeit eröffnet, seiner Äußerung einen rechtsgeschäftlichen Sinn beizulegen95 und, wenn der Sinn in der Begründung einer Verpflichtung besteht, eine entsprechende Erwartung zu bilden. Daß er irrig

überlieferte Behauptung, daß die in den §§ 97 III, 99 II E I geregelte Haftung bei Willensmängeln »nicht durch das Rechtsgeschäft, sondern durch einen im äußeren Akte sich fi ndenden besonderen Thatbestand« erzeugt werde, außer Betracht bleiben dürfen: Die Diskussion um die Haftung war zur Zeit der ersten Kommission noch so sehr im Fluß, und die diesbezügliche Regelung sollte sich aufgrund der Arbeit der zweiten Kommission noch so sehr wandeln (siehe oben, Abschnitt I 2 a bb), daß man der dogmatischen Verortung durch die erste Kommission kein Gewicht einräumen muß. 92 Siehe oben, § 5 IV 2. 93 Zum Begriff der Selbstbindung siehe oben, § 4 I. 94 Siehe oben, § 4 II 2. 95 Besteht diese Möglichkeit nicht (wie vor allem bei »Willenserklärungen«, die zu Unterrichtszwecken oder auf der Bühne abgegeben werden), ist die Äußerung schon nicht als Willenserklärung zu werten und bedarf es keiner Anwendung von § 118 BGB; vgl. statt vieler MünchKomm/Kramer, § 118 Rz. 4.

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damit rechnet, dies werde nicht eintreten, und dies auch nicht will, ändert nichts an dem dadurch begründeten Zurechnungszusammenhang, sondern führt nur dazu, daß unser Zivilrecht es ihm erspart, mit seiner nicht ernst gemeinten Erklärung beim Wort genommen zu werden. Die Anordnung der Nichtigkeit setzt diese Wertung, deren ökonomischer Hintergrund bereits ausgeleuchtet wurde96 , rechtstechnisch um. Die Erklärung als anfechtbar zu behandeln, hätte hier schlicht keinen Sinn: Wenn der Erklärende von vornherein wollte, daß seine Erklärung nicht gilt, braucht man ihm nicht die Gelegenheit zu bieten, durch die Entscheidung über die Anfechtung die Wahl zwischen Geltung und Nichtgeltung noch einmal zu treffen97. Man darf daher aus der Nichtigkeitssanktion nicht schließen, daß das Gesetz sich hier eine ontologisierende Theorie der Willenserklärung zu eigen machte, die das Erklärungsbewußtsein als deren unverzichtbaren Bestandteil ausgibt98. Die von den §§ 118, 122 BGB erfaßte Scherzerklärung ist vielmehr eine Willenserklärung, wenn auch mit Rücksicht auf die Interessen des Erklärenden eine solche, an die das deutsche bürgerliche Recht nur die Residualsanktion der Haftung auf das negative Interesse knüpft. (2) § 119 BGB. In den Konstellationen des Inhalts- und des Erklärungsirrtums, die Gegenstand von § 119 I BGB sind, ist es dagegen sinnvoll, den Erklärenden durch die Gewährung des Anfechtungsrechts entscheiden zu lassen, ob er die Nichtigkeit der Erklärung geltend macht, weil er eine solche Entscheidung bei der Abgabe seiner Erklärung noch nicht getroffen hat. Was obligatorische Geschäfte betrifft, hat die Anfechtungsregelung aufgrund der §§ 119 I, 122 BGB im wesentlichen den folgenden Effekt: Das Recht, zwischen der Befriedigung des Erfüllungsinteresses (in Natur oder Geld) und der Befriedigung des Vertrauensinteresses zu wählen, das bei der Nichterfüllung einer Verpflichtung aus einem »gesunden« Rechtsgeschäft seit der Einführung von § 284 BGB dem Gläubiger zusteht99, geht in diesen »pathologischen« Fällen auf den Schuldner über, allerdings nur in den zeitlichen Grenzen, die § 121 BGB vorsieht. Ganz gleich, ob der Anfechtungsberechtigte diese Frist verstreichen läßt und damit zur Erfüllung oder zum Ersatz des Erfüllungsinteresses verpfl ichtet bleibt oder ob er die Anfechtung erklärt und seine Verpflichtung damit auf das Vertrauensinteresse in den Grenzen des § 122 BGB zurückführt, trifft ihn nach der hier entwickelten Auffassung eine rechtsgeschäftliche Pflicht: eine Pflicht, die auf dem zurechenbaren Tatbestand der Willenserklärung beruht100. 96

Siehe oben, Abschnitt I sowie § 6 III 2 b bb. So zutreffend BGH 7. 6. 1984, BGHZ 91, 324, 329; Bydlinski, JZ 1975, 1, 3; Flume, Rechtsgeschäft. § 20, 3 (S. 415). 98 A. A. Canaris, NJW 1984, 2281. – Zur Erklärung ohne Erklärungsbewußtsein siehe unten, Abschnitt II 1 b aa. 99 Dazu oben, § 10 II, III. 100 Daß die bei unterlassener oder nicht fristgerechter Anfechtung auf Erfüllung oder den Ersatz des Erfüllungsinteresses gerichtete Pfl icht des Irrenden eine rechtsgeschäftliche ist, wird 97

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Anders als bei § 118 BGB beruht die Zurechnung des Erklärungstatbestands hier jedoch nicht darauf, daß der Erklärende ihn bewußt geschaffen hat – der Erklärende weiß entweder nichts von dem Sinn der Wörter oder Zeichen, die er gebraucht hat, oder er weiß nicht einmal, daß er sie überhaupt gebraucht hat. Daß er sich den Sinn seiner Erklärung gleichwohl zurechnen lassen muß, ergibt sich vielmehr aus der normativen Auslegung der Willenserklärung: Wenn die Parteien nicht unabhängig von dem Sinn der Erklärung zu einer übereinstimmenden Vorstellung gelangt sind (so der Fall der falsa demonstratio), sondern beide mit der Erklärung einen unterschiedlichen Sinn verbinden, erlangt nur das, was aufgrund normativer Auslegung nach den §§ 133, 157 BGB als Sinn der Erklärung festgestellt wird, Geltung. Dabei ist auch auf die Person des Erklärenden Rücksicht zu nehmen101: Zu den Umständen, aus denen sich nach dem Empfängerhorizont der Sinn einer Erklärung ergibt, sind nur solche zu zählen, die zu den Umständen gehören, unter denen die Erklärung aus der objektiven Sicht des Erklärenden verstanden werden durfte und mußte – nur diese Umstände bilden die Umwelt, in die der Erklärende seine Worte hineingegeben hat und auf die er sich einrichten konnte. Ist der so verstandene Kontext der Erklärung daher ein anderer als der Kontext des Erklärungsempfängers (was bisher allerdings höchst selten vorkommt102), kommt es nur auf ersteren an. Wie im ersten Teil der Arbeit aufgezeigt wurde, verwirklicht sich darin das rechtspolitische Postulat, Sanktionen für Selbstbindungstatbestände nur dann anzuordnen, wenn der Erklärende die normative Erwartung, die seine Erklärung bei einem anderen hervorruft, überhaupt steuern kann103. Das heißt für die auf § 122 BGB gestützte Schadensersatzpflicht des Irrenden, der rechtzeitig die Anfechtung nach § 119 I BGB erklärt hat, ebenso wie für dessen präklusionsbedingte Erfüllungspflicht: Beide Pflichten treffen ihn nur, wenn der von ihm nicht intendierte Sinn, den sein Gegenüber der Erklärung beilegt, den Filter der normativen Auslegung passiert hat und ihm daher als Sinn seiner Erklärung zuzurechnen ist. Deshalb darf man in beiden Fällen mit vollem Recht von rechtsgeschäftlicher Haftung in der hier zugrunde gelegten Bedeutung des Be-

anders als die rechtsgeschäftliche Natur der Haftung aus § 122 BGB selten bestritten. Wer dem Willensprinzip folgt, muß freilich annehmen, daß es sich um eine gesetzliche Haftung handelt; konsequent daher Singer, Selbstbestimmung, S. 115 ff.; nicht dagegen Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpfl ichtung, S. 161. 101 So schon Flume, Rechtsgeschäft, § 16, 3 c (S. 311). 102 Ein bekanntes Schulbeispiel ist der folgende Fall: Der Besucher eines Lokals legt heimlich auf einen Tisch eine gut gefälschte (oder vor langer Zeit entwendete) Speisekarte, in der für die angebotenen Gerichte niedrigere Preise angegeben sind als in der echten (oder aktuellen) Speisekarte. Bestellt ein ahnungsloser Gast, der sich an diesen Tisch gesetzt hat, ein Gericht von dieser Karte, bildet die gefälschte Karte (und nicht die echte) den Kontext, auf den im Rahmen der Auslegung seines Angebots zum Vertragsschluß abzustellen ist, mag es aus der Sicht des Kellners, der die Erklärung empfangen hat, auch so ausgesehen haben, als ob die echte Karte den Kontext gebildet hätte. 103 Siehe oben, § 5 IV 2.

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griffs sprechen. Dasselbe gilt ohne weiteres auch dann, wenn ein nach § 119 II BGB zur Anfechtung berechtigender Eigenschaftsirrtum vorliegt: In diesen Fällen ist es keine Frage, daß sich der Erklärende den Sinn seiner Erklärung zurechnen lassen muß, weil sein Irrtum ihn hier nicht daran gehindert hat, die Bedeutung seiner Äußerung zu erkennen. (3) § 120 BGB. § 120 BGB stellt Irrtümer, die einem Boten bei der Übermittlung einer Erklärung unterlaufen sind, zu Recht den in § 119 BGB geregelten Irrtumsfällen gleich: Weil der Urheber der Erklärung wie beim Erklärungsirrtum im Moment ihrer Abgabe nicht wußte, in welcher Gestalt sie an den Empfänger gelangen würde, soll er durch den Gebrauch des Anfechtungsrechts über die Geltung der zugegangenen Erklärung entscheiden dürfen. Konsequent ist auch die Erstrekkung der Pflicht zum Ersatz des negativen Interesses auf die Fälle des Übermittlungsirrtums: Die Erklärung, die durch die Einschaltung des Boten produziert wird, ist dem Erklärenden mit dem Inhalt, den sie aufgrund normativer Auslegung nach den §§ 133, 157 BGB hat, zuzurechnen, denn auch aus der objektiven Sicht des Erklärenden konnte die Erklärung nur so verstanden werden, wie sie von dem Boten übermittelt wurde, dessen Irrtumsrisiko er (anders als das Fälschungsrisiko, auf das es bei der vorsätzlichen Falschübermittlung ankommt104) durch die Entscheidung über den Boteneinsatz selbst geschaffen hat und daher steuern konnte. Dies – und nicht etwa die an § 278 BGB angelehnte Zurechnung eines (von § 120 BGB überhaupt nicht vorausgesetzten) Verschuldens der Übermittlungsperson oder -anstalt105 – ist die Grundlage der Haftung auf das negative Interesse. b) Problemfälle aa) Die Erklärung ohne Erklärungsbewußtsein Nicht jedem Problemfall rechtsgeschäftlicher Bindung ist der Sprung vom Hörsaal in die Rechtswirklichkeit geglückt. Bei der Erklärung ohne Erklärungsbewußtsein ist dies anders: Die wohl jedem deutschen Juristen angediehene Schulung anhand des Beispiels von der Trierer Weinversteigerung hat schließlich dazu geführt, daß auch die Rechtspraxis bis hin zur höchstrichterlichen Rechtsprechung106 Sachverhalte entdeckte, die sich einigermaßen dazu eigneten, in dem erlernten »Theorienstreit« Stellung zu beziehen und die zugehörigen Argumente auszutauschen. Die Fronten in der Auseinandersetzung um die hier interessierende Frage der (analogen) Anwendung von § 122 BGB verlaufen dabei quer zu den Fronten in dem generell mit größerer Aufmerksamkeit bedachten Streit um die – nur durch Anfechtung zu beseitigende – Wirksamkeit der Willenserklärung: Nicht

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Zur vorsätzlichen Falschübermittlung durch einen Boten siehe unten, Abschnitt II 1 b cc. So aber Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpfl ichtung, S. 211. 106 Vgl. BGH 7. 6. 1984, BGHZ 91, 324 (= NJW 1984, 2279 m.Anm. Canaris); 2. 11. 1989, BGHZ 109, 171; 29. 11. 1994, NJW 1995, 953. 105

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jeder, der sich für die Anfechtungsbedürftigkeit ausgesprochen hat, ist der Ansicht, daß sich die »Haftung nach § 122 mit Folgerichtigkeit« ergebe107. Statt dessen soll der Erklärende, wenn er die Erklärung rechtzeitig angefochten hat, nur verschuldensabhängig haften, sei es wegen c.i.c.108 , sei es aufgrund einer Erweiterung des § 122 II BGB dahingehend, daß bei fehlender Vorhersehbarkeit oder Vermeidbarkeit der Interpretation seiner Mitteilung oder seines Verhaltens als Willenserklärung die Schadensersatzpflicht nicht eintritt109. Umgekehrt finden sich auch unter den Befürwortern der Nichtigkeit solche, die für eine analoge Anwendung von § 122 BGB in den Fällen fehlenden Erklärungsbewußtseins und nicht nur für eine Verschuldenshaftung eintreten110. Nach der hier vorgetragenen Interpretation der in § 122 BGB kodifizierten Pflicht zum Ersatz des negativen Interesses als rechtsgeschäftliche Residualsanktion, die auf Seiten des Ersatzpflichtigen nur das Vorliegen eines zurechenbaren Erklärungstatbestands zur Voraussetzung hat, kann kein Zweifel daran bestehen, daß sie auch denjenigen trifft, der eine Erklärung mit rechtsgeschäftlichem Inhalt abgegeben hat, selbst wenn er nichts von der rechtsgeschäftlichen Natur seiner Äußerung wußte. Die Zurechnung des Erklärungstatbestands ist dabei, genauso wie in den Fällen des Irrtums nach § 119 I BGB, der Auslegung nach den §§ 133, 157 BGB immanent: Auch hier darf der Sinn, den der Empfänger der Erklärung entnehmen durfte und mußte, nicht anhand beliebiger Umstände aus dem Empfängerhorizont, sondern nur anhand des Kontextes ermittelt werden, der aus der objektiven Sicht des Erklärenden dafür in Frage kommt. Das fehlende Bewußtsein rechtsgeschäftlichen Handelns ist dagegen für die Zurechnung der Erklärung nicht erheblich, und zumindest nicht richtig formuliert ist das Zurechnungskriterium, wenn darauf abgestellt wird, ob dem Erklärenden Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist, weil er nicht erkannt hat, daß er mit seiner Erklärung am rechtsgeschäftlichen Verkehr teilnimmt111. Entgegen einer Meinung112 , mit der der hiesige Ansatz sonst übereinstimmt, gilt dies gleichermaßen für ausdrückliche Erklärungen ohne Erklärungsbewußtsein wie für konkludentes Verhalten: Auch letzterem wird ja aufgrund der normativen Auslegung kein rechtsgeschäftlicher Inhalt beigelegt, ohne daß sich dies der Akteur zurechnen lassen müßte.

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So Flume, Rechtsgeschäft, § 20, 3 (S. 415); ebenso Bydlinski, JZ 1975, 1, 5. So Medicus, AT, Rz. 608. 109 So Brehmer, Wille und Erklärung, S. 247. 110 Für die analoge Anwendung von § 122 BGB Canaris, Vertrauenshaftung, S. 549 f.; Singer, Selbstbestimmung, S. 184 ff.; nur bei Verschulden für eine Haftung analog § 122 BGB Frotz, Verkehrsschutz, S. 470. Eine Sonderstellung nimmt Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpfl ichtung, S. 207 ff., ein, der § 122 BGB anwenden will, die Norm jedoch als Unterfall der culpa in contrahendo ansieht (und damit Jherings Verschuldensfiktion wiederaufgreift, die bereits dieser selbst wie auch die ganz überwiegende gemeinrechtliche Wissenschaft verworfen hat, dazu oben § 3 I 2 a aa. 111 Anders die h.M., etwa BGH 7. 6. 1984, BGHZ 91, 324, 330 m. w. N. 112 Flume, Rechtsgeschäft, § 23, 1 (S. 450). 108

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Die weitere Frage, ob die Erklärung ohne Erklärungsbewußtsein nichtig (wie in den Fällen des § 118 BGB) oder zunächst wirksam, aber anfechtbar ist (wie in den Fällen des § 119 I BGB), gehört strenggenommen nicht zum Programm dieser Untersuchung. Es sei indes nicht verschwiegen, daß aus der hiesigen Sicht naturgemäß keine Bedenken bestehen, die Erklärung als wirksam zu behandeln. Denn hat man einmal von der Vorstellung Abschied genommen, daß allein der (Geltungs)Wille beim Rechtsgeschäft die Folgen produzieren kann, deren Geltung die Rechtsordnung nach dem Inhalt des Rechtsgeschäfts anordnet, geht es nur noch um die Interessengerechtigkeit der Lösung. Hier sprechen die besseren Gründe für eine Übereinstimmung mit der Interessenlage, wie sie beim Erklärungsirrtum besteht: Der Erklärende soll durch die Anfechtung die in dem einen wie in dem anderen Fall bei der Abgabe nicht getroffene Entscheidung über die Geltung oder Nichtgeltung der Erklärung nachholen dürfen113, und der Erklärungsempfänger soll ihn, wenn die dafür vorgesehene Frist nach § 121 BGB abgelaufen ist, an der Erklärung festhalten können. Weil es sich nach der hier vertretenen Meinung um eine reguläre und nicht um eine Willenserklärung kraft Rechtsscheins handelt, was in der Rechtsprechung des BGH teilweise verkannt wird114, steht die Wirkung der Erklärung allerdings nicht zur Disposition des Empfängers, und der Erklärende darf sich auch dann auf sie berufen, wenn sie zu Lasten des Empfängers geht. bb) Die »abhanden gekommene« Willenserklärung Gelangt der (briefliche oder als Datei gespeicherte) fertige Entwurf einer Willenserklärung ohne den Willen des Verfassers an den Empfänger (etwa weil ein Angehöriger den Brief vom heimischen Schreibtisch genommen und in den Briefkasten eingesteckt oder die Datei per Knopfdruck vom gemeinsam genutzten PC aus versandt hat), stellt sich wiederum die zweifache Frage, ob die Erklärung unwirksam oder anfechtbar ist und ob der Erklärende, wenn die Erklärung ex lege oder infolge Anfechtung nichtig ist, analog § 122 BGB für den Vertrauensschaden des Empfängers aufzukommen hat. Das wissenschaftliche Meinungsbild hierzu entspricht weitgehend der Diskussion um die Erklärung ohne Erklärungsbewußtsein: Auch hier sind die Befürworter der Haftung nach § 122 BGB nicht identisch mit den Befürwortern der Anfechtungslösung115. 113 Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpfl ichtung, S. 189 ff., will dieses Ergebnis dadurch erreichen, daß er die Willenserklärung als schwebend unwirksam behandelt und entsprechend den §§ 108, 177 BGB die Genehmigungsmöglichkeit eröffnen will. Daß er anstelle der sachnäheren Anfechtungsregelung diesen fernliegenden Weg wählt, den zu beschreiten insbesondere bei einseitigen Rechtsgeschäften (vgl. §§ 111, 180 BGB) Probleme bereitet, ist allerdings auf sein unbedingtes Bestreben zurückzuführen, in der Rechtsgeschäftslehre ungeachtet positivrechtlicher Hindernisse das Willensdogma durchzuhalten; dazu schon oben, § 4 II 1 a aa (3), bb. 114 Vgl. etwa BGH 29. 11. 1994, NJW 1995, 953; dazu mit Recht kritisch Habersack, JuS 1996, 585 ff. 115 Für die Erforderlichkeit der Anfechtung mit der Folge des § 122 BGB Bamberger/Roth/ Wendtland, § 130 Rz. 6 (bei Vertretenmüssen); Brehmer, Wille und Erklärung, S. 252; Flume, Rechtsgeschäft, §§ 20, 3 (S. 414), 23, 1 (S. 449 f.); Jauernig/Jauernig, § 130 Rz. 1; Palandt/Hein-

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Nach der hiesigen Auffassung hängt die Lösung des Falls wie bei der Erklärung ohne Erklärungsbewußtsein grundsätzlich vom Vorliegen eines zurechenbaren Erklärungstatbestands ab: Ist die an den Empfänger gelangte Erklärung dem Erklärenden zuzurechnen, bedarf es analog § 119 I BGB der Anfechtung, wenn der Erklärende sie nicht gelten lassen will, und er ist, falls er die Anfechtung erklärt, dem Empfänger nach § 122 BGB zum Ersatz des negativen Interesses verpflichtet. Allerdings ist das Zurechnungsproblem hier anders gelagert: Es geht nicht um die durch Auslegung zu ermittelnde Zurechnung des Inhalts der Erklärung (der dem Verfasser der »abhanden gekommenen« Erklärung wohlbekannt ist), sondern um die Zurechnung der Abgabe als Handlung, durch welche die Erklärung an den Empfänger auf den Weg gebracht wird. Insoweit ist die Behauptung, daß die Erklärung mit dem Willen des Erklärenden in den Verkehr gelangt sein müsse116 , mindestens mißverständlich, weil nur für den Normalfall zutreffend. Abgegeben ist eine Willenserklärung vielmehr auch dann, wenn der Erklärende sie irrig auf den Weg gebracht hat (etwa weil der Brief mit dem Entwurf unbemerkt in einen Stapel abgehender Post gelangt ist, den er selbst aufgegeben hat, oder weil er versehentlich den »Send«-Button seines Mail-Programms betätigt hat), und schließlich auch dann, wenn sie überhaupt nicht von dem Erklärenden selbst, sondern ohne dessen Willen von einer anderen Person abgesandt wurde, soweit dies darauf zurückzuführen ist, dass der Erklärende seinen Machtbereich nicht so organisiert hat, dass seine Erklärungen diesen Bereich nur mit seinem Willen verlassen117. Denn in all diesen Fällen war die normative Erwartung, welche die Erklärung bei ihrem Empfänger geweckt hat, aus objektiver Sicht für den Erklärenden steuerbar, und sie ist ihm daher genauso zuzurechnen wie in dem Fall des § 119 I BGB, in dem er zwar die Abgabe der Erklärung, aber nicht die darin verwendeten Wörter und Zeichen oder deren Sinn unter Kontrolle hatte, obwohl man dies nach der Verkehrsanschauung von ihm erwarten konnte. Zur Klarstellung sei hinzugefügt: In diesen Fällen von einer »Scheinabgabe«118 der Willenserklärung zu sprechen, wäre genauso unpassend, wie in den Fällen der Erklärung ohne Erklärungsbewußtsein einen Anwendungsfall der Rechtsscheinhaftung zu erblicken – die »abhanden gekommene« Erklärung ist als eine vollgültige Willenserklärung zu bewerten, und wenn der Erklärende ihre Geltung nicht

richs, § 130 Rz. 4 (bei Vertretenmüssen); Soergel/Hefermehl, § 130 Rz. 5; für die Erforderlichkeit der Anfechtung mit der Folge der c.i.c.-Haftung Medicus, AT, Rz. 266, 605 ff.; für Unwirksamkeit und analoge Anwendung von § 122 BGB Erman/Palm, § 130 Rz. 4; Larenz/Wolf, AT, § 26 Rz. 5 (S. 505); für Unwirksamkeit und Haftung aus c.i.c. Hk-BGB/Dörner, § 130 Rz. 2; Staudinger/Singer, Vor §§ 116 ff. Rz. 49. 116 So etwa BGH 11. 5. 1979, NJW 1979, 2032, 2033. 117 Eine solche Fehlorganisation des eigenen Machtbereichts wäre etwa dann nicht gegeben, wenn der Verfasser den Brief mit der Willenserklärung in eine Schublade gelegt hat, in der er Dokumente aufzubewahren pflegt, und er von dort entwendet wurde. 118 Medicus, AT, Rz. 266.

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durch Anfechtung beseitigt, wirkt sie nicht nur zu Gunsten, sondern auch zu Lasten des Erklärungsempfängers. cc) Die vorsätzlich falsch übermittelte Willenserklärung Wird eine Willenserklärung durch eine als Erklärungsbote eingesetzte Person vorsätzlich falsch übermittelt, lehnt es die Mehrheit der Literaturstimmen ab, § 120 BGB und auch § 122 BGB analog anzuwenden, sondern unterstellt den Fall den Regeln über die Vertretung ohne Vertretungsmacht119. Dem ist aus der hiesigen Perspektive beizupflichten: Zwar hat der Erklärende den Boten mit der Übermittlung seiner Erklärung betraut. Anders als im Fall der irrtümlichen Falschübermittlung wird dadurch jedoch kein Zurechnungszusammenhang hergestellt: Das Irrtumsrisiko, das bei höchstpersönlicher Übermittlung durch den Erklärenden nur in seiner eigenen Person besteht, wird durch die Einschaltung eines Boten in dessen Person überhaupt erst geschaffen und ist deshalb durch die Entscheidung über den Boteneinsatz steuerbar. Das hier in Rede stehende (Ver-)Fälschungsrisiko wird dagegen durch diese Entscheidung nicht begründet, denn jeder beliebige Dritte ist prinzipiell dazu imstande, eine Erklärung zu fälschen. Man kann allenfalls darüber spekulieren, inwieweit sich dieses Risiko erhöht, weil die Originalerklärung, die der Erklärende dem Boten zugänglich gemacht hat, die (Ver-)Fälschung erleichtert. Die Einschaltung des Boten trägt aber jedenfalls zu der Gestalt, den die Erklärung aufgrund einer bewußten Falschübermittlung erhält, keineswegs in derselben Weise bei, wie dies bei einer irrtümlichen Falschübermittlung der Fall ist – man kann schwerlich sagen, daß das Tun eines Fälschers dadurch für den Erklärenden steuerbar wurde, daß er ihm die Botenstellung einräumte und ihm damit eine Vorlage für die Fälschung lieferte. Demgegenüber trennt den bewußt falsch übermittelnden Boten von jedem beliebigen anderen Fälscher einer Willenserklärung nur der Umstand, daß er ohne weiteres auf ein Muster für die Fälschung zugreifen konnte. Dies rechtfertigt es, die (Ver-)Fälschung der Erklärung durch den Boten so zu behandeln wie die Fälschung durch einen beliebigen Dritten und die Zurechnung der zugegangenen Erklärung an ihren angeblichen Urheber in dem einen wie in dem anderen Fall zu verneinen.

2. Fehlende Vertretungsmacht Die in § 179 II BGB geregelte Verpflichtung des Vertreters, der vom Fehlen der Vertretungsmacht keine Kenntnis hat, ist neben § 122 BGB seit der Schuldrechts119 So etwa Bamberger/Roth/Wendtland, § 120 Rz. 5; Erman/Palm, § 120 Rz. 3; Flume, Rechtsgeschäft, § 23, 3 (S. 456); Hk-BGB/Dörner, § 120 Rz. 4; Jauernig/Jauernig, § 120 Rz. 4; Larenz/Wolf, AT, § 46 Rz. 44 (S. 870); Palandt/Heinrichs, § 120 Rz. 4; Soergel/Hefermehl, § 120 Rz. 4. A. A. Bork, AT, Rz. 1361; Marburger, AcP 173 (1973), 137, 143 ff.; Medicus, AT, Rz. 748; MünchKomm/Kramer, § 120 Rz. 3 (zumindest für eine Analogie zu § 122 BGB); Staudinger/Singer, § 120 Rz. 2 f.

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reform das einzige kodifizierte Zeugnis der Haftung auf das negative Interesse bei unwirksamen Rechtsgeschäften. Wie bei § 122 BGB handelt es sich um eine Regelung, die nach der Vorstellung der zweiten Kommission, von der sie eingeführt wurde120 , auf einen Irrtum Rücksicht nimmt: Der Vertreter, dem der Mangel der Vertretungsmacht unbekannt ist, befindet sich, wie man in Anlehnung an § 119 II BGB sagen kann, gewissermaßen in einem Irrtum über eine verkehrs- oder jedenfalls geschäftswesentliche Eigenschaft der eigenen Person. Deshalb ist es gerechtfertigt (wenn auch nicht zwingend), die ihn nach § 179 I BGB treffende volle Erfüllungshaftung wegen eines solchen Irrtums in genau dem Umfang zurückzunehmen, wie es aufgrund der Anfechtung wegen Irrtums nach § 119 BGB geschieht. Ob § 179 II BGB allerdings wie § 122 BGB eine rechtsgeschäftliche Residualsanktion anordnet oder ob hier der rechtsgeschäftliche Sanktionsmechanismus im Rahmen einer gesetzlichen Verpflichtung nachgebildet wird, ist damit noch offen. Die Antwort auf diese – praktisch nicht bedeutende – Frage hängt davon ab, ob man § 179 I BGB, dessen Rechtsfolge durch § 179 II BGB abgemildert wird, als Ausdruck einer rechtsgeschäftlichen oder einer gesetzlichen Pfl icht versteht: Eine starke gemeinrechtliche Strömung hat die Haftung des falsus procurator auf das Erfüllungsinteresse (in Natur oder Geld) so, wie es im Common Law bis heute geschieht121, rechtsgeschäftlich, nämlich als Haftung aus einem stillschweigenden Garantieversprechen verstanden122. Dagegen wendet man sich heute einhellig mit dem schon in der zweiten Kommission laut gewordenen Argument, die Unterstellung eines Garantieversprechens laufe auf eine Fiktion hinaus123. Ein neuerer Versuch, die rechtsgeschäftliche Natur der Vertreterhaftung zu begründen, will diesem Einwand mit der folgenden Konstruktion ausweichen: Der Vertreter verspreche mit der Abgabe der Erklärung im Namen des Vertretenen eine eigene Leistung in Gestalt der »Herstellung der vertraglichen Verbundenheit mit dem Vertretenen entsprechend der in dessen Namen geschlossenen Vereinbarung«124. Letzteres überzeugt nicht: Der Willenserklärung des Vertreters ein (unentgeltliches) Leistungsversprechen zu entnehmen, ist nun ganz gewiß eine Fiktion, und auch die in § 179 I BGB angeordnete Rechtsfolge ist, was die Variante der Erfüllung betrifft, als Schadensersatz statt der Leistung, wie er sich an die Nichterfüllung eines Leistungsversprechens anschließen müßte, nur schwer zu erklären125. Allerdings sei an dieser Stelle eine Lanze für die alte Lehre vom Garantieversprechen gebrochen: Der Erklärung des Vertreters, er handele in fremdem Namen, 120

Vgl. Prot. I, S. 326 f. = Mugdan I, S. 751. Siehe oben, Abschnitt I 2 b aa. 122 Vgl. etwa Windscheid/Kipp, Pandektenrecht I, § 74 Anm. 7a, 8 (S. 369 f.). 123 Prot. I, S. 323 = Mugdan I, S. 750; im Anschluß daran aus der neueren Lit. etwa Flume, Rechtsgeschäft, § 47, 3 (S. 801); Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpfl ichtung, S. 279; Staudinger/ Schilken, § 179 Rz. 2. 124 Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpfl ichtung, S. 281. 125 Gegen Lobinger auch Staudinger/Schilken, § 179 Rz. 2. 121

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muß dessen Geschäftspartner die konkludente Aussage entnehmen, er habe Vertretungsmacht, es sei denn, er weist auf deren Fehlen hin126 . Dies mag kein Versprechen sein, für das Fehlen der Vertretungsmacht einstehen zu wollen. Aber immerhin wird mit dieser Behauptung ein Geltungsanspruch erhoben127, der in anderen Fällen (man denke an den weiten Zusicherungsbegriff bei § 463 BGB a. F.128) von der Rechtsprechung durchaus für ausreichend befunden wurde, um als Grundlage einer rechtsgeschäftlichen Garantiehaftung zu dienen. Wenn § 179 I BGB die durch die Behauptung der Vertretungsmacht geweckte, normative Erwartung des Geschäftspartners durch die Gewährung des »positiven« Schutzes in Gestalt von Naturalerfüllung oder Schadensersatz bestätigt, bewegt sich das Gesetz daher im Rahmen dessen, was man als gesetzlich normierten Inhalt der rechtsgeschäftlichen Erklärung des Vertreters bezeichnen kann129. § 179 II BGB ist dann als irrtumsbedingte Rücknahme einer ihrer Natur nach gesetzlichen, aber rechtsgeschäftsgleichen Haftung zu verstehen.

3. Dissens Die Frage, ob die Haftung auf das negative Interesse auch die Parteien einer Vertrags treffen kann, der nicht unwirksam ist, sondern dessen Zustandekommen bereits an einem Dissens gescheitert ist, hat das Reichsgericht in der berühmten »Weinsteinsäure«-Entscheidung130 aufgeworfen und bejaht: Die Parteien des Rechtsstreits hatten einander Telegramme zugeschickt, deren Wortlaut nicht erkennen ließ, wer Käufer und wer Verkäufer der vertragsgegenständlichen Ware sein sollte. Tatsächlich wollten beide Seiten verkaufen. Das Reichsgericht nahm, womöglich zu Unrecht131, einen versteckten Dissens an und lehnte deshalb einen Erfüllungsanspruch der Klägerin ab. Doch entspreche es »der Billigkeit und den Erfordernissen der Verkehrssicherheit, demjenigen [sic], der sich fahrlässigerweise derartig ausdrückt, daß er bei der Gegenpartei ein Mißverständnis hervorruft, mit der Haftung für die daraus entstehenden Schadensfolgen zu belasten«132. Einem Mitverschulden des Geschädigten sei durch eine Schadensteilung Rechung zu tragen. Im neueren Schrifttum wird diese – in einem obiter dictum des BGH bestätigte133 – Entscheidung überwiegend mit Zustimmung aufgenommen: Aus dem Eintritt in Vertragsverhandlungen sei zwar niemand zum Abschluß verpflichtet. Wohl 126

Insoweit übereinstimmend Flume, Rechtsgeschäft, § 47, 3 (S. 802). Zum Geltungsanspruch als normativitätsstiftende Dimension deklaratorischer Erklärungen siehe oben, § 5 IV 1. 128 Dazu m.w.Nachw. Soergel/Huber, Rz. 175 ff. 129 Ähnlich bereits Pohlmann, Aufklärungspfl ichten, S. 46 ff. 130 RG 5. 4. 1922, RGZ 104, 265. 131 Vgl. dazu Flume, Rechtsgeschäft, § 34, 5 (S. 626 Fn. 22). 132 RG a.a.O., 268. Vgl. auch RG 19. 1. 1934, RGZ 143, 219, 221 f. 133 BGH 12. 11. 1986, BGHZ 99, 101, 106. 127

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aber komme ein schuldhafter Verstoß gegen die Pflicht in Betracht, durch klare Ausdrucksweise eine Irreführung des Verhandlungspartners zu vermeiden134. Doch wenden sich nach wie vor namhafte Stimmen gegen die Rechtsprechung135. Der von ihnen vorgetragenen Kritik ist aus der hiesigen Sicht zuzustimmen: Der von dem jeweiligen Erklärungsempfänger angenommene Erklärungsinhalt ist beim Dissens nicht derjenige, der sich bei normativer Auslegung ergibt, und kann daher dem Erklärenden nicht als Sinn seiner Erklärung zugerechnet werden. Deshalb kann bei verstecktem Dissens »niemals der von § 122 vorausgesetzte Fall« vorliegen, »daß der Gegner auf die Gültigkeit des von ihm angenommenen Inhalts der Erklärung vertrauen durfte«136 . Darüber hinaus bleibt aber auch kein Raum für eine Haftung wegen c.i.c.: Den Erklärenden für die irrige Vorstellung seines Partners über den Inhalt der Erklärung im Rahmen der Verschuldenshaftung verantwortlich zu machen, ist unvereinbar mit dem Ergebnis der normativen Auslegung, daß sich der Erklärende diese Vorstellung gerade nicht als Sinn seiner Erklärung zurechnen lassen muß137. Daß bei der c.i.c. die Zurechnung anders als bei der normativen Auslegung nach dem Verschuldensmaßstab erfolgt, rechtfertigt deren »konkurrierende« Anwendung nicht, weil damit die durch die normative Auslegung erzielte, gleichgewichtige Verteilung des »Verständnisrisikos« zwischen Erklärendem und Erklärungsempfänger unterlaufen würde: Der Empfänger, der die Erklärung nicht so verstanden hat, wie er sie nach den §§ 133, 157 BGB verstehen durfte, soll dieses Risiko genauso tragen, wie der Erklärende, wenn dessen Verständnis von dem Auslegungsergebnis abweicht. Demgemäß hat bei einem versteckten Dissens jede Partei die Folgen ihres Mißverständnisses selbst zu tragen.

4. Formmängel a) Haftung wegen einer Aufklärungspfl ichtverletzung? aa) Zum gegenwärtigen Stand der Rechtsprechung Ist ein Rechtsgeschäft nach § 125 BGB nichtig, weil ihm die gesetzlich vorgeschriebene Form fehlt, stellt sich, wie auch in den vorangehenden Konstellationen, die Frage, ob das abgeschlossene Rechtsgeschäft nicht doch noch eine Restwirkung 134 Medicus, AT, Rz. 439. Vgl. auch Bork, AT, Rz. 783; Erman/Armbrüster, § 155 Rz. 6; HKBGB/Schulze, § 311 Rz. 31; Pawlowski, AT, Rz. 473; Soergel/Wolf, § 155 Rz. 21. – Frühe Zustimmung und weitere Begründung hat das Urteil insbesondere bei Raiser, AcP 127 (1927), 1, 29 ff. gefunden. 135 Flume, Rechtsgeschäft, § 34, 5 (S. 626); Jauernig/Jauernig, § 155 Rz. 3; Kramer, Grundfragen, S. 187 ff.; MünchKomm/Kramer, § 155 Rz. 14; Staudinger/Singer, § 122 Rz. 6. – Grundlegend für die Kritik sind die frühen Beiträge von Manigk, Jher.Jb. 75 (1925), 126, 196 ff., und Oertmann, AcP 121 (1923), 122 ff. 136 Manigk, Jher.Jb. 75 (1925), 126, 198. 137 Ähnlich bereits Flume, Rechtsgeschäft, § 34/5 (S. 626); MünchKomm/Kramer, § 155 Rz. 14.

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zugunsten von Parteien entfalten kann, die von der Nichtigkeit des Geschäfts weder wußten noch wissen mußten. Doch hat die deutsche Rechtsprechung diese Perspektive nicht eingenommen. Schutzwürdigen Parteien eines formnichtigen Vertrags hilft sie vielmehr durch den Einsatz anderer Instrumente: Zum einen versagt sie unter Rückgriff auf § 242 BGB einer Vertragspartei die Berufung auf den Formmangel, wenn die Unwirksamkeit zu einem schlechthin untragbaren Ergebnis für den anderen Teil führt, was anzunehmen sei, wenn entweder die wirtschaftliche Existenz dieser Partei durch die Nichtigkeit gefährdet wäre oder eine besonders schwere Treupfl ichtverletzung jener Partei vorliege138. Die Problematik dieser Rechtsprechung, die in der Literatur verbreitet auf Kritik gestoßen ist139, sei hier nicht vertieft – die Durchbrechung der Nichtigkeit, zu der sie führt, erübrigt jedenfalls den »schwächeren« Schutz des negativen Interesses. Zum anderen gewährt sie – und allein dies ist für unsere Überlegungen von Belang – der auf die Wirksamkeit des Vertrags vertrauenden Partei einen Anspruch wegen c.i.c., wenn ihr Vertragspartner es schuldhaft unterlassen hat, sie über die Formbedürftigkeit des Vertrags aufzuklären140. Bejaht wurden die Voraussetzungen eines solchen Anspruchs etwa in einem 1965 vom V. Zivilsenat des BGH entschiedenen Fall, in dem ein Ehepaar mit einer gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaft lediglich einen privatschriftlichen Vorvertrag über die alsbaldige Übertragung eines noch zu erstellenden Eigenheims geschlossen hatte, den das Ehepaar für wirksam hielt und der es zu erheblichen finanziellen Anstrengungen veranlaßte141. Diese Entscheidung verdeutlicht zugleich die Problematik der vom BGH gewählten Haftungskonstruktion, was die schadensersatzrechtlichen Folgen betrifft: Die auf Herausgabe und Räumung des Grundstücks verklagten Eheleute hätten sich, wären sie von der Klägerin über die Formbedürftigkeit des Vorvertrags aufgeklärt worden, selbstverständlich nicht auf eine privatschriftliche Vereinbarung eingelassen, sondern hätten, wie auch der BGH feststellt, eine notarielle Beurkundung verlangt. Dann aber liege, so das Gericht weiter, »die Annahme nahe, daß der Kaufvertrag ohne das zum Schadensersatz verpflichtende Verhalten der Klägerin formgültig zustande gekommen wäre. Es würde sich dann um einen jener Fälle handeln, in denen das Erfüllungsinteresse geltend gemacht werden kann; die Beklagten müßten so gestellt werden, wie sie stehen würden, wenn der Vertrag rechtswirksam wäre.«142 Da es aber auf eine Außerkraftsetzung der Form138

So zuletzt (mit Nachw. zur vorangehenden Rspr. in beiden Fallgruppen) BGH 20. 12. 2001, NJW 2002, 1050, 1051 (im konkreten Fall wurde die Anwendung von § 242 BGB abgelehnt). 139 Vgl. etwa Canaris, Vertrauenshaftung, S. 288 ff.; Flume, Rechtsgeschäft, § 15 III 4 c (S. 276 ff.); Gernhuber, in: FS Schmidt-Rimpler, S. 151 ff.; Häsemeyer, Form, S. 295 ff. 140 Vgl. BGH 29. 1. 1965, NJW 1965, 812, 814; 16. 2. 1965, WM 1965, 674, 675; 19. 4. 1967, WM 1967, 798 f.; 12. 11. 1986, BGHZ 99, 101, 106; 27. 6. 1988, NJW 1989, 166, 167; 6. 12. 1991, BGHZ 116, 251, 258. 141 BGH 29. 1. 1965, NJW 1965, 812, 814. 142 BGH a.a.O. (vorige Fn.).

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vorschrift hinauslaufe, wenn nunmehr auf den Abschluß eines Kaufvertrags oder sogar auf Auflassung geklagt werden könnte, verwies der BGH die Beklagten auf den Ersatz des Geldbetrags für die Beschaffung eines anderen, gleichwertigen Hausgrundstücks. Im Ergebnis blieb es also beim Schutz des positiven Interesses; ausgeklammert wurde nur die Befriedigung im Wege der Naturalerfüllung. In der Literatur ist dieses Urteil, soweit man überhaupt mit der Anwendung der Regeln der c.i.c. übereinstimmte143, auf ein zwiespältiges Echo gestoßen: Während zunächst vereinzelt gefordert wurde, der Schuldner habe das Erfüllungsinteresse nicht nur durch Geldersatz, sondern sogar durch Naturalrestitution zu befriedigen (so daß die Eheleute in dem vom BGH entschiedenen Fall in der Tat die Auflassung hätten verlangen können) 144, wendet man sich mittlerweile mehrheitlich gegen die Gewährung eines Anspruchs auf das Erfüllungsinteresse, denn die Erwägung, daß der Schuldner des Ersatzanspruchs einen formgültigen Vertrag abgeschlossen hätte, müsse außer Betracht bleiben, damit dem Schuldner nicht die freie Entscheidung über den Abschluß des Vertrags genommen werde145. Auch in neueren BGH-Urteilen bricht sich möglicherweise eine andere Sicht Bahn: In einer Entscheidung aus dem Jahr 1987 über einen Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung eines formnichtigen Vorvertrags über die Gründung einer GmbH lehnte es der II. Zivilsenat angesichts des Schutzzwecks der Formvorschrift in § 2 GmbHG ab, einen auf das Erfüllungsinteresse gerichteten Anspruch aus dem Gesichtspunkt der c.i.c. herzuleiten146 . 1991 erklärte wiederum der V. Zivilsenat, Grund der Haftung sei, »daß der eine Vertragsteil durch sein Verhalten Vertrauen auf das Bestehen oder Zustandekommen eines wirksamen Vertragsverhältnisses erweckt hat und dadurch sowohl zur Nichtausnutzung anderer Vertragsgelegenheit als auch zu Aufwendungen [also zu Vertrauensschäden, T. A.] Veranlassung gegeben haben kann«147. Der Wert dieser Aussage als Bekenntnis zum Ausschluß der Ersatzfähigkeit des positiven Interesses wird allerdings dadurch erheblich geschmälert, daß in demselben Urteil doch wieder auf die zum Ersatz des Erfüllungsinteresses führende, ältere Senatsrechtsprechung Bezug genommen wird148.

143 Insoweit kritisch W. Lorenz, JuS 1966, 429, 436: Die richtige Lösung solle in der fallgerechten Präzisierung eines den § 125 BGB außer Kraft setzenden treuwidrigen venire contra factum proprium gesucht werden. 144 So Reinicke, Rechtsfolgen, S. 129 f. 145 So Flume, Rechtsgeschäft, § 15 III 4 c dd (S. 283); ebenso Häsemeyer, Form, S. 64 ff.; Jauernig/Jauernig, § 125 Rz. 15; Larenz, in: FS Ballerstedt, S. 397, 405; Medicus, AT, Rz. 633; MünchKomm/Eisele, § 125 Rz. 51; Soergel/Hefermehl, § 125 Rz. 43; Staudinger12 /Dilcher, § 125 Rz. 37; für den Ersatz des Erfüllungsinteresses dagegen noch Erman/Kindl, § 311 Rz. 32; Jauernig/ Stadler, § 311 Rz. 55. 146 BGH 21. 9. 1987, ZIP 1988, 89, 90. – Allerdings bezog sich der BGH auf die Fallgruppe des Abbruchs der Vertragsverhandlungen und nicht auf die Entscheidungspraxis zum unwirksamen Vertragsschluß. 147 BGH 6. 12. 1991, BGHZ 116, 251, 258. 148 A.a.O. (vorige Fn.), 259.

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bb) Die Unvereinbarkeit der Aufklärungspfl icht mit der Vertragsfreiheit Wie auch immer man die höchstrichterlichen Urteile in der Zusammenschau interpretiert: Das Argument, daß die Gewährleistung der negativen Vertragsabschlußfreiheit, die auch den Partnern eines formnichtigen Vertrags nicht verweigert werden darf, dem Schutz des Erfüllungsinteresses entgegensteht, ist nicht von der Hand zu weisen, und zwar auch, was den Geldersatz betrifft, denn genauso wie der Erfüllungszwang bietet die Pflicht zur Vergütung des positiven Interesses dem Schuldner einen Erfüllungsanreiz, der sich mit der Anordnung der Nichtigkeit nach § 125 BGB nicht verträgt149. Daher sollte die Rechtsprechung, soweit sie nicht eine Durchbrechung der Nichtigkeit annehmen will, davon absehen, der auf die Wirksamkeit des Vertrags vertrauenden Partei zu gestatten, das positive Interesse zu liquidieren, und ihre Berechtigung auf das negative Interesse beschränken. Die Kritik der Rechtsprechung darf indes an dieser Stelle nicht stehen bleiben, sondern muß sich die weitere Frage stellen, ob eine Korrektur der Haftungsfolgen das rechte Mittel zur Abhilfe ist oder ob nicht bereits der Haftungsgrund vom BGH unzutreffend bestimmt wird, wenn er – jedenfalls in seiner Leitentscheidung – dem Schuldner die Nichtaufklärung des Gläubigers über die Formbedürftigkeit des Geschäfts anlastet. Nach hiesiger Auffassung ist letzteres der Fall150 : Ist der zum Schadensersatz verpflichtende Umstand die schuldhafte Verletzung einer vorvertraglichen Aufklärungspflicht, muß der Schuldner nach den §§ 249 ff. BGB in die Lage versetzt werden, in der er sich bei ordnungsgemäßer Aufklärung befände. Um auf dieser Grundlage zum Ersatz des positiven Interesses zu gelangen, hat der Gläubiger zu beweisen, daß der Schuldner seinem Verlangen nach Abschluß eines formgerechten Vertrags, auf dem er bei ordnungsgemäßer Aufklärung bestanden hätte, nachgekommen wäre. Man wird dies zwar nicht, wie es der V. Zivilsenat in dem 1965 entschiedenen Fall getan hat, vermuten dürfen; doch kommt dem Schuldner beim Beweis des hypothetischen Geschäfts mit dem Gläubiger, wie bereits in anderem Zusammenhang erläutert wurde151, die Beweiserleichterung nach den §§ 252 S. 2, 287 ZPO zugute. Diese Anwendung der schadensersatzrechtlichen Regeln steht als solche nicht in Konflikt mit der negativen Vertragsfreiheit, denn die Feststellung des Gerichts bezieht sich nicht darauf, daß der Schuldner rechtlich (etwa nach Treu und Glauben) verpflichtet gewesen wäre, den Vertrag unter Wahrung der gesetzlich vorgeschriebenen Form mit dem Gläubiger abzuschließen, sondern sie gilt allein der Frage, ob er den Vertrag tatsächlich abgeschlossen hätte. Die Erwägungen des BGH zur Rechtsfolgenseite der Haftung sind demnach nicht zu beanstanden. Der Konflikt der Position des V. Zivil-

149 Zur Wirkung der Pfl icht zur Naturalerfüllung und der Pfl icht zum Ersatz des positiven Interesse auf das Erfüllungsverhalten des Schuldners siehe oben, § 6 II 1 a und b. 150 Ähnlich der Ansatz von Heiss, Formmängel, S. 359, der die Diskussion des Haftungsumfangs als »Symptom des Unbehagens gegenüber der schadensersatzrechtlichen Haftung« deutet und die eigentliche Gefahr in einer ausufernden Statuierung vorvertraglicher Pfl ichten sieht. 151 Siehe oben, § 10 II 4 c.

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senats mit der Einsicht, daß die Parteien eines formnichtigen Vertrags von Erfüllungs- oder erfüllungsgleichen Ansprüchen zu verschonen sind, kann daher nur auf die Formulierung der Tatbestandsvoraussetzungen des Schadensersatzanspruchs zurückgeführt werden: Der Widerspruch zur Vertragsfreiheit liegt bereits darin, daß die Rechtsprechung die kundige Partei, indem sie diese zur Aufklärung ihres ahnungslosen Gegenübers über etwaige Formerfordernisse anhält, zur Hüterin des Interesses der Gegenseite am Abschluß eines wirksamen Vertrags macht, ohne daß dies erforderlich wäre. Die Begründung dieser These führt uns im Rahmen des rechtssystematischen Teils dieser Arbeit erstmals an den Rand eines Problems, das die Diskussion um die vorvertragliche Haftung insgesamt kennzeichnet und bei der Besprechung der weiteren Fallgruppen der c.i.c. (in § 13) näher zu erörtern sein wird: In welchem Umfang darf das vorvertragliche gesetzliche Schuldverhältnis der Parteien (§ 311 II BGB) mit Pflichten zur Rücksichtnahme auf die Interessen des anderen Teils (§ 241 II BGB) ausgestattet werden, ohne daß die Privatautonomie über Gebühr beschränkt wird? Eines steht zunächst außer Frage: Wer einer Partei Verantwortung für das Interesse der anderen Seite am Zustandekommen des in Aussicht genommenen Vertrags152 , an dessen erwartungsgerechtem Inhalt153 oder, wie hier, an dessen Wirksamkeit auferlegt, vermindert, ja beseitigt möglicherweise sogar den Anreiz der geschützten Partei, sich selbst mit den Mitteln der Privatautonomie, nämlich vor allem154 durch den Abschluß eines wirksamen, ihren Erwartungen gerecht werdenden Vertrags, zu schützen. Als Instrument privatrechtlicher Erwartungssicherung steht die heterenome Verpfl ichtung aufgrund gesetzlicher Schutzpflichten aus dem vorvertraglichen Schuldverhältnis (jenseits der Fälle quasi-deliktischen Integritätsschutzes) daher in einem schwer auflöslichen Spannungsverhältnis zur privatautonomen Bindung. Vor diesem Hintergrund gilt es stets zu prüfen, ob der den Parteien vom Gesetz angesonnene Erwartungsschutz durch die c.i.c. erforderlich ist, um die Unzugänglichkeit autonomer Schutzmechanismen auszugleichen. Was die hier diskutierten Fälle betrifft, fällt die Entscheidung allerdings noch leicht: Hier geht es nicht um die Frage, ob man zugunsten der Möglichkeit der Parteien, zu einer privautonomen Regelung zu gelangen, auf die Statuierung gesetzlicher Schutzpflichten verzichten sollte. Mit dem Abschluß des formnichtigen Schuldvertrags haben die Parteien vielmehr schon eine rechtsgeschäftliche Entscheidung über die Gestaltung ihrer Leistungsbeziehung getroffen, und sie haben durch ihre Willenserklärungen der anderen Seite auch die Erwartung vermittelt, daß die zwischen ihnen vereinbarte Regelung wirksam sei. Denn die Erklärung, sich rechtsgeschäftlich binden zu wollen, kann von dem Empfänger nicht anders 152

Dazu unten, § 13 II. Dazu unten, § 13 III. 154 Dazu, daß auch vor- und außervertragliche Selbstbindungen zu den privatautonomen Gestaltungsmitteln zu zählen sind, siehe unten, § 13. 153

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verstanden werden, als daß der Erklärende eine wirksame rechtsgeschäftliche Bindung will155. In Anbetracht dessen ist die Konstruktion einer vorvertraglichen Aufklärungspflicht über die Erfordernisse der Formwirksamkeit überflüssig und geradezu befremdlich: Wenn eine Partei eine formwidrige Willenserklärung abgegeben hat, der sich per definitionem nach den §§ 133, 157 BGB entnehmen läßt, daß sie auf die Herbeiführung einer wirksamen rechtsgeschäftlichen Bindung zielt, liegt nichts näher, als sie für den durch die Formnichtigkeit verursachten Schaden eben wegen dieser Erklärung und nicht wegen des Unterlassens der Aufklärung über ihre Formbedürftigkeit haften zu lassen. In Anknüpfung an die Begrifflichkeit, die der V. Zivilsenat in seinem Urteil aus dem Jahr 1991 gebraucht hat156 , kann man deshalb mit Bezug auf das formnichtige Rechtsgeschäft sagen: Das Verhalten, mit dem der eine Vertragsteil das Vertrauen des anderen auf das Bestehen eines wirksamen Vertragsverhältnisses erweckt hat, ist seine Willenserklärung. Nur diese Erklärung und nicht das ihr vorausgehende Verhalten kann, wenn überhaupt, den Grund einer Haftung bilden, deren schadensersatzrechtlich unproblematische Folge der Ersatz des negativen Interesses, nämlich die Herstellung der Lage ist, in der sich der Erklärungsempfänger befände, wenn er nicht auf die Wirksamkeit der Erklärung vertraut hätte. b) Haftung wegen der Abgabe einer formnichtigen Erklärung Die Forderung, die Haftung für ein formnichtiges Rechtsgeschäft entgegen ihrer Einordnung in der BGH-Rechtsprechung als rechtsgeschäftliche Residualhaftung und nicht als Haftung für vorvertragliches Fehlverhalten zu verstehen, ist nicht neu. Bereits vor der Schuldrechtsreform wurde der hier diskutierte Schadensersatzanspruch der auf die Wirksamkeit vertrauenden Partei teilweise als Restwirkung des Vertrags interpretiert157 und seine Grundlage in einer Analogie zu den (ihrerseits richtigerweise als Ausdruck rechtsgeschäftlicher Haftung zu verstehenden158) §§ 307, 309 BGB a. F. gesehen159. Die Kodifikation der vorvertraglichen Haftung und die Abschaffung der §§ 307, 309 BGB a. F. durch den Gesetzgeber der Schuldrechtsreform sind für diese Position keine Hindernisse: 155 Vgl. in diesem Zusammenhang die Parallele zur Begründung der Haftung des Vertreters ohne Vertretungsmacht nach § 179 II BGB, die nach der hier vertretenen Auffassung (dazu oben, Abschnitt II 2) ebenfalls als Haftung aufgrund der Erklärung des Vertreters und nicht als Haftung wegen der Nichtaufklärung über das Fehlen der Vertretungsmacht zu verstehen ist. 156 BGH 6. 12. 1991, BGHZ 116, 251, 258. – Die Stelle fi ndet sich oben unter II 4 a aa wörtlich zitiert. 157 So Hans Stoll, in: FS v. Caemmerer, S. 435, 443 Fn. 34. 158 Dazu unten Abschnitt III 1. 159 So Heiss, Formmängel, S. 439 ff., der die §§ 307, 309 BGB a. F. jedoch als Fälle der Vertrauenshaftung einordnet. Auch Singer, Verbot widersprüchlichen Verhaltens, S. 95 ff., will die §§ 307, 309 BGB a. F. als Modell der »Vertrauenshaftung kraft Rechtsirrtums« für die Fälle formnichtiger Rechtsgeschäfte fruchtbar machen, grenzt diese Form der Vertrauenshaftung aber von der Haftung nach § 122 BGB scharf ab, a.a.O., S. 147 f.; vgl. zur gegenwärtigen Rechtslage auch Staudinger/Singer, § 122 Rz. 5.

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Zum einen ist die allgemeine Regelung der vorvertraglichen Schutzpfl ichten in den §§ 311 II, 241 II BGB nicht als Festschreibung des im Zeitpunkt der Gesetzgebung erreichten Standes der Judikatur gedacht, sondern als eine »abstrakte Regelung [. . .], die der Ausdifferenzierung und Fortentwicklung durch die Rechtsprechung zugänglich ist«160. Ein Umdenken der Gerichte anzumahnen, ist deshalb auch nach der Schuldrechtsreform legitim. Zum anderen ist der Erklärungshaftung mit der Beseitigung der §§ 307, 309 BGB nicht die Grundlage entzogen. Es bleiben als analogiefähige Basis im Gesetz immer noch die §§ 122, 179 II BGB. Im übrigen ist die Haftung, da es sich um eine Folge der rechtsgeschäftlichen Bindung handelt, nicht auf eine im Gesetz geregelte Anspruchsgrundlage angewiesen. Ginge der Gesetzgeber also etwa dazu über, im Zuge der Anpassung an das Modell der European Principles die Irrtumsregeln und die Regelung der Vertretung ohne Vertretungsmacht so zu gestalten, daß ein Bedürfnis für die Haftung auf das negative Interesse in diesen Konstellationen entfiele161, verlöre der Gedanke, »daß jeder Vertragschließende einstehen muß für die nachteiligen Folgen des durch seine Erklärung in dem Gegner erregten Vertrauens«162 , nicht seine Gültigkeit; ändern würde sich allein sein Anwendungsbereich. Man kann daher für die Rechtslage vor wie nach der Schuldrechtsreform festhalten: Grundsätzlich verpflichtet die Abgabe einer formnichtigen Erklärung den Erklärenden zum Ersatz des Schadens, den der andere Teil im Vertrauen auf die Wirksamkeit der Erklärung erlitten hat, es sei denn, die Formbedürftigkeit war dem Erklärungsempfänger bekannt oder er hätte sie kennen müssen163. Nicht anders als in den gesetzlich geregelten Fällen der Erklärungshaftung ist der Umfang des zu ersetzenden Schadens allerdings durch den Betrag des positiven Interesses begrenzt164 (mit Ausnahme des Falls, daß der Geschädigte ein immaterielles Interesse verfolgte165). Damit hat es allerdings noch nicht sein Bewenden: Die Formvorschriften, deren Mißachtung die Nichtigkeit und damit den Ausschluß der Haftung auf das Erfüllungsinteresse nach sich zieht, mögen aufgrund ihrer Schutzrichtung auch der Belastung des Erklärenden mit dem Vertrauensschaden seines Gegenübers entgegenstehen (dazu aa)). Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob angesichts der gesetzgeberischen Entscheidung, die Haftung auf das negative Interesse bei anfänglichen Leistungshindernissen nach den §§ 311a II, 284 BGB auf die Fälle der Kenntnis und der zu vertretenden Unkenntnis des Schuldners zu

160

BT-Drucks. 14/6040, S. 162. Dazu oben, Abschnitt I 2 c bb. 162 Windscheid/Kipp, Pandektenrecht II, § 307 Anm. 5 (S. 250). Näher dazu oben, § 3 I 2 a bb. 163 Siehe zu dieser streitigen Frage die übergreifende Darstellung für alle Fälle des unwirksamen Vertragsschlusses in Abschnitt III 2 b cc. 164 Siehe auch zu dieser streitgen Frage die übergreifende Darstellung für alle Fälle des unwirksamen Vertragsschlusses in Abschnitt III 2 c. 165 Zu dieser Einschränkung siehe oben, § 10 III 1 b. 161

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beschränken166 , nicht auch eine entsprechende Begrenzung der Haftung für formwidrige Erklärungen geboten ist (dazu bb). aa) Haftungsausschluß als Konsequenz des von der verletzten Formvorschrift bezweckten Schutzes des Erklärenden Je nach Lage der Dinge kann eine auf das negative Interesse gerichtete Residualhaftung für ein formwidriges Leistungsversprechen der Höhe nach der Erfüllungshaftung entsprechen, die durch die Nichtigkeitssanktion ausgeschlossen wird. Das ist beispielsweise dann der Fall, wenn der Käufer eines Reihenhauses im Vertrauen auf die Wirksamkeit eines privatschriftlichen Vorvertrags auf den Kauf einer benachbarten, gleichartigen Immobilie zu demselben Preis verzichtet hat oder wenn der Gläubiger im Vertrauen auf die Wirksamkeit eines formnichtigen Bürgschaftsversprechens einen Kredit an den mittlerweile insolventen Hauptschuldner ausgezahlt hat: Der Vertrauensschaden in Gestalt des entgangenen Vorteils aus dem Alternativgeschäft bzw. des Verlustes der Darlehensvaluta ist hier genauso hoch wie der Betrag, den der Verkäufer zur Begleichung des Nichterfüllungsschadens und der Bürge in Erfüllung seines Bürgschaftsversprechens zahlen müßte. Angesichts dessen begegnet man im Schrifttum vereinzelt nicht nur der auf das positive, sondern auch der auf das negative Interesse gerichteten Haftung bei formnichtigen Schuldverträgen mit Skepsis und mahnt insoweit zur Zurückhaltung167. Indes ist die potentielle Übereinstimmung des Vertrauensinteresses mit dem Erfüllungsinteresse für sich genommen nicht geeignet, Zweifel an der Berechtigung der Haftung zu wecken – mit dem Argument, daß die Pflicht zum Ersatz des negativen Interesses für den Schuldner nicht notwendig milder ausfällt als eine auf die Verwirklichung des positiven Interesses gerichtete Ersatzpflicht, kann man schließlich auch nicht der Haftung aus § 122 BGB begegnen. Das Bewußtsein der möglichen Höhe des Ersatzanspruchs schärft jedoch den Blick für die Frage, ob die Gewährung des negativen Interesses nicht im Einzelfall den Schutzzwecken widerspricht, die das Gesetz mit der Statuierung des verletzten Formerfordernisses verfolgt. Insoweit sind Differenzierungen angezeigt, die im Rahmen dieser Untersuchung nur skizziert werden können168. Kein Zweifel an der Zulässigkeit der Belastung des Urhebers einer formnichtigen Willenserklärung mit dem Vertrauensschaden eines gutgläubigen Erklärungsempfängers besteht dann, wenn die mißachtete Formvorschrift nicht auf den Schutz des Erklärenden zielt. Ein Beispiel hierfür bietet § 15 III, IV GmbHG, der die notarielle Beurkundung eines Vertrags über die Abtretung eines Geschäftsanteils an einer GmbH einschließlich des Verpflichtungsgeschäfts vorschreibt. Diese 166

Dazu oben, § 11 III 1 c bb. Vgl. Medicus, AT, Rz. 634, und schon dens., JuS 1965, 209, 214. 168 Ausführlicher (vor dem Hintergrund eines der hiesigen Ansicht ähnlichen Ansatzes) Heiss, Formmängel, S. 443 ff. 167

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Vorschrift soll (was rechtspolitisch nicht unbedingt überzeugt) die Marktgängigkeit von GmbH-Anteilen verhindern und den Beweis der Anteilsinhaberschaft sicherstellen169. Hier den Schutz des Erwerbers oder des Veräußerers oder auch beider Parteien zum selbständigen Schutzzweck zu erklären170 , erscheint wenig sinnvoll, zumal dann nicht zu rechtfertigen wäre, daß die Rechtsordnung den Beteiligten vergleichbarer Transaktionen (man denke an Aktiengeschäfte) einen solchen Schutz vorenthält. Demgemäß sollte man keine Bedenken tragen, dem Veräußerer wie dem Erwerber, der sich auf die Formnichtigkeit des Verpflichtungsgeschäfts nach § 15 IV GmbHG beruft, die Übernahme des Vertrauensschadens des anderen Teils aufzuerlegen, wenn dieser von dem Formerfordernis weder wußte noch wissen mußte171. Schwieriger verhält es sich bei den zahlreichen Formvorschriften, die zumindest auch dazu dienen, eine oder beide Vertragsparteien vor der übereilten Eingehung einer Verbindlichkeit zu schützen und ggf. auch (bei der notariellen Beurkundung) ihre rechtliche Beratung sicherzustellen. Beispielhaft genannt seien § 311b I 1 BGB (Schutz des Veräußerers und des Erwerbers eines Grundstücks172), § 492 I 1 BGB (Schutz des Darlehensnehmers173), § 518 I BGB (Schutz des Schenkers174) und § 766 S. 1 BGB (Schutz des Bürgen175). Steht in diesen Fällen die Schutzfunktion der vorgeschriebenen Form einer Erklärungshaftung der geschützten Vertragspartei entgegen? Im Hinblick auf § 311b I 1 BGB hat der V. Zivilsenat des BGH dies grundsätzlich bejaht: Der Schutzzweck der Formvorschrift, »die Entschließungsfreiheit zur Veräußerung und zum Erwerb von Grundstücken zu gewährleisten, will gerade eine Bindung der Verhandlungspartner ohne Einhaltung der Formerfordernisse verhindern. Eine Verpflichtung zum Ersatz des Vertrauensschadens könnte aber indirekt einen Zwang zur Erfüllung des Grundstücksgeschäfts ausüben und läuft schon deshalb dem Zweck des § 313 Satz 1 BGB [heute § 311b I 1 BGB, T. A.] zuwider.«176 Entsprechendes ließe sich ohne weiteres auch von den anderen soeben zitierten Formvorschriften sagen, so daß prinzipiell auch keine Haftung des Verbrauchers, des Schenkers und des Bürgen im Falle der Formnichtigkeit der von ihnen abgegebenen Erklärung in Frage käme.

169

So Brandes, WM 2000, 217, 128 mit Nachw. zur Rspr. in Fn. 15. So etwa Altmeppen, in: Roth/Altmeppen, GmbHG, § 15 Rz. 69. 171 Zu der weiteren Frage, ob die schuldlose Unkenntnis des Haftenden entlastend wirkt, siehe den sogleich folgenden Abschnitt bb). 172 Dazu statt vieler Jauernig/Stadler, § 311b Rz. 1. 173 Dazu statt vieler Jauernig/Mansel, § 492 Rz. 2. 174 Dazu statt vieler Jauernig/Mansel, § 518 Rz. 1. 175 Dazu statt vieler Jauernig/Stadler, § 766 Rz. 1. 176 BGH 6. 12. 1991, BGHZ 116, 251, 257 f. (Nachweise im Original weggelassen). – Um sich nicht zu der vorangehenden Rspr. des eigenen Senats in Widerspruch zu setzen, fügt der V. Zivilsenat hinzu, es sei deshalb nur »vereinzelt« bei verschuldetem Formfehler ein Ersatzanspruch zugebilligt worden. Wenn die Haftung aber dem Schutzzweck widerspricht, sind einzelne Ausnahmen schwer zu rechtfertigen. 170

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Dem ist jedoch zu widersprechen. Auch die Nichtigkeit, die § 142 I BGB als Folge der Irrtumsanfechtung nach § 119 BGB anordnet, dient dem Schutz des Erklärenden, indem sie die Erzwingbarkeit einer Bindung verhindert, die er infolge eines Inhalts-, Erklärungs- oder Eigenschaftsirrtums eingegangen ist. Gleichwohl mutet ihm das Gesetz in § 122 BGB eine Verpflichtung zum Ersatz des Vertrauensschadens ohne Rücksicht darauf zu, daß dadurch möglicherweise »indirekt« ein Erfüllungszwang ausgeübt wird. Der Schutz des Erklärenden vor der irrtumsbedingten Bindung soll, so die Wertung des Gesetzes, nicht zu Lasten eines Erklärungsempfängers gehen, der den Irrtum weder kannte noch kennen mußte. Dann aber ist nicht zu sehen, warum dies bei dem Schutz des Erklärenden vor einer übereilten Bindung anders sein soll: Der Defekt der Willensbildung, vor dessen Folgen die Formvorschrift den Geschützten bewahren will, fällt gewiß nicht schwerer ins Gewicht als der Defekt, dessen Folgen die Irrtumsanfechtung verhütet. Im Fall des Formverstoßes kann sogar nicht einmal gesagt werden, ob sich der schutzgegenständliche Defekt in Gestalt eines übereilten und unbedachten Vertragsschlusses in dem konkreten Fall überhaupt aktualisiert hat. Auf der anderen Seite ist der Erklärungsempfänger, der von der Formbedürftigkeit weder wußte noch wissen mußte (was freilich nicht oft vorkommen wird), nicht weniger schutzwürdig als derjenige, der sich über einen Irrtum des Erklärenden in schuldloser Unkenntnis befand. Deshalb schließt der bloße Umstand, daß eine Formvorschrift eine oder beide Vertragsparteien vor einer übereilten Bindung schützt, deren Haftung auf das negative Interesse im Fall der Formnichtigkeit nicht aus. Anders ist dies allerdings dann, wenn die Formvorschrift dem Zweck dient, eine Vertragspartei nicht nur allgemein vor unbedachten Entscheidungen, sondern im besonderen vor Gefahren zu schützen, die von ihrem verhandlungsmächtigeren Partner ausgehen: Für die Einhaltung der Form zu sorgen, gehört hier zu den Obliegenheiten des Partners, deren Nichtbeachtung ihn schutzlos stellt, ohne daß es darauf ankäme, ob er die Formvorschrift kannte oder kennen mußte177. Vor diesem Hintergrund ergibt sich die folgende Differenzierung178 : Bei Formvorschriften, deren Einhaltung nicht in den Verantwortungsbereich der anderen Vertragspartei fällt, ist eine auf den Ersatz des negativen Interesses gerichtete Haftung der vor Übereilung geschützten Partei aufgrund des Formzwecks nicht ausgeschlossen. Dies gilt unter den soeben aufgezählten Beispielen für die §§ 311b I 1, 518 I, 766 S. 1 BGB: Es ist nicht Aufgabe des Grundstückerwerbers oder -veräußerers, des Beschenkten oder des Kreditgebers, dafür zu sorgen, daß die andere Partei die ausschließlich oder (beim Grundstücksgeschäft) auch ihrem Schutz dienende Formvorschrift einhält; deshalb besteht kein Grund, dieser Partei die Haftung zu ersparen und jenen den Vertrauensschutz zu entziehen, wenn sie sich über das 177 Man könnte auch sagen, daß der überlegene Partner die Formvorschrift kraft der gesetzlichen Wertung stets kennen muß. 178 Im Ergebnis wie hier, allerdings mit teilweise anderer Begründung Heiss, Formmängel, S. 444 ff.

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Formerfordernis in einem unverschuldeten Irrtum befanden. Fällt die Einhaltung der Formvorschrift dagegen in den Verantwortungsbereich einer Partei, die aufgrund ihrer Überlegenheit vom Gesetz zum Hüter der Interessen des schwächeren Teils berufen wurde, kommt eine Haftung des geschützten Teils nicht in Betracht. Dies gilt für § 492 I 1 BGB: Bei Verbraucherdarlehensverträgen hat der Unternehmer (und Darlehensgeber) dem Verbraucher (und Darlehensnehmer) in der schriftlichen Form des Vertragsabschlusses die in § 492 I 5 BGB vorgeschriebenen Angaben zu übermitteln und ihn damit über die Tragweite des Geschäfts aufzuklären. Ist der Vertrag nach § 494 I BGB nichtig, steht dem Unternehmer deshalb kein Anspruch auf Ersatz etwaiger Vertrauensschäden gegen den Verbraucher zu179. bb) Haftungsausschluß bei schuldloser Unkenntnis des Formerfordernisses? Wer mit der h.M. die Haftung bei formnichtigen Schuldverträgen auf die Verletzung einer vorvertraglichen Schutzpfl icht stützt, gelangt mit Selbstverständlichkeit zum Verschuldenserfordernis: Nach § 280 I 2 BGB haftet der Schuldner nicht für die Verletzung einer aus den §§ 311 II, III, 241 II BGB folgenden Pflicht, wenn er die Pflichtverletzung nicht zu vertreten, sie also – im Regelfall des § 276 I 1 BGB – nicht verschuldet hat. Versteht man die Haftung dagegen wie hier als Restwirkung der rechtsgeschäftlichen Erklärung, kommt – nicht anders als bei den §§ 122, 179 II BGB – die Pflicht zum Ersatz des negativen Interesses grundsätzlich unabhängig davon in Betracht, ob den Erklärenden ein Verschuldensvorwurf wegen der Nichtbeachtung der Form trifft. Dadurch wird der Erklärende bei beiderseits nicht zu vertretender Formnichtigkeit mit dem Schadensrisiko belastet: Gesetzt den Fall, daß beispielsweise weder der Schenker noch der Beschenkte von dem Erfordernis der notariellen Form eines tatsächlich nur privatschriftlich erteilten Schenkungsversprechens wußte oder wissen mußte, wäre der Schenker dem Beschenkten also zum Ersatz des Schadens verpflichtet, den dieser im Vertrauen auf die Wirksamkeit des Versprechens erlitten hat. Die vor wie nach der Schuldrechtsreform inkonsequente Umsetzung des Gedankens der Erklärungshaftung im BGB eröffnet allerdings auch die Möglichkeit einer anderen Sicht: Bereits das alte BGB hat die auf die rechtsgeschäftliche Erklärung gegründete Pflicht zum Ersatz von Vertrauensschäden teils als Garantiehaftung (§§ 122, 179 II BGB) und teils als Verschuldenshaftung (§§ 307, 309 BGB a. F.) geregelt, und auch das geltende Recht begrenzt diese Pfl icht bei anfänglicher Unmöglichkeit auf Fälle verschuldeten Irrtums (§§ 311a II, 284 BGB). Ungeachtet der rechtspolitisch angezeigten Kritik an den unzureichenden Gründen, die den Gesetzgeber des ursprünglichen wie des reformierten Schuldrechts zu dieser Entscheidung bewogen180 , hat man daher de lege lata bei jedem nicht gesetzlich geregelten Fall der Haftung auf das negative Interesse zu prüfen, ob es die Einpassung 179

Zum auch sonst geltenden Ausschluß der Haftung des Verbrauchers siehe unten, Abschnitt

IV 2. 180

Dazu oben, Abschnitt I 2 a bb.

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in das System der gesetzgeberischen Wertungen erfordert, bei einem unverschuldeten Irrtum über den Nichtigkeitsgrund ebenso eine Ausnahme von der Schadensersatzpflicht zu machen wie bei einem unverschuldeten Irrtum über den Grund der Leistungsbefreiung nach § 275 BGB. Für eine Übertragung der in § 311a II 2 BGB geregelten Voraussetzung der Kenntnis oder des Kennenmüssens könnte immerhin sprechen, daß Formerfordernisse mehr noch als Leistungshindernisse für die Entstehung der Erfüllungspflicht relevante Umstände sind, über deren Existenz sich beide Vertragschließenden Gewißheit verschaffen können. Daher wäre es denkbar, die aus der Nichtbeachtung der Form folgende Nichtigkeit »zum Risikobereich beider Vertragsteile«181 zu zählen und die Haftung aufgrund formnichtiger Erklärungen nur zu bejahen, wenn die zurechenbare Unkenntnis des Schuldners hinzutritt182. Für die Wahl des Haftungsmaßstabs ist aber, wie bereits gezeigt wurde183, der Umstand, daß beide Seiten zur Ermittlung des Nichtigkeitsgrunds bzw. des Leistungsbefreiungsgrunds in der Lage sind und dieser daher nicht der »Sphäre« einer Partei zuzurechnen ist, sachlich nicht ausschlaggebend. Man sollte deshalb die in § 311a II 2 BGB zum Ausdruck kommende Haftungsbeschränkung nicht weiter ausdehnen, als zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen angezeigt ist. Bei der Haftung für ein formnichtiges vertragliches Versprechen kann hiervon aber wohl nicht die Rede sein: Der Fall, daß der Anspruch auf Erfüllung eines vertraglichen Leistungsversprechens wegen anfänglicher Unmöglichkeit ausgeschlossen ist, liegt so weit von dem Fall entfernt, in dem die erzwungene Erfüllung desselben Versprechens wegen Formnichtigkeit ausscheidet, daß man schwerlich daran Anstoß nehmen kann, wenn der Versprechende in dem ersten Fall einer Verschuldens- und im zweiten Fall einer Garantiehaftung auf das negative Interesse unterliegt184.

181 BGH 6. 12. 1991, BGHZ 116, 251, 257. Vgl. auch OLG Hamm 22. 6. 1993, NJW-RR 1994, 243, 245; OLG Frankfurt 15. 3. 1996, NJW-RR 1997, 170, 172 (kein Anspruch aus c.i.c., wenn es sich um ein allgemeines Wirksamkeitshindernis handelt, das nicht dem Verantwortungsbereich einer Partei zuzuordnen ist). 182 Hierfür – aufgrund der von ihnen postulierten Anlehnung an die §§ 307, 309 a. F. – Heiss, Rechtsfolgen, S. 419 ff.; Singer, Verbot widersprüchlichen Verhaltens, S. 95 ff.; vgl. zur gegenwärtigen Rechtslage auch Staudinger/Singer, § 122 Rz. 5. 183 Siehe oben, Abschnitt I 2 a bb. 184 Vgl. im übrigen als Parallele zu der hier vertretenen Lösung die verschuldensunabhängige estoppel-Haftung bei Formverstößen im amerikanischen Recht; dazu oben Abschnitt I 2 b bb.

III. Unwirksamkeit wegen fehlender rechtlicher Anerkennung des Rechtsgeschäftsinhalts

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III. Unwirksamkeit wegen fehlender rechtlicher Anerkennung des Rechtsgeschäftsinhalts 1. Kritik der Rechtsprechung Die Haftung wegen einer vorvertraglichen Schutzpflichtverletzung, die uns bereits in den Fällen des Dissenses185 und der Formnichtigkeit186 begegnet ist, dient der Rechtspraxis auch dann als Instrument des Vertrauensschutzes, wenn ein Unwirksamkeitsgrund vorliegt, der in der fehlenden rechtlichen Anerkennung des Rechtsgeschäftsinhalts wurzelt. In einem grundlegenden Urteil aus dem Jahr 1986 hat der BGH diese Entwicklung zusammengefaßt: »Seit jeher hat die Rechtsprechung für bestimmte Sachverhaltsgestaltungen die Ansicht vertreten, daß bei einem unwirksamen Vertrag die Partei wegen Verschuldens bei Vertragsverhandlungen schadensersatzpfl ichtig sein kann, die den Grund der Unwirksamkeit zu vertreten hat.«187 Der Entscheidung lag – vereinfacht dargestellt188 – ein Vertrag zugrunde, der wegen Benachteiligung einer Partei sittenwidrig und daher nach § 138 I BGB nichtig war. Die benachteiligte Partei hatte im Vertrauen auf die Wirksamkeit des Vertrags Verbindlichkeiten begründet, von denen sie auf der Grundlage eines Anspruchs aus c.i.c. befreit werden wollte. Der BGH gab ihr dem Grunde nach Recht: Die schuldhafte Verwendung eines nach § 138 I BGB wegen Benachteiligung des anderen Teils sittenwidrigen Vertrages verpflichte zum Ersatz des Vertrauensschadens. Der Haftungsgrund bestehe »in der Verletzung der vorvertraglichen Pfl icht zur Rücksichtnahme gegenüber dem anderen Vertragsteil, in dem Vertrauen auf das Bestehen eines Vertragsverhältnisses erweckt wird«189. Diesem Muster entsprechen weitere Entscheidungen zu inhaltsbezogenen Unwirksamkeitsgründen: In unmittelbarer Nachbarschaft zu den Fällen der Sittenwidrigkeit190 stehen Konstellationen, in denen die Verwendung einer nach den §§ 307, 308 oder 309 BGB unwirksamen AGB-Klausel dem Kunden, der sich insoweit für gebunden hielt, einen Vermögensnachteil bescherte. Auch hier hat die höchstrichterliche Rechtsprechung wiederholt eine Haftung des Verwenders für den Vertrauensschaden des Kunden auf der Grundlage einer Verletzung der vor185

Siehe oben, Abschnitt II 3. Siehe oben, Abschnitt II 4 a aa. 187 BGH 12. 11. 1986, BGHZ 99, 101, 106. 188 Der vom BGH zu beurteilende Sachverhalt lag insoweit komplizierter, als zwei Verträge (ein Franchise- und ein Kaufvertrag) geschlossen worden waren. Der Franchise-Vertrag war nach § 138 I BGB nichtig, und von dieser Nichtigkeit war nach § 139 BGB auch der Kaufvertrag erfaßt. 189 BGH 12. 11. 1986, BGHZ 99, 101, 107. Vgl. zur Haftung aus c.i.c. in Fällen der Sittenwidrigkeit auch BGH 12. 1. 1996, NJW 1996, 1204; OLG Dresden 6. 9. 2001, NJW 2002, 523; OLG Hamm 12. 7. 2001, NJW-RR 2002, 128, 129. 190 Diese Parallele wird auch in der soeben angesprochenen BGH-Entscheidung betont, a.a.O. (wie vorige Fn.), 107. 186

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vertraglichen Rücksichtnahmepflicht in Betracht gezogen191. Des weiteren sind in diesem Zusammenhang Urteile zu nennen, die Verträge zum Gegenstand hatten, welche wegen Fehlens einer devisenrechtlichen Genehmigung192 oder wegen Verstoßes gegen ein berufsrechtliches Verbot193 unwirksam waren, und in denen jeweils einer Partei die haftungsrechtliche Verantwortung für den Unwirksamkeitsgrund mit der Folge aufgebürdet wurde, daß sie den Vertrauensschaden ihres Gegners zu ersetzen hatte. Vor dem Hintergrund des unreformierten Schuldrechts, zu dem sämtliche hier angeführten Entscheidungen ergingen, mußte zunächst die fehlende Auseinandersetzung dieser Judikatur mit den §§ 307, 309 BGB a. F. verwundern194 : Jedenfalls für die Fälle des Verbotsverstoßes enthielt das BGB in diesen Vorschriften eine Regelung, die eine (freilich auf Kenntnis und Kennenmüssen der Verbotswidrigkeit auf Seiten des Haftpflichtigen beschränkte) rechtsgeschäftliche Residualhaftung und, entgegen einer landläufigen Meinung, keine Haftung für vorvertragliches Verschulden statuierte195. Die Verfasser des Gesetzes hatten bewußt davon abgesehen, diese Haftung auf Fälle der Sittenwidrigkeit auszudehnen196 . Ob damit nicht zugleich der Weg zur c.i.c. in all den Fällen versperrt war, in denen die Wirksamkeit eines Vertrags an der Mißbilligung seines Inhalts durch die Rechtsordnung scheiterte, hätte zumindest bedacht werden können.

191 So etwa in BGH 28. 5. 1984, NJW 1984, 2816, 2817; 8. 10. 1987, NJW 1988, 197, 198; vgl. aus der instanzgerichtlichen Rspr. etwa OLG Köln 16. 2. 1995, NJW-RR 1995, 1333, 1334; KG 21. 1. 1998, MDR 1998, 760, 761. – Brandner, in: FS Oppenhoff, S. 11, 15 ff., weist zu Recht darauf hin, daß Schadenszufügungspotentiale, auf welche die Rspr. mit der c.i.c. (und die hiesige Position mit der Erklärungshaftung) reagieren kann, nicht nur in den Fällen der Nichtigkeit nach den §§ 307 ff. BGB, sondern auch dann bestehen, wenn die Klausel wegen eines Einbeziehungsmangels nicht wirksam geworden ist oder wenn sie bei Mehrdeutigkeit zwar in der kundenfreundlichsten Auslegung zu verstehen ist, aber von dem Kunden tatsächlich in einem ihm nachteiligen Sinne verstanden wurde. 192 BGH 13. 10. 1955, BGHZ 18, 248, 252 f. – Zu den Fällen der Haftung öffentlichrechtlicher Körperschaften bei fehlender Genehmigung ihres rechtsgeschäftlichen Handelns siehe unten, Abschnitt IV 4. 193 OLG Düsseldorf 17. 12. 1974, BB 1975, 201, 202. 194 Singer, Verbot widersprüchlichen Verhaltens, S. 95 ff. (betreffend den formnichtigen Vertrag), S. 148 ff. (betreffend sonstige Wirksamkeitshindernisse) stellt den Bezug zu den §§ 307, 309 BGB a. F. her, ebenso ders., JZ 2000, 153, 154 f. Freilich ist ihm nicht darin zu folgen, daß es sich dabei um Fälle der »Vertrauenshaftung kraft Rechtsirrtums« handelte. – Der Zusammenhang mit § 307 BGB a. F. wird auch gesehen von Medicus, in: FS Keller, S. 205, 214. 195 Hätte es sich bei den §§ 307, 309 BGB a. F. um gesetzlich geregelte Fälle der Haftung für eine vorvertragliche Aufklärungspfl ichtverletzung gehandelt, so wäre nicht zu erklären gewesen, warum die Haftung bei Kenntnis oder Kennenmüssen des Gläubigers ausgeschlossen und im übrigen auf den Betrag des positiven Interesses begrenzt war. – Wie hier für die rechtsgeschäftliche Natur der Haftung etwa Esser, Schuldrecht AT4, § 52 II 3 (S. 374); Flume, Rechtsgeschäft, § 10, 4 (S. 129); Hans Stoll, in: FS v. Caemmerer, S. 435, 439; dagegen etwa Larenz, in: FS Ballerstedt, S. 397, 404; ders., Schuldrecht Bd. 1, § 9 I (S. 107); Medicus, in: Gutachten Bd. 1, S. 479, 506. 196 Vgl. Mot. II, S. 180 = Mugdan II, S. 99.

III. Unwirksamkeit wegen fehlender rechtlicher Anerkennung des Rechtsgeschäftsinhalts

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Aber auch nach der Abschaffung der §§ 307, 309 BGB a. F. vermag die von der Rechtsprechung gewählte Haftungskonstruktion nicht zu überzeugen. Insoweit kann auf die Kritik an der gleichlaufenden Praxis zum Ersatz des Vertrauensschadens beim Abschluß formnichtiger Verträge verwiesen werden197: Es ist weder statthaft noch sinnvoll, die Parteien des vorvertraglichen Schuldverhältnisses nach den §§ 311 II, 241 II BGB dafür in die Pflicht zu nehmen, das Interesse des anderen Teils am wirksamen Zustandekommen eines Vertrags zu wahren, wenn am Ende der Verhandlungen ein unwirksamer Vertragsschluß steht. Was in diesem Zusammenhang als Haftungsgrund taugt, ist nicht etwa die Unterlassung einer der anderen Seite vermeintlich geschuldeten vorvertraglichen Aufklärung oder Loyalität im Hinblick auf die Herbeiführung der Wirksamkeit, sondern überhaupt nur, daß sie sich an dem gescheiterten Rechtsgeschäft mit ihrer Willenserklärung beteiligte und dadurch ihrem (ahnungslosen) Partner die Vorstellung von einem wirksamen Vertragsschluß vermittelte.

2. Dogmatische Rekonstruktion als Erklärungshaftung a) Die Beteiligung an dem unwirksamen Rechtsgeschäft als Haftungsgrund So wie die Abgabe einer formunwirksamen Erklärung aufgrund der »Wirksamkeitsaussage«, der ihr der Empfänger notwendig entnimmt, als solche einen geeigneten Anknüpfungspunkt für die Pflicht zum Ersatz des negativen Interesses bietet, gilt dies auch für die Beteiligung an jedem anderen obligatorischen Rechtsgeschäft, dem die Rechtsordnung die Anerkennung als wirksam verweigert. Das heißt zunächst nur: Eine (zurechenbare) Erklärung des einen Teils, die sich beim schuldrechtlichen Vertrag mit der Erklärung des anderen Teils zu dem Rechtsgeschäft vereint, auf dessen Wirksamkeit der andere fälschlich vertraut, ist notwendige Voraussetzung der Haftung auf das negative Interesse. Die Haftung mag indes, wie ebenfalls bereits im Hinblick auf die Mißachtung von Formvorschriften erörtert wurde198 , aufgrund des Schutzzwecks der verletzten Norm nicht in Betracht kommen. Sie mag des weiteren (was bei Formverstößen verneint wurde199, aber bei den hier diskutierten Unwirksamkeitsgründen anders zu bewerten sein könnte) ausscheiden, wenn der Erklärende sich in nicht zu vertretender Unkenntnis des Unwirksamkeitsgrundes befand. Schließlich ist zu überprüfen, ob der Ausschluß der Haftung, wenn der Erklärungsempfänger Kenntnis von dem Unwirksamkeitsgrund hat oder ihn kennen muß, und ihre Begrenzung auf den Betrag des positiven Interesses hier ebenso angezeigt sind wie bei ihren gesetzlichen Vorbildern in den §§ 122, 179 II, III 1 BGB. Diese Gesichtspunkte, die sich zu dem Gesamtbild der rechtsgeschäftlichen Residualhaftung zusammenfügen und dem Leser dieser Untersuchung mittlerweile allesamt bekannt sind, seien nachfolgend 197 198 199

Siehe oben, Abschnitt II 4 a bb. Siehe oben, Abschnitt II 4 b aa. Siehe oben, Abschnitt II 4 b bb.

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auf ihre Bedeutung für die Konstellationen inhaltsbezogener Unwirksamkeit untersucht. b) Haftungsausschlußgründe aa) Unvereinbarkeit der Haftung mit dem Normzweck Wer mit der hier vertretenen Ansicht als Grund der Ersatzpflicht die Erklärung ansieht, mit der sich ein Vertragschließender an einem unwirksamen Vertrag beteiligt, setzt sich auf den ersten Blick dem Einwand aus, daß die Haftung dann stets reziprok sein müsse: Im Fall der Sittenwidrigkeit wegen Benachteiligung einer Partei 200 wäre beispielsweise nicht nur die begünstigte, sondern auch die übervorteilte Seite und im Fall der Vereinbarung unangemessener AGB201 nicht nur der Verwender, sondern auch der Kunde zumindest potentiell haftbar, denn schließlich hat die eine wie die andere Partei durch ihre Erklärung den Vertragschluß mit dem privatrechtlich mißbilligten Inhalt herbeigeführt. Vorausgesetzt, daß die von dem sittenwidrigen oder unangemessenen Vertragsinhalt profitierende Partei guten Glaubens im Hinblick auf die Abwesenheit des Unwirksamkeitsgrundes war (was bei der Sittenwidrigkeit allerdings nur aktuell werden kann, wenn man bei deren Feststellung auf subjektive Erfordernisse verzichtet 202), kann diese also scheinbar den Ersatz des negativen Interesses beanspruchen. Doch diese Konsequenz ist mit dem hiesigen Ansatz nicht verbunden: Dem Kunden des AGB-Verwenders und dem Opfer einer sittenwidrigen Benachteiligung den Schaden aufzubürden, den sein Vertragspartner im Vertrauen auf die Wirksamkeit der AGB bzw. des sittenwidrigen Vertrags erlitten hat, geht bei solchen Sachverhaltsgestaltungen schon wegen des Zwecks der verletzten Norm nicht an, der gerade darauf gerichtet ist, die eine Partei vor der anderen in Schutz zu nehmen. Was die Inhaltskontrolle nach den §§ 307 ff. BGB betrifft, gilt daher: Der Kunde ist aufgrund des Erfordernisses unangemessener Benachteiligung nach der typisierten gesetzlichen Wertung per se schutzbedürftig und der Verwender per se schutzunwürdig, mag ersterer im Einzelfall auch ein gewiefter Jurist und letzterer ein unerfahrener Kleinunternehmer sein, der von der Unwirksamkeit seiner AGB nichts ahnte und infolgedessen einen erheblichen Vertrauensschaden erlitten hat. Und im Hinblick auf § 138 BGB ist zu sagen: In den Fällen des Wuchers (§ 138 II BGB), die stets auf die Schwäche eines Vertragspartners rekurrieren, wie auch in denjenigen Fällen der Sittenwidrigkeit nach § 138 I BGB, bei denen schwere Äquivalenzstörungen, Freiheitsbeschränkungen der einen oder die übermächtige Stellung der anderen Seite der rechtlichen Wertung das Gepräge geben, verbietet sich eine Ersatzpflicht des unterlegenen gegenüber dem stärkeren Partner generell, und

200

Vgl. etwa BGH 12. 11. 1986, BGHZ 99, 101. Vgl. etwa BGH 28. 5. 1984, NJW 1984, 2816 202 Vgl. zur Problematik der subjektiven Voraussetzungen der Sittenwidrigkeit MünchKomm/ Mayer-Maly/Armbrüster, § 138 Rz. 129 ff. 201

III. Unwirksamkeit wegen fehlender rechtlicher Anerkennung des Rechtsgeschäftsinhalts

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eine Haftung auf das negative Interesse kommt nur in der anderen Richtung in Frage. bb) Nicht zu vertretende Unkenntnis des Unwirksamkeitsgrundes auf Seiten des Erklärenden? Der Zurechnungsgrund der Erklärungshaftung liegt darin, daß der Erklärende einen Erklärungstatbestand geschaffen hat, dessen Sinn er sich nach den §§ 133, 157 BGB zurechnen lassen muß203. Unerheblich für die Begründung der Zurechnung ist dagegen prinzipiell, ob der Erklärende den Unwirksamkeitsgrund schuldhaft verursacht hat oder ob er ihn kannte oder kennen mußte. In Anbetracht des Umstandes, daß § 311a II 2 BGB die aus § 284 BGB folgende Haftung des Erklärenden auf das negative Interesse bei anfänglichen leistungsbefreienden Hindernissen ausschließt, wenn er sich über deren Bestehen in nicht zu vertretender Unkenntnis befand, könnte es jedoch zur Wahrung einer konsistenten Rechtsanwendung geboten sein, eine entsprechende Beschränkung der Haftung auf das negative Interesse bei unwirksamen Rechtsgeschäften anzunehmen. Beruht die Unwirksamkeit eines Vertrags und, dadurch bedingt, die fehlende Erzwingbarkeit seiner Erfüllung auf der rechtlichen Beurteilung seines Inhalts als verbotswidrig, sittenwidrig oder unangemessen, ist nämlich die Nähe zumindest einiger dieser Konstellationen zu den Fällen des Ausschlusses der Leistungspflicht infolge Unmöglichkeit so groß, daß man in der Tat Bedenken haben kann, wenn unterschiedliche Haftungsmaßstäbe zur Anwendung kommen. Solche Berührungspunkte ergeben sich vor allem im Grenzbereich der anfänglichen Unmöglichkeit auf der einen und der Verbotswidrigkeit auf der anderen Seite: Wird der von einem Vertrag erstrebte Erfolg wegen eines Verbotsverstoßes nach § 134 BGB rechtlich nicht anerkannt, ist es zuweilen überaus schwierig zu erkennen, ob daraus nur die Nichtigkeit des Erfüllungsgeschäfts (mit der Folge der Unmöglichkeit der Erfüllung des Verpflichtungsgeschäfts) oder auch die Nichtigkeit des Verpflichtungsgeschäfts folgt. So soll einerseits z. B. das Verbot der Leerübertragung einer Firma nach § 23 HGB nur zur Nichtigkeit der Übertragung, nicht aber zur Nichtigkeit des darauf gerichteten Verpflichtungsgeschäfts führen, dessen Erfüllung freilich unmöglich ist 204. Andererseits richtet sich etwa das aus § 203 I Nr. 1 StGB folgende Verbot der Übergabe einer Patientenkartei ohne Einwilligung der betroffenen Patienten nach der Rechtsprechung sowohl gegen das Erfüllungs- als auch gegen das Verpfl ichtungsgeschäft 205.

203

Zu den Zurechnungsgrenzen siehe oben, Abschnitt II 1. Vgl. statt vieler Koller/Roth/Morck/Roth, § 23 Rz. 3. 205 BGH 11. 12. 1991, BGHZ 116, 268, 276 f. (wo zudem die allgemeine Behauptung aufgestellt wird, daß bei Nichtigkeit des Erfüllungsgeschäfts wegen Verbotsverstoßes grundsätzlich auch das Verpfl ichtungsgeschäft nach § 134 BGB nichtig sei). – Vgl. zu diesem Fall auch Arnold, in: Dauner-Lieb/Arnold/Dötsch/Kitz, S. 207 f. (§§ 280 I, 311 II, 241 II BGB als Anspruchsgrundlage). 204

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§ 12 Der Schutz des negativen Interesses bei unwirksamen Rechtsgeschäften

Solange die Unmöglichkeit der Verbotswidrigkeit aufgrund der übereinstimmenden Regelungen im BGB (Nichtigkeit nach § 134 BGB bzw. nach § 306 BGB a. F.; Ersatz des negativen Interesses nach den §§ 307, 309 BGB) gleichgestellt war, konnte man sich die Mühe einer präzisen Abgrenzung ersparen. Seit der Schuldrechtsreform sind die beiden Fälle indes vollkommen unterschiedlich geregelt: Der Verkäufer der Firma haftet, soweit er sich nicht in einem unverschuldeten Irrtum über das Verbot der Leerübertragung befand, nach Maßgabe von § 311a II BGB auf das positive Interesse oder, nach Wahl des Käufers, gemäß § 284 BGB auf das negative Interesse. Der Verkäufer der Patientenkartei haftet dagegen allenfalls auf das negative Interesse. Versteht man die Schadensersatzpflicht bei Unwirksamkeit des Verpflichtungsgeschäfts wie hier als Ausdruck einer Erklärungshaftung analog §§ 122, 179 II BGB und nicht als Ausprägung der c.i.c., kommt als weiterer Unterschied hinzu, daß es im zweiten Fall auf Kenntnis oder Kennemüssen des Verkäufers nicht ankommt. Diese Diskrepanz der Haftungsmaßstäbe, was die Pfl icht zum Ersatz des negativen Interesses betrifft, ist gewiß mißlich, aber de lege lata hinzunehmen: Die gesetzgeberische Entscheidung, bei der anfänglichen Unmöglichkeit (also dann, wenn nur das Erfüllungsgeschäft nach § 134 BGB nichtig ist) zur Wirksamkeit des Verpflichtungsgeschäfts überzugehen, hat den Wertungseinklang mit der Behandlung des verbotswidrigen und daher nichtigen Verpflichtungsgeschäfts ohnehin beseitigt. Dieser Einklang ist durch Randkorrekturen wie die Erstreckung des für wirksame Verträge geltenden Haftungsmaßstabs auf die Haftung für unwirksame Verträge nicht wiederherzustellen – die ausschlaggebende Differenz, daß in dem einen Fall (auch) das Erfüllungsinteresse und in dem anderen nur das Vertrauensinteresse geschützt wird, läßt sich nun einmal nicht ungeschehen machen. Man hat vielmehr (was indes nicht Thema dieser Arbeit ist) die Grenzlinie zwischen der Unmöglichkeit infolge Nichtigkeit des Verfügungsgeschäfts und der Nichtigkeit des Verpflichtungsgeschäfts wegen Verbotsverstoßes so zu ziehen, daß aus dem Wertungssprung tunlichst kein Wertungswiderspruch wird 206 . cc) Kenntnis oder verschuldete Unkenntnis des Unwirksamkeitsgrundes auf Seiten des Erklärungsempfängers Außer der Unabhängigkeit der Ersatzpflicht vom Vertretenmüssen des Schuldners zählt zu den markanten Unterschieden der hier verfochtenen Erklärungshaftung zu der von der Rechtsprechung entwickelten Haftung für eine vorvertragliche Pflichtverletzung der Umstand, daß die Kenntnis oder verschuldete Unkenntnis des Unwirksamkeitsgrundes auf Seiten des Gläubigers nach der hiesigen Ansicht nicht anspruchsmindernd, sondern – entsprechend der Regelung in den §§ 122 II, 179 III 1 BGB – anspruchsausschließend wirkt. Der BGH hat mit dem Beifall der

206

Erste Andeutungen in dieser Richtung bei Rieble, in: Das neue Schuldrecht in der Praxis, S. 137, 149 f.

III. Unwirksamkeit wegen fehlender rechtlicher Anerkennung des Rechtsgeschäftsinhalts

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Literatur207 eine Analogie zu den §§ 122 II, 179 III 1 BGB stets abgelehnt: Ein Mitverschulden des Geschädigten, das darin bestehe, daß er nicht auf die Wirksamkeit des von ihm geschlossenen Vertrages hätte vertrauen dürfen, sei vielmehr allein nach § 254 BGB zu berücksichtigen 208. Man könnte sich an dieser Stelle mit dem Hinweis begnügen, daß es sich dabei um eine Konsequenz des von der Rechtsprechung gewählten Lösungsansatzes handelt, welche genauso wie der Ansatz selbst abzulehnen ist. Es sei aber hinzugefügt, daß, unabhängig vom dogmatischen Ausgangspunkt, der Anspruchsverlust bei Kenntnis oder Kennenmüssen des Unwirksamkeitsgrundes auch in der Sache vorzugswürdig ist: Wer weiß oder zumindest mit effizientem Aufwand herausfinden kann, daß die ihm gegenüber dem äußeren Anschein nach begründete rechtsgeschäftliche Bindung unter einem Defekt leidet, aufgrund dessen er sich auf ihre Einhaltung nicht verlassen kann, bedarf nicht des rechtlichen Schutzes209. Ob dieser Defekt in einem Willensmangel, im Fehlen der Vertretungsmacht, in der Form-, Sitten- oder Verbotswidrigkeit usw. besteht, ist insoweit einerlei. Es ist allerdings nicht zu leugnen, daß es bei den form- und inhaltsbezogenen Unwirksamkeitsgründen weitaus öfter zu einem Haftungsausschluß kommen wird als in den gesetzlich geregelten Fällen – insbesondere der Irrtum über die Formbedürftigkeit wird in der Regel ein nicht zu entschuldigender Rechtsirrtum sein 210. Darin »Härten« zu sehen, denen es durch die Anwendung von § 254 BGB zu begegnen gelte211, überzeugt indes nicht: Daß jemand, der nicht schutzwürdig ist, auch nicht geschützt wird, mag dem Betroffenen hart erscheinen, verliert allein deshalb jedoch nicht seine Richtigkeit. c) Der Umfang der Haftung Der aufgrund eines Anspruchs aus den §§ 122 I, 179 II BGB zu ersetzende Schaden darf den Betrag des Interesses nicht überschreiten, den der Geschädigte an der Gültigkeit der Erklärung hat. Bereits in ihrem originären Anwendungsbereich ist diese Haftungsgrenze, wie gezeigt wurde, aus teleologischen Erwägungen zu korrigieren: Ihr Anliegen ist es, dem Gläubiger nicht das »Wagnis« abzunehmen, »das er mit Eingehung des Vertrags übernommen hat«212. Da sich bei einem Gläubiger, der mit der Leistung ein immaterielles Interesse verfolgt, dieses Wagnis nicht verwirklicht, wenn sein Vertrauensschaden den Betrag des Erfüllungsinteresses übersteigt, hat insoweit die quantitative Begrenzung des Haftungsumfangs außer Betracht zu bleiben; statt dessen ist auf die Zweckgerechtigkeit der Vertrauensdis-

207 Vgl. z. B. Hk-BGB/Schulze, § 311 Rz. 27; Jauernig/Stadler, § 311 Rz. 53; Palandt/Grüneberg, § 311 Rz. 56. 208 So etwa (mit weiteren Nachw.) BGH 12. 11. 1986, BGHZ 99, 101, 108 f. 209 Siehe oben, § 10 III 2. – Übereinstimmend mit Bezug auf die Haftung bei Wirksamkeitshindernissen Singer, JZ 2000, 153, 155. 210 Darauf weist Medicus, in: Gutachten Bd. 1, S. 479, 515, hin. 211 So Medicus (wie vorige Fn.). 212 RG 22. 6. 1936, RGZ 151, 357, 358 f.

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position abzustellen 213. Darüber hinaus verbietet es sich aber auch, die Haftungsgrenze (und ihre teleologische Modifikation in Gestalt des Zweckverfehlungseinwands) auf die weiteren, gesetzlich nicht geregelten Fälle der Haftung für unwirksame Erklärungen schematisch zu übertragen. Man hat vielmehr stets darauf zu achten, ob es ihrer ratio entspricht, wenn dem Gläubiger der Ersatz eines über sein positives Interesse hinausgehenden Schadens verweigert wird. Bei Formmängeln, wie sie im vorigen Abschnitt behandelt wurden, unterliegt dies keinen Bedenken: Hier gibt es, ebensowenig wie bei Mängeln der Vertretungsmacht oder Willensmängeln des Erklärenden, einen Grund, dem Geschädigten das Risiko einer Fehlspekulation zu ersparen, das er ebenso zu tragen hätte, wenn der Vertrag wirksam gewesen wäre214. Beruht die Unwirksamkeit des Vertrags aber auf der inhaltlichen Mißbilligung seines Inhalts als verbots- oder sittenwidrig oder unangemessen benachteiligend (§ 307 BGB), liegen die Dinge teilweise anders: Soweit in diesen Fällen die Anordnung der Unwirksamkeit gerade verhindern soll, daß der schwächeren Partei das Wagnis aufgebürdet wird, das sich mit dem Inhalt des Vertrags verbindet, widerspricht es dem Schutzzweck der Norm, den Schadensersatz auf den Betrag zu begrenzen, den der Gläubiger bei Erfüllung des (als wirksam gedachten) Vertrags erzielt hätte. So wird man etwa dem durch einen sittenwidrigen Franchise-Vertrag benachteiligten Gaststättenbetreiber215 die Aufwendungen, die er im Vertrauen auf die Wirksamkeit des Vertrags zur Anschaffung von Mobiliar gemacht hat, auch dann zuzusprechen haben, wenn sich der Vertrag für ihn als Verlustgeschäft erwiesen hätte, denn das Sittenwidrigkeitsurteil beruht hier ja gerade darauf, ihn vor den abträglichen Folgen des Vertrags zu bewahren. Soweit das hier vertretene Verständnis der Haftung bei unwirksamem Vertragsschluß analog §§ 122 I, 179 II BGB zur Begrenzung der Haftung auf den Betrag des positiven Interesses führt, widerspricht sie Rechtsprechung und Schrifttumsstimmen, die – von der c.i.c. als Anspruchsgrundlage ausgehend – diese Limitierung der Haftung teilweise pauschal ablehnen 216 . Richtigerweise sollte aber auch dann, wenn man die Schadensersatzpflicht auf eine c.i.c. gründet, für die Fallgruppe des unwirksamen Vertragsschlusses genauso wie für die noch zu behandelnde Fallgruppe des Scheiterns der Vertragsanbahnung217 eine entsprechende Begrenzung des Haftungsumfangs gelten. Denn unabhängig von der Anspruchsgrundlage tritt in diesen Konstellationen ebenso wie in den Fällen der §§ 122 I, 179 II BGB 213

Siehe oben, § 10 III 1 b. So bereits zutreffend Medicus, in: Gutachten Bd. 1, S. 479, 514. 215 Vgl. den Sachverhalt des Urteils des BGH vom 12. 11. 1986, BGHZ 99, 101. 216 Vgl. etwa BGH 16. 11. 1967, BGHZ 49, 77, 82 (Haftung wegen Vergabefehlers); 28. 10. 1971, BGHZ 57, 191, 193 (Haftung wegen Scheiterns der Vertragsanbahnung); 25. 5. 1977, BGHZ 69, 53, 56 (Haftung wegen vorvertraglicher Falschinformation); 18. 6. 1997, BGHZ 136, 102, 106 (Haftung wegen vorvertraglicher Falschinformation); aus der Lit. etwa Bamberger/Roth/Grüneberg, § 280 Rz. 35; Hk-BGB/Schulze, § 311 Rz. 26, 27; Jauernig/Stadler, § 311 Rz. 54; MünchKomm/Emmerich, § 311 Rz. 234. 217 Dazu unten, § 13 II 2 b bb. 214

IV. Unwirksamkeit wegen der Schutzbedürftigkeit des Rechtsgeschäftssubjekts

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ein Ersatzanspruch an die Stelle des fehlgeschlagenen Vertrags, so daß es nicht einzusehen ist, warum der Geschädigte aufgrund dieses Anspruchs besser gestellt werden sollte, als er bei Abschluß des wirksamen Vertrags stehen würde. Dies unterscheidet die hier behandelten Fälle von den anderen Fallgruppen der c.i.c., in denen der geltend gemachte Schaden in einer Beeinträchtigung des Integritätsinteresses (bei der quasi-deliktischen Schutzpfl ichtverletzung) oder in einer unzulässigen Beeinflussung der vorvertraglichen Entscheidungsfindung (bei der Informationspflichtverletzung) besteht und in denen es in der Tat keinen Sinn hätte, auf eine solche Grenze abzustellen. In der Leitentscheidung des Reichsgerichts218 zur Begrenzung der Haftung wegen c.i.c. ist eine solche Differenzierung noch angelegt, und auch in späterer Rechtsprechung und Literatur hat sie sich zum Teil erhalten 219. Daß sie andernorts verlorengegangen ist oder jedenfalls nicht klar zum Ausdruck kommt, zeigt nicht zuletzt, daß die nun in den §§ 280 I, 241 II, 311 II, III BGB kodifizierte, einheitliche Anspruchsgrundlage »c.i.c« eine Nivellierung sachlich gebotener Unterscheidungen begünstigt. Wer mit der hiesigen Ansicht die Fälle des unwirksamen Vertragsschlusses und, wie in § 13 II gezeigt werden wird, der gescheiterten Vertragsanbahnung von vornherein auf anderer Basis löst, läuft diese Gefahr nicht.

IV. Unwirksamkeit wegen der Schutzbedürftigkeit des Rechtsgeschäftssubjekts 1. Der Schutz des Geschäftsunfähigen Der von Jhering unter der Überschrift »Unfähigkeit des Subjects« entwickelten Fallgruppe der c.i.c. ist unter der Herrschaft des BGB kein Erfolg beschieden gewesen: Hat ein Geschäftsunfähiger (oder ein ohne Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters handelnder beschränkt Geschäftsfähiger) sich als geschäftsfähig geriert und einen Vertrag mit einem Partner geschlossen, der von der Geschäftsunfähigkeit weder wußte noch wissen mußte, kann der Partner nach heute wohl unbestrittener Auffassung im Rahmen des deutschen Sachrechts nicht den Ersatz des negativen Interesses verlangen. Durchgesetzt hat sich vielmehr die Auffassung seines Schülers und Kontrahenten Bähr: »Wenn das Gesetz gewissen Personen wegen unreifen Alters [. . .] einen Schutz wider sich selbst verleiht, indem es sie des Verpflichtungswillens für unfähig erklärt, so darf dieser Schutz nicht dadurch illusorisch gemacht werden, daß man an ihren Leichtsinn doch wieder eine, wenn auch geminderte, Haftbarkeit knüpft. Diese vom Gesetz positiv in den Vordergrund gestellte Rücksicht kann auch durch das Bedürfniß, die bona fides des Ver218

RG 22. 1. 1936, RGZ 151, 357, 358 ff. Vgl. BGH 23. 9. 1982, NJW 1983, 442, 444; 10. 12. 1986, BGHZ 99, 182, 201; aus der Lit. etwa Gottwald, JuS 1982, 877, 884; Küpper, Scheitern von Vertragsverhandlungen, S. 279 ff.; Medicus, in: Gutachten, S. 479, 514. 219

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kehrs zu schützen, nicht aufgewogen werden.«220 Stellt man, wie hier, auf die Anreizfunktion privatrechtlicher Sanktionen ab, ist Bährs Auffassung beizupflichten, denn das in der Aberkennung der Geschäftsfähigkeit zum Ausdruck kommende Urteil der Rechtsordnung, daß der Geschäftsunfähige nicht für Anreize zur Steuerung seines Verhaltens im rechtsgeschäftlichen Verkehr empfänglich ist, gilt gleichermaßen für Sanktionen zum Schutz des positiven wie auch des negativen Interesses. Dieses Urteil wird durch Art. 12 EGBGB, der den guten Glauben des Vertragspartners an die nach dem Recht des Abschlußortes gegebene Geschäftsfähigkeit seines Gegenübers durch den Ausschluß der Berufung auf die Geschäftsunfähigkeit nach dessen Heimatrecht schützt, nicht in der Sache konterkariert, sondern kollisionsrechtlich relativiert: Für die Beurteilung der Geschäftsfähigkeit ist die Staatsangehörigkeit (Art. 7 EGBGB) eben nicht immer der geeignete Anknüpfungspunkt.

2. Der Schutz des Verbrauchers Der soeben anhand der Geschäftsunfähigkeit illustrierte Gedanke, daß die typisierte Zuerkennung von Schutzbedürftigkeit im rechtsgeschäftlichen Verkehr nicht nur der vollen rechtsgeschäftlichen Haftung, sondern auch ihrer Restwirkung in Gestalt der Haftung auf das negative Interesse entgegenstehen kann, fi ndet des weiteren Ausdruck im Bereich des Verbraucherschutzes: In einem 1995 vom BGH entschiedenen Fall hatte eine Bank ihren Kunden unter dem Gesichtspunkt der c.i.c. auf Schadensersatz in Anspruch genommen, nachdem dieser eine auf die Bestellung einer Sicherungsgrundschuld gerichtete Vereinbarung nach dem damaligen Gesetz über den Widerruf von Haustürgeschäften (heutige Grundlage ist § 312 BGB) widerrufen hatte. Der BGH lehnte dies mit der Begründung ab, daß der Sinn und Zweck des Gesetzes, einen Kunden, der sein Widerrufsrecht ausgeübt hat, von den Rechtsfolgen seiner Erklärungen freizustellen, es grundsätzlich verbiete, ihn für diese Erklärungen wegen c.i.c. haften zu lassen 221. Die Begründung mag tautologisch sein – es ist ja gerade die Frage, ob es Sinn und Zweck der Widerrufsregelung ist, im Fall des Widerrufs außer dem Erfüllungsanspruch und der Haftung auf das Erfüllungsinteresse auch die Verpfl ichtung zum Ersatz des Vertrauensinteresses auszuschließen. Dem Ergebnis ist jedoch zuzustimmen: Wie bereits im Zusammenhang mit der Formvorschrift des § 492 BGB ausgeführt wurde222 , schützen die Regeln des Verbraucherschutzes dessen Entscheidungsfreiheit gerade in der Beziehung zu seinem Vertragspartner, dem Unternehmer. Deshalb fällt das Risiko einer unbedachten Entscheidung, dessen Folge der Verbraucher durch den Widerruf beseitigen darf, in den Verantwor220 Bähr, Jher.Jb. 14 (1875), 393, 408; vgl. dazu aus der neueren Lit. Frotz, in: GS Gschnitzer, S. 163, 176; Medicus, in: FG Kaser, S. 169, 176; Schanze, Ius Commune VII (1978), 326, 342. 221 BGH 26. 9. 1995, BGHZ 131, 1, 7. 222 Siehe oben, Abschnitt II 4 b aa.

IV. Unwirksamkeit wegen der Schutzbedürftigkeit des Rechtsgeschäftssubjekts

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tungsbereich des Unternehmers, der etwaige Vertrauensschäden mithin selbst zu tragen hat.

3. Zur Abgrenzung: Beschränkungen juristischer Personen des öffentlichen Rechts im rechtsgeschäftlichen Verkehr Eine mit den zuletzt erörterten Konstellationen kontrastierende Fallgruppe der c.i.c. knüpft an diverse Beschränkungen an, denen juristische Personen des öffentlichen Rechts, insbesondere die kommunalen Selbstverwaltungskörperschaften, im rechtsgeschäftlichen Verkehr unterliegen: Privatrechtliche Verträge, die eine Gemeinde abschließt, mögen wegen Fehlens der für die Vollmacht ihres Vertreters erforderlichen Form 223, wegen Mißachtung des Erfordernisses einer Unterzeichnung durch zwei Gesamtvertreter224 oder wegen Nichterteilung einer aufsichtsbehördlichen Genehmigung225 nichtig sein. In diesen Fällen geht die Rechtsprechung davon aus, daß die Gemeinde das berechtigte Vertrauen der Gegenseite auf das Zustandekommen des Vertrags schuldhaft enttäuscht hat, da sie die für sie geltenden Beschränkungen im Privatrechtsverkehr mit Dritten besser habe kennen müssen als ihr Gegenüber226 . Abgesehen davon, daß nach der hiesigen Auffassung die Haftung auch hier nicht auf eine schuldhafte Aufklärungspflichtverletzung, sondern auf den der Gemeinde zuzurechnenden Erklärungstatbestand zurückgeführt werden sollte227, ist der Grundaussage dieser Urteile zuzustimmen: Die Vorschriften, welche eine Gemeinde daran hindern, wie jeder Private uneingeschränkt am rechtsgeschäftlichen Verkehr teilzunehmen, haben, anders als etwa die Verbraucherschutzregeln, nicht die Funktion, sie paternalistisch vor sich selbst zu schützen. Ihr Anliegen ist es vielmehr, die Kontrolle des Staates über seine verselbständigten Einheiten und deren Organe zu erhalten, wenn diese sich rechtsgeschäftlich betätigen. Die Effektu223

Vgl. BGH 20. 6. 1952, BGHZ 6, 330. Vgl. BGH 13. 10. 1983, NJW 1984, 606; 20. 9. 1984, BGHZ 92, 164. 225 Vgl. BGH 10. 6. 1999, NJW 1999, 3335 = JZ 2000, 149 m.Anm. Singer; 6. 6. 2000, MDR 2000, 1247. 226 Vgl. insbesondere BGH 10. 6. 1999, NJW 1999, 3335, 3338; der Sache nach auch schon BGH 20. 6. 1952, BGHZ 6, 330, 332 ff.; 13. 10. 1983, NJW 1984, 606, 607; 20. 9. 1984, BGHZ 92, 164, 175. 227 Von einem der Gemeinde zuzurechnenden Erklärungstatbestand (und nicht von einem Fall des § 177 BGB) ist auch dann auszugehen, wenn es an einer von beiden Gesamtvertretern unterzeichneten Verpfl ichtungserklärung fehlt. Zwar handelt es sich bei einer solchen landesrechtlichen Vorgabe nach der Rspr. (BGH 13. 10. 1983, NJW 1984, 606) mit Rücksicht die fehlende Länderkompetenz zur Einführung privatrechtlicher Formvorschriften (Art. 55 EGBGB) nicht um eine Formvorschrift, sondern um eine Vertretungsregelung; doch sollte wegen dieser Besonderheit nicht die schadensersatzrechtliche Verantwortlichkeit der Gemeinde für die von ihrem Vertreter vorschriftswidrig abgegebene Erklärung abgelehnt werden: Die Konsequenz wäre sonst, daß das die für die Gemeinde auftretende Person selbst als Vertreter ohne Vertretungsmacht nach § 179 I BGB haftbar wäre, was der BGH in einem Urteil vom 10. 5. 2001, BGHZ 147, 381, 387 ff., ausdrücklich abgelehnt hat. 224

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§ 12 Der Schutz des negativen Interesses bei unwirksamen Rechtsgeschäften

ierung der Kontrolle durch die Anordnung der Nichtigkeit von Verträgen, deren Abschluß durch die Gemeinde den hierfür geltenden Regeln nicht entspricht, darf nicht zu Lasten Dritter gehen, die sich auf das Geschäft mit der Gemeinde eingelassen haben. Der Vertrauensschaden, den sie infolge der Nichtigkeit erlitten haben, ist ihnen daher zu ersetzen. Man kann demnach festhalten: Anders als in den Fällen, in denen ein privatrechtliches Rechtssubjekt um seiner selbst willen durch Einschränkungen seiner Zurechnungsfähigkeit vor den Gefahren des Rechtsgeschäftsverkehrs behütet wird, ist eine Restwirkung von Rechtsgeschäften zu bejahen, die ein öffentlichrechtliches Rechtssubjekt unter Mißachtung der ihm auferlegten Restriktionen tätigt.

§ 13 Der Schutz des negativen Interesses jenseits des Rechtsgeschäfts: Vor- und außervertragliche Selbstbindung Den Abschluß der in diesem Teil der Arbeit unternommenen systematischen Rekonstruktion der Haftung auf das negative Interesse als Selbstbindungssanktion bilden die Fälle, in denen vor- oder außervertragliches Verhalten der einen Partei bei der anderen Seite normative Erwartungen geweckt hat, die später enttäuscht werden: Der sicher geglaubte Vertragsabschluß kommt nicht zustande (dazu II.), der tatsächlich geschlossene Vertrag oder die tatsächlich erbrachte Leistung entspricht nicht den Erwartungen (dazu III.), oder das Vertrauen in die Verläßlichkeit von Rat und Auskunft eines Dritten erweist sich als trügerisch (dazu IV.). Während Jhering bei der Kreation der c.i.c. an die Lösung solcher Fälle noch nicht gedacht hatte1, sollte die von ihm benannte Rechtsfigur nach Inkrafttreten des BGB nach und nach das Territorium des vor- und außervertraglichen Schutzes normativer Erwartungen erobern 2. Damit ging ein Bedeutungswandel einher, dessen Ergebnis die Kodifikation des außervertraglichen Schutzpflichtverhältnisses in den §§ 311 II, III, 241 II BGB dokumentiert: Die c.i.c. in ihrer heutigen Ausprägung läßt sich selbstverständlich nicht als Restwirkung eines unwirksamen obligatorischen Rechtsgeschäfts interpretieren. Es bleibt aber – nunmehr nicht mehr in Anknüpfung an Jhering und Windscheid, sondern an jüngere, rechtsvergleichend inspirierte Ansätze3 – die Frage, ob nicht jedenfalls bei Teilen des Fallmaterials, in denen die Rechtsprechung eine Verpflichtung aus c.i.c. angenommen hat oder nach Forderungen des Schrifttums annehmen sollte, ein Haftungsgrund identifiziert werden kann, der als außerrechtsgeschäftliche Selbstbindung einzuordnen ist. Die rechtspolitischen Vorbehalte gegen eine solche Systematisierung haben die Überlegungen im ersten Teil dieser Arbeit auszuräumen versucht. Was aber trägt es zum Verständnis des geltenden Rechts bei, wenn man Fälle der Haftung für Rat und Auskunft, für gescheiterte und für nicht erwartungsgerechte Vertragsschlüsse nicht als Verantwortlichkeit für die Verletzung heteronom begründeter Pfl ichten, sondern als Sanktion für die Enttäuschung normativer Erwartungen interpretiert, die der Pflichtige selbst in zurechenbarer Weise begründet hat? Weil das Gesetz 1

Siehe oben, § 3 I 1. Siehe oben, § 3 I 2 b. 3 V.a. Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, sowie Hans Stoll, in: FS Flume, S. 741 ff.; ders., in: FS v. Caemmerer, S. 435 ff.; ders., in: FS Riesenfeld, S. 275 ff. 2

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§ 13 Der Schutz des negativen Interesses jenseits des Rechtsgeschäfts

nunmehr jedenfalls der äußeren Gestalt nach eine einheitliche Anspruchsgrundlage für alle Fälle der c.i.c. bereithält, die es aufgrund der vorangehenden richterrechtlichen Entwicklung bereits sind oder (v. a. im Bereich der Dritthaftung) künftig noch werden könnten, erscheint es auf den ersten Blick wenig sinnvoll, die hier diskutierten »quasi-rechtsgeschäftlichen« Konstellationen der Haftung auf das negative Interesse von dem »quasi-deliktischen« Integritätsschutz der vorhandenen Rechtsgüter und des Vermögens des Gläubigers zu trennen, den seit der Linoleumrollen-Entscheidung4 Schutz- und Obhutspflichten in der vorvertraglichen Beziehung bewirken. Die nachfolgenden Ausführungen sollen zeigen, daß sich bei näherem Hinsehen das Bild ändert: Einerseits erfordert die Konkretisierung des in § 311 II, III BGB nur blankettartig geregelten Schuldverhältnisses eine Differenzierung, die letztlich doch wieder zu einer ihrer Natur nach autonomen Pfl ichtenbegründung in bestimmten Fallgruppen führt, die vom Kreis der heterenom begründeten Pflichten abzugrenzen ist5. Andererseits reicht, wie bereits zu Beginn dieser Untersuchung angedeutet wurde 6 , selbst die Weite der Neuregelung nicht aus, um alle Fälle zu beherbergen, in denen die Rechtsprechung vorvertraglichen Erwartungsschutz für notwendig erachtet hat: Hier bleibt Raum für eine jenseits von § 311 II BGB anzusiedelnde, rechtsgeschäftsähnliche Haftung für normativitätsstiftendes Verhalten.

I. Grundlagen 1. Das rechtspolitische Anliegen: Sicherung effizienter außervertraglicher Vertrauensinvestitionen Jede Form vor- und außervertraglicher Haftung, die auf den Schutz »legitimer« Erwartungen hinsichtlich des Zustandekommens eines Vertrags, seines Inhalts oder der rechtsgeschäftlich nicht garantierten Richtigkeit einer Auskunft oder eines Rats gerichtet ist, setzt sich dem Einwand aus, man könne und solle es den Betroffenen besser selbst überlassen, ihre Interessen durch eine entsprechende vertragliche Absicherung zu wahren – »legitim« und damit rechtlich schutzwürdig sind normative Erwartungen, die man jenseits der Respektierung des eigenen Rechtskreises einer anderen Person gegenüber hegt, aus dieser Perspektive also nur dann, wenn sie Gegenstand einer vertraglichen Vereinbarung mit dem anderen 4

RG 7. 11. 1911, RGZ 78, 239; dazu oben § 3 I 2 b. Damit fi ndet der hier vertretene Ansatz – wenn auch von einem anderen Ausgangspunkt her – Anschluß an die auch bisher schon vertretene Ansicht, daß es für die vorvertraglichen Pfl ichten im Rahmen der c.i.c. keinen einheitlichen Erklärungsansatz gibt, so etwa Soergel/Wiedemann, Vor § 275 a. F. Rz. 121, und neuerdings dezidiert Schwarze, Vorvertragliche Verständigungspfl ichten, S. 93 u. ö. 6 Siehe oben, § 1 1 b. 5

I. Grundlagen

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sind. Die rechtsökonomischen Überlegungen im ersten Teil der Untersuchung haben diesen Gedanken indes erheblich relativiert: Auch außerhalb vertraglicher Beziehungen bzw. vor ihrem Zustandekommen gibt es gute Gründe, demjenigen, der ohne vertragliche Sicherung auf Versprechungen oder andere normativitätsstiftende Äußerungen seines Gegenübers vertraut, das Risiko abzunehmen, im Enttäuschungsfall den Fehlschlag seiner Vertrauensinvestition hinnehmen zu müssen. Zum einen bedarf es des außervertraglichem Erwartungsschutzes in Dreieckskonstellationen, in denen die zu Vertrauensinvestitionen Anlaß gebende Erwartung eines Beteiligten nicht von seinem (künftigen) Vertragspartner, sondern durch die Äußerung eines Dritten geweckt wurde, der von dem Partner zur Erbringung einer vermittlungs-, auskunfts- oder beratungsbezogenen Dienstleistung eingeschaltet wurde7. Ohne eine haftungsrechtliche Sanktionierung der Auskunft, des Rats oder des Versprechens des Dritten könnte dieser weder Verläßlichkeit signalisieren, noch könnte der Betroffene diese auf anderem Wege feststellen – die Folge wäre das unter dem Stichwort der adversen Selektion diskutierte Marktversagen. Eine vertragliche Lösung kommt hier oft nicht in Betracht: Die Kosten der Aushandlung und des Abschlusses eines (zusätzlichen) Vertrags zwischen dem Betroffenen und dem Dritten, der insoweit für Abhilfe sorgen könnte, wären so hoch, daß sie den Effizienzvorteil der Einschaltung des Dritten aufzuzehren drohten. Vor diesem Hintergrund bietet die Haftung auf das negative Interesse als »Basissanktion« für Selbstbindungstatbestände wirtschaftlich sinnvolle Anreize. Zum anderen hat sich eine allein auf die Möglichkeit vertraglichen Selbstschutzes verweisende »penalty default rule« auch in der Zweierbeziehung der – im Stadium der Vertragsanbahnung befindlichen – Parteien als unzureichend erwiesen: Ehe eine (vollständige) vertragliche Absicherung erreicht ist, mag der optimale Zeitpunkt für Vertrauensinvestitionen gekommen sein8. Das Risiko, sich in den Vertragsverhandlungen erpreßbar zu machen, wird eine rational handelnde Partei indes davon abschrecken, transaktionsspezfische Investitionen ohne jeden rechtlichen Schutz vorzunehmen. Dadurch vermindert sich der durch die Transaktion insgesamt erzielbare Nutzen9. Vorvertraglicher Erwartungsschutz wirkt dem entgegen. Die Probleme, justiziable Haftungsregeln zu formulieren, die diesem Erfordernis Rechnung tragen, lassen sich, was die Fälle ergebnislosen Verhandlungsabbruchs betrifft, am besten in den Griff bekommen, wenn man vorvertragliche Zusagen über das Zustandekommen eines Vertrags als Selbstbindungstatbestände bewertet, an deren Nichteinlösung sich die Pflicht zum Ersatz von Vertrauensschäden knüpft10. Ähnliches gilt in dem Fall, daß ein Vertrag zwar zustande ge-

7

Näher dazu oben, § 6 III 2 a (Beispiel des Vertriebsmittlers). Dazu oben, § 7 II 1 a. 9 Dazu oben, § 7 II 1 b. 10 Dazu oben, § 7 II 2. 8

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§ 13 Der Schutz des negativen Interesses jenseits des Rechtsgeschäfts

kommen ist, aber nicht den Erwartungen entspricht, die der andere Teil durch seine vorvertraglichen Äußerungen geweckt hat11. Die rechtspolitische Empfehlung, die vertragliche Selbstbindung durch Formen vor- und außervertraglicher Haftung zu ergänzen, welche die Verpfl ichtung zum Ersatz des negativen Interesses an außerrechtsgeschäftliche Selbstbindungstatbestände knüpfen, steht allerdings unter einem Vorbehalt12 : Wenn Kooperation sich durch soziale Reputationsmechanismen selbst durchsetzt, kann und sollte sich das Privatrecht auf die Durchsetzung vertraglicher Vereinbarungen beschränken und keine außervertragliche Vervollständigung des Erwartungsschutzes anstreben, damit die Funktionsfähigkeit der außerrechtlichen Kooperationssicherung nicht beeinträchtigt wird. Freilich setzt dies die tatsächlich13 nur unter besonderen Umständen anzutreffende Konstellation voraus, daß die betroffenen Parteien auf Märkten agieren, die so strukturiert und vor allem so transparent sind, daß opportunistisches Verhalten von den Teilnehmern beobachtet und mit Kooperationsentzug geahndet werden kann, und außerdem, daß die Teilnehmer fähig und hinreichend wohlinformiert sind, um mit dieser Technik der Selbststeuerung des Marktes umzugehen. Das Privatrecht ist daher gefordert, nicht alles über einen Kamm zu scheren: Der vor- und außervertragliche Schutz von Erwartungen, die auf normativitätsstiftendem Verhalten des anderen Teils oder Dritter beruhen, ist grundsätzlich notwendig und legitim; doch sollte eine Rechtsordnung Vorsorge dafür treffen, daß sie diesen Schutz nicht schematisch gewährt, sondern stets den Marktkontext berücksichtigt, in dem die Parteien einander begegnen.

2. Die rechtssystematische Umsetzung im Vergleich: Die Verantwortlichkeit für das Scheitern der Vertragsanbahnung im Common Law Die Idee, daß der vor- und außervertragliche Erwartungsschutz des Gläubiges an eine Selbstbindung des Schuldners anknüpfen kann, ist im ersten Teil dieser Arbeit anhand der Fallgruppe des (gänzlichen) Scheiterns der Vertragsanbahnung entwickelt worden14. Hier soll auch die Behandlung ihrer rechtstatsächlichen Bewährung ansetzen. Anders als in den vorangehenden Kapiteln dieser Arbeit wird sich der nachfolgende vergleichende Blick auf die systematische Umsetzung des soeben umrissenen rechtspolitischen Anliegens allerdings weder auf die Rechtslage vor der Schuldrechtsreform noch auf das UN-Kaufrecht und die Modelle internationalen Einheitsvertragsrechts, sondern vornehmlich auf das Common Law richten.

11 12 13 14

Dazu oben, § 7 II 3. Dazu oben, § 7 III. Dazu oben, § 7 III 1 b bb. Siehe oben, § 7 II 1, 2.

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Was den vor- und außervertraglichen Erwartungsschutz im deutschen Recht betrifft, unterscheidet sich das reformierte vom früheren Schuldrecht zwar durch die Kodifikation der c.i.c.. Anders als die Einführung von § 284 BGB für die Haftung bei wirksamen Rechtsgeschäften und die Beseitigung der §§ 307, 309 BGB a. F. für die Haftung bei unwirksamen Rechtsgeschäften bewirkt diese gesetzgeberische Maßnahme, die bewußt auf »Ausdifferenzierung und Fortentwicklung durch die Rechtsprechung«15 angelegt ist, aber keine direkt zu greifende Veränderung der zuvor richterrechtlich geprägten Rechtslage. »Alt« und »Neu« lassen sich daher nicht einfach vergleichend gegenüberstellen, sondern es wird in den weiteren Abschnitten dieses Kapitels zu fragen sein, ob und wie sich die bisherige Praxis unter der Neuregelung fortführen läßt. Auch die internationalen Einheitsvertragsrechte bedürfen, soweit sie sich der vorvertraglichen Haftung überhaupt widmen16 , keiner näheren Erörterung, weil sie dem im deutschen Recht heimischen Juristen keine Lösungen bieten, welche die vertrauten Ansätze vertiefen oder aber sich wesentlich davon absetzen. Dies gilt insbesondere für die Haftung beim Scheitern der Vertragsanbahnung: Art. 2:301 EP hält fest, daß die verhandelnden Parteien grundsätzlich nicht für das Scheitern der Vertragsanbahnung verantwortlich sind, aber bei treuwidrigem Verhalten ausnahmsweise doch den der anderen Seite dadurch entstandenen Schaden zu ersetzen haben, was insbesondere bei nur vorgetäuschter Abschlußbereitschaft der Fall sein soll. Entsprechendes sieht im Grundsätzlichen auch Art. 6 CEC vor, hier indes ergänzt um den konkretisierenden Hinweis, daß sich treuwidrig verhalte, wer die Verhandlungen ohne triftigen Grund abbreche, nachdem sich die Parteien schon auf die wesentlichen Vertragspunkte geeinigt haben und der andere Teil berechtigerweise auf den Vertragsschluß vertraut habe (Art. 6 III CEC). Beide Regeln kann man als Anerkennung (auch) 17 der deutschen Praxis durch die rechtsvergleichend ausgewiesene Wissenschaft bewerten. Daß diese Praxis insoweit im großen und ganzen dem »state of the art« der Rechtsvergleichung entspricht, fällt gewiß zu ihren Gunsten ins Gewicht; dies allein dürfte indes nicht ausreichen, um jeglicher Kritik, wie sie auch in den nachfolgenden Abschnitten geltend gemacht werden wird, von vorneherein den Boden zu entziehen. Einen deutlichen (und anregenden) Kontrast zur herkömmlichen deutschen Dogmatik des auf Treu und Glauben gestützten Pfl ichtenverhältnisses im Vertragsanbahnungsstadium bietet hingegen das Common Law, das sich der Annahme einer besonderen Vertrauensbeziehung zwischen den Verhandlungsparteien 15

BT-Drucks. 14/6040, S. 162. Das UN-Kaufrecht enthält keine Regelung der c.i.c.; ein diesbezüglicher Vorschlag der DDR konnte sich in den Verhandlungen nicht durchsetzen; vgl. Schlechtriem/Schwenzer/ Schlechtriem, Vor Art. 14–24 Rz. 6a. Ebensowenig regeln die Unidroit-Principles – abgesehen von der Festschreibung des Gebots von Treu und Glauben in Art. 1.7 UP – die vorvertragliche Haftung. 17 Näher zu den Vorbildern der jeweiligen Regelung die Notes zu Art. 2:301 EP sowie zu Art. 6 CEC den Bericht des Koordinators Gandolfi, S. 133. 16

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nach wie vor verweigert (dazu a), aber in seiner amerikanischen Ausprägung jenseits des deliktischen Erwartungsschutzes durch die Haftung wegen misrepresentation (dazu b) die in dieser Arbeit bereits mehrfach angesprochene Figur der Selbstbindung aus promissory estoppel (dazu c) hervorgebracht hat. Als Instrument der »Selbstbindung ohne Vertrag« ist promissory estoppel zwar auch im deutschen Schrifttum längst entdeckt und aufgearbeitet worden18 ; in Anbetracht neuerer Kontroversen in der amerikanischen Literatur über die Natur von promissory estoppel und zur Vorbereitung auf die nachfolgende Entwicklung der eigenen Position ist es jedoch sinnvoll, die aus der hiesigen Sicht wesentlichen Aspekte dieses Instituts und den Kontext, in dem es sich entwickelt hat, kurz zu rekapitulieren. a) Die Zurückweisung vorvertraglicher Treuepfl ichten Die traditionelle Sicht englischer wie amerikanischer Gerichte billigt allein dem Vertragsschluß pflichtenerzeugende Wirkung zu und läßt den Parteien während der Verhandlungen grundsätzlich jede Freiheit, von ihren jeweiligen Positionen abzuweichen, ohne dabei Rücksicht auf die andere Seite und die ihr dadurch möglicherweise entstehenden Schäden zu nehmen. In dem Urteil Walford v. Miles aus dem Jahr 1992 bestätigte das House of Lords durch Lord Ackner diese Sicht des englischen Common Law mit großer Deutlichkeit: »[. . .] the concept of a duty to carry on negotiations in good faith is inherently repugnant to the adversarial position of the parties when involved in negotiations. Each party to the negotiations is entitled to pursue his (or her) own interest, so long as he avoids making misrepresentations.«19 Nicht anders ist nach wie vor die Ausgangslage im amerikanischen Recht: Die Vertragsverhandlungen werden prinzipiell von Rechtspflichten freigehalten, damit die Parteien nicht vom Eintritt in Verhandlungen abgeschreckt werden 20. Literarische Anregungen, insbesondere im Anschluß an die Weiterentwicklung von promissory estoppel in Hoffman v. Red Owl 21 zu einer den kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen ähnlichen Konstruktion eines vorvertraglichen Vertrauensverhältnisses überzugehen 22 , blieben im wesentlichen ohne Erfolg: Eine allgemeine, »good faith and fair dealing« betreffende Pfl icht ist zwar weder 18 Vgl. insbesondere Köndgen, Selbstbindung, S. 65 ff., außerdem Lutter, Letter of Intent, S. 103 ff., und zuvor bereits Kessler, in: FS v. Caemmerer, S. 872 ff.; Kühne, RabelsZ 36 (1972), 261 ff.; Hans Stoll, in: FS Flume, S. 741 ff. Jüngere Darstellungen finden sich etwa bei Küpper, Scheitern von Vertragsverhandlungen, S. 120 ff.; Páez-Maletz, Schutz des Vertrauens, S. 9 ff. 19 Walford v. Miles, [1992] 2 A. C. 128, 138. – Die weitere Folgerung der englischen Rechtsprechung, daß man sich nicht wirksam vertraglich binden kann, Verhandlungen »in good faith« zu führen, wird allerdings nicht durchweg geteilt; dazu kritisch Berg, (2003) 119 L. Q. R. 357 ff. 20 Vgl. Farnsworth, 87 Colum.L.Rev. 217, 221 (1987). Zu diesem Argument siehe oben, § 7 II 2. 21 Hoffman v. Red Owl Stores, Inc., 26 Wis.2d 683, 133 N. W.2d 267 (1965). Näher dazu unten, Abschnitt c. 22 Vgl. etwa Summers, 54 Va.L.Rev. 195, 225 (1968). Näher zu den Reaktionen auf Hoffman v. Red Owl Páez-Maletz, Schutz des Vertrauens, S. 82 ff.

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dem Restatement (Second) of Contracts noch dem Uniform Commercial Code unbekannt; doch bezieht sich diese jeweils auf die Vertragsdurchführung und nicht auf dessen Anbahnung23. b) Die deliktische Haftung wegen misrepresentation Haben die Parteien einen Vertrag geschlossen, der sich für eine Seite als nicht erwartungsgerecht erweist, kann die andere Seite ihr wegen fehlleitender Behauptungen nach den im englischen wie im amerikanischen Common Law im Ansatz übereinstimmenden Regeln über misrepresentation zur Vertragsaufhebung und ggf. zum Schadensersatz verpfl ichtet sein 24. Die Haftung wegen misrepresentation hat sich in mancher Hinsicht als ausbaufähig in Richtung auf eine Selbstbindungshaftung erwiesen 25 ; zu einem allgemeinen Instrument vorvertraglichen Vertrauensschutzes wie die c.i.c. hat sie sich indes nicht entwickelt. Das zeigt sich gerade im Hinblick auf das Scheitern der Vertragsanbahnung. Zwar ist es nicht undenkbar, die Haftung aus c.i.c. wegen Nichtaufklärung über die Aufgabe der Vertragsabschlußbereitschaft in eine Haftung wegen misrepresentation zu »übersetzen« – der Verhandlungspartner, der sein Gegenüber in dem von ihm veranlaßten, fälschlichen Glauben läßt, er sei nach wie vor zum Vertragsabschluß bereit, könnte danach wegen »misrepresentation by nondisclosure«26 haften. Was das englische Recht betrifft, so scheitert eine solche Transformation der c.i.c. indes daran, daß Aussagen über die Zukunft (also auch Versprechen) nach wie vor nicht als Gegenstand einer misrepresentation in Betracht kommen 27. Im amerikanischen Common Law verhält es sich im Ergebnis nicht anders: Farnsworth, der diesem Gedanken nachgegangen ist 28 , mußte feststellen, daß die amerikanische Judikatur hierfür kaum Anhaltspunkte bietet. Die einzige von ihm nachgewiesene, offenbar doch eher als »Ausreißer« dastehende Entscheidung, in der der deliktische Anspruch wegen misrepresentation der durch Verhandlungsabbruch geschädigten Partei zum Erfolg verhalf, betraf einen Fall, in dem der Verpächter eines Lagerhauses dem Pächter bei den Verhandlungen über eine Vertrags23 § 1–203 UCC bezieht sich auf die »obligation of good faith in [. . .] performance or enforcement«, und in § 205 Restatement (2d) of Contracts ist die Rede von einer »duty of good faith and fair dealing in [. . .] performance and enforcement«. 24 Eine vergleichende Darstellung der englischen und der amerikanischen Rechtslage auf aktuellem Stand bietet Fleischer, Informationsasymmetrie, S. 817 ff., 886 ff. Zum englischen Recht vgl. auch Kircher, Sachmängelhaftung, S. 80 ff., und oben, § 7 II 3. 25 Vgl. insbesondere für das englische Common Law die auf Hedley Byrne Co. Ltd. v. Heller & Partners Ltd., [1964] A. C. 465, zurückgehende Haftung bei fahrlässigen Falschbehauptungen wegen Verletzung einer »duty of care« bei Vorliegen einer »special relationship«. 26 Vgl. für das amerikanische Recht § 161 Restatement (2d) of Contracts und für das englische Recht Treitel, Contract, S. 390 ff. 27 Vgl. Treitel, Contract, S. 331 f. – Hiervon zu unterscheiden ist die falsche Darstellung einer gegenwärtigen Bewußtseinslage, welche als misrepresentation behandelt wird; vgl. Edgington v. Fitzmaurice, (1885) 29 Ch.D. 459, 482. 28 87 Colum.L.Rev. 217, 233 ff. (1987).

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verlängerung vorgespiegelt hatte, er sei hierzu bereit, während er in Wahrheit über einen anderweitigen Verkauf verhandelte29. Die bisher fehlende Bereitschaft der Praxis, die deliktische Haftung wegen misrepresentation zu einem allgemeinen Instrument vorvertraglichen Vertrauensschutzes auszubauen, erinnert an Jherings Scheu, die gemeinrechtliche Haftung aufgrund der actio legis Aquiliae oder der actio de dolo zur Lösung der von ihm aufgeworfenen Probleme einzusetzen. Sie mag auch einen ähnlichen Hintergrund haben: Jhering fürchtete, eine Ausdehnung der deliktischen Haftung führe ins Uferlose30. Dasselbe gilt freilich auch für die c.i.c. in der Gestalt, die sie seit Inkrafttreten des BGB angenommen hat: Die heteronome, auf Verkehrserwartungen an loyales Verhandlungsverhalten gestützte Haftungsbegründung lädt unabhängig davon, ob sie dem Deliktsrecht oder einer davon zu unterscheidenden »dritten Spur« des Haftungsrechts zugeordnet wird, zu einer vom Mitleid mit der enttäuschten Partei getragenen Ausdehnung der Möglichkeit zur Schadensabwälzung ein, die nur schwer zu kontrollieren ist. c) Die Selbstbindungshaftung aus promissory estoppel im amerikanischen Common Law Das amerikanische Common Law nähert sich dem Schutz der Parteien im Stadium der Vertragsanbahnung nicht von der Seite des Deliktsrechts, sondern von der Seite des Vertragsrechts und damit von der Selbstbindung her: Es ist bereits berichtet worden, daß und wie die Verengung des consideration-Erfordernisses im klassischen amerikanischen Vertragsrecht zur Etablierung der Figur des promissory estoppel als Anspruchsgrundlage für die Durchsetzung von Versprechen geführt hat, die mangels consideration nicht mehr unter den Vertragsbegriff subsumiert werden konnten 31. In welchem Umfang (dazu aa) und mit welchen Folgen (dazu bb) sich die auf promissory estoppel gestützte Haftung in den Bereich vor- und außervertraglichen Erwartungsschutzes fortentwickelt hat, sei nachfolgend skizziert und im Lichte der aktuellen amerikanischen Diskussion gewürdigt, in der die Verfechter einer »neoklassischen« Sicht des Vertragsrechts und ihre Gegner um die Beheimatung dieses Instituts im Vertrags- oder Deliktsrecht streiten. Das englische Recht bleibt dagegen im folgenden außer Betracht; mag es auch Ansätze zur Neujustierung der Regeln über equitable estoppel geben 32 , so lassen sich diese doch nicht mit der amerikanischen Praxis auf eine Stufe stellen. 29

Markov v. ABC Tranfer & Storage Co., 76 Wash.2d 388, 457 P.2d 535 (1969). Vgl. Jhering, Jher.Jb. 4 (1861), 1, 23 ff.; dazu oben, § 3 I 1 b. In diesem Zusammenhang sei auch nochmals an Jherings Ausruf (a.a.O., 13) erinnert, »das harmloseste Wort würde zum Strick!«, wollte man die actio de dolo auf die culpa lata erstrecken. 31 Siehe oben, § 3 II 1 a bb. 32 Dazu Friedl, ZVglRWiss 97 (1998), 161, 165 ff., insbesondere mit Blick auf australische Rechtsprechung, in der estoppel mittlerweile vom »Schild« einer Einrede zum »Schwert« einer Anspruchsgrundlage geworden ist. Ob die englische Entwicklung dem folgt, bleibt abzuwarten. 30

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aa) »Promise« als Voraussetzung § 90 (1) des Restatement (Second) of Contracts nennt als Voraussetzungen der Haftung wegen promissory estoppel »[a] promise which the promisor should reasonably expect to induce action or forbearance on the part of the promisee or a third person and which does induce such action or forbearance«. Die über Jahrzehnte gewachsene Praxis, deren Summe das American Law Institute mit dieser Formulierung zog, zeigt, daß sich hinter dem »promise«, also dem uns interessierenden Element der Selbstbindung in der Haftungsbegründung, mehr als das reguläre Leistungsversprechen verbirgt, dem zu seiner Verbindlichkeit nur die consideration fehlt. Die Ausdehnung der Haftung vom Korrektiv für die Unverbindlichkeit informeller Versprechen außerhalb eines geschäftlichen Kontexts über die Anerkennung in kommerziellen Sachverhalten bis in den Bereich vor- und außervertraglichen normativitätsstiftenden Verhaltens vollzog sich zunächst mit einer Konsequenz, die an einen »Siegeszug«33 denken ließ. Wichtige Marksteine dieser Entwicklung sind die Urteile Drennan v. Star Paving34 und Hoffman v. Red Owl Stores35. Die Drennan-Entscheidung steht für die Etablierung von promissory estoppel im Zusammenhang mit marktmäßigem, gewinnorientierten Handeln: Ein Generalunternehmer hatte im Vertrauen auf die Gültigkeit eines von ihm eingeholten, besonders günstigen Angebots eines Subunternehmers mit einem auf dieser Basis erstellten eigenen Angebot an einer öffentlichen Ausschreibung teilgenommen und den Zuschlag erhalten. Kurz darauf widerrief der Subunternehmer sein Angebot wegen eines Kalkulationsfehlers. Während sich Richter Learned Hand in dem gleichgelagerten Fall Baird v. Gimbel Bros. 36 noch geweigert hatte, dem nach Common Law widerruflichen Angebot des Subunternehmers ein Versprechen zu entnehmen, an das sich die Haftung aus promissory estoppel knüpfen ließ, kam Justice Traynor in Drennan zu dem entgegengesetzten Ergebnis und erblickte in dem Angebot ein »implied promise«37. Den weiteren Schritt von der Haftung wegen der Abgabe eines Angebots zur Haftung aufgrund von Äußerungen im Vorfeld des Vertragsschlusses vollzog in besonders aufsehenerregender Weise38 das Hoffman-Urteil: Hoffman, Inhaber einer Bäckerei, hatte sich bei Red Owl Stores um eine Franchise für ein Lebensmittelgeschäft beworben. Nach Offenlegung seiner finanziellen Verhältnisse wurde ihm zu Beginn der Verhandlungen von einem Repräsentanten des Franchisegebers 33

Köndgen, Selbstbindung, S. 70. Drennan v. Star Paving Co., 51 Cal.2d 409, 333 P.2d 757 (1958) 35 Hoffman v. Red Owl Stores, Inc., 26 Wis.2d 683, 133 N. W.2d 267 (1965). 36 James Baird Co. v. Gimbel Bros., Inc., 64 F.2d 344 (2d Cir. 1933). 37 Eine ausführliche Würdigung der Drennan-Entscheidung bieten Köndgen, Selbstbindung, S. 72 ff., und Páez-Maletz, Schutz des Vertrauens, S. 38 ff. 38 Vgl. aber auch schon die vorangehenden Urteile Goodman v. Dicker, 169 F.2d 684 (D. C. Cir. 1984), und Chrysler Corp. v. Quimby, 51 Del. 264, 144 A.2d 123 (1958), in denen jeweils Verhandlungsäußerungen (nämlich Zusagen über die Erteilung einer Vertriebsfranchise) als Haftungsgrund herangezogen wurden. 34

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signalisiert, er komme für die Verleihung der Franchise in Betracht, und man riet ihm, zunächst Erfahrungen mit einem kleinen Lebensmittelgeschäft zu sammeln. Hoffman kam diesem Rat nach, und ebenso dem weiteren, das (nach kurzer Zeit profitable) Lebensmittelgeschäft zu veräußern und den Erlös in eine Option auf ein Grundstück zu investieren, auf dem das »Red Owl«-Geschäft errichtet werden sollte. Während der anschließenden Verhandlungen trieb Red Owl Stores ihre Forderungen an den Eigenkapitalbeitrag Hoffmans indes so weit in die Höhe, daß dieser kapitulierte und die Verhandlungen scheiterten. Obwohl die Vertragsbedingungen noch keineswegs vollständig ausgehandelt waren und ein annahmefähiges Angebot nie vorgelegen hatte, bewertete der Supreme Court von Wisconsin das Verhalten auf Seiten des Franchisegebers insgesamt als »promise«, das den Franchisebewerber zu Vertrauensaufwendungen veranlaßt habe, und damit als Basis eines auf promissory estoppel gegründeten Schadensersatzanspruchs. Das im Anschluß an dieses Urteil teilweise prophezeite weitere Ausgreifen von promissory estoppel bis hin zu einem die Unterscheidung zwischen Vertrag und Delikt sprengenden Rechtsinstitut 39 blieb indes aus. Die Überschreitung der Grenze des vertraglichen Leistungsversprechens in Hoffman v. Red Owl Stores bedeutete nicht, daß von nun an der Schutz »berechtigten« Vertrauens unabhängig von der Feststellung eines »promise« erfolgte. Die Haftung für promissory estoppel blieb vielmehr Versprechenshaftung und damit eine Selbstbindungssanktion in dem hier verstandenen Sinne, wenn auch nicht auf das mit Rechtsbindungswillen abgegebene Versprechen beschränkt. Was von den siebziger Jahren an in der amerikanischen Rechtsprechung folgte, waren daher weniger erneute Zugewinne für den Anwendungsbereich dieser Rechtsfigur, als stete (und nicht immer konsistente) Bemühungen der Gerichte um ihre im Einzelfall nachvollziehbare Begrenzung. In der neueren vertragsrechtlichen Literatur hat dies Anlaß zu einer ideologisch geprägten Debatte über das Schicksal von promissory estoppel gegeben: In Reaktion auf Gilmores Schlagwort vom »Tod des Vertrags« wurde nun das Ende von promissory estoppel ausgerufen und – im Geist der klassischen Lehre Willistons – die vertragsrechtliche Bindung an das gegebene Wort als Kern der meisten hierunter rubrizierten Fälle identifiziert40.

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Vgl. insbesondere Gilmore, Death of Contract, S. 72. In diese Richtung weisen die Beiträge von Barnett, 46 J.Legal Educ. 518 ff. (1996) (unter dem die Opposition zu Gilmore mehr als deutlich machenden Titel »The Death of Reliance«); ders., 38 San Diego L.Rev. 1 ff. (2001); Barnett/Becker, 15 Hofstra L.Rev. 443 ff. (1987) (Unterscheidung zwischen einer größeren Fallgruppe rechtsverbindlicher Versprechen und einer kleineren Gruppe deliktsrechtlich zu behandelnder misrepresentations, zu der auch Hoffman v. Red Owl gehöre); Farber/Matheson, 52 U.Chi.L.Rev. 903 ff. (1985) (mit dem Vorschlag, in ein drittes Restatement schlicht die Regel aufzunehmen: »A promise is enforceable when made in furtherance of an economic activity.«, a.a.O., 930); Kostritzky, 33 Wayne L.Rev. 895 ff. (1987) (promissory estoppel als subsidiäres Instrument zur Identifzierung rechtlich durchsetzbarer »bargains«); Pham, 79 Cornell L.Rev. 1263 ff. (1994) (empirisch untermauerte These der geringen Bedeutung von promissory estoppel in nach 1981 entschiedenen Fällen); Yorio/Thel, 101 Yale L. J. 111 ff. 40

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Einige Studien, die auf teilweise sehr umfangreichen Auswertungen der Judikatur beruhen41, halten indes dagegen. Sie zeigen, daß der im eigentlichen Sinne vorund außervertragliche, nämlich nicht auf defekte vertragliche Leistungsversprechen, sondern auf normativitätsstiftende Verhandlungsäußerungen gegründete Schutz von »reliance« jedenfalls in der überwiegenden Anzahl der amerikanischen Bundesstaaten praktiziert wird42 , mag sich teilweise auch nur eine eher schmale Bandbreite des Verhandlungsverhaltens als »promise« einordnen lassen, weil »einfache«, nur optimistische oder den Partner ermutigende Verhandlungsäußerungen von den Gerichten oft als nicht deutlich genug bewertet werden, um eine haftungsrechtliche Sanktion zu rechtfertigen43. Andererseits hängt nur noch eine Minderheit von Gerichten der rückwärtsgewandten Sicht an, promissory estoppel substituiere nur eine fehlende consideration, und »promise« im Sinne von § 90 (1) des Restatements sei letztlich mit dem Vorliegen eines Angebots gleichzusetzen44. Eine neuere, breit angelegte Auswertung der Rechtsprechung zu promissory estoppel sieht die Entwicklung mittlerweile in einer Phase angelangt, in der die Besinnung auf das ursprüngliche Anliegen der Equity einzelfallbezogene Würdigungen in den Vordergrund treten läßt. Die Anforderungen der Rechtsprechung an das haftungsbegründende Verhalten des Schuldners werden dabei wie folgt beschrieben: »The primary equitable right is the promisee’s right to rely. That right arises from the objective, reasonable expectations that were created and foreseeab-

(1991) (promissory estoppel sei nicht als Vertrauensschutz, sondern als Versprechensdurchsetzung zu verstehen). 41 An erster Stelle zu nennen ist die aus der Überarbeitung des Lehrbuchs von Corbin hervorgegangene, umfassende Darstellung der Entscheidungspraxis bei E. M. Holmes, 32 Willamette L.Rev. 263 ff. (1996) (vgl. auch dens., 1996 Seattle U. L.Rev. 45 ff., mit einer kürzeren Analyse); gegen die »neoklassische« Sicht von promissory estoppel auch Eisenberg, 85 Cal.L.Rev. 821 ff. (1997); Feinman, 61 Fordham L.Rev. 303 ff. (1992); Hillman, Richness of Contract Law, S. 43 ff.; ders., 98 Colum.L.Rev. 580 ff. (1998); Knapp, 49 Hastings L. J. 1191 ff. (1998). 42 E. M. Holmes, 32 Willamette L.Rev. 263, 289 (1996), ordnet die Rechtsprechung von insgesamt 33 Bundesstaaten der dritten und vierten »Phase« der von ihm schematisiert dargestellten Entwicklung von promissory estoppel zu, die beide gemeinsam haben, daß darin das Institut nicht nur auf Leistungsversprechen bezogen wird, denen zur Verbindlichkeit die consideration fehlt. 43 Zwei (willkürlich herausgegriffene) Beispiele, in denen die Rechtsprechung ein haftungsbegründendes Versprechen verneint hat, sind Messina v. Biderman, 571 N. Y. S. 2d 499 (App.Div. 1991) und Tribune Printing Co. v. 263 Ninth Avenue Realty, Inc., 452 N. Y. S. 2d 590 (App.Div. 1982): In dem ersten Fall hatten die Anspruchsteller das ausschließliche Recht, mit einer Stadt über den Ankauf von gewerblichem Grundeigentum zu verhandeln. In der Folgezeit erklärte die Stadt ihnen schriftlich, daß sie berechtigt seien, einem städtischen Gremium ihre Pläne vorzulegen. Danach scheiterten die Verhandlungen. Die Haftung der Stadt aus promissory estoppel wurde abgelehnt, weil das Schreiben der Stadt nur ihr Einverständnis mit den Verhandlungen signalisiere. In dem zweiten Fall wurde die mündliche Zusage eines Vermieters über eine Vertragserneuerung nur als Zusage der Bereitschaft interpretiert, über die Bedingungen der weiteren Vermietung zu verhandeln. 44 E. M. Holmes, 32 Willamette L.Rev. 263, 286 (1996), zählt zu dieser Gruppe die Gerichte von 16 Bundesstaaten.

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le by the promisor. The promissory ›statements‹ must evidence objectively a sufficient commitment or assurance on which a reasonable person would rely.«45 Die vorsichtige Haltung, die aus diesem Resümee spricht, stimmt mit den Befunden des ersten Teils dieser Arbeit überein46 : Nicht jedes Verhalten im Stadium der Vertragsanbahnung, das Erwartungen der anderen Seite an einen erfolgreichen Abschluß zu weckt, eignet sich als Anknüpfungspunkt haftungsrechtlicher Steuerung. Ist die Selbstbindung der verhandelnden Partei allzu bruchstückhaft, lassen sich die Folgeprobleme der Beurteilung ggf. haftungsbefreiender Gründe zur Änderung der ursprünglich bezogenen Position und des »provozierten« Verhandlungsabbruchs durch die andere Seite nicht mehr in den Griff bekommen. bb) Der Ersatz des »reliance interest« als Rechtsfolge Zu den sichtbaren Erfolgen von Fullers Kritik an Willistons orthodoxem Beharren auf dem Schutz des Erfüllungsinteresses gehört die Anerkennung eines weiten Ermessensspielraums bei der Sanktionierung von promissory estoppel in § 90 (1) Restatement (Second) of Contracts: »The remedy granted for breach may be limited as justice requires.« Wie aber ist es um die praktische Handhabung des richterlichen Ermessens bei der Bestimmung der Rechtsfolge bestellt? Der neuere Streit um die Maßgeblichkeit von »reliance« oder »promise« als Basis der Haftung wegen promissory estoppel setzt sich bei der Beantwortung dieser Frage fort: Die »neoklassische« Sicht, welche die Essenz des Rechtsinstituts in dem mit Rechtsbindungswillen abgegebenen Versprechen sieht, interpretiert die Praxis im Sinne eines ganz überwiegenden Schutzes des »expectation interest« und ordnet den verbleibenden Rest als unter falscher Flagge segelnde Deliktshaftung ein47. Die in der Tradition des Rechtsrealismus stehende Gegenansicht zeichnet dagegen das Bild einer von Fall zu Fall variierenden, mal das Vertrauens- und mal das Erfüllungsinteresse (hin und wieder auch durch Gewährung von »specific performance«) schützenden Judikatur48. Daß die Frage, ob die Gerichte tatsächlich von ihrem Ermessen Gebrauch machen und die Haftung in geeigneten Fällen auf das negative Interesse begrenzen, überhaupt in solchem Maße in Streit geraten konnte, ist – abgesehen von der unterschiedlichen Selektion des kaum überschaubaren Fallmaterials – auch damit zu erklären, daß oft nicht ohne weiteres zu erkennen ist, worauf genau die jeweiligen gerichtlichen Erwägungen zielen. So ist beispielsweise in Hoffman v. Red Owl der Vertrauensschaden zugesprochen worden. Doch darf man dieser Entscheidung in 45

E. M. Holmes, 32 Willamette L.Rev. 263, 295 (1996). Siehe oben, § 7 II 2 b bb. 47 Vgl. außer den bereits zitierten Beiträgen insbesondere den nur der Erörterung der Rechsfolgen von promissory estoppel gewidmeten Beitrag von Becker, 16 Hofstra L.Rev. 131 ff. (1987). 48 Vgl. insbesondere Hillman, Richness of Contract Law, S. 69 ff.; sowie die (allerdings nicht systematisch, sondern nach Bundesstaaten geordnete) enzyklopädische Zusammenstellung bei E. M. Holmes, 32 Willamette L.Rev. 263, 300 ff. (1996). 46

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Anbetracht des Umstandes, daß der Gläubiger hier keinen bezifferbaren Nichterfüllungsschaden geltend machen konnte 49, nicht die Wertung entnehmen, daß ihm hier weniger als der volle vertragliche Schutz zustehen sollte – auch als Opfer eines Vertragsbruchs hätte der Gläubiger nicht mehr verlangen können. Umgekehrt verbirgt sich bei manchem anderen Urteil hinter dem Ersatz des entgangenen Gewinns aus dem gescheiterten Geschäft mit dem Schuldner das Bestreben, zu einer Annäherung an die nach Ansicht des Gerichts eigentlich zu ersetzenden, aber nicht nachweisbaren Opportunitätskosten des Gläubigers zu gelangen 50 – was vordergründig als positives Interesse erscheint, ist dann in Wahrheit nur der substitutive Schutz des negativen Interesses, wie er bereits Fuller vorschwebte51. Ohne die aus diesem Grund schwierige Debatte um einen originären Beitrag bereichern zu können, wird der außenstehende Beobachter allerdings feststellen können, daß sich der Schutz des negativen Interesses allen akademischen Bestrebungen zum Trotz, ihn als Rechtsfolge der Haftung wegen promissory estoppel zu eliminieren, in der Entscheidungspraxis behaupten konnte, und zwar gerade auch in den Fällen, in denen das haftungsbegründende »promise« kein Angebot zum Vertragsschluß, sondern vor- oder außervertragliche Natur war. Mit Goodman v. Dicker52 ist in dieser Arbeit bereits ein älteres Beispiel der Dritthaftung vorgestellt und rechtsökonomisch gewürdigt worden, in dem das erkennende Gericht dem Geschädigten nur das negative Interesse gewährte, obwohl ein Gewinn nachweisbar war, den der Kläger bei Zustandekommen der in Aussicht gestellten Franchisevereinbarung erzielt hätte53. Nicht anders verhielt es sich, um auch ein Beispiel einer Zweipersonenbeziehung anzuführen, bei der Bemessung des Schadensersatzes in Wheeler v. White54 : Der Kläger, der im vergeblichen Vertrauen auf die Einhaltung einer – mangels hinreichender Bestimmtheit nicht vertraglich 49 Auf diese Erklärung der in Hoffman v. Red Owl Stores angeordneten Sanktion weist schon Köndgen, Selbstbindung, S. 81, hin. 50 Und zwar vor dem Hintergrund der Einsicht, daß das positive Interesse (in Gestalt des entgangenen Gewinns aus dem abgeschlossenen Geschäft) und das negative Interesse (in Gestalt der Opportunitätskosten) einander oft ähneln und bei vollkommenem Wettbewerb gleich sind; dazu oben, § 6 I. 51 Ein Beispiel hierfür ist Tomerlin v. Canadian Indemnity Co., 394 P.2d 571 (Cal. 1964): Der Kläger war bei der Beklagten haftpfl ichtversichert und von einem Dritten auf Schadensersatz in Anspruch genommen worden. Nachdem ein von der Versicherung eingeschalteter Anwalt den Fall geprüft und die Zahlungsbereitschaft der Versicherung angekündigt hatte, legte der Prozeßvertreter des Versicherungsnehmers das Mandat in dem Prozeß nieder, den der Dritte gegen den Versicherungsnehmer angestrengt hatte. Der Versicherungsnehmer wurde daraufhin auf 15.000 $ Schadensersatz verurteilt. Entgegen der vorangehenden Erklärung verweigerte die Versicherung nun die Übernahme des Schadens. Hierzu wurde sie aufgrund promissory estoppel verurteilt, jedoch nicht, weil das Gericht das Erfüllungsinteresse des Versicherungsnehmers per se für schutzwürdig hielt, sondern weil der Nachweis des Vertrauensschadens »would impose upon plaintiff the impossible burden of proving, on remand, the precise extent of the loss caused by the withdrawal of his attorney« (a.a.O., 578). 52 169 F.2d 684 (D. C. Cir. 1948). 53 Dazu oben, § 6 III 2 a. 54 398 S. W.2d 93 (Tex. 1965).

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durchsetzbaren – Darlehenszusage Gebäude auf seinem Grundstück niedergerissen hatte, um darauf einen gewerblichen Neubau zu errichten, erhielt nur seinen Vertrauensschaden ersetzt, nicht aber den Nichterfüllungsschaden, selbst wenn dieser, wie das Gericht betonte55, mit Sicherheit beweisbar gewesen sein sollte. Daß es sich hierbei nicht um Ausnahmefälle handelt, ist mittlerweile auch durch eine quantitative Analyse erhärtet: Auf promissory estoppel gegründete Klagen mögen selten erfolgreich sein. Sind sie es aber, wird auch in neuerer Zeit das »reliance interest« ungefähr ebenso oft zuerkannt wie das »expectation interest«56 . Ob diese Entscheidungen mit der Wahl des negativen Interesses als Sanktion ebenso, wie wir im Fall Goodman v. Dicker gesehen haben, im Ergebnis die Verhaltensanreize für den Versprechenden und den Versprechensempfänger wirtschaftlich optimieren, sei hier dahingestellt. Entscheidend ist allein, daß das amerikanische Recht mit der flexiblen Ausgestaltung der Rechtsfolgen der Haftung aus promissory estoppel hierfür eine Möglichkeit bereitstellt und diese von den Gerichten auch wahrgenommen wird. Die nachfolgenden Abschnitte werden der Frage nachgehen, ob dies auch für die Sanktionierung außervertraglicher Versprechen und anderer normativitätsstiftender Verhaltensweisen im deutschen Recht gilt.

II. Die Haftung für das Scheitern der Vertragsanbahnung Wer erwartet, mit seinem Verhandlungspartner zu einer vertraglichen Einigung zu kommen, und im Vertrauen darauf Aufwendungen vornimmt oder andere Gelegenheiten zum Geschäftsabschluß verstreichen läßt, hat das Risiko eines Fehlschlags grundsätzlich selbst zu tragen. Das ist nicht nur die Ausgangsposition des Common Law, sondern auch die des deutschen Rechts. »Auch wenn die Parteien sich schon in längeren und ernsthaft geführten Verhandlungen befinden«, heißt es in einem Urteil des BGH57, »kann jede Seite vom Vertragsschluß Abstand nehmen, ohne sich allein deshalb bereits wegen Verschuldens bei Vertragsverhandlungen schadensersatzpflichtig zu machen.« Unter dem Dach der c.i.c. hat indes bekanntlich seit langem eine Judikatur Platz gefunden, die es unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt, eine der verhandelnden Parteien für das Scheitern der Vertragsanbahnung verantwortlich zu machen und ihr den daraus entstandenen Schaden der anderen Seite aufzubürden58. Diese Rechtsprechung hat mit der Zeit 55

A.a.O. (wie vorige Fn.), 97. Vgl. Hillman, 98 Colum.L.Rev. 580, 588 ff. (1998), mit einer statistischen Auswertung der Rechtsprechung in den Jahren 1994–1996. 57 BGH 22. 2. 1989, NJW-RR 1989, 627; inhaltlich übereinstimmend BGH 14. 7. 1967, NJW 1967, 2199; 29. 3. 1996, NJW 1996, 1884, 1885, 7. 12. 2000, NJW-RR 2001, 381, 382; 23. 5. 2001, NJW 2001, 2713, 2714. 58 Es ist verbreitet und wird auch in dieser Arbeit des öfteren so gehandhabt, statt von der Haftung für das »Scheitern« von der Haftung für den »Abbruch« der Vertragsverhandlungen zu 56

II. Die Haftung für das Scheitern der Vertragsanbahnung

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eine janusköpfige Gestalt angenommen: Sah es zunächst so aus, als gehe es nur um den besonderen Schutz von Redlichkeitserwartungen an die Verhandlungsäußerungen der anderen Seite und damit um eine Steigerung des deliktischen Rechtsschutzes, wie ihn § 826 BGB oder § 823 II BGB i. V. m. § 263 StGB gewährt, so gesellten sich nach und nach Fälle hinzu, die den rechtlichen Vorwurf nicht auf die Pflichtwidrigkeit der Äußerungen des Haftenden, sondern auf die grundlose Enttäuschung der dadurch hervorgerufenen Erwartung des Partners gründeten, ein Vertrag werde zustande kommen. Seit jeher stand diese Praxis im Kreuzfeuer der wissenschaftlichen Kritik, und dies um so mehr, seitdem sich ihr Begründungsdefizit anhand der Kodifikation der c.i.c. mit noch größerer Deutlichkeit belegen läßt (dazu 1.). Dies sollte jedoch nicht zu ihrer Aufgabe, sondern zu ihrer Rekonstruktion als Residualhaftung für außervertragliche Selbstbindungstatbestände Anlaß geben (dazu 2.).

1. Kritik der Rechtsprechung im Licht der Schuldrechtsreform a) Die zweispurige Haftungsbegründung im Rahmen der c.i.c. Nachdem das Reichsgericht zunächst noch von »rechtsunerheblichen Vorverhandlungen« gesprochen hatte59, ließ es in einer Entscheidung aus dem Jahr 1931 die Bereitschaft erkennen, auch jenseits der deliktischen Arglisthaftung eine Einstandspflicht für vorvertragliche Versprechen in Betracht zu ziehen, die schon beide in der späteren BGH-Rechtsprechung entfalteten Haftungsbegründungen in Ansätzen offenbarte: Die Frage, ob die Weigerung, einen Gesellschaftsvertrag abzuschließen, ein vorvertragliches Verschulden bedeute, wenn man zuvor gemeinsam mit den anderen Gründungsbeteiligten einen Notar mit dem (kostenpflichtigen) Vertragsentwurf beauftragt hat, wollte das RG bejahen, wenn die Weigerung hätte ausgesprochen werden können und sollen, bevor die Notarkosten entstanden waren60. Darin kommt das Verständnis der Abbruchshaftung als schuldhafter Verstoß gegen eine Aufklärungs- oder Wahrheitspfl icht zum Ausdruck – man sprechen. Dagegen ist nur dann nichts einzuwenden, wenn man sich darüber im klaren ist, daß die Zuteilung der haftungsrechtlichen Verantwortlichkeit nichts mit der Frage zu tun hat, wer die Verhandlungen »abgebrochen« hat. Die Schadensersatzpfl icht kann vielmehr auch denjenigen treffen, der bis zuletzt weiterverhandelt hat, aber mit Forderungen, die einen Abbruch der anderen Seite provozierten (siehe auch oben, § 7 II 2 b bb). Ein Beispiel hierfür läßt sich dem Sachverhalt des Urteils BGH 29. 3. 1996, NJW 1996, 1884, entnehmen: Die auf Schadensersatz in Anspruch genommene Partei hatte die Verhandlungen nicht durch Abbruch, sondern dadurch zum Scheitern gebracht, daß sie ihre ursprüngliche Kaufpreisforderung massiv erhöhte, woraufhin die andere Seite die Verhandlungen abbrach. Daß die Klage erfolglos blieb, war ganz unabhängig davon, daß die beklagte Partei, bildlich gesprochen, bis zuletzt am Verhandlungstisch sitzen geblieben war. 59 RG 24. 4. 1901, RGZ 48, 133, 134. Dies stimmt überein mit der gemeinrechtlichen Position bei Dernburg/Sokolowski, Pandekten II, S. 557 Anm. 8; Arndts v. Arnesberg/Pfaff/Hofmann, Pandekten, § 231 (S. 456). 60 RG 24. 2. 1931, RGZ 132, 26, 28.

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darf, so der Grundgedanke, nicht das Vertrauen des anderen in die eigene Bereitschaft zum Vertragsabschluß wecken oder aufrecht erhalten, wenn diese nicht (mehr) besteht oder nicht sicher ist. Zugleich deutete sich in dem Urteil auch der zweite Anknüpfungspunkt der Haftung immerhin an: Nachdem es die pauschale Annahme eines in der Weigerung liegenden Verschuldens durch das Berufungsgericht gerügt hatte, fügte das Gericht hinzu, daß der unwillige Gründer, »selbst wenn er früher fest entschlossen gewesen sein sollte, die Gründung mitzumachen, hinterher durch gewichtige Gründe bestimmt worden sein [kann], seine Absicht wieder aufzugeben« 61. Hier kann man zumindest darüber spekulieren, ob das RG auch erwog, die Ersatzpflicht auf den Abbruch der Vertragsanbahnung ohne triftigen Grund und damit nicht auf die Erzeugung (oder Aufrechterhaltung) der Erwartung des Vertragsschlusses, sondern auf deren Enttäuschung zu stützen62. Erst durch die Rechtsprechung des BGH wurde die Zweispurigkeit der Haftungsbegründung zur Gewißheit63, wie man exemplarisch einem Resümee der höchstrichterlichen Rechtsprechung durch den VIII. Zivilsenat entnehmen kann: »Ein solches Verschulden [bei Vertragsschluß, T. A.] kann einmal darin bestehen, daß der eine Teil schuldhaft – etwa dadurch, daß er eine in Wirklichkeit fehlende Entschlossenheit zum Vertragsschluß zum Ausdruck bringt oder gegen Aufklärungspflichten verstößt – im anderen Teil das Vertrauen auf das bevorstehende Zustandekommen eines später nicht abgeschlossenen Vertrages erweckt und ihn dadurch zu Aufwendungen veranlaßt. [. . .] Eine Schadensersatzpfl icht kommt aber auch dann in Betracht, wenn ein Vertragspartner bei der Gegenseite zurechenbar das aus deren Sicht berechtigte Vertrauen erweckt hat, der Vertrag werde mit Sicherheit zustande kommen, sodann aber die Vertragsverhandlungen ohne triftigen Grund abbricht.«64 Mit der zweiten Variante der Abbruchshaftung hat der BGH einen mittlerweile in ständiger Rechtsprechung beschrittenen Weg gefunden, um dem vergeblich auf den Vertragsschluß hoffenden Verhandlungspartner auch dann zum Schadensersatz zu verhelfen, wenn die andere Seite zwar »zurechenbar«, aber nach den gerichtlichen Feststellungen eben nicht pflichtwidrig und schuldhaft sein Vertrauen geweckt hat, weil sie zu dem Zeitpunkt, als sie den Vertragsschluß als sicher hinstellte, noch zum Abschluß bereit war und auch nichts davon wissen mußte, daß es dazu nicht kommen würde 65. 61

A.a.O. (wie vorige Fn.), 29. Küpper, Abbruch der Vertragsverhandlungen, S. 51, gibt der anderen Interpretation den Vorzug, derzufolge das Reichsgericht mit dieser Bemerkung nur auf ein Indiz für die Sorgfalt der Verhandlungsführung hinweisen wollte. 63 Spätere Urteile des Reichsgerichts, in dem ein Schadensersatzanspruch nach Scheitern der Vertragsanbahnung (bzw. -verlängerung) zugesprochen wurde, nämlich RG 19. 1. 1934, RGZ 143, 219; 22. 6. 1936, RGZ 151, 357, sahen den Verschuldensvorwurf eindeutig im Hervorrufen des Vertrauens auf den Vertragsschluß. 64 BGH 10. 1. 1996, DB 1996, 777. Beide Varianten der Haftung werden z. B. auch geprüft in BGH 8. 6. 1978, BGHZ 71, 387, 395 f. (mit Bezug auf einen öffentlich-rechtlichen Vertrag). 65 Vgl. BGH 6. 2. 1969, WM 1969, 595, 597; 26.3./2. 4. 1974, WM 1974, 508, 509 f.; 12. 6. 1975, NJW 1975, 1774; 22. 2. 1989, NJW-RR 1989, 627, 629. Geprüft, aber im jeweils vorliegenden Fall 62

II. Die Haftung für das Scheitern der Vertragsanbahnung

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Gewichtige Einschränkungen hat diese Praxis allerdings erfahren, was den Abschluß formbedürftiger Verträge betrifft. In einem 1974 ergangenen Urteil erklärte der V. Zivilsenat die einige Jahre zuvor vom II. Zivilsenat unter Hinweis auf § 122 BGB begründete Haftung wegen Verweigerung eines Vertragsschlusses ohne vorausgegangenes Verschulden66 (also die zweite Variante) für unanwendbar auf den Fall der gescheiterten Anbahnung eines beurkundungspflichtigen Immobiliengeschäfts67. Die von ihm in dieser Entscheidung68 noch offengelassene Frage nach den Anforderungen an eine auf der schuldhaften Herbeiführung des Abschlußvertrauens basierende Schadensersatzpflicht bei formbedürftigen Geschäften beantwortete der V. Senat 1996 mit einer weiteren Restriktion der allgemeinen Regeln69 : Ebenso wie das mit Rücksicht auf Treu und Glauben gebotene Zurücktreten der Nichtigkeitsfolge bei formwidrigen Verträgen70 sei eine Haftung wegen Abbruchs der Verhandlungen nur bei Vorliegen einer besonders schwerwiegenden Treupflichtverletzung anzunehmen. Dafür komme in der Regel nur ein vorsätzliches Verhalten in Betracht, wie es im Vorspiegeln tatsächlich nicht vorhandener Abschlußbereitschaft liege. Nicht unerwähnt bleiben darf schließlich die umfangreiche Judikatur zur Haftung öffentlicher Auftraggeber bei fehlerhaften Vergabeverfahren, die nur äußerlich unverbunden neben den klassischen Fällen der Abbruchshaftung steht71. Im Bereich des Vergaberechts stützt die Rechtsprechung Schadensersatzansprüche von Bietern, die aufgrund eines Vergabeverstoßes nicht zum Zuge gekommen sind, seit langem auf die Grundsätze der c.i.c.72. Die vergaberechtlichen Technizitäten, die insoweit eine Rolle spielen, dürfen nicht den Blick darauf verstellen, daß es auch hierbei um eine Erscheinungsform der Haftung beim Scheitern der Vertragsanbahnung geht73 : Das Vergabeverfahren ist ein formalisierter Prozeß der Vertragsanbahnung und die Ausschreibung eine invitatio ad offerendum, mit der den abgelehnt wurde die Haftung wegen Abbruchs ohne triftigen Grund in BGH 10. 1. 1996, DB 1996, 777; 7. 12. 2000, NJW-RR 2001, 381, 382. Vgl. auch mit Bezug auf öffentlich-rechtliche Verträge BGH 8. 6. 1978, BGHZ 71, 387, 395 f.; 7. 2. 1980, BGHZ 76, 343, 349. 66 BGH 6. 2. 1969, WM 1969, 595, 597. 67 BGH 18. 10. 1974, NJW 1975, 43, 44 (es ging um die Einräumung von Wohnungseigentum). 68 Ebenso in BGH 8. 10. 1982, WM 1982, 1436 f. 69 BGH 29. 3. 1996, NJW 1996, 1884, 1885; vgl. auch OLG Koblenz, NJW-RR 1997, 974, und bereits vor der BGH-Entscheidung OLG Hamm, NJW-RR 1991, 1043. Die Bestätigung der BGH-Entscheidung durch ein Urteil des IV. Zivilsenats vom 23. 5. 2001, NJW 2001, 2713, 2714, bezieht sich inhaltlich nur auf den Ausschluß der Haftung wegen Verhandlungsabbruchs ohne triftigen Grund und damit nicht auf den nachfolgend referierten Gesichtspunkt. 70 Dazu oben, § 12 II 4 a aa. 71 Näher zu dieser Fallgruppe Verf., ZHR 164 (2000), 394 ff. 72 Grundlegend BGH 16. 11. 1967, BGHZ 49, 77; 22. 2. 1973, BGHZ 60, 221; 25. 11. 1992, BGHZ 120, 281. – Zu der im harmonisierten Vergaberecht anzuwendenden Regelung eines verschuldensunabhängigen Schadensersatzanspruchs in § 126 GWB siehe unten, Abschnitt II 2 a aa. 73 In diesem Sinne bereits Jebens, DB 1999, 1741, 1745; Küpper, Scheitern von Vertragsverhandlungen, S. 83 ff., 333 ff.; Páez-Maletz, Schutz des Vertrauens, S. 214 ff., 251 ff.

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§ 13 Der Schutz des negativen Interesses jenseits des Rechtsgeschäfts

Bietern ein berechenbarer, nämlich den Vergaberegeln folgender Weg zum Vertragsschluß in Aussicht gestellt wird. So kann es nicht verwundern, daß sich auch bei dieser Ausprägung der vorvertraglichen Haftung die gleichen Begründungsmuster nachweisen lassen, welche auch die sonstige Praxis kennzeichnen: Zum einen wird die Haftung auf eine Aufklärungspflichtverletzung gestützt, etwa wenn dem Ausschreibenden angelastet wird, er habe es schuldhaft unterlassen, die Bieter bei der Ausschreibung über das Fehlen einer gesicherten Finanzierung zu unterrichten74. Zum anderen findet die Pflicht, nach der sicheren Inaussichtstellung eines Vertragsschlusses Verhandlungen nicht grundlos scheitern zu lassen, ihr Pendant in der Pflicht des Auftraggebers, in dem auf die Ausschreibung folgenden Verfahren die für Chancengleichheit und Transparenz sorgenden Vergabevorschriften zu beachten: Läßt der Auftraggeber die im Vergabeverfahren formalisierte Vertragsanbahnung mit dem Bieter unter Mißachtung der Vorschriften der jeweils anwendbaren Verdingungsordnung scheitern, handelt er kraft der diesen Regeln zu entnehmenden gesetzlichen Wertung »ohne triftigen Grund«; ob die Ausschreibung als solche bereits pflichtwidrig war, ist dann unerheblich75. b) Einwände und Erklärungsansätze im Schrifttum Die Zweispurigkeit der Abbruchshaftung war und ist – unabhängig von der Sonderbehandlung von Verhandlungen über formbedürftige Geschäfte76 – steter Quell wissenschaftlicher Kontroversen. Zu offensichtlich verträgt sich die vom BGH postulierte Haftung für die zurechenbare, aber nicht pflichtwidrige Veranlassung der später ohne triftigen Grund enttäuschten Erwartung eines Vertragsschlusses nicht mit der Konstruktion einer Haftung für vorvertragliche Pflichtverletzungen: Weil die Begründung des Vertrauens der anderen Seite dem ersatzpflichtigen Vertragspartner nicht vorzuwerfen ist, kann man allenfalls daran denken, die Pflichtwidrigkeit in der Enttäuschung des Vertrauens, nämlich in der grundlosen Abstandnahme von dem intendierten Geschäft, zu suchen. Die Vorstellung einer auf Treu und Glauben gestützten Pfl icht, Verhandlungen nicht grundlos scheitern zu lassen, läßt sich jedoch nicht mit der Vertragsabschlußfreiheit der verhandelnden Parteien versöhnen, die in ihrer negativen Ausprägung – wie auch der BGH anerkennt77 – nichts anderes als eine Freiheit zum Abbruch von 74 So BGH 8. 9. 1998, BGHZ 139, 259, 261 f. Eine Aufklärungspfl icht beider Seiten im Vergabeverfahren wurde bereits grundsätzlich bejaht in BGH 22. 2. 1973, BGHZ 60, 221, 224. 75 Vgl. z. B. BGH 25. 11. 1992, BGHZ 120, 281, 284 (Verstoß gegen die Pfl icht, einem Angebot mit einem durch die Ausschreibung ausgeschlossenen Änderungsvorschlag den Zuschlag zu erteilen); 8. 9. 1998, BGHZ 139, 259, 262 f.; 8. 9. 1998, BGHZ 139, 280, 283 (jeweils Verstoß gegen die Pfl icht, die Ausschreibung ohne einen von der anwendbaren Verdingungsordnung anerkannten Grund aufzuheben); 8. 9. 1998, BGHZ 139, 273, 276 ff. (Verstoß gegen die Pfl icht, unter den wegen ihrer generellen Eignung in die engere Wahl gekommenen Bietern einem von ihnen wegen seiner besonderen Eignung den Vorzug zu geben). 76 Dazu unten, Abschnitt II 2 a dd. 77 Siehe oben, Abschnitt II (am Anfang).

II. Die Haftung für das Scheitern der Vertragsanbahnung

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Vertragsverhandlungen ist. Der in der Konsequenz einer solchen Pflicht liegende Kontrahierungszwang wird zwar vermieden, wenn man im Fall einer Pflichtverletzung nur den Ersatz des negativen Interesses gewährt78. Der bereits in der Formulierung des Pflichtentatbestands liegende Widerspruch zur Vertragsfreiheit wird durch eine solche Anpassung der Rechtsfolge aber nur kaschiert und nicht beseitigt. Dies erklärt, warum bereits vor der Schuldrechtsreform gewichtige Stimmen des Schrifttums die vollständige Rückkehr zu einer auf die Aufklärungspflicht bezogenen Haftungsbegründung gefordert haben und auch jenseits der Konstellationen formgebundener Verträge eine Verantwortung für das Scheitern der Vertragsanbahnung allenfalls dann anerkennen wollten, wenn die Hoffnung auf das Zustandekommen des Vertrags zuvor schuldhaft geweckt oder aufrechterhalten wurde79. Vor diesem Hintergrund muß, wer die Rechtsprechung legitimieren und einordnen will, die dogmatische Flucht nach vorn antreten und nach Erklärungsansätzen jenseits der quasi-deliktischen Pflichtverletzungskonstruktion Ausschau halten. Den hierzu entwickelten Überlegungen ist, wie man nur wenig vergröbernd sagen kann, bei aller Differenz im Detail die Anlehnung an die Haftung für unwirksame vertragliche Bindungen gemeinsam. Die in diesem Sinne quasi-vertraglichen Haftungskonstruktionen berufen sich – als Analogiebasis oder in loserer Anknüpfung als Vorbild für einen in richterlicher Rechtsfortbildung zu gewinnenden Fall der Vertrauenshaftung – auf die §§ 122, 179 II, 1298 f. BGB80 , auf die (beschränkte) Bindung an das mit der Zusage des Vertragsschlusses »gegebene Wort«81, das Verbot des venire contra factum proprium82 , die Erfordernisse einer funktionsfähigen Rechtsgeschäftsordnung83 und ein prozessual erweitertes Vertragsverständnis, das auch eine Bindungswirkung gescheiterter Verträge anerkennt84. 78

Zu den Rechtsfolgen der Haftung siehe unten, Abschnitt II 2 b. Gegen die Haftung wegen grundlosen Abbruchs der Verhandlungen Flume, Rechtsgeschäft, § 33, 8 (S. 617); Grunewald, JZ 1984, 708, 710; Kaiser, JZ 1997, 448, 449; Medicus, in: Gutachten, S. 479, 497 f.; Reinicke/Tiedtke, ZIP 1989, 1093, 1097 ff.; vgl. auch den grundlegenden, das Verschuldenserfordernis auch bei der Erweckung des Vertrauens auf den Vertragsschluß betonenden Beitrag von Nirk, in: 1. FS Möhring, S. 385, 401 ff., sowie dens., in: 2. FS Möhring, S. 71, 81 ff. 80 Vgl. Canaris, in: FS 50 Jahre BGH, S. 129, 181 f. (keine Analogie zu den §§ 122, 1298 f. BGB, aber die Regelung der §§ 1298 f. BGB als positivrechtliches Vorbild heranziehend); Larenz, in: FS Ballerstedt, S. 397, 415 ff. (Analogie zu § 122 BGB); Singer, in: FS Canaris, S. 135, 143 (Bezug zu den §§ 1298 f. BGB). 81 Hans Stoll, in: FS Flume, S. 741, 754 ff.; im Anschluß daran auch Hohloch, NJW 1979, 2369, 2372; Staudinger13/Löwisch, Vor §§ 275 ff. a. F. Rz. 66; trotz grundsätzlicher Ablehnung der Ansicht Stolls insoweit offenbar zustimmend Canaris, in: 2. FS Larenz, S. 27, 94 Fn. 219; dagegen Küpper, Scheitern von Vertragsverhandlungen, S. 212 ff.; Weber, AcP 192 (1992), 390, 406 ff. 82 Canaris, in: FS 50 Jahre BGH, S. 129, 182; Küpper, Scheitern von Vertragsverhandlungen, S. 216 ff.; dagegen Singer, in: FS Canaris, S. 135, 142; Weber, AcP 192 (1992), 390, 410 ff. 83 Küpper, Scheitern von Vertragsverhandlungen, S. 221 ff.; Singer, in: FS Canaris, S. 135, 144 f. 84 Weber, AcP 192 (1992), 390, 414 ff., 434. 79

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§ 13 Der Schutz des negativen Interesses jenseits des Rechtsgeschäfts

c) Die Kodifikation der c.i.c. als Herausforderung an die Rechtsprechung Solange die c.i.c. nicht kodifiziert war, ist der Rechtsprechung ein Rückgriff auf die soeben stichwortartig zusammengefaßten Versuche, die von ihr in insgesamt recht freier Rechtsfindung ermittelte Haftung für den Verhandlungsabbruch ohne triftigen Grund mit einem neuen Fundament zu versehen, erspart geblieben: Die c.i.c. war ein Geschöpf der Gerichte, und die Kritik an der sachlichen Begründung der Gestalt, welche die c.i.c. im Bereich der gescheiterten Vertragsanbahnung angenommen hatte, konnte solange ungehört bleiben, wie eine gefestigte höchstrichterliche Judikatur die letzte Autorität in Fragen der Weiterentwicklung dieses Instituts war. Mit der Aufnahme einer aus den §§ 280 I, 241 II, 311 II, III BGB zusammengesetzten Anspruchsgrundlage in das Gesetz hat sich diese komfortable Lage, wie bereits zu Beginn dieser Untersuchung angemerkt wurde85, geändert. Zwar notierten die Gesetzesverfasser in der Regierungsbegründung, daß eine »Änderung der bisherigen Rechtsprechung, etwa zum grundlosen Abbruch der Vertragsverhandlungen, [. . .] nicht beabsichtigt« sei86 . Dies ändert aber nichts daran, daß sich die Rechtsprechung nunmehr am Gesetz messen lassen muß. Für dessen Interpretation ist das Einverständnis der Verfasser mit dem Status quo zwar von Belang, aber nicht verbindlich. Was bisher als c.i.c. behandelt wurde, kann daher nicht unbesehen in einen Anspruch aus den §§ 280 I, 241 II, 311 II BGB überführt werden, sondern muß sich als Ergebnis der Auslegung und Anwendung dieser Normen darstellen lassen. Der von einer pflichtwidrig-schuldhaften Erzeugung der Abschlußerwartung unabhängige Anspruch auf Schadensersatz wegen grundlosen Abbruchs von Vertragsverhandlungen besteht diese Prüfung nicht87. Der durch das Scheitern der Vertragsanbahnung Geschädigte kann nach den §§ 280 I, 241 II, 311 II BGB nur dann Schadensersatz verlangen, wenn sein Gegenüber eine aus dem vorvertraglichen Schuldverhältnis (§ 311 II BGB) erwachsende Pflicht zur Rücksicht auf seine Rechte, Rechtsgüter und Interessen (§ 241 II BGB) verletzt und die Pflichtverletzung zu vertreten hat (§ 280 I 2 BGB). Man könnte zunächst daran denken, eine Pflicht zur Rücksicht auf das Interesse des Verhandlungspartners am Zustandekommen des Vertrags zu formulieren, die durch den Abbruch der Verhandlungen ohne triftigen Grund verletzt sein könnte. Abgesehen davon, daß damit die schon 85

Siehe oben, § 1 I 1 b. BT-Drucks. 14/6040, S. 163. 87 Skeptisch mit Blick auf die Möglichkeit einer Subsumtion unter die neue Anspruchsgrundlage bereits die oben in § 1 Fn. 22 nachgewiesenen Stimmen. – Lehrbücher und Kommentierungen zu § 311 BGB neigen allerdings noch verbreitet dazu, die Abbruchshaftung in der tradierten Form unter den Fallgruppen der c.i.c. anzuführen, ohne näher zu prüfen, wie sich die Praxis mit der Neuregelung vereinbaren läßt; vgl. etwa S. Lorenz/Riehm, Rz: 379; Bamberger/Roth/Grüneberg, § 311 Rz. 57 ff.; Hk-BGB/Schulze, § 311 Rz. 32; Palandt/Grüneberg, § 311 Rz. 30. AnwKom Schuldrechtsreform/Krebs, § 311 Rz. 28, stellt die Abbruchshaftung nur in der Variante der Aufklärungspfl ichtverletzung vor, ohne zur Vereinbarkeit der anderen Variante mit den neuen Regeln Stellung zu nehmen. 86

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monierte Unvereinbarkeit der Haftungsbegründung mit der negativen Vertragsfreiheit augenfällig würde, kann eine solche Konstruktion allerdings schon deshalb nicht überzeugen, weil sie die von der Rechtsprechung zumindest grundsätzlich88 befürwortete Haftung auf das negative Interesse nicht trägt89 : Läge der zum Schadensersatz nach den §§ 249 ff. BGB verpflichtende Umstand in der Verletzung einer solchen Loyalitätspflicht, nämlich in der pfl ichtwidrigen Vereitelung des Vertragsschlusses, bestünde die Wiedergutmachung des dadurch verursachten Schadens im Abschluß des nicht zustande gekommenen Geschäfts oder, sofern man die Naturalrestitution für ausgeschlossen hält, im Ersatz des positiven Interesses (vorausgsetzt, daß nicht noch ein hypothetischer triftiger Grund ersichtlich ist, aus dem das Geschäft im weiteren Verlauf der Vertragsanbahnung hätte scheitern können). Dieser Konsequenz kann nur entgehen, wer die Haftungsbegründung nicht an das Scheitern der Vertragsanbahnung, sondern an die Verhandlungsäußerung knüpft, die bei dem Geschädigten die Erwartung des Vertragsschlusses geweckt hat. Insoweit ist dem in Anspruch genommenen Partner nun aber in den hier diskutierten Fällen weder ein (Aufklärungs-)Pflichtverstoß noch ein Verschulden anzulasten. Um diese Hürde zu überwinden, ist in der Literatur vorgeschlagen worden, eine stillschweigende Garantieübernahme und damit eine nach § 276 I 1 BGB verschärfte Haftung desjenigen anzunehmen, der den Vertragsschluß als sicher hingestellt hat90. Eine stillschweigende Garantieübernahme setzt jedoch, wenn sie nicht reine Fiktion sein soll, voraus, daß der Haftende die verschuldensunabhängige Einstandspflicht rechtsgeschäftlich übernommen hat. Die Zusage eines künftigen Vertragsschlusses läßt sich regelmäßig nicht in diesem Sinne auslegen; sie ist – auch in den Augen des Empfängers, der weiß, daß es zum Vertragsschluß noch kommen muß – nur eine außerrechtsgeschäftliche Zusicherung. Und sollten besondere Umstände einmal die Interpretation rechtfertigen, daß eine Risikoübernahme vereinbart wurde91, bewegt man sich außerhalb der c.i.c.: Wer vertraglich zusagt, das Risiko des Scheiterns der Vertragsanbahnung zu tragen, ist aufgrund dieses Vertrags und nicht wegen der Verletzung einer vorvertraglichen Schutzpflicht zum Ersatz des Schadens verpflichtet, der seinem Partner im Mißerfolgsfall entsteht. Wie man es auch wendet: Die verschuldensunabhängige, allein an die grundlose Verweigerung des zuvor zugesagten Vertragsschlusses geknüpfte Ersatzpflicht aus 88

Näher dazu und zu den von der Rspr. angenommenen Ausnahmen unten, Abschnitt II 2 b

aa. 89

Siehe auch schon oben, § 1 I 1 b. So Jauernig/Stadler, § 311 Rz. 61; Arnold, in: Dauner-Lieb/Arnold/Dötsch/Kitz, S. 213. A. A. Erman/Kindl, § 311 Rz. 34; MünchKomm/Emmerich, § 311 Rz. 185 (Gründe für eine Haftungsverschärfung seien nicht erkennbar). 91 Diese Möglichkeit erprobt Grunewald, JZ 1984, 708, 710 f., an verschiedenen von der Rspr. entschiedenen Sachverhalten (mit allerdings recht großzügiger Unterstellung von Kostenübernahmeerklärungen); für eine rechtsgeschäftliche Lösung auch Medicus, in: Gutachten, S. 479, 503; Schuldrecht AT, Rz. 107 (dazu auch der sogleich unter 2 a aa folgende Text). 90

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c.i.c. läßt sich nicht unter die dafür vorgesehene gesetzliche Anspruchsgrundlage subsumieren. Der Wunsch der Gesetzesverfasser, den Gang der Rechtsprechung durch die Neuregelung nicht zu stören, muß gleichwohl nicht unerfüllt bleiben: Die Gerichte sind gefordert, ihre Praxis auf eine neue Grundlage zu stellen. Die nachfolgende Rekonstruktion der Abbruchshaftung, die manches von den bereits vor der Reform vertretenen, quasi-vertraglichen Ansätzen aufnimmt, soll hierzu beitragen.

2. Dogmatische Rekonstruktion als Haftung für vorvertragliche Selbstbindungstatbestände a) Die Begründung der Haftung aa) Verhandlungsäußerungen als vorvertragliche Selbstbindung Wer einen künftigen Vertragsschluß als sicher hinstellt, ist damit noch nicht vertraglich gebunden. Welchen Sinn kann es dann haben, von einer vorvertraglichen Selbstbindung zu sprechen? Die Antwort auf diese Frage hat eine begriffl iche, eine rechtspolitische und eine rechtssystematische Dimension. Was die begriffliche und die rechtspolitische Dimension betrifft, müssen die folgenden Ausführungen nur die hierzu erarbeiteten Ergebnisse des ersten Teils dieser Untersuchung in Erinnerung rufen; was die rechtssystematische Dimension betrifft, bleibt noch eine Antwort nachzutragen. Begrifflich mag die Rede von der vorvertraglichen Selbstbindung Anstoß erregen, weil das Privatrecht die Bindung, der sich der Erklärende unterwirft, indem er den Abschluß des Vertrags zusagt, nicht zum Gegenstand einer Erfüllungspflicht macht. Wir haben indes gesehen92 , daß das, was die Selbstbindung formal auszeichnet, nicht eine bestimmte Folge ist, die man an sie knüpft, sondern die eigentümliche Struktur ihrer Begründung oder, wie man nunmehr mit Bezug auf das Privatrecht sagen kann, ihr Tatbestand: Bei der Selbstbindung rechnen wir die Begründung der Erwartung, die wir einer bestimmten Person gegenüber hegen, ihr selbst zu; wir meinen mit anderen Worten, daß sie etwas zu tun oder zu lassen hat, weil sie selbst (und nicht das Gesetz oder eine Gewohnheit des Verkehrs) diese normative Erwartung in zurechenbarer Weise (etwa durch ein Versprechen) hervorgerufen hat. Wo das Privatrecht bei der Formulierung von Haftungstatbeständen auf diese Begründung abstellt, darf man von einer Selbstbindung sprechen, unabhängig davon, welche Rechtsfolge sich damit verbindet. Damit ist natürlich noch nicht geklärt, ob Tatbestände mit einer Selbstbindungsstruktur außerhalb des Vertragsrechts eine sinnvolle Funktion haben, und schließlich, ob sich solche außervertraglichen Tatbestände, wenn sie denn sinnvoll sind, mit den systematischen Vorgaben des geltenden Privatrechts vertragen.

92

Siehe oben, § 4 I.

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Bereits die erste Frage wird von den Befürwortern einer ausschließlich (quasi)deliktischen Abbruchshaftung entschieden verneint. »Warum soll sich der eine Verhandlungspartner auf einen Vertragsschluß verlassen dürfen, obwohl er diesen nicht soll verlangen können?« fragte Medicus in seinem Reformgutachten zum Verschulden bei Vertragsverhandlungen93 und gab seiner Ansicht Ausdruck, daß rechtsgeschäftlichen Lösungsmöglichkeiten der Vorzug zu geben sei94. Die rechtspolitischen Überlegungen des ersten Teils bestätigen indes diejenigen95, die diesem Argument entgegenhalten, daß die Mittel des Vertragsrechts nicht ausreichen, um einen angemessenen (und das heißt bei wirtschaftlicher Betrachtung: zur Aufrechterhaltung effizienter Vertrauensinvestitionen geeigneten) Erwartungsschutz zu gewährleisten96 , es sei denn, man hat es mit einer der besonders gelagerten Konstellationen zu tun, in denen außerrechtliche Sanktionen wirksam sind97. Wenn es somit eines solchen Schutzes grundsätzlich bedarf, bleibt die rechtssystematische Frage nach seiner Verortung im geltenden Bürgerlichen Recht. Die Antwort darauf ergibt sich aus der Fortführung der in den beiden vorangehenden Kapiteln der Untersuchung entwickelten Interpretation des Anspruchs auf das negative Interesse als Selbstbindungssanktion, die dem Gläubiger bei der Nichterfüllung wirksamer Verträge nach seiner Wahl anstelle des Anspruchs auf Ersatz des positiven Interesses und bei unwirksamen Verträgen als einziger Rechtsbehelf zur Verfügung steht. Diese Sanktion beruht, wie in diesem Zusammenhang deutlich geworden ist, nicht etwa auf einem Fehlverhalten des Schuldners bei der Begründung der rechtsgeschäftlichen Verbindlichkeit, sondern schlicht auf der Erklärung, mit der er bei seinem Gegenüber eine ihm (nach den §§ 133, 157 BGB) zurechenbare Erwartung geweckt hat. Gerade auf diesen Tatbestand stellt auch die Rechtsprechung ab, wenn sie die verschuldensunabhängige Abbruchshaftung davon abhängig macht, daß die in Anspruch genommene Verhandlungspartei in zurechenbarer Weise die Erwartung des Geschädigten begründet hat, ein Vertrag werde zustande kommen. Vor diesem Hintergrund darf die Haftung für das Scheitern der Vertragsanbahnung mit der gleichen Berechtigung als Selbstbindungssanktion gekennzeichnet werden wie die aus § 284 oder aus § 122 BGB folgende Pflicht zum Ersatz des Vertrauensschadens, und als Anspruchsgrundlage kann man, da beides Holz vom selben Stamme ist, mit gutem Gewissen eine Analogie zu § 122 BGB98 empfehlen.

93

A.a.O., S. 498. A.a.O., S. 503. Vgl. auch dens., Schuldrecht AT, Rz. 107. Ebenso etwa Reinicke/Tiedtke, ZIP 1989, 1093, 1099, und mit Nachdruck Dauner-Lieb, in: Zivilrechtswissenschaft und Schuldrechtsreform, S. 305, 318. 95 Vgl. namentlich Canaris, in: FS 50 Jahre BGH, S. 129, 181; Küpper, Abbruch der Vertragsverhandlungen, S. 221 ff., 234 f.; Singer, in: FS Canaris, S. 135, 142 ff. 96 Siehe oben, § 7 II, und die geraffte Darstellung in Abschnitt I 1 dieses Kapitels. 97 Siehe oben, § 7 III. 98 So bereits Larenz, in: FS Ballerstedt, S. 397, 415 ff.; zum neuen Schuldrecht auch Erman/ Kindl, § 311 Rz. 34. 94

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§ 13 Der Schutz des negativen Interesses jenseits des Rechtsgeschäfts

Nun scheint dieser Ansatz einen auf den ersten Blick entscheidenden Gesichtspunkt außer acht zu lassen, der eine Gleichstellung der rechtsgeschäftlichen mit der außerrechtsgeschäftlichen Haftung verbietet99 : Die Haftung auf das negative Interesse ist bei wirksamen wie bei unwirksamen obligatorischen Rechtsgeschäften auf das Vorliegen einer Willenserklärung gegründet. Die vorvertragliche Beteuerung, einen Vertrag abschließen zu wollen, ist dagegen, wie nachdrücklich auch immer sie vorgetragen worden sein mag, gerade nicht so zu verstehen und wird in aller Regel von dem Verhandlungspartner auch nicht so verstanden, daß sie auf die Herbeiführung einer Rechtsfolge gerichtet ist. Wenn sich aber beide Seiten darüber im klaren sind oder es jedenfalls sein müssen, daß sie ihre Vereinbarung noch nicht dem Recht unterstellt haben, befinden sie sich, wie man bei oberflächlicher Betrachtung meinen könnte, in keiner anderen Lage als die Parteien, die bewußt darauf verzichtet haben, eine (form-)wirksame vertragliche Vereinbarung zu treffen, und denen das Privatrecht im Falle eines »Vertragsbruchs« selbst dann nicht zur Hilfe kommt, wenn sie sich auf das »Edelmannswort« ihres Partners verlassen haben100. Der eine hat mit dem anderen Fall jedoch nichts zu tun: Gewiß sollte eine Rechtsordnung nicht intervenieren, wenn die Parteien beschlossen haben, wie im »Edelmannsfall« die Einhaltung des gegebenen Worts der Sorge des Versprechenden um die eigene Reputation und damit einem außerrechtlichen Mechanismus zu überlassen101. Eine solche Entscheidung haben die im Stadium der Vertragsanbahnung befindlichen Parteien aber gerade nicht getroffen. Sie befinden sich vielmehr auf dem Weg zum Vertrag, und sie bedürfen der rechtlichen Unterstützung bei der Bewältigung des rechtsgeschäftlich nicht adäquat zu lösenden Problems, vorvertragliche Vertrauensinvestitionen zu ermöglichen, deren Nutzen letztlich beiden Seiten zugute kommt. bb) Anforderungen an die Selbstbindung Nach der hier vorgenommenen systematischen Weichenstellung kommt unabhängig von einer Pflichtwidrigkeit bei der Begründung oder Aufrechterhaltung des Vertrauens auf das Zustandekommen eines Vertrags die Abbruchshaftung dann in Betracht, wenn eine verhandelnde Partei einen Selbstbindungstatbestand gesetzt hat, dem sich durch Auslegung entnehmen läßt, daß er eine normative Erwartung begründet, die den Partner zu Vertrauensinvestitionen veranlaßt. Es ist das Verdienst der Lehre von der Versprechenshaftung102 , den Blick auf wesentliche Tatbe99 Vgl. etwa das (allerdings nicht näher begründete) Verdikt Flumes, Rechtsgeschäft, § 33, 7 (S. 617 Fn. 51), die Gleichstellung des Abbruchs von Vertragsverhandlungen mit der Irrtumsanfechtung sei »abwegig«. 100 Vgl. RG 21. 5. 1927, RGZ 117, 121. 101 Siehe oben, § 7 III 2 (am Anfang). 102 Begründet durch Hans Stoll, in: FS Flume, S. 741, 754 ff.; vgl. auch dens., in: FS v. Caemmerer, S. 433, 447 ff.; ähnlich Hohloch, NJW 1979, 2369, 2372; Staudinger13/Löwisch, Vor §§ 275 ff. a. F. Rz. 66 ff.

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stände gelenkt zu haben, die diese Voraussetzungen erfüllen: Eine vorvertragliche Selbstbindung liegt zweifellos vor, »wenn dem Verhandlungspartner die Überzeugung verschafft wird, es werde mit Sicherheit zum Vertragsschluß kommen oder es würden beim Scheitern des Vertragsschlusses mit Sicherheit gewisse Leistungen erfolgen«103. So verhielt es sich etwa in einem vom BGH entschiedenen Fall, in dem die beklagten Gesellschafter einer OHG Verhandlungen mit der Klägerin über deren Aufnahme als Gesellschafter mit einer von beiden Seiten unterzeichneten Aktennotiz abgeschlossen hatten, in der es als »vereinbart« bezeichnet wurde, daß »nunmehr der Gesellschaftsvertrag [mit den in der Aktennotiz ausgeführten Bedingungen, T. A.] alsbald abgeschlossen werden soll«104. Indes darf man – und hierin besteht eine gewisse Gefahr bei der Verwendung des Begriffs »Versprechen« – die Anforderungen an das Vorliegen einer Selbstbindung nicht überspannen und sie auf Sachverhalte beschränken, die einer rechtsgeschäftlichen Bindung zum Verwechseln ähnlich sehen105. Es kommt generell nicht darauf an, was man semantisch noch als »Versprechen« bezeichnen kann106 , sondern allein darauf, daß die Äußerungen und überhaupt das Verhalten einer verhandelnden Partei der anderen Seite eine normative Erwartung vermittelt, die sich als Grundlage für eine Vertrauensinvestition eignet. Dies erlaubt es, Konstellationen, die der BGH unter dem Gesichtspunkt der Verschuldenshaftung behandelt hat, als vorvertragliche Selbstbindungen einzuordnen: Hat beispielsweise der Mitarbeiter einer Bank einem um die kurzfristige Eröffnung eines Akkreditivs nachsuchenden Kunden auf dessen Frage, ob er sich nach einer anderen Finanzierungsmöglichkeit umsehen solle, geantwortet, dies sei nicht notwendig, er schaffe es schon noch107, so durfte, ja mußte der Kunde geradezu davon ausgehen, daß der Auftrag angenommen werde. Die Richtigkeit dieser Interpretation wird durch die Gegenprobe belegt: Der Äußerung keine Vertrauensgrundlage zu entnehmen, hieße dem Kunden zuzumuten, daß er einer solchen Versicherung mißtrauen und auf einer rechtsgeschäftlichen Absicherung gegen das Schadensrisiko bestehen oder seinen Auftrag zurückziehen und sich anderweitig orientieren müßte. Weil er dazu aber seinem Gegenüber Unredlichkeit oder zumindest Leichtfertigkeit un-

103 So die von Hans Stoll, in: FS v. Caemmerer, S. 433, 447, verwendete Formulierung. Anders als die hier vertretene Ansicht sieht Stoll in einem solchen Tatbestand indes keine Selbstbindung, sondern den Beginn eines gesetzlichen Schuldverhältnisses mit vertragsgleichen oder -ähnlichen Wirkungen. 104 BGH 6. 2. 1969, WM 1969, 595. Daß der Gesellschaftsvertrag nicht schon abgeschlossen wurde, lag am Widerstand eines an dieser »Vereinbarung« nicht beteiligten Mitgesellschafters, der noch ausgeschaltet werden mußte. – In dieser Entscheidung fi ndet sich der Hinweis auf § 122 BGB, den Larenz, in: FS Ballerstedt, S. 397, 418, aufgriff. Gegen eine Interpretation der Entscheidung in Larenz’ Sinne freilich Nirk, in: 2. FS Möhring, S. 71, 82. 105 Der vorgenannte Fall macht diese Ähnlichkeit deutlich: Medicus, in: Gutachten, S. 479, 500 f., will hier einen bedingten Vorvertrag annehmen. 106 Vgl. schon Küpper, Scheitern von Vertragsverhandlungen, S. 214 f.; insoweit kritisch gegenüber Stolls Ansicht auch Weber, AcP 192 (1992), 390, 407. 107 So der Klägervortrag im Fall BGH 17. 10. 1983, NJW 1984, 866, 867.

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terstellen müßte, wäre dies hier kein gangbarer Weg. Wird die Eröffnung des Akkreditivs später ohne triftigen Grund verweigert, steht dem Kunden daher ein Anspruch auf Ersatz des negativen Interesses zu, ohne daß sich die Bank damit entlasten kann, daß ihr Mitarbeiter sich bei der Abgabe seiner Erklärung pflichtgemäß verhalten hat, weil zu diesem Zeitpunkt die Ablehnung des Auftrags nicht vorhersehbar war. Nicht anders zu beurteilen sind Konstellationen, in denen ein Vertragsschluß zwar nicht als gesichert hingestellt, aber die normative Erwartung vermittelt wird, daß der Vertrag unter bestimmten Bedingungen geschlossen oder darüber nach vorab festgelegten Regeln entschieden werde: Werden die Bedingungen nicht eingehalten oder die Regeln gebrochen, kann derjenige, der bei regelgemäßem Verlauf der Vertragsanbahnung Vertragspartner geworden wäre108 , auf der Grundlage der Selbstbindung seines Partners den Ersatz des negativen Interesses verlangen. Das Musterbeispiel eines solchen Tatbestandes, den man als qualifizierte invitatio ad offerendum bezeichnen kann, ist die öffentliche Ausschreibung: Hier gewährt der BGH im Ergebnis zu Recht einen Schadensersatzanspruch auch dann, wenn die Ausschreibung als solche nicht pflichtwidrig war, sondern erst später gegen die Vergaberegeln verstoßen wurde109. Der Haftungsgrund ist indes kein vorvertragliches Verschulden, sondern die in der Ausschreibung liegende Selbstbindung des öffentlichen Auftraggebers110 : Mit der Ausschreibung gibt er zwar kein Angebot ab und setzt sich auch keiner Erfüllungspflicht aus. Doch erklärt er seine Bereitschaft, im Rahmen der Ausschreibungsbedingungen und der Vergabebestimmungen einen Vertrag zu schließen111. Weicht der Auftraggeber davon ab, ist er dem Bieter aufgrund dieser ihm zurechenbaren Erklärung zum Schadensersatz verpflichtet. Auf diese Weise wird man auch Alltagsfälle wie die rechtliche Behandlung einer preisausgezeichneten Schaufensterauslage lösen können, die nach der Lehre von der sozialen Selbstbindung als Angebot gelten soll112. Weil den Betrachtern des 108

Dazu sogleich unter bb. Siehe oben, Abschnitt II 1 a. 110 Ausführlich zur Begründung dieses Gedankens Verf., ZHR 164 (2000), 394 ff. – In diesem Beitrag wird zudem nachgewiesen, daß und wie die für das harmonisierte Vergaberecht geltende Haftungsregelung in § 126 GWB, welche einen verschuldensunabhängigen Schadensersatzanspruch gewährt, den hiesigen Ansatz bestätigt. 111 In diese Richtung weist BGH 22. 2. 1973, BGHZ 60, 221, 225: Die Beklagte hatte ihrer Ausschreibung ausdrücklich die Regeln der VOB/A zugrunde gelegt. »Wenn auch diese Regeln dem Bieter keine klagbaren Rechte geben«, so der BGH, »so hatte die Beklagte doch mit ihrem Hinweis auf sie den Bietern [. . .] erklärt, daß sie bei der Vergabe der Bauleistungen nach den Bestimmungen der VOB/A verfahren werde – was sich übrigens für die Beklagte als öffentliche Auftraggeberin von selbst verstand.« Dem entspricht es, wenn die amerikanische Rechtsprechung es als »implied condition« einer Ausschreibung ansieht, daß der Ausschreibende jedes Angebot redlich prüfe und dem nach seiner redlichen Einschätzung günstigsten den Zuschlage erteile; vgl. etwa Heyer Products Co. v. U. S., 140 F.Supp. 409, 412 (Ct.Cl. 1956); weitere Nachw. bei Páez-Maletz, Schutz des Vertrauens, S. 168 Fn. 839. 112 Vgl. Köndgen, Selbstbindung, S. 292. – Ein weiterer Alltagsfall, an dem sich die hier vertre109

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Schaufensters wie den Bietern im Fall der Ausschreibung die Erwartung eines berechenbaren Weges zum Vertragsschluß vermittelt wird, ist die Selbstbindungsqualität eines solchen Verhaltens des Geschäftsinhabers diskutabel. Aber daran mehr als eine Pflicht zum Ersatz des (freilich nur ausnahmsweise eintretenden) Vertrauensschadens zu knüpfen, wenn ein Kunde kein Exemplar der ausgestellten Ware erhält, ist nicht angebracht – um einen rechtlichen Anreiz zu Vertrauensinvestitionen zu bieten, genügt die Analogie zu § 122 BGB, und es bedarf nicht der Vorverlagerung des Angebots113. Damit ist zugleich die untere Grenze dessen markiert, was als Selbstbindungstatbestand in Betracht kommt: Die schlichte Erklärung der Bereitschaft oder des Wunsches, über einen Vertragsgegenstand ins Geschäft zu kommen, und auch die während der Verhandlungen getätigten, Entgegenkommen signalisierenden Äußerungen einer Partei reichen, auch wenn sie mit Zeichen der Ermutigung und der Zuversicht versehen sind, nicht aus, um als Selbstbindung gelten zu können. Auch hier mögen zwar normative Erwartungen entstehen (man rechnet es dem Partner als illoyales Verhalten zu, wenn sich die Hoffnung auf einen Vertragsschluß zerschlägt), doch sind diese Erwartungen zu vage, um sie mit rechtlichen Sanktionen zu schützen, weil hier die (engen) Grenzen einer solchen »Selbstbindung«, wie sie im nächsten Abschnitt zu behandeln sind, nicht mehr rechtssicher zu bestimmen wären. Zugleich ist bei solchen Äußerungen und Verhaltensweisen aber in aller Regel wohl auch die Grenze der Verschuldenshaftung nach den §§ 280 I, 241 II, 311 II BGB unterschritten: Zu Recht hat es die Rechtsprechung abgelehnt, in Fällen taktischen Verhandlungsverhaltens einen Anspruch aus c.i.c. (ganz gleich, auf welcher »Spur« der Begründung) zu gewähren114, denn die Sanktionierung von tene Abgrenzung erproben läßt, ist der Fall der Tischreservierung in einem Lokal: Nach LG Kiel 22. 1. 1998, NJW 1998, 2539, steht dem Wirt, wenn der Gast die Reservierung nicht in Anspruch nimmt, ein Anspruch aus c.i.c. auf Ersatz des negativen Interesses zu. Auch hier dürfte dem Ergebnis, aber nicht der Begründung beizupfl ichten sein: Der Gast muß aufgrund der Reservierung, mit der er das künftige Zustandekommen eines Bewirtungsvertrags sicher in Aussicht gestellt hat, verschuldensunabhängig für den Vertrauensschaden des Wirts (einschließlich der Opportunitätskosten) geradestehen. Vgl. zur benachbarten, im Ergebnis wohl zugunsten des Zustandekommens eines (Beherbungs-)Vertrags zu entscheidenden Problematik der Zimmerreservierung in einem Hotel LG Frankfurt 18. 8. 2005, NJW-RR 2006, 54. 113 Siehe zu den Grenzen der Möglichkeit vorkonsensualer rechtsgeschäftlicher Bindung auch oben, § 7 II 2 a. 114 Vgl. z. B. BGH 7. 12. 2000, NJW-RR 2001, 381: Die Klägerin hatte einen Bauauftrag ausgeschrieben, auf den sich die Beklagten als Bietergemeinschaft mit einem Angebot beworben hatten. Obwohl es sich nicht um das günstigste Angebot handelte, nahm die Klägerin mit ihnen Verhandlungen auf und erreichte, daß sie auf ihre Preisvorstellung eingingen. Andere Vertragsbedingungen waren aber noch offen, und ein Vertragsentwurf der Klägerin war noch nicht unterschrieben, als die Beklagten ihre Forderungen in die Höhe schraubten und für eine Position des Auftrags einen wesentlich höheren Preis verlangten. Die Klägerin beauftragte daraufhin einen Dritten und verlangte als Schadensersatz die Differenz zwischen dem von ihr gezahlten Preis und dem Preis, den sie den Beklagten in den Verhandlungen abgerungen hatte, ehe diese ihre Preisvorstellung revidierten. Hier hat der BGH zu Recht keinen Schadensersatzanspruch zuerkannt: Daß sich die Beklagten zunächst auf den Preiswunsch der Klägerin eingelassen hat-

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Äußerungen auf diesem Niveau ließe in der Tat »das harmloseste Wort [. . .] zum Strick«115 werden. »Unterhalb« der auf vorvertragliche Selbstbindungen gegründeten Haftung sollte es daher mit dem deliktischen Schutz nach § 826 BGB oder nach § 823 II BGB i. V. m. § 263 StGB sein Bewenden haben116 . cc) Grenzen der Selbstbindung Die von der Rechtsprechung anerkannten Grenzen der Abbruchshaftung sind sachlicher und zeitlicher Natur: In sachlicher Hinsicht hat sich derjenige, der die Erwartung eines künftigen Vertragsschlusses zurechenbar geweckt hat, nur dann für das Scheitern der Vertragsanbahnung verantwortlich gemacht, wenn triftige Gründe fehlen, die es ihm erlaubten, den Vertragsschluß zu verweigern. So hat der BGH in einem obiter dictum als triftigen Grund für die Weigerung, einen ausgehandelten Mietvertrag zu unterzeichnen, die Möglichkeit eines anderweitigen Vertragsschlusses anerkannt117. Des weiteren hat er einen solchen Grund in einem Fall bejaht, in dem wegen der Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse aufgrund der deutschen Wiedervereinigung die Anschaffung einer Maschine für die Kaufinteressentin sinnlos geworden war, weil es für die damit herzustellenden Produkte keinen Absatzmarkt mehr gab118. – In zeitlicher Hinsicht reicht die Bindung nach der Rechtsprechung nur soweit, wie es erforderlich ist, damit sich der Partner in angemessener Frist Klarheit über den Abschluß des Vertrags verschaffen können; Anhaltspunkte hierfür entnimmt sie den §§ 145 ff. BGB119. Während sich die zeitliche Haftungsgrenze problemlos in ein Konzept vorvertraglicher Selbstbindung integrieren läßt (nichts liegt näher als die Analogie zum Angebot), wirft die sachliche Haftungsgrenze zunächst Probleme auf. Auf den ersten Blick ist das Kriterium des triftigen Grundes im Rahmen einer analog § 122 BGB konzipierten Selbstbindungshaftung »heimatlos«, stellt diese doch nur auf die zurechenbare Veranlassung der Abschlußerwartung ab120. Richtigerweise handelt es sich jedoch um eine Haftungsgrenze, die auch bei der »regulären« Schadensersatzpflicht in direkter Anwendung von § 122 BGB ihr Pendant hat121: Wenn ten, heißt in Anbetracht der noch offenen Punkte weder, daß der künftige Vertragsschluß sicher war, noch bedeutete es, daß der Weg zum Vertragsschluß nunmehr vorgezeichnet war. 115 Jhering, Jher.Jb. 4 (1861), 1, 13. 116 Ähnlich im Ergebnis – allerdings auf der Basis seiner engeren Konzeption der Haftung für einseitige Leistungsversprechen – Hans Stoll, in: FS v. Caemmerer, S. 435, 447. Gegen ihn mit ausführlicher Begründung Küpper, Scheitern von Vertragsverhandlungen, S. 173 ff. Der Kritik Küppers wird, was den hier vertretenen Ansatz betrifft, dadurch die Spitze genommen, daß hier nicht generell die Möglichkeit vorvertraglicher Aufklärungspfl ichten geleugnet wird. Was das Scheitern der Vertragsverhandlungen betrifft, bedarf es aber, wenn man den Selbstbindungsbegriff so faßt wie hier, wohl nicht des Rückgriffs auf diese Figur. 117 BGH 26.3./2. 4. 1974, WM 1974, 508, 510. 118 BGH 10. 1. 1996, DB 1996, 777. 119 BGH 10. 7. 1970, NJW 1970, 1840, 1841. 120 So der gegen die Analogie zu § 122 BGB gerichtete Einwand Küppers, Scheitern von Vertragsverhandlungen, S. 206, der in Fn. 157 aber zugleich den Ansatz zur Widerlegung sieht. 121 Dazu oben, § 10 III 1 c.

II. Die Haftung für das Scheitern der Vertragsanbahnung

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dem Gläubiger bei gedachter Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts nicht dem Grunde nach ein Anspruch auf Ersatz des positiven Interesses zustünde, hat er aufgrund des (beispielsweise wegen Irrtumsanfechtung) unwirksamen Rechtsgeschäfts auch keinen Anspruch aus § 122 BGB. So entlastet den Schuldner beispielsweise ein nicht zu vertretendes, leistungsbefreiendes Hindernis nicht nur von der (hypothetischen) Pflicht zum Ersatz des positiven Interesses, sondern auch von der Pfl icht zum Ersatz des negativen Interesses. Nichts anderes als solche Entlastungsgründe für vorvertragliche Selbstbindungen sucht die Rechtsprechung mit dem Rekurs auf »triftige Gründe« einzufangen. Schwierig zu bestimmen ist allerdings, welcher Maßstab insoweit anzulegen ist. Ohne den Anspruch auf Vertiefung der hierzu bereits vorhandenen, mit dem hiesigen Konzept in dieser Hinsicht kompatiblen Ansätze des Schrifttums122 sei auf drei Gesichtspunkte hingewiesen: Erstens darf das, was als triftiger Grund in Betracht kommt, nicht dem Belieben des Gebundenen überlassen sein, damit die Selbstbindung nicht obsolet ist – die bloße Unlust, den Vertrag abzuschließen, oder die plötzlich gestiegene subjektive Wertschätzung für den zu veräußernden Gegenstand rechtfertigen also nicht den Abbruch der Vertragsanbahnung. Zweitens darf die vorvertragliche Selbstbindung nicht weiterreichen als die (hypothetische) Bindung aufgrund des abzuschließenden Vertrags – wer etwa den Abschluß eines Vertrags verweigert, von dem er wegen einer Störung der Geschäftsgrundlage ohnehin zurücktreten dürfte (§ 313 III BGB), ist daher nicht zum Schadensersatz verpflichtet. Drittens hängt schließlich die Ausfüllung des verbleibenden Spielraums von der Auslegung der vorvertraglichen Selbstbindung ab: In den Fällen fehlerhafter Vergabeverfahren ergibt beispielsweise der ausdrückliche oder konkludente Bezug der Ausschreibung auf die Vorschriften der jeweils anwendbaren Verdingungsordnung, was als triftiger Grund für das Ausscheiden eines Bieters in Betracht kommt123. In anderen Fällen – wie dem soeben berichteten aus der Zeit der Wiedervereinigung – wird man die Zusicherung eines Vertragsschlusses ergänzend im Sinne einer clausula rebus sic stantibus interpretieren können. Nicht zutreffend erscheint es allerdings, mit dem BGH in seinem obiter dictum bereits die sich später herausstellende Möglichkeit eines günstigeren Abschlusses mit einem Dritten als Entlastungsgrund genügen zu lassen, wenn der Vertragsschluß zuvor als sicher hingestellt wurde124 : Eine Haftungsentlastung aus diesem Grund nähme den verhandelnden Parteien den Anreiz, sich um die richtige Einschätzung der Marktlage und die Auswahl des bestmöglichen Partners zu bemühen, bevor sie sich durch die Zusicherung eines Abschlusses festlegen. 122 Vgl. insbesondere Küpper, Scheitern von Vertragsverhandlungen, S. 240 ff., und die knapperen Ausführungen bei Hans Stoll, in: FS v. Caemmerer, S. 435, 449 ff.; Staudinger13/Löwisch, Vor § 275 ff. a. F. Rz. 69. 123 Siehe schon oben, Abschnitt II 1 a. 124 Dagegen auch Küpper, Scheitern von Vertragsverhandlungen, S. 245; Hans Stoll, in: FS v. Caemmerer, S. 435, 450; wie der BGH dagegen Medicus, in: Gutachten, S. 479, 500; Erman/Kindl, § 311 Rz. 34.

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dd) Sonderbehandlung des Abbruchs von Verhandlungen über formbedürftige Verträge? Die bisherigen Ausführungen zur Rekonstruktion der Abbruchshaftung als Selbstbindungssanktion haben einen Aspekt ausgespart, der in der jüngeren Diskussion für besonderes Aufsehen gesorgt hat: Sollte man mit der neueren Rechtsprechung des V. Zivilsenats zu Grundstücksgeschäften die haftungsrechtliche Verantwortung für das Scheitern der Anbahnung eines formbedürftigen Vertrags auf die raren Ausnahmefälle beschränken, in denen eine besonders schwere Treupflichtverletzung, namentlich die vorsätzliche Vorspiegelung einer nicht vorhandenen Abschlußbereitschaft, vorliegt?125 Der vom BGH126 hierfür angeführte Vergleich mit der Judikatur zur unzulässigen Berufung auf Formmängel vermag schon aus dem folgenden Grund nicht zu überzeugen127: Die Durchbrechung der Nichtigkeit erlaubt es der geschützten Partei, die Erfüllung des Vertrags zu verlangen, und erübrigt damit den Schutz des negativen Interesses. Diese »schwächere« Sanktion für den Abschluß eines formnichtigen Vertrags hat der BGH seit jeher unter großzügigeren Voraussetzungen gewährt, nämlich dann, wenn der Partner der auf die Wirksamkeit des Vertrags vertrauenden Partei es schuldhaft unterlassen hat, sie über die Formbedürftigkeit des Vertrags aufzuklären128. Allenfalls wäre daher über eine Parallele zwischen diesen Konstellationen nachzudenken, welche jedoch auch nicht recht paßt: Die Aufklärungspflichtverletzung, die nach der Rechtsprechung (aber nicht nach der hiesigen Ansicht129) die Haftung bei abgeschlossenen, aber formnichtigen Geschäften begründen soll, bezieht sich auf die Nichteinhaltung der gesetzlichen Form; die von der Rechtsprechung bei der Abbruchshaftung (in ihrer verschuldensabhängigen Variante) geprüfte Pflichtverletzung bezieht sich dagegen auf die Erweckung oder Aufrechterhaltung des Anscheins der Abschlußbereitschaft. Geht man, wie hier, davon aus, daß es sowohl bei der Haftung für den Abschluß eines formnichtigen Vertrags als auch bei der Haftung für die vorvertragliche Zu-

125 Vgl. hierzu zustimmend Erman/Kindl, § 311 Rz. 34; Jauernig/Stadler, § 311 Rz. 61; S. Lorenz/Riehm, Lehrbuch, Rz. 380 (S. 194); MünchKomm/Emmerich, § 311 Rz. 182; Palandt/Grüneberg, § 311 Rz. 31; kritisch Gehrlein, MDR 1998, 445, 447 ff.; Heiss, Formmängel, S. 424 ff.; Kaiser, JZ 1997, 448, 450 f.; Singer, in: FS Canaris, S. 135, 148 ff. – In ihrer Kernaussage nicht gewürdigt wird die Leitentscheidung BGH 29. 3. 1996, NJW 1996, 1884, in dem thematisch einschlägigen Beitrag von Müller, DB 1997, 1905, 1907 ff. Aus der Zeit vor dieser Entscheidung vgl. einerseits (für eine restriktive Handhabung der Haftung bei formbedürftigen Geschäften) Kapp, DB 1989, 1224 ff.; dens., DB 1991, 1265 ff.; Reinicke/Tiedtke, ZIP 1989, 1092 ff.; andererseits (gegen eine restriktive Handhabung) Küpper, DB 1990, 2460 ff.; dens., Scheitern von Vertragsverhandlungen, S. 321 ff. 126 BGH 29. 3. 1996, NJW 1996, 1884, 1885. 127 Das folgende Argument fi ndet sich auch bei Kaiser, JZ 1997, 448, 451; Singer, in: FS Canaris, S. 135, 149 f. 128 Vgl. BGH 29. 1. 1965, NJW 1965, 812, 814; 16. 2. 1965, WM 1965, 674, 675; 12. 11. 1986, BGHZ 99, 101, 106; 27. 6. 1988, NJW 1989, 166, 167; 6. 12. 1991, BGHZ 116, 251, 258. 129 Dazu oben, § 12 II 4.

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sicherung eines Vertragsschlusses um Sanktionen für Selbstbindungstatbestände geht, ergibt sich ohnehin eine andere Bewertung: Bei der Untersuchung der aus der Abgabe einer formnichtigen Willenserklärung erwachsenden Schadensersatzpflicht sind wir der Frage nachgegangen, ob es der Schutzzweck der verletzten Formvorschrift verbietet, den Erklärenden mit dem Schaden zu belasten, den der andere Teil erlitten hat, weil er in (ausnahmsweise) schuldlosem Irrtum über die Formbedürftigkeit auf die Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts vertraute. Dabei hat sich ergeben, daß entgegen der von der Rechtsprechung bezogenen Position eine solche Sperrwirkung jedenfalls nicht der Übereilungsschutz entfaltet, wie ihn § 311b I 1 BGB dem Veräußerer und dem Erwerber eines Grundstücks oder § 518 I BGB dem Schenker bietet130 : Der Zweck, den Erklärenden vor unbedachten Entscheidungen zu schützen, verlangt nicht, ihn vor der Verantwortung für die schädlichen Folgen zu bewahren, die seine Erklärung bei einem gutgläubigen Gegenüber zu verursachen vermag. Anders ist dies nur, wenn die Wahrung der Formvorschrift nach der Wertung des Gesetzes als Sache des Geschädigten anzusehen ist. So kann ein Unternehmer gegenüber einem Verbraucher wegen Nichteinhaltung der in § 492 I 1 BGB vorgeschriebenen Form keinen Vertrauensschaden geltend machen, weil die Verantwortung für die Einhaltung der Form ihm und nicht dem Verbraucher zugewiesen ist. Diese Abgrenzung ist auf die Vereinbarkeit der Residualhaftung aus vorvertraglichen Selbstbindungstatbeständen mit den Formzwecken zu übertragen. Wer das Zustandekommen eines formbedürftigen Vertrags als sicher in Aussicht gestellt und anschließend ohne triftigen Grund verweigert hat, wird durch die Pfl icht zum Ersatz des negativen Interesses ebensowenig einem formzweckwidrigen Kontrahierungszwang unterworfen wie derjenige, den diese Pflicht wegen des Abschlusses eines formnichtigen Vertrags trifft. Nur dann, wenn die Formvorschrift die Rollen von Schutzbefohlenem und Schutzverantwortlichem jeweils einer der beiden Parteien zuweist (wie in der Beziehung zwischen Unternehmer und Verbraucher), verbietet sich eine Haftung der geschützten gegenüber der schutzverantwortlichen Partei. b) Der Umfang der Haftung aa) Ausschließlicher Schutz des negativen Interesses Die Haftung für das Scheitern der Vertragsanbahnung gehört zu den Fallgruppen der c.i.c., in denen die Rechtsprechung den zu leistenden Schadensersatz nicht ausnahmslos auf das negative Interesse beschränkt sieht. Der BGH erkennt in ständiger Praxis bei fehlerhaften Vergabeverfahren dem bestplazierten, aber wegen des Pflichtverstoßes erfolglosen Bieter auf der Grundlage der c.i.c. einen Anspruch auf Ersatz des positiven Interesses zu, wenn der von dem öffentlichen Auftraggeber ausgeschriebene oder jedenfalls ein wirtschaftlich gleicher Auftrag einem an130

Siehe oben, § 12 II 4 b aa.

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§ 13 Der Schutz des negativen Interesses jenseits des Rechtsgeschäfts

deren Unternehmen tatsächlich erteilt wurde131. Auch im Schrifttum hält man es teilweise nicht für angemessen, den durch den Abbruch der Verhandlungen Geschädigten stets auf den Ersatz des Vertrauensschadens zu verweisen, und will – allerdings mit unterschiedlichen Begründungen – insbesondere bei Arglist oder ähnlichen besonders groben Pflichtverstößen auch die Liquidation des Erfüllungsinteresses zulassen, ja sogar einen Anspruch auf Abschluß bzw. Erfüllung des nicht zustande gekommenen Vertrags gewähren132. Wie stets bei der Unterscheidung zwischen positivem und negativem Interesse133 kommt es auch hier zunächst wieder auf die Bestimmung des Umstandes an, der nach den §§ 249 ff. BGB zum Schadensersatz verpflichtet: Knüpft man die Schadensersatzpflicht an das Verhalten, durch das die Erwartung des Vertragsschlusses begründet wurde, gelangt man zum negativen Interesse; zu ersetzen sind die durch diesen Tatbestand veranlaßten Aufwendungen und Opportunitätskosten des auf den Vertragsschluß vertrauenden Verhandlungspartners. Betrachtet man dagegen den grundlosen Abbruch der Verhandlungen (oder, in den Vergabefällen, die pflichtwidrige Nichtberücksichtigung des Bieters) als Haftungsgrund, gelangt man zum positiven Interesse oder, bei Zulassung der Naturalrestitution, zur Erfüllung. Dies ist die schadensrechtliche Perspektive, welche der BGHRechtsprechung in den Vergabefällen zugrunde liegt: Hält man den Auftraggeber für verpflichtet, die Vertragsanbahnung mit dem Bieter nicht aus vergaberechtswidrigen Gründen scheitern zu lassen, besteht die Wiedergutmachung des durch eine Verletzung dieser Pflicht verursachten Schadens im Ersatz des positiven Interesses, wenn der Bieter ohne die Pflichtverletzung erfolgreich gewesen wäre. Bei erstem Hinsehen erstaunlich ist dann allenfalls, warum der BGH den Ersatz des positiven Interesses an die zusätzliche Bedingung knüpft, daß der ausgeschriebene oder ein wirtschaftlich gleicher Auftrag einem Dritten tatsächlich erteilt wurde.

131 BGH 8. 9. 1998, BGHZ 139, 259, 272; 8. 9. 1998, BGHZ 139, 273, 279; 8. 9. 1998, NJW 1998, 3640, 3644 (insoweit in BGHZ 139, 280, nicht abgedruckt); 26. 10. 1999, NJW 2000, 661, 663. 132 Vgl. v. Craushaar, JuS 1971, 127, 128 ff. (Analogie zu den §§ 116 S. 1, 179 I BGB bei Arglist); Eisenhardt, in: FS Leser, S. 144, 148 ff. (Analogie zu § 179 I BGB bei vorsätzlichem oder grob fahrlässigem Abbruch von Vertragsverhandlungen); Küpper, Scheitern von Vertragsverhandlungen, S. 265 ff. (kein positives Interesse bei der Haftung wegen Aufklärungsmangels, wohl aber bei der Haftung wegen pfl ichtwidrigen Scheiternlassens der Verhandlungen, wenn eine besonders schwere Treupfl ichtverletzung vorliegt, was allerdings nicht bei formbedürftigen Geschäften gelten soll, a.a.O., S. 325); Medicus, in: FS Lange, S. 539, 550 (positives Interesse aufgrund § 242 BGB insbesondere bei Arglist); Páez-Maletz, Schutz des Vertrauens, S. 186 ff. (positives Interesse als Schätzwert für den entgangenen Gewinn aus Alternativgeschäften bei arglistigem oder grob treuwidrigem Verhalten); Weber, AcP 192 (1992), 390, 428 ff. (Ersatz des positiven Interesses bei arglistiger Täuschung und bei besonders auffälligem Mißverhältnis zwischen Abbruchmotiv und Vertrauenstatbestand). Für die Beschränkung auf das negative Interesse dagegen Kaiser, JZ 1997, 448, 453; Müller, DB 1997, 1905, 1907; MünchKomm/Emmerich, § 311Rz. 186; Singer, in: FS Canaris, S. 135, 147; Soergel/Wiedemann, Vor § 275 ff. a. F. Rz. 137; Staudinger13/ Löwisch, Vor § 275 ff. a. F. Rz. 74 f. (der davon allerdings die Vergabefälle ausnimmt); wohl auch Gehrlein, MDR 1998, 445. 133 Siehe oben, § 1 III.

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Doch findet diese Einschränkung ihre Erklärung darin, daß damit die Abschlußfreiheit des Auftraggebers respektiert werden soll – wenn der Auftraggeber entschieden hat, den ausgeschriebenen Auftrag überhaupt nicht zu vergeben, soll er auch nicht zur Herstellung der bei erfolgreicher Vergabe bestehenden Lage verpflichtet sein134. Die bisherigen Überlegungen zur Dogmatik der Abbruchshaftung sollten indes deutlich gemacht haben, daß diese Sicht bereits in ihrem Ausgangspunkt nicht zu teilen ist. Der zum Schadensersatz verpflichtende Umstand ist nicht der grundlose Verhandlungsabbruch oder die vergaberechtswidrige Nichtberücksichtigung eines Bieters. Zum Schadensersatz verpfl ichtet vielmehr die Setzung des Selbstbindungstatbestands: die zurechenbare Erweckung der Abschlußerwartung des Verhandlungspartners, die bei den Vergabefällen in der (auf die Vergaberegeln mindestens implizit Bezug nehmenden) Ausschreibung liegt135. Geht man bei der schadensrechtlichen Differenzbetrachtung von diesem Tatbestand aus, ist der Geschädigte – nicht anders als in den Fällen direkter Anwendung von § 122 BGB – nur so zu stellen, wie er stehen würde, wenn er auf die Zusicherung der Abschlußbereitschaft nicht vertraut hätte. Hiervon ist entgegen der von einigen Stimmen der Literatur vertretenen Ansicht auch dann keine Ausnahme zu machen, wenn der Schädiger die Bereitschaft zum Vertragsschluß vorsätzlich vorgespiegelt hat. Die Interpretation der Abbruchshaftung als Haftung für vorvertragliche Selbstbindungen scheint zwar dazu einzuladen, den Rechtsgedanken der §§ 116 S. 1, 179 I BGB fruchtbar zu machen und die Erfüllungspflicht, die in diesen Fällen an die vorgespiegelte rechtsgeschäftliche Bindung geknüpft wird, auch auf ihr außerrechtsgeschäftliches Gegenstück zu beziehen. Doch wäre dies ein begriffsjuristischer Fehlschluß, denn die Lage, von denen die §§ 116 S. 1, 179 I BGB ausgehen, ist eine andere als die hier behandelte: Wer beim Vertragsschluß Opfer eines »bösen Scherzes« oder einer vorsätzlich falschen Vollmachtsbehauptung wird, hegt die Vorstellung einer rechtsgeschäftlichen Bindung seines Gegenübers bzw. des Dritten, in dessen Namen der vollmachtlose Vertreter auftritt. Die §§ 116 S. 1, 179 I BGB sorgen dafür, daß das Opfer so gestellt wird, als ob der vorgespiegelte Sachverhalt, nämlich das behauptete Rechtsgeschäft, Wirklichkeit wäre. Bei der außervertraglichen Selbstbindung wird dagegen kein Rechtsgeschäft vorgespiegelt, denn dem Opfer einer vorsätzlich falschen Versicherung der Abschlußbereitschaft wird gerade nicht die Vorstellung vermittelt, der Vertrag sei schon abgeschlossen. Der den §§ 116 S. 1, 179 I BGB zugrunde liegende Gedanke, daß der Erklärende beim Wort genommen und der behauptete Sachverhalt vom Empfänger für wahr genommen werden darf, kann deshalb nicht dazu führen, daß der Empfänger einen rechtsgeschäftlichen Anspruch auf Erfüllung oder auf den Ersatz des Erfüllungsinteresses erwirbt. Die 134

Näher zur Analyse der Vergabeentscheidungen Verf., ZHR 164 (2000), 394 ff. (unter IV

2). 135

Siehe oben, Abschnitt II 2 a bb.

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§ 13 Der Schutz des negativen Interesses jenseits des Rechtsgeschäfts

Gewährung eines solchen Anspruchs wäre vielmehr eine »überschießende« Sanktion, die dem Geschädigten ein Recht gibt, das zu haben er gar nicht erwartet hat. Das ist, jedenfalls in einem von Pönalisierungszwecken weitgehend136 freigehaltenen Recht (vor-)vertraglicher Beziehungen, kaum zu rechtfertigen. bb) Haftungsgrenzen Bei der Bestimmung der Grenzen der Haftung für das Scheitern der Vertragsanbahnung kehren zwei bereits erörterte Fragen wieder: Ist der Ersatzanspruch entsprechend §§ 122 II, 179 III 1 BGB ausgeschlossen, wenn der Geschädigte wußte oder wissen mußte, daß ein Abschlußhindernis besteht oder entstehen würde, und ist er seinem Umfang nach entsprechend §§ 122 I, 179 II BGB auf den Betrag des positiven Interesses begrenzt? Zur Beantwortung dieser Fragen kann auf das verwiesen werden, was zur Haftung für unwirksame Willenserklärungen ausgeführt wurde: Ebenso wie der Anspruchsverlust bei Kenntnis oder Kennenmüssen des Unwirksamkeitsgrundes entgegen einer verbreiteten Ansicht nicht unangemessen ist137, ist dies auch die Verweigerung des vorvertraglichen Erwartungsschutzes, wenn der Geschädigte wußte oder wissen mußte, daß es zum Vertragsschluß nicht kommen würde – wer bei pflichtgemäßer Anstrengung seiner Aufmerksamkeit erkennen kann, daß der Zusicherung des Verhandlungspartners, er werde den Vertrag abschließen, nicht zu glauben ist (etwa weil absehbar ist, daß eine erforderliche Genehmigung nicht erteilt werden wird), sollte nicht nur einen nach Maßgabe seines Mitverschuldens gemäß § 254 BGB verringerten, sondern überhaupt keinen rechtlichen Anreiz zu Vertrauensinvestitionen bekommen. Nicht anders als die Verantwortlichkeit desjenigen, der durch die Abgabe einer unwirksamen Willenserklärung das Vertrauen in eine wirksame vertragliche Bindung geweckt hat138 , muß auch die Ersatzpflicht bei der vorvertraglichen Selbstbindung, die auf den künftigen Abschluß eines Vertrags zielt, grundsätzlich auf den Betrag des Interesses an der Erfüllung des nicht zustande gekommenen Vertrags beschränkt sein139, denn mehr als das, was der Geschädigte bei erwartungsgerechtem Verhalten des Schuldners erwirtschaftet hätte, darf er nicht bekommen. Wie generell bei § 122 BGB, hat allerdings dann, wenn der Gläubiger mit der Leistung aus dem fehlgeschlagenen Vertrag ein immaterielles Interesse verfolgte, die quantitative Begrenzung des Haftungsumfangs auf das Erfüllungsinteresse außer Betracht zu bleiben und ist statt dessen auf die Zweckgerechtigkeit der Ver136

Nicht in dieses Bild passen die §§ 241a, 661a BGB. Siehe oben, § 12 III 2 b cc. 138 Siehe oben, § 12 III 2 c. 139 Vgl. außer den bereits in § 12 III 2 c angeführten Nachweisen speziell mit Bezug auf den Abbruch von Vertragsverhandlungen etwa auch die hiermit übereinstimmenden Stellungnahmen von Kaiser, JZ 1997, 448, 453; Larenz, in: FS Ballerstedt, S. 397, 419; Hans Stoll, in: FS v. Caemmerer, S. 435, 451. 137

III. Die Haftung für nicht erwartungsgerechte Verträge oder Leistungen

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trauensdisposition abzustellen140. Diese Einschränkung ist im Bereich der Abbruchshaftung in einem vom BAG entschiedenen Fall relevant geworden141: Dem Kläger war von dem beklagten Land die Einstellung als Fachhochschullehrer für Design zunächst zugesagt und dann ohne triftigen Grund verweigert worden. Das BAG lehnte hier eine Begrenzung des zu ersetzenden Vertrauensschadens auf den Betrag der bei Zustandekommen des Vertrags zu zahlenden Vergütung für die Zeit bis zum Wirksamwerden einer hypothetoschen Kündigung ab, weil für den Kläger (der in seiner früheren Beschäftigung wesentlich mehr verdient hatte) nicht die Höhe des Einkommens, sondern die bessere Möglichkeit zur Verwirklichung seiner beruflichen Vorstellungen bei seiner Wahl im Vordergrund gestanden habe. Der darin zum Ausdruck kommenden Erkenntnis, daß bei einem immateriellen Leistungszweck für eine Haftungsbegrenzung auf das positive Interesse kein Raum ist, ist beizupflichten

III. Die Haftung für nicht erwartungsgerechte Verträge oder Leistungen: Das Beispiel des Sachkaufs Das in neuerer Zeit wissenschaftlich zweifellos am tiefsten durchdrungene Gebiet, das diese Untersuchung berührt, ist die vorvertragliche Informationshaftung142 , und ebenso ist es das Gebiet, auf dem die Rechtsprechung das reichste Anschauungsmaterial bietet143. Es würde den Rahmen dieser Untersuchung sprengen, dieser Praxis und ihrer Aufarbeitung durch die Literatur in ihren Verästelungen nachzugehen. Die nachfolgenden Ausführungen beschränken sich daher – abgesehen von einem kurzen Ausblick (unter 3.) – auf vorvertragliche Informationspflichtverletzungen des Verkäufers beim Sachkauf als ein anschauliches Beispiel, um wiederum nur die Spur der vorvertraglichen Selbstbindung weiterzuverfolgen: Inwieweit trägt es zum Verständnis des geltenden Rechts bei, bestimmte Fälle der Informationshaftung144 auf eine vorvertragliche Selbstbindung zurückzuführen 140 141

Siehe oben, § 10 III 1 b. BAG 15. 5. 1974, DB 1974, 2060. Vgl. dazu schon Hans Stoll, in: FS v. Caemmerer, S. 435,

451 f. 142 Allein an neueren monographischen Untersuchungen, die sich den hier relevanten Fragen ausschließlich oder teilweise widmen, sind zu nennen: Breidenbach, Voraussetzungen von Informationspfl ichten; Fleischer, Informationsasymmetrie, S. 416 ff., 517 ff.; Grigoleit, Informationshaftung; Krebs, Sonderverbindung, S. 508 ff.; S. Lorenz, Unerwünschter Vertrag, S. 387 ff.; Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 183 ff., 303 ff.; Paefgen, Haftung für mangelhafte Aufklärung; Pohlmann, Aufklärungspfl ichten; Rehm, Aufklärungspfl ichten; Schwarze, Verständigungspfl ichten. 143 Vgl. nur die umfangreichen Kommentierungen bei MünchKomm/Emmerich, § 311 Rz. 94 ff.; Staudinger13/Löwisch, Vor § 275 a. F. Rz. 88 ff.; Soergel/Wiedemann, Vor § 275 a. F. Rz. 153 ff. 144 Übereinstimmend mit dem Sprachgebrauch Grigoleits, Informationshaftung, S. 4 f., sei hier von »Informationshaftung« in einem weit verstandenen Sinne die Rede: Gemeint ist jeder Fall der haftungsrechtlich sanktionierten Fehlleitung der anderen Partei, möge diese auf einem

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§ 13 Der Schutz des negativen Interesses jenseits des Rechtsgeschäfts

und sie damit von der Verletzung heteronom begründeter Informationspflichten zu unterscheiden? Während die problematischen Rechtsfolgen einer solchen Haftung – Vertragsaufhebung oder -anpassung als Ausdruck des Ersatzes des negativen Ersatzes – bereits erörtert wurden145, ist diese nicht minder schwierige Frage bisher offen geblieben. Auch hier gilt es, wie schon bei der Abbruchshaftung, eine gewachsene Judikatur (dazu 1.) einer (freilich nicht unkritischen) Rekonstruktion in dem Bezugsrahmen des neuen Schuldrechts zu unterziehen (dazu 2.). Unser Augenmerk wird dabei dem Verhältnis der vorvertraglichen zur vertraglichen Erwartungssicherung als Prüfstein für die hier verfochtene Ansicht gelten: Kann sich der Gläubiger auch dann, wenn nur die Leistung, aber nicht der Vertrag seine Erwartungen enttäuscht, auf eine vorvertragliche Pfl ichtverletzung des Schuldners berufen, oder muß er sich insoweit auf seine vertraglichen Rechtsbehelfe verweisen lassen? Kann, um zu dem Beispiel des Sachkaufs zu kommen, der Käufer, dem eine nicht vertragsgemäße Sache geliefert worden ist, jenseits der sich aus § 437 BGB ergebenden Rechte einen Anspruch aus c.i.c. geltend machen? Die Anwort auf diese Frage wird zeigen, daß und warum es sinnvoll ist, innerhalb der auf die §§ 280 I, 241 II, 311 II BGB gegründeten Informationshaftung zwischen deliktsnahen, weil heteronom begründeten Tatbeständen fahrlässiger Falschinformation oder unterlassener Aufklärung und vertragsnahen, nämlich auf eine vorvertragliche Selbstbindung gegründeten Tatbeständen fehlerhafter Beratung zu differenzien: Erstere treten hinter die vertragliche Haftung zurück, letztere konkurrieren mit ihr.

1. Die bisherige Rechtsprechung zur Verkäuferhaftung Unter der Geltung des alten Schuld- und insbesondere Kaufrechts gab die Rechtsprechung zum Schutz von Erwartungen des Käufers jenseits der ihm zustehenden Gewährleistungsrechte ein nicht leicht zu durchschauendes Bild ab, in dem der Haftung wegen c.i.c., wegen der Verletzung von Nebenpflichten aus dem Kaufvertrag und wegen der Verletzung einer Pflicht aus einem besonderen Beratungsvertrag eigene, doch nicht immer klar abgrenzbare Felder zugewiesen waren. Ansprüche aus c.i.c. wegen unrichtiger oder unterlassener Angaben des Verkäufers konnten dem Käufer danach grundsätzlich nicht zustehen, wenn sie sich auf Umstände bezogen, die in den Anwendungsbereich der Sachmängelgewährleistung nach den § 459 ff. BGB a. F. fielen146 – und zwar unabhängig davon, ob eine Beschaffenheitsvereinbarung oder eine Zusicherung tatsächlich vorlag. Raum für Tun oder auf einem Unterlassen des Haftenden beruhen. Anders als Grigoleit, der mit der Begriffswahl eine Ablehnung weiterer Differenzierungen als sachlich nicht sinnvoll verbindet, will diese Untersuchung indes einer differenzierten Betrachtung den Weg bereiten. 145 Siehe oben, § 10 II 3 (Aufhebung und Rückabwicklung) und 4 (Anpassung). 146 Die Leitentscheidungen sind RG 7. 3. 1932, RGZ 135, 339, 346 (Ruisdael/Ruysdael); BGH 16. 3. 1973, BGHZ 60, 319, 322 (Seegrundstück).

III. Die Haftung für nicht erwartungsgerechte Verträge oder Leistungen

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die c.i.c. blieb daher, wenn man diese Aussage ins Positive wendet, in den Fällen, in denen das Verhalten des Verkäufers beim Käufer Fehlvorstellungen über die Freiheit der Kaufsache von Rechtsmängeln147 oder über sonstige für die Kaufentscheidung erhebliche Umstände148 hervorrief. Die in der Literatur149 immer wieder angegriffene Sperrwirkung der Gewährleistungsregeln war indes in mancher Hinsicht durchbrochen: Sie galt nicht bei arglistigem Handeln150 und nicht vor Gefahrübergang151, und bis Ende der 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts wollte die Rechtsprechung der c.i.c. durch die schließlich aufgegebene, weil schlechterdings nicht vermittelbare Differenzierung zwischen der Einordnung des Informationsgegenstands als Merkmal der der »Beschaffenheit« im Sinne von § 459 I BGB und als (nur) zusicherungsfähige »Eigenschaft« im Sinne von § 459 II BGB eine zusätzliche Bresche schlagen152. In praktisch besonders wirksamer Weise lockerte die Rechtsprechung indes die von ihr postulierte Exklusivität des Gewährleistungsrechts durch die Anerkennung von Beratungspfl ichten des Verkäufers, welche teils als Nebenpflicht aus dem Kaufvertrag153 und teils als Gegenstand eines selbständigen Beratungsvertrags konstruiert wurden154. Ein Fall, der zuerst 1997155 und nochmals 1999156 vor den VIII. Zivilsenat gelangte, illustriert die Reichweite und zugleich die Problematik der Einsatzmöglichkeiten dieses Instrumentariums: Ein Unternehmen, das Gartenmöbel und zäune aus Holz produzierte, hatte bei der Einrichtung einer Lackieranlage eng mit der Lieferantin und Herstellerin der darin verarbeiteten Lacke kooperiert, mit denen Zaunpfeiler aus Irokoholz beschichtet werden sollten. Unter anderem hatte die Lackherstellerin ein Anstrichsystem vorgeschlagen, Labortests mit Musterhölzern durchgeführt und einen Mitarbeiter als Berater für technische Fragen benannt. Nachdem die Lieferungen aufgenommen worden waren, erwies sich die 147 Vgl. BGH 12. 11. 1975, BGHZ 65, 246, 253; 19. 11. 1999, NJW 2000, 803, 804; 6. 4. 2001, NJW 2001, 2875 f. 148 Vgl. BGH 31. 1. 1962, NJW 1962, 1196, 1197 (Aufstellungsort für eine Kreissäge); 12. 6. 1985, NJW 1985, 2472, 2473 (Anschlußkamin für Wäschetrockner); 26. 4. 1991, BGHZ 114, 263, 266 f. (personenbezogener Steuervorteil beim Immobilienerwerb). Vgl. unter der Geltung des neuen Kaufrechts OLG Köln 12. 11. 2004, NJW 2005, 1666 (Verunreinigung einer hellen Polstergarnitur durch Abrieb nicht farbechter Kleidung). 149 Vgl. für eine generelle Anwendung der Regeln der c.i.c. neben dem Recht der Sachmängelgewährleistung insbesondere Diederichsen, BB 1965, 401 ff.; Flume, AcP 193 (1993), 89, 113 f.; Larenz, in: FS Ballerstedt, S. 397, 407 ff.; Nirk, in: 1. FS Möhring, S. 385, 411 f.; Schaumburg, MDR 1975, 105 ff.; für eine Anwendung, wenn kein Sachmangel vorlag, Grigoleit, Informationshaftung, S. 224 ff.; S. Lorenz, Unerwünschter Vertrag, S. 397 ff. 150 BGH 10. 7. 1987, NJW-RR 1988, 10 f.; 06. 10. 1989, NJW-RR 1990, 78, 79. 151 BGH 25. 6. 1982, WM 1982, 960, 961. 152 Dazu Soergel/Huber, Vor § 459 a. F. Rz. 226. 153 BGH 13. 7. 1983, BGHZ 88, 130, 135 ff.; 06. 06. 1984, NJW 1984, 2938; 23. 7. 1997, NJW 1997, 3227, 3228. 154 BGH 23. 7. 1997, NJW 1997, 3227, 3228 f.; 27. 11. 1998, BGHZ 140, 111, 115; 23. 6. 1999, JZ 2000, 305, 307; 6. 4. 2001, NJW 2001, 2021. 155 BGH 23. 7. 1997, NJW 1997, 3227. 156 BGH 23. 6. 1999, JZ 2000, 305 m.Anm. Peters. = NJW 1999, 3192.

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§ 13 Der Schutz des negativen Interesses jenseits des Rechtsgeschäfts

Lackierung des Irokoholzes als nicht haltbar. Die technischen Probleme bei der Bearbeitung dieser Holzsorte waren in der Fachliteratur seit längerem bekannt. Der Gartenmöbelproduzent machte darauf wegen der ihm aufgrund der Mängel entstandenen Kosten Schadensersatz geltend; die Verkäuferin der Lacke berief sich dagegen auf die Verjährung nach § 477 BGB a. F. Gewährleistungsansprüche führten hier nicht zum Erfolg, ebensowenig der vom Berufungsgericht angenommene, auf die Verletzung einer unselbständigen Beratungspflicht aus dem Kaufvertrag gegründete Anspruch aus positiver Vertragsverletzung, welcher nach ständiger Rechtsprechung gleichfalls der Verjährung nach § 477 BGB a. F. unterlag157. Der BGH rügte jedoch in seinem ersten Urteil, daß ein Anspruch aus der Verletzung eines selbständigen Beratungsvertrags nicht in Betracht gezogen worden sei, welcher der regelmäßigen Verjährung nach § 195 BGB a. F. unterliege, und entschied, nachdem das Berufungsgericht auch im zweiten Anlauf keinen Beratungsvertrag hatte entdecken können, schließlich selbst, daß ein solcher Vertrag tatsächlich vorliege: Die beratende Tätigkeit der Lackherstellerin sei »nach Inhalt, Umfang, Intensität und Bedeutung« deutlich über das hinausgegangen, »was im allgemeinen seitens des Verkäufers für die sachgemäße Anwendung oder den Einsatz des Kaufgegenstands in beratender und empfehlender Weise, auch in Erfüllung einer entsprechenden Verpflichtung, geleistet wird«158. Die kritische Reaktion des Schrifttums ließ nicht auf sich warten: Weder sei ein Vertragsschluß zeitlich bestimmbar159, noch lasse sich dem Verhalten der Parteien durch Auslegung entnehmen, daß sie über den Kaufvertrag hinaus einen selbständigen Beratungsvertrag abschließen wollten – die Konstruktion des BGH trage vielmehr »alle Kennzeichen der Fiktion«160. In der Tat hat in diesen wie auch in anderen Fällen161 das Bestreben, die Beschränkungen der damaligen kaufrechtlichen Sachmängelgewährleistung zu überwinden, die Grenzen der vertraglichen Haftungsbegründung vergessen lassen: Gewiß hat die Lackherstellerin aufgrund des Inhalts, der Intensität und des Umfangs ihrer vorvertraglichen Tätigkeit bei ihrem Kunden die normative Erwartung der Richtigkeit ihrer Ratschläge geweckt und damit, um an die im Anschluß an Ballerstedt 162 verbreitete und in § 311 III 2 BGB für die Dritthaftung aufgenommene Begrifflichkeit anzuknüpfen, dessen Vertrauen in besonderem Maße in Anspruch genommen. Aber nichts spricht dafür, daß sie sich unabhängig von der Lieferbeziehung zu ihrem Abnehmer einer rechtlich durchsetzbaren Beratungspflicht aussetzen wollte, denn der Lohn, den 157

Vgl zu den Unterschieden bei der Verjährung auch BGH 27. 6. 2001, NJW 2001, 2630,

2631. 158

BGH 23. 6. 1999, JZ 2000, 305, 307. So Peters, JZ 2000, 307, 308. Vgl. auch das harsche Verdikt a.a.O., S. 309: Der Fall mache »ratlos«. 160 So Singer, in: FS 50 Jahre BGH Bd. 1, S. 381, 393. 161 Dazu noch unten, Abschnitt III 2 c. 162 AcP 151 (1950/51), 501, 507. – Zur (zweiteiligen) Formel Ballerstedts siehe auch oben, S. 169 Fn. 105. 159

III. Die Haftung für nicht erwartungsgerechte Verträge oder Leistungen

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sie sich von ihrer Beratungstätigkeit erwartete, bestand ausschließlich in dem Abschluß des Kaufvertrags. Deshalb wäre als rechtliche Grundlage für eine Sanktionierung ihrer falschen Beratung anstelle der Vertragsfiktion eine c.i.c. in Betracht gekommen – eine auf das negative Interesse gerichtete Haftung wegen von ihr übernommener, fehlerhaft ausgeführter Beratung. Diese wäre als Ausdruck des von ihr gesetzten Selbstbindungstatbestands zu verstehen, und man hätte von ihr, anders als bei der c.i.c.-Haftung für »einfache« fahrlässige Falschinformationen über Eigenschaften der Kaufsache, möglicherweise annehmen dürfen, daß sie nicht durch die damalige kaufvertragliche Mängelgewährleistung verdrängt wurde163. Für das alte Kaufrecht mag dies auf sich beruhen. Doch lohnt es sich, der Frage nach der Verwirklichung dieses Gedankens in den Regeln des neuen Rechts nachzugehen.

2. Dogmatische Rekonstruktion im Rahmen des neuen Schuldrechts a) Ausgangspunkt Nachdem die (nun für Rechts- und Sachmängel gleichermaßen geltende) kaufrechtliche Gewährleistung weitgehend an das allgemeine Leistungsstörungsrecht herangeführt worden ist, hat sich das Problem einer konkurrierenden Anwendung der c.i.c. in einem gewissen Umfang entschärft. So hätte dem Käufer im Irokoholz-Fall ein Schadensersatzanspruch aus den §§ 437 Nr. 3, 311a II BGB zugestanden, welcher nach § 438 I Nr. 3 BGB der im Vergleich zu § 477 BGB a. F. wesentlich großzügigeren zweijährigen Verjährungsfrist unterlegen hätte. Aber abgesehen davon, daß diese Frist immer noch hinter der allgemeinen Verjährung nach den §§ 195, 199 BGB zurückbleibt (und zwar wegen des unterschiedlich geregelten Beginns oft um weit mehr als ein Jahr), kann sich ein Anspruch aus c.i.c. außerdem als günstig für den Gläubiger erweisen, weil er die damit zu erreichende Vertragsaufhebung164 ohne Rücksicht auf den (aus § 323 BGB folgenden) Vorrang der Nacherfüllung verlangen kann. Darüber hinaus könnte ein solcher Anspruch ihm auch über einen infolge Versäumung der Mängelrüge nach § 377 HGB eingetretenen Verlust seiner Gewährleistungsrechte sowie über die zugunsten von Pfandgläubigern geltende Haftungsbegrenzung bei öffentlichen Versteigerungen nach § 445 BGB hinweghelfen. Und schließlich ist an die (raren) Fälle zu denken, in denen die Informationspflichtverletzung sich auf einen Umstand bezieht, der zwar ein Beschaffenheitsmerkmal darstellt, aber mangels Vorliegens einer Beschaffenheitsvereinbarung oder eines der sonstigen in § 434 BGB genannten Kriterien keine Grundlage für einen Gewährleistungsanspruch bietet. In der Literatur hat sich zu der Bestimmung des Verhältnisses zwischen c.i.c. und neuem Gewährleistungsrecht in kurzer Zeit ein Meinungsspektrum gebildet, 163 Was freilich immer noch die – von der Konkurrenzfrage zu trennende – Frage einer entsprechenden Anwendung von § 477 BGB a. F. offen gelassen hätte. 164 Dazu oben, § 10 II 3.

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das an Vielfalt nicht hinter der Diskussion zum alten Recht zurückbleibt. Überwiegend hält man mit der Rechtsprechung zu den §§ 459 ff. BGB a. F. die Haftung für vorvertragliche Informationspflichtverletzungen im Anwendungsbereich der §§ 434 ff. BGB für ausgeschlossen165, wobei die Ansichten darüber divergieren oder unklar sind, ob dies auch für die Zeit vor dem Gefahrübergang166 und bei arglistigem Verhalten des Schuldners167 gelten soll. Daneben finden sich Stimmen, welche Ansprüche wegen c.i.c. zulassen wollen, wenn der fragliche Umstand zwar zum Gegenstand einer Beschaffenheitsvereinbarung hätte gemacht werden können, aber tatsächlich nicht gemacht worden ist168 , sowie schließlich auch solche, die eine konkurrierende Anwendung der Regeln über die Informationshaftung neben dem Gewährleistungsrecht befürworten169. Das Schicksal der von der Judikatur (auch) unter die Vertragshaftung eingeordneten Beratungsfälle wird dabei unterschiedlich gesehen: Teilweise wird die Rechtsprechung für das neue Recht übernommen170 ; teilweise wird – mehr oder weniger deutlich – eine Abkehr von der bisherigen Praxis angemahnt171. Nicht recht deutlich wird in der Diskussion über das Konkurrenzproblem im neuen Schuldrecht172 indes, daß das in den §§ 311 II, 241 II BGB generalklauselartig umschriebene Pflichtenprogramm im Stadium der Vertragsanbahnung, was die Information des Partners angeht, einer Differenzierung zwischen heteronom und 165 So AnwKom Schuldrechtsreform/Krebs, § 311 Rz. 33 ff.; Buck, in: Schuldrecht 2002, S. 105, 179; Büdenbender, in: Dauner-Lieb u. a.: Das neue Schuldrecht, § 8 Rz. 72 (S. 248); Erman/Kindl, § 311 Rz. 46; Hk-BGB/Schulze, § 311 Rz. 14; Jauernig/Berger, § 437 Rz. 34; S. Lorenz/Riehm, Lehrbuch, Rz. 576 ff.; Palandt/Grüneberg, § 311 Rz. 14; Palandt/Weidenkaff, § 437 Rz. 51a; Rehm, Aufklärungspfl ichten, S. 280; Schaub, AcP 202 (2002), 758, 782 f.; zweifelnd P. Huber, in: P. Huber/Faust, Schuldrechtsmodernisierung, Rz. 14/26 ff. (S. 390 f.). 166 Gegen den Ausschluß vor Gefahrübergang Erman/Kindl, § 311 Rz. 45; Palandt/Grüneberg, § 311 Rz. 14; B. Mertens, AcP 203 (2003), 818, 831; Palandt/Weidenkaff, § 437 Rz. 51a; Büdenbender, in: Dauner-Lieb u. a.: Das neue Schuldrecht, § 8 Rz. 72 (S. 248). 167 Für den Ausschluß auch bei Vorsatz Erman/Kindl, § 311 Rz. 46; Jauernig/Stadler, § 311 Rz. 38; B. Mertens, AcP 203 (2003), 818, 830; Palandt/Grüneberg, § 311 Rz. 15; Schaub, AcP 202 (2002), 756, 783; dagegen Jauernig/Berger, § 437 Rz. 34; P. Huber, in: P. Huber/Faust, Rz. 14/29 (S. 390). 168 So Canaris, in: Karlsruher Forum 2002, S. 89 ff.; Grigoleit/Herresthal, JZ 2003, 118, 126; Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse, S. 135 ff.; B. Mertens, AcP 203 (2003), 818, 839 f., 842 ff. 169 So Bamberger/Roth/Faust, § 437 Rz. 181; Häublein, NJW 2003, 388, 391 ff.; Köndgen, in: Die Schuldrechtsreform vor dem Hintergrund des Gemeinschaftsrechts, S. 231, 239; MünchKomm/Emmerich, § 311 Rz. 137 ff. 170 So Jauernig/Stadler, § 311 Rz. 39; Palandt/Grüneberg, § 311 Rz. 17. 171 Gegen die Fortführung der bisherigen Praxis B. Mertens, AcP 203 (2003), 818, 852; Schaub, AcP 202 (2002), 757, 806 f.; tendenziell kritisch auch S. Lorenz/Riehm, Lehrbuch, Rz. 579 (die Rechtsprechung werde »weiter versucht sein, auf die Konstruktion eines selbständigen Beratungsvertrags zurückzugreifen«). 172 Vgl. aber für das alte Schuldrecht Soergel/Wiedemann, Vor § 275 a. F. Rz. 252, der hinsichtlich des grundsätzlich von ihm befürworteten Ausschlusses der c.i.c. durch die §§ 459 BGB a. F. eine Ausnahme für die Verletzung besonderer Beratungs- und Aufklärungspfl ichten annahm. Auch Soergel/U. Huber, Vor § 459 a. F. Rz. 224, erkannte der c.i.c.-Haftung bei besonderer vorvertraglicher Beratung einen Ausnahmestatus zu, jedoch nur, soweit kein Sachmangel vorlag.

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autonom begründeten Pflichten zugänglich ist173 (dazu a) und b)) und daß das Verhältnis der auf die §§ 280 I, 241 II, 311 II BGB gegründeten Informationshaftung zur vertraglichen Nichterfüllungshaftung davon abhängt, mit welchem Pflichtentypus man es zu tun hat (dazu c). b) Heteronom begründete Pfl ichten im vorvertraglichen Schuldverhältnis Die Lektüre der §§ 311 II, 241 II BGB gibt über die Konkretisierung der mit dem Beginn der in § 311 II BGB genannten Konstellationen einsetzenden Pflichten keine Auskunft. In § 241 II BGB heißt es schlicht, daß das Schuldverhältnis Pflichten zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils nach seinem Inhalt hervorbringen kann. Es ist mittlerweile müßig, darüber zu streiten, ob Informationspflichten in der doch eher auf Konstellationen wie den Linoleumrollenfall zugeschnittenen Formulierung des § 241 II BGB einen treffenden Ausdruck gefunden haben174 ; sie lassen sich jedenfalls, anders als die im vorigen Abschnitt diskutierte Haftung für den zurechenbar als sicher in Aussicht gestellten und dann grundlos verweigeren Vertragsschluß, problemlos in das Modell der durch die §§ 280 I, 241 II, 311 II BGB positivierten Haftung für die zu vertretende Verletzung vorvertraglicher Pflichten integrieren, und es gibt keinen Grund, nach Lösungen außerhalb der gesetzlich vorgegebenen Anspruchsgrundlage zu suchen. Welche »Rücksicht« eine verhandelnde Partei auf das »Interesse« ihres Partners an einer ausreichenden Informationsgrundlage für den Vertragsschluß zu nehmen hat, ist damit aber noch völlig offen. Zieht man, um Genaueres erfahren, die zu dieser Frage ergangene Rechtsprechung heran, ergibt sich zunächst zweierlei: Zum einen müssen Informationen, die man seinem Verhandlungspartner weitergibt, grundsätzlich175 zutreffen. Wer etwa erklärt, ein Wagen sei »unfallfrei«, obwohl er es nicht ist, handelt pflichtwidrig176 , und ebenso, wer behauptet, die Finanzierungskosten für eine Eigentumswohnung

173 Eine solche (nur anders bezeichnete) Differenzierung fi ndet sich auch bei U. Huber, in: Karlsruher Forum 2000, S. 5, 6 ff., 31 ff. (mit der Unterscheidung zwischen Aufklärungs- und Beratungspfl ichten); Schwarze, Vorvertragliche Verständigungspfl ichten, S. 98 ff. (Informationspfl ichten kraft in Anspruch genommenen Vertrauens), S. 113 ff. (Informationspfl ichten jenseits des Vertrauensprinzips). In dem beweglichen System Breidenbachs, Voraussetzungen von Informationspfl ichten, S. 61 ff., wird dagegen eine solche Abgrenzung nicht getroffen (wenngleich sie sich möglicherweise als jeweils unterschiedliche »Mischung« der von ihm identifizierten Abwägungselemente darstellen ließe), ebensowenig bei Riehm, Aufklärungspfl ichten, S. 235 ff., der mit dem Entgeltgedanken einen monokausalen Erklärungsansatz vorschlägt, und in der interessenspezifischen Auffächerung informationaler Konfliktlagen, die Fleischer, Informationsasymmetrie, S. 277 ff. (dort mit Bezug auf § 123 BGB, aber anschlußfähig für die c.i.c., a. a.O., S. 449 f.) vornimmt. 174 Kritisch dazu im Vorfeld der Gesetzgebung Fleischer, in: Die Schuldrechtsreform vor dem Hintergrund des Gemeinschaftsrechts, S. 243, 252; U. Huber, in: Zivilrechtswissenschaft und Schuldrechtsreform, S. 31, 159. 175 Zu Ausnahmen vgl. Fleischer, Informationsasymmetrie, S. 254 ff. 176 Vgl. BGH 29. 6. 1977, NJW 1977, 1914.

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würden durch Mieteinnahmen und Steuervorteile gedeckt, obwohl das nicht der Wahrheit entspricht177. Die positive Falschinformation erfüllt daher, wenn sie schuldhaft erfolgte, stets die Voraussetzungen eines Anspruchs aus den §§ 280 I, 311 II, 241 II BGB. Zum anderen hat nach der Rechtsprechung eine verhandelnde Partei ihrem Partner Umstände zu offenbaren, die dieser nicht kennt und die für dessen Entschluß, den Vertrag abzuschließen, von wesentlicher Bedeutung sind, soweit die Mitteilung von der Partei nach Treu und Glauben erwartet werden darf178. So darf der Verkäufer nicht verschweigen, daß vor dem einzigen Fenster der Wohnung, die er veräußern will, demnächst eine Feuertreppe eingebaut wird179 oder daß der von den Parteien in den Verhandlungen einverständlich für die Preisfestsetzung zugrunde gelegte, von der Verkäuferin ihrerseits an den Lieferanten zu entrichtende Großhändlerpreis von dem Preis abweicht, den dieser tatsächlich fordert180. Die Strukturierung dieser Praxis anhand der Scheidelinie von Tun und Unterlassen wirft bereits gewisse Probleme auf181; noch viel schwieriger ist es indes, Maßstäbe dafür zu entwickeln, wann die Nichtoffenbarung einer Tatsache als (aufklärungs-)pflichtwidrig zu bewerten ist. Wer dazu neigt, die rechtliche Gestaltung (vor-)vertraglicher Beziehungen an den Erfordernissen der Kooperation rationaler Akteure zum wechselseitigen Vorteil zu orientieren, wird zur Beantwortung dieser Frage auf informationsökonomische Einsichten zurückgreifen, die eine adäquate Problembeschreibung liefern: Aufklärungspflichten verbessern auf der einen Seite die Qualität der Entscheidungsgrundlage des Informationsberechtigten und ersparen ihm kostspielige Informationsanstrengungen, die sein Gegenüber kostengünstiger unternehmen kann oder bereits unternommen hat. Auf der anderen Seite vermindern sie den Anreiz für den Informationspflichtigen, sich die Information überhaupt zu verschaffen. Wegweisende Studien amerikanischer, mittlerweile aber auch deutscher Herkunft haben Vorschläge unterbreitet und Kriterien dafür entwickelt, wie bei der Formulierung von Aufklärungspfl ichten die rechte Balance zwischen den beiden widerstreitenden Gesichtspunkten zu finden ist182.

177

Vgl. BGH 26. 9. 1997, NJW 1998, 302. So BGH 8. 12. 1988, NJW 1989, 1793, 1794; ähnlich BGH 16. 1. 1985, NJW 1985, 1769, 1771; 27. 2. 1974, NJW 1974, 849, 851; 12. 11. 1969, NJW 1970, 653, 655. 179 Vgl. den in BGH 8. 12. 1988, NJW 1989, 1793, entschiedenen Sacherhalt. 180 Vgl. den in BGH 1. 4. 1981, NJW 1981, 2050, entschiedenen Sachverhalt. 181 Vgl. dazu Fleischer, Informationsasymmetrie, S. 250 ff.; Huber, in: Karlsruher Forum 2000, S. 5, 8 ff. 182 Vgl. in deutscher Sprache insbesondere Kötz, in: FS Drobnig, S. 563 ff., und umfassend Fleischer, Informationsasymmetrie, S. 93 ff. (zu den ökonomischen Grundlagen), S. 234 ff. (zur positivrechtlichen Umsetzung), sowie Rehm, Aufklärungspfl ichten, S. 23 ff. (zu den ökonomischen Grundlagen), S. 235 ff. (zur positivrechtlichen Umsetzung). Eine gute Zusammenfassung der (nicht nur rechtsökonomischen) Marksteine der amerikanischen Diskussion bietet Trebilcock, Limits, S. 102 ff. 178

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Für die Zwecke dieser Untersuchung kommt es indes nicht auf die materiellen Kriterien an, welche die Formulierung von Aufklärungspfl ichten leiten oder jedenfalls leiten sollten, sondern auf die rechtssystematische Zuordnung des Ergebnisses. Unabhängig davon, ob Erwägungen über Effizienz, Fairneß oder distributive Gerechtigkeit den Ausschlag geben, sind die darauf gegründeten Pfl ichten nicht Selbstbindungen in dem hier zugrunde gelegten Wortsinn183, sondern heteronom begründet: Die normative Erwartung des Informationsberechtigten, daß ihm bestimmte Informationen vermittelt werden und daß die ihm vermittelten Informationen des weiteren wahr sind, ist gänzlich losgelöst davon, ob sie der Informationspflichtige durch ein Versprechen oder sonstige Verhaltensweisen in zurechenbarer Weise hervorgerufen hat. Wir erwarten vielmehr, daß die Mitteilungen unseres Gegenübers wahr sind und daß er uns in den Grenzen von Treu und Glauben über vertragswesentliche Umstände aufklärt, weil dies von jedermann in seiner Position zu erwarten ist. Die Aufklärungspfl icht gewinnt auch nicht dadurch den Status einer autonomen Bindung, daß es für ihr Vorliegen zuweilen auch auf bestimmte Merkmale der aufklärungspfl ichtigen Person ankommt: Wer beispielsweise als professioneller Anbieter mit Expertenwissen für die Informationsübertragung in die Pflicht genommen wird, weil dadurch redundante Informationsanstrengungen der Nachfragerseite vermieden werden184, hat sich nicht etwa selbst diese Pflicht auferlegt; er erfüllt nur die personenbezogenen Voraussetzungen des unabhängig von seiner Entscheidung geformten Tatbestands der Aufklärungspflicht. Rechtssystematisch handelt es sich daher bei den Aufklärungs- und Wahrheitspflichten im vorvertraglichen Schuldverhältnis nicht anders als beim gesteigerten Integritätsschutz in der Tradition des Linoleumrollenfalls um heteronome Bindungen, nämlich um Ergänzungen des rudimentären deliktischen Schutzes der informationellen Dimension der Entscheidungsfreiheit – es geht hier, mit einem Wort, auch im deutschen Recht um den kontrollierten Ausbau der Haftung für »misrepresentation«. c) Autonom begründete Pfl ichten im vorvertraglichen Schuldverhältnis Kehren wir vor diesem Hintergrund zu den Beratungsfällen zurück, in denen der BGH sich genötigt sah, eine vertragliche Bindung zu fingieren, um die teils gesetzlichen (§ 477 BGB a. F.), teils selbstgesetzten (Annahme der Exklusivität der § 459 ff. BGB a. F. im Verhältnis zur c.i.c.) Hürden auf dem Weg zu einer sachgerechten Lösung zu überwinden: Im vom VIII. Zivilsenat des BGH entschiedenen Irokoholz-Fall185 hat die auf Schadensersatz in Anspruch genommene Lackherstellerin zweifellos schuldhaft gegen ihre Wahrheitspflicht verstoßen, indem sie 183

Siehe oben, § 4 I. Näher dazu Fleischer, Informationsasymmetrie, S. 580 f. 185 BGH 23. 7. 1997, NJW 1997, 3227; 23. 6. 1999, NJW 1999, 3192 = JZ 2000, 305 m.Anm. Peters; siehe dazu oben, Abschnitt III 1. Vgl. als weiteres Beispiel aus der Rspr. des VIII. Senats 184

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ihrem Kunden gegenüber fälschlich einen bestimmten Lack als tauglich zur Beschichtung von Irokoholz ausgab. Doch trifft dies nicht den entscheidungserheblichen Gesichtspunkt – was der Lackherstellerin zum Vorwurf gereichte, war nicht, daß sie eine falsche Tatsachenbehauptung aufgestellt hatte, sondern daß sie sich zur Beratung des Käufers erboten und diese falsch ausgeführt hatte. Genauso verhielt es sich in einer Leitentscheidung des V. Zivilsenats186 zum selbständigen Beratungsvertrag, in dem die Verkäuferin die Käuferin über einen (als zusicherungsfähige Eigenschaft geltenden187) objektbezogenen Steuervorteil nicht einfach nur falsch informiert, sondern sich insoweit eines »persönlichen Berechnungsbeispiels« bedient hatte, um die Interessentin zum Kauf zu bewegen. Diese Judikate verbinden sich mit Urteilen zur Verletzung einer kaufvertraglichen Nebenpflicht und schließlich auch zur c.i.c. zu einer Gruppe, der – zumindest nach der Akzentsetzung des BGH – die mangelhafte Ausführung einer ausdrücklich oder konkludent übernommenen Beratung gemeinsam ist und die letztlich nur durch die ergebnisgeleitete Wahl der Anspruchsgrundlage auseinandergerissen wurde. Für erstere steht exemplarisch der berühmte Klebstoffall, in dem der BGH die schuldhafte Verletzung einer selbständigen Nebenverpflichtung aus dem Kaufvertrag darauf gegründet hatte, daß ein Angestellter der Verkäuferin den Käufer des für den vorgesehenen Zweck ungeeigneten Klebstoffs bei der Anschaffung beraten, Verarbeitungshinweise gegeben und die Verlegearbeiten begleitet hatte188 , für letztere ein Beispiel höchstrichterlicher Rechtsprechung, in dem es einer Gemeinde als schuldhafter Verstoß gegen eine Mitteilungs- und Beratungspflicht angelastet wurde, daß ihr Bauamtsleiter den an dem Kauf eines gemeindlichen Grundstücks interessierten Verhandlungspartner nicht nur falsch über die Bodenfestigkeit informiert, sondern auch erklärt hatte, der Interessent könne sich eine Bohrung zur Prüfung der Bodenfestigkeit sparen; die Gemeinde habe die Tragfähigkeit bereits selbst feststellen lassen189. Die Besonderheit dieser Fälle läßt sich in einer ersten systematischen Annäherung, wie bereits angedeutet wurde, mit der Begrifflichkeit Ballerstedts und der gesetzlichen Regelung der Dritthaftung in § 311 III 2 BGB erfassen190 : Anders als bei bloßen Verletzungen der Wahrheitspflicht ist die rechtliche Verantwortlichkeit hier darauf gegründet, daß der Beratende in besonderem Maße das Vertrauen des Verhandlungspartners in Anspruch genommen hat. Die damit hergestellte geBGH 27. 6. 2001, NJW 2001, 2630 (fehlerhafte Beratung durch den Verkäufer und Hersteller über die Einsatzmöglichkeit von Pumpen in einem von dem Käufer betriebenen Pumpwerk). 186 BGH 27. 11. 1998, BGHZ 140, 111; vgl. als weitere Beispiele auch die Folgeentscheidungen dieses Senats zu Beratungspfl ichten bei Immobiliengeschäften, BGH 6. 4. 2001, NJW 2001, 2021; 14. 3. 2003, NJW 2003, 1811; 31. 10. 2003, NJW 2004, 64; 15. 10. 2004, NJW 2005, 983. 187 Zur Abgrenzung des Eigenschaftsbegriffs im Hinblick auf Steuervorteile vgl. BGH 26. 4. 1991, BGHZ 114, 263, 266 f. 188 BGH 13. 7. 1983, BGHZ 88, 130, 135. 189 BGH 12. 12. 1980, NJW 1981, 1035. 190 Vgl. zur vertrauenstheoretischen Systematisierung Schwarze, Verständigungspfl ichten, S. 99 ff.

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dankliche Verbindung zur Dritthaftung ist nicht ohne argumentativen Wert: Sie indiziert, daß in den Fällen der Beratungshaftung der Verhandlungspartner genauso für fehlerhaftes vorvertragliches Verhalten verantwortlich sein muß, wie ein »Sachwalter« es in der gleichen Situation wäre, und daß das Problem, ob der eine wie der andere Zuflucht zu den Sonderwertungen des Kaufrechts (insbesondere zu der Einrede der Verjährung nach § 438 BGB) nehmen darf, in beiden Fällen gleich zu lösen ist. Für die Ausfüllung des dadurch aber noch nicht bestimmten Tatbestands, durch den das Vertrauen des anderen Teils in Anspruch genommen wurde, drängt es sich in Anbetracht der Nähe der hier behandelten Fälle zur vertraglichen Haftung allerdings geradezu auf, an die Idee der Selbstbindung anzuknüpfen: Wie bei der Abbruchshaftung stellt der BGH bei der Prüfung der Beratungsfälle darauf ab, daß der Verhandlungspartner einen Tatbestand gesetzt hat, dem durch Auslegung zu entnehmen ist, daß er eine normative, hier auf ordnungsgemäße Beratung gerichtete Erwartung begründet hat. Diese ist freilich – im Gegensatz zu der vom BGH des öfteren vertretenen Vertragsfiktion – nicht rechtsgeschäftlicher Natur. Hat der Verhandelnde diese Erwartung in zu vertretender Weise enttäuscht, haftet er mithin aus c.i.c. Dieser Erklärungsansatz ermöglicht es zum einen, die Tatbestandsbildung bei der Beratungshaftung als reguläre Auslegungsfrage zu erfassen191 und so ein »Ausfransen« dieser vertragsnahen Form der c.i.c. in die Richtung der quasi-deliktischen Haftung für unwahre Aussagen und unterlassene Aufklärung zu vermeiden. Zum anderen verhilft uns diese Einordnung zu einer Abgrenzung zur rechtsgeschäftlichen Beratungshaftung, was den Ausgangspunkt der Bestimmung des Schadensersatzes betrifft192 : Während die Nichterfüllung einer rechtsgeschäftlichen Beratungspflicht dazu führt, daß der Berechtigte so zu stellen ist, wie er bei ordnungsgemäßer Erfüllung des Beratungsvertrags, also bei richtiger Beratung stehen würde (positives Interesse), ist er bei Verletzung der außerrechtsgeschäftlichen Bindung (die ja keine durchsetzbare Beratungspflicht erzeugt) in die Lage zu versetzen, in der er sich befinden würde, wenn er nicht auf die Richtigkeit der Beratung vertraut hätte (negatives Interesse)193. d) Das Verhältnis der c.i.c. zur vertraglichen Haftung des Verkäufers Mit der Erkenntnis, daß sich hinter der vorvertraglichen Informationshaftung auf der Grundlage der §§ 280 I, 241 II, 311 II BGB in Wahrheit zwei verschiedene Konstellationen verbergen, ist der Grund für eine Stellungnahme zu der eingangs 191 Vgl. auch Huber, in: Karlsruher Forum 2000, S. 5, 31, der das Vorliegen einer Beratungspfl icht von einer Auslegung des Verhaltens entsprechend § 157 BGB abhängig macht. 192 Insoweit a. A. Huber, in: Karlsruher Forum 2000, S. 5, 35, der zwischen vertraglicher und vorvertraglicher Beratungspfl icht keinen Unterschied sieht. 193 So wohl auch Lange/Schiemann, Schadensersatz, § 2 IV 3 (S. 66); a. A. Geibel, Kapitalanlegeschaden, S. 18 ff. – Im übrigen gilt auch hier, daß der Geschädigte, soweit sein Interesse nicht immaterieller Natur ist, nicht mehr als das positive Interesse beanspruchen darf, d. h. nicht besser zu stellen ist, als er bei richtiger Beratung stehen würde.

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aufgeworfenen Problematik des Verhältnisses der c.i.c. zur vertraglichen Haftung des Verkäufers gelegt. aa) Die Einordnung der Fragestellung als Konkurrenzproblem Im methodischen Ausgangspunkt nicht zu überzeugen vermag zunächst der Versuch einer tatbestandlichen Lösung des Problems. Diesem Ansatz zufolge entfällt die Haftung wegen c.i.c., wenn das Beschaffenheitsmerkmal, auf das sich die Informationspflichtverletzung bezieht, nach § 434 I BGB zum Gegenstand der vertraglichen Leistungspflicht des Verkäufers erhoben worden ist194. Die dem zugrunde liegende Vorstellung, daß die nachträgliche Absicherung des Informationsinteresses des Käufers durch den Abschluß eines erwartungsgerechten Vertrags die vorangehende Pflichtverletzung entfallen läßt, suggeriert ein Aufgehen der vorvertraglichen in der vertraglichen Haftung, dem man ohne weiteres den Einwand entgegenhalten kann, daß das Interesse des Geschädigten nunmehr eben zweifach – durch das (grundsätzlich schwächere) vorvertragliche und das (grundsätzlich stärkere) vertragliche Pflichtenprogramm – geschützt werde195. Man kommt daher nicht umhin, das Verhältnis der c.i.c. zur Vertragshaftung als Konkurrenzfrage zu behandeln. Insoweit kann die Annahme der Anwendbarkeit beider Haftungssysteme zunächst Plausibilität für sich beanspruchen: Die vertragliche Haftung sanktioniert die Verletzung der Leistungspflicht, im Falle der kaufrechtlichen Gewährleistung das qualitative Zurückbleiben der Ist- hinter der Sollbeschaffenheit des geschuldeten Gegenstands. Die Haftung wegen c.i.c. betrifft dagegen ein pflichtwidriges Verhalten vor Vertragsschluß. Die unterschiedliche Anknüpfung der Haftungsbegründung läßt es zumindest fragwürdig erscheinen, warum einem der beiden Systeme in ihrem Überschneidungsbereich der Vorrang einzuräumen sein soll196 . Doch zeigt bereits ein punktueller Befund, daß jedenfalls ein unabgestimmtes Nebeneinander von c.i.c. und kaufvertraglicher Nichterfüllungshaftung nicht hinzunehmen wäre: In den keineswegs seltenen Fällen, in denen der verkauften Sache bereits im Zeitpunkt des Vertragsschlusses ein nicht zu behebender Mangel anhaftet, verfügt der Käufer nicht nur über die Möglichkeit, nach den §§ 437 Nr. 2, 440, 323, 326 V BGB vom Vertrag zurückzutreten; daneben kann er auch, wenn der Verkäufer den unbehebbaren Mangel kannte oder sich in zu vertretender Unkenntnis darüber befand, nach den §§ 437 Nr. 3, 311a II, 284 BGB Ersatz seiner vergeblichen Aufwendungen und, nach der hier vertretenen Auffassung197, auch seines sonstigen negativen Interesses verlangen. Hat der Verkäufer über das man194 So Grigoleit/Herresthal, JZ 2003, 118, 126, unter Fortführung des von Grigoleit, Informationshaftung, S. 224 ff., zur alten Sachmängelgewährleistung vertretenen Ansicht. 195 So B. Mertens, AcP 203 (2003), 818, 822 f. (der freilich auf anderem Weg auch zu dem von Grigoleit befürworteten Ergebnis kommt). 196 Weitergehend als hier Bamberger/Roth/Faust, § 437 Rz. 181: Ein Grund für den Vorrang sei wegen der Verschiedenheit der Haftungssysteme nicht ersichtlich. 197 Siehe oben, § 11 II 3, III 2.

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gelbegründende Beschaffenheitsmerkmal während der Vertragsanbahnung eine fahrlässig falsche Angabe gemacht, liegt stets zugleich eine schuldhafte Verletzung der vorvertraglichen Wahrheitspflicht vor, und hat er den Mangel fahrlässig verschwiegen, kommt ein Verstoß gegen eine vorvertragliche Aufklärungspfl icht zumindest in Betracht. Auch wenn § 311a BGB kein Fall der Haftung für c.i.c. ist198 , wird das Vorliegen seiner Voraussetzungen daher regelmäßig mit einem vorvertraglichen Fehlverhalten zusammenfallen. Wenn man, wie hier, dem Gläubiger erlaubt, auf der Grundlage der §§ 311a II, 284 BGB das gesamte negative Interesse zu liquidieren, ist dies zunächst eine wenig interessante Entdeckung. Im Bereich der kaufvertraglichen Haftung für Sach- und Rechtsmängel könnte die c.i.c. dem Käufer indes dazu verhelfen, eine dem Anspruch aus §§ 437 Nr. 3, 311 a II BGB entgegenstehende Verjährungseinrede aus § 438 BGB zu überwinden. Damit die besondere Verjährung nach § 438 BGB in diesen Fällen nicht obsolet ist, hat man daher entweder § 438 BGB auf die c.i.c. analog anzuwenden oder aber anzunehmen, daß der Anspruch aus c.i.c. in seiner mit § 311a II BGB nahezu deckungsgleichen, quasi-deliktischen Variante der Verletzung von Aufklärungs- oder Wahrheitspflichten hinter den vertraglichen Anspruch zurücktritt199. bb) Die Differenzierung zwischen heteronom und autonom begründeter Haftung als Lösung Welche Lösung des Konkurrenzproblems vorzuziehen ist, wird deutlich, wenn man das Blickfeld erweitert und das Verhältnis der Haftung für Aufklärungsoder Wahrheitspflichtverletzungen sowie der Beratungshaftung zu der Bestimmung des Umfangs der vertraglichen Leistungspfl icht des Verkäufers in den §§ 433–435 BGB insgesamt betrachtet: Was die Beschaffenheit der Sache im Sinne von § 434 BGB betrifft (und genauso ihre Rechtsmängelfreiheit nach § 435 BGB, von der nicht eigens die Rede sein wird), ist die gesetzliche Definition der Verkäuferpflicht der Maßstab dafür, welche durch vorvertragliches Tun oder Unterlassen des (künftigen) Verkäufers geweckten Erwartungen des Käufers im Vertragsinhalt ihren Niederschlag finden. Ausdrücklich angesprochen ist die Einbeziehung vorvertraglicher Äußerungen in das kaufvertragliche Leistungsprogramm in § 434 I 3 BGB. Diese Bestimmung über öffentliche Äußerungen des Verkäufers und des Herstellers ist allerdings keine Ausnahmeerscheinung, sondern bestätigt in den meisten Fällen nur die Regel, daß die durch Auslegung zu ermittelnde, vereinbarte Beschaffenheit der Kaufsache sich auch nach dem richtet, was von den Parteien in den Verhandlungen ausdrücklich oder konludent darüber erklärt wurde200. Für 198

Siehe oben, § 11 III 1 c bb. – Hierauf hebt Häublein, NJW 2003, 388, 392, ab. Generell für die Verdrängung der c.i.c. durch § 311a II BGB Erman/Kindl, § 311 a Rz. 11; MünchKomm/Ernst, § 311a Rz. 22; Faust, in: P. Huber/Faust, Schuldrechtsmodernisierung, Rz. 7/17 (S. 212). 200 § 434 I 3 BGB hat wohl nur bei Herstelleraussagen eine eigenständige Bedeutung, auf die sich im Rahmen der Verhandlungen weder der Verkäufer noch der Käufer zumindest konkludent bezogen haben; so auch Bamberger/Roth/Faust, § 437 Rz. 75. 199

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vorvertraglich gebildete, beschaffenheitsbezogene Erwartungen des Käufers, über welche die Parteien bei der Vertragsanbahnung geschwiegen haben, gilt dasselbe: Sie gehen in das vertragliche Leistungsprogramm ein und werden nach Maßgabe der Gewährleistungsregeln geschützt, wenn die Auslegung ergibt, daß sie Inhalt der Vereinbarung sind (§ 434 I 1 BGB), oder wenn sie sich auf die Eignung der Sache für die nach dem Vertrag vorausgesetzte oder die gewöhnliche Verwendung beziehen (§ 434 I 2 BGB). Umgekehrt gilt aber auch: Beschaffenheitsbezogene Erwartungen des Käufers, die dieser aufgrund des vorvertraglichen Redens oder Schweigens des Verkäufers gebildet hat, bleiben ungeschützt, soweit sie sich nicht nach § 434 BGB als Vertragsinhalt erweisen lassen. Vor diesem Hintergrund erscheint die c.i.c.-Haftung für Falschangaben oder unterlassene Aufklärung über Beschaffenheitsmerkmale (nach hiesiger Begrifflichkeit: die heteronom begründete Variante der Informationshaftung) in einem anderen Licht: Indem sie den Verkäufer für die vorvertragliche Veranlassung bzw. das Bestehenlassen von beschaffenheitsbezogenen Käufererwartungen verantwortlich macht, knüpft die Haftungsbegründung in Wahrheit nicht an einen vom Vertragsrecht unabhängigen Gesichtspunkt an, sondern wiederholt unter dem Etikett des vorvertraglichen Verschuldens nur die im Rahmen der Bestimmung des Vertragsinhalts vorzunehmende Bewertung des Verkäuferverhaltens. Die Gewährung solcher Ansprüche im Bereich der Beschaffenheit unterliefe daher die vertragsrechtlichen Wertungen, wie sie im Kaufrecht zum Ausdruck kommen, und ist somit vor wie nach Gefahrübergang und ebenso bei vorsätzlichem Handeln des Verkäufers auszuschließen. Anders liegen die Dinge aber bei der durch außervertragliche Selbstbindung begründeten Haftung für vorvertraglich übernommene, fehlerhafte Beratung201: Der haftungsbegründende Vorwurf hat hier nichts mit den Erwägungen zu tun, die für die Bestimmung der Reichweite der kaufvertraglichen Haftung ausschlaggebend sind, sondern ist auf die Nichterfüllung einer von der kaufvertraglichen Bindung zu unterscheidenden, außerrechtsgeschäftlichen Beratungszusage gestützt. Insoweit eine Verdrängung der c.i.c. durch die Regeln des Kaufrechts anzunehmen, ist daher nicht angezeigt. Sie wäre im übrigen auch nicht nachvollziehbar: Das Zustandekommen des Vertrags verdankt sich in diesen Fällen gerade der Fehlberatung, durch die der Verkäufer davon abgehalten wurde, unabhängigen Rat einzuholen oder sich selbst kundig zu machen. Den Käufer auf die Rechte zu verweisen, die ihm aufgrund des fehlsam geschlossenen Vertrags zustehen, geht daher nicht an, und ebensowenig, ihn auf die kurze kaufrechtliche Verjährung analog § 438 BGB zu beschränken 202.

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So auch im Ergebnis (zum alten Kaufrecht) Soergel/Wiedemann, Vor § 275 Rz. 252. Hinsichtlich der Verjährung wie hier Bamberger/Roth/Faust, § 437 Rz. 181; a. A. Canaris, in: Karlsruher Forum 2002, S. 5, 99 f. 202

IV. Dritthaftung: Das Beispiel des Sachverständigengutachtens

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3. Ausblick Die hier vorgeschlagene Differenzierung zwischen heteronom und autonom begründeten Pflichten im Vertragsanbahungsverhältnis gilt ebenso wie die Bestimmung der Konkurrenz beider Spielarten der c.i.c. zu den Regeln der vertraglichen Haftung nicht nur für die Anbahnung eines Sachkaufs: Die quasi-deliktische Haftung für Verletzungen von Wahrheits- und Aufklärungspfl ichten sollte bei jedem Vertragstyp ausgeschlossen sein, wenn der Umstand, auf den sich die unwahre Äußerung oder die unterlassene Aufklärung bezieht, zum (potentiellen) vertraglichen Leistungsprogramm gehört, wie es anhand der Vertragsauslegung und der sie ergänzenden Regeln des dispositiven Rechts zu ermitteln ist. Die quasi-vertragliche Haftung für Beratungsfehler kommt dagegen stets in Betracht. Doch wie immer bei solchen Verallgemeinerungen steckt der Teufel im – hier nicht näher zu behandelnden – Detail: Schon wenn man das benachbarte Gebiet des Unternehmenskaufs aufsucht, steht man vor der weiteren, hoch umstrittenen Frage der für das Konkurrenzverhältnis maßgeblichen Auslegung des Beschaffenheitsbegriffs203. Und je weiter man sich vom Kaufvertrag als Paradigma des Austauschvertrags entfernt, um so mehr mag man dazu neigen, über Besonderheiten »interessenwahrender« oder auf Kooperation angelegter und nicht bloß »interessengegensätzlicher« Verträge nachzudenken 204. Auch das mag hier dahinstehen; allerdings sollte nicht übersehen werden, daß selbst der schlichteste Kaufvertrag das Moment der Interessenwahrung in sich trägt: Jede rationale Partei wird anstreben, den aus dem Vertrag erwachsenden Gesamtnutzen zu maximieren, und nicht nur, sich auf Kosten des Partners einen möglichst großen Anteil daran zu sichern.

IV. Dritthaftung: Das Beispiel des Sachverständigengutachtens Ein letzter Prüfstein für die Erklärungskraft der These, daß sich auch im Bereich außervertraglicher Haftung die Pflicht zum Ersatz des negativen Interesses an Selbstbindungstatbestände knüpft, ist die Dritthaftung. Auch insoweit kann es nicht darum gehen, ein in seinen tatsächlichen Ausprägungen wie auch in seiner wissenschaftlichen Durchdringung beinahe unüberschaubares Gebiet auch nur annähernd vollständig zu durchmessen, sondern nur um einen exemplarischen Beleg des Beitrags, den das hier vertretene Konzept der Haftung auf das negative Interesse zum Verständnis außervertraglicher Haftungsphänomene zu leisten vermag. Die nachfolgenden Ausführungen kreisen ausschließlich um einige Rechtsfragen aus dem Bereich der Haftung für fehlerhafte Sachverständigengutachten. Nachdem bereits zu Beginn der 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts festge203

Dazu oben, S. 313 Fn. 272. Vgl. dazu Fleischer, Informationsasymmetrie, 573 ff.; Rehm, Aufklärungspfl ichten, S. 242 ff. 204

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stellt worden war, daß sich dieses Thema mitsamt der umfassenderen Problematik der Haftung für Rat und Auskunft »seit Jahren literarischer Hochkonjunktur erfreut«205, ist die Diskussion darüber nicht zuletzt dank aufsehenererregender BGH-Entscheidungen nie zur Ruhe gekommen und bis in die jüngste Zeit Gegenstand monographischer Aufarbeitung und wissenschaftlicher Symposien geblieben 206 . Den Anstoß, Grundlagen und Grenzen der Dritthaftung zu überdenken, gibt aber, wie schon an vielen anderen Stellen dieser Arbeit, die Schuldrechtsreform: Nach § 311 III BGB kann ein Schuldverhältnis mit Pfl ichten nach § 241 II BGB auch zu Personen entstehen, die nicht Vertragspartner werden sollen, namentlich zu Dritten, die in besonderem Maße Vertrauen für sich in Anspruch nehmen und dadurch die Vertragsverhandlungen oder den Vertragsschluß erheblich beeinflussen. Die Gesetzesverfasser wollten diese Regelung nicht nur als Kodifikation der zuvor schon auf der Grundlage der c.i.c. gelösten Fälle der Dritthaftung, sondern auch als Einladung an die Rechtsprechung verstanden wissen, bisher anders behandelte Konstellationen der Sachverständigenhaftung mit der c.i.c. zu erfassen 207. Die nachfolgenden Ausführungen sollen zumindest in Umrissen aufzeigen, daß die Praxis diese Anregung aufgreifen kann und sollte, wenn sie § 311 III BGB (nur) als Fortsetzung der bereits im vorigen Abschnitt in der Zweipersonenbeziehung nachgewiesenen, quasi-vertraglichen Ausprägung der c.i.c. begreift und damit einer Ausuferung der Dritthaftung vorbeugt.

1. Die bisherige Rechtsprechung zur Gutachterhaftung Im Zentrum der Bemühungen des BGH um die dogmatische Fundierung der von ihm als sachgerecht erkannten Haftung öffentlich bestellter Sachverständiger, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater und vergleichbarer Personen mit besonderer, staatlich anerkannter Sachkunde für fehlerhafte Testate, Gutachten oder gutachtliche Äußerungen steht bisher der Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte. Nachdem zurückliegende Entscheidungen diese Rechtsfigur schon aus dem Kontext der vom Kriterium persönlicher Fürsorge geprägten »Wohl-und-Wehe-Formel« gelöst und in dem hier interessierenden Kontext fruchtbar gemacht hatten, 208 ließ der 205

Köndgen, Selbstbindung, S. 354. Allein aus den letzten zehn Jahren sind zu nennen die Arbeiten von Adolff, Third Party Legal Opinions; Büttner, Dritthaftung von Experten; Hirte, Berufshaftung (insbes. S. 386 ff.); Müller, Auskunftshaftung (rechtsvergleichend); Philippsen, Dritthaftung; Plötner, Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter und Expertenhaftung; Sutschet, Schutzanspruch zugunsten Dritter, sowie das ZHR-Symposion 1999 mit Beiträgen von Canaris, Schneider und Bosch, ZHR 163 (1999), 206 ff., 246 ff. 207 Vgl. BT-Drucks. 14/6040, S. 163. – Kritisch zum belehrenden Charakter der Gesetzesbegründung Lieb, in: Dauner-Lieb u. a.: Das Neue Schuldrecht, § 3 Rz. 47 (S. 144); Rieble, in: Das neue Schuldrecht in der Praxis, S. 137, 144. 208 Vgl. insbesondere BGH 28. 2. 1977, BGHZ 69, 82, 85 ff. (Lastschriftfall); 2. 11. 1983, NJW 1984, 355 f. (Käufergruppefall), 23. 1. 1985, WM 1985, 450, 451 f. (Konsulfall). 206

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sogenannte Dachbodenfall 209 sowohl die Schwierigkeiten ihrer Anwendung als auch die vom BGH zu ihrer Überwindung eingesetzten Mittel in der Dreiecksbeziehung zwischen dem Sachverständigem, seinem Auftraggeber und dem schutzbedürftigen Dritten in besonderem Maße plastisch werden: Der Eigentümer eines Hauses hatte zu Verkaufszwecken von einem Bausachverständigen ein Wertgutachten erstellen lassen, in dem dieser den Zustand des Hauses als gut bezeichnete. Nach Vorlage des Gutachtens erwarb der Käufer das Haus unter Ausschluß der Gewährleistung. Kurze Zeit später stellte er auf dem Dachboden Feuchtigkeitsschäden fest, die eine komplette Erneuerung der Dachkonstruktion erforderlich machten. Dem Sachverständigen war dieser Mangel verborgen geblieben, weil er den Dachboden infolge einer arglistigen Täuschung durch den Sohn des Verkäufers nicht in Augenschein genommen hatte. Der daraufhin vom Käufer – nach erfolgloser Inanspruchnahme des Verkäufers – gegen den Gutachter erhobenen Klage auf Schadensersatz gab der BGH, gestützt auf die Grundsätze des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte, statt. Wer bei einer Person, die über eine besondere, vom Staat anerkannte Sachkunde verfüge, ein Gutachten bestelle, sei in der Regel daran interessiert, daß die Ausarbeitung eine entsprechende Beweiskraft besitze. Dann müsse der Verfasser das Gutachten nicht nur nach bestem Wissen und Gewissen erstellen, sondern auch Dritten gegenüber dafür einstehen, ohne daß es auf die Gegenläufigkeit der Interessen des Auftraggebers (des Verkäufers) und des Dritten (des Käufers) ankomme. Auch die Erkennbarkeit der Einbeziehung des Käufers in den Schutzbereich des Vertrags hielt der BGH für gegeben; es genüge, daß der Gutachter wußte, daß das Wertgutachten für einen (potentiellen) Käufer bestimmt war210. Mit der darauf gegründeten Annahme des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte war indes nur die erste Hürde genommen: Weil er für die Arglist seines Sohnes einstehen mußte, hätte der Verkäufer selbst keinen Anspruch gegen den Gutachter wegen der Verletzung seiner vertraglichen Pflichten gehabt. Nach dem – aus dem Rechtsgedanken des § 334 BGB folgenden – Grundsatz, daß dem geschützten Dritten keine weitergehenden Rechte zustehen dürfen als dem unmittelbaren Vertragspartner, hätte das Begehren des Käufers daher abgewiesen werden müssen. Doch bewältigte der BGH auch diese Schwierigkeit im Wege der Auslegung und gab dem Berufungsgericht auf, eine konkludente Abbedingung dieses Einwands in Betracht zu ziehen, denn in Anbetracht des großen Gewichts der gutachterlichen Äußerung für den Käufer und seines offenkundigen Interesses, gerade auch vor der unredlichen Verschleierung von Mängeln durch den Verkäufer geschützt zu sein, liege eine solche Ausnahme nahe211.

209 BGH 10. 11. 1994 BGHZ 127, 378 = JZ 1995, 306 m.Anm. Medicus; vgl. dazu die kritische Besprechung von Canaris, JZ 1995, 441 ff. 210 A.a.O., 380 f. 211 A.a.O., 385 f.

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Die personelle Reichweite des Schutzinstruments, das der BGH auf diese Weise gegen den Einwand aus § 334 BGB absicherte, illustriert der wenig später entschiedene Bürgschaftsfall 212 : Hier hatte eine fehlerhaftes, da den Wert der Immobilie zu hoch ansetzendes Wertgutachten den Auftraggebern dazu gedient, ein grundpfandrechtlich gesichertes Darlehen zu erlangen. Die Darlehensgeberin ließ, als der Kredit notleidend geworden war, das Grundstück versteigern, und erlitt dabei einen erheblichen Ausfall, für den zu einem großen Teil eine Sparkasse einstehen mußte, die sich für das Darlehen selbstschuldnerisch verbürgt hatte. Der BGH entschied, daß in diesem Fall nicht nur die Darlehensgeberin, sondern auch die Bürgin an der drittschützenden Wirkung des Vertrags zwischen Auftraggebern und Gutachter teilhabe: Der Kreis der geschützten Dritten bleibe hier überschaubar, und eine Vervielfältigung des Risikos des Dritten trete nicht ein 213. Diese Rechtsprechung, die sich weitere Anwendungsfälle erschließen konnte, begann zwar letzthin Auflösungserscheinungen zugunsten der c.i.c. als Anspruchsgrundlage zu zeigen 214, hat sich aber trotz mancher Kritik, auf die sogleich einzugehen sein wird, behauptet 215.

2. Dogmatische Rekonstruktion im Rahmen des neuen Schuldrechts a) Vom Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter zur außervertraglichen Selbstbindung In der Literatur zum neuen Schuldrecht wird – wenn auch teilweise nicht ohne Zögern – überwiegend die Prognose gestellt, daß die bisher über die Figur des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter gelösten Fälle künftig wohl bei § 311 III 2 BGB anzusiedeln seien 216 . Darin schlägt sich wohl nicht nur die Aufgeschlossenheit gegenüber dem Wunsch der Gesetzesverfasser nieder, die neue An212 BGH 13. 11. 1997, JZ 1998, 624; vgl. dazu die kritische Besprechung von Canaris, JZ 1998, 603 ff. – Vgl. zur personellen Reichweite auch den Käufergruppefall BGH 2. 11. 1983, NJW 1984, 355. 213 A.a.O., 626 f. 214 Vgl. BGH 26. 9. 2000, BGHZ 145, 187, 197 ff.: auf c.i.c. gegründete Haftung eines Wirtschaftsprüfers gegenüber Kapitalanlegern, die auf die Richtigkeit der von ihm abgegebenen Prüftestate über die Einzahlungen der Anleger und die Mittelverwendung vertraut hatten. 215 Vgl. insbesondere die Leitentscheidung zur Haftung des Abschlußprüfers für Pfl ichttestate, BGH 2. 4. 1998, BGHZ 138, 257, dazu etwa Ebke, JZ 1998, 991 ff.; ferner BGH 19. 12. 1996, NJW 1997, 1235 (Steuerberater); 2. 12. 1999, NJW 2000, 725 (Rechtsanwalt); 17. 10. 2000, NJW 2001, 512 (Bausachverständiger); 14. 11. 2000, NJW 2001, 514 (nicht öffentlich bestellter Sachverständiger); 7. 2. 2002, NJW 2002, 1196 (Architekt); 9. 7. 2002, NJW-RR 2002, 1528 (Bausachverständiger); 20. 4. 2004, NJW 2004, 3035 (Bausachverständiger); 8. 6. 2004, NJW 2004, 3420 (Wirtschaftsprüfer); 6. 4. 2006, NJW 2006, 1975 (Wirtschaftsprüfer; dazu Lettl, NJW 2006, 2817 ff.). – Zur Parallelproblematik der Reichweite der Haftung des gerichtlichen Sachverständigen nach § 839a BGB vgl. BGH 9. 3. 2006, NJW 2006, 1733. 216 Vgl. Canaris, JZ 2001, 499, 520; Koch, AcP 204 (2004), 58, 62 ff.; Lieb, in: Dauner-Lieb u. a., Das neue Schuldrecht, § 3 Rz. 47 (S. 144); MünchKomm/Emmerich, § 311 Rz. 232; Rieble, in: Das neue Schuldrecht in der Praxis, S. 137, 144; eher ablehnend AnwKom Schuldrechtsreform/Krebs,

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spruchsgrundlage für die Lösung der Gutachterfälle in Betracht zu ziehen, sondern auch die bereits vor der Schuldrechtsreform in der Literatur herrschende Meinung, daß die vom BGH gewählte Konstruktion einer Drittberechtigung die von ihr gefundenen Ergebnisse nicht trägt und durch ein Konzept der Dritthaftung zu ersetzen ist (dazu aa). Ist dieser Schritt getan, stellt sich freilich die zweite und für die tatbestandliche Konturierung der Gutachterhaftung entscheidende Frage nach einem quasi-deliktischen oder einem quasi-vertraglichen Verständnis des auf die neue Grundlage gestellten Anspruchs (dazu bb). aa) Dritthaftung oder Drittberechtigung? Die Anwendung der Regeln über den Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte auf die Gutachterhaftung hat in den eingehenderen Untersuchungen der jüngsten Zeit wenig Zustimmung gefunden 217, und man kann sich, nachdem der Streit im wesentlichen ausgetragen ist, auf ein Resümee der von den kritischen Stimmen des Schrifttums wiederholt ausgeführten und von der Rechtsprechung nie widerlegten Kritik beschränken. Anstoß erregen muß in Anbetracht der Gegenläufigkeit der Interessen von Gläubiger und Drittem bereits die Begründung der Einbeziehung des Dritten in die Schutzwirkung des Gutachtervertrags. Anders als in den herkömmlichen Fällen des Drittschutzes, in denen der Gläubiger sich auf diese Weise gegen die aus seiner Schutzverantwortlichkeit gegenüber dem Dritten resultierenden Lasten versichern kann 218 , hat der Gläubiger hier kein unmittelbares Interesse daran, den Dritten durch die Verschaffung einer vertraglichen Rechtsposition zu begünstigen. Dem Dritten wird hierdurch vielmehr ein exklusiver Vorteil verschafft, von dem der Gläubiger nicht profitiert. Vor diesem Hintergrund läßt sich die Schutzwirkung schwerlich als Ergebnis der Auslegung des zwischen Gläubiger und Gutachter geschlossenen Vertrags darstellen. Diese Unstimmigkeit in der Begründung der Schutzwirkung setzt sich bei der Rechtfertigung des Ausschlusses des auf § 334 BGB gestützten Einwandes fort. Während die Vorstellung, daß die Begünstigung, die dem Dritten zuteil wird, nur ein Abbild des Schutzes ist, den der Gläubiger selbst genießt, in den herkömmlichen Fällen der Schutzpflichterstreckung keine Probleme bereitet, ist sie in den hier behandelten Konstellationen gänzlich fehl am Platze – es ist ja gerade der Sinn § 311 Rz. 54; a. A. Brors, ZGS 2005, 142, 148; Jauernig/Stadler, § 328 Rz. 21; i.E. auch Büttner, Dritthaftung von Experten, S. 200 ff. 217 Der Rspr. stimmt zu Sutschet, Schutzanspruch zugunsten Dritter, S. 144; dagegen Adolff, Third Party Legal Opinions, S. 96 ff.; Bosch, ZHR 163 (1999), 274, 283; Canaris, JZ 1995, 441, 442 ff.; ders., JZ 1998, 603, 604 ff.; ders., ZHR 163 (1999), 206, 215 ff.; Ebke, JZ 1998, 991, 993; Honsell, in: FS Medicus, S. 211, 229 ff.; Philippsen, Dritthaftung, S. 44 ff.; Picker, in: FS Medicus, S. 397, 400 ff.; Plötner, Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte und Expertenhaftung, S. 71 ff.; Schneider, ZHR 163 (1999), 246, 253; im Detail kritisch, wenn auch nicht gänzlich gegen die Lösung des BGH Medicus, JZ 1995, 308 f. 218 So die treffende Beschreibung der »konventionellen« Situation durch Köndgen, in: Karlsruher Forum 1998, S. 3, 22.

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des mit der Haftungskonstruktion betriebenen Aufwandes, dem Dritten eine Schutzposition zu verschaffen, die der Gläubiger nicht hat. So muß das schon überaus problematische Auslegungsergebnis der Einbeziehung des Dritten in den Schutzbereich des Vertrags geradezu zwangsläufig die noch viel weniger einsichtige Annahme einer durch Auslegung ermittelten, stillschweigenden Abbedingung von § 334 BGB nach sich ziehen. Spätestens hier sind die Grenzen dessen, was (ergänzende) Vertragsauslegung zu leisten vermag, überschritten, denn es ist schlechterdings nicht vorstellbar, daß sich der Gutachter darauf eingelassen hätte, auf seine Einwendungen zu verzichten 219. Schließlich steht und fällt die gesamte vom BGH gewählte Lösung damit, daß Gutachter und Gläubiger nicht Haftungsbegrenzungen oder -ausschlüsse vereinbaren, die den Dritten schutzlos stellen 220. Auch diese offene Flanke jeder auf die Vereinbarung zwischen Gläubiger und Gutachter setzenden Lösung kann man natürlich mit weiteren Notbehelfen zu schließen versuchen. Doch dürfte spätestens an diesem Punkt klar sein, daß das Ziel, dem Dritten gegen die Interessen des Gläubigers eine gesicherte Rechtsposition zu verschaffen, im Grunde nicht dadurch zu erreichen ist, daß man ihm eine an den Vertrag zwischen Gläubiger und Gutachter gebundene Drittberechtigung gewährt. Er bedarf vielmehr einer originären Berechtigung, und hierfür ist spätestens seit der Schuldrechtsreform die in § 311 III BGB vorgesehene Dritthaftung221 der nächstliegende Anknüpfungspunkt 222. bb) Quasi-vertragliche oder quasi-deliktische Haftung? Hat man auf diese Weise den Blickwinkel zurechtgerückt, stellt sich die nächste Schwierigkeit: Wann und vor allem: in welcher Beziehung nimmt ein Gutachter, wie es § 311 III 2 BGB verlangt, in besonderem Maße Vertrauen für sich in Anspruch und beeinflußt dadurch die Vertragsverhandlungen oder den Vertragsschluß erheblich? Selbst den an der Gesetzesvorbereitung Beteiligten erscheint diese Formulierung »reichlich weit geraten«223. Ohne die Grundsatzdiskussion über die Vertrauenshaftung aufzunehmen, wird man jedenfalls sagen können, daß eine berechenbare Anwendung dieser Norm nur möglich ist, wenn es gelingt, den 219 Plastisch Canaris, ZHR 163 (1999), 206, 217: Der Experte müsse »von geradezu übermenschlichem Altruismus« und der Auftraggeber »von unglaublicher Dummdreistigkeit« sein, damit eine solche Vereinbarung zustande komme. 220 Darauf weist u. a. auch Canaris (wie vorige Fn.) hin. 221 Ob § 311 III BGB auch Fälle der Drittberechtigung erfassen kann, wie etwa Canaris, JZ 2001, 499, 520, nahelegt, sei hier dahingestellt. 222 Durch die Einführung von § 311 III BGB dürfte die von Picker, in: FS Medicus, S. 397 ff., und Plötner, Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte und Expertenhaftung, vertretene »Sonderverbindungslehre« nicht mehr mit den gesetzlichen Vorgaben in Einklang zu bringen sein. – Schon vor der Schuldrechtsreform nicht überzeugen konnte schließlich die Ansicht von Philippsen, Dritthaftung, S. 124 ff., die Haftung sei auf eine rechtsgeschäftliche Garantie des Gutachters zu gründen: Hierfür fehlt es schon an dem objektiven Tatbestand einer Willenserklärung. 223 Canaris, JZ 2001, 499, 520.

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Tatbestand der »Vertrauensinanspruchnahme« zu konkretisieren, während die »Gewährung von Vertrauen« als dessen Folge und die dadurch bedingte Disposition des Geschädigten (hier der Vertragsschluß mit dem Verhandlungspartner) zur Konturierung der Haftung nichts beitragen: »It is impossible for any body of law to be simply ›reliance-based‹. A plaintiff cannot bring an action in reliance as such: she must say what she relied on.«224 Zur Bewältigung dieser Aufgabe bieten sich grundsätzlich zwei Herangehensweisen an, wie auch auf Seiten der Lehre von der Vertrauenshaftung anerkannt worden ist 225 : Entweder man wählt einen quasi-deliktischen Ausgangspunkt und begründet die Verantwortlichkeit des Haftenden für das in dem anderen hervorgerufene Vertrauen damit, daß er mit seinem Gutachten, seinem Testat oder seiner gutachterlichen Äußerung eine gefährliche Information in Umlauf gebracht hat, deren Beherrschung von ihm in den Grenzen des Vorhersehbaren erwartet wird 226 . Oder man bezieht einen quasi-vertraglichen Ausgangspunkt und stellt darauf ab, ob die gutachterliche Äußerung von demjenigen, der im Vertrauen auf ihre Richtigkeit disponierte, bei objektiver Beurteilung (auch) als an ihn gerichtet und als Entlastung von eigener Vergewisserung über die mitgeteilte Information verstanden werden durfte. Was § 311 III 2 BGB betrifft, spricht alles dafür, daß letzteres die richtige Basis für die Konkretisierung ist: Von »besonderem Vertrauen«, das der Gutachter »für sich« in Anspruch nimmt, kann wohl nur die Rede sein, wenn zwischen den Parteien eine besondere Beziehung besteht, in der die eine Seite das Vertrauen der anderen durch (auch) an sie adressiertes und als Grundlage für die »Gewährung von Vertrauen« intendiertes Verhalten geweckt hat. Alles andere wäre auch schwer mit der in § 675 II BGB zum Ausdruck kommenden Absage des deutschen Privatrechts an eine allgemeine Haftung für Rat und Auskunft in Einklang zu bringen. Ökonomisch hat ein solches Verständnis schließlich einen guten Sinn: Quasivertragliche Haftung gewährleistet, daß die Kosten der Übernahme von (ggf. zusätzlichen) Haftungsrisiken, die dem Gutachter entstehen, weitergegeben und am Ende von denjenigen getragen werden, die den Nutzen von der Haftung haben 227. Eine Haftung für (vorhersehbare) »Vertrauenserweckung« bei beliebigen Dritten führte dazu, daß diese den Nutzen einer haftungsrechtlich gesicherten, eigene Anstrengungen ersparenden Information hätten, ohne ein Entgelt dafür entrichten zu müssen. Die Kosten dieser Versicherung gingen letztlich zu Lasten des Gutach-

224

Eisenberg, 85 Cal.L.Rev. 821, 865 (1997) (Hervorhebung im Original). Adolff, Third Party Legal Opinions, S. 125 f., hat, ausgehend von der Formel vom »in Anspruch genommenen und gewährten Vertrauen«, die im Text folgende Differenzierung getroffen. 226 Zur Klarstellung: Die oben, § 5, verwendete Analogie zur Produkthaftung zur Erklärung der Ökonomik des Versprechens impliziert nicht diesen Standpunkt; dazu oben, § 5 IV 1. 227 Dazu Schäfer, AcP 202 (2002), 808, 816 ff. 225

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tenauftraggebers, auf den sie der Gutachter bei der Preisfindung abwälzte228 – ein Ergebnis, an dem niemandem gelegen sein kann. b) Folgefragen Mit der quasi-vertraglichen Weichenstellung gelangt die Interpretation von § 311 III 2 BGB in das Fahrwasser der Selbstbindungshaftung: Der Tatbestand der Inanspruchnahme von besonderem Vertrauen ist die Erklärung, mit der der Haftende in zurechenbarer Weise eine normative Erwartung an die Richtigkeit der von ihm vermittelten Information bei dem Geschädigten geweckt hat, und stellt damit das Pendant zur Übernahme der Beratung in der vorvertraglichen Zweipersonenbeziehung dar. Das ist die Basis für die Einhegung der sich sonst leicht im ungefähren verlierenden Dritthaftung für c.i.c.. In der Sache geht es dabei um Auslegungsfragen: Ob eine gutachterliche Äußerung als Selbstbindungstatbestand in Betracht kommt und wer des weiteren als deren Adressat anzusehen ist, muß, wie bei rechtsgeschäftlichem Handeln auch, durch normative Auslegung aus der Sicht des Empfängers beurteilt werden. Anders als die rechtsgeschäftliche Auslegung zielt die Auslegung der außervertraglichen Selbstbindung jedoch nicht auf die Feststellung der vom Erklärenden intendierten Rechtsverbindlichkeit, sondern darauf, ob der in seiner Erklärung zum Ausdruck kommende Geltungsanspruch 229 die Richtigkeit der später falsifizierten Behauptung auf eine Weise bekräftigt, daß der Empfänger (bei objektiver Betrachtung) in Bezug auf die behauptete Tatsache vom Gebrauch seiner eigenen Erkenntnismöglichkeiten und von der Einholung weiterer Expertise absehen darf. Dabei sei nicht geleugnet, daß der Anwendung dieses Konzepts im Einzelfall Unwägbarkeiten anhaften – aber dies sind Unwägbarkeiten, die immer mit der Auslegung privatautonomen Verhaltens verbunden sind, und können der hier vertretenen Lösung daher nicht als Schwäche angelastet werden. Die Richtung, den die an diesem Maßstab orientierte Haftung für die Inanspruchnahme besonderen Vertrauens nach § 311 II BGB nehmen kann, haben bereits andere mit dieser Sicht grundsätzlich kompatible Ansätze gewiesen, darunter auch neuere Interpretationen der Vertrauenshaftung, die den Akzent deutlich auf eine schärfere Abgrenzung des Vertrauenstatbestands legen 230. Die nachfolgenden Ausführungen werden sich daher auf kurze Hinweise beschränken, wie sich einige der bisher schon in Rechtsprechung und Wissenschaft herausgearbeiteten Ele-

228

Dazu Schäfer, AcP 202 (2002), 808, 832 f. Dazu oben, § 5 IV 1. 230 Vgl. insbesondere für die Fallgruppe der Anwaltsbestätigungen Adolff, Third Party Legal Opinions, S. 137 ff., und allgemein zur Expertenhaftung Canaris, ZHR 163 (1999), 206, 229 ff., Schneider, ZHR 163 (1999), 246, 254 ff., sowie – in theoriebedingt scharfem Gegensatz zur Formel Ballerstedts, aber mit Einsichten, die sich auch für § 311 III 2 BGB fruchtbar machen lassen – Köndgen, Selbstbindung, S. 352 ff. 229

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mente in den hier gebildeten Rahmen einer Haftung für außervertragliche Selbstbindungstatbestände einfügen lassen. aa) Anforderungen an den Selbstbindungstatbestand Die vom BGH in seinen Entscheidungen zum Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte immer wieder herausgestrichene Eigenschaft des Experten als eine »Person, die über eine besondere, vom Staat anerkannte oder durch einen vergleichbaren Akt nachgewiesene Sachkunde verfügt (z. B. öffentlich bestellter Sachverständiger, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater)«231 fügt sich ohne weiteres in die Begründung des Selbstbindungstatbestands ein: Verläßlichkeit zu signalisieren und dadurch redundante Untersuchungen überflüssig zu machen, ist gerade die Funktion der beispielsweise vom Bausachverständigen im Dachbodenfall 232 erbrachten Dienstleistung, für die er auch entgolten wurde. Das von ihm erstellte Gutachten wird so mit dem Geltungsanspruch ausgestattet, der es über die bloße Information über eine Tatsache (etwa über die Mangelfreiheit des untersuchten Hauses) hinaus zum Selbstbindungstatbestand erhebt. Wie der BGH in einem neueren Urteil 233 zu Recht festgestellt hat, beschränkt sich diese Funktion nicht auf den staatlich approbierten Experten; doch wird es regelmäßig diese Kerngruppe höherer Professionen sein, deren Dienstleistungen funktional auf die haftungsrechtliche Flankierung angewiesen sind 234. Mit dem Übergang von der Drittberechtigung zur Dritthaftung darf allerdings nicht die Einsicht verlorengehen, daß die Tätigkeit des Gutachters nicht gänzlich verselbständigt ist, sondern vom Auftraggeber bestellt und bezahlt wird 235. Der sich daraus ergebenden Möglichkeit eines »Rollenkonflikts« ist bei der Auslegung der Erklärung des Sachverständigen Rechnung zu tragen: So ist etwa mit Blick auf die Haftung für Anwaltsbestätigungen berechtigterweise ein Grundsatz mandatskonformer Auslegung postuliert worden – interpretationsbedürftige Erklärungen eines Anwalts sind nun einmal stets vor dem Hintergrund der seiner beruflichen Rolle entsprechenden Wahrnehmung der Interessen seines Mandanten zu sehen 236 . bb) Die Bestimmung des Kreises der Anspruchsberechtigten Die Perspektive der (ergänzenden) Auslegung bestimmt auch den Kreis derjenigen, die aus dem fehlerhaften Gutachten Ansprüche herleiten können, weil der 231

BGH 14. 11. 2000, NJW 2001, 514, 516; inhaltlich übereinstimmend z. B. BGH 10. 11. 1994, BGHZ 127, 378, 380; 2. 4. 1998, BGHZ 138, 257, 260 f.; 26. 9. 2000, BGHZ 145, 187, 197; 6. 4. 2006, NJW 2006, 1975, 1976. 232 BGH 10. 11. 1994, BGHZ 127, 378. 233 BGH 14. 11. 2000, NJW 2001, 514, 516. 234 Vgl. dazu auch oben, § 6 235 Dies gibt Köndgen, in: Karlsruher Forum 1998, S. 3, 47, gegen die Dritthaftung aus c.i.c. zu bedenken. 236 So Adolff, Third Party Legal Opinions, S. 162 f.

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Sachverständige damit ihr Vertrauen in besonderem Maße für sich in Anspruch genommen hat. Ist, wie im Dachbodenfall, das Gutachten nach dem ihm zugrunde liegenden Auftrag dazu bestimmt, einem Dritten vorgelegt zu werden, darf der Dritte den mit dem Gutachten erhobenen Geltungsanspruch auf sich beziehen, und zwar unabhängig davon, ob dem Gutachter die Person des Dritten zu dem Zeitpunkt der Erstellung des Gutachtens bekannt war oder ob sie zu diesem Zeitpunkt überhaupt schon feststand 237. Als Ergebnis ergänzender Auslegung läßt sich darüber hinaus auch die Haftung des Gutachters für die Schäden weiterer Personen rekonstruieren, die infolge einer Aufteilung des sonst allein von dem Dritten zu tragenden Schadensrisikos von dem Fehler des Gutachtens betroffen wurden – so lag es im Bürgschaftsfall, in dem der BGH ausdrücklich auf den entscheidenden Wertungsgesichtspunkt hinwies, daß durch die Aktivlegitimation der Bürgin, die für einen großen Teil des Schadens aufzukommen hatte, eine Vervielfältigung des Risikos des Gutachters nicht eintrete238. Im Schrifttum wird teilweise noch weitergehend behauptet, daß der Gutachter auch in Fällen der Drittweitergabe seiner Expertise jeder Person in der Kette der auf den Erstkäufer folgenden Erwerber verantwortlich sei, soweit das Haftungsrisiko dadurch nicht erhöht wird 239. So hätte etwa der Kunstexperte, der einem Gemälde irrig die Echtheit als Werk eines alten Meisters bescheinigt hat, auch noch nach mehrfacher Weiterveräußerung (bei der die Fälschung jeweils unentdeckt blieb) das Risiko zu gewärtigen, für den Fehler seiner gutachterlichen Äußerung einstehen zu müssen. Eine solche »mitwandernde« Expertise240 ist indes, selbst wenn der bei Aufdeckung des Fehlers zu begleichende Schaden bei jedem Mitglied der Erwerberkette gleich bleibt, für den Gutachter nicht kostenneutral, weil die Wahrscheinlichkeit der Schadensaufdeckung mit der Ausweitung des Schutzes über den Ersterwerber hinaus mit jedem weiteren Erwerbsvorgang zunimmt. Ob sich die Expertise in dieser Weise auslegen läßt, hängt deshalb davon ab, ob man davon ausgehen kann, daß der vom Auftraggeber entrichtete Preis ein Entgelt für diese Zusatzleistung enthält. Das wiederum ist nur dann (jedoch wohl bei Kunstwerken als Wertanlage) der Fall, wenn der Gegenstand, auf den sich die Expertise bezieht, ein auf dem Markt zirkulierendes oder jedenfalls mit der Perspektive der Weiterveräußerung erworbenes Gut ist, denn nur in diesen Fällen ist die »mitwandernde« Expertise eine Leistung, die von dem Erwerber des Gegenstands honoriert wird und damit auch für den Auftraggeber von Interesse ist.

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So auch BGH 10. 11. 1994, BGHZ 127, 378, 380 f. A.a.O., 626 f. Dass es auf diesen Gesichtspunkt ankommt und nicht darauf, wie hoch die Zahl der Gläubiger ist und ob sie dem Gutachter bekannt sind, bestätigt BGH 20. 4. 2004, NJW 2004, 3035, 3038. 239 So Köndgen, in: Karlsruher Forum 1998, S. 5, 43 f.; Schäfer, AcP 202 (2002), 808. 822 ff. (mit Vorschlag der Haftungsbegrenzung); a. A. Canaris, ZHR 163 (1999), 206, 237. 240 So die Formulierung von Köndgen, a.a.O., S. 44. 238

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cc) Möglichkeiten und Grenzen der Freizeichnung Auch was die Möglichkeit einer Freizeichnung von der Haftung gegenüber denjenigen betrifft, deren Vertrauen durch die Expertise in Anspruch genommen wird, ist die außervertragliche Selbstbindung entsprechend den Regeln über das Rechtsgeschäft zu behandeln. Anders als bei der deliktischen Haftung241 steht der Umfang der Selbstbindung des Gutachters gegenüber Dritten grundsätzlich zu dessen Disposition. Bei näherem Hinsehen sind die Unterschiede zwischen einer (quasi)deliktischen und einer (quasi-)vertraglichen Konzeption in dieser Hinsicht indes wohl geringer, als es scheinen mag: Einerseits können »Freizeichnungen« den Umfang einer deliktisch verstandenen Haftung dadurch schmälern, daß eine durch das fehlerhafte Gutachten veranlaßte Vertrauensinvestition als Handeln auf eigene Gefahr zu bewerten ist 242. Andererseits müssen sich Freizeichnungsklauseln im Rahmen einer rechtsgeschäftsähnlichen Konzeption der Gutachterhaftung an den Kriterien messen lassen, welche die §§ 138, 305 ff. BGB für ihr rechtsgeschäftliches Gegenstück bereithalten 243.

241

Dazu Honsell, in: FS Medicus, S. 211, 232. Vgl. zur deliktsrechtlichen Wirkung von Freizeichnungen mit weiteren Nachw. (allerdings nicht mit spezifischem Bezug zur Gutachterhaftung) Hirte, Berufshaftung, S. 450 Fn. 118. 243 So im Ergebnis auch Canaris, ZHR 163 (1999), 206, 231 f.; a. A. Hans Stoll, in: FS Flume, S. 741, 769. 242

§ 14 Ergebnisse des zweiten Teils 1. Windscheids allein auf ungültige Willenserklärungen bezogener »allgemeine[r] Satz«, »daß jeder Vertragschließende einstehen muß für die nachteiligen Folgen des durch seine Erklärung in dem Gegner erregten Vertrauens«1, hat durch diese Untersuchung eine Bestätigung und wesentliche Erweiterung erfahren. Der Gedanke, daß derjenige, der sein Wort gegeben oder auf sonstige Weise eine ihm zurechenbare normative Erwartung bei einem anderen geweckt hat, für die nachteiligen Folgen seines Verhaltens unabhängig von einer Pfl ichtwidrigkeit einstehen muß, ist systemprägend für das deutsche Bürgerliche Recht, und zwar für ein Spektrum von Fällen, das von wirksamen über unwirksame rechtsgeschäftliche Bindungen bis hin zu außerrechtsgeschäftlichen Äußerungen reicht: Sie alle sind durch die Verbindung eines Selbstbindungstatbestands mit der Pfl icht zum Ersatz des negativen Interesses gekennzeichnet. Die nachfolgende Zusammenfassung beschränkt sich, anstatt die dabei deutlich gewordenen Verbindungslinien nochmals nachzuziehen, auf die Zusammenstellung der wichtigsten praktischen Einzelergebnisse, zu denen die Unterschung in diesem Zusammenhang gelangt ist. 2. Das gesetzliche Muster für die Bemessung von Umfang und Grenzen der Pfl icht zum Ersatz des negativen Interesses ist den §§ 122, 179 II, III 1 BGB zu entnehmen und auf alle Konstellationen der Haftung für Selbstbindungstatbestände zu beziehen. Der danach grundsätzlich zu ersetzende Vertrauensschaden ist durch die Anwendung der allgemeinen Regeln des Schadensrechts zu ermitteln. Seine Bestimmung unterliegt keinen Besonderheiten, was das Ziel und die Mittel des Schadensersatzes, die Schadenszurechnung und Fragen der Beweislast betrifft. Insbesondere weicht die Gewährung des Ersatzes fehlgeschlagener Aufwendungen als Teil des negativen Interesses nicht von der Differenzhypothese ab. Ebensowenig besteht ein Zusammenhang mit der Frustrationslehre2. a) Der Ersatz fehlgeschlagener Aufwendungen als Teil des negativen Interesses hängt von der Zäsur des Vertragsschlusses ab. Aufwendungen, die der Gläubiger nach Vertragsschluß im Vertrauen auf dessen Wirksamkeit getätigt hat und die durch die Nichtdurchführung des Vertrags entwertet wurden, sind – anders als bei der Bestimmung des positiven Interesses nach Maßgabe der Rentabilitätsvermutung – unabhängig davon zu ersetzen, ob sie im notwendigen Zusammenhang mit 1 2

Windscheid/Kipp, Pandektenrecht II, § 307 Anm. 5 (S. 250). Dazu § 10 I.

§ 14 Ergebnisse des zweiten Teils

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dem vertraglichen Leistungsaustausch standen. Aufwendungen anläßlich des Vertragsschlusses (Vertragsabschlußkosten) sind ebenfalls ersatzfähig, und zwar auch dann, wenn es sich um die Kosten eines Angebots handelt. Aufwendungen vor Vertragsschluß werden – im Gegensatz zur Berechnung des positiven Interesses nach Maßgabe der Frustrationslehre – prinzipiell nicht vom negativen Interesse umfaßt, es sei denn, der Gläubiger hätte den Nutzen der Aufwendungen noch auf andere Weise realisieren oder sie zumindest »stornieren« können, wenn er den Vertrag mit dem Schuldner nicht geschlossen hätte. Letzteres führt auch zum anteiligen Ersatz von Fixkosten 3. b) Zum Ersatz des negativen Interesses gehört darüber hinaus der Ersatz des entgangenen Gewinns aus einem Geschäft, das der Gläubiger im Vertrauen auf die Wirksamkeit des Vertrags abzuschließen unterlassen hat. Der Gläubiger kann den kumulierten Ersatz des entgangenen Gewinns und seiner fehlgeschlagenen Aufwendungen verlangen, soweit es sich dabei nicht ausnahmsweise um anteilig zu ersetzende Fixkosten handelt4. c) Ein Anspruch auf Ersatz des negativen Interesses berechtigt den Gläubiger dazu, die Aufhebung und Rückabwicklung eines Vertrags mit dem Schuldner zu verlangen, dessen Abschluß durch das haftungsbegründende Verhalten des Schuldners veranlaßt wurde. Das gilt auch in den Fällen vorvertraglicher Informationshaftung5. Der Gläubiger kann auch eine Vertragsanpassung beanspruchen und die Wertdifferenz zwischen Leistung und Gegenleistung oder die Differenz zwischen dem tatsächlichen Ertrag und dem hypothetischen Ertrag aus dem Geschäft verlangen, das er mit dem Schuldner ohne dessen haftungsbegründendes Verhalten abgeschlossen hätte. In beiden Fällen geht es um den Ersatz des negativen Interesses6 . d) Die in den §§ 122 I, 179 II BGB angeordnete Begrenzung der Haftung auf den Betrag des positiven Interesses soll verhindern, daß der Gläubiger das von ihm zu tragende Spekulationsrisiko auf den Schuldner abwälzt. Verfolgte der Gläubiger mit dem von ihm abgeschlossenen Vertrag einen nichtwirtschaftlichen Zweck, muß diese Begrenzung des Haftungsumfangs unangewendet bleiben. An ihrer Stelle kommt es darauf an, ob die Vertrauensinvestitionen des Gläubigers bei Durchführung des Vertrags ihren Zweck verfehlt hätten. Des weiteren ist dem Gläubiger das negative Interesse nicht zu ersetzen, wenn ihm bei gedachter Wirksamkeit des Vertrags nicht dem Grunde nach ein Anspruch auf das positive Interesse zustünde. Insoweit steht die Haftung auf das negative Interesse zur Haftung auf das positive Interesse im Verhältnis der Komplementarität7. e) Der in den §§ 122 II, 179 III 1 vorgesehene Haftungsausschluß bei Kenntnis oder Kennenmüssen des Nichtigkeits- oder Anfechtungsgrundes bzw. des Fehlens 3 4 5 6 7

Dazu § 10 II 1. Dazu § 10 II 2. Dazu § 10 II 3. Dazu § 10 II 4. Dazu § 10 III 1.

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§ 14 Ergebnisse des zweiten Teils

der Vertretungsmacht trägt den Fällen fehlender Schutzwürdigkeit des Erklärungsempfängers Rechnung. Der Erklärungsempfänger befindet sich nur dann in fahrlässiger Unkenntnis des Wirksamkeitsmangels der Erklärung bzw. des Mangels der Vertretungsmacht, wenn seine Möglichkeit, von dem Mangel Kenntnis zu erlangen, der des Erklärenden bzw. des Vertreters ohne Vertretungsmacht überlegen ist. Die Haftung wird nicht allein dadurch ausgeschlossen, daß der Erklärungsempfänger den Mangel der Erklärung veranlaßt hat8. f) Den Gläubiger trifft die Obliegenheit zur Schadensabwendung und -minderung nach § 254 II 1 2. Alt. BGB. Dies bedeutet freilich nicht, daß der Gläubiger eine Änderung seiner Präferenzen hinnehmen müßte, um aus seinen sonst fehlschlagenden Aufwendungen noch einen Nutzen zu ziehen. Die Obliegenheit zur Warnung nach § 254 II 1 1. Alt. BGB ist bei der Haftung auf das negative Interesse auf die Zeit vor dem Vertragsschluß zu beziehen und erfüllt damit im wesentlichen die Funktion eines Vorhersehbarkeitskriteriums9. 3. Bei wirksamen obligatorischen Rechtsgeschäften steht dem Gläubiger der Anspruch auf Ersatz des negativen Interesses nach seiner Wahl anstelle des Anspruchs auf Schadensersatz statt der Leistung zu: § 284 BGB ist weder als Ergänzung der Rentabilitätsvermutung noch als Ausdruck des Ersatzes des positiven Interesses nach Maßgabe der Frustrationslehre auszulegen, sondern ordnet den partiellen Ersatz des negativen Interesses an. Es ist methodisch legitim und geboten, in analoger Anwendung von § 284 BGB den vollen Ersatz des negativen Interesses zu gewähren. § 284 BGB ist dagegen nicht auf gesetzliche Schuldverhältnisse anwendbar10. a) Die Regelung, daß der Gläubiger den Ersatz des negativen Interesses nur anstelle des Schadensersatzes statt der Leistung verlangen kann, schließt zum einen aus, daß der Gläubiger den Ersatz des negativen Interesses oder auch nur seiner fehlgeschlagener Aufwendungen in analoger Anwendung von § 284 BGB beanspruchen darf, wenn ihm nur ein Anspruch auf Ersatz des Verzögerungsschadens oder auf »einfachen« Schadensersatz zusteht. Zum anderen verbietet die darin zum Ausdruck kommende Wertung eine analoge Anwendung von § 122 BGB, wenn der Schuldner wegen schuldlosen Irrtums über die anfängliche Unmöglichkeit der Leistung weder zur Leistung noch zum Schadensersatz statt der Leistung verpflichtet ist. Zulässige Kombinationen mit der Befriedigung des Erfüllungsinteresses (in Natur oder durch Schadensersatz statt der Leistung) ergeben sich in den folgenden Konstellationen: Erstens darf der Gläubiger eine mangelhafte oder unvollständige Leistung behalten und anstelle des »kleinen« Schadensersatzes den entsprechenden Teil des negativen Interesses verlangen. Er ist dann so zu stellen, als ob er den Vertrag nur über die mangelhafte oder unvollständige Leistung ge8

Dazu § 10 III 2. Dazu § 10 III 3. 10 Dazu § 11 II. 9

§ 14 Ergebnisse des zweiten Teils

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schlossen hätte. Zweitens kann sich der Gläubiger, der Schadensersatz statt der ganzen Leistung beanspruchen kann, auf den Teilersatz seines leistungsbezogenen positiven Interesses beschränken und im übrigen den Teilersatz des negativen Interesses begehren. Drittens hat der Gläubiger das Recht, den vollen Ersatz des negativen Interesses zu verlangen, wenn er im Rahmen des Schadensersatzes statt der Leistung nur Folge- und Begleitschäden und nicht sein Interesse an der Leistung liquidiert11. b) Zu dem nach § 284 BGB ersatzfähigen Vertrauensschaden gehören fehlgeschlagene Aufwendungen in dem gleichen Umfang, wie sie nach § 122 BGB zu ersetzen sind. Der Ersatz der Gegenleistung und von Verwendungen auf das Leistungsobjekt nach § 284 BGB wird nicht durch das Rücktrittsrecht ausgeschlossen. Darüber hinaus steht dem Gläubiger der Ersatz des entgangenen Gewinns aus einem Alternativgeschäft in analoger Anwendung von § 284 BGB zu12. c) Für den Einwand der Zweckverfehlung aus anderem Grund trägt der Schuldner die Beweislast, wobei ihm jedoch die Beweiserleichterung nach § 287 I ZPO zugute kommt. Der in analoger Anwendung von § 284 BGB zu gewährende Ersatz entgangenen Gewinns aus einem Alternativgeschäft ist so begrenzt wie nach § 122 BGB13. d) Die Billigkeitsklausel in § 284 BGB ist im Sinne der Vorhersehbarkeit zu interpretieren. Darüber hinaus ist die Obliegenheit zur Schadensabwendung oder Minderung nach § 254 II 1 2. Alt. BGB anzuwenden14. 4. Bei unwirksamen obligatorischen Rechtsgeschäften steht dem Gläubiger der Anspruch auf Ersatz des negativen Interesses aufgrund des dem Schuldner zurechenbaren Erklärungstatbestandes als rechtsgeschäftlicher Residualanspruch zu. a) Hierzu gehören zunächst die Fälle der Unwirksamkeit wegen Mängeln des rechtsgeschäftlichen Akts. Dies sind neben den gesetzlich geregelten Fällen der Haftung auf das negative Interesse auch die umstrittenen Konstellationen der Erklärung ohne Erklärungsbewußtsein und der »abhanden gekommenen« Willenserklärung, die den Fällen des Erklärungsirrtums gleichzustellen sind, nicht aber die vorsätzlich falsch übermittelte Willenserklärung, bei der die Zurechnung der Erklärung abzulehnen ist. Ebensowenig kommt eine Haftung auf das negative Interesse beim Dissens in Betracht. Als rechtsgeschäftliche Residualhaftung analog § 122 BGB und nicht als Haftung wegen der Verletzung einer vorvertraglichen Aufklärungspflicht ist indes die Schadensersatzpflicht bei Abgabe einer formnichtigen Willenserklärung zu verstehen15.

11 12 13 14 15

Dazu § 11 III 1. Dazu § 11 III 2. Dazu § 11 III 3. Dazu § 11 III 4. Dazu § 12 II.

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§ 14 Ergebnisse des zweiten Teils

b) In den Fällen der Unwirksamkeit des Rechtsgeschäfts wegen fehlender Anerkennung des Rechtsgeschäftsinhalts ist die Haftung analog § 122 BGB gleichfalls der Konstruktion einer Haftung für c.i.c. vorzuziehen16 . c) Ist ein Rechtsgeschäft wegen der Schutzbedürftigkeit des Rechtsgeschäftssubjekts unwirksam, scheidet eine Haftung des Schutzbedürftigen allerdings aus17. 5. Jenseits des Rechtsgeschäfts ist eine auf den Ersatz des negativen Interesses gerichtete Haftung für vor- und außervertragliche Selbstbindungen anzuerkennen. a) Dies gilt zunächst für die Haftung für das Scheitern der Vertragsanbahnung. Hier ist die verschuldensunabhängige, allein an die grundlose Verweigerung eines zugesicherten Vertragsschlusses geknüpfte Schadensersatzpfl icht als Sanktion für einen vorvertraglichen Selbstbindungstatbestand zu verstehen, die ihre Grundlage in der analogen Anwendung von § 122 BGB hat18. b) Ebenso verhält es sich bei der Haftung für nicht erwartungsgerechte Verträge oder Leistungen. Hier steht neben der quasi-deliktischen Haftung für die Verletzung von Aufklärungs- und Wahrheitspflichtverletzungen die quasi-vertragliche Haftung für übernommene und fehlerhaft durchgeführte Beratung. Beide sind Ausdruck der Haftung wegen c.i.c. Die Beratungshaftung ist indes neben der vertraglichen Haftung anwendbar, während dies bei der Haftung für die Verletzung von Aufklärungs- und Wahrheitspflichten nicht der Fall ist19. c) Im Bereich der Dritthaftung ist die Figur der außervertraglichen Selbstbindung schließlich am Beispiel der Haftung für fehlerhafte Sachverständigengutachten aufgezeigt worden. Eine Präzisierung der nunmehr auf die Grundlage von § 311 III 2 BGB zu stellenden Haftung gelingt, wenn man den Tatbestand der Inanspruchnahme von besonderem Vertrauen nach den für die Auslegung von Rechtsgeschäften maßgeblichen Kriterien konkretisiert 20.

16 17 18 19 20

Dazu § 12 III. Dazu § 12 IV. Dazu § 13 II. Dazu § 13 III. Dazu § 13 IV.

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Sachverzeichnis

Abbruch der Vertragsverhandlungen 6 f., 205 ff. – bei formbedürftigen Verträgen 503, 516 – im Common Law 490 ff. – im Vergabeverfahren 503 – triftiger Grund 514 – Versprechen 511 Abtretung eines GmbH-Geschäftsanteils 470 Adäquanztheorie 270 ff. Adverse Selektion 139 ff. Affektionsinteresse 3 Fn. 6, 381 Allgemeines Lebensrisiko 269, 323 Anfechtung 308 ff., 454, 472 Angebot 211 f. Angebotskosten 290 Arbeitskraft, eigene 421 Arglistige Täuschung 451 Aufklärungsanstrengungen 145, 181 Aufklärungspfl icht, vorvertragliche 6, 277, 527 ff. Aufwendungen, fehlgeschlagene s. fehlgeschlagene Aufwendungen Aufwendungsersatz nach § 284 BGB 3 ff. – Abhängigkeit von normativitätsstiftendem Verhalten 392 ff. – anstelle des kleinen Schadensersatzes 398 f. – anstelle des leistungsergänzenden Schadensersatzes 378 f., 408 – Kombinierbarkeit mit Schadensersatz statt der Leistung 404 ff. – nach der Schuldrechtsreform 367 ff. – systematische Einordnung 367 ff. – teleologische Korrektur 386 ff., 392 ff., 395 ff., 401 f., 420 – Umfang 415 ff. – Verhältnis zum Ersatz des entgangenen Gewinns 301 f. – Verhältnis zum Rücktritt 395 ff., 416 ff.

– Verhältnis zum Schadensersatz statt der Leistung 402 ff., 411 ff. Ausschlußprinzip 337 Bargain-Theorie 47 Behauptungslast 272 ff. beneficial reliance 141 Fn. 14, 142 benefit of the bargain 56 Fn. 163 Beratungsvertrag 523 ff. Besitzeffekt 186 Betroffenheit 274 Beweiserleichterung 278, 466 Beweislast 272 ff., 321 f., 325, 422 ff. Beweislastumkehr 276 Beweismaß 273 ff., 276, 278, 279, 325, 406, 422 ff. Beweisprobleme 188, 346 ff. – im amerikanischen Recht 358 f. Billigkeitsklausel 426 ff. bona fides 37 f. Bote 456 – Erklärungsbote 460 breach subsidy 162 ff. Coase-Theorem 60 Code Européen des Contrats 364 ff., 448 f. consideration 47 f., 494 ff. contemplation rule 339, 340, 342, 429 Fn. 327 contributory negligence 337 corporate governance 127 culpa in contrahendo 5 ff., 303 ff., 333, 353 f. – gemeinrechtliche Kritik 37 – in den Unidroit-Principles 491 Fn. 16 – im UN-Kaufrecht 491 Fn. 16 – nach Jhering 26 ff., 32 f., 196 f. – Verhältnis zum Gewährleistungsrecht 525 Culpakompensation 332

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Dachbodenfall 537 ff. Deckungskauf 189 detrimental reliance 257, 141 Fn. 14, 143 Differenzhypothese 257 discrete transaction 122 f. Diskothekenfall 286 f. dolus causam dans 309 dolus incidens 309 Drittberechtigung 539 Dritthaftung 539 Droschkenkutscherfall 344 Edelmannsfall 232, 510 Effizienter Vertragsbruch 175, 178 ff. Eigenschaftsirrtum 456, 413 f. Empfängerhorizont 172, 203, 455 English rule 446 Entgangener Gewinn 17 f., 277 ff., 297 ff., 320 ff., 389, 420, 424 ff. Entscheidungsfreiheit, rechtsgeschäftliche 305 f., 311 f equitable estoppel 494 Erfüllungsanstrengungen 144, 181 Erfüllungsinteresse 434 ff., 470 Erfüllungsvorsorge 182 Erfüllungszwang 107 f., 135, 180 Erhaltungsinteresse s. Integritätsinteresse Erklärung ohne Erklärungsbewusstsein 456 ff. Erklärungshaftung 469, 477 ff. Erklärungsirrtum 27, 30 f., 454 ff. Erklärungskosten 290 f. Erklärungstheorie 35 f. Erwartung – intersubjektive 84 ff. – kognitive 15 ff. – normative 16, 65, 110 ff., 168, 275, 453 essential reliance 273, 283 expectation interest 50, 56, 299, 445, 498 ff. – promise-based liability 58 expenditures 259 – made in performance 284 Expertise, mitwandernde 544 externe Effekte 153 Fn. 48 falsa demonstratio non nocet 275 Fn. 106 Falschübermittlung 27, 30 f. Falsifikationsrisiko 170 falsus procurator – Rechtsnatur der Haftung 461 f.

Fehlgeschlagene Aufwendungen 3, 165 f, 280 ff., 327 – als Bemessungsgrundlage für das positive Interesse 296 f. – als Teil des negativen Interesses 262 ff., 382 ff. – anlässlich des Vertragsschlusses 289 – des Gläubigers eines deliktischen Anspruches 374 – im Common Law 259 f., 292 f. – nach Vertragsschluss 281 ff. – out-of-pocket costs s. dort – s. auch Aufwendungsersatz – Schadensminderungsobliegenheit 337 ff. – Vornahme als Mitverschulden 430 ff. – Vertragsanbahnung 7 – vorvertragliche, stornierbare 294 f. – vor Vertragsschluss 292 ff. – Warnobliegenheit des Gläubigers 345 f, 428 ff.. Fixkosten des Gläubigers 295 f., 302 Flumes Lehre 72 Folk-Theorem 226 Formmängel 463 ff. Fremdbindung 109 f. Frustrationslehre 265 f., 297, 366, 372 ff. Funktionalistische Sicht 68 f. gains prevented 298 f. Garantiehaftung 414 f. Gefangenendilemma 118 Geltungstheorie 70 ff. Gerichtliche Durchsetzung 187 ff. Geschäftsunfähigkeit – bei Bähr 36, 483 f. – bei Jhering 31 f., 483 f. good faith and fair dealing 492 f. Haftung für ein formnichtiges Rechtsgeschäft 468 Haftung wegen einer Aufklärungspfl ichtverletzung 463 Haftungsausschluß – bei formwidrigem Leistungsversprechen 470 ff. – bei schuldloser Unkenntnis des Formerfordernisses 473 ff. – bei Veranlassung des Mangels durch Erklärungsempfänger 334 ff. – bei Verschulden des Erklärenden 333 f.

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– wegen Kenntnis oder Kennenmüssen 331 ff. – wegen ordnungsgemäßer Erfüllung des hypothetischen Leistungsanspruchs 331 Haftungsbegrenzung – durch Angemessenheitskontrolle 346 ff. – Umfang 482 Hand-Formel 147 Fn. 29 Holdup-Situation 208 homo oeconomicus 114 ff. – bounded rationality 116 – normative Grenzen 130 f., 202 – Verhaltensrationalität 116 f. – Verfassungskonformität 133 homo sociologicus 130 Hyperrationalität 224 Hypothetische Kausalität s. Kausalität Hypothetischer Verlust 279 Hypothetischer Vertrag 313 ff. incidental reliance 273, 285, 288 Informationsasymmetrie 150, 269, 332, 441 Informationshaftung 303 f. – vorvertragliche 521 ff. Informelle Selbstverpflichtung 127 ff. Inhaltsirrtum 454 ff. Inhaltskontrolle 478 Integritätsinteresse 12 ff., 41 f., 319 f. Interesse – als Inhalt der Schadensersatzpfl icht 255 ff. – Affektionsinteresse s. dort – Erhaltungsinteresse s. Integritätsinteresse – immaterielles 325 ff., 381 f., 481 – Integritätsinteresse s. dort – negatives s. dort – positives s. dort Interessenwahrende Verträge 535 Intersubjektive Erwartung s. Erwartung Irokoholzfall 523 f. Irrtum 29 ff. – Eigenschaftsirrtum s.dort – Erklärungsirrtum s. dort – Motivirrtum s. dort – nach Savigny 29 f. – über die Leistungsfähigkeit 412 ff. – Übermittlungsirrtum s. dort

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Juristische Personen des öffentlichen Rechts 485 f. Kaldor-Hicks-Kriterium 197 Fn. 86 Kartelle 228 Kategorischer Imperativ 92 f. Kausalität 265, 272 ff., 282, 309 – haftungsausfüllende 275 – haftungsbegründende 275 – hypothetische 264, 279, 324, 422 f. Kennenmüssen 333 f. Kleiner Schadensersatz – Verhältnis zum Aufwendungsersatz 398 f. Kognitive Erwartung s. Erwartung Kommunale Selbstverwaltungskörperschaften 485 f. Komplementarität 330 Kontrahierungszwang 294, 322 Kosten-Nutzen-Bilanz 143 Kreditsystem 54 f. laesio enormis 105 f. Lehre vom normativen Willen 80 f. Lehre von der Anerkennung 103 f. Leistungsversprechen 435 ff. lemons-Problem 150 Linoleumrollenfall 41 loss of the bargain 56 Fn. 163 lost opportunity 299 Luisinlichtfall 354 majoritarian default rule 209 Mangelfolgeschaden 408 Marginale Werte 146 f. Markenprodukte 231 Markt 112 ff. – Defizite 114 – homo oeconomicus s. dort – negative Freiheit 113 ff., 137 Marktakteure 132 f. Marktförmige Kooperation 201 ff. Markttransparenz 229 Marktversagen 152 f. Marktzutrittsschranken 229 Menschenbild 133 Mineralwasserquellenfall 314 ff. misrepresentation 493 Mitleidstheorie 79 Fn. 58 Mitverschulden 332, 333, 336, 430 ff., 481

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Monopolrenten 229 Moralischer Pluralismus 89 Motivirrtum 29 Nash-Gleichgewicht 225 Naturalrestitution 17, 261 ff. – bei nicht erwartungsgerechten Verträgen 317 – durch Geldzahlung 262 – für Verlust der Dispositionsmöglichkeit 263 f. – immaterieller Schäden 262 f. Negative Vertragsabschlussfreiheit 212, 466 ff. Negatives Interesse – Abgrenzung 14 f., 19, 316 f. – als Culpa-Haftung 439 ff. – als Garantiehaftung 439 ff. – Begrenzung durch positives Interesse 323 ff., 387 f., 413 ff., 425 f. – Berechnung 317 – Ersatz bei wirksamen obligatorischen Rechtsgeschäften 349 ff. – Grenzen 322 ff. – im Common Law 356, 442 ff. – nach Jhering 437 ff. – nach Windscheid 437 ff. – reliance interest s. dort – Residualinteresse 433 ff. – Teilersatz 399, 404 ff. – Umfang 253 ff. – Vertragsbruchsanktion 54 ff. – Vertrauenshaftung 62 neminem-laedere-Formel 43 Nettoschaden 236 Neues Schuldrecht – c.i.c. 487 f. – Werbeaussagen i. S. d. § 434 I 3 BGB 242 f. Nichterfüllungssanktion s. Vertragsbruchsanktion Nichterfüllungsschaden, immaterieller 3, 188, 364 ff., 372 ff. non liquet 277 Normative Erwartung s. Erwartung Normative Zahlungsbereitschaft des Gläubigers 381 f. Normativitätsstiftendes Verhalten 16 f., 65, 167 Notarielle Beurkundung 470

objective will theory 45 Objektivierende Rechtsgeschäftslehre 78 Oligopolistische Marktstruktur 229 Opportunitätskosten 165, 301 – im Common Law 361 f. Optionstheorie 178 Fn. 11 out-of-pocket costs 165, 259, 280 overreliance 162 ff., 184 Pareto-Effizienz 177, 197 Fn. 85 penalty default rule 209 pollicitatio 89 f. Positiver Schaden 317 Positives Interesse – Abgrenzung 19, 316 – als Haftungsbegrenzung 287, 323 ff, 387 f., 469, 477 f. – als Nichterfüllungsschaden 52 ff. – bei c.i.c. 517 ff. – bei Fuller 51 ff. – Ermittlung 325 ff. – erster handgreiflicher Schaden 419 – expectation interest 498 ff. – hypothetische Schutzlosigkeit 328 ff. – im Common Law 359 ff. – in der amerikanischen Lehre 44 ff. – leistungsübersteigendes 407 f., 420 f. – Selbstbindung als Haftungsgrund 62 – Teilersatz 404 ff. Postulat der praktischen Vernunft 96, 99 Preis, bereits gezahlter 283 promise 495 ff. promissio 90 promissory estoppel 48 f., 193 f., 445 ff., 492 ff. public policy 435, 444 ff. Rechtmäßiges Alternativverhalten 324 Rechtsgeschäftliche Residualhaftung 476 Regulierung durch Vertragsrecht 57 relational contract 122 f., 229 reliance interest 49 ff., 56, 280, 284 f., 292 f., 298 f., 357 ff, 444 ff., 498 ff. – nach Fuller 49 ff. – reliance-based liability 58 Rentabilitätsvermutung 189, 190 f., 282 ff., 328, 353, 363 Fn. 66, 369 ff., 408 f., 410 reputational monitoring 231 Reputationsverlust – als „deadweigth loss“ 234

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Reserveursache s. Kausalität, hypothetische Residualsanktion 433 ff. restitution interest 50, 56, 284, 446 – benefit-based liability 58 Reurechtsausschluß 309 f. Rückabwicklung nicht erwartungsgerechter Verträge 303 ff., 312, 421 Rücktritt – Verhältnis zum Schadensersatz 395 ff., 419 f. Rücktrittsrecht 307 f. Rückwärtsinduktion 225 Sachverständigengutachten 535 ff. Schadensersatz – Geldentschädigung 258 ff., 318 f. – neben der Leistung 409 f. – s. kleiner Schadensersatz – statt der Leistung 307, 391, 409 f., 432 Fn. 339 – statt des Defizits 398 – Verhältnis zum Rücktritt 395 ff., 419 f. – wegen Nichterfüllung 403 Schadensminderungsobliegenheit 337 ff. Schadenspositionen 279 ff. Schadensrechtliche „Minderung“ 320 f. Schadenszurechnung 264 ff. Schaufensterauslage 513 Scherzerklärung 268 f., 453 f. Schriftformerfordernisse 229, 446, s. auch Statute of frauds Schuldrechtsreform 367 ff., 386 ff., 436 – Abbruch der Vertragsverhandlungen 501 ff. – Sachverständigengutachten 536 Schutzzweckzusammenhang 266 ff., 323 ff., 422 – Verhältnis zur Adäquanztheorie 271 f. screening 153, 153 Fn. 46 Selbstbestimmung 71 ff. – Normativierung 79 ff. – Kombinationslehre 81 ff. Selbstbindung 5 ff., 51, 65 ff., 136, 508 ff. – außerhalb des Marktes 124 ff. – außerrechtsgeschäftliche 7 f., 487 ff. – Begriff 16 – bei Kant 92 ff. – ethische Legitimation 78 – funktionalistische Sicht 68 f., 107 ff.

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– informelle 128 f. – nach Hegel 100 ff., 105 f. – nach Köndgen 83 ff. – nach Pawlowski 79 ff. – ohne Vertrag 44 – soziale 83 ff., 512 – versprechensethische Sicht 68 ff., 136 – vorvertragliche 294 – Zurechnungssubjekt 66 ff. Selbstverantwortung 72 ff. Sich selbst durchsetzende Vereinbarung 224 ff. signaling 153 Sittenwidrigkeit 475 f., 478 f. social norms 221 socio-legal studies 57 Sonderverbindung 43 Soziale Selbststeuerung 203 ff. Spekulationsrisiko 325 Sperrwirkung der Gewährleistunsgregeln 523 Spieltheorie 118, 224 ff. split claims 404 Stadthallenfall 286 f., 295, 326, 371 Statute of frauds 229, 446 f. Superspiel 226 surplus-enhancing reliance s. incidential reliance Surrogationsmethode 396 Fn. 189, 397 Tischreservierung 513 Fn. 112 Tit-for-tat-Strategie 226 Totalreparation 253 Transaktionskosten – Vertragsrecht 120 f. Trierer Weinversteigerung 456 Trigger-Strategie 226 Übereilungsschutz durch Formvorschriften 517 Übermittlungsirrtum 456 undue bargaining power 214 Unmöglichkeit – anfängliche 330, 391 Fn. 175, 412 ff., 479 f. – bei Bähr 36 – bei Jhering 31 f. – nachträgliche 411 f. Unterkompensation des Gläubigers 350 ff. Unternehmenskauf 313, 322, 535

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Unwirksame AGB-Klausel 475 f. Unwirksame Rechtsgeschäfte 433 ff., 477 ff. Unwirksamkeit wegen fehlender rechtlicher Anerkennung 475 ff. Unwirksamkeit wegen Mängeln 450 ff. – Dissens 462 f. – fehlende Vertretungsmacht 460 ff. – Formmängel 463 ff. – Willensmängel 451 ff. Variable Kosten 301 Veranlassungsprinzip 335 Verborgene Information 151 Verbot widersprüchlichen Verhaltens 322 Verbotswidrigkeit 479 f. Verbraucherdarlehensverträge 473 Verbraucherschutz 484 f. Verfügungsgeschäft 480 Vergabeverfahren, fehlerhaftes, 503 f., 512 Verkehrsschutzprinzip 81 Verlöbnis, Ersatzpfl icht bei Rücktritt 346 ff. Verpfl ichtungsgeschäft 480 Versendungskauf 181 Versicherungseffekt 159 Versprechen 23 – als Haftungsgrund 392 – bei Kant 92 f. – bei Grotius 89 ff. – normative Erwartung 108 – Ökonomik 141 ff. – Übertragung 89 f. Versprechensethische Sicht 68 ff., 74 ff. – bei Canaris 75 – bei Larenz 76 – bei Lobinger 76 f. Versprechensübertragung 89 Versteckter Dissens 463 Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte 536 Vertragsanbahnung 7, 33, 41, 204 ff. Vertragsanpassung 312 ff. Vertragsaufhebung s. Rückabwicklung nicht erwartungsgerechter Verträge Vertragsbruchsanktion – Effizienz 119 f. Vertragsfreiheit 466 ff. – Abschlussfreiheit 504 – negative 212 – Unvereinbarkeit mit Aufklärungspfl icht 466 ff.

Vertragskosten 412 Vertrauenshaftung 42 ff. – nach Atiyah 58 f. – nach Canaris 43 – nach Windscheid 37 f. – staatliche Selbstverpfl ichtung 127 Vertrauensinteresse 11, 470, s. negatives Interesse Vertrauenskosten 257, 259 Vertrauensschaden 450 ff., 458 f. Vertrauenstatbestand 383 Verwendungsersatz 416 ff. Vollkommener Wettbewerb 174 ff., 299 Vollständiger Vertrag 60, 177 Fn. 8 Vorhersehbarkeitsregel des Common Law s. contemplation rule Vorsorgeaufwendungen 182 Vorvertragliche Anreizwirkung 184 Vorvertragliche Aufklärungspfl icht s. Aufklärungspfl icht Vorvertragliche Informationshaftung 219 Vorvertragliche Loyalitätspflichten 213 Vorvertragliche Schutzpfl ichtverletzung 475 ff. Vorvertragliches Schuldverhältnis 467 f. – heteronom begründete Pfl ichten 527 Warnobliegenheit 339 ff., 429 f. Weinsteinsäure-Entscheidung 462 f. Weiterverkauf, hypothetischer, 188 Werbeaussagen des Verkäufers 533 Wertdifferenz zwischen Leistung und Gegenleistung 317 ff. Widerrechtliche Drohung 451 f. Widerruf des Angebots 31 f. Widerruf von Haustürgeschäften 484 Willensdogma 27 ff. Willenserklärung 71 ff. – abhandengekommene 458 ff. – normative Auslegung 455 ff. – vorsätzlich falsch übermittelt 460 Willensmangel 29 Willensprinzip 107 Willenstheorie 62, 70, 4 – objektive s. dort – Objektivierung 79 f. windfall profit 161, 269 Wohl-und-Wehe-Formel 536 Wucher 478 f.

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Zurechnung des Erklärungstatbestands 457 ff.

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Zweckverfehlung – als Haftungsbegrenzung 400, 406, 421 ff.