Der Schutz der Persönlichkeitsrechte von Personen des öffentlichen Lebens im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren [1 ed.] 9783428586400, 9783428186402

»The Protection of the Personal Rights of Public Figures in Criminal Investigations Proceedings«: The study assesses the

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German Pages 420 [421] Year 2023

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Der Schutz der Persönlichkeitsrechte von Personen des öffentlichen Lebens im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren [1 ed.]
 9783428586400, 9783428186402

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Schriften zum Prozessrecht Band 289

Der Schutz der Persönlichkeitsrechte von Personen des öffentlichen Lebens im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren Von Katharina Fenzl

Duncker & Humblot · Berlin

KATHARINA FENZL

Der Schutz der Persönlichkeitsrechte von Personen des öffentlichen Lebens im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren

Schriften zum Prozessrecht Band 289

Der Schutz der Persönlichkeitsrechte von Personen des öffentlichen Lebens im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren Von Katharina Fenzl

Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin hat diese Arbeit im Jahre 2022 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2023 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: 3w+p GmbH, Rimpar Druck: CPI books GmbH, Leck Printed in Germany

ISSN 0582-0219 ISBN 978-3-428-18640-2 (Print) ISBN 978-3-428-58640-0 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Diese Arbeit wurde in den Jahren 2014 bis 2019 verfasst und im Jahr 2022 von der Juristischen Fakultät der Humboldt Universität zu Berlin als Dissertation angenommen. Gesetzgebung, Rechtsprechung und Literatur befinden sich auf dem Stand 2019. Mein höchster Dank gilt meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Bernd Heinrich, der mich vom Zeitpunkt meiner ersten Idee für das Thema bis hin zur Disputation mit wertvollen Anregungen und stetiger Ansprechbarkeit unterstützt hat. Hierbei hat er mir stets die Freiräume gelassen, die meine beruflichen und privaten Entwicklungen in den letzten Jahren erfordert und den Fortgang dieser Arbeit oftmals verlangsamt haben. Ohne seine Geduld und sein großes Verständnis wäre der Abschluss dieser Arbeit wohl nicht gelungen, so dass ich mich hierfür besonders bedanke. Herzlich bedanken möchte ich mich zudem bei meinem Zweitgutachter, Prof. Dr. Martin Heger, sowie dem Vorsitzenden meiner Prüfungskommission, Prof. Dr. Luis Greco, deren konstruktiven und kritischen Anmerkungen eine spannende Disputation ermöglicht haben. Auch danke ich meinen Eltern, die mir meine Ausbildung ermöglicht haben. Mein besonderer Dank gilt schließlich meinem Ehemann, auf den ich mich in den letzten Jahren trotz der mit dem Wachsen unserer Familie verbundenen Herausforderungen stets verlassen und dessen Unterstützung ich mir gerade in der Abschlussphase dieser Arbeit immer gewiss sein konnte. Ihm widme ich diese Arbeit. Berlin, im Februar 2023

Katharina Fenzl

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

Erstes Kapitel Die Person des öffentlichen Lebens in der Strafverfolgung

18

A. Medienwirksame Strafverfahren der Vergangenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 I.

Die Macht des öffentlichen Prangers – Das Verfahren gegen Andreas Türck . . . . 19 1. Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 2. Die Medienkampagne Türck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22

3. Der Gewinner, der alles verloren hatte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 II. Das Zwangsouting der Sängerin Nadja Benaissa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 1. Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 2. Die Informationspolitik der Staatsanwaltschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 3. Das mediale Outing und die beruflichen und persönlichen Konsequenzen . . . . 32 III. Der Fall Kachelmann – Ein Lehrstück in Sachen medialer Vorverurteilung . . . . . 34 1. Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 2. Öffentlichkeitsarbeit der Staatsanwaltschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 3. Medienspektakel und öffentliche Vorverurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 IV. Das Volk gegen Christian Wulff – Ein Bundespräsident auf dem Prüfstand . . . . . 44 1. Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 2. „Von der Lawine zum Schneebällchen“ – Die Staatsanwaltschaft Hannover in der Wulff-Affäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 3. Wulff und die Medien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 V. Das Ermittlungsverfahren gegen Sebastian Edathy – Die Gefahren des Anfangsverdachts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 1. Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 2. Die Tätigkeit der Staatsanwaltschaft in der „Edathy-Affäre“ . . . . . . . . . . . . . . 58 3. Das „Medienverfahren“ gegen Sebastian Edathy . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 VI. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 B. Die Person des öffentlichen Lebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 I. Allgemeinsprachlicher und sozialwissenschaftlicher Bedeutungsgehalt . . . . . . . . 66 II. Die Person des öffentlichen Lebens im juristischen Sprachgebrauch . . . . . . . . . . 70 III. Die Person der Zeitgeschichte nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG . . . . . . . . . . . . . . . . . 73

8

Inhaltsverzeichnis IV. Die „Person des öffentlichen Interesses“ in der neuen Rechtsprechung . . . . . . . . 76 V. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78

C. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79

Zweites Kapitel Die Öffentlichkeit der Strafverfolgung

82

A. Die Öffentlichkeitsmaxime im „Strafprozess“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 I.

Die rechtshistorische Entwicklung der prinzipiellen Gerichtsöffentlichkeit . . . . . 84 1. Das Schicksal der Verfahrensöffentlichkeit vom Mittelalter bis zum inquisitorischen Strafverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 2. Die Neu-Entwicklung der Gerichtsöffentlichkeit im Zeitalter der Aufklärung 86 3. Der Umgang mit der Öffentlichkeit zur Zeit des Nationalsozialismus . . . . . . . 88 4. Die Entwicklung der Verfahrensöffentlichkeit seit Ende des Zweiten Weltkrieges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89

II. Inhalt und Grenzen des heute geltenden Öffentlichkeitsprinzips . . . . . . . . . . . . . . 91 1. Begriff, Inhalt und rechtliche Grundlagen der „Öffentlichkeit“ . . . . . . . . . . . . . 91 2. Die völkerrechtliche Regelung des Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK . . . . . . . . . . . . . . 94 3. Verfassungsrechtliche Bedeutung der Öffentlichkeitsmaxime . . . . . . . . . . . . . . 96 4. Die Grenzen der Strafverfahrensöffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 a) Gesetzliche Beschränkungen der Gerichtsöffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . 98 b) Die verfassungsrechtlichen Grenzen des Öffentlichkeitsgrundsatzes . . . . . . 101 c) Die faktische Begrenzung der Verfahrensöffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 d) Unzulässige Erweiterungen der Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 III. Zeitgerechte Aufgabenbestimmung prinzipieller Gerichtsöffentlichkeit . . . . . . . . 105 1. Gerichtsöffentlichkeit zur Kontrolle der Strafjustiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 2. Gerichtsöffentlichkeit zu allgemeinen Informationszwecken . . . . . . . . . . . . . . . 109 3. Gerichtsöffentlichkeit und Strafzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 4. Weitere Funktionen prinzipieller Gerichtsöffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 IV. Heutige Tendenzen zur Erosion des Prinzips der Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . 115 V. Zwischenergebnis und Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 B. Die Beteiligung der Öffentlichkeit im Ermittlungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 I. Die historische Begründung des nichtöffentlichen Ermittlungsverfahrens . . . . . . . 122 II. Die Nichtöffentlichkeit des Ermittlungsverfahrens im gesellschaftlichen und (rechts-)politischen Wandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 1. Schutz der Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 2. Schutz der Individualinteressen des Beschuldigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 3. Argumente für ein öffentliches Ermittlungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 III. Durchbrechungen der Nichtöffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138

Inhaltsverzeichnis

9

IV. Zwischenergebnis und Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 C. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141

Drittes Kapitel Medienöffentliche Ermittlungsverfahren zwischen Wirklichkeit und Recht

143

A. Die Gefahren einer medienöffentlichen Strafrechtspflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 I. Auswirkungen medialer Berichterstattung auf das Strafverfahren . . . . . . . . . . . . . 144 II. Folgen medienöffentlicher Strafverfolgung für den Betroffenen . . . . . . . . . . . . . . 151 III. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 B. Von Verfahrenspublizität betroffene Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 I.

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 2. Das Recht auf (Bild- und Namens-)Anonymität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 3. Das Recht auf Nicht-Entsozialisierung und Resozialisierung . . . . . . . . . . . . . . 165 4. Anforderungen der Rechtsprechung an (zulässige) Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 5. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170

II. Grundsätze eines rechtsstaatlichen Verfahrens zum Schutz des Beschuldigten . . . 171 1. Die Unschuldsvermutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 a) Herleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 b) Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 c) Inhaltliche Garantiefunktion und Tangentenwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 2. Der „fair trial“-Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 b) Durch eine mediale Verfahrensöffentlichkeit tangierte Garantien . . . . . . . . . 180 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 C. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184

Viertes Kapitel Mediale Berichterstattung im Ermittlungs- und Strafverfahren

185

A. Moderne Verdachtsberichterstattung und ihre Rolle im Strafverfahren . . . . . . . . . . . . 185 I.

Zum Begriff der modernen „Medien“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186

II. Die Rolle der Medien im Strafverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 1. Gewährleistung von Gerichtsöffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 2. Wiederherstellung des Rechtsfriedens und Generalprävention . . . . . . . . . . . . . 193 3. Grundlage öffentlicher Willensbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194

10

Inhaltsverzeichnis 4. Kontroll- und Überwachungsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 5. Informationsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 III. Die Verdachtsberichterstattung als Form medialer Kriminalberichterstattung . . . . 198 IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200

B. Der rechtliche Rahmen zulässiger Verdachtsberichterstattung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 I. Verfassungsdogmatische Grundlagen medialer Berichterstattung . . . . . . . . . . . . . 202 1. Meinungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 2. Informationsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 3. Medienfreiheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 4. Die grundrechtsdogmatische Ausgangslage der Verdachtsberichterstattung . . . 206 II. Einordnung der Verdachtsberichterstattung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 1. Wortberichterstattung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 2. Bildberichterstattung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 III. Grenzen zulässiger Verdachtsberichterstattung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 1. Allgemeine Kriterien der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 2. Zulässigkeit identifizierender Verdachtsberichterstattung . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 a) Identifizierende Wortberichterstattung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 b) Bildnisveröffentlichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 c) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 IV. Die ethischen Regeln des Pressekodex . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 V. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 C. Medien als Instrument der Prozessführung („Litigation-PR“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 D. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242

Fünftes Kapitel Die Kommunikationstätigkeit der Ermittlungsbehörden

244

A. Das Verhältnis von Staatsanwaltschaft und Medien in der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . 245 I. Die Zusammenarbeit von Staatsanwaltschaft und Medien im Wandel . . . . . . . . . . 245 II. Das Interesse der Staatsanwaltschaft an Informationsweitergabe . . . . . . . . . . . . . . 248 1. Einbeziehung der Öffentlichkeit im Dienst einer effizienten Strafverfolgung

249

2. Öffentlichkeitsarbeit zum Schutz des Beschuldigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 3. Zusammenarbeit mit den Medien im öffentlichen Interesse . . . . . . . . . . . . . . . 253 4. Eigeninteressen der Staatsanwaltschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 III. Die Kommunikation der Ermittlungsbehörden in der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 1. Informationstätigkeit als eigene Verwaltungsaufgabe der Behörde . . . . . . . . . . 257 2. Pressestelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 3. Einzelne Kommunikationsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261

Inhaltsverzeichnis

11

B. Rechtliche Grundlagen ermittlungsbehördlicher Öffentlichkeitsarbeit . . . . . . . . . . . . . 262 I.

Verfassungsrechtliche Eckpunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263

II. Pflichtgemäße reaktive Informationstätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 1. Herleitung eines presserechtlichen Auskunftsanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 2. Richtlinien für das Strafverfahren und Bußgeldverfahren (RiStBV) . . . . . . . . . 270 3. Strafprozessuale Auskunftspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 4. Informationsfreiheitsgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 5. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 III. Berechtigung zu aktiver Öffentlichkeitsarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 1. Erfordernis einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 2. Strafprozessuale Ermächtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 3. Landespressegesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 4. § 24 KUG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 5. RiStBV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 6. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 C. Grenzen reaktiver staatsanwaltschaftlicher Informationstätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 I. Grundrechtsdogmatische Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 II. Zulässiger Umfang reaktiver Informationstätigkeit der Staatsanwaltschaft . . . . . . 287 1. Einfachgesetzliche Auskunftsrechte als Ausdruck der Schranke des allgemeinen Persönlichkeitsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 2. Grundlagen der ermittlungsbehördlichen Ermessensentscheidung . . . . . . . . . . 289 a) Systematik der landespresserechtlichen Auskunftsregelungen . . . . . . . . . . . 290 b) Die Ermessensausübung durch die Staatsanwaltschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 3. Rechtmäßigkeit identifizierender Informationen über den Beschuldigten . . . . . 297 a) Der Aufhebung der Namensanonymität entgegenstehende Geheimhaltungsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 b) Öffentliches Interesse an der Identität des Beschuldigten . . . . . . . . . . . . . . . 299 c) Die identifizierende Information als Gefahr für das schwebende Verfahren, § 4 Abs. 2 Nr. 3 LPG Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 d) Die Schutzwürdigkeit privater Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 aa) Einfachgesetzliche Wertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 bb) Kriterien der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 cc) RiStBV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 e) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 4. Herausgabe sonstiger Informationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 a) Verletzung der Unschuldsvermutung und des Rechts auf ein faires Verfahren 313 b) Verletzung der Persönlichkeitsrechte des Beschuldigten . . . . . . . . . . . . . . . . 314 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 III. Die Rolle der Staatsanwaltschaft als „privilegierte Quelle“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318

12

Inhaltsverzeichnis IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319

D. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320

Sechstes Kapitel Die öffentliche Verdachtsäußerung im Fall des Beschuldigten als Person des öffentlichen Lebens

322

A. Die Interessenabwägung im Falle der Person des öffentlichen Lebens . . . . . . . . . . . . 323 I. Verfassungsdogmatische Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 1. Die Person des öffentlichen Lebens als Träger des allgemeinen Persönlichkeitsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 2. Der Beschuldigte als Person des öffentlichen Lebens und der Gleichheitsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 II. Die besondere Interessenlage im Fall des Beschuldigten als Person des öffentlichen Lebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 1. Die besonderen Geheimhaltungsinteressen der Person des öffentlichen Lebens 331 a) Allgemeine Anonymitätsinteressen der Person des öffentlichen Lebens . . . 332 b) Das Anonymitätsinteresse der Person des öffentlichen Lebens als Amtsträger und im Falle berufsbezogener Vorwürfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 2. Das besondere öffentliche Informationsinteresse im Fall des Beschuldigten als Person des öffentlichen Lebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 3. Gegenüberstellung der im Fall des Beschuldigten als Person des öffentlichen Lebens betroffenen Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 a) Interessenabwägung in Fall allgemeiner Medien- und Berufsprominenz . . . 341 b) Die Interessenabwägung im Fall des politischen Amtsträgers . . . . . . . . . . . . 344 aa) Die Sonderstellung des Inhabers öffentlicher Ämter . . . . . . . . . . . . . . . . 345 bb) Öffentliches Interesse an unmittelbar amtsbezogenen Tatvorwürfen . . . 347 cc) Öffentliches Interesse an sonstigen Tatvorwürfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 III. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 B. Die Auswirkungen der besonderen Interessenlage auf die Informationstätigkeit von Staatsanwaltschaft und Medien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 I. Die ermittlungsbehördliche Öffentlichkeitsarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 1. Identifizierende Informationen über den Beschuldigten als Person des öffentlichen Lebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 a) Einfachgesetzliche Wertungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 b) Kriterien der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 c) Differenzierung nach Persönlichkeitssphären . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 2. Herausgabe sonstiger Informationen durch die Staatsanwaltschaft . . . . . . . . . . 364 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366

Inhaltsverzeichnis

13

II. Die mediale Verdachtsberichterstattung im Ermittlungsverfahren . . . . . . . . . . . . . 366 1. Die mediale Verdachtsberichterstattung über Personen des öffentlichen Lebens 367 2. Die Berücksichtigung der besonderen Interessenlage bei der Abwägungsentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374 III. Die Auswirkungen der Litigation-PR des Beschuldigten auf die dargestellte besondere Interessenlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 IV. Die Situation nach Anklageerhebung sowie nach Abschluss des Strafverfahrens

377

V. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377 C. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378

Siebtes Kapitel Ergebnis und Möglichkeiten

380

A. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380 B. Rechtliche Auswirkungen rechtswidriger Informationstätigkeit der Staatsanwaltschaft de lege lata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382 I.

Strafrechtliche Sanktionsmöglichkeiten und solche des Nebenstrafrechts . . . . . . . 383 1. §§ 185 ff. StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383 2. §§ 203, 353b und 353d StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385 3. § 33 Abs. 1 i. V. m. §§ 23 Abs. 1 Nr. 1, 22 S. 1 KUG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387

II. Ansprüche des Beschuldigten infolge einer Persönlichkeitsrechtsverletzung . . . . 388 1. Kompensationsansprüche des Beschuldigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388 2. Präventiver Schutz des Beschuldigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390 III. Verfahrensrechtliche Möglichkeiten einer Berücksichtigung von Umfang und Tendenz der öffentlichen Berichterstattung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391 IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394 C. Vorschläge de lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419

Einleitung Das moderne Strafverfahren entwickelt sich immer mehr zum Medienprozess. Auch wenn aufsehenerregende Strafprozesse die Justiz schon immer beschäftigt haben, wird der Wandel des öffentlichen Strafverfahrens zum medialen Ereignis durch ein mittels moderner Massenmedien potenziertes Phänomen gekennzeichnet: die Häufung und Intensität medialer Begleitung spektakulärer Strafverfahren gegen Personen des öffentlichen Lebens. Nicht nur in der jüngeren Vergangenheit dominierten immer wieder Ermittlungsund Strafverfahren gegen Personen des öffentlichen Lebens die mediale Berichterstattung. Die Namen von Persönlichkeiten wie Cornelius Gurlitt, Sebastian Edathy, Dieter Hoeneß, Klaus Zumwinkel, Christian Wulff, Jörg Kachelmann oder Andreas Türk sind im gesellschaftlichen Gedächtnis untrennbar verbunden mit dem Vorwurf des Besitzes von sog. NS-Raubkunst oder kinderpornographischen Schriften, der Steuerhinterziehung, der Bestechlichkeit oder auch der Vergewaltigung. In der heutigen Informationsgesellschaft sind Medien mehr als je zuvor gewinnorientierte Wirtschaftsunternehmen und Informationen eine Ware, die gehandelt wird. Seit jeher besteht ein großes allgemeines Interesse an in der Öffentlichkeit stehenden Persönlichkeiten und Strafverfahren. Neben den Verfahren, die aufgrund besonderer Tatumstände ein gesteigertes öffentliches Interesse hervorrufen, sind gerade Informationen über Strafverfahren gegen Personen des öffentlichen Lebens von hohem wirtschaftlichem Wert. In einer Zeit, in der Informationen immer und überall kommuniziert und abgerufen werden können, werden Strafsachen am Publizitätsmarkt wie Börsenpapiere gehandelt.1 Ihr Wert bestimmt sich nach dem Bekanntheitsgrad des Beschuldigten sowie dem durch den Tatvorwurf empfunden Maß der Störung des gesellschaftlichen Moralempfindens. Im Rahmen der ein solches Verfahren begleitenden medialen Verdachtsberichterstattung kommen überdies immer wieder private Informationen an die Öffentlichkeit, an deren Geheimhaltung der Betroffene ein nachvollziehbares und möglicherweise berechtigtes Interesse hat. So auch im Fall der ehemaligen GirlGroup-Sängerin Nadja Benaissa, die anlässlich eines Strafverfahrens wegen gefährlicher Körperverletzung ein „Zwangsouting“ hinsichtlich ihrer HIV-Erkrankung erfuhr. Unabhängig vom Ausgang des Verfahrens in rechtlicher Hinsicht sind die Folgen für die Betroffenen gerade als Personen des öffentlichen Lebens in aller Regel gravierend. Infolge der medialen Begleitung des Ermittlungs- und Strafverfahrens 1

Mauz, „Ihr Scheibenwischer läuft noch“, im Spiegel Nr. 31/1997, S. 83.

16

Einleitung

sowie der damit einhergehenden öffentlichen Vorverurteilung ist die berufliche Existenz oftmals bereits zu Beginn des Verfahrens zerstört. Die Hoffnung auf Rehabilitation, Wiederherstellung des öffentlichen Ansehens sowie Wiedergutmachung des durch die Ermittlungen, die Anklage sowie das Strafverfahren entstandenen Schadens ist umso schwerer zu erfüllen, umso schwerer der von der Gesellschaft empfundenen moralische Vorwurf wiegt. Auch über das eigentliche Verfahren hinaus sind die Folgen eines medienwirksamen Strafverfahrens für die Person des öffentlichen Lebens gerade aufgrund der sich rasant entwickelnden Möglichkeiten des Internets als kollektiven Gedächtnisses irreversibel. Angesichts dieser existenziellen persönlichen sowie beruflichen Folgen besteht insbesondere im frühen Stadium des Ermittlungsverfahrens ein äußerst sensibles Spannungsfeld zwischen den durch die mediale Aufmerksamkeit höchst gefährdeten Persönlichkeitsrechten des Beschuldigten und dem öffentlichen Informationsinteresse. Die Gefahr der öffentlichen Vorverurteilung und damit einhergehenden negativen Folgen für den Betroffenen ist bei Personen des öffentlichen Lebens aufgrund eben dieser gesellschaftlich exponierten Stellung um ein Vielfaches höher als im Fall eines „normalen“ Beschuldigten. Doch nicht nur die Persönlichkeitsrechte des Beschuldigten werden durch ein medienöffentliches Ermittlungsverfahren gefährdet. Auch droht durch eine übermäßige und tendenziöse Berichterstattung die Beeinflussung der Ermittlungsbehörden, des Gerichts, der Laienrichter sowie der Zeugen. Auch in dieser Hinsicht ist die Person des öffentlichen Lebens aufgrund des gesteigerten Medieninteresses verstärkt Gefahren ausgesetzt. Gerade im Rahmen des nicht öffentlich ausgestalteten Ermittlungsverfahrens ist die Staatsanwaltschaft nicht nur „Herrin des Verfahrens“, sondern auch „Hüterin der Information“ und ihre Öffentlichkeitsarbeit legt bis zum öffentlichen Hauptverfahren den Grundstein für Maß und Inhalt der medialen Berichterstattung. Zutreffend bring der Strafverteidiger von Schirach daher die Wirkung staatsanwaltschaftlicher Informationstätigkeit im massenmedialen Zeitalter auf den Punkt: „Heute brauchen wir kein Urteil mehr, es reicht die Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft, und die ganze Republik sieht zum Pranger.“2

Ermittlungsbehördlicher Öffentlichkeitsarbeit sind daher durch die schützenswerten Persönlichkeitsrechte des Betroffenen, der Unschuldsvermutung und den Anforderungen an ein faires Verfahren verfassungsrechtlich verankerte Grenzen gesetzt. Die nachfolgende Untersuchung wird sich der Frage widmen, welche Auswirkung die Stellung des Beschuldigten als Person des öffentlichen Lebens auf die Grenzen ermittlungsbehördlicher Öffentlichkeitsarbeit hat und ob die bestehenden rechtsstaatlichen Schutzmechanismen angesichts der modernen Mediengesellschaft den Beschuldigten auch und insbesondere als Person des öffentlichen

2

von Schirach, Spiegel 36/2010, 154 (155).

Einleitung

17

Lebens noch ausreichend vor Persönlichkeitsrechtsverletzungen zu schützen vermögen. „Die Regeln des Rechtsstaats samt Unschuldsvermutung gelten nämlich auch für die Leute, die man nicht mag; sie gelten für Mörder und Totschläger, sie gelten für Großbetrüger und für Terroristen. Sie gelten aber offenbar – wenn man die herrschende Ermittlungspraxis ansieht – nicht für Leute, denen vorgeworfen wird, sich Bilder von nackten Jugendlichen bestellt zu haben; sie gelten jedenfalls dann nicht, wenn es sich beim Besteller um einen prominenten Politiker handelt.“3

3 Heribert Prantl über das Ermittlungsverfahren gegen Sebastian Edathy, „Beschämt und verdammt“, in: SZ-Online vom 22. 02. 2015, abrufbar unter: http://www.sueddeutsche.de/mei nung/strafverhandlung-gegen-sebastian-edathy-beschaemt-und-verdammt-1.2359790 (zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021).

Erstes Kapitel

Die Person des öffentlichen Lebens in der Strafverfolgung Der eingangs dargestellten Sorge um die Persönlichkeitsrechte von Person des öffentlichen Lebens im Strafverfahren liegt die These zugrunde, dass die gesellschaftliche Stellung des Betroffenen die (Öffentlichkeits-)Arbeit der Strafverfolgungsbehörden aber auch den Umgang der Öffentlichkeit mit dem Strafverfahren in persönlichkeitsrechtlich relevanter Form beeinflusst. Diese Annahme basiert auf der Beobachtung vergangener aufsehenerregender Strafverfahren gegen bekannte Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und der Unterhaltungsbranche. Um die Besonderheiten von Strafverfahren gegen Personen des öffentlichen Lebens und damit die der Forschungsfrage zugrundeliegende These zu verdeutlichen, erfolgt zunächst eine der Anschauung dienende Darstellung einiger vergangener medienwirksamer Verfahren gegen prominente Persönlichkeiten (A.). Anschließend wird der Begriff der „Person des öffentlichen Lebens“ anhand der bisherigen Begriffsbeschreibungen sowie einer eigenen Begriffsbestimmung als Prüfungsmaßstab definiert (unten B.) und somit der Ausgangspunkt für die folgende Untersuchung (unten C.) bestimmt.

A. Medienwirksame Strafverfahren der Vergangenheit Vor dem Einstieg in die rechtlich abstrakte Ebene der wissenschaftlichen Betrachtung sollen nun zunächst einige medienwirksame Strafverfahren gegen Personen des öffentlichen Lebens betrachtet werden, die deutschlandweit für Aufsehen gesorgt haben. Wenn Neuling in diesem Zusammenhang von „Wirklichkeit des Rechts“ spricht,1 macht dies deutlich, dass die Wirkungsweise strafverfolgungsbehördlicher Öffentlichkeitsarbeit sowie medialer Kriminalberichterstattung sich nicht rein abstrakt, sondern erst mit einem Blick auf die Verfahrenswirklichkeit begreifen lässt. In unserer modernen Mediengesellschaft spielt die Kriminalberichterstattung eine große Rolle: Neben rein informativen Aufgaben bietet die Einbeziehung der Medien den Verfahrensbeteiligten zudem die Möglichkeit, auf das Verfahrens Einfluss zu nehmen. Dies gilt für die ermittelnden Strafverfolgungsbehörden in glei1

Neuling, S. 169.

A. Medienwirksame Strafverfahren der Vergangenheit

19

chem Maße, wie für den Litigation-PR (eng., „Öffentlichkeitsarbeit im Rechtsstreit“) betreibenden Beschuldigten bzw. Angeklagten.2 Von Fällen dieser freiwilligen und zweckgerichteten Integration der Presse abgesehen, bedeutet jedoch eine öffentliche Berichterstattung über das Ermittlungs- und Strafverfahren für den Betroffenen in aller Regel eine außerordentliche Belastung. Ein Blick in die Vergangenheit offenbart die Gefahren für die Persönlichkeitsrechte des Betroffenen sowie weitere weitreichenden Folgen, die die öffentliche Stellung des Beschuldigten, eine übereilte und übereifrige Öffentlichkeitsarbeit der Staatsanwaltschaft sowie eine überhandnehmende Medienberichterstattung während des gesamten Strafverfahrens und darüber hinaus mit sich bringen. Es wird schnell deutlich, dass die privaten sowie beruflichen Folgen für den in der Öffentlichkeit stehenden Betroffenen gravierend sind und das Strafverfahren in aller Regel weit überdauern, wohingegen der Ausgang des Verfahrens in diesem Zusammenhang nur eine untergeordnete Rolle spielt. Ausmaß und Wirkung eines solchen medienwirksamen Strafverfahrens für Personen des öffentlichen Lebens sollen daher im Folgenden anhand einiger beispielhaft ausgewählter Verfahren dargestellt werden. Zu diesem Zweck erfolgt zunächst ein Blick auf die vernichtende Macht der Öffentlichkeit in drei Verfahren gegen prominente Persönlichkeiten aus der Medienbranche: Hierzu zählen die Strafverfahren gegen Andreas Türck (unter I.), Nadia Benaissa (unten II.) sowie Jörg Kachelmann (unten III.). Anschließend wird mit dem Verfahren gegen den ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff ein Strafverfahren gegen einen politischen Amtsträger betrachtet, in welchem wegen eines Tatvorwurfs in Zusammenhang mit dessen Amtsausübung ermittelt wurde (unten IV.). Mit dem Verfahren gegen Sebastian Edathy richtet sich der Blick schließlich auf einen weiteren politischen Amtsträger als Beschuldigten, welches insbesondere durch einen moralisch besonders verwerflichen Tatvorwurf geprägt wurde (unten V.).

I. Die Macht des öffentlichen Prangers – Das Verfahren gegen Andreas Türck Der Name Andreas Türck wurde in den 90er Jahren durch dessen tägliche Talkshow „Türck“ auf dem Privatsender ProSieben bekannt. Die Medienpräsenz und Fangemeinde des Fernsehmoderators wuchs stetig und der Name Türck stand um die Jahrtausendwende für „Mr. Charming“ (Bunte), den „erotischsten TV-Entertainer Deutschlands“ (AMICA). Der Moderator hatte eine große Medienkarriere vor sich, daran bestand zu diesem Zeitpunkt kein Zweifel. Doch 2005 ging dieser Name dann auch in die Geschichte der Strafjustiz ein und bildet noch heute ein trauriges Beispiel für eine Medienberichterstattung, die „mehr 2 Zu den Funktionen und Möglichkeiten moderner Kriminalberichterstattung siehe unten Viertes Kapitel, A. II.

20

1. Kap.: Die Person des öffentlichen Lebens in der Strafverfolgung

urteilte als berichtete“3 und damit sowohl die Persönlichkeitsrechte der Verfahrensbeteiligten als auch des Beschuldigten missachtete. Der Moderator wurde an den gesellschaftlichen Pranger gestellt und verlor, schon lange bevor das Urteil in diesem fragwürdigen Prozess gesprochen war, nicht nur seine berufliche Existenz, sondern auch seine Ehre. Unverständnis ruft dabei nicht nur die verfahrensbegleitende Medienberichterstattung hervor, sondern auch die Entscheidung der Justiz, diesen Fall anzuklagen und zu verhandeln. 1. Sachverhalt Im März 2004 wurde bekannt, dass die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main gegen den TV-Moderator wegen des Vorwurfs der Vergewaltigung und Körperverletzung ermittelt. Andreas Türck wurde beschuldigt, im Jahr 2002 nach dem Besuch einer Diskothek seine Begleitung, Katharina B., auf der Honsellbrücke in Frankfurt am Main zum Oralverkehr gezwungen und dabei mindestens einmal mit dem Kopf gegen das Brückengeländer geschlagen zu haben. Zu dieser Zeit standen ein Freund des Beschuldigten sowie eine Freundin des vermeintlichen Opfers in Sichtweite des Tatorts, die zwar den Akt selbst beobachten konnten, jedoch keine Gewaltanwendung bemerkten. Schon früh räumte die Anwältin von Andreas Türck, Susanne Wagner, gegenüber der Öffentlichkeit ein, dass es zwischen dem Moderator und Katharina B. zwar zu Oralverkehr gekommen, dieser jedoch einvernehmlich und freiwillig erfolgt sei. Das mutmaßliche Opfer erstattete zunächst keine Anzeige und ließ sich auch nicht ärztlich untersuchen. Dass die Vorwürfe den Ermittlungsbehörden bekannt wurden, war ein reiner Zufallsfund: Noch in der Tatnacht berichtete Katharina B. in einem Telefongespräch einem Bekannten, dessen Telefonate von der Polizei wegen des Verdachts anderer Straftaten abgehört wurden, Andreas Türck habe sie vergewaltigt. Da die Polizei die Ermittlungen gegen den Bekannten von Katharina B. nicht gefährden wollte, wurden zunächst keine Ermittlungen hinsichtlich der Vergewaltigungsvorwürfe eingeleitet. Erst Monate später, Anfang 2003, leiteten die Ermittlungsbehörden Untersuchungen gegen Andreas Türck ein. Ein Zeitpunkt, zu welchem etwaig vorhandene körperliche Spuren bei Katharina B. nicht mehr festgestellt werden konnten. Medienberichten zufolge soll die Polizei das vermeintliche Opfer an ihrem Arbeitsplatz aufgesucht und zu einer Anzeige gegen Andreas Türck gedrängt haben. Diese habe sich dem zunächst verweigert, sei dann aber dem Drängen der Polizisten gefolgt.4 Gegenüber der gerichtlich bestellten Sachverständigen soll sie später geäußert

3 4

Sasse, S. 69. Sasse, S. 70.

A. Medienwirksame Strafverfahren der Vergangenheit

21

haben: „Ich muss ja jetzt mitmachen, sonst habe ich selbst noch ein Strafverfahren am Hals.“5 Am 03. 04. 2003 erfolgte eine Hausdurchsuchung in der Privatwohnung Türcks. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft blieben der Öffentlichkeit zunächst verborgen und zogen sich über ein Jahr hin. Medienberichten zufolge warf bereits im Ermittlungsverfahren ein psychologisches Gutachten erhebliche Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Aussage von Katharina B. auf.6 Die in der Nähe des Tatorts zur fraglichen Zeit anwesenden Zeugen konnten nur unzureichende Angaben zum Tathergang machen und hatten zumindest von einer Gewaltanwendung offenbar nichts mitbekommen. Für eine Anklageerhebung stellte sich die Beweislage damit auch aus heutiger Sicht als fragwürdig dar. Genau in diesem Moment der zweifelhaften Beweissituation gerieten die Ermittlungen und damit auch die gegen Türck erhobenen Vorwürfe plötzlich an die Öffentlichkeit. Dies geschah jedoch nicht durch große überregionale Tageszeitungen oder Nachrichtenmagazine, sondern durch eine Sendung des Regionalmagazins „Maintower“ im Hessischen Rundfunk am 22. 03. 2004. Dieser Beitrag setzte den Startschuss für eine umfassende Medienberichterstattung. Im Mai 2004 erhob die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main schließlich Anklage gegen Andreas Türck wegen Vergewaltigung in einem besonders schweren Fall und Körperverletzung. Das Landgericht Frankfurt am Main ließ die Anklage trotz der dünnen Beweislage zur Verhandlung zu. Der Prozess gegen den bekannten TV-Moderator begann am 09. 08. 2005. Im Rahmen des Hauptverfahrens wurden in zwei weiteren psychologischen Gutachten übereinstimmend Zweifel an der Glaubwürdigkeit von Katharina B geäußert. Sowohl der renommierte Rechtspsychologe Max Steller als auch die Psychologin Edda Gräfe räumten die Möglichkeit ein, dass es sich bei den Schilderungen des angeblichen Opfers nicht um wirklich Erlebtes handle und diese sich die Vergewaltigung auch nur eingebildet haben könnte. Der Angeklagte selbst schwieg zu den Vorwürfen und auch die Aussagen der Zeugen vermochten die Vorwürfe von Katharina B. nicht zu stützen. Vielmehr wurden vermehrt Details über das vermeintliche Opfer bekannt, welche dessen psychische Verfassung zweifelhaft erscheinen ließen. Aufgrund dieser schwachen Beweislage beantragte selbst die Staatsanwaltschaft einen Freispruch. Mit Urteil vom 08. 09. 2005 wurde Andreas Türck durch das Landgericht Frankfurt am Main freigesprochen.7

5 Zeitschrift „Bunte“ vom 01. 09. 2005, zitiert nach Sasse, „Die verlorene Ehre des Andreas Türck“, in: BILDBlog vom 16. 12. 2007, abrufbar unter: https://bildblog.de/die-verlorene-ehredes-andreas-tuerck/ (zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021). 6 Sasse, S. 70; so zum Beispiel in „Ich habe mir nichts zu Schulden kommen lassen“ vom 24. 03. 2004 auf stern.de (http://www.stern.de/lifestyle/leute/vorwurf-ich-habe-mir-nichts-zuschulden-kommen-lassen-3069276.html, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021). 7 LG Frankfurt, Urteil vom 08. 09. 2005 – 6350 Js 207691/03 (unveröffentlicht).

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1. Kap.: Die Person des öffentlichen Lebens in der Strafverfolgung

2. Die Medienkampagne Türck Mit der Veröffentlichung der Vorwürfe im Hessischen Rundfunk wurde eine unaufhaltsame Medienlawine losgetreten, die vor allem zwei öffentlich gedemütigte Persönlichkeiten aber auch Zweifel an den Motiven und Entscheidungen der Justiz zurückgelassen hat. Der offenbarende Bericht des „Maintower-Magazins“ setzte den Startschuss für eine umfassende, tendenziöse und reißerische Verfahrensberichterstattung im Fernsehen, den Printmedien und dem Internet, im Rahmen derer private und intime Informationen über die Verfahrensbeteiligten und die Geschehnisse in der Tatnacht an die Öffentlichkeit gezerrt wurden. Die Berichtserstattung blieb hierbei auch keinesfalls zurückhaltend. Es drängt sich vielmehr der Eindruck auf, die Presse habe sich bewusst und gezielt zum Zwecke der Auflagensteigerung von den persönlichkeitsrechtlichen Schutzinteressen der Verfahrensbeteiligten abgewandt, um mit vorverurteilenden und plakativen Schlagzeilen das Strafverfahren für ihre Zwecke auszuschlachten. Noch vor Anklageerhebung wurde Andreas Türck als mutmaßlicher Vergewaltiger dargestellt, der eine Frau „brutal vergewaltigt“ haben soll.8 Die „Bild“ beschrieb die angeblichen Geschehnisse in der Tatnacht später gar als „brutale Sex-Tat“.9 Mit Blick auf die nach Ziff. 13 des Pressekodex10 auch für die Presse geltende Unschuldsvermutung11 ruft auch die folgende tendenziöse und suggestiv gestaltete Schlagzeile der „Bild“ zumindest Unbehagen hervor: „Vergewaltigungs-Drama Andreas Türck. Jetzt spricht das Mädchen“.12 Mit Beginn des Hauptverfahrens intensivierte sich die Berichterstattung noch einmal und riss – anders als in anderen medienwirksamen Strafverfahren – während des gesamten Prozesses nicht ab. Gerade die Boulevardpresse berichtete an jedem Prozesstag großflächig und bilderreich über das Geschehen rund um den Prozess. In dieser beklemmenden medialen Situation stand Andreas Türck „mit offener Hose vor der gesamten Nation“.13 Gerade die „Bild“ sowie die „Bild am Sonntag“ titelten weiter großflächig reißerische Schlagzeilen: „Wird er böse, wenn Frauen nicht wollen?“, fragte die „Bild“ gespielt harmlos (11. 08. 2005) und „So hat Türck mich

8 So z. B. „ProSieben beurlaubt Andreas Türck“ vom 23. 03. 2004 auf faz.net (http://www. faz.net/aktuell/gesellschaft/kriminalitaet/ermittlungen-prosieben-beurlaubt-andreas-tuer ck-1143331.html, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021). 9 So formuliert unter dem Titel „Der Staatsanwalt will Andreas Türck im Gefängnis sehen!“ auf bild.de (http://www.bild.de/leute/2004/tuerck-anklage-26632.bild.html, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021). 10 Ausführlich zu den Regelungen des Pressekodex siehe unten Viertes Kapitel, B. III. 3. 11 Ausführlich hierzu siehe unten Drittes Kapitel, B. II. 1. 12 „Bild“ vom 25. 03. 2004, zitiert nach Sasse, „Die verlorene Ehre des Andreas Türck“, in: BILDBlog vom 16. 12. 2007, abrufbar unter: https://bildblog.de/die-verlorene-ehre-des-andreastuerck/ (zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021). 13 Friedrichsen, „Strafjustiz – Ein völlig verzerrtes Bild“, in „Der Spiegel“ 34/2005, S. 94.

A. Medienwirksame Strafverfahren der Vergangenheit

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vergewaltigt“, titelte die Zeitung ein anderes Mal (17. 08. 2005),14 diesmal ohne Fragezeichen. Die Boulevardpresse „brillierte“ prozessbegleitend insbesondere mit der Zurschaustellung intimer im Prozess zur Sprache gebrachter Details der Zeugenaussagen, welche in überzogenen Schlagzeilen auf den Titelseiten der „Bild“ und „Bild am Sonntag“ angepriesen wurden: „Protokoll der Sex-Nacht“ (04. 08. 2005), „Die Sex-Akte Türck. Er braucht 6 Minuten, um eine Frau aufzureißen“ (11. 08. 2005), „Heute wird sie gefragt, ob sie Unterwäsche trug“ (16. 08. 2005).15 Während der Hauptverhandlung wurden die Titelseiten der Boulevardpresse von Schlagzeilen dominiert, die die Unschuldsvermutung geschickt ignorieren und dem Leser suggerieren, an der „Schuld“ des Moderators bestünden keine Zweifel. Als die gerichtlich bestellten Sachverständigen jedoch Zweifel an der Glaubwürdigkeit von Katharina B. aufwarfen, schlug die Berichterstattung – insbesondere wieder der „Bild“ und „Bild am Sonntag“ – eine andere Richtung ein und wandte sich plötzlich gegen das mutmaßliche Opfer: „Neuer Zeuge belastet das angebliche Opfer. Wollte SIE Türck aufreißen?“ (24. 08. 2005), „Neue Sex-Enthüllung. Wenige Tage nach Türck hatte sie schon wieder Sex“ (26. 08. 2005), „Hat sie sich alles nur eingebildet?“ (31. 08. 2005), „Gutachter glauben angeblichem Opfer nicht“ (02. 09. 2005).16 Damit stand nun endgültig auch die bisher als Opfer dargestellte Katharina B. am öffentlichen Pranger und geriet unter die Räder der Presseberichterstattung. Sie hatte sich gegen einen Ausschluss der Öffentlichkeit von der Verhandlung ausgesprochen, da sie glaubte, mit dieser Offenheit der aus ihrer Sicht falschen und negativen Presseberichterstattung entgegentreten zu können. Stattdessen wurden sämtliche Details der Tatnacht, aber auch persönliche Informationen über psychische sowie physische Auffälligkeiten, ihre Drogenprobleme sowie ihr vermeintlich aufreizender Umgang mit Männern an die breite Öffentlichkeit gebracht. Die „Bild“ veröffentlichte sogar ein Wortprotokoll der Zeugenaussage von Katharina B. im Verfahren. Als schließlich auch die Staatsanwaltschaft nach Ende der Beweisaufnahme aufgrund der schwachen Beweislage einen Freispruch forderte, wurde aus dem früheren mutmaßlichen Vergewaltiger der „Sieger Türck“.17 Auf der gleichen Titelseite stellt sich die Zeitung zugleich die alles entscheidende Frage: „Aber wird er 14 Printausgaben der „Bild“, abgebildet bei Sasse, „Die verlorene Ehre des Andreas Türck“, in: BILDBlog vom 16. 12. 2007, abrufbar unter: https://bildblog.de/die-verlorene-ehre-des-an dreas-tuerck/ (zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021). 15 Printausgaben der „Bild“, abgebildet bei Sasse, „Die verlorene Ehre des Andreas Türck“, in: BILDBlog vom 16. 12. 2007, abrufbar unter: https://bildblog.de/die-verlorene-ehre-des-an dreas-tuerck/ (zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021). 16 Printausgaben der „Bild“, abgebildet bei Sasse, „Die verlorene Ehre des Andreas Türck“, in: BILDBlog vom 16. 12. 2007, abrufbar unter: https://bildblog.de/die-verlorene-ehre-des-an dreas-tuerck/ (zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021). 17 Printausgabe der „Bild“ vom 07. 09. 2005, abgebildet bei Sasse, „Die verlorene Ehre des Andreas Türck“, in: BILDBlog vom 16. 12. 2007, abrufbar unter: https://bildblog.de/die-verlore ne-ehre-des-andreas-tuerck/ (zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021).

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1. Kap.: Die Person des öffentlichen Lebens in der Strafverfolgung

jemals wieder glücklich?“. Hiermit deutet das Blatt ironischerweise genau das Phänomen an, welches sie selbst maßgeblich mitverursacht hat: Andreas Türck hat durch die reißerische Kriminalberichterstattung einen weitaus größeren Schaden erlitten, als durch das eigentliche Strafverfahren. Die „Bild“ prophezeit damit völlig zu Recht trotz Freispruchs vernichtende Nachwirkungen des Strafverfahrens und der begleitenden Medienkampagne. Bis heute ist ungeklärt, wie die Informationen über die laufenden Ermittlungen der Staatsanwaltschaft – welche immerhin ein Jahr geheim gehalten werden konnten – an die Öffentlichkeit gelangten. Der Hessische Rundfunk und die Journalisten des „Maintower-Magazins“ gaben ihre Quelle unter Berufung auf den Informantenschutz der Presse nicht Preis. Aufgrund der verhältnismäßig unsicheren Beweislage und da die Staatsanwaltschaft Medienberichten zufolge von der fragwürdigen Glaubwürdigkeit der Belastungszeugin vor Anklageerhebung Kenntnis hatte,18 gab es Vermutungen, die Staatsanwaltschaft habe die Medienberichterstattung gezielt angestoßen, um die damit verbundene Stimmungsmache für ihre Anklagezwecke zu nutzen. Die Staatsanwaltschaft wies derartige Vermutungen mit der Begründung zurück, ein solches Vorgehen stelle eine Amtspflichtverletzung dar und überdies hätten die Ermittlungsbehörden keinerlei Interesse an einer Berichterstattung der Medien über das Ermittlungsverfahren.19 Diese Argumentation überzeugt jedoch nicht ohne Weiteres, denn mit Bekanntwerden der Ermittlungen und des Tatvorwurfs wurde zum einen eine Anklage durch die öffentliche Stimmung legitimiert und zum anderen war ein etwaiger Imageschaden für Türck nicht mehr nur durch die Ermittlungen, sondern vor allem durch die Berichterstattung verursacht und einem etwaigen Schadensersatzanspruch gegen die Justiz der Boden entzogen. Nachdem die Medien während des gesamten Verfahrens tendenziös getitelt und berichtet hatten, folgte nach Prozessende die Einsicht, dass der Medienrummel um die sich als haltlos herausstellenden Vorwürfe der psychisch labilen Zeugin Katharina B. die gesellschaftliche und berufliche Existenz Türcks zerstört hatte. Das Urteil der Öffentlichkeit wurde bereits weit vor der gerichtlichen Entscheidung gefällt. Eine Rehabilitation seitens der Medien erfolgte nicht und wäre vermutlich ohnehin kaum möglich gewesen. Angesichts der gravierenden Folgen dieser Form des medienwirksamen Strafverfahrens war bereits nach Prozessende zu vermuten, dass sowohl Andreas Türck als auch Katharina B. noch lange mit den gesellschaftlichen Konsequenzen zu kämpfen haben werden. Wenn schon die Staatsanwaltschaft auf einer leidlich dünnen Beweislage die Anklage gegen Andreas Türck erhob, so musste sich die 27. Strafkammer und die Vorsitzende Richterin Bärbel Stock erst recht den Vorwurf gefallen lassen, dass das Hauptverfahren gar nicht erst hätte eröffnet werden dürfen: 18

„Türck-Freispruch: Der völlig unnötige Prozess“ vom 08. 09. 2005 auf spiegel.de (http: //www.spiegel.de/panorama/justiz/tuerck-freispruch-der-voellig-unnoetige-prozess-a-373764. html, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021). 19 Sasse, S. 71.

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„Der Kammer wird auch klar gewesen sein, dass sie mit der Zulassung der Anklage die Karriere des Fernsehmoderators Türck zerstören würde. ProSieben nahm ihn sofort aus dem Programm, und vom Freispruch wird der Mann wenig haben, im Urteil der Öffentlichkeit wird er der Typ bleiben, der wegen Vergewaltigung vor Gericht stand. Warum ist nur dieses Verfahren jemals eröffnet worden?“20

In der Urteilsbegründung erklärte Richterin Stock die Eröffnung des Hauptverfahrens aufgrund der Sachlage als gerechtfertigt und betonte, der Prozess wäre auch gegen einen Nichtprominenten eröffnet worden. Dem fügte sie noch hinzu, das Gericht hätte sich anderenfalls den Vorwurf „die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen“ gefallen lassen müssen.21 Bei dieser Begründung kann man sich des Gedankens nicht verwehren, dass das Hauptverfahren vielleicht doch eben aus dem Grund eröffnet wurde, dass das Gericht nicht den Eindruck erwecken wollte, im Falle eines prominenten Angeschuldigten andere Maßstäbe gelten zu lassen und dieses Bestreben damit zu einer besonders strengen Bewertung aufgrund des sozialen Status des Betroffenen geführt hat. Ob die Entscheidung des Gerichts über die Eröffnung des Hauptverfahrens anders ausgefallen wäre, hätte es sich nicht um einen bekannten Fernsehmoderator gehandelt, darüber können allenfalls Mutmaßungen angestellt werden. Festgestellt werden kann jedoch, dass dem Gericht die Sensibilität der Situation durchaus bewusst war und der Eindruck eines „Promi-Bonus“ gerade vermieden werden sollte. Es muss sich hieran aber die Frage anschließen, ob so nicht die Gefahr besteht, dass sich der zu vermeidende „Promi-Bonus“ vielmehr in einen „Promi-Nachteil“ umkehrt, wenn prominente Beschuldigte besonders streng behandelt werden, um den Eindruck einer Sonderbehandlung durch die Justiz zu vermeiden. Die Vorsitzende Richterin Stock sprach in ihrer Urteilsbegründung zugleich auch den Medienvertretern eine Rüge aus, da diese in unnötiger Weise persönliche Details des Prozesses ausgeschlachtet hätten. In den Medien wurde sehr bald deutlich, dass man um die vernichtende Kraft der eigenen Berichterstattung sehr wohl weiß. So erkannte die „Bunte“: „Unabhängig davon, wie das Urteil […] ausfallen wird – seinen TV-Job hat er bereits 2003 verloren. Und selbst bei einem Freispruch wird ein Makel vermutlich ewig haften bleiben“.

Und auch wenn die „Zeit“ die Berichterstattung der Presse weitestgehend als „sachlich“ bezeichnete, stellte sie dennoch fest: „Andreas Türck hat von jetzt an ein düsteres Kapitel in seiner öffentlichen Biographie. Was einmal in den Medien und den Archiven ist, das lässt sich nicht ungeschehen machen

20 „Ein Verfahren, das nicht mit dem Urteil endet“ vom 19. 05. 2010 auf sueddeutsche.de (http://www.sueddeutsche.de/panorama/prozess-gegen-tv-moderator-ein-verfahren-das-nichtmit-dem-urteil-endet-1.922532, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021). 21 „Promi-Prozess: Türck ist ein freier Mann“ vom 08. 09. 2005 auf focus.de (http://www.fo cus.de/panorama/boulevard/promi-prozess_aid_98963.html, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021).

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1. Kap.: Die Person des öffentlichen Lebens in der Strafverfolgung in einer Gesellschaft, in der das Private auf so viel Interesse unter Zuschauern und Lesern stößt.“22

Doch selbst wenn die Medien Kritik an der eigenen Zunft äußern, solange wirtschaftliche Interessen im Vordergrund stehen, ist eine Veränderung in der Berichterstattung nicht zu erwarten. 3. Der Gewinner, der alles verloren hatte Der Fernsehsender ProSieben ließ zwar nach Bekanntwerden der Vorwürfe am 22. 03. 2004 noch verkünden, man warte den Ausgang des Verfahrens ab und glaube an die Unschuld des Moderators, beurlaubte Türck allerdings schon am darauffolgen Tag. Öffentlich stand der Sender somit nur kurz hinter seinem Moderator und kündigte bereits zwei Monate später – und damit fast eineinhalb Jahre bevor überhaupt das (in diesem Fall sogar freisprechende) Urteil gefällt war – den Vertrag mit Türck.23 Mit der Kündigung und der umfassenden Presseberichterstattung über die Vorwürfe, das Strafverfahren, die Details aus der Hauptverhandlung sowie das Privatleben von Andreas Türck war dessen Fernsehkarriere zerstört. Der Grund hierfür lag nicht etwa in einer strafrechtlichen Verurteilung, sondern in der gesellschaftlichen und medialen Vorverurteilung. Der Vorwurf der Vergewaltigung haftete als schwerer moralischer Makel an dem ehemaligen Zuschauerliebling. Der TVModerator war bei Bekanntwerden der Vorwürfe in den Medien omnipräsent, galt als Frauenschwarm und hatte eine erhebliche weibliche Fangemeinde. Dies ließ den Vorwurf sexueller Gewalt gegen Frauen besonders brisant erscheinen. Auch nach dem Freispruch kehrte für Türck keine Normalität ein: Während die Medien nunmehr größtenteils die Fragwürdigkeit und Sinnlosigkeit des von ihnen zuvor noch medial so eindrucksvoll wie rücksichtslos inszenierten Prozesses thematisierten, war die berufliche und gesellschaftliche Existenz Türcks durch den Prozess und insbesondere durch die ihn begleitende Medienberichterstattung zerstört. Plakativ ausgedrückt verließ Andreas Türck den Gerichtssaal zwar als Gewinner, hatte aber dennoch alles verloren. In den Folgejahren blieb Andreas Türck aus der Fernsehlandschaft verschwunden. Im Jahr 2007 gründet er die pilot Entertainment GmbH, welche erfolgreich Web-TV-Formate entwickelt und produziert. Erst im Jahr 2012 und damit acht Jahre nach der Verurteilung kehrte er ins deutsche Fernsehen als Moderator der Sendung „Abenteuer Leben“ bei kabel eins zurück. Doch die Spuren der Vergangenheit sind 22 „Medientäter – Medienopfer?“, auf zeit.de vom 14. 09. 2005 (http://www.zeit.de/online/2 005/37/tuerck, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021). 23 „Wir gehen davon aus, dass Andreas Türck unschuldig ist. Sein Anwalt und er selbst haben uns glaubhaft versichert, dass die Vorwürfe unbegründet seien“, soll der damalige ProSieben-Chef Nicolas Paalzow gesagt haben, „Ermittlungen: ProSieben beurlaubt Andreas Türck“ vom 23. 03. 2004 auf faz.net (http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/kriminalitaet/ermitt lungen-prosieben-beurlaubt-andreas-tuerck-1143331.html, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021).

A. Medienwirksame Strafverfahren der Vergangenheit

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unübersehbar: Gibt man den Namen Andreas Türck bei der Suchmaschine „Google“ ein, so nehmen noch heute (beinahe fünfzehn Jahre nach dem Freispruch)24 sechs der ersten zehn Einträge Bezug auf die Vergewaltigungsvorwürfe sowie den Prozess im Jahr 2005. Den ihm durch das zermürbende und demütigende Strafverfahren und den Vorwurf der Vergewaltigung anhaftenden Makel ist Andreas Türck damit trotz Freispruchs bis heute nicht losgeworden. Es waren die Folgen der medialen Berichterstattung und nicht des eigentlichen Strafverfahrens, die den rechtskräftig freigesprochenen TV-Moderator die berufliche und gesellschaftliche Existenz gekostet haben. Darüber hinaus zeigen die vorstehenden Schilderungen, dass Andreas Türck nicht nur ein Medienopfer, sondern auch ein Opfer einer Justiz geworden ist,25 deren Gründe für die Eröffnung eines derart aussichtslosen Verfahrens bis heute nicht nachvollziehbar sind. Es bleibt daher der Eindruck, der öffentliche Status des Betroffenen habe hier auf die staatsanwaltschaftliche sowie justizielle Entscheidungsfindung Einfluss genommen.

II. Das Zwangsouting der Sängerin Nadja Benaissa Im Jahre 2009 gerieten auch die hessischen Strafverfolgungsbehörden und abermals die berichterstattenden Medien wegen vermeintlicher Missachtung der Unschuldsvermutung in Kritik: Hintergrund war diesmal die Verhaftung der jungen Sängerin Nadja Benaissa sowie die sich anschließende Pressearbeit der Darmstädter Staatsanwaltschaft. Der Fall wurde zum Politikum, als der damalige hessische Justizminister, Jörg-Uwe Hahn, vor dem Rechtsausschuss des Wiesbadener Landtags das Vorgehen der Ermittler sowie deren Informationspolitik zu verantworten hatte. Die deutsche R&B- und Popsängerin Nadja Benaissa wurde im Jahr 2000 bekannt, als sie eine der fünf Siegerinnen der Casting-Show „Popstars“ und damit Mitglied der Girlgroup „No Angels“ wurde. Mit dieser ersten deutschen Girlgroup, die über ein Fernsehcasting zusammengestellt wurde, feierte Nadja Benaissa mit über fünf Millionen verkauften Platten große Erfolge in der Popmusik-Branche. Damit galten die „No Angels“ bis zu ihrer vorläufigen Trennung Ende 2003 als erfolgreichste Casting-Band Kontinentaleuropas.26 Nach der Trennung zog sich Nadja Benaissa zunächst bis zum dreiköpfigen „Comeback“ der „No Angels“ im Jahr 2007 aus der Öffentlichkeit zurück.

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Stand: 03. 03. 2021. Sasse, S. 79. 26 „Casting-Band No Angels: Mädchen-Handel, Runde zwei“ vom 19. 03. 2007 auf spiegel.de (http://www.spiegel.de/kultur/musik/casting-band-no-angels-maedchen-handel-rundezwei-a-472017.html, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021). 25

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1. Kap.: Die Person des öffentlichen Lebens in der Strafverfolgung

Am 07. 09. 2010 gab sie offiziell ihren Austritt aus der Gruppe der „No Angels“ bekannt. Damit zog die Sängerin die Konsequenz aus einem medienwirksamen und bloßstellenden Strafverfahren gegen ihre Person. 1. Sachverhalt Am Abend des 11. 04. 2009 wurde die bekannte Sängerin kurz vor einem geplanten Solokonzert in einer Frankfurter Diskothek wegen des Vorwurfs der gefährlichen Körperverletzung und auf Grundlage eines Haftbefehls des Amtsgerichts Darmstadt verhaftet. Nur wenige Stunden später berichtete die „Bild“ über die Verhaftung von Nadja Benaissa, ohne jedoch die Hintergründe des Haftbefehls und vor allem den konkreten Tatvorwurf zu benennen. Die dem Haftbefehl zugrundeliegende Tatvorwürfe wurden erst durch die darauffolgende Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft Darmstadt vom 14. 04. 2009 bekannt.27 In dieser wurde (allerdings ohne Nennung des Namens der Beschuldigten) mitgeteilt, es bestehe der dringende Tatverdacht, dass eine „26-jährige Sängerin“ in den Jahren 2004 und 2006 ungeschützten Geschlechtsverkehr mit drei Personen gehabt habe, ohne diese zuvor auf ihre HIV-Erkrankung hinzuweisen. Zumindest bei einem der drei Partner habe ein Test ergeben, dass er – mutmaßlich in Folge des Kontakts – nun ebenfalls mit dem HI-Virus infiziert sei. Eine Namensnennung war jedoch gar nicht erforderlich, da in Zusammenhang mit der Berichterstattung über die Verhaftung am vorangegangenen Wochenende, eindeutig auf die Identität der Beschuldigten geschlossen werden konnte. Nachdem ein Sprecher des Polizeipräsidiums in Südosthessen bestätigte, dass es sich bei der Sängerin um Nadja Benaissa handle, berichteten weitere Medien unter Nennung des Namens sowie der konkreten Tatvorwürfe über die Verhaftung.28 Noch am selben Tag erwirkte der Berliner Rechtsanwalt Christian Schertz für seine Mandantin Benaissa eine einstweilige Verfügung des Landgerichts Berlin, welche der „Bild“ sowie dem Axel Springer Verlag untersagte, weiter über ein „gegen die Antragstellerin eingeleitetes Ermittlungsverfahren wegen schwerer Körperverletzung und/oder den Gegenstand der Untersuchungshaft zu berichten“.29 27 Pressemitteilung vom 14. 04. 2009, veröffentlicht unter https://staatsanwaltschaften.hes sen.de/sta-darmstadt (nicht mehr abrufbar). 28 So z. B. „Fall Nadja Benaissa: Krankheit, Tabu und Tat“ vom 15. 04. 2009 auf spiegel.de (http://www.spiegel.de/panorama/justiz/fall-nadja-benaissa-krankheit-tabu-und-tat-a-619197. html, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021); „,No Angel‘ in U-Haft – Ist Benaissa der schweren Körperverletzung schuldig?“ vom 14. 04. 2009 auf faz.net (http://www.faz.net/aktuell/gesell schaft/kriminalitaet/no-angel-in-u-haft-ist-benaissa-der-schweren-koerperverletzung-schuldig-1 784908.html, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021); „Polizei verhaftet Sängerin Nadja Benaissa“ vom 15. 04. 2009 auf tagesspiegel.de (http://www.tagesspiegel.de/weltspiegel/verdacht-auf-koer perverletzung-polizei-verhaftet-saengerin-nadja-benaissa/1496354.html, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021). 29 http://www.presseportal.de/pm/62754/1387671 (zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021).

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Dass nunmehr auch andere Medien über die Verhaftung sowie den Tatvorwurf und dessen intimen Hintergründe berichteten, konnte damit jedoch nicht mehr verhindert werden. Bereits am 21. 04. 2009 wurde der Vollzug des Haftbefehls gegen Nadja Benaissa nach einem Antrag der Staatsanwaltschaft Darmstadt auf Haftverschonung30 unter Auflagen ausgesetzt und die Beschuldigte aus der Untersuchungshaft entlassen. Am 04. 02. 2010 erhob die Staatsanwaltschaft Darmstadt Anklage wegen vollendeter gefährlicher Körperverletzung in einem Fall und versuchter gefährlicher Körperverletzung in vier Fällen.31 Nach einem von der Presse umfassend begleiteten Prozess wurde Nadja Benaissa am 28. 06. 2010 durch das Jugendschöffengericht des Amtsgerichts Darmstadt entsprechend der Anklage zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren auf Bewährung und 300 Sozialstunden in einer Einrichtung für HIV-Infizierte verurteilt.32 2. Die Informationspolitik der Staatsanwaltschaft In dem geschilderten Verfahren trat ein sich immer weiter verbreitendes Phänomen zu Tage, dass Saliger als „gezielte Öffentlichkeit“ beschreibt und hiermit die Instrumentalisierung der Prangerwirkung des Strafverfahrens zu verfahrensfremden Zwecken durch Strafverfolgungsorgane, Medien und Private noch vor Eröffnung des Hauptverfahrens meint.33 Seinen Ursprung fand der mediale Pranger in diesem Fall in der öffentlichen Verhaftung der Beschuldigten in einer Frankfurter Diskothek unmittelbar vor einem geplanten Solo-Auftritt sowie dem durch die Pressearbeit der Staatsanwaltschaft der Sängerin widerfahrenen Zwangsouting betreffend ihrer der Öffentlichkeit bis dahin noch nicht bekannten HIV-Infektion. Vielfach wurde kritisiert, dass hier die Öffentlichkeit bewusst instrumentalisiert werde und so die Unschuldsvermutung, die auch für Personen des öffentlichen Lebens gilt, unter die Räder der geriet.34 Bereits die Verhaftung von Frau Benaissa mitten in der „Unterhaltungsöffentlichkeit“35 brachte die Strafverfolgungsbehörden in die Kritik. Auch wenn die Polizei die öffentliche Verhaftung Medienberichten zufolge damit rechtfertigte, Frau Be-

30 Pressemitteilung vom 20. 04. 2009, veröffentlicht unter https://sta-darmstadt-justiz.hes sen.de (nicht mehr abrufbar). 31 Pressemitteilung vom 12. 02. 2010, veröffentlicht unter https://sta-darmstadt-justiz.hes sen.de (nicht mehr abrufbar). 32 Amtsgericht Darmstadt, Urteil vom 26. 08. 2010 – Az. 232 Ls 420 JS 33348/08 (unveröffentlicht). 33 Saliger, KritV 2013, 173 (174). 34 Prantl, AnwBl 2009, 421; Saliger, KritV 2013, 173 (181), unter Verweis auf Ladeur, AfP 2009, 446 (449); Zabel, GA 2011, 347 (354 ff.). 35 Zabel, GA 2011, 356 (359).

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1. Kap.: Die Person des öffentlichen Lebens in der Strafverfolgung

naissa sei anders nicht erreichbar gewesen,36 so drängt sich die Vermutung auf, dass mit der Verhaftung wohl eher generalpräventive Zwecke verfolgt wurden. So vermutet Heribert Prantl, dass augenscheinlich die Verhaftung genutzt werden sollte, um der Öffentlichkeit – und insbesondere der recht jungen Fangemeinde der Sängerin – die Gefährlichkeit und Ansteckungsrisiken von HIV vor Augen zu führen.37 Nach Prantl war sogar der Haftgrund „Teil der spektakulären Gesamtinszenierung“.38 Auch wenn es sich bei der Untersuchungshaft wegen Wiederholungsgefahr nicht um ein Mittel zur Verfahrenssicherung, sondern vielmehr eine vorbeugende Maßnahme zum Schutz der Rechtsgemeinschaft handelt,39 so wurde hier die Verhaftung von Frau Benaissa für verfahrensfremde generalpräventive Prangerzwecke „missbraucht“.40 Gestützt wird diese Vermutung durch den Umstand, dass Frau Benaissa bereits zehn Tage später unter Auflagen wieder aus der Untersuchungshaft entlassen wurde. Es stellt sich somit die Frage, wie groß die Wiederholungsgefahr hinsichtlich weiterer ähnlich gelagerter Taten tatsächlich war, wenn die Taten bereits mehrere Jahre zurücklagen, die Ermittlung zum Zeitpunkt der Inhaftierung bereits ein Jahr andauerten und die angebliche Gefahr derart zeitnah allein durch Auflagen ausgeräumt werden konnte. Aufgrund der öffentlichkeitswirksamen Verhaftung der Beschuldigten wurde die Identität der Betroffenen auch nicht durch die anonyme Pressemitteilung vom 14. 04. 2009 geschützt, in welcher die Staatsanwaltschaft lediglich von einer „26-jährigen Sängerin“ sprach. Spätestens mit Berichterstattung der „Bild“ vom selben Tag über die Verhaftung von Frau Benaissa sowie der Bestätigung durch das Polizeipräsidium in Südosthessen war bekannt, um wen es sich in der Pressemitteilung handelte.41 Durch das Zusammenspiel aus öffentlicher Verhaftung und Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft wurde die Beschuldigte – anders als in Nr. 23 Abs. 1 S. 4 RiStBV42 vorgesehen – vielmehr unnötig bloßgestellt.43 Angesichts der grundsätzlichen Nichtöffentlichkeit des Ermittlungsverfahrens sind derartige bloßstellende Maßnahmen für Saliger insbesondere Verhaftungen, durch die der Eindruck entstehe, es handle sich bei dem Verhafteten bereits um einen überführten Straftäter. 36 So wird z. B. zum Beispiel ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Darmstadt, Staatsanwalt Ger Neuber, wie folgt zitiert: „Wir haben ihre Wohnadresse observiert und festgestellt, dass sie nicht immer anwesend war. Also mussten wir einen Termin wählen, zu dem die Sängerin mit Sicherheit hingeht.“, „Polizei verhaftet Sängerin Nadja Benaissa“ vom 15. 04. 2009 auf tagesspiegel.de (http://www.tagesspiegel.de/weltspiegel/verdacht-auf-koerperverletzung-polizeiverhaftet-saengerin-nadja-benaissa/1496354.html, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021); vgl. auch „Zur Verhaftung abgepasst“ vom 15. 04. 2009 auf gala.de (http://www.gala.de/stars/nadja-bena issa-no-angels-zur-verhaftung-abgepasst_16555.html, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021). 37 Prantl, AnwBl 2009, 421. 38 Prantl, AnwBl 2009, 421. 39 KK-StPO/Graf, § 112a Rn. 4. 40 So auch Saliger, KritV 2013, 173 (182). 41 Saliger, KritV 2013, 173 (180 f.). 42 Hierzu ausführlich siehe unten Fünftes Kapitel. 43 Saliger, KritV 2013, 173 (182).

A. Medienwirksame Strafverfahren der Vergangenheit

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Nicht nur die öffentliche Verhaftung der Sängerin allein, sondern gerade auch in Zusammenspiel mit der Pressemitteilung der Darmstädter Staatsanwaltschaft vom 14. 04. 2009 wurde eine strafähnliche Wirkung erzielt.44 Durch die vorherige Festnahme war es eine bloße Förmlichkeit, dass Frau Benaissa in der Mitteilung der Staatsanwaltschaft nicht namentlich genannt wurde, wohl aber die gegen sie erhobenen Vorwürfe und damit insbesondere auch ihre HIV-Infektion. Unter Anwendung der vom Bundesverfassungsgericht und dem EGMR45 aufgestellten Grundsätze sprechen zwar die Prominenz der Beschuldigten, die Schwere des Tatvorwurfs sowie der konkrete Tatbezug der HIV-Infektion für die Verhältnismäßigkeit dieser „zwangsoutenden“ Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft.46 Kritisch zu betrachten ist die Veröffentlichung der Staatsanwaltschaft jedoch vor allem angesichts der mit der Schwere des Tatvorwurfs verbundenen Stigmatisierungs- und Prangerwirkung, des frühen Zeitpunkts der Veröffentlichung, des Umstandes, dass Frau Benaissa bei einem Teil der vorgeworfenen Taten noch Heranwachsende war, das Nichtvorliegen eines Sexualdelikts im engeren Sinn sowie und vor allem die Zugehörigkeit der HIVInfektion zum Intimbereich der Beschuldigten.47 Auch Ger Neuber von der Staatsanwaltschaft Darmstadt ließ bei seiner Erklärung in der ARD-Sendung „Brisant“ vom 14. 04. 2009 eine Wahrung der Unschuldsvermutung vermissen: „Wir haben festgestellt, dass die junge Frau, die selbst HIVpositiv ist, ungeschützten Geschlechtsverkehr mit drei Personen hatte.“48 Die Brisanz dieser Aussage des damaligen Pressesprechers der Staatsanwaltschaft Darmstadt wird deutlich, wenn man bedenkt, dass zu diesem Zeitpunkt nicht einmal in Form einer Anklageerhebung über das Bestehen eines hinreichenden Tatverdachts gegen Frau Benaissa entschieden war. Der damalige hessische Justizminister, Jörg-Uwe Hahn (FDP), stellte sich später hinter die Staatsanwaltschaft und verteidigte deren Vorgehen sowie die Veröffentlichung der Vorwürfe gegen die Sängerin vor dem Rechtsausschuss des Wiesbadener Landtags. Die Vorgehensweise der Ermittler sei „rechtlich zulässig und fachlich geboten“ gewesen, erklärte Hahn. Das Informationsrecht der Öffentlichkeit habe schwerer gewogen als die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen, äußerte er gegenüber der Opposition aus SPD und Grünen.49 44 So zum Beispiel Prantl, AnwBl 2009, 421; Saliger, KritV 2013, 173 (182); Zabel, GA 2011, 356 ff. 45 Ausführlich zu den aufgestellten Grundsätzen siehe unten Fünftes Kapitel, C. 46 Saliger, KritV 2013, 173 (181). 47 Saliger, KritV 2013, 173 (181). 48 „HIV & Öffentlichkeit – Der Staatsanwalt in meinem Bett“ vom 19. 04. 2009 auf faz.net (http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/hiv-oeffentlichkeit-der-staatsanwalt-in-meinembett-1791539.html, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021). 49 So u. a. in „Minister: Justiz handelte korrekt im Fall Benaissa“ vom 29. 04. 2009 auf faz.net (http://www.faz.net/aktuell/rhein-main/hessen/affaere-um-no-angels-saengerin-ministerjustiz-handelte-korrekt-im-fall-benaissa-1784763.html, nicht mehr abrufbar – zuletzt abgerufen am 05. 03. 2019).

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1. Kap.: Die Person des öffentlichen Lebens in der Strafverfolgung

Hahn verkennt in seiner Einschätzung jedoch, dass die Arbeit der Strafverfolgungsbehörden in dem Verfahren gegen Nadja Benaissa hinsichtlich des Ob und Wie der Veröffentlichung bereits angesichts der zugunsten jedes Beschuldigten geltenden Unschuldsvermutung mindestens fragwürdig erscheint. Wie von der damaligen Opposition im hessischen Landtag verständlicherweise kritisiert wurde, habe erst die Presseerklärung der Staatsanwaltschaft die Berichterstattung um die Verhaftung der Sängerin sowie deren HIV-Infektion angeheizt. Auch wenn sowohl die öffentliche Verhaftung als auch die Veröffentlichung der Pressemitteilung isoliert betrachtet durchaus verhältnismäßig erscheinen können, so stellen sich die Maßnahmen zumindest in ihrem Zusammenspiel als nur schwer vertretbar dar. Die Veröffentlichung derartiger Informationen aus der Intimsphäre der Beschuldigten erscheint insbesondere in Anbetracht des noch frühen Stadiums des Ermittlungsverfahrens unverhältnismäßig. Auch stellt sich die Frage, ob der auf eine vermeintliche Wiederholungsgefahr gestützte Haftbefehl – welcher nur unter Auflagen ausgesetzt, nicht aber aufgehoben wurde – nach Veröffentlichung der HIV-Erkrankung der Beschuldigten überhaupt noch erforderlich war.

3. Das mediale Outing und die beruflichen und persönlichen Konsequenzen Das Verfahren gegen Nadja Benaissa wurde umfassend medial begleitet. Der Tatvorwurf der schweren Körperverletzung und die damit verbundene Veröffentlichung der HIV-Erkrankung der Sängerin wurden schon weit vor dem öffentlichen Hauptverfahren durch die Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft an die Öffentlichkeit gegeben. Neben der Frage nach der Verhältnismäßigkeit der Informationspolitik der Justizbehörden erscheint im Hinblick auf die Medienberichterstattung fraglich, ob diese überhaupt über die Ermittlungen und vor allem den ihnen zugrunde liegenden Tatvorwurf berichten durften.50 Trotz der von Rechtsanwalt Dr. Schertz erwirkten einstweiligen Verfügung des Landgerichts Berlin schreibt die „Bild“ schon am darauffolgenden Tag: „No Angels Star Nadja HIV-positiv – Sie soll trotzdem ohne Kondom Sex gehabt haben. U-Haft, um Männer vor Ansteckung zu schützen!“.51 Die der „Bild“ weitere Berichterstattung über das Ermittlungsverfahren gegen Nadja Benaissa sowie die Hintergründe des Haftbefehls untersagende einstweilige 50

Zu den Grenzen medialer Verdachtsberichterstattung ausführlich siehe unten Viertes Kapitel, B. Davon zu trennen ist die Frage, ob die Medien über derartige Ermittlungen und intime Informationen berichten müssen, eine vielmehr presseethische Frage nach moralischer Verantwortung, die an dieser Stelle nicht beantwortet werden kann, aber von Stefan Niggemeier am 16. 04. 2009 in seinem Blog (stefan-niggemeier.de) unter dem Titel „Was Medien berichten (dürfen) müssen“ zu Recht aufgeworfen wird (http://www.stefan-niggemeier.de/blog/4847/wasmedien-berichten-duerfen-muessen/, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021). 51 Artikel auf „Bild“ vom 15. 04. 2009 (http://www.bild.de/unterhaltung/leute/no-angelsstar-hiv-positiv-7985918.bild.html, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021).

A. Medienwirksame Strafverfahren der Vergangenheit

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Verfügung des Landgerichts Berlin rief zum Teil große Empörung auf Seiten der berichterstattenden Medien hervor. Nach Ansicht des damaligen Chefredakteurs der „Bild“, Kai Diekmann, stünde die Vorbildfunktion der Bandmitglieder völlig außer Frage. „Angesichts dieser Vorbildfunktion, aber auch der Schwere der strafrechtlichen Vorwürfe gegen Nadja Benaissa ist das öffentliche Interesse an der Berichterstattung nicht im Ansatz zu bestreiten. (…) Ein Verbot, über die Verhaftung einer derart öffentlichen Person zu informieren, ist deshalb ein schwerer Angriff auf die Pressefreiheit. (…) Manchmal fragt man sich, wer in Berlin alles Richter werden darf“,

kritisierte Diekmann die Entscheidung scharf.52 Auch die Chefredakteure anderer großer Print- und Online-Magazine zeigten sich empört über das „Schweigegebot der Justiz“, welches eine unzulässige Einschränkung der Pressefreiheit darstelle.53 Auch das Kammergericht befand in seiner Entscheidung die Berichterstattung über die Inhaftierung, die Vorwürfe gegen die Sängerin sowie deren HIV-Infektion angesichts des Informationsbedürfnisses der Öffentlichkeit für zulässig. Insbesondere sah das Kammergericht das öffentliche Informationsinteresse durch die Idolund Leitbildfunktion von Frau Benaissa begründet. Überdies sei die bloße Mitteilung einer Erkrankung noch kein Eingriff in die Intimsphäre der Betroffenen.54 Die „Bild“ veröffentlichte am 17. 04. 2009 ein Interview mit dem damaligen SPDAbgeordneten Siegmund Ehrmann, in welchem dieser die Informationspolitik der Darmstädter Staatsanwaltschaft „lobt“ und dies wie folgt begründet: „Wenn jemand seinen Körper als Bio-Waffe einsetzt, ist umfassende Berichterstattung ein dringendes öffentliches Anliegen und wichtiger als die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen.“55

Noch bevor das justizielle Verfahren gegen Frau Benaissa begonnen hatte, war damit die mediale Demütigung der Betroffenen bereits vollendet.56 Nadja Benaissa gab nach dem Strafverfahren offiziell ihren Austritt aus der Gruppe der „No Angels“ bekannt und zog sich aus der Öffentlichkeit zurück. Seitdem gibt es nur vereinzelte öffentliche Auftritte der Sängerin. Ob dies auf das medienwirksame Strafverfahren zurückzuführen ist oder Nadja Benaissa schlicht ein 52

„Das Ende der Pressefreiheit, Folge 2“, vom 16. 04. 2009 auf faz.net (http://blogs.faz.net/ wort/2009/04/16/das-ende-der-pressefreiheit-folge-2-15/, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021). 53 So zitiert u. a. in „Chefredakteure empört über Angriff auf Pressefreiheit“ vom 17. 04. 2009 auf bild.de (https://www.bild.de/unterhaltung/leute/der-chefredakteure-8012020.bild.html, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021). 54 KG NJW-RR 2010, 622 (624). 55 In einem Blog-Beitrag vom 23. 04. 2009 veröffentlicht Stefan Niggemeier den entsprechenden Zeitungsausschnitt aus der „Bild“ (http://www.stefan-niggemeier.de/blog/4963/sieg mund-ehrmann-und-die-biowaffe-hiv/, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021). 56 „HIV & Öffentlichkeit – Der Staatsanwalt in meinem Bett“ vom 19. 04. 2009 auf faz.net (http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/hiv-oeffentlichkeit-der-staatsanwalt-in-meinembett-1791539.html, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021).

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1. Kap.: Die Person des öffentlichen Lebens in der Strafverfolgung

Schicksal ereilt, dass sie mit vielen kurzzeitigen Castingshow-Siegern gemein hat, ist an dieser Stelle schwer zu beurteilen. Fest steht jedoch, dass durch Justiz und Medien mit und nach Veröffentlichung der Vorwürfe sowie begleitend zur eigentlichen Verhandlung ein „foucaultscher Albtraum“57 entfacht wurde, der mittels Veröffentlichung intimster Informationen sowie darüber hinausgehender Spekulationen ein Bild von der Sängerin vermittelte, welches sich nachhaltig in der öffentlichen Wahrnehmung hält: HIV-Infizierte, Straftäterin, jugendliche Drogenabhängige. Was bleibt ist schlicht die Frage, ob hier nicht wieder einmal die Öffentlichkeit durch die Veröffentlichung von Informationen viel weniger gewonnen hat, als die Beschuldigte durch sie verloren.58

III. Der Fall Kachelmann – Ein Lehrstück in Sachen medialer Vorverurteilung Die „Causa Kachelmann“ ist vermutlich einer der spektakulärsten Strafprozesse der vergangenen Jahre. Nicht allein wegen des schweren Tatvorwurfs gegen den Journalisten und Wettermoderator Jörg Kachelmann, sondern auch und vielmehr wegen des Medienspektakels, das sich rund um das Ermittlungs- und Strafverfahren abspielte und von einer offensiven Öffentlichkeitsarbeit der ermittelnden Staatsanwaltschaft ermöglicht und begünstigt wurde. Am Ende stand ein aus Mangel an Beweisen freisprechendes Urteil des Landgerichts Mannheim, welches der Öffentlichkeit jedoch unter dem irreführenden und juristisch unerfreulichen Begriff des „Freispruchs zweiter Klasse“ oder gar „dritter Klasse“59 im Gedächtnis blieb. Wie auch im Fall Andreas Türck lässt sich anhand des Verfahrens gegen den Wettermoderator der fragwürdige Umgang der Presse mit den „rechtlichen Implikationen eines Freispruchs“60 beobachten. Das Geschehen rund um Jörg Kachelmann und seine ehemalige Geliebte war dabei längst nicht nur ein Fall für die Strafjustiz: Der Bundesgerichtshof hatte anhand dieses Medienspektakels über die Grenzen zulässiger (Verdachts-)Berichterstattung zu entscheiden. Die „Causa Kachelmann“ hat die deutsche Justiz in Form eines Schmerzensgeldverfahrens des Moderators gegen die Medienhäuser Springer und Burda noch viele Jahre nach dem Freispruch beschäftigt. Im Jahr 2016 sprach das 57 „HIV & Öffentlichkeit – Der Staatsanwalt in meinem Bett“ vom 19. 04. 2009 auf faz.net (http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/hiv-oeffentlichkeit-der-staatsanwalt-in-meinembett-1791539.html, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021). 58 So zumindest die These von Stefan Niggemeier unter dem Titel „Was Medien berichten (dürfen) müssen“, in seinem Blog am 16. 04. 2009 (http://www.stefan-niggemeier.de/blog/4847/ was-medien-berichten-duerfen-muessen/, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021). 59 Vgl. „Kein Freispruch, auf den Kachelmann stolz sein kann …“ vom 31. 05. 2011 auf bild.de (http://www.bild.de/news/inland/joerg-kachelmann/vergewaltigungs-prozess-urteil-181 65070.bild.html, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021). 60 Jung, JZ 2012, 303 (304).

A. Medienwirksame Strafverfahren der Vergangenheit

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OLG Köln Jörg Kachelmann wegen Verletzung seiner Persönlichkeitsrechte einen Schmerzensgeldanspruch in Höhe von EUR 395.000,00 zu.61 Erst im April 2018 hat der BGH die Nichtzulassungsbeschwerde von Springer mangels grundsätzlicher Bedeutung zurückgewiesen.62 Der Verlag Axel Springer hat nach eigenen Angaben zwischenzeitlich Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des OLG Köln erhoben.63 1. Sachverhalt Am 20. 03. 2010 wurde der damalige ARD-Wettermoderator am Frankfurter Flughafen wegen des Verdachts der Vergewaltigung und Körperverletzung festgenommen. Dem Haftbefehl des Amtsgerichts Mannheim lag der Vorwurf zugrunde, Kachelmann habe im Februar 2010 seine langjährige Geliebte, Claudia D., die sich laut Staatsanwaltschaft von ihm trennen wollte, in deren Wohnung unter Vorhalt eines Küchenmessers zum Geschlechtsverkehr gezwungen. Das Amtsgericht Mannheim sah unter der Annahme einer Fluchtgefahr die Anordnung der Untersuchungshaft als geboten an, da Kachelmann zu diesem Zeitpunkt seinen Wohnsitz in der Schweiz hatte. Kachelmanns Verteidiger wies die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft rasch als „frei erfunden“ zurück und beantragte Aufhebung des Haftbefehls. Diese wurde jedoch von Seiten des Amtsgerichts Mannheim und auf die sodann eingelegte Haftbeschwerde hin auch durch das Landgericht Mannheim abgelehnt. Am 19. 05. 2010 erhob die Staatsanwaltschaft Mannheim gegen Jörg Kachelmann Anklage wegen Vergewaltigung in einem besonders schweren Fall.64 Nach der Eröffnung des Hauptverfahrens am 09. 07. 2010 wurde der Haftbefehl schließlich durch das Oberlandesgericht Karlsruhe am 29. 07. 2010 mangels hinreichenden Tatverdachts aufgehoben.65 Zur Begründung führte der Senat an, die Anforderungen an das Vorliegen des für den Haftbefehl erforderlichen dringenden 61

OLG Köln, Urteil vom 12. 07. 2016, Az. 15 U 176/15 (veröffentlicht bei juris). BGH, Beschluss vom 10. 04. 2018, Az. VI ZR 353/16 (unveröffentlicht). 63 Vgl. „Axel Springer scheitert auch in Straßburg“ vom 10. 01. 2019 auf lto.de (https: //www.lto.de/recht/nachrichten/n/egmr-beschwerdenummer-6272112-6274113-kachelmannaxel-springer-verlag-bild-zeitung-berichterstattung/, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021). 64 Zum Tatvorwurf heißt es in der Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft Mannheim: „Dem 51-jährigen Schweizer wird vorgeworfen, in der Nacht des 09. Februar 2010 seine 36 Jahre alte langjährige Freundin, die sich von ihm trennen wollte, in deren Schwetzinger Wohnung unter Vorhalt eines Küchenmessers – Klingenlänge 8 cm – zum Geschlechtsverkehr gezwungen zu haben. Hierbei habe er der Geschädigten das Messer gegen den Hals gedrückt, wodurch diese Verletzungen davongetragen habe. Während und nach der Tat soll der Angeschuldigte das Opfer mit dem Tod bedroht haben.“ (so zitiert unter http://www.adius-portal.de/1 0052027/62/Baden-Wuerttemberg/Anklage-gegen-Moderator-Joerg-Kachelmann-erhoben. html, nicht mehr abrufbar – zuletzt abgerufen am 05. 03. 2019). 65 OLG Karlsruhe, Beschluss vom 29. 07. 2010 – 3 Ws 225/10, vgl. Pressemitteilung des OLG Karlsruhe vom 29. 07. 2010 auf olg-karlsruhe.de (http://olg-karlsruhe.de/pb/,Lde/114 9899/?LISTPAGE=1149859, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021). 62

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1. Kap.: Die Person des öffentlichen Lebens in der Strafverfolgung

Tatverdachts seien höher als an das Vorliegen des für die Eröffnung des Hauptverfahrens ausreichenden hinreichenden Tatverdachts. Der dringende Tatverdacht war nach Ansicht des Senats nicht gegeben, da bei dem vermeintlichen Opfer als einziger Belastungszeugin Bestrafungs- und Falschbelastungsmotive nicht ausgeschlossen werden könnten. Dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass Claudia D. bei der Anzeige und auch im späteren Verlauf des Ermittlungsverfahrens zunächst falsche Angaben gemacht habe. Am 06. 09. 2010 begann schließlich die Hauptverhandlung, im Rahmen derer insbesondere die ehemalige Geliebte unter Ausschluss der Öffentlichkeit mehr als zwanzig Stunden verhört wurde und über intime Details, wie etwa die sexuellen Gewohnheiten des Angeklagten berichtete. Insgesamt wurden dreißig Zeugen vernommen, darunter auch mehrere ehemalige Geliebte Kachelmanns, die über die Beziehung zu dem Angeklagten berichteten. Verschiedene Gutachter wurden sowohl zu der behaupteten Vergewaltigung als auch zur Glaubwürdigkeit des vermeintlichen Opfers gehört. Nach neunmonatiger medial umfassend begleiteter Verhandlung66 sprach das Landgericht Mannheim den Wettermoderator schließlich am 31. 05. 2011 aus Mangel an Beweisen frei. Für die in den Medien verbreitete Interpretation des Urteils als „Freispruch zweiter Klasse“67 mag nicht zuletzt das Landgericht Mannheim selbst verantwortlich zeichnen, welches ausweislich der Pressemitteilung seine Urteilsbegründung in dieser Hinsicht zumindest unglücklich ausklingen ließ: „Wir entlassen den Angeklagten und die Nebenklägerin mit einem möglicherweise nie mehr aus der Welt zu schaffenden Verdacht, ihn als potentiellen Vergewaltiger, sie als potentielle rachsüchtige Lügnerin.“68

Sowohl die Staatsanwaltschaft Mannheim als auch die Nebenklägerin nahmen ihre gegen das Urteil eingelegte Revision aufgrund mangelnder Erfolgsaussichten zurück, so dass der Freispruch rechtskräftig wurde.69

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Hierzu ausführlicher unten Erstes Kapitel, A. III. 3. So unter anderem auf stern.de vom 31. 05. 2011 (http://www.stern.de/panorama/sterncrime/kachelmann-urteil-freispruch-zweiter-klasse-3031476.html, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021; „Kein Freispruch, auf den Kachelmann stolz sein kann“ auf bild.de vom 31. 05. 2011 (http://www.bild.de/news/inland/joerg-kachelmann/vergewaltigungs-prozess-urteil-18165070. bild.html, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021). 68 Pressemitteilung des Landgerichts Mannheim vom 31. 05. 2011 auf landgericht-mannheim.de (http://www.landgericht-mannheim.de/pb/,Lde/1167947/?LISTPAGE=1167839, nicht mehr abrufbar – zuletzt abgerufen am 05. 03. 2019). 69 Pressemitteilung des Landgerichts Mannheim vom 07. 10. 2011 auf landgericht-mannheim.de (http://www.landgericht-mannheim.de/pb/,Lde/1167867/?LISTPAGE=1167839, nicht mehr abrufbar – zuletzt abgerufen am 05. 03. 2019). 67

A. Medienwirksame Strafverfahren der Vergangenheit

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2. Öffentlichkeitsarbeit der Staatsanwaltschaft Während des gesamten Verfahrens sah sich Jörg Kachelmann umfangreicher Vorverurteilung in der Öffentlichkeit ausgesetzt.70 Fragt man nach den Ursachen, so muss man in diesem Fall wohl erneut bei der Öffentlichkeitsarbeit der Staatsanwaltschaft Mannheim ansetzen, die das Ermittlungsverfahren durch eine Pressemitteilung zur Verhaftung des Moderators erstmals an die Öffentlichkeit brachte. Wie auch im Fall Nadja Benaissa hat die Staatsanwaltschaft in ihrer ersten Pressemitteilung zur Verhaftung Kachelmanns dessen Namen nicht ausdrücklich genannt, sondern teilte die Verhaftung eines „51-jährigen Journalisten und Moderators“ mit. Da jedoch zugleich auch der Ort der Verhaftung genannt wurde und diese öffentlich am Frankfurter Flughafen erfolgt war, hatte die Staatsanwaltschaft ausreichend identifizierende Merkmale publik gemacht, um die Identität des Beschuldigten auch ohne explizite Namensnennung zu ermöglichen. Kritiker sahen bereits in dieser identifizierenden Pressemitteilung eine Überschreitung der landespresserechtlichen Auskunftspflicht durch die Staatsanwaltschaft71 und damit die Unschuldsvermutung sowie die Persönlichkeitsrechte des Beschuldigten72 verletzt.73 Man muss der Staatsanwaltschaft an dieser Stelle jedoch zugutehalten dass sie zumindest im Zeitpunkt der Verhaftung aufgrund des Haftbefehls das Vorliegen eines dringenden Tatverdachts gegen den Moderator annehmen durfte, so dass die Informationspolitik der Staatsanwaltschaft zumindest in Anbetracht des Verdachtsgrades gerechtfertigt gewesen sein könnte. Kritisiert wurde neben der frühen Information der Öffentlichkeit über das Ermittlungsverfahren und die Inhaftierung insbesondere auch die darauf folgende weitere Pressearbeit der Staatsanwaltschaft, die unter Verstoß gegen die Objektivitätspflicht eben nicht bloß informierte, sondern vielmehr die mediale und öffentliche Vorverurteilung aktiv begünstigt habe.74 So äußerte der Pressesprecher der Staatsanwaltschaft Mannheim, Andreas Großmann, gegenüber den Medien: „Wir haben mehr als eine bloße Anzeige“75 und bezog sich hierbei eigenen Angaben zufolge auf die Rechtsmedizin Heidelberg, welche „erhebliche Hämatome“ an den 70 Zugleich kam es jedoch gleichermaßen auch zu „Vorfreisprüchen“ seitens der Presse, welche in Hinblick auf ein rechtsstaatliches Verfahren und im Sinne der Wahrheitsfindung gleichsam kritisch betrachtet werden können. 71 Zum landespresserechtlichen Auskunftsanspruch siehe unten Fünftes Kapitel. 72 Zu den von derartigen Veröffentlichungen betroffenen Rechten des Beschuldigten siehe unten Drittes Kapitel. 73 „Die Staatsanwälte und der Fall Kachelmann – Die Kavallerie der Justiz“, vom 06. 09. 2010 auf lto.de (http://www.lto.de/recht/hintergruende/h/die-staatsanwaelte-und-der-fall-kachel mann-die-kavallerie-der-justiz/, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021); Köhler/Langen, S. 187 (191). 74 Köhler/Langen, S. 187 (191). 75 „Vorwurf der Vergewaltigung – Kachelmann will aussagen“ vom 23. 03. 2010 auf süddeutsche.de (http://www.sueddeutsche.de/panorama/vorwurf-der-vergewaltigung-kachelmannwill-aussagen-1.18476, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021).

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1. Kap.: Die Person des öffentlichen Lebens in der Strafverfolgung

Oberschenkeln und leichte Schnittspuren am Hals der Frau festgestellt habe.76 Es folgten weitere Aussagen Großmanns zum dringenden Tatverdacht gegen Kachelmann sowie zur Glaubwürdigkeit des mutmaßlichen Opfers. „Es besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass die Angaben der Frau stimmen“77, kommentierte Großmann die Ermittlungsergebnisse, obwohl die einzige Belastungszeugin bereits im Ermittlungsverfahren ihre Angaben teilweise revidieren musste. Ebenso freimütig formulierte er seine Prognose zur Fortdauer der Untersuchungshaft: „Wir werden ihn nach dem jetzigen Stand der Ermittlungen bis zum Prozesstermin in Haft behalten“.78 Hinweise auf die Unschuldsvermutung erfolgten seitens der Staatsanwaltschaft nicht. Die Brisanz derartiger Äußerungen der Strafverfolgungsbehörde ist darin zu sehen, dass die Staatsanwaltschaft als vermeintlich „objektivste Behörde der Welt“79 eine privilegierte Quelle darstellt, so dass deren Auskünfte ungeprüft veröffentlicht werden dürfen, ohne dass die Presse damit gegen ihre Sorgfaltspflichten aus § 6 S. 1 LPG verstößt.80 Die berichterstattenden Medien können somit sämtliche Informationen trotz ihrer Tendenz ungeprüft weitergeben. Auch in der öffentlichen Wahrnehmung wiegen unter Berufung auf die Staatsanwaltschaft weitergegebene Informationen besonders schwer. Durch ihre offensive Informationspolitik hat die Staatsanwaltschaft somit im Fall Kachelmann direkten Einfluss auf die Berichterstattung und das öffentliche Meinungsbild genommen. Unverständnis wurde der Mannheimer Staatsanwaltschaft zudem für deren Entscheidung entgegengebracht, das Ermittlungsverfahren trotz der unsicheren Beweislage und der sich bereits im Ermittlungsverfahren ergebenen Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Aussage der Hauptbelastungszeugin nicht einzustellen.81 Der schwerste Vorwurf traf die Mannheimer Ermittlungsbehörde jedoch, als Mutmaßungen laut wurden, wonach die Staatsanwaltschaft Details aus den Ermittlungen an 76 So wiedergegeben in „Vorwurf der Vergewaltigung: Kachelmann wird Haftrichter vorgeführt“ vom 23. 03. 2010 auf spiegel.de (http://www.spiegel.de/panorama/leute/vorwurf-dervergewaltigung-kachelmann-wird-haftrichter-vorgefuehrt-a-685263.html, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021). 77 „Vorwurf der Vergewaltigung: Kachelmann wird Haftrichter vorgeführt“ vom 23. 03. 2010 auf spiegel.de (http://www.spiegel.de/panorama/leute/vorwurf-der-vergewaltigung-kachel mann-wird-haftrichter-vorgefuehrt-a-685263.html, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021). 78 „Kachelmann bleibt bis zum Prozessbeginn in U-Haft“ vom 28. 03. 2010 auf bild.de (https://www.bild.de/news/2010/vergewaltigung-untersuchungshaft-12013044.bild.html, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021). 79 So die Formulierung des späteren Generalstaatsanwalts am Kammergericht Hugo Isenbiel im Jahr 1900, Carsten/Rautenberg, S. 136 f. m. w. N. 80 Löffler/Steffen, § 6 LPG Rn. 169 m. w. N. Zur Staatsanwaltschaft als privilegierter Quelle siehe unten Viertes Kapitel. 81 So z. B. Monika Frommel im Interview des Deutschlandfunks am 31. 05. 2011 auf deutschlandfunk.de (http://www.deutschlandfunk.de/ein-verschleiss-von-ressourcen-der-justiz. 694.de.html?dram:article_id=70135, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021); kritisch zum Eröffnungsbeschluss des Landgericht Mannheims auch Eisenberg, JZ 2011, 672 (676).

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die Presse weitergegeben haben soll. Insbesondere soll es sich hierbei auch um intime Details aus dem Sexualleben des Beschuldigten gehandelt haben.82 Auch wenn die letztgenannten Vorwürfe nicht erwiesen sind, ist die Öffentlichkeitsarbeit der Staatsanwaltschaft in diesem Verfahren insgesamt kritisch zu beurteilen. Angesichts des schweren Vorwurfs der Vergewaltigung hat die Staatsanwaltschaft Mannheim den Grundstein für das darauf folgende Medienspektakel gelegt und insbesondere durch ihre offensive und tendenziöse Informationspolitik die mediale Berichterstattung sowie die Vorverurteilung Kachelmanns in der öffentlichen Meinung vorangetrieben.83 Damit wurde dem aus der Unschuldsvermutung fließenden Objektivitätsgebot nicht Genüge getan. Auch gegen die Staatsanwaltschaft Mannheim ist Jörg Kachelmann wegen einer Presseerklärung vorgegangen, in der diese behauptet hatte, an einem Tatmesser seien DNA-Spuren des Moderators gefunden worden, was jedoch nicht den forensischen Erkenntnissen entsprach und dennoch seitens der Staatsanwaltschaft auch ein Jahr nach dem Freispruch noch öffentlich wiederholt wurde. Infolge einer Unterlassungsklage Kachelmanns hat die Staatsanwaltschaft Mannheim schließlich im Jahr 2017 eine Unterlassungserklärung abgegeben.84

3. Medienspektakel und öffentliche Vorverurteilung Ermittlungsverfahren und Festnahmen wegen des Verdachts der Vergewaltigung sind in Deutschland alltäglich und dies zumeist ohne, dass die Öffentlichkeit von derartigen Vorwürfen Notiz nimmt. Auch unabhängig von der kritisch zu betrachtenden Öffentlichkeitsarbeit der Mannheimer Staatsanwaltschaft war dies im Fall Kachelmann jedoch per se anders, da sogenannte „kulturabhängige Nachrichtenwertfaktoren“ zu einem deutlich höheren Potenzial einer medialen Vermarktung 82 „Die Kavallerie der Justiz“ vom 06. 09. 2010 auf lto.de (http://www.lto.de/recht/hintergru ende/h/die-staatsanwaelte-und-der-fall-kachelmann-die-kavallerie-der-justiz/, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021); „Vorwürfe gegen den Staatsanwalt“ vom 10. 12. 2010 auf faz.net (http://www. faz.net/frankfurter-allgemeine-zeitung/politik/vorwuerfe-gegen-den-staatsanwalt-11085935. html, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021). 83 Der Medienrechtsanwalt Christian Schertz übte gegenüber der dpa (Deutsche PresseAgentur) scharfe Kritik an der Öffentlichkeitsarbeit der Staatsanwaltschaft Mannheim. „Ich gehe davon aus, dass die sehr frühe Information der Öffentlichkeit über die Inhaftierung die Persönlichkeitsrechte Kachelmanns verletzt hat“, sagte Schertz der dpa. „Sollte Kachelmann im Hauptverfahren freigesprochen werden, stehen Amtshaftungsansprüche im Raum. Die Pressearbeit der Staatsanwaltschaft war Auslöser für die mediale Hetzjagd auf Kachelmann, bei der immer neue Details aus seinem Intimleben an die Öffentlichkeit kamen.“, in: „Kritik an Kachelmann-Haftbefehl – Keine Fluchtgefahr?“ vom 30. 07. 2010 auf pz-news.de (http://www.pznews.de/baden-wuerttemberg_artikel,-Kritik-an-Kachelmann-Haftbefehl-Keine-Fluchtgefahr-_ arid,209792.html, nicht mehr abrufbar – zuletzt abgerufen am 05. 03. 2019). 84 Hierzu vgl. „Keine Kachelmann-DNA am angeblichen Tatmesser“ auf lto.de vom 27. 07. 2017 (https://www.lto.de/recht/nachrichten/n/vgh-baden-wuerttemberg-az1s19117-kachel mann-staatsanwaltschaft-mannheim-unterlassungserklaerung-dna-spuren-beweisstueck-mes ser/, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021).

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1. Kap.: Die Person des öffentlichen Lebens in der Strafverfolgung

führten.85 Ausgehend von den Nachrichtenwerten nach Galtung und Ruge gehörten hierzu in diesem Fall zunächst der Bezug der Nachricht zu einer prominenten Persönlichkeit (sog. „Elite-Person“) sowie Personalisierung und Negativität.86 In dem Verfahren gegen Jörg Kachelmann kam somit zusammen, dass es sich bei dem Beschuldigten um eine Person des öffentlichen Lebens und bei dem gegen ihn gerichteten Vorwurf der Vergewaltigung um ein Verbrechen handelte, welches stark mit dem Schicksal einer Person verbunden war. Diese Medienfaktoren haben bereits in den oben geschilderten Verfahren gegen Andreas Türck und Nadja Benaissa ihre mediale Schlagkraft bewiesen. Allen drei Verfahren lagen zudem noch die Kuriosität und der Überraschungseffekt als Medienfaktor zugrunde: Für die Öffentlichkeit war das Erstaunen groß, als gerade der „Sympathieträger Jörg Kachelmann“ derartiger Taten beschuldigt wurde.87 Die Medienberichterstattung88 spaltete sich schnell in zwei Fronten: Während „Der Spiegel“ sowie die „Die Zeit“ in ihrer Berichterstattung von der Unschuld Kachelmanns überzeugt schienen,89 berichteten unter anderem die „Bild“ in Person von Alice Schwarzer sowie die „Bunte“ mit einer „contra Kachelmann“-Tendenz.90 Die „Bunte“ geriet vor allem in die Kritik, da sie noch vor deren Vernehmung als Zeugin, ein mit 50.000,00 Euro entlohntes Interview mit einer ehemaligen Geliebten des Moderators veröffentlichte, in welchem diese ausführlich über Details ihrer langjährigen Beziehung mit Herrn Kachelmann berichtete. Alice Schwarzer forderte gar eine Unschuldsvermutung für das mutmaßliche Vergewaltigungsopfer, so dass sich die Unschuldsvermutung zugunsten des Beschuldigten in eine „Schuldvermutung“ zu seinen Lasten umkehren würde.91 Auch wenn die beschriebene Spaltung der Medienlandschaft vermutlich ein Abbild der damaligen öffentlichen Meinung darstellte, gerieten die Pressevertreter dennoch wegen unprofessioneller „Parteilichkeit und fehlender Distanzlosigkeit“ 85 86 87 88

303 f.

Köhler/Langen, S. 187 (188) m. w. N. Galtung/Ruge, JPR 1965, 64 (70 f.). Köhler/Langen, S. 187 (188). Einen guten Eindruck zum Ausmaß der Presseberichterstattung vermittelt Jung, JZ 2012,

89 So z. B. „Kachelmann-Prozess: Geliebte belog die Staatsanwälte“ vom 31. 03. 2011 auf spiegel.de (http://www.spiegel.de/panorama/justiz/kachelmann-prozess-geliebte-belog-diestaatsanwaelte-a-754357.html, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021); „Zwei blaue Flecke und ein Nullbefund“ vom 24. 02. 2011 auf zeit.de (http://www.zeit.de/2011/09/WOS-Kachelmann, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021). 90 So zum Beispiel ein Kommentar von Alice Schwarzer zu dem Verfahren gegen Kachelmann unter dem Titel „Das Urteil hinterlässt einen bitteren Beigeschmack“ vom 31. 05. 2011 auf bild.de (http://www.bild.de/news/inland/alice-schwarzer/zum-kachelmann-prozessfreispruch-18175374.bild.html, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021); Patricia Riekel kommentierte das Urteil im Fall Kachelmann unter dem Titel „Werden Frauen künftig schweigen?“ vom 01. 06. 2011 auf bunte.de (http://www.bunte.de/vermischtes/patricia-riekel-zum-kachelmann-ur teil-werden-frauen-kuenftig-schweigen-36390.html, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021). 91 Friedrichsen, ZRP 2011, 246 (247).

A. Medienwirksame Strafverfahren der Vergangenheit

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auch von Seiten ihrer Berufskollegen in Kritik.92 Journalisten bemängelten, dass sich Gerüchte und „Klatsch“ zwar besser verkaufen würden, dies jedoch ein rein gesellschaftliches Problem sei, welches nicht noch von den Akteuren der Presse gefördert werden dürfe.93 Nachdem unter anderem die „Bild“ bereits über das Leben des prominenten Moderators im „Kachelknast“ berichtet hatte,94 erreicht das Medienspektakel im Verfahren gegen Jörg Kachelmann einen weiteren grotesken Höhepunkt, als das Oberlandesgericht Karlsruhe am 29. 07. 2010 den Haftbefehl aufhob und Kachelmann aus der Untersuchungshaft entlassen wurde. Mehrere Fernsehsender übertrugen die Entlassung Kachelmanns live und richteten mehr als zwei Stunden ihre Kameras auf das Tor der Justizvollzugsanstalt Mannheim, bis der Beschuldigte durch dieses Tor in die Freiheit trat. Die Frage nach den Grenzen zulässiger Verdachtsberichterstattung und das Verhältnis der Presse zur Unschuldsvermutung wurde ein Fall für die Justiz, als die „Bild“ am 13. 06. 2010 auf ihrem Internetportal unter dem Titel „Der KachelmannKrimi: Neue Indizien aus der Tatnacht?“ intime Details aus der sexuellen Beziehung zwischen dem Beschuldigten und dem mutmaßlichen Opfer veröffentlichte.95 Diese aus ungeklärter Quelle an die Presse gelangten Informationen stammten aus der Einlassung Kachelmanns vor dem Ermittlungsrichter am 24. 03. 2010, welche in Form des Vernehmungsprotokolls am 13. 09. 2011 in der Hauptverhandlung verlesen wurde.96 Das Oberlandesgericht Köln bestätigte – unter Berufung auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts97 – eine mittelbare Drittwirkung der Unschuldsvermutung für die Presse und verurteilte die „Bild“ zur Unterlassung derartiger Veröffentlichung und Äußerungen.98 Zutreffend erkannte das Oberlandesgericht noch vor Abschluss des Strafverfahrens die Gefahren einer grenzenlosen Verdachtsberichterstattung zu Lasten von Personen des öffentlichen Lebens: „Die dargestellten Verdächtigungen werden oft für wahr genommen, ein späterer Freispruch beseitigt die einmal entstandenen negativen Folgen kaum, zumal Korrekturen selten die gleiche Aufmerksamkeit erzeugen wie die ursprünglichen Berichte über die Verdächtigungen. Deswegen gebietet die bis zu einer rechtskräftigen Verurteilung eines Angeklagten

92

Köhler/Langen, S. 187 (192). So unter Berufung auf die Ergebnisse einer Befragung von Journalisten in Köhler/ Langen, S. 187 (193). 94 „So lebt Kachelmann im Knast“ vom 18. 07. 2010 auf bild.de (http://www.bild.de/news/2 010/tag-der-offenen-tuer-jva-mannheim-13339922.bild.html, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021). 95 Saliger, KritV 2013, 173 (183). 96 OLG Köln ZUM-RD 2012, 206. 97 BVerfG ZUM 2010, 243. 98 OLG Köln ZUM-RD 2012, 206 (210 f.); ausführlich zu der mittelbaren Drittwirkung der Unschuldsvermutung für die Medien siehe unten Viertes Kapitel, B. I. 4. 93

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1. Kap.: Die Person des öffentlichen Lebens in der Strafverfolgung geltende Unschuldsvermutung eine Pflicht der Medien, Informationen sorgfältig nachzugehen sowie zurückhaltend und ausgewogen zu berichten […].“99

Insbesondere wies das Oberlandesgericht darauf hin, dass die Stellung des Beschuldigten als Person des öffentlichen Lebens keine Auswirkung auf die rechtliche Bewertung der Berichterstattung habe, da dieser nicht freiwillig mit intimen Details aus seinem Sexualleben an die Öffentlichkeit gegangen sei.100 Diese Rechtsauffassung teilte auch der mit der von der „Bild“ eingelegten Revision betraute VI. Senat des Bundesgerichtshofs, welcher die Berichterstattung im Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung ebenfalls als rechtswidrig einstufte, jedoch den Unterlassungsanspruch Kachelmanns wegen zwischenzeitlicher Verlesung der Beschuldigtenvernehmung in der Hauptverhandlung und damit entfallener Wiederholungsgefahr im Ergebnis als nicht begründet ansah.101 Es bleibt die Erkenntnis, dass das Privatleben des Moderators bereits im Ermittlungsverfahren in einer Weise an die Öffentlichkeit gezerrt wurde, wie es bei einer nicht in der Öffentlichkeit stehenden Persönlichkeit nie der Fall gewesen wäre.102 Auch die dem Beschuldigten zur Verfügung stehenden rechtsstaatlichen Mittel gegen eine unzulässige Berichterstattung erwiesen sich angesichts der genannten Entscheidung des Bundesgerichtshofs als stumpfes Schwert, wenn zunächst unzulässig veröffentlichte, nicht tatbezogene intime Details schließlich doch sanktionslos verbreitet werden dürfen.103 Zusammengefasst lässt sich festhalten, dass vorliegend neben dem abstrakten Nachrichtenwert und der staatsanwaltschaftliche Öffentlichkeitsarbeit vor allem die mediale Berichterstattung sowie die dadurch produzierte öffentliche Meinung zu einer Vorverurteilung des Betroffenen geführt haben.104 Diese mediale Vorverurteilung führte dazu, dass der Angeklagte noch vor Beginn der eigentlichen Hauptverhandlung vor dem „Gerichtshof der Öffentlichkeit“ längst verurteilt oder freigesprochen war.105

99

OLG Köln ZUM-RD 2012, 206 (210 f.). OLG Köln ZUM-RD 2012, 206 (211 f.). 101 BGH NJW 2013, 1681 (1683). 102 Diese Kritik am Verhalten von Staatsanwaltschaft und Medien im Fall Kachelmann übt Jürgen Mötrath, Strafverteidiger und zu diesem Zeitpunkt Präsident des Verbandes deutscher Strafrechtsanwälte, in: „Kritik an Kachelmann-Haftbefehl – Keine Fluchtgefahr?“ vom 30. 07. 2010 auf pz-news.de (http://www.pz-news.de/baden-wuerttemberg_artikel,-Kritik-an-Kachel mann-Haftbefehl-Keine-Fluchtgefahr-_arid,209792.html, nicht mehr abrufbar – zuletzt abgerufen am 05. 03. 2019). 103 Saliger, KritV 2013, 173 (185). 104 Köhler/Langen, S. 187 (189). 105 „Die Kavallerie der Justiz“ vom 06. 09. 2010 auf lto.de (http://www.lto.de/recht/hintergru ende/h/die-staatsanwaelte-und-der-fall-kachelmann-die-kavallerie-der-justiz/, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021). 100

A. Medienwirksame Strafverfahren der Vergangenheit

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Auch der 5. Senat des Landgerichts Mannheim sah sich in seiner umfangreichen Urteilsbegründung zu einer ausführlichen „Presseschelte“ veranlasst. Nach Ansicht des Senats prägten „statt der gebotenen Zurückhaltung gegenüber einem laufenden Verfahren […] vorschnelle Prognosen, das einseitige Präsentieren von Fakten und mit dem Anschein von Sachlichkeit verbreitete Wertungen die Berichterstattung. Diese mögen zwar als Garant für Schlagzeilen und Verkaufszahlen dienen; der Wahrheitsfindung in der Hauptverhandlung sind sie jedoch in hohem Maße abträglich.“

Diese Form der Medienarbeit habe mit öffentlicher Kontrolle der Gerichte durch die Medien nichts mehr zu tun.106 Durch den „offenen“ Freispruch des Landgerichts Mannheim wurde den Spekulationen indes kein Ende gesetzt. Dass das Gericht keinen eindeutigen Nachweis für die Unschuld des Wettermoderators gefunden hatte, gab Anlass zu einer Medienberichterstattung, die weiterhin geprägt war von Verdächtigungen und Zweifeln an dem Verfahren, den Geschehnissen in der Tatnacht sowie den Aussagen der Verfahrensbeteiligten. Nach dem Freispruch durch das Landgericht Mannheim forderte der Vorsitzende des Rechtsausschusses, Siegfried Kauder, einen kompletten Ausschluss der Öffentlichkeit von strafrechtlichen Hauptverhandlungen, zumindest bei Tatvorwürfen wie Vergewaltigung und sexuellem Missbrauch. Seiner Ansicht nach, dürfe es nicht sein, „dass die Intimsphäre der Betroffenen bis in den Letzten Winkel in aller Öffentlichkeit ausgebreitet wird.“107 Auch wenn diesen Bedenken – abgesehen von der Radikalität der geforderten Konsequenz – vollumfänglich zuzustimmen ist, geht die Kritik jedoch zumindest bezogen auf den Fall Kachelmann fehl, da die aufgezeigten Probleme durch einen Ausschluss der Öffentlichkeit von der gesamten Hauptverhandlung nicht hätten vermieden werden können. Die intimen Details der Beschuldigtenvernehmung gelangten aus einer bis heute nicht bekannten Quelle an die Öffentlichkeit und die als Zeuginnen vernommenen ehemaligen Lebensgefährtinnen Kachelmanns verkauften ihre intimen Erlebnisse freiwillig an Zeitschriften wie die „Bunte“.108 Einzig der Beschuldigte wäre zu schützen gewesen, dies jedoch nicht durch einen Ausschluss der Öffentlichkeit von der Hauptverhandlung, sondern vielmehr noch im Stadium des Ermittlungsverfahrens vor einer übereifrigen Öffentlichkeitsarbeit der Staatsanwaltschaft sowie einer ausufernden Presseberichterstattung.

106

Pressemitteilung des Landgerichts Mannheim vom 31. 05. 2011 auf landgerichtmannheim.de (http://www.landgericht-mannheim.de/pb/,Lde/1167947/?LISTPAGE=1167839, nicht mehr abrufbar – zuletzt abgerufen am 05. 03. 2019). 107 Friedrichsen, ZRP 2011, 246. 108 Friedrichsen, ZRP 2011, 246 (247).

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1. Kap.: Die Person des öffentlichen Lebens in der Strafverfolgung

Auch wenn das Fazit, dieses Verfahren sei einer „Bankrotterklärung der Informationsindustrie“109 gleichgekommen, sicherlich überhöht ist, so zeigt der gegen Kachelmann geführte „Medienprozess“110 dennoch sehr deutlich die Gefahren einer auf offensiver staatsanwaltschaftlicher Öffentlichkeitsarbeit fußenden medialen Kriminalberichterstattung. Das Verfahren zeigt ferner, dass selbst dann, wenn das Gericht – nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“ – ein Urteil zugunsten des Angeklagten fällt, das mediale und öffentliche Urteil jedoch ein anderes sein kann.111 Die Hoffnung, die kritischen Stimmen aus den eigenen Reihen gegen die Wirkungsweise der Medienberichterstattung im Fall Kachelmann hätten womöglich einen Selbstreinigungsprozess der Presse ausgelöst,112 erwies sich angesichts der im Folgenden dargestellten Verfahren jedoch als vergeblich. Auch die nach dem Freispruch durch Jörg Kachelmann erwirkten Urteile wegen Verletzung seiner Persönlichkeitsrechte sowie die Unterlassungserklärung der Staatsanwaltschaft Mannheim haben kein mit dem eigentlichen Strafverfahren vergleichbares mediales Interesse hervorgerufen, so dass eine mediale Rehabilitation auch in diesem Fall nicht erreicht werden konnte.

IV. Das Volk gegen Christian Wulff – Ein Bundespräsident auf dem Prüfstand Christian Wulff blieb der Öffentlichkeit nicht nur aufgrund seiner politischen Aktivitäten als langjähriger Ministerpräsident Niedersachsens sowie späterer „Kurzzeit-Bundespräsident“ in Erinnerung, sondern vor allem wegen der sich um seine Person drehenden „Wulff-Affäre“, welche im Dezember 2011 ihren Anfang nahm, ihn im Februar 2012 zum Rücktritt vom Amt des Bundespräsidenten zwang und zu einem Strafverfahren wegen Vorteilsnahme führte, welches schließlich mit einem Freispruch durch das Landgericht Hannover im Februar 2014 endete. Das Geschehen rund um die „Wulff-Affäre“ war geprägt von einer äußerst eifrigen Staatsanwaltschaft sowie einer Medienberichterstattung, anhand derer erneut 109

„Kachelmann und die Desinformations-Industrie“ vom 01. 06. 2011 auf nzz.ch (http: //www.nzz.ch/kachelmann-und-die-desinformations-industrie-1.10775371, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021). 110 „Und das wollen Journalisten sein?“ vom 01. 06. 2011 auf faz.net (http://www.faz.net/ak tuell/feuilleton/medien/kachelmann-prozess-in-den-medien-und-das-wollen-journalisten-sein-1 635503.html, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021). 111 Köhler/Langen, S. 187 (201). 112 Jung, JZ 2012, 303 (306), der zur sofortigen Ernüchterung einen Artikel Rainer Stadlers zitiert „Darf man also auf publizistische Einkehr und Läuterung hoffen? Nein. Wie anderswo gehört auch im Spiel der Medien die Reue zum Ritual des Sünders. Sie ist ein attraktives Mittel, um eine unerfreuliche Affäre abzuschließen. Umso unbeschwerter kann man sich danach in die nächste stürzen.“, in: „Kachelmann und die Desinformations-Industrie“ vom 01. 06. 2011 auf nzz.ch (http://www.nzz.ch/kachelmann-und-die-desinformations-industrie-1.10775371, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021).

A. Medienwirksame Strafverfahren der Vergangenheit

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sowohl das bedenkliche Zusammenspiel zwischen Strafverfolgungsbehörden und Presse als auch die Auswirkungen der Verdachtsberichterstattung auf eine Person des öffentlichen Lebens deutlich wurden. Im Laufe der Causa Wulff wurde eine Vielzahl von Vorwürfen erhoben, von denen am Ende nicht viel übrigblieb. Auch wenn Wulff sicherlich vorzuhalten ist, er habe Privates und Politisches nicht ausreichend getrennt und insbesondere sein Verhalten gegenüber den Medien – respektive der „Bild“ – kritikwürdig war, ist ihm das Strafverfahren trotz des Freispruchs zum Verhängnis geworden: Wulff verlor sein Amt als Bundespräsident, sein Ruf ist ruiniert und seine Ehe ging in die Brüche. Eine schwere Strafe für Verfehlungen, die ihm letzten Endes nicht in strafrechtlich relevanter Weise vorgeworfen werden konnten. 1. Sachverhalt Die Affäre um Christian Wulff nahm ihren Anfang am 13. 12. 2011, als die „Bild“ in einem Artikel den Vorwurf äußerte, der zu diesem Zeitpunkt amtierende Bundespräsident habe in seiner Amtszeit als niedersächsischer Ministerpräsident eine Anfrage des Landtags bezüglich der Finanzierung seines privaten Eigenheims nicht korrekt beantwortet.113 Hintergrund dieser sogenannten „Kreditaffäre“ war ein privater Kreditvertrag über 500.000 Euro, den Wulff mit Edith Geerkens, der Ehefrau des mit ihm befreundeten Unternehmers Egon Geerkens, im Oktober 2008 geschlossen hatte. Die Anfrage des Landtags nach geschäftlichen Beziehungen zu Egon Geerkens habe der damalige Ministerpräsident Wulff im Jahr 2010 verneinen lassen. Christian Wulff ließ die Vorwürfe durch seinen Sprecher, Olaf Glaeseker, zurückweisen.114 und auch die Bundeskanzlerin, Angela Merkel, sprach Christian Wulff ihr „volles Vertrauen“ aus.115 In den Medien wurden Verfassungsrechtler zitiert, die den Kreditvertrag als nicht vereinbar mit dem niedersächsischen Ministergesetz ansahen.116 Die „Welt“ veröffentlichte eine Analyse von Hans Herbert von

113 „Hat Wulff das Parlament getäuscht?“ vom 12. 12. 2011 auf bild.de (http://www.bild.de/ politik/inland/christian-wulff/wirbel-um-privat-kredit-ueber-halbe-million-euro-21531308.bild. html, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021). 114 Pressemitteilung des Bundespräsidenten vom 13. 12. 2011 auf bundespraesident.de (http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Berichte/DE/Reisen-und-Termine/1112/111213Pressemitteilung.html, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021). 115 „Merkel hat ,volles Vertrauen in die Person Wulff‘“ vom 14. 12. 2011 auf faz.net (http: //www.faz.net/aktuell/politik/inland/umstrittener-privatkredit-merkel-hat-volles-vertrauen-indie-person-wulff-11562616.html, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021). 116 „Staatsrechtler werfen Wulff Verstoß gegen Gesetz vor“ vom 16. 12. 2011 auf welt.de (http://www.welt.de/politik/deutschland/article13771748/Staatsrechtler-werfen-Wulff-Verstossgegen-Gesetz-vor.html, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021).

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1. Kap.: Die Person des öffentlichen Lebens in der Strafverfolgung

Arnim, wonach dieser Ermittlungen gegen Wulff für „unausweichlich“ hielt.117 Der „Spiegel“ stellte in einem Artikel die Angaben des Bundespräsidenten in Frage und rückte die Kreditgewährung durch die Darstellung weiterer „Indizien“ in ein zweifelhaftes Licht.118 Die Staatsanwaltschaft Stuttgart hingegen hielt einen Anfangsverdacht wegen Untreue oder Vorteilsnahme für nicht gegeben und leitete diesbezüglich letztlich keine Ermittlungen ein.119 Doch auch ohne Ermittlungen der Strafverfolgungsbehörden gab die „Kreditaffäre“ den Anstoß für umfassende „investigative“ Medienberichte über Wulffs Beziehungen zu befreundeten Unternehmern. Die Zweifel an seiner Glaubwürdigkeit wurden stetig lauter und es häuften sich die Vorwürfe: Insbesondere ging es um mehrere Privaturlaube, die Christian Wulff in den Häusern befreundeter Unternehmerpaare – so auch bei den Geerkens – verbracht habe sowie weitere finanzielle Vorteile, die er als Ministerpräsident erhalten haben sollte. So warf die „Bild“ Wulff vor, während des niedersächsischen Landtagswahlkampfs 2007 seien Zeitungsanzeigen für ein Buch des damaligen Ministerpräsidenten von dessen Unternehmerfreund Carsten Maschmeyer bezahlt worden.120 Der „Spiegel“ berichtete, der mit Wulff befreundete Filmproduzent David Groenewold habe eine Biografie über den Bundespräsidenten mit einer Summe in Höhe von EUR 10.000 bezuschusst – pikant in Anbetracht des Einsatzes Wulffs für die Interessen der Filmbranche in seiner Zeit als Ministerpräsident.121 Darüber hinaus sollte Groenewold Wulff und seiner Ehefrau zum Oktoberfest 2008 ein Upgrade für eine Suite zukommen haben lassen.

117

„Bundespräsident Wulff soll sich selbst anzeigen“ vom 30. 12. 2011 auf welt.de (http: //www.welt.de/politik/deutschland/article13790894/Bundespraesident-Wulff-soll-sich-selbst-an zeigen.html, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021). 118 „Hauskredit-Affäre: Neue Vorwürfe gegen Wulff“ vom 16. 12. 2011 auf spiegel.de (http: //www.spiegel.de/politik/deutschland/hauskredit-affaere-neue-vorwuerfe-gegen-wulff-a-80423 8.html, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021). 119 „Keine Ermittlungen gegen BW-Bank und Wulff“ vom 18. 01. 2012 auf faz.net (http: //www.faz.net/aktuell/politik/guenstiger-haus-kredit-keine-ermittlungen-gegen-bw-bank-undwulff-11611944.html, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021); „Staatsanwaltschaft spricht von ,bloßen Vermutungen‘ – und will nicht ermitteln“ vom 18. 01. 2012 auf sueddeutsche.de (http: //www.sueddeutsche.de/politik/vorwurf-der-vorteilsannahme-gegen-wulff-staatsanwaltschaftspricht-von-blossen-vermutungen-und-will-nicht-ermitteln-1.1260745, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021). 120 „Maschmeyer bezahlte die Anzeigen für das Wulff-Buch“ vom 19. 12. 2011 auf bild.de (http://www.bild.de/politik/inland/christian-wulff/so-bezahlte-carsten-maschmeyer-die-anzei gen-fuer-das-wulff-buch-21658234. bild.html, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021). 121 „Bundespräsident in der Kritik: Buchprojekt über Wulff wirft neue Fragen auf“ vom 10. 01. 2012 auf spiegel.de (http://www.spiegel.de/politik/deutschland/bundespraesident-in-derkritik-buchprojekt-ueber-wulff-wirft-neue-fragen-auf-a-808017.html, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021).

A. Medienwirksame Strafverfahren der Vergangenheit

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Am 22. 12. 2011 nahm Wulff erstmals persönlich Stellung zu den Vorwürfen, entschuldigte sich öffentlich und bat die Bürger um Vertrauen.122 Kurz zuvor hatte Christan Wulff seinen Sprecher und langjährigen Vertrauten Olaf Glaeseker von dessen Aufgaben entbunden.123 Dieser habe Medienberichten zufolge selbst um seine Entlassung gebeten, da sich die Berichterstattung im Zuge der „Kreditaffäre“ auch auf sein Privatleben ausweitete und er seine Familie vor der Öffentlichkeit schützen wolle.124 Es war Christian Wulff selbst, der am 01. 01. 2012 mit einem Anruf bei dem damaligen Chefredakteur der „Bild“, Kai Diekmann, die zweite Affäre um seine Person in Gang setzte, die sogenannte „Medien-Affäre“. Wulff versuchte durch diesen Anruf, die Veröffentlichung eines geplanten Berichts der „Bild“ über seinen Privatkredit zu verhindern und kündigte in seiner Nachricht auf der Mailbox einen „endgültigen Bruch“ mit dem Springer Verlag sowie strafrechtliche Konsequenzen für die verantwortlichen Journalisten an.125 Christan Wulff meldete sich kurz darauf in einem ARD-Interview zu Wort und gestand Fehler bei seiner Amtsführung als Ministerpräsident ein, lehnte jedoch weiterhin einen Rücktritt ab. Am 08. 02. 2012 berichtete die „Bild“, Wulff habe mit seiner damaligen Freundin und späteren Ehefrau Bettina im Herbst 2007 einige Nächte in der Suite Groenewolds auf Sylt übernachtet. Dieser habe zudem die Angestellten des Hotels instruiert, gegenüber der Presse keine Auskünfte über die Übernachtung Wulffs zu erteilen.126 Einige Tage später stellte die Staatsanwaltschaft Hannover beim Deutschen Bundestag einen Antrag auf Aufhebung der politischen Immunität Wulffs, um das Ermittlungsverfahren einleiten zu können.127 Am nächsten Tag, den 17. 02. 2012, 122 „Wulff entschuldigt sich in Affäre um Privatkredit“ vom 22. 12. 2011 auf welt.de (http: //www.welt.de/politik/deutschland/article13780874/Wulff-entschuldigt-sich-in-Affaere-um-Pri vatkredit.html, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021). 123 Erklärung des Bundespräsidialamtes vom 22. 12. 2011 auf www.bundespraesident.de (http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2011/12/111222-Mittei lung.html, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021). 124 „Bundespräsident Wulff entlässt seinen Sprecher“ vom 22. 12. 2011 auf welt.de (http: //www.welt.de/politik/deutschland/article13780747/Bundespraesident-Wulff-entlaesst-seinenSprecher.html, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021). 125 Die Mailbox-Nachricht Wulffs vom 01. 01. 2012 veröffentlichte die „Bild“ am 25. 02. 2014 im Wortlaut auf bild.de (http://www.bild.de/politik/inland/wulff-kredit-affaere/das-sprachwulff-dem-bild-chef-auf-die-mail box-34832232.bild.html, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021). 126 „Wulff und sein Sylt-Urlaub mit reichem Freund – SPD ruft nach Staatsanwalt!“ vom 08. 02. 2012 auf bild.de (http://www.bild.de/politik/inland/wulff-kredit-affaere/sylt-urlaub-spdruft-nach-staatsanwaltschaft-22534182.bild.html, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021); am 24. 02. 2012 wird hierzu auf bild.de eine Gegendarstellung Groenewolds veröffentlicht, in welcher er die Vorwürfe abstreitet. 127 Zeitgleich wurde auch gegen David Groenewold ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft Hannover vom 16. 02. 2012, veröffentlicht auf staatsanwaltschaften.niedersachsen.de (nicht mehr abrufbar).

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1. Kap.: Die Person des öffentlichen Lebens in der Strafverfolgung

erklärte Christian Wulff in einer Pressekonferenz im Schloss Bellevue seinen Rücktritt vom Amt des Bundespräsidenten.128 Am 02. 03. 2012 begannen die Durchsuchungen im Hause Wulff. Es wurden vor allem Handy- und Computerdaten sichergestellt. Es folgten 13 Monate Ermittlungen in insgesamt 21 Verdachtsfällen.129 Im März 2013 erhob die Staatsanwaltschaft Hannover den Vorwurf der Bestechlichkeit in einem Fall. In den übrigen 20 Verdachtsfällen konnten keine strafrechtlich relevanten Verstöße des Bundespräsidenten a.D. ermittelt werden. Im April 2013 lehnte Wulff eine Einstellung des Verfahrens nach § 153a StPO gegen Zahlung einer Geldauflage in Höhe von 20.000 Euro ab,130 woraufhin die Staatsanwaltschaft Hannover Anklage gegen Christian Wulff und David Groenewold wegen Bestechlichkeit beziehungsweise Bestechung vor dem Landgericht Hannover erhob.131 Das Landgericht Hannover eröffnete zwar im August 2013 das Hauptverfahren, wich hierbei jedoch von der staatsanwaltschaftlichen Bewertung ab und reduzierte den Vorwurf auf Vorteilsnahme beziehungsweise Vorteilsgewährung.132 Der Freispruch Wulffs durch das Landgericht erfolgte am 27. 02. 2014.133 Die Staatsanwaltschaft nahm die gegen dieses Urteil eingelegte Revision zurück, so dass das Urteil rechtskräftig wurde.134

128

Rücktrittserklärung vom 17. 02. 2012 auf bundespraesident.de (http://www.bundespraesi dent.de/SharedDocs/Reden/DE/Christian-Wulff/Reden/2012/02/120217-Erklaerung.html, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021). 129 Darstellung der Verdachtsfälle unter „21 Nichtigkeiten“ vom 08. 04. 2013 auf sueddeutsche.de (http://www.sueddeutsche.de/politik/akten-im-fall-wulff-nichtigkeiten-1.1642578, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021). 130 Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft Hannover vom 09. 04. 2013, veröffentlicht auf staatsanwaltschaften.niedersachsen.de (nicht mehr abrufbar). 131 Zum Tatvorwurf heißt es hier: „Mit der Anklage wird dem Angeschuldigten Groenewold vorgeworfen, im Rahmen des sog. ,Oktoberfestbesuchs‘ in München vom 26. bis 28. 09. 2008 für Christian Wulff und seine Familie Hotel- und Kinderbetreuungskosten in Höhe von insgesamt 510,– E sowie die Kosten für ein gemeinsames Abendessen mit den Eheleuten Wulff für 209,40 E und einen Festzeltbesuch mit diesen und 6 bis 7 weiteren Gästen für 3.209,– E übernommen zu haben.“, Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft Hannover vom 12. 04. 2013, veröffentlicht auf staatsanwaltschaften.niedersachsen.de (nicht mehr abrufbar). 132 Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft Hannover vom 27. 08. 2013, veröffentlicht auf staatsanwaltschaften.niedersachsen.de (nicht mehr abrufbar). 133 „Freispruch für Christian Wulff“ vom 27. 02. 2014 auf sueddeutsche.de (http://www.su eddeutsche.de/politik/prozess-gegen-ex-bundespraesidenten-freispruch-fuer-christian-wulff-1.1 899709, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021). 134 Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft Hannover vom 13. 06. 2014, veröffentlicht auf staatsanwaltschaften.niedersachsen.de (nicht mehr abrufbar).

A. Medienwirksame Strafverfahren der Vergangenheit

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2. „Von der Lawine zum Schneebällchen“135 – Die Staatsanwaltschaft Hannover in der Wulff-Affäre Die Staatsanwaltschaft Hannover – deren Arbeit auch zwei Jahre später im Fall Edathy136 zu erheblicher Kritik führen sollte – wurde wegen ihres vermeintlichen Übereifers in der Causa Wulff sowie dem Vorwurf der Informationsweitergabe an die Presse stark unter Beschuss genommen. Nachdem wegen des Privatkredits keine Ermittlungen eingeleitet wurden, stellte sich der Rücktritt Wulffs als notwendige Konsequenz der Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft Hannover über den Anfangsverdacht wegen Bestechlichkeit dar. Die Veröffentlichung des Verdachts gegen den Bundespräsidenten sowie des Antrags auf Aufhebung der politischen Immunität wird man wohl grundsätzlich als durch das öffentliche Informationsinteresse gedeckt ansehen können. Irritationen rief jedoch die Begründung der niedersächsischen Strafverfolgungsbehörde hervor, wonach sich der Anfangsverdacht gegen Christian Wulff unter anderem auf die „Auswertung weiterer Medienberichte“ stütze.137 Später sagte Generalstaatsanwalt Frank Lüttig der „Welt am Sonntag“, ausschlaggebend sei vor allem der Verdacht gewesen, David Groenewold habe versucht, „Beweise aus der Welt zu schaffen“.138 Dieser Verdacht ist zurückzuführen auf den Bericht der „Bild“ vom 08. 02. 2012, welche von angeblichen Vertuschungsversuchen Groenewolds berichtete.139 Die dort erhobenen Vorwürfe gegen Groenewold stellten sich jedoch als falsch heraus, so dass deren Verbreitung gerichtlich untersagt und eine Gegendarstellung Groenewolds veröffentlicht wurde.140 Es liegt nicht fern, der Strafverfol-

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So der provokante Titel eines Fazits von Heribert Prantl auf sueddeutsche.de vom 10. 04. 2013 (https://www.sueddeutsche.de/politik/lehren-aus-der-causa-wulff-von-der-lawine-zumschneebaellchen-1.1644858, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021). 136 Ausführlich zu dem Ermittlungsverfahren gegen Sebastian Edathy und die Arbeit der Staatsanwaltschaft Hannover unten Erstes Kapitel, A. V. 137 Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft Hannover vom 16. 02. 2012, veröffentlicht auf staatsanwaltschaften.niedersachsen.de (nicht mehr abrufbar). 138 „Wir mussten Wulff anklagen“ vom 21. 04. 2013 auf welt.de (https://www.welt.de/print/ wams/politik/article115461996/Wir-mussten-Wulff-anklagen.html, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021). 139 „Neuer Wirbel um Wulff-Urlaub“ vom 08. 02. 2012 auf bild.de (dieser Artikel ist aufgrund der gerichtlichen Verfügung nicht mehr abrufbar, vgl. nachfolgend Fn. 143). 140 Am 14. 02. 2012 erließ das Landgericht Köln eine einstweilige Verfügung, die es der „Bild“ untersagte, weiter zu verbreiten, dass Groenewold im Hotel „Stadt Hamburg“ gefordert habe, ihm Rechnungen und Belege auszuhändigen und dass „offenbar ein weiterer LuxusUrlaub vertuscht“ werden sollte. Die Gegendarstellung Groenewolds wurde am 24. 04. 2012 auf bild.de veröffentlicht (http://www.bild.de/politik/inland/politik-inland/gegendarstellung-23734 842.bild.html, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021). Die Staatsanwaltschaft hätte ihre Ermittlungen daher nicht auf den Bericht der „Bild“ stützen dürfen, so unter Berufung auf Rechtsanwalt Ulrich Sauer in „Jurist: Prozess gegen Christian Wulff rechtswidrig“ vom 12. 11. 2013 auf focus.de (http://www.focus.de/politik/deutschland/tid-34621/wulff-prozess-in-hannover-

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gungsbehörde vorzuhalten, nicht erst die Stichhaltigkeit des Verdachts sowie der Berichterstattung geprüft zu haben, bevor sie die politische Karriere Wulffs durch eine Pressemitteilung zunichtemachte. Rechtsanwalt Ulrich Sauer spricht vor diesem Hintergrund gar von einer „unter dem Deckmantel eines schein-legalen Verfahrens betriebenen Existenzvernichtung“.141 Nach Prozessende wurden die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Hannover als stark überzogen beurteilt. Heribert Prantl sprach von einem „Musterverfahren für Unverhältnismäßigkeit“.142 Seiner Ansicht nach sei das gesamte Verfahren „absurd, peinlich und beschämend – für Wulff, vor allem aber für die Staatsanwaltschaft.“ Auch wenn Prantl den Rücktritt Wulffs als Strafe für dessen moralische (nicht: strafbare) Verfehlungen sowie „Idiotien“ sieht, wirft er der niedersächsischen Strafverfolgungsbehörde „Verfolgungsgeilheit“ sowie Voreingenommenheit vor, die nicht verhindert haben, dass immer wieder Informationen über die Ermittlungen an die Öffentlichkeit gelangten. Die Staatsanwaltschaft habe sich Prantls Ansicht nach von der „medialen Hysterie“ anstecken lassen. Enttäuscht muss Prantl daher feststellen, dass die Stellung Wulffs als politische Person des öffentlichen Lebens offenbar Einfluss hatte auf die Arbeit der Staatsanwaltschaft: „Die Ermittlungen gegen Wulff hätten ein Beleg dafür sein können, dass ein Staatsoberhaupt vor dem Gesetz ein Bürger ist wie jeder andere auch. Ein solcher Beleg aber waren die Ermittlungen nicht. Das Verfahren bisher war der robenverkleidete Aufstand des angeblichen Volkszorns gegen den vermeintlichen Repräsentanten eines korruptiven Politikstils.“143

Von den umfangreichen Verdachtsfällen blieb trotz umfassender und aufwendiger Ermittlungen schließlich nur ein einziger Vorwurf übrig. Auch wenn dem Leiter der Generalstaatsanwaltschaft Celle, Frank Lüttig, sicherlich zuzugeben ist, dass es nicht um die Höhe der Bestechungssumme gehe, sondern vielmehr um die Frage „bestechlich oder nicht?“,144 so muss sich die Staatsanwaltschaft dennoch die Frage gefallen lassen, ob die Ermittlungen, die Durchsuchungen und die spätere Anklage tatsächlich verhältnismäßig waren und ob die Entscheidung der Staatsanwaltschaft rechtsanwalt-sauer-dieser-prozess-ist-schein-legal-berichterstattung-war-rechtswidrig_aid_11 55991.html, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021). 141 So zitiert in Jurist: „Prozess gegen Christian Wulff rechtswidrig“ vom 12. 11. 2013 auf focus.de (http://www.focus.de/politik/deutschland/tid-34621/wulff-prozess-in-hannover-rechts anwalt-sauer-dieser-prozess-ist-schein-legal-berichterstattung-war-rechtswidrig_aid_1155991. html, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021). 142 „Prozessauftakt gegen Christian Wulff – Wegen 753,90 Euro“ vom 14. 11. 2013 auf sueddeutsche.de (http://www.sueddeutsche.de/politik/prozessauftakt-gegen-christian-wulff-we gen-euro-1.1817168, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021). 143 „Prozessauftakt gegen Christian Wulff – Wegen 753,90 Euro“ vom 14. 11. 2013 auf sueddeutsche.de (http://www.sueddeutsche.de/politik/prozessauftakt-gegen-christian-wulff-we gen-euro-1.1817168, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021). 144 „Wir mussten Wulff anklagen“ vom 21. 04. 2013 auf welt.de (https://www.welt.de/print/ wams/politik/article115461996/Wir-mussten-Wulff-anklagen.html, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021).

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über die Anklage anders ausgefallen wäre, wäre der Beschuldigte nicht eine Person des öffentlichen Lebens gewesen. Zwar betraf das Verfahren den amtierenden Bundespräsidenten und damit eine politische Persönlichkeit mit besonderer Verantwortung, dennoch sind auch hier Unschuldsvermutung und Verhältnismäßigkeit zu wahren. Es muss gefragt werden, was von der Unschuldsvermutung übrigbleibt, wenn die Strafe gegen den Beschuldigten bereits in Form von gesellschaftlicher und beruflicher Vernichtung vollstreckt ist, bevor überhaupt ein hinreichender Tatverdacht festgestellt wurde, geschweige denn ein Urteil gefällt ist. Der Rechtsanwalt und Verfassungsrechtler Gernot Fritz erstatte sogar Strafanzeige gegen die ermittelnde Staatsanwaltschaft Hannover wegen des Verdachts der Rechtbeugung und Verletzung von Privatgeheimnissen durch Amtsträger. Fritz warf den ermittelnden Staatsanwälten intensive Pressekontakte zu Journalisten vor, wobei immer wieder vermeintlich belastende Ermittlungsergebnisse – vermutlich nicht zufällig – an die Medien gelangt seien. Darüber hinaus hätten die Ermittlungen gegen den in Nr. 4 RiStBV145 festgehaltenen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstoßen. Die Staatsanwaltschaft Göttingen leitete daraufhin ein Ermittlungsverfahren gegen Frank Lüttig wegen des Verdachts des Geheimnisverrats ein. Er wurde beschuldigt, in sieben Fällen in strafbarer Weise Geheiminformationen aus dem Ermittlungsverfahren gegen Christian Wulff an Dritte weitergegeben zu haben.146 Das Verfahren wurde jedoch nach nur drei Monaten in Ermangelung eines hinreichenden Tatverdachts eingestellt.147 Was bleibt, ist der sich aufgrund des exzessiven Verhaltens der Staatsanwaltschaft Hannover aufdrängende Eindruck, anstatt eines maßvollen und fairen Verfahrens sollte hier vor allem Strafverfolgungsgeschichte geschrieben und ein Exempel im Kampf gegen Korruption in der Politik statuiert werden. 3. Wulff und die Medien Neben dem „Ermittlungsexzess“ der Staatsanwaltschaft betrieben die Medien ihrerseits einen wahren „Skandalisierungsexzess“.148 Der Presse wurde vorgeworfen, übertrieben kritisch zu Lasten Wulffs berichtet und sich dabei manipulativer Taktiken bedient zu haben.149 145

Hierzu ausführlich siehe unten Fünftes Kapitel. Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft Göttingen vom 20. 02. 2015, veröffentlicht auf staatsanwaltschaften.niedersachsen.de (nicht mehr abrufbar). 147 Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft Göttingen vom 01. 06. 2015, veröffentlicht auf staatsanwaltschaften.niedersachsen.de (nicht mehr abrufbar). 148 „Wie die Medien die große Mehrheit mobilisierten“ vom 19. 04. 2013 auf sueddeutsche.de (http://www.sueddeutsche.de/politik/vorwuerfe-gegen-christan-wulff-wie-die-mediendie-grosse-mehrheit-mobilisierten-1.1653130, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021). 149 Trotz der verbreiteten Kritik an der Medienberichterstattung in Sachen Wulff wurde die „Bild“ für ihre Berichterstattung in der „Wulff-Affäre“ mit dem Henri-Nannen-Preis im Bereich „Beste investigative Leistung“ ausgezeichnet. Die Verleihung sorgte jedoch für einen Eklat, da 146

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Bevor überhaupt ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde, hatten die Medien bereits umfassende Mutmaßungen und Vorwürfe verbreitet, wonach Christian Wulff als niedersächsischer Ministerpräsident persönliche und politische Interessen unrechtmäßig vermengt habe. Trotz fehlender rechtlich relevanter Beweise war damit schon lange vor dem eigentlichen Strafverfahren ein plebiszitäres Urteil gesprochen und Wulffs politische Persönlichkeit zerstört.150 Das Besondere an der Berichterstattung in der „Wulff-Affäre“ war, dass die Presse hier nicht allein im Dienste ihrer Informationsaufgabe agierte, sondern als Instrument der öffentlichen und politischen Meinungsbildung und Anklägerin fungierte und schließlich Einfluss nahm auf die Ermittlungsbehörden.151 Die mediale Berichterstattung produzierte eine Maß an Vorverurteilung, dass das spätere eigentliche Strafverfahren samt Freispruch geradezu als lächerlich erscheinen ließ.152 Stefan Niggemeier spricht dabei von einem Sturz Wulffs durch eine Falschmeldung der „Bild“, aufgrund derer die Staatsanwaltschaft Hannover schließlich das Ermittlungsverfahren einleitete.153 Er sieht den eigentlichen Skandal nicht in den gegen den Bundespräsidenten a.D. erhobenen Vorwürfen. Der eigentliche Skandal um die Person Christian Wulff seien vielmehr die Verfehlungen der Presse gewesen.154 Die Medien untermauerten ihre Vorwürfe gegen Wulff unter misslicher Vernachlässigung der Unschuldsvermutung und attestierten Wulff unter Berufung auf die ebenfalls in dieser Kategorie ausgezeichneten Redakteure der Süddeutschen Zeitung ihren Preis aus Protest gegen die Auszeichnung der „Bild“ ablehnten, „SZ-Redakteure lehnen HenriNannen-Preis ab“ vom 15. 05. 2012 auf sueddeutsche.de (http://www.sueddeutsche.de/medien/ eklat-bei-journalisten-ehrung-sz-redakteure-lehnen-henri-nannen-preis-ab-1.1355532, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021). 150 „Wie die Medien die große Mehrheit mobilisieren“ vom 19. 04. 2013 auf sueddeutsche.de (https://www.sueddeutsche.de/politik/vorwuerfe-gegen-christan-wulff-wie-die-mediendie-grosse-mehrheit-mobilisierten-1.1653130, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021). 151 „Wie die Medien die große Mehrheit mobilisieren“ vom 19. 04. 2013 auf sueddeutsche.de (https://www.sueddeutsche.de/politik/vorwuerfe-gegen-christan-wulff-wie-die-mediendie-grosse-mehrheit-mobilisierten-1.1653130, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021). 152 Heribert Prantl fasst dieses Missverhältnis wie folgt zusammen: „Knapp vierzehn Monate nach dem Beginn der Ermittlungen, knapp vierzehn Monate nach dem Rücktritt des damaligen Bundespräsidenten ist von der Lawine der Schmähungen, Beschuldigungen, Enthüllungen und Verleumdungen des Christian Wulff jedenfalls strafrechtlich nur ein Schneebällchen übrig geblieben.“, in: „Von der Lawine zum Schneebällchen“ vom 10. 04. 2013 auf sueddeutsche.de (http://www.sueddeutsche.de/politik/lehren-aus-der-causa-wulff-von-der-lawi ne-zum-schneebaellchen-1.1644858, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021). 153 „,Bild‘ stürzte Wulff mit einer Falschmeldung. Das kümmert aber keinen.“ vom 15. 06. 2014 auf stefan-niggemeier.de (http://www.stefan-niggemeier.de/blog/18217/bild-stuerztewulff-mit-einer-falschmeldung-das-kuemmert-aber-keinen/, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021); eine ausführliche Studie zu der Berichterstattung der „Bild“ zu Christian Wulff veröffentlichte die Otto Brenner Stiftung im Jahr 2012. 154 „,Bild‘ stürzte Wulff mit einer Falschmeldung. Das kümmert aber keinen.“ vom 15. 06. 2014 auf stefan-niggemeier.de (http://www.stefan-niggemeier.de/blog/18217/bild-stuerztewulff-mit-einer-falschmeldung-das-kuemmert-aber-keinen/, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021).

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die Einschätzungen von Verfassungsrechtlern bereits Gesetzesverstöße, noch bevor die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen überhaupt abgeschlossen waren. So zitierte die „Welt“ den Staatsrechtler Hans Herbert von Arnim mit den Worten: „Christian Wulff hat meines Erachtens gegen das niedersächsische Ministergesetz verstoßen“.155 Der „Spiegel“ gab diese Einschätzung wie folgt wieder: „Der Staatsrechtler Hans Herbert von Arnim bescheinigte Wulff in der,Welt‘ die Annahme verbilligter Kredite – und damit einen Verstoß gegen das niedersächsische Ministergesetz.“156 Auch wenn sich das Verhalten Wulffs gegenüber der Presse sicherlich als ungeschickt bezeichnen lässt, so verlor er schon lange vor Einleitung des Ermittlungsverfahrens oder gar Erhebung der Anklage das Vertrauen der Bevölkerung. Aufgrund der umfassenden Medienberichte und den sich mehrenden Vorwürfen waren die Glaubwürdigkeitswerte Wulffs bereits im Januar 2012 um 43 Prozentpunkte schlechter als zum Zeitpunkt seines Amtsantritts.157 Damit war der amtierende Bundespräsident politisch längst am Ende, während das Verfahren juristisch noch ganz am Anfang stand.158 Wenn es um das Verhalten der Medien in der Causa Wulff geht, muss auch das Verhalten Wulffs gegenüber der Presse – insbesondere gegenüber der „Bild“ – Erwähnung finden: Nachdem die „Bild“ Christian Wulff anlässlich ihres Berichts über die Vorwürfe in der „Kreditaffäre“ – wie es das Presserecht gebietet – um eine Stellungnahme gebeten hat, versuchte dieser mit seinem Anruf bei Chefredakteur Kai Diekmann, die Veröffentlichung der Vorwürfe wenn nicht zu verhindern, so jedenfalls zu verzögern. Unabhängig von den medienrechtlichen Hintergründen des am 13. 12. 2011 bei der „Bild“ erschienenen Berichts ist dieser Anruf Wulffs bei Kai Diekmann mehr als bedenklich. Durch den persönlichen Anruf hat Christian Wulff als amtierender Bundespräsident und Staatsoberhaupt versucht, Einfluss auf Medieninhalte zu nehmen. Darin liegt eine grobe Missachtung der Pressefreiheit als eines der höchsten demokratischen Güter unserer Rechtsordnung, auch wenn ihn hier vermutlich insbesondere das persönliche Interesse negative Berichterstattung dieser Art zu vermeiden zu diesem Anruf bewogen haben wird.

155 „Staatsrechtler werfen Wulff Verstoß gegen Gesetz vor“ vom 16. 12. 2011 auf welt.de (https://www.welt.de/politik/deutschland/article13771748/Staatsrechtler-werfen-Wulff-Vers toss-gegen-Gesetz-vor.html, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021). 156 „Bundespräsident unter Druck: Zweifel an Wulff wachsen“ vom 18. 12. 2011 auf spiegel.de (https://www.spiegel.de/politik/deutschland/bundespraesident-unter-druck-zweifelan-wulff-wachsen-a-804478.html, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021). 157 „Nur noch jeder vierte Deutsche hält Wulff für ehrlich“ vom 21. 01. 2012 auf welt.de (http://www.welt.de/politik/deutschland/article13826261/Nur-noch-jeder-vierte-Deutschehaelt-Wulff-fuer-ehrlich.html, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021). 158 „Juristisch am Anfang, politisch vor dem Ende“ vom 17. 02. 2012 auf sueddeutsche.de (https://www.sueddeutsche.de/politik/bundespraesident-wulff-juristisch-am-anfang-politischvor-dem-ende-1.1286401, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021).

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1. Kap.: Die Person des öffentlichen Lebens in der Strafverfolgung

Auch wenn Verfehlungen auf beiden Seiten zu finden sind, zeigt der Fall Wulff dennoch eindrucksvoll, mit welcher Wucht eine mediale persönliche und berufliche Vernichtung funktioniert und es gänzlich unerheblich ist, dass das eigentliche Strafverfahren mit einem Freispruch endet.

V. Das Ermittlungsverfahren gegen Sebastian Edathy – Die Gefahren des Anfangsverdachts Noch in einem weiteren Fall stand die Staatsanwaltschaft Hannover in der Kritik: Im Jahr 2014 sorgte das Ermittlungsverfahren gegen den früheren SPD-Politiker und Bundestagsabgeordneten Sebastian Edathy wegen des Verdachts des Erwerbs und Besitzes kinderpornografischen Materials für großes mediales Aufsehen. Vor der Affäre um seine Person war Sebastian Edathy ein angesehener Politiker, langjähriges Mitglied des Deutschen Bundestags (von 1998 bis 2014), Vorsitzender des Innenausschusses, Mitglied des Rechtsausschusses und schließlich ab 2012 Leiter des Untersuchungsausschusses zur Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“. Sebastian Edathy legte sein Bundestagsmandat noch vor dem öffentlichen Bekanntwerden der Vorwürfe und Ermittlungen gegen ihn nieder. Die „Edathy-Affäre“ weitete sich aufgrund der bekannt gewordenen informellen Unterrichtung des SPDVorsitzenden Siegmar Gabriel über die laufenden Ermittlungen durch den ehemaligen Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (SPD) zu einer Regierungskrise aus. Im Juli 2014 wurde ein Bundestagsuntersuchungsausschuss zur Affäre um Sebastian Edathy konstituiert.159 Die „Edathy-Affäre“ ruft sehr ambivalente Reaktionen hervor. Zunächst ist der moralisch und sittlich auf tiefster Stufe stehende Tatvorwurf des Erwerbs und Besitzes kinderpornografischen Materials zu beachten, der einen abseits von jeder juristisch nüchternen Betrachtung sofort nach harter Strafe und Gesetzesverschärfung rufen lässt. Löst man sich bei der Betrachtung des Geschehens jedoch von dem moralischen Eindruck des Tatvorwurfs, so ergeben sich deutliche Unvereinbarkeiten mit dem Rechtsstaatsprinzip, wenn ein Anfangsverdacht strafbaren Verhaltens aus legalen Verhaltensweisen gefolgert wird, wenn Ermittlungsmaßnahmen trotz parlamentarischer Immunität angeordnet und durchgeführt werden und wenn sich die Staatsanwaltschaft Hannover erneut durch Übereifer hervortut und wiederholt unter Verdacht gerät, Ermittlungsdetails an die Öffentlichkeit gegeben zu haben. Auch wurde abermals die zugunsten des Beschuldigten geltende Unschuldsvermutung missachtet, da – um es mit Heribert Prantls Worten zu sagen – 159

Der anlässlich der „Edathy-Affäre“ eingerichtete Untersuchungsausschuss zu den Vorermittlungen durch das Bundeskriminalamt sowie der Informationsweitergabe innerhalb der Regierung soll und kann an dieser Stelle keine umfassende Berücksichtigung finden. Die folgende Darstellung konzentriert sich daher auf das eigentliche Ermittlungs- und Strafverfahren gegen Sebastian Edathy und die damit einhergehende mediale Berichterstattung.

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„die Strafe gegen den Angeklagten schon vor Verhandlungsbeginn verhängt und vollstreckt wurde. Es ist eine Strafe, die im Strafgesetzbuch gar nicht vorgesehen ist. Sie heißt: allgemeine Verdammnis, Ausschluss aus der Gesellschaft und öffentliche Beschämung.“160

Auch wenn dieses Verfahren nicht mit einem Freispruch endete, reiht sich der berufliche sowie persönliche Niedergang Edathys nahtlos in die Fälle medialer Vorverurteilung ein. 1. Sachverhalt Am 07. 02. 2014 erklärt der langjährige Bundestagsabgeordnete Sebastian Edathy den Verzicht auf sein Mandat aus „gesundheitlichen Gründen“. Dieser Verzicht wurde entsprechend § 47 Abs. 3 S. 1 BWahlG sowie Art. 46 Abs. 2 GG erst mit Bestätigung des damaligen Bundestagspräsidenten vom 10. 02. 2014 wirksam. Dass der gesundheitliche Zustand Edathys vermutlich nicht der wahre Hintergrund seiner Mandatsniederlegung war, erfuhr die Öffentlichkeit wenige Tage später, als Polizei und Staatsanwaltschaft auf Grundlage eines Durchsuchungsbeschlusses vom 10. 02. 2014 noch am selben Tag in Anwesenheit informierter lokaler Pressevertreter die Wohnungen und Büros Edathys durchsuchten.161 Der Tatvorwurf des Besitzes kinderpornografischen Materials war zu diesem Zeitpunkt noch unbestätigt. Die zuständige Staatsanwaltschaft Hannover erklärte zwar, dass gegen Edathy ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde, eine weitere Stellungnahme insbesondere zu den genauen Tatvorwürfen lehnte sie jedoch ab.162 Auf seiner Facebook-Seite nahm Edathy, der sich zum Zeitpunkt der Durchsuchungen im Ausland aufhielt, Stellung zu den Presseberichten über die Ermittlungen gegen seine Person. Die erhobenen Vorwürfe wies er als „unwahr“ zurück und kündigte rechtliche Schritte an, da bei der „auf Mutmaßungen beruhenden gestrigen

160 „Beschämt und verdammt“ vom 22. 02. 2015 auf sueddeutsche.de (https://www.sueddeut sche.de/meinung/strafverhandlung-gegen-sebastian-edathy-beschaemt-und-verdammt-1.23 59790, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021). 161 Zunächst berichtete die Nienburger Lokalzeitung „Die Harke“ von den Durchsuchungen bei dem Bundestagsabgeordneten, „Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Edathy“ vom 11. 02. 2014 auf dieharke.de (https://www.dieharke.de/Nachrichten/Staatsanwaltschaft-ermittelt-ge gen-Edathy-46015.html, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021). In diesem Bericht findet unter Berufung auf Informationen aus der Landes-SPD auch erstmals der Tatvorwurf des Besitzes kinderpornografischen Materials Erwähnung. In diesem Artikel veröffentlichte „Die Harke“ zwei Fotos von der Durchsuchung, darunter auch ein Bild aus der Privatwohnung Edathys, für dessen Abdruck sie stark kritisiert wurde, „Lokalzeitung Die Harke in der Kritik wegen Durchsuchungsfoto“ vom 11. 02. 2014 auf meedia.de (http://meedia.de/2014/02/11/lokalzei tung-die-harke-in-der-kritik-wegen-durchsuchungsfoto/, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021). 162 „Staatsanwältin bestätigt Durchsuchung – Edathy meldet sich aus dem Ausland: Kinderporno-Vorwurf ,ist unwahr‘“ vom 11. 02. 2014 auf focus.de (http://www.focus.de/politik/ deutschland/staatsanwaeltin-bestaetigt-durchsuchung-razzia-in-wohnung-und-buero-von-spdpolitiker-sebastian-edathy_id_3601769.html, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021).

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1. Kap.: Die Person des öffentlichen Lebens in der Strafverfolgung

Hausdurchsuchung (…) die Lokalpresse zugegen war“. Zudem forderte er eine Besinnung auf die auch für ihn geltende Unschuldsvermutung.163 Kurz darauf wurde bekannt, dass der ehemalige Bundesminister Hans-Peter Friedrich (CDU/CSU) den SPD-Vorsitzenden Siegmar Gabriel schon zu einem früheren Zeitpunkt informell über die Vorwürfe gegen Edathy informiert hatte. Dies hatte zur Folge, dass Friedrich schließlich aufgrund des großen öffentlichen Drucks von seinem Amt als Bundesminister zurücktrat.164 Die Staatsanwaltschaft bestätigte erstmals am 14. 02. 2014 den gegen Sebastian Edathy erhobenen Tatvorwurf des Besitzes kinderpornografischen Materials. Edathy soll zwischen 2005 und 2010 im Online-Shop eines kanadischen Unternehmens Fotos und Videos bestellt haben, die nach Angaben der Staatsanwaltschaft jedoch in einen strafrechtlichen „Grenzbereich“ fallen würden und nicht eindeutig als Kinderpornografie eingestuft werden könnten.165 Darüber hinaus wurden Mutmaßungen laut, wonach Sebastian Edathy einige Tage vor der Durchsuchung aus Reihen des Bundestags über die geplanten Ermittlungen gegen ihn informiert worden sei und Beweise vernichtet habe. Im Mai 2014 wurde bekannt, die Auswertungen des Bundestagsservers durch das Landeskriminalamt Niedersachsen habe Beweise dafür geliefert, dass Edathy im November 2013 mindestens 21 kinderpornografische Bilder mit seinem DienstLaptop aus dem Internet abgerufen habe. Hierbei handle es sich nunmehr jedoch um Material, das als strafrechtlich relevant einzuordnen sei. Die Verbindungsdaten stammten von einem Laptop, den Edathy am 31. 01. 2014 als gestohlen gemeldet hatte.166 Die von Sebastian Edathy gegen die Durchsuchungen eingelegten Beschwerden wies das Landgericht Hannover als unbegründet zurück, da es den erforderlichen Anfangsverdacht als gegeben ansah.167 Die daraufhin gegen die Hausdurchsuchungen eingelegte Verfassungsbeschwerde nahm das Bundesverfassungsgericht zwar nicht zur Entscheidung an, bestätigte in seinem Beschluss jedoch die Rechtsauffassung Edathys, dass die Durchsuchungen rechtswidrig erfolgt seien, da 163 https://www.facebook.com/edathy/posts/671588442903926 (zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021). 164 „Minister Friedrich tritt zurück“ vom 14. 02. 2014 auf zeit.de (http://www.zeit.de/politik/ deutschland/2014-02/hans-peter-friedrich-seabstian-edathy-ruecktritt, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021). 165 „Staatsanwaltschaft Hannover: ,Wir sind fassungslos‘“ vom 14. 02. 2014 auf tagesspiegel.de (https://www.tagesspiegel.de/politik/der-fall-edathy-und-die-ermittler-staatsanwalt schaft-hannover-wir-sind-fassungslos/9486918.html, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021). 166 „Dubioses aus dem Datenspeicher“ vom 03. 05. 2014 auf sueddeutsche.de (https://www. sueddeutsche.de/politik/neue-entwicklung-im-fall-edathy-dubioses-aus-dem-datenspeicher-1.1 948702, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021). 167 „Edathy scheitert mit Beschwerden gegen Hausdurchsuchungen“ vom 06. 04. 2014 auf faz.net (https://www.faz.net/aktuell/politik/affaere-um-kinderbilder-edathy-scheitert-mit-be schwerden-gegen-hausdurchsuchungen-12882547.html, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021).

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die parlamentarische Immunität noch bis einschließlich 10. 02. 2014 fortbestanden habe.168 Am 17. 02. 2014 beschloss die SPD-Parteiführung, die Mitgliedsrechte Edathys in der Partei „unabhängig von der strafrechtlichen Relevanz“ – so der Vorsitzende Siegmar Gabriel – vorerst ruhen zu lassen.169 Die Staatsanwaltschaft Hannover erhob am 17. 07. 2014 vor dem Landgericht Verden Anklage wegen des Besitzes und des Erwerbs kinderpornografischer Schriften.170 Das Landgericht Verden ließ die Anklage zu und bestimmte den ersten Hauptverhandlungstag auf den 23. 02. 2015.171 Am 02. 03. 2015 ließ sich Edathy in einer Prozesserklärung über seinen Anwalt dahingehend ein, dass die erhobenen Vorwürfe zuträfen. Im Anschluss daran wurde das Verfahren wegen der „geständigen Einlassung“ des Angeklagten gegen Zahlung einer Geldauflage in Höhe von 5.000,00 Euro nach § 153a StPO eingestellt.172 Der für den Empfang der Geldauflage vorgesehene Kinderschutzbund Niedersachsen lehnte die Annahme des Geldbetrags jedoch mit der Begründung ab, dass von der Einstellung das „fatale Signal“ ausgehe, man könne sich von Vergehen an Kindern freikaufen.173 Das Gericht bestimmte daraufhin eine andere gemeinnützige Organisation als Geldempfänger. In dem am 02. 07. 2014 konstituierten Untersuchungsausschuss des Bundestags soll geklärt werden, weshalb die Liste mit Bestellungen des kinderpornografischen Materials, auf der sich auch Edathys Name befand, monatelang unbeachtet blieb und auf welchem Weg die Weitergabe von Daten und Informationen an die Bundesre168

BVerfG NJW 2014, 3085 (3086). „SPD-Ordnungsverfahren: Edathy droht Parteiausschluss“ vom 17. 02. 2014 auf spiegel.de (http://www.spiegel.de/politik/deutschland/spd-gabriel-strebt-parteiordnungsverfahrengegen-edathy-an-a-954005.html, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021). 170 Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft Hannover vom 17. 07. 2014, veröffentlicht auf staatsanwaltschaften.niedersachsen.de (nicht mehr abrufbar). 171 Pressemitteilung des Landgerichts Verden vom 18. 11. 2014 auf landgericht-verden.niedersachsen.de (http://www.landgericht-verden.niedersachsen.de/aktuelles/hauptverhand lung-in-der-strafsache-gegen-sebastian-edathy-130891.html, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021). 172 Pressemitteilung des Landgerichts Verden vom 03. 03. 2015 auf landgericht-verden.niedersachsen.de (http://www.landgericht-verden.niedersachsen.de/aktuelles/hauptverhand lung-in-der-strafsache-gegen-sebastian-edathy-130891.html, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021). Edathy hingegen bestritt, dass es sich um ein Geständnis gehandelt habe: „Ich begrüße die Einstellung des Verfahrens durch das Landgericht Verden. Eine Fortsetzung wäre unverhältnismäßig gewesen. – Ich weise darauf hin, dass ein ,Geständnis‘ ausweislich meiner heutigen Erklärung nicht vorliegt. Die Staatsanwaltschaft war mit dem Wortlaut der Erklärung einverstanden. Eine Schuldfeststellung ist damit ausdrücklich nicht getroffen worden.“ (https: //www.facebook.com/edathy/posts/889535514442550, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021). 173 „Nach Gerichtsentscheidung: Kinderschutzbund lehnt Geld von Edathy ab“ vom 03. 03. 2015 auf spiegel.de (http://www.spiegel.de/politik/deutschland/sebastian-edathy-kinderschutz bund-will-sein-geld-nicht-a-1021576.html, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021). 169

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1. Kap.: Die Person des öffentlichen Lebens in der Strafverfolgung

gierung und Edathy erfolgte. Auch der Fall eines Beamten des Bundeskriminalamts, dessen Name sich ebenfalls auf der Kundenliste befand, stand auf der Tagesordnung.174 2. Die Tätigkeit der Staatsanwaltschaft in der „Edathy-Affäre“ Schon im Verfahren gegen Christian Wulff sah sich die Staatsanwaltschaft Hannover erheblicher Kritik und Generalstaatsanwalt Frank Lüttig sogar einem Ermittlungsverfahren gegen seine Person ausgesetzt.175 Auch im Fall Edathy bot die Arbeit der niedersächsischen Strafverfolgungsbehörde reichlich Anlass für Zweifel. Rechtliche Kontroversen rief bereits die Frage hervor, ob die Einleitung des Ermittlungsverfahrens gegen Sebastian Edathy mit den rechtsstaatlichen Anforderungen an das Vorliegen eines Anfangsverdachts vereinbar gewesen sei. Presseberichten zufolge hat sich Edathy über den kanadischen Internetanbieter, auf dessen Kundenliste sein Name zu finden war, nachweislich ausnahmslos legale Bild- und Videoaufnahmen bestellt, die den Straftatbestand des § 184b StGB nicht erfüllten.176 Die Staatsanwaltschaft Hannover bejahte dennoch einen Anfangsverdacht, da aufgrund „kriminalistischer Erfahrung“ davon auszugehen sei, dass ein Besteller solchen Materials auch strafrechtlich relevante Bilder oder Filme besitze.177 Sie schloss damit allein aufgrund eines legalen Verhaltens auf ein strafbares Verhalten. Darin sah Edathys Anwalt eine Verletzung der Persönlichkeitsrechte seines Mandanten und legte Verfassungsbeschwerde gegen die Durchsuchung sowie Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den Leiter der Staatsanwaltschaft Hannover ein. Die Hürde des Anfangsverdachts soll den Bürger vor rechtlicher Verfolgung aufgrund von reinen Spekulationen und Vermutungen schützen. Thomas Fischer als Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof äußerte Zweifel daran, dass die Grenzziehung der Staatsanwaltschaft Hannover im Fall Edathy noch rechtmäßig gewesen ist: „Wenn nun aber die, die das Erlaubte tun, ,nach kriminalistischer Erfahrung‘ stets auch das Unerlaubte tun und deshalb, gerade weil sie Erlaubtes tun, vorsorglich schon einmal mit

174

Informationen zum 2. Untersuchungsausschuss auf bundestag.de (https://www.bundes tag.de/webarchiv/Ausschuesse/ausschuesse18/ua/2untersuchungsausschuss, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021). 175 Hierzu ausführlich oben Erstes Kapitel, A. IV. 2. 176 So z. B. „Anfangsverdacht im Graubereich“ vom 17. 02. 2014 auf taz.de (http://www.taz. de/!5048373/, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021); „Unbekleidet, aber nicht illegal“ vom 12. 02. 2014 auf sueddeutsche.de (http://www.sueddeutsche.de/politik/ermittlungen-gegen-spd-politi ker-edathy-unbekleidet-aber-nicht-illegal-1.1887030, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021). 177 „Wie aus ,strafrechtlich irrelevant‘ eine Razzia wurde“ vom 15. 02. 2014 auf sueddeutsche.de (http://www.sueddeutsche.de/politik/fall-edathy-wie-aus-strafrechtlich-irrelevant-ei ne-razzia-wurde-1.1889578, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021).

A. Medienwirksame Strafverfahren der Vergangenheit

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Ermittlungsverfahren überzogen werden müssen, hat die Grenzziehung jeden praktischen Sinn verloren.“178

Auch wenn sowohl das Landgericht Hannover179 als auch das Bundesverfassungsgericht180 den Anfangsverdacht bestätigten, so legen es die Persönlichkeitsrechte des Betroffenen sowie das Gebot des rechtsstaatlichen Verfahrens nahe, einen allein auf spekulativen kriminalistischen Hypothesen beruhenden Anfangsverdacht als rechtsstaatswidrig anzusehen.181 Monika Frommel spricht hier jedenfalls von einem „Grenzbereich zur Rechtsbeugung“.182 Die Annahme des Tatverdachts aufgrund legaler Verhaltensweisen erscheint faktisch als Paradebeispiel unzulässiger Vorverurteilung. Es soll und kann nicht Aufgabe dieser Untersuchung sein, die rechtsstaatlichen Anforderungen an das Vorliegen eines Anfangsverdachts allgemein oder speziell im Fall Edathys zu bestimmen. Aufgezeigt werden soll hier lediglich, dass vorliegend bereits die Annahme eines Anfangsverdachts und damit die Einleitung des Ermittlungsverfahrens sowie Anordnung und Durchführung der Durchsuchungen rechtsstaatlich zumindest diskussionswürdig waren. Die sozial vernichtenden Folgen der damit öffentlich gewordenen Ermittlungen für den Betroffenen als Person des öffentlichen Lebens sind derart gravierend und unumkehrbar, dass der Staatsanwaltschaft gerade in medienwirksamen Verfahren gegen bekannte Persönlichkeiten zu besonderer Zurückhaltung geraten werden muss. Dies hätte im Fall Edathys insbesondere dann gelten müssen, wenn auf einen derart „dünnen“ Anfangsverdacht grundrechtsinvasive und öffentlichkeitswirksame Ermittlungsmaßnahmen wie eine Wohnungsdurchsuchung gestützt werden. Das Bundesverfassungsgericht stellte in seinem Beschluss über die Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde überdies fest, dass die Einleitung des Ermittlungsverfahrens sowie Anordnung und Durchführung der Durchsuchungen am 10. 02. 2014 wegen Fortbestehens der parlamentarischen Immunität Edathys rechtswidrig gewesen waren.183 Damit ist der Umstand, dass Sebastian Edathy aufgrund rechtswidrig angeordneter und durchgeführter Ermittlungsmaßnahmen an den öffentlichen Pranger gestellt wurde, höchstrichterlich festgestellt. Unfehlbarkeit kann nicht der Anspruch sein, der an die Arbeit der Ermittlungsbehörden zu stellen 178 „Bitte entschuldigen Sie, Herr Edathy“ vom 06. 03. 2014 auf zeit.de (http://www.zeit. de/2014/10/staatsanwaltschaft-fall-edathy, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021). 179 Die Entscheidung des LG Hannover ist unveröffentlicht; siehe hierzu bspw. „Edathy scheitert mit Beschwerden gegen Hausdurchsuchungen“ vom 06. 04. 2014 auf faz.net (http: //www.faz.net/aktuell/politik/affaere-um-kinderbilder-edathy-scheitert-mit-beschwerden-gegenhausdurchsuchungen-12882547.html, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021). 180 BVerfG NJW 2014, 3085 (3087). 181 So ausführlich und mit überzeugender Argumentation Hoven, NStZ 2014, 361 (367). 182 „Interview zum Fall Edathy: ,Grenzbereich zur Rechtsbeugung‘“ vom 14. 02. 2014 auf hna.de (http://www.hna.de/politik/grenzbereich-rechtsbeugung-3366570.html (zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021). 183 BVerfG NJW 2014, 3085 (3086).

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1. Kap.: Die Person des öffentlichen Lebens in der Strafverfolgung

ist, dennoch zeigt der Fall Edathy, dass angesichts des Mechanismus der medialen Vernichtung das Ermittlungsgeheimnis184 gerade bei Personen des öffentlichen Lebens ein wichtiges rechtsstaatliches Gut ist. Denn die spätere Feststellung der Rechtswidrigkeit durch das Bundesverfassungsgericht kann ebenso wenig wie andere Maßnahmen den bereits erlittenen beruflichen und sozialen Verlust wieder umkehren. Vor dem Hintergrund dieser teils rechtlich fragwürdigen, teils eindeutig rechtswidrigen Vorgehensweise der Staatsanwaltschaft Hannover im Fall Edathy ist es umso bedenklicher, dass bei den Durchsuchungen durch Polizei und Staatsanwaltschaft bereits informierte Vertreter der Lokalpresse vor Ort waren. Es überrascht leider nicht mehr, dass bei Ermittlungsmaßnahmen gegen prominente Persönlichkeiten die Presse bereits vor ihrer Durchführung informiert und am Ort des Geschehens anwesend ist. Dieses „Durchstechen“ von Informationen scheint – wie bereits die vorstehenden Verfahrensdarstellungen gezeigt haben – bei medienwirksamen Strafverfahren unabhängig von der Strafbarkeit des preisgebenden Behördenmitarbeiters üblich und geduldet zu sein. Auch die von Edathy erhobene Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den Leiter der Staatsanwaltschaft Hannover, Oberstaatsanwalt Jörg Fröhlich, blieb erfolglos. Die gegen den Generalstaatsanwalt Frank Lüttig und den Präsidenten des Landgerichts Hannover wegen Verdachts des Geheimnisverrats geführten Ermittlungsverfahren wurden mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt.185 Mit der Dienstaufsichtsbeschwerde Edathys wurde nicht nur die Anwesenheit der Lokalreporter bei der Durchsuchung gerügt, sondern auch die fehlerhafte Information der Öffentlichkeit durch die niedersächsische Staatsanwaltschaft im Rahmen einer Pressekonferenz. Hier gab der leitende Oberstaatsanwalt Jörg Fröhlich an, es müsse erst noch geklärt werden, ob es sich bei dem durch Edathy bei dem kanadischen Internethändler bestellten Material um strafbare Kinderpornografie handle. Dabei habe es sich jedoch um eine klare Fehlinformation gehandelt, da die strafrechtliche Irrelevanz der Bilder bereits zuvor durch das Bundeskriminalamt gutachterlich festgestellt worden sei. Edathys Strafverteidiger, Rechtsanwalt Christian Noll, rügte den Gang der Staatsanwaltschaft Hannover an die Öffentlichkeit: „Was legal ist, ist immer auch privat; was jemand in seinen vier Wänden macht, geht die Öffentlichkeit nichts an, auch nicht bei dieser Thematik.“186 Die Behörde habe, so 184

Das „Ermittlungsgeheimnis“ (HK-StPO/Gercke/Temming, Einl. Rn. 83; Meyer-Goßner/ Schmitt, Einl. Rn. 60) folgt aus der Nichtöffentlichkeit des strafrechtlichen Vorverfahrens, welche nicht ausdrücklich gesetzlich geregelt ist, sondern insbesondere als argumentum e contrario aus § 169 S. 1 GVG folgt. Ausführlich zur Nichtöffentlichkeit des Ermittlungsverfahrens siehe unten Zweites Kapitel, B. 185 Pressemitteilungen der Staatsanwaltschaft Göttingen vom 04. 03. 2015 und 01. 06. 2015, veröffentlicht auf staatsanwaltschaften.niedersachsen.de (nicht mehr abrufbar). 186 „Edathy: Staatsanwalt lügt“ vom 17. 02. 2014 auf faz.net (http://www.faz.net/aktuell/poli tik/dienstaufsichtsbeschwerde-edathy-staatsanwalt-luegt-12806098.html, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021).

A. Medienwirksame Strafverfahren der Vergangenheit

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führt er in der Beschwerde weiter aus, Edathys „berufliche, soziale und private Stellung mit diesem Vorgehen von einer Minute auf die andere ausgelöscht“.187 Gerade diese unumkehrbare Existenzvernichtung durch die Veröffentlichung strafrechtlich irrelevanter Sachverhalte lässt den Vorwurf Nolls, die Staatsanwaltschaft habe in Anbetracht der prominenten Stellung des Beschuldigten „jedes Augenmaß vermissen“188 lassen, gerechtfertigt erscheinen. Die dargestellten rechtlich zumindest zweifelhaften bis eindeutig rechtswidrigen Maßnahmen der Ermittlungsbehörden sind bei Personen des öffentlichen Lebens von besonderer Brisanz, da sämtliche Ermittlungstätigkeit Gegenstand umfassender Medienberichterstattung wird und dies den Betroffenen samt noch unbestätigter Tatvorwürfe in die Öffentlichkeit zerrt und damit an den öffentlichen Pranger stellt. Im Fall Edathys erfolgte die öffentliche Anprangerung bereits aufgrund sicherlich moralisch verwerflicher, strafrechtlich jedoch irrelevanter Verhaltensweisen. Die Frage nach der Verhältnismäßigkeit der Ermittlungen, dem ausreichenden Schutz der Persönlichkeitsrechte des Betroffenen sowie der nötigen Unterscheidung zwischen Recht und Moral muss sich die Staatsanwaltschaft Hannover daher wohl auch in diesem Fall gefallen lassen. 3. Das „Medienverfahren“ gegen Sebastian Edathy Wie Heribert Prantl festgestellt hat, wurde die eigentliche Strafe gegen Sebastian Edathy in Form von „allgemeiner Verdammnis, Ausschluss aus der Gesellschaft und öffentlicher Beschämung“ bereits weit vor Beginn des tatsächlichen Strafprozesses verhängt und vollstreckt.189 Es handelte sich nicht um ein strafprozessuales, sondern ein rein mediales Verfahren, mit der Öffentlichkeit auf der Richterbank. Tendenziös und vermeintlich ausreichend informiert durch die Presseberichterstattung stellte die Gesellschaft bei ihrer „Urteilsfindung“ politische und moralische Argumente über strafrechtliche sowie prozessuale Regelungen. Die dem Schutz des Betroffenen dienende Unschuldsvermutung schien hier durch die moralische Verwerflichkeit seines Handelns außer Kraft gesetzt.

187 „Edathy: Staatsanwalt lügt“ vom 17. 02. 2014 auf faz.net (http://www.faz.net/aktuell/poli tik/dienstaufsichtsbeschwerde-edathy-staatsanwalt-luegt-12806098.html, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021). 188 „Edathy: Staatsanwalt lügt“ vom 17. 02. 2014 auf faz.net (http://www.faz.net/aktuell/poli tik/dienstaufsichtsbeschwerde-edathy-staatsanwalt-luegt-12806098.html, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021). 189 „Beschämt und verdammt“ vom 22. 02. 2015 auf sueddeutsche.de (https://www.sueddeut sche.de/meinung/strafverhandlung-gegen-sebastian-edathy-beschaemt-und-verdammt-1.23 59790, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021).

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1. Kap.: Die Person des öffentlichen Lebens in der Strafverfolgung

Es ist Prantl190 daher zuzustimmen, dass man den Beschuldigten nicht mögen muss, um die fehlende Rechtsstaatlichkeit des medial geführten Verfahrens gegen Edathy zu tadeln. So verwerflich ein Verhalten im moralischen Sinne auch sein mag, die Empörung über selbiges darf die rechtsstaatlichen Grenzen und Regelungen nicht außer Kraft setzen und die Unschuldsvermutung vergessen lassen, welche nicht etwa durch einen besonders schweren oder verwerflichen Tatvorwurf verwirkt werden kann. Anders als der Staatsanwaltschaft ist der Öffentlichkeit eine fehlende Unterscheidung zwischen Recht und Moral jedoch nur schwer vorzuwerfen. Charakteristika eines jeden gesellschaftlichen Urteils sind die Berechtigung zur Subjektivität sowie der Schutz des Kollektivs, so dass der Einzelne für ein Ergebnis nicht verantwortlich gemacht werden kann. Das Individuum vorverurteilt im Schutz der Gemeinschaft, gerechtfertigt durch eine tendenziöse Berichterstattung, ausgelöst von einer zweifelhaft agierenden Ermittlungsbehörde. Die Kritik an dem gegen Edathy geführten „Medienverfahren“ muss damit bei der Ermittlungs- und Öffentlichkeitsarbeit der Staatsanwaltschaft ansetzen und kann erst in einem zweiten Schritt die Presse in die Verantwortung nehmen. Kritik an der Arbeit der Presse verursachte bereits der Bericht in „Die Harke“ über die Durchsuchung in der Privatwohnung Edathys, in deren Rahmen unter anderem ein Foto aus der Wohnung des Beschuldigten veröffentlicht wurde. Dieses war offenbar von einer Balustrade vor der Wohnung im ersten Stock aus entstanden, der Fotograf hat die Wohnung Edathys somit nicht betreten. Dennoch gingen die Meinungen, ob die Redaktion mit der Veröffentlichung des Bildes journalistische Regeln verletzt habe, weit auseinander. Der verantwortliche Redakteur selbst sah in der Veröffentlichung „kein Problem“.191 Der Presserat hingegen kritisierte den Abdruck des Bildes. Die Veröffentlichung missachte das Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung sowie die Pflicht zum Schutz der Persönlichkeit nach Ziffer 8 des deutschen Pressekodex.192 Bei der Beurteilung der Veröffentlichung kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Anfangsverdacht gegen Sebastian Edathy zu diesem Zeitpunkt „auf wackligen Beinen“ stand. Eine Presseberichterstattung, die einen derart amorali190 „Beschämt und verdammt“ vom 22. 02. 2015 auf sueddeutsche.de (https://www.sueddeut sche.de/meinung/strafverhandlung-gegen-sebastian-edathy-beschaemt-und-verdammt-1.23 59790, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021). 191 „Lokalzeitung Die Harke in der Kritik wegen Durchsuchungsfoto“ vom 11. 02. 2014 auf meedia.de (http://meedia.de/2014/02/11/lokalzeitung-die-harke-in-der-kritik-wegen-durchsu chungsfoto/, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021). 192 „Fotos von Edathys Wohnung gerügt“ vom 13. 03. 2014 auf tagesspiegel.de (http://www. tagesspiegel.de/medien/schwerer-verstoss-gegen-persoenlichkeitsschutz-fotos-von-edathyswohnung-geruegt/9613600.html, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021). Auch wenn der entsprechende Online-Artikel von „Die Harke“ das umstrittene Bild aus der Wohnung Edathys heute nicht mehr abbildet (https://www.dieharke.de/Nachrichten/Staatsanwaltschaft-ermittelt-gegenEdathy-46015.html, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021), sind sie weiterhin über die Suchmaschine „Google“ im Internet zu finden.

A. Medienwirksame Strafverfahren der Vergangenheit

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schen und gleichzeitig ungesicherten Tatvorwurf zum Gegenstand hat, muss dem Schutz der Persönlichkeit des Betroffenen mehr Gewicht einräumen. Aber auch hier trägt die vor allem nach wirtschaftlichen Interessen agierende Presse nur einen Teil der Verantwortung: Es war die Staatsanwaltschaft, die die Information über die anstehende Untersuchung an die Presse „durchsickern“ ließ und damit eine derart entwürdigende Presseberichterstattung vom Ort des Geschehens erst ermöglichte. Die Wucht der medialen Berichterstattung zeigte sich unmittelbar nach dem Bericht der Lokalzeitung „Die Harke“: Fest stand zu diesem Zeitpunkt lediglich der Mandatsverzicht Edathys aus „gesundheitlichen Gründen“ sowie die Durchsuchungen seiner Wohnung und seines Büros durch Polizei und Staatsanwaltschaft. Ein konkreter Tatvorwurf war noch von keiner Seite offiziell bestätigt. Dass dem SPDPolitiker der Besitz kinderpornografischen Materials vorgeworfen werde, entstammte allein dem Bericht des Lokalblatts. Dennoch wurde diese Mutmaßung noch am selben Tag von den großen Medien weitergegeben und die sozialen Netzwerke trugen ihren Teil zur massenmedialen Verbreitung der unbestätigten aber höchst unrühmlichen Vorwürfe bei. Aber auch die nach offizieller Bekanntgabe des Tatvorwurfs fortgesetzte Berichterstattung über die Causa Edathy ließ eine Besinnung auf den „wackeligen“ Anfangsverdacht sowie die Unschuldsvermutung zugunsten des Beschuldigten nur allzu oft vermissen. Das gesamte Geschehen um die Person Sebastian Edathys basierte zu diesem Zeitpunkt allein auf einer hypothetischen Annahme aufgrund „kriminalistischer Erfahrung“. Ohne auch nur ansatzweise bewiesenes strafbares Verhalten, hatte die vernichtende Wucht der medialen Berichterstattung die persönliche und berufliche Existenz des ehemals angesehenen Politikers bereits zerstört. Gegenüber dem Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ gab Edathy an, sogar etliche Morddrohungen erhalten zu haben und daher vorerst von einer Rückkehr nach Deutschland Abstand genommen zu haben.193 Dass die schwerwiegenden Vorwürfe auf besondere Sensibilität in der Bevölkerung treffen und eine moralisch nachvollziehbare Empörung hervorrufen, ist weder verwunderlich noch zu verurteilen. Gerade in derartigen Fällen ist es jedoch die Aufgabe der Justiz und auf zweiter Stufe der berichterstattenden Medien, in der Öffentlichkeit Verständnis zu schaffen für die Regeln eines rechtsstaatlichen Verfahrens und die Rechte des Beschuldigten. Die Einstellung des Verfahrens gegen Geldauflage rief breite Empörung hervor. An dieser Stelle wären Bemühungen der Justiz wünschenswert, die prozessuale Möglichkeit einer Verfahrenseinstellung verständlich zu machen, die Gründe für eine derartige Entscheidung verständlich zu kommunizieren und so dem Eindruck eines „Freikaufens“ entgegenzuwirken. Das Unverständnis der breiten Öffentlichkeit für diese Verfahrensbeendigung ist indes nicht nur dem fehlenden juristischen 193 „Kinderporno-Affäre: Morddrohungen gegen SPD-Politiker Edathy“ vom 23. 03. 2014 auf spiegel.de (http://www.spiegel.de/politik/deutschland/kinderporno-affaere-morddrohungengegen-edathy-a-955135.html, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021).

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1. Kap.: Die Person des öffentlichen Lebens in der Strafverfolgung

Fachwissen geschuldet, sondern vor allem auch der öffentlichkeitswirksamen Ermittlungstätigkeit der Staatsanwaltschaft Hannover und der intensiven Berichterstattung. Im Verhältnis zu dem harten medial vermittelten „Vor-Urteil“ kann eine Verfahrenseinstellung gegen Zahlung von 5.000,00 Euro nur lächerlich erscheinen. Dabei handelt es sich bei derartigen Einstellungen um ein wahres Massengeschäft im Strafverfahren.194 Auch die Bemessung der Geldauflage nach den Einkommensverhältnissen des Betroffenen ist der Öffentlichkeit in aller Regel unbekannt, so dass an der Höhe der Summe zumeist das vermeintlich von den Strafverfolgungsbehörden der Tat beigemessene Gewicht abgelesen wird. Die Empörung in der Bevölkerung war derartig groß, dass eine Online-Petition gegen die Verfahrenseinstellung als „Freibrief für alle Pädophilen“ über 200.000 Unterstützer fand195 und sich auch andere „Prominente“ in sozialen Netzwerken über die vermeintliche Unverhältnismäßigkeit der gerichtlichen Entscheidung mehr oder weniger sachlich ereiferten.196 Mit dem Etikett des Pädophilen steht Edathy seitdem am Rand der Gesellschaft. Nicht fern liegt der mehrfach gezogene Vergleich zu Heinrich Bölls „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“, wenn auch noch 40 Jahre später die gesellschaftliche Existenz einer juristisch unbescholtenen Person derart zerstört ist, nur weil es sich bei dem geäußerten Vorwurf um ein Tabuthema handelt.197 In der Gesamtschau zeigt sich im Fall Edathy wie schnell das öffentliche Urteil auch auf Grundlage schlichter Hypothesen gefällt wird und wie die moralische Verwerflichkeit des Tatvorwurfs die rechtsstaatlichen Grundsätze außer Kraft zu setzen scheint. Im Hinblick auf die ermittlungsbehördliche sowie mediale Tätigkeit im Fall Edathy wünscht man sich eine Besinnung auf den eindringlichen und richtigen Satz von Christian Noll: „Was legal ist, ist auch immer privat“.198 194 Allein in Niedersachsen wurden im Jahr 2016 insgesamt 12.895 strafrechtliche Hauptverfahren durch eine Einstellung beendet, was 14,9 % der Abgeurteilten entspricht, vgl. den Bericht des Landesamts für Statistik Niedersachsen „Rechtskräftig Abgeurteilte und Verurteilte 2012“ auf statistik.niedersachsen.de (http://www.statistik.niedersachsen.de/themen bereiche/rechtspflege/themenbereich-rechtspflege–statistische-berichte-87581.html, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021). 195 Petition „Widerspruch gegen die Einstellung des Verfahrens ,Edathy‘!“ (https://www. openpetition.de/petition/online/widerspruch-gegen-die-einstellung-des-verfahrens-edathy, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021). 196 „,Irgendetwas stimmt hier nicht …!‘ – wie sich die Edathy-Wut im Web entlädt“ vom 03. 03. 2015 auf meedia.de (http://meedia.de/2015/03/03/irgendetwas-stimmt-hier-nicht-wiesich-die-edathy-wut-im-web-entlaedt/, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021). 197 „Fall Edathy: Exkludierende öffentliche Beschämung“ vom 18. 02. 2014 auf novo-argumente.com (nicht mehr abrufbar – zuletzt abgerufen am 29. 09. 2015); „Beschämt und verdammt“ vom 22. 02. 2015 auf sueddeutsche.de (https://www.sueddeutsche.de/meinung/straf verhandlung-gegen-sebastian-edathy-beschaemt-und-verdammt-1.2359790, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021). 198 So wird der Verteidiger Edathys aus der Dienstaufsichtsbeschwerde zitiert in „Edathy: Staatsanwalt lügt“ vom 17. 02. 2014 auf faz.net (http://www.faz.net/aktuell/politik/dienstauf sichtsbeschwerde-edathy-staatsanwalt-luegt-12806098.html, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021).

B. Die Person des öffentlichen Lebens

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VI. Zusammenfassung Die vorstehend beispielhaft dargestellten Verfahren haben neben gravierenden Tatvorwürfen vor allem eins gemeinsam: Die gesellschaftliche Stellung des Betroffenen als Person des öffentlichen Lebens. Die Betrachtung dieser Verfahren macht deutlich, welche Schwierigkeiten der Schutz der Persönlichkeitsrechte den Staatsanwaltschaften in Ermittlungsverfahren gegen bekannte Persönlichkeiten bereitet und dass es hier immer wieder zu fragwürdigen Entscheidungen kommt. Darüber hinaus hat sich gezeigt, mit welcher Wucht die mediale Lawine – losgetreten durch die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft – die berufliche sowie soziale Existenz des Beschuldigten überrollt. Unabhängig vom eigentlichen Verfahrensausgang steht am Ende jedes (Ermittlungs-)Verfahrens für den Betroffenen bis auf weiteres die gesellschaftliche Verdammnis. Zudem wurde deutlich, dass scheinbar kaum ein Ermittlungsverfahren gegen eine prominente Persönlichkeit ohne das „Durchstechen“ von Informationen auskommt. Die Folgen derartig an die Medien gelangter und anschließend verbreiteter Informationen sind – unabhängig von der Strafbarkeit der das Dienstgeheimnis verletzenden Person – für den Betroffenen zumeist existenzvernichtend und damit unumkehrbar. Heribert Prantl spricht hier nicht umsonst von einer modernen Form der „damnatio memoriae“ (lat. „Verdammung des Andenkens“) als neuer Sanktions-Art bei prominenten Beschuldigten.199 Bereits der Blick auf die wenigen dargestellten Verfahren macht deutlich, dass die Stellung des Betroffenen als Person des öffentlichen Lebens einen vielfältigen Einfluss auf das gesamte Verfahren hat. Anknüpfungspunkt der vermehrten Publizität in Strafverfahren gegen bekannte Persönlichkeiten ist deren Stellung als Person des öffentlichen Lebens. Diese Stellung scheint nicht nur Einfluss auf die Verfahrenswirklichkeit zu haben, sondern auch den Rahmen des rechtlichen Dürfens von Strafverfolgungsbehörden und Medien im Hinblick auf die Veröffentlichung von Informationen aus dem Verfahren zu verschieben. Im nächsten Abschnitt soll daher die „Person des öffentlichen Lebens“ in den Fokus rücken und als Untersuchungsgruppe bestimmt werden.

B. Die Person des öffentlichen Lebens Die dargestellten Beispielverfahren vermitteln einen ersten Eindruck von den intensiven und grundrechtsinvasiven Beeinträchtigungen, denen sich bekannte Persönlichkeiten in einem Strafverfahren ausgesetzt sehen. Aufgrund ihrer Position in der Gesellschaft und dem sich daraus ergebenden gesteigerten medialen Interesse 199 „Koalitionskrise – Politiker und die Kontaktschuld im Fall Edathy“ vom 17. 02. 2014 auf sueddeutsche.de (http://www.sueddeutsche.de/politik/koalitionskrise-auf-der-flucht-vor-eda thy-1.1890753-2, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021).

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1. Kap.: Die Person des öffentlichen Lebens in der Strafverfolgung

erleben „prominente“ Beschuldigte die (mediale) Öffentlichkeit im Strafverfahren in einem anderen Maße. Begründet durch das gesellschaftliche Interesse betreiben die Strafverfolgungsbehörden oftmals eine extensive Öffentlichkeitsarbeit, welche eine umfassende Verdachtsberichterstattung nach sich zieht und damit das Strafverfahren für bekannte Persönlichkeiten zu einer besonderen und existenzgefährdenden Belastung werden lässt. Ob sich an die Stellung des Beschuldigten als Person des öffentlichen Lebens eine erweiterte Duldungspflicht hinsichtlich der ermittlungsbehördlichen Öffentlichkeitsarbeit sowie der medialen Berichterstattung anschließt oder dem Betroffenen vielmehr ein erhöhtes Maß an persönlichkeitsrechtlichem Schutz zu gewähren ist, soll Gegenstand dieser Untersuchung sein. Selbst wenn es sich bei dem Begriff der Person des öffentlichen Lebens nicht um einen auslegungsbedürftigen Rechtsbegriff handelt, kann eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den tatsächlichen sowie rechtlichen Besonderheiten, die für prominente Betroffene gerade im Hinblick auf den Schutz ihres Persönlichkeitsrechts im Strafverfahren gelten, nicht ohne eine Beschreibung und Umgrenzung dieser Personengruppe erfolgen. Um die Auswirkungen der gesellschaftlich exponierten Stellung des Betroffenen auf die Öffentlichkeitsarbeit der Justiz sowie die Presseberichterstattung de lege lata (lat., nach geltendem Recht) untersuchen zu können und gegebenenfalls Lösungsansätze de lege ferenda (lat., nach neu zu erlassendem Recht) zu finden, ist daher zunächst die hier gegenständliche Person des öffentlichen Lebens begrifflich sowie inhaltlich zu bestimmen.

I. Allgemeinsprachlicher und sozialwissenschaftlicher Bedeutungsgehalt Nähert man sich dem Terminus der Person des öffentlichen Lebens zu Beginn unter allgemeinsprachlichen Gesichtspunkten, so sind hierunter zunächst ganz allgemein Persönlichkeiten zu fassen, die in der Öffentlichkeit stehen, am öffentlichen Leben Teil haben und denen daher ein gewisser Bekanntheitsgrad zukommt.200 Das Wirken dieser Personen wird folglich von einem großen Teil der Gesellschaft wahrgenommen und ist für die Öffentlichkeit von – unterschiedlich begründetem – großem Interesse. Kurz gesagt ist die Person des öffentlichen Lebens eine der breiten Öffentlichkeit bekannte Persönlichkeit. Es ist also vor allem die Teilhabe am öffentlichen Leben, die die gesellschaftliche Stellung der Person bestimmt. Nachdem der Begriff „öffentlich“ historisch durch ein vielfältiges und nicht eindeutiges Bedeutungsverständnis geprägt war,201 wird er heute als Gegenbegriff zu 200 Vgl. auch von Becker, S. 177, der die Bezeichnung einer Person als eine solche des „öffentlichen Lebens“ als demonstrativ und intendierend ansieht. 201 Siehe hierzu den informativen, aber für die hiesigen Zwecke angemessen kurzen Überblick über die historische Entwicklung des Begriffs „öffentlich“ bei Loock, S. 26 ff. m. w. N.

B. Die Person des öffentlichen Lebens

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„privat“ verstanden. Wobei eine klare Grenzziehung jedoch unmöglich ist, da öffentliches und privates Leben sich berühren, miteinander verbunden sind und sich wechselseitig durchdringen.202 Als privat ist der Bereich des Lebens zu verstehen, den der Einzelne nur für sich selbst und für einen kleinen Kreis von Familie und Gemeinschaft will. Öffentlich hingegen ist das, was für jeden zugänglich ist, an dem jeder teilhaben kann und was gemeinschaftlichen Zwecken dient.203 Das öffentliche Leben meint damit das von der Gesellschaft wahrnehmbare Leben des Einzelnen, aber auch das Wirken der Gesellschaft als Kollektiv. Dieses Leben findet statt im öffentlichen Raum, auf der Straße, in öffentlichen Gebäuden, auf öffentlichen Veranstaltungen und – heute wichtiger denn je – in den Medien. Aufgrund des erleichterten Zugangs der Allgemeinheit zu modernen Massenmedien bieten diese die historisch neue Chance, Vorgänge aus allen Lebensbereichen (Staat, Gesellschaft, Wirtschaft, Politik und Kultur) einem breiten Publikum zu vermitteln und offen zu legen.204 Heute findet das öffentliche Leben ganz überwiegend in den Medien statt und Informationen über für die Öffentlichkeit interessante Sachverhalte und Personen werden durch die (Massen-)Medien vermittelt.205 Öffentlichkeit ist damit heute auch immer und vor allem Medienöffentlichkeit.206 Im modernen allgemeinen Sprachgebrauch wird bedeutungsgleich mit der Person des öffentlichen Lebens vielfach auch der Begriff des „Prominenten“ verwendet. Der Terminus der Prominenz (von lat. prominentia, das Hervorragende) wird auch in der Sozialpsychologie herangezogen.207 Prominenz speist sich danach vor allem aus dem (bewussten) öffentlichen Auftritt und dem daraus wachsenden erheblichen Interesse der Gesellschaft an einer Person. Damit ist der Prominente die klassische Person des öffentlichen Lebens. In der Sozialwissenschaft wird Prominenz sowohl normativ und leistungsbezogen208 als auch deskriptiv und abhängig vom reinen Bekanntheitsgrad einer Person verstanden.209 Angesichts der massenmedialen Entwicklungen und der 202

RGSt 67, 101 (2. Strafsenat). Mittels dieser Differenzierung anhand des öffentlichen Zwecks unterschied der 2. Strafsenat des Reichsgerichts im Jahr 1933 zwischen dem privaten und öffentlichen Leben, RGSt 67, 101 f. 204 Loock, S. 37; Paschke, Medienrecht, S. 9. 205 Zu Recht weist Loock, S. 37 ff., auf die Bedeutung des Medienkonsums in unserer heutigen Gesellschaft hin. 206 Zur Medienöffentlichkeit als Gerichtsöffentlichkeit siehe unten Zweites Kapitel, A. II. 1.; zur Rolle und Funktion der Medien im Strafverfahren siehe unten Viertes Kapitel, A. II. 207 Das Phänomen der „Prominenz“ ist in sozialpsychologischer Hinsicht von komplexen und vielfältigen Bezügen sowie Wechselwirkungen des gesellschaftlichen Prozesses gekennzeichnet (Schneider, S. 24). Für diese Untersuchung ist „Prominenz“ trotz ihrer Komplexität jedoch auf einen zu Definitionszwecken begrenzten Nenner zu reduzieren. Vgl. ausführlich zu den sozialwissenschaftlichen Grundlagen des „Prominenz“-Begriffs Meinecke, S. 124 ff. 208 Linz, S. 26 ff.; Peters, Prominenz, S. 78, 81 ff.; vgl. ausführlich zu verschiedenen Prominenzmodellen auch Meinecke, S. 126 ff. 209 Meinecke, S. 20, 128 ff., unter Verweis auf Peters, Prominenz, S. 78, 81, 84. 203

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hier gegenständlichen durch die mediale Begleitung des Strafverfahrens entstehenden invasiven Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte des Betroffenen, kann es für die Rechtmäßigkeit staatsanwaltschaftlicher Öffentlichkeitsarbeit sowie medialer Verdachtsberichterstattung bei Verfahren gegen Personen des öffentlichen Lebens nicht auf die Qualität der Bekanntheit ankommen, sondern lediglich auf das Bestehen eines öffentlichen Interesses an einer Person. Folglich ist für diese Untersuchung der Gruppe der Personen des öffentlichen Lebens der deskriptive Prominenzbegriff zugrunde zu legen. Danach ist „prominent“, wer von mehr Menschen gekannt wird, als er selbst aktiv kennt.210 Zugleich kann (nicht immer trennscharf) zwischen personell identifizierter, mithin an eine bestimmte Person und ihre Eigenschaften anknüpfende, sowie funktionsbezogener und damit an einen äußeren Status (beispielsweise den Beruf oder ein Amt) anknüpfende Prominenz differenziert werden.211 Während die sogenannte „Berufsprominenz“212 qualitativ sowie zeitlich an einen funktionalen Status gebunden ist, ist insbesondere die personell identifizierte Prominenz von einer wiederkehrenden Reproduktion durch gesellschaftliche Bestätigung abhängig.213 Den modernen (Massen-)Medien kommt in dieser Hinsicht eine Sonderrolle zu, da sie sowohl als Vermittler von Prominenz deren notwendige Bestätigung bewirken und zugleich als eigener „Prominenzsektor“ diese erst erschaffen.214 Im Hinblick auf die funktionsbezogene Prominenz begründet sich das öffentliche Interesse an einer Person durch ihr Wirken, ihre Position oder ihre Leistung (so zum Beispiel politische Amtsträger, Sportler, Wissenschaftler und Künstler) und die Medien fungieren diesbezüglich als Informationsstelle und Multiplikator hinsichtlich des Bekanntheitsgrades, in dem sie das öffentliche Interesse bedienen und zugleich aufrecht erhalten. Daneben gibt es solche Persönlichkeiten, die erst durch ihre Präsenz in den Medien ein öffentliches Interesse an ihrer Person begründen welches dann wiederum durch die Medien selbst bedient wird (so zum Beispiel bei Moderatoren, Schauspielern, Kandidaten einer Casting-Show). Dieses Phänomen benennt der Medienwissenschaftler Ulrich Schneider als „zeitgenössische Medienprominenz“.215 Hiernach stellt sich Prominenz als sozialpsychologisches Produkt dar, welches von der Gesellschaft nach ihren eigenen Regeln erzeugt, legitimiert und erhalten wird. Der Prominente als „Kollektiv-Individuum“ ist damit Spiegelbild und Leitbild der Gesellschaft und zeigt, wie gesellschaftlicher Erfolg funktioniert.216 Prominenz gilt als Phänomen „personalisierten Erfolgs“217, welcher losgelöst von der normativen 210

Meinecke, S. 20, 128 ff., unter Verweis auf Peters, Prominenz, S. 78, 81, 84. So zwar mit normativem Ansatz aber dennoch zutreffender Differenzierung Linz, S. 24; Meinecke, S. 128. 212 Zum Begriff der Berufsprominenz und seine Abgrenzung vgl. Meinecke, S. 21 ff., 134 ff. 213 Meinecke, S. 22; Schneider, S. 381. 214 Meinecke, S. 129. 215 Schneider, S. 30. 216 Braun, S. 36. 217 Schneider, S. 25. 211

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Grundlage allein durch den Wert des öffentlichen Interesses an einer Person bemessen wird. Der Bekanntheitsgrad einer Person hängt maßgeblich von deren Präsenz in den Medien ab. So findet ihr öffentliches Leben entweder gänzlich in der Medienöffentlichkeit statt oder wird zumindest von dieser an die Bevölkerung vermittelt und so das öffentliche Interesse geschaffen beziehungsweise aufrechterhalten. Insofern bemüht Schneider den Begriff der „Medienpersönlichkeit“, der nach seinem Verständnis eine Person beschreibt, die über einen längeren Zeitraum medial präsent ist und dadurch bei einem breiten Publikum einen gewissen Bekanntheitsgrad erlangt hat.218 Die Bekanntheit einer Person kann damit vielfältig begründet sein und auf ihre berufliche Stellung, das bekleidete Amt, den Namen, die Fähigkeiten und Leistungen oder einfach das aufsehenerregenden Wirken zurückzuführen sein und sich aus einer positiven, aber auch negativen Wahrnehmung der Person in der Öffentlichkeit speisen. Maßgeblich ist allein die besondere öffentliche Beachtung durch die Öffentlichkeit, die ihr zuteilwird. Daraus folgt, dass eine Person zu einer solchen des öffentlichen Lebens nicht allein durch das eigene Handeln werden kann, sondern nur in Verbindung mit dem Interesse, das die Gesellschaft an dieser Person und ihrem Wirken entwickelt und aufrechterhält. Zugleich wird deutlich, dass es für die Einordnung einer Person als einer solchen des öffentlichen Lebens nicht auf die Freiwilligkeit ihrer gesellschaftlich exponierten Stellung ankommen kann. Eine Persönlichkeit kann gewollt oder ungewollt eine Person des öffentlichen Lebens werden. Es gibt damit solche, die aufgrund ihrer Berufswahl oder ihres Wirkens bewusst den Schritt in die Öffentlichkeit gehen und das gesellschaftliche Interesse an ihrer Person auf sich ziehen (z. B. Politiker, Wirtschaftspersönlichkeiten, Künstler, bekannte Gelehrte, aber auch Vertreter anderer Berufsgruppen wie zum Beispiel Ärzte, Erfinder, Staatsanwälte oder Richter) und solche, die dies nicht aufgrund autonomer Entscheidung tun. Letztere sind wiederum zu unterscheiden nach öffentlicher Stellung qua Geburt (z. B. Mitglieder von Königshäusern oder die Kinder bekannter Persönlichkeiten) und qua Ereignis (z. B. Verletzte eines aufsehenerregenden Unfalls, Tatverdächtige und Opfer aufsehenerregender Straftaten). Gegenstand der hiesigen Untersuchung der rechtlichen Rahmenbedingungen eines Strafverfahrens gegen Personen des öffentlichen Lebens sollen jedoch nur die Personen sein, die sich bereits vor dem Strafvorwurf in einer gesellschaftlich exponierten Stellung befanden und nicht solche, deren Bekanntheit erst durch das gegen sie geführte Strafverfahren begründet wird.219 Schließlich soll sich die Betrachtung jedoch nicht auf die funktionsbezogene „Berufsprominenz“ beschränken, sondern auch die auf personeller Prominenz begründeten Personen des öffentlichen Lebens und Medienpersönlichkeiten mit einbeziehen. Auch wenn beispielsweise Berufsprominente in wirtschaftlichen oder 218

Schneider, S. 31. Meinecke unterscheidet insofern zutreffend pointiert zwischen „Strafverfahren gegen Prominente“ und „prominenten Strafverfahren“, S. 20 f. 219

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politischen Führungspositionen durch den mit dem Strafvorwurf verbundenen Reputationsschaden zumeist unmittelbar in ihrer beruflichen Existenz bedroht sind220, können die anprangernde Wirkung des Ermittlungs- und Strafverfahrens sowie die begleitende mediale Berichterstattung unabhängig vom Verfahrensausgang selbst klassische Medienpersönlichkeiten in ihrer sozialen sowie beruflichen Stellung nachhaltig schädigen.221 Diese grundrechtsinvasiven Folgen medienöffentlicher Strafrechtspflege sollen im Folgenden nicht unberücksichtigt gelassen werden.

II. Die Person des öffentlichen Lebens im juristischen Sprachgebrauch Bei dem Begriff der Person des öffentlichen Lebens222 handelt es sich (bislang223) weder um eine Formulierung des deutschen Gesetzgebers, noch um einen sonstigen Rechtsbegriff.224 Vielmehr entstammt der hier verwendete Begriff der Person des öffentlichen Lebens dem allgemeinen, nichtwissenschaftlichen Sprachgebrauch und hat als solcher Einzug in Rechtsprechung und Literatur gefunden. Anders ist dies im Schweizer Datenschutzgesetz, welches in Art. 13 Abs. 2 lit. f) DSG-Schweiz das Sammeln von Daten über eine Person des öffentlichen Lebens erlaubt, sofern sich die Daten auf das Wirken dieser Person in der Öffentlichkeit beziehen. Als Person des öffentlichen Lebens im Sinne dieser Vorschrift werden zum einen Personen angesehen, deren Handlungen Auswirkungen auf die Allgemeinheit oder die breitere Öffentlichkeit haben (zum Beispiel einflussreiche Inhaber öffentlicher Ämter, führende politische oder wirtschaftliche Persönlichkeiten sowie führende Geistliche).225 Zum anderen versteht man hierunter Personen, die durch ihr Handeln bewusst versuchen, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich zu lenken (hierzu gehören zum Beispiel Kulturschaffende, Filmschauspieler, Sport220 Siehe oben die Auswirkungen für Personen wie Christian Wulff (Erstes Kapitel, A. IV.) oder Sebastian Edathy (Erstes Kapitel, A. V.); vgl. hierzu Meinecke, S. 23 f., der seine Untersuchung wegen der existenzbedrohenden Reputationsschäden auf Berufsprominenz beschränkt. 221 Siehe hier bereits die eingangs dargestellten Verfahren gegen die Medienpersönlichkeiten Andreas Türk (Erstes Kapitel, A. I.), Nadja Benaissa (Erstes Kapitel, A. II.) sowie Jörg Kachelmann (Erstes Kapitel, A. III.), welche zumindest jeweils eine gravierende Zäsur in der medialen beruflichen Laufbahn bewirkten. 222 In Anlehnung an das anglo-amerikanische Recht auch „public personage“ oder „object of legitimate public interest“, BT-Drucks. 1237, S. 161. 223 Zu den Möglichkeiten de lege ferenda auf Basis der Ergebnisse dieser Untersuchung siehe unten Siebtes Kapitel, C. 224 Unter einem Rechtsbegriff werden ganz überwiegend nicht nur die Gesetzes- oder Rechtssatzbegriffe des positiven Rechts verstanden, sondern auch die von Rechtsprechung und wissenschaftlichen Literatur entwickelten und geprägten Begriffe, vgl. Jesch, AöR 1982, 163 (167) m. w. N.; Loock, S. 25. 225 BSK-DSG/Rampini, Art. 13 Rn. 45, unter Verweis auf BGE 97 II 97 (105).

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lerpersönlichkeiten, Wissenschaftler, Medienmoderatoren und andere „Prominente“).226 Auch wenn die deutsche und europäische Rechtsprechung von dem Begriff der Person des öffentlichen Lebens vielfach Gebrauch macht227 und mittels entsprechender Kategorisierung rechtliche Wertungen begründet, finden sich dennoch nur vereinzelt definitorische Auseinandersetzungen mit diesem Begriff. Nach einer frühen Definition des 2. Strafsenats des Reichsgerichts sind nur solche Personen als dem öffentlichen Leben angehörig anzusehen, die eine dauernde Tätigkeit in diesem öffentlichen Bereich entfalten.228 Danach seien Personen des öffentlichen Lebens solche, „die das Leben der Volksgemeinschaft durch ihr Wirken auf dem Gebiet der Politik, der Weltanschauung, der Wirtschaft, der Wissenschaft oder der Kunst maßgebend beeinflussen und so die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich lenken“.229

Der Begriff der Person des öffentlichen Lebens ist, wie jeder andere Terminus des allgemeinen und juristischen Sprachgebrauchs, dem stetigen gesellschaftlichen Wandel unterworfen, so dass Bedeutungsinhalt und Definition im aktuellen Kontext und anhand gegenwärtiger gesellschaftlicher Maßstäbe zu bestimmen sind. Unter dieser Maßgabe erscheint die Begriffsbestimmung des Reichsgerichts aus heutiger Sicht und vor allem aus der Perspektive dieser Untersuchung zu eng. Eine Definition der Person des öffentlichen Lebens, die den Grad des Einflusses dieser Person auf ihr Tätigkeitsfeld als maßgeblich ansieht, verkennt die nahezu konstituierende Bedeutung des öffentlichen Interesses für eine Person des öffentlichen Lebens. Es müssen demnach gerade für die Frage nach dem Schutz der Persönlichkeitsrechte im Strafverfahren auch Personen als dem öffentlichen Leben angehörig angesehen 226

BSK-DSG/Rampini, Art. 13 Rn. 45, unter Verweis auf u. a. BGE 127 III 481 (489) sowie BGE 97 II 97 (105), in der von „berühmten Personen“ die Rede ist. 227 Beispielhaft seien hier genannt: EGMR NJW 2012, 1053 (1054) (zur Veröffentlichung von Fotos aus dem Privatleben – von Hannover II); EGMR NJW 2014, 1644 (1646) (Veröffentlichung von Urlaubsfotos – Caroline von Hannover III); EGMR AfP 2014, 317 (zum Privatlebens- und Intimsphärenschutz bei „Personen des öffentlichen Lebens“); BVerfG NJW 2000, 1021 (1022) (zur Veröffentlichung von Fotografien aus dem Privatleben „Prominenter“); BGH ZUM 2007, 382 (zur Bildveröffentlichung „prominenter Personen“); OLG Celle, NStZ 1998, 88 (zur Beleidigung einer „Person des öffentlichen Lebens“); LG Berlin, Urteil vom 23. 10. 2007, Az. 27 O 701/07, BeckRS 2012, 09045 (zum Anrecht auf Privatsphäre von „Personen des öffentlichen Lebens“); VG Gießen, Beschluss vom 16. 05. 2013, Az. 6 L 886/13.GI, BeckRS 2013, 56518 (zum Recht auf Teilnahme an einem Einzelseminar für „Personen des öffentlichen Lebens“). 228 RGSt 67, 101 (103), hier hatte sich der 2. Strafsenat mit der Frage auseinanderzusetzen, welche Personen im Sinne des § 1 des Kapitel III des Achten Teils der vierten Verordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen und zum Schutz des inneren Friedens vom 08. 12. 1931 (RGBl. I S. 743) „im öffentlichen Leben“ stehen. Diese Norm wurde später durch § 187a StGB und dann wiederum durch den heutigen § 188 StGB ersetzt, welcher die üble Nachrede und Verleumdung gegen „Personen des politischen Lebens“ unter Strafe stellt, wenn diese mit „der Stellung des Beleidigten im öffentlichen Leben“ zusammenhängt. 229 RGSt 67, 101 (107).

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1. Kap.: Die Person des öffentlichen Lebens in der Strafverfolgung

werden, deren Einfluss in ihrem Tätigkeitsfeld nicht „maßgebend“ ist, die jedoch aus anderen Gründen ein Interesse der Öffentlichkeit an ihrer Person hervorrufen. So ist doch manch qualitativ mäßige Schauspieler unabhängig von seiner Leistung medial präsent und steht unter gesellschaftlicher Beachtung, auch wenn sein Einfluss auf den Bereich der Schauspielerei als eher gering anzusehen ist. Die Folgen einer anprangernden Veröffentlichung eines gegen ihn bestehenden Strafvorwurfs sind in diesem Fall nicht minder schwer. Dem trägt auch das Bundesverfassungsgericht Rechnung, wenn es die Person des öffentlichen Lebens in einer Entscheidung zur Frage der Schutzbedürftigkeit von „Personen des öffentlichen Lebens“ im Hinblick auf die verfassungsrechtlich garantierte Pressefreiheit indirekt definiert als eine Person, die aufgrund ihres Rangs oder Ansehens, ihres Amts oder Einflusses, ihrer Fähigkeiten oder Taten besondere öffentliche Beachtung findet.230 Damit wird deutlich, dass eine Person vor allem durch die ihr zuteilwerdende öffentliche Aufmerksamkeit und unabhängig von deren Ursache oder ihrer Leistung in den Kreis der Personen des öffentlichen Lebens gehoben wird. Das frühere Bedürfnis nach einer bedeutenden Leistung für das Gemeinwohl kann heute nicht mehr aufrechterhalten werden. Ebenso differenziert das Bundesverfassungsgericht bei der Klassifizierung als Person des öffentlichen Lebens und den daraus erwachsenden persönlichkeitsrechtlichen Konsequenzen nicht danach, ob diese Person sich freiwillig oder unfreiwillig in die Öffentlichkeit begeben hat. Maßgeblich ist damit auch im juristischen Sprachgebrauch nicht die Person selbst oder die Qualität ihrer Leistung, sondern die öffentliche Beachtung, die ihr und ihrem Wirken geschenkt wird. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte differenziert bei der Frage der persönlichkeitsrechtlichen Schutzwürdigkeit zwischen Personen des öffentlichen Lebens („personnalités publique“/„public figures“), insbesondere Politiker („personnalités politiques“/„politicians“), sowie normalen Privatpersonen („personnalités ordinaires“/„ordinary persons“)231 und greift damit auf international übliches Vokabular zurück: In den USA sowie in England232 spricht man von „public figure“, die annähernd der „Person der Zeitgeschichte“ entspricht.233

230

BVerfG NJW 2000, 1021 (1022). von Gerlach, VersR 2012, 278 (280) unter Verweis auf EGMR NJW 2004, 2647 (dt. Übersetzung); EGMR NJW 2006, 591 (dt. Übersetzung); EGMR, Urteil vom 17. 10. 2006, Beschwerde Nr. 71678/00, Tz. 40, 57; EGMR NJW 2010, 751; ferner BGH VersR 2008, 1268 Tz. 18. 232 Die Umschreibung des englischen Court of Appeal vermag dem auch hierzulande verbreiteten Begriffsverständnis entsprechen: „Public figures are persons holding public office or […] more broadly speaking, all those who play a role in public life, whether in politics, the economy, the arts, the social sphere, sports or any other domain“, vgl. von Gerlach, VersR 2012, 278 (281), unter Verweis auf A v B plc (Flitcroft v MGN Ltd), EWCA Civ 337. 233 von Gerlach, VersR 2012, 278 (280). 231

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III. Die Person der Zeitgeschichte nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG Die nationale Rechtsprechung hat den europäischen Begriff der public figure nicht in das deutsche Recht übernommen und richtet sich insbesondere nach dem in § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG enthaltenen Begriff der Zeitgeschichte.234 Aufgrund des Bedürfnisses nach einer differenzierten Grenzziehung haben Rechtsprechung und Literatur im Rahmen des § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG für die Prüfung und Konkretisierung des Erlaubnistatbestandes der „Zeitgeschichte“ auf die von Neumann-Duesberg entwickelte Figur der absoluten und relativen Person der Zeitgeschichte zurückgegriffen.235 Auch wenn diese Typisierung lediglich der Beantwortung der Frage nach der Veröffentlichungsfreiheit von Bildnissen einer Person nach dem KUG diente, können die vorgenommenen Gruppierungen und Argumentationen gleichwohl zur Bestimmung der Person des öffentlichen Lebens herangezogen werden. Gesetzlich ist dieser Begriff nicht fixiert, spricht § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG doch nur von „Bildnissen aus dem Bereich der Zeitgeschichte“, die ohne die sonst nach § 22 S. 1 KUG erforderliche Einwilligung des Abgebildeten verbreitet und veröffentlicht werden dürfen.236 Der Bereich der Zeitgeschichte wurde jedoch so ausgelegt, dass darunter Bildnisse fallen, auf denen eine Person der Zeitgeschichte abgebildet ist.237 Der Gesetzgeber fasste hier drei Gruppen zusammen: Zunächst Personen, die eine „hervorragende soziale Stellung“ innehaben (so etwa regierende Fürsten, Angehörige regierender Häuser, leitende Staatsmänner, Leiter höchster Behörden oder wissenschaftlicher Anstalten), dann solche, „deren Wirken sie in eine weitere Öffentlichkeit stellt“ (so unter anderem Politiker, Künstler, Schauspieler, hohe Beamte, Schriftsteller) und zuletzt solche, die durch ihre Leistungen und Verdienste Gegenstand des öffentlichen Interesses geworden sind (so wohl Forscher, Gelehrte, Erfinder, Entdeckungsreisende, Ärzte, Industrielle).238 Hierzu zählte man insbesondere auch Personen, die durch ein zeitgeschichtliches Ereignis, zu dem sie passiv oder aktiv, dynamisch oder statisch in Beziehung stehen in das Blickfeld der Öffentlichkeit geraten und ein Informationsinteresse wecken, zu deren Befriedigung wiederum die Presse berufen ist.239 Der Begriff der Zeitgeschichte im Sinne des § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG ist im Dienste der Pressefreiheit weit zu verstehen und erfasst im Hinblick auf den Informationsbedarf der Öffentlichkeit ganz allgemein das Zeitgeschehen unter Berücksichtigung sämtlicher sozialer, wirtschaftlicher und kultu234

von Gerlach, VersR 2012, 278 (280). Teichmann, NJW 2007, 1917; grundlegend zur Figur der Person der Zeitgeschichte Neumann-Duesberg, JZ 1960, 114 ff.; ausführlich Schricker/Loewenheim/Götting, § 23 KUG/ § 60 Rn. 21 ff.; Beispiele aus der Rechtsprechung BGH NJW 1996, 1128; BGH NJW 2002, 2317; BGH NJW 2004, 1795. 236 Engau, S. 4. 237 Eisenbarth, S. 54; Neumann-Duesberg, JZ 1960, 114. 238 Gesetzgeberische Motive zu § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG, wiedergegeben in Osterrieth/ Marwitz, S. 172. 239 Neumann-Duesberg, JZ 1960, 114. 235

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1. Kap.: Die Person des öffentlichen Lebens in der Strafverfolgung

reller Aspekte und damit alle Fragen von allgemeinem gesellschaftlichem Interesse.240 Damit bestimmen sich das Ereignis der Zeitgeschichte und auch die Einordnung als Person der Zeitgeschichte maßgeblich nach dem Interesse der Öffentlichkeit an einem Ereignis oder einer Person, gleich welche Bedeutung der Person im geschichtlichen Gesamtkontext zugeschrieben werden kann.241 Diese rein am subjektiven Interesse der Öffentlichkeit orientierte Auslegung fand nicht nur Zustimmung: So wollte Schiffer unter Personen der Zeitgeschichte nur solche fassen, „die Entscheidendes im Staatsleben bewirkt oder Unvergängliches auf dem Gebiet der Kunst oder Wissenschaft geschaffen oder sonst etwas Außergewöhnliches, wenn auch im schlechten Sinne, geleistet hätten“.242 Eine derart objektive Abgrenzung erfordert stets die Einordnung des Einzelnen und seiner Leistungen in den geschichtlichen Gesamtkontext, eine Bewertung seines Schaffens, und ermöglicht eine Entscheidung über die Zugehörigkeit einer Person zur Zeitgeschichte oft erst mit einer gewissen zeitlichen Distanz, mit der die Bedeutung einer Person und ihres Wirkens deutlich wird. Wenn der Gesetzgeber in § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG Ausnahmen vom allgemeinen Bildnisschutz des § 22 KUG zulässt, dann dient dies auch der Befriedigung eines Informationsinteresses der Allgemeinheit bezüglich bestimmter Personen. Es ist damit nur konsequent, die Einordnung in diesen Personenkreis dann auch maßgebend von dem Interesse der Öffentlichkeit an ihr abhängig zu machen und nicht von der relativen Bedeutung einer Person im geschichtlichen Gesamtkontext. Nachdem zuvor lediglich zwischen „bewussten“ Personen der Zeitgeschichte und solchen „wider Willen“ unterschieden wurde,243 begründete Neumann-Duesberg die Kategorien der absoluten und relativen Personen der Zeitgeschichte, wobei maßgeblich sein sollte, wie weit der Betreffende der Zeitgeschichte angehört.244 Danach handle es sich um eine absolute Person der Zeitgeschichte, wenn an allem, was nicht zum Privat- und Familienleben dieser Person gehört, sondern die Teilhabe am öffentlichen Leben betrifft, ein Informationsinteresse der Öffentlichkeit besteht. Im Gegensatz dazu sei das öffentliche Informationsinteresse bei relativen Personen der Zeitgeschichte lediglich in Bezug auf ein bestimmtes Geschehen und sachbezogen vorhanden.245 Nach diesem Verständnis sind zum Beispiel die englische Königin, der Bundespräsident oder Schauspieler als zeitgeschichtlich absolut relevante Personen anzusehen, während Lottogewinner, Straftäter und ihre Opfer sowie Verletzte eines schweren Unfalls oder Unglücks als nur relativ der Zeitgeschichte angehörig einzuordnen seien.246 Entscheidend für die Einordnung einer Person als absolut oder 240

BeckOK-IMR/Herrmann, § 23 KUG Rn. 2 f. BeckOK-IMR/Herrmann, § 23 KUG Rn. 2. 242 Schiffer, JW 1924, 1780, Anm. zu KG, Urteil vom 26. 07. 1924. 243 Zeitweise wurden nur solche Personen dem Bereich der Zeitgeschichte zugeordnet, die sich „mit Bewusstsein“ in die Öffentlichkeit begeben haben, vgl. Allfeld, S. 136; Zielemann, S. 30 m. w. N. 244 Neumann-Duesberg, JZ 1960, 115 f. 245 Neumann-Duesberg, JZ 1960, 115. 246 Neumann-Duesberg, JZ 1960, 116. 241

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relativ zur Zeitgeschichte gehörend ist demnach der Umfang, in welchem der Mensch der Zeitgeschichte angehört und damit das Ergebnis einer Interessenabwägung zwischen dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit und dem Anonymitätsinteresse des Betroffenen.247 Zudem wird gerade der „absoluten Person der Zeitgeschichte“ ein Element der Dauerhaftigkeit beigemessen. „Zeitgeschichte“ ist ein bleibendes Kriterium, welches auch durch historischen Abstand nicht an Bedeutung verliert. Eine bekannte Persönlichkeit, die das aktuelle Zeitgeschehen in einem gesellschaftlichen Bereich mitgeprägt hat, wird dauerhaft – also auch nach Abflauen des öffentlichen Interesses und über ihren Tod hinaus – Teil der Zeitgeschichte bleiben.248 Auch die absolute Person der Zeitgeschichte knüpft damit an dem Umfang des an ihr bestehenden öffentlichen Interesses an, so dass angesichts der wachsenden Medienöffentlichkeit die Prominenz erschaffenden und bestätigenden Medien das öffentliche Interesse lenken und letztlich selbst über die Einordnung eines Geschehens sowie einer Person als zur Zeitgeschichte gehörend entscheiden.249 Zusammengefasst wurden somit zurückgehend auf Neumann-Duesberg unter „absoluten Personen der Zeitgeschichte“ all diejenigen Menschen verstanden, die zeitgeschichtliche Bedeutung haben und auch über Ihren Tod hinaus ständige Personen der Zeitgeschichte bleiben, also alle, die qua Geburt, Stellung, Leistung, Taten oder Untaten im Bereich der Zeitgeschichte unter anderen Menschen außergewöhnlich hervorragen und deshalb im Blickfeld der Öffentlichkeit stehen.250 Die bislang als Untersuchungssubjekt herausgearbeitete Person des öffentlichen Lebens entspricht damit auf den ersten Blick der absoluten Person der Zeitgeschichte nach Neumann-Duesberg, an deren gesamter Teilnahme am öffentlichen Leben ein Informationsinteresse der Allgemeinheit besteht. Auch hier wird die Einordnung maßgeblich durch Existenz und Ausmaß des öffentlichen Informationsinteresses bestimmt.251 Das Erfordernis einer Dauerhaftigkeit der zeitgeschichtlichen Bedeutung einer Person scheint jedoch für die hier zu formulierende Untersuchungsgruppe der Personen des öffentlichen Lebens als zu streng. Die Frage nach den rechtlichen Konsequenzen der öffentlichen Stellung einer Person auf ihre Persönlichkeitsrechte im Strafverfahren stellt sich überwiegend zu einem Zeitpunkt, an welchem die Konstanz ihrer zeitgeschichtlichen Bedeutung nicht immer beurteilt werden kann. Es gibt Personen, die nur für einen gewissen Zeitraum dafür aber intensiv am öffentlichen Leben teilhaben und von öffentlichem Interesse sind, was ihnen jedoch nicht zwingend eine lebenslange oder gar über ihren Tod hinausgehende zeitgeschichtliche Bedeutung verleiht. Denkt man an die eingangs betrachteten Personen, stellt sich 247

Neumann-Duesberg, JZ 1960, 116. Vgl. Dreier/Schulze/Specht, UrhR, § 23 KUG Rn. 5; Neumann-Duesberg, JZ 1960, 118. 249 Bezogen auf die Zulässigkeit einer Bildveröffentlichung nach §§ 22, 23 KUG ist dies nicht unkritisch zu beurteilen, da sich die Gesellschaft und damit die Presse als Dienstleisterin des öffentlichen Informationsinteresses ihre Legitimation zur Veröffentlichung der Bilder von Personen der Zeitgeschichte selbst schafft. 250 Dreier/Schulze/Specht, UrhR, § 23 KUG Rn. 5. 251 Vgl. z. B. BGH NJW-RR 2010, 855 (856). 248

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etwa die Frage, ob Andreas Türck oder auch Nadja Benaissa ohne das spektakuläre Strafverfahren nach den dargestellten Kriterien als Personen mit lebenslanger oder auch postmortaler zeitgeschichtlicher Bedeutung und damit als absolute Personen der Zeitgeschichte eingeordnet werden könnten. Schreibt jemand Zeitgeschichte, der für vier Jahre eine tägliche Talkshow im Privatfernsehen moderiert? Wie schnell erfährt auch eine erfolgreiche und gefeierte Musikgruppe den Wandel hin zur gesellschaftlichen Bedeutungslosigkeit? Hier zeigt sich, wie schwer die Entscheidung über die Dauerhaftigkeit der zeitgeschichtlichen Bedeutung einer Person situativ und bereits zu Lebzeiten sein kann. Die schon aus den eingangs dargestellten Beispielverfahren ersichtlich werdenden Risiken eines Strafverfahrens für die Persönlichkeitsrechte einer im öffentlichen Leben stehenden Person realisieren sich ganz unabhängig von der Dauerhaftigkeit ihrer zeitgeschichtlichen Bedeutung. Das besondere Spannungsfeld zwischen schützenswerter Persönlichkeit und öffentlichem Interesse entsteht, wenn eine Person im Zeitpunkt des Strafvorwurfs (noch) im öffentlichen Blickfeld steht. Unabhängig davon, ob dieser Person auch nach ihrem Tod noch eine wesentliche zeitgeschichtliche Bedeutung zukommen wird. Für die Einordnung als Person des öffentlichen Lebens kann es daher nur auf eine situative Betrachtung ankommen, nach der die Person von nicht unerheblicher zeitgeschichtlicher Bedeutung ist, wobei der Begriff der Zeitgeschichte weit zu verstehen ist und damit keine klare Grenzziehung zur relativen Person der Zeitgeschichte nach Neumann-Duesberg erlaubt.

IV. Die „Person des öffentlichen Interesses“ in der neuen Rechtsprechung Mit seinem „Caroline-Urteil“ vom 24. 06. 2004252 hat der EGMR die seitens der deutschen Rechtsprechung verwendete Figur der absoluten und relativen Person der Zeitgeschichte als unzureichend eingestuft. Die deutsche Rechtsprechung sah sich daher veranlasst,253 neue Maßstäbe zu entwickeln, die bezüglich Fragen des Persönlichkeitsrechtschutzes von Personen der Öffentlichkeit zum Zwecke einer Umund Abgrenzung herangezogen werden können, so dass der BGH im Anwen252 EGMR GRUR 2004, 1051 (Caroline von Hannover – inoffizielle dt. Übersetzung). Der EGMR hatte hier über eine Beschwerde von Caroline von Hannover gegen die Veröffentlichung von Bildern ihr Privatleben betreffend zu entscheiden. Die diesbezüglichen Klagen vor deutschen Gerichten hatten aufgrund ihrer Stellung als „absoluter Person der Zeitgeschichte“ nur teilweise Erfolg. Der EGMR sah den Schutz des Privatlebens durch die von der deutschen Rechtsprechung entwickelten Kriterien zur Person der Zeitgeschichte als nicht ausreichend gewährleistet an. Erforderlich sei vielmehr in jedem Einzelfall eine Abwägung zwischen dem Schutz des Privatlebens und der Freiheit der Meinungsäußerung, EGMR GRUR 2004, 1051 (1054). 253 Eine unmittelbare Bindungswirkung des Urteils des EGMR hat das BVerfG verneint, zugleich aber betont, dass die Rechtsprechung des EGMR bei der Gesetzesauslegung angemessen zu berücksichtigen ist, vgl. BVerfG NJW 2004, 3407; zur Bindungswirkung des Urteils des EGMR siehe auch Schricker/Loewenheim/Götting, § 23 KUG Rn. 63.

B. Die Person des öffentlichen Lebens

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dungsbereich des § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG ein neues „abgestuftes Schutzkonzept“ entwickelte.254 Da in der Praxis Typisierungen als Orientierungshilfe jedoch zwingend erforderlich sind, verwundert es kaum, dass der BGH nunmehr mit der Figur der „Person des öffentlichen Interesses“ eine neue Kategorisierung schafft, die sich von der ehemals „absoluten Person der Zeitgeschichte“ hauptsächlich durch ihre Einbettung in das neue abgestufte Stufenkonzept unterscheidet.255 Danach versteht der Bundesgerichthof unter Personen des öffentlichen Interesses Menschen, die aufgrund ihrer hervorgehobenen Stellung in Staat und Gesellschaft oder durch außergewöhnliches Verhalten oder besondere Leistungen aus der Masse der Mitmenschen herausragen.256 Hierzu zählen unter anderem Politiker, Angehörige regierender Königs- und Fürstenhäuser, bekannte Schauspieler und Fernsehmoderatoren sowie Repräsentanten der Wirtschaft, Musiker, Sportler und Wissenschaftler257 Damit weist die Person des öffentlichen Interesses sowohl begrifflich als auch inhaltlich eine große Nähe zu der hier im Fokus stehenden Person des öffentlichen Lebens auf. Insbesondere trägt die deutsche Rechtsprechung nunmehr dem Umstand Rechnung, dass es weniger die Art der Teilhabe am öffentlichen Leben als vielmehr das Interesse der Öffentlichkeit ist, welches jemanden zu einer Person des öffentlichen Lebens werden lässt. Soweit die Rechtsprechung als Person des öffentlichen Interesses auch die in der Typisierung nach Naumann-Duesberg als relative Personen der Zeitgeschichte beschriebenen Personen wie zum Beispiel Täter aufsehenerregender Strafverfahren erfasst,258 kann diese Ausweitung für die hier gegenständliche Person des öffentlichen Lebens jedoch nicht übernommen werden. Auch wenn das Kriterium der absoluten zeitgeschichtlichen Bedeutung für die Person des öffentlichen Lebens als zu streng angesehen werden muss, so soll sie im Hinblick auf den Forschungsgegenstand der „Prominenz im Strafverfahren“ nicht zu weit relativiert werden und insbesondere die „Prominenz durch Strafverfahren“ ausgeklammert werden. Die der Frage nach den Auswirkungen der öffentlichen Stellung einer Person auf den Schutz ihrer Persönlichkeitsrechte im Strafverfahren und auf das Strafverfahren selbst zugrundeliegende besondere Interessenlage wird gerade dadurch charakterisiert, dass das öffentliche Interesse an dem Strafverfahren dem öffentlichen Interesse an der Person des Beschuldigten folgt und nicht umgekehrt. Auch in einem anderen Punkt kann sich die hier zu betrachtende Gruppe der Personen des öffentlichen Lebens nicht an der Person des öffentlichen Interesses im 254

Nach der Caroline-Rechtsprechung hat auch der BGH seine Rechtsauffassung seit dem Jahr 2005 an die des EGMR angepasst und zur Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Veröffentlichung von Bildnissen einer Person ein neues abgestuftes Schutzkonzept entwickelt, vgl. HK-UrhR/Dreyer, § 23 KUG Rn. 8, unter Verweis auf BGH GRUR 2005, 76 (78); BGH GRUR 2006, 257 (259 f.); BGH GRUR 2007, 523 (524); BGH GRUR 2007, 899 (900 f.). Ausführlich hierzu siehe unten Viertes Kapitel, B. III. 2. 255 Wandtke/Bullinger/Fricke, § 23 KUG Rn. 8. 256 Wandtke/Bullinger/Fricke, § 23 KUG Rn. 8. 257 Wandtke/Bullinger/Fricke, § 23 KUG Rn. 8 258 Wandtke/Bullinger/Fricke, § 23 KUG Rn. 8.

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1. Kap.: Die Person des öffentlichen Lebens in der Strafverfolgung

Sinne der jüngeren Rechtsprechung richten, denn diese erfasst keinesfalls alle Prominenten im sozialpsychologisch deskriptiven Sinne. Vielmehr werden solche Personen ausgeklammert, die nur in Zusammenhang mit einer bestimmten Tätigkeit in der Öffentlichkeit auftreten, darüber hinaus und insbesondere privat jedoch zurückgezogen leben.259 Nach diesem Maßstab könnte z. B. Günther Jauch, der abgesehen von seiner Tätigkeit als Fernsehmoderator ein von der Öffentlichkeit abgeschottetes Privatleben führt, nicht als Person des öffentlichen Interesses gelten. Für die hier aufgeworfene Frage der persönlichkeitsrechtlichen Beeinträchtigungen durch ein Strafverfahren bedeutet die private „Abschottung“ einer Person hingegen nicht, dass die Öffentlichkeit kein Interesse an dem Leben dieser Person im Ganzen und damit auch am Strafvorwurf hat. Maßgebliches Kriterium für die Person des öffentlichen Lebens muss damit weiterhin das breite öffentliche Interesse sein. Anders als die „Person des öffentlichen Interesses“ nach der Rechtsprechung soll folglich der „Prominente durch Strafverfahren“ nicht als „Person des öffentlichen Lebens“ gelten, wohingegen der privat zurückgezogen lebende Prominente sehr wohl Gegenstand dieser Untersuchung sein muss.

V. Fazit Die vorstehenden Überlegungen zu Begriff und Umgrenzung der Person des öffentlichen Lebens haben deutlich gemacht, dass eine klare Kategorisierung schwierig ist, eine solche für die Praxis, die nachfolgende Untersuchung und im Ergebnis gegebenenfalls als Anknüpfungspunkt rechtlicher Duldungspflichten des Beschuldigten oder Restriktionen für die ermittlungsbehördliche Öffentlichkeitsarbeit unverzichtbar ist. Ausgehend von der absoluten Person der Zeitgeschichte nach Neumann-Duesberg und der von der Rechtsprechung neu entwickelten Figur der Person des öffentlichen Interesses sollen als Personen des öffentlichen Lebens all die Persönlichkeiten verstanden werden, die am öffentlichen Leben insbesondere der Medienöffentlichkeit teilhaben und freiwillig oder unfreiwillig funktionsbezogene oder personelle Prominenz erworben haben. Die nachfolgende Untersuchung soll damit nicht auf die sog. „Berufsprominenz“ beschränkt werden, es werden jedoch solche Personen ausgenommen, die erst in Zusammenhang mit dem Strafverfahren Bekanntheit erlangt haben. Zudem wird der Person des öffentlichen Lebens kein normatives, sondern ein deskriptives Verständnis zugrunde gelegt, wobei für eine positive Einordnung im Wege einer situativen Bewertung allein das bestehende öffentliche Interesse an der Person maßgeblich sein soll keine zeitgeschichtliche Gesamtbewertung.

259 Wandtke/Bullinger/Fricke, § 23 KUG Rn. 8 (gleiches gilt danach auch für Angehörige des Adels).

C. Gang der Untersuchung

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Dieser Untersuchung liegt daher ein weitgefasstes Begriffsverständnis zugrunde: Eine Person des öffentlichen Lebens ist derjenige, der aufgrund von Amt, Fähigkeit, Rang, Herkunft oder Taten freiwillig oder unfreiwillig für eine gewisse Dauer in der öffentlichen Betrachtung steht und an dessen Handeln die Öffentlichkeit im Sinne der Gesellschaft ein unabhängig von dem betreffenden Strafverfahren begründetes allgemeines Interesse hat.

C. Gang der Untersuchung Die beispielhaft dargestellten Ermittlungs- und Strafverfahren260 haben gezeigt, dass die Stellung des Beschuldigten als Person des öffentlichen Lebens faktischen Einfluss auf Umfang und Intensität der ermittlungsbehördlichen Öffentlichkeitsarbeit und der medialen Verdachtsberichterstattung hat. Der Blick auf medienwirksame Verfahren der Vergangenheit hat zudem deutlich gemacht, mit welch gravierenden Beeinträchtigungen eine umfassende Berichterstattung für den Betroffenen verbunden ist. Das Verhältnis von Medien und Strafverfahren sowie die Grenzen der Öffentlichkeit im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren waren bereits umfassend Gegenstand wissenschaftlicher Abhandlungen.261 Wenig Beachtung wurde hierbei jedoch den Besonderheiten im Fall eines Beschuldigten als Person des öffentlichen Lebens geschenkt, dem in der Regel durch einen knappen Verweis auf das überwiegende öffentliche Informationsinteresse erhöhte Duldungspflichten im Hinblick auf die

260

Siehe oben Erstes Kapitel, A. Beispielhaft seien hier aus der juristischen Literatur (in zeitlicher Reihenfolge) genannt von Becker, Straftäter und Tatverdächtige in den Massenmedien, München 1979; Bornkamm, Pressefreiheit und Fairneß des Strafverfahrens, Freiburg 1980; Zielemann, Der Tatverdächtige als Person der Zeitgeschichte, Berlin 1982; Engau, Straftäter und Tatverdächtige als Personen der Zeitgeschichte, Frankfurt am Main 1993; Dalbkermeyer, Der Schutz des Beschuldigten vor identifizierenden und tendenziösen Pressemitteilungen der Ermittlungsbehörden, Frankfurt am Main 1994; Stapper, Namensnennung in der Presse im Zusammenhang mit dem Verdacht strafbaren Verhaltens, Berlin 1995; Guha, Der Schutz der absoluten Person der Zeitgeschichte vor indiskreter Wort- und Bildberichterstattung, Frankfurt am Main 1999; Schulz, Die rechtlichen Auswirkungen von Medienberichterstattung auf Strafverfahren, Frankfurt a. M. 2002; Neuling, Inquisition durch Information – Medienöffentliche Strafrechtspflege im nichtöffentlichen Ermittlungsverfahren, Berlin 2005; Danziger, Die Medialisierung des Strafprozesses: eine Untersuchung zum Verhältnis von Medien und Strafprozess, Berlin 2009; Fischer, Die Medienöffentlichkeit im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren – Unter besonderer Berücksichtigung der Informationsfreiheitsgesetze, Berlin 2014; Meyer, Der Gerichtsprozess in der medialen Berichterstattung, Baden-Baden 2014; Turchi, Die Pressearbeit der Staatsanwaltschaft, 2015; Meinecke, Prominentenstrafrecht, Baden-Baden 2016; Marxen, GA 1980, 365; GA 2013, 99; Bornkamm, NStZ 1983, 102; Hassemer, NJW 1993, 1921; Lindner, StV 2008, 210; Lehr, NStZ 2009, 409; Gounalakis, NJW 2012, 1473; Lehr, NJW 2013; 728. 261

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1. Kap.: Die Person des öffentlichen Lebens in der Strafverfolgung

Veröffentlichung von Informationen aus dem Ermittlungs- oder Strafverfahren auferlegt werden.262 Die folgende Untersuchung stellt sich die daher die Frage, ob die zu beobachtenden tatsächlichen Auswirkungen der Rolle des Beschuldigten als Person des öffentlichen Lebens auch von den bestehenden gesetzlichen Regelungen getragen werden und welche Folgen die gesellschaftlich exponierte Stellung des Beschuldigten für die rechtlichen Grenzen der besonders heiklen staatsanwaltschaftlichen Informationstätigkeit im Ermittlungsverfahren hat. Die dargestellten Beispielfälle legen nahe, dass die Strafverfolgungsbehörden im Rahmen ihrer Pressearbeit den Informationsinteressen der Öffentlichkeit gegenüber den Persönlichkeitsrechten und Anonymitätsinteressen der Person des öffentlichen Lebens oftmals den Vorrang einräumen. Nachfolgend wird daher zu prüfen sein, ob entgegen dieser Praxis die Person des öffentlichen Lebens im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren nicht gerade aufgrund des gesteigerten medialen Interesses und den mit einem medienwirksamen Strafverfahren verbundenen existenziellen Folgen im Vergleich zu nicht in der Öffentlichkeit stehenden Beschuldigten besonders schutzwürdig ist und ob die bestehenden gesetzlichen Schutzmechanismen vor diesem Hintergrund ausreichen. Zu diesem Zweck wird nunmehr nach der bereits erfolgten Bestimmung der Untersuchungsgruppe zunächst der Öffentlichkeitsgrundsatz des Strafverfahrens und die Beteiligung der Öffentlichkeit im Ermittlungsverfahren als Grundlage der folgenden Betrachtungen dargestellt (Zweites Kapitel). In einem nächsten Schritt ist sodann zu untersuchen, welche Gefahren mit einem medienöffentlichen Verfahren verbunden sind und welche Rechtsgüter die Grenzen rechtmäßiger Öffentlichkeitsarbeit und Berichterstattung bilden (Drittes Kapitel). Anschließend sollen die tatsächlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen medialer Berichterstattung (Viertes Kapitel) sowie ermittlungsbehördlicher Öffentlichkeitsarbeit ermittelt werden (Fünftes Kapitel). Auf dieser Grundlage ist dann im Kernteil der vorliegenden Untersuchung der Frage nachzugehen, wie sich die Stellung des Beschuldigten als Person des öffentlichen Lebens auf die Abwägung zwischen den Anonymitätsinteressen des Betroffenen und den Informationsinteressen der Öffentlichkeit und damit auch auf

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Eine Ausnahme der jüngeren Zeit stellt hier die Untersuchung Meineckes dar, die sich jedoch mit dem Phänomen der „Prominenz im Strafverfahren“ allgemein sowie einer Vielzahl von verschiedenen Auswirkungen auf das Strafverfahren befasst und die Betrachtung insbesondere auf Funktionsträger aus Politik und Wirtschaft fokussiert, vgl. Meinecke, Prominentenstrafrecht, Baden-Baden 2016. Die Frage der Grenzen ermittlungsbehördlicher Informationstätigkeit in Ermittlungsverfahren gegen Personen des öffentlichen Lebens wird, mit der genannten personellen Beschränkung, von Meinecke zwar angerissen, es erfolgt jedoch keine detaillierte Auseinandersetzung mit den innerhalb der vorzunehmenden Interessenabwägung zu berücksichtigenden besonderen Sachlange im Fall der Person des öffentlichen Lebens, vgl. Meinecke, S. 281 ff.

C. Gang der Untersuchung

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die staatsanwaltschaftliche Öffentlichkeitsarbeit und mediale Berichterstattung auswirkt (Sechstes Kapitel). In einem letzten Schritt ist schließlich anhand der Untersuchungsergebnisse ein Blick auf die bestehenden präventiven und repressiven Möglichkeiten zu werfen, die den Beschuldigten vor Persönlichkeitsrechtsverletzungen schützen und zu entscheiden, inwiefern diese den aktuellen Entwicklungen noch gerecht werden oder ob weiterführende gesetzliche Regelungen notwendig erscheinen (Siebtes Kapitel).

Zweites Kapitel

Die Öffentlichkeit der Strafverfolgung Der Bundesgerichtshof zählt die Öffentlichkeit gerichtlicher Tätigkeit zu den „grundlegenden Einrichtungen des Rechtsstaats“.1 Schon Bockelmann hat in einem Beitrag aus dem Jahre 1960 festgestellt, dass kein Satz unseres geltenden Gerichtsverfassungs- und Verfahrensrechts so unangefochten sei wie dieser.2 Dennoch bemisst sich der Wert der Verfahrensöffentlichkeit nur im Kontext mit anderen Grundwerten unseres demokratischen Rechtsstaates, in welchem diese gesehen und angewendet werden muss.3 Das Strafverfahren ist – je nach Verfahrensabschnitt – öffentlich oder nicht öffentlich ausgestaltet. Die Schutzbedürftigkeit und Schutzwürdigkeit der Persönlichkeitsrechte des von einem Strafverfahren Betroffenen beurteilt sich maßgeblich nach den Grundsätzen zur Öffentlichkeit in den verschiedenen Stadien eines Strafverfahrens. Hinsichtlich von Informationen, auf deren Erteilung die Öffentlichkeit bereits aufgrund der prinzipiellen Gerichtsöffentlichkeit einen „Anspruch“ hat, muss sich der Schutz der Persönlichkeitsrechte des Betroffenen im Zweifel unterordnen. Um die Reichweite des persönlichkeitsrechtlichen Schutzes des Beschuldigten in dem hier im Fokus stehenden Ermittlungsverfahren bemessen zu können, muss folglich zunächst der im Hauptverfahren geltende Öffentlichkeitsgrundsatz dargestellt werden, aus welchem sodann im Umkehrschluss die Grundsätze der Nichtöffentlichkeit des Ermittlungsverfahrens gezogen werden können. Die Entwicklung der Öffentlichkeitsmaxime schuf essentielle Voraussetzungen zum Schutz der prozessualen Rechte und Stellung des Beschuldigten, bedeutet jedoch zugleich eine große Gefährdung seiner verfassungsrechtlich geschützten Persönlichkeitsrechte. Gerade vor dem Hintergrund der Entwicklungen unserer modernen Mediengesellschaft erfordern der Schutz des guten Rufes und der Grundsatz der Resozialisierung als prägende Ziele der Strafverfolgung mehr Rücksichtnahme auf die Intimsphäre des Beschuldigten.4 War die rechtshistorische Entwicklung der 1

BGHSt 9, 280 (281); BGHSt 22, 297 (301). Bockelmann, NJW 1960, 217. 3 Kissel/Mayer, § 169 Rn. 12. 4 Neben der bedeutenden Schutzfunktion der Gerichtsöffentlichkeit darf der Gedanke der Resozialisierung des Täters nicht in den Hintergrund gedrängt werden und dessen Wiedereingliederung gefährden. Dazu grundlegend die Entscheidung zum „Soldatenmord in Lebach“, BVerfGE 35, 202; hierzu Jung, GS-Kaufmann 1986, 891 (892); ausführliche Funktionsbestimmung siehe unten Zweites Kapitel, A. III. 2

A. Die Öffentlichkeitsmaxime im „Strafprozess“

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Gerichtsöffentlichkeit noch geprägt durch die begründete Sorge vor der Geheim- und Kabinettjustiz des Absolutismus,5 so müssen die rasanten technischen sowie gesellschaftlichen Veränderungen im medialen Bereich und der hierdurch an Bedeutung gewinnende Schutz der Privatsphäre die Antriebsfeder einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Prinzip der Öffentlichkeit sein. Die Auswirkungen der Verfahrensöffentlichkeit auf die Persönlichkeitsrechte des Betroffenen aber auch deren Wert für das Strafverfahren und unseren Rechtsstaat erschließen sich erst mit einem Blick auf die rechtshistorische Entwicklung der heute geltenden prinzipiellen Gerichtsöffentlichkeit. Erst mit dem Wissen um die Stellung des Beschuldigten sowie Angeschuldigten in der historischen Strafverfolgung und deren Umgang mit der Öffentlichkeit lassen sich Funktion und Bedeutung, aber auch damit einhergehende und gegebenenfalls hinzunehmende Gefahren einer prinzipiellen Gerichtsöffentlichkeit begreifen. Aus diesem Grund wird in diesem zweiten Kapitel zunächst das Öffentlichkeitsprinzip des strafrechtlichen Hauptverfahrens betrachtet (A.). Die Grundlage einer kritischen Auseinandersetzung mit diesem Verfahrensgrundsatz bildet eine Darstellung der rechtshistorischen Vergangenheit des heute geltenden Prinzips der Gerichtsöffentlichkeit. Um die Grenzen der Öffentlichkeitsarbeit der Strafverfolgungsbehörden und der damit korrelierenden Medienöffentlichkeit ermitteln zu können, gilt es darüber hinaus die im Hauptverfahren geltende Öffentlichkeitsmaxime mittels Inhalt und Umfang, den verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Hintergründen sowie ihrer Schutzfunktion zu beschreiben. Schließlich wird sodann der Grundsatz der Nichtöffentlichkeit des Ermittlungsverfahrens in den Fokus der Betrachtung rücken (unten B.), da das Ermittlungsverfahren für den Beschuldigten persönlichkeitsrechtlich den wohl sensibelsten Abschnitt des Strafverfahrens darstellt und sich die vorliegende Untersuchung daher auf diesen Verfahrensabschnitt konzentrieren wird.

A. Die Öffentlichkeitsmaxime im „Strafprozess“ Dem heutigen Verfahrensrecht liegt der Grundsatz prinzipieller Gerichtsöffentlichkeit zugrunde. Diese prägt in Form der Öffentlichkeitsmaxime (vgl. § 169 S. 1 GVG) maßgeblich vor allem die strafgerichtliche6 Hauptverhandlung, also den eigentlichen „Strafprozess“. Der Grundsatz der Öffentlichkeit des Verfahrens ergibt sich zudem aus Art. 6 Abs. 1 S. 1, 2 EMRK sowie dem Rechtsstaatsprinzip und

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SK-StPO/Velten, Vor § 169 GVG Rn. 1. MüKo-ZPO/Zimmermann, § 169 GVG Rn. 1. Für den Zivilprozess ist dieser Verfahrensgrundsatz wesentlich unbedeutender, was womöglich darauf zurückzuführen ist, dass dort eine „faktische Nichtöffentlichkeit“ herrscht; vgl. Jung, GS-Kaufmann 1986, 891 (892). 6

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2. Kap.: Die Öffentlichkeit der Strafverfolgung

entspricht dem allgemeinen Öffentlichkeitsprinzip der Demokratie.7 Der Zulassung der Öffentlichkeit zu den ordentlichen Gerichten kommt grundlegende und prägende Bedeutung für den deutschen Rechtsstaat zu.8 Historisch ist der Grundsatz der Öffentlichkeit als Reaktion auf die Geheim- und Kabinettjustiz des Absolutismus zu verstehen und diente vor allem als Mittel plebiszitärer Kontrolle der rechtsprechenden Gewalt durch die Öffentlichkeit.9 Der in § 169 GVG geregelte Öffentlichkeitsgrundsatz sieht sich jedoch gerade im Strafverfahren besonderen Herausforderungen gegenüber: So wies schon von Feuerbach darauf hin, dass – anders als im Zivilprozess, wo der Beteiligte dem Richter frei gegenüber steht – der Angeschuldigte im Strafprozess der Justiz als Bedrängter oder sogar Gefangener gegenübertritt.10 Als wesentliches Merkmal des Strafverfahrens ist demnach festzuhalten, dass der Betroffene unfreiwillig an dem Prozess teilnimmt und das Verfahren geprägt ist durch ein Über- und Unterordnungsverhältnis der Verfahrensbeteiligten.11

I. Die rechtshistorische Entwicklung der prinzipiellen Gerichtsöffentlichkeit Wenn Jung den Grundsatz der Öffentlichkeit als „stolze Errungenschaft der Aufklärungszeit“12 bezeichnet, so macht die Formulierung deutlich, dass es sich bei dieser Verfahrensmaxime keineswegs um eine Selbstverständlichkeit des deutschen Rechtssystems handelt. Diese heute elementare Grundregel des (Straf-)Verfahrensrechts blickt zurück auf eine bewegte rechtshistorische Vergangenheit. Um diesen Grundsatz im Rahmen der folgenden Untersuchung einer kritischen, aber auch respektvollen Betrachtung unterziehen zu können, ist eine Kenntnis der historischen Entwicklung zwingend. Eine Nachzeichnung dieser rechtsgeschichtlichen Entwicklung in seiner gesamten Bandbreite13 ist jedoch weder beabsichtigt noch für die angestrebte Untersuchung erforderlich. Daher soll an dieser Stelle lediglich ein kurzer Überblick gegeben werden, warum sich gerade der Grundsatz der Öffentlichkeit zu einer existenziellen Maxime der geordneten Justiz unseres Rechtsstaates herausgebildet hat.

7 BVerfG NJW 2001, 1633 (1634 f.); MüKo-ZPO/Zimmermann, § 169 GVG Rn. 3 m. w. N.; ausführlich zu der verfassungsrechtlichen Herleitung siehe unten Zweites Kapitel, A. IV. 1. 8 BGHSt 21, 72; BGHSt 22, 297 (301). 9 BGH NStZ 1988, 467 (468); Hillermeier, DRiZ 1982, 281. 10 von Feuerbach, S. 164. 11 Witzler, S. 134. 12 Jung, GS-Kaufmann 1986, 891 (892). 13 Hierzu ausführlich u. a. Alber, S. 12 ff.; Neuling, S. 56 ff.

A. Die Öffentlichkeitsmaxime im „Strafprozess“

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1. Das Schicksal der Verfahrensöffentlichkeit vom Mittelalter bis zum inquisitorischen Strafverfahren Im Mittelalter lebte die Vorstellung von Recht von dessen öffentlichem Vollzug und wurde getragen von dem Gedanken, dass Recht, um eine Bestandskraft zu erhalten, für die Öffentlichkeit erfahrbar sein musste.14 In der germanischen und fränkischen Zeit war die Öffentlichkeit mit einer gänzlich anderen Funktion betraut als heute: Der Rechtsgang war öffentlich, die Rechtsfindung basierte auf einem dem Volk bekannten und von ihm überlieferten Recht und setzte damit zwingend dessen Teilnahme am Verfahren voraus. Demzufolge bestand für all die, die mitsprechen mussten, eine Anwesenheitspflicht (sog. Dingpflicht).15 Zu dieser Zeit war Recht etwas Ungesetztes und Ungeschriebenes und konnte nur gefunden werden durch das Gesamtwissen des Volkes, im Rechtsgefühl der Volksgemeinde oder ihrer Vertrauensmänner und in alten Überlieferungen.16 Die Öffentlichkeit fungierte somit als „Urteilsfinder“ und hatte mithin nicht den rein passiven Status eines Publikums. Der heutige Begriff der Gerichtsöffentlichkeit setzt im Unterschied dazu eine Trennung zwischen Gericht und Publikum voraus, so dass die Öffentlichkeit auf eine rein passive und fakultative Position verwiesen ist.17 Erst die Schöffenverfassung durch Karl den Großen (768 – 814) schaffte die Volksversammlung im Bereich der Rechtsprechung gänzlich ab, indem die Urteilsfindung lebenslänglich bestellten Schöffen übertragen und das Richteramt herausgebildet wurde. Dies bedeutete zwar keine Beschränkung der Öffentlichkeit im Hinblick auf den Zugang zur Gerichtsstätte, jedoch kam ihr nun einzig die Rolle eines passiven Publikums zu.18 Im Laufe des 13. Jahrhunderts erfolgte dann ein Vordringen des geheimen Rechtsgangs, welcher seinen Ursprung in einem komplizierten Gesamtbild ständischer Gliederung fand.19 Einhergehend mit der Entwicklung einer Vielzahl von unterschiedlichen Gerichten20 entwickelte sich auch die Gewohnheit, nur den jeweiligen Gruppenangehörigen Zutritt zu gestatten, wodurch die Beschränkung der Öffentlichkeit in ihrer Gesamtheit gefördert wurde.21 Diese Entwicklungen führten in das Zeitalter der Inquisitionsverfahren. In seinen Anfängen wurde diese Verfahrensart lediglich gegen Kleriker im innerkirchlichen Kreis angewandt, entwickelte sich jedoch zwischen 1250 und 1500 zur maßgebli14

Jung, GS-Kaufmann 1986, 891 (893). Alber, S. 12 ff. 16 Kern, S. 3 ff. 17 Alber, S. 12. 18 Alber, S. 13; Fischer, S. 45. 19 Alber, S. 14. 20 Hierzu zählten zum Beispiel das Fürsten-, Kaiserliche Hof-, Cent-, Zins-, Dorf-, Forst-, Markt- sowie geistliche Gericht; vgl. Alber, S. 14. 21 Seifarth, S. 3 f. 15

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2. Kap.: Die Öffentlichkeit der Strafverfolgung

chen Verfahrensform weltlicher und geistlicher Gerichtsbarkeit.22 Die Ursachen und Triebfedern des Inquisitionsverfahrens lagen in dem Verfall der Reichsgewalt sowie den wirren politischen und sozialen Verhältnissen, in deren Zuge ein rasanter Anstieg der Kriminalität zu verzeichnen war.23 Als Abkehr von dem bis dahin geltenden sogenannten „Akkusationsverfahren“, welches nur auf Betreiben der Parteien in Gang gesetzt wurde, entwickelte sich in dieser Zeit zur Wahrung des Landfriedens eine auf amtliche Initiative betriebene Strafverfolgung.24 Dieser Umstand führte zum Siegeszug des Inquisitionsverfahrens, in dessen Rahmen von Amts wegen („ex officio“) ermittelt wurde, mithin der „Inquirent“, also der Richter, verhaftete, verhörte und schließlich verurteilte.25 Im Hinblick auf die Rolle der Öffentlichkeit war das Inquisitionsverfahren geprägt durch ein geheimes und verschlossenes Vorverfahren, die Aktenversendung sowie die dominierende Stellung des Richters als Ermittler, Ankläger und Urteilender in Personalunion.26 Sämtliche Ermittlungen im Vorverfahren vollzogen sich in verschlossenen Amtsstuben, darunter insbesondere die Vernehmung des „Inquisitus“ (des Verfolgten) sowie – in ausgesprochener Häufigkeit – dessen Folterung zur Erlangung eines Geständnisses.27 Auch das Urteil wurde bereits im Rahmen dieses geheimen Vorverfahrens gefällt und eine Beteiligung der Öffentlichkeit fand lediglich im Wege des sogenannten „entlichen Rechtstages“ statt, in dem sie zur öffentlichen Bestätigung des Urteils angehalten war.28 Im Zuge des Absolutismus wurden die Verfahren schließlich gänzlich im Verborgenen abgehalten, so dass die Öffentlichkeit damit vollständig von dem Gerichtsverfahren ausgeschlossen war.29 2. Die Neu-Entwicklung der Gerichtsöffentlichkeit im Zeitalter der Aufklärung Zu einer maßgeblichen historische Wende für die Gerichtsöffentlichkeit kam es im Zuge der aufklärerischen Bewegungen und dem hieran anknüpfenden politischen Liberalismus des 17. und 18. Jahrhunderts, welche den Weg ebneten für eine Abkehr 22

Fischer, S. 45. Fischer, S. 45 f. 24 Alber, S. 14. 25 Neuling, S. 58. 26 Jung, GS-Kaufmann 1986, 891 (894); Neuling, S. 58, der zu Recht darauf hinweist, dass in der „Befangenheit des Richters“ im Inquisitionsverfahren sowie der Stellung des Verfolgten als wehrloses Untersuchungsobjekt der schwere strukturelle Makel dieses Strafverfahrenskonzepts lag. 27 Alber, S. 14; Neuling, S. 58; Schmidt, Einführung in die Geschichte, S. 99 f. 28 Jung, GS-Kaufmann 1986, 891 (894). Er weist darauf hin, dass im Zeitpunkt des sog. „entlichen Rechtstages“ das Urteil zwar schon feststand, es jedoch Fälle gegeben habe, in denen die Entscheidung abgeändert worden sei. Dennoch bezeichnet Fischer, S. 46, diesen „entlichen Rechtstag“ zu Recht als „reine Farce“, der mit dem Begriff der heutigen strafrechtlichen Hauptverhandlung nichts gemein hatte. 29 Fischer, S. 46; Zielemann, S. 72. 23

A. Die Öffentlichkeitsmaxime im „Strafprozess“

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von den inquisitorischen Geheimprozessen hin zu einem reformierten und gerichtsöffentlichen Strafverfahren.30 Die geistige Bewegung der Aufklärung wollte mit Hilfe der Vernunft den Menschen aus den religiösen und weltlichen Bindungen des Mittelalters befreien und eine neue soziale Ordnung schaffen. Ziel war die Möglichkeit einer freien Entfaltung der Persönlichkeit eines jeden einzelnen.31 Eine solche Neuordnung bedurfte zwingend einer Schaffung beziehungsweise Stärkung der Kontroll- und Informationsmöglichkeiten auf Seiten der zuletzt gänzlich unbeteiligten Bevölkerung.32 Die Kernforderung der prinzipiellen Publizität hoheitlicher Entscheidungen richtete sich insbesondere an die exekutive Regierungsaktivität, umfasste jedoch auch die rechtsprechende Hoheitstätigkeit. Ausgehend von den bedeutendsten Vordenkern dieser Zeit, Charles Louis de Montesquieu (1689 – 1755) und Immanuel Kant (1724 – 1804), folgte ein Prozess der Abkehr von den Herrschaftsverhältnissen der absolutistisch konzipierten Staatsorganisation. Als zwingende Voraussetzung hierfür wurde die umfassende Information des Einzelnen über das gesellschaftliche und staatliche Geschehen angesehen, da nur auf dieser Grundlage dem Einzelnen eine eigenständige Meinungsbildung und damit eine Partizipation an den gesellschaftlichen und hoheitlichen Vorgängen möglich sei.33 Die damit einhergehende Forderung einer Abkehr von den Geheimprozessen der Inquisitionsverfahren wurde insbesondere beeinflusst von dem Werk Cesare Beccarias „Dei delitti e delle pene“ (1764).34 Ihm galt die Öffentlichkeit als notwendiges Mittel des Schutzes vor Betrug, Willkür und Gewalt.35 Während in Deutschland der Siegeszug der Gerichtsöffentlichkeit nur langsam in Gang kam, war man in Frankreich zu dieser Zeit schon einen Schritt weiter: Am 8. und 9. Oktober 1789 wurde im Zuge der französischen Revolution ein provisorisches Gesetz erlassen, welches zwar noch keine völlige Abkehr von den Inquisitionsprozessen bedeutete, jedoch einige der gravierendsten Missstände beseitigte und insbesondere anordnete, dass sämtliche Verfahren bei offenen Türen und mündlich verhandelt werden mussten.36 Diese Reformvorstöße blieben auch in Deutschland nicht unbemerkt,37 so dass sich im Zuge der französischen Revolutionskriege und der Napoleonischen 30

Neuling, S. 59 f. Alber, S. 18. 32 Fischer, S. 47. 33 Ausführlich zu den Entwicklungen und Strömungen hinsichtlich der Entwicklung der Gerichtsöffentlichkeit im Zuge der Aufklärung sowie den Einflüssen von Charles Louis de Montesqieu, Cesare Beccaria und Immanuel Kant vgl. Neuling, S. 59 ff. m. w. N. 34 Alber, S. 18 f., zitiert Beccaria mit den Worten: „Öffentlich soll die Gerichtsverhandlung und öffentlich die Beweiserhebung sein, damit die öffentliche Meinung, die vielleicht das einzige Bindemittel der Gesellschaft ist, der Gewalt und den Leidenschaften einen Zügel anlege (…)“. 35 SK-StPO/Velten, Vor § 169 GVG Rn. 3. 36 Dazu Alber, S. 29 m. w. N.; Fischer, S. 47. 37 In Deutschland waren vor allem Paul Johann Anselm von Feuerbach, Ernst Ferdinand Klein und Carl Joseph Anton Mittermaier die prägenden Stimmen der öffentlichen Diskussion zur Einführung einer prinzipiellen Gerichtsöffentlichkeit, vgl. hierzu Neuling, S. 62 m. w. N. 31

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2. Kap.: Die Öffentlichkeit der Strafverfolgung

Expansion die in Frankreich auf dem Vormarsch befindlichen Grundsätze zu einem öffentlichen Verfahren auch hierzulande durchsetzten.38 Auf den Sturz Napoleon Bonapartes und die Befreiungskriege (1813 – 1815) folgte der Wiener Kongress im Jahre 1815. Im Zuge der geographischen Neuordnung Mitteleuropas und den Bestrebungen zu einer umfassenden Rechtsvereinheitlichung gewann das liberale Öffentlichkeitsverständnis an Bedeutung.39 Es vergingen jedoch noch viele Jahre der (rechts-)politischen Diskussion bis schließlich mit dem am 1. Oktober 1879 in Kraft getretenen Gerichtsverfassungsgesetz eine einheitliche Regelung über die Öffentlichkeit im (Straf-)Verfahren geschaffen war.40 Unangefochten und unumstritten blieb das Öffentlichkeitsprinzip jedoch nur wenige Jahre. Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts gewann im Zusammenhang mit Verfahren wegen Beleidigung das heute größte Gegengewicht des Öffentlichkeitsprinzips derart an Bedeutung, dass es zu einer Erörterung eines Ausschlusses der Öffentlichkeit in diesen Bereichen gab: Der Persönlichkeitsschutz.41 Auch wenn es zu derartigen gesetzgeberischen Schritten nicht kommen sollte, so vermochte der Gesichtspunkt des Persönlichkeitsschutzes bis heute nicht mehr aus den Diskussionen um die Gerichtsöffentlichkeit zu verschwinden. 3. Der Umgang mit der Öffentlichkeit zur Zeit des Nationalsozialismus Während die Argumente der Aufklärungsbewegung für ein öffentliches Strafverfahren vor allem den Erfordernissen eines bürgerlich-liberalen Rechtsstaat entsprangen, wurde im „Dritten Reich“ (1933 – 1945) die Öffentlichkeit der strafrechtlichen Hauptverhandlung zu Propagandazwecken und Zurschaustellung diktatorischer Machtdemonstration missbraucht.42 Nach der nationalsozialistischen Ideologie wurde die Notwendigkeit prinzipieller Gerichtsöffentlichkeit nicht aus dem Bedürfnis nach Transparenz des gerichtlichen Verfahrens sowie der plebiszitären Kontrollfunktion abgeleitet.43 Vielmehr sollte sie der „Verantwortlichkeit des Rechtsbrechers gegenüber der Volksgemeinschaft“44 Rechnung tragen. Die Zurschaustellung des Angeklagten war demnach die Kernfunktion der öffentlichen 38

Alber, S. 31. Fischer, S. 48; Neuling, S. 63 f. 40 RGBl. Band 1877, Nr. 4, S. 72; hierzu ausführlich Neuling, S. 63 ff.; die die Öffentlichkeit betreffenden Paragrafen (§§ 170 ff. GVG a. F.) der Gerichtsverfassung vom 1. Oktober 1879 im Wortlaut zitiert Alber, S. 160. Zu den gesetzgeberischen Motiven vgl. Materialien zu den Reichs-Justizgesetzen, Erster Band, Abtheilung 1, S. 173 f. 41 Zipf, Gutachten, C 14. 42 Neuling, S. 68, der in diesem Zusammenhang von einer Pervertierung des Kerngehalts der Funktion der Öffentlichkeit durch die nationalsozialistische Ideologie spricht. 43 Kujath, S. 33 f. 44 Rohde, S. 73 m. w. N. 39

A. Die Öffentlichkeitsmaxime im „Strafprozess“

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Verhandlung.45 Zu Recht spricht Neuling in diesem Zusammenhang von einem „totalen Verlust der Privatsphäre zu Gunsten eines staatlich geprägten Gemeinschaftsdenkens“.46 Darüber hinaus wurde das Öffentlichkeitsprinzip in der Zeit des Nationalsozialismus in personeller Hinsicht stark beschränkt: Der Personenkreis, welcher zu den gerichtlichen Verfahren zugelassen war und damit die Öffentlichkeit darstellte, wurde auf „Mitglieder der Volksgemeinschaft“, mithin „Arier“, begrenzt und aus diesem Grund auch als „Volksgemeinschaft“ bezeichnet. Ausländer und „Nichtarier“ waren demnach von der unmittelbaren Gerichtsöffentlichkeit ausgeschlossen und konnten nur aufgrund einer Ermessensentscheidung der Justizverwaltung zugelassen werden.47 Doch auch die Presseberichterstattung über das Verfahren unterlag dem Einfluss des nationalsozialistischen Regimes. Die Lenkung und propagandistische Nutzung der medialen Gerichtsberichterstattung erfolgte mittels einer Kontrolle der Ausweise der Medienvertreter und Übertragung bedeutender Gerichtsverhandlungen im Rundfunk, welcher jedoch in dieser Zeit politischer, personeller und programmlicher Überwachung durch den Staat, namentlich dem Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda unterstand.48 Durch diese Form der Schauprozesse wurde auch die mittelbare Gerichtsöffentlichkeit in der Zeit des Nationalsozialismus ausgehöhlt und als Instrument der Propaganda missbraucht.49 4. Die Entwicklung der Verfahrensöffentlichkeit seit Ende des Zweiten Weltkrieges Nachdem dieses – auch in Hinsicht auf die Errungenschaft einer prinzipiellen Gerichtsöffentlichkeit – dunkle Kapitel der deutschen Geschichte mit der Kapitulation am 8. Mai 1945 endete, nutzten die westlichen Alliierten die Öffentlichkeit des Strafverfahrens vor den Besatzungsgerichten zum Zwecke der demokratischen Umerziehung der Bevölkerung, wobei das Strafverfahren als Erziehungsinstrument dienen sollte.50 Kernpunkt der westlichen Besatzungspolitik war unter anderem die Schaffung einer unabhängigen und demokratischen Rechtspflege in Deutschland, so dass die Besatzungsgerichtsbarkeit zu einem gewichtigen „Baustein für den demokratischen Wiederaufbau Deutschlands“ wurde.51 In der Folgezeit war die Entwicklung der prinzipiellen Gerichtsöffentlichkeit geprägt durch den technischen Fortschritt, welcher nunmehr auch im Bereich der audiovisuellen Medien (Massenkommunikationsmittel) Geschwindigkeit aufnahm. 45 Kujath, S. 34 m. w. N.; Witzler, S. 42, der den „Schuldgedanken“ als vordergründiges Motiv für das öffentliche Strafverfahren zu dieser Zeit ansieht. 46 Neuling, S. 69. 47 Hagendorn, S. 20. 48 Kujath, S. 35 m. w. N. 49 Neuling, S. 69. 50 Zentz, S. 253. 51 Kujath, S. 35; Zentz, S. 261.

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2. Kap.: Die Öffentlichkeit der Strafverfolgung

Bedeutete früher Gerichtsöffentlichkeit vor allem die unmittelbare Anwesenheit im Gerichtssaal, so gewann die mittelbare Öffentlichkeit im Wege der Medienberichterstattung zunehmend an Bedeutung.52 Diese Entwicklungen blieben auch dem Auge des Gesetzgebers nicht verborgen, welcher in der Folge durch das „Gesetz zur Änderung der Strafprozessordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes“53 den § 169 S. 2 GVG einführte, welcher am 1. April 1965 in Kraft trat. Hiernach sind Tonund Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen zum Zwecke der öffentlichen Vorführung oder Veröffentlichung ihres Inhalts in der Hauptverhandlung unzulässig. Hintergrund dieser gesetzlichen Neuerung war auch die stärkere Herausbildung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, wodurch eine erhöhte Sensibilisierung für die grundrechtsrelevanten Beeinträchtigungen durch die unmittelbare und mittelbare Öffentlichkeit des Strafverfahrens entstand.54 Mit § 169 S. 2 GVG wurde jedoch lediglich ein Verbot von Ton- und Filmaufnahmen zum Zwecke der öffentlichen Vorführung oder Veröffentlichung geregelt.55 Folglich fand der rechtspolitische Diskurs hinsichtlich der Öffentlichkeit des Strafverfahrens im Allgemeinen auch nach dieser bedeutsamen Änderung kein Ende.56 Bis heute dauert die Diskussion um das Verhältnis von Medien und Strafjustiz weiter an. Seit der Wiedereinführung des Öffentlichkeitsgrundsatzes im Strafprozess lässt sich wieder eine Tendenz der Einschränkung erkennen. Mit Einführung des § 169 S. 2 GVG sowie den heutigen § 171 a GVG und § 171 b GVG hat der Gesetzgeber den besonderen Stellenwert der Persönlichkeitsrechte der Verfahrensbeteiligten gegenüber dem Grundsatz der Öffentlichkeit deutlich gemacht.57 Der Grundsatz prinzipieller Gerichtsöffentlichkeit stand seit jeher und steht noch heute in einem äußerst sensiblen Spannungsverhältnis zu den Persönlichkeitsrechten des Angeklagten und der Gefahr der öffentlichen Anprangerung sowie Vorverur-

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LR-StPO/Wickern, Vor § 169 GVG Rn. 2. BGBl. I, 1964, S. 1067 (1080). 54 Hagendorn, S. 22; Kujath, S. 36. 55 Zur Begründung hieß es in dem damaligen Gesetzesentwurf: „Rundfunk- und Filmaufnahmen im Gerichtssaal gehen über die in § 169 GVG gewährleistete Öffentlichkeit der Hauptverhandlung weit hinaus und gefährden nicht nur die Wahrheitsfindung im Strafverfahren, sondern beeinträchtigen auch die Verteidigung des Angeklagten. […] Sie hindern unter Umständen den Angeklagten und Verteidiger wegen der Scheu vor einem unbeschränkten, unübersehbaren und unsichtbaren Zuhörer- oder Zuschauerkreis, ihre Aussagen und Erklärungen so zu gestalten, wie es das Verteidigungsinteresse fordert. Sie vereiteln den Zweck des § 243 Abs. 2 StPO, wonach Zeugen bei der Vernehmung des Angeklagten nicht zugegen sein dürfen, und ermöglichen es späteren Zeugen zu hören, was früher vernommene Zeugen ausgesagt haben. […] Den noch nicht verurteilten Angeklagten zerren sie in einer oft unerträglichen Weise in das Scheinwerferlicht einer weiten Öffentlichkeit.“, BT-Drucks. 4/178, S. 45. 56 Hagendorn, S. 23 m. w. N. 57 Kujath, S. 37; ausführlicher zu der Tendenz einer Beschränkung der prinzipiellen Gerichtsöffentlichkeit siehe unten Zweites Kapitel, A. IV. 53

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teilung.58 Die Entwicklung der Prozessmaxime der Öffentlichkeit ist und kann noch nicht abgeschlossen sein, solange der Wandel der Mediengesellschaft weiter voranschreitet und sich mit ihm auch die Gefahren für die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen stetig verändern. Vor dem Hintergrund der rasanten technischen Entwicklungen im Bereich der audiovisuellen Medien und deren „Mitwirken“ im Strafprozess ist es unumgänglich, den Umgang mit der Öffentlichkeit des Strafverfahrens einer stetigen kritischen Betrachtung zu unterziehen.

II. Inhalt und Grenzen des heute geltenden Öffentlichkeitsprinzips Nachfolgend soll das Prinzip der Öffentlichkeit – ausgehend von seiner heutigen rechtlichen Ausgestaltung – auf seinen Inhalt und Umfang überprüft werden. Erst nach Betrachtung der gesetzlichen Normen und Wertungen, aus denen sich diese Verfahrensmaxime heute ableiten lässt, kann eine zeitgerechte Funktionsbestimmung59 erfolgen. 1. Begriff, Inhalt und rechtliche Grundlagen der „Öffentlichkeit“ Die im Folgenden allgemein als „Gerichtsöffentlichkeit“ bezeichnete prinzipielle Öffentlichkeit des Strafverfahrens ist einfachgesetzlich in § 169 S. 1 GVG60 kodifiziert und beschreibt das Verhältnis zwischen Judikative und Bevölkerung.61 Hiernach muss die Verhandlung vor dem erkennenden Gericht einschließlich der Verkündung der Urteile und Beschlüsse öffentlich sein. Dies umfasst zunächst die sog. „unmittelbare“ Öffentlichkeit, wonach jedermann ohne Ansehung seiner Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen der Bevölkerung und ohne Ansehung bestimmter persönlicher Eigenschaften die Möglichkeit hat, an den Verhandlungen der Gerichte als Zuhörer teilzunehmen.62 Diese Definition beinhaltet zugleich die beiden Kernelemente, welche gegenwärtig die prinzipielle Gerichtsöffentlichkeit prägen: Das aus dem Gleichheitsgrundsatz folgende Diskriminierungsverbot, nach dem der Zugang zum Gerichtssaal nicht von der politischen, ethnischen oder religiösen Zugehörigkeit zu einer be58 Zu den von der Verfahrensöffentlichkeit tangierten Rechte des Betroffenen siehe unten Drittes Kapitel, B. 59 Hierzu siehe Erstes Kapitel, A. III. 60 Der Grundsatz der Öffentlichkeit gilt nicht nur für die ordentliche Gerichtsbarkeit, sondern auch etwa für die Arbeits- (§ 52 ArbGG), Sozial- (§ 61 SGG) und Verwaltungsgerichte (§ 55 VwGO) sowie für das BVerfG (§ 17 BVerfGG). 61 Britz, S. 80. 62 Vgl. z. B. BGHSt 5, 75 (83); BGHSt 27, 13 (14); BGHSt 36, 119 (120); Kissel/Mayer, § 169 Rn. 21 m. w. N.; Meyer-Goßner/Schmitt, § 169 GVG Rn. 3 m. w. N.

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2. Kap.: Die Öffentlichkeit der Strafverfolgung

stimmten Gruppe abhängig gemacht werden darf, sowie die tatsächliche Zutrittsmöglichkeit zu den Verhandlungen im Rahmen der tatsächlichen Gegebenheiten.63 Vor noch nicht allzu langer Zeit wurde „öffentlich“ in diesem Sinne allgemein dahingehend verstanden, dass die Hauptverhandlung in jedermann zugänglichen Räumlichkeiten stattzufinden hat.64 Gerichtsöffentlichkeit wird heute jedoch keinesfalls mehr derartig eindimensional durch die unmittelbar in der Verhandlung anwesende Öffentlichkeit, mithin das Publikum, definiert. Von der Öffentlichkeitsmaxime wird ebenso die sog. „mittelbare“65 oder auch „erweiterte Öffentlichkeit“ erfasst, welche außerhalb des Gerichtssaals durch die mediale Berichterstattung66 das Gerichtsgeschehen vermittelt wird und das Verbreiten von Nachrichten über das Gesehene und Gehörte einschließt.67 Diese mittelbare Öffentlichkeit wird mithin repräsentiert durch die Personen, welche sich durch die Presseberichterstattung über das Verfahrensgeschehen informieren und auch durch die verfahrensbezogene Berichterstattung in den Medien selbst.68 Die mediale Gerichtsberichterstattung gewann in den letzten Jahrzehnten mehr und mehr an Bedeutung. Nach Kühne69 hat sie – mit Ausnahme von wenigen Sensationsprozessen – heute die unmittelbare Teilnahme an Verhandlungen sogar weitestgehend ersetzt. Diese Entwicklung von der unmittelbaren und präsenten Öffentlichkeit hin zur Gerichtsöffentlichkeit als repräsentativer Medienöffentlichkeit und ihren Auswirkungen auf das Strafverfahren und seine Beteiligten wird an späterer Stelle in den Fokus der Betrachtung rücken.70 Durch ihre einfachgesetzliche Ausgestaltung hat die Verfahrensöffentlichkeit den Status eines durchsetzbaren Rechts erlangt, welches unter anderem dem Angeklagten die Möglichkeit bietet, jede ihn belastende Maßnahme in einer gerichtlichen Verhandlung vor die Öffentlichkeit zu bringen.71 63 Hierzu ausführlich Kissel/Mayer, § 169 Rn. 21 ff.; LR-StPO/Wickern, Vor § 169 GVG Rn. 10 ff. 64 Eb. Schmidt, FS-Walter Schmidt 1959, 338. 65 Die Unterscheidung zwischen unmittelbarer und mittelbarer Öffentlichkeit geht zurück auf von Feuerbach, S. 25 f. Auch wenn diese Unterscheidung im Gesetz keinen Niederschlag findet, so wird sie doch aufgrund der technischen Entwicklungen überwiegend anerkannt, so z. B. Kissel/Mayer, § 169 Rn. 3; LR-StPO/Wickern, Vor § 169 GVG Rn. 14 m. w. N. 66 Zu den verschiedenen Formen der medialen Gerichtsberichterstattung siehe unten Viertes Kapitel, A. 67 Britz, S. 84 f.; von Feuerbach, S. 25 f.; a. A. Kissel/Mayer, § 169 Rn. 3. 68 LR-StPO/Wickern, Vor § 169 GVG Rn. 14. 69 Kühne, Rn. 699. 70 Ausführlich zur Bedeutung und Rolle der berichterstattenden Medien im Bereich der öffentlichen Strafrechtspflege siehe unten Viertes Kapitel, A. Zu den Gefahren medienöffentlicher Strafrechtspflege siehe unten Drittes Kapitel, A. 71 Kuß, S. 56. Ausprägung findet dieses subjektiven Rechts beispielsweise auch darin, dass „geheime“ Verfahrensbeendigungen (in Form der Einstellung unter Auflagenvorbehalt nach § 153a Abs. 1 StPO oder mittels Strafbefehl nach §§ 407 ff. StPO) nicht gegen den Willen des

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Ausdruck der ausgesprochenen Wertschätzung und der zentralen verfahrensrechtlichen Bedeutung72 des Öffentlichkeitsgrundsatzes ist § 338 Nr. 6 StPO, der die Revisibilität von Verletzung der Vorschriften über die Öffentlichkeit in Form eines absoluten Revisionsgrundes regelt. Das Beruhen des Urteils auf dem Verstoß wird hier vermutet, womit deutlich wird, dass der Verfahrensöffentlichkeit ein über das einzelne Verfahren hinausgehender Inhalt beigemessen wird.73 Dies gilt indes nicht bei einer Erweiterung der Verfahrensöffentlichkeit über den gesetzlichen Rahmen hinaus, da in diesem Fall nach wohl herrschender Meinung § 337 StPO Anwendung findet und das Beruhen des Urteils auf dem Verstoß positiv festgestellt werden muss.74 Dies folgt daraus, dass der Angeklagte keinen Anspruch auf Ausschluss der Öffentlichkeit hat – ein solcher ergibt sich auch nicht etwa aus Art. 1, 2 GG oder Art. 6 Abs. 1 S. 2 EMRK.75 Darüber hinaus ist die Öffentlichkeit des Verfahrens der Disposition der Verfahrensbeteiligten entzogen, so dass auch ein Verzicht des Angeklagten auf dieselbe unbeachtlich und unwirksam ist.76 Andererseits besteht auch kein durchsetzbares Recht der Allgemeinheit auf Herstellung der Öffentlichkeit im Sinne eines subjektiven Rechts ihres einzelnen Repräsentanten auf Einhaltung der Vorschriften über die Öffentlichkeit.77 Das heißt, der Grundsatz prinzipieller Gerichtsöffentlichkeit ermöglicht lediglich einen abstrakten Zutritt der Allgemeinheit („offenen Saal“) und gewährt keinen individuell durchsetzbaren Anspruch auf Zulassung zu einer bestimmten Verhandlung.78 Gleiches gilt auch für die Pressevertreter, welche grundsätzlich keinen bevorzugten Zugang zu Verhandlungen erhalten. In diesem Zusammenhang wird es allerdings als sachgerecht angesehen, im Hinblick auf die Berichterstattungsaufgabe der Presse einen gewissen Teil der Plätze für Journalisten zu reservieren.79 Eine darüberhinAngeklagten möglich sind. Er kann durch Verweigerung der Zustimmung bzw. einen Einspruch die öffentliche Verhandlung herbeiführen oder auch auf diese verzichten. 72 Britz, S. 80; ähnlich auch Kleinknecht, FS-Schmidt-Leichner 1977, 111 (112); Roxin/ Schünemann, § 47 Rn. 24. 73 Kuß, S. 56. 74 So etwa BGHSt 10, 202 (206); 23, 82 (85); 23, 176 (178); KK-StPO/Diemer, § 169 GVG Rn. 12; SK-StPO/Frisch, § 338 Rn. 127 ff.; Meyer-Goßner/Schmitt, § 338 StPO Rn. 47; a. A. Kissel/Mayer, § 169 Rn. 59 f.; hierzu auch ausführlich und im Ergebnis mit a. A. Roxin, FS-Karl Peters 1974, 393 (402 ff.). 75 BGHSt 23, 82 (83 f.); KK-StPO/Diemer, § 169 GVG Rn. 5; Kissel/Mayer, § 169 Rn. 19 Meyer-Goßner/Schmitt, § 338 StPO Rn. 47; ausführlicher zu dem völkerrechtlichen Öffentlichkeitsgrundsatz nach Art. 6 Abs. 1 EMRK siehe unten Zweites Kapitel, A. II. 2. 76 MüKo-ZPO/Zimmermann, § 169 GVG Rn. 24, 28; Kissel/Mayer, § 169 Rn. 19. 77 H.M.; so etwa Kissel/Mayer, § 172 Rn. 19; Enders, NJW 1996, 2712 (2713); Weidemann, DRiZ 1970, 114 (115); a. A. Bäumler, JR 1978, 317 (320 f.); Kuß, S. 57 f., der das durchsetzbare Recht des Bürgers für die Legitimation der Judikative durch die Öffentlichkeit als zwingende Voraussetzung sieht; SK-StPO/Velten, § 169 GVG Rn. 16, für die zumindest aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG ein durchsetzbares subjektives Recht zur Teilnahme folgt. 78 LR-StPO/Wickern, Vor § 169 GVG Rn. 8 m. w. N. 79 BVerfG NJW 1993, 915; LR-StPO/Wickern, Vor § 169 GVG Rn. 8; im Sinne der Berichtserstattungsaufgabe der Presse ist durch das Gericht eine interessengerechte Zuteilung von

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2. Kap.: Die Öffentlichkeit der Strafverfolgung

ausgehende Einwirkung auf die Zusammensetzung des Publikums ist ausgeschlossen, da sich Bedeutung und Wert der Öffentlichkeitsmaxime gerade durch eine zufällige Zusammensetzung des Publikums erklären.80 2. Die völkerrechtliche Regelung des Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK Das Öffentlichkeitsprinzip ist zudem in Art. 6 Abs. 1 EMRK völkerrechtlich normiert, der in innerstaatliches Recht transformiert wurde, so dass ihm als einfaches Gesetz unmittelbare Geltung zukommt.81 Wegen der völkerrechtlichen Bindung der Bundesrepublik Deutschland müssen die Prinzipien der EMRK die Auslegung und Anwendung allen innerstaatlichen Rechts und damit auch die Auslegung der §§ 169 ff. GVG prägen.82 Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK normiert den Anspruch einer Person darauf, dass „über eine gegen sie erhobene strafrechtliche Anklage […] öffentlich […] verhandelt wird“ und dass das Urteil „öffentlich verkündet“ wird. Hinsichtlich der Strafverfahrensöffentlichkeit nennt die völkerrechtliche Regelung die Verhandlung über die „erhobene strafrechtliche Anklage“, womit eine begrifflich weiter gefasste Verfahrensöffentlichkeit geregelt wird. Eine Beschränkung auf die Hauptverhandlung kann aus der EMRK nicht geschlussfolgert werden.83 Während § 169 S. 1 GVG in erster Linie die „unmittelbare Öffentlichkeit“ meint, wird die Presseöffentlichkeit in der völkerrechtlichen Regelung ausdrücklich erwähnt: Wenn in Art. 6 Abs. 1 S. 2 EMRK die Voraussetzungen für den Ausschluss der Presse geregelt sind, dann bedeutet dies im Umkehrschluss, dass die in Art. 6

Plätzen für Medienvertreter vorzunehmen; dazu die einstweilige Anordnung des BVerfG im NSU-Verfahren, NJW 2013, 1293 (1295). 80 SK-StPO/Velten, § 169 GVG Rn. 13. Ob jedoch eine Verpflichtung besteht, gerade besonders öffentlichkeitswirksame Verfahren in einem größeren Sitzungssaal abzuhalten, wird in Hinblick auf die Menschenwürde des Angeklagten kritisch betrachtet, vgl. KK-StPO/Diemer, § 169 GVG Rn. 8 m. w. N. 81 Gesetz vom 07. 08. 1952, BGBl. 1952, Teil II S. 685. 82 BVerfGE 74, 358, 370; Kissel/Mayer, § 169 Rn. 82; Meyer-Goßner/Schmitt, Vor Art. 1 EMRK Rn. 5. 83 Ausführlich zur Auslegung dieses Begriffs Frowein/Peukert, Art. 6 EMRK Rn. 41 f., wonach der Begriff der „Anklage“ nicht rein formell, sondern materiell verstanden werden muss. Danach steht eine Person nach Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK bereits dann unter Anklage, wenn gegen sie Maßnahmen wegen des Verdachts einer strafbaren Handlung ergriffen werden; eine Begriffsbestimmung allein nach innerstaatlichem Recht kann nicht erfolgen, sondern muss autonom i. S. d. Konvention erfolgen, BeckOK-StPO/Valerius, Art. 6 EMRK Rn. 2 m. w. N.; MüKo-StPO/Gaede, Art. 6 Rn. 55. Im Ergebnis kann dies die Anklage im Sinne des deutschen Strafprozessrechts sein, aber auch ein früherer Zeitpunkt, wenn beispielsweise Maßnahmen ergriffen werden, aus denen sich eine Beschuldigung gegen den Betroffenen ergibt, HKEMRK/Meyer-Ladewig/Harrendorf/König, Art. 6 Rn. 31.

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Abs. 1 S. 1 EMRK geregelte Verfahrensöffentlichkeit die „mittelbare Öffentlichkeit“ in Form der Medienöffentlichkeit mit umfasst.84 Der völkerrechtliche Öffentlichkeitsgrundsatz unterscheidet sich von § 169 GVG ganz wesentlich dadurch, dass Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK einen individualrechtlichen Anspruch auf ein öffentliches Gerichtsverfahren statuiert, so dass die Öffentlichkeitsmaxime unter Umständen gar der Disposition der Parteien unterliegt.85 Diese Dispositionsbefugnis der Parteien wird hingegen im Rahmen des nationalen Verfahrensrechts – auch in Gesamtschau mit Art. 6 EMRK – ganz überwiegend verneint.86 Die Vorschrift des Art. 6 EMRK lässt überdies weiterführendere Einschränkungen der Öffentlichkeit als die in Deutschland geltenden Regelungen zu,87 soweit es die „Interessen der Rechtspflege“ verlangen. Diese Ausschlussmöglichkeit wird als „Härteklausel“ verstanden und ist immer wieder Anlass für Diskussionen darüber, ob nach der Europäischen Menschrechtskonvention gerade im Hinblick auf die Medienberichterstattung ein Ausschluss der Öffentlichkeit zum Schutz des Privatlebens anerkannt werden kann.88 Bisher hat die Europäische Kommission für Menschenrechte ein Recht auf Nichtöffentlichkeit aus Art. 6 Abs. 1 EMRK jedoch abgelehnt. Doch selbst wenn Art. 6 Abs. 1 EMRK im Verhältnis zu den nationalen Regelungen der §§ 169 ff. GVG weitergehende Einschränkungen der Verfahrensöffentlichkeit entnommen werden können, so wird dessen innerstaatliche Wirkung durch die Anwendung dieser völkerrechtlichen Vorschrift im Rahmen der nationalen Rechtsprechung bestimmt. Den möglicherweise in der EMRK vorgesehenen weitergehenden Einschränkungen kommt daher nur die Bedeutung zu, die ihnen durch die deutschen Gerichte zugesprochen wird.89 Wegen seiner Allgemeinformulierung und begrifflichen Unschärfe gegenüber den ausdifferenzierten Ausschlussregelungen der §§ 169 ff. GVG erkennt die nationale Rechtsprechung Einschränkungen der Verfahrensöffentlichkeit über die Gewährleistungen der §§ 169 ff. StPO hinaus jedoch nicht an,90 so dass teilweise angenommen wird, Art. 6 Abs. 1 S. 2 EMRK käme derzeit keine eigenständige Bedeutung zu.91 84

Britz, S. 94. Vgl. HK-EMRK/Meyer-Ladewig/Harrendorf/König, Art. 6 Rn. 182. 86 Siehe oben Zweites Kapitel, A. II. 1. 87 Vor allem die Beschränkung der Öffentlichkeit im Interesse der Sittlichkeit, der öffentlichen Ordnung, der nationalen Sicherheit, der Jugendlichen oder des Privatlebens. 88 IntKommEMRK/Kühne, Art. 6 Rn. 353 ff. 89 Vgl. Art. 6 Abs. 1 S. 2 EMRK, wonach die Verfahrensöffentlichkeit beschränkt werden kann, „[…] soweit das Gericht es für unbedingt erforderlich hält – wenn unter besonderen Umständen eine öffentliche Verhandlung die Interessen der Rechtspflege beeinträchtigen würde“. 90 SK-StPO/Velten, Vor § 169 GVG Rn. 16. 91 Kissel/Mayer, § 169 Rn. 84, die auf die in den nationalen Regelungen enthaltenen Abwägungsentscheidungen mit den Belangen der Rechts- und Wahrheitsfindung verweisen; MüKo-ZPO/Zimmermann, § 169 GVG Rn. 30. 85

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2. Kap.: Die Öffentlichkeit der Strafverfolgung

3. Verfassungsrechtliche Bedeutung der Öffentlichkeitsmaxime Ob dem Prinzip der Gerichtsöffentlichkeit über seine verfassungsrechtliche Prägung hinaus auch selbst ein Verfassungsrang zukommt, wird bis heute unterschiedlich beurteilt.92 Diesbezüglich ist zunächst festzustellen, dass – mit Ausnahme der bayerischen Landesverfassung93 – die prinzipielle Gerichtsöffentlichkeit nicht in den deutschen Landesverfassungen oder der Staatsverfassung enthalten ist.94 Vor diesem Hintergrund wird eine verfassungsunmittelbare Herleitung des Öffentlichkeitsprinzips vielfach verneint.95 Mit dem Argument ihrer fundamentalen grundgesetzlichen Bedeutung für den repräsentativ-demokratischen Rechtsstaat wird hingegen teilweise ein Verfassungsrang prinzipieller Gerichtsöffentlichkeit begründet.96 In seinen ersten Entscheidungen zum Öffentlichkeitsprinzip bezeichnete der Bundesgerichtshof die Öffentlichkeit der Gerichte als „eine alte demokratische Forderung“,97 welche zu den „Grundlagen des Strafverfahrens“ gehöre.98 Das Bundesverfassungsgericht betonte jüngst, dass das in § 169 GVG niedergelegte Öffentlichkeitsprinzip Ausdruck der „demokratischen Idee“ sei und „historisch als unverzichtbares Institut zu Verhinderung obrigkeitlicher Willkür eingeführt“ wurde.99 Einer verfassungsunmittelbaren Herleitung steht die Rechtsprechung hingegen kritisch gegenüber. Ihre Ausführungen erschöpfen sich allerdings regelmäßig in der Feststellung, die prinzipielle Gerichtsöffentlichkeit zähle zu den „grundlegenden Einrichtungen des Rechtsstaates“.100 Der Öffentlichkeitsgrundsatz sei ein verfassungsrechtliches Prinzip und insbesondere eine Ausprägung der Demokratieund Rechtsstaatsmaxime.101 Weitergehende Ausführungen folgen in aller Regel nicht. Angesichts der rechtshistorisch begründeten hohen Bedeutung der Öffentlichkeitsmaxime für das rechtsstaatliche Verfahren ist mit der wohl herrschenden Ansicht davon auszugehen, dass sich die Gerichtsöffentlichkeit aus dem Demokratieprinzip des Art. 20 Abs. 1, 2 GG und dem darin verankerten Transparenzgebot

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Vgl. hierzu ausführlich Neuling, S. 85 ff. m. w. N. Art. 90 BayVerf normiert den Grundsatz der Öffentlichkeit von Gerichtsverhandlungen. 94 Anders hingegen zum Beispiel die Parlamentsöffentlichkeit in Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG. 95 Vgl. Franke, S. 38 ff., 48 ff. m. w. N.; Kissel/Mayer, § 169 Rn. 4; HK-StPO/Schmidt/ Temming, § 169 GVG Rn. 1; Meyer-Goßner/Schmitt, § 169 GVG Rn. 1; LR-StPOWickern, Vor § 169 GVG Rn. 6. 96 Neuling, S. 86 m. w. N. 97 BGHSt 2, 56 (57); 4, 279 (283). 98 BGHSt 1, 334 (335). 99 BVerfG NJW 2013, 1058 (1065). 100 Vgl. u. a. BGHSt 9, 280 (281); 21, 72; 22, 297 (301); 23, 176 (178); BGH NJW 1969, 756 (757). 101 So zum Beispiel in BVerfG NJW 2001, 1633 (1635); BVerfGE 4, 74 (94); 15, 303 (307). 93

A. Die Öffentlichkeitsmaxime im „Strafprozess“

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staatlicher Entscheidungsprozesse entwickeln lässt.102 Die repräsentative Ausprägung des Demokratieprinzips der Bundesrepublik Deutschland bedarf eines notwendigen Kontrollinstruments. Die umfassende Informationsmöglichkeit des Staatsvolkes – frei von jedweder Einflussnahme seitens der Organe staatlicher Gewalt – über staatliche Entscheidungsprozesse stellt demnach ein Fundament der Demokratie und dem daraus folgenden allgemeinen Öffentlichkeitsprinzips dar.103 Darüber hinaus ist die prinzipielle Gerichtsöffentlichkeit Bestandteil der Rechtsstaatsmaxime.104 Das Rechtsstaatsprinzip äußert sich nicht nur in den normierten Grundsätzen der Gewaltenteilung gemäß Art. 20 GG, der Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG oder dem Rückwirkungsverbot des Art. 103 GG, es ist vielmehr dem gesamten Grundgesetz als leitendes und dynamisches Element zu entnehmen.105 In Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verlangt das Rechtsstaatsprinzip, dass die Gesetzmäßigkeit der Staatstätigkeit wirksamer Kontrolle unterliegt.106 Zur rechtsstaatlichen Kontrolle sind jedoch nicht nur die Organe der Staatsgewalt befugt und verpflichtet. Ausdruck der plebiszitären Rechtsstaatlichkeit ist vielmehr insbesondere die Kontrollmöglichkeit durch das Staatsvolk in seiner Gesamtheit.107 Dieses Bedürfnis nach Berechenbarkeit staatlicher Machtausübung geht über die rein abstrakte Möglichkeit zur Kenntnisnahme von Norminhalten hinaus und erstreckt sich auch auf die praktische Beobachtung richterlicher Rechtsanwendung.108 Es bedarf demnach im Sinne der Rechtsstaatlichkeit des gerichtlichen Verfahrens auch einer umfangreichen Informationsmöglichkeit des Staatsvolkes,109 welche durch die Öffentlichkeit des Verfahrens geschaffen wird. Zusammenfassend ist somit Ranft zuzustimmen, nach dessen Ansicht sich im Öffentlichkeitsgrundsatz das Staatsformprinzip der Demokratie und ganz allgemein das Rechtsstaatsprinzip „spiegeln“.110 4. Die Grenzen der Strafverfahrensöffentlichkeit Trotz seiner historischen und rechtstheoretischen Begründung gilt der Grundsatz prinzipieller Gerichtsöffentlichkeit bei weitem nicht so uneingeschränkt, wie seine 102

Vgl. hierzu ausführlich Franke, S. 39 ff. m. w. N.; mit dem Ergebnis einer verfassungsunmittelbaren Herleitung vgl. hierzu auch Neuling, S. 87 ff. m. w. N. 103 Neuling, S. 88 m. w. N. 104 Das Rechtsstaatsprinzip ist, auch wenn es nur in Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG ausdrücklich Erwähnung findet, als verfassungsrechtlich verankertes fundamentales Prinzip anerkannt; vgl. BVerfGE 20, 323 (331) m. w. N.; Nachweise zudem bei Jerschke, S. 68 f. 105 Franke, S. 49. 106 SK-StPO/Velten, Vor § 169 Rn. 9. 107 Neuling, S. 93 m. w. N. 108 Neuling, S. 95. 109 Kuß, S. 52 m. w. N. 110 Ranft, Jura 1995, 573 (574).

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2. Kap.: Die Öffentlichkeit der Strafverfolgung

Ausgestaltung als absoluter Revisionsgrund in § 338 Nr. 6 StPO zunächst glauben macht.111 Unter Berücksichtigung des besonders sensiblen Gegenstandes eines Strafverfahrens bedarf es einer Reihe von Ausnahmen und Durchbrechungen des Öffentlichkeitsgrundsatzes. Die Öffentlichkeitsmaxime wird heute „als das verfahrensunbeteiligten Dritten verbürgte (kollektive) Recht auf potentielle, diskriminierungsfreie Zugänglichkeit des Gerichtsortes und auf passive Präsenz in der Hauptverhandlung“112 verstanden, unterliegt dabei jedoch rechtlichen sowie faktischen Beschränkungen. a) Gesetzliche Beschränkungen der Gerichtsöffentlichkeit Aus dem Gerichtsverfassungsgesetz und verschiedenen anderen speziellen verfahrensrechtlichen Regelungen ergeben sich ausdrückliche Beschränkungen des Öffentlichkeitsprinzips.113 Die grundlegendste Begrenzung erfährt die strafrechtliche Verfahrensöffentlichkeit bereits durch § 169 GVG selbst. Danach ist öffentlich nur die Hauptverhandlung, während das Ermittlungs- und Zwischenverfahren grundsätzlich nichtöffentlich stattfinden.114 Ein zwingender und genereller Ausschluss der Öffentlichkeit aus erzieherischen Gründen115 erfolgt darüber hinaus im Verfahren gegen Jugendliche nach § 48 Abs. 1 JGG, wobei der Ausschluss bei Beteiligung von Heranwachsenden am Verfahren fakultativ ist, § 48 Abs. 3 JGG. Bei Verfahren ausschließlich gegen Heranwachsende ist die Hauptverhandlung jedoch nach § 109 Abs. 1 S. 4 JGG grundsätzlich öffentlich. Ein Ausschluss kann hier allenfalls nach gerichtlichem Ermessen im Interesse des Heranwachsenden erfolgen. In Fällen des gesetzlich angeordneten Ausschlusses der Öffentlichkeit sieht das Bundesverfassungsgericht die Qualität des gerichtlichen Verfahrens nicht in Frage gestellt.116 Hinsichtlich der strafrechtlichen Hauptverhandlung normiert das GVG sodann weitere Beschränkungen in den §§ 171a ff. GVG, welche gesetzliche Abwägungen zwischen dem Interesse der Allgemeinheit an der öffentlichen Verfahrensdurch111

Schüler-Springorum, NStZ 1982, 305 (307). Britz, S. 89. 113 Das Verfahrensrecht kennt eine Vielzahl von öffentlichkeitseinschränkenden Regelungen, wie z. B. den obligatorischen Ausschluss in Kindschafts- und Familienangelegenheiten (§ 170 S. 1 GVG,) in Disziplinarverfahren gegen Richter (§ 63 DRiG) und gegen Beamte (§ 3 BDG i. V. m. § 55 VwGO) sowie in berufsständischen Verfahren (z. B. § 135 BRAO). In Hinblick auf die die Untersuchung leitende Forschungsfrage nach dem persönlichkeitsrechtlichen Schutz von Personen des öffentlichen Lebens im Strafverfahren wird sich die Darstellung jedoch auf die diesbezüglich relevanten Vorschriften beschränken. 114 Ausführlich zur Nichtöffentlichkeit des Strafverfahrens siehe unten Zweites Kapitel, B. 115 Gierhake, JZ 2013, 1030 (1036) m. w. N. 116 BVerfG NJW 1955, 17 (18). 112

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führung und den schutzwürdigen Individualinteressen der Verfahrensbeteiligten enthalten.117 Hiernach ist der Ausschluss der Öffentlichkeit unter den Voraussetzungen der §§ 171a, 171b, 172, 175 – 178 GVG118 möglich und zum Teil sogar obligatorisch (so zum Beispiel im Fall des § 171b Abs. 2 GVG). Hierbei ist herauszustellen, dass in den genannten Ausschlussregelungen der gesetzgeberische Wille zum Ausdruck kommt, nicht nur den Interessen der Allgemeinheit den Vorrang einzuräumen, sondern in erheblichen Umfang auch die schutzwürdigen Individualinteressen der Verfahrensbeteiligten zu berücksichtigen.119 Deutlich wird dies unter anderem in § 171b GVG, der zum Schutz der Privatsphäre einen Ausschluss der Öffentlichkeit ermöglicht, wenn „Umstände aus dem persönlichen Lebensbereich“ eines Prozessbeteiligten, eines Zeugen oder eines Verletzten zur Sprache kommen und deren öffentliche Erörterung schutzwürdige Interessen verletzen würde. In diesen „persönlichen Lebensbereich“ fallen Umstände, die nicht das Berufs- oder Erwerbsleben betreffen. Gemeint ist also der private Bereich, der einer Person zur Entfaltung ihrer Persönlichkeit gewährleistet werden muss.120 Dieser Ausschluss zum Schutz der Persönlichkeitsrechte der Verfahrensbeteiligten trägt dem Umstand Rechnung, dass sich das Straf- und Strafprozessrecht immer mehr auch die Persönlichkeitserforschung zur Aufgabe macht. Dass Umstände aus dem persönlichen Lebensbereich in der Hauptverhandlung zur Sprache kommen, hat der Angeklagte hinzunehmen, jedoch muss dies nicht vor den „Ohren der Öffentlichkeit“ geschehen.121 Bei der Entscheidung über das Maß des öffentlichen Interesses an einer Erörterung, muss dieses umso mehr zurücktreten, je größer die Gefahr einer unzumutbaren öffentlichen Anprangerung durch die berichterstattenden Massenmedien ist.122 Gierhake sieht die Notwendigkeit einer Beschränkung des Öffentlichkeitsgrundsatzes hinsichtlich solch persönlicher Umstände bereits darin begründet, dass es bei der Gewährleistung der öffentlichen Strafrechtspflege um die „Möglichkeit der Rechtsgeltungsrestitution“ gehe, ein Anspruch des Publikums auf „allumfassende Information“ aber nicht bestehe.123 Die Bedeutung der Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens und seiner Nichtöffentlichkeit wird auch in § 174 Abs. 2, 3 GVG deutlich, der Veröffentlichungsverbote für die berichterstattenden Medien – Presse, Rundfunk, Fernsehen, 117

Ranft, Strafprozeßrecht, § 57 Rn. 1425. Da für die Forschungsfrage unerheblich, werden die gesetzlichen Regelungen zum Ausschluss einzelner Personen (insbesondere §§ 175, 177, 178, 183 GVG) vorliegend nicht behandelt. Den genannten Vorschriften liegt insbesondere das Bedürfnis nach einem ungestörten Gang der Verhandlung zugrunde, womit die Frage nach dem notwendigen Schutz des Angeklagten vor der Öffentlichkeit nicht beantworten werden kann. 119 Ranft, Jura 1995, 573 (575). 120 Kissel/Mayer, § 171b Rn. 3. 121 Meyer-Goßner/Schmitt, § 171b GVG Rn. 3. 122 Kleinknecht, FS-Schmidt-Leichner 1977, 111 (114). 123 Gierhake, JZ 2013, 1030 (1037). 118

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Internet – normiert. Ein umfassendes strafbewährtes Verbot findet sich jedoch in § 353d Nr. 1 StGB – entgegen seiner abstrakten Fassung – nur für solche Gerichtsverhandlungen, bei denen die Öffentlichkeit aus Gründen der Staatssicherheit ausgeschlossen ist.124 Die Persönlichkeitsrechte der Verfahrensbeteiligten werden strafrechtlich hingegen nur bis zum Beginn der öffentlichen Verhandlung nach § 353d Nr. 3 StGB geschützt.125 Weitere Durchbrechungen erfährt die Strafverfahrensöffentlichkeit durch prozessuale Möglichkeiten der Verfahrensbeschleunigung oder -beendigung. Hierzu zählt zunächst eine recht junge126 Regelung der Strafprozessordnung: In § 257c StPO wird nunmehr die Verständigung zwischen dem erkennenden Gericht und den Verfahrensbeteiligten geregelt. Gegenstand einer solchen Verständigung ist überwiegend eine Absprache über die zu erwartende Strafe für den Fall eines Geständnisses oder einem sonstigen verfahrensbeschleunigenden Prozessverhaltens des Angeklagten.127 Schon vor Einführung dieser gesetzlichen Regelung gab es eine derartige „Absprachepraxis“ vor den Strafgerichten. Der BGH sah jedoch bereits damals die Gefahr, dass außerhalb der öffentlichen Hauptverhandlung stattfindende Absprachen die Hauptverhandlung „zur bloßen Fassade“ werden lassen, die „jeglichen Einblick der Öffentlichkeit in die dem Urteil zugrunde liegenden Umstände verschleiert“.128 Der Umstand, dass nach § 273 Abs. 1a StPO nunmehr der wesentliche Ablauf und Inhalt sowie das Ergebnis einer Verständigung nach § 257c StPO in das Hauptverhandlungsprotokoll aufgenommen werden muss, ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass diese Absprachen auf Grundlage des Inhalts der nichtöffentlichen Ermittlungsakten und einer nichtöffentlichen Absprache-Verhandlung getroffen werden. Die Öffentlichkeit wird daher in ihrer Kontrollmöglichkeit hinsichtlich der Übereinstimmung mit der Sach- und Rechtslage beschränkt.129 Die gesetzlichen Möglichkeiten zur vereinfachten Beendigung des Strafverfahrens schränken die Verfahrensöffentlichkeit ebenfalls ein. So können beispielswese mithilfe des Strafbefehlsverfahrens (§§ 407 ff. StPO) sämtliche Vergehen im Zuständigkeitsbereich des Strafrichters sowie des Schöffengerichts im Rahmen eines summarischen Verfahrens ohne mündliche Verhandlung und damit unter Ausschluss der Öffentlichkeit beendet werden. Aus personellen und strukturellen Gründen innerhalb der Justiz haben nicht nur die Verfahrensbeendigung mittels Strafbefehles

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Fischer-StGB, § 353d Rn. 3. Ausführlich zu den (strafrechtlichen) Sanktionen für rechtswidrige Öffentlichkeitsarbeit und Berichterstattung siehe unten Siebtes Kapitel, B. I. 126 Eingeführt durch das Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren vom 29. 07. 2009, Geltung ab 04. 08. 2009, BGBl. I 2009, S. 2353. 127 Meyer-Goßner/Schmitt, § 257c Rn. 8 ff. 128 BGHSt 43, 195 (205). 129 Roxin/Schünemann, § 47 Rn. 5. 125

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sondern auch die Einstellung aus Opportunitätsgründen nach §§ 153 ff. StPO Konjunktur.130 Eine öffentliche Verhandlung entfällt auch hier. b) Die verfassungsrechtlichen Grenzen des Öffentlichkeitsgrundsatzes Dem Öffentlichkeitsgrundsatz immanent ist ein stetiger Konflikt mit den Individualinteressen der Verfahrensbeteiligten, welcher durch den sensiblen Gegenstand eines jeden Strafverfahrens begründet ist. Die öffentliche Erörterung des Verfahrensstoffes bedeutet erhebliche Eingriffe in das aus Art. 1, 2 GG abzuleitende allgemeine Persönlichkeitsrecht des Angeklagten131 und gefährdet für den Fall einer Verurteilung die Chancen seiner Resozialisierung.132 Für die Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte des Angeklagten wirkt die massenmediale Gerichtsberichterstattung intensivierend, da das vermeintliche Fehlverhalten mittels Fernsehen, Presse, Rundfunk und Internet einer unbegrenzten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden kann und so das Ansehen des Täters in der Gesellschaft geschmälert wird.133 Vor diesem Hintergrund und angesichts der in den letzten Jahren zunehmenden massemedialen Veränderungen in der öffentlichen Wahrnehmung besteht die Tendenz, die Verfahrensöffentlichkeit aufgrund der Gefährdung und Beeinträchtigung grundrechtlich geschützter Individualrechtsgüter der Verfahrensbeteiligten unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes einzuschränken.134 Teilweise wird angenommen, dass die einfachgesetzlich geregelten Schranken der Öffentlichkeit in den §§ 169 ff. GVG dem verfassungsrechtlich gebotenen Schutz individueller Rechtspositionen (des Angeklagten) ausreichend Rechnung tragen und es folglich jedenfalls keiner auf das Verfassungsrecht bezogener Begrenzungen des Öffentlichkeitsprinzips bedarf.135 Dagegen hat bereits der BGH – unter Hinweis auf die aus der neueren Gesetzgebung erkennbare Tendenz, das Prinzip der Öffentlichkeit hinter dem Anspruch des

130 Albrecht, S. 207 f.; Böttcher, FS-Odersky 1996, 29; Heinz, FS-Müller-Dietz 2001, 271; Marxen, GA 2013, 99 (104); Roxin/Schünemann, § 68 Rn. 2. 131 Auch hier sind durch die Erörterungen des Strafverfahrens selbstredend auch Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte der übrigen Verfahrensbeteiligten zu befürchten, welche jedoch hier nicht Gegenstand der Untersuchung sein sollen. 132 LR-StPO/Wickern, Vor § 169 GVG Rn. 12; zu den Gefahren der öffentlichen Verhandlung für die Resozialisierung des Täters siehe unten Drittes Kapitel, B. I. 3. 133 LR-StPO/Wickern, Vor § 169 GVG Rn. 12. 134 Baumann, NJW 1982, 1558 ff.; Beulke, JR 1982, 309 ff.; Britz, S. 90; Jung, GS-Kaufmann 1986, 891 (898); Kleinknecht, FS-Schmidt-Leichner 1977, 111 f.; Meyer-Goßner, ZRP 1982, 237 ff.; Ranft, Jura 1995, 573 (575); Meyer-Goßner/Schmitt, § 169 GVG Rn. 1; LR-StPO/ Wickern, Vor § 169 GVG Rn. 12 f. 135 So etwa Britz, S. 91.

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Betroffenen auf Achtung seiner Privatsphäre zurücktreten zu lassen136 – die Möglichkeit eröffnet, über die einfachgesetzlich konstituierten Ausnahmeregelungen hinaus, weitere Einschränkungen des Öffentlichkeitsgrundsatzes zugunsten höherrangigerer Rechtswerte zu schaffen.137 Gerade für untypische – über den Grundgedanken der §§ 169 ff. GVG hinausgehende – Konfliktlagen, die der Gesetzgeber hier nicht hat regeln wollen oder können, speziell einer Kollision mit hochrangigen Grundrechten, muss der Öffentlichkeitsgrundsatz einer weiteren Abwägung offen stehen.138 Diese gesetzliche Ausnahmeregelungen betreffen jedoch nur die im Hauptverfahren auftretenden Kollisionen von Individual- und Allgemeininteressen und vermögen mithin der besonderen Situation des Ermittlungsverfahrens139 und hier gerade dem gesteigerten medialen Interesse im Fall des Beschuldigten als Person des öffentlichen Lebens140 keine Rechnung zu tragen. c) Die faktische Begrenzung der Verfahrensöffentlichkeit Dem Prinzip des öffentlichen Strafverfahrens werden allerdings nicht nur durch gesetzliche Regelungen Grenzen gesetzt. Darüber hinaus wird der Zugang der Öffentlichkeit zu Gerichtsverhandlungen faktisch durch die beschränkten räumlichen Kapazitäten der Gerichtssäle begrenzt.141 Hierbei handelt es sich mithin bereits um eine der Definition des Öffentlichkeitsprinzips immanente Einschränkung, da der Zutritt zu den Gerichtssälen nur im Rahmen der tatsächlichen Gegebenheiten gewährt wird und werden kann.142 In quantitativer Hinsicht ist der Umfang der unmittelbaren Öffentlichkeit damit begrenzt auf die Anzahl der Zuschauerplätze, wobei die Größe des Gerichtssaals für 136 BGH StV 1994, 470 (471), zu Recht unter Hinweis u. a. auf die Begründung zum sog. Opferschutzgesetz (Einführung des § 171b GVG) – BT-Drucks. 10/5305, S. 22. 137 Der BGH hatte in dieser Entscheidung ein höherrangiges rechtlich geschütztes Interesse aus der grundrechtlich geschützten Unverletzlichkeit der Wohnung aus Art. 13 GG hergeleitet. Zu der Herleitung und der sich daraus für die Begrenzung der Verfahrensöffentlichkeit ergebenden Möglichkeiten vgl. Ranft, Jura 1995, 573 (575). 138 So auch Ranft, Jura 1995, 573 (575). 139 Zur Beteiligung der Öffentlichkeit im Ermittlungsverfahren siehe unten Zweites Kapitel, B. 140 Zur besonderen Interessenlage im Fall des Beschuldigten als Person des öffentlichen Lebens siehe insbesondere unten Sechstes Kapitel, A. 141 Die Beschränkung der Gerichtsöffentlichkeit durch die räumlichen Gegebenheiten wirft unzählige, sich anschließende Detailprobleme wie der Zulassung des Publikums zu den Gerichtssälen, der interessengerechten Platzverteilung sowie der Verlegung von Verhandlungen auf, welche jedoch in Hinblick auf die der Untersuchung zugrundeliegende Forschungsfrage hier nicht weiter vertieft werden sollen. 142 BGHSt 21, 72 (73); 27, 13 (14); Graf-StPO/Allgayer, § 169 GVG Rn. 7; KK-StPO/ Diemer, § 169 Rn. 8; Ranft, Strafprozeßrecht, § 57 Rn. 1420; Meyer-Goßner/Schmitt, § 169 GVG Rn. 3; LR-StPO/Wickern, Vor § 169 GVG Rn. 8.

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die Einhaltung der Vorschriften über die Öffentlichkeit nicht von Bedeutung ist.143 Die unterschiedlichen räumlichen Kapazitäten der Verhandlungsräume fungieren damit als faktische Schranke des Öffentlichkeitsgrundsatzes und müssen als solche akzeptiert werden. Insofern wird hinsichtlich des ausgeschlossenen Publikums zur Begründung der Rechtsstaatlichkeit eine Fiktion bemüht, wonach die unmittelbar Anwesenden als Repräsentanten der ausgeschlossenen Öffentlichkeit gelten.144 Ausgehend von dieser Fiktion kommt der mittelbaren Öffentlichkeit in Form der Berichterstattung über das Gerichtsgeschehen durch anwesende Pressevertreter eine wichtige Funktion zur Wahrung der prinzipiellen Gerichtsöffentlichkeit zu, mit welcher sich diese Arbeit an späterer Stelle noch einmal intensiver auseinandersetzen wird.145 d) Unzulässige Erweiterungen der Öffentlichkeit Ein weiteres und selbständiges Problem des Öffentlichkeitsgrundsatzes ist die Bestimmung seiner Reichweite. Dies betrifft zunächst die bereits angesprochene Frage nach der Zulässigkeit von Verlegungen von besonders im öffentlichen Interesse stehenden Verhandlungen in große Säle zur Herstellung größtmöglicher Öffentlichkeit oder die Übertragung der Verhandlung in außerhalb des Gerichtssaals liegende Räumlichkeiten.146 Hier besteht die Gefahr, dass Strafverfahren von großem medialen Interesse zu regelrechten „Schauprozessen“ werden, die lediglich der Befriedigung von emotionalen Interessen der Öffentlichkeit oder auch politischen Zwecken zu dienen bestimmt sind und somit die Grundsätze eines fairen Verfahrens gefährdet scheinen.147 Ausgehend von den eingangs dargestellten medienwirksamen Verfahren der Vergangenheit stellt sich jedoch im Hinblick auf die Persönlichkeitsrechte des Betroffenen die viel drängendere Frage nach der Reichweite der mittelbaren Öffentlichkeit, mithin der Medienöffentlichkeit, welche die Entstehung von zu „Schauprozessen“ inszenierten Strafverfahren begünstigt. Aufgrund des gesteigerten Interesses der Öffentlichkeit an Strafverfahren mit aufsehenerregenden Tatumständen, aber insbesondere auch gegen prominente Persönlichkeiten und der damit einher143

Britz, S. 91. Britz, S. 92, unter Verweis auf BGH NJW, 1977, 311; Meyer-Goßner/Schmitt, § 169 GVG Rn. 4; Weidemann, DRiZ 1970, 114 f. 145 Zur Rolle der Medien im Strafverfahren siehe unten Viertes Kapitel, A. 146 Zuletzt ist diese Diskussion anlässlich des „NSU-Prozesses“ neu entfacht worden. 147 Ranft, Jura 1995, 573 (576). Zuletzt geriet diese Frage im Zuge des Verfahrens gegen Beate Zschäpe in die Diskussion, als ihre Verteidiger die Aussetzung der Hauptverhandlung und Verlegung in einen größeren Sitzungssaal beantragten, da die beschränkte Kapazität des Saales den Grundsatz der Öffentlichkeit verletze. Das OLG München lehnte diesen Antrag ab, wobei der Vorsitzende Richter Götzel anmerkte „Strafverfahren finden in, aber nicht für die Öffentlichkeit statt“, vgl. https://www.lto.de/recht/nachrichten/n/olg-muenchen-nsu-prozess-beatezschaepe-verlegung-gerichtssaal/ (zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021). 144

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gehenden ausufernden medialen Berichterstattung, stellt sich auch hier die Frage nach einer unzulässigen Öffentlichkeitserweiterung. Zunächst erwachsen aus dem Öffentlichkeitsgrundsatz und den Möglichkeiten der massenmedialen Berichterstattung als „erweiterte Öffentlichkeit“ Gefahren für einen ungestörten Ablauf des Strafverfahrens: Namentlich betrifft dies die Stimmung in der Öffentlichkeit und ihren Einfluss auf das Verhalten von Beweispersonen, Angeklagten und auch des Gerichts, Stigmatisierung und Prangerwirkung („Dissozialisierung des Angeklagten“).148 Die mittelbare Öffentlichkeit hat auch in ihrer einfachsten Form besondere Rückwirkungen auf das Strafverfahren zur Folge, die den Grundsatz des fairen Verfahrens gefährden.149 Gerade bei Strafverfahren gegen prominente Persönlichkeiten wird das Strafverfahren – auch schon vor der eigentlichen Hauptverhandlung – oft massiv von den Medien begleitet und die Öffentlichkeit über sämtliche Verfahrensumstände informiert. Umfang und Tendenz der medialen Öffentlichkeit können zu einer öffentlichen Vorverurteilung führen, die das Strafverfahren nachhaltig beeinträchtigen können.150 Neben den Rückwirkungen der geschilderten Art, stellen jedoch die persönlichkeitsrechtlichen Auswirkungen jeder Öffentlichkeitserweiterung durch die mittelbare Öffentlichkeit mit den intensivsten Grundrechtseingriffen für den Betroffenen dar. Fraglich ist, ob die (möglichen) negativen Auswirkungen der von der Verfahrensöffentlichkeit erfassten Medienöffentlichkeit auf die soziale Stellung des Angeklagten in einem durch die Tat gerechtfertigten Maß verbleiben.151 Durch eine intensive Medienberichterstattung wird der Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der Verfahrensbeteiligten in „verfahrensfremder Weise verstärkt“ obwohl das Strafverfahren keinesfalls die Aufgabe hat, den Beschuldigten zu diskriminieren.152 Eine mediale Öffentlichkeit im Strafverfahren wirkt sich gravierend auf den weiteren Lebensweg des Betroffenen aus, unabhängig davon, ob am Ende des Verfahrens eine Verurteilung erfolgt oder nicht. Diesen Umständen trägt der Gesetzgeber in Jugendstrafverfahren mit dem Grundsatz der Nichtöffentlichkeit Rechnung.153 Im Bereich des Erwachsenenstrafrechts wird diese Notwendigkeit vom Gesetzgeber offensichtlich nicht gesehen. Durch die massenmedialen Entwicklungen wird er sich jedoch die Frage gefallen lassen müssen, ob diese gesetzliche Wertung weiterhin Bestand haben kann. Das ebenfalls in diesem Zusammenhang zu betrachtende Verbot von Ton- und Filmaufnahmen zum Zwecke der öffentlichen Vorführung nach § 169 S. 2 GVG erscheint keinen ausreichenden Schutz der Persönlichkeitsrechte der 148 Ranft, Strafprozeßrecht, § 57 Rn. 1436; ausführlicher zu diesen Zusammenhängen siehe unten Zweites Kapitel, A. III. 4. sowie Drittes Kapitel, A. 149 Ranft, Jura 1995, 573 (576). 150 Hierzu ausführlich unten Drittes Kapitel, A. 151 Diese Bedenken äußert Ranft, Strafprozeßrecht, § 57 Rn. 1436, unter Verweis auf Roxin/ Schünemann, § 47 Rn. 1 f.; Plate, NStZ 1999, 391. 152 Ranft, Strafprozeßrecht, § 57 Rn. 1436. 153 Ranft, Jura 1995, 573 (577).

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Betroffenen zu gewährleisten. Dennoch ist dieser Verbotsnorm die gesetzgeberische Wertung zu entnehmen, dass es zur Gewährleistung der Verfahrensöffentlichkeit nicht erforderlich ist, das von den Beteiligten gesprochene Wort oder ihr Gebaren einer unbestimmten Anzahl von Personen zu übermitteln.154 Es scheint daher zwingend geboten – unter Berücksichtigung der massenmedial potenzierten Gefahren – die Reichweite der Verfahrensöffentlichkeit gerade bei Personen des öffentlichen Lebens festzulegen und so einen ausreichenden und den Zielen des Strafverfahrens angepassten persönlichkeitsrechtlichen Schutz zu gewährleisten.

III. Zeitgerechte Aufgabenbestimmung prinzipieller Gerichtsöffentlichkeit Die bereits geschilderte rechtshistorische Vergangenheit und Entwicklung des Öffentlichkeitsgrundsatzes machen dessen tragende rechtsstaatliche Bedeutung deutlich. Noch im 17. Jahrhundert sprach man der Öffentlichkeit in einem Verfahren allein eine abschreckende Funktion und damit einen generalpräventiven Zweck zu. Darüber hinaus galt die Beteiligung der Öffentlichkeit lediglich als Belästigung der Richter und wurde als Vergeudung von Zeit aufgefasst.155 Das in der Rechtsgeschichte zum Teil sehr eingeschränkte und negative Verständnis von den Funktionen prinzipieller Gerichtsöffentlichkeit hat sich im modernen strafprozessualen Verfahren angesichts elementarer rechtsstaatlicher Bedürfnisse erheblich erweitert und wohlwollender entwickelt. Dabei sind heute überwiegend noch die gleichen Funktionen zu nennen, die auch rechtshistorisch für die Entwicklung dieser Verfahrensmaxime ausschlaggebend waren.156 Dennoch hat der Grundsatz der Öffentlichkeit im Laufe der Zeit aufgrund der Entwicklung anderweitiger rechtlicher Sicherungsmaßnahmen sowie der wachsenden Bedeutung der Persönlichkeitsrechte des Einzelnen einen Bedeutungswandel erfahren.157 Inhalt und Tragweite des Öffentlichkeitsgrundsatzes sind keinesfalls statisch, sondern müssen – sowohl durch den Gesetzgeber als auch im Einzelverfahren durch den Richter – den gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen funktional angepasst werden.158

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Vgl. BGHSt 16, 111 (113 f.); Meyer-Goßner/Schmitt, § 169 GVG Rn. 8 m. w. N. SK-StPO/Velten, Vor § 169 GVG Rn. 3. 156 Eine andere Ansicht hierzu vertreten Meyer-Goßner/Schmitt, § 169 GVG Rn. 1, nach denen die „staatstheoretische Begründung (öffentliche Kontrolle und Schutz vor Willkür)“ der Öffentlichkeitsmaxime heute ihre Bedeutung im Wesentlichen verloren habe. 157 KK-StPO/Diemer, § 169 GVG Rn. 1. 158 Kissel/Mayer, § 169 Rn. 12. 155

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Für die Ermittlung eines gerechten Abwägungsmaßstabes zwischen dem Gebot der Publizität des Strafverfahrens und den Persönlichkeitsrechten der Verfahrensbeteiligten, insbesondere des Beschuldigten oder Angeklagten, bedarf es daher einer zeitgerechten Funktionsbestimmung sowie einer Ausrichtung zwischen Bedeutung und Gefahren prinzipieller Gerichtsöffentlichkeit.159 Für eine spätere Untersuchung und Entwicklung von Richtlinien zum Schutz der Persönlichkeitsrechte sollen daher die Aufgaben der Öffentlichkeitsmaxime im Strafverfahren unter Berücksichtigung der in unserer modernen Mediengesellschaft eingetretenen Veränderungen der letzten Jahrzehnte kritisch auf ihre fortwährende Gültigkeit überprüft werden. 1. Gerichtsöffentlichkeit zur Kontrolle der Strafjustiz Zunächst kommt der Gerichtsöffentlichkeit im Hinblick auf das Kontrollbedürfnis strafjustizieller Entscheidungsprozesse maßgebliche Bedeutung zu.160 So soll sie zum einen dem Schutz des Angeklagten dienen und ist damit in seinem Interesse zu gewährleisten, zum anderen wird durch die Verfahrenspublizität auch dem Interesse der Allgemeinheit an Gleichheit und Gerechtigkeit der Strafjustiz Rechnung getragen.161 Das Anliegen nach unbedingtem Schutz des Angeklagten vor richterlicher Willkür durch eine kontrollierende Öffentlichkeit erklärt sich durch die bedrohlichen und beunruhigenden Erfahrungen zur Zeit der Inquisitionsprozesse.162 Da die Öffentlichkeit des (Straf-)Verfahrens rechtsgeschichtlich den Gefahren einer Geheimjustiz entgegentreten sollte und gleichsam dem Demokratieprinzip als fundamentalem Verfassungsgrundsatz entspringt,163 wurde die Kontrollfunktion traditionell als Hauptzweck prinzipieller Gerichtsöffentlichkeit angesehen.164 Schon von Feuerbach formulierte den Gedanken, dass das Volk als „der wahre Souverän und als die Quelle aller Gerichtsbarkeit gedacht“ sei und es daher der Öffentlichkeit des Prozesses bedarf, damit das Volk über die Justiz die oberste Aufsicht zu führen vermag.165 Der Begriff der Kontrolle ist hier jedoch keinesfalls funktional im Sinne einer Fachaufsicht über die strafjustizielle Tätigkeit der Gerichte zu verstehen. Eine Aufsicht der Bevölkerung im Sinne einer sachlichen Überwachung der richterlichen Entscheidungen und deren Richtigkeit ist durch das juris159

Hagedorn, S. 40. Vgl. RGSt 70, 109 (112); BGHSt 24, 72 (74); BGHSt 27, 13, (15) m. w. N.; BGH NJW 1970, 1846 (1847); BGH NStZ 1988, 467 (468); KK-StPO/Diemer, § 169 Rn. 2; SK-StPO/ Velten, Vor § 169 GVG Rn. 17 ff.; Peters, S. 554 m. w. N.; Schmidthals, S. 118 m. w. N. 161 SK-StPO/Velten, Vor § 169 GVG Rn. 17. 162 Vgl. Neuling, S. 81; siehe dazu bereits oben Zweites Kapitel, A. III. 1. 163 Siehe dazu oben Zweites Kapitel, A. IV. 1. 164 LR-StPO/Wickern, Vor § 169 GVG Rn. 3; SK-StPO/Velten, Vor § 169 GVG Rn. 17; Hillermeier, DRiZ 1982, 281 (282). 165 Bockelmann, NJW 1960, 217; von Feuerbach, S. 45. 160

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tische Laienpublikum nicht möglich.166 Vielmehr steht die präventive Wirkung einer Beobachtung der gerichtlichen Entscheidungsprozesse durch die Gesellschaft im Vordergrund. Hier kann bereits die abstrakte Möglichkeit einer öffentlichen Kritik als indirekter Kontrollmechanismus die Qualität des Verfahrens sowie der Urteile positiv beeinflussen.167 Darüber hinaus soll die Öffentlichkeitskontrolle zugleich das Bedürfnis nach einer gleichen und gerechten Justiz befriedigen.168 Vermehrt werden jedoch Stimmen laut, wonach eine öffentliche Kontrolle der Justiz durch die Sicherungen eines „modernen gewaltengeteilten Rechtsstaates“169 immer mehr an Bedeutung verliere.170 Dieser Bedeutungsverlust wird insbesondere dem strukturellen Wandel der faktischen Öffentlichkeit zugesprochen, da sich die repräsentative Öffentlichkeit in Form der Anwesenheit eines Publikums im Gerichtssaal zu einer „kollektiven Öffentlichkeit“171 – vermittelt durch die Massenmedien – gewandelt hat.172 Auch wenn dieser Beschreibung eines funktionalen Bedeutungswandels grundsätzlich zugestimmt werden kann, so hat die Gerichtsöffentlichkeit auch in der modernen Mediengesellschaft ihre Kontrollfunktion nicht verloren. In dem Maß, in dem die unmittelbare Öffentlichkeit stetig an Bedeutung verliert, gewinnt zugleich die mittelbare Öffentlichkeit in Form der Kriminalberichterstattung an Relevanz und Gewicht. Eine einseitige Betrachtung der Kontrollfunktion in Form der „aktiven Kontrolle“ durch die Öffentlichkeit erscheint in diesem Zusammenhang zu kurz. Für eine effektive Kontrolle ist die tatsächliche Anwesenheit im Sinne einer repräsen166 Bockelmann, NJW 1960, 217; SK-StPO/Velten, Vor § 169 GVG Rn. 19, die dem Publikum in dieser Hinsicht bereits jegliche Kompetenz und gleichfalls den Expertenstatus abspricht. 167 Vgl. Ranft, Jura 1995, 573 (574); SK-StPO/Velten, Vor § 169 GVG Rn. 19; ausführlicher dazu auch LR-StPO/Wickern, Vor § 169 GVG, Rn. 3, der eine Kontrolle in doppelter Hinsicht beschreibt: Zunächst durch die Medienberichterstattung, welche stets eine kritische Wertung des Verfahrensgeschehens vermitteln sowie die durch diese Berichte ausgelöste öffentliche Bewertung durch die Allgemeinheit; a. A. Hillermeier, DRiZ, 281 (282). 168 SK-StPO/Velten, Vor § 169 GVG Rn. 17; von Feuerbach, S. 167. 169 Kissel/Mayer, § 169 GVG Rn. 1. 170 So auch Kleinknecht, FS-Schmidt-Leichner 1977, 111 (112 f.); Kujath, S. 38 f. m. w. N.; Meyer-Goßner/Schmitt, § 169 GVG Rn. 1; vorsichtiger jedoch Kissel/Mayer, § 169 Rn. 3, die die Öffentlichkeit zumindest noch als Bedingung des öffentlichen Vertrauens in die Rechtsprechung der Gerichte ansehen und insofern der Kontrolle des Verfahrensgangs weiterhin einen Hauptfunktionsgehalt zusprechen. 171 Kissel/Mayer, § 169 Rn. 1. 172 Diese Bewertungen fußen insbesondere auf der Beobachtung, dass das allgemeine Interesse der Öffentlichkeit an der Teilnahme an Gerichtsverfahren stetig abzunehmen scheint. Ein großes Publikum kommt lediglich noch bei aufsehenerregenden Taten oder Strafverfahren gegen bekannte Persönlichkeiten zustande. In diesen Fällen erscheint jedoch fraglich, inwiefern die Mehrheit der anwesenden Zuschauer von einem tatsächlichen Kontrollinteresse bezüglich der Strafjustiz angetrieben wird oder ob sie nicht vielmehr durch Sensationslust und Neugier motiviert ist; vgl. dazu ausführlich SK-StPO/Velten, Vor § 169 GVG Rn. 20 m. w. N.; LR-StPO/ Wickern, Vor § 169 GVG Rn. 3.

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tativen Öffentlichkeit nicht erforderlich, vielmehr genügt bereits die abstrakte Möglichkeit der Kenntnisnahme durch das Kollektiv.173 Ein wichtiges und ausreichendes Element dieser rechtsstaatlichen Qualitätssicherung ist das Bewusstsein des erkennenden Gerichts, dass der Verfahrensgang durch das Auge der Öffentlichkeit begleitet wird. Gerade die mittelbare Öffentlichkeit wirkt in ihrer Kontrollfunktion wesentlich verstärkt, da hier nicht nur eine geringe, im Gerichtssaal anwesende Anzahl an Personen Zeugen des Verfahrensgeschehens wird, sondern das Prozessgeschehen mittels der Massenmedien einen ungleich größeren Personenkreis erreicht. Zugegeben werden muss an dieser Stelle jedoch, dass die mittelbare Öffentlichkeit ihre Stärke und Bedeutung vorwiegend in medienwirksamen Strafverfahren erlangt, wobei das mediale Interesse an weniger aufsehenerregenden Prozessen praktisch nicht vorhanden zu sein scheint.174 Obwohl die Öffentlichkeit (rechtshistorisch bedingt) durch ihre kontrollierende Wirkung eben auch dem Schutz des Angeklagten zu dienen bestimmt ist, so geht mit ihr doch zugleich eine erhebliche Gefahr für eben diesen einher: Durch eine umfangreiche mediale Berichterstattung über das Strafverfahren verstärkt sich die Gefahr für die Persönlichkeitsrechte des Angeklagten, die Möglichkeit der medialen Beeinflussung des erkennenden Gerichts sowie einer öffentlichen Vorverurteilung und damit eine Gefährdung des fairen Verfahrens.175 Ebenso kann eine intensive oder gar tendenziöse mediale Kriminalberichterstattung die öffentliche Stimmung derart anfeuern, dass sich das Gericht einem Verurteilungsdruck ausgesetzt sieht, der zu einer Gefahr für die Unabhängigkeit der Urteilsfindung führen kann.176 Diese Problematik verstärkt sich gerade angesichts der – im Folgenden noch aufzuzeigenden – jüngsten technischen Entwicklungen im Bereich der Massenmedien und bietet den Ausgangspunkt einer kritischen Auseinandersetzung mit den Persönlichkeitsrechten des Angeklagten unter dem Auge der (strafprozessualen) Öffentlichkeit.177

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Vgl. dazu auch ausführlich SK-StPO/Velten, Vor § 169 GVG Rn. 26. Hierzu ausführlich LR-StPO/Wickern, Vor § 169 GVG Rn. 3, der davon ausgeht, dass das Interesse der Öffentlichkeit weniger vom Kontrollbedürfnis geprägt sei, sondern vielmehr durch die „Sensationslust“; so auch Jung, GS-Kaufmann 1986, 891 (894), der ein sozialpsychologisches Phänomen beschreibt, das der „Gemengelage von Dabeiseinwollen, Anteilnahme, Miterleben der Gerechtigkeit, Sensationslust und Kontrolle“ entspringt. 175 Neuling, S. 81. 176 Neuling, S. 81 f., bezeichnet das Strafverfahren in dieser Hinsicht gar als „anfällig“, wodurch die funktionale Konkretisierung prinzipieller Gerichtsöffentlichkeit erheblich beeinträchtigt würde. 177 Ausführlich zu den Gefahren medienöffentlicher Strafverfahren unten Drittes Kapitel, A. 174

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2. Gerichtsöffentlichkeit zu allgemeinen Informationszwecken Wie sämtliche Bereiche des staatlichen Handelns, begründen auch gerichtliche Verfahren ein besondere Informationsinteresse der Allgemeinheit.178 Neben179 ihrer Kontrollfunktion dient daher die Öffentlichkeit heute vor allem der Information der Allgemeinheit über Kriminalität und Strafrechtspflege.180 Das Bundesverfassungsgericht ordnet Straftaten dem Zeitgeschehen zu und begründet das Interesse der Allgemeinheit durch „die Beeinträchtigung von Rechtsgütern der von der Tat Betroffenen und die Verletzung der Rechtsordnung, die Sympathie mit Opfern und ihren Angehörigen, die Furcht vor Wiederholungen und das Bestreben, dem vorzubeugen“.181 von Feuerbach spricht dem Volk in Strafverfahren gar ein ganz eigenes Recht zur Anwesenheit im Gerichtssaal zu, da „durch Verbrechen nicht blos die dadurch zunächst verletzte Person, sondern die Gesamtheit des gemeinen Wesens, Staat und Volk, als beleidigt gedacht werden müssen“.182 Über das reine Informationsinteresse hinaus, spielt die Öffentlichkeit des Strafverfahrens ebenso für die Rechtskenntnis und auch das Rechtsbewusstsein der Allgemeinheit eine wichtige Rolle, da die Strafrechtspflege auf diese Weise auf die Rechtsgemeinschaft einwirkt.183 Das grundrechtlich durch das Recht auf Informationsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG und die Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG geschützte allgemeine Informationsbedürfnis hat gerade im Bereich des Strafverfahren eine besondere Bedeutung und korrespondiert mit den in den Landespressegesetzen normierten presserechtlichen Auskunfts- und Informationsrechten.184 Der Bundesgerichtshof stellt hierzu fest, dass die Allgemeinheit an der Strafrechtspflege den meisten Anteil nimmt. „Sie bildet sich ihr Urteil über die Stellung der Justiz im öffentlichen Leben überwiegend nach dem Geist, in dem Strafrecht und Strafverfahrensrecht von den Gerichten gehandhabt werden“.185 Dies wirft auch die Frage auf, inwiefern dem beschriebenen Informationsinteresse der Allgemeinheit nicht bereits durch die reine Veröffentlichung des Urteils

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LR-StPO/Wickern, Vor § 169 GVG Rn. 4. Diese gleichberechtigte Funktionsbedeutung beschreiben z. B. Hillermeier, DRiZ 1982, 281 (282); LR-StPO/Wickern, Vor § 169 GVG Rn. 4; teilweise wird die Information der Allgemeinheit jedoch – mit Verweis auf den oben geschilderten Bedeutungsverlust der Kontrollfunktion – als Hauptzweck prinzipieller Gerichtsöffentlichkeit verstanden, so z. B. Kujath, S. 38 m. w. N.; Meyer-Goßner/Schmitt, § 169 GVG Rn. 1. 180 Vgl. zur medial vermittelten Öffentlichkeit im Strafverfahren unten Viertes Kapitel, A. II. 181 BVerfG NJW 2009, 350 (351); ähnlich auch BVerfGE 119, 309 (321 f.). 182 von Feuerbach, S. 167 f. 183 Hillermeier, DRiZ 1982, 281 (282). 184 LR-StPO/Wickern, Vor § 169 GVG Rn. 4. 185 BGHSt 9, 280 (282). 179

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2. Kap.: Die Öffentlichkeit der Strafverfolgung

Genüge getan werden kann.186 Eine solche Reduzierung des Öffentlichkeitsgrundsatzes kann jedoch nur dann rechtsstaatliche und demokratische Anforderungen erfüllen, wenn allein die dem Urteil zugrundeliegenden Umstände die „Gerechtigkeit“ und Wahrheit bilden. Das Informationsinteresse der Allgemeinheit bezieht sich jedoch auf die (zumindest theoretische) Möglichkeit, den gesamten staatlichen Entscheidungsprozess miterleben zu können. Dieser beinhaltet weit mehr, als nur die im Urteil dargestellten Feststellungen und Erwägungen. Vielmehr ist unter anderem auch der Lauf der Beweisaufnahme sowie Art und Umfang der richterlichen Befragung Teil der Strafrechtspflege und damit der staatlichen Urteilsfindung. Ein umfassendes Bild ist demnach nur über die Öffentlichkeit der Verhandlung selbst zu erreichen. Diese Zweckbestimmung im Dienst der Allgemeinheit stellt im Hinblick auf den Individualrechtsschutz zugunsten des Angeklagten das bedeutendste Gegengewicht. Es gilt demnach, diese, von der Öffentlichkeit des Strafverfahrens betroffenen, rechtlichen Interessen in einen gerechten Ausgleich zu bringen. Der Informationswert der Gerichtsöffentlichkeit kann jedoch nicht nur rein funktional und abstrakt bestimmt werden, sondern bemisst sich gleichfalls an ihrem Adressaten – dem Publikum – und seiner Erwartungshaltung.187 Wie bereits aufgezeigt, verliert die unmittelbare Öffentlichkeit zunehmend an Bedeutung, so dass die Besucherbänke der Gerichtssäle meist nur noch bei aufsehenerregenden Sensationsprozessen (persönlicher oder inhaltlicher Art) bis auf den letzten Platz gefüllt sind. Gegenläufig zunehmend gewinnt jedoch die mittelbare Öffentlichkeit in Form der Verbreitung des Prozessgeschehens über die Kriminalberichterstattung in den Medien an Bedeutung, welche ebenfalls dem Informationsbedürfnis der Allgemeinheit zu dienen bestimmt ist. Es ist daher festzustellen, dass das Interesse der Öffentlichkeit am unmittelbaren Erleben der Strafrechtspflege nicht (mehr) allzu stark ausgeprägt zu sein scheint und sich die Erwartungshaltung des Publikums auf die mittelbare Information durch die Presseberichterstattung reduziert. Dieser mittelbaren Öffentlichkeit ist jedoch vor dem Hintergrund einer „gefilterten“ beziehungsweise „gefärbten“ Abbildung der Verfahrenswirklichkeit ein geringerer Informationswert zuzusprechen. Zwar vermittelt die Medienberichterstattung faktische Informationen über laufende Strafverfahren, ist dabei jedoch entscheidend geprägt durch das wirtschaftliche Interesse der berichterstattenden Medienunternehmen bezüglich reißerischer und auflagenfördernder Aufmachung. Das Bedürfnis einer sachlichen Darstellung zu reinen Informationszwecken muss daher allzu oft den kommerziellen Interessen des Verlegers weichen.188 186

Vgl. SK-StPO/Velten, Vor § 169 GVG Rn. 18. Hierzu ausführlich Franke, S. 66 ff., der das allgemeine Informationsinteresse als eine „schwer definierbare Mischung aus Neugier und Unterhaltungs- bzw. Sensationslust“ bezeichnet. 188 Siehe hierzu ausführlicher Franke, S. 67 ff. Zur modernen Medienberichterstattung im Strafverfahren siehe unten Viertes Kapitel, A. 187

A. Die Öffentlichkeitsmaxime im „Strafprozess“

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3. Gerichtsöffentlichkeit und Strafzweck Schon lange wird die Gerichtsöffentlichkeit auch in den Dienst rechtspolitischer Zwecke gestellt, indem in ihr unter anderem ein geeignetes Mittel zur Generalprävention gesehen wird.189 So bestünde der funktionale Zusammenhang zwischen der Öffentlichkeit des Verfahrens und der Generalprävention in dem „Einfluss des Strafgesetzes und der Urteilstätigkeit der Gerichte auf die Erziehung der Bürger zur Rechtstreue“.190 Durch die zunehmende Bedeutung der mittelbaren Öffentlichkeit hat ebenso die Wahrnehmung der Sanktionen durch Dritte zugenommen, so dass der prinzipiellen Gerichtsöffentlichkeit verstärkt eine „sanktionstheoretische Bedeutung“191 zukommt. Präventive und abschreckende Aspekte (sog. negative Generalprävention192) beschreibt Huff193 insbesondere bei öffentlichkeitswirksamen Verfahren wegen Steuerhinterziehung, bei denen durch die Öffentlichkeit des Verfahrens und der damit einhergehenden Berichterstattung beobachtet werden kann, dass in der Folge die Zahl der Selbstanzeigen von Steuerpflichtigen zum Zwecke der Strafffreiheit (§ 371 AO) stark ansteigen.194 In diesem Zusammenhang meint Huff, die Staatsanwaltschaft nutze in derartigen Verfahren die Öffentlichkeit und damit auch die Medien geschickt zur Abschreckung der Bevölkerung, um dann infolge der Selbstanzeigen gegen die beteiligten Kreditinstitute und ihre Mitarbeiter ermitteln zu können.195 Zugleich werden mit der prinzipiellen Gerichtsöffentlichkeit auch Aspekte positiver Generalprävention unterstützt, da die Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs das Vertrauen in die Rechtsordnung sowie das Rechtsbewusstsein der Bevölkerung stärkt.196 189

Franke, S. 62 m. w. N.; vgl. auch Alber, S. 95 f. Jescheck, ZStW 71 (1959), 1 (6), in Hinblick auf die Wirkungen der Öffentlichkeit durch die Medienberichterstattung über Strafverfahren. 191 Kissel/Mayer, § 169 Rn. 1. 192 Teilweise auch „Abschreckungsprävention“ genannt, so z. B. MüKo-StGB/Miebach, § 46 Rn. 25; allgemein zur (negativen) Generalprävention auch S/S-Stree/Kinzig, Vorbem. §§ 38 ff. Rn. 3; LK-Theune, § 46 Rn. 22 ff. 193 Huff, S. 7. 194 Zu beobachten war dieses Phänomen jüngst in Zusammenhang mit dem Verfahren wegen Steuerhinterziehung gegen Ulrich Hoeneß. Das Landgericht München verurteilte den ehemaligen Präsidenten des FC Bayern München e.V. und Aufsichtsratsvorsitzenden am 13. 03. 2014 wegen Steuerhinterziehung in sieben Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren und 6 Monaten. Bereits im ersten Quartal des Jahres 2014 wurde bei den Finanzämtern ein signifikanter Anstieg der Selbstanzeigen nach § 371 AO verzeichnet, was überwiegend auf das Verfahren gegen Herrn Hoeneß und die umfassende Berichterstattung in den Medien zurückgeführt wird, so z. B. Bohsem, Guido: Zahl der Selbstanzeigen steigt rasant, unter: http: //www.sueddeutsche.de/geld/steuerhinterziehung-zahl-der-selbstanzeigen-steigt-rasant1.1937758 (abgerufen am 05. 03. 2019). 195 Huff, S. 7. 196 Vgl. hierzu Neuling, S. 83 m. w. N. 190

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2. Kap.: Die Öffentlichkeit der Strafverfolgung

Mithin erfüllt die Öffentlichkeit des Strafverfahrens insbesondere generalpräventive Zwecke. So sehr dieser Effekt auch zu begrüßen sein mag, darf jedoch nicht vergessen werden, dass § 46 Abs. 1 S. 2 StGB nahelegt, dass mit der Strafe in erster Linie spezialpräventive Ziele verfolgt werden und die Generalprävention nach der hier vertretenen Ansicht daher nur nachrangige Bedeutung zukommen kann.197 Hinsichtlich der spezialpräventiven Funktion der Gerichtsöffentlichkeit müssen zwei Aspekte unterschieden werden: Bezüglich des negativ-spezialpräventiven Zwecks, den Täter von der Begehung weiterer Straftaten abzuhalten, kann bereits die öffentliche Durchführung des Strafverfahrens und die damit einhergehende „Prangerwirkung“ eine abschreckende Wirkung auf den Täter entfalten.198 Zugleich erfolgt die Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs jedoch auch mit dem Anspruch, der Resozialisierung des Täters zu dienen.199 In diesem Zusammenhang gilt es zum einen, dem bereits „erfahrenen“ Täter einen Weg zurück in die rechtstreue Gesellschaft und zu eigener Rechtstreue zu ermöglichen, zum anderen soll jedoch auch vermieden werden, den bisher nicht strafrechtlich vorbelasteten Täter zu „entsozialisieren“.200 Gerade letzteres umfasst zum einen die Berücksichtigung der schädlichen Wirkung strafrechtlicher Sanktionen bei der Strafzumessung, entfaltet aber ebenso eine erhebliche Bedeutung im Rahmen einer Funktionsbestimmung prinzipieller Gerichtsöffentlichkeit. Diesen Bemühungen gegen eine Entsozialisierung des strafrechtlich nicht vorbelasteten Täters läuft das Prinzip strafgerichtlicher Öffentlichkeit indes entgegen, da gerade bei Verfahren von großem medialem Interesse erhebliche Anprangerungs- und Stigmatisierungseffekte zu besorgen sind.201 Zusammenhänge zwischen den Strafzwecken und den Verfahrensprinzipien und damit zwischen materiellen und strafprozessualen Fragen gehören heute zu den unbestrittenen Grundannahmen der Strafrechtswissenschaft.202 Dennoch können die abträglichen Wirkungen der Gerichtsöffentlichkeit auf die Resozialisierungsbemühungen zugunsten des Täters nicht bedenkenlos hingenommen werden,203 da der Strafzweck erst im Rahmen der materiellen Strafzumessung Berücksichtigung fin197 Zum Vorrang der Spezialprävention vor generalpräventiven Erwägungen S/S-Stree/ Kinzig, Vorbem. §§ 38 ff. Rn 11 f.; LK-Theune, § 46 Rn. 52; umfassend zum Meinungsstand und im Ergebnis für ein strafzweckoffenes „Nebeneinander“ MüKo-StGB/Miebach, § 46 Rn. 27 ff.; siehe auch Lenckner, JuS 1983, 340, der zu Recht darauf hinweist, dass die Gründe für die „Krise“ des Resozialisierungsgedankens darin zu suchen sind, dass es kein „Patentrezept“ für ein straffreies Leben und die erforderlichen Sozialisationsbedingungen gibt, geschweige denn, wie man „soziale Verantwortung“ in einem Menschen auslösen kann. 198 Neuling, S. 83. 199 Vgl. BGHSt 24, 40 (42); BGHSt 34, 150 (152); LK-Theune, Vor §§ 46 – 50 Rn. 39; ausführlich zur (Re-)Sozialisierung im Verhältnis zum Strafverfahren Lenckner, JuS 1983, 340 ff. 200 Vgl. MüKo-StGB/Miebach, § 46 Rn. 36. 201 Neuling, S. 83 f. 202 Peters, S. 7 ff. 203 Vgl. Lenckner, JuS 1983, 340 (341), der den Grundsatz der Öffentlichkeit gar als unvereinbar mit der Sozialisierungsaufgabe des Strafprozesses ansieht.

A. Die Öffentlichkeitsmaxime im „Strafprozess“

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den soll, während die Stigmatisierung bereits im strafprozessualen Vorfeld stattzufinden droht, mithin zu einem Zeitpunkt, in dem der staatliche Strafanspruch noch nicht festgestellt ist.204 Teilweise wird vertreten, dass die Öffentlichkeit dem Rehabilitierungsanspruch dergestalt gerecht wird, dass sich der unschuldige Angeklagte in der Hauptverhandlung vor den Augen der Öffentlichkeit reinwaschen und damit rehabilitieren könne.205 Diese Ansicht verkennt jedoch die Fähigkeiten der juristisch unbefleckten Öffentlichkeit: Eine umfassende mediale Berichterstattung über – sich später als juristisch haltlos erweisende – Vorwürfe führt in aller Regel zu einer sozialen und beruflichen Existenzvernichtung des Betroffenen.206 Nach wochen- oder monatelanger Präsenz der Vorwürfe in den Medien verbleibt auch im Falle eines Freispruchs (ob im „rechtlichen“ oder „tatsächlichen“ Sinn) im gesellschaftlichen Gedächtnis der Tatvorwurf mit der Person des Angeklagten untrennbar verknüpft.207 Die Rehabilitierung durch die öffentliche Hauptverhandlung muss daher im Regelfall als gescheitert bezeichnet werden. Ein optimistischeres Bild der Chancen auf (Re-)Sozialisierung des Täters durch den öffentlichen Strafprozess zeichnet indes Hillermeier,208 der zu bedenken gibt, dass es dem Vorsatz des Täters, künftig straffrei zu leben, zuträglich sein kann, wenn er sich in einer öffentlichen Verhandlung für seine Tat verantworten muss. Die Hoffnung Hillermeiers, eine „sachgerechte Presseberichterstattung“ könne zudem das Interesse und Engagement Dritter wecken und so auch „Anstöße zur Hilfe für den Straftäter“ bewirken, erscheint aus heutiger Sicht kaum vorstellbar. Trotz etwaiger presseethischer Grundsätze und der Wahrnehmung eines Bildungsauftrags werden mit der Medienberichterstattung primär wirtschaftliche Interessen verfolgt und in erster Linie auflagenorientiert berichtet. Eine sachgerechte Presseberichterstattung zum Wohl des Straftäters mag wünschenswert sein, entspricht jedoch nicht der medialen Realität. So muss auch Hillermeier anerkennen, dass die Öffentlichkeit der Hauptverhandlung gleichsam die Gefahr der „publizistischen Vorverurteilung“ mit sich bringt.209 Gerade dort, wo im Zuge prinzipieller Gerichtsöffentlichkeit die Spezialprävention und damit der Individualrechtsschutz dem generalpräventiven Zweck des Strafverfahrens untergeordnet wird, bedarf es einer kritischen Auseinandersetzung 204 Ausführlich zu dieser Problematik der Begründung der Gerichtsöffentlichkeit mit generalpräventiven Zwecken Franke, S. 64 f. 205 Vgl. z. B. Hillermeier, DRiZ 1982, 281 (283). 206 Siehe hierzu die anschaulichen einleitenden Fallbeispiele im Ersten Kapitel, A., sowie die Ausführungen im Dritten Kapitel, A. II. 207 Oftmals geraten der tatsächliche Verfahrensausgang und der Freispruch sogar derart in Vergessenheit, dass sich der Eindruck aufdrängt, ein Großteil der Bevölkerung weiß nicht einmal mehr, ob der Betroffene nunmehr freigesprochen oder verurteilt wurde. 208 Hillermeier, DRiZ 1982, 281 (282 f.). 209 Hillermeier, DRiZ 1982, 281 (283).

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2. Kap.: Die Öffentlichkeit der Strafverfolgung

hinsichtlich eines gerechten Ausgleichs der betroffenen Interessen. Auch wenn der Resozialisierungsanspruch des Strafverfahrens nicht dazu dienen kann, die mühevoll errungenen rechtsstaatlichen Verfahrensgrundsätze aufzugeben,210 so widmet sich diese Untersuchung im weiteren Fortgang dennoch dem Versuch, einen gerechten Interessenausgleich zu schaffen. 4. Weitere Funktionen prinzipieller Gerichtsöffentlichkeit Neben der Schaffung einer öffentlichen abstrakten Kontrollinstanz, soll durch das öffentliche Verfahren schließlich auch der Eindruck der „Geheimniskrämerei“211 verhindert werden. Zur Konstitution eines öffentlichen Vertrauens in die (Straf-) Justiz und ihre Rechtsprechung soll vermieden werden, dass „die gesamte Tätigkeit des Gerichts hinter verschlossenen Türen in ein Dunkel gehüllt und dadurch Missdeutungen und Argwohn ausgesetzt“ ist.212 Der Aspekt des Vertrauens in die Strafjustiz ist jedoch kein Selbstzweck, sondern dient der Bereitschaft der Bevölkerung, die Gerichte als konfliktlösende Stelle in Anspruch zu nehmen (im strafrechtlichen Bereich vor allem durch die Stellung von Strafanzeigen oder Strafanträgen) und spielt damit zur Herstellung einer objektiven Vertrauenswürdigkeit der Justiz eine Rolle.213 In gleichem Maß soll die richterliche Entscheidungsfindung transparent gemacht werden und so dem Richterspruch zu größerer Akzeptanz verhelfen.214 Durch das öffentliche Verfahren werde die richterliche Unabhängigkeit auch nach außen deutlich und die Urteilsfindung geschützt vor einer Einflussnahme durch Staat oder Private.215 Es bleibt jedoch kritisch zu bemerken, dass eine Beeinflussung der unabhängigen richterlichen Urteilsfindung auch gerade durch die Öffentlichkeit der Verhandlung und die damit einhergehende mediale Berichterstattung über das Verfahren erfolgen kann. Durch eine tendenziöse und aufgeheizte Presseberichtserstattung kann sich das Gericht einem öffentlich durch die Medien vermittelten Verurteilungsdruck ausgesetzt sehen, dem es standzuhalten gilt. Gierhake befürchtet nicht zu Unrecht, dass durch die Einbindung der öffentlichen Meinung in das Verfahren gar einen Schaden für die unabhängige und besondere Gerichtssituation, „nämlich in Ruhe und Unabhängigkeit, allein Recht und Gesetz verpflichtet zu verhandeln“, droht.216 Sie verweist hier insbesondere auf die Gefahren einer me210 211 212

(73). 213

Lenckner, JuS 1983, 340. Peters, S. 554. RGSt 70, 109 (112); vgl. auch BGHSt 7, 218, (221); BGHSt 9, 280 (281); BGHSt 21, 72

SK-StPO/Velten, Vor § 169 GVG Rn. 18. Ranft, Jura 1995, 573 (574). 215 So zum Beispiel BGHSt 9, 280 (281); Franzki, DRiZ 1979, 82; Hillermeier, DRiZ, 1982, 281 (282); Kissel/Mayer, § 169 Rn. 1; Kujath, S. 39 f.; Neuling, S. 81; Ranft, Jura 1995, 573 (574); LR-StPO/Wickern, Vor § 169 GVG Rn. 2. 216 Gierhake, JZ 2013, 1030 (1034). 214

A. Die Öffentlichkeitsmaxime im „Strafprozess“

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dialen Vorverurteilung des Beschuldigten im Strafverfahren und führt beispielhaft die medialen Missstände im Verfahren gegen den ehemaligen Wetter-Moderator Jörg Kachelmann an.217 Auch wenn die Öffentlichkeit des Verfahrens zu den grundlegenden Erfordernissen einer rechtsstaatlichen Justiz zählt, so birgt sie doch zugleich schwerwiegende Gefahren für eben diese: Eine Presseberichterstattung, die den Prozessverlauf nicht objektiv und sachlich zu schildern versucht, sondern stattdessen zum Beispiel durch vorweggenommene Beweiswürdigung oder reißerischer Aufmacher auf den Verfahrensausgang Einfluss zu nehmen versucht, gefährdet sowohl die Wahrheitsfindung als auch die Unbefangenheit der Schöffen.218 Gerade letztere vermögen dem medialen Druck und Einfluss oftmals nicht in gleich professioneller Weise standzuhalten, wie ein (erfahrener) Berufsrichter.219

IV. Heutige Tendenzen zur Erosion des Prinzips der Öffentlichkeit Der Öffentlichkeitsgrundsatz gilt zu Recht als rechtsstaatliche und bedeutende Errungenschaft und ihm kommt insbesondere im Strafverfahren eine große Bedeutung zu. Die Öffentlichkeit des Verfahrens verhindert nicht nur einen Rückfall in die Geheimjustiz vergangener Tage. Sie eröffnet der durch die Straftat und die damit einhergehende Verletzung der Rechtsordnung in ihrer Gesamtheit betroffenen Allgemeinheit eine Möglichkeit der Teilhabe an dem Verfahren. Die Allgemeinheit ist hier zu betrachten als „Gesamtheit aller Mitkonstituenten der gemeinsamen Rechtsordnung“, welche durch das begangene Unrecht und die in dem Verfahren zu bestimmende Strafe in einer komplexen Weise betroffen ist, so dass sich die Publizität als „notwendiger Bestandteil eines das Recht wiederherstellenden Strafprozesses“ darstellt.220 217 Zum Fall Kachelmann ausführlich siehe oben Erstes Kapitel, A. III.; zum Problem der medialen Vorverurteilung des Beschuldigten siehe unten insbesondere Drittes Kapitel, A. I. und B. II. 218 Hillermeier, DRiZ 1982, 282 (283), der dann doch den Schluss zieht, dass Medien nur allzu oft das Prozessgeschehen nicht „objektiv und wahrheitsgetreu“ zu schildern geneigt sind. 219 Deutlich wurden der Druck der Medien und die Wirkung einer vorverurteilenden vorprozessualen Berichterstattung auf die Laienrichter jüngst in dem Verfahren vor dem Landgericht Berlin gegen sechs Männer wegen des tödlichen Angriffs auf Johnny K.: Das Verfahren wurde nach nur vier Verhandlungstagen wegen der Besorgnis der Befangenheit eines Schöffen ausgesetzt. Hintergrund war ein Bericht der Zeitung „B.Z.“, nach dem sich einer der mitwirkenden Schöffen gegenüber der Tageszeitung abfällig über die Verteidigung geäußert habe. In seiner Begründung richtete der Vorsitzende auch mahnende Worte an die berichterstattenden Medien und erinnerte die Journalisten an ihre verantwortungsvolle Rolle im Rahmen der Berichterstattung über ein laufendes Strafverfahren, vgl. Pressemitteilung Nr. 26/2013 vom 03. 06. 2013, http://www.berlin.de/sen/justiz/gerichte/kg/presse/archiv/20130603.1520.385611. html (zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021); ausführlich zu den Gefahren der Medienberichterstattung auf die Wahrheitsfindung siehe unten Drittes Kapitel, A. I. 220 Gierhake, JZ 2013, 1030 (1038).

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2. Kap.: Die Öffentlichkeit der Strafverfolgung

Nach den bisherigen Ergebnissen zur strafverfahrensrechtlichen Öffentlichkeit erscheint es jedoch nicht verwunderlich, wenn Marxen feststellt: „Korrekturbedürftig ist die verbreitete Ansicht, dass mit der Ablösung des geheimen durch das öffentliche Strafverfahren ein dauerhafter Zustand des rechtlichen Fortschritts im Umgang mit prozessualer Öffentlichkeit erreicht sei“.221 Die Öffentlichkeitsmaxime muss, wie bereits dargestellt, gesetzliche Einschränkungen hinnehmen. Insbesondere dürfen die praktischen und rechtlichen Entwicklungen nicht unbemerkt bleiben, die das Prinzip der Öffentlichkeit des Strafverfahrens unterminiert haben. Insoweit beschreibt Marxen gleich zwei erodierende Entwicklungstendenzen „von scharfer Gegensätzlichkeit“: Zum einen die Ausdehnung und Übersteigerung der Verfahrensöffentlichkeit, zum anderen jedoch gleichzeitig Rückzug und Abschottung des Strafverfahrens.222 Letzteres folgt unter anderem aus der praktischen Bedeutungszunahme des Ermittlungsverfahrens,223 in welches die Beweisaufnahme zunehmend vorverlagert wird, sowie aus der neuen Abspracheregelung des § 257c StPO.224 Die gesetzliche Regelung der Verfahrensabsprachen basiert auf einer bis dahin bereits jahrelang bestehenden Absprachepraxis vor den Strafgerichten. Sie wird begründet durch die aufgrund knapper Ressourcen und überlasteter Gerichte bestehende Notwendigkeit, die Strafgerichtsbarkeit durch prozessökonomisches Verhandeln funktionsfähig zu halten.225 Durch die gleichen Gründe motiviert sind die inzwischen zum Massengeschäft gewordenen Verfahrenseinstellungen aus Opportunitätsgründen nach den §§ 153 ff. StPO sowie die Verfahrensbeendigung mittels Strafbefehls.226 Eine Ausdehnung und Übersteigerung erfährt die Verfahrensöffentlichkeit hingegen durch die immer wirkungsmächtigere mittelbare Öffentlichkeit in Form der Medienöffentlichkeit. In der täglichen Verfahrenspraxis lässt sich beobachten, dass die Öffentlichkeit von ihrem Teilnahmerecht nur wenig Gebrauch macht. Während Gerichtsverhandlungen vor Zivil-, Verwaltungs- oder Arbeitsgerichten heute zumeist vor leeren Zuschauerreihen stattfinden, verirren sich in die Verhandlungen der Strafgerichtsbarkeit ebenfalls nur vereinzelt Zuhörer.227 Eine Ausnahme bilden hier – wie bereits erwähnt – lediglich die großen Sensationsprozesse mit aufsehenerregenden Tatvorwürfen oder bekannten Persönlichkeiten als Angeklagte. Gerade diese 221

Marxen, GA 2013, 99. Marxen, GA 2013, 99. 223 Zur Öffentlichkeit im Ermittlungsverfahren und dessen Bedeutungszunahme ausführlich siehe unten Zweites Kapitel, B. 224 SK-StPO/Velten, Vor § 169 GVG Rn. 5. 225 Vgl. dazu Meyer-Goßner, NStZ 1992, 167. 226 Vgl. Marxen, GA 2013, 99 (104); er bemerkt in diesem Zusammenhang, dass das eigentliche Strafverfahren nur noch selten in einer Hauptverhandlung mündet und mittlerweile nur noch 30 % aller anklagefähigen Ermittlungsverfahren mit einer Anklage enden. Dies ist zugleich ein Hinweis auf die bereits benannte Bedeutungszunahme des Ermittlungsverfahrens. Dazu ebenso bereits oben unter Zweites Kapitel, A. II. 3. a). 227 Franzki, DRiZ 1979, 82. 222

A. Die Öffentlichkeitsmaxime im „Strafprozess“

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Verfahren werden zudem von einem umfassenden Medieninteresse begleitet und finden so Eingang in die Massenmediengesellschaft unserer Zeit. Das in § 169 S. 2 GVG formulierte Verbot von Ton- und Filmaufnahmen in der Verhandlung und der damit verbundenen Ausweitung der Verfahrensöffentlichkeit ist angesichts der wirkungsmächtigen medialen Öffentlichkeit zumindest kraftlos.228 Die mittelbare Öffentlichkeit spielt eine immer stärkere Rolle und Informationen über den Verhandlungsgegenstand können schneller und umfassender verbreitet werden als noch vor einigen Jahren.229 Diese Entwicklungen stellen die Strafverfolgungsbehörden, aber auch die Medien vor neue Herausforderungen und lassen die Sorge um den Schutz der Persönlichkeitsrechte des Betroffenen wachsen. Gleichzeitig ist eine Vorverlagerung der Öffentlichkeit auf das eigentlich nichtöffentliche Ermittlungsverfahren zu beobachten, welches in den Medien mehr als je zuvor präsent ist. Hier weichen theoretische nichtöffentliche Ausgestaltung und Verfahrenswirklichkeit erheblich voneinander ab.230 Vor dem Hintergrund der von dem BVerfG als grundlegendes demokratisches Prinzip angesehenen Öffentlichkeitsmaxime erscheint eine Durchbrechung derselben aus politischen und wirtschaftlichen Motiven möglich, währenddessen sie gegenüber den Forderungen nach besserem Schutz der Persönlichkeitsrechte des Angeklagten weiter hoch gehalten wird. Eine derartige interessengeneigte Handhabung grundlegender rechtsstaatlicher Grundsätze kann nur Bedenken auslösen.

V. Zwischenergebnis und Stellungnahme Es kann also festgehalten werden, dass die Verfahrensöffentlichkeit in ihrer Entwicklung dem Bedürfnis entspringt, zukünftig einen Rückfall in eine inquisitorische Geheimjustiz zu verhindern, das rechtsstaatliche Strafverfahren zu schützen und das Informationsbedürfnis der Allgemeinheit zu befriedigen. Inhaltlich erfasst die Öffentlichkeitsmaxime insbesondere die unmittelbare Saalöffentlichkeit. Daneben ist jedoch auch die mittelbare Öffentlichkeit in Form der Medienberichterstattung über Strafverfahren anerkannt. Neben den gesetzlichen Regelungen zur Beschränkung der (unmittelbaren) Öffentlichkeit sind ihr durch die räumlichen Gegebenheiten faktische Grenzen gesetzt. Die hierdurch Bedeutung erhaltende mittelbare Öffentlichkeit wirft jedoch – bislang nur unzureichend beantwortete – Fragen nach der Reichweite des Öffentlichkeitsgrundsatzes hinsichtlich der Medienöffentlichkeit auf. Die prinzipielle Gerichtsöffentlichkeit nach § 169 S. 1 GVG steht heute insbesondere im Dienst einer Kontrolle der Justiz durch die Allgemeinheit sowie des 228

Marxen, GA 2013, 99 (100). Marxen, GA 2013, 99 (100) spricht insoweit von einer „massenhaften“ Vervielfältigung des Verhandlungsgegenstandes „auf allen Kanälen“. 230 Hierzu ausführlich unten Zweites Kapitel, B. 229

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2. Kap.: Die Öffentlichkeit der Strafverfolgung

Informationsinteresses der Allgemeinheit. Ferner soll das öffentliche Verfahren den Eindruck einer justiziellen Geheimniskrämerei vermeiden und dem Richterspruch zu gesellschaftlicher Akzeptanz verhelfen. Der zugleich oft benannten „sanktionstheoretischen Bedeutung“ der Verfahrensöffentlichkeit ist hingegen kritisch zu begegnen. Zu besorgen sind hier insbesondere Stigmatisierungs- und Anprangerungseffekte, welche – statt der Resozialisierung zu dienen – gerade die Entsozialisierung des Betroffenen zur Folge haben können. Es bleibt daher festzustellen, dass der Öffentlichkeitsgrundsatz vielen Interessen dient, so dass ein gerechter Ausgleich gefunden werden muss. Dies gilt gerade dann in besonderem Maße, wenn sich das öffentliche Informationsinteresse als reine Sensationslust und Neugier darstellt und weniger als Interesse an Gang und Arbeit des Rechtsstaats anzusehen ist. Auch wenn die heutige Funktionsbeschreibung auf rechtshistorischen Wurzeln fußt, ist ein innerer Bedeutungswandel der Gerichtsöffentlichkeit zu verzeichnen, welcher neue Probleme hervorruft. Zum einen wird der Angeklagte durch das Verfahren in rechtsstaatlich bedenklicher Weise bloßgestellt, zum anderen kann die Verfahrensöffentlichkeit zur Beeinflussung der Richter sowie Verfolgung politischer und damit justizfremder Zwecke missbraucht werden. Trotz ihrer – von der Rechtsprechung stets betonten – absoluten und rechtsstaatstragenden Bedeutung, ist eine deutliche Tendenz zur Erosion der Verfahrensöffentlichkeit durch strafprozessuale rechtliche wie praktische Entwicklungen zu bemerken. Der von justizökonomischen und rechtspolitischen Motiven geleitete Anstieg von Verfahrenseinstellungen aus Opportunitätsgründen und den verfahrensverkürzenden sog. „Deals“ nach § 257c StPO unterläuft das Prinzip des öffentlichen Strafverfahrens.231 Gleichzeitig erfährt die Verfahrensöffentlichkeit durch die mediale Berichterstattung eine sich ständig verändernde und durch technische Fortschritte rasant entwickelnde Erweiterung. Zeitgleich werden Forderungen nach einem umfassenderen Schutz der Persönlichkeitsrechte des Betroffenen durch Rechtsprechung und Gesetzgeber mit dem Hinweis auf die rechtsstaatliche Bedeutung des Öffentlichkeitsgrundsatzes zurückgewiesen. Es erscheint vor dem hier dargestellten Hintergrund der Erosion der Verfahrensöffentlichkeit aus wirtschaftlichen und rechtspolitischen Motiven bedenklich, wenn eine zeitgemäße Handhabung und Einschränkung dieses Verfahrensgrundsatzes zum Schutz des Betroffenen nicht möglich sein soll. Wenn der Bundesgerichtshof in seinen frühen Entscheidungen zur prinzipiellen Gerichtsöffentlichkeit ausführt, dass diese „in das Bewusstsein des Volkes als eine Selbstverständlichkeit eingegangen“ sei und gegen jede Abschwächung geschützt werden müsse, so kann dies keinen Selbstzweck darstellen. Vielmehr ist auch ein 231 Ebenso denkbar ist, dass der Betroffene aus Angst vor einem medienwirksamen Verfahren auf prozessuale Rechte verzichtet und zum Beispiel einen Strafbefehl oder Deal akzeptiert und so in seiner Verteidigung eingeschränkt ist. Zu diesen Risiken medienöffentlicher Strafrechtspflege siehe unten Drittes Kapitel, A.

A. Die Öffentlichkeitsmaxime im „Strafprozess“

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anerkannter Verfahrensgrundsatz anhand der gesellschaftlichen und technischen Entwicklungen stetig auf seine fortwährende Funktion und Bedeutung hin zu untersuchen. Gerade aufgrund der sich technisch rasant entwickelnden Medien und deren Einfluss auf die Verfahrensöffentlichkeit verstärkt sich die Besorgnis um die Persönlichkeitsrechte des vom Strafverfahren Betroffenen. Der Öffentlichkeitsgrundsatz muss daher darauf hin untersucht werden, inwieweit ohne Preisgabe rechtsstaatlicher Grundsätze der Individualrechtsschutz gestärkt werden kann. Das Bedürfnis nach einer ausreichenden Einschränkung der Gerichtsöffentlichkeit wird insbesondere im Zusammenhang mit der verstärkten Persönlichkeitsorientierung des modernen Strafrechts deutlich. Während dem Reichsstrafgesetzbuch von 1871 noch das Tatvergeltungsstrafrecht konzeptionell zugrunde lag, hat sich das Strafrecht in einem fortwährenden Prozess gerade auf Ebene der Sanktionen zu einem stark differenzierten und an der Persönlichkeit des Täters orientierten Modell, dem sog. „Täterstrafrecht“ entwickelt.232 Anders als zur Zeit der Schaffung der StPO erfordert das moderne Straf- und Strafverfahrensrecht nunmehr eine stärkere Persönlichkeitserforschung hinsichtlich des Täters, weshalb in der Hauptverhandlung vermehrt Umstände aus dem persönlichen Lebensbereich und sogar dem Intimbereich erörtert werden müssen.233 Zeitgleich zu der Entwicklung einer intensiveren Auswertung der Täterpersönlichkeit aufgrund deren sanktionsrechtlichen Bedeutung, wurde der Persönlichkeitsschutz verfassungsrechtlich stark ausgebaut. Es kann daher geboten sein, das an sich wesentliche Element des rechtsstaatlichen Strafverfahrens, das Öffentlichkeitsprinzip, hinter dem verfassungsrechtlich geschützten Anspruch auf Achtung der Privatsphäre zurücktreten zu lassen.234 Hinsichtlich des Bedeutungswandels der Öffentlichkeit, ausgelöst durch den zu gewährleistenden Schutz der Persönlichkeitssphäre des Angeklagten behauptete schon Peters: „In einem persönlichkeitsbezogenen Strafverfahren muss sich der aus der politischen historischen Entwicklung ergebende Öffentlichkeitsgrundsatz, dessen Wert an sich nicht zu bestreiten ist, Abstriche gefallen lassen.“235 Dieser Bedeutungswandel wird auch in der Praxis deutlich und führt zu einer großen praktischen Bedeutung der Vorschrift des § 171b GVG, da zum Schutz der Privatsphäre des Angeklagten von dieser sehr häufig Gebrauch gemacht wird. Wenn überwiegend die Informationsfunktion des Öffentlichkeitsgrundsatzes als prägend angesehen wird, dann ist der Wandel weg von der unmittelbaren Öffentlichkeit in Form der Teilnahme an den Gerichtsverhandlungen hin zu einer fast ausschließlich mittelbaren Öffentlichkeit in Form der Vermittlung des Prozessgeschehens über Presseberichterstattung kritisch zu betrachten. Die Spannungen 232 Zipf, Gutachten, C 10, ausführlich zu der „Entstehung des Täterstrafrechts“ und der damit einhergehenden Bedeutung der Persönlichkeitserforschung, vgl. C 17 ff. 233 BT-Drucks. 10/5305, S. 22. 234 BT-Drucks. 10/5305, S. 22. 235 Peters, S. 160.

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zwischen einem öffentlichen, die Persönlichkeit erforschenden Strafverfahren und den Persönlichkeitsrechten des Betroffenen werden durch die Entwicklung zur mittelbaren Medienöffentlichkeit verschärft. Es stellt sich hier die Frage, welchen Wert die Presseberichterstattung für die Information der Bevölkerung über die Arbeit der Justiz hat. Mediale Berichterstattung236 wird in erster Linie geleitet und gelenkt durch die wirtschaftlichen Interessen der Medienunternehmen. Sämtliche Informationsweitergabe erfolgt auflagenorientiert und daher je nach Art des Mediums, reißerisch und tendenziös. Oftmals berichten juristische Laien über Gerichtsverfahren, was der inhaltlichen Richtigkeit abträglich ist. Der große Teil der juristisch ungebildeten Bevölkerung erhält demnach ein gefiltertes, eingefärbtes, verzerrtes und inhaltlich mitunter schlicht falsches Bild vom Prozessgeschehen. Die vorliegende Untersuchung setzt daher bei der Schutzfunktion der Verfahrensöffentlichkeit für die Rechte des Betroffenen an und fragt, ob diese Funktion gerade in Verfahren gegen Personen des öffentlichen Lebens noch erfüllt ist. Denn wenn für Trüg nicht mehr Schutz des Betroffenen „durch Öffentlichkeit, sondern eher vor Öffentlichkeit“237 gilt, so mag man dies als plakativ bezeichnen, kann sich dem wahren Kern dieser Aussage jedoch kaum verschließen. Die mediale Berichterstattung und ihre Missstände238 können hier nur einen Ansatzpunkt zur Diskussion darstellen. Zugleich – und rechtsstaatlich ungleich beunruhigender – ist die Öffentlichkeitsarbeit der Justiz und ihrer Ermittlungsbehörden zu betrachten. Hier ist zu fragen, ob diese den Anforderungen an die Verfahrensöffentlichkeit in der modernen Mediengesellschaft (noch) gerecht wird. Die Reichweite der Medienarbeit von Strafverfolgungsbehörden und Gericht bedarf einer rechtsdogmatischen Begutachtung,239 deren Relevanz und Brisanz sich aufgrund des gesteigerten medialen Interesses gerade bei Verfahren gegen Personen des öffentlichen Lebens zeigt. Fraglich ist, inwieweit die umfassende (mediale) Verfahrensöffentlichkeit noch von den Funktionen des „modernen“ Öffentlichkeitsgrundsatzes getragen wird. Wie dargestellt, wird der Grundsatz prinzipieller Gerichtsöffentlichkeit vielfach legitimiert, indem auf die Möglichkeit für den Angeklagten – und gerade auch für Betroffene als Personen des öffentlichen Lebens – verwiesen wird, sich in der öffentlichen Verhandlung vor den Augen der Gesellschaft von den Vorwürfen zu befreien.240 Doch diese Argumentation geht schon im Ansatz fehl. Der Fehler liegt hier bereits in der Verkennung der Unschuldsvermutung, sofern die „reinwaschende Wirkung“ der Hauptverhandlung hervorgehoben und betont wird. Sobald sich der Angeklagte durch die öffentliche Verhandlung von den ihm zur Last gelegten Vor236

Ausführlich zu Arten, Funktion und rechtlichen Rahmenbedingungen medialer Kriminalberichterstattung siehe unten Viertes Kapitel. 237 Trüg, NJW 2011, 1040 (1041). 238 Dazu ausführlich siehe unten Viertes Kapitel. 239 Grundlegendes zu Umfang und Grenzen der Öffentlichkeitsarbeit der Ermittlungsbehörden und der Justiz siehe unten Fünftes Kapitel. 240 Siehe hierzu auch oben Zweites Kapitel, A. III. 3.

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würfen reinwaschen kann, respektive muss, ist dies eine – mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht in Einklang zu bringende – Notwendigkeit, begründet durch bereits im nichtöffentlichen Ermittlungsverfahren an die Öffentlichkeit gelangter Informationen und einer dadurch hervorgerufenen gesellschaftlichen Vorverurteilung. Diese Funktionszuschreibung kehrt vielmehr die prozessuale Stellung des Angeklagten um, dem seinerseits nun die Verantwortung – verkauft als „Chance“ – auferlegt wird, die Gesellschaft von seiner Unschuld zu überzeugen. Dies widerspricht fundamental nicht nur der prozessualen Rolle des Angeklagten, sondern – umso besorgniserregender – der in jedem Rechtsstaat geltenden Unschuldsvermutung. Nach alledem bleibt festzuhalten, dass die Gerichtsöffentlichkeit in unserem Rechtstaat neben dem Schutz rechtsstaatlicher Grundsätze vor allem auch bis zur Rechtskraft des Urteils die soziale Stellung des Beschuldigten in einer mit der Unschuldsvermutung schwer in Einklang zu bringenden Weise gefährdet und den Resozialisierungschancen abträglich ist. Sie ist damit ein persönlichkeitsrechtlich gefährliches zweischneidiges Schwert des Rechtsstaats.241 Es bedarf daher in jeder Hinsicht eines umsichtigen Umgangs mit diesem strafprozessualen Grundsatz.

B. Die Beteiligung der Öffentlichkeit im Ermittlungsverfahren Nachdem sich der vorherige Abschnitt dem Prinzip der Gerichtsöffentlichkeit im Allgemeinen und über § 169 S. 1 GVG sowie Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK der Öffentlichkeit des Hauptverfahrens im Speziellen gewidmet hat, soll im Folgenden das in dieser Untersuchung besonders im Fokus stehende Ermittlungsverfahren betrachtet werden, welches grundsätzlich nichtöffentlich ausgestaltet ist. Nach § 170 StPO dient das strafrechtliche Vorverfahren der Ermittlung, ob der Beschuldigte einer Straftat hinreichend verdächtig ist und infolgedessen Anklage erhoben werden kann respektive muss. Da das Ermittlungsverfahren bereits aufgrund eines bloßen Anfangsverdachts eingeleitet wird (vgl. § 160 Abs. 1 StPO) stellt es für den Betroffenen den persönlichkeitsrechtlich wohl sensibelsten Abschnitt des Strafverfahrens dar. Gelangen bereits in diesem frühen Stadium – zumeist noch ungesicherte und vor allem nicht zwingend strafrechtlich relevante – Informationen an die Öffentlichkeit, zieht dies gerade bei Personen der Öffentlichkeit in der Regel bereits gravierende gesellschaftliche Folgen für den Betroffenen nach sich. Informationen aus diesem Verfahrensstadium über den Beschuldigten, den Tatvorwurf und die Umstände der ihm vorgeworfenen Tat begleiten das Verfahren in der öffentlichen Meinungsbildung gemeinhin bis zum Urteil oder sogar darüber hinaus. Gerade bei Personen des öffentlichen Lebens wird oftmals schon vor Eröffnung des 241

Roxin/Schünemann, § 47 Rn. 1.

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2. Kap.: Die Öffentlichkeit der Strafverfolgung

Hauptverfahrens eine Form von Strafe verhängt und vollstreckt, die im Strafgesetzbuch so nicht vorgesehen ist: „Allgemeine Verdammnis, Ausschluss aus der Gesellschaft und öffentliche Beschämung“.242 In Anbetracht dieser verletzlichen Situation für die Persönlichkeitsrechte des Beschuldigten, bildet das Ermittlungsgeheimnis243 im Vorverfahren das wesentliche Fundament für den Schutz des Betroffenen vor der Öffentlichkeit. Die nichtöffentliche Ausgestaltung dieses Verfahrensabschnitts legt damit einen grundlegenden ersten Maßstab für eine Beurteilung von Umfang und Rechtmäßigkeit staatsanwaltschaftlicher Öffentlichkeitsarbeit sowie der darauf fußenden medialen Kriminalberichterstattung. Nach einem summarischen Blick auf die historischen Hintergründe der Nichtöffentlichkeit des Ermittlungsverfahrens (I.) wird sich dieser Abschnitt der Frage widmen, welchen Sachinteressen das Ermittlungsgeheimnis gegenwärtig zu dienen bestimmt ist und ob die nichtöffentliche Ausgestaltung weiterhin den gegenwärtigen gesellschaftlichen und rechtsstaatlichen Bedürfnissen entspricht (dazu unten II.). Abschließend wird bereits prospektiv ein kurzer Blick auf die rechtliche sowie faktischen Durchbrechungen der Nichtöffentlichkeit in diesem Verfahrensabschnitt geworfen (dazu unten III.).

I. Die historische Begründung des nichtöffentlichen Ermittlungsverfahrens Der historische Diskurs über die Wiedereinführung einer prinzipiellen Gerichtsöffentlichkeit im Zuge der Abschaffung der geheimen Inquisitionsprozesse244 bezog sich gleichsam auch auf die Frage, ob sich die Öffentlichkeit des Verfahrens in demselben Maße auf das strafrechtliche Ermittlungsverfahren erstrecken sollte. Die streitige Auseinandersetzung mit dieser grundsätzlichen Verfahrensfrage geht zurück bis in die Anfänge des 19. Jahrhunderts.245 Zu den Befürwortern einer öffentlichen Ausgestaltung des Ermittlungsverfahrens gehörten in der deutschen Reformdiskussion insbesondere Paul Johann Anselm von Feuerbach und Philip Jakob Siebenpfeiffer. von Feuerbach246 ließ sich in seinem Einsatz für ein öffentliches Vorverfahren von dem Gedanken leiten, dass das 242 So beschreibt es Heribert Prantl gleichermaßen plakativ wie treffend in einem Kommentar zu dem Verfahren gegen Sebastian Edathy, http://www.sueddeutsche.de/meinung/straf verhandlung-gegen-sebastian-edathy-beschaemt-und-verdammt-1.2359790 (zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021). Ausführlich zu dem Ermittlungsverfahren gegen Sebastian Edathy und die an diesem Beispiel sichtbar werdenden Folgen öffentlicher Ermittlungen siehe oben Erstes Kapitel, A. V. 243 Meyer-Goßner/Schmitt, Einl. Rn. 60. 244 Hierzu siehe oben Zweites Kapitel, A. I. 245 Vgl. hierzu auch Alber, S. 125, 150; Fischer, S. 52; Jung, GS-Kaufmann 1986, 891 (909 f.); Neuling, S. 110. 246 von Feuerbach, Heidelberger Jahrbücher (1822), S. 161 (171 ff.).

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Strafverfahren bereits mit der Erhebung der Tatvorwürfe beginne und der Beschuldigte schon in diesem frühen Stadium vor der Gefahr eines möglichen überbordenden Ermittlungseifers der Strafverfolgungsorgane geschützt werden müsse. Für von Feuerbach war demnach mit der Öffentlichkeit des Verfahrens vorrangig eine Schutzfunktion für den Betroffenen verbunden. Ein ausreichender Schutz des Beschuldigten vor dem Amtseifer der Ermittlungsbeamten, so der Gedanke von Feuerbachs, ließe sich allein durch die Öffentlichkeit der sich anschließenden Hauptverhandlung nicht gewährleisten, da diese ein im Ermittlungsverfahren erlittenes Unrecht nicht mehr ungeschehen machen könne. Auch Siebenpfeiffers247 Plädoyer für ein öffentliches Vorverfahren prägten die schützenswerten Interessen des Beschuldigten: Seiner Ansicht nach urteile die Öffentlichkeit über den vermeintlichen Delinquenten härter, wenn sie den Gang des Ermittlungsverfahrens nicht miterleben könne. Damit gehe zudem eine weitaus größere Gefahr der Beeinflussung der Strafverfolgung durch voreingenommene Geschworene einher. Ablehnend stand der Öffentlichkeit des Ermittlungsverfahrens zu dieser Zeit vor allem Friedrich August Biener gegenüber. Dieser befürchtete durch ein öffentliches Vorverfahren eine Gefahr für die Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege und sah die Ermittlungen durch die Teilhabe der Öffentlichkeit gefährdet.248 Schon damals erkannten er die Gefahren einer öffentlichen Ermittlung in der Beeinträchtigung der Spurensuche, der Entstehung von Gerüchten, einer dadurch begünstigten Beeinflussung von Zeugen sowie der Kompromittierung des womöglich zu Unrecht Beschuldigten oder der Ermittlungsbehörden. Neben der Sorge um die Wirksamkeit der staatlichen Ermittlungstätigkeit wurden somit auch die Gegner des öffentlichen Vorverfahrens durch die Schutzbedürftigkeit des Beschuldigten in diesem sensiblen Verfahrensabschnitt angetrieben. Im Gegensatz zu von Feuerbach und Siebenpfeiffer sahen sie jedoch die Gefahren für die Persönlichkeitsrechte des – gegebenenfalls unschuldigen – Tatverdächtigen gerade in einer öffentlichen Ermittlung, welche den Beschuldigten schon vor einer rechtskräftigen Verurteilung öffentlich bloßstelle und womöglich einen unumkehrbaren Ansehensverlust bewirke. Die Reformvorstöße der Befürworter einer Ausweitung der Gerichtsöffentlichkeit auf das Ermittlungsverfahren gipfelten schließlich in einer Forderung nach der Öffentlichkeit des strafrechtlichen Vorverfahrens auf dem 11. Deutschen Juristentag in Hannover im Jahre 1873.249 Auch diese Fürsprecher einer Neuregelung betreffend die Erweiterung der Gerichtsöffentlichkeit sahen sich motiviert durch die Erfahrungen mit der inquisitorischen Geheimjustiz der vergangenen Zeit und betrachteten die Öffentlichkeit als Garant für mehr Gerechtigkeit sowie als effektive Maßnahme gegen rechtswidrige Ermittlungsmaßnahmen. Auch von Gneist als Präsident des 247

Siebenpfeiffer, S. 275 ff. Biener, S. 179 f., und hierzu ausführlich Schmidt, Einführung in die Geschichte, S. 286 ff. 249 Zu der Diskussion und dem Beschluss siehe Verhandlungen, 2. Bd., S. 226 ff., 358 f.; dazu auch Alber, S. 150 f. m. w. N.; Neuling, S. 111 f. 248

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11. Deutschen Juristentages plädierte zu dieser Zeit vehement für ein öffentliches Vorverfahren.250 Seiner Ansicht nach sprächen alle Gründe für eine öffentliche Hauptverhandlung gleichermaßen auch für die Öffentlichkeit des Ermittlungsverfahrens.251 Eine Erweiterung der Gerichtsöffentlichkeit käme demnach allen Beteiligten zu Gute: Dem Unschuldigen, der trotz der mit Erhebung der Vorwürfe erzeugten „levis notae macula“ (lat. Anrüchigkeit, Schmälerung der bürgerlichen Ehre) durch die öffentliche Einstellung Genugtuung erfahre,252 den Zeugen, die durch die Öffentlichkeit der Ermittlungen zur „Wahrhaftigkeit“ angehalten würden sowie dem Richter, der aufgrund der Öffentlichkeit vor missbräuchlichem Verhalten zurückschrecke.253 Bedenken hinsichtlich der negativen Auswirkungen auf die Ermittlungsergebnisse erklärte von Gneist zwar für „unbeachtlich“ und kalkulierbar, sah jedoch gleichwohl Gründe für einen Ausschluss der Öffentlichkeit in bestimmten Ermittlungssituationen.254 Der Besorgnis um die Verletzung schutzwürdiger persönlichkeitsrechtlicher Interessen des Beschuldigten begegnete von Gneist mit der kühnen Behauptung, die Öffentlichkeit des Vorverfahrens gebe „dem Schuldigen wie dem Unschuldigen nur das, was ihm zukommt“.255 In Anbetracht dieser „unreflektierten und uneingeschränkt idealistischen Akzeptanz umfassender Justizöffentlichkeit“256 kann das Scheitern dieser Reformbewegung im Hinblick auf das heutige Verständnis von Individualrechtsschutz nur positiv betrachtet werden. Das Ermittlungsverfahren blieb weiterhin nichtöffentlich ausgestaltet. Die Ablehnung der Forderung des 11. Deutschen Juristentages nach Anerkennung der Öffentlichkeit auch im strafrechtlichen Vorverfahren wurde insbesondere durch die Überlegung gelenkt, dass in diesem Stadium der Ermittlungszweck durch die Öffentlichkeit vereitelt werden könne.257 Zugleich befürchtete man jedoch auch eine Beeinträchtigung der Rechte des Beschuldigten durch falsche Anschuldigungen aufgrund feindsinniger Bestrebungen sowie einen Einfluss öffentlicher Vorurteile auf den Ausgang des Prozesses.258 Es waren damit gleichfalls die Schutzinteressen des Betroffenen, die der Ablehnung eines öffentlichen Ermittlungsverfahrens zugrunde lagen. Festzuhalten bleibt also, dass sich die damals noch allgegenwärtigen schlechten Erfahrungen mit der Geheimjustiz der Inquisitionsprozesse angesichts der mit einem 250

Die ausführliche argumentative Auseinandersetzung bei von Gneist, S. 86 ff. von Gneist, S. 86. 252 von Gneist, S. 86. 253 von Gneist, S. 87. 254 von Gneist, S. 96 f. 255 von Gneist, S. 98. 256 Neuling, S. 112. 257 Jung, GS-Kaufmann 1986, 891 (910); Ortloff, S. 102, der die Gefahr einer Vereitelung des Untersuchungszwecks darin sieht, dass durch die öffentliche Information der Zeugenbeweis oder die Aussage des Beschuldigten verdorben oder gar vereitelt werden könne. 258 Neuling, S. 113; Ortloff, S. 102. 251

B. Die Beteiligung der Öffentlichkeit im Ermittlungsverfahren

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öffentlichen Ermittlungsverfahren einhergehenden Risiken für die Strafrechtspflege sowie der Belastungen für den Betroffenen nicht durchzusetzen vermochten.259

II. Die Nichtöffentlichkeit des Ermittlungsverfahrens im gesellschaftlichen und (rechts-)politischen Wandel Die nichtöffentliche Ausgestaltung des Ermittlungsverfahrens wurde demnach seit den Inquisitionsprozessen beinahe unverändert als ein „rocher de bronze“260 (franz., „eherner Fels“) im deutschen Strafprozess aufrechterhalten. Ebenso wie jedoch ein übereilter Ruf nach umfassender Justizöffentlichkeit abzulehnen ist, darf auch die Nichtöffentlichkeit des Ermittlungsverfahrens nicht mit unerschütterlicher Festigkeit gegenüber einem stetigen Diskurs sowie einer dynamischen Überprüfung und Anpassung an die gesellschaftlichen und politischen Strukturen resistent sein. Die Regelungen zu Umfang und Grenzen prinzipieller Gerichtsöffentlichkeit sowie der Nichtöffentlichkeit des Ermittlungsverfahrens definieren das Verhältnis zwischen dem Individuum, der Gesellschaft und dem Staat. Sie sind damit Spiegelbild der derzeitigen Gesellschaftsordnung. Als solches unterliegt die Gerichtsöffentlichkeit dem gleichen zeitgeschichtlichen Wandel, wie die Gesellschaft selbst.261 Insofern kann, wird und darf kein prozessualer Grundsatz ohne kritische Auseinandersetzung fortdauernde Geltung und Akzeptanz erfahren. Demgemäß stellt sich die Frage nach der Funktion der Nichtöffentlichkeit des Ermittlungsverfahrens im Gesamtkontext des heutigen Strafverfahrens sowie ihrer gesellschaftlichen sowie (rechts-)politischen Legitimation. Als Ausgangspunkt einer zeitgemäßen Funktionsbestimmung kann in Ermangelung gesetzlicher Regelungen jedoch nicht auf eine legislative Intention zurückgegriffen werden. Nach den gänzlich geheimen Inquisitionsverfahren wurde vielmehr die Öffentlichkeit der Hauptverhandlung positiv statuiert, wovon das Vorverfahren ausgenommen war.262 Aufgrund dieser rein passiven Statuierung wird vielfach die Herleitung gesetzgeberischer Absichten aus dessen schlichter Untätigkeit zumindest als problematisch angesehen.263 Im Regierungsentwurf zur Einführung prinzipieller Öffentlichkeit der Hauptverhandlung in § 170 GVG a. F. heißt es lediglich, es läge „kein Grund“ vor, die Öffentlichkeit auf „außerhalb der Sitzung der erkennenden Gerichte stattfindende Verhandlungen“ auszudehnen.264 Hinsichtlich der „Voruntersuchung“ im Strafver259 Neuling, S. 113, der hier insbesondere auf die Gefährdung des fairen Verlaufs des Verfahrens sowie die drohenden Belastungen für den Betroffenen verweist. 260 AE-StuM/Weigend, S. 35, der hinsichtlich des nichtöffentlichen Ermittlungsverfahrens auch von einem „historischen Zopf“ (S. 36) spricht und damit deutlich macht, dass ein unreflektiertes Festhalten an historischen Begründungen abzulehnen ist. 261 So Neuling, S. 109. 262 Siehe hierzu oben Zweites Kapitel, A. I. sowie B. I. 263 So zum Beispiel Stapper, S. 90, unter Verweis auf Zielemann, S. 70 ff. 264 Materialien zu den Reichs-Justizgesetzen, Erster Band, Abtheilung 1, S. 173 f.

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2. Kap.: Die Öffentlichkeit der Strafverfolgung

fahren wird hier auf die Motive zur Strafprozessordnung verwiesen,265 womit jedoch allein die gerichtliche Voruntersuchung im Sinne des strafrechtlichen Zwischenverfahrens gemeint ist.266 Laut Regierungsentwurfs zur Strafprozessordnung sei die Öffentlichkeit für die gerichtliche Voruntersuchung ohne Bedeutung und könne für die Vielzahl der einzelnen „Beweisakten“, aus welchen die Voruntersuchung bestehe, nicht angeordnet werden.267 Zur Nichtöffentlichkeit des Ermittlungsverfahrens hingegen finden sich keine Erläuterungen. Die Ermittlung einer zeitentsprechenden Rechtfertigung der nichtöffentlichen Ausgestaltung des strafrechtlichen Vorverfahrens muss daher bei den rechtshistorischen Begründungen ansetzen, welche im Hinblick auf das heutige gesellschaftliche Selbstverständnis auf ihre fortwährende Gültigkeit zu überprüfen sind, jedoch zugleich nur einen Ausgangspunkt der Untersuchung bilden können. von Feuerbach und Siebenpfeiffer ist zuzugeben, dass sie bestrebt waren, die Schutzbelange des Betroffenen in den Fokus ihrer Überlegungen zu stellen. Dennoch müssen die von ihnen vorgebrachten Argumente für ein öffentliches Ermittlungsverfahren im rechtshistorischen Kontext gesehen und bewertet werden. Aus den düsteren Erfahrungen mit der geheimen Inquisitionsjustiz und dem daraus gewachsenen Misstrauen in die Arbeit der Rechtspflege wurde geschlussfolgert, dass ein „Mehr“ an Öffentlichkeit zugleich auch ein „Mehr“ an Schutz für den Betroffenen bedeute.268 Prägend war die Sorge vor einer unrechtmäßigen Behandlung des Beschuldigten durch die Strafverfolgungsorgane im Schutz der Nichtöffentlichkeit, gegen die sich dieser kaum zur Wehr zu setzen vermag. Die Schutzbelange des Beschuldigten haben jedoch mit den gesellschaftlichen, medialen sowie technischen Entwicklungen einen erheblichen Wandel erfahren: Eine intensive massenmediale Kriminalberichterstattung gerade im Ermittlungsverfahren führt heute häufig bereits vor Eröffnung des Hauptverfahrens und damit der Entscheidung über die Schuldfrage zu einer irreparablen „Etikettierung“269 des Beschuldigten als Straftäter. Öffentlichkeit ist schon lange nicht mehr auf die Saalgröße, die örtliche Mundpropaganda oder die lokale Presse beschränkt. Mit dem Siegeszug des Internets und nicht zuletzt des Smartphones sind Informationen über Strafverfahren für jeden, jederzeit und überall abrufbar. Heute scheint mit einem „Weniger“ an Öffentlichkeit ein „Mehr“ an Schutz für den Betroffenen einherzugehen. Dies gilt gerade für Personen des öffentlichen Lebens, die als Beschuldigte einem besonderen medialen (Sensations-)Interesse ausgesetzt sind. Einem möglichen ausufernden Ermittlungseifer der Strafverfolgungsbehörden stellt sich im modernen deutschen Rechtsstaat ein differenziert ausgestaltetes und mit Art. 19 Abs. 4 GG sogar verfassungsrechtlich garantiertes Rechtsschutzsystem 265 266 267 268 269

Materialien zu den Reichs-Justizgesetzen, Erster Band, Abtheilung 1, S. 174. Vgl. Materialien zu den Reichs-Justizgesetzen, Dritter Band, Abtheilung 2, S. 1537. Materialien zu den Reichs-Justizgesetzen, Dritter Band, Abtheilung 1, S. 157. Neuling, S. 110 f. Neuling, S. 111.

B. Die Beteiligung der Öffentlichkeit im Ermittlungsverfahren

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entgegen, das dem Betroffenen Schutz vor rechtswidrigen Akten staatlicher Gewalt bietet. Dem Betroffenen bietet sich nicht zuletzt durch den Anspruch auf frühe Hinzuziehung eines Verteidigers (§ 136 Abs. 1 S. 2 StPO) eine Möglichkeit der „Veröffentlichung“ gegen ihn geführter Maßnahmen. Auch hinsichtlich bereits erledigter richterlicher (§ 304 StPO) oder nichtrichterlicher Zwangsmaßnahmen (§ 98 Abs. 2 S. 2 StPO analog) kann nachträglicher Rechtschutz erlangt werden, zumindest bei besonders intensiven Grundrechtseingriffen oder einer bestehenden Wiederholungsgefahr. Da das Argument des Schutzes des Beschuldigten durch die Öffentlichkeit damit im modernen Rechtsstaat nicht mehr zu überzeugen vermag, erscheinen vor diesem Hintergrund auch aus heutiger Sicht die Argumente von Biener und Zachariae treffender und konsequenter, mit denen sie sich für ein Beibehalten des geheimen strafrechtlichen Vorverfahrens und damit einem Schutz des Betroffenen vor der Öffentlichkeit aussprachen.270 Es lassen sich derzeit ganz überwiegend zwei Sachinteressen feststellen, denen die Nichtöffentlichkeit des Ermittlungsverfahren dient und die sich weitgehend mit den rechtshistorischen Argumenten decken: Schutz der Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege, also der Effektivität der Ermittlungen und der Unbefangenheit der Verfahrensbeteiligten (dazu 1.), sowie der Schutz der Individualinteressen des Beschuldigten (dazu unten 2.). Ob diese Sachinteressen auch heute noch die Nichtöffentlichkeit des Ermittlungsverfahrens zu rechtfertigen vermögen, wird in einer kritischen Auseinandersetzung mit den aktuellen Rufen nach einer Öffentlichkeit des strafrechtlichen Vorverfahrens zu klären sein (dazu unten 3.). 1. Schutz der Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege Die Geheimhaltung im Ermittlungsverfahren ist zunächst durch die Interessen einer effektiven Strafverfolgung motiviert.271 Das strafrechtliche Vorverfahren dient der Ermittlung und Festigung des für die öffentliche Anklage und die Eröffnung des Hauptverfahrens notwendigen hinreichenden Tatverdachts sowie der Sammlung der hierfür erforderlichen Beweise.272 Zu den Interessen einer effektiven Strafverfolgung und damit einem Schutzgut der Nichtöffentlichkeit des Ermittlungsverfahrens zählt daher bereits die Sicherung der Erkenntnisquellen, welche auch den Schutz der Beweismittel vor Verlust oder Trübung umfasst.273 Werden die Ermittlungen zu früh unter anderem dem Beschuldigten bekannt, so besteht die Gefahr, dass dieser den Strafverfolgungsbehörden Beweismittel entzieht oder gar beeinflussend auf Zeugen 270

Siehe dazu oben Zweites Kapitel, B. I. OLG Braunschweig NJW 1975, 651 (652); HK-StPO/Gercke/Temming, Einl. Rn. 82; Neuling, S. 113 m. w. N.; Meyer-Goßner/Schmitt, Einl. Rn. 60; Zipf, Gutachten, C 89. 272 Vgl. KK-StPO/Griesbaum, § 160 Rn. 19. 273 Neuling, S. 113 m. w. N.; Meyer-Goßner/Schmitt, Einl. Rn. 60; AE-StuM/Weigend, S. 36; Zipf, Gutachten, C 89. 271

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2. Kap.: Die Öffentlichkeit der Strafverfolgung

einwirkt. Gerade Geheimhaltungs- und Überraschungstaktiken können im Vorverfahren zudem erforderliche Mittel sein, um mithilfe verdeckter Ermittlungen zu verhindern, dass sich der Beschuldigte den Ermittlungen entzieht oder Beweismittel vernichtet.274 Überdies könnten Zeugen durch vorherige Informationen hinsichtlich der Ermittlungen ihr Aussageverhalten verändern und so die Qualität des Beweismittels vermindert werden. Gerade in diesem frühen Verfahrensabschnitt stellt somit die Öffentlichkeit eine der größten Gefahren für das Ermittlungsergebnis und damit die „Wahrheitsfindung“ als oberstes Ziel des Strafverfahrens dar275. Es liegt folglich in der Natur des Ermittlungsverfahrens, dass es nicht „offen“ im Sinne einer umfassenden öffentlichen Bekanntgabe aller ermittelten oder verdachtsbegründenden Umstände geführt werden kann.276 Als maßgeblicher Schutzzweck der Nichtöffentlichkeit im Interesse einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege ist neben den Zeugen auch die Unbefangenheit der anderen Verfahrensbeteiligten, namentlich der Berufsrichter, Schöffen sowie Sachverständigen, anerkannt.277 Das deutsche Strafverfahren ist ganz maßgeblich gekennzeichnet durch die „Wahrheitsfindung“ in der Hauptverhandlung durch ein unabhängiges Gericht „ad ovo“ (lat. „von seinem Ursprung an“).278 Eine solche kann jedoch nur gewährleistet werden, wenn Richter, Schöffen, Zeugen und auch Sachverständige nicht durch vorverurteilende279 (aber natürlich auch: vorfreisprechende) oder gar tendenziöse Berichterstattung sowie Fehlinformationen aus dem Ermittlungsverfahren beeinflusst werden. Gerade in diesem frühen Verfahrensstadium ist der Tatsachenstoff zumeist noch ungesichert, womit eine erhebliche Gefahr der Fehlinformationen einhergeht280. Auch dieses Argument für eine Geheimhaltung der Ermittlungen gilt umso mehr bei beschuldigten Personen des öffentlichen Lebens: Durch das erheblich gesteigerte öffentliche Interesse, die ausufernde Medienberichterstattung sowie die Vorwegnahme von Beweiserhebungen oder -ergebnissen verstärken sich die Gefahren für die Unbefangenheit der Verfahrensbeteiligten erheblich. Auch kann man sich des Eindrucks nicht verwehren, dass in der öffentlichen Meinung schnell ein besonders hartes Vorgehen gegen prominente Beschuldigte gefordert wird, um einen „Promibonus“ auszuschließen oder gar ein Exempel zu 274 von Becker, S. 208 ff.; Kuß, S. 86 m. w. N.; Neuling, S. 113 m. w. N.; LR-StPO/Rieß, § 160 Rn. 41a. 275 Zipf, Gutachten, C 89; auch das BVerfG betonte, dass im Ermittlungsverfahren nicht alle Ermittlungsergebnisse offengelegt bzw. bekanntgegeben werden dürften, da andernfalls gravierende Beeinträchtigungen bei der Sachverhaltsermittlung sowie der Wahrheitsfindung drohten, BVerfG NStZ 1984, 228. 276 KK-StPO/Fischer, Einl. Rn. 180. 277 OLG Braunschweig NJW 1975, 651 (652); Gross, FS-Hanack 1999, 39 (40); AE-StuM/ Weigend, S. 37. 278 AE-StuM/Weigend, S. 37. 279 Selbstverständlich gibt es auch Fälle, in denen die Medienberichterstattung zu einem „Vorfreispruch“ führt, welcher aus rechtsstaatlicher Sicht in gleichem Maß bedenklich erscheint, wie eine Vorverurteilung. 280 Zipf, Gutachten, C 89.

B. Die Beteiligung der Öffentlichkeit im Ermittlungsverfahren

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statuieren. Kurzerhand wird ein strafprozessual übliches Vorgehen (wie zum Beispiel eine Einstellung unter Auflagen nach § 153a StPO) zu einem „Sonderrecht für Reiche“, mit dem sich prominente Persönlichkeiten „freikaufen“ können.281 Teilweise geht die Medienberichterstattung gar so weit, dass der Eindruck einer Medienkampagne zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung und der Verfahrensbeteiligten entsteht.282 Gerade bei Zeugen besteht das Risiko, dass sie aufgrund von umfassenden Informationen über die Ermittlungen aus den Medien nicht mehr unterscheiden können, was sie selbst erlebt und was sie der Presse entnommen haben. In gleichem Maße droht in Folge der Verbreitung von Fotos des Tatverdächtigen eine Beweiswertbeeinträchtigung hinsichtlich einer späteren Identifizierung des Beschuldigten durch Zeugen.283 Witzler beschreibt zu Recht ein durch die Öffentlichkeit im Strafverfahren hergestelltes „offenes Kommunikationssystem“, in welchem die Öffentlichkeit einerseits Informationen erhält, andererseits jedoch auch „informatorische Rückflüsse“ erfolgen, welche die Gefahr der Beeinflussung von Verfahrensbeteiligten mit sich bringen.284 Dies gilt auch und besonders für jegliches Maß an Öffentlichkeit im Ermittlungsverfahren. Die Bedenken hinsichtlich einer Beeinflussung der Verfahrensbeteiligten durch ein öffentliches Ermittlungsverfahren betrifft keinesfalls allein die Zeugen: Ausdruck der grundrechtlich geschützten richterlichen Unabhängigkeit aus Art. 97 Abs. 1 GG ist gerade der Schutz des Berufsrichters vor privater und gesellschaftlicher Einflussnahme.285 Weigend hält der Sorge um die Unbefangenheit des Gerichts entgegen, dass – würde man diesen Gedanken konsequent zu Ende denken – die Richter auch keine Kenntnis von dem wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen haben dürften, sondern sich allein aus der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung ihre Überzeugung bilden sollten. Die Gefahr der Beeinflussung durch die Kenntnis von den Ermittlungsergebnissen würde auch darin zum Ausdruck kommen, dass den 281 Besonders eindrucksvoll waren die Reaktionen der Presse und damit die öffentliche Meinungsbildung zuletzt angesichts der Einstellung des Strafverfahrens gegen Formel-1-Chef Bernie Ecclestone nach § 153a StPO gegen Zahlung einer Geldauflage in Höhe von einer Million Euro. Beispielhaft titelte die „Bild“: „Warum kann sich Ecclestone vom Prozess freikaufen?“. Und auch die Leserkommentare spiegelten die Wahrnehmung Prominenter im Strafverfahren durch die Öffentlichkeit wieder: „Nein, wieso sollten wir einen falschen Eindruck von der Justiz bekommen, sie hat doch schon immer öffentlich bewiesen, dass man die Kleinen hängt und die Großen laufen lässt […]“, http://www.bild.de/geld/wirtschaft/bernie-ec clestone-prozess/ecclestone-100-millionen-37098934.bild.html (zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021). 282 So auch die These von AE-StuM/Weigend, S. 52, der in diesem Zusammenhang gar auch von „Stimmungsmache“ spricht, S. 38. 283 Gross, FS-Hanack 1999, 39 (40). 284 Witzler, S. 136, der zugleich darauf hinweist, dass gesicherte Aussagen über den Grad der Beeinflussung des Gerichts durch äußere Einflüsse nicht möglich sind, S. 135, Fn. 758 m. w. N. 285 Jarass/Pieroth/Kment, Art. 97 GG Rn. 11 m. w. N.; Witzler, S. 134.

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2. Kap.: Die Öffentlichkeit der Strafverfolgung

Schöffen eben aus Sorge um deren Unbefangenheit keine Einsicht in die Ermittlungsakten gewährt werde.286 Diese Kritik verkennt jedoch den strafprozessualen und auch rechtsstaatlichen Grund der Kenntnis des Richters von den Ergebnissen des Vorverfahrens: Die Ermittlungsakten werden dem Richter erstmals für die Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens vorgelegt.287 Auf Grundlage der Ermittlungsergebnisse entscheidet nunmehr der Richter über das Vorliegen des hinreichenden Tatverdachts hinsichtlich der von der Staatsanwaltschaft angeklagten Taten. Insofern dient die Vorlage der Ermittlungsakten dem Schutz des Beschuldigten vor einer ungerechtfertigten Anklage, so dass die von Weigend aufgezeigten Gefahren im Hinblick auf ein faires Verfahren als notwendiges „Übel“ hingenommen werden müssen. Überdies verfügen Berufsrichter gegenüber den Schöffen als Laienrichtern über das notwendige Maß an professioneller Objektivität. Führt man Weigends Ansatz weiter, so spricht gerade wiederum diese „Abschottung“ der Schöffen für die Nichtöffentlichkeit des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens im Dienste einer effektiven Strafverfolgung: Würden die Schöffen bereits vor der Hauptverhandlung die Details der Ermittlungen aus den Medien erfahren, so würde die Objektivität der Laienrichter gefährlich konterkariert werden. Es kann also festgehalten werden, dass durch die Nichtöffentlichkeit des Ermittlungsverfahrens die Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege im Hinblick auf eine effektive Ermittlung der verdachtsbegründenden Tatsachen geschützt und zugleich versucht wird, schon zu diesem frühen Zeitpunkt für die rechtsstaatlich gebotene Unbefangenheit der Verfahrensbeteiligten in Anbetracht eines späteren Hauptverfahrens Sorge zu tragen. Diese Sachinteressen sind gerade bei Beschuldigten als Personen des öffentlichen Lebens akut gefährdet, da das große öffentliche Interesse zu einer umfassenden, ausufernden und oftmals tendenziösen Berichterstattung führt. Eine statusbegründete intensive Berichterstattung über strafrechtliche Ermittlungsverfahren gegen Personen des öffentlichen Lebens begründet gerade in diesen Verfahren eine gesteigerte Sorge um Objektivität und damit auch Funktionstüchtigkeit der Strafrechtpflege im Interesse des Beschuldigten. 2. Schutz der Individualinteressen des Beschuldigten Fragt man nach dem Schutz der Persönlichkeitsrechte des Beschuldigten gerade im diesbezüglich höchst sensiblen Bereich des strafrechtlichen Vorverfahrens, so stellt man fest, dass der Schutz der Individualinteressen des Beschuldigten als Begründung des Ermittlungsgeheimnisses keinesfalls als selbstverständlich angesehen wird. Angesichts des heute stark persönlichkeitsorientierten Strafrechts sowie dem wachsenden Bewusstsein für die Bedeutung der Persönlichkeitsrechte kann dies zunächst nur Erstaunen hervorrufen. Um das divergierende Meinungsbild zu ver286

AE-StuM/Weigend, S. 37. Entscheidungsgrundlage über die Eröffnung des Hauptverfahrens nach § 203 StPO sind die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, vgl. LR-StPO/Stuckenberg, § 203 Rn. 5. 287

B. Die Beteiligung der Öffentlichkeit im Ermittlungsverfahren

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stehen, muss man sich die rechtshistorischen Gründe für das nichtöffentliche Ermittlungsverfahren ins Gedächtnis rufen.288 Der Blick in die Vergangenheit des Öffentlichkeitsgrundsatzes hat gezeigt, dass das geheime Vorverfahren aus den Zeiten der Inquisitionsprozesse herrührt und das Ermittlungsverfahren bei der Einführung prinzipieller Gerichtsöffentlichkeit lediglich ausgenommen war. Die Nichtöffentlichkeit ist demnach faktisch eine Konsequenz der „Untätigkeit“ des Gesetzgebers.289 Dass dieser Verfahrensabschnitt von der positiven Neuregelung der Gerichtsöffentlichkeit ausgenommen wurde, mache es unmöglich, aus dieser Untätigkeit Schlussfolgerungen auf die Funktionen der nichtöffentlichen Ausgestaltung und damit auch auf die Schutzfunktion der Nichtöffentlichkeit zugunsten der Individualinteressen des Beschuldigten zu ziehen.290 Sowohl Zielemann als auch Stapper beziehen sich daher zur Begründung der Nichtöffentlichkeit des strafrechtlichen Vorverfahrens (die insbesondere als argumentum e contrario aus § 169 S. 1 GVG folgt) erstrangig auf die rechtshistorischen Beweggründe der inquisitorischen Geheimprozesse, in deren Zuge auch die Nichtöffentlichkeit des Vorverfahrens eingeführt wurde. Die Intention des geheimen Inquisitionsprozesses war sicherlich nicht der Schutz des Beschuldigten vor öffentlicher Diffamierung und Vorverurteilung, sondern ausschließlich politischer und gesellschaftlicher Art.291 Die Ansicht jedoch, dass aufgrund der „Untätigkeit“ des Gesetzgebers weiterhin nur auf die historischen Begründungen zurückgegriffen werden könne, widerspricht der Funktionsweise unserer Rechtsordnung: Viele der von uns heute noch angewandten und anerkannten Normen rühren her aus Zeiten anderer gesellschaftlicher und politischer Ordnungen oder Ideologien. Deutlich wird dies beispielsweise auch anhand der rechtshistorischen Vergangenheit des § 169 S. 1 GVG, der zur Zeit des NS-Regimes zu Propaganda-Zwecken missbraucht und missinterpretiert wurde, dennoch seitdem unverändert Geltung beansprucht und dessen Schutzfunktion an das Verständnis des modernen und rechtsstaatlichen Strafprozesses angepasst wurde.292 Daran wird deutlich, dass die methodische Anwendung des gesetzten Rechts den Veränderungen in den gesellschaftlichen Verhältnissen sowie den Veränderungen im Verhältnis von Recht, Moral und Ethik unterliegt. Ohne die Möglichkeit einer dynamischen Rechtsanwendung und Auslegung würde unsere Rechtsordnung durch das starre Normenkorsett der geltenden Gesetze in ihrer Entwicklung gehemmt und es wäre – ohne neuerliche Gesetzgebung – schlicht unmöglich, sie den aktuellen Entwicklungen unserer Zeit anzupassen. Zwar gibt der Wille des „historischen Gesetzgebers“ gerade bei älteren Normen zunächst Anhaltspunkte über die frühere Intention, kann jedoch nur eine 288

Siehe dazu oben Zweites Kapitel, B. I. Hierzu bereits oben Zweites Kapitel, B. II. 290 So zumindest Zielemann, S. 72 f.; sich diesem anschließend auch Stapper, S. 90 f. 291 Vgl. hierzu ausführlich oben Zweites Kapitel, A. 1. 292 Zum Umgang der Nationalsozialisten mit § 169 S. 1 GVG siehe oben Zweites Kapitel, A. I. 3.; zu den Funktionen der Gerichtsöffentlichkeit im modernen Strafprozess siehe oben Zweites Kapitel, A. III. 289

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2. Kap.: Die Öffentlichkeit der Strafverfolgung

erste Stufe der Auslegung bilden, deren Ergebnis korrigiert werden kann und muss, wenn sich aus späteren rechtspolitischen und gesellschaftlichen Entwicklungen sowie Bewertungen des Gesetzgebers etwas anders ergibt.293 Bereits Friedrich Carl von Savigny (1771 – 1861) als einer der Pioniere der modernen Methodenlehre294 erkannte die Notwendigkeit der dynamischen Rechtsauslegung und Rechtsanwendung, indem er feststellte, „das Recht wächst also mit dem Volke fort“.295 Nichts anderes kann für das Prinzip des nichtöffentlichen Ermittlungsverfahrens gelten, auch wenn dieses einer gesetzlichen Regelung entbehrt. Auch wenn das geheime inquisitorische Vorverfahren eher der Abschneidung der Individualinteressen des Betroffenen diente, so hat sich seit diesem Zeitpunkt hinsichtlich der Stellung des Beschuldigten ein Verständniswandel vollzogen. Trotz der bis heute nicht vorhandenen gesetzlichen Regelung der Nichtöffentlichkeit des Ermittlungsverfahrens gab es dennoch Reformbestrebungen für eine Veröffentlichung des Vorverfahrens, die durch den Gesetzgeber jedoch abgelehnt wurden.296 Neben der Sorge um die Beeinträchtigung der Effektivität der Strafverfolgung durch die Öffentlichkeit, sah man schon damals die Rechte des Beschuldigten durch falsche Anschuldigungen, feindsinniger Bestrebungen sowie einen Einfluss öffentlicher Vorurteile auf den Ausgang des Prozesses als gefährdet an.297 Insbesondere der Unschuldige gerate durch ein öffentliches Vorverfahren in Verruf.298 Es ist demnach Zielemann nicht zuzustimmen, nach dessen Ansicht die Geheimhaltungsinteressen des Beschuldigten bei der Ablehnung des Reformvorschlags so gut wie keine Rolle gespielt hätten.299 Betrachtet man die Funktion der Nichtöffentlichkeit des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens gerade vor dem Hintergrund (rechts-)politischer und gesellschaftlicher Veränderungen der letzten Jahrzehnte, so gilt es zu beachten, dass sich die durch eine allzu umfangreiche Verfahrensöffentlichkeit begründete Gefahr für die Individualinteressen des Beschuldigten im Laufe des 20. Jahrhunderts wesentlich vergrößert hat. Die bisherigen Betrachtungen haben gezeigt, dass sich die Verfahrenspublizität im heutigen Strafverfahren – egal in welchem Stadium – nicht mehr auf eine bloße Saalöffentlichkeit oder lokale Presseberichterstattung beschränkt oder gar beschränken lässt. Somit sind auch die Argumente Zielemanns in ihrem – wenn auch verhältnismäßig jungen – historischen Kontext zu betrachten und bewerten: Mit der rasanten Fortentwicklung von Rundfunk, Fernsehen und zuletzt vor allem dem Internet, sind der Informationsverbreitung weder räumliche noch zeitliche Grenzen 293

Vgl. Pawlowski, Rn. 191b. Pawlowski, Rn. 148. 295 von Savigny, S. 11. 296 Zu dem Reformvorschlag des 11. Deutschen Juristentages im Jahr 1873 siehe oben Zweites Kapitel, B. I. 297 Neuling, S. 113; Ortloff, S. 102. 298 Alber, S. 125. 299 Zielemann, S. 72 f.; ihm zustimmend auch Stapper, S. 91. 294

B. Die Beteiligung der Öffentlichkeit im Ermittlungsverfahren

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gesetzt. Die Persönlichkeitsrechte des Beschuldigten rücken damit zusehends mehr in das Spannungsfeld zwischen Geheimhaltung und öffentlichem Informationsinteresse. Mit einem schlichten Verweis auf historische Beweggründe und Motivationen kann damit den gesellschaftlichen Entwicklungen nicht ausreichend Rechnung getragen werden. Ebenso wie geltende Verfahrensgrundsätze daher hinsichtlich ihrer Auslegung dem (rechts-)politischen und gesellschaftlichen Wandel unterliegen, werden deren Schutzfunktionen auch durch die Rechtsprechung inhaltlich bestimmt und ausgestaltet. Das Oberlandesgericht Braunschweig entschied bereits 1975, die Nichtöffentlichkeit des strafrechtlichen Vorverfahrens diene „zumindest mittelbar auch den Interessen des Beschuldigten“.300 Zur Begründung führte der Senat an, die Öffentlichkeit sei nur allzu leicht geneigt, die Eröffnung des Ermittlungsverfahrens mit dem Nachweis der zur Last gelegten Tat gleichzusetzen. Dies widerspräche grundlegend der Verfahrenswirklichkeit, da die Staatsanwaltschaft den ganz überwiegenden Teil der bei ihr anhängigen Ermittlungsverfahren mangels ausreichenden Tatverdachts wieder einstellen müsse. Dieser Umstand sei jedoch ebenso wenig in das Bewusstsein der Öffentlichkeit gedrungen, wie die zugunsten des Beschuldigten geltende Unschuldsvermutung. Nach Ansicht des Oberlandesgerichts sei demnach die Nichtöffentlichkeit zur Vermeidung einer persönlichkeitsrechtlich relevanten „Prangerwirkung“ oder gar eines „Rufmords“ an dem Betroffenen ein bedeutendes Gut. Den Ausführungen des Oberlandesgerichts Braunschweig ist vollumfänglich zuzustimmen. Während sich in der heutigen Massenmediengesellschaft ganze Mediensparten auf die Ermittlung und Zurschaustellung „geheimer“ Informationen aller Art über prominente Persönlichkeiten spezialisiert haben, ist die Unschuldsvermutung in der gesellschaftlichen Wahrnehmung noch immer bedauerlich unterentwickelt. Gerade im Zuge der immer stärker werdenden Persönlichkeitsorientierung des Strafrechts ist der Schutz der Individualinteressen des Beschuldigten seit Beginn des 20. Jahrhunderts in der rechtspolitischen Diskussion immer weiter in den Fokus gerückt und kann heute als größte „Antipode“ der Verfahrensöffentlichkeit bezeichnet werden.301 Bei dem Schutz der Individualinteressen des Beschuldigten durch das Ermittlungsgeheimnis von einem bloßen „Rechtsreflex“302 zu sprechen, erscheint schlicht nicht mehr zeitgemäß. Dieses moderne Verständnis des Ermittlungsgeheimnisses, welches zumindest auch dem Schutz der Persönlichkeitsrechte des Beschuldigten dient, hat schließlich Niederschlag in den Richtlinien für das Strafverfahren und Bußgeldverfahren (RiStBV) gefunden.303 Die RiStBV binden als Verwaltungsvorschriften ohne Ge300

OLG Braunschweig NJW 1975, 651 (652). Zipf, Gutachten, C 14. 302 Zielemann, S. 72; sich ihm auch hier anschließend Stapper, S. 91. 303 Ausführlicher zur Rolle der Vorschriften der RiStBV für den Schutz der Persönlichkeitsrechte des Beschuldigten siehe unten Fünftes Kapitel, B. III. 5. und C. II. 2. 301

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2. Kap.: Die Öffentlichkeit der Strafverfolgung

setzeskraft und Außenwirkung zwar nur die weisungsgebundenen Justizbehörden und damit insbesondere die Staatsanwaltschaft,304 dennoch sind sie Ausdruck des heutigen Verständnisses von einem rechtsstaatlichen Strafverfahren. Nach Nr. 4a RiStBV soll jede „Bloßstellung“ des Beschuldigten, die nicht durch den Ermittlungszweck gerechtfertigt ist, vermieden werden. Unter Bloßstellen wird hier nicht nur die Herabsetzung des Ansehens des Betroffenen in der Öffentlichkeit verstanden, sondern jedes Bekanntwerden des Ermittlungsverfahrens oder von Umständen betreffend die Person des Beschuldigten in der Öffentlichkeit.305 Auch in Nr. 23 Abs. 1 RiStBV kommt hinsichtlich der Zusammenarbeit der Staatsanwaltschaft mit Presse und Rundfunk zum Ausdruck, dass diese nur unter Beachtung des Anspruchs des Beschuldigten auf ein faires Verfahren sowie unter Berücksichtigung seiner Persönlichkeitsrechte erfolgen soll. Insofern findet sich in den „Anweisungen“ an die Ermittlungsbehörden für ein rechtsstaatliches Ermittlungsverfahren der Appell, im Umgang mit dem Ermittlungsgeheimnis die Individualinteressen und vor allem die Persönlichkeitsrechte des Beschuldigten zu schützen. Es kann damit im Ergebnis festgestellt werden, dass in Fortentwicklung der historischen Begründungen die Nichtöffentlichkeit des Ermittlungsverfahrens zumindest auch die Individualinteressen des Beschuldigten zu schützen bestimmt ist. Es erscheint aufgrund der Entwicklungen der Medienöffentlichkeit im modernen Strafprozess nicht mehr zeitgemäß, den Betroffenen von den Schutzinteressen des Ermittlungsgeheimnisses auszunehmen und den Schutz seiner Persönlichkeitsrechte als bloßen „Rechtsreflex“ anzusehen. Vielmehr sollten in Anbetracht der massenmedialen Veränderungen die Individualinteressen des Beschuldigten gerade im strafrechtlichen Vorverfahren stärker in den Vordergrund treten und die Nichtöffentlichkeit auch als persönlichkeitsrechtliches Schutzinstrument verstanden werden. 3. Argumente für ein öffentliches Ermittlungsverfahren Obwohl die durch die Nichtöffentlichkeit geschützten Sachinteressen überwiegend anerkannt werden, sind auch heute noch (beziehungsweise wieder) Stimmen zu vernehmen, die eine Abschottung des Ermittlungsverfahrens als nicht mehr zeitgemäß erachten.306 Nach der vorangegangenen Auseinandersetzung insbesondere mit den gefährdeten Persönlichkeitsrechten des Beschuldigten, aber auch mit der – gleichsam in seinem Interesse liegenden – Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege scheint die Nichtöffentlichkeit auch heute noch durch die mit einer öffentlichen Ermittlung einhergehenden Gefahren legitimiert zu sein. Ein Plädoyer für die fortwährende und sogar wachsende Bedeutung des Ermittlungsgeheimnisses kann je304

BeckOK-StPO/Graf, RiStBV Einf. Rn. 3. BeckOK-StPO/Gertler, RiStBV Nr. 4a Rn. 3. 306 So zum Beispiel AE-StuM/Weigend, S. 33 ff., der die Ansicht vertritt, die Nichtöffentlichkeit gehe an der Realität vorbei und sei „unrealistisch“. 305

B. Die Beteiligung der Öffentlichkeit im Ermittlungsverfahren

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doch nur auf dem Fundament einer offenen Auseinandersetzung mit den Argumenten für ein öffentliches Ermittlungsverfahren aufbauen. Vorrangiges Argument Weigends in diesem Zusammenhang ist das Interesse der Öffentlichkeit am Strafverfahren, welches sich nicht nach den Verfahrensstadien richte, sondern vielmehr „wellenweise“ verlaufe.307 Seiner Ansicht nach erfahre das öffentliche Interesse einen ersten Höhepunkt bereits bei Aufkommen des Tatverdachts sowie der Identifizierung des Beschuldigten. Insofern entspreche die Beschränkung der Verfahrensöffentlichkeit auf das Hauptverfahren nicht dem allgemeinen öffentlichen Informationsinteresse. Überdies sei eine Bedeutungszunahme des Ermittlungsverfahrens dahingehend zu beobachten, dass vermehrt Verfahrensbeendigungen ohne Hauptverhandlung stattfinden (Einstellungen nach §§ 153 ff. StPO, Erlass eines Strafbefehls nach §§ 407 ff. StPO, Verständigung nach § 257c StPO). Vor diesem Hintergrund und infolge des Eindrucks einer bloßen „Ratifikation“ der Ermittlungsergebnisse in der eigentlichen Hauptverhandlung sei die Öffentlichkeit vielmehr dort zu gewähren, wo „die Musik spielt“.308 Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass die im Hinblick auf die Öffentlichkeit gegensätzliche Ausgestaltung von Ermittlungs- sowie Hauptverfahren eine klare Berechtigung hat: Während der hinreichende Tatverdacht mit Erlass des Eröffnungsbeschlusses (§ 203 StPO) zumindest richterlich bestätigt wurde, so wird ein Ermittlungsverfahren bereits aufgrund eines bloßen Anfangsverdachts eingeleitet. Nur allzu oft entscheiden zudem Fehlinformationen und falsche Beschuldigungen über die Einleitung strafrechtlicher Ermittlungen, welche sich im Laufe des Vorverfahrens als haltlos oder zumindest als nicht hinreichend herausstellen. Insofern kann bei der Abwägung des öffentlichen Interesses mit den Persönlichkeitsrechten des Beschuldigten, aber auch den Interessen einer effektiven Strafverfolgung, das Informationsinteresse der Allgemeinheit nicht in beiden Verfahrensstadien in gleichem Maße Berücksichtigung finden. Der ungefestigte Tatverdacht gegen den Beschuldigten rechtfertigt eine erhöhte Schutzbedürftigkeit seiner Individualinteressen. Überdies wird aufgrund des von Weigend beschriebenen „wellenförmigen“ öffentlichen Interesses bereits deutlich, dass es sich hierbei weniger um ein sachlich motiviertes objektives Interesse an der Kontrolle der Strafjustiz handelt, als vielmehr um ein reines Sensationsinteresse. Dass sich darüber hinaus das Interesse der Allgemeinheit an der Strafrechtspflege ganz überwiegend auf Verfahren gegen bekannte Persönlichkeiten sowie außergewöhnliche Tatvorwürfe beschränkt, bekräftigt diesen Eindruck. Es macht vielmehr den Anschein, als würde gerade bei Personen des öffentlichen Lebens stattdessen das Interesse der Allgemeinheit an Unterhaltung und Sensation in die Waagschale geworfen. Auch wenn Weigend dahingehend zugestimmt werden muss, dass die „nichtöffentlichen“ Verfahrensbeendigungen eine zunehmende Bedeutung einnehmen, so kann diese Entwicklung nicht einseitig unter dem Kriterium der „Verheimlichung“ 307 308

AE-StuM/Weigend, S. 33. AE-StuM/Weigend, S. 34 f.

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2. Kap.: Die Öffentlichkeit der Strafverfolgung

betrachtet werden. Vielmehr stellt sich dieser Wandel zur „Nichtöffentlichkeit“ auch als Folge der vernichtenden Kraft der massenmedialen Gesellschaft dar: Gerade Beschuldigte als Personen des öffentlichen Lebens sehen sich bereits im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren einem derart großen medialen Interesse ausgesetzt, dass die Furcht vor der Öffentlichkeit des Strafprozesses und die Besorgnis um die Wahrung ihrer Persönlichkeitsrechte in vielen Fällen zu einem „resignativen Prozessverhalten“ führt.309 Es kann jedoch nicht im Interesse eines sozialen Rechtsstaates liegen, dass ein Beschuldigter sich unter dem Druck eines öffentlichen Ermittlungsverfahrens und zum Zwecke einer baldigen Beendigung desselben selbst Verfahrensrechte abschneidet und so vielleicht auch manch „Unschuldiger“ eher eine Einstellung nach § 153a StPO, einen Strafbefehl oder einen „Deal“ akzeptiert, als sich weiter dem öffentlichen Verfahren auszusetzen. Gerade bei Beschuldigten als Personen des öffentlichen Lebens muss daher die Nichtöffentlichkeit des Ermittlungsverfahrens dafür Sorge tragen, dass sie im Schutze der Geheimhaltung ein faires Ermittlungsverfahren durchlaufen, in dem unvoreingenommen und ohne medialen Druck sowohl belastende als auch entlastende Beweise erhoben und gesammelt werden können. Die Bedürfnisse des Informationsinteresses der Allgemeinheit können in einem vertretbaren Maß noch in der Hauptverhandlung Berücksichtigung finden. Anders dagegen die zu befürchtenden Nachteile für den Beschuldigten bei Öffentlichkeit des Vorverfahrens: Die öffentlichen Ermittlungen und die damit verbundene umfassende mediale Berichterstattung stellen einen intensiven Eingriff in das eng mit der Menschenwürde verknüpfte allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG dar. Ein „falscher“ Verdacht kann in der öffentlichen Meinung einen derart großen Schaden anrichten, dass dieser selbst nicht durch einen Freispruch oder einen Widerruf in der Presse gänzlich beseitigt oder wiedergutgemacht werden kann. In diesem Kontext müssen bei der Beurteilung einer Veröffentlichung des Ermittlungsverfahrens auch die Ziele des gesamten Strafverfahrens Berücksichtigung finden: Das strafrechtliche Vorverfahren dient der Vorbereitung der späteren Hauptverhandlung, so dass bereits in diesem frühen Stadium auch die Strafzwecke nicht aus dem Blick geraten dürfen. Wie bereits aufgezeigt, soll die Entsozialisierung des (vermeintlichen) Täters vermieden und seine Resozialisierung gefördert werden.310 Das gesamte Verfahren – und damit auch das Ermittlungsverfahren – sollte daher so angelegt und ausgestaltet sein, dass die Resozialisierungschancen des Betroffenen nicht von vornherein zunichte gemacht werden.311 Es gilt zudem als rechts- und sozialstaatliches Gebot, die Stigmatisierung des Tatverdächtigen durch 309

So auch Gross, FS-Hanack 1999, 39 (40) m. w. N. Siehe hierzu auch Zipf, Gutachten, C 31 ff., nach dessen Ansicht durch das öffentliche Bekanntwerden des Strafverfahrens „schwerwiegende Resozialisierungsbarrieren für den Beschuldigten“ geschaffen werden. 311 Lenckner, JuS 1983, 340 (341). 310

B. Die Beteiligung der Öffentlichkeit im Ermittlungsverfahren

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die Strafverfolgung in einem möglichst geringen Maß zu halten.312 Eine öffentliche Berichterstattung über das laufende Ermittlungsverfahren führt hingegen meist bereits zu einer wesentlichen Beeinträchtigung des sozialen Status bis hin zu einem Totalverlust der relevanten sozialen Bindung, so dass die Veröffentlichung der Ermittlungen teils schlimmer erscheint, als die eigentliche Strafe.313 In der Vergangenheit hat die Strafverfahrenspraxis gerade bei Ermittlungsverfahren gegen Personen des öffentlichen Lebens leider gezeigt, dass aufgrund der öffentlichen Vorverurteilung der Beschuldigte oftmals bereits beruflich sowie sozial vernichtet ist, noch bevor das Ermittlungsverfahren abgeschlossen und damit geklärt ist, ob überhaupt der erforderliche hinreichende Tatverdacht vorliegt.314 Das historische Argument, die Öffentlichkeit diene dem Schutz der Rechte des Beschuldigten, hat im heutigen strafrechtlichen Ermittlungsverfahren an Bedeutung verloren. Der schon im Sinne einer „Waffengleichheit“ und aufgrund der fair trial Maxime gebotene Schutz des Beschuldigten vor der strukturell überlegenen Strafjustiz und rechtswidrigen Ermittlungsmaßnahmen315 ist trotz der weitestgehend nichtöffentlichen Ausgestaltung des Vorverfahrens gewahrt. Neben den verbotenen Vernehmungsmethoden (§ 136a StPO) hat der Beschuldigte unter anderem das Recht, bereits vor der ersten Vernehmung einen Verteidiger sowie dessen Anwesenheit bei seiner Vernehmung zu verlangen (§§ 136 Abs. 1 S. 2, 163a Abs. 3 S. 2, 168c Abs. 1 StPO). Der Beschuldigte kann demnach in seinem Interesse die gegen ihn geführten Ermittlungen „veröffentlichen“.316 Im Ergebnis ist der vielfach beschriebene Bedeutungswandel des Ermittlungsverfahrens und ein damit einhergehendes verändertes öffentliches Interesse nicht von der Hand zu weisen. Dennoch muss dem Persönlichkeitsrecht des bloß „anfangsverdächtigen“ Beschuldigten gegenüber dem Informationsinteresse der Allgemeinheit grundsätzlich der Vorrang eingeräumt werden. Einer öffentlichen Ausgestaltung des Ermittlungsverfahrens kann daher nach rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht zugestimmt werden. Im Gegenteil: Blickt man auf die zerstörerische Kraft moderner Presseberichterstattung gerade bei Strafverfahren gegen Beschuldigte des öffentlichen Lebens,317 so spricht dies eher für eine noch zu verstärkenden Geheimhaltung des strafrechtlichen Vorverfahrens. 312

Zipf, Gutachten C 32. AE-StuM/Weigend, S. 36. 314 Dieser vorauseilende Existenzverlust ohne Rücksicht auf elementare Grundregeln der Unschuldsvermutung ist natürlich abhängig von der Art des Tatvorwurfs, kann durch ihn jedoch keinerlei rechtsstaatliche Rechtfertigung erfahren. Als erschreckendes Beispiel dient hier das Ermittlungsverfahren gegen den ehemaligen Bundestagsabgeordneten Sebastian Edathy. Ausführlich dazu siehe oben Erstes Kapitel, A. V. 315 BVerfG NJW 1975, 1015 (1016) m. w. N.; Neuling, S. 114 m. w. N.; Meyer-Goßner/ Schmitt, Einl. Rn. 88 m. w. N. 316 Neuling, S. 114. 317 Siehe hierzu oben die dargestellten Verfahrensbeispiele, Erstes Kapitel, A., sowie unten Drittes Kapitel, A. II. und Sechstes Kapitel, A. 313

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2. Kap.: Die Öffentlichkeit der Strafverfolgung

III. Durchbrechungen der Nichtöffentlichkeit Nach dieser ausführlichen Betrachtung der nichtöffentlichen Ausgestaltung des Ermittlungsverfahrens schaut man doch verwundert auf die – nicht nur in der Boulevard-Presse vorhanden – medialen Exzesse, die bei Ermittlungsverfahren gegen Personen des öffentlichen Lebens zu beobachten sind und in denen der „prominente“ Beschuldigte noch während des laufenden Ermittlungsverfahrens derart vorverurteilt und stigmatisiert wird, dass seine soziale und berufliche Existenz bereits vor Anklageerhebung zerstört sind. Es zeigt sich also, dass selbst dann, wenn die Strafverfolgungsbehörden an sich unter Ausschluss der Öffentlichkeit den Tatverdacht dergestalt prüfen sollen, dass er abgesichert genug ist, um den Beschuldigten der Öffentlichkeit auszusetzen,318 die Verfahrenswirklichkeit meist anders aussieht. Gerade bei Verfahren gegen Personen des öffentlichen Lebens gelangen bereits mit Aufkommen des ersten Tatverdachts Informationen über die nunmehr eingeleiteten Ermittlungen, der Namen des Beschuldigten, Bilder sowie weitere Details der strafrechtlichen Untersuchung an die Öffentlichkeit und erhalten damit Einzug in die Medienberichterstattung. Eine ausufernde Presseberichterstattung mit all ihren Schattenseiten ist nun kaum mehr aufzuhalten. Dass bereits vor der eigentlichen öffentlichen Verhandlung Informationen über die an sich der Geheimhaltung unterliegenden Ermittlungen an die Öffentlichkeit gelangen, kann auf verschiedene Ursachen zurückgeführt werden. Zunächst ist hier an strafprozessuale Ermittlungsmaßnahmen zu denken, die eine Beteiligung der Öffentlichkeit sowie die Bekanntgabe von identifizierenden Informationen bedingen. Als Beispiele sind die Öffentlichkeitsfahndung nach § 131a StPO oder die in diesem Zusammenhang gegebenenfalls erfolgende Veröffentlichung von Abbildungen des Beschuldigten nach § 131b StPO zu nennen. Zugleich ist zu beobachten, dass gerade bei Personen des öffentlichen Lebens, die ohnehin im besonderen Fokus der Medien stehen, auch an sich „nicht öffentliche“ Ermittlungsmaßnahmen zumeist nicht lange im Verborgenen bleiben. Selbst Durchsuchungsmaßnahmen in der Wohnung des Betroffenen oder ein Erscheinen zur Beschuldigtenvernehmungen geraten in diesen Fällen bereits zum medialen Ereignis. Darüber hinaus – und dies scheint praktisch wohl gerade bei Personen des öffentlichen Lebens keine unbedeutende Fallgruppe zu sein – gelangen Informationen über die Einleitung des Ermittlungsverfahrens, die Identität des Beschuldigten sowie weitere Details durch strafbare Handlungen, wie zum Beispiel Verletzungen des Amts- oder Steuergeheimnisses (§ 353b StGB) sowie Bestechlichkeit und Bestechung (§§ 332, 334 StGB), durch Pressemitteilungen der Staatsanwaltschaft an die Öffentlichkeit.319 In diesem Zusammenhang werden sodann repressive zivil- oder strafrechtliche Maßnahmen relevant, die dem Beschuldigten als Person des öffentlichen Lebens – zumeist wohl nur nachträglich – Rechtschutz gegen diese Beein318 319

pitel.

Marxen, GA 2013, 99 (101). Ausführlich zur Öffentlichkeitsarbeit der Staatsanwaltschaft siehe unten Fünftes Ka-

B. Die Beteiligung der Öffentlichkeit im Ermittlungsverfahren

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trächtigungen seiner Persönlichkeitsrechte einräumen, den verursachten Schaden jedoch kaum zu beheben vermögen. Ob die derzeit geltenden Regelungen diesbezüglich ausreichenden Schutz gewährleisten oder ob de lege ferenda eine weitergehende strafrechtliche Regelung nötig ist, wird an späterer Stelle noch zu untersuchen sein. Der Vollständigkeit halber ist zu erwähnen, dass es teilweise die Medien selbst sind, die den Verdacht eines strafbaren Verhaltens gegen Personen des öffentlichen Lebens durch journalistische Recherche ermitteln und aufdecken. In diesen Fällen sind die Medien schon beim Aufdecken des vermeintlich strafbaren Verhaltens involviert, so dass bereits dies medienwirksam inszeniert wird. Wenn es auch rückblickend einige solcher spektakulären Fälle in den Medien zu verfolgen gab, so bildet diese Form der „Durchbrechung“ der Nichtöffentlichkeit des Ermittlungsverfahrens sicherlich eine – jedenfalls im Rahmen dieser Arbeit zu vernachlässigende – Ausnahmeerscheinung. Ganz überwiegend ist es jedoch die Staatsanwaltschaft, die der Öffentlichkeit in Person der Medienvertreter Auskünfte über laufende Ermittlungsverfahren erteilt. Ein diesbezüglicher sog. Informationsanspruch der Presse gegenüber den Justizbehörden ergibt sich aus den Landespressegesetzen.320 Die überwiegend gleichlautenden gesetzlichen Regelungen räumen der Presse einen grundsätzlichen Auskunftsanspruch gegenüber den Behörden und damit auch der Staatsanwaltschaft ein, welcher wiederum jeweils durch Ausnahmetatbestände eingeschränkt wird. Im Ermittlungsverfahren wird der Staatsanwaltschaft landespresserechtlich ein Ermessensspielraum zugesprochen, so dass es von einer Abwägungsentscheidung der Ermittlungsbehörden abhängt, ob und in welchem Umfang die Pressevertreter und damit auch die breite Öffentlichkeit über Tatvorwürfe und Tatverdächtige informiert wird. Die Staatsanwaltschaft fungiert damit im grundsätzlich nichtöffentlichen Vorverfahren als Informationsfilter und wird so zur „Hüterin der Persönlichkeitsrechte“ des Beschuldigten.

IV. Zwischenergebnis und Stellungnahme Der Grundsatz der Öffentlichkeit zählt zu den wichtigsten Maximen des deutschen Strafverfahrens, gilt jedoch lediglich für die strafprozessuale Hauptverhandlung. Dagegen ist das Ermittlungsverfahren vom Grundsatz der Nichtöffentlichkeit geprägt. Dies rührt aus der Zeit der geheimen Inquisitionsverfahren und ist immer wieder Gegenstand der rechtspolitischen Diskussion. Die sich in diesem Diskurs gegenüberstehenden Argumente für und gegen die Nichtöffentlichkeit des Vorverfahrens waren und sind vielfältig. Trotz erstzunehmender Reformbemühungen konnten sich die Geheimhaltungsinteressen jedoch bis heute durchsetzen. 320 In Berlin ist dieser geregelt in § 4 Berliner Pressegesetz. Ausführlich zu der gesetzlichen Regelung des Informationsanspruchs der Medien unten Fünftes Kapitel, B. II.

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2. Kap.: Die Öffentlichkeit der Strafverfolgung

Die vorstehenden Betrachtungen zur Nichtöffentlichkeit des Ermittlungsverfahrens haben besondere Gründe hervorgetan, die gegen die Öffentlichkeit dieses Verfahrensabschnitts sprechen, jedoch kaum solche zu ihren Gunsten. Gegen ein öffentliches Vorverfahren sind das Interesse an einer funktionstüchtigen Strafrechtpflege und Ermittlungsarbeit sowie die Unbefangenheit der Richter, Schöffen, Zeugen sowie Sachverständigen ins Feld zu führen. Hervorzuheben im Sinne dieser Untersuchung bleibt jedoch die besondere Schutzbedürftigkeit des Beschuldigten und seiner Persönlichkeitsrechte in diesem Verfahrensstadium, der durch das „geheime“ Vorverfahren vor einer Bloßstellung sowie gesellschaftlichen Isolation geschützt werden muss. Eine zu frühe Öffentlichkeit läuft zudem dem Strafzweck der Resozialisierung entgegen. Soweit die strikte Trennung zwischen nichtöffentlichem Ermittlungsverfahren und öffentlicher Hauptverhandlung aufgrund der Bedeutungszunahme des Vorverfahrens als nicht mehr zeitgemäß angesehen wird, so ist diesem Einwand der qualitative Unterschied der Verfahrensstadien im Hinblick auf den notwendigen Verdachtsgrad entgegen zu halten. Gerade für Personen des öffentlichen Lebens darf eine zu frühe Beteiligung der Öffentlichkeit nicht zu einem resignierten Prozessverhalten des (vielleicht unschuldigen) Beschuldigten führen, der aus Furcht vor der Publizität freiwillig auf ihm zustehende Verfahrensrechte verzichtet. Die Betrachtung der rechtshistorischen Hintergründe sowie der gesellschaftlichen Entwicklungen haben gezeigt, dass die Nichtöffentlichkeit des heutigen Ermittlungsverfahrens neben der Effektivität der Ermittlungen und der Strafverfolgung eben auch die Individualinteressen des Beschuldigten zu schützen bestimmt ist. In diesem Verfahrensabschnitt ist den Geheimhaltungsinteressen des Beschuldigten gegenüber dem Informationsinteresse der Allgemeinheit zudem grundsätzlich Vorrang einzuräumen. Statt einer „Veröffentlichung“ des Vorverfahrens sprechen die aktuellen medialen und gesellschaftlichen Entwicklungen vielmehr für eine stärkere „Verheimlichung“ des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens in Form einer „justiziellen Schweigepflicht“.321 Eine andere Wertung lässt sich auch bei Personen des öffentlichen Lebens nicht mehr allgemein mit dem Verweis auf die Figur der „absoluten Person der Zeitgeschichte“322 rechtfertigen, sondern wird im Rahmen dieser Arbeit neu zu bestimmen sein. Bereits jetzt wird das Bedürfnis nach einer allgemeinen Regelung deutlich, die die besonderen Interessenlagen sowohl des Betroffenen als Person der Öffentlichkeit als auch der Allgemeinheit ausgewogen berücksichtigt und in Einklang mit dem

321

So die plakative Formulierung in den Ergebnissen der Arbeitsgruppe 6 des 30. Strafverteidigertages in Frankfurt am Main vom 24. – 26. 03. 2006, veröffentlicht unter: https://www. strafverteidigertag.de/Strafverteidigertage/Ergebnisse/30_AG_Erg.html (zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021). 322 Ausführlich zu der Figur der „absoluten Person der Zeitgeschichte“ siehe oben Erstes Kapitel, B. III.

C. Ergebnis

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Gleichheitsgrundsatz die massenmedialen und gesellschaftlichen Entwicklungen miteinbezieht.

C. Ergebnis Sowohl der im Hauptverfahren geltende Öffentlichkeitsgrundsatz als auch die Nichtöffentlichkeit des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens blicken zurück auf eine bewegte rechtshistorische Vergangenheit. Reformdiskussionen und -bestrebungen sind nie ganz verstummt und Ausdruck des stetigen gesellschaftlichen und politischen Wandels. Die rasanten technischen Entwicklungen der medialen Gesellschaft, die damit einhergehenden Veränderungen und Ausweitungen der Verfahrensöffentlichkeit sowie die zunehmende Persönlichkeitsorientierung des Strafrechts stellen die Grundsätze zur Öffentlichkeit des Strafverfahrens vor neue Herausforderungen: Jegliche Öffentlichkeit des Verfahrens und die Öffentlichkeitsarbeit der Strafverfolgungsbehörden müssen daher im Sinne eines rechtsstaatlichen und fairen Verfahrens einen gerechten Ausgleich schaffen zwischen den öffentlichen Informationsinteressen, der Pressefreiheit, dem Kontrollbedürfnis der Öffentlichkeit gegenüber der Justiz, der Unschuldsvermutung sowie den Persönlichkeitsrechten des Betroffenen. Gerade bei Verfahren gegen Personen des öffentlichen Lebens zeigt sich dieses Spannungsfeld in einer besonderen Ausprägung. Die Probleme einer dem Hauptverfahren vorgelagerten Verfahrensöffentlichkeit und einer einrahmenden Medienöffentlichkeit sowie die sich daraus für die Rechtsstaatlichkeit des Strafverfahrens und die Individualinteressen des Betroffenen ergebenden Gefahren haben sich durch die massenmedialen Entwicklungen verschärft. Handelt es sich um eine Person des öffentlichen Lebens, sind einer exzessiven und ausufernden Verfahrensöffentlichkeit keine Grenzen gesetzt. Die Persönlichkeitsrechte des Betroffenen liegen schutzlos in den Händen der Staatsanwaltschaften und der Medienvertreter. Gerade für derartig medienwirksame Verfahren ist daher zu untersuchen, ob die Grenzen staatsanwaltlicher Öffentlichkeitsarbeit sowie die Grundsätze der Öffentlichkeit des Strafverfahrens die schützenswerten Sachinteressen der Justiz, der Allgemeinheit sowie auch des Angeklagten als Person des öffentlichen Lebens ausgewogen berücksichtigen und den technischen Entwicklungen unseres modernen Massenmedien-Zeitalters genügend Rechnung tragen. In einem immer stärker persönlichkeitsorientierten Strafverfahren wird sich der zweifelsohne rechtsstaatlich bedeutende Öffentlichkeitsgrundsatz an dieser Stelle gegebenenfalls Abstriche gefallen lassen müssen. Die Divergenz zwischen massenhaften nichtöffentlichen Verfahrensbeendigungen durch die Strafverfolgungsbehörden und gleichzeitig medienwirksam öffentlich abgehaltenen Strafverfahren gegen prominente Beschuldigte wirft rechtsstaatliche

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2. Kap.: Die Öffentlichkeit der Strafverfolgung

Fragen auf. Während Verfahren gegen Personen, die der Öffentlichkeit nicht bekannte sind, jedenfalls faktisch still und „nichtöffentlich“ durchgeführt werden, birgt die Gerichtsöffentlichkeit gerade für prominente Personen unumkehrbare negative berufliche sowie private Folgen. Zugleich darf es nicht sein, dass die Unschuldsvermutung als bedeutende Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips unter dem Deckmantel des öffentlichen Informationsinteresses zu Lasten des Betroffenen ausgehebelt oder gar umgekehrt wird. Welche Auswirkungen eine medienöffentliche Strafverfolgung auf das Strafverfahren selbst, aber auch auf den Beschuldigten haben kann, soll daher im nächsten Schritt untersucht werden.323

323

Siehe hierzu Drittes Kapitel, A.

Drittes Kapitel

Medienöffentliche Ermittlungsverfahren zwischen Wirklichkeit und Recht Jedes Ermittlungs- und Strafverfahren ist naturgemäß mit erheblichen Einschränkungen und Belastungen für den Betroffenen verbunden und stellt hohe Anforderungen an die Neutralität und Unbefangenheit der mit der Strafverfolgung betrauten Berufsträger. Während die Einführung der Verfahrensöffentlichkeit historisch dem Schutz des Beschuldigten zu dienen bestimmt und auf die unmittelbare Saalöffentlichkeit beschränkt war,1 muss sie heute als Medienöffentlichkeit verstanden werden, die neue Risiken für alle Beteiligten mit sich bringt. Gerade Personen des öffentlichen Lebens, gegen die ein Strafverfahren läuft, sind ein wirtschaftlich lukratives Thema mit erheblichem „Nachrichtenwert“, handelt es sich bei ihnen doch um sogenannte mediale „Elite-Personen“.2 Aufgrund des hohen Potenzials einer medialen Vermarktung ist es selbstverständlich, dass sich Umfang und Intensität der Kriminalberichterstattung am Bekanntheitsgrad des Beschuldigten orientieren. Die an Auflagenstärke (oder „Klicks“ im Internet) interessierten Medienunternehmen nehmen das Informationsinteresse der Öffentlichkeit zum Anlass, oftmals sensationsbezogen, tendenziös und grenzwertig bis grenzüberschreitend das Verfahren und seine Hintergründe auszuschlachten. Auch wenn das Bild des „Beschuldigten im Würgegriff der Medien“3 zu Recht reißerisch erscheinen mag, so sind die Beeinträchtigungen und Gefahren der massenmedialen Öffentlichkeit für den Betroffenen gerade in medienwirksamen Strafverfahren nicht zu übersehen. Die Frage nach den tatsächlichen und rechtlichen Auswirkungen einer Verdachtsveröffentlichung sowie medienöffentlichen Strafrechtspflege stellt sich folglich insbesondere bei Verfahren gegen Personen des öffentlichen Lebens. Um die Voraussetzungen und Grenzen zulässiger ermittlungsbehördlicher Informationstätigkeit und rechtmäßiger medialer Verdachtsberichterstattung in diesen Verfahren herausarbeiten zu können, sollen daher im vorliegenden Kapitel zunächst die Einflüsse einer gesteigerten medialen Öffentlichkeit auf das Strafverfahren im Allgemeinen und das Ermittlungsverfahren im Besonderen sowie auf den (in der Öffentlichkeit stehenden) Beschuldigten abgebildet werden (A.). Nachfolgend 1

Siehe hierzu oben Zweites Kapitel, A. Siehe zum Begriff des „Nachrichtenwerts“ nach Galtung und Ruge bereits oben Erstes Kapitel, A. III. 3. 3 So der Titel einer Diskussion im Rahmen des 10. Strafverteidiger-Kolloquiums 1993; vgl. AnwBl. 1994, S. 27 f. 2

144 3. Kap.: Medienöffentliche Ermittlungsverfahren zwischen Wirklichkeit u. Recht

werden dann die durch eine Pressearbeit der Strafverfolgungsbehörden und die mediale Berichterstattung tangierten rechtlichen Interessen dargestellt, die die Grenzen einer rechtmäßigen Veröffentlichung des Verfahrens bilden (B.).

A. Die Gefahren einer medienöffentlichen Strafrechtspflege In medienwirksamen Strafverfahren bringt die massenmediale Öffentlichkeit viele neue Gefahren und Probleme mit sich. Das Strafverfahren und seine Beteiligten sind einer Vielzahl von äußeren Einflüssen ausgesetzt und gerade die Vertreter der Staatsanwaltschaft sowie die Richter sehen sich einer ungewohnten Beobachtung und Bewertung ihres Handelns durch Medien und Gesellschaft gegenüber. Auch der Betroffene selbst steht durch die weite Medienöffentlichkeit in einem negativen Zusammenhang im Fokus der Öffentlichkeit und wird hierdurch nachhaltig belastet. Im Hinblick auf die Gefahren medialer Öffentlichkeit scheinen sich Verfahren gegen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens zunächst nicht von anderen medienwirksamen Strafverfahren mit beispielsweise aufsehenerregenden Deliktsvorwürfen zu unterscheiden. Die Besonderheit bei Verfahren gegen Personen des öffentlichen Lebens besteht jedoch darin, dass das mediale und gesellschaftliche Interesse oft nicht durch das strafbare Verhalten an sich begründet ist, sondern zunächst insbesondere durch die Persönlichkeit des Beschuldigten und seiner herausgehobenen Stellung in der Gesellschaft. Art und Schwere des Tatvorwurfs haben hier nur einen bedingten Einfluss auf Umfang und Ausmaß der Medienberichterstattung sowie das Interesse der Öffentlichkeit. Die gesellschaftlich exponierte Stellung der Person des öffentlichen Lebens stellt alle Beteiligten des Strafverfahrens vor spezielle Herausforderungen und nimmt sie auch in besondere Maße die in Verantwortung. Neben einem allgemeinen Blick auf die Auswirkungen der Medienöffentlichkeit auf die Strafrechtspflege und den Betroffenen soll daher auch dargelegt werden, welche Besonderheiten sich aus der Stellung des Beschuldigten als Person des öffentlichen Lebens in diesem Zusammenhang ergeben.

I. Auswirkungen medialer Berichterstattung auf das Strafverfahren Wird ein laufendes Ermittlungs- oder Strafverfahren Gegenstand medialer Berichterstattung und Erörterung, sind verschiedene Auswirkungen auf das Strafverfahren zu befürchten. Auch wenn es eine „objektive“ Berichterstattung nicht gibt, sind selbst durch eine zurückhaltende und sachliche Presseberichterstattung Einflüsse auf das Prozessverhalten der Verfahrensbeteiligten zu vermuten. Als Konsequenz sind hier eine Gefährdung der Wahrheitsfindung bspw. durch die Beeinflus-

A. Die Gefahren einer medienöffentlichen Strafrechtspflege

145

sung von Zeugenaussagen sowie eine Beeinträchtigung der Unbefangenheit, Objektivität und damit letztlich der verfassungsrechtlich abgesicherten4 Unabhängigkeit der Richter zu befürchten.5 Damit scheinen auch mittelbare Auswirkungen für den Beschuldigten durch eine mediale Einflussnahme auf den Ausgang des Strafverfahrens möglich. Alles dies sind jedoch lediglich spekulative Überlegungen, die auf den allgemeinen Erwartungen an die Funktionsweise medialer Berichterstattung und sowie deren Wirkungsweise auf menschliches Handeln fußen. Obwohl wissenschaftlich vielfach thematisiert,6 sind die tatsächlichen Einflüsse medialer Berichterstattung auf das Strafverfahren noch immer „terra incognita“ (lat. „unbekanntes Land“).7 Dass die Medien und ihre Berichterstattung über laufende Ermittlungs- und Strafverfahren einen Einfluss nicht nur auf die Laienrichter, sondern auch auf Berufsrichter, Staatsanwälte, Verteidiger und sonstige Verfahrensbeteiligte haben können, darüber besteht unter Juristen weitestgehend Einigkeit.8 Verallgemeinerbare Erkenntnisse und Studien existieren zu dieser Problematik jedoch kaum.9 Die Gründe hierfür liegen auf der Hand, sind im Rahmen empirischer Studien die befragten Verfahrensbeteiligten zu Beurteilungen ihres eignen Handelns sowie ihrer Beeinflussbarkeit und damit gegebenenfalls auch der eigenen Fehlbarkeit gezwungen. Es muss jedoch nicht allein die Möglichkeit des bewussten Abstreitens sein, die zur Relativierung etwaiger Ergebnisse zwingt. Auch die schlichte Unkenntnis des Medieneinflusses auf die eigene Person sind bei der Interpretation derartiger Befragungen zu berücksichtigen. Sämtliche Untersuchungen und Studien sehen sich damit der Frage nach der objektiven Darstellbarkeit und wissenschaftlichen Nachweisbarkeit der Einflüsse medialer Berichterstattung auf das Strafverfahren und seine Beteiligten gegenüber. Nachdem eine von Gerhardt im Jahr 1990 durchgeführte Befragung10 erste Hinweise auf eine Einflussnahme der Medienberichterstattung auf das Strafverfahren und seine Beteiligten gegeben hat, erfolgte durch Kepplinger und Zerback im Jahr 2006 eine auf Online-Befragungen von Richtern und Staatsanwälten basierende

4

Art. 97 GG garantiert dem Richter die sachliche und persönliche richterliche Unabhängigkeit, Maunz/Dürig/Hillgruber, Art. 97 Rn. 3. 5 A. A. Bornkamm, S. 217, der in seiner rechtsvergleichenden Betrachtung vor den Veränderungen der Medienlandschaft durch die Möglichkeiten des Internets und insbesondere im Vergleich zu der Situation in England und den USA in einer präjudizierenden Publizität kaum Gefahren für den deutschen Strafprozess sieht. 6 Siehe zum Forschungsstand oben Erstes Kapitel, C. 7 Gerhardt, ZRP 2009, 247. 8 Kepplinger/Zerback, Publizistik 2009, 216 (217). 9 In den USA wurde beispielsweise eine Studie zu den Zusammenhängen zwischen vorprozessualer Berichterstattung und dem Ausgang des Verfahrens durchgeführt (Bruschke/ Loges, Relationship between pretrial publicity and trial outcomes, in: Journal of Communication 1999, 104 – 120), die jedoch aufgrund der strafprozessualen Unterschiede nicht auf das deutsche Strafverfahren übertragbar ist; vgl. Kepplinger/Zerback, Publizistik 2009, 216 (217). 10 Gerhardt, in: Oehler/Jahn/Gerhardt/Burgstaller/Hassemer, S. 19 ff.

146 3. Kap.: Medienöffentliche Ermittlungsverfahren zwischen Wirklichkeit u. Recht

Untersuchung des Einflusses der Medien auf deren Verhalten im Strafprozess.11 Da beide Gruppen keine unbeteiligten Beobachter im Strafverfahren sondern dessen Protagonisten sind, bedingen sich ihr Handeln und die Presseberichterstattung gegenseitig, so dass Kepplinger und Zerback von sog. reziproken Effekten sprechen.12 Theoretische Grundlage dieser wechselseitigen Effekte ist die persönliche Betroffenheit des Beobachters als Protagonist der Berichterstattung sowie dessen Informationsvorsprung und individuelle Sichtweise auf das Geschehen.13 Bestätigung hat diese Annahme durch die Befragung dergestalt erfahren, als dass ein Großteil der befragten Richter und Staatsanwälte angegeben haben, gerade die Medienberichterstattung über die „eigenen“ Verfahren zu verfolgen, so dass sie als Protagonisten bereits einer erhöhten „Mediendosis“ ausgesetzt sind.14 Dieser mediale Einfluss könne nach Kepplinger und Zerback dort Wirkung entfalten, wo der Staatsanwaltschaft und dem Richter im Rahmen der ihnen obliegenden Tatsachenfeststellung und rechtlichen Bewertung ein Ermessens- oder Handlungsspielraum offensteht.15 Zwar nehme die Medienberichterstattung nach Angaben der Befragten keinen Einfluss auf den „Kern des Strafverfahrens“, mithin die Feststellung der Schuld, dennoch können sich die Presseberichte infolge des richterlichen Ermessens zumindest auf das Strafmaß (Höhe der Strafe, Bewährungsbewilligung sowie Anordnung von Sicherungsverwahrung) auswirken, so dass durch intensive Medienberichterstattung neben den unmittelbaren Auswirkungen auf die Betroffenen auch mittelbare Auswirkungen auf den Angeklagten zu erkennen seien.16 Neben den Wirkungen auf die Richter und Staatsanwälte selbst bestätigten eine deutliche Mehrheit der Befragten einen Einfluss auf die „Atmosphäre im Gerichtssaal“17 sowie die „Aussagen von Zeugen“18 und beinahe die Hälfte der Befragten sogar einen Einfluss auf den „Ablauf des gesamten Verfahrens“.19 Während sich der Studie zufolge die Mehrheit der 11 Kepplinger/Zerback, Publizistik 2009, 216 ff. Befragt wurden sämtliche Richter (1.777) und Staatsanwälte (1.268) aus Bayern, Baden-Württemberg, Bremen, Rheinland-Pfalz sowie Sachsen, von denen 25 % der Richter und 21 % der Staatsanwälte an der Befragung teilgenommen haben, Kepplinger/Zerback, Publizistik 2009, 216 (223). Diese Untersuchung bezieht sich jedoch auf das Strafverfahren als solches und nicht auf die Auswirkungen medialer Berichterstattung im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren. 12 Kepplinger/Zerback, Publizistik 2009, 216 (220); Kepplinger, IJPP 2007, 3 ff. 13 Kepplinger/Zerback, Publizistik 2009, 216 (220). 14 Während 54 % der Staatsanwälte die Medienberichte über „eigene“ Verfahren gezielt verfolgen, tun dies lediglich 37 % der befragten Richter; vgl. Kepplinger/Zerback, Publizistik 2009, 216 (224 f.). 15 Kepplinger/Zerback, Publizistik 2009, 216 (218, 220). 16 So die Angaben von 25 % der Richter und 37 % der Staatsanwälte; vgl. Kepplinger/ Zerback, Publizistik 2009, 216 (230 f.). 17 86 % der Richter, 90 % der Staatsanwälte, Kepplinger/Zerback, Publizistik 2009, 216 (230). 18 77 % der Richter, 74 % der Staatsanwälte, Kepplinger/Zerback, Publizistik 2009, 216 (230). 19 44 % der Richter, 49 % der Staatsanwälte, Kepplinger/Zerback, Publizistik 2009, 216 (230).

A. Die Gefahren einer medienöffentlichen Strafrechtspflege

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Richter und Staatsanwälte zwar über mediale Kritik an ihrem Handeln ärgere und hinsichtlich ihrer Reaktionsmöglichkeiten „hilflos“ fühle, finde sie sich jedoch zugleich damit ab.20 Dahingegen sei die Wirkung negativer Medienberichte auf juristische Laien nach Ansicht der befragten professionellen Protagonisten intensiv. Diese könne neben einer „sekundären Viktimisierung“ der Opfer insbesondere erhebliche Auswirkungen auf den Angeklagten nach sich ziehen, der sich in die Defensive gedrängt oder zu Gegenmaßnahmen veranlasst fühlen könne, sowie auf die empfundene Aussagefreiheit der Zeugen.21 Diese signifikanten, alarmierenden aber ausgehend von den eingangs dargestellten Annahmen wenig überraschenden Ergebnisse werden von Kepplinger und Zerback aufgrund der den Befragten abverlangten Selbstreflexion zutreffend kritisch hinterfragt.22 Bedenkt man jedoch, dass das Eingeständnis einer medialen Beeinflussbarkeit des eigenen Berufsstandes und die Wahrnehmung der Einflüsse auf das eigene Verhalten naturgemäß nicht leicht fallen, werden die tatsächlichen Auswirkungen von den Befragten vermutlich eher unter- als überschätzt.23 Hinsichtlich der Wirkung auf die übrigen Prozessbeteiligten ist hingegen selbst nach einer sicherheitshalber vorgenommenen Herabstufung der Ergebnisse noch immer von einem signifikanten Effekt der medialen Berichterstattung, insbesondere auf die Zeugen auszugehen.24 Hiermit wird deutlich, dass die insbesondere mittels der richterlichen Unabhängigkeit gewährleistete Objektivität des Richters durch die mediale Wirkung und den damit bestehenden Einfluss der öffentlichen Meinung auf die Ausübung ihres Amtes gefährdet scheint und vor einer übermäßigen Einflussnahme zu schützen ist.25 Voraussetzung verantwortungsvoller Strafverfolgung durch objektive Staatsanwälte und Richter ist deren „innere Unabhängigkeit“, woran bei Strafverfahren mit erheblichem Medieninteresse Zweifel geäußert werden dürfen, was nicht zuletzt die Ergebnisse der von Kepplinger und Zerback durchgeführten Studie bestätigen.26 Aufgrund der medialen Wirkung auf die übrigen Verfahrensbeteiligten, insbesondere die Zeugen und den Angeklagten bedeutet eine umfassende Verdachts- und Gerichtsberichterstattung neben den Risiken für die richterliche Unabhängigkeit zugleich auch eine Gefahr für die strafprozessuale Wahrheitsfindung. Angesichts des starken medialen und öffentlichen Interesses an Verfahren gegen bekannte Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Politik, Kultur, Medien oder Sport sehen sich das Strafverfahren und seine Protagonisten einer breiten Aufmerksamkeit der 20

Kepplinger/Zerback, Publizistik 2009, 216 (227). Kepplinger/Zerback, Publizistik 2009, 216 (229). 22 Kepplinger/Zerback, Publizistik 2009, 216 (235). 23 Kepplinger/Zerback, Publizistik 2009, 216 (235). 24 Kepplinger/Zerback, Publizistik 2009, 216 (235). 25 Kepplinger/Zerback, Publizistik 2009, 216 (218), unter Verweis auf Faller, FS-Zeidler 1987, 81 ff., Schulz (2002) und Wagner (1987). 26 Kepplinger/Zerback, Publizistik 2009, 216 (235). 21

148 3. Kap.: Medienöffentliche Ermittlungsverfahren zwischen Wirklichkeit u. Recht

interessierten und zugleich kritischen Bevölkerung gegenüber. Die üblicherweise unbeobachtet und im „Stillen“ arbeitenden Organe der Strafverfolgung treten plötzlich in den Fokus der Öffentlichkeit. Die damit einhergehenden möglichen Einflüsse bereits auf die Arbeit der Staatsanwaltschaft können damit zu erheblichen Nachteilen für den Betroffenen als Person des öffentlichen Lebens gegenüber einem unbekannten Beschuldigten führen. Mit dem plötzlichen Interesse der Öffentlichkeit an einem Ermittlungsverfahren gehen erhöhte gesellschaftliche Erwartungen an die Arbeit der Staatsanwaltschaft einher. Diese ist aufgrund des öffentlichen Drucks angehalten, schnell und ebenso medienwirksam Ergebnisse zu präsentieren, womit Überschreitungen der Grenzen maßvoller und rechtsstaatlicher Selbstbeschränkung sowie bereits im Ermittlungsverfahren eine medienöffentliche Schuldvermutung oder gar Schuldfeststellung zu Lasten des Beschuldigten drohen.27 Durch die mediale „Überwachung“ ihrer Ermittlungstätigkeit wird die Staatsanwaltschaft besonders bemüht sein, den Verdacht einer Beeinflussung des Verfahrens durch die gesellschaftliche Stellung des Beschuldigten in Form eines vermeintlichen „Promi-Bonus“ nicht aufkommen zu lassen. Bereits die wenigen eingangs betrachteten Verfahren vermitteln jedoch den Eindruck, dieses Bemühen führe bereits im Vorverfahren oftmals zu einer bewussten oder unbewussten Härte und Strenge auf Seiten der Ermittlungsbehörden, so dass sich der vermeintliche „Bonus“ des Prominenten umzukehren droht und sich der Bekanntheitsgrad für den Beschuldigten im Ergebnis nachteilig auswirkt. Zuweilen scheinen Ermittlungsverfahren gegen Personen des öffentlichen Lebens weit ausufernder geführt und mit einer Anklage abgeschlossen zu werden, die im Fall eines unbekannten Beschuldigten voraussichtlich eingestellt oder – von der Öffentlichkeit unbemerkt – mit einem Strafbefehl abgeschlossen worden wären.28 Die Medienwirksamkeit des Verfahrens aufgrund der gesellschaftlichen Stellung des Betroffenen spielt zudem auch im Rahmen ermittlungsbehördlicher Opportunitätsentscheidungen nach §§ 153 ff. StPO und bei der Beurteilung des öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung eine entscheidende Rolle. Abstellend auf den über den Kreis der Beteiligten hinaus gestörten Rechtsfrieden wird ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung teilweise allein aufgrund der Prominenz des Beschuldigten und der dieser folgenden Beachtung des Verfahrens durch die Öffentlichkeit angenommen.29 Im Sinne der Herstellung des Rechtsfriedens mag diese Annahme bei hinreichendem Tatverdacht gegen bekannte Amts- oder Mandatsträger aufgrund der öffentlichen Wirkung dieses Verdachts und dem Bedürfnis der Gesellschaft nach Vertrauen in die Integrität des Staates anzunehmen sein, nicht jedoch 27

Neuling, S. 220. So haben bereits die Verfahren gegen Andreas Türck und Jörg Kachelmann aufgrund der mangelhaften Beweislage die Frage aufgeworfen, warum hier überhaupt Anklage erhoben wurde, siehe oben Erstes Kapitel, A. I. und III. Auch im Fall des damaligen Bundespräsidenten Christian Wulff drängt sich die Unverhältnismäßigkeit der Ermittlungen in Anbetracht der später angeklagten Taten auf, siehe oben Erstes Kapitel, A. IV. 29 KK-StPO/Diemer, § 153 Rn. 15; Gross, FS-Hanack 1999, 39 (41). 28

A. Die Gefahren einer medienöffentlichen Strafrechtspflege

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bei Personen, die kein solches Amt inne haben.30 Bei dem reinen Bekanntheitsgrad des Betroffenen (oder auch des Verletzten) handelt es sich nicht um einen Umstand mit materiell strafrechtlich präventiv begründbarer Funktion, so dass sie keinem Sanktionszweck zugeordnet werden kann und eine derartige Begründung des öffentlichen Interesses nur schwer zu überzeugen vermag.31 Dennoch lassen sich damit die Auswirkungen einer intensiven medialen Berichterstattung auch im Rahmen des opportunen Ermessens der Staatsanwaltschaft im Hinblick auf die Einstellungsentscheidung erkennen. Überdies bleibt zu vermuten, dass der öffentlich vermittelte Erfolgsdruck in medienwirksamen Ermittlungsverfahren, in denen der erforderliche hinreichende Tatverdacht gleichsam bejaht wie verneint werden kann, die Entscheidung der Staatsanwaltschaft häufiger in Richtung Anklage als in Richtung einer Verfahrenseinstellung nach § 170 Abs. 2 StPO lenken wird.32 Abseits medialer Erwartungen mag sich bei einem besonders bekannten Tatverdächtigen bei der Staatsanwaltschaft bisweilen sicherlich auch ein ausgeprägter „Verfolgungseifer“ einstellen, wenn sich beispielsweise die historische „Chance“ von Ermittlungen gegen den amtierenden Bundespräsidenten bietet. Ein solcher Eifer der ermittelnden Beamten kann ebenfalls unverhältnismäßige Ermittlungsmaßnahme gegen den Beschuldigten nach sich ziehen, welche auf seine öffentliche Stellung und das mediale Interesse zurückzuführen sind.33 Gespeist von diesem Eifer und begünstigt durch die ungewohnte Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit sowie das damit einhergehende mögliche Prestige können die Strafverfolgungsbehörden dazu verleitet werden, in einem noch sehr frühen Stadium des Verfahrens – teilweise sogar noch vor Einleitung des offiziellen Ermittlungsverfahrens – an die Öffentlichkeit zu gehen und in Pressekonferenzen oder Stellungnahmen (zu viele) Informationen über das Verfahren und die Hintergründe preiszugeben. Die privaten und beruflichen Folgen der durch diese Verdachtsveröffentlichung in Gang gesetzten Pranger- und Stigmatisierungswirkung des Ermittlungsverfahrens und der sich anschließenden massenmedialen Berichterstattung sind gravierend und meist unumkehrbar, so dass eine etwaige strafrechtliche Verfolgung der Behördenvertreter wegen Geheimnis-

30 So auch Meinecke, S. 263, der zu Recht darauf verweist, dass der Begriff des „öffentlichen Interesses“ im Sinne des § 153a StPO nicht mit Medieninteresse gleichgesetzt werden darf. 31 BeckOK-StPO/Beukelmann, § 153 Rn. 21; LR-StPO/Beulke, § 153 Rn. 33 m. w. N.; HKStPO/Gercke, § 153 Rn. 5; MüKo-StPO/Peters, § 153 Rn. 31; a. A. KK-StPO/Diemer, § 153 Rn. 14; Meyer-Goßner/Schmitt, § 153 Rn. 7; zum Bekanntheitsgrad einer Person als Sachgrund einer Ungleichbehandlung in Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG siehe unten Sechstes Kapitel, A. I. 2. 32 Gross, FS-Hanack 1999, 39 (41). 33 Besonders eindrucksvoll war dies im Ermittlungsverfahren gegen Christian Wulff zu beobachten, welches übereifrig und umfassend geführt wurde und schließlich eine vergleichsweise „lächerliche“ Anklage hervorbrachte, die wiederum nicht zu einem Urteil führte; hierzu siehe oben Erstes Kapitel, A. IV.

150 3. Kap.: Medienöffentliche Ermittlungsverfahren zwischen Wirklichkeit u. Recht

verrats oder Schadensersatzansprüche des Beschuldigten bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen nur ein stumpfes Schwert darstellen.34 Gerade im frühen Stadium des Ermittlungsverfahrens fungiert die Staatsanwaltschaft aufgrund ihres überwiegenden Informationsmonopols als „Informationsfilter“ und hat damit entscheidenden Einfluss auf Inhalt und Intensität der medialen Berichterstattung. Findet daher – motiviert durch das vermeintliche öffentliche Interesse – eine einseitige Präsentation und Beurteilung von Erkenntnissen in diesem Stadium des Verfahrens statt, fördert eine derartige Öffentlichkeitsarbeit der Staatsanwaltschaft die Vorverurteilung des Beschuldigten.35 Zugleich dürfen die ermittlungsbehördlichen Angaben nahezu ungeprüft in die Berichterstattung übernommen werden, da die presserechtliche Rechtsprechung den Auskünften der Staatsanwaltschaften die Qualität einer sog. „privilegierten Quelle“ zuspricht.36 Seitens der Öffentlichkeit werden Informationen der Strafverfolgungsbehörden zudem als „offiziell“ wahrgenommen, wodurch ihnen ein erhebliches Gewicht zukommt. Die Beeinflussung der Staatsanwaltschaft durch die gesellschaftliche Stellung des Tatverdächtigen sowie eine umfassende mediale Berichterstattung können damit bereits im Ermittlungsverfahren zu unumkehrbaren Belastungen für den Beschuldigten als Person des öffentlichen Lebens führen. Fehlinformationen sowie ein rechtsstaatliches „Zuviel“ an Informationen haben somit massive Konsequenzen, nicht nur für das gesamte Strafverfahren, sondern gerade für den Beschuldigten als Person der Öffentlichkeit weit über das Verfahren hinaus. Schließlich droht die gesellschaftliche Stellung des Betroffenen auch einen Einfluss auf die Tätigkeit der Strafjustiz auszuüben. Zwar mangelt es diesbezüglich an wissenschaftlich-empirischen Belegen, doch führt der Bekanntheitsgrad des Angeklagten zweifellos zunächst jedenfalls zu einer intensiven Medienberichterstattung, so dass sich sämtliche durch Kepplinger und Zerback dargestellten Wirkungsweisen in Verfahren gegen Personen des öffentlichen Lebens in besonderem Maße entfalten können.37 Hinzu tritt auch seitens der Richter das Bemühen, den Eindruck einer „Zwei-Klassen-Justiz“ nicht aufkommen zu lassen, womit sich der vermeintliche „Bonus“ erneut zum Nachteil des Betroffenen auswirken kann und das Gericht zu einer besonders harten Prozessführung geneigt sein könnte.38 Selbst wenn sich das Gericht bei der Frage der Schuld des Angeklagten noch dem Eindruck der 34 Zu den Folgen medialer Öffentlichkeit im Strafverfahren für den Beschuldigten siehe unten Drittes Kapitel, A. II. Zu den Rechtsfolgen rechtswidriger Öffentlichkeitsarbeit der Staatsanwaltschaft siehe unten Siebtes Kapitel, A. 35 Neuling, S. 218 f. 36 OLG Hamburg ArchPR 1972, 86. Siehe zu den Sorgfaltsanforderungen der Presse unten Viertes Kapitel, B. III. 1. 37 Vgl. die beispielhaften Darstellungen oben Erstes Kapitel, A. 38 Zur Erinnerung vgl. noch einmal den Auszug aus der Urteilsbegründung des Gerichts in dem Verfahren gegen Andreas Türck, in welcher das Gericht die Eröffnung des Hauptverfahrens unter anderem damit rechtfertigte, man habe sich sonst des Vorwurfs ausgesetzt gesehen „die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen“; siehe oben Erstes Kapitel, A. I. 2.

A. Die Gefahren einer medienöffentlichen Strafrechtspflege

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Medienberichterstattung verwehren kann, so drohen zumindest im Rahmen der Strafzumessung Einflüsse der öffentlichen Meinung auf das konkrete Strafmaß.

II. Folgen medienöffentlicher Strafverfolgung für den Betroffenen Von einer freigiebigen Informationspolitik und umfassenden Presseberichterstattung ist insbesondere derjenige betroffen, gegen den sich das strafrechtliche Verfahren richtet. Jedes Strafverfahren bedeutet für den Beschuldigten einen intensiven Einschnitt in das persönliche Leben, bedingt durch ein im Zweifel langes Verfahren mit oft ungewissem prozessualen Ausgang sowie den nicht absehbaren Konsequenzen für den weiteren Lebensweg.39 Die mit einem solchen Verfahren verbundene psychische Belastung prägt nicht nur bis dahin strafrechtlich „unerfahrene“ Beschuldigte. Neben der Sorge um die ihn möglicherweise erwartende Strafe ist es insbesondere die mit dem Verfahren einhergehende Gefährdung der sozialen, beruflichen und wirtschaftlichen Existenz des Betroffenen, die das Strafverfahren für den Beschuldigten zu einer besonderen Belastung werden lässt.40 Bedeutung erlangen die befürchteten Auswirkungen auf das soziale Leben in dem Moment, in welchem das soziale Umfeld von dem gegen ihn erhobenen Tatverdacht sowie dem eingeleiteten Verfahren Kenntnis erlangt41 und der Betroffene die diesbezüglichen Informationen nicht mehr selbst verwalten kann. Bereits die öffentliche Kategorisierung des Betroffenen als strafrechtlich Beschuldigten führt zu dessen gesellschaftlicher „Diskreditierung“, denn nur allzu oft wird das Ermittlungsverfahren und die damit verbundene staatliche Machtausübung in der öffentlichen Meinung gleichgesetzt mit einem notwendigen und gerechtfertigten Einschreiten aufgrund eines Verstoßes des Betroffenen gegen die Rechtsordnung.42 Auch der BGH sieht die Gefahr, dass juristisch nicht vorgebildete Laien allzu leicht geneigt zu sein scheinen, die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens beinahe mit dem Nachweis der zur Last gelegten Tat gleichzusetzen, gleichwohl das strafrechtliche Vorverfahren schon aufgrund eines bloßen Verdachts eröffnet wird.43 Diese Gefahr der gesellschaftlichen Vorverurteilung wird häufig begünstigt durch eine dürftige Differenzierung in den Medienberichten zwischen Tatverdacht und Tatnachweis.44 Damit gefährdet bereits das Be39

Neuling, S. 141; Schlüter, S. 23 f.; Schulz, S. 5. Dalbkermeyer, S. 12; Schäfer, FS-Tröndle 1989, 395 (403); Schulz, S. 5; vgl. ausführlich zu den beeinträchtigenden Wirkungen medienöffentlicher Strafrechtspflege Engau, S. 198 ff. 41 Schulz, S. 5. 42 Neuling, S. 141 f. 43 BGH NJW 1959, 35 f.; BGH NJW 1994, 1950 (1952) m. w. N.; OLG Braunschweig NJW 1975, 651 f.; OLG Düsseldorf OLGZ 1990, 202 (204); OLG Frankfurt a. M. NJW-RR 1990, 989 f. 44 Schlüter, S. 24 f.; Schulz, S. 6. 40

152 3. Kap.: Medienöffentliche Ermittlungsverfahren zwischen Wirklichkeit u. Recht

kanntwerden des gegen den Beschuldigten eingeleiteten Ermittlungsverfahrens die individuelle gesellschaftliche Position des Betroffenen und ist geeignet, diesen nachhaltig zu schädigen.45 Gerade auch im Fall gesellschaftlich besonders geächteter Tatvorwürfe ist mit einer erheblich verstärkten Prangerwirkung zu rechnen und der Beschuldigte muss unabhängig vom Ausgang des Verfahrens künftig mit diesem Makel leben.46 Die Folgen einer derartigen öffentlichen Stigmatisierung für das Leben des Betroffenen können weit schwerer wiegen, als die strafrechtliche Sanktion selbst, wenn eine solche überhaupt verhängt wird.47 Die Gesellschaft bewertet die von einem Ermittlungs- oder Strafverfahrens betroffene Personen überwiegend negativer als vorher und ist geneigt, diese künftig zu meiden.48 Als Konsequenzen eines öffentlich bekannt gewordenen Strafverfahrens sind damit bereits für zuvor nicht in der Öffentlichkeit stehende Personen die Störung bis hin zum Verlust des direkten (Partnerschaft, Ehe, Verhältnis zu Familienangehörigen) und weiteren (Freunde, Bekannte) sozialen Umfelds zu befürchten. In beruflicher Hinsicht droht dem angestellten Beschuldigten gegebenenfalls der Verlust des Arbeitsplatzes sowie die Abweisung bei künftigen Bewerbungen. Auch die berufliche Existenz des Selbständigen wird gefährdet, wenn sich Geschäftspartner aufgrund des bekannt gewordenen Verfahrens abwenden.49 Wird der Beschuldigte daher bereits im frühen Stadium des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens der Öffentlichkeit als Tatverdächtiger präsentiert, kann dies eine nachhaltige Stigmatisierung und so eine gesellschaftliche Sanktion nach sich ziehen, die nicht auf einem strafprozessual herbeigeführten Urteil, sondern allein auf dem Vorwurf eines vermuteten strafbaren Verhaltens basiert. Verdachtsberichterstattung wird damit zur „neuartigen Form der mittelalterlichen Institution des Prangers“.50 Verschärft wird diese Wirkung durch die Breitenwirkung moderner massenmedialer Kommunikation und Informationsvermittlung. Neben den gesellschaftlichen Folgen für den Beschuldigten erscheint eine öffentliche Vorverurteilung im Ermittlungsverfahren vor dem Hintergrund der heute überwiegend anerkannten „(strafverfahrens)prägenden Kraft“ des Vorverfahrens 45 BVerfGE 35, 202 (230); OLG Braunschweig NJW 1975, 651 (652 f.); Dalbkermeyer, S. 12; Lehr, NStZ 2009, 409 (411); Neuling, S. 141; Richter, StV 1985, 382 (383); Roxin, FSEinheit und Vielfalt 1996, 97 (99); Schlüter, S. 23 f.; Schulz, S. 5 f.; Treffer, ZUM 1989, 433 (437). 46 BVerfG NJW 2009, 350 (352); OLG Braunschweig NJW 1975, 651 (652 f.); OLG Frankfurt a. M., ZUM 1992, 361 (365); OLG Dresden NJW 2004, 1181 (1182); Loock, NJ 2005, 157 (158); Schlüter, S. 24; Wehnert, StV 2005, 178. 47 Neuling, S. 142; Schulz, S. 5. 48 Schlüter, S. 25. 49 Neuling, S. 143; Richter, StV 1985, 382 (383). 50 Treffer, ZUM 1989, 433 (436); diese Beurteilung erfolgte im Übrigen noch weit vor den Verbreitungsmöglichkeiten, die das massenmediale Zeitalter des Internets mit sich brachte. Lindner, StV 2008, 210, sieht mit ähnlich scharfer Wortwahl für den Beschuldigten die Gefahr, medial „hingerichtet“ zu werden.

A. Die Gefahren einer medienöffentlichen Strafrechtspflege

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bedenklich, da hier entscheidend und lenkend Einfluss auf den gesamten Strafprozess genommen werden kann.51 Bringen Staatsanwaltschaft und Presse demnach Informationen über ein Ermittlungsverfahren an die Öffentlichkeit, wird ein Prozess gesellschaftlicher Stigmatisierung in Gang gesetzt, welcher bereits im Stadium des Vorverfahrens die Grundlagen einer (öffentlichen) Vorverurteilung52 des Beschuldigten legen kann, die das gesamte Verfahren begleiten, beeinflussen und schließlich unabhängig vom tatsächlichen Verfahrensausgang überdauern kann. Ein einmal im Bewusstsein der Öffentlichkeit verankerter Verdacht bleibt oft selbst dann bestehen, wenn das Verfahren später zu einem Freispruch geführt hat.53 Eine derartige mediale und gesellschaftliche Vorverurteilung steht einem strafprozessualen Urteil zwar nicht gleich, trifft den Beschuldigten jedoch in ähnlicher und teilweise vielleicht auch schwerwiegenderer Weise.54 Damit erhalten die berichterstattenden Medien eine ähnliche Macht über den Beschuldigten, wie sie der Staat aufgrund seines Strafmonopols inne hat.55 Hinzu kommt, dass über einen ausgeräumten Tatverdacht oder eine Verfahrenseinstellung weitaus weniger auffällig (oder gar nicht) berichtet wird, als über das Bestehen des Verdachts. Doch selbst wenn über einen späteren Freispruch oder eine Verfahrenseinstellung berichtet wird, sind diese Berichte in aller Regel nicht geeignet, die mit der Veröffentlichung der Verdächtigung einhergehenden sozialen, beruflichen sowie wirtschaftlichen Folgen für den Betroffenen zu beseitigen.56 Durch das von der Gesellschaft gefällte Urteil ohne fairen und rechtsstaatlichen Prozess verliert der Richter zudem einen Teil seiner Entscheidungsgewalt an die Öffentlichkeit, in der selbst ein vor dem Gesetz Unschuldiger schuldig bleiben kann.57 Das infolge eines medienöffentlichen Ermittlungs- und Strafverfahrens entstehende erhebliche Spannungsverhältnis zwischen den schützenswerten Persönlichkeits- sowie Verfahrensrechten des Beschuldigten und den Informationsinteressen der Öffentlichkeit ist damit offenkundig. Die dargestellten Wirkungsweisen gewinnen insbesondere in öffentlichkeitswirksamen Verfahren an Bedeutung. Da das öffentliche Interesse an einem Strafverfahren und damit auch dessen Medienwirksamkeit maßgeblich vor allem durch die Person des Beschuldigten bestimmt wird, sind die dargestellten entsozialisierenden Effekte eines Strafverfahrens insbesondere bei Verfahren gegen Personen des öffentlichen Lebens zu befürchten.58 51

Neuling, S. 143 m. w. N. Vgl. zum Begriff der „Vorverurteilung“ eingehend Hassemer, NJW 1985, 1921 ff. 53 OLG Stuttgart NJW 1959, 643; Degenhart, DVBl. 1990, 910 (917); Stapper, S. 19. 54 Kühl, FS-Hubmann 1985, 241 (244); Schlüter, S. 26. 55 Schlüter, S. 26. 56 Loock, NJ 2005, 157 (158); Schlüter, S. 24; Treffer, ZUM 1989, 433 (437); Wehnert, StV 2005, 178. 57 Meyer, S. 337. 58 Vgl. auch zur „besonderen Strafsensibilität“ von Prominenten Meinecke, S. 279. Zu der besonderen Gefährdungslage im Fall des Beschuldigten als Person des öffentlichen Lebens siehe auch unten Sechstes Kapitel, A. II. 1. 52

154 3. Kap.: Medienöffentliche Ermittlungsverfahren zwischen Wirklichkeit u. Recht

Erschwerend kommt hier hinzu, dass die berufliche Existenz der Person des öffentlichen Lebens in vielen Fällen erheblich von ihrer Darstellung und Wahrnehmung in der Öffentlichkeit abhängt. Wird beispielsweise ein Politiker seitens der Staatsanwaltschaft öffentlich einer Straftat beschuldigt, so verliert er bereits durch diese Verdächtigung das für ihn existenzielle Vertrauen der Bevölkerung, was in vergangenen prominenten Fällen meist bereits vor Anklageerhebung zum Rücktritt von jeglichen politischen Ämtern und infolge des immensen Vertrauensverlusts oftmals auch zum (vorläufigen) Ende der politischen und damit beruflichen Existenz geführt hat.59 Doch auch Persönlichkeiten aus Musik, Kultur und Film sind in ihrem beruflichen Erfolg neben ihrer Leistung zugleich von ihrem gesellschaftlichen Auftritt und der Wahrnehmung ihrer Person in der Öffentlichkeit, ihrem Image abhängig. Auch für diese Personen kann ein bekannt gewordenen Tatverdacht insbesondere bei schweren Tatvorwürfen das Ende der bisherigen beruflichen Existenz in der Öffentlichkeit bedeuten.60 Ist die Person des Beschuldigten öffentlich bekannt, wird sie zudem einer strengeren moralischen Bewertung seitens der Gesellschaft unterzogen, was zu medialen Begleitdiskussionen über das Verfahren führen kann. Eine derart von strafprozessualen Standards losgelöste intensive Presseberichterstattung lässt den tatsächlichen Verfahrensausgang nahezu irrelevant werden, da in den Köpfen der Gesellschaft die Verknüpfung der Person bzw. ihres Namens mit einem strafrechtlichen Vorfall fortbesteht. Damit wiegt das gesellschaftliche (Vor-)Urteil in stigmatisierender Hinsicht weit schwerer, als ein eventueller Freispruch den Beschuldigten von seinem Stigma befreien kann. Unterstützt wird diese Wahrnehmung des Verfahrens in der Bevölkerung durch eine mediale Berichterstattung, die juristisch nicht existente Freisprüche „zweiter Klasse“ kreiert, welche selbst dem rechtskräftig Freigesprochenen eine Bereinigung vom Makel des Straftäters in der öffentlichen Meinung versagen.61 In der heutigen massenmedialen Gesellschaft gilt daher gerade für Personen des öffentlichen Lebens auch im Falle eines Freispruchs zumeist der Grundsatz „semper aliquid haeret“ (lat.: es bleibt immer etwas hängen).62 Neben den Berichten über das Verfahren an sich sowie über verfahrensbezogene Hintergründe wird der vermeintliche Täter gerade als Person des öffentlichen Lebens durch Erwähnung und Verbreitung privater Details in der Verhandlung sowie der 59

Der Verlust bzw. die erzwungene Aufgabe der politischen Ämter bereits aufgrund des Bekanntwerdens staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen war beispielsweise bei Sebastian Edathy, Erstes Kapitel, A. V., sowie Christian Wulff, Erstes Kapitel, A. IV., zu sehen. Zur Instrumentalisierung des Straftatverdachts im politischen Stimmenkampf siehe auch Böttcher, GS-Schlüchter 2002, 435, der feststellt, „Der Politiker hört noch nach Jahren: Da war doch was, geklärt wurde das nie.“; zitiert auch bei Neuling, S. 142. 60 Siehe hierzu beispielhaft die Verfahren gegen Andreas Türk, Erstes Kapitel, A. I., und Jörg Kachelmann, Erstes Kapitel, A. III. 61 So geschehen beispielsweise nach dem Freispruch Jörg Kachelmanns; siehe hierzu bereits oben Erstes Kapitel, A. III. 62 Kissel/Meyer, § 169 Rn. 14.

A. Die Gefahren einer medienöffentlichen Strafrechtspflege

155

begleitenden Presseberichterstattung bloßgestellt, welche immer wieder Einzelheiten aus der Privatsphäre des Betroffenen offenbart, die grundsätzlich dem Schutz des Persönlichkeitsrechts aus Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 2 Abs. 1 GG unterliegen.63 Die dargestellten weitreichenden und existenzbedrohenden Konsequenzen eines medienwirksamen Strafverfahrens vermögen den Beschuldigten zum Schutz seiner Familie und seiner selbst dazu verleiten, prozessuale Rechte ungenutzt zu lassen und eher eine Verfahrenseinstellung oder einen Strafbefehl zu akzeptieren, als ein öffentliches Strafverfahren über sich ergehen zu lassen.64 Die öffentliche Rolle des Beschuldigten kann ihn unter dem Druck massenmedialer Berichterstattung somit zu einem defensiven und resignierten Prozessverhalten bewegen, welches ihn schließlich faktisch in seinen rechtstaatlichen Möglichkeiten beschränkt.

III. Zusammenfassung Einflüsse medialer Berichterstattung auf das Strafverfahren und seine Beteiligten sind weitestgehend unbestritten, wobei sich diese Annahmen mangels wissenschaftlich gesicherter Erkenntnisse vorwiegend aus Spekulationen und Kenntnissen medialer Wirkungsweisen auf die menschliche Psyche speisen. Basierend auf der von Kepplinger und Zerback durchgeführten Studie sind jedoch gewisse reziproke Effekte anzuerkennen. Verfahrensbeteiligte sind im Hinblick auf die „eigenen“ Verfahren einer erhöhten Mediendosis ausgesetzt, die bei professionellen Beteiligten sich vorwiegend im Rahmen von Ermessensentscheidungen auswirken kann, bei beteiligten Laien (Geschädigte, Beschuldigte oder Zeugen) jedoch Einflüsse auf das gesamte Prozessverhalten befürchten lässt. Hiermit sind neben den unmittelbaren Auswirkungen einer medienöffentlichen Strafrechtspflege auch mittelbare Auswirkungen für den Betroffenen zu befürchten. Richtet sich das Verfahren gegen eine Person des öffentlichen Lebens, sind durch das verstärkte mediale Interesse und die daraus folgende Berichterstattung diese Effekte in besonderem Maße zu befürchten. Hinzu kommt die Gefahr eines gesteigerten Verfolgungseifers und öffentlichen Erwartungsdrucks seitens der Staatsanwaltschaft, welche gerade im frühen Stadium den Informationsfluss und damit auch die Intensität der Verdachtsberichterstattung lenken kann. Schließlich kann sich die öffentliche Stellung des Betroffenen auch auf Opportunitätsentscheidungen der Strafverfolgungsbehörden oder auf Ermessensentscheidungen des Gerichts auswirken. 63 Dalbkermeyer, S. 11 f.; Evers, AfP 1974, 548 (549 f.). Zum Schutzumfang des allgemeinen Persönlichkeitsrechts siehe unten Drittes Kapitel, B. I. 64 Gross, FS-Hanack 1999, 39 (40), unter Verweis auf Dahs, Handbuch, Rn. 190; Weiler, ZRP 1995, 130 (132 f.). Vgl. bspw. auch Holzinger/Wolff, S. 188 ff., der das Hinwirken auf eine Verfahrenseinstellung als Maßnahme der Litigation-PR darstellt, um den Beschuldigten vor den Auswirkungen eines medienwirksamen Verfahrens zu schützen. Zur Litigation-PR siehe auch unten Viertes Kapitel, C.

156 3. Kap.: Medienöffentliche Ermittlungsverfahren zwischen Wirklichkeit u. Recht

Für den Betroffenen ist jedes Strafverfahren mit einer gravierenden psychischen Belastung verbunden. Hinzu kommt, dass mit einer Veröffentlichung des Verdachts erhebliche Gefahren für die soziale, berufliche und wirtschaftliche Existenz des Betroffenen drohen und dieser nachhaltige Schäden zu befürchten hat. Aufgrund der ungenügenden Differenzierung zwischen Tatverdacht und Tatnachweis in den Medien und der Wahrnehmung der Gesellschaft, kann bereits das Bekanntwerden der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens für den Betroffenen den Verlust des direkten und weiteren sozialen Umfelds und der beruflichen Stellung sowie Perspektive bedeuten. Dem Beschuldigten droht somit bereits im Vorverfahren eine nachhaltige Stigmatisierung, welche allein auf einem strafrechtlichen Verdacht beruht. Eine öffentliche Vorverurteilung im frühen Stadium kann sich zugleich auf das gesamte Verfahren auswirken und dieses auch überdauern. Damit tragen Staatsanwaltschaft und Medien eine erhebliche Verantwortung für das Maß der mit dem Strafverfahren verbundenen Entsozialisierung des Beschuldigten, da die Folgen einer medienwirksamen Verdächtigung oft unumkehrbar sind. Aufgrund des großen medialen Interesses an Verfahren gegen Personen des öffentlichen Lebens sind diese entsozialisierenden Effekte hier besonders ausgeprägt. Insbesondere ist die berufliche Existenz vor allem bei politischen Amtsträgern, aber auch sonstigen in der Öffentlichkeit stehenden Persönlichkeiten, stets auch von deren Stellung und Ansehen in der Gesellschaft abhängig, welche den Personen des öffentlichen Lebens zuweilen mit besonders strengen moralischen Maßstäben begegnet. Gerade der bekannte Beschuldigte bleibt daher im gesellschaftlichen Gedächtnis immer mit dem einem einmal geführten Ermittlungs- oder Strafverfahren verbunden. Offenkundig werden damit die im Hinblick auf eine vermehrte Medienöffentlichkeit des Strafverfahrens wachsenden Schutzbedürfnisse der richterlichen Unabhängigkeit sowie – vorliegend als Schwerpunkt zu betrachten – der Prozess- und Persönlichkeitsrechte des Betroffenen. Daher sollen im Folgenden die durch die Publizität des Ermittlungs- und Strafverfahrens betroffenen rechtlichen Interessen des Beschuldigten und ihre Schutzfunktionen herausgearbeitet werden.

B. Von Verfahrenspublizität betroffene Interessen Die vorangegangenen Ausführungen haben gezeigt, dass die Medienöffentlichkeit erheblichen Einfluss auf das gesamte Ermittlungs- und Strafverfahren sowie seine Beteiligten haben kann. Hierbei ist der Beschuldigte als Person des öffentlichen Lebens nicht nur aufgrund des gesteigerten öffentlichen Interesses an dem Verfahren an sich, sondern gerade aufgrund seiner gesellschaftlichen Stellung besonderen Beeinträchtigungen ausgesetzt.

B. Von Verfahrenspublizität betroffene Interessen

157

Vor allem im grundsätzlich nichtöffentlichen Ermittlungsverfahren entsteht die gefährdende Publizität durch staatsanwaltschaftliche Öffentlichkeitsarbeit65 und mediale Kriminalberichterstattung.66 Für das einzelne Verfahren und seine Beteiligten kaum relevant, ist jegliche ermittlungsbehördliche Pressearbeit allgemein informierenden Charakters, welche lediglich abstrakte Fakten über die generelle Tätigkeit der Staatsanwaltschaft vermittelt und in einem hohen Grad anonymisierte Informationen über vergangene oder laufende Ermittlungsverfahren preisgibt.67 Ein individualrechtlicher Eingriffscharakter kommt hingegen solcher Informationstätigkeit und Berichterstattung zu, die durch Namensnennung, Bildnisveröffentlichung oder Kombination an sich anonymer Einzelinformationen die Identität von Verfahrensbeteiligten, insbesondere über den Beschuldigten offenbart und diesen so gegen dessen Willen in die Öffentlichkeit stellt. Vor der Frage nach den rechtlichen Rahmenbedingungen und vor allem den Grenzen derartiger Informationstätigkeit muss damit der erste Blick den persönlichen und sozialen Schutzbelangen des Beschuldigten aber auch des Strafverfahrens gelten, die durch eine entanonymisierende Öffentlichkeitsarbeit der Ermittlungsbehörden und die mediale Verdachtsberichterstattung tangiert werden. Auch wenn die Geheimhaltungsinteressen des Beschuldigten vielschichtig sind, handelt sich hierbei überwiegend um verfassungsrechtlich verankerte Rechtsgüter und Interessen,68 an denen sich jede staatliche Informationstätigkeit aber auch mediale Berichterstattung unabhängig von ihrer Rechtsgrundlage messen lassen muss. Denn selbst wenn sich die verfassungsrechtlichen Restriktionen auf die informatorische Tätigkeit von Strafverfolgungsbehörden und Medien möglicherweise unterschiedlich auswirkt, so sind sie doch im Hinblick auf die Öffentlichkeit im Ermittlungsverfahren den gleichen Rechtsgütern und Interessen verpflichtet.69 Dies sind insbesondere die Persönlichkeitsrechte der Verfahrensbeteiligten sowie die Interessen einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege und damit weitestgehend deckungsgleich mit den der nichtöffentlichen Ausgestaltung des strafrechtlichen Vorverfahrens zugrundeliegenden Sachinteressen.70 Im Folgenden sollen zunächst im Hinblick auf die durch eine Verdachtsveröffentlichung tangierten Rechte des Beschuldigten, die aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht entwickelten speziellen Schutzgüter, betrachtet werden (hierzu unter I.) und anschließend die sowohl dem Schutz des Betroffenen dienenden als auch die Öffentlichkeitsarbeit von Strafverfolgungsbehörden sowie Medien be65

Hierzu siehe ausführlich insbesondere unten Fünftes Kapitel. Eingehend zur medialen Verdachtsberichterstattung und ihre Funktion im Strafprozess, siehe unten Viertes Kapitel, A. 67 So zum Beispiel durch die Veröffentlichung von Kriminalstatistiken oder anonyme Berichterstattung über Straftaten und Verfahren. 68 Fischer, S. 164. 69 Zu mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte siehe unten Drittes Kapitel, B. I. 1., sowie unten Viertes Kapitel, B. I. 4. 70 Hierzu vgl. bereits oben Zweites Kapitel, B. II.; AE-StUM/Weigend, S. 36 ff. 66

158 3. Kap.: Medienöffentliche Ermittlungsverfahren zwischen Wirklichkeit u. Recht

grenzenden Grundsätze eines rechtsstaatlichen Verfahrens dargestellt werden (hierzu unten II.).

I. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht 1. Einleitung Jede identifizierende Form staatlicher Öffentlichkeitsarbeit und medialer Berichterstattung über Ermittlungs- und Strafverfahren beschränkt den Beschuldigten in seiner Selbstbestimmung im Hinblick auf die Darstellung seiner Person in der Öffentlichkeit und den Umgang mit den Informationen über seine Person und das ihn betreffende Strafverfahren. Die Selbstbestimmung des Einzelnen im Hinblick auf die Eigenverantwortlichkeit in Lebensentscheidungen aber insbesondere auch den Kern individueller Selbstdarstellung nach Außen ist Teil der durch Art. 1 Abs.1 GG geschützten Menschenwürde.71 In dieser zentralen Grundnorm erklärt unsere Verfassung die Menschenwürde für unantastbar und stellt damit ein kategorisch wirkendes Verletzungsverbot auf72, welches zugleich tragendes Konstitutionsprinzip des Grundgesetzes ist.73 Auch wenn die Selbstdarstellung des Einzelnen somit dem Grunde nach bereits der in Art. 1 Abs. 1 GG gesondert geschützten Menschenwürde unterfällt, werden insbesondere die Selbstdarstellung nach außen, der Schutz persönlichkeitsbezogener Daten sowie ein räumlich-gegenständlicher Schutz der Persönlichkeitssphäre, mithin ein umfassend persönlichkeitsrechtlicher Schutz heute über das „allgemeine Persönlichkeitsrecht“ gewährleistet, welches das BVerfG ausgehend von wegweisenden Entscheidungen des BGH74 heute aus einer Gesamtschau von Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 2 Abs. 1 GG herleitet.75 Dieses allgemeine Persönlichkeitsrecht wurde durch den BGH erstmals im Jahr 1954 im Wege richterlicher Rechtsfortbildung als „sonstiges Recht“ und damit „absolutes Recht“ im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB anerkannt.76 Mit dieser Einordnung als privat71

Maunz/Dürig/Herdegen, Art. 1 Abs. 1 Rn. 84. Maunz/Dürig/Herdegen, Art. 1 Abs. 1 Rn. 73. 73 BVerfG NJW 1957, 297 – Elfes. 74 BGH NJW 1954, 1404 – Leserbrief; NJW 1957, 1146 – ärztliche Bescheinigung; NJW 1958, 827 – Herrenreiter; NJW 1958, 1344 – heimliche Tonbandaufnahme; NJW 1959, 1269 – Künstlername in Werbeanzeige; NJW 1961, 2059 – Ginsengwurzel; NJW 1963, 902 – Fernsehansagerin; NJW 1965, 685 – Soraya. 75 Maunz/Dürig/Di Fabio, Art. 2 Abs. 1 Rn. 128; Maunz/Dürig/Herdegen, Art. 1 Abs. 1 Rn. 84; zur Entwicklungsgeschichte des allgemeinen Persönlichkeitsrechts vgl. bereits 1895 die frühe Forderung von von Gierke, Band 1, S. 702 f., und Band 3, S. 887, sowie zusammenfassend: Brandner, JZ 1983, 689 ff.; Duttge, Der Staat 1997, 281 (286 f.); Jarass, in: Erichsen/Kollhosser/Welp, S. 89 ff.; ders., NJW 1989, 857 ff.; Seifert, NJW 1999, 1889 ff.; Vogelgesang, S. 39 ff. 76 BGH NJW 1954, 1404 – Leserbrief; das Reichsgericht hatte zuvor einen über das geschriebene Recht hinausgehenden Schutz der Persönlichkeit mangels gesetzlicher Regelungen abgelehnt; vgl. RGZ 79, 397 (398). 72

B. Von Verfahrenspublizität betroffene Interessen

159

rechtliches Vermögensrecht hat es auch erstmals als Grundrecht an Bedeutung gewonnen.77 Auch die verfassungsrechtliche Konzeption des allgemeinen Persönlichkeitsrechts macht deutlich, welchen Stellenwert die Werteordnung des Grundgesetzes der freien Entfaltung des Einzelnen beimisst und dass diese von Seiten des Staates zu schützen und zu achten ist.78 Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt den Geltungs- und Achtungsanspruch des Menschen innerhalb der sozialen Welt, durch die er geprägt wird und die er zugleich dadurch prägt, dass er durch sein Handeln von ihr anerkannt werden will.79 Über die Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG wird zugleich die Integrität der Persönlichkeit selbst, also das Sein einer Person in umfassender Weise geschützt.80 Hier wird die unbestimmte Weite des allgemeinen Persönlichkeitsrechts deutlich, aufgrund derer der Schutzbereich weder abschließend zu regeln noch mittels festgelegter Tatbestandsmerkmale zu begrenzen ist.81 Anderes als bei anderen Grundrechten und Grundfreiheiten ist der sachliche Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nicht durch einen Begriff, sondern vielmehr durch eine Zusammenschau anerkannter Fallgruppen definiert82 und umfasst in Entsprechung seines verfassungsrechtlichen Rangs die Gesamtheit aller die Persönlichkeit ausmachenden Werte, deren Umfang wegen der Individualität und Vielschichtigkeit der menschlichen Persönlichkeit offen ist, mithin sämtliche „Rechte an der eigenen Person“.83 Aus diesem Grund wird das allgemeine Persönlichkeitsrecht auch als „Rahmenrecht“84 oder „Quellrecht“85 verstanden und bietet so die vom BVerfG als besonderen verfassungsrechtlichen Wert geschätzte Möglichkeit eines dynamischen Rechtsschutzes, welcher auf die sich infolge aktueller technischer, wissenschaftlicher, ökonomischer und gesellschaftlicher Entwicklungen entstehenden Gefahren für die

77 Gounalakis, NJW 2012, 1473 (1474), unter Verweis auf div. Rspr., u. a. BGH NJW 1954, 1404 – Leserbrief; NJW 1957, 1276 – Ärztliche Bescheinigung; NJW 1958, 827 – Herrenreiter; NJW 1958, 1344 – Heimliche Tonbandaufnahme; NJW 1959, 1269 – Künstlername in Werbeanzeige; NJW 1965, 685 – Soraya; zum Prozess der Anerkennung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch die Rechtsprechung vgl. auch Dalbkermeyer, S. 13 f.; Neuling, S. 157 f. 78 Fischer, S. 173; Neuling, S. 157. 79 Maunz/Dürig/Di Fabio, Art. 2 Abs. 1 Rn. 127. 80 Sachs/Murswiek/Rixen, Art. 2 Rn. 59, unter Verweis auf Dürig, JR 1952, 259 (261). 81 Fischer, S. 173. 82 In der Rechtsprechung besteht derzeit kein Bestreben nach einer abschließenden Umschreibung oder gar Definition des Schutzbereichs des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, was sich darin zeigt, dass das Bundesverfassungsrecht gerade die Entwicklungsoffenheit des allgemeinen Persönlichkeitsrechts im Sinne eines effektiven und dynamischen Grundrechtsschutzes als besonderen Wert hervorhebt; vgl. BVerfG NJW 1980, 2070 f.; NJW 1984, 419 (421). 83 Dalbkermeyer, S. 14 m. w. N.; Gounalakis, NJW 2012, 1473 (1474) m. w. N. 84 BGH NJW 1954, 1404 – Leserbrief. 85 BGH NJW 1957, 1146 (1147).

160 3. Kap.: Medienöffentliche Ermittlungsverfahren zwischen Wirklichkeit u. Recht

Persönlichkeitsrechte des Einzelnen flexibel reagieren kann.86 Götting nennt das allgemeine Persönlichkeitsrecht daher zu Recht einen „entwicklungsoffenen Rahmentatbestand“.87 Um einen derart flexiblen Rechtsschutz gewährleisten zu können, verbleiben die Aussagen der Rechtsprechung zum Inhalt des allgemeinen Persönlichkeitsrechts im Vagen und beschreiben seinen Zweck im Schutz des Einzelnen vor der Gefährdung seiner immateriellen Integrität und Selbstbestimmung.88 So sei es die verfassungsrechtliche Bestimmung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, dass es dem Einzelnen einen „autonomen Bereich der eigenen Lebensgestaltung zugesteht, in der er seine Individualität unter Ausschluss anderer entwickeln und wahrnehmen“ kann.89 Insoweit ist das allgemeine Persönlichkeitsrecht auch ein „Auffanggrundrecht“, dass all den Elementen der Persönlichkeit Schutz bietet, die nicht bereits unter dem Schutz eines Spezialgrundrechts stehen.90 Dem Schutzbereich der allgemeinen Persönlichkeitsrecht unterfallen somit unter anderem das Recht auf Privatheit, das Recht am eigenen Namen, am eigenen Bild und Wort sowie die Kenntnis der eigenen Abstammung.91 Die in ihrer Anzahl offenen92 Schutzfunktionen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts werden überwiegend in zwei Rechtskreise gegliedert:93 Danach entspringt der Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 GG eine statische Komponente, die die engere persönliche Lebenssphäre in Form der Privat- und Intimsphäre schützt94 und damit das Recht, auch in einer sozialen Gemeinschaft einen Raum ungestörter Intimität und Privatheit erhalten zu können.95 Als eher dynamische und damit der 86 BVerfG NJW 1980, 2070 f.; NJW 1984, 419 (421); von Becker, S. 88; Dalbkermeyer, S. 14; Maunz/Dürig/Di Fabio, Art. 2 Abs. 1 Rn. 127; Fischer, S. 173 f.; Götting/Schertz/Seitz, § 1 Rn. 3; Gounalakis, NJW 2012, 1473 (1474); Neuling, S. 158; Sachs/Murswiek/Rixen, Art. 2 Rn. 66. 87 Götting/Schertz/Seitz, § 1 Rn. 3. 88 Götting/Schertz/Seitz, § 1 Rn. 3. 89 BGH NJW 1996, 1128 (1129); MüKo-BGB/Rixecker, Anhang zu § 12 AllgPersönlR Rn. 2. 90 Sachs/Murswiek/Rixen, Art. 2 Rn. 66. 91 Maunz/Dürig/Di Fabio, Art. 2 Abs. 1 Rn. 127; aus der angedeuteten Fülle der dem „Quellrecht“ des allgemeinen Persönlichkeitsrechts entspringenden Schutzbereiche wurden einzelne Rechte spezialgesetzlich geregelt, so z. B. das Urheberrecht im Urheberrechtsgesetz, das Recht am eigenen Namen in § 12 BGB sowie das Recht am eigenen Bild in §§ 22 ff. KUG oder der Ehrschutz in §§ 185 ff. StGB; vgl. von Becker, S. 88; Dalbkermeyer, S. 14 f.; Fischer, S. 174; Lampe, NJW 1973, 217; bzgl. der Persönlichkeitsrechte des Straftäters finden sich spezielle Vorschriften in der StPO und dem GVG, welche sich meist an Organe der Rechtspflege und Presse richten, z. B. § 169 S. 1 GVG; hierzu Lampe, NJW 1973, 217. 92 Gierke, Privatrecht, I. Bd., S. 702; Hubmann, JZ 1957, 521 (524); Neumann-Duesberg, NJW 1957, 1341, 1342. 93 Vgl. zu dieser Einteilung Dalbkermeyer, S. 15 m. w. N. 94 Götting/Schertz/Sietz, § 1 Rn. 3; Maunz/Dürig/Di Fabio, Art. 2 Abs. 1 Rn. 148; Sachs/ Murswiek/Rixen, Art. 2 Rn. 69; zu den verschiedenen Sphären der Persönlichkeitsentfaltung nach der Rspr. siehe unten Viertes Kapitel, B. 95 BGH NJW 1989, 902 (903); von Becker, S. 88.

B. Von Verfahrenspublizität betroffene Interessen

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Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG entspringende Komponente wird daneben die Selbstbestimmung im Hinblick auf die Selbstdarstellung und Teilnahme in der Öffentlichkeit als sozialer Gemeinschaft geschützt.96 Diese beiden Rechtskreise erfassen wiederum eine Vielzahl einzelner Unterfälle der aus Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 GG folgenden Persönlichkeitsschutzgarantien. Im Hinblick auf die hier zu untersuchende Öffentlichkeitsarbeit im Rahmen des Ermittlungs- und Strafverfahrens ist darauf hinzuweisen, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht zwar zunächst lediglich der Abwehr von Verletzungen der Persönlichkeit durch Staatsorgane dient, aber darüber hinaus auch der Schutz der Integrität einer Person vor Beeinträchtigungen durch Private staatlich zu gewährleisten ist.97 Somit entfaltet das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG eine sogenannte „mittelbare Drittwirkung“, welche in der Folge auch die berichterstattenden Medien bindet und die Grenzen medialer Verdachtsberichterstattung bestimmt.98 Zur verfassungsrechtlichen Beurteilung ermittlungsbehördlicher Öffentlichkeitsarbeit und medialer Verdachtsberichterstattung muss das allgemeine Persönlichkeitsrecht für diese Fälle aufgearbeitet werden. Wird durch die Pressearbeit der Staatsanwaltschaft und die sich anschließende mediale Berichterstattung die Identität des Beschuldigten und der gegen ihn bestehende Tatverdacht offengelegt, sind hierdurch lediglich Teilbereiche des allgemeinen Persönlichkeitsrechts betroffen: veröffentlichen Staatsanwaltschaft oder Presse beispielsweise ein Bildnis des Verdächtigen oder anderer Verfahrensbeteiligter, greifen sie hierdurch in das durch §§ 22 ff. KUG geschützte Recht am eigenen Bild ein.99 Insbesondere im Hinblick auf die Öffentlichkeitsarbeit der Ermittlungsbehörden ist jedoch auch die ohne Abbildung erfolgende Namensnennung beziehungsweise die Veröffentlichung zur Iden96

BGH NJW 1958, 827 (829); von Becker, S. 89; Götting/Schertz, § 1 Rn. 3; Maunz/Dürig/ Di Fabio, Art. 2 Abs. 1 Rn. 148. 97 Sachs/Murswiek/Rixen, Art. 2 Rn. 59. 98 Sachs/Murswiek/Rixen, Art. 2 Rn. 59. Unmittelbare Bindung entfalten Grundrechte lediglich für die Staatsorgane. Daneben kommt Grundrechten jedoch eine sog. „mittelbare Drittwirkung“ zu, sie haben also eine Ausstrahlungswirkung auch in das Privatrecht, die laut Rspr. darauf beruht, dass Grundrechte neben ihrer staatsverpflichtenden Komponente zugleich Elemente objektiver Ordnung festsetzen, die als eine verfassungsrechtliche Grundentscheidung in allen Bereichen des Rechts Geltung beansprucht und damit auch das Privatrecht beeinflusst; vgl. BeckOK-GG/Kischel, Art. 3 Rn. 93. Die mittelbare Drittwirkung bedeutet somit eine Ausstrahlungswirkung des Rechtsgehalte der Grundrechte über das Medium der in dem einzelnen Rechtsgebiet unmittelbar herrschenden privatrechtlichen Vorschriften, dies insb. über Generalklauseln oder sonstige auslegungsbedürftiger Rechtsbegriffe; vgl. BVerfG NJW 1987, 827 (827). Für das Zivilrecht strahlt das allgemeine Persönlichkeitsrecht dergestalt aus, dass es bspw. von der Rspr. als absolutes Recht im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB anerkannt wird; vgl. BGH NJW 1954, 1404 f.; NJW 1956, 1554; NJW 1957, 1108; NJW 1958, 1344; zu dem Grundrechtsverhältnis zwischen den Medien und dem Beschuldigten siehe auch unten Viertes Kapitel, B. I. 4. 99 LG Frankfurt NStZ 1982, 35 (36); Bornkamm, NStZ 1983, 102 (103).

162 3. Kap.: Medienöffentliche Ermittlungsverfahren zwischen Wirklichkeit u. Recht

tifikation des Betroffenen geeigneter Informationen von praktischer Relevanz.100 Bezogen auf die Beeinträchtigung des Beschuldigten durch derartige identifizierende Veröffentlichung des gegen ihn bestehenden strafrechtlichen Verdachts betrifft dies insbesondere zwei Teilbereiche des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, die als „Recht auf (Bild-und Namens-)Anonymität“ sowie das „Recht auf Resozialisierung bzw. Nicht-Entsozialisierung“ bezeichnet werden101 und auf die sich die Betrachtungen im Folgenden daher beschränken soll. 2. Das Recht auf (Bild- und Namens-)Anonymität Betrachtet man den fortschreitenden Prozess massenmedialer Publizität im Strafverfahren durch die Verdachtsberichterstattung102 gewinnt in persönlichkeitsrechtlicher Hinsicht die Freiheit des Einzelnen als „Freiheit von Öffentlichkeit“, also vor ungewollten Veröffentlichungen in den Medien und den daraus folgenden Beeinträchtigungen, an Bedeutung.103 Für den Beschuldigten als mutmaßlichen Straftäter meint dies insbesondere den Schutz vor öffentlicher Erörterung des gegen ihn erhobenen Tatvorwurfs sowie seiner Persönlichkeit in den Massenkommunikationsmitteln (Zeitung, Rundfunkt und Fernsehen, Internet).104 Das Bundesverfassungsgericht entnimmt dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht auch ein Verfügungs- und Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen hinsichtlich der öffentlichen Darstellung seiner Person, mithin ob und wie er sich in der Öffentlichkeit darstellt oder dargestellt wird und inwieweit bestimmte Vorgänge aus seinem Leben veröffentlicht werden dürfen.105 Grundlegend für diesen Aspekt des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum „Soldatenmord von Lebach“, nach der jeder grundsätzlich selbst und allein bestimmen darf, ob und wieweit andere sein Lebensbild im Ganzen oder bestimmte Vorgänge aus seinem Leben öffentlich zur Schau stellen dürfen.106 Die statische 100

Fischer, S. 174. von Becker, S. 89 ff. m. w. N.; Bornkamm, NStZ 1983, S. 102 (103); Dalbkermeyer, S. 15; Neuling, S. 158 f. 102 Vgl. hierzu ausführlich unten Viertes Kapitel. 103 von Becker, S. 91 m. w. N.; Dalbkermeyer, S. 15; Neuling, S. 159. Zu den Beeinträchtigungen durch eine medienöffentliche Strafverfolgung siehe bereits oben Drittes Kapitel, A. 104 So schon vor den massenmedialen Entwicklungen der jüngeren Zeit in Verbindung mit dem Internet Lampe, NJW 1973, 217. 105 BVerfG GRUR 1975, 541 (544) – Lebach; NJW 1980, 2070 (2071); Dalbkermeyer, S. 15 f.; Meier, FS-Schreiber 2003, 311 (334); Löffler/Steffen, § 6 LPG Rn. 193. 106 BVerfG NJW 1973, 1226. Gegenstand dieser Entscheidung war ein „Fernsehspiel“ des ZDF über den sog. „Soldatenmord von Lebach“, bei dem bei einem Überfall auf ein Munitionslager im Jahr 1969 vier schlafende Soldaten getötet wurden. Der Beschwerdeführer wurde wegen Beihilfe zum Mord zu sechs Jahren Haft verurteilt und stand im Zeitpunkt der geplanten Ausstrahlung der Sendung im Jahr 1972 kurz vor der Prüfung der Reststrafaussetzung auf Bewährung. Das Fernsehspiel stellte einleitend zunächst die Tat sowie die Beteiligten mit Bild und Namen dar und rekonstruierte dann anhand von Schauspielern die Tat. Der Beschwerde101

B. Von Verfahrenspublizität betroffene Interessen

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Komponente des verfassungsrechtlichen Persönlichkeitsschutzes umfasst damit auch ein Recht auf Anonymität, mit deren Hilfe dem Einzelnen ein der Öffentlichkeit verschlossener Bereich privater Lebensführung gesichert werden soll.107 Die auf diesem Weg geschützte Privatsphäre ist sowohl räumlich als auch thematisch geprägt, so dass neben dem räumlichen Rückzugsbereich des Einzelnen in thematischer Hinsicht auch diejenigen Angelegenheiten Schutz genießen, die aufgrund ihres Informationsgehalts typischerweise als „privat“ anzusehen sind, da ihre öffentliche Zurschaustellung und Erörterung als unangemessen gilt und ihr Bekanntwerden als beschämend empfunden wird oder nachteilige Reaktionen in der sozialen Umwelt auslöst.108 Vorgänge aus dieser privaten Sphäre dürfen nicht gegen den Willen des Berechtigten an die Öffentlichkeit gebracht werden.109 Im Hinblick auf die vorliegende Untersuchung stellt der Umstand eines laufenden strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens und der diesem zugrundeliegende Verdacht strafbaren Verhaltens eine dem Schutzbereich der Privatsphäre zuzurechnende Information dar, da das Bekanntwerden sozial abweichenden Verhaltens oder auch nur der diesbezügliche Vorwurf als beschämend empfunden wird und negative Reaktionen der Gesellschaft hervorrufen kann.110 Für eine ermittlungsbehördliche oder publizistische Persönlichkeitsrechtsverletzung reicht jedoch nicht bereits die bloße Nachricht über eine Straftat, vielmehr bedarf es stets einer öffentlichen Identifikation des Einzelnen gegen dessen Willen, also einer Veröffentlichung der Identität des Beschuldigten in Zusammenhand mit der Information über die laufenden strafrechtlichen Ermittlungen.111 Bereits diese öffentliche Darstellung in Zusammenhang mit einer Straftat oder einem bloßen Tatverdacht kann zu sensiblen „Sozialstörungen“ führen.112 Dalbkermeyer weist zu Recht darauf hin, dass gerade für den Bereich des strafrechtlichen Ermittlungsverfahren der Schutz der Persönlichkeit mit dem Recht auf Anonymität gleichzusetzen ist und es daher eines umfassenden Schutzes der Persönlichkeit bedarf113. führer begehrte die Untersagung der Ausstrahlung im Wege einer einstweiligen Verfügung. In seiner Entscheidung erließ das BVerfG eine einstweilige Anordnung, in welcher es die Ausstrahlung untersagte und die Verfassungsbeschwerde für begründet erachtete. 107 Fischer, S. 175. 108 BeckOK-IMR/Gersdorf, Art. 2 GG Rn. 5. 109 BVerfGE 34, 341 (343); Dalbkermeyer, S. 16; Gusy, VerwArch 1983, 91 (108). 110 Vgl. zur Einstufung sozial abweichendem Verhalten als „privat“ im Sinne des allgemeinen Persönlichkeitsrechts BVerfG NJW 1977, 1489 (1490), hier bzgl. der Suchtberatung; a. A. Loock, S. 154; Prinz/Peters, S. 83. Zu den negativen Folgen des Bekanntwerdens des Tatverdachts für den Beschuldigten siehe bereits oben Drittes Kapitel, A. II.; zu der besonderen Bedeutung der gesellschaftlichen Wahrnehmung und der Reputation für die Person des öffentlichen Lebens sowie die Auswirkung des Bekanntheitsgrads auf die Schutzwürdigkeit der Privatsphäre siehe unten Sechstes Kapitel. 111 Dalbkermeyer, S. 16 f.; Marxen, GA 1980, 365 (369). 112 BVerfG NJW 1973, 1226 (1231 f.); von Becker, S. 137; Dalbkermeyer, S. 16; Gusy, VerwArch 1983, 91 (99 f.); Neumann-Duesberg, JZ 1973, 261 (262). 113 Dalbkermeyer, S. 17.

164 3. Kap.: Medienöffentliche Ermittlungsverfahren zwischen Wirklichkeit u. Recht

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht gewährt damit dem einzelnen ein „Recht auf ein geheimes oder nicht öffentliches Leben“.114 Das „Recht auf ein nicht öffentliches Leben“ wird zurückgehend auf Neumann-Duesberg als überwiegend als „Recht auf Anonymität“ bezeichnet.115 Die §§ 22 ff. KUG vermitteln zugunsten des Einzelnen ausdrücklich jedoch nur einen Schutz vor unbefugter Bildnisveröffentlichung und treffen keine Regelungen hinsichtlich einer Veröffentlichung des Namens gegen den Willen des Einzelnen. Mangels ausdrücklicher gesetzlicher Regelung wird angesichts des anzuerkennenden umfassenden Schutzbedürfnisses der von NeumannDuesberg als „Recht auf Namensanonymität“116 bezeichnete Schutz der Personenanonymität in analoger Anwendung der §§ 22 ff. KUG gewährleistet.117 Insoweit liegt eine planwidrige Regelungslücke vor, da § 12 BGB aufgrund des unmissverständlichen Wortlauts keine Grundlage eines Rechts auf Wahrung der Namensanonymität sein kann,118 sondern nur Identitätsinteressen119 und damit den Namen in seiner Funktion als Identifikationsinstrument schützt.120 Unbefugter Namensgebrauch meint allein die unbefugte Führung eines fremden Namens und die damit ausgelöste Zuordnungsverwirrung.121 Die zutreffende öffentliche Identifizierung eines Beschuldigten durch Namensnennung stellt somit keinen (entsprechenden) Fall der Beeinträchtigung der Identitätsinteressen des Betroffenen dar.122 Das Fehlen einer gesetzlichen Regelung des Schutzes der Namensanonymität ist auch nicht tragbar, da die Wahrung medialer Anonymität kein auf den Bildnisschutz begrenztes Problem darstellt.123 Eine analoge Anwendung der § 22 ff. KUG im zivilrechtlichen Bereich ist aufgrund der durch Bildnisveröffentlichung und Namensnennung betroffenen ähnliche Interessenlage möglich, da sie vergleichbare Eingriffe in die individuelle Anonymität des Betroffenen bedeuten.124 Auch die Wahrung der Personenanonymität im Strafverfahren betrifft sowohl die Bild- als auch Namensveröffentlichung und in beiden Fällen ist eine Individualisierung des Betroffenen in der

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Arzt, S. 102; siehe dazu auch Schwerdter, JZ 1990, 769 (771). Neumann-Duesberg, JZ 1970, 564. 116 Neumann-Duesberg, JZ 1970, 564 ff. 117 Arzt, S. 119 f.; von Becker, S. 144; Bornkamm, S. 250; ders., NStZ 1983, 102 (103); Dalbkermeyer, S. 17; Fischer, S. 175 f.; Neuling, S. 160; Neumann-Duesberg, JZ 1970, 564 (565 f.); Koebel, JZ 1966, 389 (390); Kotz, NStZ 1982, 14 (16 f.); Lampe, NJW 1973, 217. 118 Bornkamm, S. 250; Dalbkermeyer, S. 17; Fischer, S. 175 f.; Neuling, S. 160; NeumannDuesberg, JZ 1970, 564 (565 f.); a. A. Koch, ZRP 1989, 401 (402), der das Recht auf Namensanonymität auch aus § 12 BGB herleitet. 119 Fischer, S. 176; Neumann-Duesberg, JZ 1970, 564 (565); Staudinger/Fritzsche, § 12 Rn. 15 f. 120 MüKo-BGB/Säcker, § 12 Rn. 97; vgl. abgrenzend dazu BGH GRUR 1959, 430 (434). 121 MüKo-BGB/Säcker, § 12 Rn. 97. 122 von Becker, S. 144; Dalbkermeyer, S. 17; Fischer, S. 176. 123 von Becker, S. 145; Dalberkmeyer, S. 17; Fischer, S. 176. 124 Neuling, S. 160. 115

B. Von Verfahrenspublizität betroffene Interessen

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breiten Öffentlichkeit möglich.125 Sie unterscheiden sich damit kaum im Hinblick auf Eingriffsrichtung und -intensität. Insoweit ist von Becker zuzustimmen, der in der Namensnennung gar einen qualitativ stärkeren Eingriff in die Anonymitätsinteressen des Einzelnen sieht als bei einer reinen Bildnisveröffentlichung.126 Der Name dient nicht nur als Identifikationsmittel, sondern ist zugleich Teil der Persönlichkeit und Individualität.127 Auch wenn im Hinblick auf die hier gegenständliche Person des öffentlichen Lebens ein Intensitätsunterschied zwischen einer bloßen Namens- und einer Bildnisveröffentlichung kaum auszumachen sein wird, weist Fischer zu Recht darauf hin, dass in Zeiten der massenmedialen Nutzung des Internets jedermann in der Lage ist, anhand des bloßen Namens weitere Informationen und auch ein Bild des Beschuldigten zu erlangen – anders hingegen bei der reinen Bildnisveröffentlichung, bezüglich derer die technischen Möglichkeiten als Basis einer Internetrecherche noch begrenzt sind.128 Durch die Offenbarung der Identität eines Beschuldigten greifen sowohl die Strafverfolgungsbehörden als auch die berichterstattenden Medien gravierend in das dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht entspringende Recht auf Anonymität ein, so dass derartige unmittelbare oder mittelbare129 Maßnahmen in zivilrechtlicher Hinsicht an den Regelungen der §§ 22 ff. KUG (analog) gemessen werden müssen.130 3. Das Recht auf Nicht-Entsozialisierung und Resozialisierung Nach einem pädagogisch psychologischen Verständnis meint „Sozialisation“ den Prozess der Eingliederung und Integration des Individuums in die Gemeinschaft durch Anpassung und Angepasstwerden an kulturelle Normen und kommunikative Notwendigkeiten einer Gesellschaft.131 Ausgehend von diesem Verständnis normkonformer Sozialisation durch Anpassung und Eingliederung stellt sich ein Straftäter durch seine Tat außerhalb des normativen und sozialen Normgefüges der Gesellschaft, so dass Resozialisierung als das Bemühen um Wiedereingliederung des

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Fischer, S. 176, unter Verweis auf von Becker, S. 144; Dalbkermeyer, S. 17 f.; Neumann-Duesberg, JZ 1970, 564 (565). 126 von Becker, S. 145. 127 Fischer, S. 177; Neuling, S. 160; Neumann-Duesberg, JZ 1970, 564 (566). 128 Fischer, S. 177; doch auch in Hinsicht der sog. „umgekehrten Bildersuche“ entwickeln sich die technischen Möglichkeiten rasant. 129 Bsp. bei von Becker, S. 150 f. 130 Arzt, S. 119 f.; von Becker, S. 144; Dalbkermeyer, S. 18; Fischer, S. 177; Lampe, NJW 1973, 217; Marxen, GA 1980, 365 (370); Neumann-Duesberg, JZ 1970, 564, 566. Hierzu vertiefend unten Viertes Kapitel, B. III. (mediale Berichterstattung) sowie Fünftes Kapitel, B. und C. (Informationstätigkeit der Staatsanwaltschaften). 131 von Becker, S. 92 m. w. N.

166 3. Kap.: Medienöffentliche Ermittlungsverfahren zwischen Wirklichkeit u. Recht

Täters in die Gesellschaft verstanden werden muss.132 Die in Art. 2 Abs. 1 GG dem Einzelnen garantierte Freiheit autonomer Selbstentfaltung kann demnach lediglich durch heteronom gesteuerte emazipatorische Sozialisationsprozesse realisiert werden,133 denn eine mangelnde Sozialisation und damit fehlende Eingliederung in das soziale Normgefüge der Gesellschaft führt zu einem Leben politischer und gesellschaftlicher Unmündigkeit und folglich fehlender Chancengleichheit.134 Soll verfassungsrechtlich ein umfassender und sozialstaatswürdiger Schutz der Persönlichkeit des Einzelnen gewährleistet werden, muss dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht demnach auch eine staatliche Garantie individueller Sozialisationschancen entnommen werden können, so dass das Recht auf Selbstbestimmung als dynamische Komponente des allgemeinen Persönlichkeitsrecht auch das Recht auf Resozialisierung erfasst,135 welches zudem auch durch das Sozialstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 GG und dem Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG legitimiert ist.136 Von der Rechtsprechung wurde das Recht eines Straftäters auf Resozialisierung als besondere Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts erstmals im Jahr 1973 in der „Lebach-Entscheidung“ des Bundesverfassungsgerichts positiv anerkannt.137 Das Bundesverfassungsgericht stellte fest, dass die Ausstrahlung einer Sendung über den zu einer mehrjährigen und beinahe verbüßten Haftstrafte verurteilten Beschwerdeführer und dessen Tat nicht mit den Bemühungen um dessen Resozialisierung vereinbar sei.138 Das Bundesverfassungsgericht macht in seiner Begründung deutlich, dass eine intensive massenmediale Berichterstattung dem Resozialisierungsgedanken entgegenläuft und diesen gefährdet.139 Zugleich betont der Senat, dass eine erfolgreiche Resozialisierung nicht allein durch den Staat erfolgen kann und muss, sondern auch durch die Gesellschaft selbst, welche mittels medialer Berichterstattung in ihrer „Abwehrhaltung“ weiter bestärkt zu werden droht, womit der Kriminalberichterstattung ein erhebliches Gefährdungspotential innewohnt.140 Eine erfolgreiche Resozialisierung läge schließlich nicht allein im individuellen Interessen des Täters, da die Tatsache, dass Straftäter nicht mehr 132 BVerfG NJW 1973, 1226 (1231); Dalbkermeyer, S. 19; vgl. hierzu auch § 2 S. 1 StVollzG, welcher das Vollzugsziel dahingehend definiert, dass der Täter nach Verbüßen der Strafe fähig sein soll, „in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen“. 133 Reuter, DVBl. 1974, 7 (8). 134 von Becker, S. 93. 135 BeckOK-IMR/Gersdorf, Art. 2 GG Rn. 15; Dalbkermeyer, S. 18; Franke, S. 117 ff. 136 von Becker, S. 93 f. 137 BVerfG NJW 1973, 1226; hierzu bereits oben Drittes Kapitel, B. I. 2.; ebenso auch BVerfG NJW 1977, 1525 (1528); NJW 1984, 33 (35); NJW 1997, 3013 (3014); NJW 1998, 3337; NJW 2000, 1859 (1860). 138 BVerfG NJW 1973, 1226. 139 BVerfG NJW 1973, 1226 (1232). 140 BVerfG NJW 1973, 1226 (1232); Dalbkermeyer, S. 19; Koebel, JZ 1966, 389 (391); Neuling, S. 161; Scholderer, ZRP 1991, 298 (300).

B. Von Verfahrenspublizität betroffene Interessen

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rückfällig und wieder konstruktives Mitglied der Gesellschaft wird, auch im Interesse der Gesellschaft liegt, welche von diesem keinen Schaden mehr zu befürchten hat.141 Aufgrund dieses auch von der Rechtsprechung anerkannten Resozialisierungsanspruchs des verurteilten Täters ist selbst eine den Tatsachen entsprechende (Bild-)Berichterstattung oder Dokumentation, die Bilder des Betroffenen zeigt und dessen Namen nennt, nur in engen Grenzen zulässig.142 Zu Recht weist Dalbkermeyer jedoch darauf hin, dass die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts in seiner „Lebach-Entscheidung“ nicht ohne weiteres Rückschlüsse auf die Situation des Beschuldigten im Ermittlungsverfahren zuließen, da eine Resozialisierung schließlich eine bereits erfolgte und in aller Regel erst mit Verurteilung einsetzende Entsozialisierung voraussetze.143 Ein Recht auf „NichtEntsozialisierung“ hat das Bundesverfassungsgericht nicht ausdrücklich festgestellt. Doch ein Recht auf Resozialisierung erfasst zugleich auch ein Recht auf NichtSozialisierung.144 Der Resozialisierungsanspruch des verurteilten Straftäters wurzelt in Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG und folgt aus Sicht des Täters und aus Sicht der sozialen Gemeinschaft aus der auf dem Sozialstaatsprinzip basierenden staatliche Vor- und Fürsorgepflicht für „Gruppen der Gesellschaft, die auf Grund persönlicher Schwäche oder Schuld, Unfähigkeit oder gesellschaftlicher Benachteiligung in ihrer persönlichen und sozialen Entfaltung behindert sind“.145 Zu dieser Gruppe zählt das Bundesverfassungsgericht rechtskräftig verurteilte Straftäter als Gefangene oder Entlassene146, ohne jedoch ein Wort über Täter zu verlieren, deren Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt wurde oder die zu einer Geldstrafe verurteilt worden sind. Wenn das Bundesverfassungsgericht dem verurteilten Straftäter unter Hinweis auf dessen Menschenwürde die Chance zuspricht, sich nach Verbüßung der Strafe wieder in die Gemeinschaft einzuordnen147, kann die staatliche und gesellschaftliche Vor- und Fürsorge aber nicht auf den Kreis rechtskräftig verurteilter Straftäter beschränkt werden, da der Sozialisationsanspruch in jeder Person erwächst, die an ihrer „persönlichen und sozialen Entfaltung behindert“148 ist.149 Damit muss der Beschuldigte im Hinblick auf den Resozialisierungsgedanken und als Ausdruck des Rechts auf Sozialisation in jeder Phase des Strafverfahrens Schutz vor Entsozialisierung erfahren.150 141

BVerfG NJW 1973, 1226 (1232). BeckOK-IMR/Gersdorf, Art. 2 GG Rn. 15. 143 Dalbkermeyer, S. 19; Franke, S. 121; Neuling, S. 161. 144 Ausführlich hierzu von Becker, S. 92 ff.; Dalbkermeyer, S. 19; Franke, S. 120 f.; Neuling, S. 161 f.; Zipf, Gutachten C, C 32. 145 BVerfG NJW 1973, 1226 (1231). 146 BVerfG NJW 1973, 1226 (1231). 147 BVerfG NJW 1973, 1226 (1231). 148 BVerfG NJW 1973, 1226 (1231). 149 Dalbkermeyer, S. 120; Fischer, S. 180; Neuling, S. 162. 150 von Becker, S. 99 f.; Dalbkermeyer, S. 20; Neuling, S. 162; Ostendorf, GA 1980, 445 (457); Zipf, Gutachten C, C31 f. 142

168 3. Kap.: Medienöffentliche Ermittlungsverfahren zwischen Wirklichkeit u. Recht

Da das allgemeine Persönlichkeitsrecht auch vor sozialer Isolierung schützen soll151 umfasst es zwingend auch das Recht des Beschuldigten auf „Nicht-Entsozialisierung“, für dessen Sozialisationsstatus mit Einleitung des Ermittlungsverfahrens erstmals eine Gefährdungslage entsteht und der durch dissozialisierende Einflüsse anhaltend aus der sozialen Wertegemeinschaft ausgeschlossen zu werden droht.152 Diesem Schutzbedürfnis schreibt Dalbkermeyer gerade angesichts einer möglichen späteren Verfahrenseinstellung oder eines Freispruchs eine große Bedeutung zu, da diesen Schutz gerade der zu Unrecht Beschuldigte genießen müsse, der nach Feststellung seiner Unschuld sein soziales Leben möglichst ohne Beeinträchtigungen und innerhalb seiner bekannten sozialen Strukturen fortführen können soll.153 Doch selbst im Falle einer späteren Verurteilung kommt der Nicht-Entsozialisierung im Hinblick auf den sich anschließenden Prozess der Resozialisierung eine entscheidende Bedeutung zu. Diese kann und sollte nicht allein durch den Strafvollzug geleistet werden, vielmehr sollten bereits während des Strafverfahrens alle sich auf diesen Prozess nachteilig auswirkenden Umstände vermieden werden.154 Gerade in dem durch die Vorläufigkeit der Ermittlungsergebnisse geprägten Vorverfahren ist der Betroffene vor einer Entsozialisierung zu schützen.155 Konsequenz des Rechts auf Nicht-Entsozialisierung ist die Vermeidung einer die Resozialisierung gefährdende und anprangernde Stigmatisierung des Beschuldigten durch die Berichterstattung in den Massenmedien.156 Dieses Ziel verpflichtet den Staat, dem Beschuldigten unter Berücksichtigung des öffentlichen Informationsinteresses sowie der Strafverfolgungsinteressen eine möglichst ungestörte Sozialisation zu gewährleisten und ihn auch schon im Ermittlungsverfahren von vermeidbaren Beeinträchtigungen seiner Persönlichkeit sowie von Sozialisationsstörungen abzuschirmen.157 Damit sind die staatlichen Strafverfolgungsbehörden ebenso zum Schutz des Sozialisationsstatus des Beschuldigten verpflichtet, wie die Presse als berichterstattende Institution. Fischer hebt hervor, dass die Staatsanwaltschaft gerade mit zunehmendem Umfang der im Rahmen des Ermittlungsverfahrens gesammelten Informationen und Daten über den Beschuldigten eine steigende Fürsorge- und Sorgfaltspflicht im Hinblick auf den Umgang mit diesen Informationen trifft, damit diese nicht unkontrolliert an die Öffentlichkeit gelangen.158

151 BVerfG NJW 2000, 1859 (1860), unter Rekurs auf BVerfG NJW 1998, 2889 (2891); Maunz/Dürig/Di Fabio, Art. 2 Abs. 1 Rn. 218. 152 Fischer, S. 178; Franke, S. 119. 153 Neuling, S. 162. 154 Dalbkermeyer, S. 20; Ostendorf, GA 1980, 445 (457); Zipf, Gutachten C, C31 f. 155 Fischer, S. 179; Neuling, S. 162. 156 von Becker, S. 100; Dalbkermeyer, S. 20; zu der stigmatisierenden Wirkung massenmedialer Verdachtsberichterstattung siehe bereits oben Drittes Kapitel, A. II. 157 von Becker, S. 100. 158 Fischer, S. 180.

B. Von Verfahrenspublizität betroffene Interessen

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Trotz verbesserungswürdiger Klarheit und Weite der Persönlichkeitsrechtsanerkennung durch die „Lebach-Entscheidung“ des Bundesverfassungsgerichts, statuiert es doch deutlich einen prinzipiellen Abwehranspruch des Einzelnen gegenüber Gefährdungen von (Re-)Sozialisierungschancen auch in privatrechtlichen Verhältnissen.159 Das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Beschuldigten ist damit sowohl im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit der Strafverfolgungsbehörden als auch bei der medialen Verdachtsberichterstattung160 zu berücksichtigen, da die Veröffentlichung der Identität des Beschuldigten und des gegen ihn erhobenen Tatvorwurfs diesen als (potentiellen) Straftäter öffentlich aus dem gesellschaftlichen Normgefüge ausklammert sowie anprangert und so in dessen Recht auf „Nicht-Entsozialisierung“ eingreift. Auch in dieser Ausprägung setzt daher das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Medienberichterstattung161 und der ermittlungsbehördlichen Öffentlichkeitsarbeit162 Grenzen. Diesen Abwehranspruch des Einzelnen gegenüber einer NichtEntsozialisierung kann schließlich auch dann betroffen sein, wenn die Identität des Beschuldigten der Öffentlichkeit bereits bekannt ist und die Staatsanwaltschaft oder die berichterstattenden Medien weitere Informationen über den Beschuldigten sowie dem gegen ihn erhobenen Tatvorwurf veröffentlichen. 4. Anforderungen der Rechtsprechung an (zulässige) Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht Wie die vorstehenden Ausführungen gezeigt haben, kommt kein Ermittlungs- und Strafverfahren ohne Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des Beschuldigten aus. Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht in seinen hier relevanten Ausformungen des Rechts auf (Bild- und Namens-)Anonymität sowie dem Recht auf NichtEntsozialisierung finden ihre rechtsstaatliche Legitimation, wenn sie Ausdruck der Schrankentrias des Art. 2 Abs. 1 GG sind.163 Von besonderer Bedeutung für die Rechtfertigung jeglicher Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist hier die Schranke der verfassungsmäßigen Ordnung, mithin die Gesamtheit aller Normen, die formell und materiell verfassungsgemäß sind.164 Aufgrund der rechtsstaatlichen Bedeutung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und seiner Nähe zu Art. 1 Abs. 1 GG sind nach der Rechtsprechung des BVerfG an Gesetze, die beispielsweise im Sinne einer effektiven Strafverfolgung erforderliche Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte legitimierten, hohe Anforderungen zu stellen. 159 von Becker reklamiert insbesondere, dass das BVerfG zwar einen Abwehranspruch gegenüber Chancengefährdungen konstatiert, nicht hingegen eine ausdrückliche und positivrechtliche Zuerkennung eines Grundrechts auf (Re-)Sozialisierungschancen, S. 98. 160 Zur sog. mittelbaren Grundrechtswirkung auf Privatrechtsverhältnisses siehe bereits oben Drittes Kapitel, B. I. 1. 161 Hierzu siehe unten Viertes Kapitel, B. III. 162 Hierzu siehe unten Fünftes Kapitel, C. 163 BVerfG NJW 1999, 1322 (1323); GRUR 2008, 539 (542). 164 BVerfG NJW 1984, 419 (422); NJW 1989, 2535; NJW 1994, 2475.

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In einer richtungsweisenden und als „Volkszählungsurteil“ bekannt gewordenen Entscheidung hat das BVerfG bestimmt, dass ein Gesetz, durch welches in das durch Art. 2. Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützte Recht auf informationelle Selbstbestimmung eingegriffen wird, den Geboten der Normenklarheit und Bestimmtheit genügen sowie den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren muss.165 Neben dem Erfordernis einer bereichsspezifischen und ausreichend bestimmten Ermächtigungsgrundlage unterliegen derartige Eingriffe nach den Vorgaben des BVerfG daher insbesondere einer strengen Verhältnismäßigkeitsprüfung, wonach eine Zweckbindung der Informationsweitergabe erforderlich ist und für den Bürger verständlich die Voraussetzungen, der Umfang und die Beschränkung der Veröffentlichung von Informationen bestimmt sein müssen.166 Das BVerfG hat diese Vorgaben zwar ausdrücklich nur für das Recht auf informationelle Selbstbestimmung als Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG aufgestellt,167 angesichts der Einstrahlungswirkung des Art. 1 Abs. 1 GG auf den Inhalt des allgemeinen Persönlichkeitsrechts müssen diese strengen Anforderungen jedoch gleichermaßen auf die übrigen Ausprägungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und damit auch die hier relevanten Ausformungen als Recht auf (Bild- und Namens-)Anonymität sowie als Recht auf Nicht-Entsozialisierung Anwendung finden. Potenzielle Ermächtigungsgrundlagen für entanonymisierende ermittlungsbehördliche Öffentlichkeit aber auch die mediale Verdachtsberichterstattung168 müssen sich daher an den Vorgaben des BVerfG messen lassen. Darüber hinaus sind staatliche Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht jedoch nicht bereits durch die bloße Existenz einer verfassungsgemäßen Ermächtigungsnorm gerechtfertigt, sondern nur im Fall einer einzelfallbezogenen, verfassungskonformen Anwendung derselben.169 5. Zwischenergebnis Mit Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 2 Abs. 1 GG gewährt unsere Verfassung der menschlichen Persönlichkeit einen dynamisch gestalteten Grundrechtsschutz mit hohem Rang. Der Geltungs- und Achtungsanspruch des Einzelnen wird durch verschiedene Fallgruppen definiert, von denen die medienöffentliche Strafrechtpflege insbesondere das Recht auf (Bild- und Namens-)Anonymität und das Recht auf Nicht-Entsozialisierung betrifft. 165 BVerfG NJW 1984, 419 (422); Baumann, DVBl. 1984, 612 (616); Simitis, NJW 1984, 398 (400); Wente, StV 1988, 216. 166 BVerfG NJW 1984, 419 (422). 167 BVerfG NJW 1984, 419 (422). 168 Zur mittelbaren Drittwirkung von Grundrechten im Grundsatz sowie dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht im Speziellen siehe bereits oben Drittes Kapitel, B. I. 1., sowie auch unten Viertes Kapitel, B. I. 4. 169 Maunz/Dürig/Di Fabio, Art. 2 Abs. 1 Rn. 134.

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Durch eine Veröffentlichung und öffentliche Erörterung eines Tatverdachts wird in das Verfügungs- und Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen hinsichtlich der Darstellung seiner Person in der Öffentlichkeit eingegriffen. Informationen über und aus dem Strafverfahren gegen eine Person betreffen dessen Privatsphäre, so dass ein derartiger Eingriff in den verschlossenen Bereich privater Lebensführung an den §§ 22 ff. KUG (analog) gemessen werden muss. Zudem gewährt das allgemeine Persönlichkeitsrecht eine staatliche Garantie individueller Sozialisationschancen, welche mit dem Recht auf Resozialisierung insbesondere die Wiedereingliederung des Straftäters nach verbüßter Strafe erfassen. Sozialisationschancen müssen dem Betroffenen jedoch zugleich auch durch die Gesellschaft ermöglicht werden, welche durch mediale Kriminalberichterstattung in ihrer „Abwehrhaltung“ gegenüber Delinquenten bestärkt wird. Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund muss dem Beschuldigten einer Straftat in jeder Phase des Verfahrens ein Schutz vor Entsozialisierung durch die dissozialisierende Wirkung stigmatisierender Veröffentlichungen gewährt werden. Diese Schutzverpflichtungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts binden hierbei unmittelbar nur die staatlichen Organe in ihrer Machtausübung, mittelbar entfalten sie jedoch auch Wirkung auf das privatrechtliche Verhältnis zwischen dem Betroffenen und den berichterstattenden Medien. Angesichts der Einstrahlungswirkung des Art. 1 Abs. 1 GG auf den Inhalt des allgemeinen Persönlichkeitsrechts sind an die Rechtmäßigkeit staatlicher Eingriffe hohe Anforderungen zu stellen. So bedarf es zunächst einer verfassungskonformen und bereichsspezifischen Ermächtigungsgrundlage, welche den Geboten der Normenklarheit und Bestimmtheit genügt sowie den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahrt. Doch auch für die Verhältnismäßigkeit jeder hierauf fußenden Rechtsanwendung sind gleichwohl strenge Maßstäbe anzusetzen.

II. Grundsätze eines rechtsstaatlichen Verfahrens zum Schutz des Beschuldigten Neben dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht in seinen verschiedenen Ausformungen können durch eine entanonymisierende Informationstätigkeit der Staatsanwaltschaft sowie eine mediale Verdachtsberichterstattung auch verfassungsrechtliche Verfahrensgarantien tangiert werden, die sowohl die Interessen des Beschuldigten als auch das Interesse der Allgemeinheit an einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege zu schützen bestimmt sind. Einige dieser verfahrensrechtlichen Interessen sind in der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) positivrechtlich verankert. Die in der EMRK normierten menschenrechtlichen Garantien sind unmittelbar Bestandteil des positiven Bundesrechts, auch wenn sie in der deutschen Rechtsordnung lediglich den Rang eines einfachen Bundesgesetzes

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haben.170 Es bedarf somit für eine unmittelbare Wirkung der Menschenrechtsgarantien keiner konkreten nationalen Umsetzungsgesetze, vielmehr muss das Bundesrecht im Einklang mit der EMRK ausgelegt und angewendet werden, was auch für die Grundrechte gilt, die im Lichte der EMRK gelesen werden müssen.171 Eine Verletzung der Garantien der EMRK kann mit den allgemeinen Rechtsmitteln gerügt werden.172 Als Tangenten der ermittlungsbehördlichen Öffentlichkeitsarbeit und medialen Berichterstattung sind insbesondere die zugunsten des Betroffenen geltende Unschuldsvermutung (hierzu unter 1.) sowie die Grundsätze eines fairen Verfahrens (hierzu unten 2.) relevant. 1. Die Unschuldsvermutung Zu den rechtsstaatlich grundlegenden Prozessmaximen des Strafverfahrens gehört die Unschuldsvermutung, nach welcher jede Person, die einer Straftat „angeklagt“173 ist, bis zum gesetzlichen Beweis ihrer Schuld als unschuldig gilt. Nachfolgend soll ermittelt werden, welche Schutzwirkung sie zugunsten des Beschuldigten im Hinblick auf die Veröffentlichung des gegen ihn bestehenden Tatverdachts entfaltet. a) Herleitung Auf europarechtlicher Ebene ist die Unschuldsvermutung in Art. 6 Abs. 2 EMRK unmittelbar geregelt, dem jedoch im Bundesrecht lediglich der Rang eines einfachen Gesetzes zukommt.174 Während sie in manchen nationalen Länderverfassungen ebenfalls explizit aufgeführt ist,175 findet sich auf Bundesebene keine entsprechende (ausdrückliche) verfassungsrechtliche Regelung. Dennoch wird die Unschuldsvermutung in Deutschland überwiegend auch dem Rechtsstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 3 GG sowie der Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 GG entnommen und genießt somit Verfassungsrang.176 Teilweise wird sie auch als besondere Ausprägung des 170 Vgl. das Zustimmungsgesetz vom 07. 08. 1952, BGBl. 1952 II, S. 685; Meyer-Goßner/ Schmitt, Vor Art. 1 EMRK Rn. 3 m. w. N. 171 Meyer-Goßner/Schmitt, Vor Art. 1 EMRK Rn. 4 m. w. N. 172 Meyer-Goßner/Schmitt, Vor Art. 1 EMRK Rn. 6 m. w. N. 173 So die Terminologie des Art. 6 Abs. 2 EMRK. Hierzu und zu ihrer Reichweite siehe unten Drittes Kapitel, B. II. 1. b). 174 Vgl. hierzu bereits oben Drittes Kapitel, B. II. 175 Vgl. bspw. Art. 9 Abs. 2 BlnVerf, Art. 6 Abs. 3 BremVerf, Art. 20 HV, Art. 6 Abs. 4 RhPfVerf, Art. 14 Abs. 2 SLVerf. 176 BVerfG NJW 1967, 2151 (2153); NJW 1990, 2741); AE-StuM/Riklin/Höpfel, S. 53; von Becker, S. 209 f.; BeckOK-StPO/Valerius, Art. 6 EMRK Rn. 31; Bornkamm, S. 254 m. w. N.; Fischer, S. 202; Kühl, FS-Hubmann 1985, 241 (251); Neuling, S. 163; teilweise erfolgt eine Herleitung auch aus Art. 1 Abs. 2 GG; vgl. Eb. Schmidt, Justiz und Publizistik, S. 57.

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173

allgemeinen Persönlichkeitsrecht verstanden, welche neben der Fairness des Strafverfahrens auch einen darüberhinausgehenden Schutz vor unzulässiger Vorverurteilung177 und zugleich dem Beschuldigten einen Anspruch auf ein ungemindertes gesellschaftliches „Anerkanntsein“ gewährleiste.178 Ungeachtet ihrer verfassungsrechtlichen Herleitung gilt die Unschuldsvermutung als ein für das gesellschaftliche Zusammenleben „konstitutives Rechtsprinzip“, welches nicht nur im verfahrensrechtlichen Rahmen Wirkung entfaltet, sondern auch einer öffentlichen sowie medialen Vorverurteilung des Betroffenen entgegenzuwirken bestimmt ist und so auch eine gesellschaftliche Vorverurteilung zu unterbinden sucht.179 Als solches ist sie ein „unverrückbarer Eckpfeiler des modernen Rechtsstaats“.180 b) Anwendungsbereich Nach Art. 6 Abs. 2 EMRK schützt die Unschuldsvermutung „jede Person, die einer Straftat angeklagt ist“. Damit gilt sie in personeller Hinsicht zunächst für jedermann, mithin natürliche und juristische Personen, In- und Ausländer sowie Staatenlose ohne Unterschied.181 In sachlicher Hinsicht wirft Art. 6 Abs. 2 EMRK die Frage auf, ob die Unschuldsvermutung bereits in dem hier insbesondere gegenständlichen Bereich des strafrechtlichen Vorverfahrens für den Beschuldigten streitet und die Ermittlungsbehörden bei ihrer (Öffentlichkeits-)Arbeit überhaupt an die Unschuldsvermutung gebunden sind. Betrachtet man die wörtlich in Art. 6 Abs. 2 EMRK vorausgesetzte Strafanklage, so scheint Art. 6 Abs. 2 EMRK lediglich im strafrechtlichen Zwischen- und Hauptverfahren Wirkung zu entfalten.182 Diese zunächst eindeutige Beschränkung lässt Fischer unbeachtet, welcher seine Lesart insbesondere auf die Formulierung „bis zum gesetzlichen Beweis“ stützt, womit in zeitlicher Hinsicht das eigentlich erst 177 AE-StuM/Riklin/Höpfel, S. 54; Fischer, S. 202; Kühl, FS-Hubmann 1985, 241 (251); ders., FS-Müller-Dietz 2001, 401 (414); Meyer, FS-Tröndle 1989, 61 (63). 178 Kühl, FS-Hubmann 1985, 241 (251). 179 Marxen, GA 1980, 365 (373), der insoweit von einer „originären Aufgabe“ der Unschuldsvermutung spricht. 180 Boehme-Neßler, ZRP 2009, 228 (229). 181 HK-EMRK/Meyer-Ladewig/Harrendorf/König, Art. 6 Rn. 4 – bezogen auf Art. 6 EMRK im Ganzen; auch wenn in Deutschland juristische Personen strafrechtlich nicht zur Verantwortung gezogen werden können, ist die Anwendbarkeit des Art. 6 Abs. 1 EMRK auf sie nicht ausgeschlossen, da die Mitgliedstaaten aufgrund ihrer Souveränität die Anwendbarkeit strafrechtlicher Normen auf juristische Personen beschließen können; vgl. Lorenzmeier, ZIS 2008, 20 (26) m. w. N. 182 Früher sah die Europäische Kommission für Menschenrechte in der Unschuldsvermutung insbesondere einen Schutz gegen ein „Vorurteil“ des strafrechtlichen Richters und interpretierte sie als Beweisregel; vgl. Dalbkermeyer, S. 23 m. w. N.; Kühl, FS-Hubmann 1985, 241 (245 f.); zum Entwicklungsprozess in der Interpretation der Unschuldsvermutung durch die Kommission vgl. auch Neuling, S. 164 f.; Peukert, EuGRZ 1980, 247 ff.

174 3. Kap.: Medienöffentliche Ermittlungsverfahren zwischen Wirklichkeit u. Recht

der Ermittlung des für die Anklageerhebung erforderlichen hinreichenden Tatverdachts dienende Vorverfahren (§ 170 StPO) nicht ausgeklammert würde.183 Nach dem Zweckverständnis des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) könne aus der Intention der Unschuldsvermutung, insbesondere ein faires gerichtliches Verfahren zur Entscheidung über die Anklage zu gewährleisten, nicht gefolgert werden, dass diese Maxime für das vorgerichtliche Verfahren keine Geltung habe.184 Vielmehr komme Art. 6 Abs. 2 EMRK auch vor dem gerichtlichen Verfahren Bedeutung zu, wenn und soweit die Fairness des gesamten Verfahrens durch Nichtbeachtung dieser Vorschrift bereits vor Beginn des gerichtlichen Abschnitts ernsthaft gefährdet scheint.185 Die Unschuldsvermutung verpflichtet folglich die Strafverfolgungsbehörde bereits im Ermittlungsverfahren zu einer Arbeit als neutrale Instanz und hat damit schon vor Anklageerhebung große Bedeutung. Auch kann eine öffentliche Vorverurteilung durch die Pressearbeit der Staatsanwaltschaft und die sich anschließende Medienberichterstattung bereits im Vorverfahren eine Gefahr für die Fairness des späteren gerichtlichen Verfahrens darstellen.186 Daher gilt Art. 6 Abs. 2 EMRK nach der heutigen Rechtsprechung des EGMR für das gesamte Strafverfahren, so dass als „Angeklagter“ in diesem Sinne auch der lediglich Beschuldigte zu verstehen ist.187 Mag der Wortlaut des Art. 6 Abs. 2 EMRK hinsichtlich des zeitlichen Beginns seiner Schutzwirkung auch unklar sein, so setzt er ihr jedoch mit dem Beweis der Schuld des Angeklagten ein deutliches Ende, welcher erst mit einem rechtskräftigen Gerichtsurteil erbracht ist, so dass der Schutz der Unschuldsvermutung in diesem Moment endet.188 Öffentlich vorverurteilend und damit folgenschwer kann sich für den Beschuldigten neben der Pressearbeit der Staatsanwaltschaft als staatlicher Strafverfolgungsbehörde insbesondere die mediale Verdachtsberichterstattung auswirken. Nicht einheitlich beantwortet wird jedoch die Frage, inwieweit die zugunsten des Beschuldigten wirkende Unschuldsvermutung auch eine mittelbare Wirkung ge183

Fischer, S. 202. EGMR NJW 2009, 3707. 185 EGMR NJW 2009, 3707. 186 Zu den Auswirkungen medialer Öffentlichkeit auf das Strafverfahren siehe oben Drittes Kapitel, A. I. 187 EGMR 19. 05. 2005 – 71563/01, Rn. 35 – Diamantides/Griechenland; OLG Köln NJW 1987, 2682 (2683 f.); BeckOK-StPO/Valerius, Art. 6 EMRK Rn. 31; Fischer, S. 202; Frister, StV 1998, 159; Kühl, FS-Hubmann 1985, 241 (247 f.); Meyer-Goßner/Schmitt, Art. 6 EMRK Rn. 1; HK-EMRK/Meyer-Ladewig/Harrendorf/König, Art. 6 Rn. 211; Neuling, S. 165; SKStPO/Paeffgen, Art. 6 EMRK Rn. 319. 188 BVerfG NJW 1973, 1226 (1230); SK-StPO/Paeffgen, Art. 6 EMRK Rn. 320, insbes. jedoch nicht bei Einstellung des Verfahrens, EGMR NJW 2006, 1113 (1114); hierzu Kühl, NJW 1984, 1264 (1267); vgl. auch BVerfG NJW 1987, 2427 (2428); NJW 1990, 2741 (2742); BeckOK-StPO/Valerius, Art. 6 EMRK Rn. 34; HK-EMRK/Meyer-Ladewig/Harrendorf/ König, Art. 6 Rn. 212. 184

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genüber den Medien entfaltet.189 Ausdrücklich richtet sich Art. 6 Abs. 2 EMRK nur an staatliche Behörden, so dass eine derartige Ausstrahlungswirkung teilweise mangels ausdrücklicher für die Berichterstattung geregelter Beschränkung abgelehnt, zumal der Beschuldigte ausreichend durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht geschützt sei.190 Dem muss jedoch entgegengehalten werden, dass der verfassungsrechtliche Schutz der Persönlichkeit auch auf die Medien ausstrahlt und der medialen Berichterstattung Grenzen setzt.191 Richtig ist daher, dass Sinn und Zweck der Unschuldsvermutung, die auch aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht herzuleiten ist,192 eine Berücksichtigung bei der Anwendung und Auslegung der das Rechtsverhältnis zwischen Medien und Beschuldigten regelnden Normen (so z. B. bei der Anwendung des § 823 BGB oder des § 23 KUG durch die Gerichte) und damit auch einen entsprechenden Schutz des Betroffenen gegenüber Dritten verlangt, so dass der Medienfreiheit auch durch die Unschuldsvermutung Grenzen gesetzt sind.193 Auch die Verhinderung außergerichtlicher Vorverurteilung gehört zu den originären Aufgaben der Unschuldsvermutung.194 Überwiegend wird die Unschuldsvermutung daher als lenkender „Maßstab“ bei der gerichtlichen Abwägung zwischen den medialen Interessen an umfassender Berichterstattung und den Interessen des Beschuldigten berücksichtigt.195 Wenn die Presse über laufende (Ermittlungs-)Verfahren berichtet, ist sie damit den Begrenzungen der Unschuldsvermutung unterworfen.

189

Vgl. zum Meinungsspektrum Jung, GA 2014, 257 (262); Kindhäuser, FS-Wolter 2013, 979, 991 (keine direkte Bindung); Kühl, FS-Müller-Dietz 2001, 400 (413) (unmittelbare Geltung); Marxen, GA 1980, 365 (373 f.) (unmittelbare Geltung); zusammenfassend vgl. auch Stuckenberg, S. 147 ff. 190 Geppert, Jura 1993, 160 (162); differenzierend Stapper, S. 64 f.; ders., AfP 1996, 349 (350). 191 BVerfG NJW 1973, 1226 (1228, 1231); OLG Köln NJW 1987, 2682 (2683 f.); ZUM-RD 2012, 206 (210 f.); AE-StuM/Riklin/Höpfel, S. 53; BeckOK-StPO/Valerius, Art. 6 EMRK Rn. 32.1; Bornkamm NStZ 1983, 102 (104 f.); Kühl, FS-Hubmann 1985, 241 (248 f.); Marxen, GA 1980, 365 (373); Saliger, KritV 2013, 173 (179); Stapper, AfP 1996, 349 (350 f.); vgl. auch EGMR NJW 2013, 768 (771); EuGRZ 1978, 314 (323); LR-StPO/Esser, Art. 6 EMRK Rn. 458; SK-StPO/Paeffgen, Art. 6 EMRK Rn. 344 f.; siehe zur Thematik auch Eisele, JZ 2014, 932; Zielemann, S. 80. 192 Hierzu siehe bereits oben Drittes Kapitel, B. II. 1. a). 193 OLG Köln NJW 1987 2682, (2683); Kühl, FS-Hubmann 1985, 241 (249 f.); Reifenrath, FS-Wassermann 1985, 489 (491); Schlüter, S. 43 f. 194 EGMR NJW 2008, 3412 (3414); BGH NJW 1954, 1486. 195 BVerfG NJW 1973, 1226 (1231); NJW 2009, 350 (351); ZUM 2010, 243 (246), das zumindest bis zur rechtskräftigen Verurteilung in Hinblick auf die Unschuldsvermutung eine mediale Zurückhaltung fordert; OLG Frankfurt a. M. NJW 1980, 597 (598 f. m. w. N.); OLG Braunschweig AfP 1980, 292; OLG Hamburg AfP 1983, 466 (467); OLG Köln NJW 1987, 2682 (2683); Bornkamm, S. 258; ders., NStZ 1983, 102 (104); Hassemer, NJW 1985, 1921 (1923); Kühl, FS-Hubmann, 1985, 241 (249 f.); Marxen, GA 1980, 365 (373 f.); Meyer-Goßner/ Schmitt, Art. 6 EMRK Rn. 13; zur Zulässigkeit medialer Verdachtsberichterstattung und der vorzunehmenden Interessenabwägung siehe unten Viertes Kapitel, B. III.

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c) Inhaltliche Garantiefunktion und Tangentenwirkung Die Unschuldsvermutung und ihre Beachtung ist Grundlage eines fairen Verfahrens196 und wird von der Europäischen Kommission sowie dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gerade zur Lösung von Fällen aus dem Spannungsfeld „Medien und Strafrechtspflege“ herangezogen.197 Damit kommt ihr im Hinblick auf die Pressearbeit der Ermittlungsbehörden und die Verdachtsberichterstattung der Medien eine wichtige Tangentenfunktion zu. Trotz ihrer rechtsstaatlichen Bedeutung ist die inhaltliche Ausgestaltung und genaue Reichweite der Unschuldsvermutung jedoch bis heute ungeklärt.198 Grundlegend garantiert Art. 6 Abs. 2 EMRK dem Beschuldigten zunächst subjektiven Schutz vor jeglichen staatlichen Maßnahmen,199 die seine Schuld voraussetzen, bis diese in einem ordnungsgemäßen Verfahren nachgewiesen und festgestellt wurde.200 Ebenso darf bis zu diesem Zeitpunkt niemand als schuldig behandelt oder der Schuld an einer Straftat bezichtigt werden.201 In dieser Schutzrichtung wird die Unschuldsvermutung von Art. 8 Abs. 1 EMRK ergänzt, der das Privatleben des Beschuldigten und damit ebenfalls dessen Persönlichkeitsrecht schützt.202 Nach der Rechtsprechung des BVerfG normiert Art. 6 Abs. 2 EMRK jedoch keine klar bestimmten Ge- und Verbote, sondern wird vielmehr in seiner Wirkung auf das Verfahrensrecht nach den sachlichen Gegebenheiten konkretisiert, wozu der Gesetzgeber berufen sei.203 Für das Strafverfahren sieht das BVerfG das Verfahrensrecht als ausreichendes Mittel an, um die Wirkung der Unschuldsvermutung hinreichend zu gewährleisten.204 So wird die Beweislast der Anklage auferlegt, womit jeder Zweifel zu Gunsten des Beschuldigten und Angeklagten zu werten ist und beispielsweise aus dem Schweigen des Beschuldigten keine nachteiligen Schlüsse gezogen werden dürfen.205 Auch darf das Gericht nicht mit der Vorstellung in das

196

EGMR, Urteil vom 05. 07. 2001 – Nr. 41087/98, Slg 01-VII Rn. 40 – Phillips/Vereinigtes Königreich; HK-EMRK/Meyer-Ladewig/Harrendorf/König, Art. 6 Rn. 212. 197 Kühl, FS-Hubmann 1985, 241 (245). 198 Dalbkermeyer, S. 22; Kühl, NJW 1988, 3233 ff.; Neuling, S. 163; vgl. hierzu auch ausführlich Schulz, GA 2001, 226 ff.; Roxin/Schünemann, 2. Kap. § 11 Rn. 1. 199 Bzw. staatlichen Schutz vor Maßnahmen Dritter (wie bspw. den Medien), indem die Unschuldsvermutung in Rahmen der Anwendung der zivilrechtlichen Normen (z. B. § 823 BGB) als lenkender Maßstab herangezogen wird; siehe dazu bereits zuvor, Drittes Kapitel, B. II. 1. b). 200 BeckOK-StPO/Valerius, Art. 6 EMRK Rn. 32; BVerfG NJW 1987, 2427 (2428); NJW 1990, 2741; NJW 1975, 1829 (1831). 201 EGMR NJW 2011, 1789 (1790); BeckOK-StPO/Valerius, Art. 6 EMRK Rn. 32. 202 Frowein, FS-Huber 1981, 553 (556); Kühl, FS-Hubmann 1985, 241 (245). 203 BGH NJW 1990, 2741. 204 BVerfG NJW 1987, 2427; NJW 1990, 2741. 205 HK-EMRK/Meyer-Ladewig/Harrendorf/König, Art. 6 Rn. 212.

B. Von Verfahrenspublizität betroffene Interessen

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Verfahren und die Verhandlung gehen, der Angeklagte habe die Tat begangen.206 Die Unschuldsvermutung verbietet insbesondere die Belastung des Beschuldigten mit den sozial deklassierenden Wirkungen der Strafe bereits vor der Verurteilung.207 Überträgt man diese Grundsätze auf die Öffentlichkeitsarbeit der Strafverfolgungsbehörden und die Presseberichterstattung der Medien im Ermittlungsverfahren, so werden die möglichen Konflikte und Verletzungen schnell deutlich. Das Strafverfahren, welches erst die Prüfung der Schuldfrage zur Aufgabe hat, darf nicht bereits die grundsätzlich der Strafe vorbehaltene persönlichkeits- und würdemindernde Wirkung vorwegnehmen und den Beschuldigten durch schuldsuggerierende Berichterstattung über die notwendigen Eingriffe in die Persönlichkeit hinaus belasten.208 Dabei ist es nicht die Aufgabe der Unschuldsvermutung, den Beschuldigten bis zur rechtskräftigen Feststellung seiner Schuld vor jeglichen Beeinträchtigungen in seinen Persönlichkeitsrechten zu bewahren. Durch das Mindestmaß des Tatverdachts gerechtfertigt, ist dem Tatverdächtigen durchaus mehr zuzumuten, als dem „Nicht-Tatverdächtigen“.209 Damit stehen Tatverdacht und Unschuldsvermutung in einem Spannungsverhältnis,210 welches eine bestmögliche Schonung des Beschuldigten vor Persönlichkeitseingriffen verlangt211 und sowohl Staatsanwaltschaft als auch berichterstattende Medien in ihrer Arbeit beschränkt. Gerade im Bereich des Ermittlungsverfahrens ist es Aufgabe und Chance der Staatsanwaltschaft, eine öffentliche Anprangerung und Vorverurteilung des Beschuldigten durch eine restriktive Informationspolitik zu verhindern.212 Selbst wenn ein bestehender Tatverdacht die strafprozessuale Ermittlung legitimiert, darf der Beschuldigte nicht unnötig und vermeidbar durch publizistische Darstellungen belastet werden und so der soziale Geltungsanspruch geschmälert werden.213 Daraus folgt, dass die Unschuldsvermutung auch dann zu beachten ist, wenn eine Gefährdung der Objektivität und Fairness des gerichtlichen Verfahrens tatsächlich nicht gegeben ist, der Betroffene aber dennoch beispielsweise vor einer Vorverurteilung in der Öffentlichkeit zu bewahren ist.214 Die Staatsanwaltschaft muss sich daher ihm Rahmen ihrer Öffentlichkeitsarbeit bewusst sein, dass ihre Informationstätigkeit als Grundlage der medialen Berichterstattung über den Beschuldigten dient und sie im Hinblick auf die hierdurch mögliche Beeinträchtigung der Unschuldsvermutung und folglich auch der Fairness 206

HK-EMRK/Meyer-Ladewig/Harrendorf/König, Art. 6 Rn. 212. von Becker, S. 210; Kühl, FS-Hubmann 1985, 241 (247). 208 Dalbkermeyer, S. 24; Neuling, S. 165. 209 Zielemann, S. 82. 210 Zielemann, S. 83. 211 Dalbkermeyer, S. 24. 212 Neuling, S. 166. 213 Dalbkermeyer, S. 24 f.; Kühl, FS-Hubmann 1985, 241 (250); Lampe, NJW 1973, 217; Neuling, S. 165 f. 214 AE-StUM/Riklin/Höpfel, S. 54; Kühl, FS-Hubmann, 1985, 241 (244). 207

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des Verfahrens sowie der Unparteilichkeit des Gerichts Vorsicht walten lassen muss.215 Der Unschuldsvermutung ist somit auch eine Pflicht des Staates zu entnehmen, den Betroffenen vor medialen Verletzungen derselben zu schützen, selbst wenn diese nicht unmittelbar durch das eigene Verhalten der staatlichen Behörden verursacht sondern lediglich begünstigt wurden.216 Die Einbeziehung der Öffentlichkeit in das Ermittlungsverfahren durch die Staatsanwaltschaft und die Medien wird damit auch durch die Unschuldsvermutung begrenzt.217 2. Der „fair trial“-Grundsatz Neben einer Beeinträchtigung der Persönlichkeitssphäre des Beschuldigten bergen die Informationstätigkeit der Ermittlungsbehörden sowie die mediale Berichtserstattung zudem eine nicht zu unterschätzende Gefahr der Beeinflussung des laufenden Strafverfahrens.218 Die zu befürchtende Einflussnahme des öffentlichen Stimmungsklimas auf das Strafverfahren und seine Beteiligten lässt damit schließlich an eine Verletzung des rechtsstaatlichen Anspruchs des Betroffenen auf ein faires Verfahren denken. Auch wenn das Recht auf ein faires Verfahren eng mit der bereits dargestellten Unschuldsvermutung zusammenhängt, betrifft diese Verfahrensmaxime nicht die nach Art. 6 Abs. 2 EMRK zu beurteilende Frage eines Eingriffs in die Persönlichkeitssphäre des Beschuldigten, sondern die einer möglichen Beeinflussung des Strafgerichts durch ein Klima öffentlicher Vorverurteilung, hervorgerufen durch Pressekampagnen und Verfahrensberichterstattung, welche wiederum das individuelle Recht des Beschuldigten auf ein „faires Verfahren“ verletzt – es ist hier folglich zu differenzieren zwischen Persönlichkeits- und Verfahrensschutz.219 a) Allgemeines Mit dem Recht auf ein faires Verfahren soll gewährleistet werden, dass der Betroffene nicht bloßes Objekt des Verfahrens ist, sondern als ein „mit eigenen Rechten ausgestattetes Subjekt“ auf den Ablauf und das Ergebnis des Verfahrens Einfluss

215

HK-EMRK/Meyer-Ladewig/Harrendorf/König, Art. 6 Rn. 213. Fischer, S. 206 f. 217 Zu den sich aus ihr für die Staatsanwaltschaft ergebenden Verpflichtungen siehe unten Fünftes Kapitel, C.; zu der die mediale Verdachtsberichterstattung beschränkenden Wirkung siehe unten Viertes Kapitel, B. III. 218 Dalbkermeyer, S. 27. Zu den möglichen Auswirkungen von ermittlungsbehördlicher Öffentlichkeitsarbeit und medialer Berichterstattung auf das Strafverfahren siehe bereits oben Drittes Kapitel, A. 219 Kühl, FS-Hubmann 1985, 241 (245). 216

B. Von Verfahrenspublizität betroffene Interessen

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nehmen kann.220 Zu diesem Zweck soll ihm ein Anspruch auf freie Wahrnehmung seiner prozessualen Rechte ohne diesbezüglicher Beeinflussung sowie auf eine Entscheidung durch unabhängige und objektive (Berufs- und Laien-)Richter sowie auf Grundlage unbeeinflusster Zeugen gewährt werden.221 Ein derartiges Recht des Betroffenen wird ganz überwiegend anerkannt, auch wenn seine Herleitung noch nicht abschließend geklärt ist, da es ausdrücklich an keiner Stelle normiert wird. Eine dem sog. „fair trial“-Grundsatz nach anglo-amerikanischem Vorbild entsprechende Verfahrensmaxime normiert Art. 6 Abs. 1 EMRK im Wege verschiedener Verfahrensgarantien, die unter dem „Recht auf ein faires Verfahren“ zusammengefasst werden.222 Insbesondere das Bundesverfassungsgericht leitet das Recht des Betroffenen auf ein faires Verfahren als allgemeines Prozessrecht im nationalen Recht aus Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs.1 GG und dem Rechtsstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 3 GG her.223 Die Notwendigkeit eines derartigen Prozessgrundsatzes ergibt sich aus den gewichtigen Konsequenzen für den Beschuldigten, die eine Missachtung des prozessualen Fairnessgebots durch den Staat haben kann und die nicht von einfachgesetzlichen Regelungen aufgefangen werden.224 Vor diesem Hintergrund soll der „fair trial“-Grundsatz entgegen dem Wortlaut des Art. 6 Abs. 1 EMRK („gegen sie erhobene strafrechtliche Anklage“) bereits dem Beschuldigten eine effektive Verteidigung gewährleisten, so dass der Anspruch des Einzelnen auf ein faires Verfahren bereits entsteht, wenn der Betroffene durch eine offizielle Mitteilung oder Maßnahme davon Kenntnis erlangt, dass gegen ihn wegen des Verdachts einer Straftat ermittelt wird, mithin bereits im Ermittlungsverfahren.225 Der dem Rechtsstaatsprinzip entnommene Grundsatz des fairen Verfahrens wird umfassend verstanden, wobei sich aus der Konvention selbst nicht ergibt, welche 220 BVerfG NJW 1983, 2762 (2763); NJW 2003, 1924 (1926); NJW 2007, 204 (205); BeckOK-StPO/Valerius, Art. 6 EMRK Rn. 9; Dalbkermeyer, S. 29; HK-EMRK/Meyer-Ladewig/Harrendorf/König, Art. 6 Rn. 87. 221 Dalbkermeyer, S. 28. 222 BGH NJW 1971, 1097 (1098); BGH NJW 1980, 845 (846); BeckOK-StPO/Valerius, Art. 6 EMRK Rn. 2; Fischer, S. 197. 223 BVerfG NJW 1969, 1423 (1424); NJW 1975, 103; NJW 1975, 1015 (1016); NJW 1976, 413 (414); NJW 1981, 1719 (1722); NJW 1984, 113; NJW 2003, 2225; NJW 2004, 2887; NJW 2010, 287; BeckOK-StPO/Valerius, Art. 6 EMRK Rn. 1.1; HK-EMRK/Meyer-Ladewig/ Harrendorf/König, Art. 6 Rn. 89; teilweise wird auch vertreten, der Grundsatz des fairen Verfahrens ergebe sich aus dem Rechtsstaatsprinzip und habe lediglich in Art. 6 Abs.1 EMRK seinen besonderen Ausdruck gefunden; so BGH NJW 1971, 1097 (1098). 224 Dalbkermeyer, S. 30. 225 EGMR EuGRZ 1980, 667 (672); NJW 2009, 3707 (3708); BVerfG NJW 1993, 3254 (3256); BeckOK-StPO/Valerius, Art. 6 EMRK Rn. 4; Fischer, S. 197; LR-StPO/Esser, Art. 6 EMRK Rn. 5; Meyer-Goßner/Schmitt, Art. 6 EMRK Rn. 1; HK-EMRK/Meyer-Ladewig/ Harrendorf/König, Art. 6 Rn. 91. Teilweise gilt der Grundsatz des fairen Verfahrens auch vor Einleitung des Ermittlungsverfahrens, in Fällen des sog. „agent provocateur“ bspw. sogar noch bevor eine Straftat überhaupt begonnen wurde; vgl. Grabenwater/Pabel, § 24 Rn. 70

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Garantien hiervon im Einzelnen umfasst werden.226 Bei den in Art. 6 Abs. 1 EMRK aufgeführten Verfahrensgarantien handelt es sich nicht um einen abschließenden Katalog, sondern lediglich um bestimmte Ausprägungen des noch darüberhinausgehenden „fair trial“-Grundsatzes.227 Es ist jedoch gerade diese vage Ausgestaltung, die dem Recht auf ein faires Verfahren im Strafverfahren seine wachsende Bedeutung verleiht, da es mehr und mehr durch die Rechtsprechung bei der Auslegung von Verfahrensrechten herangezogen wird.228 Die konkrete Ausformung des Verfahrens obliegt damit dem nationalen Gesetzgeber, wobei sich die Konventionskonformität des nationalen Verfahrensrechts nicht nach der genauen Umsetzung der Forderungen des Art. 6 Abs. 1 EMRK richtet, sondern danach, ob sie in ihrer Gesamtheit ein faires Verfahren zu gewährleisten imstande sind.229 Ein Mindestmaß an Verfahrensfairness im Strafprozess durch die Entwicklung eines Katalogs von Einzelgarantien zu gewährleisten ist damit legislative Pflicht. b) Durch eine mediale Verfahrensöffentlichkeit tangierte Garantien Angesichts des weiten Gewährleistungsbereichs des „fair trial“-Grundsatz müssen die durch eine entanonymisierende oder darüber hinaus kompromittierende Öffentlichkeitsarbeit der Ermittlungsbehörden und mediale Verdachtsberichterstattung tangierten Verfahrensgarantien herausgearbeitet werden. Nach Art. 6 Abs. 1 EMRK hat der Betroffene zunächst Anspruch auf ein Verfahren vor einem unabhängigen und unparteiischen, auf dem Gesetz beruhenden Gericht. Unabhängigkeit meint in diesem Zusammenhang die Möglichkeit des Gerichts zu einer Entscheidung frei von äußeren Einflüssen (vorherige Weisungen oder nachträgliche Rechenschaft).230 Unparteiisch ist darüber hinaus ein Gericht, das zum einen subjektiv frei von Vorurteilen sowie unvoreingenommen ist und das zum anderen auch objektiv keine Zweifel seitens der Verfahrensbeteiligten oder der Öffentlichkeit an seiner Unparteilichkeit begründet.231 Insofern muss für einen Verstoß gegen den „fair trial“-Grundsatz bereits die bloße Besorgnis einer Beeinflussung von Verfahrensbeteiligten genügen, da ein tatsächlicher Verlust der erforderlichen objektiven Distanz zum Verfahrensgegenstand kaum nachweisbar ist.232 Überdies widerspricht es bereits den rechtsstaatlichen Maßstäben, wenn bei dem 226

HK-EMRK/Meyer-Ladewig/Harrendorf/König, Art. 6 Rn. 87. Fischer, S. 198. 228 BeckOK-StPO/Valerius, Art. 6 EMRK Rn. 9. 229 BeckOK-StPO/Valerius, Art. 6 EMRK Rn. 9. 230 EGMR EuGRZ 1985, 534 (540); BeckOK-StPO/Valerius, Art. 6 EMRK Rn. 6. 231 EGMR NJW 2006, 2901 (2903); NJW 2007, 3553 (3554); NJW 2011, 3633 (3634); BeckOK-StPO/Valerius, Art. 6 EMRK Rn. 7; LR-StPO/Esser, Art. 6 EMRK Rn. 156 f.; SKStPO/Paeffgen, Art. 6 EMRK Rn. 86. Im deutschen Strafprozessrecht ist dieses Recht zudem durch die Ausschließungs- und Ablehnungsgründe in §§ 22 ff. StPO abgesichert, BeckOKStPO/Valerius, Art. 6 EMRK Rn. 7. 232 Bornkamm, S. 218 f.; Dalbkermeyer, S. 28 f.; Neuling, S. 167. 227

B. Von Verfahrenspublizität betroffene Interessen

181

Beschuldigten der Eindruck entsteht, das gegen ihn gerichtete Verfahren laufe nicht ordnungsgemäß und sachlich ab.233 Geht die Staatsanwaltschaft mit Informationen aus einem Ermittlungsverfahren an die Öffentlichkeit kann infolge der hierdurch initiierten oder verstärkten, oft präjudizierenden Presseberichterstattung ein Stimmungsklima der öffentlichen Vorverurteilung befeuert werden, dem sich Laienrichter aber auch Berufsrichter nicht immer entziehen können, so dass die Beeinflussung ihres Urteils zu befürchten ist.234 Neben den zur Entscheidung über die Anklage berufenen Personen, droht durch der Presse entnommene Vorabinformationen zugleich eine Einflussnahme auf das Aussageverhalten von Zeugen und die Ungewissheit, ob diese bei ihrer Aussage eigenes Wissen oder bekanntgewordene Drittinformationen bekunden.235 Die Beeinflussung der Verfahrensbeteiligten durch eine intensive Berichterstattung sowie das öffentliche Meinungsbild ist insbesondere in aufsehenerregenden Fällen zu besorgen, die in der Presse umfassend behandelt werden.236 Damit geben gerade Verfahren gegen Personen des öffentlichen Lebens Anlass, eine Gefährdung des „fair trial“-Grundsatzes zu befürchten. Bei der Beurteilung des Verstoßes gegen das Recht auf ein faires Verfahren muss jedoch berücksichtigt werden, dass eine gewisse Medienaufmerksamkeit bei Verfahren gegen in der Öffentlichkeit stehende Personen nicht zu vermeiden ist und auch durch die Pressefreiheit und das öffentliche Informationsinteresse getragen wird.237 Doch auch schon vor dem öffentlichen Hauptverfahren kann die zur Entscheidung über die Erhebung einer Anklage berufene und der Objektivität verpflichtete (§ 160 Abs. 2 StPO) Staatsanwaltschaft in ihrer Entscheidung über den Verfahrensfortgang oder für eine Einstellung durch das öffentliche Stimmungsklima beeinflusst werden.238 Plausibel begründet sieht Fischer in Anlehnung an Müller mit einer aktiven Öffentlichkeitsarbeit der Staatsanwaltschaft zudem das aus dem Rechtsstaatsprinzip 233

Dalbkermeyer, S. 29. EGMR NJW 2015, 1745 (Ls.); BVerfG NJW 1986, 1239 (1240), bzgl. Laienrichtern; BT-Drucks. 10/4608, S. 5 f.; Dalbkermeyer, S. 27; Kühl, FS-Hubmann 1985, 241 (242 f.); HKEMRK/Meyer-Ladewig/Harrendorf/König, Art. 6 Rn. 167; auch wenn die Beeinflussungsgefahr bei einer Entscheidung durch Berufsrichter geringer ist, kann sie auch hier trotz einer anzunehmenden Professionalität nie ausgeschlossen werden; vgl. HK-EMRK/Meyer-Ladewig/ Harrendorf/König, Art. 6 Rn. 167; zu den Gefahren einer massenmedialen Verdachtsberichterstattung vgl. ausführlich bereits oben Drittes Kapitel, A. 235 BT-Drucks. 10/4608, S. 6; Bornkamm, S. 214; Dalbkermeyer, S. 27; Gross, FS-Hanack 1999, 38 (40); Neuling, S. 167, nach dem es berechtigterweise auch die Beeinflussung von Sachverständigen zu besorgen gilt; vgl. hierzu bereits oben Drittes Kapitel, A. I. 236 Bornkamm, S. 217 f.; Dalbkermeyer, S. 28 f.; vgl. hierzu bereits oben Drittes Kapitel, A. I. 237 HK-EMRK/Meyer-Ladewig/Harrendorf/König, Art. 6 Rn. 167; siehe zu der die Medienberichterstattung tragenden Pressefreiheit unten Viertes Kapitel, B. I. 3. Zum Auskunftsanspruch im Dienst des öffentlichen Informationsinteresses siehe unten Fünftes Kapitel, B. II. 1. 238 Dalbkermeyer, S. 28; Neuling, S. 166. 234

182 3. Kap.: Medienöffentliche Ermittlungsverfahren zwischen Wirklichkeit u. Recht

des Art. 20 Abs. 3 GG sowie dem allgemeinen Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG und dem Sozialstaatsgebot abgeleiteten239 Gebot der Waffengleichheit tangiert.240 Gemeint ist die zwischen dem Beschuldigten, seinem Verteidiger und dem Staatsanwalt gleichverteilte Möglichkeit, auf die gerichtliche Entscheidung Einfluss zu nehmen.241 Zwar könne gerade im Bereich des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens aufgrund der Offizialmaxime und der den speziellen Bedürfnissen effektiver Ermittlungen dienenden Befugnissen der Staatsanwaltschaft nicht von einer Waffengleichheit im absoluten Sinne ausgegangen werden, dennoch gehe es bei diesem Prinzip um eine den unterschiedlichen Rollen der Verfahrensbeteiligten entsprechende Verfahrensgleichheit und einer Balance zwischen den verfassungsrechtlichen Vorgaben.242 Dem Beschuldigten stehe zwar – anders als den Ermittlungsbehörden – das Recht zur Seite, zu schweigen, zu verdunkeln oder sogar zu lügen sowie vermeintlich befangene Richter abzulehnen,243 dennoch würde gerade das Recht des Beschuldigten zu schweigen, durch eine offensive Öffentlichkeitsarbeit der Staatsanwaltschaft mittelbar ausgehebelt, da der Beschuldigte zwar das „gleiche“ Recht und die Möglichkeit hat, sich in der Öffentlichkeit zu den Vorwürfen zu äußern, aber dieser Möglichkeit aufgrund des sozialen Drucks zur Notwendigkeit zu werden droht, wenn der Beschuldigte andernfalls um seine Sozialstellung bangen muss und nur so die seitens der Strafverfolgungsbehörde an die Öffentlichkeit gegebenen Informationen richtig- oder klarzustellen vermag.244 Den öffentlichen Darstellungen der Staatsanwaltschaft kommt aufgrund ihrer staatlichen Funktion in der öffentlichen Wahrnehmung ein besonderes Gewicht zu, welchem der Beschuldigte selbst durch eine eigene öffentliche Darstellung seiner Perspektive nur wenig entgegenzusetzen hat. Die Öffentlichkeitsarbeit kann den Beschuldigten somit nicht nur mittelbar um sein Recht auf Schweigen bringen, sondern wiegt in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit auch ungleich schwerer, so dass jedwede entanonymisierende Informationsweitergabe durch die Ermittlungsbehörden auch das Gebot der Waffengleichheit als spezielle Ausprägung des „fair trial“-Grundsatzes tangiert. Umgekehrt steht zu befürchten, dass der Beschuldigte zur Vermeidung der negativen Folgen einer Publizität des gegen ihn bestehenden Tatverdachts zu einem zurückhaltendem Prozessverhalten veranlasst wird und beispielsweise aus Angst vor Verlust seiner Sozialstellung auf Rechtsbehelfe verzichten könnte oder einen Strafbefehl zur Vermeidung einer öffentlichen Hauptverhandlung trotz Unschuld akzeptiert.245 Durch derartige Beeinflussungen wird nicht nur die im Interesse der 239

BVerfG NJW 1975 (103); NJW 1984, 1907. Fischer, S. 199 ff., unter Verweis auf Müller, NJW 1976, 1063 (1065). 241 BeckOK-StPO/Valerius, Art. 6 EMRK Rn. 10; HK-EMRK/Meyer-Ladewig/Harrendorf/König, Art. 6 Rn. 106. 242 Fischer, S. 200; Müller, NJW 1976, 1063 (1066). 243 Fischer, S. 200; Müller, NJW 1976, 1063 (1065). 244 Fischer, S. 201. 245 BT-Drucks. 10/4608, S. 6; Dalbkermeyer, S. 27; vgl. hierzu bereits oben Drittes Kapitel, A. II. 240

B. Von Verfahrenspublizität betroffene Interessen

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Allgemeinheit liegende Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege bedroht, sondern insbesondere das subjektive Recht des Einzelnen auf ein rechtsstaatliches Strafverfahren mit individueller Verteidigungs- und Handlungskompetenz.246 Die Pressearbeit der Staatsanwaltschaft betrifft damit ebenso wie die mediale Verdachtsberichterstattung die dem „fair trial“-Grundsatz zu entnehmenden Verfahrensgarantien. Der Beschuldigte hat einen schützenswerten Anspruch auf ein faires Verfahren, welches nicht durch die Öffentlichkeitsarbeit der Strafverfolgungsbehörden oder die darauf fußende Kriminalberichterstattung beeinträchtigt werden darf.247 Eine Strafrechtverfolgung durch freie, unparteiische und objektive Verfahrensbeteiligte dient zudem nicht nur dem Schutz des Beschuldigten, sondern liegen auch im Interesse der Allgemeinheit.248 3. Zwischenergebnis Im Hinblick auf die Bedürfnisse und Anforderungen eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens können die ermittlungsbehördliche Öffentlichkeitsarbeit im Vorverfahren und die das gesamte Verfahren begleitende mediale Berichterstattung die Schutzgarantie der Unschuldsvermutung aus Art. 1 Abs. 1, 20 Abs. 3 GG, 6 Abs. 2 EMRK verletzen, welche bereits im Ermittlungsverfahren Wirkung entfaltet. Hiernach darf der Beschuldigte vor der Feststellung seiner Schuld weder als schuldig bezeichnet, noch behandelt werden und ist insbesondere vor den gesellschaftlich herabsetzenden Wirkungen der Strafe zu schützen. Damit gebietet die Unschuldsvermutung eine restriktive Informationspolitik der Staatsanwaltschaft, um den Beschuldigten vor einer Vorverurteilung der Öffentlichkeit zu schützen. Über die Bindung der Strafverfolgungsorgane folgt aus dem verfassungsrechtlichen Persönlichkeitsschutz eine unmittelbare Begrenzungswirkung für die Medien und diese verbietet hier eine schuldsuggerierende Berichterstattung. Schließlich stellt eine intensive Öffentlichkeitsarbeit der Staatsanwaltschaft und eine umfassende Verdachtsberichterstattung eine Gefahr für den aus Art. 6 Abs. 1 EMRK sowie Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG uns Art. 20 Abs. III GG herzuleitenden „fair-trial“-Grundsatz dar. Durch ein Stimmungsklima öffentlicher Vorverurteilung, aber auch durch eine Veröffentlichung zu vieler Informationen aus dem Ermittlung- und Strafverfahren erscheint insbesondere eine Verletzung des Anspruchs des Beschuldigten auf ein Verfahren vor einem unabhängigen, unparteiischen und frei von äußeren Einflüssen entscheidenden Gericht möglich. Eine Beeinflussung der Verfahrensbeteiligten droht aufgrund des gesteigerten Medieninteresses gerade bei Verfahren gegen Personen des öffentlichen Lebens. Zugleich kann eine freigiebige Informationspolitik der Ermittlungsbehörden den (prominenten) Beschuldigten zu öffentlichen Stellungnahmen zwingen oder zur Vermei246 247 248

Bornkamm, S. 218 f.; Dalbkermeyer, S. 28; Hassemer, NJW 1985, 1921 (1923). Neuling, S. 167 f. Dalbkermeyer, S. 28.

184 3. Kap.: Medienöffentliche Ermittlungsverfahren zwischen Wirklichkeit u. Recht

dung weiterer negativer Folgen eines medienwirksamen Strafverfahrens gegen seine Person zu einem zurückhaltenden Prozessverhalten veranlassen. Damit stellt eine medienöffentliche Strafrechtspflege auch eine Gefahr für das aus Art. 20 Abs. 3 i. V. m. Art. 3 Abs. 1 GG folgende Gebot prozessualer Waffengleichheit dar.

C. Ergebnis Dieses Kapitel hat aufgezeigt, dass eine extensive Informationspolitik der Staatsanwaltschaft sowie eine umfangreiche Presseberichterstattung auf das Prozessverhalten von Richtern, Staatsanwälten und Zeugen Einfluss nehmen kann und zudem den Beschuldigten mit gravierenden dissozialisierenden Effekten belastet. Durch die Veröffentlichung von Informationen über und aus dem Verfahren werden mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, der Unschuldsvermutung und dem Grundsatz des fairen Verfahrens bedeutende verfassungsrechtlich verankerte Rechtsgüter und Interessen tangiert. Aufgrund des gesteigerten öffentlichen und medialen Interesses entwickelt sich dieses Spannungsfeld zwischen Individualrechtsschutz und Allgemeininteressen insbesondere in Verfahren gegen Personen des öffentlichen Lebens. Es drängt sich somit die Frage auf, welches Maß an Öffentlichkeit in Verfahren gegen Personen des öffentlichen Lebens rechtlich geboten ist und welche Anforderungen in Anbetracht der verfassungsmäßigen Bedeutung der sich gegenüberstehenden Interessen an gebotene Informationstätigkeit der Ermittlungsbehörden, aber auch an die Berichterstattung der Presse zu stellen sind. Im Folgenden werden daher die rechtlichen Grundlagen der den öffentlichen Informationsinteressen dienenden medialen Verdachtsberichterstattung249 sowie der staatsanwaltschaftlichen Öffentlichkeitsarbeit250 dargestellt und an den legitimen Schutzbedürfnissen des Beschuldigten gemessen.

249 250

Hierzu unten Viertes Kapitel. Hierzu unten Fünftes Kapitel.

Viertes Kapitel

Mediale Berichterstattung im Ermittlungsund Strafverfahren Das vorangegangene Kapitel hat gezeigt, dass sich die Medienöffentlichkeit eines Strafverfahrens sowohl auf den Beschuldigten und dessen Wahrnehmung in der Gesellschaft als auch auf die übrigen Verfahrensbeteiligten und damit die gesamte Strafverfolgung auswirken kann. Eine über Presseberichterstattung vermittelte Öffentlichkeit birgt erhebliche Gefahren für das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen, die ihn zu schützen bestimmte Unschuldsvermutung sowie die Grundsätze eines fairen Verfahrens.1 Gerade die Person des öffentlichen Lebens ist hierbei aufgrund ihrer gesellschaftlichen Stellung und dem damit verbunden hohen öffentlichen und medialen Interesse eine das Ermittlungs- und Strafverfahren begleitende Presseberichterstattung viel mehr noch als bis dato eine unbekannte Persönlichkeit nachhaltiger Beeinträchtigungen ausgesetzt. Im Folgenden soll daher die mediale Berichterstattung im Ermittlungs- und Strafverfahren in tatsächlicher sowie rechtlicher Hinsicht betrachtet werden. Nach einem Blick auf die moderne Verdachtsberichterstattung und ihrer Funktion im Strafverfahren (A.) werden hierzu die rechtlichen Rahmenbedingungen herausgearbeitet (B.). Schließlich wird der letzte Abschnitt (C.) einen Überblick über das Phänomen der Prozessführung über Medien, die sog. „Litigation-PR“ geben.

A. Moderne Verdachtsberichterstattung und ihre Rolle im Strafverfahren Die Medienlandschaft und damit auch die tatsächlichen Bedingungen medialer Verdachtsberichterstattung haben sich in den vergangenen Jahrzehnten epochal verändert. Nachdem Presse und Rundfunk lange Zeit die mediale Berichterstattung dominiert haben, entwickelten sich die journalistischen Möglichkeiten zunächst durch die Verbreitung des Fernsehens aber insbesondere in den letzten Jahrzehnten durch die mit dem Internet als Massenmedium einhergehenden grundlegenden Veränderungen rasant. Nachfolgend sollen daher zunächst der Begriff der „modernen

1 Zu diesen durch die Medienöffentlichkeit betroffenen Rechtsgütern siehe bereits oben Drittes Kapitel, B.

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4. Kap.: Mediale Berichterstattung im Ermittlungs- und Strafverfahren

Medien“, ihre Rolle im Ermittlungs- und Strafverfahren sowie die unterschiedlichen Arten medialer Verdachtsberichterstattung bestimmt werden.

I. Zum Begriff der modernen „Medien“ Vor einer funktionalen Auseinandersetzung mit den Medien im heutigen Strafverfahren bedarf es zunächst einer inhaltlichen Bestimmung des Begriffs der „Medien“. Eine einheitliche Definition dieses Begriffs sucht man vergeblich und eine solche scheint angesichts seines Bezugs zu den unterschiedlichsten Phänomenen auch nicht möglich.2 Aufgabe der vorliegenden Untersuchung kann es daher an dieser Stelle nur sein, das dieser Arbeit zugrunde gelegte Begriffsverständnis darzustellen. Ausgehend von der klassischen medientheoretischen Definition von Marshall McLuhan als „extension of man“ beschreibt Hönisch die Medien als Verlängerung der kognitiven und mentalen Möglichkeiten der Menschen mithin der Gesellschaft.3 Unter dem Begriff der Medien sind damit alle Mittler4 von Informationen, Nachrichten und Meinungen als geistige, optische oder akustische Inhalte an eine unbestimmte Anzahl von Adressaten zu fassen.5 Zwar können diese in Individualkommunikationsmedien (zwischen zwei oder mehr bestimmten Personen) und Massenmedien (an die Allgemeinheit gerichtet) untergliedert werden,6 im Folgenden soll der Begriff der „Medien“ jedoch insbesondere die Massenmedien erfassen, die sich nicht an einen Einzelnen, sondern an ein anonymes und unbegrenztes Publikum richten.7 Erfasst sind damit sämtliche öffentlichen Kommunikationsmittel unabhängig von ihrer technischen sowie organisatorischen Ausformung.8 Damit sind mit Medien neben dem technischen Mittel zugleich auch die Unternehmen oder Institutionen gemeint, die die öffentliche Kommunikation durch ihre Medienprodukte ermöglichen.9

2 Danziger, S. 183 und Meinecke, S. 27, die zur Vertiefung hinsichtlich der verschiedenen Definitionsversuche auf Kirchmann, S. 45 ff., verweisen; zum Schweizer Recht Strebel, S. 7. 3 Hörisch, StV 2005, 151 (151), unter Verweis auf McLuhan, S. 17 ff. 4 Fechner, 1. Kap. Rn. 2, erklärt diese Funktion bereits etymologisch, da das Wort Medium von lat. „medius“ („in der Mitte befindlich, mittlerer“) herrühre und dieses Wort bereits seit dem 17. Jahrhundert im Sinne von „Vermittlung, Vermittlungsstoff, vermittelndes Element“ verwendet werde. 5 Fechner, 1. Kap. Rn. 2 ff.; Neuling, S. 97 f.; Strebel, S. 9; vgl. hierzu sowie als Exkurs zur Entwicklung der Massenmedien auch Danziger, S. 183 ff. 6 Fechner, 1. Kap. Rn. 3. 7 AE-StuM, Einführung, S. 3; Danziger, S. 185; vgl. ausführlicher zu den Charakteristika der Massenmedien Fechner, 1. Kap. Rn. 3. 8 Strebel, S. 9. 9 Neuling, S. 97.

A. Moderne Verdachtsberichterstattung und ihre Rolle im Strafverfahren

187

Da sich die Kommunikationsmittel einer Gesellschaft allerdings unaufhörlich verändern, handelt es sich bei dem Begriff der Medien um einen dynamischen Begriff, dessen Inhalt ebenso wie die Gesellschaft einem stetigen Wandel unterworfen ist. Eine starre Begrenzung des Medienbegriffs kann daher nicht erfolgen, muss er doch eine zeitgemäße Anpassung an gesellschaftliche Veränderungen ermöglichen.10 Medien sind damit sowohl Produkt als auch Spiegelbild ihrer Zeit, so dass es sich bei diesem Terminus nicht um einen juristischen, sondern vielmehr einen gesellschaftlichen Begriff handelt.11 Die Medien- und Informationsgesellschaft und der Stellenwert der einzelnen Kommunikationsmittel haben sich in den vergangenen Jahrzehnten epochal verändert. Standen historisch noch die gedruckte Presse, Rundfunk (Hörfunk und Fernsehen) sowie Film im Vordergrund, werden diese in ihrer Bedeutung seit den 1990er Jahren mehr und mehr von den „neuen Medien“, den Multimediadiensten, insbesondere dem Internet abgelöst.12 Hauptcharakteristikum der Veränderungen in der Medienlandschaft ist die Verbindung zuvor getrennter Kommunikationsmittel, eine Entwicklung, die die Entstehung weiterer „neuer Medien“ erwarten lässt, so dass sich der Begriff der Medien auch künftig weiter verändern wird.13 Ein zeitgemäßes Verständnis wird daher maßgeblich durch die verschiedenen Kommunikationsmittel konkretisiert und kann nur durch einen Blick auf die heute vorherrschenden bestimmt werden. Zu nennen ist hier zunächst die Presse im Sinne eines Printmediums, mithin die Erzeugung und Vervielfältigung von Veröffentlichungen, die auf dem Druckwege entstanden sind, einmalig (Bücher, Flugblätter, Reklame) oder oft auch periodisch (Zeitungen, Zeitschriften) erscheinen und sich an die Allgemeinheit oder ein spezielles Fachpublikum richten.14 Der Begriff der „Presse“ wird auch in den Landespressegesetzen verwendet (z. B. § 1 Abs. 1 PresseG BE) und erfasst auch sonstige zur Massenherstellung geeigneten Vervielfältigungsverfahren für Veröffentlichungen (beispielsweise CDs und DVDs).15 Mit Verbreitung der neuen Medien, insbesondere des Online-Journalismus, hat die Relevanz der Presse etwas abgenommen, bleibt aber weiterhin innerhalb der Medienlandschaft in einer machtvollen Position.16 Ein ebenfalls eher klassisches Kommunikationsmittel ist der Rundfunk. Unter diesem etwas veralteten aber noch immer gebräuchlichen Begriff werden Radio (Hörfunk) und Fernsehen zusammengefasst und damit die Wiedergabe und Ver10

Strebel, S. 9. Strebel, S. 8. 12 AE-StuM, Einführung, S. 3; Strebel, S. 10. 13 Vgl. zu diesem allgemein als „Konvergenz“ bezeichneten Prozess auch Fechner, 1. Kap. Rn. 4; Paschke, Rn. 38 f.; Strebel, S. 10, 14 f. 14 Fechner, 8. Kap. Rn. 1 ff.; Strebel, S. 11. 15 Vgl. § 6 Abs. 1 PressG BE; Fechner, 8. Kap. Rn. 3. 16 Strebel, S. 11. 11

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4. Kap.: Mediale Berichterstattung im Ermittlungs- und Strafverfahren

breitung der von sog. Kommunikatoren (Publizisten, Journalisten, Reportern und Redakteuren) verfassten geistigen Sinngehalte (Beiträge oder Aussagen) an die Allgemeinheit in unkörperlicher Form mittels Funktechnik.17 Bei dieser Kommunikationstechnik erfolgt die Verbreitung der Informationen grundsätzlich gleichzeitig und in Echtzeit an alle Empfänger (Zuschauer, Zuhörer),18 wobei heute die Verbindung des klassischen Fernsehens mit dem neuen Medium des Internets auch die sog. Mediatheken hervorgebracht hat, in denen Fernsehbeiträge nach ihrer Ausstrahlung weiterhin online jederzeit abrufbar sind und damit ein erweitertes Publikum erreichen. Gerade das Fernsehen ist ein massenmediales Kommunikationsmittel mit großer gesellschaftlicher und politischer Relevanz für die öffentliche Meinungsbildung, da die Berichterstattung anhand von Bildern und Tönen besonders eindrucksvoll ist und sich so ein weites Spektrum an Einflussmöglichkeiten eröffnet.19 Mit der Verbreitung des Fernsehens wurde auch das Medium des Films zu einer Möglichkeit, Informationen und Meinung in private Haushalte und damit an ein breites Publikum zu vermitteln. Vom Begriff des Films sind neben den Fernsehfilmen auch Kinofilme sowie Filmveröffentlichungen auf DVD oder ähnlichen Datenträgern erfasst. Zwar kann der Film im Prozess der öffentlichen Willensbildung einen erheblichen Einfluss haben, dieses Kommunikationsmittel ist jedoch für die hier gegenständliche Verdachtsberichterstattung über Strafverfahren von eher untergeordneter Relevanz.20 Die wohl maßgeblichste und revolutionärste Veränderung der vergangenen Jahrzehnte im Informationswesen ist der Einsatz der Digitaltechnik in den elektronischen Kommunikationstechniken, die den informationellen Alltag der Gesellschaft gravierend verändert haben und als „neue Medien“ oder „Multimedia“ beschrieben werden.21 Geprägt werden diese neuen Medien durch die seit den 1990er Jahren rasant voranschreitende Verwendung von Computertechnik und der Digitalisierung von Informationen.22 Durch die Verbindung von Text, Bild sowie Ton und der Nutzung einer gemeinsamen Plattform, des Internets sind im Hinblick auf die zeitliche, räumliche und quantitative Verbreitung sowie Verfügbarkeit von Informationen neue und weitaus effektivere Kommunikationsmittel geschaffen worden. 17 Fechner, 10. Kap. Rn. 20 ff.; vgl. auch Strebel, S. 11, die insoweit auf die Definition von Herrmann/Lausen, § 2 Rn. 12 zurückgreift. 18 Strebel, S. 12. 19 Strebel, S. 12. 20 Eine Ausnahme können hier beispielsweise Dokumentarfilme und -serien über noch andauernde oder abgeschlossene Strafverfahren darstellen, so bspw. das dem Lebach-Urteil des BVerfG zugrundeliegende Fernsehspiel über den Soldatenmord von Lebach. Künftig ist indes zu erwarten, dass nach US-amerikanischem Vorbild von Serien wie „Making a murderer“ oder „Amanda Knox“ auch spektakuläre deutsche Strafverfahren medial in Dokumentarformaten aufgearbeitet werden. 21 Strebel, S. 13. 22 Fechner, 12. Kap. Rn. 2; Strebel, S. 13.

A. Moderne Verdachtsberichterstattung und ihre Rolle im Strafverfahren

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Nachdem bei der Entwicklung des Internets zunächst der Austausch von Daten und Informationen im Fokus stand, veränderte sich dessen gesellschaftliche Bedeutung mit Beginn des 21. Jahrhunderts insbesondere durch die Entwicklungen von SocialMedia-Plattformen wie Facebook, Twitter und YouTube. Hiermit wurde der (personenbezogene oder anonyme) Austausch von Inhalten unter den Nutzern möglich. Das Internet erlaubt damit sowohl die Massen- als auch die Einzelkommunikation (Telekommunikation via Bild oder Ton, E-Mail). Mit der Ausweitung seiner Nutzung als Kommunikationsmittel wuchs auch die Bedeutung des Online-Journalismus, der hinsichtlich des Informationswesens die Medienlandschaft maßgeblich verändert hat. Heute erscheint die klassische Presse auch in elektronischer Form und das Internet dient auch dem Rundfunk als neues Medium.23 Neben dem professionellen Journalismus verbreitet sich auch der sog. „user-generated-content“, womit die durch den zuvor nur passiven Nutzer selbst verfügbar gemachten Inhalte gemeint sind. Informationsvermittlung an ein breites Publikum ist damit nicht mehr nur noch professionellen Medienvertretern vorbehalten, sondern kann praktisch von jedermann betrieben werden.24 Das Internet gilt daher als maßgeblichste Veränderung des Informationswesens seit der Erfindung des Buchdrucks und hat entscheidenden Einfluss auf das gesellschaftliche Miteinander sowie das Informationsverhalten der Gesellschaft. Aufgrund dieser vordringlichen gesellschaftlichen Bedeutung hat der BGH im Jahr 2013 das Internet zur Lebensgrundlage von Privatpersonen erklärt.25 Nicht zuletzt mit der zunehmenden Verbreitung von verschiedenen mobilen Endgeräten (Laptops, Smartphones etc.) hat das Internet die räumlichen und zeitlichen Grenzen von Kommunikation aufgehoben.26 Informationsvermittlung als Massenoder Einzelkommunikation findet heute nicht mehr im Tagesrhythmus, sondern jederzeit und an jedem Ort statt.27 Durch diese neuen Medien sind Informationen heute für jeden zu jederzeit an jedem Ort abrufbar, was zugleich eine Erwartungshaltung der massenmedialen Gesellschaft erzeugt, laufend über alle aktuell relevanten Geschehnisse informiert zu sein und damit neue Anforderungen an die Medienkompetenz des Einzelnen, aber auch den Online-Journalismus stellt. Anders als die Strafjustiz sind die Medien überwiegend nicht in staatlichen Organisationsformen eingebunden, sondern agieren als privatwirtschaftliche Unternehmen mit den daraus folgenden Freiheiten, Interessen und Bedürfnissen.28 Für die Medien als Wirtschaftsunternehmen sind damit 23

Strebel, S. 14. Vgl. vertiefend hierzu Johanna Kujath, Laienjournalismus als Teil der Medienöffentlichkeit im Umfeld strafrechtlicher Gerichtsverhandlungen: neue Herausforderungen durch die Entwicklung des Web 2.0, 2011. 25 BGH NJW 2013, 1072 (1074). 26 Nach Danziger wird ebenfalls unter Berufung auf den von McLuhan geprägten Begriff des „global village“ (McLuhan, S. 57) mit der Vergrößerung des Adressatenkreises von Kommunikation „die Welt zum Dorf“, S. 185. 27 Strebel, S. 14. 28 AE-StuM, Einführung, S. 3. 24

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4. Kap.: Mediale Berichterstattung im Ermittlungs- und Strafverfahren

Informationen die Ware, die gehandelt wird. Ihre Kunden erwarten unmittelbare Berichterstattung über das Zeitgeschehen, so dass ein relevantes Medium nur dasjenige ist, welches stets zuerst die aktuellsten Informationen verbreitet. Die mediale Gesellschaft hat sich damit in eine von miteinander konkurrierenden Medien geprägte Informationsgesellschaft entwickelt, in der mit dem Bedürfnis nach permanent aktuellen Informationen eine ethischen und moralischen Regeln29 unterworfene journalistische Recherche nicht immer möglich ist und so die Gefahr der Trivialisierung und Fehlinformation erheblich gestiegen ist.30 Das Internet eröffnet die Möglichkeit des weltweiten Zugriffs auf Informationen in Echtzeit,31 deren rasante und unkontrollierbare Weiterverbreitung gepaart mit der möglichen Anonymität des Verfassers die Gefahren für die Persönlichkeitsrechte der von der Veröffentlichung Betroffenen in den letzten drei Jahrzehnten erheblich gesteigert haben. Zugleich können im Zeitalter des Internets und seiner unerschöpflichen Kapazität einmal veröffentlichte Inhalte über lange Zeit zum jederzeitigen Abruf vorgehalten werden. Die neuen Medien verhelfen damit nicht nur zu einer rasanten und unumkehrbaren Informationsvermittlung, sondern fungieren zugleich als grenzenloses und zeitloses gesellschaftliches Gedächtnis. Die Bedürfnisse und Wirtschaftsinteressen der modernen Medienunternehmen im Bereich der strafrechtlichen Verdachtsberichterstattung bieten folglich ein neues Bedrohungspotential für die verfassungsrechtlich geschützten Rechte des Beschuldigten und das rechtsstaatliche Strafverfahren, wodurch ein zeitgemäßer Blick auf die bestehenden tatsächlichen und vor allem rechtlichen Schutzmechanismen für den Beschuldigten unumgänglich ist. Trotz der dargestellten Gefahren32 und neuen Bedrohungen, die die modernen Medien im Strafverfahren für die Beteiligten mit sich bringen, kommen ihnen zugleich einige bedeutsame Funktionen zu, die im Folgenden herausgearbeitet werden sollen.

II. Die Rolle der Medien im Strafverfahren Mediale Berichterstattung ist aus dem heutigen Strafprozess nicht mehr wegzudenken und erfüllt verschiedene soziale, rechtsstaatliche sowie politische Zwecke. Die Rechtmäßigkeit einer Berichterstattung über Ermittlungs- und Strafverfahren bestimmt sich daher im positiven insbesondere anhand der Rolle der Medien im deutschen Rechtsstaat. Vor diesem Hintergrund werden im Folgenden die öffentli-

29 Zu den journalistisch-ethischen Grundregeln des Pressekodex siehe unten Viertes Kapitel, B. III. 3. 30 Diese Gefahr sieht auch Fechner, 1. Kap. Rn. 19. 31 Strebel, S. 10. 32 Siehe hierzu oben Drittes Kapitel, A.

A. Moderne Verdachtsberichterstattung und ihre Rolle im Strafverfahren

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chen und gesellschaftlichen Aufgaben und Funktionen33 der Medien vor, während und nach einem Strafverfahren untersucht. Grundlage einer derartigen Rollenbestimmung ist die verfassungsrechtlich normierte Konstruktion der Bundesrepublik als demokratischer und sozialer Rechtsstaat (Art. 20 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 28 Abs. 1 GG), in welchem Transparenz, Kommunikation und damit insbesondere Information Grundvoraussetzungen plebiszitärer Machtkontrolle darstellen.34 In diesem Kontext fungieren die Medien – wie bereits etymologisch angedeutet35 – als Mittler zwischen Staat und Volk, womit ihnen eine wesentliche gesamtgesellschaftliche Bedeutung zukommt. Eine umfassende Untersuchung der allgemeinen rechtsstaatlichen Funktionen der Medien36 kann und soll an dieser Stelle nicht erfolgen. Vielmehr soll der Fokus auf die durch die Kriminalberichterstattung erfüllten Funktionen gelegt werden. Die Aufgabe der Strafjustiz besteht darin, durch eine sich an den Prinzipien von Wahrheit und Gerechtigkeit orientierende Aufarbeitung eines strafrechtlichen Sachverhalts und gegebenenfalls durch die Verhängung und Vollstreckung von Strafe einen Beitrag für den „inneren Frieden der Gesellschaft“ zu leisten.37 Nach den Landespressegesetzen obliegt jedoch auch den Medien eine „öffentliche Aufgabe“.38 Diese orientieren sich bei ihrer Berichterstattung ebenfalls an den Interessen, Bedürfnissen und Erwartungen ihrer Nutzer und Adressaten39 und erfüllen so neben den eigenen Interessen als private Wirtschaftsunternehmen40 zugleich übergeordnete und bedeutende gesellschaftliche und rechtsstaatliche Funktionen.41

33 Die Begriffe „Funktion“ und „Aufgabe“ in Hinblick auf die Rolle der Medien in der Gesellschaft und spezifisch im Zusammenhang mit der Strafverfolgung werden hier nicht technisch im Sinne einer Verpflichtung verstanden, sondern vielmehr als Rollenbeschreibung und einer gesellschaftlichen Verantwortung. Siehe zu der kritischen Auseinandersetzung zu diesen Begrifflichkeiten auch von Becker, S. 40 ff., der unter anderem auf die Gefahr hinweist, dieser Begriff könne zu der Auffassung führen, die Gewährung der verfassungsrechtlich normierten Medienfreiheiten aus Art. 5 Abs. 1 GG sei von einer Erfüllung dieser „öffentlichen Aufgaben“ abhängig. 34 Bamberger, ZUM 2001, 373 (374); von Becker, S. 65 ff. 35 Hierzu siehe Fechner, 1. Kap. Rn. 2. 36 Für einen weiterführenden Überblick über die Funktion der Massenmedien vgl. auch Danziger, S. 186 ff., die u. a. auf Wildenmann/Kaltefleiter, Funktionen der Massenmedien (1965), verweist; ferner Luhmann, S. 116 ff. 37 AE-StuM, Einführung, S. 2; Meier, FS-Schreiber 2003, 331. 38 Vgl. bspw. § 3 Abs. 1 PressG BE. 39 AE-StuM, Einführung, S. 4; Kepplinger, in: Kriminalität in den Medien, S. 59 f. 40 Aufgrund des erheblichen Wertes medialer Produkte, die als Waren oder Dienstleistungen angeboten werden, stellen die Medien einen eigenen Wirtschaftsfaktor dar; vgl. Fechner, 1. Kap. Rn. 11. 41 Fechner, 1. Kap. Rn. 9.

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4. Kap.: Mediale Berichterstattung im Ermittlungs- und Strafverfahren

1. Gewährleistung von Gerichtsöffentlichkeit Die Frage nach der Funktion der Medien im Bereich des Strafverfahrens kann bereits mit einem Verweis auf die Zwecke des Öffentlichkeitsprinzips beantwortet werden, da die mediale Berichterstattung42 über Strafverfahren eine mittelbare Öffentlichkeit über die reine Saalöffentlichkeit hinaus gewährleistet („Publizität“ genannt43) und so die Medien ihre gesellschaftliche Verantwortung für die informationelle Daseinsfürsorge erfüllen.44 Mediale Berichterstattung im Strafverfahren ermöglicht folglich eine praktische Garantie allgemeiner Gerichtsöffentlichkeit, wenn aus rein tatsächlichen kapazitätsbedingten und zeitlichen Gründen eine Teilnahme der „Allgemeinheit“ am Verfahren nicht zu gewährleisten ist. Aufgrund der wachsenden medialen Informationsgesellschaft kann prinzipielle Verfahrensöffentlichkeit nicht mehr allein auf die „offene Saaltür“ und somit die Saalpräsenz beschränkt werden, denn der ganz überwiegende Teil der Bevölkerung ist darauf angewiesen, dass die Medien in Wahrnehmung ihres Informationsauftrags das Prozessgeschehen übermitteln und damit die mittelbare Öffentlichkeit im Sinne von § 169 S. 1 GVG in Form der Presseöffentlichkeit realisieren.45 Sieht man die im Gerichtssaal anwesenden Medienvertreter als Repräsentanten der (aus räumlichen Gründen) ausgeschlossenen Öffentlichkeit, erfüllt die mediale Kriminalberichterstattung als mittelbare Gerichtsöffentlichkeit alle gesellschaftlichen und staatlichen Funktionen, die auch dem strafprozessualen Öffentlichkeitsprinzip zugrunde liegen.46 Diese Konstruktion setzt indes voraus, dass die Berichterstattung aus dem Gerichtssaal und über Strafverfahren sachlich, neutral und wahrheitsgetreu ohne journalistischen Interessen dienende Verzerrungen erfolgt. Nur dann kann eine medial vermittelte Verfahrensöffentlichkeit ihre verfassungsrechtlich verankerten Funktionen erfüllen. Ein derartiges Idealbild rein informativer und abbildender Berichterstattung stimmt jedoch mit der medialen Wirklichkeit kaum überein, so dass die diesbezüglich kritische Haltung Danzigers und ihre Sorge vor einer Dysfunktionalität rein medial vermittelter Gerichtsöffentlichkeit aufgrund der Abweichungen zwischen juristisch-normativen Anforderungen und der durch die Medien realisierten Form von Öffentlichkeit nur folgerichtig ist.47 Danziger merkt zudem an, ein massenmedialer öffentlicher Diskurs gesamtgesellschaftlicher Konflikte und 42 Insofern gibt Marxen, GA 2013, 99 (100), zu bedenken, der Begriff der Berichterstattung in diesem Zusammenhang ließe unberücksichtigt, dass die Medienöffentlichkeit heute die Gerichtsöffentlichkeit im Sinne der Saalöffentlichkeit erweitere. 43 Hamm, nr-Werkstatt 2005, 16; siehe zu den Funktionen des Öffentlichkeitsgrundsatzes ausführlich bereits oben Zweites Kapitel, A. III. 44 Neuling, S. 109. Siehe zur Bedeutung des Internets als Teil der Medienöffentlichkeit strafrechtlicher Gerichtsverfahren erneut Johanna Kujath, Laienjournalismus als Teil der Medienöffentlichkeit im Umfeld strafrechtlicher Gerichtsverhandlungen: neue Herausforderungen durch die Entwicklung des Web 2.0, 2011. 45 Britz, S. 229; Kuß, S. 62 f.; SK-StPO/Meyer, Art. 6 EMRK Rn. 220. 46 Siehe hierzu bereits oben Zweites Kapitel, A. III. 47 Danziger, S. 234 f.

A. Moderne Verdachtsberichterstattung und ihre Rolle im Strafverfahren

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eine kritische Auseinandersetzung mit dem Wirken der staatlichen Strafverfolgung anhand der medialen Berichterstattung über einen bestimmten Strafprozess sei ungeeignet, da es sich hierbei stets lediglich um die Verarbeitung eines medienwirksamen Einzelfalls handle.48 2. Wiederherstellung des Rechtsfriedens und Generalprävention Auch wenn mediale Kriminalberichterstattung im Hinblick auf die Gewährleistung mittelbarer Gerichtsöffentlichkeit kritisch betrachtet werden kann, erfüllt sie eine weitere strafprozessuale und zugleich bedeutsame soziale Funktion: mediale Berichterstattung über Straftaten und deren rechtsstaatliche Verfolgung bietet dem Einzelnen die Möglichkeit, das Geschehene in die eigenen sowie gesellschaftlichen Normen einzuordnen und sich durch Abgrenzung oder Identifikation in seinen persönlichen Werten bestätigt zu sehen und wird daher auch als „Sozialhygiene der Bevölkerung“ bezeichnet.49 Der Einzelne fühlt sich durch die Verfolgung und Bestrafung des Täters in seiner Rechtschaffenheit positiv bestärkt und kann seine Abneigung und Antipathien auf den Delinquenten projizieren.50 Damit leistet strafprozessbezogenes Medienhandeln einen Beitrag zur Stärkung der sozialen Ordnung, indem es die normativ-gesellschaftlichen Strukturen vermittelt.51 Durch eine Straftat wird zudem das „Gesamtunrechtsbewusstsein der Bevölkerung“ negativ beeinflusst und durch eine schnelle und effektive Aufklärung und Verfolgung nachhaltig wiederhergestellt. Hierbei kann eine identifizierende Berichterstattung durch die „Personalisierung des begangenen Unrechts“ hilfreich sein.52 Der Rezipient erlebt durch die Veröffentlichung von Strafverfolgung durch den Staat die Ahndung sozialabweichenden Verhaltens und damit auch die Genugtuung durch öffentliche Wiederherstellung des Rechtsfriedens. Diesbezüglich sieht Danziger die ehemals öffentliche Bestrafung des Täters durch die massenmediale Zurschaustellung des Strafprozesses in funktionaler Hinsicht als nahezu gleichwertig ersetzt.53 Medial vermittelte Strafverfolgung stärkt folglich das Vertrauen der Bevölkerung in den Staat, schafft Verständnis und stellt durch die Tat erschüttertes Normvertrauen wieder her.54 Auf diesem Weg wird der Bevölkerung die „Unverbrüchlichkeit der 48

Danziger, S. 235. Danziger, S. 232 f.; zitiert nach Walter, FS-Schüler-Springorum 1993, S. 189 (195 m. w. N.). 50 Mechler, ZRP 1971, 1; Walter, FS-Schüler-Springorum 1993, S. 189 (195); vgl. zu dieser sozialen Funktion öffentlicher Strafverfolgung auch unten Viertes Kapitel, A. II. 3. 51 Danziger, S. 233, die jedoch anmerkt, dass dies nur gelinge, wenn sich die mediale Berichterstattung innerhalb des gesellschaftlichen Verständnisses von Richtig und Falsch bewege und damit das ohnehin vorhandene Werteverständnis bestätigt würde. So auch Walter, FSSchüler-Springorum 1993, S. 189 (196). 52 Dalbkermeyer, S. 38; Fischer, S. 33 f.; Ostendorf, GA 1980, 445 (446). 53 Danziger, S. 234. 54 Danziger, S. 233; Fischer, S. 33. 49

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4. Kap.: Mediale Berichterstattung im Ermittlungs- und Strafverfahren

Rechtsordnung“ aufgezeigt55, so dass die Berichterstattung zugleich negativ generalpräventiv wirkt, indem der Einzelne davon abgehalten wird, derartige oder ähnliche Straftaten zu begehen.56 Damit bildet Kriminalberichterstattung die Grundlage der generalpräventiven Funktion von Strafe und steht so im Dienst der Verteidigung der Rechtsordnung. Zugleich wird durch die öffentliche Strafverfolgung das Sanktionsbedürfnis der Gesellschaft reguliert und befriedigt, was zugleich möglicher Selbstjustiz vorbeugt.57 3. Grundlage öffentlicher Willensbildung Eine der wichtigsten Funktion der Medien ist ihre Mittlerstellung im Prozess der individuellen und gesellschaftlichen mithin öffentlichen Meinungsbildung, wobei hierfür eine freie Berichterstattung konstituierend ist.58 Neben den politischen Parteien bilden die Medien eine bedeutende vermittelnde Kraft zwischen dem Staat und dem Volk sowie umgekehrt59 und im Bereich der Kriminalberichterstattung eine solche zwischen Strafjustiz und Bevölkerung. Den Medien kommt eine „Dolmetscherfunktion“ zu, indem sie „das Recht an Frau und Mann bringen“60 und zugleich durch die Vermittlung von unterschiedlichsten Informationen zu Wissensvermittlung,61 Meinungsentwicklung und Unterhaltung der Gesellschaft beitragen.62 In dieser Hinsicht sieht das BVerfG die Medien und ihre Arbeit in einer pluralistischen und freiheitlichen Demokratie als „unentbehrlich“ an.63 Diese bedeutende Rolle ist der Grund für den besonderen Schutz der Freiheit der Presse durch das Grundgesetz (Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG).64 Mediale Berichterstattung über Strafverfahren ermöglicht zugleich auch einen Anstoß zu einem Dialog über die hinter dem Einzelfall stehenden gesamtgesellschaftlichen Konflikte und erfüllt damit eine einflussreiche Funktion im Hinblick auf das politische System und seine Entwick-

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Vgl. zu dieser gesellschaftlichen Funktion von Strafe auch BVerfG NJW 1977, 1525 (1531); BGH NJW 1971, 439 (440). 56 BVerfG NJW 1977, 1525 (1531); BGH NJW 1971, 439 (440); Fischer, S. 33. 57 Fischer, S. 34, der aber auch auf die Möglichkeit gegenteiliger Wirkung hinweist, wenn eine identifizierende Berichterstattung zu negativer Stimmung gegenüber einer Einzelperson führt. 58 AE-StuM, Einführung, S. 3 ff.; Bamberger, ZUM 2001, 373 (374); Danziger, S. 188; Fechner, 1. Kap. Rn. 10; Fischer, S. 29; Meier, FS-Schreiber 2003, S. 331. 59 Bamberger, ZUM 2001, 373 (374); Fechner, 1. Kap. Rn. 10. 60 Jung, GA 2014, 257 (264). 61 Treffend formuliert Luhmann, S. 9: „Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien.” 62 AE-StuM, Einführung, S. 3; Danziger, S. 190 f. 63 BVerfG NJW 1966, 1603 (1604); vgl. auch BVerfG NJW 1973, 1226 (1228). 64 BGH NJW 1960, 476 (477); zur Presse- und Meinungsfreiheit siehe unten Viertes Kapitel, B. I.

A. Moderne Verdachtsberichterstattung und ihre Rolle im Strafverfahren

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lung.65 Der Prozess der politischen Willensbildung vollzieht sich vielfach durch öffentliche Debatten, welche ihren Ursprung gerade im strafrechtlichen Bereich überwiegend in öffentlich gewordenen Strafverfahren finden.66 Da jedoch eine Medienberichterstattung kaum objektiv erfolgen kann und sich aus wirtschaftlichen Gründen immer an den Interessen und der Erwartungshaltung ihrer Rezipienten orientiert, haben die Medien durch Selektion der Themen und Art der Darstellung auch einen erheblichen Einfluss auf die Wahrnehmung von Kriminalität in der Öffentlichkeit und damit einen politischen Einfluss.67 Auf diese Weise schaffen die Medien nicht nur die informationelle Grundlage der Meinungsbildung, sondern bestimmen diese auch mit und sind folglich nicht nur „Medium“ sondern zugleich „Faktor“ im öffentlichen Meinungsbildungsprozess.68 Aus dieser einflussreichen und rechtsstaatlich existenziellen Rolle folgt eine erhebliche Verantwortung, derer sich die Presse bei ihren journalistischen Entscheidungen bewusst sein muss. 4. Kontroll- und Überwachungsfunktion Darüber hinaus kommt den Medien eine bedeutende Rolle im Bereich der plebiszitären Kontrolle staatlicher Machtausübung69 zu, indem sie nicht nur über die geschehende Strafverfolgung informieren, sondern auch etwaige Missstände aufdecken und publik machen. Hierauf bezieht sich der vom EGMR genutzte Terminus des „public watchdog“ (engl. für „öffentlicher Wachhund“).70 Neben der eigenen Beobachtung und kritischen Auseinandersetzung mit der Tätigkeit der Staatsorgane schaffen die Medien durch ihre Informationsvermittlung insbesondere auch die informative Grundlage einer Kontrolle durch die breite Öffentlichkeit.71 Diese Möglichkeit öffentlicher Kontrolle staatlicher Machtausübung muss zwar dem Grunde nach auch im besonders grundrechtsinvasiven Bereich des strafrechtlichen Ermittlungsverfahren gegeben sein,72 dennoch entsteht durch jede Form von Öffentlichkeit gerade im strafrechtliche Vorverfahren ein erhebliches Spannungsfeld zu den Persönlichkeitsrechten des Beschuldigten, so dass an die Zulässigkeit von medialer 65

Danziger, S. 234; Fechner, 1. Kap. Rn. 10; Fischer, S. 29. Danziger, S. 234. 67 Walter, FS-Schüler-Springorum 1993, S. 189 (196), der hier beispielsweise Berichte über Ausländer oder Drogenprobleme anführt. Aktuell wird diese Problematik bei Berichten über mutmaßliche Straftaten von „Menschen mit Migrationshintergrund“ in Zusammenhang mit der seit 2015 andauernden Flüchtlingskrise deutlich, welche geeignet scheint, in der Gesellschaft das durch selektive Berichterstattung verzerrte Bild einer Einwanderungswelle von Straftätern zu erzeugen. 68 BVerfG NJW 1961, 547 (552); NJW 1991, 899 f.; AE-StuM, Einführung, S. 3; Danziger, S. 188; Fischer, S. 29; Lehr, NStZ 2009, 409; ders., NJW 2013, 728 (728). 69 Zur Verfahrensöffentlichkeit zum Zwecke plebiszitärer Kontrolle staatlicher Machtausübung siehe bereits oben Zweites Kapitel, A. III. 1. 70 EuGRZ 1995, 16 (20). 71 Fink, S. 63; Fischer, S. 30. 72 Siehe hierzu bereits oben Zweites Kapitel, B. II. 3. 66

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4. Kap.: Mediale Berichterstattung im Ermittlungs- und Strafverfahren

Berichterstattung in diesem Verfahrensstadium strenge Anforderungen zu stellen sind.73 Um in allen Bereichen staatlichen Handelns eine bestmögliche Wahrnehmung dieser Funktion als Kontrollinstanz und zugleich Kontrolle vermittelnden Instanz gewährleisten zu können, bedarf es nicht nur einer freien Berichterstattung, sondern auch einer rechtlich und wirtschaftlich staatsunabhängigen Stellung der Medien, aus der heraus staatliche Machtausübung kritisch hinterfragt werden kann.74 Grundlage der Erfüllung dieser rechtsstaatlich bedeutsamen Aufgabe sind damit die verfassungsrechtlich gewährleisteten Medienfreiheiten75 sowie die in Deutschland überwiegend privatwirtschaftliche Organisationsform der Medienunternehmen. Dennoch werden die Medien gerade aufgrund ihrer bedeutenden politisch-demokratischen Funktion zuweilen gar neben Exekutive, Legislative und Judikative zwar nicht rechtlich aber faktisch gleichwertig als „vierte Gewalt“ bezeichnet.76 5. Informationsfunktion Grundlage jeglichen gesellschaftlichen Rollenverständnisses der Medien ist das durch sie bediente öffentliche Informationsinteresse. Im Hinblick auf strafrechtlich relevante Sachverhalte ergibt sich dieses Informationsinteresse der Öffentlichkeit gerade aus den bereits dargestellten Bedürfnissen nach Gerichtsöffentlichkeit, der Wiederherstellung des Rechtsfriedens, einem Prozess politischer Willensbildung sowie der Möglichkeit zur Kontrolle staatlicher Machtausübung. Die Medien schaffen mit ihrer Berichterstattung eine für diese demokratischen Prozesse der Gesellschaft erforderliche informationelle Grundlage.77 Sie erfüllen damit eine wesentliche Aufgabe im Bereich der informationellen Daseinsvorsorge, denn ihnen obliegt die Herstellung „allgemein zugänglicher Quellen“ i. S. d. Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG.78 Auch wenn die Justiz oftmals Medienschelte betreibt (vgl. etwa das Urteil im Kachelmann-Prozess, in welchem der Richter einen erheblichen Teil der mündlichen Urteilsbegründung für eine Rüge des Presseverhaltens nutzte79), so ist sie doch auf die Medien und ihre Arbeit als Informationsvermittler angewiesen, denn nur durch mediale Transparenz kann die Justiz das benötigte Vertrauen in der Gesellschaft erwerben.80 Dabei ist dieses allgemeine öffentliche Interesse an strafrechtlichen 73

Hierzu ausführlich siehe unten Viertes Kapitel, B. III. Beater, Rn. 24; Fechner, 1. Kap. Rn. 10; Kühl, FS-Müller-Dietz 2001, S. 401 (408); Strebel, S. 24 f. 75 Hierzu siehe unten Viertes Kapitel, B. I. 3. 76 AE-StuM, Einführung, S. 3; Gounalakis, NJW 2016, 737 (741); Ricker/Weberling, 3. Kap. Rn. 25; für das Schweizer Recht siehe Strebel, S. 26 m. w. N. 77 Bamberger, ZUM 2001, 373 (374). 78 Dalbkermeyer, S. 45; Neuling, S. 102; Ricker/Weberling, 3. Kap. Rn. 20; zu den grundrechtlichen Freiheitsrechten des Art. 5 Abs. 1 GG siehe unten Viertes Kapitel, B. I. 79 Siehe hierzu bereits oben Erstes Kapitel, A. III. 3. 80 Jung, GA 2014, 257 (263). 74

A. Moderne Verdachtsberichterstattung und ihre Rolle im Strafverfahren

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Sachverhalten und Strafverfahren nicht auf die rechtsstaatlichen Funktionen prinzipieller Gerichtsöffentlichkeit (wie etwa die plebiszitäre Kontrolle staatlicher Machtausübung sowie generalpräventives Mittel) beschränkt.81 Vom „öffentliche Interesse einer modernen Demokratie“ erfasst sieht Fischer82 zutreffend alle Themen, die entweder für Staat, Gesellschaft oder einzelne Gruppierungen in informierender, kritisierender oder auch unterhaltender Hinsicht von überindividueller Bedeutung sein können. Medien vermitteln Informationen über sämtliche Fragen, Ereignisse und Veranstaltungen die neben politischer und kultureller Art auch reinen Unterhaltungszwecken dienen können (Sportereignisse, Mode, Musikevents, Berichte über Personen des öffentlichen Lebens) und schaffen so eine informationelle Grundlage für den kommunikativen Austausch in der Gesellschaft.83 Zugleich kann im Bereich der Kriminalberichterstattung durch die Vermittlung von Kenntnissen über Ablauf und Funktionsweise der Strafverfolgung in laiengerechter Aufbereitung eine Bildungs- und Erziehungsfunktion erkannt werden.84 Gerade mit ihrer Berichterstattung über strafrechtliche Sachverhalte erfüllen die Medien schließlich eine sozial-unterhaltende Funktion, denn von Kriminalität geht eine besondere Anziehungskraft aus, die sich aus Abneigung aber zugleich auch Faszination und Neugier speist und damit erheblichen Unterhaltungswert hat, so dass kriminelles Verhalten bereits seit Jahrhunderten ein Kernstück medialer Berichterstattung darstellt.85 Es wird den Medien daher bei ihrer Berichterstattung über Strafverfahren vielfach weniger um die Erfüllung ihres öffentlichen Informationsauftrags und die Herstellung von Transparenz staatlichen Handelns gehen, sondern primär um die Befriedigung der Sensationsinteressen ihrer Rezipienten und damit die eigenen privatwirtschaftlichen Interessen als Wirtschaftsunternehmen, wenngleich dies die gleichzeitige Erfüllung öffentlicher Aufgaben nicht ausschließt.86 Doch auch für den Bereich der informationellen Daseinsvorsorge kann die Aufgabe der Medien nicht auf die bloße Weitergabe von Informationen beschränkt werden, da durch Themenselektion, Art und Umfang sowie die Tendenz der Berichterstattung ebenfalls aktiv in den Meinungsbildungsprozess eingegriffen wird und sie nicht nur auf die Rolle des „passiven Informationsmittlers“ beschränkt sind, sondern vielmehr eine „eigene strafprozessuale Wahrheit“ konstruieren und damit den öffentlichen Diskurs zu lenken vermögen.87

81 Kettner, S. 164; zu der rechtsstaatlichen Funktion prinzipieller Gerichtsöffentlichkeit im Strafverfahren siehe bereits oben Zweites Kapitel, A. III. 82 Dalbkermeyer, S. 45; Fischer, S. 29, unter Verweis auf BGHZ 31, 308 (312). 83 Danziger, S. 190 f.; Fechner, 1. Kap. Rn. 17. 84 Vgl. zur Bildungsfunktion Fechner, 1. Kap. Rn. 15. 85 Danziger, S. 232; Walter, FS-Schüler-Springorum 1993, S. 189 (195). 86 AE-StuM, Einführung, S. 6. 87 Danziger, S. 235; Fischer, S. 30; vgl. auch Strebel, S. 23, die insoweit den Begriff des „gatekeepers“ (engl. für „Torwächter“) heranzieht.

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4. Kap.: Mediale Berichterstattung im Ermittlungs- und Strafverfahren

III. Die Verdachtsberichterstattung als Form medialer Kriminalberichterstattung Als wichtiges gesellschaftliches und rechtsstaatliches Kommunikationsmittel findet mediale Berichterstattung in sämtlichen Phasen eines strafrechtlich relevanten Sachverhalts statt und stellt den Betroffenen, aber auch die Strafverfolgungsbehörden vor verschiedene Herausforderungen. In Abgrenzung zu medialer Kriminalberichterstattung im Allgemeinen liegt der Verdachtsberichterstattung lediglich der Verdacht eines bestimmten Verhaltens zugrunde, bezogen auf den Strafprozess ist damit insbesondere die bis zum rechtskräftigen Abschluss des Strafverfahrens erfolgende Berichterstattung gemeint. Die Medien könnten ihre Rolle als „Medium und Faktor“ politischer und öffentlicher Willensbildung88 nicht zufriedenstellend wahrnehmen, dürften sie nur über Sachverhalte berichten, die bereits erwiesen sind, womit auch die Berichterstattung über laufende Hauptverhandlungen untersagt wäre.89 Die Möglichkeit der Verdachtsberichterstattung gehört damit zur rechtsstaatlichen Grundlage einer demokratischen Gesellschaft, denn auch ein bloßer Verdacht muss grundsätzlich Inhalt der öffentlichen Debatte sein können.90 Der veröffentlichte Verdacht kann sich hierbei auf unterschiedliche Inhalte beziehen, so dass auch Berichte über mutmaßlich sozial oder moralisch verwerfliches Verhalten als Verdachtsberichterstattung verstanden werden. Nachfolgend sollen sich die Ausführungen jedoch auf den Verdacht strafbaren Verhaltens konzentrieren, hinsichtlich dessen sich insbesondere das Kriterium des Verdachtsstadiums bzw. das Stadium des Strafverfahrens zur Kategorisierung der Verdachtsberichterstattung anbieten.91 Nicht immer erfolgt die erste Berichterstattung über den Verdacht eines strafrechtlich relevanten Verhaltens erst nach Aufnahme der Ermittlungen durch die Strafverfolgungsbehörden. Medialer Berichterstattung vor Einleitung des strafrechtlichen Vorverfahrens liegen oftmals eigene Recherchen der Medien oder Hinweise aus der Bevölkerung zugrunde, sei es mittels vertraulicher Informanten, anonymer Hinweise oder gezielt an die Medien gegebener Verdächtigungen.92 In dieser Phase werden die Medien ihrer rechtsstaatlichen Informationsfunktion93 gerecht, indem sie gesellschaftliche Missstände ermitteln und an die Öffentlichkeit

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Hierzu siehe bereits oben Viertes Kapitel, A. II. Lehr, NJW 2013, 728 (728). 90 Lehr, NJW 2013, 728 (728 f.), der zur Begründung auch darauf verweist, dass viele Skandale der Vergangenheit womöglich nicht an die Öffentlichkeit geraten wären, hätten die Medien nicht bereits über bloße Verdächtigungen berichtet; vgl. hierzu auch Guttmann, DRiZ 2000, 9; Schlüter, S. 8 f. 91 So kategorisierend auch Schlüter, S. 8 ff. 92 Schlüter, S. 8; Steffen, AfP 1988, 117 (117); Tilmann, StV 2005, 175 (175). 93 Siehe hierzu oben Viertes Kapitel, A. II. 89

A. Moderne Verdachtsberichterstattung und ihre Rolle im Strafverfahren

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sowie in den öffentlichen Diskurs bringen, die andernfalls eventuell nie öffentlich geworden wären und so unter Umständen eine Strafverfolgung in Gang setzen.94 Aufgrund der grundsätzlich nichtöffentlichen Ausgestaltung des Ermittlungsverfahrens persönlichkeitsrechtlich besonders sensibel und damit zentraler Gegenstand der vorliegenden Untersuchung ist die Berichterstattung über laufende strafrechtliche Ermittlungsverfahren und den diesem zugrundeliegenden strafrechtlichen Verdacht. Das Interesse der Gesellschaft und damit auch der Medien ist gerade zu Beginn der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen und bei Identifizierung des Tatverdächtigen besonders groß.95 Trotz der grundsätzlichen Nichtöffentlichkeit des Ermittlungsverfahrens96 erhalten die Medien ihre Informationen über und aus dem Ermittlungsverfahren häufig unmittelbar von den Ermittlungsbehörden, sei es durch Pressemitteilungen sei es durch sonstige Auskünfte.97 Während die Öffentlichkeit aber auch die Medien derartigen amtlichen Auskünfte der Ermittlungsbehörden besonderes Vertrauen entgegenbringen,98 besteht gegen den Beschuldigten gerade zu Beginn des Ermittlungsverfahrens im Zweifel lediglich ein bloßer Anfangsverdacht (§§ 152 Abs. 2, 170 Abs. 1 StPO).99 Da die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens von der juristisch nicht gebildeten Öffentlichkeit zugleich bereits mit dem Nachweis der Schuld geleichgesetzt wird, besteht gerade im Bereich der Verdachtsberichterstattung im Stadium des Ermittlungsverfahrens eine besondere Gefahr für die Persönlichkeitsrechte des Beschuldigten und die ihn zu schützen bestimmte Unschuldsvermutung.100 Wird daher über die Aufnahme von Ermittlungen gegen eine Person berichtet, so wäre es wünschenswert, dass auch über eine etwaige Einstellung des Verfahrens oder einen Freispruch berichtet wird. Da dies jedoch weitaus weniger die Sensationsbedürfnisse der Öffentlichkeit bedient, erfolgt derartige Berichterstattung nur selten in gleichwertiger Weise. Anknüpfend an die Berichterstattung über Ermittlungsverfahren hat die Öffentlichkeit auch ein großes Interesse an der strafprozessualen Aufarbeitung dieser Sachverhalte im Falle der Eröffnung des Hauptverfahrens. Folglich hat die mediale 94 KG AfP 1999, 361 (362); Hamm, nr-Werkstatt 2005 16 (19 f.); mit einigen Beispielen vgl. Schlüter, S. 8. 95 Zu dem „wellenförmigen“ öffentlichen Interesse am Strafverfahren siehe bereits oben Zweites Kapitel, B. II. 3. 96 Hierzu bereits oben Zweites Kapitel, B. 97 Bornkamm, NStZ 1983, 102 (108); Schlüter, S. 9; zur Rechtmäßigkeit derartiger Auskünfte seitens der Staatsanwaltschaft siehe unten Fünftes Kapitel. 98 Zur Staatsanwaltschaft als sog. „privilegierter Quelle“ siehe unten Viertes Kapitel, B. III. 1. 99 OLG Düsseldorf NJW 2005, 1791 (1798); Hassemer, NJW 1985, 1921 (1927); Schlüter, S. 10; Ziegler, StraFo 1995, 68 (69). 100 Vgl. hierzu bereits oben Drittes Kapitel, A. II.; zu den Gefahren der Verdachtsberichterstattung im Ermittlungsverfahren siehe auch Bornkamm, S. 216 ff., 241 f.; Hassemer, NJW 1985, 1921 (1927); Schlüter, S. 10 f., der noch das Phänomen der Berichterstattung über Tatverdächtige, die sich der Strafverfolgung entziehen, beschreibt, welches jedoch für die hier gegenständlichen Verfahren gegen Personen des öffentlichen Lebens nicht relevant erscheint.

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4. Kap.: Mediale Berichterstattung im Ermittlungs- und Strafverfahren

Berichterstattung während eines laufenden Hauptverfahrens einen ebenso erheblichen Anteil an der Verdachtsberichterstattung.101 Aufgrund des Öffentlichkeitsgrundsatzes im strafrechtlichen Hauptverfahren102 wirft diese Form der Verdachtsberichterstattung zunächst nicht die gleichen persönlichkeitsrechtlichen Probleme auf, da die Hauptverhandlung grundsätzlich103 jedermann offen steht und damit die diesbezüglichen Informationen nicht in gleichem Maße durch die dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht zu entnehmenden Anonymitäts- und Geheimhaltungsinteressen des Angeklagten geschützt sind. Dennoch kann auch in diesem Verfahrensstadium eine mediale Berichterstattung nicht grenzenlos erfolgen, da durch eine ausufernde Verdachtsberichterstattung weiterhin die zugunsten des Angeklagten streitende Unschuldsvermutung, der Grundsatz des fairen Verfahrens sowie die Funktionstüchtigkeit des Strafverfahrens gefährdet werden können.104 Bei der Berichterstattung über rechtskräftig abgeschlossene Strafverfahren handelt es sich mangels Fortbestehens der Verdachtslage nicht mehr um eine Verdachtsberichterstattung im technischen Sinne, da der Angeklagte entweder verurteilt oder freigesprochen und damit über den Verdacht rechtskräftig geurteilt wurde.105 Die im Folgenden darzustellenden Anforderungen an eine zulässige Verdachtsberichterstattung können damit auf die Berichterstattung über rechtskräftig verurteilte Straftäter nicht übertragen werden.106

IV. Zusammenfassung Eine einheitliche Definition des Begriffs der „Medien“ sucht man vergeblich. Diese Untersuchung erfasst als „Medien“ alle Mittler von Informationen, Nachrichten und Meinungen an eine unbestimmte Anzahl von Adressaten, mithin insbesondere Massenmedien. Hierbei handelt es sich um einen dynamischen und dem gesellschaftlichen Wandel unterworfenen Begriff, der heute neben der Presse und dem Rundfunk insbesondere die „neuen Medien“ des Internets erfasst. Gerade die mit der Entwicklung des Internets veränderten Möglichkeiten der Informationsvermittlung in zeitlicher, räumlicher und quantitativer Hinsicht verschärfen die mit

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Vertiefend hierzu vgl. von Becker, S. 302 ff. m. w. N. Siehe hierzu bereits ausführlich oben Zweites Kapitel, A. 103 Zu den einfachgesetzlichen Ausnahmen der prinzipiellen Öffentlichkeit der strafrechtlichen Hauptverhandlung vgl. bspw. Schlüter, S. 13. 104 Zu diesen Gefahren siehe bereits oben Drittes Kapitel, A. Zu den Grenzen zulässiger Verdachtsberichterstattung ausführlich unten Viertes Kapitel, B. III. Aufgrund des besonderen Spannungsverhältnisses zwischen Geheimhaltungsinteressen des Beschuldigten und Informationsinteressen der Öffentlichkeit im Ermittlungsverfahren wird dieses Verfahrensstadium jedoch den Schwerpunkt der folgenden Untersuchungen bilden. 105 Schlüter, S. 12. 106 So auch OLG München AfP 2008, 618 (619). 102

B. Der rechtliche Rahmen zulässiger Verdachtsberichterstattung

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medialer Öffentlichkeit im Ermittlungs- und Strafverfahren einhergehenden Gefahren für den Betroffenen. Im Strafverfahren sind die Medien sowohl vermittelndes Sprachrohr der Ermittlungsbehörden, als auch unabhängige Kontroll- und Informationsinstanz, die vordergründig öffentliche Aufgaben erfüllt. Zugleich vermitteln sie durch ihre Berichterstattung mittelbare Gerichtsöffentlichkeit und ermöglichen so neben der sozial-strukturellen Wiederherstellung des Rechtsfriedens auch generalpräventive Strafzwecke. Abseits dieser sozialen, politischen sowie rechtsstaatlichen Funktionen strafprozessualer Medienberichterstattung dient die Berichterstattung immer auch der bloßen Unterhaltung der Öffentlichkeit. Diese Zusammenschau aus Möglichkeiten und Funktionen der Medien zeigt eine Machtposition, mit der eine besondere Verantwortung einhergeht. Mit der zunehmenden Medialisierung des Ermittlungsund Strafverfahrens gehen gravierende Gefahren für den Beschuldigten und die Rechtsstaatlichkeit des gesamten Verfahrens einher, die das Bedürfnis nach klarer Reglementierung medialer Berichterstattung wachsen lässt. Während Kriminalberichterstattung in allen Stadien eines strafrechtlich relevanten Sachverhalts vorkommen kann, handelt es sich nur bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Tatvorwurf um sog. Verdachtsberichterstattung, welche sich aufgrund des bloßen Verdachtsstadiums persönlichkeitsrechtlich als besonders sensibel darstellt. Der zweite Abschnitt soll daher im Hinblick auf die bereits dargestellten schützenswerten Interessen des Beschuldigten einen Überblick über die rechtlichen Rahmenbedingungen zulässiger Verdachtsberichterstattung verschaffen.

B. Der rechtliche Rahmen zulässiger Verdachtsberichterstattung Mediale Berichterstattung über und aus dem Ermittlungs- und Strafverfahren ist für alle Beteiligten mit erheblichen Belastungen verbunden. Dass die Medien im Rahmen der Verdachtsberichterstattung nicht ohne Beschränkungen berichten dürfen, liegt damit auf der Hand. Nach einer verfassungsdogmatischen sowie einfachgesetzlichen Einordnung der Verdachtsberichterstattung werden daher im Folgenden ihre rechtlichen Grenzen herausgearbeitet.

202

4. Kap.: Mediale Berichterstattung im Ermittlungs- und Strafverfahren

I. Verfassungsdogmatische Grundlagen medialer Berichterstattung Angesichts ihrer großen demokratischen Bedeutung107 ist es nur konsequent, dass die Freiheit medialer Berichterstattung verfassungsrechtlich abgesichert ist. Als konstituierende Gewährleistungen sind hier die über Art. 5 Abs. 1 GG als Grundrechte gesicherte108 Meinungsäußerungsfreiheit, die Informationsfreiheit sowie (allgemeine) die Medienfreiheit zu nennen, welche auch zusammenfassend als sog. Kommunikationsfreiheiten bezeichnet werden.109 Sie schützen die Freiheit des gesamten Kommunikationsprozesses von der Äußerung bis zum Erhalt von Informationen auf Seiten des Rezipienten und insbesondere die freie Meinungsbildung, -äußerung und -verbreitung.110 1. Meinungsfreiheit Bei dem Recht, seine eigene Meinung zu bilden, zu haben und diese auch frei zu äußern handelt es sich um ein Menschenrecht, welches jedem zusteht,111 mithin nicht nur dem Äußernden, sondern insbesondere auch den Medien als Vermittler.112 Die Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG ist ein individuelles Freiheitsrecht, welches für die persönliche Freiheit des Menschen von besonderer Bedeutung ist und als Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit einen speziellen Menschenwürdegehalt aufweist.113 Aufgrund dieser individualrechtlichen Bedeutung bezeichnet das BVerfG die Meinungsfreiheit auch als „konstituierend für die freiheitlich demokratische Grundordnung“, denn nur die Freiheit der Medien ermögliche eine permanente geistige Auseinandersetzung und den Kampf der Meinungen, der Grundlage einer jeden Demokratie sei.114 Angesichts dieser konstituierenden Bedeutung ist der Begriff der Meinung i. S. d. Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG weit zu verstehen und erfasst neben Werturteilen im Sinne subjektiver Äußerungen auch Tatsachenbehauptungen, 107

Zu der Rolle der Medien im demokratischen Rechtsstaat sowie ihrer Funktion im Strafverfahren siehe soeben, Viertes Kapitel, A. II. 108 Auf europäischer Ebene sind die nachfolgend dargestellten Kommunikationsfreiheiten in Art. 10 EMRK inhaltlich weitestgehend kongruent verankert; vgl. hierzu Schlüter, S. 32 f. m. w. N. 109 Fink, S. 351; Maunz/Dürig/Grabenwarter, Art. 5 Rn. 1 f.; Sachs/Bethge, Art. 5 Rn. 16; Schlüter, S. 28; vgl. ausführlich zu dem Begriff auch BeckOK-IMR/Kühling, Art. 5 Rn. 10. 110 Maunz/Dürig/Grabenwarter, Art. 5 Rn. 2; Schlüter, S. 28. 111 So bereits Art. 19 der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ der Vereinten Nationen vom 10. 12. 1948 und nunmehr Art. 10 EMRK vom 04. 11. 1950; vgl. hierzu auch Branahl, S. 72. 112 Grundrechtsträger ist damit sowohl der einzelne Pressevertreter (Journalist) als natürliche Person als auch das Medienunternehmen über Art. 19 Abs. 3 GG als juristische Person; vgl. Maunz/Dürig/Grabenwarter, Art. 5 Rn. 33 m. w. N. 113 BeckOK-IMR/Cornils, Art. 10 EMRK Rn. 1; Schlüter, S. 29. 114 BVerfG NJW 1958, 257 (258); NJW 1966, 1603 (1605); NJW 1983, 1181 f.

B. Der rechtliche Rahmen zulässiger Verdachtsberichterstattung

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denn diese sind Voraussetzung jeglicher Meinungsbildung und nur so kann der Kommunikationsprozess als ganzer geschützt werden.115 Da somit auch die Weitergabe von Informationen bereits durch die Meinungsfreiheit und nicht nur durch die Presse-, Rundfunk- und Filmfreiheit geschützt ist, kann sie auch als umfassende „Rede- und Mitteilungsfreiheit“ verstanden werden.116 Schließlich schützt sie die Äußerung und Verbreitung von Meinungen in jeder erdenklichen Form, so dass die Aufzählung von „Wort, Schrift und Bild“ in Art. 5 GG nur beispielhaft verstanden werden kann.117 2. Informationsfreiheit Wesentlich ergänzt wird die Meinungsfreiheit durch die Informationsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 GG, welche jedermann118 das Recht zuspricht, sich selbst zu informieren und damit als Recht auf umfassende Unterrichtung die Grundlage der Meinungsbildung und -äußerung darstellt.119 Insofern kann man auch von einem Korrespondenzverhältnis der Informationsfreiheit zu den übrigen Kommunikationsfreiheiten sprechen.120 Durch den überwiegend freien und zeitlich sowie örtlich ungehinderten Zugang zum Internet aber auch dem Kontrast zu staatlicher Zensur in einzelnen Ländern hat die Informationsfreiheit in den letzten Jahren erheblich an gesellschaftlicher Bedeutung gewonnen.121 Aufgrund der durch Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 GG garantierten Freiheit zur ungehinderten Information aus öffentlich zugänglichen Quellen, wird teilweise das öffentliche Informationsinteresse als kollektive Informationsfreiheit verankert angesehen,122 da dem Einzelnen ein grundrechtlich verbürgtes Recht auf Informationsbeschaffung und damit grundsätzlich auch auf Information zusteht. Dagegen sieht das BVerfG das öffentliche Informationsinteresse eher in der Meinungsäußerung des Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG123 oder der Medienfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG124 verankert. Diese divergierenden Ansichten zur verfassungsrechtlichen Herleitung des öffentlichen Informationsin115 BVerfG NJW 1983, 1415; NJW 1984, 419 (421); GRUR 1986, 382 (386); BeckOK-GG/ Schemmer, Art. 5 Rn. 6; Maunz/Dürig/Grabenwarter, Art. 5 Rn. 48; Meinecke, S. 199; Schlüter, S. 29; ausführlich zur Unterscheidung zwischen Tatsachenbehauptung und Werturteil siehe unten Viertes Kapitel, B. II. 1. 116 Branahl, S. 72. 117 Branahl, S. 73; Jarass/Pieroth, Art. 5 Rn. 5. 118 Über Art. 19 Abs. 3 GG gilt dieses Freiheitsrecht auch für Medienunternehmen als juristische Personen; vgl. BeckOK-GG/Schemmer, Art. 5 Rn. 24. 119 BVerfG NJW 1970, 235 (236). 120 Schlüter, S. 29. 121 Meinecke, S. 205, der in diesem Zusammenhang insbesondere China, den Iran und die Türkei als Negativbeispiele für eine beschränkte Informationsfreiheit heranzieht. 122 Fechner, 3. Kap. Rn. 80; ders./Popp, AfP 2006, 213 (214); Schlüter, S. 30. 123 BVerfG NJW 1997, 2669 (2670). 124 BVerfG NJW 1973, 1226 (1228 ff.).

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4. Kap.: Mediale Berichterstattung im Ermittlungs- und Strafverfahren

teresses vermögen jedoch an der Bedeutung desselben bei der Abwägung zwischen den widerstreitenden Kommunikationsfreiheiten mit den hierdurch tangierten Individualrechtsgütern125 nichts zu ändern. 3. Medienfreiheiten Obwohl die Meinungs- und Tatsachenverbreitung bereits über die Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG geschützt ist, wird die Freiheit der Verbreitung publizistischer Inhalte nochmals explizit durch die Medienfreiheiten (Presse-, Rundfunk- und Filmfreiheit) aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG gewährleistet.126 Im Hinblick auf die hier im Fokus stehende Verdachtsberichterstattung über Strafverfahren gegen Personen des öffentlichen Lebens ist insbesondere die Presse- und Rundfunkfreiheit von Relevanz.127 Begrifflich unterscheidet das Grundgesetz zwischen der Pressefreiheit und der Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film, wobei aufgrund der stetig voranschreitenden Konvergenz der Kommunikationsmittel eine klare Trennung zwischen Presse und Rundfunk stetig schwieriger wird128 und daher vorliegend die Medienfreiheiten einheitlich dargestellt werden sollen, welche lediglich hinsichtlich verschiedener Kommunikationsmittel unterschiedlich ausgestaltet sind.129 So soll auch die elektronische Presse im Sinne des Online-Journalismus, die zwar nicht körperlich übermittelt wird, aber ansonsten in Funktionsweise und Struktur der herkömmlichen Presse entspricht, unter Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG subsumiert werden.130

125

Vgl. hierzu sowie zur dogmatischen Herleitung auch Fechner/Popp, AfP 2006, 213 (213); zur Abwägung allgemein siehe unten Viertes Kapitel, B. III. 1.; zur Auswirkung der gesellschaftlichen Stellung des Beschuldigten auf das öffentliche Informationsinteresse siehe unten Sechstes Kapitel. 126 Abgrenzend kann die Meinungsfreiheit inhaltlich auf die geäußerte Meinung und die Medienfreiheit funktional in Hinblick auf die Arbeitsweise der Medien verstanden werden; vgl. dazu Meinecke, S. 202; ausführlich zu Medienfreiheit und Kriminalberichterstattung vgl. auch Peters, KiM, S. 150 m. w. N. 127 So auch Meinecke, S. 198, der zutreffend die Filmfreiheit bei der Berichterstattung über Strafverfahren gegen Prominente nur selten in ihrem Schutzbereich berührt sieht und auch das Zensurverbot aus Art. 5 Abs. 1 S. 3 GG aufgrund der tatbestandlich lediglich erfassten Vor- und Präventivzensur im Bereich der Verdachtsberichterstattung über Prominente als nicht einschlägig erachtet; vgl. auch ders., S. 215. 128 Hierzu vgl. bereits oben Viertes Kapitel, A. I.; zu dieser Problematik siehe auch Meinecke, S. 202 ff.; Schlüter, S. 30 f. 129 Zu einem derartig einheitlichen Ansatz siehe auch von Becker, S. 36; Bullinger, AfP 2007, 407 ff.; Fechner, 3. Kap. Rn. 101; Schlüter, S. 31. A. A. Dreier/Schulze-Fielitz, Art. 5 Rn. 39; Tettinger, JZ 1990, 846 (851). Eine weitergehende Differenzierung erscheint an dieser Stelle jedenfalls im Rahmen einer lediglich überblickartigen Darstellung der Medienfreiheiten nicht erforderlich. Ausführlicher hierzu siehe bspw. Branahl, S. 75 ff. 130 Schlüter, S. 31 m. w. N.

B. Der rechtliche Rahmen zulässiger Verdachtsberichterstattung

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Schutzfunktion der Medienfreiheiten ist die freie und staatlich unbeeinflusste Entfaltung des öffentlichen Diskurses zum Zwecke der politischen Meinungsbildung, in welchem den Medien die Rolle eines Mediums und Faktors zukommt.131 Trotz dieser grundsätzlichen Funktionszuweisung besteht weiterhin Uneinigkeit über die exakte inhaltliche Bestimmung der Medienfreiheiten des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG132 sowie der genauen Konkretisierung der in den Landespressegesetzen den Medien zugewiesenen „öffentlichen Aufgabe“ (vgl. z. B. § 3 PressG BE).133 Nach Ansicht des BVerfG handelt es sich um „dienende“ Freiheiten,134 die einen vor staatlichen Eingriffen geschützten Bereich garantieren, der sowohl die Beschaffung von Informationen135 und Meinungsbildung als auch deren Verbreitung erfasst.136 Für die hiesige Untersuchung soll es ausreichen, wenn in Anlehnung an diese Funktionszuweisung des BVerfG die Medienfreiheiten in Zusammenschau mit der Informationsfreiheit inhaltlich den Prozess der Herstellung der „allgemein zugänglichen Quellen“ erfassen und damit der informationellen Daseinsvorsorge dienen.137 Diese Verantwortung der Medien für den Bereich der informationellen Daseinsfürsorge erstreckt sich auf die gegenständlich uneingeschränkte Information über alle Lebensbereiche unter Zugrundelegung publizistischer Kriterien.138 Dem Schutz der Medienfreiheiten aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG unterfallen damit alle Beitragsformen und Gegenstände (nicht nur politische Informationssachverhalte),139 so dass die Schutzfunktion insbesondere nicht auf „seriöse“ Medien beschränkt ist, sondern unabhängig vom inhaltlich-qualitativen Anspruch der Medienprodukte sämtliche Erscheinungsformen von der sachlichen Berichterstattung über reine Unterhaltung bis hin zur skandal- und sensationsorientierten tendenziösen Berichterstattung in gleichem Maße erfasst.140 Als Grundlage der nachfolgenden Auseinandersetzung bleibt damit insbesondere festzuhalten, dass die Medienfreiheiten die Beschaffung, Äußerung und Verbreitung von Informationen und publizistischen Inhalten erfassen und weder inhaltlich noch im Hinblick auf ihren „journalistischen Wert“ beschränkt sind, so dass auch die 131

Hierzu siehe bereits oben Viertes Kapitel, A. II. 3.; umfassend hierzu vgl. Spiegel-Urteil des BVerfG, BVerfGE 20, 162 ff. m. w. N.; Branahl, S. 73; Neuling, S. 101. 132 Neuling, S. 101 ff., der zu dieser Kontroverse auf die umfassenden Ausführungen von Rose, S. 28 ff. m. w. N., verweist. 133 Vgl. hierzu grundlegend BVerfGE 20, 162 ff.; zu den verschiedenen Auffassungen vgl. Neuling, S. 101 f. m. w. N. 134 BVerfG NJW 1981, 1774 (1775). 135 Zu den landespresserechtlichen Auskunftsansprüchen der Medien gegenüber Behörden siehe unten Fünftes Kapitel, B. II. 1. sowie C. II. 136 So zur Pressefreiheit BVerfG NJW 1960, 29, seitdem ständige Rechtsprechung. 137 So auch Neuling, S. 102 f. m. w. N. 138 BVerfG NJW 1998, 1627 (1629 m. w. N.); Neuling, S. 103. 139 Neuling, S. 102 f.; Schlüter, S. 31. 140 BVerfGE NJW 1973, 1221 (1224); NJW 1984, 1741 (1742); von Becker, S. 37 f.; Fischer, S. 73; AK-GG/Hoffmann-Riem, Art. 5 Rn. 10; Jarass/Pieroth, Art. 5 Rn. 35; Meinecke, S. 202; Neuling, S. 103; BeckOK-GG/Schemmer, Art. 5 Rn. 45.

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4. Kap.: Mediale Berichterstattung im Ermittlungs- und Strafverfahren

Berichterstattung zu reinen Unterhaltungszwecken sowie die sog. Boulevard- und Regenbogenpresse den grundrechtlichen Schutz des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG genießen. 4. Die grundrechtsdogmatische Ausgangslage der Verdachtsberichterstattung Zum Verständnis der rechtlichen Rahmenbedingungen zulässiger Verdachtsberichterstattung ist ein Blick auf die grundrechtsdogmatische Ausgangslage des beschriebenen Spannungsfeldes zwischen den Interessen der Medien und ihrer Rezipienten einerseits sowie den Schutzbedürfnissen des Beschuldigten anderseits unerlässlich. Im Rahmen der Kommunikationsfreiheiten steht, wie grundsätzlich bei Freiheitsrechten141, die subjektive Abwehrfunktion gegenüber dem Staat im Vordergrund, die hier insbesondere die Abwehr von staatlichen Eingriffen und Beschränkungen medialer Berichterstattung meint.142 Dennoch sind mediale Berichterstattung und damit auch der Verdachtsberichterstattung durch Art. 5 Abs. 2 GG Grenzen gesetzt, wonach die Kommunikationsfreiheiten ihre Schranke in den allgemeinen Gesetzen, den Jugendschutzbestimmung und – für den Schutz des Beschuldigten besonders relevant – in den Gesetzen zum Schutz der persönlichen Ehre finden. Als allgemeine Gesetze im Sinne von Art. 5 Abs. 2 GG hat das BVerfG solche Straftatbestände qualifiziert, die eine bestimmte Meinungsäußerung verbieten, so beispielsweise die §§ 89, 90a Abs. 1, 99a Abs. 1 Nr. 1, 100e, 103, 130 Abs. 1 Nr. 1, 131, 184, 353b und 353d Nr. 3 StGB.143 Wie bereits dargelegt, ist der Ehrschutz des Einzelnen im allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 2 Abs. 1 GG verankert, in welches die Medien durch eine personenbezogene Berichterstattung über den Verdacht eines strafbaren Verhaltens sowie eines laufenden Ermittlungs- und Strafverfahrens eingreifen.144 Ausdruck dieser Schranke sind auch die Vorschriften der §§ 823 Abs. 2, 1004 BGB sowie insbesondere die §§ 185 ff.

141

BVerfG NJW 1958, 257; Maunz/Dürig/Remmert, Art. 19 Rn. 42. Maunz/Dürig/Grabenwarter, Art. 5 Rn. 100; Meinecke, S. 208; Schlüter, S. 47. Bis heute umstritten ist, ob mit der Informationsfreiheit zugleich ein subjektives Recht in Form eines verfassungsunmittelbaren Anspruchs der Medien gegen den Staat auf Information einhergeht. Ob ein solcher Anspruch anzuerkennen ist, wirkt sich auf die rechtlichen Grenzen medialer Berichterstattung jedoch nicht aus, so dass diese Frage erst an späterer Stelle beantwortet werden soll. Ausführlich zu diesem Streitstand siehe unten Fünftes Kapitel, B. II. 1. 143 Zu der umstrittenen Frage, was unter „allgemeinen Gesetzen“ zu verstehen ist, siehe grundlegend BVerfG NJW 1958, 257 (258 f.) – Lüth; vgl. auch Meinecke, S. 216 ff. 144 Ausführlich zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht siehe bereits oben Drittes Kapitel, B. I. Ob das allgemeine Persönlichkeitsrecht die Medienfreiheit daher als „Gesetz zum Schutz der persönlichen Ehre“ oder im Wege der verfassungsimmanenten Schranke der kollidierenden Schutzgüter mit Verfassungsrang beschränkt, ist damit nicht von praktischer Relevanz; so auch Meinecke, S. 217. 142

B. Der rechtliche Rahmen zulässiger Verdachtsberichterstattung

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StGB, die zum Schutz der persönlichen Ehre die Meinungsfreiheit begrenzen und damit ihre Reichweite konkretisieren.145 Mit den berichterstattenden Medien als Grundrechtsträger der Meinungs- und Medienfreiheiten aus Art. 5 Abs. 1 GG und dem von der Verdachtsberichterstattung betroffenen Beschuldigten als Träger des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 2 Abs. 1 GG stehen sich folglich zwei Grundrechtsträger und zugleich zwei gleichrangige grundrechtlich geschützte Interessen in einem horizontalen Verhältnis gegenüber.146 Derartige Kollisionslagen sind durch einen angemessenen Ausgleich im Sinne der Herstellung praktischer Konkordanz zu lösen, im Rahmen dessen beide Seiten zum Nachgeben gezwungen werden.147 Ziel eines derartigen Ausgleichs ist eine im Wege einer umfassenden Güter- und Interessenabwägung zu suchende für alle Beteiligten akzeptable Lösung unter möglichst weitgehender Geltung aller jeweils betroffener Rechtspositionen.148 Auch wenn in diesem horizontalen Verhältnis zwischen Medien und Beschuldigtem, anders als im Verhältnis zwischen Staat und Medien sowie Staat und Beschuldigtem, keiner der Beteiligten dem anderen gegenüber aus den Grundrechten verpflichtet ist, sind die privaten Einrichtungen der Presse über die mittelbare Drittwirkung der Grundrechte149 von der Abwägungsentscheidung zwischen Kommunikationsfreiheiten und allgemeinem Persönlichkeitsrecht betroffen.150 Hiernach wirken die kollidierenden Grundrechte zwischen Privaten gemäß Art. 1 Abs. 3 GG zwar nicht unmittelbar, aber über die von der Rechtsprechung des BVerfG151 statuierten Ausstrahlungswirkung, wonach die den Grundrechten zugrundeliegenden verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen ihre Wirkkraft über das Medium der einfachen Gesetze entfalten, die in dem betroffenen privatrechtlichen Rechtsverhältnis gelten.152 Diese Drittwirkung ist Teil der objektiv-rechtlichen Garantie, wenn sie durch den Staat bei der Anwendung einfachgesetzlicher Normen zu berücksichtigen ist und diese grundrechtskonform auszulegen sind.153 Zu denken ist hier beispielsweise an § 823 BGB oder §§ 23 ff. KUG, in deren Rahmen die Gerichte das grundrechtlich geschützte Interesse des 145

BVerfG NJW 1995, 3303; NJW 1996, 1529 (1530); Meinecke, S. 217 f. Lehr, NJW 2013, 728 (730); vgl. zum vertikalen Verhältnis zwischen Staat und Medien sowie Staat und Beschuldigtem unten Fünftes Kapitel, C. I. 147 Lehr, NJW 2013, 728 (730). 148 Lorz/Bosch, AfP 2005, 97 (101); Schlüter, S. 49 f. 149 Hierzu siehe bereits oben Drittes Kapitel, B. I. 1. 150 Meinecke, S. 221. 151 BVerfG NJW 1958, 257 – Lüth, wonach die Ausstrahlungswirkung keine unmittelbare Geltung der Grundrechte inter privatos bewirkt, sondern diesen mittelbar zu Wirkung verhilft, indem in einer staatlichen Entscheidung, die in einem Rechtsstreit über eine Meinungsäußerung zwischen Privaten ergeht, die entsprechenden Vorschriften in grundrechtskonformer Weise anzuwenden sind. So auch ständige Rspr., vgl. bspw. BVerfG NJW 1987, 827; NJW 1994, 36 (38). 152 Siehe hierzu auch BeckOK-IMR/Kühling, Art. 5 Rn. 37; HambK/Ladeur, 4. Abschn. Rn. 14. 153 HambK/Ladeur, 4. Abschn. Rn. 14. 146

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4. Kap.: Mediale Berichterstattung im Ermittlungs- und Strafverfahren

Beschuldigten auf informationelle Selbstbestimmung zu berücksichtigen haben und dieses mit den medialen Interessen an einer umfassenden Berichterstattung in Einklang bringen müssen.154 Bei der Beurteilung der Zulässigkeit medialer Verdachtsberichterstattung und der vorzunehmenden Interessenabwägung ist auch die Unschuldsvermutung als lenkender Maßstab zu berücksichtigen.155 Greifen die Medien durch ihre Verdachtsberichterstattung in rechtswidriger Weise in die schützenswerten Interessen des Beschuldigten ein, steht diesem folglich ein justiziables aus den Grundrechten fließendes subjektives Recht auf staatlichen Schutz zu.156 Diese Schutzpflicht reduziert sich hinsichtlich der zwischen Privaten geltenden Drittwirkung der Grundrechte darauf, die gerichtlichen Entscheidungen nach den in diesem Drittverhältnis überwiegenden Interessen auszurichten und gegebenenfalls Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche zuzuerkennen.157 Die Reichweite einer derartigen mittelbaren Abwehrfunktion der Grundrechte entspricht derjenigen, die den Grundrechten in ihrer unmittelbaren Wirkung gegenüber dem Staat gemäß Art. 1 Abs. 3 GG zukommt.158 Aufgrund der dargestellten grundrechtsdogmatischen Ausgangslage müssen somit sämtliche von der Verdachtsberichterstattung betroffenen schutzwürdigen Interessen des Beschuldigten einerseits und die Interessen einer freien Presse andererseits gegenübergestellt und in ein angemessenes Verhältnis zueinander gesetzt werden.159 Die Kriterien und Grenzen zulässiger Verdachtsberichterstattung im Hinblick auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht und die Unschuldsvermutung werden damit durch die Rechtsprechung bestimmt und sollen nach einer rechtlichen Einordnung der Verdachtsberichterstattung ermittelt werden.

II. Einordnung der Verdachtsberichterstattung Mediale Berichterstattung kann in verschiedenen Ausprägungen erfolgen, für die seitens der Rechtsprechung unterschiedliche Zulässigkeitskriterien entwickelt wurden. Es soll daher an dieser Stelle die Verdachtsberichterstattung zuerst dogmatisch eingeordnet werden.160 154

Lindner, StV 2008, 210 (213). Siehe hierzu bereits oben Drittes Kapitel, B. II. 1. b). 156 Vgl. Schlüter, S. 48. 157 Derartige Konstellationen und zivilrechtliche Schadensersatz- und Unterlassungsansprüche waren beispielsweise auch Gegenstand des Lebach-Urteils (BVerfG NJW 1973, 1226) und der „Caroline-Rechtsprechung“ (BVerfG GRUR 2000, 446); vgl. auch BVerfG NJW 2012, 756; Lindner, StV 2008, 210 (213). 158 von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 1 Rn. 306; v. Münch/Kunig, Vorb. Art. 1 – 19 Rn. 16 ff. 159 Schlüter, S. 50. 160 Da die Grenzen medialer (Verdachts-)Berichterstattung nicht nur bereits umfassend von Rechtsprechung und Literatur ausgearbeitet wurden, sondern auch nicht im Fokus der hier vorliegenden Untersuchung stehen, sollen die Darstellungen im Folgenden auf die für das 155

B. Der rechtliche Rahmen zulässiger Verdachtsberichterstattung

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Zunächst ist bezüglich der Formen medialer Berichterstattung zwischen Wortund Bildberichterstattung zu differenzieren, die sich nicht nur hinsichtlich ihrer Wirkungsweise und Möglichkeiten unterscheiden, sondern auch anderen rechtlichen Maßstäben unterliegen.161 Während sich die Bildberichterstattung nach den für das Recht am eigenen Bild spezialgesetzlichen Regelungen der §§ 22 ff. KUG richtet, existieren für die durch reine Wortberichterstattung tangierten Rechtsgüter jedenfalls keine ausdrücklichen einfachgesetzlichen Regelungen.162 1. Wortberichterstattung Verdachtsberichterstattung stellt sich überwiegend als Wortberichterstattung dar, während der Bildnisveröffentlichung an dieser Stelle eine lediglich „begleitende“ Funktion zukommt.163 Im Weiteren hängt die Zulässigkeitsprüfung davon ab, ob es sich bei den verbreiteten Inhalten um Tatsachenbehauptungen oder Werturteile handelt. Diese Unterscheidung ist in der Praxis ebenso schwierig wie ausschlaggebend für die rechtliche Bewertung der Berichterstattung.164 Unter Tatsachen sind konkrete Geschehnisse oder Zustände zu verstehen, die sinnlich wahrnehmbar in die Wirklichkeit getreten und daher dem Beweis zugänglich sind,165 wobei es auf deren zeitliche Einordnung in Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft nicht ankommt.166 Werturteile hingegen sind gekennzeichnet durch ein Element des Meinens, der Stellungnahme oder des Dafürhaltens, mithin subjektiv geprägt und bezüglich ihres Inhalts nicht dem Beweis zugänglich, weil Grundlage der Behauptung die persönliche Auffassung des Äußernden ist.167 Diese Unterscheidung ist in der Praxis vielfach schwierig und unterliegt der tatrichterlichen Feststellung, wobei der objektive Sinngehalt der Aussage anhand des Empfängerhorizonts zu ermitteln und weder die subjektive Absicht des Äußernden noch das Verständnis der rechtlichen Grenzen der Verdachtsberichterstattung erforderlichen Hintergründe beschränkt werden. Für einen ausführlicheren Überblick zu den Differenzierungen medialer Berichterstattung und der Einordnung der Verdachtsberichterstattung siehe Schlüter, S. 50 ff. 161 Schlüter, S. 51; zu der besonderen Wirkungsweise von Sprachinformation im Verhältnis zur Bildberichterstattung vgl. Beater, AfP 2005, 227. 162 Schlüter, S. 51. 163 Anderes kann gelten, wenn das veröffentliche Bild des Tatverdächtigen (bspw. bei der Verhaftung oder in Zusammenhang mit der Verhandlung) einen eigenen journalistischen Inhalt transportiert, der über die reine Erregung von Aufmerksamkeit hinausgeht. 164 Hufen, JuS 2017, 86 (87); Soehring/Seelmann-Eggebert, NJW 2000, 2466 (2468). 165 RGSt 55, 129 (131); BVerfG NJW 2003, 1855 m. w. N.; BGHSt 12, 287 (291); BeckOKStGB/Valerius, § 186 Rn. 2 m. w. N.; Fischer-StGB, § 186 Rn. 2; Ricker/Weberling, 53. Kap. Rn. 5. 166 BeckOK-StGB/Valerius, § 186 Rn. 3 m. w. N.; anders Schlüter, S. 51, der hier die Tatsache ausdrücklich der Vergangenheit oder Gegenwart, nicht hingegen der Zukunft zuordnet. 167 BeckOK-StGB/Valerius, § 186 Rn. 4; MüKo-StGB/Regge/Pegel, § 186 Rn. 6; S/S-Eisele/Schittenhelm, § 186 Rn. 4; Schlüter, S. 51.

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4. Kap.: Mediale Berichterstattung im Ermittlungs- und Strafverfahren

subjektive Verständnis des Betroffenen zu berücksichtigen ist.168 Bei der medialen Verdachtsberichterstattung, mit der über ein gegen eine Person oder aufgrund eines bestimmten Tatverdachts eingeleitetes Ermittlungsverfahren oder ein laufendes Strafverfahren berichtet wird, handelt es aufgrund der Beweisbarkeit der Inhalte vorwiegend um Tatsachenbehauptungen, selbst wenn sie Elemente der Vorverurteilung oder Schuldzuweisung enthält.169 Auch die Information, welche Tat dem Betreffenden konkret vorgeworfen wird, sein Verteidigungsvorbringen, die Beweislage, der Stand des Ermittlungs- bzw. Strafverfahrens sowie Schilderungen des vermeintlichen Tathergangs im Indikativ stellen Tatsachenbehauptungen dar.170 Dennoch bleibt die Differenzierung hier schwierig, denn nicht zuletzt bilden Tatsachenbehauptungen auch immer eine Grundlage für die Bildung von Werturteilen.171 Da eine Verdachtsberichterstattung durch Wortberichterstattung trotz etwaiger Differenzierungsschwierigkeiten überwiegend als Tatsachenbehauptung einzuordnen ist, hängt die rechtliche Bewertung der Äußerung von ihrem Wahrheitsgehalt ab, mithin ob es sich um wahre, nachweislich unwahre oder solche Tatsachen handelt, deren Wahrheitsgehalt (noch) nicht feststeht.172 Teilweise wird davon ausgegangen, eine Äußerung oder Verbreitung von wahren Aussagen müsse von dem Betroffenen regelmäßig hingenommen werden, auch wenn sie für diesen nachteilig ist, während dies für unwahre Tatsachenbehauptungen dagegen nicht gelte.173 Selbst wenn eine derartige Verallgemeinerung anschließend durch die Darstellung von Ausnahmen relativiert wird, kann sie in dieser Einfachheit nicht stehen bleiben, wenn insoweit ein grundsätzlicher Vorrang der Meinungs- und Informationsfreiheit vor dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen suggeriert wird. Ein derartiges Rangverhältnis besteht weder grundsätzlich noch prinzipiell, da es sich hierbei um gleichrangige Grundrechte handelt.174 Bereits nach dem Willen des Verfassungsgebers stellen beide 168 BVerfG NJW 1996, 1529 f.; Schlüter, S. 51 f., der auf die umfangreiche Kasuistik bei S/ S-Eisele/Schittenhelm, § 186 Rn. 4, verweist. 169 Speziell zur Mitteilung über laufende oder abgeschlossene Strafverfahren vgl. OLG Frankfurt a. M. NJW 1980, 597; OLG München NJW-RR 1996, 1487 (1488); allg. zur Verdachtsäußerung als Tatsachenbehauptung vgl. BGH NJW 1963, 665 (666); NJW 1986, 2503 (2504); NJW 2013, 790; OLG Brandenburg NJW-RR 2002, 1269 f.; BeckOK-IMR/Söder, § 823 BGB Rn. 39; mit ausführlicher Kasuistik Schlüter, S. 66 ff. 170 Schlüter, S. 68; Stapper, S. 170 f. 171 BVerfG NJW 1996, 1529 (1530); NJW 1983, 1415 (1416); vgl. ausführlicher zur Differenzierung sowie zur sog. „Zweifelsregel“ der Rechtsprechung (BVerfG NJW 1995, 3303 [3307]; NJW 1996, 1529 [1530]; NJW 2001, 591 [593]; NJW 2003, 1303 [1304]); bei der Auslegung von Äußerungen sowie dem diesbezüglichen „Paradigmenwechsel des BVerfG“ Schlüter, S. 52 f., oder auch Seelmann-Eggebert, NJW 2008, 2551 (2553); krit. Grimm, AfP 2008, 1. 172 Vgl. BVerfG NJW 1999, 1322 (1324). 173 Vgl. bspw. BVerfG NJW 1998, 2889 (2891); BGH ZUM 2010, 247 (249); BeckOKIMR/Gersdorf, Art. 2 Rn. 55; Schlüter, S. 54. 174 Ständige Rspr., vgl. nur BVerfG NJW 1793, 1226 (1229).

B. Der rechtliche Rahmen zulässiger Verdachtsberichterstattung

211

Rechte essentielle Bestandteile der freiheitlichen demokratischen Ordnung dar, so dass weder die Meinungsfreiheit noch das Persönlichkeitsrecht einen grundsätzlichen Vorrang beanspruchen kann.175 Richtig ist vielmehr, dass Tatsachenbehauptungen, die schon zum Zeitpunkt der Veröffentlichung erwiesen oder bewusst unwahr176 sind, vom BVerfG zutreffend bereits aus dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit herausgenommen werden, ohne dass es überhaupt auf eine Abwägung der widerstreitenden Interessen ankäme.177 Bei wahren und damit dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit unterfallenden Aussagen hingegen können die persönlichkeitsrechtlicher Belange des Betroffenen die Meinungsfreiheit sehr wohl überwiegen. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn sie die Intim-, Privat- oder Vertraulichkeitssphäre betreffen und sie kein berechtigtes Informationsinteresse der Öffentlichkeit bedienen oder wenn durch sie ein Persönlichkeitsschaden droht, der zu dem Interesse an der Verbreitung außer Verhältnis steht.178 Hinsichtlich der Äußerung und Verbreitung von wahren Tatsachen bedarf es daher einer umfassenden Abwägung und differenzierten Betrachtung, da das Persönlichkeitsrecht den Einzelnen gerade davor schützen soll, zu einem „gläsernen Individuum“ zu werden und neugierigen Blicken uneingeschränkt ausgesetzt zu sein.179 Um in diesem Rahmen dem unterschiedlichen Schutzbedürfnis in den einzelnen Lebensbereichen Rechnung zu tragen, hat die Rechtsprechung zur Rechtfertigung von Eingriffen in das allgemeine Persönlichkeitsrecht die sog. Sphärentheorie entwickelt.180 Danach unterscheidet das BVerfG zwischen verschiedenen Sphären der Persönlichkeitsentfaltung, die unterschiedlich hohe Anforderungen an die Rechtfertigung von Eingriffen nach sich ziehen und in Intim-, Privat- und Sozialsphäre unterteilt werden.181 Bei der Intimsphäre soll es sich um den Kernbereich privater Lebensgestaltung handeln, in den jegliche Eingriffe aufgrund des absoluten Grundrechtsschutzes unzulässig sind.182 Doch auch außerhalb dieses Kernbereichs wird der Einzelne in seiner Privatsphäre geschützt, in die Eingriffe nur im Dienste eines berechtigten Interesses der Allgemeinheit und unter strikter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgebotes zulässig sein sollen, mithin wenn Gemeinschaftsin-

175

BVerfG NJW 1793, 1226 (1229). Eine Tatsache ist unwahr, wenn sie mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmt, vgl. Schlüter, S. 54. 177 Vgl. grundlegend BVerfG, NJW 1992, 1439 (1440); NJW 1999, 1322 (1324); Ricker/ Weberling, 42. Kap. Rn. 22. 178 BVerfG NJW 1973, 1221 (1223); NJW 1973, 1226 (1227 f.); NJW 1998, 2889 (2891); NJW 1999, 1322 (1324). 179 Schlüter, S. 54. 180 Ständige Rspr., vgl. nur BVerfG NJW 1970, 555; NJW 1972, 1123 f.; NJW 1973, 891 (892); NJW 1990, 563 f., jeweils m. w. N.; hierzu bereits auch schon oben Drittes Kapitel, B. I. 181 BVerfG NJW 1970, 555; NJW 1973, 891 (892); Schlüter, S. 55, der zur Begründung der Sphärentheorie auf Hubmann, JZ 1957, 521 (524 ff.), verweist. 182 BVerfG NJW 1973, 891 (892); NJW 1990, 563 f. 176

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4. Kap.: Mediale Berichterstattung im Ermittlungs- und Strafverfahren

teressen überwiegen.183 Als bereits angesichts einfacher überwiegender Interessen der Allgemeinheit zulässig werden schließlich solche Eingriffe angesehen, die nicht mehr den geschützten Privatbereich, sondern vielmehr die Sozialsphäre betreffen und damit einen Bereich, mit dem der Einzelne derart in der Öffentlichkeit steht, dass eine Abschirmung von der Umwelt nicht mehr möglich ist.184 Während beispielsweise das berufliche Wirken der Sozialsphäre zuzuordnen ist,185 ist im Hinblick auf die mediale Verdachtsberichterstattung davon auszugehen, dass der Umstand eines laufenden Ermittlungs- und Strafverfahren sowie der zugrundeliegende Tatverdacht die Privatsphäre des Beschuldigte betreffen. Die Privatsphäre hat insbesondere auch eine thematische Ausprägung nach der ihr Angelegenheiten zugeschrieben werden, deren öffentliche Erörterung als peinlich oder unschicklich empfunden wird.186 Die Tatsache eines bestehenden Tatverdachts sowie eines laufenden strafrechtlichen Ermittlungs- oder Strafverfahren ist geeignet, den Beschuldigten in der gesellschaftlichen Wahrnehmung herabzuwürdigen, bloßzustellen und negative Reaktionen hervorzurufen, so dass es sich hierbei um einen seine Privatsphäre betreffenden Umstand handelt.187 Schließlich erfordert auch die noch offene strafrechtliche Beurteilung eine Einordnung der Verdachtsberichterstattung als Eingriff in die Privatsphäre. Hinsichtlich der rechtlichen Einordnung der Verdachtsberichterstattung anhand ihres Wahrheitsgehalts, ist allein darauf abzustellen, ob das der Berichterstattung zugrundeliegende Ermittlungsverfahren tatsächlich geführt wird und sämtliche Tatsachen richtig dargestellt werden. Nicht hingegen kann es bei dieser Einordung darum gehen, ob der erhobene Tatvorwurf tatsächlich zutrifft. Wäre die Presse zum Schutz des Rufs einer Person dazu angehalten, nur über solche Umstände zu berichten, deren Wahrheitsgehalt zum Zeitpunkt der Veröffentlichung bereits zweifelsfrei feststeht, wäre sie in der Erfüllung der ihr durch Art. 5 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich abgesicherten Funktion als Medium und Faktor der öffentlichen Willensbildung beschränkt,188 so dass die prinzipielle Befugnis der Medien zur Berichterstattung über reine Verdachtslagen von der Rechtsprechung anerkannt

183 BVerfG NJW 1973, 891 (892); Maunz/Dürig/Di Fabio, Art. 2 GG Rn. 159 m. w. N.; Wölfl, NVwZ 2002, 49 (50). 184 Maunz/Dürig/Di Fabio, Art. 2 Abs. 1 GG Rn. 160; Sachs/Murswick/Rixen, Art. 2 Rn. 104; Schlüter, S. 55. 185 BGH GRUR 1962, 108 (109); OLG Hamburg NJW 1967, 2314 (2316); OLG Schleswig NJW 1980, 352 (353); Schlüter, S. 55. 186 BVerfG NJW 2000, 2190 (2191 ff.); NJW 1977, 1489 (1490); BeckOK-IMR/Gersdorf, Art. 2 GG Rn. 5; Dalbkermeyer, S. 11 f.; Evers, AfP 1974, 548 (549 f.); Maunz/Dürig/Di Fabio, Art. 2 GG Rn. 149. 187 Zu den Auswirkungen einer Veröffentlichung des gegen den Betroffenen bestehenden Tatverdachts siehe bereits oben Drittes Kapitel, A. II.; zur Zuordnung zur Privatsphäre siehe oben Drittes Kapitel, B. I. 2. 188 BVerfG NJW 1999, 1322 (1324); BeckOK-IMR/Söder, § 823 BGB Rn. 237; Soehring/ Hoene, § 16 Rn. 16.48.

B. Der rechtliche Rahmen zulässiger Verdachtsberichterstattung

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ist.189 Auf eine Rechtfertigung in Form der Wahrnehmung berechtigter Interessen gemäß § 193 StGB kommt es insofern nicht an. Hinsichtlich der Zulässigkeit der Wortberichterstattung sind mangels ausdrücklicher gesetzlicher Regelung die zur Bildberichterstattung entwickelten Grundsätze aus §§ 22, 23 KUG analog heranzuziehen.190

2. Bildberichterstattung Neben reiner Wortberichterstattung kann über den gegen eine Person bestehenden Tatverdacht auch unter gleichzeitiger Veröffentlichung von Bildnissen des Beschuldigten berichtet werden.191 Die Zulässigkeit einer Veröffentlichung und Verbreitung von Bildern (die Personen erkennbar abbilden) ist einfachgesetzlich in den §§ 22 ff. KUG geregelt, welche nach einem Regel-Ausnahme-GegenausnahmeSystem aufgebaut sind.192 Im Grundsatz bedarf es für eine Bildnisveröffentlichung oder -verbreitung nach § 22 S. 1 KUG der Einwilligung des Abgebildeten. Von diesem Einwilligungserfordernis sehen die §§ 23, 24 KUG eine Ausnahme vor, wonach im Rahmen medialer Berichterstattung insbesondere die Veröffentlichung von Bildnissen aus dem „Bereich der Zeitgeschichte“ durch § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG privilegiert ist,193 welche jedoch nach § 23 Abs. 2 KUG nur gilt, sofern keine „berechtigten Interessen des Abgebildeten“ entgegenstehen. Hiermit ist eine Gegenausnahme formuliert, die auch für die Bildberichterstattung eine Abwägung zwischen den Anonymitätsinteressen des Abgebildeten und dem Informationsbedürfnis der Allgemeinheit vorschreibt.194 Zur Erleichterung der praktischen Anwendung des § 23 KUG hat sich die Rechtsprechung in der Vergangenheit der von Neumann-Duesberg entwickelten Rechtsfigur der „absoluten und relativen Person der Zeitgeschichte“ bedient.195 Nach Auffassung der Rechtsprechung bestand an jeglichem Auftreten von absoluten Personen der Zeitgeschichte außerhalb ihrer eigenen vier Wände und Orten des bewussten Rückzugs aus der Öffentlichkeit ein generelles Informationsinteresse 189 BGH NJW 1977, 1288 (1289); NJW 2000, 1036 f.; Soehring/Hoene, § 16 Rn. 16.49 und § 19 Rn. 19.71 m. w. N. 190 Hierzu siehe bereits oben Drittes Kapitel, B. I. 2.; zu den Kriterien der §§ 22 ff. KUG (analog) im Einzelnen siehe unten Viertes Kapitel, B. II. 2. sowie III. 2. 191 Zu denken ist hier beispielsweise an die Live-Bildberichterstattung über die Entlassung Jörg Kachelmanns aus der Untersuchungshaft oder eine schlichte Veröffentlichung von Bildern des Beschuldigten, welche diesen entweder in Zusammenhang mit dem Ermittlungs- oder Strafverfahren oder hiervon unabhängig abbilden. 192 Schlüter, S. 61. 193 Schlüter, S. 61 f.; zu § 24 KUG, der vor allem hinsichtlich einer Bildnisveröffentlichung durch die Strafverfolgungsbehörden relevant sein kann, siehe unten Fünftes Kapitel, B. III. 4. 194 Soehring/Hoene, § 21 Rn. 21.8; Wenzel/von Strobl-Albeg/Peifer, 8. Kap. Rn. 55. 195 Neumann-Duesberg, JZ 1960, 114 (115 ff.); ders., JZ 1970, 564 (566); vgl. hierzu bereits oben Erstes Kapitel, B. III.

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4. Kap.: Mediale Berichterstattung im Ermittlungs- und Strafverfahren

auch ohne aktuellen Anlass, so dass diese eine Bildberichterstattung regelmäßig zu dulden hatten,196 wenn der Veröffentlichung nicht berechtigte Interessen im Sinne des § 23 Abs. 2 KUG entgegenstanden.197 Diese Handhabung der Persönlichkeitsrechte von Personen des öffentlichen Lebens wurde durch den EGMR im sog. „Caroline-Urteil“ vom 24. 06. 2004 als ungenügend bemängelt, da insbesondere die Figur der absoluten Person der Zeitgeschichte dem Bedürfnis nach einer umfassenden und einzelfallbezogenen Interessenabwägung nicht gerecht werde.198 In der Folge entwickelte der BGH ein neues sog. „abgestuftes Stufenkonzept“, welches die Abwägung der betroffenen Interessen bereits im Rahmen der Zuordnung zum Bereich der Zeitgeschichte und damit den Kreis der nunmehr „Personen des öffentlichen Interesses“ vornimmt und zudem den Kontext der Berichterstattung bei der Entscheidung über das Informationsinteresse der Allgemeinheit mit einbezieht.199 Im Ergebnis richtet sich die Zulässigkeit einer Bildnisveröffentlichung im Rahmen medialer Verdachtsberichterstattung damit insbesondere nach § 22, 23 KUG und ist das Ergebnis einer einzelfallbezogenen umfassenden Abwägung der Anonymitätsinteressen des Betroffenen mit den Informationsinteressen der Allgemeinheit.

III. Grenzen zulässiger Verdachtsberichterstattung Mediale Verdachtsberichterstattung ist damit eine für den Bereich der informationellen Daseinsvorsorge und den rechtsstaatlichen Prozess der öffentlichen Meinungsbildung konstitutive Betätigung der Medienfreiheiten aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG. Zugleich bedeutet die Medienöffentlichkeit im Ermittlungs- und Strafverfahren einen Eingriff in die verfassungsrechtlich geschützten Geheimhaltungsinteressen des Betroffenen sowie eine Gefahr für die Funktionstüchtigkeit der Strafrechtpflege. Gerade während des hier im Fokus stehenden strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens ist die mediale Verdachtsberichterstattung angesichts des Verdachtsstatus durch ein besonderes Spannungsfeld geprägt und kann nicht grenzenlos zulässig sein. Um der besonderen Sachlage Rechnung zu tragen, hat die Rechtsprechung aus den allge196

BGH NJW 1996, 1128 (1129); NJW 2000, 1021 (1025); Schlüter, S. 62. Ausführlich zu der Verletzung berechtigter Interessen vgl. Wenzel/von Strobl-Albeg/ Peifer, 8. Kap. Rn. 55 ff. 198 EGMR 2004, 2647 ff.; auch schon vor der Entscheidung des EGMR wurde die Rechtsprechung des BGH zu § 23 KUG in der Literatur kritisiert; so u. a. von von Becker, S. 158 ff.; Dalbkermeyer, S. 70; Franke, S. 95 f.; Müller, S. 143 ff.; Neuling, S. 230. In Hinblick auf den Schutz der Privatsphäre von Personen des öffentlichen Lebens bezeichnet Schlüter, S. 64, das Caroline-Urteil des EGMR zu Recht als „Meilenstein“. 199 BGH GRUR 2005, 76 (78); NJW 2007, 1977 ff.; NJW 2007, 1981 ff.; NJW 2007, 3440 ff.; NJW 2008, 3134 ff.; ausführlicher zu den Änderungen in der Rechtsprechung vgl. Schlüter, S. 62 ff. m. w. N.; hierzu vgl. auch bereits oben Erstes Kapitel, B. IV.; zu den sich hieraus ergebenden Grenzen medialer Verdachtsberichterstattung über Beschuldigte als Personen des öffentlichen Lebens siehe unten Sechstes Kapitel, B. II. 197

B. Der rechtliche Rahmen zulässiger Verdachtsberichterstattung

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meinen Grundsätzen des Äußerungsrechts zur Wahrnehmung berechtigter Interessen gemäß § 193 StGB spezielle Anforderungen für die Zulässigkeit von Verdachtsberichterstattung ausgebildet, welche zwar in Bezug auf Straf- und Ermittlungsverfahren entwickelt wurden, jedoch auch darüber hinaus Geltung entfalten.200 Mediale Berichterstattung über einen strafrechtlichen Tatverdacht kann in unterschiedlicher Weise erfolgen. Hinsichtlich der Verdachtsberichterstattung über Ermittlungs- und Strafverfahren gegen Personen des öffentlichen Lebens ist es jedoch insbesondere die identifizierende Berichterstattung im frühen Stadium des Ermittlungsverfahrens, die in die Persönlichkeitsrechte des Betroffenen eingreift. Daher wird der nachfolgende Abschnitt lediglich eine Zusammenschau der allgemeinen Bedingungen zulässiger Verdachtsberichterstattung darstellen und anschließend die Zulässigkeit identifizierender Berichterstattung in den Fokus rücken. 1. Allgemeine Kriterien der Rechtsprechung Seit seiner Lebach-Entscheidung201 bestimmt das BVerfG die Rechtmäßigkeit medialer Verdachtsberichterstattung in Wort und Bild im Spannungsfeld zwischen Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG und dem von Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 2 Abs. 1 GG geschützten Persönlichkeitsrecht des Beschuldigten.202 Klare gesetzliche Regeln und Grenzen existieren in Deutschland allerdings bis heute nicht.203 Das Fehlen verbindlicher Regelungen für die mediale Berichterstattung über den Verdacht strafbaren Verhaltens erscheint bedenklich, da sich hier mit der Medienfreiheit und den Persönlichkeitsrechten des Betroffenen bedeutende Rechtsgüter mit Verfassungsrang gegenüberstehen und der Grundsatz semper aliqued haeret (lat., „es bleibt immer etwas hängen“) gerade im Hinblick auf strafrechtliche Vorwürfe Geltung beansprucht.204 Zunächst ist maßgeblich zu unterscheiden zwischen der Veröffentlichung des Tatverdachts sowie des Ermittlungsverfahrens einerseits und der Behauptung, der Beschuldigte habe die Tat wirklich begangen andererseits.205 Steht der Tatnachweis noch aus, ein Ermittlungsverfahren wird aber tatsächlich geführt, kann aufgrund der zugunsten des Beschuldigten geltenden Unschuldsvermutung nur ersteres überhaupt eine zulässige Verdachtsberichterstattung darstellen, Äußerungen, die den bloßen 200 201 202

(175).

BeckOK-IMR/Söder, § 823 BGB Rn. 237. BVerfG NJW 1973, 1226 ff.; hierzu siehe bereits oben Drittes Kapitel, B. I. 2. BVerfG NJW 2009, 350 (351 f.); ZUM 2010, 243 (245 f.); Saliger, KritV 2013, 173

203 OLG Köln AfP 1989, 683 (685); Bornkamm, NStZ 1983, 102; Hamm, nr-Werkstatt 2005, 16 (22); Schlüter, S. 49. 204 Schlüter, S. 49; Soehring/Hoene, § 16 Rn. 16.50 und § 19 Rn. 19.70; zu der grundrechtsdogmatischen Ausgangslage der Verdachtsberichterstattung siehe bereits oben Viertes Kapitel, B. I. 4. 205 Ricker/Weberling, 53. Kap. Rn. 39.

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4. Kap.: Mediale Berichterstattung im Ermittlungs- und Strafverfahren

Verdacht als feststehende Tatsache darstellen sind hingegen unzulässige Vorverurteilungen.206 Darüber hinaus sind die rechtlichen Voraussetzungen zulässiger Berichterstattung seitens der Medien allein durch Richterrecht entwickelt und durch eine langjährige Rechtsprechung geprägt und ausgebildet worden.207 Hierbei präsentiert sich das Urteil des BGH vom 07. 12. 1999208 als Leitentscheidung, welche für die Zulässigkeit von Verdachtsberichterstattung über Ermittlungsverfahren einen Kriterienkatalog aufstellt.209 Hiernach setzt auch die öffentliche Äußerung und Verbreitung eines gegen eine Person bestehenden Tatverdachts zunächst einen Mindestbestand an Beweistatsachen voraus, damit ihr überhaupt ein Öffentlichkeitswert zukommt.210 Das erforderliche Mindestmaß hängt hierbei von der Schwere des Vorwurfs211 sowie dem mit der Veröffentlichung verfolgten Ziel212 ab. Auch wenn die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens ein Indiz für den Mindestbestand an Beweistatsachen bilden kann, darf allein aus ihr nicht bereits ein die Verdachtsberichterstattung legitimierender Verdachtsgrad abgeleitet werden, da hier bereits ein bloßer Anfangsverdacht, mithin entfernte Verdachtsgründe und die bloße Möglichkeit einer verfolgbaren Straftat ausreicht.213 Angesichts dessen erscheint die Annahme des erforderlichen Mindestmaßes im Fall eines erlassenen Haftbefehls214 aufgrund des hierfür erforderlichen dringenden Tatverdachts (§ 112 Abs. 1 S. 1 StPO) interessengerecht, die Annahme ausreichender Beweistatsachen im Falle einer Durchsuchung von Wohnoder Geschäftsräumen nach § 102 StPO215 im Hinblick auf den hierfür ausreichenden Anfangsverdacht216 hingegen bedenklich. Die Einleitung eines Ermittlungsverfah206 Vgl. zur Unschuldsvermutung bereits oben Drittes Kapitel, B. II. 1., sowie deren Wirkungen für die Presse, Viertes Kapitel, B. I. 4. Zur dogmatischen Einordnung der Verdachtsberichterstattung siehe bereits oben Viertes Kapitel, B. II. 207 Hierzu siehe auch Soehring/Hoene, § 16 Rn. 16.50 ff.; Soehring/Seelemann-Eggebert, NJW 2000, 2466 (2470); Wenzel/Burkhardt/Peifer, 10. Kap. Rn. 154 ff.; vgl. auch insbes. zur Entwicklung in der Rechtsprechung seit dem Lebach-Urteil des BVerfG Schlüter, S. 71 ff. 208 BGH NJW 2000, 1036. 209 Lehr, NJW 2013, 728 (730). 210 BGH NJW 1997, 1148 (1149); NJW 2000, 1036, jeweils m. w. N.; Eisenberg, StraFo 2006, 15 (15); Lettl, WRP 2005, 1045 (1072); Schlüter, S. 91. 211 OLG München ZUM 2009, 777 (778), m. Anm. von Becker, ZUM 2009, 780 f.; HambK/ Weyhe, 37. Abschn. Rn. 81 m. w. N.; Schlüter, S. 93. 212 Dient die Veröffentlichung bspw. der Ingangsetzung staatlicher Ermittlungen, sind an dieses Mindestmaß geringere Anforderungen zu setzen, als bei einer Veröffentlichung allein im Interesse der öffentlichen Meinungsbildung. Im Falle reiner Unterhaltungszwecke wird nahezu „volle Beweisbarkeit“ gefordert; vgl. Löffler/Steffen, Presserecht, § 6 Rn. 176; Schlüter, S. 92. 213 BGH NJW-RR 2017, 31 (33); BeckOK-IMR/Söder, § 823 BGB Rn. 244; HambK/ Kröner, 31. Abschn. Rn. 57; Lehr, NJW 2013, 728 (730); Prinz/Peters, Rn. 272; Schumacher, K&R 2014, 381 (382), dort Fn. 14; Soehring/Hoene, § 19 Rn. 19.80. 214 OLG Brandenburg NJW 1995, 886 (887); OLG Frankfurt am Main NJW-RR 1996, 1490 (1491); KG NJW-RR 2010, 662 – Fall Nadia Benaissa. 215 LG Berlin AfP 2008, 530 (531); OLG Karlsruhe NJW-RR 2015, 670 (671 f.). 216 BGH NStZ 2000, 154 (155); NJW 2000, 84 (85); NStZ 2016, 370.

B. Der rechtliche Rahmen zulässiger Verdachtsberichterstattung

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rens, für welches es ebenso lediglich eines Anfangsverdachts genügt,217 kann daher allenfalls ein Indiz für ein gewisses Mindestmaß an Beweistatsachen darstellen, für sich allein jedoch nicht ausreichen.218 Keinesfalls ausreichend sind schließlich bloße Gerüchte über ein vermeintlich strafbares Handeln oder die Einleitung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens.219 Neben dem erforderlichen Mindestbestand an Beweistatsachen für den Wahrheitsgehalt des Verdachts darf dieser von den Medien nicht leichtfertig verbreitet werden. Auch wenn der Meinungs- und Pressefreiheit in unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung eine tragende Rolle zukommt, trifft die Medien bei der Veröffentlichung von Verdachtsmeldungen aufgrund der hiermit verbundenen gravierenden Beeinträchtigungen für den Beschuldigten eine erhöhte Verantwortung, mit der besondere „pressemäßige Sorgfaltsanforderungen“ im Hinblick auf die anzustellenden Recherchen einhergehen.220 Gerade im Bereich der persönlichkeitsrechtlich relevanten Verdachtsberichterstattung soll auf diese Weise das Risiko einer Falschberichterstattung minimiert werden,221 wobei das Maß der erforderlichen Sorgfalt steigt, je schwerwiegender der Tatvorwurf und damit zugleich nachhaltiger die Folgen für das öffentliche Ansehen des Betroffenen sind.222 Es handelt sich insofern um einen „gleitenden Sorgfaltsmaßstab“,223 welcher Ausdruck der aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht folgenden Schutzpflichten ist.224 Mit dieser Sorgfalt soll dem Umstand Rechnung getragen werden, dass mediale Berichterstattung einen großen Personenkreis erreicht, der selbst nicht in gleichem Maße recherchieren kann und wird und sich daher auf die den Medien zu entnehmenden Informationen verlässt.225 Zugleich stellt der BGH jedoch klar, dass die pressemäßigen Sorgfaltsanforderungen nicht so bemessen werden dürfen, dass die Meinungsfreiheit in funktionsbeeinträchtigender Weise eingeschränkt wird.226

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MüKo-StPO/Kölbel, § 160 Rn. 71. So zutreffend LG München I AfP 2003, 464, das allein die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens und einen Durchsuchungsbeschluss für eine Berichterstattung über einen Tatverdacht als nicht ausreichend ansieht, wenn es an Belegtatsachen für das Vorliegen zumindest eines Anfangsverdachts (§§ 152 Abs. 2 160 Abs. 1 StPO) fehlt. 219 Schlüter, S. 92. In diesem Fall würde sich die Zulässigkeit einer solchen allein auf Gerüchten basierenden Berichterstattung wohl nach § 193 StGB bestimmen. 220 BGH NJW 1996, 1131 (1133); NJW 2000, 1036 f.; NJW 2003, 1855 f. 221 BGH NJW 1997, 1148 (1149); Schlüter, S. 94. 222 BVerfG NJW 2007, 2686 (2687); BGH NJW 1997, 1148 (1149); NJW 1996, 1131 (1133 f.); Beater, Rn. 1526 m. w. N.; Ricker/Weberling, 53. Kap. Rn. 37; Löffler/Steffen, § 6 Rn. 209; Hohmann, NJW 2009, 881 (882); Schlüter, S. 94; Seelmann-Eggebert, NJW 2008, 2551 (2553). 223 Wenzel/Burkhardt, 6. Kap. Rn. 75. 224 BVerfG NJW 2006, 207 (210); NJW 2007, 2686 (2687). 225 Kohler-Gehring, JA 2000, 602 (603); Schlüter, S. 93 f. 226 BGH NJW 2000, 1036 (1037). 218

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4. Kap.: Mediale Berichterstattung im Ermittlungs- und Strafverfahren

Diese besonderen Sorgfaltspflichten verbieten es den Medien grundsätzlich, Mitteilungen von Dritten ungeprüft zu übernehmen.227 Auskünften bestimmter Institutionen dürfen sie dagegen gesteigertes Vertrauen entgegenbringen und unterliegen diesbezüglich keiner Prüfpflicht.228 Hierzu zählen neben Meldungen anerkannter Nachrichtenagenturen229 insbesondere auch Auskünfte von Behörden, mithin im Hinblick auf strafrechtliche Ermittlungsverfahren solche der Polizei und Staatsanwaltschaft, die insoweit als sog. „privilegierten Quellen“ gelten.230 Diese Privilegierung umfasst allerdings lediglich die Vermutung der Richtigkeit der Informationen, nicht hingegen das „Ob“ ihrer Veröffentlichung, so dass die Medien, die vor der Verbreitung erforderliche Güterabwägung selbst vornehmen und entgegenstehende Interessen berücksichtigen müssen.231 Wird mithin seitens der Ermittlungsbehörden ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren und die Identität des Beschuldigten öffentlich gemacht (beispielsweise im Wege einer Pressemitteilung232), so dürfen die berichterstattenden Medien aufgrund der Stellung der Staatsanwaltschaft als privilegierte Quelle von der Richtigkeit dieser Informationen ausgehen. Weiterhin obliegt der Presse jedoch vor einer Berichterstattung die Pflicht, eine eigene Güterabwägung hinsichtlich des „Ob“ der Veröffentlichung.233 Entschließt sich die Presse, über den gegen einen Beschuldigten bestehenden Tatverdacht zu berichten, muss zudem aus Art und Weise der entsprechenden Darstellung hervorgehen, dass es sich hierbei nicht um feststehende Tatsachen handelt.234 Außerdem sind die Medien angehalten, auch solche Tatsachen und Argumente zu berücksichtigen und zu veröffentlichen, die zur Entlastung des Beschuldigten beitragen.235 Unzulässig ist aufgrund der als Grundlage maßvoller Berichterstattung wirkenden Unschuldsvermutung demnach jede Form der präjudi227

BGH NJW 1963, 904; Schlüter, S. 95. BVerfG NJW-RR 2010, 1195 (1197); Ricker/Weberling, 53. Kap. Rn. 37. 229 Sog. „Agenturprivileg“; vgl. KG ZUM 2008, 59 f. 230 BVerfG NJW-RR 2010, 1195 (1197); OLG Braunschweig NJW 1975, 651 (653); Kohler-Gehring, JA 2000, 602 (605); Schlüter, S. 95. 231 Eisenberg, StraFo 2006, 15 (18), unter Verweis auf VG Berlin NJW 2001, 3799 (3801), wonach es nicht Aufgabe der nach den Landespressegesetzen auskunftsverpflichteten Behörde sei zu prüfen, ob die erteilten Auskünfte von der Presse veröffentlicht werden dürfen; zu den landespresserechtlichen Auskunftsansprüchen siehe unten Fünftes Kapitel, B. II. 1.; zu den Folgen dieser Privilegierung für die Informationstätigkeit der Staatsanwaltschaft siehe unten Fünftes Kapitel, C. II. 3. Zu den Sorgfaltsanforderungen bei Informationen aus privilegierter Quelle siehe ausführlich Peters, NJW 1997, 1334 (1336). 232 Zu den Kommunikationsmitteln der Staatsanwaltschaft sowie der Zulässigkeit derartiger Veröffentlichung nachfolgend unter Fünftes Kapitel. 233 Zur Zulässigkeit identifizierender Verdachtsberichterstattung siehe unten Viertes Kapitel, B. III. 2. 234 Schlüter, S. 96. 235 BGH NJW 2000, 1036 (1037); so auch schon BVerfGE NJW 1973, 1226 (1231), allerdings zur Darstellung nach rechtskräftig abgeschlossenem Strafverfahren; OLG Hamm NJW-RR 1993, 735 f.; Schlüter, S. 99 f. m. w. N., der der öffentlichen Wahrnehmung statt der Unschuldsvermutung eher eine „Verschuldensvermutung“ zuschreibt. 228

B. Der rechtliche Rahmen zulässiger Verdachtsberichterstattung

219

zierenden Darstellung, die beim Rezipienten den Eindruck erweckt, der Beschuldigte sei der ihm vorgeworfenen Handlung bereits überführt.236 Angesichts des Umstandes, dass die Einleitung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens in der öffentlichen Laienwahrnehmung nur allzu schnell bereits mit dem erbrachten Nachweis der Tat gleichgesetzt wird,237 muss die Unschuldsvermutung umso mehr Beachtung finden, je früher im Verfahren über den Verdacht berichtet wird.238 Da der durchschnittlichen Leser zu unkritischer und selektiver Wahrnehmung medialer Veröffentlichungen neigt, soll auch für den „flüchtigen Rezipienten“ die bloße Verdachtslage sowie ihr Grad deutlich herausgestellt werden.239 Unzulässig ist damit auch jede rein auf Sensation bedachte einseitige und verfälschende Darstellung. Eine an Vergeltung und Buße orientierte mediale Berichterstattung, die zu einer Anprangerung und Stigmatisierung des Beschuldigten führt, dient nicht mehr dem durch die Medienfreiheiten abgesicherten öffentlichen Interesse und läuft dem Strafmonopol des Staates zuwider, selbst wenn Teil der früher herrschenden absoluten Straftheorien auch der Gedanke der Sühne für begangenes Unrecht war.240 Vor einer Veröffentlichung ist dem Betroffenen überdies eine Gelegenheit zur Stellungnahme zu dem Sachverhalt einzuräumen, auf den sich der Verdacht stützt.241 Diese Möglichkeit ist dem Betroffenen grundsätzlich dann zu gewähren, wenn es sich um einen für dessen öffentliche Wahrnehmung nicht günstigen Verdacht handelt und eine weitere Aufklärung erwartet werden kann.242 Gerade bei einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren und dem diesem zugrundeliegende Tatvorwurf wird in der Regel eine sich auf die öffentliche Wahrnehmung negativ auswirkende Information und damit das Erfordernis einer vorherigen Stellungnahme des Betroffenen anzunehmen sein. Dies auch dann, wenn eine weitere Aufklärung des Sachverhalts durch den Betroffenen in diesem Fall vermutlich kaum erfolgen wird.

236

BGH NJW 2000, 1036 f.; so auch schon OLG Brandenburg NJW 1995, 886 (888); OLG München NJW-RR 1996, 1487 (1488); NJW-RR 1996, 1493 (1494); OLG Frankfurt a. M. NJW-RR 1990, 989 990). Zur Unschuldsvermutung siehe bereits oben Drittes Kapitel, B. II. 1.; zu ihrer mittelbaren Wirkung gegenüber den Medien siehe bereits oben Drittes Kapitel, B. II. 1. b). Mit ausführlicher Kasuistik vgl. Schlüter, S. 97; Wenzel/Burkhardt/Peifer, 10. Kap. Rn. 168. 237 BGH NJW 1959, 35 f.; BGH NJW 1994, 1950 (1952) m. w. N.; OLG Braunschweig NJW 1975, 651 f.; OLG Düsseldorf OLGZ 1990, 202 (204); OLG Frankfurt a. M. NJW-RR 1990, 989 f.; zu den daraus sich für den Beschuldigten ergebenden Folgen siehe bereits oben Drittes Kapitel, A. II. 238 BGH NJW 2013, 1681 (1682); Beater, Rn. 1527. 239 OLG München, NJW-RR 1996, 1487 (1488); LG Hamburg, BeckRS 2011, 13688; Löffler/Steffen, § 6 Rn. 20; Schlüter, S. 98; Soehring/Hoene, § 16 Rn. 16.55. 240 Fischer, S. 31 m. w. N. 241 BGH NJW 2000, 1036 (1037), unter Verweis auf BGH NJW 1996, 1131 (1134), wobei es hier um Persönlichkeitsverletzungen durch eine Buchpassage ging; OLG Hamburg, ZUM-RD 2009, 326 (328). 242 Hierzu Schlüter, S. 101.

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4. Kap.: Mediale Berichterstattung im Ermittlungs- und Strafverfahren

Entbehrlich wird diese Stellungnahme hingegen, wenn sich der Betroffene bereits anderweitig zu den Vorwürfen öffentlich geäußert hat.243 Schließlich setzt eine zulässige Verdachtsberichterstattung nach den von der Rechtsprechung aufgestellten Kriterien voraus, dass es sich um einen Vorgang von gravierendem Gewicht handelt, dessen Mitteilung durch ein Informationsbedürfnis der Allgemeinheit gerechtfertigt ist.244 Ob ein Tatvorwurf von ausreichendem Gewicht ist, ist anhand einer einzelfallbezogenen Abwägung der widerstreitenden Interessen zu ermitteln, wie sie letztlich in allen Kollisionsfällen von Medienfreiheit und Persönlichkeitsrecht vorzunehmen ist. Während nach Ansicht des BGH Straftaten zunächst grundsätzlich zum Zeitgeschehen gehören, welches die Medien an die Öffentlichkeit vermitteln,245 kann allein der Verdacht einer Straftat nicht bereits als ein Vorgang von ausreichendem Gewicht angesehen werden, da die Anforderungen an die öffentlichen Interessen bei der Verdachtsberichterstattung aufgrund der unklaren Tatsachengrundlage höher anzusetzen sind, als bei bereits feststehenden Sachverhalten.246 Ein gravierendes Gewicht kann daher nach der hier vertretenen Ansicht lediglich bei aufsehenerregender oder schwerer Kriminalität angenommen werden, während eine „alltägliche“ Straftat (bspw. ein unerlaubtes Entfernen vom Unfallort oder ein Diebstahl) ein solches nicht zu begründen vermag.247 Gerade im Stadium des Ermittlungsverfahrens ist daher im Rahmen der erforderlichen Abwägung der entgegenstehenden Belange zugunsten der Persönlichkeitsrechte des Beschuldigten zu berücksichtigen, ob durch die Veröffentlichung weitreichende und selbst im Falle eines Freispruchs nicht mehr zu beseitigende Konsequenzen drohen.248 In einem solchen Fall kann aufgrund der durch die medialen Berichterstattung hervorgerufenen Prangerwirkung das Schutzbedürfnis hinsichtlich der Persönlichkeitsrechte des Betroffenen die medialen Interessen überwiegen.249 Damit sind für die Frage der Zulässigkeit einer Verdachtsberichterstattung im frühen Stadium des Ermittlungsverfahrens250 die Schwere der vorgeworfenen Tat, 243 Schlüter, S. 101 m. w. N.; zu den Möglichkeiten der Einbeziehung der Medien durch den Beschuldigten selbst siehe unten Viertes Kapitel, C. 244 BGH NJW 2000, 1036 (1037). 245 BGH NJW 2013, 1681 (1682); NJW 2000, 1036 (1037), unter Verweis auf BVerfG NJW 1973, 1226. 246 Prinz/Peters, Medienrecht, Rn. 268; Schlüter, S. 102. 247 So auch Schlüter, S. 103; Soehring, GRUR 1986, 518 (522). 248 LG Köln GRUR-RR 2010, 491 (492) – Jörg Kachelmann, unter Verweis auf BVerfG, NJW 2009, 350 (351 f.). 249 BGH NJW 2013, 1681 (1682) m. w. N. 250 Auch wenn sich die vorliegende Untersuchung insbesondere mit dem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren befasst, ist darauf hinzuweisen, dass trotz der grundsätzlichen Öffentlichkeit der Hauptverhandlung gemäß § 169 S. 1 GVG die dargestellten Kriterien hinsichtlich einer zurückhaltenden Berichterstattung ebenso für eine die Hauptverhandlung begleitende Verdachtsberichterstattung gelten müssen, denn aus dem Öffentlichkeitsgrundsatz folgt lediglich die Berechtigung der im Gerichtssaal anwesenden Personen zur vollständigen Information über den Gang der Verhandlung und nicht etwa eine Berechtigung der Medien zu

B. Der rechtliche Rahmen zulässiger Verdachtsberichterstattung

221

der Verdachtsgrad, das Interesse der Öffentlichkeit sowie eventuell die durch die Berichterstattung zu erhoffende Aufklärung gegen die seitens des Beschuldigten betroffenen Persönlichkeitsrechte, die Unschuldsvermutung und das Recht auf ein faires Verfahren in die Waagschale zu werfen.251 2. Zulässigkeit identifizierender Verdachtsberichterstattung Fragt man nach den Grenzen zulässiger Verdachtsberichterstattung ist es gerade die identifizierende Verdachtsberichterstattung, die einen besonders gravierenden Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des Betroffenen bedeutet und damit im Hinblick auf die Persönlichkeitsrechte von Personen des öffentlichen Lebens im Ermittlungsund Strafverfahren von Relevanz ist. Mit der medienöffentlichen Identifizierung des Betroffenen im Rahmen eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens sind die negativen privaten, gesellschaftlichen sowie beruflichen Konsequenzen kaum noch zu verhindern, so dass es sich hierbei um den entscheidenden Punkt der Verdachtsberichterstattung handelt. Der Betroffene wird gegen seinen Willen aus der Anonymität und Nichtöffentlichkeit des Ermittlungsverfahrens herausgerissen und unter Benennung des anprangernden Verdachts in der Öffentlichkeit bloßgestellt. Diese öffentliche Verbindung des Tatverdachts mit einer bestimmten Identität ist unumkehrbar.252 Da jedermann grundsätzlich das Recht hat, anonym zu bleiben,253 handelt es sich bei der identifizierenden Verdachtsberichterstattung um eine der bedeutendsten Konkretisierungen des Spannungsfeldes zwischen den Kommunikationsfreiheiten des Art. 5 Abs. 1 GG und den Persönlichkeitsrechten des Beschuldigten aus Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 2 GG.254 Dass das grundsätzliche Recht der Medien zur Verdachtsberichterstattung im Rahmen von Ermittlungs- und Strafverfahren nicht auch automatisch das Recht einschließt, den Namen des Tatverdächtigen zu veröffentlichen, besteht Einigkeit. Dieser Konsens endet jedoch im Hinblick auf die Voraussetzungen einer zulässigen medialen Identifizierung.255 Eine identifizierende Verdachtsberichterstattung ist zunächst in zwei Formen denkbar: Als Wortberichterstattung unter Namensnennung bzw. Veröffentlichung einer Kombination von zur Identifikation geeigneter Einzelinformationen oder als Veröffentlichung von Bildnissen des Beschuldigten. Überwiegend und gerade in unbeschränkter Berichterstattung; vgl. OLG Frankfurt a. M. NJW-RR 1990, 989 (990); etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Umkehrschluss aus Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK, wonach die Medienöffentlichkeit als „mittelbare Öffentlichkeit“ erfasst wäre, da hiermit ein Recht zu unbeschränkter Berichterstattung nicht zu folgern ist; siehe hierzu bereits oben Zweites Kapitel, A. II. 2. 251 Schlüter, S. 103; Soehring/Seelmann-Eggebert, NJW 2000, 2466 (2470). 252 Zu den Gefahren medienöffentlicher Strafrechtspflege für den Beschuldigten siehe bereits oben Drittes Kapitel, A. II. 253 KG NJW 1989, 397 f.; siehe hierzu auch oben Drittes Kapitel, B. I. 254 So auch Soehring/Hoene, § 17 Rn. 17.1. 255 Schlüter, S. 106 m. w. N.

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4. Kap.: Mediale Berichterstattung im Ermittlungs- und Strafverfahren

Fällen einer Person des öffentlichen Lebens als Beschuldigten wird identifizierende Verdachtsberichterstattung als eine Kombination aus Wort- und Bildberichterstattung erfolgen. a) Identifizierende Wortberichterstattung In Ermangelung einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung bestimmt sich die Zulässigkeit identifizierender Verdachtsberichterstattung als Wortberichterstattung aufgrund des mit ihr verbundenen Eingriffs in das dem Persönlichkeitsrecht entstammende und umfassend zu schützende Recht des Beschuldigten auf Namensanonymität entsprechend den zur Bildberichterstattung entwickelten Grundsätzen aus §§ 22, 23 KUG und den bereits dargestellten allgemeinen Grundsätzen der Rechtsprechung,256 welche erst Recht für die identifizierende Berichterstattung gelten müssen. Danach wäre die Nennung des Namens des Beschuldigten nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG (analog) auch ohne dessen Einwilligung zulässig, wenn es sich bei dem gegen ihn bestehenden Tatverdacht um ein zeitgeschichtliches Ereignis handelt, welches – jedenfalls nach früherer Rechtsprechung – dann angenommen wurde, wenn der Betreffende als „Person der Zeitgeschichte“ anzusehen war. Während die Person des öffentlichen Lebens allgemein von zeitgeschichtlicher Bedeutung war, galten vor der Rechtsprechungswende infolge der Caroline-Rechtsprechung des EGMR257 zumindest Straftäter im Zusammenhang mit der durch sie verübten Straftat als Teil der Zeitgeschichte und damit als „relative Personen der Zeitgeschichte“,258 so dass die Veröffentlichung ihrer Identität auch ohne Einwilligung zulässig war, § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG. Diese folgenschwere Einstufung konnte jedoch schon damals nicht ohne weiteres auf den bloßen Tatverdächtigen übertragen werden, da nicht jede in ein Strafverfahren verwickelte Person automatisch zu einer Person der Zeitgeschichte i. S. v. § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG wurde, so dass auch der Tatverdächtige nicht unmittelbar den Schutz vor öffentlicher Anprangerung verlor.259 Nach der Abkehr der deutschen Rechtsprechung von der Figur der „absoluten und relativen Person der Zeitgeschichte“ ist diese Unterscheidung zwischen Straftäter und Tatverdächtigen ausgeprägter geworden. Ein Ermittlungsverfahren und die Identität des Tatverdächtigen können zwar weiterhin als zeitgeschichtliches Ereignis i. S. v. § 23 Abs. 1

256

III. 1.

Siehe hierzu bereits oben Drittes Kapitel, B. I. 2. sowie Viertes Kapitel, B. II. 1. sowie

257 EGMR NJW 2004, 2647; siehe hierzu auch bereits oben Erstes Kapitel, B. III. und IV. sowie Viertes Kapitel, B. II. 4. 258 OLG Hamburg NJW-RR 1994, 1439, 1440 m. w. N.; Wandtke/Bullinger/Fricke, § 23 KUG Rn. 29 m. w. N.; vgl. hierzu auch bereits oben Erstes Kapitel, B. III. 259 LG Berlin NJW 1986, 1265; Marxen, GA 1980, 365 (371), der insbesondere in Hinblick auf die Unschuldsvermutung einen Begründungszusammenhang mit der Straftat vor rechtskräftiger Verurteilung verneinte; Neumann-Duesberg, JZ 1960, 114 (115).

B. Der rechtliche Rahmen zulässiger Verdachtsberichterstattung

223

Nr. 1 KUG eingeordnet werden,260 diese Beurteilung ist jedoch dann bereits das Ergebnis einer einzelfallbezogenen Interessenabwägung, da im Rahmen des abgestuften Stufenkonzepts261 im Falle des lediglich einer Tat Verdächtigen dessen berechtigten Anonymitätsinteressen und der Verdachtsstatus bereits bei der Zuordnung zum Zeitgeschehen Berücksichtigung finden. Die Zulässigkeit identifizierender Verdachtsberichterstattung als Wortberichterstattung bestimmt sich daher über §§ 22 ff. KUG analog anhand einer umfassenden und einzelfallbezogenen Güterabwägung, welche das öffentliche Informationsinteresse bezüglich der Identität des Beschuldigten dessen Anonymitätsinteressen gegenüberstellt. An der Veröffentlichung des Namens eines Tatverdächtigen im Rahmen eines Berichts über einen strafrechtlichen Verdacht muss mithin ein berechtigtes öffentliches Informationsinteresse bestehen, welches die Anonymitätsinteressen des Betroffenen überwiegt. Aufgrund der Intensität des Eingriffs in das Persönlichkeitsrecht des Beschuldigten gelten für die hier vorzunehmende Güterabwägung im Rahmen der identifizierenden Berichterstattung strenge Maßstäbe. Hinsichtlich der Zulässigkeit identifizierender Berichterstattung hat die frühere Rechtsprechung eine Namensnennung lediglich in Zusammenhang mit einem bereits eingeleiteten Ermittlungsverfahren anerkannt. Darüber hinaus sollte im Einzelfall zu berücksichtigen sein, ob es sich um eine Straftat von erheblicher Bedeutung handelte, ob und in welchem Maße die öffentliche Namensnennung geeignet ist, zur Verbrechensaufklärung beizutragen und in welchem Ausmaß der Beschuldigte bereits verdächtig ist, insbesondere ob gegen ihn wesentliche, einen erheblichen Tatverdacht begründende Umstände sprechen.262 Heute herrscht in Rechtsprechung und Literatur trotz teilweise unterschiedlich strenger Maßstäbe Einigkeit dahingehend, dass eine identifizierende Verdachtsberichterstattung im Ermittlungsstadium nur ausnahmsweise gerechtfertigt sein kann.263 Es ist nunmehr als gefestigte Rechtsprechung anzusehen, dass die Medien bei der Identifizierung des Beschuldigten aufgrund der mit dieser einhergehenden Prangerwirkung besondere Zurückhaltung zu wahren haben und eine solche nur zulässig sein kann, wenn die Identität des Beschuldigten neben der Tat einen eigenen besonderen Informationswert besitzt und an der Mitteilung der Person des Betroffenen ein überwiegendes öffentliches Informationsinteresse besteht.264 Maßgeblich ist damit heute der Informationswert des Namens des 260

KG ZUM-RD 2006, 378 (379). Hierzu siehe auch unten Viertes Kapitel, B. III. 2. b). 262 OLG Braunschweig NJW 1975, 651 (652), unter Verweis auf OLG Frankfurt NJW 1971, 47 (48). 263 BGH NJW 1994, 1950 (1952); OLG Stuttgart JZ 1960, 126; OLG Frankfurt a. M. NJW 1971, 47 (48); OLG Braunschweig NJW 1975, 651 (652); OLG Koblenz wistra 1987, 359 (360); OLG Hamm OLGZ 1990, 202 (204); OLG Frankfurt a. M. NJW-RR 1990, 989 (990); Bornkamm, NStZ 1983, 102 (105, 106); Lampe, NJW 1973, 217 (219); Marxen, GA 1980, 365 ff.; Ostendorf, GA 1980, 445 (460, 461); Wenzel/Burkhardt/Peifer, 10. Kap. Rn. 167. 264 BVerfG NJW 1993, 1463 (1464); BGH NJW 1994, 1950 (1951 f.); OLG Köln AfP 1989, 683 (685); OLG Frankfurt a. M. GRUR 1990, 1056; OLG Hamburg NJW-RR, 1992, 536 (537); 261

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4. Kap.: Mediale Berichterstattung im Ermittlungs- und Strafverfahren

Beschuldigten im konkreten Einzelfall, der zur Begründung eines berechtigten öffentlichen Interesses an der Identifizierung des Tatverdächtigen erforderlich ist. Jede (mutmaßliche) Straftat verletzt den öffentlichen Rechtsfrieden, so dass mit ihr „Belange des Gemeinschaftslebens“ betroffen werden, denen ein Öffentlichkeitswert zukommt. Hinsichtlich derartiger Vorgänge besteht daher zunächst ein grundsätzliches öffentliches Interesse265 an Publizität.266 Aus der Annahme eines „öffentlichen Interesses“ an einer Information folgt jedoch noch nicht ohne weiteres dessen Privilegierung als „berechtigtes Interesse“ im Hinblick auf dessen Abwägung gegenüber den hierdurch betroffenen rechtlichen Interessen des Betroffenen. Ein Interesse, dessen Wahrnehmung eine absolut rechtfertigende Wirkung hat, ist nicht anzuerkennen.267 Auch wenn einer begangenen oder vermuteten Straftat daher ein Öffentlichkeitswert zukommt, ist nicht ohne weiteres ersichtlich, welchen Nachrichtenwert der Name des Beschuldigten für die Öffentlichkeit haben soll. Nach publizistischen Maßstäben kann zwar mit Gostomzyk von einem „Nachrichtenwert Personalisierung“ gesprochen werden, welcher es ermöglicht, abstrakte Themen bestimmten Personen zuzuschreiben268 und damit ein wichtiges publizistisches Mittel darstellt, um „Aufmerksamkeit zu erregen“,269 was gerade bei Berichten über Kriminalität eine entscheidende Rolle spielt.270 Derartige publizistische und ökonomische Motive stellen jedoch keine berechtigten Informationsinteressen dar, die Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte des Betroffen rechtfertigen können. Das öffentliche Interesse an Informationen über Phänomene sozial abweichenden und kriminellen Verhaltens bezieht sich lediglich auf allgemeine Daten hinsichtlich Erscheinungsformen, Delikts- und Tätergruppe, soziale Ursachen sowie vorbeugende oder resozialisierende Bemühungen, so dass vordergründig statistische Informationen für die Befriedigung dieses öffentlichen Interesses ausreichend und Informationen über die Identität des Beschuldigten hingegen nicht erforderlich sind.271 Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem rechtsstaatlichen Bedürfnisses nach plebiszitärer Kontrolle und Ermöglichung demokratischer Willensbildung, die sich auch auf die Ermittlungstätigkeit der Staatsanwaltschaft als staatliche Machtausübung bezieht.272 Eine derartige Kontrollfunktion der Bevölkerung hinsichtlich der Strafverfolgung bezieht sich auf deren abstrakte Tätigkeit und erfordert keinen OLG Köln BeckRS 2001, 31156156; Frömming/Peters, NJW 1996, 958 (961); Schlüter, S. 107; Wenzel/Burkhardt/Peifer, 10. Kap. Rn. 169. 265 Unter einem „öffentlichen Interesse“ sind solche Interessen zu verstehen, die dem Gemeinwohl dienen und sich damit von den Individualinteressen des Einzelnen unterscheiden. 266 Zielemann, S. 54. 267 Zielemann, S. 54. 268 Gostomzyk, AfP 2005, 437 (438). 269 BVerfG GRUR 200, 446 (452); BGH NJW 2009, 757 (758); Gostomzyk, AfP 2005, 437 (438); Schlüter, S. 105. 270 Gostomzyk, AfP 2005, 437 (438 f.); Schlüter, S. 105. 271 Becker, S. 196; Fischer, S. 213. 272 Dalbkermeyer, S. 103; Fischer, S. 213.

B. Der rechtliche Rahmen zulässiger Verdachtsberichterstattung

225

konkreten Personenbezug. Daher wird das öffentliche Interesse an den Belangen des Gesellschaftslebens oftmals durch allgemeine Informationen zum Tathergang sowie anonym und abstrakt gehaltener Angaben zu Täter und Opfer befriedigt werden können.273 Vor diesem Hintergrund hat sich auch das OLG Stuttgart gegen einen grundsätzlichen Informationswert des Namens des Beschuldigten ausgesprochen.274 Anders kann diese Beurteilung allenfalls ausfallen, wenn die Identität des Täters bereits bekannt ist, dann richtet sich das Bedürfnis nach Wiederherstellung des Rechtsfriedens auf diese Person.275 Dass dem Namen des Beschuldigten grundsätzlich kein eigener Informationswert im Hinblick auf die durch ihn begangene Straftat zukommt, kann nur eine grundlegende Regelfallwertung darstellen. Nach der Rechtsprechung sind auch Fälle denkbar, in denen ausnahmsweise ein überwiegendes und damit berechtigtes öffentliches Interesse am Namen des Tatverdächtigen bestehen kann. Dieses könne insbesondere bei schweren Straftaten („Schwer- und Schwerstkriminalität“) oder solchen Straftaten begründet sein, die die Öffentlichkeit besonders berühren.276 So bestehe beispielsweise bei schweren Gewaltverbrechen neben der „allgemeinen Neugier und Sensationslust“ ernstzunehmendes Interesse an der Identität des Täters, seinen Motiven und den zur Tat führenden Vorgängen.277 Das Merkmal der „schweren Straftat“ ist indes nicht an den formalen Maßstäben des § 12 StGB und damit der Qualifizierung als Verbrechen zu messen, sondern am Grad der durch sie verursachten Verunsicherung in der Bevölkerung, welche das öffentliche Informationsinteresse begründen kann.278 Die Ursachen einer besonderen Berührung der Öffentlichkeit können nicht nur in der Tat als solcher liegen, sondern auch in der Person des Täters, in dem erregten Aufsehen aufgrund öffentlicher Verhaftung, in der Person des Opfers oder in einer möglichen Wiederholungsgefahr.279 So auch, wenn es um eine Aufdeckung von die Allgemeinheit betreffenden Missständen geht, welches beispielsweise aufgrund der besonderen Vertrauensstellung des Tatverdächtigen nur durch Namensnennung möglich ist.280

273

Fischer, S. 212 f.; Prinz/Peters, Rn. 853. OLG Stuttgart NJW 1972, 2320 (2321). 275 Fischer, S. 213. 276 BVerfG NJW 1973, 1226 (1231); NJW 1993, 1463 (1464); BGH NJW 1994, 1950 (1952); NJW 2000, 1036 (1038); OLG Frankfurt NJW 1980, 597 (598); OLG Hamm AfP 1985, 218 (219); BeckOK-IMR/Herrmann, § 23 KUG Rn. 43; Ricker/Weberling, 42. Kap. Rn. 13; Schlüter, S. 107. 277 BVerfG NJW 1973, 1226 (1230); so auch in NJW 1993, 1463 (1464). 278 Schlüter, S. 107. 279 OLG Köln AfP 1995, 520 (522); Löffler/Steffen, § 6 Rn. 207; Schlüter, S. 107 f. 280 Frömming/Peters, NJW 1996, 958 (961), die hier beispielsweise an den Anlagebetrüger oder pfuschenden Arzt denken, dessen Namen auch aus präventiven Gründen einen eigenen Informationswert für die Allgemeinheit haben kann. 274

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4. Kap.: Mediale Berichterstattung im Ermittlungs- und Strafverfahren

Zwar ist die Zulässigkeit der Namensnennung damit nicht formalistisch auf „schwere Straftaten“ oder „Schwerstkriminalität“ beschränkt,281 es bedarf jedoch zusätzlich zu den allgemeinen Kriterien zulässiger Verdachtsberichterstattung282 eines die Geheimhaltungsinteressen des Beschuldigten überwiegendes und damit berechtigtes öffentliches Interesse an der Namensnennung. Auch wenn Straftaten grundsätzlich zum Zeitgeschehen gehören, über das die Presse zu berichten hat, ist der Eingriff der Verdachtsberichterstattung in die Persönlichkeitssphäre des Beschuldigten durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit begrenzt und eine Identifikation des Tatverdächtigen bei sog. Kleinkriminalität nur ausnahmsweise zulässig.283 Zudem gilt, je höher der Verdachtsgrad, desto eher ist auch eine identifizierende Verdachtsberichterstattung zulässig, so dass zwischen bloßer Einleitung eines Ermittlungsverfahren aufgrund eines Anfangsverdachts, dem Erlass eines Haftbefehls sowie der Anklageerhebung und Eröffnung des Hauptverfahrens zu unterscheiden ist.284 Zugunsten einer Namensnennung ist auch zu berücksichtigen, ob sich der Beschuldigte bereits selbst in die Öffentlichkeit begeben hat.285 Das Informationsinteresse der Öffentlichkeit kann den Anonymitäts- und Persönlichkeitsschutz des Einzelnen auch dann überwiegen, wenn die Tat angesichts der Person oder Stellung des Täters sowie der Art der Tat bzw. ihrer spezifischen Verhältnisse die Öffentlichkeit besonders berührt.286 Bekommt die mutmaßliche Straftat durch die Person des Beschuldigten eine besondere Prägung oder ergibt sich aus der Kombination zwischen Tat und Täter der besondere Unwertgehalt, kann dem Namen des Beschuldigten ein eigener Informationswert zukommen. Ob damit allein die Identität des Beschuldigten als Person des öffentlichen Lebens und dessen Stellung in der Gesellschaft das öffentliche Interesse an der Namensnennung zu einem berechtigten machen, soll jedoch an späterer Stelle gesonderter Gegenstand dieser Untersuchung sein.287 Schließlich kann die Identifizierung des Beschuldigten auch ohne eine Namensnennung durch die Veröffentlichung an sich anonymer Einzelinformationen erfolgen, die im Einzelnen oder auch erst in der Kombination die Identität des Betroffenen offenlegen. So etwa, wenn zwar nur der Anfangsbuchstabe des Beschul281

So ausdrücklich auch BGH NJW 2006, 599. Hierzu siehe bereits oben Viertes Kapitel, B. III. 1. 283 BVerfG NJW 1973, 1226; NJW 1993, 1463 (1464); BGH NJW 1994, 1950 (1952); LG Berlin NJW-RR 1999, 1253 (1254). 284 Schlüter, S. 109 m. w. N.; hier gilt letztlich das bereits zur allgemeinen Zulässigkeit von Verdachtsberichterstattung Gesagte; dazu siehe oben Viertes Kapitel, B. III. 1. 285 Schlüter, S. 110, unter Verweis auf BGH NJW 1964, 1471 (1472). Inwieweit dies nur gilt, wenn der Beschuldigte sich unmittelbar in Hinblick auf die Straftat bzw. ihr zugrundeliegende Tatsachen an die Öffentlichkeit gewandt hat und nicht allein seine öffentliche Stellung an sich die persönlichkeitsrechtliche Schutzwürdigkeit entfallen lässt, wird im Sechsten Kapitel zu untersuchen sein; siehe unten Sechstes Kapitel. 286 BGH NJW 2000, 1036 (1038); OLG Frankfurt a. M., OLGR 2003, 383 (384); OLG Braunschweig NJW-RR 2005, 195. 287 Hierzu ausführlich siehe unten Sechstes Kapitel. 282

B. Der rechtliche Rahmen zulässiger Verdachtsberichterstattung

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digten („Fritz W.“) zugleich aber auch dessen Alter, Beruf und Wohnort genannt werden. Eine derartige Verbreitung individualisierender Merkmale, die den Betroffenen für eine unbestimmte Zahl von Rezipienten oder auch nur Bekannte erkenntlich macht,288 steht in ihrer persönlichkeitsrechtlichen Bewertung der Namensnennung gleich,289 so dass an ihre Zulässigkeit die gleichen bereits dargelegten Anforderungen zu stellen sind. b) Bildnisveröffentlichung Die vorangegangenen Ausführungen haben die Kriterien aufgezeigt, nach denen Beschuldigte im Zusammenhang mit der ihnen vorgeworfenen Straftat im Rahmen medialer Berichterstattung namentlich genannt oder anderweitig kenntlich gemacht werden dürfen. Gleichwohl folgt aus einer zulässigen identifizierenden Wortberichterstattung nicht auch automatisch die Zulässigkeit der Veröffentlichung von Bildern des Beschuldigten.290 Diese ist gesondert zu prüfen. Die Medien haben im Rahmen ihrer Verdachtsberichterstattung – gerade im Hinblick auf Personen des öffentlichen Lebens als Beschuldigte – ein gesteigertes Interesse an der Verbindung von Wort- und Bildberichterstattung, da letztere vom Leser nicht nur in kürzerer Zeit aufgenommen werden kann, sondern diese durch ihren optischen Reiz auch dessen Augenmerk auf den betreffenden Artikel lenkt.291 Was der personalisierten Bildberichterstattung damit ihren hohen publizistischen Wert zum Zwecke der Erregung von Aufmerksamkeit beschert,292 bedeutet wiederum für den Betroffenen eine erhöhte Gefahr öffentlicher Stigmatisierung. Trotz des nur geringen zusätzlichen Informationswertes eines Bildnisses ist die mit dessen Veröffentlichung verbundene Prangerwirkung für den Betroffenen umso intensiver, da der visuelle Effekt stärker geeignet ist, Emotionen hervorzurufen, Bildern im Vergleich zu Worten höhere Glaubwürdigkeit zukommt und sie sich stärker einprägen. Vor allem aber wird die Aufmerksamkeit eines nur flüchtigen Zeitungslesers gerade erst durch das Foto auf einen Artikel gelenkt, welchen er andernfalls womöglich überlesen hätte.293 288 Vgl. bspw. OLG Hamburg AfP 2007, 228, hier: Nennung der Firma und der dortigen Funktion des Betroffenen; KG NJW-RR 2008, 1625 (1627 f.), hier: Veröffentlichung eines Fotos des Wohnhauses des Betroffenen; Frömming/Peters, NJW 1996, 958 (961); Schlüter, S. 114 f. 289 Wenzel/Burkhardt/Peifer, 10. Kap. Rn. 169. 290 Schlüter, S. 116. 291 Schlüter, S. 116. Beispielhaft sei hier das Bild des wegen Untreue angeklagten Vorstandsprechers der Deutschen Bank AG, Josef Ackermann, genannt, welches ihn vor Beginn der Verhandlung das „Victory-Zeichen“ zeigend abbildete; hierzu von Coelln, S. 447. 292 BVerfG NJW 2000, 1021 (1024); BGH GRUR 2009, 150 (151); Gostomzyk, AfP 2005 (437 (438). 293 BVerfG NJW 1973, 1226 (1230); Beater, AfP 2005, 133 (133); Koebel, JZ 1966, 389 (390); Schlüter, S. 116.

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4. Kap.: Mediale Berichterstattung im Ermittlungs- und Strafverfahren

Während für die Verdachtsberichterstattung in Form der Wortberichterstattung die von der Rechtsprechung entwickelte Grundsätze sowie die Regelungen der §§ 22 ff. KUG analog herangezogen werden müssen, existieren für die Bildnisveröffentlichung mit den §§ 22 ff. KUG ausdrückliche gesetzliche Regelungen, die auch auf die Verdachtsberichterstattung Anwendung finden.294 Aufgrund der in diesen Normen enthaltenen unbestimmten Rechtsbegriffe erleichtern sie die Beurteilung zulässiger Bildberichterstattung jedoch nicht wesentlich und die Ausfüllung dieser Rechtsbegriffe ist erneut der Rechtsprechung überlassen. Da im Rahmen eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens überwiegend nicht von einer Einwilligung des Beschuldigten in die ihn betreffende Berichterstattung sowie Veröffentlichung von Bildern auszugehen sein wird, richtet sich die Zulässigkeit identifizierender Bildnisveröffentlichung in Zusammenhang mit der Veröffentlichung des Tatverdachts insbesondere nach der Ausnahmeregelung des § 23 KUG.295 Wie bereits dargestellt, galt zwar der verurteilte Straftäter, nicht aber der Tatverdächtige ohne weiteres als „relative Person der Zeitgeschichte“, so dass die Veröffentlichung seines Bildnisses nicht bereits nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG zulässig war.296 Im Anschluss an das Caroline-Urteil entwickelte die deutsche Rechtsprechung in Umsetzung der Rechtsprechung des EGMR297 für die Prüfung der Zulässigkeit von Bildveröffentlichungen ein sog. „abgestuftes Schutzkonzept“.298 Hiermit besonnen sich die Gerichte auf die gesetzlich vorgesehene abgestufte Zulässigkeitsprüfung der §§ 22 ff. KUG, wonach Bildnisse einer Person grundsätzlich nur mit deren Einwilligung verbreitet werden dürfen (§ 22 S. 1 KUG). Von diesem Grundsatz macht § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG eine Ausnahme für Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte, welche hingegen nicht für Veröffentlichungen gilt, durch die berechtigte Interessen des Abgebildeten verletzt werden, § 23 Abs. 2 KUG. Die Entscheidung ob ein Bildnis der Zeitgeschichte vorliegt ist heute nicht mehr über die Rechtsfigur der „Person der Zeitgeschichte“ zu treffen, sondern bereits das Ergebnis einer einzelfallbezogenen Abwägung zwischen den Persönlichkeitsrechten des Betroffen aus Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 2 Abs. 1 GG und der Presse- und Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG, wobei der Abwägungsspielraum überhaupt nur eröffnet ist, wenn die Medien im konkreten Fall ernsthaft und sachlich das öffentliche Informationsinteresse bedienen und damit zum Prozess der Meinungsbildung beitragen und nicht lediglich die Neugier und Sensationsinteressen ihrer Leser befriedigen.299 294 Schlüter, S. 117 ff., der sich in seiner Darstellung jedoch überwiegend auf die Rechtsprechung vor dem Caroline-Urteil des EGMR und dem anschließend entwickelten abgestuften Stufenkonzept des BGH bezieht. 295 Schlüter, S. 117. 296 Siehe oben Viertes Kapitel, B. III. 2. a). 297 EGMR NJW 2004, 2647; zur Feststellung der vorgabengetreuen Umsetzung vgl. EGMR NJW 2012, 1053. 298 BGH NJW 2007, 1977; NJW 2007, 3440; NJW 2008, 749; NJW 2008, 3134; NJW 2008, 3141; NJW 2009, 757; NJW 2009, 1499; NJW 2010, 2432 (2436). 299 BGH NJW 2010, 2432 (2436); NJW 2011, 3153 (3154); NJW-RR 2017, 31 (35).

B. Der rechtliche Rahmen zulässiger Verdachtsberichterstattung

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Im Rahmen dieser Abwägung kommt dem Gegenstand der Berichterstattung eine wesentliche Bedeutung zu.300 Unabhängig vom Informationswert der Berichterstattung haben die Geheimhaltungsinteressen des Betroffen in der Regel dann Vorrang, wenn sie den geschützten Bereich der Privatsphäre betreffen oder in Situationen aufgenommen wurden, in denen der Betroffene davon ausgehen darf, einer Bildnachstellung nicht ausgesetzt zu sein.301 Vom Schutz dieser Privatsphäre sind derartige Sachverhalte erfasst, die aufgrund ihres Informationsinhalts typischerweise als privat eingestuft werden und deren öffentliches Bekanntwerden nachteilige Reaktionen der Umwelt hervorzurufen geeignet ist und nach Auffassung des BVerfG beispielsweise Tagebücher, die vertrauliche Kommunikation unter Eheleuten, sozial abweichendes Verhalten, Sexualität oder Krankheit erfasst,302 so dass auch strafrechtliche Vorwürfe grundsätzlich durch die Privatsphäre geschützt sind.303 Würde man jedoch jede identifizierende Bildberichterstattung über einen strafrechtlichen Tatverdacht mit dem Hinweis auf die Schutzwürdigkeit der betroffenen Privatsphäre als unzulässig ablehnen, würden hiermit die gesellschaftlichen Konsequenzen strafbaren Verhaltens für die soziale (Rechts-)Gemeinschaft vernachlässigt werden. Die Veröffentlichung von Bildnissen aus diesem Bereich der Privatsphäre können daher bei Vorliegen eines besonderen öffentlichen Interesses gerechtfertigt sein,304 welches anhand einer umfassenden Güterabwägung zu ermitteln ist. In diesem Rahmen ist zu berücksichtigen, dass Straftaten und damit auch der diesbezügliche Verdacht zum Zeitgeschehen gehören, dessen Vermittlung Aufgabe der Medien ist und die Verletzung der Rechtsordnung und damit auch Beeinträchtigung des Rechtsfriedens, die Sympathie mit dem Opfer und auch die Möglichkeit von Wiederholungen ein über reine Neugier hinausgehendes anzuerkennendes öffentliches Interesse an Tat und Täter begründen.305 Dieses Interesse wird umso höher einzustufen sein, je mehr sich die Tat durch Begehungsweise und Schwere von gewöhnlicher Kriminalität abhebt.306 Selbst wenn man die Bildberichterstattung über einen verurteilten Straftäter als grundsätzlich durch ein dessen Persönlichkeitsrechte und Geheimhaltungsinteressen überwiegendes öffentliches Informationsinteresse gerechtfertigt ansieht, liegt die Situation im Fall der Verdachtsberichterstattung anders. Hier hat die Berichterstattung lediglich den Verdacht einer Straftat zum Gegenstand und die Verletzung des Rechtsfriedens durch die Person des Beschuldigten wurde noch nicht in einem rechtsstaatlichen Verfahren festgestellt. Gerade im an sich nichtöffentlichen Ermittlungsverfahren erlangt diese Unterscheidung mit Blick auf die Unschuldsver300

Wandtke/Bullinger/Fricke, § 23 KUG Rn. 9. Wandtke/Bullinger/Fricke, § 23 KUG Rn. 23. 302 Wandtke/Bullinger/Fricke, § 23 KUG Rn. 24; zum Bereich der Privatsphäre siehe bereits oben Drittes Kapitel, B. I. 2. 303 Hierzu siehe bereits oben Drittes Kapitel, B. I. 2. 304 BeckOK-UrhR/Engels, § 23 KUG Rn. 23 ff. 305 BGH NJW 2011, 3153 (3154). 306 BGH NJW 2011, 3153 (3154). 301

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4. Kap.: Mediale Berichterstattung im Ermittlungs- und Strafverfahren

mutung besondere Bedeutung, da bereits mit der Veröffentlichung des negativ qualifizierenden Tatverdachts eine erhebliche öffentliche Prangerwirkung einhergeht, die Bevölkerung die Einleitung der Ermittlungen mit dem Nachweis der Schuld gleichsetzt und der negative öffentliche Eindruck auch durch eine Einstellung des Verfahrens kaum zu beseitigen ist.307 Angesichts dieser Umstände ist davon auszugehen, dass bis zu einer erstinstanzlichen Verurteilung der Schutz der Persönlichkeit und die Achtung des Privatlebens des Beschuldigten das öffentliche Interesse an einer identifizierenden Bildberichterstattung regelmäßig überwiegen.308 Für ein von diesem Grundsatz abweichendes Abwägungsergebnis müssen daher für die identifizierende Bildberichterstattung erst Recht die von der Rechtsprechung zur identifizierenden Wortberichterstattung entwickelten Kriterien309 herangezogen werden, denn einer visuellen Offenlegung der Identität des Beschuldigten wohnt eine über die reine Namensnennung hinausgehende persönlichkeitsrechtliche Beeinträchtigung inne, wenn der Betroffene so auch von Personen erkannt wird, die seinen Namen nicht kennen.310 Wesentliche Voraussetzung für die Zulässigkeit identifizierender Verdachtsberichterstattung in Form der Bildberichterstattung ist damit zunächst auch ein Mindestbestandes an Beweistatsachen.311 Hinsichtlich des erforderlichen Verdachtsgrads kann für die persönlichkeitsrechtlich weitaus gefährlichere Bildberichterstattung nichts anderes als für die reine Namensnennung im Rahmen einer Wortberichterstattung gelten, so dass die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens nicht mit einem ausreichenden Mindestmaß an Beweistatsachen gleichzusetzen ist. Zudem muss es sich ebenfalls um einen Vorgang von gravierendem Gewicht handeln. Die Schweres des Tatvorwurfs sowie der Tatumstände können daher zu einem überwiegenden öffentlichen Interesse an der Bildberichterstattung führen, wobei im Fall eines bloßen Tatverdächtigen ein berechtigtes öffentliches Interesse an der Identität und einem Bild des Beschuldigten grundsätzlich nur in Fällen von Schwer- oder Schwerstkriminalität oder einem vorrangigen Aufklärungsinteresse in Betracht kommt.312 Führt damit die im Rahmen des § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG vorzunehmende Interessenabwägung dazu, dass es sich trotz des Verdachtsstadiums um ein Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte handelt, findet die damit eröffnete Abbildungsfreiheit ihre Grenze bei der Veröffentlichung von Bildern, durch die ein berechtigtes Interesse des Abgebildeten verletzt wird.313 Über diese Rückausnahme können 307 BVerfG NJW 1973, 1226 (1230); NJW 2006, 2835; BGH NJW 2010, 2432 (2437); NJW-RR 2017, 31 (35). 308 BVerfG NJW 2009, 350 (351 f.); NJW 2009, 3357 (3359); BGH NJW 2011, 3153 (3155). 309 Hierzu siehe bereits ausführlich oben Viertes Kapitel, B. III. 1. und 2. a). 310 OLG Köln BeckRS 2016, 119590. 311 BGH NJW 2011, 3153 (3155); NJW-RR 2017, 31 (35). 312 BeckOK-IMR/Herrmann, § 23 KUG Rn. 43 m. w. N. 313 Vgl. hierzu ausführlich Wandtke/Bullinger/Fricke, § 23 KUG Rn. 23 ff.

B. Der rechtliche Rahmen zulässiger Verdachtsberichterstattung

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solche schutzwürdigen Interessen des Beschuldigten Berücksichtigung finden, die nicht bereits Gegenstand der Abwägung zur zeitgeschichtlichen Einordnung waren, so dass sich die Bedeutung des § 23 Abs. 2 KUG für Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte mit dem abgestuften Stufenkonzept und der danach bereits bei § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG vorzunehmenden Interessenabwägung auf einen Auffangtatbestand beschränkt,314 und auf eine Darstellung der für die vorliegende Untersuchung nicht relevanten Fallgruppen315 an dieser Stelle verzichtet werden soll. Gerade im Bereich der strafrechtlichen Verdachtsberichterstattung kann an dieser Stelle jedoch dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nochmals besonderes Gewicht zukommen, wenn die Voraussetzungen einer Bildberichterstattung nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG zwar grundsätzlich vorliegen, aber beispielsweise durch das Bild als solches, berechtigte Interessen des Beschuldigten verletzt werden, indem dieser bspw. in einer entwürdigenden Situation der Festnahme gezeigt wird und damit über die reine Identifizierung hinaus der konkreten Bildberichterstattung ein eigenständiger Verletzungseffekt zukommt.316 Der Betroffene muss es nicht hinnehmen, zusätzlich zu der ihn identifizierenden Veröffentlichung in einem demütigenden Zustand abgebildet und veröffentlicht zu werden.317 Keinen eigenständigen Verletzungseffekt weist hingegen nach der Rechtsprechung die Veröffentlichung kontextneutraler Fotos oder porträtähnlicher Aufnahmen zur schlichten Bebilderung einer Presseberichterstattung und damit auch der Verdachtsberichterstattung auf.318 Verwendet die Presse daher Archivbilder zur Bebilderung eines Berichts über ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren, so ist allein die Wortberichtserstattung auf ihre Zulässigkeit nach den dargestellten Kriterien zu überprüfen. c) Zusammenfassung Die vorstehenden Ausführungen haben gezeigt, dass das öffentliche Informationsinteresse den wichtigsten Maßstab für die Zulässigkeit medialer Verdachtsberichterstattung darstellt. Hält man sich zugleich vor Augen, dass die Aufgabenerfüllung der Presse in Form der Berichterstattung über zeitgeschichtliche Ereignisse wie Straftaten und Strafverfahren eine identifizierende Berichterstattung zunächst nicht erfordert, ist die Forderung Göttings nachvollziehbar, den Schutz der Privatsphäre im deutschen Recht nicht unter Berufung auf das durch Art. 5 GG ver314 Wandtke/Bullinger/Fricke, § 23 KUG Rn. 42. Zu denken wäre hier beispielsweise an manipulierte Bildnisse oder eine Gefährdung der Person des Abgebildeten durch die Veröffentlichung, Wandtke/Bullinger/Fricke, § 23 KUG Rn. 44 f. 315 Zu diesen Fallgruppen, die insbesondere für Bildnisse, die nicht in den Bereich der Zeitgeschichte fallen, Relevanz entfalten; vgl. Wandtke/Bullinger/Fricke, § 23 KUG Rn. 43 ff. 316 KG ZUM-RD 2007, 115 (116); NJW 2011, 785 (788). 317 KG ZUM-RD 2007, 115 (116); NJW 2011, 785 (788). 318 BVerfG NJW 2006, 2835 (2836); BGH NJW 2002, 2317 (2318 f.); BeckOK-IMR/ Herrmann, § 23 KUG Rn. 63.

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4. Kap.: Mediale Berichterstattung im Ermittlungs- und Strafverfahren

meintlich legitimierte öffentliche Informationsbedürfnis auszuhöhlen.319 Auch wenn ein grundsätzliches Verbot identifizierender Verdachtsberichterstattung320 aufgrund der bedeutenden Funktion der freien Medienberichterstattung für den Prozess der öffentlichen Meinungsbildung und dem bisweilen anzuerkennenden öffentlichen Interesse an der Person des Täters nicht zu befürworten ist, bedarf es dennoch einer restriktiven Anwendung der Kriterien zulässiger Verdachtsberichterstattung. Gerade im Hinblick auf identifizierende Verdachtsberichterstattung sollte das einschränkende Korrektiv des Erfordernisses einer schweren Straftat oder einer Straftat von besonderer Bedeutung mit herangezogen werden. Ebenfalls außer Acht lässt die Leitentscheidung des BGH die persönlichkeitsrechtliche Sphäre, in der sich die Straftat ereignet haben soll. Diesbezüglich entstanden daher begründete presserechtliche Diskussionen hinsichtlich der Frage, ob im Rahmen der identifizierenden Berichterstattung größere Zurückhaltung geboten sei.321

IV. Die ethischen Regeln des Pressekodex Neben den dargestellten gesetzlichen und von der Rechtsprechung geprägten Kriterien zulässiger strafrechtlicher Verdachtsberichterstattung kann auch ethischen Standesregeln eine begrenzende und reglementierende Funktion zukommen. Noch vor Einführung der RiStBV am 01. 01. 1977 hat der Deutsche Presserat als Standesorganisation der großen deutschen Verleger- und Journalistenverbände322 im Jahr 1973 in seinen „Publizistischen Grundsätzen“ („Pressekodex“)323 Vorgaben aufgestellt, die Grundsätze zulässiger Berichterstattung aufstellen und so auch die unnötige Bloßstellung und Vorverurteilung des Beschuldigten im Ermittlungsverfahren durch die Presseberichterstattung vermeiden sollen. Konkretisiert und inhaltlich ausgefüllt wird der Pressekodex durch die „Richtlinien für die publizistische Arbeit nach den Empfehlungen des Deutschen Presserates“.324 Diese Grundsätze gelten für die gedruckte Presse und seit 2009 auch für die elektronische Presse, mithin journalistische Veröffentlichungen im Internet.325 319

Götting/Schertz/Seitz, § 1 Rn. 5. So bspw. Berka, S. 349 ff.; Bornkamm, NStZ 1983, 102 (106); Kühl, FS-Hubmann 1985, S. 241 (253 f.); Lampe, NJW 1973, 217 (219); Zielemann, S. 105 ff., 114. 321 Lehr, NJW 2013, 728 (730). 322 Zum Deutschen Presserat und seiner Geschichte vgl. Löffler/Löffler, BT Standesrecht Rn. 5 ff.; Stapper, S. 256 f. m. w. N.; Wallenhorst, S. 41 ff. 323 Der „Pressekodex“ wurde vom Deutschen Presserat in Zusammenarbeit mit den Presseverbänden beschlossen und am 12. 12. 1973 dem damaligen Bundespräsidenten, Gustav Heinemann, überreicht; vgl. Dalbkermeyer, S. 32. 324 Abrufbar ist der Pressekodex nebst Richtlinien in der jeweils aktuellen Fassung unter www.presserat.de. 325 Pressemitteilung des Deutschen Presserates vom 30. 12. 2008, abrufbar unter www.presserat.de; Stapper, S. 155. 320

B. Der rechtliche Rahmen zulässiger Verdachtsberichterstattung

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Die ethisch-journalistischen Standesregeln des Presserates sind weder Rechtsnorm im normativen Sinne noch rein moralisch verpflichtende Prinzipien ohne Geltungsanspruch,326 sondern vielmehr eine Ergänzung der Rechtsordnung, die zum einen der Pressefreiheit und dem Ansehen des Berufsstandes in der Öffentlichkeit und zum anderen dem Schutz des Individuums dienen.327 Der Pressekodex steht damit in Ermangelung eigener Rechtsnormqualität als Bestandteil der unser soziales Miteinander regulierenden Sittenordnung „zwischen Recht und Moral“.328 In Ziffer 1 wird als oberstes Gebot der Pressearbeit die „Achtung vor der Wahrheit, die Wahrung der Menschenwürde und die wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit“ bestimmt. Von den insgesamt 16 Ziffern dienen die ersten zwölf dem Persönlichkeitsschutz, wovon für die hiesige Arbeit wiederum lediglich Ziffer 8 und 9 von Relevanz sind. Darüber hinaus befasst sich Ziffer 13 mit der Wahrung der Unschuldsvermutung. Die folgende Darstellung wird sich damit auf die nähere Erläuterung dieser drei Regelungen beschränken. Der nicht nur für die vorliegende Untersuchung zentrale Grundsatz des Pressekodes wird in Ziff. 8 Abs. 1 S. 1 bestimmt, dass die Presse das Privatleben und die Intimsphäre des Menschen zu achten hat. Ist das Verhalten des Einzelnen jedoch von öffentlichem Interesse, so kann die Presse es hingegen erörtern, Ziff. 8 Abs. 1 S. 2. Für eine identifizierende Berichterstattung ist ein Überwiegen des Informationsinteresses der Öffentlichkeit gegenüber den schutzwürdigen Interessen des Einzelnen erforderlich, wobei reine Sensationsinteressen in keinem Fall als überwiegend angesehen werden dürfen, Ziff. 8 Abs. 1 S. 3. Damit statuiert der Presserat für die Wahrung der Persönlichkeitsrechte des Betroffenen und die Zulässigkeit identifizierender Berichterstattung Grundsätze, die den von der Rechtsprechung aufgestellten Kriterien weitestgehend entsprechen und weder eine Verschärfung noch inhaltliche Konkretisierung darstellen.329 Die auch vom Presserat verwendeten unbestimmten Begriffe des „öffentlichen Interesses“ und der „schutzwürdigen Interessen“ des Betroffen werden in Zusammenhang mit der „Kriminalberichterstattung“ in Nr. 8.1 der Richtlinie mit Inhalt gefüllt, wonach an Straftaten, Ermittlungs- sowie Gerichtsverfahren grundsätzlich ein berechtigtes öffentliches Interesse bestehe (Absatz 1). In der seit 2013 geltenden Fassung wird allerdings in Absatz 2 klargestellt, dass sich im Hinblick auf eine identifizierende Berichterstattung über Straftäter oder Tatverdächtige dessen Persönlichkeitsrechte und die Informationsinter-

326

Dennoch werden die Verhaltensgrundsätze des Presserates teilweise durch die Gerichte bei der Auslegung des Begriffs der „pressemäßigen Sorgfalt“ (§ 276 Abs. 2 BGB) herangezogen, auch wenn stets betont wird, dass diese alleine keinen rechtlich verbindlichen Maßstab bilden können; vgl. BGH NJW 1979, 1041; OLG München NJW-RR 2004, 767 (769); LAG Chemnitz ZUM-RD 2000, 85 (86); Wallenhorst, S. 150. 327 Götting/Schertz/Seitz/Tillmanns, § 5 Rn. 9; Löffler/Löffler, BT Standesrecht Rn. 1; Stapper, S. 155, 157; Wallenhorst, S. 153. 328 Löffler/Löffler, BT Standesrecht Rn. 1. 329 Stapper, S. 157 m. w. N.

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4. Kap.: Mediale Berichterstattung im Ermittlungs- und Strafverfahren

essen der Öffentlichkeit zunächst gleichwertig gegenüber stehen330 und eine einzelfallbezogene Abwägung vorgenommen werden muss, bei der die Intensität des Tatverdachts, die Schwere des Vorwurfs, der Verfahrensstand, der Bekanntheitsgrad des Verdächtigen oder Täters, das frühere Verhalten des Verdächtigen oder Täters und die Intensität, mit der er die Öffentlichkeit sucht, einfließen müssen. Weiter gibt die Richtlinie in Absatz 2 der Presse Kriterien an die Hand, die für ein überwiegendes öffentliches Interesse sprechen, so etwa bei außergewöhnlicher Schwere der Tat, wenn diese nach Art und Dimension hervorsticht oder in aller Öffentlichkeit geschehen ist, wenn die Tat im Zusammenhang oder Widerspruch mit dem Amt, Mandat oder der gesellschaftlichen Rolle einer Person steht oder wenn bei einer prominenten Person331 ein Zusammenhang oder Widerspruch zu ihrer Stellung in der Öffentlichkeit besteht. Damit orientiert sich der Presserat auch in seiner Richtlinie Nr. 8.1 an der grundrechtsdogmatischen Ausgangslage individualisierender Verdachtsberichterstattung332 und den hierzu entwickelten Kriterien der Rechtsprechung333, so dass rechtliche und ethischen Grenzen zulässiger Verdachtsberichterstattung übereinstimmen.334 Die Persönlichkeit des von der Verdachtsberichterstattung Betroffenen zu schützen ist auch die Intention von Ziff. 9 des Pressekodex, wonach es journalistischer Ethik widerspricht, Menschen mit „unangemessenen Darstellungen in Wort und Bild“ in ihrer Ehre zu verletzen. Mangels einer konkretisierenden Richtlinie zu diesem Grundsatz ist allerdings auch hiermit keine weiterführende Konkretisierung zulässiger Verdachtsberichterstattung geschaffen, da sie keine kodifizierten Maßstäbe anbietet, anhand derer sich mediale Berichterstattung messen lässt.335 Im Ergebnis entspricht Ziff. 9 dem von der Rechtsprechung stets als Korrektiv herangezogenen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sowie in seiner Wirkung dem Auffanggehalt von § 23 Abs. 2 KUG. Für die Frage zulässiger strafrechtlicher Verdachtsberichterstattung im Hinblick auf die besonderen Interessen des Beschuldigten gerät schließlich Ziff. 13 ins Blickfeld, in welcher sich der Pressekodex explizit mit dem Problem der Vorverurteilung auseinandersetzt. Hiernach soll jegliche Berichterstattung über Ermittlungs- und Strafverfahren „frei von Vorurteilen“ erfolgen. Auch unterwirft sich die Presse in Satz 2 ausdrücklich der Unschuldsvermutung. Hiermit entsprechen die ethischen Standesregeln erneut den von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien zulässiger Verdachtsberichterstattung, welche eine bewusst einseitige und vorver330

Vgl. AfP 2013, 121 (o.V.). Auf diesen Aspekt wird in Hinblick auf die Person des öffentlichen Lebens als Tatverdächtige noch an späterer Stelle eingegangen; siehe unten Sechstes Kapitel. 332 Siehe hierzu bereits oben Viertes Kapitel, B. I. 333 Siehe hierzu ebenfalls bereits oben Viertes Kapitel, B. III. 334 Auch wenn im Gegensatz zur gesetzlichen Regelung die standesrechtlichen Grundsätze die Zulässigkeit von Namensnennung und Bildnisveröffentlichung gleichbehandeln; vgl. Schwetzler, S. 295 ff. 335 Stapper, S. 158. 331

B. Der rechtliche Rahmen zulässiger Verdachtsberichterstattung

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urteilende Darstellung verbieten.336 Diese Selbstbindung wird in der betreffenden Richtlinie inhaltlich konkretisiert, indem zunächst in Nr. 13.1 als Zweck der Kriminalberichterstattung die sorgfältige Unterrichtung der Öffentlichkeit über Straftaten, deren rechtliche Verfolgung und deren richterliche Bewertung bestimmt wird. Aus dieser Zweckbindung folgt die Verpflichtung zu sachlicher und neutraler Berichterstattung. Hierbei darf die Presse einen bloßen Verdächtigen ohne Vorliegen eines Geständnisses oder eindeutiger Beweise nicht als Täter bezeichnen. Zwischen Verdacht und erwiesener Schuld sei in der Sprache der Berichterstattung deutlich zu unterscheiden. Besonders hervorzuheben ist der in Nr. 13.1 aufgestellte Grundsatz, dass in einem Rechtsstaat das Ziel der Berichterstattung über Strafverfahren nicht eine „soziale Zusatzbestrafung Verurteilter mit Hilfe eines ,Medien-Prangers‘“ sein darf. Schließlich wird unter dem Stichwort „Folgeberichterstattung“ in Nr. 13.2 das Gebot aufgestellt, im Falle einer Berichterstattung über einen gegen eine Person bestehenden Tatverdacht ebenfalls über einen späteren rechtkräftig abschließenden Freispruch, eine deutliche Minderung des Strafvorwurfs und auch die Einstellung eines Ermittlungsverfahrens zu berichten. Hiermit formuliert der Pressekodex in Ziff. 13 und den zugehörigen Richtlinien treffend die durch eine medienöffentliche Strafverfolgung zu befürchtenden Gefahren337 und halten zu Vorsicht und Zurückhaltung an, so dass diese Regelungen für den von der Verdachtsberichterstattung betroffenen Beschuldigten von besonderer Bedeutung sind.338 Es bleibt jedoch festzuhalten, dass mit dem Pressekodex und seinen konkretisierenden Richtlinien zwar ethische Standesregeln existieren, die den Beschuldigten vor ausufernder Berichterstattung zu schützen bestimmt sind. Hierbei geht der Presserat jedoch kaum über die von der Rechtsprechung bereits aufgestellten Kriterien zulässiger Verdachtsberichterstattung hinaus, so dass eine weitere Begrenzung der Gefahren zulässiger Berichterstattung nicht erfolgt. Überdies haben sich eine überwiegende Anzahl der Verleger zwar in entsprechenden Erklärungen der Einhaltung des Pressekodex verpflichtet, dieser hat jedoch mangels Rechtsnormqualität nur die Verbindlichkeit einer moralischen Verpflichtung.339 Es ist daher Stapper zuzustimmen, der den Erfolg derartiger ethischer Appelle von der ohnehin schon bestehenden Einstellung des einzelnen Medienvertreters abhängig macht, indem wohl überwiegend die Journalisten den Verhaltensregeln entsprechen werden, die auch von selbst einen verantwortungsvollen Journalismus betreiben.340 Positiv zu bemerken ist jedoch, dass die Grundsätze des Presserates vielleicht vermehrt präventiv unzulässige Berichterstattung zu Lasten des Beschuldigten zu verhindern geeignet sind, während sich die Rechtsprechung überwiegend repressiv mit bereits erfolgten Veröffentlichungen und damit bereits verletzten Persönlichkeitsrechten 336 337 338 339 340

Siehe hierzu oben Viertes Kapitel, B. III. Hierzu bereits oben Drittes Kapitel, A. II. Stapper, S. 160; Wallenhorst, S. 158. Stapper, S. 159 f. Stapper, S. 162.

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4. Kap.: Mediale Berichterstattung im Ermittlungs- und Strafverfahren

befassen kann und einen einmal in der Öffentlichkeit gefestigten Eindruck nicht zu beseitigen vermag.

V. Zusammenfassung Entsprechend ihrer Bedeutung für den demokratischen Rechtstaat ist die mediale Berichterstattung mit den Kommunikationsfreiheiten des Art. 5 Abs. 1 GG grundrechtlich abgesichert. Diese umfassen die Meinungsfreiheit, die hierfür konstitutive Informationsfreiheit sowie die speziell publizistische Inhalte schützenden Medienfreiheiten. Da die mediale Verdachtsberichterstattung jedoch zugleich das Persönlichkeitsrecht des Beschuldigten verletzt, wird der Rahmen der rechtlich zulässigen Berichterstattung von zwei sich horizontal gegenüberstehenden gleichrangigen Rechten geprägt. Zwar wirken die betroffenen Grundrechte zwischen Privaten nicht unmittelbar, entfalten aber innerhalb der Anwendung und Auslegung der im betroffenen Privatrechtsverhältnis geltenden Normen eine mittelbare Wirkung. Auch die Unschuldsvermutung ist als lenkender Maßstab bei der Beurteilung hinzuzuziehen. In diesem verfassungsdogmatischen Rahmen erfolgt eine mediale Berichterstattung über den gegen eine Person bestehenden Tatverdacht überwiegend als tatsachenbezogene Wortberichterstattung, für die ebenso wie für die sie begleitende Bildberichterstattung die Regelungen der §§ 22 ff. KUG (analog) Anwendung finden. Hiernach ist eine identifizierende Verdachtsberichterstattung im Stadium des Ermittlungsverfahrens nur dann zulässig, wenn es sich bei dem Tatverdacht und der Person des Täters um ein zeitgeschichtliches Ereignis im Sinne von § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG (analog) handelt. Dies ist anhand einer einzelfallbezogenen Abwägung des öffentlichen Informationsinteresses mit den Anonymitätsinteressen des Beschuldigten zu bestimmen, wobei aufgrund der Intensität und Reichweite des Eingriffs strenge Maßstäbe gelten müssen. So kann eine identifizierende Verdachtsberichterstattung in Wort und Bild nur dann zulässig sein, wenn die Identität des Täters neben der Tat einen eigenen Informationswert besitzt, was allenfalls bei schweren Straftaten oder solchen Tatvorwürfen der Fall sein kann, die die Öffentlichkeit besonders berühren. Auch kann der Person des Täters in Zusammenhang mit dem Tatvorwurf ein eigener Informationswert zukommen, wenn sich hieraus ein besonderer Unwertgehalt ergibt. Hier gilt es im Folgenden zu untersuchen, ob allein die Stellung des Beschuldigten als Person des öffentlichen Lebens einen eigenen berechtigten Informationswert begründet. Für die Abwägungsentscheidung im Rahmen des § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG hat die Rechtsprechung weitere Kriterien aufgestellt, welche aufgrund der Intensität der persönlichkeitsrechtlichen Folgen identifizierender Verdachtsberichterstattung besonders restriktiv angewandt werden müssen. Bei der Frage nach der Zulässigkeit identifizierender Verdachtsberichterstattung sind

C. Medien als Instrument der Prozessführung („Litigation-PR“)

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damit auch die Schwere des Vorwurfs sowie das Maß an Beweistatsachen einzubeziehen und den Medien pressemäßige Sorgfaltspflichten aufzuerlegen. Neben den verfassungsrechtlichen und einfachgesetzlichen Grenzen zulässiger Verdachtsberichterstattung legen auch die ethischen Standesregeln des Pressekodex bestimmte Verhaltensregeln für die berichterstattenden Medien fest. Hiernach ist in Ziffer 8 die Achtung des Privatlebens und in Ziffer 9 der Schutz der Persönlichkeit des Betroffenen vorgeschrieben. Zudem unterwirft sich die Presse in Ziffer 13 ausdrücklich der Unschuldsvermutung. Eine über die Kriterien der Rechtsprechung hinausgehende Begrenzung zulässiger Verdachtsberichterstattung erfolgt hiermit jedoch nicht.

C. Medien als Instrument der Prozessführung („Litigation-PR“) Wird gegen eine Person der Vorwurf einer Straftat erhoben und erlangen die Medien Kenntnis von diesem Tatverdacht drohen dem Beschuldigten und seiner Reputation durch die zu erwartende Berichterstattung erhebliche Nachteile.341 Trotz der dargestellten Gefahren medialer Aufmerksamkeit im Ermittlungs- und Strafverfahren ist sie für die Beteiligten nicht in jedem Fall unerwünscht. Gerade in medienwirksamen Verfahren scheint eine rein juristische Lösung des Rechtskonflikts nicht mehr ausreichend zu sein.342 Gelangt ein Tatverdacht an die Öffentlichkeit, kann der Betroffene versuchen, die Ermittlungen und ein etwaiges Strafverfahren gegen seine Person möglichst geheim zu halten und unbemerkt zu einem Abschluss zu bringen. Gerade für Personen des öffentlichen Lebens wird diese Geheimhaltungsstrategie jedoch nur selten Erfolg versprechend sein. Es kann sich daher für den Beschuldigten als strategisch sinnvoll erweisen, gezielt und proaktiv den Kontakt zu den Medien zu suchen und durch eine Zusammenarbeit, die mediale Berichterstattung von vornherein zu lenken und ihre Wirkungsweise auf die Öffentlichkeit und das Strafverfahren zur Verbesserung seiner gesellschaftlichen und prozessualen Situation zu nutzen. Diese Form der Zusammenarbeit mit den Medien zugunsten einer positiven Prozesssituation wird heute als sog. „Litigation-PR“ (engl., „Öffentlichkeitsarbeit während eines Rechtsstreits“) bezeichnet und kann mit James F. Haggerty, amerikanischer Anwalt und Litigation-PR-Spezialist, als das Steuern von Kommunikationsprozessen während eines Rechtsstreits zum Zweck der Einflussnahme auf dessen Ergebnis sowie der Vermeidung von Reputationsschäden beschrieben wer-

341 342

Hierzu siehe bereits oben Drittes Kapitel, A. Heinrich, in: Rademacher/Schmitt-Geiger, Litigation-PR, S. 24.

238

4. Kap.: Mediale Berichterstattung im Ermittlungs- und Strafverfahren

den.343 Auch wenn sich bisher insbesondere der Beschuldigte dieser Verhaltensstrategie bedient hat, wird auch immer häufiger von einer Litigation-PR seitens der Staatsanwaltschaft gesprochen. Dieser Abschnitt widmet sich daher überblickartig dem Phänomen professionalisierter Öffentlichkeitsarbeit sowie deren Möglichkeiten und Risiken.344 Obwohl die „Litigation-PR“ trotz des eine andere Herkunft nahelegenden Terminus345 ihren Ursprung im Frankreich des 19. Jahrhunderts hatte,346 entwickelte sie sich insbesondere in den Vereinigten Staaten seit den achtziger Jahren zu einer lukrativen Branche.347 Begünstigt wurde diese Entwicklung insbesondere durch die dort in Abweichung zum deutschen Rechtssystem mit der Entscheidung über Schuld und Unschuld befassten Jury, die sich im Verhältnis zum Berufsrichter weitaus leichter beeinflussen lässt.348 Zudem gewann im US-amerikanischen Fernsehen auch die mediale Berichterstattung über Gerichtsverfahren immer stärker an Bedeutung und gipfelte in Sendern wie dem ehemaligen „Court TV“, die live aus dem Gerichtssaal berichten.349 Doch auch in deutschen Strafverfahren, in dem neben den Berufsrichtern auch ihnen gleichgestellte Schöffen zur Entscheidung berufen sind, hat sich in den letzten Jahren das Phänomen der strategischen Öffentlichkeitsarbeit verbreitet.350 Im Bereich des Strafverfahrens kann der Beschuldigte durch eine geschickte und strategische Zusammenarbeit mit den Medien seine Perspektive und zur Entlastung oder Verteidigung geeignete Argumente zum Gegenstand der ohnehin nicht zu vermeidenden medialen Berichterstattung machen und auf diesem Wege seine gesellschaftliche Reputation, aber auch mittelbar sich selbst im Hinblick auf die An-

343 „Litigation PR can best be defined as managing the media process during the course of any legal dispute or adjudicatory proceeding so as to affect the outcome or ist impact on client’s overall reputation.“, Haggerty, S. 2 zitiert nach Meyer, S. 250; vgl. auch Holzinger/Wolff, S. 18. 344 Weiterführend zur Litigation-PR vgl. grundlegend insbesondere Boehme-Neßler (Hrsg.): Die Öffentlichkeit als Richter? Litigation-PR als neue Methode der Rechtsfindung, 2010; Gostomzyk, Die Öffentlichkeitsverantwortung der Gerichte in der Mediengesellschaft, 2006; Herzog, Öffentlichkeits- und Medienarbeit des Strafverteidigers, 2014; Holzinger/Wolff, Im Namen der Öffentlichkeit, 2009. 345 Zum Begriff vgl. auch Heinrich, in: Rademacher/Schmitt-Geiger, Litigation-PR, S. 28 f. 346 Vgl. hierzu Meyer, S. 250 m. w. N. 347 Heinrich, in: Rademacher/Schmitt-Geiger, Litigation-PR, S. 24; Holzinger/Wolff, S. 44; Meyer, S. 250. 348 Holzinger/Wolff, S. 45; Meyer, S. 250 f. 349 Holzinger/Wolff, S. 44. 350 Diese Entwicklung führt Meyer zutreffend auf die Veränderung in unserer medialen Gesellschaft aber auch auf die Verbreitung von US-amerikanischen Kanzleien in Deutschland zurück, die ihre Erfahrungen in strategischer Medienkommunikation in Hinblick auf die Verteidigung ihres Mandanten mitbringen; vgl. Meyer, S. 251, unter Verweis auf Holzinger/ Wolff, S. 58 f.; in diesem Zusammenhang von einer „Aufrüstung bei allen Prozessbeteiligten“ sprechend Rademacher/Schmitt-Geiger, in: Rademacher/Schmitt-Geiger, Litigation-PR, S. 16.

C. Medien als Instrument der Prozessführung („Litigation-PR“)

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klage verteidigen.351 Auf diese Weise können Falschmeldungen verhindert und bereits früh die mediale Darstellung der Vorwürfe zu Gunsten des Beschuldigten beeinflusst werden. Meinecke bezeichnet die Litigation-PR damit zutreffend als „notwendige Konsequenz einer hochkomplexen Beeinflussungsdynamik zwischen Medien, Justiz und Verteidigung“.352 Für den Beschuldigten sind im Strafverfahren damit zwei Ziele parallel zu verfolgen: einerseits den Ausgang des Verfahrens zu beeinflussen und andererseits seine Reputation zu schützen, indem auf die außergerichtliche Meinungsbildung und die öffentliche Wahrnehmung Einfluss genommen wird.353 Bereits im Ermittlungsverfahren kann die öffentliche Kommunikation des Beschuldigten ein „notwendiges Korrektiv zur Informations- und Deutungshoheit“ der Staatsanwaltschaft darstellen, welche durch ihre Pressearbeit einen kommunikativen Vorsprung hat.354 Insbesondere kann der Betroffene die Darstellungen der Strafverfolgungsbehörden ergänzen, richtig- oder klarstellen und so tendenziöser Berichterstattung entgegenwirken.355 Auch können durch eine gezielte Litigation-PR komplexe Sachverhalte und Handlungsgründe nachvollziehbar gemacht werden und so möglicherweise Verständnis geschaffen werden, nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch bei Staatsanwaltschaft und Gericht.356 Auch im Hauptverfahren kann eine gezielte Öffentlichkeitsarbeit das Verfahren beeinflussen. Im Hinblick auf die Einflussnahme auf die zur Entscheidung berufenen Verfahrensbeteiligten ist die der Litigation-PR zugrundeliegende fundamentale Annahme, nicht nur die Laienrichter, sondern auch die Berufsrichter seien gegen die öffentliche Meinung nicht immun.357 Diese Annahme wird gestützt durch aktuelle empirische Erhebungen, die deutlich machen, dass auch der Berufsrichter die mediale Berichterstattung über die „eigenen“ Verfahren verfolgt und damit trotz professioneller Distanz der Wirkungsweise der Medien ausgesetzt ist.358 Litigation-PR ist folglich insbesondere für Beschuldigte interessant, die eine erhebliche mediale Aufmerksamkeit auf sich ziehen und deren gesellschaftliche Reputation bedeutsam ist. Strategische Rechtskommunikation ist somit gerade für Personen des öffentlichen Lebens interessant, die sich einem strafrechtlichen Vorwurf ausgesetzt sehen und deren gesellschaftliches Ansehen einen erheblichen

351

Holzinger/Wolff, S. 20. Meinecke, S. 109. 353 Christiansen, in: Rademacher/Schmitt-Geiger, Litigation-PR, S. 125 f.; Heinrich, in: Rademacher/Schmitt-Geiger, Litigation-PR, S. 30, die insbesondere den Reputationsschutz in den Vordergrund stellt; Holzinger/Wolff, S. 19 m. w. N.; Meyer, S. 253. 354 Holzinger/Wolff, S. 22. 355 Meyer, S. 251. 356 Holzinger/Wolff, S. 19. 357 Christiansen, in: Rademacher/Schmitt-Geiger, Litigation-PR, S. 141; Meyer, S. 254. 358 Siehe hierzu bereits oben Drittes Kapitel, A. I. 352

240

4. Kap.: Mediale Berichterstattung im Ermittlungs- und Strafverfahren

wirtschaftlichen Faktor darstellt.359 Wird ein laufendes Ermittlungsverfahren gegen eine Person des öffentlichen Lebens bekannt,360 speisen sich die Informationen der berichterstattenden Medien zunächst ausschließlich aus den Mitteilungen der Staatsanwaltschaft und der Polizei, so dass das Risiko einer öffentlichen Vorverurteilung in dieser frühen Phase besonders hoch ist, da gerade am Anfang des Verfahrens ein „Charakterbild“ des Beschuldigten gezeichnet wird.361 Tritt der Beschuldigte bereits in dieser Phase in eine professionelle und strategische Kommunikation mit den Medien, kann ein nachhaltiger Verlust des gesellschaftlichen Ansehens gerade bei Personen des öffentlichen Lebens gegebenenfalls verringert werden. Eine verbreitete Maßnahme der Litigation-PR ist neben der reinen ImagePflege auch das Hinwirken der Verteidigung auf eine Verfahrenseinstellung oder das Akzeptieren eines Strafbefehls, um auf diese Weise das gegen den Beschuldigten laufende Verfahren zu einem schnellen und „leisen“ Abschluss zu bringen und den erhobenen Vorwurf damit auch formal gering zu halten.362 Schließlich ist der Betroffene im Falle des Bekanntwerdens eines gegen ihn bestehenden Tatverdachts beinahe gezwungen, diesbezügliche Anfragen der Presse nicht abzuweisen, sondern sich vielmehr der medialen Kommunikation zu stellen. Andernfalls eröffnet er der Presse die Möglichkeit, im Fortgang des Verfahren stetig über den Beschuldigten zu berichten, ohne diesem eine weitere Gelegenheit zur Stellungnahme einräumen zu müssen.363 Zugleich kann es Ziel einer strategischen Medienkommunikation sein, begründete Zweifel an dem erhobenen Tatvorwurf hervorzurufen, da diese zur Unzulässigkeit medialer Verdachtsberichterstattung führen können.364 Die Medialisierung unserer Gesellschaft und die Macht der medialen Berichterstattung zeigt inzwischen auch auf Seiten der Staatsanwaltschaften Wirkung.365 Es ist immer häufiger von einer „Professionalisierung“ der ermittlungsbehördlichen Öffentlichkeitsarbeit die Rede. In diesem Bezug ist dieser Begriff jedoch weitaus weniger komplex zu verstehen, als in den Kommunikationswissenschaften.366 Als 359 Bedeutung erlangt die Litigation-PR jedoch auch in zivilrechtlichen Verfahren gegen große Unternehmen oder auch in strafrechtlichen Verfahren gegen ihre Mitarbeiter, da ein Reputations- und Vertrauensverlust in der Bevölkerung erhebliche Umsatzeinbußen nach sich ziehen kann. 360 Im anglo-amerikanischen Recht werden derartige Strafprozesse mit prominenten Beschuldigten als sog. „High Profile Cases“ bezeichnet; vgl. Haggerty, S. 79; Meyer, S. 252. 361 Eisele, JZ 2014, 932 (935); Holzinger/Wolff, S. 187. 362 Holzinger/Wolff, S. 188 ff. 363 Hohmann, NJW 2009, 881 (883). Zur Gelegenheit der Stellungnahme für den Betroffenen siehe bereits oben Viertes Kapitel, B. III. 1. 364 Hohmann, NJW 2009, 881 (883); Jung, GA 2014, 257 (262); siehe hierzu bereits oben Viertes Kapitel, B. III. 1. und 2. a). 365 Heinrich, in: Rademacher/Schmitt-Geiger, Litigation-PR, S. 25. 366 Im Bereich der Kommunikationswissenschaften versteht man unter „Professionalisierung“ unter anderem die Definition eines Hauptberufs, die Präzisierung seiner Funktion sowie die Regulierung des Berufszugangs über adäquate Berufsausbildung; vgl. Kottkamp, S. 46 f. m. w. N.

C. Medien als Instrument der Prozessführung („Litigation-PR“)

241

Indizien einer Professionalisierung der Medienarbeit der Strafverfolgungsbehörden werden die Einrichtung von Pressestellen, die vermehrte mediale Präsenz der Pressesprecher sowie deren Schulung in Kommunikations- und Interviewtechniken angesehen.367 Auch seitens der Ermittlungsbehörden sind die Motive strategischer Öffentlichkeitsarbeit durchaus selbstbezogen, denn ein medienwirksames Strafverfahren bedeutet auch eine Gefahr für Ansehen und Reputation der Strafverfolgungsbehörden, die mittels der Medien „Imagepflege“ betreiben.368 Auch sind aus Sicht der Staatsanwaltschaft Journalisten gern gesehene Ermittlungshelfer, da diese sich nicht an strafprozessuale Vorgaben halten müssen.369 Dass die Ermittlungsbehörden in ihrer Öffentlichkeitsarbeit mit der professionalisierten und strategischen Medienkommunikation des Beschuldigten allmählich gleichzuziehen scheinen, ist sowohl im Interesse der Strafverfolgung als auch aus Sicht des Beschuldigten nicht als rein positive Entwicklung zu bewerten. Da eine medienwirksame Strafrechtspflege erhebliche Gefahren für die Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens und den Beschuldigten mit sich bringt, führt eine zusätzliche Medienarbeit der Ermittlungsbehörden zu einem „Mehr“ an Medienöffentlichkeit, wodurch auch der Betroffene wiederum zu einer umfassenderen Zusammenarbeit mit der Presse gedrängt wird. Diese erhöhte Publizität verstärkt die negativen medialen Auswirkungen auf das Strafverfahren und den Beschuldigten.370 Zudem ist die Staatsanwaltschaft als Organ staatlicher Machtausübung gemäß Art. 1 Abs. 3 GG zum Schutz der Persönlichkeitsrechte des Beschuldigten verpflichtet, wodurch jegliche Informationstätigkeit ihrerseits zunächst kritisch zu betrachten ist. Andererseits führt der beschriebene Prozess der Professionalisierung seitens der Strafverfolgungsbehörden auch zu einer Art „medialen Waffengleichheit“371 und gut geschulte Pressesprecher versprechen im Rahmen der notwendigen Pressearbeit der Staatsanwaltschaften372 zugleich einen besseren Schutz des Beschuldigten vor Persönlichkeitsrechtsverletzungen durch diese Informationstätigkeit. Anders als der Angeklagte, der sich im Strafverfahren prinzipiell mit allen Mitteln und damit auch mithilfe der Medien verteidigen darf,373 ist die Staatsanwaltschaft als 367

Huff, in: Rademacher/Schmitt-Geiger, Litigation-PR, S. 269 ff.; Kottkamp, S. 47; Meinecke, S. 109. 368 Meyer, S. 259 f. 369 Eisele, JZ 2014, 932 (935); Holzinger/Wolff, S. 21; Meyer, S. 258. 370 So auch die kritische Sicht Heinrich, in: Rademacher/Schmitt-Geiger, Litigation-PR, S. 25; zu diesen negativen Auswirkungen auf das Strafverfahren und den Beschuldigten siehe bereits oben Drittes Kapitel, A. 371 Wolff spricht insofern von einem „Informationsduell“ zwischen Strafverfolgung und Beschuldigtem, indem es darum gehe, „wer zuerst die Öffentlichkeit mit Informationen beliefert und so den ersten Ton setzt, nachdem sich alles Nachfolgende richtet“; vgl. Holzinger/ Wolff, S. 97. In eine ähnliche Richtung geht auch die Formulierung Jungs als „Konflikt der Geschichten“, GA 2014, 257 (262). 372 Zur pflichtgemäßen reaktiven Öffentlichkeitsarbeit siehe unten Fünftes Kapitel, B. II. 373 Dennoch wird auch die Litigation-PR des Beschuldigten zuweilen kritisch gesehen. So bezeichnete sie der ehemalige Mediensprecher der Staatsanwaltschaft München I Winkler als

242

4. Kap.: Mediale Berichterstattung im Ermittlungs- und Strafverfahren

staatliche Strafverfolgungsbehörde in ihrer Informationstätigkeit der Unparteilichkeit, Objektivität, Neutralität, dem Legalitätsprinzip sowie den Grundrechten des Betroffenen verpflichtet.374 Inwiefern daher angesichts ihrer ambivalenten Auswirkungen eine derartige professionalisierte und strategische Öffentlichkeitsarbeit der Ermittlungsbehörden noch rechtlich legitimiert ist, soll im nachfolgenden Kapitel bestimmt werden.

D. Ergebnis Dem Prozess fortschreitender Medialisierung und den damit verbundenen Möglichkeiten kann sich auch das Strafverfahren nicht entziehen. Die moderne Medienlandschaft ist geprägt durch die Massenmedien, insbesondere die sog. „neuen Medien“. Hiermit werden die seit jeher mit einer medialen Öffentlichkeit im Strafverfahren bestehenden Gefahren für die Persönlichkeitsrechte des Beschuldigten noch verstärkt. Trotz dieser Risiken erfüllt mediale Berichterstattung allgemeine, aber auch im Strafverfahren wichtige gesellschaftliche und demokratische Funktionen, so dass sie zwar nicht zu unterbinden ist, wohl aber klaren Regelungen unterworfen sein sollte. Im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren bemisst sich die Zulässigkeit identifizierender Verdachtsberichterstattung in Form der Wort- und Bildberichterstattung derzeit anhand einer einzelfallbezogenen Abwägungsentscheidung im Rahmen des § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG (analog). Aufgrund der Intensität des mit ihr verbundenen Eingriffs in die Persönlichkeitsrechte des Beschuldigten kann sie nur ausnahmsweise zulässig sein, wenn der Identität des Betroffenen neben der Tat ein eigener Informationswert zukommt. Für das besonders sensible Spannungsfeld der medialen Verdachtsberichterstattung hat die Rechtsprechung einen differenzierten Kriterienkatalog entwickelt, welcher im Rahmen dieser Abwägungsentscheidung ebenfalls zu beachten ist. Ergänzt werden diese gesetzlichen und richterrechtlichen Grenzen durch die Regelungen des selbstverpflichtenden Pressekodex des Deutschen Presserats. Es erscheint zudem als natürliche Konsequenz fortschreitender Medialisierung des Strafverfahrens, dass die mediale Aufmerksamkeit durch den Beschuldigten vermehrt gezielt zu eigenen Zwecken genutzt wird. Durch eine strategische Rechtskommunikation erhofft er sich eine positive Beeinflussung des Verfahrens„eine Art fünfte Gewalt, die die vierte Gewalt benutzt, um dadurch die dritte Gewalt zu beeinflussen“; zitiert nach Huff, in: Rademacher/Schmitt-Geiger, Litigation-PR, S. 414. 374 Christiansen, in: Rademacher/Schmitt-Geiger, Litigation-PR, S. 146. Aufgrund dieser Verpflichtungen lehnt Meyer eine Bezeichnung der Medienarbeit der Staatsanwaltschaft als Litigation-PR ab, da es eine Prozessbeeinflussung zum Zwecke des Obsiegens auf dieser Seite nicht geben könne und es sich daher lediglich um „strategische Medienarbeit“ handle; vgl. Meyer, S. 260.

D. Ergebnis

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ergebnisses sowie einen möglichst geringen Reputationsverlust. Die Chancen einer professionalisierten Öffentlichkeitsarbeit haben mittlerweile auch die Strafverfolgungsbehörden erkannt und bauen ihre medialen Kompetenzen aus. Im Hinblick auf die rechtsstaatliche Position der Staatsanwaltschaft erscheint diese Entwicklung jedoch keinesfalls unbedenklich. Den tatsächlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen ermittlungsbehördlicher Öffentlichkeitsarbeit wird sich daher das nächste Kapitel widmen.

Fünftes Kapitel

Die Kommunikationstätigkeit der Ermittlungsbehörden Die Medien sind im Rahmen ihrer Verdachtsberichterstattung insbesondere auf die Auskünfte der Strafverfolgungsbehörden und der Gerichte angewiesen. Gerade im grundsätzlich nichtöffentlich ausgestalteten Ermittlungsverfahren hängt der Schutz der Persönlichkeitsrechte des Beschuldigten daher maßgeblich von der Informationspolitik der Staatsanwaltschaft ab. In diesem Verfahrensstadium erlangt das durch die widerstreitenden Interessen entstehende Spannungsverhältnis besonders an Bedeutung, da sämtliche mit der medialen Öffentlichkeit verbundenen Beeinträchtigungen des Beschuldigten auf einem bloßen Tatverdacht fußen. Zudem kann eine besonders bei bekannten Persönlichkeiten zu beobachtende extensive Öffentlichkeitsarbeit der Staatsanwaltschaft bereits während den noch laufenden Ermittlungen zu einem „Stimmungsklima der öffentlichen Vorverurteilung“ führen.1 Damit stellt das strafrechtliche Vorverfahren in persönlichkeitsrechtlicher Hinsicht einen besonders sensiblen Abschnitt des Strafverfahrens dar, so dass der Fokus der folgenden Untersuchung auf der ermittlungsbehördlichen Pressearbeit liegen wird.2 Informationen über zunächst nichtöffentliche strafverfahrensrechtliche Vorgänge sowie über die Tat und den Tatverdächtigen, schöpfen die Presseorgane insbesondere aus Quellen, die eine Verankerung im Strafverfahren haben. Hierbei handelt es sich vorrangig um Personen, die im Ermittlungsverfahren agieren, mithin vor allem die Staatsanwaltschaft und ihre Ermittlungspersonen.3 Diese dienen als primäre (legale) Informationsquelle der Medien, so dass sie als „Hüter der Informationen“ den Schutz der Persönlichkeitsrechte des Betroffenen gerade im Stadium des Vorverfahrens maßgeblich mitbestimmen. 1

Neuling, S. 149. Die Öffentlichkeitsarbeit der Gerichte wird in dieser Untersuchung weitestgehend ausgeklammert, nicht zuletzt, da die Medien aufgrund des Öffentlichkeitsgrundsatzes im Hauptverfahren (hierzu siehe oben Zweites Kapitel, A.) nicht primär auf die Informationsvermittlung der Justizbehörden angewiesen sind, sondern sich in der Hauptverhandlung ein eigenständiges Bild von den verfahrensrelevanten Sachverhalten machen können. 3 von Becker, S. 25; Bornkamm, S. 241; Burgstaller, in: Oehler/Jahn/Gerhardt/Burgstaller/ Hassemer, S. 47 (56). Im Vorverfahren stellt neben der Staatsanwaltschaft auch die Polizei eine für die Presse attraktive und ertragreiche Wissensquelle dar. In Pressekonferenzen oder Interviews geben auch die Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft (vgl. § 152 Abs. 1 GVG) Informationen an die Presse weiter. Da die Polizei im Ermittlungsverfahren jedoch der Staatsanwaltschaft als „Herrin des Vorverfahrens“ untersteht, soll im Folgenden das Hauptaugenmerk auf der Informationspolitik und Öffentlichkeitsarbeit der Staatsanwaltschaft liegen. 2

A. Das Verhältnis von Staatsanwaltschaft und Medien in der Praxis

245

Ausgehend von einer zu beobachtenden Professionalisierung der ermittlungsbehördlichen Öffentlichkeitsarbeit widmet sich dieses Kapitel ihren tatsächlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen. Zunächst wird dementsprechend ein Blick auf die Zusammenarbeit zwischen der Staatsanwaltschaft und den Medien in der Praxis sowie die hiermit verbundene Interessenlage geworfen (unten A.). Anschließend sind sodann auf Grundlage der bisherigen Ergebnisse die rechtlichen Grundlagen und Grenzen ermittlungsbehördlicher Informationstätigkeit zu ermitteln (B.).

A. Das Verhältnis von Staatsanwaltschaft und Medien in der Praxis Die Strafjustizbehörden erfüllen die ihnen im Ermittlungsverfahren monopolistisch obliegende Aufgabe der Aufklärung und Verfolgung strafrechtlich relevanter Sachverhalte – von einigen spektakulären Verfahren abgesehen – ganz überwiegend außerhalb der öffentlichen Wahrnehmung.4 Obwohl die Informationen über und aus dem strafrechtlichen Vorverfahren grundsätzlich der Geheimhaltung unterliegen, ist es heute Gang und Gäbe, dass die Staatsanwaltschaft eigenständig und durch eine Kooperation mit den berichterstattenden Medien über die von ihr betriebenen Ermittlungsverfahren informiert. Dass dieses gemeinsame Wirken nicht immer selbstverständlich war, welche Interessen die Strafverfolgungsbehörden mit ihrer Pressearbeit verfolgen und wie diese öffentliche Kommunikation in der Praxis stattfindet, wird dieser Abschnitt darstellen.

I. Die Zusammenarbeit von Staatsanwaltschaft und Medien im Wandel Im Hinblick auf die Öffentlichkeitsarbeit der Justizbehörden5 überhaupt von einer Zusammenarbeit mit den Medien sprechen zu können, ist das Resultat einer noch sehr jungen Entwicklung. Obwohl es sich bei Justiz und Medien um tragende Säulen des demokratischen Rechtsstaats handelt, hofft man vergeblich auf eine friedliche Zusammenarbeit.6 Noch Ende der 70er Jahre war das Verhältnis der Ermittlungs4 Zur Beteiligung der Öffentlichkeit im Ermittlungsverfahren siehe oben Zweites Kapitel, B. 5 Der Begriff der „Justizbehörden“ erfasst nach hiesigem Verständnis die staatliche Rechtspflege bestehend aus der ordentlichen Gerichtsbarkeit, der Staatsanwaltschaft, der Justizverwaltung, der Strafvollstreckungskammer und dem Notariat; vgl. Creifelds, Rechtswörterbuch, Stichwort „Justizbehörden“. 6 Jung, GA 2014, 257 (260). Die Medien werden – zurückgehend auf eine Formulierung Jean-Jacques Rousseaus – aufgrund ihres Einflusses auf das staatliche und gesellschaftliche Geschehen auch als „vierte Gewalt“ bezeichnet; vgl. AE-StuM, Einführung, S. 3; Gounalakis,

246

5. Kap.: Die Kommunikationstätigkeit der Ermittlungsbehörden

behörden und der Justiz gegenüber der Presse zurückhaltend und durch großes Misstrauen geprägt, so dass insbesondere die Staatsanwaltschaften nur widerwillig Informationen an die Medien herausgegeben haben.7 Zuweilen wurden die Pressestellen der Strafverfolgungsbehörden aufgrund ihrer restriktiven Informationspolitik auch als „Presseabwehrstellen“ oder „Verhinderungsstelle für Publizität“ bezeichnet.8 An dieser Rollenbeschreibung kann in der heutigen massenmedialen Zeit mit ihren veränderten Anforderungen an die Akteure eines Strafverfahrens bereits nach dem Blick auf die eingangs dargestellten Beispielverfahren9 kaum noch festgehalten werden.10 Die Staatsanwaltschaften können sich dem Informationsverlangen von Medien und Öffentlichkeit nicht gänzlich entziehen. Als Organ der Exekutive11 sind sie der Öffentlichkeit unterstellt und bereits aus dieser Stellung heraus zu Transparenz und Information hinsichtlich ihrer Tätigkeit verpflichtet.12 Auch scheint sich die ehemals lästige Pflicht der Strafverfolgungsbehörden mehr und mehr zu einer gerne und teils extensiv wahrgenommenen Möglichkeit der „Zusammenarbeit mit Presse und Rundfunk“ (so nicht ohne Grund die Überschrift zu Nr. 23 RiStBV) entwickelt zu haben.13 Die Zusammenarbeit zwischen Strafverfolgungsbehörden und Medien wird geprägt durch ein Spannungsverhältnis, welches auf der einen Seite durch das infolge der stetigen Medialisierung der Gesellschaft zunehmende Interesse der Medien an einer möglichst frühzeitigen und umfangreichen Berichterstattung über mutmaßlich strafrechtlich relevante Sachverhalte und auf der anderen Seite durch das zurückhaltende Informationsverhalten der Verfahrensbeteiligten begründet ist.14 Neben den teils divergierenden Interessen resultieren die Probleme im Verhältnis von Justiz und NJW 2016, 737 (741); Ricker/Weberling, 3. Kap. Rn. 25; hierzu vgl. auch bereits oben Viertes Kapitel, A. II. 4. 7 Schroers, NJW 1996, 969 (969). 8 So die Journalisten Michael Seuffert (1990 bis 1997 Chefredakteur des stern) und Joachim Sobotta (1969 bis 1997 Chefredakteur der Rheinischen Post) zitiert nach Wagner, S. 60. 9 Siehe oben Erstes Kapitel, A. Diesen Wandel beschreibt auch Trentmann, Publizistik 2015, 403 (404). 10 Einen wesentlichen Wandel im Kommunikationsverhalten beschreiben beispielsweise Branahl, Justizberichterstattung, Einleitung; Gostomzyk, S. 23; Jahn, in: Boehme-Neßler, Die Öffentlichkeit als Richter, S. 11 (15). 11 Die Staatsanwaltschaft ist ein von den Gerichten unabhängiges Organ der Strafrechtspflege. Auch wenn sie nicht verwaltet, sondern auf Rechtsprechung hinarbeitet, ist sie zwar in die Justiz eingegliedert, aber dennoch nicht Teil der Judikative (BVerfG NJW 2001, 1121; BVerfG NStZ 2002, 211; KK-StPO/Fischer, Einleitung Rn. 197; Meyer-Goßner/Schmitt, Vorb, § 141 GVG Rn. 6). Auf die teils abweichenden Ansichten zur Einordnung der Staatsanwaltschaft innerhalb der dreigeteilten Staatsgewalt (so bspw. Rautenberg, GA 2006, 356 ff.) soll an dieser Stelle lediglich hingewiesen werden. 12 Strebel, S. 69. Zum Transparenzgebot hinsichtlich der Ermittlungsarbeit der Strafverfolgungsbehörden siehe bereits oben Zweites Kapitel, A. II. 3. 13 Gross, FS-Hanack 1999, S. 40. 14 Fischer, S. 27; Lehr, NStZ 2001, 63; Meier, FS-Schreiber 2003, 331; Schroers, NJW 1996, 969.

A. Das Verhältnis von Staatsanwaltschaft und Medien in der Praxis

247

Medien auch aus den unterschiedlichen Aufgaben, die diesen beiden verfassungsrechtlich garantierten Institutionen in Gesellschaft und Staat zukommen.15 Grundlegendes Ziel der Strafjustizbehörden ist es, einen Sachverhalt auf seine strafrechtliche Relevanz hin zu untersuchen und im Interesse des gesellschaftlichen Zusammenlebens durch die Ermittlung und Ahndung kriminellen Verhaltens den inneren Frieden der Gesellschaft zu erhalten.16 Hierin kann zwar eine elementare Gemeinsamkeit in der Interessenlage von Staatsanwaltschaft und Medien gesehen werden, nämlich Vergehen und Verbrechen aufzuklären und ans Tageslicht zu bringen.17 Diese übereinstimmende Interessenlage wird jedoch durch unterschiedliches Streben bestimmt: Auf Seiten der Ermittlungsbehörde von ihrer Stellung als „objektive Instanz der Strafrechtspflege“ im Dienste der Öffentlichkeit, welche den Anforderungen an ein rechtsstaatliches, faires und die Unschuldsvermutung wahrendes Strafverfahren nachkommen muss und auf Seiten der Medien von deren prägenden privatwirtschaftlichen Interessen.18 Anders als Zivil- oder Verwaltungsverfahren bringt gerade ein Strafverfahren aus medialer Sicht wirtschaftlich attraktive Aspekte mit sich: Schuld, Sühne, Tragik und das Streben nach Gerechtigkeit.19 Zugleich bergen gerade diese Inhalte die größten Gefahren für die Persönlichkeitsrechte des Betroffenen20 und bedürfen – auch zum Schutz der Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege – einer besonderen Diskretion von Seiten der Strafverfolgungsorgane. Dennoch zeigen die Entwicklungen in der Zusammenarbeit von Justiz und Medien trotz des naturgemäß zurückhaltenden Umgangs der Strafverfolgungsbehörden mit Informationen aus dem Ermittlungsverfahren auch deren wachsendes Bewusstsein für die Vorteile einer Kooperation.21 Die Beziehung zwischen Strafjustiz und Medien kann heute keinesfalls mehr als „Einbahnstraße“ gesehen werden, bei der das Interesse an einer medialen Berichterstattung allein auf Seiten der Presse liegt.22 Dieser durchaus begrüßenswerte Wandel und die Öffnung der Staatsanwaltschaften gegenüber den Möglichkeiten der modernen Medien birgt jedoch zugleich die bereits dargestellten erhöhten Gefahren für die Persönlich15

Meier, FS-Schreiber 2003, 331. AE-StuM, Einführung, S. 2. 17 Fisch, S. 28; Hörisch, StV 2005, 151. 18 Diesen Konflikt zwischen der Orientierung der Strafverfolgungsbehörden an Sachlichkeit und Gerechtigkeit und der starken Beeinflussung der Massenmedien durch wirtschaftliche Belange und Zwänge und vor allem die Erwartungen des Publikums beschreiben u. a. Trentmann, Publizistik 2015, 403 (411), sowie Meyen, Publizistik 2015, 32 ff.; vgl. hierzu auch Jung, GA 2014, 257 (260 f.), der gerade die den Medien erteilte Erlaubnis zu emotionalisieren und zu überzeichnen für den Bereich der Strafprozessberichterstattung als problematisch ansieht. Zu den Gefahren der Prozessberichterstattung für das Strafverfahren und den Beschuldigten siehe oben Drittes Kapitel, A. 19 Meier, FS-Schreiber 2003, 331 f. 20 Zur Wahrnehmung und Stigmatisierung des Beschuldigten in der Gesellschaft siehe bereits oben Drittes Kapitel, A. II. 21 Siehe hierzu bereits oben Viertes Kapitel, C. 22 AE-StuM, Einführung, S. 6. 16

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5. Kap.: Die Kommunikationstätigkeit der Ermittlungsbehörden

keitsrechte der Betroffenen. Es müssen daher die mit einer Informationstätigkeit der Staatsanwaltschaft verfolgten Sachinteressen auf ihre Legitimität hin untersucht und sodann die rechtlichen Grundlagen ermittelt werden.

II. Das Interesse der Staatsanwaltschaft an Informationsweitergabe So begrüßenswert der beschriebene Wandel in der Zusammenarbeit zwischen Staatsanwaltschaft und Medien auch sein mag, stellt sich vor der Beurteilung der Rechtmäßigkeit ermittlungsbehördlicher Öffentlichkeitsarbeit die Frage, welche Interessen die Staatsanwaltschaft mit ihrem Gang an die Öffentlichkeit verfolgt.23 Im Rahmen des beschriebenen Spannungsverhältnisses zwischen den Bedürfnissen einer medienöffentlichen Strafrechtspflege und den Geheimhaltungsinteressen der Betroffenen müssen die Ermittlungsbehörden ihre Informationspolitik an verschiedenen, teils ambivalenten und gegenläufigen kriminalpolitischen, prozesstaktischen und verfahrensrechtlichen Interessen ausrichten.24 Da die Öffentlichkeitsarbeit auf den ersten Blick nicht in den Aufgabenbereich der Strafverfolgungsbehörden fällt,25 sind die mit ihr seitens der Staatsanwaltschaft verfolgten Interessen nicht auf Anhieb zu identifizieren. Infolge der im deutschen Recht fehlenden gesetzlichen Regelungen für den Gang der Ermittlungsbehörden an die Öffentlichkeit,26 lohnt ein Blick auf die Schweizer Strafprozessordnung, in welcher sich aus einem gesetzlichen Ausnahmenkatalog die mit der Öffentlichkeitsarbeit verfolgten Interessen ableiten lassen. Nach Art. 73 CH-StPO unterliegen auch die Schweizer Strafverfolgungsbehörden einer Geheimhaltungspflicht, von welcher jedoch zur „Orientierung der Öffentlichkeit“ gemäß Art. 74 CH-StPO Ausnahmen vorgesehen sind.27 Danach kann die Staatsanwaltschaft identifizierende Informationen aus laufenden Ermittlungsverfahren veröffentlichen, um die Bevölkerung bei der Aufklärung von Straftaten oder der Fahndung nach Verdächtigen zur Hilfe zu nehmen, die Öffentlichkeit zu warnen oder zu beruhigen, unzutreffende Meldungen oder Gerüchte richtigzustellen oder in Straffällen von „besonderer Bedeutung“ die Informationsinteressen der Allgemeinheit zu bedienen. Ausgehend von diesem Katalog lassen sich drei maßgebliche Interesse ausmachen, in deren Dienste 23

Huff, in: Rademacher/Schmitt-Geiger, Litigation-PR, S. 293. Bezogen auf das gesamte Handeln der Akteure in Strafverfahren und Medienöffentlichkeit vgl. AE-StuM, Einführung, S. 1; Kettner, S. 153 f. Zu der grundlegend abweichenden Zielsetzung der Medienarbeit siehe oben Viertes Kapitel, A. 25 Fischer, S. 42; nach Ansicht Schroers sind nun auch die Strafverfolgungsbehörden zu der Überzeugung gekommen, dass die Außendarstellung ebenfalls zu den originären Aufgaben der Justiz gehört, Schroers, NJW 1996, 969 (969 f.). 26 Ausführlich zu den rechtlichen Grundlagen staatsanwaltschaftlicher Informationsweitergabe an die Öffentlichkeit siehe unten Fünftes Kapitel, B. II. und III. 27 Vgl. ausführlich zu Art. 74 CH-StPO und den darin geregelten Ausnahmen Strebel, S. 58 ff. 24

A. Das Verhältnis von Staatsanwaltschaft und Medien in der Praxis

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eine ermittlungsbehördliche Öffentlichkeitsarbeit durch Informationsweitergabe erfolgen kann: Die Gewährleistung einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege (hierzu unten 1.), der Schutz des Beschuldigten (hierzu unten 2.) sowie das öffentliche Informationsinteresse (hierzu unten 3.). Darüber hinaus sind schließlich auch eigene Interessen der Staatsanwaltschaft denkbar, die sie zum Gang an die Öffentlichkeit bewegen (hierzu unten 4.). 1. Einbeziehung der Öffentlichkeit im Dienst einer effizienten Strafverfolgung Zuweilen ergibt sich ein Interesse der Ermittlungsbehörden an einer Durchbrechung der Geheimhaltung bereits aus den strafprozessualen Regelungen, die zur Gewährleistung einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege eine Weitergabe von Informationen an die Öffentlichkeit erfordern, §§ 160, 163 StPO.28 An der Informationsweitergabe aus Gründen der Effektivität der Strafverfolgung besteht ein die Persönlichkeitsrechte des Betroffenen überwiegendes öffentliches Interesse.29 Ausdruck dessen ist die strafprozessual in den §§ 131 ff. StPO geregelte identifizierende Öffentlichkeitsfahndung nach dem Aufenthaltsort oder der Identität des Beschuldigten30, wobei es sich hierbei nicht um Pressearbeit der Ermittlungsbehörden, sondern öffentliche strafprozessuale Zwangsmaßnahmen handelt. Gerade im Ermittlungsverfahren sind Situationen denkbar, in denen die Staatsanwaltschaft für die Informationsgewinnung maßgeblich auf die Bevölkerung angewiesen ist, die durch Verdachtsanzeigen, Hinweise im Hinblick auf Identität oder Aufenthaltsort des Beschuldigten oder durch Zeugenaussagen eine bedeutende Informationsquelle darstellt. Es liegt damit aus Sicht der Strafverfolgungsbehörden und im Interesse einer effektiven Strafverfolgung nahe, dieses Informationspotential aktiv zu nutzen und die Öffentlichkeit zur Mithilfe und Zusammenarbeit aufzurufen, so dass im Rahmen der hierfür erforderlichen Kommunikation den Medien eine bedeutende Rolle zukommt.31 Auch kommt den Ermittlungsbehörden bei ihren Ermittlungen unter Nutzung medialer Kanäle – sei es Fernsehen oder Internet – die Breitenwirkung

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Fischer, S. 30 ff. Fischer, S. 30; Kettner, S. 160 ff. 30 Mit der strafprozessualen Regelung der Öffentlichkeitsfahndung hat der Gesetzgeber der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht und insbesondere dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG Rechnung getragen und versucht, dieses mit den Interessen einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege in Ausgleich zu bringen; hierzu KK-StPO/Schultheis, § 131 Rn. 1, unter Verweis auf BVerfG, NJW 1984, 419 („Volkszählungsgesetz“). Hier hat das Bundesverfassungsgericht Einschränkungen des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung zugunsten von überwiegenden Allgemeininteressen für zulässig erachtet. Als solches Allgemeininteresse ist auch die aus dem Rechtsstaatsgebot fließende Gewährleistung einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege anzusehen; so BVerfG, NJW 1988, 329 (331). 31 Mitsch, S. 133. 29

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der Massenmedien zugute.32 Eine der bekanntesten medialen Ermittlungshilfen stellt die seit Ende der 60er Jahre ausgestrahlte Fernsehsendung „Aktenzeichen XY-ungelöst“ dar, in welcher die Polizei nach Zeugen und Hinweisen für bis dahin ungelöste Kriminalfälle sucht.33 Auch dienen die Veröffentlichung von Fahndungsplakaten, sonstiger identifizierender (Phantom-)Bilder des Tatverdächtigen oder Videoaufzeichnungen der Fahndungsunterstützung seitens der Bevölkerung.34 Fahndungszwecke können damit Teil der Interessengemengelage auf Seiten der Staatsanwaltschaft sein, dürften jedoch gerade im Bereich der Untersuchungsgruppe der Person des öffentlichen Lebens35 aufgrund des Bekanntheitsgrades dieser Beschuldigten kaum erforderlich werden. Neben dem repressiv geprägten Fahndungszweck36 ist eine Informationsweitergabe im Ermittlungsverfahren seitens der Staatsanwaltschaft auch im Interesse der Prävention denkbar, da auch dieser Strafzweck in jedem Verfahrensstadium beachtet werden muss.37 Spezialpräventive Zwecke, wie etwa die „Besserung des Täters“, 32

AE-StuM, Einführung, S. 7. Auch wenn es im Laufe der Jahre einige Ermittlungserfolge infolge von aufgrund der Sendung eingegangener Hinweise zu verzeichnen gab, so hat dieses Format auch Opfer gefordert, indem Unschuldige verhaftet wurden und sich einer dieser Verhafteten, der Österreicher Heinz Szwed, sogar in seiner Zelle das Leben nahm (eine Auflistung der Festnahmen Unschuldiger aus den Anfangsjahren der Sendung erfolgte u. a. durch Helga Novak und Horst Karasek, XY-Jäger und XY-Gejagte, in: ZEIT Nr. 41 vom 09. 10. 1970, https://www.zeit.de/1 970/41/xy-jaeger-und-xy-gejagte, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021). Nicht zuletzt aus diesem Grund gerieten „Aktenzeichen XY – ungelöst“ und der ehemalige Moderator, Eduard Zimmermann, in die Kritik: Die Sendung instrumentalisiere Verbrechen und ihre Opfer zu Unterhaltungszwecken, führe zu Rufschädigungen bei den unschuldig Verhafteten und sei gar „faschistoiden“ Charakters (Helga Novak und Horst Karasek, XY-Jäger und XY-Gejagte, in: ZEIT Nr. 41 vom 09. 10. 1970, https://www.zeit.de/1970/41/xy-jaeger-und-xy-gejagte, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021). In der Klage eines dieser unschuldig Verhafteten gegen das ZDF wirft der Rechtsanwalt Hermann Messmer dem Format vor, es fördere das Denunziantentum und die Zuschauer würden aktiv an einer Menschenjagd beteiligt. Ausführlich zu den persönlichkeitsrechtlich relevanten Fragestellungen hinsichtlich derartiger Sendeformate vgl. Neumann-Duesberg, JZ 1971, 305 ff. 34 Ein weiterer aus Ermittlersicht positiver Effekt massenmedialer Öffentlichkeitsfahndung zeigte sich erst kürzlich im Fall der im Mai 2015 in Berlin tot aufgefundenen 18-jährigen Hanna K., in welchem der mutmaßliche Täter auf Überwachungsvideos der Berliner Verkehrsbetriebe zu erkennen war, welche die Berliner Polizei zu Fahndungszwecken veröffentlichen ließ. Der im Verlaufe der polizeilichen Vernehmung geständige Täter meldete sich nur kurze Zeit später selbst bei der Polizei, auch wenn er eine Tatbeteiligung zunächst abstritt. Eine öffentliche Fahndung unter Veröffentlichung von Bildern des mutmaßlichen Täters verursacht einen enormen Verfolgungsdruck für den Gesuchten, so dass dieser den Gang zu den Ermittlungsbehörden zuweilen als erleichternd wahrzunehmen scheint. 35 Zur Begrenzung der Untersuchungsgruppe sowie zur Begriffsbestimmung siehe oben Erstes Kapitel, B. 36 Dennoch kann eine öffentliche Fahndung nach dem Beschuldigten auch generalpräventiven Zwecken dienen, wenn sich beispielsweise die Bevölkerung aus Angst vor einer anprangernden öffentlichen Fahndung von der Begehung von Straftaten abschrecken lässt. 37 Fischer, S. 31. 33

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sind im Bereich einer identifizierenden Öffentlichkeitsarbeit durch die Staatsanwaltschaft allerdings nur schwer denkbar, da eine umfassende Berichterstattung zwar richtigstellend und spekulationsverhindernd sein kann,38 der späteren Resozialisierung des Täters jedoch aufgrund der anprangernden Wirkung kaum zuträglich sein dürfte.39 Der Ausnahmenkatalog des Art. 74 S. 1 lit. b. CH-StPO sieht eine identifizierende Informationsweitergabe auch zum Zwecke der Warnung und Beruhigung der Bevölkerung vor, mithin aus speziell generalpräventiven Gründen.40 In diesen Fällen wird die Staatsanwaltschaft jedoch nicht im Rahmen der Strafrechtspflege, sondern zur präventiven Gefahrenabwehr tätig.41 Eine mit dieser Zielsetzung erfolgende Veröffentlichung von Informationen aus dem Ermittlungsverfahren kann folglich nicht auf das die Persönlichkeitsrechte des Betroffenen überwiegende Allgemeininteresse an einer effektiven Strafverfolgung gestützt werden.42 Schließlich kann eine durch die Informationsweitergabe der Staatsanwaltschaft ermöglichte Berichterstattung über Ermittlungs- sowie Strafverfahren auch negativgeneralpräventiv motiviert sein, wenn sich die Ermittlungsbehörden durch die Information der Bevölkerung über bestimmte Arten von Straftaten eine Sensibilisierung und Abschreckung der Allgemeinheit, insbesondere des „tatgeneigten Mitbürgers des Täters“ erhofft.43 Kettner sieht den Strafzweck der negativen Spezialprävention nur dann als erfüllbar an, wenn der Staat nicht nur straft und Strafe durchsetzt, sondern dies auch der „abzuschreckenden Allgemeinheit“ mitteilt, denn 38 Zur Öffentlichkeitsarbeit der Staatsanwaltschaft im Interesse des Beschuldigten siehe unten Fünftes Kapitel, A. II. 2. 39 Fischer, S. 32 m. w. N.; vgl. hierzu insbesondere auch das „Lebach-Urteil“ des Bundesverfassungsgerichts, wonach selbst ein verurteilter Straftäter nach Haftverbüßung die Chance auf Wiedereingliederung ohne mediales „Aufwärmen“ des Strafverfahrens haben muss, BVerfGE 35, 202 (235 ff.). Zu den entsozialisierenden Effekten der Veröffentlichung des Tatverdachts gegen eine Person siehe bereits oben Drittes Kapitel, A. II. 40 Fischer führt als Beispiel die Information der Bevölkerung über aus der Haft entlassene „Schwerverbrecher“ in Internetregistern an, wie es beispielsweise in den USA bei Sexualstraftätern praktiziert wird; vgl. Fischer, S. 32. 41 Dalbkermeyer, S. 38; ferner Fischer, S. 33, der darauf hinweist, dass es an einer Ermächtigungsgrundlage für diese identifizierende Informationsweitergabe seitens der Staatsanwaltschaft fehle. 42 Dalbkermeyer, S. 38, die eine Berechtigung der Staatsanwaltschaft zur generalpräventiven Warnung der Bevölkerung mit Verweis auf den ihr einzig obliegenden Strafverfolgungsauftrag aus §§ 160, 163 StPO ablehnt. Eine Befugnis der Polizei die Bevölkerung im Stadium des Ermittlungsverfahrens zu warnen, wie sie beispielsweise Ostendorf aus deren sog. Doppelzuständigkeit herzuleiten erwägt (Ostendorf, GA 1980, 445 [455 f.]), lehnt sie ebenfalls zutreffend ab, da die Polizei im Strafverfahren lediglich als Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft (vgl. § 152 Abs. 1 GVG) und damit ebenfalls repressiv tätig werde; vgl. Dalbkermeyer, S. 38. Auch können die Befugnisse der Polizei aufgrund ihrer von der Staatsanwaltschaft abgeleiteten Befugnis nicht über die der Ermittlungsbehörden hinausgehen. Ausführlich zu den Voraussetzungen rechtmäßiger staatsanwaltschaftlicher Informationstätigkeit siehe auch unten Fünftes Kapitel, B. und C. 43 Gutachten BMJ 2008, S. 250 f.; Kettner, S. 162.

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nur dann mache Strafe Sinn.44 Dem ist jedoch entgegenzuhalten dass allein generalpräventive Zwecke eine identifizierende Berichterstattung über den Beschuldigten und damit auch die ihr zugrundeliegende Veröffentlichung von Informationen durch die Staatsanwaltschaft nicht rechtfertigen können, denn einer derartigen Degradierung eines Menschen steht das Gebot der Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 GG entgegen.45 Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts darf der Täter nicht zum „bloßen Objekt der Verbrechensbekämpfung unter Verletzung seines verfassungsrechtlich geschützten sozialen Wertanspruchs und Achtungsanspruchs gemacht werden“.46 Selbst bei Annahme des Erfordernisses einer Berichterstattung über Strafverfahren zur Erfüllung negativ-generalpräventiver Strafzwecke ist eine solche gerade im Stadium des strafprozessualen Vorverfahrens vor Feststellung des staatlichen Strafanspruchs nicht mit der Menschenwürde vereinbar. Eine Inanspruchnahme des Beschuldigten im Rahmen generalpräventiver und identifizierender Öffentlichkeitsarbeit verstößt gegen das Verbot der Schuldantizipation, wonach jede Verfolgung eines Strafzwecks und damit auch dem der Generalprävention, eine Schuldfeststellung voraussetzt.47 Schließlich dürfte im Rahmen einer staatsanwaltschaftlichen Informationstätigkeit zu generalpräventiven Zwecken eine Identifizierung des Beschuldigten bereits nicht erforderlich sein. 2. Öffentlichkeitsarbeit zum Schutz des Beschuldigten Doch nicht jede Informationsweitergabe seitens der Staatsanwaltschaft stellt sich als für den Beschuldigten rein nachteiliger Eingriff in dessen Persönlichkeitsrechte dar. Vielmehr können die Strafverfolgungsbehörden mit ihrem Gang an die Öffentlichkeit auch gerade im Interesse des Beschuldigten handeln.48 Halten sich die Ermittlungsbehörden hinsichtlich der gegen eine Person geführten Ermittlungen bedeckt, lässt dies das Informationsbedürfnis und -interesse der Bevölkerung gewöhnlich nicht abflauen, so dass die Gefahr einer eigenständigen Informationsbeschaffung seitens der Presse und damit die Gefahr von Spekulationen und Fehlinformationen innerhalb der medialen Berichterstattung steigt.49 Gerade zu Beginn des Strafverfahrens – im Ermittlungsverfahren – hat die Öffentlichkeit ein gesteigertes Interesse an Informationen.50 Verweigern die Strafverfolgungsbehörden gegenüber den Medien jegliche Auskunft, droht eine eigenständige Ermittlungstätigkeit seitens der Presse und eine Art mediale „Parallel-Justiz“ neben dem eigentlichen Strafverfahren, welche in Ermangelung rechtstaatlicher und verfahrensrechtlicher Re44

Kettner, S. 163 m. w. N.; Koch, ZRP 1989, 401, 401. BVerfG NJW 1970, 1453 (1454); BVerfG NJW 1977, 1525 (1528); Dalbkermeyer, S. 38 f.; Fischer, S. 34; Neuling, S. 154. 46 BVerfG NJW 1977, 1525 (1528). 47 Dalbkermeyer, S. 39; Zielemann, S. 86. 48 Kettner, S. 169 ff. 49 Strebel, S. 61. 50 Eisele, JZ 2014, 932 (936) unter Verweis auf AE-StuM/Weigend, S. 33. 45

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gulierung sowie drohender Fehlinformationen dem Beschuldigten weitaus mehr Schaden zuzufügen vermag.51 Mit einer aktiven Pressearbeit kann die Staatsanwaltschaft selbständigen Ermittlungen der Medien entgegenwirken und im Sinne einer Objektivierung, Maßregelung sowie Richtigstellung positiv lenkend auf die Verdachtsberichterstattung einwirken und so zu einer „fairen Berichterstattung“ beitragen. Eine kontrollierte und professionelle Öffentlichkeitsarbeit der Strafverfolgungsbehörden wirkt damit nicht nur beeinträchtigend, sondern kann bisweilen dem Schutz der Beteiligten und insbesondere des Beschuldigten mehr dienen, als eine nicht erfolgende Pressearbeit der Staatsanwaltschaft. 3. Zusammenarbeit mit den Medien im öffentlichen Interesse Ebenso wie die Medien mit der entsprechenden Berichterstattung, erfüllt auch die Staatsanwaltschaft mit der Weitergabe von Informationen aus dem Ermittlungsverfahren verschiedene Aufgaben, die im öffentlichen Interesse liegen.52 Zunächst kommt der „Öffentlichkeit“ hinsichtlich jeder staatlichen Machtausübung und damit auch im Hinblick auf die Arbeit der Strafverfolgungsbehörden eine Kontrollfunktion zu, welche sie nur auf Basis einer ausreichenden Informationsgrundlage ausüben kann.53 Die grundsätzliche Öffentlichkeit staatlichen Handelns und staatlicher Machtausübung folgt bereits aus dem Demokratieprinzip des Art. 20 Abs. 1, 2 GG und dem darin verankerten Transparenzgebot staatlicher Entscheidungsprozesse.54 Die Informationstätigkeit der Staatsanwaltschaft gegenüber der Öffentlichkeit ist damit auch rechtsstaatliches Kontrollinstrument.55 Da gerade im strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens durch Zwangsmaßnahmen und Beweisgewinnung grundrechtsinvasive Entscheidungen getroffen werden, besteht in diesem Stadium ein gesteigertes öffentliches Kontrollinteresse und -bedürfnis gegenüber der staatlichen Machtausübung.56 Damit wird durch eine staatsanwaltschaftliche Informationstätigkeit die einen rechtsstaatlichen Prozess ermöglichende Publizität staatlichen Handelns geschaffen.57 Nach Kettner ist es daher in einem demokratischen Rechtsstaat eine unumgängliche Pflicht der Strafverfolgungsbehörden, sich

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Eb. Schmidt, Justiz und Publizistik, S. 58 f., 60 f.; Eisele, JZ 2014, 932 (935). Fischer, S. 29. 53 Kettner, S. 163. 54 Vgl. hierzu bereits oben Zweites Kapitel, A. II. 3. sowie III. 1. 55 von Becker, S. 89; Kettner, S. 163. 56 Eisele, JZ 2014, 932 (936). Aus dieser gebotenen Transparenz staatlichen Handelns auf eine grundsätzliche Öffentlichkeit staatsanwaltlicher Ermittlungsarbeit zu schließen und den Geheimnisschutz als Ausnahmeerscheinung anzusehen (so offenbar z. B. BeckOK-StPO/ Gertler, Nr. 23 RiStBV Rn. 4), widerspricht jedoch der nichtöffentlichen Ausgestaltung des strafrechtlichen Vorverfahrens und ist daher abzulehnen; vgl. hierzu bereits ausführlich oben Zweites Kapitel, B. 57 Gutachten BMJ 2008, S. 250; Kettner, S. 164, unter Verweis auf Koebel, JZ 1966, 389. 52

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der kritischen, zuweilen unsachlichen sowie zur argumentativen Auseinandersetzung zwingenden (Medien-)Öffentlichkeit zu stellen.58 Transparenz staatlichen Handelns fördert zugleich das Vertrauen der Bevölkerung in die Arbeit der Strafverfolgungsbehörden.59 Mit regelmäßigen Informationen über Ermittlungen, Erfolge und die allgemeine Arbeit der Staatsanwaltschaft klärt diese über die Funktionsweise der Strafverfolgung auf und unterstützt auf diese Weise auch das Normverständnis, das Interesse und die Einsichtsbereitschaft der Bevölkerung.60 Gerade mit einer proaktiven Informationsarbeit kann die Ermittlungsbehörde Misstrauen, Mutmaßungen und Unterstellungen in der Gesellschaft entgegenwirken.61 Christiansen bezeichnet die Kommunikationsarbeit der Staatsanwaltschaft nicht ohne Grund „als eine Art Reputationsmanagement für das staatliche Normgefüge“.62 Nicht zuletzt kann auf diesem Weg innerhalb der Bevölkerung auch Verständnis für Situationen geschaffen werden, in denen keine detaillierten Informationen aus dem Ermittlungsverfahren veröffentlicht werden können oder dürfen und damit ein Verständnis für Nichtinformation durch Information erzeugt werden. Mit ihrer Pressearbeit im Ermittlungsverfahren bedient die Staatsanwaltschaft allerdings nicht nur rechtsstaatliche Informationsbedürfnisse der Öffentlichkeit. Das Interesse der Bevölkerung an Strafverfahren geht vielfach über das für Verständnis und Kontrolle der Arbeit der Strafverfolgungsbehörden erforderliche Maß hinaus.63 Kettner erklärt sich dies mit der Möglichkeit der Teilhabe des Individuums an den Vorgängen in der Gesellschaft durch Informationen, auf deren Basis eine Auseinandersetzung mit den Problemen der Gemeinschaft erfolgen könne.64 Gerade strafbares Verhalten begründe als Normverstoß und damit Abweichung vom Normalen und Alltäglichen ein gesteigertes Interesse der Gesellschaft.65 Diese scheint der Kriminalberichterstattung somit vor allem auch aus Neugier, Missgunst, Mitleid, Schadenfreude, Sensationslust und oftmals einfach nur neutralem Interesse besonders zugetan. Für dieses Phänomen bedient sich Kettner eines Begriffs aus der griechischen Tragödie und spricht von einer Katharsis, womit gemeinhin der Prozess beschrieben wird, anhand einer exponierten Persönlichkeit ein Schicksal sowie ein 58 Kettner, S. 164, unter Verweis auf Scherer, JuS 1979, 470 (473). Nach Huff ergibt sich jedenfalls für die Justiz bereits aus dem Rechtsstaatlichkeitsgebot, dem Demokratiegebot sowie dem Grundsatz der Gewaltenteilung eine Pflicht zur Information über ihre Tätigkeit und damit zur Öffentlichkeitsarbeit, Huff, NJW 2004, 403 (unter Verweis auf die vom BVerwG insbesondere zur Veröffentlichung von gerichtlichen Entscheidungen aufgestellten Grundsätze, BVerwG, NJW 1997, 2694 f., mit Besprechung Huff, NJW 1997, 2651). 59 Gutachten BMJ 2008, S. 250. 60 Christiansen, in: Rademacher/Schmitt-Geiger, Litigation-PR, S. 123 (138); Kottkamp, S. 39; Strebel, S. 61. 61 Strebel, S. 62. 62 Christiansen, in: Rademacher/Schmitt-Geiger, Litigation-PR, S. 123 (138). 63 Kettner, S. 164. 64 Kettner, S. 166. 65 Kettner, S. 166.

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Leiden durch den Betrachter symbolisch mitzuerleben, wobei – nach dem humanistischen auf Lessing zurückgehenden Verständnis der Katharsis – entscheidend das Mitleid mit dem Protagonisten und die daraus entstehende Furcht vor einem gleichen Schicksal sei.66 Konsequenz sei der der Generalprävention zugrundeliegende Gedanke, dass sich der so „mitleidende“ Betrachter aus Angst vor einem gleichen Schicksal in seiner Haltung und Normkonformität bestätigt sieht.67 Hiermit äußert Kettner hinsichtlich der Betrachtung des Strafverfahrens und der Verarbeitung verfahrensbezogener Informationen durch die Öffentlichkeit einen ambitionierten Erwartungshorizont und merkt zugleich selbst kritisch an, dass das Interesse der Allgemeinheit nur allzu oft schlicht darauf gerichtet sein dürfte, sich durch die Medienberichterstattung vorhandene Vorurteile bestätigen zu lassen.68 Unabhängig von Ursache und Wirkung des öffentlichen Informationsinteresses dient die Öffentlichkeitsarbeit der Staatsanwaltschaft jedenfalls der Befriedigung desselben. 4. Eigeninteressen der Staatsanwaltschaft Wurde bis vor wenigen Jahren noch eine abwehrende Informationspolitik der Staatsanwaltschaft beklagt, so werden ihr heute bei der Preisgabe von Informationen gegenüber den Medien mitunter Gedankenlosigkeit vorgeworfen und teils selbstdarstellerische Motive unterstellt.69 So sehr die Strafverfolgungsbehörde als „objektivste Behörde der Welt“70 auch der Neutralität verpflichtet ist, so wenig kann sie sich den medialen Möglichkeiten und dem Bann der Presse entziehen. So wird mitunter der Vorwurf laut, die Ermittlungsbehörden seien „publicitygeil“71 und versuchten, durch die der Öffentlichkeit vermittelten und preisgegebenen Informationen ein Bild erfolgreicher Strafverfolgung zu präsentieren, so dass selbstdarstellerische Motive nicht von der Hand gewiesen werden könnten.72 Gerade bei spektakulären Strafverfahren und damit auch bei Strafverfahren gegen Personen des öffentlichen Lebens ist eine Informationsweitergabe durch die Ermittlungsbehörde zum Zwecke der eigenen Darstellung denkbar.73 Als Motiv derartiger Selbstdarstellung kommen sowohl Individualinteressen des ermittelnden Staatsanwalts als auch die Image-Interessen der Staatsanwaltschaft als Justizbehörde in Betracht. Zu 66

Kettner, S. 165. Kettner, S. 165. 68 Kettner, S. 167. 69 Kettner, S. 159. 70 Dieser Ausdruck geht zurück auf den späteren Generalstaatsanwalt des Kammergerichts Hugo Isenbiel, der diesen Begriff im Jahr 1900 in einem Strafprozess prägte; vgl. Carsten/ Rautenberg, S. 144; Döhring, DRiZ 1958, 282 (286); Roxin, DRiZ 1997, 109 (113); Wagner, JZ 1974, 212. Ausführlich zur Staatsanwaltschaft als „objektivste Behörde der Welt“ vgl. Neuling, S. 130 ff. 71 Lücke, AnwBl. 1984, 295. 72 Kettner, S. 160. 73 Kettner, S. 160. 67

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derartigen „intrinsische Motiven“ zählt Kottkamp auch die Möglichkeit der Strafverfolgungsbehörden, durch ihre Öffentlichkeitsarbeit ihren Standpunkt zu einem Sachverhalt zu kommunizieren.74 Aufgrund des mit jeder identifizierenden Weitergabe von Informationen aus dem Ermittlungsverfahren verbundenen staatlichen Eingriffs in die schützenswerten Individualinteressen des Betroffenen und den rechtsstaatlichen Anforderungen an eine objektive Strafverfolgung, dürfen es jedoch nicht Selbstdarstellung und Imagepflege sein, die die Staatsanwaltschaften bei ihrer Öffentlichkeitsarbeit antreibt. Vielmehr sollte sie sich insbesondere von den Interessen eines „integren“ Strafverfahrens zum Vorteil aller Beteiligten sowie Interessierten leiten lassen.75 Ebenso wird die Staatsanwaltschaft verdächtigt, durch gezielte und gefilterte Informationsweitergabe sowie der öffentlichen Bewertung des Verdachtsgrades zuweilen bewusst zu einer Vorverurteilung zu Lasten des Beschuldigten beizutragen.76 Trotz teilweise ungeschickter Pressearbeit in der Vergangenheit ist ein derart harter Vorwurf wissentlicher Beeinflussung des öffentlichen Meinungsbildes zu Lasten des Beschuldigten nicht zu erheben. Als Strafverfolgungsbehörde ist die Staatsanwaltschaft bereits von Gesetzes wegen (§ 160 Abs. 2 StPO) zur neutralen Sachverhaltsaufklärung im Sinne einer „Wahrheitsfindung“ verpflichtet. Eine gezielte Öffentlichkeitsarbeit zur Begünstigung der Verurteilungschancen wird der allgemeinen Arbeit der Ermittlungsbehörden nicht gerecht. Mangelhafte Pressearbeit ist vermutlich primär auf das fehlende mediale Training, als auf strategische Instrumentalisierung der Medien zurückzuführen.

III. Die Kommunikation der Ermittlungsbehörden in der Praxis Ermittlungsbehördliche Pressearbeit bedient folglich vielschichtige, ineinandergreifende Interessen. Begrenzt sind hingegen die praktischen Möglichkeiten der Staatsanwaltschaften für ihren Gang an die Öffentlichkeit. Zentrale Bedeutung kommt dabei, wie schon mehrfach betont, den Massenmedien als Transmissionsriemen in der Öffentlichkeitsarbeit der Justizbehörden zu.77 Sie fungieren als Informationsmittler zwischen Staatsanwaltschaft und Gesellschaft und sind damit das Hauptkommunikationsmedium, wobei wiederum die Kommunikation mit den Medien über den Behördenleiter der ermittelnden Staatsanwaltschaft (hierzu unter 1.) oder einen Informationsbeauftragten beziehungsweise Pressesprecher (hierzu unten 2.) erfolgt.78 Für die Vermittlung von Informationen an die Presse stehen der 74 75 76 77 78

Kottkamp, S. 41. Strebel, S. 58. Fischer, S. 43; Kettner, S. 160; Lücke, AnwBl. 1984, 295. Gutachten BMJ 2008, S. 250. Strebel, S. 63 ff.

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Staatsanwaltschaft unterschiedliche Kommunikationsmittel zur Verfügung (hierzu unten 3.).79 1. Informationstätigkeit als eigene Verwaltungsaufgabe der Behörde Die Information der Öffentlichkeit über laufende Ermittlungsverfahren ist eine Verwaltungsaufgabe und liegt damit grundsätzlich im Zuständigkeitsbereich des Behördenleiters der ermittelnden Staatsanwaltschaft, so dass dieser die Pressearbeit selbst übernehmen kann.80 Die Informationsinteressen von Medien und Öffentlichkeit unter Wahrung der Verfahrensgrundsätze zu bedienen, kann einen medienunerfahrenen Staatsanwalt und Behördenleiter jedoch vor große Herausforderungen stellen. In der heutigen massenmedialen Informationsgesellschaft stellt die Zusammenarbeit mit der Presse eine komplexe Aufgabe dar, die gerade auch in Anbetracht der zu berücksichtigenden Integrität und Persönlichkeitsrechte der von der Pressearbeit Betroffenen ein geschultes und souveränes Auftreten erfordert.81 Auch wenn mediale Schulungen jedes Staatsanwalts wünschenswert wären, so können in der Behördenwirklichkeit die nötigen persönlichen und professionellen Voraussetzungen nicht von jedem in erster Linie juristisch geschulten Staatsanwalt erwartet und eine verantwortungsvolle Pressearbeit nicht geleistet werden. Vor diesem Hintergrund wird die Auskunftstätigkeit überwiegend an Mediensprecher bzw. die Pressestelle delegiert. 2. Pressestelle Aufgrund der Komplexität medialer Öffentlichkeitsarbeit sowie der damit einhergehenden Verantwortung kommunizieren die (Strafverfolgungs-)Behörden in aller Regel über eigens eingerichtete Pressestellen beziehungsweise Pressesprecher. Diese sollen die Behörde nach außen vertreten und stellen zugleich eine Schnittstelle zwischen Behörde, Medien und Bevölkerung dar, die den Behördenleiter entlastet, vor schwierigen Medienauftritten bewahrt und damit auch die Betroffenen vor einer ungeschulten Pressearbeit und ihren Folgen schützt.82 Eine Medienstelle bedeutet 79 Zwar gibt es neben den offiziell von der Staatsanwaltschaft an die Öffentlichkeit gegebene Informationen auch solche, die inoffiziell auf anderen Wegen an die Medien gelangen, die vorliegende Untersuchung soll sich jedoch nur mit der offiziellen Informationsweitergabe durch die Strafverfolgungsbehörden auseinandersetzen, auch wenn der Einfluss der auf inoffiziellen oder gar strafbaren Wegen an die Medien und Öffentlichkeit gelangten Informationen auf das Strafverfahren nicht zu vernachlässigen sein dürfte. Zu denken ist in diesem Zusammenhang insbesondere an Staatsanwälte, die infolge einer Bestechung unter der Hand Informationen an Medienvertreter herausgeben. 80 Huff, in: Rademacher/Schmitt-Geiger, Litigation-PR, S. 293 (295). Mit Erlass des Eröffnungsbeschlusses geht die Informationszuständigkeit hinsichtlich des Verfahrens dann auf das Gericht und die dortige Pressestelle über. 81 Strebel, S. 64. 82 Huff, in: Rademacher/Schmitt-Geiger, Litigation-PR, S. 267 (272).

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damit nicht nur eine materielle, sondern auch psychische Entlastung der Staatsanwälte.83 Erfolgt die Öffentlichkeitsarbeit durch eine von dem Einzelverfahren unabhängige und übergeordnete Pressestelle, wird zugleich der Gefahr oder auch nur Wahrnehmung in der Öffentlichkeit Vorschub geleistet, der Staatsanwalt lasse sich bei seiner Öffentlichkeitsarbeit von sachfremden Motiven leiten und nutze die Medien für eine Art außerverfahrensrechtliches Tribunal über den Beschuldigten.84 Der österreichische ehemalige Justizminister Böhmdorfer hat im Jahr 2003 einen Erlass über die Zusammenarbeit mit den Medien verfasst, den Huff auch für die deutsche Justiz als Vorbild heranziehen will.85 In diesem Medienerlass fordert Böhmdorfer die Einrichtung einer Medienstelle (Pressestelle) zumindest bei jedem Präsidialgericht und jeder Staatsanwaltschaft und stellt einen Anforderungskatalog für Pressesprecher sowie Regeln für deren tägliche Arbeit auf.86 Danach sei ein Pressesprecher insbesondere dann geeignet, wenn er eine gewisse Zeit in der Behörde verbracht hat, Vertrauen innerhalb der Institution genießt – Öffentlichkeitsarbeit richte sich immer auch nach innen – und vor allem kommunikative und repräsentative Fähigkeiten sowie eine zeitliche Flexibilität mitbringe.87 Als Aufgaben der Pressestelle begreift Huff insbesondere die Informationsbeschaffung innerhalb der Behörde, was auch einen eigenständigen Informationsfluss zur Medienstelle innerhalb der Institution voraussetzt, sowie den Aufbau und Betrieb einer kontinuierlichen Öffentlichkeitsarbeit.88 Eine proaktive Medienarbeit ist Grundvoraussetzung für die Transparenz staatlicher Machtausübung und eines damit verbundenen Vertrauens der Bevölkerung in die Strafverfolgungsbehörden. Die Staatsanwaltschaft darf nicht nur passiv Gegenstand medialer Berichterstattung sein, sondern kann durch selbst initiierte Öffentlichkeitsarbeit die Medienberichterstattung im Sinne aller Beteiligten beeinflussen.89

83 Strebel, S. 65. In Berlin ist beispielsweise eine Pressestelle für die dort ansässigen Dienststellen der Staatsanwaltschaften (Generalstaatsanwaltschaft, Staatsanwaltschaft und Amtsanwaltschaft) eingerichtet, deren Pressesprecher von der eigentlichen Dezernatsarbeit freigestellt ist. Der Regelfall sieht jedoch die Tätigkeit des Pressesprechers neben den eigentlichen Dezernatsaufgaben vor. In diesem Zusammenhang ist jedoch festzuhalten, dass den Strafverfolgungsbehörden ein Großteil der Pressearbeit im Bereich des Ermittlungsverfahrens durch die Pressestellen der Polizei abgenommen wird, die personell und technisch in der Regel besser ausgestattet sind; vgl. auch zu Einzelheiten der Aufgabenverteilung zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit, Gutachten BMJ 2008, S. 257. 84 Lücke, AnwBl 1984, 295. 85 Huff, NJW 2004, 403 (404 ff.). 86 Erlass des österreichischen Justizministers Dieter Böhmdorfer zu JMZ 4410/9-Pr 1/2003 vom 12. 11. 2003 zur Zusammenarbeit mit den Medien (Medienerlass). 87 Huff, NJW 2004, 403 (404), unter Verweis auf Medienerlass zu JMZ 4410/9-Pr 1/2003 vom 12. 11. 2003. 88 Huff, NJW 2004, 403 (404), unter Verweis auf Medienerlass zu JMZ 4410/9-Pr 1/2003 vom 12. 11. 2003. 89 Strebel, S. 68.

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3. Einzelne Kommunikationsmittel Für ihre Pressearbeit stehen der Staatsanwaltschaft verschiedene Kommunikationsmittel zur Verfügung, wobei insbesondere Pressemitteilungen, Pressekonferenzen und Interviews von praktischer Relevanz sind. In der Praxis kann hinsichtlich der ermittlungsbehördlichen Pressearbeit grundsätzlich unterschieden werden zwischen aktiver und reaktiver Öffentlichkeitsarbeit. Aktiv ist in diesem Zusammenhang jede Medienarbeit, die die Strafverfolgungsbehörden von sich aus ergreifen, während reaktiv das Tätigwerden auf Bitten und Anfragen erfasst.90 Als Mittel aktiver Öffentlichkeitsarbeit zur Information der Öffentlichkeit über die gesamte Tätigkeit der Strafverfolgungsbehörden und aus ihrer Sicht erwähnenswerte einzelne Ermittlungsverfahren dienen den Staatsanwaltschaften – wie auch den Gerichten – insbesondere Pressemitteilungen.91 Diese haben den entscheidenden Vorteil, im Vorfeld sorgfältig ausformuliert werden zu können und die Staatsanwaltschaft vor bedrängenden Interviewsituationen zu bewahren.92 Auf diese Weise kann Spekulationen, Vorverurteilungen sowie aggressivem und aufdringlichem Auftreten von Medienvertretern entgegen gewirkt werden93 und zugleich bereits vor der Veröffentlichung der Pressemitteilung die schutzwürdigen Interessen der Beteiligten, die Verfahrensgrundsätze sowie das Informationsinteresse der Öffentlichkeit abgewogen und entsprechend der behördeninternen Presserichtlinien Informationen an die Öffentlichkeit gebracht werden.94 Heute nutzen die Pressestellen der Justizbehörden für die Veröffentlichung von Medienmitteilungen insbesondere das Internet als Medium.95 Auch wenn derartige Pressemitteilungen für die Öffentlichkeitsarbeit der Staatsanwaltschaft erhebliche Vorteile mit sich bringen, bedarf es dennoch einer gewissenhaften Abfassung, da sämtliche öffentlichen Äußerungen der Staatsanwaltschaft für die Medien eine sog. „privilegierte Quelle“ darstellen, so dass diese auf die Richtigkeit der Mitteilung vertrauen dürfen, ohne einer Pflicht zur eigenen Recherche oder Überprüfung zu unterliegen.96 Journalisten 90

Vgl. Gutachten BMJ 2008, S. 250. Kottkamp, S. 49. 92 Strebel, S. 65. 93 Strebel, S. 65. 94 Vgl. zu den behördeninternen Richtlinien zum Umgang mit der Presse insb. Nr. 4, 23, 129 RiStBV. 95 Beispielsweise veröffentlicht die Staatsanwaltschaft Berlin ihre Pressemitteilungen unter https://www.berlin.de/generalstaatsanwaltschaft/presse/pressemitteilungen/, zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021). Gegenüber der Kriminalberichterstattung in den Massenmedien ist die Nachfrage nach aktuellen Informationen auf den Homepages von Polizei und Justiz im Internet wohl jedoch zu vernachlässigen: Einer Studie zufolge entnehmen etwa 95 % der Bevölkerung Informationen und Erfahrungen über den Kriminalitätsbereich den Massenmedien; vgl. Gutachten BMJ 2008, S. 250, unter Verweis auf Fink, S. 66 m. w. N. 96 Eisenberg, StraFO 2006, 15 (18); zur Staatsanwaltschaft als sog. „privilegierte Quelle“ für die Presse siehe auch BVerfG NJW-RR 2010, 1195 (1197), sowie oben Viertes Kapitel, B. III. 1. 91

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5. Kap.: Die Kommunikationstätigkeit der Ermittlungsbehörden

verbreiten behördliche Informationen ungeprüft weiter, was der Strafverfolgungsbehörde die Möglichkeit verschafft, während eines Ermittlungsverfahrens Informationsmanagement zu betreiben und damit zugleich das öffentliche Meinungsbild mitzugestalten.97 In Anbetracht der möglichen unveränderten Adaption von Pressemitteilungen durch die Medien darf ein Phänomen nicht vernachlässigt werden: Bei der Auswahl der für die aktive Öffentlichkeitsarbeit vorgesehenen Informationen wird durch die Strafverfolgungsbehörden ein gewisses Medieninteresse antizipiert.98 Das dieser Antizipation innewohnende Risiko wird bei Betrachtung der Pressemitteilungen über Gewaltdelikte deutlich, die bei unter zehn Prozent gesellschaftlicher Belastung beinahe 70 % der aktiven Öffentlichkeitsarbeit einnehmen.99 Damit ist die Medienberichterstattung zu großen Teilen Ergebnis einer auf Ebene der Strafverfolgungsbehörden (ob Polizei, Staatsanwaltschaft oder Gericht) erfolgenden Informationsauswahl.100 Im Sinne einer verantwortungsvollen Pressearbeit muss sich die Justiz dieser „Definitionsmacht über die gesellschaftliche Wahrnehmung“ daher bewusst sein.101 Daneben bedienen die Staatsanwaltschaften das Informationsinteresse hinsichtlich der von ihnen geführten Ermittlungsverfahren im Rahmen von Pressekonferenzen oder sonstigen persönlichen Interviews mit Vertretern der Presse, mithin einer Art „O-Ton“ Öffentlichkeitsarbeit.102 Anders als die knappe Pressemitteilung bietet eine persönliche Stellungnahme gegenüber den Medienvertretern die Möglichkeit, Informationen gleichzeitig an eine Vielzahl von Adressaten zu richten und damit auch eine breite Öffentlichkeit zu erreichen. Gerade bei emotionaler Beteiligung der Öffentlichkeit an einem Ermittlungsverfahren kann die Staatsanwaltschaft auf diesem Weg professionell auch offene Fragen seitens der Presse beantworten und Fehlinformationen richtigstellen, so dass sich der persönliche Kontakt mit den Medien insbesondere anbietet, um Spekulationen, Vorverurteilungen und damit Persönlichkeitsrechtsverletzungen möglichst von Beginn an zu vermeiden.103 Über Videoaufzeichnungen von Pressekonferenzen oder Interviews hat die Staatsanwaltschaft zudem die Gelegenheit, sich direkt an die Bevölkerung zu wenden und ist nicht von der inhaltlichen Verarbeitung von Pressemitteilungen und Informationen durch die Medien abhängig, die diese dann wiederum an die Bevölkerung weitergeben. Stellungnahmen der Strafverfolgungsbehörden oder auch der Polizei aus Pressekonferenzen und Interviews werden vielfach unmittelbar über Fernsehen oder 97

Köhler/Langen, in: Rademacher/Schmitt-Geiger, Litigation-PR, S. 187 (198). Gutachten BMJ 2008, S. 251. 99 Jedenfalls bezogen auf die Arbeit der Polizeipressestellen, Gutachten BMJ 2008, S. 252; unter Verweis auf Schäfer, MschrKrim 2002, 55 (61 f.). Laut der PKS für das Berichtsjahr 2017 lag der Anteil der Gewaltkriminalität bei lediglich 3,4 %; vgl. PKS Jahrbuch 2017, Band 4, S. 160. 100 Gutachten BMJ 2008, S. 252. 101 Gutachten BMJ 2008, S. 252. 102 Kottkamp, S. 49 f. 103 Strebel, S. 66. 98

A. Das Verhältnis von Staatsanwaltschaft und Medien in der Praxis

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Internet wiedergegeben oder zumindest zitiert. Dennoch bergen auch Pressekonferenzen und Interviews die Gefahr, dass die Staatsanwaltschaft durch ihre Äußerungen selbst die Persönlichkeitsrechte des Betroffenen verletzt oder zu Vorverurteilungen und Persönlichkeitsrechtsverletzungen beiträgt.104 Gerade wegen der medialen Aufzeichnung sämtlicher Aussagen der Vertreter der Strafverfolgungsbehörde ist es von Bedeutung, dass in diesem Rahmen medial geschulte Pressesprecher agieren und nicht der sitzungsvertretende Staatsanwalt im Anschluss an eine Verhandlung spontane Äußerungen tätigt.105 Der Vertreter der Staatsanwaltschaft wird sich vielfach einer geschickten Fragestrategie der Medien gegenüber sehen, so dass eine solche Stellungnahme an den Sprecher hohe Anforderungen stellt und einen souveränen und sachlichen Umgang auch mit heiklen Fragen erfordert.106 Vor diesem Hintergrund betrachtet Strebel ein Medientraining für öffentlich auftretende Akteure der Strafbehörden zutreffend nicht als „Luxus“, sondern als „unumgängliche Notwendigkeit“.107 In gezielt eingesetzten Interviews sieht sie schließlich auch die grundlegende Möglichkeit, die Beziehung zwischen den Strafverfolgungsbehörden und der Bevölkerung zu fördern und zu sensibilisieren.108

IV. Zusammenfassung Das Verhältnis zwischen Staatsanwaltschaft und Medien hat sich erst in den letzten Jahrzehnten von einer zurückhaltenden Ablehnung hin zu einer aktiven Zusammenarbeit entwickelt. Ursächlich für das einst schwierige Verhältnis sind die divergierenden Pflichten und Intentionen dieser beiden Institutionen. Während die Ermittlungsbehörden zur Bewahrung des inneren Friedens der Gesellschaft eine sachliche Ermittlung und Ahndung strafrechtlicher Sachverhalte anstrebt, ist das mediale Handeln vorwiegend durch privatwirtschaftliche Interessen und der diesem Zweck dienenden Emotionalisierung und Überzeichnung des Geschehens geprägt. Mit der staatsanwaltschaftlichen Informationsweitergabe können verschiedene Interessen verfolgt werden. Einige strafprozessuale Regelungen sehen eine Veröffentlichung von Informationen aus dem Ermittlungsverfahren zum Zwecke einer effektiven Strafverfolgung vor, deren Interessen in diesem Fall die Persönlichkeitsrechte des Betroffenen überwiegen. Derartige Maßnahmen erscheinen aller104

Strebel, S. 66. Vgl. hierzu Rautenberg, DRiZ 2014, 214 (218 f.). 106 Strebel, S. 66. 107 Strebel, S. 67. Eine Professionalisierung der Öffentlichkeitsarbeit sieht auch Rolf Hannich, ehemals Generalbundesanwalt beim BGH, als notwendige Konsequenz aus dem Wandel der massenmedialen Gesellschaft, dem sich die Staatsanwaltschaft ob ihrer Verantwortung für das Informationsmanagement nicht verschließen darf, zitiert bei von Daniels, AnwBl. 2010, 493. Hannichs Ansicht nach müsse ein Pressesprecher seine Verantwortung erkennen und der Medienarbeit gewachsen sein. 108 Strebel, S. 67. 105

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5. Kap.: Die Kommunikationstätigkeit der Ermittlungsbehörden

dings gerade in Verfahren gegen Personen des öffentlichen Lebens von untergeordneter Relevanz. Bedeutender ist hier die Versorgung der Medien mit Informationen, um so eigene Ermittlungen der Presse und eine Fehlinformation der Bevölkerung zu vermeiden. Die Staatsanwaltschaft kann durch ihre Öffentlichkeitsarbeit schon früh positiv lenkend auf die Presseberichterstattung einwirken und so den Beschuldigten schützen. Insbesondere erfolgt die Informationstätigkeit der Ermittlungsbehörden jedoch zur Befriedigung des öffentlichen Informationsinteresses, womit neben reinen Sensationsinteressen auch dem rechtsstaatlichen Transparenzgebot genüge getan wird. Schließlich sind auch selbstdarstellerische Eigeninteressen der Staatsanwaltschaft bei ihrer Öffentlichkeitsarbeit denkbar und nicht immer fernliegend, wenn auch rechtsstaatlich bedenklich. Bei der Erteilung von Auskünften handelt es sich um eine Verwaltungsaufgabe. Diese obliegt grundsätzlich dem Behördenleiter, wird jedoch überwiegend auf eigens eingerichtete Pressestellen übertragen. Diese vertreten die Behörde nach außen und sind für die Informationsbeschaffung innerhalb der Behörde sowie den Aufbau und Betrieb stetiger Öffentlichkeitsarbeit zuständig. Als Kommunikationsmittel stehen der Staatsanwaltschaft neben der einfachen Pressemitteilung auch Interviews und Pressekonferenzen zur Verfügung. Welche rechtlichen Rahmenbedingungen die Staatsanwaltschaft im Rahmen ihrer Informationstätigkeit zu beachten hat, soll nun im folgenden Abschnitt ermittelt werden.

B. Rechtliche Grundlagen ermittlungsbehördlicher Öffentlichkeitsarbeit Bedingt durch eine oftmals noch ungesicherte bloße Verdachtslage und das zugleich gerade in diesem Stadium gesteigerte öffentliche Interesse an Tat und Täter ist das Ermittlungsverfahren für die bereits aufgezeigten rechtlichen Interessen des Betroffenen und insbesondere dessen Persönlichkeitsrechte109 der sensibelste Abschnitt des Strafverfahrens. Dennoch werden mit der Informationstätigkeit der Ermittlungsbehörden zugleich berechtigte Allgemein- und Individualinteressen verfolgt.110 Auch bildet die Öffentlichkeitsarbeit der Staatsanwaltschaft die Grundlage medialer Verdachtsberichterstattung.111 Folglich kommt der zu Objektivität, Sach109

Zu den durch die Öffentlichkeitsarbeit der Ermittlungsbehörden und die mediale Verdachtsberichterstattung betroffenen rechtlichen Interessen siehe oben Drittes Kapitel, B. 110 Ausführlich zu den mit der Informationstätigkeit verfolgten Interessen oben Fünftes Kapitel, A. II. 111 von Becker, S. 208; Kettner, S. 158 f.; AE-StuM/Meier, S. 89. Die oben dargestellten Beispielverfahren (Erstes Kapitel, A.) lassen bereits erahnen, dass die Presse für die Informationsbeschaffung nicht allein auf eine offizielle Öffentlichkeitsarbeit der Staatsanwaltschaft angewiesen ist, sondern neben Informationen von sonstigen Verfahrensbeteiligten auch Verstöße gegen die Geheimhaltung innerhalb der Staatsanwaltschaft denkbar sind. Hier stellen sich nicht nur moralische und disziplinarische, sondern auch strafrechtliche Folgefragen, die jedoch

B. Rechtliche Grundlagen ermittlungsbehördlicher Öffentlichkeitsarbeit

263

lichkeit und Geheimhaltung verpflichteten Staatsanwaltschaft als „Herrin des Vorverfahrens“ und zugleich wichtigster Informationsquelle der Öffentlichkeit sowie Mittelpunkt des Medieninteresses eine janusköpfige Rolle112 zu. Sie steht im Zentrum des Spannungsverhältnisses zwischen dem medialen Interesse an möglichst umfassender sowie frühzeitiger Berichterstattung und dem Bedürfnis der Verfahrensbeteiligten nach einem distanzierten und zurückhaltenden Umgang mit Informationen über das Verfahren.113 Damit stellt sich die Frage, ob und in welchem Maß die Öffentlichkeitsarbeit der Staatsanwaltschaft und die mit ihr verbundenen Eingriffe gesetzlich legitimiert sind. Im Folgenden soll daher nach einem Blick auf die verfassungsrechtlichen Eckpunkte (hierzu unter I.) zunächst de lege lata (lat., „nach geltendem Recht“) die rechtliche Legitimation staatsanwaltschaftlicher Informationsweitergabe (hierzu unten II.) und anschließend deren Reichweite (hierzu unten III.) ermittelt werden.

I. Verfassungsrechtliche Eckpunkte Betrachtet man die rechtlichen Grundlagen einer zulässigen öffentlichen Verdachtsäußerung so sind diese für den Bereich medialer Berichterstattung durch eine langjährige Rechtsprechung geprägt und konturiert.114 Hier wurde im Wege richterlicher Rechtsfortbildung ein Voraussetzungskatalog geschaffen, der eine praktische Handhabung der Kollision von Presse- und Rundfunkfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG einerseits und den Persönlichkeitsrechten des Betroffenen aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG andererseits zu gewährleisten versucht.115 Trotz der bedeutenden Herrschaft der Strafverfolgungsbehörden über die Informationen aus dem Ermittlungsverfahren und obwohl die Öffentlichkeitsarbeit der Staatsanwaltschaft schon vielfach Gegenstand wissenschaftlicher Auseinandersetzungen war,116 ist diese in Deutschland im Vergleich zur medialen Berichterstattung überraschend wenig durch rechtliche Vorgaben reglementiert oder auch nur konturiert. Ausgangspunkt einer Betrachtung der rechtlichen Grundlagen ermittlungsbehördlicher Öffentlichkeitsarbeit kann daher nur die Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG bilden, da diese als einzige unmittelbar gesetzlich normiert ist.117 Mit der Pressenicht Gegenstand dieser Arbeit sein sollen. Ebenso sind die Medien nicht auf die Informationen der Staatsanwaltschaft angewiesen, wenn sich die Tat in der Öffentlichkeit ereignet hat oder sich die Beteiligten selbst an die Presse wenden. In diesen Fällen obliegt den Medien die direkte Entscheidungsgewalt über das „Ob“ und „Wie“ der Informationsvermittlung an die Öffentlichkeit. 112 Lücke, AnwBl 1984, 295. 113 Fischer, S. 27; Lehr, NStZ 2001, 63. 114 Lehr, NJW 2013, 728 (730); zu den rechtlichen Grundlagen medialer Verdachtsberichterstattung siehe oben Viertes Kapitel, B. 115 Lehr, NJW 2013, 728 (730). 116 Siehe oben Erstes Kapitel, C. 117 Kettner, S. 175.

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5. Kap.: Die Kommunikationstätigkeit der Ermittlungsbehörden

freiheit wird den Medien ein vor staatlichem Eingriff geschützter Bereich garantiert, der sowohl die Beschaffung von Informationen als auch die Meinungsbildung und deren Verbreitung erfasst.118 Die konstitutive Funktion119 der Pressefreiheit ergibt sich bereits aus Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG, wonach alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht und ein demokratischer Staat nicht ohne „freie und möglichst gut informierte Meinung bestehen“ kann.120 Um seine plebiszitäre Funktion als Träger der demokratischen Staatsgewalt ausüben zu können, ist der Einzelne auf umfassende Informationen über das Geschehen angewiesen.121 In einer repräsentativ-demokratischen Staatsorganisation sind daher Kommunikation, Informationsfluss und umfassende Transparenz der Staatsgewalt gegenüber dem Volk zwingende Notwendigkeit.122 Da sich das Recht des Einzelnen auf Informationsnahme aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG jedoch auf „allgemein zugänglichen Quellen“ beschränkt, muss die Freiheit der Presse als „allgemeiner Quelle“ aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG weiter gefasst werden, als die Informationsfreiheit des Einzelnen.123 Das Erfordernis einer Informationstätigkeit der Staatsanwaltschaft als Trägerin von Hoheitsgewalt ist damit Produkt einer repräsentativen Demokratie und zugleich notwendige Voraussetzung des verfassungsrechtlich garantierten Instituts der Pressefreiheit und zugleich mittelbar der Informations- und Meinungsfreiheit des Einzelnen aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG. Die unfreiwillige Medienpräsenz der Betroffenen ist jedoch nicht unmittelbar durch Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG legitimiert. Soweit durch die Informationsweitergabe seitens der Strafverfolgungsbehörden also Rechte Dritter berührt werden, ergibt sich aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG keine Drittwirkung zu Lasten Privater mit der Folge, dass sich die Presse gegenüber dem Betroffenen auf ihr Grundrecht und eine daraus folgende Duldungspflicht des Betroffenen berufen könne.124 Auch sind die Staatsanwaltschaften als Organe der Staatsgewalt nicht Träger von Grundrechten und damit auch nicht Berechtigte der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG, sondern vielmehr gemäß Art. 1 Abs. 3 GG dem Schutz der Grundrechte verpflichtet, welche im Bereich des strafrechtlichen Ermittlungs- sowie Strafverfahrens insbesondere die privaten, sozialen und rechtsstaatlichen Schutzbelange des Beschuldigten – zuvorderst die Persönlichkeitsrechte aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 S. 1 GG – sind.125 Damit 118

BVerfG NJW 1960, 29; NJW 1961, 547 (552); NJW 1966, 1603 (1604 f.); NJW 1967, 976 (977); NJW 1983, 1181; zur Pressefreiheit vgl. auch oben Viertes Kapitel, B. I. 3. 119 BVerfG NJW 1958, 257 (258). 120 BVerfG NJW 1970, 235 (236). 121 Dalbkermeyer, S. 42 f., unter Verweis auf Groß, S. 170; Löffler/Burkhardt, Presserecht, § 4 LPG Rn. 10. 122 Neuling, S. 150. 123 BVerfG NJW 1960, 29; Dalbkermeyer, S. 44; Löffler/Burkhardt, Presserecht, § 4 LPG Rn. 25. Diese ungleiche Gewährung freiheitlicher Rechte legitimiert sich durch die der Presse obliegende öffentliche Aufgabe, vgl. bspw. § 3 Landespressegesetz Berlin (LPG Berlin). 124 Mitsch, S. 117; ders., NJW 2010, 3479 (3482). 125 Gounalakis, NJW 2012, 1473 (1477 f.); Lehr, NJW 2013, 728 (730); allgemein zu Justizbehörden Pruggmayer/Möller, K&R 2011, 234 (235), unter Verweis auf BVerfG NJW

B. Rechtliche Grundlagen ermittlungsbehördlicher Öffentlichkeitsarbeit

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offenbart sich bereits der wesentliche Unterschied zwischen ermittlungsbehördlicher Öffentlichkeitsarbeit und medialer Verdachtsberichterstattung: Während die mediale Verdachtsberichterstattung grundsätzlich von der Presse- und Rundfunkfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG getragen wird, besteht für die Öffentlichkeitsarbeit der Justiz eine derartige grundrechtliche Ermächtigung nicht. Eine öffentliche Verdachtsäußerung durch die Strafverfolgungsbehörden betrifft damit einen Bereich kollidierender Grundrechte, ist jedoch selbst kein Produkt einer solchen Kollisionslage.126 Für ein gegenseitiges Nachgeben im Sinne der Herstellung praktischer Konkordanz127 besteht daher kein Anlass.128

II. Pflichtgemäße reaktive Informationstätigkeit Im Bereich des strafrechtlichen Hauptverfahrens kann das rechtsstaatlich konstitutive und legitimierte Informationsverlangen der Medienvertreter durch das dem Öffentlichkeitsgrundsatz entspringende Anwesenheitsrecht in der Hauptverhandlung129 gestillt werden. Im Gegensatz dazu ist das Ermittlungsverfahren jedoch vom Grundsatz der Nichtöffentlichkeit geprägt, so dass es hier seitens der Presse möglicherweise eines speziellen Auskunftsanspruchs bedürfen würde.130 Die grundsätzliche Notwendigkeit staatsanwaltschaftlicher Auskunftserteilung auch im nichtöffentlichen Ermittlungsverfahren kann sich auch hier aus dem rechtsstaatlichen Bedürfnis nach Transparenz staatlichen Handelns, der Rolle des Volkes als Wächter staatlicher Machtausübung und der damit einhergehenden konstitutiven Bedeutung der Medienfreiheit für einen demokratischen und pluralistischen Rechtsstaat ergeben.131 Durch die Beschränkung des Einzelnen auf „öffentlich zugängliche Quellen“ (Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG)132 haben die Medien gerade im strafrechtlichen Vorverfahren neben ihrer allgemeinen Vermittlerfunktion zwischen Staat 2011, 511; BVerfG BeckRS 2012, 55177. Ausführlich zu den Schutzbelangen des Beschuldigten siehe oben Drittes Kapitel, B. 126 Mitsch, S. 117 f. m. w. N. 127 Das Prinzip der „praktischen Konkordanz“ ist eine Methode der Lösung von Grundrechtskollisionen, nach der nicht eine der Rechtspositionen bevorzugt und maximal behauptet wird, sondern alle einen möglichst verhältnismäßigen und schonenden Ausgleich erfahren und ggf. zu entscheiden ist, welches der Interessen aufgrund der Umstände des Einzelfalls zurückzutreten hat; vgl. BVerfG NJW 1976, 947 (948 f.); NJW 1990, 1982 (1983); NJW 1995, 2477 (2479); Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 317 ff.; Jarass/Pieroth, Vorb. Vor Art. 1 Rn. 52. 128 Lehr, NJW 2013, 728 (730). 129 Vgl. hierzu bereits ausführlich oben Zweites Kapitel, A. 130 Mitsch, S. 118 f. 131 BVerfG NJW 1966, 1603 (1604); Neuling, S. 150; Trentmann, Publizität 2015, 403 (408). 132 Wegen dieser Beschränkung ist ein Auskunftsanspruch des Einzelnen gegenüber der Staatsanwaltschaft aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG nicht herzuleiten; vgl. Dalbkermeyer, S. 43; Ricker/Weberling, 18. Kap. Rn. 4.

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5. Kap.: Die Kommunikationstätigkeit der Ermittlungsbehörden

und Gesellschaft insbesondere eine bedeutende Verantwortung im Bereich der „informationellen Daseinsvorsorge“.133 Die grundsätzliche Verpflichtung der Staatsanwaltschaft zu reaktiver Informationsweitergabe aus dem Ermittlungsverfahren im Dienste der informationellen Daseinsvorsorge könnte damit bereits verfassungsrechtlich verankert sein. Damit die Medien ihre Aufgabe im Bereich der informationellen Daseinsfürsorge wahrnehmen können, bedarf es jedenfalls eines Auskunftsanspruchs gegenüber den Strafverfolgungsbehörden, um die plebiszitäre Kontrolle der Staatsgewalt sowie den allgemeinen demokratischen Willensbildungsprozess in der Bevölkerung zu gewährleisten und die Öffentlichkeit mit umfassenden Informationen aus Politik, Wirtschaft und Kultur, aber auch aus eigentlich nicht öffentlichen Bereichen wie dem strafrechtlichen Vorverfahren versorgen zu können.134 Ob und woraus sich ein solcher Auskunftsanspruch ergeben kann, ist Gegenstand der nachfolgenden Überlegungen. 1. Herleitung eines presserechtlichen Auskunftsanspruchs Die Einigkeit135 hinsichtlich des rechtsstaatlichen Bedürfnisses nach einem starken Auskunftsanspruch der Medien gegenüber der Staatsanwaltschaft endet bei der Frage, ob es sich hierbei um einen verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruch der Presse aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG handelt136 oder dieser erst durch die landespresserechtlichen Regelungen137 konstituiert wird.138 Im Zentrum dieses Konflikts 133 So allgemein zur Rolle der Medien, die durch die Betätigung ihrer Pressefreiheit das Individualfreiheitsrecht der freien Informationsnahme gewährleiste; vgl. BVerfG NJW 1966, 1603 (1604); NJW 1973, 1226 (1228); Dalbkermeyer, S. 44; Neuling, S. 150 f.; zu den Funktionen der modernen Medien siehe auch oben Viertes Kapitel, A. II. 134 Neuling, S. 150. 135 Vereinzelt werden weder Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG noch die landesrechtlichen Auskunftsansprüche als ausreichende Ermächtigungsgrundlage für die staatliche Informationsweitergabe an Medienvertreter angesehen; so Hild, in: Boehme-Neßler, Die Öffentlichkeit als Richter, 2010, S. 64 ff.; Kottkamp, S. 38. 136 So u. a. BVerfG NJW 1966, 1603 (1604 f.); BVerwG seit AfP 2013, 355, das einen verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruch der Presse gegenüber Bundesbehörden mangels einfachgesetzlicher Regelung und Gesetzgebungskompetenz der Länder annimmt; ferner OLG Düsseldorf NJW 2005, 1791 (1798); VG Stuttgart AfP 1986, 89 (90); Gehrhardt, AfP 1974, 689 (691); Groß, S. 172 ff.; ders., DÖV 1997, 133 (134 ff.); Lorz, NJW 2005, 2657 (2658); Ricker/ Weberling, 18. Kap. Rn. 6; Soehring/Hoene, § 4 Rn. 4.3; wohl auch Meinecke, S. 212. 137 Grundsätzlich existieren je nach Auskunft verlangender Stelle verschiedene Auskunftsansprüche in den Landespressegesetzen für die Presse, in § 9a Rundfunkstaatsvertrag für öffentlich-rechtliche Rundfunkanbieter, in den Landesmediengesetzen für private Rundfunkanbieter sowie für Telemedien (Internet) in §§ 55 Abs. 3 RStV; vgl. Trentmann, Publizität 2015, 403 (408). 138 So vor allem BVerwG NJW 1985, 1655 (1656) m. w. N.; BVerfG NJW 2001, 1633, 1634; BVerwG NJW 1991, 118; OVG Bremen, NJW 1989, 926 f.; OVG Münster, NJW 2005, 618 f.; Fischer, S. 63; Kettner, S. 175; Löffler/Burkhardt, Presserecht, § 4 LPG Rn. 19 ff.; Maunz/ Dürig/Grabenwarter, Art. 5 Rn. 369; Mitsch, S. 118; von Münch/Kunig/Wendt, Art. 5 Rn. 67;

B. Rechtliche Grundlagen ermittlungsbehördlicher Öffentlichkeitsarbeit

267

steht der landespresserechtliche Informationsanspruch, der in allen Bundesländern weitgehend gleichlautet,139 und die Behörden verpflichtet, „den Vertretern der Presse […] zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgabe Auskünfte zu erteilen“, § 4 Abs. 1 LPG Berlin.140 Die Befürworter eines verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruchs berufen sich auf die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts zum Institut einer „freien Presse“, wonach der Pressefreiheit nicht nur eine individualrechtliche Abwehrfunktion zukomme, sondern sie zugleich eine Verpflichtung der Staatsorgane zu umfassender Kooperation mit den Medien im Sinne einer objektiv-institutionellen Wirkung enthalte.141 Diese auch institutionell wirkende Garantiefunktion verpflichte die Staatsorgane, zur freien Betätigung der geschützten Freiheit, Medienvertretern einen Informationszugang zu ermöglichen, woraus ein unmittelbarer Anspruch auf Unterrichtung über Vorgänge in der Behörde erwachse.142 Eine Beschränkung der Pressefreiheit auf ihre Funktion als reines Abwehrrecht sei nicht mehr zeitgemäß143 und ihrem konstitutiven Charakter für die freiheitliche demokratische Grundordnung144 entspräche nur ein verfassungsunmittelbarer Auskunftsanspruch.145 Die Informationspflichten der Staatsmacht könnten vor diesem Hintergrund nicht zur Disposition des einfachen (Landes-)Gesetzgebers stehen.146 Daher folge aus der individualrechtlichen Garantiefunktion und dem geschützten Bereich der Informationsbeschaffung, -verarbeitung und -verbreitung die Notwendigkeit einer verfassungsunmittelbaren Verpflichtung zur Kooperation der Staatsorgane mit den MeSchröer-Schallenberg, S. 35 m. w. N.; Sobotta, S. 63; Starck, AfP 1978, 171 (175); Stober, DRiZ 1980, 3 (9). 139 Nach einer grundlegenden Entscheidung des BVerfG (BVerfGE 7, 29 f.) ist Presserecht Ländersache, Art. 70 Abs. 1 GG, so dass in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nach und nach alle Bundesländer Landespressegesetze erließen, welche sich im Wesentlichen an einem Entwurf der ständigen Konferenz der Innenminister vom 10. 01. 1963 orientieren und die daher hinsichtlich ihres Regelungsgehalts weitestgehend deckungsgleich sind; vgl. Fischer, S. 59 f., unter Verweis auf Groß, S. 179 ff.; Löffler/Cornils, Presserecht, Einl. Rn. 83. Der landespresserechtliche Auskunftsanspruch findet sich in den §§/Art. 3, 4, 5 oder 6 der jeweiligen Landespresse- und Landesmediengesetze: § 4 LPG Baden-Württemberg, Art. 4 LPG Bayern, § 4 LPG Berlin; § 5 LPG Brandenburg, § 4 LPG Bremen, § 4 LPG Hamburg, § 3 LPG Hessen, § 4 LPG Mecklenburg-Vorpommern, § 4 LPG Niedersachsen, § 4 LPG Nordrhein-Westfalen, § 6 LMG Rheinland-Pfalz, § 5 LMG Saarland, § 4 LPG Sachsen, § 4 LPG Sachsen-Anhalt, § 4 LPG Schleswig-Holstein, § 4 LPG Thüringen; vgl. zu den beinahe identischen Vorschriften der einzelnen Bundesländer auch Braun, S. 56 f. m. w. N.; Löffler/Burkhardt, Presserecht, § 4 LPG vor Rn. 1. Im Folgenden soll die Untersuchung daher exemplarisch allein anhand des Landespresegesetzes Berlin erfolgen. 140 Die Bedeutung des verfassungsrechtlich gesicherten Instituts der Presse wird einfachgesetzlich durch die ihr in den Landespressegesetzen zuerkannte „öffentliche Aufgabe“ bestimmt; vgl. § 3 LPG Berlin. 141 BVerfG NJW 1966, 1603 (1604 f.); Groß, S. 172; Ricker/Weberling, 18. Kap. Rn. 6. 142 Dalbkermeyer, S. 46, unter Verweis auf Groß, S. 172; Ricker/Weberling, 18. Kap. Rn. 8. 143 Groß, S. 172. 144 BVerfG NJW 1958, 257 (258); NJW 1961, 819 (820). 145 Soehring/Hoene, Presserecht, § 1 Rn. 1.8 ff. 146 Soehring/Hoene, Presserecht, § 1 Rn. 1.13.

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5. Kap.: Die Kommunikationstätigkeit der Ermittlungsbehörden

dien, um die Informationsnahme auch dort zu gewährleisten, wo der Einzelne nicht auf „allgemein zugängliche Quellen“ zurückgreifen kann.147 Konsequenz dieses Verständnisses der Medienfreiheit wäre eine rein deklaratorische Bedeutung, die den landespresserechtlichen Regelungen dann noch zukommen würde.148 Ein derart weites Verständnis der Medienfreiheit findet jedoch weder im Wortlaut noch in der Stellung des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG im Normengefüge des Grundgesetztes eine legitime Stütze, der keine Anhaltspunkte für einen derartigen unmittelbaren informationellen Auskunftsanspruch bietet.149 Mit dessen Fehlen ist der Grundgesetzgeber bei der Fassung des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG auch nicht hinter seiner eigentlichen Regelungsintention zurückgeblieben, vielmehr wurde die verfassungsunmittelbare Verankerung eines Informationsrechts der Presse im Gesetzgebungsverfahren gerade ausdrücklich abgelehnt, da man diese Frage der künftigen Pressegesetzgebung überlassen wollte.150 Die Grundrechtsverbürgung des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG schützt die Informationsfreiheit der Medien, mithin die Zugänglichkeit einer für jedermann geöffneten Informationsquelle, das heißt für Medien nicht grundsätzlich anders als für die Bürger allgemein.151 Die Pressefreiheit begründet ebenfalls keinen darüberhinausgehenden Anspruch auf Eröffnung einer Informationsquelle und sichert, wie Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG als Abwehrrecht nur den Zugang zu allgemein zugänglichen Informationsquellen gegen staatliche Beschränkungen.152 Der Grundgesetzgeber hat folglich mit der Pressefreiheit lediglich ein Abwehrrecht gegenüber staatlicher Einflussnahme und bewusst keinen positiven Leistungsanspruch auf staatliche Unterstützung der Pressetätigkeit schaffen wollen.153 Auch kann aus Grundrechten lediglich die an den Staat gerichtete grundsätzliche, objektive und im Sinne eines Verfassungsauftrags erfasste Pflicht konstituiert werden, grundrechtlich verankerte Freiheiten zu gewähren, nicht jedoch konkrete Leistungsansprüche, diese können nur aus einfachgesetzlichen Regelungen folgen.154 Anders als verfassungsrechtliche Abwehrrechte bedürfen Leistungsansprüche ausdrücklicher tatbestandlicher Regelungen, so dass die Anerkennung eines verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruch der Presse nicht zuletzt in Ermangelung eines entsprechenden Anknüpfungspunktes im Wortlaut des Art. 5

147 148

Rn. 8.

Dalbkermeyer, S. 42. Dalbkermeyer, S. 46, erneut unter Hinweis auf Groß, S. 172; Ricker/Weberling, 18. Kap

149 Insbesondere das BVerwG argumentiert in NJW 1985, 1655 (1656), grammatikalisch und systematisch. 150 BVerwG NJW 1985, 1655 (1656), unter Verweis auf Doemming/Füsslein/Matz, JöR N.F. 1 (1951), 79 (84), erneut abgedruckt in: Wilke, Pressefreiheit, S. 267 (276 f.). 151 BVerfG NJW 2001, 1633 (1634). 152 BVerfG NJW 2001, 1633 (1634), zur Rundfunkfreiheit; Löffler/Burkhardt, Presserecht, § 4 LPG Rn. 9. 153 Dalbkermeyer, S. 47, unter Verweis auf Jarass, DÖV 1986, 721 (722); Stober, DRiZ 1980, 3 (9). 154 Neuling, S. 152.

B. Rechtliche Grundlagen ermittlungsbehördlicher Öffentlichkeitsarbeit

269

Abs. 1 S. 1 GG dem Gebot der Rechtssicherheit zuwider laufen würde.155 Die originäre Herleitung des Auskunftsanspruchs gegenüber der Staatsanwaltschaft aus den landespresserechtlichen Regelungen ist damit die notwendige Anerkennung der durch das Bundesverfassungsgericht aufgestellten Grundsätze für eine gesetzliche Legitimation staatlicher Eingriffe in die allgemeinen Persönlichkeitsrechte des Einzelnen.156 Gerade die Informationstätigkeit der Staatsanwaltschaft im sensiblen Bereich des nichtöffentlichen Ermittlungsverfahrens greift intensiv in die Persönlichkeitsrechte des Betroffenen ein, so dass ein derartiger Leistungsanspruch nicht aus einer allgemeingehaltenen Rechtsgrundlage wie Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG folgen darf.157 Auch ist für die Gewährleistung der Pressefreiheit ein verfassungsunmittelbarer Auskunftsanspruch schon nicht erforderlich.158 Da sich die behördliche Informationspflicht bereits in sämtlichen Landespressegesetzen wiederfindet, sieht das Bundesverwaltungsgericht auch eine Sorge um die Einhaltung verfassungsrechtlicher „Minimalstandards“ als unbegründet an.159 Die landespresserechtlichen Auskunftsregelungen, wie etwa § 4 LPG Berlin, sind nach der hier vertretenen Ansicht als einfachgesetzliche Umsetzung einer Verfassungsdirektive mit konstitutiver Wirkung für den Auskunftsanspruch der Medien gegenüber den Strafverfolgungsbehörden anzusehen.160 Auch wenn eine verfassungsunmittelbare Herleitung hier nicht zu überzeugen vermag, so besteht im Ergebnis dahingehend Einigkeit, dass die landespresserechtlichen Auskunftsnormen jedenfalls die Existenz eines subjektiven und einklagbaren Auskunftsanspruchs zum Ausdruck bringen, der selbst bei Anerkennung eines verfassungsunmittelbaren Informationsanspruchs der Medien zumindest einfachgesetzlich durch die landespresserechtlichen Regelungen konkretisiert wird und an die dort geregelten Tatbestandsvoraussetzungen geknüpft ist.161 155 BVerwG NJW 1985, 1655 (1656); Dalbkermeyer, S. 47; Fischer, S. 63; Jarass, DÖV 1986, 721 (722); von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 5 Abs. 1, 2 Rn. 77; Schröer-Schallenberg, S. 35; Starck, AfP 1978, 171 (174 f.); Stober, DRiZ 1980, 3 (9). 156 Zu den vom BVerfG aufgestellten Grundsätzen zum Bestimmtheitsgebot betreffend gesetzlicher Ermächtigungenen persönlichkeitsrechtlicher Eingriffshandlungen siehe oben Drittes Kapitel, B. I. 4. 157 Fischer, S. 63. 158 BVerwG, NJW 1985, 1655 (1656). 159 BVerwG, NJW 1985, 1655 (1656). In jüngerer Zeit (seit BVerwG AfP 2013, 355) nimmt das BVerwG einen verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruch der Presse gegenüber Bundesbehörden an, da die Landesgesetze wegen einer entgegenstehenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes auf sie nicht anwendbar sind und es damit an einem einfachgesetzlichen Anspruch fehle; so auch jüngst BVerwG NVwZ, 2016, 1020 (1021). Unabhängig davon, ob die landespresserechtlichen Regelungen seit dieser Änderung in der Rechtsprechung noch auf Bundesbehörden anwendbar sind (ablehnend u. a. Soehring/Hoene, § 4 Rn. 4.19), ist auch aus dieser Rechtsprechung des BVerwG jedenfalls für die hier gegenständlichen Auskünfte von Landesbehörden kein verfassungsunmittelbarer Anspruch zu folgern. 160 Dalbkermeyer, S. 47; Neuling, S. 152. 161 Zu diesem Ergebnis kommen auch Dalbkermeyer, S. 47 f.; Fischer, S. 64; Groß, S. 176; Neuling, S. 152; vgl. hierzu auch ausführlich Wente, StV 1988, 216 ff. Ausführlich zum Inhalt des presserechtlichen Auskunftsanspruchs siehe unten Fünftes Kapitel, B. II.

270

5. Kap.: Die Kommunikationstätigkeit der Ermittlungsbehörden

2. Richtlinien für das Strafverfahren und Bußgeldverfahren (RiStBV) Auch den Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren (RiStBV) sind Regelungen für das Verhältnis zwischen den Geheimhaltungsinteressen des Ermittlungs- sowie Strafverfahren und der Medienöffentlichkeit zu finden. Nachdem zunächst insbesondere die mediale Verdachtsberichterstattung durch lenkende Empfehlungen und Richtlinien im Fokus der Bemühungen um den Persönlichkeitsschutz des Beschuldigten stand,162 erkannte man erst später, dass auch die ermittlungsbehördliche Öffentlichkeitsarbeit zu massiven Eingriffen in die schützenswerten Geheimhaltungsinteressen des Betroffenen und einer öffentlichen Vorverurteilung führen kann.163 Schließlich wurden 1977 die Richtlinien für das Strafverfahren und Bußgeldverfahren verfasst,164 welche insbesondere in Nr. 4a und Nr. 23 RiStBV Regelungen für die Öffentlichkeitsarbeit, insbesondere die Zusammenarbeit mit der Presse und dem Rundfunk enthält.165 Nr. 4a RiStBV postuliert insbesondere ein Verbot unnötiger Bloßstellung des Beschuldigten sowie bei unumgänglicher Entanonymisierung desselben zumindest das Gebot, auf den bloßen Verdachtsstatus gegen den Betroffenen hinzuweisen und betrifft damit vor allem die inhaltliche Ausgestaltung zulässiger ermittlungsbehördlicher Medienauskünfte.166 Nach Nr. 23 RiStBV soll die Staatsanwaltschaft „bei Unterrichtung der Öffentlichkeit“ mit den Medien zusammenarbeiten, hierbei jedoch weder den Untersuchungszweck gefährden noch dem Ergebnis der Hauptverhandlung vorgreifen oder den Anspruch des Beschuldigten auf ein faires Verfahren beeinträchtigen. Zudem sieht Nr. 23 Abs. 1 S. 3 RiStBV eine von der Staatsanwaltschaft vorzunehmende einzelfallbezogene Abwägung des Informationsinteresses der 162

Bereits im Jahr 1973 erarbeitete der Deutsche Presserat einen „Pressekodex“, der auch den Schutz des Beschuldigten durch vorverurteilende und tendenziöse Berichterstattung zum Inhalt hatte. Diese Aufforderung zu zurückhaltender Verdachtsberichterstattung war jedoch nur an die Presse gerichtet. Die dem vorgeschaltete aber ebenso persönlichkeitsrechtsverletzende Öffentlichkeitsarbeit der Ermittlungsbehörden wurde zu diesem Zeitpunkt noch außer Acht gelassen; vgl. Dalbkermeyer, S. 33; ausführlich zum „Pressekodex“ siehe oben Viertes Kapitel, B. III. 3. 163 Mit weiteren Nachweisen insbesondere auch zu den an die Medien adressierten Richtlinien Neuling, S. 155, der nicht zu Unrecht zuweilen eine „chronische“ Stigmatisierung als Effekt strafverfolgungsbehördlicher Öffentlichkeitsarbeit sieht. 164 Die in einem Unterausschuss der Justizministerkonferenz von Mai 1974 bis Juni 1976 ausgearbeiteten neugestalteten Richtlinien traten zum 01. 01. 1977 in Kraft und wurden später mit Wirkung vom 01. 10. 1987 und danach erneut ab 01. 02. 1997 jeweils neu gefasst; vgl. BeckOK/Graf, RiStBV Einführung Rn. 4, abgedruckt bei Meyer-Goßner/Schmitt, Anhang. 165 Auch wenn Fischer noch die Anlage B der RiStBV als rechtliche Grundlage ermittlungsbehördlicher Öffentlichkeitsarbeit in Betracht zieht (Fischer, S. 74 f.), kann diese vorliegend außer Betracht bleiben, da sie sich insbesondere mit der Inanspruchnahme der Medien zu Fahndungszwecken befasst, welche bei der hier zu untersuchenden Informationstätigkeit in Verfahren gegen Personen des öffentlichen Lebens zu vernachlässigen ist. 166 Dalbkermeyer, S. 33; Fischer, S. 74; Neuling, S. 155.

B. Rechtliche Grundlagen ermittlungsbehördlicher Öffentlichkeitsarbeit

271

Öffentlichkeit mit den Persönlichkeitsrechten des von der Berichterstattung Betroffenen vor. Damit enthält auch Nr. 23 zwar allgemeine Grundsätze und Gebote für die in jedem Einzelfall komplexe Abwägungsentscheidung der Staatsanwaltschaft bei Erfüllung des Informationsanspruches der Öffentlichkeit und der Presse,167 regelt jedoch ebenso wie Nr. 4a RiStBV lediglich das „Wie“ und nicht das „Ob“ einer Pressearbeit der Ermittlungsbehörden.168 Bereits in der Einführung zur RiStBV wird klargestellt, dass sie aufgrund der „Mannigfaltigkeit des Lebens“ nur eine „Anleitung für den Regelfall“ darstellen kann. So kann aus ihr bereits durch die rein fakultative Natur ihrer Vorgaben und der ihr als bloße Verwaltungsvorschrift fehlenden Außenwirkung kein Auskunftsanspruch der Presse gegenüber der Staatsanwaltschaft hergeleitet werden.169 3. Strafprozessuale Auskunftspflichten Auch strafprozessual sind die Strafverfolgungsbehörden zu Auskünften gegenüber Dritten verpflichtet, so unter anderem zur Gewährung von Akteneinsicht gegenüber dem Verteidiger gemäß § 147 StPO sowie gegenüber dem Verletzten gemäß § 406e StPO. Diese Informationsansprüche knüpfen wiederum aber an eine Verfahrensstellung des Auskunftsberechtigen an, die Medien und Pressevertreter nicht innehaben. Daneben kann die Staatsanwaltschaft gemäß § 475 Abs. 4 StPO auch Informationen „aus den Akten“170 direkt an „Privatpersonen“ oder „sonstige Stellen“, also ohne Zwischenschaltung eines Rechtsanwalts, weitergeben.171 Auch diese Norm dient damit offensichtlich der Regelung des Umgangs der Strafverfolgungsbehörden mit den ihnen aus dem Ermittlungsverfahren zur Verfügung stehenden und grundsätzlich der Geheimhaltung unterliegenden Informationen.172 Unter „Privatpersonen“ im Sinne dieser Vorschrift sind solche zu fassen, die nicht zugleich auch Beschuldigte, Privatkläger, Nebenkläger, Verletzte oder Einziehungsbeteiligte sind und damit eine Stellung als Verfahrensbeteiligte im Ermittlungs- sowie Strafverfahren haben.173 Als „sonstige Stellen“ sind aufgrund der systematischen Stellung des § 475 StPO nur solche zu verstehen, die nicht schon unter § 474 StPO fallen. Damit könnte dieser Auskunftsanspruch auch als Rechtsgrundlage ermittlungsbehördlicher Öf167

BeckOK-StPO/Gertler, Nr. 23 RiStBV Rn. 10. Vgl. Lehr, NStZ 2009, 409 (413), BeckOK StPO/Gertler, Nr. 23 RiStBV Rn. 4. 169 Dalbkermeyer, S. 34; Fischer, S. 75 f.; Kettner, S. 184; Neuling, S. 155; a. A. Kottkamp, S. 38, die einen Auskunftsanspruch der Medienvertreter auch aus Nr. 23 RiStBV herleiten will. 170 Nicht jedoch Akteneinsicht (§ 475 Abs. 2 StPO) oder Besichtigung von Beweisstücken (§ 475 Abs. 3 StPO); vgl. BeckOK-StPO/Wittig, § 475 Rn. 15. 171 § 475 StPO wurde erst durch das StVÄG von 1999 in die StPO eingefügt; vgl. Meier, FSSchreiber 2003, 331 (334). 172 Meier, FS-Schreiber 2003, 331 (335). 173 KK-StPO/Gieg, § 475 Rn. 1 m. w. N. 168

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5. Kap.: Die Kommunikationstätigkeit der Ermittlungsbehörden

fentlichkeitsarbeit dienen und eine Auskunftspflicht gegenüber den Medien konstituieren. Dafür müsste zunächst eine personelle Anwendbarkeit des § 475 Abs. 4 StPO auf Medien und Pressevertreter bestehen, diese folglich als „sonstige Stellen“ im Sinne des § 475 Abs. 4 Alt. 2 StPO verstanden werden können oder zumindest der einzelne Pressevertreter als „Privatperson“ im Sinne des § 475 Abs. 4 Alt. 1 StPO gelten.174 Zwar könnte man insbesondere aufgrund des weiten Wortlauts Medienunternehmen oder einzelne Pressevertreter als vom personellen Anwendungsbereich des § 475 Abs. 4 StPO grundsätzlich erfasst ansehen, strukturell ist § 475 StPO jedoch nicht spezifisch auf das Auskunftsverlangen der Presse zugeschnitten und neben den landespresserechtlichen Auskunftsansprüchen bedarf es eigentlich keiner weiteren diesbezüglichen Regelung, mit der zugleich die Gefahr einer Aushöhlung der presserechtlichen Voraussetzungen einherginge.175 Auch der Gesetzgeber hat bei der Einführung der Auskunftspflicht des § 475 StPO nicht journalistische Interessen, sondern vielmehr die zivilrechtlichen Interessen nicht am Verfahren beteiligter Dritter im Auge gehabt.176 Schließlich wird § 475 StPO aufgrund seines weiten und unbestimmten Wortlauts zu Recht als „konturlos“177 und „unbefriedigend“178 bezeichnet, da die Vorschrift nicht ausreichend zwischen den unterschiedlichen Auskunftsinteressen Privater oder sonstiger Stellen differenziert und auch die mit einer Veröffentlichung der Informationen verbundenen Gefahren zu wenig berücksichtigt. Vor diesem Hintergrund kann einer Ausweitung des § 475 StPO auf Auskünfte gegenüber Medienvertretern im Hinblick auf die vom BVerfG für Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung aufgestellten Anforderungen an Verständlichkeit der Ermächtigungsgrundlage und Einhaltung einer gewissen Normenklarheit nur abgelehnt werden.179

174 Für eine Anwendbarkeit des § 475 StPO auf Medien sprechen sich unter anderem aus: OVG Münster NJW 2001, 3803; VGH Mannheim BeckRS 2013, 56440; VG Augsburg, ZUMRD 2014, 3, 22 (326); LG Berlin NJW 2002, 838, in Bezug auf die Herausgabe anonymisierter Urteilsabschriften; HK-StPO/Temming/Schmidt, § 475 Rn. 2; Lindner, StV 2008, 210 (211); Meinecke, S. 233; Mensching, AfP 2007, 534 (537 f.); Neuling, HRRS 2006, 94 (98); an der Anwendbarkeit zweifelnd oder ablehnend: BVerwG NJW 2015, 807 (811); OVG Weimar, NJW 2015, 1836 (1838); AE-StuM/Meier, S. 90; BeckOK-StPO/Wittig, § 475 Rn. 5; KK-StPO/ Gieg, § 475 Rn. 10; Meier, FS-Schreiber 2003, 331 (335); zum Meinungsstand Meyer-Goßner/ Schmitt, StPO, § 475 Rn. 1a; zur Frage der personellen Anwendbarkeit vgl. auch ausführlich Fischer, S. 78 f. 175 Meier, FS-Schreiber 2003, 331 (335). 176 BT-Drucks. 14/1484, S. 26 f.; Fischer, S. 79; Meyer-Goßner/Schmitt, § 475 StPO, Rn. 1 f. 177 Fischer, S. 80. 178 AE-StuM/Meier, S. 90. 179 Daher zu Recht zweifelnd auch Fischer, S. 80. Zu den vom BVerfG aufgestellten Anforderungen an derartige Ermächtigungsgrundlagen siehe oben Drittes Kapitel, B. II. 4. Unter

B. Rechtliche Grundlagen ermittlungsbehördlicher Öffentlichkeitsarbeit

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4. Informationsfreiheitsgesetze Während bereits die Anwendung des § 1 Abs. 1 S. 1 IFG auf den Auskunftsanspruch von Pressevertretern sehr umstritten ist,180 gehen im Hinblick auf die Informationsansprüche der Medien gegenüber den Strafverfolgungsbehörden jedenfalls die landespresserechtlichen Regelungen den Informationsfreiheitsgesetzen vor.181 Auskunftsverpflichtet nach dem IFG ist die Staatsanwaltschaft nur dann, wenn es um Auskünfte zur allgemeinen Tätigkeit der Staatsanwaltschaft im Bereich der Justizverwaltung geht und diese sich nicht auf ein bestimmtes Ermittlungsverfahren beziehen.182 Im Ergebnis können daher aus diesen keine Auskunftsansprüche auf Zugang zu amtlichen Informationen geschlussfolgert werden, da das öffentliche Interesse sowie das Medieninteresse im Hinblick auf Ermittlungsverfahren gegen Personen des öffentlichen Lebens nicht auf reine Verwaltungsangelegenheiten gerichtet ist – insofern haben die IFG keine Auswirkung auf die Medienöffentlichkeit im Ermittlungsverfahren.183 5. Zwischenergebnis Auch im Bereich des nichtöffentlichen strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens folgt die Notwendigkeit eines Auskunftsanspruchs der Medien gegenüber den Strafverfolgungsbehörden aus der der Presse obliegenden öffentlichen Aufgabe sowie dem rechtsstaatlichen Transparenzgebot. Nur eine informierte Presse kann dem Einzelnen im Rahmen der informationellen Daseinsvorsorge die Ausübung seiner grundrechtlich garantierten Informationsfreiheit ermöglichen. Eine verfassungsunmittelbare Herleitung des hierfür notwendigen Auskunftsanspruchs aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG ist jedoch abzulehnen, da Wortlaut, Intention des Gesetzgebers und das gerade auch für konkrete Leistungsansprüche geltende Bestimmtheitsgebot vielmehr eine in dieser Hinsicht konstitutive Funktion der landespresserechtlichen Auskunftsansprüche (z. B. § 4 LPG Berlin) nahelegen. Jegliches Auskunftsverlangen der Presse gegenüber den Strafverfolgungsbehörden ist damit den tatbestandlichen Voraussetzungen und Beschränkungen der landespresserechtlichen Regelungen unterworfen. Eine vergleichbare Bindungswirkung der Staatsanwaltschaften an die Vorgaben der RiStBV besteht hingegen nicht. Zwar haben diese in Nr. 4a und Nr. 23 ebenfalls den Umgang der Ermittlungsbehörden mit den ihnen anvertrauten Informationen und damit auch den Rechten des Beschuldigten zum Gegenstand, ihnen kommt jedoch Verweis auf die fehlende Gesetzgebungskompetenz des Bundes für Auskunftsersuchen der Medien gegenüber Landesbehörden gänzlich ablehnend Soehring/Hoene, § 4 Rn. 4.52. 180 Kottkamp, S. 38. 181 Mitsch, S. 118; Ricker/Weberling, 18. Kap. Rn. 5a; ausführlich zu den Auswirkungen der Informationsfreiheitsgesetze Fischer, S. 237 ff. 182 BeckOK-IMR/Gersdorf/Paal, § 2 LIFG Rn. 5 f. 183 So auch Fischer, S. 237 ff.

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5. Kap.: Die Kommunikationstätigkeit der Ermittlungsbehörden

aufgrund der einer bloßen Verwaltungsvorschrift fehlenden Außenwirkung lediglich ein rein fakultativer Charakter zu. Hinsichtlich eines möglichen Auskunftsanspruchs der Presse aus § 475 Abs. 4 StPO ist die Ausweitung des personellen Anwendungsbereichs auf Medienvertreter abzulehnen. Es können sich somit für Medien und auch Privatpersonen Auskunftsansprüche gegenüber den Strafverfolgungsbehörden lediglich aus den landespresserechtlichen Regelungen und daraus im Rahmen eines Ermessenspielraum auf Antrag schließlich Auskunftspflichten der Staatsanwaltschaft ergeben. Öffentlichkeitsarbeit in diesem Rahmen stellt sich damit stets als pflichtgemäße reaktive Informationstätigkeit dar.

III. Berechtigung zu aktiver Öffentlichkeitsarbeit Während die Strafverfolgungsbehörden im Rahmen des überwiegend nichtöffentlichen Ermittlungsverfahrens unter bestimmten Voraussetzungen einer Pflicht zu reaktiver Öffentlichkeitsarbeit unterliegen, besteht eine derartige ausdrückliche gesetzliche Pflicht zu aktiver Pressearbeit hingegen nicht.184 Daran anschließend stellt sich die Frage, ob die Ermittlungsbehörden zur eigeninitiativen Informationsweitergabe zumindest berechtigt sind, d. h. auch ohne ein auf den presserechtlichen Auskunftsanspruch gestütztes Auskunftsersuchen an die Medien herantreten und aktive sowie vielleicht auch „proaktive“ Medienarbeit betreiben dürfen.185 Die Frage nach dem rechtlichen Dürfen stellt sich nicht nur infolge der Betrachtung persönlichkeitsrechtlich relevanter aktiver Öffentlichkeitsarbeit der Staatsanwaltschaften in der Vergangenheit186, sondern auch aufgrund der vielseitigen Interessen, von denen die Strafverfolgungsbehörden bei ihrem Gang an die Öffentlichkeit beeinflusst werden.187 Selbst wenn eine staatsanwaltschaftliche Medienund Öffentlichkeitsarbeit zu einer sachgerechten und ausgewogenen öffentlichen Meinungsbildung beitragen kann,188 muss derartiges eigeninitiatives Handeln der Staatsanwaltschaft dennoch rechtlich legitimiert sein. Bei den dargestellten Auskunftsansprüchen der Presse handelt es sich um Informationspflichten der Strafverfolgungsbehörden, welche sich nicht zu Informationsrechten umfunktionieren lassen.189

184 185 186 187 188

S. 51.

Pruggmayer/Möller, K&R 2011, 234 (235/238). Diese Frage ebenfalls aufwerfend Trentmann, Publizität 2015, 403 (409). Zu beispielhaften Verfahren siehe oben Erstes Kapitel, A. Vgl. hierzu bereits oben Fünftes Kapitel, A. II. Trentmann, Publizistik 2015, 403 (411), unter Verweis auf AE-StuM/Weigend, 2004,

189 So Gounalakis insbesondere zur landespresserechtlichen Auskunftspflicht, NJW 2012, 1473 (1476), der den Staatsanwaltschaften im Rahmen ihrer Öffentlichkeitsarbeit eben dieses „Umformatieren“ zur Imagepflege sowie zum Zwecke von Marketing und PR unterstellt.

B. Rechtliche Grundlagen ermittlungsbehördlicher Öffentlichkeitsarbeit

275

1. Erfordernis einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage Anders als die Meinungs- und Pressefreiheit sowie das Recht auf Informationsfreiheit des Einzelnen aus Art. 5 Abs. 1 GG ist das Interesse der Staatsanwaltschaft an eigeninitiativer Informationspolitik nicht verfassungsrechtlich verankert.190 Gleichwohl müssen die Justizbehörden in einem demokratischen Rechtsstaat über ihre Tätigkeit im Allgemeinen informieren und sich diesbezüglich auch der öffentlichen Kritik stellen.191 Damit wird die Legitimation aktiver staatsanwaltschaftlicher Öffentlichkeit im Wege einer Annexkompetenz direkt aus den verfassungsrechtlich verankerten Geboten von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie sowie dem Grundsatz der Gewaltenteilung abgeleitet, welche jedoch nur solche Informationstätigkeit erfasst, die der Transparenz und damit der öffentlichen Kontrolle dient.192 Daher leitet das Bundesverwaltungsgericht nicht nur eine Berechtigung, sondern vielmehr eine verfassungsunmittelbare Pflicht der Justizbehörden zur Öffentlichkeitsarbeit her.193 Hier betraf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgericht jedoch lediglich die Veröffentlichung anonymer Urteile, so dass unter diese Verpflichtung nur allgemeine und nicht personenbezogene Informationen der Behörden über ihre Arbeit fallen können. Nicht mit jeder Informationstätigkeit greift die Staatsanwaltschaft in die Persönlichkeitsrechte Dritter ein: Erfolgt beispielsweise eine in hohem Maße anonymisierte Informationsweitergabe (etwa die Veröffentlichung von Kriminalstatistiken, ausreichend anonymisierter Berichte über Straftaten, Ermittlungsverfahren und Urteile), handelt es sich um eine allgemeine Informationstätigkeit der Ermittlungsbehörden, die Rechte Dritter nicht tangiert und somit auch keiner spezialgesetzlichen Ermächtigung bedarf.194 Diese Grenze wird hingegen überschritten, sobald der Öffentlichkeitsarbeit der Ermittlungsbehörden durch die Weitergabe von zur Identifikation zu einer bestimmten Person geeigneten Informationen eine grundrechtsrelevante Eingriffsqualität zukommt, sei es durch identifizierende Einzelinformationen („Leiter der Klinik ….“, „Bürgermeister der Stadt …“, „Inhaber der Firma …“) oder auch nur durch eine die Identitätsoffenlegung ermöglichende Kombination mehrerer Einzelinformationen.195 Jegliche personenbezogene oder entanonymisierende Öffentlichkeitsarbeit der Ermittlungsbehörden stellt einen Eingriff insbesondere in die Persönlichkeitsrechte des von der Information Betroffenen dar, welcher unfreiwillig 190 191 192

2694 f. 193

Gounalakis, NJW 2012, 1473 (1476). Lehr, NJW 2013, 278 (232). Gutachten BMJ, S. 253; Huff, NJW 2004, 403, unter Verweis auf BVerwG NJW 1997,

Huff, NJW 2004, 403, unter Verweis auf BVerwG NJW 1997, 2694 f. Fischer, S. 56 f.; Meier, FS-Schreiber 2003, 331 (333 f.); Ostendorf, GA 1980, 445. 195 Fischer, S. 57; Meier, FS-Schreiber 2003, 331 (334); Ostendorf, GA 1980, 445. Beispiel einer zur Zuordnung geeigneten Veröffentlichung von an sich anonymen Einzelinformationen war die öffentliche Verhaftung der Sängerin Nadia Benaissa und die kurz darauffolgenden Pressemitteilung über die Festnahme einer „26-jährigen Sängerin“ nebst Nennung des Tatvorwurfs, hierzu siehe bereits oben Erstes Kapitel, A. II. 2. 194

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5. Kap.: Die Kommunikationstätigkeit der Ermittlungsbehörden

in den Fokus der Öffentlichkeit gestellt wird. Daher steht eine derartige Informationstätigkeit der Staatsanwaltschaft, wie jedes hoheitliche Eingriffshandeln, unter Gesetzesvorbehalt.196 Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung sowie Bildund Namensanonymität aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG ist zwar nicht schrankenlos gewährleistet197, seine Beschränkungen und insbesondere staatliche Eingriffe bedürfen jedoch einer gesetzlichen Grundlage, aus der sich die Voraussetzungen und der Umfang der Beschränkungen klar und für den Betroffenen erkennbar ergeben und die damit dem rechtsstaatlichen Gebot der Normenklarheit entspricht.198 Es bedarf damit einer einfachgesetzlichen Ermächtigungsgrundlage mit Tatbestandswirkung und Beschränkung des Umfangs der Informationstätigkeit der Staatsanwaltschaft. Etwas anderes ergibt sich für die strafrechtlichen Ermittlungsbehörden auch nicht aus der vom Bundesverfassungsgericht statuierten Ausnahme vom Gesetzesvorbehalt für informatorisches Handeln von Bundesbehörden, wonach sich deren Befugnis zur Informationstätigkeit bereits aus den staatsleitenden Aufgaben ergebe, wozu auch gehöre, im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit auf aktuelle streitige und die Öffentlichkeit erheblich berührende Fragen einzugehen.199 Hier sei Voraussetzung für zulässiges staatliches informatorisches Handeln lediglich ein „besonderer verfassungsrechtlich legitimierter Grund“, welcher sich bereits aus der dem Staat obliegenden Aufgabe, den „Grundkonsens im demokratischen Gemeinwesen lebendig zu erhalten“, ergebe.200 Wenn Pruggmayer und Möller diese Ausnahme vom Gesetzesvorbehalt auf jegliches staatliche Informationshandeln ausweiten,201 lässt dies die Entscheidungsmotivation des Bundesverfassungsgerichts außer Acht. Gegenstand dieser Ausnahme vom Gesetzesvorbehalt war in Ermangelung einer spezialgesetzlichen Regelung202 lediglich die Informationstätigkeit von Bundesbehörden, auf die die landespresserechtlichen Auskunftsansprüche nicht anwendbar sind und 196 Engelbert/Kutscha, NJW 1993, 1233 (1234); Fischer, S. 56 ff.; Gounalakis, NJW 2012, 1473 (1476 f.), unter Verweis auf BVerwG NJW 1985, 2774; Meier, FS-Schreiber 2003, 331 (333), unter Verweis auf das „Volkszählungsurteil“ des BVerfG NJW 1984, 419 (422); Trentmann, Publizität 2015, 403 (410). 197 Siehe hierzu bereits ausführlich oben Drittes Kapitel, B. I. 4. 198 BVerfG NJW 1984, 419 (422), unter Verweis auf BVerfG NJW 1983, 1179; zu den Anforderungen des BVerfG an Beschränkungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts siehe bereits oben Drittes Kapitel, B. I. 4. 199 BVerfG NJW 2002, 2626 (2629), zu Informationen der Bundesregierung über religiöse und weltanschauliche Vereinigungen. 200 BVerfG NJW 1983, 1105, bezüglich der Zulässigkeit einer Anzeigenserie der Bundesregierung. 201 Pruggmayer/Möller, K&R 2011 (234 (235). 202 Der Bundesgesetzgeber hat zwar eine Reihe von Auskunftsansprüchen einfachgesetzlich geregelt (allgemein z. B. im Verbraucherinformationsgesetz, Umweltinformationsgesetz und den Informationsfreiheitsgesetzen sowie spezialgesetzlich z. B. in § 4 Abs. 2 BArchG, § 34 i. V. m. §§ 32, 33 StUG), diese sind jedoch entweder auf die Presse als auskunftsberechtigte Stelle nicht anwendbar oder regeln spezielle Auskunftsfälle, die hier nicht einschlägig sind; vgl. hierzu auch Blome, NVwZ 2016, 1211 ff.

B. Rechtliche Grundlagen ermittlungsbehördlicher Öffentlichkeitsarbeit

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sie umfasste auch nur die Unterrichtung der Öffentlichkeit über Vorgänge und Entwicklungen, die für den Bürger und das funktionierende Zusammenwirken von Staat und Gesellschaft von Wichtigkeit sind, also von der der Regierung durch das Grundgesetz zugewiesenen Aufgabe der Staatsleitung als gedeckt angesehen werden können.203 Bei den Strafverfolgungsbehörden handelt es sich jedoch um Landesbehörden, die der Auskunftspflicht der Landespressegesetze unterliegen, so dass es einer verfassungsrechtlichen „Annex-Kompetenz“ zur Informationstätigkeit nicht bedarf und auf die die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht übertragbar ist. Auch handelt es sich bei grundrechtsrelevanter identifizierender Berichterstattung aus einem Ermittlungsverfahren nicht um grundlegende staatliche Vorgänge, die für Staat und Gesellschaft von Bedeutung sind. Schließlich bietet die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Ausnahme vom Gesetzesvorbehalt auch keine Anhaltspunkte dafür, dass es von den von ihm aufgestellten Grundsätzen für staatliche Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht204 grundlegend Abstand nimmt. Jedwede die Personenanonymität aufhebende Informationsweitergabe seitens der Staatsanwaltschaft bedarf damit einer einfachgesetzlichen Ermächtigungsgrundlage, da diese Form der Öffentlichkeitsarbeit in die Verfügungsgewalt des Einzelnen über die ihn betreffenden Informationen und seine Darstellung in der Öffentlichkeit als Ausfluss des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG) eingreift.205 Ein solcher ist mit § 4 LPG Berlin geschaffen, beschränkt die Staatsanwaltschaft jedoch auf die reaktive Auskunftserteilung. Ob sich eine solche auch für die aktive Informationstätigkeit findet, soll im Folgenden untersucht werden. 2. Strafprozessuale Ermächtigung Da in dieser Untersuchung der Umgang der Staatsanwaltschaft mit Informationen aus dem strafrechtlichen Vorverfahren gegenständlich ist, sollte der erste Blick zunächst den strafprozessualen Ermächtigungen gelten. Die Staatsanwaltschaft gilt als Herrin des Ermittlungsverfahrens. Ihre Befugnis zu aktiver Öffentlichkeitsarbeit könnte sich bereits aus dem ihr in diesem Rahmen obliegenden „Ermittlungsprimat“206 ergeben. Gemeint ist damit die auch unter dem Begriff des Ermittlungsgrundsatzes oder der Untersuchungsmaxime gefasste allgemeine Aufgabe und Pflicht der Staatsanwaltschaft als für das Vorverfahren verantwortliche Behörde, bei bestehendem Anfangsverdacht den zugrundeliegenden 203

BVerfG NJW 2002, 2626 (2632). Vgl. hierzu bereits oben Drittes Kapitel, B. I. 205 Fischer, S. 58. 206 Mit diesem Begriff weist Neuling bereits deutlich auf die Monopolstellung der Staatsanwaltschaft hin, Neuling, S. 127. 204

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5. Kap.: Die Kommunikationstätigkeit der Ermittlungsbehörden

Sachverhalt sowie Tat und Täter zu erforschen207. Zugleich sind die Ermittlungsbehörden in der Gestaltung des strafrechtlichen Vorverfahrens frei, § 161 Abs. 1 StPO.208 Zwar handelt es sich hierbei nicht um rechtliche Regelungen, die die Strafverfolgungsbehörden zur Informationsweitergabe ermächtigen, jedoch kommt aufgrund der genannten Grundsätze kein Strafverfahren und auch kein Ermittlungsverfahren ohne Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen aus, so dass solche von dem Betroffenen hingenommen werden müssen und gegebenenfalls schon in dieser strafprozessualen Befugnis die Ermächtigung für eine persönlichkeitsrechtlich relevante Informationstätigkeit der Staatsanwaltschaft liegen könnte.209 Das Ermittlungsprimat legitimiert jedoch allein Maßnahmen der Ermittlungsbehörden, die zur Aufklärung von Tat und Täter erforderlich sind.210 Für eine effektive Strafverfolgung – von einigen gesetzlich normierten Ausnahmen (wie beispielsweise der Fahndung) abgesehen – bedarf es hingegen keiner einer identifizierenden Verdachtsberichterstattung dienenden Informationsweitergabe. Eine Ermächtigung zu aktiver strafverfolgungsbehördlicher Öffentlichkeitsarbeit kann daher nicht bereits aus dem Strafverfolgungsauftrag und dem Ermittlungsprimat der §§ 160, 161, 163 StPO erfolgen, da ermittlungsbehördliche Öffentlichkeitsarbeit vor allem der Information der Bevölkerung dient und eben nicht der Informationsgewinnung im Sinne einer Sachverhaltserforschung und -aufklärung.211 Auch wurde das Ermittlungsverfahren seitens des Gesetzgebers bewusst nicht-öffentlich ausgestaltet, um durch das so geschaffene Ermittlungsgeheimnis die Aufklärung des Sachverhalts sowie des bestehenden Verdachts nicht durch eine zu frühe Freigabe von Informationen zu gefährden.212 Als weitere potentielle Ermächtigungsgrundlage in der StPO kommt § 81b StPO in Betracht, welcher die Strafverfolgungsbehörden zu Bildaufnahmen gegen den Willen des Beschuldigten ermächtigt, wenn diese zum Zwecke des Strafverfahrens erforderlich sind, § 81b Alt. 1 StPO.213 Doch bleibt an dieser Stelle zu untersuchen, 207

KK-StPO/Griesbaum, § 160 Rn. 1, 7. Vgl. Dalbkermeyer, S. 37; Fischer, S. 76; Neuling, S. 127. 209 Fischer, S. 76; Gounalakis, NJW 2012, 1473 (1474). 210 Neuling, S. 121. 211 Dalbkermeyer, S. 37; Fischer, S. 77; Gounalakis, NJW 2012, 1473 (1477); Neuling, S. 154. 212 Dalbkermeyer, S. 37; vgl. hierzu ausführlich bereits oben Zweites Kapitel, B. Etwas anderes kann nur ausnahmsweise z. B. in Fällen öffentlicher Fahndungen gelten, welche jedoch – wie bereits dargestellt – für den hiesigen Untersuchungsgegenstand nicht von Relevanz und auch im Allgemeinen nur sehr vereinzelt von Bedeutung sind, so dass die diesbezüglichen strafprozessualen Ermächtigungsnormen vorliegend nicht weiter betrachtet werden sollen; vgl. auch Fischer, S. 77, der diesem „Legitimierungsversuch“ Neulings zu Recht keine allzu große praktische Relevanz zuweist, da öffentliche Fahndungsmaßnahmen nur ein sehr geringen Anteil an der Informationsweitergabe durch die Staatsanwaltschaft haben. 213 In § 81b Alt. 2 StPO wird diese Ermächtigung auch für erkennungsdienstliche Maßnahmen erteilt. Hierbei handelt es sich jedoch nicht um strafprozessuale Maßnahmen, sondern solche, die präventiv-polizeilichen Zwecken dienen; so auch Dalbkermeyer, S. 36. Damit ist 208

B. Rechtliche Grundlagen ermittlungsbehördlicher Öffentlichkeitsarbeit

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ob die Ermächtigung zur Bildaufnahme gegen den Willen des Beschuldigten auch eine identifizierende (Bild-)Berichterstattung zum Zwecke der Information der Bevölkerung umfasst. Bereits der abschließende Wortlaut des § 81b Alt. 1 StPO beschränkt die erteilte Ermächtigung auf Maßnahmen zum Zwecke der Durchführung des Strafverfahrens, so dass hieraus zu Recht auf die Unzulässigkeit von Aufnahme und Veröffentlichung von Bildern des Beschuldigten gegen dessen Willen zu anderen Zwecken geschlossen wird.214 Eine proaktive Pressearbeit und eine Veröffentlichung der Identität des Beschuldigten seitens der Staatsanwaltschaft dient allein der Information der Bevölkerung, so dass diese Tätigkeit keine verfahrensrelevanten Zwecke verfolgt und eine derartige identifizierende (Bild-)Berichterstattung nicht über § 81b Alt. 1 StPO legitimiert sein kann.215 Schließlich ist die Ermächtigung aus § 81b Alt. 1 StPO auf den „Innenbereich“ des Strafverfahrens beschränkt und die Bekanntgabe der Identität des Beschuldigten gegenüber der Öffentlichkeit stellt einen „nach außen“ gerichteten Vorgang dar, der nicht von der Reichweite des § 81b Alt. 1 StPO erfasst ist.216 Schließlich kann eine Weitergabe identifizierendender Informationen durch die Strafverfolgungsbehörden im Ermittlungsverfahren auch nicht durch den Strafzweck der Vergeltung beziehungsweise Sanktionierung gerechtfertigt sein, da dies diametral der Unschuldsvermutung widerspräche217 und es zudem an einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage fehlt.218 3. Landespressegesetze Für die reaktive grundrechtsrelevante Informationstätigkeit der Staatsanwaltschaft gegenüber den Medien finden sich einfachgesetzliche Anspruchs- und Ermächtigungsgrundlagen in den Auskunftsansprüchen der Landespressegesetze (z. B. § 4 LPG Berlin).219 Die teilweise unterschiedlich lautenden landespresserechtlichen Normen sprechen hier von einer „Verpflichtung“ der Behörde zur Auskunft bzw. dem „Recht“ der Presse auf Auskunftserteilung und regelt damit einen Auskunfts- und Informationsanspruch der Presse.220 Trotz der Unterschiede im Wortlaut besteht dahingehend Einigkeit, dass die Behörden Informationen nicht von sich aus, sondern

diese Alternative als Grundlage für die hier zu untersuchenden Maßnahmen im Strafverfahren nicht von Bedeutung. 214 Schmidt, Justiz und Publizistik, 1986, S. 15 ff.; sich anschließend Dalbkermeyer, S. 35 f.; Franke, S. 113 ff., 115; Ostendorf GA 1980, 445. 215 Dalbkermeyer, S. 36; Zielemann, S. 69 f. 216 Dalbkermeyer, S. 36. 217 Hierzu bereits oben Drittes Kapitel, B. II. 1. 218 Fischer, S. 32. 219 Hierzu ausführlich oben Viertes Kapitel, B. II. 1. 220 Löffler/Burkhardt, Presserecht, § 4 LPG Rn. 1.

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5. Kap.: Die Kommunikationstätigkeit der Ermittlungsbehörden

nur auf ein konkretes Auskunftsverlangen hin erteilen müssen.221 Damit wird deutlich, dass die landespresserechtlichen Regelungen lediglich eine Pflicht zu reaktiver Auskunftserteilung normieren, hieraus jedoch keine Befugnis der Strafverfolgungsbehörden folgt, eigeninitiativ und ohne an sie herangetragenes Auskunftsverlangen grundrechtsrelevante Informationen an die Öffentlichkeit zu geben.222 Ein derartiges Verständnis der Landespressegesetze würde den Anforderungen des BVerfG an eine in das Recht auf informelle Selbstbestimmung eingreifende Ermächtigungsgrundlage hinsichtlich des Gebots der Normenklarheit nicht gerecht werden. Damit kann die Veröffentlichung von entanonymisierenden Informationen über einen Beschuldigten und das gegen ihn geführte Ermittlungsverfahren ohne zugrundeliegendes Auskunftsverlangen auch nicht durch die landespresserechtlichen Regelungen legitimiert sein. 4. § 24 KUG Eine weitere spezialgesetzliche Regelung, welche Behörden ermächtigt, Bildnisse ohne Einwilligung des Berechtigten für Zwecke der Rechtspflege und der öffentlichen Sicherheit insbesondere zu verbreiten und öffentlich zur Schau zu stellen, findet sich in § 24 KUG. Es handelt sich hierbei um eine Regelung, die in erster Linie den Strafverfolgungsbehörden die Ermittlung, Aburteilung oder Verhütung von Rechtsverletzungen unter Zuhilfenahme von Personenbildnissen ermöglichen soll223. § 24 KUG kann zumindest analog auch auf weitere Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht angewandt werden, so dass über den Wortlaut hinaus auch noch eine Namensnennung oder die Herausgabe weiterer Details über den Betroffenen legitimiert sein können.224 Allerdings richtetet sich § 24 KUG ausschließlich an Behörden, die im Interesse der Strafrechtspflege beziehungsweise zur Gefahrenabwehr Bildnisse des Beschuldigten veröffentlichen dürfen, womit die Vorschrift in der Praxis insbesondere Fahndungszwecken dient.225 Dalbkermeyer weist daher zu Recht auf den systematisch verfehlten Standort dieser Vorschrift im KUG hin, da es sich tatsächlich um eine öffentlich-rechtliche Vorschrift „polizeirechtlichen Charakters“ oder strafprozessualer Natur handelt.226 221

Löffler/Burkhardt, Presserecht, § 4 LPG Rn. 80. A.A. Starck, AfP 1978, 172 (173), unter Verweis auf Kempen, S. 221 ff., der aus dem in den Landespressegesetzen geregelten Informationsrecht der Presse zugleich die Legitimation der Behörde zieht, in Fällen offenkundigen Interesses der Presse von sich aus Presseerklärungen abzugeben oder zu Pressekonferenzen einzuladen. 223 BeckOK-UrhR/Engels, § 24 KUG Rn. 1. 224 BeckOK-UrhR/Engels, § 24 KUG Rn. 9; Dreier/Schulze/Specht, UrhR, § 24 KUG Rn. 3; Marxen, GA 1980, 365 (370); Wandtke/Bullinger/Fricke, § 24 KUG Rn. 1. 225 Wandtke/Bullinger/Fricke, § 24 KUG Rn. 1 f. 226 Dalbkermeyer, S. 40; so auch Wandtke/Bullinger/Fricke, § 24 KUG Rn. 1. 222

B. Rechtliche Grundlagen ermittlungsbehördlicher Öffentlichkeitsarbeit

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Mit § 24 KUG liegt damit eine enge Ausnahmeregelung im Hinblick auf das dem Persönlichkeitsrecht entspringende Recht auf Bildanonymität227 vor, die eine Einschränkung nur in dringenden und zweckgerichteten Ausnahmefällen im Interesse einer effektiven Strafverfolgung erlaubt, als welche die bildliche Identifizierung und Berichterstattung über das Ermittlungsverfahren allein zur Information der Bevölkerung nicht begriffen werden kann.228 § 24 KUG verweist insofern auf den Wortlaut des § 81b StPO, als das die genannten Zwecke nicht die Befriedigung des öffentlichen Informationsinteresses, sondern allein solche der Strafverfolgung sind, so dass das zu § 81b StPO Gesagte gilt und eine Herausgabe von Informationen zu rein informatorischen Zwecken nicht über § 24 KUG legitimiert werden kann.229 Im Ergebnis lässt sich folglich auch in der Vorschrift des § 24 KUG keine Legitimation aktiver ermittlungsbehördlicher Öffentlichkeitsarbeit zum Zwecke der Befriedigung des Informationsinteresses der Bevölkerung sehen, da eine solche dem Ausnahmecharakter dieser Ermächtigungsgrundlage nicht gerecht werden würde. 5. RiStBV Schließlich fällt der Blick230 auf Nr. 23 RiStBV, der neben einer Leitlinie für die Ausübung der Auskunftspflicht auch einen Hinweis auf das Recht der Staatsanwaltschaft zu maßvoller Zusammenarbeit mit den Medien enthält.231 Diese „Zusammenarbeit mit den Medien“ funktioniert immer nur zweiseitig und wird hier als „Unterrichtung“ bezeichnet, was nicht nur reaktives Handeln, sondern auch aktive Öffentlichkeitsarbeit meinen kann. Dennoch ist die RiStBV lediglich eine behördeninterne Verwaltungsvorschrift. Sobald die Staatsanwaltschaft mit den aus dem Ermittlungsverfahren gewonnen Interessen in identifizierender Weise an die Öffentlichkeit geht, greift sie hiermit in die komplexen Interessen des Beschuldigten und ggf. auch anderer von dem Verfahren Betroffener ein.232 Ein derartiger Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Verfahrensbeteiligten kann nicht durch bloße Verwaltungsvorschrift legitimiert sein.233 6. Zwischenergebnis Richtet sich die ermittlungsbehördliche Informationstätigkeit nicht an konkrete Auskunftsersuchen von Pressevertretern und greift die Staatsanwaltschaft mit ihrer 227

Hierzu vgl. bereits ausführlich oben Drittes Kapitel, B. I. 2. Dalbkermeyer, S. 40 f.; Ostendorf, GA 1980, 445 (452 f.). 229 So auch Fischer, S. 80 f.; Ostendorf, GA 1980, 445 (453). 230 Zu den Regelungen der RiStBV in Hinblick auf einen Auskunftsanspruch der Presse gegenüber der Staatsanwaltschaft bereits oben Viertes Kapitel, B. II. 2. 231 Trentmann, Publizität 2015, 403 (410). 232 Kettner, S. 154. 233 Trentmann, Publizität 2015, 403 (410); vgl. auch Eisele, JZ 2014, 932 (937). 228

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5. Kap.: Die Kommunikationstätigkeit der Ermittlungsbehörden

Öffentlichkeitsarbeit in das informelle Selbstbestimmungsrecht des Beschuldigten ein, bedarf diese Form staatlicher Informationstätigkeit einer Ermächtigungsgrundlage, die den vom BVerfG für derartige Eingriffsnormen aufgestellten Grundsätzen der Normenklarheit entspricht. Vor diesem Hintergrund ist auch ein Recht der Staatsanwaltschaft zu aktiver Informationstätigkeit als verfassungsunmittelbare Annexkompetenz aus dem Rechtsstaats- und Demokratieprinzip sowie dem Grundsatz der Gewaltenteilung abzulehnen. Eine derartige Kompetenz kann allein allgemeine und anonyme Veröffentlichungen legitimieren, die dem Transparenzgebot und der öffentlichen Kontrolle staatlicher Machtausübung dienen. Auch aus dem lediglich im Dienst strafverfahrensrechtlicher Zwecke stehenden Ermittlungsprimat der Staatsanwaltschaft nach §§ 160, 161, 163 StPO sowie § 81b StPO kann kein Recht der Ermittlungsbehörden zu aktiver entanonymisierender Öffentlichkeitsarbeit zu reinen Informationszwecken gezogen werden. Die Ermächtigung zur Bildnis- und analog auch Namensveröffentlichung aus § 24 KUG ist ebenfalls auf die Interessen einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege sowie die Gefahrenabwehr beschränkt, so dass auch hier eine Berechtigung zu reiner Information der Öffentlichkeit nicht erfasst sein kann. Schließlich kann eine solche trotz eines vielversprechenden Wortlautes mangels Außenwirkung auch nicht aus den rein internen Verwaltungsvorschriften der RiStBV gewonnen werden. Im Ergebnis ist damit eine Berechtigung der Ermittlungsbehörden zu aktiver Weitergabe von grundrechtsrelevanten Informationen über den Beschuldigten und das gegen ihn geführte Ermittlungsverfahren ohne konkretes Auskunftsverlangen der Presse abzulehnen.234 Jegliche eigeninitiative Öffentlichkeitsarbeit muss sich damit an den dargestellten rechtlichen Interessen des Betroffenen messen lassen.

IV. Zusammenfassung Die Frage nach den rechtlichen Grundlagen grundrechtsinvasiver ermittlungsbehördlicher Öffentlichkeitsarbeit ist verfassungsrechtlich insbesondere dadurch geprägt, dass das rechtsstaatliche Transparenzgebot und die hierzu den Medien übertragene öffentliche Aufgabe zwar eine Informationstätigkeit der Staatsanwaltschaft voraussetzen, hierfür jedoch – anders als für die mediale Berichterstattung in Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG – keine Ermächtigungsgrundlage existiert. Eine Berechtigung der Ermittlungsbehörden zu eigeninitiativer Pressearbeit ist in Ermangelung einer Ermächtigungsgrundlage daher jedenfalls dann abzulehnen, wenn diese aufgrund ihres konkreten Personenbezugs in die Persönlichkeitsrechte des Betroffenen eingreift. Dahingegen ist die Staatsanwaltschaft auf Anfrage der Medien unter den Voraussetzungen der landespresserechtlichen Auskunftsansprüche zu reaktiver Informationstätigkeit verpflichtet. Inwiefern diese Öffentlichkeitsarbeit 234

A. A. BeckOK-StPO/Gertler, Nr. 23 RiStBV Rn. 55.

C. Grenzen reaktiver staatsanwaltschaftlicher Informationstätigkeit

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jedoch durch die schützenswerten Interessen des Beschuldigten Grenzen gesetzt sind, soll im folgenden Abschnitt untersucht werden.

C. Grenzen reaktiver staatsanwaltschaftlicher Informationstätigkeit Die vorangegangenen Untersuchungen haben gezeigt, dass mit jeder öffentlichen Verdachtsäußerung der Staatsanwaltschaft und der Medien ein Eingriff in die verfassungsrechtlich verankerten Interessen des Beschuldigten verbunden ist. Die gesetzliche Grundlage reaktiver Öffentlichkeitsarbeit der Strafverfolgungsbehörden können nur die landespresserechtlichen Auskunftsansprüche bilden. Für eine aktive Öffentlichkeitsarbeit der Staatsanwaltschaft im persönlichkeitsrelevanten Bereich fehlt es dagegen bereits an der erforderlichen Ermächtigungsgrundlage. Vor diesem Hintergrund überrascht es immer wieder, dass gerade im sensiblen Bereich des Ermittlungsverfahrens über die Identität von Opfern und Tätern freigiebig Auskunft gegeben wird.235 In der Praxis ist es gerade der Bereich der Ermittlungs- und Strafverfahren, in denen der Auskunftsanspruch und dessen Handhabung durch die Behörden aufgrund des besonderen Konfliktpotentials auf die Probe gestellt wird.236 Im Folgenden sollen daher zunächst die Grundrechtsverhältnisse dargestellt werden, welche den Rahmen zulässiger staatsanwaltschaftlicher Informationstätigkeit prägen (hierzu unter I.). Auf dieser Grundlage können sodann die Grenzen reaktiver Auskunftserteilung (hierzu unten II.) und die der Staatsanwaltschaft aus ihrer Rolle als „privilegierter Quelle“ obliegende besondere Verantwortung ermittelt werden (hierzu unten III.).

I. Grundrechtsdogmatische Ausgangslage Die staatsanwaltschaftliche Informationsweitergabe an die Medien ist in grundrechtsdogmatischer Sicht von zwei widerstreitenden Interessen geprägt. Während die Medien ein Interesse an umfassender Information über den Beschuldigten und das gegen diesen geführte Verfahren haben, ist dem Betroffenen selbst in der Regel an der Geheimhaltung seiner personenbezogenen Daten sowie des gegen ihn bestehenden Tatverdachts gelegen.237

235

Meier, FS-Schreiber 2003, 331 (333). Soehring/Hoene, § 4 Rn. 4.52. 237 Zu den betroffenen Interessen des Beschuldigten siehe bereites oben Drittes Kapitel, B.; zu den die mediale Berichterstattung tragenden grundrechtlichen Freiheiten siehe oben Viertes Kapitel, B. I., sowie zum presserechtlichen Auskunftsanspruch oben Fünftes Kapitel, B. II. 1. 236

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5. Kap.: Die Kommunikationstätigkeit der Ermittlungsbehörden

Nach den vorangegangen Darstellungen zu den Grundsätzen zulässiger Verdachtsberichterstattung,238 erklärt sich das Erfordernis einer vorangestellten grundrechtsdogmatischen Analyse im Hinblick auf die Zulässigkeit ermittlungsbehördlicher Verdachtsäußerung durch einen Blick auf den hier maßgeblichen Unterschied: Während die Medien Grundrechtsträger der Meinungs- und Medienfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG und die Beschuldigten Träger insbesondere des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 2 Abs. 1 GG sind – womit eine Kollision gleichrangiger Grundrechte vorliegt – , ist die Staatsanwaltschaft als staatlicher Hoheitsträger nicht Träger von Grundrechten, sondern handelt vielmehr gemäß Art. 1 Abs. 3 GG lediglich grundrechtsgebunden.239 Die Ermittlungsbehörden können sich damit gegenüber dem Beschuldigten nicht auf die Ausübung ihrer grundrechtlich gewährten Freiheiten berufen. Um das Wirken der unterschiedlichen Interessen der an diesem Dreiecksverhältnis zwischen Staatsanwaltschaft, Presse und Beschuldigten und deren Auswirkungen auf die Rechtmäßigkeit ermittlungsbehördlicher Informationstätigkeit ermitteln zu können, sollen daher zunächst die verschiedenen Grundrechtsverhältnisse240 und die innerhalb dieser Beziehungen wirkenden Grundrechtsdimensionen241 ermittelt werden. Das horizontale Drittverhältnis zwischen den Medien und dem Beschuldigten ist, wie bereits ausführlich dargelegt, geprägt durch die sich gegenüberstehenden gleichrangigen Grundrechte der Meinungs- und Medienfreiheit auf Seiten der Presse sowie dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Beschuldigten und der ihn zu schützen bestimmten Unschuldsvermutung.242 In diesem Verhältnis besteht damit im Gegensatz zu den abwehrrechtlichen Dimensionen kein unmittelbarer Unterlassungsanspruch des Beschuldigten gegenüber der Presse. Die betroffenen Grundrechte entfalten daher lediglich eine Ausstrahlungswirkung über das Medium der einfachen Gesetze, die in dem betroffenen privatrechtlichen Rechtsverhältnis gelten. In diesem Rahmen ist die Schutzpflicht des Staates daher auf die Berücksichtigung der betroffenen grundrechtlichen Interessen im Rahmen der gerichtlichen Entscheidung über das Privatrechtsverhältnis reduziert.243 Dieses rein horizontale Verhältnis gleichberechtigter Grundrechtsträger erweitert sich jedoch um eine vertikale Komponente, sobald die von der Presse in ihrer Berichterstattung verwendeten Informationen über das Ermittlungsverfahren und die Person des Beschuldigten auf einer Informationstätigkeit der Staatsanwaltschaft beruhen, denn diese Auskünfte 238

Siehe hierzu oben Viertes Kapitel, B. Lehr, NJW 2013, 728 (730). 240 Die verschiedenen Grundrechtsverhältnisse und ihre Bedeutung für den presserechtlichen Auskunftsanspruch zutreffend herausarbeitend Lindner, StV 2008, 210 (211 ff.). 241 Ausführlich zu dem Begriff der Grundrechtsdimensionen siehe Dreier, S. 42 f., der drei verschiedene Dimensionen unterscheidet: Die Ausstrahlungswirkung der Grundrechte in Drittverhältnissen, die organisations-, verfahrens- und teilhaberrechtliche Dimension sowie die grundrechtlichen Schutzpflichten; hierzu vgl. auch Lindner, S. 17 ff. 242 Siehe oben Viertes Kapitel, B. I. 4. 243 Ausführlich hierzu siehe ebenfalls bereits oben Viertes Kapitel, B. I. 4. 239

C. Grenzen reaktiver staatsanwaltschaftlicher Informationstätigkeit

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betreffen sowohl das Grundrechtsverhältnis zwischen Staat (Strafverfolgungsbehörde) und Beschuldigten als auch zwischen Staat und Medien. Das Grundrechtsverhältnis zwischen dem Staat und dem Beschuldigten als Objekt der Verdachtsberichterstattung besteht allerdings nur zum Teil aus der objektivrechtlichen Dimension der Schutzpflicht gegenüber Grundrechtsbeeinträchtigungen von Privaten. Hier gegenständlich und von besonderer Bedeutung ist das zwischen der Strafverfolgungsbehörde als staatlicher Hoheitsträgerin und dem Beschuldigten bestehende subjektiv-rechtliche Abwehrverhältnis, welches durch die Grundrechtsverpflichtung der Ermittlungsbehörden aus Art. 1 Abs. 3 GG einerseits244 und der Grundrechtsträgerschaft des Beschuldigten im Hinblick auf das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ausgelöst wird.245 Sobald die Staatsanwaltschaft personenbezogene Informationen aus dem Ermittlungsverfahren an die Öffentlichkeit und insbesondere die Medien gibt, stellt dies einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Beschuldigten aus Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 2 Abs. 1 GG dar, welcher – wie jeder staatliche Eingriff in grundrechtlich geschützte Rechtsgüter – verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein muss. Eine derartige Rechtfertigung können die hier gegenständlichen und das Grundrechtsverhältnis zwischen Staatsanwaltschaft und Medien prägenden landespresserechtlichen Auskunftsansprüche darstellen.246 Auch wenn vorliegend ein verfassungsunmittelbarer Auskunftsanspruch der Presse gegenüber der Staatsanwaltschaft abgelehnt wird, so ist den Medien als allgemeine zugängliche Informationsquelle jedoch der Zugang zu Informationen zu ermöglichen. Die Grundrechtsbeziehung zwischen Staat und Presse, welche zunächst von den bereits dargestellten verfassungsrechtlichen Abwehrpflichten gegen staatliche Eingriffe und Beschränkungen medialer Berichterstattung geprägt ist,247 wird zudem auch durch die Ausstrahlungswirkung der Grundrechte im Verhältnis zwischen berichterstattenden Medien und dem Beschuldigten betroffen.248 Der Staat hat durch die verfassungskonforme Auslegung der zivilrechtlichen Normen die Ausübung der Pressefreiheit durch Verneinung von Schadensersatz- und Unterlassungsansprüchen zu schützen oder – im Falle des Überwiegens der Beschuldigteninteressen – derartige Ansprüche zuzuerkennen. Maßgeblich für die hier gegenständlichen Auskunftsrechte und -pflichten der Staatsanwaltschaft gegenüber den Medien ist jedoch insbesondere die leistungsrechtliche Dimension der Grundrechte. Diesbezüglich hat die Untersuchung allerdings bereits gezeigt, dass ein verfassungsunmittelbarer Anspruch der Presse auf Auskunft jedenfalls gegenüber der Staatsanwaltschaft als Landesbehörde weder aus der Informationsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG noch 244

BVerfG NJW 1976, 2123 (2124); NJW 1998, 2659 (2661); NVwZ-RR 2002, 81 (82). Lindner, StV 2008, 210 (213). 246 Lindner, StV 2008, 210 (213 f.). Zu diesen Auskunftsansprüchen siehe bereits oben Fünftes Kapitel, B. II. 1. und III. 3. 247 Siehe oben Viertes Kapitel, B. I. 248 Hierzu siehe bereits oben Viertes Kapitel, B. I. 4. 245

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5. Kap.: Die Kommunikationstätigkeit der Ermittlungsbehörden

aus der Pressefreiheit des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG folgt.249 Die Informations- und Pressefreiheit gewährt lediglich ein subjektiv-rechtliches Abwehrrecht der Medien gegenüber staatlicher Einflussnahme auf den Zugang zu bestehenden Informationsquellen sowie auf die Berichterstattung, nicht hingegen einen Leistungsanspruch auf Schaffung neuer Informationsquellen. Auskunftsansprüche gegenüber der Staatsanwaltschaft als Landesbehörde können damit nur aus den einfachgesetzlichen landespresserechtlichen Regelungen folgen. Damit sind die verfassungsrechtlichen Grundlagen ermittlungsbehördlicher Informationstätigkeit gegenüber den Medien maßgeblich gezeichnet: Dem grundrechtlich durch Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 2 Abs. 1 GG gewährten Abwehrrecht des Beschuldigten gegen staatliche Eingriffe in dessen Recht auf informationelle Selbstbestimmung steht kein verfassungsrechtlich verankertes Auskunftsrecht der Presse gegenüber. Eine Abwägung und ein Ausgleich der widerstreitenden Interessen im Wege praktischer Konkordanz250 ist damit verfassungsrechtlich nicht geboten.251 Maßgebende Konsequenz dieser fehlenden Gleichrangigkeit252 ist der grundsätzliche Vorrang der höherrangigen Persönlichkeitsrechte des Beschuldigten vor dem Interesse der Medien an umfassender Information seitens der Strafverfolgungsbehörden und folglich ein grundsätzliches Auskunftsverbot bezüglich personenbezogener Informationen aus dem Ermittlungsverfahren.253 Entgegen des aus verschiedenen medienwirksamen Ermittlungsverfahren der Vergangenheit gewonnenen Eindrucks,254 der Beschuldigte habe es im Regelfall zu dulden, dass die Staatsanwaltschaft Informationen über seine Person und das gegen ihn geführte Verfahren an die Öffentlichkeit gibt, stellt sich die Unzulässigkeit derartiger Informationsherausgabe im Sinne der verfassungsrechtlich geschützten Interessen des Beschuldigten als grundrechtsdogmatischer Regelfall dar und das Bestehen eines 249

Diesbezüglich ausführlich oben Fünftes Kapitel, B. I. 1. Zum Begriff der praktischen Konkordanz siehe bereits oben Viertes Kapitel, B. I. 251 Lindner, StV 2008, 210 (214). 252 Diese Gleichrangigkeit prägt hingegen die grundrechtsdogmatische Ausgangslage medialer Verdachtsberichterstattung. Berichten die Medien in identifizierender Weise über den Beschuldigten und das gegen ihn geführte Strafverfahren, so stehen sich mit der verfassungsrechtlich garantierten Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Beschuldigten aus Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 2 Abs. 1 GG gleichrangige Grundrechte gegenüber, die durch den Staat im Rahmen ihrer Ausstrahlungswirkung auf die die Rechtsbeziehung regelnden Normen in einen gerechten Ausgleich gebracht werden müssen; vgl. hierzu bereits oben Viertes Kapitel, C. I. 1. In diesen Fällen ist nicht von einem grundsätzlichen Vorrang der Persönlichkeitsrechte des Betroffenen auszugehen; siehe hierzu bereits oben Viertes Kapitel, C. I. 4. 253 So überzeugend auch Lindner, StV 2008, 210 (214). Dieses grundsätzliche Abwägungsverbot bezieht sich natürlich nur auf identifizierende Informationen über den Beschuldigten und das gegen ihn geführte Ermittlungsverfahren, da anonyme und nicht rekonstruierbare Informationen der Staatsanwaltschaft den Beschuldigten nicht in seinem Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletzen und damit keinen verfassungsrechtlich zu rechtfertigenden Eingriff in Individualgrundrechte darstellen. 254 Siehe zu derartigen Beispielverfahren oben Erstes Kapitel, A. 250

C. Grenzen reaktiver staatsanwaltschaftlicher Informationstätigkeit

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Auskunftsanspruchs der Presse gegenüber den Strafverfolgungsbehörden hingegen als Ausnahme. Diese Wertung muss damit richtungsweisend Grundlage jeder Beurteilung der Öffentlichkeitsarbeit der Staatsanwaltschaft sein. Wie sich dies auf die reaktive Informationstätigkeit der Ermittlungsbehörden auswirkt, wird im Folgenden zu untersuchen sein.

II. Zulässiger Umfang reaktiver Informationstätigkeit der Staatsanwaltschaft Ausgehend vom dem vorstehend hergeleiteten grundsätzlichen Vorrang der Persönlichkeitsrechte des Beschuldigten vor dem durch die Medien wahrgenommenen Informationsinteresse der Öffentlichkeit stellt jede reaktive, identifizierende Auskunft seitens der Staatsanwaltschaft über und aus Ermittlungsverfahren einen Eingriff in die grundrechtlich geschützten Rechte des Beschuldigten, insbesondere in das allgemeine Persönlichkeitsrecht dar.255 Damit ist die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit derartiger reaktiver Informationstätigkeit der Ermittlungsbehörden jedoch noch nicht gänzlich gefallen, denn auch die aus Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 2 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich gewährten Rechte auf informationelle Selbstbestimmung, (Bild- und Namens-)Anonymität sowie Nicht-Entsozialisierung werden nicht schrankenlos gewährt.256 1. Einfachgesetzliche Auskunftsrechte als Ausdruck der Schranke des allgemeinen Persönlichkeitsrechts Das allgemeine Persönlichkeitsrecht steht unter dem Schrankenvorbehalt des Art. 2 Abs. 1 GG,257 wonach gerade die Einhaltung der verfassungsmäßigen Ordnung als wichtigste Schranke Eingriffe unter anderem aufgrund einfacher Gesetze ermöglicht.258 Auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist mithin einem einfachen Gesetzesvorbehalt unterworfen, im Rahmen dessen an die Bestimmtheit des jeweiligen Gesetzes jedoch aufgrund der Bedeutung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts besondere Anforderungen zu stellen sind.259 Ein Eingriff der Staatsanwaltschaft in das allgemeine Persönlichkeitsrecht durch die Veröffentlichung personenbezogener Informationen über den Beschuldigten kann daher zwar über die 255

Vgl. hierzu bereits ausführlich oben Drittes Kapitel, B. I. BVerfG NJW 1984, 419 (422). 257 Dass auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Schrankentrias des Art. 2 Abs. 1 GG unterliegt, ist st. Rspr. seit BVerfG NJW 1984, 419 (422). 258 Lorz, AfP 2005, 97 (98). 259 BVerfG NJW 1984, 419 (422); NJW 1989, 891 (892); NJW 2008, 1505 (1507); Lorz, AfP 2005, 97 (98); von Münch/Kunig, Art. 2 Rn. 87. Zu den Anforderungen des BVerfG an in das allgemeine Persönlichkeitsrecht eingreifende Ermächtigungsgrundlagen siehe bereits oben Drittes Kapitel, B. I. 4. 256

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5. Kap.: Die Kommunikationstätigkeit der Ermittlungsbehörden

allgemeinen Gesetze, insbesondere den landespresserechtlichen Auskunftsansprüchen gerechtfertigt sein,260 dieser müsste allerdings zunächst selbst verfassungskonform sein, mithin dem Übermaßverbot genügen.261 Die landespresserechtlichen Auskunftspflichten gegenüber der Presse stellen nur dann eine verfassungsgemäße Ausprägung des Schrankvorbehalts aus Art. 2 Abs. 1 GG dar, wenn die seitens der Staatsanwaltschaft als Behörde erteilte Auskunft einen verfassungsrechtlich legitimierten Zweck erfüllt. Wie bereits dargelegt, kann dieser nicht bereits unter Verweis auf einen verfassungsrechtlichen Anspruch der Presse auf Informationen angenommen werden, da ein solcher verfassungsunmittelbarer Informationsanspruch der Medien nicht besteht.262 Ein legitimer Zweck ermittlungsbehördlicher Öffentlichkeitsarbeit kann hingegen in dem im Demokratieprinzip des Art. 20 Abs. 1, 2 GG verankerten Transparenzgebot hinsichtlich staatlicher Entscheidungsprozesse gesehen werden. Die Staatsanwaltschaft ermöglicht durch die Information der Presse die zur Erfüllung der demokratischen Kontrollfunktion der Gesellschaft erforderliche Publizität staatlichen Handelns.263 Daneben kommen auch verfassungsmittelbare Zwecke in Betracht, die Eingriffe in grundrechtlich geschützte Freiheiten rechtfertigen. Auch wenn es an einem verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruch der Presse fehlt, obliegt ihr als berichterstattendem Medium eine landespresserechtlich normierte öffentliche Aufgabe, welche in ihrer existenziellen Funktion für den demokratischen Willensbildungsprozess und die Information der Bevölkerung wurzelt.264 Mit der Erteilung von Informationen ermöglicht und erleichtert die Staatsanwaltschaft die mediale Berichterstattung und damit auch die demokratische Meinungsbildung in der Gesellschaft.265 Die Information der Presse über laufende Ermittlungsverfahren und den Beschuldigten seitens der Staatsanwaltschaft ist auch geeignete Grundlage medialer Berichterstattung, Transparenz staatlichen Handelns und damit eines demokratischen Willensbildungsprozesses.266 Mit Blick auf die hier gegenständliche personenbezogenen Informationen über den Beschuldigten äußert Lindner indes zu Recht Zweifel an deren Erforderlichkeit, sind doch für eine Wahrung des Gebots der Transparenz staatlicher Machtausübung sowie der Ausübung der demokratischen Kontrollfunktion der Gesellschaft Informationen über den Namen des Tatverdäch-

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OLG Düsseldorf NJW 2005, 1791 (1798 f.). BVerfG NJW 1984, 419 (422); Ipsen, Staatsrecht II, Rn. 323. Zum Übermaßverbot bzw. zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vgl. Ipsen, Staatsrecht II, Rn. 182 ff. 262 Zu Meinungsstand und Begründung der Ablehnung eines solchen verfassungsunmittelbaren Anspruchs siehe bereits oben Fünftes Kapitel, B. II. 1. 263 Siehe oben Viertes Kapitel, A. II.; Lindner, StV 2008, 210 (215). 264 Siehe hierzu bereits oben Drittes Kapitel, C. I., sowie Viertes Kapitel, A. II. 3. 265 Lindner, StV 2008, 210 (215). 266 Lindner, StV 2008, 210 (215). 261

C. Grenzen reaktiver staatsanwaltschaftlicher Informationstätigkeit

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tigten auf den ersten Blick nicht erforderlich.267 Name, Identität und Hintergründe des Beschuldigten scheinen für die demokratische Funktion medialer Berichterstattung zunächst von untergeordneter Bedeutung zu sein, so dass es regelmäßig ausreichend sein dürfte, die Pressevertreter ohne Namensnennung über die Tätigkeit der Ermittlungsbehörden und aktuelle Verfahren zu informieren.268 Zutreffend begründet Lindner die Erforderlichkeit personenbezogener Informationen über das Ermittlungsverfahren schließlich doch mit dem Hinweis, dass anonyme Auskünfte der Ermittlungsbehörden zwar für den Beschuldigten weniger eingriffsintensiv sind, für die Ermöglichung umfassender Berichterstattung der Medien und damit der Ausübung demokratischer Kontrolle jedoch nicht gleich geeignet sind.269 Vor diesem Hintergrund können die landespresserechtlichen Auskunftsregelungen auch im Hinblick auf die durch sie ermöglichten personenbezogenen Informationen als erforderlich angesehen werden. Da das Landespresserecht zudem keine unbedingte Informationspflicht der Staatsanwaltschaften gegenüber den Medien normiert, sondern die Auskunftserteilung ins Ermessen der betreffenden Behörde stellen,270 handelt es sich hierbei um eine verfassungsgemäße Ausprägung der Schrankentrias aus Art. 2 Abs. 1 GG.271 2. Grundlagen der ermittlungsbehördlichen Ermessensentscheidung Trotz Grundrechtskonformität der landespresserechtlichen Auskunftsansprüche muss jede auf Grundlage dieser gesetzlichen Ermächtigungen erteilte Auskunft der Staatsanwaltschaft für sich genommen rechtmäßig sein. Den überwiegend in Abs. 1 der jeweiligen Auskunftsnorm der Landespressegesetze geregelten grundsätzlich bestehenden Informationsanspruch „können“ die Behörden unter den zumeist in Abs. 2 genannten Voraussetzungen verweigern.272 Der der Behörde auf diese Weise eingeräumte Ermessensspielraum bedeutet zugleich die Pflicht, auf Grundlage der den Einzelfall auszeichnenden Tatsachen das Für und Wider der sich gegenüberstehenden Interessen umfassend abzuwägen und sich zugleich nicht von Erwägungen leiten zu lassen, die dem Gesetzeszweck nicht entsprechen.273 Dies ermöglicht

267

Lindner, StV 2008, 210 (215). Lindner, StV 2008, 210 (215). 269 Lindner, StV 2008, 210 (215). 270 Überwiegend „können“ oder „dürfen“ die Behörden unter den in Absatz 2 der Regelungen genannten Gründen Auskünfte an die Presse verweigern, wodurch ihnen ein Ermessensspielraum eingeräumt wird, vgl. bspw. § 4 Abs. 2 LPG Berlin; OVG Bremen NJW 1989, 926; VG Berlin NJW 2001, 3799 (3800); Löffler/Burkhardt, Presserecht, § 4 LPG Rn. 98; Soehring/Hoene, § 4 Rn. 4.29. Zur Ausübung dieses behördlichen Ermessens durch die Staatsanwaltschaft siehe im Folgenden, Fünftes Kapitel, C. II. 2. sowie 3. 271 Lindner, StV 2008, 210 (216). 272 Löffler/Burkhardt, Presserecht, § 4 LPG Rn. 97 f. 273 Schoch/Schneider/Bier/Riese, VwGO, § 114 Rn. 15. 268

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5. Kap.: Die Kommunikationstätigkeit der Ermittlungsbehörden

eine auf Basis der grundrechtsdogmatischen Ausgangslage274 erfolgende verfassungskonforme Auslegung und Anwendung der landespresserechtlichen Auskunftsansprüche im Hinblick auf die seitens der Strafverfolgungsbehörden zu erteilenden unterschiedlichen Auskünfte über Ermittlungsverfahren.275 Damit entscheidet sich die Frage nach der rechtmäßigen Informationstätigkeit der Behörde nicht bereits im Rahmen des § 4 Abs. 1 LPG Berlin, es kommt vielmehr auf die verfassungsgemäße Anwendung und Ausgestaltung der Versagungstatbestände des § 4 Abs. 2 LPG Berlin an.276 Zunächst sollen daher die Grundlagen der im Rahmen der presserechtlichen Informationsansprüche durch die Staatsanwaltschaft zu treffenden Ermessensentscheidung dargestellt werden, die als Basis einer Prüfung der Rechtmäßigkeit reaktiver Informationstätigkeit im Ermittlungsverfahren dienen. a) Systematik der landespresserechtlichen Auskunftsregelungen Um die Ermessensentscheidung der Ermittlungsbehörden im Hinblick auf die erbetenen Auskünfte beurteilen zu können, müssen in einem ersten Schritt die presserechtlichen Ermächtigungsgrundlagen und die unterschiedlichen Ermessensregelungen systematisch aufgearbeitet werden. Hinsichtlich der möglichen Versagungsgründe weisen die verschiedenen landespresserechtlichen Regelungen teils unterschiedlich formulierte Regelungen auf, die sich in ihrem Bedeutungs- und Rechtsfolgengehalt jedoch überwiegend decken.277 Die folgenden Erörterungen sollen daher am Beispiel des § 4 LPG Berlin erfolgen, nach dem die Behörde gemäß Abs. 2 die Auskünfte verweigern kann, wenn Vorschriften über die Geheimhaltung entgegenstehen (Nr. 1), die Freigabe dieser Information öffentliche Interessen gefährden oder schädigen würde (Nr. 2), die sachgerechte Durchführung eines schwebenden Verfahrens gefährdet (Nr. 3) oder schutzwürdige private Interessen verletzt (Nr. 4) würden. Wird in einer gesetzlichen Ermächtigung Ermessen eingeräumt, dann überlässt es der Gesetzgeber auf diesem Weg grundsätzlich der Behörde, bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen die recht- und zweckmäßige Rechtsfolge zu ermitteln und auszuwählen.278 Bei der Auskunftserteilung gegenüber der Presse handelt sich mithin um eine der Behörde grundsätzlich obliegende Pflicht (Abs. 1), deren Erfüllung bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen von dieser jedoch verweigert werden kann (Abs. 2). Auch wenn § 4 Abs. 2 LPG Berlin durch die Formulierung „können“ im Hinblick auf die Rechtsfolge der Auskunftsverweigerung die Annahme einer generellen Ermessensentscheidung der Staatsanwaltschaft nahelegt, so räumen 274

Zur grundrechtsdogmatischen Analyse siehe bereits oben Viertes Kapitel, C. II. Hierzu siehe unten Fünftes Kapitel, C. II. 3. und 4. 276 So auch zutreffend Dalbkermeyer, S. 49; Neuling, S. 153. 277 Zu den Unterschieden vgl. Löffler/Burkhardt, Presserecht, § 4 LPG Rn. 97 ff.; Soehring/ Hoene, § 4 Rn. 4.29 ff. 278 Zu den Grundlagen des Ermessens vgl. Hofmann/Gerke/Hildebrandt, Rn. 392 ff.; Ipsen, Allg. Verwaltungsrecht, Rn. 511 ff.; Maurer, § 7. 275

C. Grenzen reaktiver staatsanwaltschaftlicher Informationstätigkeit

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die nachfolgend aufgeführten Versagungstatbestände der Behörde jedoch einen unterschiedlichen Entscheidungsspielraum ein. Zwar stellt § 4 Abs. 2 LPG Berlin die Auskunftserteilung grundsätzlich in das Ermessen der Behörde, gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 1 LPG Berlin sowie nach allen anderen landespresserechtlichen Auskunftsansprüchen279 gelten für die behördliche Informationstätigkeit im Falle entgegenstehender Geheimhaltungsvorschriften jedoch Besonderheiten.280 In diesen Fällen ist der Ermessensspielraum der Strafverfolgungsbehörde aufgrund entgegenstehender gesetzlicher Vorschriften derart reduziert, dass jegliche Auskunftserteilung zu unterbleiben hat.281 Eine derartige Ermessensreduzierung rufen beispielsweise die Geheimhaltungs- und Verbotsvorschriften der §§ 93 ff., 203, 353b, 353d StGB, 174 Abs. 2 GVG, § 43 DRiG, § 30 AO, § 33 KUG hervor.282 Aufgrund seines deutlichen Wortlauts betrifft § 353d Nr. 3 StGB lediglich bestimmte Dokumente und Mitteilungen und statuiert keinesfalls ein generelles Verbot von Informationen aus laufenden Ermittlungsverfahren.283 Mithin ist den Strafverfolgungsbehörden hiermit nicht verboten, inhaltliche Auskünfte beispielsweise über die Anklageschrift zu erteilen, obgleich sich derartige Informationstätigkeit auch an den übrigen Versagungsgründen der § 4 Abs. 2 Nr. 2 bis Nr. 4 LPG Berlin messen lassen muss. In Betracht kämen hier zudem die Straftatbestände des § 203 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, S. 2 StGB sowie ggf. §§ 353b Abs. 1 Nr. 1 StGB, welche jedoch – eine Tatbestandsmäßigkeit identifizierender Öffentlichkeitsarbeit unterstellt – lediglich die „unbefugte“ Offenbarung von Geheimnissen unter Strafe stellen. Damit stehen diese Geheimhaltungsvorschriften einer Auskunftserteilung nicht entgegen, wenn die Informationstätigkeit der Staatsanwaltschaft gerechtfertigt ist. Als solche Rechtfertigung würde wiederum eine Auskunftsverpflichtung aus § 4 LPG Berlin dienen,284 womit erneut die Versagungstatbestände des § 4 Abs. 2 LPG Berlin eröffnet wären. Hiermit ergibt sich dogmatisch eine zirkelschlussartige Verbindung zwischen den strafrechtlichen Geheimhaltungsvorschriften und den landespresserechtlichen Auskunftsansprüchen. Würde man jedoch die Offenbarung von private Interessen zu schützen bestimmten „Geheimnissen“ i. S. d. §§ 203, 353b StGB grundsätzlich verbieten und in diesen Fällen einen Auskunftsanspruch gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 1 LPG Berlin ablehnen, entstünde ein Wertungswiderspruch zu § 4 Abs. 2 Nr. 4 LPG Berlin, der die auch z. B. 279

Lediglich in Hessen fehlt eine derartige Beschränkung; zu den leicht abweichenden Regelungen in Bayern und Sachsen vgl. Löffler/Burkhardt, Presserecht, § 4 LPG Rn. 115 f. 280 Löffler/Burkhardt, Presserecht, § 4 LPG Rn. 100. 281 VG Saarlouis NJW 2003, 3431 (3434 f.); Fischer, S. 210; Löffler/Burkhardt, Presserecht, § 4 LPG Rn. 100. 282 Löffler/Burkhardt, Presserecht, § 4 LPG Rn. 109; obwohl zumindest in Bezug auf § 30 AO umstritten ist, ob dieser eine Geheimhaltungsvorschrift im landespresserechtlichen Sinne ist und damit eine absolute Schranke des Auskunftsanspruchs darstellt; vgl. hierzu ebenfalls Löffler/Burkhardt, Presserecht, § 4 LPG Rn. 110 f.; Soehring/Hoene, § 4 Rn. 4.58 ff. 283 Soehring/Hoene, § 4 Rn. 4.58 f. 284 Vgl. OLG Hamm NJW 2000, 1278, 1279.

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5. Kap.: Die Kommunikationstätigkeit der Ermittlungsbehörden

auch von § 203 StGB geschützten privaten Interessen hinsichtlich ihrer Schutzwürdigkeit erst nach einer umfassenden Güterabwägung vom Auskunftsanspruch der Presse ausnimmt.285 Damit kann auch nach § 203 StGB nur eine unbefugte Offenbarung von Geheimnissen strafbar sein, welche durch § 4 Abs. 1 LPG Berlin jedoch gerade legitimiert wird.286 In der Konsequenz stellt sich somit nach der hier vertretenen Ansicht eine identifizierende Informationstätigkeit der Behörde nicht bereits gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 1 LPG Berlin i. V. m. § 203 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, S. 2 StGB als unrechtmäßig dar, sondern muss vielmehr insbesondere an den übrigen Versagungstatbeständen der landespresserechtlichen Auskunftsansprüche gemessen werden, bevor ihre strafrechtliche Relevanz beurteilt werden kann. Folglich ist eine ermittlungsbehördliche Auskunftstätigkeit erst dann „unbefugt“ im strafrechtlichen Sinne, wenn diese ermessensfehlerhaft im Sinne des § 4 Abs. 2 Nr. 2 bis 4 LPG Berlin erteilt wurde. Während § 4 Abs. 2 Nr. 1 LPG Berlin ein absolutes Schweigegebot regelt, stellt § 4 Abs. 2 Nr. 2 LPG Berlin die Auskunft über sog. „Verschlusssachen“ in das freie Ermessen der Behörde, mithin über Vorgänge, welche nach allgemeinen Verwaltungsvorschriften als „geheim“ eingestuft wurden.287 In diesen Fällen können die Behörden dem Auskunftsverlangen der Presse ein Auskunftsverweigerungsrecht entgegenhalten. Neben den bereits verfassungsgemäß der Geheimhaltung unterworfenen staatlichen Aufgaben, wie beispielsweise die Tätigkeit der Sicherheitsbehörden oder die Ämter für Verfassungs- und Staatsschutz288, bedarf die Annahme eines solchen Verweigerungsrechts jedoch in Ermangelung einer klaren Definition des Geheimnisses, stets eines einzelfallbezogenen materiellen Geheimhaltungsgrundes.289 Für die hier gegenständliche Informationstätigkeit der Staatsanwaltschaft im Hinblick auf strafrechtliche Ermittlungsverfahren ist ein solcher materieller Geheimhaltungsgrund nicht ersichtlich, so dass § 4 Abs. 2 Nr. 2 LPG Berlin für die Frage nach der Rechtmäßigkeit ermittlungsbehördlicher Öffentlichkeitsarbeit keine Relevanz aufweist. Gleichsam ein im Ermessen der Behörde stehendes Auskunftsverweigerungsrecht ist in § 4 Abs. 2 Nr. 3 geregelt, wenn durch die Auskunftserteilung die Durchführung eines schwebenden Verfahrens vereitelt, erschwert, verzögert oder gefährdet werden könnte. Als solches Verfahren kommen neben den gerichtlichen Verfahren insbesondere auch polizeiliche und staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren in Betracht.290 Löffler äußert stellvertretend für eine verbreitete Ansicht291 285

VG Berlin NJW 2013, 1464 (1465). OLG Schleswig NJW 1985, 1090 (1091); OVG Münster NJW 2005, 618; VG München AfP 2012, 593; VG Berlin NJW 2013, 1464 (1465); Löffler/Burkhardt, Presserecht, § 4 LPG Rn. 109; einen dogmatisch abweichenden Ansatz vertritt Dalbkermeyer, S. 51 ff. 287 Löffler/Burkhardt, Presserecht, § 4 LPG Rn. 113. 288 BVerfG NJW 1981, 1719 (1720); BVerwG 1986, 2329 (2330). 289 Löffler/Burkhardt, Presserecht, § 4 LPG Rn. 113. 290 BGH NJW 1961, 918 (919). 286

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grundlegende Zweifel an der starken Betonung des schwebenden Verfahrens, da es gerade diese Verfahren seien, die von besonderem öffentlichen Interesse seien und das durch die Presse ausgeübte „Wächteramt“ nicht mit einer Beschränkung auf die Erörterung abgeschlossener Verfahren ausgeübt werden könne.292 Dem ist zuzugeben, dass sich die verfassungsrechtliche Kontrollfunktion der Bevölkerung, welche durch die Presseberichterstattung erst ermöglicht wird, auf alle Staatsgewalten und damit auch auf die Judikative bezieht, die nicht nur an ihren Ergebnissen gemessen werden kann. Auch wenn das Bekanntwerden von Informationen gerade in schwebenden Verfahren eine erhebliche Gefahr für die Funktionstüchtigkeit der Rechtspflege und die Verfahrensrechte des Betroffenen darstellt und damit nach der hier vertretenen Auffassung die Schutzbedürftigkeit des Ermittlungs- und Strafverfahrens vor einem Zuviel an medialer Information anerkannt wird,293 ist Löffler hinsichtlich der restriktiven Anwendung dieses Auskunftsverweigerungsrechts zuzustimmen. Die verfassungsmittelbare Funktion der Presse für den Prozess demokratischer Willensbildung und plebiszitärer Kontrolle ist im Rahmen der behördlichen Ermessensausübung besonders zu beachten. Restriktiv ist somit insbesondere auch die Gefährdung der sachgemäßen Durchführung des Verfahrens zu interpretieren und ein Auskunftsverweigerungsrecht nur bei einer konkreten Gefährdung von einigem Gewicht anzuerkennen, an deren Vorliegen strenge Anforderungen zu stellen sind.294 Hiernach kann beispielsweise zu Beginn des Ermittlungsverfahrens ein Auskunftsverweigerungsrecht der Behörde bestehen, wenn die konkrete Gefahr einer Vereitelung des Zugriffs auf den Beschuldigten oder einer Beeinflussung von Zeugen droht.295 Für den hiesigen Untersuchungsgegenstand der Ermittlungsverfahren gegen Personen des öffentlichen Lebens ist damit auch die Relevanz des § 4 Abs. 2 Nr. 3 LPG Berlin als gering einzustufen. Hinsichtlich der mit jeder identifizierenden Information aus dem Ermittlungsund Strafverfahren verbundenen Persönlichkeitsrechtsverletzung stellt damit § 4 Abs. 2 Nr. 4 LPG Berlin das bedeutendste Auskunftsverweigerungsrecht der Behörde dar und unterscheidet sich ermessensdogmatisch von den übrigen Versagungstatbeständen. „Kann“ die Behörde bei einer drohenden Verletzung „schutzwürdiger“ privater Interessen die Auskunft verweigern, findet sich folglich auf der Tatbestandsebene ein unbestimmter Rechtsbegriff und auf Rechtsfolgenseite zusätzlich ein der Behörde eingeräumter Ermessensspielraum. Bei derartigen sog. 291

So z. B. Soehring/Hoene, § 4 Rn. 4.53. Löffler/Burkhardt, Presserecht, § 4 LPG Rn. 103. 293 Zu den Gefahren medialer Berichterstattung für das Strafverfahren siehe bereits oben Drittes Kapitel, A. I. 294 Fehn/Horst, AfP 2007, 13 (15); Löffler/Burkhardt, Presserecht, § 4 LPG Rn. 106; Schröer-Schallenberg, S. 116; Soehring/Hoene, § 4 Rn. 4.60. 295 VG Potsdam AfP 2009, 534; Löffler/Burkhardt, Presserecht, § 4 LPG Rn. 106; Ricker/ Weberling, 20. Kap. Rn. 6. Welche Kriterien der Abwägungsentscheidung der Staatsanwaltschaft über Auskünfte aus schwebenden Ermittlungsverfahren zugrunde gelegt werden müssen, siehe unten Viertes Kapitel, C. II. 3. und 4. 292

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5. Kap.: Die Kommunikationstätigkeit der Ermittlungsbehörden

„Kopplungsvorschriften“296 führt die Berücksichtigung aller auch für das Rechtsfolgenermessen maßgeblichen Gesichtspunkte bereits auf Tatbestandsebene zu einem „Ermessensschwund“, so dass bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen das Rechtsfolgenermessen entfällt.297 In der Folge muss die Staatsanwaltschaft bei der Prüfung der von ihr seitens der Presse erbetenen Auskünfte prüfen, ob diese „schutzwürdige“ Interessen verletzen, wobei in diesem Rahmen bereits die eigentliche dem Rechtsfolgenermessen vorbehaltene Abwägung zwischen dem Informationsinteresse der Medien und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Betroffenen sowie der Unschuldsvermutung und dem fair trial-Grundsatz vorzunehmen ist. Erweisen sich die privaten Interessen des Beschuldigten gegenüber den Informationsinteressen der Presse als schutzwürdig, sind die entsprechenden Auskünfte gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 4 LPG Berlin zu verweigern. Die von den Ermittlungsbehörden zu leistenden Einzelfallabwägung hat damit bereits im Rahmen des unbestimmten Rechtsbegriffs der „Schutzwürdigkeit“ zu erfolgen. b) Die Ermessensausübung durch die Staatsanwaltschaft Damit räumen zumindest § 4 Abs. 2 Nr. 2, 3 und praktisch auch § 4 Abs. 2 Nr. 4 LPG Berlin der Behörde hinsichtlich der Versagung von Auskünften einen Ermessensspielraum ein.298 Dennoch ist die Staatsanwaltschaft in ihrer Entscheidung nicht vollständig frei, sondern hat bei der Ermessensausübung entsprechend dem Zweck der Ermächtigungsgrundlage zu handeln und die Grenzen des Ermessensspielraums, namentlich das Übermaßverbot, zu beachten.299 Die Ermittlungsbehörden müssen bei den von ihnen erbetenen Auskünften den Zweck der Ermächtigung beachten und dürfen mit ihrer Maßnahme keine vom Gesetzeszweck nicht erfassten, wenn auch ehrenwerten Ziele, verfolgen.300 Andernfalls handelt es sich um einen Ermessensfehlgebrauch, der zur Rechtswidrigkeit der Auskunftserteilung führt.301 Die landespresserechtlichen Auskunftsansprüche stehen im Dienste des verfassungsrechtlich verankerten Transparenzgebots hinsichtlich staatlicher Machtausübung, der seitens der Presse durch die Information der Bevölkerung gewährleisteten plebiszitären Kontrollfunktion der Gesellschaft und 296

Siehe hierzu Ipsen, Allg. Verwaltungsrecht, Rn. 532; Maurer, § 7 Rn. 49. Maurer, § 7 Rn. 50. 298 Erkennt man einen verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruch der Presse aus Art. 5 Abs. 1 GG an, müsste die Staatsanwaltschaft für ihre Entscheidung über die Informationsgabe aufgrund der verfassungsrechtlichen Gleichwertigkeit der betroffenen Rechtsgüter diese beiden im Wege einer praktischen Konkordanz in einen gerechten Ausgleich bringen. Hier würden die landespresserechtlichen Auskunftsansprüche als den Auskunftsanspruch einfachgesetzlich konkretisierende Normen das Ermessen der Staatsanwaltschaft in gleichem Maße lenken und es würden sich damit die gleichen tatbestandlichen Versagungsgründe ergeben. 299 Hofmann/Gerke/Hildebrandt, Rn. 400, 409. 300 Hofmann/Gerke/Hildebrandt, Rn. 400. 301 Zu den Folgen rechtswidriger Auskunftserteilung seitens der Staatsanwaltschaft siehe unten Siebtes Kapitel, B. 297

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einem demokratischen Willensbildungsprozess.302 Damit dürfen die Staatsanwaltschaften nur solche Auskunftsverlangen der Presse erfüllen, mit denen diese ihren verfassungsrechtlichen Informationsauftrag, mithin einen publizistischen Zweck zu erfüllen beabsichtigen.303 Zu einer rechtmäßigen Ermessensausübung gehört darüber hinaus insbesondere die sorgfältige und einzelfallbezogene, nicht nur abstrakt-pauschale Abwägung aller betroffenen Individual- und Allgemeininteressen.304 Hierbei verbieten sich pauschale Rangentscheidungen zugunsten eines Grundrechts bereits aufgrund des Wesensgehaltsschutz des Art. 19 Abs. 2 GG.305 Allgemeine Richtlinie der Abwägungsentscheidung kann jedoch das sog. Veranlassungsprinzip sein, wonach sich eine Verursachung des Grundrechtskonflikts durch einen der Betroffenen auf die Gewichtung der betroffenen Interessen auswirken kann.306 Zudem ist gerade im Bereich der Meinungsfreiheit zu berücksichtigen, inwieweit der Betroffene selbst am öffentlichen Meinungsbildungsprozess mitgewirkt hat und so aus seiner Privatsphäre hinausgetreten ist.307 Auch ist bei der vorzunehmenden Gewichtung die Nähe zur Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG nicht außer Acht zu lassen,308 womit ein bedeutendes Abwägungskriterium für die hier gegenständlichen Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht gefunden ist.309 Insbesondere ist die Staatsanwaltschaft jedoch bei der im Rahmen ihrer Entscheidung über die Erteilung von Auskünften zu treffenden Ermessensentscheidung an den im Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG verwurzelten allgemeinen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, das sog. Übermaßverbot gebunden, wonach die Freiheit des Einzelnen nur in dem Maße beschränkt werden darf, wie es für die Wahrung der Interessen der Allgemeinheit unbedingt erforderlich ist.310 Bei dieser Abwägung müssen Gewicht und Bedeutung der kollidierenden grundrechtlich geschützten Interessen berücksichtigt und sach-

302

Zum Zweck der landespresserechtlichen Auskunftsansprüche siehe bereits oben Viertes Kapitel, C. II. 1. 303 Kettner, S. 178; Löffler/Burkhardt, Presserecht, § 4 LPG Rn. 80; Soehring/Hoene, § 4 Rn. 4.27. Ausreichend sind demnach nicht rein private Informationsinteressen des Pressevertreters sowie die Absicht einer rein kommerziellen Nutzung der Auskunft. Auch wenn es sich hierbei sicherlich um Ausnahmekonstellationen handelt, hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof bspw. einen Anspruch der Presse auf Auskunft über personenbezogene Daten eines Unfallversicherungsträgers zu medialen Werbezwecken abgelehnt; vgl. BayVGH AfP 2009, 183 f. 304 Hofmann/Gerke/Hildebrandt, Rn. 400. 305 Lorz, AfP 2005, 97 (101). 306 BVerfG NJW 1961, 819 (822); NJW 1969, 227 (228); NJW 1980, 2069. 307 BVerfG NJW 1980, 2069 f.; Lorz, AfP 2005, 97 (101). 308 BVerfG NJW 1973, 1226 (1228); NJW 1975, 573 (576). 309 Zum hohen Rang des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aufgrund seiner Nähe zur Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG siehe bereits oben Drittes Kapitel, B. I. 1. 310 BVerfG NJW 1966, 243 (244); Hofmann/Gerke/Hildebrandt, Rn. 400, 409 ff.

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gerecht gegeneinander abgewogen werden, um eine größtmögliche Einzelfallgerechtigkeit zu erreichen.311 Nach dem Verhältnismäßigkeitsprinzip ist eine staatliche Maßnahme nur dann rechtmäßig, wenn eine angemessene Zweck-Mittel-Relation gewahrt ist.312 Sehen sich die Ermittlungsbehörden somit einem publizistischen Zwecken dienenden Auskunftsverlangen der Presse gegenüber, ist vor Erteilung der erbetenen Auskünfte insbesondere zu überprüfen, ob die Informationstätigkeit erforderlich und angemessen ist. Gerade die Frage nach der Angemessenheit der Auskunftserteilung verlangt der Staatsanwaltschaft die Abwägung zwischen den Geheimhaltungsinteressen des Beschuldigten und dem öffentlichen Informationsinteresse wahrgenommen durch die Medien ab. Bei der Ausübung dieses ihr gesetzlich eingeräumten Ermessens hat die Staatsanwaltschaft aufgrund der Grundrechts- und Gesetzesbindung der Verwaltung besondere Sorgfalt walten zu lassen.313 Um der Behörde bei dieser einzelfallbezogenen Güterabwägung Hilfestellung zu bieten, wird die Ausübung des eingeräumten Ermessens in der Praxis oftmals durch ermessenslenkende Verwaltungsvorschriften erleichtert.314 Als eine solche das Ermessen der Staatsanwaltschaft im Hinblick auf ihre Öffentlichkeitsarbeit lenkende Verwaltungsvorschrift ist Nr. 23 RiStBV zu verstehen, die zwar keine Außenwirkung für den Betroffenen entwickelt, intern jedoch die Ermessensausübung zu steuern vermag und so eine „gleichheitskonforme Entscheidungspraxis“ schaffen kann.315 Mangels Außenwirkung führt allerdings ein Verstoß gegen Nr. 23 RiStBV noch nicht zur Rechtswidrigkeit einer Auskunftserteilung gegenüber der Presse und auch die Beachtung der ermessenlenkenden Vorschrift führt nicht zwingend zur Rechtmäßigkeit der ermittlungsbehördlichen Informationstätigkeit.316 Festzuhalten bleibt damit, dass die landespressrechtlichen Regelungen der Staatsanwaltschaft die Möglichkeit eröffnen und ihr zugleich die Pflicht auferlegen, im Rahmen der zu treffenden Ermessensentscheidung317 die Verhältnismäßigkeit der erbetenen Auskunft unter Beachtung des Einzelfalls zu prüfen und gegebenenfalls eine solche zum Schutz der Rechte des Betroffenen zu verweigern.

311

Hofmann/Gerke/Hildebrandt, Rn. 409. Hofmann/Gerke/Hildebrandt, Rn. 410. 313 Gounalakis, NJW 2012, 1474 (1477). 314 Hofmann/Gerke/Hildebrandt, Rn. 401. 315 Allgemein zu ermessenslenkenden Verwaltungsvorschriften vgl. Hofmann/Gerke/Hildebrandt, Rn. 401. 316 Vgl. BVerwG NVwZ 2003, 1384; NVwZ 2009, 525 (526 f.); NVwZ 2012, 1262 (1265). 317 Diese Entscheidung ist wie jede staatliche Ermessensentscheidung hinsichtlich des Vorliegens von Ermessensfehlern gerichtlich überprüfbar; vgl. Fischer, S. 71; Kettner, S. 178. 312

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3. Rechtmäßigkeit identifizierender Informationen über den Beschuldigten Persönlichkeitsrechtlich relevant wird die Informationstätigkeit der Strafverfolgungsbehörden erst mit Aufhebung der Personenanonymität des Beschuldigten.318 Auskünfte der Staatsanwaltschaft gegenüber den Medien, welche den Namen des Tatverdächtigen offenbaren, sind dabei nur dann rechtmäßig, wenn sie im Rahmen der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage des § 4 LPG Berlin erfolgen und sich innerhalb der verfassungsgemäßen Schranken halten. Der diesbezügliche öffentliche Informationsanspruch gegenüber den Strafverfolgungsbehörden ist eine zweckgebundene, einzelfallabhängige Abwägungsentscheidung nach den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit. Die Rechtmäßigkeit konkret identifizierender319 Öffentlichkeitsarbeit der Staatsanwaltschaft entscheidet sich folglich anhand der Frage nach der Erforderlichkeit und Angemessenheit des Eingriffs in die geschützten Interessen des Betroffenen und ferner anhand der Frage, ob die damit verbundenen nachteiligen Folgen im Verhältnis zu dem mit der Informationstätigkeit verfolgten Zweck stehen. Auch wenn sich für die Staatsanwaltschaft in diesem Rahmen abstrakt-pauschale Erwägungen verbieten, können doch grundsätzliche Kriterien herausgearbeitet werden, an denen sich die Ermessensentscheidung der Ermittlungsbehörden in der Regel zu orientieren hat. a) Der Aufhebung der Namensanonymität entgegenstehende Geheimhaltungsvorschriften Eine identifizierende Auskunftstätigkeit der Staatsanwaltschaft ist unabhängig von anderweitigen Ermessenserwägung immer dann bereits unzulässig, wenn ihr Geheimhaltungsvorschriften und damit der absolute Versagungsgrund des § 4 Abs. 2 Nr. 1 LPG Berlin entgegenstehen. Während §§ 203, 353b StGB zwar grundsätzlich die Veröffentlichung identifizierender Informationen seitens der Ermittlungsbehörden verbieten, ist diese indes 318 Siehe bereits oben Drittes Kapitel, B. I. Auch wenn durch die Informationstätigkeit der Ermittlungsbehörden grundsätzlich sämtliche Verfahrensbeteiligten persönlichkeitsrechtlich betroffen sein können, konzentriert sich die hiesige Untersuchung und damit auch die nachfolgenden Darstellungen auf den Beschuldigten. 319 Die Offenlegung der Identität des Beschuldigten kann auf verschiedene Art erfolgen, z. B. durch direkte Namensnennung, Bildnisveröffentlichung oder auch aus der Kombination an sich anonymer Einzelinformationen, welche Rückschlüsse auf die Identität des Betreffenden geben; vgl. Fischer, S. 210 f. In der Praxis erfolgt die Veröffentlichung der Personenidentität des Beschuldigten durch die Staatsanwaltschaft überwiegend durch Namensnennung oder Veröffentlichung sonstiger zur Identifizierung geeigneter Informationen. Eine Veröffentlichung von Bildern des Beschuldigten stellt dahingegen die Ausnahme insbesondere zum Zwecke der öffentlichen Fahndung dar. Dies Aufhebung der Anonymität des Beschuldigten durch eine Bildnisveröffentlichung seitens der Ermittlungsbehörden soll daher nachfolgend nicht tiefergehend untersucht werden, so dass der Fokus der folgenden Betrachtungen auf der Namensnennung und der Veröffentlichung sonstiger Informationen über den Beschuldigten liegen wird.

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nur dann strafrechtlich relevant, wenn sie „unbefugt“ und damit unter Verstoß gegen die ermessensbasierenden Versagungsgründe des § 4 Abs. 2 LPG Berlin erfolgt.320 Eine Auskunft über die Identität des Beschuldigten gegenüber den Medien ist damit nicht bereits nach § 4 Abs. 2 LPG Berlin i. V. m. §§ 203, 353b StGB unzulässig. Als entgegenstehende Geheimhaltungsvorschrift bzw. Verbotsvorschrift käme allerdings § 33 Abs. 1 KUG als Sanktionsnorm des Nebenstrafrechts in Betracht, die die Verbreitung und Zurschaustellung eines Bildnisses unter Verstoß gegen §§ 22, 23 KUG unter Strafe stellt. Unter einem „Bildnis“ versteht man in diesem Zusammenhang die Darstellung einer Person in ihrer dem Leben entsprechenden Erscheinung, die diese als eindeutig bestimmbares Individuum kennzeichnet.321 Damit ist jede ohne Einwilligung i. S. d. § 22 S. 1 KUG und ohne Eingreifen einer Ausnahme vom Einwilligungserfordernisses nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG erfolgende identifizierende Abbildung des Beschuldigten durch die Strafverfolgungsbehörden strafbewährt und würde damit dem Auskunftsanspruch der Presse entgegenstehen. In der Praxis wird jedoch die Herausgabe von Abbildungen des Beschuldigten an die Presse mit Ausnahme von öffentlichen Fahndungsmaßnahmen kaum relevant sein. Insbesondere im Hinblick auf die hier im Fokus der Betrachtung stehende Person des öffentlichen Lebens wird sich eine identifizierende Informationstätigkeit der Staatsanwaltschaft regelmäßig auf die Namensnennung beschränken.322 Diese ist vom Tatbestand des § 33 Abs. 1 KUG jedoch nicht erfasst.323 Trotz der vergleichbaren Eingriffsintensität von Namensnennung und Bildnisveröffentlichung ist eine analoge Anwendung des § 33 KUG für Fälle der Namensveröffentlichung abzulehnen, da dieser bereits die grundsätzliche Unzulässigkeit von Analogien im Strafrecht gemäß Art. 103 Abs. 2 GG, § 1 StGB und Art. 7 Abs. 1 EMRK entgegensteht.324 Die Erteilung identifizierender Auskünfte über den Beschuldigten, welche nicht in der Herausgabe von Bildnissen besteht, ist somit nach der hier vertretenen Ansicht nicht bereits wegen Verstoßes gegen Geheimhaltungsvorschriften unzulässig i. S. d. § 4 Abs. 2 Nr. 1 LPG Berlin.

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Erst wenn die Auskunftserteilung nicht durch § 4 LPG Berlin legitimiert ist, fehlt es an einer Rechtfertigung und ist damit „unbefugt“ i. S. d. §§ 203, 353b StGB. Siehe hierzu oben Fünftes Kapitel, C. II. 2. 321 BGH GRUR 1962, 211; GRUR 1966, 102; OLG Oldenburg NJW 1963, 920 (922); Becker, S. 139; Dreier/Schulze/Specht, UrhR, § 22 Rn. 1; Fischer, S. 118; Wandtke/Bullinger/ Fricke, § 22 KUG Rn. 5. 322 Zur Strafbarkeit von Bildnisveröffentlichungen siehe unten Siebtes Kapitel, B. I. 3. 323 OLG Oldenburg NJW 1963, 920 (922); so auch Stapper, S. 178. 324 OLG Oldenburg NJW 1963, 920 (922); BeckOK-GG/Radtke, Art. 103 Rn. 38; Maunz/ Dürig/Remmert, Art. 103 Abs. 2 Rn. 82.

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b) Öffentliches Interesse an der Identität des Beschuldigten Neben diesem absoluten Versagungsgrund stellen § 4 Abs. 2 Nr. 3 und 4 LPG Berlin die Auskunftserteilung in das Ermessen der Behörden, so dass die Staatsanwaltschaft vor ihrer Informationstätigkeit eine umfassende Güterabwägung zwischen dem öffentlichen Informationsinteresse einerseits und den Bedürfnissen einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege (Nr. 3) sowie den betroffenen privaten Interessen des Beschuldigten (Nr. 4) andererseits vornehmen muss. Die Bedeutung der Informationsfreiheit macht ihre verfassungsrechtliche Verankerung in Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG deutlich325 und wird dem Einzelnen in Zusammenhang mit der Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG durch die Berichterstattung der Medien in Erfüllung der ihnen obliegenden öffentlichen Aufgabe gewährleistet. Die Medien nehmen mithin im Rahmen ihres auf die landespresserechtlichen Regelungen gestützten Auskunftsverlangens das öffentliche Informationsinteresse stellvertretend wahr. Schlicht grundlegend aber zutreffend stellt Dalbkermeyer fest, dass die Identität des Beschuldigten als Tatverdächtigen die Qualität einer Information im Sinne des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG nicht abzusprechen ist.326 Im Hinblick auf die Rechtmäßigkeit identifizierender Auskünfte der Strafverfolgungsbehörden im an sich nichtöffentlich ausgestalteten Ermittlungsverfahren müsste in diesem Verfahrensstadium unter Berücksichtigung verfassungsunmittelbarer- und mittelbarer Zwecke zunächst überhaupt ein öffentliches Informationsinteresse im Hinblick auf die Identität des Beschuldigten bestehen. Definiert man als Zweck des § 4 LPG Berlin die Befriedigung des öffentlichen Informationsinteresses, kann eine konkret identifizierende Informationstätigkeit der Staatsanwaltschaft nur dann rechtmäßig sein, wenn sie zur Befriedigung des öffentlichen Informationsinteresses erforderlich ist und das öffentliche Informationsinteresse die legitimen Geheimhaltungsinteressen des Betroffenen überwiegt, mithin „berechtigt“ ist.327 Im Hinblick auf das Transparenzgebot und die Ermöglichung eines öffentlichen Willensbildungsprozesses dürften allgemeine Informationen zum Tathergang sowie anonym und abstrakt gehaltene Angaben zu Täter und Opfer in der Regel ausreichend sein, so dass dem Namen des Beschuldigten grundsätzlich kein eigener Informationswert zukommt und diesbezüglich zunächst kein öffentliches Informationsinteresse besteht.328 Diesbezüglich sieht Stapper Schwierigkeiten hinsichtlich einer klaren Trennung zwischen identifizierender und anonymer Auskünfte.329 Müsste die Behörde darüber 325

Hierzu siehe oben Viertes Kapitel, B. I. Dalbkermeyer, S. 105. 327 Der Terminus „berechtigtes Interesse“ wird hier verstanden als Ergebnis der vorzunehmenden Einzelfallabwägung; vgl. so auch Zielemann, S. 54. 328 BGH NJW 1994, 1950 (1951 f.); zum Informationswert der Identität des Beschuldigten siehe bereits oben Viertes Kapitel, C. III. 2. 329 Stapper, S. 41 f. 326

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entscheiden, welche Informationen eine (mittelbare) Identifizierung des Beschuldigten ermöglicht und würde so von den Strafverfolgungsbehörden erwartet werden, ihre Mitteilungen hinsichtlich der Möglichkeit von Rückschlüssen auf die Identität des Beschuldigten zu untersuchen, besteht für Stapper die Gefahr einer zu starken Verkürzung der Medienfreiheiten.330 Zudem käme dies einer mittelbaren Zensur von Presseinhalten gleich, welche gegen das Zensurverbot des Art. 5 Abs. 1 S. 3 GG verstieße.331 Dem tritt Fischer zu Recht entgegen, der zwar auch vor einer zu restriktiven Auslegung des berechtigten öffentlichen Informationsinteresses warnt und zugibt, dass Namensnennung grundsätzlich nicht aus dem Schutzbereich der Medienfreiheit herausfallen, zugleich aber auch zutreffend die Behörden in der Pflicht sieht, ihre Mitteilung auf identifikationsfähige Inhalte hin zu untersuchen.332 Darin seien weder eine mittelbare Zensur der Medien noch überhöhte Anforderung an die Informationstätigkeit der Behörden zu sehen.333 Auch sollten diese Sorgfaltsanforderungen in der Praxis keine allzu großen Schwierigkeiten bereiten, da die Staatsanwaltschaft fernliegende Ermittlungsansätze für die Medien nicht berücksichtigen (für die auf Basis eigener Ermittlungen erfolgende Berichterstattung sind die Medien in die Verantwortung zu nehmen334), sondern nur angemessene Sorgfalt bei der Informationsauswahl walten lassen müsste.335 Überdies müssten die Ermittlungsbehörden ohnehin im Rahmen des § 4 Abs. 2 LPG Berlin die herauszugebenden Informationen umfassend würdigen und hinsichtlich möglicher Rechtsgutverletzungen und -gefährdungen untersuchen.336 Gerade angesichts der Bedeutung der durch identifizierende Auskünfte über Ermittlungs- und Strafverfahren tangierten verfassungsrechtlich geschützten Rechtsgüter des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aber auch der Unschuldsvermutung und des Rechts auf ein faires Verfahren müssen die Bedenken hinsichtlich einer möglichen Verkürzung der Pressefreiheit zurücktreten. Auch lässt die Ansicht Stappers unberücksichtigt, dass den Strafverfolgungsbehörden gegenüber dem Beschuldigten und dessen Persönlichkeitsrechten aufgrund der Grundrechtsverpflichtung der Ermittlungsbehörden aus Art. 1 Abs. 3 GG besondere Schutzpflichten obliegen, die das Erfordernis einer bestmöglichen Anonymisierung der Informationen nicht als überzogene Anforderung erscheinen lässt und insbesondere im Verhältnis zu der gänzlichen Versagung von Information ein angemessenes „geringeres Mittel“ darstellt, dass die Informationsinteressen mit den Geheimhaltungsinteressen in einen angemessenen Ausgleich bringt.337

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Stapper, S. 41 f. Stapper, S. 41 f. 332 Fischer, S. 214. 333 Fischer, S. 214. 334 Siehe zu den Kriterien zulässiger Verdachtsberichterstattung bereits oben Viertes Kapitel, C. III. 335 Fischer, S. 214. 336 Fischer, S. 215. 337 So im Ergebnis auch Fischer, S. 215. 331

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Es ist daher davon auszugehen, dass im Regelfall kein öffentliches Informationsinteresse an der Identität des Beschuldigten besteht, die Namensnennung durch die Staatsanwaltschaft damit grundsätzlich nicht erforderlich im Sinne des Übermaßverbots ist und derartige Auskünfte folglich nicht über § 4 LPG Berlin legitimiert sein können. Hierbei handelt es sich jedoch nur um eine grundsätzliche Regelfallwertung, so dass hiervon abweichende Fälle denkbar sind, in denen der Funktion des Informationsanspruchs nicht mehr durch anonyme Informationen entsprochen werden kann. Denkbar erscheint dies beispielsweise bei schweren Straftaten und solchen, die die Öffentlichkeit besonders berühren oder verunsichern. Ein öffentliches Informationsinteresse am Namen des Betroffenen könnte möglicherweise auch dann angenommen werden, wenn die Tat gerade durch die Identität des Beschuldigten eine besondere Prägung bekommt. So etwa in Fällen, in denen dem Beschuldigten qua Position ein besonderes Vertrauen im Hinblick auf das verletzte Rechtsgut zukommt (zu denken ist hier beispielsweise an Körperverletzungsdelikte eines praktizierenden Arztes im Rahmen seiner Tätigkeit oder Amtsdelikte eines Politikers).338 Doch selbst wenn man ein öffentliches Informationsinteresse im Hinblick auf die Identität des Beschuldigten im Ermittlungsverfahren anerkennt, müsste sich dieses für eine Rechtmäßigkeit der erteilten Auskunft erst im Wege einer Abwägung der von ihr betroffenen Interessen als überwiegend und damit „berechtigtes“ erweisen. Die im Rahmen derartiger Abwägungen anzusetzenden Kriterien sollen daher im Folgenden dargestellt werden. c) Die identifizierende Information als Gefahr für das schwebende Verfahren, § 4 Abs. 2 Nr. 3 LPG Berlin Droht durch die öffentliche Identifizierung des Beschuldigten eine Gefahr für das schwebende Verfahren, so kann selbst unter Annahme eines öffentlichen Interesses an dem Namen des Betroffenen die entsprechende Auskunft gegenüber der Presse bereits nach § 4 Abs. 2 Nr. 3 LPG Berlin zu versagen sein. Die Versagung derartiger Auskünfte stellt der Gesetzgeber in das Ermessen der Behörde, so dass die Staatsanwaltschaft vor einer Auskunftserteilung das (vermeintliche) öffentliche Informationsinteresse gegenüber den Gefahren einer medienöffentlichen Strafrechtspflege abwägen muss. Der Blick auf die Gefahren einer solchen medienöffentlichen Strafrechtspflege hat gezeigt, dass ihre Auswirkungen auf das Strafverfahren und seine Funktionstüchtigkeit gravierend sein können.339 Für eine Versagung identifizierender Infor338

Zu den Fällen eines öffentlichen Informationsinteresses am Namen des Beschuldigten siehe bereits oben Viertes Kapitel, C. III. 2. Ob und wann der Name des Beschuldigten im Fall der Person des öffentlichen Lebens ein öffentliches Informationsinteresse begründet, wird im nächsten Kapitel gesondert Gegenstand der vorliegenden Untersuchung sein; siehe hierzu unten Sechstes Kapitel. 339 Hierzu siehe oben Drittes Kapitel, A. I.

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mationen nach § 4 Abs. 2 Nr. 3 LPG Berlin reicht eine derartige rein abstrakte Gefahr jedoch nicht aus. Vielmehr ist dieser Versagungsgrund aufgrund des demokratischen Transparenzgebots restriktiv dahingehend auszulegen, dass die Auskunftserteilung eine konkrete Gefährdung der Durchführung des schwebenden Verfahrens bedeuten muss.340 Die Staatsanwaltschaft kann identifizierende Auskünfte damit nur dann versagen, wenn diese konkrete Gefahr für das Strafverfahren gerade durch das Bekanntwerden der Identität des Beschuldigten begründet wird.341 Gerade im frühen Stadium des Ermittlungsverfahrens können beispielsweise durch Bekanntwerden der bisher verdeckt erfolgenden Ermittlungen der Zugriff auf den Beschuldigten oder auch die Beweismittelerlangung gefährdet werden. In derartigen Fällen dürfte die Staatsanwaltschaft identifizierende Auskünfte gegenüber den Medien unter Verweis auf die Gefährdung des Ermittlungserfolgs verweigern. Auch kann durch eine vor der Beweisaufnahme im Hauptverfahren veröffentlichte Identität des Beschuldigten beispielsweise die Gefahr einer Beeinflussung von Zeugen bestehen, welche eine möglichst unabhängige Identifikation des Täters vornehmen sollen. Wird bereits im Ermittlungsverfahren öffentlich ein Beschuldigter präsentiert, kann bei späteren Identifizierungen durch Zeugen unklar sein, ob diese ihre eigenen Beobachtungen des Geschehens zugrunde legen oder die der Presse entnommenen Bilder. Auch ist es vorstellbar, dass Tatzeugen mögliche vorhandene Zweifel an der Person des Täters aufgrund der öffentlichen Beschuldigung dieser Person fallen lassen. Wird der Öffentlichkeit bereits eine bestimmte Person als Täter präsentiert, könnten sich Zeugen, die eventuell Angaben zu einem abweichenden Tatverdächtigen machen wollen, gehemmt fühlen. Auch seitens der Staatsanwaltschaft steht es zu befürchten, dass diese bei einmal erfolgter öffentlicher Identifizierung eines Beschuldigten nur selten eine vielleicht vorschnelle Einschätzung einzugestehen gewillt ist und damit möglichen entlastenden Beweisen weniger Beachtung schenkt. Zudem droht nach Bekanntwerden der Identität des Beschuldigten die Gefahr, dass die Strafverfolgungsbehörden bei öffentlicher Festlegung auf einen Tatverdächtigen, ihre Ermittlungen auf diese Person versteifen. Schließlich ist auch die Beeinflussung von Laienrichtern und in gewissem Umfang auch der Berufsrichter durch eine bereits im Ermittlungsverfahren veröffentlichte Identität des Beschuldigten zu befürchten, da eine bereits das Vorverfahren umfassende Berichterstattung über einen konkret bezeichneten Tatverdächtigen dessen Täterschaft für den (Laien-)Richter unbewusst präjudizieren kann. Diese Erwägungen zeigen erneut, dass die einmal erfolgte öffentliche Identifizierung des Beschuldigten unumkehrbar ist und die Staatsanwaltschaft daher vor der Herausgabe entanonymisierender Informationen die Gefahren für das schwebende Verfahren sorgsam prüfen und abwägen muss.

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Zu dieser restriktiven Anwendung siehe bereits oben Fünftes Kapitel, C. II. 2. a). Ist die Identität des Beschuldigten bereits bekannt, ist die Zulässigkeit darüberhinausgehender Informationen anders zu beurteilen; vgl. hierzu unten Fünftes Kapitel, C. II. 4. 341

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Dennoch reichen die dargestellten abstrakten Risiken für eine Versagung der Informationen nicht aus. Es bedarf stets objektiver Tatsachen, die die beschriebenen möglichen Auswirkungen auf das Verfahren wahrscheinlich machen und so eine konkrete Gefahr begründen. Dann können selbst unter Anerkennung eines öffentlichen Informationsinteresses an der Identität des Betroffenen die mit deren Veröffentlichung verbundenen Gefahren für die Funktionstüchtigkeit und Rechtsstaatlichkeit des Strafverfahrens derart gravierend sein, dass diese das Informationsinteresse überwiegen. d) Die Schutzwürdigkeit privater Interessen Die Erteilung identifizierender Auskünfte über den Beschuldigten gegenüber der Presse kann seitens der Staatsanwaltschaft schließlich insbesondere zu versagen sein,342 wenn der Veröffentlichung der Identität des Betroffenen „schutzwürdige“ private Interessen i. S. d. § 4 Abs. 2 Nr. 4 LPG Berlin entgegenstehen. Als solche Interessen kommen insbesondere die aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, der Unschuldsvermutung und dem Recht auf ein faires Verfahren entspringenden Geheimhaltungsinteressen des Beschuldigten in Betracht. Es ist somit im Wege einer Einzelfallbetrachtung zu prüfen, ob einer Identitätsveröffentlichung die Anonymitätsinteressen des Betroffenen entgegenstehen, diese mithin gegenüber der Medien- und Informationsfreiheit „schutzwürdig“ sind oder vielmehr ein berechtigtes und überwiegendes Informationsinteresse an der Person des Beschuldigten besteht. Selbst wenn vorliegend ein öffentliches Informationsinteresse im Hinblick auf die Identität des Tatverdächtigen im Regelfall abzulehnen ist und damit ein Auskunftsanspruch der Medien gegenüber der Staatsanwaltschaft nach § 4 Abs. 2 Nr. 4 LPG Berlin grundsätzlich nicht besteht,343 soll nachfolgend geprüft werden, unter welchen Umständen sich ein solches möglicherweise doch ergeben kann , an welchen Kriterien sich die Staatsanwaltschaft in diesem Fall im Rahmen ihrer Ermessensentscheidung orientieren kann oder muss und durch welche abstrakt-generelle Wertungen die Ermessensausübung begrenzt wird. aa) Einfachgesetzliche Wertung Bezogen auf das Verhältnis zwischen den durch identifizierende Auskünfte betroffenen Interessen des Beschuldigten und dem öffentlichen Informationsinteresse folgt der grundsätzliche Vorrang der Geheimhaltungsinteressen des Beschuldigten bereits aus den einfachgesetzlichen Wertungen. Schon die Systematik des grundsätzlichen Verbots mit Erlaubnisvorbehalt der §§ 22, 23 KUG und auch des § 203 Abs. 2 StGB macht deutlich, dass der Gesetz342 Zu § 4 Abs. 2 Nr. 4 LPG Berlin als sog. „Kopplungsvorschrift“ und des daraus folgenden Ermessensschwunds siehe bereits oben Fünftes Kapitel, C. II. 2. a). 343 Siehe hierzu oben Fünftes Kapitel, C. II. 3. b).

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geber den Anonymitätsinteressen des Einzelnen und damit auch denen des Beschuldigten grundsätzlich den Vorrang einräumt.344 Daneben wird ein berechtigtes öffentliches Interesse am Namen des Betroffenen nach den einfachgesetzlichen Wertungen der §§ 131 ff. StPO und des § 24 KUG sowie der Regelungen der Polizeigesetze nur dann angenommen, wenn die Bevölkerung vor einer Person gewarnt werden soll oder nach dieser öffentlich gefahndet wird.345 Anders als bei dem hier gegenständlichen Auskunftsanspruch der Presse erfolgt die öffentliche Identifizierung des Beschuldigten in diesen Fällen hingegen nicht zur Befriedigung von Informationsinteressen, sondern allein zum Zwecke der Gefahrenabwehr, der Prävention oder der Durchführung des Strafverfahrens. Mit den hierfür aufgestellten strengen Voraussetzungen trägt der Gesetzgeber zudem dem Umstand Rechnung, dass eine Veröffentlichung der Identität des Beschuldigten regelmäßig mit gravierenden persönlichkeitsrechtlichen Beeinträchtigungen verbunden ist und zu irreversiblen Reputationsschäden sowie einer Gefährdung der Unschuldsvermutung führen kann.346 Zutreffend folgert Fischer daher insbesondere aus der strengen Subsidiaritätsklausel des § 131 Abs. 3 S. 1 StPO, die eine Öffentlichkeitsfahndung nur erlaubt, wenn andere Möglichkeiten „erheblich weniger Erfolg versprechend oder wesentlich erschwert wären“, dass die Strafverfolgungsbehörden zunächst mildere Mittel prüfen müssen.347 Knüpft der Gesetzgeber in der StPO damit bereits die Namensveröffentlichung zu Ermittlungszwecken an strenge Voraussetzungen, wird damit deutlich, dass die Aufhebung der Personenanonymität des Beschuldigten zu reinen Informationszwecken nur in Ausnahmefällen zulässig sein kann und gerade im Stadium des Ermittlungsverfahrens die Geheimhaltungsinteressen des Beschuldigten das Informationsinteresse der Öffentlichkeit grundsätzlich überwiegen.348 Es widerspräche damit auch der sich in § 131 StPO widerspiegelnden gesetzlichen Wertung, würde man gerade im Stadium des Ermittlungsverfahrens ein grundsätzliches berechtigtes, das heißt die Geheimhaltungsinteressen überwiegendes öffentliches Interesse an der Identität des Beschuldigten annehmen. Auch aus § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG (analog) folgt keine hiervon abweichende Wertung. Nach Aufgabe der Rechtsfigur der „absoluten und relativen Person der Zeitgeschichte“ ist die Frage, ob der bloße Tatverdächtige als „Figur der Zeitgeschichte“ eine öffentliche Identifizierung hinzunehmen hat, das Ergebnis einer umfangreichen Einzelfallabwägung.349 Eine grundsätzliche gesetzliche Wertung zugunsten der öffentlichen Informationsinteressen ist § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG daher nicht zu entnehmen, vielmehr spricht – wie dargelegt – bereits die Systematik des KUG von einem nur ausnahmsweisen Zurücktreten der Anonymitätsinteressen des 344 345 346 347 348 349

Dalbkermeyer, S. 90; Ostendorf, GA 1980, 445 (461). Fischer, S. 211 f. Fischer, S. 211 f. Fischer, S. 212, unter Verweis auf LR-StPO/Hilger, § 131 Rn. 19. Vgl. auch Fischer, S. 212. Siehe hierzu bereits oben Viertes Kapitel, B. III. 2.

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Einzelnen. Darüber hinaus erscheint die Verknüpfung zwischen der Person des Beschuldigten und der ihm vorgeworfenen Straftat als zeitgeschichtliches Ereignis zur Begründung persönlichkeitsrechtlich relevanter Eingriffe bereits im Hinblick auf die Unschuldsvermutung äußerst bedenklich.350 Nicht zuletzt ist es die einfachgesetzlich ausgestaltete351 Nichtöffentlichkeit des Ermittlungsverfahrens, welcher die gesetzgeberische Entscheidung zu entnehmen ist, dass im strafrechtlichen Vorverfahren im Rahmen der Abwägung zwischen den Geheimhaltungsinteressen des Beschuldigten und dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit eine Vermutung für den Vorrang des Persönlichkeitsschutzes spricht.352 Diese historische353 Unterscheidung der beiden Verfahrensstadien hat der Gesetzgeber bis heute nicht aufgegeben und macht damit deutlich, dass er die Informationsinteressen der Allgemeinheit in dem öffentlich ausgestalteten Hauptverfahren ausreichend berücksichtigt sieht.354 Mit dieser Beschränkung der Öffentlichkeit versucht der Gesetzgeber zudem auszuschließen, dass Polizei und Strafverfolgungsbehörden schon in diesem frühen Stadium öffentliche Aussagen zum Stand der Ermittlungen oder der Person des Beschuldigten tätigen.355 Diese einfachgesetzlichen Wertungen und gesetzgeberischen Motive sind von der Staatsanwaltschaft bei ihrer Entscheidung über die Erteilung identifizierender Auskünfte ermessenslenkend zu berücksichtigen. Selbst ein öffentliches Interesse an der Identität des Beschuldigten im Ermittlungsverfahren unterstellt, dürften die Geheimhaltungsinteressen des Beschuldigten dieses damit in der Regel überwiegen. bb) Kriterien der Rechtsprechung Sowohl die grundrechtsdogmatische als auch die einfachgesetzliche Analyse haben ergeben, dass gerade im Ermittlungsverfahren ein grundsätzliches berechtigtes Interesse der Öffentlichkeit an der Identität des Beschuldigten nicht anzuerkennen ist. Da es sich bei der Frage der Erteilung von Auskünften aber letztlich um eine einzelfallbezogene Abwägungsentscheidung der Staatsanwaltschaft handelt, soll nachfolgend der Frage nachgegangen werden, ob von dieser allgemeinen Regelfallwertung unter bestimmten Voraussetzungen abgewichen werden muss. Die Rechtsprechung hat zur Frage der Rechtmäßigkeit identifizierender medialer Verdachtsberichterstattung einen Kriterienkatalog entwickelt, welcher bei der Abwägung zwischen den Geheimhaltungsinteressen des Beschuldigten und dem öffent350

Diese Bedenken teilt auch Dalbkermeyer, S. 73 ff. Auch wenn diese lediglich in einem Umkehrschluss aus § 169 S. 1 GVG zu entnehmen ist; siehe zur Nichtöffentlichkeit des Ermittlungsverfahrens bereits oben Zweites Kapitel, B. 352 Vgl. auch Bornkamm, NStZ 1983, 102 (105 f.); Trüg, NJW 2011, 1040 (1043). 353 Siehe zur Historie der Gerichtsöffentlichkeit im deutschen Strafprozess bereits ausführlich oben Zweites Kapitel. 354 Vgl. Trüg, NJW 2011, 1040 (1043). 355 Gierhake, JZ 2013, 1030 (1034) m. w. N. 351

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lichen Informationsinteresse an der Identität des Beschuldigten herangezogen werden muss.356 Da diese Abwägungsmaßstäbe jedoch im Hinblick auf das horizontale Verhältnis zwischen den Medien und dem Beschuldigtem entwickelt wurden, ist fraglich, inwiefern sie auf die Informationstätigkeit der Staatsanwaltschaft und damit das Dreiecksverhältnis zwischen Staat, Beschuldigtem und Medien übertragen werden können und die Geheimhaltungsinteressen des Beschuldigten ausnahmsweise nicht als „schutzwürdig“ im Sinne des § 4 Abs. 2 Nr. 4 LPG Berlin anzusehen sind.357 In Ermangelung klarer gesetzliche Regelungen für die ermittlungsbehördliche Informationstätigkeit würde die Übertragung der Kriterien zulässiger Verdachtsberichterstattung, die im Rahmen einer umfassenden Kasuistik durch die Rechtsprechung bereits fein ausdifferenziert wurden, ein nützliches Instrumentarium für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit staatsanwaltschaftlicher Auskünfte darstellen.358 Dies ließe jedoch unbeachtet, dass es sich hier um zwei unterschiedliche Problemkreise handelt. Während die Medien selbst Träger von Grundrechten sind und eine grundrechtlich unmittelbar geschützte Position einnehmen,359 ist die Staatsanwaltschaft als Staatsorgan selbst keine Trägerin von Grundrechten, sondern vielmehr unmittelbar gegenüber dem Beschuldigten zum Schutz seiner grundrechtlich verankerten Interessen verpflichtet. Damit besteht im Bereich ermittlungsbehördlicher Öffentlichkeitsarbeit für die Staatsanwaltschaft als einseitig grundrechtsgebundener Hoheitsträger keine grundrechtliche Kollisionslage, so dass auch kein Bedürfnis eines gegenseitigen Nachgebens besteht und sich ihre Informationstätigkeit weitaus mehr als die mediale Berichterstattung an den Rechten der Betroffenen auszurichten hat.360 Wegen der Gesetzes- und Grundrechtsbindung der Verwaltung unterliegen die Ermittlungsbehörden bei ihrer Informationstätigkeit zudem einem gesteigerten Sorgfaltsmaßstab, insbesondere im Hinblick auf die Abwägung der widerstreitenden Grundrechtspositionen, so dass ihre Verantwortung von der den Medien obliegenden Sorgfalt im Rahmen der Berichterstattung abweicht.361 Aufgrund der unmittelbaren Grundrechtsverpflichtung der Staatsanwaltschaft ist sie zudem den Geboten von Rechtsstaatlichkeit, Ausgewogenheit und Distanz unterworfen,362 welche an die Abwägungsentscheidung der Ermittlungs356 Zu den Voraussetzungen identifizierender medialer Verdachtsberichterstattung ausführlich bereits oben Viertes Kapitel, C. III. 2. 357 Zu den grundrechtsdogmatischen Beziehungen im Verhältnis zwischen Beschuldigtem, Medien und Strafverfolgungsbehörden siehe oben Fünftes Kapitel, C. I. 358 Daher im Grundsatz für eine Übertragung auf die Veröffentlichung der Identität des Beschuldigten durch die Staatsanwaltschaft Gierhake, JZ 2013, 1030 (1034); Gounalakis, NJW 2013, 1473 (1475); Huff, in: Rademacher/Schmitt-Geiger, Litigation-PR, S. 293 (296); Lehr, NStZ 2009, 409, 412; Pruggmayer/Möller, K&R 2011, 234 (237). 359 Pruggmayer/Möller, K&R 2011, 234 (237). 360 Eisele, JZ 2014, 932 (933 f.); Lehr, NJW 2013, 728 (730). 361 Gounalakis, NJW 2012, 1473 (1477 f.); Pruggmayer/Möller, K&R 2011, 234 (237); zur „pressemäßigen Sorgfalt“ siehe bereits oben Viertes Kapitel, C. III. 1. 362 BVerfG NJW 2011, 511 (512); Pruggmayer/Möller, K&R 2011, 234 (237).

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behörde weitaus strengere Anforderungen stellen, als dies im Rahmen einer zulässigen Verdachtsberichterstattung der Fall ist. Auch kommt der Staatsanwaltschaft eine gesteigerte Öffentlichkeitsverantwortung zu, da ihnen die Entscheidung über „Ob“ und „Wie“ der Informationsweitergabe obliegt363 und aus ihrer Stellung als sog. „privilegierte Quelle“ eine besondere Sorgfaltspflicht bei der Einhaltung der rechtlichen Rahmenbedingungen ihrer Öffentlichkeitsarbeit folgt.364 Danach lassen sich die Kriterien zulässiger medialer Verdachtsberichterstattung allenfalls eingeschränkt und im Sinne eines Mindestmaßstabs auf die ermittlungsbehördliche Informationstätigkeit gegenüber der Presse übertragen.365 Über diese allenfalls als Mindestmaß geltenden Anforderungen hinaus ist die Staatsanwaltschaft zudem unmittelbar zum Schutz der Rechte des Beschuldigten verpflichtet. Vor diesem Hintergrund sind die von der Rechtsprechung aufgestellten Kriterien abgesehen von den dogmatischen Erwägungen, die gegen eine Übertragbarkeit auf die Informationstätigkeit der Strafverfolgungsbehörden sprechen, auch im Einzelnen nicht geeignet, entanonymisierende Auskünfte der Medien im Ermittlungsverfahren zu legitimieren.366 Das Ermittlungsverfahren wird geprägt durch das Merkmal der Vorläufigkeit des Tatverdachts, so dass die nichtöffentliche Ausgestaltung dieses Verfahrensabschnitts den Beschuldigten insbesondere vor einer dieser Vorläufigkeit zuwiderlaufenden Schaffung vollendeter Tatsachen zu beschützen sucht.367 Durch die Ausgestaltung des Ermittlungsverfahrens als Vorverfahren, dass der Vorbereitung des Hauptverfahrens dienen soll und in dem gesicherte Erkenntnisse naturgemäß erst das Ergebnis der Ermittlungen darstellen können, ist dieses Verfahrensstadium zwangsläufig durch die Vorläufigkeit der Feststellungen charakterisiert.368 Der Beschuldigte, zu dessen Schutz die Staatsanwaltschaft als grundrechtsgebundenes Staatsorgan berufen ist,369 muss daher vor durch die Veröffentlichung seiner Identität verursachten und dann auch durch einen Freispruch oder eine Einstellung nicht zu beseitigenden Folgen geschützt werden. Dies gebietet neben dem aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht fließenden Recht auf Nicht363

Trüg/Mansdörfer, in: Rademacher/Schmitt-Geiger, Litigation-PR, S. 151 (156). Huff, in: Rademacher/Schmitt-Geiger, Litigation-PR, S. 293 (297). 365 Vgl. auch OLG Düsseldorf NJW 2005, 1791 (1807); Eisele, JZ 2014, 932 (934); Lehr, NJW 2013, 728 (732). Dass für die ermittlungsbehördliche Öffentlichkeitarbeit die Kriterien der Verdachtsberichterstattung als Mindestmaßstab gelten müssen, wird aus dem Umstand gefolgert, dass die Informationstätigkeit im Rahmen der presserechtlichen Auskunftsverpflichtung allein der Ermöglichung rechtmäßiger Aufgabenerfüllung durch die Presse diene, so dass die Staatsanwaltschaft nur solche Auskünfte veröffentlichen dürfe, die auch Gegenstand einer zulässigen Verdachtsberichterstattung wären; vgl. Huff, AfP 2010, 332 (334); Lehr, NJW 2013, 728 (732). 366 Vgl. hierzu ausführlich und zutreffend auch Fischer, S. 215 ff. 367 Hierzu eindringlich Dalbkermeyer, S. 141 ff.; vgl. auch Fischer, S. 220; Gounalakis, NJW 2013, 1473 (1478); Meinecke, S. 232. 368 Dalbkermeyer, S. 143. 369 Dahingegen kommt den verfassungsrechtlich verankerten Rechten des Beschuldigten gegenüber den Medien nur mittelbare Wirkung zu; siehe oben Viertes Kapitel, B. I. 4. 364

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5. Kap.: Die Kommunikationstätigkeit der Ermittlungsbehörden

Entsozialisierung zudem der fair trial-Grundsatz und insbesondere die zugunsten des Beschuldigten auch schon im Ermittlungsverfahren wirkende Unschuldsvermutung.370 Anders als die Medien, ist die Staatsanwaltschaft als staatliche Behörde aus diesen Rechten des Betroffenen unmittelbar verpflichtet und darf durch ihre Informationstätigkeit keine der Vorläufigkeit der Ergebnisse widersprechenden Tatsachen schaffen. Gerade im Hinblick auf Auskünfte über die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens ist nach der Rechtsprechung des BGH erhöhte Vorsicht geboten, da ein solches bereits aufgrund eines bloßen Verdachts hin eröffnet wird, der juristisch nicht gebildete Laie dieses jedoch beinahe mit dem Nachweis der zur Last gelegte Tat gleichsetzt.371 Durch eine identifizierende Informationstätigkeit der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren und die öffentliche Verbindung mit einer Straftat wird der Tatverdächtige trotz Fehlens endgültiger Ermittlungsergebnisse der Öffentlichkeit „vorgeführt“, womit diesem ein nachhaltige gesellschaftliche Stigmatisierung droht, die auch durch eine Verfahrenseinstellung oder einen Freispruch nicht zu beseitigen ist.372 Angesichts dieser Erwägungen ist bereits der von der Rechtsprechung für eine identifizierende Verdachtsberichterstattung vorausgesetzte Mindestbestand an Beweistatsachen373 kein die Zulässigkeit einer identifizierenden Informationstätigkeit der Staatsanwaltschaft zu beurteilen geeigneter Ansatz. Das Maß der vorliegenden Beweistatsachen ist ebenso wie das gesamte Ermittlungsverfahren durch seine Vorläufigkeit geprägt und bietet aufgrund möglicher durch weitere Ermittlung eintretender Veränderungen in der Beweislage keine hinreichende Grundlage, um eine durch die Personenidentifizierungen begründete, irreversible Stigmatisierung des Beschuldigten bereits in diesem Stadium zu rechtfertigen.374 Folgerichtig ist auch der Verdachtsgrad untaugliches Instrument, um eine entanonymisierende Öffentlichkeitsarbeit der Strafverfolgungsbehörden zu legitimieren. Auch dieser ist wesentlich vom Merkmal der Vorläufigkeit und, wie der Begriff des Verdachts bereits sagt, der Wahrscheinlichkeit (Verurteilungswahrscheinlichkeit) geprägt. Selbst ein dringender Tatverdacht kann später entfallen, wie auch in § 120 Abs. 1 StPO deutlich wird, der die Aufhebung eines bereits ergangenen Haftbefehls vorsieht, wenn dessen Voraussetzungen nachträglich entfallen. Hiermit wird positivrechtlich der Gedanke fixiert, dass ein Verdachtsgrad variabel ist und damit auch alle vor Abschluss des Ermittlungsverfahrens gewonnenen Ergebnisse nicht endgültig sind.375 Vor diesem Hintergrund verbietet sich in Ansehung der 370 Zu diesen schützenswerten Rechten des Beschuldigten siehe bereits oben Drittes Kapitel, B. 371 BGH NJW 1959, 35 (36); vgl. auch OLG Düsseldorf NJW 2005, 1791 (1799). 372 Dalbkermeyer, S. 145; hierzu siehe auch bereits oben Drittes Kapitel, A. I. 373 Zu diesem Kriterium siehe oben Viertes Kapitel, C. III. 1. 374 Fischer, S. 215 f. 375 Dalbkermeyer, S. 143 f. Der Gesetzgeber wollte hier gezielt die Fälle regeln, in denen sich ein zunächst bestehender dringender Tatverdacht nach Erlass des Haftbefehls und im Verlauf der weiteren Ermittlungen abschwächt oder gänzlich entfällt. So bspw., wenn belas-

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Unschuldsvermutung im Stadium des Ermittlungsverfahrens eine öffentliche Verbindung des Tatverdächtigen mit der in Rede stehenden Tat. Auch das Merkmal der Schwere der Tat, welches die Rechtsprechung gerade für die Namensnennung in der Presse heranzieht, lässt im Hinblick auf die Informationstätigkeit der Ermittlungsbehörden wesentliche Aspekte unberücksichtigt. Aus der Schwere der Tat leitet die Rechtsprechung eine besondere Berührung der Öffentlichkeit ab, welche ein berechtigtes öffentliches Informationsinteresse auch am Namen des Tatverdächtigen begründen könne.376 Gerade dieser besondere Öffentlichkeitswert führt jedoch zu einer mit der Veröffentlichung des Tatverdachts für den Beschuldigten besonders gravierenden Stigmatisierung. Wie Fischer zutreffend feststellt, geht mit der Schwere des Tatvorwurfs „spiegelbildlich“ das berechtigte Interesse des Tatverdächtigen einher, in der Öffentlichkeit gerade mit einer solchen Tat nicht in Verbindung gebracht zu werden.377 Im Hinblick auf die den Geheimhaltungsinteressen des Beschuldigten verpflichtete Staatsanwaltschaft ist daher besonders hervorzuheben, dass mit dem durch die Schwere der Tat wachsenden öffentlichen Informationsinteresse auch das Schutzbedürfnis des Tatverdächtigen und damit sein Anonymitätsinteresse in gleichem Maße wächst, da die mit einer öffentlichen Identifizierung verbundene Beeinträchtigungen ebenfalls an Gewicht zunehmen.378 Schließlich spricht gerade in Anbetracht der Vorläufigkeit der Ermittlungsergebnisse die Unschuldsvermutung gegen eine Berechtigung der Staatsanwaltschaft, die Person des Beschuldigten öffentlich mit einer schweren Straftat in Zusammenhang zu bringen379 und diesem die Tat zur Begründung von Duldungspflichten zuzurechnen.380 Der einer schweren Straftat Beschuldigte ist damit vielmehr vor einer öffentlichen Erörterung der ihm vorgeworfenen Tat und den daraus folgenden Beeinträchtigungen zu schützen.381 Die vorangegangenen Erwägungen legen nahe, dass auch über das Kriterium der Wiederholungsgefahr382 eine ermittlungsbehördliche Identitätspreisgabe nicht legitimiert werden kann. Die Annahme einer Wiederholungsgefahr fußt auf einer Grundlage, die den Tatverdächtigen derart feststehend mit der ihm vorgeworfenen Tat in Verbindung bringt, dass nicht nur der Tatnachweis als quasi geführt gilt, sondern auch eine künftige Wiederholung derartiger Taten durch den Beschuldigten tende Indizien durch andere Umstände entkräftet werden oder sich nach Abschluss der Ermittlungen ein lückenloser Nachweis der Tat nicht führen lässt; vgl. KK-StPO/Schultheis, § 120 Rn. 4; MüKo-StPO/Böhm, § 120 Rn. 8. 376 Siehe hierzu oben Viertes Kapitel, C. III. 2. 377 Fischer, S. 217; vgl. auch Bornkamm, NStZ 1983, 102 (105); Dalbkermeyer, S. 99 f.; Trüg, NJW 2011, 1040 (1043), der indes den Verdachtsgrad als tauglichen Maßstab der Abwägung zwischen Informations- und Geheimhaltungsinteressen ansieht. 378 Vgl. Bornkamm, NStZ 1983, 102 (105); Fischer, S. 218. 379 Fischer, S. 218. 380 Bornkamm, NStZ 1983, 102 (105). 381 Trüg, NJW 2011, 1040 (1043). 382 Siehe dazu oben Viertes Kapitel, C. III. 2. a).

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5. Kap.: Die Kommunikationstätigkeit der Ermittlungsbehörden

für möglich erachtet wird. Diese Annahmen und insbesondere ihre Veröffentlichung sind mit der durch die Strafverfolgungsbehörden zu achtenden Unschuldsvermutung nicht vereinbar. Überdies handelt es sich bei der Veröffentlichung der Identität des Beschuldigten aufgrund einer möglichen Wiederholungsgefahr um negativ spezialpräventive Maßnahmen, für die die Staatsanwaltschaft auf die ihr nach der Strafprozessordnung zustehende Mittel und Möglichkeiten beschränkt ist.383 Derartige generalpräventive Zwecke können eine öffentliche Identifizierung des Beschuldigten bereits im Hinblick auf das Gebot der Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 GG nicht rechtfertigen, wonach der Beschuldigte nicht zum Objekt staatlichen Handelns degradiert werden darf.384 Im Ergebnis sind die Kriterien der Rechtsprechung für die Zulässigkeit identifizierender medialer Berichterstattung auf die öffentliche Identifizierung des Beschuldigten durch die Staatsanwaltschaft weder dogmatisch übertragbar noch tauglich, eine solche entanonymisierende Auskunftserteilung durch die Staatsanwaltschaft zu rechtfertigen. cc) RiStBV Eine weitere Konkretisierung der seitens der Staatsanwaltschaft im Rahmen des landespresserechtlichen Auskunftsanspruchs zu treffenden Ermessensentscheidung erfolgt durch Nr. 4a sowie Nr. 23 Abs. 1 der Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren (RiStBV),385 wonach insbesondere eine unnötige Bloßstellung des Beschuldigten zu vermeiden ist (Nr. 23 Abs. 1 S. 4 RiStBV) und dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit in der Regel auch ohne Preisgabe der Identität des Beschuldigten entsprochen werden kann (Nr. 23 Abs. 1 S. 5 RiStBV). Schließlich wird in Anlage B. zur RiStBV unter 1.2. ausgeführt,386 dass durch die öffentliche Erörterung eines Ermittlungsverfahrens unter Nennung des Namens des Beschuldigten die Gefahr einer erheblichen Rufschädigung droht, wodurch auch die spätere Resozialisierung des Täters schon vor der Verhandlung erschwert werden kann. Eine Bloßstellung des Beschuldigten widerspräche damit nicht nur den Interessen des Betroffenen, sondern auch denen der Strafrechtspflege. Damit spiegelt sich auch in diesen Richtlinien die bereits verfassungsrechtlich aber auch einfachgesetzlich hergeleitete Feststellung wieder, dass eine unnötige Bloßstellung des Beschuldigten am besten vermieden wird, indem dessen Identität im Rahmen von Presseinformationen der Staatsanwaltschaft nicht preisgegeben 383

Fischer, S. 219. Hierzu bereits oben Fünftes Kapitel, A. II. 1. 385 Zur Einordnung der RiStBV als bloße behördeninterne Verwaltungsvorschrift ohne Außenwirkung siehe bereits oben Fünftes Kapitel, B. II. 3. 386 Ausdrücklich an dieser Stelle zwar im Kontext der Öffentlichkeitsfahndung, diese Erwägung können aber nach der hier vertretenen Ansicht auf die presserechtliche Auskunftspflicht der Staatsanwaltschaft übertragen werden. 384

C. Grenzen reaktiver staatsanwaltschaftlicher Informationstätigkeit

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wird.387 Dies schließt neben der Namensnennung auch die Preisgabe zur Identitätsermittlung geeigneter an sich anonymer Einzelinformationen ein.388 Die RiStBV richtet sich hierbei an den einzelnen Staatsanwalt und dient der „Einengung“ der Restbereiche ermittlungsbehördlicher Ermessensentscheidungen.389 Hierbei kann sie jedoch nur eine Richtung weisen für das übliche Vorgehen im „Normalfall“ und somit besondere Abweichungen des Einzelfalls nicht berücksichtigen.390 Dennoch gehen auch die behördeninternen Richtlinien für das Strafverfahren im Regelfall von einem Überwiegen der Geheimhaltungsinteressen des Beschuldigten im Ermittlungsverfahren aus, so dass der Staatsanwaltschaft eine identifizierende Informationstätigkeit untersagt ist. Hiervon abweichende Handhabung der presserechtlichen Auskunftsverpflichtung bedürfen von diesem Regelfall abweichende Besonderheiten des Einzelfalls. e) Zwischenergebnis Die Erteilung identifizierender Auskünfte durch die Staatsanwaltschaft gegenüber den Medien im Ermittlungsverfahren beeinträchtigt den Beschuldigten in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht sowie dem Recht auf ein faires Verfahren und läuft der Unschuldsvermutung zuwider. Ein diese Geheimhaltungsinteressen überwiegendes öffentliches Informationsinteresse hinsichtlich der Identität des Beschuldigten ist im Regelfall nicht anzunehmen. Im Ermittlungsverfahren besteht fehlt es im Regelfall bereits an einem öffentlichen Informationsinteresse im Hinblick auf die Identität des Beschuldigten, so dass eine Namensnennung durch die Staatsanwaltschaft damit grundsätzlich nicht erforderlich im Sinne des Übermaßverbots ist und derartige Auskünfte folglich nicht über § 4 LPG Berlin legitimiert sein können. Selbst ein öffentliches Informationsinteresse an der Identität des Beschuldigten im Einzelfall unterstellt, können die entanonymisierenden Auskünfte durch die Ermittlungsbehörden bereits nach § 4 Abs. 2 Nr. 3 LPG Berlin wegen einer konkreten Gefährdung des schwebenden Verfahrens zu versagen sein. Jedenfalls dürften der Auskunftserteilung jedoch die schutzwürdigen Interessen des Betroffenen i. S. v. § 4 Abs. 2 Nr. 4 LPG Berlin entgegenstehen, so dass eine entsprechende Informationserteilung ermessensfehlerhaft wäre. Das die Informationsinteressen der Öffentlichkeit überwiegende Anonymitätsinteresse des Beschuldigten ergibt sich sowohl aus der grundrechtsdogmatischen Ausgangslage und den einfachgesetzlichen Wertungen als auch aus den behördeninternen Richtlinien für das Strafverfahren. Die von der Rechtsprechung für die entanonymisierende Verdachtsberichterstattung 387 388 389 390

Vgl. auch BeckOK-StPO/Gertler, Nr. 23 RiStBV Rn. 25. BeckOK-StPO/Gertler, Nr. 23 RiStBV Rn. 25. Kettner, S. 183. BeckOK-StPO/Graf, RiStBV Einf. Rn. 8.

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5. Kap.: Die Kommunikationstätigkeit der Ermittlungsbehörden

entwickelten Grundsätze sind auf die Auskunftserteilung durch die Staatsanwaltschaft weder dogmatisch noch inhaltlich übertragbar. Eine identifizierende Informationstätigkeit der Staatsanwaltschaft auf Grundlage der landespresserechtlichen Regelungen ist damit grundsätzlich nicht legitimiert. Gerade der vorläufige Charakter des Ermittlungsverfahrens würde im Hinblick auf die potenzielle Unschuld des Beschuldigten auch nur dessen vorläufige Individualisierung erlauben. Da derartiges aufgrund der nachhaltig stigmatisierenden Wirkung für den Betroffenen hingegen gerade nicht möglich ist, hat eine Namensnennung durch die Ermittlungsbehörden im Stadium des strafrechtlichen Vorverfahrens zum Schutz des Beschuldigten zu unterbleiben.391 Nur so kann dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen ausreichend Rechnung getragen werden. Die Informationsinteressen der Öffentlichkeit hingegen können durch die öffentliche Ausgestaltung des Hauptverfahrens befriedigt werden. Eine identifizierende Auskunftserteilung kann daher im Ermittlungsverfahren nur eine Ausnahmeentscheidung im Einzelfall darstellen.392 In allen anderen Fällen hat die Staatsanwaltschaft Auskünfte im Hinblick auf die Identität des Beschuldigten gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 4 LPG Berlin zu versagen und seitens der Medien besteht lediglich ein Anspruch auf anonymisierte Informationen über das Ermittlungsverfahren.393 Ist eine Identifizierung des Beschuldigten durch die Strafverfolgungsbehörden damit nicht durch § 4 Abs. 1 LPG Berlin gerechtfertigt, so erfolgt sie „unbefugt“ im Sinne des § 203 Abs. 2 S. 2 StGB und – im Falle einer Bildnisveröffentlichung – des § 33 Abs. 1 Nr. 2 KUG.394 Dieses an die grundrechtlich unmittelbar verpflichtete Staatsanwaltschaft gerichtete Verbot identifizierender Auskünfte ist auch nicht als ein wie von Gounalakis angesichts der Gefahren für die freie Presse und damit die freiheitlich-demokratische Grundordnung gefürchtetes „Berichterstattungsverbot“395 zu sehen. Die verfassungsrechtlich bedeutsame Freiheit der medialen Berichterstattung wird nicht in einem bedenklichen Maß gefährdet, wenn die Presse hinsichtlich der Identität des Beschuldigten eines Ermittlungsverfahrens auf eigene Ermittlungen angewiesen ist. Auch kann es nicht den Prinzipien unserer Rechtsordnung entsprechen, eine Exis391 So im Ergebnis auch Dalbkermeyer, S. 148 f.; Fischer, S. 221; wohl auch Meinecke, S. 234. 392 Inwiefern sich an diesem grundsätzlichen Überwiegen der Geheimhaltungsinteressen des Beschuldigten gegenüber den Informationsinteressen der Öffentlichkeit etwas ändert, wenn es sich bei dem Tatverdächtigen um eine Person des öffentlichen Lebens handelt, wird im folgenden Kapitel zu untersuchen sein; siehe hierzu unten Sechstes Kapitel. 393 Inwiefern dann durch die Medien die Identität selbst ermittelt und sodann publiziert wird, betrifft die Frage nach der Rechtmäßigkeit der Presseberichterstattung im Spannungsfeld zwischen der grundrechtlich geschützten Medienfreiheit und den Persönlichkeitsrechten des Betroffenen; Kuß, S. 90; hierzu siehe bereits oben Viertes Kapitel, B., sowie zu den Folgen unrechtmäßiger Berichterstattung unten Siebtes Kapitel, B. 394 Zu diesen und weiteren rechtlichen Auswirkungen rechtswidriger Informationstätigkeit der Staatsanwaltschaft siehe unten Siebtes Kapitel, B. 395 Gounalakis, NJW 2013, 1473 (1478).

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tenzvernichtung des möglicherweise zu Unrecht beschuldigten Einzelnen zugunsten der uneingeschränkten Information der Allgemeinheit in Kauf zu nehmen. 4. Herausgabe sonstiger Informationen Neben den die Identität des Beschuldigten betreffenden Auskünften stellt sich die Frage nach der Rechtmäßigkeit einer Informationstätigkeit der Staatsanwaltschaft, die sich auf darüberhinausgehende persönlichkeitsrelevante Tatsachen über den Tatverdächtigen oder das Ermittlungsverfahren bezieht. Stehen der Auskunftserteilung ebenfalls schutzwürdige Interessen des Beschuldigten entgegen, sind auch diese gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 4 LPG Berlin zu versagen. Diesbezüglich ist Fischer zuzustimmen, dass eine rechtliche Differenzierung zwischen der Situation vor und nach Bekanntwerden der Identität des Beschuldigten nicht angezeigt ist.396 Ist zum Zeitpunkt der Auskunftserteilung durch die Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren die Person des Beschuldigten der Öffentlichkeit noch nicht bekannt, so wird sie es spätestens mit Eröffnung des Hauptverfahrens und die zuvor veröffentlichten Informationen können ihr zugeordnet werden.397 Selbst wenn es zu einem Hauptverfahren wegen einer vorherigen Einstellung oder einer Ablehnung der Eröffnung nicht kommen sollte, steht die Schutzbedürftigkeit des öffentlich bekannten Beschuldigten der des öffentlich voraussichtlich bald bekannten Beschuldigten gleich. Für den Betroffenen macht es so gut wie keinen Unterschied, ob die über ihn an die Öffentlichkeit gelangten Informationen unmittelbar oder erst später seiner Person zugeordnet werden. Es müssen damit in beiden Fällen die erbetenen Auskünfte auf mögliche Persönlichkeits- und andere Rechtsverletzungen hin untersucht werden, unabhängig davon, ob sie sich auf eine bestimmte oder erst später bestimmbare Person beziehen.398 a) Verletzung der Unschuldsvermutung und des Rechts auf ein faires Verfahren Die Staatsanwaltschaft als unmittelbar grundrechtsgebundene Behörde ist bei ihrer Informationstätigkeit aufgrund der Landespressegesetze verpflichtet, die Unschuldsvermutung sowie das Recht des Beschuldigten auf ein faires Verfahren zu wahren.399 Diese verfassungsrechtlich verankerten Schutzinteressen begrenzen die ermittlungsbehördliche Auskunftserteilung auch im Hinblick auf die Herausgabe sonstiger Informationen, die nicht die Identität des Tatverdächtigen betreffen. Bei der Unschuldsvermutung und dem Recht auf ein faires Verfahren handelt es sich um tragende Verfahrensrechte des Beschuldigten, welche auch der Entstehung 396 397 398 399

Vgl. Fischer, S. 234 f. Fischer, S. 234 f. Fischer, S. 235. Zu diesen Schutzinteressen des Beschuldigten siehe bereits oben Drittes Kapitel, B. II.

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5. Kap.: Die Kommunikationstätigkeit der Ermittlungsbehörden

eines öffentlich vorverurteilenden Meinungsklimas entgegenzuwirken suchen und so den Strafverfolgungsbehörden jegliche Auskünfte und Äußerungen verbieten, die einen schuldantizipierenden Inhalt haben.400 Auch wenn die Zulässigkeit identifizierender Auskünfte seitens der Staatsanwaltschaft nicht anhand der für die mediale Berichterstattung entwickelten Kriterien der Rechtsprechung zu bemessen ist,401 sind diese Kriterien402 für die weniger grundrechtsinvasive Herausgabe sonstiger Informationen zumindest als Mindestmaßstab heranzuziehen.403 Danach verbietet sich jede Form der vorverurteilenden Mitteilung, die nicht ausreichend deutlich macht, dass es sich nicht um feststehende Tatsachen, sondern lediglich einen Verdacht handelt und der Nachweis der Schuld noch nicht erbracht ist. Auch die Auskünfte der Staatsanwaltschaft unterliegen demnach dem Gebot der Ausgewogenheit, nach dem sowohl be- als auch entlastende Tatsachen und die von dem Beschuldigten zu seiner Verteidigung vorgebrachten Argumente veröffentlicht werden müssen. Schließlich haben auch die Ermittlungsbehörden vor ihrem Gang an die Öffentlichkeit eine Stellungnahme des Beschuldigten einzuholen. Eine diesen Grundsätzen zuwiderlaufende Informationstätigkeit verstößt gegen die zugunsten des Betroffenen wirkende Unschuldsvermutung sowie dessen Recht auf ein faires Verfahren und ist damit unzulässig. b) Verletzung der Persönlichkeitsrechte des Beschuldigten Neben einer möglichen Beeinträchtigung der Verfahrensrechte des Betroffenen stellt die Herausgabe detaillierter Informationen aus dem Ermittlungsverfahren und über den Beschuldigten im Dienste des öffentlichen Informationsinteresses auch einen Eingriff in dessen allgemeines Persönlichkeitsrecht dar. Derartige Eingriffe sind nach der Rechtsprechung mittels der sog. „Sphärentheorie“ zu bewerten, wonach die Schutzbedürftigkeit des Betroffenen je nach betroffener Persönlichkeitssphäre variiert.404 Ihr liegt der Gedanke zugrunde, dass nicht jeder Lebensbereich den gleichen Schutz gegenüber staatlichen Eingriffen und öffentlicher Beobachtung genießt, sondern dieser sich mit zunehmendem sozialen Kontakt nach außen abschwächt.405 Ob der Herausgabe der Informationen somit schützenswerte Interessen des Beschuldigten entgegenstehen, ist anhand einer Einordnung der Informationen nach der sie betreffenden Persönlichkeitssphäre zu beurteilen. Den in diesem Rahmen stärksten Schutz wird der Intimsphäre des Einzelnen als Kernbereich der privaten Lebensgestaltung eingeräumt, welche als unantastbar an400

Fischer, S. 223. Hierzu siehe oben Fünftes Kapitel, C. II. 3. d) bb). 402 Zu den Kriterien der Rechtsprechung für die Zulässigkeit medialer Verdachtsberichterstattung mit ausführlichen Nachweisen siehe oben Viertes Kapitel, B. III. 1. 403 So wohl auch Fischer, S. 223. 404 Zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht sowie bereits zur Sphärentheorie siehe bereits oben Drittes Kapitel, B. I., sowie Viertes Kapitel, B. II. 2. 405 Maunz/Dürig/Di Fabio, Art. 2 Rn. 157. 401

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gesehen wird.406 In diesen innersten, die Gefühls- und Gedankenwelt schützenden Bereich der Persönlichkeit gehören beispielsweise die Bereiche Sexualität, Krankheit, Eheleben sowie Tod.407 Dieser Bereich ist sowohl der medialen Berichterstattung, als auch staatlichen Eingriffen verschlossen und der Abwägung mit öffentlichen Informationsinteressen nicht zugänglich.408 Im Hinblick auf die Informationen über Ermittlungsverfahren und den Beschuldigten, die einen Bezug zu den genannten Themenkomplexen aufweisen, kann diese Einordnung und das daraus folgende Eingriffsverbot jedoch nicht in dieser Absolutheit gelten, da dem öffentlichen Informationsinteresse an Straftaten grundsätzlich Rechnung getragen werden muss. Daher werden Vorgänge mit einem „unmittelbaren Bezug zu konkreten strafbaren Handlungen“ vom unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung ausgenommen.409 So sind zwar beispielsweise die Ausdrucksformen der Sexualität eines Menschen dem Intimbereich zuzurechnen und damit auch das Recht, die eigene Form der Sexualität für sich zu behalten, vom Schutz des Persönlichkeitsrechts erfasst.410 Dahingegen werden jedoch Sexualstraftaten, weil sie einen „gewalttätigen Übergriff in das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung und zumeist auch in das Recht auf körperliche Unversehrtheit des Opfers beinhalten“ vom absoluten Schutzbereich der Intimsphäre des Tatverdächtigen ausgenommen.411 Fischer folgert aus dieser Begrenzung des Intimbereichs zutreffend, dass sein Schutz nur solche Informationen erfasst, welche das Sexualleben des Beschuldigten und des mutmaßlichen Opfers allgemein betreffen, nicht hingegen solche, die einen Bezug zur konkreten Tat aufweisen.412 Zwar erscheint das Entfallen des absoluten Persönlichkeitsschutzes des Beschuldigten für Informationen, die sich auf eine mutmaßlich von ihm begangene Straftat beziehen, gerechtfertigt, zugleich wirkt sich diese Einordnung jedoch auch auf das Opfer aus, welches unfreiwillig dieses Schutzes beraubt wird. Insbesondere im Hinblick auf Sexualstraftaten droht damit unter Umständen eine öffentliche Erörterung intimer Vor-

406

Ständige Rspr.; vgl. u. a. BVerfG NJW 1972, 1123 (1124); NJW 1973, 891 (892); NJW 1990, 563 (564); NJW 2000, 2189; NJW 2013, 1681 (1683) – Kachelmann; OLG Köln ZUMRD 2012, 206 (209) – Kachelmann. 407 Fischer, S. 225; Maunz/Dürig/Di Fabio, Art. 2 Rn. 158. 408 BVerfG NJW 1973, 891 (892); NJW 1990, 563; Fischer, S. 225; Löffler/Steffen, Presserecht, § 6 LPG Rn. 214 f.; kritisch von Becker, S. 91. 409 BVerfG NJW 1990, 563 (564), zur Verwertbarkeit von Tagebuchaufzeichnungen; vgl. auch Fischer, S. 226. Das BVerfG, NJW 1957, 865 (867), sieht den Kernbereich privater Lebensgestaltung verlassen, wenn die Handlungen in den Bereich eines anderen hineinwirken, ohne dass „besondere Umstände, wie etwa familienrechtliche Beziehungen, diese Gemeinschaftlichkeit des Handelns als noch in den engsten Intimbereich fallend erscheinen lassen“. 410 BVerfG NJW 2008, 39, 42; ZUM 2010, 243; NJW 2013, 1681 (1683) – Kachelmann; OLG Köln ZUM-RD, 206 (209) – Kachelmann. 411 BVerfG NJW 2009, 3357 (3359); NJW 2013, 1681 (1682). 412 Fischer, S. 226.

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5. Kap.: Die Kommunikationstätigkeit der Ermittlungsbehörden

gänge, welche auch das Opfer in seinem Persönlichkeitsrecht betreffen.413 In derartigen Fällen ist damit seitens der unmittelbar grundrechtsgebundenen Strafverfolgungsbehörden besondere Vorsicht hinsichtlich der Preisgabe von Informationen über die Beteiligten geboten. Derartige Informationen, die keinen konkreten Bezug zu einer Straftat aufweisen, dürfen hingegen nicht an die Öffentlichkeit gegeben werden, ohne dass der Raum für eine Abwägungsentscheidung eröffnet wäre.414 Der Intimsphäre nachgelagert ist die Privatsphäre,415 welche sich insbesondere durch ihren Sozialbezug auszeichnet und einen Bereich umschreibt, in den Eingriffe nicht ausgeschlossen aber nur bei einem deutlichen Überwiegen wichtiger Belange des Gemeinwohls zulässig sind.416 Bezogen auf die hier gegenständlichen Informationen aus und über Ermittlungs- und Strafverfahren muss das öffentliche Interesse an diesen Informationen die Geheimhaltungsinteressen des Beschuldigten deutlich überwiegen.417 Diesem Privatbereich werden nach der Sphärentheorie die räumlichen sowie thematischen Lebensbereiche zugerechnet, in dem der Einzelne „von Eingriffen jeder Art nicht behelligt zu werden wünscht“.418 Der Umstand eines laufenden Ermittlungsverfahrens gegen eine Person ist dieser Sphäre zuzuordnen,419 während die einzelnen Informationen zu und aus diesem Verfahren jeweils separat einzuordnen sind. In den Bereich der Privatsphäre gehören thematisch solche Vorgänge, die typischerweise als „privat“ eingestuft werden, so unter anderem Vorgänge des Ehe- und Familienlebens, der Religion sowie private Gespräche und Briefe.420 In diesen Bereichen ist eine Herausgabe von Informationen über den Beschuldigten nur nach Vornahme einer umfassenden und einzelfallbezogenen Güterabwägung und einem deutliche Überwiegen der öffentlichen Informationsinteressen gegenüber dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen zulässig.421 Den geringsten persönlichkeitsrechtlichen Schutz genießen schließlich die Informationen, die die Sozialsphäre des Beschuldigten betreffen, da Eingriffe in diese

413 Diese Gefahr sieht auch Fischer, S. 226, der zudem die Befürchtung äußert, Opfer von Sexualdelikten könnten aus Furcht vor einer derartigen Öffentlichkeit von einer Anzeige absehen. 414 Siehe zur Zulässigkeit medialer Berichterstattung über die HIV-Erkrankung der Nadia Benaissa in Zusammenhang mit den gegen sie geführten Ermittlungen wegen gefährlicher Körperverletzung durch ungeschützten Geschlechtsverkehr KG GRUR-RR 2009, 436 ff. 415 Siehe hierzu bereits oben Drittes Kapitel, B. I. 2. 416 Maunz/Dürig/Di Fabio, Art. 2 Rn. 159. 417 Fischer, S. 227; Löffler/Steffen, Presserecht, § 6 LPG Rn. 216. 418 BVerfG NJW 1973, 1221 (1223). 419 Siehe hierzu bereits oben Viertes Kapitel, B. I. 2. 420 BeckOK-IMR/Gersdorf, Art. 2 Rn. 5; Fischer, S. 227. 421 Ebenso können die Auskünfte über derartige dem persönlichen Lebensbereich zugehörigen Umstände bereits nach § 171b GVG unzulässig und damit zu versagen sein, wobei die gleichen Abwägungsgrundsätze heranzuziehen sind; zu diesem und weiteren, für die hiesige Untersuchung nicht relevanten Versagungsgründen vgl. Fischer, S. 230 ff.

C. Grenzen reaktiver staatsanwaltschaftlicher Informationstätigkeit

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Sphäre lediglich eine geringe „Belastungsintensität“ aufweisen.422 Diese Sozialsphäre umfasst die Interaktion des Einzelnen mit einer nicht mehr durch rein persönliche Beziehungen gekennzeichneten Außenwelt, insbesondere das berufliche und politische Wirken.423 Die geringere Belastungsintensität von Eingriffen in diese Sphäre bedingt der Umstand, dass die Geschehnisse in diesem Außenbereich menschlichen Wirkens grundsätzlich von jedermann wahrgenommen werden können.424 Dennoch ist die Veröffentlichung von Informationen auch aus dieser Sphäre von einer einzelfallbezogenen Interessenabwägung abhängig, da dem Einzelnen selbst in diesem Bereich ein Bestimmungsrecht zuzusprechen ist, inwieweit er Vorgänge der Öffentlichkeit preisgibt.425 In laufenden Ermittlungs- oder Strafverfahren ist die Staatsanwaltschaft daher befugt, auf Anfrage der Medien Auskünfte über das Berufsleben des Beschuldigten zu erteilen.426 Sind mit derartigen Veröffentlichungen im Rahmen der Sozialsphäre jedoch schwerwiegende Auswirkungen auf das Persönlichkeitsrecht zu befürchten, so können auch diese Auskünfte nach § 4 Abs. 2 Nr. 4 LPG Berlin zu versagen sein. So nach Ansicht des BGH beispielsweise, wenn eine „Stigmatisierung, soziale Ausgrenzung oder eine Prangerwirkung zu besorgen sind“.427 Gerade im Rahmen strafrechtlicher Vorwürfe hat die Staatsanwaltschaft daher eine mögliche Stigmatisierung oder Prangerwirkung durch die Veröffentlichung der verlangten Auskünfte zu berücksichtigen und den Beschuldigten gegebenenfalls vor eben diesen Wirkungen durch die Versagung von Auskünften zu schützen. Wenn Fischer daher die Herausgabe von Informationen über den vom Beschuldigten ausgeübten Beruf regelmäßig für zulässig hält, so darf hierbei nicht unberücksichtigt bleiben, dass für einen diesbezüglichen Auskunftsanspruch zunächst ein öffentliches Interesse an dem Beruf des Beschuldigten bestehen muss, welches über reine Unterhaltungs- oder Sensationsinteressen hinausgeht. Auch wenn an Straftaten ein grundsätzliches öffentliches Interesse anzunehmen ist, kann sich dieses auf den vom Beschuldigten ausgeübten Beruf nur dann ausweiten, wenn zwischen diesem und der ihm vorgeworfenen Tat ein inhaltlicher Zusammenhang besteht, welcher das Informationsinteresse der Allgemeinheit begründet. Abzulehnen sind schließlich Tendenzen, die dem Beschuldigten im Hinblick auf die Erörterung von zum persönlichen Lebensbereich gehörenden Umständen keinen Schutz zusprechen, da dieser durch die Tat selbst die Ursache für die Veröffentlichung der Informationen gesetzt habe.428 Eine derartige Versagung des grundrechtlichen Schutzes verbietet sich bereits aufgrund der zugunsten des Beschuldigten 422

Maunz/Dürig/Di Fabio, Art. 2 Rn. 160. BVerfG NJW 2003, 1109 (1110); BGH NJW 2005, 592; NJW 2012, 771. 424 Vgl. Fischer, S. 229. 425 BGH NJW 1973, 1226; NJW 1981, 1366; NJW 2017, 482 (483 f.); Fischer, S. 229. 426 Vgl. Fischer, S. 229. 427 BGH NJW 2017, 482 (484) m. w. N. 428 Diese Auffassung vertritt LR-StPO/Wickern, § 171b GVG Rn. 13, hier allerdings zu § 171b GVG. 423

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5. Kap.: Die Kommunikationstätigkeit der Ermittlungsbehörden

wirkenden Unschuldsvermutung, welche vor rechtskräftiger Feststellung der Schuld eine endgültige und schuldantizipierende Verbindung von Tat und Tatverdächtigen verbietet.429 c) Zwischenergebnis Die das Ermittlungsverfahren prägende Vorläufigkeit ist auch bei der Entscheidung der Staatsanwaltschaft über die Herausgabe sonstiger Informationen über den Beschuldigten zu berücksichtigen. Gerade in diesem frühen Stadium des Verfahrens sollte eine Informationsweitergabe durch die Ermittlungsbehörden daher äußerst restriktiv gehandhabt werden, wobei sie sich bei ihrer Entscheidung an den persönlichkeitsrechtlichen Sphären orientieren kann und muss. Auch wenn ein generelles Verbot der Veröffentlichung von Informationen nur hinsichtlich der Intimsphäre des Beschuldigten besteht, gebietet die Gesamtschau der Anonymitätsinteressen des Beschuldigten, dass eine gezielte Weitergabe von Informationen aus dem laufenden Ermittlungsverfahren seitens der Staatsanwaltschaft nur ausnahmsweise stattfinden sollte.430 Inwiefern die Stellung des Beschuldigten als Person des öffentlichen Lebens die sphärenbezogene Einordnung von Informationen beeinflusst, soll im nächsten Kapitel untersucht werden.431

III. Die Rolle der Staatsanwaltschaft als „privilegierte Quelle“ Wie bereits dargestellt basiert die mediale Verdachtsberichterstattung im Ermittlungsverfahren ganz überwiegend auf den seitens der Ermittlungsbehörden im Rahmen ihrer passiven sowie aktiven432 Auskunftstätigkeit herausgegebenen Informationen. Den Strafverfolgungsbehörden kommt jedoch nicht nur eine die Berichterstattung lenkende Funktion als „informativer Filter“ zu. Darüber hinaus haben sie gegenüber den Medien eine hervorgehobene Stellung als „privilegierte Quelle“ inne, so dass die Presse auf die Richtigkeit von Informationen der Staatsanwaltschaft ohne weitere Überprüfung vertrauen darf.433 Angesichts dieses Umgangs der Medien mit den erteilten Auskünften treffen die Ermittlungsbehörden besondere Sorgfalts-

429 So zutreffend auch Fischer, S. 232. Siehe hierzu bereits oben Drittes Kapitel, B. II. 1., sowie Fünftes Kapitel, C. II. 3. d) bb). 430 Pruggmayer/Möller, K&R 2011, 234 (236); LR-StPO/Erb, § 160 Rn. 41. 431 Siehe hierzu unten Sechstes Kapitel. 432 Diesbezüglich fehlt es nach der hier vertretenen Auffassung an einer Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte rechtfertigenden Ermächtigungsgrundlage, so dass die Staatsanwaltschaft ohne Auskunftsverlangen der Medien auf eine anonym gehaltene Öffentlichkeitsarbeit beschränkt ist. 433 Siehe hierzu bereits oben Viertes Kapitel, B. III. 1.

C. Grenzen reaktiver staatsanwaltschaftlicher Informationstätigkeit

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pflichten im Hinblick auf die inhaltliche Richtigkeit ihrer Informationstätigkeit.434 Gerade mit personenbezogenen Informationen über den Beschuldigten geht ein erhebliches Gefährdungspotenzial einher, dessen sich die Staatsanwaltschaft bei ihren Auskünften bewusst sein muss.435 Wenn das VG Berlin436 annimmt, über diese inhaltlichen Sorgfaltsanforderungen hinaus müsse die Staatsanwaltschaft im Rahmen ihrer landespresserechtlichen Auskunftsverpflichtung hingegen nicht prüfen, ob die erteilten Auskünfte von den Medien auch veröffentlicht werden dürfen, so ist dies dogmatisch zunächst zutreffend. Allerdings haben die Ermittlungsbehörden selbstverständlich vor Erteilung von Auskünften zu prüfen, ob diesbezüglich ein Auskunftsanspruch überhaupt besteht, wobei die Grundsätze zulässiger Verdachtsberichterstattung jedenfalls als Mindestmaßstab gelten müssen.437 Damit sind die verlangten Auskünfte vor ihrer Herausgabe faktisch auf die Zulässigkeit ihrer medialen Verwertung zu überprüfen. Aufgrund des dargestellten Gefährdungspotenzials der Veröffentlichung personenbezogener Informationen aus dem Ermittlungsverfahren ist es begrüßenswert, dass sich die Medienarbeit der Staatsanwaltschaften in jüngerer Zeit immer stärker professionalisiert und eine Medienkompetenz herausgebildet wird, die eine verantwortungsvolle Öffentlichkeitsarbeit innerhalb der rechtsstaatlichen Grenzen ermöglicht und so den öffentlichen sowie privaten Interessen gleichermaßen gerecht werden kann.

IV. Zusammenfassung Die Grenzen ermittlungsbehördlicher Öffentlichkeitsarbeit werden geprägt von der – anders als im Verhältnis zwischen den Medien und dem Beschuldigten – unmittelbaren Grundrechtsbindung der Staatsanwaltschaft, welche somit den verfassungsrechtlich verankerten Schutzinteressen des Betroffenen stärker verpflichtet ist. Vor diesem Hintergrund ist § 4 LPG Berlin als Ermächtigungsgrundlage reaktiver Informationstätigkeit Ausdruck der verfassungsgemäßen Schranke des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Hiernach haben die Ermittlungsbehörden seitens der Medien erbetene Auskünfte dann zu versagen, wenn deren Veröffentlichung eine Gefahr für das schwebende Verfahren bedeuten würde oder schutzwürdige Interessen des Beschuldigten entgegenstehen. Bereits nach der verfassungsrechtlichen sowie einfachgesetzlichen Wertung widersprechen identifizierende Auskünfte den gerade im Ermittlungsverfahren grundsätzlich überwiegenden Anonymitätsinteressen des Beschuldigten und be434 Gounalakis, NJW 2012, 1473 (1478); Huff, in: Rademacher/Schmitt-Geiger, LitigationPR, S. 293 (297); Lehr, NJW 2013, 728 (733). 435 Gounalakis, NJW 2012, 1473 (1478). 436 VG Berlin NJW 2001, 3799 (3801). 437 Hierzu siehe oben Fünftes Kapitel, C. II. 3. d) bb).

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5. Kap.: Die Kommunikationstätigkeit der Ermittlungsbehörden

deuten zudem eine Verletzung der Persönlichkeitsrechte, des fair trial-Grundsatzes sowie der Unschuldsvermutung. Auch sind die Kriterien der Rechtsprechung für die identifizierende mediale Verdachtsberichterstattung weder dogmatisch noch inhaltlich auf die Informationstätigkeit der Staatsanwaltschaft übertragbar. Entanonymisierende Auskünfte seitens der Ermittlungsbehörden sind damit in aller Regel nicht über die landespresserechtlichen Auskunftsansprüche legitimiert. Bei der Herausgabe sonstiger Auskünfte über den Beschuldigten (zu denken ist hier beispielsweise an Details zum Familien- und Beziehungsleben des Betroffenen, zur finanziellen Situation oder sonstigen Fragen privater Lebensgestaltung) hat die Staatsanwaltschaft neben der Unschuldsvermutung und dem Recht des Betroffenen auf ein faires Verfahren insbesondere die unterschiedliche Schutzintensität der Persönlichkeitssphären zu berücksichtigen, in welche durch die Auskunftstätigkeit eingegriffen wird. Im Rahmen ihrer Abwägungsentscheidung darf sie zudem eine mögliche öffentliche Stigmatisierung des Beschuldigten sowie die Prangerwirkung der herausgegebenen Informationen nicht unberücksichtigt lassen. Die Ermittlungsbehörden haben bei der von Ihnen vorzunehmenden umfassenden Güterabwägung aufgrund des erheblichen Gefährdungspotentials personenbezogener Auskünfte, aber auch aufgrund ihrer hervorgehobenen Stellung als „privilegierter Quelle“ für die berichterstattenden Medien eine besondere Sorgfalt walten zu lassen. Die voranschreitende Professionalisierung der ermittlungsbehördlichen Öffentlichkeitsarbeit ist vor diesem Hintergrund durchaus zu begrüßen.

D. Ergebnis Das Verhältnis zwischen der Staatsanwaltschaft und den Medien hat sich trotz teils divergierender Interessen in den vergangenen Jahrzehnten erheblich gewandelt. Die Ermittlungsbehörden befinden sich in einem Prozess der Professionalisierung ihrer Öffentlichkeitsarbeit, mit welcher viele Interessen – und nicht zuletzt auch solche des Beschuldigten – bedient werden können. Da sich auch die Staatsanwaltschaft dem Wandel in der Mediengesellschaft nicht entziehen kann und aufgrund der immer schnelleren Berichterstattung eine große Verantwortung hinsichtlich des Informationsmanagements im Strafverfahren trägt, erscheint die flächendeckende Einrichtung professionalisierter Pressestellen nicht nur im Hinblick auf die Imagepflege der Staatsanwaltschaft, sondern auch zum Schutz des am Strafverfahren Beteiligten durch eine professionelle und routinierte Pressearbeit sinnvoll und wünschenswert. Aufgrund des grundrechtsinvasiven Charakters ermittlungsbehördlicher Informationstätigkeit bedarf es für diese einer Ermächtigungsgrundlage, welche mit den landespresserechtlichen Auskunftsansprüchen nur für die reaktive Öffentlichkeitsarbeit vorliegt. In diesem Rahmen muss die Staatsanwaltschaft zum Schutz der Geheimhaltungsinteressen besondere Sorgfalt im Hinblick auf deren Abwägung mit

D. Ergebnis

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den öffentlichen Informationsinteressen walten lassen. Grundsätzlich ist eine Entanonymisierung des Beschuldigten insbesondere im Ermittlungsverfahren als unzulässig anzusehen, während sich die Zulässigkeit einer Herausgabe sonstiger Informationen über den Beschuldigten nach der betroffenen Persönlichkeitssphäre richtet. Eine aktive Öffentlichkeitsarbeit der Ermittlungsbehörden muss in Ermangelung einer Ermächtigungsgrundlage hingegen gänzlich anonymisiert erfolgen. Inwiefern die Stellung des Beschuldigten als Person des öffentlichen Lebens diese rechtliche Bewertung hinsichtlich der Grenzen ermittlungsbehördlicher Öffentlichkeitsarbeit verändert, ist Gegenstand des folgenden Kapitels.

Sechstes Kapitel

Die öffentliche Verdachtsäußerung im Fall des Beschuldigten als Person des öffentlichen Lebens Die vorangegangene Untersuchung hat ergeben, dass sowohl die mediale Verdachtsberichterstattung als auch die ermittlungsbehördliche Informationstätigkeit aufgrund des hiermit verbundenen erheblichen Gefährdungspotenzials nur in engen rechtlichen Grenzen zulässig ist. Grundlage jeder Entscheidung über die Veröffentlichung von Informationen ist eine umfassende und einzelfallbezogene Abwägung der widerstreitenden Geheimhaltungsinteressen des Beschuldigten mit dem öffentlichen Informationsanspruch. Obwohl die öffentliche Entanonymisierung des Tatverdächtigen insbesondere im Ermittlungsverfahren grundsätzlich unzulässig und jedenfalls an strenge Voraussetzungen geknüpft ist, werden gegen Personen des öffentlichen Lebens geführte strafrechtliche Ermittlungen immer wieder bereits in einem frühen Stadium öffentlich und damit auch Gegenstand umfassender Medienberichterstattung. In Rechtsprechung und Literatur werden der Person des öffentlichen Lebens aufgrund ihrer exponierten Stellung in der Gesellschaft überwiegend mit einem kurzen Verweis auf § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG sowie dem öffentlichen Informationsinteresse diesbezüglich erhöhte Duldungspflichten auferlegt.1 Die aufgezeigten mit medialer Öffentlichkeit im Ermittlungsverfahren verbundenen dissozialisierenden Konsequenzen für den Beschuldigten sind gravierend und gerade die unmittelbar grundrechtsverpflichtete Staatsanwaltschaft ist zum Schutz des Beschuldigten vor eben diesen Folgen verpflichtet. Ausgehend von diesem ermittelten Schutzbedürfnis soll nunmehr der Frage nachgegangen werden, ob der Beschuldigte als Person des öffentlichen Lebens allein aufgrund seiner öffentlichen Stellung derartige irreversiblen Folgen hinzunehmen hat, ob also die Person des öffentlichen Lebens und der nicht in der Öffentlichkeit stehende Beschuldigte im Hinblick auf die Zulässigkeit ermittlungsbehördlicher Informationstätigkeit und medialer Verdachtsberichterstattung gleichzustellen sind oder ob das mediale Interesse an seiner Person nicht sogar zu einer erhöhten Schutzbedürftigkeit gerade im Ermittlungsverfahren führt. Zu diesem Zweck wird in diesem Kapitel anhand der zuvor ermittelten Ergebnisse untersucht, welchen Einfluss die öffentliche Stellung des Betroffenen in der Gesellschaft auf die im Rahmen ermittlungsbehördlicher Öffentlichkeitsarbeit sowie 1

Hierzu siehe bereits oben Erstes Kapitel, C.

A. Die Interessenabwägung im Falle der Person des öffentlichen Lebens

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medialer Verdachtsberichterstattung zu treffenden Abwägungsentscheidung hat (A.). Anschließend werden die aus diesen Erkenntnissen folgenden Konsequenzen für die Öffentlichkeitsarbeit der Staatsanwaltschaft sowie die mediale Berichterstattung dargestellt (B.).

A. Die Interessenabwägung im Falle der Person des öffentlichen Lebens Wie die vorangegangenen Erörterungen gezeigt haben, hängt das Maß der Medienöffentlichkeit im Ermittlungsverfahren und damit auch die Intensität der Beeinträchtigungen des Beschuldigten vom Umfang der ermittlungsbehördlichen Informationstätigkeit sowie der darauf fußenden medialen Verdachtsberichterstattung ab. Diese wiederum ist das Ergebnis einer umfassenden und einzelfallbezogenen Güterabwägung zwischen dem durch die Meinungs- und Medienfreiheit repräsentierten öffentlichen Informationsinteresse und den Geheimhaltungsinteressen des Beschuldigten, insbesondere dem Persönlichkeitsrecht, dem Recht auf ein faires Verfahren und der Unschuldsvermutung. Wie sich die Stellung des Beschuldigten als Person des öffentlichen Lebens auf diese widerstreitenden Interessen auswirkt und welche besonderen Aspekte in derartigen Verfahren Berücksichtigung finden müssen, wird im Folgenden zu untersuchen sein.

I. Verfassungsdogmatische Ausgangslage Für die von der Staatsanwaltschaft und den Medien vorzunehmende einzelfallbezogene Güterabwägung zwischen den widerstreitenden verfassungsrechtlich verankerten Rechten der Medien sowie der Allgemeinheit einerseits und des Beschuldigten als Person des öffentlichen Lebens andererseits ist zunächst ein Blick auf die verfassungsdogmatische Ausgangslage einer derartigen Abwägungsentscheidung zu werfen und zu fragen, inwiefern sich diese aufgrund der gesellschaftlichen Stellung der Betroffenen von der bisher dargestellten Situation2 unterscheidet. 1. Die Person des öffentlichen Lebens als Träger des allgemeinen Persönlichkeitsrechts Durch die ermittlungsbehördliche Öffentlichkeitsarbeit und eine mediale Verdachtsberichterstattung wird der Beschuldigte insbesondere in seinem durch Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 2 Abs. 1 GG geschützten Persönlichkeitsrecht verletzt.3 Auch 2 Bezüglich der medialen Berichterstattung siehe oben Viertes Kapitel, B. I., sowie zur ermittlungsbehördlichen Öffentlichkeitsarbeit siehe unten Fünftes Kapitel, C. I. 3 Hierzu siehe bereits oben Drittes Kapitel, B. I.

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6. Kap.: Verdachtsäußerung im Fall der Person des öffentlichen Lebens

die Person des öffentlichen Lebens als natürliche Person ist zunächst zweifellos Träger des allgemeinen Persönlichkeitsrechts,4 so dass ihr sowohl Schutz vor staatlichen Eingriffen als auch vor Eingriffen Dritter in ihre Persönlichkeitssphäre zu gewähren sind. Aufgrund ihrer ohnehin gesellschaftlich exponierten Stellung liegt jedoch die Frage nahe, ob sich die Person des öffentlichen Lebens in gleichem Maße auf den Schutz ihrer Persönlichkeit berufen kann, wie ein bis dato der Öffentlichkeit unbekannter Beschuldigter oder ob hier bereits eine schutzbereichsbezogene Verschiebung vorzunehmen ist.5 Denkbar wäre in diesem Zusammenhang zunächst eine Einschränkung für solche Personen des öffentlichen Lebens, die nicht qua Geburt (z. B. Angehörige eines Königshauses) oder Schicksalsschlag (z. B. Natascha Kampusch), sondern aufgrund beruflichen oder privaten Wirkens und damit selbstbestimmt in die Öffentlichkeit getreten sind. Möglicherweise kann der bewusste Schritt in die (mediale) Öffentlichkeit als eine Form des Verzichts auf den Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts verstanden werden, wenn bestimmte Bereiche der Persönlichkeit freiwillig in die Öffentlichkeit getragen werden. Diesbezüglich gilt jedoch, dass ein genereller Verzicht auf das Persönlichkeitsrecht nicht möglich ist.6 Der Gedanke, eine Person könne durch den bewussten Schritt in ein öffentliches Leben ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts auch nur in gewissen Bereichen generell verlustig gehen, ist daher abzulehnen. Möglich ist hingegen eine einzelfallbezogene Einwilligung gegenüber Dritten, beispielsweise gegenüber den Medien, wenn der Grundrechtsträger sich mit der Veröffentlichung von Vorgängen aus seiner Privatsphäre einverstanden erklärt.7 Doch selbst wenn eine derartige Einwilligung auch stillschweigend erklärt werden kann,8 wird eine solche gerade in den hier gegenständlichen Fällen der Veröffentlichung von Informationen über Ermittlungsverfahren gegen eine Person des öffentlichen Lebens nach Treu und Glauben kaum ernstlich angenommen werden können. Neben einem generellen Verzicht ist zudem ein Einfluss der gesellschaftlichen Stellung der Person des öffentlichen Lebens auf den zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht entwickelten Sphärenschutz denkbar.9 Der mit § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG und 4

Vgl. zum personellen Schutzbereich Maunz/Dürig/Di Fabio, Art. 2 Rn. 223. Angesichts der medialen aber auch ermittlungsbehördlichen Praxis erscheint die folgende Feststellung Heribert Prantls anlässlich des Verfahrens gegen Uli Hoeneß keinesfalls selbstverständlich: ,Das allgemeine Persönlichkeitsrecht heißt so, weil es für alle gilt, auch für sehr prominente Menschen“, „Friede dem Verurteilten“, in: SZ-Online vom 17. 03. 2014, abrufbar unter: http://www.sueddeutsche.de/medien/hoeness-friede-dem-verurteilten-1.1915346 (zuletzt abgerufen am 03. 03. 2021). 6 Jarass, NJW 1989, 857 (860); Maunz/Dürig/Di Fabio, Art. 2 Rn. 223. 7 BVerfG GRUR 2000, 446 (447 f.); Maunz/Dürig/Di Fabio, Art. 2 Rn. 223. 8 Siehe ausführlich zur Einwilligung in Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht Fechner, 4. Kap. Rn. 40 ff. 9 Siehe hierzu auch Guha, S. 59 ff., dessen Ausführungen aus der Zeit vor dem „CarolineUrteil“ des EGMR sich jedoch noch auf die absolute Person der Zeitgeschichte nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG beziehen. 5

A. Die Interessenabwägung im Falle der Person des öffentlichen Lebens

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insbesondere der früheren Rechtsprechung zur absoluten Person der Zeitgeschichte angedeutete geringere Sphärenschutz der Person des öffentlichen Lebens könnte durch die Annahme gerechtfertigt werden, diese Person müsse „den Tribut zahlen, den die Sozialgebundenheit von ihr fordert“, da die Allgemeinheit über herausragende Ereignisse, Leistungen oder Eigenschaften bestimmter Personen informiert werden müsse.10 Auch nach Abkehr der Rechtsprechung von der Figur der absoluten Person der Zeitgeschichte macht die Systematik der §§ 22 ff. KUG deutlich, dass zwischen dem persönlichkeitsrechtlichen Schutz der nicht öffentlichen Person, welche durch § 22 KUG auch im Bereich der Sozialsphäre umfassend geschützt ist, und der Person mit zeitgeschichtlicher Bedeutung zu differenzieren ist. Guha merkt angesichts der vor dem abgestuften Stufenkonzept geltenden Rechtsprechung an, diese würde der absoluten Person der Zeitgeschichte im Bereich der Sozialsphäre den persönlichkeitsrechtlichen Schutz praktisch aberkennen.11 Diese Einschätzung mag auf Basis der früheren Rechtsprechung zutreffend gewesen sein, wobei sie jedoch die notwendige Unterscheidung zwischen einer bereits verfassungsdogmatisch reduzierten Schutzwürdigkeit und einem Überwiegen der im Verhältnis zu nicht öffentlichen Personen stärker wirkenden öffentlichen Informationsinteressen innerhalb der einzelfallbezogenen Güterabwägung nicht ausreichend berücksichtigt. Dass die Person des öffentlichen Lebens im Grundsatz einen gleichwertigen grundrechtlichen Sphärenschutz aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht erfährt, stellte der BGH schon vor der Rechtsprechungswende im Zuge der „Caroline-Rechtsprechung“ klar.12 Hiernach ist neben der Sozialsphäre auch die Privatsphäre der Person des öffentlichen Lebens und insbesondere deren Kernbereich in gleichem Maße wie bei einer nicht öffentlichen Person durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht geschützt.13 Abzulehnen ist daher ein grundsätzlich schwächerer Sphärenschutz im Hinblick auf die Person des öffentlichen Lebens. Die von Guha reklamierte unterschiedliche Wertung kann allenfalls das Ergebnis der vorzunehmenden umfassenden 10

Guha, S. 59, unter Verweis auf Engau, S. 29, der den Menschen nicht als isoliertes Einzelwesen, sondern Teil einer staatlichen Gemeinschaft und damit im Sozialverbund sieht; ferner Loock, S. 142. 11 Guha, S. 60, nach dem dieser fehlende Schutz damit zusammenhängt, dass die (frühere) Rechtsprechung jedes Bildnis einer absoluten Person der Zeitgeschichte außerhalb der eigenen vier Wände als ein solches im Sinne des § 23 Abs. 1 Nr. 2 KUG eingestuft hat. Hierzu verweist er insbesondere auf BGH NJW 1996, 1128; OLG Hamburg AfP 1991, 437; OLG Köln AfP 1994, 166 (168). 12 BGH NJW 1996, 1128 (1129), auch wenn hier nach der vom Senat vorgenommenen Interessenabwägung die öffentlichen Interessen das Anonymitätsinteresse der dortigen Person der Zeitgeschichte im Ergebnis überwogen haben. 13 BGH NJW 1996, 1128 (1129). Der BGH macht bereits hier deutlich, dass die Privatsphäre auch bei Personen des öffentlichen Lebens nicht auf den häuslichen Bereich und der Öffentlichkeit verschlossene Räumlichkeiten beschränkt ist, sondern davon abhängt, ob sich die Person objektiv erkennbar in eine Abgeschiedenheit zurückgezogen hat. Insoweit weist Guha, S. 60 f., darauf hin, dass infolge der nach der Rechtsprechung nur allzu oft überwiegenden öffentlichen Interessen der Person des öffentlichen Lebens ein geschütztes Privatleben außerhalb der eigenen vier Wände faktisch verwehrt ist; vgl. auch LG Berlin ZUM-RD 2006, 248 (249 m. w. N.).

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6. Kap.: Verdachtsäußerung im Fall der Person des öffentlichen Lebens

Interessenabwägung und des hier (vermeintlich) stärker wirkenden Informationsinteresses der Allgemeinheit sein.14 Auch wenn die einzelnen Persönlichkeitssphären der Person des öffentlichen Lebens damit grundsätzlich ebenso schutzwürdig sind, kann hingegen ihre Stellung in der Öffentlichkeit einen Einfluss auf die Grenzziehung zwischen den einzelnen Persönlichkeitssphären haben.15 Je nach Ursache der Bekanntheit der Person des öffentlichen Lebens kann ihr Auftreten außerhalb der privaten Wohnung oftmals als Teil der beruflichen Tätigkeit angesehen werden, so dass hier in Abweichung zur nicht öffentlichen Person ggf. eine Verschiebung der Privat- in die Sozialsphäre anzunehmen sein könnte. Als ein Beispiel derartiger „Sphärenverschiebung“ führt Loock die „Vater-Graf-Entscheidung“ des OLG Hamburg16 an, in welchem der dortige Senat über die Rechtmäßigkeit einer Berichterstattung über eine vermeintliche außereheliche sexuelle Beziehung und eines daraus angeblich entstandenen weiteren Kindes des Vaters der ehemaligen Tennisspielerin Steffi Graf zu entscheiden hatte.17 Das OLG Hamburg ordnete die Umstände einer außerehelichen Beziehung und eines daraus hervorgegangenen Kindes nicht – wie sexuelle Beziehungen üblicherweise18 – der absolut zu schützenden Intimsphäre, sondern der eine Güterabwägung erst eröffnenden Privatsphäre zu.19 Loock zieht aus diesem Urteil Rückschlüsse auf den Persönlichkeitsschutz der Person des öffentlichen Lebens, da die sexuelle Beziehung zwischen zwei Personen nach der Rechtsprechung üblicherweise der Intimsphäre zuzuordnen sei.20 Die hiermit angedeutete „Sphärenverschiebung“ hat das OLG Hamburg jedoch nicht auf den Bekanntheitsgrad des vermeintlichen Vaters oder gar seiner in der Öffentlichkeit stehenden Tochter gestützt, sondern vielmehr auf das aus der sexuellen Beziehung vermeintlich hervorgegangene Kind und damit einen Umstand, der auch „die Belange anderer sowie der Gemeinschaft“ berühre.21 Unabhängig von der Bewertung dieser Argumentation ist jedoch der Forderung Loocks zuzustimmen,22 dass der Person des öffentlichen Lebens ebenso wie jeder anderen Person ein Bereich absolut geschützter Intimität zugestanden werden muss. Bei der Grenzziehung zwischen Privat- und Sozialsphäre ist hingegen eine Auswirkung der gesellschaftlichen Stellung dergestalt denkbar, dass Teile des pri14

So im Ergebnis auch Guha, S. 69. Hierzu vgl. auch Loock, S. 141 ff., die ihre Darstellungen der persönlichkeitsrechtlichen Sphären unter besonderer Betrachtung der „öffentlichen Person“ vornimmt. 16 OLG Hamburg NJW-RR 1991, 98. 17 Loock, S. 143. 18 Siehe zur Einordnung sexueller Beziehungen zur Intimsphäre bereits oben Fünftes Kapitel, C. II. 4. b). 19 OLG Hamburg NJW-RR 1991, 98. 20 Loock, S. 143, u. a. unter Verweis auf BGH NJW 1973, 891 (892); NJW 1988, 1016 (1017); NJW 1991, 1552 (1553). 21 OLG Hamburg NJW-RR 1991, 98. 22 Loock, S. 143. 15

A. Die Interessenabwägung im Falle der Person des öffentlichen Lebens

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vaten Wirkens einer Person des öffentlichen Lebens zugleich als Teil ihres beruflichen Wirkens anzusehen und damit der Sozialsphäre zuzuordnen sind, während die gleichen Umstände bei nicht in der Öffentlichkeit stehenden Personen den stärkeren Schutz der Privatsphäre genießen. Eine Sphärenverschiebung ist damit nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Bezogen auf die hier gegenständlichen strafrechtlich relevanten Vorwürfe oder eines gegen die Person des öffentlichen Lebens geführten Ermittlungsverfahrens sind diese jedoch nur dann dem beruflichen Wirken und damit der Sozialsphäre zuzuordnen,23 wenn sie in Zusammenhang mit dem „Grund der öffentlichen Stellung“ stehen. Danach wäre beispielsweise der Vorwurf einer Trunkenheitsfahrt eines Schauspielers der Privatsphäre zuzuordnen, während eine vermeintliche Bestechlichkeit eines Politikers aufgrund des Zusammenhangs mit dessen beruflichen Wirkens der weniger schützenswerten Sozialsphäre zuzuordnen wäre.24 In diesem Zusammenhang führt Loock für eine derartige „Sphärenverschiebung“ zwischen Privat- und Sozialsphäre beispielhaft den sog. „Sittenrichterfall“ des BGH25 an. Hier hatte sich der Verleger einer Tages- und Wochenzeitung einen Ruf als „Moralist“ erworben, indem er in seinen Veröffentlichungen immer wieder politische Gegner mit dem Vorwurf wirklicher oder angeblicher sittlicher Verfehlungen attackierte, so dass er durch die öffentliche moralische Erhebung seiner Person über andere im Rahmen des beruflichen Wirkens sein eigenes privates moralisches Leben zum Gegenstand seiner Sozialsphäre gemacht habe.26 Die Persönlichkeit der Person des öffentlichen Lebens ist damit grundsätzlich in gleichem Umfang wie eine nicht öffentliche Person durch Art. 1 Abs. 1 i. V. m. Art. 2 Abs. 1 GG geschützt. Aufgrund ihres beruflichen Wirkens in der Öffentlichkeit können allenfalls „Verschiebungen“ zwischen der Privat- und Sozialsphäre anzunehmen sein, wenn eine grundsätzlich als privat einzustufende Handlung mit dem beruflichen Wirken der in der Öffentlichkeit stehenden Person verknüpft ist. Inwieweit eine differenzierende Handhabung des grundrechtlichen Schutzes von Personen des öffentlichen Lebens mit dem verfassungsrechtlichen Gebot der Gleichheit aus Art. 3 Abs. 1 GG in Einklang steht, soll im folgenden Abschnitt betrachtet werden.

23

Zur grundsätzlichen Zuordnung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens zur Privatsphäre siehe bereits oben Drittes Kapitel, B. I. 24 Zur Einordnung berufsbezogener Vorwürfe in den Bereich der Sozialsphäre vgl. BGH NJW 1962, 32 (33); OLG Braunschweig NJW 1975, 651 (652); ablehnend Zielemann, S. 90. 25 BGH NJW 1964, 1471. 26 BGH NJW 1964, 1471 (1472).

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6. Kap.: Verdachtsäußerung im Fall der Person des öffentlichen Lebens

2. Der Beschuldigte als Person des öffentlichen Lebens und der Gleichheitsgrundsatz Fasst man die Personen des öffentlichen Lebens als gesellschaftliche Gruppe zusammen,27 führen die vorangegangenen Überlegungen hinsichtlich einer möglichen Auswirkung der gesellschaftlichen Stellung des Beschuldigten auf die der Informationstätigkeit der Staatsanwaltschaft oder der medialen Verdachtsberichterstattung zugrundeliegende verfassungsdogmatische Ausgangslage unweigerlich zu der Frage, inwieweit eine Gleich- oder Ungleichbehandlung dieser Personengruppe nach dem Grundgesetz rechtmäßig oder geboten sein kann.28 Positivrechtlich ist der Gleichheitsgrundsatz in Art. 3 Abs. 1 GG verankert, gewährleistet Gleichheit nach dem Gesetz sowie in der Gesetzesanwendung und fordert Beachtung unabhängig von der betroffenen Person.29 Die rechtliche Grundaussage des Art. 3 GG, dass gleiche Sachverhalte rechtlich gleich bewertet werden müssen, ist aufgrund der Singularität des Menschen und Unmöglichkeit identischer Lebenssachverhalte auf die Vergleichbarkeit zu reduzieren.30 Das BVerfG stellt mit dem Gebot, „weder wesentlich Gleiches willkürlich ungleich, noch wesentlich Ungleiches willkürlich gleich zu behandeln“,31 eine wichtige Voraussetzung für die verfassungsrechtliche Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung auf, die nach der früheren Rechtsprechung nur dann unrechtmäßig war, wenn sich für die Maßnahme keine vernünftigen, sich aus der Sache ergebenden und verständlichen Erwägungen finden ließen und daher sachfremde Beweggründe anzunehmen waren.32 Da diese nicht besonders hohe „Willkürhürde“ durch jeden erdenklichen sachlichen Grund überwunden werden konnte und so der Schutz des Gleichheitssatzes zu verwässern drohte,33 nimmt das BVerfG heute eine willkürliche Ungleichbehandlung nach seiner „neuen Formel“ dann an, wenn „eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu einer anderen anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten“.34

27

Siehe zur „Person des öffentlichen Lebens“ und der Begriffsbestimmung oben Erstes Kapitel, B. 28 Vgl. hierzu auch ausführlich Meinecke, S. 186 ff., sowie Guha, S. 162 ff., der die bildnisschutzrechtliche Ungleichbehandlung der ehemaligen absoluten Person der Zeitgeschichte in § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG angesichts des Gleichheitsgrundsatzes aus Art. 3 Abs. 1 GG kritisch betrachtet. 29 Maunz/Dürig/P. Kirchhof, Art. 3 Abs. 1 Rn. 72. 30 Maunz/Dürig/P. Kirchhof, Art. 3 Abs. 1 Rn. 73. 31 BVerfG NJW 1955, 625; vgl. auch schon BVerfG NJW 1951, 877 (878). 32 Ständige Rspr. seit BVerfG NJW 1954, 1153; BeckOK-GG/Kischel, Art. 3 Rn. 83; Maunz/Dürig/P. Kirchhof, Art. 3 Rn. 265; Meinecke, S. 188. 33 Dreier/Heun, GG, Art. 3 Rn. 21. 34 BVerfG NVwZ 1986, 735 (737) m. w. N.

A. Die Interessenabwägung im Falle der Person des öffentlichen Lebens

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Mit dieser deutlicheren Formulierung des Gleichheitssatzes wird jede Ungleichbehandlung nunmehr zusätzlich einer umfassenden Verhältnismäßigkeitsprüfung unterworfen, nach der nur ein Sachgrund von „solcher Art und solchem Gewicht“ deren Verfassungsmäßigkeit zu begründen.35 Für den Gesetzgeber ergibt sich damit die Befugnis zu einer Ungleichbehandlung von Personengruppen bei Vorliegen eines vernünftigen Sachgrundes, für welche der Gleichheitssatz jedoch umso stärker gilt, umso mehr der Anknüpfungspunkt der abweichenden Behandlung in der Person liegt und je weniger das betreffende Merkmal dem Einzelnen zur Verfügung steht.36 Der Judikative und Exekutive präsentiert sich der Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG als Gebot der Rechtsanwendungsgleichheit ohne Berücksichtigung des Ansehens oder der Position einer Person, wenn es für derartige Erwägungen keine tatbestandsmäßige Anknüpfungspunkte gibt.37 Auf Grundlage dieses verfassungsrechtlichen Gleichheitssatzes handelt es sich daher um eine Ungleichbehandlung in der Rechtsanwendung, wenn die Staatsanwaltschaften bei ihrer Informationstätigkeit auf Basis der Landespressegesetze und die Gerichte im Rahmen der justiziellen Überprüfung medialer Verdachtsberichterstattung ein zulässiges Mehr an Informationen und Berichterstattung auf die Stellung des Betroffenen als Person des öffentlichen Lebens stützen. Eine derartige Ungleichbehandlung ist mithin auf ihre Vereinbarkeit mit dem Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG zu untersuchen. Diese Form der Rechtsanwendungsungleichheit und die aus derartigen Duldungspflichten folgende stärkere Belastung der Person des öffentlichen Lebens wird insbesondere an ihren Bekanntheitsgrad und das daraus resultierende gesteigerte öffentliche Informationsinteresse geknüpft. Da sowohl der landespresserechtliche Auskunftsanspruch als auch die Verdachtsberichterstattung den Medien- und Informationsfreiheiten aus Art. 5 Abs. 1 GG und damit grundlegenden demokratischen Werten dient,38 stellt der gesellschaftliche Bekanntheitsgrad einer Person ein sachliches Kriterium dar, welches ein besonderes öffentliches Informationsinteresse indiziert und damit bei der Entscheidung über die Erteilung von Presseauskünften oder die Rechtmäßigkeit einer mediale Berichterstattung zu berücksichtigen sind.39 Es handelt sich folglich bei dem Bekanntheitsgrad des Betroffenen zunächst um einen sachlichen Grund und damit nicht um eine willkürliche Ungleichbehandlung i. S. d. Art. 3 GG.40 35

Meinecke, S. 189. Meinecke, S. 189 f. 37 BVerfG NJW 1993, 997 (998) m. w. N. 38 Siehe hierzu bereits oben Viertes Kapitel und Fünftes Kapitel. 39 Anders ist eine Ungleichbehandlung der Person des öffentlichen Lebens zu beurteilen, die zwar ebenfalls an ihre Bekanntheit anknüpft, für deren Berücksichtigung es in diesem Zusammenhang jedoch keine sachliche Begründung gibt. So beispielsweise privilegierte oder verschärfte Behandlung im Strafverfahren allein aufgrund der öffentlichen Stellung des Beschuldigten; vgl. hierzu zutreffend Meinecke, S. 192 ff. 40 Diesbezüglich im Ergebnis a. A. Meinecke, S. 194 f., der allerdings für solche Fälle Ausnahmen anerkennt, in denen die Bekanntheit einen Bezugspunkt zu einem gesetzlichen Tatbestandsmerkmal aufweist. Einen derartigen Bezugspunkt gibt es nach der hier vertretenen 36

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6. Kap.: Verdachtsäußerung im Fall der Person des öffentlichen Lebens

Da es sich bei dem gesellschaftlichen Bekanntheitsgrad einer Person jedoch um ein Merkmal handelt, das an der Person selbst anknüpft,41 muss nach der „neuen Formel“ des BVerfG die Bekanntheit einen Sachgrund „von solcher Art und solchem Gewicht“ darstellen, dass sie diese Form der Ungleichbehandlung mit Blick auf die irreversiblen Folgen der Medienöffentlichkeit im Ermittlungsverfahren für den Beschuldigten42 unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit rechtfertigen kann. Dieses Rechtfertigungsbedürfnis steigt, je mehr der Bekanntheitsgrad der Person des öffentlichen Lebens ihrer Verfügung entzogen ist. In dieser Hinsicht ist zwischen den verschiedenen „Quellen“ der Prominenz zu unterscheiden. Hierbei stellen die Personen des öffentlichen Lebens qua Geburt oder Schicksalsschlag und solche der durch besondere berufliche Leistungen bekannt gewordenen Personen eine Gruppe von Normadressaten dar, die sich nicht freiwillig in die mediale Präsenz begeben haben und damit den negativen Folgen ihrer Bekanntheit weitaus weniger ausgesetzt werden dürfen.43 Im Hinblick auf Personen des öffentlichen Lebens als Träger öffentlicher Ämter sowie der allgemeinen Medienprominenz ist hingegen davon auszugehen, dass diese sich bewusst und freiwillig in die die Öffentlichkeit begeben haben und damit über ihre gesellschaftliche Bekanntheit wesentlich freier verfügt haben. In der Folge sind für diese Personen an die Verhältnismäßigkeit der Ungleichbehandlung geringere Anforderungen zu stellen. Hinsichtlich des in der Öffentlichkeit stehenden Amtsträgers ist neben dessen Bekanntheitsgrad zudem das von dieser Person bekleidete Amt und die damit verbundene (öffentliche) Verantwortung als Kriterium der Ungleichbehandlung in Betracht zu ziehen. Die Übernahme eines öffentlichen Amtes und die damit einhergehende gesteigerte öffentliche und moralische Verantwortung stehen zur Disposition jedes Einzelnen. Wenn Guha zudem das Kriterium der Zeitgeschichte als Grund der Ungleichbehandlung heranzieht, dann speist sich die zeitgeschichtliche Bedeutung eines Tatverdachts gegen eine Person des öffentlichen Lebens entweder aus deren gesellschaftlicher Bekanntheit oder aus der Tat an sich. Erstere führt damit ebenfalls zu der sich anschließenden Verhältnismäßigkeitsprüfung. Die zeitgeschichtliche Bedeutung der Tat hingegen müsste losgelöst von dem Bekanntheitsgrad des Tatverdächtigen betrachtet werden und damit ebenso wie bei einem der Öffentlichkeit unbekannten Beschuldigten auf in Art oder Schwere besondere Taten beschränkt sein. Im Ergebnis kann damit die Ungleichbehandlung der Person des öffentlichen Lebens aufgrund ihrer gesellschaftlichen Bekanntheit sachlich gerechtfertigt sein, unterliegt jedoch je nach Ursprung der gesellschaftlichen Stellung den strengen Auffassung in Rechtskonstellationen, in denen es das öffentliche Informationsinteresse zu berücksichtigen gilt, welches mit dem Bekanntheitsgrad korreliert. 41 Vgl. Meinecke, S. 193. 42 Hierzu siehe bereits oben Drittes Kapitel, A. 43 So auch im Ergebnis Meinecke, S. 194 f., der zutreffend die Ansicht ablehnt, derartig unfreiwillige Personen des öffentlichen Lebens müssten sich ihre Bekanntheit negativ zurechnen lassen; so aber bspw. die Tendenz von Glaser, NVwZ 2012, 1432 (1434).

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Verhältnismäßigkeitsanforderungen des BVerfG. Ob damit die umfassendere Informationstätigkeit der Staatsanwaltschaft sowie der justiziell weiter gefasste Rahmen zulässiger medialer Verdachtsberichterstattung dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG genügt, ist schließlich ebenso durch Gegenüberstellung der durch die verstärkte Medienöffentlichkeit betroffenen Interessen der Person des öffentlichen Lebens mit den die Ungleichbehandlung rechtfertigenden öffentlichen Informationsinteressen zu beurteilen. Diese Interessenlage bei Personen des öffentlichen Lebens soll im folgenden Abschnitt erarbeitet werden.

II. Die besondere Interessenlage im Fall des Beschuldigten als Person des öffentlichen Lebens Eine Ungleichbehandlung der Person des öffentlichen Lebens als Beschuldigte bei der Auskunftstätigkeit der Staatsanwaltschaft und der gerichtlichen Überprüfung der medialen Berichterstattung wird damit insbesondere an die öffentliche Bekanntheit sowie gegebenenfalls des bekleidete Amt geknüpft.44 Hierbei handelt es sich zunächst um sachlich nachvollziehbare Gründe. Ob diese Ungleichbehandlung allerdings sowohl im Hinblick auf den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verhältnismäßig45 als auch nach der einfachgesetzlich vorgesehenen Interessenabwägung rechtmäßig ist, kann nur unter Berücksichtigung der besonderen Interessenlage im Falle des Beschuldigten als Person des öffentlichen Lebens beurteilt werden. Zu diesem Zweck sollen zunächst die besonderen Geheimhaltungsinteressen der Person des öffentlichen Lebens im Ermittlungsverfahren (hierzu unter 1.) und das diesbezügliche Informationsinteresse der Öffentlichkeit dargestellt (hierzu unten 2.) und schließlich gegeneinander abgewogen werden (hierzu unten 3.).46 1. Die besonderen Geheimhaltungsinteressen der Person des öffentlichen Lebens Richtet sich ein Ermittlungs- oder Strafverfahren gegen eine Person des öffentlichen Lebens ist die gerichtliche Abwägungsentscheidung hinsichtlich der Veröffentlichung von Informationen geprägt durch die gesellschaftlich exponierte Stellung des Betroffenen und das dadurch gesteigerte öffentliche Informationsinteresse. Diese Betrachtungsweise lässt jedoch unberücksichtigt, dass die Person des öffentlichen Lebens gerade aufgrund ihrer besonderen gesellschaftlichen Stellung durch die Informationstätigkeit der Staatsanwaltschaft und die mediale Verdachts44 Vgl. bspw. BVerfG NJW 2009, 3357 (3358); BGH NJW 2006, 599 (600); OLG Düsseldorf NJW 2003, 2536 (2538); NJW 2005, 1791 (1799); KG NJW-RR 2010, 622 (623). 45 Hierzu siehe oben Sechstes Kapitel, A. I. 2. 46 Auch wenn es sich bei der Abwägungsentscheidung um eine Einzelfallbewertung handelt, soll nachstehend der Versuch unternommen werden, allgemeine Kriterien und Maßstäbe für diese Abwägung zu finden.

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6. Kap.: Verdachtsäußerung im Fall der Person des öffentlichen Lebens

berichterstattung weitaus stärker beeinträchtigt wird, als eine unbekannte Persönlichkeit. Der Bekanntheitsgrad des Beschuldigten hat damit nicht nur eine Auswirkung auf die Informationsinteressen der Öffentlichkeit,47 sondern auch auf die im Rahmen der Abwägungsentscheidung zu berücksichtigenden Geheimhaltungsinteressen der Person des öffentlichen Lebens im Ermittlungsverfahren.48 a) Allgemeine Anonymitätsinteressen der Person des öffentlichen Lebens Ausgangspunkt der Beurteilung der Geheimhaltungsinteressen der Person des öffentlichen Lebens speziell im Rahmen eines gegen sie geführten Ermittlungsverfahrens soll die in § 22 KUG zum Ausdruck kommende Bewertung der Anonymitätsinteressen einer nicht in der Öffentlichkeit stehenden Person durch den Gesetzgeber sein.49 Der in § 22 KUG einfachgesetzlich normierte Schutz vor unbefugter Bildnisveröffentlichung macht deutlich, dass dem Recht am eigenen Bild als Teilbereich des Rechts auf Anonymität50 in unserer Rechtsordnung ein sehr hoher Wert beigemessen wird, der unabhängig davon besteht, ob in die Sozial- oder Privatsphäre eingegriffen wird.51 Mithin ist das grundsätzliche Anonymitätsinteresse einer Person zunächst als hoch einzustufen. Betrachtet man nunmehr die Person des öffentlichen Lebens so ist dieser immanent, dass ihr Bekanntheitsgrad ein gesteigertes Interesse der Öffentlichkeit hervorruft und sich ihr aufgrund dieser gesellschaftlichen Stellung nur begrenzte Rückzugsmöglichkeiten bieten. Gerade diese öffentliche Position und die damit einhergehende zu duldende Publizität gebieten jedoch eine besondere Schutzwürdigkeit der wenigen verbleibenden Bereiche möglicher Anonymität.52 Bezogen auf die hier gegenständliche Anonymität als Beschuldiger in einem Ermittlungsverfahren ist zudem zu beachten, dass ungeachtet der „Quelle“ der Prominenz die gesellschaftliche Wahrnehmung der Person des öffentlichen Lebens oftmals eine wesentliche Grundlage ihres beruflichen Wirkens ist, wenn sie nicht sogar als von existenzieller Bedeutung angesehen werden kann. Die Person des öffentlichen Lebens als Medienpersönlichkeit, als Berufsprominenter oder auch als Träger eines politischen Amtes ist von der öffentlichen Meinung abhängig, wodurch mit einem medienöffentlichen Ermittlungs- und Strafverfahren gravierende Gefahren für die 47

Hierzu siehe unten Sechstes Kapitel, A. II. 2. Da gerade bei Personen des öffentlichen Lebens die Informationstätigkeit der Staatsanwaltschaft und die mediale Verdachtsberichterstattung in aller Regel mit einer Namensnennung oder jedenfalls der Veröffentlichung zur Identifizierung geeigneter Einzelinformationen verbunden sind, beziehen sich die folgenden Ausführungen auf das Interesse des Beschuldigten an Geheimhaltung seiner Anonymität bzw. das öffentliche Interesse an der Identität des Tatverdächtigen. 49 So auch Guha, S. 158 f. 50 Siehe hierzu bereits oben Drittes Kapitel, B. I. 2. 51 Guha, S. 159. 52 Guha, S. 159. 48

A. Die Interessenabwägung im Falle der Person des öffentlichen Lebens

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schützenswerten Interessen dieser Personen einhergehen.53 Allein das Bekanntwerden der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens kann für die auf ihren öffentlichen Ruf angewiesene Person des öffentlichen Lebens zu finanziellen Einbußen führen und weitaus einschneidender und belastender sein als die eigentliche Strafe bei am Ende des Verfahrens folgender Verurteilung.54 Vor diesem Hintergrund ist gerade im Hinblick auf das hier gegenständliche strafrechtliche Ermittlungsverfahren das Anonymitätsinteresse der Person des öffentlichen Lebens nicht geringer, sondern vielmehr höher zu bewerten, als es bei nicht in der Öffentlichkeit stehenden Personen der Fall ist.55 Wenn Meinecke, gerade bei reinen Medienprominenten die Möglichkeit sieht, dass ein Ermittlungs- oder Strafverfahren als Teil der „gewollten Selbstinszenierung“ gesehen wird und existenzvernichtende Auswirkungen einer Entanonymisierung daher nicht zwingend seien,56 mag diesem allenfalls im Hinblick auf absolute Bagatelldelikte oder mediale Persönlichkeiten zuzustimmen sein, bei denen eine strafrechtliche Vergangenheit Teil des gezielt aufgebauten Images sein kann (so bspw. denkbar bei Rappern oder auch Profi-Boxern). Überwiegend wird jedoch das Bekanntwerden eines bestehenden strafrechtlichen Verdachts gegen eine Person des öffentlichen Lebens geeignet sein, diese in der gesellschaftlichen Wahrnehmung herabzuwürdigen und so neben ihrer sozialen auch die berufliche Existenz nachhaltig negativ zu beeinflussen. Es ist das Image der Personen des öffentlichen Lebens, das ihr mediale Aufmerksamkeit und damit einen Marktwert sichert, so dass imageschädliche Veröffentlichungen zur Reduktion ihres Markwertes führen.57 Auch lässt eine derartige von Meinecke angeführte „Sozialverträglichkeit“ strafrechtlicher Vorwürfe gegen prominente Persönlichkeiten den Faktor der Art des Tatvorwurfs unberücksichtigt. Medienwirksame Verfahren der Vergangenheit haben gezeigt, dass gerade „pikante“ und gesellschaftlich besonders diskreditierende Vorwürfe unabhängig vom Verfahrensausgang eine derart stigmatisierende Wirkung haben, dass die berufliche Laufbahn des Betroffenen oftmals bereits zu Beginn des Ermittlungsverfahrens ein Ende findet (so bspw. in den Fällen Sebastian Edathy, Andreas Türk, Nadja Benaissa und Jörg Kachelmann).58 Doch auch bei weniger gravierenden Tatvorwürfen ist anzunehmen, dass die gesellschaftliche Ächtung des Straftäters 53

Siehe hierzu bereits oben Drittes Kapitel, A. II. Meinecke, S. 193; Pruggmayer/Möller, K&R 2011, 234 (236), die diesbezüglich auf die Verfahren gegen Nadia Benaissa und Jörg Kachelmann (hierzu siehe auch bereits oben Erstes Kapitel, A.) sowie Klaus Zumwinkel und Jörg Tauss verweisen. 55 So zum allg. Verhältnis der Anonymitätsinteressen im Ergebnis auch Guha, S. 159. 56 Meinecke, S. 22. 57 Loock, S. 196, die zutreffend feststellt, dass sich der durch derartige persönlichkeitsrechtliche Beeinträchtigungen verursachte Imageschaden kaum beziffern lässt, womit selbst zivilrechtliche Ersatzansprüche ein äußerst stumpfes Schwert darstellen; zu den Folgen rechtswidriger Öffentlichkeitsarbeit und medialer Berichterstattung siehe unten Siebtes Kapitel, B.; zum Wert des Images einer Person des öffentlichen Lebens siehe auch BGH NJW 2000, 2195 (2197). 58 Zu diesen medienwirksamen Verfahren ausführlich oben Erstes Kapitel, A. 54

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6. Kap.: Verdachtsäußerung im Fall der Person des öffentlichen Lebens

auch das gesellschaftliche Ansehen der Person des öffentlichen Lebens, welches oftmals wesentliche Grundlage ihres beruflichen Wirkens darstellt, nachhaltig negativ beeinflusst.59 Da die Person des öffentlichen Lebens besonders im Fokus der medialen Beobachtung steht, ist bei der Qualifizierung ihrer Anonymitätsinteressen auch das „Kräfteverhältnis“ zwischen ihr und der Presse zu beachten.60 Die mediale Begleitung eines Ermittlungsverfahrens und damit auch eine freigiebige Öffentlichkeitsarbeit der Staatsanwaltschaft können unkontrollierbare Folgen für die Persönlichkeitsrechte der Person des öffentlichen Lebens nach sich ziehen.61 Auch kann gerade die Person des öffentlichen Lebens aus Angst vor den beruflichen sowie sozialen Folgen einer medialen Öffentlichkeit zu einem defensiven Prozessverhalten veranlasst werden, was sie in ihren Verfahrensrechten einzuschränken droht.62 Schließlich ist die Entanonymisierung des Betroffenen in Zusammenhang mit einer vermeintlichen Straftat nicht mehr rückgängig zu machen, selbst wenn diese nachträglich als rechtswidrig eingestuft wird. Infolge einer Veröffentlichung des gegen eine Person des öffentlichen Lebens geführten Ermittlungsverfahrens steigt zudem das öffentliche und damit mediale Interesse an dem Verfahren sowie ein diesbezüglicher Bedarf an Informationen zu Motiv, Verdachtslage und Hintergründen überproportional an.63 Damit schaffen die Medien mit ihrer Berichterstattung die Grundlage für immer weiterführende Berichterstattung über das Verfahren. Schließlich bedarf es gerade auch aufgrund der rasanten Entwicklungen in der Medienlandschaft und den hiermit einhergehenden neuen Gefahren64 eines gesteigerten rechtlichen Schutzes der Persönlichkeit.65 Stuft der Gesetzgeber die Anonymitätsinteressen schon für die nicht öffentliche Person als hoch ein, so müssen diese im Fall der Personen des öffentlichen Lebens gerade aufgrund ihrer Stellung in der Öffentlichkeit noch höher eingestuft werden. Die mit ihrer gesellschaftlichen Stellung verbundenen erheblichen Duldungspflichten im Hinblick auf Publizität führen zu einer erhöhten Schutzwürdigkeit der noch verbleibenden Anonymitätsbereiche.66 Gerade im Hinblick auf die Veröffentlichung eines Tatverdachts hat die Person des öffentlichen Lebens damit im 59

Vgl. dennoch auch Engau, S. 200, der von dieser gesellschaftlichen Ablehnung solche Täter ausnehmen will, denen lediglich „Kavaliersdelikte“ und sog. „White-Collar-Verbrechen“ vorgeworfen werden, da sie von der Öffentlichkeit nicht als Kriminelle wahrgenommen würden. 60 Guha, S. 160. 61 Meinecke, S. 194. 62 Hierzu siehe bereits oben Drittes Kapitel, A. II. 63 Meinecke, S. 220. 64 Siehe hierzu bereits oben Viertes Kapitel, A. I. 65 Guha, S. 64 f. 66 Vgl. Beater, ZUM 2005, 602 (608), der insoweit mahnt, der Persönlichkeitsschutz müsse bei Personen des öffentlichen Lebens besonders der Gefahr einer „Dauerbeobachtung in allen Lebenslagen“ entgegenwirken.

A. Die Interessenabwägung im Falle der Person des öffentlichen Lebens

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Verhältnis zu einer nicht in der Öffentlichkeit stehenden Person ein gesteigertes Geheimhaltungsinteresse, das bei schweren oder zu verstärkter gesellschaftlicher Verachtung führenden Tatvorwürfen besonders gewichtig ist. b) Das Anonymitätsinteresse der Person des öffentlichen Lebens als Amtsträger und im Falle berufsbezogener Vorwürfe Es bleibt damit festzuhalten, dass die Person des öffentlichen Lebens im Verhältnis zur „unbekannten Person“ gerade aufgrund ihrer gesellschaftlichen Stellung nicht nur ein gleichwertiges, sondern sogar ein gesteigertes Interesse an Anonymität im Ermittlungsverfahren hat. Bezieht sich diese Annahme noch auf die Person des öffentlichen Lebens im Allgemeinen, so sollen im Folgenden die besonderen Geheimhaltungsinteressen der Person des öffentlichen Lebens als politischer Amtsträger sowie im Fall berufsbezogener Tatvorwürfe untersucht werden. Immer wieder geraten strafrechtliche Ermittlungen gegen in der Öffentlichkeit stehende politische Amtsträger in die Medien. In den meisten dieser Fälle ist mit dem Bekanntwerden der Vorwürfe unmittelbar der Rücktritt des Betroffenen bzw. die Niederlegung der von ihm bekleideten Ämter verbunden, obwohl zu diesem Zeitpunkt eine rechtskräftige Feststellung der Schuld noch nicht getroffen ist. Die Tätigkeit eines politischen Amtsträgers ist naturgemäß eine öffentliche Tätigkeit und als solche mit öffentlichen Angriffen und Kritik verbunden.67 Auch nimmt der politische Amtsträger ein gesteigertes Vertrauen der Gesellschaft in Anspruch. Derartigen Personen des öffentlichen Lebens daher schon dem Grunde nach ein Anonymitätsinteresse im Hinblick auf strafrechtliche Vorwürfe abzusprechen, erscheint jedoch verfehlt.68 Denn gerade für diese Persönlichkeiten des politischen Lebens ist die öffentliche Wahrnehmung sowie das Vertrauen der Bevölkerung und damit der potentiellen Wähler von existenzieller Bedeutung. Aufgrund der in der gesellschaftlichen Wahrnehmung herabwürdigenden und diskreditierenden Wirkung gegen sie erhobener strafrechtlicher Vorwürfe haben damit gerade politische Amtsträger ein erhebliches Interesse an der Geheimhaltung gegen sie geführter Ermittlungen. Infolge ihrer vertrauensbasierten beruflichen Stellungen ist bei bereits mit Einleitung des Ermittlungsverfahrens eintretender umfassender medialer Berichterstattung auch über wenig gravierende Tatvorwürfe der spätere Ausgang des Verfahrens beinahe bedeutungslos69 und neben der beruflichen Existenz ist auch die 67

BVerfG NJW 1995, 3303 (3304); RGSt 62, 83 (94); KG NJW 1990, 1996, (1997); vgl. auch Frenz, ZUM 2012, 282 (283). 68 RGSt 62, 83 (94); Dalbkermeyer, S. 151; Engau, S. 359; kritisch auch Meinecke, S. 230 f.; Umbach/Clemens, Art. 5 GG Rn. 176. 69 So auch Engau, S. 346 f., der in Hinblick auf das Verfahren gegen den ehemaligen Parteiführer der britischen Liberalen, Jeremy Thorpe, einen Beitrag Ulrich Grudinskis in der FAZ Nr. 143 vom 23. 06. 1979, S. 4, zitiert („Ob Frei- oder Schuldspruch, sein Ruf und seine Karriere als Politiker waren ohnehin vernichtet …“). Eindrucksvoll wird diese Zusammenfassung Grudinskis auch durch die eingangs dargestellten Verfahren gegen Christian Wulff sowie Sebastian Edathy belegt. Hierzu siehe bereits oben Erstes Kapitel, A. IV. und V.

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6. Kap.: Verdachtsäußerung im Fall der Person des öffentlichen Lebens

gesellschaftliche Stellung akut gefährdet. Dies folgt nicht zuletzt aus der seitens der Bevölkerung kaum vorgenommenen Trennung zwischen dem bloßen Ermittlungsverfahren und dem Nachweis der Schuld.70 Vor diesem Hintergrund ist damit gerade bei Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens als politische Amtsträger ein erhöhtes Geheimhaltungsinteresse im Hinblick auf gegen sie erhobene strafrechtliche Vorwürfe anzunehmen. Ob diesen Personen aufgrund der mit dem von ihnen bekleideten öffentlichen Amt, der damit verbundenen Inanspruchnahme besonderen Vertrauens und zum Zwecke der plebiszitären Kontrolle staatlicher Machtausübung erhöhte Duldungspflichten im Hinblick auf die Publizität im Ermittlungsverfahren aufzuerlegen sind, ist schließlich eine Frage der Abwägung zwischen diesen Anonymitätsinteressen und den öffentlichen Informationsinteressen.71 An die Person des öffentlichen Lebens als Träger eines öffentlichen Amtes werden aus gesellschaftlicher Sicht besondere moralische Erwartungen geknüpft, so dass grundsätzlich jeglicher Vorwurf strafbaren Verhaltens geeignet ist, gravierende persönlichkeitsrechtliche Beeinträchtigungen nach sich zu ziehen. Besonders verheerend stellen sich jedoch Tatvorwürfe dar, die mit dem bekleideten Amt bzw. der politischen Tätigkeit selbst in Zusammenhang stehen. Derartige berufsbezogene Vorwürfe sind geeignet, dem Betroffenen bereits infolge eines bloßen Tatverdachts das gesamte Vertrauen der Bevölkerung und damit die demokratische Grundlage seiner politischen Tätigkeit zu entziehen. Ein Amtsträger, der wegen Verdachts der Bestechlichkeit in die Schlagzeilen gerät, ist in politischer Hinsicht und damit auch beruflich noch vor einem Schuldspruch ruiniert. Daraus folgt, dass der Beschuldigte als Träger eines öffentlichen Amtes im Falle berufsbezogener Vorwürfe ein besonderes Interesse an deren Geheimhaltung haben wird. Gerade im frühen Stadium des Ermittlungsverfahrens ist aufgrund des vorläufigen Charakters der „Beschuldigung“ im Verhältnis zur Irreversibilität der beruflichen und gesellschaftlichen Konsequenzen das Anonymitätsinteresse des Betroffenen als besonders hoch einzuschätzen. Neben den berufsbezogenen Vorwürfen gegen politische Amtsträger als Personen des öffentlichen Lebens sind solche grundsätzlich auch im Fall der Medien- oder Berufsprominenz denkbar.72 Hier ist zu differenzieren zwischen Vorwürfen, die den Grund der Prominenz betreffen (bspw. Dopingvorwürfe gegen bekannte Sportler, Wirtschaftsstraftaten einer bekannten Persönlichkeit der Wirtschaft, Fälschungen bei Wissenschaftlern) und solchen, die zwar berufsbezogen sind, diese Tätigkeit aber nicht den Bekanntheitsgrad der Person begründet hat (bspw. die Vorwürfe der Vorteilsgewährung und Bestechung gegen den Unternehmer Franjo Pooth, der durch seine Heirat mit der durch die Medien bekannten Verona Pooth zu einer Person des öffentlichen Lebens wurde). Beiden Fällen ist gemein, dass mit Bekanntwerden 70

Siehe hierzu bereits oben Drittes Kapitel, A. II. Hierzu siehe unten Sechstes Kapitel, A. II. 2. und 3. 72 Zum Begriff der Berufsprominenz und seine Abgrenzung vgl. oben Erstes Kapitel, B. I., sowie Meinecke, S. 21 ff., 134 ff. 71

A. Die Interessenabwägung im Falle der Person des öffentlichen Lebens

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berufsbezogener Vorwürfe neben der allgemeinen gesellschaftlichen Diskreditierung auch die berufliche Existenzvernichtung zu befürchten ist, so dass der Person des öffentlichen Lebens generell ein gesteigertes Anonymitätsinteresse im Hinblick auf Ermittlungsverfahren zugesprochen werden muss, welche berufsbezogene Vorwürfe zum Gegenstand haben. Erkennt man bei Personen des öffentlichen Lebens ein im Verhältnis zu nicht in der Öffentlichkeit stehenden Persönlichkeiten gesteigertes Anonymitätsinteresse im Ermittlungsverfahren an, so ist dieses bei politischen Amtsträgern und berufsbezogenen Vorwürfen aufgrund der irreversiblen Konsequenzen noch stärker zu gewichten. 2. Das besondere öffentliche Informationsinteresse im Fall des Beschuldigten als Person des öffentlichen Lebens Die bisherige Untersuchung hat gezeigt, dass hinsichtlich der Identität des Beschuldigten grundsätzlich kein berechtigtes, das heißt überwiegendes Informationsinteresse anzuerkennen ist.73 Identifizierende Informationstätigkeit der Staatsanwaltschaft sowie identifizierende mediale Verdachtsberichterstattung können daher (insbesondere nach der Rechtsprechung) nur in Ausnahmefällen rechtmäßig sein, in denen die anonyme Information über ein Strafverfahren nicht ausreichend erscheint, dem Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit Genüge zu tun. Wenn hiermit auf das öffentliche Informationsinteresse rekurriert wird, darf dieses aber nicht zum inhaltsleeren „Allheilmittel“ für die Rechtfertigung von Persönlichkeitsrechtsverletzungen werden, so dass es vor einer Abwägung mit widerstreitenden Interessen zunächst inhaltlich bestimmt und gewichtet werden muss.74 Es ist damit im Folgenden zu untersuchen, inwiefern die Stellung des Beschuldigten als Person des öffentlichen Lebens ein öffentliches Informationsinteresse an dessen Identität begründen kann.75 Wie bereits dargestellt, besteht an strafrechtlichen Vorwürfen und Strafverfahren grundsätzlich ein öffentliches Informationsinteresse, da diese den Rechtsfrieden stören und daher die Belange der Allgemeinheit betreffen, auch wenn ein allgemeines öffentliches Interesse an der Identität des Beschuldigten nicht anzuerkennen ist.76 In der Rechtsprechung ist die Tendenz zu erkennen, das öffentliche Informationsinteresse bezüglich einer Straftat anhand des angedrohten Strafrahmens zu 73

Siehe hierzu oben Viertes Kapitel, C. III. 2., sowie Fünftes Kapitel, C. II. 3. b). Beater, ZUM 2005, 602 (603). 75 Hierbei ist an diesem Punkt die einseitige Feststellung eines öffentlichen Interesses von der Frage seiner Berechtigung, mithin seinem Gewicht im Verhältnis zu den Geheimhaltungsinteressen zu unterscheiden. Eine Gewichtung im Sinne einer Gegenüberstellung der widerstreitenden Interessen kann erst nach Feststellung der betroffenen Interessen erfolgen; vgl. hierzu unten Sechstes Kapitel, A. II. 3., B. 76 Siehe hierzu bereits oben Viertes Kapitel, B. III. 2. a), sowie Fünftes Kapitel, B. II. 3. b). 74

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6. Kap.: Verdachtsäußerung im Fall der Person des öffentlichen Lebens

bemessen und damit das Merkmal der Schwere der Tat als indiziellen Maßstab für das öffentliche Interesse heranzuziehen.77 Hier wird differenziert zwischen Schwerkriminalität (bei angedrohter Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr), mittlerer Kriminalität (insbesondere „Angriffe gegen Sachen“) sowie Kleinkriminalität (Strafrahmen von unter zwei Jahren im Grundtatbestand).78 Auch wenn die Schwere des Tatvorwurfs bei der Abwägung zwischen den widerstreitenden Interessen der Öffentlichkeit und des Beschuldigten im Ermittlungsverfahren im Hinblick auf die Unschuldsvermutung untauglich erscheint,79 muss im Rahmen der Interessenfeststellung anerkannt werden, dass sich das öffentliche Interesse am Namen des Beschuldigten auch an der Schwere der in Rede stehenden Tat orientieren wird. Generell wird ein öffentliches Interesse an Straftaten und Tatvorwürfen insbesondere dann angenommen, wenn sie die Öffentlichkeit besonders berühren.80 Zu prüfen ist daher, ob die Gesellschaft unabhängig von der Schwere des Tatvorwurfs durch die Stellung des Beschuldigten als Person des öffentlichen Lebens „besonders berührt“ wird und damit ein öffentliches Interesse an der Nennung seines Namens begründet ist. Als ersten Anhaltspunkt für das Maß des öffentlichen Interesses an einem Sachverhalt sieht das KG den Umfang der diesbezüglichen Presseberichterstattung.81 Die Berichterstattung über das private sowie berufliche Wirken von Personen des öffentlichen Lebens nimmt je nach Art des Medium (seriöse Presse oder BoulevardMedien) einen erheblichen Anteil an der Berichterstattung ein. Es kann hiermit ein generelles öffentliches Informationsinteresse an Personen des öffentlichen Lebens angenommen werden, welches sich zunächst auf alle Lebensbereiche bezieht. Dieses Interesse kann auch rein unterhaltender Natur sein. Besonders zu interessieren scheinen überdies „delikate“ Sachverhalte, zu denen auch die Ermittlungen wegen des Verdachts einer Straftat zu zählen sind. Diesbezüglich speist sich das Interesse der Allgemeinheit sowohl aus Sensations- und Unterhaltungsinteressen als auch aus dem allgemeinen öffentlichen Interesse an Strafverfahren.82 Das BVerfG sieht das öffentliche Informationsinteresse hinsichtlich der Personen des öffentlichen Lebens insbesondere dadurch begründet, dass diese gesellschaftlich für bestimmte Werte und Lebenshaltungen stünden, sich der Einzelnen an ihnen orientieren könne und sie so zu „Kristallisationspunkten für Zustimmung oder Ab77

Vgl. Kaufmann, MMR 2010, 520 (522). Ausführlich zu dieser Kategorisierung vgl. Kaufmann, MMR 2010, 520 (522 f.). 79 Hierzu siehe bereits oben Fünftes Kapitel, C. II. 3. d) bb). 80 Vgl. Beater, ZUM 2005, 602 (607). 81 Vgl. KG NJW 2004, 3637 (3638). 82 Zutreffend kritisiert Engau, S. 104, einen derartigen Ansatz aufgrund der Stellung der Medien als „nicht nur der Selbstkontrolle unterworfene Organe des öffentlichen Interesses“, da diese dem öffentlichen Interesse als Informationsmittler dienen und es nicht durch ihre Medienberichterstattung begründen. Insofern spricht Engau von einer „Manipulierbarkeit durch die Massenmedien“. 78

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lehnung“ würden sowie eine „Leitbild- oder Kontrastfunktionen“ erfüllen könnten.83 Gerade Popmusiker, populäre Filmschauspieler und Sportler seien mittlerweile über den Bereich ihren professionellen Leistung hinaus zu „Idolen“ geworden, die gerade auch für das Leben von Jugendlichen eine große Bedeutung hätten.84 Eine derartige Vorbild- und Orientierungsfunktion der Person des öffentlichen Lebens unterstellt, wird durch einen erhobenen Strafvorwurf und ein eingeleitetes Ermittlungsverfahren diese gesellschaftliche Vorbildfunktion betroffen, so dass ein diesbezügliches öffentliches Informationsinteresse grundsätzlich anzunehmen ist. Es ist überdies ein gesteigertes Interesse an Informationen anzunehmen, wenn der Tatvorwurf in Zusammenhang mit dem beruflichen Wirken der Person des öffentlichen Lebens steht, welches als besonders hoch einzustufen ist, wenn hiermit zugleich die „Quelle“ der Prominenz betroffen ist. Eine spezielle Situation offenbart sich im Fall der Person des öffentlichen Lebens als politischer Amtsträger. Neben dem grundsätzlich bestehenden öffentlichen Informationsinteresse am allgemeinen politischen Geschehen85 steht der Träger eines politischen Amtes unter besonderer medial vermittelter Kontrolle.86 Er ist Repräsentant des Staates und übt die nach Art. 20 GG dem Volk zustehende Staatsgewalt aus, welche ihm im Wege demokratischer Machtdelegation übertragen wurde.87 An Informationen über ein strafrechtlich relevantes Verhalten einer Person des öffentlichen Lebens als politischem Amtsträger sowie deren Identität besteht damit aus demokratischen und rechtsstaatlichen Gründen ein gesteigertes öffentliches Interesse, dies insbesondere, wenn es sich um Taten in Zusammenhang mit der Amtsausübung handelt (beispielsweise der Vorwurf der Bestechlichkeit). Auch wenn berufsbezogene Tatvorwürfe zunächst nur „betriebliche“ Interessen betreffen, sind durch die mutmaßliche Straftat eines politischen Amtsträgers aufgrund des demokratischen Repräsentativsystems die Interessen der Allgemeinheit betroffen.88 Überdies erlangt in derartigen Fällen die Tat durch die Person des Täters eine besondere Prägung,89 sodass sich das öffentliche Interesse gerade auch auf dessen Identität bezieht. Doch auch außerhalb seiner Amtsausübung nimmt ein Repräsentant der Staatsgewalt ein besonderes Vertrauen der Bevölkerung in Anspruch, welches möglicherweise auch durch Straftaten außerhalb seines politischen Wirkungskreises betroffen wird, da eine „potentielle Delinquenz“ Zweifel an seiner Integrität begründen

83 BVerfG GRUR 2000, 446 (452); vgl. auch BGH NJW 2008, 1793 (1796); GRUR 2008, 1020 (1022); KG GRUR-RR 2009, 436 (437). 84 Ladeur, AfP 2009, 446, 449. 85 Beater, ZUM 2005, 602 (605). 86 Hierzu siehe bereits oben Viertes Kapitel, A. II. 4. 87 Vgl. Dalbkermeyer, S. 149. 88 Vgl. Frenz, ZUM 2012, 282 (284). 89 So auch Dalbkermeyer, S. 103.

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6. Kap.: Verdachtsäußerung im Fall der Person des öffentlichen Lebens

können.90 Das öffentliche Informationsinteresse hinsichtlich der Identität des Beschuldigten als Person des öffentlichen Lebens besteht daher bei politischen Amtsträgern unabhängig von der Berufsbezogenheit des Tatvorwurfs in gesteigertem Maße auch dann, wenn der in Rede stehende Verdacht zumindest vertrauensbeeinträchtigend wirken kann. Ob und in welchen Fällen dieses öffentliche Informationsinteresse die gesteigerten Anonymitätsinteressen des politischen Amtsträgers überwiegt, wird hingegen noch zu prüfen sein.91 Es bleibt damit festzuhalten, dass im Hinblick auf Ermittlungs- und Strafverfahren gegen Personen des öffentlichen Lebens ein grundsätzliches öffentliches Informationsinteresse besteht, welches aus dem Interesse an Strafverfahren im allgemeinen sowie der gesellschaftlichen Stellung des Beschuldigten gespeist wird. Ein gesteigertes Interesse ist dann anzunehmen, wenn die Tatvorwürfe das berufliche Wirken der Person des öffentlichen Lebens betreffen sowie im Fall des Beschuldigten als in der Öffentlichkeit stehenden politischen Amtsträger auch hinsichtlich nicht amtsbezogener Vorwürfe. 3. Gegenüberstellung der im Fall des Beschuldigten als Person des öffentlichen Lebens betroffenen Interessen Dem von der Rechtsprechung zur Rechtfertigung identifizierender Veröffentlichungen herangezogenen öffentlichen Informationsinteresse an Strafvorwürfen gegen Personen des öffentlichen Lebens stehen somit zugleich gesteigerte Anonymitätsinteressen des Betroffenen gegenüberstehen. Vor diesem Hintergrund und angesichts des Gleichheitsgrundsatzes aus Art. 3 Abs. 1 GG ist die Frage nach den der Person des öffentlichen Lebens im Ermittlungsverfahren obliegenden Publizitätsduldungspflichten nicht als Bedürfnis der Rechtfertigung einer Besserstellung, sondern als Pflicht zur Begründung einer Schlechterstellung zu verstehen.92 Hierbei ist nach dem Gleichheitsgrundsatz eine Ungleichbehandlung der Person des öffentlichen Lebens nur dann gerechtfertigt, wenn die aus ihrer Bekanntheit oder dem öffentlichen Amt folgenden öffentlichen Informationsinteressen die mit der gesteigerten Medienöffentlichkeit einhergehenden Belastungen des Beschuldigten

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Dalbkermeyer, S. 150. Fischer, S. 213 f., steht einem öffentlichen Informationsinteresse in Hinblick auf die Identität des Beschuldigten selbst in Fällen von Amtspflichtverletzungen kritisch gegenüber und sieht dem Informationsinteresse auch hier grundsätzlich bereits damit Genüge getan, das bekleidete Amt sowie den Tatvorwurf und den Zusammenhang zu kennen, nicht jedoch den Namen des Beschuldigten. 92 So zutreffend die dogmatische Ausgangslage der Abwägungsentscheidung zusammenfassend Dalbkermeyer, S. 155. Nicht zu Unrecht kritisiert Guha, S. 60 ff., vor diesem Hintergrund die Tendenz der Rechtsprechung, bei der erforderlichen Interessenabwägung überwiegend auf Allgemeinplätze zurückzugreifen und eine ausgewogene und nachvollziehbare Argumentation durch den Verweis auf das öffentliche Informationsinteresse zu ersetzen. 91

A. Die Interessenabwägung im Falle der Person des öffentlichen Lebens

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überwiegen. Die Anforderungen an dieses Überwiegen sind um so höher anzusetzen, je mehr der Bekanntheitsgrad für den Betreffenden disponibel ist.93 a) Interessenabwägung in Fall allgemeiner Medien- und Berufsprominenz Betrachtet man zunächst die besondere Interessenlage bei einem Beschuldigten aus dem Bereich der allgemeinen Medien- oder Berufsprominenz, so stehen sich hier auf der einen Seite die angesichts der Bedeutung des gesellschaftlichen Ansehens für die Person des öffentlichen Lebens gesteigerten Anonymitätsinteressen im Hinblick auf strafrechtliche Vorwürfe und auf der anderen Seite das öffentliche Informationsinteresse an strafrechtlichen Ermittlungsverfahren sowie dem Wirken von in der Öffentlichkeit stehenden Persönlichkeiten im allgemeinen gegenüber. Die Stellung als Person des öffentlichen Lebens kann gänzlich unterschiedlich begründet sein (durch besondere Leistung, qua Geburt, Schicksalsschlag oder einfach stetige Medienpräsenz), so dass sie allein nicht das entscheidende Kriterium bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen sein kann.94 Überdies verleihen gerade die durch ein Bekanntwerden eines strafrechtlichen Tatverdachts drohenden irreversiblen persönlichkeitsrechtlichen Folgen für den Beschuldigten als bloßen Verdächtigen den Anonymitätsinteressen der Person des öffentlichen Lebens gerade im Hinblick auf einen späteren möglichen Freispruch oder eine Einstellung des Verfahrens ein besonderes Gewicht.95 Dennoch kann nach in der Rechtsprechung verbreiteter Ansicht ein an sich geringes Interesse der Öffentlichkeit an „leichten Verfehlungen“ im Einzelfall durch die Besonderheiten in der Person des Täters aufgewogen werden.96 Vor dem Hintergrund der für die Rechtfertigung von Eingriffen in das Persönlichkeitsrecht entwickelten Sphärentheorie sind jedoch Informationen über strafrechtliche Ermittlungsverfahren zunächst grundsätzlich der Privatsphäre des Betroffenen zuzuordnen, so dass ihre Veröffentlichung nur bei einem deutlichen Überwiegen wichtiger Belange des Gemeinwohls zulässig sind.97 Eine vorherrschend die Unterhaltungs- und Sensationsinteressen der Öffentlichkeit bedienende mediale Berichterstattung über Personen des öffentlichen Lebens ist kein Element plebiszitärer Kontrolle und damit auch nicht auf die demokratische und rechtsstaatliche Funktion der Medien, mithin wichtige Belange des Gemeinwohls zurückzuführen.98 Auch wenn Sensations- und Unterhaltungsinteressen der Öffentlichkeit durchaus anzuerkennen sind, sind diese bei der Interessenabwägung 93 Siehe zu den Anforderungen des Gleichheitsgrundsatzes bereits oben Sechstes Kapitel, A. I. 2. 94 Wanckel, NJW 2011, 726; Zielemann, S. 102. 95 Hierzu siehe bereits oben Sechstes Kapitel, A. II. 1. 96 BVerfG NJW 2006, 2835; NJW 2009, 3357 (3358); BGH NJW 2006, 599; KG NJW-RR 2010, 622 (623); vgl. auch Hohmann, NJW 2009, 881 (882), unter Verweis auf LG Hamburg BeckRS 2012, 08648. 97 Siehe hierzu bereits oben Fünftes Kapitel, C. II. 4. b). 98 Beater, ZUM 2005, 602 (606 f.).

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6. Kap.: Verdachtsäußerung im Fall der Person des öffentlichen Lebens

hinsichtlich der Publizitätsduldungspflichten des Beschuldigten streng vom öffentlichen Informationsinteresse zu trennen.99 Ebenso wenig ist das allgemeine öffentliche Interesse an strafrechtlichen Sachverhalten geeignet, eine öffentliche Identifizierung des Beschuldigten zu rechtfertigen, da diesem bereits durch anonyme Informationen über Ermittlungs- und Strafverfahren ausreichend Rechnung getragen werden kann. Eine Veröffentlichung der Identität des Betroffenen ist in diesem Zusammenhang nicht erforderlich.100 Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Zusammentreffen dieser beiden Interessen im Fall des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens gegen eine Person des öffentlichen Lebens, da der grundsätzlichen Information über strafrechtliche Vorwürfe gegen in der Öffentlichkeit stehende Personen keine herausragende Bedeutung für das Gemeinwohl zukommt. Soweit die Rechtsprechung auf die gesellschaftliche Vorbild- und Kontrastfunktion der Person des öffentlichen Lebens verweist und ihre Persönlichkeitsrechte insoweit als gering einstuft,101 erscheint diese ihr auferlegte Position nicht geeignet, eine die Privatsphäre betreffende Publizitätsduldungspflicht zu begründen.102 Diese für das gesellschaftliche Wohl verantwortliche Stellung ist nicht vorrangig durch das persönliche Verhalten der Person bestimmt, sondern wird ihr durch die sozialen Regeln auferlegt.103 Eine beruflich wie privat folgenschwere öffentliche Bloßstellung des Beschuldigten im Stadium des Ermittlungsverfahrens mit der ihm von der Allgemeinheit zugeschriebenen Vorbildfunktion zu rechtfertigen, würde zu einer Instrumentalisierung der Person des öffentlichen Lebens führen und mit der Rollenzuschreibung an ein Merkmal anknüpfen, welches über die bloße Bekanntheit hinaus nicht zur Disposition des Betroffenen steht. Die angesichts des Gleichheitsgrundsatzes an eine Rechtfertigung derartiger Ungleichbehandlung hinsichtlich der persönlichkeitsrechtlich geschützten Privatsphäre zu stellenden Anforderungen sind besonders hoch 99 Jahn/Gerhardt, ZRP 2016, 155 (156 f.), die in diesem Zusammenhang zutreffend darauf hinweisen, dass der Umfang der Berichterstattung aufgrund der Entwicklungen in der Medienlandschaft hin zu „Sensation, Empörung und ökonomischem Egoismus“ kein geeigneter Gradmesser für das öffentliche Informationsinteresse darstellt. 100 Keinesfalls kann im Stadium des Ermittlungsverfahren der persönlichkeitsrechtliche Schutz des Betroffen mit Verweis auf den durch ihn gebrochenen Rechtsfrieden und die infolgedessen verletzten Rechtsgüter der Gemeinschaft herabgesetzt werden (vgl. BGH NJW 2006, 599 (600)), da diese Argumentation die der Unschuldsvermutung widersprechende Schuld des Beschuldigten annimmt und damit einen unzulässigen Zusammenhang zwischen Verdächtigung und Tat schafft; so im Ergebnis auch Gounalakis, NJW 2012, 1473 (1477), der davon ausgeht, dass der Beschuldigte sich seine Situation nicht selbst ausgesucht hat, was insbesondere unter dem Aspekt der Unschuldswirkung Beachtung finden muss. 101 Siehe oben Sechstes Kapitel, A. II. 2.; vgl. auch Beater, ZUM 2005, 602 (607). 102 So auch Lindner, StV 2008, 210 (216). Beater, ZUM 2005, 602 (608), spricht in Hinblick auf die großzügige Unterordnung der Persönlichkeitsrechte der Person des öffentlichen Lebens unter die öffentlichen Informationsinteressen durch die Rechtsprechung des BVerfG provokant von einer „persönlichkeitsrechtlichen Enteignung“. 103 Ladeur, AfP 2009, 446 (449).

A. Die Interessenabwägung im Falle der Person des öffentlichen Lebens

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anzusetzen. In diesem Zusammenhang scheint jedenfalls im Hinblick auf geringe Tatvorwürfe das Anonymitätsinteresse des Beschuldigten zu überwiegen. Hinsichtlich von Strafvorwürfen, die die Privatsphäre der Person des öffentlichen Lebens betreffen, vermag daher allein das allgemeine Interesse an Straftaten sowie die gesellschaftlich hervorgehobene Stellung des Betroffenen seine öffentliche Identifizierung als Beschuldigter in einem Strafverfahren nicht zu rechtfertigen.104 Anders kann sich die Abwägungsentscheidung darstellten, wenn der erhobene Strafvorwurf das berufliche Wirken der Person des öffentlichen Lebens und damit die Sozialsphäre betrifft.105 Zu denken ist hier beispielsweise an Personen, die aufgrund ihrer besonderen beruflichen Leistungen oder Position in der Öffentlichkeit stehen und sich berufsbezogenen Vorwürfen ausgesetzt sehen (bspw. Dopingvorwürfe gegen einen Profi-Sportler, Verdacht der Untreue gegen hohe Wirtschaftspersönlichkeiten). Bezüglich strafrechtlicher Vorwürfe, die in Zusammenhang mit dem beruflichen und damit öffentlichen Wirkungskreis der Person des öffentlichen Lebens stehen, ist ein gesteigertes öffentliches Informationsinteresse anzuerkennen, da hiermit das gesellschaftliche Wirken des Betroffenen und damit Belange der Allgemeinheit betroffen sind. Doch auch wenn Eingriffe in die Sozialsphäre schon bei einfachen überwiegenden Interessen der Allgemeinheit zulässig sind,106 ist eine Interessenabwägung im Hinblick auf die hier gegenständliche öffentliche Identifizierung im an sich nicht öffentlichen Ermittlungsverfahren nicht entbehrlich. Auch ein Eingriff in die Sozialsphäre kann unrechtmäßig sein, wenn durch diesen schwerwiegende Auswirkungen auf das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen zu befürchten sind.107 Angesichts des hier im Fokus stehenden Stadiums des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens und der dieses prägenden Vorläufigkeit des bloßen Tatverdachts müssen daher auch im Bereich der Sozialsphäre im Hinblick auf die zugunsten des Beschuldigten wirkende Unschuldsvermutung die irreversiblen Folgen einer öffentlichen Beschuldigung bei der Interessenabwägung ausreichend Berücksichtigung finden. Wie sich diese besondere Interessenlage im Fall eines berufsbezogenen Vorwurfs gegen eine Person des öffentlichen Lebens auf die Rechtmäßigkeit der staatsanwaltschaftlichen Informationstätigkeit sowie der medialen Verdachtsberichterstattung auswirkt, wird an späterer Stelle Gegenstand sein.108 Auch wenn die Person des öffentlichen Lebens zunächst gleichberechtigter Träger des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist, kann es hier zu Verschiebungen zwischen den Persönlichkeitssphären kommen.109 Zu denken ist in diesem Zusam104

So im Ergebnis auch Bornkamm, S. 263. Vgl. beispw. OLG Hamm NJW 2000, 1278 (1279); VG Saarlouis, NJW 2003, 3431 (3432); OLG Düsseldorf NJW 2005, 1791 (1799); vgl. auch von Becker, S. 178. 106 Vgl. Lorz, AfP 2005, 97 (98), unter Verweis auf Sachs/Murswiek, Art. 2 Rn. 104. 107 Siehe hierzu bereits oben Fünftes Kapitel, C. II. 4. b). 108 Siehe diesbezüglich unten Sechstes Kapitel, B. 109 Hierzu bereits oben Sechstes Kapitel, A. I. 1. 105

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6. Kap.: Verdachtsäußerung im Fall der Person des öffentlichen Lebens

menhang insbesondere an Persönlichkeiten, deren öffentlicher Wirkungskreis auch Teile des an sich privaten Lebens erfasst und die die Öffentlichkeit zur Selbstinszenierung und damit auch zur Aufrechterhaltung ihres gesellschaftlich hervorgehobenen Status nutzen.110 Niemand ist gehindert, an sich Privates an die Öffentlichkeit zu bringen, kann sich dann jedoch nicht gleichzeitig auf den öffentlichkeitsabgewandten Privatsphärenschutz berufen.111 In diesen Fällen können auch üblicherweise als privat eingestufte Bereiche der Sozialsphäre zugeordnet werden und der Kreis der in diesen Bereich fallenden Tatvorwürfe weiter gezogen werden. Derartige Sphärenverschiebungen beseitigen jedoch keineswegs das auch im Bereich der Sozialsphäre weiterhin bestehende Rechtfertigungsbedürfnis, so dass es auch hier im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren aufgrund der Unschuldsvermutung schwerwiegende Auswirkungen auf das Persönlichkeitsrecht zu vermeiden gilt. Für die Person des öffentlichen Lebens aus dem Bereich der Berufs- und Medienprominenz gilt damit trotz ihrer gesellschaftlichen Stellung ein grundsätzliches Überwiegen ihrer Anonymitätsinteressen gegenüber den öffentlichen Informationsinteressen. Eine andere Bewertung der besonderen Interessenlage ist dann möglich, wenn der Tatvorwurf in einem inhaltlichen Bezug zur öffentlichen Stellung und dem öffentlichen Wirkungskreis der Person steht,112 so etwa bei berufsbezogenen Tatvorwürfen oder Personen, die die Öffentlichkeit zur Selbstinszenierung nutzen. Eine Ungleichbehandlung der Person des öffentlichen Lebens im Hinblick auf die von ihr zu duldende Publizität im Ermittlungsverfahren kann nur dann gerechtfertigt sein, wenn der Tatvorwurf in einem inhaltlichen Zusammenhang mit ihrer Zuordnung zur Öffentlichkeitssphäre steht.113 Hierbei handelt es sich allerdings zunächst lediglich um eine grundsätzliche Gegenüberstellung der betroffenen Interessen, während die praktischen Auswirkungen auf die ermittlungsbehördliche Öffentlichkeitsarbeit sowie mediale Verdachtsberichterstattung noch zu prüfen sind.114 b) Die Interessenabwägung im Fall des politischen Amtsträgers Die vorangegangenen Überlegungen haben gezeigt, dass gerade im Stadium des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens nicht bereits allein aufgrund der gesellschaftlich hervorgehobenen Stellung des Beschuldigten als Person des öffentlichen Lebens ein überwiegendes öffentliches Informationsinteresse an diesbezüglichen identifizierenden Informationen angenommen werden kann. Allenfalls bei Vor110 Vgl. auch Fischer, S. 224, der insoweit davon ausgeht, dass sich der Betroffene durch eine öffentliche Inszenierung seines Intim- und Privatlebens „seines persönlichkeitsrechtlichen Schutzes begibt“; vgl. auch OLG Hamburg AfP 2006, 173 f.; OLG Berlin ZUM-RD 2006, 248 (249). 111 Vgl. OLG Berlin ZUM-RD 2006, 248 (249). 112 Vgl. von Becker, S. 178 m. w. N. 113 So auch schon zutreffend Zielemann, S. 102. 114 Hierzu siehe unten Sechstes Kapitel, B.

A. Die Interessenabwägung im Falle der Person des öffentlichen Lebens

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würfen, die die Sozialsphäre des Beschuldigten betreffen, kann unter Umständen eine Publizitätsduldungspflicht bestehen. Eine Sonderstellung innerhalb der hier zugrundeliegenden Untersuchungsgruppe der Personen des öffentlichen Lebens nehmen, wie oben bereits ausgeführt, die Träger politischer Ämter ein. Es ist daher zu prüfen, ob die Stellung des Beschuldigten als politischer Amtsträger und damit Inhaber gesellschaftlich delegierter Staatsmacht ein abweichendes Abwägungsergebnis rechtfertigt. Hier ist wiederum zu differenzieren zwischen Tatvorwürfen im Rahmen der Amtsausübung (z. B. §§ 331 ff. StGB) und solchen, die vielmehr mit dem privaten Wirkungskreis des Amtsträgers in Verbindung stehen (z. B. Drogendelikte, Trunkenheitsfahrten o. ä.). aa) Die Sonderstellung des Inhabers öffentlicher Ämter Eine Sonderstellung des strafrechtlich beschuldigten politischen Amtsträgers115 im Hinblick auf die möglicherweise erweiterten Publizitätsduldungspflichten im Ermittlungsverfahren wird durch das machtdelegierende Repräsentativsystem des demokratischen Rechtsstaats indiziert, in welchem die Bevölkerung, von der gemäß Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG alle Staatsgewalt ausgeht, den Repräsentanten des Staates ein besonderes Vertrauen entgegenbringt.116 Aufgrund dieser demokratischen Stellung und der Teilhabe am politischen Geschehen werden demjenigen, der mit öffentlicher Macht ausgestattet ist oder dessen Entscheidungen in sonstiger Weise für eine Vielzahl von Menschen von Bedeutung sind, vielfach verstärkte Duldungspflichten im Hinblick auf öffentliche Kritik und Auseinandersetzung auferlegt.117 In Zusammenschau mit der besonderen Vertrauensstellung besteht grundsätzlich ein erhöhtes öffentliches Interesse an derartigen Informationen, die zur demokratischen Debatte beitragen können und das gesamte Verhalten dieser Person einbeziehen, insbesondere mögliche Verfehlungen im Rahmen der Amtsausübung.118 Das von dem Inhaber eines politischen Amtes in Anspruch genommene besondere Vertrauen stellt zugleich erhöhte Anforderungen an die Integrität der betreffenden Person, welche in der öffentlichen Wahrnehmung nicht nur durch die rein politische Tätigkeit bestimmt wird, sondern sich vielmehr auf die gesamte Persönlichkeit bezieht. Als Träger eines politischen Amtes in diesem Sinne sind beispielsweise Abgeordnete des Bundesoder Landtags sowie Bundesminister oder auch Bundespräsidenten und -kanzler zu 115

Vgl. auch EGMR GRUR 2004, 1051 (1053), wonach in Hinblick auf die Publizitätsduldungspflichten zwischen „Personen des politischen Lebens“ und anderen Personen des öffentlichen Lebens zu unterscheiden sei; nach BVerfG GRUR 2008, 539 (547), soll der Schutz von Politikern am schwächsten sein. 116 Dalbkermeyer, S. 155; Ostendorf, GA 1980, 446 (461 f.). Hierzu bereits oben Sechstes Kapitel, A. II. 2. 117 BGH NJW-RR 1995, 301 (304), auch bezogen auf Personen des Wirtschaftslebens; OLG Düsseldorf NJW 2005, 1791 (1799 f.); Lorz, NJW 2005, 2657 (2658 f.); Seyfarth, NJW 1999, 1287 (1290). 118 EGMR NJW 2004, 2647 (2649); Beater, ZUM 2005, 602 (608) m. w. N.; hierzu siehe auch bereits oben Sechstes Kapitel, A. II. 2.

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6. Kap.: Verdachtsäußerung im Fall der Person des öffentlichen Lebens

verstehen. Mithin ist neben der Amtsinhaberschaft eine gesellschaftlich hervorgehobene Stellung als Person des öffentlichen Lebens erforderlich. Im Hinblick auf den in Art. 3 Abs. 1 GG normierten Gleichheitssatz stellt das Merkmal der Inhaberschaft eines öffentlichen oder politischen Amtes somit zunächst einen sachlichen und nachvollziehbaren Grund dar, der eine Ungleichbehandlung im Hinblick auf die Publizitätsduldungspflichten im Ermittlungsverfahren begründen kann. Dieses Merkmal knüpft zwar an die Person an, steht jedoch in Form der Amtsübernahme zur freien Disposition des Betroffenen, so dass keine übersteigerten Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit der daraus folgenden Ungleichbehandlung zu stellen sind. Es verdient derjenige geringeren Schutz, der durch sein Verhalten selbst das Interesse der Öffentlichkeit geweckt hat.119 Ausgehend von dieser an die besondere demokratische Vertrauensstellung des politischen Amtsträgers anknüpfende Qualifizierung des öffentlichen Interesses an strafrechtlichen Vorwürfen gegen diese Gruppe der Personen des öffentlichen Lebens kann eine erhöhte Publizitätsduldungspflicht allerdings nur dann gerechtfertigt sein, wenn es sich um Vorwürfe handelt, die mit der öffentlichen Stellung als Amtsträger, dem in Anspruch genommenen öffentlichen Vertrauen sowie der Integrität des Betreffenden in Zusammenhang stehen. Es ist daher im Folgenden zu prüfen, welche Tatvorwürfe von besonderem öffentlichen Interesse sind. Ausgehend von der Annahme, eine Ungleichbehandlung des Trägers eines politischen Amtes im Verhältnis zu sonstigen Personen des öffentlichen Lebens und anderen Personen könne durch das der besonderen Vertrauensstellung und den erhöhten Anforderungen an die persönliche Integrität folgende gesteigerte öffentliche Informationsinteresse gerechtfertigt sein, gilt dies jedoch nur für solche Tatvorwürfe, an denen im Hinblick auf die ebenfalls gesteigerten Anonymitätsinteressen des Amtsinhabers ein berechtigtes öffentliches Interesse besteht. Hier ist zunächst zwischen unmittelbar mit der Amtsausübung verbundenen Tatvorwürfen und sonstigen Delikten zu differenzieren.

119 BVerfG NJW 1980, 2069; NJW 2004, 766; OLG Köln, AfP 1982, 181 (182); von Gamm, NJW 1979, 513 (516); Neben, S. 243; Schlüter, S. 56. Die Ansicht, dass eine Person durch die Verübung einer Straftat selbst die Grundlage für das „Öffentlichwerden“ bestimmter Handlungen gelegt hat und daher diesbezügliche Publizität zu dulden hat (vgl. VG Mannheim, BeckRS 2017, 119754, Rn. 14; LR-StPO/Wickern, § 171b GVG Rn. 13; Meinecke, S. 231), kann jedenfalls im Stadium des Ermittlungsverfahrens in Hinblick auf die zugunsten des Beschuldigten geltenden Unschuldsvermutung keine Geltung beanspruchen, da sie die tatsächliche Begehung der vorgeworfenen Straftat voraussetzt und damit dem vorläufigen Charakter des Ermittlungsverfahrens zuwiderläuft (so auch Bornkamm, S. 262 f.; vgl. auch Marxen, GA 1980, 365 (373), nach dem die Unschuldsvermutung die Straftat vor einer rechtskräftigen Verurteilung generell einem Begründungszusammenhang entzieht; a. A. von Becker, S. 213 f., der die Unschuldsvermutung nur als prozessuales Schutzrecht sieht).

A. Die Interessenabwägung im Falle der Person des öffentlichen Lebens

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bb) Öffentliches Interesse an unmittelbar amtsbezogenen Tatvorwürfen Informationen über ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen unmittelbar amtsbezogener Tatvorwürfe betreffen die Sozialsphäre des Amtsinhabers, so dass dessen Geheimhaltungsinteressen bereits angesichts einfacher überwiegender Interessen der Allgemeinheit in den Hintergrund treten.120 Ein solches ausreichendes Gemeininteresse stellt bereits das Interesse der Öffentlichkeit an die demokratische Debatte betreffenden Informationen dar, womit Eingriffe in die Sozialsphäre des politischen Amtsträgers und damit auch identifizierende Veröffentlichungen in Zusammenhang mit einem gegen ihn geführten strafrechtlichen Ermittlungsverfahren gerechtfertigt sein können. Nahezu einhellig wird vor diesem Hintergrund bereits im Ermittlungsverfahren ein Unterliegen der Anonymitätsinteressen des Amtsträgers angenommen.121 Die Allgemeinheit, welche auf die Integrität einer Person insbesondere im Hinblick auf ihre staatliche Machtfunktion vertraut, habe ein berechtigtes Informationsinteresse an diesbezüglich Zweifel begründenden Umständen.122 Die Information der Allgemeinheit über strafrechtliche Ermittlungen gegen einen Repräsentanten der Staatsmacht sei bereits aufgrund des rechtsstaatlichen Bedürfnisses der Öffentlichkeit nach unbeschränkter Kontrolle über die staatliche Machtausübung und die Integrität des einzelnen Machtinhaber erforderlich.123 Diese pauschale Unterordnung der Anonymitätsinteressen des Beschuldigten berücksichtigt jedoch die persönlichkeitsrechtlichen Belange des Betroffenen nicht ausreichend.124 Allein die Innehabung eines öffentlichen Amtes vermag eine grenzenlose Ausleuchtung des Lebens des Betroffenen nicht zu rechtfertigen, denn dieser ist nicht nur als Repräsentant staatlicher Hoheitsgewalt zu betrachten, sondern auch als Privatmensch mit schützenswerter Persönlichkeitssphäre.125 Auch der Beschuldigte als politischer Amtsträger ist grundsätzlich gleichberechtigter Träger des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, so dass Eingriffe in dessen Sozialsphäre unverhältnismäßig sein können, wenn hierdurch schwerwiegende Auswirkungen auf dessen Persönlichkeitsrecht zu befürchten sind.126 Da die zur Begründung des besonderen öffentlichen Informationsinteresses herangezogene besondere Vertrauensstellung zugleich die Grundlage des politischen und damit beruflichen Wirkens

120

Hierzu siehe bereits oben Sechstes Kapitel, A. II. 3. a). BGH NJW 2000, 1036 (1038); LG Köln ZUM-RD 2013, 143 (145); von Becker, S. 177; Bornkamm, NStZ 1983, 102 (106 f.); ders., S. 267; Marxen, GA 1980, 365 (378); Meinecke, S. 231; Ostendorf, GA 1980, 445 (464), der auch keinerlei weitere Differenzierung nach der Art der Tat vornimmt; Zielemann, S. 93; hierzu vgl. ausführlich Dalbkermeyer, S. 150 ff. 122 von Becker, S. 178; Bornkamm, S. 267. 123 Bornkamm, NStZ 1983, 102 (106 f.); Ostendorf, GA 1980, 445 (461 ff.). 124 Daher auch zu Recht kritisch Dalbkermeyer, S. 151. 125 Dalbkermeyer, S. 151; Meinecke, S. 231. 126 Siehe hierzu bereits oben Fünftes Kapitel, C. II. 4. b). 121

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6. Kap.: Verdachtsäußerung im Fall der Person des öffentlichen Lebens

des Betroffenen bildet,127 ist mit einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren wegen amtsbezogener Vorwürfe eine besondere Prangerwirkung zu Lasten des Beschuldigten verbunden, die die berufliche Existenz bereits mit Bekanntwerden eines solchen Verdachts stark gefährdet, wenn nicht sogar vernichtet.128 Zugleich drohen durch die öffentliche Stigmatisierung als mutmaßlicher Straftäter ein Verlust der politischen Stellung sowie erhebliche Auswirkungen auf das Privatleben des Beschuldigten, welche meist unabhängig vom Ausgang des Verfahrens überdauern.129 Auch wenn gewisse Rückwirkungen des beruflichen Wirkens auf die Privatsphäre typisch und kaum zu vermeiden sind, liegen die Grenzen dort, wo die Privatsphäre schwerwiegend betroffen ist.130 Eingriffe in die Sozialsphäre aufgrund schwerwiegender mittelbarer Beeinträchtigungen der Privatsphäre sind dann unverhältnismäßig, „wenn eine Stigmatisierung, soziale Ausgrenzung oder Prangerwirkung zu besorgen sind“.131 Gerade mit dem Bekanntwerden strafrechtlicher – auch berufsbezogener – Vorwürfe sind derartige Auswirkungen für den Betroffenen zu befürchten.132 Hier werden den öffentlichen Informationsinteressen durch das dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht zu entnehmenden Recht des Einzelnen auf Nichtentanonymisierung, mithin der Aufrechterhaltung der Grundbedingungen sozialer Beziehungen zwischen dem Betroffenen und seiner Umwelt, Grenzen gesetzt.133 Damit kann eine öffentliche Identifizierung des Beschuldigten gerade in dem durch die Unschuldsvermutung und grundsätzliche Nichtöffentlichkeit besonders geprägten Ermittlungsverfahren aufgrund der damit verbundenen entsozialisierenden Wirkungen unzulässig sein.134 Darüber hinaus ist nicht ersichtlich, inwiefern bereits die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen einen politischen Amtsträger eine Aussage über dessen im Interesse der Allgemeinheit stehende Integrität im Hinblick auf das bekleidete Amt treffen soll. Eine derartige Annahme aufgrund eines bloßen Anfangsverdachts läuft der den Beschuldigten zu schützen bestimmten Un-

127

Siehe hierzu bereits oben Sechstes Kapitel, A. II. 1. b). Nicht selten ist der Rücktritt oder das Niederlegen sämtlicher Ämter bereits bei Bekanntwerden eines Ermittlungsverfahrens die einzige Möglichkeit des Betroffenen. 129 Vgl. Frenz, ZUM 2012, 282 (284 f.); zur Prangerwirkung des bloßen Tatverdachts siehe bereits oben Drittes Kapitel, A. II. 130 Frenz, ZUM 2012, 282 (284), unter Verweis auf Palandt/Sprau, § 823 Rn. 96. 131 BGH NJW-RR 2007, 619 (620); NJW 2005, 592. 132 Vgl. Frenz, ZUM 2012, 282 (284); vgl. auch das eingangs dargestellte Verfahren gegen Sebastian Edathy (Erstes Kapitel, A. V.), in welchem der ehemalige Bundestagsabgeordnete aufgrund des besonders schwerwiegenden und gesellschaftlich verachteten Vorwurfs beruflich und gesellschaftlich einer immensen Prangerwirkung und Ausgrenzung ausgesetzt war, wobei es sich hier allenfalls um mittelbar berufsbezogene Vorwürfe handelte. Zu den Folgen einer öffentlichen Verdächtigung in beruflicher und sozialer Hinsicht siehe bereits oben Drittes Kapitel, A. II. 133 Vgl. BVerfG NJW 1998, 2889 (2891); siehe bereits oben Drittes Kapitel, B. I. 3. 134 So auch Frenz, ZUM 2012, 282 (284 f.). 128

A. Die Interessenabwägung im Falle der Person des öffentlichen Lebens

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schuldsvermutung zuwider. Nicht umsonst hat der Gesetzgeber diesen Verfahrensabschnitt nichtöffentlich ausgestaltet.135 Vor diesem Hintergrund sah Dalbkermeyer136 in der Publizitätsduldungspflicht des Amtsträgers im Ermittlungsverfahren auch einen unlösbaren Widerspruch zu den Wertungen des ehemals gemäß § 73 BDO nicht öffentlich ausgestalteten beamtenrechtlichen Disziplinarverfahrens zur Feststellung eines vertrauensbeeinträchtigenden Dienstvergehens (§ 77 Abs. 1 BBG). Dieser Nichtöffentlichkeit entnahm Dalbkermeyer, dass Verfehlungen eines Amtsträgers grundsätzlich außerhalb der Öffentlichkeit festgestellt werden und damit keiner uneingeschränkten Publizitätspflicht unterliegen sollten.137 Seit Außerkrafttreten der BDO im Jahr 2002 gilt jedoch der Grundsatz der Öffentlichkeit des Verfahrens gemäß § 3 BDG i. V. m. §§ 55 VwGO, 169 S. 1 GVG auch für das Disziplinarverfahren, so dass in Umkehrung des früheren Regel-Ausnahme-Verhältnisses des ehemaligen § 73 BDO die mündliche Verhandlung und auch die Urteilsverkündung regelmäßig öffentlich sind.138 Insofern unterscheidet sich das Disziplinarverfahren nicht mehr vom Strafverfahren, so dass der von Dalbkermeyer reklamierte Wertungswiderspruch im Hinblick auf die Publizitätsduldungspflicht des Amtsträgers aufgelöst ist. Doch auch dem beamtenrechtlichen gerichtlichen Disziplinarverfahren geht – ähnlich wie dem Strafverfahren – ein behördliches Disziplinarverfahren voraus (§§ 17 – 37 BDG), welches der Ermittlung des Sachverhalts dient und in einer Abschlussentscheidung mündet.139 Dieses behördliche Vorverfahren ist im Umkehrschluss aus § 3 BDG i. V. m. §§ 55 VwGO, 169 S. 1 GVG ebenfalls nichtöffentlich ausgestaltet, so dass auch im beamtenrechtlichen Disziplinarverfahren während des Ermittlungsstadium der gesetzlichen Wertung nach die Geheimhaltungsinteressen des Betroffenen die öffentlichen Interessen überwiegen und auch der besonderen Achtungs- und Vertrauensgrundsätzen unterworfene Beamte in diesem frühen Stadium des Verfahrens grundsätzlich vor einer Publizität zu schützen ist. Damit kann zusammenfassend festgestellt werden, dass an unmittelbar amtsbezogenen Tatvorwürfen gegen einen politischen Amtsträger grundsätzlich ein die Anonymitätsinteressen des Beschuldigten überwiegendes und damit berechtigtes öffentliches Informationsinteresse besteht. Dennoch ist dieses Abwägungsergebnis nicht zwingend und von Staatsanwaltschaft und Medien im Einzelfall auf seine Geltung zu überprüfen. Insbesondere können identifizierende Veröffentlichung bei zu befürchtenden schwerwiegenden Auswirkungen für das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen unzulässig sein.140 135

Bornkamm, S. 263. Dalbkermeyer, S. 153 ff. 137 Dalbkermeyer, S. 154. 138 Urban/Wittkowski, § 60 BDG Rn. 7. 139 Urban/Wittkowski, § 17 BDG Rn. 1. 140 Wie sich diese Wertung auf die Auskunftstätigkeit der Ermittlungsbehörden und die mediale Verdachtsberichterstattung auswirkt, dazu unten Sechstes Kapitel, B. 136

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6. Kap.: Verdachtsäußerung im Fall der Person des öffentlichen Lebens

cc) Öffentliches Interesse an sonstigen Tatvorwürfen Erkennt man eine auf das öffentliche Amt und das damit in Anspruch genommene besondere Vertrauen gestützte Ungleichbehandlung des Inhabers eines politischen Amtes in Form verstärkter Publizitätsduldungspflichten grundsätzlich an, so kann ein berechtigtes öffentliches Informationsinteresse dennoch nicht hinsichtlich jedes strafrechtlich relevanten Tatvorwurfs bestehen. Vielmehr muss der Verdacht in einem inhaltlichen Zusammenhang zur vertrauensbasierenden Funktion und Stellung stehen oder jedenfalls Rückschlüsse auf die Befähigung des Betroffenen zur Amtsausübung zulassen, da nur dann ein auf die besondere Stellung gestütztes und die Anonymitätsinteressen des Beschuldigten überwiegendes öffentliches Interesse angenommen werden kann.141 Insbesondere aus Rücksicht auf die Persönlichkeitsrechte des Amtsträgers muss das Erfordernis dieses Zusammenhangs eng ausgelegt werden und so die gerade aufgrund der hervorgehobenen gesellschaftlichen Stellung besonders dissozialisierenden Folgen einer öffentlichen Verdachtsäußerung mit dem Bedürfnis nach plebiszitärer Machtkontrolle in Ausgleich gebracht werden. Unabhängig von ihrem tatsächlichen Zusammenhang sind solche Tatvorwürfe, die das öffentliche Vertrauen in die Person und die für die Amtsausübung erforderliche Integrität in Zweifel ziehen, dergestalt mit dem beruflichen Wirken des Amtsträgers verbunden, dass sie unabhängig von ihrem tatsächlichen Zusammenhang der Sozialsphäre zuzuordnen sind.142 In diesem Fall ist von einem Überwiegen der öffentlichen Informationsinteressen im Hinblick auf die demokratische Stellung des Amtsträgers auszugehen. Dahingegen sind solche Vorwürfe, die einen Rückschluss auf die Befähigung zur Amtsausübung nicht zulassen, grundsätzlich der Privatsphäre zuzuordnen, so dass diesbezüglich im Ermittlungsverfahren zunächst von einem Überwiegen der Anonymitätsinteressen des Beschuldigten auszugehen ist (der Privatsphäre zuzuordnen wäre damit beispielsweise der Vorwurf einer im Privaten begangenen Körperverletzung, Beleidigung oder eines Diebstahls). Doch während die unmittelbare Amtsbezogenheit eines Vorwurfs noch relativ einfach auszumachen ist, scheint dies im Hinblick auf die Integritätsbezogenheit eines Vorwurfs schwierig. Es handelt sich hierbei mehr um eine moralische, als um eine normative Wertung, die schließlich eine Entanonymisierung bereits im Falle einer bloßen Ordnungswidrigkeit zulassen kann.143 Während beispielsweise der Vorwurf des Betrugs an der Integrität einer mit öffentlicher Macht ausgestatteten Person zweifeln lassen könnte, sieht von Becker hingegen zutreffend keinen Zusammenhang zwischen einer (mutmaßlichen) einmaligen privaten Trunkenheitsfahr eines Politikers und dessen beruflicher Qualifikation, so dass die Veröffentlichung 141 BGH NJW 2000, 1036 (1038); LG Köln ZUM-RD 2013, 143 (145); von Becker, S. 178 f.; Bornkamm, S. 206; Zielemann, S. 98, 110. 142 Diese Sphärenverschiebung basiert auf der hier vertretenen Annahme, dass Informationen über strafrechtliche Ermittlungen zunächst in die Privatsphäre des Beschuldigten fallen. 143 von Becker, S. 178, der auch geringfügige Vergehen als potenziell vertrauensbeeinträchtigend ansieht; Dalbkermeyer, S. 152 Fn. 405.

A. Die Interessenabwägung im Falle der Person des öffentlichen Lebens

351

diesbezüglicher Informationen eine Verletzung des Rechts auf Anonymität darstellt.144 Anders kann diese Bewertung jedoch ausfallen, wenn sich dieser Vorwurf beispielsweise gegen einen Verkehrs- oder Justizminister richtet. Die notwendige Differenzierung zwischen den verschiedenen sonstigen Strafvorwürfen ist damit weniger anhand von Deliktsgruppen vorzunehmen, sondern sollte vielmehr das Erfordernis der Vertrauens- und Integritätsbeeinträchtigung in den Vordergrund zu stellen. Eine schablonenartige abstrakte Abgrenzung verbietet sich daher. Aufgrund der Vergleichbarkeit des Beamten (vgl. § 4 BBG) mit dem hier im Fokus stehenden politischen Amtsträger im Hinblick auf das beiden Personengruppen von der Öffentlichkeit besonders entgegen gebrachte Vertrauen145 könnte für die notwendige Differenzierung § 77 Abs. 1 BBG als Orientierungshilfe herangezogen werden. In § 77 Abs. 1 S. 2 BBG wird hinsichtlich des Disziplinarvergehens dergestalt differenziert, dass neben einer Pflichtverletzung im Rahmen der Dienstausübung außerhalb des Dienstes nur eine solche als Dienstvergehen einzustufen ist, die „nach den Umständen des Einzelfalls in besonderem Maße geeignet ist, das Vertrauen in einer für ihr Amt oder das Ansehen des Beamtentums bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen“. Mit diesen besonderen Anforderungen an Dienstvergehen im außerdienstlichen Verhalten wollte der Gesetzgeber dem Wandel der gesellschaftlichen Stellung der Beamten Rechnung tragen, nach dem heute von ihnen außerdienstlich kein wesentlich anderes Sozialverhalten als von jedem anderen Bürger erwartet wird.146 Die in § 77 Abs. 1 S. 2 BBG geforderte Beeinträchtigung der Achtung und des Vertrauens muss sich daher entweder konkret-funktionell auf das Amt des Beamten und damit auf die Erfüllung der ihm obliegenden Dienstpflichten beziehen oder auf „das Ansehen des Berufsbeamtentums als Sachwalter einer stabilen und gesetzestreuen Verwaltung“.147 Das BVerwG stellte ausdrücklich fest, dass nicht jeder außerdienstliche Verstoß gegen die Rechtsordnung, nicht einmal jeder Verstoß gegen ein Strafgesetz notwendigerweise zu einer Ansehens- und Vertrauensschädigung des Beamten in seiner dienstlichen Eigenschaft führt.148 Es komme daher im Fall einer außerdienstlichen Straftat darauf an, ob der Tatvorwurf einen Rückschluss auf die Dienstausübung zulässt oder eine Ansehens und Vertrauensschädigung befürchten lässt, was unabhängig von der Schwere des Vorwurfs dann anzunehmen ist, wenn sich die Tat nach der strafrechtlichen Wertung zum Nachteil des Staates auswirkt (bspw. §§ 80 – 120 StGB oder Steuerstraftaten), da in diesem Fall die Stellung des Beamten als Repräsentant des demokratischen Rechtsstaates 144 von Becker, S. 178 f., der einen solchen Zusammenhang ebenso wenig bei Schauspielern oder Sportlern auszumachen vermag und die Berufung auf das öffentliche Informationsinteresse zuweilen als „Fiktion“ zugunsten einer auf „Skandal und Sensation“ ausgerichteten Medienberichterstattung verdächtigt, S. 181. 145 Siehe zur Vergleichbarkeit auch Dalbkermeyer, S. 157 f. 146 StRspr. seit BVerwG NJW 2001, 1080 (1081); vgl. auch BVerwG NVwZ 2011, 299 (300). 147 BVerwG NJW 2001, 1080 (1081); NVwZ 2011, 299 (300). 148 BVerwG NJW 2001, 1080 (1081), unter Verweis auf BVerwGE 43, 157.

352

6. Kap.: Verdachtsäußerung im Fall der Person des öffentlichen Lebens

betroffen ist.149 Darüber hinaus sollen nach Ansicht des BVerwG vorsätzlich begangene schwerwiegende Straftaten ausreichen, die mit einer Freiheitsstrafe geahndet worden sind.150 Überträgt man diese disziplinarrechtlichen Wertungen151 auf den politischen Amtsträger, der als Inhaber hoheitlicher und Repräsentant staatlicher Gewalt ein vergleichbares öffentliches Vertrauen in Anspruch nimmt, könnte ein überwiegendes öffentliches Informationsinteresses im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren zunächst nur hinsichtlich amtsbezogener Tatvorwürfe sowie sonstiger mutmaßlicher Verfehlungen angenommen werden, die aufgrund ihrer gegen den Staat gerichteten Tendenz, das in Anspruch genommene öffentliche Vertrauen in besonderem Maße verletzen sowie bezüglich über das Maß leichter Kriminalität hinausgehender Tatvorwürfe. In Anbetracht der Besonderheiten des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens, welches durch die Vorläufigkeit der Ermittlungsergebnisse und damit die zugunsten des Beschuldigten wirkenden Unschuldsvermutung geprägt ist, können die disziplinarrechtlichen Wertungen aber lediglich als Orientierungshilfe herangezogen werden. Ob diese Abgrenzungskriterien auch im Rahmen der ermittlungsbehördlichen und medial zu treffenden Abwägungsentscheidung taugliche Maßstäbe darstellen, ist fraglich.152 Kritisch betrachtet werden muss jedoch bereits an dieser Stelle, dass eine sich allein am angedrohten Strafrahmen orientierende Bewertung der Schwere der Tat nicht geeignet ist, den für einen Vertrauensverlust erforderlichen, eng auszulegenden Rückschluss auf die Integrität des Amtsträgers und seine Befähigung zur Amtsausübung zwingend darzulegen.153 Bezogen auf den Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG stellt damit das Merkmal der Amtsträgerschaft nur dann einen etwaige Publizitätspflichten im Ermittlungsverfahren rechtfertigenden Grund dar, wenn die strafrechtlichen Vorwürfe 149

BVerwG NJW 2001, 1080 (1081); BeckOK-BeamtR/Thomsen, § 77 BBG Rn. 15. BVerwG NJW 2001, 1080 (1081); NVwZ 2011, 299 (300). Nach Ansicht des BVerwG lasse der Strafrahmen des in Rede stehenden Delikts Rückschlüsse auf das Maß der Ansehensschädigung zu, da der Gesetzgeber mit der Festlegung des Strafrahmens den Unrechtsgehalt eines Delikts verbindlich zum Ausdruck bringt; vgl. BVerwG NVwZ 2011, 299 (301), in welchem der Senat eine angedrohte mittlere Freiheitsstrafe von zwei Jahren als ausreichendes Indiz für eine Achtungs- und Vertrauensbeeinträchtigung sah. 151 Die Wertungen der Rechtsprechung in Zusammenhang mit § 77 Abs. 1 S. 2 BBG sind nur bedingt auf das strafrechtliche Ermittlungsverfahren und die hier zu prüfenden Publizitätsduldungspflichten des Amtsträgers übertragbar, da das Disziplinarverfahren gemäß § 22 Abs. 1 S. 1 BDG im Fall einer wegen dieses Sachverhalts erhoben strafrechtlichen Anklage auszusetzen ist bzw. während eines noch laufenden Ermittlungsverfahrens gemäß § 22 Abs. 3 BDG ausgesetzt werden kann (vgl. hierzu Urban/Wittkowski, § 22 BDG Rn. 2 und 9). Auch den Entscheidungen des BVerwG (BVerwG NJW 2001, 1080; NVwZ 2011, 299) lagen strafrechtliche Vorwürfe zugrunde, die bereits rechtskräftig abgeurteilt worden waren, so dass diesen Erwägungen keine von Vorläufigkeit geprägte laufende Ermittlungen zugrunde lagen. 152 Hierzu unten Sechstes Kapitel, B. I. und II. 153 Siehe hierzu bereits die treffende Kritik von Beckers, dass eine einmalige Trunkenheitsfahrt eines Politikers nicht geeignet ist, dessen für die Amtsausübung erforderliche Integrität grundlegend in Zweifel zu ziehen; von Becker, S. 178 f. 150

A. Die Interessenabwägung im Falle der Person des öffentlichen Lebens

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mit diesem Merkmal und damit mit der konkreten Amtsausübung oder der diesbezüglichen Geeignetheit des Betroffenen in Zusammenhang stehen. Dies ist in erster Linie bei Strafvorwürfen in Zusammenhang mit der Amtsausübung anzunehmen. An sonstigen Tatvorwürfen kann nur dann ein die Anonymitätsinteressen des Betroffenen überwiegendes öffentliches Informationsinteresse bestehen, wenn diese einen Rückschluss auf dessen Amtsbefähigung zulassen oder das in Anspruch genommene öffentliche Vertrauen in besonderem Maße verletzen, was etwa in Fällen staatsfeindlich ausgerichteter Vorwürfe oder schwerer mutmaßlicher Straftaten möglich ist. Bei Tatvorwürfen, die von vornherein keinen Rückschluss auf die Vertrauenswürdigkeit und Amtsgeeignetheit zulassen und damit der Privatsphäre der Person des öffentlichen Lebens zuzurechnen sind (z. B. einmalige Trunkenheitsfahrt, private Beleidigungs- oder Köperverletzungsdelikte), ist ein überwiegendes öffentliches Informationsinteresse hingegen grundsätzlich nicht anzuerkennen. Andernfalls ist ein Totalverlust des persönlichkeitsrechtlichen Schutzes zu befürchten, welcher in rechtstaatlicher Hinsicht nicht hinnehmbar ist.154 Bei einem derart eng auszulegenden Erfordernis des Amtszusammenhangs ist auch keine Verkürzung der gesellschaftlichen Machtkontrolle zu befürchten, da für diese bei Erhärtung der Vorwürfe das öffentliche ausgestaltete strafrechtliche Hauptverfahren ausreichend Raum bietet.

III. Zusammenfassung Ist der Beschuldigte eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens eine Person des öffentlichen Lebens, wird die von den Ermittlungsbehörden und den Medien vorzunehmende Interessenabwägung im Hinblick auf die Veröffentlichung identifizierender Informationen durch die exponierte gesellschaftliche Stellung des Betroffenen geprägt. Zwar ist die Persönlichkeitssphäre der Person des öffentlichen Lebens in gleichem Maße vor Eingriffen zu schützen, es kann jedoch aufgrund ihres öffentlichen Wirkens zu Verschiebungen zwischen Privat- und Sozialsphäre kommen. Die Ungleichbehandlung hinsichtlich der Publizitätsduldungspflichten im Ermittlungsverfahren können sowohl an die reine Bekanntheit der Person als auch an ein von ihr bekleidetes öffentliches Amt anknüpfen, müssen jedoch einer strengen Verhältnismäßigkeitsprüfung unterzogen werden, die die besondere Interessenlage bei Personen des öffentlichen Lebens ausreichend berücksichtigt. Richtig ist, dass hinsichtlich von Personen des öffentlichen Lebens ein gesteigertes Informationsinteresse der Allgemeinheit angenommen werden muss, welches gerade bei politischen Amtsträgern als besonders hoch einzustufen ist. Bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen darf jedoch nicht unbeachtet gelassen werden, dass in der Öffentlichkeit stehende Persönlichkeiten gerade aufgrund ihrer gesellschaftlichen Stellung für die stigmatisierenden Wirkungen einer Publizität im 154

Vgl. auch Guha, S. 163 f.

354

6. Kap.: Verdachtsäußerung im Fall der Person des öffentlichen Lebens

strafrechtlichen Ermittlungsverfahren in besonderem Maße anfällig sind. Aufgrund ihrer von der öffentlichen Meinung abhängigen beruflichen Stellung sind die mit einer Verdachtsveröffentlichung verbundenen beruflichen wie privaten Folgen oft irreversibel. Vor diesem Hintergrund scheint das Anonymitätsinteresse von Personen des öffentlichen Lebens aus dem Bereich der Berufs- und allgemeinen Medienprominenz gerade im von Vorläufigkeit geprägten Stadium des Ermittlungsverfahrens das öffentliche Informationsinteresse grundsätzlich zu überwiegen. Ein abweichendes Abwägungsergebnis erscheint nur bei Tatvorwürfen gerechtfertigt, die einen inhaltlichen Bezug zum öffentlichen Wirkungskreis der Person aufweisen. Im Hinblick auf den ein besonderes Vertrauen der Öffentlichkeit in Anspruch nehmenden Beschuldigten als politischen Amtsträger kann bei Tatvorwürfen in unmittelbaren Zusammenhang mit dessen Amtsausübung aus rechtsstaatlicher Sicht von einem berechtigten öffentlichen Interesse an derartigen Vorwürfen ausgegangen werden. Sonstige strafrechtlichen Vorwürfe können nur dann eine Publizitätsduldungspflicht des Beschuldigten begründen, wenn sie das in Anspruch genommene öffentliche Vertrauen in besonderem Maße verletzen und einen konkreten Rückschluss auf dessen Befähigung zur Amtsausübung oder die hierfür erforderliche Integrität zulassen. Als geeignete Kriterien erscheinen hier eine gegen den Staat gerichtete Tendenz sowie die Schwere des mutmaßlichen Delikts. Auf Basis dieser Ergebnisse soll nun nachfolgend untersucht werden, welche Auswirkungen die dargestellte besondere Interessenlage im Fall des Beschuldigten als Person des öffentlichen Lebens auf die Informationstätigkeit von Staatsanwaltschaft und Medien hat.

B. Die Auswirkungen der besonderen Interessenlage auf die Informationstätigkeit von Staatsanwaltschaft und Medien Der Blick auf die besondere Interessenlage während des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens im Fall eines Beschuldigten als Person des öffentlichen Lebens hat deutlich gemacht, dass die gesellschaftlich hervorgehobene Stellung des Betroffenen ein generelles berechtigtes öffentliches Interesse an identifizierenden Informationen in diesem Verfahrensstadium nicht zu begründen vermag. Vielmehr ist auch bei Personen des öffentlichen Lebens eine einzelfallbezogene Abwägung der betroffenen privaten sowie öffentlichen Interessen vorzunehmen. Diese Güterabwägung ist jedoch geprägt von der besonderen Stellung des Beschuldigten und macht verschiedene Differenzierungen erforderlich. Im folgenden Abschnitt soll die besondere Interessenlage daher auf die in rechtlicher Hinsicht verschiedenen Grundsätze der ermittlungsbehördlichen Öffentlichkeitsarbeit sowie der medialen Verdachtsberichterstattung übertragen und auf ihre Gültigkeit hin überprüft werden.

B. Informationstätigkeit von Staatsanwaltschaft und Medien

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I. Die ermittlungsbehördliche Öffentlichkeitsarbeit Auf Grundlage der bereits dargelegten allgemeinen Grenzen ermittlungsbehördlicher Informationstätigkeit155 soll nun unter Einbeziehung der vorstehend erläuterten besonderen Interessenlage im Fall des Beschuldigten als Person des öffentlichen Lebens156 versucht werden, trotz der grundsätzlichen Einzelfallbezogenheit der Abwägungsentscheidung generelle Kriterien für die Rechtmäßigkeit von identifizierenden Veröffentlichungen im Ermittlungsverfahren herauszuarbeiten. Während eine proaktive identifizierende und damit in die Persönlichkeitsrechte des Beschuldigten eingreifende Informationstätigkeit der Staatsanwaltschaft mangels Ermächtigungsgrundlage generell abzulehnen ist,157 richtet sich die reaktive Auskunftserteilung gegenüber der Presse auch im Fall der Person des öffentlichen Lebens nach § 4 LPG Berlin.158 Somit ist verfassungsdogmatisch159 auch für den Beschuldigten als Person des öffentlichen Lebens im Hinblick auf die ermittlungsbehördliche Öffentlichkeitsarbeit ein grundsätzlicher Vorrang seiner Geheimhaltungsinteressen gegenüber dem Informationsrecht der Presse anzunehmen.160 Zudem sind die gesteigerten Anonymitätsinteressen des Betroffenen durch die Staatsanwaltschaft im Rahmen ihrer Abwägungsentscheidung zu berücksichtigen, wobei zwischen identifizierenden und sonstigen Informationen über den Beschuldigten zu unterscheiden ist. 1. Identifizierende Informationen über den Beschuldigten als Person des öffentlichen Lebens Die Prüfung der Rechtmäßigkeit identifizierender Auskünfte der Staatsanwaltschaft im Fall eines Beschuldigten als Person des öffentlichen Lebens muss sich zunächst nach den gleichen Grundsätzen wie im Fall einer nicht in der Öffentlichkeit stehenden Person richten. Wenn die erbetenen Informationen nicht bereits wegen einer konkreten Gefährdung des schwebenden Verfahrens zu versagen sind,161 ist daher nach den landespresserechtlichen Auskunftsnormen (z. B. § 4 LPG Berlin) zu prüfen, ob ihr „schutzwürdige private Interessen“ des Beschuldigten i. S. v. § 4 Abs. 2 155

Hierzu siehe oben Fünftes Kapitel, C. Hierzu siehe oben Sechstes Kapitel, A. 157 Diesbezüglich siehe bereits oben Fünftes Kapitel, B. III. 158 Nach der hier vertretenen Ansicht ist aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG kein verfassungsunmittelbarer Auskunftsanspruch der Medien herzuleiten, so dass sich dieser aus den einfachgesetzlichen Regelungen der Landespressegesetze ergibt; siehe hierzu ausführlich oben Fünftes Kapitel, B. II. 1. Doch selbst bei Anerkennung eines derartigen originären Anspruchs aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG würde dieser durch die einfachgesetzlichen landespresserechtlichen Regelungen jedenfalls inhaltlich ausgestaltet werden. 159 Siehe hierzu bereits oben Fünftes Kapitel, C. I., sowie Sechstes Kapitel, A. I. 160 Vgl. auch Lindner, StV 2008, 210 (216). 161 Hierzu siehe bereits oben Fünftes Kapitel, C. II. 3. c). 156

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6. Kap.: Verdachtsäußerung im Fall der Person des öffentlichen Lebens

Nr. 4 LPG Berlin entgegenstehen.162 Es ist damit eine einzelfallbezogene Abwägung zwischen den öffentlichen Informationsinteressen sowie den privaten Geheimhaltungsinteressen des Betroffenen, insbesondere dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, dem Recht auf ein faires Verfahren und der Unschuldsvermutung vorzunehmen. a) Einfachgesetzliche Wertungen Soweit bereits herausgearbeitet wurde, dass die einfachgesetzlichen Wertungen (z. B. § 22 KUG, § 203 StGB, §§ 131 ff. StPO, § 169 S. 1 GVG) ein grundsätzliches Überwiegen der Anonymitätsinteressen des Einzelnen im Ermittlungsverfahren vorgeben, so muss diese grundsätzliche Wertung des Gesetzgebers auch im Fall eines Beschuldigten als Person des öffentlichen Lebens Geltung beanspruchen, da diesen Regelungen eine Ausnahme für bereits vor dem Ermittlungsverfahren in der Öffentlichkeit stehende Personen zunächst nicht zu entnehmen ist. Lediglich § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG macht die Tendenz des Gesetzgebers deutlich, hinsichtlich zeitgeschichtlicher Ereignisse den öffentlichen Informationsinteressen gegenüber den privaten Anonymitätsinteressen den Vorrang einzuräumen.163 Der Begriff der Zeitgeschichte ist im Sinne der Pressefreiheit weit zu verstehen und erfasst im Hinblick auf den Informationsbedarf der Öffentlichkeit ganz allgemein das Zeitgeschehen unter Berücksichtigung sämtlicher sozialer, wirtschaftlicher und kultureller Aspekte und damit alle Fragen von allgemeinem gesellschaftlichem Interesse.164 Vor der Rechtsprechungswende durch die Caroline-Rechtsprechung des EGMR wurde der Person des öffentlichen Lebens über die Rechtsfigur der „absoluten Person der Zeitgeschichte“ ein geringer Persönlichkeitsschutz gewährt, indem die Person selbst als das zeitgeschichtliche Ereignis angesehen wurde, auf das sich das öffentliche Interesse bezog und es eines zeitgeschichtlichen Kontextes daher nicht bedurfte.165 Bezogen auf den Beschuldigten als Person des öffentlichen Lebens hätte damit auch an den gegen ihn erhobenen strafrechtlichen Vorwürfen ein seine Anonymitätsinteressen überwiegendes öffentliches Informationsinteresse bestanden, welches an die zeitgeschichtliche Bedeutung seiner Person und nicht des strafrechtlichen Vorwurfs angeknüpft hätte.166 Diese Wertung ist jedoch angesichts 162

Hierzu bereits ausführlich oben Fünftes Kapitel, C. II. 3. d). § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG erfasst zwar unmittelbar nur die Bildnisveröffentlichung, kann jedoch in zivilrechtlichem Zusammenhang entsprechend auch auf die Frage der Zulässigkeit einer Namensnennung angewandt werden; hierzu siehe bereits oben Drittes Kapitel, B. I. 2., sowie Fünftes Kapitel, C. II. 3. d) aa). 164 Siehe hierzu bereits oben Erstes Kapitel, B. III. 165 Vgl. hierzu BeckOK-IMR/Herrmann, § 23 Rn. 8. 166 Daneben wurde zudem der Tatverdächtige unabhängig von seiner sonstigen gesellschaftlichen Stellung unter bestimmten Voraussetzungen als „relative Person der Zeitgeschichte“ eingeordnet, so dass zumindest hinsichtlich des Ermittlungs- und Strafverfahrens von einem überwiegenden öffentlichen Informationsinteresse ausgegangen wurde; vgl. BeckOK163

B. Informationstätigkeit von Staatsanwaltschaft und Medien

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der Abkehr der Rechtsprechung von der Rechtsfigur der „absoluten und relativen Person der Zeitgeschichte“ und die Entwicklung des abgestuften Stufenkonzepts als überholt zu betrachten.167 Die Frage, ob es sich bei dem gegen eine Person des öffentlichen Lebens erhobenen Tatvorwurf um ein zeitgeschichtliches und damit ein berechtigte öffentliche Informationsinteressen begründendes Ereignis handelt, ist auch im Rahmen des § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG anhand einer einzelfallbezogenen Interessenabwägung zwischen den Informationsinteressen der Allgemeinheit und den Anonymitätsinteressen des Betroffenen zu beurteilen.168 Im Rahmen dieser Güterabwägung sind anhand eines normativen Maßstabs sowohl die Pressefreiheit als auch der Schutz der Privatsphäre angemessen zu berücksichtigen.169 Nur, wenn die öffentlichen Informationsinteressen nach erfolgter Abwägung die Anonymitätsinteressen überwiegen, liegt überhaupt ein zeitgeschichtliches Ereignis i. S. d. § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG vor. Hierbei ist dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit besondere Bedeutung zuzumessen.170 Damit normiert § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG zwar das berechtigte öffentliche Interesse an zeitgeschichtlichen Ereignissen, entbindet jedoch die Staatsanwaltschaft nicht von ihrer Pflicht zur Abwägung der konkret widerstreitenden Interessen im Einzelfall. Auch § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG begründet damit keine der Person des öffentlichen Lebens im Ermittlungs- und Strafverfahren grundsätzlich obliegende Publizitätsduldungspflicht, sondern sieht diese allenfalls als Ergebnis einer umfassenden Güterabwägung.171 Es kann damit festgehalten werden, dass die einfachgesetzlichen Wertungen auch für den Beschuldigten als Person des öffentlichen Lebens zunächst von einem Überwiegen der Anonymitätsinteressen vor den öffentlichen Informationsinteressen ausgehen. Lediglich aus § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG ist die gesetzgeberische Tendenz zu entnehmen, dass an zeitgeschichtlichen Ereignissen ein berechtigtes öffentliches Informationsinteresse besteht. Ob einem strafrechtlichen Tatvorwurf gegen eine Person ein derartiger zeitgeschichtlicher Wert zukommt, ist von der Staatsanwaltschaft anhand einer umfassenden Abwägung der betroffenen Interessen zu beurteilen.

IMR/Herrmann, § 23 KUG Rn. 6.1; hierzu auch bereits oben Erstes Kapitel, B. III., sowie Viertes Kapitel, B. III. 2. a). 167 Vgl. hierzu Dreier/Schulz/Specht, § 23 KUG Rn. 10 ff. 168 Siehe hierzu bereits oben Viertes Kapitel, B. III. 2. 169 BGH GRUR 2007, 523 (525); GRUR 2007, 527 (528); GRUR 2007, 899 (900). 170 Dreier/Schulz/Specht, § 23 KUG Rn. 11. 171 Da sich das Recht auf Anonymität im Recht am eigenen Bild und dem Recht auf Namensanonymität konkretisiert, kann letzteres in Ermangelung einer gesetzlichen Regelung zunächst nach den gleichen Grundsätzen beurteilt werden; vgl. Dalbkermeyer, S. 81. Im Rahmen der nach § 4 Abs. 2 Nr. 4 LPG Berlin erforderlichen Interessenabwägung kann damit auch auf die Grundsätze der §§ 22 ff. KUG zurückgegriffen werden.

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6. Kap.: Verdachtsäußerung im Fall der Person des öffentlichen Lebens

b) Kriterien der Rechtsprechung Die vorangegangenen Überlegungen zur besonderen Interessenlage im Fall des Beschuldigten als Person des öffentlichen Lebens haben gezeigt, dass den aufgrund der gesellschaftlichen Stellung des Betroffenen gesteigerten Informationsinteressen der Allgemeinheit zugleich erhöhte Anonymitätsinteressen desselben gegenüberstehen.172 Da Informationen über strafrechtliche Ermittlungsverfahren grundsätzlich zunächst der Privatsphäre zuzuordnen sind,173 können diesbezügliche Veröffentlichungen nur bei einem deutlichen Überwiegen wichtiger Belange des Gemeinwohls zulässig sein. Derartige überwiegende Belange der Allgemeinheit werden indes noch nicht allein durch die gesellschaftlich hervorgehobene Stellung des Beschuldigten begründet. Ein generelles berechtigtes Interesse an Informationen aus der Privatsphäre der Person des öffentlichen Lebens besteht nicht.174 Wann das Informationsinteresse an einem strafrechtlichen Vorwurf ausnahmsweise als wichtiger Belang des Gemeinwohls einzustufen ist, muss anhand einer umfassenden Beurteilung des Einzelfalls entschieden werden. Auch wenn es sich bei der an dieser Stelle vorzunehmenden Güterabwägung stets um eine konkret einzelfallbezogene Entscheidung handelt, hat die Rechtsprechung im Rahmen der gerichtlichen ex post-Betrachtung medialer Verdachtsberichterstattung einen Kriterienkatalog für die Zulässigkeit derartiger Veröffentlichungen entwickelt, der durch die Medien als Orientierungshilfe im Rahmen ihrer Abwägungsentscheidung herangezogen werden kann.175 Diese Grundsätze wurden jedoch für das verfassungsrechtlich horizontale Verhältnis zwischen dem Beschuldigten und den Medien entwickelten und sind daher auf die von der Staatsanwaltschaft im vertikalen Verhältnis zum Beschuldigten zu treffende Abwägungsentscheidung im Rahmen der landespresserechtlichen Auskunftsansprüche nicht zu übertragen.176 Im insbesondere durch das Merkmal der Vorläufigkeit geprägten Ermittlungsverfahren verbieten sich für die Staatsanwaltschaft bereits aufgrund der Unschuldsvermutung Verbindungen zwischen dem Beschuldigten und der ihm vorgeworfenen Tat, die zu irreversiblen Belastungen des Beschuldigten führen. Die Kriterien der Rechtsprechung, die einen Begründungszusammenhang mit der vermeintlich begangenen Straftat ziehen, sind daher für die Abwägungsentscheidung der Ermittlungsbehörden abzulehnen. Damit kann ein berechtigtes Informationsinteresse bezüglich strafrechtlicher Vorwürfe aus der Privatsphäre des Beschuldigten nicht durch ein Mindestmaß an Beweistatsachen, den Verdachtsgrad, die Schwere der Tat oder eine Wiederholungsgefahr begründet werden. Im Ermittlungsverfahren verbleibt es daher für die Staatsanwaltschaft bei der einfachgesetzlich vorgegebenen Wertung der überwie172

Hierzu siehe oben Sechstes Kapitel, A. II. Hierzu siehe bereits oben Drittes Kapitel, B. I. 2. 174 Siehe hierzu bereits oben Sechstes Kapitel, A. II. 3. 175 Hierzu siehe ausführlich oben Viertes Kapitel, B. III. 176 Ausführlich zur fehlenden Übertragbarkeit der Kriterien siehe bereits oben Fünftes Kapitel, C. II. 3. d) bb). 173

B. Informationstätigkeit von Staatsanwaltschaft und Medien

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genden Anonymitätsinteressen und damit im Regelfall bei der Unzulässigkeit identifizierender Auskünfte gegenüber den Medien.177 Nichts anderes kann im Ermittlungsverfahren gegen eine Person des öffentlichen Lebens gelten, die hinsichtlich ihrer Anonymitätsinteressen aber auch der zu ihren Gunsten streitenden Unschuldsvermutung nicht weniger schützenswert ist. Gerade die Person des öffentlichen Lebens hat durch das Bekanntwerden eines Tatverdachts im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren unumkehrbare negative Folgen für ihre berufliche wie soziale Stellung zu befürchten.178 Die aufgrund der Vorläufigkeit des Ermittlungsverfahrens persönlichkeitsrechtlich besonders sensible Situation des Beschuldigten im Hinblick auf einen sich im Laufe des Verfahrens nicht erhärtenden Tatverdacht, eine Verfahrenseinstellung oder einen Freispruchs müssen daher auch und vielleicht gerade bei Personen des öffentlichen Lebens Beachtung finden. Es verbieten sich folglich Anknüpfungspunkte, die die Vorläufigkeit des gegen den Beschuldigten bestehenden Tatverdachts außer Acht lassen. Angesichts dessen sind die Erwägungen, die eine identifizierende Auskunftstätigkeit der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren im Fall des nicht in der Öffentlichkeit stehenden Beschuldigten rechtswidrig erscheinen lassen, jedenfalls auf die die Privatsphäre betreffenden strafrechtlichen Tatvorwürfe gegen Personen des öffentlichen Lebens zu übertragen. Wie bereits ausgeführt, kann das öffentliche Wirken des Beschuldigten jedoch zu einer Verschiebung der Persönlichkeitssphären führen und bestimmte Tatvorwürfe daher der Sozialsphäre zuzuordnen sein, bezüglich derer die Anforderungen an eine Eingriffsrechtfertigung weitaus geringer sind.179 Für die Frage der Zulässigkeit identifizierender Auskünfte der Ermittlungsbehörden ist damit die Differenzierung der Tatvorwürfe nach der betroffenen Persönlichkeitssphäre entscheidend. c) Differenzierung nach Persönlichkeitssphären Ausgehend von der Annahme, dass eine Person des öffentlichen Lebens nicht nur als öffentliche Person gesehen werden darf, sondern auch Privatmensch ist, müssen die gegen sie erhobenen Tatvorwürfe ebenfalls in „private“ und „öffentliche“ Vorwürfe unterteilt werden.180 Nach den vorangegangenen Erwägungen fallen somit Vorwürfe, die mit dem „einschlägigen“ Tätigkeitsfeld des Betroffenen als Person des öffentlichen Lebens nicht in Zusammenhang stehen, in die besonders geschützte Privatsphäre und diesbezügliche identifizierende Auskünfte der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren sind regelmäßig unzulässig.181 177

Siehe hierzu oben Fünftes Kapitel, C. II. 3. d). Hierzu siehe bereits oben Drittes Kapitel, A. II., sowie Sechstes Kapitel, A. II. 1. 179 Hierzu bereits oben Sechstes Kapitel, A. I. 1., II. 3. a). 180 Hierzu bereits oben Sechstes Kapitel, A. II. 3. 181 So beispielsweise die mutmaßliche Trunkenheitsfahrt oder der vermeintliche Drogenkonsum eines Schauspielers; vgl. auch Lindner, StV 2008, 210 (216), der jedoch auch die 178

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6. Kap.: Verdachtsäußerung im Fall der Person des öffentlichen Lebens

Stehen die Tatvorwürfe hingegen im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Grund des gesellschaftlichen Bekanntheitsgrads (beispielsweise der Vorwurf der Untreue gegen einen Bankvorstand oder gegen Medienpersönlichkeiten erhobene Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs im Rahmen ihrer medialen Tätigkeit), unterfallen sie der Sozialsphäre des Beschuldigten und das gesteigerte Informationsinteresse der Öffentlichkeit an Personen des öffentlichen Lebens und deren beruflichen Wirken182 kann die Anonymitätsinteressen des Betroffenen überwiegen. In welchen Fällen es zu einer derartigen Sphärenverschiebung kommt, hängt vom Grund der Bekanntheit des Beschuldigten sowie der Art des Strafvorwurfs ab. Im Bereich der Berufsprominenz (bekannte Wissenschaftlicher, Sportler) und allgemeinen Medienprominenz (Moderatoren, Schauspieler) unterfallen insbesondere berufsbezogene Tatvorwürfe der Sozialsphäre. Darüber hinaus kann auch die Instrumentalisierung der Öffentlichkeit zu Zwecken der Selbstinszenierung durch eine Person des öffentlichen Lebens zu einer Beschränkung ihrer besonders schützenswerten Privatsphäre führen, da der Betreffende freiwillig einen Großteil seines Lebens in der Öffentlichkeit inszeniert und ihm infolgedessen ein weitaus engerer privater Rückzugsbereich zu gewähren ist. Während einige der in der Öffentlichkeit stehenden Persönlichkeiten ihr Privatleben weitestgehend von der gesellschaftlichen Betrachtung abschirmen, inszenieren andere auch an sich private Details zur Vermarktung der eigenen Persönlichkeit und Aufrechterhaltung des allgemeinen Medieninteresses. In diesen Fällen können auch an sich „private“ strafrechtliche Vorwürfe der Sozialsphäre unterfallen, so dass die Anonymitätsinteressen den öffentlichen Interessen und dem gesellschaftlichen Meinungsbildungsprozess regelmäßig unterzuordnen sind. Neben der Gruppe der Berufs- und allgemeinen Medienprominenz ist es insbesondere die Person des öffentlichen Lebens als politischer Amtsträger, deren Wirken ein erhebliches öffentliches Informationsinteresse begründet.183 Dieses kann jedoch im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren nur dann überwiegen, wenn es sich um Strafvorwürfe handelt, die mit dem Grund der gesellschaftlichen Stellung, mithin der Amtsträgerschaft in Zusammenhang stehen und als solche der Sozialsphäre des Betreffenden zuzuordnen sind. Ein berechtigtes öffentliches Informationsinteresse ist damit jedenfalls bezüglich von Tatvorwürfen im unmittelbaren Zusammenhang mit der Amtsausübung (wie z. B. §§ 331 ff. StGB) anzunehmen. Derartige Vorwürfe gegen einen (ggf. mittelbar) gewählten Volksvertreter betreffen dessen berufliches, mithin öffentliches Wirken und berühren aufgrund seiner Stellung als Repräsentant des Staates wichtige Belange des Gemeinwohls, die seine Geheimhaltungsinteressen Steuerstraftat bei Politikern als nicht berufsbezogen sieht. Diese Ansicht ist wohl aufgrund der staatsfeindlichen Ausrichtung dieser Tat abzulehnen; siehe hierzu oben Sechstes Kapitel, A. II. 3. b). 182 Zum besonderen öffentlichen Informationsinteresse an Personen des öffentlichen Lebens siehe bereits oben Sechstes Kapitel, A. II. 2. 183 Hinsichtlich dieser besonderen Interessenlage siehe bereits oben Sechstes Kapitel, A. II. 3. b).

B. Informationstätigkeit von Staatsanwaltschaft und Medien

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in den Hintergrund treten lassen.184 Auch wenn die besondere Verpflichtung der Staatsanwaltschaft aus der Unschuldsvermutung auch in diesem Bereich gilt, ist das öffentliche Informationsinteresse an strafrechtlichen Vorwürfen gegen politische Amtsträger derart hoch einzustufen, dass dieses im Bereich der Sozialsphäre die mit einer Verdachtsveröffentlichung verbundenen Gefahren für den Beschuldigten überwiegt. Gerade die politische Persönlichkeit muss sich im Hinblick auf ihre Amtsausübung der kritischen öffentlichen Auseinandersetzung stellen. Doch auch nicht unmittelbar amtsbezogene Tatvorwürfe können das von dem Amtsträger in Anspruch genommene besondere Vertrauen der Öffentlichkeit in seine Integrität verletzen oder einen Rückschluss auf seine Befähigung zur Amtsausübung zulassen. In diesem Fall unterfielen wegen ihres Amtsbezugs auch an sich „private“ Tatvorwürfe der Sozialsphäre, so dass diesbezüglich ein überwiegendes öffentliches Informationsinteresse anzunehmen wäre.185 Problematisch erscheint hier jedoch die Abgrenzung zwischen „privaten“ und „amtsbezogenen“ Tatvorwürfen. Jegliche Abgrenzungsversuche die an die Schwere des Delikts, die Schwere der Tat oder das hierdurch betroffene Rechtsgut anknüpfen und auf diese Weise einem privaten Verhalten einen Amtsbezug aufzuerlegen versuchen,186 geraten im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren und der staatsanwaltschaftlichen Abwägungsentscheidung in Konflikt mit der zugunsten des Beschuldigten wirkenden Unschuldsvermutung. In dieser von der Vorläufigkeit des Verdachts geprägten Phase des Strafverfahrens verbieten sich zu Lasten des Beschuldigten wirkende (hier durch Begründung einer Publizitätsduldungspflicht) ausschließliche Begründungszusammenhänge mit der mutmaßlichen Tat, infolge derer scherwiegende und endgültige persönlichkeitsrechtliche Schäden in Form der Stigmatisierung geschaffen werden.187 Damit steht ihre Tauglichkeit als Abgrenzungskriterium insbesondere für die den rechtstaatlichen Grundsätzen besonders verpflichtete Staatsanwaltschaft klar in Frage.188 184 So etwa im Fall des Vorwurfs der Bestechlichkeit gegen den ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff; siehe hierzu oben Erstes Kapitel, A. IV. Weitaus weniger eindeutig zu bewerten ist der unmittelbare Amtsbezug hinsichtlich des gegen den früheren Bundestagsabgeordneten Sebastian Edathy erhobenen Vorwurfs des Erwerbs und Besitzes kinderpornografischen Materials. Hier war insofern als Besonderheit zu beachten, dass offenbar der Dienstlaptop zum Abruf des Materials genutzt wurde, so dass ein Bezug zur Amtsausübung nicht gänzlich von der Hand zu weisen war; zum Fall Edathy bereits oben Erstes Kapitel, A. V. 185 Hierzu bereits oben Sechstes Kapitel, A. II. 3. b) cc). 186 Zum Versuch einer Abgrenzung bereits oben Sechstes Kapitel, A. II. 3. b) cc). 187 Vgl. zum Kriterium der Schwere der Tat in Hinblick auf die Vorläufigkeit des Ermittlungsverfahrens und der Unschuldsvermutung bereits oben Fünftes Kapitel, C. II. 3. d) bb); vgl. auch Bornkamm, S. 262 f., der ein generelles Verbot der Straftat als Anknüpfungspunkt zur Rechtfertigung einer Duldungspflicht des Beschuldigten im Ermittlungsverfahren statuiert; a. A. von Becker, S. 213 f., der die Unschuldsvermutung nur als prozessuales Schutzrecht sieht. 188 Zwar sind auch im Ermittlungsverfahren grundrechtsinvasive strafprozessuale Maßnahmen nicht ausgeschlossen, die an den reinen Tatverdacht anknüpfen (z. B. vorläufige Festnahme und Untersuchungshaft), an diese sind jedoch nicht nur strenge Anforderungen zu stellen, sie dienen auch der Durchsetzung des staatlichen Strafmonopols und nicht allein dem Informationsinteresse der Allgemeinheit.

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6. Kap.: Verdachtsäußerung im Fall der Person des öffentlichen Lebens

Angesichts der Besonderheiten des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens und der Grundrechtsverpflichtung der Staatsanwaltschaft gegenüber dem Beschuldigten können diese an sich der Privatsphäre zuzuordnenden Tatvorwürfe nicht aufgrund von Kriterien, die die Schuld des Betroffenen antizipieren, in die Sozialsphäre „verschoben“ werden und so eine den Betroffenen sozial sowie beruflich erheblich belastende Publizitätsduldungspflicht begründen. Die besonders hoch einzuschätzenden Anonymitätsinteressen des Betroffenen als politischen Amtsträger189 dürfen daher im Fall einer außerhalb der Amtsausübung mutmaßlich begangenen Tat nicht allein aufgrund ihrer staatsfeindlichen Ausrichtung oder des angedrohten Strafrahmens hinter den öffentlichen Informationsinteressen zurücktreten.190 Schließlich basiert jede derartige Sphärenverschiebung bezüglich an sich „privater“ Tatvorwürfe auf der Annahme, der politische Amtsträger habe hiermit das in ihn gesetzte und seiner Amtsinhaberschaft zugrundeliegende besondere Vertrauen der Öffentlichkeit verletzt und damit Zweifel an seiner Integrität verletzt. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass das Maß der mutmaßlichen Verletzung des öffentlichen Vertrauens oder der Zweifel an der amtsbezogenen Integrität nicht von der Staatsanwaltschaft als objektive Strafverfolgungsbehörde zu antizipieren ist, sondern die Allgemeinheit im nach Erhärten des Tatverdachts eingeleiteten öffentlichen Hauptverfahren selbst zu beurteilen hat. Angesichts der Öffentlichkeit des strafrechtlichen Hauptverfahrens ist in der Untersagung identifizierender staatsanwaltschaftlicher Veröffentlichungen im Ermittlungsverfahren auch keine Verkürzung der verfassungsrechtlich verankerten plebiszitären Machtkontrolle im Hinblick auf den Amtsträger zu sehen. Dieser ist nicht nur politische Person des öffentlichen Lebens, sondern hat ebenso ein verfassungsrechtlich durch Art. 1 Abs. 1 i. V. m. Art. 2 Abs. 1 GG gewährleisteten Anspruch auf einen Raum des privaten Wirkens. Überdies ist Dalbkermeyer dahingehend zuzustimmen, dass das Strafverfahren insbesondere dem Zweck der Ahndung von Delinquenz sowie dem Schutz der Gesellschaft vor Rechtsbrüchen des Einzelnen dient und damit eine Berufung auf die Publizität zum Zwecke gesellschaftlicher Machtausübung eine unzulässige Instrumentalisierung für sachfremde Zwecke bedeuten würde.191 Auch ergibt sich aus der Ablehnung tatbezogener Abgrenzungskriterien einerseits und der Begründung einer Publizitätsduldungspflicht anhand des Kriteriums der Amtsbezogenheit des Tatvorwurfs andererseits kein Wertungswiderspruch. Der politische Amtsträger steht im Rahmen seiner Amtsausübung ebenso wie der Berufsprominente im Rahmen seiner Berufsausübung und der die Öffentlichkeit inszenierende allgemeine Medienprominente mit seinem diesbezüglichen Wirken freiwillig im Licht der Öffentlichkeit und muss daher hinnehmen, dass dieses auch in für ihn als unangenehm empfundenen Aspekten Gegenstand des gesellschaftlichen Diskurses ist. Dieser Gedanke ist es, der das verringerte Schutzlevel der Sozialsphäre 189

Siehe hierzu bereits oben Sechstes Kapitel, A. II. 1. b). Zu der Herleitung dieser Kriterien aus den disziplinarrechtlichen Wertungen bereits oben Sechstes Kapitel, A. II. 3. b) cc). 191 Dalbkermeyer, S. 158. 190

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und damit ein berechtigtes öffentliches Informationsinteresse am ohnehin öffentlichen Wirken begründet. Im Ergebnis bleibt damit festzuhalten, dass sich im Ermittlungsverfahren aus der Stellung des Beschuldigten als Person des öffentlichen Lebens keine generelle Berechtigung der Staatsanwaltschaft zu identifizierender Auskunftserteilung gegenüber den Medien ergibt.192 Vielmehr obliegt den Strafverfolgungsbehörden über § 4 Abs. 2 Nr. 4 LPG Berlin aber auch über § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG eine Pflicht zur umfassenden und einzelfallbezogenen Abwägung der privaten sowie öffentlichen Interessen, bei der der Tatvorwurfs innerhalb der Persönlichkeitssphären des Beschuldigten einzuordnen ist. An der Sozialsphäre zuzuordnenden Tatvorwürfen ist ein berechtigtes öffentliches Informationsinteresse in der Regel anzuerkennen. Bezogen auf die Person des öffentlichen Lebens handelt es sich hierbei um Tatvorwürfe, die unmittelbar mit dem Grund der Bekanntheit, dem öffentlich ausgeübten Beruf oder der politischen Amtsausübung in Verbindung stehen. Darüber hinaus ist der Bereich der Sozialsphäre weiter zu fassen, wenn die Person ihr eigentlich privates Wirken freiwillig in der Öffentlichkeit zur Selbstvermarktung inszeniert. Betrifft ein Tatvorwurf nach dieser Einordnung ausnahmsweise die Sozialsphäre der Person des öffentlichen Lebens, haben die Medienvertreter gegenüber der Staatsanwaltschaft einen Anspruch auf identifizierende Auskünfte. Bezüglich nach dieser Differenzierung der Privatsphäre zuzuordnenden Tatvorwürfe stehen den gesteigerten Informationsinteressen der Öffentlichkeit in gleichem Maße gesteigerte Geheimhaltungsinteressen des Beschuldigten gegenüber, so dass sich hier die gesetzgeberische Wertung grundsätzlicher Anonymität im Ermittlungsverfahren und eine identifizierende Informationstätigkeit der Strafverfolgungsbehörden nicht gerechtfertigt ist. Auch wenn sich diese persönlichkeitsrechtliche Einordnung insbesondere durch die Stellung des Beschuldigten als politischer Amtsträger und das von diesem in besonderem Maße in Anspruch genommene Vertrauen der Öffentlichkeit in seine Integrität verschieben kann, verbieten sich auf Seiten der unmittelbar grundrechtsverpflichteten Strafverfolgungsbehörde Sphärenverschiebungen zwischen der Privat- und der Sozialsphäre, die an die mutmaßliche Tat und ihre tatsächliche Begehung durch den Beschuldigten anknüpfen. Bei dieser abstrakten Wertung kann es sich jedoch lediglich um eine Orientierungshilfe im Rahmen der stets einzelfallbezogen vorzunehmenden Abwägungsentscheidung der Ermittlungsbehörden handeln. Bevor diese daher durch die Herausgabe identifizierender Informationen über ein gegen eine Person des öffentlichen Lebens laufendes Ermittlungsverfahren irreversible Tatsachen schafft, muss sie die Besonderheiten des Einzelfalls in ihre Entscheidung mit einbeziehen. Gerade im Hinblick auf den durch Vorläufigkeit geprägten strafrechtlichen Tatverdacht müssen die Schutzbedürfnisse des Beschuldigten und seitens der Staatsanwaltschaft insbe192 So im Ergebnis auch Dalbkermeyer, S. 156, die ein Überwiegen der öffentlichen Informationsinteressen in Bezug auf die Identität des Beschuldigten erst mit Anklageerhebung annimmt.

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6. Kap.: Verdachtsäußerung im Fall der Person des öffentlichen Lebens

sondere die Unschuldsvermutung besondere Beachtung finden. Jegliche Informationstätigkeit ist daher zurückhaltend auf der Basis einer die Folgen der Publizität des Ermittlungsverfahrens angemessenen berücksichtigenden Interessenabwägung zu betreiben. 2. Herausgabe sonstiger Informationen durch die Staatsanwaltschaft Doch nicht nur die entanonymisierende Informationstätigkeit ist durch die Persönlichkeitsrechte des Beschuldigten begrenzt. Auch die Herausgabe sonstiger Informationen über den Beschuldigten (beispielsweise Details zum Familien- und Beziehungsleben des Betroffenen, zu dessen finanzieller Situation oder sonstigen Fragen privater Lebensgestaltung) ist an den landespresserechtlichen Auskunftsansprüchen zu messen und kann damit nicht grenzenlos erfolgen. Bei der Frage, ob der Herausgabe derartiger Informationen „schutzwürdige private Interessen“ (§ 4 Abs. 2 Nr. 4 LPG Berlin) des Beschuldigten entgegenstehen, ist es unerheblich, ob seine Identität im Zeitpunkt der Veröffentlichung bereits der Öffentlichkeit bekannt ist oder erst noch (z. B. durch Eröffnung des Hauptverfahrens) bekannt wird. Die Staatsanwaltschaft muss bei ihrer Interessenabwägung vielmehr davon ausgehen, dass die herausgegebenen Informationen zu irgendeinem Zeitpunkt mit der Person des Beschuldigten in Zusammenhang gebracht werden können und die persönlichkeitsrechtlichen Konsequenzen für den Betroffenen eintreten.193 Als schutzwürdige private Interessen kommen im Fall des Beschuldigten als Person des öffentlichen Lebens ebenso wie bei einem nicht in der Öffentlichkeit stehenden Betroffenen insbesondere die Persönlichkeitsrechte, die Unschuldsvermutung sowie der fair trial-Grundsatz in Betracht. Insoweit ergeben sich aus der Stellung des Beschuldigten als Person des öffentlichen Lebens zunächst keine Besonderheiten.194 Auch eine in der Öffentlichkeit stehende Person erfährt den verfassungsrechtlich verankerten Schutz der Unschuldsvermutung und hat daher einen Anspruch auf ein rechtsstaatliches Verfahren, so dass die Staatsanwaltschaft im Rahmen ihrer gesamten Öffentlichkeitsarbeit und so auch bei der Herausgabe sonstiger Informationen über den Beschuldigten als Person des öffentlichen Lebens keine vorverurteilenden Mitteilungen herausgeben darf. Auch sollten die Veröffentlichungen der Ermittlungsbehörden stets in einem ausgewogenen Verhältnis sowohl be- als auch entlastende Tatsachen enthalten und zuvor eine Stellungnahme des Betroffenen eingeholt werden. Zugleich stellt auch die Herausgabe von Informationen über die Person des öffentlichen Lebens als Beschuldigten einen rechtfertigungsbedürftigen Eingriff in dessen Persönlichkeitsrechte dar und ist daher an den unterschiedlichen sphärenspezifischen Eingriffsanforderungen zu messen. Auch hier gelten insoweit keine 193

Hierzu bereits oben Fünftes Kapitel, C. II. 4. Siehe daher ausführlich zur Frage der rechtmäßigen Herausgabe sonstiger Informationen über den Beschuldigten bereits oben Fünftes Kapitel, C. II. 4. 194

B. Informationstätigkeit von Staatsanwaltschaft und Medien

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Besonderheiten im Verhältnis zu nicht in der Öffentlichkeit stehenden Beschuldigten. Auch die Person des öffentlichen Lebens verfügt über einen grundsätzlich unantastbaren Bereich der Intimsphäre, wenn diesbezügliche Informationen keinen unmittelbaren Bezug zu einer mutmaßlich strafbaren Handlung aufweisen.195 Auch ist der Person des öffentlichen Lebens darüber hinaus ein geschützter Bereich der Privatsphäre zu gewähren, innerhalb dessen ein berechtigtes öffentliches Interesse an privaten Informationen nicht allein durch die gesellschaftliche Stellung begründet wird.196 Insofern gelten auch hier grundsätzlich keine Besonderheiten im Verhältnis zur „nicht öffentlichen“ Person. Bei der Differenzierung zwischen den Persönlichkeitssphären kann es im Einzelfall aufgrund des öffentlichen Wirkungskreises des Betroffenen zu Sphärenverschiebungen kommen, so dass der Person des öffentlichen Lebens im Ergebnis ein geringerer Bereich geschützter Privatsphäre zu gewähren ist. Hierbei handelt es sich jedoch nicht um eine generelle Wertung aufgrund der Bekanntheit der Person. Vielmehr kann eine derartige Verschiebung nur bezüglich solcher Informationen angenommen werden, die das öffentliche Wirken und den Grund der Bekanntheit der Person betreffen. Diesbezüglich ist auch im Ermittlungsverfahren ein berechtigtes öffentliches Informationsinteresse anzuerkennen. Schließlich darf die Staatsanwaltschaft auch in Ermittlungsverfahren gegen Personen des öffentlichen Lebens im Rahmen ihrer Abwägungsentscheidung weder die mögliche öffentliche Stigmatisierung des Beschuldigten noch die Prangerwirkung der herausgegebenen Informationen und ihre besondere Verantwortung als „privilegierte Quelle“ unberücksichtigt lassen. Nicht zuletzt angesichts des vorläufigen Charakters des Ermittlungsverfahrens und der zu wahrenden Unschuldsvermutung sollten die Strafverfolgungsbehörden ihre Kommunikationsstrategie in diesem Verfahrensstadium restriktiv und zunächst auf Vermeidung von Kommunikation ausrichten, sofern schützenswerte Belange des Beschuldigten ein informatives Einschreiten der Staatsanwaltschaft nicht erforderlich erscheinen lassen.197

195 So waren beispielsweise die Informationen zu dem intimen Verhältnis zwischen Jörg Kachelmann und dem vermeintlichen Vergewaltigungsopfer sowie Nadja Benaissa und dem von ihr mit HIV infizierten Mann nicht der absolut geschützten Intimsphäre zuzuordnen; zu diesen Verfahren bereits oben Erstes Kapitel, A. 196 Siehe hierzu bereits oben Sechstes Kapitel, A. II. 3. a). 197 Diesbezüglich gibt Becker-Touissant, NJW 2004, 414 (418), zu bedenken, dass (eine Rückkehr zu) eine restriktive Pressearbeit der Behörden tatsächlich dem hiermit beabsichtigten höheren Schutz der Persönlichkeitsrechte des Beschuldigten zuwiderlaufen könnte, da sich die ökonomischen Interessen und der Aktualität ihrer Berichterstattung unterworfenen Medien in diesem Fall ggf. inoffizielle Quellen suchen, deren Auskünfte ggf. dem Beschuldigten noch in größerem Maße zu schaden geeignet sind; vgl. hierzu bereits oben Fünftes Kapitel, A. II. 2. Auch wenn diese Befürchtung nicht gänzlich von der Hand zu weisen ist, so gilt dieses Risiko jedoch grundsätzlich unabhängig von der gesellschaftlichen Stellung des Beschuldigten für sämtliche Strafverfahren, mit denen die Medien ein gesteigertes Interesse verbinden und kann somit nicht allein bei Personen des öffentlichen Lebens eine freigiebigere Informationstätigkeit der Staatsanwaltschaft rechtfertigen.

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6. Kap.: Verdachtsäußerung im Fall der Person des öffentlichen Lebens

3. Zwischenergebnis Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Strafverfolgungsbehörden auch in Ermittlungsverfahren gegen Personen des öffentlichen Lebens bezüglich jeglicher Information über die Person des Beschuldigten dessen schutzwürdigen Geheimhaltungsinteressen gegen die öffentlichen Informationsinteressen abzuwägen haben. Ein generelles berechtigtes Informationsinteresse der Allgemeinheit vermag nicht allein durch die gesellschaftlich exponierte Stellung des Betroffenen begründet werden. Hinsichtlich der öffentlichen Entanonymisierung des Beschuldigten richtet sich deren Zulässigkeit nach der betroffenen Persönlichkeitssphäre, wonach hinsichtlich der Privatsphäre unterfallender Tatvorwürfe die Anonymitätsinteressen der Person des öffentlichen Lebens in der Regel das Informationsinteresse der Allgemeinheit überwiegen. Anders muss die Beurteilung hingegen bei strafrechtlichen Vorwürfen ausfallen, die unmittelbar mit der öffentlichen Berufs- oder Amtsausübung oder dem Grund der Bekanntheit verbunden sind. Bei diesen lediglich die Sozialsphäre betreffenden Tatvorwürfen ist ein berechtigtes öffentliches Informationsinteresse anzuerkennen, infolgedessen die Medien einen Anspruch auf identifizierende Auskünfte gegenüber der Staatsanwaltschaft haben. Hinsichtlich sonstiger Informationen über den Betroffenen richtet sich die Rechtmäßigkeit der Veröffentlichung nach der persönlichkeitsrechtlichen Sphärenzuordnung, wobei sich – abgesehen von einer im Einzelfall möglichen Sphärenverschiebung – keine Besonderheiten aufgrund der gesellschaftlichen Stellung des Beschuldigten ergeben. Insgesamt hat die Staatsanwaltschaft auch bei Personen des öffentlichen Lebens die mit der Publizität des Ermittlungsverfahrens verbundene Prangerwirkung zu berücksichtigen und ihrer Informationstätigkeit eine einzelfallbezogene umfassende Interessenabwägung voranzustellen. Es verbieten sich pauschale Verweise auf ein vermeintlich generell berechtigtes öffentliches Interesse an Personen des öffentlichen Lebens. Die Ermittlungsbehörden sind auch in diesen Verfahren den Grundrechten des Beschuldigten unmittelbar verpflichtet. Hierbei sollte die Staatsanwaltschaft insbesondere ihrer Verantwortung für Maß und Intensität der medialen Berichterstattung gerecht werden und ihre Informationspolitik restriktiv ausrichten.198

II. Die mediale Verdachtsberichterstattung im Ermittlungsverfahren Im Ermittlungsverfahren sind nicht nur mit der staatsanwaltschaftlichen Informationstätigkeit, sondern insbesondere auch mit der medialen Verdachtsberichterstattung erhebliche persönlichkeitsrechtliche Beeinträchtigungen für den Beschuldigten verbunden. Informationen über Personen des öffentlichen Lebens sind für die 198 Zur Stellung der Staatsanwaltschaft als „privilegierte Quelle“ siehe bereits oben Fünftes Kapitel, C. III.

B. Informationstätigkeit von Staatsanwaltschaft und Medien

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Medien – ebenso wie strafrechtliche Sachverhalte – von Natur aus von großem ökonomischem Wert und rufen daher ein gesteigertes Interesse hervor. In einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren gegen eine Person des öffentlichen Lebens treffen damit zwei Aspekte mit erheblichem Nachrichtenwert zusammen.199 Es erstaunt somit wenig, dass strafrechtliche Vorwürfe gegen bekannte Persönlichkeiten Gegenstand umfassender Berichterstattung sind und sich gerade die Medienberichterstattung für die Person des öffentlichen Lebens als besonders rechtsgefährdend erweist.200 Nachdem bereits dargelegt wurde, dass nicht nur die staatsanwaltschaftliche Informationstätigkeit, sondern auch die mediale Verdachtsberichterstattung nicht grenzenlos erfolgen darf,201 soll im Folgenden untersucht werden, welche Auswirkungen die Stellungen des Beschuldigten als Person des öffentlichen Lebens auf die Grenzen medialer Verdachtsberichterstattung hat. Hierbei soll insbesondere die identifizierende Wort- und Bildberichterstattung im Fokus stehen. 1. Die mediale Verdachtsberichterstattung über Personen des öffentlichen Lebens Mediale Verdachtsberichterstattung über Personen des öffentlichen Lebens findet überwiegend als Wortberichterstattung mit begleitender Bildnisveröffentlichung statt. Die Annahme, dass eine Bildnisveröffentlichung aufgrund ihrer besonders stigmatisierenden Wirkung einen größeren Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des Betroffenen bedeutet,202 lässt sich auf die Person des öffentlichen Lebens nur bedingt übertragen. Die stärkere Eingriffsintensität der Bildnisveröffentlichung gegenüber der bloßen Namensnennung wird insbesondere durch die Nachhaltigkeit einer visuellen Darstellung des Beschuldigten sowie dem mit ihr verbundenen gesteigerten Wiedererkennungswert der Person begründet. Diese beiden Aspekte sind für die hier gegenständliche Gruppe der Personen des öffentlichen Lebens jedoch kaum von Belang, da in diesen Fällen in der Regel bereits der Name des Beschuldigten ausreicht, um ihn gegenüber einer großen Allgemeinheit zu entanonymisieren. Die Bildnisveröffentlichung wirkt in diesen Fällen eher unterstützend und vermag insbesondere als optischer Reiz die Aufmerksamkeit des Lesers besonders effektiv auf den betreffenden Artikel zu lenken. Ein erheblich verstärkter Eingriff in das Persönlichkeitsrecht ist mit ihr hingegen jedenfalls im Fall der Person des öffentlichen Lebens in der Regel nicht verbunden. Die Rechtmäßigkeit medialer Verdachtsberichterstattung und damit auch die Frage nach den Auswirkungen der Stellung des Betroffenen auf ihre Grenzen wird 199

Siehe zum Begriff des Nachrichtenwertes bereits oben Erstes Kapitel, A. III. 3. Siehe zu den besonderen Gefahren medialer Berichterstattung im Ermittlungsverfahren bereits oben Drittes Kapitel, A. II. 201 Zu den Grenzen medialer Verdachtsberichterstattung siehe bereits ausführlich oben Viertes Kapitel, B. III. 202 Hierzu siehe oben Viertes Kapitel, B. III. 2. b). 200

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6. Kap.: Verdachtsäußerung im Fall der Person des öffentlichen Lebens

maßgeblich durch die im Vergleich zur staatsanwaltschaftlichen Öffentlichkeitsarbeit abweichende verfassungsdogmatische Ausgangssituation bestimmt.203 Während das Verhältnis zwischen Ermittlungsbehörden und Beschuldigtem von der unmittelbaren Grundrechtsgebundenheit der Staatsanwaltschaft geprägt ist, stehen sich im Bereich der medialen Verdachtsberichterstattung zwei gleichberechtigte Grundrechtsträger in einem horizontalen Verhältnis gegenüber.204 Die Person des öffentlichen Lebens ist in gleichem Maße wie eine nicht in der Öffentlichkeit stehende Person Träger des allgemeinen Persönlichkeitsrechts,205 so dass auch in diesem Kollisionsbereich die widerstreitenden Interessen im Wege der praktischen Konkordanz in einen gerechten Ausgleich gebracht werden müssen. Hierbei entfalten die betroffenen Grundrechte eine Ausstrahlungswirkung über die einfachen Gesetze und die Unschuldsvermutung ist – anders als gegenüber der unmittelbar durch sie gebundenen Staatsanwaltschaft – lediglich als lenkender Maßstab zu beachten.206 Betreffend die identifizierende mediale Wortberichterstattung sowie die Bildnisveröffentlichung bezüglich Personen des öffentlichen Lebens richtet sich deren Zulässigkeit insbesondere sowie § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG (analog)207 und ist somit anhand einer umfassenden und einzelfallbezogenen Interessenabwägung zu beurteilen, innerhalb derer die verfassungsrechtlichen Wertungen der betroffenen Grundrechte Berücksichtigung finden müssen.208 Im Fall des Beschuldigten als Person des öffentlichen Lebens kann diese Abwägung heute nicht mehr unter dem pauschalen Verweis auf die Rechtsfigur der absoluten Person der Zeitgeschichte entschieden und diesem eine Duldungspflicht im Hinblick auf jedwede Wort- und Bildberichterstattung auferlegt werden. Infolge der Caroline-Rechtsprechung des EGMR und dem anschließend entwickelten abgestuften Stufenkonzept des BGH entscheidet sich die Frage der Zeitgeschichtlichkeit eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens nunmehr auch im Fall der Person des öffentlichen Lebens anhand einer umfassenden und einzelfallbezogenen Interessenabwägung.209 Insoweit ergeben sich hinsichtlich der (verfassungs-)rechtlichen Grundlagen aus der Stellung des Beschuldigten als Person des öffentlichen Lebens keine Abweichungen. Folglich ist 203

Hierzu siehe bereits oben Viertes Kapitel, B. I. Siehe zur verfassungsdogmatischen Ausgangslage bereits oben Viertes Kapitel, B. I. 4. 205 Hierzu siehe bereits oben Sechstes Kapitel, A. I. 1. 206 Vgl. oben Viertes Kapitel, B. I. 4. 207 Die identifizierende Wortberichterstattung hat sich ebenfalls an den zur Bildberichterstattung entwickelten Grundsätzen des § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG zu messen; vgl. hierzu oben Drittes Kapitel, B. I. 2., sowie Viertes Kapitel, B. III. 2. a). 208 Zu den rechtlichen Grundlagen medialer Verdachtsberichterstattung siehe oben Viertes Kapitel, B. III. 2. 209 Siehe hierzu bereits oben Viertes Kapitel, B. II. 4., III. 2., sowie Sechstes Kapitel, B. I. 1. a). So zutreffend auch Fischer, S. 228; a. A. Fechner, 4. Kap. Rn. 100, nach dessen Auffassung eine Person des öffentlichen Lebens auch eine Berichterstattung über „leichte Kriminalität“ hinzunehmen hat, da die Allgemeinheit aufgrund der Vorbild- und Orientierungsfunktion ein Interesse daran habe, ob diese Personen in rechtlicher Hinsicht die gleiche Behandlung zu Teil werde. 204

B. Informationstätigkeit von Staatsanwaltschaft und Medien

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nunmehr zu untersuchen, inwiefern sich diese auf das Ergebnis der Güterabwägung auswirkt. 2. Die Berücksichtigung der besonderen Interessenlage bei der Abwägungsentscheidung Die Rechtmäßigkeit medialer Verdachtsberichterstattung entscheidet sich im Rahmen des § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG (analog) nach dem einzelfallbezogenen Verhältnis der betroffenen persönlichkeitsrechtlichen Schutzinteressen des Beschuldigten aus Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 2 Abs. 1 GG zu den Medienfreiheiten aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG. Im Hinblick auf § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG ist hervorzuheben, dass der Raum für eine Güterabwägung hinsichtlich der zeitgeschichtlichen Bedeutung des Sachverhalts nur dann eröffnet ist, wenn die mediale Berichterstattung überhaupt ernsthafte und sachliche Informationsinteressen bedient und nicht nur zu Unterhaltungs- und Sensationszwecken erfolgt.210 Gerade bei der Person des öffentlichen Lebens werden mediale Veröffentlichungen jedoch oftmals zu erheblichem Anteil derartigen Unterhaltungsinteressen dienen, so dass in diesen Fällen zunächst zu untersuchen ist, ob mit der Berichterstattung zumindest auch legitime öffentliche Informationsinteressen verfolgt werden und so der Weg zur Interessenabwägung eröffnet ist. Als Orientierungshilfe im Rahmen der sodann vorzunehmenden Güterabwägung dient zunächst der zur allgemeinen Verdachtsberichterstattung entwickelte Kriterienkatalog der Rechtsprechung (Mindestbestand an Beweistatsachen, dessen erforderliches Maß von der Schwere des Tatvorwurfs abhängt, Einhaltung der pressemäßigen Sorgfalt, keine Vorverurteilung, deutliche Hervorhebung des Verdachtsstatus, Möglichkeit des Beschuldigten zur Stellungnahme, Vorgang von gravierendem Gewicht).211 Diese Kriterien sind als Mindeststandard für jegliche mediale Verdachtsberichterstattung auch über Personen des öffentlichen Lebens anzusehen. Da gerade in der Boulevardpresse die Tendenz zu beobachten ist, strafrechtliche Vorwürfe gegen eine Person des öffentlichen Lebens reißerisch aufzubereiten, ist hier besonders auf das Verbot vorverurteilender Berichterstattung und der Einhaltung der pressemäßigen Sorgfalt zu verweisen, um den Beschuldigten vor einer unnötigen Stigmatisierung in der gesellschaftlichen Meinung und einer Verletzung seines Rechts auf ein faires Verfahren zu schützen.212 Da die identifizierende Verdachtsberichterstattung der Medien jedoch insbesondere in das über Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 2 Abs. 1 GG geschützte Recht auf Bild- und Namensanonymität eingreift, sind ergänzend zu diesem grundsätzlichen Rechtmäßigkeitsmaßstab die besonderen persönlichkeitsrechtlichen Eingriffsvoraussetzungen zu berücksichtigen. 210

Vgl. oben Viertes Kapitel, B. III. 2. b). Ausführlich zu diesem Kriterienkatalog bereits oben Viertes Kapitel, B. III. 1. 212 Zu diesen Gefahren eines medienöffentlichen Ermittlungs- oder Strafverfahrens siehe bereits oben Drittes Kapitel, A. 211

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6. Kap.: Verdachtsäußerung im Fall der Person des öffentlichen Lebens

Ebenso wie im Fall ermittlungsbehördlicher Auskunftserteilung213 ist daher nach den betroffenen Persönlichkeitssphären zu differenzieren.214 Danach dürfen die Medien unter Einhaltung der allgemeinen Grundsätze medialer Verdachtsberichterstattung über solche Tatvorwürfe, die der Sozialsphäre unterfallen, bereits im Fall eines einfachen überwiegenden Interesses der Allgemeinheit berichten. Dies ist insbesondere bei berufsbezogenen Tatvorwürfen gegen sog. Berufsprominente sowie unmittelbar mit der Amtsausübung in Verbindung stehenden Vorwürfen gegen politische Amtsträger anzunehmen. Auch bei Personen des öffentlichen Lebens, die große Teile ihres Privatlebens zum Gegenstand ihrer Selbstinszenierung in der Öffentlichkeit machen, können strafrechtliche Tatvorwürfe der Sozialsphäre zuzuordnen und damit der medialen Verdachtsberichterstattung zugänglich sein.215 Da die Person des öffentlichen Lebens innerhalb ihres beruflichen und öffentlichen Wirkens derart unter gesellschaftlicher Beobachtung steht, muss sie diesbezüglich den gesellschaftlichen Diskurs auch im Hinblick auf negative Aspekte dulden, selbst wenn es sich lediglich um den Vorwurf „leichter Kriminalität“ handelt.216 In der Sozialsphäre ist der persönlichkeitsrechtliche Schutz gering und der Freiheit der Medienberichterstattung regelmäßig Vorrang zu gewähren. Dennoch ist die Presse bei ihrer identifizierenden Verdachtsberichterstattung über der Sozialsphäre unterfallende Tatvorwürfe durch die von der Rechtsprechung entwickelten allgemeinen Rechtmäßigkeitsmaßstäbe begrenzt, wonach gerade im Stadium des Ermittlungsverfahrens mit Blick auf die Unschuldsvermutung und das Recht auf ein faires Verfahren eine öffentliche Vorverurteilung und Stigmatisierung des bloßen Tatverdächtigen zu vermeiden ist.217 Darüber hinaus ist auch im Falle leichter Kriminalität für die Veröffentlichung der Identität des Beschuldigten ein Mindestmaß an Beweistatsachen zu fordern. Maßgeblich ist in diesem Zusammenhang auch der Grad des gegen den Betroffenen vorliegenden Tatverdachts. So ist ein bloßer Anfangsverdacht und damit auch allein der Umstand der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens noch nicht ausreichend, den Beschuldigten in der Öffentlichkeit mit dem erhobenen Strafvorwurf in Verbindung zu bringen.218 Insoweit ist die Person des öffentlichen Lebens auch hinsichtlich ihrer Sozialsphäre in gleichem Maße vor einer verfrühten Öffentlichkeit zu schützen.219

213

Hierzu siehe oben Sechstes Kapitel, B. I. 1. c). So auch im Fall der Person des öffentlichen Lebens nach Persönlichkeitssphären differenzierend BGH NJW 2013, 1681 (1682); NJW 2014, 2029 (2031). 215 Siehe hierzu bereits oben Sechstes Kapitel, A. II. 3., B. I. 1. c). 216 Hohmann, NJW 2009, 881 (882), der lediglich einen „Öffentlichkeitsbezug“ fordert. 217 Vgl. auch BGH NJW 2013, 1681 (1682 f.) – Kachelmann; hierzu Gounalakis, LMK 2013, 347893. 218 Hierzu siehe bereits oben Viertes Kapitel, B. III. 1. 219 Vgl. auch Meinecke, S. 239, der besondere Anforderungen an die journalistische Sorgfalt stellt, da im Fall der Person des öffentlichen Lebens mit dem steigenden öffentlichen Interesse auch die negativen Folgen größer als bei unbekannten Personen sein können. 214

B. Informationstätigkeit von Staatsanwaltschaft und Medien

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Sind die dem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren zugrundeliegenden Vorwürfe hingegen der Privatsphäre des Betroffenen zuzuordnen,220 so sind an eine diesbezügliche identifizierende Verdachtsberichterstattung strengere Anforderungen zu stellen und eine solche nur zugunsten wichtiger Belange des Gemeinwohls als rechtmäßig anzusehen. Die Rechtsprechung sieht im Ermittlungsverfahren eine identifizierende Berichterstattung daher zutreffend nur ausnahmsweise als zulässig an, wenn die Identität des Beschuldigten neben der Tat einen eigenen und besonderen Informationswert besitzt. Auch wenn ein öffentliches Informationsinteresse hinsichtlich strafrechtlicher Sachverhalte grundsätzlich anzuerkennen ist, kommt in diesem Zusammenhang der Identität des Beschuldigten im Regelfall jedoch kein eigenständiger Informationswert zu.221 Auch im Fall des Beschuldigten als Person des öffentlichen Lebens begründet dessen gesellschaftlich hervorgehobene Stellung oder die ihm auferlegte „Vorbild- und Orientierungsfunktion“ keinen derartigen eigenen Informationswert der Identität des Tatverdächtigen.222 Auch die in der Öffentlichkeit stehende Person hat einen persönlichkeitsrechtlichen Anspruch auf einen Bereich des privaten Rückzugs, in welchem sie unbeobachtet leben kann. Wo hier zwischen öffentlichem und privatem Wirken die Grenze zu ziehen ist, hängt vom jeweiligen Einzelfall und der Selbstinszenierung des Betreffenden in der Öffentlichkeit ab. Die Rechtsprechung nimmt im Ermittlungsverfahren lediglich dann einen die Anonymitätsinteressen überwiegenden eigenen Informationswert der Identität des Beschuldigten an, wenn es sich um eine schwere Straftat handelt oder um eine solche, die die Öffentlichkeit besonders berührt.223 Damit kann im Fall einer schweren Straftat224 auch bereits im Ermittlungsverfahren unter Offenlegung der Identität des Beschuldigten durch Medien über die Tatvorwürfe berichtet werden. Insoweit ergeben sich im Hinblick auf den Beschuldigten als Person des öffentlichen Lebens keine Unterschiede. Dennoch korreliert auch bei dem in der Öffentlichkeit stehenden Beschuldigten mit der Schwere der ihm vorgeworfenen Tat ein gesteigertes Interesse,

220

Zur grundsätzlichen Zuordnung strafrechtlicher Ermittlungsverfahren in die Privatsphäre siehe bereits oben Drittes Kapitel, B. I. 221 Zu dieser Einschränkung seitens der Rechtsprechung siehe bereits oben Viertes Kapitel, B. III. 2. a). 222 Hierzu siehe bereits oben Sechstes Kapitel, A. III. 2. a). A.A. Fechner, 4. Kap. Rn. 100, der insoweit auf die „Kontrast-“ und Orientierungsfunktion der Person des öffentlichen Lebens verweist. 223 Siehe oben Viertes Kapitel, B. III. 2. a); vgl. auch OLG Frankfurt a. M. OLGR 2003, 383 (384); OLG Braunschweig NJW-RR 2005, 195. 224 Die Schwere einer Straftat ist in diesem Zusammenhang nicht rein formal an den Maßstäben des § 12 StGB und der Qualifizierung als Verbrechen zu messen, sondern vielmehr am Grad der durch sie verursachten Verunsicherung in der Bevölkerung; siehe bereits oben Viertes Kapitel, B. III. 2. a). Dennoch ordnet Kaufmann, MMR 2010 520 (522), die Rechtsprechung des BGH dergestalt ein, dass als Schwerkriminalität solche Straftatbestände anzusehen sind, die eine Freiheitsstrafe von nicht unter einem Jahr vorsehen.

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6. Kap.: Verdachtsäußerung im Fall der Person des öffentlichen Lebens

nicht mit dieser Tat öffentlich in Verbindung gebracht zu werden.225 Dieses Anonymitätsinteresse erscheint gerade aufgrund der öffentlichen Stellung des Beschuldigten und dessen Bekanntheit in der Gesellschaft weitaus schwerer zu wiegen, als im Fall eines bis dato nicht in der Öffentlichkeit stehenden Beschuldigten. Vor diesem Hintergrund sind gerade bei Personen des öffentlichen Lebens mit steigender Schwere des Tatvorwurfs höhere Anforderungen an das erforderliche Mindestmaß an Beweistatsachen zu stellen. Mit der Rechtsprechung ist ein besonderer Nachrichtenwert hinsichtlich der Identität des Beschuldigten im Fall eines die Öffentlichkeit besonders berührenden Tatvorwurfs insbesondere dann anzuerkennen, wenn die Tat durch die Person des Täters bzw. die Kombination aus Tat und Täter einen besonderen Unwertgehalt oder eine besondere Prägung erhält.226 Bezogen auf die Situation im Fall eines Beschuldigten als Person des öffentlichen Lebens wird die Öffentlichkeit beispielsweise durch Tatvorwürfe gegen einen politischen Amtsträger besonders berührt, wenn diese in einem inhaltlichen Zusammenhang zur vertrauensbasierenden Funktion und Stellung stehen oder jedenfalls Rückschlüsse auf die Befähigung des Betroffenen zur Amtsausübung zulassen, da nur dann ein auf die besondere Stellung gestütztes und die Anonymitätsinteressen des Beschuldigten überwiegendes öffentliches Interesse angenommen werden kann.227 Für eine Abgrenzung zwischen rein „privaten“ und mittelbar amtsbezogenen Tatvorwürfen bedarf es objektiver Kriterien, für die sich die disziplinarrechtlichen Wertungen der Rechtsprechung im Hinblick auf die Beurteilung von Dienstvergehen jedenfalls als Orientierungshilfe anbieten. Hiernach kann an der Identität des Beschuldigten im Fall des politischen Amtsträgers ein berechtigtes Interesse bestehen, wenn sich die Tat nach der strafrechtlichen Wertung zum Nachteil des Staates auswirkt (bspw. §§ 80 – 120 StGB oder Steuerstraftaten) und damit die Stellung des Amtsträgers als Repräsentant des demokratischen Rechtsstaates betroffen ist sowie im Fall von schweren Straftaten.228 Während sich für die Beurteilung der Amtsbezogenheit der Tatvorwürfe seitens der Staatsanwaltschaft solche Kriterien verbieten, die an die Tat als solche anknüpfen oder einen Zusammenhang zwischen Beschuldigten und Straftat voraussetzen,229 gilt diese Begrenzung aufgrund der nur mittelbar wirkenden Unschuldsvermutung für die Medien nicht. Danach kann die Presse bei der vorzunehmenden Abwägung zwischen den Persönlichkeitsrechten des Beschuldigten und den Medien- und Informationsfreiheiten bei staatsfeindlichen oder schweren Tatvorwürfen von einem besonderen Nachrichtenwert der Identität ausgehen, da die in Rede stehenden Taten einen Rückschluss auf die Befähigung zur Amtsausübung zulassen beziehungsweise geeignet sind, das Vertrauen der Öffentlichkeit in den Amtsträger in besonderem 225 226 227 228 229

Siehe zu dieser Korrelation bereits oben Fünftes Kapitel, C. II. 3. d) bb). Siehe hierzu oben Viertes Kapitel, B. III. 2. a). Hierzu siehe bereits ausführlich oben Sechstes Kapitel, A. II. 2., 3. Ausführlich zur Herleitung dieser Kriterien oben Sechstes Kapitel, B. I. 1. c). Siehe zu dieser Problematik oben Sechstes Kapitel, B. I. 1. c).

B. Informationstätigkeit von Staatsanwaltschaft und Medien

373

Maße zu verletzen.230 Diese Abgrenzung hat jedoch unter Rücksicht auf die gesteigerten Anonymitätsinteressen des Beschuldigten als politischen Amtsträger im frühen Stadium des Ermittlungsverfahrens restriktiv zu erfolgen, denn nicht jeder strafrechtliche Vorwurf lässt eine Person für die Ausübung eines öffentlichen Amtes ungeeignet erscheinen. Trotz ihrer im Verhältnis zwischen Medien und Beschuldigten nur mittelbaren Geltung, ist schließlich die Unschuldsvermutung stets als lenkender Maßstab heranzuziehen und so dem bloßen Verdachtsstatus Rechnung zu tragen. Vor diesem Hintergrund sind die Medien nicht zuletzt aufgrund ihrer selbstverpflichtenden Regeln des Pressekodex231 zu einer verantwortungsvollen Verdachtsberichterstattung unter Berücksichtigung der Persönlichkeitsrechte des Beschuldigten angehalten. Auch wenn die Presseorgane somit zu einer maßvollen und verantwortungsbewussten Berichterstattung verpflichtet sind, ist nicht zuletzt die Justiz angehalten, durch eine strenge presserechtliche Rechtsprechung der in der medialen Berichterstattung verbreiteten Tendenz Einhalt zu gebieten, Personen des öffentlichen Lebens kaum persönlichkeitsrechtliche Schutzbereiche zu gewähren. Auch wenn die Presse durch ihre Berichterstattung über Politiker in Ausübung ihrer Ämter ihrer Funktion als „Wachhund“ der demokratischen Gesellschaft gerecht werden (wollen) und Informationen zu Fragen von allgemeinem Interesse vermitteln muss,232 darf der Beschuldigte gerade in dem von Vorläufigkeit geprägten Ermittlungsverfahren nicht schutzlos sein. Dies gilt insbesondere angesichts der Tatsache, dass die Öffentlichkeit bei Erhärten des Vorwurfs spätestens mit Eröffnung des Hauptverfahrens über den Sachverhalt informiert werden kann und in diesem Verfahrensabschnitt eine öffentliche Kontrolle in ausreichendem Maß gewährleistet ist. Aufgrund der irreversiblen Folgen einer öffentlichen Beschuldigung ist gerade im Hinblick auf nur mittelbar amtsbezogene Tatvorwürfe dem Erfordernis eines Mindestmaßes an Beweistatsachen besondere Bedeutung zuzumessen. Dies ist nicht zuletzt deswegen anzunehmen, da andernfalls der gezielten Diffamierung im politischen Meinungsund Machtkampf der Boden bereitet würde, wenn Staatsanwaltschaft und Medien bereits im Falle eines geringen Anfangsverdachts durch politische Gegner zum Zwecke einer öffentlichen Diskreditierung des Betroffenen instrumentalisiert werden könnten.233 Sofern die Abgrenzung am Merkmal der Schwere der Tat zu erfolgen hat, so ist auch hinsichtlich des Trägers eines politischen Amtes davon auszugehen, dass ein nicht unmittelbar mit der Amtsausübung verbundene Tatvorwurf nur dann eine identifizierende Verdachtsberichterstattung rechtfertigen kann, wenn er im Bereich der Schwerkriminalität anzusiedeln ist, so dass sich insofern keine Besonderheiten 230

Hierzu mit Beispielen bereits oben Sechstes Kapitel, A. II. 3. b) cc). Siehe hierzu bereits oben Viertes Kapitel, B. III. 3.; zum Pressekodex als Auslegungshilfe für den BGH vgl. Kaufmann, MMR 2010, 520 (521) m. w. N. 232 EGMR NJW 2004, 2647 (2649). 233 Dalbkermeyer, S. 151; Koch, ZRP 1989, 401 ff. 231

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6. Kap.: Verdachtsäußerung im Fall der Person des öffentlichen Lebens

im Verhältnis zu dem nicht in der Öffentlichkeit stehenden Beschuldigten ergeben.234 Auch in diesen Fällen steigen mit der Schwere des Tatvorwurfs jedoch zugleich die Anonymitätsinteressen des Beschuldigten und damit auch die Anforderungen an das Mindestmaß an Beweistatsachen und dem erforderlichen Grad des Tatverdachts. Schließlich kann einer nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG grundsätzlich zulässigen Berichterstattung aufgrund der zeitgeschichtlichen Bedeutung des strafrechtlichen Vorwurfs dennoch durch § 23 Abs. 2 KUG Grenzen gesetzt sein, wenn „berechtigte Interessen“ des Beschuldigten verletzt werden. Dies ist insbesondere dann anzunehmen, wenn der Beschuldigte in Situationen gezeigt wird, die in mehr als nötig herabwürdigen(wie beispielsweise einer Festnahme oder im Rahmen einer ähnlichen strafprozessualen Maßnahme).235 3. Zwischenergebnis Zusammenfassend ist damit festzuhalten, dass sich die Stellung des Beschuldigten als Person des öffentlichen Lebens nicht grundsätzlich auf die Grenzen identifizierender medialer Verdachtsberichterstattung im Ermittlungsverfahren auswirkt. Auch im Fall eines bereits vor dem Tatvorwurf in der Öffentlichkeit stehenden Beschuldigten stehen sich zwei gleichberechtigte Grundrechtsträger gegenüber, deren Interessen im Wege einer umfassenden Güterabwägung in einen gerechten Ausgleich gebracht werden müssen. Die Auffassung, die Person des öffentlichen Lebens habe aufgrund ihrer gesellschaftlichen Stellung eine umfassende Berichterstattung über sich zu erdulden,236 ist damit spätestens seit der Caroline Rechtsprechung des EGMR als überholt anzusehen. Eine entanonymisierende Berichterstattung kann vor diesem Hintergrund überhaupt nur dann zulässig sein, wenn mit ihr berechtigte Informationsinteressen und nicht nur Sensations- und Unterhaltungsinteressen der Rezipienten bedient werden. Die Presse muss zudem im Rahmen ihrer Berichterstattung die von der Rechtsprechung entwickelten allgemeinen Grundsätze der Verdachtsberichterstattung berücksichtigen, wobei im Ermittlungsverfahren gegen Personen des öffentlichen Lebens und ihre Abhängigkeit von der öffentlichen Meinung insbesondere das Verbot vorverurteilender und einseitig anprangernder Berichterstattung von Bedeutung sind.

234 So der Umkehrschluss aus BGH NJW 2000, 1036 (1038), in welchem der Senat eine identifizierende Verdachtsberichterstattung über einen politischen Amtsträger unterhalb der Schwelle der Schwerkriminalität nur dann annimmt, wenn ein Zusammenhang zwischen staatlichen und strafbaren Handeln, mithin ein unmittelbarer Amtsbezug gegeben ist (in diesem Fall bei den Delikten der §§ 331 ff. StGB); vgl. auch LG Köln ZUM-RD 2013, 143 (145); beide unter Verweis auf Löffler/Steffen, § 6 LPG Rn. 208. 235 Siehe oben Viertes Kapitel, B. III. 2. b). 236 Vgl. bspw. Neuling, S. 229.

B. Informationstätigkeit von Staatsanwaltschaft und Medien

375

Schließlich muss sich die Presse bei der von ihr vorzunehmenden Abwägung zwischen den Medien- und Informationsfreiheiten sowie den Anonymitätsinteressen des Beschuldigten als Person des öffentlichen Lebens auch nach den für die betroffene Persönlichkeitssphäre geltenden Eingriffsanforderungen richten. Damit ist eine identifizierende Verdachtsberichterstattung im Ermittlungsverfahren regelmäßig nur im Hinblick auf der Sozialsphäre zuzuordnende, berufsbezogene Tatvorwürfe sowie im Falle unmittelbar mit der Amtsausübung in Zusammenhang stehende Vorwürfe gegen den politischen Amtsträger zulässig. Hinsichtlich der Privatsphäre zuzuordnenden Vorwürfen überwiegen hingegen regelmäßig die Geheimhaltungsinteressen des Betroffenen, so dass eine entanonymisierende mediale Verdachtsberichterstattung unzulässig ist. Von dieser Regelwertung können sich jedoch Ausnahmen im Fall des politischen Amtsträgers ergeben, wenn die Vorwürfe einen Rückschluss auf dessen Befähigung zur Amtsausübung zulassen oder das in ihn von der Öffentlichkeit gesetzte Vertrauen in besonderem Maße zu verletzen geeignet sind. Gleiches gilt im Fall einer bereits zuvor erfolgten öffentlichen Inszenierung des Privatlebens durch den Beschuldigten zum Zwecke der Selbstvermarktung. Hierbei kann es sich jedoch nur um das Ergebnis einer Einzelfallwertung handeln.

III. Die Auswirkungen der Litigation-PR des Beschuldigten auf die dargestellte besondere Interessenlage Eine zeitgemäße Untersuchung des Schutzes der Persönlichkeitsrechte des Beschuldigten als Person des öffentlichen Lebens wirft schließlich auch die Frage auf, wie sich eine von dem Betroffenen zunehmend bereits im Ermittlungsverfahren betriebene Litigation-PR237 auf die dargestellte besondere Interessenlage und damit auf die Abwägungsentscheidung von Staatsanwaltschaft und Medien auswirkt. Auch wenn es sich bei der Litigation-PR zunächst um kein ausschließlich im Fall der Person des öffentlichen Lebens auftretendes Phänomen handelt, wird doch gerade dieser Personenkreis ein besonderes Interesse an einer gezielten Einbeziehung der Medien haben. Ausgehend von der Annahme, dass eine derartige strategische öffentliche Kommunikation zu Gunsten des Beschuldigten nicht nur den Verfahrensgang zu beeinflussen vermag, sondern insbesondere die mit einem öffentlich werdenden Ermittlungs- und Strafverfahren verbundenen Reputationsschäden mildern kann, ist es gerade die von der öffentlichen Meinung besonders abhängige Person des öffentlichen Lebens, für die Litigation-PR einen bedeutenden Faktor darstellen kann.238 Grundlage der besonderen Interessenlage im Fall des Beschuldigten als Person des öffentlichen Lebens ist das auch hier den Medien- und Informationsfreiheiten gleichberechtigt gegenüberstehende Persönlichkeitsrecht des Betroffenen. Zugleich 237 238

Hierzu bereits oben Viertes Kapitel, C. Auch hierzu bereits oben Viertes Kapitel, C.

376

6. Kap.: Verdachtsäußerung im Fall der Person des öffentlichen Lebens

wurde bereits dargelegt, dass es im Fall der Person des öffentlichen Lebens zu einer Art Sphärenverschiebung kommen kann, wenn diese ihr Privatleben bereits vor dem nun schwebenden Ermittlungsverfahren bewusst und freiwillig in der Öffentlichkeit inszeniert hat. In diesen Fällen kann sie sich nicht zugleich auf einen gleichwertigen Privatsphärenschutz berufen. Führt man diesen Ansatz der Disponibilität persönlichkeitsrechtlicher Schutzsphären weiter, so kann auch die freiwillige und eigeninitiative Einbeziehung der Medien durch den Beschuldigten in einem Ermittlungsverfahren nicht ohne Auswirkungen auf die grundrechtliche Ausgangslage bleiben, trägt er doch selbst zur Veröffentlichung von Informationen bei. Es hängt vielmehr vom Verhalten des Beschuldigten ab, welchen persönlichkeitsrechtlichen Schutz die ihn betreffenden Informationen genießen,239 so dass er mit einer vorangegangenen Herausgabe von Informationen über das Ermittlungsverfahren an die Öffentlichkeit seinen diesbezüglichen Anspruch auf Privatsphärenschutz verliert. Litigation-PR kann folglich die der ermittlungsbehördlichen sowie medialen Abwägungsentscheidung zugrundeliegende Interessenlage dergestalt beeinflussen, dass der Beschuldigte seine persönlichkeitsrechtlichen Schutzansprüche jedenfalls hinsichtlich der freiwillig durch ihn an die Öffentlichkeit gegebenen Informationen verliert und eine Veröffentlichung von Informationen zumindest dann zulässig erscheint, wenn diese nicht der absolut geschützten Intimsphäre unterfallen.240 Hierdurch kann jedoch keinesfalls eine grenzenlose und umfassende staatsanwaltschaftliche Auskunftserteilung oder eine umfassende mediale Verdachtsberichterstattung gerechtfertigt werden. Insoweit ist nochmals darauf hinzuweisen, dass ein genereller Verzicht auf den persönlichkeitsrechtlichen Schutz nicht anzuerkennen ist.241 Darüber hinaus kann auch die Litigation-PR nicht immer als freiwillige Zusammenarbeit des Beschuldigten mit den Medien angesehen werden. Vielmehr kann sich der von einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren Betroffene und gerade die Person des öffentlichen Lebens durch eine ermittlungsbehördliche öffentliche Äußerung oder auch nur eine drohende mediale Berichterstattung dazu veranlasst sehen, von seinem auch strafprozessual gewährten Schweigerecht keinen Gebrauch zu machen und vielmehr aktiv an die Öffentlichkeit zu gehen und zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen.242 Ob in einer derartigen „erzwungenen“ Zusammenarbeit mit den Medien ein freiwilliger Verzicht auf den persönlichkeitsrechtlichen Schutz gesehen werden kann, erscheint jedenfalls fragwürdig. Auch wenn mit einem solchen Gang des Beschuldigten an die Öffentlichkeit vermutlich der persönlichkeitsrechtliche Schutz gelockert werden dürfte, entbindet dies weder die Ermittlungsbehörden noch die Medien von der ihnen obliegenden Pflicht zu einer verantwortungsvollen und einzelfallbezogenen Interessenabwägung. 239

Fischer, S. 224. Vgl. hierzu auch Trüg, NJW 2011, 1040 (1043), der insofern von einer Disponibilität des Privatsphärenschutzes ausgeht. 241 Hierzu siehe bereits oben Sechstes Kapitel, A. I. 1. 242 Vgl. Fischer, S. 224. 240

B. Informationstätigkeit von Staatsanwaltschaft und Medien

377

IV. Die Situation nach Anklageerhebung sowie nach Abschluss des Strafverfahrens Die vorangegangene Untersuchung hat gezeigt, dass der persönlichkeitsrechtliche Schutz des Beschuldigten gerade im Stadium des Ermittlungsverfahrens aufgrund der diesen Verfahrensabschnitt prägenden Nichtöffentlichkeit und Vorläufigkeit besondere Beachtung finden muss. Die von ihrer öffentlichen Reputation in besonderem Maße abhängige Person des öffentlichen Lebens ist daher vor in Anbetracht des bloßen Verdachtsstatus unverhältnismäßig erscheinenden weitreichenden beruflichen sowie sozialen Konsequenzen zu schützen. Gerade die Informationstätigkeit der Staatsanwaltschaft wird hier durch die unmittelbar wirkende Unschuldsvermutung begrenzt. Doch auch die Grenzen medialer Verdachtsberichterstattung werden durch ein erforderliches Mindestmaß an Beweistatsachen und den bestehenden Grad des Tatverdachts beeinflusst. Entschließt sich die Staatsanwaltschaft nunmehr zur Erhebung der Anklage, ist Grundlage dieser nicht nur ein jedenfalls hinreichender Tatverdacht (§§ 170 Abs. 1, 203 StPO), sondern zugleich sind damit auch die Ermittlungen abgeschlossen und dem Verdacht ist folglich ein Teil seines vorläufigen Charakters genommen. Die Ermittlungsbehörden haben sich auf den Tatverdächtigen festgelegt und halten eine Verurteilung für wahrscheinlich. Auch wenn zugunsten des Beschuldigten weiterhin die Unschuldsvermutung wirkt, lassen diese Umstände sowie die bevorstehende Eröffnung des ohnehin öffentlich ausgestalteten Hauptverfahrens die Anonymitätsinteressen des Beschuldigten weiter zurücktreten. Zwar sind weder Staatsanwaltschaft noch Medien ab der Anklageerhebung von der ihnen obliegenden Pflicht zu einer umfassenden Güterabwägung befreit, die Grenzen identifizierender Veröffentlichungen werden jedoch ausgedehnt. Spätestens mit Eröffnung des gemäß § 169 S. 1 GVG öffentlichen Hauptverfahrens wird die von den Ermittlungsbehörden und den Medien vorzunehmende Interessenabwägung nicht mehr von der gesetzlichen Wertung eines grundsätzlichen Vorrangs der privaten Geheimhaltungsinteressen geprägt. Die Grenze der Veröffentlichung von identifizierenden, aber auch sonstigen Informationen wird allerdings weiterhin durch die persönlichkeitsrechtlichen Schutzsphären bestimmt. Auch im strafrechtlichen Hauptverfahren ist daher keine grenzenlose Auskunftserteilung oder Berichterstattung über den Beschuldigten zulässig.243

V. Zusammenfassung Die besondere Interessenlage im Fall des Beschuldigten als Person des öffentlichen Lebens prägt auch die seitens der Staatsanwaltschaft und den Medien vor einer Veröffentlichung vorzunehmende Abwägungsentscheidung. Sowohl die verfas243 Zur Reichweite des Öffentlichkeitsgrundsatzes im strafrechtlichen Hauptverfahren siehe bereits oben Zweites Kapitel, A. II.

378

6. Kap.: Verdachtsäußerung im Fall der Person des öffentlichen Lebens

sungsrechtlichen als auch die einfachgesetzlichen Wertungen verbieten jedoch die Annahme eines generellen berechtigten öffentlichen Informationsinteresses allein aufgrund der öffentlichen Stellung des Beschuldigten. Schließlich stehen den gesteigerten öffentlichen Informationsinteressen ebenso erhöhte Anonymitätsinteressen des Betroffenen gegenüber. Im Rahmen der reaktiven ermittlungsbehördlichen Auskunftstätigkeit auf Grundlage der landespresserechtlichen Regelungen sind daher auch im Fall des Beschuldigten als Person des öffentlichen Lebens jedenfalls während des Ermittlungsverfahrens identifizierende Auskünfte gegenüber der Presse zu versagen. Eine hiervon abweichende Bewertung kommt nur bei strafrechtlichen Tatvorwürfen mit unmittelbarem Berufs-, Amts- oder Prominenzbezug in Betracht. Die Grenzen zulässiger medialer Verdachtsberichterstattung sind insofern weiter zu ziehen, da die Unschuldsvermutung hier lediglich im Wege mittelbarer Drittwirkung Geltung beansprucht. Nach Aufgabe der Rechtsfigur der absoluten Person der Zeitgeschichte gelten damit auch für den Beschuldigten als Person des öffentlichen Lebens die allgemeinen Grundsätze der Rechtsprechung für die identifizierende Verdachtsberichterstattung, so dass auch hier eine solche insbesondere bei unmittelbar berufs-, amts- oder prominenzbezogenen Vorwürfen rechtmäßig erscheint. Anders als die Staatsanwaltschaft dürfen die Medien im Fall des politischen Amtsträgers auch einen mittelbaren Amtsbezug der vorgeworfenen Tat sowie unter Umständen auch die Schwere der Tat bei ihrer Abwägung berücksichtigen. Bezieht der Beschuldigte die Medien freiwillig mit in das Verfahren ein und gibt Informationen heraus, kann sich dies sowohl aus Sicht der Ermittlungsbehörden als auch der Presse auf dessen persönlichkeitsrechtlichen Schutzanspruch auswirken. Erst mit Erhebung der Anklage durch die Staatsanwaltschaft und dem damit feststehenden Abschluss der Ermittlungen verliert der gegen den Beschuldigten bestehende Tatverdacht ein Teil seiner Vorläufigkeit, wodurch trotz fortwährend geltender Unschuldsvermutung das Verhältnis zwischen privaten Geheimhaltungsund öffentlichen Informationsinteressen beeinflusst wird. Mit Eröffnung des strafrechtlichen Hauptverfahrens entfällt schließlich die einfachgesetzliche Wertung der Nichtöffentlichkeit, so dass dem Beschuldigten unabhängig von seiner gesellschaftlichen Stellung umfangreiche Publizitätsduldungspflichten obliegen.

C. Ergebnis Die Stellung des Beschuldigten als Person des öffentlichen Lebens prägt das gesamte Ermittlungs- und Strafverfahren. Doch die Frage nach den Auswirkungen dieser gesellschaftlich exponierten Stellung des Betroffenen auf die Öffentlichkeitsarbeit der Staatsanwaltschaft sowie die mediale Berichterstattung lässt sich entgegen der in der Vergangenheit in Rechtsprechung und Literatur verbreiteten Praxis heute nicht mehr mit einem kurzen Verweis auf die Figur der absoluten Person

C. Ergebnis

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der Zeitgeschichte und damit vermeintlich verbundene umfassende Publizitätsduldungspflichten beantworten. Vielmehr handelt es sich hierbei um eine umfassende und einzelfallbezogene Abwägungsentscheidung, welche die auch zugunsten der Person des öffentlichen Lebens wirkenden persönlichkeitsrechtlichen Schutzsphären angemessen berücksichtigen muss. Während die Öffentlichkeit an strafrechtlichen Vorwürfen gegen in der Öffentlichkeit stehende Persönlichkeiten ein verschieden motiviertes besonderes Interesse entwickelt, ist dem Betroffenen aufgrund seiner Abhängigkeit von der öffentlichen Meinung und damit zum Schutz seiner sozialen und beruflichen Existenz besonders an einer Geheimhaltung der Tatvorwürfe gelegen. Aus diesem besonders ausgeprägten Spannungsverhältnis zwischen Individual- und Gemeininteressen sowie dem in derartigen medienwirksamen Verfahren besonderen öffentlichen Druck folgt eine äußerst verantwortungsvolle Position der Staatsanwaltschaft, welche den öffentlichen Informationsansprüchen ebenso gerecht werden muss, wie den schützenswerten Anonymitätsinteressen des Beschuldigten und den Bedürfnissen eines rechtsstaatlichen Verfahrens. Gerade im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren ist der Beschuldigte im Hinblick auf seine Persönlichkeitsrechte sowie der Vermeidung öffentlicher Vorverurteilung besonders schutzbedürftig. In einem Versuch der Erarbeitung eines allgemeinen Verhaltenskanons für die Staatsanwaltschaft und die Medien sind die Befugnisse dieser beiden Institutionen im Stadium des von Nichtöffentlichkeit und Vorläufigkeit geprägten Ermittlungsverfahren auch im Fall des Beschuldigten als Person des öffentlichen Lebens den Anforderungen der Unschuldsvermutung anzupassen. Vor diesem Hintergrund wirkt sich die gesellschaftliche Stellung des Betroffenen regelmäßig nur im Fall von Tatvorwürfen mit (un-)mittelbaren Amts-, Berufs- oder Prominenzbezug aus, bezüglich derer auch im Ermittlungsverfahren identifizierende Auskünfte sowie mediale Berichterstattung unabhängig von der Schwere des Tatvorwurfs zulässig sein können. Fehlt es an einem derartigen Bezug, ist das strafrechtliche Ermittlungsverfahren auch bei Personen des öffentlichen Lebens grundsätzlich der Privatsphäre zuzuordnen, so dass die privaten Geheimhaltungsinteressen die öffentlichen Informationsinteressen grundsätzlich überwiegen. Dieses Rangverhältnis verschiebt sich – unabhängig von der gesellschaftlichen Stellung des Beschuldigten – erst mit Erhebung der Anklage sowie Eröffnung des öffentlich ausgestalteten strafrechtlichen Hauptverfahrens. Die Persönlichkeitsrechte des Beschuldigten als Person des öffentlichen Lebens sind damit in gleichem Maße wie im Fall einer nicht in der Öffentlichkeit stehenden Person durch eine den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und der Unschuldsvermutung folgende einzelfallbezogene Interessenabwägung zu schützen, welche nicht durch einen pauschalen Verweis auf vermeintlich berechtigte öffentliche Informationsinteressen ersetzt werden kann.

Siebtes Kapitel

Ergebnis und Möglichkeiten A. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse Die vorliegende Untersuchung hat gezeigt, dass Ermittlungs- und Strafverfahren gegen Personen des öffentlichen Lebens bereits mit Bekanntwerden der Vorwürfe ein erhebliches öffentliches und damit auch mediales Interesse hervorrufen. Ein Blick auf die Rechtswirklichkeit verdeutlicht, dass in derartigen medienwirksamen Verfahren die offensive Informationspolitik der Staatsanwaltschaften und die mediale Rücksichtslosigkeit und die zerstörerische Kraft der öffentlichen Berichterstattung den Schutz der Persönlichkeitsrechte des Beschuldigten nicht nur besonders schwierig, sondern auch besonders wichtig erscheinen lassen. Während das strafrechtliche Hauptverfahren durch den Grundsatz der Öffentlichkeit geprägt ist, bleibt das Vorverfahren zum Schutz des Beschuldigten und der Ermittlungen weitestgehend nichtöffentlich ausgestaltet. In der Praxis besteht dennoch gerade in Ermittlungsverfahren gegen Beschuldigte als Personen des öffentlichen Lebens aufgrund einer in der Praxis festzustellenden extensiven Informationspolitik der Staatsanwaltschaft und umfangreicher medialer Prozessberichterstattung die Gefahr negativer Auswirkungen auf das Prozessverhalten von Richtern, Staatsanwälten und Zeugen sowie gravierender dissozialisierender gesellschaftlicher Effekte zu Lasten des Betroffenen. Aufgrund des großen medialen Interesses sind diese Folgen im Fall des Beschuldigten als Person des öffentlichen Lebens in gesteigertem Maß zu befürchten, zumal dieser aufgrund seiner gesellschaftlichen Stellung besonders auf seine Reputation angewiesen ist und eine Stigmatisierung durch gegen ihn erhobene strafrechtliche Vorwürfe oftmals verheerende berufliche und soziale Folgen nach sich zieht. Damit beeinträchtigt jede Form personalisierter Öffentlichkeit im Ermittlungs- und Strafverfahren die Persönlichkeitsrechte des Betroffenen, die zu seinen Gunsten wirkende Unschuldsvermutung sowie die Grundsätze eines fairen Verfahrens, mithin bedeutende verfassungsrechtlich verankerte Geheimhaltungsinteressen des Beschuldigten. Mit den Entwicklungen im Bereich der sog. neuen Medien werden diese mit medienöffentlichen Ermittlungsund Strafverfahren einhergehenden Eingriffe noch verstärkt. Anders als in Verfahren gegen nicht in der Öffentlichkeit stehende Beschuldigte drängt sich gerade in Ermittlungsverfahren gegen Personen des öffentlichen Lebens der Eindruck auf, die schützenswerten Rechte des Betroffenen würden unter dem

A. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

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Deckmantel des öffentlichen Informationsinteresses ausgehebelt. Entgegen dieses durch die Rechts- und Verfahrenswirklichkeit vermittelten Eindrucks sind die Persönlichkeits- und Verfahrensrechte der Person des öffentlichen Lebens im Strafverfahren jedoch in gleichem Maße schützenswert. Gerade im nichtöffentlichen und durch das Merkmal der Vorläufigkeit des Tatverdachts geprägten strafrechtlichen Vorverfahren muss daher jegliche Öffentlichkeitsarbeit der Strafverfolgungsbehörden und mediale Berichterstattung einen gerechten Ausgleich schaffen zwischen den Informationsinteressen der Öffentlichkeit und den Anonymitätsinteressen des Betroffenen. Die Annahme einer umfassenden Publizitätsduldungspflicht allein unter Verweis auf die gesellschaftliche Stellung des Beschuldigten und das damit einhergehende öffentliche Informationsinteresse ist seit der Abkehr der Rechtsprechung von der Figur der absoluten Person der Zeitgeschichte als überholt anzusehen. Sowohl staatsanwaltschaftliche Öffentlichkeitsarbeit als auch mediale Verdachtsberichterstattung sind vielmehr auch in Verfahren gegen Personen des öffentlichen Lebens durch verfassungsrechtliche und einfachgesetzliche Regelungen beschränkt, die die Ermittlungsbehörden sowie Medienvertreter zu einer umfassenden und einzelfallbezogenen Interessenabwägung verpflichten. Für die mediale Verdachtsberichterstattung hat die Rechtsprechung im Rahmen des § 193 StGB sowie § 23 KUG einen differenzierten Kriterienkatalog entwickelt, welcher durch die selbstverpflichtenden Regelungen des Pressekodex ergänzt werden und die Grenzen zulässiger Verdachtsberichterstattung auch im Fall des Beschuldigten als Person des öffentlichen Lebens skizziert. Die in diesem Zusammenhang entwickelten Kriterien können jedoch aufgrund der unmittelbaren Grundrechtsbindung der Staatsanwaltschaft nicht auf deren auf Grundlage der Landespressegesetze sowie §§ 22 ff. KUG erfolgende Auskunftstätigkeit übertragen werden. Die Strafverfolgungsbehörden sind im Rahmen der von ihnen vorzunehmenden Güterabwägung weitaus stärker als die Presseorgane den Persönlichkeitsrechten des Beschuldigten sowie der Unschuldsvermutung verpflichtet. Der Beschuldigte als Person des öffentlichen Lebens muss daher vor den mit medialer Berichterstattung ebenso wie mit der ermittlungsbehördlichen Öffentlichkeitsarbeit verbundenen Persönlichkeitsrechtsverletzungen geschützt werden. Eine gesellschaftlich exponierte Stellung des Betroffenen wirkt sich zwar auf die der Abwägung zugrundeliegende Interessenlage aus, den anzuerkennenden öffentlichen Informationsinteressen hinsichtlich der Person des öffentlichen Lebens stehen jedoch zugleich gesteigerte Anonymitätsinteressen des besonders öffentlichkeitssensiblen Beschuldigten gegenüber. Angesichts dessen ist bis zur Erhebung der Anklage auch in Ermittlungsverfahren gegen Personen des öffentlichen Lebens eine identifizierende Informationstätigkeit der Ermittlungsbehörden und eine identifizierende mediale Verdachtsberichterstattung grundsätzliche als unzulässig anzusehen. Von diesem grundsätzlichen Abwägungsergebnis sind jedoch Ausnahmen insbesondere im Fall amtsbezogener Tatvorwürfe anzuerkennen, wenn die Integrität des betroffenen politischen Amtsträgers als demokratisch gewählter Repräsentant der

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7. Kap.: Ergebnis und Möglichkeiten

Staatsgewalt in Frage steht oder wenn der Beschuldigte sich selbst im Rahmen sog. Litigation-PR aktiv an die Medien wendet und diese in das Verfahren mit einbezieht Entgegen der bisher überwiegend vertretenen Ansicht, mit (dem im Bereich der Wortberichterstattung analog anzuwendenden) § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG würden der Person des öffentlichen Lebens im Ermittlungs- und Strafverfahren umfassende Publizitätsduldungspflichten auferlegt, ist somit insbesondere die Befugnis der Staatsanwaltschaft zu Auskunftserteilung gegenüber den Medien auch im Fall des prominenten Beschuldigten restriktiv auszulegen. Doch auch der medialen Verdachtsberichterstattung sind in Verfahren gegen Personen des öffentlichen Lebens vor allem durch die Persönlichkeitsrechte und die Unschuldsvermutung Grenzen gesetzt. Da die Entscheidung über eine Veröffentlichung von Informationen jedoch nach den gesetzlichen sowie richterrechtlichen Regelungen das Ergebnis einer Interessenabwägung darstellt, haben diese rechtsordnungsinternen Beschränkungen zugunsten des Beschuldigten als Person des öffentlichen Lebens keine hinreichende Rechtswirkung und es kommt gerade im Ermittlungsverfahren in der Praxis immer wieder zu eklatanten Eingriffen in die Persönlichkeitsrechte des Betroffenen, welche zu irreversiblen Schäden infolge öffentlicher Stigmatisierung sowie Vorverurteilung führen. Gerade der Staatsanwaltschaft obliegt daher im Rahmen ihrer Öffentlichkeitsarbeit eine hohe Verantwortung für die Persönlichkeitsrechte des Beschuldigten, da die von ihr herausgegebenen Informationen nicht nur von den Medien ohne weitere Überprüfung veröffentlicht werden dürfen, sondern ihnen auch seitens der Öffentlichkeit besonderer Glauben geschenkt wird und ihre vernichtende Kraft damit unumkehrbar ist.

B. Rechtliche Auswirkungen rechtswidriger Informationstätigkeit der Staatsanwaltschaft de lege lata Im Laufe der vorangegangenen Untersuchung wurde die besondere Interessenlage im Fall der Person des öffentlichen Lebens als Beschuldigter eines Ermittlungsverfahrens sowie die in diesen Fällen geltenden Maßstäbe rechtmäßiger Informationstätigkeit der Ermittlungsbehörden und medialer Berichterstattung herausgearbeitet. Überschreitet die unmittelbar grundrechtsgebundene Staatsanwaltschaft diese Grenzen, stellt sich die Frage, welche rechtlichen Möglichkeiten die bestehenden gesetzlichen Regelungen bieten, rechtswidriger ermittlungsbehördlicher Öffentlichkeitsarbeit zu begegnen. Zu diesen rechtlichen Möglichkeiten de lege lata gibt es umfangreiche Stellungnahmen in der Rechtsprechung und in wissenschaftlichen Abhandlungen.1 Da die öffentlichen Stellung des Beschuldigten jedoch kaum Auswirkungen auf die rechtlichen Konsequenzen rechtswidriger Informati1 Ausführlich zu den Sanktionsnormen rechtswidriger Informationstätigkeit sowie den rechtlichen Möglichkeiten vgl. insbesondere Dalbkermeyer, S. 51 ff.; Fischer, S. 103 ff.

B. Auswirkungen rechtswidriger Informationstätigkeit der Staatsanwaltschaft

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onstätigkeit und Berichterstattung hat, soll im Folgenden nicht repetitiv eine weitere umfassende Darstellung der Ansprüche und Abwehrmechanismen des Beschuldigten bei Verletzung seiner Persönlichkeitsrechte erfolgen, sondern lediglich ein kurzer Überblick insbesondere über die rechtlichen Konsequenzen persönlichkeitsrechtsverletzender Öffentlichkeitsarbeit der Staatsanwaltschaft verschafft werden. Als solche kommen neben strafrechtlichen Sanktionen vor allem zivilrechtliche Ansprüche des Beschuldigten sowie eine verfahrensrechtliche Berücksichtigung in Betracht.

I. Strafrechtliche Sanktionsmöglichkeiten und solche des Nebenstrafrechts Erweist sich die Informationstätigkeit der Strafverfolgungsbehörden nach den in den vorangegangenen Kapiteln ermittelten Grundsätzen und Maßstäben als rechtswidrig, halten das Kernstrafrecht sowie das Nebenstrafrecht einige Normen bereit, die eine Sanktionierung der handelnden Strafverfolgungsbehörde ermöglicht.2 1. §§ 185 ff. StGB Öffentliche identitätsbezogene Auskünfte der Ermittlungsbehörden über den Beschuldigten und das gegen ihn geführte Ermittlungsverfahren sowie vorverurteilende Äußerungen können zunächst die Tatbestände der Beleidigung (§ 185 StGB), der üblen Nachrede (§ 186 StGB) sowie der Verleumdung (§ 187 StGB) erfüllen.3 Der Straftatbestand der Beleidigung i. S. d. § 185 StGB erfordert die Kundgabe eines herabsetzenden Werturteils gegenüber dem Betroffenen oder einem Dritten,4 mithin die Kundgabe eigener Missachtung.5 In Rahmen staatsanwaltschaftlicher Öffentlichkeitsarbeit wird dieses Element subjektiver Meinungskundgabe und Missachtung nur in seltenen Fällen erfüllt sein. Wird dem Beschuldigten öffentlich ein rechtswidriges Verhalten vorgeworfen, so kann der objektive Tatbestand der Beleidigung lediglich erfüllt sein, wenn der Person durch die Äußerung die moralische Integrität generell oder in einer bestimmten Hinsicht abgesprochen wird, mithin überwiegend in Fällen vorverurteilender Äußerungen (z. B. die Bezeichnung als „Dieb“).6

2 3 4 5 6

Ausführlich hierzu vgl. Fischer, S. 103 ff. Fischer, S. 105. Lackner/Kühl, § 185 Rn. 2. Vgl. MüKo-StGB/Regge/Pegel, § 186 Rn. 8; S/S-Lencker/Eisele, § 185 Rn. 2. S/S-Lencker/Eisele, § 185 Rn. 2.

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7. Kap.: Ergebnis und Möglichkeiten

Bei ermittlungsbehördlichen Auskünften über die Identität des Beschuldigten, die gegen diesen geführten Ermittlungen sowie den erhobenen Tatvorwurf wird es sich hingegen überwiegend um die weitestgehend wertneutrale öffentliche Äußerung wahrer, aber ehrenrühriger Tatsachen handeln,7 welche nach überwiegender Ansicht nicht von § 185 StGB erfasst,8 sondern vielmehr allenfalls als üble Nachrede unter § 186 StGB oder als Verleumdung unter § 187 StGB zu subsumieren sind. Das gegen eine Person geführte Ermittlungsverfahren und ihr Status als Beschuldigter eines Strafverfahrens sind geeignet, die betroffene Person verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen.9 Die üble Nachrede i. S. d. § 186 StGB setzt hier voraus, dass es sich um nicht erweislich wahre Tatsachen handelt, worauf sich aufgrund der Einordnung als objektive Bedingung der Strafbarkeit10 der Vorsatz des Täters nicht erstrecken muss. Dahingegen ist an eine Verleumdung i. S. d. § 187 StGB zu denken, wenn der Täter wider besseren Wissens unwahre Tatsachen behauptet.11 Zwar wird hinsichtlich des gegen den Beschuldigten erhobenen Tatvorwurfs eine eindeutige Differenzierung zwischen „wahr“ und „unwahr“ regelmäßig nicht möglich sein,12 die Öffentlichkeitsarbeit der Staatsanwaltschaft erschöpft sich jedoch meist in der Information über ein von ihr geführtes Ermittlungsverfahren gegen eine bestimmte Person und den diesem zugrundeliegende Tatvorwurf. Beides stellt eine wahre Tatsachenbehauptung dar. Nur ob der Tatvorwurf zutrifft, steht gemeinhin noch nicht fest, ist mithin „nichterweislich wahr“. Da die Ermittlungsbehörden im Rahmen ihrer üblichen Informationstätigkeit damit weder unerweisliche wahre Tatsachen noch wider besseren Wissens unwahre Tatsachen behaupten, ist sowohl der Straftatbestand der üblen Nachrede i. S. d. § 186 StGB, noch der der Verleumdung i. S. d. § 187 StGB praxisrelevant. Der im Hinblick auf die hier im Fokus stehende Person des öffentlichen Lebens ebenfalls ins Auge stechende Qualifikationstatbestand des § 188 StGB13 ist in Ermangelung des Vorliegens einer üblen Nachrede gemäß § 186 StGB oder einer Verleumdung gemäß § 187 StGB damit ebenfalls nicht einschlägig.

7

Zum Begriff der Tatsachenbehauptung und ihrer Abgrenzung zum Werturteil vgl. MüKoStGB/Regge/Pegel, § 186 Rn. 5; S/S-Lencker/Eisele, § 186 Rn. 3; sowie bereits oben Viertes Kapitel, B. II. 1. 8 Siehe zum Meinungsstand Fischer, S. 105 (Fn. 7); Lackner/Kühl, § 185 Rn. 2, 11. 9 Ausführlich zu den Folgen medienöffentlicher Strafverfolgung für den Beschuldigten und dessen Wahrnehmung in der Gesellschaft siehe oben Drittes Kapitel A. II. 10 BeckOK-StGB/Valerius, § 186 Rn. 18; Fischer, S. 106; S/S-Lencker/Eisele, § 186 Rn. 10 m. w. N. 11 Lackner/Kühl, § 187 Rn. 1. 12 Bezüglich der schwierigen Beurteilung des Wahrheitsgehalts siehe bereits oben Viertes Kapitel, B. II. 2. 13 Zur Geschichte der Norm vgl. BayObLG NJW 1982, 2511 ff.

B. Auswirkungen rechtswidriger Informationstätigkeit der Staatsanwaltschaft

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2. §§ 203, 353b und 353d StGB Im Hinblick auf eine identifizierende und tendenziöse Pressearbeit der Staatsanwaltschaft kommen zudem die Tatbestände der §§ 203, 353b und 353d StGB in Betracht. Während § 203 Abs. 2 Nr. 1 StGB und § 353b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB den Täterkreis auf Amtsträger beschränken, kann § 353d StGB von jedermann begangen werden. Die ermittlungsbehördliche Auskunft über die Identität des Beschuldigten oder weitere Details aus dem Ermittlungsverfahren erfüllt den Tatbestand des § 203 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, S. 2 StGB.14 Rechtswidrig ist diese Informationstätigkeit jedoch nur, wenn sie „unbefugt“ erfolgt. Hierbei handelt es sich um ein allgemeines Kennzeichen der Rechtswidrigkeit, welches durch Offenbarungsrechte oder -pflichten ausgeschlossen sein kann.15 Nach dem hier vertretenen dogmatischen Verständnis des Landespressegesetzes,16 kann die Pressearbeit der Staatsanwaltschaft insbesondere durch den landespresserechtlichen Auskunftsanspruch gerechtfertigt sein, wenn das öffentliche Interesse an der Information gegenüber den Geheimhaltungsinteressen des Beschuldigten Vorrang genießt.17 In Hinblick auf den Beschuldigten als Person des öffentlichen Lebens ist an dieser Stelle eine umfassende Interessenabwägung unter Berücksichtigung der dargestellten besonderen Interessenlage infolge seiner Stellung im öffentlichen Leben vorzunehmen.18 Nimmt der handelnde Staatsanwalt in Kenntnis sämtlicher Umstände fälschlicherweise das Bestehen einer Auskunftsverpflichtung gegenüber der Presse aus § 4 LPG Berlin an, so kommt ein Verbotsirrtum gemäß § 17 StGB in Betracht. Zudem dürfte neben dem rein repressiven Schutzcharakter dieser Vorschrift auch das Strafantragserfordernis des § 205 Abs. 1 S. 1 StGB einem effektiven Schutz des Beschuldigten in der Rechtswirklichkeit im Wege stehen, da sich der Beschuldigte in Hinblick auf einen Strafantrag gegen die gerade gegen ihn ermittelnde Staatsanwaltschaft oftmals gehemmt fühlen wird.19 14

Vgl. ausführlicher hierzu Dalbkermeyer, S. 53 ff.; Fischer, S. 108 ff. Kindhäuser/Neumann/Paeffgen/Kargl, § 203 Rn. 50. 16 Vgl. hierzu bereits oben Fünftes Kapitel, C. II. 2. a). 17 So auch OLG Schleswig NJW 1985, 1090 (1092); OLG Hamm NJW 2000, 1278 (1279); Kindhäuser/Neumann/Paeffgen/Kargl, § 203 Rn. 78; Lackner/Kühl/Heger, § 203 Rn. 21; S/SLencker/Eisele, § 203 Rn. 53a; enger LK-Schünemann, § 203 StGB Rn. 149; MüKo-StGB/ Cierniak/Niehaus, § 203 Rn. 116; Ostendorf, GA 1980, 445 (460); Bornkamm, NStZ 1983, 102 (108); a. A. Fischer, S. 109 f. Aufgrund der hier vorzunehmenden Interessenabwägung kann auch dahinstehen, ob § 193 StGB eine Geheimnisverletzung i. S. d. § 203 StGB rechtfertigen kann, da sich Rechtsprechung und Literatur jedenfalls auf eine schlichte Interessenabwägung eingelassen haben, vgl. hierzu Kindhäuser/Neumann/Paeffgen/Kargl, § 203 Rn. 70 m. w. N. 18 Zu dieser Interessenabwägung und ihren Besonderheiten im Fall der Person des öffentlichen Lebens siehe bereits oben Sechstes Kapitel, A. II. 3. 19 So die nachvollziehbare Befürchtung von Dalbkermeyer, S. 54; Fischer, S. 112; Neuling, S. 222; Schulz, S. 54. Hinsichtlich der Beschränkungen durch das Strafantragserfordernis in der Rechtswirklichkeit vgl. bereits oben zu § 194 StGB, Siebtes Kapitel, B. II. 1. a). 15

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7. Kap.: Ergebnis und Möglichkeiten

Daneben kommt eine weitere Vorschrift des materiellen Strafrechts als Sanktionsnorm für staatsanwaltschaftliche Informationstätigkeit in Betracht: § 353b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB droht dem Amtsträger20 mit empfindlicher Strafe, der unbefugt ein ihm in seiner Funktion anvertrautes Geheimnis offenbart und dadurch „wichtige öffentliche Interessen gefährdet“. Bereits der Wortlaut verdeutlicht den Unterschied zu § 203 StGB: Geschützt werden hier nur bedeutsame öffentliche Interessen, so dass § 353b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB nicht als Schutznorm für die Persönlichkeitsrechte des Einzelnen im Ermittlungs- und Strafverfahren dienen kann.21 Die Weitergabe von Informationen aus dem Ermittlungsverfahren kann nur dann wichtige öffentliche Interessen verletzen, wenn hierdurch der Erfolg der Ermittlungen konkret gefährdet wird (beispielsweise bei anstehenden Durchsuchungsmaßnahmen, Fahndungen oder Festnahmen).22 Im Fall von identifizierenden Pressemitteilungen der Staatsanwaltschaft sind hingegen in der Regel lediglich nicht von § 353b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB erfasste Individualinteressen des Beschuldigten betroffen. Selbst wenn aufgrund einer umfassenden Medienberichterstattung mittelbare Auswirkungen auf das Ermittlungs- oder Strafverfahren zu befürchten sind, wird die erforderliche konkrete Gefährdung in der Praxis kaum nachweisbar sein, so dass auch § 353b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB dem Beschuldigten keinen ausreichenden persönlichkeitsrechtlichen Schutz bieten kann.23 Schließlich kommt auch § 353d Nr. 3 StGB24 für den Schutz des Beschuldigten vor entanonymisierender Öffentlichkeitsarbeit der Strafverfolgungsbehörden kaum praktische Bedeutung zu, da hier nur die wörtliche Wiedergabe der Anklageschrift oder anderer amtlicher Schriftstücke eines Strafverfahrens sanktioniert wird, während die mindestens ebenso oder sogar weitaus belastendere öffentliche Wiedergabe und Diskussion des Inhalts derartiger Schriftstücke nicht unter Strafe gestellt wird.25 Auch wenn § 353d Nr. 3 StGB genau die hier gegenständlichen negativen Folgen für den Beschuldigten zu verhindern versucht, stellt Meinecke angesichts der engen Beschränkung des Tatbestandes zutreffend fest, dass die Beeinflussung der Verfahrensbeteiligten und die damit verbundene Prangerwirkung nicht von einer wortgenauen Wiedergabe der Schriftstücke abhängig ist und gerade in der leicht abstrahierten Darstellung ihres Inhalts eine weitaus größere Gefahr liegen kann.26 Durch minimale Änderungen des Wortlauts kann die Strafnorm des § 353d Nr. 3 20 Da es sich um ein Amtsdelikt handelt, kommt eine Strafbarkeit von Medienvertretern nach § 353b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB lediglich als Teilnehmer in Betracht. 21 Dalbkermeyer, S. 62; Fischer, S. 114; Meinecke, S. 272. 22 BGH NJW 1957, 1117; Dalbkermeyer, S. 63; Fischer, S. 114. 23 So auch Dalbkermeyer, S. 62; Fischer, S. 114; Meinecke, S. 272; Neuling, S. 225 f. 24 Zwar prüft Meinecke, S. 273 f., auch die Relevanz des § 353d Nr. 2 StGB in Hinblick auf Strafverfahren gegen Personen des öffentlichen Lebens, doch ist diese strafrechtliche Regelung in dem hier im Fokus stehenden ohnehin nicht öffentlich ausgestalteten Ermittlungsverfahren mangels Gerichtsbeschluss über den Ausschluss der Öffentlichkeit nicht einschlägig. 25 Dalbkermeyer, S. 64 f.; Fischer, S. 116; Meinecke, S. 276 f. 26 Meinecke, S. 277; ähnlich auch Dalbkermeyer, S. 65.

B. Auswirkungen rechtswidriger Informationstätigkeit der Staatsanwaltschaft

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StGB zudem vollständig umgangen werden, was berechtigte Zweifel an der ihr zukommenden Schutzfunktion aufwirft.27 Für das in dieser Untersuchung im Fokus stehende Ermittlungsverfahren hat die Vorschrift schließlich in Ermangelung des Vorliegens einer Anklageschrift kaum praktische Relevanz. 3. § 33 Abs. 1 i. V. m. §§ 23 Abs. 1 Nr. 1, 22 S. 1 KUG Neben den Regelungen des StGB knüpft auch das Nebenstrafrecht strafrechtliche Sanktionen an die Verletzung von Geheimhaltungsvorschriften. So kann eine Entanonymisierung des Beschuldigten durch die Staatsanwaltschaft mittels Veröffentlichung von Bildnissen des Betroffenen nach §§ 33 Abs. 1 KUG strafbewährt sein, wenn die Veröffentlichung gegen §§ 23 Abs. 1 Nr. 1, 22 S. 1 KUG verstößt.28 Nach Abkehr der Rechtsprechung von der Figur der absoluten Person der Zeitgeschichte entscheidet sich die Frage des zeitgeschichtlichen Charakters eines strafrechtlichen Tatvorwurfs und damit zugleich die Strafbarkeit entanonymisierender Bildnisveröffentlichungen durch die Strafverfolgungsbehörden auch nach § 33 Abs. 1 i. V. m. §§ 23 Abs. 1 Nr. 1, 22 S. 1 KUG und dem neuen abgestuften Stufenkonzept der Rechtsprechung anhand einer umfassenden und einzelfallbezogenen Abwägung der öffentlichen Informationsinteressen mit den Anonymitätsinteressen des Beschuldigten.29 Im Rahmen dieser Abwägungsentscheidung ist die besondere Interessenlage im Fall eines Ermittlungsverfahrens gegen eine Person des öffentlichen Lebens ebenso zu berücksichtigen, wie in Hinblick auf die Verknüpfung der Person des Beschuldigten mit dem bloßen Verdacht einer Straftat und hieraus erwachsender Duldungspflichten die Unschuldsvermutung.30 Knüpft man in zeitgeschichtlicher Hinsicht an das Ermittlungsverfahren an, so begegnen diesem Anknüpfungspunkt hingegen Bedenken angesichts der vom Gesetzgeber bewusst nicht öffentlichen Ausgestaltung dieses Verfahrensabschnitts.31 Unabhängig von diesen verfassungs- und verfahrensrechtlichen Bedenken stellt die Veröffentlichung von Bildnern des Beschuldigten durch die Staatsanwaltschaft jedoch ohnehin eher eine Ausnahmeerscheinung dar, so dass § 33 Abs. 1 KUG mangels Anwendbarkeit auf die reine Namensnennung ohnehin keine nennenswerte praktische Bedeutung in Hinblick auf die Informationstätigkeit der Strafverfolgungsbehörden zukommt.32 27 Berechtigte Kritik daher auch durch BVerfG NJW 1986, 1239 (1241); Dalbkermeyer, S. 64 f.; Fischer, S. 116; LK-Vormbaum, StGB, § 353d Rn. 57; Meinecke, S. 276 f.; Schulz, S. 57. 28 Zur Vertiefung siehe hierzu auch Fischer, S. 117 ff. 29 Siehe hierzu bereits oben Viertes Kapitel, B. III. 2., sowie Sechstes Kapitel, B. I. 1. a). 30 Zu der besonderen Interessenlage siehe oben Sechstes Kapitel, A. II. 31 So auch Fischer, S. 125. 32 Hierzu siehe bereits oben Fünftes Kapitel, C. II. 3. a). Zu denken wäre hier allenfalls an die Veröffentlichung von Bildnissen des Beschuldigten zu Fahndungszwecken, ohne dass die Voraussetzungen der strafprozessualen Ermächtigungsgrundlage vorliegen.

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7. Kap.: Ergebnis und Möglichkeiten

II. Ansprüche des Beschuldigten infolge einer Persönlichkeitsrechtsverletzung Neben der Möglichkeit einer strafrechtlichen Sanktion von Persönlichkeitsrechtsverletzungen durch die Informationstätigkeit der Staatsanwaltschaft stehen auch dem Betroffenen Ansprüche zur Verfolgung seiner Rechte gegenüber den Strafverfolgungsbehörden zu Verfügung, welche entweder auf Kompensation erlittener Beeinträchtigungen oder auch auf Unterlassung künftiger Verletzungen gerichtet sein können.33 1. Kompensationsansprüche des Beschuldigten Eine Kompensation kann insbesondere durch Ansprüche gerichtet auf Widerruf, Richtigstellung bzw. Ergänzung oder Schadensersatz erreicht werden.34 Hierbei ist insbesondere den deliktsrechtlichen Ansprüchen der §§ 823 ff. BGB Bedeutung zuzumessen, wobei die Wiederherstellung des guten Rufs in vielen Fällen jedoch kaum gelingen wird und etwaige Ansprüche daher insbesondere auf Gegendarstellung35 oder Geldersatz für die aufgrund der Rechtsverletzungen erlittenen Schäden gerichtet sein dürfte.36 In Hinblick auf identifizierende Informationstätigkeit der Staatsanwaltschaft wird das Persönlichkeitsrecht als „sonstiges Recht“ bereits über § 823 Abs. 1 BGB geschützt,37 wobei hinsichtlich der Frage einer widerrechtlichen Verletzung im Sinne dieser Vorschrift auf die im Rahmen dieser Untersuchung entwickelten Maßstäbe und Kriterien zurückzugreifen ist.38 Identifizierende Veröffentlichungen durch die Staatsanwaltschaft können zudem Amtshaftungsansprüche des Betroffenen nach § 839 Abs. 1 BGB i. V. m. Art. 34 GG begründen, welche überwiegend auf Entschädigung in Form des Geldersatzes zur Kompensation immaterieller Schäden gerichtet sein werden.39 Derartige Amtshaftungsansprüche für Persönlichkeitsrechtsverletzung durch die Informationstätigkeit der Staatsanwaltschaft sind jedoch nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs begrenzt auf schwere Eingriffe, die sich nicht auf andere Weise befriedigend ausgleichen lassen, was anhand der gesamten Umstände des Einzelfalls zu beurteilen ist und insbesondere von Bedeutung und Tragweite des Eingriffs, mithin der Nachhaltigkeit und Fortdauer der Interessen- und Rufschädigung des Verletzten, sowie 33 Ausführlich hierzu siehe bspw. Dalbkermeyer, S. 171 ff.; Fechner, 4. Kap. Rn. 120 ff.; Fischer, S. 133 ff.; Turchi, S. 190 ff. 34 Fischer, S. 133. 35 Hierzu ausführlich Kübler, S. 426 ff. 36 Fischer, S. 137. 37 Hierzu siehe auch bereits oben Drittes Kapitel, B. I. 1. 38 Hierzu siehe oben Sechstes Kapitel, B. 39 Ausführlich hierzu siehe z. B. Dalbkermeyer, S. 233 ff.; Fischer, S. 139 ff.

B. Auswirkungen rechtswidriger Informationstätigkeit der Staatsanwaltschaft

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den Beweggründen des Handelnden und dem Grad seines Verschuldens abhängt.40 Da auch ein Widerruf einen infolge einer identifizierenden Öffentlichkeitsarbeit der Staatsanwaltschaft erlittenen Rufverlust nicht wiederherzustellen vermag, wird in diesen Fällen eine andere Weise des Ausgleichs kaum denkbar sein.41 Soweit die Rechtsprechung für die Beurteilung der Schwere des Eingriffs auch an den späteren Verlauf des Verfahrens und so auch an eine Verurteilung anknüpft, stößt dies bei Bornkamm, Dalbkermeyer und Fischer zu Recht auf Unverständnis, da die Beurteilung der Schwere einer Persönlichkeitsrechtsverletzung im Stadium des Ermittlungsverfahrens nicht nach dem späteren Ausgang des Verfahrens beurteilt werden darf, sondern allein anhand der Rechtswidrigkeit der Veröffentlichung, die den bloßen Tatverdächtigen entgegen der ihn zu schützen bestimmten Unschuldsvermutung öffentlich mit einer Straftat in Verbindung gebracht hat.42 Zutreffend stellen sie folglich auf eine ex ante-Betrachtung des persönlichkeitsrechtlichen Eingriffs ab, wohingegen eine mögliche Verurteilung des Verletzten bei der Höhe des Schmerzensgeldes Berücksichtigung finden kann.43 Kompensation für Persönlichkeitsrechtsverletzungen durch rechtswidrige Informationstätigkeit der Strafverfolgungsbehörden gewährt dem Beschuldigten somit neben § 823 BGB auch § 839 Abs. 1 BGB i. V. m. Art. 34 GG. Wird das Verfahren gegen den von der identifizierenden Öffentlichkeitsarbeit der Staatsanwaltschaft Betroffenen eingestellt oder dieser freigesprochen, so enthält das Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen (StrEG) insbesondere in § 2 StrEG eine weitere Möglichkeit der Kompensation von durch die Strafverfolgung erlittenen Schäden. Denkt man hier beispielsweise an den gerade einer Person des öffentlichen Lebens drohenden Verlust der beruflichen Existenz, so kommen beispielsweise Vermögenschäden für erlittenen Verdienstausfall sowie Geldersatz für immaterielle Schäden eines Rufverlustes in Betracht. Eine Kompensation derartiger Beeinträchtigungen ist jedoch aufgrund des abschließenden Charakters des Katalogs in § 2 StrEG ausgeschlossen, wonach nur die dort aufgeführten vorläufigen Strafverfolgungsmaßnahmen entschädigungsfähig sind und eine analoge Anwendung ausgeschlossen ist.44 Inwieweit selbst eine Erweiterung des § 2 StrEG auf rechtswidrige Verfahrensveröffentlichungen zu einer Verstärkung des präventiven Schutzes für den Betroffenen führen würde, wie sie sich Marxen verspricht,45 erscheint jedoch fraglich. Wenn bereits drohende Amtshaftungsansprüche die Strafverfolgungsbehörden nicht von einer extensiven und persönlichkeitsrechtsverletzenden Öffentlichkeitsarbeit abhalten können, dann vermag dies eine

40 41 42 43 44 45

BGH NJW 1981, 676 (676); NJW 1994, 1950 (1953). Bornkamm, NStZ 1983, 102 (107); Fischer, S. 141. Bornkamm, NStZ 1983, 102 (107); Dalbkermeyer, S. 234 f.; Fischer, S. 142. Bornkamm, NStZ 1983, 102 (107); Dalbkermeyer, S. 235; Fischer, S. 142. Kunz, StrEG, § 2 Rn. 7. Marxen, GA 2013, 99 (110).

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7. Kap.: Ergebnis und Möglichkeiten

Erweiterung der ebenfalls rein repressiven Regelung des § 2 StrEG vermutlich ebenfalls nicht zu leisten. 2. Präventiver Schutz des Beschuldigten Die bisher dargestellten strafrechtlichen Sanktionsnormen sowie zivilrechtlichen Ansprüche haben lediglich repressiven Charakter und können dem Betroffenen allenfalls eine Kompensation bereits eingetretener Beeinträchtigungen bieten. Die mit identifizierender Öffentlichkeitsarbeit der Staatsanwaltschaft und einer darauf fußenden Medienberichterstattung verbundenen persönlichen und beruflichen Folgen stellen sich jedoch meist als irreversibel dar. Auch die zu befürchtenden Auswirkungen einer intensiven Medienöffentlichkeit auf das Strafverfahren sind schwer zu bemessen und gerade aus diesem Grund keiner nachträglichen Kompensation zugänglich. Selbst wenn sämtliche repressiven Regelung zugleich präventiv wirken können, so kommt ihnen für den Betroffenen jedoch vor allem eine Genugtuungsund keine Schutzfunktion zu, so dass die Persönlichkeitsrechte des Beschuldigten im Ermittlungsverfahren insbesondere durch präventive Abwehrmechanismen zu schützen sind.46 Präventiv können unter Umständen zivilrechtliche Unterlassungsansprüche nach § 1004 BGB analog einen gewissen Schutz des Betroffenen gewährleisten.47 Im Fall einer bereits erfolgten Persönlichkeitsrechtsverletzung käme ein Anspruch auf Unterlassung weiterer Beeinträchtigungen durch Unterbindung einer bestimmten Äußerung in Betracht.48 Wenngleich dieser Unterlassungsanspruch ein gewisses Maß an präventivem Schutz ermöglicht, so setzt er allerdings aufgrund des Merkmals der Wiederholungsgefahr49 eine bereits erfolgte Persönlichkeitsrechtsverletzung voraus und kann einen bereits eingetretene Schaden naturgemäß nicht ausgleichen.50 Daneben wäre auch ein vorbeugender Unterlassungsanspruch gerichtet auf eine zukünftig drohende Informationsweitergabe denkbar, wobei dem Beschuldigte jedoch die Darlegungspflicht hinsichtlich konkreter Anhaltspunkte obliegt, die eine ernsthafte Erstbegehungsgefahr begründen.51 Da vor einer auf den landespresserechtlichen Auskunftsansprüchen gestützten Informationstätigkeit dem Betroffenen kein rechtliches Gehör zu gewähren ist,52 wird es dem Beschuldigten in der Praxis – 46

Vgl. AE-StuM, S. 25; Meinecke, S. 291 f. Hierzu siehe auch Fischer, S. 143 ff. Zum Persönlichkeitsrecht als absolutes Recht siehe bereits oben Drittes Kapitel, B. I. 1. 48 Dalbkermeyer, S. 209 f. m. w. N.; Fischer, S. 144. 49 Hierzu vgl. Dalbkermeyer, S. 209. 50 Vgl. auch Bornkamm, NStZ 1983, 102 (107). 51 Fischer, S. 144; MüKo-BGB/Raff, § 1004 Rn. 35, 302 f.; Palandt/Bassenge, BGB, § 1004 Rn. 32. 52 Auskünfte der Staatsanwaltschaft gegenüber den Medien haben keine Verwaltungsaktsqualität und stellen schlicht-hoheitliche Handlungen dar, so dass mangels Verwaltungsverfahrens keine Anhörung des Betroffenen erforderlich ist; vgl. OVG Münster NJW 1995, 47

B. Auswirkungen rechtswidriger Informationstätigkeit der Staatsanwaltschaft

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mit Ausnahme einer durch die Ermittlungsbehörden angekündigten Pressekonferenz angekündigten Pressekonferenz – regelmäßig nicht gelingen, dieser Darlegungspflicht gerecht zu werden, da es an konkreten Anzeichen für eine bevorstehende Veröffentlichung fehlen wird.53 Ein effektiver präventiver Schutz ist also kaum zu gewährleisten, so dass der Betroffene auf nachträglichen Rechtsschutz nach § 23 EGGVG zu verwiesen ist.54 Angesichts der Tatsache, dass zivilrechtliche Gegendarstellungs-, Kompensations- und Unterlassungsansprüche im Verhältnis zur Intensität des sozialen Eingriffs öffentlicher Bloßstellung ein eher stumpfes Schwert darstellen und den durch eine rechtswidrige Öffentlichkeitsarbeit verursachten Reputationsverlust nicht ungeschehen machen können, erscheint der Begriff des nachträglichen „Rechtsschutzes“ überaus euphemistisch.

III. Verfahrensrechtliche Möglichkeiten einer Berücksichtigung von Umfang und Tendenz der öffentlichen Berichterstattung Neben möglichen strafrechtlichen Sanktionen sowie zivilrechtlichen Ansprüchen im Fall unrechtmäßiger ermittlungsbehördlicher Öffentlichkeitsarbeit soll abschließend ein Blick auf die verfahrensrechtlichen Möglichkeiten einer Berücksichtigung umfangreicher medialer Verdachtsberichterstattung und der damit einhergehenden Beeinträchtigungen für den Betroffenen geworfen werden. Weitgehend anerkannt ist in diesem Zusammenhang, dass eine umfangreiche Medienberichterstattung über das Strafverfahren unabhängig von ihrer Berechtigung55 grundsätzlich gemäß § 46 StGB im Rahmen der Strafzumessung strafmildernd Berücksichtigung finden kann.56 Mit einem medienöffentliche Strafverfahren 2741 f.; VG Berlin ZUM-RD 2014, 256; Löffler/Burkhardt, § 4 LPG Rn. 185; Meinecke, S. 292. Anders lediglich vor einer Veröffentlichung von Informationen die sich auf § 475 StPO stützt, auf dessen Grundlage jedoch keine (identifizierenden) Auskünfte gegenüber Medienvertreter erteilt werden können, hierzu siehe bereits oben Fünftes Kapitel, B. II. 3. 53 Fischer, S. 144. 54 BGH NJW 1994 1950; Meinecke, S. 292, der dieses Ergebnis ebenso kritisch wie ernüchternd sieht. Ausführlich zur Frage des Rechtswegs für ein Vorgehen gegen Auskünfte der Ermittlungsbehörden siehe Fischer, S. 154 ff. 55 BGH NJW 1990, 194 (195). 56 BGH NJW 1990, 194 (195); NJW 2000, 154 (157); NStZ-RR 2008, 343 (344); BeckRS 2011, 9437, Rn. 24; LG Karlsruhe NJW 2005, 915 (916); LG Frankfurt a. M. NJW 2005, 692 (696); Hassemer, NJW 1985, 1921 (1928); Knauer GA 2009, 541 (542, 546); Meinecke, S. 277; S/S-Stree/Kinzig, § 46 Rn. 55; MüKo-StGB/Miebach/Maier, § 46 Rn. 227; Schulz, S. 134 ff., der jedoch § 60 StGB als Rechtsgrundlage heranzieht; a. A. Altermann, S. 128 ff., 135, der weder § 46 StGB noch andere Strafzumessungsregelungen als geeignete Rechtsgrundlage für die Berücksichtigung medialer Vorverurteilung bei der Strafzumessung ansieht; ferner Roxin, NStZ 1991, 153 (154). Zur Relevanz von Prominenz bei der Strafzumessung im Allgemeinen siehe Meinecke, S. 278 f.

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7. Kap.: Ergebnis und Möglichkeiten

gehen erhebliche soziale sowie berufliche Beeinträchtigungen für den Betroffenen einher,57 die dem Täter erheblich zusetzen und somit als „Übelszufügung“58 mildernd auf die Strafhöhe Einfluss nehmen können. Der BGH sieht in einer „aggressiven und vorverurteilenden“ Berichterstattung allein jedoch noch keinen zwingenden Milderungsgrund, der Angeklagte müsse hierunter zudem in besonderer Weise gelitten haben.59 Folglich geht der BGH davon aus, dass jeder Straftäter einen gewissen Druck medialer Berichterstattung „über sich ergehen lassen muss“.60 Erst wenn hiermit erhebliche Belastungen für den Angeklagten verbunden sind, könne diese strafmildernd Berücksichtigung finden.61 Dies kann beispielsweise bei gravierenden Beeinträchtigungen der wirtschaftlichen oder existenziellen Grundlage des Täters der Fall sein.62 Im Fall des Angeklagten, der sich „an exponierter Stelle in der Öffentlichkeit betätigt“ (beispielsweise in Politik, Kunst oder Kultur) und daher auch im Fall der Durchführung eines Strafverfahrens mit einem besonderen Interesse an seiner Person rechnen müsse, nimmt der BGH jedoch gesteigerte Publizitätsduldungspflichten an.63 In Strafverfahren gegen die hier im Fokus stehende Person des öffentlichen Lebens wäre eine umfassende mediale Berichterstattung nach der Ansicht des BGH mithin allgemein nicht strafmildernd zu berücksichtigen. Die vorliegende Untersuchung hat jedoch gezeigt, dass die grundsätzliche Annahme gesteigerter Publizitätsduldungspflichten im Fall des Beschuldigten als Person des öffentlichen Lebens jedenfalls bis zur Anklageerhebung dessen gesteigerten Anonymitätsinteressen gerade in Hinblick auf die Persönlichkeitsrechte des Betroffen sowie angesichts der ihn zu schützen bestimmten Unschuldsvermutung außer Acht lässt.64 Zumindest hinsichtlich ausufernder Öffentlichkeitsarbeit und Medienberichterstattung im Rahmen des Ermittlungsverfahrens kann daher der Ansicht des BGH hinsichtlich gesteigerter Publizitätsduldungspflichten eines Straftäters als Person des öffentlichen Lebens nicht in dieser Allgemeinheit zugestimmt werden.65 57

Hierzu siehe bereits ausführlich oben Drittes Kapitel, A. Fischer-StGB, § 46 Rn. 63. 59 BGH BeckRS 2011, 9437, Rn. 24. 60 BGH NStZ-RR 2008, 343 (344); BeckRS 2011, 9437, Rn. 24. 61 BGH NStZ-RR 2008, 343 (344). 62 LG Karlsruhe NJW 2005, 915 (916); Fischer-StGB, § 46 Rn. 63. 63 So allerdings noch vor der Caroline-Rechtsprechung BGH NJW 2000, 154 (157) – hier ehemaliger Oberbürgermeister. 64 Hierzu siehe ausführlich oben Sechstes Kapitel, A. II. 65 Vgl. auch Knauer, GA 2009, 541 (549 f.), der diese Ablehnung insbesondere mit Strafzweckerwägungen begründet; Rinsche, ZRP 1987, 384 (385); Streng, JR 2009, 78 (79); es verwundert daher auch nicht, wie Knauer, GA 2009, 541 (543) zutreffend aufzeigt, dass entgegen dieser Vorgaben des Bundesgerichtshofs mehrere Landgerichte eine intensive Medienberichterstattung auch bei Personen des öffentlichen Lebens strafmildernd berücksichtigt haben, so bspw. in Strafverfahren gegen ehem. Bundeskanzler Helmut Kohl (LG Bonn NJW 2001, 1736 [1739]), den ehemaligen Bundesinnenminister Manfred Kanther (LG Wiesbaden, 58

B. Auswirkungen rechtswidriger Informationstätigkeit der Staatsanwaltschaft

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Ausgehend von den Ergebnissen der vorliegenden Untersuchung erscheint vielmehr ein differenzierter Ansatz sachgerecht, der eine Strafmilderung aufgrund umfangreicher medialer Berichterstattung lediglich dann ablehnt, wenn ein in der Öffentlichkeit stehender Angeklagter in Ausübung seines Amtes strafrechtlich relevante Verfehlungen begangen hat und diesem eine aufgrund des besonderen Interesses an dem gegen ihn geführten Strafverfahren erhöhte Duldungspflicht aufzuerlegen ist.66 Dies würde der besonderen Interessenlage im Fall der Person des öffentlichen Lebens und dem gesteigerten öffentlichen Informationsinteresse in Hinblick auf amtsbezogene Tatvorwürfe sowie solchen, die die für die Amtsausübung erforderliche persönliche Integrität in Frage stellen, ausreichend Rechnung tragen.67 Unabhängig von einer Amtsinhaberschaft sowie der Art des Tatvorwurfs muss für die Person des öffentlichen Lebens jedenfalls dann eine Strafmilderung nach § 46 Abs. 1 S. 2 StGB infolge aggressiver und vorverurteilender Berichterstattung angenommen werden, wenn diese auf ein Fehlverhalten der Strafverfolgungsorgane im Rahmen ihrer Öffentlichkeitsarbeit zurückzuführen ist. Ein rechtswidriges Verhalten unmittelbar grundrechtsgebundener Ermittlungsbehörden muss eine Person des öffentlichen Lebens ebenso wenig dulden, wie jeder andere Beschuldigte. Bei der Entscheidung über eine Strafmilderung infolge ausufernder Berichtserstattung über das Strafverfahren ist schließlich zu berücksichtigen, dass gerade durch das Internet als schier endlosem kollektivem Gedächtnis jedwede mediale Berichterstattung weit über das Strafurteil und die Verbüßung der Strafe hinaus erhebliche Beeinträchtigungen für den Straftäter mit sich bringt.68 Unabhängig von der Stellung des Täters in der Öffentlichkeit ist eine Strafmilderung hingegen abzulehnen, wenn dieser im Laufe des Verfahrens selbst den Kontakt mit den Medien gesucht hat.69 Dies kann jedoch dann nicht gelten, wenn der Schritt des Betroffenen an die Öffentlichkeit erst durch die Informationspolitik der Strafverfolgungsbehörden oder einer massiven Presseberichterstattung erforderlich geworden ist, da im Sinne einer Waffengleichheit das Recht der Staatsanwaltschaft zur Öffentlichkeitsarbeit für den Beschuldigten ohne Nachteile in der Strafzumessung ebenfalls gelten muss.70

Urteil vom 18. 04. 2005, Az. 6 Js 320.4/00 – 16 KLs, juris Rn. 851) sowie den ehem. Frankfurter Vizepolizeipräsidenten Wolfgang Daschner (LG Frankfurt NJW 2005, 692 [696]). 66 So z. B. BGH NJW 2008, 2057 – hier in der Funktion der Justizministerin. 67 Hierzu siehe ausführlich oben Sechstes Kapitel. 68 Diesbezüglich wird nochmals auf das zu Beginn geschilderte Strafverfahren gegen Andreas Türck verwiesen, welches trotz Freispruchs noch heute bei Eingabe des Suchbegriffs „Andreas Türck“ in sechs der ersten zehn „Google-Einträge“ thematisiert wird (Stand 03. 03. 2021), Erstes Kapitel, A. I. 3. 69 S/S-Stree/Kinzig, § 46 Rn. 55. 70 BGH NJW 1990, 194 (195); Knauer, GA 2009, 541 (551); Schulz, S. 113 f.

394

7. Kap.: Ergebnis und Möglichkeiten

Auch wenn die dargestellte Berücksichtigung erlittener Persönlichkeitsrechtsverletzungen oder anderweitiger Beeinträchtigungen durch die Informationstätigkeit der Staatsanwaltschaft oder eine umfangreiche Medienberichterstattung bei der Strafzumessung begrüßenswert ist, merkt Meinecke zu Recht kritisch an, dass hierin dennoch keine adäquate Reaktion71 auf übermäßige und persönlichkeitsrechtsverletzende Presseberichterstattung gesehen werden kann, da auf diese Weise den Medien ein mittelbarer Einfluss auf das Strafmaß zukomme und zugleich einer Strafmilderung keinerlei präventive Wirkung in Hinblick auf das Informationsverhalten der Ermittlungsbehörden und Medienvertreter entfaltet.72 Zudem kommt eine solchen Berücksichtigung und Kompensation nur dann überhaupt in Betracht, wenn das Verfahren mit einem Urteil endet. Für den freigesprochenen Betroffenen erfolgt keinerlei Kompensation.

IV. Fazit Stellt sich die Öffentlichkeitsarbeit der Staatsanwaltschaft nach den hier aufgestellten Kriterien und Maßstäben als rechtswidriger Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des Betroffenen heraus, so ist der Betroffene in der Praxis auf zivilrechtliche Kompensations-, Gegendarstellungs- und Unterlassungsansprüche rein repressiver Natur beschränkt. Strafrechtliche Sanktionen haben die Strafverfolgungsbehörden in der Regel nicht zu befürchten, da diese bereits nicht einschlägig sind oder die Hürde eines Strafantrags gegen die ermittelnde Staatsanwaltschaft für den Beschuldigten regelmäßig hoch sein wird. Vor diesem Hintergrund wird der Beschuldigte vermutlich auch vor einer Geltendmachung zivilrechtlicher Ansprüche gegen die Ermittlungsbehörde jedenfalls für die Dauer des Strafverfahrens zurückschrecken. Zudem ist eine materielle Kompensation erlittener Reputationsschäden und damit verbundener beruflicher sowie sozialer Ausgrenzung des Betroffenen kaum möglich. Persönlichkeitsrechtsverletzungen und Vorverurteilungen sind selbst durch eine Gegendarstellung nicht zu beseitigen. Auch eine Berücksichtigung ausufernder oder rechtswidriger medialer Verfahrensöffentlichkeit im Rahmen der Strafzumessung bietet dem Betroffenen zwar ein gewisses Maß an Genugtuung, kann erfolgte Eingriffe und hiermit verbundene soziale und berufliche Beeinträchtigungen aber ebenfalls nicht ungeschehen machen und bietet insbesondere dem Beschuldigten, dessen Verfahren nicht mit einem Urteil endet, keinerlei Schutz. 71

Eine adäquate Reaktion würde auch nicht ein teilweise angenommenes Verfahrenshindernis aufgrund extremer öffentlicher Vorverurteilung darstellen; vgl. BT-Drucks. 10/4608, S. 25 f.; Hassemer, NJW 1985, 1921 (1927 f.); Hillenkamp, NJW 1989, 2844 ff.; Roxin, NStZ 1991, 153; ausführlich hierzu und im Ergebnis überzeugend ablehnend Dalbkermeyer, S. 226 ff. 72 Meinecke, S. 278.

C. Vorschläge de lege ferenda

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Angesichts der verfassungsmäßigen Bedeutung der Persönlichkeitsrechte des Beschuldigten sowie der Unschuldsvermutung ist dem Betroffenen daher ein präventiver Schutz vor rechtswidrigen Eingriffen zu gewähren. Erkennt man die Schutzbedürftigkeit der Persönlichkeitsrechte des Beschuldigten als Person des öffentlichen Lebens im Ermittlungsverfahren an, so stößt die bestehende Rechtsordnung hier an ihre Grenzen. Gerade auch in Hinblick auf die Rolle der Staatsanwaltschaft als „privilegierte Quelle“ und die damit beinahe ausgehebelten zivilrechtlichen Abwehrmechanismen gegen persönlichkeitsrechtsverletzende Medienberichterstattung73 kommt dem präventiven Schutz des Beschuldigten vor rechtswidriger Informationstätigkeit der Ermittlungsbehörden eine entscheidende Bedeutung zu. Der Schutz der Persönlichkeitsrechte des Beschuldigten als Person des öffentlichen Lebens im Ermittlungsverfahren kann damit effektiv nur im entscheidenden Moment der von der Staatsanwaltschaft vorzunehmenden Abwägungsentscheidung erfolgen. Nachfolgend wird daher ein Blick auf die Möglichkeiten der Stärkung der Persönlichkeitsrechte des Betroffenen im Ermittlungsverfahren de lege ferenda geworfen.

C. Vorschläge de lege ferenda In Ermangelung klarer gesetzlicher Regelungen hinsichtlich der Grenzen ermittlungsbehördlicher Öffentlichkeitsarbeit im Ermittlungsverfahren wird der Schutz der Persönlichkeitsrechte des Beschuldigten einer schwierigen und wenig beherrschbaren Abwägungsentscheidung der Staatsanwaltschaft überlassen. Gerade in Verfahren gegen Personen des öffentlichen Lebens scheinen die Ermittlungsbehörden oftmals eine Auskunftspflicht gegenüber den Vertretern der Presse anzunehmen.74 Dass eine solche jedoch nicht besteht und auch bei Beschuldigten als Personen des öffentlichen Lebens schützenswerte Anonymitätsinteressen gerade im frühen Stadium des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens anzuerkennen sind,75 wird hier leider vielfach übersehen. Im Sinne eines umfassenden präventiven Schutzes der Persönlichkeitsrechte des Beschuldigten als Person des öffentlichen Lebens vor irreversiblen rechtswidrigen Eingriffen scheint somit eine präventive gesetzliche Regelung erforderlich, die die Verpflichtung und auch Berechtigung der Ermittlungsbehörden zur Information der Medien im Ermittlungsverfahren verbindlichen und vor allem klareren Regeln unterwirft, als es bisher mit § 4 LPG Berlin der Fall ist. Auch wenn sich eine einzelfallbezogene Abwägungsentscheidung naturgemäß einer gesetzlichen Normierung 73 Vgl. Meinecke, S. 293. Zu der Funktion der Staatsanwaltschaft als sog. „privilegierte Quelle“ siehe bereits oben Fünftes Kapitel, C. III. 74 So auch der Eindruck von Schirachs, Spiegel 2010, Nr. 36, S. 154 (155). 75 Hierzu siehe oben Sechstes Kapitel, B.

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7. Kap.: Ergebnis und Möglichkeiten

entzieht, ist dennoch auf Basis der Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung eine weitere Begrenzung der staatsanwaltschaftlichen Öffentlichkeitsarbeit denkbar. Im Rahmen der bereits seit Jahrzehnten anhaltenden wissenschaftlichen und rechtspolitischen Debatte verwundert es nicht, dass bereits zahlreiche Vorschläge existieren, wie das Verhältnis zwischen medialer Berichterstattung und ihren Auswirkungen auf den Beschuldigten und das Strafverfahren angemessen geregelt werden könnten.76 Die Aktualität des Bedürfnisses nach einer weitergehenden gesetzlichen Reglementierung der ermittlungsbehördlichen Öffentlichkeitsarbeit zeigt nicht zuletzt der aktuelle Gesetzesentwurf des Arbeitskreises Strafprozessrecht und Polizeirecht („ASP“) zur Einführung bundeseinheitlicher Vorschriften über die Medienarbeit in strafrechtlichen Angelegenheiten.77 Entsprechend der hiesigen Ergebnisse zielen die bisherigen Vorschläge de lege ferenda ebenfalls im Wesentlichen darauf ab, die Auskunftserteilung seitens der Staatsanwaltschaft durch gesetzliche Vorgaben zu konkretisieren.78 Dieser Ansatz erschient insofern richtig, als dass präventiven Schutzmechanismen dort ansetzen müssen, wo das Einfallstor für irreversible Persönlichkeitsrechtsverletzungen zu Lasten des Beschuldigten am größten ist, mithin bei der Abwägungsentscheidung der Staatsanwaltschaft in Hinblick auf ihre Informationstätigkeit im Ermittlungsverfahren. In dieser Hinsicht erweisen sich Ansätze einer Verschärfung der Ziff. 4a, 23 RiStBV79 als untauglich, da diesen Regelungen als reine Verwaltungsvorschrift keinerlei bindende Außenwirkung zukommt und damit wirkungsvoller präventiver Schutz nicht zu erreichen ist.80 Vor diesem Hintergrund erscheint auch der von Meinecke unterbreitete Vorschlag einer Novellierung der Ziff. 23, 86 RiStBV, der als Einziger das besondere Schutzbedürfnis der Person des öffentlichen Lebens anerkennt und berücksichtigt, leider als wenig effizient. Eine wirkliche Verbesserung der derzeitigen Informationspraxis der Ermittlungsbehörden und damit ein wirksamer Schutz des Beschuldigten kann nur über eine verbindliche gesetzliche Regelung erreicht werden.

76 Einen guten Überblick liefern Meinecke, S. 89 ff.; Neuling, S. 250 ff. Auch wenn es in der Vergangenheit bereits eine Vielzahl von Reformvorschlägen in Hinblick auf den Schutz des Beschuldigten vor Verletzung seiner Persönlichkeitsrechte und öffentlicher Vorverurteilung gab, ließen diese stets die besonderen Bedürfnisse der Gruppe der Personen des öffentlichen Lebens außer Acht, welche jedoch als die am stärksten von einer extensiven Informationspolitik der Staatsanwaltschaft betroffene Beschuldigtengruppe ist. Einzig Meinecke, S. 302, unterbreitet einen Vorschlag, welcher speziell den Schutz von „öffentlich besonders bekannten“ Personen vorsieht. 77 Vgl. Gesetzesentwurf des Arbeitskreises Strafprozessrecht und Polizeirecht (ASP), veröffentlicht in Zöller/Esser, S. 27 ff., 40 ff. 78 Meinecke, S. 95. 79 So z. B. Bornkamm, S. 244 f.; Meinecke, S. 302 f. 80 So zutreffend auch Dalbkermeyer, S. 182; Neuling, S. 255; vgl. auch Fischer, S. 290.

C. Vorschläge de lege ferenda

397

Dem kommt Dalbkermeyers Vorschlag der Einführung eines „§ 169a GVG“ nahe, mit welchem sie zunächst die Nichtöffentlichkeit des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens positivrechtlich normieren und neben einem inhaltlichen Bezug auf Ziff. 23 RiStBV in Abs. 2 ein grundsätzliches Verbot der Veröffentlichung identifizierender Informationen im Ermittlungsverfahren statuier en möchte, womit dem Schutzgedanken der Unschuldsvermutung und dem vorläufigen Charakter des strafrechtlichen Vorverfahrens Rechnung getragen werden würde.81 Damit erreicht Dalbkermeyer mit dem Ermittlungsverfahren den richtigen verfahrensrechtlichen Regelungsbereich und mit der Staatsanwaltschaft den richtigen Normadressaten.82 Dennoch ist Neuling zuzustimmen, der diesen Vorschlag angesichts des ungeeigneten Regelungsstandorts im GVG (Regelung der „ordentlichen Gerichtsbarkeit“) kritisiert und sich stattdessen für die Einführung einer strafprozessualen Regelung ausspricht.83 Dieser Verortung der anzustrebenden gesetzlichen Regelung der strafverfahrensbezogenen Öffentlichkeitsarbeit innerhalb der Strafprozessordnung schließt sich auch der Arbeitskreis Strafprozessrecht und Polizeirecht an.84 Dieser versucht eine sowohl für die ermittlungsbehördliche als auch gerichtliche Öffentlichkeitsarbeit einheitliche Regelung zu schaffen, die im Bereich der strafprozessualen Auskunftsansprüche der §§ 474 ff. StPO verortet werden solle.85 Mit diesem derzeit aktuellsten Entwurf eines neuen 6. Abschnitts zur „Medienarbeit“ werden in den neu einzufügenden § 501 Abs. 2 und 3 sowie § 504 Abs. 1 zunächst umfassend und zutreffend die nach den Ergebnissen der hiesigen Untersuchung auch für die behördliche Informationstätigkeit im Strafverfahren maßgeblichen Abwägungskriterien gesetzlich normiert.86 Aufgrund des Versuchs einer einheitlichen Regelung sowohl für die ermittlungsbehördliche als auch die gerichtliche Öffentlichkeitsarbeit bleiben jedoch die im Laufe der vorangegangenen Betrachtung deutlich gewordene besondere Spannungs- sowie Gefährdungslage im Falle (identifizierenden) Auskünfte der Staatsanwaltschaft im an sich nicht öffentlich ausgestalteten Ermittlungsverfahren unberücksichtigt. So gibt der Gesetzesentwurf in § 501 Abs. 3 S. 2 der die Auskünfte erteilenden Stelle Abwägungskriterien an die Hand,87 die sich nach der hier vertretenen Auffassung angesichts der unmittelbaren Bindung der Staatsanwaltschaft an die Unschuldsvermutung jedenfalls während des von Vorläufigkeit 81

Dalbkermeyer, S. 183 ff. So auch Neuling, S. 257. 83 Neuling, S. 257, 315 f. 84 Vgl. Gesetzesentwurf des Arbeitskreises veröffentlicht in Zöller/Esser, S. 27 ff., 40 ff. 85 Vgl. Gesetzesentwurf des Arbeitskreises veröffentlicht in Zöller/Esser, S. 40 ff. 86 Vgl. Gesetzesentwurf des Arbeitskreises veröffentlicht in Zöller/Esser, S. 40 ff. 87 Vgl. Gesetzesentwurf des Arbeitskreises veröffentlicht in Zöller/Esser, S. 41. 82

Strafprozessrecht und Polizeirecht (ASP), Strafprozessrecht und Polizeirecht (ASP), Strafprozessrecht und Polizeirecht (ASP), Strafprozessrecht und Polizeirecht (ASP),

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7. Kap.: Ergebnis und Möglichkeiten

geprägten Ermittlungsverfahren verbieten.88 Die knappe Regelung des § 501 Abs. 5 zu Auskünften im Ermittlungsverfahren reduziert die erlaubten Auskünfte zwar auf den Beginn und das Ende des strafrechtlichen Vorverfahrens,89 unberücksichtigt lässt dies jedoch die bereits mit der Information über die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen eine Person verbundene nachhaltige gesellschaftliche Stigmatisierung des Betroffenen. Vor diesem Hintergrund sind die vom Arbeitskreis Strafprozessrecht und Polizeirecht vorgeschlagenen ausführlichen Regelungen ermittlungsbehördlicher sowie gerichtlicher Auskunftstätigkeit zwar begrüßenswert, vermögen jedoch gerade für das Ermittlungsverfahren und den in dieser Untersuchung im Fokus stehenden Beschuldigten als Person des öffentlichen Lebens keine zufriedenstellende Lösung zu bieten. Neuling hingegen schlägt die Einführung eines § 160a StPO und damit eine speziell ermittlungsverfahrensbezogene strafprozessuale Regelung vor.90 Dieser Vorschlag schafft die derzeit fehlende verbindliche gesetzliche Regelung des Spannungsfeldes der medialen Öffentlichkeit im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren durch differenzierte Ausgestaltung der staatsanwaltschaftlichen Informationstätigkeit. Zu befürworten ist der von Neuling formulierte § 160a StPO insbesondere in Hinblick auf das in Abs. 2 konstituierte Verbot identifizierender Auskünfte vor Zulassung der Anklage und Eröffnung des Hauptverfahrens, wenn keine Zustimmung des Beschuldigten vorliegt oder diese nicht zur Aufklärung von Straftaten erforderlich sind.91 Insofern erfährt der im Ermittlungsverfahren grundsätzliche Vorrang der Anonymitätsinteressen des Beschuldigten vor den öffentlichen Informationsinteressen angemessene Berücksichtigung. Allerdings lässt auch dieser Vorschlag die besondere Interessenlage im Fall des Beschuldigten als Person des öffentlichen Lebens unberücksichtigt. Wie die vorangegangene Untersuchung gezeigt hat, würde ein generelles Verbot identifizierender Auskünfte zwar auch die Person des öffentlichen Lebens und ihre jedenfalls im Ermittlungsverfahren anzuerkennenden grundsätzlich überwiegenden Anonymitätsinteressen schützen, dennoch lässt Neuling außer Acht, dass in Ausnahmefällen auch an der Identität des Beschuldigten ein dessen Geheimhaltungsinteressen ausnahmsweise überwiegendes öffentliches Interesse bestehen kann.92 Von einem grundsätzlichen Überwiegen der Anonymitätsinteressen des Beschuldigten ist jedenfalls im Fall amtsbezogener Tatvorwürfe eine Ausnahme anzuerkennen, wenn die Integrität des betroffenen politischen Amtsträgers als demokratisch gewählter Re88

Hierzu siehe bereits oben Fünftes Kapitel, C. II. 3. d) bb). Vgl. Gesetzesentwurf des Arbeitskreises Strafprozessrecht und Polizeirecht (ASP), veröffentlicht in Zöller/Esser, S. 41. 90 Neuling, S. 315 f. 91 Vgl. Neuling, S. 315. Insofern greift Neuling den Regelungsvorschlag Dalbkermeyers in „§ 169a Abs. 2 GVG“ auf; vgl. Dalbkermeyer, S. 185. 92 Hierzu ausführlich oben Sechstes Kapitel. 89

C. Vorschläge de lege ferenda

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präsentant der Staatsgewalt in Frage steht oder wenn der Beschuldigte sich selbst im Rahmen sog. Litigation-PR aktiv an die Medien wendet und diese in das Verfahren mit einbezieht.93 Der persönlichkeitsrechtliche Schutz des Beschuldigten kann nicht vollends zur Aufgabe berechtigter öffentlicher Informationsinteressen gehen, so dass ein angemessener Regelungsvorschlag auch diese berücksichtigen sollte. Der von Neuling vorgeschlagene „§ 160a StPO“ könnte in Abs. 2 mithin wie folgt ergänzt werden: (2) 1Die öffentliche Individualisierung des Beschuldigten oder Auskünfte, die eine Individualisierung ermöglichen, sind vor Zulassung der Anklage und Eröffnung des Hauptverfahrens unzulässig. 2Dies gilt nicht, wenn a) der Beschuldigte zugestimmt oder sich zuvor selbst an die Öffentlichkeit gewandt hat, b) dies zur Aufklärung von Straftaten erforderlich ist oder c) ein die schutzwürdigen Interessen des Beschuldigten überwiegendes öffentliches Informationsinteresse besteht. 3

Ein überwiegendes öffentliches Informationsinteresse besteht nicht bereits dann, wenn es sich bei dem Beschuldigten um eine Person des öffentlichen Lebens handelt. 4Ein solches kann nur dann angenommen werden, wenn amtsbezogene Tatvorwürfe gegen einen politischen Amtsträger dessen Integrität als demokratisch gewählter Repräsentant der Staatsgewalt in Frage stellen.

Eine derartige Ergänzung der strafprozessualen Regelungen zum Ermittlungsverfahren würde die Persönlichkeitsrechte des Beschuldigten – ob als Person des öffentlichen Lebens oder als der Öffentlichkeit unbekannte Person – mit den öffentlichen Informationsinteressen in einen gerechten Ausgleich bringen. Darüber hinaus wäre den Ermittlungsbehörden ein konkreter Handlungskatalog an die Hand gegeben, der ihnen die unklare Abwägungsentscheidung hinsichtlich des Auskunftsanspruchs aus § 4 Abs. 1 LPG Berlin erleichtert und so irreversiblen Persönlichkeitsrechtsverletzungen vorbeugen kann.

93

Hierzu ausführlich oben Sechstes Kapitel.

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Stichwortverzeichnis abgestuftes Stufenkonzept 77, 214, 223, 231, 325 Amtsträger 330, 335 ff., 344 ff., 360 ff., 372 f. Anonymitätsinteresse 165, 213 f., 332 ff., 356 ff., 371 ff. Auskunftsanspruch – allgemein 265 ff. – Herleitung 266 ff. – Informationsfreiheitsgesetz 273 – strafprozessual 271 f. EMRK 94 ff., 171 ff. Ermessen 289 ff. Gleichheitsgrundsatz Informationsfreiheit

328 ff. 109, 203 f.

KUG 73 ff., 164 f., 213 f., 222 f., 228, 230 f., 280 f., 356 f., 387 Landespressegesetz (LPG) 266 ff., 279 ff., 289 ff., 297 ff., 313 ff., 355 f. Litigation-PR 237 ff., 375 f. Medien – Begriff 186 ff. – Rolle im Strafverfahren Medienfreiheiten 204 ff. Meinungsfreiheit 202 ff.

190 ff.

Nichtöffentlichkeit des Ermittlungsverfahrens – allgemein 121 ff. – Durchbrechungen 138 f. – Funktion 125 ff. – rechtshistorische Entwicklung 122 ff. öffentliches Informationsinteresse – allgemein 203 f., 299 ff.

– im Fall der Person des öffentlichen Lebens 337 ff. Öffentlichkeitsarbeit der Staatsanwaltschaft – aktive Informationstätigkeit 274 ff. – allgemein 244 ff. – Grenzen 283 ff. – Kommunikationsmittel 259 ff. – reaktive Informationstätigkeit 265 ff. – über Personen des öffentlichen Lebens 355 ff. – verfassungsrechtliche Eckpunkte 263 ff., 283 ff. Öffentlichkeitsgrundsatz – allgemein 83 ff., 91 ff. – Begriff der Öffentlichkeit 91 ff. – Grenzen 97 ff. – rechtshistorische Entwicklung 84 ff. – völkerrechtlicher 94 ff. Person der Zeitgeschichte 73 ff., 213 f., 324 f., 356 f. Person des öffentlichen Interesses 76 ff. Person des öffentlichen Lebens 64 ff., 322 ff. Persönlichkeitsrecht – allgemeines 158 ff. – Eingriff 169 f. – von Personen des öffentlichen Lebens 323 ff. Pressekodex 232 ff. privilegierte Quelle 38, 218, 259, 307, 318 ff. Prominenz 67 ff. Recht auf (Bild- und Namens-)Anonymität 162 ff. Recht auf ein faires Verfahren („fair trial“Grundsatz) 178 ff. Recht auf informationelle Selbstbestimmung 166, 285 ff.

420

Stichwortverzeichnis

Recht auf Nicht-Entsozialisierung und Resozialisierung 165 ff. RiStBV 133 f., 270 f., 281, 310 f., 396 f. Sphärentheorie

211, 314 ff., 341

Unschuldsvermutung

172 ff., 313 f.

Verdachtsberichterstattung – allgemein 198 ff. – Bildberichterstattung 213 ff. – Grenzen 214 ff. – über Personen des öffentlichen Lebens 367 ff. – verfassungsrechtliche Grundlagen 202 ff. – Wortberichterstattung 209 ff.