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German Pages 258 Year 2016
Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 461
Der Schutz des Leiharbeitnehmers vor dem Entleiher Von
Xianbei Li
Duncker & Humblot · Berlin
XIANBEI LI
Der Schutz des Leiharbeitnehmers vor dem Entleiher
Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 461
Der Schutz des Leiharbeitnehmers vor dem Entleiher
Von
Xianbei Li
Duncker & Humblot · Berlin
Der Fachbereich Rechtswissenschaft der Friedrich-Alexander-Universität NürnbergErlangen hat diese Arbeit im Jahre 2015 als Dissertation angenommen.
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Vorwort Die Arbeitnehmerüberlassung unterliegt zahlreichen Reglementierungen durch das deutsche AÜG sowie die europäische Leiharbeitsrichtlinie 2008 / 104 / EG. Im Vordergrund stand dabei stets der Blickwinkel, wie der Leiharbeitnehmer durch den Entleiher geschützt werden kann, was etwa die Diskussion um den Grundsatz der Gleichbehandlung von Leiharbeitnehmern und Stammarbeitnehmern im Entleiherbetrieb zeigt. Die vorliegende Untersuchung nimmt sich eines anderen Problembereichs an, der bislang in der rechtswissenschaftlichen Diskussion nicht im Fokus stand. Es geht um die Frage, inwiefern der Leiharbeitnehmer vor dem rechtlichen Zugriff des Entleihers geschützt werden muss und kann. Die vorliegende Arbeit wurde vom Fachbereich Rechtswissenschaften der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg im Juli 2015 als Dissertation angenommen. Mit der mündlichen Prüfung am 23. Februar 2016 wurde das Promotionsverfahren abgeschlossen. Rechtsprechung und Literatur konnten bis April 2016 berücksichtigt werden, insbesondere der aktuelle Referentenentwurf eines Gesetzes zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und anderer Gesetze des BMAS vom 17. Februar 2016. Mein besonderer Dank gilt meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. Steffen Klumpp, der auch das Thema der Arbeit anregte. Herrn Professor Dr. Georg Caspers danke ich für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Von Herzen danke ich meinem Mann Tomislav, der mir viele Denkanstöße gegeben hat und als engagierter Korrekturleser zur Seite stand. Ohne sein Verständnis und seine Unterstützung wäre die Fertigstellung nicht möglich gewesen. Auch danke ich meinen Eltern und meinem Bruder David, die mich auf ihre Weise auf meinem Weg vom Jurastudium zur Promotion begleitet und unterstützt haben. Frankfurt am Main, September 2016
Xianbei Li
Inhaltsübersicht 1. Teil Einführung
19
A. Schutzbedürftigkeit des Leiharbeitnehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 B. Gegenstand und Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 2. Teil Grundlagen
24
A. Arbeitnehmerüberlassung zwischen Reglementierung und Liberalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 B. Anwendungsbereich des AÜG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 C. Rechtsbeziehungen bei der Arbeitnehmerüberlassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 3. Teil
Schutz des Leiharbeitnehmers vor dem Entleiher bei der legalen Arbeitnehmerüberlassung
84
A. Schutz vor Schadensersatzansprüchen des Entleihers . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 B. Haftung des Entleihers gegenüber dem Leiharbeitnehmer . . . . . . . . . . . . . . 107 C. Schutzbedürftigkeit des Leiharbeitnehmers bei Annahmeverzug des Entleihers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 D. Schutz vor Diskriminierung und Ungleichbehandlungdurch den Entleiher . 118 E. Schutz vor Mobbing im Entleiherbetrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 F. Erfindungen des Leiharbeitnehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 G. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143
8 Inhaltsübersicht 4. Teil
Schutz des Leiharbeitnehmers vor dem Entleiher bei der illegalen Arbeitnehmerüberlassung
146
A. Schutz des Leiharbeitnehmers vor dem Entstehen eines fingierten Arbeitsverhältnisses gemäß § 10 Abs. 1 AÜG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 B. Schutzbedürftigkeit des Leiharbeitnehmersim Rahmen des fingierten Arbeitsverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 C. Feststellung des Bestehens bzw. des Nichtbestehens eines fingierten Arbeitsverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 5. Teil
Zusammenfassung der Ergebnisse in Thesen
234
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256
Inhaltsverzeichnis 1. Teil Einführung
19
A. Schutzbedürftigkeit des Leiharbeitnehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 B. Gegenstand und Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 2. Teil Grundlagen
24
A. Arbeitnehmerüberlassung zwischen Reglementierung und Liberalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 I. Nationaler Rechtsrahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 II. Einfluss der europäischen Harmonisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 1. Bereits umgesetzte Inhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 2. Umsetzungsbedürftige Inhalte und deren Umsetzung im AÜG . . . . 31 3. Notwendigkeit richtlinienkonformer Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 B. Anwendungsbereich des AÜG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 I. Sachlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 II. Abgrenzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 III. Räumlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 C. Rechtsbeziehungen bei der Arbeitnehmerüberlassung . . . . . . . . . . . . . . . 38 I. Rechtsbeziehungen bei der legalen Arbeitnehmerüberlassung . . . . . . . . 38 1. Überlassungsverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 2. Leiharbeitsverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 3. Beschäftigungsverhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer . 42 a) Rechtsnatur des Beschäftigungsverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . 43 aa) Kein unmittelbarer Leistungsanspruch des Entleihers auf die Arbeitsleistung des Leiharbeitnehmers . . . . . . . . . . . . . . . 45 (1) Leiharbeitsvertrag als unechter Vertrag zugunsten Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 (2) Leiharbeitsvertrag als Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 bb) Unmittelbarer Leistungsanspruch des Entleihers . . . . . . . . . . 48 (1) Konstruktionen echter arbeitsvertraglicher Beziehungen . 48 (2) Leiharbeitsvertrag als echter Vertrag zugunsten Dritter . 50
10 Inhaltsverzeichnis (a) Übereinstimmung mit dem Willen der Parteien . . . . 50 (b) Übereinstimmung mit der gesetzlichen Konzeption des AÜG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 (c) Übereinstimmung mit den §§ 328 ff. BGB . . . . . . . . 53 cc) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 b) Wesensmerkmale des Beschäftigungsverhältnisses . . . . . . . . . . . . 55 aa) Primärleistungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 bb) Weisungsrecht des Entleihers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 cc) Nebenleistungs- und Schutzpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 (1) Begründung von Nebenleistungspflichten . . . . . . . . . . . . 58 (2) Begründung von Schutzpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 (3) Gegenstand der Schutzpflichten im Beschäftigungs verhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 dd) Betriebsverfassungsrechtliche Zuordnung . . . . . . . . . . . . . . . 62 II. Rechtsbeziehungen bei der illegalen Arbeitnehmerüberlassung . . . . . . . 63 1. Fehlen der Überlassungserlaubnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 a) Anfängliches Fehlen der Erlaubnis / Umgehungen durch Scheindienst- bzw. Scheinwerkverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 b) Nachträgliches Wegfallen der Erlaubnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 c) „Nicht nur vorübergehende“ Überlassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 d) Gleichzeitiges Vorliegen weiterer Verstöße gegen das AÜG . . . . 69 e) Abgrenzungen zu nicht erlaubnispflichtigen Konstellationen . . . 70 2. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 a) Unwirksamkeitsfolgen nach § 9 Nr. 1 AÜG . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 aa) Unwirksamkeit des Leiharbeitsvertrags . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 bb) Unwirksamkeit des Überlassungsvertrags . . . . . . . . . . . . . . . 74 b) Fiktion eines Arbeitsverhältnisses zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer nach § 10 Abs. 1 AÜG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 aa) Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 bb) Sonstige Folgen des § 10 AÜG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 cc) Schicksal des Beschäftigungsverhältnisses zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 c) Normzweck der §§ 9 Nr. 1, 10 Abs. 1 AÜG . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 aa) Schutz des Leiharbeitnehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 bb) Kontroll- und Sanktionsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 3. Teil
Schutz des Leiharbeitnehmers vor dem Entleiher bei der legalen Arbeitnehmerüberlassung
84
A. Schutz vor Schadensersatzansprüchen des Entleihers . . . . . . . . . . . . . . . 85 I. Durch den Leiharbeitnehmer verursachte Schäden . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 1. Verletzung des Integritätsinteresses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86
Inhaltsverzeichnis11 2. Verletzung des Erfüllungsinteresses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 a) Nichtleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 aa) Abwicklung eines Schadens aus Nichtleistung in den jeweiligen Vertragsverhältnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 (1) Anspruch des Entleihers gegen den Verleiher . . . . . . . . 89 (2) Anspruch des Verleihers gegen den Leiharbeitnehmer . . 91 bb) Ansprüche des Entleihers gegen den Leiharbeitnehmer . . . . . 92 cc) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 b) Schlechtleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 aa) Mittel des Entleihers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 bb) Abwicklung des Schadens aus Schlechtleistung . . . . . . . . . . 95 (1) Abwicklung im Beschäftigungsverhältnis . . . . . . . . . . . . 96 (2) Lösungsansätze der Gegenauffassungen . . . . . . . . . . . . . 97 (a) Haftung wegen Verletzung von Sorgfaltspflichten . . 98 (b) Drittschadensliquidation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 (c) „Schadensliquidation zugunsten Dritter“ . . . . . . . . . 100 (d) Haftungslücken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 II. Haftungsbegrenzung zugunsten des Leiharbeitnehmers . . . . . . . . . . . . . 102 1. Grundsatz der arbeitsrechtlichen Haftungsbegrenzung . . . . . . . . . . . . 102 2. Anwendbarkeit der Haftungsbeschränkung im Beschäftigungs verhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 B. Haftung des Entleihers gegenüber dem Leiharbeitnehmer . . . . . . . . . . . 107 I. Haftung des Arbeitgebers für Schäden an Rechtsgütern des Arbeit nehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 II. Haftung des Entleihers für Schäden an Rechtsgütern des Leiharbeitnehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 1. Haftung für Personenschäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 2. Haftung für Sachschäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 C. Schutzbedürftigkeit des Leiharbeitnehmers bei Annahmeverzug des Entleihers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 I. Möglichkeit eines Annahmeverzugs des Entleihers gegenüber dem Leiharbeitnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 1. Leistungsansprüche des Entleihers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 2. Angebot der Leistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 3. Abwicklung im Dreiecksverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 II. Behandlung des Annahmeverzugs des Entleihers nach den Gegen positionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 D. Schutz vor Diskriminierung und Ungleichbehandlungdurch den Entleiher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118
12 Inhaltsverzeichnis I. Pflichten des Arbeitgebers unter dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 1. Arbeitgeberstellung des Entleihers nach § 6 Abs. 2 Satz 2 AGG . . . 119 2. Schutz vor Auswahldiskriminierung im Vorfeld der Überlassung . . . 120 a) Schutz vor mittelbarer Auswahldiskriminierung durch den Entleiher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 b) Rechtfertigung einer Benachteiligung nach § 8 Abs. 1 AGG . . . . 121 3. Schutz vor Diskriminierung im Entleiherbetrieb während der Überlassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 II. Arbeitsrechtlicher Gleichbehandlungsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 1. Anknüpfungspunkt der Gleichbehandlung von Leiharbeitnehmern durch den Entleiher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 2. Anwendungsbereiche des Gleichbehandlungsgrundsatzes . . . . . . . . . 128 a) Leistungen und Gratifikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 b) Zugang zu Betriebseinrichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 c) Ausübung des Weisungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 III. Exkurs: Pflicht des Arbeitgebers zur Berücksichtigung schwerbehinderter Menschen nach § 81 SGB IX . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 E. Schutz vor Mobbing im Entleiherbetrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 I. Rechtliche Erfassung von Mobbing am Arbeitsplatz . . . . . . . . . . . . . . . 134 1. Ansprüche gegen den Handelnden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 2. Zusätzliche Ansprüche gegen den Arbeitgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 II. Ansprüche des Leiharbeitnehmers bei Mobbing im Entleiherbetrieb . . 137 III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 F. Erfindungen des Leiharbeitnehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 I. Behandlung von Erfindungen nach dem ArbnErfG . . . . . . . . . . . . . . . . 139 II. Stellung des Entleihers als Arbeitgeber im Sinne des ArbnErfG nach § 11 Abs. 7 AÜG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 1. Anwendbarkeit des § 11 Abs. 7 AÜG auf freie Erfindungen . . . . . . 141 2. Arbeitgeberstellung des Verleihers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 G. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 4. Teil
Schutz des Leiharbeitnehmers vor dem Entleiher bei der illegalen Arbeitnehmerüberlassung
146
A. Schutz des Leiharbeitnehmers vor dem Entstehen eines fingierten Arbeitsverhältnisses gemäß § 10 Abs. 1 AÜG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 I. Interessenlage beim fingierten Arbeitsverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 1. Typische Interessenlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 2. Atypische Interessenlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149
Inhaltsverzeichnis13 II. Verfassungsrechtliche Dimension der gesetzlichen Fiktion eines Arbeitsverhältnisses nach § 10 Abs. 1 AÜG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 1. Eingriff in einen grundrechtlich geschützten Bereich . . . . . . . . . . . . 152 a) Bestimmung der betroffenen Schutzbereiche . . . . . . . . . . . . . . . . 152 aa) Privatautonomie im Arbeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 (1) Bereichsspezifischer Schutz durch Art. 12 GG . . . . . . . . 153 (a) Wechsel in der Person des Arbeitgebers . . . . . . . . . 155 (b) Änderung der Arbeitsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . 157 (2) Konkludente Billigung eines Vertragsverhältnisses durch den Leiharbeitnehmer? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 (3) Qualifikation einer Schutznorm als Eingriffsnorm . . . . . 160 bb) Menschenwürde des Arbeitnehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 b) Eingriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 c) Zwischenergebnis zum Eingriff in einen grundrechtlich geschützten Bereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 2. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 a) Legitimer Gemeinwohlzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 aa) Schutz illegal überlassener Leiharbeitnehmer . . . . . . . . . . . . 165 bb) Sanktion und Prävention illegaler Arbeitnehmerüberlassung . 166 b) Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 aa) Geeignetheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 bb) Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 cc) Angemessenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 (1) Bestehende Möglichkeiten der Loslösung vom fingierten Arbeitsverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 (2) Gegenüberstellung der abzuwägenden Rechtsgüter . . . . 171 (a) Arbeitsvertragsfreiheit des illegal überlassenen Leiharbeitnehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 (b) Schutz des illegal überlassenen Leiharbeitnehmers durch § 10 Abs. 1 AÜG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 (aa) Verfassungsrang des Arbeitnehmerschutzes . . . 172 (bb) Verfassungsrang des durch § 10 Abs. 1 AÜG bezweckten Leiharbeitnehmerschutzes . . . . . . . 175 (c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 (3) Abstrakte Abwägungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 (a) Schutz des Arbeitnehmers vor fremdbestimmtem Arbeitnehmerschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 (aa) Entwicklung des Widerspruchsrechts beim Betriebsübergang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 (bb) Neuinterpretation des Günstigkeitsprinzips . . . 183 (b) Grenzen der Selbstbestimmung: Selbstschädigung und Schädigung Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 (c) Abwägungsleitlinie: In dubio pro Selbstbestimmung . 188 (4) Abwägung im konkreten Fall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190
14 Inhaltsverzeichnis c) Zwischenergebnis zur verfassungsrechtlichen Rechtfertigung des Eingriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 3. Verfassungskonforme Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 a) Grenzen und Vorgaben der verfassungskonformen Auslegung . . 194 aa) Normtext als Grenze der verfassungskonformen Auslegung . 194 bb) Normzweck als Grenze der verfassungskonformen Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 (1) Gefährdung des Normzwecks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 (2) Eröffnung eines Missbrauchspotentials (durch Einflussnahme des Entleihers auf den Leiharbeitnehmer) . . . . . . 196 cc) Vorgaben durch höherrangiges Recht: Erfordernis von effektiven Sanktionsnormen gemäß Art. 10 der Leiharbeitsricht linie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 dd) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 b) Entwicklung eines Widerspruchsrechts im Wege der verfassungs konformen Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 aa) Sinnhaftigkeit eines Widerspruchsrechts als reines Lösungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 (1) Widerspruchsrecht als Kombination aus Lösungsrecht und Verbleibsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 (2) Sinnhaftigkeit eines Widerspruchsrechts bei Umwandlungsvorgängen im Fall des Erlöschens des übertragenden Rechtsträgers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 bb) Verbleibsmöglichkeit beim Verleiher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 (1) Rechtliche Verbleibsmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 (2) Keine Überwindung des § 9 Nr. 1 AÜG . . . . . . . . . . . . . 204 cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 c) Außerordentliches Kündigungsrecht als rechtliches „Minus“ zum Widerspruchsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 aa) Außerordentlicher Kündigungsgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 bb) Vergleich eines hypothetischen Widerspruchsrechts mit einem außerordentlichen Kündigungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . 209 (1) Unterschiedliche Ausübungsfristen . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 (2) Rückwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 (3) Schadensersatzpflicht nach § 628 Abs. 2 BGB . . . . . . . . 211 cc) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 d) Zwischenergebnis zur verfassungskonformen Auslegung . . . . . . . 213 4. Ergebnis zur verfassungsrechtlichen Beurteilung der Fiktion eines Arbeitsverhältnisses nach § 10 Abs. 1 AÜG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 III. Schutzbedürftigkeit des Leiharbeitnehmers bei fristloser Kündigung des fingierten Arbeitsverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 1. Abwicklungsbedürftige Bereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 a) Rückständiges Gehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 b) Abgeltung von Urlaubsansprüchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215
Inhaltsverzeichnis15 c) Zeugniserteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 d) Sperrzeit nach § 159 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB III . . . . . . . . . . . . 217 2. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 B. Schutzbedürftigkeit des Leiharbeitnehmersim Rahmen des fingierten Arbeitsverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 I. Bestimmung des notwendigen Schutzniveaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 II. Bedingungen des fingierten Arbeitsverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 1. Dauer des fingierten Arbeitsverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 a) Beginn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 b) Befristung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 c) Beendigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 2. Inhalt des fingierten Arbeitsverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 a) Arbeitstätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 b) Arbeitszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 3. Vergütung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 4. Betriebsverfassungsrechtliche Zuordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 C. Feststellung des Bestehens bzw. des Nichtbestehens eines fingierten Arbeitsverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 I. Feststellung des Bestehens eines fingierten Arbeitsverhältnisses . . . . . . 231 1. Allgemeine Feststellungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 2. Negative Feststellungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 II. Verwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 5. Teil
Zusammenfassung der Ergebnisse in Thesen
234
I. Grundlegendes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 II. Erlaubte Arbeitnehmerüberlassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 III. Unerlaubte Arbeitnehmerüberlassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256
Abkürzungsverzeichnis a. A.
anderer Ansicht
Abs.
Absatz, Absätze
a. F.
alte / r Fassung
Anm. Anmerkung AP
Arbeitsrechtliche Praxis (Nachschlagewerk des Bundesarbeitsgerichts)
ArbG Arbeitsgericht ArbnErfG
Gesetz über Arbeitnehmererfindungen
ArbRB
Der Arbeits-Rechts-Berater (Zeitschrift)
Art. Artikel AuA
Arbeit und Arbeitsrecht (Zeitschrift)
AÜG
Gesetz zur Regelung der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung (Arbeitnehmerüberlassungsgesetz)
AuR
Arbeit und Recht (Zeitschrift)
BAG Bundesarbeitsgericht BB
Betriebsberater (Zeitschrift)
Bd. Band BeckOK
Beck’scher Online Kommentar
Begr. Begründer BetrVG Betriebsverfassungsgesetz BGB
Bürgerliches Gesetzbuch
BGBl. Bundesgesetzblatt BGH Bundesgerichtshof Bsp.
Beispiel, Beispiele
BT-Drs. Bundestagsdrucksache BVerfG Bundesverfassungsgericht BVerfGE
Sammlung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts
bzgl. bezüglich bzw. beziehungsweise DB
Der Betrieb (Zeitschrift)
ders.
derselbe
d. h.
das heißt
Abkürzungsverzeichnis17 Diss.
Dissertation
Einf. v.
Einführung vor
Einl.
Einleitung
ErfK
Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht
EStG Einkommensteuergesetz etc.
et cetera
EU
Europäische Union
EuGH
Europäischer Gerichtshof
EzAÜG
Entscheidungssammlung gesetz
f., ff.,
folgend, folgende
zum
Arbeitnehmerüberlassungs
Fn. Fußnote FS Festschrift GewO Gewerbeordnung GG
Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland
GPR
Zeitschrift für Gemeinschaftsprivatrecht (Zeitschrift)
Habil.-Schr. Habilitationsschrift HGB Handelsgesetzbuch Hrsg.
Herausgeber
hrsg.
herausgegeben
Hs.
Halbsatz
i. d. F.
in der Fassung (vom)
i. S. d.
im Sinne der / des
i. V. m.
in Verbindung mit
KSchG Kündigungsschutzgesetz LAG Landesarbeitsgericht Leiharbeitsrichtlinie Richtlinie 2008 / 104 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19.11.2008 über Leiharbeit, ABl. EU L 327 v. 5.12.2008, S. 9 LG Landgericht lit. litera Ls.
Leitsatz
MünchHdB-ArbR
Münchner Handbuch zum Arbeitsrecht
MünchKomm
Münchner Kommentar
MuSchG Mutterschutzgesetz m. w. N.
mit weiteren Nachweisen
NJW
Neue Juristische Wochenschrift (Zeitschrift)
Nr. Nummer(n)
18 Abkürzungsverzeichnis NZA
Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht (bis 1992 Neue Zeitschrift für Arbeits- und Sozialrecht) RdA Recht der Arbeit (Zeitschrift) Rn. Randnummer S. Seite s. siehe SGB III SGB, 3. Buch: Arbeitsförderung SGB IV SGB, 4. Buch: Gemeinsame Vorschriften für die Sozialver sicherung SGB VII SGB, 7. Buch: Gesetzliche Unfallversicherung SGB IX SGB, 9. Buch: Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen sog. sogenannt(e / en / er / es) TVG Tarifvertragsgesetz TzBfG Gesetz über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge (Teilzeit- und Befristungsgesetz) v. vom, von v. a. vor allem Var. Variante vgl. vergleiche WiB Wirtschaftsrechtliche Beratung (Zeitschrift) WiVerw Wirtschaft und Verwaltung (Beilage zu: Gewerbearchiv) (Zeitschrift) ZfA Zeitschrift für Arbeitsrecht (Zeitschrift) Ziff. Ziffer
1. Teil
Einführung A. Schutzbedürftigkeit des Leiharbeitnehmers Unter Arbeitnehmerüberlassung, auch Zeitarbeit1 oder Leiharbeit2 genannt, versteht man die Überlassung eines Arbeitnehmers (Leiharbeitnehmer) durch den Arbeitgeber (Verleiher) an einen Dritten (Entleiher).3 Der Leiharbeitnehmer wird dabei für die Dauer der Überlassung in den Betrieb des Entleihers eingegliedert und untersteht dessen Weisungen, ohne dass ein Arbeitsverhältnis zum Entleiher besteht.4 Leiharbeit als Form des internen Einsatzes von Fremdpersonal5 ist schon seit geraumer Zeit von großer wirtschaftlicher Bedeutung. Knapp 900.000 Beschäftigte in Deutschland sind derzeit als Leiharbeitnehmer tätig.6 Für Entleiher ist der Einsatz von Leiharbeitnehmern in erster Linie interessant, um Bedarfsspitzen abzufangen, ohne die mit einer Festanstellung einhergehenden Nachteile in Kauf nehmen zu müssen.7 Die Beschäftigung als Leih1 Becker, F., NJW 1971, 691 f.; Reinsch, Das Rechtsverhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer, S. 19 m. w. N. 2 Der Begriff der „Leiharbeit“ widerspricht zwar dem Sprachgebrauch des BGB, wonach Leihe im Sinne des § 598 BGB als unentgeltliche Gebrauchsüberlassung einer Sache verstanden wird. Dennoch hat sich diese Begriffswahl bereits früh im allgemeinen Sprachgebrauch und in der arbeitsrechtlichen Literatur durchgesetzt, vgl. Immenga, BB 1972, 805; BT-Drs. VI/2303, S. 10. 3 Hueck/Nipperdey, ArbR Bd. 1, § 54 IV 1, S. 521 f.; Palandt/Weidenkaff, Einf. vor § 611 Rn. 38; Sandmann/Marschall/Schneider, AÜG Einl. I; Schaub/Koch, ArbR-HdB, § 120 Rn. 5; Thüsing/Waas, AÜG, § 1 Rn. 58; Ulber, AÜG, Einl. lit. A. Rn. 1. 4 BAG v. 30.1.1991 – AZR 497/89, AP Nr. 8 zu § 10 AÜG, III 1 der Gründe; Schüren/Hamann, AÜG, § 1 Rn. 81; MünchKomm-BGB/Müller-Glöge, § 611 Rn. 1278; Boemke, Schuldvertrag und Arbeitsverhältnis, S. 564 f. m. w. N. 5 Hamann, Fremdpersonal im Unternehmen, S. 18. 6 Quelle: Zwölfter Bericht der Bundesregierung über Erfahrungen bei der An wendung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes v. 26.2.2014, BT-Drs. 18/673, Tabelle 13. 7 Vgl. Klebeck, Gleichstellung der Leiharbeitnehmer als Verfassungsverstoß, S. 14 ff. zu den betriebswirtschaftlichen Gründen, Leiharbeitnehmer statt Stammarbeitnehmer zu beschäftigen.
20
1. Teil: Einführung
arbeitnehmer bedeutet zum einen häufig ein geringeres Lohnniveau im Verhältnis zur vergleichbaren Stammbelegschaft,8 zum anderen eine meist kurze Einsatzdauer und damit einhergehend ein häufiger Wechsel von Einsatzbetrieben.9 Daraus folgt, dass Leiharbeitnehmern die Möglichkeit der langfristigen Integration in einen Entleiherbetrieb meist versagt bleibt.10 Die besondere Schutzbedürftigkeit von Leiharbeitnehmern im Verhältnis zu regulär beschäftigten Arbeitnehmern ergibt sich unmittelbar aus dem Umstand, dass ein Leiharbeitnehmer seine Arbeitstätigkeit nicht bei seinem Vertragsarbeitgeber, sondern bei einem Dritten erbringt.11 Aus diesem Drittbezug des Arbeitsverhältnisses ergeben sich Konstellationen, auf die die arbeitsrechtlichen Vorschriften und Rechtsinstitute, die für den Regelfall eines Arbeitsvertrags im Zweipersonenverhältnis konzipiert sind, nicht ohne Weiteres anwendbar sind.12 Hinzu kommt, dass die Zuverlässigkeit von Verleihunternehmen für Leiharbeitnehmer schwer einschätzbar ist, was unter anderem daran liegt, dass der Verleih von Arbeitnehmern mit nur wenigen Betriebsmitteln betrieben werden kann.13 Leiharbeitnehmer werden in der Regel auch nicht in den Verleiherbetrieb eingegliedert. Diese atypische Arbeitgeberstellung führt zu dem Risiko, dass unseriöse Verleiher auf dem Markt agieren können. Diesem Schutzbedürfnis trägt die detaillierte gesetzliche Regelung der Arbeitnehmerüberlassung durch das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) Rechnung.14 Kernelement des mit dem AÜG verfolgten sozialen Schutzes von Leiharbeitnehmern ist die gewerberechtliche Vorschrift des § 1 AÜG, wonach die Arbeitnehmerüberlassung erlaubnispflichtig ist. Die Bedeutung der Erlaubnispflicht wird unter anderem daran deutlich, dass auf dem Vorblatt des AÜG-Gesetzesentwurfs der Bundesregierung die Einführung der Erlaubnispflicht als „B. Lösung“ überschrieben wird, um auf die bestehenden Missstände der zunehmend relevanten Arbeitnehmerüberlassung zu re8 Wank,
RdA 2003, 1, 3; BT-Drs. 14/4220, S. 15 und S. 26 (DGB-Stellungnahme). die Hälfte der Überlassungen erfolgt für eine kurze Dauer von bis zu drei Monaten, vgl. Zwölfter Bericht der Bundesregierung über Erfahrungen bei der Anwendung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes v. 26.2.2014, BT-Drs. 18/673, S. 29 und Tabelle 10. 10 Vgl. Wank, RdA 2003, 1, 4; BT-Drs. 14/4220, S. 15. 11 Vgl. Löwisch/Caspers/Klumpp, ArbR, Rn. 894; Erbs/Kohlhaas/Ambs, AÜG, Vorbem. Rn. 3. 12 Gick, Gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung, S. 81. 13 Lembke, BB 2010, 1533, 1533. 14 Der Schutz von Leiharbeitnehmern vor potentiell unzuverlässigen Verleihfirmen, die sich nicht an gesetzliche Vorschriften halten, stand auch bei der gesetz lichen Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung stets im Fokus, vgl. BT-Drs. VI/2303, S. 11; BT-Drs. 14/4220, S. 19; BT-Drs. 13/5498, S. 25. 9 Fast
A. Schutzbedürftigkeit des Leiharbeitnehmers 21
agieren.15 Das AÜG unterscheidet dementsprechend strikt zwischen dem Vorliegen und dem Fehlen der Erlaubnis: Es regelt die erlaubte bzw. legale Überlassung als Regelfall sowie die Folgen der unerlaubten bzw. illegalen Überlassung16 mit dem Ziel, eine unerlaubte Überlassung zu verhindern.17 Je nachdem, ob die Überlassung erlaubt ist, sind auch die jeweiligen Rechtsverhältnisse im Dreiecksverhältnis zwischen dem Verleiher, dem Entleiher und dem Leiharbeitnehmer unterschiedlich ausgestaltet: Bei der erlaubten Arbeitnehmerüberlassung bestehen vertragliche Beziehungen nur im Rahmen des Überlassungsverhältnisses zwischen dem Verleiher und dem Entleiher sowie im Rahmen des Leiharbeitsverhältnisses zwischen dem Verleiher und dem Leiharbeitnehmer; dagegen besteht nach der gesetzlichen Konzeption des AÜG kein vertragliches Arbeitsverhältnis zwischen dem Entleiher und dem Leiharbeitnehmer. Das Gegenteil ist der Fall bei der unerlaubten Arbeitnehmerüberlassung − dann sind sowohl das Überlassungsverhältnis als auch das Leiharbeitsverhältnis gemäß § 9 Nr. 1 AÜG unwirksam, während zwischen dem Entleiher und dem illegal überlassenen Leiharbeitnehmer gemäß § 10 Abs. 1 AÜG ein gesetzlich fingiertes Arbeitsverhältnis entsteht. Aufgrund dieser grundsätzlichen Unterscheidung zwischen erlaubter (legaler) und unerlaubter (illegaler) Arbeitnehmerüberlassung ist die Schutzbedürftigkeit des Leiharbeitnehmers gegenüber dem Entleiher jeweils aus einem unterschiedlichen Blickwinkel zu betrachten: Im Regelfall der legalen Arbeitnehmerüberlassung erbringt der Leiharbeitnehmer seine Arbeitsleistung im Entleiherbetrieb und ist dort faktisch eingegliedert. Dadurch können dieselben arbeitsrechtlichen Fragestellungen wie im Zweipersonen-Arbeitsverhältnis relevant werden, mit dem Unterschied, dass kein vertragliches Arbeitsverhältnis zum Entleiher vorliegt und deshalb die Anwendbarkeit arbeitsrechtlicher Vorschriften und Rechtsinstitute zugunsten des Arbeitnehmers in Frage steht. Dagegen besteht bei der illegalen Arbeitnehmerüberlassung (nur noch) ein gesetzlich fingiertes Arbeitsverhältnisses zum Entleiher, so dass die Schutzbedürftigkeit des Leiharbeitnehmers gegenüber dem Entleiher in erster Linie im Hinblick auf die Fiktion des Arbeitsverhältnisses zu untersuchen ist. 15 BT-Drs.
VI/2303, Vorblatt. Terminologie: Der Begriff der „illegalen“ oder „unerlaubten“ Arbeitnehmerüberlassung ist gesetzlich nicht definiert. Nach allgemeinem Verständnis ist Arbeitnehmerüberlassung illegal, wenn sie ohne die nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AÜG erforderliche Erlaubnis betrieben wird, vgl. Boemke, Schuldvertrag und Arbeitsverhältnis, S. 606. Dagegen ist Arbeitnehmerüberlassung „unzulässig“, wenn sie gegen das Verbot der Arbeitnehmerüberlassung im Baugewerbe verstößt, vgl. § 1b AÜG. 17 Schüren/Schüren, AÜG, Einl. Rn. 1. 16 Zur
22
1. Teil: Einführung
B. Gegenstand und Gang der Untersuchung Mit der Existenz des AÜG, das in erster Linie zur Verwirklichung des Leiharbeitnehmerschutzes eingeführt worden ist,18 liegt der Ausgangspunkt jeder Untersuchung zur Schutzbedürftigkeit des Leiharbeitnehmers zunächst in der Bestimmung des Schutzniveaus de lege lata. Es gilt, die bestehenden Vorschriften des AÜG dahingehend zu untersuchen, ob die von ihnen ausgehende Wirkung ausreicht, um den Schutz von Leiharbeitnehmern angemessen umzusetzen. Nur dort, wo keine Regelungen getroffen wurden, besteht möglicherweise Raum für weitergehende Entwicklungen. Das Verhältnis zwischen dem Leiharbeitnehmer und dem Entleiher wird mit der vorliegenden Arbeit umfassend im Rahmen der erlaubten als auch der unerlaubten Arbeitnehmerüberlassung untersucht, wobei ausschließlich solche Fragen behandelt werden, bei denen es um den Schutz des Leiharbeitnehmers vor dem Entleiher geht, d. h. wenn die Interessenlage in diesem Verhältnis von einer gewissen Gegensätzlichkeit gekennzeichnet ist. Dagegen ist der Schutz des Leiharbeitnehmers durch den Entleiher, d. h. wenn es um ein Einstehen des Entleihers im Interesse des Leiharbeitnehmers geht, nicht Gegenstand der Untersuchung.19 Aus der grundsätzlichen Unterscheidung zwischen der erlaubten und der unerlaubten Arbeitnehmerüberlassung folgen zwei getrennte Untersuchungsfelder. Um die einzelnen Fragestellungen konsistent beurteilen zu können, ist es zunächst notwendig, das Verhältnis zwischen dem Entleiher und dem Leiharbeitnehmer bei der erlaubten Arbeitnehmerüberlassung rechtlich genau zu erfassen. Die Rechtsnatur dieses Verhältnisses ist vom Gesetz nicht geregelt und bedarf daher einer klaren rechtsdogmatischen Einordnung. Anschließend werden die im Rahmen der erlaubten Arbeitnehmerüberlassung möglichen Berührungspunkte zwischen dem Entleiher und dem Leiharbeitnehmer der Reihe nach daraufhin untersucht, ob das Fehlen eines Arbeitsverhältnisses zwischen dem Leiharbeitnehmer und dem Entleiher eine gesonderte rechtliche Beurteilung erfordert. Bei der unerlaubten Arbeitnehmerüberlassung stellt sich zunächst die Frage, ob der Leiharbeitnehmer das Eintreten des gesetzlich fingierten Ar18 BT-Drs.
VI/2303, S. 9 ff. Beispiel der Haftungsbeschränkung zugunsten des Leiharbeitnehmers im Wege des innerbetrieblichen Schadensausgleichs werden die verschiedenen Schutzrichtungen deutlich: Geht es um Ansprüche Dritter gegen den Leiharbeitnehmer, so handelt es sich um den Schutz des Leiharbeitnehmers vor dem Zugriff Dritter durch den Entleiher, etwa im Wege eines Freistellungsanspruches; geht es hingegen um das Bestehen von Ansprüchen des Entleihers gegen den Leiharbeitnehmer, so betrifft dies den hier zu untersuchenden Schutz des Leiharbeitnehmers vor dem Entleiher. 19 Am
B. Gegenstand und Gang der Untersuchung23
beitsverhältnisses verhindern kann, auch wenn die Fiktion grundsätzlich dessen eigenem Schutz dient. Dieses auf den ersten Blick ungewöhnlich erscheinende Ziel kann für den illegal überlassenen Leiharbeitnehmer relevant werden, wenn es im Einzelfall subjektive oder objektive Gründe gibt, die gegen eine arbeitsvertragliche Bindung zum Entleiher sprechen, beispielsweise im Fall der Insolvenz des Entleihers, bei einer Rückkehrmöglichkeit in den Verleiherbetrieb oder bei fehlender Schutzbedürftigkeit von hochqualifizierten Arbeitnehmern. Schließlich ist zu untersuchen, ob sich im Rahmen des fingierten Arbeitsverhältnisses eine besondere Schutzbedürftigkeit des Leiharbeitnehmers daraus ergibt, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch Parteiabrede, sondern auf gesetzlichem Weg entsteht.
2. Teil
Grundlagen A. Arbeitnehmerüberlassung zwischen Reglementierung und Liberalisierung I. Nationaler Rechtsrahmen Der soziale Schutz von Leiharbeitnehmern stand seit jeher im Fokus der Gesetzgebung und der Befassung durch Rechtsprechung und Schrifttum. Dieser Schutz wurde anfangs mit einem ausnahmslosen Verbot der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung verwirklicht.1 Nachdem das Bundesverfassungsgericht 1967 in der „Adia-Interim“-Entscheidung2 die gewerbsmäßig betriebene Arbeitnehmerüberlassung durch Private als eine zulässige, vom Schutzbereich des Art. 12 GG gedeckte Beschäftigungsform ansah, wurde das Verbot aufgehoben. Als Reaktion wurde 1972 das AÜG einge führt,3 das als soziales Schutzgesetz zu verstehen ist.4 Auftrag und Ziel des Gesetzgebers war es, die Arbeitnehmerüberlassung sozialverträglich zu regeln und insbesondere „den Anforderungen des sozialen Rechtsstaats entsprechend eine Ausbeutung der betreffenden Arbeitnehmer“ zu verhindern.5 Als Kernelement der staatlichen Kontrolle sah das AÜG von Beginn an eine (gewerberechtliche) Erlaubnispflicht in § 1 Abs. 1 Satz 1 AÜG vor, an der sich bis heute nichts geändert hat. Im Laufe der Zeit hat die Regulie1 Das Verbot der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung wurde vormals in § 37 Abs. 3 des mittlerweile aufgehobenen Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) geregelt. Aus diesem Regelungszusammenhang ergibt sich, dass die gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung als Unterfall der verbotenen (privaten) Arbeitsvermittlung eingeordnet wurde, vgl. hierzu Schüren, Zukunft Zeitarbeit, S. 77, 79. 2 BVerfG v. 4.4.1967 – 1 BvR 84/65, BVerfGE 21, 261 = AP Nr. 2 zu § 35 AVAVG. 3 Gesetz v. 7.8.1972, BGBl. I S. 1343. 4 Pieroth, Arbeitnehmerüberlassung unter dem Grundgesetz, S. 16. 5 BT-Drs. VI/2303, Vorblatt und S. 9; ferner Urban-Crell/Schulz, Arbeitnehmerüberlassung und Arbeitsvermittlung, Rn. 265; Kämmerer/Thüsing, Leiharbeit und Verfassungsrecht, S. 18.
A. Arbeitnehmerüberlassung zwischen Reglementierung und Liberalisierung 25
rungsdichte der Arbeitnehmerüberlassung mehrere Wechselphasen von der anfänglich strikten Reglementierung hin zur Liberalisierung und anschließenden Deliberalisierung durchlaufen. Zum Zeitpunkt der Einführung des AÜG sollte die Leiharbeit nach der Vorstellung des Gesetzgebers den Arbeitgebern nur eine Möglichkeit zum kurzfristigen flexiblen Personaleinsatz bieten, etwa um Bedarfsspitzen abzufedern.6 Ursprünglich galten mehrere wichtige Einschränkungen der Arbeitnehmerüberlassung: das Synchronisationsverbot, wonach die Dauer des (nur ausnahmsweise befristbaren) Leiharbeitsvertrags nicht mit der Dauer der Überlassung an den Entleiher abgestimmt werden durfte7, das Befristungsverbot, wonach Leiharbeitnehmer grundsätzlich nicht befristet eingestellt werden durften8 und die Höchstüberlassungsdauer (von anfänglich drei Monaten), wonach ein Leiharbeitnehmer demselben Entleiher nur bis zu einer bestimmten Dauer überlassen werden durfte9. All diese Beschränkungen zielten aus Gründen des Leiharbeitnehmerschutzes darauf ab, die Arbeitnehmerüberlassung nur als kurzfristiges Instrument in Ausnahmefällen zum Einsatz kommen zu lassen. Da die Arbeitnehmerüberlassung im Laufe der Zeit zunehmend an Akzeptanz und Relevanz gewann, richteten sich die beschäftigungspolitischen Bestrebungen auf eine Lockerung der gewichtigsten Einschränkungen.10 Grundlegende Änderung und Liberalisierung erfuhr die Arbeitnehmerüberlassung ab 2002 durch das „Erste Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ (Hartz I)11 und das „Dritte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ (Hartz III)12. Mit dem Ziel, die Arbeitnehmerüberlassung attraktiver zu gestalten, wurden die entscheidenden Beschränkungen gestrichen, namentlich das Befristungsverbot, das Synchronisationsverbot und die Höchstüberlassungsdauer von zuletzt 24 Monaten.13 Die Streichung
6 BT-Drucks.
VI/2303, S. 9. Abs. 1 Nr. 5 AÜG in der Fassung vom 7.8.1972 (BGBl. I 1972, S. 1393). 8 § 3 Abs. 1 Nr. 3 i. V. m. § 9 Nr. 2 AÜG in der Fassung vom 7.8.1972 (BGBl. I 1972, S. 1393). 9 § 3 Abs. 1 Nr. 6 AÜG in der Fassung vom 7.8.1972 (BGBl. I 1972, S. 1393). Die Höchstüberlassungsdauer wurde anschließend mehrmals erhöht und zuletzt durch das „Job-AQTIV-Gesetz“ vom 10.12.2001 (BGBl. I 2001, S. 3443) von 12 Monaten auf 24 Monate heraufgesetzt. 10 BT-Drs. 15/25, S. 38 f. und S. 23 f.; Kookemoor, NZA 2003, 238, 241; Schüren, Zukunft Zeitarbeit, S. 77, 85. 11 Gesetz v. 23.12.2002, BGBl. I 2002, S. 4607, in Kraft getreten am 1.1.2003, wichtige Regelungen erst mit Wirkung zum 1.1.2004. 12 Gesetz v. 23.12.2003, BGBl. I 2003, S. 2848. 13 Zusammenfassung der Änderungen anstatt vieler: Wank, RdA 2003, 1. Sehr kritisch Böhm, NZA 2004, 823, 825, der in der Streichung der Beschränkungen die Möglichkeit einer „Flucht aus dem Normalarbeitsverhältnis“ sieht. 7 § 3
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2. Teil: Grundlagen
dieser Beschränkungen wurde damit gerechtfertigt,14 dass zeitgleich das Verbot der Schlechterstellung von Leiharbeitnehmern im Vergleich zu Stammarbeitnehmern des Entleihers (sogenannter Grundsatz des Equal Pay und Equal Treatment)15 eingeführt wurde,16 was in § 3 Abs. 1 Nr. 3, § 9 Nr. 2 und § 10 Abs. 4 Satz 1 AÜG zum Ausdruck gekommen ist. Von diesem Grundsatz gibt es allerdings einen äußerst relevanten Ausnahmetatbestand in Form einer Tariföffnungsklausel, wonach ein Tarifvertrag abweichende, d. h. zu Lasten der Leiharbeitnehmer gehende Bedingungen festsetzen darf.17 Dieses Regel-Ausnahme-Verhältnis ist in der Praxis umgekehrt: Abweichungen durch arbeitsvertragliche Inbezugnahme auf entsprechende Tarifverträge der Zeitarbeitsbranche sind die Norm.18 Die Geltung des Equal Pay und Equal Treatment Grundsatzes ist sogar in aller Regel nur dort anzutreffen, wo Tarifverträge sich als unwirksam herausstellen.19 Durch die genannten Änderungen gewann die Arbeitnehmerüberlassung deutlich an praktischer Relevanz.20 Insbesondere die Beschäftigung von Leiharbeitnehmern durch konzerninterne Personalverleihgesellschaften wurde vermehrt und als dauerhaftes Mittel genutzt.21 Damit ging eine erhöhte Missbrauchsanfälligkeit einher. So konnten konzerninterne Verleihgesellschaften Arbeitnehmer, die kurz zuvor (betriebsbedingt) entlassen wurden, zu schlechteren Bedingungen wieder einstellen und an den vorherigen Arbeitgeber überlassen. Die Ausnutzung dieses „Drehtüreffekts“ wurde für die breite Öffentlichkeit insbesondere am Fall „Schlecker“ deutlich.22 In Reaktion auf diese Missbrauchsmöglichkeiten sind seit 2011 durch das „Erste Gesetz zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes – Ver14 Zur kompensatorischen Verknüpfung BT-Drs. 15/25, S. 24; ferner Hamann, NZA 2011, 70, 71. 15 Zum Equal Pay und Equal Treatment Grundsatz vgl. Thüsing, Arbeitsrecht licher Diskriminierungsschutz, Rn. 832 ff.; ders., DB 2003, 446 ff.; Guenoub, Equal Pay und Equal Treatment, S. 73 ff.; kritisch Rieble/Klebeck, NZA 2003, 23 ff. und Kämmerer/Thüsing, Leiharbeit und Verfassungsrecht. 16 BT-Drs. 15/25, S. 39. 17 Dies kommt in § 3 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2, § 9 Nr. 2, 10 Abs. 4 Satz 2 AÜG zum Ausdruck. 18 Vgl. Löwisch/Caspers/Klumpp, ArbR, Rn. 904; Ulber, AÜG, § 9 Rn. 3; Einl. Lit. E Rn. 11 ff.; Hamann, NZA 2011, 70, 71. 19 Vgl. Schüren, in: Zukunft Zeitarbeit, S. 77, 87. 20 Lembke, BB 1533, 1533; so auch der 11. Bericht der Bundesregierung über Erfahrungen bei der Anwendung des AÜG vom 18.1.2010, BT-Drs. 17/464. 21 Lembke, BB 2010, 1533, 1537 m. w. N. 22 Vgl. Heuchemer/Schielke, BB 2011, 758, 760; zu den Erscheinungsformen der konzerninternen Arbeitnehmerüberlassung durch konzerneigene Personalverleihgesellschafen Tucci, Arbeitnehmermobilität im Konzern, S. 185 ff.
A. Arbeitnehmerüberlassung zwischen Reglementierung und Liberalisierung 27
hinderung von Missbrauch der Arbeitnehmerüberlassung“23 sowie das „Gesetz zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und des Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzes“24 wieder Beschränkungen der Arbeitnehmer überlassung eingeführt worden. Zu den bedeutsamen Neuregelungen dieser Reform gehört etwa die Einschränkung des Konzernprivilegs, das nunmehr nach § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG nur gilt, „wenn der Arbeitnehmer nicht zum Zweck der Überlassung eingestellt und beschäftigt wird“. Damit zusammenhängend erfolgte eine Regelung zur Vermeidung des „Drehtüreffekts“ in § 3 Abs. 1 Nr. 3 Satz 4 AÜG:25 Konzerninterne Verleihgesellschaften werden dadurch nicht generell ausgeschlossen, bezweckt ist nur die Eindämmung von missbräuchlichen Gestaltungen, bei denen Arbeitnehmer entlassen werden, um später bei demselben Arbeitgeber unter schlechteren Bedingungen als Leiharbeitnehmer eingesetzt zu werden.26 Dies wird durch eine Rückausnahme von der Tariföffnungsklausel (welche an sich eine Ausnahme vom Equal Pay und Equal Treatment Grundsatz darstellt) bewerkstelligt, wonach nicht mehr durch Tarifvertrag vom Grundsatz des Equal Pay und Equal Treatment abgewichen werden kann, wenn der Leiharbeitnehmer in den letzten sechs Monaten vor seiner Überlassung aus einem Arbeitsverhältnis beim Entleiher oder einem mit diesem verbundenen Konzernunternehmen ausgeschieden ist. Als weitere Neuregelung wurde eine Ermächtigungsgrundlage für die Einführung einer allgemeinen Lohnuntergrenze für Leiharbeitnehmer durch Rechtsverordnung in § 3a AÜG geschaffen.27 Aktuell sind in einem laufenden Gesetzgebungsverfahren weitere Änderungen des AÜG beabsichtigt, die unter anderem die Wiedereinführung einer Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten sowie die effektivere Sanktionierung der verdeckten Arbeitnehmerüberlassung unter dem Deckmantel von Scheinwerk- und Scheindienstverträgen vorsehen.28 23 Gesetz vom 28.4.2011, BGBl. I 2011, S. 642, wobei dieses Gesetz auch zu einem erheblichen Teil der Umsetzung der Richtlinie 2008/104/EG des Europäischen Parlaments und Rates vom 19.11.2008 über Leiharbeit diente, vgl. BT-Drs. 17/4804, S. 7. Zur Umsetzung der Leiharbeitsrichtlinie siehe den folgenden Abschnitt. 24 Gesetz vom 20.7.2011, BGBl. I 2011, S. 1506. 25 Vgl. zum Fall der Drogeriemarktkette Schlecker als Anlass, den „Drehtür effekt“ gesetzlich wieder einzudämmen, Heuchemer/Schielke, BB 2011, 758, 760. 26 BT-Drs. 17/4804, S. 7. 27 Zu den einzelnen Neuregelungen vgl. Huke/Neufeld/Luickhardt, BB 2012, 961 ff.; Oberthür, ArbRB 2011, 146 ff. 28 Vgl. Referentenentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 16.11.2015 zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und anderer Gesetze; Zweiter Entwurf vom 16.02.2016, S. 19 f.; im Einzelnen und teilweise kritisch hierzu Thüsing, NZA 2015, 1478 ff.; Baeck/Winzer/Kramer, NZG 2016, 20 ff.; Henss ler, RdA 2016, 18 ff.; Zimmermann, BB 2016, 53 ff.
28
2. Teil: Grundlagen
Diese vielzähligen gesetzgeberischen Anpassungen verdeutlichen, dass die Austarierung zwischen dem arbeitgeberseitigen Interesse an flexiblem Personaleinsatz und dem notwendigen sozialen und arbeitsrechtlichen Schutz des Leiharbeitnehmers ständig im Fluss ist. Die Arbeitnehmerüberlassung ist wie viele Bereiche des Arbeitsrechts einem besonderen Einfluss durch beschäftigungspolitische Impulse ausgesetzt, was auch weiterhin zu erwarten ist. In gleicher Weise können auch die tatsächlich ausgeübten (und teilweise missbräuchlichen) Einsatzformen der Arbeitnehmer überlassung zu einem politischen Handlungsdruck führen, der einen Anstoß für gesetzgeberische Nachjustierung sein kann, wie der Fall „Schlecker“ zeigte.29 Eine Konstante stellt nach wie vor das Kernelement der Erlaubnispflicht nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AÜG dar. Sowohl die Erlaubnispflicht als auch die Regelung der Rechtsfolgen illegaler Arbeitnehmerüberlassung gemäß § 9 Nr. 1 AÜG und § 10 Abs. 1 AÜG sind seit der Einführung des AÜG im Jahr 1972 im Wesentlichen unverändert geblieben. Das Festhalten hieran verdeutlicht zum einen die große Bedeutung, die der Gesetzgeber diesem grundlegenden Konzept des Verbots mit Erlaubnisvorbehalt beimisst und zum anderen, dass dieses Konzept sich auch in der praktischen Handhabung des täglichen Arbeitslebens in den vergangenen vier Jahrzehnten bewährt hat.
II. Einfluss der europäischen Harmonisierung Seit dem 5.12.2008 ist die Leiharbeitsrichtlinie 2008 / 104 / EG30 in Kraft (im Folgenden „Leiharbeitsrichtlinie“). Ziel der Leiharbeitsrichtlinie ist die Schaffung eines harmonisierten Rahmens zum Schutz von Leiharbeitnehmern, wobei auch den Interessen der Beschäftigungsförderung und der Entwicklung flexibler Arbeitsformen Rechnung getragen werden soll.31 Leiharbeit als Beschäftigungsform ist nach der Leiharbeitsrichtlinie grundsätzlich erlaubt − Verbote oder Einschränkungen von Leiharbeit sind nach Art. 4 Abs. 1 der Leiharbeitsrichtlinie nur möglich, wenn Allgemeininteressen betroffen sind, beispielsweise, wenn der Schutz der Leiharbeitnehmer in besonderer Weise gefährdet ist.32 Der Erlaubnisvorbehalt nach § 1 Abs. 1 29 Hamann,
NZA 2011, 70, 70. 2008/104/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über Leiharbeit vom 19.11.2008, ABl. EU L 327 v. 5.12.2008, S. 9. 31 Vgl. Erwägensgrund 23 und Art. 2 der Leiharbeitsrichtlinie. 32 Begründete Zweifel an der Richtlinienkonformität des nach wie vor bestehenden Verbots der Leiharbeit im Baugewerbe nach § 1b AÜG äußern Rieble/Vielmeier, EuZA, 474, 490 ff.; ebenfalls kritisch Schüren/Hamann, AÜG § 1b Rn. 17. 30 Richtlinie
A. Arbeitnehmerüberlassung zwischen Reglementierung und Liberalisierung 29
Satz 1 AÜG steht dabei nicht in Widerspruch zur Leiharbeitsrichtlinie, da dieser Vorbehalt mit Blick auf die Gewerbefreiheit (und den daraus folgenden Vorgaben für die Erteilung der Erlaubnis) nicht als Verbot oder Beschränkung der Leiharbeit anzusehen ist, sondern vielmehr als eine Form der Überwachung der Verleihunternehmen.33 Zu den wesentlichen Regelungsinhalten der Leiharbeitsrichtlinie gehört gemäß Art. 5 Abs. 1 der Gleichbehandlungsgrundsatz, wonach die wesentlichen Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen für einen Leiharbeitnehmer mindestens denjenigen Bedingungen entsprechen müssen, die für ihn gelten würden, wenn er vom Entleiher unmittelbar für den gleichen Arbeitsplatz eingestellt worden wäre.34 In Deutschland waren die Regelungsgehalte der Leiharbeitsrichtlinie zum Zeitpunkt ihrer Einführung bereits weitgehend im AÜG berücksichtigt.35 Die darüber hinaus erforderliche Umsetzung der Leiharbeitsrichtlinie erfolgte im Jahr 2011 unter anderem durch das „Erste Gesetz zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes – Verhinderung von Missbrauch der Arbeitnehmerüberlassung“.36 1. Bereits umgesetzte Inhalte Der in Art. 5 Abs. 1 der Leiharbeitsrichtlinie statuierte Gleichbehandlungsgrundsatz ist bereits 2002 in deutsches Recht umgesetzt worden37 und kommt in § 3 Abs. 1 Nr. 3, § 9 Nr. 2 und § 10 Abs. 4 Satz 1 AÜG zum Ausdruck. Auch die Ausnahme nach Art. 5 Abs. 3 der Leiharbeitsrichtlinie, wonach durch Tarifvertrag auch zu Lasten der Leiharbeitnehmer vom Grundsatz des „Equal Pay und Equal Treatment“ abgewichen werden kann, hat in Form der Tariföffnungsklausel in §§ 3 Abs. 1 Nr. 3, 9 Nr. 2 AÜG Eingang gefunden. Allerdings enthält die Ausnahme nach Art. 5 Abs. 3 der 33 Rieble/Vielmeier,
EuZA 2011, 474, 484. den wesentlichen Arbeitsbedingungen gehört gemäß Art. 3 Abs. 1 lit. f der Leiharbeitsrichtlinie gerade auch das Arbeitsentgelt. Vgl. insgesamt zum Gleichbehandlungsgrundsatz und dessen Umsetzung ins deutsche Recht Sansone, Gleichstellung von Leiharbeitnehmern nach deutschem und Unionsrecht. 35 Klumpp, GPR 2009, 89, 90; vgl. auch den Zwölften Erfahrungsbericht der Bundesregierung zum AÜG, BT-Drs. 18/673, S. 8, wonach der Anpassungsbedarf ebenfalls als gering bezeichnet wird, insbesondere da der Richtlinienentwurf der Europäischen Kommission bereits im Ersten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt berücksichtigt wurde. 36 Gesetz vom 28.4.2011, BGBl. I 2011, S. 642. Vgl. BT-Drs. 17/4804; ferner zur Umsetzung in deutsches Recht Huke/Neufeld/Luickhardt, BB 2012, 961, 963; Klumpp, GPR 2009, 89 ff.; Schüren/Wank, RdA 2011, 1 ff. 37 „Erstes Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ (Hartz I) v. 23.12.2002, BGBl. I 2002, S. 4607. 34 Zu
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2. Teil: Grundlagen
Leiharbeitsrichtlinie auch die Vorgabe, dass der entsprechende abweichende Tarifvertrag „den Gesamtschutz der Leiharbeitnehmer“ zu wahren hat. Diese Voraussetzung sieht das AÜG nicht vor. Eine Richtlinienwidrigkeit liegt in dieser fehlenden Entsprechung jedoch nicht, da aus einer solchen inhaltlichen Vorgabe der Leiharbeitsrichtlinie für abweichende Tarifverträge schon aus formellen Kompetenzgründen kein Regelungsauftrag folgen kann: Nach Art. 153 Abs. 5 AEUV ist die Materie des Koalitionsrechts einschließlich des Rechts der Tarifverträge ausschließlich den Mitgliedstaaten überlassen.38 Die Berücksichtigung des „Gesamtschutzes der Leiharbeitnehmer“ durch den entsprechenden Tarifvertrag kann daher nur als Programmsatz zu verstehen sein,39 so dass die Tariföffnungsklausel des AÜG auch ohne diese Voraussetzung richtlinienkonform ist.40 Der deutsche Gesetzgeber wäre an sich nicht daran gehindert gewesen, die Abweichung durch Tarifverträge nur unter Wahrung des Gesamtschutzes der Leiharbeitnehmer zuzulassen, d. h. den Gleichbehandlungsgrundsatz von vornherein nur in begrenztem Maße der Disposition der Tarifvertragsparteien zu unterstellen.41 Da dies nicht geschehen ist, können die vom Gleichbehandlungsgrundsatz abweichenden Tarifverträge jedenfalls nicht im Nachhinein auf ihre Angemessenheit (hinsichtlich der Wahrung des Gesamtschutzes der Leiharbeitnehmer) überprüft werden, da dies eine unzulässige, Art. 9 Abs. 3 GG zuwider laufende Tarifzensur wäre.42 Die Leiharbeitsrichtlinie sieht in Art. 5 Abs. 2 die Möglichkeit einer weiteren Ausnahme vom Gleichbehandlungsgrundsatz vor, falls Leiharbeitnehmer in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis zum Verleiher stehen und während der überlassungsfreien Zeiten bezahlt werden. Diese Ausnahme ist ursprünglich in der Tariföffnungsklausel des AÜG nicht enthalten gewesen und konnte auch nicht im Wege der Umsetzung eingeführt werden, da ge38 Rieble/Vielmeier,
EuZA 2011, 474, 500. EuZA 2011, 474, 500; daneben stellen Boemke/Lembke, AÜG, § 9 Rn. 192 darauf ab, dass nach dem Erwägungsgrund Nr. 19 der Leiharbeitsrichtlinie die national gewährleistete Tarifautonomie nicht beeinträchtigt werden soll. 40 Boemke/Lembke, AÜG, § 9 Rn. 192. 41 Klumpp, GPR 2009, 89, 91, mit der Folgerung, dass deshalb die Wahrung des Gesamtschutzes der Leiharbeitnehmer ohnehin von den Tarifvertragsparteien im Rahmen des geltenden AÜG zu beachten ist. Ähnlich im Ergebnis Thüsing, RdA 2009, 118, 119, der mit Verweis auf die im deutschen Verfassungs- und Arbeitsrecht bestehende Angemessenheitsvermutung eines jeden wirksamen Tarifvertrags davon ausgeht, dass auch Tarifverträge der Zeitarbeitsbranche angemessene Arbeitsbedingungen enthalten, und deshalb ebenfalls keinen Änderungsbedarf des deutschen Rechts sieht. 42 Boemke/Lembke, AÜG, § 9 Rn. 192; Klumpp, GPR 2009, 89, 91; Rieble/Vielmeier, EuZA 2011, 474, 501 m. w. N. 39 Rieble/Vielmeier,
A. Arbeitnehmerüberlassung zwischen Reglementierung und Liberalisierung 31
mäß Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie das bereits existierende Schutzniveau des nationalen Rechts nicht durch die Umsetzung abgesenkt werden darf. Nach Art. 10 Abs. 2 der Leiharbeitsrichtlinie sind effektive Sanktionsnormen für den Fall richtlinienwidrigen Verhaltens notwendig, wobei lediglich allgemein beschrieben wird, dass die Sanktionen „wirksam, angemessen und abschreckend“ sein sollen. Im deutschen Recht bestehen seit jeher detaillierte Regelungen für die Rechtsfolgen der illegalen Arbeitnehmerüberlassung, bestehend aus den Rechtsfolgen des § 10 AÜG, den Ordnungswidrigkeitstatbeständen des § 16 AÜG sowie flankierenden sozial- und steuerrechtlichen Regelungen.43 Damit ist dem Erfordernis effektiver Sanktionsnormen bei Weitem genügt, so dass diesbezüglich für das deutsche Recht zu keinem Zeitpunkt Umsetzungsbedarf bestand.44 Für Zwecke der Bestimmung betriebsverfassungsrechtlicher Schwellenwerte sieht Art. 7 Abs. 1 der Leiharbeitsrichtlinie die Zurechnung von Leiharbeitnehmern zum Verleihunternehmen vor. Auch dies entsprach bereits der durch das AÜG getroffenen Zuordnung zum Verleiherbetrieb, was sich aus der Klarstellung in § 14 AÜG ergibt, wonach die Zugehörigkeit zum Verleiherbetrieb auch während der Überlassungsdauer bestehen bleibt.45 2. Umsetzungsbedürftige Inhalte und deren Umsetzung im AÜG Umsetzungsbedarf bestand in erster Linie bezüglich des leicht abweichenden Anwendungsbereichs der Leiharbeitsrichtlinie sowie zu einzelnen Detailfragen. Nach Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie werden alle öffentlichen und privaten Leiharbeitsunternehmen, die eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben, vom Anwendungsbereich der Leiharbeitsrichtlinie erfasst, unabhängig davon, ob sie Erwerbszwecke verfolgen oder nicht. Das in § 1 Abs. 1 Satz 1 AÜG ursprünglich enthaltene Merkmal der Gewerbsmäßigkeit wurde vor diesem Hintergrund gestrichen und durch das Merkmal „im Rahmen der wirtschaftlichen Tätigkeit“ ersetzt.46 In zeitlicher Hinsicht gilt die Leiharbeitsrichtlinie nach ihrem Art. 1 Abs. 1 für Arbeitnehmer, die „entleihenden Unternehmen zur Verfügung 43 Im
Einzelnen dazu unten, Abschnitt 2. C. II. 2. b) bb). GPR 2009, 89, 92. 45 Vgl. im Einzelnen dazu unten, Abschnitt 2. C. I. 3. b) dd). 46 Vgl. BT-Drs 17/4804, S. 8; näher hierzu unten, Abschnitt 2. B. I. Vgl. Rieble/ Vielmeier, EuZA 2011, 474, 485 f. zur kritischen Analyse der Richtlinienkonformität der Ausnahmen vom Anwendungsbereich des AÜG in § 1 Abs. 3 AÜG, soweit sie eine wirtschaftliche Tätigkeit darstellen. 44 Klumpp,
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2. Teil: Grundlagen
gestellt werden, um vorübergehend unter deren Aufsicht und Leitung zu arbeiten“.47 Entsprechend hat der deutsche Gesetzgeber das Merkmal „vorübergehend“ in das AÜG übernommen, ohne sich um eine weitere Klärung des Begriffs zu bemühen.48 Die Auslegung dieses Merkmals und die Bestimmung der Rechtsfolgen nicht vorübergehender Arbeitnehmerüberlassung sind seitdem höchst strittig.49 Ferner sah das deutsche Recht in §§ 3 Abs. 1 Nr. 3, 9 Nr. 2 AÜG vor, dass einem vor der Überlassung arbeitslosen Leiharbeitnehmer bis zu sechs Wochen lang ein Lohn bezahlt werden durfte, den der Betreffende zuvor als Arbeitslosengeld erhalten hat.50 Dies ist in der Leiharbeitsrichtlinie nicht vorgesehen, so dass diese Regelung gestrichen werden musste.51 Weitere Neuregelungen in Umsetzung der Leiharbeitsrichtlinie betrafen § 13a AÜG (Informationspflicht des Entleihers über freie Arbeitsplätze)52, § 13b AÜG (Zugang der Leiharbeitnehmer zu bestimmten Sozialeinrichtungen im Entleiherbetrieb)53 und § 9 Nr. 5 AÜG (Unwirksamkeit der Vereinbarung einer an den Verleiher zu zahlenden Vermittlungsvergütung durch den Leiharbeitnehmer)54.55 3. Notwendigkeit richtlinienkonformer Auslegung Wie soeben dargelegt, sind die Inhalte der Leiharbeitsrichtlinie entweder bereits im AÜG enthalten gewesen oder im Zuge der Umsetzung neu ins AÜG aufgenommen worden. Der deutsche Gesetzgeber hat die umsetzungs47 Vgl. zum Streitstand, ob eine dauerhafte Überlassung von der Richtlinie gedeckt ist, Schüren/Wank, RdA 2011, 1, 3. 48 Vgl. BT-Drs 17/4804, S. 8: „Dabei wird der Begriff „vorübergehend“ im Sinne der Leiharbeitsrichtlinie als flexible Zeitkomponente verstanden und insbesondere auf genau bestimmte Höchstüberlassungsfristen verzichtet.“ 49 Vgl. hierzu unten, Abschnitt 2. C. II. 1. c). Die Rechtsprechung hat zwischenzeitlich bereichsweise für Klärung gesorgt. Der aktuelle Gesetzesentwurf des Bundesrates („Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung des Missbrauchs von Werkverträgen und zur Verhinderung der Umgehung von arbeitsrechtlichen Verpflichtungen“, BT-Drs. 18/14) sieht wiederum die Einführung einer Höchstüberlassungsdauer von 18 Monaten vor, vgl. insgesamt hierzu unten, Abschnitt 2. C. II. 1. c). 50 Eingeführt durch das „Erste Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ (Hartz I) v. 23.12.2002 mit dem Ziel, einen Anreiz für die Einstellung Arbeitsloser zu setzen, vgl. BT-Drs. 15/25, S. 38 f. 51 BT-Drs. 17/4804, S. 9. 52 Umsetzung des Art. 6 Abs. 1 der Leiharbeitsrichtlinie. 53 Umsetzung des Art. 6 Abs. 4 der Leiharbeitsrichtlinie. 54 Umsetzung des Art. 6 Abs. 3 der Leiharbeitsrichtlinie. 55 Vgl. BT-Drs. 17/4804, S. 10.
A. Arbeitnehmerüberlassung zwischen Reglementierung und Liberalisierung 33
bedürftigen Inhalte der Leiharbeitsrichtlinie im „Ersten Gesetz zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes – Verhinderung von Missbrauch der Arbeitnehmerüberlassung“56 weitgehend erkannt und adressiert, auch wenn man an der gewählten Umsetzungsweise in Einzelpunkten Kritik üben kann.57 Soweit das deutsche Recht Regelungsbereiche der Leiharbeitsrichtlinie berührt, ist es in Einklang mit der Leiharbeitsrichtlinie anzuwenden und auszulegen. Ist eine Richtlinie bereits in nationales Recht umgesetzt worden, ist das nationale Umsetzungsgesetz richtlinienkonform auszulegen, d. h. in einer Weise, die dem Wortlauts und dem Zweck der Richtlinie möglichst gerecht wird.58 Für Regelungen, die auf einer vollständigen Umsetzung der Leiharbeitsrichtlinie basieren, ergibt sich das Gebot richtlinienkonformer Auslegung schon aus der Berücksichtigung des gesetzgeberischen Willens, da der deutsche Gesetzgeber die entsprechenden Regelungen ausdrücklich in Umsetzung der Leiharbeitsrichtlinie eingeführt hat59 und dies eine Auslegung im Sinne der Leiharbeitsrichtlinie impliziert. Soweit Zweifel bezüglich der vollständigen Umsetzung der Leiharbeitsrichtlinie bestehen, ist fraglich, innerhalb welcher Grenzen eine richtlinienkonforme Auslegung möglich ist. Konkret betreffen diese Zweifel insbesondere die Bereichsausnahmen nach § 1 Abs. 3 AÜG60 sowie das Verbot der Arbeitnehmerüberlassung im Baugewerbe nach § 1b AÜG.61 Bei einem Umsetzungsgesetz ist grundsätzlich davon auszugehen, dass der Gesetzgeber im Zweifel eine richtlinienkonforme Umsetzung beabsichtigte.62 Eine richtlinienkonforme Auslegung contra legem, für die kein gesetzgeberischer Wille erkenntlich ist, ginge jedoch zu weit.63 Die richtlinienkonforme Auslegung von nationalen Normen darf nicht jede andere Auslegungsregel verdrängen, da anderenfalls der Gestaltungsspielraum, der dem nationalen Gesetzgeber bei der Entscheidung des „Ob“ und des „Wie“ einer Umset56 Gesetz
vom 28.4.2011, BGBl. I 2011, S. 642. zu den Kritikpunkten insbesondere Rieble/Vielmeier, EuZA 2011, 474 ff.; ferner Rödl/Ulber, NZA 2012, 841 zur kritischen Auseinandersetzung mit der Vereinbarkeit der einzelvertraglichen Bezugnahme auf einen vom Gleichbehandlungsgrundsatz abweichenden Tarifvertrag; ebenfalls kritisch Fuchs, NZA 2009, 57, 61 zur Vereinbarkeit der deutschen Tariföffnungsklausel mit den Vorgaben der Leiharbeitsrichtlinie. 58 Streinz, Europarecht, § 5 Rn. 502 m. w. N. 59 BT-Drs. 17/4804, S. 1. 60 Vgl. dazu Rieble/Vielmeier, EuZA 2011, 474, 485 f. 61 Vgl. dazu Rieble/Vielmeier, EuZA, 474, 490 ff. 62 Grundlegend Di Fabio, NJW 1990, 947, 953. 63 Streinz, Europarecht, Rn. 501. 57 Vgl.
34
2. Teil: Grundlagen
zung zusteht, unterlaufen werden könnte.64 Ist die Grenze der Auslegung erreicht, so muss es gegebenenfalls bei der Feststellung bleiben, dass die jeweilige nationale Vorschrift gegen die Richtlinie verstößt; dann kann der Gesetzgeber aufgefordert sein, tätig zu werden. Ob jede einzelne der oben genannten Regelungen des AÜG vollumfänglich richtlinienkonform ist, braucht an dieser Stelle nicht abschließend festgestellt werden. Für Zwecke der vorliegenden Untersuchung kann bereits festgehalten werden, dass sich für die hier relevanten Kernregelungen des AÜG, nämlich die Erlaubnispflicht nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AÜG sowie die Rechtsfolgen illegaler Arbeitnehmerüberlassung nach §§ 9, 10 AÜG, hinsichtlich ihrer Anwendbarkeit und Auslegung keine Unterschiede durch die Leiharbeitsrichtlinie ergeben.
B. Anwendungsbereich des AÜG Das AÜG enthält die wichtigsten Vorschriften zur Arbeitnehmerüberlassung, die die erlaubte Überlassung regeln und der Bekämpfung der unerlaubten Überlassung dienen.65 Trifft das AÜG keine Regelung, so gelten allgemeine arbeitsrechtliche und zivilrechtliche Bestimmungen für die Rechtsverhältnisse der Arbeitnehmerüberlassung.66
I. Sachlicher Anwendungsbereich Regelungsgegenstand des AÜG war seit der Einführung im Jahr 1972 die „gewerbsmäßige“ Arbeitnehmerüberlassung.67 Durch das Erste Gesetz zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes ist mit Wirkung zum 1.12.2011 das Merkmal der Gewerbsmäßigkeit gestrichen worden.68 Seither unterfällt gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 AÜG jede Überlassung im „Rahmen der wirtschaftlichen Tätigkeit“ dem Geltungsbereich des AÜG, ohne dass es noch auf die Gewerbsmäßigkeit ankommt.69 Damit wurde der Anwendungsbereich des AÜG deutlich erweitert, so dass dadurch insbesondere auch konzerninterne Verleihgesellschaften erfasst sind, die zuvor nicht dem Re64 Di
Fabio, NJW 1990, 947, 951. § 318 Rn. 14. 66 Boemke, Schuldvertrag und Arbeitsverhältnis, S. 550. 67 § 1 AÜG in der Fassung vom 7.8.1972 (BGBl. I 1972, S. 1393). 68 Gesetz v. 28.4.2011, BGBl. I 2011, S. 642; die Änderung diente, wie soeben erläutert, der Umsetzung des Art. 1 Abs. 2 der Leiharbeitsrichtlinie, vgl. BT-Drs 17/4804, S. 8. 69 Vgl. hierzu Hamann, RdA 2011, 321, 323; Huke/Neufeld/Luickhardt, BB 2012, 961 ff.; Leuchten, NZA 2011, 608 ff.; Oberthür, ArbRB 2011, 146 f. 65 MünchHdB-ArbR/Schüren,
B. Anwendungsbereich des AÜG35
gelungsbereich des AÜG unterlagen, da deren Tätigkeit nach der Rechtsprechung nicht als gewerbsmäßig eingestuft wurde.70 Auch Arbeitnehmerüberlassungen durch gemeinnützige Einrichtungen unterfallen nunmehr dem Anwendungsbereich des AÜG.71 Weiterhin wird allgemein zwischen der echten und der unechten Leiharbeit unterschieden.72 Bei der echten Leiharbeit wird ein Arbeitnehmer nicht gewerbsmäßig, sondern nur ausnahmsweise für einen vorübergehenden Bedarf des Entleihers verliehen.73 Bei der weitaus häufiger vorkommenden unechten Leiharbeit erfolgt die Einstellung des Arbeitnehmers nur zu dem Zweck der entgeltlichen Überlassung an andere Unternehmen.74 Beide Formen unterliegen dem Regelungsbereich des AÜG, da es nach der Neuregelung des § 1 Abs. 1 Satz 1 AÜG nicht mehr auf die Gewerbsmäßigkeit ankommt.75 Die Abgrenzung zwischen echter und unechter Arbeitnehmer überlassung war vormals bis zur Nichtigerklärung des § 37 Abs. 3 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG)76 von entscheidender Bedeutung, da nur im Falle der unechten Arbeitnehmerüberlassung eine unzulässige Arbeitsvermittlung angenommen wurde, wohingegen echte Arbeitnehmerüberlassung in diesem Kontext unerheblich war.77 Auch wenn diese Differenzierung im Hinblick auf die Terminologie des AÜG obsolet geworden ist,78 bleibt sie weiterhin für das Verständnis des AÜG hilfreich, da unechte und gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung zu einem wesentlichen Teil deckungsgleich sind.79 Da das Leitbild des AÜG nach wie vor die unechte Leiharbeit durch reine Verleihunternehmen ist,80 bringt im Ergebnis die Ersetzung des Merkmals der Gewerbsmäßigkeit durch das Merkmal der wirtschaftlichen Tätigkeit aus praktischer Sicht nur eine Änderung für die oben genannten, ohne Gewinnerzielungsabsicht erfol70 Hamann,
NZA 2011, 70, 71 m. w. N. DB 2011, 414; Hamann, RdA 2011, 321, 323. 72 Schaub/Koch, ArbR-HdB, § 120 Rn. 2; Schüren/Schüren, AÜG, Einl. Rn. 98. 73 Schaub/Koch, ArbR-HdB, § 120 Rn. 2; Becker/Wulfgramm, AÜG, Art. 1 Einl. Rn. 16; ferner Schüren/Schüren, AÜG, Einl. Rn. 98. 74 Schaub/Koch, ArbR-HdB, § 120 Rn. 2; Becker/Wulfgramm, AÜG, Art. 1 Einl. Rn. 16. 75 Anders noch Schaub/Koch, ArbR-HdB, § 120 Rn. 2, wonach nur die unechte Arbeitnehmerüberlassung Regelungsgegenstand des AÜG sei. 76 Außer Kraft getreten am 1.7.1969 laut § 249 Nr. 1 des Arbeitsförderungsgesetzes vom 25.6.1969, BGBl. I S. 582. 77 Näher hierzu Boemke, Schuldvertrag und Arbeitsverhältnis, S. 552 m. w. N. 78 Urban-Crell/Schulz, Arbeitnehmerüberlassung und Arbeitsvermittlung, Rn. 91; Guenoub, Equal Pay und Equal Treatment, S. 20. 79 Vgl. Schüren/Schüren, AÜG, Einl. Rn. 98. Synonym sind unechte und gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung jedoch nicht. 80 Boemke, Schuldvertrag und Arbeitsverhältnis, S. 553. 71 Lembke,
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2. Teil: Grundlagen
genden Verleihformen mit sich, die nun ebenfalls vom Regelungsbereich des AÜG erfasst werden.81
II. Abgrenzungen Die Arbeitnehmerüberlassung ist von einigen anderen Formen des drittbezogenen Personaleinsatzes abzugrenzen.82 Keine Arbeitnehmerüberlassung liegt vor, wenn der Arbeitnehmer als Erfüllungsgehilfe des Arbeitgebers bei einem Dritten eingesetzt wird, der Arbeitgeber also im Rahmen eines Dienst- oder Werkvertrages die Arbeitsleistung an sich (und nicht lediglich die Überlassung eines Arbeitnehmers) schuldet.83 Die Abgrenzung kann teilweise schwierig sein, vor allem bei der Arbeitnehmerüberlassung unter dem Deckmantel von Scheinwerk- bzw. Scheindienstverträgen.84 Arbeitsvermittlung unterfällt nicht dem Anwendungsbereich des AÜG, da es sich nicht um Arbeitsüberlassung handelt.85 Diese beiden Formen des Personaleinsatzes mit Drittbezug schließen sich gegenseitig aus.86 Bei der Arbeitsvermittlung kommt unmittelbar ein Arbeitsverhältnis zwischen dem Arbeitnehmer und dem Einsatzunternehmen zustande, ohne dass der Vermittler jemals die Stellung eines Arbeitgebers hat. Der Vermittler führt nur den Abschluss eines Arbeitsvertrags zwischen dem Arbeitssuchenden und einem Dritten herbei.87 Um die in der Praxis nicht immer leicht vorzunehmende Zuordnung zu erleichtern, besteht nach § 1 Abs. 2 AÜG eine (widerlegbare)88 Vermutung für die Arbeitsvermittlung, wenn der Überlas81 Vgl. jedoch Rieble/Vielmeier, EuZA 2011, 474, 485 f. zur kritischen Analyse der Ausnahmen vom Anwendungsbereich des AÜG in § 1 Abs. 3 AÜG (soweit sie eine wirtschaftliche Tätigkeit darstellen) im Hinblick auf die Vereinbarkeit mit der Leiharbeitsrichtlinie. 82 Umfassend hierzu Ulber, AÜG, Einl., lit. C. Rn. 22 ff.; ErfK/Wank, § 1 AÜG Rn. 8 ff. 83 Ulber, AÜG, Einl., lit. C. Rn. 34. 84 Vgl. dazu ausführlich unten, Abschnitt 2. C. II. 1. a). 85 Die Relevanz der Abgrenzung hat dadurch abgenommen, dass Arbeitsvermittlung durch Private heute keiner Erlaubnis mehr bedarf, vgl. Löwisch/Caspers/ Klumpp, ArbR, Rn. 597. 86 Schüren/Hamann, AÜG, § 1 Rn. 288. 87 Ausführlich zur Abgrenzung zwischen Arbeitsvermittlung und Arbeitnehmerüberlassung Mittmann, Rechtliche Probleme der Leiharbeit, S. 133 ff.; Vor, Zeitarbeit, S. 32 ff.; Boemke, Schuldvertrag und Arbeitsverhältnis, S. 604. 88 Schüren/Schüren, AÜG, § 1 Rn. 389. Die Rechtsprechung differenzierte früher wie folgt: Im Bereich der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung wurde die Vermutung als unwiderlegbar angesehen (BAG v. 23.11.1988 – 7 AZR 34/88, AP Nr. 14
B. Anwendungsbereich des AÜG37
sende nicht die üblichen Arbeitgeberpflichten oder das Arbeitgeberrisiko übernimmt.89 Ferner gibt es Gestaltungen, bei denen ein als Verleiher auftretender Strohmann das Arbeitsentgelt auszahlt, obwohl der Entleiher allein das Arbeitgeberrisiko trägt. Übernimmt der Verleiher keine typischen Arbeitgeberpflichten, kommt ihm lediglich die Rolle eines Vermittlers zu.90 Ein wichtiges Indiz hierfür ist, ob der Verleiher am Markt aktiv ist und dadurch die Voraussetzungen für weitere Einsätze (desselben Leiharbeitnehmers) gegeben sind.91 Auch hier greift die Vermutung des § 1 Abs. 2 AÜG, wonach keine Arbeitnehmerüberlassung, sondern verdeckte Arbeitsvermittlung anzunehmen ist, wenn der Überlassende nicht die üblichen Arbeitgeberpflichten oder das Arbeitgeberrisiko übernimmt.92 Bei der konzerninternen Arbeitnehmerüberlassung sind diese Erwägungen zum Arbeitgeberrisiko dagegen unerheblich, da es sich dabei um eine nach dem AÜG gebilligte Form der Arbeitnehmerüberlassung handelt, die nicht als Arbeitsvermittlung behandelt werden darf.93
III. Räumlicher Anwendungsbereich Der räumliche Anwendungsbereich des AÜG beschränkt sich auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland.94 Grenzüberschreitende Überlassungen finden aber auch dann in Deutschland statt und unterliegen somit dem Anwendungsbereich des AÜG, wenn der Verleih von Arbeitnehmern nach Deutschland oder aus Deutschland heraus betrieben wird.95 Verleiher mit Sitz in Deutschland müssen auch bei der Überlassung von Arbeitnehmern ins Ausland das AÜG beachten.96 Umgekehrt können Verleiher mit Sitz in einem EU- oder EWR-Mitgliedstaat Arbeitnehmerüberlassung nach zu § 1 AÜG, II 1 der Gründe), während sie im Bereich der nicht gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung als widerlegbar angesehen wurde (BAG v. 21.3.1990 – 7 AZR 198/89, AP Nr. 15 zu § 1 AÜG). 89 Vgl. zur Bedeutung des § 1 Abs. 2 AÜG Löwisch/Caspers/Klumpp, ArbR, Rn. 901. 90 Vgl. hierzu Schüren/Schüren, AÜG, § 1 Rn. 378; Ulber, AÜG, § 1 Rn. 214. 91 Schüren/Schüren, AÜG, § 1 Rn. 387. 92 Das Arbeitgeberrisiko besteht im Wesentlichen im Risiko der Nichteinsatzzeiten, vgl. Schüren, in: FS Kollhosser, S. 697, 706. 93 Willemsen/Annuß, BB 2005, 437, 438; LAG Niedersachsen v. 28.2.2006 – 13 TaBV56/05, BB 2007, 2352, II 2 der Gründe. 94 BT-Drs. VI/2303, S. 10. 95 Ausführlich Boemke/Lembke, AÜG, Einl. Rn. 12 ff. 96 Boemke/Lembke, AÜG, Einl. Rn. 13; Hamann, Fremdpersonal im Unternehmen, S. 133.
38
2. Teil: Grundlagen
Deutschland betreiben, wenn sie hierfür eine Erlaubnis nach § 3 Abs. 4 AÜG besitzen. Auch in diesem Fall ist das AÜG anwendbar. Dagegen ist Verleihern aus Drittstaaten die Arbeitnehmerüberlassung nach Deutschland hinein gemäß § 3 Abs. 2 AÜG untersagt.
C. Rechtsbeziehungen bei der Arbeitnehmerüberlassung Jede Arbeitnehmerüberlassung im Rahmen der wirtschaftlichen Tätigkeit97 des Verleihers unterliegt gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 AÜG der Erlaubnispflicht, falls keine Ausnahmetatbestände vorliegen. Welche Rechtsbeziehungen zwischen dem Verleiher, dem Leiharbeitnehmer und dem Entleiher bestehen und wie diese ausgestaltet sind, richtet sich ausschließlich danach, ob die Arbeitnehmerüberlassung mit der erforderlichen Erlaubnis durchgeführt wurde.
I. Rechtsbeziehungen bei der legalen Arbeitnehmerüberlassung Die erlaubte Arbeitnehmerüberlassung ist nach der Konzeption des AÜG dadurch gekennzeichnet, dass lediglich im Überlassungsverhältnis zwischen dem Verleiher und dem Entleiher sowie im Leiharbeitsverhältnis zwischen dem Verleiher und dem Leiharbeitnehmer vertragliche Beziehungen bestehen; dagegen besteht im Verhältnis zwischen dem Entleiher und dem Leiharbeitnehmer keine arbeitsvertragliche Beziehung.98 1. Überlassungsverhältnis Ein Überlassungsverhältnis kommt zustanden, wenn der Verleiher und der Entleiher einen Vertrag mit dem Inhalt abschließen, einen Arbeitnehmer zu überlassen. Der Überlassungsvertrag nach § 12 Abs. 1 Satz 1 AÜG erfordert Schriftform. Regelmäßig wird vereinbart, dass der Verleiher die Überlassung eines Arbeitnehmers schuldet und der Entleiher im Gegenzug eine Vergütung erhält.99 Der Überlassungsvertrag wird daher als synallagmati97 Seit dem 1.12.2011 kommt es nicht mehr auf die Gewerbsmäßigkeit der Arbeitnehmerüberlassung an, vgl. hierzu oben, Abschnitt 2. A. 98 Schaub/Koch, ArbR-HdB, § 120 Rn. 5. 99 Becker/Wulfgramm, AÜG, Art. 1 § 12 Rn. 20 und Rn. 24; ErfK/Wank, AÜG, Einl. Rn. 15 f. Der Gewinn des Verleihers ergibt sich dabei regelmäßig aus der Differenz zwischen der dem Leiharbeitnehmer gezahlten Vergütung (sowie der anfallenden Kosten) und dem vom Entleiher erhaltenen Überlassungsentgelt.
C. Rechtsbeziehungen bei der Arbeitnehmerüberlassung39
scher Vertrag sui generis (im Sinne des §§ 241 Abs. 1, 311 Abs. 1 BGB) in Form eines Dienstverschaffungsvertrages verstanden.100 Als solcher richtet er sich nicht nach arbeitsrechtlichen, sondern nach allgemeinen zivilrechtlichen Bestimmungen, da er kein Arbeitsverhältnis zum Inhalt hat.101 Wesentliches Merkmal des Überlassungsvertrags ist, dass der Verleiher lediglich die Auswahl und Überlassung eines Arbeitnehmers schuldet.102 Für den Inhalt der Arbeitsleistung, d. h. die Art und Weise der Arbeitsausführung durch den Leiharbeitnehmer, hat der Verleiher weder selbst noch nach § 278 BGB einzustehen.103 Bezüglich der Person des zu überlassenden Arbeitnehmers wird typischerweise vereinbart, dass der Verleiher lediglich die Auswahl und Überlassung eines „geeigneten“104, d. h. arbeitsbereiten und ausreichend qualifizierten Arbeitnehmers schuldet.105 Eine derartige Überlassungspflicht ist mit der Gattungsschuld im Sinne des § 243 BGB vergleichbar,106 so dass auf die Gattungsschuld anwendbare Vorschriften entsprechend ihrem Rechtsgedanken für das Überlassungsverhältnis herangezogen werden können, auch wenn es sich beim Leiharbeitnehmer selbstverständlich nicht um eine Sache handelt.107 Weitaus seltener wird die Überlassung eines bestimmten, namentlich genannten Leiharbeitnehmers vereinbart108 − dann konkretisiert sich die Leistungspflicht des Verleihers wie bei einer „Stückschuld“ auf den betreffenden Leiharbeitnehmer, so dass 100 Palandt/Weidenkaff, Einf. v. § 611 Rn. 38; Ramm, ZfA 1973, 263, 267; ErfK/ Wank, AÜG, Einl. Rn. 14; Ulber, AÜG, § 1 Rn. 156; Thüsing/Waas, AÜG, § 1 Rn. 49a; Boemke, Schuldvertrag und Arbeitsverhältnis, S. 562 m. w. N.; a. A. Becker/ Wulfgramm, AÜG, Art. 1 § 12 Rn. 31. 101 Becker/Wulfgramm, AÜG, Art. 1 § 12 Rn. 19. 102 Schaub/Koch, ArbR-HdB, § 120 Rn. 83; Schüren/Brors, AÜG, Einl. Rn. 381. 103 BGH v. 13.5.1975 – VI ZR 247/73, AP Nr. 1 zu § 12 AÜG, II 1 der Gründe; BAG v. 18.1.1989 – 7 ABR 21/88, AP Nr. 1 zu § 9 BetrVG 1972; Becker/Wulfgramm, AÜG, Art. 1 § 12 Rn. 43; Boemke, Schuldvertrag und Arbeitsverhältnis, S. 560; Walker, AcP 194 (1994), S. 295, 297 f. Vgl. auch das Formulierungsbeispiel bei Schaub/Schrader, Formularhandbuch, § 17 Rn. 28 mit dem Hinweis, dass auch Vereinbarungen möglich sind, wonach der Verleiher den Entleiher von Schadensersatzansprüchen, die der Leiharbeitnehmer verursacht, freizustellen hat. 104 Hierzu bestimmt § 12 Abs. 1 Satz 3 AÜG, dass der Entleiher auch die besonderen Merkmale und die notwendige berufliche Qualifikation des Leiharbeitnehmers anzugeben hat, die für die vorgesehene Tätigkeit notwendig sind. 105 Boemke/Lembke, AÜG, § 12 Rn. 36; Schüren/Brors, AÜG, Einl. Rn. 386; Walker, AcP 194 (1994), S. 295, 298. 106 Boemke/Lembke, AÜG, § 12 Rn. 36; Brors, WiVerw 1996, 229, 232; Thüsing/ Thüsing, AÜG, § 12 Rn. 23; Ulber, AÜG, § 12 Rn. 22. 107 Brors, WiVerw 1996, 229, 232. 108 Dies kommt insbesondere vor, wenn der Entleiher einen ihm bereits bekannten Leiharbeitnehmer einsetzen möchte, oder wenn es um Fachkräfte mit besonderen Qualifikationen geht, vgl. Hamann, Fremdpersonal im Unternehmen, S. 148.
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2. Teil: Grundlagen
die Überlassung eines anderen Leiharbeitnehmers keine Erfüllung darstellen würde. Eine darüber hinausgehende Haftung des Verleihers für die Art und Weise der Leistung durch den Leiharbeitnehmer wird meist ausgeschlossen. Das Risiko der ordnungsgemäßen Arbeitsleistung des Leiharbeitnehmers trägt der Entleiher,109 während der Verleiher das Risiko der kontinuierlichen Besetzung des Arbeitsplatzes bzw. des Ausfalls des Leiharbeitnehmers trägt.110 Im Arbeitnehmerüberlassungsvertrag wird ferner geregelt, dass der Entleiher notwendige, arbeitsbezogene Weisungsbefugnisse ausüben kann.111 2. Leiharbeitsverhältnis Im Leiharbeitsverhältnis zwischen dem Verleiher und dem Leiharbeitnehmer bestehen synallagmatische Leistungspflichten.112 Der Leiharbeitnehmer schuldet die weisungsabhängige Erbringung von Arbeitsleistungen, wobei die Besonderheit eines Leiharbeitsverhältnisses darin besteht, dass der Leiharbeitnehmer sich verpflichtet, bei Dritten (Entleihern) tätig zu werden.113 Die Zulässigkeit einer solchen Konstellation wird meist aus § 613 Satz 2 BGB abgeleitet,114 woraus sich ergibt, dass die Übertragbarkeit des Anspruchs auf Arbeitsleistung nur möglich ist, wenn dies ausdrücklich vereinbart wurde.115 Der Verleiher schuldet als Arbeitgeber die Zahlung der vereinbarten Vergütung, wobei die Vergütungspflicht auch für die Zeiträume besteht, in denen der Leiharbeitnehmer nicht bei Entleihern eingesetzt 109 Boemke, BB 2006, 997, 998; vgl. ferner die Muster für einen Überlassungsvertrag bei Schaub/Schrader, Formularhandbuch, § 17 Rn. 28 sowie bei Urban-Crell/ Schulz, Arbeitnehmerüberlassung und Arbeitsvermittlung, Rn. 1426. 110 Boemke/Lembke, AÜG, § 12 Rn. 36; Thüsing/Thüsing, AÜG, Einf. Rn. 41; Schüren/Brors, AÜG, Einl. Rn. 381. 111 Vgl. Schaub/Schrader, Formularhandbuch, § 17 Rn. 25. Vgl. im Einzelnen zu den Weisungsbefugnissen des Entleihers unten, Abschnitt 2. C. I. 3. b) bb). 112 Ramm, ZfA 1973, 263, 281 f.; Schüren, AÜG, Einl. Rn. 143 bzw. 175 ff. 113 Vgl. Schaub/Schrader, Formularhandbuch, § 17 Rn. 3. 114 Becker/Wulfgramm, AÜG, Art. 1 § 11 Rn. 34; Rüthers/Bakker, ZfA 1990, 245, 274; Schüren/Schüren, AÜG Einl. Rn. 177; MünchKomm-BGB/Müller-Glöge, § 611 Rn. 1277. 115 Nach der hier vertretenen Auffassung wird der Anspruch auf die Arbeitsleistung nicht vom Verleiher auf den Entleiher in dem Sinne übertragen, dass der Verleiher den Anspruch gänzlich aufgibt (vgl. dazu unten, Abschnitt 2. C. I. 3. a) bb)). Daher ist § 613 Satz 2 BGB nicht einschlägig, da es in § 613 Satz 2 BGB um die Übertragbarkeit des Anspruchs auf die Arbeitsleistung geht. Die Zulässigkeit der Vereinbarung eines Drittbezugs im Leiharbeitsvertrags ergibt sich auch ohne Rückgriff auf § 613 Satz 2 BGB.
C. Rechtsbeziehungen bei der Arbeitnehmerüberlassung41
wird.116 Die durchgehende Vergütungspflicht des Verleihers auch für überlassungsfreie Zeiträume ist notwendig, da der Verleiher das Arbeitgeberrisiko zu tragen hat.117 Die im Leiharbeitsverhältnis getroffene Vereinbarung der Arbeitsbedingungen muss sich für den Zeitraum der Überlassung grundsätzlich nach den Arbeitsbedingungen des Entleiherbetriebs richten. Nach dem Grundsatz des Equal Pay und Equal Treatment, der in § 3 Abs. 1 Nr. 3, § 9 Nr. 2 und § 10 Abs. 4 Satz 1 AÜG zum Ausdruck kommt, müssen dem Leiharbeitnehmer für die Zeit der Überlassung die im Entleiherbetrieb geltenden wesentlichen Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgelts gewährt werden.118 Ferner hat der Leiharbeitnehmer einen Anspruch auf Beschäftigung, was aus dem nach Art. 2 Abs. 1 und 12 Abs. 1 GG geschützten Interesse eines jeden Arbeitnehmers auf Beschäftigung folgt.119 Die hierzu korrespondierende Beschäftigungspflicht in Form der Einteilung des Leiharbeitnehmers zum Einsatz beim jeweiligen Entleiher trifft den Verleiher als Arbeitgeber.120 Da die Besonderheit der Leiharbeit darin liegt, dass es immer zu Leerlaufzeiten kommen kann, in denen kein Einsatz bei einem Entleiher möglich ist, kann sich der Beschäftigungsanspruch des Leiharbeitnehmers jedoch nicht auf eine durchgehende tatsächliche Beschäftigung richten.121 Die Befristung des Leiharbeitsverhältnisses seit der Änderung des AÜG durch die „Hartz I“-Gesetzgebung122 ist nach den allgemeinen Regelungen des Teilzeitbefristungsgesetzes möglich.123 Für die Kündigung des Leiharbeitsverhältnisses bestehen (abgesehen von § 11 Abs. 4 Satz 1 AÜG124) ebenfalls keine speziellen Regelungen im AÜG. Der Leiharbeitnehmer kann sowohl den besonderen als auch den allgemeinen Kündigungsschutz in Anspruch nehmen, sofern die persönlichen und sachlichen Voraussetzungen 116 Schüren/Schüren,
AÜG, Einl. Rn. 183. § 611 Rn. 1279. 118 Eingehend zum Equal Pay und Equal Treatment Grundsatz vgl. Boemke/ Lembke, AÜG, § 9 Rn. 69 ff.; Guenoub, Equal Pay und Equal Treatment, S. 73 ff.; Blanke, DB 2010, 1528 ff.; Thüsing, DB 2003, 446 ff. 119 Vgl. zum Beschäftigungsanspruch Löwisch/Caspers/Klumpp, ArbR, Rn. 223 ff. 120 Schüren/Brors, AÜG, Einl. Rn. 443. 121 Schüren/Brors, AÜG, Einl. Rn. 443. 122 Erstes Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2002, BGBl. I 2002, S. 4607 (Art. 6 Ziff. 3b). 123 Im Einzelnen hierzu Frik, NZA 2005, 386 ff.; Düwell/Dahl, NZA 2007, 889, 890; Lembke, DB 2003, 2702 ff. 124 Nach § 11 Abs. 4 Satz 1 AÜG gelten die Kündigungsfristen des § 622 Abs. 5 Nr. 1 BGB nicht für Leiharbeitsverhältnisse. 117 MünchKomm-BGB/Müller-Glöge,
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2. Teil: Grundlagen
(bezogen auf den Verleiherbetrieb) vorliegen.125 Für eine betriebsbedingte Kündigung des Leiharbeitsverhältnisses kommt es auf die Beschäftigungsmöglichkeit im Betrieb des Verleihers an.126 3. Beschäftigungsverhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer Zwischen dem Entleiher und Leiharbeitnehmer besteht nach der Konzeption des AÜG bei der legalen Arbeitnehmerüberlassung keine arbeitsvertragliche Beziehung.127 Dies entspricht auch der einhelligen Linie in Rechtsprechung und Schrifttum.128 Der Entleiher wird nicht zum Arbeitgeber des Leiharbeitnehmers – das Rechtsverhältnis zwischen ihm und dem Leiharbeitnehmer ist vielmehr durch die faktische Eingliederung des Leiharbeitnehmers in den Betrieb des Entleihers sowie die Arbeitstätigkeit unter der Weisung des Entleihers gekennzeichnet.129 Für das Rechtsverhältnis zwischen dem Entleiher und dem Leiharbeitnehmer wird deshalb – in Abgrenzung zum vertraglich eingegangenen Arbeitsverhältnis – im Folgenden der Begriff des „Beschäftigungsverhältnisses“130 verwendet.131 Aufgrund der Eingliederung des Leiharbeitnehmers in den Entleiherbetrieb und der Tatsache, dass der Leiharbeitnehmer seine Arbeitsleistung im 125 Vgl. insgesamt hierzu Schüren/Schüren, AÜG, Einl. Rn. 270 ff.; ErfK/Wank, AÜG, Einl. Rn. 27. 126 Näher hierzu GK-KSchG/Griebeling, KSchG, § 1 Rn. 60; Hiekel, in: FS 25 Jahre Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht im DAV, S. 333, 340. 127 Zur Kritik an diesem gesetzgeberischen Konzept schon vor Inkrafttreten des AÜG vgl. Mayer-Maly, ZfA 1972, 1, 23 f.; Mayer, AuR 1974, 353, 363. Zu der Beurteilung einer arbeitsvertraglichen Beziehung zwischen dem Leiharbeitnehmer und dem Entleiher de lege ferenda vgl. Menting, Probleme und Perspektiven der Arbeitnehmerüberlassung, S. 139 ff. 128 So etwa BAG v. 14.5.1974 – 1 ABR 40/73, AP Nr. 2 zu § 99 BetrVG 1972, II 3 der Gründe; und statt vieler Schüren/Schüren, AÜG, Einl. Rn. 109 f.; Thüsing/ Thüsing, AÜG, Einf. Rn. 37. 129 Statt vieler Schaub/Koch, ArbR-HdB, § 120 Rn. 5. 130 Den Begriff des „Beschäftigungsverhältnisses“ wählen auch ErfK/Wank, AÜG, Einl. Rn. 32; Urban-Crell/Schulz, Arbeitnehmerüberlassung und Arbeitsvermittlung, Rn. 472. Es besteht allerdings keine einheitliche Begriffsverwendung, vgl. Thüsing/ Waas, AÜG, § 1 Rn. 50. Teilweise werden Umschreibungen gewählt, vgl. Becker/ Kreikebaum, Zeitarbeit, S. 114 („arbeitsverhältnisähnliche Sonderbeziehung“). 131 Der hier gewählte Begriff des „Beschäftigungsverhältnisses“ wird freilich nicht im Sinne des „Beschäftigungsverhältnisses“ nach § 7 SGB IV verwendet. Im SGB IV dient der Begriff der Bestimmung des versicherungspflichtigen Personenkreises; hier dient der Begriff der Abgrenzung des Rechtsverhältnisses zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer von einem Arbeitsverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer.
C. Rechtsbeziehungen bei der Arbeitnehmerüberlassung43
Entleiherbetrieb erbringt, können diejenigen leistungsbezogenen und betriebsbezogenen Fragen, die sich typischerweise im Arbeitsverhältnis zwischen einem Arbeitgeber und einem Arbeitnehmer ergeben, auch im Beschäftigungsverhältnis relevant werden.132 Das AÜG regelt derartige Berührungspunkte zwischen dem Leiharbeitnehmer und dem Entleiher nur punktuell. Für drei Einzelfälle ist ausdrücklich vorgesehen, dass partielle Arbeitgeberfunktionen durch den Entleiher wahrzunehmen sind: Der Entleiher hat nach § 11 Abs. 6 Satz 1 und Satz 2 AÜG zwingende Arbeitsschutzbestimmungen zu beachten, weiterhin gilt er bei Diensterfindungen des Leiharbeitnehmers gemäß § 11 Abs. 7 AÜG als dessen Arbeitgeber, und schließlich hat der Leiharbeitnehmer nach § 11 Abs. 5 AÜG ein Leistungsverweigerungsrecht im Fall eines Arbeitskampfs im Entleiherbetrieb.133 Diese Regelungen rechtfertigen sich dadurch, dass der Entleiher in den Bereichen, in denen er allein durch die Ausübung des Weisungsrechts auf die Tätigkeit des Leiharbeitnehmers Einfluss nehmen kann, faktisch die Rolle eines Arbeitgebers hat.134 Abgesehen von diesen ausdrücklich geregelten Fällen lässt das AÜG offen, wie die leistungsbezogenen und betriebsbezogenen Fragestellungen im Verhältnis zwischen dem Leiharbeitnehmer und dem Entleiher zu behandeln sind. Für deren Beantwortung bleibt nur der Rückgriff auf allgemeine arbeits- und zivilrechtliche Regelungen bzw. Rechtsfiguren. Ob und inwieweit dies überhaupt möglich ist, muss anhand der rechtsdogmatischen Natur des Beschäftigungsverhältnisses bestimmt werden. a) Rechtsnatur des Beschäftigungsverhältnisses Dem AÜG ist keine Aussage zum Rechtsverhältnis zwischen dem Entleiher und dem Leiharbeitnehmer zu entnehmen, und auch durch die Rechtsprechung ist noch keine abschließende Klärung zur Rechtsnatur des Beschäftigungsverhältnisses erfolgt.135 Nur für den Fall der illegalen Arbeitnehmerüberlassung wird nach § 10 Abs. 1 AÜG ein Arbeitsverhältnis zwischen dem Entleiher und dem Leiharbeitnehmer fingiert. Im Umkehrschluss hierzu wird im Allgemeinen gefolgert, dass bei der erlaubten Arbeitnehmer überlassung nur eine arbeitsvertragliche Beziehung zwischen dem Verleiher und dem Leiharbeitnehmer, aber kein umfängliches Arbeitsverhältnis zwi132 Vgl.
dazu im Einzelnen unten, Abschnitt 3. ZfA 1973, 263, 284; Boemke, Schuldvertrag und Arbeitsverhältnis,
133 Ramm,
S. 568. 134 Mayer, AuR 1974, 353, 357. 135 Vgl. Reinsch, Das Rechtsverhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer, S. 33.
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2. Teil: Grundlagen
schen dem Entleiher und dem Leiharbeitnehmer besteht.136 Abgesehen davon ist im Einzelnen umstritten, wie das Rechtsverhältnis zwischen dem Entleiher und dem Leiharbeitnehmer zu erfassen ist und welche Rechte und Pflichten sich daraus ergeben. Die verschiedenen hierzu vertretenen Positionen lassen sich im Wesent lichen danach unterscheiden, ob ein unmittelbarer Leistungsanspruch des Entleihers auf die Arbeitsleistung des Leiharbeitnehmers anerkannt wird. Für die aus dem Beschäftigungsverhältnis ableitbaren wechselseitigen Ansprüche stellt die Entscheidung über einen solchen Leistungsanspruch des Entleihers eine wichtige Weichenstellung dar. Das Vorliegen eines Leistungsanspruchs des Entleihers gegenüber dem Leiharbeitnehmer richtet sich grundsätzlich nach dem (ausdrücklichen oder auszulegenden) Inhalt des Leiharbeitsverhältnisses zwischen dem Verleiher und dem Leiharbeitnehmer.137 Das Leiharbeitsverhältnis ist kein einheitlicher, gesetzlich festgelegter Typusbegriff (wie beispielsweise das Dienstverhältnis im Sinne des § 611 BGB). Innerhalb des rechtlichen Rahmens des AÜG ist es möglich, Leiharbeitsverhältnisse auf verschiedene Weise zu gestalten.138 Die unterschiedlichen Gestaltungsformen durch die individuellen Vereinbarungen der Parteien führen dazu, dass nicht alle Leiharbeitsverhältnisse nach demselben rechtsdogmatischen Konzept kategorisiert werden können. In der Praxis folgen die meisten Leiharbeitsverträge jedoch einem einheitlichen Modell, so dass durchaus abstrakt von einem typisierten Leiharbeitsverhältnis gesprochen werden kann, dessen Inhalt für die folgende Analyse zugrunde gelegt wird.139 Ein weiterer Ansatz zur dogmatischen Einordung des Beschäftigungsverhältnisses besteht darin, die Arbeitgeberstellung zwischen dem Verleiher und dem Entleiher als „aufgespalten“ anzusehen.140 Dies wird daraus abgeleitet, dass dem Entleiher bestimmte Arbeitgeberfunktionen nach § 11 Abs. 6 und Abs. 7 AÜG sowie bestimmte Weisungsbefugnisse im Rahmen des 136 Schaub/Koch, ArbR-HdB, § 120 Rn. 5; Walker, AcP 194 (1994), S. 295, 300 m. w. N. 137 Konzen, ZfA 1982, 259, 280; Walker, AcP 194 (1994), S. 295, 309, 311; Boemke, Schuldvertrag und Arbeitsverhältnis, S. 559. 138 Martens, DB 1985, 2144, 2146, Konzen, ZfA 1982, 259, 280. 139 Vgl. das Muster eines Leiharbeitsvertrags bei Schaub/Schrader, Formularbuch, § 17 Rn. 1 ff., das als Beispiel für die praktisch übliche Gestaltung dienen kann; ferner Witten, Vertragsgestaltung und Gesetzesbindung im Recht der Zeitarbeit, S. 118 ff. zum gesetzlich vorgegebenen Mindestinhalt des Leiharbeitsvertrags. 140 Boemke, Schuldvertrag und Arbeitsverhältnis, S. 569; Becker/Wulfgramm, AÜG, Art. 1 § 1 Rn. 57; Erdlenbruch, Die betriebsverfassungsrechtliche Stellung, S. 68 ff.; Ramm, ZfA 1973, 263, 291; Rüthers/Bakker, ZfA 1990, 245, 276; Henssler, Der Arbeitsvertrag im Konzern, S. 63; in jüngerer Zeit Lembke, NZA 2011, 319, 321.
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Überlassungsverhältnisses zugewiesen werden.141 Der Begriff des aufgespaltenen Arbeitsverhältnisses sagt an sich noch nichts darüber aus, welche einzelnen Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis zum Leiharbeitnehmer aufgespalten sind und ob insbesondere der Anspruch auf die Arbeitsleistung des Leiharbeitnehmers zwischen dem Verleiher und dem Entleiher aufgespalten ist. Im Schrifttum wird der Begriff des aufgespaltenen Arbeitsverhältnisses meist nur verwendet, um die tatsächliche Übernahme bestimmter Arbeitgeberfunktionen durch den Entleiher zu beschreiben, ohne notwendigerweise damit ein unmittelbares Leistungsrecht des Entleihers zu bejahen.142 Vorzuziehen ist eine Differenzierung anhand des jeweiligen Arbeitgeberrechts: Beispielsweise kann durchaus von einer „sektoralen Aufspaltung“ von Weisungsbefugnissen zwischen dem Verleiher und dem Entleiher gesprochen werden.143 Zu ungenau ist dagegen die Bezeichnung der Arbeitgeberstellung an sich als „aufgespalten“. Schließlich sollte der Begriff des aufgespaltenen Arbeitsverhältnisses im Zusammenhang mit der Arbeitnehmerüberlassung auch deshalb nicht verwendet werden, da er irreführenderweise an die früher vertretene Auffassung zum „Doppelarbeitsverhältnis“ erinnert,144 nach der sowohl zum Verleiher als auch zum Entleiher ein Arbeitsverhältnis mit daraus folgenden Leistungspflichten des Leiharbeitnehmers gegenüber beiden bestand.145 aa) Kein unmittelbarer Leistungsanspruch des Entleihers auf die Arbeitsleistung des Leiharbeitnehmers Den früher überwiegend vertretenen Auffassungen zur rechtlichen Einordnung des Beschäftigungsverhältnisses war gemeinsam, dass ein unmittelbarer Anspruch des Entleihers auf die Arbeitsleistung des Leiharbeitnehmers abgelehnt wurde.146 Für die rechtsdogmatische Einordnung folgt nach dieser 141 Boemke,
Schuldvertrag und Arbeitsverhältnis, S. 568. etwa Boemke, Schuldvertrag und Arbeitsverhältnis, S. 569; wohl auch Lembke, NZA 2011, 319, 321; Kraft, FS Pleyer, S. 383, 384; Konzen, ZfA 1982, 259, 264 f.; Müllner, Aufgespaltene Arbeitgeberstellung und Betriebsverfassungsrecht, S. 40; Henssler, Der Arbeitsvertrag im Konzern, S. 63 ff. und S. 66, der einen Anspruch des Leiharbeitnehmers (bei der Konzernleihe) auf Abschluss eines Arbeitsvertrages (mit entsprechenden Leistungspflichten) mit dem Entleiher bejaht, wenn die Einsatzdauer sechs Monate übersteigt. 143 MünchKomm-BGB/Müller-Glöge, § 611 Rn. 1278. 144 Vgl. zur Abgrenzung des Begriffs der „aufgespaltenen Arbeitgeberstellung“ von der Lehre des Doppelarbeitsverhältnisses Erdlenbruch, Die betriebsverfassungsrechtliche Stellung, S. 69. 145 Dazu sogleich unter Abschnitt 2. C) I. 3. a) bb) (1). 146 So wohl Becker, F., NJW 1976, 1827, 1828; Konzen, ZfA 1982, 259, 280; Rüthers/Bakker, ZfA 1990, 245, 274; Becker/Wulfgramm, AÜG, Art. 1 Einl. Rn. 13; 142 So
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2. Teil: Grundlagen
Position, dass das Beschäftigungsverhältnis als Rechtsverhältnis ohne jegliche Leistungsansprüche angesehen wird, das nur durch das Weisungsrecht sowie gegenseitige Schutz- und Fürsorgepflichten gekennzeichnet ist. Im Folgenden werden die verschiedenen hierzu vertretenen Ansätze, die sich nicht im Ergebnis, jedoch in der Begründung teils deutlich unterscheiden, einzeln betrachtet. (1) Leiharbeitsvertrag als unechter Vertrag zugunsten Dritter Teilweise wird der Leiharbeitsvertrag zwischen dem Verleiher und dem Leiharbeitnehmer als unechter Vertrag zugunsten des Entleihers verstanden.147 Bei der Rechtsfigur des unechten Vertrags zugunsten Dritter wird der Schuldner lediglich berechtigt, mit befreiender Wirkung an den Dritten zu leisten, wobei der Anspruch auf die Leistung weiterhin ausschließlich dem Gläubiger (und nicht dem Dritten) zusteht.148 Übertragen auf das Dreiecksverhältnis bei der Arbeitnehmerüberlassung bedeutet dies, dass der Leistungsanspruch ausschließlich dem Verleiher als Gläubiger zustünde, nicht aber dem Entleiher. Der Leiharbeitnehmer wäre lediglich befugt, mit befreiender Wirkung an den Entleiher zu leisten, ohne dass dieser einen eigenen Leistungsanspruch geltend machen könnte. Dieser Ansatz ist zwar nicht unrichtig, geht jedoch in der Beurteilung der Leistungsberechtigung nicht weit genug, um die tatsächliche Interessenlage bei der Arbeitnehmer überlassung umfassend und überzeugend abzubilden. Die besseren Gründe sprechen für ein unmittelbares Forderungsrecht des Entleihers. Der Leiharbeitsvertrag ist nicht als unechter, sondern als echter Vertrag zugunsten Dritter im Sinne des § 328 BGB anzusehen, was sogleich zu zeigen sein wird.149
Boemke, Schuldvertrag und Arbeitsverhältnis, S. 559; Ulber, AÜG § 1 Rn. 21; Urban-Crell/Schulz, Arbeitnehmerüberlassung und Arbeitsvermittlung, Rn. 480; Viergutz, Die Haftung für Schlechtleistung des Leiharbeitnehmers bei der gewerblichen Arbeitnehmerüberlassung, S. 153 ff.; Gick, Gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung, S. 105 ff.; Hempel, Das Spannungsverhältnis zwischen dem sozialen Schutz der Arbeitnehmer und den Interessen der Verleiher und der Entleiher, S. 161 ff. 147 Becker/Kreikebaum, Zeitarbeit, S. 152; Becker/Wulfgramm, AÜG, Art. 1 § 11 Rn. 23; Boemke, Schuldvertrag und Arbeitsverhältnis, S. 559; Gick, Gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung, S. 105 ff.; Konzen, ZfA 1982, 259, 280; Erdlenbruch, Die betriebsverfassungsrechtliche Stellung, S. 53 f.; Rüthers/Bakker, ZfA 1990, 245, 274; Ulber, AÜG, § 1 Rn. 20. 148 MünchKomm-BGB/Gottwald, § 328 Rn. 9. 149 Dazu sogleich unter Abschnitt 2. C. I. 3. a) bb) (2).
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(2) Leiharbeitsvertrag als Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter Nach einem anderen Ansatz wird der Leiharbeitsvertrag als Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten des Entleihers aufgefasst.150 Durch den Drittbezug der Arbeitsleistung hat der Leiharbeitnehmer Einwirkungsmöglichkeiten auf die Rechtsgüter des Entleihers, die eine Einbeziehung in den geschützten Kreis rechtfertigen können.151 Boemke geht sogar noch einen Schritt weiter, indem er dem Entleiher „nach den Grundsätzen des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter“ einen direkten Anspruch auf das Leistungsinteresse zugesteht, mit der Begründung, dass der Leiharbeitsvertrag erkennbar auch im (Leistungs-)Interesse des Entleihers begründet worden sei.152 Zweifelhaft ist, ob das notwendige Interesse des Gläubigers am Drittschutz bejaht werden kann, denn dazu müsste der zwischen dem Verleiher und dem Entleiher geschlossene Überlassungsvertrag die „Gläubigernähe“ des Entleihers erkennen lassen.153 Mittlerweile kommt es nicht mehr auf eine persönliche Fürsorgepflicht des Gläubigers gegenüber dem Dritten an, sondern es genügt auch eine vertraglich begründete Schutzpflicht etwa im Rahmen bestehender Geschäfts- und Vertrauensbeziehungen, um das Inte resse am Drittschutz zu rechtfertigen.154 Es ist jedoch im Regelfall nicht ersichtlich, dass der Verleiher dem Entleiher gegenüber zu einem besonderen rechtlichen Schutz verpflichtet ist, der über das in einer normalen Geschäftsbeziehung übliche Ausmaß hinausgeht − ein Vertragsinteresse des Verleihers am Drittschutz des Entleihers ist daher in aller Regel abzulehnen.155 Darüber hinaus kann nach dieser Auffassung nur eine Schutzpflicht des Leiharbeitnehmers gegenüber dem Entleiher, nicht aber eine Schutzpflicht des Entleihers gegenüber dem Leiharbeitnehmer begründet werden.156 150 Urban-Crell/Schulz, Arbeitnehmerüberlassung und Arbeitsvermittlung, Rn. 479; Schaub/Koch, ArbR-HdB § 120, Rn. 66; ebenso Walker, AcP 194 (1994), S. 295, 314 der aber vorrangig einen echten Vertrag zugunsten Dritter bejaht und nur „hilfsweise“ Ausführungen zum Vertrag mit Schutzwirkung macht. 151 Walker, AcP 194 (1994), S. 295, 316; Reinsch, Das Rechtsverhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer, S. 160. 152 Boemke, Schuldvertrag und Arbeitsverhältnis, S. 578. 153 Konzen, ZfA 1982, 259, 284 verneint ein Interesse des Verleihers am Drittschutz mit dem Einwand, es fehle an Fürsorgepflichten des Verleihers gegenüber dem Entleiher. 154 Vgl. hierzu ausführlich MünchKomm-BGB/Gottwald, § 328 Rn. 179 ff. 155 So auch Schüren/Schüren, AÜG, Einl. Rn. 131; Witten, Vertragsgestaltung und Gesetzesbindung im Recht der Zeitarbeit, S. 55; Hollinger, Leistungsstörungen bei der Arbeitnehmerüberlassung, S. 208 f. 156 Schüren/Schüren, AÜG, Einl. Rn. 132. Teilweise wird auch der Überlassungsvertrag als Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten des Leiharbeitnehmers konstruiert, um gegenseitige Schutzpflichten zu begründen, vgl. Konzen, ZfA 1982, 259, 284.
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2. Teil: Grundlagen
bb) Unmittelbarer Leistungsanspruch des Entleihers Im Schrifttum sind verschiedene Ansätze entwickelt worden, um ein unmittelbares Forderungsrecht des Entleihers auf die Arbeitsleistung des Leiharbeitnehmers zu begründen. Diese lassen sich danach einteilen, ob ein Leistungsanspruch aus einer Konstruktion echter arbeitsvertraglicher Beziehungen im Beschäftigungsverhältnis abgeleitet wird, oder ob ein Leistungsanspruch des Entleihers durch die Einordnung des Leiharbeitsvertrags als echten Vertrag zugunsten Dritter begründet wird. (1) Konstruktionen echter arbeitsvertraglicher Beziehungen Die früher vertretene Theorie vom Doppelarbeitsverhältnis sah sowohl den Verleiher als auch den Entleiher als Arbeitgeber an und leitete daraus einen unmittelbaren Anspruch des Entleihers auf die Arbeitsleistung des Leiharbeitnehmers ab.157 Dieser Ansatz ist seit der Einführung des AÜG überholt, da er der Gesetzeslage widerspricht.158 Nach der gesetzlichen Konzeption des AÜG besteht nur zwischen dem Verleiher und dem Leiharbeitnehmer ein Arbeitsverhältnis.159 Teilweise wird vertreten, dass die Willenserklärungen aller Beteiligten als Vertragsbeitritt des Entleihers zum Leiharbeitsvertrag aufzufassen seien.160 Ein solcher Beitritt des Entleihers auf Seiten des Verleihers hätte zur Folge, dass der Entleiher ebenfalls die Stellung eines Arbeitgebers mit den daraus folgenden Rechten und Pflichten hätte. Dieser Ansatz scheitert ebenfalls daran, dass nach der gesetzlichen Konzeption des AÜG ein vollumfängliches Arbeitsverhältnis zwischen dem Entleiher und dem Leiharbeitnehmer ausgeschlossen ist. Nach einer anderen Auffassung wird kein originärer, sondern ein abgeleiteter Anspruch des Entleihers auf die Arbeitsleistung des Leiharbeitnehmers angenommen. Dies ergibt sich aus der Annahme, dass im Überlassungsverhältnis eine Abtretung erfolgt, wonach der Verleiher seinen Anspruch auf die Arbeitsleistung des Leiharbeitnehmers an den Entleiher nach § 398 BGB abtritt.161 Diese Konstruktion entspricht jedoch in den allermeisten Fällen 157 Nikisch, Bd. 1, § 24 V 1, S. 214 f.; Hueck/Nipperdey, ArbR Bd. I, § 54 IV 3, S. 523 f.; Mayer-Maly, ZfA 1972, 1, 23 ff. 158 So auch Schüren/Schüren, AÜG, Einl. Rn. 114; Reinsch, Das Rechtsverhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer, S. 85 ff. 159 So auch die mittlerweile einhellige Meinung im Schrifttum; statt aller Schaub/ Koch, ArbR-HdB, § 120 Rn. 5; Walker, AcP 194 (1994), S. 295, 300 m. w. N. 160 Henssler, Der Arbeitsvertrag im Konzern, S. 56 ff., 63 ff. 161 Becker, F., NJW 1971, 691 f.; ferner für eine „Übertragung“ des Anspruchs BAG v. 8.7.1971 – 5 AZR 29/71, AP Nr. 2 zu § 611 BGB Leiharbeitsverhältnis,
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nicht der in der Praxis üblichen Ausgestaltung von Überlassungsverträgen. Ausdrücklich wird eine Abtretung zwischen dem Verleiher und dem Entleiher so gut wie nie vereinbart,162 und ohne entsprechende Anhaltspunkte im Überlassungsvertrag kann nicht angenommen werden, dass ein konkludentes Interesse des Verleihers daran besteht, den Anspruch auf die Arbeitsleistung vollumfänglich abzutreten. Bei einer Abtretung des Anspruchs könnte der Verleiher nämlich nicht mehr vom Leiharbeitnehmer fordern, die Arbeitsleistung beim Entleiher zu erbringen;163 zudem ist fraglich, was der Inhalt des abgetretenen Anspruchs wäre.164 Ein weiterer Ansatz aus der jüngeren Zeit stammt von Däubler, der das Verhältnis zwischen dem Entleiher und dem Leiharbeitnehmer als „partielles“ Arbeitsverhältnis mit einer einseitigen Leistungskomponente des Leiharbeitnehmers begreift.165 Das Vorliegen eines partiellen Arbeitsverhältnisses wird aus der Tatsache hergeleitet, dass bestimmte arbeitsrechtliche Pflichten des Entleihers gesetzlich geregelt sind (wie etwa in § 11 Abs. 6 AÜG, § 11 Abs. 7 AÜG, § 6 Abs. 2 Satz 2 AGG), und auch betriebsverfassungsrechtliche Anknüpfungspunkte zum Entleiherbetrieb nach § 7 Satz 2 BetrVG und § 14 Abs. 2 AÜG bestehen.166 Hieraus wird gefolgert, dass zwar kein umfassendes, aber zumindest ein partielles Arbeitsverhältnis vorliegen müsse, aus dem der Leiharbeitnehmer zur Leistung verpflichtet sei und auch entsprechende Leistungsverweigerungsrechte gegenüber dem Entleiher geltend machen könne.167 Diese Argumentation kann nicht überzeugen, da aus denselben Erwägungen heraus das Gegenteil begründbar wäre. Aus der Tatsache, dass im AÜG nur bestimmte Regelungen zu partiellen Arbeitgeberbefugnissen des Entleihers getroffen werden, kann im Ergebnis weder das Bestehen noch (im Umkehrschluss) das Nichtbestehen von Leistungspflichten abgeleitet werden. Für das Bestehen einer unmittelbaren Leistungspflicht des Leiharbeitnehmers gegenüber dem Entleiher kommt es in erster Linie auf den Willen der Beteiligten an. Ziff. 5 der Gründe; Mittmann, Rechtliche Probleme der Leiharbeit, S. 80; Hromadka/ Maschmann, ArbR I, § 4 Rn. 50a. 162 Vgl. Muster eines Überlassungsvertrags bei Schaub/Schrader, Formularhandbuch, § 17 Rn. 18 ff.; ebenso Becker/Kreikebaum, Zeitarbeit, S. 116 mit dem Hinweis, dass in den üblichen Formular-Überlassungsverträgen keine Abtretung des Anspruchs auf Arbeitsleistung vorgesehen ist. 163 Boemke, Schuldvertrag und Arbeitsverhältnis, S. 564 und S. 560. 164 Schüren/Schüren, AÜG, Einl. Rn. 162 weist darauf hin, dass der Verleiher nur das übertragen kann, was ihm zusteht, und dies ist bei der unechten Leiharbeit in der Regel die Leistung an einen Dritten (und nicht an sich selbst). 165 Däubler, in: FS Buchner, S. 163, 172. 166 Däubler, in: FS Buchner, S. 163, 171. 167 Däubler, in: FS Buchner, S. 163, 171.
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(2) Leiharbeitsvertrag als echter Vertrag zugunsten Dritter Richtigerweise ist mit der mittlerweile überwiegenden Meinung im Schrifttum vom Leiharbeitsvertrag als einem echten Vertrag zugunsten des Entleihers auszugehen.168 Aus diesem Vertrag ergibt sich ein unmittelbares Forderungsrecht des Entleihers auf die Arbeitsleistung des Leiharbeitnehmers im Sinne des § 328 Abs. 1 BGB, ohne dass der Entleiher selbst zum Arbeitgeber des Leiharbeitnehmers wird. Im Folgenden wird aufgezeigt, dass die Auslegung des Leiharbeitsvertrags als echter Vertrag zugunsten Dritter dem typisierten Interesse der Beteiligten entspricht, mit der gesetzlichen Konzeption des AÜG vereinbar ist und schließlich auch in Einklang mit den gesetzlichen Regelungen des echten Vertrag zugunsten Dritter nach §§ 328 ff. BGB steht. Wie bereits erwähnt, schließt dies nicht aus, dass in Einzelfällen aufgrund eines ausdrücklich abweichenden Parteiwillens eine andere rechtsdogmatische Einordnung angebracht sein kann. (a) Übereinstimmung mit dem Willen der Parteien Grundsätzlich kann jeder Vertrag als ein sogenannter echter Vertrag zugunsten Dritter im Sinne des § 328 BGB gestaltet werden, sofern dies dem Willen der Parteien entspricht.169 Ob der Parteiwille auf Drittbegünstigung gerichtet ist, muss im Wege der Auslegung ermittelt werden, wenn die Parteien keine ausdrückliche Regelung getroffen haben.170 Beim echten Vertrag zugunsten Dritter wird durch den Vertrag zwischen dem Versprechendem (dem Schuldner) und dem Versprechensempfänger (dem Gläubiger) im Deckungsverhältnis ein Recht des Dritten begründet.171 Der Dritte ist im 168 So bereits Walker, AcP 194 (1994), S. 295, 309 bzw. 313 f.; Schüren/Schüren, AÜG, Einl. Rn. 168 ff.; ErfK/Wank, AÜG, Einl. Rn. 33, KassArbR/Düwell, 4.5 Rn. 442; MünchKomm-BGB/Gottwald, § 328 Rn. 43; Staudinger/Klumpp (2015), § 328 Rn. 170; Staudinger/Richardi/Fischinger (2011), Vorbem. zu §§ 611 ff., Rn. 461; Niebler/Biebl/Ross, AÜG, Rn. 536; Feuerborn, WiB 1996, 198 f.; Hamann, Fremdpersonal im Unternehmen, S. 74; Guenoub, Equal Pay und Equal Treatment, S. 15 f.; Kaufmann, Arbeitnehmerüberlassung, Rn. 254; Witten, Vertragsgestaltung und Gesetzesbindung im Recht der Zeitarbeit, S. 56 ff.; Reinsch, Das Rechtsverhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer, S. 244; Tucci, Arbeitnehmermobilität im Konzern, S. 166; Stefener, Die Haftung des Verleihers, S. 120; Pollert/Spieler, Die Arbeitnehmerüberlassung, S. 195; unklar Thüsing/Thüsing, Einf. Rn. 35 und Rn. 38. 169 MünchKomm-BGB/Gottwald, § 328 Rn. 20; Palandt/Grüneberg, § 328 Rn. 1. 170 Palandt/Grüneberg, § 328 Rn. 3. 171 MünchKomm-BGB/Gottwald, § 328 Rn. 25 ff.; Palandt/Grüneberg, Einf. v. § 328 Rn. 3.
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Vollzugsverhältnis zum Versprechenden dazu berechtigt, die Leistung des Versprechenden an sich zu fordern.172 Schließlich ergibt sich aus dem Valutaverhältnis zwischen dem Versprechensempfänger und dem Dritten der Rechtsgrund für die Zuwendung der Leistung an den Dritten.173 Bei der Arbeitnehmerüberlassung gehen der Verleiher und der Leiharbeitnehmer den Leiharbeitsvertrag in der Absicht ein, die geschuldete Arbeitsleistung des Leiharbeitnehmers einem oder mehreren Dritten zuzuwenden.174 Der Verleiher als Versprechensempfänger kann vom Leiharbeitnehmer fordern, die Arbeitsleistung an den Entleiher zu erbringen insofern ist die Rechtsfolge des § 335 BGB aus Sicht des Verleihers akzeptiert und gewollt.175 Auch der Wille des Leiharbeitnehmers ist auf Drittbegünstigung des Entleihers gerichtet, da er bereit ist, seine Arbeitsleistung beim Entleiher zu erbringen. Es gehört zum Wesensmerkmal der Arbeitnehmerüberlassung, dass dem Entleiher die Arbeitsleistung des Leiharbeitnehmers zugute kommen soll,176 was sich darin äußert, dass er den Leiharbeitnehmer durch entsprechende Weisungsbefugnisse zur Arbeitstätigkeit anweisen kann. Hierdurch verliert der Leiharbeitnehmer auch keine Rechte im Verhältnis zu seinem Arbeitgeber, dem Verleiher.177 Die teilweise vorgebrachten Gegenargumente, dass der Leiharbeitnehmer kein Interesse an der Begünstigung des Entleihers als zusätzlichem Anspruchssteller haben könne, insbesondere was Leistungsstörungen betrifft,178 ist zirkelschlüssig, da erst zu klären ist, welchen Ansprüchen der Leiharbeitnehmer ausgesetzt wäre.179 Tatsächlich kann die Abwicklung von Leistungsstörungen gerade im Hinblick auf etwaige Haftungsbeschränkungen sogar günstiger für den Leiharbeitnehmer sein, wenn man von einem unmittelbaren Anspruch des Entleihers aus einem 172 MünchKomm-BGB/Gottwald, § 328 Rn. 30 f.; Palandt/Grüneberg, Einf. v. § 328 Rn. 6 zur Bezeichnung des Leistungsanspruchs des Dritten als „Forderungsrecht“. 173 MünchKomm-BGB/Gottwald, § 328 Rn. 29; Palandt/Grüneberg, Einf. v. § 328 Rn. 4. 174 Vgl. Muster eines Leiharbeitsvertrages bei Schaub/Schrader, Formularhandbuch, § 17 Rn. 3: „[Der Arbeitnehmer] ist verpflichtet, bei Kunden des Arbeitgebers – auch außerhalb seines Sitzes in … − tätig zu werden“. 175 Walker, AcP 194 (1994), S. 295, 312; Reinsch, Das Rechtsverhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer, S. 212 ff. 176 Ebenso ErfK/Wank, AÜG, Einl. Rn. 33 zur Berechtigung des Entleihers, auf die Arbeitsleistung des Leiharbeitnehmers zurückgreifen zu können. Ablehnend Ulber, AÜG, § 1 Rn. 21. 177 Walker, AcP 194 (1994), S. 295, 313. 178 Vgl. Viergutz, Die Haftung für Schlechtleistung des Leiharbeitnehmers bei der gewerblichen Arbeitnehmerüberlassung, S. 97 und Ulber, AÜG, § 1 Rn. 21. 179 Dazu ausführlich unter Abschnitt 3. A.
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2. Teil: Grundlagen
echten Vertrag zugunsten Dritter ausgeht.180 Es kann jedenfalls festgestellt werden, dass ein Arbeitnehmer, der als Leiharbeitnehmer beschäftigt wird, mit der faktischen Drittbegünstigung des Entleihers grundsätzlich einverstanden sein muss, wenn er sich auf die Beschäftigungsform der Arbeitnehmerüberlassung einlässt. Im Übrigen kommt es für die Begründung eines echten Vertrags zugunsten Dritter nicht auf die Mitwirkung des Dritten an.181 Es ist aber anzunehmen, dass die begünstigende Wirkung des Leiharbeitsvertrags dem Interesse des Entleihers entspricht, zumal er als Inhaber eines eigenständigen Forderungsrechts auch entsprechende Ansprüche wegen Leistungsstörungen des Leiharbeitnehmers geltend machen kann.182 (b) Übereinstimmung mit der gesetzlichen Konzeption des AÜG Die Einordnung des Leiharbeitsvertrags als echten Vertrag zugunsten Dritter ist nur möglich, sofern dies nicht in Widerspruch zu dem vom AÜG vorgegebenen Verständnis von den Rechtsbeziehungen zwischen dem Verleiher, dem Entleiher und dem Leiharbeitnehmer steht. So besteht nach der gesetzlichen Konzeption der Arbeitnehmerüberlassung in keinem Fall ein umfängliches Arbeitsverhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer, was sich unter anderem im Umkehrschluss aus der Fiktion eines Arbeitsvertrages zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer als Rechtsfolge der illegalen Arbeitnehmerüberlassung nach § 10 Abs. 1 AÜG ergibt.183 Versteht man den Leiharbeitsvertrag als echten Vertrag zugunsten Dritter im Sinne des § 328 BGB, erhält der Entleiher unmittelbar einen einseitigen Anspruch auf die Leistung des Leiharbeitnehmers, ohne dass er dadurch in die Stellung einer Vertragspartei einrückt.184 Ferner wird zumindest bei der unechten Leiharbeit zwischen dem Leiharbeitnehmer und dem Verleiher meist vereinbart, dass der Verleiher als Versprechensempfänger zur Leistung an den Dritten berechtigt sein soll,185 während die Leistung an den Verleiher selbst in vielen Fällen gar nicht sinnvoll ist, da es sich beim Verleiher meist um ein Unternehmen handelt, dessen Erwerbstätigkeit ausschließlich aus dem Verleih von Arbeitskräften 180 Ebenso ErfK/Wank, AÜG, Einl. Rn. 32 f. Ausführlich hierzu unter Abschnitt 3. A. II. 181 Palandt/Grüneberg, Einf. v. § 328 Rn. 6. 182 Vgl. näher unter Abschnitt 3. A. 183 Vgl. oben, Abschnitt 2. C. I. 3. 184 Walker, AcP 194 (1994), S. 295, 310. 185 Vgl. Muster eines Leiharbeitsvertrages bei Schaub/Schrader, Formularhandbuch, § 17 Rn. 3.
C. Rechtsbeziehungen bei der Arbeitnehmerüberlassung53
besteht. Auch dies steht in Einklang zu einem Verständnis des Leiharbeitsvertrags als echtem Vertrag zugunsten Dritter, denn nach der Vermutungs regel des § 335 BGB kann der Versprechensempfänger im Zweifel nur die Leistung an den Dritten fordern (und nicht an sich selbst), sofern nicht ausdrücklich etwas Abweichendes vereinbart wurde. (c) Übereinstimmung mit den §§ 328 ff. BGB Wenn der Leiharbeitsvertrag als echter Vertrag zugunsten Dritter verstanden werden soll, müssen die Regelungsinhalte zum echten Vertrag zugunsten Dritter nach den §§ 328 ff. BGB vollumfänglich auf die Rechtsbeziehungen zwischen dem Verleiher, dem Entleiher und dem Leiharbeitnehmer übertragbar sein. Hiergegen werden verschiedene Einwände vorgebracht. Zum einen werden Zweifel an der Bestimmtheit der Person des Entleihers als begünstigtem Dritten geäußert,186 da beim Abschluss des Leiharbeitsvertrags regelmäßig noch nicht fest steht, bei welchen Entleihern der Leiharbeitnehmer eingesetzt werden soll. Es genügt jedoch, wenn die Person des begünstigten Drittes bestimmbar ist, dies braucht nicht zwingend im Voraus festzustehen.187 Aus der Wertung des § 332 BGB ergibt sich, dass sich der Versprechensempfänger vorbehalten kann, die Person des Dritten auch ohne Zustimmung des Versprechenden nachträglich zu bestimmen bzw. zu ersetzen.188 Dies ist auch bei der Arbeitnehmerüberlassung der Fall, da der Verleiher als Versprechensempfänger regelmäßig die Befugnis hat, die Person des Entleihers zu bestimmen.189 Ein weiterer Einwand gegen die Auslegung des Leiharbeitsvertrags als echten Vertrag zugunsten Dritter knüpft an den Umstand an, dass bei der Arbeitnehmerüberlassung der Entleiher seine Rechtsposition als begünstigter Dritter nicht allein auf der Grundlage des Leiharbeitsvertrags herleiten kann, sondern vielmehr erst aus dem Überlassungsvertrag begünstigt wird.190 Zutreffend ist, dass im Regelfall eines echten Vertrags zugunsten Dritter der 186 Gick, Gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung, S. 94; Erdlenbruch, Die betriebsverfassungsrechtliche Stellung, S. 54; Konzen, ZfA 1982, 259, 280; Ulber, AÜG, § 1 Rn. 21; Vor, Zeitarbeit, S. 45. 187 MünchKomm/Gottwald, § 328 Rn. 19; Palandt/Grüneberg, § 328 Rn. 2. 188 MünchKomm/Gottwald, § 328 Rn. 19. 189 Walker, AcP 194 (1994), S. 295, 310; Boemke, Schuldvertrag und Arbeitsverhältnis, S. 559. 190 Becker/Wulfgramm, AÜG, Art. 1 Einl. Rn. 13; Gick, Gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung, S. 94; Erdlenbruch, Die betriebsverfassungsrechtliche Stellung, S. 54; Urban-Crell/Schulz, Arbeitnehmerüberlassung und Arbeitsvermittlung, Rn. 497; Konzen, ZfA 1982, 259, 281.
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2. Teil: Grundlagen
Dritte seine Rechtsstellung aus dem Deckungsverhältnis ableitet, wohingegen das Valutaverhältnis regelmäßig nur den Rechtsgrund für die Zuwendung der Leistung durch den Versprechensempfänger an den Dritten erkennen lässt.191 Dass hier der Entleiher erst durch den jeweiligen Überlassungsvertrag (im Valutaverhältnis) zum begünstigten Dritten wird, liegt nur daran, dass er möglicherweise bei Abschluss des Leiharbeitsvertrags noch nicht als Dritter feststeht.192 Da § 332 BGB gerade die nachträgliche Bestimmung der Person des Dritten zulässt, muss es konsequenterweise ebenso zulässig sein, dass sich die Drittbegünstigung erst nachträglich ergibt. Es ist demnach unschädlich, dass der Entleiher erst mit Abschluss des Überlassungsvertrags als begünstigter Dritter „konkretisiert“ wird.193 Schließlich steht auch die Tatsache, dass in Überlassungsverträgen oft eine Abberufungs- bzw. Ersetzungsbefugnis des Verleihers vereinbart wird,194 der Annahme eines echten Vertrags zugunsten Dritter nicht entgegen.195 Aus § 328 Abs. 2 BGB sowie § 332 BGB ergibt sich, dass das Recht des Dritten von bestimmten Voraussetzungen abhängig gemacht werden darf und auch nachträglich aufgehoben werden kann.196 Auch diesbezüglich ist kein Widerspruch zur Vertragswirklichkeit der Arbeitnehmerüberlassung ersichtlich. cc) Zusammenfassung Im Ergebnis kann die rechtsdogmatische Natur des Rechtsverhältnisses zwischen dem Entleiher und dem Leiharbeitnehmer treffend erfasst werden, indem der Leiharbeitsvertrag als echter Vertrag zugunsten Dritter nach § 328 BGB verstanden wird, aus dem sich ein unmittelbares Forderungsrecht des Entleihers auf die Arbeitsleistung des Leiharbeitnehmers ableitet. Dies ergibt sich daraus, dass zum einen die Annahme eines echten Vertrags zugunsten Dritter der (typisierten) Interessenlage im Verhältnis zwischen dem Verleiher, dem Leiharbeitnehmer und dem Entleiher entspricht, und zum anderen die gesetzlichen Regelungen des echten Vertrags zugunsten Dritter nach dem BGB im Einklang zur gesetzlichen Konzeption der Arbeitnehmer 191 MünchKomm/Gottwald,
§ 328 Rn. 25 und 29. AcP 194 (1994), S. 295, 311. 193 Walker, AcP 194 (1994), S. 295, 311. 194 Zur Abberufungs- und Ersetzungsbefugnis vgl. Schaub/Schrader, Formularhandbuch, § 17 Rn. 23: „Der Verleiher kann während des Arbeitseinsatzes Zeitarbeitnehmer ohne Einhaltung einer Frist abberufen, sofern er sie gleichzeitig durch andere, in gleicher Weise geeignete Arbeitnehmer ersetzt“. 195 Konzen, ZfA 1982, 259, 280. 196 Zur Möglichkeit eines Widerrufs- bzw. Änderungsvorbehalts des Versprechensempfängers vgl. MünchKomm-BGB/Gottwald, § 328 Rn. 35. 192 Walker,
C. Rechtsbeziehungen bei der Arbeitnehmerüberlassung55
überlassung nach dem AÜG stehen. Wurde in den Rechtsbeziehungen der Arbeitnehmerüberlassung früher nur selten ein echter Vertrag zugunsten Dritter gesehen,197 so hat diese Auffassung im Laufe der Zeit deutlich an Zuspruch gewonnen und überwiegt mittlerweile.198 b) Wesensmerkmale des Beschäftigungsverhältnisses Auf der Grundlage der rechtsdogmatischen Einordung des Leiharbeitsvertrags als echten Vertrag zugunsten Dritter lassen sich die wichtigsten Merkmale des Beschäftigungsverhältnisses entsprechend charakterisieren. aa) Primärleistungspflichten Im Beschäftigungsverhältnis bestehen mangels einer arbeitsvertraglichen Rechtsbeziehung keine synallagmatischen Primärleistungspflichten zwischen dem Entleiher und dem Leiharbeitnehmer. Wird das Leiharbeitsverhältnis als echter Vertrag zugunsten Dritter verstanden, so hat der Entleiher als begünstigter Dritter einen eigenständigen Anspruch auf die Arbeitsleistung des Leiharbeitnehmers nach § 328 BGB. Es besteht somit eine primäre Leistungspflicht des Leiharbeitnehmers gegenüber dem Entleiher.199 Dagegen besteht keine Primärleistungspflicht des Entleihers gegenüber dem Leiharbeitnehmer, insbesondere keine Vergütungspflicht, die allein der Verleiher als Arbeitgeber des Leiharbeitnehmers schuldet. bb) Weisungsrecht des Entleihers Gemäß § 106 Satz 1 GewO hat der Arbeitgeber ein Weisungsrecht gegenüber dem Arbeitnehmer.200 Beim Weisungsrecht des Arbeitgebers handelt es sich um ein Gestaltungsrecht,201 mit dem der Arbeitgeber den Inhalt, den 197 Walker sprach seinerzeit noch davon, dass die „ganz h.M“ die Annahme eines Vertrags zugunsten Dritter ablehnte, vgl. Walker, AcP 194 (1994), S. 295, 311. 198 Siehe obige Nachweise in Fußnote 187. Vgl. auch die Darstellung dieser Auffassung als „herrschende Literaturauffassung“ bei Hollinger, Leistungsstörungen bei der Arbeitnehmerüberlassung, S. 265. 199 Schüren/Schüren, AÜG, Einl. Rn. 168. 200 Die Kodifizierung des Weisungsrechts erfolgte durch das Dritte Gesetz zur Änderung der Gewerbeordnung und sonstiger gewerberechtlicher Vorschriften (BGBl. I 2002, S. 3412 ff.) mit Wirkung zum 1.1.2003. 201 Löwisch/Caspers/Klumpp, ArbR, Rn. 212 f.
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2. Teil: Grundlagen
Ort und die Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen bestimmen kann, soweit diese Arbeitsbedingungen nicht bereits im Arbeitsvertrag, durch Bestimmungen anwendbarer Betriebsvereinbarungen oder Tarifverträge oder durch gesetzliche Vorschriften geregelt werden. Die Pflicht des Arbeitnehmers zur Befolgung der Weisungen folgt aus seiner arbeitsvertraglichen Pflicht zur Arbeitsleistung.202 Bei der Arbeitnehmerüberlassung ist der Verleiher kraft seiner Stellung als Arbeitgeber gegenüber dem Leiharbeitnehmer weisungsbefugt. Da der Leiharbeitnehmer seine Arbeitsleistung für den Entleiher erbringt, muss er sinnvollerweise für die Dauer der Überlassung auch der Weisungsbefugnis des Entleihers unterstehen.203 Der Entleiher kann jedoch nur solche tätigkeitsbezogene Weisungsbefugnisse ausüben, die für die Bestimmung der Arbeitsleistung notwendig sind. Dazu zählen typischerweise die Bestimmung des Gegenstands der konkreten Arbeitsleistung sowie der Ort und die Zeit der Tätigkeit.204 Andere Weisungsbefugnisse, die das Arbeitsverhältnis an sich oder den Status des Leiharbeitnehmers betreffen, verbleiben beim Verleiher. Zu solchen statusbezogenen Weisungsbefugnissen gehören beispielsweise die Zuweisung zum Entleiherbetrieb und die Festlegung der Dauer des Einsatzes beim Entleiher,205 die Abberufung bzw. Ersetzung des Leiharbeitnehmers,206 das Recht zur Abmahnung bzw. Kündigung und die Urlaubsgewährung.207 Zu Kompetenzüberschneidungen kann es trotz der Aufteilung von Weisungsbefugnissen nicht kommen, wenn wie im Regelfall nur die tätigkeitsbezogenen Weisungsbefugnisse durch den Entleiher für die Dauer der Überlassung ausgeübt werden können.208 Diese können naturgemäß nicht gleichzeitig vom Verleiher ausgeübt werden, wofür auch kein praktischer Bedarf besteht. 202 Palandt/Weidenkaff,
§ 611 Rn. 46. Rechtsprechung des BAG, statt vieler Urt. v. 30.1.1991 – AZR 497/89, AP Nr. 8 zu § 10 AÜG, III 1 der Gründe; Becker, F., DB 1988, 2561, 2565; Hueck/ Nipperdey, ArbR Bd. 1, § 54 IV 4a, S. 524; Immenga, BB 1972, 805, 808; Konzen, ZfA 1982, 259, 282; Hamann, Erkennungsmerkmale, S. 137, 154 ff.; Schüren/Hamann, AÜG, § 1 Rn. 81; Ulber, AÜG, § 1 Rn. 38; Urban-Crell/Schulz, Arbeitnehmerüberlassung und Arbeitsvermittlung, Rn. 482; Windbichler, DB 1975, 739, 740. 204 Boemke, Schuldvertrag und Arbeitsverhältnis, S. 564. 205 Becker/Wulfgramm, AÜG, Art. 1 § 11 Rn. 35; Boemke, Schuldvertrag und Arbeitsverhältnis, S. 556. 206 Walker, AcP 194 (1994), S. 295, 297. 207 Urban-Crell/Schulz, Arbeitnehmerüberlassung und Arbeitsvermittlung, Rn. 482. 208 Vgl. Muster eines Überlassungsvertrags bei Schaub/Schrader, Formularhandbuch, § 17 Rn. 25: „Der Entleiher ist berechtigt, den Leiharbeitnehmern hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung der Tätigkeit Weisungen zu erteilen und die Arbeitsausführung zu überwachen.“ 203 Ständige
C. Rechtsbeziehungen bei der Arbeitnehmerüberlassung57
Der Umfang des Weisungsrechts wird durch den Inhalt des jeweiligen Arbeitsvertrags bestimmt. Für den Leiharbeitnehmer bestimmt sich die Zeit, der Ort und die Art der Tätigkeit nach dem im Leiharbeitsvertrag vereinbarten Inhalt.209 Der Entleiher muss somit bei der Ausübung seiner tätigkeitsbezogenen Weisungsrechte gegenüber dem Leiharbeitnehmer berücksichtigen, was zwischen dem Verleiher und dem Leiharbeitnehmer im Leiharbeitsvertrag vereinbart wurde.210 Es bestehen verschiedene Ansätze zur rechtlichen Begründung der Berechtigung des Entleihers, tätigkeitsbezogene Weisungsbefugnisse gegenüber dem Leiharbeitnehmer auszuüben. Nach der hier vertretenen Auffassung, wonach der Entleiher ein unmittelbares Forderungsrecht auf die Arbeitsleistung des Leiharbeitnehmers aus dem Leiharbeitsvertrag als echtem Vertrag zugunsten Dritter ableiten kann,211 ergeben sich entsprechende Weisungsbefugnisse des Entleihers unmittelbar aus seinem Forderungsrecht.212 Grundsätzlich leitet sich das Weisungsrecht des Arbeitgebers aus dem arbeitsvertraglichen Anspruch auf Arbeitsleistung ab.213 Der Anspruch des Entleihers auf die Arbeitsleistung des Leiharbeitnehmers ist zwar kein arbeitsvertraglicher Anspruch, sondern ein unmittelbares Forderungsrecht des begünstigten Dritten im Sinne des § 328 BGB.214 Doch auch das Forderungsrecht des Entleihers muss mit entsprechenden Weisungsbefugnissen zur Bestimmung der Arbeitsleistung einhergehen, damit der Leiharbeitnehmer seine Leistung (hinsichtlich Ort, Zeit und Art) nach den Vorstellungen des Entleihers erbringen kann. Die häufig in Überlassungsverträgen zu findenden Regelungen215 bezüglich des Umfangs und der Ausübung von Weisungsbefugnissen durch den Entleiher dienen somit nur der Klarstellung bzw. Abgrenzung und sind nicht konstitutiv für das Bestehen der Weisungsbefugnisse, die nach der hier vertretenen Auffassung unmittelbar aus dem Forderungsrecht des Entleihers folgen. Dagegen muss nach den Auffassungen, die einen unmittelbaren Anspruch des Entleihers auf die Arbeitsleistung des Leiharbeitnehmers ablehnen, die aus praktischen Gründen zwingend erforderliche Berechtigung des Entleihers zur Ausübung der tätigkeitsbezogenen Weisungsbefugnisse auf 209 Becker/Kreikebaum, 210 Schüren/Schüren,
Zeitarbeit, S. 153 f. AÜG, Einl. Rn. 169; Boemke, Schuldverhältnis und Arbeits-
vertrag, S. 570 f. 211 Vgl. oben, unter Abschnitt 2. C. I. 3. a) bb) (2). 212 Schüren/Schüren, AÜG, Einl. Rn. 169; Walker, AcP 194 (1994), S. 295, 308; Reinsch, Das Rechtsverhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer, S. 201. 213 ErfK/Preis, § 611 BGB Rn. 233. 214 So auch Schüren/Schüren, AÜG, Einl. Rn. 168. 215 Schaub/Schrader, Formularhandbuch, § 17 Rn. 25.
58
2. Teil: Grundlagen
andere Weise konstruiert werden. Teilweise wird die Möglichkeit einer (Teil-)Abtretung bzw. „Übertragung“ des Weisungsrechts an den Entleiher bejaht,216 teilweise wird vertreten, dass der Verleiher dem Entleiher eine Ermächtigung zur Ausübung des Weisungsrechts erteilt217. Jeder dieser Begründungsansätze bedarf der Konstruktion von zusätzlichen Willenserklärungen, um zum Ergebnis zu gelangen.218 Dies verdeutlicht, dass die Annahme eines direkten Forderungsrechts des Entleihers basierend auf einem echten Vertrag zugunsten Dritter (nicht nur an dieser Stelle) durch Klarheit besticht: Aus dem Forderungsrecht des Entleihers folgt unmittelbar und ohne zusätzlichen Begründungsaufwand die Berechtigung des Entleihers, tätigkeitsbezogene Weisungsrechte ausüben zu können. cc) Nebenleistungs- und Schutzpflichten (1) Begründung von Nebenleistungspflichten Nebenleistungspflichten (im Sinne des § 241 Abs. 1 BGB) knüpfen an den Bestand von Leistungspflichten an und flankieren diese,219 während Nebenpflichten in Form von Schutzpflichten220 (im Sinne des § 241 Abs. 2 BGB) dazu dienen, die Rechtsgüter des anderen Teils vor Schäden zu schützen, die im Rahmen des Schuldverhältnisses entstehen können, und somit nicht das Bestehen von Leistungspflichten voraussetzen.221 Das Vorliegen von Nebenleistungspflichten zwischen dem Entleiher und dem Leiharbeitnehmer hängt davon ab, wie man die Rechtsnatur des Beschäftigungsverhältnisses begreift. Arbeitsvertragliche Nebenleistungspflichten des Leiharbeitnehmers können nur nach der hier vertretenen Auffassung bestehen, wonach dem Entleiher aus dem Leiharbeitsvertrag, der als echter Vertrag zugunsten Dritter verstanden wird, ein unmittelbarer Anspruch auf die Arbeitsleistung des Leiharbeitnehmers zusteht.222 Den Leiharbeitnehmer 216 Becker/Kreikebaum, Zeitarbeit, S. 156; Urban-Crell/Schulz, Arbeitnehmer überlassung und Arbeitsvermittlung, Rn. 482; Viergutz, Die Haftung für Schlechtleistung des Leiharbeitnehmers, S. 106. 217 Becker/Kreikebaum, Zeitarbeit, S. 156; Konzen, ZfA 1982, 259, 281 f.; Boemke, Schuldvertrag und Arbeitsverhältnis, S. 560 f. 218 Vgl. zu den verschiedenen Begründungsansätzen im Einzelnen Reinsch, Das Rechtsverhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer, S. 126 ff. und S. 155 ff. 219 Palandt/Grüneberg, § 241 Rn. 5. 220 Das Gesetz spricht in § 241 Abs. 2 BGB von „Rücksichtspflichten“, die Literatur verwendet die Bezeichnung „Schutzpflichten“ synonym, vgl. Palandt/Grüneberg, § 241 Rn. 6. 221 Palandt/Grüneberg, § 241 Rn. 6. 222 Vgl. oben, unter Abschnitt 2. C. I. 3. a) bb) (2).
C. Rechtsbeziehungen bei der Arbeitnehmerüberlassung59
treffen gegenüber dem Entleiher solche Nebenleistungspflichten, die direkt mit der Erbringung der Arbeitsleistung in Zusammenhang stehen;223 dazu gehören beispielsweise Auskunfts- oder Rechnungslegungspflichten.224 Umgekehrt treffen den Entleiher keine Nebenleistungspflichten, da er als begünstigter Dritter im Sinne des § 328 BGB keine Leistungspflicht gegenüber dem Leiharbeitnehmer zu erfüllen hat.225 (2) Begründung von Schutzpflichten Zwischen dem Entleiher und dem Leiharbeitnehmer bestehen ferner arbeitnehmer- sowie arbeitgebertypische Schutzpflichten. Dies ergibt sich nach der hier vertretenen Auffassung unmittelbar daraus, dass der Leiharbeitsvertrag als ein echter Vertrag zugunsten des Entleihers verstanden wird.226 Bei einem echten Vertrag zugunsten Dritter besteht im Verhältnis zwischen dem Versprechenden und dem Dritten zwar kein eigenständiges vertragliches Rechtsverhältnis,227 aus dem ohne Weiteres nach § 241 Abs. 2 BGB Schutzpflichten folgen. Dem Dritten obliegen jedoch aus seiner unmittelbaren Berechtigung diejenigen Nebenpflichten, die jeden Gläubiger des entsprechenden Forderungsrechts treffen würden.228 Umgekehrt bestehen die dem Schuldner obliegenden Nebenpflichten auch gegenüber dem Dritten,229 da er dem Dritten gegenüber unmittelbar zur Leistung verpflichtet ist. Das Vollzugsverhältnis zwischen dem Schuldner und dem Dritten stellt sich somit aufgrund der einseitigen Leistungspflicht als ein vertragsähnliches Vertrauensverhältnis dar,230 aus dem sich wechselseitige Schutzpflichten ergeben. Dasselbe gilt nach der hier vertretenen Auffassung für das Vollzugsverhältnis zwischen dem Leiharbeitnehmer als Schuldner und 223 Konzen, ZfA 1982, 259, 282; Reinsch, Das Rechtsverhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer, S. 202. 224 Dazu Löwisch/Caspers/Klumpp, ArbR, Rn. 227. 225 Der Verleiher hat als Arbeitgeber des Leiharbeitnehmers die typischen Nebenleistungspflichten des Arbeitgebers wahrzunehmen, beispielsweise die Pflicht zur Lohnabrechnung nach § 108 GewO, das Abführen von Sozialversicherungs beiträgen sowie entsprechende Erläuterungs-, Rechenschafts- und Auskunftspflichten. 226 Auch Schüren/Schüren, AÜG, Einl. Rn. 170, leitet „Fürsorgepflichten im Umfeld der Arbeitsleistung“ aus der Annahme eines echten Vertrags zugunsten Dritter ab. 227 BGH, Urt. v. 9.4.1970 − KZR 7/69, NJW 1970, 2157, I 1 der Gründe. 228 BGH, Urt. v. 22.9.2005 III ZR 295/04, NJW 2005, 3778, II 2 der Gründe. 229 Palandt/Grüneberg, Einf. v. § 328, Rn. 5. 230 Palandt/Grüneberg, Einf. v. § 328, Rn. 5; MünchKomm-BGB/Gottwald, § 328, Rn. 31.
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2. Teil: Grundlagen
dem Entleiher als begünstigen Dritten, so dass in diesem Verhältnis ebenfalls wechselseitige Schutzpflichten bestehen.231 Schutzpflichten werden nach anderen Auffassungen, die das Leiharbeitsverhältnis nicht als einen echten Vertrag zugunsten Dritter einordnen, entweder schlichtweg vorausgesetzt232 oder mit anderer Begründung bejaht.233 Teilweise wird das Beschäftigungsverhältnis als ein „einheitliches gesetzliches“ Schuldverhältnis mit originären Schutzpflichten gesehen.234 Nach einem anderen Ansatz werden Schutzpflichten des Entleihers gegenüber dem Leiharbeitnehmer damit begründet, dass der Überlassungsvertrag als Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten des Leiharbeitnehmers zu sehen sei.235 Umgekehrt werden Schutzpflichten des Leiharbeitnehmers gegenüber dem Entleiher daraus abgeleitet, dass der Leiharbeitsvertrag als Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten des Entleihers aufgefasst wird.236 Eine Beurteilung dieser genannten Begründungsansätze kann dahingestellt bleiben. Nach der hier vertretenen Auffassung, wonach das Leiharbeitsverhältnis als echter Vertrag zugunsten des Entleihers angesehen wird, gelangt man ohne Weiteres und ohne verbleibende dogmatische Unsicherheiten zum Ergebnis, dass im Beschäftigungsverhältnis zwischen dem Leiharbeitnehmer als Schuldner und dem Entleiher als begünstigten Dritten wechselseitige Schutzpflichten bestehen.
231 Konzen, ZfA 1982, 259, 285 ff.; Witten, Vertragsgestaltung und Gesetzesbindung im Recht der Zeitarbeit, S. 57; Urban-Crell/Schulz, Arbeitnehmerüberlassung und Arbeitsvermittlung, Rn. 477. 232 So etwa Schaub/Koch, ArbeitsR-HdB § 120 Rn. 67, der ohne weitere Begründung von Nebenpflichten des Entleihers gegenüber dem Leiharbeitnehmer ausgeht. Ferner Boemke/Lembke, AÜG, § 11 Rn. 149 und Rn. 152, wonach Schutzpflichten mit der Eingliederung des Leiharbeitnehmers in den Betrieb begründet werden. 233 Vgl. die überblicksweise Darstellung bei Reinsch, Das Rechtsverhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer, S. 142 bis S. 147. 234 Insbesondere Gick, Gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung, S. 99 f.; Rü thers/Bakker, ZfA 1990, 245, 281; Thüsing/Thüsing, AÜG, Einf. Rn. 39; jeweils unter Rückgriff auf die die von Canaris entwickelte Lehre vom einheitlichen, gesetzlichen Schuldverhältnis (Canaris, JZ 1965, 475, 480). 235 Konzen, ZfA 1982, 259, 283 f.; Rüthers/Bakker, ZfA 1990, 245, 275; UrbanCrell/Schulz, Arbeitnehmerüberlassung und Arbeitsvermittlung, Rn. 479; Windbichler, Arbeitsrecht im Konzern, S. 87 f. 236 Schaub/Koch, ArbeitsR-HdB § 120, Rn. 66; Urban-Crell/Schulz, Arbeitnehmer überlassung und Arbeitsvermittlung, Rn. 479.
C. Rechtsbeziehungen bei der Arbeitnehmerüberlassung61
(3) Gegenstand der Schutzpflichten im Beschäftigungsverhältnis Durch die Eingliederung in den Entleiherbetrieb ergeben sich im Verhältnis zwischen dem dem Leiharbeitnehmer und Entleiher dieselben tatsäch lichen Einwirkungsmöglichkeiten auf die Rechtsgüter des jeweils anderen Teils, wie sie auch zwischen einem Arbeitgeber und seinem Arbeitnehmer im Zweipersonen-Arbeitsverhältnis bestehen. Da Schutzpflichten dazu dienen, die Rechte und sonstigen Rechtsgüter der anderen Partei zu schützen,237 handelt es sich bei den im Beschäftigungsverhältnis bestehenden wechselseitigen Schutzpflichten um dieselben, die auch in jedem vertraglichen Arbeitsverhältnis bestehen.238 Zu den Schutzpflichten des Leiharbeitnehmers gehören demnach arbeitnehmertypische Schutzpflichten wie etwa die Pflicht zum sorgsamen Umgang mit Betriebsmitteln, die Anzeige drohender Schäden, die Verschwiegenheitspflicht bezüglich der Betriebsgeheimnisse des Entleihers239 sowie das Unterlassen von Wettbewerb während der Dauer des Einsatzes.240 Dem Entleiher obliegt die arbeitgebertypische Fürsorgepflicht,241 soweit die Eingliederung des Leiharbeitnehmers in seinen Betrieb reicht.242 Dazu gehört auch die Pflicht zum Schutz von Leib, Leben und Gesundheit des Arbeitnehmers vor Schäden durch Arbeitsabläufe im Entleiherbetrieb.243 Diese Schutzpflicht hat der Entleiher auch im Rahmen der Pflicht zur Einhaltung von Arbeitsschutzvorschriften nach § 11 Abs. 6 AÜG zu beachten.244 Aus der eigenständigen Schutzpflicht des Entleihers folgt schließlich, dass der Verleiher für Schutzpflichtverletzungen des Entleihers weder gemäß § 278 BGB noch unter anderen Gesichtspunkten einzustehen hat, da der Entleiher insoweit kein Erfüllungsgehilfe des Verleihers ist.245 237 Palandt/Grüneberg,
§ 241, Rn. 6. zur Darstellung der Schutzpflichten im Beschäftigungsverhältnis Becker/ Kreikebaum, Zeitarbeit, S. 156 ff.; Gick, Gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung, S. 102 ff. 239 Boemke, Schuldvertrag und Arbeitsverhältnis, S. 576; Becker/Wulfgramm, AÜG, Art. 1 § 11 Rn. 36; Konzen, ZfA 1982, 259, 282. 240 MünchKomm-BGB/Müller-Glöge, § 611 Rn. 1278. Vgl. allgemein zum Unterlassen von Wettbewerb während des Arbeitsverhältnisses als Nebenpflicht Löwisch/ Caspers/Klumpp, ArbR, Rn. 233 f. 241 MünchKomm-BGB/Müller-Glöge, § 611 Rn. 1278. 242 Vgl. Rüthers/Bakker, ZfA 245, 281: „Die sektoralen Schutzpflichten des Entleihers entsprechen seinem sektoralen Weisungsrecht gegenüber den Leiharbeitnehmern“. 243 Becker/Kreikebaum, Zeitarbeit, S. 157 f.; Vor, Zeitarbeit, S. 54 ff.; Rüthers/ Bakker, ZfA 1990, 245, 281. 244 Zur deklaratorischen Bedeutung des § 11 Abs. 6 AÜG vgl. Schüren/Schüren, AÜG, § 11 Rn. 135. 245 Schüren/Brors, AÜG, Einl. Rn. 503; Boemke, Schuldvertrag und Arbeitsverhältnis, S. 580. 238 Vgl.
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2. Teil: Grundlagen
dd) Betriebsverfassungsrechtliche Zuordnung Aus der arbeitsvertraglichen Beziehung im Leiharbeitsverhältnis ergibt sich unmittelbar die Betriebszugehörigkeit des Leiharbeitnehmers zum Verleiherbetrieb.246 § 14 Abs. 1 AÜG stellt klar, dass der Leiharbeitnehmer auch während der Überlassungsdauer dem Verleiherbetrieb zugehörig bleibt. Der Bezug zum Entleiherbetrieb findet dabei Berücksichtigung durch § 14 Abs. 2 und Abs. 3 AÜG.247 Nach drei Monaten der Zugehörigkeit zum Entleiherbetrieb steht einem Leiharbeitnehmer dort das aktive Wahlrecht bei der Wahl des Betriebsrats gemäß § 7 Satz 2 BetrVG zu.248 Das passive Wahlrecht im Entleiherbetrieb ist jedoch nach § 14 Abs. 2 Satz 1 AÜG ausgeschlossen.249 Zum Teil wird vertreten, dass der Leiharbeitnehmer während der Überlassungsdauer sowohl dem Verleiherbetrieb als auch dem Entleiherbetrieb zugehörig sei.250 Hierfür bestehen keine Anhaltspunkte. Vielmehr ist der eindeutigen Zuweisung in § 14 Abs. 1 AÜG zum Verleiherbetrieb zu entnehmen, dass keine doppelte betriebsverfassungsrechtliche Zugehörigkeit gewollt ist.251 Selbst wenn die Regelung des § 14 Abs. 1 AÜG nicht bestünde, könnte auch nach allgemeinen Grundsätzen keine Betriebszugehörigkeit zum Entleiherbetrieb begründet werden, da es an einer vertraglichen Beziehung fehlt, die neben der tatsächlichen Eingliederung in den jeweiligen Betrieb vorliegen muss.252 Die klare Zugehörigkeit zum Verleiherbetrieb ist auch in der Sache richtig, da es anderenfalls zu Schwierigkeiten bei der Kompetenzabgrenzung zwischen den Betriebsräten des Verleihers und des Entleihers kommen kann.253 246 Wank,
RdA 2003, 1, 6. stellt auch keinen Widerspruch zu Art. 7 Abs. 1 der Leiharbeitsrichtlinie dar, wonach eine Zurechnung der Leiharbeitnehmer zum Verleiher vorgesehen ist. Die Leiharbeitsrichtlinie verbietet es nicht, zusätzlich einen (punktuellen) Bezug zum Entleiherbetrieb zu normieren, vgl. Schüren/Wank, RdA 2011, 1, 7. 248 Kritisch hierzu Wank, RdA 2003, 1, 6. 249 Zu den verfassungsrechtlichen Bedenken des Schrifttums zur Vereinbarkeit der Vorschrift mit Art. 3 Abs. 1 GG vgl. Schüren/Hamann, AÜG, § 14 Rn. 63; anders BAG v. 17.2.2010 – ABR 51/08, AP Nr. 14 zu § 8 BetrVG 1972. 250 Schüren/Hamann, AÜG, § 14 Rn. 31; Boemke/Lembke, AÜG, § 14 Rn. 59; Ulber, AÜG, § 14 Rn. 10; differenzierend Urban-Crell/Schulz, Arbeitnehmerüberlassung und Arbeitsvermittlung, Rn. 1023; Boemke, Schuldvertrag und Arbeitsverhältnis, S. 567. 251 BAG v. 22.10.2003 – 7 ABR 3/03, NZA 2004, 1052, II 2 a) bb) (1) der Gründe; ErfK/Wank, § 14 AÜG Rn. 4 f.; Thüsing/Thüsing, AÜG, § 14 Rn. 14; Brors, NZA 2002, 123, 124; Erdlenbruch, Die betriebsverfassungsrechtliche Stellung, S. 64 f.; Kort, ZfA 2000, 329, 365; Kraft, in: FS Pleyer, S. 383, 387. 252 BAG v. 22.10.2003 – 7 ABR 3/03, NZA 2004, 1052, II 2 a) bb) (1) der Gründe. 253 ErfK/Wank, § 14 AÜG Rn. 4; Kort, ZfA 2000, 329, 365. 247 Dies
C. Rechtsbeziehungen bei der Arbeitnehmerüberlassung63
Das AÜG regelt nicht ausdrücklich, ob Leiharbeitnehmer bei der Bestimmung der betriebsverfassungsrechtlichen Schwellenwerte im Entleiherbetrieb zu berücksichtigen sind.254 Nach § 9 Satz 1 BetrVG bestimmt sich die Anzahl der Mitglieder des Betriebsrats nach der Anzahl der im Betrieb beschäftigten Mitarbeiter. Besteht die Belegschaft aus 5 bis 51 Arbeitnehmern, so kommt es auch auf die Wahlberechtigung der mitzuzählenden Arbeitnehmer an, darüber hinaus ist die Wahlberechtigung unerheblich. Das BAG hat mittlerweile klar gestellt, dass Leiharbeitnehmer bei der Bestimmung der Schwellenwerte des § 9 BetrVG mitzählen.255 Dies ergebe eine Auslegung nach dem Sinn und Zweck der Schwellenwerte; jedenfalls komme es ab einer Betriebsgröße ab 52 Arbeitnehmern nicht mehr auf die Wahlberechtigung der Leiharbeitnehmer an.256 Bislang ungeklärt ist hingegen, ob Leiharbeitnehmer im Rahmen der Schwellenwerte der Unternehmensmitbestimmung mitzählen.257 Der Referentenentwurf vom 17.02.2016 zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und anderer Gesetze sieht vor, dass Leiharbeitnehmer nunmehr auch bei Schwellenwerten der Unternehmensmitbestimmung im Entleiherbetrieb berücksichtigt werden.
II. Rechtsbeziehungen bei der illegalen Arbeitnehmerüberlassung Erfolgt die Arbeitnehmerüberlassung ohne die nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AÜG erforderliche Überlassungserlaubnis und greift auch keine gesetzlich normierte Ausnahme,258 so ist die Überlassung illegal bzw. unerlaubt. Die Rechtsfolgen illegaler Arbeitnehmerüberlassung richten sich nach den §§ 9 Nr. 1, 10 Abs. 1 bis Abs. 3 AÜG. Liegt keine Überlassungserlaubnis vor, so sind nach § 9 Nr. 1 AÜG der Überlassungsvertrag sowie der Leiharbeitsvertrag unwirksam. Stattdessen wird ein Arbeitsverhältnis zwischen dem Leiharbeitnehmer und dem Entleiher gemäß § 10 Abs. 1 AÜG fingiert. Die einzige Tatbestandsvoraussetzung für den Eintritt dieser Rechtsfolgen ist das Fehlen der Überlassungserlaubnis. 254 Hierzu Dörner, FS Wissmann, S. 292 ff.; Schüren/Hamann, AÜG, § 14 Rn. 107 ff.; vgl. zum früheren Meinungsstand Thüsing/Thüsing, AÜG, § 14 Rn. 63. Der Referentenentwurf vom 17.02.2016 zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und anderer Gesetze sieht vor, dass Leiharbeitnehmer im Entleiherbetrieb hierbei berücksichtigt werden (vgl. S. 27 des Referentenentwurfs). 255 BAG v. 13.3.2013 − 7 ABR 69/11, AP Nr. 15 zu BetrVG 1972. 256 BAG v. 13.3.2013 − 7 ABR 69/11, AP Nr. 15 zu BetrVG 1972. 257 Vgl. hierzu Künzel/Schmid, NZA 2013, 300. 258 Ausnahmetatbestände sind in § 1 Abs. 1 Satz 3 AÜG, § 1 Abs. 3 Nr. 1 bis Nr. 3 AÜG und § 1a AÜG geregelt.
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2. Teil: Grundlagen
1. Fehlen der Überlassungserlaubnis Für das Fehlen der nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AÜG erforderlichen Überlassungserlaubnis sind verschiedene Gründe denkbar. Im Folgenden werden die praktisch relevanten Fallgruppen überblicksweise dargestellt. Von entscheidender Bedeutung ist die genaue Bestimmung, ob und inwieweit eine Überlassungserlaubnis für einen Arbeitseinsatz mit Drittbezug notwendig ist, da hiervon abhängt, ob das Rechtsfolgenregime der legalen oder der illegalen Arbeitnehmerüberlassung anwendbar ist. a) Anfängliches Fehlen der Erlaubnis / Umgehungen durch Scheindienst- bzw. Scheinwerkverträge Betreiben die Beteiligten offenkundig Arbeitnehmerüberlassung, ohne dass die nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AÜG notwendige Erlaubnis vorliegt, spricht man von der sogenannten offenen illegalen Überlassung von Leiharbeitnehmern.259 In den meisten Fällen wird illegale Arbeitnehmerüberlassung jedoch verdeckt betrieben, was in der Praxis am häufigsten unter dem Deckmantel von Scheinwerk- und Scheindienstverträgen erfolgt.260 Bei einem Werkvertrag im Sinne des § 631 BGB verpflichtet sich der Unternehmer gegenüber dem Besteller zur Herstellung eines Werkes, wobei Arbeitnehmer des Unternehmers als Erfüllungsgehilfen eingesetzt werden können. Wenn diese Arbeitnehmer jedoch (auch) den Weisungen des Bestellers unterstehen und in dessen Betrieb tätig werden, ist fraglich, ob tatsächlich eine Arbeitnehmerüberlassung vorliegt, die ohne entsprechende Erlaubnis illegal wäre. Die Abgrenzung der Arbeitnehmerüberlassung unter dem Deckmantel eines Scheinwerkvertrags zur Tätigkeit eines Arbeitnehmers bei einem Dritten aufgrund eines Werkvertrags ist in erster Linie anhand des Geschäftsinhalts vorzunehmen.261 Maßgeblich für die Abwägung ist, wer das Unternehmerrisiko übernimmt, in wessen Betrieb der Arbeitnehmer für die Dauer des Einsatzes eingegliedert wird und wessen Weisungsrecht er untersteht.262 259 Schüren/Schüren, AÜG, § 10 Rn. 20 f.; Boemke, Schuldvertrag und Arbeitsverhältnis, S. 606. 260 Vgl. hierzu Schüren/Schüren, AÜG, § 10 Rn. 25; Ulber, AuR 1982, 54, 59; Boemke, Schuldvertrag und Arbeitsverhältnis, S. 606. Zu den zentralen Anliegen des Referentenentwurfs des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 17.02.2016 zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und anderer Gesetze gehört es, den Missbrauch von Werkvertragsgestaltungen zu verhindern. 261 BAG v. 6.8.2003 – 7 AZR 180/03, AP Nr. 6 zu § 9 AÜG; Schaub/Koch, ArbR-HdB, § 120 Rn. 6 ff. 262 Statt vieler Boemke, Schuldvertrag und Arbeitsverhältnis, S. 612 und S. 614; Schaub/Koch, ArbR-HdB, § 120 Rn. 8 f.; Schüren/Hamann, AÜG, § 1 Rn. 113 ff.
C. Rechtsbeziehungen bei der Arbeitnehmerüberlassung65
Die hohe praktische Relevanz von Scheinwerkverträgen lag vormals darin begründet, dass bis zum Wegfall der Regelung zur Überlassungshöchstdauer im Jahr 2003 eine dauerhafte Überlassung nicht möglich war.263 Mittlerweile sind Umgehungen des AÜG durch Scheinwerkverträge häufiger in den Bereichen zu finden, in denen die Arbeitnehmerüberlassung immer noch unzulässig ist, etwa im Bausektor aufgrund des Verbots in § 1b AÜG, oder beim Verleih von Leiharbeitnehmern durch Verleiher aus Staaten außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums, was nach § 3 Abs. 2 AÜG unzulässig ist.264 Abgesehen von den Umgehungen der Erlaubnispflicht durch Scheinwerkverträge liegt auch dann eine von Anfang an unerlaubte Arbeitnehmerüberlassung vor, wenn eine konzerninterne Überlassung, für die keine Erlaubnis eingeholt wurde, nicht dem Konzernprivileg des § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG unterfällt265, oder wenn die Parteien den Geschäftsinhalt der Arbeitnehmerüberlassung nicht erfassen und deshalb keine Erlaubnis einholen.266 b) Nachträgliches Wegfallen der Erlaubnis Für die Rechtsfolgen der illegalen Arbeitnehmerüberlassung ist es unerheblich, ob die Erlaubnis von Anfang an fehlte oder nachträglich weggefallen ist; die Rechtsfolgen treten stets zu dem Zeitpunkt ein, zu dem keine Erlaubnis (mehr) vorliegt.267 Eine eingeholte Erlaubnis kann nachträglich wegfallen, beispielsweise bei Rücknahme nach § 4 AÜG, Widerruf nach § 5 AÜG oder Fristablauf bzw. verspäteter Stellung des Verlängerungsantrags nach § 2 Abs. 4 AÜG.268 Ob die Unwirksamkeitsfolgen umgehend eintreten, richtet sich danach, ob die Abwicklungsfrist des § 2 Abs. 4 Satz 2 AÜG greift. Läuft etwa die EinjahGrundsätzlich zur Abgrenzung vgl. Hamann, Erkennungsmerkmale der illegalen Arbeitnehmerüberlassung in Form von Scheindienst- und Scheinwerkverträgen; Rosenstein, Die Abgrenzung der Arbeitnehmerüberlassung vom Fremdfirmeneinsatz aufgrund Dienst- oder Werkvertrag; Ritzberger-Moser/Strasser, Abgrenzung der Arbeitnehmerüberlassung vom drittbezogenen Personaleinsatz aufgrund eines Werkvertrages. 263 Die Höchstüberlassungsdauer von zuletzt 24 Monaten wurde durch das Erste Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2002 (BGBl. I, S. 4607) gestrichen. 264 Schüren/Schüren, AÜG, Einl. Rn. 5. 265 Vgl. zum Konzernprivileg unten, Abschnitt 2. C. II. 1. e). 266 Ulber, AÜG, § 9 Rn. 26. 267 Thüsing/Mengel, AÜG, § 9 Rn. 12; Urban-Crell/Hurst, in: Urban-Crell/Germakowski, AÜG, § 9 Rn. 8. 268 Vgl. dazu im Einzelnen Urban-Crell/Schulz, Arbeitnehmerüberlassung und Arbeitsvermittlung, Rn. 699 ff.
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2. Teil: Grundlagen
res-Frist der Erlaubnis aus, ohne dass ein Antrag auf Verlängerung vorliegt, oder erlischt die Erlaubnis nach § 2 Abs. 5 Satz 2 AÜG, so treten die Unwirksamkeitsfolgen mit sofortiger Wirkung ein. Dagegen fingiert § 2 Abs. 4 Satz 4 AÜG das Weiterbestehen der Erlaubnis für bis zu 12 Monate in den Fällen der Rücknahme, des Widerrufs sowie der Nichtverlängerung. Diese Wirksamkeitsfiktion bezieht sich nur auf die Abwicklung von Verträgen, die bei ihrem Abschluss von der Erlaubnis gedeckt waren.269 Meist genügt die Abwicklungsfrist ohnehin, um die laufenden Verträge auslaufen zu lassen.270 Beim nachträglichen Wegfall der Erlaubnis treten die Rechtsfolgen der §§ 9 Nr. 1, 10 Abs. 1 AÜG jeweils ex nunc ab dem Zeitpunkt ein, zu dem die Erlaubnis nicht (mehr) vorliegt bzw. nicht mehr fingiert wird.271 Es erfolgt keine Rückwirkung der Rechtsfolgen illegaler Überlassung auf vorangegangene Zeiträume, während derer die Erlaubnis vorlag.272 Wird im umgekehrten Fall die Erlaubnis für eine zunächst unerlaubt durchgeführte Arbeitnehmerüberlassung erst im Nachhinein erteilt, so bleibt es bei der Unwirksamkeit des Leiharbeitsvertrags sowie des Überlassungsvertrags nach § 9 Nr. 1 AÜG, diese können nicht rückwirkend wirksam werden.273 Auch für die Zukunft kann eine nachträglich erteilte Erlaubnis nicht die Wirksamkeit des Leiharbeitsvertrags sowie des Überlassungsvertrags herstellen.274 Für die weitere Durchführung der Arbeitnehmerüberlassung auf legaler Basis müssten sowohl der Überlassungsvertrag als auch der Leiharbeitsvertrag neu bzw. überhaupt erst geschlossen werden.275 c) „Nicht nur vorübergehende“ Überlassung Seit der Einführung des AÜG war die dauerhafte Arbeitnehmerüberlassung unzulässig und es bestand für eine geraume Zeit eine gesetzliche Grenze für die Überlassungsdauer, die schrittweise angehoben wurde.276 hierzu Ulber, AÜG, § 9 Rn. 14 f.; Schüren/Schüren, AÜG, § 10 Rn. 51. AÜG, § 10 Rn. 52. 271 Ulber, AÜG, § 9 Rn. 14; Schüren/Schüren, AÜG, § 9 Rn. 22. 272 Becker/Wulfgramm, AÜG, Art. 1 § 9 Rn. 11. 273 ErfK/Wank, § 9 AÜG Rn. 6; Becker/Wulfgramm, AÜG, Art. 1 § 9 Rn. 11; Thüsing/Mengel, AÜG, § 9 Rn. 13. 274 Ulber, § AÜG, 9 Rn. 13; a. A. Schüren/Schüren, AÜG, § 9 Rn. 25, wonach eine Heilung der Unwirksamkeit für die Zukunft eintreten soll. 275 Vgl. Becker/Wulfgramm, AÜG, Art. 1 § 9 Rn. 11; Urban-Crell/Schulz, Arbeitnehmerüberlassung und Arbeitsvermittlung, Rn. 778 f. 276 Die vormals in § 3 Abs. 1 Nr. 6 AÜG a. F. geregelte Überlassungshöchstgrenze betrug anfangs drei Monate und wurde schrittweise angehoben, zuletzt von 12 Monaten auf 24 Monate durch das „Job-AQTIV-Gesetz“ vom 10.12.2001, BGBl. I 2001, S. 3443. 269 Näher
270 Schüren/Schüren,
C. Rechtsbeziehungen bei der Arbeitnehmerüberlassung67
Nachdem die Überlassungshöchstdauer mit Wirkung zum 31. Dezember 2003 aufgehoben wurde,277 war die zeitlich unbeschränkte Arbeitnehmer überlassung zunächst für eine Zeit lang zulässig.278 Mit Wirkung zum 1. Dezember 2011 wurde schließlich mit § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG eine Regelung eingefügt, wonach die Arbeitnehmerüberlassung „vorübergehend“ erfolgt.279 Dies erfolgte in erster Linie in Umsetzung der Leiharbeitsricht linie, wobei der Begriff in seiner Unbestimmtheit übernommen wurde und keine weitere Konkretisierung durch den deutschen Gesetzgeber erfolgte.280 Streitig war seitdem, welche normative Bedeutung diese Vorschrift hat, wie das Merkmal „vorübergehend“ auszulegen ist und welche Rechtsfolgen eine nicht nur vorübergehende, also dauerhafte Überlassung nach sich zieht. Von einem Teil des Schrifttums wurde § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG nur als unverbindliche Klarstellung bzw. Beschreibung des typischerweise vorübergehenden Charakters der Arbeitnehmerüberlassung verstanden, ohne dass daraus entsprechende Rechtsfolgen für nicht nur vorübergehend erfolgende Überlassungen abgeleitet wurden.281 Selbst für den Fall, dass eine dauerhafte Arbeitnehmerüberlassung unzulässig sein sollte, wurde vertreten, dass die Rechtsfolgen der §§ 9 Nr. 1, 10 AÜG, welche ausschließlich an das Fehlen der Erlaubnis anknüpfen, nicht anwendbar seien.282 Die Gegenposition hielt § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG für eine verbindliche Rechtsnorm, aus der die Unzulässigkeit der nicht nur vorübergehenden Arbeitnehmerüberlassung folge,283 mit der Konsequenz, dass bei einem Dauerverleih von Arbeitnehmern die Rechtsfolgen der §§ 9 Nr. 1, 10 Abs. 1 AÜG anwendbar seien.284 277 Die Höchstüberlassungsdauer wurde durch das Erste Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2002 (BGBl. I, S. 4607) gestrichen. 278 BAG v. 15.5.2013 – 7 AZR 494/11, DB 2013, 2334. 279 Erstes Gesetz zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes – Verhinderung von Missbrauch der Arbeitnehmerüberlassung v. 28.4.2011, BGBl. I, S. 642. 280 Vgl. BT-Drs. 17/4804, S. 8: „Dabei wird der Begriff „vorübergehend“ im Sinne der Leiharbeitsrichtlinie als flexible Zeitkomponente verstanden und insbesondere auf genau bestimmte Höchstüberlassungsfristen verzichtet.“ 281 Lembke, DB 2011, 414, 415; Ludwig, BB 2013, 1276, 1278; Krannich/Simon, BB 2012, 1414, 1420; so auch das LAG Berlin-Brandenburg v. 16.10.2012 – 7 Sa 1182/12, BB 2013, 251. 282 Hamann, RdA 2011, 321, 326; Teusch/Verstege, NZA 2012, 1326, 1328; LAG Berlin-Brandenburg, v. 16.10.2012 – 7 Sa 1182/12, BB 2013, 251. 283 Brors, AuR 2013, 108, 113; ErfK/Wank, § 1 AÜG Rn. 37a; LAG Niedersachsen v. 19.9.2012 – 17 TaBV 124/11, BeckRS 2012, 74786; LAG Berlin-Brandenburg, v. 9.1.2013 – 15 Sa 1635/12, BeckRS 2013, 65446. 284 LAG Berlin Berlin-Brandenburg, v. 9.1.2013 – 15 Sa 1635/12, BeckRS 2013, 65446. Bemerkenswert ist, dass innerhalb kurzer Zeit zwei verschiedene Kammern des LAG Berlin-Brandenburg zu gegensätzlichen Ergebnissen kamen.
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2. Teil: Grundlagen
Seit der Entscheidung des BAG vom 19.7.2013285 besteht nunmehr zumindest Klarheit darüber, dass § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG eine dauerhafte Überlassung verbietet. Dies begründet das BAG mit dem Charakter des § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG als Rechtsnorm, die ohne verbindlichen Rechtscharakter ihre Bedeutung verlöre. Auch in der Sache sieht das BAG das Verbot dauerhafter Arbeitnehmerüberlassung aus Gründen des Leiharbeitnehmerschutzes als notwendig an, um eine Aufspaltung zwischen der Stammbelegschaft des Entleihers und einer dauerhaft entliehenen Belegschaft zu verhindern.286 Die Entscheidung lässt jedoch offen, ab welcher Dauer die Grenze zwischen der vorübergehenden und dauerhaften Überlassung überschritten ist. Der Entscheidung lässt sich lediglich entnehmen, dass jedenfalls die Besetzung eines Stammarbeitsplatzes durch einen Leiharbeitnehmer auf unbegrenzte Dauer nicht mehr als vorübergehend im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG gelten kann.287 Daraus lässt sich folgern, dass jede Überlassung von vornherein befristet angelegt sein muss, um als nicht dauerhaft zu gelten. Mit einem weiteren Urteil vom 10.12.2013288 hat das BAG bedeutend zur Klärung der Rechtsfolgen einer nicht nur vorübergehenden Arbeitnehmer überlassung beigetragen. Nach dieser Entscheidung zieht eine unzulässige, nicht nur vorübergehende Arbeitnehmerüberlassung nicht die Rechtsfolgen illegaler Arbeitnehmerüberlassung gemäß §§ 9, 10 AÜG nach sich, wenn eine Überlassungserlaubnis des Verleihers vorliegt.289 Auch eine analoge Anwendung des § 10 Abs. 1 AÜG lehnte das BAG mit Blick auf die Entwicklungsgeschichte des AÜG ab290 und verweist auf bestehende Möglichkeiten der Sanktion dauerhafter Arbeitnehmerüberlassung.291 Systemgerecht ist, dass das BAG bei einer nicht nur vorübergehenden Arbeitnehmerüberlassung, welche gegen § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG verstößt, die Anwendbarkeit der §§ 9 Nr. 1, 10 Abs. 1 AÜG klar ablehnt, sofern eine Überlassungserlaubnis vorliegt.292 285 BAG 286 BAG
v. 19.7.2013 − 7 ABR 91/11, NZA 2013, 1296. v. 19.7.2013 − 7 ABR 91/11, NZA 2013, 1296, B I 2 c) bb) (2) (c) (bb)
der Gründe. 287 BAG v. 19.7.2013 − 7 ABR 91/11, NZA 2013, 1296, Orientierungssatz 6; insoweit bestätigt durch BAG v. 30.09.2014 – 1 ABR 79/12, NZA 2015, 214. 288 BAG v. 10.12.2013 – 9 AZR 51/13, NZA 2014, 196. 289 BAG v. 10.12.2013 – 9 AZR 51/13, NZA 2014, 196, II 2 b) bb) (1) der Gründe. Allerdings wurde in dem entschiedenen Fall die Erlaubnis vor dem 1.12.2011 erteilt und war damit noch nicht auf die nur vorübergehende Überlassung beschränkt. 290 BAG v. 10.12.2013 – 9 AZR 51/13, NZA 2014, 196, II 2 b) cc) der Gründe. 291 BAG v. 10.12.2013 – 9 AZR 51/13, NZA 2014, 196, II 2 b) dd) (2) der Gründe. 292 So auch Bauer, ArbRAktuell 2014, 15, 15.
C. Rechtsbeziehungen bei der Arbeitnehmerüberlassung69
Ungeklärt ist nunmehr lediglich, wie − abgesehen von einer unzulässigen (von vornherein dauerhaft angelegten) Ersetzung von Stammarbeitnehmern durch Leiharbeitnehmer − die Grenze zwischen vorübergehender und dauerhafter Überlassung bestimmt werden kann. Hierzu werden verschiedene Auffassungen vertreten, die teilweise auf die Befristung des Einsatzes des Leiharbeitnehmers abstellen, teilweise auf den Bedarf beim Entleiher.293 Welcher Auffassung man auch folgt: Diese bewusste gesetzliche Abwendung von dem Konzept einer konkreten Befristung der Überlassungsdauer erschwert es, contra legem zu einer bestimmten Höchstüberlassungsdauer zurückzukehren und hieran Rechtsfolgen zu knüpfen. Auch für ein Einschreiten der zuständigen Erlaubnisbehörde ist eine Normierung ausdrücklicher Fristen erforderlich; anderenfalls ist weder eine Rücknahme noch ein Widerruf einer Erlaubnis handhabbar. Hier ist das Tätigwerden des Gesetzgebers erneut gefordert und auch absehbar: Der aktuelle Referententwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales sieht die Wiedereinführung einer gesetzlichen Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten vor, sowie die entsprechende Anpassung des § 9 Nr. 1 AÜG, wonach eine nicht nur vorübergehende Überlassung die Rechtsfolgen der §§ 9, 10 AÜG auslösen soll.294 Eine ausdrückliche gesetzliche Regelung ist zu begrüßen, da sie die notwendige Klarheit schafft. Bevor diese beabsichtigten Gesetzesänderungen verabschiedet werden und in Kraft treten, bleibt es dabei, dass nach den jüngsten Entscheidungen des BAG vom 19. Juli 2013295 sowie vom 10. Dezember 2013296 die nicht vorübergehende Arbeitnehmerüberlassung zwar unzulässig ist, hieran jedoch nach der jetzt geltenden Rechtslage nicht die Rechtsfolgen der §§ 9 Nr. 1, 10 Abs. 1 AÜG zu knüpfen sind. d) Gleichzeitiges Vorliegen weiterer Verstöße gegen das AÜG Nur das Fehlen der nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AÜG notwendigen Überlassungserlaubnis führt zu den Unwirksamkeitsfolgen der §§ 9 Nr. 1, 10 Abs. 1 AÜG. Liegt eine Erlaubnis vor und führen ausschließlich andere Gründe, beispielsweise generelle zivilrechtliche Unwirksamkeitsgründe, zur Unwirksamkeit der jeweiligen Verträge, treten die mit dem Fehlen der Erlaubnis zum Meinungsstand Teusch/Verstege, NZA 2012, 1326, 1327. Referentenentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 17.02.2016 zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und anderer Gesetze. 295 BAG v. 19.7.2013 – 7 ABR 91/11, NZA 2013, 1296. 296 BAG v. 10.12.2013 – 9 AZR 51/13, NZA 2014, 196. 293 Vgl. 294 Vgl.
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2. Teil: Grundlagen
verbundenen Rechtsfolgen nicht ein.297 Verstößt die unerlaubte Arbeitnehmerüberlassung gleichzeitig gegen § 1b AÜG, wonach jede Arbeitnehmer überlassung im Baugewerbe verboten ist,298 steht dies den Unwirksamkeitsfolgen der §§ 9 Nr. 1, 10 Abs. 1 AÜG, welche an das Fehlen der Erlaubnis nach § 1 AÜG geknüpft sind, nicht entgegen.299 Es kann jedoch auch vorkommen, dass ein Verleiher grundsätzlich die Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung besitzt, diese aber entgegen § 1b AÜG für den Verleih an Unternehmen verwendet, die im Baugewerbe tätig sind. Dann ist die Tatbestandsvoraussetzung des § 9 Nr. 1 AÜG nicht erfüllt. Die Nichtigkeit des Überlassungsvertrags folgt in diesem Fall aus § 134 BGB wegen eines Verstoßes gegen das gesetzliche Verbot des § 1b AÜG.300 Umstritten ist, ob dann auch der Leiharbeitsvertrag unwirksam ist.301 Werden ausländische Leiharbeitnehmer ohne einen entsprechenden Aufenthaltstitel unerlaubt überlassen, so ist der gleichzeitig vorliegende Verstoß gegen § 15, 15a AÜG unerheblich für das Eintreten der Rechtsfolgen der §§ 9 Nr. 1, 10 Abs. 1 AÜG.302 e) Abgrenzungen zu nicht erlaubnispflichtigen Konstellationen Bestimmte Formen der Arbeitnehmerüberlassung werden gemäß § 1 Abs. 3 AÜG ausnahmsweise von der Erlaubnispflicht entbunden.303 Diese Privilegierungen erfolgen entweder aus arbeitsmarktpolitischen Gründen oder für Fälle, in denen der Schutz von Leiharbeitnehmern nicht als gefährdet angesehen wird.304 297 ErfK/Wank, § 10 AÜG Rn. 2; BeckOK ArbR/Motz, § 10 AÜG Rn. 4; UrbanCrell/Schulz, Arbeitnehmerüberlassung und Arbeitsvermittlung, Rn. 782. 298 Vor dem Hintergrund des Art. 4 Abs. 1 der Leiharbeitsrichltinie, wonach Verbote von Leiharbeit nur aus Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt sind, bestehen begründete Zweifel an der Richtlinienkonformität des § 1b AÜG, vgl. Rieble/Vielmeier, EuZA, 474, 490 ff. 299 BAG v. 8.7.1998 – 10 AZR 274/97, AP Nr. 214 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau. 300 ErfK/Wank, § 1b AÜG Rn. 6; Schüren/Hamann, AÜG, § 1b Rn. 83. 301 Eine analoge Anwendung des § 10 Abs. 1 AÜG wurde vom BAG offen gelassen, vgl. Urt. v. 17.2.2000 – III ZR 78/99, NZA 2000, 608. Für eine Wirksamkeit des Leiharbeitsvertrags Urban-Crell/Schulz, Arbeitnehmerüberlassung und Arbeitsvermittlung, Rn. 520; Sandmann/Marschall, Art. 1 § 1b AÜG Anm. 14; differenzierend Schüren/Hamann, AÜG, § 1b Rn. 84 ff. m. w. N. 302 Schüren/Schüren, AÜG, § 10 Rn. 34; ErfK/Wank, § 10 AÜG Rn. 2; a. A. Boemke/Lembke, AÜG, § 10 Rn. 24. 303 Vgl. Rieble/Vielmeier, EuZA 2011, 474, 485 f. zur kritischen Analyse der Ausnahmen vom Anwendungsbereich des AÜG in § 1 Abs. 3 AÜG (soweit sie eine wirtschaftliche Tätigkeit darstellen) im Hinblick auf ihre Vereinbarkeit mit der Leiharbeitsrichtlinie. 304 Hamann, Fremdpersonal im Unternehmen, S. 33.
C. Rechtsbeziehungen bei der Arbeitnehmerüberlassung71
Die praktisch relevanteste Ausnahme von der Erlaubnispflicht besteht nach § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG für die konzerninterne Arbeitnehmerüberlassung, wenn der Arbeitnehmer nicht zum Zweck der Überlassung eingestellt und beschäftigt wird.305 Die Abgrenzung, wann ein Arbeitnehmer nur für den Zweck der Überlassung eingestellt und beschäftigt wird, kann im Einzelnen schwierig sein.306 2. Rechtsfolgen Liegt die nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AÜG notwendige Erlaubnis nicht vor, treten die Rechtsfolgen der §§ 9 Nr. 1, 10 Abs. 1 AÜG ex nunc ab dem Zeitpunkt ein, zu dem die Erlaubnis nicht (mehr) vorliegt.307 Fehlt die Erlaubnis von Anfang an, so bestimmen sich die Rechtsverhältnisse zwischen dem Verleiher, dem Entleiher und dem Leiharbeitnehmer von vornherein nach den §§ 9 Nr. 1, 10 Abs. 1 AÜG; bei einem späteren Wegfall gilt dies ab dem Zeitpunkt des Wegfalls. Wird die Erlaubnis nachträglich neu oder wieder erteilt, so ändert dies nichts an den bereits eingetretenen Rechtsfolgen der §§ 9 Nr. 1, 10 Abs. 1 AÜG.308 Ferner treten die Rechtsfolgen der illegalen Arbeitnehmerüberlassung unabhängig von der Kenntnis oder fahrlässigen Unkenntnis der Parteien ein.309 Dies gilt selbst dann, wenn die Parteien irrtümlich davon ausgingen, keine Erlaubnis zu benötigen.310 a) Unwirksamkeitsfolgen nach § 9 Nr. 1 AÜG Fehlt die nach § 1 AÜG erforderliche Verleiherlaubnis, so folgt aus § 9 Nr. 1 AÜG die Unwirksamkeit des Leiharbeitsvertrags sowie des Überlassungsvertrags. Diese Rechtsfolgenregelung der unerlaubten Arbeitnehmer überlassung ist seit der Einführung des AÜG unverändert geblieben. Ursprünglich sah der Regierungsentwurf den Begriff der „Nichtigkeit“ in § 9 305 Die Ergänzung des Konzernprivilegs dahingehend, dass nur Arbeitnehmer erfasst werden, die „nicht zum Zweck der Überlassung eingestellt und beschäftigt“ werden, wurde durch das Erste Gesetz zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes – Verhinderung von Missbrauch der Arbeitnehmerüberlassung v. 28.4.2011 (BGBl. I, S. 642) eingeführt. Kritisch insgesamt zum Konzernprivileg Hamann, RdA 2011, 321, 333. 306 Vgl. zur Abgrenzung Boemke/Lembke, AÜG, § 1 Rn. 233 ff. 307 Boemke/Lembke, AÜG, § 9 Rn. 48 und Rn. 63. 308 BeckOK ArbR/Motz, § 10 AÜG Rn. 3; Ulber, AÜG, § 9 Rn. 13. 309 Thüsing/Mengel, AÜG, § 9 Rn. 10. 310 Urban-Crell/Hurst, in: Urban-Crell/Germakowski, AÜG, § 9 Rn. 9.
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2. Teil: Grundlagen
AÜG als Rechtsfolge vor.311 In der Endfassung wurde der Begriff der „Unwirksamkeit“ gewählt, um die begriffliche Abgrenzung zur Rechtsfolge des § 139 BGB deutlich zu machen.312 § 139 BGB gilt im Rahmen des § 9 AÜG nicht, vielmehr regelt § 9 AÜG explizit die Unwirksamkeit der darin genannten Vereinbarungen.313 aa) Unwirksamkeit des Leiharbeitsvertrags Gemäß § 9 Nr. 1 Var. 2 AÜG ist der Arbeitsvertrag zwischen dem Verleiher und dem Leiharbeitnehmer unwirksam, wenn der Verleiher nicht die erforderliche Erlaubnis besitzt. Die Unwirksamkeit erfasst grundsätzlich den gesamten Leiharbeitsvertrag.314 Falls das Arbeitsverhältnis als reguläres Arbeitsverhältnis abgeschlossen wurde und die Parteien erst im Nachhinein eine Überlassungskomponente vereinbaren, wird nur die Einzelabrede bezüglich der Überlassung von der Rechtsfolge des § 9 Nr. 1 AÜG erfasst, nicht jedoch der gesamte Arbeitsvertrag.315 Aus dem Gesetzeswortlaut ergibt sich nicht, wie ein bereits durchgeführtes Leiharbeitsverhältnis zu behandeln ist und insbesondere auch nicht, ob eine Rückabwicklung des Leiharbeitsverhältnisses nach den allgemeinen bereicherungsrechtlichen Vorschriften der §§ 812 ff. BGB erfolgen soll.316 Eine solche Rückabwicklung ist nicht ohne weiteres möglich: Wo das Leiharbeitsverhältnis und die Überlassung an den Entleiher tatsächlich durchgeführt wurde, sind entsprechende Leistungen ausgetauscht worden, insbesondere hat der Leiharbeitnehmer seine Arbeitsleistung erbracht und wurde dafür vom Verleiher bezahlt (und auch sozialversichert). Es liegt insoweit dieselbe Interessenlage vor, für die die Grundsätze des fehlerhaften Arbeitsverhältnisses317 entwickelt wurden.318 Wertungsmäßig spricht einiges dafür, 311 BT-Drs.
VI/3505, S. 7. hierzu Boemke/Lembke, AÜG, § 9 Rn. 2. 313 Thüsing/Mengel, AÜG, § 9 Rn. 50. 314 Ulber, AÜG, § 9 Rn. 25. 315 Hamann, Fremdpersonal im Unternehmen, S. 100; Ulber, AÜG, § 9 Rn. 26. 316 Für eine bereicherungsrechtliche Abwicklung Boemke, Schuldvertrag und Arbeitsverhältnis, S. 607, Boemke/Lembke, AÜG, § 9 Rn. 66; Sandmann/Marschall/ Schneider, AÜG, § 10 Anm. 7 f. 317 Der Begriff des „faktischen“ Arbeitsverhältnisses wird synonym verwendet; zur Vorzugswürdigkeit des „fehlerhaften“ Arbeitsverhältnisses vgl. ErfK/Preis, § 611 BGB Rn. 145. 318 Nach dem Grundsatz des fehlerhaften Arbeitsverhältnisses ist ein vollzogenes fehlerhaftes Arbeitsverhältnis für die Dauer des Vollzugs als wirksam zu behandeln, kann jedoch jederzeit durch einseitige Erklärung einer Partei beendet werden, vgl. ErfK/Preis, § 611 BGB Rn. 147. 312 Vgl.
C. Rechtsbeziehungen bei der Arbeitnehmerüberlassung73
diese Grundsätze auch für die Rückabwicklung des nach § 9 Nr. 1 AÜG unwirksamen Leiharbeitsverhältnisses anzuwenden. Auch von der Rechtsprechung und im Schrifttum wird eine Abwicklung unter Berücksichtigung der Grundsätze des fehlerhaften Arbeitsverhältnisses überwiegend als sachgerecht angesehen.319 Jedoch ist aus rechtsdogmatischen Gründen eine unmittelbare Anwendbarkeit der Grundsätze des fehlerhaften Arbeitsverhältnisses auf das Leiharbeitsverhältnis nicht möglich, da der Gesetzgeber mit den Vorschriften der §§ 9 Nr. 1, 10 Abs. 1 bis 3 AÜG bereits ein spezifisches Abwicklungssystem geschaffen hat, das die Folgen des unwirksamen Leiharbeitsverhältnisses umfassend regelt.320 So soll der Leiharbeitnehmer nach § 10 Abs. 1 AÜG den Entleiher in Anspruch nehmen können, ohne sich mit dem Verleiher auseinandersetzen zu müssen. Dies bietet nach der Vorstellung des Gesetzgebers gerade einen stärkeren Schutz, der über das Schutzniveau eines sogenannten fehlerhaften Arbeitsverhältnisses hinausgeht.321 Daraus folgt zweierlei: Zum einen darf der Leiharbeitnehmer nicht schlechter gestellt werden als bei einer Anwendung der Grundsätze des fehlerhaften Arbeitsverhältnisses, da ihm nach dem oben genannten Schutzzweck des § 10 AÜG gerade eine noch stärkere Rechtstellung zustehen soll.322 Dies bedeutet, dass der Leiharbeitnehmer bereits gezahlten Lohn stets behalten darf, der Verleiher also keine bereicherungsrechtlichen Ansprüche geltend machen kann, obwohl die Zahlung rechtsgrundlos war.323 Zum anderen steht dem Leiharbeitnehmer auch kein Anspruch auf doppelte Vergütung zu. Er kann nur insoweit vom Entleiher seine Vergütung fordern,324 als er diese nicht schon 319 BGH v. 31.3.1982 – 2 StR 744/81, AP Nr. 4 zu § 10 AÜG; Schüren/Schüren, AÜG, § 9 Rn. 28; Schaub/Koch, ArbR-HdB § 120 Rn. 60; Becker/Kreikebaum, Zeitarbeit, S. 134; Becker/Wulfgramm, AÜG, Art. 1 § 9 Rn. 18; Gick, Gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung, S. 155 ff.; Ulber, AÜG, § 9 Rn. 34; Vor, Zeitarbeit, S. 71. 320 Urban-Crell/Hurst, in: Urban-Crell/Germakowski, § 9 Rn. 26; in diese Richtung auch Boemke/Lembke, AÜG, § 9 Rn. 66. So wohl auch im Ergebnis BGH v. 18.7.2000 – X ZR 62/98, NJW 2000, 3492, II 2 b) der Gründe; Erbs/Kohlhaas/ Ambs, AÜG, § 10 Rn. 4. 321 Vgl. BT-Drucks. VI/2303, S. 13, wonach der Leiharbeitnehmers nicht bloß auf eine subsidiäre Haftung des Entleihers für die Pflichten des Verleihers angewiesen sein sollte, sondern den Entleiher als „vollwertigen“ Arbeitgeber in Anspruch nehmen kann. 322 BGH v. 8.11.1979 – VII ZR 337/78, AP Nr. 2 zu § 10 AÜG, III 1 b) der Gründe. 323 BGH v. 8.11.1979 – VII ZR 337/78, AP Nr. 2 zu § 10 AÜG, III 1 b) der Gründe; Hamann, Fremdpersonal im Unternehmen, S. 100; Urban-Crell/Schulz, Arbeitnehmerüberlassung und Arbeitsvermittlung, Rn. 824. 324 Wegen nicht gezahlter Arbeitslöhne kann der Leiharbeitnehmer sich nur an den Entleiher halten, der als Arbeitgeber an die Stelle des Verleihers tritt, vgl. Urban-Crell/Schulz, Arbeitnehmerüberlassung und Arbeitsvermittlung, Rn. 823.
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2. Teil: Grundlagen
vom Verleiher erhalten hat.325 Mit anderen Worten: Der Leiharbeitnehmer muss sich die vom Verleiher erhaltene Vergütung, die er behalten darf, auf seinen Vergütungsanspruch gegenüber dem Entleiher anrechnen lassen.326 Zu denselben Ergebnissen gelangt man, wenn das unwirksame Leiharbeitsverhältnis nach den Grundsätzen des fehlerhaften Arbeitsverhältnisses abgewickelt wird.327 Auch danach könnte der Leiharbeitnehmer die bereits vom Verleiher erhaltene Vergütung behalten, ohne bereicherungsrechtlichen Ansprüchen ausgesetzt zu sein. Ferner käme man ebenfalls zu dem Ergebnis, dass der Leiharbeitnehmer die Vergütung nicht doppelt verlangen kann, da der Entleiher (über das fingierte Arbeitsverhältnis nach § 10 Abs. 1 AÜG) und der Verleiher (über das fehlerhafte Arbeitsverhältnis) die Vergütung als Gesamtschuldner im Sinne des § 421 BGB schulden.328 Unbeschadet der Ergebnisgleichheit ist für die Anwendung der Grundsätze des fehlerhaften Arbeitsverhältnisses rechtsdogmatisch gesehen jedoch kein Raum, da die Folgen der illegalen Arbeitnehmerüberlassung im Hinblick auf das Leiharbeitsverhältnis bereits geregelt sind, wie soeben erläutert. bb) Unwirksamkeit des Überlassungsvertrags Der zwischen dem Verleiher und dem Entleiher geschlossene Überlassungsvertrag ist gemäß § 9 Nr. 1 Var. 1 AÜG ex nunc ab dem Zeitpunkt, zu dem die Erlaubnis nicht (mehr) vorlag, unwirksam.329 Dies bedeutet, dass weder der Verleiher einen Anspruch auf die Zahlung des Überlassungsentgelts noch der Entleiher einen Anspruch auf Überlassung des Leiharbeitneh325 BGH v. 8.11.1979 – VII ZR 337/78, AP Nr. 2 zu § 10 AÜG, III 1 b) der Gründe; Becker, C., BB 1978, 363, 364; Becker/Kreikebaum, Zeitarbeit, S. 135. 326 BGH v. 8.11.1979 – VII ZR 337/78, AP Nr. 2 zu § 10 AÜG, III 1. b) der Gründe; Becker, C., BB 1978, 363, 364. Im Übrigen bedeutet dies für den Entleiher, dass er in Höhe der vom Verleiher bereits gezahlten Vergütung von seiner Zahlungspflicht gegenüber dem Leiharbeitnehmer frei wird. Im Verhältnis zum Verleiher ist der Entleiher aufgrund des ebenfalls unwirksamen Überlassungsvertrags ungerechtfertigt bereichert und hat diese Bereicherung herauszugeben, vgl. unten, Abschnitt 2. C. II. 2. a) bb). Wirtschaftlich trägt also der Entleiher die Vergütungspflicht gegenüber dem Leiharbeitnehmer. 327 So etwa Ulber, AÜG, § 9 Rn. 34; ErfK/Wank, § 9 AÜG Rn. 5; Schüren/Schüren, AÜG, § 9 Rn. 28; Thüsing/Mengel, AÜG, § 9 Rn. 20; Spiolek, BB 1991, 1038, 1041. 328 So etwa Schüren/Schüren, AÜG, § 9 Rn. 47; Hamann, Fremdpersonal im Unternehmen, S. 100; ablehnend BGH v. 18.7.2000 – X ZR 62/98, NJW 2000, 3492, II 2 b) der Gründe. 329 Nach Ulber, AÜG, § 9 Rn. 5 folgt die Nichtigkeit des Überlassungsvertrags schon aus § 134 BGB, was sich daraus ergebe, dass die Arbeitnehmerüberlassung als präventives gesetzliches Verbot mit Erlaubnisvorbehalt ausgestaltet ist.
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mers geltend machen kann. Die Grundsätze des fehlerhaften Arbeitsverhältnisses sind für das Überlassungsverhältnis nicht anwendbar, da der Überlassungsvertrag kein Arbeitsverhältnis ist.330 Für die Rückabwicklung im Überlassungsverhältnis gelten die allgemeinen bereicherungsrechtlichen Grundsätze.331 Der Entleiher kann demnach das bereits gezahlte Entgelt gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB kondizieren, es sei denn, ihm war das Fehlen der Erlaubnis zum Zeitpunkt der Leistung bekannt – dann ist die Rückforderung nach § 817 Satz 2 BGB ausgeschlossen.332 Umgekehrt hat der Verleiher gegenüber dem Entleiher ebenfalls Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung. Er kann gegenüber dem Entleiher jedoch keinen Wertersatz nach § 818 Abs. 2 BGB für die vom Leiharbeitnehmer erbrachte Arbeitstätigkeit verlangen, sondern nur gemäß §§ 812 Abs. 1, 267 BGB die Herausgabe dessen, was der Entleiher dadurch erspart hat, dass der Verleiher dem Leiharbeitnehmer das Arbeitsentgelt gezahlt hat.333 Der Entleiher ist durch die Vergütungszahlung des Verleihers von seiner eigenen Vergütungspflicht nach § 10 Abs. 1 AÜG gegenüber dem Leiharbeitnehmer befreit und insoweit zulasten des Verleihers ungerechtfertigt bereichert.334 Eine entsprechende Willensrichtung des Verleihers, als Dritter im Sinne des § 267 BGB auf die Schuld des Entleihers zu leisten, ist vorliegend unerheblich.335 Es kommt auch nicht auf eine nachträgliche Tilgungsbestimmung der Leistung an.336 Maßgeblich ist, dass Verleiher die geleistete Vergütung nicht vom Leiharbeitnehmer kondizieren kann.337 So330 Ulber,
AÜG, § 9 Rn. 16 m. w. N. vieler BGH v. 8.11.1979 – VII ZR 337/78, AP Nr. 2 zu § 10 AÜG; Ulber, AÜG, § 9 Rn. 16; Boemke, Schuldvertrag und Arbeitsverhältnis, S. 609; Becker/ Kreikebaum, Zeitarbeit, S. 139. 332 BGH v. 17.2.2000 – III ZR 78/99, NZA 2000, 608, B I 2a der Gründe; ebenso Schüren/Schüren, AÜG, § 9 Rn. 54; ErfK/Wank, § 9 AÜG Rn. 5; Ulber, AÜG, § 9 Rn. 16; a. A. Boemke/Lembke, § 9 Rn. 52 mit dem Argument, dass der Ausschluss des Rückforderungsanspruchs den nicht gebilligten Zustand der unerlaubten Arbeitnehmerüberlassung wirtschaftlich legalisieren würde. 333 BGH v. 8.11.1979 – VII ZR 337/78, AP Nr. 2 zu § 10 AÜG, III 1 der Gründe; so auch Löwisch/Caspers/Klumpp, ArbR, Rn. 900; Urban-Crell/Schulz, Arbeitnehmerüberlassung und Arbeitsvermittlung, Rn. 837. 334 BGH v. 8.11.1979 – VII ZR 337/78, AP Nr. 2 zu § 10 AÜG, III 1 der Gründe. 335 BGH v. 8.11.1979 – VII ZR 337/78, AP Nr. 2 zu § 10 AÜG, III 1 b der Gründe 1; a. A. Ulber, AÜG, § 9 Rn. 18. 336 Vgl. zur Möglichkeit der nachträglichen Tilgungsbestimmung BGH v. 15.5.1986 – VII ZR 274/85, NJW 1986, 2700. 337 Dies ergibt sich nicht ohne Weiteres aus den Grundsätzen des fehlerhaften Arbeitsverhältnisses, sondern daraus, dass der illegal überlassene Leiharbeitnehmer bei der Rückabwicklung des Leiharbeitsvertrages auch nicht schlechter gestellt werden darf. Vgl. oben, Abschnitt 2. C. II. 2. a) aa). 331 Statt
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2. Teil: Grundlagen
mit ist die Schuld des Entleihers zur Vergütungszahlung nach § 10 Abs. 1 AÜG in jedem Fall getilgt, unabhängig davon, ob der Verleiher dies beabsichtigte.338 Im Übrigen steht § 817 Satz 2 BGB dem Rückforderungsanspruch des Verleihers nicht entgegen, da nicht die Leistung in Form der Vergütungszahlung an den Leiharbeitnehmer gesetzlich verboten ist, sondern die ohne Erlaubnis erfolgte Arbeitnehmerüberlassung.339 Die Rückabwicklung erfolgt nach den §§ 812, 267 BGB und nicht im Wege des Gesamtschuldnerausgleichs nach § 426 BGB, da der Verleiher auf eine fremde Schuld (des Entleihers) und nicht auf seine eigene zahlt; Verleiher und Entleiher sind keine Gesamtschuldner bezüglich des Vergütungsanspruchs des Leiharbeitnehmers.340 Diese beiden Wege der Rückabwicklung schließen sich gegenseitig aus.341 Diese Unwirksamkeitsfolgen des § 9 Nr. 1 AÜG verdeutlichen den Sank tionseffekt, den sie für den Verleiher haben. Der Verleiher erhält im Fall der illegalen Überlassung kein Entgelt vom Entleiher, sondern höchstens Ersatz der an den Leiharbeitnehmer gezahlten Vergütung. Einen Gewinn kann der Verleiher aus der illegalen Arbeitnehmerüberlassung in keinem Fall schöpfen.342 b) Fiktion eines Arbeitsverhältnisses zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer nach § 10 Abs. 1 AÜG Ist der Leiharbeitsvertrag nach § 9 Nr. 1 AÜG unwirksam, so wird gemäß § 10 Abs. 1 AÜG ein Arbeitsverhältnis zwischen dem Entleiher und dem Leiharbeitnehmer fingiert.343 338 BGH v. 8.11.1979 – VII ZR 337/78, AP Nr. 2 zu § 10 AÜG, III 1 der Gründe; Boemke/Lembke, AÜG, § 9 Rn. 51; Urban-Crell/Schulz, Arbeitnehmerüberlassung und Arbeitsvermittlung, Rn. 837. 339 BGH v. 8.11.1979 – VII ZR 337/78, AP Nr. 2 zu § 10 AÜG, III 2c der Gründe; so auch im Ergebnis Boemke/Lembke, AÜG, § 9 Rn. 51 (mit dem Argument, es handele sich um eine Rückgriffskondiktion, für die § 817 Satz 2 BGB nicht gelte); ferner Löwisch/Caspers/Klumpp, ArbR, Rn. 900. 340 Ebenso Urban-Crell/Schulz, Arbeitnehmerüberlassung und Arbeitsvermittlung, Rn. 838. 341 Konsequenterweise kommt Ulber, der Vergütungsansprüche des illegal überlassenen Leiharbeitnehmers gegenüber dem Verleiher aus einem fehlerhaften Arbeitsverhältnis bejaht und eine Fremdtilgung des Verleihers verneint, zu dem Ergebnis, dass der Ausgleich zwischen Verleiher und Entleiher nach § 426 BGB erfolgt, vgl. Ulber, AÜG, § 9 Rn. 18. 342 Boemke/Lembke, AÜG, § 9 Rn. 51; im Ergebnis auch Ulber, AÜG, § 9 Rn. 19; Thüsing/Mengel, AÜG, § 9 Rn. 15. 343 Genau genommen handelt es sich nicht um ein „fingiertes“ Arbeitsverhältnis, sondern ein „gesetzliches“ Arbeitsverhältnis, vgl. auch Boemke/Lembke, AÜG, § 10 Rn. 13. Dennoch werden die Begriffe der „Fiktion“ bzw. des „fingierten“ Arbeits-
C. Rechtsbeziehungen bei der Arbeitnehmerüberlassung77
Das fingierte Arbeitsverhältnis entsteht unabhängig von der Kenntnis und der Absicht der Parteien und stellt eine zwingende gesetzliche Folge dar.344 Selbst wenn die Beteiligten irrtümlich davon ausgingen, keine Erlaubnis zu benötigen (etwa wenn der Verleiher und der Entleiher vom Vorliegen eines Dienst- oder Werkvertrags ausgingen), oder wenn der Verleiher das Bestehen einer Erlaubnis vorspiegelt bzw. dessen Wegfall verschweigt, treten die gesetzlichen Folgen ein.345 Die Rechtsfolge des § 10 Abs. 1 AÜG kann auch nicht zu Lasten des Leiharbeitnehmers im Nachhinein abbedungen werden.346 Den Parteien steht es jedoch frei, das fingierte Arbeitsverhältnis mit den Mitteln, die auch für die Beendigung eines vertraglich eingegangenen Arbeitsverhältnisses bestehen, ordnungsgemäß zu beenden.347 Es ist dem Entleiher und dem Leiharbeitnehmer auch nicht verwehrt, statt des fingierten Arbeitsverhältnisses ein Arbeitsverhältnis auf vertraglicher Grundlage abzuschließen und darin die Arbeitsbedingungen neu zu regeln.348 Für das Entstehen eines fingierten Arbeitsverhältnisses ist die tatsächliche Durchführung der Überlassung notwendig. Wurde der ursprünglich vorgesehene Leiharbeitnehmer ausgewechselt, so tritt die Fiktion nur bei dem tatsächlich entsandten Leiharbeitnehmer ein, der beim Entleiher seine Tätigkeit aufgenommen hat.349 Wurde der Leiharbeitnehmer bei mehreren Entleihern eingesetzt, so entsteht gemäß § 10 Abs. 1 AÜG zu jedem der Entleiher ein fingiertes Arbeitsverhältnis für die jeweilige Überlassungsdauer. Eine Fiktion des Arbeitsverhältnisses nach § 10 Abs. 1 AÜG kommt nicht in Betracht, wenn der Leiharbeitnehmer bei einem Entleiher im Ausland eingesetzt wurde.350 Da der Anwendungsbereich durch das Territorialitätsverhältnisses verwendet, da sie sich im Kontext des § 10 AÜG in Schrifttum und Rechtsprechung eingebürgert haben. 344 Schüren/Schüren, AÜG, § 10 Rn. 36 und Rn. 40; Ulber, AÜG, § 10 Rn. 19; ErfK/Wank, § 10 AÜG Rn. 5; Urban-Crell/Hurst, in: Urban-Crell/Germakowski, AÜG, § 10 Rn. 7; Hamann, Fremdpersonal im Unternehmen, S. 100. 345 ErfK/Wank, § 10 AÜG Rn. 5, Ulber, AÜG, § 10 Rn. 19. 346 Vgl. BAG v. 18.2.2003 – 3 AZR 160/02, AP Nr. 5 zu § 13 AÜG zur rückwirkenden Abbedingung der Wirkungen des § 10 AÜG durch Vereinbarung zwischen dem Leiharbeitnehmer und dem Entleiher. 347 BAG v. 30.1.1991 – AZR 497/89, AP Nr. 8 zu § 10 AÜG, Ls. 5. Vgl. im Einzelnen hierzu unten, Abschnitt 4. B. II. 1. c). 348 BAG v. 19.12.1979 – 4 AZR 901/77, AP Nr. 1 zu § 10 AÜG; Boemke/Lembke, AÜG, § 10 Rn. 31; Ulber, AÜG, § 10 Rn. 12 mit der Einschränkung, dass die Neuregelung nur für die Zukunft gelten könne. 349 Boemke/Lembke, AÜG, § 10 Rn. 25 ff.; Schüren/Schüren, AÜG, § 10 Rn. 35; ErfK/Wank, § 10 AÜG Rn. 3. 350 Ulber, AÜG, § 10 Rn. 4; Thüsing/Mengel, AÜG, § 10 Rn. 7; BeckOK ArbR/ Motz, § 10 AÜG Rn. 6.
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prinzip begrenzt ist,351 kann zwischen dem Leiharbeitnehmer und dem ausländischen Entleiher kein Arbeitsverhältnis nach den Bestimmungen des § 10 Abs. 1 AÜG fingiert werden.352 Im Folgenden wird überblicksweise dargestellt, wie sich der Inhalt des fingierten Arbeitsverhältnisses nach den Regelungen des § 10 Abs. 1 AÜG im Einzelnen bestimmt.353 aa) Inhalt Das fingierte Arbeitsverhältnis steht einem vertraglich eingegangenen Arbeitsverhältnis grundsätzlich gleich, soweit das AÜG keine Sonderregelungen trifft.354 Der illegal überlassene Leiharbeitnehmer ist ab dem Eintritt der Fiktion nach § 10 Abs. 1 AÜG kein Leiharbeitnehmer mehr, sondern ein regulärer Arbeitnehmer des Entleihers, der in einem (fingierten) Arbeitsverhältnis mit dem Entleiher steht.355 Abgesehen von der Befristung und der Arbeitszeit, die sich gemäß § 10 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 AÜG nach den ursprünglich getroffenen Vereinbarungen richten, sind gemäß § 10 Abs. 1 Satz 4 AÜG die im Entleiher betrieb üblichen Arbeitsbedingungen maßgeblich, und falls diese nicht einschlägig sind, diejenigen vergleichbarer Betriebe. Dies gilt auch für die Höhe der Vergütung, wobei das im Leiharbeitsverhältnis vereinbarte Arbeitsentgelt gemäß § 10 Abs. 1 Satz 5 AÜG nicht unterschritten werden darf. Diese Regelungen zielen darauf ab, den illegal überlassenen Leih arbeitnehmer unter dem fingierten Arbeitsverhältnis so weit wie möglich in den Entleiherbetrieb zu integrieren, wobei ursprünglich vereinbarte Inhalte zugunsten des Leiharbeitnehmers berücksichtigt werden.356 Im fingierten Arbeitsverhältnis stehen die Pflicht des Leiharbeitnehmers zur Arbeitsleistung und die Pflicht des Entleihers zur Zahlung des Lohns in einem synallagmatischen Verhältnis. Führen die Beteiligten die Arbeitnehmerüberlassung trotz fehlender Erlaubnis nach den Grundsätzen der legalen Arbeitnehmerüberlassung durch und erhält der Leiharbeitnehmer vom Ver351 BT-Drs.
VI/2303, S. 10. AÜG, § 10 Rn. 4; Thüsing/Mengel, AÜG, § 10 Rn. 7; BeckOK ArbR/ Motz, § 10 AÜG Rn. 6. 353 Vgl. ausführlich zu den Bedingungen des fingierten Arbeitsverhältnisses unten, Abschnitt 4. B. II. 354 BAG v. 30.1.1991 – AZR 497/89, AP Nr. 8 zu § 10 AÜG, Ls. 5.; Boemke/ Lembke, AÜG, § 10 Rn. 14; ErfK/Wank, § 10 AÜG Rn. 15; Urban-Crell/Hurst, in: Urban-Crell/Germakowski, AÜG, § 10 Rn. 13. 355 Boemke, Schuldvertrag und Arbeitsverhältnis, S. 610. 356 BT-Drs. VI/2030, S. 13; vgl. auch Schüren/Schüren, AÜG, § 10 Rn. 72. 352 Ulber,
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leiher Vergütungszahlungen, kann er die Vergütung trotz Unwirksamkeit des Leiharbeitsvertrags nach § 9 Nr. 1 AÜG behalten.357 Da § 10 Abs. 1 AÜG dem Leiharbeitnehmer auch keinen doppelten Anspruch auf Vergütung verschaffen soll,358 schuldet der Entleiher dem Leiharbeitnehmer nur die Vergütung etwaiger Differenzbeträge.359 bb) Sonstige Folgen des § 10 AÜG Die Fiktion eines Arbeitsverhältnisses zwischen dem Leiharbeitnehmer und dem Entleiher nach § 10 Abs. 1 AÜG ist nur eine von mehreren Rechtsfolgen der illegalen Arbeitnehmerüberlassung. Eine weitere arbeitsrechtliche Regelung trifft § 10 Abs. 2 AÜG, wonach der Leiharbeitnehmer gegen den Verleiher einen Anspruch auf Ersatz des Vertrauensschadens geltend machen kann, den er dadurch erleidet, dass er auf die Wirksamkeit des Leiharbeitsvertrages vertraute. Typischerweise handelt es sich beim Vertrauensschaden des Leiharbeitnehmers um Kosten des Vertragsschlusses (z. B. Bewerbungskosten); ersatzfähig ist auch der entgangene Gewinn.360 Ferner hat die illegale Arbeitnehmerüberlassung für den Verleiher und den Entleiher teilweise schwerwiegende sozialversicherungsrechtliche, steuerrechtliche und ordnungswidrigkeitsrechtliche Folgen.361 Der Verleiher hat entsprechende Sozialversicherungsbeiträge abzuführen, sofern das gemäß § 9 Nr. 1 AÜG unwirksam gewordene Leiharbeitsverhältnis durchgeführt wurde;362 daneben haftet auch der Entleiher hierfür gesamtschuldnerisch.363 Subsidiär haftet der Entleiher für nicht abgeführte Lohnsteuer.364 Ebenso regelt § 10 Abs. 3 AÜG die gesamtschuldnerische Haftung des Verleihers und des Entleihers für Pflichten zur Zahlung von Arbeitsentgelt gegenüber 357 BGH v. 8.11.1979 – VII ZR 337/78, NJW 1980, 452, III 1 b) der Gründe; Hamann, Fremdpersonal im Unternehmen, S. 100. Gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 AÜG hat der Verleiher auch für sonstige Teile des Arbeitsentgelts zu haften, wenn er trotz Unwirksamkeit des Leiharbeitsvertrages das vereinbarte Arbeitsentgelt an den Leiharbeitnehmer zahlt. Diesbezüglich haften Entleiher und Verleiher als Gesamtschuldner gemäß § 10 Abs. 3 Satz 5 AÜG. 358 Vgl. Ulber, AÜG, § 9 Rn. 18; BGH v. 8.11.1979 – VI ZR 337/78, AP Nr. 2 zu § 10 AÜG; Boemke/Lembke, AÜG, § 9 Rn. 67; Sandmann/Marschall/Schneider, AÜG, § 10 Anm. 10. 359 BGH v. 8.11.1979 – VII ZR 337/78, NJW 1980, 452, III 1 b) der Gründe; Becker, C., BB 1978, 363, 364; Becker/Kreikebaum, Zeitarbeit, S. 135. 360 Boemke/Lembke, AÜG, § 10 Rn. 110 f. 361 Vgl. hierzu ausführlich Hamann, Fremdpersonal im Unternehmen, S. 104. 362 § 28e Abs. 2 Satz 3 SGB IV. 363 § 28e Abs. 2 Satz 4 SGB IV. 364 § 42d Abs. 6 bis Abs. 8 EStG.
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2. Teil: Grundlagen
Dritten.365 Schließlich sanktionieren § 16 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 1a AÜG die illegale Arbeitnehmerüberlassung als Ordnungswidrigkeit, für die sowohl der Verleiher als auch der Entleiher mit einem Bußgeld von bis zu dreißigtausend Euro belegt werden kann. Vor allem die sozialversicherungsrechtlichen und steuerrechtlichen Sanktionsvorschriften können zu Nachzahlungspflichten für die Vergangenheit führen, was im Einzelnen überaus kostenträchtig sein kann. In der Praxis können diese Folgen für den Entleiher und den Verleiher wirtschaftlich gesehen teilweise gravierender sein als die Fiktion eines Arbeitsverhältnisses zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer.366 cc) Schicksal des Beschäftigungsverhältnisses zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer Erfolgte die Arbeitnehmerüberlassung von Anfang an ohne die erforderliche Erlaubnis, so bestand zu keinem Zeitpunkt ein wirksames Leiharbeitsbzw. Überlassungsverhältnis, sondern vom Beginn der Überlassung an ausschließlich ein fingiertes Arbeitsverhältnis zwischen dem Entleiher und dem Leiharbeitnehmer. Fällt die Erlaubnis nachträglich, d. h. nach Beginn des Einsatzes im Entleiherbetrieb und während der Überlassungsdauer, weg, so lag zunächst eine legale Arbeitnehmerüberlassung und damit auch ein Beschäftigungsverhältnis zwischen dem Entleiher und dem Leiharbeitnehmer mit den oben beschriebenen Rechten und Pflichten vor.367 Mit dem nachträglichen Wegfall der Erlaubnis entsteht zwischen dem Entleiher und dem Leiharbeitnehmer ein fingiertes Arbeitsverhältnis. Dann muss auch ohne ausdrückliche Regelung im AÜG gelten, dass der Inhalt des Beschäftigungsverhältnisses zwischen dem Entleiher und dem Leiharbeitnehmer durch das fingierte Arbeitsverhältnis vollumfänglich ersetzt wird. Der Fik tion nach § 10 Abs. 1 AÜG lässt sich entnehmen, dass die Rechtsbeziehung zwischen dem Entleiher und dem Leiharbeitnehmer auf eine neue, vertragliche Grundlage gestellt werden soll, unabhängig davon, welche Rechte und Pflichten zuvor in diesem Verhältnis bestanden.368 Somit ist auch das dem Entleiher im Beschäftigungsverhältnis zustehende Recht auf die Arbeitsleis365 Beispiele für solche Zahlungspflichten gegenüber Dritten sind gepfändetes und überwiesenes Arbeitsentgelt oder Beiträge an Versorgungseinrichtungen der betrieblichen Altersversorgung, vgl. Boemke/Lembke, AÜG, § 10 Rn. 119. 366 Vgl. Schüren/Schüren, AÜG, Einl. Rn. 7. 367 Vgl. oben, Abschnitt 2. C. I. 3. b). 368 Vgl. Boemke/Lembke, AÜG, § 10 Rn. 14 dazu, dass das fingierte Arbeitsverhältnis „wie ein normales vertraglich neu begründetes Arbeitsverhältnis“ behandelt wird.
C. Rechtsbeziehungen bei der Arbeitnehmerüberlassung81
tung des Leiharbeitnehmers nach § 328 BGB (aus dem Leiharbeitsvertrag als echtem Vertrag zugunsten Dritter) gegenstandslos, da dieses Forderungsrecht durch den Anspruch auf Arbeitsleistung aus dem fingierten Arbeitsverhältnis ersetzt wird. c) Normzweck der §§ 9 Nr. 1, 10 Abs. 1 AÜG Die arbeitsrechtlichen Rechtsfolgen der illegalen Arbeitnehmerüberlassung nach den §§ 9 Nr. 1, 10 Abs. 1 AÜG gehören zum wesentlichen Regelungsgehalt des AÜG und sind in ihrer Notwendigkeit und Bedeutung nur im Hinblick auf den übergeordneten Normzweck des AÜG zu verstehen. aa) Schutz des Leiharbeitnehmers Das gesamte Regelungswerk des AÜG dient nach dem gesetzgeberischen Zweck dem sozialen Schutz des Leiharbeitnehmers, was auch für die Kernregelung, die Erlaubnispflicht nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AÜG, gilt.369 Die in § 9 Nr. 1 AÜG und § 10 Abs. 1 AÜG geregelten Rechtsfolgen illegaler Arbeitnehmerüberlassung flankieren die Erlaubnispflicht und sind damit ein ebenso wichtiges Regelungselement wie die Erlaubnispflicht selbst.370 Angesichts dessen sind die Rechtsfolgen illegaler Überlassung ebenfalls im Hinblick auf den sozialen Schutz des Leiharbeitnehmers zu sehen.371 Im Einzelnen verwirklicht § 10 Abs. 1 AÜG den sozialen Schutz des Leiharbeitnehmers, indem ein Ausgleich für das gemäß § 9 Nr. 1 AÜG unwirksame Leiharbeitsverhältnis zum Verleiher gewährt wird.372 Durch die Fiktion wird sichergestellt, dass der Leiharbeitnehmer nicht vertragslos ist, sondern arbeitsvertragliche Ansprüche gegen den Entleiher geltend machen kann.373 Praktisch relevant ist dies für die Zahlung der Vergütung, die grundsätzlich der Entleiher für den Zeitraum der illegalen Überlassung schuldet. Es besteht zwar kein Bedarf seitens des Leiharbeitnehmers, sich an den Entleiher zu wenden, wenn, wie häufig, die Vergütung trotz der Unwirksamkeit des Leiharbeitsvertrags nach § 9 Nr. 1 AÜG vom Verleiher gezahlt wird, die der Leih369 BT-Drucks
VI/2303, S. 9. AÜG, § 10 Rn. 4, wonach § 10 AÜG ein „Eckpfeiler der gesetzgeberischen Konstruktion der Arbeitnehmerüberlassung“ sei. 371 Boemke/Lembke, AÜG, § 10 Rn. 10; BeckOK ArbR/Motz, § 10 AÜG Rn. 1. 372 Becker, C., BB 1978, 363, 364; Becker/Kreikebaum, Zeitarbeit, S. 135; Boemke/Lembke, AÜG, § 10 Rn. 10; Pollert/Spieler, Die Arbeitnehmerüberlassung, S. 142; Schaub/Koch, ArbR-HdB, § 120 Rn. 70. 373 BAG v. 2.6.2010 – 7 AZR 946/08, AP Nr. 22 zu § 10 AÜG, II 3 der Gründe. 370 Schüren/Schüren,
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2. Teil: Grundlagen
arbeitnehmer auch behalten kann.374 Ist die Zahlung durch den Verleiher jedoch unterblieben, hat der Leiharbeitnehmer die Möglichkeit, seinen Vergütungsanspruch unter Berufung auf das fingierte Arbeitsverhältnis nach § 10 Abs. 1 AÜG gegenüber dem Entleiher geltend zu machen. Letztlich wird damit das Risiko der Insolvenz bzw. der Unzuverlässigkeit des Verleihers vom Leiharbeitnehmer auf den Entleiher verlagert. bb) Kontroll- und Sanktionsfunktion Die Rechtsfolgen der illegalen Arbeitnehmerüberlassung haben sowohl auf den Verleiher als auch auf den Entleiher eine sanktionierende Wirkung, wobei das Entstehen eines fingierten Arbeitsverhältnisses zum eingesetzten Leiharbeitnehmer nach § 10 Abs. 1 AÜG in erster Linie für den Entleiher eine abschreckende Funktion hat.375 Dies gilt insbesondere dann, wenn gegebenenfalls durch das fingierte Arbeitsverhältnis ein Dauerarbeitsplatz entsteht,376 für den bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen der gesetzliche Bestandsschutz gilt.377 Zudem können beträchtliche Nachzahlungsansprüche für Lohnsteuer und Sozialversicherungsbeiträge drohen, für die der Entleiher und der Verleiher gesamtschuldnerisch haften.378 Für den Verleiher liegt die Sanktionswirkung in der Unwirksamkeit der von ihm geschlossenen Leiharbeitsverträge nach § 9 Nr. 1 AÜG. Die vereinbarte Überlassungsvergütung erhält er vom Entleiher nicht, da der Überlassungsvertrag nach § 9 Nr. 1 AÜG ebenfalls unwirksam ist; er kann höchstens Ersatz der an den Leiharbeitnehmer gezahlten Vergütung nach bereicherungsrechtlichen Grundsätzen vom Entleiher verlangen.379 Zudem bestehen Haftungsrisiken des Verleihers nach § 10 Abs. 2 und Abs. 3 AÜG.380 Diesen Sanktionen kommt auch eine Präventionswirkung zu, da sowohl für den Entleiher als auch für den Verleiher ein Anreiz zur Kontrolle und Selbstregulierung geschaffen wird, Verstöße gegen die Erlaubnispflicht des § 1 Abs. 1 Satz 1 AÜG von vornherein zu vermeiden.381 Der Entleiher soll 374 BGH v. 8.11.1979 – VII ZR 337/78, NJW 1980, 452, III 1 b) der Gründe; Hamann, Fremdpersonal im Unternehmen, S. 100. 375 Statt vieler Gotthardt, in: Henssler/Willemsen/Kalb, § 10 AÜG Rn. 2. 376 Vgl. zur Befristung des fingierten Arbeitsverhältnisses nach § 10 Abs. 1 Satz 2 AÜG unten, Abschnitt 4. B. II. 1. b). 377 Vgl. dazu Schüren/Schüren, AÜG, § 10 Rn. 107 ff. 378 Vgl. näher hierzu Schüren, in: Zukunft Zeitarbeit, S. 77, 84. 379 Vgl. oben, Abschnitt 2. C. II. 2. a) bb). 380 Vgl. oben, Abschnitt 2. C. II. 2. b) bb). 381 Urban-Crell/Schulz, Arbeitnehmerüberlassung und Arbeitsvermittlung, Rn. 783.
C. Rechtsbeziehungen bei der Arbeitnehmerüberlassung83
dazu angehalten werden, das Vorliegen der Überlassungserlaubnis zu prüfen.382 Auf diese Weise kann zumindest unbeabsichtigten Umgehungen der Erlaubnispflicht entgegenwirkt werden. Sofern dadurch die Aktivität unseriöser Verleiher eingedämmt wird, profitiert die Gruppe der als Leiharbeitnehmer Beschäftigten mittelbar. Bei dieser Kontroll- und Sanktionsfunktion handelt es sich nicht um einen weiteren, vom Leiharbeitnehmerschutz losgelösten Normzweck, sondern vielmehr um einen den Leiharbeitnehmerschutz mittelbar fördernden Zweck. Die Sanktionsfunktion des fingierten Arbeitsverhältnisses nach § 10 AÜG ist – ebenso wie die Erlaubnispflicht an sich – kein Selbstzweck, sondern wurde vom Gesetzgeber in erster Linie im Hinblick auf den sozialen Schutz der Leiharbeitnehmer eingeführt, da in einem fingierten Arbeitsverhältnis ein stärkerer Schutz gesehen wurde als in einer subsidiären Haftung des Entleihers für entsprechende Verleiherpflichten.383
382 Becker/Wulfgramm, AÜG, Art. 1 § 10 Rn. 3; ErfK/Wank, § 10 AÜG Rn. 1; Thüsing/Mengel, AÜG, § 10 Rn. 2. 383 BT-Drs. VI/2303, S. 13.
3. Teil
Schutz des Leiharbeitnehmers vor dem Entleiher bei der legalen Arbeitnehmerüberlassung Durch die Beschäftigung und faktische Eingliederung des Leiharbeitnehmers im Entleiherbetrieb können sich verschiedene Rechtsfragen ergeben, die auch im Rahmen eines vertraglich eingegangenen Arbeitsverhältnisses aufgrund der faktischen Eingliederung des Arbeitnehmers in den Betrieb des Arbeitgebers relevant werden können. Da im Beschäftigungsverhältnis bei der erlaubten Arbeitnehmerüberlassung kein Arbeitsverhältnis besteht, ist zu untersuchen, ob sich aus Sicht des Leiharbeitnehmers eine besondere Schutzbedürftigkeit im Verhältnis zum Entleiher ergibt. Der Vergleichsmaßstab ist dabei das Schutzniveau, das ein Arbeitnehmer innerhalb eines vertraglichen Arbeitsverhältnisses aufgrund bestehender Rechtsvorschriften und anerkannter arbeitsrechtlicher Rechtsinstitute genießt. Dies folgt nicht − wie man vermuten könnte − aus dem Gleichbehandlungsgebot, das sich in erster Linie an den Verleiher als Arbeitgeber des Leiharbeitnehmers richtet1, sondern aus der allgemeinen Erwägung, dass ein Leiharbeitnehmer nicht aufgrund des Drittbezugs seines Arbeitsverhältnisses rechtliche Nachteile erleiden darf, vor denen ein Arbeitnehmer im Zweipersonen-Arbeitsverhältnis geschützt wäre. Da die erlaubte Arbeitnehmerüberlassung eine vom Gesetzgeber anerkannte und im AÜG geregelte Beschäftigungsform ist, können diejenigen Umstände, die sich aus der Natur der Arbeitnehmerüberlassung ergeben, in sinnvoller Weise berücksichtigt werden – es ist jedoch weder geboten noch notwendig, jeglichen Unterschied zwischen der Arbeitnehmer überlassung und der regulären Beschäftigungsform des bilateralen Arbeitsverhältnisses zu nivellieren.
1 Das in §§ 3 Abs. 1 Nr. 3, 9 Nr. 2, 10 Abs. 4 Satz 1 AÜG zum Ausdruck kommende Gleichbehandlungsgebot (Grundsatz des Equal Pay und Equal Treatment) verpflichtet den Verleiher, dem Leiharbeitnehmer für die Überlassungszeit die im Entleiherbetrieb für einen vergleichbaren Arbeitnehmer des Entleihers geltenden wesentlichen Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgelts zu gewähren.
A. Schutz vor Schadensersatzansprüchen des Entleihers 85
A. Schutz vor Schadensersatzansprüchen des Entleihers Es liegt in der Natur der Sache, dass die durch die Tätigkeit des Leiharbeitnehmers verursachten Schäden am Ort des Einsatzes, nämlich im Betrieb des Entleihers, eintreten können. Die Haftung für solche Schäden des Entleihers ist im AÜG nicht geregelt.2 Es ist daher zu untersuchen, ob der Leiharbeitnehmer grundsätzlich gegenüber dem Entleiher haftet und für welche Arten von Pflichtverletzungen diese Haftung besteht. Bei Leistungsstörungen ist die Haftung des Leiharbeitnehmers unter anderem davon abhängig, ob man im Beschäftigungsverhältnis von einem unmittelbaren und eigenständigen Anspruch des Entleihers auf die Arbeitsleistung des Leiharbeitnehmers ausgeht.3 Falls der Leiharbeitnehmer gegenüber dem Entleiher haftet, stellt sich die Frage, in welchem Umfang diese Haftung besteht und insbesondere, ob dem Leiharbeitnehmer der arbeitsrechtliche Grundsatz der Beschränkung der Arbeitnehmerhaftung4 zugute kommt. Nur auf Grundlage dessen kann beurteilt werden, ob der Leiharbeitnehmer, der während seines Einsatzes Schäden im Entleiherbetrieb verursacht, in gleicher Weise geschützt ist wie ein Arbeitnehmer im regulären Zweipersonen-Arbeitsverhältnis.
I. Durch den Leiharbeitnehmer verursachte Schäden Bei der Tätigkeit des Leiharbeitnehmers im Betrieb des Entleihers kann es zu Schäden an anderen Rechtsgütern des Entleihers kommen, die das Integritätsinteresse des Entleihers berühren. Wird die Arbeitsleistung durch den Leiharbeitnehmer nicht oder mangelhaft ausgeführt und werden dadurch Schäden verursacht, ist das Leistungsinteresse des Entleihers betroffen. Tatsache ist, dass derartige Schäden durch den Leiharbeitnehmer verursacht werden können – erst bei der Frage, ob und für welche Schäden der Leiharbeitnehmer dem Entleiher auch zu haften hat, kommt es auf das Vorliegen eines Leistungsanspruchs im Beschäftigungsverhältnis an. Im Folgenden wird untersucht, für welche Schäden der Leiharbeitnehmer gegenüber dem 2 Walker, AcP 194 (1994), S. 295, 296; vgl. insgesamt hierzu Viergutz, Die Haftung für Schlechtleistung des Leiharbeitnehmers bei der gewerblichen Arbeitnehmer überlassung. 3 Vgl. dazu oben, Abschnitt 2. C. I. 3. 4 Die Beschränkung der Arbeitnehmerhaftung nach den Grundsätzen des innerbetrieblichen Schadensausgleichs entspricht der ständigen Rechtsprechung des BAG, vgl. Urt. v. 27.9.1994 – GS 1/89, AP Nr. 103 zu § 611 Haftung des Arbeitnehmers = NJW 1995, 210.
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3. Teil: Schutz bei der legalen Arbeitnehmerüberlassung
Entleiher einzustehen hat und wie jeweils die Schadensabwicklung im Verhältnis zwischen dem Leiharbeitnehmer, dem Verleiher und dem Entleiher erfolgt. 1. Verletzung des Integritätsinteresses Im Beschäftigungsverhältnis treffen den Leiharbeitnehmer Schutzpflichten gegenüber dem Entleiher, für deren schuldhafte Verletzung er dem Entleiher haftet.5 Dies gilt unabhängig davon, ob man eine Leistungspflicht des Leiharbeitnehmers gegenüber dem Entleiher bejaht, da Schutzpflichten im Sinne des § 241 Abs. 2 BGB nicht an das Bestehen von Leistungspflichten anknüpfen.6 Denkbar ist, dass der Leiharbeitnehmer bei der Verrichtung seiner Arbeitstätigkeit Sachschäden an Betriebsmitteln des Entleihers verursacht, beispielsweise durch die Beschädigung von Werkzeug oder Maschinen.7 Geschieht dies schuldhaft, so haftet er dem Entleiher für daraus entstehende Sachschäden nach allgemeinen Grundsätzen auf Schadensersatz nach §§ 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB.8 Dabei ist der Rechtsgedanke des § 619a BGB entsprechend anwendbar, wonach entgegen § 280 Abs. 1 BGB der Arbeitgeber die Beweislast für die Tatsachen trägt, aus denen sich das Verschulden des Arbeitnehmers ergeben soll.9 Verursacht der Leiharbeitnehmer Schäden an der Person des Entleihers oder an anderen Mitarbeitern des Entleihers, haftet er hierfür gegebenenfalls wegen Verletzung seiner Schutzpflicht aus § 241 Abs. 2 BGB oder auch deliktisch gegenüber dem Verletzten. Die Haftungsbeschränkung des § 105 SGB VII gilt auch für den Leiharbeitnehmer im Verhältnis zum geschädigten Entleiher sowie zum geschädigten Arbeitskollegen, so dass der Leiharbeitnehmer nur bei Vorsatz oder Herbeiführung des Schadens auf einem versicherten Weg im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 SGB VII haftet.10 Maßgeblich ist im Rahmen des § 105 SGB VII nicht das Bestehen arbeits5 Konzen, ZfA 1982, 259, 285 ff.; Witten, Vertragsgestaltung und Gesetzesbindung im Recht der Zeitarbeit, S. 57; Urban-Crell/Schulz, Arbeitnehmerüberlassung und Arbeitsvermittlung, Rn. 477. 6 Palandt/Grüneberg, § 241 Rn. 6. 7 Beschädigt der Leiharbeitnehmer dagegen in demselben Beispiel die herzustellende Sache, so ist das Leistungsinteresse des Entleihers betroffen. 8 Schaub/Koch, ArbR-HdB, § 120 Rn. 66. 9 Der Grundsatz des § 619a BGB gilt auch für Nebenpflichtverletzungen des Arbeitnehmers, vgl. Palandt/Weidenkaff, § 619a Rn. 4. 10 Urban-Crell/Schulz, Arbeitnehmerüberlassung und Arbeitsvermittlung, Rn. 500; Hamann, Fremdpersonal, S. 76; ErfK/Rolfs, § 105 SGB VII, Rn. 2; Schaub/Koch, ArbR-HdB § 120, Rn. 68.
A. Schutz vor Schadensersatzansprüchen des Entleihers 87
vertraglicher Beziehungen, sondern die Eigenschaft des Schädigers sowie des Geschädigten als „Versicherte desselben Betriebs“.11 Ob dies der Fall ist, ist nach der Terminologie des SGB VII zu bestimmen. Der Leiharbeitnehmer ist nach § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB VII „wie ein Beschäftigter“ tätig, da er in den Betrieb des Entleihers eingegliedert ist und dessen Weisungen unterliegt. Damit unterfällt er ebenfalls dem versicherten Personenkreis nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII,12 so dass der Leiharbeitnehmer auf der einen Seite sowie der geschädigte Entleiher und der geschädigte Arbeitskollege auf der anderen Seite demselben Betrieb im Sinne des SGB VII angehören. Gleiches gilt für die Person des Geschädigten, bei dem es sich auch um einen anderen, beim Entleiher eingesetzten Leiharbeitnehmer handeln kann.13 2. Verletzung des Erfüllungsinteresses Ist durch die Handlung des Leiharbeitnehmers das Interesse des Entleihers an der ordnungsgemäßen Erbringung der Leistung verletzt worden, ohne dass die Voraussetzungen einer deliktischen Haftung vorliegen, so stellt sich die Frage, gegenüber wem der Entleiher vertragliche Schadensersatzansprüche geltend machen kann. Die Person des Anspruchsgegners richtet sich danach, ob der Verleiher eine Pflicht gegenüber dem Entleiher aus dem Überlassungsverhältnis oder der Leiharbeitnehmer eine Pflicht gegenüber dem Entleiher aus dem Beschäftigungsverhältnis verletzt hat. Diese Einordnung hängt davon ab, ob eine Nichtleistung oder eine Schlechtleistung des Leiharbeitnehmers vorliegt, denn grundsätzlich haftet der Verleiher nach der üblichen Ausgestaltung von Überlassungsverträgen nur für Nichtleistung des Leiharbeitnehmers.14 Freilich muss die Haftung des Leiharbeitnehmers für sich genommen untersucht werden, wobei es hier auf die rechtsdogmatische Weichenstellung ankommt, ob man dem Entleiher einen unmittelbaren Anspruch auf die Leistung des Leiharbeitnehmers zugesteht. Die Einbeziehung der Haftung des Verleihers gegenüber dem Entleiher ist jedoch wichtig, um in der Gesamtschau den Gang der Schadensabwicklung und die Möglichkeit des Rückgriffs innerhalb des Dreiecksverhältnisses zwischen Leiharbeitnehmer, Verleiher und Entleiher nachvollziehen zu können. Nur anhand dessen 11 Vgl. Reinsch, Das Rechtsverhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer, S. 79 m. w. N.; ferner ErfK/Rolfs, § 105 SGB VII, Rn. 2. 12 ErfK/Rolfs, § 105 SGB VII, Rn. 2. 13 ErfK/Rolfs, § 105 SGB VII, Rn. 4. 14 Vgl. Muster eines Überlassungsvertrags bei Schaub/Schrader, Formularhandbuch, § 17 Rn. 28 mit dem Hinweis, dass auch Vereinbarungen möglich sind, wonach der Verleiher den Entleiher von Schadensersatzansprüchen, die der Leiharbeitnehmer verursacht, freizustellen hat.
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3. Teil: Schutz bei der legalen Arbeitnehmerüberlassung
kann beurteilt werden, ob der Leiharbeitnehmer durch den Drittbezug seiner Arbeitsleistung einer atypischen Haftung ausgesetzt ist, die eine besondere Schutzbedürftigkeit hervorruft. a) Nichtleistung Eine Nichtleistung liegt vor, wenn der Leiharbeitnehmer die Arbeit beim Entleiher während der vereinbarten Arbeitszeit nicht ausführt, beispielsweise, indem er nicht oder verspätet zur Arbeit erscheint, die Arbeitsaufnahme beim Entleiher verweigert, obwohl er vom Verleiher dazu angewiesen worden ist, oder aus sonstigen Gründen die Arbeit nicht verrichtet.15 Beispiele für Fälle der Nichtleistung eines Arbeitnehmers sind häufige Rauchpausen während der Arbeitszeit16, die eigenmächtige Verlängerung von Pausen17 oder die nicht erlaubte Nutzung von Internet für private Zwecke während der Arbeitszeit18. Bei der Abgrenzung zwischen Nichtleistung und Schlechtleistung des Leiharbeitnehmers ergeben sich keine Unterschiede zur entsprechenden Abgrenzung von Leistungsstörungen eines regulär beschäftigten Arbeitnehmers19: Eine Schlechtleistung liegt in der Regel dann vor, wenn der Leiharbeitnehmer vertragsgemäß erscheint und arbeitet, die verrichtete Arbeit jedoch qualitativ fehlerhaft oder unbrauchbar ist.20 Die unberechtigte Nichtleistung stellt eine Verletzung der Leistungspflicht des Arbeitnehmers dar. Ob die Nichtleistung eines Leiharbeitnehmers unberechtigt ist, hängt davon ab, welche Arbeitszeit und -dauer im Leiharbeitsverhältnis mit dem Verleiher vereinbart wurde. Eine Nachleistung der geschuldeten Arbeit ist wegen ihres Fixschuldcharakters nicht möglich.21 Im regulären Arbeitsverhältnis kann der Arbeitgeber bei entsprechender Erheblichkeit der Nichtleistung (z. B. bei beharrlicher Arbeitsverweigerung) eine Kündigung nach vorheriger Abmahnung aussprechen.22 Bei der Nichtleis15 Hamann, Fremdpersonal im Unternehmen, S. 74; Stefener, Die Haftung des Verleihers, S. 117. 16 Stück, ArbRAktuell 2011, 651 mit Verweis auf LAG Rheinland-Pfalz, BeckRS 2010, 71271. 17 Walker, AcP 194 (1994), S. 295, 299. 18 BAG v. 7.7.2005 – 2 AZR 581/04, NJW 2006, 540; vgl. weitere Beispiele bei MünchHdB-ArbR/Reichold, § 39 Rn. 2. 19 Vgl. zur Abgrenzung zwischen Nichtleistung und Schlechtleistung des Arbeitnehmers MünchHdB-ArbR/Reichold, § 39 Rn. 28 ff. 20 Vgl. dazu unten, Abschnitt 3. A. I. 2. b). 21 ErfK/Preis, § 615 BGB Rn. 4. 22 MünchHdB-ArbR/Reichold, § 39 Rn. 59.
A. Schutz vor Schadensersatzansprüchen des Entleihers 89
tung eines Leiharbeitnehmers stehen die Mittel der Abmahnung und Kündigung jedoch nicht dem Entleiher, sondern nur dem Verleiher als Arbeitgeber des Leiharbeitnehmers zur Verfügung, sofern die Voraussetzungen hierfür vorliegen. Entsteht dem Entleiher durch die Nichtleistung des Leiharbeitnehmers ein Schaden, so sind grundsätzlich zwei Wege denkbar, auf denen der Entleiher den Schaden geltend machen kann: zum einen ist es die Inanspruchnahme des Verleihers im Überlassungsverhältnis, zum anderen die Inanspruchnahme des Leiharbeitnehmers im Beschäftigungsverhältnis. Im Folgenden gilt es zu untersuchen, ob nach dem hier zugrunde gelegten Verständnis der Rechtsnatur des Beschäftigungsverhältnisses beide Wege der Schadensabwicklung beschritten werden können. aa) Abwicklung eines Schadens aus Nichtleistung in den jeweiligen Vertragsverhältnissen Bei jeder Art von Leistungsstörung durch den überlassenen Leiharbeitnehmer ist es naheliegend, dass der Entleiher sich zunächst an seinen Vertragspartner, den Verleiher wendet. Im Überlassungsverhältnis hat sich der Verleiher zur Überlassung von Arbeitnehmern verpflichtet, so dass sich aus dieser Pflicht auch ableiten lässt, ob und inwieweit der Verleiher für Leistungsstörungen des Leiharbeitnehmers einzustehen hat. Das Bestehen von Ansprüchen des Entleihers gegenüber dem Verleiher hat auch deshalb eine hohe praktische Relevanz, da die Zahlungsfähigkeit von gewerblich tätigen Verleihern in der Regel höher sein wird als diejenige der überlassenen Leiharbeitnehmer. (1) Anspruch des Entleihers gegen den Verleiher Die Hauptleistungspflicht des Verleihers gegenüber dem Entleiher im Überlassungsverhältnis ist die Überlassung eines (geeigneten bzw. namentlich bestimmten) Leiharbeitnehmers. Erbringt der Leiharbeitnehmer seine Arbeitsleistung nicht, kann darin gleichzeitig eine Verletzung der Hauptleistungspflicht des Verleihers vorliegen und entsprechende Schadensersatzpflichten auslösen.23 Regelmäßig hat der Verleiher nur für die Überlassung an sich, d. h. das Erscheinen des Leiharbeitnehmers beim Entleiher zur Aufnahme der Arbeitstätigkeit, einzustehen.24 Ob es auf ein Verschulden des Verleihers im 23 Vgl.
24 Statt
Stefener, Die Haftung des Verleihers, S. 120 f. vieler Boemke/Lembke, AÜG § 12 Rn. 36.
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3. Teil: Schutz bei der legalen Arbeitnehmerüberlassung
Sinne des § 276 BGB ankommt oder ob er verschuldensunabhängig für die Nichtleistung des Leiharbeitnehmers einzustehen hat, hängt davon ab, ob eine strengere Haftung im Sinne des § 276 BGB vereinbart wurde. Der Haftungsmaßstab ist nach der Art der Schuld im Überlassungsverhältnis zu bestimmen: Wenn wie üblich die Überlassung eines geeigneten, aber nicht namentlich bezeichneten Leiharbeitnehmers vereinbart ist, liegt eine der Gattungsschuld vergleichbare Leistungspflicht vor.25 Bei der Gattungsschuld übernimmt der Schuldner das gattungstypische Beschaffungsrisikos im Sinne des § 276 Abs. 1 Satz 1 BGB und wird nur dann von seiner Leistungspflicht gegenüber dem Gläubiger frei, wenn die Leistung aus der Gattung nicht mehr möglich ist.26 Diese Grundsätze können auf die Überlassung eines geeigneten Leiharbeitnehmers entsprechend übertragen werden.27 Der Verleiher wird nur dann von seiner Leistungspflicht aus dem Überlassungsvertrag frei, wenn ein geeigneter Leiharbeitnehmer tatsächlich seine Arbeit beim Entleiher verrichtet, unabhängig davon, ob der Verleiher das Nichterscheinen des Leiharbeitnehmers zu vertreten hat.28 Beim Ausfall des zur Verfügung gestellten Leiharbeitnehmers hat der Verleiher einen anderen geeigneten Leiharbeitnehmer als Ersatz zu stellen, um sich keiner Haftung gegenüber dem Entleiher auszusetzen (und im Übrigen seinen Anspruch auf Vergütung aufrechtzuerhalten).29 Ist dagegen die Überlassung eines bestimmten, namentlich benannten Leiharbeitnehmers vereinbart (vergleichbar mit der Vereinbarung einer Stückschuld)30, so kommt es für mögliche Schadensersatzansprüche des Entleihers gegen den Verleiher darauf an, ob der Verleiher die Nichtleistung des Leiharbeitnehmers zu vertreten hat.31 Dies ist beispielsweise der Fall, wenn der Verleiher es versäumt hat, den Leiharbeitnehmer über den bevorstehenden Einsatz zu unterrichten und der Leiharbeitnehmer deshalb nicht zur Arbeit erscheint.32 Hat der Verleiher für die Nichtleistung des Leiharbeitnehmers einzustehen, so verliert er in der Regel seinen Anspruch auf das vereinbarte Über25 Boemke/Lembke, AÜG, § 12 Rn. 36; Brors, WiVerw 1996, 229, 232; Thüsing/ Thüsing, AÜG, § 12 Rn. 23; Ulber, AÜG, § 12 Rn. 22. 26 Palandt/Grüneberg, § 243 Rn. 3. 27 Vgl. oben, Abschnitt 2. C. I. 1. 28 Boemke/Lembke, AÜG, § 12 Rn. 36; ErfK/Wank, AÜG, Einl. Rn. 15; Hamann, Fremdpersonal im Unternehmen, S. 69. 29 Hamann, Fremdpersonal im Unternehmen, S. 70 f.; Ulber, AÜG, § 12 Rn. 19; Thüsing/Thüsing, AÜG, § 12 Rn. 26. 30 Vgl. oben, Abschnitt 2. C. I. 1. 31 Boemke/Lembke, AÜG, § 12 Rn. 36; Thüsing/Thüsing, AÜG, § 12 Rn. 26; Hamann, Fremdpersonal im Unternehmen, S. 69. 32 Hamann, Fremdpersonal im Unternehmen, S. 69.
A. Schutz vor Schadensersatzansprüchen des Entleihers 91
lassungsentgelt. Er hat dem Entleiher gegebenenfalls die zusätzlichen Kosten für die Beschaffung einer Ersatzkraft zu erstatten sowie für sonstige Schäden einzustehen, die der Entleiher durch die Nichtleistung des Leiharbeitnehmers erleidet.33 (2) Anspruch des Verleihers gegen den Leiharbeitnehmer Aus dem Leiharbeitsvertrag ergibt sich die Pflicht des Leiharbeitnehmers gegenüber dem Verleiher zur Arbeitsleistung bei einem Dritten. Gläubiger des Arbeitsleistungsanspruchs ist in jedem Fall der Arbeitnehmerüberlassung (auch) der Verleiher − anderenfalls handelt es sich um Arbeitsvermittlung, wenn von vornherein nur der Entleiher die Arbeitsleistung fordern kann.34 Die Besonderheit bei der Überlassung besteht darin, dass die Arbeitsleistung bei einem Dritten zu erbringen ist – an der Gläubigerstellung des Verleihers als Arbeitgeber ändert sich dadurch nichts. Liegt eine Nichtleistung des Leiharbeitnehmers vor, die dieser zu vertreten hat, kann der Verleiher aus dem Leiharbeitsverhältnis Schadensersatzansprüche nach allgemeinen arbeitsvertraglichen Grundsätzen herleiten. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang die Einordnung des Leiharbeitsvertrags als echter Vertrag zugunsten Dritter. Aus der Auslegungsregel des § 335 BGB ergibt sich, dass der Versprechensempfänger im Zweifel berechtigt ist, aus eigenem Recht die Leistung an den Dritten zu fordern.35 Aus dem eigenen Recht des Versprechensempfängers folgen grundsätzlich auch Schadensersatzansprüche wegen Schlecht- und Nichtleistung.36 Bei der Nichtleistung des Leiharbeitnehmers liegt der Schaden des Verleihers regelmäßig darin, dass er keine Überlassungsvergütung vom Entleiher erhält37 und gegebenenfalls dem Entleiher Ersatz für die Bereitstellung einer Ersatzkraft oder sonstigen Schadensersatz schuldet.38 Diesbezüglich kann der Verleiher sich gegenüber dem Leiharbeitnehmer schadlos halten, wobei im 33 Becker,
F., NJW 1984, 1827, 1828; Boemke, BB 2006, 997, 999. und Arbeitsvermittlung schließen sich gegenseitig aus, vgl. Schüren/Schüren, AÜG, § 10 Rn. 26. 35 Palandt/Grüneberg, § 328 Rn. 6. Zwar ist § 335 BGB abdingbar und es kann auch ein ausschließliches Recht des Dritten vereinbart werden, in Leiharbeitsverträgen finden sich jedoch regelmäßig keine ausdrücklich abweichenden Regelungen (vgl. Schaub/Schrader, Formularhandbuch, § 17 Rn. 1 ff.), so dass es bei der gesetzlichen Vermutung bleibt. 36 Palandt/Grüneberg, § 335 Rn. 2. 37 Der Differenzbetrag zwischen der Überlassungsvergütung (die der Verleiher vom Entleiher erhält) und der Leiharbeitsvergütung (die der Leiharbeitnehmer vom Verleiher erhält) stellt entgangenen Gewinn des Verleihers dar. 38 Becker, F., NJW 1984, 1827, 1828; Schüren/Brors, AÜG, Einl. Rn. 400. 34 Arbeitnehmerüberlassung
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3. Teil: Schutz bei der legalen Arbeitnehmerüberlassung
Leiharbeitsverhältnis die allgemeinen Grundsätze zur Haftung des Arbeitnehmers (nach § 619a BGB sowie nach dem Grundsatz des innerbetrieblichen Schadensausgleichs) gelten. Die Schadensabwicklung kann jedenfalls jeweils gesondert im Leiharbeitsverhältnis sowie im Überlassungsverhältnis erfolgen. Wirtschaftlich gesehen hat der Leiharbeitnehmer somit für den Schaden einzustehen, der durch seine Nichtleistung entstanden ist.39 bb) Ansprüche des Entleihers gegen den Leiharbeitnehmer Abgesehen von der oben erläuterten Schadensabwicklung in den jeweiligen Vertragsverhältnissen kann der Entleiher wegen Nichtleistung des Leiharbeitnehmers vertragliche Schadensersatzansprüche auch unmittelbar gegenüber dem Leiharbeitnehmer geltend machen, sofern in diesem Verhältnis eine Leistungsstörung in Form der Nichtleistung vorliegt. Dies hängt davon ab, ob dem Entleiher ein Anspruch auf die Arbeitsleistung des Leiharbeitnehmers zusteht. Nach der hier vertretenen Auffassung kann der Entleiher aus dem Leiharbeitsvertrag als echtem Vertrag zugunsten Dritter einen eigenständigen Anspruch auf die Arbeitsleistung des Leiharbeitnehmers geltend machen.40 Praktisch relevant wird die Möglichkeit der unmittelbaren Inanspruchnahme des Leiharbeitnehmers insbesondere, wenn der Entleiher keine Ansprüche aus dem Überlassungsverhältnis geltend machen kann, was beispielsweise bei Zahlungsunfähigkeit des Verleihers der Fall sein kann.41 Liegt eine Pflichtverletzung des Schuldners vor, muss beim echten Vertrag zugunsten Dritter danach differenziert werden, welche Ansprüche vom Versprechensempfänger bzw. vom Dritten geltend gemacht werden können. Dem Dritten stehen bei Pflichtverletzungen des Versprechenden Ansprüche auf Schadensersatz neben der Leistung und Schadensersatz statt der Leistung zu,42 aber regelmäßig nicht diejenigen Rechte, die das Vertragsverhältnis (zwischen dem Versprechendem und dem Versprechensempfänger) als Ganzes betreffen, insbesondere nicht das Recht zum Rücktritt nach § 323 BGB oder zur Kündigung bei Dauerschuldverhältnissen.43 In Einzel39 Es kann durch die Haftungsbeschränkungen dazu kommen, dass der Verleiher seinen Schaden nicht vollumfänglich gegenüber dem Leiharbeitnehmer geltend machen kann. 40 Vgl. oben, Abschnitt 2. C. I. 3. a) bb) (2). 41 Hamann, Fremdpersonal im Unternehmen, S. 74. 42 Jauernig/Stadler, § 328 Rn. 16; MünchKomm-BGB/Gottwald, § 335 Rn. 15; BeckOK BGB/Janoschek, § 328 Rn. 20; einschränkend Palandt/Grüneberg, § 328 Rn. 5 dahingehend, dass Sekundäransprüche auf Schadensersatzanspruch statt der Leistung in der Regel nicht dem Dritten zustehen sollen. 43 MünchKomm-BGB/Gottwald, § 335 Rn. 17; BeckOK BGB/Janoschek, § 328 Rn. 20; Palandt/Grüneberg, § 328 Rn. 5.
A. Schutz vor Schadensersatzansprüchen des Entleihers 93
fällen kann sich jedoch nach der Auslegung des Parteiwillens auch ergeben, dass dem Dritten auch diese Rechte zustehen sollen.44 Nach den oben genannten Grundsätzen kann der Entleiher in jedem Fall den Schaden nach §§ 280, 281 BGB geltend machen, der ihm durch die Nichtleistung des Leiharbeitnehmers entstanden ist.45 Auch der Rechtsgedanke des § 619a BGB zur Beweislast des Arbeitgebers ist im Verhältnis zwischen dem Entleiher und dem Leiharbeitnehmer entsprechend anzuwenden.46 Danach kann sich der Entleiher nicht auf die Verschuldensvermutung des § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB berufen, sondern hat die Tatsachen darzulegen und zu beweisen, die das Verschulden des Leiharbeitnehmers begründen sollen. Dagegen hat der Entleiher in der Regel nicht das Recht, im Fall der Nichtleistung des Leiharbeitnehmers durch weitere Maßnahmen auf den Status des Leiharbeitsverhältnisses einzuwirken.47 cc) Zusammenfassung Grundsätzlich haftet der Leiharbeitnehmer dem Verleiher für Schäden, die aus einer Nichtleistung resultieren. Einen ersatzfähigen Schaden hat der Verleiher nur, wenn er vom Entleiher wegen Nichtleistung des Leiharbeitnehmers in Anspruch genommen wird; hierfür hat der Verleiher dem Entleiher gegenüber einzustehen. Daneben kann der Entleiher den Leiharbeitnehmer nach der hier vertretenen Auffassung auch unmittelbar wegen Nichtleistung in Anspruch nehmen, da der Entleiher als begünstigter Dritter im Sinne des § 328 BGB auch entsprechende Sekundäransprüche geltend machen kann, die mit seinem Forderungsrecht korrespondieren. Gesamtschuldner im Sinne des § 421 BGB sind der Verleiher und der Leiharbeitnehmer nicht, da es an der Gleichstufigkeit der Verpflichtungen fehlt.48 Ein Gesamtschuldnerregress nach § 426 BGB zwischen dem Verleiher und dem 44 BeckOK
BGB/Janoschek, § 328 Rn. 20; Palandt/Grüneberg, § 328 Rn. 5. Fremdpersonal im Unternehmen, S. 74 nennt als Anspruchsgrundlage § 283 BGB – zwar ist die Nachholung der Arbeitsleistung meist wegen ihres Fixschuldcharakter unmöglich, aber diese Unmöglichkeit tritt erst durch Nichtleistung ein. Die Arbeitsleistung an sich ist nicht von vornherein rechtlich oder tatsächlich unmöglich. Die richtige Anspruchsgrundlage ist daher §§ 281, 280 BGB und nicht § 283 BGB. 46 Hamann, Fremdpersonal im Unternehmen, S. 74. 47 Ohne ausdrückliche Regelung gibt es keinen Grund für die Annahme, dass nach dem typisierten, hypothetischen Parteiwillen des Verleihers und des Leiharbeitnehmers der Entleiher als Dritter durch Gestaltungsrechte in den Status des Leiharbeitsvertrags eingreifen können soll. Ausdrückliche Regelungen hierzu entsprechen auch nicht der Praxis, vgl. Schaub/Schrader, Formularhandbuch, § 17 Rn. 1 ff. 48 Vgl. zur Voraussetzung der Gleichstufigkeit Paland/Grüneberg, § 421 Rn. 7 ff. 45 Hamann,
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3. Teil: Schutz bei der legalen Arbeitnehmerüberlassung
Leiharbeitnehmer ist weder möglich noch notwendig: Wird der Verleiher vom Entleiher in Anspruch genommen und macht der Verleiher seinen Schaden gegenüber dem Leiharbeitnehmer geltend, so erfolgt dies aus eigenem Recht des Verleihers aus dem Leiharbeitsvertrag und nicht im Wege des Regresses; wird dagegen der Leiharbeitnehmer vom Entleiher in Anspruch genommen, so ist unter keinem Gesichtspunkt ein Rückgriff des Leiharbeitnehmers beim Verleiher möglich. Eine doppelte Inanspruchnahme des Leiharbeitnehmers ist dennoch nicht zu befürchten, da der Verleiher keinen ersatzfähigen Schaden hat, wenn der Entleiher sich direkt an den Leiharbeitnehmer wendet, und umgekehrt der Entleiher keinen Schaden gegenüber dem Leiharbeitnehmer geltend machen kann, wenn er diesen Schaden bereits vom Verleiher ersetzt bekommen hat. Nach den Gegenpositionen, die einen unmittelbaren Leistungsanspruch des Entleihers ablehnen, besteht im Fall der Nichtleistung nur die Möglichkeit der Abwicklung der Schadensersatzansprüche in den jeweiligen Vertragsverhältnissen.49 b) Schlechtleistung Als Schlechtleistung eines Arbeitnehmers werden alle Verletzungen arbeitsrechtlicher Pflichten verstanden, die weder zu Verzug noch zu Unmöglichkeit der Arbeitsleistung führen.50 Die nicht ordnungsgemäße Verrichtung von Arbeitsaufgaben mit der Folge, dass die Arbeitsleistung nicht der erforderlichen Qualität entspricht, ist der typische Fall der Schlechtleistung.51 Dabei gilt der sogenannte dynamisch-individuelle Maßstab, wonach der Arbeitnehmer das tun muss, was er soll, und zwar so gut, wie er kann.52 Wie bereits erläutert, erfolgt die Abgrenzung zur Nichtleistung nicht anders als im regulären Arbeitsverhältnis. Danach liegt in der Regel eine Schlechtleistung vor, wenn der Arbeitnehmer zwar zur vereinbarten Zeit erscheint und während der vereinbarten Dauer arbeitet, jedoch eine qualitativ mangelhafte Arbeitsleistung erbringt.53
49 Doch auch dieser Weg wird nicht konsequent verfolgt, vgl. Darstellung bei Reinsch, Das Rechtsverhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer, S. 133 f. 50 ErfK/Preis, § 611 BGB Rn. 682. 51 MünchHdB-ArbR/Reichold, § 39 Rn. 4; BeckOK ArbR/Joussen, § 611 Rn. 362 ff. 52 BAG v. 11.12.2003 − 2 AZR 667/02, NZA 2004, 784; Löwisch/Caspers/ Klumpp, ArbR, Rn. 543. 53 Vgl. zur Abgrenzung zwischen Nichtleistung und Schlechtleistung des Arbeitnehmers MünchHdB-ArbR/Reichold, § 39 Rn. 28.
A. Schutz vor Schadensersatzansprüchen des Entleihers 95
aa) Mittel des Entleihers Bei einer Schlechtleistung des Arbeitnehmers ist dem Arbeitgeber eine Minderung (des Arbeitsentgelts) nicht möglich, da die Minderung in den §§ 611 ff. BGB nicht vorgesehen ist.54 Unter bestimmten Voraussetzungen, die durch die sogenannte „Low Performance“-Rechtsprechung konkretisiert worden sind, kann der Arbeitgeber nach vorheriger Abmahnung eine Kündigung wegen Schlechtleistung aussprechen.55 Dem Entleiher stehen die Mittel der Abmahnung und Kündigung bei einer Schlechtleistung des Leiharbeitnehmers nicht zur Verfügung. Wenn die Schlechtleistung des Leiharbeitnehmers jedoch so eklatant ist, dass die Weiterbeschäftigung für den Entleiher unzumutbar ist und die Schlechtleistung aus Sicht des Entleihers einer Nichtleistung gleichkommt,56 muss der Entleiher sich an den Verleiher wenden können, da ihm dies auch bei der echten Nichtleistung möglich wäre. Für die Bewertung der Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung kann der Maßstab herangezogen werden, der für die Bestimmung des wichtigen Grundes im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB gilt:57 Liegt in der Schlechtleistung des Leiharbeitnehmers ein Grund, der einen hypothetischen Arbeitgeber zur fristlosen Kündigung nach § 626 Abs. 1 BGB berechtigen würde, so ist dem Entleiher das Recht zuzugestehen, das Arbeitsangebot des Leiharbeitnehmers zurückweisen, ohne dadurch in Annahmeverzug zu geraten.58 Der Verleiher muss in diesem Fall eine Ersatzkraft bereitstellen, um seiner Pflicht zur Überlassung eines Arbeitnehmers aus dem Überlassungsvertrag nachzukommen. Dies entspricht dem Pflichtenkreis des Verleihers im Falle der Nichtleistung des Leiharbeitnehmers,59 was auch sachgerecht ist, da die Pflichtverletzung des Leiharbeitnehmers in derartigen Fällen einer Nichtleistung gleich kommt. bb) Abwicklung des Schadens aus Schlechtleistung Führt die schuldhafte Schlechtleistung des Arbeitnehmers zu einem Schaden des Arbeitgebers, kann der Arbeitgeber Schadensersatzansprüche gegen den verursachenden Arbeitnehmer nach § 280 Abs. 1 BGB geltend machen. Verursacht der Leiharbeitnehmer durch schuldhafte Schlechtleistung Schäden im Entleiherbetrieb (beispielsweise durch unsachgemäße Bedie54 BAG
v. 18.7.2007 − 5 AZN 610/07, NZA 2007, 1015. § 115 Rn. 129 f. m. w. N. 56 Boemke, BB 2006, 997, 1001 f. 57 Boemke, BB 2006, 997, 1001 f.; Hamann, Fremdpersonal im Unternehmen, S. 71. 58 Hamann, Fremdpersonal im Unternehmen, S. 71. 59 Vgl. oben, Abschnitt 3. A. I. 2. a) aa) (1). 55 MünchHdB-ArbR/Berkowsky,
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3. Teil: Schutz bei der legalen Arbeitnehmerüberlassung
nung von Geräten, mit der Folge, dass unbrauchbare Produkte anfallen)60, ist ebenso wie bei der Nichtleistung fraglich, ob der Entleiher seinen Schaden gegenüber dem Verleiher oder dem Leiharbeitnehmer geltend machen kann. Die Person des Anspruchsgegners ist danach zu bestimmen, wer dem Entleiher die ordnungsgemäße Ausführung der Tätigkeit in der vereinbarten Art und Weise schuldet. Hier kommt es ein weiteres Mal maßgeblich darauf an, ob man einen unmittelbaren Anspruch des Entleihers auf die Arbeitsleistung des Leiharbeitnehmers bejaht. (1) Abwicklung im Beschäftigungsverhältnis Folgt man der hier vertretenen Auffassung, wonach dem Entleiher ein unmittelbarer Anspruch auf die Arbeitsleistung des Leiharbeitnehmers aus dem Leiharbeitsvertrag als echtem Vertrag zugunsten Dritter zusteht, so ist ohne Weiteres eine vertragliche Haftung des Leiharbeitnehmers gegenüber dem Entleiher zu bejahen. Wie bereits erläutert, kann der Entleiher als begünstigter Dritter Sekundäransprüche wegen Leistungsstörung geltend machen, die direkt aus der Inhaberschaft des Forderungsrechts folgen und das Leistungsinteresse berühren, so etwa Ansprüche auf Schadensersatz statt und neben der Leistung.61 Dagegen stehen diejenigen Rechte, die das Vertragsverhältnis als Ganzes betreffen bzw. die Gläubigerstellung insgesamt beeinflussen, beispielsweise die Kündigung oder der Rücktritt, nur dem Verleiher als Versprechensempfänger zu.62 Demnach kann der Entleiher im Fall der Schlechtleistung des Leiharbeitnehmers seinen Schaden gegenüber dem Leiharbeitnehmer auf vertraglichem Weg nach §§ 281 Abs. 1, 280 BGB geltend machen, da dieser Schadensersatzanspruch die Kehrseite seines Forderungsrecht auf die Arbeitsleistung darstellt.63 Für die Haftung des Leiharbeitnehmers gegenüber dem Entleiher gilt der Rechtsgedanke des § 619a BGB in gleicher Weise.64 60 Stück,
ArbRAktuell, 2011, 651. grundsätzlich zu Sekundäransprüchen des Dritten beim Vertrag zugunsten Dritter Jauernig/Stadler, § 328 Rn. 16; MünchKomm-BGB/Gottwald, § 335 Rn. 15; BeckOK BGB/Janoschek, § 328 Rn. 20; einschränkend Palandt/Grüneberg, § 328 Rn. 5 dahingehend, dass dem Dritten ein Schadensersatzanspruch statt der Leistung in der Regel nicht zusteht. 62 Walker, AcP 194 (1994), S. 295, 308 und grundsätzlich zur Situation des Vertrags zugunsten Dritter vgl. BeckOK BGB/Janoschek, § 328 Rn. 20; MünchKommBGB/Gottwald, § 335 Rn. 17; Palandt/Grüneberg, § 328 Rn. 5. 63 Walker, AcP 194 (1994), S. 295, 308; Hamann, Fremdpersonal im Unternehmen, S. 75; Schüren/Schüren, AÜG, Einl. Rn. 169; Stefener, Die Haftung des Verleihers, S. 135 f. 64 Hamann, Fremdpersonal im Unternehmen, S. 74. 61 Vgl.
A. Schutz vor Schadensersatzansprüchen des Entleihers 97
Im Überlassungsverhältnis kann der Entleiher den Verleiher für eine Schlechtleistung des Leiharbeitnehmers nicht in Anspruch nehmen,65 da der Verleiher nur für die Auswahl und Überlassung des Leiharbeitnehmers einzustehen hat.66 Darin besteht gerade der haftungsrechtliche Unterschied zum Fall der Nichtleistung des Leiharbeitnehmers. In der Schlechtleistung liegt schließlich eine Pflichtverletzung des Leiharbeitnehmers gegenüber dem Verleiher, da der Verleiher als Arbeitgeber nach wie vor Gläubiger der Arbeitsleistung ist, die eben bei einem Dritten zu erbringen ist.67 Der Verleiher erleidet durch die Schlechtleistung des Leiharbeitnehmers allerdings keinen Schaden, da er die Überlassungsvergütung vom Entleiher trotzdem erhält und auch in sonstiger Weise nicht für die Schlechtleistung des Leiharbeitnehmers einstehen muss. Mangels eines Schadens kann der Verleiher gegenüber dem Leiharbeitnehmer keinen vertraglichen Schadensersatzanspruch wegen Schlechtleistung geltend machen. Nach der hier vertretenen Auffassung bleibt es bei dem Ergebnis, dass bei einer Schlechtleistung des Leiharbeitnehmers die daraus folgenden Schadensersatzansprüche unmittelbar und ausschließlich im Beschäftigungsverhältnis zwischen dem Entleiher und dem Leiharbeitnehmer abgewickelt werden. Daneben können Schadensersatzansprüche weder im Überlassungsverhältnis noch im Leiharbeitsverhältnis geltend gemacht werden. (2) Lösungsansätze der Gegenauffassungen Nach den Gegenpositionen, die einen eigenständigen Anspruch des Entleihers auf die Arbeitsleistung des Leiharbeitnehmers ablehnen, kann der Entleiher bei einer Schlechtleistung des Leiharbeitnehmers unter keinem Gesichtspunkt vertragliche Ansprüche unmittelbar gegenüber dem Leiharbeitnehmer geltend machen.68 Der Entleiher kann auch keine Schadensersatzansprüche gegenüber dem Verleiher geltend machen, da der Verleiher im Überlassungsverhältnis regelmäßig nur die Auswahl und Überlassung an sich (das „Ob“ der Arbeitsleistung) und nicht den Inhalt und die Qualität (das „Wie“ der Arbeitsleistung) schuldet.69 Es wird jedoch als unbillig er65 Boemke/Lembke,
AÜG, § 12 Rn. 39 m. w. N. das Formulierungsbeispiel bei Schaub/Schrader, Formularhandbuch, § 17 Rn. 28: „Über die Auswahl des Arbeitnehmers hinaus trifft den Verleiher keine Haftung für etwaige von dem Zeitarbeitnehmer ausgeführte Arbeiten.“; ferner UrbanCrell/Schulz, Arbeitnehmerüberlassung und Arbeitsvermittlung, Rn. 1426. 67 Vgl. oben, Abschnitt 2. C. I. 2. 68 Vgl. Darstellungen bei Schüren/Schüren, AÜG, Einl. Rn. 125; ErfK/Wank, AÜG, Einl. Rn. 32; Reinsch, Das Rechtsverhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer, S. 148 f. 69 Vgl. oben, Abschnitt 2. C. I. 1. 66 Vgl.
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3. Teil: Schutz bei der legalen Arbeitnehmerüberlassung
achtet, wenn der Entleiher überhaupt keine Möglichkeit hätte, den durch die Schlechtleistung des Leiharbeitnehmers verursachten Schaden geltend zu machen. Um Haftungslücken zu vermeiden, wurden im Schrifttum − von den Auffassungen, die einen eigenständigen Anspruch des Entleihers auf die Arbeitsleistung des Leiharbeitnehmers ablehnen − verschiedene Ansätze zur Schadensabwicklung im Fall der Schlechtleistung des Leiharbeitnehmers entwickelt. (a) Haftung wegen Verletzung von Sorgfaltspflichten Ein Lösungsvorschlag setzt an der Erkenntnis an, dass häufig in einer Schlechtleistung gleichzeitig eine Sorgfalts- bzw. Schutzpflichtverletzung liegt.70 Beispielsweise ist dies der Fall, wenn der Leiharbeitnehmer durch Unachtsamkeit das von ihm herzustellende Produkt beschädigt.71 Geht man vom Leiharbeitsvertrag als Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten des Entleihers aus,72 so kann der Entleiher den Leiharbeitnehmer im Fall einer Schlechtleistung nur dann in Anspruch nehmen, wenn gleichzeitig eine Schutzpflichtverletzung des Leiharbeitnehmers gegenüber dem Entleiher vorliegt. Zufriedenstellend ist dies jedoch nicht, da abgesehen von den Fällen des § 282 BGB eine Verletzung von Schutzpflichten nur zu einem einfachen Schadensersatzanspruch nach § 280 Abs. 1 BGB führt, nicht aber zum Schadensersatz statt der Leistung, der das Bestehen einer Hauptleistungspflicht voraussetzt.73 (b) Drittschadensliquidation Die meisten Stimmen, die einen eigenständigen Anspruch des Entleihers auf die Arbeitsleistung des Leiharbeitnehmers ablehnen, ziehen die Grundsätze der Drittschadensliquidation heran, um Haftungslücken zu Lasten des Entleihers zu vermeiden.74 Danach soll der Verleiher den Schaden des 70 Vgl. zu diesem Ansatz Reinsch, Das Rechtsverhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer, S. 135 f.; Walker, AcP 194 (1994), S. 295, 314. 71 Vgl. hierzu Reinsch, Das Rechtsverhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer, S. 132; Walker, AcP 194 (1994), S. 295, 314. 72 So Urban-Crell/Schulz, Arbeitnehmerüberlassung und Arbeitsvermittlung, Rn. 479; Schaub/Koch, ArbR-HdB § 120, Rn. 66. 73 So auch Schüren/Schüren, AÜG, Einl. Rn. 119. 74 So etwa Konzen, ZfA 1982, 259, 281; Gick, Gewerbsmäßige Arbeitnehmer überlassung, S. 117; Becker/Kreikebaum, S. 168 f.; Schaub/Koch, ArbR-HdB § 120 Rn. 68; auch Viergutz, Die Haftung für Schlechtleistung des Leiharbeitnehmers, S. 176; Hollinger, Leistungsstörungen bei der Arbeitnehmerüberlassung, S. 210 ff.
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Entleihers gegenüber dem Leiharbeitnehmer liquidieren können, da Schadensersatzansprüche nur dem Verleiher als Partei des Leiharbeitsvertrags zustehen, während der Entleiher den durch die Schlechtleistung des Arbeitnehmers bei ihm entstandenen Schaden nicht gegenüber dem Leiharbeitnehmer geltend machen kann – so wie sich die Situation eben darstellt, wenn man einen unmittelbaren Anspruch des Entleihers auf die Arbeitsleistung des Leiharbeitnehmers verneint. Gegen die Heranziehung der Grundsätze zur Drittschadensliquidation spricht jedoch im Ergebnis, dass es an einer Zufälligkeit der Schadensverlagerung vom Verleiher hin zum Entleiher fehlt.75 Es ist gerade ein Wesensmerkmal des Dritteinsatzes von Arbeitnehmern, dass ein etwaiger Schaden nicht beim Verleiher, sondern stattdessen in der Betriebssphäre des Entleihers entsteht. Da diese Risikolage den Parteien bekannt ist, auch wenn sie nicht ausdrücklich im Überlassungsvertrag angesprochen sein muss, kann von einer bewussten und geplanten Schadensverlagerung gesprochen werden.76 Dem Verleiher und dem Entleiher steht es offen, eine entsprechende Freistellung des Entleihers oder eine Haftungsübernahme des Verleihers bezüglich der vom Leiharbeitnehmer verursachten Schadensersatzansprüche zu vereinbaren, um diese Schadensverlagerung rückgängig zu machen. In den meisten Fällen werden solche vertraglichen Vereinbarungen jedoch bewusst nicht getroffen.77 Daher besteht kein Raum für eine Korrektur über die Grundsätze der Drittschadensliquidation.78 Selbst wenn man dies bejahen würde, wäre jede Abwicklung einer Schlechtleistung des Leiharbeitnehmers mit erheblichem Aufwand seitens des Entleihers verbunden.79
75 Schüren, Einl. Rn. 134 f.; Stefener, Die Haftung des Verleihers, S. 135; Walker, AcP 194 (1994), S. 295, 305; a. A. Viergutz, Die Haftung für Schlechtleistung des Leiharbeitnehmers, S. 173 ff.; Hollinger, Leistungsstörungen bei der Arbeitnehmer überlassung, S. 213 ff., die die Zufälligkeit der Schadensverlagerung nicht im Sinne einer Nicht-Vorhersehbarkeit für den Schuldner verstehen, sondern dahingehend, dass es für den Schuldner unerheblich ist, bei wem der Schaden eintritt. 76 Walker, AcP 194 (1994), S. 295, 305. 77 Vgl. Muster eines Überlassungsvertrags bei Schaub/Schrader, Formularhandbuch, § 17 Rn. 28. 78 Vgl. zum allgemeinen Grundsatz, dass eine von den Vertragsparteien vorgenommene Risikoverteilung nicht ohne Weiteres aus Billigkeitsgesichtspunkten wieder korrigiert werden darf BGH v. 10.7.1963 – VIII ZR 204/61, NJW 1963, 2071. 79 Der Entleiher müsste zunächst gegen den Verleiher auf Abtretung des Schadensersatzanspruches vorgehen und dann gegen den Leiharbeitnehmer auf Erfüllung desselben, vgl. Walker, AcP 194 (1994), S. 295, 313.
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3. Teil: Schutz bei der legalen Arbeitnehmerüberlassung
(c) „Schadensliquidation zugunsten Dritter“ Ein weiterer, singulär vertretener Ansatz besteht darin, bei originären Drittschäden eine „Schadensliquidation zugunsten Dritter“ durchzuführen.80 Als originäre Drittschäden werden solche Schäden gesehen, die nach der Konzeption des Vertrags typischerweise bei einem Dritten statt in der Person des Gläubigers entstehen, so wie es auch bei der Arbeitnehmerüberlassung der Fall sei.81 Auch dies kann nicht überzeugen, da dies eine Durchbrechung des Grundsatzes der Relativität der Schuldverhältnisse darstellt, für die es keine Notwendigkeit gibt. Nur in anerkannten Fällen, nämlich beim Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter, bei der Drittschadensliquidation sowie im gesetzlich geregelten Fall des echten Vertrags zugunsten Dritter, kann der Grundsatz der Relativität der Schuldverhältnisse ausnahmsweise durchbrochen werden.82 Von diesen Fällen unterscheidet sich die „Schadensliquidation zugunsten Dritter“ qualitativ, da es aus Billigkeitsgründen nicht notwendig ist, einen Schadenseintritt zu korrigieren, der typischerweise und damit vorhersehbar bei einem Dritten eintritt. (d) Haftungslücken Nach den Auffassungen, die einen eigenständigen Anspruch des Entleihers ablehnen, könnte der Entleiher den wegen der Schlechtleistung des Leiharbeitnehmers erlittenen Schaden nur mit Hilfe zusätzlicher, rechtsdogmatisch zweifelhafter Konstruktionen geltend machen. Von diesen Kon struktionen weist die Schadensabwicklung nach den Grundsätzen der Drittschadensliquidation noch die geringsten Schwächen auf. Doch auch dieser Ansatz folgt einer ergebnisorientierten Argumentation, um aus Billigkeitsgründen zu einem bestimmten Ergebnis zu gelangen. Es bleibt dabei, dass auf dogmatisch sauberem Wege kein Schadensersatzanspruch des Entleihers im Fall der Schlechtleistung begründet werden kann, wenn man einen Leistungsanspruch des Entleihers gegenüber dem Leiharbeitnehmer ablehnt. Es besteht insoweit eine Haftungslücke zulasten des Entleihers. Nach der hier vertretenen Auffassung, wonach dem Entleiher ein eigenständiger Anspruch im Sinne des § 328 BGB auf die Arbeitsleistung des Leiharbeitnehmers zusteht, kann der Entleiher bei Schlechtleistung des Leiharbeitnehmers ohne Weiteres Schadensersatzansprüche nach §§ 280, 281 BGB gegenüber dem Leiharbeitnehmer geltend machen. 80 Neuner,
JZ 1999, 126, 133 ff. JZ 1999, 126, 133 ff. 82 Larenz, Schuldrecht AT, § 17 I, S. 219, § 17 II, S. 224 ff. sowie § 27 IV b), S. 462; Palandt/Grüneberg, Einf. v. § 328 Rn. 1. 81 Neuner,
A. Schutz vor Schadensersatzansprüchen des Entleihers 101
Diese Ergebnisse verdeutlichen ein weiteres Mal, dass ohne die Annahme eines Forderungsrechts des Entleihers (nach § 328 BGB) auf die Arbeitsleistung des Leiharbeitnehmers erhebliche Schwierigkeiten bestehen, im Fall der Schlechtleistung des Leiharbeitnehmers eine dogmatisch überzeugende und sachgerechte haftungsrechtliche Abwicklung zu begründen. c) Zwischenergebnis Bei Leistungsstörungen des Leiharbeitnehmers ist zwischen der Nichtleistung und der Schlechtleistung zu differenzieren, die jeweils zu unterschiedlichen Wegen der Schadensabwicklung im Dreiecksverhältnis zwischen dem Leiharbeitnehmer, dem Verleiher und dem Entleiher führen. Die Nichtleistung des Leiharbeitnehmers kann innerhalb der jeweiligen Vertragsverhältnisse abgewickelt werden: Der Entleiher hat einen Schadensersatzanspruch gegenüber dem Verleiher aus dem Überlassungsvertrag, falls der Verleiher für die Nichtleistung des Leiharbeitnehmers nach § 276 BGB einzustehen hat. Der Verleiher hat ebenfalls einen Schadensersatzanspruch gegenüber dem Leiharbeitnehmer aus dem Leiharbeitsverhältnis. Daneben kann der Entleiher bei der Nichtleistung des Leiharbeitnehmers nach der hier vertretenen Auffassung auch einen unmittelbaren Schadensersatzanspruch gegenüber dem Leiharbeitnehmer geltend machen. Zu einer doppelten Inanspruchnahme des Leiharbeitnehmers durch den Verleiher und den Entleiher kann es jedoch nicht kommen, da der Schaden des einen den Schaden des anderen ausschließt. Bei der Schlechtleistung des Leiharbeitnehmers erfolgt die Abwicklung nach der hier vertretenen Auffassung ausschließlich im Beschäftigungsverhältnis zwischen dem Entleiher und dem Leiharbeitnehmer. Der Entleiher hat bei schuldhafter Schlechtleistung des Leiharbeitnehmers grundsätzlich einen Anspruch auf Schadensersatz statt und neben der Leistung, der mit seinem Forderungsrecht im Sinne des § 328 BGB auf die Leistung des Leiharbeitnehmers korrespondiert. Der Entleiher kann sich wegen der Schlechtleistung des Leiharbeitnehmers nicht an den Verleiher halten, da der Verleiher in der Regel nur für die Auswahl und Überlassung von Leiharbeitnehmern einzustehen hat. Da es dem Verleiher insoweit an einem ersatzfähigen Schaden fehlt, kann er gegenüber dem Leiharbeitnehmer auch keine Schadensersatzansprüche wegen Schlechtleistung geltend machen.
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II. Haftungsbegrenzung zugunsten des Leiharbeitnehmers Nach der hier vertretenen Auffassung ergibt sich aus dem soeben Erläuterten, dass der Leiharbeitnehmer dem Entleiher bei Leistungsstörungen direkt zum Schadensersatz verpflichtet sein kann. Daneben können nach allen Auffassungen unmittelbare Haftungsansprüche des Entleihers bei Schutzpflichtverletzungen des Leiharbeitnehmers bestehen. Dies wirft die Frage auf, ob das Rechtsinstitut der Haftungsbegrenzung zugunsten des Arbeitnehmers nach den Grundsätzen des innerbetrieblichen Schadensausgleichs im Verhältnis zwischen dem Leiharbeitnehmer und dem Entleiher anwendbar ist. 1. Grundsatz der arbeitsrechtlichen Haftungsbegrenzung Der Grundsatz der Haftungsprivilegierung des Arbeitnehmers ist in ständiger Rechtsprechung entwickelt worden und entspricht auch der gefestigten Überzeugung im Schrifttum.83 Maßgeblich für die Notwendigkeit einer Haftungsbegrenzung ist zum einen die Besonderheit im Arbeitsrecht, dass regelmäßig die Betriebsorganisation des Arbeitgebers maßgeblich das Haftungsrisiko des Arbeitnehmers beeinflusst, wenn der Arbeitnehmer im Rahmen einer betrieblich veranlassten Tätigkeit Schäden verursacht, und zum anderen die Tatsache, dass das Verhältnis zwischen der Vergütung des Arbeitnehmers und einem möglicherweise eintretenden Schaden unbillig sein kann.84 Die dogmatische Einordnung der Haftungsbegrenzung ist hingegen umstritten: Die Rechtsprechung zieht seit jeher den Rechtsgedanken des § 254 BGB heran, auf dessen Grundlage dem Arbeitgeber sein eigenes Betriebsrisiko auf seinen Schadensersatzanspruch gegenüber dem Arbeitnehmer angerechnet wird.85 Die wohl überwiegende Auffassung im Schrifttum stellt seit der Schuldrechtsreform auf § 276 Abs. 1 BGB ab, wonach „aus dem sonstigen Inhalt des Schuldverhältnisses“ eine mildere Haftung zu entnehmen sein kann, was bei betrieblich veranlassten Tätigkeiten des Arbeitnehmers der Fall sei.86 Da beide Auffassungen trotz Heranziehung un83 Ständige Rechtsprechung des BAG seit Urt. v. 25.9.1957 BAGE 5,1; ferner BAG v. 27.9.1994 – GS 1/89, AP Nr. 103 zu § 611 Haftung des Arbeitnehmers = NJW 1995, 210; statt vieler MünchHdB-ArbR/Reichold, § 51 Rn. 19. 84 ErfK/Preis, § 619a BGB Rn. 9; Löwisch/Caspers/Klumpp, ArbR, Rn. 546. 85 BAG v. 27.9.1994 GS 1/89, AP Nr. 103 zu § 611 Haftung des Arbeitnehmers = NJW 1995, 210; BAG v. 18.4.2002 − 8 AZR 348/01, AP Nr. 122 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers = NZA 2003, 37. 86 Löwisch/Caspers/Klumpp, ArbR, Rn. 546; ErfK/Preis, § 619a BGB Rn. 10 mit Verweis auf BT-Drs. 14/6857, S. 48; wohl auch Däubler, NZA 2001, 1329, 1331; Palandt/Heinrichs, § 276 Rn. 44; ablehend (und weiterhin für eine Heranziehung des
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terschiedlicher Rechtsgrundlagen letztlich dieselben tatsächlichen Erwägungen zur Begründung der Haftungsprivilegierung zugrunde legen, die für die Übertragbarkeit dieser Grundsätze auf die Haftung des Leiharbeitnehmers maßgeblich sein wird, bedarf es an dieser Stelle keiner Festlegung zugunsten der einen oder der anderen Rechtsgrundlage. Nach dem Grundsatz der Haftungsbegrenzung zugunsten des Arbeitnehmers im Wege des innerbetrieblichen Schadensausgleichs werden vom Arbeitnehmer verursachte Schäden unter Berücksichtigung der Gesamtumstände zwischen dem Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer verteilt: Bei leichtester Fahrlässigkeit entfällt der Ersatzanspruch des Arbeitgebers, bei mittlerer Fahrlässigkeit ist die Haftung nach den Umständen des Einzelfalls zu verteilen und bei grober Fahrlässigkeit haftet ausschließlich der Arbeitnehmer für den Schaden (sofern dies nicht ausnahmsweise angesichts eines groben Missverhältnisses zwischen Schaden und Verdienst unbillig wäre).87 Diese Grundsätze werden auch angewandt, wenn es um die Schädigung Dritter durch den Arbeitnehmer aus betrieblich veranlasster Tätigkeit geht. Schädigt der Arbeitnehmer einen Dritten, so hat er einen Freistellungsanspruch gegen den Arbeitgeber insoweit, als er bei einer Schädigung des Arbeitgebers von der Haftung entlastet wäre.88 In dieser Konstellation kommt die Haftungsbeschränkung nach den Grundsätzen des innerbetrieblichen Schadensausgleichs im Innenverhältnis zur Anwendung. Dadurch wird der Arbeitnehmer durch seinen Arbeitgeber vor der Inanspruchnahme durch geschädigte Dritte geschützt. Dahinter steht die Ratio, dass letztlich eine betrieblich veranlasste Tätigkeit kausal für den Schaden war, so dass die Anwendung der oben skizzierten Haftungsverteilung ebenso sachgerecht ist.89
§ 254 BGB): Henssler, RdA 2002, 129, 133; Krause, NZA 2003, 577, 581; Richardi, NZA 2002, 1004, 1012. 87 ErfK/Preis, § 619a BGB Rn. 13 ff.; Löwisch/Caspers/Klumpp, ArbR, Rn. 548 m. w. N. 88 Löwisch/Caspers/Klumpp, ArbR, Rn. 557 m. w. N. 89 Die Frage, ob der Leiharbeitnehmer einen Freistellungsanspruch gegenüber dem Entleiher geltend machen kann, betrifft die Schutzrichtung des Leiharbeitnehmers durch den Entleiher und gehört nicht zum Gegenstand der vorliegenden Untersuchung. Hier geht es ausschließlich um Konstellationen, die von einer gewissen Gegensätzlichkeit der Interessen zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer geprägt sind, und die Schutzbedürftigkeit des Leiharbeitnehmers, der sich in solchen Kon stellationen direkten Ansprüchen des Entleihers aus dem Beschäftigungsverhältnis ausgesetzt sieht.
104
3. Teil: Schutz bei der legalen Arbeitnehmerüberlassung
2. Anwendbarkeit der Haftungsbeschränkung im Beschäftigungsverhältnis Ob die Haftungsbeschränkung nach den Grundsätzen des innerbetrieb lichen Schadensausgleichs auch gegenüber dem Entleiher zugunsten des Leiharbeitnehmers gilt, bedarf der näheren Untersuchung. Der Grundsatz der Haftungsbeschränkung zugunsten des Arbeitnehmers ist entwickelt worden, um der Interessenlage im Verhältnis zwischen dem Arbeitnehmer und dem Arbeitgeber Rechnung zu tragen. Ihre Anwendung setzt deshalb grundsätzlich das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses voraus. Im Beschäftigungsverhältnis zwischen dem Leiharbeitnehmer und dem Entleiher mangelt es an einer arbeitsvertraglichen Beziehung, so dass eine unmittelbare Anwendung des arbeitsrechtlichen Grundsatzes der Haftungsbeschränkung nicht möglich ist. Es bestehen verschiedene Begründungsansätze, um dennoch zu einer Anwendung des arbeitsrechtlichen Grundsatzes der Haftungsbeschränkung zugunsten des Leiharbeitnehmers zu gelangen. Teilweise wird dies ohne Weiteres daraus abgeleitet, dass bei der Annahme eines echten Vertrags zugunsten Dritter ein vertragsähnliches Verhältnis zwischen dem Entleiher und dem Leiharbeitnehmer besteht, innerhalb dessen auch die Haftungsbeschränkungen zugunsten des Arbeitnehmers anwendbar seien.90 Nach einem anderen Ansatz soll der Leiharbeitnehmer analog § 334 BGB Einwendungen gegenüber dem Verleiher, wozu der Grundsatz der Haftungsbeschränkung gehört, auch dem Entleiher gegenüber geltend machen können.91 Dies erfasst jedoch nicht den Kern der arbeitsrechtlichen Haftungsprivilegierung, der in der Zurechnung des Betriebsrisikos liegt: Nicht das Betriebsrisiko des Verleihers hat zum Schaden geführt, sondern das Betriebsrisiko des Entleihers.92 Letzlich ist danach zu fragen, ob in originärer Weise das Betriebsrisiko des Entleihers im Verhältnis zwischen dem Leiharbeitnehmer und dem Entleiher zu berücksichtigen ist, da nur auf diese Weise eine Haftungsbegrenzung zugunsten des Leiharbeitnehmers im Hinblick auf den Zweck der Haftungsprivilegierung gerechtfertigt werden kann. Maßgeblich ist, dass der Entleiher durch die Ausübung tätigkeitsbezogener Weisungsrechte direkten Einfluss auf die Haftungsrisiken des Leiharbeitnehmers ausübt und die wirt90 Schüren/Schüren,
AÜG, Einl. Rn. 170 und Rn. 496. Urban-Crell/Schulz, Arbeitnehmerüberlassung und Arbeitsvermittlung, Rn. 479 und Rn. 498 f. 92 Vgl. auch Schüren/Schüren, AÜG, Einl. Rn. 127 mit dem Argument, dass die arbeitsrechtliche Haftungsprivilegierung nicht zum Nachteil von Dritten gelten könne, auch wenn diese Vertragspartner des Arbeitgebers sind. 91 Vgl.
A. Schutz vor Schadensersatzansprüchen des Entleihers 105
schaftlichen Vorteile aus der Tätigkeit zieht.93 Werden durch die Tätigkeit des Leiharbeitnehmers Schäden verursacht, realisiert sich dadurch das Betriebsrisiko des Entleihers, das er auch wirtschaftlich zu tragen hat. Die wesentliche Legitimation der haftungsrechtlichen Privilegierung des Arbeitnehmers liegt darin, dass der Arbeitnehmer in einem fremden Risikobereich und im Interesse des Arbeitgebers tätig wird, wobei dem Arbeitgeber die Verantwortung für die Betriebsorganisation zukommt.94 Diese Voraussetzungen liegen auch bei der Tätigkeit des Leiharbeitnehmers für den Entleiher vor, so dass das Fehlen eines Arbeitsverhältnisses insoweit unerheblich ist.95 Die Grundsätze der Haftungsprivilegierung des Arbeitnehmers sind somit auf die Haftung des Leiharbeitnehmers gegenüber dem Entleiher anwendbar.96 Dies ist auch sachgerecht, da dieser von der Rechtsprechung entwickelte Grundsatz zum wesentlichen Instrumentarium des Arbeitnehmerschutzes gehört, das nicht ohne Weiteres übergangen werden darf. Der Leiharbeitnehmer wird somit haftungsrechtlich nicht schlechter gestellt als ein Arbeitnehmer im Zweipersonen-Arbeitsverhältnis.97 Für die unmittelbaren Haftungsansprüche des Entleihers gegenüber dem Leiharbeitnehmer bedeutet dies, dass sich der Umfang der Haftungsverteilung nach den oben genannten Grundsätzen je nach Grad der Fahrlässigkeit des Leiharbeitnehmers bestimmt. Verneint man einen Anspruch des Entleihers auf die Arbeitsleistung des Leiharbeitnehmers und wickelt man Schäden über die Grundsätze der Drittschadensliquidation in den jeweiligen Vertragsverhältnissen ab, ist es weder notwendig noch möglich, die Grundsätze der privilegierten Haftung des Arbeitnehmers im Verhältnis zwischen dem Entleiher und dem Leiharbeitnehmer heranzuziehen.98 Dann kommt der Grundsatz der Haftungsbeschränkung im Verhältnis zwischen dem Verleiher und dem Leiharbeitnehmer zur Anwendung.99 Der Verleiher, der nach den Grundsätzen der auch Gick, Gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung, S. 118. ArbR, Rn. 546. 95 Boemke, Schuldvertrag und Arbeitsverhältnis, S. 311 und S. 579. 96 Im Ergebnis besteht hierüber Einigkeit, vgl. Becker/Kreikebaum, Zeitarbeit, S. 169; Boemke/Lembke, AÜG, § 11 Rn. 163; Boemke, Schuldvertrag und Arbeitsverhältnis, S. 579; ErfK/Wank, Einl. AÜG Rn. 34; Hamann, Fremdpersonal, S. 75; Konzen, ZfA 1982, 259, 281; Schaub/Koch, ArbR-HdB § 120, Rn. 66 und Rn. 68; Schüren/Schüren, AÜG, Einl. Rn. 496 ff.; Thüsing/Thüsing, AÜG, Einf. Rn. 38. 97 Gick, S. 119 f.; Reinsch, Das Rechtsverhältnis zwischen Entleiher und Leih arbeitnehmer, S. 79. 98 Vgl. ErfK/Wank, Einl. AÜG Rn. 32 zur Nichtanwendbarkeit der Grundsätze der Haftungsbeschränkung nach den Gegenpositionen, die einen Anspruch des Entleihers auf die Arbeitsleistung des Leiharbeitnehmers ablehnen. 99 Becker, F., NJW 1976, 1827, 1828. 93 So
94 Löwisch/Caspers/Klumpp,
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3. Teil: Schutz bei der legalen Arbeitnehmerüberlassung
Drittschadensliquidation den Schaden des Entleihers gegenüber dem Leiharbeitnehmer geltend macht, müsste sich im Leiharbeitsverhältnis das Betriebsrisiko des Entleihers schadensmindernd anrechnen lassen.100 Im Ergebnis gelangt man damit ebenso zu einer Haftungsbegrenzung zugunsten des Leiharbeitnehmers, wobei der Wesensgehalt der Haftungsbeschränkung, wie soeben erläutert, dadurch nicht erfasst werden kann.
III. Ergebnis Nach der hier vertretenen Auffassung, nach der der Entleiher einen eigenständigen Anspruch auf die Arbeitsleistung des Leiharbeitnehmers hat, kann der Entleiher den Leiharbeitnehmer sowohl wegen Nichtleistung als auch wegen Schlechtleistung unmittelbar auf Schadensersatz statt und neben der Leistung in Anspruch nehmen. Im Fall der Nichtleistung hat der Entleiher auch die Möglichkeit, Ansprüche gegen den Verleiher geltend zu machen, wenn dieser die Nichtleistung des Leiharbeitnehmers zu vertreten hat. Die Gegenpositionen, welche einen eigenständigen Anspruch des Entleihers auf die Arbeitsleistung des Leiharbeitnehmers verneinen, wickeln die Schlechtleistung des Leiharbeitnehmers überwiegend nach den Grundsätzen der Drittschadensliquidation ab. Im Fall der Schutzpflichtverletzung durch den Leiharbeitnehmer hat der Entleiher nach allen vertretenen Auffassungen unmittelbare Ansprüche auf Schadensersatz neben der Leistung gegenüber dem Leiharbeitnehmer. Bei unmittelbaren Schadensersatzansprüchen des Entleihers gegen den Leiharbeitnehmer ist der von der Rechtsprechung entwickelte Grundsatz der Haftungsprivilegierung des Arbeitnehmers nach dem Prinzip des innerbetrieblichen Schadensausgleichs zugunsten des Leiharbeitnehmers entsprechend anwendbar. Dadurch erfährt der Leiharbeitnehmer denselben Schutz gegenüber dem Entleiher wie ein Arbeitnehmer gegenüber seinem Arbeitgeber im vertraglichen Arbeitsverhältnis. Es ergeben sich keine haftungsrechtlichen Besonderheiten zulasten des Leiharbeitnehmers. Diese Ergebnisse verdeutlichen, dass die rechtsdogmatische Weichenstellung, ob ein unmittelbarer Leistungsanspruch des Entleihers bejaht oder verneint wird, in Haftungsfällen besonders relevant ist.
100 So im Ergebnis BGH v. 10.7.1973 – VI ZR 66/72, NJW 1973, 2020 f. (noch gestützt auf die Fürsorgepflicht des Entleihers); ferner Schaub/Koch, ArbR-HdB, § 120 Rn. 68.
B. Haftung des Entleihers gegenüber dem Leiharbeitnehmer 107
B. Haftung des Entleihers gegenüber dem Leiharbeitnehmer Da der Leiharbeitnehmer im Entleiherbetrieb tätig wird, sind die Rechtsgüter des Leiharbeitnehmers und des Entleihers derselben Gefährdung ausgesetzt, wie es in einem regulären Arbeitsverhältnis der Fall wäre. Die Abwicklung von Schäden, die der Leiharbeitnehmer bei seiner Tätigkeit im Betrieb des Entleihers verursacht, wurde bereits im letzten Abschnitt behandelt. Umgekehrt können auch Schäden an Rechtsgütern des Leiharbeitnehmers entstehen, die ihre Ursache in der Verrichtung der Arbeitstätigkeit im Entleiherbetrieb haben. Für Schäden des Leiharbeitnehmers, die im Machtbereich des Entleihers im Zusammenhang mit der Erbringung der Arbeitsleistung entstehen, hat der Verleiher nicht einzustehen.101 Der Verleiher haftet dem Leiharbeitnehmer nur für Schäden, die in seinem eigenen Einwirkungsbereich entstehen oder für die er aufgrund gesetzlicher Regelung einstehen muss, so etwa für Wegeunfälle nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 bis Nr. 4 SGB VII. Dies ist interessengerecht, da der Verleiher keine Möglichkeit hat, in den Machtbereich des Entleihers hineinzuwirken. Aus diesem Grund werden in der Praxis regelmäßig auch keine Haftungsübernahmen, Haftungsbeitritte oder Rückgriffsmöglichkeiten des Leiharbeitnehmers gegenüber dem Verleiher im Leiharbeitsvertrag vereinbart.102 Werden Rechtsgüter des Leiharbeitnehmers im Rahmen seiner Tätigkeit beim Entleiher verletzt, so ist es dem Leiharbeitnehmer nicht ohne Weiteres möglich, vertragliche Schadensersatzansprüche gegenüber dem Entleiher geltend zu machen, da im Beschäftigungsverhältnis kein Arbeitsvertrag besteht. Dies führt dazu, dass auch die arbeitsrechtlichen Haftungsinstitute, die für die Schädigung von Rechtsgütern des Arbeitnehmers entwickelt wurden, nicht direkt im Verhältnis zwischen dem Leiharbeitnehmer und dem Entleiher anwendbar sind. Haftungsgefälle oder gar Lücken lassen sich jedoch nur vermeiden, wenn diese Grundsätze zur Haftung des Arbeitgebers für Personen- und Sachschäden des Arbeitnehmers auf die Haftung des Entleihers gegenüber dem Leiharbeitnehmer übertragbar sind.
101 Thüsing/Thüsing, AÜG, Einf. Rn. 39. Vgl. Schüren/Brors, AÜG, Einl. Rn. 453 zu den Fällen, in denen ausnahmsweise eine Haftung des Verleihers wegen der Verletzung eigener Pflichten in Betracht kommt. 102 Vgl. Muster eines Leiharbeitsvertrags bei Schaub/Schrader, Formularhandbuch, § 17 Rn. 15.
108
3. Teil: Schutz bei der legalen Arbeitnehmerüberlassung
I. Haftung des Arbeitgebers für Schäden an Rechtsgütern des Arbeitnehmers Erleidet ein Arbeitnehmer im Rahmen seiner Arbeitstätigkeit Schäden an seiner Person, so ist die Haftung des Arbeitgebers nach § 104 Abs. 1 SGB VII grundsätzlich ausgeschlossen, es sei denn, der Schaden wurde vorsätzlich verursacht oder entstand auf einem nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 bis Nr. 4 SGB VII versicherten Weg. Hat ein Arbeitskollege den Personenschaden verursacht, so trifft den Arbeitgeber auch keine Haftung, da für den schädigenden Arbeitskollegen ebenfalls der Haftungsausschluss nach § 105 SGB VII gilt. Da der geschädigte Arbeitnehmer sozialrechtliche Ansprüche gegen die jeweilige Berufsgenossenschaft als Träger der gesetzlichen Unfallversicherung hat, führen die Haftungsausschlüsse zu keinen Nachteilen für den Geschädigten.103 Bei Sachschäden greift die gesetzliche Unfallversicherung dagegen nicht und der Arbeitgeber haftet vertraglich sowie deliktisch nach allgemeinen Grundsätzen. Entstehen dem Arbeitnehmer Sachschäden im Zusammenhang mit der Arbeitstätigkeit, so haftet der Arbeitgeber nach § 280 Abs. 1 BGB, sofern ihm eine schuldhafte Verletzung seiner Pflichten (insbesondere der Schutzpflicht aus § 241 Abs. 2 BGB) vorzuwerfen ist; bei schuldhafter Verursachung durch andere Arbeitnehmer hat der Arbeitgeber nach § 278 BGB für diese einzustehen. Daneben kann der Arbeitnehmer sich auf eine verschuldensunabhängige Haftung des Arbeitgebers berufen, die das BAG für das Arbeitsvertragsrecht in ständiger Rechtsprechung entwickelt hat: Danach hat der Arbeitgeber in entsprechender Anwendung des § 670 BGB verschuldensunabhängig für Sachschäden einzustehen, die dem Arbeitnehmer im Zusammenhang mit der Arbeitstätigkeit entstehen.104 Das BAG leitet aus § 670 BGB den allgemeinen Grundsatz ab, dass im Fremdinteresse getätigte Aufwendungen zu ersetzen sind.105 Auch wenn Schäden als unfreiwillige Vermögensopfer an sich keine Aufwendungen darstellen, welche mit freiwilligen Vermögenseinbußen gleichzusetzen sind, können Zufallsschäden analog § 670 BGB ersetzt werden, wenn der Arbeitnehmer sie im Dienst- und Betätigungsbereich des Arbeitgebers erleidet und die Schäden nicht in der Natur der Sache liegen (so etwa bei Verschleiß) oder durch die Vergütung als abgegolten gelten.106 103 Vgl.
hierzu ErfK/Rolfs, § 104 SGB VII, Rn. 1. v. 1.2.1963 – 5 AZR 74/62, AP Nr. 10 zu § 670 BGB; statt vieler ErfK/ Preis, § 611 BGB Rn. 553 ff. 105 BAG v. 10.11.1961 – GS 1/60, NJW 1962, 411, VII der Gründe. 106 BAG v. 10.11.1961 – GS 1/60, NJW 1962, 411, VII der Gründe; MünchKomm-BGB/Müller-Glöge, § 611 Rn. 902. 104 BAG
B. Haftung des Entleihers gegenüber dem Leiharbeitnehmer 109
Bezüglich des Mitverschuldens des Arbeitnehmers gelten die Grundsätze zur Haftungsverteilung nach dem Prinzip des innerbetrieblichen Schadensausgleichs.107 Hat der Arbeitnehmer sich nur ein geringfügiges Mitverschulden vorzuwerfen, so kann er demnach regelmäßig den vollen Umfang des Schadens vom Arbeitgeber verlangen.108
II. Haftung des Entleihers für Schäden an Rechtsgütern des Leiharbeitnehmers Beim Beschäftigungsverhältnis zwischen dem Entleiher und dem Leiharbeitnehmer handelt es sich nach der hier vertretenen Auffassung, wonach der Leiharbeitsvertrag als echter Vertrag zugunsten Dritter gesehen wird, um ein Vollzugsverhältnis zwischen dem Schuldner und dem begünstigen Dritten, aus dem wechselseitige Schutzpflichten im Sinne des § 241 Abs. 2 BGB folgen.109 Daraus ergibt sich eine Fürsorgepflicht des Entleihers gegenüber dem Leiharbeitnehmer.110 Liegt eine Verletzung der Fürsorgepflicht des Entleihers vor, lassen sich daraus entsprechende Haftungsansprüche ableiten.111 Darüber hinaus richtet sich die Haftung des Entleihers bei Personen- und Sachschäden des Leiharbeitnehmers danach, ob die oben genannten Grundsätze zur Haftung des Arbeitgebers für Schäden an Rechtsgütern des Arbeitnehmers auch im Verhältnis zwischen dem Entleiher und dem Leiharbeitnehmer gelten. 1. Haftung für Personenschäden Werden Personenschäden des Leiharbeitnehmers durch schuldhafte Verletzung von Schutzpflichten des Entleihers verursacht, richtet sich die Haftung des Entleihers nach §§ 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB, wobei ihm gegebenenfalls das Verschulden seiner Arbeitnehmer nach § 278 BGB zuzurechnen ist, sofern er sich deren bei der Erfüllung seiner Schutzpflicht gegenüber dem Leiharbeitnehmer bedient. Auch § 104 SGB VII ist im Beschäftigungsverhältnis anwendbar.112 Wie bereits erläutert, ist es unerheblich, dass der Leiharbeitnehmer in keinem 107 BAG
v. 8.5.1980 – 3 AZR 82/79, NJW 1981, 702, II 3 der Gründe. v. 8.5.1980 – 3 AZR 82/79, NJW 1981, 702, II 3 der Gründe. 109 Vgl. oben, Abschnitt 2. C. I. 3. b) cc) (2). 110 MünchKomm-BGB/Müller-Glöge, § 611 Rn. 1278. 111 Boemke/Lembke, AÜG, § 11 Rn. 152. 112 BAG v. 27.5.1983 – 7 AZR 1210/79, EzAÜG, Nr. 7 zu § 611 BGB, Haftung, III 1 der Gründe; Boemke/Lembke, AÜG, § 11 Rn. 154; Boemke, Schuldvertrag und 108 BAG
110
3. Teil: Schutz bei der legalen Arbeitnehmerüberlassung
vertraglichen Arbeitsverhältnis zum Entleiher steht, vielmehr kommt es nur darauf an, dass der Leiharbeitnehmer „Mitversicherter“ im Sinne des SGB VII ist.113 Der Entleiher haftet also nur für Personenschäden des Leiharbeitnehmers, wenn die Ausschlusstatbestände des § 104 SGB VII nicht greifen. Schäden, die im Machtbereich des Entleihers entstehen, beruhen regelmäßig auf der Verletzung von Schutzpflichten des Entleihers, dagegen reichen die dem Verleiher obliegenden Schutzpflichten gegenüber dem Leiharbeitnehmer nicht in den Machtbereich des Entleihers hinein. Im Regelfall kommt es somit nicht zu einer doppelten Haftung. Davon ausgenommen ist die gesetzliche Regelung des § 11 Abs. 6 Satz 1 Hs. 2 AÜG, wonach die Vorschriften des Arbeitsschutzrechts sowohl vom Entleiher als auch vom Verleiher zu beachten sind. 2. Haftung für Sachschäden Die vom Entleiher zu beachtende Fürsorgepflicht umfasst auch die Pflicht zum sorgsamen Umgang mit den eingebrachten Sachen des Leiharbeitnehmers. Werden Schäden an Sachen des Leiharbeitnehmer durch eine schuldhafte Verletzung der Fürsorgepflicht des Entleihers verursacht, richtet sich die Haftung ebenfalls nach §§ 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB, wobei der Entleiher für das Verschulden seiner Arbeitnehmer nach § 278 BGB einzustehen hat, sofern er sich deren bei der Erfüllung seiner Fürsorgepflicht gegenüber dem Leiharbeitnehmer bedient. Falls der Sachschaden des Leiharbeitnehmers nicht aus einer schuldhaften Schutzpflichtverletzung des Entleihers resultiert, kommt es darauf an, ob eine verschuldensunabhängige Haftung des Entleihers entsprechend dem Rechtsgedanken des § 670 BGB in Betracht kommt. Nach der Rechtsprechung des BAG zur Herleitung dieser verschuldensunabhängigen Ersatzpflicht ist maßgeblich, dass die Zufallsschäden des Arbeitnehmers letztlich durch die Tätigkeit im Interesse des Arbeitgebers und in dessen Betätigungsbereich verursacht werden, so dass sich darin wirtschaftlich das Betriebsrisiko des Arbeitgebers verwirklicht.114 Dies entspricht dem in § 670 BGB geregelten Grundsatz, wonach Kosten für die Ausführung einer Handlung von demjenigen getragen werden sollen, in dessen Interesse die HandArbeitsverhältnis, S. 579; ErfK/Wank, AÜG, Einl. Rn. 35; Schaub/Koch, ArbR-HdB, § 120 Rn. 67. 113 Vgl. oben, Abschnitt 3. A. I. 1. 114 Statt vieler BAG v. 1.2.1963 – 5 AZR 74/62, AP Nr. 10 zu § 670 BGB; ErfK/ Preis, § 611 BGB Rn. 553 ff.
B. Haftung des Entleihers gegenüber dem Leiharbeitnehmer 111
lung vorgenommen wurde.115 Bei der Leiharbeit wird der Leiharbeitnehmer im Interesse des Entleihers tätig und führt die Arbeit auch im Betrieb bzw. im Betätigungsbereich des Entleihers aus. Entstehen durch die Tätigkeit des Leiharbeitnehmers Sachschäden an seinen Rechtsgütern, so liegt dieselbe Interessenlage vor, die bei einem vertraglichen Arbeitsverhältnis zwischen dem geschädigten Arbeitnehmer und dem Arbeitgeber bestünde. Für solche ähnlich gelagerten Sachverhalte kann der Rechtsgedanke des § 670 BGB ebenfalls entsprechend herangezogen werden.116 Demnach kann der Leiharbeitnehmer die im Rahmen seines Einsatzes beim Entleiher erlittenen Sachschäden an seinen eingebrachten oder verwendeten Rechtsgütern gegenüber dem Entleiher entsprechend § 670 BGB geltend machen.117 Aus dem in § 670 BGB geregelten Grundsatz zum Aufwendungsersatz bei der Tätigkeit in fremdem Interesse folgt ferner, dass der Verleiher nicht analog § 670 BGB für Sachschäden des Leiharbeitnehmers haftet, die im Rahmen des Arbeitseinsatzes beim Entleiher entstehen. Maßgeblich ist, dass der Leiharbeitnehmer bei der Verrichtung seiner Arbeitsleistung beim Entleiher weder im Interesse des Verleihers noch im Verleiherbetrieb tätig wird. Der Verleiher hat nur ein Interesse daran, dass der Leiharbeitnehmer überhaupt seine Arbeit im Entleiherbetrieb aufnimmt, da der Verleiher für die Nichtleistung im Rahmen des Überlassungsverhältnisses einzustehen hat.118 Die Art und Weise der Arbeitsverrichtung durch den Leiharbeitnehmer ist dagegen für den Verleiher unerheblich, da er dem Entleiher hierfür nicht haftet.119
III. Ergebnis Für Personen- oder Sachschäden des Leiharbeitnehmers, die ihm im Rahmen der Arbeitstätigkeit durch eine Schutzpflichtverletzung des Entleihers entstehen, haftet der Entleiher nach allgemeinen Grundsätzen. Darüber hinaus hat der Leiharbeitnehmer gegenüber dem Entleiher einen verschuldens unabhängigen Anspruch auf Ersatz von Sachschäden in entsprechender Anwendung des § 670 BGB. 115 Vgl.
Palandt/Sprau, § 670 Rn. 1. v. 10.11.1961 – GS 1/60, NJW 1962, 411, VII der Gründe; Reinsch, Das Rechtsverhältnis zwischen Entleiher und Arbeitnehmer, S. 75. 117 Becker, F., NJW 1976, 1827, 1828; Boemke/Lembke, AÜG, § 11 Rn. 152; Schüren/Brors, AÜG, Einl. Rn. 464 f.; Hamann, Fremdpersonal im Unternehmen, S. 77. 118 Schaub/Koch, ArbR-HdB, § 120 Rn. 83; Brors, Wierw 1996, 229, 237. 119 BGH v. 13.5.1975 – VI ZR 247/73, AP Nr. 1 zu § 12 AÜG, II 1 der Gründe; Becker/Wulfgramm, AÜG, Art. 1 § 12 Rn. 43; Boemke, Schuldvertrag und Arbeitsverhältnis, S. 560; Walker, AcP 194 (1994), S. 295, 297 f. 116 BAG
112
3. Teil: Schutz bei der legalen Arbeitnehmerüberlassung
Der Verleiher haftet in der Regel nicht für Personen- oder Sachschäden des Leiharbeitnehmers, die durch die Tätigkeit im Entleiherbetrieb entstehen. Die Schutzpflichten des Verleihers erstrecken sich nicht in den Machtbereich des Entleihers hinein. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Leiharbeitnehmer durch die Arbeitstätigkeit erlittene Personen- oder Sachschäden im gleichen Umfang (gegenüber dem Entleiher) geltend machen kann, wie es einem Arbeitnehmer gegenüber seinem Arbeitgeber im Zweipersonen-Arbeitsverhältnis möglich wäre. Es ergibt sich in dieser Hinsicht keine besondere Schutzbedürftigkeit des Leiharbeitnehmers im Verhältnis zum Entleiher.
C. Schutzbedürftigkeit des Leiharbeitnehmers bei Annahmeverzug des Entleihers Im Arbeitsrecht gilt für den Annahmeverzug des Arbeitgebers als Gläubiger der Arbeitsleistung eine Besonderheit im Unterschied zum allgemeinen Schuldrecht: Der Arbeitnehmer wird von seiner Leistungspflicht frei und behält gemäß § 615 BGB den Anspruch auf die Gegenleistung, nämlich die Vergütung des Arbeitgebers, ohne die Leistung nachholen zu müssen. Typischerweise gerät der Arbeitgeber in Annahmeverzug, wenn er keine Arbeitsmittel zur Verfügung stellt oder die Arbeitsstätte aus anderweitigen betrieblichen Gründen unzugänglich ist. Auch in den Fällen der Betriebsstörung, beispielsweise bei Lieferungsverzögerungen, Stromausfall oder behördlichen Anordnungen, gelten die Wertungen des § 615 Satz 1 und Satz 2 BGB nach § 615 Satz 3 BGB sinngemäß.120 Bei der Arbeitnehmerüberlassung können diese Situationen ebenso auftreten, wenn betriebliche Gründe des Entleihers dazu führen, dass der Leiharbeitnehmer seine Arbeit nicht erbringen kann. Es ist jedoch fraglich, ob in solchen Fällen von einem Annahmeverzug des Entleihers gegenüber dem Leiharbeitnehmer die Rede sein kann. Die synallagmatischen Pflichten zur Erbringung der Arbeitsleistung sowie zur Zahlung der Vergütung des Arbeitnehmers bestehen nicht im Verhältnis zwischen dem Entleiher und dem Leiharbeitnehmer, sondern sind in ein Dreiecksverhältnis zwischen dem Verleiher, dem Entleiher und dem Leiharbeitnehmer aufgefächert. In welchem Verhältnis der Entleiher in Annahmeverzug geraten kann, hängt vom Inhalt seiner Leistungsansprüche gegenüber dem Verleiher sowie dem Leiharbeitnehmer ab.
120 Vgl.
369 ff.
ausführlich zum Betriebsrisiko Löwisch/Caspers/Klumpp, ArbR, Rn.
C. Schutzbedürftigkeit des Leiharbeitnehmers113
I. Möglichkeit eines Annahmeverzugs des Entleihers gegenüber dem Leiharbeitnehmer 1. Leistungsansprüche des Entleihers Dem Entleiher steht gegenüber dem Verleiher ein (Hauptleistungs-)Anspruch auf Überlassung eines (geeigneten oder bestimmten) Arbeitnehmers zu. Mit der Annahme dieser Leistung kann er in Verzug geraten.121 Daneben hat der Entleiher nach der hier vertretenen Auffassung einen eigenständigen Anspruch auf die Arbeitsleistung des Leiharbeitnehmers. Somit kann der Entleiher mit der Annahme der Arbeitsleistung des Leiharbeitnehmers sowohl im Überlassungsverhältnis als auch im Beschäftigungsverhältnis in Verzug geraten.122 Den Entleiher treffen Mitwirkungshandlungen, die für die Erbringung der Arbeitsleistung des Leiharbeitnehmers notwendig sind. Dazu gehören unter anderem Bestimmungen zu Ort, Zeit und Art der Arbeitstätigkeit, das Bereitstellen von Arbeitsmitteln und die Unterhaltung der Arbeitsstätte, an der der Leiharbeitnehmer die Leistung zu erbringen hat. Wird der Leiharbeitnehmer in der Erbringung seiner Arbeit dadurch gehindert, dass der Entleiher diese tätigkeitsbezogenen Mitwirkungshandlungen verweigert oder es zu Betriebsstörungen kommt, gerät der Entleiher in Annahmeverzug gegenüber dem Leiharbeitnehmer. Eine andere Konstellation liegt vor, wenn der Entleiher keine Verwendung mehr für die Tätigkeit eines Leiharbeitnehmers hat, beispielsweise wenn der vorübergehende Vertretungs- oder Mehrbedarf im Betrieb des Entleihers wegfällt,123 oder wenn der Entleiher von vornherein die Überlassung ablehnt.124 Weist in diesen Fällen der Entleiher den vom Verleiher zur Verfügung gestellten Leiharbeitnehmer von vornherein ab, hat dies Auswirkungen im Überlassungsverhältnis. Hier stellt sich die Frage, ob der Entleiher das Angebot des Verleihers zur Überlassung eines Arbeitnehmers zu Recht abweisen durfte oder ob er bezüglich des Überlassungsanspruchs in Annahmeverzug gegenüber dem Verleiher gerät.125 121 Urban-Crell/Schulz, Arbeitnehmerüberlassung und Arbeitsvermittlung, Rn. 218 und Rn. 247 (Abnahmepflicht als Nebenpflicht des Entleihers aus dem Überlassungsvertrag); Ulber, AÜG, § 12 Rn. 29 (Abnahmepflicht als Hauptpflicht des Entleihers aus dem Überlassungsvertrag). 122 Schüren/Schüren, AÜG, Einl. Rn. 195. 123 Vgl. zu dieser Konstellation Boemke, BB 2006, 997, 999. 124 Hamann, Fremdpersonal im Unternehmen, S. 70. 125 Eine Ablehnung des Entleihers wegen Ungeeignetheit des Leiharbeitnehmers führt jedenfalls nicht zum Annahmeverzug, denn dann liegt schon kein taugliches Angebot des Verleihers vor, vgl. Boemke, BB 2006, 997, 1001.
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3. Teil: Schutz bei der legalen Arbeitnehmerüberlassung
Es muss also stets danach differenziert werden, welche Leistung betroffen ist: Bei der Ablehnung tätigkeitsbezogener Mitwirkungspflichten sowie bei Betriebsstörungen geht es um die Möglichkeit eines Annahmeverzugs des Entleihers bezüglich der Leistung des Leiharbeitnehmers. Dazu ist zu untersuchen, auf welche Weise der Entleiher in Annahmeverzug gesetzt werden muss und welche Folgen dies für den Vergütungsanspruch des Leiharbeitnehmers hat. Befindet sich der Entleiher gegenüber dem Verleiher in Annahmeverzug, betrifft dies lediglich das Überlassungsverhältnis und hat keine Auswirkungen auf den Leiharbeitnehmer.126 2. Angebot der Leistung Grundsätzlich gerät der Gläubiger in Annahmeverzug, wenn der Anspruch erfüllbar und möglich (im Sinne des § 297 BGB) ist und der Schuldner das seinerseits zur Leistungserbringung Erforderliche getan hat. Was das Erforderliche ist, bestimmt sich gemäß §§ 294 ff. BGB nach der Art der Schuld. Bei der Erbringung der Arbeitsleistung ist erforderlich, dass der Arbeitnehmer als Schuldner der Arbeitsleistung die Arbeit nach § 294 BGB am Erfüllungsort tatsächlich anbietet.127 Erklärt der Arbeitgeber, dass er die Leistung nicht annehmen werde, genügt ein wörtliches Angebot des Arbeitnehmers nach § 295 Satz 1 BGB. Bei der Arbeitnehmerüberlassung erfolgt das Leistungsangebot durch den Leiharbeitnehmer am Entleiherbetrieb.128 Fraglich ist, ob der Leiharbeitnehmer daneben den Verleiher von den Umständen eines möglichen Annahmeverzugs des Entleihers in Kenntnis setzen muss. Da der Verleiher regelmäßig nur die Erbringung der Leistung an den Entleiher (als Dritten im Sinne des § 335 BGB) fordern kann, kann der Verleiher insoweit zwar nicht selbst nicht in Annahmeverzug gesetzt werden.129 Der Verleiher hat jedoch regel126 Ein Annahmeverzug des Entleihers im Überlassungsverhältnis kann dazu führen, dass der Verleiher den Anspruch auf das Überlassungsentgelt behält, den Leiharbeitnehmer jedoch nicht zum betreffenden Entleiher schicken muss und ihn anderweitig einsetzen kann. Da der Verleiher auch das Ausfallrisiko trägt, ist dieses Ergebnis folgerichtig und auch nicht korrekturbedürftig, vgl. hierzu auch Boemke, BB 2006, 997, 1000. 127 Löwisch/Caspers/Klumpp, ArbR, Rn. 365. 128 Schaub/Linck, ArbR-HdB, § 95 Rn. 26. 129 Die Regelung des § 11 Abs. 4 Satz 2 AÜG betrifft nur den Fall der vorübergehenden Nichtbeschäftigung, wo es darum geht, dass der Verleiher den arbeitsbereiten Leiharbeitnehmer nicht beschäftigt – die Erbringung der Arbeitsleistung durch den Leiharbeitnehmer (beim Entleiher) ist hiervon gerade nicht erfasst, vgl. Boemke/ Lembke, AÜG, § 11 Rn. 78. In diesem Sinne auch LAG Köln v. 29.11.2005 – 9 Sa 659/05, BeckRS 2006, 41537.
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mäßig ein Interesse daran, über die Vorfälle, die den überlassenen Leiharbeitnehmer an der Erbringung seiner Arbeitsleistung hindern, informiert zu werden. Eine solche Informationspflicht kann aus der arbeitsvertraglichen Schutzpflicht des Leiharbeitnehmers gegenüber dem Verleiher abgeleitet werden. Umgekehrt ist nicht erforderlich, dass der Verleiher in irgendeiner Form dem Entleiher ein Angebot zur Erbringung der Arbeitsleistung des Leiharbeitnehmers im Sinne der §§ 294 ff. BGB macht, da der Verleiher die Arbeitsleistung nicht selbst schuldet und diese auch nicht anbieten kann. Davon zu unterscheiden ist das Angebot des Verleihers auf Überlassung des Leiharbeitnehmers, das für den Annahmeverzug des Entleihers im Überlassungsverhältnis notwendig ist – hierfür ist wiederum keine Mitwirkung (in Form eines Angebots) des Leiharbeitnehmers notwendig.130 3. Abwicklung im Dreiecksverhältnis Die gesetzlichen Regelungen für den Annahmeverzug des Arbeitgebers können nicht ohne Weiteres auf das Beschäftigungsverhältnis zwischen dem Entleiher und dem Leiharbeitnehmer übertragen werden. Mit der Leistungspflicht des Leiharbeitnehmers korrespondiert nämlich keine synallagmatische Pflicht des Entleihers, so dass die Regelung des § 615 Satz 1 BGB, wonach der Arbeitnehmer das Recht auf Vergütung behält, nicht direkt anwendbar ist. Im Leiharbeitsverhältnis muss der Rechtsgedanke des § 615 Satz 1 BGB dahingehend verstanden werden, dass der Leiharbeitnehmer den Anspruch auf Vergütung gegenüber dem Schuldner der vereinbarten Vergütung behält – dies ist der Verleiher als Vertragsarbeitgeber.131 Zwar befindet sich der Entleiher (und nicht der Verleiher) im Annahmeverzug gegenüber dem Leiharbeitnehmer. Um der Interessenlage bei der Arbeitnehmerüberlassung gerecht zu werden, ist jedoch die Abwicklung des Annahmeverzugs über das Leiharbeitsverhältnis zwischen dem Verleiher und dem Leiharbeitnehmer vorzunehmen, da sich hieraus der Vergütungsanspruch des Leiharbeitnehmers ergibt. In diesem Zusammenhang ist die Pflicht des Leiharbeitnehmers relevant, den Verleiher über den Annahmeverzug des Entleihers in Kenntnis zu setzen.132 Der Leiharbeitnehmer hat sich entspre130 Vgl. zum Annahmeverzug im Überlassungsverhältnis BeckOK ArbR/Motz, § 12 AÜG Rn. 19 f. 131 Schüren/Schüren, AÜG, Einl. Rn. 195. Die Anwendbarkeit des Rechtsgedankens des § 615 Satz 1 BGB ergibt sich nicht aus § 11 Abs. 4 Satz 2 Hs. 2 AÜG i. V. m. § 615 Satz 1 BGB, da es dort um den originären Annahmeverzug des Verleihers im Leiharbeitsverhältnis geht, etwa wenn der Verleiher einen arbeitsbereiten Leiharbeitnehmer nicht für Arbeitseinsätze einteilt, vgl. dazu Urban-Crell/Schulz, Arbeitnehmerüberlassung und Arbeitsvermittlung, Rn. 322. 132 Vgl. soeben unter Abschnitt 3. C. I. 2.
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3. Teil: Schutz bei der legalen Arbeitnehmerüberlassung
chend dem Rechtsgedanken des § 615 Satz 2 BGB auch in dieser Konstellation den Wert dessen anrechnen zu lassen, was er infolge des Unterbleibens der Arbeitsleistung erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Arbeitsleistung erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt. Die Wirkungen eines Annahmeverzugs des Entleihers bezüglich der Arbeitsleistung des Leiharbeitnehmers schlagen auch auf das Überlassungsverhältnis durch: Nimmt man an, dass die Arbeitsleistung des Leiharbeitnehmers Fixschuldcharakter hat und nicht nachgeholt werden kann,133 so wird dem Verleiher die Erfüllung seiner Überlassungspflicht ebenfalls unmöglich.134 Für diese Unmöglichkeit ist der Entleiher allein verantwortlich, denn im Falle seines Annahmeverzugs gegenüber dem Leiharbeitnehmer konnte oder wollte er aus Gründen, die in seiner eigenen Sphäre liegen, die Arbeitsleistung des Leiharbeitnehmers nicht in Anspruch nehmen. Aus § 326 Abs. 2 Satz 1 BGB folgt, dass der Entleiher dem Verleiher weiterhin zur Zahlung des Überlassungsentgelts verpflichtet bleibt.135 Im Ergebnis trägt der Entleiher die wirtschaftlichen Folgen seines Annahmeverzugs gegenüber dem Leiharbeitnehmer. Die Abwicklung des Annahmeverzugs „auf Umwegen“ über das Leiharbeitsverhältnis sowie das Überlassungsverhältnis ist lediglich der Tatsache geschuldet, dass die Pflicht zur Arbeitsleistung und die Pflicht zur Vergütungszahlung bei der Arbeitnehmerüberlassung im Dreipersonenverhältnis zwischen dem Leiharbeitnehmer, dem Verleiher und dem Entleiher verteilt sind.
II. Behandlung des Annahmeverzugs des Entleihers nach den Gegenpositionen Nach den Gegenpositionen, die einen Anspruch des Entleihers auf die Arbeitsleistung des Leiharbeitnehmers ablehnen, kann der Entleiher gegenüber dem Leiharbeitnehmer nicht in Annahmeverzug geraten.136 Diese Auffassungen begegnen Schwierigkeiten, diejenigen Fälle sachgerecht zu lösen, bei denen der Leiharbeitnehmer aus Gründen, die der Entleiher zu 133 Zum Fixschuldcharakter der Arbeitsleistung des Arbeitnehmers vgl. Palandt/ Weidenkaff, § 611 Rn. 24; ErfK/Preis, § 615 BGB Rn. 7. 134 So auch Urban-Crell/Schulz, Arbeitnehmerüberlassung und Arbeitsvermittlung, Rn. 227. 135 BeckOK ArbR/Motz, § 12 AÜG Rn. 20; KassArbR/Düwell, 4.5 Rn. 440; Urban-Crell/Schulz, Arbeitnehmerüberlassung und Arbeitsvermittlung, Rn. 227; Boemke, BB 2006, 997, 1002; Hamann, Fremdpersonal im Unternehmen, S. 70; Ulber, AÜG, § 12 Rn. 29. 136 Die Möglichkeit eines Annahmeverzugs des Entleihers gegenüber dem Leiharbeitnehmer wird häufig erst gar nicht thematisiert, vgl. Ausführungen bei Ulber, AÜG, § 12 Rn. 29; BeckOK ArbR/Motz, § 12 AÜG Rn. 19 f.
C. Schutzbedürftigkeit des Leiharbeitnehmers117
verantworten hat, an der Erbringung seiner Arbeitsleistung im Entleiherbetrieb gehindert ist. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn die Arbeitsstätte unzugänglich ist oder keine Arbeitsmittel bereit gestellt werden. Wie bereits erläutert, betrifft dies die Annahme der Arbeitsleistung im Verhältnis zwischen dem Entleiher und dem Leiharbeitnehmer. Teilweise werden diese Fälle jedoch als Annahmeverzug des Entleihers gegenüber dem Verleiher behandelt.137 Dies ist zu ungenau, da es denkbar ist, dass der Entleiher die Überlassung eines Leiharbeitnehmers gegenüber dem Verleiher annimmt, aber nachträglich, beispielsweise wegen einer Betriebsstörung, die konkrete Arbeitsleistung des Leiharbeitnehmers nicht annimmt. Einen anderen Begründungsansatz zur Anwendung des § 615 BGB im Fall der Nichtannahme der Arbeitsleistung durch den Entleiher verfolgt Boemke: Bietet der Leiharbeitnehmer seine Leistung ordnungsgemäß dem Entleiher an und weist dieser das Angebot zurück, soll dadurch der Verleiher gegenüber dem Leiharbeitnehmer in Annahmeverzug geraten.138 Gleichzeitig soll darin ein Annahmeverzug des Entleihers im Verhältnis zum Verleiher liegen.139 Diese Konstruktion begegnet schon im Ansatz dogmatischen Bedenken: Lehnt man, wie Boemke, die Möglichkeit des Annahmeverzugs des Entleihers gegenüber dem Leiharbeitnehmer ab,140 so ist es widersprüchlich, wenn man an das tatsächliche Angebot des Leiharbeitnehmers gegenüber dem Entleiher Rechtsfolgen knüpft. Ferner ist es abwegig, in einem tatsächlichen Angebot des Leiharbeitnehmers gegenüber dem Entleiher zwei weitere Leistungsangebote (des Verleihers an den Entleiher sowie des Leiharbeitnehmers an den Verleiher) hineinzulesen. Konsequenterweise muss man zu dem Schluss kommen, dass nach den Auffassungen, die einen eigenständigen Leistungsanspruch des Entleihers gegenüber dem Leiharbeitnehmer ablehnen, ein Annahmeverzug des Entleihers gegenüber dem Leiharbeitnehmer nicht möglich ist. Nach diesen Auffassungen kann die Rechtsfolge des § 615 BGB zugunsten des Leiharbeitnehmers nur herbeigeführt werden, indem die Zurückweisung der Arbeitsleistung durch den Entleiher (ohne dogmatische Grundlage) einfach als ein Fall des Annahmeverzugs behandelt wird.
137 Ulber,
AÜG, § 12 Rn. 29. BB 2006, 997, 1002. 139 Boemke, BB 2006, 997, 1000. 140 Boemke, BB 2006, 997 spricht nur vom Annahmeverzug des Verleihers gegenüber dem Leiharbeitnehmer sowie vom Annahmeverzug des Entleihers gegenüber dem Verleiher. 138 Boemke,
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3. Teil: Schutz bei der legalen Arbeitnehmerüberlassung
III. Ergebnis Der Entleiher kann nach der hier vertretenen Auffassung gegenüber dem Leiharbeitnehmer mit der Annahme der Arbeitsleistung in Verzug geraten. Dazu ist ein Angebot des Leiharbeitnehmer gegenüber dem Entleiher nach §§ 294 ff. BGB notwendig. Bei einem Annahmeverzug des Entleihers gegenüber dem Leiharbeitnehmer behält der Leiharbeitnehmer seinen Anspruch auf Vergütung gegenüber dem Verleiher entsprechend dem Rechtsgedanken des § 615 BGB. Daneben kann der Entleiher auch gegenüber dem Verleiher in Annahmeverzug geraten, wenn er die vom Verleiher geschuldete Überlassung zurückweist. Der Annahmeverzug des Entleihers gegenüber dem Verleiher wird im Überlassungsverhältnis abgewickelt und hat keine Auswirkungen auf den Leiharbeitnehmer. Ob sich der Entleiher gegenüber dem Verleiher oder gegenüber dem Leiharbeitnehmer in Annahmeverzug befindet, ist danach zu bestimmen, welchen Inhalt die nicht angenommene Leistung hat und wer die Leistung gegenüber dem Entleiher schuldet. Das gefundene Ergebnis verdeutlicht, dass die hier vertretene Auffassung, wonach ein eigenständiger Anspruch des Entleihers auf die Leistung des Leiharbeitnehmers besteht, auch bezüglich des Annahmeverzugs des Entleihers zu einer sachgerechten und dogmatisch sauberen Lösung kommt, wohingegen die Gegenpositionen, die die Möglichkeit eines Annahmeverzugs des Entleihers gegenüber dem Leiharbeitnehmer ablehnen, auf Schwierigkeiten stoßen, um die Anwendbarkeit des § 615 BGB zugunsten des Leiharbeitnehmers zu begründen.
D. Schutz vor Diskriminierung und Ungleichbehandlungdurch den Entleiher Der Schutz von Arbeitnehmern vor Diskriminierungen durch den Arbeitgeber wird zum einen durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (im Folgenden „AGG“) realisiert, zum anderen durch das richterrechtlich entwickelte arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgebot, das verschiedene Bereiche des Arbeitslebens durchzieht.141 Bei der Arbeitnehmerüberlassung stellt sich aufgrund der faktischen Eingliederung des Leiharbeitnehmers in den Entleiherbetrieb stets die Frage, ob der Leiharbeitnehmer vor benachteiligenden Behandlungen durch den Entleiher angemessen geschützt ist. Dies hängt davon ab, ob und in welchem Umfang der Entleiher gegenüber den in sei141 Daneben gibt es noch weitere, an dieser Stelle nicht relevante arbeitsrechtliche Benachteiligungsverbote außerhalb des AGG, beispielsweise § 4 Abs. 1 und Abs. 2 TzBfG, den Grundsatz des „Equal Pay und Equal Treatment“ des AÜG sowie Art. 9 Abs. 3 GG.
D. Schutz vor Diskriminierung und Ungleichbehandlung 119
nem Betrieb eingesetzten Leiharbeitnehmern den Pflichten eines Arbeitgebers zur Gleichbehandlung bzw. Vermeidung von Diskriminierung nachkommen muss.
I. Pflichten des Arbeitgebers unter dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz Grundsätzlich ist jeder Arbeitgeber im Sinne des AGG verpflichtet, Arbeitnehmer nicht wegen einer der in § 1 AGG genannten Gründe zu benachteiligen. Zu den verbotenen Diskriminierungsgründen gehören die Rasse oder die ethnische Herkunft, das Geschlecht, die Religion oder Weltanschauung, eine Behinderung, das Alter oder die sexuelle Identität. Von den verbotenen Verhaltensweisen sind gemäß § 3 AGG unmittelbare Benachteiligungen, mittelbare Benachteiligungen, sowie Anweisungen zur Benachteiligung erfasst. Bei einem Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot besteht eine Pflicht zur Entschädigung bzw. zur Zahlung von Schadensersatz gemäß § 15 Abs. 1 AGG.142 Von den in § 2 AGG geregelten sachlichen Anwendungsbereichen des Diskriminierungsverbots sind für die Arbeitnehmerüberlassung zwei Bereiche praktisch relevant: zum einen die sogenannte Auswahldiskriminierung, die die Entscheidung über die Einstellung eines Arbeitnehmers betrifft, zum anderen die Diskriminierung während der Dauer des Arbeitsverhältnisses, wobei es hier um die Dauer des Einsatzes im Entleiherbetrieb geht. 1. Arbeitgeberstellung des Entleihers nach § 6 Abs. 2 Satz 2 AGG Gemäß § 6 Abs. 2 Satz 2 AGG wird der Entleiher dem Verleiher als Arbeitgeber im Sinne des AGG gleichgestellt. Ohne diese Vorschrift könnte der Entleiher mangels Arbeitsverhältnisses nicht als Arbeitgeber des Leiharbeitnehmers im Sinne des § 6 Abs. 2 Satz 1 AGG in Verantwortung genommen werden. So aber hat der Entleiher dieselben Diskriminierungsverbote zu beachten, die er befolgen müsste, wenn er der Arbeitgeber des Leiharbeitnehmers wäre.143 Die Vorschrift des § 6 Abs. 2 Satz 1 AGG besitzt eine wichtige Klarstellungsfunktion, die wesentlich zum Schutz des Leiharbeitnehmers beiträgt.144 In ihrer praktischen Anwendung ergeben sich Einzelfragen, die im Folgenden untersucht werden. 142 Vgl. näher hierzu Thüsing, Arbeitsrechtlicher Rn. 512 ff. 143 Oberwetter, BB 2007, 1109, 1110. 144 Vgl. Bauer/Göpfert/Krieger, AGG, § 6 Rn. 21.
Diskriminierungsschutz,
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3. Teil: Schutz bei der legalen Arbeitnehmerüberlassung
2. Schutz vor Auswahldiskriminierung im Vorfeld der Überlassung Bei der Arbeitnehmerüberlassung trifft der Verleiher im ersten Schritt die Entscheidung über die vertragliche Einstellung eines Arbeitnehmers als Leiharbeitnehmer, und im zweiten Schritt die Entscheidung über die Auswahl eines Leiharbeitnehmers zur Überlassung an den Entleiher. In praktischer Hinsicht ist eine Einflussnahme des Entleihers auf die Auswahlentscheidung des Verleihers nicht auszuschließen, etwa wenn der Entleiher dem Verleiher zu verstehen gibt, bestimmte Personengruppen (beispielsweise ältere Arbeitnehmer, Behinderte, Ausländer oder Frauen) nicht beschäftigen zu wollen, oder wenn umgekehrt direkte Vorgaben zu den gewünschten Merkmalen der Leiharbeitnehmer geäußert werden. Dadurch kann der Verleiher unmittelbar in der Auswahl vorhandener Leiharbeitnehmer zur Überlassung an den betreffenden Entleiher beeinflusst werden, mittelbar aber auch in seiner Auswahl neu einzustellender Leiharbeitnehmer.145 Beides stellt einen Verstoß des Verleihers gegen das AGG dar, auch wenn diese Entscheidungen durch den Entleiher veranlasst sein mögen. Der Verleiher unterliegt als Arbeitgeber des Leiharbeitnehmers im Sinne des § 6 Abs. 2 Satz 1 AGG dem Diskriminierungsverbot des AGG. Daraus ergibt sich die Pflicht gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 AGG, auch schon im Vorfeld der Überlassung bei der Auswahl und Einstellung von Leiharbeitnehmern Benachteiligungen zu vermeiden. a) Schutz vor mittelbarer Auswahldiskriminierung durch den Entleiher Fraglich ist, ob daneben der Entleiher für eine von ihm veranlasste Auswahldiskriminierung durch den Verleiher haftet. Dies richtet sich danach, ob der Entleiher zu dem Zeitpunkt der durch ihn veranlassten Auswahldiskriminierung bereits als Arbeitgeber im Sinne des AGG gilt. Nur dann kann er für Benachteiligungen von (potentiell an ihn überlassenen) Leiharbeitnehmern im Sinne des AGG zur Verantwortung gezogen werden. § 6 Abs. 2 Satz 2 AGG knüpft die fingierte Arbeitgeberstellung des Entleihers an die Überlassung des Leiharbeitnehmers an. Die Überlassung kann nur als tatsächliche Arbeitsaufnahme beim Entleiher verstanden werden.146 Angesichts dessen ist vor dem Beginn einer Überlassung gerade kein Raum für eine Haftung des Entleihers nach dem AGG.147 Zwar können Pflichten 145 Schüren/Schüren,
AÜG, Einl. Rn. 172. Gleichbehandlung, S. 194. 147 Rösch, Gleichbehandlung, S. 194. 146 Rösch,
D. Schutz vor Diskriminierung und Ungleichbehandlung 121
des Arbeitgebers auch schon vor Beginn eines Arbeitsverhältnisses bestehen, wie sich aus § 11 AGG (Ausschreibung) ergibt. Daraus wird teilweise gefolgert, dass es für die Haftung des Entleihers genügen müsse, wenn er bereits vor der Überlassung auf die diskriminierenden Handlungen des Verleihers direkten Einfluss genommen hat.148 Die Situation der informellen Beeinflussung des Verleihers durch den Entleiher ist jedoch nicht von § 11 AGG erfasst, der die Ausschreibung eines Arbeitsplatzes betrifft. Die Einflussnahme durch den Entleiher könnte zwar auch als „Anweisung zur Benachteiligung“ im Sinne des § 3 Abs. 5 AGG zu verstehen sein, die eine unzulässige Benachteiligungsform im Sinne des AGG darstellt.149 Jedoch ändert dies nichts daran, dass auch eine Anweisung zur Benachteiligung durch einen Arbeitgeber im Sinne des AGG erfolgen muss. Da der Entleiher zum maßgeblichen Zeitpunkt nicht als Arbeitgeber nach § 6 Abs. 2 Satz 2 AGG gilt, ist seine Anweisung zur Benachteiligung unerheblich. Für eine analoge Anwendung des § 6 Abs. 2 Satz 2 AGG besteht kein Raum, da der Gesetzgeber die Reichweite dieser Regelung bewusst nicht auf die Vertragsanbahnung erstreckt hat, obwohl diese ebenfalls im AGG geregelt ist.150 Es bleibt dabei, dass nur der Verleiher als Arbeitgeber nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 AGG haftet, wenn er auf Anfrage des Entleihers bei der Auswahl bzw. Einstellung des zu überlassenden Leiharbeitnehmers gegen das Diskriminierungsverbot verstößt. Eine (gesamtschuldnerische) Haftung des Entleihers für die Veranlassung der Auswahldiskriminierung käme nur de lege ferenda in Betracht. Nach geltender Gesetzeslage besteht zumindest keine Haftungslücke zum Nachteil des Leiharbeitnehmers, da der Verleiher für die Auswahldiskriminierung einzustehen hat. b) Rechtfertigung einer Benachteiligung nach § 8 Abs. 1 AGG Ferner stellt sich die Frage, ob es rechtlich relevant ist, wenn sich ein Entleiher, der dem Verleiher Kriterien zur Auswahl bestimmter Leiharbeitnehmer vorgibt, auf den besonderen Rechtfertigungstatbestand nach § 8 Abs. 1 AGG berufen kann. Gemäß § 8 Abs. 1 AGG ist eine unterschiedliche 148 Schüren/Schüren,
AÜG, Einl. Rn. 174. AÜG, Einl. Rn. 173. 150 Rösch, Gleichbehandlung, S. 72. Umgekehrt ist dies gerade bei der Arbeitsvermittlung, wo den Arbeitgeber nach § 11 AGG die Pflicht trifft, die Stellenausschreibung durch den Personalvermittler zu überwachen, vgl. Oberwetter, BB 2007, 1109, 1111. Dies unterscheidet sich von der Situation der Arbeitnehmerüberlassung darin, dass der Personalvermittler zu keinem Zeitpunkt Arbeitgeber im Sinne des AGG ist. 149 Schüren/Schüren,
122
3. Teil: Schutz bei der legalen Arbeitnehmerüberlassung
Behandlung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes zulässig, wenn der Differenzierungsgrund wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingung ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern der Zweck rechtmäßig und die Anforderung angemessen ist. In solchen Ausnahmefällen können also gerade die in § 1 AGG genannten Merkmale rechtmäßige Differenzierungsgründe darstellen. Bei der Arbeitnehmerüberlassung besteht die Besonderheit darin, dass die beruflichen Anforderungen vor der Auswahl entsprechender Leiharbeitnehmer vom Entleiher konkretisiert werden können, der zum maßgeblichen Zeitpunkt (auch nach § 6 Abs. 2 Satz 2 AGG) noch kein Arbeitgeber ist, wie soeben dargelegt. Für den Entleiher ist die Rechtfertigungsmöglichkeit § 8 Abs. 1 AGG somit unerheblich, da er ohnehin nicht haftet. Geht es um die Rechtfertigung des Verleihers, der nach Vorgabe des Entleihers entsprechende Leiharbeitnehmer auswählt, so ist maßgeblich, ob die „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“ im Sinne des § 8 Abs. 1 AGG objektiv vorliegt oder nur eine subjektiv durch den Entleiher beschriebene Anforderung darstellt. Die Kriterien einer „wesentlichen und entscheidenden beruflichen Anforderung“ sind im Einzelnen nicht immer klar zu bestimmen; vieles ist hier der Klärung durch die Rechtsprechung überlassen.151 Die berufliche Anforderung muss jedenfalls erforderlich sein und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zwischen dem beruflichen Zweck und dem Schutz vor Benachteiligungen wahren.152 Weitgehende Übereinstimmung besteht darin, dass bei einer objektiv gegebenen Notwendigkeit (in dem Sinne, dass die jeweilige Anforderung eine tatsächliche oder rechtliche153 Voraussetzung für die Tätigkeit darstellt) eine Rechtfertigung nach § 8 Abs. 1 AGG möglich ist.154 Ein Beispiel hierfür ist, dass Frauenbekleidung sinnvollerweise nur von Frauen vorgeführt werden kann.155 Geht es jedoch um den Verkauf von Frauenbekleidung, kann nicht mehr die Rede davon sein, dass diese Tätigkeit nur von Frauen sinnvoll ausgeübt werden kann. Für den Verkauf von Damenbademoden ist allerdings das weibliche Geschlecht noch als Voraussetzung anerkannt worden.156 Dies zeigt die Schwierigkeit, die „objektive“ 151 Vgl.
Rechtsprechungsnachweise bei ErfK/Schlachter, § 8 AGG Rn. 1 f. 16/1780, S. 35; Bauer/Göpfert/Krieger, AGG, § 8 Rn. 9. 153 Rechtliche Voraussetzungen bestehen insbesondere im Hinblick auf Altershöchstgrenzen für bestimmte Berufe, vgl. Thüsing, Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz, Rn. 325. 154 Bauer/Göpfert/Krieger, AGG, § 8 Rn. 22; Schleusener/Suckow/Voigt, AGG, § 8 Rn. 12 m. w. N. 155 Thüsing, Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz, Rn. 324. 156 LAG Köln v. 19.7.1996 – 7 Sa 499/96, NZA-RR 1997, 84. 152 BT-Drucks.
D. Schutz vor Diskriminierung und Ungleichbehandlung 123
Notwendigkeit eines Merkmals zu bestimmen – letztlich wird es abgesehen von Fällen der „biologischen Notwendigkeit“157 kaum möglich sein, die Einschätzung der beruflichen Anforderungen gänzlich von den subjektiven Erwartungen des Arbeitgebers und des Umfelds zu trennen. Im Schrifttum herrscht tendenziell ein recht großzügiger Umgang mit dem Interesse des Arbeitgebers an einer sogenannten Authentizitätswahrung in dem Sinne, dass nicht ausschließlich auf die objektive Unverzichtbarkeit der beruflichen Anforderung abgestellt wird.158 So wird teilweise darauf abgestellt, welche Erwartungen die Kunden und Geschäftspartner haben,159 teilweise wird wiederum danach differenziert, ob diese Kundenerwartungen an sich schon diskriminierenden Charakter haben,160 andere wiederum stellen darauf ab, ob anderenfalls der Bestand des Unternehmens nachhaltig gefährdet würde.161 Die Kriterien für eine genaue Bestimmung der beruflichen Anforderung sind nach wie vor unklar und bedürfen weiterhin der Konkretisierung durch Rechtsprechung und Schrifttum.162 Eine abschließende Festlegung von Kriterien für eine berufliche Anforderung im Sinne des § 8 Abs. 1 AGG ist an dieser Stelle auch nicht notwendig. Für Zwecke der vorliegenden Fragestellung genügt es nämlich, die bislang herausgearbeiteten Kriterien zur Bestimmung einer objektiven Notwendigkeit der beruflichen Anforderung anzuwenden. Maßgeblich ist, ob ein vom Entleiher vorgegebenes Merkmal nach dem bisherigen Stand der Rechtsprechung und Literatur eine nach § 8 Abs. 1 AGG zulässige berufliche Anforderung darstellt, die objektiv für die Tätigkeit notwendig ist. In diesem Fall muss der Verleiher sich auf § 8 Abs. 1 AGG berufen können, da diese Rechtfertigung auch gelten würde, wenn er selbst, d. h. aus eigener Initiative, diese (objektiven) Kriterien zugrunde gelegt hätte – der Leiharbeitnehmer benötigt keinen weitergehenden Schutz als den, der einem Arbeitnehmer im regulären Zweipersonen-Arbeitsverhältnis zustünde. Gibt der Entleiher dagegen unzulässige Merkmale vor, die nach herrschender Auffassung keine Ausnahme nach § 8 Abs. 1 AGG rechtfertigen können,163 und trifft der 157 Thüsing, Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz, Rn. 324 nennt für solche Fälle der tatsächlichen Unverzichtbarkeit beispielhaft die Amme. 158 ErfK/Schlachter, § 8 AGG Rn. 2 m. w. N.; Thüsing, Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz, Rn. 324, der neben den „klassischen“ Berufen der Schauspieler und Modelle auch für Kellner in Spezialitätenrestaurants ein Interesse an Authentizitätswahrung für gerechtfertigt hält. 159 MünchKomm-BGB/Müller-Glöge, § 611a Rn. 41. 160 Thüsing, Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz, Rn. 331 m. w. N. 161 Schleusener/Suckow/Voigt, AGG, § 8 Rn. 16. 162 Bauer/Göpfert/Krieger, AGG, § 8 Rn. 12; ErfK/Schlachter, § 8 AGG Rn. 2. 163 Unzulässig ist beispielsweise der generelle Ausschluss von weiblichen Leiharbeitnehmern, wenn es um schwere körperliche Arbeit geht; zulässig wäre jedoch
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3. Teil: Schutz bei der legalen Arbeitnehmerüberlassung
Verleiher nach diesen Merkmalen eine Auswahl, so kann der Verleiher sich nicht auf die Rechtfertigung nach § 8 Abs. 1 AGG berufen, da ihm dies auch als Arbeitgeber im regulären Zweipersonen-Arbeitsverhältnis nicht möglich wäre. 3. Schutz vor Diskriminierung im Entleiherbetrieb während der Überlassung Während der Dauer der Überlassung ist der Entleiher als Arbeitgeber im Sinne des § 6 Abs. 2 Satz 2 AGG zu behandeln und hat nach dem AGG unzulässige Benachteiligungen des Leiharbeitnehmers zu unterlassen.164 Hierbei ergeben sich keine Besonderheiten im Vergleich zu den Diskriminierungsverboten, die ein „normaler“ Arbeitgeber gegenüber seinem Arbeitnehmer zu beachten hat. Praktisch relevant ist bei der Arbeitnehmerüberlassung die Diskriminierung durch den Entleiher bei der Ausübung des Direktionsrechts, etwa bei der Zuteilung von Aufgaben oder Einteilung von Arbeitszeiten.165 Der Vergleichsmaßstab für das Vorliegen einer Diskriminierung ist dabei nicht – wie man annehmen könnte – wie andere Stammarbeitnehmer des Entleihers im Verhältnis zu Leiharbeitnehmern behandelt werden. Benachteiligungen im Sinne des AGG können auch gegenüber einer einzigen Person stattfinden. Für die Bestimmung, ob eine Diskriminierung im Sinne des AGG vorliegt, wird die tatsächlich erfahrene Behandlung mit der hypothetischen Situation verglichen, in der dieselbe Person ohne Anschauung der in § 1 AGG genannten Gründe behandelt worden wäre.166 Ob eine Diskriminierung vorliegt, kann also unabhängig von anderen Vergleichspersonen oder -gruppen festgestellt werden.167 Hierin unterscheidet sich das Verständnis einer Diskriminierung im Sinne des AGG gerade vom Verständnis einer Gleichbehandlung im Sinne des allgemeinen arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes.168 Daneben hat der Entleiher auch die Maßnahmen und Pflichten des Arbeitgebers nach § 12 AGG im Verhältnis zum Leiharbeitnehmer zu beachten, d. h. die erforderlichen Schutzmaßnahmen gegen Diskriminierungen zu erdie Verwendung des Kriteriums der „Belastbarkeit“, vgl. ErfK/Schlachter, § 8 AGG Rn. 1 m. w. N. 164 Vgl. näher Löwisch/Caspers/Klumpp, ArbR, Rn. 183 ff. 165 Hamann, Fremdpersonal im Unternehmen, S. 78. 166 Raab, FS Kreutz, S. 317, 326. 167 Fastrich, RdA 2000, 65, 68; Raab, FS Kreutz, S. 317, 326; Horst, Gleichbehandlung bei der Ausübung des Weisungsrechts des Arbeitgebers, S. 95. 168 Vgl. dazu sogleich unter Abschnitt 3. D. II.
D. Schutz vor Diskriminierung und Ungleichbehandlung 125
greifen. Dies ergibt sich direkt aus der Stellung des Entleihers als Arbeitgeber im Sinne des AGG nach § 6 Abs. 2 Satz 2 AGG. Schließlich hat der Leiharbeitnehmer gemäß § 14 AGG das Recht, seine Tätigkeit ohne Verlust des Vergütungsanspruchs zu verweigern, wenn der Entleiher keine oder ungeeignete Maßnahmen zur Unterbindung bestimmter Belästigungen ergreift. Auch der Verleiher behält in diesem Fall gemäß § 326 Abs. 2 Satz 1 BGB seinen Vergütungsanspruch gegenüber dem Entleiher aus dem Überlassungsverhältnis, wenn der Entleiher schuldhaft keine oder offensichtlich ungeeignete Maßnahmen im Sinne des § 14 AGG ergriffen hat.169
II. Arbeitsrechtlicher Gleichbehandlungsgrundsatz Neben den ausdrücklich normierten Diskriminierungsverboten des AGG hat ein Arbeitgeber stets auch den von der Rechtsprechung entwickelten allgemeinen arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz gegenüber seinen Arbeitnehmern zu beachten.170 Der allgemeine arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz verbietet die sachfremde Schlechterstellung vergleichbarer Arbeitnehmer oder Arbeitnehmergruppen sowie die sachfremde Gruppenbildung.171 Nach § 2 Abs. 3 Satz 1 AGG wird der Gleichbehandlungsgrundsatz von den Diskriminierungsverboten des AGG nicht berührt.172 Bei der Bestimmung, ob eine Ungleichbehandlung dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz zuwider läuft, ist stets die horizontale Vergleichbarkeit maßgeblich. Es kommt dabei wesentlich auf die Vergleichbarkeit zwischen verschiedenen Personen bzw. verschiedenen Gruppen an; Gleichbehandlung ist immer im Verhältnis zu vergleichbaren Bezugspersonen oder Bezugsgruppen zu beurteilen.173 Hierin liegt der Unterschied zur auch Thüsing, Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz, Rn. 141. zu den rechtsdogmatischen Grundlagen des allgemeinen arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes Thüsing, Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz, Rn. 926 ff.; MünchHdB-ArbR/Richardi, § 9 Rn. 8 ff. 171 So das BAG in ständiger Rechtsprechung, vgl. etwa BAG v. 3.4.1957 – 4 AZR 644/54, AP Nr. 4 zu § 242 BGB Gleichbehandlung; BAG, v. 15.11.1994 – 5 AZR 682/93, NZA 1995, 939; ferner Löwisch/Caspers/Klumpp, ArbR, Rn. 147 f.; MünchHdB-ArbR/Richardi, § 9 Rn. 24; Thüsing, Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz, Rn. 927. 172 Der Gesetzgeber stellt damit auch klar, dass das AGG keine umfassenden und abschließenden Regelungen zum Schutz vor Benachteiligungen enthält, vgl. BT-Drs. 16/1780, S. 32. 173 Fastrich, RdA 2000, 65, 68; Raab, in: FS Kreutz, S. 317, 326; Wiedemann, in: FS 50 Jahre BAG, S. 265, 270; Horst, Gleichbehandlung bei der Ausübung des Weisungsrechts des Arbeitgebers, S. 95. 169 Vgl. 170 Vgl.
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3. Teil: Schutz bei der legalen Arbeitnehmerüberlassung
Diskriminierung im Sinne des AGG, die nur in Bezug auf eine Person, dann aber hinsichtlich der erfahrenen Behandlung und der hypothetischen (diskriminierungsfreien) Behandlung beurteilt wird.174 1. Anknüpfungspunkt der Gleichbehandlung von Leiharbeitnehmern durch den Entleiher Die Gleichbehandlung von Leiharbeitnehmern durch den Entleiher bestimmt sich danach, ob zwischen der Gruppe der Leiharbeitnehmer und der Gruppe der Stammarbeitnehmer eine horizontale Vergleichbarkeit besteht. Ferner stellt sich die Frage, ob der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz innerhalb der Gruppe der Leiharbeitnehmer ebenfalls gilt, ob also eine Ungleichbehandlung eines Leiharbeitnehmers im Verhältnis zu anderen Leiharbeitnehmern desselben Entleiherbetriebs verboten ist. Grundsätzlich gilt, dass Arbeitnehmer vergleichbar sind, die in derselben Art des Arbeitsverhältnisses stehen und dieselbe oder eine ähnliche Tätigkeit ausüben.175 Der erste Anknüpfungspunkt für die Bestimmung der gleich zu behandelnden Personengruppe ist demnach das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses zwischen dem Arbeitgeber und den betreffenden Personen.176 Stellte man nur auf dieses Kriterium ab, wäre der Entleiher im Verhältnis zu Leiharbeitnehmern nicht an den Gleichbehandlungsgrundsatz gebunden. Einen anderen Anknüpfungspunkt für die Gleichbehandlung durch den Arbeitgeber sieht Boemke in der Betriebszugehörigkeit.177 Aus dem betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz nach § 75 Abs. 1 Hs. 2 BetrVG ergebe sich, dass alle betriebszugehörigen Arbeitnehmer gleich zu behandeln sind, wobei die Rechtsgrundlage ihres Einsatzes im Betrieb nicht entscheidend sei, so dass auch Leiharbeitnehmer hierunter fallen können.178 Dieser Ansatz ist jedoch nicht weiterführend, da der allgemeine arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz und der in § 75 Abs. 1 Hs. 2 BetrVG normierte betriebsverfassungsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz unterschiedliche Gleichbehandlungsgebote regeln. § 75 Abs. 1 Hs. 2 BetrVG verbietet die Diskriminierung der in einem Betrieb tätigen Personen aus Gründen, die denen des § 1 AGG entsprechen.179 Beide Male han174 Vgl.
oben, Abschnitt 3. D. I. Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz, Rn. 941. 176 ErfK/Preis, § 611 BGB Rn. 578. 177 Boemke, Schuldvertrag und Arbeitsverhältnis, S. 590. 178 Boemke, Schuldvertrag und Arbeitsverhältnis, S. 590. 179 Nach § 75 Abs. 1 Hs. 2 BetrVG sind Benachteiligungen aus folgenden Gründen verboten: Rasse und ethnische Herkunft, Nationalität, Religion oder Weltanschauung, Behinderung, Alter, die politische oder gewerkschaftliche Betätigung, 175 Thüsing,
D. Schutz vor Diskriminierung und Ungleichbehandlung 127
delt es sich um Verbote der vertikalen Diskriminierung, die nicht anhand von Vergleichsgruppen bestimmt wird.180 Es lassen sich aus der Anwendbarkeit des § 75 Abs. 1 Hs. 2 BetrVG keinerlei Rückschlüsse ziehen, ob Leiharbeitnehmer und Stammarbeitnehmer vergleichbare Bezugsgruppen bilden, die der Entleiher gleich zu behandeln hat. Neben der Vergleichbarkeit des Arbeitsverhältnisses ist der Inhalt der dem Arbeitgeber geschuldeten Arbeitstätigkeit das zweite Kriterium für die Bestimmung des gleich zu behandelnden Personenkreises.181 Nach der hier vertretenen Auffassung hat der Entleiher einen unmittelbaren Anspruch auf die Arbeitsleistung des Leiharbeitnehmers aus einem echten Vertrag zugunsten Dritter.182 Schuldet ein Leiharbeitnehmer dem Entleiher eine Tätigkeit, die mit der Tätigkeit eines Stammarbeitnehmers vergleichbar ist, so liegt hierin der Anknüpfungspunkt für eine Gleichbehandlung beider durch den Entleiher. Welche Tätigkeit der Arbeitgeber vom Arbeitnehmer verlangen kann, bestimmt sich nach dem Inhalt des vertragsmäßig Vereinbarten. Daraus folgt, dass von vornherein nur diejenigen Arbeitnehmer bzw. Leiharbeitnehmer vergleichbar sein können, die der Entleiher nach dem Inhalt des jeweiligen (Leih-)Arbeitsvertrags zu derselben Tätigkeit anweisen kann.183 Mithilfe dieses Kriteriums ist eine genaue und sachgerechte Differenzierung möglich, ob Leiharbeitnehmer im konkreten Fall mit Stammarbeitnehmern des Entleihers vergleichbar sind. Das Fehlen eines Arbeitsverhältnisses derselben Art zwischen dem Leiharbeitnehmer und dem Entleiher kann für die besondere Konstellation der Arbeitnehmerüberlassung ausnahmsweise außer Acht gelassen werden, wenn in der Sache eine Vergleichbarkeit der geschuldeten Tätigkeiten vorliegt. Auch wenn Leiharbeitnehmer und Stammarbeitnehmer vergleichbare Tätigkeiten ausüben, kann im Einzelfall eine Ungleichbehandlung von Stammarbeitnehmern und Leiharbeitnehmern durch den Entleiher zulässig sein, Geschlecht oder sexuelle Identität. § 1 AGG nennt als verbotene Benachteiligungsgründe ebenfalls: Rasse oder ethnische Herkunft, Geschlecht, Religion, oder Weltanschauung, Behinderung, Alter oder sexuelle Identität. 180 Zur vertikalen Schutzrichtung des AGG vgl. Fastrich, RdA 2000, 65, 68; Raab, in: FS Kreutz, S. 317, 326; Wiedemann, in: FS 50 Jahre BAG, S. 265, 270; Horst, Gleichbehandlung bei der Ausübung des Weisungsrechts des Arbeitgebers, S. 95. 181 ErfK/Preis, § 611 BGB Rn. 579; Thüsing, Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz, Rn. 941. 182 Vgl. oben, Abschnitt 2. C. I. 3. a) bb) (2). 183 Horst, Gleichbehandlung bei der Ausübung des Weisungsrechts des Arbeitgebers, S. 97 m. w. N. sowie S. 99 mit Ausführungen dazu, dass sich je nach Inhalt der Weisung unterschiedliche Vergleichsgruppen innerhalb eines Betriebs ergeben können.
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3. Teil: Schutz bei der legalen Arbeitnehmerüberlassung
wenn ein sachlicher Grund für eine Differenzierung vorliegt.184 Da durch die gesetzliche Regelung im AÜG die Beschäftigungsform der Leiharbeit mit ihren Besonderheiten erfasst und anerkannt wird, kann der Entleiher diese gesetzlich angelegte Differenzierung auch auf sachgerechte Weise nachvollziehen185 und ist nicht gehalten, eine absolute Gleichbehandlung sicherzustellen.186 Dieselben Grundsätze gelten im Verhältnis zwischen mehreren beim Entleiher tätigen Leiharbeitnehmern: Schulden diese dem Entleiher eine vergleichbare Tätigkeit und üben sie diese im Entleiherbetrieb auch aus, so hat der Entleiher solche Leiharbeitnehmer im Verhältnis zueinander ebenfalls gleich zu behandeln, sofern keine sachlichen Gründe eine Ungleichbehandlung rechtfertigen. 2. Anwendungsbereiche des Gleichbehandlungsgrundsatzes Die Gleichbehandlung von vergleichbaren Arbeitnehmergruppen kann unterschiedlich zu beurteilen sein, je nach nachdem, ob es um Leistungen und Gratifikationen des Arbeitgebers geht, um die Ausübung des Weisungsrechts oder um den Zugang zu Betriebseinrichtungen des Arbeitgebers. a) Leistungen und Gratifikationen Der praktisch relevanteste Anwendungsbereich des allgemeinen arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes bei „regulären“ Arbeitsverhältnissen liegt im Bereich der Gewährung von Sondervergütungen, Lohnnebenleistungen und freiwilligen Leistungen durch den Arbeitgeber.187 Ein typischer Fall ist die Zahlung eines Weihnachtsgeldes auf freiwilliger Basis.188 Ungleichbehandlungen bei der Gewährung von Leistungen sind möglich, wenn anhand sachgerechter Kriterien differenziert wird. Die Anknüpfung an die Dauer der Betriebszugehörigkeit, beispielsweise in Form einer Stich184 Vgl. eingehend hierzu Thüsing, Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz, Rn. 947 f. 185 Vgl. Thüsing, Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz, Rn. 949 f. mit dem Beispiel, dass aufgrund der gesetzlichen Differenzierung leitende Angestellte nicht in einen Sozialplan einbezogen werden müssen. 186 So wohl im Ergebnis auch KassArbR/Düwell, 4.5 Rn. 462, wonach den Leiharbeitnehmern „kein umfassender“ Anspruch auf Gleichbehandlung im Entleiherbetrieb zustehen soll. 187 ErfK/Preis, § 611 BGB Rn. 593 ff.; Horst, Gleichbehandlung bei der Ausübung des Weisungsrechts des Arbeitgebers, S. 22. 188 ErfK/Preis, § 611 BGB Rn. 604.
D. Schutz vor Diskriminierung und Ungleichbehandlung 129
tagsregelung, kann bei freiwilligen Leistungen zulässig sein,189 wenn auch der Grund, der in der zeitlichen Anknüpfung liegt, sachgerecht ist.190 Faktisch bedeutet dies in vielen Fällen einen Ausschluss der Gruppe der Leiharbeitnehmer, da die durchschnittliche Überlassungsdauer nur wenige Monate beträgt.191 In bestimmen Fällen kann es auch sachlich gerechtfertigt sein, die Gewährung von Lohnnebenleistungen, die als Bestandteil der Vergütung gezahlt werden, an das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses zu knüpfen. Da der Entleiher den bei ihm eingesetzten Leiharbeitnehmern keine Vergütungszahlung schuldet, kann er dann auch nicht über den Gleichbehandlungsgrundsatz zur Zahlung von Vergütungskomponenten verpflichtet werden. Ein Beispiel für die zulässige Differenzierung anhand des Bestehens eines Arbeitsverhältnisses liegt in der Berücksichtigung von Beschäftigten im Rahmen eines Sozialplans. Es wäre dem Entleiher nicht einmal ohne Weiteres möglich, jeden ihm überlassenen Leiharbeitnehmer in eine mittelfristige Planung wie den Sozialplan einzubeziehen, wenn die Leiharbeitnehmer – wie häufig − nur für eine begrenzte Dauer eingesetzt werden192 und im Übrigen in den meisten Fällen vom Verleiher ersetzt werden können.193 Dies ist ein Fall, in dem der Entleiher die gesetzlich angelegte Differenzierung zwischen Arbeitnehmern und Leiharbeitnehmern auf sachgerechte Weise nachvollziehen kann.194 b) Zugang zu Betriebseinrichtungen Stellt der Arbeitgeber Betriebs- bzw. Gemeinschaftseinrichtungen wie etwa Kinderbetreuung, Verpflegung oder die Nutzung von Beförderungsmitteln bereit, so hat er bezüglich des Zugangs der Arbeitnehmer zu solchen 189 So wohl BAG v. 15.11.2011 – 9 AZR 387/10, AP Nr. 55 zu § 1 TVG Altersteilzeit, II 1 der Gründe. 190 MünchKomm-BGB/Müller-Glöge, § 611 Rn. 1131. 191 Fast die Hälfte der Überlassungen erfolgt für eine kurze Dauer von bis zu drei Monaten, vgl. Zwölfter Bericht der Bundesregierung über Erfahrungen bei der Anwendung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes v. 26.2.2014, BT-Drs. 18/673, S. 29 und Tabelle 10. 192 Vgl. Zwölfter Bericht der Bundesregierung über Erfahrungen bei der Anwendung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes v. 26.2.2014, BT-Drs. 18/673, S. 29 und Tabelle 10. 193 Meistens wird eine Abberufungs- und Ersetzungsbefugnis des Verleihers im Überlassungsvertrag vereinbart, vgl. Muster eines Überlassungsvertrags bei Schaub/ Schrader, Formularhandbuch, § 17 Rn. 23. 194 Ähnlich auch Thüsing, Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz, Rn. 949 f. mit dem Beispiel, dass aufgrund der gesetzlichen Differenzierung leitende Angestellte nicht in einen Sozialplan einbezogen werden müssen.
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3. Teil: Schutz bei der legalen Arbeitnehmerüberlassung
Betriebseinrichtungen ebenfalls den allgemeinen arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz zu beachten. Bezüglich des Zugangs der Leiharbeitnehmer zu Gemeinschaftseinrichtungen im Entleiherbetrieb ist mit § 13b AÜG eine ausdrückliche Regelung eingeführt worden, die der Umsetzung des Art. 6 IV der Leiharbeitsrichtlinie dient.195 Nach dieser Vorschrift hat der Entleiher Leiharbeitnehmern Zugang zu den Gemeinschaftseinrichtungen und -diensten des Entleiherbetriebs zu gewähren, soweit vergleichbare Arbeitnehmer diese Möglichkeiten in Anspruch nehmen könnten; dies gilt nicht, sofern ein sachlicher Grund eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigt.196 § 13b AÜG ist insofern eine Ausprägung des allgemeinen arbeitsrechtlichen Grundsatzes. In gleicher Weise handelt es sich bei der Regelung des Art. 6 IV der Leiharbeitsrichtlinie, auf der § 13b AÜG beruht, um eine Ausprägung des Gleichbehandlungsgrundsatzes nach Art. 5 I der Leiharbeitsrichtlinie.197 Unter Gemeinschaftseinrichtungen- und diensten sind gemäß § 13b Satz 2 AÜG insbesondere Angebote zur Kinderbetreuung, Gemeinschaftsverpflegung und Beförderung zu verstehen. Da diese Aufzählung nicht abschließend ist, können auch andere gegenständliche Einrichtungen und Dienste, die einen unmittelbaren Bezug zum Entleiherbetrieb haben, von § 13 Satz 2 AÜG erfasst sein.198 c) Ausübung des Weisungsrechts Schließlich ist der Arbeitgeber auch bei der Ausübung seines Weisungsrechts an den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz gebunden.199 Bei der Arbeitnehmerüberlassung ist die Gleichbehandlung von Leiharbeitnehmern und Stammarbeitnehmern bei der Ausübung des Weisungsrechts durch den Entleiher der praktisch relevanteste Anwendungsbereich des Gleichbehandlungsgrundsatzes. Über das Weisungsrecht bestimmt der Entleiher zum einen den Inhalt der Tätigkeit, indem er Aufgaben zuteilt bzw. zwischen den Arbeitskräften verteilt. Zum anderen bestimmt der Entleiher den Zeitrahmen der Tätigkeit durch Anweisung der Arbeitszeiten und durch Zuteilung von Sonn- und Feiertagsarbeit bzw. Nachtarbeit. Dies ist ein Bereich, der für ungleiche Behandlungen zum Nachteil von Leiharbeitnehmern 195 BT-Drs.
17/4804, S. 10. näher hierzu Hamann, RdA 2011, 321, 326. 197 Lembke, NZA 2011, 319, 323. 198 Vgl. hierzu Boemke/Lembke, AÜG, § 13b Rn. 24 ff. 199 ErfK/Preis, § 611 BGB Rn. 575; MünchKomm-BGB/Müller-Glöge, § 611 Rn. 1136. 196 Vgl.
D. Schutz vor Diskriminierung und Ungleichbehandlung 131
besonders anfällig ist. Leiharbeitnehmer sind als kurzfristig eingesetzte Arbeitskräfte ohne Bindung zum Entleiher nicht selten der Situation ausgesetzt, dass sie für bestimmte unliebsame Aufgaben oder Dienste eingeteilt werden, von denen die Gruppe der Stammarbeitnehmer eher verschont bleibt.200 Die oben erläuterten Grundsätze zur Gleichbehandlung vergleichbarer Leiharbeitnehmer und Stammarbeitnehmer gelten auch hier: Es kommt darauf an, ob Leiharbeitnehmer im Verhältnis zu Stammarbeitnehmern dem Entleiher eine vergleichbare Tätigkeit schulden und diese Tätigkeit auch konkret ausüben.201 Ist dies der Fall, so hat der Entleiher bei der Ausübung seiner tätigkeitsbezogenen Weisungsbefugnisse vergleichbare Leiharbeitnehmer im Verhältnis zu Stammarbeitnehmern gleich zu behandeln.
III. Exkurs: Pflicht des Arbeitgebers zur Berücksichtigung schwerbehinderter Menschen nach § 81 SGB IX Gemäß § 81 Abs. 1 SGB IX obliegt dem Arbeitgeber die Pflicht, zu prüfen, ob freie Arbeitsplätze mit schwerbehinderten Menschen (insbesondere diejenigen, die bei der Agentur für Arbeit als arbeitslos oder Arbeit suchend gemeldet sind) besetzt werden können. Bei der Arbeitnehmerüberlassung stellt sich die Frage, ob der Entleiher bereits bei seiner Anfrage bzw. Profilanforderung beim Verleiher die Pflicht zur Berücksichtigung schwerbehinderter Menschen befolgen muss. Maßgeblich ist, welche Personen der Entleiher als Arbeitgeber bei der Besetzung „freier Arbeitsplätze“ in seinem Betrieb berücksichtigen muss. § 73 Abs. 1 SGB IX enthält eine Aufzählung von Personen, deren Beschäftigung einen „Arbeitsplatz“ darstellen würde − Leiharbeitnehmer sind dabei nicht ausdrücklich erwähnt. Die Frage, ob eine mit einem Leiharbeiter zu besetzende Stelle auch als „freier Arbeitsplatz“ im Entleiherbetrieb zu sehen ist, bestimmt sich letztlich anhand des Vorliegens eines Arbeitsverhältnisses.202 Danach gilt, dass die Arbeitsplätze, auf denen Leiharbeitnehmer beschäftigt sind, ausschließlich dem Verleiher zuzuordnen sind, da nur zwischen dem Verleiher und dem Leiharbeitnehmer ein Arbeitsvertrag besteht. In diesem Zusammenhang ist auch ein Anspruch des Entleihers auf die Leistung des auch BT-Drs. 14/4220, S. 18; Wank, RdA 2003, 1, 3. zur Bestimmung der Vergleichbarkeit ErfK/Preis, § 611 BGB Rn. 579; Horst, Gleichbehandlung bei der Ausübung des Weisungsrechts des Arbeitgebers, S. 97; Thüsing, Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz, Rn. 941. 202 Edenfeld, NZA 2006, 126, 129; ErfK/Rolfs (14. Aufl. 2014), § 73 SGB IX Rn. 2. 200 Vgl.
201 Grundsätzlich
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3. Teil: Schutz bei der legalen Arbeitnehmerüberlassung
Leiharbeitnehmers unerheblich, da das SGB IX nur auf die vorhandenen Arbeitsplätze abstellt, um die gesetzlichen Pflichtquoten nach § 71 SGB IX bestimmen zu können.203 Für eine Heranziehung des Entleihers besteht nach dem Normzweck des § 81 Abs. 1 SGB IX, der in der Förderung der Einstellung schwerbehinderter Menschen liegt,204 kein Bedarf. Falls der Einsatz von Leiharbeitnehmern ausschließlich dem Entleiherbetrieb angerechnet würde, entfiele wohl für den Verleiher der Anreiz zur Einstellung schwerbehinderter Leiharbeitnehmer.205 Auch eine doppelte Anrechnung sowohl im Verleiher- als auch im Entleiherbetrieb würde dem Normzweck zuwider laufen, da dann die Einstellung nur eines Schwerbehinderten formell zur zweifachen Anrechnung auf die gesetzliche Pflichtquote führen würde.206 Es bleibt dabei, dass nur der Verleiher die Prüfungspflicht nach § 81 Abs. 1 SGB IX und die damit einhergehende Pflicht zur Einhaltung der entsprechenden Verfahrensschritte zu beachten hat.207 Der Entleiher braucht bei der Anfrage nach Leiharbeitnehmern nicht nach § 81 Abs. 1 SGB IX zu berücksichtigen, ob er schwerbehinderte Leiharbeitnehmer für seinen Arbeitsbedarf einsetzen kann.
IV. Ergebnis Der Entleiher hat gegenüber Leiharbeitnehmern die Diskriminierungsverbote des AGG zu beachten. Dies folgt aus § 6 Abs. 2 Satz 2 AGG, wonach der Entleiher für die Dauer der Überlassung als Arbeitgeber des Leiharbeitnehmers im Sinne des AGG behandelt wird. Vor der tatsächlichen Überlassung treffen den Entleiher keine Pflichten nach dem AGG. Selbst wenn der Entleiher den Verleiher zu einer Auswahldiskriminierung veranlasst, hat der Entleiher hierfür nicht nach den Vorschriften des AGG einzustehen. Für eine Diskriminierung bei der Auswahl und Einstellung des Leiharbeitnehmers haftet nur der Verleiher. Der Verleiher kann sich nur dann nach § 8 Abs. 1 AGG auf eine Rechtfertigung der unmittelbaren Benachteiligung berufen, wenn ein vom Entleiher vorgegebenes Merkmal eine objektiv notwendige berufliche Anforderung darstellt. 203 ErfK/Rolfs 204 Vgl.
(14. Aufl. 2014), § 73 SGB IX Rn. 1. Gesetzesbegr. zum Entwurf eines Sozialgesetzbuchs (SGB IX), BT-Drs.
14/5074. 205 Edenfeld, NZA 2006, 126, 129. 206 Edenfeld, NZA 2006, 126, 129 f. m. w. N. 207 Dass der Leiharbeitnehmer faktisch bei einem Dritten eingesetzt wird, ist für die Zuordnung im Sinne des SGB IX unerheblich.
E. Schutz vor Mobbing im Entleiherbetrieb133
Daneben hat der Entleiher den allgemeinen arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz bei der Behandlung von Leiharbeitnehmern im Verhältnis zu Stammarbeitnehmern zu beachten. Leiharbeitnehmer und Stamm arbeitnehmer sind vergleichbar, sofern sie dem Entleiher vereinbarungs gemäß eine vergleichbare Tätigkeit schulden und tatsächlich auch eine vergleichbare Tätigkeit im Entleiherbetrieb ausüben. Der wichtigste Anwendungsbereich des Gleichbehandlungsgrundsatzes ist die Ausübung der tätigkeitsbezogenen Weisungsrechte durch den Entleiher. Hierbei hat der Entleiher vergleichbare Leiharbeitnehmer und Stammarbeitnehmern gleich zu behandeln, insbesondere bei der Zuweisung von Aufgaben und der Einteilung der Arbeitszeiten. Damit lässt sich feststellen, dass Leiharbeitnehmer vor Diskriminierungen und Ungleichbehandlungen durch den Entleiher nach der geltenden Gesetzeslage hinreichend geschützt sind, da sie keinen Nachteil dadurch erlangen, dass es jeweils an einer arbeitsvertraglichen Beziehung im Beschäftigungsverhältnis fehlt.
E. Schutz vor Mobbing im Entleiherbetrieb Jeder Arbeitnehmer kann an seinem Arbeitsplatz zum Ziel von Mobbing durch Vorgesetzte oder Arbeitskollegen werden. Leiharbeitnehmer haben ihren Arbeitsplatz im Entleiherbetrieb und können dort durch den Entleiher, andere Stammarbeitnehmer oder auch andere Leiharbeitnehmern gemobbt werden. Allein durch die Eingliederung in den Entleiherbetrieb besteht die faktische Möglichkeit des Mobbings, das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer ist hierfür irrelevant. Die Gruppe der Leiharbeitnehmer bietet im Verhältnis zur Stammbelegschaft sogar mehr Angriffsfläche für Mobbing. Dies liegt daran, dass Leiharbeitnehmer teilweise als „Arbeitnehmer zweiter Klasse“ wahrgenommen werden und Anfeindungen seitens der Stammarbeitnehmer, die um den Ersatz ihrer eigenen Arbeit durch Leiharbeitnehmer fürchten, ausgesetzt sein können.208 Mit dem Thema Mobbing am Arbeitsplatz haben sich sowohl das Schrifttum als auch die Rechtsprechung in den vergangenen Jahren vermehrt auseinandergesetzt. Im Fokus stand die Frage, welche Rechte des Arbeitnehmers durch Mobbing verletzt werden und welche Ansprüche gegenüber 208 Vgl. Wank, RdA 2003, 1, 3 dazu, dass Leiharbeitnehmern Aufgaben zugemutet werden, die Arbeitnehmer der Stammbelegschaft nicht zu verrichten brauchen. Vgl. auch die Stellungnahme des DGB im Neunten Bericht der Bundesregierung über Erfahrungen bei der Anwendung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes, BTDrs. 14/4220, S. 26 zur Befürchtung, dass die Arbeitnehmerüberlassung zu einer Reduzierung der Stammbelegschaft im jeweiligen Entleiherbetrieb führt.
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3. Teil: Schutz bei der legalen Arbeitnehmerüberlassung
dem Handelnden sowie dem Arbeitgeber bestehen.209 Im Folgenden wird die rechtliche Erfassung des Phänomens „Mobbing“ zunächst anhand eines regulären Zwei-Personen-Arbeitsverhältnisses skizziert, bevor eine entsprechende Behandlung von Mobbing im Entleiherbetrieb untersucht wird.
I. Rechtliche Erfassung von Mobbing am Arbeitsplatz Mobbing kann grundsätzlich vom Arbeitgeber bzw. Vorgesetzten sowie auch von Arbeitskollegen ausgehen.210 Wann eine als unangenehm empfundene Behandlung noch sozial- und rechtsadäquat ist oder bereits eine unangemessene und nicht mehr hinnehmbare Schikane darstellt, die man als Mobbing bezeichnen kann, ist je nach Einzelfall zu bestimmen. Es gibt keine festgelegte Definition für den Begriff des Mobbings, sondern nur typisierte Verhaltensweisen mit einer erkennbaren, systematisch verfolgten Täter-Opfer-Struktur, die im Allgemeinen als Mobbing bezeichnet werden können.211 Im Bereich des AGG sind Erscheinungsformen des Mobbing nunmehr als Belästigungen im Sinne des § 3 Abs. 3 AGG erfasst.212 Häufig findet Mobbing durch den Arbeitgeber oder Vorgesetzten auf eine Weise statt, die den persönlichen Geltungsanspruch des Betroffenen herabsetzen soll. Bei höher qualifizierten Arbeitnehmern oder leitenden Angestellten kann sich dies beispielsweise in der Zuweisung von Aufgaben mit niedrigerem Anforderungsprofil, dem Entzug von Führungskompetenzen sowie der Untergrabung von Autorität durch Entzug entsprechender Statussymbole äußern.213 Bei Arbeitnehmern, die einfache Tätigkeiten verrichten, kann sich etwa die dauerhafte oder wiederholte Zuweisung von unangenehmen Aufgaben oder die systematische Einteilung schlechterer Dienste als Mobbing darstellen, wenn es sich um fortgesetzte, d. h. aufeinander aufbauende oder ineinander greifende Schikanen handelt, die zusammen betrachtet das Persönlichkeitsrecht oder die Gesundheit des Arbeitnehmers verletzen.214 209 Eingehend hierzu Rieble/Klumpp, ZIP 2002, 369 ff. sowie ErfK/Preis, § 611 BGB Rn. 623 m. w. N. 210 Mobbing kann ferner in Ausnahmefällen in Form von „Aufwärtsmobbing“ gegenüber dem Vorgesetzten geschehen, was hier aber keine Rolle spielt. 211 Rieble/Klumpp, ZIP 2002, 369, 370 f. 212 ErfK/Preis, § 611 BGB Rn. 623. 213 Vgl. das Beispiel, dass ein ehemaliger Bankdirektor in die Schalterhalle versetzt wird, Rieble/Klumpp, ZIP 2002, 369, 372. 214 ErfK/Preis, § 611 BGB Rn. 623. Auch ungerechtfertigte Abmahnungen können ein Mittel der Schikane darstellen. Als Form des Mobbings von Leiharbeitneh-
E. Schutz vor Mobbing im Entleiherbetrieb135
Liegt eine unangemessene Behandlung in der rechtserheblichen Form des Mobbings vor, ist stets nach der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des betroffenen Arbeitnehmers zu fragen. Beim allgemeinen Persönlichkeitsrecht handelt es sich um ein sogenanntes Rahmenrecht, das aus Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 2 Abs. 1 GG abgeleitet wird und als ein sonstiges Recht im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB geschützt wird.215 Dies bedeutet, dass für jeden Einzelfall die Rechtswidrigkeit einer Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts positiv festgestellt werden muss, da eine Beeinträchtigung per se noch keine Rechtswidrigkeit indiziert.216 Im Rahmen der Abwägung zwischen den Rechtspositionen der Beteiligten kommt es darauf an, ob unter Berücksichtigung der Intensität der Beeinträchtigung objektiv eine den Achtungsanspruch des Betroffenen herabsetzende Handlung vorliegt, und subjektiv ein schützenswertes Interesse des Handelnden an der in Frage stehenden Handlung besteht.217 1. Ansprüche gegen den Handelnden Der betroffene Arbeitnehmer kann gegenüber dem Handelnden zivilrechtliche Ansprüche geltend machen, unabhängig davon, ob es sich dabei um den Arbeitgeber (als natürliche Person oder als Organ im Sinne des § 31 BGB), einen Vorgesetzten oder Kollegen handelt. Schadensersatzansprüche nach § 823 Abs. 1 BGB kommen in Betracht, sofern ein Verschulden des Handelnden vorliegt. Im Wege des Schadensersatzes können Ansprüche auf Unterlassung der jeweiligen Handlung bzw. auf Widerruf einer falschen Tatsachenbehauptung geltend gemacht werden.218 Vermögensschäden wegen Verdienstausfall sind dagegen nicht nach § 823 Abs. 1 BGB ersatzfähig, da § 823 Abs. 1 BGB nicht das Vermögen schützt.219 Ein Verdienstausfall könnte nur im Wege vertraglicher Schadensersatzansprüche gegenüber dem Arbeitgeber geltend gemacht werden, sofern dieser für die schädigende Handlung einzustehen hat. Daneben kann der Geschädigte gegebenenfalls Entschädigung in Geld wegen immaterieller Schäden geltend machen.220 Dieser Anspruch ergibt mern durch den Entleiher kommt dies jedoch nicht in Betracht, da die Befugnis zur Abmahnung dem Verleiher und nicht dem Entleiher zusteht. 215 Palandt/Sprau, § 823 Rn. 84 f. 216 Palandt/Sprau, § 823 Rn. 95. 217 Rieble/Klumpp, ZIP 2002, 369, 372; zur genauen Abgrenzung S. 373. 218 Palandt/Sprau, Einf. v. § 823 Rn. 24 ff. und Rn. 28 ff. 219 Palandt/Sprau, § 823 Rn. 11. 220 Rieble/Klumpp, ZIP 2002, 369, 377 ff. zur Bestimmung der Höhe der Entschädigung.
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3. Teil: Schutz bei der legalen Arbeitnehmerüberlassung
sich unmittelbar aus § 823 Abs. 1 BGB i. V. m. Art. 1 und Art. 2 GG.221 Entschädigungsansprüche in Geld können jedoch nicht gewährt werden, wenn die Beeinträchtigung bereits auf andere Weise ausreichend beseitigt wurde, z. B. durch Widerruf.222 2. Zusätzliche Ansprüche gegen den Arbeitgeber Unabhängig davon, ob Mobbing durch den Arbeitgeber selbst oder durch Vorgesetzte bzw. Arbeitskollegen erfolgt, haftet der Arbeitgeber dem betroffenen Arbeitnehmer aus dem Arbeitsverhältnis. Der Arbeitgeber hat gegenüber dem Arbeitnehmer eine Schutzpflicht in Form der Fürsorgepflicht wahrzunehmen, die den Schutz des Arbeitnehmers vor Mobbing umfasst.223 Daraus folgt, dass der Arbeitgeber geeignete Maßnahmen ergreifen muss, um Mobbing zu verhindern oder die Rechtsfolgen des Mobbings zu beseitigen. Zu den gegebenenfalls notwendigen Maßnahmen gehören die Abmahnung des Mobbenden, die Umsetzung oder Versetzung des Mobbenden oder des Betroffenen, sonstige organisatorische Maßnahmen im Rahmen der Weisungsbefugnis zur Verringerung des Konfliktpotentials sowie als ultima ratio die Kündigung der mobbenden Person.224 Stellt die Handlung gleichzeitig eine Belästigung im Sinne des § 3 Abs. 3 AGG dar, so ist der Arbeitgeber gemäß § 12 AGG verpflichtet, Schutzmaßnahmen zu ergreifen, die auch vorbeugende Maßnahmen umfassen. Geschieht Mobbing durch einen Vorgesetzten, so kann dessen Verschulden dem Arbeitgeber nach § 278 BGB zugerechnet werden, sofern der Arbeitgeber sich bei der Erfüllung seiner Fürsorgepflicht des Vorgesetzten als Erfüllungsgehilfen bedient.225 Dagegen kann das Verschulden von mobbenden Arbeitskollegen dem Arbeitgeber in der Regel nicht nach § 278 BGB zugerechnet werden, da diese keine Erfüllungsgehilfen des Arbeitgebers sind, was die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers gegenüber dem betroffenen Arbeitnehmer angeht. Für Mobbing durch Arbeitskollegen haftet der Arbeitgeber nur über § 831 BGB.226 Nicht selten wird sich der Arbeitgeber dann jedoch nach § 831 Abs. 1 Satz 2 BGB exkulpieren können. 221 BGH v. 5.10.2004 – VI ZR 255/03 (KG), NJW 2005, 215, II 1 der Gründe m. w. N. Die Anspruchsgrundlage ist daher nicht § 253 Abs. 2 BGB, vgl. Palandt/ Grüneberg, § 253 Rn. 10 mit Verweis auf BT-Drs. 14/7752, S. 25. 222 BGH v. 17.3.1970 – VI ZR 151/68, NJW 1970, 1077 m. w. N. 223 Rieble/Klumpp, ZIP 2002, 369, 378 mit Verweis auf BAG v. 9.2.1977 – 5 AZR 2/76, AP Nr. 83 zu § 611 BGB Fürsorgepflicht. 224 Rieble/Klumpp, ZIP 2002, 369, 379. 225 Vgl. Rieble/Klumpp, ZIP 2002, 369, 379 f. sowie zur Voraussetzung, dass die schädigende Handlung in einem gewissen beruflichen Zusammenhang stehen muss. 226 Rieble/Klumpp, ZIP 2002, 369, 377.
E. Schutz vor Mobbing im Entleiherbetrieb137
Diese aus der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers folgenden Handlungspflichten bestehen zusätzlich neben der oben beschriebenen Haftung des Handelnden wegen der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und gehen darüber hinaus. Sofern keine Belästigung im Sinne des § 3 Abs. 3 AGG vorliegt, können Pflichten des Arbeitgebers, bestimmte Maßnahmen gegenüber dem Handelnden zu treffen, nur aus dem Arbeitsvertrag folgen: Ein Unterlassungsanspruch des geschädigten Arbeitnehmers führt ins Leere, wenn der Arbeitgeber nicht selbst gehandelt hat, während über § 831 BGB nur eine Haftung des Arbeitgebers begründet wird, aber keine unmittelbare Pflicht zum Einschreiten.
II. Ansprüche des Leiharbeitnehmers bei Mobbing im Entleiherbetrieb Mobbing von Leiharbeitnehmern kann im Entleiherbetrieb durch den Entleiher selbst, durch Stammarbeitnehmer oder durch andere im Entleiherbetrieb eingesetzte Leiharbeitnehmer erfolgen. Gegenüber dem Handelnden kann der gemobbte Leiharbeitnehmer die oben beschriebenen Ansprüche auf Unterlassung bzw. Schadensersatz geltend machen. Für diese Ansprüche ist das Fehlen eines Arbeitsverhältnisses zwischen dem Leiharbeitnehmer und dem Entleiher unerheblich. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist ein Rechtsgut, das absolut und nicht (nur) relativ geschützt ist. Schadensersatzansprüche nach § 823 Abs. 1 BGB wegen Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts bestehen ebenfalls unabhängig von einer vertraglichen Beziehung zwischen dem Handelnden und dem Geschädigten. Der Leiharbeitnehmer, der im Entleiherbetrieb gemobbt wird, hat gegenüber dem Handelnden dieselben deliktischen Ansprüche wie ein Arbeitnehmer im Zweipersonen-Arbeitsverhältnis, der an seinem Arbeitsplatz gemobbt wird. Daneben hat der gemobbte Leiharbeitnehmer gegenüber dem Entleiher einen Anspruch auf die Ergreifung von Gegenmaßnahmen. Wie bereits erläutert, folgt aus der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers die Pflicht, mit geeigneten Maßnahmen gegen Mobbing und dessen Folgen vorzugehen. Im Verhältnis zwischen dem Leiharbeitnehmer und dem Entleiher kann eine solche Pflicht zwar nicht aus einem Arbeitsverhältnis folgen. Doch auch bei der Arbeitnehmerüberlassung treffen den Entleiher gegenüber dem Leiharbeitnehmer arbeitgebertypische Schutzpflichten, wozu auch die Fürsorgepflicht gehört.227 Gegenüber den handelnden Personen muss er deshalb 227 Dies folgt aus dem Beschäftigungsverhältnis zwischen Leiharbeitnehmer und Entleiher, bei dem es sich um ein Vollzugsverhältnis (in der Terminologie des echten
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3. Teil: Schutz bei der legalen Arbeitnehmerüberlassung
Maßnahmen ergreifen, soweit er ihnen gegenüber weisungsbefugt ist. Der Entleiher muss mit tätigkeitsbezogenen Maßnahmen auch gegen mobbende Leiharbeitnehmer vorgehen, während die Mittel der Abmahnung oder Kündigung dem Verleiher des mobbenden Leiharbeitnehmers vorbehalten bleiben. Liegt eine Belästigung im Sinne des § 3 Abs. 3 AGG vor, so ist der Entleiher ebenfalls zu Schutzmaßnahmen nach § 12 AGG verpflichtet, da er gemäß § 6 Abs. 2 Satz 2 AGG als Arbeitnehmer des Leiharbeitnehmers gilt. Erfolgt Mobbing durch Vorgesetzte des Leiharbeitnehmers, ist deren Verschulden nach den oben genannten Grundsätzen gemäß § 278 BGB dem Entleiher zuzurechnen. Die Anwendung des § 278 BGB erfordert ein bestehendes Schuldverhältnis in Form einer rechtlichen Sonderverbindung, aus der sich die jeweilige Verbindlichkeit ergibt.228 Diese Sonderverbindung besteht zwar nicht in Form eines Arbeitsverhältnisses zwischen dem Entleiher und dem Leiharbeitnehmer, jedoch ist das Beschäftigungsverhältnis als Vollzugsverhältnis (im der Terminologie des echten Vertrags zugunsten Dritter) ausreichend, um eine Sonderverbindung im Sinne des § 278 BGB darzustellen.229
III. Ergebnis Ein Leiharbeitnehmer, der an seinem Arbeitsplatz im Entleiherbetrieb gemobbt wird, hat gegen den Handelnden Schadensersatzansprüche nach § 832 Abs. 1 BGB i. V. m. Art. 1 und Art. 2 GG wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Diese Schadensersatzansprüche können auf Beseitigung bzw. Unterlassung der schädigenden Handlung gerichtet sein sowie auf Ersatz von materiellen und immateriellen Schäden. Erfolgt Mobbing im Entleiherbetrieb durch andere Personen als den Entleiher, ist der Entleiher aufgrund seiner Schutzpflicht gegenüber dem Leiharbeitnehmer verpflichtet, geeignete Gegenmaßnahmen zu ergreifen, soweit er gegenüber den betreffenden Personen weisungsbefugt ist. Stellt die Handlung gleichzeitig eine Belästigung im Sinne des § 3 Abs. 3 AGG dar, so ist der Entleiher gemäß § 12 AGG verpflichtet, entsprechende Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Im Ergebnis sind Leiharbeitnehmer, die an ihrem Arbeitsplatz im Entleiherbetrieb gemobbt werden, in derselben Weise geschützt wie Arbeitnehmer, Vertrags zugunsten Dritter) mit Schutzpflichten nach § 241 Abs. 2 BGB handelt, vgl. oben, Abschnitt 2. C. I. 3. b) cc). 228 Palandt/Grüneberg, § 278 Rn. 2. 229 Als Sonderverbindung reicht auch etwa ein vorvertragliches Vertrauensverhältnis, vgl. Palandt/Grüneberg, § 278 Rn. 2. Es handelt sich auch nicht um einen Fall, in dem die Sonderverbindung erst durch die deliktische Handlung begründet wird, mit der Folge, dass nur § 831 BGB Anwendung fände.
F. Erfindungen des Leiharbeitnehmers139
die in einem regulären Zwei-Personen-Arbeitsverhältnis stehen und an ihrem Arbeitsplatz Mobbing ausgesetzt sind.
F. Erfindungen des Leiharbeitnehmers Aufgrund der im Durchschnitt kurzen Überlassungsdauer von wenigen Monaten230 kommt es eher selten zu Arbeitnehmererfindungen durch Leiharbeitnehmer während des Einsatzes beim Entleiher.231 Eine praktische Relevanz für Erfindungen durch Leiharbeitnehmer ist wohl nur für wenige Bereiche der Arbeitnehmerüberlassung zu vermuten – denkbar ist dies beispielsweise in Fällen, wo hochqualifizierte Spezialkräfte für eine längere Einsatzdauer beim jeweiligen Entleiher als Leiharbeitnehmer tätig werden. Tätigt ein Leiharbeitnehmer im Rahmen seines Einsatzes beim Entleiher eine Erfindung, ist fraglich, ob die Regelungen des Gesetzes über Arbeitnehmererfindungen (ArbnErfG) im Leiharbeitsverhältnis, im Beschäftigungsverhältnis oder in beiden Verhältnissen anwendbar sind. Dies richtet sich danach, wie Arbeitnehmererfindungen nach dem ArbnErfG grundsätzlich behandelt werden, und ob die dahinter stehende Ratio auch auf Erfindungen durch Leiharbeitnehmer zutrifft.
I. Behandlung von Erfindungen nach dem ArbnErfG Tätigt ein Arbeitnehmer (patent- oder gebrauchsmusterfähige) Erfindungen, so besteht ein grundsätzlicher Konflikt zwischen dem Recht des Erfinders an seiner Erfindung und dem Recht des Arbeitgebers an Arbeitsergebnissen, die in abhängiger Arbeit für ihn entstanden sind.232 Diese gegensätzlichen Interessen führt das ArbnErfG zusammen, indem es die Verwendungs- und Verwertungsrechte an der Arbeitnehmererfindung regelt.233 Das ArbnErfG unterscheidet zwischen gebundenen Erfindungen (sogenannte Diensterfindungen) und freien Erfindungen. Um eine Diensterfindung handelt es sich gemäß § 4 Abs. 2 ArbnErfG, wenn ein Arbeitnehmer während der Dauer des Arbeitsverhältnisses eine Erfindung tätigt, die im Rahmen der 230 Fast die Hälfte der Überlassungen erfolgt für eine kurze Dauer von bis zu drei Monaten, vgl. Zwölfter Bericht der Bundesregierung über Erfahrungen bei der Anwendung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes v. 26.2.2014, BT-Drs. 18/673, S. 29 und Tabelle 10. 231 Urban-Crell/Schulz, Arbeitnehmerüberlassung und Arbeitsvermittlung, Rn. 491. 232 MünchAnwHB-ArbR/Gennen, § 16 Rn. 12. 233 Löwisch/Caspers/Klumpp, ArbR, Rn. 480.
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3. Teil: Schutz bei der legalen Arbeitnehmerüberlassung
ihm obliegenden Tätigkeit entstanden ist oder maßgeblich auf Erfahrungen oder Arbeiten des Betriebs beruht. Eine Diensterfindung muss der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber gemäß § 5 ArbnErfG melden. Dieser kann sie nach den Vorgaben des § 6 ArbnErfG in Anspruch nehmen, mit der Folge, dass nach § 7 Abs. 1 ArbnErfG sämtliche Rechte auf ihn übergehen. In diesem Fall hat der Arbeitgeber eine angemessene Vergütung an den Arbeitnehmer zu entrichten, deren Höhe sich nach § 9 Abs. 2 ArbnErfG bestimmt. Falls eine Erfindung nicht in Zusammenhang mit der Tätigkeit des Arbeitnehmers steht, handelt es sich nach § 4 Abs. 3 ArbnErfG um eine freie Erfindung. Die Regelungen zur Meldung und Inanspruchnahme von Diensterfindungen nach den §§ 5 ff. ArbnErfG gelten nicht für freie Erfindungen. Fällt eine Erfindung, die keine Diensterfindung ist, in den Tätigkeitsbereich des Arbeitnehmers, muss er diese dem Arbeitgeber nach § 18 ArbnErfG mitteilen, um ihm die Prüfung zu ermöglichen, ob es sich um eine freie Erfindung handelt.234 Vor der anderweitigen Verwertung hat der Arbeitnehmer die Pflicht, die freie Erfindung dem Arbeitgeber nach § 19 ArbnErfG anzubieten.
II. Stellung des Entleihers als Arbeitgeber im Sinne des ArbnErfG nach § 11 Abs. 7 AÜG Tätigt ein Leiharbeitnehmer während seines Einsatzes beim Entleiher eine Erfindung, so besteht eine Vermutung dafür, dass durch die Tätigkeit gewonnene Erkenntnisse oder Betriebsmittel des Entleihers dazu verwendet wurden, um die Erfindung voranzutreiben.235 Vor diesem Hintergrund ist die Regelung des § 11 Abs. 7 AÜG zu verstehen, wonach der Entleiher als Arbeitgeber im Sinne des ArbnErfG gilt, sofern die Erfindung des Leiharbeitnehmers während der Dauer des Einsatzes beim Entleiher getätigt wurde. Die Interessenlage bezüglich der Nutzung und Verwendung der Erfindung des Leiharbeitnehmers unterscheidet sich insoweit nicht von der eines regulären Arbeitsverhältnisses.236 Aus Sicht des Leiharbeitnehmers hat die Regelung des § 11 Abs. 7 AÜG eine Klarstellungsfunktion.237 Durch die fingierte Arbeitgeberstellung des Entleihers unterliegen Leiharbeitnehmererfindungen im Verhältnis zum Entleiher denselben Bestimmungen wie Arbeitnehmererfindungen im regulären 234 Nach Löwisch/Caspers/Klumpp, ArbR, Rn. 487 muss wohl eine freie Erfindung, die in keinem Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit steht, dem Arbeitgeber nicht gemeldet werden. 235 Boemke/Lembke, AÜG, § 11 Rn. 165. 236 Marquardt, Freie Erfindungen im Arbeitsverhältnis, S. 47. 237 Vgl. zur Klarstellungsfunktion Boemke/Lembke, AÜG, § 11 Rn. 166.
F. Erfindungen des Leiharbeitnehmers141
Zweipersonen-Arbeitsverhältnis. Bei der Anwendung der Vorschrift ergeben sich Einzelfragen zur Reichweite des § 11 Abs. 7 AÜG sowie zur Geltung des ArbnErfG im Verhältnis zwischen dem Leiharbeitnehmer und dem Verleiher, der aufgrund des Leiharbeitsvertrags (ebenfalls) Arbeitgeber im Sinne des ArbnErfG ist. 1. Anwendbarkeit des § 11 Abs. 7 AÜG auf freie Erfindungen Nach dem Wortlaut des § 11 Abs. 7 AÜG gilt die Arbeitgeberstellung des Entleihers nur für solche Leiharbeitnehmererfindungen, die während der Dauer der Tätigkeit beim Entleiher getätigt worden sind. Fraglich ist, ob freie Erfindungen im Sinne des § 4 Abs. 3 ArbnErfG, die der Leiharbeitnehmer während der Einsatzdauer tätigt, aber in keinem Zusammenhang zur Tätigkeit beim Entleiher stehen, ebenfalls von § 11 Abs. 7 AÜG erfasst werden. Nach einer teilweise vertretenen Auffassung gilt der Entleiher bei freien Erfindungen des Leiharbeitnehmers nicht als Arbeitgeber im Sinne des ArbnErfG.238 Dies wird damit begründet, dass nach dem Normzweck des § 11 Abs. 7 AÜG nur solche Erfindungen erfasst sein sollen, die in einem Zusammenhang zur Tätigkeit im Entleiherbetrieb stehen.239 Fällt die freie Erfindung nur zufällig in den Zeitraum der Überlassung, sei die Vorschrift insoweit teleologisch zu reduzieren.240 Die Konsequenz wäre, dass es bei freien Erfindungen des Leiharbeitnehmers bei der ausschließlichen Arbeitgeberstellung des Verleihers bleibt. Diese Ansicht verkennt jedoch, dass bei freien Erfindungen ohnehin jeglicher Zusammenhang zur Tätigkeit im jeweiligen Betrieb fehlt. Mit diesem Argument kann also keine teleologische Reduzierung des § 11 Abs. 7 AÜG erreicht werden. Die Vorschrift des § 11 Abs. 7 AÜG differenziert nicht zwischen Diensterfindungen und freien Erfindungen, sondern stellt den Entleiher hinsichtlich aller Bestimmungen des ArbnErfG einem Arbeitgeber gleich.241 Somit gilt die Arbeitgeberstellung des Entleihers auch für freie Erfindungen.242 Diese muss der Leiharbeitnehmer dem Entleiher nach § 18 ArbnErfG mitteilen sowie nach 19 ArbnErfG anbieten. 238 Hamann, Fremdpersonal im Unternehmen, S. 63; wohl auch Schüren/Schüren, AÜG, § 11 Rn. 146; Sandmann/Marschall/Schneider, AÜG, § 11 Anm. 34. 239 Schüren/Schüren, AÜG, § 11 Rn. 146; ErfK/Wank, § 11 AÜG Rn. 22; Sandmann/Marschall/Schneider, AÜG, § 11 Anm. 34. 240 ErfK/Wank, § 11 AÜG Rn. 22; Urban-Crell/Schulz, Arbeitnehmerüberlassung und Arbeitsvermittlung, Rn. 491. 241 Ulber, AÜG, § 11 Rn. 153. 242 Boemke/Lembke, AÜG, § 11 Rn. 170; Marquardt, Freie Erfindungen im Arbeitsverhältnis, S. 48; Ulber, AÜG, § 11 Rn. 153.
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3. Teil: Schutz bei der legalen Arbeitnehmerüberlassung
2. Arbeitgeberstellung des Verleihers Der Verleiher ist aufgrund des Leiharbeitsvertrags Arbeitgeber des Leiharbeitnehmers und bleibt es auch während der Überlassung an den Entleiher. Nach einer teilweise vertretenen Auffassung gelten damit die Vorschriften des ArbnErfG grundsätzlich auch im Verhältnis zwischen dem Leiharbeitnehmer und dem Verleiher.243 Aufgrund des § 11 Abs. 7 AÜG, wonach der Entleiher während der Überlassungsdauer als Arbeitgeber im Sinne des ArbnErfG gilt, käme es jedoch zu Überschneidungen der Arbeitgeberstellungen: Tätigt der Leiharbeitnehmer eine Erfindung, die im Verhältnis zum Entleiher eine Diensterfindung darstellt, so läge stets auch eine freie Erfindung im Verhältnis zum Verleiher vor.244 Weiterhin ist die Konstellation denkbar, dass eine Leiharbeitnehmererfindung sowohl im Verhältnis zum Verleiher als auch im Verhältnis zum Entleiher eine freie Erfindung darstellt.245 Seltener dürfte der Fall sein, dass eine Erfindung sowohl im Verhältnis zum Verleiher als auch im Verhältnis zum Entleiher eine Diensterfindung darstellt − denkbar ist dies nur, wenn der Leiharbeitnehmer aus einem Mischbetrieb heraus verliehen wird, wo er regulär seiner Tätigkeit nachgeht.246 Offen wäre in allen Fällen, wem gegenüber die entsprechenden Meldepflichten zu erfüllen sind und wie die konkurrierenden Ansprüche zwischen dem Verleiher und dem Entleiher im Fall der Inanspruchnahme auszugleichen wären. Die obigen Konstellationen zeigen, dass es bei einer doppelten Arbeitgeberstellung des Verleihers und des Entleihers zu Konkurrenzen kommt, die Probleme bei der Anwendung des ArbnErfG verursachen. Die Lösung für sämtliche Abgrenzungsschwierigkeiten besteht darin, dass im Geltungsbereich des § 11 Abs. 7 AÜG ausschließlich der Entleiher als Arbeitgeber im Sinne des ArbnErfG gilt, und zwar hinsichtlich aller Erfindungen des Leiharbeitnehmers.247 Die Arbeitgeberstellung des Verleihers im Sinne des 243 Boemke/Lembke, AÜG, § 11 Rn. 171; a. A. Marquardt, Freie Erfindungen im Arbeitsverhältnis, S. 47; Schüren/Schüren, AÜG, § 11 Rn. 142; MünchAnwHBArbR/Gennen, § 16 Rn. 15. 244 Nach Boemke/Lembke, AÜG, § 11 Rn. 172 soll der Leiharbeitnehmer nur verpflichtet sein, dem Verleiher die freie Erfindung nach § 19 ArbnErfG anzubieten, wenn der Entleiher die Erfindung nicht nach § 6 ArbnErfG in Anspruch nimmt. 245 Nach Boemke/Lembke, AÜG, § 11 Rn. 172 soll in diesem Fall die Mitteilungspflicht nach § 18 ArbnErfG sowohl gegenüber dem Verleiher als auch gegenüber dem Entleiher bestehen und im Fall der Inanspruchnahme durch beide eine Bruchteilsgemeinschaft entstehen. 246 Hamann, Fremdpersonal im Unternehmen, S. 33. 247 So eben die überwiegende Ansicht, vgl. Bartenbach/Volz, Arbeitnehmererfindungen, S. 43 f., § 1 Rn. 59; Marquardt, Freie Erfindungen im Arbeitsverhältnis,
G. Zusammenfassung 143
ArbnErfG beschränkt sich dann von vornherein nur auf die Zeiträume, für die der Entleiher nicht nach § 11 Abs. 7 AÜG als Arbeitgeber gilt.248 Eine solche Auslegung des § 11 Abs. 7 AÜG bzw. des ArbnErfG entspricht der Wertung des § 11 Abs. 7 AÜG, wonach gerade nicht die formelle Stellung als Arbeitgeber maßgeblich ist, sondern der inhaltliche, zeitliche und räumliche Zusammenhang zwischen der Tätigkeit und dem Betrieb desjenigen, dem insoweit eine Arbeitgeberstellung zukommt.249 Auch aus Gründen des Leiharbeitnehmerschutzes ist diese Auslegung vorzuziehen, da dadurch dem Leiharbeitnehmer, der eine Erfindung tätigt, die Auseinandersetzung mit zwei Arbeitgebern erspart wird.
III. Ergebnis Bei Erfindungen des Leiharbeitnehmers während der Dauer der Überlassung gilt der Entleiher gemäß § 11 Abs. 7 AÜG als Arbeitgeber im Sinne des ArbnErfG. Insoweit ist nach der hier vertretenen Auffassung die Stellung des Verleihers als Arbeitgeber im Sinne des ArbnErfG ausgeschlossen. Im Anwendungsbereich des § 11 Abs. 7 AÜG hat der Leiharbeitnehmer Diensterfindungen dem Entleiher nach § 5 ArbnErfG zu melden, wobei sich die Inanspruchnahme und die Vergütung nach den §§ 6 ArbnErfG ff. richten. Nach der hier vertretenen Auffassung erfasst § 11 Abs. 7 AÜG auch freie Erfindungen des Leiharbeitnehmers, die er dem Entleiher nach § 18 ArbnErfG mitzuteilen und nach § 19 ArbnErfG anzubieten hat.
G. Zusammenfassung Im ersten Teil der Untersuchung ging es um die Schutzbedürftigkeit des Leiharbeitnehmers vor dem Entleiher bei der erlaubten Arbeitnehmerüberlassung. Bei der erlaubten Arbeitnehmerüberlassung besteht im Beschäftigungsverhältnis zwischen dem Entleiher und dem Leiharbeitnehmer kein Arbeitsvertrag. Das Beschäftigungsverhältnis ist von gegenseitigen Schutzpflichten im Sinne des § 241 Abs. 2 BGB gekennzeichnet. Nach der hier vertretenen Auffassung handelt es sich beim Leiharbeitsvertrag um einen echten Vertrag zugunsten Dritter im Sinne des § 328 BGB. Daraus kann der Entleiher als S. 47; Schüren/Schüren, AÜG, § 11 Rn. 142; MünchAnwHB-ArbR/Gennen, § 16 Rn. 15. 248 So auch Marquardt, Freie Erfindungen im Arbeitsverhältnis, S. 47. 249 Bartenbach/Volz, Arbeitnehmererfindungen, S. 44; ArbR/Kock/Milenk, § 11 AÜG Rn. 27; ErfK/Wank, § 11 AÜG Rn. 22.
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3. Teil: Schutz bei der legalen Arbeitnehmerüberlassung
begünstigter Dritter einen eigenständigen und unmittelbaren Anspruch auf die Arbeitsleistung des Leiharbeitnehmers ableiten. Mit diesem rechtsdogmatischen Verständnis sind die einzelnen arbeitsrechtlichen Fragestellungen, die sich im Beschäftigungsverhältnis durch die tatsächliche Eingliederung des Leiharbeitnehmers in den Entleiherbetrieb ergeben können, dogmatisch sauber und in der Sache zufriedenstellend zu lösen. Hieraus folgt im Einzelnen: Leistungsstörungen des Leiharbeitnehmers können unmittelbar im Beschäftigungsverhältnis abgewickelt werden. Der Entleiher kann den Leih arbeitnehmer sowohl wegen Nichtleistung als auch wegen Schlechtleistung auf Schadensersatz statt und neben der Leistung in Anspruch nehmen. Im Rahmen der Schadensersatzansprüche des Entleihers gegen den Leiharbeitnehmer ist der von der Rechtsprechung entwickelte Grundsatz der arbeitsrecht lichen Haftungsprivilegierung nach dem Prinzip des innerbetrieblichen Schadensausgleichs zugunsten des Leiharbeitnehmers entsprechend anwendbar. Entstehen dem Leiharbeitnehmer durch die Tätigkeit beim Entleiher Schäden an seinen Rechtsgütern, hat der Entleiher dem Leiharbeitnehmer dafür einzustehen: Für Personenschäden haftet er nach Maßgabe des § 104 SGB VII, Sachschäden hat er dem Leiharbeitnehmer nach dem Rechtsgedanken des § 670 BGB zu ersetzen. Der Entleiher kann gegenüber dem Leiharbeitnehmer mit der Annahme der Arbeitsleistung in Verzug geraten. Dazu ist ein Angebot des Leiharbeitnehmer gegenüber dem Entleiher nach den §§ 294 ff. BGB notwendig. Bei einem Annahmeverzug des Entleihers gegenüber dem Leiharbeitnehmer behält der Leiharbeitnehmer seinen Anspruch auf Vergütung gegenüber dem Verleiher entsprechend dem Rechtsgedanken des § 615 BGB. Der Entleiher bleibt dem Verleiher gemäß § 326 Abs. 2 Satz 1 BGB weiterhin zur Zahlung des Überlassungsentgelts verpflichtet. Der Entleiher hat gegenüber dem Leiharbeitnehmer die Diskriminierungsverbote des AGG zu beachten, da er nach § 6 Abs. 2 Satz 2 AGG als Arbeitgeber des Leiharbeitnehmers im Sinne des AGG gilt. Darüber hinaus ist der Entleiher bei der Behandlung von vergleichbaren Leiharbeitnehmern und Stammarbeitnehmern an den allgemeinen arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz gebunden. Vergleichbar sind Leiharbeitnehmer und Stammarbeitnehmer, sofern sie dem Entleiher vereinbarungsgemäß eine vergleichbare Tätigkeit schulden und tatsächlich auch eine vergleichbare Tätigkeit im Entleiherbetrieb ausüben. Bei Mobbing im Entleiherbetrieb hat der betroffene Leiharbeitnehmer gegen den Handelnden Schadensersatzansprüche nach § 832 Abs. 1 BGB
G. Zusammenfassung 145
i. V. m. Art. 1 und Art. 2 GG wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Diese Schadensersatzansprüche können auf Beseitigung bzw. Unterlassung der schädigenden Handlung gerichtet sein sowie auf Ersatz von materiellen und immateriellen Schäden. Daneben ist der Entleiher aufgrund seiner arbeitgeberähnlichen Schutzpflicht gegenüber dem Leiharbeitnehmer verpflichtet, geeignete Gegenmaßnahmen zu ergreifen, soweit er gegenüber den handelnden Personen weisungsbefugt ist. Stellt die Handlung gleichzeitig eine Belästigung im Sinne des § 3 Abs. 3 AGG dar, so ist der Entleiher gemäß § 12 AGG verpflichtet, entsprechende Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Bei Erfindungen des Leiharbeitnehmers während der Dauer der Überlassung gilt der Entleiher gemäß § 11 Abs. 7 AÜG als Arbeitgeber im Sinne des ArbnErfG. Der Anwendungsbereich des § 11 Abs. 7 AÜG erfasst sowohl Diensterfindungen als auch freie Erfindungen. Es besteht für die Dauer der Überlassung keine doppelte Arbeitgeberstellung im Sinne des ArbnErfG, da der Verleiher nicht als Arbeitgeber im Sinne des ArbnErfG anzusehen ist, solange der Entleiher die Stellung eines Arbeitgeber hat. Die gefundenen Ergebnisse ergeben sich aus der Anwendung der hier vertretenen Auffassung, wonach der Entleiher als begünstigter Dritter einen eigenständigen und unmittelbaren Anspruch auf die Arbeitsleistung des Leiharbeitnehmers hat. Die Gegenpositionen, die einen solchen Leistungsanspruch des Entleihers verneinen, kommen meist nur mit einem erheblichen Begründungsaufwand zu denselben wirtschaftlichen Ergebnissen, wobei teilweise keine dogmatisch überzeugenden Begründungen dafür geliefert werden. Jedenfalls ergibt sich bei Zugrundelegung der hier vertretenen Auffassung, dass der Leiharbeitnehmer nach geltender Rechtslage trotz des Fehlens einer arbeitsvertraglichen Beziehung zum Entleiher bei der erlaubten Arbeitnehmerüberlassung denselben Schutz gegenüber dem Entleiher erfahren kann wie ein Arbeitnehmer gegenüber seinem Arbeitgeber im ZweipersonenArbeitsverhältnis. Insoweit besteht keine besondere Schutzbedürftigkeit des Leiharbeitnehmers gegenüber dem Entleiher bei der erlaubten Arbeitnehmer überlassung.
4. Teil
Schutz des Leiharbeitnehmers vor dem Entleiher bei der illegalen Arbeitnehmerüberlassung Im vorangegangenen Abschnitt ging es um den Schutz des Leiharbeitnehmers vor dem Entleiher bei der legalen Arbeitnehmerüberlassung. Im Rahmen dessen waren sämtliche Fragestellungen darauf zurückzuführen, dass zwischen dem Leiharbeitnehmer und dem Entleiher keine arbeitsvertragliche Beziehung besteht. Umgekehrt ist die Situation, wenn keine Erlaubnis zum Verleih von Leiharbeitnehmern vorliegt. Bei der unerlaubten Arbeitnehmerüberlassung sind das Leiharbeitsverhältnis sowie das Überlassungsverhältnis nach § 9 Nr. 1 AÜG unwirksam stattdessen entsteht ein gesetzlich fingiertes Arbeitsverhältnis nach § 10 Abs. 1 AÜG zwischen dem Leiharbeitnehmer und dem Entleiher. Dementsprechend ändert sich der Blickwinkel, aus dem die Schutzbedürftigkeit des Leiharbeitnehmers im Verhältnis zum Entleiher zu betrachten ist. Zunächst ist die Schutzbedürftigkeit des Leiharbeitnehmers im Hinblick auf das Entstehen des fingierten Arbeitsverhältnisses an sich zu untersuchen. Im Mittelpunkt geht es dabei um die Frage, ob der Leiharbeitnehmer das Entstehen des fingierten Arbeitsverhältnisses zum Entleiher verhindern oder sich vom fingierten Arbeitsverhältnis lösen kann. Diese Fragestellung stand bislang nicht im Fokus der Untersuchungen zu § 10 Abs. 1 AÜG, da das Entstehen des fingierten Arbeitsverhältnisses nach der Vorstellung des Gesetzgebers dem Schutz des Leiharbeitnehmers dient und dies im Regelfall auch tatsächlich dem Interesse des Leiharbeitnehmers entspricht. Welche Möglichkeiten dem Leiharbeitnehmer offen stehen, wenn die Fiktion im Einzelfall seinem Interesse widerspricht, ist noch weitgehend ungeklärt. Des Weiteren ist zu untersuchen, ob innerhalb des fingierten Arbeitsverhältnisses eine Schutzbedürftigkeit des illegal überlassenen Leiharbeitnehmers besteht. Im fingierten Arbeitsverhältnis hat der illegal überlassene Leiharbeitnehmer nicht die Stellung eines Leiharbeitnehmers, sondern die eines (regulären) Arbeitnehmers des Entleihers. Die Besonderheit des fingierten Arbeitsverhältnisses besteht darin, dass dessen Bedingungen nicht zwischen den Vertragsparteien vereinbart wurden, sondern weitgehend durch § 10 Abs. 1 AÜG inhaltlich vorgegeben sind. Diese Bestimmungen sind in erster Linie daraufhin zu untersuchen, ob sie den Interessen des illegal überlassenen Leiharbeitnehmers angemessen Rechnung tragen.
A. Schutz des Leiharbeitnehmers147
A. Schutz des Leiharbeitnehmersvor dem Entstehen eines fingierten Arbeitsverhältnisses gemäß § 10 Abs. 1 AÜG Bei der illegalen Arbeitnehmerüberlassung entsteht nach § 10 Abs. 1 AÜG ein fingiertes Arbeitsverhältnis als Ersatz für das nach § 9 Nr. 1 AÜG unwirksame Leiharbeitsverhältnis. Die Fiktion tritt unabhängig vom Willen der Parteien ein, so dass auch ein etwaiger entgegenstehender Wille des Leiharbeitnehmers grundsätzlich unerheblich ist. Ob und auf welche Weise der Leiharbeitnehmer gegebenenfalls vor dem Entstehen des fingierten Arbeitsverhältnisses geschützt werden muss, ist in erster Linie anhand der grundrechtlichen Relevanz der Fiktion zu beurteilen, wie im Folgenden zu zeigen sein wird. Grundsätzlich berührt jede gesetzliche Fiktion eines Vertragsverhältnisses die Freiheit beider Parteien, ihre Vertragsbeziehungen autonom zu gestalten.1 Betroffen sind aufgrund der Rechtsnatur eines Vertrags immer beide bzw. alle Parteien, auch wenn das Ausmaß der Betroffenheit je nach Inte ressenlage stark unterschiedlich empfunden werden mag, so dass die Beeinträchtigung im Einzelfall gar nicht als solche wahrgenommen werden muss.2 Dieses Beeinträchtigungspotential wohnt naturgemäß auch der Fiktion des § 10 Abs. 1 AÜG inne.3 Aufgrund der mit der Vorschrift bezweckten Sanktionswirkung gegenüber dem Entleiher ist es naheliegend, dass die Folgen des fingierten Arbeitsverhältnisses in der Regel vom Entleiher als negativ und vom Leiharbeitnehmer, der durch die Vorschrift gerade geschützt werden soll, als positiv empfunden werden. Ist dies der Fall, besteht auch keine Notwendigkeit, nach einer Möglichkeit des Leiharbeitnehmers zur Loslösung vom fingierten Arbeitsverhältnis zu fragen. Dies erklärt, weshalb die tiefergehende Untersuchung der grundrecht lichen Bedeutung des § 10 Abs. 1 AÜG aus Sicht des Leiharbeitnehmers bislang nicht im Mittelpunkt der Diskussionen zum Leiharbeitnehmerschutz stand.4 In der Gesetzesbegründung findet sich nur eine Stellungnahme zu den schutzwürdigen Belangen des Entleihers.5 Aus denselben Gründen hat1 Löwisch,
ZfA 1996, 293, 296. auch Kämmerer/Thüsing, Leiharbeit und Verfassungsrecht, S. 69: „Denn die Besonderheit der Privatautonomie liegt darin, dass – ob an Art. 12 Abs. 1 oder 2 Abs. 1 GG angeknüpft wird – auf beiden Seiten das gleiche Grundrecht steht“. 3 Schüren/Schüren, AÜG, § 10 Rn. 6: „Die Bestimmung greift mit Abs. 1 tief in die Privatautonomie der Beteiligten ein.“; ebenso Boemke/Lembke, § 10 Rn. 31. 4 Vgl. Darstellung bei Schüren/Schüren, AÜG, § 10 Rn. 41 sowie Rn. 112 (mit dem Verweis auf die Möglichkeit des ordentlichen Kündigungsrechts). 5 Gesetzesentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. VI/2303, S. 13 f. 2 Vgl.
148
4. Teil: Schutz bei der illegalen Arbeitnehmerüberlassung
te die Rechtsprechung bislang ebenfalls nur wenig Gelegenheit, zum Schutz des Leiharbeitnehmers vor dem Entstehen eines fingierten Arbeitsverhältnisses zu entscheiden. Es existieren bislang nur zwei Urteile, die den „gesetzlichen Übergang des Arbeitsverhältnisses“ nach § 10 Abs. 1 AÜG in seiner Rechtsfolge hinterfragen und ein Widerspruchsrecht des Leiharbeitnehmers für notwendig erachten.6 Ernsthafte verfassungsrechtliche Bedenken bezüglich der gesetzlich angeordneten Fiktion des Arbeitsverhältnisses aus Sicht des Leiharbeitnehmers sind auch im Laufe der Zeit im Schrifttum geäußert worden,7 teilweise bereits sehr früh.8 Zunehmend mehren sich im Schrifttum Stimmen, die ein Lösungsrecht oder zumindest ein außerordentliches Kündigungsrecht des Leiharbeitnehmers für verfassungsrechtlich geboten erachten.9 Der aktuelle Referentenentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 17.02.2016 zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und anderer Gesetze greift zum ersten Mal die verfassungsrechtliche Dimension des nach § 10 Abs. 1 AÜG fingierten Arbeitsverhältnisses auf und sieht – ohne weitere Begründung – im Hinblick auf die Berufsfreiheit nach Art. 12 GG ein Widerspruchsrecht des illegal überlassenen Leiharbeitnehmers vor. 6 HessLAG v. 6.3.2001 – 2/9 Sa 1246/00, DB 2001, 2104; ArbG Köln v. 7.3.1996 – 17 Ca 6257/95, DB 1996, 1342 f.; zustimmend Wrede, DB 1996, 1343 f. und ebenso Liebscher, BB 1996, 801, 802. Ablehnend LAG Düsseldorf v. 26.7.2012 – 15 Sa 1452/11, BeckRS 2012, 71608, II 1 c der Gründe; ArbG Krefeld v. 15.5.2012 – 1 Ca 2551/11, BeckRS 2012, 71528. Offen gelassen in BAG v. 3.12.1997 – 7 AZR 764/96, AP Nr. 24 zu § 1 AÜG, III der Gründe. Nicht richtig ist, dass das BAG bereits ausdrücklich gegen ein Widerspruchsrecht des Leiharbeitnehmers entschieden hat (so aber die Darstellung bei MünchAnwHB-ArbR/Reiserer/Christ, § 66, Rn. 119) − im Urteil des BAG v. 18.2.2003 – 3 AZR 160/02, AP Nr. 5 zu § 13 AÜG ging es nicht um ein einseitiges Lösungsrecht des Leiharbeitnehmers in diesem Sinne, sondern um die generelle Abdingbarkeit der Rechtsfolgen des § 10 Abs. 1 AÜG durch einvernehmliche Parteivereinbarung, vgl. B II 1 der Gründe. 7 Becker/Kreikebaum, Zeitarbeit, S. 135; Boemke/Lembke, AÜG, § 10 Rn. 33 ff.; Hirdina, NZA 2011, 325, 330; Ulber, AÜG, § 10 Rn. 5. 8 Vgl. die Kommentierung von Schubel/Engelbrecht, Kommentar, AÜG, Art. 1 § 10 Rn. 2 aus dem Jahr 1973: „Die Vorschrift begegnet verfassungsrechtlichen Bedenken, weil sie den Grundsatz der Vertragsfreiheit mißachtet […].“ 9 BeckOK ArbR/Motz, § 10 AÜG Rn. 2; Urban-Crell/Schulz, Arbeitnehmerüberlassung und Arbeitsvermittlung, Rn. 790; Boemke/Lembke, AÜG, § 10 Rn. 37 ff.; Becker/Kreikebaum, Zeitarbeit, S. 135; Becker/Wulfgramm, AÜG, Art. 1 § 10 Rn. 38; ErfK/Wank (16. Aufl. 2016), § 10 AÜG Rn. 8; wohl auch Gick, Gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung, S. 159; MünchAnwHB-ArbR/Reiserer/Christ, § 66, Rn. 119; NomosKomm/Lorenz, § 10 AÜG Rn. 3; Sandmann/Marschall/Schneider, AÜG, § 10 Anm. 19; Thüsing/Mengel, AÜG, § 10 Rn. 47; Ulber, AÜG, § 10 Rn. 5; Urban-Crell/ Hurst, in: Urban-Crell/Germakowski, § 10 Rn. 47; ablehnend noch B oemke/Lembke in der Vorauflage (2. Auflage 2005), AÜG, § 10 Rn. 25; Schüren/Schüren, AÜG, § 10 Rn. 41; ErfK/Wank (14. Aufl. 2014), § 10 AÜG Rn. 8; Gotthardt, in: Henssler/Willemsen/Kalb, § 10 AÜG Rn. 3; Konzen, ZfA 1978, 451, 506 f.
A. Schutz des Leiharbeitnehmers149
Im Folgenden wird die Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Fiktion eines Arbeitsverhältnisses zwischen dem Entleiher und dem Leiharbeitnehmern nach § 10 Abs. 1 AÜG aus Sicht des Leiharbeitnehmers untersucht. Daran schließt sich die Untersuchung der Frage an, ob ein Lösungsrecht des Leiharbeitnehmers tatsächlich verfassungsrechtlich geboten ist und welchen Vorgaben es gegebenenfalls unterliegt.
I. Interessenlage beim fingierten Arbeitsverhältnis 1. Typische Interessenlage Die Fiktion eines Arbeitsverhältnisses nach § 10 Abs. 1 AÜG berührt sowohl den Entleiher als auch den Leiharbeitnehmer in der Entscheidung, mit dem jeweils anderen ein Arbeitsverhältnis einzugehen. Regelmäßig widerspricht die Fiktion dem Interesse des Entleihers, da er eine bewusste Entscheidung getroffen hatte, den betreffenden Arbeitsplatz mit einem Leiharbeitnehmer zu besetzen. In dieser Rechtsfolge der illegalen Arbeitnehmer überlassung liegt die beabsichtigte Sanktionswirkung gegenüber dem Entleiher.10 Aus Sicht des illegal überlassenen Leiharbeitnehmers ist die Rechtsfolge des fingierten Arbeitsverhältnisses in der Regel vorteilhaft. Das fingierte Arbeitsverhältnis dient nach der gesetzgeberischen Konzeption dem Leiharbeitnehmer als Ausgleich für das nach § 9 Nr. 1 AÜG unwirksame Leiharbeitsverhältnis zum Verleiher.11 Die typische Interessenlage bei der Arbeitnehmerüberlassung ist davon gekennzeichnet, dass regelmäßig nur der Entleiher ein Interesse an der Lossagung vom fingierten Arbeitsverhältnis hat, wohingegen das Bestehen des fingierten Arbeitsverhältnisses dem Interesse des Leiharbeitnehmers entspricht. 2. Atypische Interessenlage Abweichend von der typischen Interessenlage kann es vorkommen, dass das Entstehen eines fingierten Arbeitsverhältnisses dem Interesse des illegal überlassenen Leiharbeitnehmers widerspricht. Dies ist beispielsweise der 10 Ob durch die Fiktion des Arbeitsverhältnisses gegenüber dem Entleiher ein Eingriff in dessen Vertragsfreiheit besteht und ob dieser Eingriff gegebenenfalls gerechtfertigt wäre, ist nicht Gegenstand der vorliegenden Arbeit. 11 BAG v. 2.6.2010 – 7 AZR 946/08, AP Nr. 22 zu § 10 AÜG, II 3 der Gründe; Becker, F., BB 1978, 363, 364; Becker/Kreikebaum, Zeitarbeit, S. 135; Boemke/ Lembke, AÜG, § 10 Rn. 10; Schaub/Koch, ArbR-HdB, § 120 Rn. 70.
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4. Teil: Schutz bei der illegalen Arbeitnehmerüberlassung
Fall, wenn der illegal überlassene Leiharbeitnehmer aus autonomen Gründen eine Entscheidung gegen ein Arbeitsverhältnis zum Entleiher trifft, oder wenn das fingierte Arbeitsverhältnis objektiv nicht mit Vorteilen für den illegal überlassenen Leiharbeitnehmer verbunden ist. Vor allem für hochqualifizierte Leiharbeitnehmer, die sich bewusst für die Beschäftigungsform der Arbeitnehmerüberlassung entschieden haben, steht im Fall der illegalen Überlassung nicht unbedingt die Absicherung durch ein vertragliches Arbeitsverhältnis mit dem Entleiher im Vordergrund.12 Der wechselnde Einsatz bei verschiedenen Unternehmen, die ein bestimmtes Spezialisierungsprofil anfordern, kann für solche Fachkräfte gerade attraktiv sein, beispielsweise wegen einer höheren Mobilität, oder weil grundsätzlich kein Interesse daran besteht, an einen festen Arbeitsplatz gebunden zu sein.13 Bei der illegalen Arbeitnehmerüberlassung, die unter dem Deckmantel eines Scheinwerkvertrags durchgeführt wird,14 ist eine weitere atypische Inte ressenlage des illegal überlassenen Leiharbeitnehmers denkbar. In selten anzunehmenden Fällen kommt es nämlich vor, dass eine solche Konstruktion vom verdeckt überlassenen Leiharbeitnehmer selbst gewünscht und beabsichtigt ist, insbesondere wenn ein illegaler Verleiher höhere Nettolöhne zahlt, als ein Entleihunternehmen (als Arbeitgeber) dazu in der Lage wäre.15 Auch in solchen Fällen dürfte der illegal überlassene Leiharbeitnehmer kein Interesse daran haben, eine arbeitsvertragliche Bindung mit dem Entleiher einzugehen.16 In Einzelfällen kann die Absicht eines illegal überlassenen Leiharbeitnehmers auch darin bestehen, durch eine Beschäftigung bei einem 12 Beim sogenannten Interim Management werden externe Führungskräfte projektbezogen eingesetzt, was auch in der Form der Arbeitnehmerüberlassung geschehen kann, vgl. hierzu ausführlich Buschbaum/Klösel, NJW 2012, 1482 ff. 13 Vgl. auch Kämmerer/Thüsing, Leiharbeit und Verfassungsrecht, S. 18 mit Verweis auf BVerfG v. 4.4.1967 – 1 BvR 84/65, BVerfGE 21, 261, 269, wonach die Beschäftigungsform der Arbeitnehmerüberlassung ein wirtschaftliches Bedürfnis für solche Arbeitnehmer erfüllt, die keine feste Anstellung wollen: „Dies gilt namentlich für Arbeitskräfte, die einerseits auf eine besondere elastische Gestaltung der Arbeitszeit Wert legen, andererseits, wenn sie zur Verfügung stehen, sofort in einer ihren individuellen Fähigkeiten entsprechenden Weise eingesetzt werden möchten und durch die Beziehung zu dem ihnen bekannten, zuweisenden Unternehmer gesichert sein wollen“. 14 Vgl. oben, Abschnitt 2. C. II. 1. a). 15 Vgl. Ismail, Recht und Praxis bei der Bekämpfung illegaler Arbeitnehmer überlassung, S. 77 mit Verweis auf den 6. Bericht der Bundesregierung, BT-Drs. 11/2639, S. 32. 16 Ismail, Recht und Praxis bei der Bekämpfung illegaler Arbeitnehmerüberlassung, S. 77.
A. Schutz des Leiharbeitnehmers151
illegalen Verleiher seinen Gläubigern zu entgehen.17 Dass derartige Motive nicht schützenswert sind, steht außer Frage. Daran wird jedoch deutlich, dass das Entstehen eines fingierten Arbeitsverhältnisses nicht notwendigerweise in jedem Einzelfall dem Interesse des Leiharbeitnehmers entsprechen muss. Im Übrigen muss das Entstehen eines fingierten Arbeitsverhältnisses für den illegal überlassenen Leiharbeitnehmer nicht stets vorteilhaft sein. Beispielsweise kann die Dauer der Zugehörigkeit zum Verleiherbetrieb oder die Betriebsgröße des Verleihers im Hinblick auf die persönlichen und sachlichen Voraussetzungen des allgemeinen Kündigungsschutzes dazu führen, dass insoweit der soziale Schutz des Leiharbeitnehmers im Verhältnis zum Verleiher höher wäre als im Verhältnis zum Entleiher.18 Der Verbleib beim Verleiher könnte auch dann vorteilhafter sein, wenn der Entleiher zahlungsunfähig ist oder sich in einer schlechten wirtschaftlichen Lage befindet.19 In diesen und ähnlichen Fällen kann das Interesse des Leiharbeitnehmers am Entstehen einer arbeitsvertraglichen Bindung zum Entleiher jedenfalls bezweifelt werden.20 Bei den oben genannten Konstellationen handelt es sich um praktisch relevante Fälle, in denen das Entstehen eines fingierten Arbeitsverhältnisses nicht im Interesse des Leiharbeitnehmers liegt. Unabhängig davon, ob und welche Beweggründe des Leiharbeitnehmers gegen das fingierte Arbeitsverhältnis vorliegen, muss die Frage nach einer Lösungsmöglichkeit des Leiharbeitnehmers generell-abstrakt geklärt werden, da es um das grundsätzliche Recht eines Vertragsteils geht, sich von einem von Gesetzes wegen zustande gekommenen Vertrag zu lösen. Die Frage, ob eine Loslösung vom fingierten Arbeitsverhältnis für den Leiharbeitnehmer angesichts des nach § 9 Nr. 1 AÜG unwirksamen Leiharbeitsvertrags im konkreten Fall überhaupt sinnvoll wäre, hat für die grundrechtliche Dimension der Fiktion bzw. der Lösungsmöglichkeit keine Bedeutung. Die Notwendigkeit einer solchen Betrachtung aus der grundrechtlichen Perspektive des Betroffenen wird auch anhand der Entwicklung des Widerspruchsrechts des Arbeitnehmers beim Betriebsübergang nach § 613a Abs. 6 BGB deutlich, wo eine ähnliche Interessenlage besteht.21 Dort ist der 17 Vgl. Ismail, Recht und Praxis bei der Bekämpfung illegaler Arbeitnehmer überlassung, S. 77 mit Verweis auf den 6. Bericht der Bundesregierung, BT-Drs. 11/2639, S. 18. 18 Boemke/Lembke, AÜG, § 10 Rn. 38. 19 Ähnliche Erwägungen enthält der Referentenentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 17.02.2016 zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und anderer Gesetze, vgl. S. 24 des Referentenentwurfs. 20 Reineke, in: FS Löwisch, S. 211, 227. 21 Näher hierzu unter Abschnitt 4. A. II. 2. b) cc) (3) (a).
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4. Teil: Schutz bei der illegalen Arbeitnehmerüberlassung
Übergang des Arbeitsverhältnisses auf den Betriebserwerber ebenfalls in den meisten Fällen vorteilhaft für den Arbeitnehmer, der dadurch seine Arbeitstätigkeit fortführen kann. Übt er dagegen das Widerspruchsrecht aus, so muss er häufig mit einer anschließenden betriebsbedingten Kündigung rechnen.22 Das Widerspruchsrecht beim Betriebsübergang ist also ebenfalls nur für atypische Fälle relevant, in denen der betroffene Arbeitnehmer aus bestimmten Gründen bewusst auf den Übergang seines Arbeitsverhältnisses verzichten möchte.23 Dennoch ist das Widerspruchsrecht durch die Rechtsprechung und das Schrifttum im Hinblick auf grundrechtlich geschützte Rechtspositionen des Arbeitnehmers diskutiert und entwickelt worden, unabhängig davon, wie selten es vorkommen mag, dass ein Arbeitnehmer kein Interesse an der Fortführung des Arbeitsverhältnisses mit dem Betriebserwerber hat und welche Beweggründe dafür bestehen mögen.
II. Verfassungsrechtliche Dimension der gesetzlichen Fiktion eines Arbeitsverhältnisses nach § 10 Abs. 1 AÜG Die Frage, ob der Leiharbeitnehmer die Möglichkeit haben muss, sich gegen das fingierte Arbeitsverhältnis zu entscheiden, auch wenn er hierdurch auf die Vorteile des fingierten Arbeitsverhältnisses verzichten würde, kann nur anhand der verfassungsrechtlichen Dimension der Fiktion eines Arbeitsverhältnisses nach § 10 Abs. 1 AÜG beantwortet werden. Hierfür ist maßgeblich, ob die Fiktion nach § 10 Abs. 1 AÜG einen verfassungsrechtlich relevanten Eingriff in Grundrechte des Leiharbeitnehmers darstellt. Nur wenn dies der Fall ist und keine Rechtfertigung für den Eingriff besteht, stellt sich die weitere Frage nach der grundrechtlichen Gebotenheit eines entsprechenden Lösungsrechts vom fingierten Arbeitsverhältnis. 1. Eingriff in einen grundrechtlich geschützten Bereich a) Bestimmung der betroffenen Schutzbereiche Durch das Entstehen eines fingierten Arbeitsverhältnisses wird der Entleiher zum Arbeitgeber des illegal überlassenen Leiharbeitnehmers, ohne dass dies auf einer autonomen Entscheidung des Leiharbeitnehmers beruht. 22 Vgl. BAG, Urt. v. 2.10.1974 − AZR 504/73, AP Nr. 1 zu § 613a BGB, III 3 c der Gründe; ebenso Seiter, Anm. BAG AP Nr. 1 zu § 613a BGB, I 3. 23 Die Ausübung des Widerspruchsrechts wird in der Praxis in erster Linie davon abhängen, ob eine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit im Betrieb des Veräußerers besteht, vgl. dazu ErfK/Preis, § 613a BGB Rn. 106 ff.
A. Schutz des Leiharbeitnehmers153
Der Leiharbeitnehmer wird dadurch in seiner Entscheidungsfreiheit beeinträchtigt, ob und mit wem er ein Arbeitsverhältnis als Arbeitnehmer begründet.24 Dies könnte sowohl den Schutzbereich der Vertragsfreiheit als auch den der Berufsfreiheit berühren. Ferner ist fraglich, ob der Schutzbereich der Menschenwürde des illegal überlassenen Leiharbeitnehmers durch eine fremdbestimmte „Auswechslung“ seines Arbeitgebers berührt sein k önnte. aa) Privatautonomie im Arbeitsrecht Privatautonomie bedeutet für den Einzelnen die Möglichkeit, „seine Rechtsbeziehungen zu einem frei von ihm gewählten Partner einvernehmlich mit diesem und für beide verbindlich selbst zu regeln“25. Im Vertragsrecht äußert sich die Privatautonomie in der Vertragsfreiheit. Die rechtliche bzw. formale Vertragsfreiheit bedeutet die Freiheit zum Abschluss und zur inhaltlichen Gestaltung eines Vertrags, wozu auch die Wahl des Vertragspartners gehört.26 Dies umfasst auch die negative Vertragsfreiheit, keinen Vertrag aufgezwungen zu bekommen.27 Schon der Wechsel des einen Vertragspartners ohne Zustimmung des anderen Teils stellt für diesen eine „Fremdbestimmung ohne legitimierende privatautonome Unterwerfung“28 und damit auch einen Eingriff in die Vertragsfreiheit dar. Gleiches muss erst recht für das Entstehen einer Vertragsbeziehung zu einem Vertragspartner gelten, falls hierzu keine Zustimmung des anderen Teils vorliegt. (1) Bereichsspezifischer Schutz durch Art. 12 GG Die Privatautonomie bzw. Vertragsfreiheit wird nicht durch ein bestimmtes Grundrecht spezifisch geschützt, sondern unterliegt als Teil der allgemeinen Handlungsfreiheit dem Schutz des Art. 2 Abs. 1 GG.29 Greift zugleich der bereichsspezifische Schutz der Eigentumsfreiheit nach Art. 14 GG oder der Berufsfreiheit nach Art. 12 GG, wird die Vertragsfreiheit durch diese 24 Reineke,
in: FS Löwisch, S. 211, 227. Schuldrecht AT, § 4, S. 40 f. 26 Dagegen bezeichnet die materiale Vertragsfreiheit die tatsächliche Freiheit zur Bildung der zum Vertragsschluss führenden Entscheidung, vgl. hierzu Canaris, AcP 200 (2000), S. 273, 277 m. w. N. 27 Vgl. Thüsing, in: FS Wiedemann, S. 559, 563. 28 Vgl. Rieble, ZIP 1997, 301, 304 zum Vertragspartnerwechsel im Rahmen von Umwandlungen. 29 Statt vieler Papier, RdA 1989, 137, 138. 25 Larenz,
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4. Teil: Schutz bei der illegalen Arbeitnehmerüberlassung
spezielleren Grundrechte geschützt.30 Unterschiede im verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab ergeben sich dadurch im Ergebnis nicht, da nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die im Verhältnis zu Art. 2 Abs. 1 GG vermeintlich schärfere Kontrolle der Berufsfreiheit durch die Anerkennung eines entsprechend weiten Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers kompensiert wird.31 Die Vertragsfreiheit im Arbeitsrecht ist bereichsspezifisch durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützt.32 Der Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG erfasst die gesamte berufliche Tätigkeit in Form, Mittel, Umfang und Inhalt der Betätigung.33 Dies umfasst die Freiheit, ein Arbeitsverhältnis einzugehen oder auch nicht.34 Die im Verhältnis zu anderen Freiheitsgrundrechten subsidiäre allgemeine Handlungsfreiheit ist daneben nicht einschlägig.35 Die Bezeichnung der Vertragsfreiheit im Arbeitsrecht mit dem allgemeinen Begriff der „Berufsfreiheit“ lässt allerdings nicht ohne Weiteres den Kerngehalt der grundrechtlich geschützten Betätigung erkennen, um die es geht. Eine feste Bezeichnung hat sich für diesen spezifischen Teilbereich der Berufsfreiheit noch nicht eingebürgert, so dass treffende Umschreibungen wie die „Freiheit des rechtsgeschäftlichen Handelns der Arbeitsvertragsparteien“36 oder auch die „Freiheit des Arbeitsvertragsschlusses“37 verwendet werden können, um zu verdeutlichen, dass es um die durch Art. 12 Abs. 1 GG bereichsspezifisch geschützte Vertragsfreiheit im Arbeitsvertragsrecht geht. Bei der Fiktion eines Arbeitsverhältnisses zum Entleiher nach § 10 Abs. 1 AÜG geht es um die Freiheit des Arbeitsvertragsschlusses aus Sicht des illegal überlassenen Leiharbeitnehmers. Für eine Beeinträchtigung dieser Freiheit gibt es zwei verschiedene Anknüpfungspunkte: zum einen der Wechsel in der Person des Arbeitgebers, zum anderen die mögliche inhaltliche Änderung der Arbeitsbedingungen durch das fingierte Arbeitsverhältnis. 30 So muss die Eigentumsfreiheit des Eigentümers nach Art. 14 GG etwa die Möglichkeit umfassen, Verträge zur Veräußerung, Nutzung und Belastung abzuschließen, vgl. Papier, RdA 1989, 137, 138. 31 Vgl. Söllner, RdA 1989, 144, 148 m. w. N.; ferner zur gleichen Intensität des Grundrechtsschutzes nach Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 12 Abs. 1 GG auch Kämmerer/ Thüsing, Leiharbeit und Verfassungsrecht, S. 68. 32 Vgl. BVerfG v. 19.10.1983 – 2 BvR 298/81, BVerfGE 65, 196 allgemein zum Schutz der Freiheit rechtsgeschäftlichen Handelns der Arbeitsvertragsparteien durch Art. 2 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG. 33 Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 12 Rn. 10 m. w. N. 34 BVerfG v. 25.1.2011 – 1 BvR 1741/09, BVerfGE 128, 157; BAG v. 10.12.2013 – 9 AZR 51/13, NJW 2014, 956. 35 BVerfG v. 25.1.2011 – 1 BvR 1741/09, BVerfGE 128, 157, B I 1 der Gründe. 36 Löwisch, ZfA 1996, 293, 295. 37 Papier, RdA 1989, 137, 138.
A. Schutz des Leiharbeitnehmers155
(a) Wechsel in der Person des Arbeitgebers Durch die gesetzliche Fiktion des § 10 Abs. 1 AÜG wird der Entleiher zum Arbeitgeber des Leiharbeitnehmers, ohne dass entsprechende Willenserklärungen zum Abschluss eines solchen Arbeitsvertrags vorliegen. Die Vertragsfreiheit beinhaltet gerade auch die Freiheit, die Person des Vertragspartners aussuchen zu können. Die negative Vertragsfreiheit schützt somit vor dem Vertragsschluss mit einem Vertragspartner bzw. vor der Auswechslung des Vertragspartners ohne Zustimmung des anderen Teils.38 Am deutlichsten ist die Beeinträchtigung der negativen Vertragsfreiheit beim Kontrahierungszwang, der die schwerste Form eines Eingriffs in die Privatautonomie der Beteiligten darstellt.39 Im Arbeitsvertragsrecht bedeutet jeder Kontrahierungszwang (auch) einen Eingriff in die Freiheit des Arbeitnehmers zum Arbeitsvertragsschluss.40 Die Wirkungen des Kontrahierungszwangs und der Fiktion eines Vertragsverhältnisses sind vergleichbar, da in beiden Fällen ein Vertragsverhältnis unabhängig vom Willen der Vertragsparteien zustande kommt.41 In rechtstechnischer Hinsicht kann die gesetz liche Fiktion eines Vertragsverhältnisses sogar als das schärfere Instrument angesehen werden, da hierfür nicht einmal (erzwungene) Willenserklärungen der Parteien notwendig sind. Durch das Entstehen eines fingierten Arbeitsverhältnisses nach § 10 Abs. 1 AÜG ist der Leiharbeitnehmer in seiner nach Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Freiheit zum Arbeitsvertragsschluss beeinträchtigt, da das Entstehen eines Vertrages mit dem Entleiher als Vertragspartner nicht auf einer autonomen Entscheidung des Leiharbeitnehmers beruht.42 In diesem Sinne hat auch das BAG zum Betriebsübergang entschieden, dass die gesetzliche Regelung zum Übergang der Arbeitsverhältnisse ohne Zustimmung der betroffenen Arbeitnehmer diese (unter anderem) in ihrer Berufsfreiheit berührt.43 Dieser Ansatz berücksichtigt das personenbezogene Element des Arbeitsverhältnisses, nämlich die Entscheidung über die 38 BVerfG
v. 26.7.2005 – 1 BvR 782/94, BVerfGE 114, 1, 34. Kontrahierungszwang kommt im Vertragsrecht grundsätzlich nur als ultima ratio in Betracht, etwa in Ausnahmefällen, wo der andere Vertragspartner auf den Vertragsabschluss angewiesen ist, vgl. Beispiele bei Palandt/Ellenberger, Einf. v. § 145 Rn. 8 f. 40 Papier, RdA 1989, 137, 139. 41 Laut Picker, ZfA 2002, 469, 518 schafft die Fiktion nach § 10 Abs. 1 AÜG einen „Kontrahierungszwang kraft Gesetzesbefehls“. 42 Boemke/Lembke, AÜG, § 10 Rn. 38; Hirdina, NZA 2011, 325, 330; Ulber, AÜG, § 10 Rn. 5; Reuter, RdA 2015, 171, 175. 43 BAG, Urt. v. 2.10.1974 – 5 AZR 504/73, AP Nr. 1 zu § 613a BGB, III 2 b der Gründe; BAG v. 30.9.2004 – 8 AZR 462/03, AP Nr. 275 zu § 613a BGB. 39 Ein
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4. Teil: Schutz bei der illegalen Arbeitnehmerüberlassung
Person des Arbeitgebers als Bestandteil der Entscheidung über die Wahl des Arbeitsplatzes.44 Auch nach der Rechtsprechung des BVerfG ist die Freiheit des Arbeitnehmers zur Wahl des Arbeitsvertragspartners durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützt, mit der Folge, dass die gesetzliche Auswechslung der Person des Arbeitgebers den Arbeitnehmer in seiner Berufsfreiheit berührt.45 Diese Rechtsprechung betrifft die Situation des Betriebsübergangs nach § 613a BGB, jedoch gilt die grundsätzliche Feststellung zur Grundrechtsrelevanz einer fremdbestimmten Auswechslung des Arbeitgebers für den Fall des Betriebsübergangs nach § 613a BGB in gleicher Weise wie für die Fiktion eines Arbeitsverhältnisses nach § 10 Abs. 1 AÜG.46 Im Schrifttum ist teilweise bezweifelt worden, dass der Wechsel des Arbeitgebers die Berufsfreiheit des Arbeitnehmers berührt.47 Dies wird mit dem typisierenden Argument begründet, dass bei einem Betriebsübergang größerer Betriebseinheiten ein Wechsel des Arbeitgebers, bei dem es sich meist um eine juristische Person handelt, kaum direkte Auswirkungen auf die Tätigkeit der Arbeitnehmer habe.48 Die Erheblichkeitsschwelle für einen Grundrechtseingriff sei vielmehr meist nur bei einem Wechsel des unmittelbaren Vorgesetzten überschritten, was beim Betriebsübergang gerade nicht der Fall sei.49 Der Wechsel von Vertretungsorganen eines Arbeitgebers, der als juristische Person organisiert ist (bei einer AG der Vorstand oder bei einer GmbH der Geschäftsführer), werde allgemein auch nicht als Beeinträchtigung der Berufsfreiheit der Arbeitnehmer empfunden − gleiches müsse für einen Betriebsinhaberwechsel gelten.50 Auch wenn diese Argumente im Einzelfall zutreffend sein mögen, ist an einer objektiven Bestimmung des grundrechtlich geschützten Bereichs der Berufsfreiheit festzuhalten. Der Ansatz, das subjektive Empfinden der potentiell betroffenen Grundrechtsträger als Maßstab für eine Beeinträchtigung des Grundrechts heranzuziehen, kann nur zufällig zum richtigen Ergebnis führen. Die Grundrechtsrelevanz des Betriebsübergangs kann nicht davon abhängen, ob es sich um den Betriebsübergang eines kleineren, inhaberge44 BAG, Urt. v. 2.10.1974 – 5 AZR 504/73, AP Nr. 1 zu § 613a BGB, III 2 b der Gründe. 45 Vgl. in jüngerer Zeit BVerfG v. 25.1.2011 – 1 BvR 1741/09, BVerfGE 128, 157, B I 1 der Gründe; ebenso die verfassungsrechtliche Literatur, statt vieler Manssen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG I, Art. 12 Rn. 57. 46 So auch Picker, ZfA 2002, 469, 518 zur Fiktion nach § 10 Abs. 1 AÜG; Reineke, in: FS Löwisch, S. 211, 227. 47 Vgl. Pietzko, Der Tatbestand des § 613a BGB, S. 260; Schreiber, RdA 1982, 137, 141. 48 Pietzko, Der Tatbestand des § 613a BGB, S. 260. 49 Pietzko, Der Tatbestand des § 613a BGB, S. 260. 50 Pietzko, Der Tatbestand des § 613a BGB, S. 260.
A. Schutz des Leiharbeitnehmers157
führten Betriebs handelt, bei dem aufgrund des persönlichen Bezugs zum Arbeitgeber eine unmittelbare Betroffenheit der Arbeitnehmer eher zu erwarten ist, oder um einen Inhaberwechsel von Unternehmen mit juristischen Personen als Unternehmensträger. Auch in letzterem Fall ist denkbar, dass die Belegschaft dem Wechsel einer juristischen Person als Arbeitgeber nicht gleichgültig gegenüber steht, etwa wenn ein Richtungswechsel in der Unternehmensstrategie mit direkten Auswirkungen auf den einzelnen Arbeitnehmer zu erwarten ist.51 Das Recht des Arbeitnehmers, seinen Arbeitgeber selbst aussuchen zu können, ist durch die Freiheit des Arbeitsvertragsschlusses formell gewährleistet52 und muss unabhängig davon bestehen, welche persönliche Nähe zum Arbeitgeber vorliegt. Auch hier gilt zwar, dass die Beeinträchtigung grundsätzlich eine gewisse Bagatellschwelle überschreiten muss, da nicht jeder subjektiv empfundene Widerwille gegen die Veränderung eines Lebensumstands grundrechtlich geschützt sein kann. Von einem Bagatellcharakter kann jedoch nicht die Rede sein, wenn es um die Möglichkeit der selbstbestimmten Wahl des Arbeitgebers durch den Arbeitnehmer geht, die eine wichtige Voraussetzung für die Gestaltung der Arbeitstätigkeit ist und zum Kerngehalt der Berufsfreiheit gehört. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass aus Sicht des Arbeitnehmers allein durch die fremdbestimmte Wahl bzw. Auswechslung des Arbeitgebers der Schutzbereich der Arbeitsvertragsfreiheit berührt ist. Auch bei der Fiktion nach § 10 Abs. 1 AÜG ist die Arbeitsvertragsfreiheit des illegal überlassenen Leiharbeitnehmers dadurch berührt, dass ohne seinen Willensentschluss der Entleiher zu seinem Arbeitgeber wird.53 (b) Änderung der Arbeitsbedingungen Neben dem Wechsel in der Person des Arbeitgebers besteht ein weiterer Anknüpfungspunkt für eine Beeinträchtigung der Berufsfreiheit des Arbeitnehmers in der materiellen Veränderung der Arbeitsbedingungen. Der Schutz durch das Grundrecht der Berufsfreiheit umfasst die Möglichkeit des Arbeitnehmers, in selbstbestimmter Weise durch den Abschluss eines Arbeitsvertrags auf die Gestaltung seiner Arbeitsbedingungen einzuwirken und diese auch beizubehalten.54 Maßgeblich ist demnach, ob durch das fingierte Ar51 Ähnlich Opitz, Probleme des arbeitnehmerseitigen Widerspruchs beim Betriebsübergang, S. 34. 52 BVerfG v. 25.1.2011 – 1 BvR 1741/09, BVerfGE 128, 157, B I 1 der Gründe. 53 Vgl. BAG v. 10.12.2013 – 9 AZR 51/13, NJW 2014, 956, 2 b) cc) (3) (b) der Gründe. 54 Boemke, NZA 1993, 532, 535; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, § 12 Rn. 10; Klebeck, Gleichstellung der Leiharbeitnehmer als Verfassungsverstoß, S. 158 m. w. N.
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4. Teil: Schutz bei der illegalen Arbeitnehmerüberlassung
beitsverhältnis die Arbeitsbedingungen des illegal überlassenen Leiharbeitnehmers in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht verändert werden, ohne dass der Leiharbeitnehmer daran mitwirken kann. Die Arbeitsbedingungen des fingierten Arbeitsverhältnisses bestimmen sich nach § 10 Abs. 1 AÜG.55 Der Inhalt des (nach § 9 Nr. 1 AÜG unwirksamen) Leiharbeitsvertrags wird dabei nicht übernommen, sondern nur berücksichtigt, soweit es zur Vermeidung von Nachteilen für den Leiharbeitnehmer notwendig ist.56 Insoweit besteht ein bedeutsamer Unterschied zum Betriebsübergang, wo das betroffene Arbeitsverhältnis tatsächlich als Ganzes übergeht und sich abgesehen von der Person des Arbeitgebers nichts ändert.57 Bei der illegalen Arbeitnehmerüberlassung ist das Leiharbeitsverhältnis nach § 9 Nr. 1 AÜG unwirksam und es wird stattdessen ein anderes Arbeitsverhältnis fingiert,58 dessen Arbeitsbedingungen sich nach § 10 Abs. 1 AÜG bestimmen − das Leiharbeitsverhältnis wird demnach nicht einfach auf den Entleiher „umgehängt“. Durch die Fiktion des § 10 Abs. 1 AÜG entsteht ein neues Arbeitsverhältnis zum Entleiher, dessen Inhalt sich nicht nach dem Parteiwillen des Leiharbeitnehmers sowie des Entleihers bestimmt, sondern nach den Einzelregelungen des § 10 Abs. 1 AÜG. Darin liegt eine Beeinträchtigung der Freiheit des illegal überlassenen Leiharbeitnehmers zur selbstbestimmten Gestaltung seines Arbeitsverhältnisses.59 Neben der oben erläuterten Auswechslung der Person des Entleihers als Arbeitgeber liegt hierin ein weiterer Anknüpfungspunkt für eine Beeinträchtigung der Berufsfreiheit des Leiharbeitnehmers durch das fingierte Arbeitsverhältnis. (2) K onkludente Billigung eines Vertragsverhältnisses durch den Leiharbeitnehmer? Es liegt in der Natur der Arbeitnehmerüberlassung, dass ein Bezug des Leiharbeitnehmers zum Entleiher in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht besteht und als Wesensmerkmal der Beschäftigung bei einem Dritten auch vorhersehbar ist. Maßgeblich ist, ob eine solche Vorhersehbarkeit eine Beeinträchtigung der Arbeitsvertragsfreiheit des Leiharbeitnehmers durch die 55 Im
Einzelnen hierzu unter Abschnitt 4. B. II. darf das zwischen dem Verleiher und dem Leiharbeitnehmer vereinbarte Arbeitsentgelt gemäß § 10 Abs. 1 Satz 5 AÜG nicht unterschritten werden, vgl. eingehend dazu unten, Abschnitt 4. B. II. 3. 57 BAG v. 2.10.1974 − AZR 504/73, AP Nr. 1 zu § 613a BGB, II 1 der Gründe; zustimmend Seiter, Anm. BAG AP Nr. 1 zu § 613a BGB, II 1. 58 BeckOK ArbR/Motz, § 10 AÜG Rn. 2.1. 59 Im Ergebnis ebenso Ulber, AÜG, § 10 Rn. 5. 56 Beispielsweise
A. Schutz des Leiharbeitnehmers159
Fiktion nach § 10 Abs. 1 AÜG ausschließt. Die Vertragsfreiheit kann nämlich von vornherein nicht beeinträchtigt sein, wenn eine Billigung des Vertragsverhältnisses durch den betreffenden Vertragsteil in Form einer ausdrücklichen oder konkludenten Zustimmung vorliegt. Fraglich ist, worin eine solche Zustimmung des Leiharbeitnehmers liegen kann. Beim fingierten Arbeitsverhältnis nach § 10 Abs. 1 AÜG werden jedenfalls nicht zwei Unbekannte zu Vertragspartnern. Dem Leiharbeitnehmer ist von vornherein bewusst, dass er seine Arbeitsleistung bei einem oder mehreren Dritten erbringen und auch deren Weisungsbefugnissen unterstehen wird.60 Jeder als Leiharbeitnehmer beschäftigte Arbeitnehmer willigt darin durch den Abschluss eines Leiharbeitsvertrags (oder einer Leiharbeitsabrede) ein. Anders als etwa beim Betriebsübergang, der für einen Arbeitnehmer gänzlich unvorhergesehen sein kann, ist der Drittbezug bei der Arbeitnehmerüberlassung evident. Schließlich könnte man sogar vertreten, dass die Rechtsfolgen illegaler Arbeitnehmerüberlassung durch ihre gesetzliche Kodifizierung als allgemein bekannt gelten können, so dass für den Leiharbeitnehmer auch diese Folgen in ihrer theoretischen Möglichkeit vorhersehbar sind, sollte die Erlaubnis nicht vorliegen. Es bestehen schließlich auch in jedem Fall wechselseitige Schutzpflichten zwischen dem Entleiher und dem Leiharbeitnehmer, auf die sich der Leiharbeitnehmer zumindest in faktischer Hinsicht einstellt. Hinzu kommt, dass nach der hier vertretenen Auffassung der Entleiher einen eigenständigen Anspruch auf die Arbeitsleistung des Leiharbeitnehmers hat. Zwischen dem Leiharbeitnehmer und dem Entleiher besteht also auch bei der Annahme einer erlaubten Arbeitnehmerüberlassung ein Rechtsverhältnis, das bereits wichtige Elemente eines Arbeitsvertrags aufweist. Maßgeblich ist jedoch ausschließlich die Tatsache, dass der Leiharbeitnehmer weder ausdrücklich noch konkludent einem Vertragsverhältnis zum Entleiher zustimmt.61 Bei der legalen Arbeitnehmerüberlassung, auf die sich der Leiharbeitnehmer jedenfalls eingelassen hat, besteht zwischen dem Leiharbeitnehmer und dem Entleiher zwar ein Rechtsverhältnis, aber kein (arbeitsrechtliches) Vertragsverhältnis mit synallagmatischen Leistungspflichten.62 60 Wank, RdA 2003, 1, 2. Vgl. auch Muster eines Leiharbeitsvertrags bei Schaub/ Schrader, § 17 Rn. 3, wonach die Verpflichtung des Arbeitnehmers zum Tätigwerden für Dritte ausdrücklich geregelt wird. 61 Bachner, in: Kittner/Zwanziger/Deinert, ArbR, § 112 Rn. 144. 62 Dies ergibt sich aus der gesetzlichen Konzeption des AÜG und entspricht auch der einhelligen Meinung in Rechtsprechung und Schrifttum, vgl. BAG v. 14.5.1974 – 1 ABR 40/73, AP Nr. 2 zu § 99 BetrVG 1972, II 3 der Gründe; und statt vieler Schüren/Schüren, AÜG, Einl. Rn. 110.
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4. Teil: Schutz bei der illegalen Arbeitnehmerüberlassung
Willigt der Leiharbeitnehmer in ein Rechtsverhältnis zum Entleiher ein, das sich aus der Erbringung der Arbeitsleistung bei diesem ergibt, bedeutet dies noch keine Einwilligung in ein Vertragsverhältnis zum Entleiher für den Fall, dass die Überlassung illegal erfolgt sein sollte.63 Die Bereitschaft des Leiharbeitnehmers zur Eingliederung in den Betrieb des Entleihers und der Tätigkeit unter dessen Weisungsbefugnis ist nicht gleichzusetzen mit der Akzeptanz des Entleihers als Arbeitgeber in einem (fingierten) Arbeitsverhältnis. Wie oben erwähnt, kann es verschiedene Gründe dafür geben, dass ein Leiharbeitnehmer zwar zur Tätigkeit bei einem oder mehreren Entleihern bereit ist, nicht aber zu einer arbeitsvertraglichen Bindung zu denselben.64 Es bleibt dabei, dass die nach Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Arbeitsvertragsfreiheit des Leiharbeitnehmers durch die Fiktion eines Arbeitsverhältnisses nach § 10 Abs. 1 AÜG beeinträchtigt wird. In der Bereitschaft zum Dritteinsatz liegt weder eine ausdrückliche noch eine konkludente Zustimmung des Leiharbeitnehmers zu einem Vertragsverhältnis mit dem Entleiher. (3) Qualifikation einer Schutznorm als Eingriffsnorm Nach dem bisher Festgestellten ergibt sich eine Beeinträchtigung der Arbeitsvertragsschlussfreiheit des Leiharbeitnehmers direkt aus der Wirkung des § 10 Abs. 1 AÜG. Dieselbe Norm bezweckt jedoch gerade auch den Schutz des Leiharbeitnehmers.65 Damit ist die grundrechtsdogmatische Frage angesprochen, ob eine Vorschrift, die dem Schutz einer bestimmten Personengruppe dienen soll, gleichzeitig diesen Personen gegenüber einen Eingriff darstellen kann. Diese Frage wird auch an anderer Stelle relevant, beispielsweise beim gesetzlichen Übergang eines Arbeitsverhältnisses nach § 613a BGB. Pietzko verneint einen Eingriff in Grundrechte des betroffenen Arbeitnehmers durch den Übergang des Arbeitsverhältnisses mit dem Argument, dass es sich bei § 613a BGB um eine Schutznorm handelt, die dem Arbeitnehmer seinen Arbeitsplatz erhält.66 Diese Schutznorm könne nicht zugleich einen Eingriffscharakter gegenüber demselben Arbeitnehmer entfalten.67 Gegen ein solches Verständnis spricht, dass eine als Schutznorm konzipierte Vorschrift stets nur einen typisierten Lebenssachverhalt erfassen kann, 63 So
auch BeckOK ArbR/Motz, § 10 AÜG Rn. 2.1. oben, Abschnitt 4. A. I. 2. 65 Vgl. oben, Abschnitt 2. C. II. 2. c). 66 Pietzko, Der Tatbestand des § 613a BGB, S. 261 ff., im Rahmen der Prüfung, ob ein Eingriff in die Menschenwürde des Arbeitnehmers vorliegt. 67 Pietzko, Der Tatbestand des § 613a BGB, S. 261 ff. 64 Vgl.
A. Schutz des Leiharbeitnehmers161
für den die Schutzbedürftigkeit einer bestimmten Personengruppe angenommen wird. Ist die Schutzwirkung der Norm zwingend, hat sie für den Einzelnen, der auf den Schutz verzichten möchte, eine entgegengesetzte Wirkung. Bezogen auf den Einzelfall kann eine Schutznorm durchaus auch einen Eingriff in Grundrechte desjenigen darstellen, der zum Personenkreis der Geschützten gehört. Ob der Betroffene, der auf den Schutz verzichten möchte, den Eingriff letztlich dulden muss, ist eine Frage der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung, die an anderer Stelle zu klären ist.68 bb) Menschenwürde des Arbeitnehmers Es ist auf den ersten Blick nicht naheliegend, dass durch die gesetzliche Fiktion eines Arbeitsverhältnisses nach § 10 Abs. 1 AÜG der Schutzbereich der Menschenwürde des illegal überlassenen Leiharbeitnehmers berührt werden könnte. Jedoch hat das BAG die Entwicklung des Widerspruchsrechts beim Betriebsübergang unter anderem auf die Erwägung gestützt, dass durch den gesetzlichen Übergang eines Arbeitsverhältnisses der betroffene Arbeitnehmer in seiner Menschenwürde verletzt sei.69 Da die Situation des Betriebsübergangs nach § 613a BGB bezüglich des fremdbestimmten Arbeitgeberwechsels mit der Situation des fingierten Arbeitsverhältnisses nach § 10 Abs. 1 AÜG vergleichbar ist,70 wird im Folgenden auch für das fingierte Arbeitsverhältnis untersucht, ob dessen gesetzliches Entstehen den Schutzbereich der Menschenwürde des betroffenen Leiharbeitnehmers berührt. Das BAG sieht die grundrechtliche Relevanz des Übergang des Arbeitsverhältnisses gegen den Willen des betroffenen Arbeitnehmers in der Objektivierung des Arbeitnehmers: „Unser Recht lässt schon um der menschlichen Würde willen einen „Verkauf“ des Arbeitnehmers gegen seinen Willen nicht zu“.71 Bereits vor Einführung des § 613a BGB war nach der Rechtsprechung des BAG ein Übergang des Arbeitsverhältnisses gegen den Willen des Arbeitnehmers nicht möglich, da ein erzwungener Übergang „die personale Würde des Arbeitnehmers schlechthin missachtet“.72 Es widerspreche 68 Vgl.
dazu sogleich unter Abschnitt 4. A. II. 2. BAG v. 2.10.1974 – 5 AZR 504/73, AP Nr. 1 zu § 613a BGB, I 2 der Gründe. 70 Ebenso zur Vergleichbarkeit ArbG Köln v. 7.3.1996 – 17 Ca 6257/95, DB 1996, 1342 f.; zustimmend Wrede, DB 1996, 1343; Ulber, AÜG, § 10 Rn. 5. 71 BAG v. 2.10.1974 – 5 AZR 504/73, AP Nr. 1 zu § 613a BGB, I 2 der Gründe. 72 BAG v. 18.2.1969 – 5 AZR 472/57, AP Nr. 1 zu § 419 BGB Betriebsnachfolge, 4c der Gründe. 69 Grundlegend
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4. Teil: Schutz bei der illegalen Arbeitnehmerüberlassung
der „menschlichen Würde des Arbeitnehmers, ihn an den Betrieb mit seinem neuen Inhaber zu ketten“.73 Ob der gegen den Willen des Arbeitnehmers erfolgende Übergang des Arbeitsverhältnisses gegen die Menschenwürde verstößt, kann nur anhand des geschützten Kerngehalts der Menschenwürde beurteilt werden. Nach der sogenannten Objektformel des Bundesverfassungsgerichts widerspricht es der Würde des Menschen, ihn als bloßes Objekt staatlichen Handelns zu betrachten.74 Ein Eingriff in die Menschenwürde liegt vor, wenn der Mensch einer Behandlung ausgesetzt wird, die seine Subjektqualität prinzipiell in Frage stellt.75 In den Fällen, in denen das Bundesverfassungsgericht den Schutzbereich der Menschenwürde als eröffnet ansah, lag der Anknüpfungspunkt häufig darin, dass ein Mensch als reines Mittel zum Zweck behandelt wurde.76 Daran wird deutlich, welche Eingriffsintensität in der Regel erforderlich ist, um eine Relevanz für den Schutzbereich der Menschenwürde zu erreichen. Nach diesen Maßstäben kann der gesetzlich angeordnete Übergang eines Arbeitsverhältnisses bzw. der Wechsel des Arbeitgebers schwerlich in der Weise interpretiert werden, dass der betroffene Arbeitnehmer dadurch zum bloßen Objekt staatlichen Handelns wird.77 Nicht jede gesetzliche Regelung, die einen Grundrechtsträger zu einem bestimmten Handeln oder Unterlassen verpflichtet, kann als staatlicher Eingriff in die Menschenwürde des Betroffenen gesehen werden. Ein Grundrechtsträger wird nicht allein dadurch, dass er zum Adressaten staatlicher Maßnahmen wird, in seiner Menschenwürde berührt, sondern erst dann, wenn durch die jeweilige Maß73 BAG v. 29.11.1962 – 2 AZR 176/62, AP Nr. 6 zu § 419 BGB Betriebsnachfolge, II der Gründe. 74 Statt vieler BVerfG v. 5.2.2004 – 2 BvR 2029/01, BVerfGE 109, 133, C I 1 der Gründe m. w. N.; grundlegend hierzu Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG I, Art. 1 Rn. 36 ff.; Stern, Staatsrecht Bd. IV/1, § 97 II 2. 75 BVerfG v. 3.3.2004 – 1 BvR 2378/98, 1 BvR 1084/99, BVerfGE 109, 279, C I 3. b) aa) (1) der Gründe m. w. N. 76 Vgl. Beispiele bei Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 378a. 77 Ebenso zum zwingenden Übergang des Arbeitsverhältnisses beim Betriebsübergang BAG v. 2.3.2006 − 8 AZR 124/05, AP Nr. 25 zu § 419 BGB Funktionsnachfolge, II 3 b der Gründe. Das BAG führt weiterhin aus, dass dem Arbeitnehmer angesichts der (außer)ordentlichen Kündigungsmöglichkeit kein Arbeitgeber aufgezwungen wird und auch der durch diese Kündigung bewirkte Verlust des Arbeitsplatzes nicht gegen die Menschenwürde verstößt. Dieses Argument ist allerdings zirkelschlüssig – ein außerordentliches Kündigungsrecht folgt nämlich erst aus einer verfassungskonformen Auslegung des § 626 BGB, die das BAG im Grundsatzurteil zum Widerspruchsrecht unter anderem auf die Menschenwürde gestützt hatte, vgl. BAG v. 2.10.1974 – 5 AZR 504/73, AP Nr. 1 zu § 613a BGB, III 5 c der Gründe.
A. Schutz des Leiharbeitnehmers163
nahme dessen Subjektqualität prinzipiell in Frage gestellt wird.78 Das BAG hat sich in neueren Entscheidungen ebenfalls von der Sichtweise distanziert, wonach der gesetzliche Übergang eines Arbeitsverhältnisses durch einen Betriebsübergang die Menschenwürde des betroffenen Arbeitnehmers verletzt.79 Allein durch den Übergang des Arbeitsverhältnisses wird kein Arbeitnehmer zum bloßen Objekt,80 was auch für das zwingende Entstehen eines Arbeitsverhältnisses nach § 10 Abs. 1 AÜG gilt, das einem zwingenden Übergang eines Arbeitsverhältnisses gleich kommt. Durch die Fiktion des § 10 Abs. 1 AÜG wird der Schutzbereich der Menschenwürde des illegal überlassenen Leiharbeitnehmers nicht berührt. b) Eingriff Nach dem heute allgemein anerkannten, sogenannten „modernen“ Eingriffsbegriff werden vielfältige Formen des staatlichen Handelns erfasst. Danach muss ein Eingriff nicht notwendigerweise in seiner Wirkung final, unmittelbar und rechtlich sowie mit Befehl und Zwang angeordnet werden.81 Es genügt, wenn dem Einzelnen durch eine staatliche Maßnahme ein grundrechtlich geschütztes Verhalten faktisch ganz oder teilweise unmöglich gemacht wird.82 Hier wird mit der gesetzlichen Regelung eines fingierten Arbeitsverhältnisses zwar kein Eingriff in die Arbeitsvertragsschlussfreiheit des Leiharbeitnehmers nach Art. 12 GG bezweckt. Tatsächlich wird jedoch dem illegal überlassenen Leiharbeitnehmer durch § 10 Abs. 1 AÜG die Entscheidung abgenommen, ob er mit dem Entleiher ein Arbeitsverhältnis eingeht – die selbstbestimmte Wahl des Arbeitgebers ist dem Leiharbeitnehmer insoweit verwehrt. Die Fiktion eines Arbeitsverhältnisses weist auch objektiv einen 78 BVerfG v. 3.3.2004 – 1 BvR 2378/98, 1 BvR 1084/99, BVerfGE 109, 279, C I 3. b) aa) (1) der Gründe m. w. N. 79 BAG v. 25.1.2001 – 8 AZR 336/00, AP Nr. 215 zu § 613a BGB, III 5 a der Gründe; BAG v. 8.5.2001 – 9 AZR 95/00, AP Nr. 219 zu § 613a BGB, I 1 c) der Gründe; BAG v. 2.3.2006 – 8 AZR 124/05, AP Nr. 25 zu § 419 BGB Funktionsnachfolge, II 3 b der Gründe. 80 BAG v. 25.1.2001 – 8 AZR 336/00, AP Nr. 215 zu § 613a BGB, III 5 a der Gründe; BAG v. 8.5.2001 – 9 AZR 95/00, AP Nr. 219 zu § 613a BGB, I 1 c) der Gründe; BAG v. 2.3.2006 – 8 AZR 124/05, AP Nr. 25 zu § 419 BGB Funktionsnachfolge, II 3 b der Gründe; ebenso Otto, in: FS Richardi, S. 317, 321. 81 Dies wären die Voraussetzungen des klassischen Eingriffsbegriffs, vgl. hierzu Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 251; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Vorb. vor Art. 1. Rn. 27. 82 Peine, in: Merten/Papier, HdB-GR III, § 57 Rn. 31.
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4. Teil: Schutz bei der illegalen Arbeitnehmerüberlassung
Berufsbezug auf, da sie unmittelbar die Ausübung der Arbeitstätigkeit als Leiharbeitnehmer betrifft.83 Die Beeinträchtigung der nach Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Arbeitsvertragsfreiheit des Leiharbeitnehmers durch die Fiktion eines fingierten Arbeitsverhältnisses nach § 10 Abs. 1 AÜG ist demnach als ein Eingriff in einen grundrechtlich geschützten Bereich zu qualifizieren. c) Zwischenergebnis zum Eingriff in einen grundrechtlich geschützten Bereich Das Recht des Arbeitnehmers, selbstbestimmt über die Gestaltung seiner Arbeitsverhältnisse zu bestimmen, ist durch die Freiheit des Arbeitsvertragsschlusses bereichsspezifisch nach Art. 12 Abs. 1 GG geschützt. Es umfasst auch das Recht des Arbeitnehmers, einen bestimmten Arbeitgeber als Vertragspartner auszusuchen bzw. keinen Arbeitgeber gegen seinen Willen aufgedrängt zu bekommen. Die gesetzliche Fiktion eines Arbeitsverhältnisses zwischen dem Entleiher und dem Leiharbeitnehmer nach § 10 Abs. 1 AÜG hindert den illegal überlassenen Leiharbeitnehmer zum einen an der selbstbestimmten Gestaltung seines Arbeitsverhältnisses und zum anderen an der selbstbestimmten Auswahl eines Arbeitgebers als Vertragspartner. § 10 Abs. 1 AÜG stellt damit einen Eingriff in die nach Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit des Leiharbeitnehmers dar. Der Schutzbereich der Menschenwürde ist durch § 10 Abs. 1 AÜG hingegen nicht berührt. 2. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung Ob und inwieweit ein Eingriff in ein Grundrecht durch Gesetz möglich ist, richtet sich nach dem jeweiligen Gesetzesvorbehalt des Grundrechts. Die Berufsfreiheit unterliegt einem einfachen Gesetzesvorbehalt nach Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG. Nach der vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Drei-Stufen-Lehre werden Regelungen zur Berufsausübung anhand ihrer Eingriffsintensität unterschieden, die entsprechend abgestufter Rechtfertigungsgründe bedürfen.84 Insoweit stellt die Stufentheorie eine Konkretisierung und systematische Anwendung des allgemeinen Verhältnismäßigkeitsprinzips dar.85 Liegt für einen Grundrechtseingriff ein im Sinne der Stufen83 Zur Voraussetzung des Berufsbezugs bzw. der objektiv berufsregelnden Tendenz vgl. Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 12 Rn. 14 f. 84 Die Entwicklung der Stufenlehre erfolgte im sogenannten Apothekerurteil, BVerfG v. 11.6.1958 – 1 BvR 596/56, BVerfGE 7, 377 = AP Nr. 13 zu Art. 12 GG. Vgl. ausführlich hierzu Manssen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG I, Art. 12 Rn. 139 ff. 85 Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 12 Rn. 33.
A. Schutz des Leiharbeitnehmers165
theorie rechtfertigender Grund vor, ist darüber hinaus der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu prüfen.86 Bei der Fiktion eines Arbeitsverhältnisses nach § 10 Abs. 1 AÜG handelt es sich weder um eine subjektive noch um eine objektive Zulassungsschranke, sondern um eine Einschränkungen der Berufsausübung. Diese kann nach der Stufentheorie erfolgen, soweit vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls es zweckmäßig erscheinen lassen.87 Verfolgt § 10 Abs. 1 AÜG einen solchen Gemeinwohlzweck, richtet sich des Weiteren die verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Eingriffs danach, ob der in § 10 Abs. 1 AÜG liegende Eingriff geeignet, erforderlich und angemessen ist, um den Zweck verwirklichen. a) Legitimer Gemeinwohlzweck Bei einem Grundrechtseingriff durch ein Gesetz liegt es nahe, den vom Gesetzgeber verfolgten Normzweck anhand des Maßstabs des legitimen Gemeinwohlzwecks zu überprüfen. Grundsätzlich darf der Gesetzgeber auf der Ebene der Berufsausübungsbeschränkungen Gesichtspunkte der Zweckmäßigkeit in den Vordergrund stellen; zur Verfolgung arbeitsrechtlicher, sozial- und wirtschaftspolitischer Ziele besteht ein weiter gesetzgeberischer Spielraum.88 Wie bereits erläutert, dient der Normzweck des § 10 Abs. 1 AÜG zum einen unmittelbar dem Schutz des illegal überlassenen Leiharbeitnehmers, zum anderen mittelbar der Sanktion und Prävention illegaler Arbeitnehmerüberlassung. Im Kontext der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung ist zu untersuchen, ob darin legitime Zwecke liegen, die aus Gründen des Gemeinwohls vernünftig erscheinen. aa) Schutz illegal überlassener Leiharbeitnehmer Das gesamte Regelungswerk des AÜG ist im Lichte des sozialen und arbeitsrechtlichen Schutzes der Leiharbeitnehmer zu betrachten.89 Dies gilt auch für die Regelung des § 10 Abs. 1 AÜG: Ohne das fingierte Arbeitsverhältnis zum Entleiher könnte der illegal überlassene Leiharbeitnehmer keine arbeitsrechtlichen Ansprüche geltend machen, da sein Leiharbeitsvertrag zum Verleiher nach § 9 Nr. 1 AÜG unwirksam ist. Durch die Fiktion eines 86 BVerfG
v. 11.6.1958 – 1 BvR 596/56, BerfGE 7, 377, Ls. 6a. v. 11.6.1958 – 1 BvR 596/56, BerfGE 7, 377, Ls. 6a. 88 Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 12 Rn. 50 m. w. N. 89 BT-Drs. VI/2303, Deckblatt und S. 9. 87 BVerfG
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4. Teil: Schutz bei der illegalen Arbeitnehmerüberlassung
Arbeitsverhältnisses wird der illegal überlassene Leiharbeitnehmer vor der Situation geschützt, weder den Verleiher noch den Entleiher in Anspruch nehmen zu können.90 Der soziale Schutz von illegal überlassenen Leiharbeitnehmern ist daher sicherlich ein Ziel, das aus vernünftigen Gründen des Gemeinwohls zweckmäßig erscheint. bb) Sanktion und Prävention illegaler Arbeitnehmerüberlassung Ein weiterer Normzweck des § 10 Abs. 1 AÜG besteht in der Sanktion und Prävention illegaler Arbeitnehmerüberlassung.91 Das Entstehen eines fingierten Arbeitsverhältnisses hat in erster Linie für den Entleiher eine unmittelbar sanktionierende Wirkung.92 Den Sanktionen kommt eine präventive Wirkung zu, da sowohl für den Entleiher als auch für den Verleiher ein Anreiz zur Kontrolle und Selbstregulierung geschaffen wird, Verstöße gegen die Erlaubnispflicht des § 1 Abs. 1 AÜG von vornherein zu vermeiden.93 Die Sanktion und Prävention der illegalen Arbeitnehmerüberlassung dient auch mittelbar dem kollektiven Schutz von Leiharbeitnehmern, die von einer generellen Steigerung der Zuverlässigkeit aktiver Verleiher profitieren können.94 Es handelt sich somit beim Zweck der Sanktion und Prävention illegaler Arbeitnehmerüberlassung nicht um einen selbständigen Normzweck, der neben den Zweck des Leiharbeitnehmerschutzes tritt. Vielmehr wird durch die Fiktion des Arbeitsverhältnisses nach § 10 Abs. 1 AÜG ausschließlich der legitime Gemeinwohlzweck des Leiharbeitnehmerschutzes verfolgt, was zum einen auf unmittelbare Weise, nämlich in Bezug auf den konkret illegal überlassenen Leiharbeitnehmer geschieht, und zum anderen auf mittelbare Weise, nämlich durch die Prävention illegaler Arbeitnehmerüberlassung im Allgemeinen.
90 BAG
v. 2.6.2010 – 7 AZR 946/08, AP Nr. 22 zu § 10 AÜG, II 3 der Gründe. ausführlich oben, Abschnitt 2. C. II. 2. c) bb). 92 Die sanktionierende Wirkung gegenüber dem Verleiher ergibt sich dagegen mehr aus der Unwirksamkeitsfolge des § 9 Nr. 1 AÜG sowie aus Konsequenzen, die im Verlust seines Unternehmergewinns (vgl. dazu oben, Abschnitt 2. C. II. 2. a) bb)) und in der Haftung für Lohnsteuer und Sozialversicherungsbeiträge (vgl. dazu oben, Abschnitt 2. C. II. 2. b) bb)) bestehen. 93 Vgl. Urban-Crell/Schulz, Arbeitnehmerüberlassung und Arbeitsvermittlung, Rn. 783. 94 Vgl. oben Abschnitt 2. C. II. 2. c) bb). 91 Vgl.
A. Schutz des Leiharbeitnehmers167
b) Verhältnismäßigkeit Die Fiktion eines Arbeitsverhältnisses nach § 10 Abs. 1 AÜG müsste geeignet und erforderlich sein, um den Zweck des Leiharbeitnehmerschutzes zu erreichen, und unter Berücksichtigung der damit einhergehenden Beeinträchtigung der Arbeitsvertragsfreiheit des illegal überlassenen Leiharbeitnehmers auch in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Zweck stehen. aa) Geeignetheit Geeignet ist ein Mittel, wenn der Zustand, den das Mittel schafft und der Zustand, in dem der verfolgte Zweck als verwirklicht anzusehen ist, in einem Kausalzusammenhang stehen, wobei das Mittel den Zweck zumindest fördern muss.95 Ohne das fingierte Arbeitsverhältnis nach § 10 Abs. 1 AÜG könnte der illegal überlassene Leiharbeitnehmer weder Ansprüche gegen den Entleiher noch gegen den Verleiher geltend machen, da der Leiharbeitsvertrag nach § 9 Nr. 1 AÜG unwirksam ist. Durch die Fiktion hat der illegal überlassene Leiharbeitnehmer zumindest die Möglichkeit, den Entleiher als Arbeitgeber in Anspruch zu nehmen, und ist dadurch zumindest formell besser gestellt. Die Regelung des § 10 Abs. 1 AÜG trägt zum Leiharbeitnehmerschutz bei und ist somit als ein geeignetes Mittel zur Verwirklichung dieses Zwecks anzusehen. bb) Erforderlichkeit Der mit einer Maßnahme verfolgte Zweck darf nicht mit einem ebenso wirksamen, aber weniger belastendem Mittel umsetzbar sein.96 Die bestehende Regelung des § 10 Abs. 1 AÜG wäre nicht erforderlich, falls es ein anderes und weniger einschneidendes Mittel als die zwingende gesetzliche Fiktion eines Arbeitsverhältnisses gäbe, das in gleicher Weise geeignet wäre, den Schutz des illegal überlassenen Leiharbeitnehmers sicher zu stellen. Angesichts der Unwirksamkeitsfolge nach § 9 Nr. 1 AÜG steht jedenfalls fest, dass es eines zusätzlichen Mittels bedarf, um den illegal überlassenen Leiharbeitnehmer vor der Situation zu schützen, gar keinen Arbeitgeber in Anspruch nehmen zu können. Es einfach bei der Rechtsfolge des § 9 Nr. 1 95 Pieroth/Schlink, 96 Jarass,
Rn. 295 ff.
Grundrechte, Rn. 293. in: Jarass/Pieroth, Art. 12 Rn. 43 m. w. N.; Pieroth/Schlink, Grundrechte,
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4. Teil: Schutz bei der illegalen Arbeitnehmerüberlassung
AÜG zu belassen, ohne einen Ersatz für das unwirksame Leiharbeitsverhältnis zu regeln, kann nach dem Sinn und Zweck des AÜG, das stets im Sinne des sozialen Schutzes von Leiharbeitnehmern zu verstehen ist,97 nicht akzeptabel sein. Nicht ausgeschlossen wäre es zwar, das Rechtsfolgensystem der §§ 9 Nr. 1, 10 Abs. 1 AÜG insgesamt zu hinterfragen und stattdessen die illegale Arbeitnehmerüberlassung beispielsweise durch eine Verschärfung der strafund ordnungswidrigkeitsrechtlichen Rechtsfolgen zu sanktionieren.98 Bliebe es ohne die Regelung des § 9 Nr. 1 AÜG bei einem Fortbestand des Leiharbeitsverhältnisses zum Verleiher, so wäre auch die gesetzliche Fiktion eines Arbeitsverhältnisses als Ersatz für das Leiharbeitsverhältnis nicht mehr notwendig. Die Freiheit des Leiharbeitnehmers, seinen Arbeitgeber als Vertragspartner selbst zu wählen und keinen Arbeitgeber aufgezwungen zu bekommen, wäre dann von vornherein nicht beeinträchtigt. Dieser Weg ist jedoch nicht in gleicher Weise geeignet, um die mit §§ 9 Nr. 1, 10 Abs. 1 AÜG verfolgten Zwecke zu verwirklichen.99 Maßgeblich ist die Einschätzung des Gesetzgebers, dass die Fiktion eines (neuen) Arbeitsverhältnisses zum Entleiher einen stärkeren Schutz bietet als „eine subsidiäre Haftung des Entleihers für die Erfüllung der Pflichten des Verleihers gegenüber dem Leiharbeitnehmer“,100 da der Verleiher, der ohne Erlaubnis tätig wird, prinzipiell als unzuverlässig eingestuft wird.101 Diese Beurteilung der Erforderlichkeit der Fiktion steht dem Gesetzgeber im Rahmen seiner Einschätzungsprärogative auch zu.102 Gleiches gilt für die Erwägung, dass die Fiktion des Arbeitsverhältnisses nach § 10 Abs. 1 AÜG einen stärkeren Sanktions- und Selbstregulierungszweck verwirklichen kann, als es mit straf- und ordnungswidrigkeitsrechtlichen Mitteln möglich wäre.103 Da kein milderes Mittel ersichtlich ist, das den Zweck des Leiharbeitnehmerschutzes in der gleichen Weise verwirklichen könnte wie die Fiktion eines Arbeitsverhältnisses nach § 10 Abs. 1 AÜG, ist dieses vom Gesetzgeber gewählte Mittel als erforderlich anzusehen. 97 BT-Drs.
VI/2303, S. 9. generell zur Verschärfung der Sanktionen zum Zwecke der Bekämpfung von Verstößen gegen das AÜG Gick, Gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung zwischen Verbot und Neugestaltung, S. 181. 99 Reuter, RdA 2015, 171, 175. 100 BT-Drs. VI/2303, S. 13. 101 Boemke/Lembke, AÜG, § 10 Rn. 10. 102 Zur Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers vgl. Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 292. 103 Vgl. zur Kontroll- und Selbstregulierungsfunktion des § 10 Abs. 1 AÜG Urban-Crell/Schulz, Arbeitnehmerüberlassung und Arbeitsvermittlung, Rn. 783. 98 Vgl.
A. Schutz des Leiharbeitnehmers169
cc) Angemessenheit Schließlich muss das gewählte Mittel zur Verfolgung des legitimen Zwecks auch verhältnismäßig im engeren Sinne sein.104 Dies bedeutet, dass die mit dem Mittel einhergehende Beeinträchtigung und der mit dem Mittel verfolgte Zweck aus Sicht des Einzelnen nicht außer Verhältnis stehen dürfen.105 Der Eingriff in die Arbeitsvertragsfreiheit des illegal überlassenen Leiharbeitnehmers durch § 10 Abs. 1 AÜG muss in einem angemessenen Verhältnis zum Ziel des Leiharbeitnehmerschutzes stehen, was dann der Fall ist, wenn die Fiktion des Arbeitsverhältnisses dem Gewicht und der Bedeutung der Arbeitsvertragsfreiheit des Leiharbeitnehmers ausreichend Rechnung trägt. Für die Bestimmung dieses Verhältnisses ist maßgeblich, wie schwer der Eingriff in die Arbeitsvertragsfreiheit des Leiharbeitnehmers wiegt, da der mit einer Maßnahme verfolgte Zweck umso gewichtiger sein muss, je schwerwiegender der Eingriff in ein grundrechtlich geschütztes Rechtsgut ist.106 Die Intensität des Eingriffs ist hier nicht nur anhand der unmittelbaren Wirkung der Fiktion zu bestimmen, sondern hängt auch davon ab, welche Möglichkeiten für den illegal überlassenen Leiharbeitnehmer bestehen, sich nach allgemeinen arbeitsrechtlichen oder zivilrechtlichen Vorschriften vom fingierten Arbeitsverhältnis zu lösen. Falls dies ohne Weiteres möglich sein sollte, wäre die Eingriffsintensität als deutlich geringer zu bewerten als es bei einem gänzlichen Fehlen von Lösungsmöglichkeiten der Fall wäre. (1) Bestehende Möglichkeiten der Loslösung vom fingierten Arbeitsverhältnis Die Regelung des § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG sieht keinen Ausnahmetatbestand vor. Das fingierte Arbeitsverhältnis entsteht unabhängig vom Willen der Beteiligten,107 es kann jedoch wie jedes vertraglich eingegangene Arbeitsverhältnis nach allgemeinen Grundsätzen beendet werden.108 104 Statt des Begriffs der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne werden auch die Begriffe der Angemessenheit, Proportionalität oder Zumutbarkeit verwendet, vgl. Stern, Staatsrecht Bd. III/2, § 84 II 4. 105 Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 20 Rn. 86 f. m. w. N.; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 299. 106 Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 86a. 107 Schüren/Schüren, AÜG, § 10 Rn. 36 und Rn. 40; Ulber, AÜG, § 10 Rn. 5; ErfK/Wank, § 10 AÜG Rn. 5; Hamann, Fremdpersonal im Unternehmen, S. 100. 108 BAG v. 30.1.1991 – AZR 497/89, AP Nr. 8 zu § 10 AÜG, Ls. 5.; Boemke/ Lembke, AÜG, § 10 Rn. 14; ErfK/Wank, § 10 AÜG Rn. 17.
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4. Teil: Schutz bei der illegalen Arbeitnehmerüberlassung
So bleibt es dem Entleiher und dem illegal überlassenen Leiharbeitnehmer etwa unbenommen, das fingierte Arbeitsverhältnis durch einen Aufhebungsvertrag zu beenden.109 Dies stellt auch keine Umgehung des § 10 Abs. 1 AÜG dar, da diese Vorschrift nicht dazu dient, reguläre Beendigungsmöglichkeiten zu unterbinden.110 Der Aufhebungsvertrag bedarf wie jeder Vertrag der Einigung durch beide Parteien. Der Leiharbeitnehmer ist für eine Aufhebung des fingierten Arbeitsverhältnisses also stets auf die Kooperation des Entleihers angewiesen. Daneben ist eine ordentliche Kündigung des fingierten Arbeitsverhältnisses nach §§ 620 ff. BGB unter Beachtung der entsprechenden Fristen möglich.111 Ist das fingierte Arbeitsverhältnis wirksam befristet, so endet es zum Ablauf der vereinbarten Zeit und ist in der Regel nicht zur einem vorherigen Zeitpunkt ordentlich kündbar, was sich aus § 15 Abs. 1 und Abs. 3 TzBfG ergibt.112 Das fingierte Arbeitsverhältnis gilt gemäß § 10 Abs. 1 Satz 2 AÜG als befristet, wenn der Einsatz beim Entleiher von vornherein als befristet vorgesehen war und zusätzlich ein sachlicher Rechtfertigungsgrund für die Befristung vorliegt.113 Ferner ist eine fristlose Kündigung des fingierten Arbeitsverhältnisses durch den illegal überlassenen Leiharbeitnehmer möglich, wenn ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 BGB vorliegt. Ob der wichtige Grund (im Hinblick auf die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Arbeitsvertragsfreiheit des Leiharbeitnehmers) schon im Entstehen des fingierten Arbeitsverhältnisses gesehen werden kann,114 ist gerade die Tatfrage, die im weiteren Verlauf zu untersuchen sein wird.115 Abgesehen davon ist zur fristlosen Kündigung durch den illegal überlassenen Leiharbeitnehmers ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 BGB notwendig, der auch einen Arbeitnehmer zur fristlosen Kündigung eines regulären Arbeitsverhältnisses berechtigen würde. Eine Anfechtung des fingierten Arbeitsverhältnisses nach den §§ 119 ff. BGB ist allerdings nicht möglich, da dieses nicht durch die Abgabe von Willenserklärungen, sondern von Gesetzes wegen zustande kommt.116 109 Statt vieler Boemke/Lembke, AÜG, § 10 Rn. 31; ErfK/Wank, § 10 AÜG Rn. 17. 110 Schüren/Schüren, AÜG, § 10 Rn. 117. 111 Statt vieler Ulber, AÜG, § 10 Rn. 39. 112 Schüren/Schüren, AÜG, § 10 Rn. 110. 113 Vgl. hierzu im Einzelnen unten, Abschnitt 4. B. II. 1. b). 114 So etwa Ulber, AÜG, § 10 Rn. 37; Urban-Crell/Schulz, Arbeitnehmerüberlassung und Arbeitsvermittlung, Rn. 790. 115 Vgl. dazu unten, Abschnitt 4. A. II. 3. c). 116 Statt vieler Thüsing/Mengel, AÜG, § 10 Rn. 49.
A. Schutz des Leiharbeitnehmers171
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass es keine Möglichkeit des illegal überlassenen Leiharbeitnehmers gibt, das fingierte Arbeitsverhältnis einseitig und mit sofortiger Wirkung zu beenden. Die bestehenden regulären Lösungsmöglichkeiten setzen entweder den Ablauf einer bestimmten Frist, einen bestimmten Grund oder die Zustimmung des Entleihers voraus. Da der Zwangscharakter der Fiktion nach § 10 Abs. 1 AÜG durch die bestehenden Lösungsmöglichkeiten nicht neutralisiert und auch nicht abgeschwächt werden kann, sind die genannten Lösungsmöglichkeiten bei der Beurteilung der Intensität des Eingriffs vernachlässigbar. (2) Gegenüberstellung der abzuwägenden Rechtsgüter Durch die Fiktion eines Arbeitsverhältnisses nach § 10 Abs. 1 AÜG wird zum Zweck des Leiharbeitnehmerschutzes in die Arbeitsvertragsfreiheit des illegal überlassenen Leiharbeitnehmers eingegriffen. Diese beiden Rechtspositionen sind zunächst jeweils für sich genommen auf ihre Gewichtung und ihren abstrakten Wertgehalt hin zu untersuchen, bevor sie im Rahmen der Güterabwägung zueinander ins Verhältnis gesetzt werden.117 (a) Arbeitsvertragsfreiheit des illegal überlassenen Leiharbeitnehmers Durch das Entstehen eines fingierten Arbeitsverhältnisses nach § 10 Abs. 1 AÜG wird dem illegal überlassenen Leiharbeitnehmers die selbstbestimmte Gestaltung seines Arbeitsverhältnisses einschließlich der Auswahl seines Vertragspartners verwehrt. Die Arbeitsvertragsfreiheit ist eine Ausprägung der Vertragsautonomie im Arbeitsrecht, die bereichsspezifisch nach Art. 12 Abs. 1 GG geschützt wird.118 In der Fiktion eines Arbeitsverhältnisses nach § 10 Abs. 1 AÜG liegt demnach ein Eingriff in ein Rechtsgut von Verfassungsrang. (b) S chutz des illegal überlassenen Leiharbeitnehmers durch § 10 Abs. 1 AÜG Die Fiktion des § 10 Abs. 1 AÜG erfolgt zum Schutz von Leiharbeitnehmern und verfolgt damit einen legitimen Gemeinwohlzweck.119 Über den „Rang“ eines legitimen Gemeinwohlzwecks hinaus kann dem Ziel des Ar117 Vgl. zur Notwendigkeit, innerhalb der Angemessenheitsprüfung zunächst den Rang des zu schützenden Rechtsguts zu ermitteln, Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 86a. 118 Vgl. oben, Abschnitt 4. A. II. 1. a) aa) (1). 119 Vgl. oben, Abschnitt 4. A. II. 2. a).
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4. Teil: Schutz bei der illegalen Arbeitnehmerüberlassung
beitnehmerschutzes im Einzelfall auch Verfassungsrang zukommen. Da das beeinträchtigte Rechtsgut der Arbeitsvertragsfreiheit Verfassungsrang hat, ist es für die Güterabwägung von entscheidender Bedeutung, ob auch dem geschützten Rechtsgut des Leiharbeitnehmerschutzes Verfassungsrang zukommt. Maßgeblich ist, in welchen Fällen dem Zweck des Arbeitnehmerschutzes grundsätzlich Verfassungsrang zukommen kann und ob dies auch auf den durch § 10 Abs. 1 AÜG verfolgten Leiharbeitnehmerschutz zutrifft. (aa) Verfassungsrang des Arbeitnehmerschutzes Die Berufsfreiheit verbürgt nicht nur subjektive Freiheits- bzw. Abwehrrechte, sondern enthält auch eine objektive verfassungsrechtliche Wertentscheidung.120 Aus dem objektiv-rechtlichen Gehalt eines Grundrechts folgen entsprechende Vorgaben für staatliches Handeln,121 wobei dem Gesetzgeber die Aufgabe zukommt, die tatsächlichen Voraussetzungen für die Grundrechtsausübung sicher zu stellen bzw. zu schaffen.122 Besteht ein strukturelles Ungleichgewicht zulasten einer Partei, so folgt daraus ein staatlicher Auftrag, die Selbstbestimmung dieser schwächeren Partei nicht faktisch zur Fremdbestimmung durch die jeweils andere Partei werden zu lassen.123 Gerade im Arbeitsrecht gilt nicht ohne Weiteres die Vermutung, dass die Privatautonomie stets zum Abschluss interessengerechter Verträge führen wird.124 Dies ist dem typischerweise vorliegenden sozialen und wirtschaftlichen Machtgefälle zwischen dem Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer geschuldet.125 Das Bundesverfassungsgericht führt hierzu aus: „Zwingende Regelungen des Arbeitsrechts schaffen erst den Rahmen, in dem die mehrheitlich abhängig Beschäftigten ihre Grundrechte aus Art. 12 I GG unter 120 Papier, RdA 1989, 137, 139; Pieroth, Arbeitnehmerüberlassung unter dem Grundgesetz, S. 49 ff. 121 Hierzu Calliess, in: Merten/Papier, HdB-GR II, § 44 Rn. 5 ff. 122 Pieroth, Arbeitnehmerüberlassung unter dem Grundgesetz, S. 50; ähnlich Hesse, Verfassungsrecht, Rn. 303, der die rechtlichen Ausgestaltungen der Lebensbereiche, die die Grundreche gewährleisten sollen, als Aufgabe der Gesetzgebung sieht; kritisch grundsätzlich zum Gebot des staatlichen Handelns zum Schutz der Grundrechte Zöllner, AcP 196 (1996), S. 1, 11. 123 BVerfG v. 7.2.1990 – 1 BvR 26/84, BVerfGE 81, 242 = AP Nr. 65 zu Art. 12 GG, C I 3 der Gründe; Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, S. 248 m. w. N. 124 Borrmann, RdA 1989, 150, 151; Ehmann/Schmidt, NZA 1995, 193, 198. 125 Ehmann/Schmidt, NZA 1995, 193, 198; Klebeck, Gleichstellung der Leiharbeitnehmer als Verfassungsverstoß, S. 159; Plander, in: FS Gnade, S. 79, 80 f.; Singer, JZ 1995, 1133, 1138 m. w. N. Spezifisch zum Machtungleichgewicht im Leiharbeitsverhältnis (in Zusammenhang mit dem Equal Pay und Equal Treatment Grundsatz) vgl. BVerfG v. 29.12.2004 – 1 BvR 2283/03, DB 2005, 110, II 3 b) bb) (1) der Gründe.
A. Schutz des Leiharbeitnehmers173
angemessenen Bedingungen verwirklichen können.“126 Vor diesem Hintergrund sind verbindliche arbeitsrechtliche Regelungen wie beispielsweise das Kündigungsschutzrecht127 oder Arbeitszeitregelungen im weiteren Sinne (wie das Bundesurlaubsgesetz)128 zu verstehen, die durch die inhaltliche und formelle Bindung des Arbeitgebers Mindeststandards des Arbeitnehmerschutzes setzen.129 Ein anschauliches Beispiel für die gesetzgeberische Adressierung des Machtungleichgewichts zulasten von abhängig Beschäftigen ist auch der Equal Pay und Equal Treatment Grundsatz.130 Grundsätzlich kann der Gesetzgeber in solchen Fällen zum Schutz der strukturell schwächeren Partei eingreifend tätig werden, in denen es an „einem annähernden Kräftegleichgewicht der Beteiligten“131 fehlt.132 Ob und unter welchen Umständen eine staatliche Pflicht zur Regelung bzw. Korrektur eines strukturellen Ungleichgewichts innerhalb eines durchgeführten Vertragsverhältnisses besteht, wurde im Rahmen der sogenannten Paritätsdiskussion im Zivil- und Arbeitsrecht kontrovers beurteilt.133 Hier 126 BVerfG v. 6.10.1987 – 1 BvR 1086/82, BVerfGE 77, 84 = NJW 1988, 1195, V 1 b der Gründe; ebenso in diesem Sinne BVerfG v. 29.12.2004 – 1 BvR 2283/03, DB 2005, 110, II 3 b) bb) (1) der Gründe; Papier, RdA 1989, 137, 139; Plander, in: FS Gnade, S. 79, 86. 127 Papier, RdA 1989, 137, 140. 128 Vgl. Kämmerer/Thüsing, Leiharbeit und Verfassungsrecht, S. 71. 129 Im Übrigen ist das Arbeitsrecht nicht der einzige Bereich, in dem die Schutzbedürftigkeit des typischerweise unterlegenen Vertragsteils den Gesetzgeber zum Handeln veranlasst hat – auch viele Regelungen des Vertragsrechts sind in diesem Kontext zu lesen, etwa das AGB-Recht, das Verbraucherschutzrecht und das soziale Mietrecht, vgl. Kämmerer/Thüsing, Leiharbeit und Verfassungsrecht, S. 70; Plander, in: FS Gnade, S. 79, 81; Singer, JZ 1995, 1133, 1138. 130 Vgl. Ulber, AÜG, § 9 Rn. 106 mit der Ausführung, dass das Machtungleichgewicht im Leiharbeitsverhältnis zu einem niedrigeren Lohnniveau von Leiharbeitnehmern führt. 131 Vgl. die sogenannte Handelsvertreterentscheidung, BVerfG v. 7.2.1990 – 1 BvR 26/84, BVerfGE 81, 242 = AP Nr. 65 zu Art. 12 GG, Ls. 1. 132 Preis, Grundfragen der Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht, S. 284. 133 Anlass waren folgende Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts: BVerfG v. 7.2.1990 – 1 BvR 26/84, BVerfGE 81, 242 = AP Nr. 65 zu Art. 12 GG (Handelsvertreterentscheidung), BVerfG v. 19.10.1993 − 1 BvR 567/89, BVerfGE 89, 214 = AP Nr. 35 zu Art. 2 GG sowie BVerfG v. 5.8.1994 – 1 BvR 1402/89, NJW 1994, 2749, 2750 (Bürgschaftsentscheidungen); zustimmend Wiedemann, JZ 1994, 411, 412; Honsell, NJW 1994, 565 f.; Thüsing, in: FS Wiedemann, S. 559, 564; Preis/Rolfs, DB 1994, 261, 264; Kämmerer/Thüsing, Leiharbeit und Verfassungsrecht, S. 70; kritisch Adomeit, NJW 1994, 2467 ff.; Adomeit, in: FS Konzen, Singer, JZ 1995, 1133, 1137; Reichold, in: FS Adomeit, S. 583, 586 ff.; Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, S. 276; kritisch zur Schutzgebotsfunktion der Grundrechte Zöllner, AcP 196 (1996), S. 1, 11; zusammenfassend Prütting, in: Arbeitnehmerinteressen und Verfassung, S. 1, 27 ff.
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4. Teil: Schutz bei der illegalen Arbeitnehmerüberlassung
geht es jedoch nicht um die Frage, ob etwa eine gerichtliche Kontrolle von bestehenden Arbeitsverhältnissen zugunsten des sozial und wirtschaftlich unterlegenen Arbeitnehmers möglich und notwendig ist, sondern lediglich um die allgemeine Feststellung, dass aus Art. 12 Abs. 1 GG eine Pflicht des Gesetzgebers folgt, einen gesetzlichen Rahmen für die Berufsbetätigung zu schaffen, damit insbesondere Arbeitnehmer ihre Freiheit zur beruflichen Betätigung unter angemessenen Bedingungen ausüben können.134 Dies gilt grundsätzlich auch für die berufliche Betätigung der Arbeitgeber und aller, die sich auf den Schutz des Art. 12 Abs. 1 GG berufen können, nur besteht angesichts der tatsächlichen Gegebenheiten der abhängigen Beschäftigung ein größeres Bedürfnis für Regelungen, die auf den Schutz von abhängig beschäftigten Arbeitnehmern gerichtet sind. Der aus Art. 12 Abs. 1 GG folgende Schutzauftrag darf schließlich auch nicht dahingehend überinterpretiert werden, dass jegliche Arbeitnehmerschutznorm als verfassungsmäßig geboten erachtet wird.135 Es sind stets die entgegenstehenden Interessen der weiteren Beteiligten, insbesondere diejenigen des Arbeitgebers, zu berücksichtigen.136 Seltener ist, wie im vorliegenden Fall, als entgegenstehende Rechtsposition die ebenfalls nach Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Arbeitsvertragsfreiheit des Arbeitnehmers selbst zu berücksichtigen. Aber auch das Rechtsgut der Vertragsfreiheit des zu schützenden Arbeitnehmers kann nicht von vornherein bedingungslos dem Ziel des Arbeitnehmerschutzes untergeordnet werden − Arbeitsrecht ist kein „Kontrollsystem gegenüber der Vertragsfreiheit“.137 Nur eine Abwägung kann ergeben, welchem Rechtsgut im Einzelfall ein höheres Gewicht zukommt. Demnach kommt dem Zweck des Arbeitnehmerschutzes Verfassungsrang in dem Sinne, dass dem objektiven Wertgehalt des Art. 12 Abs. 1 GG Rechnung getragen wird, nur zu, wenn durch die jeweilige Regelung eine vollumfängliche Entfaltung der Berufsfreiheit von abhängig Beschäftigten erst 134 BVerfG v. 29.12.2004 – 1 BvR 2283/03, DB 2005, 110, II 3 b) bb) (1) der Gründe; Papier, RdA 1989, 137, 139. 135 Löwisch, ZfA 1996, 293, 295; Klebeck, Gleichstellung der Leiharbeitnehmer als Verfassungsverstoß, S. 159. 136 Plander, in: FS Gnade, S. 79, 86; ferner Papier, RdA 1989, 137, 139 mit der Warnung, dass angesichts der notwendigen Berücksichtigung anderer Rechtspositionen „Art. 12 Abs. 1 GG ebensowenig wie das Sozialstaatsprinzip dafür herhalten kann, in: einem „naiven Verfassungsrausch“ bestimmte Arbeitnehmer- bzw. Bestandsschutzregeln als von der Verfassung gefordert oder als verfassungsfest zu deklarieren.“ 137 Kissel, in: FS Otto, S. 225, 242. Vgl. ferner Picker, ZfA 2002, 469, 519; Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, S. 276; Boemke, NZA 532, 534 zur Privat autonomie als Ordnungsprinzip (auch) des geltenden Arbeitsrechts.
A. Schutz des Leiharbeitnehmers175
ermöglicht oder gefördert wird.138 Dieser Verfassungsrang ist bei der Gewichtung der entgegenstehenden Rechtsgüter zu beachten, kann jedoch nicht das Ergebnis des Interessenausgleichs vorwegnehmen, insbesondere, wenn dem Rechtsgut des Arbeitnehmerschutzes andere, ebenfalls grundrechtlich geschützte Rechtspositionen entgegenstehen. (bb) V erfassungsrang des durch § 10 Abs. 1 AÜG bezweckten Leiharbeitnehmerschutzes Bei der Arbeitnehmerüberlassung ist das strukturelle Ungleichgewicht zwischen den Leiharbeitnehmern auf der einen Seite und den jeweiligen Verleihern und Entleihern auf der anderen Seite typischerweise noch stärker zulasten der Leiharbeitnehmer verschoben als bei einem regulären Arbeitsverhältnis ohne Drittbezug.139 Eine verhältnismäßig höhere Regelungsdichte bei der Arbeitnehmerüberlassung kann daher grundsätzlich durchaus mit dem Schutzauftrag gerechtfertigt werden, der aus dem objektiv-rechtlichen Gehalt des Art. 12 Abs. 1 GG folgt. Konkret ist danach zu fragen, ob durch die Fiktion eines fingierten Arbeitsverhältnisses nach § 10 Abs. 1 AÜG die illegal überlassenen Leiharbeitnehmer in der Ausübung ihrer Berufsfreiheit besser geschützt sind – nur dann ist der verwirklichte Leiharbeitnehmerschutz als Umsetzung des aus dem objektiv-rechtlichen Gehalts des Art. 12 Abs. 1 GG folgenden Schutzauftrags zu verstehen.140 Durch das fingierte Arbeitsverhältnis eröffnet sich 138 In diesem Sinne Löwisch, ZfA 1996, 293, 295; Klebeck, Gleichstellung der Leiharbeitnehmer als Verfassungsverstoß, S. 159; Thüsing, in: FS Wiedemann, S. 559, 568. Ein anderer verfassungsrechtlicher Regelungsauftrag zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit von Arbeitnehmern kann sich aus Art. 2 Abs. 2 GG für arbeitsrechtliche Sicherheitsvorschriften bei gefahrgeneigten Tätigkeiten ergeben, vgl. dazu Thüsing, in: FS Wiedemann, S. 559. Ein weiterer Schutzauftrag kann aus dem Sozialstaatsprinzip nach Art. 20 GG zur Schaffung sozial akzeptabler Arbeitsbedingungen folgen, vgl. Kämmerer/Thüsing, Leiharbeit und Verfassungsrecht, S. 70. Beides ist hier nicht einschlägig. 139 Vgl. Kämmerer/Thüsing, Leiharbeit und Verfassungsrecht, S. 71 und S. 72 mit den Ausführungen, dass sich das strukturelle Ungleichgewicht nicht nur aus einem wirtschaftlichen, intellektuellen oder informationsbezogenen Gefälle ergebe, sondern aus der besonderen Marktstruktur der Leiharbeit, die zu einem wesentlichen Teil im Niedriglohnbereich erfolge und auch von einem Mangel an Koalitionen gekennzeichnet sei, die Leiharbeitnehmerinteressen effektiv vertreten. 140 So auch Pieroth, Arbeitnehmerüberlassung unter dem Grundgesetz, S. 88 (im Rahmen der Prüfung, ob die Berufsfreiheit der Verleiher durch den Regierungsentwurf verletzt ist): „Soweit für die geplante gesetzliche Regelung nachgewiesen werden kann, daß durch sie das Maß der tatsächlichen individuellen Entfaltungschancen der Leiharbeitnehmer bei der Bestimmung ihrer Arbeitsbedingungen erhöht wird, ist sie durch Art. 12 Abs. 1 GG (in seiner objektiv-rechtlichen Dimension)
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4. Teil: Schutz bei der illegalen Arbeitnehmerüberlassung
dem illegal überlassenen Leiharbeitnehmer zwar keine erweiterte Möglichkeit zur Gestaltung seiner Arbeitsbedingungen. Allerdings schützt § 10 Abs. 1 AÜG illegal überlassene Leiharbeitnehmer im weiteren Sinne vor den negativen Folgen illegaler Arbeitnehmerüberlassung, indem ein Arbeitsverhältnis zum Entleiher als Ersatz für das nach § 9 Nr. 1 AÜG unwirksame Leiharbeitsverhältnis zum Verleiher fingiert wird.141 Es handelt sich bei der Unwirksamkeit des Leiharbeitsvertrags zwar um eine gesetzliche Folge und nicht um einen Umstand, der dem typischerweise vorliegenden Machtgefälle zwischen dem Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer geschuldet ist. Unerheblich ist jedoch, ob eine Fremdbestimmung, die sich hier in der Unwirksamkeitsfolge des § 9 Nr. 1 AÜG manifestiert, auf den Gesetzgeber oder auf den Arbeitgeber zurückzuführen ist. Aus Gründen des Leiharbeitnehmerschutzes ist es jedenfalls notwendig, dieses Ergebnis durch eine weitere gesetzliche Regelung zum Schutz des Leiharbeitnehmers zu korrigieren, da es untragbar wäre, es bei der Unwirksamkeit des Leiharbeitsvertrags zu belassen und keinen Ersatz hierfür zu schaffen.142 Durch die Regelung des § 10 Abs. 1 AÜG wird zumindest formell sichergestellt, dass die vom illegal überlassenen Leiharbeitnehmer gewählte Beschäftigungsform, nämlich die Anstellung beim Verleiher zur Erbringung von Arbeitsleistungen bei Dritten, nicht gänzlich gegenstandslos wird, sondern zumindest die Inanspruchnahme des Entleihers als Arbeitgeber möglich ist.143 Der mit der Fiktion nach § 10 Abs. 1 AÜG bezweckte Leiharbeitnehmerschutz trägt zur Umsetzung des Schutzauftrags bei, der aus dem objektivrechtlichen Gehalt der nach Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Berufsfreiheit folgt, und kann somit im Rahmen der folgenden Güterabwägung als Rechtsposition von Verfassungsrang gewichtet werden. (c) Zwischenergebnis Durch die Fiktion eines Arbeitsverhältnisses nach § 10 Abs. 1 AÜG wird in die Arbeitsvertragsfreiheit des illegal überlassenen Leiharbeitnehmers gedeckt, und es hat eine Konfliktlösung zwischen den insofern konträren Verfassungsnorm(wirkung)en stattzufinden“. 141 Stellt man die Rechtsfolge des § 9 Nr. 1 AÜG in Frage, so bestehen sicherlich andere Möglichkeiten, wie das Rechtsfolgensystem unerlaubter Arbeitnehmerüberlassung insgesamt so gestaltet werden kann, dass der Schutz der Leiharbeitnehmer dadurch sicher gestellt wird, dies ist jedoch hier nicht Untersuchungsgegenstand. 142 Dies verdeutlicht im Übrigen einmal mehr, dass § 10 AÜG und § 9 AÜG als ein zusammenhängendes Regelungsgefüge anzusehen sind. 143 Ebenso Picker, ZfA 2002, 469, 519, der den Zweck des § 10 Abs. 1 AÜG als ultima ratio anerkennt, da der Arbeitnehmer vor der Situation bewahrt wird, seine Arbeit an den Entleiher ohne Vertrag erbracht zu haben.
A. Schutz des Leiharbeitnehmers177
eingegriffen. Das dadurch beeinträchtigte Rechtsgut der Arbeitsvertragsfreiheit des illegal überlassenen Leiharbeitnehmers unterfällt dem Schutz des Art. 12 Abs. 1 GG. Der mit der Maßnahme verfolgte Zweck des Leiharbeitnehmerschutzes ist jedoch ebenfalls vor dem Hintergrund des Schutzauftrags zu sehen, der aus dem objektiv-rechtlichen Gehalt des Art. 12 Abs. 1 GG folgt. Es handelt sich somit bei beiden entgegenstehenden Rechtsgütern, die im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung abzuwägen sind, um Rechtspositionen von Verfassungsrang. Kollidieren verfassungsrechtlich geschützte Rechtsgüter, sind diese nach dem Prinzip der praktischen Konkordanz in Einklang zu bringen.144 Dabei ist jede verfassungsrechtlich geschützte Rechtsposition so zu begrenzen, dass beide jeweils optimale Wirksamkeit entfalten können.145 Im Folgenden sind das durch § 10 Abs. 1 AÜG beeinträchtigte Rechtsgut der Arbeitsvertragsfreiheit des illegal überlassenen Leiharbeitnehmers und das Rechtsgut des Leiharbeitnehmerschutzes im Sinne einer praktischen Konkordanz auszugleichen.146 (3) Abstrakte Abwägungskriterien Bevor die entgegenstehenden Rechtspositionen konkret zueinander ins Verhältnis gesetzt und gegeneinander abgewogen werden, ist es hilfreich, das „abstrakte Werteverhältnis“ der abzuwägenden Rechtsgüter zu untersuchen. Dies dient der Feststellung, ob möglicherweise ein „Werteüberhang“ zugunsten eines der beiden Rechtsgüter besteht.147 Kommt einem der beiden Rechtsgüter nämlich bereits bei einer generell-abstrakten Betrachtung ein höherer verfassungsrechtlicher Rang zu, so hat dies bei der anschließenden Abwägung im konkreten Fall eine Indizwirkung.148 Vorliegend handelt es sich bei den abzuwägenden Rechtsgütern um die Arbeitsvertragsfreiheit des illegal überlassenen Leiharbeitnehmers auf der einen Seite und den Zweck des Leiharbeitnehmerschutzes auf der anderen Seite. Im weiteren Sinne geht es damit um den Ausgleich zwischen der privatautonomen Selbstbestimmung des Arbeitnehmers und dessen fremdbe144 Hesse,
Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 72. Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 72. 146 Vgl. Löwisch, in: FS Adomeit, S. 433, 435 zur grundsätzlichen Notwendigkeit des konkordanten Ausgleichs zwischen dem privatautonomen Handeln des Arbeitnehmers und seinem fremdbestimmten Schutz. 147 Zur „Wertrangordnung“ im Verhältnis zwischen Rechtsgütern von Verfassungsrang vgl. Stern, Staatsrecht Bd. III/2, § 84 IV 6. 148 Diesen Ansatz verfolgt auch Freihube, DB 2000, 1022, 1025 (bei der Feststellung des abstrakten Werteverhältnisses zwischen Art. 9 Abs. 3 GG und Art. 12 GG). 145 Hesse,
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4. Teil: Schutz bei der illegalen Arbeitnehmerüberlassung
stimmten (weil zwingenden) Schutz. Wie weit der Schutz eines Arbeitnehmers auch gegen seinen ausdrücklichen Willen gehen kann und muss, gehört zu den Grundsatzfragen des Arbeitsrechts, auf die sich verschiedene arbeitsrechtliche Konstellationen zurückführen lassen. Dementsprechend ist diese grundsätzliche Frage in Rechtsprechung und Schrifttum bereits an verschiedener Stelle behandelt worden. Bestehende Denkansätze und Richtungsvorgaben können daher als Anhaltspunkte genutzt werden, so dass die Bestimmung des abstrakten Werteverhältnisses zwischen der Selbstbestimmung des Arbeitnehmers im Arbeitsvertragsrecht und dem zwingenden Arbeitnehmerschutz nicht gänzlich im „luftleeren Raum“ erfolgen muss. (a) Schutz des Arbeitnehmers vor fremdbestimmtem Arbeitnehmerschutz Aus Sicht des Leiharbeitnehmers, der im Einzelfall den Schutz durch das nach § 10 Abs. 1 AÜG fingierte Arbeitsverhältnis nicht wahrnehmen möchte, stellt sich die Frage, ob es einen Schutz vor aufgezwungenem und damit fremdbestimmtem Arbeitnehmerschutz gibt. Die grundsätzlich dahinter stehende Frage ist, ob und inwieweit zwingender Arbeitnehmerschutz abdingbar sein kann, wenn der Arbeitnehmer sich selbst nicht als schutzbedürftig erachtet. Löwisch weist zu Recht darauf hin, dass Arbeitnehmerschutz im Arbeitsvertragsrecht stets mit einem gewissen Maß an Fremdbestimmung einhergeht, da nur mit zwingenden, unabdingbaren Rechtsnormen eine Bindung des Arbeitgebers zum Schutz des Arbeitnehmers gewährleistet werden kann.149 Deutlich wird dies am Beispiel des Kündigungsschutzrechts, das seine Schutzwirkung nur entfalten kann, wenn die jeweiligen verfahrensmäßigen Anforderungen vom Arbeitgeber zwingend einzuhalten sind.150 Notwendigerweise hat die Unabdingbarkeit solcher Regelungen gegenüber dem Arbeitnehmer denselben Zwangscharakter wie für den Arbeitgeber, auch wenn der Arbeitnehmer diesen Zwang oft nicht als solchen empfinden mag, wenn er selbst davon profitiert. Dies zeigt beispielhaft, weshalb die Problematik des „Schutzes vor zu viel Schutz“ wegen der geringeren praktischen Relevanz nie im Fokus des Arbeitsrechts stand.151 149 Löwisch, ZfA 1996, 293, 296 und 306: „Im Arbeitsverhältnisrecht ist das einseitig zugunsten des Arbeitnehmers zwingende Gesetz die Regel“. 150 Vgl. hierzu Papier, RdA 1989, 137, 140. 151 Vgl. Löwisch, ZfA 1996, 293, 299: „Die Annahme typischen Übergewichts des Arbeitgebers und die Beherrschung der Vertragsgestaltung durch ihn lassen den Gedanken, es könne auch ein Schutz vor zuviel Schutz notwendig sein, kaum aufkommen“; ders., in: FS Adomeit, S. 433, 435; ebenso Hanau, in: FS Wißmann, S. 27, 30 mit der Feststellung, dass der Schutz der Vertragsfreiheit und Berufsfrei-
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Schutznormen können stets nur den pauschalisierten Schutz einer als schutzbedürftig angesehenen Gruppe verwirklichen. Dass im Einzelfall der Schutz eines bestimmten Arbeitnehmers möglicherweise nicht notwendig ist, genügt noch nicht für die Abdingbarkeit einer zwingenden Schutznorm. Zu untersuchen ist vielmehr, ob und inwieweit zwingender Arbeitnehmerschutz zurückweichen muss, wenn der Schutzbedürftige in Ausübung seiner durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten arbeitsrechtlichen Vertragsfreiheit eine autonome Entscheidung gegen den Schutz trifft.152 Das Arbeitsrecht kann nämlich gerade nicht als „ein einziges Kontrollsystem gegenüber der Vertragsfreiheit“153 verstanden werden, da sonst jede arbeitsrechtliche Regelung als rechtliche Schranke der Vertragsautonomie aufzufassen wäre, womit sich eine Abwägung von vornherein erledigen würde.154 An anderen Beispielen aus dem Arbeitsrecht wird dieses Spannungsverhältnis zwischen dem zwingendem Arbeitnehmerschutz und dem selbstbestimmtem Verzicht auf den Arbeitnehmerschutz noch deutlicher. Ergiebig ist eine nähere Betrachtung dieser anderen Konstellationen, da die dazu entwickelten Lösungsansätze der Rechtsprechung und des Schrifttums bereits eine deutliche Tendenz erkennen lassen, wie das abstrakte Werteverhältnis zwischen dem zwingenden Arbeitnehmerschutz und dem konträren Recht des Arbeitnehmers zur Selbstbestimmung zu beurteilen ist. (aa) Entwicklung des Widerspruchsrechts beim Betriebsübergang Die Entwicklung des Widerspruchsrechts beim Betriebsübergang nach § 613a BGB veranschaulicht, welcher verfassungsrechtliche Stellenwert der Selbstbestimmung des Arbeitnehmers im Bereich des Arbeitsvertragsrechts beigemessen wird. Bei einem rechtsgeschäftlichen Betriebsübergang gehen die Arbeitsverhältnisse der betroffenen Arbeitnehmer gemäß § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB auf den neuen Betriebsinhaber über. Es erfolgt dadurch ein gesetzlicher Arbeitgeberwechsel ohne Zustimmung des betroffenen Arbeitnehmers. Die Rechtsprechung erkannte schon frühzeitig die grundrechtliche Dimension eines solchen fremdbestimmten Arbeitgeberwechsels und entwickelte das Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers im Wege verfassungskonformer Ausheit vor zwingendem Arbeitsrecht meist aus der Perspektive der Arbeitgeber betrachtet wird. 152 So auch Hanau, in: FS Wißmann, S. 27, 30, mit weiteren Ausführungen zu kontraproduktiven, d. h. ungeeigneten Schutzvorschriften im Arbeitsrecht. 153 Adomeit, in: Hanau/Adomeit, ArbR, B I 4, S. 22. 154 Ebenso Boemke, NZA 1993, 532, 534.
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4. Teil: Schutz bei der illegalen Arbeitnehmerüberlassung
legung des § 613a BGB.155 Die Ausübung des Widerspruchsrechts durch den Arbeitnehmer hat zur Folge, dass das Arbeitsverhältnis nicht auf den Erwerber übergeht, sondern ununterbrochen zwischen dem Betriebsveräußerer und dem widersprechenden Arbeitnehmer fortbesteht.156 Die gesetzliche Kodifizierung des Widerspruchsrechts erfolgte schließlich mit Wirkung zum 1.4.2002 durch Neuregelung der Absätze 5 und 6 des § 613a BGB.157 Für ein Verständnis der verfassungsrechtlichen Verankerung des Widerspruchsrechts ist die vorangegangene extensive Rechtsprechung nach wie vor aufschlussreich.158 Die Interessenlage beim Betriebsübergang ist ebenfalls geprägt vom Spannungsverhältnis zwischen dem Arbeitnehmerschutz (hier in Form des Bestandsschutzes) auf der einen Seite sowie der Selbstbestimmung des Arbeitnehmers über das Schicksal seines Arbeitsverhältnisses auf der anderen Seite.159 Der zwingende Übergang des Arbeitsverhältnisses auf den Betriebserwerber nach § 613a BGB dient zu einem wesentlichen Teil der Sicherung der Arbeitsplätze der betroffenen Arbeitnehmer.160 Dieser Bestandsschutz kann in Einzelfällen aber auch „eine gegen die Arbeitnehmer gerichtete Komponente“ aufweisen, da jeder betroffene Arbeitnehmer nach § 613a Abs. 1 BGB gezwungen ist, sein Arbeitsverhältnis mit dem Betriebserwerber fortzuführen.161 Streitig war somit lange Zeit die grundsätzliche Frage, ob der Übergang des Arbeitsverhältnisses nach § 613a BGB gegen den Willen des Arbeitnehmers zulässig ist. In Bekräftigung seiner Rechtsprechung zur Rechtslage vor der Einführung des § 613a BGB entschied das BAG, dass ein Übergang des Arbeitsverhältnisses auf einen Dritten gegen den Willen des Arbeitnehmers nicht möglich ist und dass dem Arbeitnehmer deshalb ein Widerspruchsrecht zustehen 155 Grundlegend BAG v. 2.10.1974 − 5 AZR 504/73, AP Nr. 1 zu § 613a BGB; seitdem ständige Rechtsprechung; beispielhaft BAG v. 30.10.1986 – 2 AZR 101/85, AP Nr. 55 zu § 613a BGB. 156 Das Widerspruchsrecht zielt auf die Änderung des Arbeitsverhältnisses zum Erwerber ab und ist somit ein Gestaltungsrecht in Form eines Rechtsfolgenverweigerungsrechts, vgl. BAG v. 30.10.1986 – 2 AZR 101/85, AP Nr. 55 zu § 613a BGB; Klumpp/Jochums, JuS 2006, 687 m. w. N. 157 Gesetz zur Änderung des Seemannsgesetzes und anderer Gesetze v. 23.3.2002, BGBl. I 2002, S. 1163. 158 Vgl. BT-Drucks. 14/7760, S. 20. 159 Opitz, Probleme des arbeitnehmerseitigen Widerspruchs beim Betriebsübergang, S. 32 f. 160 ErfK/Preis, § 613a BGB Rn. 2, mit Verweis auf die weiteren Zwecke der Sicherung der Mitwirkungsrechte des Betriebsrats und der Haftungsverteilung zwischen dem bisherigen und dem neuen Arbeitgeber. 161 Willemsen, in: Willemsen/Hohenstatt/Schweibert/Seibt, Abschnitt G Rn. 27.
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muss.162 Das BAG hob hervor, dass ein Übergang des Arbeitsverhältnisses gegen den Willen des Arbeitnehmers im Hinblick auf die Berufsfreiheit problematisch wäre: „Das Recht des Arbeitnehmers, seinen Arbeitsplatz frei wählen zu können, umfasst auch die Entscheidung darüber, mit welchem Arbeitgeber er ein Arbeitsverhältnis begründen will.“163 Des Weiteren wurde die Notwendigkeit eines Widerspruchsrechts damit begründet, dass es die Menschenwürde des Arbeitnehmers nach Art. 1 GG verletze, „ihn an den Betrieb mit seinem neuen Inhaber zu ketten“.164 Letzteres kann hier vernachlässigt werden, da bereits erläutert wurde, dass der Schutzbereich der Menschenwürde durch einen gesetzlich angeordneten Arbeitgeberwechsel im Regelfall nicht berührt ist und auch das BAG zwischenzeitlich davon abgerückt ist, das Widerspruchsrecht unter Bezugnahme auf die Menschenwürde zu begründen.165 Aufschlussreich ist die Differenzierung, die das BAG im Rahmen dieser Abwägung vornimmt: Es wird nicht bezweifelt, dass das mit § 613a Abs. 1 BGB verfolgte Ziel der Sicherung der Arbeitsplätze der betroffenen Arbeitnehmer nur zu erreichen ist, wenn der Übergang der Arbeitsverhältnisse vom Willen des Betriebserwerbers unabhängig ist.166 Um einen Bestandsschutz in dieser Form zu verwirklichen, ist jedoch nach dem Urteil des BAG nicht auch die Zustimmung der Arbeitnehmer erforderlich: „Der vom Gesetzgeber gewollte erweiterte Bestandsschutz erfordert nur die Einschränkung der Vertragsfreiheit auf Seiten des Arbeitgebers“167. Es wird also genau unterschieden zwischen dem, was zur Erreichung des Schutzzwecks erforderlich ist (nämlich die zwingende Bindung des Arbeitgebers), und dem, was nicht unbedingt notwendig ist (nämlich Erstreckung der Zwangs162 BAG v. 2.10.1974 − AZR 504/73, AP Nr. 1 zu § 613a BGB, III 2 a der Gründe m. w. N. Im Schrifttum stieß die richterrechtliche Entwicklung des Widerspruchsrechts anfänglich auf Widerstand, vgl. Übersicht zum Meinungsstand bei Seiter, Anm. BAG AP Nr. 1 zu § 613a BGB, I 2 a m. w. N., sowie insgesamt zur Kritik des Widerspruchsrechts Pietzko, Der Tatbestand des § 613a BGB, S. 229 ff. Im Laufe der Zeit fand die Entwicklung des Widerspruchsrechts aber auch im Schrifttum weitgehende Zustimmung. 163 BAG v. 2.10.1974 − AZR 504/73, AP Nr. 1 zu § 613a BGB, III 2 b der Gründe. 164 BAG v. 2.10.1974 AZR 504/73, AP Nr. 1 zu § 613a BGB, III 2 a der Gründe m. w. N. 165 BAG v. 8.5.2001 – 9 AZR 95/00, AP Nr. 219 zu § 613a BGB, I 1 c) der Gründe; BAG v. 2.3.2006 − 8 AZR 124/05, AP Nr. 25 zu § 419 BGB Funktionsnachfolge, II 3 b der Gründe. 166 BAG v. 2.10.1974 − AZR 504/73, AP Nr. 1 zu § 613a BGB, III 3 b der Gründe. 167 BAG v. 2.10.1974 − AZR 504/73, AP Nr. 1 zu § 613a BGB, III 3 b der Gründe; zustimmend Seiter, Anm. BAG AP Nr. 1 zu § 613a BGB, I 2 b.
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4. Teil: Schutz bei der illegalen Arbeitnehmerüberlassung
wirkung auf den Arbeitnehmer).168 Die anderen vom BAG herangezogenen Argumente wie etwa die personenrechtliche Prägung des Arbeitsverhältnisses169 oder die grundsätzliche Notwendigkeit der Zustimmung des Gläubigers beim Schuldnerwechsel170 dienen nur der Bekräftigung der Wertung, dass der fremdbestimmte Übergang bzw. das fremdbestimmte Entstehen des Arbeitsverhältnisses auf einen neuen Arbeitgeber gegen Grundrechte des betroffenen Arbeitnehmers verstößt. Schließlich dürfen auch keine besonderen sachlichen Gründe für die Ausübung des Widerspruchsrechts gefordert werden, da die Widerspruchsmöglichkeit grundrechtlich geboten ist.171 Die Entwicklung des Widerspruchsrechts beim Betriebsübergang ist als Verteidigung der Vertragsfreiheit der Arbeitnehmer gegenüber einem gesetzlichen Arbeitsplatzwechsel bzw. Arbeitgeberwechsel zu verstehen.172 Die nach Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Vertragsfreiheit des Arbeitnehmers im Arbeitsvertragsrecht umfasst gerade die Freiheit, die Risiken der verschiedenen Optionen selbst abzuwägen und sich gegebenenfalls auch gegen die Wirkungen des Bestandsschutzes zu entscheiden, selbst wenn dies objektiv nachteilig erscheint − diese Entscheidung darf dem Arbeitnehmer nicht „kraft vermeintlich besserer Einsicht“ des Gesetzgebers genommen werden.173 Grundlegend und abstrahierbar ist die Wertung, dass die Selbstbestimmung des Arbeitnehmers im Arbeitsvertragsrecht nicht pauschal aus Gründen des Arbeitnehmerschutzes bzw. Bestandsschutzes eingeschränkt werden darf. Ist der Schutz des Arbeitnehmers nicht erforderlich, so muss die selbstbestimmte Entscheidung über die Inanspruchnahme bzw. die Ablehnung des Schutzes beim Arbeitnehmer verbleiben. Diese Wertung lässt sich auch auf andere Sachverhalte übertragen, die in gleicher Weise vom 168 Die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des Eingriffs in die Vertragsfreiheit des Betriebserwerbers ist eine andere Frage, die gesondert zu beurteilen ist, vgl. auch BAG v. 2.10.1974 − AZR 504/73, AP Nr. 1 zu § 613a BGB, III 3 b der Gründe. 169 Hierzu BAG v. 2.10.1974 AZR 504/73, AP Nr. 1 zu § 613a BGB, III 4 a der Gründe. 170 BAG v. 2.10.1974 − AZR 504/73, AP Nr. 1 zu § 613a BGB, II 2 der Gründe. 171 Willemsen, in: Willemsen/Hohenstatt/Schweibert/Seibt, Abschnitt G Rn. 27 m. w. N. 172 Seiter, Anm. BAG AP Nr. 1 zu § 613a BGB, III; Opitz, Probleme des arbeitnehmerseitigen Widerspruchs beim Betriebsübergang, S. 34. In diesem Sinne auch in jüngerer Zeit das Bundesverfassungsgericht mit Urt. v. 25.1.2011 – 1 BvR 1741/09, BVerfGE 128, 157 = NJW 2011, 1427, wonach die Nichtgewährung eines Widerspruchsrechts eine Verletzung des Rechts auf freie Wahl des Arbeitsplatzes darstellt. 173 So auch das Bundesverfassungsgericht in jüngerer Zeit zu einem durch Landesgesetz angeordneten Betriebsübergang, vgl. BVerfG v. 25.1.2011 – 1 BvR 1741/09, BVerfGE 128, 157, Ls. 2c aa; zustimmend Arnold, ArbRAktuell 2011, 116 f.
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Spannungsverhältnis zwischen dem fremdbestimmenden Arbeitnehmerschutz und der Selbstbestimmung des Arbeitnehmers im Arbeitsvertragsrecht geprägt sind. (bb) Neuinterpretation des Günstigkeitsprinzips Ein weiteres Beispiel für die Kollision der Selbstbestimmung des Arbeitnehmers mit zwingendem gesetzlichem Arbeitnehmerschutz ist im Bereich des kollektiven Arbeitsrechts zu finden. Grundsätzlich besteht ein Vorrang des Kollektivvertrags vor der Arbeitsvertragsfreiheit: kollektivrechtliche Vereinbarungen wie Tarifverträge sind zwischen den Tarifgebundenen, die unter den Geltungsbereich des Tarifvertrags fallen, nach § 4 Abs. 1 TVG unmittelbar und zwingend gültig. Für einzelvertragliche Gestaltungen besteht daneben kein Raum, insoweit liegt in § 4 Abs. 1 TVG ein Eingriff in das nach Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Recht des Arbeitnehmers, seine Arbeitsbedingungen autonom zu gestalten.174 Dies rechtfertigt sich dadurch, dass der Kollektivvertrag konzeptionell die Bündelung des kollektiven Arbeitnehmerwillens darstellt und somit die typisierten Arbeitnehmerinteressen widerspiegelt, die der einzelne Arbeitnehmer nicht durchsetzen könnte.175 Es liegt also auch hier eine Situation vor, in der die Arbeitsvertragsfreiheit des einzelnen Arbeitnehmers zum Zwecke des kollektiven Arbeitnehmerschutzes zurückgedrängt wird. Der Vorrang kollektivrechtlicher Vereinbarungen erfährt allerdings eine Durchbrechung durch das sogenannte Günstigkeitsprinzip. Dieses in § 4 Abs. 3 Var. 2 TVG kodifizierte Prinzip besagt, dass zugunsten des Arbeitnehmers einzelvertragliche Abweichungen vom Kollektivvertrag möglich sind. Dies beruht auf dem Gedanken, dass der Schutzzweck des Kollektivvertrags nicht mehr greift, wenn der Arbeitnehmer im Einzelfall bessere Arbeitsbedingungen im individuell ausgehandelten Arbeitsvertrag durchsetzen kann.176 Es dennoch bei der Zwangswirkung des Tarifvertrages zu belassen, wäre in diesem Fall unverhältnismäßig im Hinblick auf die Vertragsfreiheit des einzelnen Arbeitnehmers – insoweit stellt das Günstigkeitsprinzip eine gesetzliche Ausprägung des Prinzips der praktischen Konkordanz dar.177 Das Günstigkeitsprinzip verhilft der Selbstbestimmung des Arbeitnehmers zur Geltung und ist damit keine zufällige, 174 Freihube,
DB 2000, 1022, 1024. Freihube, DB 2000, 1022, 1024, mit Verweis auf BVerfG v. 24.5.1977 – 2 BvL 11/74, BVerfGE 44, 322 = AP Nr. 1 zu § 5 TVG. 176 Löwisch, BB 1991, 59, 60. 177 Freihube, DB 2000, 1022, 1027. 175 Vgl.
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4. Teil: Schutz bei der illegalen Arbeitnehmerüberlassung
willkürliche Kollisionsvorschrift, sondern ein notwendiger Ausfluss der Privatautonomie.178 Interessant wird das Günstigkeitsprinzip bezüglich des hier zu untersuchenden Spannungsverhältnisses zwischen der Selbstbestimmung des Arbeitnehmers und dem zwingenden Arbeitnehmerschutz erst bei einer näheren Betrachtung des Merkmals der „Günstigkeit“. Tarifvertragliche Vereinbarungen enthalten im Allgemeinen Regelungen zugunsten von Arbeitnehmern, insbesondere was die Arbeitszeit, den Verdienst und die Urlaubsregelungen angeht.179 Naheliegend erscheint es, dass nur der Arbeitgeber ein Interesse an einer Abweichung „zulasten“ des Arbeitnehmers haben könne, beispielsweise im Sinne einer Verlängerung der Arbeitszeit oder der Verkürzung der Urlaubszeit, kaum aber der Arbeitnehmer selbst. Dies entspricht jedoch (mittlerweile) nicht mehr umfassend der Realität: Es kann in einzelnen Fällen durchaus auch auf Arbeitnehmerseite der Wunsch bestehen, die Möglichkeit einer längeren Arbeitszeit oder eines teilweisen Urlaubsverzichts zu nutzen, um auf diese Weise den Verdienst durch Mehrarbeit zu steigern oder sich den Arbeitsplatz langfristig zu sichern.180 Ob eine Abweichung von tarifvertraglichen Bestimmungen „zulasten“ des Arbeitnehmers möglich ist, bestimmt sich danach, wie das Merkmal der Günstigkeit im Sinne des § 4 Abs. 3 TVG auszulegen ist. Bleibt man bei dem Beispiel, dass ein Arbeitnehmer zur Erzielung eines höheren Verdienstes bereit ist, länger zu arbeiten als tarifvertraglich vorgesehen (und besteht hierfür im Arbeitsvertrag eine Wahlmöglichkeit), so bestehen zwei unterschiedliche Auslegungsmöglichkeiten: Nach einer objektivierenden Betrachtung könnte nur die Arbeitszeitverkürzung als vorteilhaft für den Arbeitnehmer angesehen werden, nicht aber eine Arbeitszeitverlängerung.181 Stellt 178 Martens, RdA 1983, 217, 222; Säcker, Gruppenautonomie und Übermachtkontrolle im Arbeitsrecht, S. 293 f. mit der Einordnung des Günstigkeitsprinzips als „kollektivrechtlicher Vorbehalt zugunsten der Vertragsfreiheit“; in dieselbe Richtung Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, S. 481, wonach das Günstigkeitsprinzip die Privatnützigkeit der Koalitionsfreiheit konkretisiert; mit Einschränkungen Papier, RdA 1989, 137, 141. 179 Vgl. Papier, RdA 1989, 137, 141 zur Festlegung der Arbeitszeit in Tarifverträgen zum Schutz der Arbeitnehmer. 180 Vgl. hierzu mit weiteren Beispielen und Erläuterungen Löwisch, BB 1991, 59 ff.; ders., ZfA 1996, 293, 297 f. Die weitere, ebenso kontroverse wie praktisch relevante Frage, ob das Abweichen von Tarifbestimmungen zum Erhalt des Arbeitsplatzes günstiger im Sinne des § 4 Abs. 3 TVG sein kann, ist von beschäftigungspolitischen Erwägungen geprägt und braucht hier nicht weiter untersucht werden, da sie für vorliegende Zwecke keinen Erkenntnismehrwert bringt, vgl. dazu insbesondere Adomeit, NJW 1984, 26; ferner Freihube, DB 2000, 1022 m. w. N. 181 Für eine objektiv-hypothetische Sichtweise „aus Gründen des Arbeitnehmerschutzes“ wohl Ehmann/Schmidt, NZA 1995, 193, 201 m. w. N.
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man dagegen auf die subjektive Sicht des Arbeitnehmers ab, der eine längere Arbeitszeit (und evtl. eine damit einhergehende höhere Gesamtvergütung) wünscht, so wäre eine Arbeitszeitverlängerung für ihn in der konkreten Situation durchaus „günstiger“. Aus dem Wortlaut des § 4 Abs. 3 TVG („zugunsten des Arbeitnehmers“) ergibt sich keine zwingende Vorgabe für eine objektivierende bzw. subjektive Auslegung.182 Maßgeblich ist letztlich eine verfassungskonforme Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Günstigkeit im Sinne des § 4 Abs. 3 TVG.183 Hierzu ist ein näherer Blick auf die zwei verfassungsrechtlichen Rechtspositionen notwendig, die das Günstigkeitsprinzip in Einklang zu bringen sucht: Auf der einen Seite handelt es sich um die Durchsetzungsfähigkeit der Kollektivmacht, was in § 4 Abs. 1 TVG zum Ausdruck kommt und dem objektiv-rechtlichen Gehalt der Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 GG Rechnung trägt. Auf der anderen Seite geht es um die Berücksichtigung der nach Art. 12 Abs. 1 GG geschützten individuellen Vertragsfreiheit im Arbeitsrecht. Entscheidend ist, dass die kollektive Vereinigungsmöglichkeit von Arbeitnehmern kein Selbstzweck ist, sondern dazu dient, den einzelnen Arbeitnehmern zur Durchsetzung ihrer Individualinteressen zu verhelfen.184 Die Tarifautonomie stellt sich als eine Erscheinungsform der kollektiven Privatautonomie dar,185 deren einfachgesetzlicher Vorrang im Verhältnis zur individuellen Privatautonomie sich nur dadurch rechtfertigen lässt, dass aufgrund der tatsächlichen Machtungleichheit zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern die vollumfängliche Entfaltung der individuellen Privatautonomie der Arbeitnehmer ohne die kollektive Vertretung ihrer Interessen nicht immer möglich wäre.186 Für das abstrakte Werteverhältnis zwischen Art. 9 Abs. 3 GG und Art. 12 Abs. 1 GG ergibt sich somit ein von Verfassungs wegen höheres Gewicht der letzteren Rechtsposition,187 da die Tarifautonomie als Ausprägung der kollektiven Privatautonomie zur Durchsetzung der individuellen Privatauto182 Vgl. eingehend zur Auslegung des Merkmals der Günstigkeit Freihube, DB 2000, 1022, 1025. 183 Vgl. Papier, RdA 1989, 137, 141 zur verfassungsrechtlichen Bestimmung, wie weit das Günstigkeitsprinzip gehen darf. 184 So bereits Hueck/Nipperdey, ArbR Bd. 1, § 7 V, S. 29; ebenso Picker, ZfA 1986, 199, 204, zur „individuumsbezogenen Zweckbestimmung“ der Regelungsbefugnis der Koalitionen; ferner Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, S. 347, zur „Privatnützigkeit der Koalitionsfreiheit“. 185 Scholz, in: Maunz-Dürig, Art. 9 GG, Rn. 301. Picker, ZfA 1986, 199, 204, spricht auch von der Tarifautonomie als „Surrogat der Privatautonomie“. 186 Freihube, DB 2000, 1022, 1025. 187 Ebenso für eine Subsidiarität der kollektiven Privatautonomie v. Danwitz, in: Merten/Papier, HdB-GR V, § 116 Rn. 25; Klebeck, Gleichstellung der Leiharbeitneh-
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nomie der Arbeitnehmer besteht.188 Dies ist auch kein Widerspruch zur Bindungswirkung des § 4 Abs. 1 TVG, wonach tarifvertragliche Bestimmungen grundsätzlich verbindlich sind. Diese Normsetzungsprärogative ist Ausdruck der verfassungsrechtlichen Kernbereichsgarantie des Art. 9 Abs. 3 GG, wonach die Koalitionen in ihrem Bestand und ihrer Funktionsfähigkeit geschützt sind.189 Dies kann wiederum nur dadurch realisiert werden, dass die Normsetzung durch die Koalitionen Bindungswirkung gegenüber allen tarifgebundenen Mitgliedern entfaltet190 − Schutzwirkung ist eben auch hier nur durch Zwang zu erreichen. Dieses Vorrangverhältnis muss jedoch dort enden, wo im Einzelfall die individuelle Privatautonomie nicht mehr durch die kollektive Privatautonomie unterstützt, sondern zurückgedrängt wird.191 Unverhältnismäßig wäre ein pauschaler Vorrang der kollektiven Privatautonomie vor der individuellen Privatautonomie des einzelnen Arbeitnehmers, wenn der eigentliche Zweck des Vorrangverhältnisses, nämlich der Schutz der Arbeitnehmer durch die Kollektivmacht, nicht mehr benötigt wird.192 Der Maßstab für die „Günstigkeit“ muss demnach die subjektiv-reale Sichtweise des Arbeitnehmers unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls sein.193 Für das obige Beispiel gilt somit, dass eine längere Arbeitszeit durchaus als günstiger im Sinne des § 4 Abs. 3 TVG gelten kann, sofern der Arbeitnehmer dies für erstrebenswert hält. Dabei muss sinnvollerweise auf den subjektiv-realen Willen eines hypothetischerweise vernünftigen Arbeitnehmers in der konkreten Situation abgestellt werden – die Verabsolutierung des individuellen Willens lässt sich damit vermeiden.194 mer als Verfassungsverstoß, S. 160; Freihube, DB 2000, 1022, 1025; Heinze, NZA 1991, 329, 333. 188 So auch Freihube, DB 2000, 1022, 1025. Ebenso Picker, ZfA 1986, 199, 104, wonach es seit jeher darum geht, „die Ohnmacht der Einzelperson durch ihre Kollektivierung zu überwinden und damit auch im Bereich der abhängigen Arbeit eine parteiautonome Rechtsgestaltung möglich zu machen.“ 189 BVerfG v. 29.12.2004 – 1 BvR 2283/03, DB 2005, 110, Orientierungssätze 1a bis 1c; ferner v. Danwitz, in: Merten/Papier, HdB-GR V, § 116 Rn. 23 f. 190 Papier, RdA 1989, 137, 141; ferner MünchHdB-ArbR/Löwisch/Rieble, § 155 Rn. 27 grundlegend zum Recht der Koalitionen, Kollektivverträge effektiv durchzusetzen. 191 So auch Ehmann/Schmidt, NZA 1995, 193, 199: „Die notwendige Macht des Kollektivs (…) endet dort, wo Vertragsgerechtigkeit nach dem Prinzip der Freiheit möglich ist“. 192 In diesem Sinne v. Danwitz, in: Merten/Papier, HdB-GR V, § 116 Rn. 25 und Rn. 31. 193 Löwisch, ZfA 1996, 293, 309; Heinze, NZA 1991, 329, 333; Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, S. 485. 194 Auf diese Weise kann den von Ehmann/Schmidt (NZA 1995, 193, 201) geäußerten Bedenken begegnet werden, dass es bei der Anlegung eines subjektiven
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Auch in der Rechtsprechung ist die Tendenz zu einer erweiternden Auslegung der „Günstigkeit“ erkennbar, welche die Selbstbestimmung des Arbeitnehmers in den Vordergrund rückt.195 Für die grundsätzliche Frage, inwieweit zwingender Arbeitnehmerschutz im Einzelfall durch das Recht des Arbeitnehmers auf Selbstbestimmung überwunden werden kann, ergeben sich aus der vorangegangenen Unter suchung des Günstigkeitsprinzips weitere Erkenntnisse: Der gebündelte pauschalisierte Arbeitnehmerwille, der die Verbindlichkeit des Arbeitnehmerschutzes durch Kollektivvereinbarungen rechtfertigt, findet dort seine Grenze, wo der Einzelne zur Entfaltung der individuellen Privatautonomie selbst in der Lage ist.196 Dabei gebietet der aus der Verfassung folgende Wertevorrang der individuellen Privatautonomie im Verhältnis zur Tarifautonomie (als kollektiver Form der Privatautonomie) eine weite Auslegung des Merkmals der Günstigkeit aus der Perspektive des einzelnen Arbeitnehmers. Ihm ist, soweit möglich, selbst das Urteil zu überlassen, welche Arbeitsbedingungen er in seiner Situation für günstiger hält. Eine gesetzlich vorgegebene Interpretation der Günstigkeit konkreter Arbeitsbedingungen wäre eine staatliche Bevormundung, für die es keine Rechtfertigung gibt.197 (b) G renzen der Selbstbestimmung: Selbstschädigung und Schädigung Dritter Der im Lichte der Selbstbestimmung des Arbeitnehmers gebotene „Schutz des Arbeitnehmers vor zu viel Schutz“ findet seine Grenze dort, wo zwingender Arbeitnehmerschutz notwendig ist. Dies ist vor allem der Fall, wenn es um den Schutz von absoluten Rechtsgütern des Arbeitnehmers oder Dritter geht. Verfassungsrechtlich ist es legitim, ein Grundrechtssubjekt in Ausnahmefällen auch zwangsweise vor sich selbst zu schützen, insbesondere, wenn es um die absoluten, nach Art. 2 Abs. 2 GG geschützten Rechtsgüter des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit sowie um die nach Art. 1 GG geschützte Menschenwürde geht.198 Dies ist zwar stets mit einer EinschränMaßstabs keine rechtliche Bewertung der Günstigkeit mehr gäbe, „sondern nur noch subjektive, nicht überprüfbare Behauptungen“. 195 BAG v. 7.11.1989 – GS 3/85, AP Nr. 46 zu § 77 BetrVG 1972 (Anerkennung des Vorrangs einer im Arbeitsvertrag vorgesehenen Wahlmöglichkeit im Verhältnis zur Betriebsvereinbarung, die eine niedrigere Altersgrenze festlegt); hierzu Löwisch, BB 1991, 59. 196 v. Danwitz, in: Merten/Papier, HdB-GR V, § 116 Rn. 25. 197 Ehmann/Schmidt, NZA 1995, 193, 199. 198 Vgl. Thüsing, in: FS Wiedemann, S. 559, 564 m. w. N.
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4. Teil: Schutz bei der illegalen Arbeitnehmerüberlassung
kung der (nach Art. 2 Abs. 1 GG oder eben bereichsspezifisch geschützten) Selbstbestimmung des Betroffenen verbunden. Im Bereich des Arbeitsrechts muss der Arbeitnehmer jedoch gegebenenfalls auch gegen seinen Willen geschützt werden, beispielsweise wenn es um den zwingenden Schutz seiner Gesundheit bei gefahrgeneigten Tätigkeiten geht.199 Eine weitere Grenze der Selbstbestimmung ist dort zu ziehen, wo Rechtsgüter Dritter betroffen sind. Dies wird deutlich am Beispiel des arbeitsrechtlichen Mutterschaftsschutzes, der im Kern nicht disponibel sein darf, da der Schutz des werdenden Kindes schwerer wiegt als die Selbstbestimmung der werdenden Mutter als Arbeitnehmerin.200 Es muss also stets anhand des jeweiligen Schutzzwecks einer arbeitsrechtlichen Regelung bestimmt werden, wann zwingende, übergeordnete Rechtspositionen die Selbstbestimmung des Arbeitnehmers im Einzelfall wieder zurückdrängen. (c) Abwägungsleitlinie: In dubio pro Selbstbestimmung Die obigen Beispiele zeigen, welche Bedeutung der Selbstbestimmung des Arbeitnehmers in Rechtsprechung, Gesetzgebung und im Schrifttum beigemessen wird. Grundsätzlich darf die nach Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Arbeitsvertragsfreiheit des Arbeitnehmers nicht durch beliebige Einschränkungen unter Berufung auf den Zweck des Arbeitnehmerschutzes unterlaufen werden.201 Zwar hat der Gesetzgeber einen aus Art. 12 Abs. 1 GG folgenden Auftrag, durch die Normierung von Mindeststandards ein Umfeld zu schaffen, in dem die vollumfängliche Ausübung der Berufsfreiheit der Arbeitnehmer ermöglicht bzw. gefördert wird. Dies kann häufig nur durch verbindliche Regelungen erfolgen. Der dadurch verwirklichte Arbeitnehmerschutz ist jedoch kein Selbstzweck, sondern hat unter anderem dazu beizutragen, dass Arbeitnehmer in der selbstbestimmten Gestaltung ihrer beruflichen Verhältnisse einen Mindeststandard an Schutz genießen. Insoweit kann ein abstrakter Wertevorrang zugunsten der individuellen Privatautonomie des einzelnen Arbeitnehmers im Verhältnis zum Zweck des Arbeitnehmerschutzes im Arbeitsvertragsrecht festgestellt werden.202 199 Löwisch,
ZfA 1996, 293, 304 und 310. in: FS Wiedemann, S. 559, 562. 201 Ebenso Papier, RdA 1989, 137, 139 zur Berücksichtigung der dem Arbeitnehmerschutz entgegenstehenden Interessen. 202 Ebenso Freihube, DB 2000, 1022, 1025 zum Verhältnis der nach Art. 9 Abs. 3 GG geschützten kollektiven Privatautonomie zu der nach Art. 12 Abs. 1 GG geschützten individuellen Privatautonomie. 200 Thüsing,
A. Schutz des Leiharbeitnehmers189
Nicht von diesem Werteverhältnis betroffen sind, wie soeben erläutert, Fälle der Selbstschädigung und Drittschädigung von bestimmten absoluten Rechtsgütern (namentlich des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit), zu deren Schutz das Recht des Arbeitnehmers auf Selbstbestimmung in der Regel zurückweichen muss. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass dort, wo es nicht um den Schutz solcher absoluter Rechtsgüter geht, ein pauschaler Schutz des Arbeitnehmers vor sich selbst weder notwendig noch zulässig ist.203 Dieses Ergebnis lässt sich auch in einen größeren Zusammenhang einordnen: Die Privatautonomie ist der Ausdruck einer Werteordnung, in der mündige, selbstbestimmte Individuen zur eigenverantwortlichen Gestaltung ihrer Rechtsverhältnisse berufen sind.204 Dies gilt auch für den Arbeitnehmer bei der Gestaltung seines Arbeitsverhältnisses.205 Soweit es nur darum geht, das Individuum vor einer Selbstüberforderung im Rahmen der privatautonomen Gestaltung seiner Rechtsbeziehungen zu schützen, wird das Bild des mündigen und in Selbstverantwortung handelnden Subjekts in Frage gestellt.206 Auf der einen Seite muss vermieden werden, dass der mündige Bürger „im Schutz vor sich selbst in eine Unmündigkeit“ hinein geschützt wird207, auf der anderen Seite darf eigenverantwortliche Selbstbestimmung jedoch auch nicht verabsolutiert werden,208 ohne die tatsächlichen sozialen und wirtschaftlichen Umstände zu berücksichtigen. Führt eine selbstbestimmte Willensbildung zu einem objektiv nachteiligen Ergebnis, besteht jedenfalls keine Notwendigkeit zum Ausgleich, solange dieses Ergebnis subjektiv als vorteilhaft empfunden wird.209 Die Ausübung der Vertragsfrei203 So auch im Ergebnis Thüsing, in: FS Wiedemann, S. 559, 568: „Eine Rechtfertigung zum Eingriff, (sei es direkt durch Gesetz oder mittelbar durch eine entsprechende Befugnis der Tarifvertragsparteien oder Betriebspartner,) mag der Schutz von Drittinteressen sein, nicht aber der Schutz des Arbeitnehmers vor sich selbst.“ 204 Canaris, AcP 200 (2000), S. 273, 277: „Privatautonomie und Vertragsfreiheit werden indessen nicht um ihrer selbst willen gewährleistet, sondern dienen vor allem der Selbstbestimmung der Person.“ 205 Ebenso Boemke, NZA 1993, 532, 537 und Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, S. 276 am Beispiel der Vertragsbeendigungsfreiheit, die dem Arbeitnehmer als mündigen und in Selbstbestimmung handelnden Bürger ohne Einschränkung zustehen muss. 206 In diesem Sinne auch Hillgruber, Der Schutz des Menschen vor sich selbst, S. 154, wonach es verfehlt sei, „die grundrechtlich garantierte Freiheit des einzelnen gegen seine Selbstbestimmung schützen zu wollen“. 207 Kissel, in: FS Otto, S. 225, 242. 208 So auch Singer, JZ 1995, 1133, 1140. 209 So auch Kämmerer/Thüsing, Leiharbeit und Verfassungsrecht, S. 73, in Bezug auf die Diskussion um den Equal Pay und Equal Treatment Grundsatz: „Verfassungswidrig wird der Eingriff, wenn der Einzelne gegen sein objektiv verstandenes Interesse am Gebrauch seines Grundrechts gehindert wird.“
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4. Teil: Schutz bei der illegalen Arbeitnehmerüberlassung
heit durch den Arbeitnehmer darf nicht um seines eigenen Schutzes willen dem Gesetzgeber überlassen werden.210 Die nach Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Freiheit des Arbeitnehmers zur Selbstbestimmung umfasst das Recht, die entsprechenden Risiken der jeweiligen Entscheidung selbst abzuwägen, und sich bewusst für die risikoreichere oder objektiv nachteilig erscheinende Variante zu entscheiden.211 Im Lichte dessen ist es angebracht, innerhalb der aufgezeigten Grenzen im Zweifel zugunsten der Selbstbestimmung des Arbeitnehmers zu entscheiden.212 (4) Abwägung im konkreten Fall Für die konkrete Abwägung zwischen der Arbeitsvertragsfreiheit des illegal überlassenen Leiharbeitnehmers und dem Zweck des Leiharbeitnehmerschutzes hat das oben festgestellte abstrakte Werteverhältnis zwischen der Selbstbestimmung des Arbeitnehmers im Arbeitsvertragsrecht auf der einen Seite sowie des Arbeitnehmerschutzes auf der anderen Seite eine Indizwirkung. Nur wenn besondere Umstände bei der Arbeitnehmerüberlassung im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen sind, können diese möglicherweise noch zu einem von diesem abstrakten Werteverhältnis abweichenden Ergebnis führen. Dabei kann insbesondere die Intensität des Eingriffs ein maßgeblicher Faktor sein, der in direktem Zusammenhang zur Gewichtung des mit dem Eingriff verfolgten Zwecks steht.213 Nicht jeder Eingriff in die Vertragsfreiheit, der durch die Fiktion eines Vertragsverhältnisses erfolgt, besitzt dieselbe Eingriffsintensität. Bei der Arbeitnehmerüberlassung sind sich alle Beteiligten einschließlich des illegal überlassenen Leiharbeitnehmers darüber im Klaren, dass die Arbeitstätigkeit nicht beim Arbeitgeber, dem Verleiher, sondern bei einem oder mehreren Dritten zu erbringen ist.214 Aufgrund der Vorhersehbarkeit dieses Umstands 210 In diesem Sinne auch BVerfG v. 25.1.2011 – 1 BvR 1741/09, BVerfGE 128, 157, Ls. 2c aa: „Die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Privatautonomie des Arbeitnehmers erlaubt Gesetzgeber und Gerichten nicht, kraft vermeintlich besserer Einsicht die Entscheidung, welcher von mehreren zur Auswahl stehenden Arbeitgebern mehr Vorteile bietet, an Stelle des Arbeitnehmers zu treffen“. 211 BVerfG v. 25.1.2011 – 1 BvR 1741/09, BVerfGE 128, 157, B I 3 c bb der Gründe. 212 Ebenso Thüsing, in: FS Wiedemann, S. 559, 585: „Mehr Dispositionsfreiheit im Arbeitsrecht lautet das Petitum. Eine gesetzliche Regelung, die stets unabdingbar ist, ist schlechter als eine solche, die aus guten Gründen von Arbeitnehmer und Arbeitgeber einvernehmlich geändert werden kann.“ 213 Vgl. Stern, Staatsrecht Bd. III/2, § 84 II 2. 214 Die Möglichkeit eines Dritteinsatzes ist jedoch bei der illegalen Arbeitnehmer überlassung unter dem Deckmantel von Scheinwerk- bzw. Scheindienstverträgen für den illegal überlassenen Leiharbeitnehmer nicht unbedingt vorhersehbar.
A. Schutz des Leiharbeitnehmers191
sowie der faktischen Eingliederung des illegal überlassenen Leiharbeitnehmers in den Entleiherbetrieb ist der Gedanke nicht abwegig, dass dem Eingriff in die Vertragsfreiheit des Leiharbeitnehmers durch die Fiktion nach § 10 Abs. 1 AÜG nur eine geringe Intensität zukommt. Teilweise wird argumentiert, dass der Leiharbeitnehmer sich sowieso für die Dauer der vorgesehenen Überlassungszeit darauf eingestellt habe, beim Entleiher tätig zu werden, so dass die unveränderte Arbeitstätigkeit beim Entleiher – bloß unter geänderten rechtlichen Voraussetzungen – auch von dieser Entscheidung gedeckt sein müsse.215 Diese Ansicht verkennt jedoch, dass die Bereitschaft zur Verrichtung der Arbeit beim Entleiher noch keine Zustimmung zu einem Arbeitsverhältnis mit diesem Entleiher als Arbeitgeber bedeutet. An anderer Stelle wurde bereits dargelegt, dass die Vorhersehbarkeit von Rechtsbeziehungen zum Entleiher einem Eingriff in das Grundrecht der Arbeitsvertragsfreiheit nach Art. 12 GG nicht entgegen steht – hier geht es dagegen um die Feststellung, dass dieser Umstand auch die Intensität des Eingriffs nicht schmälern kann. Die Freiheit zur selbstbestimmten Auswahl des Vertragspartners knüpft eben ausschließlich an die formelle Stellung des anderen Teils als Vertragspartei an, was auch für die Wahl des Arbeitgebers als Vertragspartner gilt.216 Die Fiktion eines Arbeitsverhältnisses nach § 10 Abs. 1 AÜG ist sogar als ein besonders schwerer Eingriff in die Arbeitsvertragsschlussfreiheit des illegal überlassenen Leiharbeitnehmers zu bewerten, da es sich faktisch um einen gesetzlichen Kontrahierungszwang handelt, der das Prinzip der Selbstbestimmung in sein Gegenteil kehrt.217 Aus Sicht des einzelnen Leiharbeitnehmers, der kein Interesse am Schutz durch eine arbeitsvertragliche Beziehung zum Entleiher hat, ist der mit § 10 Abs. 1 AÜG verfolgte Zweck des Leiharbeitnehmerschutzes bedeutungslos. Das oben festgestellte abstrakte Werteverhältnis zwischen der Selbstbestimmung des Arbeitnehmers im Arbeitsvertragsrecht auf der einen Seite sowie des Arbeitnehmerschutzes auf der anderen Seite gilt auch hier somit im konkreten Fall und ist dabei noch deutlicher zugunsten der Freiheit zur Selbstbestimmung verschoben. Dementsprechend ist auch der Schutz von illegal überlassenen Leiharbeitnehmern durch die Fiktion eines Arbeitsverhältnisses nach § 10 Abs. 1 AÜG kein Selbstzweck, sondern stets anhand der tatsächlichen Schutzwirkung zugunsten des betroffenen Leiharbeitnehmers zu beurteilen. Notwendig für die Verwirklichung dieses Schutzzwecks ist auf jeden Fall die Bindungswirkung des § 10 Abs. 1 AÜG gegenüber dem Entleiher. Erforderlich hierfür ist jedoch nicht auch in jedem Einzelfall die Bindungswirkung gegenüber 215 Schüren/Schüren,
AÜG, § 10 Rn. 112. oben, Abschnitt 4. A. II. 1. a) aa) (1) (a). 217 Picker, ZfA 2002, 469, 519. 216 Vgl.
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4. Teil: Schutz bei der illegalen Arbeitnehmerüberlassung
dem illegal überlassenen Leiharbeitnehmer. Für eine effektive, auch im Einzelfall greifende Schutzwirkung ist es notwendig, auf den tatsächlichen Wille des illegal überlassenen Leiharbeitnehmers und dessen Einwilligung in die Begründung eines Arbeitsverhältnisses mit dem Entleiher abzustellen,218 d. h. auch dessen Ablehnung eines solchen Arbeitsverhältnisses zu respektieren. Es besteht hier keine Notwendigkeit, den illegal überlassenen Leiharbeitnehmer gegen seinen Willen zu schützen.219 Anderenfalls würde sich der Schutzzweck der Norm des § 10 Abs. 1 AÜG in sein Gegenteil verkehren.220 Nur ein solches Verständnis wird der nach Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Freiheit des Leiharbeitnehmers, selbstbestimmt über sein Arbeitsverhältnis sowie die Person seines Arbeitsvertragspartners zu entscheiden, gerecht. Die Abwägung im konkreten Fall ergibt somit, dass der in § 10 Abs. 1 AÜG liegende Eingriff in die nach Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Arbeitsvertragsfreiheit des illegal überlassenen Leiharbeitnehmers unverhältnismäßig ist, wenn das Entstehen des fingierten Arbeitsverhältnisses im Einzelfall dem Willen des Leiharbeitnehmers entgegen steht und keine Möglichkeit zur Abwendung dieser Rechtsfolge besteht.221 c) Zwischenergebnis zur verfassungsrechtlichen Rechtfertigung des Eingriffs Die Fiktion eines Arbeitsverhältnisses zwischen dem illegal überlassenen Leiharbeitnehmer und dem Entleiher nach § 10 Abs. 1 AÜG ohne außerordentliche Lösungsmöglichkeit ist ein Eingriff in die nach Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Freiheit des Leiharbeitnehmers zur selbstbestimmten Gestaltung des Arbeitsverhältnisses, was die Wahl des Arbeitsplatzes und des Arbeitgebers einschließt. Dieser Eingriff zum Zweck des Leiharbeitnehmerschutzes ist geeignet und erforderlich, aber aus Sicht des betroffenen Leiharbeitnehmers, der die Rechtsfolge des fingierten Arbeitsverhältnisses zum Entleiher abwenden möchte, 218 So das ArbG Köln v. 7.3.1996 – 17 Ca 6257/95, DB 1996, 1342 f.; zustimmend Wrede, DB 1996, 1343 f. 219 HessLAG v. 6.3.2001 – 2/9 Sa 1246/00, DB 2001, 2104, 1 b) (2) aa) bbb der Gründe. 220 ArbG Köln v. 7.3.1996 – 17 Ca 6257/95, DB 1996, 1342 f. 221 Ebenso Boemke/Lembke, AÜG, § 10 Rn. 38; HessLAG v. 6.3.2001 – 2/9 Sa 1246/00, DB 2001, 2104. Im Ergebnis wohl auch ArbG Köln v. 7.3.1996 – 17 Ca 6257/95, DB 1996, 1342 f.; zustimmend Wrede, DB 1996, 1343 f. und ebenso Liebscher, BB 1996, 801, 802; wohl auch Becker/Kreikebaum, Zeitarbeit, S. 135; Hir dina, NZA 2011, 325, 330; Ulber, AÜG, § 10 Rn. 5, die allesamt im Hinblick auf das nach Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Recht auf freie Wahl des Arbeitsplatzes eine außerordentliche Lösungsmöglichkeit fordern.
A. Schutz des Leiharbeitnehmers193
nicht mehr verhältnismäßig im engeren Sinne. Das durch den Eingriff beeinträchtigte Rechtsgut der Arbeitsvertragsfreiheit des Leiharbeitnehmers hat sowohl abstrakt als auch im konkreten Fall ein höheres Gewicht im Verhältnis zu dem durch den Eingriff bezweckten Schutz von Leiharbeitnehmern. Der in § 10 Abs. 1 AÜG liegende Eingriff in die Arbeitsvertragsfreiheit des Leiharbeitnehmers ist verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt. Durch das Entstehen eines fingierten Arbeitsverhältnisses zum Entleiher gegen den Willen des illegal überlassenen Leiharbeitnehmers ist dieser im Einzelfall in seiner bereichsspezifisch durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Arbeitsvertragsfreiheit verletzt. 3. Verfassungskonforme Auslegung Die festgestellte Unverhältnismäßigkeit des Eingriffs durch die Fiktion eines Arbeitsverhältnisses nach § 10 Abs. 1 AÜG kann behoben werden, wenn im Wege der verfassungskonformen Auslegung entsprechender Vorschriften eine Modifizierung der Rechtsfolge des § 10 Abs. 1 AÜG möglich ist, die der Arbeitsvertragsfreiheit des illegal überlassenen Leiharbeitnehmers angemessen Rechnung trägt.222 In Frage kommt ein außerordentliches Lösungsrecht des illegal überlassenen Leiharbeitnehmers, mit dem er das fingierte Arbeitsverhältnis einseitig und ohne Fristerfordernis beenden oder dessen Entstehen verhindern könnte. Ein solches Lösungsrecht ist zum einen denkbar in der Form eines Widerspruchsrechts gegen das Entstehen des fingierten Arbeitsverhältnisses,223 zum anderen in der Form eines außerordentlichen Kündigungsrechts des Leiharbeitnehmers, mit dem er das fingierte Arbeitsverhältnis fristlos be enden kann.224 Bevor es um die Untersuchung der konkreten Form einer Lösungsmöglichkeit gehen kann, muss zunächst geklärt werden, innerhalb welcher Grenzen eine verfassungskonforme Auslegung des § 10 Abs. 1 AÜG möglich ist und insbesondere, ob ein außerordentliches Lösungsrecht im Wege verfassungskonformer Auslegung überhaupt begründet werden kann. 222 Vgl. zur verfassungskonformen Auslegung auch Boemke/Lembke, AÜG, § 10 Rn. 39, der sich im Ergebnis für ein Widerspruchsrecht ausspricht. 223 So etwa HessLAG v. 6.3.2001 – 2/9 Sa 1246/00, DB 2001, 2104, und ArbG Köln, Urt. v. 7.3.1996 – 17 Ca 6257/95, DB 1996, 1342 f.; zustimmend Wrede, DB 1996, 1343 f. und ebenso Liebscher, BB 1996, 801, 802; ebenso Boemke/Lembke, AÜG, § 10 Rn. 37; Ulber, AÜG, § 10 Rn. 5. 224 So etwa Becker/Kreikebaum, Zeitarbeit, S. 135; Becker/Wulfgramm, AÜG, Art. 1 § 10 Rn. 38; MünchAnwHB-ArbR/Reiserer/Christ, § 66, Rn. 119; Sandmann/ Marschall/Schneider, AÜG, § 10 Anm. 19; Thüsing/Mengel, AÜG, § 10 Rn. 47; Urban-Crell/Hurst, in: Urban-Crell/Germakowski, § 10 Rn. 47; jedenfalls für eine der beiden Möglichkeiten Gick, Gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung, S. 159.
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4. Teil: Schutz bei der illegalen Arbeitnehmerüberlassung
a) Grenzen und Vorgaben der verfassungskonformen Auslegung Jede verfassungskonforme Auslegung einer Norm unterliegt generellen Grenzen, die es zu beachten gilt. Das Ergebnis einer verfassungskonformen Auslegung kann kein Normverständnis sein, das erkennbar in Widerspruch zum Normzweck der betreffenden Norm steht.225 Dies gilt ebenso für den ausdrücklichen Wortlaut der Norm, sofern sich darin der Wille des Gesetzgebers manifestiert.226 aa) Normtext als Grenze der verfassungskonformen Auslegung Dem Wortlaut des § 10 Abs. 1 AÜG lässt sich nicht entnehmen, ob dem illegal überlassenen Leiharbeitnehmer ein Mitspracherecht beim Entstehen eines fingierten Arbeitsverhältnisses zustehen soll. Die Gestaltung des § 10 Abs. 1 AÜG als gesetzliche Fiktion („gilt als zustande gekommen“) lässt jedenfalls darauf schließen, dass kein Zutun der Parteien notwendig ist, was auch bedeutet, dass der entgegenstehende Wille der Parteien unbeachtlich sein soll.227 Das Schweigen der Vorschrift zur Möglichkeit eines Rechts zur Verhinderung des fingierten Arbeitsverhältnisses lässt jedoch auch keine eindeutige Schlussfolgerung zu, dass ein solches Lösungsrecht ausgeschlossen sein soll.228 Maßgeblich ist, dass nach dem Wortlaut des § 10 Abs. 1 AÜG ein wie auch immer geartetes Lösungsrecht nicht ausdrücklich verboten ist.229 bb) Normzweck als Grenze der verfassungskonformen Auslegung Der durch § 10 Abs. 1 AÜG verfolgte Normzweck liegt in erster Linie im Schutz des illegal überlassenen Leiharbeitnehmers, dem das fingierte Arbeitsverhältnis als Ersatz für den nach § 9 Nr. 1 AÜG unwirksamen Leihar225 BVerfG v. 25.1.2011 – 1 BvR 1741/09, BVerfGE 128, 157, B I 2 c der Gründe m. w. N. 226 BVerfG v. 25.1.2011 – 1 BvR 1741/09, BVerfGE 128, 157, B I 2 c der Gründe m. w. N.; konkret bezogen auf die verfassungskonforme Auslegung des § 10 Abs. 1 AÜG ebenso Boemke/Lembke, AÜG, § 10 Rn. 39. 227 Statt vieler Ulber, AÜG, § 10 Rn. 19. 228 Auch die Gesetzesbegründung enthält hierzu keine Aussage, vgl. BT-Drs. VI/2303. 229 Ebenso Boemke/Lembke, AÜG, § 10 Rn. 39. Vgl. hierzu auch die Rechtsprechung des BAG zu § 613a BGB vor Einführung des Widerspruchsrechts, wonach das Schweigen des § 613a Abs. 1 BGB a. F. an sich ebenfalls nicht ohne Weiteres als Ablehnung eines Widerspruchsrechts verstanden werden könne, Urt. v. 2.10.1974 – 5 AZR 504/73, AP Nr. 1 zu § 613a BGB, III 1 der Gründe.
A. Schutz des Leiharbeitnehmers195
beitsvertrag dienen soll. Des Weiteren dient die Sanktions- bzw. Präven tionsfunktion der Vorschrift auch auf mittelbare Weise dem Leiharbeitnehmerschutz, indem potentiell unzuverlässige Verleiher vom Markt verdrängt werden.230 Um diesen Normzweck mittelbar und unmittelbar zu verwirklichen, hat der Gesetzgeber das Entstehen des fingierten Arbeitsverhältnisses als zwingende Rechtsfolge des § 10 Abs. 1 AÜG ausgestaltet. Angesichts des Umstands, dass die Unabdingbarkeit der Schutznorm des § 10 Abs. 1 AÜG ein Wesensmerkmal ihres Schutzcharakters ist, stellt sich die Frage, ob die Durchbrechung dieser Unabdingbarkeit durch ein außerordentliches Lösungsrecht des illegal überlassenen Leiharbeitnehmers dem Normzweck des § 10 Abs. 1 AÜG widersprechen würde. Dies hängt davon ab, welche (missbräuchlichen) Gestaltungsmöglichkeiten sich bei der illegalen Arbeitnehmerüberlassung eröffnen könnten, wenn die Rechtsfolge des § 10 Abs. 1 AÜG zur Disposition des Leiharbeitnehmers stünde. Entscheidend ist, ob der mit § 10 Abs. 1 AÜG bezweckte Leiharbeitnehmerschutz allein durch die theoretische Möglichkeit des illegal überlassenen Leiharbeitnehmers, das fingierte Arbeitsverhältnis zum Entleiher beenden zu können, unterlaufen werden könnte. (1) Gefährdung des Normzwecks Durch eine Lösungsmöglichkeit des illegal überlassenen Leiharbeitnehmers wäre der Normzweck des unmittelbaren Leiharbeitnehmerschutzes jedenfalls nicht beeinträchtigt, da es dem betroffenen Leiharbeitnehmer bei der Ausübung des Lösungsrechts gerade darauf ankommt, kein fingiertes Arbeitsverhältnis zum Entleiher eingehen zu müssen. Das Recht des illegal überlassenen Leiharbeitnehmers, hierauf zu verzichten, ergibt sich eben aus seiner nach Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Arbeitsvertragsschlussfreiheit, wie soeben gezeigt.231 Relevant ist vielmehr, ob die Gestattung eines außerordentlichen Lösungsrechts Auswirkungen hätte, die über das bilaterale Verhältnis hinausgehen. Durch die Ausübung eines Lösungsrechts durch den illegal überlassenen Leiharbeitnehmer würde der Entleiher im konkreten Fall von der Sanktionswirkung des fingierten Arbeitsverhältnisses befreit. Je häufiger dies geschieht, umso geringer ist der Anreiz für den Entleiher, in seinem eigenen Interesse die Einhaltung der Erlaubnispflicht durch den Verleiher zu kon trollieren. Dies hätte wiederum eine negative Auswirkung auf die Sanktion und Prävention illegaler Arbeitnehmerüberlassung. Praktisch relevant ist 230 Vgl. 231 Vgl.
oben, Abschnitt 2. C. II. 2) c) bb). oben, Abschnitt 4. A. II. 2) b) cc) (4).
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4. Teil: Schutz bei der illegalen Arbeitnehmerüberlassung
dieses Szenario jedoch nicht, da atypische Situationen, in denen der illegal überlassene Leiharbeitnehmer das fingierte Arbeitsverhältnis zu verhindern sucht, nicht die Regel sind. In der überwiegenden Zahl der Fälle ist anzunehmen, dass die Rechtsfolge eines fingierten Arbeitsverhältnisses tatsächlich im Interesse der illegal überlassenen Leiharbeitnehmer liegt, die keinen Anlass haben, von einem Lösungsrecht Gebrauch zu machen. (2) E röffnung eines Missbrauchspotentials (durch Einflussnahme des Entleihers auf den Leiharbeitnehmer) Darüber hinaus kommt es darauf an, ob durch die Möglichkeit eines Lösungsrechts ein Missbrauchspotential eröffnet wird, das den Zweck des Leiharbeitnehmerschutzes unterlaufen könnte. Nicht undenkbar ist es, dass der Entleiher angesichts seiner wirtschaftlichen und sozialen Machtstellung entsprechenden Druck auf den illegal überlassenen Leiharbeitnehmer ausübt, von seinem Lösungsrecht Gebrauch zu machen. Dadurch könnte der Entleiher den Folgen des fingierten Arbeitsverhältnisses entgehen. Dieses Druckpotential ist vorliegend nur theoretischer Natur (das als Argument gegen jede disponible Regelung im Arbeitsrecht angeführt werden könnte). Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass ein solches rechtswidriges Verhalten seitens der Entleiher bei der illegalen Arbeitnehmerüberlassung in praktisch relevantem Ausmaß auftreten könnte. Hilfreich ist ein weiteres Mal der Blick auf die Situation des Betriebsübergangs nach § 613a BGB. Dort besteht theoretisch ebenfalls die Möglichkeit, dass der Betriebserwerber mit entsprechenden Druckmitteln die betroffenen Arbeitnehmer zur Ausübung ihres Widerspruchsrecht drängt, um sie nicht übernehmen zu müssen. Dieses Szenario ist jedoch auch dort nie in einem solchen Ausmaß relevant geworden, dass die betroffenen Arbeitnehmer in der Ausübung ihres Widerspruchsrechts beeinträchtigt worden wären.232 In praktischer Hinsicht wird es für einen Arbeitgeber nie einfach sein, den Arbeitnehmer ohne jeglichen Anlass oder entsprechende Anreizsetzung zu einem Verzicht auf eine Rechtsposition zu bewegen. Dies gilt umso mehr, wenn man berücksichtigt, dass auch ein gewisser Schutz durch das Maßregelungsverbot nach § 612a BGB bestehen kann, wonach der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer nicht benachteiligen darf, wenn dieser seine Rechte in zulässiger Weise ausübt.
232 Im Gegenteil, es wurde befürchtet, dass der „Hebel“ bei der Belegschaft liegt, die durch massenhafte, abgestimmte Ausübung des Widerspruchsrechts einen Betriebsübergang sogar verhindern könnte, vgl. Pietzko, Der Tatbestand des § 613a BGB, S. 316 ff.
A. Schutz des Leiharbeitnehmers197
cc) Vorgaben durch höherrangiges Recht: Erfordernis von effektiven Sanktionsnormen gemäß Art. 10 der Leiharbeitsrichtlinie Schließlich darf die hier in Frage stehende Auslegung auch nicht in Widerspruch zu höherrangigem Recht stehen. Dies bedeutet konkret, dass eine privatautonome Abdingbarkeit der Sanktionswirkung des § 10 Abs. 1 AÜG insbesondere nicht gegen das in Art. 10 Abs. 2 der Leiharbeitsrichtlinie statuierte Gebot effektiver Sanktionsnormen verstoßen darf. Nach diesem Gebot müssen Sanktionen für richtlinienwidriges Verhalten „wirksam, angemessen und abschreckend“ sein. Es gilt zunächst zu bestimmen, ob hier überhaupt ein richtlinienwidriges Verhalten im Raum steht, dass es gegebenenfalls effektiv zu sanktioneren gäbe. Im Rahmen der Rechtsfolgen unerlaubter Arbeitnehmerüberlassung nach § 9 Nr. 1, § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG geht es um die Sanktion für die Nichteinhaltung der Erlaubnispflicht nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AÜG. Nun ist in der Leiharbeitsrichtlinie eine Erlaubnispflicht für die Arbeitnehmerüberlassung nicht vorgesehen.233 Da ein Erlaubnisvorbehalt nach der Leiharbeitsrichtlinie nicht als notwendig erachtet wird, sondern innerhalb des zulässigen Rahmens im deutschen AÜG ausgestaltet wurde, kann ein Verstoß gegen die Erlaubnispflicht des AÜG auch kein richtlinienwidriges Verhalten darstellen. Das aus der Leiharbeitsricht linie folgende Gebot effektiver Sanktionsnormen für richtlinienwidriges Verhalten ist daher für die Untersuchung der Abdingbarkeit des § 10 Abs. 1 AÜG unerheblich, da mit der fehlenden Einholung der Überlassungserlaubnis ein Verhalten sanktioniert wird, das die Leiharbeitsrichtlinie ohnehin nicht erfasst. Es bleibt dabei, dass für die Auslegung des § 10 Abs. 1 AÜG nur die zuvor erläuterten Grenzen gelten. dd) Zwischenergebnis Nach dem Wortlaut des § 10 Abs. 1 AÜG ist ein außerordentliches Lösungsrecht des illegal überlassenen Leiharbeitnehmers vom fingierten Arbeitsverhältnis nicht ausdrücklich ausgeschlossen. Auch der Normzweck des § 10 Abs. 1 AÜG, der im unmittelbaren und mittelbaren Leiharbeitnehmerschutz liegt, würde durch ein außerordentliches Lösungsrecht des illegal überlassenen Leiharbeitnehmers nicht in praktisch relevanter Weise gefährdet. 233 Wie bereits erläutert, steht die im deutschen AÜG vorgesehene Erlaubnispflicht auch nicht in Widerspruch zur Leiharbeitsrichtlinie, da diese mit Blick auf die Gewerbefreiheit (und den daraus folgenden Vorgaben für die Erteilung der Erlaubnis) nicht als Beschränkung der Leiharbeit anzusehen ist, sondern eine Form der Überwachung der Verleihunternehmen darstellt, vgl. Rieble/Vielmeier, EuZA 2011, 474, 484.
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4. Teil: Schutz bei der illegalen Arbeitnehmerüberlassung
Das in Art. 10 Abs. 2 der Leiharbeitsrichtlinie statuierte Gebot effektiver Sanktionsnormen ist für die hier untersuchte Auslegung des § 10 Abs. 1 AÜG unerheblich und daher nicht zu berücksichtigen. Es ist somit möglich, ein Verständnis im Wege der verfassungskonformen Auslegung des § 10 Abs. 1 AÜG zu begründen, wonach dem illegal überlassenen Leiharbeitnehmer ein außerordentliches Lösungsrecht zur Beendigung des fingierten Arbeitsverhältnisses zusteht. Ein solches Lösungsrecht müsste sinnvollerweise derart ausgestaltet sein, dass es auf effektive Weise der Arbeitsvertragsfreiheit des Leiharbeitnehmers Geltung verschafft, ohne dabei den Normzweck des § 10 Abs. 1 AÜG mehr als notwendig zu beeinträchtigen. b) Entwicklung eines Widerspruchsrechts im Wege der verfassungskonformen Auslegung Es erscheint naheliegend, das beim Betriebsübergang geltende Widerspruchsrecht nach § 613a Abs. 6 BGB, welches ebenfalls einst im Wege verfassungskonformer Auslegung begründet wurde, als „Vorlage“ für ein Recht zur Loslösung vom fingierten Arbeitsverhältnis nach § 10 Abs. 1 AÜG heranzuziehen.234 Die Interessenlage, auf die es hier ankommt, ist in beiden Situationen vergleichbar, da es beide Male aus Sicht des betroffenen Arbeitnehmers um die Abwendung eines Arbeitsverhältnisses geht, dass zu seinen Gunsten entstehen bzw. übergeleitet werden soll.235 Grundsätzlich ist der Vergleich zweier vergleichbarer Rechts- und Sachlagen in beide Richtungen offen, so dass Schlussfolgerungen sowohl in die eine oder in die andere Richtung möglich sind. Beispielsweise führte Pietzko seinerzeit das Fehlen eines Widerspruchsrechts beim fingierten Arbeitsverhältnis nach § 10 Abs. 1 AÜG als Argument gegen ein Widerspruchsrecht beim Betriebsübergang an, das damals nur als richterrechtliche Fortbildung bestand.236 Richtigerweise ist die Nichtexistenz eines Widerspruchsrechts 234 Für ein Widerspruchsrecht im Fall des § 10 Abs. 1 AÜG: HessLAG v. 6.3.2001 – 2/9 Sa 1246/00, DB 2001, 2104 und ArbG Köln, Urt. v. 7.3.1996, – 17 Ca 6257/95, DB 1996, 1342 f.; zustimmend Wrede, DB 1996, 1343 f.; Liebscher, BB 1996, 801, 802; ebenso Boemke/Lembke, AÜG, § 10 Rn. 37; Ulber, AÜG, § 10 Rn. 5; Bachner, in: Kittner/Zwanziger/Deinert, ArbR, § 112 Rn. 144. 235 Ebenso zum vergleichbaren Regelungsgehalt des § 613a BGB und des § 10 Abs. 1 AÜG: BAG v. 19.12.1979 − 4 AZR 901/77, AP Nr. 1 zu § 10 AÜG; HessLAG v. 6.3.2001 – 2/9 Sa 1246/00, DB 2001, 2104; ArbG Köln, Urt. v. 7.3.1996 – 17 Ca 6257/95, DB 1996, 1342 f.; zustimmend Wrede, DB 1996, 1343 f.; Boemke/ Lembke, AÜG, § 10 Rn. 39; Ulber, AÜG, § 10 Rn. 5. 236 Pietzko, Der Tatbestand des § 613a BGB, S. 264 f.: „Obwohl § 10 AÜG – vergleichbar § 613a BGB – ebenfalls den automatischen Übergang des Arbeitsver-
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gegen das fingierte Arbeitsverhältnis nach § 10 Abs. 1 AÜG nicht per se ein Argument gegen das Widerspruchsrecht beim Betriebsübergang, ebenso wenig wie die Existenz des mittlerweile in § 613a Abs. 6 BGB kodifizierten Widerspruchsrechts ein Beleg für die Notwendigkeit eines Widerspruchsrechts beim fingierten Arbeitsverhältnis sein kann. Ob ein Widerspruchsrecht gegen das fingierte Arbeitsverhältnis nach § 10 Abs. 1 AÜG sinnvollerweise in Anlehnung an das Widerspruchsrecht in der Form des § 613a Abs. 6 BGB entwickelt werden könnte, hängt davon ab, ob ein solches Gestaltungsrecht auch tatsächlich für die Situation der illegalen Arbeitnehmerüberlassung geeignet wäre. aa) Sinnhaftigkeit eines Widerspruchsrechts als reines Lösungsrecht Ein Arbeitnehmer, der im Rahmen eines Betriebsübergangs von seinem Widerspruchsrecht nach § 613a Abs. 6 BGB Gebrauch macht, verhindert damit nicht nur den Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf den Betriebserwerber, sondern kann stattdessen sein Arbeitsverhältnis mit dem Betriebsveräußerer, seinem bisherigen Arbeitgeber, fortsetzen.237 Wäre bei der illegalen Arbeitnehmerüberlassung ein Widerspruch gegen die Rechtsfolge des § 10 Abs. 1 AÜG möglich, könnte dieser de lege lata jedoch nur das Entstehen eines fingierten Arbeitsverhältnisses zwischen dem illegal überlassenen Leiharbeitnehmer und dem Entleiher abwenden, nicht aber zu einer Fortsetzung des Leiharbeitsvertrags mit dem Verleiher führen, da dieses Arbeitsverhältnis nach § 9 Nr. 1 AÜG unwirksam ist.238 Dementsprechend gibt es Stimmen, die gegen ein Widerspruchsrecht im Rahmen des § 10 Abs. 1 AÜG einwenden, dass es nicht in gleicher Weise dem Schutz des illegal überlassenen Leiharbeitnehmers dienen könne, in der das Widerspruchsrecht nach § 613a Abs. 6 BGB den vom Betriebsübergang betroffenen Arbeitnehmer schützt.239 Die Tatsache, dass angesichts der Rechtsfolge des § 9 Nr. 1 AÜG der illegal überlassene Leiharbeitnehmer im hältnisses auf den Entleiher anordnet, wird ihm [dem Arbeitnehmer] nach h. A. lediglich ein Kündigungsrecht nach § 626 BGB zugebilligt.“ 237 Ob dieses Arbeitsverhältnis, wie häufig, durch eine betriebsbedingte Kündigung beendet wird, ist eine andere Frage. 238 De lege ferenda ist es durchaus möglich, die Unwirksamkeit des Leiharbeitsvertrags nicht eintreten zu lassen, wenn der illegal überlassene Leiharbeitnehmer sein Widerspruchsrecht ausübt. Dies entspricht dem Vorschlag des Referentenentwurfs des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 17.02.2016 zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und anderer Gesetze, vgl. S. 24 des Referentenentwurfs. 239 BeckOK ArbR/Motz, § 10 AÜG Rn. 2.1; Schüren/Schüren, AÜG, § 10 Rn. 41; Urban-Crell/Schulz, Arbeitnehmerüberlassung und Arbeitsvermittlung, Rn. 789.
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Fall der Ausübung des Widerspruchsrechts niemanden als Arbeitgeber in Anspruch nehmen kann, sei aus Gründen des Arbeitnehmerschutzes nicht wünschenswert.240 Diese Stimmen verkennen jedoch, dass die Entscheidung für oder gegen das fingierte Arbeitsverhältnis dem illegal überlassenen Leiharbeitnehmer gerade selbst zustehen muss. Seine nach Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Freiheit zur Selbstbestimmung über sein Arbeitsverhältnis erlaubt ihm die eigenverantwortliche Einschätzung der jeweiligen Vor- und Nachteile seiner Entscheidung.241 Die Option der Fortsetzung des Leiharbeitsvertrages mit dem Verleiher steht nach geltendem Recht nicht zur Disposition und soll mit einem Lösungsrecht vom fingierten Arbeitsverhältnis auch nicht angestrebt werden. Hier ist lediglich die Frage zu klären, ob ein Widerspruchsrecht in der Form, wie es für die Situation des Betriebsübergangs nach § 613a Abs. 6 BGB entwickelt wurde, ein geeignetes rechtstechnisches Mittel ist, mit dem der illegal überlassene Leiharbeitnehmer das Entstehen des fingierten Arbeitsverhältnisses nach § 10 Abs. 1 AÜG verhindern kann. (1) W iderspruchsrecht als Kombination aus Lösungsrecht und Verbleibsrecht Das Widerspruchsrecht ist sowohl in seiner richterrechtlich entwickelten Form als auch nach der gesetzlichen Ausgestaltung in § 613a Abs. 6 BGB eine Kombination aus einem Lösungsrecht im Verhältnis zum Betriebserwerber und einem Verbleibsrecht im Verhältnis zum bisherigen Arbeitgeber. Sollte das Widerspruchsrecht im Rahmen des § 10 Abs. 1 AÜG Anwendung finden, müsste das Widerspruchsrecht auf die Komponente des Lösungsrechts reduziert werden, da das Verbleibsrecht in Bezug auf das Leiharbeitsverhältnis zum Verleiher gegenstandslos ist. Fraglich ist, ob dadurch das Widerspruchsrecht ins Leere liefe, mit anderen Worten, ob dessen Ausübung ohne Verbleibskomponente noch sinnvoll sein kann. Zur Beurteilung dieser Frage kann auf die Ergebnisse der Diskussion zum Widerspruchsrecht bei Umwandlungsvorgängen nach dem Umwandlungsrecht zurückgegriffen werden. Das Widerspruchsrecht gilt grundsätzlich auch in den Fällen der Gesamtrechtsnachfolge durch Umwandlungen nach dem Umwandlungsgesetz (UmwG).242 Mit der gesetzlichen Einfüh240 Urban-Crell/Schulz,
Arbeitnehmerüberlassung und Arbeitsvermittlung, Rn. 789. oben, Abschnitt 4. A. II. 2. b) cc) (4). 242 Auch vor der gesetzlichen Klarstellung in § 324 UmwG war das Widerspruchsrecht bereits für eine privatisierende Umwandlung nach § 168 UmwG anerkannt worden, vgl. BAG v. 25.5.2000 – 8 AZR 416/99, AP Nr. 209 zu § 613a BGB; 241 Vgl.
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rung des Widerspruchsrechts in den Absätzen 5 und 6 des § 613a BGB ist zeitgleich in § 324 UmwG die Klarstellung eingeführt worden, dass § 613a Abs. 1 und Abs. 4 bis 6 BGB anwendbar sind.243 Im Rahmen von Umwandlungsvorgängen, beispielsweise bei der Abspaltung nach § 123 Abs. 2 UmwG, kann der Arbeitnehmer durch Ausübung des Widerspruchsrechts den Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf den aufnehmenden Rechtsträger verhindern und dadurch den Verbleib seines Arbeitsverhältnisses beim übertragenden Rechtsträger sicherstellen. Dies gilt allerdings nur, sofern der übertragende Rechtsträger weiterhin existiert. Von den im UmwG abschließend normierten Umwandlungsformen gibt es drei Fälle, bei denen der übertragende Rechtsträger jeweils kraft Gesetzes liquidationslos erlischt: die Verschmelzung, die Aufspaltung und ebenso die vollständige Vermögensvollübertragung.244 Erlischt der übertragende Rechtsträger, kann das Arbeitsverhältnis auch im Fall der Ausübung des Widerspruchs nicht fortgesetzt werden.245 Insoweit besteht eine Vergleichbarkeit mit der Situation der illegalen Arbeitnehmerüberlassung, bei der eine Fortsetzung des Leiharbeitsverhältnisses mit dem Verleiher wegen § 9 Nr. 1 AÜG ebenfalls rechtlich unmöglich ist.246 (2) S innhaftigkeit eines Widerspruchsrechts bei Umwandlungsvorgängen im Fall des Erlöschens des übertragenden Rechtsträgers Die Frage, ob das Widerspruchsrecht bei Umwandlungsvorgängen im Fall des Erlöschens des übertragenden Rechtsträgers noch sinnvoll sein kann, ist im Schrifttum umstritten gewesen. Teilweise wurde vertreten, dass in diesen Fällen ein Widerspruchsrecht einen „Sprung ins Nichts“247 darstelle und ferner wurde die Übertragbarkeit des richterrechtlich entwickelten Widerspruchsrechts auf Umwandlungsvorgänge auch im Schrifttum bejaht, vgl. statt vieler Willemsen, RdA 1993, 133, 137. 243 Gesetz zur Änderung des Seemannsgesetzes und anderer Gesetze v. 23.3.2002, BGBl. I 2002, S. 1163. 244 Kein Anwendungsbereich für ein Widerspruchsrecht besteht bei einem Formwechsel, da dabei kein Wechsel in der Person des Arbeitgebers erfolgt, der Rechtsträger vielmehr identisch bleibt, vgl. Willemsen, in: Kallmeyer, UmwG, § 324 Rn. 43 m. w. N. 245 Vgl. Rieble, ZIP 1997, 301, 306 mit der Ausführung, dass ein Erhalt des alten Arbeitgebers systemwidrig wäre, da der Arbeitnehmer dadurch die liquidationslose Löschung des übertragenden Rechtsträgers verhindern könnte. 246 Ebenso Boemke/Lembke, AÜG, § 10 Rn. 36 zur Vergleichbarkeit der Situation der illegalen Arbeitnehmerüberlassung mit der Situation der Gesamtrechtsnachfolge, bei der der alte Arbeitgeber erlischt. 247 Klumpp/Jochums, JuS 2006, 687, 689.
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4. Teil: Schutz bei der illegalen Arbeitnehmerüberlassung
deshalb nicht anwendbar sein könne.248 Nach der Gegenauffassung konnte das Widerspruchsrecht auch dann sinnvollerweise bestehen, wenn der übertragende Rechtsträger erlischt:249 Das Widerspruchsrecht komme in seiner Wirkung einem fristlosen Lösungsrecht gleich, mit dem der Übergang des Arbeitsverhältnisses auf den aufnehmenden Rechtsträger verhindert werden könne und sei nach wie vor zum Schutz des Arbeitnehmers vor einer Aufdrängung eines neuen Arbeitgebers notwendig.250 Durch das Urteil des BAG vom 21.2.2008251 ist diese Frage abschließend für die Praxis geklärt worden: Danach besteht kein Raum für ein Widerspruchsrecht, wenn der übertragende Rechtsträger als bisheriger Arbeitgeber in Folge eines Umwandlungsvorgangs erlischt; stattdessen steht dem Arbeitnehmer ein außerordentliches Kündigungsrecht zu.252 Die Entscheidung fußt darauf, dass der Sinn und Zweck des Widerspruchsrechts sich nicht darin erschöpft, den Arbeitnehmer vor einem gegen seinen Willen aufgedrängten Arbeitgeber zu schützen, sondern auch auf Bestandsschutz durch Fortbestand des Arbeitsverhältnisses zum bisherigen Arbeitgeber ausgerichtet ist.253 Maßgeblich ist, dass das BAG ausdrücklich von der Untrennbarkeit dieser beiden Rechtsfolgen ausgeht,254 so dass sich das Widerspruchsrecht schwerlich auf die Lösungskomponente reduzieren lässt. Schließlich geht das BAG davon aus, dass der Arbeitnehmer „ohne Rechtsverlust“ von seinem Kündigungsrecht Gebrauch machen kann, wenn er das Arbeitsverhältnis mit dem neuen Arbeitgeber nicht fortsetzen will, so dass es zur Wahrung der durch Art. 2 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG gewährleisteten Vertrags- und Berufsfreiheit nicht eines zusätzlichen Widerspruchsrechts bedarf.255 Anders 248 Bauer/Lingemann, NZA 1994, 1057, 1061; Hanau, ZGR 1990, 548, 556; Wlotzke, DB 1995, 40, 43; MünchKomm-BGB/Müller-Glöge, § 613a Rn. 219; Willemsen, in: Kallmeyer, UmwG, § 324 Rn. 44; Hennrichs, ZIP 1995, 794, 799; Gaul/ Otto, DB 2002, 634, 636; Graef, NZA 2006, 1078, 1080 f. 249 Altenburg/Leister, NZA 2005, 15, 16; Däubler, RdA 1995, 136, 140; Hartmann, ZfA 1997, 21, 30; Simon, in: Semler/Stengel, UmwG, § 324 Rn. 51 ff.; Boecken, ZIP 1994, 1087, 1092; Mertens, Umwandlung und Universalsukzession, S. 169 f.; Rieble, ZIP 1997, 301, 306; Grau, Unterrichtung und Widerspruchsrecht, S. 342 ff.; ArbG Münster v. 14.4.2000 – 3 Ga 13/00, DB 2000, 1182. 250 Simon, in: Semler/Stengel, UmwG, § 324 Rn. 51 m. w. N. 251 BAG v. 21.2.2008 – 8 AZR 157/07, AP Nr. 342 zu § 613a BGB. 252 BAG v. 21.2.2008 – 8 AZR 157/07, AP Nr. 342 zu § 613a BGB, Ls. und II 2 d der Gründe. 253 BAG v. 21.2.2008 – 8 AZR 157/07, AP Nr. 342 zu § 613a BGB, II 2 d der Gründe m. w. N. 254 BAG v. 21.2.2008 – 8 AZR 157/07, AP Nr. 342 zu § 613a BGB, II 2 d der Gründe mit Verweis auf BAG v. 2.10.1974 – 5 AZR 504/73, AP Nr. 1 zu § 613a BGB. 255 BAG v. 21.2.2008 – 8 AZR 157/07, NZA 2008, 815, II 2 d der Gründe.
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ist dies gerade beim Betriebsübergang, wo eine reine Kündigung ohne jegliche Bestandsschutzwirkung zumindest formell gesehen einen Rechtsverlust im Vergleich zum Widerspruchsrecht darstellt, wenn der bisherige Arbeitgeber fortbesteht.256 Die diesem Urteil zugrunde liegenden Erwägungen lassen sich auf die Situation der illegalen Arbeitnehmerüberlassung übertragen. Da eine Rückkehr in das Arbeitsverhältnis zum Verleiher (zwar nicht tatsächlich, aber rechtlich) ausgeschlossen ist, könnte ein Widerspruchsrecht hier ebenfalls nicht über die Funktion eines Lösungsrechts hinausreichen. Mangels einer Möglichkeit zum Verbleib beim Verleiher entfällt die Bestandsschutzwirkung und die Verbleibskomponente des Widerspruchsrechts ginge ins Leere, so dass es als rechtstechnisches Mittel zur Lösung vom fingierten Arbeitsverhältnis nach § 10 Abs. 1 AÜG ungeeignet ist. bb) Verbleibsmöglichkeit beim Verleiher Grundsätzlich liegt in § 9 Nr. 1 AÜG das rechtliche Hindernis, das die Fortsetzung des Leiharbeitsvertrags und damit einen Verbleib im Verleiherbetrieb verhindert.257 Es kann bei der illegalen Arbeitnehmerüberlassung jedoch auch Fälle geben, bei denen ein Verbleib im Verleiherbetrieb rechtlich und damit auch tatsächlich möglich ist. In diesen Fällen könnte ein Widerspruchsrecht doch seine Wirkung entfalten. (1) Rechtliche Verbleibsmöglichkeit In der Situation, in der der (illegale) Verleih aus einem Mischbetrieb heraus erfolgt und der Arbeitnehmer auch im Verleiherbetrieb tätig ist, wird häufig zunächst ein regulärer Arbeitsvertrag ohne Drittbezug geschlossen und später im Hinblick auf § 613 Satz 2 BGB eine gesonderte Abrede bezüglich der Überlassung getroffen. Erfolgt die Überlassung ohne Erlaubnis, gilt die Unwirksamkeitsfolge des § 9 Nr. 1 AÜG nur für die Abrede zwischen dem Verleiher und dem Leiharbeitnehmer bezüglich des Dritteinsatzes258 (sowie 256 BAG v. 21.2.2008 – 8 AZR 157/07, AP Nr. 342 zu § 613a BGB, II 2 d der Gründe mit Verweis auf BAG v. 2.10.1974 – 5 AZR 504/73, AP Nr. 1 zu § 613a BGB. 257 Dieses rechtliche Hindernis bestünde nicht, wenn die Unwirksamkeit des Leiharbeitsvertrags zur Disposition des illegal überlassenen Leiharbeitnehmers stünde, so wie im Referentenentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 17.02.2016 zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und anderer Gesetze vorgesehen, vgl. S. 24 des Referentenentwurfs. 258 Ulber, AÜG, § 9 Rn. 26; Schüren/Schüren, AÜG, § 9 Rn. 29.
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für die entsprechende Abrede zwischen dem Verleiher und dem Entleiher). Nicht von der Unwirksamkeitsfolge erfasst ist der Arbeitsvertrag zwischen dem Verleiher und dem Leiharbeitnehmer, der als regulärer Arbeitsvertrag ohne Drittbezug geschlossen wurde.259 Zwar gelten die Rechtsfolgen der §§ 9 Nr. 1, 10 Abs. 1 AÜG jeweils für die gesamte Vertragsbeziehung zwischen den Beteiligten. Der Schutzzweck dieser Vorschriften würde jedoch in sein Gegenteil verkehrt, wenn über die unerlaubte Leiharbeitsabrede hinaus auch das ursprünglich eingegangene, reguläre Arbeitsverhältnis zwischen dem Verleiher und dem Leiharbeitnehmer der Unwirksamkeitsfolge des § 9 Nr. 1 AÜG unterläge.260 In solchen Fällen besteht für den illegal überlassenen Arbeitnehmer durchaus eine Verbleibsmöglichkeit in Form der durchgehenden Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit dem Verleiher als Arbeitgeber. Dies ergibt sich unmittelbar aus einer präzisen Anwendung des § 9 Nr. 1 AÜG. Ein Widerspruchsrecht liefe hier nicht ins Leere, da der illegal überlassene Arbeitnehmer damit nicht nur die Loslösung vom fingierten Arbeitsverhältnis, sondern auch den Verbleib bei seinem ursprünglichen Arbeitgeber bewirken könnte. Für derartige Konstellationen, bei denen der Verbleib beim Verleiher rechtlich möglich ist, kann somit ein Widerspruchsrecht in Anlehnung an § 613a Abs. 6 BGB bestehen. Dann bietet es sich auch an, die entsprechenden Regelungen, insbesondere die Widerspruchsfrist des § 613a BGB, heranzuziehen.261 (2) Keine Überwindung des § 9 Nr. 1 AÜG In allen anderen Fällen bleibt es dabei, dass ein Widerspruchsrecht ausgeschlossen ist, wenn die Unwirksamkeitsfolge des § 9 Nr. 1 AÜG die Fortsetzung des Leiharbeitsverhältnisses verhindert. Ein anderer Ansatz, das in § 9 Nr. 1 AÜG liegende rechtliche Hindernis für die Ausübung des Widerspruchsrechts zu überwinden, besteht in der Hinterfragung der Unwirksamkeitsfolge selbst. In diesem Sinne schlägt Reineke vor, dem Leiharbeitnehmer ein Wahlrecht zu gewähren und im Falle der Ausübung des Widerspruchsrechts die Unwirksamkeitsfolge nach § 9 Nr. 1 AÜG (bezüglich des Leiharbeitsvertrags) für gegenstandslos zu erklären.262 Dies entspräche im 259 Hamann,
Fremdpersonal, S. 100; Schüren/Schüren, AÜG, § 9 Rn. 29. Fremdpersonal, S. 100. 261 Boemke/Lembke, AÜG, § 10 Rn. 37. Ebenfalls für eine entsprechende Anwendbarkeit der Widerspruchsfrist beim Betriebsübergang (von damals drei Wochen) wohl ArbG Köln v. 7.3.1996 – 17 Ca 6257/95, DB 1996, 1342 f., gegen eine zeitmäßige Beschränkung der Widerspruchsmöglichkeit Wrede, DB 1996, 1343. 262 Reineke, in: FS Löwisch, S. 211, 227. 260 Hamann,
A. Schutz des Leiharbeitnehmers205
Kern der Wirkung eines Widerspruchsrechts, das im Grunde nichts anderes ist als die Ausübung des Wahlrechts zugunsten des Verbleibs beim bisherigen Arbeitgeber. De lege lata wäre ein solches Wahlrecht, das im Falle der Ausübung die Unwirksamkeitsfolge nach § 9 Nr. 1 AÜG für den Leiharbeitsvertrag überwindet, nicht möglich.263 Die Abdingbarkeit des § 9 Nr. 1 AÜG würde das gesamte Rechtsfolgengefüge der illegalen Arbeitnehmerüberlassung in Frage stellen. Unklar wäre insbesondere, wie der nach § 9 Nr. 1 AÜG unwirksame Überlassungsvertrag bei gleichzeitiger Wirksamkeit des Leiharbeitsvertrages abgewickelt werden soll. Darüber hinaus besteht im Rahmen der verfassungsrechtlichen Auslegung keine Notwendigkeit, die Rechtsfolge des § 9 Nr. 1 AÜG zu hinterfragen. Die nach Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Freiheit des Leiharbeitnehmers zur selbstbestimmten Gestaltung seines Arbeitsverhältnisses schützt nur davor, kein ungewolltes Arbeitsverhältnis (in Form des nach § 10 Abs. 1 AÜG fingierten Arbeitsverhältnisses) aufgedrängt zu bekommen. Trennt der Leiharbeitnehmer sich aus freien Stücken vom fingierten Arbeitsverhältnis, so ist seine Arbeitsvertragsfreiheit nicht dadurch verletzt, dass er dann gar keinen Arbeitsplatz mehr hat.264 Der grundrechtliche Schutz geht nicht so weit, dass in diesem Fall eine Verbleibsmöglichkeit beim bisherigen Arbeitgeber eröffnet werden müsste.265 Es bleibt dabei, dass die Unwirksamkeit des Leiharbeitsvertrags nach § 9 Nr. 1 AÜG aus keinen Gründen überwunden werden kann und deshalb ein Widerspruchsrecht im Regelfall nicht als außerordentliches Lösungsrecht geeignet ist. cc) Zwischenergebnis Im Rahmen der verfassungskonformen Auslegung des § 10 Abs. 1 AÜG wird zum Teil ein an § 613a Abs. 6 BGB angelehntes Widerspruchsrecht als geeignetes Lösungsrecht gesehen, mit dem der Leiharbeitnehmer einseitig und mit unmittelbarer Wirkung das fingierte Arbeitsverhältnis beenden kann. 263 Ebenso Urban-Crell/Schulz, Arbeitnehmerüberlassung und Arbeitsvermittlung, Rn. 790; Reuter, RdA 2015, 171, 1174. 264 In diesem Sinne auch BVerfG v. 25.1.2011 – 1 BvR 1741/09, BVerfGE 128, 157, I 3 c aa der Gründe; ähnlich Otto, in: FS Richardi, S. 317, 321, wonach der Verlust des Arbeitsplatzes durch eine außerordentliche Kündigung des Arbeitnehmers keine Grundrechtsrelevanz hat. 265 In diesem Sinne Staudinger/Annuß (2011), § 613a Rn. 293, der grundsätzlich die zwingende Notwendigkeit eines Widerspruchsrechts hinterfragt und stattdessen ein außerordentliches Kündigungsrecht als ausreichend erachtet.
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4. Teil: Schutz bei der illegalen Arbeitnehmerüberlassung
Für diesen Zweck ist das Widerspruchsrecht de lege lata im Ergebnis aus rechtstechnischen Gründen kein geeignetes Gestaltungsrecht. Es kann zwar theoretisch das Entstehen eines fingierten Arbeitsverhältnisses verhindern, nicht jedoch den Verbleib des illegal überlassenen Leiharbeitnehmers beim bisherigen Arbeitgeber herbeiführen, da dies aufgrund der Unwirksamkeit des Leiharbeitsvertrags nach § 9 Nr. 1 AÜG rechtlich unmöglich ist. Ein Widerspruchsrecht gegen das fingierte Arbeitsverhältnis ginge ins Leere. Nur wenn in Ausnahmefällen die Vertragsbeziehung zwischen dem Verleiher und dem Leiharbeitnehmer nicht nach § 9 Nr. 1 AÜG unwirksam ist und dadurch eine Rückkehr in den Verleihbetrieb möglich ist, so wie es beim Verleih aus einem Mischbetrieb heraus der Fall sein kann, ist ein Widerspruch gegen das nach § 10 AÜG fingierte Arbeitsverhältnis denkbar. c) Außerordentliches Kündigungsrecht als rechtliches „Minus“ zum Widerspruchsrecht Das Widerspruchsrecht ist, wie soeben erläutert, ein Gestaltungsrecht, das die Rechtsfolgen der Lösung vom neuen Arbeitgeber sowie des Verbleibs beim bisherigen Arbeitgeber kombiniert. Das Gestaltungsrecht der fristlosen Kündigung aus wichtigem Grund nach § 626 BGB kommt der Wirkung eines Widerspruchsrechts insoweit gleich, als dadurch ebenfalls die Beendigung eines bestehenden Arbeitsverhältnisses bewirkt wird.266 Das fristlose Kündigungsrecht kann somit als ein rechtliches „Minus“ des Widerspruchsrechts gesehen werden. Vor diesem Hintergrund ist es zu verstehen, dass die Auffassungen, die ein Widerspruchsrecht des illegal überlassenen Leiharbeitnehmer ablehnen, ihm „zumindest“ ein außerordentliches Kündigungsrecht zugestehen,267 und die Auffassungen, die ein Widerspruchsrecht bejahen, „erst recht“ die Notwendigkeit eines außerordentlichen Kündigungsrechts sehen.268 Dasselbe gilt für die Diskussion um die Sinnhaftigkeit eines Widerspruchsrechts nach § 324 UmwG i. V. m. § 613 Abs. 6 BGB im Falle des Erlöschen des übertragenden Rechtsträgers: Dort wird ebenfalls von vielen Stimmen „statt“ eines Widerspruchsrechts ein Recht des Arbeitnehmers auf außerordentliche 266 BVerfG v. 25.1.2011 – 1 BvR 1741/09, BVerfGE 128, 157, B I 3 c aa der Gründe; Reuter, RdA 2015, 171, 176. 267 BeckOK ArbR/Motz; § 10 AÜG Rn. 2; Becker/Wulfgramm, AÜG, Art. 1 § 10 Rn. 38; wohl auch Gick, Gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung, S. 159; MünchAnwHB-ArbR/Reiserer/Christ, § 66, Rn. 119; Sandmann/Marschall/Schneider, AÜG, § 10 Anm. 19; Thüsing/Mengel, AÜG, § 10 Rn. 47; Urban-Crell/Schulz, Arbeit nehmerüberlassung und Arbeitsvermittlung, Rn. 790; Urban-Crell/Hurst, in: UrbanCrell/Germakowski, § 10 Rn. 47. 268 Boemke/Lembke, AÜG, § 10 Rn. 36; Ulber, AÜG, § 10 Rn. 5.
A. Schutz des Leiharbeitnehmers207
Kündigung des Arbeitsverhältnisses, das im Wege der Gesamtrechtsfolge auf den aufnehmenden Rechtsträger übergegangen ist, bejaht.269 Für den Zweck der reinen Lösung vom fingierten Arbeitsverhältnis ist ein außerordentliches Kündigungsrecht mindestens ebenso gut geeignet wie ein Widerspruchsrecht und könnte damit der nach Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Freiheit des illegal überlassenen Leiharbeitnehmers zur selbstbestimmten Wahl des Arbeitsplatzes und Arbeitgebers Rechnung tragen.270 Die Möglichkeit der fristlosen Kündigung des fingierten Arbeitsverhältnisses ergibt sich daraus, dass es insoweit wie ein vertraglich eingegangenes Arbeitsverhältnis zu behandeln ist, auf das allgemeine zivilrechtliche und arbeitsrechtliche Vorschriften Anwendung finden.271 Es bleibt zu untersuchen, ob sich Unterschiede in der praktischen Anwendung sowie in den rechtlichen Folgen dieser beiden Gestaltungsrechte ergeben. Auch wenn das Widerspruchsrecht bereits aus anderen Gründen als Lösungsrecht im Rahmen des § 10 Abs. 1 AÜG ausscheidet, ermöglicht erst ein Vergleich der beiden Gestaltungsrechte eine umfassende Beurteilung, welches Lösungsrecht sowohl die nach Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Arbeitsvertragsfreiheit des illegal überlassenen Leiharbeitnehmers angemessen berücksichtigen als auch dem Rechtsfolgengefüge der illegalen Arbeitnehmerüberlassung hinreichend Rechnung tragen könnte. aa) Außerordentlicher Kündigungsgrund Eine fristlose Kündigung ist nach § 626 Abs. 1 BGB möglich, wenn ein wichtiger Grund vorliegt, der die Fortführung des Arbeitsverhältnisses (bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses) unzumutbar macht. Aus Sicht des illegal überlassenen Leiharbeitnehmers, der kein Interesse an der Durchführung des fingierten Arbeitsverhältnisses nach § 10 Abs. 1 AÜG hat, kann der wichtige Grund bereits im Entstehen des fingierten Arbeitsverhältnisses gesehen werden. Dies ergibt sich aus einer verfassungskonformen Auslegung des Merkmals der „Unzumutbarkeit“ im Sinne des 269 BAG v. 21.2.2008 – 8 AZR 157/07, AP Nr. 342 zu § 613a BGB, II 2 d der Gründe; ebenso statt vieler MünchKomm-BGB/Müller-Glöge, § 613a Rn. 219; Willemsen, in: Kallmeyer, UmwG, § 324 Rn. 44. 270 BVerfG v. 25.1.2011 – 1 BvR 1741/09, BVerfGE 128, 157, B I 3 c aa der Gründe; zustimmend Dzida, NJW 2011, 1433 f.; ferner Reuter, RdA 2015, 171, 176. 271 BAG v. 30.1.1991 – AZR 497/89, AP Nr. 8 zu § 10 AÜG, Ls. 5.; Boemke/ Lembke, AÜG, § 10 Rn. 14; ErfK/Wank, § 10 AÜG Rn. 17. Unterschiede bestehen nur bezüglich des durch § 10 Abs. 1 AÜG vorgegebenen Inhalts des fingierten Arbeitsverhältnisses, vgl. dazu näher unten, Abschnitt 4. B. II.
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4. Teil: Schutz bei der illegalen Arbeitnehmerüberlassung
§ 626 Abs. 1 BGB: Das nach Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Recht des Leiharbeitnehmers, in selbstbestimmter Weise über sein Arbeitsverhältnis zu bestimmen, kann sich im Einzelfall über die an sich zwingende Vorschrift des § 10 Abs. 1 AÜG hinwegsetzen, wie bereits erläutert.272 Es ist dann nur konsequent, wenn der entgegenstehende Wille des Leiharbeitnehmers auch bei der fristlosen Kündigung nach § 626 Abs. 1 BGB beachtlich ist.273 Es stellt dabei auch keinen Widerspruch dar, dass der Kündigungsgrund, nämlich das Entstehen des fingierten Arbeitsverhältnisses nach § 10 Abs. 1 AÜG, eine gesetzlich vorgesehene Rechtsfolge ist. Dies ergibt sich aus dem Resultat der Verhältnismäßigkeitsprüfung, wonach die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Arbeitsvertragsfreiheit des Leiharbeitnehmers im Einzelfall höher wiegen kann als der durch § 10 Abs. 1 AÜG verfolgte Zweck des Arbeitnehmerschutzes. Auch in der Rechtsprechung wird der Fall des fremdbestimmten Arbeitgeberwechsels, zu dem die gesetzliche Fiktion eines Arbeitsverhältnisses gehört, als wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB anerkannt. Bereits im Grundsatzurteil zur Gebotenheit eines Widerspruchsrechts beim Betriebsübergang nach § 613a BGB hat das BAG (beiläufig) ausgeführt, dass dem Arbeitnehmer mit Rücksicht auf Art. 12 Abs. 1 GG die Möglichkeit einer außerordentlichen Kündigung „wohl nicht abgesprochen werden“ dürfe.274 Dies kann nur in der Weise verstanden werden, dass allein der fremdbestimmte Wechsel der Arbeitgebers als Vertragspartner einen wichtigen Grund zur fristlosen Kündigung darstellen kann, wenn der Arbeitnehmer kein Interesse an der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit dem Betriebserwerber hat.275 Dieses Verständnis, dass bei einem gesetzlich angeordneten Arbeitgeberwechsel den Arbeitnehmern im Hinblick auf Art. 12 Abs. 1 GG ein außerordentliches Kündigungsrecht nach § 626 BGB zustehen muss, ist durch die Rechtsprechung in jüngerer Zeit nochmals ausdrücklich bestätigt worden.276 272 Vgl.
oben, Abschnitt 4. A. II. 2. b) cc) (4). auch Gick, Gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung, S. 159 (zumindest für ein Lösungsrecht entweder in Form eines Widerspruchs oder eines außerordentlichen Kündigungsrechts); Becker/Wulfgramm, AÜG, Art. 1 § 10 Rn. 38; wohl auch Ulber, AÜG, § 10 Rn. 37; Sandmann/Marschall/Schneider, AÜG, § 10 Anm. 19; abweichend Schüren/Schüren, AÜG, § 10 Rn. 112 (wonach die Möglichkeit der ordentlichen Kündigung ausreichend sei). 274 BAG, Urt. v. 2.10.1974 AZR 504/73, AP Nr. 1 zu § 613a BGB, III 3 c der Gründe. 275 Im Grundsatz ebenso Seiter, Anm. BAG AP Nr. 1 zu § 613a BGB, II 3, allerdings mit der einschränkenden Bemerkung, dass die Fortsetzung der Arbeit unter einem neuen Arbeitgeber bis zum Ende der ordentlichen Kündigungsfrist nicht in jedem Fall unzumutbar sein muss. 276 So ausdrücklich das BAG zur verfassungsrechtlichen Gebotenheit des außerordentlichen Kündigungsrechts im Rahmen von Umwandlungsvorgängen, bei denen 273 So
A. Schutz des Leiharbeitnehmers209
bb) Vergleich eines hypothetischen Widerspruchsrechts mit einem außerordentlichen Kündigungsrecht Aus Sicht des illegal überlassenen Leiharbeitnehmers, der das fingierte Arbeitsverhältnis umgehend zu beenden sucht, ergeben sich durchaus Unterschiede zwischen dem Gestaltungsrecht der fristlosen Kündigung nach § 626 Abs. 1 BGB und einem hypothetischen Widerspruchsrecht, was die Ausübungsmodalitäten sowie die Rechtsfolgen betrifft. (1) Unterschiedliche Ausübungsfristen Die fristlose Kündigung eines Arbeitsverhältnisses aus wichtigem Grund kann nach § 626 Abs. 2 BGB nur innerhalb von zwei Wochen nach Kenntniserlangung der maßgebenden Tatsachen ausgeübt werden. Da der wichtige Grund für die fristlose Kündigung des fingierten Arbeitsverhältnisses im Entstehen des fingierten Arbeitsverhältnisses an sich liegt, kann die Frist nach § 626 Abs. 2 BGB nur zu laufen beginnen, wenn der illegal überlassene Leiharbeitnehmer Gewissheit über die Tatsachen erlangt hat, die die Rechtsfolgen des §§ 9 Nr. 1, 10 Abs. 1 AÜG auslösen.277 In praktischer Hinsicht kann die eindeutige Bestimmung des Beginns der Frist im Fall der illegalen Arbeitnehmerüberlassung eine Herausforderung darstellen. Für ein außerordentliches Kündigungsrecht im Fall des Übergangs des Arbeitsplatzes im Wege der Gesamtrechtsnachfolge nahm das BAG an, dass die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB dann beginnt, wenn der betroffene Arbeitnehmer Kenntnis von der Eintragung der zum Erlöschen des bisherigen Arbeitgebers führenden Umwandlung erlangt.278 Bei der illegalen Arbeitnehmerüberlassung ist keine Anknüpfung an ein öffentlich nachvollziehbares Ereignis wie die Eintragung im Handelsregister möglich. Als Nachweis von der Kenntniserlangung des illegal überlassenen Leiharbeitnehmers scheint es sinnvoll, für den Beginn der Frist eine schriftliche Mitteilung seitens des Verleihers oder des Entleihers an den Leiharbeitnehmer zu verlangen, in der die Tatsache, dass die Arbeitnehmerüberlassung unerlaubt erfolgt ist, und die sich daraus ergebenden Rechtsfolgen kommuniziert werden. Die Frist kann jedenfalls nur ab dem Zeitpunkt laufen, in der bisherige Arbeitgeber erlischt, vgl. Urt. v. 21.2.2008 – 8 AZR 157/07, AP Nr. 342 zu § 613a BGB, II 2 d der Gründe; ferner BVerfG v. 25.1.2011 – 1 BvR 1741/09, BVerfGE 128, 157, B I 3 c aa der Gründe. 277 Ebenso Boemke/Lembke, AÜG, § 10 Rn. 37 (zum Beginn der Ausübungsfrist eines Widerspruchsrechts). 278 BAG v. 21.2.2008 – 8 AZR 157/07, AP Nr. 342 zu § 613a BGB, II 2 d der Gründe.
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4. Teil: Schutz bei der illegalen Arbeitnehmerüberlassung
dem der Leiharbeitnehmer unmissverständlich darüber informiert ist, dass sein Leiharbeitsverhältnis zum Verleiher unwirksam ist und er stattdessen in einem Arbeitsverhältnis zum Entleiher steht.279 Die Frist für die Ausübung des Widerspruchsrechts beträgt gemäß § 613a Abs. 6 BGB einen Monat nach Zugang der Unterrichtung nach§ 613a Abs. 5 BGB. Die Differenz zwischen der Ausübungsfristen von einem Monat beim Widerspruchsrecht und zwei Wochen beim außerordentlichen Kündigungsrecht ist jedoch nicht so gravierend, dass man aus Sicht des illegal überlassenen Leiharbeitnehmers von einem deutlichen Vorteil eines Widerspruchsrechts gegenüber dem außerordentlichen Kündigungsrecht sprechen könnte.280 (2) Rückwirkung Die Rechtsfolgen des Widerspruchs im Sinne des § 613a Abs. 6 BGB wirken zurück auf den Zeitpunkt des Betriebsübergangs.281 Dagegen wirkt die Rechtsfolge des fristlosen Kündigungsrechts nach § 626 BGB ex nunc.282 Dies kann im Fall der illegalen Arbeitnehmerüberlassung eine praktische Relevanz haben, wenn das fingierte Arbeitsverhältnis bereits zu einem früheren Zeitpunkt entstanden ist, zu dem der illegal überlassene Leiharbeitnehmer noch nicht über das Fehlen der Erlaubnis informiert war und dementsprechend noch keine Willensbildung für oder gegen das fingierte Arbeitsverhältnis erfolgen konnte. Ein Widerspruch würde das fingierte Arbeitsverhältnis rückwirkend unwirksam werden lassen. Für den illegal überlassenen Leiharbeitnehmer stellt die Rückwirkung jedoch kaum einen nennenswerten Vorteil dar, da er dadurch nur den früheren Beginn des Zustands der Vertragslosigkeit herbeiführen könnte. Im Fall des Widerspruchs gegen einen Betriebsübergang ist die Rückwirkung deshalb überhaupt sinnvoll, da dadurch die ununterbrochene Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zum bisherigen Arbeitgeber sichergestellt werden kann. Hier genügt es je279 Für den Fristbeginn stellen Urban-Crell/Hurst, in: Urban-Crell/Germakowski, § 10 Rn. 47; Thüsing/Mengel, AÜG, § 10 Rn. 47 auf die Kenntnis des Leiharbeitnehmers von der Unwirksamkeit des Leiharbeitsvertrages nach § 9 Nr. 1 AÜG ab. Dies dürfte nicht ausreichend sein, da dem Leiharbeitnehmer nicht ohne Weiteres die weitere Rechtsfolge des § 10 Abs. 1 AÜG bekannt sein dürfte. 280 BAG v. 21.2.2008 – 8 AZR 157/07, AP Nr. 342 zu § 613a BGB, II 2 d der Gründe. 281 So die mittlerweile herrschende Ansicht in Rechtsprechung und Literatur, vgl. BAG v. 14.12.2006 – 8 AZR 763/05, AP Nr. 318 zu § 613a BGB, II 2 der Gründe; Franzen, RdA 2002, 258, 270; a. A. Neufeld/Beyer, NZA 2008, 1157, 1158; Rieble, NZA 2004, 1, 8 f. 282 BeckOK ArbR/Stoffels, § 626 BGB Vorbemerkung.
A. Schutz des Leiharbeitnehmers211
doch im Hinblick auf die nach Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Arbeitsvertragsfreiheit des illegal überlassenen Leiharbeitnehmers, wenn er nicht gegen seinen Willen zur Fortführung des fingierten Arbeitsverhältnisses gezwungen werden kann.283 Demgegenüber ist das in der Vergangenheit durchgeführte fingierte Arbeitsverhältnis in der Regel nur für ausstehende Ansprüche relevant.284 Im Übrigen steht ein außerordentliches Kündigungsrecht in seiner ex nunc Wirkung auch in Einklang zu den Rechtsfolgen der illegalen Arbeitnehmerüberlassung nach §§ 9 Nr. 1, 10 Abs. 1 AÜG, die ohnehin nach allgemeiner Ansicht nicht rückwirkend beseitigt werden können.285 (3) Schadensersatzpflicht nach § 628 Abs. 2 BGB Bei der fristlosen Kündigung aus wichtigem Grund kann eine Schadensersatzplicht des Kündigungsempfängers nach § 628 Abs. 2 BGB bestehen, wenn dieser die Kündigung durch vertragswidriges Verhalten veranlasst hat. Für die fristlose Kündigung des fingierten Arbeitsverhältnisses durch den illegal überlassenen Leiharbeitnehmer würde dies eine Schadensersatzpflicht des Entleihers bedeuten, falls dieser die Kündigung durch vertragswidriges Verhalten veranlasst hat. Bei der Ausübung des Widerspruchsrechts besteht dagegen keine Pflicht zum Schadensersatz. Fraglich ist, ob die Schadensersatzpflicht nach § 628 Abs. 2 BGB bei einer fristlosen Kündigung des fingierten Arbeitsverhältnisses durch den illegal überlassenen Leiharbeitnehmer überhaupt eintreten kann. Auch hier lohnt sich ein vergleichender Blick auf die Diskussion um ein geeignetes Lösungsrecht bei Umwandlungsvorgängen, die das Erlöschen des bisherigen Rechtsträgers zur Folge haben: Die Möglichkeit zur Schadensersatzpflicht nach § 628 Abs. 2 BGB wurde teilweise als Argument gegen ein außerordentliches Kündigungsrecht vorgebracht – es dürfe in diesen Fällen keine Besserstellung der Arbeitnehmer im Verhältnis zu denjenigen Arbeitnehmern erfolgen, die bei einem „normalen“ Betriebsübergang auf das Widerspruchsrecht (ohne die Möglichkeit eines Schadensersatzanspruchs nach § 628 Abs. 2 BGB) angewiesen wären.286 Das BAG widersprach dieser Erwägung 283 In diesem Sinne auch BAG. v. 21.2.2008 – 8 AZR 157/07, AP Nr. 342 zu § 613a BGB, II 2 d der Gründe; BVerfG v. 25.1.2011 – 1 BvR 1741/09, BVerfGE 128, 157, B I 3 c aa der Gründe. 284 Vgl. insbesondere zur Abwicklung ausstehender Vergütungsansprüche oben, Abschnitt 2. C. II. 2. a). 285 Boemke/Lembke, AÜG, § 9 Rn. 48 und Rn. 63; Thüsing/Mengel, AÜG, § 9 Rn. 13. 286 Simon, in: Semler/Stengel, UmwG, § 324 Rn. 52.
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4. Teil: Schutz bei der illegalen Arbeitnehmerüberlassung
mit dem Argument, dass ein außerordentliches Kündigungsrecht des Arbeitnehmers in solchen Fällen aus der „durch Art. 2 I und Art. 12 I GG gewährleisteten Vertrags- und Berufsfreiheit“ folgt, und nicht etwa aus dem Umwandlungsvorgang selbst, der grundsätzlich kein vertragswidriges Verhalten des Arbeitgebers darstellt.287 Dies gilt ebenso in der Situation der illegalen Arbeitnehmerüberlassung: Die fristlose Kündigung ist Ausdruck der Selbstbestimmung des Arbeitnehmers, weniger die Reaktion auf ein bestimmtes Verhalten des Entleihers. Hier ist schon mehr als fraglich, ob dem Entleiher ein vertragswidriges Verhalten im Sinne des § 628 Abs. 2 BGB vorgeworfen werden kann, da zuvor kein Vertragsverhältnis bestand, im Rahmen dessen er sich vertragswidrig hätte verhalten können. Ob ein etwaiges Versäumnis des Entleihers bezüglich der Sicherstellung der Erlaubnispflicht (durch Einwirkung auf den Verleiher) möglicherweise als vorvertragliche Pflichtverletzung gewertet werden kann, kann dahin gestellt sein. Selbst wenn dies dem Entleiher vorzuwerfen wäre, ist das Entstehen des fingierten Arbeitsverhältnisses eine gesetzliche Rechtsfolge und beruht nicht kausal darauf, dass der Entleiher den Verleiher nicht erfolgreich zur Einholung der Erlaubnis angehalten hat. Da die Schadensersatzpflicht des § 628 Abs. 2 BGB bei einer fristlosen Kündigung des fingierten Arbeitsverhältnisses durch den illegal überlassenen Leiharbeitnehmer nicht einschlägig ist, ergibt sich insoweit kein Unterschied zum Widerspruchsrecht. cc) Zusammenfassung Das Recht zur fristlosen Kündigung aus wichtigem Grund unterscheidet sich vom Widerspruchsrecht in der Ausübungsfrist und in der fehlenden Rückwirkung. Wird das Recht zur fristlosen Kündigung nach § 626 BGB ausgeübt, um das fingierte Arbeitsverhältnis zu beenden, kann dadurch keine Schadensersatzpflicht nach § 628 Abs. 2 BGB ausgelöst werden. Aus Sicht des illegal überlassenen Leiharbeitnehmers, dem es darauf ankommt, das nach § 10 Abs. 1 AÜG fingierte Arbeitsverhältnis umgehend zu beenden, stellt sich ein fristloses Kündigungsrecht nach § 626 BGB als ein geeignetes und wirksames Mittel dar, das sich in seiner Wirkung faktisch nur wenig von einem Widerspruchsrecht unterscheidet.
287 BAG v. 21.2.2008 – 8 AZR 157/07, AP Nr. 342 zu § 613a BGB, II 2 d der Gründe.
A. Schutz des Leiharbeitnehmers213
d) Zwischenergebnis zur verfassungskonformen Auslegung Im Wege der verfassungskonformen Auslegung des § 10 Abs. 1 AÜG war nach einem geeigneten Lösungsrecht zu suchen, mittels dessen der illegal überlassene Leiharbeitnehmer sich einseitig und ohne Fristbindung vom fingierten Arbeitsverhältnis lösen kann. Das Widerspruchsrecht ist für diesen Zweck kein geeignetes Gestaltungsrecht. Es kann zwar theoretisch das Entstehen eines fingierten Arbeitsverhältnisses verhindern, nicht jedoch den Verbleib des illegal überlassenen Leiharbeitnehmers beim Verleiher herbeiführen, da dies aufgrund der Unwirksamkeit des Leiharbeitsvertrags nach § 9 Nr. 1 AÜG rechtlich unmöglich ist. Ein Widerspruchsrecht gegen das fingierte Arbeitsverhältnis ginge somit ins Leere. Die fristlose Kündigung aus wichtigem Grund nach § 626 BGB ist das geeignete Gestaltungsrecht, mit dem der illegal überlassene Leiharbeitnehmer das fingierte Arbeitsverhältnis umgehend beenden kann. Der wichtige Grund liegt dabei in der Fiktion eines Arbeitsverhältnisses nach § 10 Abs. 1 AÜG an sich. Dies ergibt sich aus einer Auslegung des Merkmals der „Unzumutbarkeit“ im Hinblick auf das nach Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Recht des Leiharbeitnehmers, in selbstbestimmter Weise über sein Arbeitsverhältnis zu bestimmen. Es handelt sich beim Recht zur fristlosen Kündigung aus wichtigem Grund nach § 626 BGB um ein „Minimalkorrektiv“288, für das keine zusätzlichen rechtstechnischen Konstruktionen notwendig sind. Es genügt, das Tatbestandsmerkmal des wichtigen Grundes im Sinne des § 626 BGB verfassungskonform auszulegen. Das Gestaltungsrecht der fristlosen Kündigung ist sowohl in seiner Rechtsfolge als auch in seiner tatsächlichen Ausübungsform gut geeignet, um der nach Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Arbeitsvertragsfreiheit des illegal überlassenen Leiharbeitnehmers Geltung zu verschaffen, ohne dabei das Rechtsfolgengefüge der illegalen Arbeitnehmerüberlassung mehr als notwendig zu modifizieren. 4. Ergebnis zur verfassungsrechtlichen Beurteilung der Fiktion eines Arbeitsverhältnisses nach § 10 Abs. 1 AÜG Durch die Fiktion eines Arbeitsverhältnisses nach § 10 Abs. 1 AÜG wird zum Zwecke des Arbeitnehmerschutzes in die nach Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Arbeitsvertragsfreiheit des illegal überlassenen Leiharbeitnehmers 288 Vgl. Rieble, ZIP 1997, 301, 305 zum fristlosen Kündigungsrecht in Fällen von Umwandlungsvorgängen, bei denen der bisherige Arbeitgeber erlischt.
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4. Teil: Schutz bei der illegalen Arbeitnehmerüberlassung
eingegriffen. Gegenüber demjenigen illegal überlassenen Leiharbeitnehmer, der das Entstehen des fingierten Arbeitsverhältnisses abwenden möchte und hierzu keine Möglichkeit hat, stellt sich der Eingriff im Einzelfall als unverhältnismäßig dar. Im Wege der verfassungskonformen Auslegung des § 10 Abs. 1 AÜG ist dem illegal überlassenen Leiharbeitnehmer ein Recht zur fristlosen Kündigung aus wichtigem Grund gemäß § 626 BGB zu gewähren, mittels dessen er das fingierte Arbeitsverhältnis umgehend beenden kann.
III. Schutzbedürftigkeit des Leiharbeitnehmers bei fristloser Kündigung des fingierten Arbeitsverhältnisses Kündigt der Leiharbeitnehmer das fingierte Arbeitsverhältnis zum Entleiher fristlos gemäß § 626 BGB, wird dadurch ex nunc die arbeitsvertragliche Beziehung zwischen ihm und dem Entleiher beseitigt. Je nachdem, ob die Überlassung schon von Anfang an unerlaubt war oder die Erlaubnis erst nachträglich weggefallen ist, kann sich die Situation ergeben, dass bis zum Zeitpunkt der fristlosen Kündigung ein fingiertes Arbeitsverhältnis nach § 10 Abs. 1 AÜG bestand, aus dem Ansprüche gegen den Entleiher (für die Vergangenheit) abgeleitet werden können. Aufgrund der Tatsache, dass der Leiharbeitsvertrag gemäß § 9 Nr. 1 AÜG unwirksam ist, können sich verschiedene Fragen zur Abwicklung ausstehender arbeitsrechtlicher Ansprüche ergeben. Insbesondere ist fraglich, ob durch die fristlose Kündigung des fingierten Arbeitsverhältnisses zusätzliche Schwierigkeiten bei der Abwicklung solcher Ansprüche entstehen können. 1. Abwicklungsbedürftige Bereiche a) Rückständiges Gehalt Hat der illegal überlassene Leiharbeitnehmer vom Verleiher Vergütungszahlungen erhalten, darf er diese in jedem Fall behalten und ist keinen bereicherungsrechtlichen Ansprüchen des Verleihers ausgesetzt.289 Insoweit besteht auch kein Vergütungsanspruch gegenüber dem Entleiher aus dem fingierten Arbeitsverhältnis, da der illegal überlassene Leiharbeitnehmer keinen Anspruch auf doppelte Vergütung hat.290 289 BGH v. 8.11.1979 – VII ZR 337/78, NJW 1980, 452, III 1 b) der Gründe; Hamann, Fremdpersonal im Unternehmen, S. 100. 290 BGH v. 8.11.1979 – VII ZR 337/78, NJW 1980, 452, III 1 b) der Gründe; Becker, C., BB 1978, 363, 364; Becker/Kreikebaum, Zeitarbeit, S. 135.
A. Schutz des Leiharbeitnehmers215
Kritischer ist die Situation, in der der illegal überlassene Leiharbeitnehmer keine oder nur anteilige Vergütungszahlungen vom Verleiher erhalten hat. Dann kann sich der Leiharbeitnehmer bezüglich der ausstehenden Vergütungsansprüche wegen der Unwirksamkeit des Leiharbeitsvertrags nach § 9 Nr. 1 AÜG nur an den Entleiher wenden, der als Arbeitgeber unter dem fingierten Arbeitsverhältnis hierfür einzustehen hat. Kündigt der illegal überlassene Leiharbeitnehmer das fingierte Arbeitsverhältnis fristlos, ergeben sich bezüglich der ausstehenden Vergütungsansprüche keine Unterschiede: Bei der von Anfang an unerlaubten Arbeitnehmer überlassung besteht auch von Anfang an ein fingiertes Arbeitsverhältnis nach § 10 Abs. 1 AÜG. Erlangt der Leiharbeitnehmer erst nachträglich Kenntnis hiervon und kündigt er das fingierte Arbeitsverhältnis infolgedessen, hat dies keine Auswirkungen auf die Vergangenheit.291 Für den Zeitraum vom Beginn der illegalen Überlassung bis zur fristlosen Kündigung bestand ein fingiertes Arbeitsverhältnis zum Entleiher, so dass der Leiharbeitnehmer für diesen Zeitraum Vergütungsansprüche gegenüber dem Entleiher geltend machen kann. Fällt die Erlaubnis erst nachträglich weg und kündigt der Leiharbeitnehmer umgehend das fingierte Arbeitsverhältnis, so besteht kein nennenswerter Zeitraum, für den das fingierte Arbeitsverhältnis durchgeführt wurde. Kündigt der Leiharbeitnehmer das fingierte Arbeitsverhältnis erst zu einem späteren Zeitpunkt (nach Kenntniserlangung), so liegt dieselbe Situation wie bei der anfänglichen illegalen Arbeitnehmerüberlassung vor. Im Ergebnis hat der Leiharbeitnehmer durch die fristlose Kündigung keine Nachteile bei der Inanspruchnahme des Entleihers wegen ausstehender Vergütungszahlungen zu befürchten. Für den Zeitraum der durchgeführten Überlassung kann er stets entweder den Verleiher oder den Entleiher auf Zahlung seiner Vergütung in Anspruch nehmen, je nachdem, ab welchem Zeitpunkt die Arbeitnehmerüberlassung unerlaubt erfolgte. Lücken ergeben sich somit auch nicht für die gesamtschuldnerische Haftung des Verleihers und des Entleihers für die Abführung von Lohnsteuer und Sozialabgaben.292 b) Abgeltung von Urlaubsansprüchen Fraglich ist, wie etwaige ausstehende Urlaubsansprüche bei der illegalen Arbeitnehmerüberlassung abgegolten werden. Bei der erlaubten Arbeitnehmerüberlassung besteht nur im Verhältnis zwischen dem Leiharbeitnehmer und dem Verleiher ein Urlaubsanspruch.293 291 Vgl.
oben, Abschnitt 4. A. II. 3. c) bb) (2). dazu oben, Abschnitt 2. C. II. 2. b) bb). 293 Becker/Kreikebaum, Zeitarbeit, S. 166 f.; Mittmann, Rechtliche Probleme der Leiharbeit, S. 95; wohl auch Schüren/Schüren, AÜG, Einl. Rn. 224 ff. 292 Vgl.
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4. Teil: Schutz bei der illegalen Arbeitnehmerüberlassung
Boemke begründet dies damit, dass die Pflicht zur Arbeitsleistung dem Verleiher zustehe, so dass auch nur der Verleiher den Leiharbeitnehmer von dieser Pflicht befreien könne.294 Nach der hier vertretenen Auffassung, wonach dem Entleiher ein eigener Anspruch auf die Arbeitsleistung des Leiharbeitnehmers aus einem echten Vertrag zugunsten Dritter zusteht, ist dem Entleiher konsequenterweise zumindest ein Mitwirkungsrecht bei der zeitlichen Organisation des Urlaubs zuzugestehen.295 Dagegen bestehen Urlaubsansprüche bei der unerlaubten Arbeitnehmerüberlassung nur gegenüber dem Entleiher als Arbeitgeber unter dem fingierten Arbeitsverhältnis. Wird das fingierte Arbeitsverhältnis fristlos durch den illegal überlassenen Leiharbeitnehmer gekündigt und besteht ein noch nicht erfüllter Urlaubsanspruch gegenüber dem Entleiher, wandelt sich dieser durch die Beendigung des (fingierten) Arbeitsverhältnisses in einen entsprechenden Abgeltungsanspruch nach § 7 Abs. 4 BUrlG um, der gegenüber dem Entleiher geltend zu machen ist. Beim nachträglichen Wegfall der Überlassungserlaubnis kann es ebenso vorkommen, dass im Verhältnis zum Verleiher ein noch nicht erfüllter Urlaubsanspruch des Leiharbeitnehmers besteht. Dieser ist ausschließlich im Verhältnis zum Verleiher abzuwickeln. Keinesfalls kann ein Verständnis begründet werden, wonach der Urlaubsanspruch gegenüber dem Verleiher auf den Entleiher übergeht und deshalb gegenüber dem Verleiher nicht mehr abgegolten werden könnte. Nach der gesetzlichen Rechtsfolgenregelung der §§ 9 Nr. 1, 10 Abs. 1 AÜG wird das Leiharbeitsverhältnis beendet und es entsteht ein neues, fingiertes Arbeitsverhältnis. Da der Urlaubsanspruch eindeutig jeweils dem Entleiher oder dem Verleiher zuzuordnen ist, ergeben sich durch eine fristlose Kündigung des fingierten Arbeitsverhältnisses auch keine Besonderheiten für die Abgeltung nicht gewährten Erholungsurlaubs. c) Zeugniserteilung Bei der erlaubten Arbeitnehmerüberlassung ist der Verleiher wie jeder Arbeitgeber verpflichtet, dem Leiharbeitnehmer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein qualifiziertes Zeugnis zu erteilen, was sich aus § 109 GewO und § 630 BGB ergibt. Da der Entleiher naturgemäß eher in der Lage ist, die Arbeit des Leiharbeitnehmers zu beurteilen, ist er verpflichtet, dem Verleiher tätigkeitsbezogene Informationen mitzuteilen, die zur Erstellung des Zeugnisses notwendig sind.296 Diese Mitwirkungspflicht besteht 294 Boemke,
Schuldvertrag und Arbeitsverhältnis, S. 573. Boemke, Schuldvertrag und Arbeitsverhältnis, S. 574. 296 Schüren/Schüren, AÜG, Einl. Rn. 296; Ulber, AÜG, § 12 Rn. 30 (darüber hinausgehend für eine Pflicht des Entleihers gegenüber dem Verleiher zur Zeugnis295 A. A.
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nur gegenüber dem Verleiher; gegenüber dem Leiharbeitnehmer ist der Entleiher nicht zur Erteilung eines Zeugnisses oder entsprechender Informationen verpflichtet.297 Erfolgt eine Überlassung von Anfang an ohne Erlaubnis, bestand wegen § 9 Nr. 1 AÜG zu keinem Zeitpunkt ein wirksames Leiharbeitsverhältnis. Der Verleiher war nie Arbeitgeber des illegal überlassenen Leiharbeitnehmers und ist nicht zur Zeugniserteilung verpflichtet. Stattdessen schuldet der Entleiher unter dem fingierten Arbeitsverhältnis nach § 10 Abs. 1 AÜG als Arbeitgeber die Zeugniserteilung bezüglich des Einsatzes in seinem Betrieb. Durch eine fristlose Kündigung des fingierten Arbeitsvertrags ergeben sich auch hier keine Besonderheiten. Die Pflicht des Entleihers zur Zeugniserteilung erstreckt sich dann auf den Zeitraum ab dem Beginn des fingierten Arbeitsverhältnisses bis zu dessen Beendigung durch die fristlose Kündigung. d) Sperrzeit nach § 159 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB III Beendet der illegal überlassene Leiharbeitnehmer das fingierte Arbeitsverhältnis durch fristlose Kündigung, so steht er weder zum Verleiher noch zum Entleiher in einem Arbeitsverhältnis. Wird er infolge der fristlosen Kündigung arbeitslos, so besteht nach den Voraussetzungen der §§ 136 ff. SGB III (vormals 117 ff. SGB III a. F.)298 ein Anspruch auf Arbeitslosengeld. Für den Beginn des Bezugs von Arbeitslosengeld ist maßgeblich, ob die sogenannte Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe nach § 159 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB III (vormals § 144 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB III a. F.)299 gilt. Dies ist der Fall, wenn der Arbeitslose das Beschäftigungsverhältnis gelöst oder durch arbeitsvertragswidriges Verhalten Anlass für die Lösung gegeben hat und dadurch vorsätzlich oder grob fahrlässig die Arbeitslosigkeit herbeigeführt hat. erstellung); Urban-Crell/Schulz, Arbeitnehmerüberlassung und Arbeitsvermittlung, Rn. 228. 297 Urban-Crell/Schulz, Arbeitnehmerüberlassung und Arbeitsvermittlung, Rn. 470 f.; wohl auch KassArbR/Düwell, 4.5 Rn. 407; a. A. Becker/Kreikebaum, Zeitarbeit, S. 182; Becker/Wulfgramm, AÜG, § 11 Rn. 68; Gick, Gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung, S. 105; Boemke, Schuldverhältnis und Arbeitsvertrag, S. 575; Schüren/Schüren, AÜG, Einl. Rn. 297. 298 Die Inhalte der §§ 117 ff. SGB III a. F. sind mit Wirkung zum 01.04.2012 in den §§ 136 ff. SGB III geregelt worden, vgl. Gesetz zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt v. 20.12.2011, BGBl. I S. 2854. 299 Siehe obige Fußnote.
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Für die Frage, ob der illegal überlassene Leiharbeitnehmer durch eine fristlose Kündigung des fingierten Arbeitsverhältnisses die Tatbestandsvo raussetzungen des § 159 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB III erfüllt, ist ein weiteres Mal der Blick auf die Situation beim Betriebsübergang nach § 613a BGB aufschlussreich. Dort ergibt sich die Arbeitslosigkeit des widersprechenden Arbeitnehmers typischerweise daraus, dass sein nicht übergangenes Arbeitsverhältnis durch den Betriebsveräußerer betriebsbedingt gekündigt wird.300 Das Tatbestandsmerkmal des arbeitsvertragswidrigen Verhaltens ist durch die Ausübung des Widerspruchsrechts nicht erfüllt, da das Widerspruchsrecht ein in § 613a Abs. 6 BGB kodifiziertes Recht des Arbeitnehmers ist, dessen Ausübung nicht vertragswidrig sein kann. Das Tatbestandsmerkmal des „Lösens“ des Beschäftigungsverhältnisses ist ebenfalls nicht einschlägig, da auf das Beschäftigungsverhältnis zum Betriebsveräußerer abzustellen ist, das nicht durch den Arbeitnehmer selbst, sondern in solchen Fällen vom Betriebsveräußerer durch eine betriebsbedingte Kündigung gelöst wird.301 Bei der fristlosen Kündigung des fingierten Arbeitsverhältnisses ist die Lage anders: Der illegal überlassene Leiharbeitnehmer beendet das fingierte Arbeitsverhältnis zum Entleiher aktiv durch die Ausübung des Kündigungsrechts und erfüllt somit das Tatbestandsmerkmal des „Lösens“ des Beschäftigungsverhältnisses nach § 159 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB III. Es kommt auch nur auf dieses fingierte Arbeitsverhältnis an und nicht etwa auf das ursprünglich eingegangene Leiharbeitsverhältnis zum Verleiher, welches nach § 9 Nr. 1 AÜG unwirksam ist. Diese fristlose Kündigung führt stets kausal und ohne weitere Zwischenschritte dazu, dass das fingierte Arbeitsverhältnis gelöst wird.302 Die Sperrzeit entfällt jedoch gemäß § 159 Abs. 1 Satz 1 SGB III, wenn der Arbeitnehmer einen wichtigen Grund für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses hatte. Kündigt der Arbeitnehmer das Beschäftigungsverhältnis aus wichtigem Grund gemäß § 626 BGB, stellt dieser Grund auch einen wichtigen Grund im Sinne des § 159 Abs. 1 Satz 1 SGB III dar.303 Der wichtige Grund im Sinne des § 626 BGB, der den illegal überlassenen Leiharbeitnehmer zur fristlosen Kündigung des fingierten Arbeitsverhältnisses berechtigt, liegt im Entstehen des fingierten Arbeitsverhältnisses selbst. Dadurch wird dem verfassungsrechtlichen Gebot zur Berücksichtigung der 300 Vgl.
im Einzelnen dazu ErfK/Preis, § 613a BGB Rn. 106. NZA 2009, 354, 356 f.; ErfK/Rolfs, § 159 SGB III Rn. 6; a. A. Engesser Means/Klebeck, NZA 2008, 143, 145. 302 Ebenso Klumpp, NZA 2009, 354, 357 zur Situation, in der der alte Arbeitgeber etwa durch eine Umwandlung erlischt, was insoweit eine vergleichbare Situation darstellt. 303 ErfK/Rolfs, § 159 SGB III Rn. 28 m. w. N. 301 Klumpp,
A. Schutz des Leiharbeitnehmers219
nach Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Arbeitsvertragsfreiheit des illegal überlassenen Leiharbeitnehmers Rechnung getragen.304 Dasselbe muss für die Auslegung des wichtigen Grundes im Sinne des § 159 Abs. 1 Satz 1 SGB III gelten. Zwar ist auf der anderen Seite der Schutzzweck der Sperrzeit nach § 159 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB III zu berücksichtigen, der darin besteht, zur Wahrung der Funktionsfähigkeit der Arbeitslosenversicherung beizutragen.305 Die nach Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Arbeitsvertragsfreiheit des Leiharbeitnehmers muss sich jedoch im Ergebnis auch hierüber hinweg setzen können. Es wäre widersprüchlich, die Ausübung eines Gestaltungsrechts einfachgesetzlich zu sanktionieren, wenn das Gestaltungsrecht wie hier in Form des außerordentlichen Kündigungsrechts gewährt wird, um einer grundrechtlich geschützten Rechtsposition des Betroffenen Geltung zu verschaffen. In diesem Sinne ist auch das Merkmal des wichtigen Grundes auszulegen, das gemäß § 159 Abs. 1 Satz 1 SGB III eine Sperrzeit ausschließt.306 Somit hat der illegal überlassene Leiharbeitnehmer, der in Wahrnehmung seiner Arbeitsvertragsfreiheit das fingierte Arbeitsverhältnis fristlos kündigt und dadurch arbeitslos wird, beim Bezug von Arbeitslosengeld keine Sperrzeit im Sinne des § 159 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB III zu befürchten. 2. Zusammenfassung Kündigt der illegal überlassene Leiharbeitnehmer das fingierte Arbeitsverhältnis fristlos, kann es je nach Zeitpunkt der Kündigung bereits zu einem fingierten Arbeitsverhältnis nach § 10 Abs. 1 AÜG gekommen sein. Verschiedene Ansprüche des illegal überlassenen Leiharbeitnehmers können dann noch ausstehend sein, wie zum Beispiel Ansprüche auf ausstehendes Gehalt, auf Urlaubsabgeltung sowie auf Zeugniserteilung. Ob diese Ansprüche im Verhältnis zum Verleiher oder zum Entleiher abzuwickeln sind, richtet sich danach, zu wem ein Arbeitsverhältnis während des maßgeblichen Zeitraums bestand. Es ist jedenfalls kein Zeitpunkt denkbar, zu dem ein Arbeitsverhältnis entweder zu beiden oder zu keinem von beiden besteht. Durch eine fristlose Kündigung des fingierten Arbeitsverhältnisses durch den illegal überlassenen Leiharbeitnehmer ergeben sich keine zusätzlichen Besonderheiten. 304 Vgl.
oben, Abschnitt 4. A. II. 3. c). Klumpp, NZA 2009, 354, 355 m. w. N. 306 Ebenso (zur Situation des Widerspruchs beim Betriebsübergang) Opitz, Probleme des arbeitnehmerseitigen Widerspruchs beim Betriebsübergang, S. 179, mit der Ausführung, dass der Sperrzeittatbestand nicht „zum Disziplinierungsinstrument in anderen grundrechtlich geschützten Bereichen“ werden darf. 305 Vgl.
220
4. Teil: Schutz bei der illegalen Arbeitnehmerüberlassung
Wird der illegal überlassene Leiharbeitnehmer durch die fristlose Kündigung des fingierten Arbeitsverhältnisses arbeitslos, besteht keine Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe im Sinne des § 159 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB III, da der Leiharbeitnehmer sich auf einen wichtigen Grund im Sinne des § 159 Abs. 1 Satz 1 SGB III berufen kann, der die Sperrzeit ausschließt.
B. Schutzbedürftigkeit des Leiharbeitnehmers im Rahmen des fingierten Arbeitsverhältnisses Kommt ein fingiertes Arbeitsverhältnis gemäß § 10 Abs. 1 AÜG zustande, ist der illegal überlassene Leiharbeitnehmer unter dem fingierten Arbeitsverhältnis kein Leiharbeitnehmer mehr, sondern ein „regulärer“ Arbeitnehmer, der in einem Arbeitsverhältnis zum Entleiher steht.307 Im Unterschied zu einem vertraglich eingegangenen Arbeitsverhältnis bestimmen sich die Bedingungen des fingierten Arbeitsverhältnisses bezüglich des Inhalts, der Dauer und der Vergütung nach den einzelnen Regelungen des § 10 Abs. 1 AÜG, ohne dass die Parteien des Arbeitsverhältnisses hierauf Einfluss nehmen können.308 Zu untersuchen ist, ob sich daraus eine besondere Schutzbedürftigkeit des illegal überlassenen Leiharbeitnehmers im Rahmen des fingierten Arbeitsverhältnisses ergibt.
I. Bestimmung des notwendigen Schutzniveaus Um eine Aussage zur Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers im fingierten Arbeitsverhältnis treffen zu können, muss zunächst bestimmt werden, welches Schutzniveau maßgeblich ist. Der Maßstab hierfür ergibt sich aus dem Normzweck des § 10 Abs. 1 AÜG, wonach das fingierte Arbeitsverhältnis zum Schutz des illegal überlassenen Arbeitnehmers als Ersatz für das unwirksame Leiharbeitsverhältnis zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmer dient.309 Somit besteht die erste Vorgabe darin, dass die im Leiharbeitsverhältnis vereinbarten Arbeitsbedingungen zumindest nicht zu Lasten des Leiharbeitnehmers abweichen werden dürfen. Des Weiteren gehört auch die Eingliederung in den Entleiherbetrieb zum Ziel des Gesetzgebers, einen Ersatz für das unwirksame Leiharbeitsverhältnis zu regeln, da nur damit dem Umstand Rechnung getragen wird, dass zum Verleiherbetrieb weder auch Boemke, Schuldvertrag und Arbeitsverhältnis, S. 601. Parteien des fingierten Arbeitsverhältnisses steht es jedoch frei, einvernehmlich einen Änderungsvertrag zu schließen, vgl. statt vieler BAG v. 19.12.1979 – 4 AZR 901/77, AP Nr. 1 zu § 10 AÜG; Ulber, AÜG, § 10 Rn. 12. 309 BT-Drs. VI/2303, S. 13. 307 Vgl. 308 Den
B. Schutzbedürftigkeit des Leiharbeitnehmers221
rechtliche noch tatsächliche Bindungen bestehen.310 Demnach ist grundsätzlich eine Gleichbehandlung311 mit anderen Arbeitnehmern im Entleiherbetrieb anzustreben, was die Arbeitsbedingungen einschließlich der kollektiven Vereinbarungen angeht.312 Die Einzelregelungen des § 10 Abs. 1 AÜG zu den Bedingungen des fingierten Arbeitsverhältnisses sind also daraufhin zu überprüfen, ob sie den oben genannten Vorgaben Rechnung tragen.
II. Bedingungen des fingierten Arbeitsverhältnisses § 10 Abs. 1 AÜG regelt ausdrücklich die Dauer und den Inhalt des fingierten Arbeitsverhältnisses sowie die Höhe der Vergütung des Leiharbeitnehmers. Abgesehen von diesen speziellen Bestimmungen richten sich der Inhalt und die Dauer des fingierten Arbeitsverhältnisses gemäß § 10 Abs. 1 Satz 4 AÜG „im Übrigen“ nach den im Betrieb des Entleihers geltenden Vorschriften. Dazu zählen auch kollektivrechtliche Regelungen wie Betriebsvereinbarungen und tarifliche Bestimmungen, soweit sie nach allgemeinen Grundsätzen gelten.313 Insoweit kann auch von einem Gleichbehandlungsgebot gesprochen werden,314 wobei es hier um eine echte Gleichbehandlung von Arbeitnehmern desselben Betriebs geht, da der Leiharbeitnehmer unter dem fingierten Arbeitsverhältnis ein Arbeitnehmer wie jeder andere ist. Falls keine entsprechenden Regelungen im Entleiherbetrieb bestehen, gelten gemäß § 10 Abs. 1 Satz 4 Hs. 2 AÜG die Arbeitsbedingungen in vergleichbaren Betrieben. Im Übrigen steht das fingierte Arbeitsverhältnis einem vertraglich begründeten Arbeitsverhältnis gleich315 und unterliegt damit den allgemeinen arbeitsrechtlichen und zivilrechtlichen Vorschriften, die auch für ein vertraglich eingegangenes Arbeitsverhältnis anwendbar sind.316 310 Schüren/Schüren,
AÜG, § 10 Rn. 72. ist keine Gleichbehandlung im Sinne des Equal Pay und Equal Treatment Grundsatzes zu verstehen, das in § 3 Abs. 1 Nr. 3 AÜG, § 9 Nr. 2 AÜG sowie § 10 Abs. 4 Satz 1 AÜG Ausdruck gefunden hat. 312 Schüren/Schüren, AÜG, § 10 Rn. 74. 313 Boemke/Lembke, AÜG, § 10 Rn. 65. 314 Vgl. Schüren/Schüren, AÜG, § 10 Rn. 100. 315 BAG v. 30.1.1991 – AZR 497/89, AP Nr. 8 zu § 10 AÜG, Ls. 5.; Boemke/ Lembke, AÜG, § 10 Rn. 14. 316 Vgl. auch BT-Drs. VI/2303, S. 14, wonach dies eine Selbstverständlichkeit darstellt und deshalb keiner besonderen Bestätigung durch das Gesetz bedarf. 311 Darunter
222
4. Teil: Schutz bei der illegalen Arbeitnehmerüberlassung
1. Dauer des fingierten Arbeitsverhältnisses § 10 Abs. 1 AÜG regelt nur den Beginn und die Befristung des fingierten Arbeitsverhältnisses. Die Beendigung des fingierten Arbeitsverhältnisses richtet sich nach allgemeinen Vorschriften, wobei sich durch die Sachlage bei der Arbeitnehmerüberlassung insbesondere Fragen zu den Voraussetzungen des allgemeinen Kündigungsschutzes ergeben. a) Beginn Gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 AÜG beginnt das fingierte Arbeitsverhältnis zu dem Zeitpunkt, der zwischen dem Verleiher und Entleiher für den Beginn der Tätigkeit vorgesehen war, sofern von Anfang an eine illegale Arbeitnehmerüberlassung vorliegt. Dies bedeutet, dass der gegebenenfalls abweichende Zeitpunkt der tatsächlichen Arbeitsaufnahme unerheblich ist.317 Tritt die Unwirksamkeitsfolge des § 9 Nr. 1 AÜG erst nachträglich ein, d. h. nach Aufnahme der Tätigkeit beim Entleiher, so beginnt auch das fingierte Arbeitsverhältnis gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 AÜG erst zu diesem späteren Zeitpunkt. Nach einer teilweise vertretenen Ansicht soll für den Beginn des fingierten Arbeitsverhältnisses dagegen nur die tatsächliche Arbeitsaufnahme des Leiharbeitnehmers im Entleiherbetrieb maßgeblich sein.318 Dies ist einleuchtend, wenn der zur Überlassung bestimmte Leiharbeitnehmer nicht zum vereinbarten Zeitpunkt beim Entleiher erscheint – es wäre hier in der Tat sachfremd, dennoch ab der vereinbarten Zeit ein fingiertes Arbeitsverhältnis zwischen dem nicht erschienenen Leiharbeitnehmer und dem Entleiher anzunehmen. Aus dem Blickwinkel des Leiharbeitnehmerschutzes ist jedenfalls sicherzustellen, dass es keine zeitlichen Lücken gibt. Nicht akzeptabel wäre es demnach, wenn das fingierte Arbeitsverhältnis erst zu einem späteren Zeitpunkt als dem der tatsächlichen Arbeitsaufnahme entstehen würde – relevant wäre dies unter anderem im Hinblick auf etwaige Vergütungsansprüche gegenüber dem Entleiher.319 Dieser Fall ist jedoch praktisch irrelevant, da kaum ein Leiharbeitnehmer die Arbeit vor dem vereinbarten Zeitpunkt aufnehmen wird. Es genügt also eine ergänzende Auslegung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 AÜG dahingehend, dass das fingierte Arbeitsverhältnis mit dem vereinbar317 Boemke, Schuldvertrag und Arbeitsverhältnis, S. 609; Becker/Wulfgramm, AÜG, Art. 1 § 10 Rn. 12. 318 Schüren/Schüren, AÜG, § 10, Rn. 47; Ulber, AÜG, § 10 Rn. 22; Boemke/ Lembke, AÜG, § 10 Rn. 25 f. 319 Vgl. oben, Abschnitt 2. C. II. 2. a), zu den Vergütungsansprüchen des Leiharbeitnehmers gegenüber dem Entleiher.
B. Schutzbedürftigkeit des Leiharbeitnehmers223
ten Zeitpunkt der Überlassung beginnt, sofern der Leiharbeitnehmer auch zu diesem Zeitpunkt die Arbeit aufnimmt.320 b) Befristung Das fingierte Arbeitsverhältnis gilt gemäß § 10 Abs. 1 Satz 2 AÜG als befristet, wenn die Überlassung beim Entleiher von vornherein als befristet vorgesehen war und kumulativ ein sachlich rechtfertigender Grund für die Befristung besteht, der zum Zeitpunkt des Entstehens der Fiktion vorliegen muss.321 Für die sachliche Rechtfertigung der Befristung kommt es darauf an, ob einer der in § 14 Abs. 1 TzBfG genannten Gründe beim Entleiher vorliegt – es wird also in der Sache darauf abgestellt, ob es möglich wäre, das fingierte Arbeitsverhältnis zu befristen.322 Dennoch stellt § 10 Abs. 1 AÜG die Grundlage für die Befristung dar und nicht etwa § 14 TzBfG, da es nicht um die Befristung eines vertraglich begründeten Arbeitsverhältnisses geht.323 Das einmal nach den Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Satz 2 AÜG wirksam befristete fingierte Arbeitsverhältnis ist dann wie ein vertraglich eingegangenes befristetes Arbeitsverhältnis zu behandeln, mit der Folge, dass entsprechende Regelungen des Teilzeit- und Befristungsgesetzes anwendbar sind. Somit gilt das befristete fingierte Arbeitsverhältnis gemäß § 15 Abs. 5 TzBfG als auf unbestimmte Zeit verlängert, wenn der Leiharbeitnehmer ohne Widerspruch des Arbeitgebers die Arbeitstätigkeit fortsetzt. Falls die Überlassung als zeitlich begrenzt vorgesehen war, aber kein sachlicher Grund für eine Befristung des fingierten Arbeitsverhältnisses vorliegt, ist eines der beiden Tatbestandsmerkmale des § 10 Abs. 1 Satz 2 AÜG nicht erfüllt, so dass das fingierte Arbeitsverhältnis nicht als befristet gelten kann.324 Dies hätte jedoch zur Folge, dass das fingierte Arbeitsverhältnis als unbefristetes Arbeitsverhältnis nach allgemeinen Regeln ordentlich, d. h. möglicherweise auch schon vor Ablauf der Befristung, gekündigt werden könnte. Sachgerechter und damit vorzugswürdig ist in diesem Fall eine teleologische Auslegung des § 10 Abs. 1 Satz 2 AÜG, wonach das 320 In diese Richtung auch Boemke/Lembke, AÜG, § 10 Rn. 27; ähnlich vermittelnd auch Urban-Crell/Schulz, Rn. 791, wonach es nur auf den Zeitpunkt der tatsächlichen Arbeitsaufnahme ankommen soll, wenn der vereinbarte Zeitpunkt fehlt oder nicht festzustellen ist. 321 Hamann, Fremdpersonal im Unternehmen, S. 101. 322 Schüren/Schüren, AÜG, § 10 Rn. 58 f.; Urban-Crell/Hurst, in: Urban-Crell/ Germakowski, § 10 Rn. 37. 323 Schüren/Schüren, AÜG, § 10 Rn. 55. 324 Thüsing/Mengel, AÜG, § 10 Rn. 43.
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4. Teil: Schutz bei der illegalen Arbeitnehmerüberlassung
fingierte Arbeitsverhältnis zumindest nicht vor Ablauf der ursprünglich bestimmten Frist kündbar ist.325 Liegen die Voraussetzungen für eine Befristung des fingierten Arbeitsverhältnisses nach § 10 Abs. 1 Satz 2 AÜG nicht vor, so ist das fingierte Arbeitsverhältnis unbefristet.326 Nicht selten ist dies bei der unerlaubten Arbeitnehmerüberlassung unter dem Deckmantel von Scheindienst- bzw. Scheinwerkverträgen der Fall, da mit solchen Gestaltungen häufig ein betrieblicher Dauerbedarf des Entleihers gedeckt wird und deshalb kein Befristungsgrund vorliegt.327 c) Beendigung Abgesehen von dem oben beschriebenen Recht zur fristlosen Kündigung aus wichtigem Grund, das dem Leiharbeitnehmer im Hinblick auf seine nach Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Arbeitsvertragsfreiheit zustehen muss,328 gelten die allgemeinen Vorschriften zur Beendigung von Arbeitsverhältnissen auch für das fingierte Arbeitsverhältnis.329 Ist das fingierte Arbeitsverhältnis befristet, endet es nach § 620 Abs. 1 BGB mit dem Ablauf der Frist; ist es unbefristet, kann es fristgemäß nach Maßgabe der §§ 622 bis 623 BGB ordentlich gekündigt werden. Liegt (abgesehen vom Entstehen des fingierten Arbeitsverhältnisses an sich) ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 BGB vor, ist eine fristlose Kündigung gemäß § 626 BGB möglich. Es gelten die gesetzlichen Kündigungsfristen, sofern nicht günstigere tarifvertragliche oder betriebsübliche Kündigungsfristen im Entleiherbetrieb anwendbar sind, die nach § 10 Abs. 1 Satz 4 AÜG auch für das fingierte Arbeitsverhältnis gelten.330 Das fingierte Arbeitsverhältnis kann ferner im Einvernehmen der Parteien durch einen Aufhebungsvertrag beendet werden.331 Erfolgt die Kündigung des fingierten Arbeitsverhältnisses durch den Entleiher, kann der Leiharbeitnehmer sich grundsätzlich auf den allgemeinen Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz sowie auf den beson325 ErfK/Wank, § 10 AÜG Rn. 17; Ulber, AÜG, § 10 Rn. 44. Abweichend Schüren/Schüren, AÜG, § 10 Rn. 110, wonach das fingierte Arbeitsverhältnis „gleichwohl vor dem Zeitpunkt der vorgesehenen Beendigung kündbar“ sein soll. 326 ErfK/Wank, § 10 AÜG Rn. 17; Ulber, AÜG, § 10 Rn. 32. 327 Hamann, Fremdpersonal im Unternehmen, S. 102. 328 Vgl. oben, Abschnitt 4. A. II. 3. c). 329 Vgl. auch BT-Drs. VI/2303, S. 14, wonach dies eine Selbstverständlichkeit darstellt und deshalb keiner besonderen Bestätigung durch das Gesetz bedarf. 330 Schüren/Schüren, AÜG § 10 Rn. 109. 331 Boemke/Lembke, AÜG, § 10 Rn. 31; ErfK/Wank, § 10 AÜG Rn. 17.
B. Schutzbedürftigkeit des Leiharbeitnehmers225
deren Kündigungsschutz, etwa nach dem MuSchG oder SGB IX, berufen, sofern die persönlichen und sachlichen Voraussetzungen vorliegen. Für die Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes auf die Kündigung eines fingierten Arbeitsverhältnisses durch den Entleiher kommt es in erster Linie darauf an, anhand welcher Betriebszugehörigkeit des illegal überlassenen Leiharbeitnehmers die Wartezeit sowie die maßgebliche Betriebsgröße zu bestimmen sind. Gemäß § 1 Abs. 1 KSchG ist der persönliche Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes eröffnet, wenn das gekündigte Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung mindestens sechs Monate bestand. Maßgeblich ist hier die Dauer des nach § 10 Abs. 1 AÜG fingierten Arbeitsverhältnisses. Im Fall des nachträglichen Wegfalls der Überlassungserlaubnis beginnt das fingierte Arbeitsverhältnis nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 AÜG auch erst zu diesem späteren Zeitpunkt; die zuvor als Leiharbeitnehmer beim Entleiher verbrachte Zeit kann darauf nicht angerechnet werden, da für den Zeitraum der erlaubten Überlassung noch kein fingiertes Arbeitsverhältnis nach § 10 Abs. 1 AÜG bestand.332 Dagegen sind vorangegangene illegale Einsätze bei demselben Entleiher, die wirksam befristet waren, grundsätzlich anrechenbar, da für diese Zeiträume ebenfalls ein fingiertes Arbeitsverhältnis zwischen denselben Parteien bestand.333 In letzterem Fall ist wohl die Rechtsprechung zur noch zulässigen Dauer der Unterbrechung zu berücksichtigen, wonach die Anrechnung vorangegangener Betriebszugehörigkeiten nur erfolgen kann, sofern die Unterbrechung zwischen zwei Arbeitseinsätzen verhältnismäßig kurz war.334 Die Dauer des (unwirksamen) Leiharbeitsverhältnisses zwischen dem Leiharbeitnehmer und dem Verleiher kann jedoch in keinem Fall zugunsten des Leiharbeitnehmers auf seine Betriebszugehörigkeit im Entleiherbetrieb angerechnet werden,335 da es sich um ein anderes Arbeitsverhältnis mit anderen Parteien handelt. Der sachliche Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes ist eröffnet, wenn die nach § 23 Abs. 1 KSchG vorgeschriebene Mindestgröße des Betriebs erreicht ist. Bei der Bestimmung der Anzahl der beschäftigten 332 ArbG Bochum v. 14.1.1982 – 2 Ca 495/81, DB 1982, 1623; ebenso ErfK/ Wank, § 10 AÜG Rn. 18; v. Hoyningen-Huene/Krause, KSchG, § 1 Rn. 123; Schüren/Schüren, AÜG § 10 Rn. 107; Boemke/Lembke, AÜG, § 10 Rn. 60; Thüsing/ Mengel, AÜG, § 10 Rn. 46; a. A. Ulber, AÜG, § 10 Rn. 45. 333 Schüren/Schüren, AÜG § 10 Rn. 107. 334 BAG v. 10.5.1989 – 7 AZR 450/88, AP Nr. 7 zu § 1 KSchG 1969 Wartezeit; ErfK/Wank, § 10 AÜG Rn. 18; GK-KSchG/Griebeling, KSchG, § 1 Rn. 110. 335 Gick, Gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung zwischen Verbot und Neugestaltung, S. 159.
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4. Teil: Schutz bei der illegalen Arbeitnehmerüberlassung
Arbeitnehmer im Entleiherbetrieb ist der illegal überlassene Leiharbeitnehmer, um dessen Kündigung es geht, mitzuzählen.336 Dies ergibt sich daraus, dass der illegal überlassene Leiharbeitnehmer mit dem Entstehen des fingierten Arbeitsverhältnisses zu einem „normalen“ Arbeitnehmer des Entleihers wird. Für eine Nichtberücksichtigung bei der Bestimmung der Mindestgröße sind keinerlei Anhaltspunkte ersichtlich. Formell gesehen ist der Schutz des illegal überlassenen Leiharbeitnehmers im Fall der Kündigung des fingierten Arbeitsverhältnisses durch den Entleiher sichergestellt, da das Kündigungsschutzgesetz vollumfänglich anwendbar ist, sofern die sachlichen und persönlichen Voraussetzungen vorliegen. Angesichts der meist kurzen Überlassungsdauer wird eine Anwendung des Kündigungsschutzgesetzes jedoch häufig an der kurzen Betriebszugehörigkeit scheitern, für welche nur die Dauer des fingierten Arbeitsverhältnisses maßgeblich ist.337 2. Inhalt des fingierten Arbeitsverhältnisses Zum wesentlichen Regelungsinhalt eines Arbeitsverhältnisses gehören Bestimmungen zur konkreten Tätigkeit sowie zur Dauer und Verteilung der Arbeitszeit. a) Arbeitstätigkeit Bei der erlaubten Arbeitnehmerüberlassung ergibt sich die geschuldete Arbeitsleistung aus dem Leiharbeitsvertrag und dem Überlassungsvertrag, wobei sich der Umfang der Tätigkeit und somit auch der Umfang der tätigkeitsbezogenen Weisungsbefugnisse des Entleihers nach dem Inhalt des Leiharbeitsvertrags bestimmt.338 Anders gesagt, kann der Leiharbeitnehmer im Entleiherbetrieb nicht zu einer Tätigkeit angewiesen werden, zu der er sich vertraglich (im Verhältnis zum Verleiher) nicht verpflichtet hatte. Bei der illegalen Arbeitnehmerüberlassung ist der Inhalt des nach § 9 Nr. 1 AÜG unwirksamen Leiharbeitsvertrag rechtlich gegenstandslos. Da § 10 Abs. 1 AÜG zum Inhalt der Arbeitsleistung keine ausdrückliche RegeAÜG § 10 Rn. 108; Ulber, AÜG, § 10 Rn. 47. Gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung zwischen Verbot und Neugestaltung, S. 160. Vgl. auch Stellungnahme des DGB im Neunten Bericht der Bundesregierung über Erfahrungen bei der Anwendung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes, BT-Drs. 14/4220, S. 26 dazu, dass nur etwa 20 Prozent der Leiharbeitnehmer die relevante Schwelle einer Beschäftigung von 6 Monaten erreichen. 338 Becker/Kreikebaum, Zeitarbeit, S. 153 f.; Boemke, Schuldverhältnis und Arbeitsvertrag, S. 570 f. 336 Schüren/Schüren, 337 Gick,
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lung enthält, kann der Inhalt der zu leistenden Arbeitstätigkeit sinnvollerweise nur auf faktische Weise bestimmt werden, nämlich anhand der tatsächlichen Arbeitsleistung, die der Leiharbeitnehmer im Entleiherbetrieb erbringt.339 Die Vereinbarungen im Verhältnis zwischen dem Verleiher und dem Leiharbeitnehmer können zwar nicht unmittelbar gelten, jedoch liefe es dem Schutzzweck der §§ 9 Nr. 1, 10 Abs. 1 AÜG zuwider, wenn der zu Gunsten des illegal überlassenen Leiharbeitnehmers mit dem Verleiher vereinbarte Inhalt des Leiharbeitsvertrags340 faktisch gegenstandslos wäre. Somit gilt, dass der illegal überlassene Leiharbeitnehmer im fingierten Arbeitsverhältnis zumindest nicht zu einer Tätigkeit gezwungen werden kann, die über das hinaus geht, was er nach dem im (unwirksamen) Leiharbeitsverhältnis vereinbarten Inhalt geschuldet hätte.341 b) Arbeitszeit Gemäß § 10 Abs. 1 Satz 3 AÜG gilt die zwischen dem Verleiher und dem Entleiher vorgesehene Arbeitszeit als vereinbart. Unter Arbeitszeit in diesem Sinne ist auch die Verteilung der Arbeitszeit zu verstehen.342 Weicht die zwischen dem Verleiher und dem Entleiher vorgesehene Arbeitszeit von den üblicherweise im Entleiherbetrieb geltenden Arbeitszeiten ab, so kann es insbesondere bei einem unbefristeten fingierten Arbeitsverhältnis sinnvoll sein, eine Angleichung an die im Entleiherbetrieb geltende Arbeitszeit vorzunehmen.343 Nach § 10 Abs. 1 Satz 4 AÜG bestimmen sich der Inhalt und die Dauer des fingierten Arbeitsverhältnisses zwar nur dann nach den Vorschriften des Entleiherbetriebs, wenn keine speziellere Regelung nach § 10 Abs. 1 AÜG greift. Ein Rückgriff auf die generelle Regelung des § 10 Abs. 1 Satz 4 AÜG kann jedoch trotz speziellerer Regelungen (wie beispielsweise zur Arbeitszeit in Form des § 10 Abs. 1 Satz 3 AÜG) möglich sein, wenn man bedenkt, welche Ziele der Gesetzgeber mit der Regelung des § 10 Abs. 1 AÜG verfolgt: Danach sind für Zwecke der Eingliederung in den Entleiherbetrieb grundsätzlich die dort geltenden Bedingungen für das fingierte Arbeitsverhältnis maßgeblich, wobei ausdrückliche Regelungen wie in § 10 Abs. 1 Satz 3 und auch Satz 5 AÜG nur dazu dienen, 339 Schüren/Schüren,
AÜG, § 10 Rn. 73. der unerlaubten Arbeitnehmerüberlassung unter dem Deckmantel eines Scheinwerk- bzw. Scheindienstvertrags wird zwischen dem überlassenen Arbeitnehmer und dem Scheinverleiher kein Leiharbeitsvertrag geschlossen, sondern ein „regulärer“ Arbeitsvertrag, auf dessen Inhalt es dann ankommt. 341 Eine Änderung des Inhalts der Arbeitstätigkeit müsste vertraglich vereinbart werden vgl. Schüren/Schüren, AÜG, § 10 Rn. 73. 342 ErfK/Wank, § 10 AÜG Rn. 10; Ulber, AÜG, § 10 Rn. 58. 343 Schüren/Schüren, AÜG, § 10 Rn. 84. 340 Bei
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4. Teil: Schutz bei der illegalen Arbeitnehmerüberlassung
um „Unzuträglichkeiten für den Leiharbeitnehmer zu vermeiden“.344 Daher ist es aus Gründen der besseren Eingliederung in den Entleiherbetrieb möglich, die dort geltenden Regelungen bezüglich der Arbeitszeit zu übernehmen, sofern dies nicht eindeutig nachteilig für den Leiharbeitnehmer ist.345 Innerhalb dieses durch § 10 Abs. 1 Satz 3 und Satz 4 AÜG vorgegebenen Rahmens kann der Entleiher als Arbeitgeber durch Ausübung seiner Weisungsbefugnis die konkrete Dauer und Verteilung der Arbeitszeit bestimmen.346 3. Vergütung Nach dem in § 10 Abs. 1 Satz 4 AÜG normierten Grundsatz richtet sich der Inhalt des fingierten Arbeitsverhältnisses, wozu auch die Vergütung gehört,347 nach den für den Betrieb des Entleihers geltenden Vorschriften. Als Untergrenze ist das zwischen dem Verleiher und dem Leiharbeitnehmer vereinbarte Arbeitsentgelt zu beachten, das gemäß § 10 Abs. 1 Satz 5 AÜG nicht unterschritten werden darf. Zur Vergütung in diesem Sinne zählen neben dem Arbeitslohn auch andere Lohnkomponenten, die als Gegenleistung für die Arbeit gezahlt werden, beispielsweise Zulagen (für Nacht- oder Wochenendarbeit), Sonderzahlungen und Sachbezüge.348 Unter der vereinbarten Vergütung ist jedoch nicht die gesamte Lohnsumme zu verstehen, die sich aus der Vereinbarung zwischen dem Leiharbeitnehmer und dem Verleiher ergeben könnte, sondern die Vergütung für die jeweilige Zeiteinheit, also z. B. die Summer aller Vergütungskomponenten pro Stunde.349 Falls eine Anpassung der Arbeitszeit wie oben beschrieben im zulässigen Rahmen erfolgt, ist es nämlich durchaus möglich, dass sich dadurch die Gesamtsumme der Vergütung ändert.350 Eine Verringerung der Lohnsumme durch eine zulässige Reduzierung der Arbeitszeit stellt somit keinen Verstoß gegen 10 Abs. 1 Satz 5 AÜG dar, wenn sich das Vergütungsniveau für die jeweils vereinbarte Zeiteinheit nicht ändert. 344 BT-Drs.
VI/2303, S. 13. AÜG, § 10 Rn. 87. 346 ErfK/Wank, § 10 AÜG Rn. 10; Ulber, AÜG, § 10 Rn. 62. 347 Ulber, AÜG, § 10 Rn. 67. 348 ErfK/Wank, § 10 AÜG Rn. 13; Ulber, AÜG, § 10 Rn. 70. 349 Schüren/Schüren, AÜG, § 10 Rn. 98. 350 Beispielsweise kann die Lohnsumme sinken, wenn im Entleiherbetrieb eine kürzere Wochenarbeitszeit gilt als diejenige, die für den illegal verliehenen Leiharbeitnehmer vereinbart war, vgl. hierzu auch Schüren/Schüren, AÜG, § 10 Rn. 93. Ebenso für ein zeitbezogenes Verständnis der vereinbarten Vergütung Ulber, AÜG, § 10 Rn. 70. 345 Schüren/Schüren,
B. Schutzbedürftigkeit des Leiharbeitnehmers229
Auch die Regelungen des § 10 Abs. 1 AÜG zur Vergütung im fingierten Arbeitsverhältnis sind nicht unabdingbar, sondern können durch einvernehmliche Parteiabrede geändert werden.351 4. Betriebsverfassungsrechtliche Zuordnung Unter dem fingierten Arbeitsverhältnis wird der illegal überlassene Leiharbeitnehmer ausschließlich dem Entleiherbetrieb zugeordnet.352 Dies ergibt sich ohne Weiteres aus dem Umstand, dass der illegal überlassene Leiharbeitnehmer durch das fingierte Arbeitsverhältnis die Stellung eines regulären Arbeitnehmers im Betrieb des Entleihers hat, während zum Verleiher keine arbeitsvertragliche Beziehung besteht.353 Die Regelungen des § 14 AÜG bezüglich der Betriebszugehörigkeit und der Mitwirkungsrechte des Leiharbeitnehmers gelten nur im Fall der erlaubten Arbeitnehmerüberlassung und sind auf das fingierte Arbeitsverhältnis nicht anwendbar.354 Teilweise wird vertreten, dass während der Dauer des fingierten Arbeitsverhältnisses gleichzeitig eine betriebsverfassungsrechtliche Zuordnung zum Verleiherbetrieb besteht, solange die unerlaubte Arbeitnehmerüberlassung wie eine erlaubte durchgeführt wird.355 Dies wird mit dem Bestehen eines fehlerhaften Arbeitsverhältnisses im Verhältnis zwischen dem Verleiher und dem illegal überlassenen Leiharbeitnehmer begründet.356 Wie bereits erläutert, kann es im Leiharbeitsverhältnis nicht zur Anwendung der Grundsätze des fehlerhaften Arbeitsverhältnisses kommen, da der Gesetzgeber mit den §§ 9 Nr. 1, 10 Abs. 1 AÜG die Abwicklung des unwirksamen Leiharbeitsverhältnisses umfassend geregelt hat.357 Für eine betriebsverfassungsrechtliche Zugehörigkeit zum Verleiherbetrieb bestehen deshalb keine Anhaltspunkte.358 Im Übrigen ist eine doppelte Betriebszugehörigkeit auch nicht notwendig, da dem Leiharbeitnehmer durch das fingierte Ar351 BAG v. 19.12.1979 – 4 AZR 901/77, AP Nr. 1 zu § 10 AÜG; Ulber, AÜG, § 10 Rn. 12. 352 BAG v. 20.4.2005 – 7 ABR 20/04, NZA 2005, 1006, II 2 a der Gründe; Thüsing/Thüsing, AÜG, § 14 Rn. 8; Sandmann/Marschall/Schneider, AÜG, § 14 Anm. 7. 353 Umgekehrt besteht bei der erlaubten Arbeitnehmerüberlassung nur eine betriebsverfassungsrechtliche Zuordnung zum Verleiherbetrieb, vgl. dazu und zum Meinungsstand oben, Abschnitt 2. C. I. 3. b) dd). 354 Boemke/Lembke, AÜG, § 14 Rn. 5; Schüren/Hamann, AÜG, § 14 Rn. 508; Ulber, AÜG, § 14 Rn. 6. 355 Boemke/Lembke, AÜG, § 14 Rn. 6; Schüren/Hamann, AÜG, § 10 Rn. 502. 356 Boemke/Lembke, AÜG, § 14 Rn. 6; Schüren/Hamann, AÜG, § 10 Rn. 503. 357 Vgl. ausführlich hierzu oben, Abschnitt 2. C. II. 2. a) aa). 358 BAG v. 20.4.2005 – 7 ABR 20/04, NZA 2005, 1006, II 2 a der Gründe.
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4. Teil: Schutz bei der illegalen Arbeitnehmerüberlassung
beitsverhältnis sämtliche Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte im Entleiherbetrieb zustehen. Führen die Beteiligten die unerlaubte Arbeitnehmer überlassung als erlaubte durch, so kann sich für die Vergangenheit ohnehin nichts an den (im Verleiherbetrieb und gegebenenfalls aufgrund § 14 AÜG im Entleiherbetrieb) bereits ausgeübten Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechten ändern.
III. Ergebnis Die Bedingungen des fingierten Arbeitsverhältnisses bestimmen sich nach den Regelungen des § 10 Abs. 1 AÜG. Grundsätzlich sind die im Entleiherbetrieb geltenden Arbeitsbedingungen anwendbar, wobei das im Rahmen der unerlaubten Arbeitnehmerüberlassung zwischen den Beteiligten Vereinbarte ebenfalls berücksichtigt wird. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass der illegal überlassene Leiharbeitnehmer unter dem fingierten Arbeitsverhältnis so weit wie möglich in den Entleiherbetrieb eingegliedert wird, ohne dass sein Vertragswille, der sich im (unwirksamen) Leiharbeitsverhältnis manifestiert hat, außer Acht gelassen wird. In diesem Sinne ist insbesondere die Befristungsregelung des § 10 Abs. 1 Satz 2 AÜG (abweichend vom Wortlaut) dahingehend auszulegen, dass auch ein unbefristetes fingiertes Arbeitsverhältnis erst dann ordentlich gekündigt werden darf, wenn die ursprünglich vereinbarte Überlassungsdauer abgelaufen ist. Darüber hinaus ergibt sich bezüglich des Inhalts der Tätigkeit, der Arbeitszeit und der Vergütung des fingierten Arbeitsverhältnisses keine besondere Schutzbedürftigkeit des Leiharbeitnehmers gegenüber dem Entleiher.
C. Feststellung des Bestehens bzw. des Nichtbestehens eines fingierten Arbeitsverhältnisses Aus dem fingierten Arbeitsverhältnis zwischen dem Entleiher und dem illegal überlassenen Leiharbeitnehmer ergeben sich wechselseitige Ansprüche, die im Wege der Leistungsklage geltend gemacht werden können. Abgesehen davon kann das praktische Bedürfnis bestehen, zunächst das Bestehen eines fingierten Arbeitsverhältnisses nach § 10 Abs. 1 AÜG feststellen zu lassen, insbesondere wenn die rechtliche Einordnung eines Dritteinsatzes als illegale Arbeitnehmerüberlassung nicht eindeutig ist.359 Auch der umgekehrte Fall ist denkbar, beispielsweise wenn ein fingiertes Arbeitsverhältnis durch fristlose Kündigung des illegal überlassenen Leihar359 Vgl. zum besonderen Feststellungsinteresse bei der Feststellungsklage im arbeitsgerichtlichen Verfahren ErfK/Koch, § 46 ArbGG Rn. 22.
C. Feststellung des Bestehens eines fingierten Arbeitsverhältnisses231
beitnehmers beendet wird. Nimmt der Entleiher den Leiharbeitnehmer dennoch auf Arbeitsleistung in Anspruch, kann das Nichtbestehen des fingierten Arbeitsverhältnisses, d. h. die wirksame Beendigung, feststellungsbedürftig sein.
I. Feststellung des Bestehens eines fingierten Arbeitsverhältnisses Ein praktisches Interesse an der Feststellung eines fingiertes Arbeitsverhältnisses zum Entleiher besteht aus Sicht des illegal überlassenen Leiharbeitnehmers beispielsweise, wenn er ausstehende Vergütungsansprüche gegenüber dem Verleiher nicht durchsetzen kann. Ergibt sich zum Beispiel, dass der Dritteinsatz von Arbeitnehmern unter dem Deckmantel von Scheinwerk- bzw. Scheindienstverträgen tatsächlich als Arbeitnehmerüberlassung einzuordnen ist, für die keine Erlaubnis vorliegt, so kann der illegal überlassene Leiharbeitnehmer seine Vergütungsansprüche gegenüber dem Entleiher geltend machen. 1. Allgemeine Feststellungsklage Der Leiharbeitnehmer kann das Bestehen eines fingierten Vertragsverhältnisses zum Entleiher im Wege der allgemeinen Feststellungsklage nach § 256 Abs. 1 ZPO i. V. m. § 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG, § 495 ZPO klären lassen.360 Ausschließlich zuständig ist das Arbeitsgericht nach § 2 Abs. 1 Nr. 3b ArbGG, da es um das Bestehen oder Nichtbestehen eines Arbeitsverhältnisses geht.361 Für die Voraussetzungen der maßgeblichen Vorschriften, also der §§ 9 Nr. 1, 10 Abs. 1 AÜG, trägt derjenige nach allgemeinen Beweislastregeln die Darlegungs- und Beweislast, der sich auf die Rechtsfolgen dieser Vorschriften beruft.362 Beruft sich der Leiharbeitnehmer auf das Bestehen eines fingierten Arbeitsverhältnisses, so hat er die maßgeblichen Tatsachen, also das Vorliegen einer Arbeitnehmerüberlassung und das Fehlen der nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AÜG erforderlichen Erlaubnis, darzulegen und zu be weisen.363 360 Boemke/Lembke, AÜG, § 10 Rn. 96; Urban-Crell/Schulz, Arbeitnehmerüberlassung und Arbeitsvermittlung, Rn. 785; ferner allgemein zur Feststellungsklage im arbeitsgerichtlichen Verfahren ErfK/Koch, § 46 ArbGG Rn. 20 ff. 361 Boemke/Lembke, AÜG, § 10 Rn. 96. 362 Urban-Crell/Schulz, Arbeitnehmerüberlassung und Arbeitsvermittlung, Rn. 785. 363 Vgl. hierzu auch BAG, v. 19.1.2000 – 7 AZR 11/99, BeckRS 2000, 30782530 zur Darlegungs- und Beweislast des Arbeitnehmers, der sich auf die Rechtsfolgen
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4. Teil: Schutz bei der illegalen Arbeitnehmerüberlassung
2. Negative Feststellungsklage Der illegal überlassene Leiharbeitnehmer hat im Hinblick auf seine grundrechtlich geschützte Arbeitsvertragsfreiheit das Recht zur fristlosen Kündigung des fingierten Arbeitsverhältnis nach § 626 BGB, da das Entstehen des fingierten Arbeitsverhältnisses an sich einen wichtigen Grund darstellt.364 Falls der Entleiher eine solche Kündigung nicht akzeptiert und den Leiharbeitnehmer weiterhin auf Arbeitsleistung in Anspruch nimmt, muss es ebenfalls eine prozessuale Möglichkeit geben, das Nichtbestehen des fingierten Arbeitsverhältnisses feststellen zu lassen. Die oben genannten Voraussetzungen der allgemeinen Feststellungsklage gelten hierfür mutatis mutandis.
II. Verwirkung Das Recht des illegal überlassenen Leiharbeitnehmers, sich auf das Bestehen eines fingierten Arbeitsverhältnisses zu berufen, unterliegt der Verwirkung.365 Relevant wird diese Frage, wenn der Leiharbeitnehmer im Nachhinein bestimmte Ansprüche aus dem fingierten Arbeitsverhältnis ableiten will, beispielsweise Ansprüche aus einer betrieblichen Altersversorgung des Entleihers.366 Richtigerweise ist danach zu differenzieren, ob das fingierte Arbeitsverhältnis noch durchgeführt wird – dann stellt sich schon nicht die Frage nach einer Verwirkung des Rechts, sich auf das fingierte Arbeitsverhältnis zu berufen, da es als Rechtsverhältnis noch besteht.367 Nur wenn das fingierte Arbeitsverhältnis bereits beendet wurde, kann das Recht, sich nachträglich auf Ansprüche aus dem fingierten Arbeitsverhältnis zu berufen, der Verwirkung unterliegen.368 Hierfür ist nach allgemeinen Grundsätzen das gleichzeitige Vorliegen eines Zeitmoments sowie eines Umstandsmoments notwendig.369 der illegalen Arbeitnehmerüberlassung beruft; grundsätzlich kritisch zur Darlegungsund Beweislast des Arbeitnehmers bei der illegalen Arbeitnehmerüberlassung Timmermann, BB 2012, 1729 ff. 364 Vgl. oben, Abschnitt 4. A. II. 3. c). 365 BAG v. 30.1.1991 – 7 AZR 239/90, BeckRS 1991, 30368598, II der Gründe; ebenso statt vieler Boemke/Lembke, AÜG, § 10 Rn. 97; differenzierend BAG v. 18.2.2003 – 3 AZR 160/02, AP Nr. 5 zu § 13 AÜG, II 2 a der Gründe (wonach nur Rechte aus dem fingierten Arbeitsverhältnis verwirken können, aber nicht das Recht zur Berufung auf die Fiktion an sich). 366 Dazu BAG v. 18.2.2003 − 3 AZR 160/02, AP Nr. 5 zu § 13 AÜG. 367 So Hamann, Anm. zu BAG v. 18.2.2003 − 3 AZR 160/02, EzA § 10 AÜG Nr. 11, S. 22. 368 Hamann, Anm. zu BAG v. 18.2.2003 − 3 AZR 160/02, EzA § 10 AÜG Nr. 11, S. 22.
C. Feststellung des Bestehens eines fingierten Arbeitsverhältnisses233
Fraglich ist, ob das Recht, sich auf das Nichtbestehen des fingierten Arbeitsverhältnisses zu berufen, ebenfalls der Verwirkung unterliegen kann. Beendet der illegal überlassene Leiharbeitnehmer das fingierte Arbeitsverhältnis durch fristlose Kündigung aus wichtigem Grund, was gemäß § 626 Abs. 2 BGB innerhalb der Frist von zwei Wochen nach Kenntniserlangung von den maßgeblichen Tatsachen möglich ist, so stellt sich von vornherein nicht die Frage nach einer Verwirkung. Setzt der Leiharbeitnehmer das fingierte Arbeitsverhältnis jedoch nach Kenntniserlangung zunächst bewusst fort, so stellt sich die Frage, ob er dann noch zu einem späteren Zeitpunkt (unter Berufung auf seine arbeitsvertragliche Vertragsfreiheit) von einem außerordentlichen Kündigungsrecht Gebrauch machen kann. Ähnlich wie beim Widerspruchsrecht gegen den Betriebsübergang nach § 613a BGB, das ebenfalls der Verwirkung unterliegt,370 kommt es sowohl auf das Zeitmoment als auch auf das Umstandsmoment an. Das Zeitmoment allein indiziert noch nicht das Vorliegen des Umstandsmoments.371 Nur wenn der Entleiher angesichts der vorliegenden Umstände darauf vertrauen konnte, dass der Leiharbeitnehmer nicht mehr von seinem aus Art. 12 GG abgeleiteten außerordentlichen Kündigungsrecht Gebrauch machen werde, und sich hierauf eingestellt hat, ist auch das Umstandsmoment gegeben.372 Das Recht des illegal überlassenen Leiharbeitnehmers zur fristlosen Kündigung (unter Berufung auf seine arbeitsvertragliche Vertragsfreiheit) ist dann verwirkt.
369 Vgl. zur materiellen Verwirkung in diesem Zusammenhang BAG v. 18.2.2003 − 3 AZR 160/02, AP Nr. 5 zu § 13 AÜG, II 2 b der Gründe, sowie zur prozessualen Verwirkung Boemke/Lembke, AÜG, § 10 Rn. 97. 370 Vgl. dazu Dzida, DB 2010, 167 ff.; Gehlhaar, BB 2009, 1182 ff. 371 Hamann, Anm. zu BAG v. 18.2.2003 − 3 AZR 160/02, EzA § 10 AÜG Nr. 11, S. 23. 372 Vgl. im umgekehrten Fall zum Vertrauen des Entleihers, dass der Leiharbeitnehmer sein Recht zur Berufung auf das Zustandekommen des fingierten Arbeitsverhältnisses nicht mehr wahrnehmen werde BAG v. 18.2.2003 − 3 AZR 160/02, AP Nr. 5 zu § 13 AÜG, II 2 b bb der Gründe.
5. Teil
Zusammenfassung der Ergebnisse in Thesen I. Grundlegendes 1. Bei der Arbeitnehmerüberlassung erbringt der Leiharbeitnehmer seine Arbeitstätigkeit nicht bei seinem Arbeitgeber, dem Verleiher, sondern bei einem Dritten, dem Entleiher. Der Leiharbeitnehmer wird dabei für die Dauer der Überlassung in den Betrieb des Entleihers eingegliedert und untersteht dessen Weisungen, ohne dass ein Arbeitsverhältnis zum Entleiher besteht. Aus dem Drittbezug des Arbeitsverhältnisses ergibt sich eine besondere Schutzbedürftigkeit des Leiharbeitnehmers gegenüber dem Entleiher. 2. Die Arbeitnehmerüberlassung ist nach dem AÜG erlaubnispflichtig. Bei der erlaubten bzw. legalen Arbeitnehmerüberlassung liegt ein Überlassungsvertrag zwischen dem Verleiher und dem Entleiher sowie ein Leiharbeitsvertrag zwischen dem Verleiher und dem Leiharbeitnehmer vor; dagegen besteht zwischen dem Entleiher und dem Leiharbeitnehmer keine arbeitsrechtliche Vertragsbeziehung. Umgekehrt sind bei der unerlaubten bzw. illegalen Arbeitnehmerüberlassung sowohl der Überlassungsvertrag als auch der Leiharbeitsvertrag unwirksam; stattdessen wird im Verhältnis zwischen dem Entleiher und dem Leiharbeitnehmer ein Arbeitsverhältnis fingiert. 3. Die Schutzbedürftigkeit des Leiharbeitnehmers ist danach zu beurteilen, ob der Leiharbeitnehmer aufgrund des Drittbezugs seines Arbeitsverhältnisses rechtliche Nachteile erleidet, vor denen ein Arbeitnehmer im Zweipersonen-Arbeitsverhältnis geschützt wäre. Der Maßstab für die Schutzbedürftigkeit liegt allerdings nicht in der absoluten Gleichstellung des Leiharbeitnehmers im Verhältnis zu einem regulär beschäftigen Arbeitnehmer. Tatsächliche und rechtliche Besonderheiten, die in der Natur der Arbeitnehmerüberlassung liegen, können in sinnvoller Weise nachvollzogen werden.
II. Erlaubte Arbeitnehmerüberlassung 1. Für die Beurteilung der Schutzbedürftigkeit des Leiharbeitnehmers bei der erlaubten Arbeitnehmerüberlassung ist die rechtsdogmatische Natur des Rechtsverhältnisses zwischen dem Entleiher und dem Leiharbeitnehmer (hier bezeichnet als „Beschäftigungsverhältnis“) von entscheidender Bedeu-
5. Teil: Zusammenfassung der Ergebnisse in Thesen235
tung. Welche wechselseitigen Ansprüche bestehen, richtet sich insbesondere danach, ob dem Entleiher ein unmittelbarer Anspruch auf die Arbeitsleistung des Leiharbeitnehmers zusteht. 2. Bei der erlaubten Arbeitnehmerüberlassung kann der Leiharbeitsvertrag als echter Vertrag zugunsten Dritter nach § 328 BGB verstanden werden, aus dem sich ein unmittelbares Forderungsrecht des Entleihers auf die Arbeitsleistung des Leiharbeitnehmers ergibt. Die Annahme eines echten Vertrags zugunsten Dritter entspricht der (typisierten) Interessenlage im Verhältnis zwischen den Beteiligten und steht sowohl mit der zivilrecht lichen Regelung des echten Vertrags zugunsten Dritter als auch mit der gesetzlichen Konzeption der Arbeitnehmerüberlassung nach dem AÜG im Einklang. 3. Aus dem unmittelbaren Forderungsrecht des Entleihers auf die Arbeitsleistung des Leiharbeitnehmers ergeben sich originäre tätigkeitsbezogene Weisungsbefugnisse des Entleihers, die zur Bestimmung der Art, der Zeit und des Orts der Arbeitsleistung notwendig sind. 4. Zwischen dem Entleiher und dem Leiharbeitnehmer bestehen arbeitnehmertypische und arbeitgebertypische Schutzpflichten. Es handelt sich beim Beschäftigungsverhältnis in der Terminologie des echten Vertrags zugunsten Dritter um ein Vollzugsverhältnis zwischen dem Leiharbeitnehmer als Schuldner und dem Entleiher als begünstigtem Dritten, aus dem wechselseitige Schutzpflichten folgen. 5. Leistungsstörungen des Leiharbeitnehmers können unmittelbar im Verhältnis zwischen dem Entleiher und dem Leiharbeitnehmer abgewickelt werden. Dies ergibt sich aus der Stellung des Entleihers als begünstigter Dritter im Sinne des § 328 BGB, wonach der Entleiher auch bei Leistungsstörungen diejenigen Rechte geltend machen kann, die mit seinem Forderungsinteresse korrespondieren und nicht auf den Status des Leiharbeitsverhältnisses Einfluss nehmen. 6. Bei einer Nichtleistung des Leiharbeitnehmers kann der Entleiher seinen daraus entstandenen Schaden gegenüber dem Verleiher im Überlassungsverhältnis geltend machen, sofern der Verleiher für die Nichtleistung des Leiharbeitnehmers nach § 276 BGB einzustehen hat. Diesen Schaden kann der Verleiher gegenüber dem Leiharbeitnehmer geltend machen, da der Leiharbeitnehmer im Leiharbeitsverhältnis grundsätzlich für die Nichtleistung einzustehen hat. Daneben hat der Entleiher einen unmittelbaren Schadensersatzanspruch gegenüber dem Leiharbeitnehmer wegen Nichtleistung. Zu einer doppelten Inanspruchnahme des Leiharbeitnehmers durch den Verleiher und den Entleiher kann es jedoch nicht kommen, da es sich um denselben Schaden handelt, der nicht zugleich vom Verleiher und vom Entleiher geltend gemacht werden kann.
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5. Teil: Zusammenfassung der Ergebnisse in Thesen
7. Bei der Schlechtleistung des Leiharbeitnehmers erfolgt die Abwicklung eines daraus resultierenden Schadens des Entleihers ausschließlich im Beschäftigungsverhältnis zwischen dem Entleiher und dem Leiharbeitnehmer. Der Entleiher hat bei schuldhafter Schlechtleistung des Leiharbeitnehmers einen unmittelbaren Anspruch auf Schadensersatz statt und neben der Leistung, der mit seinem Forderungsrecht im Sinne des § 328 BGB korrespondiert. Der Entleiher kann sich wegen der Schlechtleistung des Leiharbeitnehmers nicht an den Verleiher halten, da der Verleiher in der Regel nur für die Auswahl und Überlassung des Leiharbeitnehmers einzustehen hat. Der Verleiher behält insbesondere den Anspruch auf das Überlassungsentgelt. Da es dem Verleiher an einem ersatzfähigen Schaden fehlt, kann er gegenüber dem Leiharbeitnehmer keine Schadensersatzansprüche wegen Schlechtleistung geltend machen. 8. Bei unmittelbaren Schadensersatzansprüchen des Entleihers gegen den Leiharbeitnehmer ist der von der Rechtsprechung entwickelte Grundsatz der arbeitsrechtlichen Haftungsprivilegierung nach dem Prinzip des innerbetrieblichen Schadensausgleichs zugunsten des Leiharbeitnehmers entsprechend anwendbar. 9. Für Personen- oder Sachschäden des Leiharbeitnehmers, die ihm im Rahmen der Arbeitstätigkeit durch eine Schutzpflichtverletzung des Entleihers entstehen, haftet der Entleiher nach allgemeinen Grundsätzen. Darüber hinaus steht dem Leiharbeitnehmer ein verschuldensunabhängiger Anspruch gegenüber dem Entleiher auf Ersatz von Sachschäden nach dem Rechtsgedanken des § 670 BGB zu. Der Verleiher haftet in der Regel nicht für Personen- oder Sachschäden des Leiharbeitnehmers, die durch die Tätigkeit im Entleiherbetrieb entstehen. Die Schutzpflichten des Verleihers erstrecken sich nicht in den Machtbereich des Entleihers hinein. 10. Der Entleiher kann gegenüber dem Leiharbeitnehmer mit der Annahme der Arbeitsleistung in Verzug geraten. Dazu ist ein Angebot des Leiharbeitnehmers gegenüber dem Entleiher nach §§ 294 ff. BGB notwendig. Bei einem Annahmeverzug des Entleihers gegenüber dem Leiharbeitnehmer behält der Leiharbeitnehmer seinen Anspruch auf Vergütung gegenüber dem Verleiher entsprechend dem Rechtsgedanken des § 615 BGB. Daneben kann der Entleiher auch gegenüber dem Verleiher in Annahmeverzug geraten, wenn er die vom Verleiher geschuldete Überlassung an sich zurückweist. Der Annahmeverzug des Entleihers gegenüber dem Verleiher wird im Überlassungsverhältnis abgewickelt und hat keine Auswirkungen auf den Leiharbeitnehmer. Ob sich der Entleiher gegenüber dem Verleiher oder gegenüber dem Leiharbeitnehmer in Annahmeverzug befindet, ist danach zu bestimmen, welchen Inhalt die nicht angenommene Leistung hat und wer dem Entleiher die Leistung schuldet.
5. Teil: Zusammenfassung der Ergebnisse in Thesen237
11. Der Entleiher hat gegenüber dem Leiharbeitnehmer die Diskriminierungsverbote des AGG zu beachten. Dies folgt aus § 6 Abs. 2 Satz 2 AGG, wonach der Entleiher für die Dauer der Überlassung als Arbeitgeber des Leiharbeitnehmers im Sinne des AGG behandelt wird. Vor der tatsächlichen Überlassung treffen den Entleiher keine Pflichten nach dem AGG. Selbst wenn der Entleiher den Verleiher zu einer Auswahldiskriminierung veranlasst, hat der Entleiher hierfür nicht nach den Vorschriften des AGG einzustehen. Für eine Diskriminierung bei der Auswahl und Einstellung des Leiharbeitnehmers haftet nur der Verleiher. Der Verleiher kann sich nach § 8 Abs. 1 AGG auf eine Rechtfertigung der Diskriminierung berufen, wenn ein vom Entleiher vorgegebenes Merkmal eine objektiv notwendige berufliche Anforderung darstellt. 12. Der Entleiher hat den allgemeinen arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz gegenüber Leiharbeitnehmern zu beachten, sofern diese im Verhältnis zu Stammarbeitnehmern des Entleihers vergleichbar sind. Leiharbeitnehmer und Stammarbeitnehmer sind vergleichbar, wenn sie dem Entleiher nach der jeweiligen Vereinbarung eine vergleichbare Tätigkeit schulden und tatsächlich auch eine vergleichbare Tätigkeit im Entleiherbetrieb ausüben. Der wichtigste Anwendungsbereich des Gleichbehandlungsgrundsatzes ist die Ausübung von tätigkeitsbezogenen Weisungsrechten durch den Entleiher bei der Verteilung von Arbeitsaufgaben und der Einteilung von Arbeitszeiten. 13. Ein Leiharbeitnehmer, der an seinem Arbeitsplatz im Entleiherbetrieb gemobbt wird, hat gegen den Handelnden Schadensersatzansprüche nach § 823 Abs. 1 BGB i. V. m. Art. 1 und Art. 2 GG wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Erfolgt Mobbing im Entleiherbetrieb durch andere Personen als den Entleiher, ist der Entleiher aufgrund seiner Schutzpflicht gegenüber dem Leiharbeitnehmer verpflichtet, geeignete Gegenmaßnahmen zu ergreifen, soweit er gegenüber den handelnden Personen weisungsbefugt ist. Stellt die Handlung gleichzeitig eine Belästigung im Sinne des § 3 Abs. 3 AGG dar, so ist der Entleiher gemäß § 12 AGG verpflichtet, entsprechende Schutzmaßnahmen zu ergreifen. 14. Bei Erfindungen des Leiharbeitnehmers während der Dauer der Überlassung gilt der Entleiher gemäß § 11 Abs. 7 AÜG als Arbeitgeber im Sinne des Arbeitnehmererfindungsgesetzes. Insoweit ist die Stellung des Verleihers als Arbeitgeber für Zwecke des Arbeitnehmererfindungs-gesetzes ausgeschlossen. Der Anwendungsbereich des § 11 Abs. 7 AÜG erfasst sowohl Diensterfindungen als auch freie Erfindungen des Leiharbeitnehmers.
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5. Teil: Zusammenfassung der Ergebnisse in Thesen
III. Unerlaubte Arbeitnehmerüberlassung 1. Wird die Arbeitnehmerüberlassung ohne die erforderliche Überlassungserlaubnis durchgeführt, entsteht gemäß § 10 Abs. 1 AÜG ein fingiertes Arbeitsverhältnis zwischen dem Leiharbeitnehmer und dem Entleiher als Ersatz für das nach § 9 Nr. 1 AÜG unwirksame Leiharbeitsverhältnis. Die Fiktion tritt unabhängig vom Willen der Parteien ein. 2. Grundsätzlich dient das fingierte Arbeitsverhältnis zum Entleiher dem sozialen Schutz des illegal überlassenen Leiharbeitnehmers und entspricht in den überwiegenden Fällen auch dessen Interesse. Ein entgegenstehender Wille des Leiharbeitnehmers ist unbeachtlich, selbst wenn subjektive oder objektive Gründe gegen das fingierte Arbeitsverhältnis zum Entleiher sprechen. Daraus ergibt sich in bestimmten Fällen eine Schutzbedürftigkeit des illegal überlassenen Leiharbeitnehmers vor dem Entstehen des fingierten Arbeitsverhältnisses. 3. Jede gesetzliche Fiktion eines Vertragsverhältnisses berührt die Freiheit beider Parteien, ihre Vertragsbeziehungen autonom zu gestalten. Das Recht des Arbeitnehmers, selbstbestimmt über den Abschluss und die Gestaltung seines Arbeitsverhältnisses zu bestimmen, ist als Vertragsfreiheit im Arbeitsrecht bereichsspezifisch nach Art. 12 Abs. 1 GG geschützt. Diese „Arbeitsvertragsfreiheit“ umfasst auch das Recht des Arbeitnehmers, einen bestimmten Arbeitgeber als Vertragspartner auszusuchen bzw. keinen Arbeitgeber gegen seinen Willen aufgedrängt zu bekommen. In diese nach Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Freiheit des illegal überlassenen Leiharbeitnehmers wird durch die Fiktion eingegriffen. 4. Der mit § 10 Abs. 1 AÜG verfolgte Zweck des sozialen Schutzes von Leiharbeitnehmern ist ein legitimer Gemeinwohlzweck. Ohne das fingierte Arbeitsverhältnis zum Entleiher könnte der illegal überlassene Leiharbeitnehmer keine arbeitsrechtlichen Ansprüche geltend machen, da sein Leiharbeitsvertrag zum Verleiher nach § 9 Nr. 1 AÜG unwirksam ist. Durch die Fiktion eines Arbeitsverhältnisses wird der illegal überlassene Leiharbeitnehmer vor der Situation geschützt, weder den Verleiher noch den Entleiher in Anspruch nehmen zu können. 5. Der mit § 10 Abs. 1 AÜG verfolgte Zweck des Leiharbeitnehmerschutzes geht über den „Rang“ eines legitimen Gemeinwohlzwecks hinaus und besitzt Verfassungsrang. Arbeitnehmerschutz in Form von bindenden Gesetzesregelungen kann zur Umsetzung des Schutzauftrags beitragen, der aus dem objektiv-rechtlichen Gehalt der nach Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Berufsfreiheit folgt. Dies ist der Fall, wenn durch die jeweilige Regelung eine vollumfängliche Entfaltung der Berufsfreiheit von abhängig Beschäftigten erst ermöglicht oder gefördert wird oder wenn einem deutlichen Machtun-
5. Teil: Zusammenfassung der Ergebnisse in Thesen239
gleichgewicht zulasten des Arbeitnehmers nur durch gesetzliche Regelungen entgegengewirkt werden kann. Durch die Fiktion eines Arbeitsverhältnisses zwischen dem illegal überlassenen Leiharbeitnehmer und dem Entleiher nach § 10 Abs. 1 AÜG wird sichergestellt, dass die vom illegal überlassenen Leiharbeitnehmer gewählte Beschäftigungsform, nämlich die Anstellung beim Verleiher zur Erbringung von Arbeitsleistungen bei Dritten, nicht gänzlich gegenstandslos wird, sondern zumindest die Inanspruchnahme des Entleihers als Arbeitgeber möglich ist. § 10 Abs. 1 AÜG verwirklicht einen verfassungsrechtlich gebotenen Mindeststandard an Arbeitnehmerschutz, indem die Unwirksamkeitsfolge des § 9 Nr. 1 AÜG „neutralisiert“ wird. 6. Der in § 10 Abs. 1 AÜG liegende Eingriff in die Arbeitsvertragsfreiheit des illegal überlassenen Leiharbeitnehmers ist erforderlich und geeignet, um den durch § 10 Abs. 1 AÜG verfolgten Zweck des Leiharbeitnehmerschutzes zu verwirklichen. Verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist der Eingriff nur, wenn der Zweck des Leiharbeitnehmerschutzes höher wiegt als die Arbeitsvertragsfreiheit des Leiharbeitnehmers. Beide Rechtspositionen besitzen Verfassungsrang. 7. Ein Kernelement der verfassungsrechtlichen Abwägung ist die grundsätzliche Frage, ob und inwieweit zwingender Arbeitnehmerschutz abdingbar sein kann, wenn der Arbeitnehmer sich selbst nicht als schutzbedürftig erachtet. Arbeitnehmerschutz im Arbeitsvertragsrecht geht stets mit einem gewissen Maß an Fremdbestimmung einher, da nur mit zwingenden, unabdingbaren Rechtsnormen eine Bindung des Arbeitgebers zum Schutz des Arbeitnehmers gewährleistet werden kann. Richtet sich diese Bindungswirkung im Einzelfall gegen den zu schützenden Arbeitnehmer, ist der „Schutz vor fremdbestimmtem Schutz“ anhand des verfassungsrechtlichen Werteverhältnisses zwischen Selbstbestimmung und Arbeitnehmerschutz zu beantworten. 8. Der Gesetzgeber hat einen aus Art. 12 Abs. 1 GG folgenden Auftrag, die gesetzlichen Rahmenbedingungen zu schaffen, durch welche die vollumfängliche Ausübung der Berufsfreiheit durch Arbeitnehmer ermöglicht bzw. gefördert wird, was häufig nur durch verbindliche Regelungen erreicht werden kann. Der dadurch verwirklichte Arbeitnehmerschutz ist jedoch kein Selbstzweck, sondern hat lediglich sicherzustellen, dass Arbeitnehmer in der selbstbestimmten Gestaltung ihrer beruflichen Verhältnisse einen Mindeststandard an Schutz genießen. Führt eine selbstbestimmte Willensbildung zu einem objektiv nachteilig erscheinenden Ergebnis, besteht keine Notwendigkeit zum Ausgleich, solange dieses Ergebnis vom Arbeitnehmer subjektiv als vorteilhaft empfunden wird. Die Ausübung der Vertragsfreiheit durch den Arbeitnehmer darf nicht um seines eigenen Schutzes willen dem Gesetzgeber überlassen werden.
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5. Teil: Zusammenfassung der Ergebnisse in Thesen
9. Es besteht ein abstrakter Wertevorrang zugunsten der individuellen Privatautonomie des einzelnen Arbeitnehmers im Verhältnis zum Zweck des Arbeitnehmerschutzes im Arbeitsvertragsrecht. Davon ausgenommen sind Fälle, in denen es um den Schutz absoluter Rechtsgüter geht. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass dort, wo es nicht um den Schutz absoluter Rechtsgüter geht, ein pauschaler Schutz des Arbeitnehmers „vor sich selbst“ weder notwendig noch zulässig ist. 10. Der in § 10 Abs. 1 AÜG liegende Eingriff in die Arbeitsvertragsfreiheit des illegal überlassenen Leiharbeitnehmers, der die Rechtsfolge des fingierten Arbeitsverhältnisses zum Entleiher abwenden möchte, ist aus dessen Sicht nicht mehr verhältnismäßig im engeren Sinne. Durch das Entstehen eines fingierten Arbeitsverhältnisses zum Entleiher gegen den Willen des illegal überlassenen Leiharbeitnehmers ist dieser in seiner bereichsspezifisch durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Arbeitsvertragsfreiheit verletzt. 11. Im Wege verfassungskonformer Auslegung kann ein Verständnis des § 10 Abs. 1 AÜG begründet werden, wonach dem illegal überlassenen Leiharbeitnehmer eine außerordentliche Lösungsmöglichkeit zur Beendigung des fingierten Arbeitsverhältnisses zusteht. Die Durchbrechung der Unabdingbarkeit des § 10 Abs. 1 AÜG, die ein Wesensmerkmal ihres Schutzcharakters ist, widerspricht nicht dem Normzweck der Regelung. Es besteht keine praktisch relevante Gefahr der missbräuchlichen Umgehung von Rechtsfolgen der illegalen Arbeitnehmerüberlassung. 12. Für den Zweck der einseitigen und fristlosen Loslösung vom fingierten Arbeitsverhältnis ist ein an § 613a Abs. 6 BGB angelehntes Widerspruchsrecht aus rechtstechnischen Gründen im Ergebnis kein geeignetes Gestaltungsrecht. Es kann zwar theoretisch das Entstehen eines fingierten Arbeitsverhältnisses verhindern, nicht jedoch den Verbleib des illegal überlassenen Leiharbeitnehmers beim bisherigen Arbeitgeber herbeiführen, da dies aufgrund der Unwirksamkeit des Leiharbeitsvertrags nach § 9 Nr. 1 AÜG rechtlich unmöglich ist. Ein Widerspruchsrecht gegen das fingierte Arbeitsverhältnis ginge (teilweise) ins Leere. 13. Mit dem Gestaltungsrecht der fristlosen Kündigung aus wichtigem Grund nach § 626 BGB kann der illegal überlassene Leiharbeitnehmer das fingierte Arbeitsverhältnis umgehend beenden. Der wichtige Grund muss − im Hinblick auf die nach Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Arbeitsvertragsfreiheit des Leiharbeitnehmers − im Entstehen des fingierten Arbeitsverhältnisses nach § 10 Abs. 1 AÜG an sich gesehen werden. 14. Wird das fingierte Arbeitsverhältnis durchgeführt, richtet sich die Schutzbedürftigkeit des illegal überlassenen Leiharbeitnehmers gegenüber
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dem Entleiher nach den Bedingungen des fingierten Arbeitsverhältnisses. Der illegal überlassene Leiharbeitnehmer ist ab dem Eintritt der Fiktion nach § 10 Abs. 1 AÜG kein Leiharbeitnehmer mehr, sondern ein regulärer Arbeitnehmer des Entleihers, der in einem (fingierten) Arbeitsverhältnis mit dem Entleiher steht. 15. Das fingierte Arbeitsverhältnis steht einem vertraglich eingegangenen Arbeitsverhältnis grundsätzlich gleich, soweit das AÜG keine Bestimmungen in § 10 Abs. 1 AÜG trifft. Diese Regelungen verwirklichen ihren Zweck, den illegal überlassenen Leiharbeitnehmer unter dem fingierten Arbeitsverhältnis so weit wie möglich in den Entleiherbetrieb zu integrieren, ohne dass ursprünglich zugunsten des Leiharbeitnehmers vereinbarte Inhalte außer Acht gelassen werden. 16. Wird der illegal überlassene Leiharbeitnehmer durch die fristlose Kündigung des fingierten Arbeitsverhältnisses arbeitslos, besteht keine Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe im Sinne des § 159 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB III, da der Leiharbeitnehmer sich auf einen wichtigen Grund berufen kann, der die Sperrzeit ausschließt. 17. Im fingierten Arbeitsverhältnis stehen die Pflicht des Leiharbeitnehmers zur Arbeitsleistung und die Pflicht des Entleihers zur Zahlung der Vergütung in einem synallagmatischen Verhältnis. Führen die Beteiligten die Arbeitnehmerüberlassung trotz fehlender Erlaubnis nach den Grundsätzen der erlaubten Arbeitnehmerüberlassung durch und erhält der Leiharbeitnehmer vom Verleiher Vergütungszahlungen, kann er die Vergütung trotz der Unwirksamkeit des Leiharbeitsvertrages behalten. Da § 10 Abs. 1 AÜG dem Leiharbeitnehmer keinen doppelten Anspruch auf Vergütung verschaffen soll, schuldet der Entleiher dem Leiharbeitnehmer nur die Vergütung etwai ger Differenzbeträge. 18. Kündigt der illegal überlassene Leiharbeitnehmer das fingierte Arbeitsverhältnis fristlos, kann für die Vergangenheit bereits ein fingiertes Arbeitsverhältnis nach § 10 Abs. 1 AÜG zustande gekommen sein. Verschiedene Ansprüche des illegal überlassenen Leiharbeitnehmers können dann noch ausstehen, wie zum Beispiel Ansprüche auf rückständiges Gehalt, auf Urlaubsabgeltung sowie auf Zeugniserteilung. Ob diese Ansprüche im Verhältnis zum Verleiher oder zum Entleiher abzuwickeln sind, richtet sich danach, zu wem ein Arbeitsverhältnis während des maßgeblichen Zeitraums bestand. Es ist jedenfalls kein Zeitpunkt denkbar, zu dem ein Arbeitsverhältnis zu beiden oder zu keinem von beiden besteht. 19. Der Leiharbeitnehmer kann das Bestehen eines fingierten Vertragsverhältnisses zum Entleiher im Wege der allgemeinen Feststellungsklage klären lassen. Ebenso kann er das Nichtbestehen des fingierten Arbeitsver-
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5. Teil: Zusammenfassung der Ergebnisse in Thesen
hältnisses feststellen lassen; die Voraussetzungen der allgemeinen Feststellungsklage gelten hierfür mutatis mutandis. Das Recht des illegal überlassenen Leiharbeitnehmers, sich auf das Bestehen eines fingierten Arbeitsverhältnisses zu berufen, unterliegt der Verwirkung.
IV. Fazit 1. Bejaht man einen eigenständigen und unmittelbaren Anspruch des Entleihers auf die Arbeitsleistung des Leiharbeitnehmers aus einem echten Vertrag zugunsten Dritter, lassen sich sämtliche arbeitsrechtlichen Berührungspunkte zwischen dem Leiharbeitnehmer und dem Entleiher sachgerecht und dogmatisch sauber lösen. 2. Bei der erlaubten Arbeitnehmerüberlassung erfährt der Leiharbeitnehmer nach geltender Gesetzeslage trotz des Fehlens einer arbeitsvertraglichen Beziehung zum Entleiher denselben Schutz gegenüber dem Entleiher wie ein Arbeitnehmer gegenüber seinem Arbeitgeber im Zweipersonen-Arbeitsverhältnis. Daher besteht keine besondere Schutzbedürftigkeit des Leiharbeitnehmers gegenüber dem Entleiher bei der erlaubten Arbeitnehmerüberlassung. 3. Gegen das Entstehen des nach § 10 Abs. 1 AÜG fingierten Arbeitsverhältnisses kann sich der illegal überlassene Leiharbeitnehmer durch die Ausübung eines außerordentlichen Kündigungsrechts schützen, das ihm im Hinblick auf seine nach Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Arbeitsvertragsfreiheit zustehen muss. Dieses Gestaltungsrecht ist sowohl in seiner Rechtsfolge als auch in seiner tatsächlichen Ausübungsform gut geeignet, um der nach Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Arbeitsvertragsfreiheit des illegal überlassenen Leiharbeitnehmers Geltung zu verschaffen, ohne dadurch das Rechtsfolgengefüge der illegalen Arbeitnehmerüberlassung mehr als notwendig zu modifizieren. 4. Im Rahmen des nach § 10 Abs. 1 AÜG fingierten Arbeitsverhältnisses zum Entleiher besteht keine besondere Schutzbedürftigkeit des illegal überlassenen Leiharbeitnehmers gegenüber dem Entleiher.
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Literaturverzeichnis255 Viergutz, Rainer: Die Haftung für Schlechtleistung des Leiharbeitnehmers bei der gewerblichen Arbeitnehmerüberlassung, Berlin 2004 (zit.: Viergutz, Die Haftung für Schlechtleistung des Leiharbeitnehmers) Vor, Rainer: Zeitarbeit im Rechtsvergleich Deutschland – Großbritannien sowie bei Grenzüberschreitung, Diss., Köln 1992 (zit.: Vor, Zeitarbeit) Walker, Wolf-Dietrich: Rechtsverhältnisse bei der gewerbsmäßigen Arbeitnehmer überlassung und Schadensersatzansprüche des Entleihers wegen Schlechtleistung, AcP 194 (1994), S. 295 ff. Wank, Rolf: Neuere Entwicklungen im Arbeitsnehmerüberlassungsrecht, RdA 2003, S. 1 ff. Wiedemann, Herbert: Gerechtigkeit durch Gleichbehandlung, in: 50 Jahre Bundes arbeitsgericht, München 2004, S. 265 ff., hrsg. von Hartmut Oetker, Ulrich Preis, Volker Rieble (zit.: Wiedemann, in: FS 50 Jahre BAG) – Anm. zu BVerfG, Beschluss v. 19.10.1993 – 1 BvR 567 u. 1044 / 89, JZ 1994, S. 411 ff. Willemsen, Heinz Josef: Arbeitsrechtliche Aspekte der Reform des Umwandlungsrechts, RdA 1993, S. 133 ff. Willemsen, Heinz Josef / Annuß, Georg: Kostensenkung durch konzerninterne Arbeitnehmerüberlassung, BB 2005, S. 437 ff. Willemsen, Heinz Josef / Hohenstatt, Klaus-Stefan / Schweibert, Ulrike / Seibt, Christoph H.: Umstrukturierung und Übertragung von Unternehmen, 4. Auflage, München 2011 (zit.: Bearbeiter, in: Willemsen / Hohenstatt / Schweibert / Seibt) Windbichler, Christine: Mitbestimmung des Betriebsrats bei der Beschäftigung von Leiharbeitnehmern, DB 1975, S. 739 ff. Witten, Tina: Vertragsgestaltung und Gesetzesbindung im Recht der Zeitarbeit, Frankfurt am Main 2002 Wlotzke, Otfried: Arbeitsrechtliche Aspekte des neuen Umwandlungsrechts, DB 1995, S. 40 ff. Wrede, Beatrice: Anmerkung zu ArbG Köln, Urt. v. 7.3.1996 – 17 Ca 6257 / 95, DB 1996, S. 1343 f. Zimmermann, André: Der Referentenentwurf zur AÜG-Reform 2017, BB 2016, S. 53 ff. Zöllner, Wolfgang: Regelungsspielräume im Schuldvertragsrecht – Bemerkungen zur Grundrechtsanwendung im Privatrecht und zu den sogenannten Ungleich gewichtslagen, AcP 196 (1996), S. 1 ff.
Sachwortverzeichnis Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz 119 ff. Allgemeines Persönlichkeitsrecht 134 f. Anfechtung 170 Annahmeverzug 112 ff. Arbeitgeberfunktion 43 – Gespalten 44 Arbeitnehmererfindung 139 ff. Arbeitnehmerschutz 68, 83, 166, 172 ff. Arbeitsvermittlung 91 Arbeitszeit 184, 227 Aufhebungsvertrag 170 Außerordentliches Kündigungsrecht 206 ff. Auswahldiskriminierung 120 Baugewerbe 33 Befristung 223 Befristungsverbot 25 Berufsfreiheit 153 ff. Beschäftigungsanspruch 41 Beschäftigungsverhältnis 43 ff., 55 ff., 79, 96, 104 Betriebseinrichtung 129 Betriebsrisiko 104 ff. Betriebsübergang 151 ff., 179 ff., 199 Betriebsverfassungsrechtliche Zuordnung 229 Deckungsverhältnis 50 Diskriminierung 118 ff. – Auswahldiskriminierung 120 ff. – Mittelbare 120 Doppelarbeitsverhältnis 45 Drittbegünstigung 50 ff. Drittschadensliquidation 98
Eingriff 152 ff. Entleiherbetrieb 227 f. Equal Pay und Equal Treatment 26 f. Erfüllungsgehilfe 36, 61 Feststellungsklage 231 Fürsorgepflicht 61 Gattungsschuld 39 Gewerbsmäßigkeit 31 Gleichbehandlung 125 ff. Günstigkeitsprinzip 183 f. Haftungsbegrenzung 102 ff. Höchstüberlassungsdauer 25, 69 Informationspflicht 32 Integritätsinteresse 86 Konzerninterne Verleihgesellschaften 26 Konzernprivileg 27, 65 Kündigung 41, 56, 170 Kündigungsschutz 41, 151 Legitimer Gemeinwohlzweck 165 Leiharbeit – Echte 35 – Unechte 35 Leiharbeitsrichtlinie 28 ff., 67, 130, 197 Leiharbeitsverhältnis 40 ff. Leistungsinteresse 47, 85, 96 Lohnuntergrenze 27 Menschenwürde 153, 161 Mitbestimmung 63, 230 Mobbing 133 ff.
Sachwortverzeichnis257 Nebenleistungspflichten 58 f. Nichtleistung 88 ff. Normzweck 132, 141, 165 f., 194 f. Personalverleihgesellschaften 26 Personenschäden 109 Praktische Konkordanz 177, 183 Prävention 82, 166, 195 Primärleistungspflichten 55 Privatautonomie 184 ff. Sachschäden 110 Sanktionswirkung 31, 80 ff., 166, 197 Schadensersatz 85 ff., 211 f. Scheinwerkvertrag 64, 224 Schlechtleistung 87, 94 ff. Schutznorm 160, 174, 179 Schutzpflichten 98, 108 ff. Schwerbehinderung 131 Sozialeinrichtungen 32 Stückschuld 39 Synchronisationsverbot 25 Tariföffnungsklausel 26, 29
Überlassungserlaubnis 63 f. Überlassungsverhältnis 87 Umwandlung 200 Unwirksamkeit – des Leiharbeitsvertrags 72 – des Überlassungsvertrags 74 Urlaubsansprüche 215 Valutaverhältnis 51 Verfassungskonforme Auslegung 185, 193 Vergütung 214 f. Verhältnismäßigkeit 167 Vermittlungsvergütung 32 Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter 47 Vertrag zugunsten Dritter – echter 50 – unechter 46 Verwirkung 232 Vollzugsverhältnis 51, 59 Weisungsrecht 64, 104, 124, 130 Zeugnis 216