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German Pages 375 Year 1994
ECKHARD PACHE
Der Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften
Hamburger Studien zum Europäischen und Internationalen Recht Flerausgegeben von Meinhard Flilf, Flans Peter Ipsen, Ingo von Münch und Gert Nicolaysen
Band 1
Der Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften
Von
Eckhard Pache
Duncker & Humblot . Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Pache, Eckhard: Der Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften / von Eckhard Pache. Berlin : Duncker und Humblot, 1994 (Hamburger Studien zum europäischen und internationalen Recht ; Bd. I) Zug!.: Bielefeld, Univ., Diss., 1992/93 ISBN 3-428-07950-7 NE:GT
Alle Rechte vorbehalten
© 1994 Duncker & Humblot GmbH, Berlin
Fotoprint: Werner Hildebrand, Berlin Printed in Gennany ISSN 0945-2435 ISBN 3-428-07950-7
Vorwort der Herausgeber
Die neu begründete Schriftenreihe der "Hamburger Studien zum Europäischen und Internationalen Recht", deren erster Band hiermit vorgelegt wird, soll Forschungsergebnisse auf Rechtsgebieten zusammenhängend sichtbar machen, die zunehmend Berührungspunkte und Verflechtungen aufweisen: auf den Gebieten des Europarechts und des internationalen Rechts in ihrem jeweils weitesten Verständnis. In beiden Bereichen besteht in Hamburg eine lange Tradition vertiefter wissenschaftlicher Befassung und Durchdringung, die die Herausgeber mit dieser Schriftenreihe fortsetzen und zu neuer Blüte führen wollen. Das Europarecht hat seit der Begründung der Europäischen Union nahezu alle Rechtsgebiete der rnitgliedstaatlichen Rechtsordnungen erfaßt. In der Zukunftsperspektive werden sich die Erfahrungen der europäischen Integration zunehmend in der internationalen Verflechtung zu bewähren haben und diese auch rnitgestalten können. Dies zeigt sich bereits heute in Ansätzen im Rahmen der Verhandlungen des GATT ebenso wie in anderen regionalen Integrationsprozessen. Die Schriftenreihe verfolgt das Ziel, ein offenes Forum für die Diskussion und wissenschaftliche Durchdringung der komplexen rechtlichen Probleme zu bilden, die sich aus dieser Entwicklung ergeben, und sie will dazu beitragen, zur Erzielung rechtsdogmatisch fundierter wie in der Rechtspraxis verwertbarer Ergebnisse Wissenschaft und Praxis des Europarechts und des internationalen Rechts mehr als bisher zusammenzuführen.
Hamburg, im November 1993 Die Herausgeber
Vorwort Die vorliegende Untersuchung soll einen Beitrag zur Klärung von Ursachen und Ausmaß des Mißbrauchs der Finanzen der Europäischen Gemeinschaften leisten. Vor allem aber soll sie auf Möglichkeiten hinweisen, diesem Mißbrauch ein Ende zu setzen, Möglichkeiten, die aufgrund vorhandener Kompetenzen der Europäischen Gemeinschaften bereits gegenwärtig bestehen und die ohne Änderung oder Ergänzung des primären Gemeinschaftsrechts unverzüglich zum Schutz der Gemeinschaftsfinanzen genutzt werden können. Wenn sie hierzu auch nur einen kleinen Anstoß zu geben vermöchte, hätte sie ihren Zweck erfüllt. Die Arbeit ist während meiner Tätigkeit als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für deutsches, europäisches und internationales Wirtschaftsrecht der Fakultät für Rechtswissenschaft der Universität Bielefeld sowie als Wissenschaftlicher Assistent an der Abteilung für Europäisches Gemeinschaftsrecht/Seminar für Öffentliches Recht und Staatsiehfe des Fachbereichs Rechtswissenschaft I der Universität Hamburg entstanden. Sie lag der Fakultät für Rechtswissenschaft der Universität Bielefeld im Wintersemester 1992/1993 als Dissertation vor. Bis zur Drucklegung konnten Rechtsprechung und Schrifttum bis zum Sommer 1993 berücksichtigt werden. Das Inkrafttreten des Maastrichter Vertrages über die Europäische Union im November 1993 hat für den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften und für die in dieser Untersuchung behandelten Rechtsfragen keine nennenswerten Veränderungen bewirkt. Mein Dank gilt in erster Linie meinem akademischen Lehrer Prof. Dr. Meinhard Hilf, der überhaupt erst mein Interesse am Europarecht geweckt, mir an seinem Lehrstuhl immer neue Einblicke in Theorie und Praxis dieses Rechtsgebiets gewährt und mich fachlich wie menschlich in vielfältiger Weise gefOrdert hat. Für wertvollen Rat und zahlreiche Anregungen auch bei der Erstellung der vorliegenden Arbeit danke ich ihm sehr.
8
Vorwort
Zu danken habe ich auch Dr. Dierk Booß, Prof. Dr. Peter Karpenstein und Dr. Ulrich Wölker, Bediensteten der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die mich bei der Beschaffung schwer zugänglichen Materials und beim Verständnis rechtstechnischer Feinheiten einzelner Agrarmarktordnungen ebenso wie durch Hinweise auf aktuelle Probleme der Gemeinschaftspraxis beim Schutz der Gemeinschaftsfinanzen ganz erheblich unterstützt haben. Schließlich danke ich der Westfalisch-Lippischen Universitäts gesellschaft in Bielefeld für die Auszeichnung der vorliegenden Untersuchung mit dem Dissertationspreis 1993 sowie der Jury des Wolters-Kluwer-Award 1993 für die Verleihung der Special Commendation. Den Herausgebern der "Hamburger Studien zum Europäischen und Internationalen Recht" danke ich für die Aufnahme der Arbeit in diese Reihe. Hamburg, im November 1993
Eckhard Pac1&e
Inhaltsübersicht
Einführung ....................................................................................................
21
Teil 1: Die Schädigung der Gemeinschaftsfinanzen ....................................
30
Teil 2: Schutz der Finanzen der Europäischen Gemeinschaften durch Verwaltungsorganisationsrecht ....................................................................
71
Teil 3: Schutz der Finanzen der Europäischen Gemeinschaften durch Verwaltungsverfahrensrecht und materielles allgemeines Verwaltungsrecht..........................................................................................
99
Teil 4: Schutz der Finanzen der Europäischen Gemeinschaften durch die Gestaltung des materiellen Rechts................................................................ 150 Teil 5: Schutz der Finanzen der Europäischen Gemeinschaften durch Sanktionsvorschriften ................................................................................... 188 Zusammenfassung und Ausblick.................................................................. 352
Inhaltsverzeichnis
Einführung ................................................................................................. Teil!
Die Schädigung der Gemeinschaftsfinanzen
21
30
A. Die Finanzen der EG ............................................................................. I. Größenordnung des Gemeinschaftshaushalts ............................... TI. Tendenz: Anwachsen des Gemeinschaftshaushalts...................... TII. Einnahmen der Europäischen Gemeinschaften ............................ 1. Eigenmittel.............................................................................. a) Agrarabschöpfungen........................................................... b) Zölle.................................................................................... c) Mehrwertsteuereigenmittel................................................. d) Bruttosozialprodukteigenmittel.......................................... 2. Sonstige Einnahmen................................................................ 3. Beitrag der verschiedenen Einnahmearten zum Gemeinschaftshaushalt.................................................... N. Ausgaben der Europäischen Gemeinschaften............................... V. Verwaltung der Gemeinschaftsfinanzen....................................... 1. Erhebung der Einnahmen........................................................ 2. Tätigung der Ausgaben ...........................................................
31 31 34 38 42 43 44 45 47 49 50 51 53 54 56
B. Unregelmäßigkeiten und Betrügereien .................................................. I. Arten der Schädigung der Gemeinschaftsfinanzen....................... TI. Betroffene Bereiche ...................................................................... 1lI. Ausmaß der Unregelmäßigkeiten ................................................. N. Ursachen für Unregelmäßigkeiten................................................ 1. Vollzug der Gemeinschaftsfinanzen ....................................... 2. Regelungsgegenstand..............................................................
57 58 61 62 65 66 67
12
c.
Inhaltsverzeichnis
3. Abschreckung und Sanktionierung ......................................... Auswirkungen...............................................................................
68 69
Ergebnis .................................................................................................
70
V.
Teil 2
Schutz der Finanzen der Europäischen Gemeinschaften durch Verwaltungsorganisationsrecht A. Begriff und finanzielle Auswirkungen
71
des Verwaltungsorganisationsrechts......................................................
71
B. Arten des Vollzugs des Gemeinschaftsrechts........................................ I. Direkter Vollzug ........................................................................... 11. Indirekter Vollzug.........................................................................
74 75 76
C. Organisationskompetenz beim direkten Vollzug...................................
78
D. Organisationskompetenz beim indirekten Vollzug ............................... I. Grundsatz: Verwaltungsorganisatorische Autonomie der Mitgliedstaaten .................................................... 11. Einschränkungen der mitgliedstaatlichen verwaltungsorganisatorischen Autonomie.................................... 1. Bindung der Mitgliedstaaten durch das Prinzip der Gemeinschaftstreue ........................................ 2. Durchsetzung der mitgliedstaatlichen Bindung aus Artikel 5 EWGV ................................................ 3. Kompetenzen der Europäischen Gemeinschaften zur Einflußnahme auf die Verwaltungsorganisation der Mitgliedstaaten............................................. 4. Bisherige Zugriffe der Europäischen Gemeinschaften auf die nationale Organisationsstruktur .................................. a) Statistiken ........................................................................... b) Landwirtschaftliche Buchführung ...................................... c) Erzeugergemeinschaften..................................................... d) Olivenöl.............................................................................. e) Prüfung von Geschäftsunterlagen.......................................
80
E. Ergebnis ... ..... .... ... ......... ..... ... ....... ......... ..... ... ......... ....... ................. ........ I. Direkter Vollzug ........................................................................... 11. Indirekter Vollzug......................................................................... 111. Handlungsbedarf bei indirektem Vollzug.....................................
80 82 83 84
86 88 89 89 89 90 92 93 93 94 97
Inhaltsverzeichnis
13
Teil 3
Schutz der Finanzen der Europäischen Gemeinschaften durch Verwaltungsverfahrensrecht und materielles allgemeines Verwaltungsrecht A
99
Begriff und finanzielle Auswirkungen des Verwaltungsverfahrensrechts und des materiellen allgemeinen Verwaltungsrechts.......................................... 100
B. Verwaltungsverfahrensrecht und materielles allgemeines Verwaltungsrecht beim direkten Vollzug.......................... I. Kompetenz zum Erlaß verfahrensrechtlicher Regelungen ........... 1. Ausdrückliche Ermächtigung.................................................. 2. Implied powers........................................................................ a) Inhalt der implied-powers-Lehre........................................ b) Anwendbarkeit im Gemeinschaftsrecht.............................. c) Kompetenzen zur Regelung des Verfahrensrechts als implied powers.................................. 3. Artikel 235 EWGV ................................................................. 4. Ergebnis. ......... ........ .............. ....... ... ....... ......... ..... ..... .............. 11. Bestehende gemeinschaftsrechtliche Regelungen ........................ 1. Primäres Gemeinschaftsrecht.................................................. 2. Sekundäres Gemeinschaftsrecht ............................................. 3. Allgemeine Rechtsgrundsätze................................................. III. Regelungsbedarf zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften .............................. C. Verwaltungsverfahrensrecht und materielles allgemeines Verwaltungsrecht beim indirekten Vollzug....................... I. Kompetenz zum Erlaß verfahrensrechtlicher Regelungen ........... 1. Grundsatz der verfahrensmäßigen Autonomie der Mitgliedstaaten............................................... 2. Ausnahmsweise Gemeinschaftskompetenz ............................ a) Spezielle ErmäChtigungen .................................................. b) Artikel 235 EWGV............................................................. c) Artikel 100 ff. EWGV ........................................................ 3. Ergebnis .................................................................................. 11. Bestehende gemeinschaftsrechtliche Regelungen ........................ 1. Verordnungen.......................................................................... 2. Richtlinien...............................................................................
103 104 105 106 106 107 109 109 111 112 112 114 117 119 121 121 122 124 125 127 129 131 132 133 134
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Inhaltsverzeichnis
III.
N.
Allgemeine Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts .............. 1. Grundsätzliche Bedeutung für das nationale Verwaltungsverfahren....................................... 2. Bedeutung einzelner Rechtsgrundsätze für den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften.......................................... Gemeinschaftsrechtliche Grenzen der Anwendbarkeit nationalen Verwaltungs-und Verwaltungsverfahrensrechts............................................................................................. 1. Nichtdiskriminierung .............................................................. 2. Sicherung der Rechtsausübung............................................... 3. Rechtsfolgen eines Verstoßes nationaler Verfahrensrechtsvorschriften gegen Gemeinschaftsrecht......................... 4. Ausmaß der gemeinschaftsrechtlichen Beeinflussung der nationalen Verfahrensvorschriften .....................
135 137
141
143 144 145 146 147
D. Ergebnis ................................................................................................. 148 Teil 4
Schutz der Finanzen der Europäischen Gemeinschaften durch die Gestaltung des materieUen Rechts
150
A. Normenflut und Normkomplexität ........................................................ I. Normenflut.................................................................................... 11. Normkomplexität .......................................................................... III. Normenflut und Normkomplexität in der Praxis .......................... N. Auswirkungen auf die Gemeinschaftsfinanzen ............................ V. Möglichkeiten der Abhilfe............................................................
150 151 153 154 157 159
B. Schein- und Umgehungsgeschäfte......................................................... I. Scheingeschäfte ............................................................................ 11. Umgehungsgeschäfte.................................................................... III. Abgrenzungsschwierigkeiten........................................................ N. Problematik der Schein- und Umgehungs geschäfte ..................... 1. Scheingeschäfte....................................................................... 2. Umgehungs geschäfte .............................................................. V. Möglichkeiten der Verhinderung von Umgehungsgeschäften ..... VI. Bisheriges Vorgehen der Gemeinschaften.................................... 1. Verhinderung von Umgehungsgeschäften durch restriktive Auslegung des Gemeinschaftsrechts......................
162 162 164 166 167 167 168 170 171 171
Inhaltsverzeichnis
c.
2. Verhinderung von Umgehungsgeschäften durch Perfektionierung der einschlägigen Vorschriften.................... 3. Verhinderung von Umgehungsgeschäften durch eine entsprechende Generalklausei......................................... a) Generalklausei als allgemeiner Rechtsgrundsatz des Gemeinschaftsrechts ......................... b) Anwendung nationaler Generalklauseln............................. aa) § 4 des Subventionsgesetzes als Beispiel einer nationalen Generalklausel.......... .......... ....... ..... ... bb) Anwendbarkeit auf Gemeinschaftssubventionen und -abgaben ............................................................... . cc) Ergebnis ...................................................................... . c) Erlaß einer gemeinschaftsrechtlichen Generalklausel.. ..... .
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173 175 176 177 179 181 183 183
Ergebnis ................................................................................................ . 184 TeilS
Schutz der Finanzen der Europäischen Gemeinschaften durch Sanktionsvorschriften
188
A. Erforderlichkeit von Sanktionen............................................................ 190 B. Schutz der Rechtsgüter internationaler Organisationen in der Vergangenheit .................................................... I. Zentralkommission für die Rheinschiffahrt/Elbekommission...... 11. Europäische Donaukommission ................................................... III. Die Europäische Verteidigungsgemeinschaft............................... 1. Schutz der inneren Ordnung ................................................... 2. Schutz gegen Angriffe von außen........................................... 3. Schutz sonstiger Rechtsgüter der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft.............................. N. Ergebnis ........................................................................................ C. Möglichkeiten der Sanktionierung ........................................................ I. Adressaten der Sanktionen............................................................ 11. Rechtsquelle der Sanktionsregelungen ......................................... 111. Arten der Sanktionierung.............. ........ ......... ....... ........................ 1. Erforderlichkeit strafrechtlicher oder verwaltungsstrafrechtlicher Sanktionen.................................. 2. Unterscheidung zwischen Strafrecht und Verwaltungsstrafrecht......................................................
194 196 197 198 199 200 200 201 202 202 203 207 208 210
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Inhaltsveneichnis
a) Historische Entwicklung der Unterscheidung im deutschen Recht............................................................. b) Abgrenzungstheorien zum deutschen Recht....................... c) Gegenwärtiger Meinungsstand zur Abgrenzung im deutschen Recht............................................................. d) Gegenwärtige Rechtslage im deutschen Recht................... aa) Unterschiede nach geltendem deutschem Recht......... bb) Gemeinsamkeiten nach geltendem deutschem Recht.......................................................... e) Recht der Europäischen Gemeinschaften und Recht der anderen Mitgliedstaaten .............................. t) Bedeutung für den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften.................... 3. Rechtsfolgen der strafrechtlichen und veIWaltungsstrafrechtlichen Sanktionsvorschriften.................................... IV. Ergebnis ........................................................................................ D. Strafrechtliche Sanktionsregelungen im Gemeinschaftsrecht ............... I. Bemühungen auf Gemeinschaftsebene ......................................... 11. Bestehende gemeinschaftliche Strafrechtsnormen ....................... 1. Straftatbestände unmittelbar im Gemeinschaftsrecht ............. 2. Gemeinschaftsrechtliche unmittelbare VeIWeisungen auf nationales Strafrecht.......................................................... a) Artikel 27 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft .................................................... b) Artikel 194 EAGV.............................................................. c) VeIWeisungen im sekundären Gemeinschaftsrecht............ 111. Gemeinschaftsrechtliche Verpflichtung zum Erlaß oder zur Anpassung nationaler Strafrechtsnormen....................... 1. Konkrete Einzelvorschriften ................................................... a) Primäres Gemeinschaftsrecht ............................................. b) Sekundäres Gemeinschaftsrecht ......................................... 2. Allgemeine Verpflichtung zum Erlaß von Sanktionsvorschriften zur Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts............. a) Primäres Gemeinschaftsrecht ............................................. aa) Verpflichtung durch Artikel 5 EWG-Vertrag.............. bb) Konkretisierung durch den Europäischen Gerichtshof..................................... b) Sekundäres Gemeinschaftsrecht.........................................
211 214 216 218 219 219 220 223 223 224 225 226 230 231 231 231 233 235 236 237 237 237 239 239 239 241 246
Inhaltsverzeichnis
17
IV. Ergebnis ........................................................................................ 246 E. Außerstrafrechtliche Sanktionsvorschriften im Gemeinschaftsrecht .......................................................................... I. Geldbußen und Zwangsgelder im Wettbewerbsrecht................... 1. Anwendungsbereich der Sanktionsvorschriften...................... 2. Vorhandene Sanktionsbestimmungen..................................... 3. Ausmaß der Sanktionen .......................................................... 4. Rechtsnatur der Sanktionsbestimmungen ............................... II. Sicherheiten im Agrar-, Zoll- und Verkehrsrecht......................... 1. Begriff, Form und Verwertung der Sicherheit........................ 2. Anwendungsbereich von Sicherheitenregelungen.................. 3. Fallgruppen ............................................................................. a) Lizenzsicherheiten.............................................................. b) Sicherheiten bei Beihilfen .................................................. c) Verwendungs-Nerarbeitungssicherheiten.......................... d) Sonstige Sicherheiten ......................................................... 4. Zweck der Sicherheiten........................................................... 5. Sanktionswirkung der Sicherheitenregelungen....................... III. Sanktionen im Verkehrsrecht........................................................ IV. Sanktionen im Agrarrecht............................................................. 1. Rückforderung und Nacherhebung ......................................... 2. Kürzung oder Versagung von Subventionen .......................... 3. Zusatzbeträge .......................................................................... 4. Ausschluß von künftigen Subventionen ................................. 5. Ergebnis .................................................................................. V. Rechnungsabschluß ...................................................................... 1. Gegenstand des Rechnungsabschlusses.................................. 2. Entwicklung und Rechtsgrundlagen ....................................... 3. Ablauf des Rechnungsabschlußverfahrens ............................. 4. Sanktionswirkung ................................................................... VI. Ergebnis ........................................................................................ F. Meinungsstand zu gemeinschaftlichen Sanktionskompetenzen............ I. Bisherige Untersuchungen zur Sanktionskompetenz der Europäischen Gemeinschaften................................................ II. Standpunkt des Rates ...........................,........................................ III. Standpunkt der Kommission......................................................... 1. Begriff der Sanktion................................................................ 2. Arten zulässiger Sanktionen... ....... ....... ..... ....... ..... ....... ..... ...... 2 Pache
247 248 248 250 252 252 254 255 257 259 259 259 260 261 261 265 2~9
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Inhaltsverzeichnis
3. Zuständigkeit von Rat und Kommission................................. 4. Verhältnis Gemeinschaftsrecht / nationales Recht.................. 5. Zusammenfassung................................................................... N. Regelung durch die Maastrichter Verträge................................... V. Rechtsprechung des Gerichtshofs ................................................. 1. Amsterdam Bulb ..................................................................... 2. Kommission/Griechenland ..................................................... 3. Deutschland/Kommission ....................................................... G. Kompetenzgrundlagen für gemeinschaftsrechtliche Sanktionsvorschriften im primären Gemeinschaftsrecht....................................... I. Artikel 172 EWGV ....................................................................... 1. Funktion des Artikel 172 EWGV ........................................... 2. Voraussetzungen des Artikel 172 EWGV .............................. a) Zwangsmaßnahme .............................................................. b) Bereiche, in denen der Rat Zwangsmaßnahmen erlassen kann .................................................. 3. Ergebnis .................................................................................. TI. Artikel 87 Absatz 2 lit. a EWGV .................................................. 1. Umfang der Rechtsetzungsbefugnis........................................ 2. Beschränkung der Rechtsetzungsbefugnis.............................. 3. Sanktionskompetenzen ........................................................... 4. Ergebnis .................................................................................. TII. Artikel 79 Absatz 3 EWGV .......................................................... 1. Umfang der Kompetenzzuweisung......................................... 2. Relevanz für den Schutz der Gemeinschaftsfinanzen............. N. Artikel 40 Absatz 3 LV.m. Artikel 43 Absatz 2 EWGV .............. 1. Erforderlichkeit gemeinschaftsrechtlicher Sanktionsvorschriften..... ......... ..... ..... .............. ............ ..... ....... a) Erforderlichkeit von Sanktionen zur Durchsetzung des Agrargemeinschaftsrechts ............................................ b) Erforderlichkeit von Sanktionen auf Gemeinschaftsebene ........................................................... aa) Zurückhaltung der Mitgliedstaaten beim Schutz der Gemeinschaftsfinanzen.............................. bb) Negative Auswirkungen nationaler Sanktionen .......... 2. Einwendungen der Mitgliedstaaten......................................... a) Mitgliedstaatlicher Vollzug des Gemeinschaftsrechts ....... b) Vorhandene gemeinschaftliche Kontrollbefugnisse...........
296 296 297 297 299 299 300 302 304 304 306 307 307 308 309 310 310 311 311 312 312 313 313 314 315 315 316 316 319 320 320 321
Inhaltsverzeichnis
V.
VI.
VII.
VIII.
IX.
3. Rechtssache C-240/90............................................................. 4. Ergebnis .................................................................................. Artikel 100/100 a EWGV ............................................................. 1. Verhältnis von Artikel 100 und Artikel 100 a EWGV............ 2. Voraussetzungen des Artikel 100 a EWGV............................ a) Subsidiarität ........................................................................ b) Anwendungsausschluß nach Artikel 100 a Absatz 2 EWGV ................................................................................ c) Binnenmarktbezug.............................................................. 3. Ergebnis .................................................................................. Artikel 235 EWGV ....................................................................... 1. Fehlen der erforderlichen Befugnisse im Vertrag................... a) Sanktionsbefugnisse der Mitgliedstaaten ........................... b) Anderweitige gemeinschaftliche Befugnisse...................... 2. Zielverwirklichung.................................................................. 3. Im Rahmen des Gemeinsamen Marktes.................................. 4. Erforderlichkeit ....................................................................... 5. Ergebnis .................................................................................. Inhaltliche Beschränkung der Sanktionskompetenzen ................. 1. Strafrecht als Kernbereich der Staatlichkeit............................ 2. Demokratiedeflzit.................................................................... Innergemeinschaftliche Zuständigkeit zum Erlaß von Sanktionsvorschriften ............................................................ 1. Möglichkeit einer Zuständigkeitsübertragung ........................ 2. Verpflichtung zur Zuständigkeitsübertragung ........................ 3. Form der Zuständigkeitsübertragung...................................... 4. Ergebnis .................................................................................. Ergebnis ........................................................................................
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322 325 326 326 327 328 328 329 331 331 332 332 333 333 334 335 336 336 337 339 342 343 345 347 350 350
Zusammenfassung und Ausblick .............................................................. 352
Uteraturverzeicbnis .................................................................................... 357
Einf"tihrung Bereits Walter Hallstein, der erste Präsident der Kommission der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, hat die Europäischen Gemeinschaften 1 ebenso eindrucksvoll wie zutreffend als "Rechtsgemeinschaften" charakterisiert 2. Durch diese Charakterisierung hat er sChlagwortartig hervorgehoben, daß das Recht für die Europäischen Gemeinschaften eine ungleich größere und existentiellere Bedeutung besitzt als für andere internationale Organisationen oder für einzelne Staaten, insbesondere für ihre Mitgliedstaaten 3 • Die besondere Bedeutung des Rechts und seiner tatsächlichen Geltung und Befolgung 4 für die Europäischen Gemeinschaften ergibt sich vor allem aus drei Gründen: Erstens sind die Gemeinschaften im Unterschied zu den meisten Staaten Schöpfungen des Rechts s, da sie durch eine Reihe völkerrechtlicher Verträge zwischen den Mitgliedstaaten gegründet worden sind. Die Existenz der Gemeinschaften beruht also nicht auf einer einigenden gemeinsamen Vergangenheit der Völker der Mitgliedstaaten, auf sprachlicher oder ethnischer Verbundenheit oder auf hegemonial-machtpolitischen Vorgängen, sondern ausschließlich auf freiwillig eingegangenen rechtlichen Verpflichtungen 6, und die Gemeinschaften stellen auch heute noch vor allem ein Geflecht von Rechtsbe1 Als "Europäische Gemeinschaften" werden im folgenden zusammenfassend die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl, die Europäische Atomgemeinschaft und die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft bezeichnet, die trotz gemeinsamer Organe aufgrund des sogenannten "Fusionsvertrages" (Vertrag zur Einsetzung eines gemeinsamen Rates und einer gemeinsamen Kommission der Europäischen Gemeinschaften, ABI. 1967 Nr. 152 s. 2) rechtlich selbständige Organisationen geblieben sind 2 Grundlegend HalJstein, S. 53 ff.; aus jüngerer Zeit vgl. etwa Ipsen, H. P., JöR 38 (1989), S. 37 f.; Klein, S. 121 f.; Oppermann, S. 298; siehe auch Schwarze, Europäisches Verwaltun~recht I, S. 5 f. m.w.N.; aus der Rspr. etwa EuGH 23.04.1986 - Les Verts/Parlament, Rs. 294/83 - Slg. 1986, S. 1339, 1365. So ausdrücklich Ehlermann, FS Carstens, S. 81. 4 Zur Angewiesenheit des Rechts auf seine tatsächliche Verwirklichung Zippelius, S. 6 f. m.w.N.; Möge/e, BayVBI. 1993, S. 133 f.; Remien, S. 1 f. m.w.N. S So Hallstein, S. 53; ausführlich Ehlermann, FS Carstens, S. 83 f. 6 VgI. Klein, S. 122 m.w.N.; Ipsen, H. P., FS Dürig, S. 159 ff.
22
Einführung
ziehungen zwischen Gemeinschaften, Mitgliedstaaten und Marktbürgern dar 7. Zweitens sind sie anders als internationale Organisationen Quellen des Rechts 8, da sie selbst aufgrund eigener, ihnen von den Mitgliedstaaten übertragener Kompetenzen Rechtsakte erlassen können. Drittens schließlich bilden die Gemeinschaften durch ihre GTÜndungsverträge und die auf der Grundlage dieser Verträge erlassenen Rechtsakte eine eigenständige Rechtsordnung, ein geschlossenes System von Rechtssätzen 9, so daß die Europäischen Gemeinschaften selbst in ihrem Handeln der Kontrolle durch das Recht unterliegen 10. Daher ist für die Europäischen Gemeinschaften als Rechtsgemeinschaften das Recht ihre l..egitimationsgrundlage und ihr maßgebliches Integrationsinstrument 11. Folglich ist die Respektierung, BeaChtung, sorgfältige Anwendung und Befolgung des Gemeinschaftsrechts die Existenzgrundlage der Gemeinschaften, die Nichtbeachtung des Gemeinschaftsrechts stellt zugleich die Funktionsfähigkeit und den Bestand der Gemeinschaften selbst in Frage. Vor dem Hintergrund dieser außerordentlichen Wichtigkeit der tatsächlichen Geltung und Befolgung der Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts im gesamten Gemeinschaftsgebiet ist es besonders besorgniserregend und für die Europäischen Gemeinschaften nicht hinnehmbar, daß das Gemeinschaftsrecht in wichtigen Teilen keine uneingeschränkte Beachtung findet. Vor allem die Vorschriften des Gemeinschaftsrechts, die die finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften betreffen, werden sowohl von den Mitgliedstaaten als auch von einzelnen Gemeinschaftsbürgern teilweise grob mißachtet. Auf die unterschiedlichsten Arten verstoßen einzelne Marktbürger gegen die finanzrelevanten Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts 12 oder wenden Mitgliedstaa7 Ehlermann, FS Carstens, S. 83 f. m.w.N., unterstreicht, daß die Gemeinschaften die Beachtung dieser Rechtsbeziehungen nicht erzwingen können; auch Schwarze, NJW 1992, S. 1072 m.w.N., betont - im Zusammenhang mit der beabsichtigten Einführung von Geldbußen und Zwangsgeldem gegen Mitgliedstaaten durch den Maastrichter Vertrag über die Europäische Union bei Nichtbefolgung eines Urteils des Europäischen Gerichtshofs - die Angewiesenheit des Gemeinschaftsrechts auf freiwillige Befolgung. 8 Hallstein, S. 53 ff.; Ehlermann, FS Carstens, S. 85 ff. 9 Hallstein, s. 55; zu den Europäischen Gemeinschaften als Rechtsgemeinschaft in diesem Sinne vgl. auch Gutachten 1/91 des Europäischen Gerichtshofes vom 14.12.1991 zum europäischen Wirtschaftsraum, ABI. 1992 Nr. C 110 S. 1, 11, Tz. 21 der Enrscheidungsgründe = EuR 1992, S. 163 ff. 10 Vgl. nur EuGH 23.04.1986 - !.es Verts!Parlament, Rs. 294/83 - S1g. 1986, S. 1339, 1365; Ehlermann, FS Carstens, S. 81, 91 f.; Schwarze, NJW 1992, S. 1065 f. m.w.N. 11 HierzuK/ein, S. 122 m.w.N.; vgl. auch Hallstein, S. 33. 12 Als "finanzrelevant" werden diejenigen Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts bezeichnet, deren Anwendung sich in irgendeiner Weise auf die Finanzen der Europäischen Gemeinschaften auswirkt, die also entweder Einnahmen zugunsten oder Ausgaben zu Lasten des Gemeinschaftshaushalts vorsehen.
Einführung
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ten diese Bestimmungen unsorgfältig oder unkorrekt an und beeinträchtigen auf diese Weise die finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften 13. Die Finanzvorschriften des Gemeinschaftsrechts gelten als ideales Betätigungsfeld für Betrügereien und Unregelmäßigkeiten, mit denen ohne großes Entdeckungs- und Bestrafungsrisiko enorme Beträge zu Lasten der Gemeinschaftsfinanzen erlangt werden können, und sie erweisen sich immer wieder als Tummelplatz erstaunlicher krimineller Energie 14. Wenn auch eine exakte Berechnung des Schadens, der durch Betrügereien und Unregelmäßigkeiten zu Lasten des Gemeinschaftshaushalts angerichtet wird, kaum mÖglich ist 15, so steht doch fest, daß durch betrügerisches oder unkorrektes Verhalten einzelner und durch die unsorgfältige Verwaltung der Gemeinschaftsmittel durch die Mitgliedstaaten den Gemeinschaften jährlich Einnahmen in Milliardenhöhe entgehen und Ausgaben in Milliardenhöhe zu Unrecht in Rechnung gestellt werden. Durch die Mißachtung der finanzrelevanten Vorschriften des Gemeinschaftsrechts entstehen also unmittelbar finanzielle Schäden von ganz erheblichem Umfang für den Gemeinschaftshaushalt und damit letztlich auch für jeden europäischen Steuerzahler 16. Mittelbar werden die Gemeinschaften aber durch diese kontinuierliche Mißachtung des Gemeinschaftsrechts in noch viel größerem Ausmaß geschädigt: Der Geltungsanspruch des Gemeinschaftsrechts und damit die Grundlagen der Gemeinschaften überhaupt werden in Frage gestellt, und zwingende Folge sind erhebliche Beeinträchtigungen für die Akzeptanz und politische Zugkraft der Idee der europäischen Integration und für das Gemeinschaftsbewußtsein aller Gemeinschaftsangehörigen. Die fortgesetzte und erhebliche Schädigung der Finanzen der Europäischen Gemeinschaften ist jedoch nicht unbeachtet geblieben. Gerade in den letzten Jahren haben die Probleme beim Vollzug des Haushalts der Europäischen Gemeinschaften ein immer stärker werdendes Interesse gefunden. Die Organe der Europäischen Gemeinschaften, diejenigen der Mitgliedstaaten, zuneh..-nend auch die Medien und damit die europäische Öffentlichkeit befassen sich mit den Vollzugsproblemen, Vollzugsdefiziten, Unregelmäßigkeiten und Betrüge13 Vgl. bereits Flaesch-Mougin, CDE 1983, S. 394 ff. m.w.N., der einen Überblick über die verschiedenen möglichen Arten der Schädigung der Gemeinschaftsfinanzen gibt; Shackleton, S. 38 f.; zur neueren Möglichkeit des Computernetruges zu Lasten des Gemeinschaftshaushalts von Brummen, S. 112 ff. 14 Ausführlicher Bruns, S. 22 ff. m.w.N., der die Ursachen speziell für den Bereich des Agrargemeinschaftsrechts aufführt. 15 Hierzu sowie zu Schätzungen des Schadensumfangs LeighiSmith, S. 153 m.w.N. 16 Zusätzlich wird die EffIzienz des Einsatzes der Gemeinschaftsmittel und der Aufgabenerfüllung der Gemeinschaften vermindert, hierzu ausführlich Spannowsky, JZ 1992, S. 1160 ff. m.w.N.
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reien, die bei den Einnahmen und Ausgaben der Europäischen Gemeinschaften immer wieder auftreten und Schädigungen der Gemeinschaftsfinanzen in Milliardenhöhe verursachen 17. Berichte über Betrügereien in Milliardenhöhe zu Lasten des Gemeinschaftshaushalts füllten die Titelseiten der internationalen Tagespresse 18. Über die markantesten Fälle der Unregelmäßigkeiten und Betrügereien zu Lasten des Haushalts der Europäischen Gemeinschaften sind bereits belletristische Bücher verfaßt worden 19. Selbst das Fernsehen hat sich des Themas schon für sein Unterhaltungsprogramm angenommen: so wurde den Fernsehzuschauem in Deutschland im Abendprogramm vorgeführt, wie EGSubventionen in Millionenhöhe für angeblichen italienischen Schafskäse, der tatsächlich aus deutschem Milchpulver hergestellt war, erschwindelt wurden 20. Der Europäische Rechnungshof hat schon 1983 einen Sonderbericht über die Wirtschaftlichkeit der Gemeinschaftsfinanzierungen erstattet 21, in dem er ausführlich auf die finanziellen Folgen der Betrügereien und Unregelmäßigkeiten zu Lasten des Gemeinschaftshaushalts hinweist 22, und in seinen Jahresbericht zum Haushaltsjahr 1986 23 hat er ein ganzes Kapitel über "Betrügerische Praktiken und Unregelmäßigkeiten" aufgenommen 24. In diesem Kapitel weist er auf die Probleme hin, die sich aus der dezentralen Verwaltung der Einnahmen wie der Ausgaben der Gemeinschaften durch die Mitgliedstaaten ergeben, denen auch die erforderlichen Kontrollen und Verfolgungsmaßnahmen obliegen. Seither hat er in jedem Jahresbericht wieder das Thema Unregelmäßigkeiten und Betrügereien angesprochen 25. Sämtliche Organe der Europäischen Gemeinschaften haben sich schon intensiv mit der Problematik der Schädigung der Gemeinschaftsfinanzen befaßt 26. Im Europäischen Parlament wurde bereits 1980 ein Entschließungsantrag zu den Schädigungen des Gemeinschaftshaushalts durch Betrug und Unregelmä-
17 vg).. Allkemper, RIW 1992, S. 121 m.w.N.; Der Spiegel vom 01.04.1991, S. 122 ff. (Abfall als Filet); SJrerlockiHarding, European Uiw Review 1991, S. 20 ff. 18 Vg).. etwa The Times, 15.10.1987; The Independent, 25. Januar 1989; The Guardian, 26. Januar 1989, die jeweils von Schäden in Höhe von f. 2 - 6 Milliarden sprechen. 19 So etwa der Kriminalroman vonAhlhous, Betrug im Kühlhaus, Aahlen 1989. 20 "Hammelsprung", gesendet am 22.08.1990 um 20.15 Uhr von der ARD. 21 ABI. 1983 Nr. C 287 S. 1 ff. 22 ABI. 1983 Nr. C 287 S. 4 ff., 11 ff. 23 ABI. 1987 Nr. C 336 S. 1 ff. 24 ABI. 1987 Nr. C 336 S. 62 ff. 25 Vg).. etwa den Jahresbericht für das Haushaltsjahr 1990, ABI. 1991 Nr. C 324 S. 1 ff. 26 Für einen Überblick vgl. etwa Strosser, S. 265 ff.
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ßigkeiten eingebracht 21, in dem - schon damals - die steigende Anzahl der Unregelmäßigkeiten hervorgehoben und die entsprechende Kritik in Presse und Öffentlichkeit als berechtigt angesehen wurden 28. Auf diesen Antrag hin erstellte der Ausschuß für Haushaltskontrolle 1984 einen ersten umfangreichen Bericht über Betrügereien zu Lasten der Europäischen Gemeinschaften 29, in dem er unter anderem feststellte, daß die Betrügereien und Unregelmäßigkeiten auf europäischer Ebene die Zweckmäßigkeit und sogar die Existenzberechtigung der betreffenden Gemeinschaftspolitiken in Frage stellen 30. Das Europäische Parlament hat im April 1986 eine öffentliche Anhörung über Betrugsfälle im Bereich der Eigenrnittel und der Agrarausgaben durchgeführt. Im selben Jahr hat es durch seinen Haushaltskontrollausschuß einen Bericht über Möglichkeiten der Bekämpfung von Betrug und Unregelmäßigkeiten erarbeiten lassen 31. Im Januar 1989 hat das Europäische Parlament eine dreitägige öffentliche Anhörung zu Möglichkeiten der Verhütung und Bekämpfung von Schädigungen des Gemeinschaftshaushalts durchgeführt 32, aufgrund derer es einen erneuten umfassenden Bericht zu diesem Thema anfertigen ließ 33. Am 13. April 1989 hat es eine Entschließung zur Bekämpfung und Verhütung der Betrugsfälle gefaßt 34. Erst am 27. September 1991 hat der Ausschuß für Haushaltskontrolle des Europäischen Parlaments einen Bericht über den rechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften verabschiedet 35, auf dessen Grundlage das Europäische Parlament dann am 24. Oktober 1991 eine Entschließung verabschiedet hat 36, in der zahlreiche Maßnah21 Entschließungsanb'ag zu den Betrügereien zu Lasten der Gemeinschaft aufgrund mißbräuchlicher Inanspruchnahme der Gemeinschaftsmechanismen, EP Dole. 1-973/80, abgedruckt zuletzt als Anhang 11 zum Bericht über die Betrügereien zu Lasten des gemeinschaftlichen Haushalts, EP Dok. 1-1346183. 28 Vgl. Erwägungsgründe 1 bis 3 des EntschließuDgS3nb'ages, a.a.O. 29 Bericht über die Betrügereien zu Lasten des gemeinschaftlichen Haushalts, Berichterstatter: Volkmar Gaben, EP Dok. 1-1346183. 30 Bericht über die Betrügereien zu Lasten des gemeinschaftlichen Haushalts, Berichterstatter: Volkmar Gaben, EP Dok. 1-1346183, S. 20 Ziffer 34. 31 Bericht über die Verstärkung der Bekämpfung von betrügerischen Praktiken, die spezifisch gegen den Gemeinschaftshaushalt gerichtet sind, Berichterstatter: Guy Guermeur, EP Dok. A 2251/86. 32 Siehe hierzu Bericht über die Verhütung und Bekämpfung von EG-Betrügereien im "Europa 1992", Berichterstatter: Pieter Danken, EP Dok. A 2-20189; vgI. auch Bulletin EG 1-1989, Ziff. 2.3.4., sowie Vervaele, Revue de science et de droit p6nal compare 1990, S. 29 f. 33 Bericht über die Verhütung und Bekämpfung von EG-Betrügereien im "Europa 1992", Berichterstatter: Pieter Danken, EP Dok. A '2r2O/89. 34 ABI. 1989 Nr. C 120 S. 279; siehe auch Bulletin EG 4-1989, Ziff. 25.17. 35 EP Dole. A 3-250/91, PE 151.464/endg., DOC-DEIRRI 116092 36 ABI. 1991 Nr. C 305 S. 106.
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men vor allem auch auf dem Gebiet des Strafrechts zur Verbesserung des Schutzes der Finanzen der Gemeinschaften und zur Verhinderung von Betrug und Unregelmäßigkeiten gefordert werden. Auch bei der Tätigkeit der Kommission spielen Unregelmäßigkeiten oder Betrügereien zu Lasten des Gemeinschaftshaushalts eine bedeutende Rolle. Die Kommission hat 1987 einen umfassenden "Bericht über die verstärkte Bekämpfung von Betrügereien, die zu Lasten des Gemeinschaftshaushalts begangen werden", verfaßt 37, in dem sie einen Abriß der Probleme bei der Abwicklung des Gemeinschaftshaushalts sowie Vorschläge zu deren Beseitigung liefert. Sie führt Fortbildungs- und ForsChungsveranstaltungen durch, die sich speziell dieser Thematik annehmen 38. Die Kommission hat ein 45-Punkte-Aktionsprogramm zur Betrugsbekämpfung verabschiedet 39, und sie behandelt in ihren jährlichen Gesamtberichten stets auch die Bemühungen um eine Abstellung von Unregelmäßigkeiten und Betrügereien 40. Der Rat der Europäischen Gemeinschaften hat am 13. März 1989 eine Erklärung verabschiedet, in der die zuständigen Ratsgremien aufgefordert wurden, unverzüglich die von der Kommission im Dezember 1988 formulierten Vorschläge 41 anzunehmen und in der die Mitgliedstaaten aufgerufen wurden, ihre einschlägigen Aktionen zu verstärken und die Zusammenarbeit mit der Kommission so eng wie möglich zu gestalten. Weiter hat der Rat am 19. Juni 1989 das von der Kommission ausgearbeitete Arbeitsprogramm zur Betrugsbekämpfung genehmigt 42. Am 8. Juli 1991 hat der Rat seine Entschlossenheit bekräftigt, betrügerische Praktiken mit allen Mitteln zu bekämpfen 43, und am 13. November 1991 haben der Rat und die im Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten eine Entschließung verabschiedet, in der sie ihre Besorgnis über Umfang und Auswirkungen von betrügeriSChen Praktiken äußern KOM (87) 572 endg. vom 20.11.1987. Z.B. das Seminar "La protection juridique des interets financiers de la communaut~" vom 27.11.1989 bis zum 29.11.1989 in Brüssel, an dem führende RechtswissenschaftIer und Praktiker aus allen Mitgliedstaaten teilnahmen. 39 Politique de la lutte anti-fraude - programme de travail de la commission, annexe 11 zum rapport annuel 1989 de la lutte anti-fraude, SEC (90) 156 final vom 31.01.1990. 40 Vgl etwa 23. Gesamtbericht 1989, S. 73 f.; nur knapp angesprochen werden die eminenten Probleme, die sich aus den Unregelmäßigkeiten bei der Vollziehung des Gemeinschaftshaushalt ergeben, jedoch stets in den "Jahresberichten an das Europäische Parlament über die Kontrolle der Anwendung des Gemeinschaftsrechts", so etwa im Bericht 1989, der lediglich unter Ziffern 144148 haushaltsrechdiche Probleme behandelt, s. AB\. 1990 Nr. C 232 S. 1, 24. 41 22. Gesamtbericht 1988, Ziff. 120. 42 Bulletin EG 6-1989, Ziff. 25.9. 43 Vgl. Bulletin EG 7!8-1991, S. 123 f. 37
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und energische Maßnahmen zu deren Verhinderung fordern 44. Erst jüngst hat der Rat wieder die Notwendigkeit energischen Vorgehens gegen Unregelmäßigkeiten und Betrügereien zu Lasten des Gemeinschaftshaushalts betont und die entsprechenden Maßnahmen der Kommission unterstützt 45 Der Europäische Gerichtshof schließlich ist immer häufiger mit Rechtsstreitigkeiten befaßt, in denen es um Betrügereien und Unkorrektheiten mit negativen Auswirkungen für den Gemeinschaftshaushalt geht 46. Auch der Europäische Rat von Madrid begrüßte am 26. und 27. Juni 1989 die bisherigen Bemühungen der Gemeinschaftsorgane zur Bekämpfung von Unregelmäßigkeiten und Betrügereien und die hierbei erzielten Fortschritte. Er hob die Notwendigkeit energischen Vorgehens auf diesem Gebiet hervor und forderte den Rat zu unverzüglichem Handeln auf 41. Inzwischen haben sich nicht nur die Organe der Europäischen Gemeinschaften des Problems der Unregelmäßigkeiten und Betrügereien zu Lasten des Gemeinschaftshaushalts angenommen. Ausgehend von der Erkenntnis, daß Schädigungen des Haushalts der Europäischen Gemeinschaften von den Steuerzahlern aller Mitgliedstaaten finanziert werden müssen und damit auch Schädigungen der Bürger jedes einzelnen Landes sind, hat sich vor allem das britische House of Lords intensiv mit den finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften und den Möglichkeiten zu effektiverem Schutz derselben auseinandergesetzt. Das Select Committee on the European Communities hat umfangreiche Untersuchungen einschließlich einer·Anhörung zahlreicher Zeugen und Sachverständiger zum Thema "Fraud against the Community" durchgeführt, deren Ergebnisse es wie folgt zusammenfaßt: . The Committee are deeply concemed by the disclosures in this Report. In brief, these are: the loss of huge sums of Community money each year due to fraud and irregularityj weak financial administration, and the absence of adeq~ate controls in so many areasj the failure to detect fraud and to take criminal and civil action when corrupt practices are brought to light, so that fraudsters are allowed to continue to tradej the failure to deploy the audit function properly; and above all, the absence of political will to correct a damaging situation which has existed for years. ABI. 1991 Nr. C 328 S. 1. Vgl. die Schlußfolgerungen des Rates zur Betrugsbekämpfung vom 28.09.1992, Bulletin EG 9-1992, S. 83 ff. sowie vom 23.11.1992, Bulletin EG 11-1992, S. 112 46 Beispiele aus jüngerer Zeit mit grundlegender Bedeutung sind etwa der sogenannte griechische Maisskandal, vgl.EuGH 21.09.1989 - Kommission/Griechenland, Rs. 68188 - Slg. 1989, S. 2965, oder das Urteil des Gerichtshof vom 27.10.1992 in der Rechtssache C-24019O - Bundesrepublik DeutschlandIKommission, EuR 1993, S. 65 ff.; vgl. hierzu auch Poche, EuR 1993, S. 173 ff. 41 Bulletin EG 6-1989, Ziff. 1.1.4. 44
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Einführung The huge sums which are being lost due to fraud and irregularity against the Community are lasses borne by 311 taxpayers and traders of Europe. This strikes at the roots of democratic societies, based as they are on the rule of law and its enforcement, and is a public scandal 48.
All diese Aktivitäten haben bislang die erheblichen Schädigungen der Gemeinschaftsfinanzen durch einzelne Marktbürger und durch die Verwaltungen der Mitgliedstaaten weder verhindern noch auch nur nennenswert eindämmen können. Trotz des enormen Ausmaßes und der eminenten wirtschaftlichen und politischen Bedeutung der Unregelmäßigkeiten und Betrügereien zu Lasten des Gemeinschaftshaushalts und ungeaChtet der großen Aufmerksamkeit, die diese Problematik mittlerweile gefunden hat, hat auch eine intensive und umfassende rechtliche Auseinandersetzung mit Ursachen und Abhilfemöglichkeiten bislang kaum stattgefunden 49. Zudem liegt der Schwerpunkt der bisherigen Überlegungen zum Schutz der Gemeinschaftsfinanzen gegen Betrügereien und Unregelmäßigkeiten bei den entsprechenden Handlungsmöglichkeiten oder HandlungspfliChten der Mitgliedstaaten oder bei der behaupteten Erforderlichkeit einer Ergänzung der Gemeinschaftsverträge. Jedoch fehlt eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Frage, ob nicht die Europäischen Gemeinschaften selbst bereits nach den geltenden Gemeinschaftsverträgen ausreichende Kompetenzen und Möglichkeiten besitzen, um ohne Vertragsänderung ihre eigenen Finanzen effektiv und wirksam schützen zu können. Die nachfolgende Untersuchung verfOlgt das Ziel, aufzuzeigen, welche rechtlichen Möglichkeiten die Europäischen Gemeinschaften aufgrund eigener vorhandener Kompetenzen besitzen, zum Schutz ihrer eigenen finanziellen Interessen selbst gegen Betrug und Unregelmäßigkeiten vorzugehen. Sie soll auf bereits bestehende Möglichkeiten und Kompetenzen der Europäischen Gemeinschaften hinweisen, durch eigenes Handeln die kontinuierliche Schädigung der Gemeinschaftsfinanzen zu verhindern, die uneingeschränkte Geltung auch des finanzrelevanten Gemeinschaftsrechts zu sichern und so auch die eigene wirtschaftliche Handlungsfahigkeit und politische Akzeptanz zu verbessern.
House 0/ Lords, Select Committee on the European Communities, HL Paper 1:1, S. 41. Bisherige Abhandlungen erfassen meist nur einzelne Facetten der gesamten Problematik, insbesondere setzen sie sich häufig ausschließlich mit der Möglichkeit einer Verhinderung von Unregelmäßigkeiten und Betrügereien durch strafrechtliche Sanktionsvorschriften auseinander, vgl. etwa die Arbeiten von Bruns, DiebIich, Grasso, Vervaele oder AUkemper. 48
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Hierzu wird zunächst ein Überblick über die Gemeinschaftsfinanzen gegeben und hierbei hervorgehoben, wo die feststellbaren Schwerpunkte der Schädigung der Gemeinschaftsfinanzen liegen (Teil 1). Anschließend wird aufgezeigt, wie die Gemeinschaftsfinanzen durch entsprechende Gestaltung des Verwaltungsorganisationsrechts (Teil 2), des Verwaltungsverfahrensrechts (Teil 3), des materiellen europäischen Verwaltungsrechts (Teil 4) sowie insbesondere durch geeignete Sanktionsvorschriften (Teil 5) von den Europäischen Gemeinschaften selbst geschützt werden können.
Teil 1
Die Schädigung der Gemeinschaftsfinanzen Für eine Untersuchung der Möglichkeiten zum Schutz der Gemeinschaftsfinanzen und damit der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften ist zunächst Klarheit darüber erforderlich, welche Sachverhalte überhaupt als Schädigungen der Gemeinschaftsfinanzen anzusehen sind und in welchen Bereichen des Gemeinschaftsrechts, in welcher Weise und in welchem Umfang solche Schädigungen vorkommen. Wann die Europäischen Gemeinschaften finanziell geSChädigt werden, ist abstrakt unschwer zu definieren: Eine Schädigung der Gemeinschaftsfinanzen liegt immer dann vor, wenn die Europäischen Gemeinschaften Einnahmen, die ihnen aufgrund Gemeinschaftsrechts zustehen, nicht erhalten, oder wenn sie veranlaßt werden, Ausgaben zu tätigen, deren gemeinschaftsrechtliche Voraussetzungen nicht vorliegen, die sie also aufgrund Gemeinschaftsrechts nicht tätigen müssen 1. Um diese abstrakte Definition der Schädigung der Gemeinschaftsfinanzen konkretisieren und mit Leben erfüllen zu können, wird zunächst dargestellt, welche Einnahmen den Europäischen Gemeinschaften zustehen und welche Ausgaben sie tätigen müssen (nachfolgend A.). Auf dieser Grundlage kann anschließend aufgezeigt werden, in welchen Bereichen des Gemeinschaftsrechts und auf welche Weise Gemeinschaftseinnahmen verkürzt oder Gemeinschaftsmittel unberechtigt in Anspruch genommen werden, welchen Umfang diese Schädigungen der Gemeinschaftsfinanzen haben und auf welche Ursachen sie zurückzuführen sind (nachfolgend B.).
1 HandoII, S. 92, definiert die finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften instruktiv wie folgt: "... the Community institutions bave an obvious interest in ensuring that they in fact receive all the monies that they are entitled to and not to pay out more than the amounts they are required to disburse ".
A Die Finanzen der EG
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A. Die Finanzen der EG Um die Bedeutung und das Ausmaß der Unregelmäßigkeiten einordnen und bewerten zu können, die zu Lasten der Finanzen der Europäischen Gemeinschaften begangen werden, ist die Kenntnis der Finanzverfassung der Europäischen Gemeinschaften, des Umfangs ihres Haushalts, seiner Zusammensetzung und der Art seiner Bewirtschaftung erforderlich. Daher wird zunächst die Größenordnung des Gemeinschaftshaushalts dargestellt (I.) und seine Entwicklungstendenz aufgezeigt (II.). Anschließend erfolgt eine Vorstellung der wesentlichen Einnahmen (III.) und Ausgaben (IV.) der Gemeinschaften einschließlich ihrer Rechtsgrundlagen, an die sich Ausführungen zur Art der Verwaltung des Haushalts als der Hauptursache für rechtliche und tatsächliche Probleme beim Haushaltsvollzug anschließen (V.).
I. Größenordnung des Gemeinscbaftsbausbalfs Die wirtschaftliche, politische und damit auch die rechtliche Bedeutung, die dem Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften zukommt, hängt wesentlich von der Größenordnung des Gemeinschaftshaushalts ab. Die Größenordnung des Gemeinschaftshaushalts wiederum ist ein Spiegel der Gemeinschaftsaufgaben und damit Ausdruck für die Handlungsfähigkeit und für die GestaltungsmÖgliChkeiten der Europäischen Gemeinschaften 2. Die wachsende Bedeutung der europäischen Integration und die Dynamik der Gemeinschaftsentwicklung kommt entsprechend in der Entwicklung der Haushaltsvolumina seit 1953 eindeutig zum Ausdruck. Die 1952 gegründete Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) konnte im Jahre 1953 ihre ersten Aktivitäten noch mit einem Haushalt von 218 Mio. DM finanzieren 3. Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) begann im Jahre 1958 ihre Tätigkeit mit einem Haushaltsvolumen von
2 Zum Haushaltsvolumen als Gradmesser der politischen und sachlichen HandlungsmögIichkeiten der Gemeinschaften vgl. Sclunidhuber, EuR 1991, S. 330, sowie Nicolaysen, Europarecht I, S.113. 3 Bieber, EuR 1982, S. 116; zur EGKS und deren Recht auf Erhebung einer Umlage nach den Artikeln 49 ff. EGKSV vgl. auch Europäisches Parlament, Tatigkeit der EG, Abschnitt Oe III/C/1, S.lf.
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Teil 1: Die Schädigung der Gemeinschaftsfinanzen
44 Mio. DM 4. Als Folge des Beginns der Agrarfinanzierung stiegen die Gemeinschaftsausgaben Mitte der sechziger Jahre steil an und erreichten 1967 einen Betrag von 2.460 Mio. DM s. Im Jahre 1968 wurde für die drei Europäischen Gemeinschaften auf der Grundlage von Artikel 20 Absatz 1 des Fusionsvertrages 6 erstmals ein Gesamthaushaltsplan aufgestellt 7. Die für die Aufstellung, Feststellung, Ausführung und Kontrolle dieses Haushaltsplanes maßgeblichen Finanzvorschriften des primären Gemeinschaftsrechts enthalten die Artikel 199 bis 209 EWGV, Artikel 171 bis 183 EAGV sowie Artikel 78 bis 78 h EGKSV 8. Diese Finanzvorschriften der drei Gemeinschaftsverträge stimmen in allen wesentlichen Punkten überein 9. Der aufgrund dieser Finanzvorschriften aufgestellte Gesamthaushaltsplan 10 erlaubt einen nahezu vollständigen Überblick über die 6nanzwirksamen Tätigkeiten der Europäischen Gemeinschaften, weil gemäß Artikel 199 EWGV 11 alle Einnahmen und Ausgaben der Gemeinschaften einschließlich derer des Europäischen Sozialfonds in den Haushaltsplan eingesetzt werden müssen. Dieses Vollständigkeitsprinzip 12 erfahrt nur vereinzelte Durchbrechungen: nicht in den Haushaltsplan aufgenommen werden lediglich der Haushalt der Europäischen Investitionsbank als einer eigenständigen Rechtspersönlichkeit nach Artikel 129 EWGV 13, weiter der Funktionshaushalt der EGKS nach den Artikeln 49 ff. EGKSV, die sogenannten Satellitenhaus-
4 Heck, Vorbemerkung zu den Artikeln 199 bis 2D9 Rn. 24, in: von der Groeben, EWGV, 3. Auflage. 5 Eine tabellarische Darstellung der Entwicklung des Haushaltsvolumens der EWG von 1958 bis 1967 gibt Reister, S. 46; vgl. auch Bieber, Vorbemerkung zu den Artikeln 199 bis 209 Rn. 19 m.w.N., in: von der Groeben, EWGV. 6 Vertrag zur Einsetzung eines gemeinsamen Rates und einer gemeinsamen Kommission der Europäischen Gemeinschaften vom 08.04.1965, ABI. 1967 Nr. L 152 S. 2. 7 Reister, S. 46; zu den Motiven zur Einführung eines einheitlichen Gesamtliaushaltsplans Str~ser, S. 45 f. 8 Ausführlich zu den in diesen Vorschriften enthaltenen gemeinschaftsrechtlichen Haushaltsprinzipien der Einheit, Vollständigkeit, Jährlichkeit, Spezialität und des Ausgleichs zwischen Einnahmen und Ausgaben Strasser, S. 43 ff., sowie Bieber, Artikel 199 Rn. 3 ff. m.w.N., in: von der Groeben, EWGV. 9 Magiera, Artikel 199 Rn. 4, in: Grabitz, EWGV; Bieber, S. 154, in: Beutler/Bieber/Pipkorn/Streil. 10 Offizielle Bezeichnung: Haushaltsplan der Europäischen Gemeinschaften, vgl. Artikel 20 Absatz 1 FusV, ABI. 1967 Nr. L 152 S. 2. 11 Entsprechende Regelungen enthalten Artikel 78 EGKSV und Artikel 171 EAGV, vgl. Heck, Artikel 199 Rn. 1, in: von der Groeben, EWGV, 3. Auflage. 12 Vgl. hierzu Reister, S. 136 f.; Drygalski, S. 26 f. 13 Magiera, Artikel 199 Rn. 21, in: Grabitz, EWGV.
A Die Finanzen der EG
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haltspläne zum Gesamthaushaltsplan 14, der Haushalt des Europäischen Ent-. wicklungsfonds sowie die Darlehens- und Anleihetätigkeit~n der Europäischen Gemeinschaften 15. Damit läßt der Gesamthaushaltsplan die Größenordnung fast der gesamten Einnahmen und Ausgaben der Europäischen Gemeinschaften unschwer erkennen. Der erste, im Jahre 1968 aufgestellte Gesamthaushaltsplan für die Europäischen Gemeinschaften wies Einnahmen und Ausgaben in Höhe von 8.720 Mio. DM aus 16; fünf Jahre später hatte der Gesamthaushaltsplan bereits die Größenordnung von 5.134 Mio. ECU erreicht 17. 1986 umfaßte der Gesamthaushaltsplan Einnahmen von 33.669 Mio. ECU und Ausgaben von 34.193 Mio. ECU, 1987 beliefen sich die Einnahmen auf 35.783 Mio. ECU und die Ausgaben auf 35.324 Mio. ECU, 1988 wurden Einnahmen in Höhe von 41.821 Mio. ECU erzielt und Ausgaben in Höhe von 41.278 Mio. ECU getätigt, und 1989 nahmen die Europäischen Gemeinschaften 44.841 Mio. ECU ein und gaben 40.993 Mio. ECU aus 18. Im Jahre 1990 hat der Gemeinschaftshaushalt ein Volumen von 46.717 Mio. ECU erreicht 19, also von etwa 95 Mrd. DM 20. Dieses Haushaltsvolumen entspricht etwa 3 % der Haushaltsvolumina der Mitgliedstaaten 21 oder 1,02 Prozent des Bruttosozialprodukts in der Gemeinschaft 22. Es bewegt sich in der Größenordnung des Staatshaushalts der Niederlande oder des Haus-
14 Dies sind der Voranschlag der Einnahmen und Ausgaben der Euralom-Versorgungsagentur nach Artikel 171 Absatz 2 EAGV, der Haushalt des Europäischen Zentrums für die Förderung der Berufsbildung sowie der Haushalt der Europäischen Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und AIbeitsbedingungen, vgl. Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Die öffentlichen Finanzen der Gemeinschaft, S. 36. 15 Vgl. zur Einheit des Gesamthaushalts und zu den ausgenommenen Bereichen Magiera, Artikel 199 Rn. 18 ff., in: Grabitz, EWGV; Scheibe, S. 80 f. m.w.N. sowie Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Die öffentlichen Finanzen der Gemeinschaft, S. 35 ff. 16 Reister, S. 46, dort auch eine tabellarische Darstellung der Entwicklung der Haushaltsvolumina 1958 bis 1975. 17 Zum Haushaltsplan 1973 ausführlich SlwddetOll, S. 6 ff., der dort auch eine detaillierte Gegenüberstellung der Haushalte 1973 und 1988 vornimmt. 18 Ausführliche Aufstellung m.w.N. bei Messal, S. 25 ff. 19 Endgültige Feststellung des Gesamthaushaltsplans der Europäischen Gemeinschaften für das Haushaltsjahr 1990, ABI. 1990 Nr. L 24 S. 1. 20 Bei einem zur Zeit der Haushaltsplanfeststellung gültigen Umrechnungskurs von 2,03099 DM je ECU, vgl. ABI. 1990Nr. C6S.1. 21 Vgl. Bieber, Vorbemerkung zu den Artikeln 199 bis 209 Rn. 17, in: von der Groeben, EWGV. 22 Das Gesamtbruttosozialprodukt aller Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften für das Jahr 1990 belief sich auf 4.581,4 Mrd. ECU, vgl. hierzu und zur Verteilung auf die einzelnen Mitgliedstaaten Messal, S. 94 ff. m.w.N. 3 Poche
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Teil 1: Die Schädigung der Gemeinschaftsfinanzen
halts des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen und ist damit - bezogen auf eine Gesamtbevölkerung der Gemeinschaft von 320 Millionen Einwohnern - noch immer recht bescheiden 23. 1991 stiegen die Einnahmen und Ausgaben der Europäischen Gemeinschaften auf 55.556 Mio. ECU an 24, und 1992 hat der Gemeinschaftshaushalt mit 62.828 Mio. ECU 25, also etwa 128.796 Mio. DM 26, sein bisher größtes Volumen erreicht. Dabei ist der Gemeinschaftshaushalt für 1992 mit einem Volumen von rund 63.000 Mio. ECU bislang noch bewußt unvollständig: weder die von allen am Haushaltsverfahren Beteiligten gewollte Hilfe für die ehemaligen Republiken der Sowjetunion noch der gestiegene Verwaltungsmittelbedarfwurden berücksichtigt, ein Nachtragshaushalt ist schon aus diesen Gründen erforderlich 21. Damit läßt sich zum gegenwärtigen Umfang der Gemeinschaftsfinanzen feststellen: Die Größenordnung des Gemeinschaftshaushalts bleibt zwar immer noch weit hinter den nationalen Haushalten der meisten Mitgliedstaaten zurück. Sie hat aber mit einem Volumen von 130 Mrd. DM bereits einen sehr beträchtlichen Umfang erreicht, der aus wirtschaftlichen und aus politiSChen Gründen eine Befassung mit dem rechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften als erforderlich und sinnvoll erscheinen läßt.
11. Tendenz: Anwachsen des Gemeinschaftshaushalts Der Umfang und die Bedeutung des Gemeinschaftshaushalts - und damit auch die Notwendigkeit eines effektiven Schutzes der Gemeinschaftsfinanzen werden in Zukunft noch ganz erheblich größer werden als zum jetzigen Zeitpunkt. Die Untersuchung der Größenordnung der Gemeinschaftshaushalte in der Vergangenheit läßt eine eindeutige Entwicklungstendenz erkennen: Die 23 So auch Bieber, Vorbemerkung zu den Artikeln 199 bis 209 Rn. 17, in: von der Groeben, EWGV. 24 Vgl. Endgültige Feststellung des Gesamtbaushaltsplanes der Europäischen Gemeinschaften für das Haushaltsjahr 1991, ABI. 1991 Nr. L 30 S. 1. 25 ABI. 1992 Nr. L 26 S. 5. 26 Bei einem UmrechnungskulS von 2.05 DMje ECU, FAZ vom 13.02.1992. 21 Vgl. hierzu Deff_, Wirtscbaftsdienst 1992, S. 89 m.w.N.j deshalb geht die Kommission auch für 1992 von einem endgültigen Gesamtbaushaltsvolumen von 66.592 Mio. ECU aus, vgl. Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Die öffentlichen Finanzen der Gemeinschaft in der Zeit bis 1997, KOM (92) 2001 endg., BTÜSSeI23.03.1992, S. 39.
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Einnahmen und Ausgaben der Gemeinschaften und damit die Gemeinschaftshaushalte insgesamt steigen kontinuierlich und erheblich an 28. Dabei nimmt der Umfang der Gemeinschaftshaushalte nicht nur in absoluten Zahlen beständig zu, auch im Vergleich zum Bruttosozialprodukt in der Gemeinschaft 29 oder zu den Haushalten der Mitgliedstaaten 30 hat der Gemeinschaftshaushalt eine stetig stark ansteigende Tendenz. Dieses ununterbrochene beträchtliche Anwachsen des Gemeinschaftshaushalts ruft in allen Mitgliedstaaten deutliche Kritik hervor 31: zwar haben die meisten Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften keine genaue Kenntnis davon, wieviel Geld die Gemeinschaften eigentlich aus welchen Quellen einnehmen und wieviel Geld sie zu welchen Zwecken ausgeben. Dennoch ist die Vorstellung von gewaltigen Beträgen, die auf Gemeinschaftsebene verschwendet werden, und von einer aufgeblähten BTÜSseler Bürokratie, die jährlich immer größere Summen Geldes verschlingt, ohne dem Bürger entsprechend zu nutzen, weit verbreitet 32. Eine der mildesten Formulierungen, die diesen vermuteten Zustand kennzeichnen und Volkes Stimme Ausdruck verleihen sollen, ist noch die von der Explosion der Kosten Europas oder der Explosion der Finanzen der Europäischen Gemeinschaften 33. An dieser eher polemischen Beschreibung zutreffend ist allein, daß die Einnahmen und Ausgaben der Europäischen Gemeinschaften seit der Gründung dieser Organisationen eine sehr starke Ausweitung erfahren haben und auch weiterhin stetig und beträchtlich zunehmen 34. Der enorme Anstieg der durch die Gemeinschaften verwalteten Finanzmittel hat jedoch sachlich zwingende Ursachen, die von der oft harschen Kritik nicht zur Kenntnis genommen werden. Zum einen sind die Europäischen Gemeinschaften zwischenzeitlich von 28 Eine tabellarische Darstellung des nominellen Erhöhungssatzes für die obligatorischen und die nichtobligatorischen Ausgaben von 1980 bis 1992 gibt Strasser, S. 384. 29 Hierzu Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Das System der Eigenmittel, KOM (92) 81 endg., Brüssell0.03.1992, S. 8 ff., insbesondere Tabelle S. 9. 30 Den Vergleich GemeinschaftshaushalteIHaushalte der MitgIieditaaten stellt Shack1eton, S. 5 m.w.N. für die Haushaltsjahre 1980 bis 1989 an. 31 Zum Konflikt zwischen mitgIiedstaatlichen Bemühungen um nationale Haushaltsstabilisierung und Erhöhungen des EG-Haushalts vgi. auch Stahl, Wirtschaftsdienst 1992, S. 84. 32 Die Tatsache, daß die Verwaltungsausgaben der Gemeinschaftsinstitutionen insgesamt nur knapp 4,5 % des Gemeinschaftshaushalts ausmachen, wird dabei kaum berücksichtigt, vgl. Defftw, Wirtschaftsdienst 1992, S. 92. 33 So ausdrücklich Wemer, S. 9 ff. m.w.N.; zur Entwicklung des Einnahmen- und Ausgabenvolumens in den Jahren 1986 bis 1990 konkret Messal, S. 2S ff. m.w.N. 34 Zum Anstieg des Gemeinschaftshaushalts von 1980 bis 1992 und zur erwarteten künftigen Entwicklung vgl. Kommission der Europäischen Gemeinschaft, Das System der Eigenmittel, KOM (92) 81 endg., Brüssell0.03. 1992, S. 4 ff. mit ausführlichem Zahlennachweis.
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ursprünglich sechs auf mittlerweile zwölf Mitgliedstaaten erweitert worden. Diese beträchtliche territoriale Erweiterung hat zur Folge, daß selbst bei gleichbleibenden Sachaufgaben der Europäischen Gemeinschaften eine deutliche Ausweitung der Gemeinschaftsfinanzen erforderlich wäre, um diese Sachaufgaben nunmehr für die verdoppelte Anzahl von Mitgliedstaaten wahrnehmen zu können. Anders formuliert: Die Europäischen Gemeinschaften müssen die Funktionen, die sie unmittelbar nach ihrer Gründung gegenüber sechs Mitgliedstaaten wahrgenommen haben, heute gegenüber zwölf Mitgliedstaaten wahrnehmen. Daß damit eine beträchtliche Kostensteigerung verbunden ist und daß deshalb auch der Gemeinschaftshaushalt beträchtlich anwachsen mußte, liegt auf der Hand. Zum anderen sind aber die Aufgaben der Europäischen Gemeinschaften, die diese gegenüber ihren Mitgliedstaaten wahrnehmen und die ihnen Kosten verursachen, seit Gründung der Gemeinschaften gerade nicht gleichgeblieben, sondern wesentlich erweitert worden. Die Mitgliedstaaten haben allmählich erkannt, daß die Ziele und Aufgaben der Gemeinschaften am wirkungsvollsten nicht ausschließlich durch Politiken ohne nennenswerte Finanzaspekte, etwa den Abbau von Handelshemmnissen, die Rechtsangleichung oder die Wettbewerbspolitik, zu erreichen sind 35. Vielmehr wurden den Europäischen Gemeinschaften neue, den einzelnen Mitgliedstaat überfordernde Aufgaben übertragen 36, zu deren Bewältigung sie in immer stärkerem Umfang finanzielle Mittel einzusetzen haben 37. Ein Beispiel für eine solche den Europäischen Gemeinschaften neu übertragene Aufgabe, die erhebliche zusätzliche Kosten verursacht, ist etwa die Regionalpolitik 38. Folglich ist zweite Ursache des Anwachsens des Haushalts der Europäischen Gemeinschaften - neben der Verdoppe-
35 Diesen Standpunkt vertritt etwa noch Götz, Fioanzsystem der EG in der Krise, S. 10, in Anlehnung an entsprechende Überlegungen der Bundesregierung. 36 Gerade die für diese neuen Aufgaben erforderlichen Mittel steigen überproportiooal schnell an. So werden sich die Mittel zur Unterstützung der ärmeren Regionen nach Schätzungen der Kommission der Europäischen Gemeinschaften von 18,6 Milliarden ECU im Jahre 1992 auf 29,3 Milliarden ECU im Jahre 1997 erhöhen, FAZ vom 13.021992 Außerdem sollen schon 1993 die vier ärmsten Mitgliedstaaten Griechenland, Irland, Portugal und Spanien aus dem in Maastricht beschlossenen "KohäsionsfomB" zur Unterstützung von Infrastruktur- und Umweltschutzvorhaben über 3 Milliarden ECU erhalten, vgJ. auch Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Die öffentlichen Finanzen der Gemeinschaft in der Zeit bis 1997, KOM (92) 2001 endg., Brüssel 23.03.1992, S. 23 ff., 51 ff. 37 Bieber, EuR 1982, S. 115 unterstreicht zu Recht die Parallele zur Wandlung der einzelstaatlichen Verwaltung von reiner Ordnungs- und Polizeiverwaltung zur Leistungsverwaltung. 38 Vgl. hierzu nur die Artikel 130 abis e EWGV sowie ausführlich Glaesner, A, S. 15 ff. m.w.N.
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lung der Zahl der Mitgliedstaaten - der kontinuierliche Anstieg der Aufgaben, die die Gemeinschaften übernehmen und zu deren Lösung finanziell wirksame Instrumente eingesetzt werden. Damit kann für die Vergangenheit festgestellt werden: Der Gemeinschaftshaushaltist aus sachlich zwingenden Gründen beständig immer weiter angewachsen 39• Auch für die Zukunft sind Prognosen über die zu erwartende Entwicklung des Gemeinschaftshaushalts möglich: Nach dem Zusammenbruch der politischen Systeme im ehemaligen Ostblock und nach den Maastrichter Beschlüssen der Staats- und Regierungschefs der EG-Mitgliedstaaten vom 10. Dezember 1991 über die Verwirklichung der Europäischen Union werden die Gemeinschaften in den nächsten Jahren weitere neue Aufgaben übernehmen, die erhebliche zusätzliche Kosten verursachen werden. Aus dem Gemeinschaftshaushalt soll der wirtschaftspolitische Systemwechsel in Mittel- und Osteuropa unterstützt werden 40, außerdem die Eingliederung des Territoriums der ehemaligen DDR in die Bundesrepublik und die wirtschaftliche Stabilisierung der Golfregion und des Mittelmeerraumes 41. Aufgrund der Maastrichter Beschlüsse soll ein neuer Kohäsionsfonds zur Finanzierung von Umweltschutz- und Infrastrukturmaßnahmen in Mitgliedstaaten, deren Bruttoinlandsprodukt je Einwohner unter 90 % des Gemeinschaftsdurchschnitts liegt, eingerichtet werden 42. Die Mittelausstattung für Strukturmaßnahmen insgesamt, also für Ausgaben des Strukturfonds und des neuen Kohäsionsfonds, soll bis 1997 um 58 % auf 29.300 Mio. ECU erhöht werden 43. Auch die Gemeinschaftsausgaben für Forschung und technologische Entwicklung sollen - zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie 44 - bis 1997 um zumindest 11,5 % jährlich ansteigen 45.
So im Ergebnis auch Schmidhuber, EuR 1991, S. 330. Hierzu Schmidhuber, EuR 1991, S. 329; als weitere künftige Aufgabenschwerpunkte im Außenbereich nennt die Kommission speziell die Beziehungen zur GUS, die Zusammenarbeit mit den Ländern des Mittelmeenaumes und des Nahen Ostens, Lateinamerikas und Asiens, Nahrungsmittelhilfe sowie Humanitäre Hilfe, vgl. Kommission der Europäischen GemeinsclUlften, Die öffentlichen Finanzen der Gemeinschaft in der Zeit bis 1997, KOM (92) 2001 endg., Briissel 23.03.1992, S. 31 ff. 41 Vgl. Schmidhuber, EuR 1991, S. 329. 42 Hierzu Stahl, Wirtschaftsdienst 1992, S. 82. 43 Ausführlich Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Die öffentlichen Finanzen der Gemeinschaft in der Zeit bis 1997, KOM (92) 2001 endg., Briissel23.03.1992, S. 23 ff. 44 So Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Die öffentlichen Finanzen der Gemeinschaft in der Zeit bis 1997, KOM (92) 2001 endg., Briissel 23.03.1992, S. 26 f. 4S Vgl. Stahl, Wirtschaftsdienst 1992, S. 82 f. 39 40
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Bei Berücksichtigung dieser Vorgaben für die künftigen Gemeinschaftshaushalte ist klar, daß die bislang zu beobachtende ansteigende Tendenz sich in den nächsten Jahren verstärkt fortsetzen wird 46. Entsprechend wird sich der Gemeinschaftshaushalt nach Einschätzung der Kommission zwischen 1993 und 1997 wegen der neuen Aufgaben im Bereich der Außenpolitik, der Sicherheitspolitik, aber auch der Regional-, Industrie- und Wettbewerbspolitik um ein Drittel oder um 45.000 Mio. DM von jetzt 66.500 Mio. ECU auf dann 87.500 Mio. ECU erhöhen 41. Folglich werden das Gewicht und die Bedeutung des Gemeinschaftshaushalts auch in Zukunft sowohl in absoluten Zahlen als auch in Relation zu den nationalen Haushalten und Wirtschaftsdaten weiterhin erheblich zunehmen. Dieses weiter wachsende Gewicht und die weiter wachsende Bedeutung des Gemeinschaftshaushalts lassen den Schutz der Gemeinschaftsfinanzen in Zukunft noch mehr als bereits heute besonders geboten und sinnvoll erscheinen.
111. Einnahmen der Europäischen Gemeinschaften Für den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften ist zunächst erforderlich, zu gewährleisten, daß die Gemeinschaften sämtliche Einnahmen erhalten, die vom Gemeinschaftsrecht vorgesehen sind. Diese gemeinschaftsrechtlich vorgesehenen Einnahmen sind von ihrer Art und ihrer Rechtsnatur her durchaus unterschiedlich. Im Hinblick auf die Schutzbedürftigkeit der Einnahmen wesentlich ist vor allem die Unterscheidung zwischen den den Europäischen Gemeinschaften als Eigenmittel zugewiesenen und ihren sonstigen Einnahmen.
46 Zusammenfassend hierzu: Von der Einheitlichen Akte zu der Zeit nach Maastricht: Ausreichende Mittel für unsere ehrgeizigen Ziele, Mineilung der Kommission, abgedruckt in Beilage 1192 zum Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, S. 18 ff., 36 ff. 41 Dies entspricht einer Steigerung von derzeit 135 Mrd. DM auf 180 Mrd. DM, FAZ vom 13.02.1992. Zur Finanzierung des rasch wachsenden Gemeinschaftshaushalts wird von seiten der Kommision im Rahmen des Delors-ll-Paketes auch die Erhebung einer eigenen EG-Steuer erwogen, FAZ vom (J7.03.1992 sowie Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Das System der Eigenminei, KOM (92) 81 endg., Brü&sel 10.03.1992, S. 44 ff.; eine finanzielle Vorausschau für den Zeitraum 1992 bis 1997 ist veröffentlicht in: Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Die öffentlichen Finanzen der Gemeinschaft in der Zeit bis 1997, KOM (92) 2001 endg., Brü&sel 23.03.1992, S. 39.
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Als einzige der drei Europäischen Gemeinschaften finanzierte die EGKS von ihrer Gründung an ihren Haushalt durch eigene Einnahmen 48. Diese eigenen Einnahmen der EGKS bestehen aus einer Umlage auf die Erzeugung von Kohle und Stahl, also aus einer echten Gemeinschaftssteuer 49, die die Hohe Behörde nach Artikel 49 des EGKS-Vertrages zu erheben berechtigt ist 50. Die sonstigen Einnahmen der EGKS sind demgegenüber nur von untergeordneter Bedeutung 51. Im Unterschied hierzu erfolgte nach Gründung von EWG und EAG im Jahre 1958 deren Finanzierung zunächst fast ausschließlich - wie bei internationalen Organisationen allgemein üblich 52 - durch Finanzbeiträge der Mitgliedstaaten 53. Die Grundlage für diese Finanzierung durch Finanzbeiträge bildeten Artikel 200 EWGV und Artikel 172 EAGV, die jeweils einen Beitragsschlüssel enthalten 54, der vorgibt, welchen prozentualen Anteil an den Gesamtgemeinschaftsausgaben welcher Mitgliedstaat tragen muß 55. Die anfängliche Finanzierung von EWG und EAG durch Finanzbeiträge unterstrich die ursprünglich bestehende starke Abhängigkeit der Europäischen Gemeinschaften von den Mitgliedstaaten und deren Budgetbeschlüssen 56. Von Vg).Nicolaysen, Europarecht I, S.13 f. Bieber, Vorbemerkung zu den Artikeln 199 bis 209 Rn. 10, in: von der Groeben, EWGV. 50 Hierzu Strasser, S. 78 ff.; die Hohe Behörde verfügt im Bereich des EGKSV über erhebliche finanzielle Autonomie. Sie kann die Bemessungsgrundlage und die Höhe der Umlage selbst festsetzen, lediglich bei Überschreiten eines Satzes von 1 % ist nach Artikel 50 § 2 EGKSV die vorherige Zustimmung des Rates erforderlich. Dieser Satz wurde allerdings nie erreicht, seit 1972 beträgt er 0,29 %, seit 1991 0,31 %, vgl. Strasser, S. 79, sowie Europäisches Parlament, Tätigkeit der EG, Abschnitt De III/C/1, S. 1. 51 Ausführlicher zu Art und Umfang der sonstigen Einnahmen der EGKS (Einnahmen aus Anlagemitteln, Finanzbeiträge der Mitg)iedstaaten und Beiträge aus dem Gesamthaushaltsplan) Strasser, S. 81 ff. 52 Dahm, Völkerrecht 11, S. 113 f.; Schermers, S. 452 ff. m.w.N. 53 Bieber, Vorbemerkung zu den Artikeln 199 bis 209 Rn. 10, in: von der Groeben, EWGV; ders., Artikel 200 Rn. 3 ff. m.w.N., a.a.O.; Reister, S. 26 ff.; allgemein zur Unterscheidung zwischen einer Finanzierung durch Finanzbeiträge und einer solchen durch Eigenmittel Eh/ermann, CMLR 1982, S. 571 ff. 54 Der Beitragsanteil der einzelnen Mitgliedstaaten am allgemeinen Verteilungsschlüssel des Artikel 200 Absatz 1 EWGV wurde primär nach politischen Gesichtspunkten, derjenige am Verteilungsschlüssel für den SoziaIfonds in Artikel 200 Absatz 2 EWGV dagegen eher nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten festgelegt, vg). Magiera, Artikel 200 Rn. 2, in: Grabitz, EWGV; Ipsen, H. P., Europäisches Gemeinschaftsrecht, § 18/11, S. 395, sowie ausführlich Strasser, S. 89 ff. 55 Der Beitragsschlüssel begrenzt die Finanzbeiträge der einzelnen Mitgliedstaaten lediglich prozentual im Verhältnis zu anderen Mitg)iedstaaten, nicht jedoch absolut, so daß im Rahmen der Haushaltsfinanzierung durch Finanzbeiträge grundsätzlich eine unbeschränkte Nachschußpflicht für alle im Verfahren nach Artikel 203 EWGV beschlossenen Ausgaben bestand, vg). Bieber, Artikel 200 Rn. 3, in: von der Groeben, EWGV. 56 Europäisches Parlament, Tätigkeit der EG, Abschnitt De III/C, S. 1; Bieber, S. 158, in: Beutler/Bieber/Pipkom/Streil; Förster, S. 583, in: Bleckmann, Albert, Europarecht; insofern er48 49
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ihrer Rechtsnatur her sind diese Finanzbeiträge am ehesten ungebundenen Matrikularbeiträgen vergleichbar, also grundsätzlich in ihrer Höhe nicht begrenzten finanziellen Leistungen von Gebietskörperschaften an einen höheren Verband 57. In Artikel 201 EWGV war jedoch von Anfang an die Ablösung der Finanzbeiträge der Mitgliedstaaten durch eigene Mittel der Gemeinschaften vorgesehen, und zwar vom Zeitpunkt der endgültigen Einführung des Gemeinsamen Zolltarifs an, aus dessen Anwendung sich die eigenen Mittel der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft ergeben sollten 58. Eigene Mittel oder Eigenmittel 59 unterscheiden sich von Finanzbeiträgen vor allem 60 dadurch, daß sie Einnahmen darstellen, die nach Art und Umfang grundsätzlich unabhängig vom weiteren Willen der Mitgliedstaaten anfallen und der Gemeinschaft zur Verfügung stehen 61. Damit ist eine Finanzierung durch Eigenmittel stets Zeichen einer fortgesChrittenen Integration 62 und weitreichender finanzieller wie dadurch auch politischer Autonomie 63. Die Ersetzung der Finanzierung der Gemeinschaft mittels Finanzbeiträgen der Mitgliedstaaten durch das heutige System der Eigenmittelfinanzierung wurde auf der Grundlage des Artikels 201 EWGV durch die bisherigen drei Eigenmittelbeschlüsse des Rates aus den Jahren 1970, 1985 und 1988 erreicht 64. Bereits der Ratsbeschluß vom 21. April 1970 6S sah die schrittweise Ersetzung der Finanzbeiträge durch Eigenmittel vor. Nach Ablauf einer Übergangszeit sollte die Finanzierung des Gemeinschaftshaushalts von 1975 an vollständig aus Eigenmitteln, nämlich aus Agrarabschöpfungen, Zuckerabgaben und Zöllen sowie aus den neu geschaffenen, auf maximal 1 % schien die Finanzierung von EWG und EAG als Rückschritt gegenüber der EGKS, vgl. Niro/aysen, Europarecht I, S. 114. 57 Vgl. Ipsen, H. P., Europäisches Gemeinschaftsrecht, § 18/11, S. 395, sowie ausführlich Strasser, S. 89 ff. 58 Vgl. Strasser, S. 91; anders Artikel 173 EAGV, der lediglich die Möglichkeit von Umlagen der EAG nach dem Beispiel der EGKS vorsieht, von der aber nie Gebrauch gemacht worden ist; allgemein zur Umstellung der Gemeinschaftsfinanzierung von Finanzbeiträgen auf Eigenmittel auch Druker, Preliminary Observations on ArticJes 199 - 209, in: Smit, Hans/Herzog, Peter E. 59 Zur Terminologie Messal, S. 21 f., 37 ff. 60 Zu den im Detail bestehenden Abgrenzungsfragen vgl. Ehlermann, CMLR 1982, S. 571; Langeheine, EuR 1982, S. 175 f. 61 Zum Begriff Magiera, FS Carstens, S. 192 f.; tIers., EuR 1985, S. 279; Messal, S. 37 ff. m.w.N.; vgl. auch Morawitz, EuR 1970, S. 235 ff.; Schüler, EA 1974, S. 47; Reister, S. 32 ff., sowie Henke, S.58. 62 Ipsen, H. P., Europäisches Gemeinschaftsrecht, § 18/11, S. 396. 63 Bieber, S. 159, in: Beutler/Bieber/Pipkom/ StreiI. 64 Überblick bei MessaI, S. 21 ff., sowie bei Strasser, S. 91 ff. 65 Beschluß über die Ersetzung der Finanzbeiträge der Mitgliedstaaten durch eigene Mittel der Gemeinschaften, ABI. 1970 Nr. L 94 S. 19.
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der MehIwertsteuerbemessungsgrundlage begrenzten MehIwertsteuereigenmitteln erfolgen 66. Die technische Umsetzung des Eigenmittelbeschlusses aus dem Jahre 1970 verzögerte sich jedoch beträchtlich 67 und war endgültig erst mit Beginn des Haushaltsjahres 1980 abgeschlossen 68. Von 1980 an wurde der Haushalt der Europäischen Gemeinschaften dann tatsächlich ohne Finanzbeiträge der Mitgliedstaaten ausschließlich nach dem neuen Eigenmittelsystem finanziert. Dieses erreichte jedoch schon drei Jahre später die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit: vor allem wegen enorm gestiegener Ausgaben im Agrarbereich reichten die Eigenmittel zur Gewährleistung eines ausgeglichenen Haushalts nicht mehr aus, die Haushalte für die Jahre 1984 und 1985 waren unausgeglichen und defizitär 69. Nach tiefgreifenden politischen Kontroversen über die künftige Finanzierung der Tätigkeiten der Europäischen Gemeinschaften konnten sich die Mitgliedstaaten im Mai 1985 über einen neuen Rahmen für die Eigenmittel der Gemeinschaft einigen. Mit Ratsbeschluß vom 07. Mai 1985 70 wurde der Höchstsatz der MehIwertsteuereigenmittel auf 1,4 % der Bemessungsgrundlage angehoben, so daß den Gemeinschaften zunächst wieder ausreichende Mittel zur Deckung ihrer Ausgaben zur Verfügung standen 71. Auch dieser neue Finanzrahmen reichte jedoch zur Gemeinschaftsfinanzierung bald nicht mehr aus, und zwar vor allem aus vier Gründen: die ObligatOrischen Agrarausgaben stiegen rasant an, die Gemeinschaft mußte neue kostenintensive Politiken wie die Strukturfonds und den Bereich Forschung und Technologische Entwicklung übernehmen, das Aufkommen aus den vorgesehenen Eigenmitteln entwickelte sich aus makroökomonischen Gründen wenig zufriedenstellend, und die Belastung der Mitgliedstaaten durch die Eigenmittel entsprach nicht deren tatsächlicher finanzieller Leistungskraft 72.
Hierzu Messal, S. 22 Problematisch war vor allem die gemeinschaftsweite Vereinheitlichung der Berechnungsgrundlagen für die Mehrwertsteuereinnahmen, hierzu StrasseT, S. 91 f. 68 MagieTa, Artikel 201 Rn. 9 ff, in: Grabitz, EWGV; zur Umsetzung des Eigenmittelbeschlusses vgl. auch Scheibe, S. 192 f. m.w.N. 69 Ausführlich StrasseT, S. 36, 92. 70 Beschluß des Rates über das System der Eigenmittel der Gemeinschaften, ABI. 1985 Nr. L 128S.15. 71 Vgl. Artikel 3 Absatz 2 des Eigenmittelbeschlusses 1985; gleichzeitig wurde ein Korrekturmechanismus zugunsten Großbritanniens bei den Mehrwertsteuereigenmitteln eingeführt, der dessen Zahlungen erheblich einschränkte, vgl. Artikel 3 Absatz 3lil b) des Eigenmittelbeschlusses 1985 und Messal, S. 22 f. 72 Vgl. StrasseT, S. 93,173. 66
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Aus diesen Gründen mußte auch der zweite Eigenmittelbeschluß aus dem Jahre 1985 schon sehr bald revidiert werden, und zwar vor allem wegen der anhaltenden Finanznöte der Gemeinschaften 73. Er wurde ersetzt durch den noch heute gültigen Ratsbeschluß vom 24. Juni 1988 74, der die bereits bestehenden Einnahmequellen mit leichten Veränderungen aufrechterhält und zusätzlich eine weitere, am Bruttosozialprodukt der Gemeinschaften orientierte, variable Einnahmequelle schafft 75. Konkret wurden durch den Eigenmittelbeschluß 1988 die Bemessungsgrundlage für die Mehrwertsteuereigenmittel auf 55 % des Bruttosozialprodukts jedes Mitgliedstaates begrenzt 76, die Bruttosozialprodukteigenmittel als neue Art der eigenen Einnahmen der Gemeinschaften eingeführt 77 und eine Obergrenze für das Gesamtvolumen aller Eigenmittel festgelegt, die bei 1,2 % des gemeinschaftlichen Bruttosozialprodukts 78 liegt 79.
1. Eigenmittel
Die gegenwärtig aktuellen Arten von Eigenmitteln, aus denen der Haushalt der Gemeinschaft seit 1980 vollständig finanziert wird 80, sind in Artikel 2 Absatz 1 des Eigenmittelbeschlusses aus dem Jahre 1988 81 abschließend aufgezählt 82: Vgl. hierzu schon Götz, Finanzsystem der EG in der Krise, S. 3 ff. Beschluß des Rates über das System der Eigenmittel der Gemeinschaften, ABI. 1988 Nr. L 185 S. 24. 7S Hierzu Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Die öffentlichen Finanzen der Gemeinschaft, S. 57 f.; ergänzt wurde der Eigenmittelbeschluß durch die Interinstitutionelle Vereinbarung über die Haushaltsdisziplin, ABI. 1988 Nr. L 185 S. 33, hierzu Schmidhuber, EuR 1991, S. 331 f., sowie Timmann, EuR 1988, S. 273 ff. 76 Vgl. Artikel 2 Absatz llit c des Eigenmittelbeschlusses 1988. 77 Vgl. Artikel 2 Absatz llit d des Eigenmittelbeschlusses 1988. 78 Die Obergrenze ist zeitlich gestaffelt und steigt von 1988 (1,15 %) bis 1992 (1,20 %) stufenweise an, vgl. Artikel 3 Absatz 1 des Eigenmittelbeschlusses 1988. 79 Zum Eigenmittelbeschluß 1988 insgesamt Messal, S. 23 ff. 80 Zeitweise galten Übergangsregelungen für die neu beigetretenen Mitgliedstaaten, vgl. Magiera, Artikel 201 Rn. 12, in: Grabitz, EWGV. Einzige heute noch gültige Ausnahme sind die sogenannten "sonstigen Einnahmen" der Gemeinschaften. 81 Beschluß des Rates über das System der Eigenmittel der Gemeinschaften, ABI. 1988 Nr. L 185S.24. 82 Zu den Überlegungen zur Einführung neuer Arten von Eigenmitteln Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Das System der Eigenmittel, KOM (92) 81 endg., BrüsseI1O.03.1992, S. 44ff. 73
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Folgende Einnahmen stellen in den Haushalt der Gemeinschaft einzusetzende Eigenmittel dar: a) Abschöpfungen, Prämien, Zusatz- oder Ausgleichsbeträge, zusätzliche Teilbeträge und andere Abgaben auf den Warenverkehr mit Nichtmitgliedstaaten, die von den Gemeinschaftsorganen im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik eingeführt worden sind oder noch eingeführt werden, und Abgaben, die im Rahmen der Gemeinsamen Marktorganisation für Zucker vorgesehen sind; b) Zölle des Gemeinsamen Zolltarifs und andere Zölle auf den Warenverkehr mit Nichtmitgliedstaaten, die von den Gemeinschaftsorganen eingeführt worden sind oder noch eingeführt werden, sowie Zölle auf die unter den Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl fallenden Erzeugnisse; c) Einnahmen, die sich aus der Anwendung eines für alle Mitgliedstaaten einheitlichen Satzes auf die nach Gemeinschaftsvorschriften bestimmte einheitliche MWSt-Bemessungsgrundlage eines jeden Mitgliedstaats ergeben; zur Anwendung dieses Beschlusses darf jedoch die Bemessungsgrundlage des jeweiligen Mitgliedstaats 55 vH seines BSP nicht übersteigen; d) Einnahmen, die sich ergeben aus der Anwendung eines im Rahmen des Haushaltsverfahrens unter Berücksichtigung aller sonstigen Einnahmen festzulegenden Satzes auf den Gesamtbetrag des BSP aller Mitgliedstaaten, das nach gemeinschaftlichen Regeln entsprechend einer gemäß Artikel 8 Absatz 2 des vorliegenden Beschlusses zu erlassenden Richtlinie festgesetzt wird.
Damit stehen den Europäischen Gemeinschaften als Eigenrnittel vier unterschiedliche Arten von Gemeinschaftseinnahmen zur Verfügung: die beiden traditionellen Eigenmittelarten Agrarabschöpfungen 83 und Zölle 84 sowie die beiden an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Mitgliedstaaten orientierten Eigenmittelarten Mehrwertsteuereigenmittel und Bruttosozialprodukteigenmittel 85. a) Agrarabschöpfungen Die traditionellen Eigenmittel Agrarabschöpfungen umfassen nach Artikel 2 Absatz 1 lit. a des Eigenmittelbeschlusses die Abschöpfungen, Prämien, Zusatz- oder Ausgleichsbeträge, zusätzlichen Teilbeträge und anderen Abgaben auf den Warenverkehr mit Nichtmitgliedstaaten, die im Rahmen der Gemein-
83 Trotz rechtlicher Unterschiede werden zu den Agrarabschöpfungen auch die Zuckerabgaben gezählt, vgl. Messal, S. 45, der auf Artikel 2 liL ades Eigenmittelbeschlusses 1970 verweisL 84 Diese Art der traditionellen Eigenmittel ist bereits im primären Gemeinschaftsrecht angesprochen, ausführlicher Strasser, S. 95 f. 85 Zur stetig ansteigenden finanziellen Bedeutung dieser an Wirtschaftsaggregaten orientierten neuen Eigenmittelarten Kommision der Europäischen Gemeinschaften, Das System der Eigenmittel, KOM (92) 81 endg., BrüssellO.03.1992, S. 8 ff.
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samen Agrarpolitik eingeführt worden sind sowie die Zuckerabgabe 86. Der Wortlaut dieser Definition ist seit dem Eigenmittelbeschluß von 1970 unverändert 87. Es handelt sich bei den Agrarabschöpfungen um Abgaben, die von vornherein oder originär der Gemeinschaft zustehen und auch von ihr allein festgesetzt werden 88. Jedoch ist der prozentuale Anteil der Agrarabschöpfungen an der Finanzierung der Gemeinschaftsausgaben kontinuierlich rückläufig: nachdem er 1990 noch etwa 9 % der Finanzmittel der Europäischen Gemeinschaften ausmachte 89, wird er 1992 nur noch 4 % derselben betragen 90. b) Zölle Die zweite Kategorie der traditionellen Eigenmittel bilden die Zölle des Gemeinsamen Zolltarifs und andere Zölle auf den Warenverkehr mit Nichtmitgliedstaaten, die von Gemeinschaftsorganen eingeführt worden sind oder noch eingeführt werden 91. Der Gemeinsame Zolltarif der Europäischen Gemeinschaften ist 1968 in Kraft getreten 92, mit seinem Inkrafttreten ist die ausschließliche Zuständigkeit für die Einführung und Festsetzung von Zöllen auf Waren, die dem EWG-Vertrag unterfallen, auf die Gemeinschaft übergegangen 93. Neu beigetretenen Mitgliedstaaten wurden jeweils Übergangsfristen für die Anwendung des Gemeinsamen Zolltarifs eingeräumt 94. Die Zolleinnahmen 86 Zu den Agrarabschöpfungen Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Die öffentlichen Finanzen der Gemeinschaft, S. 58; Europäische Gemeinschaften, Finanzbericht 1989, S. 15 f.; Arndt/Hatu, RIW 1989, S. 711; Strasser, S. 43 ff. 87 Messal, S. 45 f. 88 Allerdings ist vorrangiges Ziel der Festsetzung der Agrarabschöpfungen nicht die Erzielung möglichst hoher Gemeinschaftseinnahmen, sondern die Durchsetzung der Gemeinschaftspräferenz, vgl. Strasser, S. 94 f. 89 Vgl. Strasser, S. 95. 90 Von diesen 4 % entfallen je 50 % auf Einnahmen aus der Zuckerabgabe und auf Einnahmen aus sonstigen Agrarabschöpfungen, vgl. Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Das System der Eigenmittel, KOM (92) 81 endg., Briissell0.03.1992, S. 8 Cf.; die Ursachen für die nachlassende Bedeutung der Agrarabschöpfungen sind a.a.O., S. 11, dargelegt. 91 Zu dieser Eigenmittelart gehören auch die bis zum Eigenminelbeschluß von 1988 den nationalen Haushalten zustehenden Zölle auf Erzeugnisse, die vom EGKSV erfaßt werden, vgl. Förster, S. 585, in: Bleckmann, Albert, Europarecht; Messal, S. 51. 92 Verordnung Nr. 950/68 des Rates über den GemeiDSanlen Zolltarif, ABI. 1968 Nr. L 172 S. I, minierweise ersetzt durch die Verordnung Nr. U,58/87 über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif, ABI. 1987 Nr. L 256 S. 1. 93 Ausführlicher Amdt/Haas, RIW 1989 S. 712 f. m.w.N., die dort auch den heutigen Aufbau des GZT (Kombinierte Nomenklatur, Zolltarifschema, Zollsätze, Integrierter Zolltarif) und die Modalitäten seiner Anwendung darlegen. 94 Zuletzt wurde Spanien und Portugal eine Übergangsfrist bis 1995 eingeräumt, vgl. Messal, S.51.
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erwachsen aus der Anwendung des Gemeinsamen Zolltarifs auf den Zollwert von Waren, die aus Drittländem in das Gebiet der Europäischen Gemeinschaften eingeführt werden 9S • Auch die Bedeutung der Eigenmittel aus Zöllen für die Finanzierung des Gemeinschaftshaushalts ist rückläufig: nachdem diese Einnahmequelle 1990 noch circa 25 % der Finanzmittel der Europäischen Gemeinschaften erbrachte 96, werden 1992 nur noch etwa 20 % der Gemeinschaftseinnahmen aus Zöllen erzielt werden 91. Während also der durch die traditionellen Eigenmittel der Europäischen Gemeinschaften erzielte Anteil der Gemeinschaftseinnahmen kontinuierlich zurückgeht 98, steigt der durch die übrigen Eigenmittel erzielte Haushaltsanteil entsprechend an.
c) Mehrwertsteuereigenmittel Den größten Beitrag zum Gemeinschaftshaushalt leistet derzeit die dritte den Europäischen Gemeinschaften zugewiesene Eigenmittelart, die sogenannten Mehrwertsteuereigenmittel. Die Mehrwertsteuereigenmittel ergeben sich aus der Anwendung eines für alle Mitgliedstaaten einheitlichen Satzes auf die nach Gemeinschaftsvorschriften einheitlich bestimmte Mehrwertsteuerbemessungsgrundlage des jeweiligen Mitgliedstaates 99. Als HÖChstgrenze darf die Bemessungsgrundlage allerdings zur Erreichung einer erhöhten Beitragsgerechtigkeit 100 55 % des Bruttosozialprodukts des jeweiligen Mitgliedstaates nicht übersteigen 101. Dies bedeutet: in allen Mitgliedstaaten wird nach einheitlichen gemeinschaftsrechtlichen Vor-
Zu den Zolleinnahmen Strasser, S. 95 f.; Messal, S. 51 f. Strasser, S. 95 f. 91 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Das System der Eigenmittel, KOM (92) 81 endg., BTÜSSellO.03. 1992, S. 8 ff.; überzeugende Begründung hierfür a.a.O., S. 11. 98 1980 betrug er noch 50 % des Gemeinschaftshaushalts, 1992 sind es nur noch knapp 24 %, vgl. Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Das System der Eigenmittel, KOM (92) 81 endg., BTÜSSell0.03.1992, S. 8 ff., sowie die Übersicht bei Strasser, S. 362 ff. 9S
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99 Zur exakten Definition der Mehrwertsteuereigenmittel wie zur Berechnung der Bemessungsgrundlage Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Die öffentlichen Finanzen der Gemeinschaft, S. 59 f. 100 Magiera, Art 201 Rn. 7, in: Grabitz, EWGV; vgl. auch Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Das System der Eigenmittel, KOM (92) 81 endg., BTÜSSeI1O.03.1992, S. 11 f. 101 Hierzu Förster, S. 585, in: Bleckmann, Albert, Europarecht; Europäische Gemeinschaften, Finanzbericht 1989, S. 16.
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Teil 1: Die Schädigung der Gemeinschaftsfinanzen
schriften 102 die Mehrwertsteuerbemessungsgrundlage, also die Summe aller mehrwertsteuerpflichtigen Umsätze wie Warenlieferungen, Dienstleistungen oder Einfuhren, ermittelt. Diese gemeinschaftsweit einheitliche Ermittlung der Mehrwertsteuerbemessungsgrundlage nach gemeinschaftsrechtIichen Vorschriften ist erforderlich, weil die Mitgliedstaaten die steuerpfliChtigen Vorgänge im Rahmen ihrer nationalen Steuersysteme sehr unterschiedlich festgelegt haben, eine Anwendung der jeweiligen nationalen Mehrwertsteuerbemessungsgrundlagen also die Mitgliedstaaten ohne sachlichen Grund sehr unterschiedlich belasten würde 103. Die nach den gemeinschaftsrechtIichen Vorschriften ermittelte Mehrwertsteuerbemessungsgrundlage wird anschließend in jedem Mitgliedstaat mit dem Bruttosozialprodukt dieses Mitgliedstaates im betreffenden Haushaltsjahr verglichen. Sie darf nicht mehr als 55 % dieses Bruttosozialproduktes betragen. Der Anteil der Bemessungsgrundlage, der 55 % des Bruttosozialproduktes des Mitgliedstaates übersteigt, wird für die Berechnung der abzuführenden Mehrwertsteuereigenmittel nicht herangezogen 104. Schließlich wird auf die so bestimmte Mehrwertsteuerbemessungsgrundlage jedes Mitgliedstaates ein einheitlicher Mehrwertsteuersatz von maximal 1,4 % angewendet lOS, aus dessen Anwendung sich der Betrag der den Europäischen Gemeinschaften zustehenden Mehrwertsteuereigenmittel ergibt. Dieser für jeden Mitgliedstaat berechnete Betrag der den Europäischen Gemeinschaften zustehenden Mehrwertsteuereigenmittel wird nicht etwa zusätzlich zu den nationalen Mehrwertsteuersätzen erhoben. Vielmehr wird er von
102 Maßgeblich ist die Verordnung Nr. 1553/89 des Rates über die endgültige einheitliche Regelung für die Erhebung der Mehrwertsteuereigenmittel, ABI. 1989 Nr. L 155 S. 9. 103 Ausführlicher zur einheitlichen Bemessungsgrundlage und zur Irrelevanz der jeweiligen nationalen MehrwertsteuersätzeMessal, S. 63 f. 104 Diese Kappung der Mehrwertsteuelbemessungsgrundlage nach Maßgabe des Bruttosozialproduktes soll eine verstärkte Ausrichtung der von einem Mitgliedstaat abzuführenden Mehrwertsteuereigenmiltel an dessen wirtschaftlicher Leistungsfabigkeit bewirken, vgl. hierzu Messal, S. 71 f.; nachdem 1988 erst 3 Mitgliedstaaten von dieser Regelung profitierten, sind es mittlerweise bereits 6 Mitgliedstaaten, deren Mehrwertsteuelbemessungsgrundlage durch die Kappungsgrenze von 55 % des Bruttosozialproduktes reduziert wird, vgl. Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Das System der Eigenmiltel, KOM (92) 81 endg., Brü&sellO.03.1992, S. 11 ff. mit ausführlichen Tabellen auf S. 13 f. lOS Der grundsätzlich gemeinschaftsweit einheitliche Mehrwertsteuersatz ist aufgrund der Auswirkungen des Korrekturmechanismus zugunsten Großbritanniens tatsächlich für jeden Mitgliedstaat unterschiedlich, vgl. Strasser, S. 98; Messal, S. 76 ff. m.w.N.
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den sich aus dem nationalen Recht ergebenden Steuereinnahmen jedes Mitgliedstaates abgezogen und von diesem Mitgliedstaat an die Gemeinschaften überwiesen 106. Der Anteil der Mehrwertsteuereigenrnittel an den Gesamteinnahrnen der Europäischen Gemeinschaften beträgt für das Haushaltsjahr 1992 mehr als 55 % 107, diese stellen also gegenwärtig die Haupteinnahmequelle der Gemeinschaften dar. d) Bruttosozialprodukteigenrnittel Die letzte Eigenrnittelart, die sogenannte "vierte Einnahmequelle" 108, die durch Artikel 2 Absatz 1 lit. d des Eigenrnittelbeschlusses vorn 24. Juni 1988 neu eingeführt worden ist, sind die Bruttosozialprodukteigenrnittel. Diese sind Einnahmen der Gemeinschaften, die sich aus der Anwendung eines bestimmten Erhebungssatzes auf das Bruttosozialprodukt aller Mitgliedstaaten ergeben 109. Entgegen ihrer Bezeichnung als Eigenrnittel im Eigenrnittelbeschluß 1988 sind diese Einnahmen der Europäischen Gemeinschaften ihrer Rechtsnatur nach Finanzbeiträge der Mitgliedstaaten, deren Höhe sich am Gesamtbetrag des Bruttosozialprodukts aller Mitgliedstaaten orientiert 110. Die Bruttosozialprodukteigenrnittel haben die zuvor von den Mehrwertsteuereigenrnitteln wahrgenommene 111 Funktion der Restfinanzierung des Gemeinschaftshaushalts übernommen: durch die Bruttosozialprodukteigenrnittel wird derjenige Teil der Ausgaben der Europäischen Gemeinschaften finanziert, der nicht durch die sonstigen Gemeinschaftseinnahmen, also die Agrarabschöpfungen, Zölle, Mehrwertsteuereigenrnittel und sonstigen Einnahmen der Ge-
106 Ausführlicher Strasser, s. 96 ff., der a.a.O. Zweifel an der Einordnung der Mehrwel1sleuereigenmittel als wirkliche Eigenmitlei näher begründet 107 Kommission der Europäischen Gemeinschafen, Das System der Eigenmittel, KOM (92) 81 endg., BfÜSSellO.03.1992, S. 8 ff. 108 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Die öffentlichen Finanzen der Gemeinschaft, S. 61 f.; diese werden auch als zusätzliche Eigenmittel, als Mittel, die auf dem Bruttosozialprodukt beruhen, oder als zusätzliche Mitlei bezeichnet, vgl. Strmser, S. 98 f. 109 Zu den Einzelheiten Magiera, Artikel 201 Rn. 7 a, in: Grabitz, EWGV, sowie Nicolaysen, Europarecht I, S. 115 f. 110 Zur Einordnung der Bruttosozialprodukleigenmit1el als Finanzbeiträge Strmser, S. 98; Messal, S. 91; Schmidhuber, EuR 1991, S. 336. 111 Zur Restfinanzierung des Gemeinschaftshaushalts durch Mehrwertsleuereigenmitlel vor 1988 vgl. Messal, S. 76 ff. m.w.N.
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meinschaften, gedeckt ist 112. Entsprechend wird im Haushaltsverfahren die Höhe der Einnahmen, die aus den BruttosozialprOdukteigenmitteln zu enielen sind, dadurch festgesetzt, daß von den insgesamt zu deckenden Ausgaben sämtliche sonstigen Einnahmen der Gemeinschaften abgezogen werden. Die Höhe des nach dieser Subtraktion verbleibenden Restbetrages müssen dann die Einnahmen aus den Bruttosozialprodukteigenmitteln erreichen 113. Die Höhe der Bruttosozialprodukteigenmittel wird direkt gesteuert durch die Festlegung des Erhebungssatzes, der auf das Gesamtbruttosozialprodukt angewendet wird. Dabei sieht der Eigenmittelbeschluß 1988 keine explizite, absolute Höchstgrenze für die Bruttosozialprodukteigenmittel vor. Jedoch ergibt sich eine implizite Höchstgrenze aus Artikel 3 Absatz 1 des Eigenmittelbeschlusses, nach dem der Gesamtbetrag aller Einnahmen der Gemeinschaften 1,20 % des gesamten Bruttosozialproduktes der Gemeinschaft nicht übersteigen darf 114. Dieser Prozentsatz soll nach Vorstellungen der Kommission zur Dekkung des erhöhten Finanzbedarfes der Gemeinschaft bis 1997 auf 1,37 % des Bruttosozialproduktes der Gemeinschaft erhöht werden 1lS. Aus der Funktion der Restfinanzierung folgt, daß der Prozentsatz der Bruttosozialprodukteigenmittel schwanken kann. So war im Haushalt der Europäischen Gemeinschaften für das Jahr 1988 ein Bruttosozialprodukteigenmittelansatz von 0,1710 % vorgesehen, für 1989 ein solcher von 0,0675 %, und für 1990 wurde ein Satz von 0,0184 % festgesetzt 116. 1991 stieg der Erhebungssatz auf 0,16 % des Gesamtbruttosozialproduktes, und für 1992 ist ein weiterer Anstieg zu erwarten. Damit wurden über die Bruttosozialprodukteigenmittel im Jahre 1991 etwa 15,5 % der Haushaltsmittel der Gemeinschaften finanziert. Im Jahre 1992 stieg dieser Anteil sogar auf über 20 % 117. 112
schaft,
Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Die öffentlichen Finanzen der Gemein·
s. 61 f.; Messal, s. 100 f.
113 Zum Berechnungsverfahren vgl. nur Strasser, S. 98 f.; auch bei den Brunosozialprodukteigenmineln ist die gemeinschaftsweit einheitliche und zuverlässige Ermittlung der Brunosozialprodukt-Daten in allen Mitgliedstaaten zwingende Voraussetzung für die intendierte gerechte Lastenverteilung, vgl. hierzu Richtlinie des Rates zur Harmonisierung der Erfassung des Bruttosozialprodukts zu Marktpreisen, ABI. 1989 Nr. L 49 S. 26 sowie Messal, S. 92 ff. m.w.N.; die bei der Harmonisierung auftretenden Probleme sind den bei der Harmonisierung der Mehrwertsteuerbemessungsgrundlage auftretenden vergleichbar. 114 Messal, S. 101. 115 FAZ vom 07.03.1992; vgl. auch Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Die öffentlichen Finanzen der Gemeinschaft in der Zeit bis 1997, KOM (92) 2001 endg., Brüssel 23.03.1992, S. 39. 116 Messal, S. 101. 117 Hierzu Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Das System der Eigenmittel, KOM (92) 82 endg., BrüsseI1O.03.1992, S. 12.
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2. Sonstige Einnahmen
Durch die auf der Grundlage des Artikels 201 EWGV ergangenen Eigenmittelbeschlüsse ist lediglich die Finanzierung der Gemeinschaftstätigkeit durch Finanzbeiträge der Mitgliedstaaten beendet worden. Die daneben in Artikel 200 EWGV vorgesehenen "anderen" Einnahmen der Gemeinschaft werden dagegen auch heute noch erzielt und sind in den Eigenmittelbeschlüssen als sogenannte "sonstige Einnahmen" berücksichtigt 118. Entsprechend finanzieren sich die Europäischen Gemeinschaften zusätzlich zur Eigenmittelfinanzierung noch in geringem Umfang durch "sonstige Einnahmen" oder "andere Einnahmen" im Sinne des Artikels 200 Absatz 1 EWGV. Art und Umfang dieser sonstigen Einnahmen sind durch den EWG-Vertrag nicht festgelegt. Aus dem Grundsatz der Spezialität der für die Haushaltsfinanzierung zur Verfügung stehenden Einnahmen folgt jedoch, daß die sonstigen Einnahmen nicht in erster Linie zum Ausgleich des Gemeinschaftshaushalts dienen dürfen, sondern daß es sich um Einnahmen handeln muß, die primär zu anderen Zwecken, insbesondere zur Durchsetzung einer Sachpolitik der Gemeinschaft, erhoben werden U9• Derzeit umfassen die sonstigen Einnahmen der Gemeinschaften insbesondere die Verwaltungseinnahmen der Europäischen Gemeinschaften, also etwa die Einkünfte aus Verkäufen und Vermietungen, Vergütungen für sonstige Leistungen der Gemeinschaften, Kapitalerträge 120, Verzugszinsen, Geldbußen und Zwangsgelder auf der Grundlage des Artikels 87 Absatz 2 EWGV, außerdem die Steuern auf die Gehälter der Gemeinschaftsbediensteten 121 oder die Erlöse aus dem Verkauf eigener Publikationen der Gemeinschaften. Schließlich sind auch die Anleihen der Gemeinschaften sowie bestimmte Abgaben im Bereich der gemeinschaftlichen Agrarpolitik, die keine Agrarabschöpfungen darstellen, als sonstige Einnahmen anzusehen 122. 118 VgI. Artikel 1 Absatz 2 des Eigenmittelbeschlusses von 1988 sowie ausführlich Magiera, Artikel 201 Rn. 21, in: Grabitz, EWGV. 119 Hierzu ausführlich Bieber, Artikel 200 Rn. 13 f. m.w.N., in: von der Groeben, EWGV. 120 VgI. etwa Artikel 207 Absatz 4 EWGV. 121 Artikel 13, 20, 21 des Protokolls über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Gemeinschaften, ABI. 1967 Nr. 152 S. 13; Verordnung Nr. 260/68 zur Festlegung der Bestimmung und des Verfahrens für die Erhebung der Steuer zugunsten der Europäischen Gemeinschaften, ABI. 1968 Nr. L 56 S. 6. 122 Umfassend Magiera, Artikel 200 Rn. 5 m.w.N., in: Grabitz, EWGV; einen Überblick über die 18 wichtigsten Arten dieser sonstigen Einnahmen mit Angabe der absoluten Höhe im Jahre 1991 gibt Strasser, S. 103 f.; hierzu auch Bieber, Artikel 200 Rn. 15 m.w.N., in: von der Groeben, 4 Pache
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3. Beitrag der verschiedenen Einnahmearten zum Gemeinschaftshaushalt
Der Anteil der verschiedenen Einnahmearten der Europäischen Gemeinschaften an den Gesamteinnahmen ist in jedem Haushaltsjahr unterschiedlich. 1989 hatten die Europäischen Gemeinschaften Gesamteinnahmen in Höhe von 44.841 Mio. ECU oder von 1,03 % des Bruttosozialprodukts der Gemeinschaft. 9.954 Mio. ECU oder 22,2 % der Einnahmen wurden durch Zölle erzielt, 2.462 Mio. ECU oder 5,4 % der Einnahmen durch Agrarabschöpfungen, 26.219 Mio. ECU oder 58,5 % der Gemeinschaftseinnahmen durch Mehrwertsteuereigenmittel, 3.907 Mio. ECU oder 8,7 % der Einnahmen durch Bruttosozialprodukteigenmittel, der verbleibende Restbetrag durch sonstige Einnahmen sowie den Haushaltssaldo des vorangegangenen Haushaltsjahres 123. Für das Haushaltsjahr 1992 ergeben sich folgende Zahlen: Die Europäischen Gemeinschaften haben Gesamteinnahmen in Höhe von 62.827 Mio. ECU. 1.370 Mio. ECU werden durch Agrarabschöpfungen erzielt, 12.888 Mio. ECU durch Zölle, 34.233 Mio ECU der Gemeinschaftseinnahmen durch Mehrwertsteuereigenmittel und 13.281 Mio ECU durch Bruttosozialprodukteigenmittel. Der verbleibende Restbetrag wird durch sonstige Einnahmen sowie den Haushaltssaldo des vergangenen Jahres eingenommen 124. Die Einnahmen aus Agrarabschöpfungen und Zöllen werden zukünftig auch ohne Änderung der einschlägigen gemeinschaftsrechtlichen Rechtsakte weiter rückläufig sein und an Bedeutung verlieren 125. Bei den Mehrwertsteuereigenmitteln und den Bruttosozialprodukteigenmitteln beabsichtigt die Komission, zur besseren und gerechteren Ausnutzung der Beitragskapazität der Mitgliedstaaten in Zukunft die Mehrwertsteuereigenmittel in geringerem Umfang als bisher in Anspruch zu nehmen und stattdessen verstärkt auf die Bruttosozialprodukteigenmittel zuzugreifen 126. Damit verschiebt sich der Schwerpunkt der EWGV, sowie Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Die öffentlichen Finanzen der Gemeinschaft, S. 62 123 Vgl. SchweilzerlHummer, S. 206. 124 ABI. 1992 Nr. L 26 S. 5 ff. 125 Zu den Ursachen Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Das System der Eigenmittel, KOM (92) 81 endg., BrüssellO.03.1992, S. 8 ff. 126 Dies soll geschehen durch Senkung des Mehrwertsteuerabrufsatzes von derzeit 1,4 % auf dann 1 % und Senkung der Mehrwertsteueroemessungsgrundlage von derzeit 55 % des Bruttosozialproduktes eines Mitgliedstaates auf dann 50 %, hierzu: Von der Einheitlichen Akte zu der Zeit nach Maastricht: Ausreichende Mittel für unsere ehrgeizigen Ziele, Mitteilung der Kommission, abgedruckt in Beilage 1192 zum Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, S. 38; bei Beibehaltung der Haushaltsrestfinanzierung durch die Bruttosozialprodukteigenmittel stiege so automatisch
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Gemeinschaftseinnahmen immer mehr von den traditionellen Eigenmitteln zu den an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Mitgliedstaaten orientierten Eigenmittel, und bei diesen verlagert er sich von den Mehrwertsteuereigenmittein zu den Bruttosozialprodukteigenmitteln.
IV. Ausgaben der Europäischen Gemeinschaften Für den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften ist weiter erforderlich, vom Gemeinschaftsrecht nicht vorgesehene Ausgaben zu Lasten des Gemeinschaftshaushalts zu verhindern. In welchen Bereichen die Europäischen Gemeinschaften Ausgaben tätigen dürfen oder Ausgaben tätigen müssen, ist im primären Gemeinschaftsrecht nicht ausdrücklich geregelt. Anders als hinsichtlich der Einnahmen der Gemeinschaft enthält der EWG-Vertrag hinsichtlich der Ausgaben lediglich in verfahrensmäßiger Hinsicht generell gültige Regelungen 127: Artikel 199 EWGV legt fest, daß der Haushalt der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft in Einnahmen und Ausgaben auszugleichen ist, Artikel 202 regelt die Einstellung der Ausgaben in den jährlichen Haushaltsplan, Artikel 203 legt das Verfahren der Beschlußfassung über den Haushalt fest 128. Im EWG-Vertrag fehlt jedoch eine explizite Regelung der Ausgabenkompetenz der Gemeinschaften, also der Frage, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Maße die Gemeinschaften befugt sind, zur Erreichung sachpolitischer Ziele Ausgaben zu tätigen 129• Die Ausgabenkompetenz der Gemeinschaften ergibt sich jedoch aus dem Gesamtzusammenhang der Gemeinschaftsverträge. Die durch das primäre Gemeinschaftsrecht erfolgte Zuweisung von Finanzmitteln an die Gemeinschaften setzt voraus, daß diese auch Ausgabenkompetenzen besitzen, also die ihnen zugewiesenen Einnahmen auch für die Bewältigung der ihnen übertragenen Aufgaben einsetzen dürfen. Daher folgen Ausgabenkompetenzen der Europäischen der durch diese Art der Eigenmittel finanzierte Teil des Gemeinschaftshaushalts erheblich an, vgl. Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Die öffentlichen Finanzen der Gemeinschaft in der Zeit bis 1997, KOM (92) 2001 endg., Brüs5eI23.03.1992, S. 40 ff. 127 Ähnlich der EAGV in den Artikeln 171 ff.; abweichend der EGKSV in den Artikeln SO ff. 128 Weiter einschlägig sind die Artikel 204 ff. EWGV, die spezielle Einzelprobleme betreffen, vgl. Bieber, S. 117 f., in: Beutler/Bieber/Pipkom/Streil. 129 Zu diesem Problem Messal, S. 29.
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Teil 1: Die Schädigung der Gemeinschaftsfinanzen
Gemeinschaften aus jeder durch den EWG-Vertrag erfolgten Zuweisung bestimmter Zuständigkeiten 130. Die Europäischen Gemeinschaften sind grundsätzlich in allen ihnen zugewiesenen Politikbereichen befugt, ihre Aufgaben durch Bereitstellung und Einsatz finanzieller Mittel zu erfüllen, sofern Ausgaben sachdienlich und angemessen sind 131. Anders ausgedrückt, folgt eine Ausgabenkompetenz der Europäischen Gemeinschaften notwendig aus der Zuweisung einer Aufgabenkompetenz, ohne daß der Nachweis einer gesonderten Finanzierungskompetenz erforderlich ist 132. Demnach ergeben sich die Ausgaben der Europäischen Gemeinschaften aus den von den Gemeinschaftsorganen wahrzunehmenden Aufgaben (aus diesen erwachsen die sogenannten Programmkosten) und den zu deren Erledigung erforderlichen Aufwendungen (dies sind die sogenannten Verwaltungskosten) 133. Entsprechend können die Arten der Ausgaben der Europäischen Gemeinschaften am ehesten empirisch durch Betrachtung der tatsächlich in einem konkreten Haushaltsjahr getätigten Aufwendungen erfaßt werden. So fielen im Haushaltsjahr 1989 67 % der Gesamtausgaben der Europäischen Gemeinschaften im Bereich der Garantie der Agrarmärkte an. Weitere 16,8 % der Gemeinschaftsausgaben entstanden für die Strukturpolitiken der Gemeinschaften 134. In den Bereichen Energie, Industrie, Technologie und Entwicklung wurden 3,4 % der Ausgaben getätigt, die Aufwendungen für die Zusammenarbeit mit Entwicklungsländern und Drittstaaten verursachten 2,3 % der Aufwendungen der Gemeinschaften, und für Verwaltung und Dienstbetrieb sowie die Erstattungen an die Mitgliedstaaten mußten 10,5 % des Gemeinschaftsbudgets aufgewendet werden 135. 1990 wendeten die Europäischen Gemeinschaften bei Gesamtausgaben von 46.717 Mio. ECU einen Betrag von 30.372 Mio. ECU für die Agrarpolitik auf, 5.210 Mio. ECU für die Regionalpolitik einschließlich der Verkehrspolitik, 130 Vgl. Flohr, S. 6; Ipsen, H. P., Europäisches Gemeinschaftsrecht, § 18(7, S. 393 f.; Messal, S. 28 ff. 131 Bieber, EuR 1982, S. 118; hierzu auch Strasser, S. 142 ff., der dort auch einen Überblick über die verschiedenen Gemeinschaftsausgaben und deren hislOrische Entwicklung gibt. 132 Magiera, Artikel 199 Rn. 10 m.w.N., in: GrabilZ, EWGV; Bieber, EuR 1982, S. 118; ders., Vorbemerkung zu den Artikeln 199 bis 209 Rn. 5 m.w.N., in: von der Groeben, EWGV. 133 Magiera, Artikel 199 Rn. 10 m.w.n., in: GrabilZ, EWGV; Europäische Gemeinschaften, Finanzbericht 1989, S. 21. 134 Es handelt sich um die Ausgaben in den Bereichen EFRE, ESF, EAGFL-Ausrichtung. 135 Vgl. zu den einzelnen Ausgabenarten, ihrer Einordnung in den Haushaltsplan und ihrem prozentualen Anteil am Gesamtvolumen der Ausgaben der Europäischen Gemeinschaften Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Die öffentlichen Finanzen der Gemeinschaft, S. 65 ff. 80-
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3.673 Mio. ECU für die Sozialpolitik, 1.764 Mio. ECU für Forschungs-, Energie- und Industriepolitik, 1.454 Mio. ECU für Entwicklungshilfe, 1.884 Mio. ECU für Erstattungen und 2.363 Mio. ECU für Verwaltungsausgaben 136. Im Jahr 1992 betragen die Ausgaben der Europäischen Gemeinschaft 63,2 Mrd. ECU. Davon entfallen 35,3 Mrd. ECU auf Ausgaben im Rahmen der gemeinsamen Agrarpolitik, 18,6 Mrd. ECU auf Ausgaben im Bereich der Strukturpolitik, 4 Mrd. ECU auf andere Politikfelder der Europäischen Gemeinschaften, 3,6 Mrd. ECU sind für Maßnahmen der Außenpolitik und 4 Mrd. für Verwaltungsausgaben und Beitragserstattungen sowie 1 Mrd. für die Bildung von Haushaltsreserven vorgesehen 131. Insgesamt entfallt also auch heute noch der weitaus größte Teil aller Gemeinschaftsausgaben auf Zahlungen im Bereich der gemeinschaftlichen Agrarpolitik. Den zweitgrößten Ausgabenposten bilden die Mittel für die Strukturpolitiken der Gemeinschaften, für die in den nächsten Jahren eine weitere zügige und erhebliche Ausweitung vorgesehen ist. Gegenüber diesen beiden Ausgabenarten kommt allen weiteren GemeinsChaftsausgaben nur noch eine untergeordnete Bedeutung zu.
V. Verwaltung der Gemeinschaftstinanzen Zahlreiche Beeinträchtigungen der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften haben in der Art der Verwaltung der Gemeinschaftsfinanzen ihre Ursache. Ebenso wie generell die Durchführung 138 des Gemeinschaftsrechts in den meisten Rechtsgebieten den Mitgliedstaaten obliegt 139, erfolgt wie Schweitzer/Hummer, s. 206 f.; einen ausführlichen Überblick über die Verteilung der Gemeinschaflsausgaben auf die unterschiedlichen Politikbereiche gibt StraYser, S. 141 ff., 373 ff. m.w.N. 136 Vgl. zum Haushalt 1990 sowie zu einem tabellarischen Überblick über die Gemeinschaftsausgaben 1986 bis 1990 Messal, S. 28 ff. m.w.N. 137 Vgl. Endgültige Feststellung des Gesamthaushalts der Europäischen Gemeinschaften für das Haushaltsjahr 1992, ABI. 1992 Nr. L 26 S. 5 ff., sowie im Überblick FAZ vom 13.02.1992 und im Detail Deffaa, Wirtschaftsdienst 1992, S. 89 ff. 138 Durchführung bezeichnet entsprechend der Begriffsbildung Zuleegs die Ausführung wie die Anwendung bzw. den Vollzug des Gemeinschaftsrechts, vgl. grundlegend Zuleeg, KSE 9, S. 47 C.; ihm folgend lpsen, H. P., Europäisches GemeinschaCtsrecht, § 9/23 CC., S. 218 CC.; Rengeling, Rechtsgrundsätze beim Verwaltungsvollzug, S. 8 CC.; Bamstedl, S. 25; Arndl/Hoas, RIW 1989, S. 716. 139 Einen Überblick über die ArIen der Vollziehung geben etwa Schwane, Europäisches Verwaltungsrecht I, S. 25 Cf., und Schweitzer/Hummer, S. 125 Cf.
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auch die Verwaltung der Gemeinschaftsfinanzen im wesentlichen durch Behörden der Mitgliedstaaten. Dies ist durch die Struktur der Europäischen Gemeinschaften bedingt: Die Gemeinschaften besitzen nach dem primären Gemeinschaftsrecht generell keine Kompetenz, das Gemeinschaftsrecht selbst zu vollziehen. Eine solche Vollzugskompetenz läßt sich weder aus den allgemeinen Aufgabenzuweisungen der Artikel 145 und 155 EWGV noch aus der Generalklausei des Artikels 235 EWGV oder den implied powers der Gemeinschaften herleiten 140. Aufgrund dessen erheben fast ausschließlich die Mitgliedstaaten die Einnahmen der Europäischen Gemeinschaften und tätigen ihre Ausgaben 141. Da die einschlägigen gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften zahlreiche verwaltungsorganisationsund verwaltungsverfahrensrechtliche Fragen ungeregelt lassen, werden die Finanzvorschriften des Gemeinschaftsrechts entsprechend durch Bestimmungen des innerstaatlichen Rechts ergänzt. Hieraus ergeben sich zahlreiche der Probleme für eine gemeinschaftsweit einheitliche, sorgfältige Verwaltung der Gelder der Gemeinschaften. Die Mitgliedstaaten regeln die Einrichtung der erforderlichen Verwaltungsbehörden, deren Zuständigkeit, das von ihnen einzuhaltende Verwaltungsverfahren und das anzuwendende materielle Verwaltungsrecht sowie den gerichtlichen wie außergerichtlichen Rechtsschutz 142, ohne daß hierbei stets eine möglichst effektive und wirkungsvolle Durchsetzung der finanzrelevanten gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften oberstes Regelungsziel ist.
1. Erhebung der Einnahmen Sämtliche Eigenmittel der Europäischen Gemeinschaften, also die Agrarabschöpfungen und Zölle, die Mehrwertsteuereigenmittel und die Bruttosozialprodukteigenmittel - und damit der ganz überwiegende Teil der Gemeinschaftseinnahmen überhaupt - werden den Gemeinschaften von den Mitglied140 Hierzu Amdt/Haas, RIW 1989, S. 715 f. m.w.N.; zu den wenigen Bereichen des unmittelbaren Vollzugs des Gemeinschaftsrechts durch Gemeinschaftsorgane vgl. Grabitz, Artikel 189 Rn. 19 m.w.N., in: Grabitz, EWGV. 141 Vgl. hierzu Bieber, Artikel 205 Rn. 18 m.w.N., in: von der Groeben, EWGV; Selmer, S. 129 ff.; Nicolaysen, Europarecht I, S. 116. 142 Zu Zuständigkeiten, Verwaltungsverfahren und außergerichtlichem Rechtsschutz im deutschen Recht Amdt/Haas, RlW 1989, S. 719 ff.; vgl. allgemein auch Bieber, Vorbemerkung zu Artikeln 199 bis 209 Rn. 4 m.w.N., in: von der Groeben, EWGV; Rengeling, DVBI. 1986, S. 306 ff.; Götz, EuR 1986, S. 29 ff. m.w.N. in Fn. 1.
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staaten zur Verfügung gestellt 143. Die Erhebung oder Vereinnahmung der Eigenmittel erfolgt zwar nach der Art der Eigenmittel unterschiedlich, stets jedoch ausschließlich durch Behörden der Mitgliedstaaten 144. Die Agrarabschöpfungen und Zölle werden von den Mitgliedstaaten gemäß ihren nationalen Rechts- und Verwaltungsvorschriften erhoben, d.h. sie werden von den nationalen Behörden nach dem mitgliedstaatlichen nationalen Recht festgesetzt, festgestellt und eingezogen 145. Hierbei besteht grundsätzliche Durchführungsautonomie der Mitgliedstaaten, die lediglich eingeschränkt wird durch das Erfordernis, die nationalen Rechts- und Verwaltungsvorschriften gegebenenfalls den Erfordernissen der Gemeinschaftsregelung anzupassen 146. Für diese Eigenmittel erfolgt also die Anwendung des gemeinschaftlichen Agrar- und Zollrechts unmittelbar durch die Behörden der Mitgliedstaaten, die für ihre Verwaltungstätigkeit 10 % der Agrarabschöpfungen und Zölle als Erhebungs kosten einbehalten 147. Auch die Rechtsverfolgung und eventuelle Beitreibung der Eigenmittel in diesem Bereich Obliegt den nationalen Behörden nach nationalem Recht 148. Daneben Obliegt es den mitgliedstaatlichen Gerichten, Rechtsschutz bei Streitigkeiten über die Erhebung gemeinschaftsrechtlicher Abgaben durch die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten zu gewähren 149. Bei den Mehrwertsteuereigenmitteln und den BruttosozialprodukteigenmitteIn findet ein selbständiges Erhebungsverfahren nicht statt. Diese Eigenmittel der Europäischen Gemeinschaften werden nicht gesondert vom einzelnen Abgabenpflichtigen erhoben, vielmehr werden die Mitgliedstaaten als solche durch die Festlegung der Höhe der Eigenmittelzahlungen belastet. Hier fehlt den Gemeinschaften nicht nur - wie bei den Zöllen und Agrarabschöpfungen - die Er143 So ausdrücklich Artikel 8 Absatz 1 Satz 3 des Beschlusses des Rates über das System der Eigenmittel der Gemeinschaften, ABI. 1988 Nr. L 185 S. 24. 144 Vgl. Magiera, FS Carstens, S. 192 f. m.w.N. 145 Zu diesem Grundsatz, zu möglichen Kollisionen zwischen gemeinschaftsrechtlichen Regelungen und nationalem Vollzugsrecht und zum sogenannten Verwaltungskollisionsrecht vgl. ArndtlHaas, RIW 1989, S. 717 f. m.w.N.; Weber, EuR 1986, S.l ff. 146 So Artikel 8 Absatz 1 Satz 1 des Beschlusses über das System der Eigenmittel der Gemeinschaften, ABI. 1988 Nr. L 185 S. 24; zur nationalen Durchführungsautonomie sowie zum diese einschränkenden Prüfungsrecht der Kommission hinsichtlich der einzelstaatlichen Bestimmungen mit Berichtsmöglichkeit an den Rat vgl. MessaJ, S. 137 ff. m.w.N. 147 Artikel 2 Absatz 3 des Beschlusses über das System der Eigenmittel der Gemeinschaften, ABI. 1988 Nr. L 185 S. 24; MessaJ, S. 53. 148 EuGH 04.04.1974 - Belgien und LuxemburglMertens, Rs. 178-180173 - SIg. 1974, S. 383, 400; EuGH 05.05.1977 - Strafverfahren gegen Unbekannt, Rs. 110/76 - SIg. 1977, S. 851, 856. 149 ArndtlHaas, RIW 1989, S. 725 ff., die sich dort auch intensiv mit der diesbezüglichen Rechtsprechung des EuGH auseinanderse1Zen, Nachweise a.a.O. insbesondere in den Fußnoten 201 ff.
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hebungskompetenz, sondern zusätzlich teilt sie sich auch die Regelungs- und Ertragskompetenz mit den Mitgliedstaaten ISO. Die Verwaltung und Zurverfügungstellung dieser Einnahmen der Gemeinschaften erfolgt also ebenfalls durch nationale Behörden und zumindest größtenteils nach nationalem Recht. Für sämtliche Arten von Eigenmitteln hat der Rat Durchführungsbestimmungen erlassen lSl, in denen ausdrücklich vorgeschrieben ist, daß alle Eigenmittel von den Mitgliedstaaten gemäß ihren nationalen Bestimmungen festgestellt und gemäß den Gemeinschaftsbestimmungen der Kommission zur Verfügung gestellt werden 1S2.
2. Tätigung der Ausgaben
Auch die Tätigung der Ausgaben der Europäischen Gemeinschaften ist im wesentlichen in die Hände der Mitgliedstaaten gelegt. Mangels eines eigenen gemeinschaftlichen Verwaltungsunterbaus erfolgt im Regelfall die endgültige Tätigung der Ausgaben der Europäischen Gemeinschaften durch die nationalen Behörden der Mitgliedstaaten auf der Grundlage von einander ergänzendem nationalem und gemeinschaftlichem Recht 1S3. Nur in wenigen, finanziell nicht besonders bedeutsamen Bereichen zahlt die Kommission selbst im Wege der direkten Verwaltung Mittel unmittelbar an ihren endgültigen Empfänger aus. Nennenswert sind als solche Bereiche vor allem sämtliche Verwaltungskosten der Gemeinschaften oder etwa die Finanzierung der Gemeinsamen Forschungsstelle im Politikbereich Forschung und technologische Entwicklung 1S4. Regelfall ist jedoch die Tätigung der Gemeinschaftsausgaben im Wege der dezentralisierten Verwaltung. Bei dieser dezentralisierten Verwaltung bedient sich die Kommission zur endgültigen Auszahlung von Gemeinschaftsmitteln der nationalen Verwaltungsbehörden. Zwischen die Gemeinschaft und den Magiera, FS Carstens, S. 192 f. m.w.N. Rechtsgrundlage ist Artikel 8 Absatz 2 des Beschlusses über das System der Eigenmittel der Gemeinschaften, ABI. 1988 Nr. L 185 S. 24; Nachweis der erlassenen Rechtsakte bei Magiera, Artikel 201 Rn. 14 a, in: Grabitz, EWGV. 1S2 Magiera, Artikel 201 Rn. 14 b m.w.N., in: Grabitz, EWGV; zu den Kontrollbefugnissen der Kommission und den Einzelheiten der Zurverfügungstellung der Eigenmittel durch die Mitgliedstaaten näher Messal, S. 138 ff. 1S3 Magiera, Artikel 205 Rn. 7, in: Grabitz, EWGV; AmdJ/Haas, R1W 1989, S. 717. 1S4 Hierzu Strosser, S. 230 f. ISO
1Sl
B. Unregelmäßigkeiten und Betrügereien
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Zahlungsempfänger tritt hier stets eine nationale Dienststelle, die allein dem Zahlungsempfänger gegenüber rechtsverbindlich handelt und die bei diesem Handeln selbstverständlich auch nationales Verfahrens- und Verwaltungsrecht anwendet. So wird etwa im Agrarbereich als dem immer noch größten Ausgabenbereich des Gemeinschaftshaushalts iSS die Verteilung der von der Kommission bereitgestellten Mittel an die endbegüDStigten Subventionsempfänger durch etwa 50 unterschiedliche nationale Auszahlungsinstitutionen vorgenommen IS6. Daher wird auch die überwältigende Mehrheit der Ausgaben der Europäischen Gemeinschaften in den zwölf Mitgliedstaaten von nationalen Behörden getätigt, die bei der Verausgabung der Gelder der Gemeinschaften zumindest ergänzend nationales Recht, insbesondere nationales Verwaltungsorganisationsrecht und nationales Verwaltungsverfahrensrecht, anwenden müssen 1S7•
B. Unregelmäßigkeiten und Betrügereien Für eine Untersuchung der Möglichkeiten zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften reicht die Kenntnis der Gemeinschaftsfinanzen, also der vom Gemeinschaftsrecht vorgesehenen Gemeinschaftseinnahmen und Gemeinschaftsausgaben sowie der Art ihrer Verwaltung, nicht aus. Vielmehr müssen auch die auftretenden Arten der Schädigung der Gemeinschaftsfinanzen bekannt sein, also diejenigen Verhaltensweisen, die typiSCherweise zu unrechtmäßigen Ausgaben der Gemeinschaften oder zur Verkürzung von Gemeinschaftseinnahmen führen (I.). Außerdem ist von Bedeutung, in welchen Bereichen des Gemeinschaftsrechts Unregelmäßigkeiten mit finanziellen Auswirkungen zu Lasten des Gemeinschaftshaushalts auftreten (11.), welches Ausmaß diese Unregelmäßigkeiten haben (In.), welche Ursachen für das Auftreten der Unregelmäßigkeiten ausschlaggebend sind (IV.) und welche Auswirkungen diese Unregelmäßigkeiten haben (V.).
ISS Zur Ausgabenverteilung detailliert etwa Heck, Vorbemerkung zu den Artikeln 199 bis 209 Rn. 26 f., in: von der Groeben, EWGV, 3. Auflage. IS6 Vgl. Strasser, S. 231. IS1 Dies wird sehr kritisch betont in Hause 01 Lords, Select Committee on the European Communities, HL Paper 27, S. 9.
Teil 1: Die Scbädigung der Gemeinscbaftsfinanzen
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I. Arten der Schädigung der Gemeinschaftsfinanzen Der Klärung bedarf zunächst die Frage, welche Verhaltensweisen welcher Personen Schädigungen der Gemeinschaftsfinanzen verursachen können. Bei der Beantwortung dieser Frage herrscht auf den ersten Blick überraschende Einmütigkeit: Die Finanzen der Europäischen Gemeinschaften können durch Unregelmäßigkeiten und Betrügereien zu Lasten des Gemeinschaftshaushalts geschädigt werden. Diese Einmütigkeit weicht jedoch der Ratlosigkeit, wenn die Begriffe der Unregelmäßigkeiten und der Betrügereien näher erläutert werden sollen. Denn trotz der unbestrittenen Notwendigkeit einer gemeinschaftsweit einheitlichen Begriffsbestimmung - wenn die Gemeinschaftsorgane und die Mitgliedstaaten gegen Unregelmäßigkeiten und Betrügereien vorgehen sollen, müssen sie wissen, welches die zu beendenden Verhaltensweisen sind gibt es auf der Ebene des Gemeinschaftsrechts keine Legaldefinition der Unregelmäßigkeiten und Betrügereien, und auch Rechtsprechung oder Lehre haben eine allgemein anerkannte Definition bislang nicht entwickeln können IS8. Auch läßt sich rechtsvergleichend durch Rückgriff auf die nationalen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten kein europaweit einheitlicher Begriffsinhalt herausarbeiten, weil hinsichtlich der Tatbestandselemente, die für die Annahme eines Betruges oder einer Unregelmäßigkeit erforderlich sind, gewichtige Unterschiede zwischen den einzelnen nationalen ReChtssystemen der Mitgliedstaaten bestehen IS9. Bei ihrer Befassung mit den Schädigungen des Haushalts der Europäischen Gemeinschaften haben sowohl das Europäische Parlament als auch die Kommission der Europäischen Gemeinschaften Arbeitsdefinitionen für die zu bekämpfenden Verhaltensweisen aufgestellt. Der Ausschuß für Haushaltskontrolle des Europäischen Parlaments hat im Dankert-Report 160 EG-Betrügereien folgendermaßen definiert: 1.1. Betrug ist eine vage Bezeichnung für Handlungen natürlicher oder juristischer Personen, durch die anderen auf die eine oder andere Weise ein Schaden - meist finanzieller Art - zugefügt wird. IS8 HandoIl, S. 93 m.w.N., der als Ursache die erheblichen Unterscbiede zwischen den einzeIstaatlichen Betrugstatbeständen der Mitgliedstaaten nennL IS9 Vgl. hierzu nur die kurzen Ausführungen von KroustaJokis, in: European Parliament Committee on Budgetary Control, Annex to t1Ie minutes of t1Ie public hearing on t1Ie prevention and t1Ie fight against fraud to t1Ie detriment of t1Ie Community in t1Ie Europe of 1992, PE/XIV/PV/89-
I/Ann.
160 Bericht über die Verhütung und Bekämpfung von EG-Betrügereien im "Europa 1992", Berichterstatter: Pieter Dankert, EP Dok. A 2-'2JJ/89, Begründung S. 9 f.
B. Unregelmäßigkeiten und Betrügereien
S9
1.2 EG-Betrug kann umschrieben werden als jede absichtliche oder nichtabsichtliche Übertretung einer Rechtsvorschrift auf finanziellem Gebiet, die strafrechtlich oder sonstwie geahndet wird oder auch nicht, mit Ausnahme der von Mitgliedstaaten begangenen Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht 1.3. EG-Betrug ist eine Form der Wirtschaftskriminalität, die rasch die Landesgrenzen überschreitet und sich vielfältig äußern kann. Die Skala reicht von kleinen harmlosen Übertretungen bis zu groß angelegten, sehr bewußten und aus Gewinnsucht begangenen Verletzungen gemeinschaftlicher Rechtsvorschriften.
Bemerkenswert an dieser Beschreibung der Verhaltensweisen, durch die die Gemeinschaftsfinanzen geschädigt werden, ist in erster Linie ihre erstaunliche begriffliche Unschärfe. Darüberhinaus wird jedes staatliche Verhalten ausdrücklich aus dem Kreis der Handlungen, die als Unregelmäßigkeiten und Betrügereien zu verfolgen sind, ausgeschlossen, obwohl gerade die unsorgfältige, ungenaue oder unrichtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts durch die Mitgliedstaaten erhebliche SChädigungen des Gemeinschaftshaushalts zur Folge haben kann 161. Deshalb ist diese Definition des Europäischen Parlaments von Betrügereien und Unregelmäßigkeiten nicht geeignet, alle Verhaltensweisen zu erfassen, die zum Schutz der Gemeinschaftsfinanzen verhindert werden müssen. Umfassender und gleichzeitig präziser ist die Definition, die die Kommission der Europäischen Gemeinschaften bereits 1987 entwickelt hat 162: 7. Als "Betrügereien" gelten hier alle vorsätzlichen oder fahrlässigen Verstöße gegen Rechtsvorschriften, die von Privatpersonen oder privaten Einrichtungen begangen werden und die sich finanziell nachteilig auf den Gemeinschaftshaushalt auswirken. Wenden die Mitgliedstaaten das Gemeinschaftsrecllt nicht korrekt an, so begehen sie damit "Verstöße", die Gegenstand besonderer Maßnahmen im Rahmen von Artikel 169 des Vertrages oder einer Finanzkorrektur im Rahmen des jährlichen Rechnungsabsclllusses des EAGFL - Abteilung Garantie, sein können.
Diese Definition ist umfassender hinsichtlich des erfaßten Personenkreises und präziser hinsichtlich des erfaßten Verhaltens. Handelnde Personen können hier Privatpersonen ebenso wie die Mitgliedstaaten sein, wenn und soweit ihr Verhalten gegen Rechtsvorschriften verstößt und sich naChteilig auf den Gemeinschaftshaushal tauswirkt. In etwa mit dieser weiter gefaßten Definition übereinstimmend sind auch die meisten bisher in der Literatur unternommenen Versuche einer Begriffsbe-
Vgl. hierzu nur Tiedemann, EuZW 1990, S.I00 f., sowie ders., NJW 1990, S. 2231. Im Bericht der Kommission über die verstärkte Bekämpfung von Betrügereien, die zu lasten des Gemeinschaftshaushalts begangen werden, KOM (trT) 572 endg., S. 2 Ziffer 7. 161
162
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Teil 1: Die Schädigung der Gemeinschaftsfinanzen
stimmung 163. Dennoch ist auch diese Definition noch zu eng, um alle Verhaltensweisen zu erfassen, die die finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften schädigen und die deshalb bekämpft werden müssen. Richtig ist, daß Schädigungen des Gemeinschaftshaushalts durch Betrügereien von Privatpersonen ebenso erfolgen können wie durch Verstöße der Mitgliedstaaten. Aber der Gemeinschaftshaushalt wird nicht nur durch die vorsätzlichen oder fahrlässigen Verstöße gegen Rechtsvorschriften gesChädigt, die von der Definition der Kommission erfaßt werden, sondern ebenso von Verstößen gegen Rechtsvorschriften, bei denen keinerlei Verschulden gegeben ist. Außerdem gibt es einen weiten Bereich von Schädigungen des Gemeinschaftshaushalts, der durch diese Definition überhaupt nicht angesprochen wird, nämlich die umfangreiche Gruppe der Fälle, bei denen überhaupt kein Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht vorliegt, sondern die Regelungen des Gemeinschaftsrechts in Übereinstimmung mit ihrem Wortlaut in völlig sinnwidriger Weise in Anspruch genommen werden, um die Gemeinschaftsfinanzen zu schädigen, die sogenannten Umgehungsgeschäfte oder Fälle des Rechtsmißbrauchs 164. Die spektakulärsten Fälle und Skandale des gemeinsamen Agrannarktes beziehen sich auf diese Phänomene 165, da der überdifferenzierte Perfektionismus der gemeinschaftlichen Rechtsetzung im Agrarbereich zur Umgehung und Ausnutzung der Regelungen geradezu einlädt 166. Für die Umgehungsgeschäfte charakteristisch ist, daß Handlungen und Geschäfte vorgenommen werden, die in sich keinen wirtschaftlichen Sinn haben, sondern die vor allem oder ausschließlich zu dem Zweck erfolgen, dem Handelnden Subventionen aus dem Haushalt der Europäischen Gemeinschaften zu verschaffen oder ihm Abschöpfungen zu ersparen 167. Ein typisches Beispiel ist der sogenannte "Rohwurst-Fall", bei dem deutsche Kaufleute aus geringwertigen Schlachtabfällen unter Zusatz von 30 % Schwarten und 20 % Wasser eine in Deutschland nicht verkehrsfähige Rohwurst einzig zu dem Ziel herstellten, sie dann in die Schweiz und in das ehemalige Jugoslawien zu exportieren und so Ausfuhrerstattungen in Höhe von etwa 5 Mio. DM zu erlangen 168. 163 Vgl. nur Vervaele, Revue de science et de droit ~nal rompar~ 1990,30 f. m.w.N.; siehe auch Reinke, S. 19 (alle "Machenschaften, die sich unmittelbar auf den EG-Haushalt auswirken"). 164 Vgl. Götz, Subventionen im Gemeinsamen Markt, S. 405 Cf. 165 Tiedemann, NJW 1990, S. 2230. 166 Hippei, ZRP 1986, S. 278; vgl. auch Tiedemann, FS Pfeiffer, S. 109. 167 Vgl. Dieblieh, S. 106 ff., sowie Tiedemann, NJW 1990, S. 2230. 168 Anschließend wurde die Wurst in der Schweiz bzw. in Jugoslawien zu Seife verarbeitet, vgl. Bruns, S. 35 f.; Dieblich, S. 108.
B. Unregelmäßigkeiten und Betrügereien
61
Bei diesen Fällen liegt also nicht ein Verstoß gegen Regelungen des Gemeinschaftsrechts vor, sondern ein bewußtes Ausnutzen von Regelungsungenauigkeiten und Lücken mit der Folge der zweckwidrigen Verwendung von Gemeinschaftsmitteln. Alle dargelegten Verhaltensweisen sind geeignet, die finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften zu beeinträchtigen. Daher müssen auch alle diese Verhaltensweisen als Unregelmäßigkeiten und Betrügereien energisch bekämpft und unterbunden werden. Zusammengefaßt sind also als Unregelmäßigkeiten und Betrügereien sämtliche vorsätzlichen, fahrlässigen oder auch schuldlosen Verstöße gegen Rechtsnormen von Privatpersonen oder privaten EinriChtungen anzusehen, die sich finanziell nachteilig auf den Gemeinschaftshaushalt auswirken, ferner die Fälle der unkorrekten oder unsorgfältigen Anwendung des Gemeinschaftsrechts durch die Mitgliedstaaten mit negativen finanziellen Folgen sowie schließlich die Fälle des Rechtsmißbrauchs und der Umgehungsgeschäfte. All diese Verhaltensweisen führen zu unrechtmäßigen Ausgaben oder zu verkürzten Einnahmen der Gemeinschaften und sind von ihrer schädlichen Auswirkung auf die Gemeinschaftsfinanzen her gleichwertig. Deshalb müssen sie zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften auch insgesamt verhindert werden.
11. Betroffene Bereiche Finanzielle Schädigungen der Europäischen Gemeinschaften gibt es in allen Bereichen, in denen die Europäischen Gemeinschaften überhaupt finanzwirksam tätig werden. Betroffen sind die durch die Mitgliedstaaten erhobenen eigenen Einnahmen der Europäischen Gemeinschaften 169 in ebenso hohem Maße wie die im wesentlichen durch die Mitgliedstaaten getätigten Ausgaben der Europäischen Gemeinschaften 170, bei denen auch hinsichtlich der Schädigungen die Ausgaben für die Gemeinsame Agrarpolitik die bedeutendste Rolle spielen 111. Es werden also sowohl Einnahmen der Europäischen Gemeinschaften verkürzt
169 170 171
Vgl. House 0/Lords, Select Committee on tbe European Communities, HL Paper 27, S. 12. VgI.House o/Lords, Select Committee on tbe European Communities, HL Paper 27, S.17. Tiedemann, NJW 1990, S. 2127 f.; Bruns, S. 22 f. m.w.N.
62
Teil 1: Die Schädigung der Gemeinschaftsfinanzen
oder überhaupt nicht erhoben als auch Ausgaben unrechtmäßig oder in unrechtmäßiger Höhe zu Lasten der Europäischen Gemeinschaften getätigt rn. Bei beiden Arten der Schädigung der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften unterscheiden sich die Modalitäten des Schädigungsvorganges kaum. Im Agrarbereich etwa werden bei der Einfuhr von Agrargütern in das Gebiet der Europäischen Gemeinschaften oder bei der Ausfuhr aus demselben vor allem falsche Angaben bezüglich der Warengattung oder des Bestimmungslandes gemacht, die Ausfuhrpapiere werden gefälscht, oder die falschen Angaben werden durch die Verwaltung leiChtfertig akzeptiert 113. Typisch für die Abschöpfungshinterziehung ist etwa die Täuschung über Gewicht oder Menge der Ware, die Beschaffenheit, den Wert oder den Ursprung derselben sowie die Vorlage gefälschter Papiere 114, charakteristisch für die Subventionserschleichungen sind Falschangaben über Qualität und Menge der Produkte oder Anbauflächen oder über das Verbrauchsland 115. Im einzelnen sind die Möglichkeiten zur Schädigung der Europäischen Gemeinschaften letztlich dieselben wie ansonsten im nationalen Bereich die des jeweiligen nationalen Wirtschafts- und Steuerrechts 116, allerdings potenziert durch die Art des Vollzugs des Gemeinschaftsrechts sowie die Besonderheiten der gemeinschaftsrechtlich geregelten Lebenssachverhalte 171.
111. Ausmaß der Unregelmäßigkeiten Voraussetzung für eine gezielte Bekämpfung der Unregelmäßigkeiten und Betrügereien zu Lasten des Gemeinschaftshaushalts ist die zumindest ungefahre Kenntnis des Ausmaßes dieses Problems 118. Sowohl für die Dringlichkeit als auch für die Realisierbarkeit von Veränderungen macht es einen erheblichen Unterschied, ob die Betrügereien und andere Unregelmäßigkeiten ohne nach-
rn 113
Handoll, S. 93.
Bnms, S. 24 f.
114 Krause, S. 161, 176.
Krause, S. 177; KOM (75) 507 endg., S. 10. Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht 2, S. 197 f. 111 Bnms, S. 24 f. 118 So auch Streil, S. 216, in: Beutler/Bieber/ Pipkorn/Streil. 115
116
B. Unregelmäßigkeiten und Betrügereien
63
weisbar kriminellen Gehalt bei oder sogar unter 1 % des Gesamthaushaltsvolumens der Europäischen Gemeinschaften liegen oder aber Ausmaße von 10 % bis 20 % desselben erreichen 119. Dennoch muß die Befassung mit dem Umfang der Unregelmäßigkeiten mit der Feststellung beginnen, daß eine autoritative Bestimmung des Ausmaßes der Unregelmäßigkeiten nicht existiert 180. Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften stützt ihre Einschätzung der Größenordnung der Unregelmäßigkeiten auf die entsprechenden Meldungen der Mitgliedstaaten, die aufgrund der Artikel 3 und 5 der Verordnung Nr. 283n2 181 verpflichtet sind, festgestellte Unregelmäßigkeiten der Kommission vierteljährlich mitzuteilen. Auf der Grundlage der mitgliedstaatlichen Meldungen geht die Kommission von einem Unregelmäßigkeitenausmaß von etwa 0,1 bis allenfalls 0,9 % der Gemeinschaftsausgaben aus 182. Diese überaus vorsichtige Einschätzung, die von großem Vertrauen in die mitgliedstaatlichen Meldungen geprägt ist und weder die unterschiedliche Verfolgungs- und Aufdeckungsintensität in den Mitgliedstaaten berücksichtigt 183 noch die für die Mitgliedstaaten fmanziell negativen Konsequenzen der Meldung einer Unregelmäßigkeit 184, wird ansonsten kaum geteilt. Vor allem das Europäische Parlament ist sich der Unzulänglichkeit der mitgliedstaatlichen Meldungen bewußt und ging schon im Jahre 1986 von Unregelmäßigkeiten im Bereich der Landwirtschaft aus, die durchaus 20 % des Gemeinschaftshaushalts ausmachen können 185. Diese Einschätzung entspricht den mit den Mitteln moderner empirischer Kriminologie gewonnenen Erkenntnissen der wenigen Wissenschaftler, die sich vertieft mit dem Ausmaß der Unregelmäßigkeiten befaßt haben. Diese versuchen anband der wenigen bisher durchgeführten systematischen Überprüfungen, anband von Befragungen potentieller Opfer und Täter und unter Auswertung aller einschlägigen Handels179 180
Dies betont Tiedemann, FS Pfeiffer, S. 103 f. Hause 01 Lords, Select Committee on the European Communities, HL Paper 1:7, S. 8.
ABI. 1972 Nr. L 36 S. 1. Vgl. Reinke, S. 35 f.j Tiedemonn, FS Pfeiffer, S. 103 ff. m.w.N.j zu den 1989 festgestellten Unregelmäßigkeiten vgl. 19. Finanzbericht über den Europäischen Ausrichtungs· und Garantiefonds für die Landwirtschaft - Haushaltsjahr 1989, KOM (90) 397 endg., S. 53 ff. sowie Anhänge 20 bis 22, S. 119 ff. 183 Klassischer Ansatz ist hier die Lehre vom Steuerwiderstand, die das Nord-Süd-Gefälle berücksichtigt, vgl. Tiedemann, FS Pfeiffer, S. 105 m.w.N. in Fn. 11. 184 Die entsprechende Ausgabe wird eventuell im Rechnungsabschlußverfahren nicht anerkannt und ist aufgrund dessen vom Mitgliedstaat zu tragen, vgl. nur Scherer, EuR 1986, S. 59 ff. m.w.N. 185 PE Dok A 2-251/86, S. 12 f. 181
182
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Teil 1: Die Schädigung der Gemeinschaftsfinanzen
und Wirtschaftsstatistiken das sogenannte Dunkelfeld der EG-Unregelmäßigkeiten zu erforschen 186. Sie berücksichtigen etwa, daß die nachträgliche Untersuchung aller Schrottsubventionen durch die Hohe Behörde der Montanunion Ende der 50-er Jahre ergeben hat, daß 20 % aller Ausgleichszahlungen erschlichen waren 187. Die Kommission hat 1972 bei einer systematischen Überprüfung festgestellt, daß 20 % der Beihilfen für Olivenöl unberechtigt gewährt worden sind, der Europäische Rechnungshof stellte den Verlust von 44 % einer Nahrungsmittelhilfe während des Transports fest, der Bundesrechnungshof ging für bestimmte Bundesländer hinsichtlich der Abschlachtprämie für Kühe von einer Betrugsrate von 80 % aus 188. Im Dezember 1981 führte im Hafen von Palermo ein geplatzter Kanister zur Überprüfung von 3847 zur Subventionierung angemeldeten Behältern, die angeblich mit Tomatenmarkextrakt gefüllt waren, mit dem Ergebnis, daß 822 der Kanister lediglich Wasser enthielten 189. Diese beispielhaft genannten sowie zahlreiche weitere festgestellte Einzelfalle lassen nach Ansicht der Experten unter weiterer Berücksichtigung internationaler Studien 190 wie auch der Tatsache, daß es besser kontrollierte und weniger betrugszugängliche Bereiche gibt als diejenigen, in denen besonders eindrucksvolle einschlägige Feststellungen getrOffen werden 191, den Schluß zu, daß der finanzielle Schaden, der durch Unregelmäßigkeiten entsteht, jährlich etwa 10 bis 20 % des Gemeinschaftshaushalts ausmacht. Diese Schätzung äußerte erstmals 1971 der EG-Beamte Johannes öffentlich 192. Auch Bruns geht in seiner Untersuchung zum strafrechtlichen Schutz der europäischen Marktordnungen für die Landwirtschaft von einem Unregelmäßigkeitenanteil von 10 bis 20 % aus 193. Klaus Tiedemann, der wohl führende Experte auf diesem Sektor, hielt bei seiner Anhörung vor dem Select Committee on the European Communities des britischen House of Lords auf der Grundlage von in Deutschland durchgeführten Untersuchungen einen jährlichen Verlust von bis zu 15 % des Gemeinschaftshaushalts durch Unregelmäßigkeiten 186 Zur Methode und zum bisherigen Stand vgl. Tiedemann, FS PfeiCfer, S. 103 Cf; Heinz, wistra 1983, S. 132. 187 Tiedemann, Subventionskriminalität, S. 224 f. 188 Zu diesen drei Untersuchungen vgl. PE Dok A 2-251/86, s. 13. 189 FAZ vom 20.11.1982, S. 9. 190 Eindrucksvoll etwa die Studie des National Swedish Council for Crime Prevention und des Finnischen Research Institute of Legal Policy, die nach vollständiger Untersuchung sämtlicher Warenausfuhren über einen bestimmten Zeitraum eine Unregelmäßigkeitenrate von nahezu 50 % feststellten, vgl. Tiedemann, FS Pfeiffer, S. 106 f. m.w.N. in Fn. 16. 191 Tiedemann, FS Pfeiffer, S. 107 f. 192 JoIwnnes, Revue internationale de droit ~naI1971, S. 83.
B. Unregelmäßigkeiten und Betrügereien
65
und Betrügereien für durchaus wahrscheinlich 194. Diese Einschätzung wurde vom Präsidenten des Comite europeen de droit rural ebenso geteilt 195, wie sie der Meinung anderer Experten entspricht 196. Damit erscheint die Annahme eines jährlichen finanziellen Schadens durch Unregelmäßigkeiten zu Lasten der Europäischen Gemeinschaften in Höhe von zumindest 10 % des Gemeinschaftshaushaltsvolumens als durchaus realistisch. Diese Schätzung zugrundegelegt, werden also im Jahre 1992 bei einem Haushaltsvolumen des Gemeinschaftshaushalts von etwa 63 Mrd. ECU die Gemeinschaften durch Unregelmäßigkeiten und Betrügereien um mehr als 6 Mrd. ECU oder fast 13 Mrd. DM geSChädigt, also um einen Betrag, der die Dringlichkeit wirksamer Gegenmaßnahmen nachdrücklich vor Augen führt.
IV. Ursachen fiir Unregelmäßigkeiten Die Ursachen für das Auftreten von Unregelmäßigkeiten und Betrügereien zum Nachteil der Gemeinschaftsfinanzen im oben dargestellten besorgniserregenden Umfang sind äußerst komplex und vielschichtig. Umfassende Zusammenstellungen der zahlreichen einzelnen erkannten Gründe für die Schädigungen der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften enthalten die entsprechenden Berichte der Kommission 197, des Europäischen Parlaments 196 oder auch - sehr ausführlich - des britischen House of Lords 199. Sämtliche Einzelursachen, die eine Schädigung der Gemeinschaftsfinanzen entweder besonders einfach, besonders verlockend oder besonders lukrativ machen, lassen sich jedoch auf drei grundsätzliche Probleme zurückführen, die für die Finanzen der Europäischen Gemeinschaften charakteristisch sind: Ursächlich für das enorme Ausmaß der Unregelmäßigkeiten und Betrügereien sind vor allem die Art des Vollzugs des Gemeinschaftsrechts und damit auch der Ge193 194
Bruns, S. 23. Hause o{ Lords, Select Committee on the European Communities, HL Paper 27, S. 8 sowie
S.Q272 195 Vgl. Theisinger, Agrarrecht 1990, S. 101. 196 Vgl. Hippei, ZRP 1986, S. 278 m.w.N.j Vervdele, Revue de science et de droit penal oompare 1990, S. 30, 35. 197 Bericht der Kommission über die verstärkte Bekämpfung von Betrügereien, die zu Lasten des GemeinschaftshaushaIts begangen werden, KOM (87) 572 endg., S. 2 ff. 196 PE Dok A 2-20189, S. 10 ff. 199 Hause o{ Lords, Select Committee on the European Communities, HL Paper 27, S. 34 ff. S Poche
Teil 1: Die Schädigung der Gemeinschaftsfinanzen
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meinschaftsfinanzen, die Natur der gemeinschaftsrechtlich geregelten Lebenssachverhalte und schließlich die mangelhafte Abschreckung und Sanktionierung bei Verstößen gegen das Gemeinschaftsrecht.
1. Vollzug der Gemeinschaftsfinanzen
Wichtige Ursache für Unregelmäßigkeiten beim Vollzug des Gemeinschaftshaushalts ist zum einen, daß die Gemeinschaftsorgane in den allermeisten Bereichen des Gemeinschaftsrechts auf die Setzung des materiellen Rechts beschränkt sind, der Vollzug des Gemeinschaftsrechts jedoch den Mitgliedstaaten Obliegt 200, Aufgrund dessen sind beim Vollzug der Einnahmen und Ausgaben der Europäischen Gemeinschaften deren Möglichkeiten zur Einflußnahme auf die Auswahl der mit dem Vollzug des Gemeinschaftsrechts betrauten nationalen Behörden, auf deren personelle und sachliche Ausstattung, auf die Ausbildung des Personals, zum Erlaß einheitlicher Verwaltungsvorschriften oder verwaltungsverfahrensrechtlicher Regelungen sehr begrenzt 201. In erster linie sind es nicht die Gemeinschaften, sondern die Mitgliedstaaten, die durch Regelung der angesprochenen Fragen wesentlich darüber bestimmen, wie effektiv und wirksam das finanzrelevante Gemeinschaftsrecht angewendet wird. Weiter hat der nationale Vollzug des finanzrelevanten Gemeinschaftsrechts auch tatsächliche und psychologische Probleme bei der Anwendung von gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften mit finanziellen Auswirkungen zur Folge, etwa die mangelnde Neigung mancher nationaler Verwaltung, energisch gegen Unregelmäßigkeiten zu Lasten des Gemeinschaftshaushalts vorzugehen, da eventuell entstehende finanzielle Verluste die Gemeinschaften treffen, so daß für die mitgliedstaatliChe Verwaltung kein unmittelbarer Anreiz zu besonders sorgfaltiger Verwaltung der Gemeinschaftsgelder zu bestehen scheint 202, Schließlich sind diesem Bereich auch die SChwierigkeiten zuzuordnen, die sich aus der grenzüberschreitenden Natur vieler gemeinschaftsrechtlich releVgI. nur SchwtlTZe, Europäisches VelWaltungsrecht I, S. 25 ff. Zu diesen Problemen und ihren Auswirkungen auf die finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften vgI. nur House 01 Lords, Select Committee on the European Communities, HL Paper 27, S. 34 ff. mit umfangreicher Erörterung der strukturbedingten Vollzugsschwierigkeiten. 202 House 01 Lords, Select Committee on the European Communities, HL Paper 27, S. 27, 35 m.w.N.; besonders eindrucksvolles nationales Fehlverhalten war Gegenstand des sogenannten 200 201
B. Unregelmäßigkeiten und Betrügereien
67
vanter Sachverhalte ergeben, die Zusammenarbeit und Amtshilfe zwischen den nationalen Verwaltungen erfordert 203. Die Notwendigkeit solcher Zusammenarbeit wird noch wesentlich verstärkt durch die Verwirklichung des Europäischen Binnenmarktes im Jahr 1992, aufgrund derer innergemeinschaftliche Grenzkontrollen im Grundsatz völlig entfallen sollen 204.
2. Regelungsgegenstand Ein zweiter wesentlicher Grund für die auftretenden Unregelmäßigkeiten und Betrügereien ist das Rechtsgebiet, auf dem die Europäischen Gemeinschaften finanzwirksame Vorschriften erlassen. Denn steuerliche Vorschriften verleiten generell, auch auf nationalstaatlicher Ebene, zu dem Versuch, die Entrichtung geschuldeter Abgaben so weit wie möglich zu venneiden. Ebenso verführen Subventionsvorschriften stets zu dem Versuch, Subventionen unabhängig vom Vorliegen der Subventionsvoraussetzungen in möglichst hohem Ausmaß zu erhalten 205. Zusätzlich verfolgen die Europäischen Gemeinschaften mit ihrer materiellen Rechtsetzung vor allem auf dem Gebiet des Agrargemeinschaftsrechts meist hochspezielle wirtschaftliche Lenkungs- und Steuerungsziele. Deren Erreichung erfordert eine oft bis auf die Spitze getriebene tatbestandliche Differenzierung der materiellen Normen 206. So ist eine unübersehbare und kaum mehr beherrschbare Nonnenflut entstanden 201, deren überdifferenzierter Perfektionismus zahlreiche Möglichkeiten zur Umgehung oder Ausnutzung geradezu anbietet 208. Unregelmäßigkeiten und Betrügereien werden also dadurch erleichtert, daß zu komplizierte, differenzierte, unvollständige und unterschiedlich auslegbare gemeinschaftliche Rechtsvorschriften bestehen, an deren Anwendbarkeit oder Überprüfbarkeit bei ihrem Erlaß kaum ein Gedanke verwendet worden ist 209.
Griechischen Maisskandals, vgJ. EuGH 21.09.1989 - KommissionJGriechenland, Rs. 68/88 - Slg. 1989, S. 2965 ff., sowie hierzu Tiedemann, EuZW 1990, S. 100 f. m.w.N. 203 PE Dok A 2-1JJ/89, S. 11, 14 ff. 204 Zu den hieraus resultierenden Schwierigkeiten vgJ. etwa Classen, S. 138 f. 205 Brum, S. 22 f. m.w.N.j Gilsdorf, KSE 29, S. Z97 f. 206 So umfaßt etwa der Gemeinsame Zolltarif etwa 10.000 Tarifpositionen mit Zollsätzen, vgI. nur Oppermann, S. 444 ff. m.w.N., sowie ABI. 1992 Nr. C 170 S. 5. 201 Hippei, ZRP 1986, S. 278. 208 TiedemOlUl, FS Pfeiffer, S. 109. 209 PE Dok A 2-1JJ/89, S. 10.
Teil 1: Die Schädigung der Gemeinschaftsfinanzen
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Ein weiteres Problem ist, daß etwa angesichts der zahllosen Differenzierungen der gemeinschaftlichen Abschöpfungs- oder Erstattungssätze je nach Qualität und Zusammensetzung der Produkte, Verarbeitungsstufe und Bestimmungsland nicht nur praktisch die Möglichkeit zu unüberprüfbaren Falschangaben geschaffen wird, sondern daß auch der Gerechtigkeitsgehalt der Normen allenfalls noch für Spezialisten erkennbar ist, nicht dagegen für die normalen Marktbeteiligten 210. Dies bedeutet, daß das Gemeinschaftsrecht einerseits viele MÖglichkeiten zur Begehung von Unregelmäßigkeiten und Betrügereien bietet, andererseits die Beachtung des Gemeinschaftsrechts aus Einsicht in seinen Gerechtigkeitsgehalt heraus von den Marktbeteiligten kaum mehr erwartet werden kann.
3. Abschreckung und Sanktioniernng
Dritte Hauptursache der Unregelmäßigkeiten und Betrügereien zu Lasten des Gemeinschaftshaushalts ist die mangelhafte Kontrolle und Abschreckung bei Verstößen gegen das Gemeinschaftsrecht. Wegen des intensiv planwirtsChaftlichen Charakters vor allem der EGAgrarmärkte fehlt eine informelle Kontrolle etwa des Vorliegens aller Voraussetzungen für die Gewährung einer Subvention völlig. Alle ansonsten der Marktwirtschaft immanenten natürlichen Kontrollmittel, insbesondere der Zwang zur Erbringung einer Gegenleistung, sind nicht vorhanden 211. Dies bedeutet, daß die Kontrollen, also die Wahrscheinlichkeit der Entdeckung von Unregelmäßigkeiten und Betrügereien bei der Entrichtung von Abgaben oder der Inanspruchnahme von Subventionen, unbedingt erforderliche Voraussetzung für die Beachtung des Gemeinschaftsrechts sind. Allerdings haben Kontrollen diese Wirkung nur, wenn im Falle der Entdeckung von Unregelmäßigkeiten diese auch tatsächlich spürbar negative Auswirkungen für den Betroffenen haben, wenn also wirkungsvolle Sanktionen eingesetzt werden können. Beide Bereiche, Kontrollen wie Sanktionen, werfen bei den Finanzen der Europäischen Gemeinschaften jedoch vor allem im Hinblick auf die Kompetenzverteilung zwischen Gemeinschaften und Mitgliedstaaten erhebliche Probleme auf.
210 211
So ausdrücklich Tiedemann, FS Pfeiffer, S. 109. Tiedemann, FS Pfeiffer, S. 103.
B. Unregelmäßigkeiten und Betrügereien
69
v. Auswirkungen Die Unregelmäßigkeiten und Betrügereien hinsichtlich der Finanzen der Europäischen Gemeinschaften wirken sich in dreifacher Hinsicht aus. Unmittelbar schädigen sie die Gemeinschaften durch zu Unrecht nicht erhobene Einnahmen und durch unrechtmäßig erfolgte Ausgaben jährlich um einen Betrag von zumindest 10 % des Gemeinschaftshaushalts, also von gegenwärtig etwa 6,3 Mrd. ECU 212. Mittelbar, nämlich über die national unterschiedliche Verwaltungsund Verfolgungspraxis, führen sie zu Wettbewerbsverzerrungen zwischen Marktbürgern und Unternehmen in den einzelnen Mitgliedstaaten 213 und bilden ein bedeutendes Hindernis für die Herstellung des einheitlichen Marktes 214. Die zumindest ebenso negative dritte Auswirkung jedoch ist direkt gar nicht faßbar: Das Bekanntwerden von und die öffentliche Diskussion über Unregelmäßigkeiten und Betrügereien beim Vollzug des Gemeinschaftshaushalts bedeutet Wasser auf die Mühlen derer, die schon den bisherigen Integrationsstand der Europäischen Gemeinschaften als zu weitgehend ablehnen und unter Berufung auf die Kosten der europäischen Integration die Enteuropäisierung weiter Politikbereiche fordern 215. Da letztlich jeder Steuerzahler in einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften auch die durch die Unregelmäßigkeiten entstehenden finanziellen Verluste zu tragen hat 216, sind diese Unregelmäßigkeiten in ihrer weitestreichenden Auswirkung geeignet, die politische Akzeptanz der Europäischen Gemeinschaften insgesamt zu beeinträchtigen, der Idee der europäischen Integration Schaden zuzufügen und die auch durch den Maastrichter Vertrag in die Wege geleiteten Fortschritte in Richtung auf die Europäische Union zu erschweren.
Vgl. oben S. 62 ff. m.w.N. Dieb1ich, S. 279 mit umfangreichem Nachweis; Zuleeg, JZ 1992, S. 766. 214 PE Dok A 2-251/86, S. 9; Hause 01 Lords, Select Committee on the European Communities, HL Paper 27, S. 7. 215 Vgl. nur Wemer, S. 9 ff., 28 ff. m.w.N.; zur weiteren Folge der Minderung der Effektivität des Mitteleinsatzes vgl. Sponnowsky, JZ 1992, S. 1160 ff. m.w.N. 216 Dies betont auch Hause 01 Lords, Select Committee on the European Communities, HL Paper 27, S. 7. 212 213
70
Teil 1: Die Scbädigung der Gemeinschaftsfinanzen
c. Ergebnis Die Europäischen Gemeinschaften erzielen bereits heute Einnahmen und tätigen Ausgaben von jeweils etwa 130 Mrd. DM jährlich, die in den nächsten Jahren vor allem wegen der Übernahme neuer Politikbereiche noch deutlich ansteigen werden. Von diesen Einnahmen und Ausgaben kommen etwa 10 % nicht ihrer gemeinschaftsrechtlich vorgesehenen Bestimmung zugute: 10 % der gemeinschaftsrechtlich vorgesehenen Einnahmen der Europäischen Gemeinschaften werden jährlich aufgrund von Unregelmäßigkeiten und Betrügereien unrechtmäßig nicht erhoben, 10 % der Ausgaben werden getätigt, obwohl die gemeinschaftsrechtlichen Voraussetzungen für diese Ausgaben nicht vorliegen. Ursächlich für diese Schädigungen der Gemeinschaftsfinanzen in ganz erheblichem Ausmaß sind vor allem die Verwaltung der Gemeinschaftsfinanzen durch die Mitgliedstaaten, also die Erhebung der Einnahmen und die Tätigung der Ausgaben durch nationale Behörden nach nationalem Verwaltungsorganisations- und Verwaltungsverfahrensrecht, die Art der bei den Einnahmen und Ausgaben der Gemeinschaften betroffenen I..ebenssachverhalte und die unzureichende Sanktionierung von Gemeinschaftsrechtsverstößen, durch die die Gemeinschaftsfinanzen geschädigt werden. Die Auswirkungen der Unregelmäßigkeiten und Betrügereien sind erheblich. Nicht nur die Gemeinschaftsfinanzen und. damit die finanziellen Handlungsmöglichkeiten der Europäischen Gemeinschaften werden geSChädigt, sondern darüber hinaus der Geltungsanspruch des Gemeinschaftsrechts überhaupt und die Akzeptanz der Europäischen Gemeinschaften in der Bevölkerung der Mitgliedstaaten, die unerläßliche Voraussetzung für jede weitere europäische Integration und für eine Entwicklung hin zur Europäischen Union sind. Wegen dieser erheblichen negativen Auswirkungen der feststellbaren Unregelmäßigkeiten und Betrügereien zu Lasten der Gemeinschaftsfinanzen müssen die Europäischen Gemeinschaften selbst alle möglichen geeigneten Schritte unternehmen, um zukünftig die weitere Schädigung der Gemeinschaftsfinanzen so weit wie möglich zu verhindern. Welche Schritte dies sein können, soll im folgenden aufgezeigt werden.
Teil 2
Schutz der Finanzen der Europäischen Gemeinschaften durch Verwaltungsorganisationsrecht Obwohl die Auswirkungen des Verwaltungsorganisationsrechts auf den Vollzug des Gemeinschaftshaushalts nicht im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses stehen, können doch Möglichkeiten der Europäischen Gemeinschaften, ihre Einnahmen und Ausgaben durch gemeinschaftsrechtliche Maßnahmen zu schützen, bereits auf dem Gebiet des Verwaltungsorganisationsrecht bestehen. Auch das Verwaltungsorganisationsrecht, das für die Erhebung der Gemeinschaftseinnahmen und die Tätigung der Gemeinschaftsausgaben maßgeblich ist, kann als Teil des allgemeinen Verwaltungsrechts 1 spürbaren Einfluß auf die finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften haben 2.
A. Begriff und f"manzieUe Auswirkungen des Verwaltungsorganisationsrechts Als Verwaltungsorganisationsrecht wird das Rechtsgebiet bezeichnet, das die Schaffung der für die Anwendung des Verwaltungsrechts verantwortlichen Organe und Behörden, ihre innere Struktur, ihre Rechtsstellung, ihre Beziehungen untereinander, ihre Zuständigkeiten sowie ihre Ausstattung mit Personal und Material regelt 3. Traditionell wird das Organisationsrecht ausschließlich dem sogenannten formellen Recht zugeordnet, das nach überkommener Auffassung keinen Einfluß auf das materielle Recht haben soll. Diese überkommene 1
m.w.N.
Dessen Teilgebiete und Regelungsbereiche beschreibt ausführlich Achterber8, S. 23 ff.
2 So ausdrücklich auch Rengeling, EuR 1984, S. 354 f. m.w.N., der auf die Hindernisse hinweist, die die Mitgliedstaaten durch ihre nationalen organisationsrechtlichen Bestimmungen der effektiven und einheitlichen Durchführung des Gemeinschaftsrechts bereiten können. 3 Wolf//Bachof, S. 11 f.; vgl. auch Mayer/Kopp, S. 522 ff.
72
Teil 2: SchulZ durch Verwaltungsorganisationsrecht
Auffassung ist jedoch nicht zutreffend: organisationsrechtliche Normen wirken sich in starkem Maße auf die Geltung des materiellen Rechts aus 4. Materielles Recht ist stets darauf angewiesen, durch eine funktionsfähige mit seiner Durchsetzung betraute Organisation und durch handlungsfähige Organe in der Realität zur Geltung gebracht zu werden. Die Entscheidung, welche Verwaltungsträger, Behörden oder andere Verwaltungsstellen gebildet oder errichtet werden, welche Zuständigkeiten und Befugnisse ihnen zukommen und wie sie personell und sachlich ausgestattet werden s, bestimmt maßgeblich, wie wirksam das materielle Recht zur Anwendung gelangt 6 und damit, wie funktionsfähig die Rechtsordnung ist, die durch die geschaffene Organisation umgesetzt wird 7. Je nach Eignung und Effektivität der Verwaltungsorganisation 8 gelingt auch die Umsetzung des materiellen Rechts mehr oder minder gut 9. Für die gemeinschaftsweit einheitliche, effektive und ordnungsgemäße Anwendung des Gemeinschaftsrechts und seiner finanzwirksamen Bestimmungen ist von grundlegender Bedeutung, daß die für den Vollzug zuständige Verwaltungsorganisation geeignet ist, eine solche Anwendung zu gewährleisten und dadurch dem materiellen Gemeinschaftsrecht und seinen finanzrelevanten Normen zu tatsächlicher Geltung und Wirksamkeit zu verhelfen. Die Verwaltungsorganisation beim Vollzug des finanzrelevanten Gemeinschaftsrechts muß zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften so ausgestaltet sein, daß, positiv formuliert, die materiellen gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften optimal zur Geltung kommen 10; negativ formuliert, dürfen die nationalen Regelungen der Verwaltungsorganisation nicht die einheitliche Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts beeinträchtigen 11. Folglich hängt es - auch - von der Ausgestaltung der Verwaltungsorganisation ab, die mit dem Vollzug der finanzwirksamen Vorschriften des Gemein4 EbeIlSO Achterberg, S. 2Zl ff. mit umfangreichem w.N., sowie Schnapp, AöR 1980, S. 246 f., der die Verzahnung zwischen Organisationsrecht und materiellem Recht betont. S Die genannten Entscheidungsbefugnisse sind die Hauptmerkmale der Organisationsgewalt, vgl. umfassendHiJ/, OrganisatiODSStruktur der EG, S. 8 ff.; Rudol/, S. 629 f. 6 Auf die Bedeutung einer ausreichenden Anzahl von Mitarbeitern für eine wirksame Anwendung des Gemeinschaftsrechts weist ausführlich Schiifer, DÖV 1991, S. 262 f. hin. 7 ScIuropp, AöR 1980, S. 246 f. m.w.N. 8 Zum Begriff der Verwaltuugsorganisation näher Krebs, S. 568 f. m.w.N. 9 Die Bedeutung der VerwaItungsorganisation für den Vollzug des gemeinschaftlichen Zollrechts, eines offensichtlich finanzrelevanten Rechtsgebietes, wird betont in der Mitteilung der Kommisssion "Die Zollunion im Rahmen des Binnenmarktes", KOM (90) 572 endg., S. 1 f., 13 ff.,
17,22. 10 11
Rengeling, Fragen zum allgemeinen Verwaltungsrecht in der EG, S. 482 f. Rengeling, Fragen zum allgemeinen Verwaltungsrecht in der EG, S. 475.
A Begriff und finanzielle Auswirkungen
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schaftsrechts betraut ist, inwieweit alle den Europäischen Gemeinschaften zustehenden Einnahmen erhoben und inwieweit nur rechtmäßige Ausgaben zu Lasten der Europäischen Gemeinschaften getätigt werden 12. Außerdem muß durch eine geeignete Verwaltungsorganisation sichergestellt sein, daß für die Überwachung und Kontrolle der Finanztätigkeit sowie für die Verhinderung und Aufdeckung von Unregelmäßigkeiten geeignete Behörden, die personell und sachlich ausreichend ausgestattet und mit den erforderlichen Befugnissen versehen sind, vorhanden sind 13. Damit ist die Bedeutung des Verwaltungsorganisationsrechts für den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften offensichtlich: Es können nur dann alle Einnahmen der Europäischen Gemeinschaften erhoben werden und nur dann ausschließlich rechtmäßige Ausgaben zu Lasten des Gemeinschaftshaushalts vorgenommen werden, wenn das anwendbare Verwaltungsorganisationsrecht für diese Aufgaben personell und sachlich ausreichend ausgestattete Behörden mit den erforderlichen Zuständigkeiten und Befugnissen zur Verfügung stellt. Deshalb müssen bei der Regelung des Verwaltungsorganisationsrechts die finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften angemessen berücksichtigt werden. Für die Möglichkeiten der Europäischen Gemeinschaften, selbst zur Sicherung ihrer eigenen Finanzen auf dem Gebiet des Verwaltungsorganisationsrechts tätig zu werden, ist die Frage nach den Kompetenzen der Mitgliedstaaten und denen der Gemeinschaften beim Vollzug des Gemeinschaftsrechts und bei der Vollzugsorganisation maßgeblich. Diese Frage ist je nach der Art des Vollzugs des Gemeinschaftsrechts unterschiedlich zu beantworten.
12 Vgl. zum Einfluß des Verwaltungsorganisationsrechts auch auf den Bereich Betriigereien/Unregelmäßigkeiten Götz, EuR 1986, S. 30 ff. 13 Vgl. nur die Begründungsawägungen zur Verordnung Nr. 2262/84, ABI. 1984 Nr. L 208 S. 11, und zur Verordnung Nr. 4045189, ABI. 1989 Nr. L 388 S. 18.
74
Teil 2: Schutz durch Verwaltungsorganisationsrecht
B. Arten des Vollzugs des Gemeinschaftsrechts Verwaltungsvollzug bedeutet die Anwendung der Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts im Einzelfall durch eine Verwaltungsinstanz, also den Vorgang ihrer Aktualisierung und Realisierung in der Lebenswirldichkeit 14. Für das Gemeinschaftsrecht sind hinsichtlich der handelnden Verwaltungsinstanz grundsätzlich zwei Arten des Verwaltungsvollzugs vorstellbar: es kann durch Organe oder Behörden der Mitgliedstaaten oder durch solche der Gemeinschaften angewendet werden IS. Die Anwendung des Gemeinschaftsrechts durch Organe und Behörden der Gemeinschaften bezeichnet man als direkten Vollzug, seine Anwendung durch nationale Behörden und Organe als indirekten Vollzug des Gemeinschaftsrechts 16. Das Gemeinschaftsrecht selbst bestimmt, in welcher Vollzugsform es angewendet wird 17. Aus dem der Kompetenzverteilung zwischen Gemeinschaften und Mitgliedstaaten zugrundeliegenden Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung der Gemeinschaften 18 ergibt sich, daß ohne Kompetenzzuweisung im primären Gemeinschaftsrecht die Europäischen Gemeinschaften keine Kompetenz für den Vollzug des Gemeinschaftsrechts durch eigene Organe besitzen 19. Demnach findet direkter Vollzug des Gemeinschaftsrechts nur statt, wenn das primäre Gemeinschaftsrecht einen solchen direkten Vollzug vorsieht 20. Als Kompetenzzuweisung im primären Gemeinschaftsrecht ausreichend ist allerdings auch eine indirekte Regelung dergestalt, daß die Gemeinschaften zum Erlaß von Rechtsvorschriften ermächtigt werden, die die gemeinschaftsunmit14 VgI. Rengeling, Rechtsgrundsätze beim Verwaltungsvollzug, S. 8 ff. m.w.N: in Anlehnung an Zuleeg, KSE 9, S. 47 f., 59, 209 f., 225 ff., sowie Ipsen, H. P., Europäisches Gemeinschaftsrecht, § 9(23 ff., S. 218 ff. 1S Außer Betracht bleiben hier die ebenfalls anzutreffenden Mischformen wie etwa die beschränkten Zuständigkeiten der Behörden der Mitgliedstaaten im Wettbewerbsrecht aufgrund des Artikel 9 Abs. 3 der Verordnung Nr. 17 des Rates, ABI. 1962 S. 204, vgl. hierzu Everling, DVBI. 1983, S. 650. 16 Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht I, S. 25 ff.; Rengeling, DVBI. 1986, S. 308; tiers., EuR 1984, S. 333; zusammenfassend zu der teilweise unterschiedlichen Terminologie Schweitzer, Die Verwaltung 1984, S. 139 ff. m.w.N. 17 Ipsen, H. P., Europäisches Gemeinschaftsrecht, § 9/26, S.22O. 18 VgI. hierzu nur Beutler, S. 75 ff. m.w.N., in: BeutlerJBieber/Pipkom/Streil ; Ipsen, H. P., Europäisches Gemeinschaftsrecht, § 20121-30, S. 425 ff.; Nicolaysen, Gemeinschaftsrecht, S. 43; siehe auch Grabitz, Artikel 189 Rn. 4 m.w.N, in: Grabitz , EWGV, der allerdin~ lediglich ein Prinzip der begrenzten Ermächtigung, nicht jedoch ein solches der begrenzten Einzelermächtigung anerkennt. 19 Bünten, S. 161 f. 20 Everling, DVBI. 1983, S. 650 f.; Schweitzer, Die Verwaltung 1984, S. 139 m.w.N.; Zuleeg, KSE 9, S. 209.
B. Arten des Vollzugs des Gemeinschaftsrechts
75
telbare Vollziehung in einem bestimmten Sachgebiet regeln sollen 21. Aus der Zuweisung dieser Kompetenz ergibt sich zwingend, daß die Gemeinschaften auch die Kompetenz haben m~sen, in dem betroffenen Bereich überhaupt direkten Verwaltungsvollzug durchzuführen. Eine Zuweisung der Kompetenz zur Durchführung direkten Verwaltungsvollzuges an die Europäischen Gemeinschaften ist nur in wenigen Bereichen vorhanden; der direkte Vollzug des Gemeinschaftsrechts stellt den Ausnahmefall dar 22. Nach der Grundstruktur der Gemeinschaftsverträge ist der Verwaltungsvollzug des Gemeinschaftsrechts im wesentlichen Sache der Mitgliedstaaten 23, und der weitaus überwiegende Teil aller gemeinschafts rechtlichen Normen wird nur und ausschließlich durch nationale Behörden angewendet. Die Gemeinschaftsverträge gehen von dem Grundsatz aus, daß das materielle Gemeinschaftsrecht von den Mitgliedstaaten durch deren Verwaltungsorganisation und nach den Regeln ihres Verwaltungsrechts ausgeführt wird 24. Entsprechend besitzen die Europäischen Gemeinschaften auch nur ausnahmsweise in einigen Teilbereichen einen eigenen Verwaltungsunterbau; daher sind sie zum direkten Vollzug des gesamten Gemeinschaftsrechts von ihrer personellen und sachlichen Ausstattung her überhaupt nicht imstande 25.
I. Direkter Vollzug Die Bereiche, in denen eine Kompetenz der Europäischen Gemeinschaften zum Vollzug des Gemeinschaftsrechts durch eigene Organe und Behörden im primären Gemeinschaftsrecht angelegt ist und in denen entsprechend direkter
Schweitzer, Die Verwaltung 1984, S. 139. Everling, FS Ophüls, S. 36; Hil/, Rückgriff auf nationale veIWaltungsrechtliche Regeln, S. 68 C.; Ipsen, H. P. Europäisches Gemeinschaftsrecht, § 9f2f" S. 220; Schweitzer, Die Ve1W3ltung 1984, S. 139; Streinz, Die VeIWaltung 1990, S. ISS. 23 Hil/, Organisationsstruktur der EG, S. 202; die wesendichen tatsächlichen Gründe, die diese Aufteilung sinnvoll erscheinen lassen, nennt Rengeling, Rechtsgrundsätze beim Verwaltungsvollzug, S. 26 ff. 24 Hil/, Rückgriff auf nationale veIWaltungsrechdiche Regeln, S. 69; vgl. auch Bieber, Verwaltungsorganisation, S. 90. 25 Ipsen, H. P., Europäisches Gemeinschaftsrecht, § 9!23, S. 218; zur personellen Ausstattung der Gemeinschaftsorgane ausführlicher Bieber, VeIWaltungsorganisation, S. 96 ff. m.w.N. 21
22
76
Teil 2: Schutz durch VerwaltungsorganisatioDSrecht
Vollzug des Gemeinschaftsrechts stattfindet, lassen sich in den gemeinschaftsinternen und den gemeinschaftsexternen direkten Vollzug unterteilen 26. Gemeinschaftsinterner direkter Vollzug findet statt bei der Personal- und Materialverwaltung der Europäischen Gemeinschaften, vor allem bei den Personalangelegenheiten der mehr als 22.000 Bediensteten auf der Grundlage des Artikels 24 des Fusionsvertrages 27, beim Haushaltsvollzug auf der Grundlage des Artikels 205 EWGV sowie in weiteren Verwaltungsbereichen innerhalb der Organe der Europäischen Gemeinschaften 28. Gemeinschaftsexterner direkter Vollzug, also Verwaltungsvollzug durch Organe der Europäischen Gemeinschaften unmittelbar dem Gemeinschaftsbürger gegenüber 29, ist vor allem im Bereich der EGKS 30 sowie im Kartell-, Monopol- und Beihilferecht nach den Artikeln 85 ff. EWGV vorgesehen, weiter im Verkehrsrecht nach den Artikeln 74 ff. EWGV sowie bei der Sozial- und Handelspolitik nach den Artikeln 113, 115 und 117 ff. EWGV 31, sowie schließlich bei den durch die sogenannten Sondereinrichtungen der Gemeinschaften wie die Europäische Investitionsbank oder die Versorgungsagentur der EAG wahrgenommenen Aufgaben 32.
11. Indirekter Vollzug Indirekter Vollzug, also die Anwendung des Gemeinschaftsrechts durch die Verwaltungen der Mitgliedstaaten, findet immer dann statt, wenn für einen bestimmten Bereich des Gemeinschaftsrechts gemeinschaftsunrnittelbarer Vollzug weder im primären Gemeinschaftsrecht vorgesehen ist noch aufgrund primärrechtlicher Kompetenzbestimmungen durch sekundäres Gemeinschaftsrecht eingeführt werden kann 33. Weil die Begründung solcher Gemeinschaftskom26
f.
Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht I, S. 25 ff.; Überblick auch bei Kössinger, S. 19
27 Vertrag zur Einsetzung eines gemeinsamen Rates und einer gemeinsamen Kommission der Europäischen Gemeinschaften vom 08.04.1965, ABI. 1967 Nr. 152 S. 2. 28 Einen Überblick geben Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht I, S. 25 Cf.; Schweilzer, Die Verwaltung 1984, S. 140; Schweitzer!Humnter, S. 126, sowie Grabilz, NJW 1989, S. 1777. 29 Grabilz, NJW 1989, S. 1777. 30 Streinz, Die Verwaltung 1990, S. 155; Everlmg, DVBI. 1983, S. 650 f. 31 VgI. Schweilzer!Humnter, S. 126, sowie Bieber, Verwaltungsorganisation, S. 96 Cf. m.w.N. 32 Hierzu Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht I, S. 31 f. 33 Schweilzer, Die Verwaltung 1984, S. 141; vgI. auch Everling, DVBI. 1983, S. 651.
B. Arten des Vollzugs des Gemeinschaftsrechts
77
petenzen im primären Gemeinschaftsrecht einen seltenen Ausnahmefall darstellt, wird der weitaus größte Teil des Gemeinschaftsrechts und damit auch seiner finanzwirksamen Bestimmungen im indirekten Vollzug durch die nationalen Behörden der Mitgliedstaaten angewendet 34. Insbesondere werden die Eigenmittel der Europäischen Gemeinschaften grundsätzlich von den Mitgliedstaaten gemäß deren nationalen Rechts- und Verwaltungsvorschriften erhoben und die Ausgaben in entsprechender Weise getätigt 35. Hierbei werden die nationalen Verwaltungen entweder unmittelbar aufgrund einer gemeinschaftsrechtlichen Regelung tätig oder auf der Grundlage nationaler Rechtssätze, die das Gemeinschaftsrecht und hier insbesondere Richtlinien in nationales Recht umsetzen und sie häufig erst vollzugsfahig konkretisieren 36. Beide Formen des indirekten Vollzugs können bei derselben Maßnahme gleichzeitig nebeneinander auftreten 37. Die wichtigsten Bereiche des indirekten Vollzugs des Gemeinschaftsrechts und zugleich von hoher Bedeutung für die finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften sind die Verwaltung des Gemeinsamen Agrarmarktes und der Zolltarif-Außenschutz der Gemeinschaften 38. Hervorzuheben ist,. daß der indirekte Vollzug des Gemeinschaftsrechts nicht als Ausdruck oder Folge temporärer Unvollkommenheit der europäischen Integration anzusehen ist. Vielmehr ist gemäß Artikel 5 EWGV und gemäß dem institutionellen System der Gemeinschaften das Gemeinschaftsrecht auf den Vollzug durch die Mitgliedstaaten angelegt 39, der mitgliedstaatliche Vollzug entspricht der Grundstruktur der Verträge 40. Deshalb hat auch der Europäische Gerichtshof den indirekten Vollzug nicht mit den aus anderen Bereichen bekannten "Zustands-Klauseln" bewertet. Er hat ihn also nicht lediglich wegen des derzeit begrenzten Standes der Integration als gerechtfertigt angesehen, sondern den Vollzug des Gemeinschaftsrechts als die natürliche Aufgabe der
34 VgI.lpsen, H. P., Europäisches Gemeinschaftsrecht, § 9/26, S. 220; SiedentopflHauschild, DÖV 1990, S. 446 f., S. 452 f.; Streinz, Die Verwaltung 1990, S. 155 ff. 3S Hierzu ausführlicher Magiera, Finanz- und FondsvelW3ltung, S. 117 ff. m.w.N. 36 Diese beiden Typen des mitgliedstaatlichen Vollzugs werden teilweise als mittelbare bzw. unmittelbare mitgliedstaatliche Vollziehung terminologisch gegeneinander abgegrenzt, vgl. Rengeling, Rechtsgrundsä1Ze beim Verwaltungsvollzug, S. 9 ff. 37 Everling, DVBI. 1983, S. 650; Rengeling, EuR 1984, S. 333 m.w.N. 38 Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht I, S. 34. 39 Götz, EuR 1986, S. 32 f. m.w.N.; Weber, Durchführung des Gemeinschaftsrechts, S. 45. 40 Hilf, Organisationsstruktur der EG, S. 202 m.w.N.; Rengeling, Rechtsgrundsä1Ze beim Verwaltungsvollzug, S. 26 ff. begründet die Vorteile des mitgliedstaatlichen Vollzngs ausführlich.
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Teil 2: Schutz durch Vcrwaltungsorganisationsrecht
Mitgliedstaaten betrachtet 41. Entsprechend wird auch in Zukunft der indirekte Vollzug des Gemeinschaftsrechts, also seine Anwendung durch die Behörden der Mitgliedstaaten, die Art des Verwaltungsvollzugs des Gemeinschaftsrechts sein, in der die große Mehrzahl der gemeinschaftsrechtlichen Normen vollzogen wird. Dieser Umstand unterstreicht die große Bedeutung einer angemessenen Verwaltungsorganisation gerade der mit der Anwendung des Gemeinschaftsrechts betrauten nationalen Verwaltungsinstanzen.
c. Organisationskompetenz beim direkten Vollzug Die Verteilung der Organisationskompetenzen für den direkten Vollzug des Gemeinschaftsrechts wird durch die Gemeinschaftsverträge nicht eindeutig geregelt: weder legen die Gemeinschaftsverträge eine ausdrückliche allgemeine Organisationskompetenz der Europäischen Gemeinschaften oder der für sie handelnden Organe fest, noch lehnen sie sie ausdrücklich ab 42. Jedoch haben in den Gemeinschaftsverträgen und in deren Änderungen und Ergänzungen die Mitgliedstaaten selbst die primäre Organisationsstruktur der Europäischen Gemeinschaften durch die Einsetzung der vier Organe Parlament, Rat, Kommission und Gerichtshof sowie durch die im primären Gemeinschaftsrecht vorgesehenen Neben- und Unterorgane sowie rechtsfabigen Glieder dieser Einrichtungen verbindlich festgelegt. Innerhalb der durch diese primäre Organisationsstruktur vorgegebenen Grenzen steht die Kompetenz zur Organisation des direkten Verwaltungsvollzuges den Gemeinschaften und deren Organen zu. Die sekundäre Organisationsstruktur sind sie aufgrund ausdrücklicher vertraglicher Kompetenzzuweisungen festzulegen befugt. Die tertiäre Organisationsstruktur können sie ohne solche ausdrücklichen Kompetenzzuweisungen bestimmen, wobei sich ihre Kompetenzen entweder aus stillschweigend in vorhandenen Handlungsermäch-
41 Vgl. EuGH 15.121971 - International Fruit Company, Rs. 51-54n1 - S1g. 1971, S. 1107, 1116; EuGH 21.09.1983 - Deutsche Milchkontor, Rs. 205-215/82 - Slg. 1983, S. 2633, 2665. 42 Constantinesco, S. 435; Bieber, Vcrwaltungsorganisation, S. 86.
c. Organisationskomperenz beim direkten Vollzug
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tigungen enthaltenen Kompetenzzuweisungen, aus einer ihnen wie auch anderen internationalen Organisationen generell zuzuerkennenden Organisationsgewalt oder aus Artikel 235 EWGV ergeben können 43 • Damit besitzen die Europäischen Gemeinschaften die Kompetenz, innerhalb der durch die organisationsrechtlichen Vorgaben der Gemeinschaftsverträge festgelegten Grenzen 44 ihre Verwaltungsorganisation selbst zu bestimmen. Diese Kompetenz kann auf ausdrücklicher Zuweisung durch die Gemeinschaftsverträge beruhen, etwa wenn die Verträge pauschal den Gemeinschaftsorganen die innere Organisationsgewalt in Form der Befugnis zum Erlaß von Geschäftsordnungen zuweisen, wie etwa in Artikel 16 des Fusionsvertrages der Kommission, in Artikel 141 EWGV dem Europäischen Parlament oder in Artikel 196 EWGV dem Wirtschafts- und Sozialausschuß 45. Bei Fehlen einer solchen ausdrücklichen Zuweisung läßt sich die Organisationskompetenz aus dem auch als Organisationsgewalt bezeichneten Selbstverwaltungsrecht der Gemeinschaftsorgane herleiten 46. Gegebenenfalls kann sie auf Artikel 235 EWGV als vertragliche Ermächtigung der Gemeinschaften gestützt werden 41, nachdem seit der als Folge der Willensbekundung des Pariser EG-Gipfels von 1972 großzügigeren Handhabung des Artikels 235 EWGV anerkannt ist, daß auch die Gründung verselbständigter und mit Rechtsfahigkeit versehener Institutionen zur vertraglichen Zielverwirklichung im Sinne von Artikel 235 EWGV erforderlich und geeignet sein kann 48. Damit bestehen in Gebieten, in denen die Europäischen Gemeinschaften die Kompetenz zum direkten Vollzug des Gemeinschaftsrechts besitzen, keine 43 VgI. hierzu umfassend und mit ausführlichen w.N. Hilf, OrganisatioDSStruktur der EG, S. 4, 13 ff., 65 ff., 109 ff., 163 ff. 44 Zu den in den Gemeinschaftsverträgen ausdrücklich vorgesehenen Organen, Institutionen und Einrichtungen vgl. Oppermann, S. 89 ff., 146 m.w.Nj teilweise enthalten die Vertragsnormen selbst bereits spezifische Organisationsregeln, so etwa Artikel 124 EWGV für den bei der Verwaltung des Sazialfonds beteiligten Ausschuß; die Einzelheiten der Zusammensetzung dieses Ausschusses regelt der Beschluß 83/517 des Rates vom 17.10.1983, ABI. 1983 Nr. L 289 S. 42, vgI. Jonsen, Artikel 124 Rn. 6, in: Grabitz, EWGV. 45 &hwarze, Europäisches Verwaltungsrecht I, S. 25 f. 46 So Constantinesco, S. 435 f., und Oppermann, S. 146 ff., unter Berufung auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs in den beiden Meroni-Fällen, vgl. EuGH 13.06.1958 - Meroni, Rs. 9 und 10/56 - S1g. 1958, S. 11 ff., 53 ff. 41 Einen Überblick über auf der Grundlage des Artikel 235 EWGV geschaffene Institutionen geben Hilf, Organisationsstruktur der EG, S. 150 ff.j Hummer, Artikel 162 Rn. 43 ff., in: Grabitz, EWGVj Schweitzer, Die Verwaltung 1984, S. 150. 48 Ausführlicher Oppermann, S. 147 m.w.N., der als Beispiel den Europäischen FondlI für wäbrun~politische Zusammenarbeit nennt und auf S. 146 f. auch die der Organisationsgewalt der Gemeinschaften gesetzten Grenzen beschreibt.
Teil 2: Schutz durch Verwaltungsorganisationsm:ht
80
Kompetenzprobleme zwischen Gemeinschaften und Mitgliedstaaten hinsichtlich der Bestimmung der Verwaltungsorganisation. Allein die Gemeinschaften sind zum Erlaß der einschlägigen organisationsrechtlichen Normen befugt und haben damit die Möglichkeit, selbst den Erfordernissen effektiver und einheitlicher Anwendung des Gemeinschaftsrechts und ihren finanziellen Interessen bei der Gestaltung der Verwaltungsorganisation Rechnung zu tragen.
D. Organisationskompetenz beim indirekten Vollzug Beim indirekten Vollzug des Gemeinschaftsrechts, der für die Einnahmen und Ausgaben der Europäischen Gemeinschaften von wesentlich größerer Bedeutung ist, steht die Kompetenz zur Vollzugsorganisation, die staatsrechtlich auch als Organisationsgewalt bezeichnet wird 49, grundsätzliCh den Mitgliedstaaten zu.
I. Gmndsatz: Verwaltungsorganisatorische Autonomie der Mitgliedstaaten Die Gemeinschaftsverträge weisen den Europäischen Gemeinschaften weder ausdrücklich noch konkludent Kompetenzen zur Regelung der Organisation des mitgliedstaatlichen Vollzuges des Gemeinschaftsrechts zu so. Damit ist die Organisationsgewalt beim indirekten Vollzug des Gemeinschaftsrechts nach dem den Gemeinschaftsverträgen inhärenten Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung S1 den Mitgliedstaaten verblieben. Diese mitgliedstaatliche Zuständigkeit zur Regelung der Organisation des indirekten Verwaltungsvollzuges ergibt sich auch ausdrücklich aus dem primären Gemeinschaftsrecht, nämlich aus Artikel 5 EWGV wie auch aus Artikel 189 EWGV. Nach Artikel 5 EWGV ist es die Pflicht der Mitgliedstaaten, alle geeigneten Maßnahmen zur Erfüllung der übernommenen vertraglichen Verpflichtungen zu treffen und damit auch für den verwaltungsmäßigen Vollzug 49
Zur Begrifflicbkeit vgl. HU!. OrganisatioDSStruktur der EG, S. 8 ff.
S1
Hierzu oben S. 74 m.w.N.
so Zuleeg, KSE 9, S. 211; Rengeling, Rechtsgrundsätze beim Verwaltungsvollzug, S.33.
D. OrganisationskompeteDZ beim indirekten Vollzug
81
des Gemeinschaftsrechts Sorge zu tragen. Nach Artikel 189 EWGV ist es hinsichtlich der möglichen Rechtsakte des Gemeinschaftsrechts offengelassen, wie diese verwaltuilgsmäßig durchzuführen sind; damit ist eine VOllzugsorganisationskompetenz der Gemeinschaften gerade nicht begründet worden 52. Demnach besteht beim indirekten Vollzug des Gemeinschaftsrechts im Grundsatz verwaltungsorganisatorische Autonomie der Mitgliedstaaten 53. Die Gemeinschaften selbst können weder mitgliedstaatliche Behörden errichten noch bereits bestehenden mitgliedstaatlichen Behörden direkt Zuständigkeiten beim indirekten Verwaltungsvollzug zuweisen 54. Daher kann das Gemeinschaftsrecht auch keine unnrlttelbaren Verpflichtungen oder Zuständigkeiten bestimmter Verwaltungs träger der Mitgliedstaaten begründen, sondern muß sich stets an die Mitgliedstaaten als solche wenden. Die Bestimmung der für den Vollzug des Gemeinschaftsrechts konkret zuständigen Behörden wie auch diejenige der personellen und sachlichen Ausstattung und der Befugnisse dieser Behörden steht allein den Mitgliedstaaten zu 55. Diese legen auf der Grundlage ihrer nationalen verfassungsrechtlichen Vorschriften fest, welche Behörden für den Vollzug des Gemeinschaftsrechts zuständig sein sollen und wie diese Behörden personell und sachlich auszustatten sind 56. Entsprechend hat der Europäische Gerichtshof bestätigt, ausschließlich das jeweilige Verfassungssystem der Mitgliedstaaten entscheide darüber, in welcher Weise der Staat die Ausübung der sich für ihn ergebenden Befugnisse oder Pflichten zur Anwendung des Gemeinschaftsrechts bestimmten innnerstaatlichen Organen übertragen kann 51.
Die für die Kompetenz zur Verwaltungsorganisation beim indirekten Verwaltungsvollzug des Gemeinschaftsrechts einschlägigen verfassungsrechtlichen Normen in der Bundesrepublik Deutschland sind die Artikel 30, 83 ff. und 108 des Grundgesetzes 58. Die ZustäDdigkeitsverteilung für die Erhebung von Zöllen und Abgaben im Rahmen der Europäischen Gemeinschaften regelt das 52 Vgl. Hilf, Organisationsstruktur der EG, S. 202 f. m.w.N.; Holch, EuR 1967, S. 224 f. 53 Hilf, Organisationsstruktur der EG, S. 203. S4 Götz, EuR 1986, S. 33 m.w.N.; so schon Holch, EuR 1967, S. 225. 55 Zuleeg, KSE 9, S. 211 f. m.w.N. 56 Ipsen, H. P., Europäisches Gemeinschaftsrecht, § 9/2fJ, S. 220; Schweitzer, Die Verwaltung 1984, S. 162; Everling, DVBI. 1983, S. 653; Hilf, Organisationsstruktur der EG, S. 202 f.; Rengeling, Fragen zum allgemeinen Verwaltungsrecht in der EG, S. 480; tiers., Rechtsgrundsätze beim Verwaltungsvollzug, S. 33 f. mit umfassendem Nachweis S. 34 in Fn. 133. 51 EuGH 15.12.1971 - International FruitCompany, Rs.51 - 54nl - Slg. 1977, S. 1107, 1116; weitere Nachweise bei Rengeling, Rechtsgrundsätze beim Verwaltungsvollzug, S. 34 in Fn. 133. S8 Schweitzer, Die Verwaltung 1984, S. 162 m.w.N. 6 Poche
Teil 2: Schutz durch Verwaltungsorganisationsrecht
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Grundgesetz ausdrücklich, indem es in seinem Artikel 108 deren Verwaltung durch Bundesfinanzbehörden vorschreibt. Für den Vollzug der landwirtschaftlichen Marktordnungen, soweit er nicht Abgaben betrifft, und für die AußenwirtSChaftsregelungen bestehen nach deutschem nationalem Recht Bundesoberbehörden, die auch das Gemeinschaftsrecht vollziehen S9. Bei der Projektförderung durch Agrar- und Regionalfonds werden die Länder mit dem Verwaltungsvollzug betraut, wobei allerdings der Bund nach Maßgabe des unmittelbar nur die Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern betreffenden Artikel 91 a GG mitwirkt 60. Zusammengefaßt bestehen damit für den besonders finanzrelevanten indirekten Vollzug des Gemeinschaftsrechts keine ausdrücklich vorgesehenen Organisationskompetenzen der Europäischen Gemeinschaften. Entsprechend gibt es in diesem Bereich auch kein umfassendes "europäisches Organisationsrecht" 61. Vielmehr herrscht verwaltungsorganisatorische oder institutionelle Autonomie der Mitgliedstaaten 62, die grundsätzlich nach ihrer eigenen freien Entscheidung die Zuständigkeit, Ausstattung und Befugnisse der Behörden bestimmen, die das Gemeinschaftsrecht vollziehen. Gebunden werden sie hierbei nicht durch entsprechende konkrete organisatorische Vorgaben des Gemeinschaftsrechts, sondern grundsätzlich allein durch ihre nationalen Verfassungen und die in diesen enthaltenen organisationsrechtlichen Bestimmungen.
11. Einschränkungen der mitgliedstaatlichen verwaltungsorganisatorisehen Autonomie Die grundsätzliche verwaltungsorganisatorische Autonomie der Mitgliedstaaten bei der Durchführung auch des finanzrelevanten Gemeinschaftsrechts erfährt jedoch gemeinschaftsreChtliche Einschränkungen 63. Einerseits sind nämlich die Mitgliedstaaten bei der Ausübung der ihnen zustehenden Organisationskompetenzen für den indirekten Vollzug des Gemein-
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Ausführlich Voss, RIW/AWD 1979, S. 661 ff.j ferner Tetzel, RIW/AWD 1982, S. 336 ff. Vgl.Everling, DVBI. 1983, S. 653 f. m.w.N. Scherer, EuR 1986, S. 54. Rengeling, Europäisches Gemeinschaftsrecht und nationaler Rechtsschutz, S. 198 ff.
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ZusammenfassendEverling, DVBI. 1983, S. 653 f.
S9 60 61
m.w.N.
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schaftsrechts durch das Prinzip der Gemeinschaftstreue gebunden, das jedenfalls extreme nationale Organisationsentscheidungen verhindern dürfte. Andererseits können sich unter bestimmten Voraussetzungen auch ausnahmsweise Kompetenzen der Europäischen Gemeinschaften zumindest zur Einflußnahme auf die Organisationsentscheidungen der Mitgliedstaaten aus den Gemeinschaftsverträgen ergeben.
1. Bindung der Mitgliedstaaten durch das Prinzip der Gemeinschaftstreue Schranken für die verwaltungsorganisatorische Autonomie der Mitgliedstaaten ergeben sich vor allem aus ArtikelS EWGV 64, genauer aus dem in ihm enthaltenen Prinzip der Gemeinschaftstreue. Das Prinzip der Gemeinschaftstreue vetpflichtet die Mitgliedstaaten generell, alle geeigneten Maßnahmen zur Erfüllung ihrer gemeinschafts rechtlichen Verpflichtungen zu ergreifen sowie Maßnahmen, die die Erfüllung dieser Verpflichtung gefahrden können, zu unterlassen 65. Speziell auf die Verwaltungsorganisation bezogen begründet das Prinzip der Gemeinschaftstreue die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, einen wirksamen Vollzug des Gemeinschaftsrechts sicherzustellen und die mit dem Vollzug betrauten Behörden dafür angemessen auszustatten 66. Die mitgliedstaatliche Verwaltungsorganisation muß also aufgrund des Artikel S EWGV die Effektivität und einheitliche Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts gewährleisten 61. Damit erlegt das Gemeinschaftsrecht den Mitgliedstaaten keine Vetpflichtung zur Einführung bestimmter Organisationsformen oder zur Einrichtung bestimmter Behörden auf. Es gibt lediglich das durch die nationale Organisationsentscheidung zu erreichende Ziel verbindlich vor: Ziel ist die effektive und einheitliche Geltung des Gemeinschaftsrecht. Solange die Mitgliedstaaten die
Ebenso aus Artikel 192 EAGV und aus Artikel 86 Alls. 1 und 2 EGKSV. Vgl. etwa Oppermann, S. 209. 66 Everling, DVBI. 1983, S. 653 mit Beispielen gemeinschaftsrechtswidriger Behördenorgani· sation; siehe auch Hilf, Rückgriff auf nationale verwaltungsrechtliche Regeln, S. 72:, zu den aus Artikel S EWGV folgenden Mitwirkungspflichten der Mitgliedstaaten beim Vollzug des Gemein· schaftsrechts siehe auch Bleckmann, ArtikelS Rn. 6 Cf., in: von der Groeben, EWGV, 3. Auflage. 61 Weber, Durchführung des Gemeinschaftsrechts, S. 46; Hilf, Organisationsstruktur der EG, S.203. 64 6S
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Auswahl unter den möglichen Organisationsformen so treffen, daß dieses Ziel der effektiven und einheitlichen Geltung des Gemeinschaftsrechts erreicht wird, schränkt Artikel 5 EWGV ihre Organisationsgewalt in keiner Weise ein. Erst wenn die mitgliedstaatlich ausgewählte Verwaltungsstruktur so ungeeignet ist, daß das Gemeinschaftsrecht in einem Mitgliedstaat nicht effektiv und einheitlich durchgeführt werden kann, wenn also die Ausgestaltung der Verwaltungsorganisation in materielle Qualität umschlägt 68, verstößt die Ausübung der mitgliedstaatlichen Organisationsgewalt gegen Artikel 5 EWGV. Eine derartig ungeeignete Ausgestaltung der nationalen Verwaltungsorganisation wird aber stets einen Ausnahmefall darstellen, weil das Gemeinschaftsrecht normalerweise auf verschiedene, der jeweiligen nationalen Verwaltungsstruktur entsprechende Weisen angemessen angewendet werden kann 69• Dennoch sind ungeeignete Organisationsentscheidungen der Mitgliedstaaten, die die finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften beeinträchtigen, nicht von nur theoretischem Interesse und bar jeder praktischen Relevanz. Vielmehr erweist sich die von den Mitgliedstaaten eingeführte Verwaltungsstruktur in Ausnahmefällen tatsächlich als ungeeignet zum Vollzug gemeinschaftsrechtlicher Bestimmungen, und zwar vor allem bei der Kontrolle und Überwachung der Einnahmen und Ausgaben der Gemeinschaften 70.
2. Durchsetzung der mitgliedstaatlichen Bindung aus ArtikelS EWGV Die Verpflichtung der Mitgliedstaaten aus dem in Artikel 5 EWGV verankerten Prinzip der Gemeinschaftstreue, von ihrer Organisationskompetenz nur in solcher Weise Gebrauch zu machen, daß die einheitliche und effektive Anwendung des Gemeinschaftsrechts beim indirekten Vollzug gewährleistet ist, können die Gemeinschaften selbst durchsetzen. Nach Artikel 155 EWGV überwacht die Kommission als Hüterin der Verträge die ordnungsgemäße Anwendung des Gemeinschaftsrechts durch Personen, Mitgliedstaaten und Gemeinschaftsorgane 71. Im Rahmen dieser ihrer EuR 1986, S. 32 Götz, EuR 1986, S.32. 70 Vgl. nur 4. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 2262/84 des Rates, ABI. 1984 Nr. L 208 S. 11, in dem der Rat selbst die Feststellung trifft, daß die Erfahrung gezeigt habe, daß die Verwaltungsstruktur der EJZeugermitgliedstaaten für die Durchführung der gemeinschaftsrechtlich vorgesehenen Kontrollen unzureichend sei. 71 Ausführlich Sclunitt von Sydow, Artikel 155 Rn. 4 ff. m.w.N., in: von der Groeben, EWGV. 68 So Götz,
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Kontrollfunktion hat sie auch zu prüfen, ob die velWaltungsorganisatorische Umsetzung des Gemeinschaftsrechts durch die Mitgliedstaaten mit Artikel 5 EWGV vereinbar ist oder ob die nationale VelWaltungsorganisation die einheitliche und effektive Anwendung des Gemeinschaftsrechts unmöglich macht. Die Kommission kann hierzu Auskünfte von den Mitgliedstaaten über die velWaltungsorganisatorische Umsetzung des Gemeinschaftsrechts auf der Grundlage des Artikels 213 EWGV oder des Artikels 5 EWGV einholen 12. In großen Teilen des sekundären Gemeinschaftsrechts ist seit Erlaß der Verordnung über die Finanzierung der Gemeinsamen Agrarpolitik 13 auch bereits unmittelbar eine Mitteilungspflicht hinsichtlich der für die innerstaatliche Durchführung des Gemeinschaftsrechts zuständigen Behörden angeordnet 74, die die entsprechenden Informations- und Kontrollmöglichkeiten der Kommission sicherstellt. Kommt die Kommission zu dem Ergebnis, daß eine nationale Organisationsentscheidung den effektiven und einheitlichen Vollzug des Gemeinschaftsrechts unmöglich macht und deshalb gegen Artikel 5 EWGV verstößt, kann sie im Rahmen eines Vertragsverletzungsverfahrens nach Artikel 169 EWGV 75 eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs über das Vorliegen einer Vertragsverletzung herbeiführen. Bei Begründetheit der Klage 16 trifft den Mitgliedstaat auf das Feststellungsurteil des Europäischen Gerichtshofs nach Artikel 171 EWGV hin eine Abänderungspflicht bezüglich der für vertragswidrig erklärten organisatorischen Normen. Er muß alle geeigneten Maßnahmen zur Beseitigung der Pflichtverletzung ergreifen 11, also die festgestellten Mängel seiner Organisationsentscheidung beheben und eine gemeinschaftsrechtsgemäße Organisation des indirekten Vollzuges sicherstellen.
12 Vgl. Hummer, Artikel 213 Rn. 3 ff., in: Grabilz, EWGV, der m.w.N. zu den unterschiedlichen in Betracht kommenden Ermächtigungsnormen SteIlung nimmt 13 Vgl. Artikel 4 der Verordnung Nr. 729nO, ABI. 1970 Nr. L 94 S. 13. 14 Hilf, Rückgriff auf nationale verwaltungsrcchtliche Regeln, S. 71; Schweitzer, Die Verwaltung 1984, S. 162 f. m.w.N., S. 163 Fn. 219. 7S Vgl. zu den einzelnen Abschnitten dieses Verfahrens ausführlich Gaster, S. 22 ff. 76 Hierzu Karpenstein, Artikel 169 Rn. 68 f., in: Grabitz, EWGV. 77 Gaster,S.49ff. m.N. der einschlägigen Judikaturdes Europäischen Gerichtshofs in Fn.l30 f.
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3. Kompetenzen der Europäischen Gemeinschaften zur Einflußnahme auf die Verwaltungsorganisation der Mitgliedstaaten
Eine Kompetenz der Europäischen Gemeinschaften für direkte Zugriffe auf die Verwaltungsorganisation der Mitgliedstaaten, die mit dem indirekten Vollzug des Gemeinschaftsrechts betraut ist, ist grundsätzlich in den Gemeinschaftsverträgen nicht vorgesehen. Die Europäischen Gemeinschaften können also weder selbst unmittelbar mitgliedstaatliche Behörden errichten noch Zuständigkeiten auf diese verteilen. Fraglich ist jedoch, ob das Gemeinschaftsrecht nicht indirekt Zugriff auf die Organisationsstruktur der Mitgliedstaaten nehmen kann, indem es die Mitgliedstaaten zur Bildung bestimmter Organisationseinheiten veranlaßt oder verpflichtet oder ihnen sonstige Vorgaben für ihre Organisationsentscheidungen auferlegt 76, also die nationalen Verwaltungsorganisationsrechte zumindest teilweise harmonisiert. Als Kompetenzgrundlage für solche möglicherweise im Ausnahmefall zulässigen gemeinschaftsrechtlichen Regelungen der innermitgliedstaatlichen Vollzugsorganisation und Zuständigkeit kommen all die Bestimmungen des primären Gemeinschaftsrechts nicht in Betracht, in denen lediglich von den "Behörden der Mitgliedstaaten" 79, den "zuständigen Behörden" 80 oder den "zuständigen Verwaltungen der Mitgliedstaaten" 61 die Rede ist. Diese Regelungen überlassen es nämlich gerade den Mitgliedstaaten, die Zuständigkeiten ihrer Organe zu bestimmen, sie übertragen den Gemeinschaften keinerlei Organisationsgewalt 62. Kompetenzgrundlage können vielmehr nur diejenigen Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts sein, die den Gemeinschaften die Befugnis zum Erlaß "aller erforderlichen Maßnahmen" zur Erreichung eines bestimmten Zieles zuweisen 63, insbesondere und mit der größten praktischen Relevanz Artikel 40 Absatz 3 EWGV, der die Europäischen Gemeinschaften ermächtigt, "alle zur Durchführung des Artikel 39" erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, also alle Maßnahmen, die zur Durchführung der Gemeinsamen Agrarpolitik erforderlich sind. Daneben können gegebenenfalls auch die Artikel Vgl. Hilf, Organisationsstruktur der EG, S. 202 ff. Artikel 88 EWGV. 60 Artikel 89 Abs. 1 EWGV. 61 Artikel 54 Abs. 11it. b EWGV. 62 Ausführlich Rengeling, Rechtsgrundsätze beim Verwaltungsvollzug, S. 33 m.w.N.; Rengeling, EuR 1974, S. 226 f. 63 Dies sind vor allem Artikel 40 Abs. 3 EWGV, Artikel 49 EWGV, Artikel 75 Abs. 1lit. c EWGV, Artikel 103 Abs. 2 EWGV; vgl. Rengeling, Rechtsgrundsätze beim Verwaltungsvollzug, S.33. 76
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100 ff. und 235 EWGV 84 bzw. die sogenannten "implied powers" 85, also die ungeschriebenen Zuständigkeiten kraft Sachzusammenhangs zur vollständigen und wirksamen Regelung eines Sachgebietes, auf dem den Gemeinschaftsorganen ausdrücklich Kompetenzen zugestanden sind 86, den Gemeinschaften Kompetenzen zum Zugriff auf nationale OrganisationsentsCheidungen verleihen. Für all diese möglichen Kompetenzgrundlagen gilt jedoch: sie sind grundsätzlich gegenständlich beschränkt~, und zwar beschränkt auf die Befugnis zum Erlaß materiellrechtlicher Regelungen 88. Damit auf diese Normen des primären Gemeinschaftsrechts Rechtsakte der Gemeinschaftsorgane gestützt werden können, die in die Verwaltungsorganisation der Mitgliedstaaten eingreifen, muß deshalb eine zusätzliche Voraussetzung erfüllt sein: es ist der zwingende Nachweis erforderlich, daß ohne den Eingriff in die nationale Verwaltungsstruktur die Verwaltungstätigkeit nicht sinnvoll ausgeführt werden kann 89. Anders formuliert: die Sicherung der effektiven und einheitlichen Durchführung des Gemeinschaftsrechts muß den Eingriff in die Verwaltungsorganisation der Mitgliedstaaten zwingend und unumgänglich erfordern 90. Im Hinblick auf Regelungen des allgemeinen Verwaltungsrechts hat der Europäische Gerichtshof entsprechend zu den Artikeln 100 und 235 EWGV entschieden: Die Artikel 100 bis 102 und Artikel 23S EWGV gestatten es gegebenenfalls, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um die Unterschiede in den Rechts- oder Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten in diesem Bereich auszuräumen, wenn sich erweisen sollte, daß sie VerzelTUDgen hervorrufen oder das Funktionieren des gemeinsamen Marktes zu beeinträchtigen geeignet sind 91.
Diese Aussage trifft in gleicher Weise auch für das Verwaltungsorganisationsrecht zu 92, und sie ist von den Artikeln 100 bis 102 und 235 EWGV auch auf die übrigen möglichen Kompetenzgrundlagen zu übertragen. Im wesentlichen bedeutet dies, daß ein Zugriff der Europäischen Gemeinschaften auf die Organisationsstrukturen der Mitgliedstaaten dann zulässig ist, wenn die natioHilf, Organisationsstruktur der EG, S. 203. 85 Hierzu NicolDysen, EuR 1966, S. 131; sehr skeptisch Rengeling, EuR 1974, S. 127 f. 86 Zuleeg, KSE 9, S. 211 f. 87 NicolDysen, EuR 1966, S. 129. 88 Rengeling, Rechtsfragen beim Verwaltungsvollzug, S. 33 m.w.N. 89 Zuleeg, KSE 9, S. 211 f. m.w.N.; in diesem Sinne auch Hokh, EuR 1967, S. 125. 90 Hilf, Organisationsstruktur der EG, S. 203. 91 EuGH 16.12.1976 - REWFJL,andwirtschaftskammer Saarland, Rs. 33n6 - Sig. 1976, S. 1989,1998. 92 Hilf, Organisationsstruktur der EG, S. 203 Fn. 148. 84
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nale Regelung der Vollzugsorganisation zu einem gemeinschaftsrechtswidrigen Zustand führen würde. Eine nationale Organisationsregelung ist gemeinschaftsrechtswidrig, wenn sie d~e effektive und einheitliche Durchführung des Gemeinschaftsrechts verhindert. Eine Kompetenz der Europäischen Gemeinschaften auf der Grundlage weitgefaßter Kompetenzbestimmungen oder der Artikel 100 ff. und 235 EWGV zu verwaltungsorganisatorischen Regelungen besteht demnach dann, wenn beim Erlaß eines gemeinschaftsrechtlichen Rechtsaktes ex-ante erkennbar ist, daß nur durch eine gemeinschaftsrechtliche Gestaltung der nationalen Verwaltungsorganisation eine einheitliche und effektive Durchführung des Gemeinschaftsrechts erreicht werden kann. In einem solchen Fall brauchen die Gemeinschaften also nicht erst abzuwarten, bis die Mitgliedstaaten unzulängliche nationale organisationsrechtliche Maßnahmen getroffen haben, um gegen diese im Wege eines Vertragsverletzungsverfahrens vor dem Europäischen Gerichtshof vorzugehen, sondern sie sind befugt, von vornherein gemeinschaftsrechtlich diejenigen Elemente der Organisationsentscheidung festzulegen, die für den effektiven und gemeinschaftsweit einheitlichen Vollzug des Gemeinschaftsrechts zwingend erforderlich sind.
4. Bisherige Zugriffe der Europäischen Gemeinschaften auf die nationale Organisationsstmktur Bislang sind nur vereinzelt Ansätze für Einwirkungen des Gemeinschaftsrechts auf die Verwaltungsorganisation der Mitgliedstaaten feststellbar, allerdings mit in jüngerer Vergangenheit sich beschleunigender Tendenz und zunehmender Intensität des Eingriffs in die nationale Verwaltungsautonomie 93.
93 So Hilf, Rückgriff auf nationale verwaltun~rechtliche Regeln, S. 76 mit den 1982 feststellbaren Bereichen auf S. 73 ff. m.w.N.; ebenso Bieber, Verwaltungsorganisation, S. 90; vgI. nur etwa die sehr detaillierten verwaltungsorganisatorischen Regelungen in der Verordnung Nr. 4045/89, ABI. 1989 Nr. L 388 S. 18.
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a) Statistiken Für die Erhebung von Statistiken ist gemeinschaftsrechtlich vorgeschrieben worden 94, daß die gesammelten Daten von den Statistischen Ämtern der Mitgliedstaaten aufbereitet und dann an die Gemeinschaften weitergeleitet werden 95. Hier wurde also gemeinschaftsrechtlich direkt das Tätigwerden dieser bestimmten nationalen Behörden "Statistische Ämter" vorgeschrieben 96. b) Landwirtschaftliche Buchführung Die gemeinsame Agrarpolitik weist die weitestgehenden Ansätze für die gemeinschaftsrechtliChe Vorbestimmung der mitgliedstaatlichen Verwaltungsstrukturen auf 97. So hat der Rat im Jahre 1965 die Bildung eines Informationsnetzes landwirtschaftlicher Buchführung in den Mitgliedstaaten angeordnet 96. Im Rahmen dieser Verpflichtung mußten die Mitgliedstaaten Gebietsausschüsse bilden, die das Informationssystem vor Ort einrichten sollten, eine Verbindungsstelle zwischen Kommission und Gebietsausschüssen bezeichnen sowie Buchungsstellen auswählen. Vor allem die den Mitgliedstaaten auferlegte Verpflichtung zur Einsetzung der Gebietsausschüsse, deren Zusammensetzung und Verfahrensgang durch die Verordnung Nr. 79/65 99 festgelegt wird, greift eindeutig in die Organisationsgewalt der Mitgliedstaaten ein 100. c) Erzeugergemeinschaften Ebenfalls im Bereich des Agrarrechts hat die Gemeinschaft auf verschiedenen Produktmärkten die Bildung von Erzeugergemeinschaften veranlaßt und gefördert sowie die Mitgliedstaaten verpflichtet, diese Erzeugergemeinschaften 94 Durch die Verordnung Nr. 10 des Rates der EWG vom 25.08.1960, ABI. 1960 S. 1199, die eine gemeinschaftsweite Lohnerhebung betrifft. 9S Vf)..Everling, Betriebsberater 1961, S. 422 96 Hierzu wie zu den Gründen Everling, DVBI. 1983, S. 654. 97 Vf).. nur Weber, Durcbführung des Gemeinscbaftsrechts, S. 46. 98 Durch die Verordnung Nr. 79/65, ABI. 1965 S. 1859; vf).. hierzu Hilf, Rückgriff auf nationale verwaltungsrecbdiche Regeln, S. 73. 99 ABI. 1965 Nr. 109 S. 1859. 100 Hilf, OrganisatioDSStruktur der EG, S. 203 f. m.w.N.; Kritik an diesem Eingriff vor allem bei Everling, FS Ophüls, S. 47 Fn. 150.
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anzuerkennen und ihnen bestimmte Verwaltungsaufgaben zu übertragen. wenn eine Reihe organisatorischer Voraussetzungen erfüllt ist 101. Auch hier liegt eine Einflußnahme auf die mitgliedstaatliche Organisationsstruktur vor 102. d) Olivenöl Über diese noch vorsichtig tastenden 103 Zugriffe auf die mitgliedstaatliche Organisationsstruktur hinaus 104 haben die Europäischen Gemeinschaften in den letzten Jahren verstärkt auch organisationsrechtliche Vorschriften erlassen, und zwar vor allem zum Schutz ihrer eigenen finanziellen Interessen durch die Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Verwaltung und Kontrolle gemeinschaftsfinanzierter Maßnahmen im Agrarbereich. Ein instruktives Beispiel aus diesem Bereich ist die Verordnung Nr. 2262/84 lOS über Sondennaßnahmen für Olivenöl. Diese Verordnung ist die Reaktion der Europäischen Gemeinschaften auf den vorangegangenen Subventionsschwindel bei der Beihilferegelung für die Erzeugung von Olivenöl 106. Die auf Artikel 40 Absatz 3 EWGV in Verbindung mit Artikel 43 EWGV gestützte Verordnung beginnt mit folgenden Begründungserwägungen: Die Erfahrung zeigt, daß trotz zahlreicher spezifischer Kontrollen auf der Ebene der Recbtsvorscbriften Probleme hinsichtlich der fristgerechten und wirksamen Durchführung dieser Kontrollen bestehen. Das könnte dazu führen, daß Mittel der Gemeinschaft ungerechtfertigt ausgegeben werden. Aus diesem Grund sollten nunmehr Sonlitik, zu sorgen. Soweit das Gemeinschaftsrecht einschließlich der allgemeinen gemeinschaftsrechtlichen Grundsätze hierfür keine Re-
94 EuGH 21.09.1983 - Deutsche Milchkontor u.a./Bundesrepublik Deutschland, Rs. 205215/82 - Sig. 1983, S. 2633, 2665 unter Hinweis auf seine entsp.-echende vorangegangene Rechtsprechung; vgl. auch Weber, Durchführung des Gemeinschaftsrechts, S. 55; Papier, Einwirkungen, S. 53 f. m.w.N.; ders., ZHR 1988, S. 495; Tetzel, RIW/AWD 1982, S. 336 ff.; Schweitzer/Hummer, S. 131 f., die hinsichtlich des Einflusses des Gemeinschaftsrechts auf Verfahren und allgemeines Vetwaltungsrecht zwischen unmittelbarer und mittelbarer mitgliedstaatlicher Vollziehung differenzieren; ähDlich Streinz, Die Verwaltung 1990, S. 160 f. m.w.N. 95 Rengeling, Europäisches Gemeinschaftsrecht und nationaler Rechtschutz, S. 198 m.w.N. 96 So Grabitz, NJW 1989, S. 1780. 97 So Papier, Einwirkungen, S. 53 f.; Sällner, S. 75 f. m.w.N.
C. Indirekter Vollzug
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gelungen entbält, gehen die nationalen Behörden bei dieser Durchführung der Gemeinschaftsregelungen nach den formellen und materiellen Bestimmungen ihres nationalen Rechts vor, ... 98.
Grundlage dieser Rechtsprechung ist die Erkenntnis, daß das materielle Recht der Europäischen Gemeinschaften sich auf verschiedene Weisen administrieren läßt und daß die Mitgliedstaaten durch Artikel 5 EWGV sowie aufgrund der Struktur der Gemeinschaften berechtigt sind, die ihnen geeignet erscheinende und ihrer sonstigen nationalen Tradition und Verwaltungspraxis entsprechende Art und Weise der Administration auszuwählen. Mitentscheidend dürfte weiter der Gedanke sein, daß die Anwendung des Gemeinschaftsrechts nach dem nationalem Verwaltungsrecht und Verwaltungsverfahrensrecht einem effektiven Verwaltungsvollzug und der Rechtssicherheit in dem jeweiligen Mitgliedstaat eher dienlich sein dürfte als das Bestehen von fragmentarischen Sonderverfahrens- und Sonderverwaltungsrechtsvorschriften nur für das Gemeinschaftsrecht, neben denen für das nationale besondere Verwaltungsrecht die bisherigen nationalen Regelungen weiterhin anwendbar bleiben würden mit der Folge, daß in einem Mitgliedstaat inhaltlich ähnliche Rechtsverhältnisse häufig nach unterschiedlichen Regeln abzuwickeln wären 99. Die Anwendung der unterschiedlichen nationalen Verfahrensrechte und allgemeinen Verwaltungsrechte beim indirekten Vollzug des Gemeinschaftsrechts führt jedoch notwendig dazu, daß das materielle Recht der Europäischen Gemeinschaften in den Mitgliedstaaten auf unterschiedliche Weise, mit unterschiedlichen Modalitäten, zur Geltung gebracht wird 100. Diese unterschiedlichen Modalitäten des Vollzugs können zu einer uneinheitlichen Anwendung und damit zu einer uneinheitlichen Geltung des Gemeinschaftsrechts führen 101, die wiederum Wettbewerbsverzerrungen und Beeinträchtigungen der Chancengleichheit der Betroffenen im gemeinsamen Markt zur Folge haben kann 100. Speziell auf die finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften bezogen liegt auf der Hand, daß unterschiedliche Regelungen über den Widerruf und die Rücknahme von Verwaltungsakten, über das Bestehen von Erstat98 EuGH 2Ul9.1983 - Deutsche Milchkontor u.a./Bundesrepublik Deutschland, Rs. 205215/82 - Slg. 1983, S. 2633, 2665. 99 Näher hierzu Götz, EuR 1986, S. 30 ff., 35 ff.; Hilf, Rückgriff auf nationale vetwaltungsrechtliche Regeln, S. 90. 100 Vgl. Streil, S. 2JJ7 f., in: Beutler/Bieber/Pipkorn/Streil; Götz, EuR 1986, S. 32. 101 Schwarze, Europäisches Vetwaltungsrecht I, S. 49, 464 f. 100 Vgl. dazu etwa die Begrundungsetwägungen der Kommission in dem Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Harmonisierung der Rechts- und Vetwaltungsvorschriften über Recbtsbehelfe in Zollsachen, ABI. 1981 Nr. C 33 S. 2.
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Teil 3: Verfahrensrecht und allgemeines Verwaltungsrecht
tungs-, Bereicherungs- oder WiedergutmachungsanspTÜchen des Bürgers oder RückforderungsanspTÜchen der Verwaltung sowie die Regeln über die Ausgestaltung solcher Ansprüche durch Vorschriften über die Verjährung oder Bestimmungen über den Wegfall der Bereicherung oder den Vertrauensschutz einen unterschiedlichen Verwaltungsvollzug zur Folge haben und die Finanzen der Europäischen Gemeinschaften schädigen können 103. Als Beispiel für die möglichen finanziellen Auswirkungen unterschiedlicher nationaler Vorschriften können etwa nach deutschem oder niederländischem Recht zu Unrecht erhobene Abgaben grundsätzlich nur zurückgefordert werden, wenn der Abgabenbescheid innerhalb der RechtsmiUelfristen angegriffen worden ist, da einem solchen Verlangen ansonsten die Bestandskraft der Abgabenbescheide entgegensteht, während nach den Rechtsordnungen der meisten anderen Mitgliedstaaten unabhängig von den Rechtsmittelfristen eine Rückabwicklung innerhalb der Fristen für die Geltendmachung von Ansprüchen aus ungerechtfertigter Bereicherung möglich ist, so z.B. in Italien innerhalb von zehn Jahren 104. Ebenso ist in einigen Mitgliedstaaten die nachträgliche Einziehung zu Unrecht nicht erhobener Abgaben gesetzlich vorgeschrieben, in anderen steht sie im Ermessen der nationalen Verwaltungen lOS. Schon diese Beispiele zeigen, daß die Unterschiede im für sich allein betrachtet materiell rechtlich neutralen Verwaltungsverfahrensrecht und allgemeinen Verwaltungsrecht der Mitgliedstaaten dazu führen, daß einheitlich für die gesamte Gemeinschaft gültige materiellrechtliche Vorschriften in den Mitgliedstaaten unterschiedlich angewendet werden und damit unterschiedlich gelten 106 und daß sich diese unterschiedliche Geltung durchaus auch auf die Gemeinschaftsfinanzen auswirkt.
2. Ausnahmsweise Gemeinschaftskompetenz Angesichts dieser Auswirkungen des allgemeinen Verwaltungsrechts und des Verfahrensrechts auf die Geltung des materiellen Gemeinschaftsrechts und auf die Gemeinschaftsfinanzen stellt sich zunächst die Frage, inwieweit nicht doch ausnahmsweise eine Kompetenz der Gemeinschaften zur Regelung von Verfahrensfragen gegeben sein kann. 103 104 lOS
106
Grabitz, NJW 1989, S. 1780 m.w.N. Huthmocher, S. 259 ff.; vgl. auch Karpenstein, DVBI. 1977, S. 66 ff. VgI. Götz, EuR 1986, S. 37. So auch Huthmocher, S. 3 m.w.N.
c. Indirekter Vollzug
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a) Spezielle Ermächtigungen Grundlage einer entsprechenden gemeinschaftlichen Kompetenz können zunächst die speziellen Ermächtigungsnormen des primären Gemeinschaftsrechts sein. In Betracht kommen diejenigen Vorschriften der Gemeinschaftsverträge, die den Gemeinschaften die Kompetenz zur Regelung eines bestimmten konkreten Sachbereichs in besonders weitgefaßter Weise übertragen, indem sie etwa zum Erlaß "aller erforderlicher Maßnahmen" 107 oder "aller zweckdienlicher Vorschriften" 108 ermächtigen. Solche Vorschriften weisen den Gemeinschaften grundsätzlich die Kompetenz zu, in einem bestimmten Sachbereich ohne gegenständliche Beschränkung alle Maßnahmen zu ergreifen, die zur Verwirklichung einer Gemeinschaftspolitik erforderlich oder zweckmäßig sind. Erforderlich oder zweckmäßig sind auch verwaltungsrechliche oder verwaltungsverfahrensrechtliche Regelungen, soweit eine einheitliche und effektive, dem Gemeinschaftsrecht zu voller Wirksamkeit verhelfende Anwendung der gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften bei Anwendung der mitgliedstaatlichen Verwaltungsrechtsvorschriften allein nicht gewährleistet werden kann. Genau diese Voraussetzung liegt in den Fällen der materiellrechtlichen Auswirkungen verfahrensrechtlicher oder allgemein verwaltungsrechtlicher Bestimmungen vor. Damit folgt in solchen Fällen eine Kompetenz zur punktuellen Regelung auch des Verfahrens- und des allgemeinen materiellen Verwaltungsrechts beim indirekten Vollzug des Gemeinschaftsrechts - ebenso wie bei seinem direkten Vollzug - aus den entsprechenden konkreten Vorschriften der Gemeinschaftsverträge 109. Die Normen des primären Gemeinschaftsrechts, die zur Begründung einer entsprechenden Kompetenz der Europäischen Gemeinschaften geeignet sind, sind vor allem die Artikel 40 Absatz 3 LV.m. Artikel 43 Absatz 2 EWGV, Artikel 49, Artikel 75 Absatz 1 Buchstabe c und Artikel 103 Absatz 2 EWGV. So weist etwa Artikel 40 Absatz 3 i.V.m. Artikel 43 Absatz 2 EWGV der Gemeinschaft die Kompetenz zu, alle zur Durchführung des Artikels 39 EWGV elforderlichen Maßnahmen
107 108 109
Vgl. Artikel 40 Absatz 3 EWGV. Vgl. Artikel 87 Absatz 1 EWGV. Schwane, Europäisches Verwaltungsrecht I, S. 50 m.w.N.
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Teil 3: Verfahrensrecht und allgemeines Verwaltungsrecht
zu erlassen. Diese Kompetenz beschränkt sich nicht auf die materiellrechtlichen Regelungen des gemeinsamen Agrarmarktes 110. Sie erstreckt sich vielmehr zumindest auch auf diejenigen Verfahrensfragen, die sich unmittelbar auf das Funktionieren, das heißt auf die einheitliche und effektive Anwendung der zur Verwirklichung des Artikels 39 EWGV erlassenen Marktregulierungsvorschriften bei gleichzeitiger Gewährleistung eines freien innergemeinschaftlichen Verkehrs mit Agrarwaren, beziehen lll. Ebenso kommen auch die Artikel 49 EWGV ("alle erforderlichen Maßnahmen") 112, Artikel 75 Absatz 1 Buchstabe c EWGV ("alle sonstigen zweckdienlichen Vorschriften") und Artikel 103 Absatz 2 EWGV ("die der Lage entsprechenden Maßnahmen") als spezielle Ermächtigungsnormen des primären Gemeinschaftsrechts auch als Grundlage zum Erlaß verwaltungsverfahrensrechtlicher Regelungen in Betracht 113. Teilweise wird die Auffasung vertreten, auch diese ausgesprochen weit gefaßten Ermächtigungsnormen des primären Gemeinschaftsrechts verliehen allein die Kompetenz zum Erlaß materiellen Rechts. Bereits der Wortlaut der angesprochenen Artikel des EWG-Vertrages liefert jedoch keinerlei Anhaltspunkte, die diese Auffassung stützen könnten. Darüberhinaus muß bei der Auslegung der fraglichen Vertragsbestimmungen die auch im Gemeinschaftsrecht anwendbare Lehre von den implied powers 114 berücksichtigt werden, nach der die Gemeinschaften zu all denjenigen Maßnahmen ermächtigt sind, die erforderlich sind, um eine ausdrücklich zugeteilte Kompetenz vollständig und wirksam wahrzunehmen 115. Angesichts dessen begründen die Artikel 40 Absatz 3 LV.m. Artikel 43 Absatz 2 EWGV, Artikel 49 EWGV, Artikel 75 Absatz 1 Buchstabe c EWGV und Artikel 103 Absatz 2 EWGV eine Gemeinschaftskompetenz zur punktuellen Regelung des allgemeinen Verwaltungsrechts und des Verwaltungsverfahrensrechts insoweit, als eine solche Regelung zur Sicherstellung der Funktionsfä110 So aber Rengeling, Rechtsgrundsätze beim Verwaltungsvollzug, S. 33; Zukeg, JöR 20, S. 44 leitet aus Artikel 27 EWGV die grundsätzliche nationale Kompetenz zur Regelung des Verfahrensrechts ab. tU Boest, S. 289 m.w.N., der auf S. 290 in Fn. 174 m.w.N. angibt, daß eine weitgehende Gemeinschaftskompetenz zum Erlaß verwaltungsverfahrensrechtlicher Bestimmungen auch von zahlreichen Teilnehmern des 6. Colloque ll..i~ge bejaht wurde. 112 Zu dessen Heranziehung als Kompetenzgrundlage für den indirekten Vollzug betreffende Verfahrensregelungen vgl. Randelzho/er, Artikel 49 Rn. 7, in: Grabitz, EWGV. 113 Vgl. Rengeling, Rechtsgrundsätze beim Verwaltungsvollzug, S. 33. 114 Vgl. oben S. 106 ff. sowie Schweitzer/Hummer, S. 108; Ipsen, H. P., Europäisches Gemeinschaftsrecht, § 20/43-46, S. 436 f.; Nicolaysen, EuR 1966, S. 135. l1S Ipsen, H. P., Europäisches Gemeinschaftsrecht, § 20/43-46, S. 436.
c. Indirekter Vollzug
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higkeit und der einheitlichen und effektiven Anwendung des auf die speziellen Ennächtigungsnonnen gestützten materiellen Rechts zwingend erforderlich ist 116. b) Artikel 235 EWGV Auch aus Artikel 235 EWGV und den im wesentlichen inhaltsgleichen 117 Artikeln 203 EAGV und 95 Absatz 1 EGKSV können Kompetenzen der Europäischen Gemeinschaften zur Rechtsetzung von Verwaltungsverfahrensrecht und materiellem allgemeinem Verwaltungsrecht für den indirekten Vollzug des Gemeinschaftsrechts hergeleitet werden. Für solche Kompetenzen aufgrund des Artikels 235 EWGV müssen drei Voraussetzungen vorliegen 118: Erstens muß der Erlaß der verwaltungsrechtlichen oder verfahrensrechtlichen Vorschriften der Verwirklichung eines der Ziele der Gemeinschaft im Rahmen des Gemeinsamen Marktes dienen. Als Ziele kommen im Rahmen des Artikels 235 EWGV sowohl die in der Präambel und in Artikel 2 und 3 EWGV enthaltenen allgemeinen Ziele der Europäischen Gemeinschaften als auch die über den Vertrag verstreuten, in bestimmten Bereichen eingreifenden besonderen Ziele 119 in Betracht 120. Diese erste Voraussetzung stellt sicher, daß Artikel 235 EWGV nur innerhalb des von den Mitgliedstaaten vorgegebenen Anwendungsbereiches des EWG-Vertrages Kompetenzlücken füllt und daß nicht über diese Nonn eine Vertragsänderung im Sinne einer Vertragserweiterung durchgeführt werden kann 121. Zweite Voraussetzung ist das Fehlen der zur Zielverwirklichung erforderlichen Befugnisse im primären Gemeinschaftsrecht. Es muß also Inkongruenz bestehen zwischen vertraglicher Zielbestimmung und vertraglicher Handlungsermächtigung 122. Auf das allgemeine Verwaltungsrecht und Verwaltungsverfahrensrecht bezogen bedeutet dies, die Vorschrift des primären Gemeinschaftsrechts, die den Europäischen Gemeinschaften die Kompetenz zur Regelung des 116 Boest, S. 289; Zuleeg, KSE 9, S. 220 f., weist allerdings zu Recht darauf hin, daß diese Voraussetzungen nur in Ausnahmefällen gegeben sein werden. 117 Vgl. hierzu Grabitz, Artikel 235 Rn. 7 f., in: Grabitz, EWGV. 118 Ausführlich Dom, S. 62 ff., sowie Schwartz, Artikel 235 Rn. 52 ff., in: von der Groeben, EWGV. 119 Etwa in den Artikeln 29, 39, 104, 110, 117, 123 EWGV. 120 B/eckmann, S. '2JJ7, in: Bleckmann, Europarechl 121 Oppermann, S. 170. 122 So ausdrücklich Ipsen, H. P., Europäisches Gemeinschaftsrecht, § 20/40, S. 434.
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betroffenen Bereichs des besonderen Verwaltungsrechts verleiht, darf nicht auch die Befugnis zum Erlaß der verfahrensrechtlichen Regelungen auf die Gemeinschaften übertragen. Durch diese Voraussetzung werden die Bereiche des besonderen Verwaltungsrechts, für die weitgefaßte Befugnisübertragungen auf die Europäischen Gemeinschaften vorhanden sind, aus dem Anwendungsbereich des Artikels 235 EWGV ausgeschieden. Dritte und entscheidende Voraussetzung einer Gemeinschaftskompetenz aufgrund des Artikels 235 EWGV ist schließlich die Erforderlichkeit des Tätigwerdens der Gemeinschaften 123. Erforderlich ist ein Tätigwerden der Gemeinschaft auf der Grundlage des Artikels 235 EWGV immer dann, wenn ein Ziel der Gemeinschaft mit den ansonsten durch den EWG-Vertrag übertragenen Kompetenzen nicht oder nicht völlig verwirklicht werden kann 124. Die enormen Schwierigkeiten, die im Einzelfall bei der Bestimmung des genauen Inhalts der Vertragsziele, des Grades ihrer Verwirklichung sowie der Möglichkeiten der Zielerreichung durch ansonsten im Vertrag enthaltene Kompetenzen bestehen, liegen auf der Hand 125. Aufgrund dessen wird das Tatbestandsmerkmal der Erforderlichkeit in erster Linie als negative Kompetenzabgrenzung dahingehend verstanden, daß allein Gründe der politischen Opportunität keine hinreichende Voraussetzung für die Inanspruchnahme des Artikels 235 EWGV bilden können 126. Jedoch räumt Artikel 235 EWGV den GemeinsChaftsorganen einen weiten Ermessensspielraum ein, innerhalb dessen selbstverständlich auch politische Erwägungen Berücksichtigung finden können 127. Darüberhinaus ist anerkannt, daß sich aus dem Merkmal der Erforderlichkeit der auf der Grundlage des Artikels 235 EWGV ergriffenen Maßnahmen keinesfalls ein Grundsatz des Interventionsminimalismus ableiten läßt, weil ein solcher dem dynamischen Charakter der Gemeinschaften zuwiderliefe, der gerade auch in der Zielorientierung des Artikels 235 EWGV zum Ausdruck kommt 128. Diese drei Voraussetzungen für eine Gemeinschaftskompetenz zum Erlaß verwaltungsverfahrensrechtlicher Regelungen oder allgemein verwaltungsrechtlicher Regelungen liegen in den Bereichen vor, in denen diese Regelungen 123 Zu diesem Tatbestandsmerkmal und seiner nur eingeschränkten Justitiabilität durch den Europäischen Gerichtshof vgl. Oppermann, S. 170. 124 Behrens, S. 278; Dom, S. 62; Gericke, S. 45. 125 Vgl. nur Grabitz, Artikel 235 Rn. 63 ff., in: GrabilZ, EWGV. 126 Schwartz, Artikel 235 Rn. 172 m.w.N., in: von der Groeben, EWGV. 127 Dom, S. 239; Gericke, S. 52; Priebe, S. 197. 128 Gericke, S. 56; Rabe, S. 81.
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sich materiellrechtlich auswirken und in denen entsprechende Rechtsetzungsbefugnisse der Gemeinschaften nicht aus konkreten Ermächtigungsnormen der Gemeinschaftsverträge hergeleitet werden können. Der Erlaß der entsprechenden Normen dient der Verwirklichung des Gemeinsamen Marktes mit einheitlicher und in allen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft in gleicher Weise gültiger Gemeinschaftsrechtsordnung. Die hierzu erforderlichen Befugnisse stehen den Gemeinschaften in den angesprochenen Bereichen nicht bereits aufgrund anderer Kompetenznormen zu. Das Tätigwerden der Gemeinschaften ist schließlich erforderlich, weil ihr bisheriges Untätigbleiben und die Anwendbarkeit der jeweiligen nationalen Rechtsvorschriften gerade die Ursache dafür ist, daß in den Mitgliedstaaten nach unterschiedlichen Regelungen verwaltet wird und deshalb das Gemeinschaftsrecht unterschiedlich gilt. Da also die Voraussetzungen für eine Gemeinschaftskompetenz aufgrund des Artikels 235 EWGV vorliegen, können Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaften zur Regelung des Verwaltungs- und Verwaltungsverfahrensrechts für den indirekten Vollzug auf Artikel 235 EWGV gestützt werden, wenn und soweit sie sich materiellrechtlich auswirken und insbesondere finanzielle Auswirkungen zeigen 129. c) Artikel 100 ff. EWGV Außer dem Erlaß gemeinschaftlicher Vorschriften, die direkt und unmittelbar das mitgliedstaatliche Verwaltungsverfahren und das nationale materielle allgemeine Verwaltungsrecht beim indirekten Vollzug des Gemeinschaftsrechts regeln, kommt als Mittel zur Sicherstellung einheitlicher und effektiver Anwendung der gemeinschaftsrechtlichen materiellen Rechtsvorschriften die Angleichung der entsprechenden nationalen Regelungen in Betracht. Eine solche Vorgehensweise ermöglicht es .einerseits den Gemeinschaften, durch verbindliche Zielvorgaben den Schutz ihrer finanziellen Interessen in den Mitgliedstaaten auch bei der Bestimmung des Verwaltungsverfahrens und des Verwaltungsrechts sicherzustellen, und läßt andererseits die nationalen Gestaltungsmöglichkeiten im staatlichen Innenbereich so weit wie möglich unangetastet 1:30.
129 &hwarze, Europäisches Verwaltungsrecht I, S. 50; &hwartz, Artikel 235 Rn. 292 CC. m.w.N, in: von der Groeben, EWGV. 130 Vgl. Grabitz, Artikel 189 Rn. 51 C., in: Grabitz, EWGV; KopteynIVerLoren van Themaot, S. 193 CC.
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Kompetenzen der Europäischen Gemeinschaften zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten im allgemeinen Verwaltungsrecht und Verwaltungsverfahrensrecht können sich - neben den möglicherweise punktuell einschlägigen speziellen Ermächtigungsnormen des EWGVertrages 131 - aus den Artikeln 100 ff. EWGV 132 ergeben. Voraussetzung für solche Kompetenzen ist, daß die zu harmonisierenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften sich unmittelbar auf die Errichtung oder das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes auswirken (Artikel 100 EWGV) oder daß sie die Schaffung und das Funktionieren des Binnenmarktes zum Gegenstand haben (Artikel 100 a EWGV). Zwar ist das Vorliegen dieser Voraussetzung bisher in erster Linie bei den sogenannten technischen Handelshemmnissen angenommen worden 133. Aufgrund dessen lag hier auch der Schwerpunkt der bisherigen Anwendung der Artikel 100 ff. EWGV 134. Es können jedoch durchaus auch Regelungen des Verwaltungsverfaltrensrechts oder des allgemeinen Verwaltungsrechts unmittelbare Auswirkungen auf die Errichtung oder das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes haben oder die Schaffung oder das Funktionieren des Binnenmarktes betreffen, allerdings nicht generell, sondern nur dann, wenn sie Voraussetzung für die einheitliche und effektive Geltung des Gemeinschaftsrechts in allen Mitgliedstaaten sind 135. Entsprechend hat auch der Europäische Gerichtshof die Angleichung von Vorschriften des Verwaltungsverfahrensrechts und des allgemeinen Verwaltungsrechts auf der Grundlage der Artikel 100 ff. EWGV und Artikel 135 EWGV für zulässig erklärt 136. Der damit bei materiellrechtlichen Auswirkungen grundsätzliCh eröffnete Weg einer gemeinschaftsrechtlichen Harmonisierung des nationalen Verwaltungsverfahrensrechts und allgemeinen Verwaltungsrechts auf der Grundlage der Artikel 100 ff. EWGV ist diejenige Möglichkeit gemeinschaftlichen legis-
Hierzu Pipkom, S. 381 ff. m.w.N., in: Beutler/Bieber/Pipkom!Streil. Zu den Anwendungsbereichen der Artikel 100 EWGV bzw. Artikel 100 a EWGV vgl. SchweitzerlHummer, S. 347 ff. m.w.N. 133 Zur bisherigen Rechtsangleichung und zum Anwendungsbereich der Artikel 100 ff. EWGV vgl. Ehlers, NVwZ 1990, S. 813 m.w.N. 134 Zu den bisher auf der Grundlage der Artikel 100 ff. EWGV geregelten Materien vgl. Langeheine, Artikel 100 Rn. 55 ff., in: Grabitz, EWGV. 135 Hilf, Rückgriff auf nationale verwaltungsrechtliche Regeln, S. 83, 89 f.; Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht I, S. 48 ff. m.w.N. 131
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lativen Tätigwerdens in den angesprochenen Bereichen, die den Grundsatz der verfahrens mäßigen Autonomie der Mitgliedstaaten weitestgehend berücksichtigt und der grundsätzlich auf den nationalen Vollzug des Gemeinschaftsrechts ausgerichteten Struktur der Gemeinschaften am ehesten gerecht wird 137. Rechtsangleichung bedeutet nämlich gerade nicht Rechtsvereinheitlichung 138: auf der Grundlage von Artikel 100 ff. EWGV wird nicht einheitlich geltendes Gemeinschaftsrecht erlassen, das zur Uniformität der nationalen Rechtsordnungen führt, sondern durch die Rechtsangleichung wird das nationale Recht durch verbindliche Zielvorgabe nur insoweit beeinflußt, als es für ein reibungsloses Funktionieren des Gemeinsamen Marktes bzw. des Binnenmarktes erforderlich ist 139. Aufgrund dessen führt der Weg zu einer einheitlichen und effektiven Anwendung des Gemeinschaftsrechts, soweit wegen der materiellrechtlichen Auswirkungen des nationalen Verfahrens- und allgemeinen Verwaltungsrechts überhaupt ein Bedürfnis nach einer Regelung durch die Gemeinschaften besteht, über eine gemeinschaftsrechtliChe Harmonisierung des Verwaltungsverfahrens 140. Die Rechtsangleichung stellt das der Gemeinschaftsstruktur angemessene und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechende Instrument zur Erreichung dieses Zieles dar 141.
3. Ergebnis
Die Europäischen Gemeinschaften besitzen auch für den indirekten Vollzug des Gemeinschaftsrechts Regelungskompetenzen hinsichtlich des Verwaltungsverfahrens und des allgemeinen Verwaltungsrechts. Grundlage dieser Kompetenzen sind teils spezielle, weitgefaßte Kompetenzzuweisungen der Gemeinschaftsverträge wie etwa Artikel 40 Absatz 3 i.V.m. Artikel 43 Absatz 2 EWGV oder ähnliche Normen des primären Gemein136 EuGH 16.12.1976 - REWFJLandwirtscbaftskammer Saarland, Rs. 33/76 - S1g. 1976, S. 1989, 1998; EuGH 16.12.1976 - Comet, Rs. 45/76 - S1g. 1976,2043,2053. 137 &hwarze, Europäisches Verwaltungsrecht I, S. 51 betont, daß zumindest ansatzweise den Mitgliedstaaten die Möglichkeit bleibt, bei der Wahl der Form und der Mittel der Umsetzung auf nationale Besonderheiten Rücksicht zu nehmen. 138 &hweitzerIHummer, S. 347. 139 VgI. ausführlicher Langeheine, Artikel 100 Rn. 9, in: Grabitz, EWGV. 140 So schon Hilf, Rückgriff auf nationale verwaltungsrechdiche Regeln, S. 83 m.w.N. 141 &hweitzer, Die Verwaltung 1984, S. 167 f.
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schaftsrechts, die zum Erlaß aller in einem bestimmten Bereich "erforderlichen" Maßnahmen berechtigen und damit zumindest als implied powers auch die Befugnisse zum Erlaß verfahrensrechtlicher Vorschriften verleihen, wenn und soweit diese zur wirkungsvollen Erledigung der den Gemeinschaften übertragenen Aufgaben erforderlich sind. Für sachgebietsübergreifende Regelungen können die Kompetenzen aus Artikel 235 EWGV hergeleitet werden, und teilweise steht den Europäischen Gemeinschaften zumindest die Kompetenz zur Rechtsangleichung der nationalen verwaltungsverfahrensrechtlichen und allgemein verwaltungsrechtlichen Vorschriften nach den Artikeln 100 ff. EWGV zu. Voraussetzung für das Bestehen einer Regelungskompetenz der Europäischen Gemeinschaften ist jedoch stets, gleich welche Vertrags norm maßgeblich ist, die Erforderlichkeit gerade einer gemeinschaftlichen Regelung der verfahrensrechtlichen oder allgemein verwaltungsrechtlichen Fragen zur Sicherstellung der gleichen und effektiven Anwendung des Gemeinschaftsrechts in allen Mitgliedstaaten. Da die Gemeinschaften von ihrer Struktur her auf den unterschiedlichen Vollzug des Gemeinschaftsrechts in den Mitgliedstaaten nach den jeweils einschlägigen nationalen Verfahren ausgerichtet sind, ist diese Erforderlichkeit nur in eng begrenzten Ausnahmefällen gegeben. Ein solcher Ausnahmefall liegt jedoch stets vor, wenn Regelungen des Verwaltungsverfahrensrechts oder des allgemeinen Verwaltungsrechts materiellrechtliche Auswirkungen haben, also auch immer dann, wenn sie von Einfluß auf die finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften sein können. In allen Fällen, in denen die Ausgestaltung des Verwaltungsverfahrens oder des materiellen allgemeinen Verwaltungsrechts also Auswirkungen auf die Finanzen der Gemeinschaften haben, besitzen die Gemeinschaften auch die Kompetenz, selbst die entsprechenden Vorschriften für den indirekten Vollzug des Gemeinschaftsrechts zu erlassen.
11. Bestehende gemeinschaftsrechtliche Regelungen Unter Ausnutzung der ihnen aufgrund der oben dargelegten Kompetenzzuweisungen zustehenden Befugnisse haben die Europäischen Gemeinschaften bisher nur wenige Einzelfragen des Verwaltungsverfahrens und des allgemei-
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nen Verwaltungsrechts des indirekten Vollzugs für einzelne Bereiche des materiellen besonderen Verwaltungsrechts punktuell durch wenige Verordnungen und einige Harmonisierungsrichtlinien geregelt 142.
1. Verordnungen Auf dem Gebiet der Einfuhr- und Ausfuhrabgaben, also für Zölle, Abgaben zollgleicher Wirkung sowie Abschöpfungen und andere Abgaben im Rahmen der gemeinsamen Agrarpolitik, regelt die Verordnung Nr. 1430n9 143 die Erstattung oder den Erlaß von Eingangs- und Ausfuhrabgaben. Für denselben Bereich bestimmt die Verordnung Nr. 1697n9 144 die für die Nacherhebung von noch nicht vom Abgabenschuldner angeforderten Eingangs- und Ausfuhrabgaben maßgeblichen Regeln. Rechtsgrundlage dieser Verordnungen sind die Artikel 43 und 235 EWGV. Da die Zölle des Gemeinsamen Zolltarifs sowie die Eingangs- und Ausfuhrabgaben im Rahmen der EG-Agrarmarktordnungen Gemeinschaftseinnahmen sind, wirken sich Nacherhebung, Erstattung und Erlaß dieser Gemeinschaftsabgaben unmittelbar auf den Gemeinschaftshaushalt aus, so daß hier bei dem vorherigen divergenten mitgliedstaatlichen Verfahrensrecht ein besonderer Regelungsbedarf zur Rechtsvereinheitlichung und zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften bestand 145. Die beiden genannten Verordnungen legen die materiellen Voraussetzungen für die Nacherhebung einer zu Unrecht nicht erhobenen Gemeinschaftsabgabe bzw. für die Erstattung einer zu Unrecht erhobenen Gemeinschaftsabgabe fest, regeln insofern also allgemeines Verwaltungsrecht. Gleichzeitig fixieren sie für die Geltendmachung derartiger Ansprüche Ausschlußfristen, verdrängen insofern also die ansonsten maßgeblichen nationalen VeIjährungsregeln 146.
142 Vgl. Grabitz, NJW 1989, S. 1779; Hilf, Rückgriff auf nationale verwaltungsrechtliche Regeln, S. 76. 143 ABI. 1979 Nr. L 175 S. 1. 144 ABI. 1979 Nr. L 197 S. 1. 145 Weber,EuR 1986, S. 5 m.w.N. 146 Vgl. Karpenstein, EuR 1980, S.'UJ7 ff., der die heiden Verordnungen als "einen ersten (und zweifellos sehr bedeutsamen) Schritt zur Vergemeinschaftung des materiellen Verwaltungsrechts" ansieht (S. 269); große weitere Schritte sind allerdings bisher noch nicht erfolgt.
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Ebenfalls für den Bereich des Agrar- und Zollrechts schreibt die auf die Artikel 43 und 235 EWGV gestützte Verordnung Nr. 1468/81 147 das Verfahren zur gegenseitigen Unterstützung und Zusammenarbeit der mitgliedstaatlichen Verwaltungsbehörden im Verhältnis untereinander und zur Kommission vor, um die ordnungsgemäße Anwendung der Zoll- und Agrarregelungen sicherzustellen. Auch die Verordnung Nr. 729nO 148, die die Artikel 43 und 209 als Rechtsgrundlage hat, enthält Organisations- und Verfahrensbestimmungen für den indirekten Vollzug des Gemeinschaftsrechts. Hinsichtlich der gerade für die finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften bedeutsamen Frage der Rückabwickiung bei reChtswidrig geleisteten Zahlungen verweist sie allerdings auf die Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten 149. Insbesondere verfahrensrechtliche Regelungen enthält ferner die Verordnung Nr. 1408nl 1so über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die auf die Artikel 2, 7 und 51 EWGV gestützt ist. Außerdem erwähnenswert ist die Verordnung Nr. 3787/86 151 über Rücknahme und Widerruf der im Rahmen bestimmter Zollverfahren mit wirtschaftlicher Bedeutung erteilten Bewilligungen.
2. Richtlinien Richtlinien zur Harmonisierung der mitgliedstaatlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die materiellrechtliche und Verfahrensregelungen enthalten, haben die Europäischen Gemeinschaften in größerer Anzahl erlassen lS2. Allgemein verwaltungsrechtliche Regelungen enthält etwa die Richtlinie Nr. 153 zur Koordinierung der Sondervorschriften für die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern. Artikel 9 dieser Richtlinie schreibt bestimmte verfahrensrechtliche Mindestgarantien im Falle einer beabsichtigten Ausweisung 221/64
ABI. 1981 Nr. L 144 S. 1; geändert durch Verordnung Nr. 945187, ABI. 1987 Nr. L 90 S. 3. ABI. 1970Nr. L94S.13. 149 Vgl. Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht I, S. 44. 150 ABI. 1971 Nr. L 149 S. 2. 151 ABI. 1986 Nr. L 350 S. 14. 152 Vgl. die Nachweise bei G,abitz, NJW 1989, S. 1779 in Fn. 64; Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht I, S. 44 f.; Hilf. Rückgriff auf nationale verwaltungsrechtliche Regeln, S. 76. 153 ABI. 1964 S. 850. 147
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dieser Personen vor lS4. Auch die Richtlinie Nr. 156/70 iSS zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Betriebserlaubnis für Kraftfahtzeuge sowie die Richtlinie Nr. 768/76 156 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über kosmetische Mittel regeln das nationale Verwaltungsverfahren insofern, als sie die Mitgliedstaaten verpflichten, in Ausführung der Richtlinien ergehende nationale belastende Verwaltungsakte zu begründen und mit einer ReChtsmittelbelehrung zu versehen 1S7. Allgemein verfahrensrechtliche Bestimmungen weisen auch die einzelnen Marktordnungen des Gemeinsamen Agrarmarktes auf 158, ebenso etwa die Richtlinie Nr. 48/89 lS9 über die Anerkennung von Hochschuldiplomen, die eine mindestens dreijährige Berufsausbildung abschließen, oder die Richtlinie Nr. 608/89 160, die die gegenseitige Unterstützung der Verwaltungsbehörden der Mitgliedstaaten und die Zusammenarbeit dieser Behörden mit der Kommission zur ordnungsgemäßen Anwendung der tierärztlichen und tierzuchtrechtlichen Vorschriften gewährleisten S011 161 • Insbesondere die Richtlinie Nr. 453/78 162 über die Voraussetzungen und das Verfahren für die Gewährung von Zahlungsaufschub bei Eingangs- und Ausfuhrabgaben ist als Richtlinie unmittelbar finanzrelevant.
III. Allgemeine Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts Angesichts der dargestellten Lückenhaftigkeit der gemeinschafts rechtlichen Rechtsakte, die das allgemeine Verwaltungsrecht und das Verwaltungsverfahrensrecht beim indirekten Vollzug des Gemeinschaftsrechts regeln, und angesichts der Unterschiede in der Anwendung und Geltung des materiellen Verwaltungsrechts der Gemeinschaften, die sich aus den Unterschieden der jeweils 154 Vgl. hierzu EuGH 18.05.1982 - Adoui und Cornaille/Belgien, Rs. 11S und 116/81 - Slg. 1982, S. 1665, 1710 f.; ausfübrlicber Schwarze, Europäiscbes Verwaltungsrecbt I, S. 45. iSS ABI. 1970 Nr. L 42 S. 1. lS6 ABI. 1976 Nr. L 262 S. 169. lS7 Artikel 14 der Ricbtlinie 156(70 sowie Artikel 13 der Ricbtlinie 768(76; vgl. Hilf, Rückgriff auf nationale verwaltungsrecbtlicbe Regeln, S. 76 in Fa. 21. lS8 Schwarze, Europäisches Verwaltuogsrecbt I, S. 45 m.w.N. lS9 ABI. 1989 Nr. L 19 S. 16. 160 ABI. 1989 Nr. L 351 S. 34. 161 Vgl. bierzu Bul\etin der Europäiscben Gemeinscbaften Nr. 11/1989, Ziffer 2.1.156., S. 46. 162 ABI. 1978 Nr. L 146 S. 19.
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anwendbaren nationalen verwaltungsrechtlichen Vorschriften ergeben, stellt sich die Frage, inwieweit das Gemeinschaftsrecht auch über seine kodifizierten Regeln hinaus die staatlichen Verwaltungsverfahren determiniert 163. Da die klassische Form des ungeschriebenen Rechts, das Gewohnheitsrecht, keine Vorgaben für den indirekten Vollzug des Gemeinschaftsrechts enthält 164, reduziert sich die Fragestellung auf das Problem, inwieweit die allgemeinen Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts verbindliche Vorgaben für das staatliche Verwaltungsverfahren aufstellen können. Denkbar ist grundsätzlich eine zweifache Bedeutung der allgemeinen Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts für das nationale Verwaltungsverfahren: einerseits kann sich die Frage stellen, ob es mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist, wenn in nationalen Verfahrensvorschriften allgemeine Rechtsinstitute wie etwa der Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes oder der Rechtssicherheit Berücksichtigung finden mit der Folge, daß nach materiellem Gemeinschaftsrecht bestehende Ansprüche gegen Gemeinschaftsbürger möglicherweise wegen der Berücksichtigung der in der nationalen Rechtsordnung vorhandenen Rechtsinstitute und Vorschriften nicht durchgesetzt werden können. Andererseits kann sich ebenso die Frage stellen, ob die allgemeinen Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts nicht für eine nationale Rechtsordnung, in der bestimmte Rechtsinstitute gerade nicht vorhanden sind, in der also etwa bei der Rückforderung gemeinschaftsreChtswidrig ausgezahlter Beträge kein Vertrauensschutz gewährt wird, die Verpflichtung aufstellen können, zunmindest beim indirekten Vollzug des Gemeinschaftsrechts diese Verwaltungsrechtsgrundsätze zu berücksichtigen, und ob die allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts damit nicht einen gemeinschaftsrechtlichen Mindeststandard rechtsstaatlicher Grundsätze des Verwaltungsverfahrens garantieren 165.
Diese Fragestellung vertieft Grabitz, NJW 1989, S. 1780. Dies weist Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht I, S. 54 ff. m.w.N., ausführlich nach. 165 Zu den unterschiedlichen Möglichkeiten des Konflikts zwischen Gemeinschaftsrecht und nationalem Recht im allgemeinen Verwaltungsrecht und Verwaltungsverfahrensrecht vgl. Schlußanträge des Generalanwalts Marco Dllrmon vom 14.06.1988 in der Rechtssache Padovani, EuGH 05.10.1988 - Padovani u.a./Amministrazione delle Finanze dello Stato, Rs. 210/87 - Sig. 1988, S. 6177,6191 ff., sowie Streinz, Die Verwaltung 1990, S. 167 ff., 173 ff. 163
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1. Grundsätzliche Bedeutung für das nationale Verwaltungsverfahren
Zwar ist mittlerweile das grundsätzliche Verhältnis zwischen nationalem Recht und Gemeinschaftsrecht mit der Anerkennung des Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts geklärt 166, und aufgrund dessen findet heute nicht mehr so sehr die Rangfrage, sondern stattdessen die Verzahnung von Gemeinschaftsrecht und nationalem Recht, das Angewiesensein der gemeinschaftlichen Rechtsordnung auf die nationalen Rechtsordnungen sowie deren wechselseitige Beeinflussung und Abhängigkeit, wissenschaftliches Interesse 167. Trotz dieser grundsätzlichen Klärung des Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts vor nationalem Recht ist jedoch gerade die hier interessierende Frage, ob und inwieweit auch allgemeine Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts geschriebene und ungeschriebene Regeln des nationalen Verwaltungsrechts verdrängen können, offengeblieben und bildet auch heute noch eines der umstrittensten Probleme im Gemeinschaftsrecht l68 • Die Auffassungen zu dieser Frage haben sich im Laufe der Zeit kontinuierlich in Richtung auf einen immer weiterreichenden Anwendungsbereich der allgemeinen Rechtsgrundsätze und immer ausgeprägtere Einwirkungsmöglichkeiten in die nationalen Rechtsordnungen entwickelt. Zunächst ging noch Rengeling unter Berufung auf seine Herleitung der allgemeinen Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts davon aus, daß diese überhaupt nicht Maßstab für innerstaatliche Normen sein könnten 169, und auch der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs wurde zunächst eine auffällige Zurückhaltung bei der richterlichen Rechtsschöpfung von Verwaltungsgrundsätzen für den nationalen Verwaltungsvollzug attestiert 170. Als Gegenpol wird heute bereits die Auffassung vertreten, sämtliche gemeinschaftsreChtlichen Rechtsgrundsätze seien Maßstab auch für die nationalen Verfahrensvorschriften und Vorschriften des allgemeinen Verwaltungsrechts, die beim Vollzug des Gemeinschaftsrechts Anwendung finden, und selbst die Ableitung ganz spezieller verfahrensrechtli166 Einen Überblick über die zu dieser Frage vertretenen dogmatischen Positionen geben etwa Olmi, Revue du March~ Commun 1981, S. 178 ff., 242 ff.; Bernhardt, S. 229 ff.; Beutler, S. 87 ff., in: Beutler/Bieber/Pipkorn/Streil; Oppennann, S. 194 ff. 167 Vgl. bereits Everling, NJW 1967, S. 469 ff.; Papier, Einwirkungen, S. 51; Huthmocher, S. 141 ff.; Pescatore, EuR 1970, S. 308; Jers., NJW 1969, S. 2066; Streinz, Rechtsschutz, S. 74 f., 92 ff. m.w.N. 168 Vgl. Streil, S. 209, in: Beutler/Bieber/Pipkom/Streil; Rengeling, EuR 1984, S. 347 ff.; Streinz, Die Verwaltung 1990, S. 157. 169 So ausdrücklich Rengeling, Rechtsgrundsätze beim Verwaltungsvollzug, S. 239 f.; kritisch hierzu Huthmocher, S. 102. 170 Weber, BayVBI. 1984, S. 326.
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cher Institute wie der Regelungen über ErstattungsanspTÜche, Verjährungsfristen oder Zinsregelungen aus gemeinschaftsrechtlichen Grundsätzen wird nicht für prinzipiell ausgeschlossen gehalten 111. Diese sehr weitgehende Auffassung stützt sich auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache Deutsches Milchkontor 172, in der zunächst in Ankniipfung an die Rechtssache Ferwerda 113 die grundsätzliche Anwendbarkeit nationalen Verwaltungsverfahrensrechts beim indirekten Vollzug des Gemeinschaftsrechts bestätigt wurde 114. Weitergehend führte der Gerichtshof dann zu den Grenzen der nationalen Verfahrensautonomie aus: Soweit das Gemeinschaftsrecht einschliefllich der allgemeinen gemeinschaftsrechtlichen Grundsätze hierfür keine gemeinsamen Vorschriften enthält, gehen die nationalen Behörden bei dieser Durchführung der Gemeinschaftsregelungen nach den formellen und materiellen Bestimmungen des nationalen Rechts vor, wobei dieser RechtssalZ freilich, wie der Gerichtshof in seinem Urteil vom 6. Juni 1972 (Rechtssache 94nl, Schlüter, S1g. S. 307) ausgeführt hat, mit den Erfordernissen der einheitlichen Anwendung des Gemeinschaftsrechts in Einklang gebracht werden muß, die notwendig ist, um zu vermeiden, daß die Wirtschaftsteilnebmer ungerecht behlllldelt werden 115.
Entscheidend ist der erste Halbsatz dieser Aussage des Europäischen Gerichtshofs. Hier nennt der Gerichtshof als mögliche Quelle gemeinsamer Vorschriften für den mitgliedstaatlichen Vollzug das Gemeinschaftsrecht einschließlich der allgemeinen gemeinschaftsrechtliChen Grundsätze. Damit scheint diese Passage des Urteils in der Rechtssache Deutsches Milchkontor den Schluß zu reChtfertigen, daß auch die allgemeinen Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts gemeinsame Vorschriften für den Verwaltungsvollzug in den Mitgliedstaaten enthalten können, denen Anwendungsvorrang gegenüber dem nationalen Recht zukommen müßte 116. Diese Konsequenz zieht der Gerichtshof jedoch gerade nicht: obwohl im konkret zu entscheidenden Fall die Rechtmäßigkeit der Rücknahme rechtswidriger Verwaltungsakte Streitgegenstand war, und obwohl das Gemeinschaftsrecht über allgemeine Rechtsgrundsätze hinsichtlich der Rücknahme rechtswidvgl. Grabitz, NJW 1989, S. 1780, 1782 f. EuGH 21.09.1983 - Deutsche Milchkontor, Rs. 205 bis 215/82 - S1g. 1983, S. 2633 ff. 113 EuGH 05.03.1980 - FeJWerda, Rs. 265/78 - S1g. 1980, S. 617, 6z:7. 114 Wörtlich formulierte der Gerichtshof: "Im Einklang mit den allgemeinen Grundsätzen, auf denen das institutionelle System der Gemeinschaft und der Mitgliedstaaten beruht und die die Beziehungen zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten beherrschen, ist es gemäß Artikel 5 EWGV Sache der Mitgliedstaaten, in ihrem Hoheitsgebiet für die Durchführung der Gemeinschaftsregelungen, namentlich im Rahmen der gemeinsamen Agrarpolitik, zu sorgen", vgI. EuGH 21.09.1983 - Deutsche Milchkontor, Rs. 205 bis 215/82 - Slg. 1983, S. 2633, 2665. 175 EuGH 21.09.1983 - Deutsche Milchkontor, Rs. 205 bis 215/82 - S1g. 1983, S. 2633, 2665. 116 So Grabitz, NJW 1989, S. 1780. 111
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riger Verwaltungsakte verfügt 177, erklärt der Gerichtshof nicht diese gemeinschaftsrechtlichen Grundsätze als vorrangiges Recht für anwendbar 178, sondern ausdrücklich das nationale Verwaltungsverfahrensrecht 119. Wie ist dieser scheinbare Widerspruch zu erklären? Jedenfalls rechtfertigt das Urteil in der Rechtssache Deutsches Milchkontor trotz der scheinbar eindeutigen eingangs zitierten Aussage des Gerichtshofs nicht die These vom uneingeschränkten Vorrang der in allgemeinen Rechtsgrundsätzen des Gemeinschaftsrechts enthaltenen Regelungen des Verwaltungsverfahrens und des allgemeinen Verwaltungsrechts vor entsprechenden nationalen Vorschriften. Vielmehr kommt den allgemeinen Rechtsgrundsätzen im Verwaltungsverfahren nur eingeschränkt und unter bestimmten Voraussetzungen Vorrang gegenüber dem nationalen Recht zu. Dies hat zuerst Hilf nachgewiesen: Er begründete die Anwendbarkeit der im deutschen Recht vorhandenen präzisen gesetzlichen Vorschriften der §§ 48 ff. VwVfG über die Aufhebung von Verwaltungsakten auf den Widerruf und die Rücknahme von Verwaltungsakten im Rahmen des nationalen Vollzugs von Gemeinschaftsrecht und damit die Ablehnung der Anwendung allgemeiner Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts damit, daß die deutschen gesetzlichen Regelungen einen detaillierten, vom demokratisch legitimierten Gesetzgeber vorgenommenen Ausgleich der bei der Aufhebung von Verwaltungsakten widerstreitenden Interessen von Rechtssicherheit, Vertrauensschutz und materieller Gerchtigkeit beinhalten, während der entsprechende gemeinschaftsrechtliche Grundsatz durch den Europäischen Gerichtshof wesentlich unbestimmter und unpräziser ausgeformt worden ist als seine nationale Entsprechung im deutschen Recht 180. Damit schloß Hilf die Anwendbarkeit und den Vorrang von allgemeinen Rechtsgrundsätzen der Gemeinschaften im nationalen Verwaltungsverfahren nicht grundsätzliCh aus, sondern machte sie vom Grad der Konkretisierung des einschlägigen Rechtsgrundsatzes abhängig. Anders formuliert: gemeinschaftsrechtliche Rechtsgrundsätze können das nationale Verwaltungs recht und Verwaltungsverfahrensrecht nur dann verdrängen, wenn sie ebenso eindeutig und präzise sind wie die nationalen Regelungen und wenn dadurch auch ihre Anwendung in der Praxis möglich ist 181. Also In Vgl. hierzuPemice, Arlikell64 Rn. 94 m.w.N., in: Grabitz, EWGV. Dies wäre die logische Folge, wenn auch allgemeine Rechtsgrundsätze stets Vorschriften für das nationale Verwaltungsverfahren enthalten könnten, vgl. Rengeling, EuR 1984, S. 356 f. 119 Ausführlicher Streinz, Die Verwaltung 1990, S. 168 ff. m.w.N. 180 Hilf, Rückgriff auf nationale verwaltungsrechtliche Regeln, S. 81 (. 181 So heute auch Streinz, Die Verwaltung 1990, S. 169 m.w.N. 178
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Teil 3: Verfahrensrecht und allgemeines Vetwaltungsrecht
kommt einem allgemeinen Rechtsgrundsatz des Gemeinschaftsrechts Anwendungsvorrang gegenüber nationalen Vorschriften des Verwaltungs- oder Verwaltungsverfahrensrechts zu, wenn er hinreichend bestimmt ist. Weist der Rechtsgrundsatz nicht den notwendigen Grad an Bestimmtheit auf, der erforderlich ist, damit er unmittelbar und mit Vorrang gegenüber dem nationalen Recht gelten kann, so ist auch der Europäische Gerichtshof nicht befugt, den Grundsatz von sich aus rechtsschöpferisch so weit zu konkretisieren, bis er diese Voraussetzung erfüllt. Der Gerichtshof besitzt nämlich nicht die Befugnis, die ganz allgemeine Staatenpflicht zur Durchführung des Gemeinschaftsrechts nach eigenen Maßstäben durch konkrete Inhalte zu ergänzen, die nicht auf geschriebenes Gemeinschaftsrecht zurückgeführt werden können, weil durch ein solches Vorgehen die im Zusammenhang mit der Lückenfüllungsfunktion anerkannte Subsidiarität der richterlichen Rechtsfortbildung umgangen werden würde 182. Vielmehr ist in einem solchen Fall der Gemeinschaftsgesetzgeber berufen, durch Erlaß der erforderlichen Bestimmungen diejenigen Unterschiede der nationalen Rechtsordnungen auszuräumen, die die Gleichbehandlung der Wirtschaftsteilnehmer der verschiedenen Mitgliedstaaten geflihrden, Verzerrungen hervorrufen oder das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes beeinträchtigen 183. Damit kann die Frage, ob gemeinschaftsrechtliche Rechtsgrundsätze des Verwaltungsverfahrensrechts und des allgemeinen Verwaltungsrechts Vorrang vor den entsprechenden nationalen Bestimmungen zukommt, nicht generell, sondern nur individuell für jeden einzelnen allgemeinen Rechtsgrundsatz beantwortet werden 184. Generell lassen sich allein die folgenden Feststellungen treffen: Es ist grundsätzlich möglich, daß einem allgemeinen Rechtsgrundsatz des Gemeinschaftsrechts Anwendungsvorrang vor nationalen Bestimmungen des Verwaltungsverfahrens und des allgemeinen Verwaltungsrechts zukommt. Voraussetzung hierfür ist, daß dieser allgemeine Rechtsgrundsatz so konkret und bestimmt ist, daß er in dieser Hinsicht der nationalen Regelung zumindest gleichwertig ist, weil ansonsten durch richterliche Rechtsfortbildung Entscheidungen des nationalen Gesetzgebers überspielt würden, ein mit dem auch dem Gemeinschaftsrecht inhärenten Demokratieprinzip 18S unvereinbarer Vor-
Ausführlich HuJhmocher, S. 102 f. ausdrücklich EuGH 21.09.1983 - Deutsche Milchkontor, Rs. 205 bis 215/82 - Sig. 1983, s. 2633, 2667. 184 So auch Schwarze, Europäisches Vetwaltungsrecht I, S 69. 185 Vgl. nur Hilf, EuR 1984, S. 9 ff. m.w.N. 182
183 So
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gang 186. Schließlich kommen die allgemeinen Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts vor allem als Maßstab für Normen des nationalen Verwaltungsrechts in Betracht. Die Berufung auf einen solchen allgemeinen Rechtsgrundsatz in einer Rechtsordnung, die selbst das entsprechende Rechtsinstitut nicht enthält, also etwa beim Widerruf rechtswidriger Verwaltungsakte keinen Vertrauensschutz gewährt, erscheint jedoch nahezu ausgeschlossen 187.
2. Bedeutung einzelner Rechtsgrundsätze für den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften An diese generellen Aussagen muß sich speziell im Hinblick auf die Finanzen der Europäischen Gemeinschaften die Fragestellung anschließen, welche allgemeinen Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts im Verwaltungsverfahren finanzielle Auswirkungen haben können, welchen Bestimmtheitsgrad diese allgemeinen Rechtsgrundsätzen haben und wie damit die Frage nach ihrem Anwendungsvorrang vor den nationalen Bestimmungen zu beantworten ist. Finanzielle Auswirkungen im Verwaltungsverfahren können vor allem die Rechtsgrundsätze der Rechtssicherheit, des Vertrauensschutzes und der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung haben. Sie sind bei der Rückforderung gemeinSChaftsreChtswidrig ausgezahlter Beträge, bei der Nachforderung gemeinschaftsrechtswidrig nicht erhobener Abgaben wie auch bei der Erstattung gemeinschaftsrechtswidrig erhobener Beträge von großer finanzieller Bedeutung, da sie dafür maßgebend sind, inwieweit nach materiellem Gemeinschaftsrecht bestehende Anspruche geltend gemacht oder durchgesetzt werden können 188. Diese Rechtsgrundsätze sind als Ausprägungen des ReChtsstaatsprinzips 189 selbstverständlich im Gemeinschaftsrecht anerkannt und haben durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs durchaus auch schon eine geHuJhmacher, S. 103. VgI. hierzu EuGH 05.10.1988 - Padovani u.a./Ammini-strazione delle Finanze dello Stato, Rs. 210/87 - Slg. 1988, S. 6177, 6207 ff.; in dieser Rechtssache hat der Gerichtshof entschieden, daß das den Grundsatz des Vertrauensschutzes enthaltende Gemeinschaftsrecht für den Fall, "daß das für die Modalitäten und Bedingungen der Erhebung maßgebende nationale Recht den Grundsatz des Vertrauensschutzes nicht kennt, der Anwendung dieses innerstaatlichen Rechts nicht entgegensteht, sofern für vergleichbare, rein innerstaatliche Abgaben und Gebühren nicht ein anderer Grundsatz gilt". 188 So ausdrücklich Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht II, S. 1061 mit umfangreichem weiterem Nachweis in Fn. 10. 189 VgI. Pernice, Artikel 164 Rn. 88, in: Grabitz, EWGV. 186
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Teil 3: Verfahrensrecbt und allgemeines Verwaltungsrecbt
wisse Konturierung erfahren 190. Jedoch sind die gemeinschafts rechtlichen Rechtsgrundsätze der Rechtssicherheit, des Vertrauensschutzes und der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung im Detail eher vage und unbestimmt: aus ihnen ergibt sich zwar die Verpflichtung der Verwaltung, bei einer Einzelfallentscheidung bestimmte Gesichtspunkte zu berücksichtigen und gegeneinander abzuwägen, etwa das öffentliche und das private Interesse an der Aufrechterhaltung oder Aufhebung einer bestimmten Verwaltungsmaßnahme 191 oder das berechtigte Vertrauen eines Abgabenpflichtigen und die öffentlichen Finanzinteressen bei der Nacherhebung einer Gemeinschaftsabgabe. Die gemeinschaftsrechtlichen Rechtsgrundsätze nehmen aber nicht selbst konkret den Ausgleich der bei einer solchen EntsCheidung miteinander widerstreitenden rechtlichen Gesichtspunkte vor. Ihnen lassen sich keine abschließenden und detaillierten Regelungen des zu treffenden Interessenausgleichs entnehmen. Damit gibt das Gemeinschaftsrecht keine konkreten Abwägungsdirektiven zwischen Rechtssicherheit und Vertrauensschutz einerseits, der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung andererseits, die an den Konkretisierungsgrad der nationalen Regelungen, etwa der präzisen Vorschrift der §§ 48 f. VwVfG im deutschen Recht, heranreichen würden. Daher kommt beim indirekten Vollzug des Gemeinschaftsrechts den allgemeinen Rechtsgrundsätzen der Rechtssicherheit, der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und des Vertrauensschutzes kein Anwendungsvorrang gegenüber den entsprechenden Bestimmungen des nationalen Rechts zu 192, es bleibt bei der Maßgeblichkeit der einschlägigen nationalen Vorschriften 193. Die allgemeinen Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts stellen im Bereich des Verwaltungsverfahrensrechts und des allgemeinen Verwaltungsrechts keine gemeinsamen Regeln für die finanziell relevanten Bereiche des Verfahrens des indirekten Vollzugs des Gemeinschaftsrechts dar 194.
190 Vgl. nur Rengeling, DVBL 1986, S. 308; ders., DVBl. 1984, S. 34; Lecheler, S. 83 ff.; Pernice, Grundrecbtsgehalte, S. 186. 191 Vgl. nur EuGH 22.03.1961 - SNUPAT, Rs. 42 u. 49/59 - Slg. 1961, S. 109, 172 und EuGH 12.07.1962 - Hoogovens, Rs. 14/61 - Slg. 1962, S. 511, 553. 192 Hierzu ausführlicher Papier, Einwirkungen, S. 57 f. m.w.N.; umfassend &hwarze, Europäisches Verwaltungsrecbt 11, S. 1061 ff., 1076 f. 193 Vgl. aucb BVerwG vom 14.08.1986, DVBl. 1986, S. 1204 ff., in der das Bundesverwaltungsgericht auf der Grundlage der Mi1chkontOlentscbeidung des Europäischen Gerichtshofs zur Anwendbarkeit der §§ 48 ff. VwVfG auf die Rücknahme von Mi1cbbeibilfenbewilligungen Stellungnimmt 194 Götz, EuR 1984, S. 43 m.w.N., der unterstreichend betont, daß es sich bei den allgemeinen Rechtsgrundsätzen eben nur um Grundsätze, nicht aber um Regelungen handelt
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IV. Gemeinschaftsrechtliche Grenzen der Anwendbarkeit nationalen Verwaltungs- und Verwaltungsverfahrensrechts Der damit grundsätzlich bei Fehlen einer ausdrücklichen gemeinschaftsrechtlichen Regelung gebotenen Anwendung der nationalen Vorschriften des Verwaltungsverfahrensrechts und des materiellen allgemeinen Verwaltungsrechts beim indirekten Vollzug des Gemeinschaftsrechts sind aber trotz fehlender Anwendbarkeit der allgemeinen Rechtsgrundsätze Schranken gesetzt. Als solche hat der Europäische Gerichtshof in mittlerweile gefestigter Rechtsprechung 195 die beiden Gesichtspunkte der Nichtdiskriminierung und der Sicherung der Rechtsausübung bestimmt 196. Dem zunächst als weitere mögliche Schranke des nationalen Rechts vom Europäischen Gerichtshof angesprochenen Gesichtspunkt der Erfordernisse der einheitlichen Anwendung des Gemeinschaftsrechts 197 kommt in seiner weiteren Rechtsprechung keine eigene Bedeutung zu 198. Vielmehr nimmt der Gerichtshof angesichts der Untätigkeit des Gemeinschaftsgesetzgebers im Bereich der Verfahrensvorschriften bewußt Unterschiede in der Anwendung des Gemeinschaftsrechts in den verschiedenen Mitgliedstaaten hin, solange sie nicht die beiden zunächst genannten rechtlichen Gesichtspunkte überschreiten 199. Diese beiden Schranken der Anwendbarkeit nationalen Rechts, das Diskriminierungsverbot und das Gebot der Sicherung der Rechtsausübung, leitet der Gerichtshof aus zwei Prinzipien her, denen in seiner Rechtsprechung stets
195 Nachweise etwa bei Streinz, Die Verwaltung 1990, S. 170 ff.; Streil, S. 208 f., in: Beutler/ Bieber/Pipkorn/Streit. 196 So bezeichnet bei Hilf, Rückgriff auf nationale verwaltungsrecbtliche Regeln, S. 80; vgl. auch Streinz, Die Verwaltung 1990, S. 170 ff.; Streil, S. 208 f. m.w.N., in: Beutler/Bieber/Pipkorn/ Streit; Scherer, EuR 1986, S. 54 ff.; Götz, EuR 1986, S. 45 ff.; der Europäische Gerichtshof fordert, daß die nationalen Behörden "nach ihrem nationalen Recht entscheiden, jedoch vorbehaltlich der durch das Gemeinschaftsrecbt gezogenen Grenzen, wonach die im nationalen Recht vorgesehenen Modalitäten nicht darauf hinauslaufen dürfen, daß die Verwirklichung der Gemeinschaftsregelung praktisch unmöglich wird, und das nationale Recht im Vergleich zu den Verfahren, in denen über gleichartige, rein nationale Streitigkeiten entschieden wird, ohne Diskriminierung anzuwenden ist", vgl. EuGH 21.09.1983 - Deutsche Milchkontor, Rs. 205 bis 215/82 - SIg. 1983, S. 2633, 2665 f. m.w.N. 197 Vgl. EuGH 06.06.1972 - Schlüter, Rs. 94/71 - SIg. 1972, S. 307,319. 198 Bedauernd Hilf, Rückgriff auf nationale verwaltungsrechtliche Regeln, S. 80 m. w.N. 199 Vgl. EuGH 21.09.1983 - Deutsche Mitchkontor, Rs. 205 bis 215/82 - SIg. 1983, S. 2633, 2666 sowie EuGH 05.10.1988 - Padovani, Rs. 210/87 - Slg. 1988, S. 6177, 6208.
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Teil 3: Verfahrensrecht und allgemeines VeIWaltungsrecht
große Bedeutung zukommt, nämlich aus dem allgemeinen Grundsatz der Nichtdiskriminierung im Anwendungsbereich der Gemeinschaftsverträge und aus dem Grundsatz der Funktionsfähigkeit der Gemeinschaften 200•
1. Nichtdiskriminierung Das gemeinschaftsrechtliche Diskriminierungsverbot besagt, daß das nationale Recht hinsichtlich Verwaltungsverfahren und materiellem allgemeinem Verwaltungsrecht beim indirekten Vollzug des Gemeinschaftsrechts keine sachlich nicht gerechtfertigten Unterschiede zu Verfahren machen darf, in denen über gleichartige, aber rein nationale Sachverhalte zu entscheiden iSPOI. Dies bedeutet einerseits, daß die Durchsetzung von Ansprüchen der Gemeinschaften gegenüber derjenigen von Ansprüchen des betroffenen Mitgliedstaates nicht erschwert sein darf, andererseits aber auch, daß die dem einzelnen auferlegten Verpflichtungen beim indirekten Vollzug des Gemeinschaftsrechts nicht weitergehend sein dürfen als bei rein nationalen Sachverhalten 202. Unterschiede gegenüber dem ansonsten anwendbaren nationalen Verwaltungsrecht stellen allerdings dann keine unzulässige Diskriminierung, sondern eine zulässige und gegebenenfalls sogar gemeinschaftsreChtliCh gebotene Differenzierung dar, wenn sie sachlich gerechtfertigt sind und den Besonderheiten des materiell betroffenen Rechtsgebiets in besonderer Weise entsprechen 203.
200 So Streinz, Die VeIWaltung 1990, s. 170 m.w.N. 201 EuGH 12.06.1980 - Express Dairy Foods, Rs. 130179 - S1g. 1980, S. 1887, 1900; EuGH 12.06.1980 - Lippiscbe Hauptgenossenschaft, Rs. 119 und 126179 - Slg. 1980, S. 1863, 1879. 202 VgI. ausführlicher m.w.N. Streinz, Die VeIWaltung 1990, S. 170 f. 203 So Götz, zu den hochdifferenzierten Regelungen des AgrarveIWaltungsrechts, die sich einerseits von dem ansonsten in deutschen VeIWaltungsverfahren anwendbaren Bestimmungen, andererseits aber auch untereinander je nach betroffener Marktordnung hinsichtlich Antragsmodalitäten, Nachweis-, Melde-, Buchführungs-, Duldungs-, Auskunftspflichten, aber auch hinsichtlich der Rücknahme von Bescheiden, Erstattungsansprüchen und deren Verzinsung sowie der Beweislast erheblich unterscheiden, EuR 1986, S. 47 ff. m.w.N.; auch Hilf, Rückgriff auf nationale verwaltungsrechtliche Regeln, S. 80 f., geht auf die Sonderregelungen für den Gemeinsamen Agrarmarkt ein und hält die dort anwendbaren Sonderregeln für sachlich gerechtfertigt.
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2. Sicherung der Rechtsausübung
Die zweite Schranke, die der Europäische Gerichtshof der Anwendung der nationalen Verfahrensvorschriften gesetzt hat, ist diejenige der Sicherung der Rechtsausübung. Diese Schranke ergibt sich aus dem in der Rechtsprechung hervorgehobenen Gebot der Gemeinschaftsrechtsordnung an die Mitgliedstaaten, "die Tragweite und die Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts nicht zu beeinträchtigen" 204. Allerdings sieht es der Gerichtshof nicht als seine Aufgabe an, die nationalen Vorschriften daraufhin zu überprüfen, ob sie optimal die Tragweite und Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts sicherstellen. Vielmehr nimmt er lediglich eine Negativkontrolle vor, überprüft also nur, ob die nationalen Vorschriften schlechterdings ungeeignet sind, das Gemeinschaftsrecht in der nationalen Verwaltungspraxis umzusetzen. Diese Voraussetzung sieht er dann als gegeben an, wenn die beim indirekten Vollzug des Gemeinschaftsrechts anwendbaren nationalen Vorschriften die Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts "praktisch unmöglich" machen 205. In dieser Überprüfungsformel des Europäischen Gerichtshofs ist die Formulierung "praktisch unmöglich" mit Bedacht gewählt: sie bedeutet, daß das Verwaltungsrecht der Mitgliedstaaten der Tragweite und Wirksamkeit der Gemeinschaftsrechtsordnung durchaus bestimmte rechtliche Hindernisse entgegenstellen kann, die allerdings nicht zu einer totalen Unwirksamkeit der gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen in einem bestimmten Mitgliedstaat führen dürfen. So hat der Gerichtshof etwa ausdrücklich anerkannt, daß das Gemeinschaftsrecht der Anwendung innerstaatlicher Widerspruchs- oder Klagefristen nicht entgegensteht 206, obwohl hier erhebliche Unterschiede zwischen den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten bestehen und diese durchaus eine uneinheitliche und unterschiedlich wirksame Anwendung und Geltung des Gemeinschaftsrechts in den einzelnen Mitgliedstaaten zur Folge haben 207•
204 EuGH 21.09.1983 - Deutsche Milchkontor, Rs. 205 bis 215/82 - SIg. 1983, S. 2633, 2666; vgl. hierzu insbesondere Götz, EuR 1986, S. 46 f. m.w.N. 20S So die vom Europäischen Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung gewählte Formulierung, vgl. EuGH 12.06.1980 - Express Dairy Foods, Rs. 130/79 - Slg. 1980, S. 1887, 1902; EuGH 21.09.1983 - Deutsche Milchkontor, Rs. 205 bis 215/82 - Slg. 1983, S. 2633, 2666. 206 Vgl. etwa EuGH 12.06.1980 - Lippische Hauptgenossenschaft, Rs. 119 und 126/79 - Slg. 1980, S. 1863, 1876 ff. m.w.N. 207 Vgl. Streinz, Die Verwaltung 1990, S. 172 f. 10 Paehe
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Teil 3: Verfahrensrecht und allgemeines VelWaltungsrecht
Die Grenzen der praktischen Unmöglichkeit der Geltung des Gemeinschaftsrechts dürften dagegen überschritten sein, wenn etwa für bestimmte Ansprüche oder Streitigkeiten überhaupt kein Rechtsweg eröffnet ist, wenn Widerspruchsoder Klagefristen so knapp bemessen sind, daß ihre Inanspruchnahme tatsächlich kaum durchführbar erscheint oder wenn nationale Kostenregelungen die Verfolgung bestimmter gemeinschaftsrechtlich begründeter Rechte wirtschaftlich unsinnig machen würden 208.
3. Rechtsfolgen eines Verstoßes nationaler Verfahrensrechtsvorschriften gegen Gemeinschaftsrecht Verstößt eine nationale Verfahrens- oder Verwaltungsrechtsnorm gegen eine der beiden aufgezeigten gemeinschaftsrechtlichen Schranken, also gegen das Diskriminierungsverbot oder gegen das Gebot der Sicherung der Rechtsausübung, so ist sie gemeinschaftsrechtswidrig und deshalb unanwendbar. Wenn auch ohne die unanwendbare Norm eine Entscheidung in der Sache getroffen werden kann, so muß die nationale Verwaltung die betroffene Norm schlicht außer Anwendung lassen und entscheiden. Kann jedoch ohne eine Regelung des durch die unanwendbare Norm geregelten Problems auch nicht in der Sache entschieden werden, so stellt sich die Frage, ob nicht in solchen Fallkonstellationen auf die allgemeinen Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts als Regelung des Problems zurückgegriffen werden kann 209. Da dann keine anwendbaren konkreteren nationalen Vorschriften vorhanden sind und im Falle der Nichtanwendung der gemeinschaftsrechtlichen Rechtsgrundsätze eine Regelungslücke bestehen würde, die die Anwendbarkeit des Gemeinschaftsrechts im konkreten Fall überhaupt in Frage stellte, ist hier die Anwendung allgemeiner Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts durchaus sinnvoll.
208 Diese Beispiele nennt Hilf, Rückgriff auf nationale velWaltungsrechtliche Regeln, S. 81; zur Anwendbarkeit der §§ 48 Cf. VwVfG beim indirekten Vollzug des Gemeinschaftsrechts und vor allem zu der Frage, ob nicht das in diesen Vorschriften vorgesehene Ermessen hinsichtlich der Aufhebung von Bewilligungsbescheiden zur praktischen Unmöglichkeit im oben dargestellten Sinne führt, vgl. ders., a.a.O., S. 81 f.; Streinz, Die VelWaltung 1990, S. 172 f.; Papier, Einwirkungen, S. 58f. 209 Vgl. ausführlich m.w.N. Streil, S. 208 ff., in: Beutler/Bieber/Pipltorn/Slreil.
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4. Ausmaß der gemeinschaftsrechtlichen Beeinflussung der nationalen Verfahrensvorschriften
Die Vorgaben, die die Gemeinschaftsrechtsordnung für die Anwendung nationalen Verfahrensrechts und materiellen allgemeinen Verwaltungsrechts aufstellt, sind ausgesprochen gering: lediglich im Falle der Diskriminierung gemeinschaftsrechtsgeprägter Sachverhalte gegenüber solchen mit allein nationalem Bezug oder im Falle der praktischen Unmöglichkeit der Verwirklichung des Gemeinschaftsrechts sind mitgliedstaatliche Verfahrensvorschriften gemeinschaftsrechtswidrig und damit unanwendbar, ansonsten nimmt das Gemeinschaftsrecht die sich aus den unterschiedlichen nationalen Verfahrensvorschriften ergebenden Unterschiede in der Anwendung und damit auch der Geltung des Gemeinschaftsrechts hin. Diese Schranken sichern nur einen Minimalstandard der effektiven und einheitlichen Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts 210. DaTÜberhinaus hat der Europäische Gerichtshof in seiner Rechtsprechung eine weitreichende Bereitschaft gezeigt, die Eigentümlichkeiten und Besonderheiten des mitgliedstaatlichen Verwaltungsrechts mit den daraus resultierenden Diskrepanzen in der Gemeinschaftsrechtsanwendung zu akzeptieren 211. Damit verhindern das gemeinschaftsrechtliche Diskriminierungsverbot und das entsprechende EffIzienzgebot 212 einerseits sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlungen beim Vollzug des Gemeinschaftsrechts gegenüber rein nationalen Sachverhalten, andererseits völlig ungeeignete Arten der Umsetzung des Gemeinschaftsrechts, die zur praktischen Unwirksamkeit der umgesetzten Rechtsordnung führen. Insbesondere das Vorliegen einer völlig ungeeigneten Umsetzung des Gemeinschaftsrechts durch nationale Verfahrensvorschriften dürfte jedoch einen so gut wie nie vorliegenden Ausnahmefall der Schlechterfüllung der mitgliedstaatlichen Verpflichtung zur Durchführung des Gemeinschaftsrechts aus ArtikelS EWGV darstellen. Dennoch hat der Gerichtshof bereits eine italienische Verfahrensvorschrift, die eine Beweislastregel für die Erstattung gemeinschaftsrechtswidrig erhobener Abgaben aufstellte und hierbei diese Erstattung vom urkundlichen Nachweis der Tatsache abhängig machte, daß die erhobenen Abgaben nicht auf andere Personen abgewälzt worden waWeber, BayVBI. 1984, S. 31:7. VgI. Götz, EuR 1986, S. 47 m.w.N. 212 Diese Bezeichnung für das Gebot, Tragweite und Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts nicht zu beeinträchtigen, wählt Streinz, Die Verwaltung 1990, S. 170, 172 f. 210 211
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Teil 3: Verfahrensrecht und allgemeines Verwaltungsrecht
ren 213, als Regelung angesehen, die die Durchsetzung des gemeinschaftsrechtlich begründeten Erstattungsanspruchs praktisch unmöglich macht, und diese Vorschrift deshalb für unanwendbar erklärt 214. Weil die Europäischen Gemeinschaften von ihren durchaus v~rhandenen Kompetenzen zur Regelung auch des Verfahrens des indirekten Vollzuges des Gemeinschaftsrechts bislang keinen Gebrauch gemacht haben, sind vor allem das Verwaltungsrecht und die Verfahrensvorschriften der Mitgliedstaaten bis auf wenige extreme Ausnahmefälle für den indirekten Vollzug des Gemeinschaftsrechts maßgeblich. Eine konkrete gemeinschaftsrechtliche Verpflichtung zur Optimierung der innerstaatlichen Verfahrens- und Verwaltungsrechtsvorschriften im Hinblick auf eine möglichst effektive und wirkungsvolle Umsetzung der Gemeinschaftsrechtsordnung besteht - über die allgemeine Pflicht zur Durchführung des Gemeinschaftsrechts aus Artikel 5 EWGV und die auch im Völkerrecht anerkannte Pflicht zur Vertragserfüllung hinaus - nicht.
D. Ergebnis Beim direkten Vollzug des Gemeinschaftsrechts sind ausschließlich die Europäischen Gemeinschaften für die Regelung aller verfahrensrechtlichen Fragen zuständig. Sie sollten hier zum Schutz ihrer finanziellen Interessen eine für alle Bereiche des direkten Vollzugs anwendbare Regelung der Rückforderung unreChtmäßig ausgezahlter und der Nacherhebung unrechtmäßig nicht erhobener Gelder erlassen, die auch die Festlegung der anwendbaren Verjährungsregeln und Verzinsungsvorschriften umfassen sollte. Von wesentlich größerer finanzieller Bedeutung ist der indirekte Vollzug des Gemeinschaftsrechts. Beim indirekten Vollzug des Gemeinschaftsrechts sind nach dem Grundsatz der verfahrensmäßigen Autonomie der Mitgliedstaaten grundsätzlich letztere für die Regelung des Verwaltungsverfahrens und des materiellen allgemeinen Verwaltungsrechts zuständig. Die Europäischen Gemeinschaften besitzen hier jedoch Regelungskompetenzen, die sich aus speziellen Kompetenzzuweisungen wie etwa Artikel 40 Absatz 3 EWGV LV.m. Zu den Besonderheiten des zu beurteilenden Sachverhalts vgl. Götz, EuR 1986, S. 47. EuGH 09.11.1983 - San Giorgio/Amministrazione delle finanze stato, Rs. 199/82 - Slg. 1983, S. 3595, 3612 f. 213
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D. Ergebnis
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Artikel 43 Absatz 2 EWGV, aus Artikel 235 EWGV oder aus den Artikeln 100 ff. EWGV ergeben können, wenn eine gemeinschaftliche Regelung oder zumindest Angleichung erforderlich ist. Diese Voraussetzung liegt für alle Regelungsbereiche des materiellen allgemeinen Verwaltungsrechts und des Verwaltungsverfahrensrechts, die sich finanziell auswirken können, vor. Eine gemeinschaftsrechtliche Regelung des Widerrufs und der Rücknahme von Verwaltungsakten, die Geldleistungen an die Gemeinschaften oder solche der Gemeinschaften betreffen, ebenso eine gemeinschaftsrechtliche Regelung der Nacherhebung von Abgaben, der Rückforderung zu Unrecht ausgezahlter Gemeinschaftsmittel, der Möglichkeit der Berufung auf den Wegfall der Bereicherung, des Vertrauensschutzes, der Verjährung und der Verzinsung von Rückforderungs- und Nacherhebungsansprüchen ist für die einheitliche und effektive Geltung des finanzrelevanten Gemeinschaftsrechts in allen Mitgliedstaaten ebenso erforderlich wie zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften. Die erforderliche Regelung sollten die Gemeinschaften im Wege der Rechtsangleichung und Harmonisierung der entsprechenden mitgliedstaatlichen Vorschriften treffen, da sie auf diesem Wege die mitgliedstaatliche Autonomie zur Gestaltung des staatlichen Innenbereichs so wenig wie möglich beeinträchtigen und dennoch die erforderliche gemeinschaftsweite Einheitlichkeit erreichen können.
Teil4
Schutz der Finanzen der Europäischen Gemeinschaften durch die Gestaltung des materiellen Rechts Maßgebliche Bedeutung für den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften hat die Art und Weise, in der die finanzwirksamen Vorschriften des Gemeimchaftsrechts formuliert und ausgestaltet werden. Die gesetzgeberische Gestaltung der Normen, aufgrund derer gemeinschaftliche Ausgaben getätigt oder Einnahmen für die Gemeinschaften erhoben werden, entscheidet ganz wesentlich darüber, inwieweit bei der Anwendung dieser Normen in jedem Einzelfall tatsächlich nur die vom Gemeinschaftsgesetzgeber beabsichtigten Ausgaben erfolgen und inwieweit sämtliche vorgesehenen Einnahmen erzielt werden. Die beiden Hauptprobleme, die sich bei der Gestaltung der finanzrelevanten Rechtsakte der Gemeinschaften, speziell also bei der Gestaltung der gemeinschaftsrechtlichen Subventions- und Abgabentatbestände, stellen, sind einerseits die Normenflut und Normkomplexität, die die Rechtsetzung der Europäischen Gemeinschaften prägen, und andererseits die aus diesem ersten Problem folgende Problematik des Rechtsmißbrauchs und der Schein- und Umgehungsgeschäfte 1.
A. Normenftut und Normkomplexität Normenflut und Normkomplexität sind nicht nur Schönheitsfehler der Rechtsordnung der Europäischen Gemeinschaften, die allein aus gesetzge-
1 Eine eingehende Analyse der entsprechenden Mängel der Gemeinschaftsrechtsetzung findet sich etwa in Hause 01Lords, Select Committee on the European Communities, HL Paper 27, S. 12, 17, 24 f., 34 f.; vgl. auch Tiedemann, NJW 1990, S. 2230; DiebIich, S. 106 ff. m.w.N.
ANormenflut und Normkomplexität
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bungstheoretischer Sicht bedauerlich sind. Vielmehr haben beide Phänomene erhebliche praktische Auswirkungen auf die Verständlichkeit, Anwendbarkeit, Kontrollierbarkeit und Akzeptanz des Gemeimchaftsrechts.
I. Normenßut Eine der häufigsten Ursachen für Schädigungen der Finanzen der Europäischen Gemeinschaften ist die ungeheure Normenflut, die die Rechtsetzungstätigkeit der Gemeinschaften produziert 2. Im wörtlichen Sinne bezeichnet der Begriff Normenflut eine unangemessen große Anzahl erlassener Vorschriften. Er wird zugleich aber auch als Schlagwort für die Tatsache verwendet, daß der modeme Gesetzgeber kontinuierlich immer schneller immer mehr Rechtsakte erläßt und daß dadurch die Masse des geltenden Rechts immer weiter anwächst und immer weniger beherrschbar wird 3. Dibses Phänomen - auch als Gesetzeswucherung 4, Gesetzesinflation S oder Gesetzeshypertrophie 6 bezeichnet - ist aus der nationalen Gesetzgebung aller he'utigen westlichen Demokratien bekannt. Seine Ursachen liegen in der Zunahme der Aufgaben, die der modeme Sozialstaat zu bewältigen hat, und in dem perfektionistischen Drang des parlamentarischen Gesetzgebers, möglichst viele Lebensbereiche zu verrechtlichen und hierbei möglichst viele Entscheidungen selbst und bis ins letzte Detail in Gesetzesform zu treffen 7. Die allgemein bekannten negativen Folgen der Normenflut sind mangelnde Rechtssicherheit und Rechtsklarheit, die aus der übergroßen Zahl geltender Vorschriften resultieren 8, zwingend aber auch die Entwertung der Rechtsform Norm, in der der Gesetzgeber handelt, ein bedeutender Legitimitätsverlust jeder einzelnen Norm, das Auftreten von Wertungswidersprüchen zwischen den einzelnen in solcher Vielzahl erlassenen Rechtsakten und dadurch auch eine Beeinträchtigung der Akzeptanz der Rechtsordnung insgesamt 9. 2 Besonders harsche Kritik an der Normenflut auf europäischer Ebene mit anschaulichen Beispielen bei Groll, S. 77 ff.; vgi. auch Hippel, ZRP 1986, S. 278. 3 Vgi. Kong, S. 9 ff., 12 f., 16 f. jeweils m.w.N. 4 Leisner, DVBl. 1981, S. 849. S Bemer, BayVBl. 1978, S. 617. 6 Nachweis bei Kong, S. 9. 7 Eine umfassende Analyse der Ursachen der Normenflut liefert Kong, S. 32 ff. m.w.N. 8 Vgi. Degenhart, S. 17, 127; Leisner, DVBl. 1981, S. 850 f. 9 Kong, S. 119 f.; vgi. auch Steinbach, DöD 1978, S. 69 ff.
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Teil 4: Schutz durch Gestaltung des materiellen Rechts
Wenn die Normenflut schon auf nationaler Ebene - vor allem wegen ihrer negativen Folgen für Rechtssicherheit und Rechtsklarheit und deshalb wegen Beeinträchtigung des Rechtsstaatsprinzips 10 - als Mißstand angesehen wird, so bietet die Rechtsetzung der Europäischen Gemeinschaften noch weitaus mehr Anlaß zu entsprechender Kritik. Gerade beim Gemeinschaftsrecht und damit auch bei dessen finanzwirksamen Vorschriften kann beobachtet werden, daß überaus viele Rechtsakte für ein und denselben Sachbereich in schneller zeitlicher Abfolge mit immer neuen Regelungsinhalten erlassen werden. Dadurch wird das materielle Gemeinschaftsrecht, das vielen Marktbeteiligten als übernationales Recht eh schon fern und exotisch erscheint, noch unübersichtlicher und unklarer, die für einen bestimmten Sachverhalt einschlägigen Normen sind kaum feststellbar, die Normbefolgung ist von vornherein zweifelhaft. Ein eindrucksvolles Beispiel für diese "europäische" Normenflut bietet die Rechtsetzungstätigkeit der Gemeinschaften im Bereich des Agrarrechts. Schon 1984 wurde - in der Form überzogen, in der Sache aber sicher berechtigt - die unübersehbare Vielzahl von Normen des Agrargemeinschaftsrechts bemängelt, die teils nur für einzelne Marktorganisationen, teils marktorganisationsübergreifend, teils nur für einen bestimmten Zeitraum, teils mit unbefristeter Gültigkeit erlassen werden: Jedes Jahr regnen rund 1600 Vorschriften auf die Agrarwirtschaft herab. Es sind Verordnungen, Entscheidungen, Empfehlungen, Richtlinien, Beschlüsse, ProtokOlle, Stellungnahmen, Bekanntmachungen. Sie kommen vom Rat, von der Kommission, vom Parlament, vom Gerichtshof. Tatsächlich ergießen sich noch viel mehr Vorschriften über den Agrarmarkt 1981 wurden allein 1512 Entscheidungen nur zur Regulierung des Getreide- und Reismarktes getroffen. Die volle Befolgung aller Regelungen wird immer schwieriger, auch für die Regierungen der Mitgliedstaaten selbst. Verordnungen werden in den Mitgliedstaaten unterschiedlich ausgelegt und unterschiedlich angewendet. Das Übermaß an Vorschriften, die Recht setzen sollen, führt, weil nicht hinreichend vollziehbar, zu weniger Recht und wird damit Unrecht 11.
Diese Kritik verdeutlicht die Schwierigkeiten, die die enorme Rechtsetzungstätigkeit der Gemeinschaften verursachen kann. Für die Mitgliedstaaten bestehen diese in erster linie darin, die Vielzahl der Rechtsakte gemeinschaftsweit einheitlich anzuwenden und die Befolgung aller Vorschriften sicherzustellen. Dem einzelnen dagegen ist oft nur unter Schwierigkeiten ersichtlich, welcher Rechtsakt in welcher Fassung den von ihm beanspruchten Subventionstatbestand augenblicklich gültig regelt oder den von ihm erfüllten 10
S.
11 '21).
Degenhart, S. 17 m.w.N. So mit zwar leicht polemischem Unterton,
in der Sache aber dennoch zutrefffend Krause,
ANormenflut und Normkomplexität
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Abgabentatbestand enthält. In erster Linie treten diese Probleme tatsächlich im Agrarbereich auf: gegenwärtig werden jährlich etwa 3000 Verordnungen des Rates und der Kommission in diesem Sektor erlassen 12. Bei der großen Masse der Vorschriften handelt es sich um die periodische, oft tägliche Neufestsetzung von Abgaben und Subventionen, Ankaufs- und Verkaufspreisen, Abschöpfungen, Erstattungen, Ausgleichsbeträgen usw., also gerade der finanzwirksamen Vorschriften des Agrargemeinschaftsrechts. Ihre Geltungsdauer ist jeweils zeitlich und sachlich eng begrenzt 13. Zusammengefaßt bewirkt diese Normenflut auf europäischer Ebene, daß für den einzelnen Rechtsanwender oder Rechtsunterworfenen häufig nur schwer erkennbar ist, welche Rechtsakte in welcher Fassung überhaupt für ihn oder für die von ihm beanspruchte Subvention oder zu entrichtende Abgabe maßgeblich sind. Die Vielzahl der erlassenen Rechtsakte führt zu ausgeprägter Unübersichtlichkeit und Unüberschaubarkeit der Rechtsordnung. Dadurch ist einerseits das auch auf europäischer Ebene anerkannte Gebot der Rechtsklarheit und der Erkennbarkeit der für einen Sachverhalt einschlägigen Rechtsvorschriften kaum noch erfüllt, andererseits wird die Effektivität und tatsächliche Umsetzung der Rechtsakte beeinträchtigt 14.
11. Normkomplexität Die negativen Auswirkungen der Normenflut werden zusätzlich verschärft durch das Problem der Normkomplexität, die gerade bei den Rechtsakten der Europäischen Gemeinschaften häufig besonders ausgeprägt ist. Der Gemeinschaftsgesetzgeber erläßt nicht nur Vorschriften in unübersehbarer Anzahl. Zusätzlich versucht er in seinen zahllosen Rechtsakten die betroffenen Materien auch noch mit größter Präzision und bis ins kleinste Detail zu regeln. Deshalb sind die Vorschriften im Tatbestand und bei den Rechtsfolgen in höchstem Maße ausdifferenziert. Sie versuchen auch die kleinsten Unterschiede in den geregelten Lebenssachverhalten zu erfassen und ihnen durch jeweils unterschiedliche Rechtsfolgen Rechnung zu tragen. Zwingende Folge dieser AbGilsdorf/Sack, Artikel 43 Rn. 4 f., in: Grabitz, EWGV. Zu Art und Ausmaß der legislativen Tätigkeit der Gemeinschaften vgl. GilsdorflSack, a.a.O. 14 Jacob, S. 39 ff.; Holzinger, S. 335 zu identischen Problemen der österreichischen Rechtsordnung; die Gründe für die große Anzahl erlassener Rechtsakte zeigt Schreckenberger, S. 26 ff., auf. 12
13
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Teil 4: Schutz durch Gestaltung des materiellen Rechts
sicht des Gemeinschaftsgesetzgebers ist, daß seine Normen in höchstem Maße komplex und kompliziert sind. Aus diesem Grunde sind sie für die Normunterworfenen schwer durchschaubar und für die Normanwender schwer kontrollierbar. Sie bieten zahlreiche Möglichkeiten, durch kleine - absichtlich oder auch nur aus Nachlässigkeit erfolgende - Unkorrektheiten oder Falschangaben in den entsprechenden Anträgen und Erklärungen die eigenen Finanzen zu fördern und die der Gemeinschaften zu schädigen 15. Insofern fordern sie zu Umgehungen und Betrügereien geradezu heraus 16. Außerdem sind aufgrund der in den Normen vorgenommenen weitreichenden Differenzierungen die Ziele vieler Förderungsmaßnahmen nicht klar erkennbar, der Gerechtigkeitsgehalt zahlreicher Abgabentatbeslände ist nicht ersichtlich. Wenn etwa für nahezu identische Güter die zu entrichtenden Zollsätze oder die gewährten Ausfuhrerstattungen um mehrere 100 % differieren, ist der Sinn dieser Unterschiede dem durchschnittlichen Gemeinschaftsbürger kaum einsichtig. Insgesamt hat also die ausgeprägte Normkomplexität des materiellen Gemeinschaftsrechts zusätzliche Unüberschaubarkeit und Überdifferenzierung der Vorschriften zur Folge. Mit der Unüberschaubarkeit und Überdifferenzierung des Gemeinschaftsrechts wird jedoch seine Befolgbarkeit und Anwendbarkeit von vornherein ungewiß 17.
III. NonnenOut und Nonnkomplexität in der Praxis Wie zahlreich und kompliziert die Vorschriften sind, nach denen sich die Höhe der Gemeinschaftseinnahmen und -ausgaben richtet, sollen zwei Beispiele verdeutlichen. Angenommen, ein Gemeinschaftsbürger will eine Warensendung aus einem Drittland in das Zollgebiet der Gemeinschaften einführen. Für diese Sendung hat er bei Überqueren der Außengrenzen der Europäischen Gemeinschaften Zoll zu entrichten, dessen Höhe sich nach dem Gemeinsamen Zolltarif der GeIS Ausführlich behandelt dieses Problem Langdon-Davies, S. 4 ff., der es für so bedeutungsvoll hielt, daß er es in den Mittelpunkt seiner Eröffnungsansprache zum XV. Europäischen Agrarrechtskongresses 1989 in Gent gestellt hat. 16 Gilsdorf, S. 197. 17 &häffer, S. 24.
ANormeDflut und Normkomplexität
ISS
meinschaften 18 richtet. Dieser ist nicht nur für die bei der Einfuhr von Waren in das Gemeinschaftsgebiet zu erhebenden Einnahmen maßgeblich, sondern findet ebenso Anwendung auf die bei der Ausfuhr bestimmter Agrarprodukte gewährten Ausfuhrerstattungen l9 • Der Gemeinsame Zolltarif umfaßt mittlerweile etwa 10.000 Tarifpositionen mit einer entsprechenden Anzahl von Zollsätzen, die in der Regel in Prozent des Warenwertes angegeben werden 20. Er enthält allein für Agrarprodukte 4000 verschiedene Produktbezeichnungen. Für verarbeitete Agrarprodukte unterscheidet er zwischen 932 weiteren unterschiedlichen Produkten, die wiederum je nach ihrer Zusammensetzung weiter unterschieden werden, und zwar in 1416 Standardzusammensetzungen und 14000 mögliche nichtstandardisierte Produktzusammensetzungen. So ist beispielsweise die zutreffende zollrechtliche und ausfuhrerstattungsmäßige Einordnung eines Biskuits je nach dessen Anteil an Getreide, Milchfett und Zucker äußerst unterschiedlich mit der Folge höchst verschiedener anwendbarer Zollsätze 21. Wie schwer es angesichts dieser Situation für den Gemeinschaftsbürger ist, selbst vorab zu erkennen, welche Produktbezeichnung, welche Tarifposition und welcher Zollsatz für seine Waren einschlägig ist, liegt auf der Hand. Als weiteres Beispiel für Normenflut und Normkomplexität soll aufgezeigt werden, mit wie vielen und wie komplizierten Vorschriften sich ein im Gemeinschaftsgebiet tätiger Landwirt auseinandersetzen muß, der bestimmte Teile seiner geschlachteten Schweine aus dem Gemeinschaftsgebiet ausführen möchte und wissen will, ob er für diese Ausfuhr Ausfuhrerstattungen in Anspruch nehmen kann. Grundlegend ist die Verordnung Nr. 2759{75 22 des Rates, die die Gemeinsame Marktorganisation für Schweinefleisch regelt. Nach Artikel 15 Absatz 1 dieser Verordnung kann für die Marktordnungsprodukte eine Ausfuhrerstattung gewährt werden. Gemäß Artikel 17 Absatz 1 der Verordnung Nr. 2759{75 erfolgt die Tarifierung der Marktordnungswaren nach den allgemeinen Tarifierungsvorschriften und den besonderen Vorschriften über die Anwendung des Gemeinsamen Zolltarifs. Das Zolltarifschema, das sich aus der 18 Der Gemeinsame Zolltarif wurde ursprünglich durch die Verordnung Nr. 950/68, ABI. 1968 Nr. L 172 S. 1, festgelegt; er ist zwischenzeitlich auf der Grundlage einer Kombinierten Warennomenklatur, die zugleich der EG-Außenhandelsstatistik dient, umgebildet worden und als Integrierter Tarif der EG ([ARIC) neu veröffentlicht, vgl. Verordnung Nr. 2658187, ABI. 1987 Nr. L 2S6 S. 1; ZUDl derzeitigen Umfang und zu den inletzter Zeit erfolgten Änderungen vgl. Mitteilung der Kommission, TARIC 1992, ABI. 1992 Nr. C 170 S. 1 ff. mit umfangreichen Anhängen in ABI. 1992 Nr. C 170 A S. 1 ff. 19 Hause 0/ Lords, Se\ect Committee on the European Communities, HL Paper 1:1, S. 12, 17. 20 Vgl. hierzu etwa Oppermonn, S. 444 ff. m.w.N. 21 Sehr kritisch House 0/ Lords, Select Committee on the European Communities, HL Paper Zl, S. 12, 17.
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Teil 4: Schutz durch Gestaltung des materiellen Rechts
Anwendung der Verordnung ergibt, wird in den Allgemeinen Zolltarif übernommen. Artikel 2 der Verordnung Nr. 3602/82 der Kommission 23 änderte die Definition einiger Erzeugnisse des Schweinefleischsektors und legte in seinem Absatz 2 Unterabsatz 1 fest, daß Teile unter anderem der Teilstücke Vorderteil, Schulter und Kotelettstrang nur dann zu derselben Tarifstelle wie die gesamten Teilstücke gehören, wenn sie Muskelgewebe und Knochen entsprechend dem natürlichen Verhältnis in den vollständigen Teilstücken enthalten.
Entsprechend wurde das Verzeichnis der Erzeugnisse, für die AusfuhrerstaUungen gewährt werden, durch die Verordnung Nr. 263/83 der Kommission 24 angepaßt. Gemäß dem Anhang zu dieser Verordnung wird eine Erstattung nunmehr für die Erzeugnisse gewährt, die unter die Tarifstellen 02.01 A III a) 3 (Vorderteile oder Schultern, auch Teile davon) und 02.01.A III a) 4 (Kotelettstränge, auch Teile davon) fallen, nicht jedoch für die unter die Tarifstelle 02.01 A III a) 6 bb) (anderes) fallenden Erzeugnisse. Aus diesen Vorschriften insgesamt ergibt sich, daß für Teile des Vorderteils, der Schulter und des Kotelettstrangs eines der Gemeinsamen Marktorganisation für Schweinefleisch unterfallenden Tieres eine Ausfuhrerstattung nur dann gewährt wird, wenn diese Teile Muskelgewebe und Knochen entsprechend dem natürlichen Verhältnis von Muskelgewebe und Knochen in den vollständigen Teilstücken enthalten. In diesem Fall wird eine Ausfuhrerstattung in derselben Höhe wie für vollständige Teilstücke gewährt. Ist diese Voraussetzung nicht erfüllt, enthalten die Teilstücke also Muskelgewebe und Knochen in einem anderen Verhältnis als die vollständigen Teilstücke, so wird überhaupt keine Ausfuhrerstattung gewährt 2S. Diese Regelung, die erhebliche finanzielle Auswirkungen sowohl für die Finanzen der Gemeinschaften wie auch für diejenigen des konkret betroffenen Landwirts hat, muß dieser tunlichst bereits beim Zerlegen seines Schlachtviehs beachten. Daß zu diesem Zwecke eine einfachere und klarere Formulierung der Vorschriften hilfreich wäre und die gegenwärtige ABI. 1975 Nr. L 282 S. 1. ABI. 1982Nr. L376S. 23. 24 ABI. 1983Nr. L30S. 72. 2S ADgesichts dieser Regelung stellt sich natürlich die auch finanziell relevante Frage, wie der Begriff des natürlichen Verhältnisses von Muskelgewebe und Knochen auszulegen ist, ob also auf das natürliche Verhältnis in den vollständigen Teilstücken oder auf das natürliche Verhältnis in den jeweils abgetrennten Teilen abzustellen ist, wie Unterschiede hinsi"htlich Zerlegungsmethoden, Rasse, Alter, Geschlecht, Art und Weise der Aufzucht oder der Mast zu beriicksichtigen sind und wie das natürliche und das konkret vorliegende Verhältnis schließlich faktisch bestimmt und überpiift werden können, vgl. hierzu ausführlich EuGH 04.07.1990 - Vleeswarenbedrijf Roennond SV u.a./Produktschap voor Vee en Vlees, Rs. 354-356188 - Sig. 1990, S. 2753 ff. 22 23
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große Anzahl einschlägiger Vorschriften und deren hohe Kompliziertheit dem Verständnis und der Anwendung der Normen eher schaden, kann ebenfalls unschwer festgestellt werden.
IV. Auswirkungen auf die Gemeinschaftsfinanzen Die Normenflut und Normkomplexität, die auch für die Subventions- und Abgabentatbestände des Gemeinschaftsrechts typisch sind, erleichtern Schädigungen der Gemeinschaftsfinanzen und fordern zu Betrug und Unkorrektheiten geradezu heraus. In der Kriminologie ist allgemein anerkannt, daß Subventionsregelungen und Abgabentatbestände stets dazu verleiten, das Vorliegen der Subventionsvoraussetzungen vorzutäuschen oder das Verwirklichen des Abgabentatbestandes zu verheimlichen, und daß sie daher kriminogene Faktoren ersten Ranges sind. Sie stellen starke Anreize für die Begehung von Unkorrektheiten und Betrug dar, weil in beiden Fällen Geldleistungen ohne marktmäßige Gegenleistung und ohne einen Vertragspartner, der an der ordnungsgemäßen Erfüllung seines Vertrages interessiert ist, erbracht werden. Damit fehlt bei Subventionen wie bei Abgaben stets die natürliche Kontrolle, die bei jeder anderen Geldleistung im Wirtschaftsverkehr durch den Vertragspartner erfolgt, der für seine Leistung eine vertragsgemäße Gegenleistung erwartet. Da eine solche Kontrolle nicht stattfindet, ist die Möglichkeit zu unentdeckten Unkorrektheiten und erfolgreichem Betrug ungleich größer als bei allen anderen Geschäften 26.
Diese dargestellte kriminogene Wirkung tritt bei Abgaben und Subventionen selbst dann ein, wenn die entsprechenden Vorschriften in überschaubaren Gesetzeswerken enthalten und unkompliziert formuliert sind. Sie ist um so intensiver, je komplizierter und detaillierter die getroffenen Regelungen sind 21, da mit steigender Anzahl und Komplexität der Normen auch die MÖglichkeiten der Täuschung über einzelne Tatbestandselemente dieser Normen steigen und die Kontrollierbarkeit abnimmt 28.
Tiedemann, Subventionskriminalität, S. 357 f. Diese These stützt aufgrund seiner praktischen Erfahrungen Longdon-Davies, S. 6 ff., spezieH für die EG-Subventionsregelungen. 28 Bruns, S. 22. 26
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So hat etwa eine Untersuchung bei französischen Unternehmen ergeben, daß drei Viertel der betroffenen Unternehmer davon ausgehen, daß die Kompliziertheit der Verordnungen und des Zollrechts der Europäischen Gemeinschaften zu mangelnder Praktikabilität dieser Rechlsakte führt und Möglichkeiten zur Vermeidung geschuldeter Abgaben oder zur Erlangung unberechtigter Subventionen bietet. Mehrere Marktbeteiligte gaben offen zu, die Kompliziertheit der Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaften bewußt für die Begehung von Vergehen zu Lasten der Gemeinschaftsfinanzen und zu ihrem persönlichen wirtschaftlichen Vorteil zu nutzen 29. Beispielsweise hängt die Höhe der im Einzelfall zu erhebenden Agrarabschöpfungen oder zu leistenden Ausfuhrerstattungen unter anderem von der Qualität der betroffenen Ware, von ihrer Quantität, vom Verkaufspreis, vom Bestimmungsland und vom Verwendungszweck ab. Kleine und kaum überprüfbare Unterschiede bei diesen Tatbestandselementen der Ausfuhrerstattungs- oder Abschöpfungstatbestände führen zu erheblichen finanziellen Auswirkungen. Der Betrag etwa, der als Ausfuhrerstattung für eine in ein Drittland exportierte Ueferung Rindfleisch gezahlt wird, ist beträchtlich unterschiedlich je nachdem, ob es sich bei dem Fleisch um Rindervorderviertel oder um Rinderhinterviertel handelt, ein Merkmal der exportierten Ware, das beim Grenzübertritt kaum überprüft werden kann. Daß solche Regelungen leicht dazu verleiten können, in den Warenbegleitpapieren aus Hintervierteln Vorderviertel zu machen, also durch kleine und kaum feststellbare Unkorrektheiten die eigenen Finanzen zu fördern und die der Gemeinschaften zu beeinträchtigen, liegt auf der Hand 30.
Zusammengefaßt bietet die Kompliziertheit und Unübersichtlichkeit der gemeinschaftsrechtlichen Subventions- und Abgabentatbestände zahlreiche Möglichkeiten zur Vornahme von Manipulationen, die die Gemeinschaftsfinanzen schädigen, und sie stellt gleichzeitig einen starken Anreiz für solche Manipulationen dar 31. Darüberhinaus trägt sie in beachtlichem Maße zum Fehlschlagen der erforderlichen Internalisierung der Normen durch die Normunterworfenen bei: Der Gerechtigkeitsgehalt der Normen mit ihren zahllosen Differenzierungen und Unterscheidungen ist vielleicht noch für Spezialisten, jedoch nicht
29 Ausführlich Delmas·Marty, Criminalite des affaires, S. 38 ff.; dieselbe, White-CollarCrime, S. 94 ff.; Longdon-Davies, S. 4 f. 30 Vgl. DiebIich, S. 104 ff.; Bruns, S. 24 ff. m.w.N. 31 Dies ist durch umfangreichere empirische sozialPlychologische und kriminologische Studien nachgewiesen, siehe etwa Delmos-Marty, White-Collar-Crime, S. 94 ff.; dieselbe, ~lin quance daffaires, S. 101 ff.; Strümpel, S. 9 ff.; Hippei, ZRP 1986, S. 278 m.w.N.
A. Normenflut und Normkomplexität
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mehr für den normalen Marktbeteiligten einsichtig 32. Da der Sinn der Normen nicht einsichtig ist, lösen Verstöße gegen diese Normen keine soziale Verurteilung aus, sondern treffen eher auf Verständnis. Somit fehlt jede soziale Kontrolle und die abschreckende Wirkung sozialer Verurteilung im Aufdeckungsfall.
V. Möglichkeiten der Abhilfe Die negativen Auswirkungen des überdifferenzierten Perfektionismus der EG-Verordnungsgebung 33 sind ein seit langem diskutiertes Problem. Um sie zu verhindern, wird seit geraumer Zeit die Forderung erhoben, der Umfang der Rechtsetzungstätigkeit der Gemeinschaften müsse reduziert und die erlassenen Rechtsakte müßten vereinfacht, präziser formuliert und bereits bei ihrem Erlaß so gestaltet werden, daß das Vorliegen der Voraussetzungen für die vorgesehenen Subventionen und Abgaben tatsächlich in der Praxis kontrollierbar ist 34. Diese Forderung erscheint berechtigt, und ihre Realisierung würde wesentlich zum Schutz der Gemeinschaftsfinanzen beitragen. Fraglich erscheint jedoch, ob sich der enorme Umfang und die hohe Komplexität der Gemeinschaftsrechtsetzung überhaupt vermeiden lassen. Normenflut und Normkomplexität sind selbstverständlich auch für den Gemeinschaftsgesetzgeber nicht Selbstzweck. Vielmehr werden mit den zahlreichen und komplizierten Vorschriften ebenso zahlreiche und komplizierte wirtschaftliche oder politische Steuerungszwecke verfolgt, die sich kaum in einfacherer Form in gesetzliche Vorschriften umsetzen lassen. Aufgrund dessen haben die Gemeinschaftsorgane bislang die Auffassung vertreten, daß Normenflut und Normkomplexität zwingend erforderlich und unabänderlich sind, um gerechte und den Interessen der Gemeinschaften, der Mitgliedstaaten, der Unternehmen und der Verbraucher in gleicher Weise Rechnung tragende Vorschriften zu erlassen 35. Jedoch führt die übergroße Anzahl und die enorme Komplexität der 32 Diesen Aspekt der nicht mehr erreichbaren Normakzeptanz betont Tiedemann, FS Pfeiffer, S. 109 m.w.N. 33 So Tiedemann, FS Pfeiffer, S. 109. 34 Vgl. sehr pointiert Howe 0/ Commons Paper 342, S. 21 ff., das unterstreicht, daß die Komplexität der Gemeinschaftsrechtsetzung gerade erst die Möglichkeiten für "irregular or unintended use of CAP funds" eröffnet; vgl. weiter House 0/ Lords, Select Committee on the European Communities, HL Paper 27, S. 24 f. m.w.N., 34. 35 Vgl. nur Reinlce, S. 41.
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erlassenen Rechtsakte dazu, daß die Vorschriften nicht befolgt werden. Sie hat also zur Folge, daß die vieWiltigen Steuerungszwecke, die Anlaß für die zahlreiche und komplizierte Rechtsetzungstätigkeit waren, gerade wegen der großen Zahl und Komplexität der erlassenen Rechtsakte nicht erreicht werden können. Deshalb liefern auch die zahlreichen und komplexen Ziele, die die Gemeinschaften in ihren unterschiedlichen Tätigkeitsbereichen verfolgen, keine Rechtfertigung für Normenflut und Normkomplexität im derzeitigen Ausmaß. Da mithin eine ausreichende ReChtfertigung für Umfang und Komplexität der Gemeinschaftsrechtsetzung nicht besteht, sollten die Gemeinschaften diese soweit als möglich zu vermeiden suchen. Gerade bei der Rechtsetzung und Gestaltung des finanzwirksamen Gemeinschaftsrechts haben die Europäischen Gemeinschaften die Möglichkeit, selbst präventiv gegen Mißbrauch und Schädigung der Gemeinschaftsfinanzen vorzugehen, und zwar allein durch sinnvollen Gebrauch der ihnen zustehenden Rechtsetzungskompetenzen und ohne auf die Mitwirkung der Mitgliedstaaten angewiesen zu sein. Die Gemeinschaften können durch Vereinfachung der Rechtsvorschriften und Harmonisierung der für verschiedene Bereiche der Gemeinschaftstätigkeit gültigen Normen deren Verständlichkeit fördern, ihre Kontrollierbarkeit und Anwendbarkeit verbessern und zusätzlich durch klare Angabe der Ziele von Subventionen oder Abgaben Betrugsmöglichkeiten weitgehend ausschließen 36. Die Forderung, die sich aus den dargestellten Problemen für den Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaften ergibt, ist einfach und klar zu formulieren, aber nur sehr schwer zu realisieren: bei Erlaß jeder finanzwirksamen Norm des Gemeinschaftsrechts muß Normklarheit und einfache Anwendbarkeit der Norm im Vordergrund stehen. Die Tatbestandsvoraussetzungen müssen so gefaßt sein, daß ihr Vorliegen einfach und präzise kontrolliert werden kann. Auf der Rechtsfolgenseite der Normen muß auf allzu weitgehende Differenzierungen, die alle möglichen tatsächlichen Unterschiede berücksichtigen, verzichtet werden. Bestimmte Steuerungsziele, zu deren Erreichung besonders detaillierte Differenzierungen von Ausfuhrerstattungstatbeständen oder Zollvorschriften erforderlich sind, müssen zugunsten leichterer Kontrollierbarkeit, Anwendbarkeit und damit auch Durchsetzbarkeit des Gemeinschaftsrechts völlig unberücksichtigt bleiben. 36 Die Präventionsmöglichkeiten durch geeignete Gestaltung der neu zu erlassenden und Überarbeitung der bereits geltenden Gemeinschaftsrechtsnormen betonte zu Beginn des Seminars über die "Legal protection of the financial interests of the Community" das Kommissionsmitglied Schmidhuber, S. 9.
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Dieses Ziel hat auch die Kommission der Europäischen Gemeinschaften bereits teilweise als wichtig für den Schutz der Finanzen der Europäischen Gemeinschaften erkannt. Entsprechend hat sie bestimmte Aspekte in ihr Arbeitsprogramm zur Betrugsbekämpfung, das sie am 25. und 26. Mai 1989 verabschiedet hat 37, aufgenommen. Das Programm untergliedert sich in die Bereiche Prävention, Zusammenarbeit und Verfolgung 38. Die Art und Weise der Gestaltung des materiellen Rechts ist als Bestandteil des Bereichs Prävention anzusehen. Hier spielen für die Kommission die Vereinfachung der Rechtsetzung und die Berücksichtigung der praktischen Artwendbarkeit und Kontrollierbarkeit der gemeinschaftlichen Rechtsakte eine wichtige Rolle 39. Jedoch sind trotz dieser Programmatik praktische Auswirkungen und Erfolge der Vereinfachungsbemühungen und der Bemühungen um verbesserte Artwendbarkeit und Kontrollierbarkeit bisher nur in sehr geringem Umfang erkennbar 40: eine Sachverständigengruppe ist mit der Überprüfung sämtlicher Rechtsvorschriften im Agrarbereich im Hinblick auf deren Vereinfachung beauftragt worden, und im Rindfleischsektor hat die Kommission die 254 Tariflinien, die für Erstattungen vorgesehen waren, auf 164 verringert sowie einige weitere ähnlich marginale Vereinfachungen vorgenommen 41. Über diesen Ansatz hinausgehend sollte beim Erlaß eines jeden neuen finanzwirksamen gemeinschaftlichen Rechtsaktes zumindest versucht werden, die einschlägigen Vorschriften des Gemeinschaftsrechts zu vereinfachen und sie weniger kompliziert und dadurch besser kontrollierbar zu gestalten. Es sollten so wenig Rechtsakte wie irgend möglich erlassen werden. Diese Rechtsakte müssen so unkompliziert wie möglich gefaßt werden. Wenn eine unkomplizierte und kontrollierbare Vorschrift nicht möglich erscheint, sollten die Gemeinschaften lieber ganz auf eine bestimmte Regelung verzichten, als eine kaum anwendbare Regelung und damit die Möglichkeit zu weiteren Schädigungen der gemeinschaftlichen Finanzen zu schaffen.
Vgl. 23. Gesamtbericht 1989, Ziffer 103 ff. m.w.N. Vgl. SEC (90) 156 final vom 31.1.1990, Politique de la lutte anti-fraude - Programme de travail de la Commission. 39 Nachweis der einzelnen unter diesen beiden Gesichtspunkten zusammengefaßten bereits durchgeführten und noch geplanten Maßnahmen der Kommission in SEC (90) 156 final vom 31.1.1990, Annexe 11, S. 37 f., 40 ff. 40 Skeptisch hinsichtlich schneller Erfolge der Vereinfachungsbemühungen äußert sich auch Tiedemann, FS Pfeiffer, S. 109. 41 Ausführliche Darstellung in SEC (90) 156 final, S. 19 f. 37
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11 Poche
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B. Schein- und Umgehungsgeschäfte Weitere erhebliche Beeinträchtigungen der Finanzen der Europäischen Gemeinschaften werden durch Scheingeschäfte und Umgehungsgeschäfte hervorgerufen 42, denen die Gemeinschaften ebenfalls durch entsprechende Gestaltung des materiellen Rechts entgegenwirken können. Die Schein- und Umgehungsgeschäfte verursachen Schäden in zweistelliger Milliardenhöhe bei den Einnahmen wie den Ausgaben des Gemeinschaftshaushalts dadurch, daß Gemeinschaftsgelder unberechtigt in Anspruch genommen und daß Gemeinschaftseinnahmen unberechtigt verkÜIZt werden 43. Zusätzlich gefährden sie die politiSChe Akzeptanz der Gemeinschaften in hohem Maße, denn weite Kreise der Bevölkerung machen den Gemeinschaften zum Vorwurf, daß deren Rechtsordnung überhaupt die Möglichkeit zur Begehung von Scheinund Umgehungsgescbäften bietet, während· sie den Beteiligten solcher Geschäfte eher Bewunderung für ihre Findigkeit und Geschicklichkeit entgegenbringen als Ablehnung oder soziale Verurteilung wegen ihres Gewinnstrebens, der Schädigung der Gemeinschaftsfinanzen und damit letztlich auch der Schädigung der Finanzen jedes einzelnen europäischen Steuerzahlers 44. Wenn Scheingeschäfte und Umgehungsgeschäfte auch gleichermaßen die finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften beeinträchtigen, so sind es dennoch zwei tatsächlich grundsätzlich unterschiedliche Arten der Schädigung der Gemeinschaftsfinanzen, deren rechtliche Problematik entsprechend unterschiedlich gelagert ist.
I. Scbeingescbäfte Als Scheingeschäft werden alle Willenserklärungen, RechtsgesChäfte und Realakte mit wirtschaftlichem Bezug bezeichnet, deren Vornahme nicht deshalb erfolgt, weil die Willenserklärungen, ReChtsgeschäfte und Realakte als solche ernstlich beabsiChtigt sind, sondern allein deshalb, weil durch sie ein Sachverhalt vorgetäuscht werden soll, der in Wirklichkeit nicht oder in anderer Ausführlich Tiedemann, Level of protection, S. 143 ff. m.w.N. Das hohe Ausmaß der verursachten Schäden betonen Dieb1ich, S. 106; Bruns, S. 23 m.w.N.; Opp, S. 15 f.; Gött, Bekämpfung der SubventioBSerschleichung, S. 9 ff. 44 Die fehlende Mißbilligung der Schein- und Umgehungsgeschäfte problematisiert vor allem Tiedemann, NJW 1990, S. 2230. 42 43
B. Schein- und Umgehungsgeschäfte
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Form gegeben ist 4S. Charakteristisch für Scheingeschäfte ist, daß entweder überhaupt keine wirtschaftlich relevante Handlung vorgenommen, sondern eine solche nur vorgetäuscht wird, oder daß eine tatsächlich vorgenommene Handlung lediglich dazu dient, eine andere Handlung zu simulieren oder zu verdekken 46. Wesensmerkmal eines Scheingeschäftes ist demnach eine Täuschung, nämlich entweder das Vorspiegeln der Erfüllung sämtlicher Tatbestandsvoraussetzungen für eine Subvention oder Vergünstigung, während diese in Wirklichkeit nicht vorliegen, oder das Verheimlichen der tatsächlich eingetretenen Erfüllung eines Abgabentatbestandes 41. In der Regel erfolgt bei dieser Art von Geschäften eine Täuschung der Gemeinschaftsinstitutionen oder der mit dem Vollzug des Gemeinschaftsrechts betrauten nationalen Stellen über die Qualität der betroffenen Waren, über deren Quantität oder über das Ursprungs- oder das Bestimmungsland 48. So handelt es sich um Scheingeschäfte, wenn beim Import oder Export von Gütern, für die Ausfuhrerstattungen gewährt werden oder Zölle zu entrichten sind, falsche Mengenangaben gemacht oder unzutreffende Warenbezeichnungen verwendet werden 49, ebenso bei der mehrfachen Inanspruchnahme von Subventionen für nur einmal subventionsfähige Waren so oder bei der Geltendmachung von Subventionsansprüchen für tatsächlich gar nicht existente Produkte SI.
45 Tiedemann, § 264 Rn. 86 m.w.N., in: LK, zur Dogmatik der Scheingeschäfte, die vor allem im Zivilrecht entwickelt worden ist; vgl. auch allSführlich Courakis, S. 229 f. m.w.N. 46 Tiedemann, NJW 1990, S. 2230 m.w.N., der als Beispiel den Export von leeren oder mit Wasser gefüllten Fässern nennt, die angeblich Tomatenextrakt enthalten, Fallschilderung in FAZ vom 20.11.1982, S. 9; Courakis, S. 242 ff. mit weiteren Beispielen. 41 Ebenso liegt ein Scheingeschäft vor, wenn das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Subvention oder Vergünstigung vorgespiegelt wird, die höher ist als diejenige, die tatsächlich berechtigt wäre, oder wenn das Vorliegen der Voraussetzungen für eine geringere Abgabe als die tatsächlich geschuldete vorgespiegelt wird 48 Krause, S. 161, 176 f.; Dieblich, S. 106; Bnms, S. 24. 49 Beispiele beiBnms, S. 25 ff. mit umfangreichem Nachweis. so Sogenannte Karusselgeschäfte, vgl. Tiedemann, Subventionskriminalität, S. 80 ff. m.w.N. SI Sogenannte Luftgeschäfte, Beispiele bei Tiedemann, Subventionskriminalität, S. 89 ff. m.w.N.
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11. Umgehungsgeschäfte Die tatsächlichen Merkmale der Umgehungsgeschäfte unterscheiden sich wesentlich von denen der Scheingeschäfte 52 • Ein Umgehungsgeschäft liegt vor, wenn rechtliche Gestaltungsmöglichkeiten im Zusammenhang mit einer beantragten Subvention oder einer zu entrichtenden Abgabe mißbraucht werden 53. Ein solcher Mißbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten ist dann gegeben, wenn bei der Durchführung einer wirtschaftlichen Transaktion ein dem wirtschaftlichen Zweck unangemessener, künstlicher Weg gewählt wird, den keine sachlichen Gründe rechtfertigen außer dem, eine bei normaler Gestaltung des Geschäftes unberechtigte Subvention zu erlangen oder eine bei normaler Gestaltung des Geschäftes geschuldete Abgabe zu vermeiden 54. Beim Umgehungsgeschäft erfolgt im Unterschied zum Scheingeschäft gerade keine Behauptung unzutreffender Umstände, keine Täuschung und kein Betrug. Vielmehr werden Handlungen und Geschäfte vorgenommen, die als solche durchaus ernsthaft gewollt sind, die sich auf real existierende Gegenstände beziehen und die tatsächlich durchgeführt werden. Diese Geschäfte oder zumindest die Art ihrer Gestaltung haben lediglich keinen eigenen wirtschaftlichen Sinn außer dem, Subventionen etwa in Form von Ausfuhrerstattungen zu erhalten oder Abgaben zu ersparen 55. Damit besteht die Besonderheit der Umgehungsgeschäfte darin, daß eine unpräzise, nicht ausreichend bestimmte gesetzliChe Regelung oder eine Lücke im Gesetz zur Erlangung unberechtigter Vorteile ausgenutzt wird 56. Die Beteiligten handeln im Einklang mit dem Wortlaut der einschlägigen Rechtsakte, aber
52 Umgehungsgeschäfte sind in den meisten Mitgliedstaaten der Gemeinschaften bekannt als fraudulent transaCtiODS, fraude rt la loi oder evasion of the law, vgl. zur Terminologie in den englisch- und französischsprachigen Mitgliedstaaten Tiedemann, Level of prolection, S. 145. 53 Tiedemann, § 264 Rn. 88 m.w.N., in: LK; vgl. auch Diemer-Nicolaus, S. 58. 54 RGSt 77, S. 87, 93; BGH NJW 1960, S. 1057 f.; Tiedemann, § 264 Rn. 92, in: LK; ebenfalls Umgehungsgeschäfte bilden solche Gestaltungen, die dazu führen, daß eine höhere als die bei normaler Abwicklung des Geschäfts zu beanspruchende Subvention gezahlt wird oder eine niedrigere als die normalerweise geschuldete Abgabe zu entrichten ist 55 Tiedemann, NJW 1990, S. 2230; ders., Level ofprotection, S. 145. 56 Die Lücken in der Gemeinschaftsgesetzgebung werden ausgenutzt zu "vom Gesetzgeber nicht gewollten, volkswirtschaftlich unerwünschten Geschäften, deren einziger Sinn und Zweck in der Bereicherung besteht, im Plündern der EWG- und bundesdeutschen Kassen auf nicht verbotene Weise. Es liegt ein Mißbrauch des Rechts vor, ohne daß das Gesetz unmittelbar verletzt wird", so Gurski, S. 35.
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entgegen ihrem Sinn 57. Charakteristisch für Umgehungsgeschäfte ist, daß sie in voller Übereinstimmung mit den einschlägigen Vorschriften des materiellen Gemeinschaftsrechts vorgenommen werden, jedoch zu einem Ergebnis führen, das vom Gemeinschaftsgesetzgeber niemals beabsichtigt war und das der wirtschaftlichen oder politischen Zielsetzung der betroffenen Rechtsakte zuwiderläuft 58. Die Möglichkeiten der Schädigung der Gemeinschaftsfinanzen durch Umgehungsgeschäfte sind ebenso zahlreich wie unterschiedlich. Ein Beispiel für die Vermeidung von Abgaben durch Vornahme von Umgehungshandlungen ist der Butterfettfall 59: die Kurt Siemers KG, ein deutsches Lebensmittelunternehmen von Weltruf 60, beabsichtigte Butterschmalz zur Herstellung von Lebensmitteln aus Jugoslawien in die Bundesrepublik zu importieren 61. Um nicht den hohen Abschöpfungssatz für Butter entrichten zu müssen, wurde dem Butterschmalz ein geringfügiger Zusatz von Essig, Salz, Eigelb und Wasser beigefügt. Folge dieser Beimengung war, daß für das neu hergestellte Gemisch nicht der hohe Abschöpfungssatz für Butter zu entrichten war, sondern nur der wesentlich niedrigere Abschöpfungssatz für Diätmayonnaise oder für sonstige Lebensmittelzubereitungen 62. Das Butterschmalz wurde anschließend in einem im niedersächsischen Zonenrandgebiet neugegründeten Lebensmittelwerk 63 wieder von den beigefügten Zusätzen gereinigt und in seinen ursprünglichen Zustand zurückversetzt. Auf diese Weise erzielte die Kurt Siemers KG Abgabenvorteile in Höhe von mindestens 12 Mio. DM, denen natürlich entsprechende Einnahmeausfälle der Gemeinschaften entsprechen 64.
57 Abgrenzung bei Götz, Subventionen im Gemeinsamen Markt, S. 405 f.; Diemer-Nicolous, S. 58, spricht von einem Umgehungsgeschäft, "wenn die förmlichen Voraussetzungen einer Subvention oder eines Subventionsvorteils in einer dem Subventionszweck widersprechenden Weise künstlich geschaffen werden". 58 Tiedemann, FS Pfeiffer, S. 109 f. m.w.N.; Gilsdorf, S. 299 f.; Tiedemann, NJW 1990, S. 2230. 59 VgI. EuGH 24.11.1971 - Siemers/Hauptzollamt Bad Reichenhall, Rs. 30nl - S1g. 1971, S. 919 ff.; GlD'ski, S. 36; Tiedemann, GA 1974, S. 7 m.w.N. der umfangreichen Rechtsprechung und Literatur dort in Fn. 19. 60 So GUTski, S. 36. 61 Vermutlich handelte es sich bei diesem Butterschmalz zusätzlich noch um hochsubventi0nierte Ware aus Frankreich, die zuvor zum Abbau des Butterberges für umgerechnet 0,80 DMIkg nach Rumänien ausgeführt worden war und von dort nach Koper verbracht wurde, vgI. Der Spiegel vom 22.021971, S. 80 f. und vom 22.03.1971, S. 78. 62 GZT-Tarifnummer 2104 statt 2107. 63 Neugegründet selbstverständlich unter Inanspruchnahme von Subventionen nach dem deutschen Investitionszulagengesetz. 64 GlD'ski, S. 36; Tiedemann, GA 1974, S. 7.
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Eindrucksvoll als Beispiel für die Erlangung von Subventionen durch Umgehungshandlungen ist auch der sogenannte Rohwurstfall 6S: Von 1965 bis 1968 exportierten mehrere deutsche Kaufleute mehr als 3000 Tonnen einer aus geringwertigen Schlachtabfatlen unter Zusatz von 30 % Schwarten und 20 % Wasser hergestellten Rohwurst in die Schweiz und nach Jugoslawien. Diese Wurst, die für den menschlichen Verzehr von ihrer Zusammensetzung her nicht geeignet war, wurde in Jugoslawien zu Seife oder Futtermitteln verarbeitet, die Exporte in die Schweiz wurden unter Zollaufsicht vernichtet 66. Sinn der Transaktion war in erster linie die Erlangung von Subventionen und Ausfuhrerstattungen, die das an sich wirtschaftlich völlig sinnlose Geschäft erst lukrativ machten 67. Dieses Geschäft mit dem Phantasieprodukt "Rohwurst", die eigens zum Zweck der Subventionserlangung hergestellt worden ist und die als solche wirtschaftlich nicht verwertet werden kann 68, wurde dadurch ermöglicht, daß eine rechtsverbindliche Definition des Produktes "Wurst" im Gemeinschaftsrecht fehlte 69. Diese Lücke ist aufgrund des Rohwurstfalles durch die Verordnung Nr. 2403/69 der Kommission 70 geschlossen worden, durch die minderwertige oder ungenießbare Wurst von der Gewährung von Ausfuhrerstattungen ausgeschlossen wird.
111. Abgrenzungsschwierigkeiten Scheingeschäfte und Umgehungsgeschäfte können in der Theorie, aufgrund ihrer Definitionen, klar voneinander unterschieden werden: wird eine Täuschungshandlung vorgenommen, handelt es sich um ein Scheingeschäft, wird dagegen die Gemeinschaftsgesetzgebung ohne Täuschung rechtsmißbräuchlich ausgenutzt, liegt ein Umgehungsgeschäft vor. In der Praxis bereitet die Abgrenzung dagegen durchaus Schwierigkeiten. Wenn etwa Waren aus Frankreich in die Schweiz als Drittland exportiert wer6S vgl. Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht 1, S. 95; Krause, S. 177 f.; Bruns, S. 35 f.; Dieblieh, S. 108 f. 66 Vgl. Bruns, S. 35 f.; Tiedemann, ZStW 87 (1975), S. 284 f.; Dieb/ich, S. 108. 67 Die Kalkulation der beteiligten Kaufleute nach Bruns, S. 35: Selbstkosten je 100 leg Wurst: 217,46 DM; Subventionen: 222,97 DM; damit Gewinn infolge Subventionierung: 5,51 DM; dazu der Verkaufspreis: 45,51 DM, so daß die Beteiligten je 100 kg Wurst einen Gewinn von 50,92 DM machten. 68 Das betont Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht 2, S. 85. 69 Vgl.Bruns, S. 35f. 70 ABI. 1969 Nr. L 303 S. 6.
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den, dann liegt ein Scheinexport in ein Drittland vor, wenn die Waren aus der Schweiz direkt nach Italien weitergeliefert werden. Werden dagegen in der Schweiz vor dem Weitertransport neue Kaufverträge, Versicherungsverträge und Transportverträge über die Ware abgeschlossen, dann liegt zumindest bei rein formaler Betrachtungsweise kein Scheinexport vor, sondern ein tatsächlich gewolltes und durchgeführtes Exportgeschäft 11. Allenfalls bei von Anfang an bestehender Absicht des Exportes nach Italien kommt das Vorliegen eines rechtsmißbräuchlichen Umgehungsgeschäftes in Betracht, das nachzuweisen jedoch sehr schwerfällt 12.
IV. Problematik der Schein- und Umgehungsgeschäfte Die tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten, die die Verhinderung der Schädigung der Gemeinschaftsfinanzen durch Scheingeschäfte auf der einen und durch Umgehungsgeschäfte auf der anderen Seite bereitet, sind völlig unterschiedlich.
1. Schemgeschäfte Die Schwierigkeiten bei der Verhinderung der Scheingeschäfte liegen in erster Linie auf tatsächlichem Gebiet, nämlich in der Aufdeckung der vorgenommenen Täuschungshandlungen und in der Ermittlung des tatsächlich vorliegenden Sachverhaltes. Sind Scheingeschäfte jedoch erst einmal als solche erkannt, ist ihre rechtliche Behandlung relativ unproblematisch. Für die Rechtslage im Hinblick auf Subventionen und Abgaben maßgeblich ist dann allein der tatsächlich verwirklichte Sachverhalt, die Scheinhandlungen sind für die Höhe der zu beanspruchenden Subvention oder der geschuldeten Abgabe irrelevant. Diese rechtliche Unerheblichkeit von Scheinhandlungen und die Maßgeblich11 Zu den Abgrenzungsschwierigkeiten der Praxis Tiedemann, GA 1974, S. 5 f. m.w.N., der mehrere durch die deutschen Gerichte entschiedene Fälle aufführt. 12 Beispiel nach Tiedemann, NJW 1990, S. 2230; zu den Schwierigkeiten der Bestimmung des Verbraucbslandbegriffes und der entsprechenden Rechtsprechung des Gerichtshofs Tiedemann, Subventionskriminalität, S. 127 ff.; ähnliche Probleme treten etwa auch auf beim Waffen- und Rüstungsgüterexport in Spannungsgebiete oder bei der lieferung von Hochtechnologiegütem in östliche Embargoländer, hierzu Holthausen, NStZ 1988, S. 256 ff.
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keit des verdeckten wirklichen Sachverhaltes ist ein in den Rechtsordnungen aller Mitgliedstaaten anerkannter allgemeiner Rechtsgedanke 13, der auch einen allgemeinen Rechtsgrundsatz des Gemeinschaftsrechts darstellt 74. Für die rechtliche Behandlung von Scheingeschäften, durch die Subventionen erlangt werden sollten, bedeutet das: da die Voraussetzungen für die Gewährung der Subvention nicht oder nur in geringerem Ausmaß als vorgetäuscht gegeben sind, wird eine bereits ausgezahlte Subvention zurückgefordert oder eine erst beantragte Subvention nur in verringerter Höhe oder überhaupt nicht ausgezahlt. Außerdem kommt eine Strafbarkeit der Beteiligten wegen Subventionsbetruges oder ähnlicher Straftatbestände in Betracht, die in den Strafrechtssystemen sämtlicher Mitgliedstaaten vorgesehen ist. Bei Scheingeschäften, mit denen Abgaben vermieden oder verringert werden sollen, sind entsprechend die Steuern oder Abgaben nach dem tatsächlich vorliegenden Sachverhalt zu entrichten oder in korrekter Höhe nachzuerheben. Daneben kommt eine Strafbarkeit der Beteiligten wegen Steuerhinterziehung oder Abgabenverkürzung in Betracht 7S. Damit werfen Scheingeschäfte keine speziellen rechtlichen Probleme auf, problematisch ist lediglich ihre tatsächliche Aufdeckung. Sind Scheingeschäfte jedoch als solche erkannt, so können Schäden für die finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften verhindert oder nachträglich behoben werden, soweit das anwendbare allgemeine Verwaltungsrecht oder Verwaltungsverfahrensrecht dies zuläßt 76.
Die Schwierigkeiten bei der Verhinderung von Umgehungsgeschäften sind dagegen vor allem rechtlicher Art. Der tatsächliche Sachverhalt ist hier korrekt angegeben worden und den Subventions- oder Abgabenbehörden bekannt. Aufgrund dieses Sachverhaltes liegen die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme einer Subvention oder einer AbgabenvergÜDStigung formal unbestreitbar vor. Obwohl jedoch die TatbeZur Rechtslage in Deutschland Diemer-Nicolaus, S. 57 f. Tiedemann, § 264 Rn. 85 ff. m.w.N., in: LK. 7S Zur rechtlichen Behandlung von Scheingeschäften Tiedemonn, Level of protection, S. 144 m.w.N. 76 Zu dieser Problematik bereits oben S. 100 ff. 73
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standsvoraussetzungen der einschlägigen Gemeinschaftsrechtsakte erfüllt sind, weil alle Voraussetzungen für eine Subvention oder eine Steuervenninderung oder Steuerbefreiung vorliegen, sprechen Sinn und Zweck der Vorschriften und die mit diesen Vorschriften verfolgten Absichten des Gemeinschaftsgesetzgebers dagegen, die beanspruchten Vergünstigungen tatsächlich zu gewähren. Es sind also vor allem Versäumnisse des Gesetz- oder Verordnungsgebers, die die Möglichkeit zur Vornahme von Umgehungsgeschäften schaffen 71, wenn dessen Regelungen Lücken enthalten oder nicht präzise genug formuliert sind, so daß sie entgegen ihrem Sinn und im Widerspruch zu den mit ihnen verfolgten Zielen ausgenutzt werden können 18. Solche Lücken und nicht ausreichend präzise Regelungen, die die Möglichkeit für Umgehungsgeschäfte schaffen, treten um so häufiger auf, je ausdifferenzierter, detaillierter und komplizierter die einschlägigen Vorschriften sind 19. Je mehr der Gesetzgeber perfektionistische Tendenzen entwickelt, also versucht, bei der Rechtsetzung wirklich alle berührten wirtschaftlichen, gesellschaftlichen, politischen und sonstigen Umstände zu berücksichtigen und im Hinblick auf all diese Umstände auch im Einzelfall durch eine Vielzahl von Sonderregelungen und Ausnahmen höchste Gerechtigkeit und optimale Verwirklichung seiner Steuerungsziele zu erreichen, desto mehr Möglichkeiten für den Mißbrauch seiner Rechtsordnung und für Umgehungsgeschäfte schafft er 80. Dieses Streben nach Perfektion ist aber gerade für das Subventions- und Abgabenrecht der Europäischen Gemeinschaften typisch 81. Die dadurch zwangsläufig entstehenden Lücken des europäischen Normennetzes 82 fordern zu Umgehungsgeschäften geradezu auf 83 • Daher besteht die Problematik der Umgehungsgeschäfte darin, angemessene rechtliche Instrumente zu finden, mit deren Hilfe nach dem Wortlaut der einschlägigen Vorschriften des Gemeinschaftsrechts begründete Ansprüche auf Subventionen oder Abgabenvergünstigungen dann abgelehnt werden können, wenn die Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen rechtsmißbräuchlich herbeigeführt wurde. Hierzu können auch gesetzgeberische Maßnahmen der Gemeinschaften oder der Mitgliedstaaten erforderlich sein. 11 Ausdrücklich Bruns, S. 35 f. 18
Tiedemann, NJW 1990, S. 2230. Götz, Subventionen im Gemeinsamen Markt, S. 405; Bruns, S. 22
19 Diesen Aspekt betonen
m.w.N.
Tiedemann, Gesetzgebung, S. 22 ff. VgI. nur Hippei, ZRP 1986, S. 278 m.w.N. 82 So Götz, Bekämpfung der Subventionskriminalität, S. 68. 80 81
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V. Möglichkeiten der Verbindenlng von Umgehungsgeschäften Grundsätzlich bestehen vier Möglichkeiten, zu verhindern, daß durch Umgehungsgeschäfte die Finanzen der Europäischen Gemeinschaften geschädigt werden: Erstens können durch Verringerung der Anzahl der Vorschriften des Gemeinschaftsrechts, die sich unmittelbar auf die Einnahmen oder Ausgaben der Gemeinschaften auswirken, und durch deren Vereinfachung die Möglichkeiten zur Vornahme von Umgehungsgeschäften reduziert werden. Diese Möglichkeit zu nutzen haben sich die Gemeinschaften seit einiger Zeit vorgenommen und bei ihren Vereinfachungsbemühungen auch bereits einige Erfolge eIZielt 84. Die zweite Möglichkeit besteht darin, die gemeinschaftsrechtlichen Subventionsund Abgabentatbestände durch restriktive Auslegung so einzuschränken, daß aufgrund dieser Auslegung Umgehungsgeschäfte nicht mehr die Tatbestandsvoraussetzungen der Subventions- und Abgabenermäßigungstatbestände erfüllen 85. Diese Möglichkeit greift jedoch nur insoweit ein, wie die Gemeinschaftsrechtsnormen überhaupt Raum für Auslegung bieten. Drittens besteht die Möglichkeit, Lücken im System der finanzwirksamen Vorschriften des Gemeinschaftsrecht durch einen zusätzlichen Rechtsakt zu schließen, sobald sie erkannt werden, oder entdeckte Mißbrauchsmöglichkeiten durch einen zusätzlichen Rechtsakt für unzulässig zu erklären. Besonders diese Möglichkeit wenden die Gemeinschaften bislang in der Praxis an. Viertens schließlich kommt der Erlaß einer Generalklausei in Betracht, die UmgehungsgesChäfte jeglicher Art generell für unzulässig oder zumindest für unbeachtlich erklärt. Diese vier Möglichkeiten schließen einander nicht aus, sondern ergänzen sich sinnvoll. Daher können und sollten sie zum effektiven Schutz der Gemeinschaftsfinanzen durchaus kumulativ eingesetzt werden.
Gurski, S. 35. Vgl. oben S. 159 ff. 85 Zur Möglichkeit der Verhinderung von Schein· und Umgehungsgcschäften durch Auslegung finanzre1evanter Normen im Sinne einer "wirtschaftlichen Betrachtungsweise" des tatsächlichen Gcschehensablaufs vgl. Courakis, S. 219 ff. m.w.N. 83
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VI. Bisheriges Vorgehen der Gemeinschaften Die Problematik der Umgehungsgeschäfte und die enonnen durch diese hervorgerufenen Schäden für die Gemeinschaftsfinanzen und für die politische Akzeptanz der Europäischen Gemeinschaften sind auch den Gemeinschaftsorganen nur allzu gut bewußt. Daher bemühen diese sich intensiv um eine Eindämmung dieser Art von Ausnutzung der Gemeinschaftsrechtsetzung.
1. Verhinderung von Umgehungsgeschäften durch restriktive Auslegung des Gemeinschaftsrechts Diejenige Möglichkeit der Verhinderung von Mißbrauch und Umgehungsgeschäften, die keinerlei gesetzgeberisches Tätigwerden erfordert und die deshalb sofort und für alle Rechtsgebiete des Gemeinschaftsrechts angewendet werden kann, besteht darin, Umgehungsgeschäfte dadurch von der Subventionierung oder Abgabenennäßigung auszuschließen, daß die subventionserheblichen oder abgabenrelevanten Nonnen so restriktiv ausgelegt werden, daß sie die Umgehungsgeschäfte nicht mehr erfassen 86. Es ist beispielsweise durchaus möglich, bestimmte Umgehungs geschäfte zur Erlangung von Ausfuhrerstattungen durch entsprechende Auslegung der jeweils maßgeblichen Begriffe des "Verbrauchslandes" oder des "Bestimmungslandes" von der Gewährung von Ausfuhrerstattungen auszuschließen 87. Zweifelhafter ist dies schon für die Umgehung von Fischfangquoten, wenn die einschlägigen Regelungen auf das Anlanden der Fische abstellen und daher nicht die Übergabe der Fische auf hoher See erfassen, oder für die Verweigerung des Prädikats Buttercremetorte bei einem Produkt, das aus dicken Scheiben Interventionsbutter zwischen dünnen Scheiben aus Biskuitkuchen besteht 88. Raum zur Auslegung und damit auch die Möglichkeit zur Verhinderung von Mißbrauchsfällen und Umgehungsgeschäften durch Auslegung besteht jedoch generell nur bei unbestimmten nonnativen Begriffen des Gemeinschafts-
86 Die bis zu einem gewissen Grade bestehende Möglichkeit der Verhinderung von Miß.. brauchsfälJen durch am Gesetzeszweck orientierte Auslegung der Anspruchstatbestände betont Gilsdorf, S. 299 m.w.N. der Rechtsprechung des Gerichtshofs. 87 Vgl. Lenckner, § 264 Rn. 46, in: Schönke-Schröder; Tiedemann, 'lBtW 86 (1974), S. 917 f. sowie ders., Stichwort "Umgehung", in: Krekelerffiedemann/UlsenheimerlWeinmann. 88 Beispiele nach Tiedemann, FS Pfeiffer, S. 110 sowie S. 103 Fn. 5.
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rechts 89, nicht jedoch bei den zahlreichen deskriptiven Begriffen, wie sie gerade für das Verordnungsrecht der Europäischen Gemeinschaften auf dem Agrarsektor typisch sind 90. So kann etwa ein zu 69 % aus Zucker bestehendes Produkt angesichts der 70 % - Grenze des § 1 ZuckerG nicht mittels Auslegung als Zucker angesehen werden, auch wenn die Beimischungen später wieder entfernt werden, ebenso wie das mit Essig, Salz, Eigelb und Wasser angereicherte Butterschmalz eben keine Butter im Sinne der gemeinschaftlichen Abschöpfungsregeln darstellt und deshalb auch nicht dem hohen Abschöpfungssatz für Butter unterfallt, sondern entweder als "Diätmayonnaise" oder als eine "sonstige Lebensmittelzubereitung" einzuordnen ist mit der Folge eines wesentlich geringeren Abschöpfungssatzes, auch wenn die Beimengungen zur Butter anschließend wieder herausgewaschen werden 91. Diese Beispiele zeigen, daß die Möglichkeit der Verhinderung von Umgehungsgeschäften durch restriktive Auslegung der Subventions- und Abgabennormen nur bei denjenigen Vorschriften besteht, die auslegungsfähige normative Tatbestandselemente enthalten. Deshalb kann auf diese Weise nur ein kleiner Teil der Umgehungsgeschäfte verhindert werden. Darüberhinaus erfordert die Bekämpfung von Umgehungs- und Mißbrauchsgeschäften durch Auslegung in jedem einzelnen Fall jahrelange und schwierige Prozesse, bis die Grenzen der Auslegung ausgelotet sind und der Gedanke des Schein- oder Umgehungsgeschäftes durchgesetzt ist 92. Weil nämlich die Auslegung der finanzrelevanten Normen des Gemeinschaftsrechts die materiellen Vergabevoraussetzungen für Gemeinschaftssubventionen oder Gemeinschaftsabgaben betrifft, darf sie nicht durch nationale Gerichte, sondern nur durch den Europäischen Gerichtshof erfolgen 93, um die einheitliche Geltung und gleiche Tragweite des Gemeinschaftsrechts in allen Mitgliedstaaten sicherzustellen, wie seit dem Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache "Putensterze" 94 feststeht. Damit stellt die Bekämpfung von Umgehungsgeschäften durch Auslegung keine schnell wirkende Waffe gegen UmgehungsgeSChäfte dar und sorgt für langwährende Rechtsunsicherheit.
89 Die ~öglichkeit der Verhinderung von Umgehungsgeschäften durch Auslegung und die Beschränkung dieser Möglichkeit auf normative Begriffe hebt schon Tiedemann, GA 1974, S. 7 f. hervor. 90 Tiedemann, NJW 1990, S. 2231. 91 Beispiele bei Tiedemonn, GA 1974, S. 7 m.w.N. 92 Tiedemann, FS Pfeiffer, S. 110. 93 Dieblich, S. 107 f. m.w.N.; Tiedemann, NJW 1990, S. 2231 m.w.N. 94 EuGH 18.021970 - HauplZollamt HamburglBollmann, Rs. 40/(1) - S1g. 1970, S. (1), 80 f.
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Zusammengefaßt kann durch restriktive Auslegung des Gemeinschaftsrechts nur eine geringe Anzahl der Umgehungsgeschäfte und Mißbrauchsfälle vermieden werden. Hierzu sind langwierige Prozesse vor dem Europäischen Gerichtshof erforderlich, während derer Rechtsunsicherheit über die zur Entscheidung gestellte Frage bestehen bleibt. Aus diesen Gründen reicht die Möglichkeit restriktiver Auslegung der finanzrelevanten Normen des Gemeinschaftsrechts zum Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaften gegen Umgehungsgeschäfte nicht aus.
2. Verhinderung von Umgehungsgeschäften durch Perfektionierung der einschlägigen Vorschriften Die bisherige Methode der Gemeinschaftsorgane, gegen die Schädigung der Gemeinschaftsfinanzen durch Umgehungsgeschäfte vorzugehen, bei denen bestehende Regelungslücken oder Ungenauigkeiten in der Gemeinschaftsrechtsetzung ausgenutzt werden, besteht in erster Unie darin, nach Aufdeckung einzelner Mängel des Gemeinschaftsrechts diese abzustellen. Die Gemeinschaften versuchen also, Mängel ihrer Rechtsetzung, die die Möglichkeit zur Begehung von Umgehungsgeschäften bieten, sobald sie erkannt worden sind, nachträglich in jedem Einzelfall so auszubessern, daß keine Schädigung der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften mehr möglich ist. Als Beispielsfall kann hier erneut der Rohwurstfall aufgegriffen werden 95, aus dem der Gemeinschaftsgesetzgeber nachträglich die Konsequenz zog, die für Ausfuhrerstattungen maßgeblichen Vorschriften um eine Bestimmung zu ergänzen, nach der nur für solche Wurst Ausfuhrerstattungen gewährt werden, die von gesunder und handelsüblicher Qualität ist und bei der die Verwendung zur menschlichen Ernährung nicht durch die Eigenschaften der Ware wesentlich eingeschränkt ist 96 • Bei dieser Vorgehensweise sind die Gemeinschaften in der undankbaren Rolle, eine der Manipulation nachhinkende Perfektionierung zu betreiben VI. Undankbar ist diese Rolle deshalb, weil gemeinschaftliches Handeln hier stets erst dann einsetzen kann, wenn ein die Gemeinschaftsfinanzen schädigendes Umgehungsgeschäft bereits stattgefunden hat und aufgedeckt worden ist. AuVgl. oben S. 166. Artikel 1 der Verordnung Nr. 2403/69, ABI. 1969 Nr. L 303 S. 6 LV.m. Artikel 6 der Verordnung Nr. 1041/67, ABI. 1967 Nr. L 314 S. 9; vgl. dazu EuGH 09.10.1973 - Muras, Rs. 12/73 S1g. 1973, S. 963, 974 f. 97 Tiedemann, NJW 1972, S. 663. 95
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ßerdem erscheinen auch grundsätzliche Zweifel an dieser Art der Bekämpfung der Mißbrauchsfälle gerechtfertigt: Während der Drang zu gesetzgeberischer Perfektion, der für die Rechtsetzungstätigkeit der Gemeinschaften charakteristisch ist 98, durch Normenflut und Normkomplexität gerade die Möglichkeit zur Vornahme von Umgehungsgeschäften schafft, versuchen die GemeinSChaftsorgane zur Verhinderung eben dieser Umgehungsgeschäfte, jeweils bei Erkennen von Unregelmäßigkeiten und Lücken ihrer Rechtsetzung den Perfektionismus weiterzutreiben 99• Dabei können sie den zwangsläufig auftretenden Lücken und Mißbrauchsmöglichkeiten des Normennetzes stets nur mit mehr oder minder großem Erfolg hinterherlaufen 100, und es ist durchaus nicht ausgeschlossen, daß sie durch ihren Perfektionierungsversuch wiederum neue Möglichkeiten zur Vornahme von Umgehungsgeschäften schaffen. Außerdem können bei dieser Vorgehensweise bereits begangene Mißbrauchsfälle von den nachträglich erlassenen Regeln nicht mehr erfaßt werden, sondern sind nach den zur Zeit ihrer Begehung gültigen Vorschriften zu beurteilen. Wenn nach diesen seinerzeit gültigen Vorschriften ein Anspruch auf eine Subvention oder eine Abgabenvergünstigung besteht, so muß diese gewährt werden, selbst wenn die Gewährung dem Sinn und Zweck der einschlägigen Vorschriften eindeutig widerspricht. Außerdem werden findige Marktteilnehmer immer wieder neue Lücken und Ungenauigkeiten in der Rechtsordnung der Gemeinschaften entdecken, aufgrund derer neue Möglichkeiten für den Mißbrauch und die zweckwidrige Verwendung der Gelder der Gemeinschaften bestehen. In solchen Fäll.en müssen die Gemeinschaftsorgane oder die das Gemeinschaftsrechts vollziehenden Behörden der Mitgliedstaaten sehenden Auges entgegen Sinn und Zweck der einschlägigen Rechtsvorschriften auf Gemeinschaftseinnahmen verzichten oder Gemeinschaftsausgaben tätigen, solange weiterhin allein diese am Einzelfall ansetzende Methode der Verhinderung der Umgehungsgeschäfte durch Perfektionierung der für Subventionen und Abgaben maßgeblichen Vorschriften und durch nachträgliche Lückenschließung angewandt wird.
98 Aus dem grundsätzlich sinnvollen Anliegen heraus, im Interesse der Marktteilnehmer in allen Mitgliedstaaten den mit dem Vollzug des Gemeinschaftsrecbts betrauten nationalen Behörden möglichst wenig Ermessen einzuräumen, vgl. Tiedemann, NJW 1990, S. 2230 f. 99 So Tiedemann, FS Pfeiffer, S. 109. 100 Götz, Subventionen im Gemeinsamen Markt, S. 406; Jers., Bekämpfung der Subventionserschleichung, S. 68.
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3. Verhinderung von Umgehungsgeschäften durch eine entsprechende Generalklausei Grundsätzlich ist ein umfassender Schutz der Gemeinschaftsfinanzen gegen Mißbrauch durch Umgehungsgeschäfte erforderlich. Dieser umfassende Schutz kann offensichtlich nicht allein durch eine restriktive Auslegung des Gemeinschaftsrechts und durch nachträgliche Einzelverordnungen erreicht werden 101, die stets rechtlich nur punktuell ametzen und tatsächlich bereits begangene Umgehungsgeschäfte entweder überhaupt nicht oder erst nach sehr langer Zeit erfassen können. Wirksamer Schutz muß bereits vorbeugend die Begehung von Umgehungsgeschäften von Anfang an unmöglich machen und hierbei alle Subventions- und Abgabentatbestände erfassen. Erforderlich ist deshalb eine Ergänzung der zahlreichen nach Aufdeckung bestehender oder sich künftig noch entwickelnder Mißstände erlassenen Detailregelungen durch eine umfassende Generalklausei, die alle nicht speziell geregelten Fälle des Rechtsmißbrauchs und der Umgehungsgeschäfte erfaßt 102 und sie von Anfang an von Subventionierung und Abgabenerleichterungen ausschließt. Fraglich ist, ob eine solche Generalklausei durch den Gemeinschaftsgesetzgeber neu erlassen werden muß, oder ob nicht die rechtsmißbräuchliche Inanspruchnahme von Subventionen und Abgabenermäßigungen auch ohne ausdrücklichen Neuerlaß einer gemeimchaftsrechtlichen Rechtsmißbrauchsklausel, allein aufgrund des derzeit geltenden Rechts, verhindert werden kann. Die umfassende Verhinderung von Rechtsmißbrauch und Umgehungsgeschäften ohne erneutes Tätigwerden des Gemeinschaftsgesetzgebers ist dann möglich, wenn entweder ein allgemeiner Rechtsgrundsatz des Gemeinschaftsrechts besteht, der Rechtsmißbrauch und Umgehungsgeschäfte für unbeachtlich erklärt, oder wenn möglicherweise in den nationalen Rechtsordnungen bestehende entsprechende Vorschriften oder Rechtsgrundsätze auch auf Subventionen und Abgaben nach Gemeinschaftsrecht angewendet werden können.
101 So auch Dieblich,
S. 109 m.w.N. Diese Forderung erheben am eindringlichsten Tiedemann, FS Pfeiffer, S. 109; tiers., NJW 1990, S. 2230 f.; Diehlich, S. 109; Diemer-Nico/au.s, S. 61. 102
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Teil 4: Scbutz durcb Gestaltung des materiellen Recbts
a) Generalklausei als allgemeiner Rechtsgrundsatz des Gemeinschaftsrechts Den Schutz der Gemeinschaftsfinanzen gegen Mißbrauch durch Umgehungsgeschäfte könnte ein allgemeiner Rechtsgrundsatz des Gemeinschaftsrechts sicherstellen. Dieser müßte etwa den Inhalt haben, daß alle diejenigen Geschäfte oder Transaktionen von der Gewährung von Subventionen oder Abgabenermäßigungen ausgeschlossen sind, die ohne wirtschaftlichen Grund und einzig zur Erlangung einer Subvention oder Abgabenermäßigung vorgenommen werden 103. Wenn ein solcher allgemeiner Rechtsgrundsatz existierte, wäre kein Tätigwerden des Gemeinschaftsgesetzgebers zur Verhinderung von Umgehungsgeschäften erforderlich. Voraussetzung für die Anerkennung eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes mit diesem Inhalt ist jedoch, daß sich ein solcher den Vorschriften und dem Geist der Gemeinschaftsverträge entnehmen läßt 104, daß er ein jeder mitgliedstaatlichen Rechtsordnung immanentes Strukturprinzip bildet oder zumindest, daß er sich durch wertende Rechtsvergleichung der Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten als allgemeiner Rechtsgrundsatz ermitteln läßt lOS. Eine allgemeine Mißbrauchsregel, die Umgehungsgeschäfte von Subventionierung und Abgabenermäßigungen ausschließt, kann jedoch nicht aus den Vorschriften oder den Regelungszusammenhängen der Gemeinschaftsverträge hergeleitet werden, da diese zu den Problemen des Rechtsmißbrauchs oder der Gesetzesumgehung keinerlei Aussage treffen. Sie ist auch kein allgemeingültiges Strukturprinzip jeder mitgliedstaatliChen Rechtsordnung, und ebensowenig kann sie durch wertende Rechtsvergleichung der Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten als im Gemeinschaftsrecht gültig ermittelt werden 106. Wenn nämlich überhaupt in den nationalen Rechtsordnungen die Verbote der Gesetzesumgehung und des Rechtsmißbrauchs als Rechtsinstitute anerkannt sind, so wird ihre Geltung jedenfalls zumeist auf das Zivilrecht beschränkt 107. Eine allgemeine Geltung die103 Die Formulierung dieses möglichen allgemeinen Rechtsgrundsatzes lebnt sicb an den Wortlaut der Ratsentscb\ießung vom 27.06.1977 an, vgl. ABI. 1CJ77 Nr. C 157 S. 2. 104 Wie etwa die Grun